Partizipative Erinnerungsräume: Dialogische Wissensbildung in Museen und Ausstellungen [1. Aufl.] 9783839423615

Der Erfolg partizipativer Methoden der Wissensbildung und -vermittlung in Museen ist von der aktiven Rolle potenzieller

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German Pages 378 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Partizipative Erinnerungsräume
I. Zugänge
Museum und Ausstellung. Par tizipative Erinnerungsräume?
Kulturelle Bildung und besucherorientierte Vermittlung. Theoretische Diskursfelder und die Praxis in Museen und Ausstellungen
Angewandte Kulturwissenschaften. Par tizipative Wissensproduktion in Theorie und Praxis
II. Erfahrungen
Tür an Tür. Polen — Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte. Eine kurze Einführung in das Ausstellungsprojekt
Tandemführungen. Doppelt dialogische Wissensvermittlung in der Praxis
Nebeneinander und voneinander. Analytische Überlegungen zur Ausstellung Tür an Tür
Doppelte Dialoge. Eine deutsch-polnische Tandemführung als Er fahrungsraum
Anregung durch Andersdenkende. Dialogische Vermittlung deutsch-polnischer Beziehungsgeschichte
Polen, ich komme!
Dekonstruktion und Versöhnung. Pressereaktionen auf die Ausstellung Tür an Tür
Die Grenzen von Multiperspektivität. Zur Inszenierung eines deutsch-polnischen Dialogs
III. Perspektiven
Tandem als Vermittlungsform
Partizipative Strategien zum Schutz jüdischen Kulturerbes in Polen
Den nationalen Kontext verlassen. Deutsche und Polen konstruieren eine binationale Ausstellung
Räum Dein Stadtmuseum um! Eine par tizipative Intervention in die Dauerausstellung 1000 Jahre Breslau
Das partizipative Stadtmuseum. Das partizipative Stadtmuseum
Zwangsmigration partizipativ erinnern. Vermittlungansätze für das Haus Brandenburg in Fürstenwalde/Spree
Das Eigene und das Fremde im Museum. Die museale Re-Präsentation sozialer Differenz
Geteilte Erinnerungsräume. Zur Vision eines Inklusiven Museums aus kuratorischer Sicht
Anhang
Seminarplan
Seminarleitfaden zur Museumsanalyse
Methodenprotokoll einer Tandemführung
Dokumentation einer Tandemführung
Berichterstattung in der Berliner Zeitung
Bibliographie
Danksagung
Streszczenia artykuł ów
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Partizipative Erinnerungsräume: Dialogische Wissensbildung in Museen und Ausstellungen [1. Aufl.]
 9783839423615

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Felix Ackermann, Anna Boroffka, Gregor H. Lersch (Hg.) Partizipative Erinnerungsräume

Edition Museum | Band 5

Felix Ackermann, Anna Boroffka, Gregor H. Lersch (Hg.)

Partizipative Erinnerungsräume Dialogische Wissensbildung in Museen und Ausstellungen

Diese Publikation wurde gefördert von der Deutsche Bank Stiftung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © jansch / www.jirka-jansch.com Lichthof des Martin-Gropius-Bau Berlin während der Ausstellung »Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte« Satz: Justine Haida, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2361-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Partizipative Erinnerungsräume Felix Ackermann/Anna Boroff ka/Gregor H. Lersch | 9

I Z UGÄNGE Museum und Ausstellung Partizipative Erinnerungsräume? Gregor H. Lersch | 21

Kulturelle Bildung und besucherorientierte Vermittlung Theoretische Diskursfelder und die Praxis in Museen und Ausstellungen Anna Boroff ka | 33

Angewandte Kulturwissenschaften Partizipative Wissensproduktion in Theorie und Praxis Felix Ackermann | 51

II E RFAHRUNGEN Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte Eine kurze Einführung in das Ausstellungsprojekt Gregor H. Lersch | 71

Tandemführungen Doppelt dialogische Wissensvermittlung in der Praxis Felix Ackermann/Anna Boroff ka | 83

Nebeneinander und voneinander Analytische Überlegungen zur Ausstellung Tür an Tür Anna Labentz | 97

Doppelte Dialoge Eine deutsch-polnische Tandemführung als Erfahrungsraum Liane Matern/Anna Labentz | 113

Anregung durch Andersdenkende Dialogische Vermittlung deutsch-polnischer Beziehungsgeschichte Anne Wanitschek | 131

Polen, ich komme! Die Gästebucheinträge der Ausstellung Tür an Tür Constance Krüger | 147

Dekonstruktion und Versöhnung Pressereaktionen auf die Ausstellung Tür an Tür Maria Albers | 161

Die Grenzen von Multiperspektivität Zur Inszenierung eines deutsch-polnischen Dialogs Felix Ackermann | 179

III P ERSPEK TIVEN Tandem als Vermittlungsform Susanne Rockweiler | 193

Partizipative Strategien zum Schutz jüdischen Kulturerbes in Polen Léontine Meijer-van Mensch/Dorota Kawęcka/Aleksandra Janus | 207

Den nationalen Kontext verlassen Deutsche und Polen konstruieren eine binationale Ausstellung Jutta Wiedmann | 221

Räum Dein Stadtmuseum um! Eine partizipative Intervention in die Dauerausstellung 1000 Jahre Breslau Vasco Kretschmann | 235

Das partizipative Stadtmuseum Eine Vision für das Museum Neuruppin Magdalena Pyzio | 251

Zwangsmigration partizipativ erinnern Vermittlungsansätze für das Haus Brandenburg in Fürstenwalde/Spree Lisa Just | 263

Das Eigene und das Fremde im Museum Die museale Re-Präsentation sozialer Differenz Jakob Ackermann | 277

Geteilte Erinnerungsräume Zur Vision eines Inklusiven Museums aus kuratorischer Sicht Lorraine Bluche/Frauke Miera | 293

A NHANG Seminarplan | 315 Seminarleitfaden zur Museumsanalyse | 327 Methodenprotokoll einer Tandemführung | 333 Dokumentation einer Tandemführung | 339 Berichterstattung in der Berliner Zeitung | 343 Bibliographie | 347 Autorinnen und Autoren | 359 Danksagung | 365 Streszczenia artykułów | 367

Partizipative Erinnerungsräume Felix Ackermann/Anna Boroff ka/Gregor H. Lersch

Wie können Besucher Teilhabe an der in Ausstellungen und Museen erzählten Geschichte erlangen? In der vorliegenden Publikation werden zwei Grundvoraussetzungen für eine solche partizipative Praxis der Wissensbildung diskutiert: Zum einen die aktive Teilnahme der Besucher an der Verhandlung von Vergangenheit in musealen Räumen und zum anderen der nachhaltige Lernprozess daran beteiligter Institutionen und Mitarbeiter. Nach einer theoretischen Einführung in die unterschiedlichen partizipativen Formen der besucherorientierten kulturellen Bildung in Museen und Ausstellungen werden diese zwei Dimensionen am Beispiel des Pilotprojekts Deutsch-Polnische Tandemführungen, welches im Kontext der Ausstellung Tür an Tür. Polen und Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte im Berliner Martin-Gropius-Bau stattfand, analysiert. Da die Ausstellung 1000 Jahre deutsch-polnische Beziehungsgeschichte anhand von historischen und zeitgenössischen Kunstwerken präsentierte, finden unterschiedliche Formen der dialogischen Kunstvermittlung dabei eine besondere Berücksichtigung. Die Publikation basiert auf den Ergebnissen eines Projektes der Europa-Universität Viadrina, das 2011 bis 2012 in Kooperation mit der Kulturprojekte Berlin GmbH und dem Martin-Gropius-Bau Berlin realisiert wurde. Ausgehend von einem durch die Herausgeber an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät durchgeführten Hochschulseminar zur dialogischen Wissensbildung in Ausstellungen und Museen entwarfen die Teilnehmer Führungsrundgänge durch die Ausstellung Tür an Tür, die von je zwei Studierenden im Team durchgeführt wurden. Neben der kunsthistorischen Werkbetrachtung und der Analyse des Ausstellungsraums lag der besondere Schwerpunkt der Arbeit auf der Entwicklung von partizipativen Vermittlungsformen. Im Rahmen der Ausstellung

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wurden diese dann in die Praxis überführt und kritisch ausgewertet. Die Tandemführungen waren als binationale Ausstellungsgespräche konzipiert, in welchen bewusst der Dialog mit den Besuchern gesucht wurde. Diese deutsch-polnischen Tandemführungen erwiesen sich als produktive Methode, unterschiedliche Sichtweisen auf die deutsch-polnische Geschichte zu analysieren, zu diskutieren und damit Ansätze für eine transnationale Beziehungsgeschichte zu formulieren.

E RINNERUNG UND A USHANDLUNG IM M USEUM Das Museum wird in diesem Band als Institution verstanden, die einen öffentlich zugänglichen Raum bereitstellt, in dem einerseits eine materielle Vergegenwärtigung von Geschichte ermöglicht wird und andererseits Grundfragen nach der Bewahrung von Zeugnissen der Vergangenheit gestellt und beantwortet werden können.1 Durch diesen doppelten Charakter kommt der Rezeption von in Ausstellungen kreierten Narrationen eine wichtige Rolle zu. Durch die Inszenierung von Exponaten entstehen in Museen und Ausstellungen verräumlichte Erzählungen über die Vergangenheit. Ob anhand historischer Artefakte oder – wie in unserem Fall – anhand von Kunstwerken des Mittelalters bis zu zeitgenössischen Arbeiten, vollzieht sich in der Gegenwart eine Verhandlung der Historie, wobei definiert wird, welche Teile der Vergangenheit zu Geschichte und damit weiterhin tradiert werden und welche in Vergessenheit geraten. Museen und Ausstellungen stellen damit Orte der Verhandlung von Vergangenheit und der Prozesse des aktiven Erinnerns dar. Sie sind sowohl Repräsentationsraum bereits fixierter Narrationen als auch potentielles Labor gesellschaftlicher Diskurse über deren Rolle. Der Publikation liegt die Annahme zugrunde, dass Museen und Ausstellungen Orte generieren, an denen auf unterschiedliche Art und Weise öffentliche Kommunikationsprozesse über die Bedeutungen von Vergangenheit stattfinden. Welcher Kommunikationsstruktur gefolgt wird 1 | Vgl. Korff, Gottfried: Museumsdinge. Exponieren – Deponieren, Köln 2002; Pomian, Krzysztof: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1988; Pieper, Katrin: Resonanzräume. Das Museum im Forschungsfeld Erinnerungskultur, in: Baur, Joachim (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 187-212, S. 187.

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und ob die beschriebenen musealen Erinnerungsräume dabei auch als Rahmen für die Verständigung verschiedener Akteure einer Gesellschaft funktionieren, hängt sowohl von der formellen Anlage als auch dem Inhalt der Ausstellung und dem vor Ort umgesetzten Vermittlungskonzept ab. Der Dialog mit den Besuchern wird in dieser Publikation daher nicht als Kommunikation oder gar Marketing eines fertigen Produktes (sprich: einer fertigen Ausstellung oder eines festen Geschichtsbildes) verstanden. Vielmehr analysieren die Autoren unterschiedliche Möglichkeiten, die Ausstellungsnarration zu öffnen, um eine stärkere Integration der Besucher zu bewirken. Während die anderen Kernaufgaben der Museen (Sammeln, Bewahren, Erforschen) in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, wird im Bereich der Ausstellungsrezeption (und teilweise auch der vorangegangenen Ausstellungskonzeption) inzwischen eine deutlichere Partizipation seitens der Besucher gewünscht. Im Kontext der Vermittlungsarbeit von Museen hat die Frage nach den Potenzialen und Möglichkeiten einer solchen aktiven Einbindung in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Durch Dekonstruktion und Erweiterung des Kompetenzbegriffs lässt sich im aktuellen Vermittlungsdiskurs eine didaktische Wende erkennen: Die unilaterale Wissensvermittlung wird nach und nach von einer multilateralen Wissensbildung abgelöst.2 Museen werden damit als kulturelle Kontaktzonen verstanden, in denen Inhalte nicht nur rezipiert, sondern aktiv verhandelt und neu gebildet werden können. In einer Übertragung der im aktuellen Kunstvermittlungsdiskurs formulierten Kategorien stellt sich hier die Frage nach der Notwendigkeit und den Möglichkeiten, den in Museen und Ausstellungen dominierenden affirmativen Diskurs zu wandeln und Räume für eine dekonstruktive und transformative Verhandlung von Gegenwart und Vergangenheit zu schaffen.3 Der Besucher 2 | Sternfeld, Nora: Der Taxispielertrick. Vermittlung zwischen Selbstregulierung und Selbstermächtigung, in: schnittpunkte – Jaschke, Beatrice/ Mertinz-Turek, Charlotte/Sternfeld, Nora (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorenschaft in Ausstellungen (Ausstellungstheorie & Praxis, 1), Wien 2005, S. 15-33. Siehe auch den Begriff der Kulturellen Kontaktzone in den Postcolonial Studies: James Clifford: Museums as Contact Zones, in: Ders.: Routes, Travel and Translation in the Late Twentieth Century, Cambridge 1997, S. 188-219. 3 | Mörsch, Carmen: Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen: Die documenta 12. Vermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und

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würde damit der passiven Rolle des Rezipienten enthoben und als aktiver Akteur in die museale Verhandlung von Vergangenheit inkludiert.

S OZIALE M ODI VON B EDEUTUNGSPRODUK TION Die derzeitige Diskussion über Partizipation vollzieht eine Wandlung von Teilhabe im Museum hin zu Teilhabe am Museum. Während im noch den räumlichen Aspekt musealer Repräsentationen betont, verweist am auf die Institution selbst. Beide Versionen rücken die soziale Dimension der Produktion von (Be-)Deutungen des Vergangenen in den Fokus. Dabei steht zunehmend der Prozess selbst im Vordergrund, während seine materielle Repräsentation in die zweite Reihe verwiesen wird. In Fachkreisen kann man beobachten, wie der Zusammenhang zwischen Raum, Bedeutung und sozialer Interaktion aus den virtuellen Raumkonstruktionen des Internets in die gebauten Räume von Museen und Ausstellungen projiziert werden. Die Erfahrung des Internets als sozialer Raum, in dem sich neue Praktiken von Teilhabe entwickelt haben, verändert die Vorstellung vom Museum, indem zunehmend die Frage nach von Nutzern generierten Inhalten gestellt wird. Das Schlagwort vom Museum 2.0 sieht in potenziellen Besuchern nicht nur einen Konsumenten, sondern auch Produzenten von konkreten Ausstellungsinhalten. Dabei werden die aus dem Internet übernommenen Praktiken zur Definition von Partizipation als Produktion, Distribution und Vernetzung von Inhalten übernommen.4 Nina Simon betont, dass es nicht nur um die Produktion oder Beisteuerung von Ideen und Artefakten geht, sondern auch um deren Neustrukturierung sowie die Bewertung ihrer Zusammenstellung und Inszenierung.5 Damit kommt es zu einer Fokusverschiebung von der maTransformation, in: Dies. (Hg.): Kunstvermittlung. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts, Bd. 2, Zürich/Berlin 2009. 4 | Simon, Nina: The Participatory Museum, http://participatorymuseum.org/ read/, 1.2.2013. 5 | Simon, Nina: Das partizipative Museum, in: Gesser, Susanne u.a. (Hg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld 2012, S. 99-100.

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teriellen Ebene der Exponate, ihrer Auswahl, Klassifizierung, Bewahrung und Ausstellung hin zur diskursiven Ebene, auf der die kulturelle Bedeutung der musealen Objekte verhandelt wird. Weitgehende Einigkeit herrscht dabei in der Forderung, nach Möglichkeit unterschiedliche soziale Gruppen in das partizipative Museum einzubinden. So verweisen Léontine Meijer-van Mensch, Dorota Kawęcka und Aleksandra Janus in ihrem Beitrag darauf, dass der so in der Diskussion entstehende kommunikative Prozess selbst zur Herstellung einer Gemeinschaft beitragen kann, die zuvor nicht existierte. Sie verwenden dabei die Unterscheidung von source community als sozialer Gruppe, die sich über die Produktion bestimmter kultureller Bedeutungen und Artefakten definiert sowie constituent community als sozialer Gruppe, die aktiv die Verantwortung für die Produktion von Kulturerbe übernimmt, ohne sich selbst als Produzent dieses zu verstehen. Die Rückübersetzung des englischen Wortes community als Gemeinschaft ist in diesem konkreten Fall sinnvoll, da es sich um mehr als soziale Gruppen handelt: Die Mitglieder entwickeln ein spezifisches Verständnis, was in einem Museum repräsentiert werden soll.6 Sie projizieren damit situativ eigene Interessen in den Raum des Museums und definieren aktiv, welche soziale Bedeutung dieses für sie hat. So können temporäre, räumlich gebundene Gemeinschaften entstehen, die jenseits ihrer sozialen, geographischen und kulturellen Herkunft Teilhabe am Museum erlangen. Derzeit wird diese Diskussion mit einem starken Fokus auf Migration als besondere Herausforderung für Museen mit einem räumlichen Bezug – darunter zahlreiche Stadt- und Bezirksmuseen – geführt.7 In Bezug auf Partizipation sind dabei auch andere soziale Phänomene, wie die weiterhin zunehmende soziale Ungleichheit oder eine sich durch den demographischen Wandel verändernde Generationenkonstellation, für neue Ansätze im Bereich der partizipativen Vermittlungsarbeit von Belang. Das im Rahmen der Ausstellung Tür an Tür entwickelte Format von interkulturellen Tandemführungen erhebt nicht den Anspruch, Partizipation ganzer Gruppen zu ermöglichen. Es schafft vielmehr ein Labor, in dem ein dialogisches Gesprächsformat Transnationalität in einem binationa6 | Siehe dazu den Beitrag Partizipative Strategien zum Schutz jüdischen Kulturerbes in Polen. 7 | Alle Welt im Museum? Museen in der pluralen Gesellschaft. Museumskunde 77 (2) 2012.

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len Kontext thematisiert. In diesem Rahmen verstehen wir auch die Kooperation von Institutionen mit sich stark unterscheidenden Strukturen und die Interaktion von Mitarbeitern und Studierenden als partizipativen Prozess, der nachhaltig die Arbeitsweise und das Selbstverständnis in der Museums- und Ausstellungsarbeit ändern kann.

D IE POLITISCHE D IMENSION VON P ARTIZIPATION Wir knüpfen in diesem Band an Diskurse an, in denen Museen als politische Orte verstanden werden. Der Fokus ist hier weniger auf die konkreten Inhalte gerichtet als auf den gegenwärtigen Prozess der Bedeutungsverhandlung von Vergangenheit und der Präsentation von Kunst. Die Frage nach Teilhabe unterschiedlicher sozialer Gruppen an diesem Prozess schließt an die Diskussion an, in welcher Form soziale Inklusion im Museum praktiziert werden kann. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass sich das Verhältnis von Museen als Institutionen und ihren Besuchern derzeit verändert und weiter verändern wird. Dabei wird auch die Deutungshoheit von Kuratoren und anderen stark spezialisierten Akteuren im Zusammenspiel von Konzeption, Gestaltung und Vermittlung in Frage gestellt und die Forderung nach neuen Modi der Bedeutungsproduktion laut. Gemeinsam mit Studierenden analysierten wir auch den politischen Rahmen der Entstehung der Ausstellung Tür an Tür. Im Kern bestand die Idee der deutsch-polnischen Tandemführungen darin, in diesem Rahmen einen Raum für die Kommunikation von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu schaffen. Diese Form der partizipativen Wissensbildung setzt im Entstehungsprozess einer Ausstellung relativ spät an. Sie fokussiert stärker auf ein dialogisches Verständnis kultureller Bildung und konkreter Vermittlung in einer bereits fixierten Ausstellungsnarration, denn auf eine Teilhabe von Anbeginn der Ausstellungsplanung. Unseren Beitrag sehen wir im Versuch der Rückführung der empirischen Beobachtungen und der Erfahrung der Einschränkungen in der Praxis in den akademischen Diskurs. Am Tandemprojekt lässt sich weiterhin zeigen, dass auch der politische Rahmen, in dem eine Ausstellung initiiert wird, einen starken Einfluss auf die Wahrnehmung und Gestaltung des Kommunikationsprozesses hat. Die Tandemführungen weisen einen starken Kontrast zwischen

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ihrer Wahrnehmung als binationales Projekt sowie der anvisierten Hybridität des Dialogs und den tatsächlichen Gesprächsverläufen mit den Besuchern auf. Die kritische Analyse des entwickelten Formats zeigte dabei, dass die Rolle der Moderierenden selbst in einem offen angelegten Prozess immer ein starkes Machtpotenzial enthält, welches auch durch den Anspruch nach Inklusion und Teilhabe nicht aufgelöst wird.8

Z UGÄNGE , E RFAHRUNGEN UND P ERSPEK TIVEN Im ersten Teil des vorliegenden Bandes skizzieren wir als Herausgeber drei unterschiedliche Zugänge zum Thema Partizipation im Museum. Gregor H. Lersch kontextualisiert museale Räume in der kulturwissenschaftlichen Debatte um die räumliche Dimension von Erinnerung. Er überführt das statische Konzept des Erinnerungsorts in ein dynamisches Verständnis von partizipativen Räumen und betont deren besondere Relevanz als Kristallisationsraum gesellschaftlicher Erinnerungsprozesse. Dabei werden die Unterschiede von temporären Ausstellungen und musealen Dauerausstellungen in diesen Prozessen besonders fokussiert. Anna Boroff ka beschreibt Partizipation im modifizierten Diskurs der kulturellen Bildung und verweist auf die in den letzten Jahren zu beobachtende politisch geprägte Veränderung und Aufwertung des Vermittlungsbegriffs. Dabei setzt sie sich mit der historischen Entwicklung der Museen und ihrer daraus resultierenden Kommunikationsstruktur auseinander, die sich bis heute in der Vermittlungsarbeit sowie der Ausstellungsnarration beobachten lassen. Vor dem Hintergrund aktueller Lerntheorien analysiert sie Ansätze der besucherorientierten dialogischen Bildungs- und Vermittlungsarbeit, die der in der Regel als unilateral bewerteten Kommunikationsstruktur von Museen und Ausstellungen entgegenwirken. In seinem Text über Angewandte Kulturwissenschaften fordert Felix Ackermann eine Auflösung der strikten Trennung von Theorie und Praxis. Er beschreibt, wie die Reflexion interkulturell, interdisziplinär und 8 | Nora Sternfeld plädiert dafür, dass es deshalb darum gehen muss, die Spielregeln dieses Prozesses stärker zu thematisieren: Sternfeld, Nora: Plädoyer. Um die Spielregeln spielen! Partizipation im post-repräsentativen Museum, in: Gesser u.a. (wie Anm. 5), S. 119-126.

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interinstitutionell angelegter Projektarbeit fester Bestandteil des Selbstverständnisses partizipatorischer Ansätze werden kann. Die auf die Öffnung der Fachwissenschaften zielende Methode sieht vor, die während eines Projekts gesammelten Erfahrungen als empirisches Material zum Gegenstand der Analyse zu machen und so Rückschlüsse für die Theoriebildung zu ermöglichen. Die weitere Struktur des Bandes bildet diesen Ansatz ab: Der Verortung in diskursiven Feldern folgt im zweiten Teil die Dokumentation und Analyse der Erfahrungen des konkreten Projekts, das 2011 für den Berliner Martin-Gropius-Bau entwickelt wurde. Gregor H. Lersch führt kurz in die Ausstellung Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte ein. Felix Ackermann und Anna Boroff ka legen dar, wie gemeinsam mit Studierenden der Europa-Universität Viadrina Tandemführungen entwickelt wurden. Anna Labentz setzt sich kritisch mit dem deutsch-polnischen Narrativ der Ausstellung Tür an Tür und seiner konkreten Ausstellung auseinander. Einen Einblick in ihre eigenen Erfahrungen mit diesem dialogischen Vermittlungsformat geben Liane Matern und Anna Labentz sowie Anne Wanitschek, die im Rahmen ihres Studiums am vorangegangenen Seminar teilgenommen haben. Sie beschreiben einerseits konkrete Stationen und ihre Arbeitsweise mit deutschen und polnischen Besuchern des Martin-Gropius-Baus. Andererseits reflektieren sie praktische, sprachliche und inhaltliche Schwierigkeiten, auf die sie im Laufe des Projekts reagieren mussten. Diesen empirischen Berichten folgen Analysen, die im Kern Antworten auf die Frage formulieren, wie man die Rezeption von Ausstellung und Vermittlungsprojekt nachvollziehen und kontextualisieren kann. Constance Krüger liest das Gästebuch dieser Ausstellung als reiche Quelle unterschiedlicher Reaktionen. Sie zeigt aber auch, dass dieses traditionell eher zu Dokumentationszwecken verwendete Medium ein gewisses Potenzial für partizipative Ansätze hat. Maria Albers analysiert die Reaktionen auf die Ausstellung in deutschen und polnischen Zeitungen und untersucht, welche Form von Öffentlichkeit im Zuge der Ausstellung geschaffen wurde. Sie erläutert zum einen, dass die Selbstdarstellung der Ausstellungsmacher sowie der starke politische Kontext des Projekts die Berichterstattung dominierten und dass es nur wenig Interaktion zwischen den Medien beider Länder gab. Abschließend zeigt Felix Ackermann die Grenzen von Multiperspektivität auf. Er argumentiert, dass die

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Inszenierung deutsch-polnischer Dialoge letztendlich tradierten Mustern folgt, die vor allem das Nebeneinander nationaler Gruppen betonen und die Hybridität vieler Identitäten ausblenden. Für den dritten Teil baten wir Teilnehmer und Partner des Tandem-Projekts sowie weitere deutsche und polnische Akteure an der Schnittstelle von Ausstellungkonzeption, -analyse und -vermittlung, den Blick in die nahe Zukunft zu richten. So entstanden Skizzen für konkrete, neue Projekte sowie Texte über die weitere Perspektive des Zusammenspiels von Museen, Besuchern und Kuratoren. Susanne Rockweiler gibt konkrete Beispiele, wie das von uns erarbeitete Konzept der Tandemführungen im Martin-Gropius-Bau aufgegriffen wurde und in neuen Kontexten Anwendung findet. Sie praktiziert inzwischen diese Form dialogischer Multiperspektivität auch mit Vertretern unterschiedlicher Wissensbereiche und Disziplinen. Léontine Meijer-van Mensch, Dorota Kawęcka und Aleksandra Janus analysieren die Entstehung einer Jüdischen Renaissancebewegung in einem Land ohne Juden. Sie verknüpfen dabei die Fragestellung, in welcher Art lokale Gemeinschaften Verantwortung für das Kulturerbe ihrer Umgebung übernehmen und beziehen sich auf Projekte, in denen heute in Polen Nichtjuden jüdisches Kulturerbe als ihr eigenes kulturelles Erbe betrachten. Jutta Wiedmann wertet ihre Erfahrungen in der Vermittlungsarbeit des Warschauer Aufstandsmuseum aus und konzipiert einen Workshop, in dem junge Deutsche und Polen gemeinsam eine Ausstellung erarbeiten. Die dabei zu Tage tretenden Dilemmata dienen ihr als Material zur weiteren Auswertung. Vasco Kretschmann verbleibt thematisch in Polen und lenkt den Blick von der Hauptstadt in die Provinz. Anhand des Breslauer Stadtmuseums beschreibt er strukturelle Probleme der musealen Aneignung deutscher kultureller Schichten der lokalen Geschichte und macht einen praktischen Vorschlag, wie mehr heutige Breslauer in den Prozess der Neuentdeckung dieser eingebunden werden können. Ebenfalls auf einen lokalen Raum nimmt Magda Pyzio in ihrem Text über das Museum Neuruppin Bezug. Sie verbindet theoretische Vorüberlegungen zum partizipativen Stadtmuseum mit einer konkreten Vision für das Museum als Lernort mehrerer Generationen. Diese Frage nach dem Einbinden neuer Generationen in einem regionalen Kontext greift Lisa Just auf – sie entwickelt für das Haus Brandenburg in Fürstenwalde

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einen Ansatz, wie die Vertreibungen des 20. Jahrhunderts im 21. vergegenwärtigt werden können. In allen Texten wird deutlich, dass der jeweilige Entstehungskontext eines Museums sowie die Heterogenität der Gemeinschaft von Menschen, die das Museum tragen, entscheidend für den Prozess der Ausgestaltung sind. Jakob Ackermann verortet in seinem Beitrag das Eigene und Fremde im Museum und nähert sich einem gegenwärtigen Verständnis von Differenz im Museum. Lorraine Bluche und Frauke Miera skizzieren am Ende dieses Teils ihr Konzept geteilter Erinnerungsräume im Kontext der Verwirklichung eines Inklusiven Museums. Dabei greifen sie auf ihre kuratorischen Erfahrungen bei der partizipativen Musealisierung von Migration zurück und projizieren diese in die nahe Zukunft. Im Anhang befinden sich verschiedene Materialien, die zur Veranschaulichung des Prozesses vom Seminar bis zu den konkreten Führungen und deren Rezeption dienen. Hier findet sich beispielsweise der Seminarplan als Ausgangspunkt des Vorhabens, ein Methodenprotokoll für die Umsetzung einer Tandemführung und ein Artikel aus der Berliner Zeitung über eine solche Führung.

I Zugänge

Museum und Ausstellung Partizipative Erinnerungsräume? Gregor H. Lersch

In den intensiv geführten erinnerungskulturellen Debatten der letzten Jahrzehnte spielten Museen und Ausstellungen immer wieder eine zentrale Rolle. Neugründungen von Museen und Debatten über temporäre Ausstellungen begleiten dabei häufig diese diskursiven Prozesse.1 In diesem Text wird zunächst die Funktion des Museums als Speicher von Erinnerung mit einem Fokus auf historischen sowie kulturhistorischen Museen und Ausstellungen betrachtet, bevor eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Erinnerungsorte erfolgt. Im Folgenden werden die Besonderheiten von temporären Ausstellungen als Medien gesellschaftlicher Themenfindung herausgearbeitet. Den Überlegungen liegt dabei zugrunde, dass Museen die ihnen zugeschriebene Funktion in gesellschaftlichen Erinnerungsprozessen immer nur dann erfüllen, wenn durch ihre Arbeit konkrete Kommunikationsprozesse initiiert werden. Diese werden in einem traditionellen Verständnis vor allem von Kuratoren, Archivaren, Wissenschaftlern, Architekten, Journalisten und anderen Fachleuten angeregt. Im vorliegenden Band wird Partizipation hingegen als Aushandlungsprozess verstanden, an dem in Museen und Ausstellungen ein breiteres Publikum, oder genauer gesagt, die für 1 | Temporäre Ausstellungen wie das 2006 in Berlin gezeigte Projekt Erzwungene Wege können heftige Diskussionen in der Öffentlichkeit um den Umgang und die Präsentation von Geschichte auslösen. In Bezug auf Neugründungen von historischen Museen finden sich ab dem Jahr 2000 zahlreiche Beispiele in Polen, so etwa das 2004 eröffnete Museum des Warschauer Aufstandes und das Museum der Geschichte der Polnischen Juden (Eröffnung 2013).

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das Museum relevanten Zielgruppen, selbst aktiv teilhat. Damit werden Museen, aber auch temporäre Ausstellungen, als Erinnerungsräume verstanden, in denen gesellschaftliche Teilhabe an der Definition von Kulturerbe praktiziert werden kann. Die Ausführungen beziehen sich primär auf historische, kultur- und kunsthistorische Museen und Ausstellungen sowie Präsentationen zeitgenössischer Kunst, in zahlreichen Aspekten sind sie aber auch übertragbar auf andere Arten von Ausstellungen und Museen mit historischen Bezügen. Der Text schließt mit Überlegungen zu konkreten partizipativen Methoden, welche die Arbeitsweisen von Museen strukturell beeinflussen.

1) E RINNERUNGSORT & E RINNERUNGSR AUM Das Konzept des Erinnerungsortes ist im Zusammenhang der räumlichen Inszenierung von Geschichte von zentraler Bedeutung. Der semiotische Kern des Begriffs verweist auf einen starken räumlichen Bezug von Erinnerung. Wie ist aber das genaue Verhältnis von Erinnerungsorten und Museen sowie Ausstellungen? Der französische Historiker Pierre Nora entwickelte das Konzept in den 1980er Jahren als lieux de mémoire, um Kristallisationspunkte gesellschaftlicher Erinnerungsprozesse zu beschreiben. Sein Projekt bezog sich zunächst auf die Rezeption französischer Geschichte und ihre Bedeutung für die fortwährende Neukonstitution der französischen Nation. Nora griff darin vor allem Überlegungen von Maurice Halbwachs zum kollektiven Gedächtnis (mémoire collective) auf und führte diese weiter aus.2 Dabei versteht Nora lieux de mémoire als langlebigere Form der Erinnerung, die auch unabhängig von der Erinnerung einzelner gesellschaftlicher Gruppen über mehrere Generationen hinweg Relevanz für das Selbstverständnis einer Nation haben.3 Seit den frühen 1990er Jahre wurden diese Thesen auch außerhalb Frankreichs rezipiert und weiterentwickelt. Im deutschen Sprachraum nahmen die Kulturwissenschaftler Aleida und Jan Assmann eine stärkere historische Kontextualisierung kollektiver Erinnerungsformen

2 | Halbwachs, Maurice: Das kollektive Gedächtnis, Frankfurt a.M. 1991 (orig.: La mémoire collective, Paris 1950). 3 | Nora, Pierre: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1990.

Museum und Ausstellung: Par tizipative Erinnerungsräume?

vor.4 Sie entwickelten ein genaueres Verständnis unterschiedlicher Stufen oder vielmehr Phasen von Erinnerung, die vom Individuum über ein kommunikatives Gedächtnis zu einer als kulturelles Gedächtnis definierten Form des Erinnerns führen. Letzteres wird sozial geformt und etwa in Riten, Texten und Denkmälern zum Ausdruck gebracht. Institutionalisierte Kommunikationsformen wie Rezitation, Begehung und Betrachtung tragen demnach zur Entstehung eines kulturellen Gedächtnisses bei.5 Die kulturwissenschaftliche Syntheseleistung der beiden Autoren liegt in einer Verknüpfung des Gedächtnisbegriffs mit den in Archäologie, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften erarbeiteten Konzeptionen von Räumlichkeit. Dabei werden konkrete Kommunikationsprozesse und ihre kulturellen Ausdrucksformen immer auch als symbolische Akte gelesen, deren Darstellung eine räumliche Dimension aufweisen. Die parallel dazu einsetzende breite Beschäftigung der Geisteswissenschaften mit dem Raum wird auch als spatial turn beschrieben.6 Eine fast schon inflationäre Verortung von Gedächtnis anhand von Erinnerungsorten erfolgt seit den späten 1990er Jahren. Dabei werden immer neue geographische und kulturelle Kontexte erschlossen.7 Nachdem das nationale Projekt von Nora zunächst auf andere Gesellschaften übertragen wurde, ist es inzwischen im wissenschaftlichen Betrieb weit verbreitet, Erinnerungsorte in transnationalen, regionalen und lokalen Kontexten zu beschreiben. Parallel zu dieser Erfolgsgeschichte des Konzepts wurde aber auch die Kritik am methodischen Vorgehen Noras lauter: Nora habe durch seine eigene Auswahl die Kanonisierung von bestimmten 4 | Eine umfangreiche Übersicht zum Thema Museum und Erinnerung ist zu finden bei Pieper, Katrin: Resonanzräume. Das Museum im Forschungsfeld Erinnerungskultur, in: Baur, Joachim (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 187-212, S. 187. 5 | Zitiert nach: Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis, München 2002, S. 14. 6 | Siehe die Zusammenfassung zu spatial turn und topographical turn sowie der auf sie bezogenen Kritik in: Günzel, Stephan (Hg.): Raum – ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, S. 90-120; Lammert, Angelika (Hg.): Topos Raum, Berlin 2005. 7 | Einige der Projekte sind nicht abgeschlossen. Bearbeitet werden und wurden u.a.: Italienische Erinnerungsorte, Spanische Erinnerungsorte, Europäische Erinnerungsorte, Erinnerungskulturen in Berlin und Buenos Aires.

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Orten maßgeblich voran getrieben und der Formierung einer nationalen Narration untergeordnet. Transnationale Projekte – wie das zur Zeit entstehende Projekte zu deutsch-polnischen Erinnerungsorten – greifen diese Kritik auf und machen den Auswahlprozess relevanter Themen zum diskursiven Teil des Projekts.8 Dennoch löst auch ein transnationaler Bearbeitungsmodus den Fokus auf die Nation als gedachte Gemeinschaft nicht vollständig auf, da er sie noch immer als wichtige Bezugsgröße von Beschreibung und Analyse verwendet. Trotz der Kritik am Konzept der Erinnerungsorte gibt es inzwischen einen breiten Konsens darüber, dass in Erinnerungsprozessen Orte eine zentrale Rolle spielen, da Erinnerung ohne Verräumlichung nicht von Dauer sein kann. Kurz gesagt: »Das Gedächtnis braucht Orte.«9 Die ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmende kulturelle Kodierung von Orten und Räumen als öffentliche Gedenk- und Erinnerungsorte könnte vor diesem Hintergrund auch dadurch begründet sein, dass Prozesse des Erneuerns und Veraltens als Elemente einer sich beschleunigt verändernden Welt wahrgenommen werden. Damit entsteht der Wunsch zumindest Erinnerung räumlich zu materialisieren und durch die Schaffung von spezifischen Orten zu sichern. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, warum Museen und Erinnerungsorte in der Moderne und Postmoderne immer zahlreicher geworden sind.10 Inspiriert von Erinnerungsorten als »Kristallisationskernen […] kollektiven Gedächtnisses« 11 wird der Begriff allerdings häufig, so auch in den Deutschen Erinnerungsorten, entlang eines sehr breiten Verständnisses des Wortes Ort definiert.12 Durch eine immer weitere Auslegung des 8 | www.cbh.pan.pl, 2.3.2013. 9 | Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992, S. 39 10 | Auf das stetige Anwachsen des kulturellen Gedächtnisses unter den Gegebenheiten von modernisierungsbedingter Erneuerung und Zerstörung hat zuvor auch Hermann Lübbe in verschiedenen Schriften aufmerksam gemacht. Siehe z.B.: Lübbe, Hermann: Der Fortschritt und das Museum. Über den Grund unseres Vergnügens an historischen Gegenständen, London 1982. 11 | Zitiert nach: Francois, Etienne/Schulze, Hagen: Deutsche Erinnerungsorte, München 2001, S. 15. 12 | Ebenda S. 17.

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Wortes haben Erinnerungsorte somit ihre geographische Verortung und Materialität längst verloren. Es handelt sich in der wissenschaftlichen Praxis vor allem um ein interdisziplinäres Geflecht von materiellen und immateriellen Erinnerungsfäden, das nicht per se geographisch verortet sein muss, also auch ein immaterielles Phänomen mit einer anhaltenden gesellschaftlichen Bedeutung sein kann. Parallel zu dieser Entwicklung wurde in den Geisteswissenschaften die räumliche Präsentation von Dingen und Geschichte im Museum stärker reflektiert.13 In den Geschichts- und Kulturwissenschaften lag nun ein Fokus der Analysen zunehmend auf der Bedeutung von Museen als Räumen für die Darstellung von Geschichte, anhand derer analysiert werden kann, was und wie in bestimmten sozialen Gruppen einer Gesellschaft als gemeinsames Kulturerbe definiert wird und welche Narrative auf diese Weise verräumlicht werden. Von Gedenkstätten grenzt sich das Museum vor allem durch seinen großen Bestand an Gegenständen ab, wobei in Gedenkstätten in der Regel vor allem die Authentizität des Ortes selbst zum Tragen kommt. Per Definition geht die Funktion des Museums weit über das reine Ausstellen hinaus. Neben der Präsentation im Ausstellungsraum bestehen im Hintergrund die Funktionen als Depot und Forschungseinrichtung. Auch wenn diese für den Besucher meist unsichtbar bleiben, sind sie wichtige Grundbestandteile der Institution Museum. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade auch historische Museen immer in der jeweiligen Gegenwart agieren, selbst wenn sie meist in der Vergangenheit Gesammeltes präsentieren. Diesen Gegenwartsbezug der sich wandelnden und erweiternden Archivfunktion des Museums beschrieb Walter Benjamin wie folgt: »Und der betrügt sich selber um das Beste, der nur das Inventar der Funde macht und nicht im heutigen Boden Ort und Stelle bezeichnen kann, an denen er das Alte aufbewahrt.«14 Dies ist vor allem bei der Analyse von schon länger bestehenden musealen Dauerausstellungen zu berücksichtigen. 13 | Korff, Gottfried/Roth, Martin (Hg.): Das historische Museum. Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik, Franfurt a.M. 1990; Pomian, Krzysztof: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1988; Zacharias, Wolfgang (Hg.): Zeitphänomen Musealisierung. Das Verschwinden der Gegenwart und die Konstitution der Erinnerung, Essen 1990. 14 | Zitiert nach: Walter Benjamin: Ausgraben und Erinnern, in: Ders.: Denkbilder, Frankfurt a.M. 1974, S. 100f.

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Das Museum wird in diesem Text als Institution definiert, die einen öffentlich zugänglichen Raum bereitstellt, in dem einerseits eine materielle Vergegenwärtigung von Geschichte möglich ist und andererseits Grundfragen nach der Bewahrung von Zeugnissen der Vergangenheit gestellt und beantwortet werden können.15 Diese musealen Erinnerungsräume bringen damit mehrere Grundeigenschaften zusammen: Sie sind einerseits konkret und materiell. Und andererseits verfügen sie über einen medialen Charakter. Sowohl die hier gezeigten Gegenstände als auch ihre räumliche Inszenierung funktionieren als Medien zwischen unterschiedlichen Vergangenheiten und der Gegenwart. Genau in dieser narrativen Vermittlungsfunktion liegt das besondere Potenzial des Museums. Durch die symbolische Aufgeladenheit und ihre Materialität können die Dinge, aber auch die Erinnerungsräume selbst, zum Zwischenspeicher des kulturellen Gedächtnisses werden. Museen werden daher in dieser Publikation in Abgrenzung vom Begriff des Erinnerungsortes aufgrund der stets gegebenen Materialität sowie aufgrund des Charakters als räumlicher Rahmen für konkrete Inhalte als Erinnerungsräume beschrieben.16

2) M USEEN , E RINNERUNG UND PARTIZIPATION Museen sind Erinnerungsräume, in denen mithilfe einer räumlichen Anordnung von Dingen eine Narration über die Vergangenheit und damit auch eine Utopie für die Zukunft entworfen wird. Dieser Raum wird durch die gesellschaftliche Konstruktion als Institution, die Reaktionen von Besuchern sowie seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu einem öffentlichen Ort, der Einfluss auf gegenwärtige Erinnerungsprozesse einer Gesellschaft haben kann. Hier werden grundlegende Techniken des 15 | Pieper (wie Anm. 4); Korff/Roth; Zacharias; Pomian (wie Anm. 13). 16 | »Ein Ort ist eine momentane Konstellation von festen Punkten.« Umgekehrt ist für de Certeau Raum ein »Geflecht von beweglichen Elementen. Er ist gewissermaßen von der Gesamtheit der Bewegungen erfüllt, die sich ihm entfalten (…) . Insgesamt ist ein Raum ein Ort, mit dem man etwas macht«. Zitiert nach: Dünne, Jörg/Günzel, Stephan (Hg.): Raumtheorie: Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M. 2006, S. 345. (unter Verweis auf: Michel de Certeau: Aus Kunst des Handelns).

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Lesens kultureller Kodierungen in Form von Bildern, Gegenständen und anderen Artefakten geübt. Der entstehende Raum ist ein physischer und gedachter, von Menschen geschaffener Raum, in dem unterschiedliche Bedeutungen der Vergangenheit für die Gegenwart kommunikativ verhandelt werden können. Diese Kommunikation kann mehr oder weniger partizipativ ausfallen. Dies hängt sowohl vom Vermittlungskonzept des Museums, den Kompetenzen und Möglichkeiten für dessen Umsetzung sowie von der Bereitschaft des Besuchers ab, sich aktiv an der Auseinandersetzung zu beteiligen. Nicht zuletzt sind hierfür die Zielsetzung und die Selbstdefinition eines Museums ausschlaggebend. Dabei stellt sich grundlegend die Frage, wer das Museum für wen errichtet hat bzw. für wen das Museum heute arbeitet und wer es finanziert. Die Frage nach den Akteuren stellt sich in ähnlicher Form auch in den weiter oben beschriebenen Erinnerungsprozessen und den Übergängen verschiedener Gedächtnisformen. Das dieser Publikation zugrunde liegende Verständnis von Partizipation geht über die professionelle Vermittlung von Inhalten an Besucher oder das Verständnis von Besuchern als Akteuren im Prozess der Einbringung von Inhalten hinaus. Vielmehr wird untersucht, in welcher konkreten Form Besucher Teilhabe an Ausstellungen erlangen können. Dafür spielt neben der Ausrichtung der Institution Museum vor allem die Anbindung an soziale Umfelder eine Rolle, von der die Bereitschaft zur Beteiligung ebenso abhängt wie vom Vorwissen und dem Erkenntnisinteresse der Besucher. Hinzu kommt die theoretische Einsicht, dass Raum letztendlich erst das Produkt der sozialen Interaktion von Institution, Artefakten und Besuchern ist. In diesem Sinne werden museale Erinnerungsräume nicht als Summe von Gegenständen und ihrer Inszenierung, sondern als Summe der Handlungen verstanden, durch die eine Ausstellung entsteht und wahrgenommen wird. Damit gilt letztlich auch für das Museum, dass nicht der konkrete physische Raum von Interesse ist, sondern der soziale Konstruktionsprozess, der zu seiner Produktion führt. In Abhängigkeit davon, wer hier welche Handlungen ausführt, können in der Wahrnehmung der beteiligten Akteure verschiedene Räume entstehen. Dies gilt nicht nur für historische Ausstellungen, sondern insbesondere für Kunstausstellungen und raumgreifende Installationen, die teilweise sogar bewusst mit den verschiedenen Interaktionsvarianten der Besucher

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spielen.17 So besteht inzwischen unter den meisten Akteuren der Museumspraxis und der angrenzenden Wissenschaften Konsens darüber, dass Museen, Ausstellungen und Gedenkstätten keine starren, gebauten und gestalteten Erinnerungsräume sind, in denen feststehende Narrative vermittelt werden, sondern Räume, die in der Besuchs- und Analysepraxis unterschiedlich wahrgenommen werden. In diesem Sinne ist der Besucher selbst Akteur, der sich aktiv ein eigenes Bild von dem Ausgestellten macht. Die im vorliegenden Band aufgeworfene Frage nach Partizipation in Erinnerungsräumen richtet sich deshalb genau auf den Besucher als Akteur, der zum Urheber, Ideengeber, Förderer und Organisatoren in Beziehung steht. Ausstellungsprojekten liegen in der Regel politische, in die Zukunft gerichtete Hintergründe in gesellschaftlichen Prozessen zu Grunde. Dies betrifft nicht nur große, aus öffentlichen Mitteln geförderte Projekte. Auch kleine private Initiativen und Projekte entstehen in einem komplexen Geflecht von Individuen, sozialen Gruppen und politischen Akteuren. Die Gründung neuer Museen mithilfe öffentlicher Mittel ist zudem unbedingt als politischer Akt zu verstehen. Dabei steht eine institutionelle Förderung aus öffentlichen Haushalten häufig erst am Ende eines langen Prozesses, der sich über Jahre und Jahrzehnte hinziehen kann. Am Anfang steht oft die Initiative Einzelner, die nach und nach eine größere Gruppe von Unterstützern findet und dank einer öffentlichen Auseinandersetzung um das Gründungsprojekt politische Legitimität gewinnt. Die dabei stattfindenden Aushandlungs- und Kommunikationsprozesse müssen parallel zu den Übergängen verschiedener Formen des Gedächtnisses gesehen werden: In Museen und Ausstellungen institutionalisierte Formen können durch das Resultat der Präsentation im Museums- und Ausstellungsraum zum Teil des kulturellen Gedächtnisses werden, das wie eingangs erläutert, dem kommunikativen Gedächtnis folgt. Nicht erst die Praxis der stärkeren Einbindung des Besuchers und Rezipienten macht deutlich, dass auch ein institutionalisiertes kulturelles Gedächtnis nicht statisch ist. Museen stellen genau deshalb partizipative Erinnerungsräume dar, weil dort gesellschaftliche Bedeutungen von 17 | Hächler, Beat: Gegenwartsräume. Ansätze einer sozialen Szenographie im Museum, in: Gesser, Susanne u.a. (Hg.): Das partizipative Museum, Bielefeld 2012, S. 139.

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Vergangenheiten in einem Kommunikationsprozess immer wieder neu hinterfragt werden können. Im Rahmen dieses Aushandlungsprozesses kommen erneut Teile des kommunikativen Gedächtnisses zum Tragen und es kann zu einer Neubewertung bestimmter Aspekte des kulturellen Gedächtnisses kommen.18 Eine erweiterte Teilhabe von Museums- oder Ausstellungsbesuchern würde diesen Prozess transparenter machen und das Museum als Institution stärker für die Träger des kommunikativen Gedächtnisses öffnen und dadurch die Alltagsnähe herstellen, die dem Museum als Institution des kulturellen Gedächtnisses oft zu Recht abgesprochen wird.19

3) M USEEN & A USSTELLUNGEN In Theorien zur Funktion des Museums wird immer wieder auf seine doppelte Rolle als Indikator und Generator hingewiesen. Einerseits sind Museen, ihre Sammlungen und Ausstellungen Resultat erinnerungskultureller Auseinandersetzungen. Andererseits bieten sie einen Rahmen, für eben jene Aushandlungsprozesse, die selbst wieder das Gedächtnis prägen. Worin unterscheiden sich aber temporäre Ausstellungen und Museen voneinander? Besitzen Ausstellungen im Vergleich zum Museum andere Funktionen als Generator oder Indikator? Ausstellungen werden im Folgenden als temporäre Konstruktionen verstanden, die zwar Gegenstände aus Museen zeigen und auch in einem Museum stattfinden können, sich dennoch meist von Dauerausstellungen in Museen unterscheiden. Häufig finden diese auch an Orten statt, die nur temporäre Ausstellungen zeigen, keine eigenen Sammlungen besitzen und somit dem Prinzip der Kunsthalle folgen.20 Dabei werden Themen, Ereignisse oder Künstler aufgegriffen, die in der Gegenwart als relevant gelten. In der Regel hat eine Ausstellung eine Dauer von drei bis sechs Monaten. Sie erfährt zu ihrer Eröffnung eine Resonanz in der Öf-

18 | Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis, München 2002, S. 14. 19 | Ebenda, S. 14. 20 | In Deutschland sind aktuell der Martin-Gropius-Bau in Berlin und die Bundeskunsthalle in Bonn die prominentesten Beispiele für Wechselausstellungshäuser.

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fentlichkeit, die einer Dauerausstellung im Museum nur bei deren Neueröffnung bzw. nach einer Neuausrichtung zu Teil wird. Im Gegensatz dazu stehen die Präsentationen musealer Dauerausstellungen, die teilweise jahre- oder sogar jahrzehntelang nur punktuell verändert werden. Die Dauerausstellung eines Museums gilt zudem als profilbildendes Kernstück der Institution. Gerade die Forderung nach Partizipation stellt historische Museen vor ein großes Dilemma: Die damit einhergehende Pluralisierung von Erinnerung im eigenen Hause lässt sich kaum in der bestehenden Dauerausstellung abbilden. Die Antwort auf diese Entwicklung ist eine zunehmende Zahl von Sonderausstellungen, die Gegenwartsprozesse in der Neubewertung von Vergangenheit viel pointierter und aktueller darstellen können, als dies in einer Dauerausstellung in der Regel möglich ist. Durch den Fokus auf die hohe Qualität und eine relativ starke Frequenz der wechselnden Ausstellungen entsteht aber im Gegenzug die Gefahr, dass weniger Ressourcen für die Veränderung der Dauerausstellung aufgewendet werden. Die Veränderung der Ausstellungsthemen sowie ihre Resonanz in der Öffentlichkeit lassen Rückschlüsse auf veränderte erinnerungskulturelle Prozesse im Umfeld des Museums zu. Sonderausstellungen zeigen eher einen Zwischenstand von Entwicklungen, wobei Museen und Dauerausstellungen zumeist ein fortgeschrittenes Stadium im Prozess der Erinnerung darstellen. Allerdings sagt die reine Existenz einer Ausstellung – ähnlich wie die Eröffnung eines neuen Museums – noch nichts über die gesellschaftliche Relevanz des dort behandelten Themas aus. Erst durch die diskursive Rezeption einer Öffentlichkeit, das heißt durch die Wahrnehmung der Ausstellung durch konkrete Akteure sowie eine Diskussion über die Inhalte wird zumindest teilweise deutlich, ob, und in welcher Form für wen das Thema relevant ist. Das Zusammenspiel von Konzeption und Rezeption von Ausstellungen kann im Falle öffentlicher Resonanz als »Gradmesser für die Signifikanz bestimmter historischer Ereignisse«21 gesehen werden, die »Auskunft über den aktuellen Zustand einer Gesellschaft, über ihre Vorstellungen, Wahrheiten, Tabus, ihre Agenda, ihr Erinnern und Vergessen«22 geben.

21 | Zitiert nach: Pieper (wie Anm. 4), S. 203. 22 | Zitert nach: Ebenda.

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Ausstellungen sind ein Medium mit eigenständigen ästhetischen Strategien und Kommunikationsformen. Zudem sind sie belehrende und unterhaltende Orte zugleich, die Wissen und Erkenntnisse generieren. Sie machen Geschichten sichtbar und sind Narrationen im Raum, die mit Hilfe von Dingen erzählt werden. Häufig werden in Ausstellungen durch aufwendige Inszenierungen szenographische und multimediale Elemente angewandt, die erst viel später in den Bereich der permanenten Dauerausstellungen vordringen. Dies bedeutet auch, dass die dort erzählten Dinggeschichten im Gegensatz zu Buchgeschichten meist keine eindeutige Leserichtung haben, wie dies in Museen heute noch oft der Fall ist.23 Der Besucher hat also – sofern der Ausstellungsrundgang nicht strikt vorgegeben ist – in Ausstellungen teilweise selbst die Möglichkeit, den Verlauf des Lesens zu bestimmen und somit eigene Zusammenhänge herzustellen, was im Vergleich zu den meisten anderen Medien bei gezielter Umsetzung ein recht flexibles Kommunikationssystem bedeutet. Im Vergleich zur Präsentation der Dauerausstellung vieler historischer Museen strebt eine Ausstellung zudem häufig keine Vollständigkeit an und verzichtet in der Regel auf die Verwendung strenger wissenschaftlicher Begrifflichkeiten. Der Hinweis auf die »sinnliche Anmutung« von Ausstellungen, die dadurch die »Schaulust, historische Neugierde und Einbildungskraft beflügeln wollen« 24 ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung, denn Ausstellungsmacher arbeiten bei der Gestaltung und Konzeption von Ausstellungen bewusst mit diesen Phänomenen. In Bezug auf Erinnerungsprozesse und ihre räumliche Dimension hat eine temporäre Ausstellung eine andere Bedeutung als ein Museum. Neben der kurzen Dauer der Ausstellung und ihrem Ereignischarakter fehlen dieser vor allem die institutionellen Funktionen eines Depots und einer Forschungseinrichtung. Diese sind grundlegend für das Museum, weil sie die Gestalt einer musealen Dauerausstellung maßgeblich beeinflussen können, obwohl der Besucher sie in der Regel nicht wahrnimmt. Selbst die nicht mehr existierende räumliche Konstellation einer temporären Ausstellung kann zu einem Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Erinnerung werden. Als Beispiel sei hier die Ausstellung Entartete 23 | Huerlimann, Annemarie: Zum Umgang mit Dingwelten in der aktuellen Ausstellungspraxis, in: Hartung, Olaf (Hg.): Museum und Geschichtskultur, Gütersloh 2006. S. 60ff. 24 | Zitiert nach: Ebenda.

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Kunst aus dem Jahr 1939 genannt, die heute als Sinnbild für die gesamte Kunstpolitik des Nationalsozialismus gilt.25 Dies geschieht sowohl durch eine enorm hohe Resonanz durch Besucher und eine Vielzahl von zeitgenössischen Presseberichten, als auch durch eine nachträgliche Wertung als Symbol für Vorgänge, die weit über die Ausstellung und den in ihr kreierten Raum hinausgehen. In Bezug auf erinnerungskulturelle Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland wird heute besonders historischen Ausstellungen eine große Bedeutung zugeschrieben. Diese fanden hier seit etwa Ende der 1970er Jahre mit teilweise großer Resonanz in der Öffentlichkeit statt. 26 Auch nach der deutschen Wiedervereinigung verstetigte sich der Trend zu großen thematischen Sonderausstellungen im Bereich von Kunst und Geschichte.27 Die Ausstellung Tür an Tür im Martin-Gropius-Bau reiht sich in diese Tradition ein. Mit dem in diesem Band vorgestellten Tandem-Projekt wird versucht, verschiedene Akteure aus Museum, Wissenschaft und Vermittlung – aber eben auch die Besucher – in heutige deutsch-polnische Erinnerungsprozesse aktiv einzubinden.

25 | In Bezug auf Kunstausstellungen der Nachkriegszeit wird beispielsweise der documenta V in Kassel 1972, kuratiert von Harald Szeemann, eine solche große Bedeutung für die Weiterentwicklung der zeitgenössischen Kunst beigemessen, dass man durchaus von einem Erinnerungsort sprechen könnte. 26 | Vgl. Großmann, Ulrich: Nationalmuseum in Europa, Eventveranstalter oder Forschungseinrichtung?, in: Museumskunde 66 (2001), S. 67-72; Puhle, Matthias: Otto der Große, Magdeburg 2002, S. 7-13. 27 | Zum Beispiel: Preußen – Versuch einer Bilanz (1981), Berlin-Moskau 19001950 (1996), (2004) oder Marianne und Germania 1789-1989 (1996), allesamt im Martin-Gropius-Bau Berlin.

Kulturelle Bildung und besucherorientierte Vermittlung Theoretische Diskursfelder und die Praxis in Museen und Ausstellungen Anna Boroff ka

Kulturelle Bildung als Bildung zur Teilnahme am kulturellen Leben ist ein grundlegendes Menschenrecht1, dies bestätigt auch der Leitfaden der ersten UNESCO-Weltkonferenz für Kulturelle Bildung im März 2006.2 Der 1 | Bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. Dezember 1948, heißt es in Artikel 27: »Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben«. Zitiert nach: www.ohchr.org/EN/ UDHR/Pages/Language.aspx?LangID=ger, 3.1.2013. Auf die enge Verzahnung von Bildung und Kultur verweist dagegen Max Fuchs, wenn er Bildung als subjektive Seite der Kultur und Kultur als objektive Seite der Bildung definiert. Fuchs, Max: Kulturpädagogik und Schulen im gesellschaftlichen Wandel. Alte und neue Herausforderungen für die Theorie und Praxis von Bildung und Erziehung. Ein Versuch, in: Fuchs, Max/Schulz, Gabriele/Zimmermann, Olaf: Kulturelle Bildung in der Bildungsreformdiskussion. Konzeption Kultureller Bildung III, herausgegeben vom Deutschen Kulturrat, Berlin 2005, S. 155-275, S. 160. 2 | Leitfaden für kulturelle Bildung. Schaffung kreativer Kapazitäten für das 21. Jahrhundert, UNESCO-Weltkonferenz für kulturelle Bildung, Lissabon, 6. bis 9. März 2006, in: Offenhäußer, Dieter: Kulturelle Bildung für Alle. Von Lissabon 2006 nach Seoul 2010, herausgegeben von der Deutschen UNESCOKommission e.V., Bonn 2008, S. 16-55. Auf der zweiten UNESCO-Weltkonfe-

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2007 vorgelegte Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages Kultur in Deutschland hebt Kultur und Kunst zudem als integralen Bildungsbestandteil hervor, den es für die Zukunft der Gesellschaft zu sichern gilt.3 Ihrem Bericht vorangestellt schreibt sie: »Kultur ist kein Ornament. Sie ist das Fundament, auf dem unsere Gesellschaft steht und auf das sie baut. Es ist Aufgabe der Politik, dieses zu sichern und zu stärken.«4 Kultur wird damit als lebenswichtig, gesellschaftsbildend und zukunftsweisend definiert.5 Möglichst vielen Menschen eine Teilhabe an dieser Kultur zu sichern, hat sich die sogenannte kulturelle Bildung zur Kernaufgabe gemacht. Der Begriff war ursprünglich eine Schöpfung der 1970er Jahre, der die vorher gängigen Termini musische Bildung und musisch-kulturelle Bildung ablöste.6 Seine Anwendung findet er zunächst in öffentlichen Förderprogrammen wie beispielsweise dem Programm Kulturelle Bildung des ehemaligen Bundesjugendplanes (heute Kinder- und Jugendplan des Bundes) oder in Trägerstrukturen, etwa der BKJ – Bunrenz für kulturelle Bildung wurde die Seoul Agenda mit Entwicklungszielen für künstlerische und kulturelle Bildung formuliert. Aufgabe der Agenda ist es, die Umsetzung des Leitfadens zu bewerten und weiter voranzutreiben. Zweite Weltkonferenz für Kulturelle Bildung. Seoul Agenda: Entwicklungsziele für Künstlerische/Kulturelle Bildung, www.unesco.de/fileadmin/medien/Doku mente/Kultur/Kulturelle_Bildung/111024_Seoul_Agenda_DE_final.pdf, 19.3.2012. 3 | Connemann, Gitta (Hg.): Schlussbericht der Enquete-Kommission Kultur in Deutschland, Drucksache des Deutschen Bundestages 16/7000 vom 11.12.2007; Kultur in Deutschland DIP Deutscher Bundestag, http:// dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/070/1607000.pdf, 16.3.2012. 4 | Zitiert nach: Connemann (wie Anm. 3), S. 8. 5 | Hier schließt sich natürlich umgehend die Frage nach der Definition von Kultur an. Siehe auch: Olbertz, Jan-Hendrik: Denkkultur – Wissenskultur – Lernkultur – Schulkultur, in: Kulturstiftung der Länder (Hg.): Kinder zum Olymp! Selbstverständlich! Kulturelle Bildung in der Schule, Berlin 2011, S. 76-85. 6 | Siehe hierzu: Fuchs, Max: Stellungnahme der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung und des Deutschen Kulturrats zur öffentlichen Expertenanhörung der Enquete-Kommission Kultur in Deutschland des Deutschen Bundestags zur kulturellen Bildung am 8. März 2004, www.kulturrat.de/detail. php?detail=233&rubrik=1, 2.7.2012.

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desvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V.7 Inzwischen gehört er zum gängigen Vokabular der Kultur-, Jugend- und Bildungspolitik sowie diverser kultureller Bildungsprogramme. Das unter kultureller Bildung (oder im internationalen Sprachgebrauch cultural education) zusammengefasste Arbeitsfeld versteht sich in der Regel als Allgemeinbildung, die anhand von Kunst und Kultur vermittelt wird. Eine einheitliche Methodik der kulturellen Bildung gibt es nicht.8 Seit einiger Zeit prägt der Begriff der kulturellen Bildung auch den Diskurs der Vermittlungsarbeit in den Museen. Nach und nach löst er hier den altgedienten Terminus der Museumspädagogik ab.9 Durch die Verknüpfung mit politischen Rahmenvereinbarungen verleiht er dem gesamten Vermittlungsbereich nicht nur ein neues Image, sondern auch einen neuen Stellenwert sowie eine gesteigerte Dringlichkeit innerhalb der Institutionen. Galt Museumspädagogik lange Zeit als fakultativ, so ist die kulturelle Bildung zu einer Pflichtaufgabe der Museen geworden.10 Aus den vormaligen Museumspädagogen werden damit Kulturvermitt-

7 | Max Fuchs verweist in diesem Kontext auf die Große Anfrage Kulturelle Bildung im Deutschen Bundestag, siehe: Bundesdrucksache 11/6077 vom 13.8.1990. Zitiert nach: Fuchs (wie Anm. 6), S. 1. 8 | In vielen Fällen werden kulturpädagogische Methoden zum Ziel der kulturellen Bildung bevorzugt. Siehe auch: Fuchs (wie Anm. 6), S. 3. Grundsätzlich hat sich aber eine Methodenvielfalt erhalten, die sich aus den Fachbereichen der Theater-, Musik- und Museumspädagogik ebenso speist wie aus der Geschichtsdidaktik oder verschiedenen Geisteswissenschaften (u.a. Geschichte, Musik- und Theaterwissenschaften oder Kunstgeschichte). 9 | Interessant ist in diesem Kontext auch die inzwischen an einigen Museen als feste Vollzeitstelle auf Leitungsebene eingerichtete Kuratorenstelle für Bildung und Vermittlung. Eine Kuratorin für Bildung und Vermittlung gibt es u.a. am Kunstmuseum Bonn, dem Museum Folkwang in Essen und dem Dortmunder U. 10 | Laut des Rahmenkonzeptes zur kulturellen Bildung des Berliner Senats sind die öffentlich geförderten Kulturinstitutionen zur Unterstützung der kulturellen Bildungsarbeit verpflichtet. Die dazu getroffenen Zielvereinbarungen unterliegen einer regelmäßigen Evaluation. www.berlin.de/sen/kultur/kultu relle-bildung/index.html, 2.7.2012.

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ler.11 Ein Begriff, mit dem sich viele der freien und festen Mitarbeiter in der Vermittlungsarbeit der Museen häufig deutlich besser identifizieren können, da sie zumeist nicht aus dem Fachbereich der Pädagogik, sondern aus zahlreichen anderen Wissenschaften und Disziplinen stammen. Mit dieser neuen Sprachregelung geht implizit auch ein erneuertes Selbstverständnis ihrer Arbeitsinhalte einher. Weniger in der eigenen Definition als vielmehr in der Außensicht wurde der Museumspädagogik vormals geradezu reflexhaft die pädagogische und mit dem Schulkontext assoziierte Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zugewiesen. Die Aufgabenfelder der kulturellen Bildung und der Kulturvermittlung im Museum lassen sich dagegen deutlich breiter fassen. Denn im Sinne des aus der Bildungsreform der 1960er und 1970er Jahre entstandenen bildungspolitischen Konzeptes des lebenslangen Lernens ist kulturelle Bildung im Museum nicht zwingend an den schulischen Kontext gebunden, sondern richtet sich altersunabhängig an alle Besuchergruppen des Museums.12

B ESUCHERORIENTIERTE V ERMIT TLUNG Als sich die Kunst- und Wunderkammer der Spätrenaissance und des Barocks, in der Elfenbeinminiaturen neben Narwalzähnen und Becher aus Kokosnüssen neben kostbaren Spieluhren standen, zum Museum entwickelten, begann man erstmals auch museumspädagogische Ansprüche zu erheben.13 Vormals wurde auf ein exklusiven Besucherkreisen vorbe11 | Zur Wandlung des Arbeitsfeldes siehe auch: Mandel, Birgit (Hg.): Kulturvermittlung zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing. Eine Profession mit Zukunft, Bielefeld 2005. 12 | Zu den bildungspolitischen Wurzeln des lebenslangen Lernens siehe auch: Europarat (1971), Permanent Education; UNESCO (1972), Faure-Bericht; OECD (1973), Recurrent Education – A Strategy for Lifelong Education. Eine Einführung in das Konzept des lebenslangen Lernens bieten u.a.: Hof, Christiane: Lebenslanges Lernen. Eine Einführung (Grundriss der Pädagogik und Erziehungswissenschaft, Bd. 4), Stuttgart 2009; Dewe, Bernd/Weber, Peter J.: Wissensgesellschaft und Lebenslanges Lernen. Eine Einführung in bildungspolitische Konzeptionen der EU, Bielefeld 2007. 13 | Siehe u.a.: Bennett, Tony: The Birth of the Museum: History, Theory, Politics, London/New York 1995, S. 41f.; Pomian, Krzysztof: Der Ursprung des Mu-

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haltenes Verständnis durch Sehen und Staunen vertraut, welches schon im Vorgänger der Wunderkammer, dem Raritäten- oder Kuriositätenkabinett, angelegt war.14 Ob Naturalia, Scientifica, Artificialia, Mirabilia oder Exotica – die Bedeutung und der Wert jedes einzelnen Objektes offenbarte sich unmittelbar anhand seiner Einzigartigkeit. Die in der Mitte des 19. Jahrhunderts gegründeten öffentlichen Museen definierten sich dagegen als Bildungsinstitutionen, die sich an eine breite Bevölkerungsschicht richteten.15 Die Präsentation der Exponate diente erklärtermaßen dazu, »die Geschmacksbildung des gewerbetreibenden Publicums zu fördern«.16 Oder wie es Alfred Lichtwark (18521914) in seiner Antrittsrede als erster Direktor der Hamburger Kunsthalle seums. Vom Sammeln (Kleine Wissenschaftliche Bibliothek, Bd. 9), Paris 1986, S. 55ff.; Schlosser von, Julius: Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance. Ein Beitrag zur Geschichte des Sammelwesens, Braunschweig 21978, S.  38; Bredekamp, Horst: Antikensehnsucht und Maschinenglaube. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, Berlin 1993. 14 | Von einigen Ausstellungsmachern wird die Schaulust der Wunderkammer neu entdeckt. In ihrem System sieht der Architekt und Ausstellungsgestalter HG Merz eine mögliche Abhilfe gegen die »skandalöse Unterforderung der Ausstellungs- und Museumsbesucher«. Zitiert nach: Merz, Hans Günter: Wunderkammer versus Wunderland, in: Huber, Hans Dieter/Locher, Hubert/ Schulte, Karin (Hg.): Kunst des Ausstellens. Beiträge. Statements. Diskussionen, Ostfildern-Ruit 2002, S. 281-296, S. 293. Auch für die unmittelbare und emotionale Ansprache der Besucher scheint das Prinzip der Wunderkammer vielversprechend zu sein. Siehe hierzu: Korff, Gottfried: Das PopularisierungsDilemma, in: Deutscher Museumsbund (Hg.): Szenographie. Zur Zukunft der gestalteten Ausstellung (Museumskunde, Bd. 66), Dresden 2001, S. 13-20, S. 18. 15 | Einen historischen Abriss zu den deutschen Museen liefert u.a.: Vieregg, Hildegard: Vorgeschichte der Museumspädagogik. Dargestellt an der Museumsentwicklung in den Städten Berlin, Dresden, München und Hamburg bis zum Beginn der Weimarer Republik (Dissertation 1990), Münster 1991. Ein Dokument für die Anfänge der Kunstvermittlung liefert auch: Osthaus, Karl-Ernst u.a.: Zuschriften an den Arbeitsrat für Kunst, in: Valentiner, Wilhelm Reinhold (Hg.): Umgestaltung der Museen im Sinne der Neuen Zeit, Berlin 1919, S. 83-88. 16 | Zitiert nach: Fliedl, Gottfried: Verlorene Aufklärung, in: Ders. (Hg.): Museum als soziales Gedächtnis? Kritische Beiträge zur Museumswissenschaft und Museumspädagogik, Klagenfurt 1988, S. 92.

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formulierte: »Wir wollen nicht ein Museum, das dasteht und wartet, sondern ein Institut, das thätig in die künstlerische Erziehung unserer Bevölkerung eingreift.«17 Lichtwark, der als Begründer der deutschen Museums- und Kunstpädagogik gilt, verstand das Museum nicht als Ort der Elite, sondern als Stätte der Volksbildung. Er war bemüht, Schulklassen in die Museen zu holen und entwickelte spezielle Übungen zur Kunstbetrachtung mit den Besuchern.18 Sein Engagement speist sich aus der grundlegenden Überzeugung, dass die im Museum präsentierte Sammlung, ihr Wert und ihre Bedeutung eben nicht selbsterklärend sind, sondern vermittelt werden müssen. Dieser tief in der Entstehungsgeschichte der modernen Museen verankerte Vermittlungsansatz führt zu einer Kommunikationsstruktur in Museen, die Annette Lepenies als prinzipiell einseitig und asymmetrisch beschreibt.19 Die Aufgabenfelder der Häuser gliedern sich nach wie vor in einen internen und einen externen Bereich. Der interne Bereich bleibt nach Möglichkeit vor den Augen des Besuchers verborgen. Hinter den Kulissen werden die Entscheidungen über die Mehrheit der als Kernaufgaben definierten Tätigkeiten der Museen (Sammeln, Bewahren, Forschen und Ausstellen/Vermitteln) getroffen.20 Hier sind auch die 17 | Zitiert nach: Archiv der Hamburger Kunsthalle, 2a: Alfred Lichtwarks Antrittsrede vom 1.10.1886. 18 | Lichtwark, Alfred: Übungen in der Betrachtung von Kunstwerken, Dresden 1898. Der Aufenthalt von Schulklassen in Museen war bei weitem keine Selbstverständlichkeit wie Emil Waldmann (1880-1945), der spätere Direktor der Kunsthalle in Bremen, beweist. Schulklassen gehören nicht in Museen. Ein Mahnruf Emil Waldmanns, in: Weserzeitung 1.5.1928. Siehe auch: Waldmann, Emil: Schule. Kunstausstellung und Museum, in: Der Cicerone, 20, 1928, S. 264. 19 | Lepenies, Annette: Wissen vermitteln im Museum (Schriften des Deutschen Hygienemuseums, Bd. 1), Köln/Weimar/Wien 2003, S. 95. Als kommunikative Einbahnstraße beschreibt das Museum auch: Schweibenz, Werner: Geschichte als Vermittlungsmedium. Narration und digitales Storytelling am Beispiel von Museen, in: Giessen, Hans W. (Hg.): Emotionale Intelligenz in der Schule. Unterrichten mit Geschichten, Weinheim/Basel 2009, S. 78-88. 20 | Siehe hierzu: Deutscher Museumsbund e.V., ICOM Deutschland (Hg.): Standards für Museen, Kassel/Berlin 2006. www.icom-deutsch land.de/client/media/41/standards_fuer_museen_2006.pdf, 2.7.2012.

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kuratorischen Mitarbeiter ansässig, die durch die Ausstellungskonzeption potenziell schon einen entscheidenden Beitrag zur möglichen Partizipation der Besucher und der späteren Art der Außenkommunikation der Häuser leisten.21 Dem externen Bereich – und damit dem Bereich des Besuchers – ist schließlich die Vermittlung der fertigen Ausstellung zugewiesen. Wandtexte, Audioguides oder Führungen bilden hierbei die klassische Grundlage des Leitsystems durch die Räume. Sie lenken die Rezeption, liefern Kontexte, bieten Informationen und fügen die Exponate zu einer geschlossenen Narration zusammen. 22 Die Referenten, die die Führungen leiten, sind in der Regel freie Mitarbeiter, die als Sprecher der Institution fungieren. Brüche und Lücken der Ausstellungsnarration gelten meist als Defizit, welches notfalls professionell überspielt und in der Regel nicht zur Diskussion gestellt wird. Dominiert wird das Vermittlungsprogramm damit von einem tendenziell affirmativen und reproduktiven Diskurs: Inhalte werden durch autorisierte Texte und Sprecher mit dem Ziel, ein möglichst breites Publikum zu binden, neue Besuchergruppen zu erschließen und den Besucher von morgen heranzuziehen, nach außen kommuniziert.23 Fraglich bleibt dabei jedoch, ob ein vorrangig affirmativer Diskurs all dies wirklich leisten kann.

N EUE F ORMEN DER M USEUMSKOMMUNIK ATION Die geschilderte und häufig asymmetrische Kommunikationsstruktur ergibt sich grundsätzlich durch den Wissensvorsprung bzw. die Deutungs-

21 | Siehe hierzu: Ziese, Maren: Kuratoren und Besucher. Modelle kuratorischer Praxis in Kunstausstellungen, Bielefeld 2010. 22 | Zum intermedialen Zusammenspiel von Text und Bild siehe auch: Rajewsky, Irina O.: Intermedialität, Tübingen 2002. 23 | Zu den Diskursen der Kunstvermittlung siehe: Mörsch, Carmen: Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen: Die documenta 12. Vermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation, in: Dies. (Hg.): Kunstvermittlung. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts, Bd. 2, Zürich/Berlin 2009.

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hoheit seitens der Häuser.24 Im Kontext der New Museology wurde daher die Forderung laut, Museen müssten sich stärker ihrer Verantwortung als bedeutungs- und wertzuschreibende Instanz bewusst werden und dementsprechend neu ausrichten.25 Der Impuls der Museumskommunikation könnte sich damit von einer affirmierenden und unilateralen Vermittlung zu einem breit gefächerten, mehrstimmigen Wissensbildungsprozess wandeln, in den die Besucher bewusst integriert werden. Einen wichtigen Ansatz bildet hierbei die konstruktivistische Lerntheorie, die auch den seit 2000 veröffentlichten Rahmenlehrplänen der Berliner und Brandenburger Schulen zugrunde liegt. Vor dem Hintergrund dieser Theorie beginnt man inzwischen ebenfalls, die Methoden der Bildungs- und Vermittlungsarbeit innerhalb der Museen zu überdenken und teilweise nach dem konstruktivistischen Modell umzuformen.26 24 | Ivo Maroevic beschreibt die Kommunikation der Museen als einen »process of selecting and manipulating information, in which the visitor accepts the judgments and interpretations the museum determines«. Zitiert nach: Maroevic, Ivo: Introduction to Museology. The European Approach, München 1998, S. 268. Carmen Mörsch nennt diese durch autorisierte Sprecher der Institutionen vorgetragene Vermittlungsform den affirmativen Diskurs. Siehe hierzu: Mörsch (wie Anm. 23), S. 9-22. 25 | 1985 gründete sich das MINOM-ICOM International Movement for a New Museology. Siehe hierzu auch: Vergo, Peter (Hg.): The New Museology, London 1989; Stamm, Deirdre: The informed muse: The implications of ›the new museology‹ for museum practice (Museum Management and Curatorship, Bd. 12), Washington D.C. 1993; Reussner, Eva: Publikumsforschung für Museen. Internationale Erfolgsbeispiele, Bielefeld 2010, S.  77-81; MacDonald, Sharon: Museen erforschen. Für eine Museumswissenschaft in der Erweiterung, in: Baur, Joachim (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 49-69. Im französischsprachigen Raum existiert die entsprechende Bewegung der Nouvelle Muséologie. Aus Sicht der Kunstvermittlung beschäftigen sich mit diesem Thema u.a.: Jaschke, Beatrice/ Mertinz-Turek, Charlotte/Sternfeld, Nora (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorenschaft in Ausstellungen (Ausstellungstheorie & Praxis, Bd. 1), Wien 2005. 26 | Siehe hierzu: Hein, Georg E.: The constructivist museum, in: Journal of Education in Museum, 16, 1995, S.  21-23; Ders.: Konstruktivistische Lerntheorie, in: Standbein Spielbein, 43, 1995, S.  26-31; Reussner (wie Anm. 25), S.  84ff.; Witcomb, Andrea: Re-Imagining the Museum. Beyond the Mauso-

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Dieses Modell beschreibt Lernen als aktiven Prozess und ersetzt damit die Vorstellung von einer passiven Wissensaufnahme. Ihre Grundlage bildet die kognitionspsychologische Lerntheorie sowie eine Abkehr von der normativen Sichtweise, welche durch einen interpretatorischen Ansatz ersetzt wird. Im Bereich der Pädagogik, Psychologie und Lernforschung gilt das konstruktivistische Modell inzwischen als etabliert. Lernen wird ihm zufolge als individueller Vorgang der aktiven Wissenskonstruktion verstanden.27 Neues Wissen wird vom Lernenden dabei mit bereits vorhandenem Wissen verknüpft, das bisher erworbene Wissen entsprechend umstrukturiert.28 Grundsätzlich gilt, dass nur das gelernt werden kann, was sich mit bereits vorhandenem Wissen verbinden lässt. Das heißt, um neues Wissen zu erlangen, muss es für den Lernenden anwendbar sein bzw. sich auf den eigenen Lebenskontext übertragen lassen. Innerhalb von Ausstellungen hat sich zudem bereits gezeigt, wie dynamisch diese Zugriffs- und Neusemantisierungsprozesse seitens der Besucher sein können. Denn diese rezipieren in der Regel nicht allein die vom Kurator intendierte Narration – sofern ihnen diese überhaupt deutlich wird – sondern überlagern sie mit eigenen Assoziationen und Deutungen. Damit kreieren die Besucher eigenständig neue Sinnzusammenhänge, die jeleum, London 2003, S. 86; Lepenies (wie Anm. 19); Fischer, Susie: Objects are not Enough, in: Museums Journal (UK), June 2002, S. 32-35, S. 33; Goulding, Christina: The Museum Environment and the Visitor Experience, in: European Journal of Marketing, 34 (3/4) 2000, S. 261-276, S. 264f.; Jeffery-Clay, Kodi R.: Constructivism in Museums. How Museums Create Meaningful Learning Environments, in: Journal of Museum Education, 23,1, 1998, S. 3-7. 27 | Hierzu auch: Wolf, Dieter: Lernen lernen. Wege zur Autonomie des Schülers, in: Friedrich Jahresheft, XV, Seelze 1997, S. 106-108, S. 107; Hansen, Gerd (Hg.): Konstruktivistische Didaktik für den Unterricht mit körperlich und motorisch beeinträchtigten Schülern, Göttingen 2007; Glasersfeld, Ernst von: Aspekte einer konstruktivistischen Didaktik (Aspects of constructivist didactics), in: Regional Institute for school and secondary education (Ed.): Lehren und Lernen als konstruktive Tätigkeit, Soest 1995, S. 7-14; Röll, Franz Josef: Pädagogik der Navigation. Selbstgesteuertes Lernen durch neue Medien, München 2003. 28 | Horst Siebert, der mit seinem radikalen Konstruktivismus die Grundlage der konstruktivistischen Didaktik legte, beschreibt jede Form des Lernens als »eine ständige Suchbewegung«. Zitiert nach: Siebert, Horst: Lernen als Konstruktion von Lebenswelten, Frankfurt a.M. 1994, S. 82.

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weils individuelle Lebensweltbezüge und eine Verknüpfung mit ihrem eigenen Wissen zulassen.29

D AS P OTENZIAL DER L EERSTELLE Eine Ausstellung, die sich als Informationsquelle versteht und ihre Aufgabe darin sieht, zu den ausgewählten Objekten zielgerichtet und wissenschaftlich fundiert Wissen zu vermitteln, gibt in der Regel eine feste Lesart vor. Eine solche in sich geschlossene Narration erleichtert dem Besucher die Orientierung. Vor dem Hintergrund der konstruktivistischen Lerntheorie stellt sich aber die Frage nach dem eigenständigen Nutzungspotential für die Betrachter bzw. den hier möglichen Formen der Partizipation.30 Denn im Unterschied zur unilateralen und zielgerichteten Vermittlung lässt sich Partizipation grundsätzlich als offener und multilateraler Prozess begreifen. Ein Prozess, bei dem den Besuchern Ankerpunkte geboten werden, die sie zur Mitarbeit und Mitgestaltung auffordern, um so eine über die reine Rezeption hinausreichende Teilhabe zu ermöglichen. Diese Ankerpunkte können im Sinne des konstruktivistischen Museums bereits in der Narrationsstruktur der Ausstellung eingebettet sein. Grundsätzlich gilt dabei: Je weniger der Zugang zu einem Thema eingeengt wird, desto mehr multiperspektivische Zugriffe ergeben sich, die von ebenso vielen potentiellen Teilnehmern genutzt werden können. Um ein möglichst breites Anknüpfungspotential zu leisten, wird in einem nach dem konstruktivistischen Prinzip gestalteten Museum darauf verzichtet, vermeintliche Wahrheiten in Form einer geschlossenen Narration zu präsentieren, sondern vielmehr der Versuch unternommen, multiperspektivische und damit verhandelbare Interpretationsansätze zu den Themen der Ausstellung zu bieten. Dabei lässt sich beispielsweise das Konzept der Ausstellung aus unterschiedlichen Blickwinkeln reflektieren oder aber es werden Informationen zur Verfügung gestellt, die klassischerweise dem internen Bereich eines 29 | Siehe hierzu: Schärer, Martin: Die Ausstellung. Theorie und Exempel, München 2003, S. 183. 30 | Zu Partizipation in Museen auch: Feldhoff, Silke: Zwischen Spiel und Politik. Partizipation als Strategie und Praxis in der bildenden Kunst, Bielefeld 2013.

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Museums vorbehalten sind, wie etwa der Ausstellung vorausgegangene Debatten und Kompromisse. Einen vielversprechenden Impuls mag in diesem Kontext auch die in der Literaturwissenschaft beheimatete Leerstellentheorie von Wolfgang Iser liefern, die inzwischen u.a. auch auf das Feld der Kunstrezeption übertragen wurde.31 Nach Iser ist es die Leerstelle, das heißt eine Öffnung oder Lücke in der Narration, die das Potential entfaltet, den Leser zu aktivieren, um diese Leerstelle zu füllen. Ergänzend ist hierzu Marshall McLuhans Unterscheidung in heiße und kalte Medien heranzuziehen.32 Demnach weisen die sogenannten kalten Medien mit ihrer niedrigeren Informationsdichte einen höheren Partizipationsgrad seitens der Rezipienten auf als die mit der kompletten Information ausgestatteten heißen Medien. Gemeinsam bilden die Ansätze von Iser und McLuhan eine breit anwendbare Kreativitätstheorie. Übertragen auf den Museumskontext bedeutet dies, dass eine Ausstellung umso mehr Partizipation fordert, je mehr uneindeutige oder verhandelbare Stellen sie zulässt. Allzu viele dieser offenen Stellen bergen allerdings wiederum die Gefahr, dass der Besucher die Orientierung verliert. Eine Auflösung dieses Widerspruchs ermöglicht der Versuch, die Modelle der offenen und geschlossenen Narration zu vereinen bzw. beide gleichermaßen zuzulassen. Aus Sicht der geschlossenen Narration stellt sich dabei nicht selten heraus, dass es die vermeintlichen Defizite oder Brüche eines Ausstellungskonzeptes sind, die sich für die Einbindung der Besucher nutzen lassen. Denn an diesen Stellen wird die unilaterale, affirmative Tendenz der geschlossenen Narration kontrastiert und aufgebrochen. Dabei wird sichtbar, dass die Ausstellungsnarration keine objektive Wahrheit an sich darstellt, sondern die subjektive Sicht des Kurators oder ein aus verschiedenen Aushand31 | Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens – Theorie ästhetischer Wirkung, München 1976. Zur Übertragung auf die Rezeption von Kunst siehe exemplarisch: Kemp, Wolfgang: Verständlichkeit und Spannung. Über Leerstellen in der Malerei des 19. Jahrhunderts, in: Ders. (Hg.): Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, Berlin 1992 (erweiterte Neuauflage), S. 307-332; Kruse, Christiane: Vera Icon oder die Leerstelle des Bildes, in: Belting, Hans/Kamper, Dietmar/Schulz, Martin (Hg.): Quel corps? Eine Frage der Repräsentation, München 2002, S. 105-129. 32 | McLuhan, Marshall: Understanding Media: The Extensions of Man, New York 1964.

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lungsprozessen entstandenes Produkt ist. Letztlich wird damit auch die geschlossene Narration im Kontext der Multiperspektivität zu einer verhandelbaren Position unter mehreren. Die Ausstellung selbst könnte damit zur Debatte stehen. Sie könnte Teil eines offenen Wissensbildungsprozesses werden, in dem der Besucher anhand der ihm gebotenen Quellen Fragen entwickelt und eine eigene Position bezieht.33 Kurzum: Wenn nicht versucht wird, dem Besucher ein nach außen hin möglichst perfektes Produkt zu bieten, sondern dieser die Möglichkeit bekommt, das Museum und seine Ausstellungen als verhandelbare und damit auch als wandelbare Struktur wahrzunehmen, entfaltet sich ein kreatives Potential, das sich zu nutzen lohnt.

D IALOGISCHE V ERMIT TLUNG Geht man der Frage nach, wie eine nach dem konstruktivistischen Modell gestaltete Ausstellungsführung aussehen könnte, gelangt man schnell zum Ansatz der dialogischen Wissensvermittlung; einer Art der personalisierten Vermittlung, die sich mit dem wachsenden Interesse der Museen an einer stärker besucherorientierten und individualisierten Ansprache deckt.34 Die hier gewährleistete enge Kommunikation ermöglicht, individuell auf das jeweilige Vorwissen des Besuchers, seine Bedürfnisse und seine Interessen einzugehen. In ihrem Ursprung leitet sich die dialogische Vermittlung aus dem didaktischen Diskurs des dialogischen Lernens ab.35 Ihre Legitimation bezieht sie dabei aus der so einfachen wie überzeugenden Beobachtung, dass der Lerneffekt nachgewiesenermaßen 33 | Siehe hierzu: Sternfeld, Nora: Der Taxispielertrick. Vermittlung zwischen Selbstregulierung und Selbstermächtigung, in: Jaschke/Mertinz-Turek/Sternfeld (wie Anm. 25), S. 15-33. 34 | Landschaftsverband Rheinland. Rheinisches Archiv- und Museumsamt (Hg.): Das besucherorientierte Museum, Köln 1997; Schäfer, Hermann: Wie besucherorientiert darf/muß ein Museum sein?, in: Das besucherorientierte Museum 1997, S. 91-97; Reussner (wie Anm. 25), S. 45ff. 35 | Ruf, Urs: Das dialogische Lernmodell vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Theorien und Befunde, in: Ders./Keller, Stefan/Winter, Felix (Hg.): Besser lernen im Dialog. Dialogisches Lernen in der Unterrichtspraxis, SeelzeVelber 2008, S. 233-270.

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umso höher ausfällt, je größer die aktive Beteiligung des Lernenden am Gesprächsverlauf ist.36 Das heißt, wer während einer Führung aktiv mitdenkt, eine eigene Position bezieht und diese laut äußert, wird die Inhalte eines Führungsgesprächs deutlich länger im Gedächtnis behalten als ein Besucher nach dem passiven Hören des Audioguides.

D IE SOKR ATISCHE M E THODE Die Wurzeln der dialogischen Wissensvermittlung reichen bis in die Antike zurück. Die nach dem antiken Philosophen Sokrates (469-399 v. Chr.) benannte sokratische Methode stellt ein Lernmodell dar, das aus dem philosophischen Kontext auf viele andere Erkenntnisbereiche übertragen wurde und noch heute angewandt wird.37 Der sokratische Dialog ist durch konkrete Fragen und eine sehr strukturierte Vorgehensweise gekennzeichnet. Der Lehre Sokrates’ zufolge dient eine (vermeintlich) unwissende Haltung im Gespräch dazu, seine Dialogpartner nicht durch die eigenen Überzeugungen zu beeinflussen. Mit scheinbar naiven Fragen stellt Sokrates das Wissen seiner Gesprächspartner auf den Prüfstand und versetzt diese in einen Zustand innerer Verwirrung. Die so erreichte Verunsicherung bildet die Grundlage für einen selbstbestimmten Wissensbildungsprozess des Dialogpartners. Diesen Prozess der Heranführung begleitet Sokrates 36 | Siehe hierzu auch: Ruf, Keller/Winter, Felix (Hg.): Besser lernen im Dialog. Dialogisches Lernen in der Unterrichtspraxis, Seelze-Velber 2008; Ruf, Urs: Lerndiagnostik und Leistungsbewertung in der Dialogischen Didaktik. Pädagogik, 55 (4) 2008, S.  10-16; Zimmermann, Tobias u.a.: Dialog mit 200 Studierenden – geht das? Blended Learning in einer Vorlesung mit hoher Teilnehmerzahl, in: Das Hochschulwesen, 56 (6) 2008, S. 179-185. 37 | Hierzu auch: Krohn, Dieter: Diskurstheorien und sokratisches Gespräch, Frankfurt a.M. 1996. Dräger, Horst: Morphologie des Lernens, in: Arbeitsgemeinschaft Qualifikations-Entwicklungs-Management, Geschäftsstelle der Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung, Kompetenzentwicklung 2000 (Hg.): Lernen im Wandel. Wandel durch Lernen, Münster u.a. 2000, S.  71-125, S.  110ff.; Zoller Morf, Eva: Philosophieren mit Kindern. Eine zukunftsträchtige Aufgabe für pädagogisch begabte philosophische Praktikerinnen und Praktiker, in: Staude, Detlev (Hg.): Lebendiges Philosophieren. Philosophische Praxis im Alltag, Bielefeld 2005, S. 57-70.

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wie eine geistige Hebamme (Mäeutik). Dabei übernimmt er nicht die Rolle des Wissensvermittlers, sondern die eines Assistenten, der bei seinem Gesprächspartner die Entstehung eigener Gedanken und Überzeugungen aus dem jeweiligen Vorwissen heraus unterstützt. Die herausgearbeiteten Erkenntnisse werden wiederholt und durch den Dialogpartner bestätigt, um sie als Ergebnis seines eigenen Wissensbildungsprozesses festzuhalten. Die dabei formulierten Einsichten haben nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sie sind eine individuelle und verhandelbare Sicht auf die Dinge. Sokrates agiert nicht absichtslos, sondern mit dem Ziel, bildend auf den Menschen einzuwirken und ihn zum eigenständigen Denken anzuregen. Den Dialog beschreibt er dabei als unentbehrliche Methode zur Gedankengewinnung, die alle Beteiligten einschließt – nicht nur seinen Gesprächspartner, sondern auch ihn selbst. Die sokratische Methode bildet damit die Grundlage eines offenen Wissensbildungsprozesses, der sich aus dem Gefälle zwischen dem Wissensvorsprung des Fragenden und der Wissensneubildung des – zum Denken angeregten – Antwortenden speist. Auch wenn der Prozess alle Beteiligten einschließen mag, überwindet er letztendlich nicht die klassische Rollenverteilung von Lehrer und Schüler.38

L IVE S PE AKER UND C ICERONE Eng mit der Idee der dialogischen Vermittlung ist auch das Modell des zunächst im Kunstkontext eingesetzten Live Speakers oder Cicerones39 verbunden. Bei diesem treffen grundsätzlich zwei Rollen aufeinander: Die des Informationssuchenden und die des Antwortenden. Letzterer ist eine vom Museum beauftragte Person, die über Vor- und Fachwissen zur 38 | Siehe auch: Draken, Klaus: Sokrates als moderner Lehrer. Eine sokratisch reflektierte Methodik und ein methodisch reflektierter Sokrates für den Philosophie- und Ethikunterricht, herausgegeben von Krohn, Dieter/Neißer, Barbara/Walter, Nora, Berlin 2011. 39 | Der antike Begriff des Cicerone beschreibt einen Fremdenführer. Siehe hierzu auch: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens, 2 Bde., Basel 1855 (Neuauflage: Stuttgart 1986). Heute wird der Terminus Cicerone alternierend zu dem des Live Speakers verwendet und beschreibt wie dieser die persönliche und dialogische Wissensvermittlung.

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Ausstellung sowie Expertenwissen zu einzelnen Themenbereichen oder bestimmten Exponaten verfügt.40 Der Live Speaker steht als Gesprächsund Informationsangebot zur Verfügung, sofern dies vom Besucher gewünscht wird. Das Angebot versteht sich dabei nicht als Konkurrenz zu den klassischen und in der Regel monologischen Führungen. In der Annahme, dass viele Menschen nur ungern ihre Meinung vor einer Gruppe fremder Personen preisgeben, soll der Live Speaker ein möglichst niedrigschwelliges dialogisches Gesprächsangebot als Ergänzung zu den klassischen Führungsrundgängen offerieren. Ziel ist es dabei, einen vertrauensvollen Rahmen zu bilden, in dem es dem Besucher nicht peinlich ist, auch vermeintlich dumme Fragen zu stellen oder sein eigenes Unwissen zu offenbaren. Selbst wenn es sich bei der ersten Kontaktaufnahme im strengeren Sinne ebenfalls um ein asymmetrisches Wissensgefälle zwischen Fragendem und Wissendem bzw. Fragendem und Antwortendem handelt, wird dies in der Regel von den Besuchern nicht als solches empfunden. Live Speaker (zumeist Schüler, Studenten oder junge Absolventen) strahlen eher Kommunikationsfreude und Charme aus als Autorität.41Da in einer Ausstellung in der Regel mehrere Live Speaker eingesetzt werden, kann sich der Besucher zudem einen Gesprächspartner auswählen, der ihm auf Anhieb sympathisch ist – für einen gelungenen Dialog sicher ein nicht unerheblicher Punkt. Wie sich der Informationsaustausch zwischen Besucher und Live Speaker genau gestaltet, ist offen. Oft dient er dazu, Verständnisfragen zu klären oder bei der Orientierung innerhalb der Ausstellung zu helfen, woraufhin der Besucher seinen Rundgang alleine fortsetzt. Ebenso ist es möglich, dass sich ein längeres Gespräch zwischen Live Speaker und einem einzelnen Besucher bzw. einer klei40 | In Köln wurden Ciceroni erstmals 2002 im Museum Ludwig im Kontext der Jungen Nächte eingesetzt. In Berlin wurde das Modell des Live Speakers (zunächst unter dem Namen MoMAnizer, später als Live!Speaker) 2004 in der MoMa-Ausstellung durch den Verein der Freunde der Nationalgalerie erstmals einem größeren Publikum vorgestellt. Hierzu auch: Meyer-Gatermann, Anne: Führe mich in Versuchung 2005, in: Grasskampden, Walter (Hg.): Sonderbare Museumsbesuche. Von Goethe bis Gernhardt, München 2006, S.  66-68, S. 67-68. 41 | Siehe hierzu: Preiner, Michaela: Die Live!Speaker speaken wirklich live!, 11.6.2011 (www.brigitte.de): www.european-cultural-news.com/die-live speakerspeaken-wirklich-live/47/, 11.4.2012.

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neren Besuchergruppe ergibt, bei dem sich beide Seiten ihr Wissen und ihre Assoziationen zur Verfügung stellen. Dieses Gespräch kann sich auf einzelne Räume und Exponate beziehen oder aber in eine gemeinsame Begehung der gesamten Ausstellung münden.42 Im Unterschied zu den klassischen Führungen sind diese Rundgänge in der Regel stark individualisiert und werden vorrangig von den Interessen und Fragen der Besucher geleitet. Die Live Speaker sind dabei angehalten, keine monologische Führung zu geben und Inputwissen in Form eines Vortrags zu vermitteln, sondern auf Fragen nach dem Modell des sokratischen Dialogs mit Gegenfragen zu reagieren und den Besucher so in ein Gespräch zu verwickeln. Ebenso wenig müssen die Live Speaker auf alle Fragen eine Antwort haben, viel eher geht es darum, die anhand der Ausstellung aufgeworfenen Fragen gemeinsam zu diskutieren.

M ODERIERTER R UNDGANG Wird der sokratische oder individuelle Dialog im Kontext einer klassischen Führung für eine ganze Besuchergruppe geöffnet, ergibt sich für den Guide oder den Führenden die Möglichkeit, seine Rolle neu zu definieren. Anstatt des hinterfragenden Lehrers (sokratisches Modell) oder des charmanten Gesprächsangebots (Live Speaker, Cicerone) kann er nun zu einem Moderator werden, der die unterschiedlichen Meinungen der Anwesenden aufeinander bezieht, diese miteinander verknüpft und erneut in die Gruppe zurückspielt. Im Idealfall entsteht so aus einer monologischen Führung ein mehrstimmiger Dialog, der sich nicht wie in den zuvor beschriebenen Modellen zwischen Lehrer und Schüler bzw. Fragendem und Antwortendem, sondern zwischen den Teilnehmern der Führung entfaltet. Geschieht dies, begleitet der Moderator das Gespräch nach dem sokratischen Modell.43 Er kümmert sich primär um den Gesprächsfluss und 42 | Ein ähnliches Prinzip ist das des japanischen Museumsbegleiters, zumeist Ehrenamtliche, die den Besuchern eines Museums erklärend und begleitend zur Seite stehen. 43 | Siehe auch: Schrübbers, Christiane: Tätigkeitsprofil: MuseumsModerator, in: Standbein Spielbein, 81, 2008, S. 41-46; Dies. (Hg.): Moderieren im Museum. Ein Leitfaden für dialogische Besucherführungen, Bielefeld 2013.

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die Rahmenbedingungen, nimmt sich inhaltlich und deutend aber stark zurück. Vielmehr ist er bemüht, durch offen formulierte Fragen Denkräume zu schaffen und das Gespräch immer wieder in neue Richtungen zu lenken. Er behält zudem den zeitlichen Rahmen im Auge und schlägt – abhängig vom jeweiligen Gesprächsfluss – den Wechsel an eine neue Station vor. Er muss vermittelnd einwirken, wenn sich Konflikte zwischen den Teilnehmern anbahnen. Ebenso ist es seine Aufgabe einzugreifen, wenn die Beiträge einzelner Teilnehmer drohen, die Meinung anderer zu dominieren oder in Monologe zu münden. Im Vergleich zum Live Speaker oder Cicerone muss der Moderator dabei eine stärkere Autorität ausüben. Neben den Moderationsphasen hat er – nun in der Rolle des Experten – zudem die Aufgabe, durch unterschiedlich lange Informationsblöcke spezielles Fach- oder Hintergrundwissen in die Gruppe einzuspeisen. Das Unterfangen des moderierten Ausstellungsrundgangs ist voraussetzungsreich und verlangt dem Moderator ein hohes Maß an Kommunikationstechnik sowie sozialer Kompetenz ab. Zudem kann dieses dialogische Führungsmodell nur gelingen, wenn es auf gesprächsbereite Besucher trifft, die im moderierten Rundgang oder Ausstellungsgespräch eine Alternative zu klassischen Monologführungen sehen. Gelingt all dies, ist das Ergebnis im Idealfall ein offener und multilateraler Kommunikationsprozess, der entscheidend durch die innerhalb der Besuchergruppe stattfindenden Aushandlungsprozesse definiert wird. Jedes der vorgestellten Gesprächsmodelle (sokratische Methode, Live Speaker bzw. Cicerone oder Moderator) hat individuelle Stärken und Schwächen. Der gemeinsame Ansatz der dialogischen Wissensvermittlung aber stellt eine Methode dar, mit der sich einer asymmetrischen Kommunikationsstruktur in Museen und Ausstellungskontexten entgegenwirken lässt. Unterstützt werden diese Dialoge von Ausstellungskonzepten, die sich einer geschlossenen und affirmierenden Narration enthalten und nach dem konstruktivistischen Modell eine Vielzahl von multiperspektivischen Informationen und Deutungsansätzen liefern. Das sind Ausstellungen, deren Macher sich nicht scheuen, ihre subjektive Sicht offenzulegen und Narrationen entwickeln, die Multiperspektivität, Lücken und Brüche zulassen. Diese Konzepte fordern den Betrachter auf, die passive Rolle des Rezipienten zu verlassen und geben ihm über das Gästebuch hinaus die Möglichkeit, seine Meinung einzubringen und Spuren zu hinterlassen. So

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entstehen Ausstellungen, die sich als eine Art work in progress begreifen und vom Besucher aktiv mit- und umgestaltet werden können. Ein solcher konstruktivistischer Ansatz in der Ausstellungskonzeption und der personalisierten Vermittlungsarbeit könnte die Rolle der Museen als lebendige Orte der Wissensbildung neu beschreiben und stärken. In Abkehr vom unilateralen Monolog ließe sich kulturelle Bildung innerhalb der Institutionen damit grundlegend als kreativer und integrativer Prozess definieren und praktizieren.

Angewandte Kulturwissenschaften Partizipative Wissensproduktion in Theorie und Praxis Felix Ackermann

Im Ringen um geisteswissenschaftliche Paradigmen, Konzepte und Kehren lässt sich in den vergangenen Jahrzehnten ein stiller Gewinner ausmachen: Kulturwissenschaftliche Ansätze haben ganz unterschiedliche Konstellationen und Disziplinen durchdrungen. Damit geht einher, dass die Reflexion der disziplinären Produktionsbedingungen von Wissen stärker als zuvor zur Theoriebildung beiträgt. Nach einer zunächst abstrakten Diskussion über die Notwendigkeit und Schwierigkeit, Kultur als Gesamtheit menschlicher Ausdrucks- und Kommunikationsformen wissenschaftlich zu fassen, wurden u.a. ethnologische, soziologische und philologische Ansätze etabliert, um kulturwissenschaftliche Theoriediskurse mit empirischen Forschungen zu verknüpfen.1 Seit etwa 20 Jahren gibt es im deutschsprachigen Raum Ansätze, angewandte Kulturwissenschaften als praxisorientierte Studiengänge zu etablieren. 2 Darin werden 1 | Kirchberg, Volker/Zembylas, Tasos (Hg.): Arts Management: A Sociological Inquiry. The Journal of Arts Management, Law and Society,1/2010; Johler, Reinhard/Tschofen, Bernhard (Hg.): Empirische Kulturwissenschaft. Eine Tübinger Enzyklopädie, Tübingen 2008. 2 | Dazu gehören bis heute weiterentwickelte Angebote in Karlsruhe, Münster, Lüneburg und anderen Hochschulstandorten: Thomas Düllo (Hg.): Einführung in die Kulturwissenschaft, Münster 298, S. 350ff.; Robertson-von Trotha, Caroline Y.: Public Humanities, Interdisziplinarität, gemeinsame Fragestellungen, in: Dies. (Hg.): 60 Jahre Studium Generale und 20 Jahre Angewandte Kulturwissenschaft, Karlsruhe 2009, S. 9-10. Stärker praxisbezogene und mit betriebswirtschaftlichem Instrumentarium verbunden sind reine Kulturmanagement-Angebote: Hofecker, Franz-Otto: Kulturmanagement in Österreich.

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relativ weit gefasste theoretische Grundlagen zusammen mit praktischen Kompetenzen vermittelt, die auf konkrete Anwendungsgebiete wie Medien oder Museen zugeschnitten sind. Daran anknüpfend beschreibe ich in diesem Text die Produktion von Wissen als einen Prozess, in dem Theorie und Praxis in zwei Richtungen miteinander verknüpft sind. Dazu diskutiere ich die Voraussetzungen, um bei der Konzeption und Umsetzung kulturwissenschaftlicher Projekte eine prozessbegleitende, interkulturelle und interinstitutionelle Ebene wissenschaftlicher Reflexion zu etablieren. Eine solche Ebene ermöglicht die im Zuge des Bologna-Prozesses geforderte und vielerorts bereits implementierte Praxisorientierung nicht allein als Aufbereitung von Wissen für spezifische Öffentlichkeiten oder bestimmte Arbeitsmarktsegmente zu verstehen.3 Das in diesem Text vorgeschlagene Verständnis angewandter Kulturwissenschaften macht die Verbindung von Theorie und Praxis einerseits, sowie Kommunikation und Reflexion andererseits zum Kern eines partizipativen Verständnisses von Wissenschaft. Partizipation bezieht sich hier sowohl auf die Beteiligung wissenschaftlicher Akteure an gesellschaftlichen Diskursen jenseits von universitären Wissensräumen, als auch auf die aktive Teilhabe von Bürgern, die in der Regel als Rezipienten medialer Vermittlungsstrategien von wissenschaftlich produziertem Wissen gelten. Dabei wird es auch möglich, ganz neue Zielgruppen zu erschließen.4 Weder verstehe ich Wissenschaftler allein als Produzenten noch die jenseits der akademischen Welt vorhandenen Rezipienten ausschließlich als Kon-

Vom Lehrgang für Kulturmanagement zum PhD-Studium der Kulturbetriebslehre, in: Kulturmanagement 6/2012, S. 28-33. 3 | Dieser Ansatz geht zurück auf ein Jahrzehnt kritisch-begleitender Auseinandersetzung mit den Kulturwissenschaften der Europa-Universität Viadrina. Im Umfeld der interdisziplinär angelegten Kulturwissenschaftlichen Fakultät gründete ich 2001 gemeinsam mit deutschen und polnischen Kommilitonen ein Institut für angewandte Geschichte, um grenzüberschreitende, öffentliche und Projekte durchzuführen, auszuwerten und die Ergebnisse erneut mit wissenschaftlichen Diskursen zu verknüpfen. Siehe: www.instytut.net, 5.1.2013. 4 | Mandel, Birgit: Kulturvermittlung – zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing. Eine Profession mit Zukunft, Bielefeld 2005, S. 11ff.

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sumenten von Wissen.5 Stattdessen sehe ich in der Anwendung kulturwissenschaftlicher Theorien in Form von Projekten die Möglichkeit, eine öffentliche Diskussion zu initiieren, in deren Verlauf auch Akteure aus nichtwissenschaftlichen Institutionen zu Produzenten empirisch relevanten Wissens werden, das dokumentiert, strukturiert und wissenschaftlich analysiert werden kann. Projekte angewandter Kulturwissenschaften entwickeln einen Ansatz, der dazu geeignet ist, anhand von auf die Gegenwart bezogenen Fragen sowie einer darauf ausgerichteten methodischen Vorgehensweise Öffentlichkeit herzustellen. Modellhaft ist das Projekt wissen&museum. Archiv-Exponat-Evidenz, das 2010 vom Tübinger Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft initiiert wurde. Die Autoren machten darin das Zusammenspiel von Wissenschaft, Museum und Öffentlichkeit gleichzeitig zum Thema und zum Grundprinzip ihrer Arbeitsweise.6 In einer produktiven Konstellation mit dem Literaturarchiv Marbach reflektierten die verschiedenen Akteure diesen Prozess. Als Resultat wurde 2012 im Literaturmuseum der Moderne die Ausstellung 1912. Ein Jahr im Archiv gezeigt.7 Dabei waren bereits im Forschungsdesign Vorannahmen über die Relevanz der inhaltlichen Fragestellung enthalten. Die Durchführung solcher Projekte lässt sich für die empirische Entfaltung und Überprüfung dieser Annahmen nutzen. Und im Zuge der Auswertung der Ergebnisse kann wie im Falle von wissen&museum. Archiv-ExponatEvidenz der Versuch unternommen werden, neue Erkenntnisse über das Zusammenspiel von inner- und außeruniversitären Öffentlichkeiten sowie das Ineinandergreifen von unterschiedlichen institutionellen Praktiken zu formulieren.8

5 | Ein engerer Vorschlag in Bezug auf angewandte Geschichte bzw. Public History: Tomann, Juliane u.a.: Diskussion Angewandte Geschichte. Ein neuer Ansatz? Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, URL: http://docupedia.de/ zg/Diskussion_Angewandte_Geschichte?oldid=76782, 15.2.2011. 6 | BMBF-Projekt »wissen&museum. Archiv-Exponat-Evidenz«. www.wissenund-museum.uni-tuebingen.de/, 5.2.2013. 7 | Thiemeyer, Thomas (Hg.): 1912. Ein Jahr im Archiv. Katalog zur Ausstellung, Marbach 2012. 8 | Willner, Sarah: Präsenz: ausstellen, erfahren, erforschen. Abschlusstagung des BMBF-Projekt »wissen&museum. Archiv-Exponat-Evidenz« Mar-

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Ein solches Vorgehen zwingt zur Konfrontation der eigenen im akademischen Rahmen entwickelten Ideen und Praktiken mit einer über die Universität hinausreichenden kritischen Öffentlichkeit. Und es ermöglicht, die eigenen methodischen Vorannahmen und das eigene Verständnis von Konzeption, Kommunikation und Umsetzung im Licht der im Laufe eines Projekts gesammelten Erfahrungen zu hinterfragen. Die Chance angewandter Kulturwissenschaften besteht darin, auftretende Probleme, Konflikte und selbst das Scheitern als Teil eines Projekts und des eigenen Erkenntnisprozesses zu verstehen. Dazu werden die empirischen Erfahrungen fixiert und auf der Reflexionsebene – nach Möglichkeit im Austausch mit den Projektpartnern – ausgewertet. Die Grundannahme dieses Wissenschaftsverständnisses besteht darin, dass sich neue kulturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht in der Produktion von Wissen unter Laborbedingungen in hermetisch geschlossenen Räumen des Wissenschaftsbetriebs kristallisieren. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Prozess der Formulierung, Veröffentlichung und Diskussion von Wissen findet häufig allein innerhalb der engen systemischen Räume einzelner Disziplinen statt bzw. wird wie bei der Durchführung von Forschungsprojekten und bei der Akkreditierung von Studiengängen externen Evaluatoren überlassen.9 Als besondere Herausforderung bei der Umsetzung dieses Ansatzes diskutiere ich im letzten Teil des Textes den Umgang mit persönlichen und institutionellen Konflikten, die bei der Umsetzung von Projekten in aller Regel auftreten. Dabei geht es um die Konsequenzen aus den neuen Bedingungen von Wissensproduktion in einer Gesellschaft, in der sich der Zugang zu Wissensspeichern und die Kanäle der Kommunikation über deren Bedeutung in den vergangenen Jahren radikal verändert haben und weiter verändern werden.

bach a. N., 29. bis 30. März 2012, in: AHF-Information. 2012, Nr.074. www.ahfmuenchen.de/Tagungsberichte/Berichte/pdf/2012/074-12.pdf, 5.2.2012. 9 | Strathern, Marilyn: Audit Cultures: Anthropological Studies in Accountability, Ethics and the Academy, 2000 London.

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Ö FFENTLICHKEIT UND E RINNERUNG Historische Sinnstiftung und Partizipation Das im vorliegenden Band analysierte Spannungsfeld zwischen Geschichts- und Kulturwissenschaft, Neuer Museologie, Geschichtsdidaktik und neuen Konzepten der kulturellen Bildung lässt sich besonders produktiv mit den Methoden der angewandten Kulturwissenschaften untersuchen. Ausgangspunkt für die im Institut für angewandte Geschichte seit 2001 praktizierte Form ist dabei die Beobachtung, dass große Teile der institutionellen Geschichtswissenschaften in Deutschland und Polen versuchen, die Deutungshoheit ihrer Analysen und Erzählungen gegen Versuche der Öffnung und Egalisierung zu schützen.10 Ausdruck dessen ist auch die an deutschen Hochschulen noch immer weit verbreitete Ablehnung der offensiven Arbeit mit Wikipedia als wichtigster Enzyklopädie der Gegenwart. Ihre Bedeutung liegt dabei weniger in der Menge, Breite und Tiefe des dort aufbereiteten Wissens, sondern im Prinzip der Partizipation bei der Erstellung und Redaktion von Texten. Leser sind in Wikipedia immer auch potenzielle Autoren. Unabhängig von Qualifikation, Alter, Geschlecht und Herkunft haben sie die Möglichkeit, an der öffentlichen Verhandlung von Bedeutungen unterschiedlicher Vergangenheiten aktiv teilzunehmen. Dadurch hat ein wissenschaftlich arbeitender Textautor bei Wikipedia zunächst denselben Status wie ein fachfremder Zeitgenosse.11

10 | Gemeinsam mit Abraham-Diefenbach, Magda: Angewandte Geschichte. Handeln im öffentlichen Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Denkmalschutz, in: Zalewski, Paul/Drejer, Joanna (Hg.): Polskoniemieckie dziedzictwo kulturowe a społeczen´stwo obywatelskie w dzisiejszej Polsce. Dos´wiadczenia, trendy, szanse. Deutsch-polnisches Kulturerbe und die Zivilgesellschaft im heutigen Polen. Erfahrungen, Trends, Chancen, Warschau 2012, S. 187-199. 11 | Rosenzweig, Roy: Can History be Open Source? Wikipedia and the Future of the Past, in: The Journal of American History, Vol. 93, 1 (2006), S. 117-146; Reagle Jr., Joseph Michael: Good Faith Collaboration: The Culture of Wikipedia, London 2010. Es gibt auch in der deutschsprachigen Wikipedia schon heute eine Vielzahl von Beispielen, in denen Wissenschaftler den Status quo zentral-

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Die Grundannahme der erst langsam schwindenden Ablehnung einer aktiven Beteiligung an Wikipedia durch akademische Akteure scheint zu sein, dass Wissen, das in Universitäten von Lehrstuhlinhabern und ihren Mitarbeitern erarbeitet wurde, per se eine höhere Qualität und Relevanz aufweist als etwa von Laien geschriebene Einträge in der populären Online-Enzyklopädie, weil die professionellen Mechanismen der Qualitätskontrolle vermeintlich höhere Standards sichern. Dabei funktioniert diese Annahme nur solange, bis Geisteswissenschaftler selbst als Autoren beginnen, bei Wikipedia mehr zu bearbeiten als nur den Eintrag über ihre eigene Person. Die dabei gesammelten Erfahrungen von Auseinandersetzungen mit Andersdenkenden und Anderssozialisierten sind sicherlich mit den Mühen der Ebene verbunden. Sie mögen auch nicht immer in einen Siegeszug vermeintlicher akademischer Wahrheiten münden. Aber sie versetzen Historiker und Kulturwissenschaftler in die Lage, ihre Sichtweise und die Relevanz ihrer Thesen anders zu verteidigen, als in der gewohnten und geschützten Umgebung ihrer Fakultät. Eine beginnende stärkere Partizipation von Akademikern an der Produktion von Wissen in Wikipedia sowie die weiter zunehmende Praxis des Belegens und Verweisens auf Quellen in der Online-Enzyklopädie werden die systemische Trennlinie zwischen den akademischen Produktionsräumen von Wissen und den im Internet vorhandenen Räumen nach und nach auflösen. Ein weiteres Beispiel für eine latente Abwehrhaltung in der Geschichtswissenschaft ist die seit einem Jahrzehnt bemerkbare Interpretation von Public History als öffentliches Anwendungsgebiet historiographischer Wissensbestände und der Vermittlung von Kompetenzen in der öffentlichen Interpretation der Vergangenheit.12 Im Rahmen von Firmen, Vereinen und Instituten werden darüber hinaus spezialisierte Dienstleis-

er Forschungsdebatten bei Wikipedia abbilden: z.B. der Eintrag Geschichtsdidaktik: http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtsdidaktik, 20.1.2013. 12 | Die Macher des Public History Masters der Freien Universität Berlin formulieren das auf der zugehörigen Homepage so: »Der in dieser Form einmalige Studiengang qualifiziert seine Absolventinnen und Absolventen insbesondere für solche Tätigkeiten, die die Aufbereitung und Vermittlung fachwissenschaftlicher Erkenntnisse in einem breiten öffentlichen Kontext erfordern.« www.geschkult.fu-berlin.de/e/phm/studium/index.html, 3.1.2013.

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tungen für private und öffentliche Geldgeber angeboten.13 Das dabei zum Einsatz kommende Know-how und die Reputation gehen in der Regel auf die universitäre Ausbildung der Mitarbeiter oder die institutionelle Anbindung der Gründer zurück. Der Kern der Universität ist dennoch weitgehend abgekoppelt vom Produktionsprozess der Dienstleistung. Die Hochschulen bleiben dadurch in erster Linie Quelle von Bestätigung und werden nicht gezwungen, den eigenen Modus der Produktion von Wissen und Legitimation in Frage zu stellen.14 Studiengänge wie der in Berlin angebotene Master Public History gehen von der Annahme aus, dass historiographisch geschulte Spezialisten in Medien, Museen, Gedenkstätten und Archiven für die Vermittlung von Wissen in die Gesellschaft zuständig sind. Vermittlung wird dabei in der Regel als Prozess des Transports von unter Laborbedingungen in Archiven, Instituten und Universitäten produziertem Wissen verstanden. Ein Infragestellen der Produktionsbedingungen dieses Wissens ist dabei oft nicht vorgesehen. Die Folge ist eine Praxis, in der Universität und Öffentlichkeit als weitgehend getrennte Systeme verstanden werden.15 In mehreren Jahrzehnten hat sich in Museen und Gedenkstätten die Vorstellung einer nachgelagerten Bedeutung und Funktion didaktischer Konzepte verfestigt. Noch heute wird bei der Erstellung vieler Ausstellun13 | Zum Gesamtzusammenhang von Public History und Historikern als Dienstleistern: Hardtwig, Wolfgang/Schug, Alexander (Hg.): History Sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt, Stuttgart 2009; Kühberger, Christoph/Pudlat, Andreas (Hg.): Vergangenheitsbewirtschaftung. Public History zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, Wien 2012, S. 70-78. 14 | Im Sinne Luhmanns handelt es sich auch um zwei voneinander getrennte Systeme mit einer jeweils eigenen autopoietischen Dynamik. Dabei ist der Versuch, die Logik eines Systems gegen das Eindringen einer anderen zu schützen, nicht spezifisch für das das Zusammenspiel von Universität und Öffentlichkeit: Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M. 1984. 15 | Die offenkundigste Vermengung von privaten, politischen und ökonomischen Interessen sowie die Abwesenheit einer kritischen öffentlichen Selbstreflexion weist dabei in Deutschland das Zentrum für Angewandte Geschichte der Universität Erlangen, das behauptet, es könne »Geschichte kapitalisieren« und »für heute und morgen nutzbar« machen: www.zag.uni-erlangen. de, 3.1.2013.

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gen erst nach Abschluss der Konzeption der Ausstellung eine pädagogische Abteilung damit beauftragt, Formate für die Vermittlung des in der Ausstellung aufbereiteten Wissens zu entwickeln. Diese institutionelle Ordnung, in der Vermittlung immer kurz vor Auftauchen der ersten Besucher eingeschaltet wird, um die wichtigsten Botschaften der Ausstellung zu vermitteln, wurde in den vergangenen Jahren immer wieder in Frage gestellt.16 Die in diesem Text vorgeschlagene Praxis angewandter Kulturwissenschaften bricht im Bereich der Geschichtswissenschaften eine scharfe Trennung zwischen dem Analysieren und Schreiben auf der einen Seite und dem Diskutieren und Veröffentlichen auf der anderen Seite auf. Analog dazu geht es etwa in Museen um die frühzeitige Einbindung potenzieller Besucher in den Diskussions- und Konzeptionsprozess sowie die stärkere Berücksichtigung didaktischer Ideen bereits in der Gestaltungsphase von Ausstellungen.17 Ziel ist es, die theoretische und praktische Trennung in Produktion und Vermittlung von Wissen in Frage zu stellen, indem Theorie und Praxis stärker aufeinander bezogen werden.18 Die gesellschaftliche Verhandlung der unterschiedlichen Bedeutung von Vergangenheiten ist als exemplarisches Beispiel nicht nur wegen der starken institutionellen Abgrenzung der professionellen Geschichtswissenschaft sowie der sehr weitreichenden Spezialisierung der Geschichtsdidaktik interessant.19 So ist es in diesem Feld längst ein Gemeinplatz, dass die Interpretation von historischem Wissen sowie die Entwicklung ganz unterschiedlicher Erzählungen über die Vergangenheit immer von einem speziellen Sichtpunkt in der Gegenwart aus erfolgt. Diese Perspektivität von Geschichte ist ein geeigneter Ausgangspunkt für die Definition von Partizipation in den angewandten Kulturwissenschaften, denn 16 | Sternfeld, Nora: Der Taxispielertrick. Vermittlung zwischen Selbstregulierung und Selbstermächtigung, in: schnittpunkt (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005, S. 15-34. 17 | Gesser, Susanne u.a. (Hg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld 2012. 18 | Poehls, Kerstin u.a. (Hg.): Museum X. Zur Neuvermessung eines mehrdimensionalen Raumes, Berlin 2012. 19 | Gautschi, Peter: Guter Geschichtsunterricht. Grundlagen, Erkenntnisse, Hinweise, Schwalbach 2009.

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ein bestimmter Blickwinkel ist weder angeboren noch selbstverständlich, sondern kulturell und sozial vermittelt. Unter dem Einfluss ganz unterschiedlicher Praktiken und Diskurse nehmen Wissenschaftler erst einen Standpunkt ein, von dem aus sie in bestimmten Situationen Wertungen vergangener Handlungen vornehmen. Die damit einhergehende Interpretationsleistung ist als partizipativer Akt gesellschaftlicher Wissensproduktion zu verstehen, denn erst durch das Formulieren und Kommunizieren der eigenen Gedanken im Austausch mit Anderen werden die Deutungen des Vergangenen zu einem kommunikativen Erinnerungsakt. In der Theorie entsteht aus der Vielzahl solcher Vorgänge auf der Mikroebene das kommunikative Gedächtnis einer Gesellschaft. Wie es in der Praxis funktioniert, lässt sich im Rahmen von Projekten angewandter Kulturwissenschaften hinterfragen. Praktiken der immerwährenden Neukonstitution des kommunikativen Gedächtnisses können ganz unterschiedliche Formen annehmen, die sich nicht grundlegend widersprechen, die aber auch nicht immer scharf voneinander abgegrenzt sind. So gibt es professionelle Netzwerke, deren Fäden in der Regel in akademischen Kommunikationsräumen zusammenlaufen. Dort sind sie mit Bildungsprozessen verbunden, die aber auch außerhalb der Hochschulen in ganz unterschiedlichen Institutionen wie Museen, Schulen und Gedenkstätten stattfinden. Wie in allen Bereichen gibt es auch eine alltägliche Wissenspraxis, die eigene Wissensbestände verwendet und produziert. Eng damit verbunden sind intergenerative Kommunikationsprozesse, die immer auch eine starke historische Dimension enthalten.20

20 | Dieses Verständnis angewandter Kulturwissenschaften fordert daher, nicht nur Besucher, Teilnehmer bzw. Konsumenten in die Auswertung einzubeziehen, sondern auch die eigenen Erfahrungen sowie die der Projektpartner als empirisches Material zu bearbeiten. Reussner, Eva: Publikumsforschung für Museen. Internationale Erfolgsbeispiele, Bielefeld 2010, S 370-376.

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D AS W IKIPEDIA -P RINZIP Prozessbegleitende Reflexion der Bedingungen von Wissensproduktion Konkrete, kulturwissenschaftlich angelegte Vorhaben wie das erwähnte Ausstellungsprojekt wissen&museum. Archiv-Exponat-Evidenz gehen von theoretischen Überlegungen aus, sollen aber gleichzeitig in der Praxis ein Ergebnis erbringen. Daher ist es zunächst wichtig, die Ausgangsfragen konkret zu fixieren: Was ist das Ziel des Projekts? In welcher Weise soll Wissen produziert werden? Wie wird es verhandelt? Wer sind die Akteure? In welchen Situationen erlangen dabei bestimmte Repräsentationen des Vergangenen eine Bedeutung? In welcher Weise erhalten die Verhandlungen dieser Deutungen eine öffentliche Dimension? Welche Ressourcen werden dafür genutzt? Welche Rolle spielt dabei bereits zuvor produziertes und gespeichertes historisches Wissen? Von wem wurde dieses zugänglich gemacht und strukturiert? Es gibt kein festes Frageset, das sich bei der Begleitung von Projekten einsetzen ließe. Wichtig für die folgende Auswertung ist, diese Fragen zu formulieren und im Zuge des Projekts zu reflektieren, welche Grundannahmen in diesen Fragen enthalten sind und welche Schlüsse der bisherige Verlauf des Projektes zulässt. So lassen sich die Dimensionen, in denen Wissen laufend fixiert wird, kritisch hinterfragen, aber auch die Fähigkeiten beleuchten, die notwendig sind, um entsprechende Abstraktionen vorzunehmen. Anders formuliert: Das Lernen selbst geht mit der Hinterfragung des Lernprozesses und der Formulierung von Erkenntnissen einher. Diese Mehrdimensionalität kulturwissenschaftlicher Arbeit birgt die Chance, über die De- und Rekonstruktion bestehender Diskurse hinaus das Wissen über die Diskursivität von Kultur selbst zu schärfen. Dazu ist allerdings der konstante Wechsel der Rollen und Ebenen der Analyse notwendig. Angewandte Kulturwissenschaften betonen partizipative Praktiken gerade deshalb, weil ohne die zuvor beschriebene Öffnung akademischer Arbeit wissenschaftliche Analysen schnell in eine tautologische Spiegelung selbst kreierter Diskurse münden können. Das empirisch interessante Material bzw. neue diskursive Verknüpfungen werden in praxisorientierten Projekten gerade in der kommunikativen Auseinandersetzung mit anderen Akteuren, Institutionen und neuen Situationen ge-

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schaffen. Solche Konstellationen entstehen durch Versuchsanordnungen, deren experimenteller Charakter darin besteht, dass für alle Beteiligten neue Wege beschritten werden. Um das zuvor angeführte Beispiel Wikipedia aufzugreifen: Ein Seminar zur Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg untersucht die OnlineEnzyklopädie als Wissensspeicher, der abbildet, wie sich Erinnerungskulturen bestimmter Akteure in unterschiedlichen Sprachgemeinschaften unterscheiden.21 Dabei können nicht die aktuellen Einträge zu zentralen Ereignissen und ihrer Rezeption untersucht werden. Der gesamte Prozess kann online nicht nur in der Abfolge unterschiedlicher Textversionen nachvollzogen werden. Auch sämtliche Auseinandersetzungen um einzelne Veränderungen sowie die Organisation dieses Diskussionsprozesses sind im Gegensatz zu den meisten traditionellen akademischen Formaten der Wissensproduktion vollständig dokumentiert und öffentlich zugänglich.22 Wikipedia kann somit als Quelle für die vergleichende Analyse von Erinnerungskulturen verwendet werden. Ein Projekt angewandter Kulturwissenschaften würde noch einen Schritt weiter gehen. Statt herkömmliche Essays zu schreiben, würden die Studierenden einen von ihnen zuvor analysierten Artikel selbst verändern, für sie relevante Erweiterungen, Verfeinerungen oder Korrekturen vornehmen. Durch den Eingriff in die Enzyklopädie werden Studierende selbst zu in einer Teilöffentlichkeit agierenden Autoren und beginnen, den online hinterlegten Text nicht als fertiges Produkt, sondern als Dokumentation eines Prozesses zu verstehen, an dem sie selbst teilhaben.23 Das Arbeiten im methodischen Rahmen angewandter Kulturwissenschaften ist auch 21 | Dieser Vorschlag geht auf mein Seminar »Deutsch für Akademiker Online. Vernetzes Übersetzen, Schreiben und Diskutieren« an der Europäischen Humanistischen Universität in Vilnius zurück: Belarussische, litauische und deutsche Studierende analysierten gemeinsam unterschiedliche WikipediaEinträge und redigierten am Ende des Seminars selbst einzelne Einträge. Meyer, Erik (Hg.): Erinnerungskultur 2.0. Kommemorative Kommunikation in digitalen Medien, Frankfurt a.M. 2009. 22 | Stegbauer, Christian: Wikipedia. Das Rätsel der Kooperation, Wiesbaden 2009. 23 | Bredelka, Lothar: Lernen als Kulturelle Teilhabe, S.  21-30, in: Hartung, Olaf u.a. (Hg.): Lernen und Kultur: Kulturwissenschaftliche Perspektiven in den Bildungswissenschaften, Wiesbaden 2010.

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darauf gerichtet, dass die Einträge der Studierenden eine höhere Qualität als die der vorherigen Autoren haben. Aber das Popper’sche Prinzip der Verifikation bzw. Falsifikation von Hypothesen ist in Wikipedia selbst angelegt, da andere Autoren jederzeit die Möglichkeit haben, Korrekturen vorzunehmen und bei Bedarf zu begründen.24 Angewandte Kulturwissenschaften bedeuten im Falle der Online-Enzyklopädie erstens, die durch die eigenen Veränderungen entstehende Kommunikation als empirisches Material zu betrachten und zweitens, den Prozess zu dokumentieren und laufend zu hinterfragen, wie das partizipative Arbeiten die eigene Wissenschaftspraxis verändert.25 Dazu sind je nach Projekt ein internes Feldtagebuch oder auch ein halböffentliches Projektblog sowie ggf. auch eine gänzlich öffentliche Dokumentation geeignet. Darin werden die eigenen Vorannahmen, das Vorgehen und die gesammelten Erfahrungen dokumentiert. Die Frage, wie zugänglich diese Form der Projektdokumentation zunächst angelegt ist, hängt in der Regel von der institutionellen Konstellation ab. Im weit verzweigten System von Wikipedia hängt es wiederum von der Relevanz und Konflikthaftigkeit der gewählten Einträge bzw. vertretenen Thesen ab, inwieweit die eigenen Erfahrungen öffentlich gemacht werden. Die eigentliche Analyse- und Syntheseleistung wird nach Abschluss der empirischen Projektphase erbracht. Nach der Veränderung von Wikipedia-Einträgen zur Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg sowie der aktiven Auseinandersetzung mit anderen Nutzern kann diese im Beispielseminar in Form einer Hausarbeit über Wikipedia als Medium gesellschaftlicher Erinnerungsprozesse erfolgen. Dem Vergleich der vorgefundenen Texte in unterschiedlichen Sprachversionen folgt die Analyse der eigenen Erfahrungen bei der Bearbeitung. Die durch die eigene Teilhabe an der Online-Enzyklopädie gesammelten empirischen Daten werden reflektiert und Einsichten über die Funktionsweise des öffentlichen Aushandelns von Wissen zurück in einen akademischen Kontext transportiert.26

24 | Popper, Karl: Logik der Forschung, Tübingen 2005, S. I–XX. 25 | Erste Ansätze bestehen dazu bereits: Reagle Jr., Joseph Michael: Good Faith Collaboration: The Culture of Wikipedia, London 2010, S. 169-173. 26 | Siehe dazu auch: Seel, Norbert M./Ifenthaler, Dirk: Online lernen und lehren, München 2009.

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G RENZEN ANGE WANDTER K ULTURWISSENSCHAF TEN Praktische, institutionelle und persönliche Herausforderungen Das geschilderte Vorgehen ist sehr voraussetzungsreich und stößt in der Anwendung an bestimmte Grenzen. So ist ein Großteil des in den angewandten Kulturwissenschaften akquirierten Wissens an Kompetenzen geknüpft, die entweder vorausgesetzt werden oder erst während des Prozesses erlernt werden müssen. Dem Beispiel folgend: Um bei Wikipedia an einem Artikel mitzuschreiben, muss zum einen ein Grundverständnis der Nutzung von Reaktionssystemen sowie der speziellen partizipativen Praktiken des Internets vorhanden sein.27 Darüber hinaus muss aber in einem bestimmten Wissensfeld Wissen formuliert worden sein, um einen sinnhaften Eintrag oder Korrekturen an einem vorhandenen Artikel vornehmen zu können. Für den Sprachvergleich sind zumindest Grundkenntnisse der in Frage kommenden Sprachen notwendig. So ist gerade der Schritt von der Theorie in die Praxis mit der Akquise von neuem Wissen verbunden, das in der Wissenschaft kurzfristig nicht notwendig und oft auch nicht zur Vertiefung theoretischer Betrachtungen geeignet ist. Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus der zeitlichen Dimension: Bei Projekten, die die Organisation öffentlicher Veranstaltungen beinhalten, nimmt die Vorbereitung und Durchführung oft sehr viel Zeit in Anspruch. Diese fehlt in der Praxis nicht nur bei der Lektüre einschlägiger Literatur, sondern gerade in den entscheidenden Phasen, um noch im Zuge des Prozesses Notizen zu verfassen und die eigenen Erfahrungen zu reflektieren. Und auch dafür müssen bestimmte Kompetenzen entweder bereits vorhanden sein oder erlernt werden. Allein das regelmäßige Formulieren der eigenen Gedanken zum Festhalten von Beobachtungen im Zuge der eigenen Arbeit ist zeitaufwendig und außerhalb der Anthropologie auch keine weit verbreitete Arbeitstechnik. Bei der Auswertung der so entstandenen Notizen kommt eine noch grundsätzliche Herausforderung hinzu: Um selbstkritisch Schlüsse aus den eigenen Erfahrungen zu ziehen, die über die eigene Entwicklung hinaus relevant sind, muss ein Maß an Distanzierung zum eigenen Handeln 27 | Reichert, Ramon: Amateure im Netz. Selbstmanagement und Wissenstechnik im Web 2.0, Bielefeld 2008.

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aufgebracht werden, das in aller Regel nicht zu den Kernkompetenzen der Geisteswissenschaften gehört und sich auch in interdisziplinär angelegten Kulturwissenschaften in den vergangenen Jahren nicht durchgesetzt hat. Methodisch lassen sich Diskurse und Techniken der Anthropologie bzw. der europäischen Ethnologie entlehnen, denen die Verbindung von teilnehmender Beobachtung, ihrer Dokumentation sowie der selbstkritischen Auswertung als Arbeitsprinzip zugrunde liegen.28 Die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle ist aber nicht nur ein theoretisches Problem. Sie stößt auch immer dann auf praktische Grenzen, wenn die Reflexion des eigenen Handelns bestehende symbolische Ordnungen von Institutionen oder die von ihnen ausgehenden kommerziellen Praktiken in Frage stellt. Das praktische Problem entsteht genau dadurch, dass man im Rahmen eines Projekts der angewandten Kulturwissenschaften selbst in einem institutionellen Geflecht Verantwortung übernimmt, die in aller Regel eine offene kritische Auseinandersetzung mit den Praktiken der eigenen Institution stark einschränkt. 29 Im Wikipedia-Beispiel ist das die Verantwortung für die öffentliche Darstellung der eigenen Institution sowie die mögliche Einsicht in die Grenzen z.B. der fachlichen Ausbildung von Studierenden. Wenn wir als Wissenschaftler Studierende anregen, zu Wikipedia-Autoren zu werden, nehmen sie zwar Anteil an der Wissensproduktion in einem anderen System. Sie sind dann aber den Regeln und Praktiken der Enzyklopädie ausgesetzt, was auch beinhaltet, dass andere Nutzer neue Einträge gänzlich verändern oder löschen, weil die Relevanz oder die Aussagen der hinzugefügten Informationen nach der inneren Logik von Wikipedia sowie in Abhängigkeit der für bestimmte Seiten zuständigen Nutzer infrage gestellt werden. Diese zum Teil als negativ empfundenen Erfahrungen lassen sich im universitären Rahmen aufgreifen und in die Theoriebildung z.B. über das Funktionieren digitaler Geisteswissenschaften einbeziehen.30

28 | Strathern, Marilyn: Audit Cultures: Anthropological Studies in Accountability, Ethics and the Academy, 2000 London. 29 | Widmer, Thomas: Qualität der Evaluation – Wenn Wissenschaft zur praktischen Kunst wird, in: Reinhard Stockmann (Hg.): Evaluationsforschung. Grundlagen und ausgewählte Forschungsfelder, Münster 2006, S. 83-109. 30 | Pestner, Todd: Digital Humanities 2.0: A Report on Knowledge, http:// cnx.org/content/m34246/latest/, 2.1.2013.

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Dieses Problem ist den angewandten Kulturwissenschaften immanent, weil sie aktiv an der Aufhebung der klaren Abgrenzung einzelner Systeme der Wissensproduktion arbeitet. Selbst bei einer gezielten Überschreitung von Systemgrenzen etwa in der Ausbildung von Studierenden bleibt aber die Systemlogik sowohl der Universität als auch eines anderen Systems – im geschilderten Fall Wikipedia – weiterhin erhalten. Beiden bleibt jeder Wissenschaftler als aktiver Teilnehmer aber auch nach Abschluss eines Projekts verpflichtet. Damit birgt das Prinzip der Partizipation eine besondere Schwierigkeit: Die Forderung nach Teilhabe ist mit einem Maß an Verantwortung verbunden, das eine radikale Dekonstruktion oder auch weitgehende Kritik in aller Regel aufgrund persönlicher und institutioneller Verpflichtungen weitgehend unmöglich macht. Die geschilderten Herausforderungen gelten in besonderem Maße für Einsichten, die die eigene Persönlichkeit betreffen. Das im Zuge von Projekten erlangte Wissen über die Begrenztheit eigener Kompetenzen und Leistungsfähigkeit im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie kritisch auszuwerten, gleicht der Quadratur des Kreises. Besonders die öffentlich propagierte Notwendigkeit, bestimmte Erfolgskriterien zu erfüllen, um weiterhin im akademischen Betrieb agieren zu können, erschwert eine kritische Auseinandersetzung mit persönlichen wissenschaftlichen Rückschlägen oder auch dem Scheitern ganzer Projekte. Es ist zwar leichter, vermeintliche Schwächen anderer Akteure zu erkennen und anhand der wissenschaftlichen Ergebnisse zu kritisieren, aber in einer Wissenschaftspraxis, die den Anspruch hat, das eigene Wissen öffentlich zur Diskussion zu stellen, können gerade Schwächen von Partnern, Kollegen und Institutionen aus ethischen Gründen nicht thematisiert werden: Jede Person hat prinzipiell ein Anrecht auf persönliche Integrität. Es kommt erschwerend hinzu, dass man aufgrund des Voraussetzungsreichtums der angewandten Kulturwissenschaften längere Zeit in einem diskursiven Feld arbeitet. Damit gelten dort – auch aufgrund der traditionellen Hierarchisierung und weitreichenden Prekarisierung des Wissenschaftsbetriebs – auf lange Sicht personelle Abhängigkeiten, die eine offene Auseinandersetzung mit anderen Akteuren im Feld jenseits von symbolischen Diskussionen ausschließt. Dieses Dilemma gilt ebenso für den Umgang von Institutionen mit Versuchen einer kritischen Reflexion ihrer Arbeit. Zur Stabilisierung eines positiven Selbstbildes sind sie selten bereit, zusätzlich zu den dafür

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vorgesehenen internen Praktiken wie Evaluation eine kritische externe Analyse zuzulassen und diese zu unterstützen. Bei größeren Projekten, die erst durch zusätzliche private oder öffentliche Förderung ermöglicht werden, kommt erschwerend hinzu, dass die Abhängigkeiten nicht nur symbolischer oder prinzipieller Natur sind. Es gibt in diesem Fall konkrete materielle Abhängigkeiten, die in einer öffentlich agierenden Wissenschaft nicht thematisiert werden können, ohne die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Förderung einzuschränken. All die genannten Limitationen beziehen sich auf den Vorschlag, die während eines Projekts auftretenden Probleme und Konflikte als empirisches Material zu betrachten, das Auskunft über das Zusammenspiel von Theorie und Praxis der Wissensproduktion gibt. Sie werden hier benannt, um deutlich zu machen, dass das Ziel nicht die Schaffung eines hierarchiefreien und von institutionellen Logiken losgelösten Arbeitens ist. Stattdessen sind sie Argumente für den Versuch, einen Zusammenhang zwischen den Praktiken und den Grundannahmen der eigenen kulturwissenschaftlichen Arbeit herzustellen.

B EOBACHTUNG , A USHANDLUNG UND R EFLE XION Die Möglichkeit des kultur wissenschaftlichen Scheiterns Angewandte Kulturwissenschaften betrachten Projekte als theoriegeleiteten Prozess, bei dem in der Praxis wichtige Erkenntnisse über das Funktionieren von Wissenschaft und Öffentlichkeit erlangt werden können. Dazu werden auch Fehlschläge, Schwierigkeiten und Konflikte als wichtiger Teil der empirischen Phase eines Projekts betrachtet. Ziel ist dabei nicht, die damit einhergehenden Ungleichheiten der Akteure aufzulösen, sondern die eigene Rolle als Wissensproduzent im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit genauer zu reflektieren. Die dazu vorgeschlagene Partizipation an der öffentlichen Verhandlung von Wissen greift die Methode der teilnehmenden Beobachtung auf und sieht über diese hinaus eine Verantwortung von Kulturwissenschaftlern als Teilhabern für die von ihnen beschriebenen Prozesse, die auch die Integrität von Personen und Institutionen schützen muss. Diese besondere Verantwortung schränkt die Möglichkeit ein, die Ergebnisse einer kritischen Analyse öffentlich zu machen. Damit bleibt die Herausforderung

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der angewandten Kulturwissenschaften im konstanten Hin und Her zwischen verschiedenen Ebenen: zwischen Theorie und Praxis einerseits sowie zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit andererseits. Die dazu notwendige stetige Reflexion der eigenen Rolle ermöglicht trotz der gezeigten Einschränkungen, stärker als in der bisherigen Praxis der empirischen Kulturwissenschaften, Scheitern als integralen Bestandteil wissenschaftlicher Erkenntnis aufzufassen.

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II Erfahrungen

Tür an Tür. Polen — Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte Eine kurze Einführung in das Ausstellungsprojekt Gregor H. Lersch

Der Martin-Gropius-Bau in Berlin gehört zu den wohl renommiertesten Ausstellungshäusern Deutschlands. Sein Programm zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass hier neben Kunstausstellungen auch internationale kulturhistorische und archäologische Ausstellungen gezeigt werden. Beim Blick auf die seit 1981 realisierten Ausstellungen, fällt auf, dass sich keine dieser explizit der Kunst oder Kultur Polens widmete. Hingegen wurden in Projekten wie Marianne und Germania oder Berlin-Moskau transnationale Zusammenhänge mit anderen Staaten auch im Feld der Bildenden Künste ausführlich beleuchtet. Diese offensichtliche Lücke im Ausstellungsprogramm konnte erst im Jahr 2011 geschlossen werden; die Gründe dafür sind in der Besonderheit des Verhältnisses von Polen und Deutschen zu suchen. Der kurze Überblick über die Entstehungsgeschichte der Ausstellung mit dem Arbeitstitel Deutschland-Polen. 1000 Jahre Nachbarschaft in Europa bis hin zur Eröffnung unter dem Titel Tür an Tür. Polen–Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte im September 2011 zeigt die Komplexität, die einem deutsch-polnischen Ausstellungsvorhaben auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch zu eigen ist. Tür an Tür, von September 2011 bis Januar 2012 in Berlin gezeigt, stellte den ersten Versuch dar, in einer Ausstellung die binationale deutsch-polnische Beziehungsgeschichte ab dem 10. Jahrhundert zu erzählen. Bereits seit 2005 hatte es Versuche gegeben, diese Ausstellung zu realisieren aber erst 2009 gelang es, die Unterstützung und Finanzierung auf beiden Seiten gleichermaßen zu sichern. Als Veranstalter kooperierte der Berliner Martin-Gropius-Bau mit dem Warschauer Königsschloss; finanziert wur-

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de das Projekt aus dem Etat des polnischen Ministeriums für Kultur und nationales Kulturerbe sowie des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Woher die erste Initiative für eine Ausstellung dieser Größenordnung in Berlin kam, ist nicht eindeutig überliefert. Sicher ist, dass entscheidende Impulse von Anda Rottenberg, der Kuratorin der Ausstellung ausgingen, die vom Direktor des Martin-Gropius-Baus, Gereon Sievernich, dem Leiter des Berliner Museums Europäischer Kulturen, Konrad Vanja, und dem Botschafter Polens, Marek Prawda, unterstützt wurden. Wie so häufig bei der Finanzierung von großen Ausstellungsprojekten, gelang die schließlich erfolgte Umsetzung nur im Rahmen eines politischen Ereignisses. So hatte Polen für die anstehende Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union in der zweiten Jahreshälfte 2011 langfristig eine breit angelegte Initiative von Kulturprojekten geplant.1 Dadurch kam es 2011 zu einer insgesamt hohen Präsenz polnischer Kunst in Deutschland, die vor allem in Berlin deutlich wurde: Die Akademie der Künste zeigte eine Einzelausstellung des Künstlers Mirosław Bałka am Pariser Platz und präsentierte zeitgleich die Medienpioniere Zbigniew Rybczyński und Gábor Bódy in der Akademie am Hanseatenweg. Im Künstlerhaus Bethanien waren mit der Ausstellung Polish! ebenfalls zahlreiche polnische Künstler vertreten und die Deutsche Guggenheim kooperierte mit dem international renomierten Paweł Althammer, der die Ausstellungsräume in ein temporäres Atelier mit eingebauter Skulpturen-Fabrik verwandelte.2 Aber auch außerhalb Berlins wurden im Jahr 2011 intensiv deutsch-polnische Zusammenhänge bearbeitet, so eröffnete bereits im Mai des Jahres eine große kulturhistorische Schau in Görlitz: Die Sächsische Landesausstellung Via Regia. 800 Jahre Bewegung und Begegnung, welche sich mit dem Transfer von Waren, Kultur und Wissen auf der Via Regia zwischen Spanien und der Ukraine beschäftigte. Ein Schwerpunkt lag dabei auf der deutsch-polnischen Geschichte, wobei das

1 | Eine Übersicht findet sich hier: http://pl2011.eu, 13.1.2013. 2 | Akademie der Künste Berlin: Mirosław Bałka – Fragment, 28.10.2011 bis 8.1.2011 und Der Stand der Bilder. Die Medienpioniere Zbigniew Rybczy ĸski und Gábor Bódy; 28.10.2011 bis 1.1.2012; Künstlerhaus Bethanien: Polish! Contemporary Art from Poland, 21.10.-13.11.2011; Deutsche Guggenheim Berlin: Pawel Althammer – Almech, 28.10.2011-16.1.2012.

Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte

20. Jahrhundert – im Unterschied zur Ausstellung im Gropiusbau – gezielt vermieden wurde.3 Tür an Tür stellte im Zusammenhang der EU-Ratspräsidentschaft das bislang größte kulturelle Projekt Polens im europäischen Ausland dar. Das in der Presse als Mammut-Aufgabe 4 beschriebene Vorhaben wurde bereits ab November 2009 von zwei eng kooperierenden Ausstellungsbüros in Warschau und Berlin vorbereitet. Zu einer zwischenzeitlich geplanten Folgeausstellung in Polen kam es aufgrund fehlender Finanzierung letztendlich jedoch nicht. Anda Rottenberg gehörte nicht nur zu den Initiatoren, sondern wurde als Kuratorin zur treibenden inhaltlichen Kraft des Projekts. Die polnische Kunsthistorikerin traf frühzeitig die Entscheidung für einen auf die künstlerischen Beziehungen beider Nationen gelegten Fokus. Gezielt wurde dabei zeitgenössische Kunst in die Inszenierung historischer Themen einbezogen. Spätestens seit ihrer langjährigen Tätigkeit als Direktorin der Warschauer Nationalgalerie für moderne Kunst Zachęta (pl. Zachęta Narodowa Galeria Sztuki) von 1993-2001 gilt Anda Rottenberg als eine der einflussreichsten Personen im polnischen Kunst- und Kulturbetrieb. Eine gelungene Präsentation von komplexen historischen Zusammenhängen durch die visuelle Kraft von Kunstwerken hatte sie bereits zuvor, unter anderem mit dem Ausstellungsprojekt Warschau – Moskau/Moskau – Warschau im Jahr 2004, unter Beweis gestellt. Kritik und Öffentlichkeit waren damals über Polen hinaus von ihrer Arbeitsweise und dem Ansatz Geschichte mit Kunst zu verbinden, begeistert. Bei der Vorbereitung von Tür an Tür ging Anda Rottenberg davon aus, dass die Ausstellung keinen Anspruch auf eine objektive Erzählung formulieren könne. So betont sie in der Einleitung des Katalogs die Subjektivität der eigenen Perspektive: »Eine Ausstellung, die von einem bestimmten Standpunkt aus – in diesem Falle dem einer polnischen Kuratorin – vorbereitet wird, kann nicht objektiv sein.«5 3 | Via Regia – 800 Jahre Bewegung und Begegnung, 3. Sächsische Landesausstellung in Görlitz 21. Mai bis Oktober 2011. 4 | Zitiert nach: dadp-Meldung vom 21.9.2011: http://de.nachrichten.yahoo. com/madonnen-monumentalwerke-und-abstrakte-malerei-123652902.html, 15.1.2013. 5 | Zitiert nach: Omilanowska, Małgorzata (Hg.): Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte, Köln 2011, S. 21.

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In der Vorbereitungsphase der Ausstellung kam immer wieder Skepsis auf, ob es möglich sei, 1000 Jahre Geschichte aus Sicht einer einzelnen Person adäquat zu erfassen und darzustellen und so wurde die Kuratorin in ihrer Arbeit schließlich durch einen wissenschaftlichen Beirat unterstützt. Diesem paritätisch besetzten Rat gehörten zwölf Personen an, darunter Kunsthistoriker, Historiker sowie Museumsexperten – allesamt ausgewiesene Spezialisten der deutsch-polnischen Kulturbeziehungen. Neben der beratenden Tätigkeit waren alle Ratsmitglieder mit Beiträgen im Katalog vertreten und steuerten Redebeiträge zum Begleitprogramm bei. In den nicht öffentlichen halbjährlich abwechselnd in Berlin und Warschau stattfindenden Sitzungen stellte die Kuratorin die Zwischenstände des von ihr entwickelten Konzepts vor. Es folgten intensive Diskussionen und mitunter kontroverse Situationen sowie scharfer Kritik an der Arbeit der Kuratorin und der Auswahl ihrer Themen und Exponate. Vor allem die Historiker zweifelten stark daran, dass sich die komplexe binationale Geschichte anhand von Kunstwerken erzählen lasse. Auch das durch ihre Auswahl bedingte Weglassen bestimmter historischer Ereignisse und Perioden führte immer wieder zu Unverständnis. Bemerkenswert ist, dass es dabei nie zu Konflikten zwischen deutschen und polnischen Mitgliedern des Rates kam. Vielmehr verliefen die Argumentationslinien der Diskussionen entlang der Disziplinen, das heißt zwischen Kunsthistorikern und Historikern. Die Kuratorin betont jedoch, dass sie unbedingt vermeiden wollte, eine rein historische Ausstellung zu kreieren: »Eine solche Erzählung, die durch die ausgestellten Dokumente, Kunstwerke, Bücher, Filme und Musik vermittelt wird, ist kein Ersatz für ein Geschichtsbuch, und sie soll es auch nicht sein.«6 Bei der Auswahl der Themen war für ihre Arbeitsweise die visuelle Attraktivität der auszuwählenden Objekte wichtig, was zu einer »ungerechten Betrachtung der Vergangenheit« in der Ausstellung geführt habe.7 Ihr Konzept sah vor, 1000 Jahre deutsch-polnische Beziehungen in 22 Kapiteln zu erzählen.8 Der chronologische Rundgang beginnt dabei mit Richeza, die aus Köln kommend, im Jahr 1013 den späteren König Mieszko

6 | Zitiert nach: Ebenda. 7 | Zitiert nach: Ebenda. 8 | Siehe Übersichtsplan auf Seite 79.

Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte

II. heiratete und 1025 Königin von Polen wurde. Die Ausstellung endet mit zeitgenössischen Positionen deutscher und polnischer Künstler. Anda Rottenberg fasste das Konzept wie folgt zusammen: »Im historischen Teil stehen nicht die Ereignisse selbst, sondern ihre Verursacher im Vordergrund, nicht die historischen Mechanismen, sondern ihre sichtbaren Folgen. Auf diese Weise bietet die Ausstellung nicht nur eine Reise in der Zeit, sondern auch eine Reise im Raum an: Besucht werden Gnesen zur Zeit des hl. Adalbert – der Ort des Gipfeltreffens von Bolesław I. und Otto III. sowie der Herrschaft von Königin Richeza, Schlesien unter Heinrich I. und der heiligen Hedwig von Andechs, Krakau zur Zeit des Veit Stoß, das Ermland von Nicolaus Copernicus, Danzig zur Zeit von Hevelius und Warschau zur Zeit der Wettiner, des späteren Vierjährigen Sejm und der Teilungszeit. Von Dresden, wo Mickiewicz Aufnahme fand, führt die Reise über Berlin in die Epoche von Marx und Bismarck und von dort zurück ins geteilte Polen, um einige Aspekte der polnischen Kultur unter preußischer Herrschaft zu zeigen. Eine gesonderte Behandlung erfährt das Thema des Deutschen Ordens, dessen expansive Politik an der Ostsee den Ordensstaat schuf und der in den polnischen historischen Legenden als ein Dauerfeind existiert. Nach seiner Bezwingung durch Polen entstand rund 200 Jahre später in jenem Gebiet ein neues Staatsgebilde – das Königreich Preußen. Der zweite Teil, der mit den Ausdrucksmitteln des 20. und 21. Jahrhunderts arbeitet, konzentriert sich in höherem Maße auf das künstlerische Leben und darauf, wie sich die Geschichte in Kunstwerken widerspiegelt. Hier betrachten wir also den Ersten Weltkrieg mit den Augen von Tadeusz Kantor, wir sehen den Aufbau der »Künstler-Internationale« vor dem Hintergrund des beginnenden Nationalismus der Zwischenkriegszeit und den Universalismus der Kunst, die das Motiv des Kriegstraumas aufnimmt. Die Geschichte einzelner Personen und Kunstwerke führt uns die Dramen der Nachkriegsumsiedlungen vor Augen; die Neugestaltung der Beziehungen Polens zum geteilten Deutschland, die unvergesslichen Gesten der Solidarität deutscher Künstler mit ihren polnischen Kollegen; schließlich zeigt uns die Konzeptkunst – mit ihren sparsamen Mitteln – wie die Grundpfeiler guter nachbarschaftlicher Beziehungen aufgebaut werden. Jeder von uns, der sich an die deutsch-polnische Geschichte aus dem Geschichtsunterricht erinnert, trägt bestimmte Vorstellungen darüber im Herzen. Diese Vorstellungen werden in der Ausstellung mit unbekannten oder anders dargestellten Tatsachen und historischen Zeugnissen konfrontiert. Für viele wird dies ein Grund sein, Kritik und Unzufriedenheit zu äußern. Die Ausstellung ist jedoch vor allem für diejenigen gedacht, die ihre Sichtweise ändern und die sen-

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sible Materie des historischen Stoffes unbefangen und selbstständig erforschen möchten.« 9

Der inhaltliche Ansatz der Ausstellung, die Rezeption relevanter historischer Bezugspunkte nachzuzeichnen nahm damit methodische Anleihen bei theoretischen Konzepten der Kultur- und Geschichtswissenschaften, vor allem bei den Überlegungen zu Funktionsweisen sogenannter Erinnerungsorte.10 Dies wurde auch durch die thematischen Überschneidungen mit dem wissenschaftlichen Großprojekt Deutsch-Polnische Erinnerungsorte deutlich, welches zeitgleich zu den Vorbereitungen der Ausstellung realisiert wurde.11 Die Konzeption von Tür an Tür zielte weniger darauf, die eigentlichen binationalen Beziehungen von Deutschland und Polen zu thematisieren, als vielmehr die gegenseitige Rezeption in den Künsten. Durch die Zusammenführung von verschiedenen Kunstwerken führte dies zu visueller Konstellationen, die in dieser Form noch nicht zu sehen waren und aufgrund der Herkunftsorte der Leihgaben in einem Museum dauerhaft so auch gar nicht gezeigt werden könnten. Auf die Themenauswahl folgte die Recherche passender Exponate, die mit Besuchen bei potentiellen Leihgebern in ganz Europa einherging. Da der Martin-Gropius-Bau keine eigene Sammlung besitzt, wurden alle Objekte von Museen und Sammlungen für den Ausstellungszeitraum ausgeliehen. Dieser Prozess der Auswahl, des Anfragens, der Bestätigung und des Abschlusses von Verträgen, teilte sich zwischen den beiden Büros in Berlin und Warschau auf: Das Büro in Warschau übernahm alle Anfragen in Polen und das Büro in Berlin die Anfragen in Deutschland sowie weiteren Ländern. Die Ausleihe von Kunstwerken aus Polen nach Deutschland stellte dabei eine besondere Herausforderung dar. In der 9 | Omilanowska (wie Anm. 5). 10 | Siehe Beitrag Museum und Ausstellung in diesem Band. 11 | Themen, die sowohl im Projekt Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften, als auch in der Ausstellung im Martin-Gropius-Bau behandelt wurden sind beispielsweise: Der Deutsche Ordensstaat (pl. Krzyżacy), der Akt von Gnesen (pl. Akt gnieźieński), die hl. Hedwig (pl. Jadwiga Śląska), Copernikus (pl. Kopernik), Veit Stoß (pl. Wit Stwosz). www.cbh.pan.pl, 10.1.1213.

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deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte wurde die Frage nach Verbleib von Kulturgut in Folge des Zweiten Weltkriegs – darunter viele wertvolle Museumsstücke – immer wieder kontrovers diskutiert. Einige Fälle wie beispielsweise der Verbleib der Berlinka genannten Sammlungen von historischen Handschriften in den Beständen der Biblioteka Jagiellońska gelten nach wie vor als ungelöst.12 Trotz dieser komplexen Ausgangslage gelang es gemeinsam über 100 polnische Sammlungen, Museen und Privatpersonen davon zu überzeugen, Ausstellungsstücke nach Berlin zu senden – in dieser Größenordnung ein bisher nicht dagewesener Vorgang. Einige der Objekte, die in Berlin zu sehen waren, gehörten sogar zu dem Teil des polnischen Kulturguts, welcher unter nationalsozialistischer Besatzung gezielt zerstört werden sollte. Das in der Ausstellung an zentraler Stelle gezeigte Monumentalgemälde Die Preußische Huldigung von Jan Matejko überstand beispielsweise die Zeit von 1939 bis 1945 nur unbeschadet, weil es in einem Versteck außerhalb Krakaus eingelagert wurde. Es zeigt die Huldigung des preußischen Herzogs Albrecht vor dem polnischen König Sigismund im Jahr 1525 – diese Darstellung der Niederlage eines Deutschen erschien den Nationalsozialisten gänzlich inakzeptabel.13 Aus rechtlicher Sicht ist es bei Leihvorgängen zwischen Museen selbst bei zunächst klaren Eigentumsverhältnissen notwendig, eine rechtsverbindliche Rückgabezusicherung (eine sogenannte Immunity from Seizure) auszustellen. Den Leihgebern aus Polen musste demnach die Rückgabe des Objektes nach Ende der Leihfrist garantiert werden. Gerade wegen 12 | In der Diskussion spielt einerseits die Bewertung der Verschiebung der deutsch-polnischen Grenze eine Rolle – so waren beispielsweise die Bestände der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin in das schlesische Kloster Grüssau ausgelagert worden, welches im Mai 1945 Teil von Polen wurde. Andererseits wird von polnischer Seite die gezielte Zerstörung polnischen Kulturguts unter deutscher Besatzung als Argument vorgebracht, warum die Sammlung in Polen verbleiben sollte. Vgl. Schochow, Werner: Bücherschicksale: die Verlagerungsgeschichte der Preußischen Staatsbibliothek. Auslagerung, Zerstörung, Entfremdung, Rückführung,  Berlin 2003; Schwall-Düren, Angelica: Eine europäische Dimension. Offene Kulturgüterfragen zwischen Deutschland und Polen, in: Neue Zürcher Zeitung, 25. März 2010, http://nzz.ch/aktuell/feuille ton/kunst_architektur/eine-europaeische-dimension-1.5292690, 15.2.2013. 13 | Międzynarodowe Centrum Kultury w Krakowie (1) 2004, S. 59.

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der belasteten Vorgeschichte nutzte das Ausstellungsteam Hilfsmittel wie die LostArtDatabase14, um sicher zu stellen, dass die Provenienz der Kunstwerke im Vorfeld der Ausstellung soweit wie möglich geklärt wurde. Objekte, die in dieser Datenbank gelistet sind, können nicht nach Deutschland verliehen werden, da der deutsche Staat für sie keine Zusicherung ihrer Rückgabe ausstellt. Auch in Deutschland war die Bereitschaft groß, sich an Tür an Tür zu beteiligen – etwa 75 Leihgeber stellten Kunstwerke, Dokumente oder Archivalien zur Verfügung. Hinzu kamen weitere 25 Institutionen aus dem europäischen Ausland. In Polen beteiligten sich alle großen Museen mit aussagekräftigen und normalerweise nicht ins Ausland verliehenen Leihgaben. Unter den Kooperationspartnern befanden sich die Nationalmuseen in Warschau, Krakau, Posen und Danzig sowie das Kunstmuseum Lodz. In Deutschland konnten unter vielen anderen die Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, die Kunstsammlungen in Dresden und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen als Partner gewonnen werden. Außerhalb Polens und Deutschlands beteiligten sich bereitwillig weitere renommierte Institutionen wie z.B. das British Museum in London oder Kunsthistorische Museum in Wien. 15 Insgesamt waren somit über 200 Leihgeber als Partner an der Ausstellung beteiligt und ermöglichten die Präsentation von über 800 Exponaten in Berlin. Diese Fülle erreichen nur sehr wenige vergleichbare Ausstellungen und auch aus logistischer Hinsicht ist einen solch umfangreiche Kooperation eine besondere Herausforderung. So waren allein aus Polen mehr als 10 Kunsttransporte notwendig, um die Kunstwerke nach Berlin zu transportieren. All dies verdeutlicht den Willen der polnischen und deutschen Veranstalter, auch durch die Anzahl der Kooperationspartner und Exponate die Reichhaltigkeit der Beziehungen von Deutschen und Polen darzustellen.

14 | Mit Hilfe dieser Datenbank können unklare Besitzverhältnisse ermittelt werden und dadurch Konflikte im Zusammenhang von Ausleihen vermieden werden: Internet: http://lostart.de, 1.2.2013. 15 | Omilanowska (wie Anm. 5), S. 18.

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Abbildung 1: Übersichtsplan

ÜBERSICHTSPLAN DER AUSSTELLUNG VIII 13.

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14.

15.

18.

12. VI V

16. 17.

IX 9.

11.

19.

10.

3. II

8. 7. IV

6.

19. 20. X

5. 4.

2.

III KAPITEL I 1. Der Adalbert-Kult und der Beginn nachbarschaftlicher Beziehungen 2. Schlesien – das Magdeburger Recht, Klöster und die Hl. Hedwig KAPITEL II 3. „Kreuzfahrer des Nordens“ – Der Deutsche Orden, Realität und Mythos KAPITEL III 4. Veit Stoß 5. Krakau – Geschichte und Kultur KAPITEL IV 6. Dynastische Beziehungen 7. Reformation und Multikonfessionalität 8. Nicolaus Copernicus

1.

22. 21. I

KAPITEL V 9. Danzig – das Goldene Zeitalter KAPITEL VI 10. Johann III. Sobieski und der Sieg bei Wien 11. Sarmatismus 12. Die Wettiner auf dem polnischen Thron KAPITEL VII 13. Die Teilungen Polens und die Napoleonische Kriege 14. Das 19. Jahrhundert – Von der Romantik bis zum Kaiserreich 15. Jugendstil

TÜR AN TÜR

POLEN – DEUTSCHLAND 1000 JAHRE KUNST UND GESCHICHTE

KAPITEL VIII 16. Der Erste Weltkrieg 17. Internationale Avantgarde 18. Der „Neue Staat“ – Kultur und Politik KAPITEL IX 19. Der Zweite Weltkrieg 20. „Verlorene Gebiete“/ „Gewonnene Gebiete“ KAPITEL X 21. Kunst und Politik zu Zeiten des Kalten Kriegs 22. Polen und Deutschland im vereinten Europa

MARTIN GROPIUS BAU BERLIN

Unter den Artefakten befanden sich etwa 250 Gemälde, 30 Skulpturen, 60 Inkunabeln, 80 Handschriften und 60 Grafiken und zusätzlich wurden mehr als 60 Dokumente, 100 kunsthandwerkliche Objekte, 150 Fotografien, Filmmaterial und Bücher gezeigt. Auch Klangbeispiele von deutschen und polnischen Komponisten waren zu hören.

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Einen besonderen Höhepunkt aus kunsthistorischer Sicht stellte die Präsentation mit Skulpturen und Papierarbeiten des Bildschnitzers Veit Stoß dar, dessen komplettes graphisches Werk zum ersten Mal überhaupt gemeinsam gezeigt wurde. Diese konsequente Mischung aus historischen und künstlerischen Objekten stellte eine Besonderheit der Ausstellung dar. Ebenso kennzeichnend war die chronologische Vermischung von zeitgenössischer Kunst und Werken vergangener Epochen. Mehrere thematische Räume wurden dabei von zeitgenössischen Künstlern gestaltet und auch die Szenographie der Ausstellung wurde federführend von einem Künstler realisiert: Der Bildhauer Jarosław Kozakiewicz verantwortete in enger Zusammenarbeit mit der Kuratorin die Gestaltung, die neben den kräftigen Wandfarben vor allem durch die aufwändige Inszenierung im Lichthof des Martin-Gropius-Bau auffiel. Das dort gezeigte Magazin der Geschichte 16 thematisierte in verschiedenen Zeitebenen die Geschichte des Deutschen Ordens und dessen Bedeutung für die polnisch-deutschen Beziehungen. In einem riesigen begehbaren Gitterkäfig aus Stahl sah der Besucher vor allem künstlerische Positionen der Mythologisierungen des Ordens. Ein umfangreiches Begleitprogramm während der Laufzeit ergänzte die Ausstellung. Diskutiert wurden dabei unter anderem Fragen zum Verbleib von Kulturgut, zur Rolle der zeitgenössischen Kunst in der polnischen Gesellschaft und der Opposition in der DDR und der Volksrepublik Polen. Die Ausstellung Tür an Tür sowie die anderen bereits erwähnten Projekte im Zusammenhang mit Polens Ratspräsidentschaft zeigen, dass es im Jahr 2011 zur Normalität geworden ist, dass deutsche und polnische Institutionen eng miteinander kooperieren und gemeinsam Kunst und Geschichte ausstellen. Allerdings machte die Diskussion um die Abschaltung eines umstrittenen Videos des polnischen Künstlers Artur Żmijewski deutlich, dass auf beiden Seiten weiterhin eine hohe Sensibilität vorhanden ist.17 Die folgenden Texte sind Ergebnis der Auseinandersetzung mit der Ausstellung im Rahmen des Seminars Interkulturelle Historisch-Politische 16 | In seiner Beschreibung in der Ausstellung wurde das Magazin der Geschichte auch als Museumsdepot beschrieben. 17 | Siehe Beitrag Dekonstruktion und Versöhnung in diesem Band.

Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte

Bildung an der Europa-Universität Viadrina. Seminarteilnehmerinnen, Dozenten sowie weitere Akteure aus dem Umfeld der Ausstellung reflektieren dabei die interkulturelle Dimension der Ausstellung und ihrer Wahrnehmung seitens der Besucher und der Medien.

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Tandemführungen Doppelt dialogische Wissensvermittlung in der Praxis Felix Ackermann/Anna Boroff ka

Das Konzept der Tandemführung ist es, institutionalisierte Ausstellungsrundgänge gezielt zu nutzen, um mehrstimmige Gesprächsräume zu öffnen. Die Umsetzung erfolgt nach einem doppelten dialogischen Prinzip: Zwei Moderatoren führen einen Dialog und formulieren dabei ein gemeinsames Gesprächsangebot an die Gruppe.1 Das Führungsformat bietet die Möglichkeit, in kurzer Zeit durch einen interaktiven Prozess unterschiedliche Sichtweisen herauszuarbeiten und diese miteinander in Beziehung zu setzen. Ziel ist dabei nicht die Herstellung einer gemeinsamen Sichtweise aller Teilnehmer, sondern die Initiierung eines partizipativen Wissensbildungsprozesses durch die Reflexion anderer Perspektiven.2 Die gezielte Auseinandersetzung mit konkreten Exponaten und ihrer Inszenierung im Kontext der Ausstellung macht es möglich, in der Gruppe bereits vorhandenes Wissen zu aktivieren. Während der gemeinsamen Diskussion werden die unterschiedlichen Positionen innerhalb der Gruppe geschärft, einem Gegenüber vermittelt, verhandelt 1 | Wir nehmen dabei ein dialogisches Verständnis von interkulturellem, prozessorientiertem Lernen auf und wenden es in der Museumsdidaktik in einem konkreten Format als Methode an. Ruf, Urs: Das dialogische Lernmodell vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Theorien und Befunde, in: Ders. u.a. (Hg.): Besser lernen im Dialog. Dialogisches Lernen in der Unterrichtspraxis, Seelze-Velber 2008, S. 233-270. 2 | Borries, Bodo von: Lernende in Historischen Museen und Ausstellungen. Erhoffter Kompetenzerwerb und kritische Rückfragen, in: Popp, Susanne/ Schönemann, Bernd (Hg.): Historische Kompetenzen und Museen, Idstein 2009, S. 100-120.

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und weiterentwickelt. Das Tandem übernimmt dabei einen aktiven und dialogischen Gesprächspart, womit das Konzept des vermeintlich neutralen Moderators zugunsten einer stärkeren Integration in die Gesprächsrunde aufgegeben wird.3 Im Rahmen der Ausstellung Tür an Tür Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte wurden 2011 erstmals deutsch-polnische Tandemführungen im Martin-Gropius-Bau Berlin angeboten. Ihre für das Tandemformat charakteristische Dualität und Mehrstimmigkeit erwies sich dabei als sehr geeignet, das Ausstellungskonzept zu verdeutlichen, zu reflektieren und zur Diskussion zu stellen. Die Ausstellung schilderte Geschichte anhand von Kunstwerken und künstlerischen Positionen verschiedener Epochen. Ihre kunsthistorische Erzählung folgte der Chronologie, kontrastierte historische Positionen aber immer wieder mit zeitgenössischen Arbeiten. Die explizit subjektive Arbeitsweise der polnischen Kuratorin und Kunstkritikerin Anda Rottenberg schuf dabei eine komplexe Raumstruktur, die förmlich dazu einlud reflektiert und hinterfragt zu werden. Zugleich unternahm die Ausstellung den Versuch, aus dem über tausendjährigen Beziehungsgeflecht von Polen und Deutschland eine Narration zu formen, die aus Brüchen und Bruchstücken ein Ganzes fügt. Die Kuratorin stand dabei vor der besonderen Herausforderung, die langen Phasen, in denen beide Kulturen noch nicht als moderne Nationalstaaten existierten und die ab dem 19. Jahrhundert erfolgte Nationalisierung der gegenseitigen Wahrnehmung zu erzählen, ohne die Vergangenheit rückwirkend zu nationalisieren. Dazu rekonstruierte die Ausstellung gerade weiter zurückliegende Geschichte aus sehr verschiedenen Blickwinkeln.4

D AS TANDEM -P RINZIP Partizipative Wissensbildung im mehrdimensionalen Gespräch Die ursprüngliche Konzeption sah vor, dass die Tandemführungen von je einem polnischen und einem deutschen Studierenden im Team geleitet werden. Schon bald stellte sich aber heraus, dass es zwar genug Interes3 | Zum Konzept des Moderators siehe den Beitrag Kulturelle Bildung im Museum. 4 | Gielen, Pascal: Museumchronotopics: on the representation of the past in museums, in: Museum and Society, 3 (2) 2004, S. 147-160.

Tandemführungen

sierte gab, die nach unserem an der Europa-Universität Viadrina angebotenen Seminar auch Führungen übernehmen würden, diese sich aber nicht eindeutig in Deutsche und Polen einteilen ließen. Die Biografien fast aller Beteiligten waren deutlich hybrider als der Begriff des deutschpolnisches Tandems.5 Zwar gab es einige polnische Studentinnen, die erst wenige Jahre in Deutschland lebten und studierten; auch waren Studierende aus Deutschland dabei, die bisher wenig mit Polen zu tun hatten. Aufgrund der besonderen Anziehungskraft der in Frankfurt (Oder) gelegenen Viadrina für deutsch-polnische Biographien machte die größte Gruppe aber die in Polen Geborenen aus, die im Laufe ihrer Jugend gemeinsam mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen sind. Sie waren längst Teil der deutschen Gesellschaft geworden, hatten aber ein unterschiedlich starkes Zugehörigkeitsgefühl zur polnischen Kultur, Sprache und Nation bewahrt. In all diesen Fällen wird im Verwandtenkreis sowohl Polnisch als auch Deutsch gesprochen und in der Regel leben Angehörige in beiden Staaten. Ebenso nahmen deutsche Studierende teil, die Polnisch als Fremdsprache gelernt hatten und die sich während ihres Studiums oder eines Freiwilligendienstes in Polen so intensiv mit Land und Leuten auseinandersetzten, dass polnische Kultur und Sprache längst zu einem wichtigen Teil ihres Lebens, ja ihrer Identität geworden waren. Eine Einteilung in Deutsche und Polen machte daher keinen Sinn: Wir hatten insgesamt zu wenige richtige Deutsche und richtige Polen waren noch rarer. Unsere vergeblichen Versuche, dennoch eine konsequent nationale Perspektive in die Tandemführungen einzubringen, machten uns auf eine zentrale Aussage der Ausstellung sowie der sie begleitenden Öffentlichkeitsarbeit aufmerksam: Diesen zufolge handelte es sich bei Deutschland und Polen um miteinander über Jahrhunderte verbundene, im Konflikt vereinte, grundsätzlich aber klar getrennte Gesellschaften. Unsere Studierenden waren mit ihren Biographien jedoch ein starker Gegenbeweis. Das von uns initiierte Tandem-Prinzip zwang uns damit, die Frage nach einer für das Jahr 2011 gültigen Definition von deutsch-polnisch kritisch zu reflektieren. Wir entschieden uns schließlich gegen das lineare Fortschreiben einer nationalen Versöhnungsgeschichte, die letztlich auf

5 | Welsch, Wolfgang: Was ist eigentlich Transkulturalität?, in: Darowska, Lucyna/Machold, Claudia (Hg.): Hochschule als transkultureller Raum? Beiträge zu Kultur, Bildung und Differenz, Bielefeld 2009, S. 39-66.

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der Annahme beruht, dass jeder im eigenen Kulturkreis und letztlich auch eigenen Staat verbleibt.6 Die methodische Konsequenz für unsere Arbeit mit den Studierenden lag damit nahe: Wir stellten ihnen frei, selbst zu wählen, welchen Fokus sie im Rahmen der Führungen übernehmen wollten. So konnten sie eine explizit polnische oder deutsche Perspektive entwickeln, die sie während des gesamten Ausstellungsgesprächs herausarbeiteten. Ebenso war es möglich, einen stark biografischen und damit hybriden Blickwinkel einzunehmen und diesen auf dem Rundgang von Exponat zu Exponat mit eigenen Erfahrungen und Erzählungen über die Erlebnisse der Eltern oder Großeltern zu unterfüttern. Darüber hinaus gab es auch die Möglichkeit zu explizit performativ angelegten Führungen, in denen fingierte Streitgespräche – etwa über die Nationalität von Nicolaus Copernicus bzw. Mikołaj Kopernik – ausgetragen wurden. Die Studierenden machten ihre Entscheidung in der Regel davon abhängig, wie stark sie ihre eigene Biographie offenlegen und in den Dialog einbringen wollten.7

M E THODISCHE V OR AUSSE T ZUNGEN Bausteine der Ausbildung zur dialogischen Moderation Die konkrete Erarbeitung der Tandemführungen fand im Rahmen des Seminars Interkulturelle historisch-politische Bildung in musealen Räumen statt, das wir gemeinsam mit Gregor H. Lersch und in Kooperation mit Prof. Dr. Karl Schlögel im Sommersemester 2011 an der Europa-Uni-

6 | Ein bibliographischer Überblick zur interkulturellen Praxis von Tandems bietet: www.slf.ruhr-uni-bochum.de/learning/tanbib.html, 12.1.2012. Neben der Vielzahl von Publikationen zur interkulturellen Kommunikation und Didaktik liegt eine Dissertation mit einer genauen Analyse der Phasen des Tandemlernens sowie der Rolle externer Begleitung des Tandems vor: Bechtel, Mark: Interkulturelles Lernen beim Sprachenlernen im Tandem: eine diskursanalytische Untersuchung, Tübingen 2003. 7 | Busch, Dominic: Kultur als diskursives Produkt, in: Treichel, Dietmar/ Mayer, Claude-Hélène (Hg.): Lehrbuch Kultur. Lehr- und Lernmaterialien zur Vermittlung kultureller Kompetenzen. Münster u.a. 2011, S. 194-202.

Tandemführungen

versität Viadrina anboten.8 Methodisches Ziel des Seminars war es, die Studierenden mit verschiedenen Museums- und Ausstellungsstrukturen und den jeweiligen interkulturellen Vermittlungsmöglichkeiten vertraut zu machen. Die Entwicklung der deutsch-polnischen Tandemführungen hatten wir als empirisches Projekt in das Seminarkonzept integriert. Die Führungen wurde im Verlauf des Seminars gemeinsam mit den Studierenden konzipiert, getestet, durchgeführt und im Nachgang ausgewertet. Die Vorbereitung der Tandemführungen fand dabei auf analytischer, didaktischer und der empirischer Ebene statt: Gemeinsam analysierten wir unterschiedliche Ausstellungskonzepte, setzten uns mit den Möglichkeiten der didaktischen Vermittlung auseinander und sensibilisierten unsere Studierenden für das Modell der Dialog- und Tandemführung. Zudem erarbeiteten sie eigenständig einzelne in der Ausstellung aufgegriffene Wissensgebiete. Die besondere Herausforderung (und mitunter auch Zumutung) für die Studierenden bestand darin, dass es sich bei den unterschiedlichen Arbeitsebenen nicht um voneinander abgegrenzte Phasen handelte, sondern diese aufgrund des geringen zeitlichen Vorlaufs zur Ausstellung immer wieder parallel verliefen. So ließen sich die Führungsrundgänge erst konzipieren, als die Ausstellung einen Tag von ihrer Eröffnung begehbar war und schon kurz darauf erfolgte der Sprung ins kalte Wasser vor den ersten Besuchergruppen. Ein Grund für diese Arbeitsweise lag neben äußeren Zwängen auch in unserer Entscheidung, den Inhalt und seine didaktische Aufbereitung nicht voneinander zu trennen, was durch die Einrichtung einzelner Arbeitsgruppen möglich gewesen wäre. Die kombinierte Auseinandersetzung mit theoretischen Aspekten interkultureller historisch-politischer Bildung und zugleich mit inhaltlichen Fragen der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte machte den Kern unserer didaktischen Arbeit aus. Damit brachten wir die Studierenden im geschützten Umfeld des Universitätsseminars relativ nah an die klassische Arbeitsweise außerhalb des akademischen Betriebs agierender Institutionen, wo Zeitnot und Multitasking an der Tagesordnung sind, allerdings deutlich weniger Spielraum für Experimente gelassen wird. Wichtig an der daraus resultierenden praktischen Erfahrung war für uns die Verknüpfung von Inhalt und Methode sowie von Theorie und Praxis. Aus ihr ging nicht nur eine große Herausforderung hervor, in 8 | Siehe das Online-Seminarangebot: www.kuwi.europa-uni.de/de/lehrstuhl/ kg/osteuropa/lehre/sommersemester_2011/Felix_Ackermann.html, 1.2.2013.

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ihr lag auch das größtmögliche Lernpotenzial für alle Beteiligten. Die Art der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren des Projekts folgte einem dialogischen Prinzip, das auf einem hohen Maß von Austausch und Vertrauen beruhte.9 Zur Sensibilisierung des Zusammenhangs von Exponaten und ihrer Kontextualisierung in Ausstellungen gestalteten die Studierenden in der ersten Sitzung des Seminars aus mitgebrachten persönlichen Gegenständen zunächst selbst eine provisorische Ausstellung.10 Anhand der kommentarlos ausgestellten Objekte versuchten die anderen, diese zu deuten, ihnen eine Geschichte zuzuweisen und Exponatschilder für sie anzufertigen. Schnell wurde bei dieser Übung deutlich, wie voraussetzungsreich die jeweilige Kontextualisierung eines Exponats ist bzw. wie viele Geschichten und multiperspektivische Sichtweisen sich an ein und dasselbe Objekt knüpfen können, die sich dem Betrachter ohne zusätzliches Wissen nicht erschließen. Damit wurde nachvollziehbar, dass einzelne Exponate in ganz unterschiedliche Narrationen eingefügt werden können, die Objekte ohne Kontextualisierung aber nicht in der Lage sind für sich zu sprechen. Andererseits machten wir in dieser einfachen praktischen Übung deutlich, wie die Betrachter ihr eigenes, bereits zuvor akquiriertes Wissen nutzen, um sich einen Reim auf die Objekte und ihre Anordnung zu machen.11 In unserem Seminar war es erst das darauf folgende Gespräch, das bei allen Beteiligten einen mehrdimensionalen Zuwachs an Wissen – durch die Sichtweise, das Vorwissen und die Überlegungen der anderen – beförderte. Genau diesen methodischen Dreischritt sahen wir

9 | Dietz, Karl-Martin/Kracht, Thomas: Dialogische Führung, Frankfurt a.M. 2011. 10 | Thiemeyer, Thomas: Die Sprache der Dinge. Museumsobjekte zwischen Zeichen und Erscheinung, in: Museen für Geschichte (Hg.): Online-Publikation der Beiträge des Symposiums Geschichtsbilder im Museum im Deutschen Historischen Museum Berlin, Februar 2011. URL: www.museenfuergeschichte.de/down loads/news/Thomas_Thiemeyer-Die_Sprache_der_Dinge.pdf, 16.2.2013. 11 | Zur Rezeption, Deutung und Neusemantisierung der Exponate einer Ausstellung durch die Besucher siehe auch: Schärer, Martin: Die Ausstellung. Theorie und Exempel, München 2003, S.  183 sowie den Beitrag Kulturelle Bildung.

Tandemführungen

auch für die Tandemführungen vor: Die direkte Abfolge von Beschreibung, Kontextualisierung und Diskussion in der Gruppe.12 Es folgte eine Phase der Analyse konkreter Museen, die einen Bezug zur deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte aufweisen. Immer wieder ging es dabei um die Frage nach der Narration und die ihr zu Grunde liegende Perspektive.13 Je mehr Inhalte der kommenden Ausstellung bekannt waren, desto mehr konkrete historische Fragestellungen flossen in das Seminar ein. Einzelne Themen wurden von den Studentinnen mit Blick auf die Rezeption in Deutschland und Polen recherchiert, präsentiert und in der Gruppe diskutiert. Ziel war, innerhalb von kurzer Zeit ein Kompendium von für die Führungen abruf barem multiperspektivischem Wissen über die zentralen Themen der Ausstellung zu erarbeiten. Dabei konnten die Studierenden zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf die Texte des späteren Katalogs zugreifen und waren auf eigene Recherchen und Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Ausstellung angewiesen. Die kursorischen Diskussionen machten aber deutlich, dass die Vorstellung eines Experten, der über durchgängiges Spezialwissen über zehn Jahrhunderte Beziehungsgeschichte verfügt, fern der Wirklichkeit ist – auch an der Viadrina. Damit waren die von den Studierenden angelegten Übersichtsblätter eher eine Dokumentation von noch ungeklärten Stellen und Fragen, als ein ausreichendes inhaltliches Kompendium neuer Führungen. Da sie die moderierten dialogischen Rundgänge selbst entwickeln sollten, ging es uns vielmehr darum, grundlegende Techniken der Recherche, Bewertung und des Vergleichs, die bereits im kulturwissenschaftlichen Studium an der Viadrina erlernt worden waren, auf das konkrete Themenfeld zu übertragen.14 Dabei konzentrierten wir uns darauf,

12 | Adams, Marianna u.a.: Things Change: Museums, Learning, and Research, in: Xanthoudaki, Maria/Tickle, Les/Sekules, Veronica (Hg.): Researching Visual Arts Education in Museums and Galleries: An International Reader, Dordrech 2003, S. 15-32. 13 | Thiemeyer, Thomas: Geschichtswissenschaft: Das Museum als Quelle, in: Baur, Joachim (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 73-94. 14 | Schwelling, Birgit (Hg.): Politikwissenschaft als Kulturwissenschaft, Opladen 2004; Bachmann-Medick, Doris: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek 2010.

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Kompetenzen für den Umgang mit historischen Fragestellungen sowie der Einordnung konkreter Artefakte zu vermitteln.15 Da in der Ausstellung Geschichte anhand von zeitgenössischer und historischer Kunst erzählt werden sollte, vertieften wir uns im Folgenden besonders auf die Vermittlung von dialogischen Techniken der Kunstbetrachtung und Kunstanalyse.16 Unser wichtigstes methodisches Ziel war es, dass die Studierenden bei der Realisierung ihrer Tandemführungen inhaltlich so nah wie möglich an den Objekten blieben und die Werkanalyse zur Kerntechnik der gemeinsamen Arbeit mit den Teilnehmern machten. Dazu war es wichtig, bewusst zwischen werkimmanenten und kontextualisierenden Informationen zu unterscheiden. Diese Distinktion übten wir anhand konkreter Exponate in Berliner und Görlitzer Museen, wobei von den Studierenden immer wieder überprüft wurde, welche Informationen sich Besucher aus den Exponaten selbstständig ableiten können und welche Hintergründe ohne geschichtliches Vorwissen als externes Wissen und Kontext im Rahmen der Führung vermittelt werden müssen. Als konkrete Vorbereitung auf die Führungen gab es einen zweitägigen Workshop, bei dem die Studierenden mit den Techniken des moderierten Rundgangs vertraut gemacht wurden. Auch wenn sie im Rahmen der Tandemführungen die Rolle des Moderators relativieren und weitgehend aufgeben würden, stellte dies eine wichtige Vorübung für die späteren Dialogführungen im Gespräch mit dem Tandempartner und der Besuchergruppe dar. Grundlegend war dabei zunächst ein Bewusstmachen der nonverbalen Signale, wie Körpersprache und Blickkontakt, die während der Führung helfen, eine Gruppe zu formen, diese zusammenzuhalten und den Dialog zu steuern. Ebenso wichtig waren Übungen zum gezielten Einsatz der eigenen Stimme, bei denen Grundelemente einer guten Atem- und Sprechtechnik vermittelt wurden. Die Stimme sollte von den Teilnehmern als gut hörbar und angenehm empfunden werden. 15 | Körber, Andreas/Schreiber, Waltraud/Schöner, Alexander (Hg.): Kompetenzen historischen Denkens. Ein Strukturmodell als Beitrag zur Kompetenzorientierung in der Geschichtsdidaktik, Neuried 2007. 16 | Zur kunsthistorischen Werkanalyse grundlegend: Panofsky, Erwin: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln 1978. Siehe auch: Kemp, Wolfgang (Hg.): Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, Berlin 1992.

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Um eine Belastung der Stimmbänder während der Führung zu vermeiden, übten wir gemeinsam mit den Studierenden die eigene natürliche Tonlage zu finden und zu halten. Im Idealfall trägt diese Stimmlage zusammen mit der Körperhaltung zu einer angenehmen Ruhe bei, die Vertrauen schafft, Kompetenz signalisiert und hilft das Gespräch zu leiten. Abbildung 2: Dialogische Tandemführung von Studentinnen der Europa-Universität Viadrina, Maria Albers und Lolita Tag, im Raum zum 19. Jahrhundert in der Ausstellung Tür an Tür.

Als weitere Grundvoraussetzung für das dialogische Führen befassten wir uns mit Fragetechniken. Erlernt wurde dabei das Formulieren von sogenannten offenen Fragen, die sich nicht durch ein einfaches Ja oder Nein beantworten und dem Gegenüber damit genug Spielraum für das Einbringen seiner eigenen Meinung lassen. Zudem wurde geübt, Fragen zu formulieren, die von den Gesprächspartnern erfahrungsgemäß gerne beantwortet werden. Das heißt Fragen zu vermeiden, die zu persönlich, zu kompliziert oder zu einfach zu beantworten sind. Anhand einzelner Exponate galt es schließlich, spezielle Fragearten (wie beispielsweise Einstiegsfragen, Rückfragen, konkretisierende oder weiterführende Fragen) gezielt einzusetzen, um ein Gespräch in Gang zu bringen, zu lenken oder zu einem neuen Thema überzuleiten. Ein zentrales Element und für die Studierenden besonders ungewohnt war hierbei die bewusste

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Wiederholung oder Zusammenfassung der Teilnehmerbeiträge. Diese Technik gewährleistet, dass alle in der Gruppe den Redebeitrag akustisch gut verstehen. Zudem wird dieser damit zurückgespielt, womit der Fragende vermeidet, ihn selbst zu antworten, um so eine Reaktion aus der Runde zu provozieren und das Gespräch unter den Teilnehmern in Gang zu bringen. Durch das Wiederholen von Besuchermeinungen und -fragen sowie das Zurückgeben dieser lässt sich auch ein pingpongartiges Frage-und-Antwort-Spiel zwischen den Studierenden und einzelnen Teilnehmern vermeiden, das Gefahr läuft, schnell zu einem schulischen Abfragen zu werden. Die erarbeiteten deutsch-polnischen Tandemführungen wurden als reguläre und öffentliche Turnusführungen des Martin-Gropius-Baus samstags und sonntags jeweils um 13:30 und 15:30 Uhr angeboten. In Vorbereitung auf diese Führungen bildeten die Studierenden wenige Wochen vor der Vernissage Zweiergruppen. Jedes dieser Tandems entwarf anhand eines Methodenprotokolls17 eigenständig einen ca. 90-minütigen Rundgang durch die Ausstellung. Während der Führungen mussten sie sowohl einen Überblick über die etwa 800 Exponate umfassende Ausstellung geben, als auch genügend Zeit für Diskussionen und Gespräche mit den Besuchern einplanen. Als Schwierigkeit kam hinzu, dass die Studierenden die Ausstellung bis kurz vor der Eröffnung selbst nicht kannten. Das ist keine Besonderheit und gehört für die meisten Vermittler in Museen und Ausstellungen zum Arbeitsalltag. Für die Studierenden war es dennoch eine große Herausforderung, zumal unsere gemeinsame Vorbereitung nicht die jahrelange Praxis erfahrener Guides ersetzt, sich die Inhalte von Ausstellungen schnell anzueignen und in 17 | Ein Methodenprotokoll beschreibt in tabellarischer Form die einzelnen Stationen einer Führung. Der rote Faden des Rundgangs bildet dabei die Leitlinie, die in einem Satz das Thema der Führung zusammenfasst. Den einzelnen Stationen werden die ausgewählten Exponate, die Verweilzeit sowie die Position des Führenden und der Gruppe zugeordnet. Vermerkt werden im Methodenprotokoll zudem Themen, die an den einzelnen Stationen diskutiert werden sollen oder Impulsfragen, mit denen man das Gespräch eröffnen könnte. Erfasst werden zudem die unterschiedlichen Vermittlungsmethoden (z.B. monologischer Informationsblock, Dialog oder handlungsorientierte Aktivität) sowie Überleitungen zu den nächsten Stationen. Siehe hierzu auch das Methodenprotokoll im Anhang.

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entsprechende didaktische Formate zu überführen. Da mit Gregor H. Lersch ein Mitarbeiter des kuratorischen Teams am Seminar beteiligt war, wurde jedoch gewährleistet, dass wir rechtzeitig Zugang zu allen für uns wichtigen Informationen hatten. Ein von ihm durchgeführtes ausführliches Vorbereitungstreffen vermittelte den Studierenden anhand von Abbildungen der wichtigsten Objekte und Raumplänen zudem einen ersten Eindruck von der künftigen Ausstellung. Kurz vor der Vernissage gab Anda Rottenberg zusätzlich eine Kuratorenführung. Am Tag nach der Eröffnung hatten die Studierenden im Rahmen von kostenfreien, sogenannten Werkstattführungen die Möglichkeit, ihre Führungsrundgänge vor Freunden, Bekannten, Kollegen und schließlich auch fremdem Publikum zu testen.

TANDEMFÜHRUNGEN ALS M ODELL? Implikationen für Wissensbildungsprozesse Das Modell der Tandemführungen unterscheidet sich von dem des Moderators in zwei entscheidenden Punkten.18 Zum einen wird die Gruppe nicht von einer, sondern von zwei Personen geführt. Zum anderen gehen die Tandem-Partner selbst untereinander ins Gespräch. Sie geben damit die vermeintlich neutrale Rolle des Moderierenden auf und werden im doppelten Sinne zu Dialogpartnern. Dieser Dialog kann sich zunächst ausschließlich zwischen den Studierenden entspinnen, die die Führung leiten. Die Besucher werden damit in bestimmten Phasen der Führung zu Zuhörern, denen an jeder Station Informationen aus unterschiedlichen Sichtweisen vermittelt werden. Die Erfahrungen des Pilotprojekts zeigten, dass allein der Dialogwechsel und die damit erzeugte Mehrstimmigkeit die Führungsrundgänge deutlich belebte und von den Besuchern als sehr angenehm und kurzweilig wahrgenommen wurde. Die Tandemführungen im Martin-Gropius-Bau fanden in deutscher Sprache statt. Die Tandems waren aber aufgrund ihrer Zusammensetzung in der Lage, bei Bedarf einzelne Beiträge ins bzw. aus dem Polnischen zu übersetzen oder spontan zwischen den Teilnehmern zu dolmetschen. Die Studierenden öffneten das Gespräch immer wieder aktiv in Richtung der 18 | Zum Modell des Moderators vgl. den Beitrag Kulturelle Bildung im Museum.

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Gruppe. Diese wurde eingeladen, Objekte gemeinsam zu beschreiben, zu deuten sowie eigene Erfahrungen und Meinungen einzubringen. Häufig steuerten die Tandems auch Meinungen und Erfahrungen aus vorausgegangenen Führungen bei, die sie mit den Teilnehmern diskutierten. Schnell zeigte sich, dass die Hemmschwelle der Besucher, selbst in das Gespräch einzusteigen deutlich geringer ist, wenn das Gegenüber nicht als neutrale, moderierende Instanz auftritt, sondern als Person mit eigener Meinung und Biographie sichtbar wird.19 Zudem wurden die Führungen als gesondertes Projekt von Studierenden angekündigt, womit die Tandems nicht als Experten eines bestimmten Fachgebiets, sondern als junge Menschen auftraten, denen seitens der Besucher eine grundsätzliche Sympathie entgegengebracht wurde, die sich mit den Publikumsreaktionen auf die sogenannten Live Speaker vergleichen lässt.20 Schnell wurde auf den Führungsrundgängen auch deutlich, dass die Mehrheit der Teilnehmer einen persönlichen Bezug zur deutsch-polnischen Thematik hatte. Viele waren wohl vor allem deshalb bereit, ihre eigene Geschichte in das Gespräch mit den Studierenden einzubringen, weil sie sich in einer ganz ähnlichen Zwitterrolle wie diese sahen und sowohl Besucher der Ausstellung als auch Zeitzeuge der in der Ausstellung präsentierten Geschichte waren. Wir sind uns bewusst, dass in dieser Konstellation auch eine selbsterfüllende Prophezeiung liegt: Eine Ausstellung über deutsch-polnische Beziehungsgeschichte als Erfahrungs- und Mitteilungsraum für diejenigen, die Teil dieser Geschichte sind. In diesem Sinne verbündeten sich Betroffene temporär mit anderen Betroffenen. Die beschriebene Ventilfunktion der Tandemführungen deutet auf einen weiteren zentralen Punkt der Ausstellungskonzeption hin: Durch die Entscheidung, diese vor allem kunsthistorisch anzulegen sowie das geringe partizipative Potenzial ihrer Umsetzung gab es im gesamten Martin-Gropius-Bau nur wenig Raum für die Stimmen der Besucher.21 Hier nahmen vor allem die Künstler und die Kuratorin selbst Stellung zu 1000 Jahren Kunst und Geschichte. Besucher durften die von ihnen formulierten 19 | Schrübbers, Christiane: Tätigkeitsprofil: MuseumsModerator, in: Standbein Spielbein, 81, 2008, S. 41-46. 20 | Meyer-Gatermann, Anne: Führe mich in Versuchung, 2005, in: Grasskampden, Walter (Hg.): Sonderbare Museumsbesuche. Von Goethe bis Gernhardt, München 2006, S. 66-68. 21 | Siehe hierzu den Beitrag Nebeneinander und voneinander.

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Thesen und Ideen in den meisten Situationen passiv zur Kenntnis nehmen bzw. selbst nur aktiv in der assoziativen Deutung der Kunstwerke werden. Die Tandemführungen schufen hingegen Situationen, in denen Partizipation situativ möglich war. Es handelte sich in der Wahrnehmung vieler Teilnehmer damit um eine Konstellation, in der sie sich, ihre Biographie und ihre Meinung in die Ausstellung einbringen konnten. 22 Es ist das Verdienst der Studierenden, diese Situationen so gestaltet zu haben, dass sich viele Besucher ermuntert fühlten, an dem Gespräch und damit auch an der Ausstellung teilzuhaben. Ein zentraler Grund für diese Atmosphäre war die Authentizität, die die Tandems ausstrahlten bzw. die ihnen von seiten der meisten Besucher zugesprochen wurde. Durch die eigenen Erfahrungen im deutschpolnischen Beziehungsgeflecht sowie durch den Status als Studierende der Europa-Universität Viadrina, die medial noch immer als Flaggschiff im sonst strukturschwachen deutsch-polnischen Grenzland wahrgenommen wird, schienen sie legitimiert, erstens eine ganz eigene Deutung der deutsch-polnischen Geschichte zu vermitteln und zweitens an der einen oder anderen Stelle offen mit eigenen Wissenslücken umzugehen. Das Eis war zumeist bereits nach den ersten Stationen gebrochen. So traten Teilnehmer häufig mit konkreten Fragen nach der polnischen oder deutschen Sichtweise zu bestimmten Ereignissen an die Studierenden heran. Auch wurde es honoriert, dass innerhalb der Tandems die deutsche und polnische Position komplex miteinander verbunden wurden. Gerade sensible Themen konnten besser reflektiert und diskutiert werden, weil kein vermeintlich neutrales Medium eine jeweils deutsche oder polnische Perspektive symbolisierte. Im Idealfall wurde dabei der Dialog innerhalb des Tandems auf ein Gespräch mit und innerhalb der Besuchergruppe erweitert. Die dialogisch angelegte Wissensvermittlung konnte sich damit zu einem mehrstimmigen, partizipativen Wissensbildungsprozess wandeln. Das Gelingen dieses Umschwungs von der unilateralen Vermittlung hin zur mehrstimmigen Wissensbildung wurde zum großen Teil von der Bereitschaft der Besucher getragen, sich auf dieses zunächst ungewohnte Führungsmodell einzulassen. Die meisten hatten sich bewusst für die Teilnahme an einer Tandemführung entschieden. Doch gab es auch immer wieder Besucher, die nicht genau wussten, was sie erwarten würde 22 | Siehe dazu auch die Analyse des Gästebuchs Polen – ich komme! in diesem Band.

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oder solche, die gänzlich unvorbereitet in die Führung kamen. Einige von ihnen ließen sich sehr schnell auf die für sie neue Erfahrung ein. Es gab aber auch Besucher, die kein Hehl daraus machten, dass ihnen die Führung zu interaktiv angelegt war und dass sie in der Kürze der Zeit lieber mehr konkretes Wissen vermittelt bekommen hätten. Die insgesamt positive Erfahrung der Führungen sowie die besondere Bedeutung des persönlichen Hintergrunds der studentischen Tandems zeigen, dass diese dialogische Form der Wissenbildung nicht allein auf der Metaebene funktionierte. In gewisser Weise agierten die Tandems als Medien der Gegenwart. Sie ergänzten und erweiterten die Exponaten der Ausstellung, indem sie Themen aufgriffen und auf spielerische Weise neue Zusammenhänge und Gegenwartsbezüge herstellen konnten; ebenso hatten sie die Möglichkeit situativ einzelne Aspekte zu hinterfragen und zur Diskussion zu stellen. Dabei wurden sie nicht nur als bereichernder Teil der Ausstellung, sondern auch als Fortschreibung des deutschpolnischen Dialogs in der kommenden Generation wahrgenommen.

Nebeneinander und voneinander Analytische Überlegungen zur Ausstellung Tür an Tür Anna Labentz

Im deutschen Sprachgebrauch impliziert die Redewendung Tür an Tür zu wohnen Nachbarschaft, beieinander leben, räumliche Nähe und die Möglichkeit, sich gelegentlich im Alltag zu begegnen. Es gibt im Polnischen eine wortgetreue Übersetzung dieses Idioms als drzwi w drzwi – und doch haben sich die Kuratorin Anda Rottenberg und ihr Team entschieden, für den polnischen Titel der von September 2011 bis Januar 2012 im MartinGropius-Bau in Berlin präsentierten Ausstellung das kleine Wort obok zu verwenden. In seiner Bedeutung als nebeneinander oder nebenan greift obok zwar einen Teilaspekt der deutschen Redewendung auf, allerdings kann – abhängig vom grammatikalischen Kontext – obok im Polnischen auch abgesehen von oder außer heißen. Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte, wie der vollständige Titel der Ausstellung lautet, soll anhand ausgewählter Kunstwerke die grob tausendjährige Nachbarschaft und Beziehungsgeschichte Deutschlands und Polens präsentieren. In Anbetracht der obigen rein semantischen Überlegungen zum Titel wird bereits eine unterschiedliche Betrachtungsweise dieser Thematik sichtbar – und so stellt sich die Frage nach ihren Darstellungsformen, konkret also: Wie kann eine kohärente Erzählung der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte über einen solch weitgefassten Zeitraum gelingen? Lassen sich zu bestimmten Themen unbestreitbar divergierende Sichtweisen in ihr vereinen und wenn ja, wie? Aus wessen Sicht wird erzählt? Inwiefern kann hier die Kunst als Mittel und Protagonist der Erzählung

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den BesucherInnen einen neuen oder anderen Zugang zur Thematik schaffen?1

E RINNERUNG ALS F USSNOTEN Im Gegensatz zu dem sehr weit gefassten zeitlichen Rahmen ist der tatsächliche Raum, in dem Tür an Tür präsentiert wird, begrenzt; so stand den Ausstellungsmachern nur das Erdgeschoss des Gropius-Baus zur Verfügung, in welchem das Interieur mit eigens angefertigten, unterschiedlich farbigen Wänden ausgekleidet und so ein neuer, unberührter Raum geschaffen wurde. Diese Manipulation des Raumes bleibt allerdings ohne Resonanz in der Narration, die – anstatt sich den neu geschaffenen, leeren Raum zu eigen zu machen – an der quadratischen Form des Gebäudes und der sich kettenartig aneinander reihenden Raumfolge festhält 2 . Das Resultat ist eine geschichtsbuchartig chronologische Narration, die sich in zwei Teile gliedern lässt – in die Darstellung der Beziehungsgeschichte bis zum 20. Jahrhundert und eine allein dem 20. Jahrhundert gewidmete Hälfte. Im ersten Teil dominieren zeitgenössische Exponate. Mit ihnen als authentische Zeugnisse ihrer Zeit3 wird eine der gegenwärtig im deutsch-polnischen Kontext praktizierten Historiographie entsprechende Erzählung der Vergangenheit gezeigt. Hauptsächlich interessant ist hier nicht die Narration der Geschichte als solche, sondern ihre Kontextualisierung in der Rezeptionsgeschichte, die Verzahnung der Darstellung des historischen Ereignisses mit der des kollektiven Gedächtnisses und dessen individuelle Verarbeitung durch die Künstler, deren Werke

1 | Diese Fragen sind an die im Rahmen des Seminars Interkulturelle historischpolitische Bildung erarbeiteten Kategorien zur Museums- und Ausstellungsanalyse angelehnt, die im Anhang dokumentiert werden. 2 | Vgl. Rottenberg, Anda: Einleitung der Kuratorin, in: Omilanowska, Małgorzata (Hg.): Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte, Köln 2011, S. 21. 3 | Tatsächlich handelt es sich mit Ausnahme von einem unbedeutend geringen Bruchteil der um die 800 Leihgaben ausschließlich um Originale, was aus kunsthistorischer und prestigeorientierter Perspektive für eine Ausstellung dieser Größenordnung bemerkenswert ist.

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die Kuratorin Anda Rottenberg als Fußnoten4 kommentierenden Charakters verstanden wissen möchte. In der ersten Hälfte wird die Gegenüberstellung historischer Exponate, wie Staatsporträts und politische Dokumente, mit Kunstwerken moderner Künstler nur sehr punktuell eingesetzt. Der kontrastierende Effekt dieser Konfrontation manifestiert sich sehr eindrucksvoll in der Platzierung von Mirosław Bałkas Installation Heiliger Adalbert (1987) unmittelbar gegenüber einem Porträt Richezas (1410/20), einer Replik der Heiligen Lanze und dem Dagome iudex (1099-1118). Bałkas Installation ist allerdings strategisch so positioniert, dass die gesamte Raumkomposition auf sie abgestimmt und auch der Fokus der BesucherInnen auf sie zentriert ist. Infolgedessen wird die Funktion des Kunstwerks als Fußnote beträchtlich ausgeweitet, so dass es die Narration des Raumes nicht mehr bloß erweitert, sondern sie trägt und auch lenkt. In der ersten Hälfte der Ausstellung findet diese Verschiebung in einem speziell angefertigten Raum im Lichthof des Gropius-Baus statt – einer von Jarosław Kozakiewicz entworfenen Stahlgitterkonstruktion. Ihr Titel Magazin der Geschichte impliziert bereits eine bestimmte Handhabung der Vergangenheit, nämlich die des Sammelns, Konservierens und die potenzielle Möglichkeit eines Hervorholens5 ihrer Zeugnisse zur öffentlichen Präsentation; der visuelle Eindruck, den sie hinterlässt, evoziert hingegen Assoziationen mit einem Gefängnis. Es sticht sowohl unter architektonischen als auch unter narrativen Gesichtspunkten aus dem Gesamtkonzept der Ausstellung hervor und kann – wie ich später zeigen möchte – auch als ihr Kernstück6 gelesen werden: Im Lichthof und so in der Mitte des GropiusBaus befindlich, ist dieses nicht über einen streng chronologischen Lauf der Ausstellung zu erreichen und somit aus letzterem herausgelöst. Ferner kehrt sich in ihm das Verhältnis von Hauptnarration und Fußnoten unverkennbar um, indem die historischen Exponate und ihre Entstehungskon4 | Weintraub, Katarzyna: Kunst als Zeugnis der Geschichte, in: Dialog, 96, 2011, S. 9-13, S. 13. 5 | Jarecka, Dorota: W tej chłodni jest potencjał (23.9.2011), in: Gazeta Wyborcza, http://wyborcza.pl/1,76842,10339123,W_tej_chlodni_jest_potencjal.html, 29.3. 2012. 6 | Wieliński, Bartosz T.: Niemcy i Polacy – dobrzy sąsiedzi (22.9.2011), in: Gazeta Wyborcza, http://wyborcza.pl/1,76842,10331055,Niemcy_i_Polacy_dobrzy_ sasiedzi.html, 29.3.2012.

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texte als erklärende Grundlage und Anmerkung für das Verständnis ihrer beständigen Reproduktion im kollektiven Gedächtnis fungieren. Ein solch repräsentatives Beispiel für die – ehrerbietende wie kritische und ironisierende – Verarbeitung des Mythos ist ein Wandteppich mit dem Motiv von Jan Matejkos Gemälde Schlacht bei Tannenberg (1878), welcher wiederum anlässlich ihres 600. Jubiläums von BewohnerInnen der polnischen Stadt Działoszyn in zweijähriger Arbeit gestickt wurde. Hier handelt es sich um eine ehrfurchtsvolle Tradierung, während sich der subversive Umgang mit der Erinnerung sowohl an die Schlacht als auch an das Gemälde selbst in zwei anderen, zeitlich und auch stilistisch unterschiedlichen Kunstwerken manifestiert:7 Die Rede ist zum einen von dem Gemälde Edward Dwurniks, das in seiner Darstellung eines betrunkenen und vulgären Haufens das alljährliche Reenactment der Schlacht persifliert (2010); zum anderen muss auf Stanisław Wyspiańskis Pastiche von Matejkos Gemälde in Form eines einzig wirren Gekritzels hingewiesen werden (1900). Tannenberg als historisches Ereignis ist als Gedächtnisträger – so ließe sich lakonisch behaupten – hinter die Erinnerung zurückgetreten und angesichts der diversen, sich gegenseitig überlagernden und sich aufeinander beziehenden Erinnerungsschichten fast bedeutungslos geworden. Das Magazin der Geschichte markiert den Höhepunkt dieser Kontrastierung von Geschichte und Erinnerung, in gewisser Hinsicht also auch von Vergangenheit und Gegenwart. Derart visuell intensive Gegenüberstellungen finden sich in Tür an Tür nur noch in ebenfalls eigens geschaffenen Räumen wie dem Neoplastischen Zimmer von Leon Tarasewicz und Everything Dark Grey von Mirosław Bałka als Hintergrund zur Darstellung des Zweiten Weltkriegs. Beide Räume erzeugen auch miteinander auf einer Metaebene einen starken Kontrast, da das Neoplastische Zimmer in Anlehnung an den Lodzer Neoplastischen Saal aus den 1930er Jahren grell-bunt, Bałkas Raum hingegen in dunklem Licht und in Grautönen gehalten ist.

7 | Hinsichtlich der deutsch-polnischen Rezeption sowie des Funktionierens des Ereignisses und der mit ihm verbundenen historischen Akteure als bilaterale Erinnerungsorte vgl. den Beitrag von Mathieu Olivier zur Schlacht bei Tannenberg respektive den Text von Igor Kąkolewski über den Deutschen Ordensstaat in Hahn, Hans Henning/Traba, Robert (Hg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte, Bd. 1 u. 2: Geteilt/Gemeinsam, Paderborn 2013 (in Vorbereitung).

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Abbildung 3: Das Monumentalgemälde Preußische Huldigung des polnischen Künstlers Jan Matejko (Krakau 1882 Öl auf Leinwand; 388 x 785 cm Krakau, Zamek Królewski na Wawelu) im Lichthof des Martin-Gropius-Bau während der Ausstellung Tür an Tür. Umgeben ist es von der Installation Magazin der Geschichte, in welcher Ausstellungsstücke zur Geschichte und Rezeption des Deutschen Ordens ausgestellt wurden.

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Die Mediation zwischen Vergangenheit und Gegenwart verläuft unterschiedlich intensiv, da sich der Gegenwartsbezug lediglich auf die kunsthistorisch referenzielle Hommage an den Neoplastischen Saal beläuft. Demgegenüber verlässt Everything Dark Grey für den besagten Gegenwartsbezug den Rahmen des Gropius-Baus und verweist mit dem eingelegten Gitterrostboden auf die benachbarte Topographie des Terrors. In dieser Hinsicht wird auch dem Motto der Ausstellung ein neuer Bedeutungsaspekt verliehen, da sich Tür an Tür – Nähe und Nachbarschaft – hier durch eine tatsächliche räumliche Nähe und durch eine künstlerische Verbundenheit in der Mahnung an den Zweiten Weltkrieg bzw. in dem Bezug auf die Mahnung ausdrückt.

V ON P OLEN FÜR D EUTSCHL AND ÜBER D EUTSCHL AND UND P OLEN Kunst, so ließe sich im Lichte der vorangegangenen Überlegungen behaupten, nimmt in Tür an Tür eine Mittlerrolle zwischen Vergangenheit und Gegenwart sowohl in der Narration als auch im Raum ein, indem sie die Erinnerung an das historische Ereignis kommentiert. Diesem Kommentar liegt allerdings sein eigener, subjektiver Standpunkt zu Grunde, der ungeachtet der Einstreuung deutscher oder internationaler Künstler als polnisches Statement gemeint ist. Die Kuratorin selbst versteht dies als selbstredend, obschon es sich immerhin in praktischer Hinsicht sowohl politisch als auch finanziell um ein deutsch-polnisches8 Unternehmen handelt und sich inhaltlich der beiderseitigen, gemeinsamen Vergangenheit annimmt. Folglich ist Tür an Tür eine von einer polnischen Kuratorin für ein deutsches Ausstellungshaus und deutsche BesucherInnen entworfene und aus polnischer Perspektive erzählte Kunstschau über deutsch-polnische Nachbarschaft.9 In dieser Hinsicht weist sie einen monoperspektivischen und durchaus belehrenden Duk8 | So haben das Königsschloss in Warschau und der Martin-Gropius-Bau in Berlin diese Ausstellung gemeinsam entwickelt, beide Staaten haben sie mit je einer Million Euro subventioniert und Staatspräsident Bronisław Komorowski und der ehem. Bundespräsident Christian Wulff fungierten als Schirmherren. 9 | Weintraub, Katarzyna: Kunst als Zeugnis der Geschichte, in: Dialog (wie Anm. 4), S. 12.

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tus auf. Tatsächlich fällt es schwer, sich mit einem durchschnittlichen deutschen historischen Schulbildungshintergrund lediglich anhand der spärlich ausfallenden Kontextualisierung der Exponate zu orientieren: Die Ausstellung bietet nur kurze Einführungstexte zu den 22 Themenbereichen und kleine Tafeln mit näheren Beschreibungen ausgewählter Werke, zu welchen die Möglichkeit der Nutzung eines Audioguides vertiefende Informationen liefert. Polnische AusstellungsbesucherInnen hingegen finden sich etwas besser zurecht sowie ihr Wissen oder ihre Einstellung bestätigt – ein vorzügliches Beispiel ist das im Lichthof ausgestellte Monumentalwerk Preußische Huldigung von 1882 und die ihm inhärenten Implikationen zum deutsch-polnischen Verhältnis. Hier stellen sich zweierlei Fragen: Kann die Ausstellung tatsächlich zu einer anderen Sichtweise auf die deutsch-polnische Beziehungsgeschichte beitragen und stereotype Bilder vom Nachbarn brechen, wie es die Kuratorin in der Einleitung des Katalogs kundtut? Lassen sich in ihr trotz der betonten polnischen Perspektive Möglichkeiten finden, einen anderen, eventuell multiperspektivischen Blickwinkel zu erlangen und ihn als BesucherIn auf die Ausstellung anzuwenden? Im Lichte der Ausführungen zur Mediation zwischen Vergangenheit und Gegenwart mag die zweite Frage rhetorisch erscheinen, denn das Potenzial zur Vermittlung eines neuen, multiperspektivischen Blicks auf das deutsch-polnische Verhältnis ist in Tür an Tür prinzipiell vorhanden. Hier kommen die besagten eingestreuten Fußnoten in Form einer kontrastiven Platzierung moderner Kunstwerke zum tragen, deren Einsatz die lineare Narration der Ausstellung immer wieder auf brechen kann. Rottenberg spricht hier von zwei oder gar mehreren Narrationssträngen in jeweils einem Raum10, so dass auch die chronologische Lesart ihren selbstreferenziellen Bezug beständig mit sich trägt. Illustrieren lässt sich dies gut am Magazin der Geschichte, in dem die historischen Zeugnisse wie ein Messumhang des Deutschen Ordens oder die Bulle von Papst Innozenz IV. die erste faktographische Narrationsebene darstellen. Den zweiten Narrationsstrang bilden Matejkos Historiengemälde, welche bereits eine Form der Rezeption und somit eine der ersten Erinnerungsschichten in diesem Raum sind. Die dritte Ebene wiederum betrifft den 10 | Buras, Piotr: Mit w klatce, sztuka na wolności (10.1.2012), in: Gazeta Wyborcza, http://wyborcza.pl/1,76842,10935837,Mit_w_klatce__sztuka_na_wolnosci. html, 29.3.2012.

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heutigen Umgang mit dem Erinnerungsort, so beispielsweise Bogna Burskas Found-Footage-Video, eine Zusammenstellung aus unterschiedlichen Visualisierungen des Ereignisses – gewissermaßen die gegenwärtig mögliche Metaebene der Erinnerung. Nichtsdestoweniger können nicht alle Räume diese Narrationsdichte erreichen – so spielen sich beispielsweise die Erzählungen in den Räumen zu den Städten Krakau und Danzig, den dynastischen Beziehungen oder den Teilungen lediglich auf der ersten Ebene ab. Die Problematik Danzigs hingegen hätte sich ebenfalls äußerst gut für eine erinnerungstechnisch mehrschichtige Erzählweise eignen können, zumal die Stadt als deutsch-polnischer Erinnerungsort par excellence angesehen werden kann. Stattdessen belässt es Rottenberg aber bei einer Präsentation kunsthistorisch wertvoller, den eigenen narrativen Ambitionen in der Verquickung von Geschichte und Gedächtnis allerdings nicht genügender Kunstwerke. Letztendlich wirkt die Installation von Krzysztof M. Bednarski La rivoluzione siamo Noi – J. Beuys (1986) – ein Tisch mit vier auf, neben und unter ihm befestigten Marx-Köpfen – inmitten von Kunstwerken aus der polnischen Romantik und dem Jugendstil völlig deplatziert: Diese Kontrastierung von historischer und moderner Kunst kann nichts zur Narration des Raumes beitragen, weshalb sie in ihrer Poetik bedeutungslos und ohne Kontextualisierung unverständlich bleibt – und sogar eine wie auch immer vermutete Provokation vermissen lässt. Es zeigt sich, dass selbstreferenzielle Bezüge bzw. die Konfrontation von Geschichte und Erinnerung nur bis zu einem gewissen Punkt in der Ausstellung ihre besondere, innovative Eigenart behalten, da ihre Eigenlogik sich schließlich gegen sich selbst wendet und die anfangs intendierte Funktion nicht mehr erfüllen kann: »Das Prinzip kulturhistorische Ausstellung erreicht in Tür an Tür wieder einmal seine Grenzen«, wie Michael Zajonz bemerkt, da sich »das quantitative Verhältnis zwischen kulturhistorischer Darstellung und Kunstkommentar [umkehrt], ohne dass die künstlerischen Beiträge den Erzählfaden stringent weiterspinnen könnten.«11 In der zweiten Hälfte der Ausstellung dominieren schließlich moderne Kunstwerke, während historischen Dokumenten o.ä. lediglich eine erklärende oder kontextualisierende Funktion innewohnt. Diese Veränderung markiert auch 11 | Zitiert nach: Zajonz, Michael: Großer Grenzverkehr (22.9.2011), in: Der Tagesspiegel, www.tagesspiegel.de/kultur/ausstellung-grosser-grenzverkehr /4650644.html, 22.3.2012.

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einen Wandel in der Narration, die vollends von der Erinnerung gezeichnet ist und somit persönlicher und individueller wird. Das Individuelle führt schließlich dazu, dass das, was an der Erzählung als polnische oder deutsche Sichtweise einzuordnen war, nicht mehr in nationalen Kategorien gelesen werden kann. Den BesucherInnen wird ein unmittelbarer Zugang zum Kunstwerk geboten – indem beispielsweise in Everything Dark Grey das gedämmte Licht und das ohnehin schon minimalistische Arrangement im Raum den Fokus noch stärker auf die einzelnen Kunstwerke richten lässt: Die Kunst steht im Zeichen der individuellen traumatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und ihrer künstlerischen Verarbeitungen und enthebt so die Problematik ihrer politisch-nationalen Ebene, um sie auf einen allgemein verständlicheren und anwendbaren Bereich des verletzten Individuums und seines Körpers zu transportieren. Interessanter- und auch paradoxerweise birgt gerade eine subjektive, dafür aber stark auf Emotionen abzielende Problematisierung dieser Fragestellung die Möglichkeit zu ihrer Universalisierung.12 Die Universalisierung des Gefühls einer permanenten Bedrückung, einer Phantomartigkeit des Aggressors und der damit verbundenen und transportierten Opferidentität verzichtet allerdings auf eine klare Unterscheidung zwischen Opfern und Tätern. Diese Einordnung mag gerade in einem offiziellen deutsch-polnischen Kontext so evident wirken, dass sie als selbstverständliche Tatsache nicht weiter erwähnenswert scheint. Im Hinblick auf eine in den letzten Jahrzehnten zu beobachtende Diskursverschiebung13 in Deutschland – von Vergangenheitsaufarbeitung zu einer kollektiven Viktimisierung der Gesellschaft durch eine zunehmende Fokussie12 | Vgl. Benecke, Werner: 1000 Jahre Geschichte, 1000 Jahre deutsch-polnische Nachbarschaft?, in: Dialog (wie Anm. 4), S. 21-23, S. 23: »Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen führen uns indes zurück zu den gesamteuropäischen Dimensionen unseres Themas und damit an die Grenzen einer Betrachtung aus deutsch-polnischer Perspektive.« 13 | In Bezug auf die unterschiedlichen Diskurse zum Zweiten Weltkrieg und seiner Folgen in Deutschland und Polen vgl.: Szarota, Tomasz: Krieg – Vertreibung – Massenmord, in: Historie. Jahrbuch des Zentrums für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften, 1, 2008/09, S.  158-160; Traba, Robert: Krieg und Zwangsaussiedlungen. Ein Beispiel für die Assymmetrie des kulturellen Gedächtnisses in Polen und Deutschland, in: Historie (s.o.), S. 126-128.

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rung auf Flucht und Vertreibung14 – sowie im Hinblick auf den Entwurf einer national-affirmativen Geschichtspolitik und einer damit verbundenen martyrologischen Interpretation des Zweiten Weltkriegs während der Kaczyński-Regierung, wäre von der Kuratorin indes eine mutigere und differenziertere Auseinandersetzung mit der Thematik des Krieges und seiner Folgen zu erwarten gewesen. Letztendlich mag die suggestive, sich auf das Individuum konzentrierende und universalistische Präsentation dieses zweifelsohne schwierigen Themas im Rahmen der Ausstellung als Lösung funktionieren. Doch muss hier auch auf das Katalogvorwort des Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Rates der Ausstellung Władysław Bartoszewski verwiesen werden, in welchem er als »größte Errungenschaft unserer gegenwärtigen Beziehungen […] die Möglichkeit, in aller Offenheit auch über die schmerzhaften Themen zu sprechen und hierbei nach Lösungen zu suchen« 15, betont. Kurios erscheint daher, dass gerade die im deutsch-polnischen Verhältnis in den vergangenen Jahren explosivsten und immer noch nachwirkenden öffentlichen Debatten über Krieg, Flucht und Vertreibung ganz behutsam, wenn auch stark über die emotionale und sensorische Ebene funktionierend, behandelt wurden. Dem gegenüber steht mit der Schlacht bei Tannenberg ein für die gegenwärtige deutsche bzw. polnische Gesellschaft weit entrücktes Ereignis im Mittelpunkt der Schau. 14 | In der Tat scheint die Behandlung des Komplexes der Verlorenen Heimat in der Ausstellung von deutschen BesucherInnen als unzureichend empfunden worden zu sein. (Vgl. Springer, Philipp: Ausstellungs-Rezension zu Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte 23.9.2011-9.1.2012, Martin-Gropius-Bau Berlin (4.2.2012), in: H-Soz-u-Kult, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=155&type=rezausstellungen, 25.3.2012; Bienert, Michael: Die Künstler jedenfalls leben Tür an Tür, 24.9.2011, in: Stuttgarter Zeitung, www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.deutsch-polnische-ausstellung-die-kuenstler-jedenfalls-leben-tuer-an-tuer.c9786f81-e615-4afd-a74b-87a3cc380ac9.html, 22.3.2012.) Dieser so empfundene Makel entspringt einerseits wiederum der polnischen Erzählperspektive der Ausstellung, andererseits lässt es sich schwer des Eindrucks erwehren, dass diese Thematik gerade wegen ihrer erinnerungspolitischen Dimension nur marginal behandelt wurde, um den an Versöhnung und guter Nachbarschaft orientierten Tenor der Ausstellung nicht zu unterwandern. 15 | Bartoszewski, Władysław: Vorwort, in: Omilanowska (wie Anm. 2), S. 9-10, S. 10.

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In der Tat ist es aber gerade die technische, künstlerische und narrative Konstruktion im Lichthof des Gropius-Baus, in welcher die Stärken von Tür an Tür liegen. Das Magazin der Geschichte erlaubt aufgrund seiner zentralen Lage verschiedene Gangarten bzw. Besichtigungswege, wenn man sich nämlich von ihm aus sternförmig in die einzelnen Räumlichkeiten begibt. Diese Besichtigungsart hätte eine beständige Wiederkehr zum Lichthof als Ausgangspunkt zur Folge. Indem die chronologische Narration der Ausstellung also aufgebrochen würde, böte sie die Möglichkeit, mittels der Kontrastierungen einerseits einen neuen Blick zu schaffen, andererseits eine beizeiten noch praktizierte Lesart der deutschpolnischen Beziehungen durch das Prisma der mythologisierten Erinnerung an das Ereignis Tannenberg 1410 offenzulegen.16 Das Rekurrieren auf diesen Mythos kann so auf subversive Weise diesen sich bis in die Gegenwart perpetuierenden Reproduktionsmechanismus entlarven. Eine Dekomposition bestimmter stereotyper Vorstellungen scheint durch eine Lockerung der narratologisch-linearen Logik der Ausstellung theoretisch möglich; erfordert allerdings ein hohes Maß an Bereitschaft der BesucherInnen, sich kritisch mit ihr auseinanderzusetzen und sie nicht als selbstverständlich anzunehmen. Im Großen und nicht zu unterschätzenden Ganzen handelt es sich bei Tür an Tür ungeachtet der potenziell dekonstruierenden Elemente um eine in ihrer narrativen Gesamtheit affirmativ-reproduzierenden Kunst- und Geschichtsschau.17 1000 Jahre 16 | Buras, Piotr: Mit w klatce, sztuka na wolności, 10.1.2012, in: Gazeta Wyborcza, http://wyborcza.pl/1,76842,10935837,Mit_w_klatce__sztuka_na_wolnosci. html, 29.3.2012. Rottenberg spricht hier auch von einem mythologischen Keil des Deutschen Ordens, wobei wiederum fraglich ist, inwiefern dieser im deutschen kollektiven Gedächtnis angesichts des Gewichts sowohl von Nationalsozialismus und Holocaust, als auch von Flucht und Vertreibung überhaupt Relevanz besitzt – oder aus polnischer Perspektive besitzen sollte. 17 | Siehe Mörsch, Carmen: Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen. Die documenta 12 Vermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation, in: Dies. (Hg.): Kunstvermittlung II. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts, Zürich, Berlin 2009, S. 9-33. In ihren Überlegungen zur Kunstvermittlung entwickelt Mörsch ein viergliedriges System, welches die Art der Darstellung, des Umgang mit und insbesondere der Vermittlungsweisen in musealen Räumen als 1. affirmativen, 2. reproduzierenden, 3. dekonstruierenden und 4. transformativen Dis-

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deutsch-polnische Beziehungsgeschichte werden entsprechend des derzeitigen Hauptstroms in der Historiographie beider Länder dargestellt, so dass sie selbst bei deren innovativen – im Sinne von kompositorisch-kontrastiven – Präsentation durch die Kuratorin nicht gebrochen wird. Im Gegenteil – in Anbetracht der politischen Rahmenereignisse, sprich: der polnischen EU-Ratspräsidentschaft und der gemeinsamen Eröffnung durch den polnischen Staatspräsidenten Bronisław Komorowski und den damaligen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff wird nur noch offensichtlicher, dass die Ausstellung eine klar an Versöhnung und der Meidung von konfliktgezeichneten oder kontroversen Situationen orientierte Narration anstrebt, in welcher in Bezug auf die letzten zehn bis zwanzig Jahre beispielsweise die Kaczyński-Regierung oder die Debatte um das Zentrum gegen Vertreibungen und die daraus resultierenden turbulenten Konsequenzen für die deutsch-polnischen Beziehungen unberücksichtigt geblieben sind. Dem von Rottenberg ausgedrückten Ziel eines Brechens mit oder einer Lockerung von stereotypen oder vorurteilsbehafteten Bildern kann in dieser Hinsicht nicht nachgekommen werden. Ihrer Behauptung, »diese Vorstellungen [würden] in der Ausstellung mit unbekannten oder anders dargestellten Tatsachen und historischen Zeugnissen konfrontiert«18, muss hier widersprochen werden. Mit Ausnahme der anregenden Präsentation der Beziehungsgeschichte durch bzw. in der Kunst folgt die Narration der Ausstellung inhaltlich lediglich dem und reproduziert das, was spätestens seit der Wende zum politischen guten Ton zwischen den beiden Ländern gehört und in akademischen o.ä. Kreisen verbreitet wird. Ferner lässt sich hinsichtlich der von Rottenberg aufgebrochenen oder aufzubrechenden stereotypen Vorstellungen feststellen, dass es sich um historische und im kollektiven Gedächtnis verankerte Bilder vom Anderen handelt, nicht aber um gegenwärtig in Teilen der deutschen Gesellkurs klassifiziert. Jeder Diskurs zieht ein anders Verständnis der Funktion der Institution Museum und der diesem entsprechenden Kunstvermittlung nach sich, obgleich sich die ersten beiden Diskursformen als konservativ, die beiden letzten hingegen als avantgardistisch beschreiben lassen können, da ein selbstreflexives Bildungsverhältnis mit dem Ziel einer stärkeren Besuchereinbindung und -aktivität vorausgesetzt wird. In der Praxis lassen sich – trotz des Dominanz der Affirmation – zunehmend Mischformen aus allen vier Diskursen finden. 18 | Rottenberg, Anda: Einleitung der Kuratorin, in: Omilanowska (wie Anm. 2), S. 21.

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schaft aufzufindende Stereotype wie dem polnischen Autodieb oder der polnischen Putzfrau. Einerseits ist hier ein fehlender Gegenwartsbezug zu erkennen – welcher insbesondere im alltäglichen Umgang Deutscher und Polen nicht zu unterschätzen sein sollte und das allgemein-kollektive Bild vom Anderen stark beeinflusst, weshalb es sich nicht nur auf den akademischen Bereich reduzieren lässt. Andererseits verharrt die Auseinandersetzung mit Stereotypen in der Ausstellung auf einer mit dem oben genannten Punkt verbundenen bürgerlich-elitären Ebene und bricht nicht aus dem Kreis heraus, in dem sich zumindest oberflächlich keine solch banale Stereotypisierung finden lässt und in dem eine kritische Auseinandersetzung auch mit konfliktbelasteten Themen zum beinahe alltäglichen modus operandi gehört.19

D IE T ÜR (EN) SELBER ÖFFNEN Rottenbergs Ausstellung kann für sich allein gesehen keine innovativdekonstruierende Perspektive auf die deutsch-polnischen Beziehungen leisten. Hier ist sie zu einem bedeutenden Teil von der Bereitschaft, der Eigeninitiative und der Kenntnis ihrer BesucherInnen abhängig, um die Ausstellung entsprechend interpretieren zu können. Besagte Dekonstruktionsmöglichkeiten wären u.a. eine sternförmige Besichtigungsweise durch die Verlegung des Startpunkts in den Lichthof oder in den letzten 19 | In diesem Zusammenhang erscheint mir der abschließende Satz der Einleitung Rottenbergs im Katalog problematisch, wenn Rottenberg sagt, die Ausstellung sei »jedoch vor allem für diejenigen gedacht, die ihre Sichtweise ändern und die sensible Materie des historischen Stoffes unbefangen und selbstständig erforschen möchten.« Rottenberg, Anda: Einleitung der Kuratorin, in: Omilanowska (wie Anm. 2), S. 21. Sie scheint mit dieser Prämisse bereits im Voraus Kritik an der Ausstellung aushebeln zu wollen und wirkt somit gegen ihr Vorhaben, Stereotype im deutsch-polnischen Verhältnis zu lockern. Paradoxerweise entlarvt das oben angeführte Zitat in gewisser Hinsicht eine eigene Vorurteilsbelastung. Einerseits geht Rottenberg von einer bürgerlich-gebildeten, politisch korrekten Besucherschaft aus; andererseits aber impliziert ihre Behauptung die Annahme eines für das Gros der deutschen Gesellschaft unbekannten Landes und seiner Geschichte, weshalb eben die spärliche Thematisierung des angenommenen Ist-Zustandes gutnachbarlicher Beziehungen zu unkritisch, gar überhaupt nicht stattfindet.

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Raum, wobei man in der Gegenwart beginnen und sich von ihr zu den Ursprüngen deutsch-polnischer Beziehungsgeschichte vorarbeiten würde.20 Die Komposition der Ausstellung bietet dem/der BesucherIn hingegen nur wenig Möglichkeit, sich selbst einzubringen. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich um eine Kunstschau handelt, mag dies nicht verwundern – demzufolge finden sich in der Ausstellung lediglich am Schluss konkrete Partizipationsmöglichkeiten. Dort wird Kunst gezeigt, die in sich performativ angelegt ist und den Betrachter einbezieht. Hier ist auf die ans Ende der Ausstellung platzierte Auftragsarbeit des deutschen Künstlers Gregor Schneider hinzuweisen – ein großer, betretbarer und von innen wie von außen weißer Kühlschrank, in den der/die BesucherIn sowohl eintreten als auch außen an ihm vorbeigehen kann; er/sie muss selbstständig die Türen öffnen und schließen, könnte sie theoretisch aber auch offen lassen. Unabhängig davon, ob man den Kühlschrank am Ende oder zu Beginn seiner Besichtigungsrunde betritt, scheint er das stärkste impulsgebende Element zu sein, da er – an den Anfang gestellt – die Reflexion der BesucherInnen schärft, als Abschluss der Ausstellung aber sehr fruchtbar und hilfreich für die Anregung einer über die Rahmen der Ausstellung hinausgehende Diskussion sein kann. Ein ähnliches Potenzial weist die Installation między (1977/2004) von Stanisław Dróżdż auf. Der/die BesucherIn betritt einen weißen Raum, in welchem alle sechs Wände mit den Buchstaben des polnischen Wortes für zwischen beschrieben sind. Deutschen BesucherInnen ohne Polnischkenntnisse bleibt diese Installation ohne Kenntnis ihres Kontextes und der Bedeutung Wortes allerdings weitgehend verschlossen. Hier setzten die Vermittlungsangebote des Gropius-Baus an. Es wurden neben thematischen Überblicksführungen eigens konzipierte Tandemführungen deutscher und polnischer StudentInnen angeboten. Aus meiner eigenen Erfahrung resultiert, dass die Tandemführungen das Potenzial zur Ergänzung der Ausstellung hatten, da sie ermöglichten, einen konkreten 20 | In den Vorbereitungen zu den Tandemführungen gab es Überlegungen, Führungen gegen den (Besucher-)Strom laufen zu lassen, indem eben der Lichthof zum Beginn der Führung erkoren wurde. Praktische Einwände (schwierigeres Zusammenhalten der Gruppe, problematisches Manövrieren zu überfüllten Stunden u.a.) haben diese Möglichkeit von den Führenden dann allerdings zum Teil verwerfen lassen. Detailliertere Ausführungen zu den in Tür an Tür angebotenen Tandemführungen siehe die Beiträge Doppelte Dialoge sowie Anregung durch Andersdenkende.

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Gegenwarts- bzw. Zukunftsbezug deutsch-polnischer Beziehungen herzustellen. Eine bloße Reihung insbesondere moderner, hinsichtlich ihrer Interpretation sehr offener und möglicherweise überhaupt nicht mit den deutschpolnischen Beziehungen verbundener Kunst kann in dieser Hinsicht relativ gehaltlos bleiben: Der Kühlschrank von Gregor Schneider erfüllt nur in dem besonderen Rahmen der Ausstellung die oben beschriebene Funktion eines Impulsgebers – ohne den eigentlich für ihn von Piotr Uklański entworfenen, letztendlich aber aus ihm entfernten zweiköpfigen deutsch-polnischen Styroporadler bleibt er im doppelten Wortsinn bedeutungs/leer.21 Im Zusammenhang mit der polnischen EU-Ratspräsidentschaft ist die Ausstellung Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte aus kunsthistorischer und politischer Perspektive sicherlich ein bedeutendes Ereignis sowie anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages ein visuell attraktives Zwischenresümee. Mit Rücksicht auf den langen und in politischer und zwischenmenschlicher Hinsicht sehr divergierenden Zeitraum sind Lücken oder Auslassungen zugunsten einer in sich stimmigen Narration unvermeidbar. Tür an Tür liefert eine solche Gesamtnarration. Die Ausstellung tut dies von einem polnischen Standpunkt aus und mit dem Ziel, die Perspektive des Nachbarn in die eigene Wahrnehmung einzubeziehen. Nichtsdestoweniger bleibt es bei einem obok, einem nebeneinander – um nicht gar nur von einem o, einem über bzw. einem voneinander zu sprechen. Es hätte der Thematik gut getan, wenn es ein deutsch-polnisches Kuratoren-Tandem gegeben22 und man sich dies nicht erst für die Vermittlung aufgehoben hätte. In Anbetracht der medialen Präsenz und aktiven Berichterstattung im Zuge der Eröffnung hätte dies in der Tat ein Zeichen für gute Nachbarschaft und freundliche Zusammenarbeit senden können.

21 | Im Katalog ist er hingegen – allerdings ohne Illustration – noch vorgesehen, s. Kościuczuk, Krzysztof: 22.12 Ohne Titel (Der Adler, deutsch-polnischer), Piotr Uklański, in: Omilanowska (wie Anm. 2), S. 735. 22 | Rottenberg schlägt zu diesem Thema eine analoge, aber von einem Deutschen kuratierte Ausstellung in Polen vor, die die umgekehrte Perspektive dieser Nachbarschaft zeigen würde. Buras, Piotr: Mit w klatce, sztuka na wolności (10.1.2012), in: Gazeta Wyborcza, http://wyborcza.pl/1,76842,10935837,Mit_w_ klatce__sztuka_na_wolnosci.html, 29.3.2012.

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Doppelte Dialoge Eine deutsch-polnische Tandemführung als Erfahrungsraum Liane Matern/Anna Labentz

»Serdecznie witamy na wystawie…« – mit dieser polnischen Begrüßung begannen wir unsere Tandemführungen durch die Ausstellung Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte im Martin-Gropius-Bau in Berlin. Die Reaktionen der meisten BesucherInnen waren sich sehr ähnlich – erst konnten wir ihre Ratlosigkeit beobachten, dann aber Erleichterung, als wir erklärten, dass wir auf Deutsch fortführen würden. Unsere Begrüßung war als bewusste Irreführung für die deutschen BesucherInnen gedacht, um ihre Aufmerksamkeit für das Folgende zu gewinnen. Den polnischen TeilnehmerInnen wiederum demonstrierten wir so, dass wir uns mit unserer Führung thematisch (und, wenn nötig, auch sprachlich) ebenfalls an sie wenden würden. Dennoch wussten unsere BesucherInnen wahrscheinlich nicht so recht, was sie erwartete, als sie ein Ticket für eine Tandemführung lösten. Dass sich dahinter ein Projekt der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) verbarg, stand zwar auf Plakaten und Werbematerialien – etwas Konkretes konnte sich aber bis zum Beginn der Führung kaum jemand darunter vorstellen. In unserem Fall bedeutete eine Führung im Tandem, dass wir die deutsch-polnische Beziehungsgeschichte anhand einiger ausgewählter Exponate aus zwei Perspektiven – allerdings beide auf Deutsch – beleuchten würden.1 In der von uns entwickelten Erzäh1 | Unsere Führung bestand aus acht, der Chronologie der Ausstellung folgenden Themen: 1. Akt von Gnesen, 2. Dynastische Beziehungen, 3. Preußische Huldigung/Schlacht bei Tannenberg, 4. Melancholie/Teilungen, 5. Internationale Avantgarde, 6. Zweiter Weltkrieg, 7. Nachkriegszeit/Kalter Krieg, 8. Kühlschrank/Ist-Zustand der deutsch-polnischen Beziehungen. Diese Themen be-

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lung über die deutsch-polnische Beziehungsgeschichte legten wir den Fokus auf den Wortteil Beziehung und hatten in der Vorbereitungsphase dementsprechende Exponate bzw. Stationen ausgesucht, anhand derer sich die unterschiedlichen Phasen dieser Nachbarschaftsgeschichte exemplarisch aufzeigen ließen. Dabei war uns daran gelegen, keine einseitige Geschichte zu erzählen. Wir wollten in unsere Führung sowohl die positiv besetzte Person der Herzogin Hedwig als auch das konfliktbeladene Thema des Zweiten Weltkrieges aufnehmen.2 Mit dieser Leitlinie beabsichtigten wir, die von uns gewählte Fragestellung mit der Logik der Ausstellung zu verknüpfen. Im Folgenden reflektieren wir, wie und aus welchen Gründen wir unsere Tandemführung vom ersten bis zum letzten Durchlauf sukzessive verändert haben.

U NPROBLEMATISCHE B EGEGNUNGEN Bestimmte Themen waren für die Zuhörer stets nachvollziehbar und regten in allen Führungen zum Gespräch an. Dazu gehörte die Geschichte des Hei-

sprachen wir an jeweils dafür ausgewählten Exponaten, unseren sogenannten Stationen. Die Stationswahl richtete sich nach unserer Leitlinie – in welcher wir beabsichtigt hatten, Politik und Kunst in der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte als teils unterschiedlich, teils auch gegensätzlich zueinander verlaufend darzustellen. Die Leitlinie half dabei, in den verschiedenen, voneinander unabhängigen Stationen zum Kernpunkt der mit unserer Führung intendierten Aussage zurückzukehren. Je nach Größe und Teilnahmebereitschaft der Gruppen gingen wir mehr oder weniger flexibel mit unserer Führung um, sprich: manchmal war die Kürzung von einer oder zwei Stationen angebracht, manchmal ließen sich spontan auch andere Stationen einbauen oder durch andere ersetzen. Die Ursachen und situationsbedingten Änderungen unserer Führung sollen im Folgenden behandelt werden. 2 | Im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg haben wir im Allgemeinen die beiden diesem Themenbereich gewidmeten, vom polnischen Künstler Mirosław Bałka entworfenen Räumlichkeiten behandelt. Detaillierter sind wir schließlich anhand einer Skulptur von Alina Szapocznikow auf die Thematik eingegangen (vgl. Anm. 11 und 12).

Doppelte Dialoge

ligen Adalberts3, der im ersten Raum der Ausstellung als gemeinsamer deutscher und polnischer Heiliger dargestellt wird. Mit unserer Entscheidung, die Führung ebenfalls hier zu beginnen, folgten wir der chronologischen Narration der Ausstellung und griffen eine mittlerweile etablierte Interpretation der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte auf, nach welcher der Tod Adalberts als symbolischer Ursprung des deutsch-polnischen Kontaktes gilt. Bevor wir auf die Figur des böhmischen Missionars näher eingingen, stellten wir scheinbar unverfängliche Fragen nach der Dauer des deutschpolnischen Verhältnisses. So führten wir die BesucherInnen an die historische Dimension des Themas heran. Hierbei hatten wir zunächst vor allem die deutschen BesucherInnen mit geringen Kenntnissen über die polnische Geschichte im Blick. Mirosław Bałkas zeitgenössische Installation Heiliger Adalbert eignete sich in der anschließenden Diskussion dazu, die 1000jährige Geschichte zu thematisieren sowie einen Bezug zur Gegenwart herzustellen. Abbildung 4: Ausstellungsstücke im ersten Ausstellungsraum zum Thema Akt von Gnesen. Neben historischen Objekten und Dokumenten ist die Installation Der heilige Adalbert (Otwock 1987 Leinwand, Holz, Hafer, Neonröhren, Elektroinstallation; 300 x 300 cm, Lodz, Muzeum Sztuki w Łodzi) von Mirosław Bałka zu sehen.

3 | Bałka, Mirosław: Heiliger Adalbert, 1987, Leinwand, Holz, Hafer, Neonröhren, Elektroinstallation, 300 x 300 cm, Łodz, Muzeum Sztuki w Łodzi (Inv. MS/ SN/R/418). Siehe hierzu: Omilanowska (wie Anm. 3), S. 56.

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Die Analyse der Installation des männlichen, verstümmelten und weiß bandagierten Torsos wäre ohne Hintergrundwissen kaum möglich gewesen. Durch eine kurze Erläuterung der mittelalterlichen Beziehungsgeschichte sowie der Entstehung des Werks in der polnischen Gegenwartskunst trugen wir zu seiner Kontextualisierung bei. Unsere gemeinsame Analyse von Bałkas Werk fügte schließlich die abstraktere historische Ebene mit dem plastischen Erlebnis der Installation zusammen. Hiernach übersprangen wir in der Chronologie fünf Jahrhunderte und führten die BesucherInnen zum Porträt der Herzogin Hedwig, welche im Jahr 1475 von ihrem Vater, dem polnischen König Kasimir IV., mit Herzog Georg dem Reichen von Bayern-Landshut verheiratet wurde. Diese Verbindung galt bereits zu jener Zeit als Ausdruck taktischen Geschicks und als bedeutsames Bündnis, das mit der prunkvollsten Hochzeit des Mittelalters gefeiert wurde.4 Die Ausstellungsmacher hatten das Porträt der Herzogin für die PR-Kampagne des Martin-Gropius-Baus zum cover girl und somit zum Motiv für Plakat, Flyer und Katalog gewählt. Hier arbeiteten wir mit dem Wiedererkennungseffekt dieses Kunstwerks und fragten unsere Gruppen, ob sie die abgebildete Person kannten. Viele BesucherInnen nannten die in ganz Berlin präsenten Werbeplakate oder hielten ihr Ticket mit dem Porträt Hedwigs hoch. Im Gespräch hinterfragten wir, inwiefern es als Symbol der fruchtbaren und positiv behafteten deutsch-polnischen (Heirats-)Beziehungen im Mittelalter verstanden werden könne. Deutsche TeilnehmerInnen reagierten immer wieder verwundert, als sie erfuhren, dass Polen unter der Jagiellonen-Dynastie zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert zu einem der wichtigsten Staaten in Europa aufgestiegen war. Das polnische Königreich nutzte seine Heiratspolitik gezielt, um zwecks Machtsicherung Verbindungen zwischen polnischen und deutschen Adligen zu arrangieren. In der Diskussion wurde schließlich deutlich, dass das Wissen über diese Epoche einen wichtigen Teil der historischen Vorstellungen der polnischen BesucherInnen ausmachte. Im Lichthof des Martin-Gropius-Baus, unserem dritten Haltepunkt, hatte Anda Rottenberg, die Kuratorin der Ausstellung, ein Magazin der 4 | Anonym: Herzogin Hedwig, um 1530, Mischtechnik auf Pergament, auf Leinwand übertragen, 69 x 54,4 cm, Landshut, Burg Traunstein. Siehe hierzu: Omilanowska, Małgorzata (Hg.): Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte, Köln 2011), S. 249.

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Geschichte entworfen, das sie ganz und gar der Rezeptionsgeschichte der Schlacht bei Grunwald/Tannenberg widmete. Der Sieg über die Truppen des Deutschen Ordens durch ein polnisch-litauisches Heer im Jahr 1410 war im Laufe der kommenden Jahrhunderte von beiden Seiten immer wieder aufgegriffen worden. Mit der Darstellung des vermeintlichen historischen Gegners waren stets auch Vorurteile gegenüber dem Nachbarn transportiert worden. Als Bestandteil offizieller und oft wiederholter nationaler Propaganda hatte das Ereignis im Zuge des 19. und 20. Jahrhunderts seinen Platz im kollektiven Gedächtnis beider Nationen gefunden. In Polen hat es dabei eine ungemein größere Bedeutung als in der deutschen Geschichtsschreibung. Die Kuratorin versinnbildlichte diese Verankerung in den divergierenden Erinnerungen durch eine Stahlkonstruktion des polnischen Künstlers Jarosław Kozakiewicz. Unterschiedliche Artefakte wurden darin symbolisch in einen Käfig gesperrt. Dieses Magazin der Geschichte, so der offizielle Titel der Installation5, assoziierten die TeilnehmerInnen unserer Führung immer wieder mit einem Gefängnis. Der kuratorischen Entscheidung folgend, das Ereignis und seine Rezeption zum räumlichen Kern der Ausstellung zu machen, hielten wir uns mit unserer Gruppe hier bewusst lange auf. Das Ereignis und die historische Wahrnehmung der Schlacht von Grunwald/Tannenberg besprachen wir anhand zweier Gemälde des polnischen Historienmalers Jan Matejko.6 Die große symbolische Kraft dieses Sujets liegt darin, dass der Deutsche Orden in Polen als Sinnbild für den deutschen Drang nach Osten gilt. Ferner wird der Deutsche Orden mit der deutschen Nation gleichgesetzt, die in der Schlacht bei Grunwald/ Tannenberg 1410 von Polen besiegt worden ist. Nach dieser stark vereinfachten Lesart gilt dies in Polen auch heute noch als symbolischer Sieg Polens über Deutschland. Je stärker Polen später von seinen Nachbarn unterdrückt worden war, desto wichtiger wurde die Erinnerung an diesen Sieg. Matejko wollte durch die detaillierte und monumentale Darstellung 5 | Jarosław Kozakiewicz: Das Magazin der Geschichte, 2011, Stahlgitterkonstruktion, 11 x 21,8 x 15,7 m, Berlin, Martin-Gropius-Bau. Siehe hierzu: Omilanowska (wie Anm. 3), S. 153. 6 | Eines davon als zeitgenössische Reproduktion: Grzegorz Żochowski: Jan Matejkos Schlacht bei Tannenberg, 2008-10, Mouliné, Kanevas, Kreuzstickerei, 920 x 405 cm, Privatsammlung. Siehe hierzu: Omilanowska (wie Anm. 3), S. 151.

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Patriotismus und Nationalismus bei seinen Landsleuten wecken, um sie auf symbolischer Ebene zu einen. In Deutschland erlangte die Schlacht bei Tannenberg im Jahr 1914 mit der Niederlage russischer Truppen in der Nähe des Ortes der Schlacht von 1410 eine ganz neue Bedeutung. Durch die Inszenierung des Siegs von 1914 als edler Ritterschlag gegen russische Barbaren wurde die negativ behaftete Erinnerung an die Niederlage von 1410 überlagert. In unserer Führung wiederum kristallisierte sich heraus, dass bis heute deutsche BesucherInnen Tannenberg in erster Linie mit der Schlacht von 1914 und nicht mit der vom Deutschen Orden initiierten Schlacht von 1410 in Verbindung brachten. Im polnischen Gedächtnis hingegen steht die Schlacht von Grunwald/Tannenberg in einem engen Zusammenhang mit der visuellen Erinnerung an die Preußische Huldigung. Matejkos gleichnamiges vier mal acht Meter großes Ölgemälde ist wegen seiner Größe, seiner kunsthistorischen Bedeutung und aufgrund der Hängung im Magazin der Geschichte das zentrale Werk der Ausstellung.7 Die meisten BesucherInnen waren zunächst von der monumentalen Darstellung beeindruckt: Der Hochmeister des Deutschen Ordens, Albrecht von Preußen, bittet den polnischen König Sigismund I. um die Unterstellung der verbliebenen Besitztümer des Deutschen Ordens unter polnischen Lehnseid. Ergebnis dieses Aktes war die Gründung des Herzogtums Preußen. Einleitend fragten wir die TeilnehmerInnen nach dem Hofnarr Stańczyk, in dem sich der Künstler selbst porträtiert hatte. Während die polnischen BesucherInnen die Figur sogleich fanden und sofort wiedererkannten, konnten ihn viele deutsche TeilnehmerInnen kaum zuordnen, da sie das Werk zum ersten Mal sahen. Unsere zweite Frage richtete sich auf die Bedeutung der dargestellten Preußischen Huldigung. Die meisten in Deutschland aufgewachsenen BesucherInnen reagierten spekulierend: »So eine Art königlicher Empfang. Oder päpstlich?« Ebenso löste die Nennung des Jahres 1525 bei ihnen keinerlei Assoziationen aus. »Das habe ich nicht gewusst«, lautete die Reaktion vieler TeilnehmerInnen, als sie erfuhren, dass die Säkularisierung des Deutschen Ordnens den Beginn der weltlichen Geschichte Preußens bedeutete. Für die deutschen ZuhörerInnen waren solche historischen Zusammenhänge zumeist neu und sie begegneten ihnen mit 7 | Jan Matejko: Preußische Huldigung, 1882, Öl auf Leinwand, 388 x 785 cm, Krakau, Zamek Królewski na Wawelu (Inv. 8323/I-2). Siehe hierzu: Omilanowska (wie Anm. 3), S. 145.

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regem Interesse. Die polnischen TeilnehmerInnen konnten den historischen Kontext dieses Gemäldes oft selbst erklären. In Polen gehören das Jahr 1525 ebenso wie die Schlacht bei Grunwald/Tannenberg zum Allgemeinwissen. Diese Siege über den Deutschen Orden wurden im Rückblick als symbolische Triumphe über einen aggressiven deutschen Nachbarn gedeutet. Etwas weiter im Führungsverlauf betrachteten wir schließlich die Darstellung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der DDR und der VR Polen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die gemeinsame Analyse von Bogusław Szwaczs Gemälde Unterzeichnung des Friedensvertrages in Zgorzelec 8 vom ersten bis zum letzten Durchlauf unserer Führung sorgte immer wieder für einen lebhaften Dialog. Im Vorfeld hatten wir uns entschieden, an dieser Stelle mit unseren eigenen Biografien und Familiengeschichten zu arbeiten. Hierbei präsentierten wir einerseits den Blick einer polnischstämmigen Westdeutschen oder westdeutschen Polin und andererseits die Perspektive einer Ostdeutschen, die an der Oder geboren und aufgewachsen war. Indem wir unsere persönlichen Geschichten miteinbezogen, verließen wir die abstrakte und allgemeine Ebene der Geschichte und ihrer Rezeption in den darstellenden Künsten. Unsere eigenen Erzählungen fielen in den verschiedenen Gruppen auf fruchtbaren Boden. Gerade Themen, die für ältere TeilnehmerInnen noch immer schwierig erschienen, konnten wir nach diesen persönlichen Bekenntnissen von uns als sehr junge Zeitzeugen offener besprechen. Dazu gehörten etwa die Erfahrung von Flucht und Vertreibung oder der Alltag im Sozialismus. Wir konnten nun im Gespräch immer wieder persönliche Bezüge herstellen. Diese Form der Authentizität ermunterte ZuhörerInnen immer wieder, ihre persönlichen Erinnerungen in unseren Dialog einzubringen.

P R AK TISCHE H ER AUSFORDERUNGEN Hatte sich das Magazin der Geschichte als sehr dankbarer Raum für unsere Tandemführungen erwiesen, so stellte sich bei anderen Exponaten hin8 | Bogusław Szwacz: Unterzeichnung des Friedensvertrages in Zgorzelec, 1950, Öl auf Leinwand, 132 x 195 cm, Kozłówka, Muzeum Zamoyskich w Kozłówce (Inv. MPK/SW/436). Siehe hierzu: Omilanowska (wie Anm. 3), S. 714.

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gegen schnell heraus, dass sie sich für ein gemeinsames Gespräch nicht eigneten. Hierfür gab es verschiedene Gründe: In einigen Fällen boten sich die Räumlichkeiten nicht an, um darin mit einer größeren Gruppe länger zu verweilen. Ein anderes Mal war die Sichtbarkeit eines Exponats durch seine Größe oder Hängung ungeeignet. In dieser Hinsicht spielten praktische Aspekte eine größere Rolle als die theoretischen Überlegungen, die wir uns in der Vorbereitung der Führung gemacht hatten. Das zwang uns in einigen Fällen zu einer gründlichen Revision unseres Rundgangs. Als Beispiel für die räumlichen und inhaltlichen Herausforderungen soll hier Danzig – das Goldene Zeitalter dienen.9 Durch die Situierung in der ersten Hälfte der Ausstellungschronologie waren in diesem Raum vor allem Kunstgegenstände aus dem 16. und 17. Jahrhundert zu sehen. In diesem Raum hatte die Kuratorin keine Gegenüberstellung zeitgenössischer und historischer Werke vorgesehen. In einer der ersten Versionen unserer Führung wollten wir das Leben und Werk des Danziger Graphikers Daniel Chodowiecki als Grundlage für eine Erzählung über das grenzüberschreitende Reisen im freien Europa nutzen. Unser Versuch, anhand von Chodowiecki eine Erzählung zu entwickeln, in der nicht seine Nationalität, sondern seine Heimat Ausgangspunkt war, misslang gründlich.10 Es stellte sich als zu kompliziert heraus, den Kontext des 18. Jahrhundert zu erklären und einen Bogen in die Gegenwart zu schlagen – und das obwohl die Familie von Anna Labentz aus Danzig stammt. Da Chodowieckis Skizzen auch technisch für eine Gruppe von 15 bis 25 Personen zu klein waren und an einem engen Durchgang gehängt waren, gaben wir den Versuch, den Danziger Bürger und unsere Erfahrung von Europa in Verbindung zu bringen, gänzlich auf. 9 | Lohnend wäre diese Station aus dem Grunde gewesen, da insbesondere das 20. Jahrhundert in der Geschichte der Stadt für deutsche wie polnische Besucher von großem Interesse ist und innerhalb der Ausstellung hätte sein können. Für viele handelt es sich nicht nur um eine weit zurückliegende Vergangenheit, sondern um ihre biografischen Wurzeln und zum Teil sogar um ihre eigenen Erinnerungen. In dieser Hinsicht hätten auch wir hier gerne die Möglichkeit eines biografischen Bezugs genutzt, der durch die Konzentration auf ausschließlich historische Exponate allerdings nicht mehr gegeben war. 10 | Daniel Chodowiecki: Zwischen Oliva und Langfuhr, 1773, Feder, Sepia, 11,1 x 18,4 cm (Inv. Chodowiecki 17). Siehe hierzu: Omilanowska (wie Anm. 3), S. 358.

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Eine große Herausforderung für unsere Führung boten die beiden dem Zweiten Weltkrieg gewidmeten Räume. Wir entschieden, ein Exponat aus diesem dunklen Kapitel der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte in unser Konzept aufzunehmen. Da sich die Gestaltung dieser Räume stark von der übrigen Ausstellung unterschied, gingen wir zunächst auf ihre Inszenierung ein.11 Die Auseinandersetzung mit einzelnen Aspekten wie Licht, Architektur und Ton half den BesucherInnen, eine Sprache für die starke emotionale Wirkung des Zusammenspiels von Raum und Kunstwerken zu finden. Danach konzentrierten wir uns auf die Betrachtung der Skulptur Noyée 12 der polnisch-jüdischen Künstlerin Alina Szapocznikow. Sie zeigte den bleichen, nackten, kopf- und unterleibslosen Torso einer Frau, der in einer zähen, schwarzen Masse unterzugehen scheint. Eine Interaktion mit unseren FührungsteilnehmerInnen kam hier nur schleppend oder überhaupt nicht zustande. Im Rückblick gehen wir davon aus, dass dazu sowohl die Atmosphäre des Raumes als auch unser Fragefokus beigetragen hatten. Es war räumlich und emotional schwierig, den Fokus auf Szapocznikows Skulptur innerhalb des besonders dunkel und geräuschintensiv inszenierten Raums zu lenken. Der Kontext des Zweiten Weltkriegs, seine Inszenierung in der Ausstellung und die suggestive Raumgestaltung weckten bei vielen BesucherInnen negative Emotionen. Insbesondere bei älteren BesucherInnen schien der Raum und die von uns gewählte Skulptur allzu persönliche Assoziationen und Erinnerungen hervorzurufen. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten haben wir uns bald für eine Kürzung und später sogar für eine gänzliche Streichung dieser Station entschieden. Um aber eine 11 | Insbesondere auf das abgedunkelte Licht, den Gitterrostboden, die minimalistische Ausstattung und die permanente Beschallung mit einem lauten Rauschen im Hintergrund. Letzteres stammte von der Installation News to News, Ashes to Ashes von Jochen Gerz aus dem Jahre 1995 (s. Omilanowska wie Anm. 3, S. 654.) Es handelte sich um das akustisch verstärkte Geräusch verbrennenden Papiers, das der Künstler gefilmt hatte und in Endlosschleife auf 16 Monitoren gleichzeitig abspielen ließ. Neben dem mangelnden Licht und dem Gitterrostboden lenkte diese Installation am stärksten vom Rest des Raumes ab, da die BesucherInnen den Ursprung der Geräuschkulisse nicht ausmachen konnten. 12 | Alina Szapocznikow: Noyée, 1968, Polyurethan, farbiger Polyester, 150 x 47 cm, Privatsammlung. Siehe hierzu: Omilanowska (wie Anm. 3), S. 652.

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Kontinuität in unserer Narration zu bewahren, wiesen wir vor dem Betreten lediglich auf die Eigenart dieser Räume hin.

I NTERKULTURELLE UND INTERGENER ATIONELLE E RFAHRUNGEN »Also ich weiß nicht, wie oft ich mich von Ihnen heute noch beleidigen lassen muss!« – dieser empörte Zwischenruf einer älteren Teilnehmerin verwickelte uns während einer Führung in eine kontroverse Diskussion. Im Zusammenhang mit der Darstellung des politisch-historischen Hintergrundes von Szwaczs Unterzeichnung des Friedensvertrages hatten wir mehrfach das Akronym BRD anstelle der Bezeichnung Bundesrepublik Deutschland verwendet. Die Abkürzung BRD gehörte für uns zum gebräuchlichen Wortschatz und enthielt keine besondere Konnotation. Die Teilnehmerin aber wertete ihren öffentlichen Gebrauch als persönliche Beleidigung, weil sie sie noch heute ausschließlich für eine Erfindung der DDR-Propaganda hielt. In der folgenden Diskussion konnten wir so exemplarisch eine interessante intergenerative Wahrnehmungsverschiebung herausarbeiten: Es wurde für alle deutlich, dass weder der älteren Teilnehmerin noch uns bewusst war, dass man den Begriff je nach Hintergrundwissen, Kontextualisierung und Intention unterschiedlich verwenden konnte. Die jeweils anders verstandene Bedeutung und Konnotation führten so zu einem Missverständnis, das dank des Tandemformats wiederum Anlass für ein reges Gespräch in der Gruppe bot. In ihren Reaktionen hoben die BesucherInnen immer wieder die Narration der Ausstellung hervor. In der Außendarstellung sandte Tür an Tür die offizielle Botschaft eines deutsch-polnischen Miteinanders. Doch nach dem Rundgang durch die Ausstellung betonten viele BesucherInnen, dass sie vor allem Anda Rottenbergs Version der polnischen Geschichte erlebt hätten. Hierbei gehörte für uns der Wiedererkennungseffekt von TeilnehmerInnen mit polnischem Bezug zu einer konstanten Erfahrung. Die ZuhörerInnen, die in Polen aufgewachsen waren, sowie diejenigen, die sich schon vor dem Ausstellungsbesuch mit Kultur und Geschichte dieses Landes auseinandergesetzt hatten, kannten grundlegende Daten, hatten Assoziationen zu den Ereignissen und Exponaten. Sie griffen dabei auf ihre Schulbildung oder auf den Kanon des Allgemeinwissens zurück, welche zusammen mit Erzählungen aus dem fa-

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miliären Umfeld eine Art polnisches kollektives Gedächtnis prägen. Für die meisten deutschen BesucherInnen hingegen schienen fast alle Ausstellungsstücke eher unbekannt. Unsere Kontextualisierung sowie die gemeinsamen Interpretationen waren für sie in der Regel interessant und aufschlussreich. Entsprechend wurden in unseren Führungen vor allem deutsche BesucherInnen aktiv. Nur selten meldeten sich auch polnische bzw. polnischsprachige TeilnehmerInnen – trotz unserer einleitenden Begrüßung in polnischer Sprache. Wir nehmen an, dass viele von diesen polnischen BesucherInnen in Deutschland leben und so gut Deutsch sprechen, dass eine Übersetzung nicht notwendig war.13 Ebenso vermuten wir aber, dass es denjenigen polnischsprachigen BesucherInnen mit geringeren Deutschkenntnissen unangenehm war, auf Polnisch Fragen zu stellen. Folglich bemühten sich die zweisprachigen BesucherInnen, auf Deutsch mit uns zu kommunizieren. Uns erschwerte dies wiederum, polnische TeilnehmerInnen als solche ausmachen: Zum einen lag dies an den erwähnten sprachlichen Schwierigkeiten, zum anderen hing dieses Problem aber auch mit der Bekanntheit und damit einer gewissen Selbstverständlichkeit etwa von Matejkos Preußischer Huldigung zusammen. Tatsächlich konnte dieser unterschiedliche Grad an Vorwissen aber auch das Gegenteil bewirken. So griff ein Besucher aus Polen unsere Fragen zum besagten Gemälde auf und übernahm für kurze Zeit unsere Führung: Er deutete das Werk für die gesamte Gruppe und führte umfassend in die politischen und geschichtlichen Hintergründe des 16. und 19. Jahrhunderts ein. Dieser fachliche Monolog drohte an diesem Punkt unser Konzept zu sprengen, da die Besucher auf einen Schlag all das erfuhren, was wir gemeinsam erarbeiten wollten. Hier war das Vorwissen des Besuchers auf gewisse Weise unvorteilhaft für uns als Vermittlerinnen, da sich die Moderatorenrolle zeitweilen verschoben hatte (im Verlauf aber wieder von uns eingenommen wurde). Für die Gruppe waren die Ausführungen anderer TeilnehmerInnen allerdings in der Regel sehr interessant, zumal aus ihnen meist sehr lebhafte Diskussionen entstanden. 13 | Die Schwierigkeit einer Simultanübersetzung hätte einerseits dazu geführt, dass wir die Aufmerksamkeit der rein deutschsprachigen BesucherInnen verloren hätten, andererseits aber auch, dass unser Tandem nicht mehr als Tandem im Sinne eines zwischen uns stattfindenden Dialogs funktioniert hätte, wenn wir lediglich unser Gesagtes in beiden Sprachen wiederholt hätten.

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D OPPELTE D IALOGE — EINE H ER AUSFORDERUNG!/? Das Besondere an unseren Tandemführungen war, dass wir einen doppelten Dialog herstellen wollten. Wir wollten keine gewöhnliche monologische Lehrstunde für zwei Stimmen entwerfen. Deshalb versuchten wir oft und mit unterschiedlichen Mitteln ein Gespräch mit der Besuchergruppe zu initiieren und standen dabei auch als Tandem kontinuierlich in einem Dialog. Im Vorfeld hatten wir Fragmente des Gesprächs detailliert vorbereitet, so dass sich unsere Dialoge zu einem erheblichen Teil nicht spontan entwickelten. Unsere Grundidee bestand darin, in unserem Dialog zwei Seiten der Ausstellung zu thematisieren. Dabei wollten wir insbesondere auf unsere eigene DDR-/ost-deutsche und polnisch-/ west-deutsche Post-MigrantInnen-Perspektive zurückgreifen. Mit unseren eigenen, ganz verschiedenen biografischen Sichtweisen hofften wir eine interessante und authentische Narration schaffen zu können. Besonders gut und flüssig verlief dieser interne Dialog, wenn wir die je unterschiedliche Wahrnehmung der Schlacht bei Grunwald/Tannenberg in Polen und Deutschland präsentierten. In der Auseinandersetzung mit der Erinnerung an das deutsch-deutsch-polnische Verhältnis in der Nachkriegszeit anhand des Gemäldes zur Unterzeichnung des Görlitzer Abkommens konnten wir diesen internen Dialog ebenfalls bedeutungsvoll gestalten. Ein Zwiegespräch mit so klar verteilten Rollen war indes nicht über alle Stationen in unserer Führung möglich. Bisweilen lag das an der Thematik des Werks – so ist Jacek Malczewskis Melancholie 14 zwar unter ästhetisch-künstlerischen Gesichtspunkten überwältigend. Uns fiel es mitunter aber schwer, anhand dieses Exponats gemeinsam mit unseren TeilnehmerInnen eine klare Interpretation des deutsch-polnischen Verhältnisses während der Teilungszeit herauszuarbeiten: In dem Gemälde stellt der Künstler die Perspektive der unter dem Verlust ihrer Souveränität leidenden Polen dar. Der Anteil Preußens an den Teilungen sowie seine Politik gegenüber der polnischen Gesellschaft lässt sich hier nur unter Kenntnis des historischen Hintergrundes deuten. Um eine preußische bzw. deutsche Betrachtungsweise zu entwickeln, haben wir uns

14 | Jacek Malczewski: Melancholie, 1894, Öl auf Leinwand, 139,5 x 240 cm, Posen, Fundacja im. Raczyńskich am Muzeum Narodowe w Poznaniu (Inv. FR 44). Siehe hierzu: Omilanowska (wie Anm. 3), S. 515.

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im Gespräch weit vom Exponat als solchem entfernen müssen und es in dem Zuge zu einem bloßen Einstieg in die Thematik instrumentalisiert. In anderen Fällen funktionierte ein Dialog aus technischen Gründen nicht – so kam es vor, dass Signale für den nächsten Einsatz von der jeweils anderen falsch verstanden wurden oder dass eine den Part der anderen übernahm. Dadurch konnte hin und wieder der Eindruck einer eher traditionellen monologischen Führung entstehen. Im Allgemeinen fielen solche handwerklichen Fehler aber nicht stark ins Gewicht. Je öfter wir unsere Führungen hielten, umso einfacher und selbstverständlicher fielen uns die abgestimmten Dialoge. Umso leichter fiel es uns auch, uns spontan miteinander zu unterhalten – so lernten wir nicht nur einzeln, sondern gemeinsam im Zwiegespräch auf Kommentare aus der Gruppe einzugehen. Obgleich es sich mit jedem Mal um ein anderes Publikum handelte, entwickelten wir ein Gespür für typisch zu erwartende Kommentare – bei Matejkos Preußischer Huldigung etwa ließen sich die Reaktionen mit einiger Sicherheit bisweilen sogar voraussagen. Während der Dialog zwischen uns im Tandem trotz der genannten Schwierigkeiten sehr gut funktionierte, stellte sich der Dialog zwischen uns und der Gruppe hingegen als komplizierter heraus. Es war immer wieder eine große Herausforderung, die TeilnehmerInnen nach dem dialogischen Prinzip in die Führung aktiv mit einzubeziehen. Jedes Mal trafen wir auf eine neue, uns unbekannte Gruppe, deren Mitglieder sich untereinander auch nicht kannten. Durch unsere Fragen wollten wir niemandem zu nahe treten. Da uns die ethischen Grenzen dieses Formats bewusst waren, haben wir etwa versucht, niemanden zu drängen, von seinen eigenen Erfahrungen oder Erinnerungen offen zu berichten. Das verlangte von uns eine hohe Sensibilität – sowohl inhaltlich als auch emotional. Im Anschluss an eine Führung kam ein deutscher Teilnehmer von sich aus auf uns zu und suchte das Gespräch. Für ihn sei die Führung zwar eine interessante Erfahrung gewesen, er halte das dialogische Verfahren in einer unbekannten Gruppe allerdings für problematisch. Es sei seit langem sein erster freier Tag gewesen und so habe er sich in einer – seiner Erwartung nach irgendwie normalen – Führung einfach mal berieseln lassen wollen. Als Ausstellungsbesucher selbst aktiv werden zu müssen, entsprach demnach nicht den Erwartungen dieses Führungsteilnehmers. Dem gegenüber standen aber viele positive Einschätzungen anderer Teilnehmer. Eine Mitarbeiterin des Ägyptischen Museums zeigte sich im Hinblick auf das dialogische Führungsprinzip enthusiastisch,

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warf hinsichtlich seiner Anwendbarkeit in anderen Ausstellungsformen – welche wie Tür an Tür nicht per se bilateral gedacht sind – allerdings Bedenken auf.

U NSERE T ANDEMFÜHRUNG ALS MEDIALES E REIGNIS Das Medieninteresse an der Ausstellung war sehr groß. Zur Eröffnung der Ausstellung wurden wir vom RBB im Rahmen der Sendung Kowalski trifft Schmidt gefilmt. Dass uns das Filmteam gleich zu Beginn unserer Führungstätigkeit im Martin-Gropius-Bau begleitete, überforderte uns ein wenig, da wir noch keine Routine entwickelt hatten. In unserem anfänglichen Führungskonzept hatten wir beispielsweise noch nicht vor, chronologisch durch die Ausstellung zu führen. Zwei Stunden vor unserer ersten Führung und mit dem Filmteam im Rücken erfuhren wir aber, dass ein Beginn der Führung im Magazin der Geschichte im Zentrum der Ausstellung aus technischen Gründen nicht möglich sei. Notgedrungen folgten wir somit der Ausstellungschronologie und begannen wie oben beschrieben beim Heiligen Adalbert. Nach einigen Führungen hatten wir unseren eigenen Weg durch die Ausstellung gefunden. Ganz anders war die Erfahrung in der Zusammenarbeit mit dem Ersten Polnischen Fernsehen (TVP1), das eine Reportage über die Ausstellung vorbereitet und so einen längeren Vorlauf sowie eine längere Sendezeit eingeplant hatte. Im Vordergrund des Beitrags standen weniger die Konzeption und Gestaltung von Tür an Tür, sondern die Mitwirkenden des Projekts. Die Journalisten von TVP1 waren am persönlichen Hintergrund von Menschen interessiert, die heutzutage mitten in Berlin 1000 Jahre deutsch-polnische Geschichte zum Thema machten. Das Filmteam entschied sich nach einer Vorrecherche für unser Tandem. Die Aufnahmen wurden teilweise in der Ausstellung sowie teilweise zuhause erstellt. Dabei erzählten wir von unserem eigenen Leben wie über unsere Motivation, sich mit den Beziehungen dieser beiden Länder zu beschäftigen. Mag der persönliche Zugang zu diesem musealen Ereignis an ein breiteres Publikum gerichtet gewesen sein, so lenkte das filmische Endergebnis doch stark von der Ausstellung zugunsten einer etwas melodramatisch geratenen Reportage über den Umgang mit der deutsch-polnischen Nachbarschaft im heutigen Berlin ab.

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Das Ergebnis unserer Medienpräsenz war aber auch eine Führung für den regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, und Hanna Gronkiewicz-Waltz, die Stadtpräsidentin von Warschau. Eine Referentin des Bürgermeisters hatte einen positiven Bericht über unser Tandem in der Berliner Zeitung 15 gelesen und daraufhin den gemeinsamen Besuch in der Ausstellung mit einer solchen dialogischen Führung für das Besuchsprogramm der Warschauer Stadtpräsidentin vorgesehen. Trotz unserer der Situation geschuldeten Nervosität wurde es ein angenehmer 90minütiger Ausstellungsrundgang, bei dem wir die Gelegenheit hatten, 30 Minuten unserer Tandemführung zu präsentieren.

V ERINNERLICHTE B OTSCHAF TEN EINES DEUTSCH POLNISCHEN N EBENEINANDERS Rückblickend können wir festhalten, dass unsere Tandemführungen allgemein positiv aufgenommen wurden. Das bedeutet nicht, dass sie von Beginn an perfekt waren: Im Gegenteil nahmen wir beinahe vor jeder Führung kleinere oder größere Veränderungen vor. Wir reagierten so immer wieder auf Anmerkungen und Kritik seitens der TeilnehmerInnen und ließen unsere eigenen Beobachtungen einfließen, indem wir beispielsweise die Besprechung einzelner Exponate tauschten oder die Fragestellungen in unserem Dialog veränderten. Damit entwickelten sich unsere Führungen immer weiter und wir erlebten das Projekt insgesamt als kreativen Prozess, in dem nicht nur die BesucherInnen etwas Neues erfahren, sondern von dem auch wir stark profitieren konnten, in dem wir selbst immer neue Perspektiven einnahmen. Dabei blieb der Ausgangspunkt für die Führung unsere Leitlinie – die vorab erstellte inhaltliche Fragestellung. In Bezug auf unserenLeitlinie stellen wir nun mit einigem zeitlichen Abstand fest, dass wir mit der fortschreitenden Entwicklung der Führungen mehr oder weniger unbewusst die offizielle Botschaft der Ausstellung verinnerlicht hatten. Das Zusammenspiel von diplomatischen Verhandlungen im Vorfeld der Ausstellung und den von Anda Rottenberg getroffenen kuratorischen Entscheidungen hatte eine klare politische Botschaft von Tür an Tür geschaffen, die wir – unwillentlich – reproduzierten: Polen und Deutschland lagen und liegen nebeneinander – obok, wie der Titel der 15 | Siehe Anhang.

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Ausstellung auf Polnisch lautete. Vor Beginn der Ausstellung hatten wir noch geplant, anhand ausgewählter Kunstwerke eine alternative Erzählung der deutsch-polnischen Nachbarschaftsgeschichte zu entfalten. Wir wollten die im kollektiven Gedächtnis verankerten nationalen Dichotomien stärker hinterfragen, um gemeinsam mit den Besuchern ein Miteinander oder Ineinander16 hervorzuheben. Letztlich haben wir uns durch unsere Auswahl von Kunstwerken wie Malczewskis Melancholie der Narration der Kuratorin angeschlossen, die sich bewusst für eine polnische Erzählperspektive des deutsch-polnischen Verhältnisses als Zugang für die größtenteils deutschen Besucher entschieden hatte. Mit den Grafiken des Danzigers Chodowiecki hatten wir zwar Artefakte gefunden, anhand derer sich eine Erzählung von Personen gestalten ließ, die jenseits einer nationalen polnischen Perspektive zwischen beiden Gesellschaften und Kulturen vermittelten. Diese in unserer Führung zu einem tragenden Element zu machen, war uns schließlich aber nicht gelungen. Inwiefern haben wir uns also, obgleich wir eine kritische Meinung gegenüber dem Konzept von Tür an Tür hatten, von eben dieser Botschaft einer freundschaftlichen Nachbarschaft (ver)leiten lassen? In welchem Maße haben wir uns auch verstärkt nach den Reaktionen und dem Feedback der FührungsteilnehmerInnen gerichtet, indem wir Exponate und Räume ausgewählt hatten, in denen Interaktion und Dialog mit und innerhalb der Gruppe am besten funktionierten? Unsere Entscheidung für Matejkos Monumentalwerke oder das von den Werbeplakaten bekannte Porträt Hedwigs liegt zum Teil in unserem Versuch begründet, die BesucherInnen bei Bildern und Geschichten abzuholen, die ihnen nicht vollkommen fremd waren. Um auch im Gespräch Anknüpfungspunkte zu bieten, suchten wir immer wieder aufs Neue nach dem Bekannten im Fremden. Wenn ein Thema die so angeregte Diskussion eher unterbrach, wie es im Raum über die Rezeption des Zweiten Weltkriegs geschah, wa16 | Razem ist Polnisch für gemeinsam, zusammen, miteinander; während obok auf deutsch nebeneinander bedeutet – und interessanterweise zum polnischen Titel der Ausstellung gewählt wurde. Der Begriff des Nebeneinanders hat im Gegensatz zum deutschen Pendant Tür an Tür einen negativen Beigeschmack, indem er schließlich auch ein nebeneinander vorbei implizieren kann. Diesem Fokus wollten wir durch eine Hervorhebung der Personen und Ereignisse, die für ein Miteinander in der deutsch-polnischen Geschichte stehen bzw. als solches gelesen werden können, entgegenwirken.

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ren wir bereit, auf die Besprechung eines Exponats bzw. der dazugehörigen Räumlichkeiten ganz zu verzichten. Tatsächlich können wir festhalten, dass wir uns mit jedem Rundgang umso stärker daran orientierten, was von den TeilnehmerInnen gut aufgenommen wurde und was nicht. Insofern haben wir sogar weniger Bezug auf die offizielle Interpretation der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte genommen, sondern uns vielmehr nach den Erwartungen der BesucherInnen gerichtet. Von unserem ursprünglichen Gedanken einer alternativen und herausfordernden Erzählung sind wir nach und nach abgekommen. Unser anfängliches Konzept war einer Führung durch mehr oder weniger bekannte und emotional berührende, daher eventuell weniger fordernde Themenbereiche gewichen – zugunsten von gelungenen Rundgängen und regen Diskussionen mit den TeilnehmerInnen.

S CHLUSSBE TR ACHTUNGEN Hatte es an kontroversen Themen und auch Begegnungen in unseren Führungen nicht gefehlt, so hätten wir uns allgemein doch einen kontroverseren Dialog mit den TeilnehmerInnen erhofft. In diesem Wunsch spiegelte sich vor allem unser persönliches Interesse wider, denn letztlich erwies es sich als ungemein wichtiger, eine ansprechende Führung zu entwickeln, welche ein Gespräch mit und innerhalb der Gruppe in Gang brächte. In dieser Hinsicht hing also der Erfolg einer dialogischen Führung davon ab, ob und wie wir die TeilnehmerInnen zum Gespräch mit uns und untereinander anregen konnten. In den meisten Fällen gelang uns dies auch – trotz oder womöglich gerade wegen einer Anpassung unseres Führungskonzepts an die offizielle Botschaft von Tür an Tür. Wenn wir in Zukunft nochmals eine Tandemführung für eine Ausstellung entwickeln können, würden wir in Ruhe, ohne die Unruhe und Hektik der Eröffnung sowie der Berichterstattung, mehrmals durch die Ausstellung gehen, um zunächst einen eigenen Zugang zur Ausstellung zu finden. Die wichtigste Erfahrung, die wir in unserem Tandem gewonnen haben, ist die der situativen Konstruierbarkeit der Geschichte. Im Martin-Gropius-Bau haben wir diesen konstruierten Standpunkt schließlich ganz bewusst eingenommen, um innerhalb der Führung eine Erzählung zu entwickeln.

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Mit dem Format der Tandemführungen haben wir versucht dazu beizutragen, Besuchern einen neuen Blick auf die deutsch-polnischen Beziehungen zu ermöglichen. Hierbei konnten sie selbst eine andere, zweite, alternative Perspektive entwickeln. Insofern wurden die Führungen mehr als unsere ganz persönliche deutsch-polnische Beziehungskiste.17 Die partizipative Führungsform weckte Interesse und dieses verstehen wir als ersten Schritt, die Tür zu öffnen, um den Nachbarn von nebenan hereinzubitten.

17 | Titel eines Zeitungsartikels in der Berliner Zeitung vom 28.11.2011: Deutsch-polnische Beziehungskiste. Zwei Seiten derselben Geschichte: Eine Tandemführung durch die Schau Tür an Tür im Gropius-Bau. Siehe Anhang.

Anregung durch Andersdenkende Dialogische Vermittlung deutsch-polnischer Beziehungsgeschichte Anne Wanitschek

Die hier beschriebene und analysierte Tandemführung wurde im Rahmen der Ausstellung Tür an Tür für das Vermittlungsprogramm des Martin-Gropius-Baus entwickelt. Ich erarbeitete diese Führung gemeinsam mit Lisa Just innerhalb des Seminars Interkulturelle historisch-politische Bildung in musealen Räumen im Rahmen meines Masterstudiums Kultur und Geschichte Mittel- und Osteuropas an der Europa-Universität Viadrina. Im Folgenden werden der Auswahlprozess der Exponate sowie die Reaktionen der Besucherinnen erläutert. Das Motto Anregung durch Andersdenkende nimmt Bezug auf ein Zitat des zeitgenössischen deutschen Künstlers Günther Uecker.1 Ziel unserer Tandemführung war, mit den BesucherInnen wichtige Ereignisse und Einschnitte der polnischen Geschichte und ihre Auswirkungen auf Polens Nachbarn und Europa in einem übergeordneten Sinne zu diskutieren. Unser Fokus lag dabei auf Persönlichkeiten, die in wichtigen Phasen der deutsch-polnischen Beziehungen eine zentrale Rolle spielten. Gemeinsam mit den BesucherInnen beleuchteten wir im Ausstellungsraum historische Stationen in der 1 | Handschriftliche Signatur von Uecker auf dem Splitter für Polen: »Die Entwicklung des Menschen ist bedingt durch die geistige Anregung durch ANDERSDENKENDE. Uecker 82.« Günther Uecker schuf die Skulptur für die Auktion Für Solidarność. Gegen das Kriegsrecht in Polen. Siehe auch: Wiese, Stefan von: Künstler stiften ihre Werke für Polen. Die Auktion: Gegen das Kriegsrecht in Polen – für Solidarność und ihre Vorgeschichte, in: Omilanowska, Małgorzata (Hg.): Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte, Köln 2011, S. 702-707.

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Geschichte Polens, die sowohl für Polen selbst als auch für benachbarte Herrschaftsgebiete von Bedeutung waren. Wir wollten gemeinsam mit den Besuchern Elemente von Multiperspektivität herausarbeiten. Dabei brachten wir auch unsere eigenen Erfahrungen und Interessen ins Gespräch mit den BesucherInnen und versuchten immer wieder durch das fokussierte Beleuchten ausgewählter Aspekte der Vergangenheit eine Verknüpfung zur Gegenwart herzustellen. Dieser öffentlichen Dialog zwischen den Besuchern und uns bot die Möglichkeit nach der vorausgangenen theoretischen Auseinandersetzung im Seminar, die Vermittlung polnischer Geschichte in der Praxis zu erproben. Am Ende des Beitrages werde ich reflektieren, welchen Einfluss das dialogische Prinzip auf unsere Rolle als deutsch-polnische Multiplikatorinnen hatte. Es folgt ein Ausblick auf Chancen und Herausforderungen dialogischer und partizipativer Begleitprogramme in historischen Ausstellungen. In der aktuellen Kunst- und Kulturvermittlung gehört es inzwischen zum Standard, dass neben den gewohnten monologischen Führungen auch dialogische Rundgänge durch Museen und Ausstellungen angeboten werden.2 In einem moderierten Gespräch eigen sich die BesucherInnen aktiv Wissen an und kommunizieren eigene Deutungen. Diese Praxis ermöglicht eine relativ leicht zu realisierende Form von Partizipation in Museen und Ausstellungen, die BesucherInnen neue Zugänge zu Kunst, Kultur und Geschichte eröffnet. Um diesem Dialog einen Rahmen zu geben bedarf es einer bestimmten Gesprächstechnik, deren Grundzüge wir Studentinnen im Rahmen des Seminars an der Europa-Universität Viadrina lernten. Parallel dazu vertieften wir zentrale Themen der deutschpolnischen Beziehungsgeschichte. In Kombination dieser beiden Wissensgebiete erarbeiteten wir im Vorfeld der Ausstellung Tür an Tür ein Methodenprotokoll und ein Führungskonzept, welche ich im Anhang dokumentiert sind. Auf dieser Grundlage analysiere ich, welche Möglichkeiten zu Dialog und Partizi2 | Während der Entstehung des Textes fand beispielsweise in der Ausstellung Russen und Deutsche. 1000 Jahre Kunst, Geschichte und Kultur im Neuen Museum Berlin die Führung Russen und Deutsche im Dialog statt. www.smb. museum/smb/kalender/details.php?objID=39897&typeId=11&datum=24.11. 2012, 24.1.2013.

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pation den TeilnehmerInnen in unserer Führung überhaupt gegeben waren. Damit möchte ich auch die Grenzen dieser Form von Partizipation und die besondere Verantwortung bzw. Macht aufzeigen, die in dieser Art des inszenierten Dialogs bei den ModeratorInnen verbleibt.

E RSTE P HASE DER F ÜHRUNG : V ON DER C HRISTIANISIERUNG BIS C OPERNICUS Die Ausstellungserzählung beginnt mit verschiedenen Darstellungen der Legende vom Heiligen Adalbert (poln. Św. Wojchiech).3 Die Kuratorin inszenierte diesen als gleichzeitigen Anfangspunkt der polnischen Geschichte und den Beginn nachbarschaftlicher Beziehungen zwischen Deutschen und Polen. In diesem ersten Raum begann auch der Rundgang der von uns entworfenen Führung. Nach einer kurzen Begrüßung in deutscher und polnischer Sprache, baten wir die TeilnehmerInnen der Tandemführung vor das erste Objekt zu treten. Die Sprache blieb während des gesamten Rundgangs, mit Ausnahme der Begrüßung und Verabschiedung, blieb deutsch und das Tandem bezog sich lediglich auf unsere Konstellation als Team von zwei Personen. Wir hatten uns entschieden, der Logik der Ausstellung zu folgen und begannen unseren Dialog vor einem Werk von Mirosław Bałka aus dem Jahr 1987. Die Installation des polnischen Künstlers zeigt einen Torso des Märtyrers Adalbert, der 997 von heidnischen Pruzzen hingerichtet wurde. Der polnische König Bolesław der Tapfere (poln. Bolesław Chobry) löste die sterblichen Überreste des böhmischen Missionars aus und ließ sie öffentlichkeitswirksam in Gnesen bestatten. Zu diesem neuen Wallfahrtsort pilgerte im Jahr 1000 auch Otto III. Durch die damit vollzogene Anerkennung des Erzbistums Gnesen wurde Polen formell Teil der römisch-christlichen Welt und erlangte eine frühe Form von Staatlichkeit.4 Durch die Wahl dieser Station wollten wir die enge symbolische Verbindung zwischen dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und dem Königreich Polen thematisieren. Durch die Personifizierung durch 3 | Bałka, Mirosław: Heiliger Adalbert, 1987, Leinwand, Holz, Hafer, Neonröhren, Elektroinstallation, 300 x 300 cm, Lodz, Muzeum Sztuki w Łodzi (Inv. MS/ SN/R/418). Abgebildet bei: Omilanowska (wie Anm. 1), S. 56, Abb. 1.1. 4 | Alexander, Manfred: Kleine Geschichte Polens, Bonn 2005, S. 25-29.

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den Hl. Adalbert erhielt sie in den folgenden Jahrhunderten der Beziehungsgeschiche immer wieder eine neue Bedeutung. Wir begannen aber zunächst gemeinsam mit den BesucherInnen die einzelnen Bestandteile des Werkes von Mirosław Bałka zu benennen: Eine rote Axt, grüne Blutstropfen, die bei vielen Besuchern die Assoziation der Hoffnung hervorriefen, ein verstümmelter Körper, Hafergras in einem Kasten auf dem Boden, welches oft als Zeichen der Wiedergeburt verstanden wurde.5 Durch die Einfachheit der einzelnen Bestandteile des Werkes, aber auch die Irritationen, die es hervorrief, entwickelte im Gespräch ein Spannungsbogen, der die TeilnehmerInnen von Anfang an zum Mitmachen und Mitdenken animierte. So wurden nach unserem Gefühl bei vielen TeilnehmerInnen Unsicherheiten schon zu Beginn schnell überwunden, was sich gut auf den weiteren Verlauf der Führung auswirkte. Mit einem altertümlichen Kunstwerk oder komplexeren Exponat wäre dies wahrscheinlich schwieriger gewesen. Wir legten Wert darauf, unsere Impulsfrage so zu formulieren, dass die Besucher das Bild beschreiben ohne dass wir konkretes Wissen abfragen. Den Zusammenhang zur Gesamtkonzeption der Ausstellung und mögliche Kernaussagen der Installation brachten wir als Tandem in das bereits entstandene Gespräch ein und stellten sie zur Diskussion. Unsere Befürchtung, dass die BesucherInnen zu Beginn eher zurückhaltend sein würden, trat dann in der Regel erst bei unserem nächsten Objekt im zweiten Raum der Ausstellung ein. Hier hatten wir uns vor Eröffnung der Ausstellung für eine Darstellung der Hl. Hedwig von Schlesien (poln. Św. Jadwiga) aus dem späten Mittelalter entschieden.6 Durch die Verbindung von gemeinsamer Analyse einer Skulptur und der Erzählung der wichtigsten Eckpunkte ihrer Biographie schlugen wir eine inhaltliche Brücke zum Magdeburger Recht, auf dessen Grundlage im 13. Jahrhundert zahlreiche Städte in ganz Mittel- und Osteuropa gegründet wurden.7 Jedoch wurde schnell deutlich, dass dieses Thema den Verlauf der Führungskonzeption und den gerade erst aufgenommenen Gesprächsfaden eher störte. Dazu trug auch bei, dass die Position 5 | Vgl. Korduba, Piotr: 1.1 Hl. Adalbert, Mirosław Bałka, in: Omilanowska (wie Anm. 1), S. 56. 6 | Hl. Hedwig, Skulptur, um 1500, abgebildet bei: Omilanowska (wie Anm. 1), S. 47. 7 | Vgl. Alexander, Manfred: Kleine Geschichte Polens, Bonn 2005, S. 47.

Anregung durch Andersdenkende

der Skulptur der Hl. Hedwig in einer Vitrine in einer Ecke des Raumes eine gemeinsame Betrachtung in der Gruppe erschwerte. Deshalb entschieden wir uns nach den ersten Führungen für andere Exponate, die in diesem Raum ausgestellt waren. Nachdem wir unseren TeilnehmerInnen Bolesław den Tapferen als weltlichen Herrscher mit einer sehr aktiven und strategischen Heiratspolitik vorgestellt hatten, diskutierten wir ein konkretes Beispiel einer solchen dynastischen Verbindung. Dazu eigneten sich besonders die Portraits der aus Polen stammenden Herzogin Hedwig von Bayern-Landshut 8 und ihrem ihren Mann Georg dem Reichen aus der frühen Neuzeit. Die Bilder hingen zentral im Raum, dass es möglich war, sie mit der gesamten Gruppe zu betrachten, ohne den sonstigen Publikumsverkehr zu stören. Nach einer kurzen Einführung der Herzogin Hedwig fragten wir die BesucherInnen, welchen Beinamen sie dem Ehemann heute geben würden. Es fielen ganz unterschiedliche, oft ausgefallene Vorschläge. Die Atmosphäre lockerte sich hierdurch zunehmend auf. Bei der Analyse des Portraits der Herzogin kamen die BetrachterInnen zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um eine in dieser Zeit idealtypische Darstellung einer Frau handle. Durch die gemeinsame Betrachtung weiterer Details wie des blau-weißen Rautenmusters im Kleid sowie einer Taube auf der Hand kamen wir im Dialog mit der Gruppe auf die Landshuter Hochzeit im Jahr 1475 zu sprechen. Diese galt lange Zeit als das aufwendigste Hochzeitsfest des Mittelalters und war Anlass der Vermählung der polnischen Prinzessin Hedwig mit dem Herzog Georg dem Reichen von Niederbayern.9 Unser Anliegen war es, die Landshuter Hochzeit als ein Ereignis der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte beispielhaft für viele weitere deutsch-polnische Verbindungen auf dynastischer Ebene hervorzuheben. Immer wieder erlebten wir an dieser Stelle, dass die TeilnehmerInnen durch unsere Fragen und unser aktives Miteinbeziehen in die Betrachtung der Bilder bereit waren, eigene Gedanken einzubringen und zunehmend motiviert waren, ihre Sicht auf die Portraits und ihre Bedeutung für die Gegenwart in dieser halböffentlichen Runde zu formulieren. Die Ana8 | Anonym: Herzogin Hedwig, um 1530, Mischtechnik auf Pergament, auf Leinwand übertragen, 69 x 54,4 cm, Landshut, Burg Traunstein. Abgebildet bei: Omilanowska (wie Anm. 1), S. 249, Abb. 6.2. 9 | Vgl. Gąsior, Agnieszka: Dynastische Verbindungen der Jagiellonen mit den deutschen Fürstenhäusern, in: Omilanowska (wie Anm. 1), S. 212-217.

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lyse der Portraits, die Hochzeitsgeschichte, aber auch die teilweise immer noch anhaltende Resonanz der Landshuter Hochzeit, die heute alle vier Jahre nachgespielt wird, boten den BesucherInnen die Möglichkeit, an eigenes Wissen anzuknüpfen und gaben Raum, kleine Anekdoten preis zu geben. Auch hier war uns daran gelegen, nicht einfach Wissen abzufragen, sondern dieses immer wieder in das Gespräch einzubringen, ohne daraus eine Ratestunde zu machen. Von Niederbayern aus nahmen wir unsere TeilnehmerInnen mit auf eine kurze Reise durch die Ausstellung nach Thorn (poln. Toruń). Anhand eines Portraits von Nicolaus Copernicus (poln. Mikołaj Kopernik) aus dem 16.Jahrhundert, wollten wir den BesucherInnen durch diese Persönlichkeit einen Einblick in unsere eigene Begeisterung für Polen gewähren. Diese veranschaulichten wir hier durch den Verweis auf einen eigenen Studienaufenthalt an der Nicolaus Copernicus Universität in Thorn. Copernicus wurde 1473 in Thorn in eine deutschsprachige Kaufmannsfamilie geboren. Er studierte u.a. in Krakau und Padua – Medizin, Kirchenrecht und Jura. Berühmt wurde er durch seine Schriften zum Planetensystem der Sonne, die als Grundstein des heliozentrischen Weltbildes gelten. Die Ausstellung zeigte zahlreiche seiner gedruckten Werke sowie Objekte, die die Rezeption seiner Person dokumentieren. Bevor wir Nicolaus Copernicus’ Leben und Werk erörterten, fragten wir die BesucherInnen, wer bereits von ihm gehört hatte. Meist meldeten sich alle TeilnehmerInnen – die Mehrheit nickte. Unsere zweite Frage führte in der Regel zu mehr Dissonanz: Ob ihnen Copernicus eher aus dem deutschen oder polnischen Kontext bekannt sei? Bei fast allen Führungen kam es zu einer lebhaften Diskussion. Nach der kurzen Vorstellung seiner Person und seines Schaffens und einer gemeinsamen Betrachtung seines Portraits, kamen wir noch einmal auf die Frage zurück und spitzten sie zu: Welcher Nation gehörte die historische Person an? Bis heute wird Copernicus sowohl von der deutschen, als auch von der polnischen Seite eingenommen – das wurde auch in all unseren Gruppen bestätigt: Es fanden sich stets Verfechter beider Positionen. An diesem Punkt der Führung kamen mehrere Aspekte des dialogischen Prinzips zum Tragen: Zum einen zeigte sich, ob die Mehrzahl der TeilnehmerInnen eine stärker aktivierende, dialogische oder eine klassische, passive Führung bevorzugte. Bis auf wenige Ausnahmen wussten wir im Vorfeld nie, welche Zusammenstellung die Gruppe haben würde. Die Teilnahme an den Tandemführungen wurde öffentlich angeboten und es kamen stets sehr he-

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terogene Gruppen zustande. Unter den TeilnehmerInnen befanden sich Touristen und Berliner gleichermaßen wie Polen- und Kunstinteressierte. Heterogen war ebenso das Alter wie der Wissensstand zur deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte. Dies alles zu berücksichtigen war in jeder Führung eine Herausforderung, die wir immer wieder neu annahmen. Es wurde anhand der Diskussion über die Nationalität von Copernicus auch überdeutlich, ob wir mit der Gruppe eine gemeinsame Sprache gefunden hatten, und unsere Moderation geeignet war, die TeilnnehmerInnen auch untereinander ins Gespräch zu bringen. Copernicus ist gut geeignet, um gemeinsam mit den TeilnehmerInnen herauszuarbeiten, wie unterschiedlich die Wahrnehmung von Geschichte ist. Dabei konnten wir gemeinsam herausarbeiten, dass nationale Zuschreibungen erst im 19.Jahrhundert aufkamen und wie wir diese aus heutiger Perspektive auch auf die Zeit vor dem 19.Jahrhundert anwenden. Dieser Aspekt führte uns zu unserem nächsten Dialogpunkt über die erste Teilung Polens im Jahr 1772. Abbildung 5: Präsentation des bekanntesten Portraits von Nicolaus Copernicus (vor 1595, Holz; 51,5 x 40,5 cm, Thorn, I Liceum Ogólnokształcące w Toruniu (Leihgabe im Muzeum Okręgowe w Toruniu). Nicolaus Copernicus bzw. Mikołaj Kopernik wurde im 19. und 20. Jahrhundert sowohl von Polen als auch von Deutschen in Anspruch genommen.

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Z WEITE P HASE DER F ÜHRUNG : V ON DEN TEILUNGEN P OLENS NACH V ERSAILLES Auf dem Kupferstich Der königliche Kuchen10 werden die russische Zarin Katharina II., der österreichische Kaiser Joseph II. sowie der preußische König Friedrich II. mit einer Landkarte der Rzeczpospolita dargestellt. Johannes E. Nilsons versinnbildlicht damit, wie sie 1772 die territorialen Einzelheiten der ersten Teilung der polnisch-litauischen Adelsrepublik beschließen.11 Es folgten zwei weitere Teilungen, so dass das Königreich Polen zum Ende des 18. Jahrhunderts als Staat von der europäischen Landkarte verschwand. Nilsons Darstellung der Lage der Rzeczpospolita ist nur eine von vielen Varianten dieser bildlichen Darstellung der Teilungen. Gemeinsam mit den TeilnehmerInnen unserer Führung erörterten wir, welche Personen auf dem Kunstwerk abgebildet sind. Es folgte eine gemeinsame Analyse der dargestellten Situation Polens und der Interessen der Teilungsmächte. Uns als Tandem-Vermittlerinnen überraschte an dieser Station immer wieder, über welch großes Wissen die TeilnehmerInnen zu dieser Epoche verfügten. Wir fanden dafür zwei Erklärungen: Erstens nehmen an dieser Art thematischer und experimenteller Führung Personen teil, die eine starke Eigenmotivation haben, gerade weil sie über einen eigenen Bezug zum Thema verfügen oder weil sie überdurchschnittlich gut gebildet sind. Zweitens ist möglich, dass die Gruppe durch das vorhergegangene Gespräch so aufgelockert war, dass die zuvor vorhandene Barriere eigenes Wissen einzubringen deutlich niedriger war. Unser Rundgang sah ursprünglich vor, den Novemberaufstand von 1830/3112 und die damit einhergehende Polenbegeisterung in Deutschland zu mittels eines handschriftlichen Notenblatts von Richard Wagners Ouvertüre in C-Dur mit dem Titel Polonia13 aus dem Jahr 1836 zu thematisieren. Durch die Positionierung des Originals in einer Glasvitrine 10 | Johannes Esaias Nilson: Die Lage des Königreichs Pohlen im Jahre 1773 (Der königliche Kuchen), Kupferstich, 19,9 x 18,7 cm, Berlin Staatliche Museen, Kupferstichkabinett (Inv, 873-107). Abgebildet bei: Omilanowska (wie Anm. 1), S. 483, Abb. 13.7a. 11 | Vgl. Alexander (wie Anm. 7), S. 128ff. 12 | Vgl. Ebenda, S. 199ff. 13 | Richard Wagner: Partitur der Ouvertüre in C-Dur »Polonia«, 1836, Papier, Handschrift (Noten), 20 x 15 cm, Bayreuth, Richard-Wagner-Museum (Inv.

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in einem Durchgang ergaben sich aber praktische Schwierigkeiten, die wir nicht vorausgesehen hatten. Daher machten wir statt des Notenblatts das großflächige Gemälde Melancholie (poln. Melancholia) zum Thema.14 Dadurch erreichten wir, dass wir über die kurze Phase deutscher Polenbegeisterung hinaus einen bedeutenden Mythos der polnischen Kultur anhand eines imposantes Werkes thematisieren konnten. Gemeinsam mit den TeilnehmerInnen analysierten wir den formellen Aufbau von Jacek Malczewskis Meisterwerk. Wir fragten nach Auffälligkeiten und Zusammenhängen und machten die Erfahrung, dass ihnen die Deutungen erstaunlich leicht fielen. Dies mochte unter anderem daran liegen, dass das Gemälde mit dem Unabhängigkeitskampf ein zentrales Thema der nationalen Mythologie aufgreift. Die polnische Nation findet sich auf dem Bild in Form von Literatur, Musik und Kunst wieder und am Ende steht symbolisch die Wahl zwischen Freiheit und Tod. Die von uns moderierten Gruppen waren von diesem Kunstwerk sehr beeindruckt. Wir hatten den Eindruck, dass an den vorangegangenen Gesprächsstationen Fäden entwickelt wurden, die wieder aufgenommen wurden und die wir neu zusammenbringen konnten. Damit war auch der Tausch der Objekte gerechtfertigt, obwohl eine polenfreundliche Ouvertüre aus der Feder von Richard Wagner einen ganz eigenen Reiz als Ausgangspunkt für ein Gespräch hat. Die besonders aktive Beteiligung an der Diskussion sprach aber schließlich eindeutig für die Wahl von Malczewskis Gemälde. Es wurde an dieser Stelle abermals deutlich, dass Faktoren wie die Größe des Objekts, ausreichender Platz für die BesucherInnen sowie die Licht- und Hängeverhältnisse eine wichtige Rolle in der Führung durch die Ausstellung spielten. Um zum nächsten Raum der Ausstellung zu gelangen mussten wir den Lichthof des Martin-Gropius-Baus durchqueren. Die hier ausgestellten Kunstwerke widmeten sich thematisch dem Mythos und der Realität des Deutschen Ordens. Obwohl dieser Aspekt inhaltlich nicht linear in unsere Konzeption passte, wollten wir unsere Gäste nicht ohne Kommentar an WWV 39), Sig. NA (Bl ec 1). Siehe hierzu: Omilanowska (wie Anm. 1), S. 502, Abb. 14.23. 14 | Jacek Malczewski: Melancholie, 1894, Öl auf Leinwand, 139,5 x 240 cm, Posen, Fundacja im. Raczy ńskich am Muzeum Narodowe w Poznaniu (Inv. FR 44). Abgebildet bei: Omilanowska (wie Anm. 1), S. 515, Abb. 14.49.

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den sehr eindrucksvollen Objekten vorbeigehen lassen. So lenkten wir die Aufmerksamkeit der TeilnehmerInnen während eines Zwischenstopps im Lichthof auf das imposante Gemälde der Preußischen Huldigung (poln. Hołd Pruski)15 von Jan Matejko, welches einen zentralen Ort im kollektiven polnischen visuellen Gedächtnis belegt, und wiesen auf seine Inszenierung hin. Diesen Teil der Ausstellung hatte die Kuratorin Magazin der Geschichte genannt.16 Meine Tandemmoderatorin und ich empfanden den kurzen Stopp oftmals als störenden Faktor in unserer chronologisch aufgebauten Führung. Da wir außerhalb der Gitter standen, konnten die TeilnehmerInnen nur schwer einen Überblick gewinnen und auch ein freier Blick auf das Gemälde Preußische Huldigung war kaum möglich. Dies führte eher zu mürrischen oder fragenden Gesichtern. Im Nachhinein betrachtet wäre es sinnvoller gewesen, die BesucherInnen am Anfang oder am Ende des Rundgangs auf diese Besonderheit der Ausstellung hinzuweisen und sie zu ermuntern diese nach Beendigung der Führung noch selbst zu entdecken. Um innerhalb von 90 Minuten ein Gespräch zu moderieren und Grundzüge der Ausstellung zu erschließen, mussten wir in unsere Führung Schnitte einbauen. Zu diesen gehören die großen zeitlichen Sprünge von den Teilungen über den Aufstand von 1830/31 hin zur Wiederentstehung des polnischen Staates im November 1918. Dazu betrachteten wir gemeinsam mit unseren GesprächsparterInnen das Gemälde Nike der Polnischen Legionen (poln. Nike legionów).17 Jacek Malczewski malte in diesem 1916 fertig gestellten Werk wie die Siegesgöttin Nike Soldaten den Weg weist.18 Bei der Analyse wunderte uns als Tandemteam jedes Mal aufs Neue, dass den TeilnehmerInnen erst auf Nachfrage die Verknüpfung von Freiheitssymbol, Weiblichkeit und Nacktheit auffiel. Wir 15 | Jan Matejko: Preußische Huldigung, 1882, Öl auf Leinwand, 388 x 785 cm, Krakau, Zamek Królewski na Wawelu (Inv. 8323/I-2). Abgebildet bei: Omilanowska (wie Anm. 1), S. 145, Abb. 3.48. 16 | Jarosław Kozakiewicz: Das Magazin der Geschichte, 2011, Stahlgitterkonstruktion, 11 x 21,8 x 15,7 m, Berlin, Martin-Gropius-Bau. Abgebildet bei: Ebenda, S. 153, Abb. 3.59. 17 | Jacek Malczewski: Nike der Polnischen Legionen, 1916, Öl auf Holz, 193 x 94 cm, Krakau Towarzystow Przyjaciół Sztuk Pięknych. Abgebildet bei: Ebenda, S. 561, Abb. 16.2. 18 | Vgl. Alexander (wie Anm. 7), S. 261ff.

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wollten jene Nacktheit als Aufhänger für die folgende Diskussion nutzen. Ein weiteres Anliegen war es, im letzten Drittel der Führung den Aufmerksamkeitsbogen erneut zu spannen. Das erwies sich aufgrund der Konstitution der folgenden Räume als äußerst schwierig. Doch auch die Deutung von Malczewskis Nike-Gemälde barg eine Schwierigkeit: Während die polnischen Teilnehmer sofort etwas damit anzufangen wussten, stellt sich heraus, dass der Erste Weltkrieg im kulturellen Gedächtnis unserer deutschen TeilnehmerInnen viel weniger verankert ist. Der polnische Kampf um die eigene Unabhängigkeit war für die meisten deutschen Besucher ein ganz und gar neues Thema. Damit waren wir auch bei den Grenzen der dialogischen Gesprächsführung angekommen: Es ist fast unmöglich, BesucherInnen dialogisch in die Führung einzubinden, wenn es zur Erörterung einer gemeinsamen Frage nicht eine minimale Basis geteilten Wissens gibt. Im räumlich anspruchsvollen Rahmen der großen Ausstellung erscheint es uns illusorisch zu erwarten, dass in jeder Gruppe bereits zum Beginn der Führung genügend Wissen vorhanden ist, um all diese Fragen gemeinsam partizipativ zu erörtern. Dabei haben wir mit der Analyse der Nike selbst eine Situation geschaffen, in der wir den Kontext und damit ein Stück weit auch die Deutung selbst erklären und im direkten Wortsinn vermitteln mussten. Nach der darauf folgenden Diskussion der Nike gaben wir unserer Gruppe einige Minuten Zeit und baten sie, auf die Beschaffenheit der folgenden, dem Zweiten Weltkrieg gewidmeten Räume zu achten

A BSCHLUSSPHASE DER F ÜHRUNG : N ACHKRIEG UND G EGENWART Die Räume, die künstlerische Reflexionen des Zweiten Weltkrieges zeigten, unterschieden sich formell stark vom Rest der Ausstellung. Eine gesonderte Installation von Mirosław Bałka sowie die Innenarchitektur schufen eine besondere Atmosphäre. Das Licht war stark gedämmt. Metallroste über dem Boden sorgten für eine veränderte Gangart der BesucherInnen. Es war eine dichte Geräuschkulisse vernehmbar. Die Führungsteilnehmer äußerten vor allem Assoziationen mit Krieg, Kampf, Flucht und Bombenhagel. Wir stellten den Zweiten Weltkrieg bewusst nicht in den Mittelpunkt unserer Führung.

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Wir nahmen daher nach einer kurzen Besprechung dieser Eindrücke einen Schnitt vor und wandten uns dem Hirtenbrief, den die polnischen Bischöfe am 18. November 1965 an die deutschen Bischöfe geschrieben hatten, zu. Für uns war der Brief weniger wegen seiner physischen Erscheinung des Originals sondern wegen des bis heute bedeutenden Inhalts ein persönlicher Höhepunkt der Ausstellung. Daher war uns daran gelegen, den Entstehungshintergrund zu vermitteln: Er wurde im Zuge der Vorbereitungen der Feierlichkeiten zum Millennium der Christianisierung Polens verfasst und sorgte noch jahrelang für Diskussionen. Das polnische Episkopat lud darin die deutschen Bischöfe nach Polen ein und rief sie gleichzeitig zu Dialog, Versöhnung und Brüderlichkeit auf.19 Der Satz des Anstoßes lautete: »Wir vergeben und bitten um Vergebung.« Wir luden mit genau diesem Satz unsere TeilnehmerInnen zur Auseinandersetzung mit dieser schwierigen Epoche in der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte ein. Die Frage, warum Polen Deutsche um Vergebung baten, strukturierte die Diskussion. Nicht nur die Folgen des Zweiten Weltkriegs und die Debatten um Flucht und Vertreibung, auch die Politik Wandel durch Annäherung und die Geschichtsaufarbeitung in der DDR und BRD boten hier reichlich Stoff für Kontroversen in der Gruppe. Wir stellten fest, dass die Diskussionen besonders in Gruppen mit Teilnehmern aus Deutschland und Polen sehr lebendig waren. Obwohl es sich bei dem Artefakt nur um einen Brief handelte, konnten wir die regen Diskussionen unserer BesucherInnen mitunter kaum stoppen. Dabei war es gar nicht notwendig unser eigenes Wissen beizusteuern. Oft beleuchteten die TeilnehmerInnen selbst spannende historische Aspekte. Dabei erzählten sie aus autobiographischer Perspektive oder brachten ihr Wissen über die Zeitgeschichte in die Diskussion ein. Eine mögliche Erklärung liegt im Alter der TeilnehmerInnen: Viele von ihnen wuchsen in den Nachkriegsjahrzehnten auf und sind somit selbst Zeitzeugen. So öffnete unsere Führung einen Gesprächsraum, in welchem sie ihre persönliche Erfahrungen und Erzählungen in die Diskussion einbringen konnten. Erstaunlich an dieser Station unseres Rundgangs war auch, dass sich diese Lebhaftigkeit der Diskussion selbst in sonst wortkargeren Gruppen einstellte. Es kam hier gegen Ende der Führung stets zu einem regen Austausch zwischen deutschen und polnischen TeilnehmerInnen. Jedes 19 | Anlass war die 1000-Jahrfeier der Taufe des polnischen Herzogs Mieszko I. im Jahr 966.

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Mal nahmen sie unseren Impuls auf und stets wollte jemand etwas ganz Persönliches beisteuern. Oft hatten wir an dieser Stelle sogar Probleme, die Diskussion auf das letzte Objekt unserer Führung zu lenken. Als Schlusspunkt der Führung wählten wir den 1982 im Rahmen einer Solidaritätsaktion für polnische Künstler entstandenen Splitter für Polen20, um einen direkten Bezug zum Motto unserer Führung Anregung durch Andersdenkende herzustellen. Nach einer kurzen Betrachtungsphase sammelten wir Assoziationen der TeilnehmerInnen: »Der Splitter ist aus Holz und mit Lack und Nägeln versehen.« »Er ist sehr uneben und wirkt kantig und stachelig.« »Die Darstellung erinnert an ein Kreuz.« »Es tut weh wenn man es anfasst.« »Splitter bekommt man nicht leicht aus der Haut, sie hinterlassen eine Wunde«. Davon ausgehend blickten wir gemeinsam auf die Ausstellung zurück und fragten, was der Splitter für Polen im Kontext der gemeinsamen Erinnerung für die TeilnehmerInnen bedeute. Dabei ergaben sich unterschiedliche Versionen von: »Die nachbarschaftlichen Beziehungen sind weiterhin wie ein Splitter« bis hin zu: »Die deutsch-polnische Geschichte hat auf jeden Fall Spuren hinterlassen.« Mit einem herzlichen Dankeschön und Dziękujemy beendeten wir an dieser Stelle unsere Führung. Während ein Teil der BesucherInnen in die Ausstellung zurück ging, blieben andere TeilnehmerInnen bei uns stehen und stellten Nachfragen – über uns, das Projekt oder die Ausstellung. Dies waren stets anregende Gespräche und eine Möglichkeit für uns Feedback zu bekommen. Die überwiegende Mehrheit der BesucherInnen lobte das Format der dialogischen Führung. Kritik gab es meist zu dem Punkt, dass im Rundgang nur ein sehr kleiner Teil der Ausstellung einbezogen wurde.

F A ZIT : P ERSPEK TIV WECHSEL IN DER P R A XIS Die überwiegend positiven Rückmeldungen der TeilnehmerInnen waren für uns ein deutliches Signal, dass das Experiment dialogischer Tandemführungen im Martin-Gropius-Bau geglückt war.21 Weitere Argumente 20 | Günther Uecker: Splitter für Polen, siehe: Omilanowska (wie Anm. 1), S. 722, Abb. S. 706, 21.17. 21 | Jede Führung wurde am Ende durch Mitarbeiter_innen des Martin-Gropius-Baus anhand eines Fragebogens von den Teilnehmer_innen evaluiert.

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für das von uns entwickelte Format waren die aktive Teilnahme und der hohe Gesprächsbedarf der BesucherInnen während der Führungen. Dabei erleichterte der Dialog in unserem Team Perspektivenwechsel, die für die Zuhörer erfrischend und lebendig wirkten. Für uns als Moderatorinnen war die vorausgegangene Arbeit mit wissenschaftlichen Texten ebenso wichtig wie die konkreten Übungen zur Moderation von Gruppendiskussionen. Dabei war es eine besonders große Herausforderung, vor Eröffnung der Ausstellung eine eigene Führung zu erarbeiten, ohne die Ausstellung vorher gesehen zu haben. Erst kurz vor der offiziellen Eröffnung konnten wir uns mit den Größen-, Platz- und Hängeverhältnissen der Objekte und den Ausstellungsräumen im Martin-Gropius-Bau vertraut machen. Eine wichtige Erfahrung für uns war dieser räumliche Aspekt von Partizipation: Ohne geeignete große und relativ ruhige Räume ist es nur schwer möglich, ein gemeinsames Gespräch zu entwickeln. Der gesamte Zeitraum der Ausstellung war für uns als Team ein offener und anhaltender Lernprozess. Dazu kam ein gutes Maß an Spontanität und Improvisation, mit der wir auf einzelne schwierige Situationen reagieren konnten. Indem wir unsere dialogische Führung immer wieder überdachten, neue Erfahrungen einfließen ließen, die Besprechung einzelner Objekte wegließen oder andere Ausstellungsstücke in unser Konzept einfügten, konnte sich kaum Routine einstellen. Damit war jede Führung eine neue Herausforderung und wir kamen nicht in die Verlegenheit, unser zuvor angeeignetes Wissen einfach abzuspulen. Da wir die Tandemführungen nicht für eine spezielle Zielgruppe konzipiert hatten, hing das Gelingen immer auch von den BesucherInnen und ihrer Gesprächsfreudigkeit ab. Letztlich haben wir dabei als Moderatorinnen auch selbst einen neuen Umgang mit Kunst erlernt. Aus unserer Sicht gab es in den Diskussionen kein richtig oder falsch. Wir fragten als Team bei den Besuchern keine Musterlösungen ab. Auch können wir jetzt keine fertigen Rezepte weitergeben. Wir schufen lediglich eine temporäre Plattform für den Austausch über die Ausstellung und die deutsch-polnischen Beziehungen. Manche BesucherInnen wollten eher Wissen konsumieren und zuhören. Andere hingegen mussten wir zügeln, damit sie nicht die Gesprächsführung übernahmen. Gewinnbringend für alle Beteiligten erschien uns der Dialog und die Möglichkeit zu Diskussion und Gespräch: zum einen zwischen uns Multiplikatorinnen und BesucherInnen sowie

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unter den BesucherInnen selbst. Da sie in ganz unterschiedlichen Generationen und Orten aufgewachsen waren, waren in jeder Führung deutsche und polnische Teilnehmer mit ganz unterschiedlichen Sichtweisen vertreten. Im Gespräch wurde deutlich, dass das Verhältnis zum jeweiligen Nachbarn kein Abstraktes ist, sondern durch genau diese Sichtweisen geprägt wird. Ohne die Wirkung der von uns initiierten Dialoge zu überschätzen, möchte ich behaupten, dass gerade diese Art von Auseinandersetzung dazu beiträgt, Neues zu lernen und die Perspektive des Anderen besser nachzuvollziehen. Ganz konkret kam es zu einer partizipativen Form von Wissensvermittlung durch die dialogische, interaktive Analyse von ganz unterschiedlichen Kunstwerken. Eine Vertiefung von Zusammenhängen und ihre Einordnung gelang durch die anschließende Diskussion. Da immer wieder Teilnehmer ihr eigenes Wissen einbrachten und wir je nach Bedarf ergänzten, konnten auch diejenigen Wissen akquirieren, die ohne einen persönlichen Bezug und entsprechendes Vorwissen in die Ausstellung gekommen waren. Gerade in Geschichts- und Kunstprojekten, in denen unterschiedliches Vorwissen vorhanden ist, können so neue Sichtweisen erschlossen werden. Ein Blickwechsel bleibt in dieser Form keine symbolische Geste, sondern wird ganz konkret in der gemeinsamen Auseinandersetzung mit Kunst und Geschichte eingeübt. Diese Form der dialogischen Tandemführung bietet sich besonders bei multiperspektivisch angelegten Themen an.

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G ÄSTEBÜCHER EINER A USSTELLUNG E MPIRISCHE B EFUNDE UND THEORE TISCHE Ü BERLEGUNGEN »Museum visitor books, although held by almost all museums, are rarely used as a research source« – mit diesen Worten leitet Sharon Macdonald ihren 2005 erschienenen Artikel zur wissenschaftlichen Aufarbeitung von Gästebüchern ein.1 Und auch sieben Jahre später muss leider das gleiche Fazit gezogen werden. Sowohl in der Besucherforschung 2 als auch im Forschungsbereich des Kuratierens werden zwar die unterschiedlichsten Teilaspekte3 analysiert, das in den Ausstellungen und 1 | Vgl. Macdonald, Sharon: Accessing Audiences. Visiting Visitors Books, Museum and Society, 3 (2005), S. 119-136. URL: www2.le.ac.uk/departments/muse umstudies/museumsociety/documents/volumes/macdonald.pdf 13. März 2012. 2 | Hier wird nur die männliche Form benutzt um zu verdeutlichen, dass in diesem Forschungszweig ein gendersensibler Umgang noch nicht Einzug gehalten hat. Vgl. exemplarisch aus der Masse an Publikationen zum Thema: Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Museen und ihre Besucher. Herausforderungen in der Zukunft, Argon Verlag, Berlin 1996; Das besucherorientierte Museum. Tagungsband zum gleichnamigen Kolloquium des Fortbildungszentrums für Museen – Abtei Brauweiler, Köln 1997; Rombach, Julia: Trendsetter oder Traditionshüter? Die Zukunft der Museen, Hamburg 2007. Gerade hier ist die Genderblindheit wirklich frappierend, denn die Autorin widmet dem Museumsbesucher einen ihrer sechs Abschnitte. Offensichtlich scheint das Geschlecht für die Autorin jedoch keine Rolle zu spielen, was auch die weitgehende Abwesenheit gendersensibler Literatur zeigt. 3 | Dazu gehören vor allem die Bereiche der Ausstellungsvermittlung (Ausstellungstexte, Audioguides, Rahmenprogramm, Broschüren, Unterrichtsmaterial

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Museen allgegenwärtige Besucherbuch wird jedoch nicht in die Überlegungen eingebunden. Dabei werden diese Bücher, wie Macdonald feststellt, »…already often used in a fairly interactive manner and can reasonably already be regarded as part of an exhibition.« 4 Ausgehend von den Gästebüchern der Ausstellung Tür an Tür. Polen-Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte möchte ich in dem vorliegenden Artikel diese empirische Quelle ebenfalls als einen Teil der Ausstellung betrachten, durch den das Publikum nicht nur in ihren Vermittlungsprozess eingebunden wird, sondern zu einem aktiven Teil der Ausstellung werden kann. Das Gästebuch kann demnach, so meine These, als Medium der Partizipation verstanden werden, das Publikum, das sich dort zu Wort meldet, als active audience.5 Meinen Beitrag verstehe ich dabei, nicht zuletzt wegen der angedeuteten Forschungslage, als experimentelles Gedankenspiel. Nach einem Einblick in die Gästebücher der in diesem Band analysierten Ausstellung schließen sich einige generelle Gedanken zu Sinn und Zweck dieser Bücher an. Den Abschluss bildet mein Vorschlag, das Gästebuch in einer neuen Form in zukünftige Ausstellungen einzubinden.

D IE G ÄSTEBÜCHER Die Berliner Ausstellung animierte viele BesucherInnen, sich zu dem Wahrgenommenen zu äußern und damit an der Ausstellung zu partizipieren.6 Am Ende der dreimonatigen Schau waren beide DIN-A4-Bücher mit je über 200 Seiten und ein kleines DIN-A5-Buch mit 70 Seiten prall gefüllt mit Anmerkungen, Kommentaren, mit Lob und Dank, mit Kritik, und vor allem mit auffallend vielen längeren Ausführungen. Sigusw. und die Frage nach der Position des Kurators/der Kuratorin. Vgl.: Schnittpunkte – Jaschke, Beatrice/Martinez-Turek, Charlotte/Sternfeld, Nora (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen. Ausstellungstheorie & Praxis 1, Wien 2005; Tannert, Christoph/Tischler, Ute/Künstlerhaus Bethanien (Hg.): Men in Black, Handbuch der kuratorischen Praxis, Berlin 2003. 4 | Macdonald, Sharon: Accessing Audiences. Visiting Visitors Books, Museum and Society, 3 (2005), S. 122. 5 | Ebenda, S. 119. 6 | Zum Begriff der Partizipation siehe weiter unten.

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nifikant ist der Anteil der polnisch-sprachigen Einträge, was der Anzahl an polnischen BesucherInnengruppen und individuellen BesucherInnen entspricht. Auf Polnisch wurden 346 kurze bewertende Einträge (short evaluate comments) und 22 längere reflektierende Einträge (long reflective comments)7 verfasst. Diesen steht mit 865 kurzen und 144 längeren Beiträgen eine weitaus höhere Zahl deutschsprachiger Beiträge gegenüber. Hinzu kommen etwa 20 englischsprachige sowie einige spanische und französische Beiträge. 8 Das Gästebuch lag am Ausgang der Ausstellung auf einem kleinen Pult in einer Nische im Foyer des Martin-Gropius-Bau aus, auf die das Publikum direkt zusteuerte, wenn es den letzten Raum verließ. Standen mehr als zwei Personen am Pult, versperrten sie fast den Ausgang für andere Personen, so dass das Gästebuch eine durchaus exponierte Stellung am Ende des Ausstellungsrundganges einnahm und durch seinen leuchtend orangefarbenen Einband auch kaum zu übersehen war, wenn gerade niemand einen Kommentar eintrug.9 Der Klassifizierung von Macdonald folgend können die Einträge in den Gästebüchern der Ausstellung Tür an Tür in verschiedene Kategorien unterteilt werden.10 Neben den inhaltlichen Anmerkungen, auf die ich gleich eingehen werde, sind Bemerkungen auffallend, in denen deutlich wird, dass sich ein Teil des Publikums auch mit der Präsentation der Objekte beschäftigt. Dazu gehören Einschätzungen zu Licht (»Nicht mehr Licht, aber besseres wäre schön gewesen.«), Beschriftung (»Danke für die eindrucksvollen Exponate und die hilfreichen Texte«, »Die Beschriftungstafeln sind meistens zu tief angebracht.«) und Sitzgelegenheiten (»Könnte man mehr Sitzgelegenheiten zum Verschnaufen und Nachdenken aufstellen?«), aber auch zur didaktischen Aufbereitung der Objekte und zu Umfang und Zusammenstellung der Exponate:11 »Die Ausstellung ist in7 | Beide Begriffe siehe: Macdonald (wie Anm. 1), S. 127-128. 8 | Bei dieser Auflistung darf natürlich nicht vergessen werden, dass in Polen aufgewachsene BesucherInnen ihren Beitrag durchaus auf Deutsch verfasst haben können. 9 | Die hier geschilderte Situation muss jedoch als eine eher zufällige verstanden werden. Innerhalb des kuratorischen Konzeptes gab es dazu keine Äußerungen. 10 | Macdonald (wie Anm. 7). 11 | Siehe hierzu auch die Publikation von Muttenthaler/Wonisch, in der sie explizit auf die Darstellungsweise der Objekte eingehen. Nach den AutorInnen

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haltlich wirklich sehr gut. Mich aber hat manches an der Präsentation geärgert: z.B. der Film Rosa Luxemburg ist nicht hörbar, auch wenn man die Lautsprecher (am Boden) ans Ohr nimmt! Ich war zum 2. Mal hier und trotzdem das gleiche Trauerspiel. Schade.« Interessant ist die unterschiedliche Auffassung der angebotenen Lösungsvorschläge, die besonders deutlich in der Positionierung der Gäste zur Einbindung zeitgenössischer Kunst in historische Themen wird: »Die Vermischung mit zeitgenössischer Kunst ist […] nicht verständlich« im Gegensatz zu »Aber die in allen Stationen erlebbare Auseinandersetzung von Künstlern mit der Geschichte ist großartig.« Unterschiedliche Einschätzungen zur Ausstellung finden sich an vielen Punkten und zu den unterschiedlichsten Bereichen. Dadurch wird deutlich, dass das Ausstellungsthema für viele AutorInnen des Gästebuchs ein sehr aktuelles und vor allem emotionales zu sein scheint. Die Meinungen reichen dementsprechend von Jubel wie »Ein kuratorisches Meisterwerk« bis hin zu Enttäuschungen: »Zu voll, zu viel, schlecht aufbereitet. Eine Rumpelkammer – einfach grauselig, und irgendwie auch unwürdig.« Weiterhin fallen die zahlreichen inhaltlichen Vermerke zur Ausstellung auf, die nicht selten biographische Bezüge aufweisen. Oft finden sich Einträge wie: »Habe etwas über meinen Namen und die Herkunft meiner Familie erfahren.« Oder: »Heute habe ich viel über mich und meinen Lebensweg erfahren, was bis jetzt nicht sichtbar war.« Deutlich wird auch, dass die Ausstellung viele MigrantInnen aus Polen angezogen hat, die ihre Anmerkungen z.B. zweisprachig einschreiben: »Mieszkam w Berlinie od 20 lat [Ich wohne seit 20 Jahren in Berlin]. Es ist eine wichtige, wunderbare Ausstellung, die ich heute zum 4. Mal besuche.« An weiteren Stellen wird deutlich, dass die Ausstellung gerade bei deutschen BesucherInnen ein neues Interesse an Polen geweckt hat: »Hoffentlich sehen diese Ausstellung viele Jugendliche. Geschichte pur. Habe polnische Vorfahren und da habe ich erst einmal viel über Polen gelernt.« werden die verschiedenen Ausstellungsdisplays bislang weder in der Ausstellungskritik noch in einer wissenschaftlichen Aufarbeitung genügend bearbeitet. Dass aber neben dem Inhalt auch die Form entscheidend ist, und diese vom Publikum durchaus mitreflektiert wird, kann bereits am vorliegenden Beispiel nachgewiesen werden. Vgl. Muttenthaler, Roswitha/Wonisch, Regina: Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen, Bielefeld 2006.

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Oder: »Die Ausstellung regt mich dazu an, doch etwas Polnisch zu lernen und mal wieder nach Polen zu reisen.« Auf der anderen Seite finden sich auffallend viele Beiträge auf Polnisch, die wiederum die Bedeutung der Ausstellung auch für ihr eigenes Land untermauern: »Najlepsza promocja Polski nie tylko w Niemczech ale w świecie. Dziękujemy i proszę więcej takich wystaw. (Die Schreibweise des Originals wurde beibehalten, Anm. der Autorin) » [Die beste Werbung für Polen nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt. Vielen Dank und bitte mehr von diesen Ausstellungen] oder »Czasami trzeba przyjechać do Berlina, aby zobaczyć wspaniałości polskiej kultury. Dziękujemy.« [Manchmal muss man nach Berlin reisen, um die Pracht der polnischen Kultur zu sehen. Wir danken.] Differenzierte Kommentare werden vor allem zum zweiten Teil der Ausstellung, also zum 20. Jahrhundert, hinterlassen. Oft werden in die Anmerkungen persönliche Erfahrungen eingestreut, um zu verdeutlichen, dass das Gezeigte nur einen Teil der Geschichte abbildet, wenn es bestimmte, und für die jeweiligen BesucherInnen sehr wichtige, Teile ausspart. Die Kommentare können in gewisser Weise auch als Korrektive verstanden werden, die einen Gegenentwurf, zumindest jedoch eine persönliche Erweiterung zur gezeigten Geschichtsauffassung und -interpretation bieten. Besonders anschaulich wird dies im folgenden Kommentar: »Insgesamt eine interessante Ausstellung, vor allem bis 1945. Aber die Leistungen, die in der Volksrepublik Polen bei dem großen Aufbauwerk nach dem 2. Weltkrieg vollbracht wurden, werden weitgehend verschwiegen. Und von erzwungener Freundschaft zwischen DDR-Deutschen und Polen zu schreiben, ist Unsinn. Ich persönlich habe mehrere Jahre in den späten 1970er Jahren freundschaftliche bis intime Kontakte mit polnischen jungen Menschen gepflegt und denke gern daran zurück. Diese waren keinesfalls erzwungen. Die Ausschnitte aus DEFA-Filmen, die Alltagsleben in der DDR zeigen, haben mir gefallen.« Im interkulturellen Vergleich ist auffallend, dass die polnischen Eintragungen fast durchgängig positiv sind und oft mit Dank verbunden sind (»Fantastyczna i bardzo bogata wystawa. Dziękuję organizatorom.« [Eine fantastische und sehr reiche Ausstellung. Vielen Dank den Organisatoren]). Oft wird hier auch die Kuratorin mit Vornamen angesprochen. Allerdings ist die Interpretation nicht ganz einfach, denn längst nicht alle Beiträge können hinsichtlich der geographischen Herkunft ihrer VerfasserInnen eindeutig zugeordnet werden. Leider werden auch Alter und Geschlecht der Personen nur sehr selten sichtbar, so dass der Hintergrund vieler Aussa-

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gen weitgehend unklar bleibt.12 Ganz selten findet sich ein Kommentar wie: »Vielen Dank, dziękuję, für die großartige Ausstellung. Heute habe ich viel über mich und meinen Lebensweg erfahren, was bis jetzt nicht so sichtbar war. Ich weiß jetzt auch, warum ich mich immer für die Selbstbestimmung + Freiheit und Abbau von Vorurteilen eingesetzt habe. Sabina R., geb. in Masuren, Mutter Deutsche, Vaters Familie aus Galizien, 25.9.2012« 13 Gerade bei zeitgeschichtlichen Ausstellungen sind aber der Erfahrungs- und Wissenshorizont sowie die emotionale Bindung an ein bestimmtes Thema in den Generationen verschieden. Demzufolge wird die Ausstellung, die zu einem bestimmten Thema ihre Geschichte erzählt, vom Publikum unterschiedlich erfahren und bewertet. In den ausgewerteten Gästebüchern wird deutlich, dass es vor allem der Gegenwartsbezug ist, der die BesucherInnen zu einer Stellungnahme in Form eines Eintrages animiert. Obwohl die Ausstellung eine 1000jährige Geschichte erzählt, ist es also vor allem die persönliche Erfahrung, der Bezug zur eigenen Biographie, der zu einem Kommentar einlädt. Die BesucherInnen erleben sich dabei als Teil der erzählten Geschichte der Ausstellung, die einen bestimmten Aspekt ihres eigenen Lebens darstellt. Aus der Analyse der Gästebücher lassen sich die BesucherInnen der Ausstellung in drei Kategorien einteilen: Erstens die Betroffenen, die durch einen biographischen Bezug zur Ausstellung oft sehr persönliche 12 | Geographische und soziale Herkunft sowie der Bildungsstand lassen sich auf Grundlage der Einträge nicht direkt ableiten. Eine fundierte Analyse dieser Kategorien wird in der Besucherforschung seit einigen Jahren betrieben und wäre auch für die Auswertung von Gästebüchern sinnvoll. Dazu müssten zusätzlich zum Gästebucheintrag weitere Daten erhoben werden. 13 | Dass Geschlecht und Alter Einfluss auf unterschiedliches Verhalten nehmen, hat Nora Wegener in ihrem Beitrag zur Besucherforschung in Museen anschaulich aufgezeigt. Leider ging sie dem Befund dieses geschlechtsspezifischen Verhaltens nicht weiter nach. So wäre es aufschlussreich zu überprüfen, wie sich Männer und Frauen äußern, welche Themen für sie besonders wichtig sind und welche sie eher vernachlässigen. Interessant wäre an dieser Stelle ein Vergleich mit dem BesucherInnenverhalten bei Führungen. Bringen sich Männer und Frauen unterschiedlich in die Diskussion ein? Und kann hier nicht nur ein geschlechtlicher, sondern ein generations-geschlechtlicher Unterschied gezeigt werden? Welche Instrumente könnten in einer Ausstellung das schweigende Publikum stärker in den dialogischen Prozess einbinden?

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Anmerkungen vornehmen und die aus persönlichem Interesse die Ausstellung besuchen. Zweitens das Bildungspublikum, das regelmäßig Ausstellungen im Martin-Gropius-Bau besucht, über eine gewisse Vorkenntnis verfügt und Eintragungen aus einer kritischen Wertschätzung der Ausstellung gegenüber vornimmt. Drittens diejenigen, die keinen Eintrag vornehmen. Über diese Gruppe wissen wir am wenigsten, da sie über die Gästebücher – die Ausgangspunkt und Thema meines Artikels sind – nicht sichtbar werden. Ein Blick auf die BesucherInnenzahlen der Ausstellung macht jedoch deutlich, dass diese Gruppe die größte sein muss. Es wäre ein lohnenswertes Unterfangen, sich Strategien zur Partizipation dieser Gruppe zu überlegen. Die dargelegten Facetten der Einträge belegen die Vielfalt der Möglichkeiten, die das Gästebuch dem Publikum einer Ausstellung im Sinne der Partizipation zur Verfügung stellt. Im vorliegenden Artikel wurde das Gästebuch keiner soziologischen Auswertung unterzogen, an die sich eine Evaluation anschließen könnte. Vielmehr möchte ich meinen Blick in die Zukunft richten und ausgehend von den vorgestellten Bemerkungen eine allgemeine Vision entwickeln, wie Gästebücher in Zukunft enger und im Sinne der Partizipation effizienter in die Ausstellung eingebunden werden können.

Z WISCHEN B ESUCHERFORSCHUNG , KUR ATORISCHEM K ONZEP T UND A USSTELLUNGSVERMIT TLUNG Berühmte Adelsgeschlechter legten ein Gästebuch in ihren Residenzen aus, um zu dokumentieren, mit welchen hochrangigen Persönlichkeiten der Gesellschaft sie verkehren und so den eigenen gehobenen sozialen Status zu unterstreichen.14 Im Zusammenhang mit Ausstellungen ist diese repräsentative Funktion auch im frühen 21. Jahrhundert nicht gänzlich abhandengekommen, wie Unterschriften wie Prof. xy oder Botschafter des Landes xy belegen. Diese Funktion wurde jedoch um die Möglichkeit der kritischen Reflexion des gerade Wahrgenommenen erweitert. Insofern bietet das Gästebuch eine selbstbestimmte Form der Evaluation der Ausstellung durch die BesucherInnen. Es müsste also durchaus Teil der Besu14 | Ich folge hier der kurzen Darstellung der Geschichte des Gästebuches bei Macdonald (wie Anm. 1), S. 121f.

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cherforschung sein.15 Im Rahmen dieser Forschung wird es jedoch, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt; und zwar dann, wenn Meinungen der BesucherInnen zitiert werden, die eine bestimmte Argumentation unterstützen. Die Besucherforschung stützt sich nach wie vor auf eigene Fragebögen, auf die Analyse des BesucherInnenverhaltens innerhalb der Ausstellung oder auf Zielgruppenspezialisierung. Das Gästebuch als Objekt oder Kommunikationsmittel wurde von der Besucherforschung bislang nicht beachtet. Ich verstehe das Gästebuch im Sinne der vorliegenden Publikation jedoch als Medium des partizipativen Erinnerungsraumes. Um die Spezifik des Publikums in der Ausstellung deutlicher sichtbar zu machen, lenke ich die Perspektive stärker auf die Aufgabe des Kuratierens und arbeite die besondere Bedeutung des Ausstellungsdisplays heraus. Die Kunsthistorikerin Maren Ziese untersucht in ihrer Studie Kuratoren und Besucher die Wechselwirkung beider Personengruppen innerhalb der Ausstellungskonzeptionen und geht der Frage nach, wie Kommunikations- und Partizipationsmöglichkeiten für die BesucherInnen ermöglicht werden können. Unter BesucherInnenpartizipation versteht sie dabei, »soziale Interaktion zu fördern. Das heißt im Konkreten, Displays zu entwickeln oder auszuwählen, die von einer Gruppe gemeinsam betrachtet und wahrgenommen werden können. Darüber hinaus geht es darum, Ausstellungsabschnitte zu gestalten, die für Konversationen geeignet sind. Partizipation meint auch, den Rezipienten Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, die Ausstellung bereits im Laufe des Rundgangs zu kommentieren. Indem man als Kurator solche integrativen Gelegenheiten für Besucher-Feedback einbaut, erkennt man Ausstellungen als einen Dialog in zwei Richtungen an (two way conversation). Dieser Aspekt erhält zusätz-

15 | Die Autoren Patrick Glogner und Patrick Föhl gaben jüngst ein Überblickswerk zur weit gefächerten Forschungsliteratur zur Besucherforschung heraus. Dort verwenden sie alternativ den Begriff des Kulturpublikums, der, nach Meinung der Autoren, auch die Nicht-Besucher von Ausstellungen mit einschießt. Auch wenn ich diesen Begriff für sehr nützlich halte, beziehe ich mich in dem vorliegenden Artikel auf die allgemeinere, kanonisierte Form, da ich mit dem Artikel auch keinen Beitrag zur Besucherforschung im engeren Sinne leisten will. Vgl. Glogner, Patrick/Föhl, Patrick (Hg.): Das Kulturpublikum. Fragestellungen und Befunde der empirischen Forschung, Wiesbaden 2010.

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liche Relevanz, wenn die Kommentare der Betrachter für alle ausgestellt werden und im Gegenzug diskutiert werden können.«16 Einen kritischen Zugang zur Rolle des Museums und vor allem zu Fragen der Vermittlung wirft der Band Wer spricht auf, in dem das Autorinnenteam den Schwerpunkt auf die Möglichkeiten einer emanzipatorischen Vermittlungspraxis legt.17 Dieser Ansatz nimmt Zieses Appell einer sozialen Interaktion auf, indem auch er auf ein Auf brechen der bisher hierarchisch organisierten Vermittlungsstrukturen vom Museum/ AusstellungskuratorIn hin zum Publikum abzielt. Sogleich erweitern die AutorInnen ihr Anliegen jedoch um den geschlechtsspezifischen Aspekt, der jedem BesucherInnenverhalten per se innewohnt. Diese gendersensible Behandlung des Themas ist nicht nur interessant, sondern besonders produktiv, da sich der Begriff der Partizipation auf eine der grundlegenden feministischen Forderungen bezieht, die auch in die Institution des Museums hineingetragen wurde.18 Die genannten Ansätze können gewinnbringend auf die Funktion des Gästebuches übertragen werden. In Hinblick auf das zentrale Anliegen der vorliegenden Publikation stellt das Gästebuch neben der Möglichkeit der Evaluation und damit auch des institutionellen Lernens19 ein Medium zur aktiven Teilhabe des Publikums an den Aushandlungsprozessen der dargestellten Thematik dar. Dieses Bedürfnis an Teilhabe ist – wie anhand der Gästebücher der Ausstellung Tür an Tür gezeigt – gerade bei zeithistorischen Ausstellungen besonders groß, da die BesucherInnen gleichzeitig Subjekt (AusstellungsbeobachterIn) und Objekt (Thema der Ausstellung) sind. Dieses Potenzial kann besser genutzt und Teil der 16 | Ziese, Maren: Kuratoren und Besucher. Modelle kuratorischer Praxis in Kunstausstellungen, Bielefeld 2010, S. 96. Auch hier wird wiederum deutlich, dass Ziese zwar einen emanzipatorischen Besucheransatz vertritt, jedoch auch einer Genderblindheit erliegt. 17 | Schnittpunkt (wie Anm. 3), S. 9. 18 | Vgl. Hauer, Gerlinde u.a.: Das inszenierte Geschlecht. Feministische Strategien im Museum, Wien, Köln Weimar 1997, S. 17-36; Muttenthaler, Roswitha/Wonisch, Regina: Rollenbilder im Museum. Was erzählen Museen über Frauen und Männer?, Schwalbach/Ts. 2010. 19 | Dabei bleibt zu beachten, dass das Gästebuch nicht als qualitative d.h. repräsentative Quelle genutzt werden kann, aber die Anmerkungen sind für die BesucherInnen offensichtlich so wichtig, dass sie niedergeschrieben worden sind.

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Vermittlungsstrategie werden. Neben Überblicksführungen und den in diesem Band vorgestellten dialogischen Tandemführungen könnte zusätzlich der Austausch zwischen BesucherInnen über ein schriftliches Medium initiiert werden.20 In folgendem Gedankenspiel zeige ich, wie so weitere Perspektiven in der Ausstellung zum Tragen kommen könnten. In Anlehnung an die Ausführungen von Ziese und der Grundidee des vorliegenden Bandes folgend setzt diese Vermittlungsstrategie jedoch nicht erst bei der Übermittlung der fertigen Ausstellung an das Publikum an, sondern ist bereits integrativer Teil der Ausstellungskonzeption.

M EDIUM UNMIT TELBARER PARTIZIPATION In Anlehnung an den Begriff des konstruktivistischen Museums21 möchte ich anregen, das Gästebuch direkt in die Ausstellung einzubinden und es somit als Raum von Partizipation zu verstehen. Damit greife ich eine Beobachtung von Maren Ziese auf: »Museen verwenden zunehmend Techniken, die das Publikum einladen, am Prozess der kulturellen Produktion teilzuhaben. Und zwar auf eine Art, die dem Publikum nicht nur erlaubt, die eigene Bedeutung zu konstruieren, sondern diese Betrachtungen auch innerhalb des Museumssettings zu (re)präsentieren.« 22

20 | Dieses schriftliche Medium kann natürlich Formen neuer Medien annehmen, also bspw. als interaktives Gästebuch gestaltet werden. In meinen Überlegungen steht jedoch die konkrete Umsetzung nicht so sehr im Vordergrund, diese würde sich ja ganz speziell auf die Bedürfnisse eines konkreten Ausstellungskonzeptes und -displays beziehen. 21 | Vgl. Kamel, Susan: Wege zur Vermittlung von Religionen in Berliner Museen – Black Kaaba meets White Cube, Wiesbaden 2004, hier besonders S. 84ff. 22 | Dieses schriftliche Medium kann natürlich Formen neuer Medien annehmen, also bspw. als interaktives Gästebuch gestaltet werden. In meinen Überlegungen steht jedoch die konkrete Umsetzung nicht so sehr im Vordergrund, diese würde sich ja ganz speziell auf die Bedürfnisse eines konkreten Ausstellungskonzeptes und -displays beziehen.

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Abbildung 6: Präsentation von Sargportraits. Der Brauch der Sargporträt-Malerei entwickelte sich in Polen im 17. und 18. Jh. und wurde im deutsch-polnischen Grenzbereich auch vom preußischen Landadel eingeführt. (Portraits aus Meseritz, Muzeum w Międzyrzeczu und Posen, Muzeum Narodowe w Poznaniu).

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Als Ansatzpunkt für eine praktische Umsetzung dient mir die Idee der Verschiebung des Buches vom Ende einer Ausstellung hinein in die Schau. Hier kann an verschiedenen Positionen die Möglichkeit gegeben werden, das Wahrgenommene zu verarbeiten und zu kommentieren. Interessant ist dabei die Kommunikation der BesucherInnen miteinander, beispielsweise eines älteren Schlesiers mit einem Jugendlichen usw. Ansätze von Kommunikation finden sich bereits in den vorliegenden Gästebüchern, wenn sich Kommentare auf bereits Niedergeschriebenes beziehen, sei es zustimmend oder auch ablehnend, korrigierend oder erweiternd. Dieses Interesse am Austausch zwischen den Gästen, die sich nicht kennen, unterschiedliches Wissen mitbringen und zu verschiedenen Zeiten die Ausstellung besuchen, sollte gewinnbringend in die Ausstellungskonzeption eingeflochten werden. Ziel des Ansatzes ist es, aus dem passiven, in erster Linie betrachtenden Publikum ein aktives, weil teilnehmendes zu generieren, das durch seine Kommentare und Gespräche innerhalb der Ausstellung einen Teil zumindest temporär mitgestaltet. Auch im Hinblick auf den Gedankenaustausch zwischen den Generationen wäre ein stärker in den Ausstellungskontext eingebundenes Gästebuch eine sinnvolle Erweiterung kuratorischer Möglichkeiten.23 Im Sinne eines interkulturellen Dialogs, der durch die Ausstellung initiiert werden soll, wäre ein lebhafter Gedankenaustausch zwischen BesucherInnen aus Deutschland und Polen ein wichtiges Ergebnis des gesamten Projektes, das darüber hinaus sofort sichtbar in der Ausstellung wäre. Gerade bei zeithistorischen Ausstellungen ist es spannend, wenn sich die Generation, derer Lebenswege thematisiert werden, auch aktiv einbringen kann. Eine Einbindung der Gästebücher als integrativer Bestandteil von Ausstellungen würde die derzeitige Vermittlungsform von KuratorIn zum Publikum auf eine multipersonale ausweiten. Auch wenn die Kuratorin/der Kurator weiterhin als Person auftritt, die entscheidet, an welchen Stellen den Gästen die Möglichkeit der Kommunikation gegeben wird, kann diese Form der Hierarchie zwischen VermittlerIn und Publikum zumindest im Gespräch in Frage gestellt werden. Wie oben dargestellt, soll es »[b]ei der Idee von Partizipation […] also nicht um ein naives Mitbestimmungsparadigma gehen im Sinne eines simplen Knöpfedrückens 23 | Hierdurch sollen die Führungen, die speziell für Kinder und Jugendliche angeboten werden, nicht ersetzt werden, aber es soll die Möglichkeit einer generationsübergreifenden Kommunikation ermöglicht werden.

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im Ausstellungsraum, sondern um eine Teilhabe, die Intervention ermöglicht, statt dominante Erzählweisen zu reproduzieren und Beteiligung zu simulieren.«24 (Wissens)Vermittlung würde in diesem Fall folglich nur zu einem gewissen Teil vom Museum hin zu den BesucherInnen erfolgen, zu einem Großteil würde sie jedoch auf der Interaktion der BesucherInnen basieren. Diese aktive Einbeziehung des Publikums im Sinne Macdonalds als active audience unterstützt die Idee einer Demokratisierung von Ausstellungen und Ausstellungskonzeptionen, eines neuen Konzeptes des Kuratierens, das seit den 1990er Jahren vermehrt diskutiert wird. In diesem Ansatz versteht sich die Kuratorin/der Kurator als VermittlerIn, bei der/dem die Sichtbarmachung der Prozesshaftigkeit und Vielstimmigkeit einer Ausstellung im Vordergrund stehen.25 Gästebücher können dafür einen nicht zu unterschätzenden Beitrag leisten.

24 | Ziese fragt nach dem Mehr im Ausstellungsraum: »Hier betrifft es die tatsächlichen zwischenmenschlichen Austauschprozesse, die in den Ausstellungen stattfinden, wobei sich die Beziehungen in einem realen statt symbolischen (oder privaten) Raum abspielen sollen.« Vgl. Ziese (wie Anm. 16), S. 77-78. 25 | Ebenda, S. 60-62.

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Dekonstruktion und Versöhnung Pressereaktionen auf die Ausstellung Tür an Tür Maria Albers

Die Ausstellungsräume im Berliner Martin Gropius-Bau wurden inzwischen längst leer geräumt. Andere Bilder, Fotografien und Objekte haben den Platz der über 800 Exponate eingenommen, die hier in der Ausstellung Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte von September 2011 bis Januar 2012 gezeigt wurden. Wozu nun im Nachhinein eine Analyse von Zeitungsartikeln anfertigen, die im Vorfeld oder während einer inzwischen geschlossenen Ausstellung publiziert wurden? Die ursprüngliche Funktion der Pressestimmen, potenzielle Besucher tagesaktuell zu informieren, haben die Texte längst verloren. Filtert man nun Öffnungszeiten, Eintrittspreise und reine Auflistungen der ausgestellten Objekte heraus, fügt sich aus der Gesamtschau der Texte ein Bild, wie die Ausstellung kommentiert und in welchen Zusammenhängen sie interpretiert wurde. Welche Diskurse wurden dabei aufgegriffen? Wie lauteten die Schlüsselbegriffe? Und welche Auslassungen gab es in der Berichterstattung? Das Projekt Tür an Tür hatte den Anspruch, 1000 Jahre der nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen darzustellen. Unterscheidet sich die deutsche und die polnische Presse in ihrer Beschreibung dieser von Anda Rottenberg kuratierten Beziehungsgeschichte? Bei einer Erzählung, deren Inhalt Objekte aus 1000 Jahren umfasst und deren Begehung immerhin mehrere Stunden in Anspruch nehmen konnte, stellt sich zudem die Frage, welche Ausstellungsstücke in den zumeist kompakten Artikeln Erwähnung fanden. Welches Objekt wurde als Symbol für die gesamte Ausstellung gewählt und welche Aussage wurde ihr dadurch zugeschrieben? Schließlich können aus der Lektüre auch Rückschlüsse darauf gezogen werden, wie polnische und deutsche Journalisten die

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gegenwärtigen Beziehungen einschätzten und wie sich diese Perspektive auf die Bewertung der Ausstellung niederschlug.

A NKÜNDIGUNGEN Bei der Analyse der vor der Ausstellungseröffnung am 23. September 2011 in der deutschen Presse erschienenen Artikel fällt auf, dass diese insgesamt sehr ähnlich und neutral formuliert sind. Größtenteils werden die Inhalte und Materialien der Vorab-Pressekonferenz, die bereits ein halbes Jahr vor Ausstellungsbeginn stattgefunden hatte, paraphrasiert, ohne dass die Autoren eine weitergehende Einschätzung des anstehenden Ereignisses vornehmen. Es werden Ausstellungsort und -dauer, Anzahl und Herkunft der zu erwartenden Exponate und die im Juli 2011 angetretene EU-Ratspräsidentschaft Polens als politischer Anlass dieser Ausstellung genannt.1 Nur ein Journalist merkt an, dass die Bedeutung, die diesem Ereignis beigemessen wird, allein schon am frühen Termin der Pressekonferenz abzulesen sei. Welcher Art diese Bedeutung sein könnte, bleibt allerdings offen.2 Bewertungen der anstehenden Ausstellung finden sich dagegen in Artikeln, die nicht auf die Ausstellung allein konzentriert sind, sondern das gesamte kulturelle Begleitprogramm der polnischen EU-Ratspräsidentschaft kommentieren. Hier wiederum wird deutlich herausgestellt, dass die unterschiedlichen Ausstellungen und Veranstaltungen in den einzelnen europäischen Großstädten Teil der »großen Offensive der Öffentlichkeitsarbeit [darstellen], die Polen gerade durchführt, um sich als das weltoffene Land zu präsentieren, zu dem es in den vergangenen Jahren geworden ist.«3 Auch die wenigen polnischen Ankündigungen sprechen von der Ausstellung als dem größten kulturellen Projekt der polni1 | Vgl. Vogel, Elke: Schau über Polen und Deutschland, Märkische Allgemeine vom 23.3.2011; Deutsche Presseagentur: 1000 Jahre Geschichte, Neues Deutschland vom 23.3.2011; Susanne Schulze: 1000 Jahre Polen-Deutschland, B.Z. vom 25.3.2011; Hafke Ahmad, Oliver: Die Kunst zweier Nachbarn, Märkische Oderzeitung vom 25.3.2011. 2 | Hafke (wie Anm. 1). 3 | Kittel, Sören: 1000 Jahre Geschichte auf 3200 Quadratmetern, Berliner Morgenpost vom 25.3.2011.

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schen Ratspräsidentschaft, kommentieren die Ausstellung jedoch nicht wie die deutschen Medien als Teil einer großangelegten Image-Kampagne. Stattdessen wird der Eindruck vermittelt, dass sie ein Lehrstück für die deutschen Nachbarn darstellen soll. Kulturell fühlte man sich in Polen auch während des Kalten Krieges zum Westen zugehörig. Die weitreichende wirtschaftliche und sicherheitspolitische Öffnung Polens der zurückliegenden zwei Jahrzehnte durch NATO- und EU-Beitritt wird zwar als Anschluss-Suchen und Aufholen des Westens nach langer politischer Abgeschiedenheit beschrieben. Dennoch wird in den einzelnen Formulierungen nicht behauptet, dass man erst dadurch zu einem weltoffenen Land geworden sei. Das Großprojekt Tür an Tür wird daher eher als Mittel wahrgenommen, sich eben jenem Westen in Erinnerung zu rufen. Viele Polen sind sich dessen bewusst, dass die lange politische Isolation im sozialistischen Lager dazu geführt hat, dass Polen zu einem weißen Fleck auf der mentalen Karte der meisten Deutschen geworden ist und dass die deutschland- und europafeindlichen Aussagen der Partei der Gebrüder Kaczyński (PiS), die 2005-2007 an der Reigerungsmacht war, nicht dazu beigetragen haben, mehr deutsche Touristen nach Polen zu locken. Auch die Kuratorin Anda Rottenberg erklärt in einem Interview, dass die polnische Gesellschaft bereits länger mit dem Fremdbild von sich hadere, sie sei erst mit der politischen Öffnung nach 1989 auch kulturell offen und kreativ und damit interessant geworden.4 Dementsprechend beschreibt sie die Ausstellung als Möglichkeit, die von ihr scharf kritisierte westliche Außenperspektive auf Polen zu verändern. Dass das Ausstellungsprojekt angeblich 2006 unter jener PiS gestoppt wurde, kommentierte sie nicht.5 Diese Vorgeschichte der Ausstellung wird auch in keinem 4 | Rieger, Birgit/Wahjudi, Claudia: »Der Westen weiß nichts über Polen«. Die Kuratorin Anda Rottenberg über deutsch-polnische Beziehungen und ihre Schau Tür an Tür im Martin-Gropius-Bau, Zitty vom 22.9.2011. 5 | Rieger/Wahjudi (wie Anm. 4). Anda Rottenberg erklärte im Zitty-Interview lediglich, sie sei in der Arbeit an der Ausstellung Anfang 2006 gestoppt worden und dies habe mit der damals neuen Regierung zu tun gehabt. Ende 2005 hatte die PiS-Partei die Parlamentswahlen gewonnen und Lech Kaczyński zum Präsidenten gewählt worden. Während der folgenden zwei Jahre kühlten sich die deutsch-polnischen Beziehungen auf politischer Ebene merklich ab, unter

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anderen Artikel erörtert. Rottenberg kündigt hingegen an, Künstler und Themen zeigen zu wollen, an die in Deutschland normalerweise nicht gedacht würde, beziehungsweise die dort zu unrecht gänzlich unbekannt seien. Die Unwissenheit über Polen führe zwangsläufig zu falschen Annahmen auf deutscher Seite und dazu, dass sich alle Debatten auf den Westen fokussierten. Dennoch, so die Kuratorin, solle die Ausstellung keine Geschichtslektion darstellen. Anda Rottenberg betont, dass sie keine Historikerin sei. Sie werde vielmehr die zu Mythen stilisierten Ereignisse vorstellen, die den Blick des jeweiligen Landes auf den Nachbarn bestimmten: »Eine solche Ausstellung […] kann lediglich versteifte Ansichten in Bezug auf einige Themen dieser Geschichte in Frage stellen«6 und dadurch nur Anregung sein, sich anschließend selbst mit dem deutschpolnischen Beziehungskomplex zu beschäftigen und dabei die eigene Perspektive zu hinterfragen.

D AS E CHO DER A USSTELLUNGSERÖFFNUNG Zur feierlichen Eröffnung der Ausstellung am 21. September sprachen der deutsche Bundespräsident, Christian Wulff, und der polnische Staatspräsident, Bronisław Komorowski. Bis auf eine Ausnahme, widmeten die deutschsprachigen Artikel diesem Ereignis lediglich einige hinweisende Worte, in der polnischen Presse dagegen stand das Ereignis im Zentrum mehrerer Artikel, die beide Staatsmänner in den Mittelpunkt der Berichterstattung stellten und entsprechende Fotografien von beiden in den Ausstellungsräumen abdruckten. Die polnische Tagespresse zitierte mehrmals die Aussagen der Präsidenten, welche die Symbolik des Ortes der Ausstellung hervorhoben, und diejenigen, welche die Ausstellung dann

anderem aufgrund der Auseinandersetzungen um die Ausstellungen der Bundes der Vertriebenen-Vorsitzenden Erika Steinbach. 6 | Weintraub, Katarzyna: Kunst als Zeugnis der Geschichte. DIALOG-Gespräch mit Anda Rottenberg, der Kuratorin der Ausstellung »Tür an Tür. Polen und Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte«/Sztuka jako świadectwo historii. Rozmowa DIALOG-u z Andą Rottenberg, kuratorką wystawy Obok. Polska – Niemcy. 1000 lat historii w sztuce, Dialog vom 8.7.2011.

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doch als Geschichtsstunde für das deutsche Publikum charakterisierten.7 Gleich neben dem historischen Ausstellungsgebäude befand sich während des Zweiten Weltkrieges die Zentrale der Gestapo, hier verlief die Berliner Mauer und nun würden die Deutschen an diesem Ort die Geschichte ihres Nachbarn erlernen, so paraphrasierte die Gazeta Wyborcza Bundespräsident Wulffs Eröffnungsrede.8 Beide Präsidenten seien sich einig gewesen, dass Tür an Tür ein politisches Unterfangen sei, dass den Durchbruch in den deutsch-polnischen Beziehungen unterstreiche, der sich in den letzten zwanzig Jahren vollzogen habe und Ausdruck einer beispielhaften Nachbarschaft sei.9 Eine andere Journalistin der Gazeta Wyborcza kritisierte, dass sich durch den Fokus auf die Täterschaft der Deutschen in Komorowskis Rede gerade jenes polnische Stereotyp des herzlosen Deutschen noch zeige, welches die Ausstellung versuche zu dekonstruieren.10 Sie verweist darauf, dass im Gegensatz zur Rede Komorowskis der Zweite Weltkrieg innerhalb der Ausstellung gerade keine hervorgehobene Stellung einnehme. Die Kuratorin stelle ihm stattdessen eine Reihe von Objekten zur Seite, die symbolisch für die Veranwortungsgefühle und die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, der nachfolgenden Generationen stehen.11 Nach dieser ersten Phase der Berichterstattung folgten vertiefende Texte zum Ausstellungsaufbau und über die Exponate. Dabei kam in 7 | Vgl. beispielsweise Małkowska, Monika: Jak Niemiec z Polakiem [Wie Deutscher und Pole], Rzeczpospolita vom 21.9.2011; Ziarnik, Marta: Sąsiedzka wystawa [Eine nachbarschaftliche Ausstellung], Nasz Dziennik vom 22.9.2011; Wieliński, Bartosz: Niemcy i Polacy – dobrzy sąsiedzi [Deutsche und Polen – gute Nachbarn], Gazeta Wyborcza vom 22.9.2011; Szabłowski, Stach: Zimno, coraz zimniej…[Kalt, immer kälter…], Przekrój vom 26.9.2011 und Theiss, Anna: Między czakramem a chłodnią [Zwischen Chakra und Kühlraum], Wprost vom 2.10.2011; N.N.: Polacy w Berlinie, Rzeczpospolita vom 1.12.2011. 8 | Wieliński, Bartosz: Niemcy i Polacy – dobrzy sąsiedzi [Deutsche und Polen – gute Nachbarn], Gazeta Wyborcza vom 22.9.2011. 9 | Jendroszczyk, Piotr: Tysiąc lat sąsiedztwa z Polską [Tausend Jahre Nachbarschaft mit Polen], Rzeczpospolita vom 21.9.2011. 10 | Jarecka, Dorota: W tej chłodni jest potencjał [In diesem Kühlraum steckt Potenzial], Gazeta Wyborcza vom 23.9.2011. 11 | Ebenda. Erwähnung finden unter anderem die Fotographien der Aktion Sühnezeichen und Gerhard Richters Atlas.

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Polen die andauernde Auseinandersetzung um die Rolle der Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft der polnischen Gesellschaft zum Tragen, die in einem öffentlichen Streit um die richtige Geschichtsnarration zum Ausdruck kommt. Die Kuratorin der Berliner Ausstellung gehört zu jenem als liberal beschriebenen Teil der polnischen Elite, der die nationalkonservative Erzählung der polnischen Geschichte auf ihre Weise in Frage stellt oder zumindest immer wieder herausfordert. Vertreter dieses Lagers kritisieren, dass das kulturelle und politische Leben der Nation zu stark von einem Geschichtsverständnis dominiert sei, welches auf einem falschen Selbstverständnis beruhe. Die polnische Gesellschaft müsse ihr Opfernarrativ aufgeben und anerkennen, dass es in der Vergangenheit nicht nur ehrenhafte Widerstandskämpfer gab. Dies würde auch ermöglichen, die Deutschen differenzierter wahrzunehmen, um z.B. verschiedene Generationen zu unterscheiden. Dies wird in keinem Artikel explizit gefordert, jedoch wird Rottenbergs Ausstellungskonzeption in Polen als Diskussionsbeitrag in den Debatten um die deutsch-polnischen Beziehungen aber auch um das polnische Selbstverständnis im allgemeinen wahrgenommen.12 Die Gegenposition nehmen Stimmen ein, die befürchten, es käme zu Geschichtsrevisionismus oder -vergessen, sobald die polnische Seite Deutschland nicht auch auf politischer und kultureller Ebene weiterhin vor allem an die NS-Vergangenheit erinnern werde. Nach innen wiederum müsse mit der Unterstützung der Politik nach Jahren der kommunistischen Geschichtsverfälschung und -instrumentalisierung nun die wahre Geschichte Polens erzählt und auf dieser Nationalgeschichte ein neuer, positiver Patriotismus angeregt werden.13 Es ist erstaunlich, dass diese Auseinandersetzungen um den Umgang mit der eigenen Geschichte keinen Widerhall in unterschiedlichen Beurteilungen des Ausstellungsprojekts innerhalb der polnischen Presse fanden. Zumal die polnischen Zeitungen in der Regel klarer einzelnen politischen Positionen zugeordnet werden können und offener miteinander polemisieren, als das in der deutschen Presselandschaft üblich ist. Dabei fällt auf, dass die Ausstellung auch populistischen Blättern mehr als 12 | Vgl. beispielsweise Szabłowski, Stach: Zimno, coraz zimniej…[Kalt, immer kälter…], Przekrój vom 26.9.2011. 13 | Als Musterbeispiel für diese Form der patriotischen Narration gilt das Warschauer Aufstandsmuseum. www.1944.pl, 2.1.2013.

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nur eine Randnotiz wert war. Etwa die national-katholische Tageszeitung Nasz Dziennik verzichtete auf die sonst üblichen deutschlandkritischen Töne und gab unkommentiert die Aussagen der beiden Staatsoberhäupter wieder.14

N ACH DER A USSTELLUNGSERÖFFNUNG Nach einem eigenen Besuch von Tür an Tür sind sich die Journalisten weitestgehend einig in der Beurteilung der Ausstellungsaussage. Die »Mammut-Ausstellung« 15 bringe den Besuchern bei, dass Deutsche und Polen mehr Gemeinsamkeiten haben, als ihnen bewusst sei und stelle dadurch »eine Ausstellung der Versöhnung«16 dar. Der Autor des Westfälischen Anzeigers zieht in diesem Zusammenhang eine Parallele zur Neudefinition des deutsch-französischen Verhältnis nach dem Zweiten Weltkrieg und zitiert Władysław Bartoszewskis Aussage, es gehe darum, die »Historie nicht ausschließlich als eine Abfolge von Konflikten (zu) verstehen«.17 Auch die Autorin der Zeit stellt fest, das zentrale Anliegen der Ausstellung sei, die »engverschlungenen (Lebens)Wege« 18 der beiden Nachbarn zu zeigen. In allen größeren deutschen und polnischen Tageszeitungen sowie in den polnischen meinungsbildenden Wochenzeitungen erscheinen nun überwiegend positive Rezensionen, von denen jedoch einige rein deskriptiv und ohne tiefere Analyse ausfallen. Diese Texte versuchen dem Leser in erster Linie das Ausmaß und die Fülle der Ausstellung sowie Wissen über einzelne historische Ereignisse zu vermitteln, statt eigene Interpretationen der Ausstellungskonzeption vorzunehmen. In diesen Fällen wählt man auf deutscher Seite besonders oft die mittelalterlichen Beziehungen und dynastischen Verflechtungen, darunter vor allem die 14 | Ziarnik, Marta: Sąsiedzka wystawa [Eine nachbarschaftliche Ausstellung], Nasz Dziennik vom 22.9.2011. 15 | Schulze, Susanne: Polen, der Nachbar, der ein Bruder ist, B.Z. vom 22.9.2011. 16 | Duehren, C. von: 1000 Jahre Liebe und Leid, Bild vom 22.9.2011. 17 | Grimberg, Klaus: Freundschaftsbeweise, Westfälischer Anzeiger vom 23.9.2011. 18 | Scholter, Judith: Goldene Kronen, blutige Beile, Die Zeit vom 22.9.2011.

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Landshuter Hochzeit, deren Popularität in Deutschland in der polnischen Presse wiederum erstaunt angemerkt wird.19 Lediglich größere Zeitungen gehen nennenswert auf den Narrationsauf bau der Ausstellung und die Tatsache ein, dass Anda Rottenberg keine traditionelle Geschichtsausstellung konzipiert hat, sondern über lange Strecken subjektive Kunstobjekte nur minimal mit Text versieht. Der Autor der Welt stellt fest, dass eben dieser »radikal subjektive« Zugang und der Verzicht auf Vollständigkeit verhindere, dass die Ausstellung »allgemeiner Versöhnungsbrei« ist.20 Die Süddeutsche Zeitung konstatiert, dass »das überreiche Ausstellungs-Puzzle […] manchmal ratlos zurück[lässt], aber es ermöglicht jedem, ein eigenes Bild zu entwerfen.«21 Die Zeit zieht das Fazit: »Die Ausstellung setzt die Geschichte und ihre Interpretation in der Kunst miteinander in Beziehung. Das irritiert und ist zugleich eine große Stärke. Schon zu Beginn wird dabei deutlich, dass es die eine Geschichte nicht gibt […] So gelingt in den fast zwanzig Räumen dieser ehrgeizigen, riesigen Schau etwas Beeindruckendes: Sie erschlägt den Betrachter nicht, sie belehrt ihn nicht, sie ist ein Stück sinnlich erfahrbarer historischer Aufklärung«.22 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schließlich wertet die eingestreuten modernen Kunstwerke in diesem Zusammenhang als die »große Stärke dieser Ausstellung«, da die zeitgenössischen Künstler dem Besucher zeigten, »dass Polens Neigung zur Mythisierung schwindet, dass eine Generation herangewachsen ist, die geschichtskritisch denkt«.23 Anda Rottenberg selbst bezeichnet die Gegenwartskunst im Interview für das deutsch-polnische Magazin Dialog als »Fußnoten«, die Distanz zur Vergangenheitsmythologie schaffen und den Besucher daran erinnern, dass er alle Vergangenheit aus der heutigen Perspektive betrachtet.24 19 | Kuc, Monika: Zwierciadło historii Niemców i Polaków [Spiegel der deutschen und polnischen Geschichte], Rzeczpospolita vom 11.1.2012. 20 | Thomas Schmid: Diese Nachbarschaft ist mit dem Auge zu bereisen, Die Welt vom 24.9.2011. 21 | Bisky, Jens: Der Mensch begreift alles erst in der nächsten Generation, Süddeutsche Zeitung vom 22.9.2011. 22 | Scholter, Judith: Goldene Kronen, blutige Beile, Die Zeit vom 22.9.2011. 23 | Kurianowicz, Tomasz: Mythisierung war gestern, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.9.2011. 24 | Weintraub (wie Anm. 6).

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Abbildung 7: Die Kunst der Avantgarde der 1920er Jahre wurde mit Kunstwerken von Katarzyna Kobro, Władysław Strzemiński, Hans Arp und Jankell Adler veranschaulicht. Präsentiert wurden die vornehmlich aus dem Kunstmuseum in Lodz (Muzeum Sztuki w Łodzi) stammenden Werke in einem vom Künstler Leon Tarasewicz gestalteten Raum.

Das Gros der polnischen Journalisten bewertet die Ausstellung ebenso positiv. Der Korrespondent der Rzeczpospolita etwa nennt die Ausstellung einen Beleg des »Versöhnungsprozesses [zwischen Deutschen und Polen], der sich bereits unumkehrbar vollzogen hat«.25 Stärker als auf die historischen Ereignisse selbst, konzentriert sich die polnische Presse jedoch auf den Aspekt der Dekonstruktion der eigenen traditionellen Geschichtsnarrative und beschreibt besonders oft die Gestaltung des Lichthofes. Die Herauslösung des Deutschen Ordens aus der Chronologie des Rundgangs durch die umlaufenden Säle sei zwangsläufig, wenn es eine Ausstellung sein soll, die die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen aus polnischer Perspektive erzählt, so der Przekrój.26 Der Mythos um seine Geschichte, vor allem um die Schlacht bei Grunwald/Tannenberg bilde den 25 | Jendroszczyk (wie Anm. 9). 26 | Szabłowski, Stach: Zimno, coraz zimniej… [Kalt, immer kälter…], Przekrój vom 26.9.2011.

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Grundstein einer Narration der deutsch-polnischen Beziehungen, die diese als eine ewige Feindschaft und eine sich wiederholende Verteidigung polnischer Souveränität darstellt. Noch während der kommunistischen Zeit war er unreflektierter Bestandteil der offiziellen Geschichtsschreibung und beeinflusst auch heute noch die polnische Wahrnehmung. Durch die Gegenüberstellung unterschiedlichster künstlerischer Interpretationen des Themas, liefere Rottenberg keine weitere Interpretation der Vergangenheit, sondern mache das Angebot, so der Gość Niedzielny, »diese alten Vorstellungen von den deutsch-polnischen Beziehungen zu durchlüften« und die Konstruktion des Mythos von Außen zu betrachten.27 Der Gitterkasten, an dessen Innenseiten unter anderem Jan Matejkos Preußische Huldigung und eine handgeknüpfte Kopie seines Gemäldes Die Schlacht von Tannenberg aufgehängt wurden, könne daher, laut Polityka, als das Einsperren eines gefährlichen Mythos’ interpretiert werden oder aber auch als Wegräumen einer Vorstellung, die längst überholt sei.28 Ähnlich ambivalent wurde Gregor Schneiders Installation am Ende der Ausstellung gelesen: Er lädt die Besucher ein, einen übergroßen Kühlschrank selbst zu betreten. In der polnischen Presse als Symbol für die deutsch-polnischen Beziehungen gewertet, findet er in der deutschen Presse beinahe keine Erwähnung. Die Kälte dieser begehbaren Kühlkammer wird oft parallel zur Interpretation des Magazins der Geschichte »als Ausdruck eines nüchternen Blicks auf die Geschichte« verstanden. Die Tageszeitung Gazeta Wyborcza etwa meint: »In der Geste des Einfrierens steckt auch das Potenzial des Auftauens. In der Kühlkammer der Geschichte finden sich alle Gerichte, gute und schlechte. Alles was das Herz begehrt. Nebeneinander [polnischer Titel der Ausstellung – Anm. d. Aut.]. Welches wir auswählen, liegt ganz an uns«.29 Der Przekrój wertet die Kühlkammer als Symbol für die gesamte Ausstellung. Der Autor stellt fest, dass Schneider keine Hinweise gebe, wie sein Kunstwerk zu verstehen ist und ebenso erkläre die Ausstellung nicht, wie die Geschichte zu verstehen ist. Die Ausstellung stelle stattdessen »einen Versuch dar, sie 27 | Babuchowski, Szymon: Drzwi w drzwi [Tür an Tür], Gość Niedzielny vom 2.10.2011. 28 | Sarzynski, Piotr: Obok i między [(Da)neben und (da)zwischen], Polityka vom 28.9.2011. 29 | Jarecka, Dorota: W tej chłodni jest potencjał [In diesem Kühlraum steckt Potenzial], Gazeta Wyborcza vom 23.9.2011.

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zu präsentieren, sie sichtbar zu machen« und über »Polen und Deutsche sowie ihre 1000-jährige gemeinsame Geschichte [lasse] sich nur in dieser Form sprechen – oder gar nicht«.30 In der Rzeczpospolita wird dagegen größere Skepsis über die Qualität der deutsch-polnischen Beziehungen geäußert durch die abschließende Feststellung: »Wir haben die Animositäten eingefroren, aber auch für immer?«31 Die Autorin des Magazins Wprost dagegen vertritt die Meinung, gegenseitige Feindschaft bestimme weiterhin das Verhältnis der zwei Gesellschaften. Durch die Präsentation des Kreuzrittermythos im »Epizentrum« und dem Kühlschrank am Ende der Ausstellung, zwinkere die Kuratorin dem eingeweihten polnischen Besucher zu: Man wisse ja, dass die Beziehungen überhaupt nicht so warm und herzlich seien, wie sie gezwungen sei, es darzustellen. Anda Rottenberg liefere »dem Besucher einen kleinen Skandal mit Kreuzritter im Hintergrund, den Politikern – eine schöne klare didaktische Schau«.32

Z U VORSICHTIG , ZU EINSEITIG — KRITISCHE S TIMMEN Neben diesen insgesamt positiven Reaktionen finden sich auch vereinzelt kritische Stimmen. Leszek Jodliński stellt in der oberschlesischen Regionalausgabe der Gazeta Wyborcza fest, dass sich Anda Rottenberg zwar der Herausforderung stellt, die Geschichte nahezubringen, die gegenseitigen Stereotype zu verwerfen und ein positives Bild vom Nachbarn zu schaffen, dieser jedoch nicht gerecht wird.33 Der Direktor des Schlesischen Museums in Katowice begrüßt den Versuch, das alte Negativstereotyp von den Deutschen, welches auf dem Grunwald-Mythos aufbaue, zu revidieren. Der stattdessen als Ausgangspunkt angebotene Akt von Gnesen funktioniere jedoch nicht als Grundlage eines neuen positiven Bildes. Dazu trügen neben dem zeitlichen 30 | Szabłowski, Stach: Zimno, coraz zimniej…[Kalt, immer kälter…], Przekrój vom 26.9.2011. 31 | Małkowska, Monika: Jak Niemiec z Polakiem [Wie Deutscher und Pole], Rzeczpospolita vom 21.9.2011. 32 | Theiss, Anna: Miądzy czakramem a chłodnią [Zwischen Chakra und Kühlraum], Wprost vom 2.10.2011. 33 | Jodliński, Leszek: Blisko, ale wciąż daleko [Nah, aber immer noch fern], Gazeta Wyborcza Katowice vom 26.9.2011.

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Abstand sein religiöser Charakter sowie die größere Relevanz von Ereignissen in der Zwischenzeit bei. In diesem Zusammenhang bedauert er vor allem, dass das Potenzial, welches in Schlesien stecke, nicht genutzt wurde. Die Region sei geradezu ein Paradebeispiel des Tür an Tür von Deutschen und Polen gewesen. Hätte die Kuratorin etwa gezeigt, dass Polen die Geschichte der Region inzwischen als gemeinsames deutschpolnisches Kulturerbe betrachtet, hätte die Ausstellung etwas tatsächlich Verbindendes präsentiert und wäre stärker zukunftsgerichtet. Stattdessen aber, so kritisieren Jodliński wie auch der Korrespondent der Polityka, widme sich Tür an Tür nur ungefährlichen Themen und sei auf ihre Weise einseitig.34 Vermisst wird dabei unter anderem die Thematisierung der Rezeption von polnischer Jazzmusik und Kunst, sowie dem polnischen Kino und Theater in der deutschen Kultur. Abschließend stimmt er der Beurteilung von Sebastian Preuss zu, Tür an Tür würde nur zeigen, welche deutschen Elemente Eingang in die polnische Kultur gefunden haben, die andere Richtung aber ausblenden.35 Sebastian Preuss hatte zuvor den einzigen in Gänze kritischen Artikel der deutschen Presse in der Berliner Zeitung veröffentlicht. Nach seinem Besuch der Ausstellung war er zu dem Fazit gekommen, das »enorme Material« sei »viel zu enzyklopädisch und bieder am chronologischen Faden konzipiert« und vermittle dem Besucher keine Aussage. Die einzige Lektion der Ausstellung sei, dass die Deutschen und ihre Kultur nicht aus der polnischen Kultur wegzudenken seien. Interessant ist dabei, dass Preuss hier im Gegensatz zu Jodliński von einer deutschen Kulturhegemonie ausgeht, da er behauptet, die Ausstellung würde nicht danach fragen, was polnisch in der deutschen Kultur sei, da es kein »polnisches Kultursubstrat in Deutschland«36 gäbe. Interessant ist, ob Preuss in einer Rezension der 2009 in Berlin gezeigten Ausstellung My, Berlińczycy! Wir Berliner! über das polnische Berlin, zu einer ebenso einseitigen Sichtweise gekommen wäre.37 34 | Sarzyński, Piotr: Obok i między [(Da)neben und (da)zwischen], Polityka vom 28.9.2011. 35 | Preuss, Sebastian: Adalbert starb für beide Länder, Berliner Zeitung vom 22.9.2011. 36 | Ebenda. 37 | Die Ausstellung My, Berlińczycy! Wir Berliner! Historia polsko-niemieckiego są siedztwa/Geschichte einer deutsch-polnischen Nachbarschaft war vom 20. März

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Zuletzt sei angemerkt, dass die Ausstellung, unabhängig davon, ob man sich im ersten Raum zum Akt von Gnesen oder in dem zum Zweiten Weltkrieg befand, durchgehend mit den Begriffen deutsch und polnisch operierte. Es wurde dabei nicht explizit darauf eingegangen, wie diese in den einzelnen Epochen definiert wurden, was sie bedeuteten und wo die Trennlinien zwischen dem jeweiligen Deutschen und Polnischen gezogen oder diese als Einheit betrachtet wurden. Lediglich in zwei Artikeln wurde dieser Aspekt thematisiert. Zunächst war im deutsch-polnischen Magazin Dialog ein Artikel des Osteuropahistorikers Werner Benecke erschienen, der durch die Darstellung der kulturpolitischen Realität der Ersten Polnischen Republik unter anderem verdeutlichte, dass deutsch nicht gleich deutsch war und die Konnotation dieses Begriffes davon abhing, ob von den Beziehungen zum Deutschritterorden, zu den Sachsen, Habsburgern oder zu den Preußen gesprochen wurde und zu welcher Zeit dies geschah.38 Da dieser Artikel vor der Ausstellungseröffnung erschien, konnte der Autor es nur als Aufruf formulieren, »Deutschland nicht auf das Preußen des späten 19. Jahrhunderts oder auf den NS-Staat im Zweiten Weltkrieg« zu verkürzen sowie die in Polen lebenden Deutschen und in Deutschland lebenden Polen als eigenständigen Aspekt von Nachbarschaft Beachtung zu schenken. Der bereits zitierte Museumsleiter Jodliński betonte nicht die bewusste Begriffsnutzung, sondern die Tatsache, dass nicht immer nach nationalethnischen Kategorien aufgeteilt werden kann. Es wurde zwar auch von einigen anderen Autoren darauf hingewiesen, dass Themen und Objekte bzw. Personen für die Ausstellung ausgewählt wurden, die Teil des deutschen und des polnischen Kulturerbes seien und dadurch etwas von beiden in sich tragen müssen, um im jeweiligen Kanon zu funktionieren. Jedoch kritisierte Jodliński als einziger, dass keine Räume oder Figuren ausgewählt wurden, in denen sich die Kulturtraditionen nicht nur gegenseitig befruchtet, sondern, wie im erwähnten Schlesien, zu etwas Eigenständigem, Dritten, verschmolzen sind. Tatsächlich widmete Tür an Tür der Region zwar einen ganzen Saal, dieser konzentrierte sich jedoch thematisch und in der Auswahl der Exponate auf das Mittelalter bzw. die bis zum 14. Juni 2009 im Ephraim-Palais und im Märkischen Museum zu besichtigen. 38 | Benecke, Werner: 1000 Jahre Geschichte, 1000 Jahre deutsch-polnische Nachbarschaft?, Dialog vom 8.7.2011.

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Frühe Neuzeit. Im Zentrum stand die Figur der Hedwig von Schlesien, die in Polen wie in Deutschland als Heilige verehrt wird und 1965 von den katholischen Bischöfen im berühmten Hirtenbrief an ihre Amtsbrüder aufgrund ihrer Biografie als »Ausdruck eines christlichen Brückenbauers zwischen Polen und Deutschland« bezeichnet wurde. Allerdings nutzte die Kuratorin sie nicht als Ausgangspunkt, um etwa das Thema der Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg anzuschneiden, obwohl gerade Vertriebene ihren Kult in Süddeutschland stark wiederaufleben ließen. Ebensowenig wurde die kulturelle Eigenheit der Region thematisiert, die in den vergangenen Jahren zu öffentlich diskutierten Identitätsfragen wie auch Autonomiebestrebungen geführt hat.39 Eine Diskussion, die Jarosław Kaczyński durch seinen Bericht zur Lage der Nation anheizte, in dem er feststellt, eine schlesische Nation gebe es nicht, diese stelle viel mehr eine »verdeckte Option für Deutschland« dar.40

V OM Z WISCHENFALL ZUR G RUNDSAT ZDISKUSSION Ein Ausstellungsobjekt findet in der Berichterstattung erst in dem Moment Erwähnung, nachdem es aus der Ausstellung entfernt wurde. In der Videoarbeit sind nackte Menschen zu sehen, die nach Angaben des Künstlers in einer Gaskammer Fangen spielen. Etwa drei Wochen nach Ausstellungsbeginn wurde die Projektion von Artur Żmijewskis Videoinstallation Berek abgeschaltet und war bis zum Ende der Ausstellung nicht mehr zu sehen. Die Entscheidung der Leitung des Martin-Gropius-Baus brachte die Ausstellung nochmals in den Fokus deutscher und polnischer Zeitungen. Allerdings stehen nun nicht mehr die Ausstellung und ihre Aussage zur Debatte. Stattdessen wird diskutiert, wie es zur Entscheidung kommen konnte, die Videoinstallation zu entfernen. Die Autoren konzentrieren sich in dem Zusammenhang auf die allgemeine Frage, was Kunst darf und im Detail auf den Inhalt des Videos, um zu diskutieren,

39 | Etwa durch die bereits 1990 gegründete Bewegung für die Autonomie Schlesiens [Ruch Autonomii Śląska]. Die öffentliche Diskussion wurde vor allem durch die Aussage Jarosław Kaczyńskis angeheizt. 40 | Prawa i Sprawiedliwości, Biuro: Raport o stanie Rzeczypospolitej [Bericht über die Lage der Nation], Warszawa 2011, S. 35.

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ob der bewusste Tabubruch des Künstlers als antisemitische Aussage verstanden werden könnte.41 Die Artikel der großen polnischen Zeitungen beschränken sich auf die Informationen, die Anda Rottenberg gegenüber der polnischen Presseagentur PAP geäußert hatte und bewerten die Entscheidung der Leitung des Martin-Gropius-Baus nicht.42 Eine Ausnahme bildete der Artikel Beylins in der Gazeta Wyborcza.43 Darin wird das Ereignis als ein Akt der Zensur benannt und der Autor wertet es als beunruhigendes Anzeichen dafür, dass »der Geist des autoritären Bürokraten [in Deutschland] immer noch lebendig und allgegenwärtig« sei. Schließlich hätten die Entscheidungsträger 41 | Das Video zeigt, wie nackte Menschen in einem Keller Fangen spielen und zum Schluss wird die Information eingeblendet, die Aufnahmen seien in einem Privatkeller und in einer Gaskammer des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz entstanden. Das Video ist 1999 entstanden und ist eine von mehreren Arbeiten, in denen Artur Żmijewski das Thema des Holocausts aufgreift (weitere sind etwa die Videoarbeiten 80064 von 2004 und das Israelische Triptychon [alle von 2003]). Berek wurde seither im Rahmen unterschiedlicher Ausstellungen auf der ganze Welt, darunter auch mehrmals in Berlin, ausgestellt. 42 | Vgl. N.N.: Film Żmijewskiego o Holocauście usunięty z wystawy w Berlinie [Żmijewskis Film über den Holocaust von Berliner Ausstellung entfernt], Gazeta Wyborcza vom 27.10.2011; N.N.: Berek Żmijewskiego usunięty z wystawy w Berlinie [Żmijewskis Berek von Berliner Ausstellung entfernt], Newsweek vom 27.10.2011; Jarecka, Dorota: Zdjeli niewygodnego Berka [Sie haben den unbequemen Berek entfernt], Gazeta Wyborcza vom 28.10.2011; Jendroszczyk, Piotr: Polski film zdjęty z wystawy [Polnischer Film aus Ausstellung entfernt], Rzeczpospolita vom 28.10.2011 und N.N.: Niemieckie muzeum tłumaczy, dlaczego Berek musiał zniknąć [Das deutsche Museum erklärt, weshalb Berek verschwinden musste], Wprost vom 31.10.2011. Man berichtete, das Video sei auf Intervention der jüdischen Gemeinde entfernt worden und weder die Kuratorin noch der Künstler seien bei dieser Entscheidung einbezogen worden. Allerdings habe der Direktor des Martin-Gropius-Baus, Gereon Sievernich, Rücksprache gehalten mit Andrzej Rottermund, dem Direktor des Warschauer Königsschlosses, und mit Władysław Bartoszewski in seiner Funktion als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Ausstellung. Desweiteren wurde oft der entsprechende Katalogtext zitiert, um den Lesern das Objekt vorzustellen. 43 | Beylin, Marek: Zdjęli sztukę, by zapomnieć o Zagłądzie? [Haben sie Kunst entfernt, um die Vernichtung zu vergessen?], Gazeta Wyborcza vom 28.10.2011.

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nicht im Interesse der Überlebenden des Holocausts gehandelt, sondern das Video ausgestellt »um eine weitere Auseinandersetzung [mit dem Holocaust] zu verhindern. Genug von dieser Vernichtung, das ist so anstrengend – das ist meiner Meinung nach die Botschaft der Entscheidung«.44 Dieser Beitrag wird von der deutschen Presse aufgegriffen, die erst im Anschluss an Marek Beylins Artikel berichtet, es herrsche Streit um die Entfernung des Videos und um die Frage, ob es sich dabei um Zensur handle.45 Allerdings zitiert erst die Berliner Morgenpost kurze Zeit später den Künstler persönlich mit den Worten: »Das ist ein Akt der Zensur. Mir wirft man Respektlosigkeit gegenüber den Opfern vor, gleichzeitig fehlt es hier an Respekt allen handelnden Personen gegenüber, die involviert waren. Einfach das Licht auszumachen, das ist doch eine arrogante Lösung.« 46 Auf diese Weise wurde die Entfernung von Żmijewskis Video erst durch das Aufgreifen der polnischen Diskussion in deutschen Medien zum Thema. Uwe Rada kommentiert hierzu in der tageszeitung, es handele sich bei dem Vorfall nicht um einen deutsch-polnischen Konflikt, »sondern um einen Konflikt zwischen Kunst und Politik«.47 Lediglich in der Welt wird ein engerer Bezug zur Ausstellung hergestellt, in dem der Autor feststellt, diese trage nun den »Makel des Skandals«.48

S CHLUSSBEMERKUNGEN Die Analyse der öffentlichen Beurteilung der Ausstellung zeigt die Abhängigkeit der Beurteilung von der Wahrnehmung der gegenwärtigen deutsch-polnischen Beziehungen durch den konkreten Autor. Einige we44 | Ebenda. 45 | Vgl. Rada, Uwe: Umstrittenes Kunst-Video verbannt. Kein Tanz mehr im KZ, taz vom 30.10.2011; Sven Felix Kellerhoff: Nacktes Spiel in der Gaskammer – zensiert?, Die Welt vom 1.11.2011 und Gabriele Walde: Streit über ein entferntes KZ-Video eskaliert, Berliner Morgenpost vom 1.11.2011. 46 | Walde, Gabriele: Streit über ein entferntes KZ-Video eskaliert, Berliner Morgenpost vom 1.11.2011. 47 | Rada, Uwe: Kunst-Zensur: Unbilder einer Ausstellung, Kommentar in der taz vom 30.11.2011. 48 | Kellerhoff, Sven Felix: Nacktes Spiel in der Gaskammer – zensiert?, Die Welt vom 1.11.2011.

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nige, die glauben die heutigen Freundschaftsbekundungen seien lediglich politisch gewollte und damit auch politisch korrekte Rhetorik, werten die Ausstellung als weiteren Teil dieser offiziellen Maskerade. Implizit wird damit die Annahme zum Ausdruck gebracht, Deutschland könne jeden Moment diese freundschaftliche Haltung ablegen, wenn es das nationale Interesse verlangt und Polen wieder als Feind gefährlich werden. Die Mehrheit jedoch, rechnet die gegenseitige Feindschaft der Vergangenheit zu und betont den Einfluss, den ethnozentrisches Denken, Unkenntnis des Nachbarn und darauf auf bauende Stereotype besaßen. Von solchen Autoren wird die Ausstellung als ein weiteres Mittel gewertet, Gemeinsamkeiten zu verdeutlichen und die Nachbarn einander näher zu bringen, oder sogar als Beleg eines weitgehend abgeschlossenen Versöhnungsprozesses verstanden. Gelobt wird die Ausstellung für die gekonnte Dekonstruktion und gleichzeitige Präsentation der Geschichtsmythen, die als »Denkmäler der nationalen Geschichten« 49 dem gegenseitigen Kennenlernen im Weg standen. Die mehrheitlich positive und sich in der Argumentation ähnelnde Resonanz nimmt direkten Bezug auf die Ausstellungskonzeption. So wurde mehrheitlich begrüßt, dass diese den Besuchern Raum zur eigenen Interpretationen lässt, statt durch starke Aussagen und ihre detaillierte Umsetzung in der Ausstellung bevormundet zu werden. Dabei wurde im Falle von Tür an Tür vereinzelt angemerkt, dass dem Besucher die dafür notwendige Wissensbasis vorenthalten werde, da der ausgestellten Kunst zu wenige kontextualisierende Informationen zur Seite gestellt wurden. Die insgesamt positive Kritik verweist darauf, dass im öffentlich Diskurs der deutsch-polnischen Beziehungen der Wunsch, wenn nicht sogar die Forderung dominiert, (selbst-)kritisch mit nationalethnischen Geschichtsnarrativen umzugehen. Das Ziel ein transnationales Gemeinschaftsgefühl durch Dialog und Versöhnung zu erlangen, wird dabei nicht immer explizit benannt, schwingt aber als Grundannahme und Anspruch in vielen Texten mit. Genau damit verbleiben die Pressestimmen erstaunlich nah am offiziellen politischen Diskurs der Ausstellung, der genau diesen zukünftigen europäischen Erfahrungshorizont beschreibt. Die einzelnen Autoren scheinen sich dabei ihrer eigenen Verantwortung bei der Einschätzung der Ausstellung als stellvertretender Analyse der deutsch-polnischen Beziehungen bewusst zu sein. 49 | Scholter, Judith: Goldene Krone, blutige Beile, Die Zeit vom 22.9.2011.

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Desweiteren wird deutlich, dass in Polen innerhalb der letzten Jahrzehnte viele Tabus durch die innerpolnischen Geschichtsdebatten gebrochen wurden und man sich auf deutscher Seite der eigenen oft westzentrierten Perspektive bewusst geworden ist. Die Analyse zeigte auch, dass die Darstellung und Einschätzung der Beziehungen auf politischer wie auf gesellschaftlicher Ebene inzwischen von erheblich mehr Kenntnis vom Gegenüber geprägt sind. Letzteres trägt dazu bei, dass die große Disproportionalität von Kenntnissen auf deutscher und polnischer Seite nicht mehr als Beleg für einen schlechten Zustand der Beziehungen gilt: Dorota Jarecka schrieb dazu in der Gazeta Wyborcza: »Wenn wir uns schon von Hinten bis Vorne verstehen würden, hätte die Ausstellung keinen Sinn«.50

50 | Jarecka, Dorota: W tej chłodni jest potencjał [In diesem Kühlraum steckt Potenzial], Gazeta Wyborcza vom 23.9.2011.

Die Grenzen von Multiperspektivität Zur Inszenierung eines deutsch-polnischen Dialogs Felix Ackermann

In der Analyse zur öffentlichen Verhandlung von Geschichte wird von der Schaffung von Teilöffentlichkeiten ausgegangen, in denen Interpretationen unterschiedlicher Vergangenheiten zum Thema werden.1 Die deutsch-polnischen Tandemführungen sind ein Beispiel dafür, wie sich sehr spezifische Formen von Öffentlichkeit, die sich auf dieselben Fragen und Inhalte beziehen, überlagern oder auch widersprechen können. Bei der Auswertung des im Rahmen der Ausstellung Tür an Tür gesammelten empirischen Materials fällt besonders der Kontrast zwischen den konkreten Gesprächsverläufen und der Außenwahrnehmung der Tandemführungen auf. In den inneren Dialogen zwischen den Studierenden sowie in ihrem Gespräch mit Besuchern kam die Hybridität des Themas immer wieder zum Vorschein. An vielen Stellen wurde die Schwierigkeit deutlich, eine lineare Erzählung der Beziehungen zwischen Deutschland auf der einen Seite und Polen auf der anderen zu erzählen. Das bedeutet nicht, dass am Ende jeder Führung alle Teilnehmer das Gefühl mitteilten, schon immer zwischen beiden Gesellschaften zerrissen gewesen zu sein. Es war eher die Komplexität gänzlich unterschiedlicher Sichtweisen, Wissensstände, Erfahrungen und sprachlicher Kapazitäten, die deutlich machte, dass unter dem Oberbegriff deutsch-polnische Geschichte im Martin-Gropius-Bau sehr unterschiedliche Phänomene zusammengefasst und in eine lineare Chronologie gefügt wurden. Die Tandemführungen öffneten, wie in den Beiträgen zuvor geschildert, einen Raum, in dem anhand weniger ausgewählter Objekte eine Verbindung von Kontextuali1 | Horn, Sabine/Sauer, Michael (Hg.): Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen, Göttingen 2009.

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sierung und Hinterfragung des Sinns dieser Erzählung erfolgte.2 In den unterschiedlichen Gesprächsverläufen konnten sich alle Beteiligten mit der Erzählung der Kuratorin Anda Rottenberg, der Führung der Studierenden und ihren eigenen Beobachtungen auseinandersetzen. Sie konnten lernen, dass es keine verbindliche Linie durch die zehn Jahrhunderte gibt, und dass die Vorstellung fein getrennter Staaten, Kulturen und Gesellschaften eher irreführend ist.3 Sie konnten aber ebenso eine lineare Geschichte wahrnehmen, die mit dem Mord am Hl. Adalbert beginnt und bis in die Gegenwart reicht.

I NSZENIERUNG EINER N ACHBARSCHAF T : W AHRNEHMUNG VON AUSSEN UND I NNEN Die öffentliche Wahrnehmung der Tandems folgte genau der Logik der Ausstellung: Die deutsch-polnischen Zwiegespräche wurden in der Pressearbeit des Martin-Gropius-Baus sowie in der Berichterstattung deutscher und polnischer Medien gerade deshalb aufgegriffen, weil die trotz unserer konzeptionellen Entscheidung keine nationalen Minidialoge zu präsentieren als deutsch-polnisch gelabelten Tandems als Versinnbildlichung der Ausstellungsidee funktionierten. Auf der Suche nach Gesichtern und Geschichten kamen immer wieder Journalisten auf die Studierenden der Viadrina zu und baten sie um ein Interview. Daraus entwickelte sich eine gewisse Eigendynamik, so dass auch der Regierende Bürgermeister von Berlin und die Präsidentin der Partnerstadt Warschau die Ausstellung in der Obhut von zwei Studierenden entdeckten, weil eine Mitarbeiterin des Roten Rathauses zuvor einen begeisterten Bericht über die Tandemführungen in der Berliner Zeitung gelesen hatte. Allein ein längerer Beitrag im Ersten Polnischen Fernsehen TVP1 fragte genauer bei 2 | Wagner-Kyora, Georg/Wilczek, Jens/Huneke, Friedrich (Hg.): Transkulturelle Geschichtsdidaktik. Kompetenzen und Unterrichtskonzepte, Schwalbach 2008. 3 | Damit handelte es sich bei den Tandemführungen auch um eine Praxis des Lernens in musealen Räumen: Körber, Andreas, Kompetenzorientiertes historisches Lernen im Museum. Eine Skizze auf der Basis des Kompetenzmodells Historisches Denken, in: Popp, Susanne/Schönemann, Bernd (Hg.): Historische Kompetenzen und Museen, Idstein 2009, S. 62-93.

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zwei Studierenden nach ihrem biographischen Hintergrund und ließ die Frage nach der Identität so offen, dass sie kein öffentliches Bekenntnis über eine nationale Zugehörigkeit ablegen mussten. Die Grundlage für dieses Auseinanderdriften der Wahrnehmung hatten wir selbst gelegt, in dem wir das Tandemprojekt noch vor Projektbeginn als deutsch-polnisch beschrieben hatten. Ein Stück weit konnte dabei auf langjährige Erfahrungen aus Projekten des Instituts für angewandte Geschichte im deutsch-polnischen Grenzland zurückgegriffen werden: So wussten wir bereits vor Projektbeginn, dass die Logik der Darstellung der deutsch-polnischen Beziehungen normalen Mediengesetzen folgt. Die Berichterstattung setzt in der Regel stark auf Personifizierung, Verknappung und Verbildlichung von möglichst konkreten Geschichten. In diesem Sinne hatten wir mit dem Tandem ein Sinnbild für ein Gespräch zwischen Deutschen und Polen entworfen. Es war nun sowohl an uns, tatsächlich gemeinsam mit den Studierenden an einer glaubwürdigen Umsetzung zu arbeiten, als auch am Martin-Gropius-Bau sowie den Journalisten, die damit verbundene Geschichte zu kommunizieren. Es wäre naiv anzunehmen, dass die damit einhergehende Nationalisierung, also das Einteilen von Menschen, Ideen und Ereignissen in vornehmlich nationale Kategorien, in denen sie nicht entstanden sind, ganz ohne unser Zutun, allein durch die Rezeption unseres Projektes, erfolgt wäre.4 So boten die Tandems keinen Rahmen, um die Wirkung dieser Kategorien gänzlich aufzulösen oder gar zu überwinden. Sie boten aber eine Möglichkeit, die damit einhergehende Verengung des eigenen Blicks der Tandem-Moderatorinnen zu diskutieren und in Frage zu stellen. Da wir keine qualitative Besucherbefragung durchführen konnten, haben wir nur ein sehr begrenztes Wissen über die Wirkung der Führungen.5 Dabei haben wir uns vor allem auf die Beobachtungen der Studierenden und unsere eigenen Erfahrungen sowie eine Vielzahl von Gesprächen mit TeilnehmerInnen gestützt.

4 | Gunsenheimer, Antje (Hg.): Grenzen. Differenzen. Übergänge. Spannungsfelder inter- und transkultureller Kommunikation, Bielefeld 2007. 5 | Siehe dazu die Ergebnisse der regulären Evaluation durch den Martin-Gropius-Bau im Beitrag Tandem als Vermittlungsform von Susanne Rockweiler in diesem Band.

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I NNERE P ROJEK TLOGIK UND ÄUSSERE G RENZEN Neben den bereits geschilderten und von Anne Wannitschek sowie Anna Labentz in ihren Beiträgen ausgeführten konkreten positiven Erfahrungen im Gespräch mit BesucherInnen, müssen an dieser Stelle auch die Grenzen dieses Verfahrens aufgezeigt werden. Dadurch, dass die Studierenden für ihre Führung konzeptionell selbst verantwortlich waren, lag eine große inhaltliche und methodische (Arbeits-)Last auf ihnen. Gerade in der Anfangsphase der Ausstellung die eigene Tandemführung für die Öffentlichkeit fertig zu stellen und sie dann immer wieder anhand der eigenen Erfahrungen anzupassen, bedeutete eine große Herausforderung. Nach der Führung die wichtigsten Beobachtungen, Dialoge und Gedanken festzuhalten und auszuwerten, ist nur noch wenigen gelungen – die Kräfte reichten dafür zumeist nicht mehr. Dabei kreisten unsere Diskussionen im Anschluss an die Ausstellung eher um die konkrete Erfahrung, selbst aktiv an diesem deutsch-polnischen Großprojekt teilgenommen zu haben. In diesem Sinne erschwert der Umstand, dass die Studierenden selbst die Führungen konzipiert und umgesetzt haben, die innere Distanzierung vom Erlebten. Sie wurden selbst zum Teil des Projekts und können sich seiner inneren Logik nur schwer entziehen. Mit einigem zeitlichen Abstand und nach der Durchsicht ganz unterschiedlicher Reaktionen auf das Projekt sind folgende weitere Einschränkungen für die von uns beschriebene Methode zu benennen: Die Rolle der als Moderatorinnen agierenden Studentinnen beschränkte sich in der Regel nicht darauf, einen kurzweiligen und sinnstiftenden Weg durch die großflächige Ausstellung vorzunehmen und durch Anekdoten aus dem eigenen Erfahrungsschatz die Besucher dazu anzuregen, selbst das Wort zu ergreifen.6 Die bereits vor Beginn der Führung getroffenen Entscheidungen zu Auswahl der Objekte, Wegstrecke und Fragerichtung schafft von vornherein eine Art Szenario, in dem die Räume für ein assoziatives Gespräch zeitlich begrenzt sein müssen. Um in der Lage zu sein, 15 bis 20 Personen durch eine relativ stark besuchte und eng gebaute Ausstellung in 90 Minuten zu führen und ihnen einen Überblick zu verschaffen, erscheint es unmöglich, den Besuchern etwa die Wahl über einzelne Objekte zu lassen. Aus praktischen Gründen bedeutet Multiperspektivität daher die gezielte Bündelung von Assoziationen, Ideen und Gedanken zu 6 | Siehe dazu den Beitrag Kulturelle Bildung im Museum.

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konkreten zuvor ausgewählten Objekten.7 Das mag natürlich erscheinen, führt aber zu einem weitaus wichtigeren Punkt: Um ein Gespräch unter den Besuchern zu befördern, müssen die Moderatorin oder der Moderator stets in ihrer Rolle als Moderatorin verbleiben – auch wenn sie als Studierende eigene Erfahrungen einbringen. Dass die Moderatorinnen von ihrem persönlichen Erfahrungshorizont berichten, bedeutet nicht, dass sie zu gleichberechtigten Gesprächspartnern werden. Denn sie müssen weiterhin das Gespräch strukturieren und die Gruppe durch die Ausstellung steuern. Unsere Studentinnen hatten dazu geübt mit schwierigen Situationen, etwa sehr kritischen oder provokanten Beiträgen von TeilnehmerInnen diplomatisch umzugehen und Wortbeiträge ggf. zu lenken und unter Umständen auch einzugrenzen um eine Eskalation des Gesprächs zu vermeiden. Deshalb steht die Perspektive der Moderatorin auch in einer dialogischen Tandemführung eben nicht gleichberechtigt neben den Sichtweisen der Besucher, wie es vielleicht durch den Zusatz Dialog oder das studentische Alter der Moderatorinnen suggeriert wurde.

S PR ACHE UND M ACHT INNERHALB DES DEUTSCH POLNISCHEN D IALOGS Diese dominante Rolle ist eng verbunden mit der Sprache als Hauptmedium einer dialogischen Führung. Da die Ausstellung in Berlin stattfand und sich der Außenwerbung nach zu urteilen vornehmlich an ein deutschsprachiges Publikum richtete, wurde als Sprache der Tandemführungen Deutsch festgelegt. Eine zweisprachige Führung mit ständiger Übersetzung wäre nicht praktikabel gewesen. Eine gänzlich polnischsprachige Führung wurde für die Turnusführungen nicht in Erwägung gezogen. Für Gruppen aus Polen bestand natürlich die Möglichkeit, zusätzlich eine Tandemführung auf Polnisch zu buchen.

7 | Strandling, Robert: Multiperspectivity in history teaching. A guide for teachers: Coucil of Europe: www.coe.int/t/dg4/education/historyteaching/ Source/Notions/Multiperspectivity/MultiperspectivityEnglish.pdf#xml=www. search.coe.int/texis/search/pdf hi.txt?query=stradling&pr=Internet_D&prox= page&rorder=500&rprox=750&rdfreq=500&rwfreq=500&rlead=500&rdepth= 250&sufs=1&order=r&mode=&opts=&cq=&sr=&id=495fc909a3. 2.1.2013

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Diese zuvor in einer Mischung aus pragmatischen und politischen Gründen geschaffenen Grundvoraussetzungen prägten die Zusammensetzung der Tandemführungen massiv. So war es polnischen Besuchern, die kein Deutsch verstanden, zwar möglich an der Führung teilzunehmen. Es war aber mit dem ausgearbeiteten Programm nicht möglich, eine durchgehende Übersetzung anzubieten, da die Zeit nicht gereicht hätte – selbst wenn in jedem Tandem eine zweisprachige Moderatorin vorhanden war. So war es technisch nur möglich, polnische Wortmeldungen für alle Teilnehmer hörbar ins Deutsche zu übersetzen und klärende Nachfragen auch auf Polnisch zu beantworten. Diese technischen Nuancen haben für den Verlauf der Diskussion während der Tandemführung große Bedeutung, da die Grundvoraussetzung für Partizipation am Gespräch eben zumindest das passive Beherrschen von Deutsch war. Die Folge war ein starkes Ungleichgewicht für diejenigen, die mit Deutsch aufgewachsen sind und diejenigen, die es erst später erlernt haben. Bei genauerer Betrachtung der Gesprächsverläufe fiel auf, dass der Dialog, in dem sehr wohl deutsche und polnische Akzente gesetzt wurden, vor allem ein Dialog zwischen in Deutschland lebenden Teilnehmern war: Unter ihnen waren zwischen Deutschen und Polen alle nur denkbaren hybriden Konstellationen vertreten.8 Selten haben sich hingegen Teilnehmer aus Polen aktiv am Gespräch beteiligt, die Deutsch allein als Fremdsprache in der Schule oder Universität gelernt hatten. Das lässt keinerlei Rückschlüsse auf die Deutschkenntnisse in Polen zu, da diejenigen, die gar kein Deutsch verstehen, an den Führungen ohnehin nicht teilnahmen. Die Zurückhaltung von polnischen Muttersprachlern, die nicht in Deutschland leben, war erst durch die deutschsprachige Tandemsituation kreiert worden. Und wie bereits zuvor ausgeführt: Für in Deutschland lebende Teilnehmer mit einer persönlichen Verbindung nach Polen enthielt die Ausstellung eine offene Einladung, sich mit diesem Beziehungsgeflecht hier aktiv auseinanderzusetzen. Die Tandemführungen boten einen Raum, um einen Teil dieser persönlichen Verbindung öffentlich zu kommunizieren.9 Dazu thematisier8 | Datta, Asit (Hg.): Transkulturalität und Identität. Bildungsprozesse zwischen Exklusion und Inklusion, Frankfurt a.M. 2005. 9 | Die Situation war per se öffentlich, weil das Gespräch in den Ausstellungsräumen des Martin-Gropius-Baus stattfand und sich BesucherInnen der Ausstellung jederzeit ungehindert der Gruppe anschließen konnten. Andererseits

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ten TeilnehmerInnen entweder in der Betrachtung eines Objekts oder in den anschließenden Diskussionen einen Aspekt, der ihnen persönlich wichtig erschien. Grundvoraussetzung dafür waren aber gute, aktive Deutschkenntnisse und die Bereitschaft, diese in dieser öffentlichen Situation vor Fremden anzuwenden. Dazu notwendig ist eine gewisse Praxis, etwa in der Überwindung, in Deutschland Deutsch mit einem mehr oder weniger starken Akzent zu sprechen und sich damit in dieser speziellen Situation als Migrant bzw. Besucher aus Polen erkennen zu geben. Überwindung deshalb, weil in der Selbstwahrnehmung von Teilen der deutschen Gesellschaft ein Akzent noch immer Anzeichen dafür ist, nicht von hier oder nicht deutsch zu sein.10 Die Erfahrung der Tandemführungen zeigte jedenfalls, dass die Sprachbarriere für in Polen aufgewachsene Besucher, die (nicht oder noch nicht lange in Deutschland lebten) höher war, als die inhaltliche Barriere für in Deutschland aufgewachsene Teilnehmer, die kaum Wissen über den polnischen Nachbar verfügen. Etwa bei der Beschreibung von Artefakten fühlten sich letztere viel eher eingeladen, aktiv zu werden. Diese Beobachtung deutet auf die Rolle von Sprache als zentrales Kommunikationsmedium und als Medium der Macht in der Tandemsituation hin: Die Verwendung von Deutsch zur gemeinsamen Verständigung über die deutsch-polnischen Beziehungen schafft eine symbolische und praktische Ungleichheit für die Teilnehmer und schränkt die Möglichkeit zur Partizipation für einen Teil der potenziellen Teilnehmer stark ein.11 Die Erfahrungen der Tandemführungen zeigen, dass die Vorstellung einer gleichberechtigten Partizipation aller unabhängig von ihren Sprachkompetenzen und dem bereits zuvor akquirierten Wissen falsch ist. Als Konsequenz müsste in die didaktische Konzeption von Multiperspektivität auch eine Dimension symbolischer Ungleichheit integriert werden, die über Sprache, Habitus und Wissen zum Ausdruck gebracht wird und den Verlauf eines jeden Gesprächs stark beeinflusst.

entstand durch das moderierte Gespräch in der Gruppe das subjektive Gefühl, einer geschützten Situation, die man als halb-öffentlich beschreiben könnte. 10 | Wiese, Heike: Kiezdeutsch: Ein neuer Dialekt entsteht, München 2012, S. 207f. 11 | Damit wird Sprache auch als allgemein wichtige Voraussetzung für die museale Funktion als Kommunikationsräume deutlich.

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A SYME TRISCHER D IALOG : W ISSEN ALS V OR AUSSE T ZUNG FÜR D EUTUNGEN In den dialogischen Tandemführungen wurden die Studierenden mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert: Offiziell und organisatorisch handelte es sich um ein deutsch-polnisches Projekt. Dennoch entwickelte die Ausstellung eine sehr spezielle Form von Perspektivität. Während ein Großteil der Finanzierung von deutscher Seite erfolgte und das Projekt von Berliner Institutionen mit hoher Priorität vorangetrieben wurde, ist die Narration der Ausstellung vor allem die Vision der Kuratorin Anda Rottenberg, die es offenkundig als Versuch verstand, eine Narration polnischer Geschichte mit punktuellen Bezügen zum deutschen Nachbarn zu entwickeln. Das heißt, dass in Berlin ganz offiziell mit deutscher finanzieller und logistischer Unterstützung eine polnische Interpretation der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte präsentiert wurde, die gar nicht den Anspruch hatte, mehrere mögliche Perspektiven aufzuzeigen.12 Das Ergebnis war ein Versuch, der deutschen Seite die Geschichte Polens näher zu bringen und dabei immer wieder Bezüge zu Deutschland aufzuzeigen.13 So entstand eine hochkarätige, dichte und vielseitige Schau von Objekten, die in Polen in dieser Fülle und Zusammensetzung zuvor nicht zu sehen war und auch in den kommenden Jahren nicht zu sehen sein wird. Interessant im Zusammenhang von Führungen und Multiperspektivität ist, dass im Einzugsgebiet für Wochenendtouristen von Berlin wichtige polnische Großstädte wie Poznań, Szczecin und Wrocław liegen, für deren Bewohner die Ausstellung ein stärkerer Magnet hätte werden können. An diese richtete sich die Ausstellung aber nicht, denn um diese Besucher wurde kaum geworben. Für die Tandemführungen resultierte daraus zunächst die Herausforderung, im Sinne von Anda Rottenbergs Ausstellungskonzept, Grundwissen über die polnische Geschichte an deutsche Besucher zu vermitteln. 12 | Siehe dazu den Beitrag Tür an Tür und Nebeneinander und voneinander. 13 | Dabei wurde indirekt auch eine Vielzahl von innerpolnischen Diskussionen über die deutschen Nachbarn aufgegriffen: Wolff-Powęska, Anna: Das Deutschland- und Deutschenbild der Polen in den letzten Jahren, in: Dyroff, Stefan/Krzoska, Markus (Hg.): Geschichtsbilder und ihre museale Präsentation. Ausgewählte Beiträge zur Geschichte der Deutschen in Polen in Vergangenheit und Gegenwart, München 2009, S. 25-51.

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Das schuf in gemischten Besuchergruppen eine ungleiche Herausforderung. Da Rottenbergs Entscheidungen bewusst vor allem für das polnische Selbstverständnis wichtige Aspekte zu beleuchten und das Wissen über diese bei in Deutschland aufgewachsenen Teilnehmern ohne polnischen Familienhintergrund relativ gering ist, musste für diese Teilnehmer mehr grundlegendes Wissen vermittelt werden, um eine Kontextualisierung im folgenden Gespräch zu ermöglichen. In Polen aufgewachsene Teilnehmer erschlossen sich viele Werke durch ihr in Schule, Elternhaus oder Universität akquiriertes Wissen.14 Mehr noch: In der Ausstellung waren mit so bedeutenden Gemälden wie Preußische Huldigung von Jan Matejko oder Melancholie von Jacek Malczewski zentrale Bilder des historischen polnischen kollektiven Gedächtnisses zu sehen. Diese lösen aufgrund ihres ikonographischen Charakters bei Besuchern aus Polen eine ganz eigene Assoziationsdynamik aus, da die Dichte solcher polnischer Meisterwerke in der Berliner Ausstellung ungewöhnlich hoch und ihre Hängung immer wieder überraschend war. Das ermöglichte allerdings eine unerwartete Ebene von Multiperspektivität: Polnische Besucher fanden es immer wieder interessant, zu beobachten, wie Studierende der Viadrina auf Deutsch deutsch-polnische Geschichte vermitteln. Durch ihr großes Vorwissen benötigten sie viele dieser Informationen nicht, konnten sich aber dank dieses Wissensvorsprungs in eine Metaposition begeben. Eine Strategie der Studierenden war, in der Gruppe vorhandenes Wissen zu aktivieren. So baten sie immer wieder die Teilnehmer, sich an der historischen Einordnung bestimmter Kunstwerke zu beteiligen. In dieser Hinsicht gab es eine andere Ungleichheit in der Kommunikation. Durch ihr deutlich größeres Wissen über einzelne Werke mussten sich in Polen aufgewachsene Teilnehmer in bestimmten Phasen der Führungen entscheiden: Entweder betrachten sie dieses Wissen aktiv ein oder hielten sich gezielt zurück, um dem Erkenntnisprozess anderer Teilnehmer nicht vorzugreifen.15 Eine besondere Herausforderung der Moderatorinnen bestand darin, keine Wissensfragen, sondern offene Fragen zu formulieren, die ohne Expertenwissen anhand des Exponats zu beantworten waren oder aber 14 | Dabei wird Deutschland in polnischen Museen deutlich häufiger thematisiert als Polen in deutschen Museen: Ebenda, S. 11-23. 15 | Ehrhardt, Damien/Sckell, Soraya N. (Hg.): Interculturalité et transfert, Berlin 2012.

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durch die vorherigen Wortbeiträge mögliche Wissensbestände auszumachen, um evtl. gezielt einzelne Personen zu bitten, etwas zu erklären. Dabei konnten die Studierenden in vielen Führungen auf einen bestimmten Typus TeilnehmerIn zählen: Besonders Lehrer, Historiker oder Museumsmitarbeiter brachten ihr Wissen auf Nachfrage gerne in die Führungen ein. Während auf diese Weise ein gewisser Spielraum für das Austesten unterschiedlicher Rollen entstand und die oben beschriebene sprachliche Ungleichheit ein Stück weit kompensiert werden konnte, blieb aber die Grundausrichtung und damit auch die Perspektive der Führungen vorgegeben: Voraussetzung für einen Austausch war zunächst das Vermitteln des polnischen Kontextes. Obwohl die meisten Moderatorinnen selbst hybride Biographien aufweisen, hielten alle Teams an diesem Grundmuster fest: Polnische Geschichte wurde so als etwas vom deutschen Betrachtungskontext Losgelöstes erfahrbar. Und in diesem Sinne ging das Konzept von Anda Rottenberg auf: Polen wurde durch diese Perspektivierung deutlich sichtbar. Das verstärkte in den Führungen noch den Widerspruch zwischen dem offiziellen Anspruch der Ausstellung polnische Geschichte zu vermitteln, dem Versuch der Tandems Multiperspektivität erlebbar zu machen und der Praxis der TeilnehmerInnen, die in ihrer Mehrzahl das Tandemformat nutzten, um ein dezidiertes Statement über ihre eigene deutsch-polnische Wirklichkeit zu formulieren. Diese drei Ebenen sind insofern vereinbar, als dass alle daran beteiligten Akteure ihr Verständnis der deutsch-polnischen Beziehungen auf die im Martin-Gropius-Bau ausgestellte polnische Geschichte projizierten und damit eine eigene Perspektive entwarfen.16

S CHLUSSFOLGERUNGEN : G EGENWARTSBE ZUG UND M ULTIPERSPEK TIVITÄT AK TIV HERSTELLEN Tandemführungen können Ausstellungen als kommunikative Räume erschließen, in dem unterschiedliche Bedeutungen von Vergangenheit in einem moderierten Gespräch miteinander in Bezug gebracht werden. 16 | Glass Claudia/Beate Gugger: Grenzen und Chancen von partizipativen Projekten, in: Gesser, Susanne u.a. (Hg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld 2012, S. 174-178.

Die Grenzen von Multiperspektivität

Das Zwiegespräch der Moderatorinnen bringt erste Ansätze von Multiperspektivität ein, die im Diskussionsverlauf um unterschiedliche Sichtweisen der BesucherInnen erweitert werden. Der Gegenwartsbezug ist in einem doppelten Sinne zu verstehen: Die gemeinsame Deutung der Kunstwerke selbst erfolgt erst in der Gegenwart der Führung, so dass der Prozess von Wissensbildung für alle Beteiligten erlebbar wird. Das gilt auch für die ModeratorInnen, die in dieser Situation selbst Lernende sind, die neue Aspekte kennenlernen, aber auch neues Wissen akquirieren. Im Sinne der Angewandten Kulturwissenschaften ist die Situation einer Tandemführung aber auch als empirischer Prozess zu verstehen, in dem die Gegenwart des in der Ausstellung thematisierten Gegenstandes deutlich wird. Dabei handelt es sich um eine spezifische unter bestimmten institutionellen Umständen von den Moderatoren selbst herbeigeführte Situation. Dieser Kontext muss bei der späteren Analyse berücksichtigt werden, schmälert aber nicht die Aussagekraft des so entstehenden empirischen Materials. Eine wichtige Erfahrung der deutsch-polnischen Tandemführungen im Berliner Martin-Gropius-Bau ist die konzeptionelle und praktische Schwierigkeit, im Gespräch einerseits eine Definition von dem, was in der Ausstellung als deutsch und polnisch verstanden wird, vorzunehmen, diese aber andererseits so offen zu formulieren, dass es allen Teilnehmern möglich ist, ihr eigenes Wissen, ihre eigene Deutung und Erfahrung einzubringen, ohne als Sprachrohr einer ganzen Nation instrumentalisiert zu werden. Wie zuvor erörtert standen die Führungen in einem Spannungsfeld von öffentlichen Erwartungen an die Ausstellung als Symbol der engen Zusammenarbeit von Deutschland und Polen auf der einen Seite und den zumeist hybriden Erfahrungen vieler Teilnehmer, die gerade deshalb zu den Führungen kamen, weil die sprachliche, kulturelle und physische Bewegung zwischen Deutschland und Polen zu einem wichtigen Teil ihres Lebens geworden ist. Diese Spannung ermöglichte im Laufe des Projekts ein erweitertes Verständnis von Multiperspektivität zu entwickeln. So waren wir selbst in der ursprünglichen Projektbeschreibung von deutschen und polnischen Studierenden ausgegangen, die gemeinsam Tandems bilden würden. Am Ende führten ganz unterschiedliche Teams, kein einziges wollte sich auf eine jeweils nationale Perspektive der Narration festlegen. Und die Besucher unterschieden sich oft ebenso stark in Alter, geographischer Herkunft, Bildung, Gender und Sprachkenntnissen wie in der formellen oder gefühlten Zugehörigkeit zu der einen

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oder anderen Gesellschaft. Daraus zogen wir die Lektion, dass Multiperspektivität eben nicht allein die Summe unterschiedlicher nationaler Blickwinkel sein kann. Die konzeptionelle Anlage von ähnlichen Projekten sollte ermöglichen, dass nationale Zugehörigkeit in einem Gespräch als bestimmte Perspektive eingenommen werden kann. Es muss aber in der Praxis erstens vermieden werden, dass die Grundlage der Diskussion eine entsprechend eindeutige Zuordnung ist und zweitens möglich sein, ganz andere Aspekte von Identität zum Ausdruck zu bringen, ohne dies etwa durch direktes Nachfragen oder affirmative Zuschreibungen zu erzwingen. Unter der Berücksichtigung bestimmter Regeln, ist es möglich, ein Gespräch zu initiieren, in dem gemeinsam Aspekte jenseits des traditionellen Denkens in Kategorien klar voneinander getrennter Staaten, Kulturen, Sprachen und letztlich auch Vergangenheiten zu führen. Zu Beachten ist vor allem: 1) Die eigene Rolle als ModeratorIn zu reflektieren, die in einem starken Maße Vorgaben zu Sprache, Gender und anderen Dimensionen macht, in denen Fragen formuliert werden. 2) Trotz dieser Voraussetzungen offene Fragen zu formulieren und anstatt einer Monologführung nur das notwendige Wissen zur Kontextualisierung beizusteuern. 3) Das Gespräch immer wieder auf einzelne Objekte und ihre formelle Logik zu lenken, um eine gemeinsame empirische Basis für individuelle Deutungen der Ausstellung zu schaffen. 4) Die BesucherInnen selbst als Akteure zu behandeln, die mit eigenen Erwartungen, Erzählungen und Fragen in die Ausstellung kommen. 5) Nach Möglichkeit die Essentialisierung einzelner äußerer Merkmale wie etwa Sprache in der Diskussion zu vermeiden – etwa öffentlich einen Teilnehmer darauf festzulegen, als Pole zu sprechen, weil er etwa einen polnischen Akzent auf Deutsch hat.

III Perspektiven

Tandem als Vermittlungsform Susanne Rockweiler

D IE W EITERENT WICKLUNG DES K ONZEP TES T ANDEMFÜHRUNG IM M ARTIN -G ROPIUS -B AU Die in diesem Band vorgestellten Tandemführungen stellten für den Martin-Gropius-Bau einen Versuch dar, in Kooperation mit KollegInnen der Europa-Universität Viadrina und den Kulturprojekten Berlin, ein neuartiges Führungsformat zu erproben.  Anstelle der klassischen 60-minutigen, öffentlichen Einpersonen-Führung leiteten zwei deutsch/polnische StudentInnen durch die Ausstellung. Sie warfen sich die Bälle zu und erklärten jeweils den unterschiedlichen Kontext in dem ein Objekt in ihrer Gesellschaft verstanden wird. Es wurden kulturelle Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten herausgearbeitet und ein Zwiegespräch inszeniert, an dem die BesucherInnen aktiv teilnehmen konnten. Im Anschluss an die Führungen wurde eine kursorische Besucherbefragung durchgeführt. Die Umfrage war nicht repräsentativ, gab aber eindeutig positive Signale: Von etwa 1000 befragten Personen (71 % deutscher Nationalität, 21  % polnischer, 8  % unterschiedlicher Nationalitäten) gaben 87 % an, dass ihnen die binationale Ansprache gefallen habe, 78 % würden eine Tandemführung einer herkömmlichen vorziehen, bei 75 % hat sich ein Gespräch zwischen Gruppe und ReferentInnen entwickelt, bei 69 % ergab sich ein Austausch unter den TeilnehmerInnen, 82 % schrieben dem Tandemformat einen zusätzlichen Wissensgewinn zu, 78  % hätten sich eine längere Führung gewünscht, 31  % mehr Exponate, die während der Führung angesprochen werden. Im Ergebnis kann man von einem erfolgreichen Projekt sprechen, das zur Fortsetzung animiert. Mittlerweile sind Tandemprojekte fester Bestandteil der kulturellen Vermittlungsarbeit im Martin-Gropius-Bau geworden. Sie mehren auf kommunikative und wissensbildende Weise die Perspektiven und be-

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herbergen Potenzial zur Weiterentwicklung. Warum Museen und Ausstellungshäuser sich auf das Entwickeln neuer Partizipationsformate einstellen sollten, sei hier den Visionen und der Fortentwicklung von Tandemprojekten vorangestellt. These: Positionieren sich Museen und Ausstellungshäuser verstärkt auch als Bildungseinrichtung und Ort des interkulturellen Austauschs, schaffen sie sich eine zusätzliche Existenzberechtigung und binden mittel- und langfristig BesucherInnen. Museen und Ausstellungshäuser arbeiten nicht im luftleeren Raum. Ihr Aufgabenprofil hat sich in den letzten zehn Jahren radikal verändert. Dafür gibt es gesellschaftliche und wirtschaftliche Gründe:

1. D IE GESELLSCHAF TLICHEN G RÜNDE Die Gesellschaft verändert sich. Laut Statistischem Bundesamt ist im Jahr 2050 die Hälfte der deutschen Bevölkerung älter als 48 Jahre, jeder Dritte ist dann 60 Jahre alt oder älter. Die Bevölkerungspyramide, die vor dem Ersten Weltkrieg noch die klassische Form einer Pyramide hatte, wird 140 Jahre später nahezu auf dem Kopf stehen. Gleichzeitig verändert sich die Sozialstruktur der Gesellschaft. Der Bruch zwischen arm und reich vergrößert sich. Die soziale Ungleichheit nimmt zu. Das Einkommen der gesellschaftlichen Mitte, die vormals zu weiten Teilen das Bürgertum ausgemacht hatte, sinkt. Das hängt mit den veränderten Arbeitsbedingungen zusammen: Das Normalarbeitsverhältnis, die unbefristete Vollzeitbeschäftigung, ist rückläufig. Befristung, Minijobs und Leiharbeit, die tendenziell mit niedrigen Einkommen verbunden sind, nehmen zu. Ferner hat sich Deutschland vom Gastarbeiterland zum Einwanderungsland entwickelt. In Deutschland ist die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund (darunter u.a. Spät-AussiedlerInnen, eingebürgerte ehemalige AusländerInnen und Kinder aus »gemischten« Familien) mit einem zugewanderten Familienmitglied von 2005 auf 2007 auf 16 Millionen gestiegen, sie machen 19,6 Prozent der Bevölkerung aus. Je jünger die Menschen sind, umso größer ist der Anteil mit Migrationshintergrund. Von den Kindern unter fünf Jahren wurde mit 35 Prozent bereits gut jedes dritte in eine Zuwandererfamilie geboren. Die Integration

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der MigrantenInnen stößt in Deutschland auf besondere Probleme, weil Menschen mit Migrationshintergrund überproportional häufig unter den Geringqualifizierten und den statusniedrigen Berufsgruppen vertreten sind.1 Die PISA-Studien (Programme for International Student Assessment) haben erstmals quantitativ belegt, dass Deutschland stärker durch MigrantenInnen unterschichtet ist als andere vergleichbare Einwanderungsgesellschaften. Dort wo einst das klassische Bildungsbürgertum generationsübergreifend Wissen vermittelt hat, ist in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren eine zunehmende Kluft entstanden. Das Resultat zeigt sich in den PISA-Studien. Seit dem Jahr 2000 wird in Zyklen die Schulleistung der OECD-Mitgliedsstaaten erfasst und verglichen. Verglichen werden die Lesekompetenz und die mathematische und naturwissenschaftliche Grundbildung. Deutschland schnitt in den ersten Tests unterhalb des OECD-Durchschnitts ab. Dieses schlechte Abschneiden legt den Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit im deutschen Bildungssystem offen. Seither gewinnt der Anteil der kulturellen Vermittlungsarbeit bei Kultureinrichtungen radikal an Bedeutung. Das auf Differenzierung von Schulformen, Unterricht, Selektion sowie Fachwissen ausgerichtete Bildungssystem vermittelt generelle Fertigkeiten und Fähigkeiten nicht in ausreichendem Maße. PISA deckt ein hohes Maß der Leistungsungleichheit nach Schichtzugehörigkeit sowie zwischen MigrantInnen und Einheimischen auf.2 Im Ergebnis zeigen diese sowie weitere soziologische Studien, dass Vorhaben angestoßen werden müssen, die die Gesellschaft zusammenführen, Ungleichheiten ausgleichen und Wissen sowie Kompetenzen zusätzlich zum Schulunterricht vermitteln.

1 | Vgl.: Geißler, Rainer: Die Sozialstruktur Deutschlands: Aktuelle Entwicklungen und Erklärungsmodelle. Gutachten im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2010 Bonn, S. 30-33. 2 | Vgl.: Gastbeitrag des Soziologen Richard Münch: Die Bildung oder Humankapital?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.11.2008, S. 8.

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2. D IE WIRTSCHAF TLICHEN G RÜNDE Der wirtschaftliche Notstand der öffentlichen Hand konfrontiert die Kultureinrichtungen zunehmend mit ihrer Zukunftsfähigkeit. Er schärft die Fragen nach ihrem Profil, ihren Zielsetzungen, Visionen und Konzepten. Das Erarbeiten von wissenschaftlich fundierten Ausstellungen reicht nicht mehr aus, um Museen und Ausstellungshäuser in die Neuzeit zu führen und langfristig zu sichern. Der Deutsche Museumsbund und der Internationale Museumsrat (ICOM) haben mit ExpertInnen im Februar 2006 »Standards für Museen« veröffentlicht als ein Grundsatzpapier für eine qualifizierte Museumsarbeit.3 Dazu gehören die Aufgaben Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln. Sie sind ein wichtiger Teil der Museumsarbeit. Vor allem die Vermittlungsarbeit steht seit einigen Jahren zunehmend im Fokus. Das Aufgabenspektrum von Ausstellungsbetrieben hat sich allerdings um weitere wichtige Aspekte erweitert: Erstens gibt es nur noch selten eine Vollfinanzierung durch öffentliche Gelder. An ihre Stelle treten eine Basisfinanzierung und das Akquirieren von Drittmitteln. Oft sind nur die Fixkosten wie Personal, Strom, Heizung, Miete, Instandhaltung etc. durch die Zuschüsse der öffentlichen Hand gedeckt. Die variablen Kosten für das Entwickeln neuer Ausstellungen, Ankäufe und besondere Maßnahmen müssen von den Einrichtungen über Kooperationsmodelle, Sponsoren- und Stiftungsgelder, Freundeskreise und Shopverkäufe akquiriert werde. Zweitens wächst die Bedeutung des Netzwerkens. Ausstellungen werden in Zusammenarbeit mit anderen Häusern entwickelt. Die Kosten und die personellen Ressourcen teilen sich die kooperierenden Häuser. Die Ausstellung wird an mehreren Standorten nacheinander gezeigt. Bei der Ausstellungstournee werden die konservatorischen Bedingungen berücksichtigt.

3 | Deutscher Museumsbund e.V. Standards für Museen, Berlin/Kassel, 2006, siehe auch online: www.icom-deutschland.de/client/media/41/standards_fuer_ museen_2006.pdf, 2.1.2013.

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Drittens wächst die Bedeutung des Kulturmarketings. Es kommuniziert die Ausstellungsinhalte nach innen und außen. Nicht mehr allein die kunsthistorische Reputation eines qualitätsvollen Ausstellungsprogramms entscheidet über den Erfolg und die Fortexistenz einer Kultureinrichtung, sondern zunehmend die Besucherzahlen. Gute Besucherzahlen oder gar Besucherschlangen erzeugen ein gesteigertes Medienecho, Eintrittseinnahmen, Renommee und die Aufmerksamkeit von Drittmittelgebern – ein nahezu perfektes Perpetuum Mobile. Doch wie lassen sich höhere Besucherzahlen erzeugen, ohne Inhalte weichzuspülen und sich wie ein kommerzielles Unternehmen am Markt zu orientieren? Es ist nicht mehr unrühmlich, eine gute Mischung an wichtigen kunsthistorischen Ausstellungsthemen und publikums- und medienwirksamen Ausstellungen zu disponieren. Oft ermöglicht das erfolgreiche Abschneiden einer Ausstellung die Umsetzung einer weiteren. Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigte beispielsweise im Jahr 2010 die Ausstellung »Frida Kahlo Retrospektive« (30.4.–9.8.2010). Sie entwickelte sich zum Zuschauermagneten. Über 235.000 BesucherInnen zog die Schau an. Dieser Erfolg ermöglichte im Herbst desselben Jahres das Zeigen der Ausstellung »Pierre Soulages« (2.10.2010-17.1.2011), eine der bedeutendsten europäischen Positionen der Abstrakten Malerei, die vom Publikum weit weiniger angenommen wurde, aber dennoch von Bedeutung ist. Der heute 92-jährige Künstler ist in Frankreich ein Star, doch in Deutschland kennen ihn nur noch wenige. Besucherzahlen lassen sich durch ein stringentes Kulturmarketing steigern. Im Kulturmarketing-Management-Prozess werden Rahmendaten analysiert, Fragen beantwortet und die richtige Strategie abgeleitet. Zu beantworten sind Fragen wie: Wer sind wir/was wollen wir (Leitbild), wer sind unsere Mitbewerber/wie das Umfeld (Analyse der Rahmendaten), was/wen wollen wir durch unsere Ausstellung erreichen (Zielsetzung und Zielgruppe) und durch welche Strategie sind unsere Ziele zu erreichen (Strategieentwicklung). Daraus leiten sich Marketinginstrumente ab, die je nach Ausstellungsinhalt, Zielgruppe und Zielsetzung ein Mix aus den Elementen Programm, Preis, Distribution, Kommunikation und Service bilden. Hier soll nicht auf Details der Marketinginstrumente und ihr Zusammenspiel eingegangen, sondern die Kernaufgabe des Kulturmarketings umrissen werden: Kultur lebendig zu halten, sie zu überset-

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zen und zu kommunizieren. Ein gutes Marketing schlägt eine Brücke von den erarbeiteten Inhalten zu den BesucherInnen. Es übersetzt künstlerische Qualität in einen kommunikativen, oft auch emotionalen Reiz.4 Evaluationen belegen, dass BesucherInnen vor allem durch drei Faktoren animiert werden, in Ausstellung zu gehen: Erstens durch Werbung (Plakat, Flyer, Anzeigen etc.), zweitens Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (Medienecho) und drittens Mund-zu-Mund-Propaganda. Jeder Faktor wird je nach Umfrage etwa mit 30-35 Prozent bewertet. Ein stringenter Dreiklang führt zu einer Optimierung des Besucherzuspruchs. Bonita M. Kolb vertritt in ihrem Buch »Marketing Cultural Organisations« einen kundenorientierten Marketingansatz und zeigt, dass das künstlerische Werk in seiner Aura unberührt bleibt und sich in seiner Angebotsform dennoch an den Besucherwünschen orientieren kann. Sie erweitert den operativen Bereich der Marketinginstrumente der bekannten 4Ps (Product, Price, Promotion, Place) auf sechs Ps: »Persistence« (Ausdauer) und »People«.5 Bernd Günther, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, vertritt ebenso den kundenorientierten Kulturmarketingansatz. Er spricht von »Klebstoffen der Publikumsbindung«.6 Zu den Klebstoffen der Besucherbindung gehört zunehmend der Bereich der Vermittlung. Je mehr Erkenntnisgewinn der/ die BesucherIn bei einer Ausstellung hat, je passgenauer die Vermittlung von Inhalten erfolgt und je austarierter die Balance zwischen fördern und fordern ist, desto mehr Freude haben BesucherInnen an einer Ausstellung und desto zufriedener sprechen sie über das Gesehene. Die kulturelle Vermittlungsarbeit ist daher bereits heute ein wichtiges Modul des Kulturmarketings und eine nicht zu unterschätzende Säule für den erfolgreichen Ausstellungsbetrieb. 4 | Reimann, Michaela/Rockweiler, Susanne: Handbuch Kulturmarketing: Strukturierte Planung – Erfolgreiche Umsetzung – Innovationen und Trends aus der Kulturszene, Mannheim 2005, S. 30f. 5 | Kolb, Bonita M.: Marketing for Cultural Organisations: New strategies for attracting audiences to classical music, dance, museums, theatre and opera, Cork 2000, S. 73ff. 6 | Günter, Bernd: Junges Publikum gewinnen und binden – Zentrale Herausforderung für das Kultur-Marketing, in: Welck, Karin von/Schweizer, Margarete (Hg.): Kinder zum Olymp! Wege zur Kultur für Kinder und Jugendliche, Köln 2004, S. 52-61.

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3. K ULTURELLE V ERMIT TLUNGSARBEIT Herausforderung und Chance für Museen und Ausstellungshäuser Museen und Ausstellungsbetriebe bieten Raum für kulturelle Bildungsprozesse und interkulturellen Austausch. Mit ihren vielfältigen Ausstellungsthemen zu Technik, Natur, Geschichte und Kunst eröffnen sie Zugänge zu vergangenen Epochen und fremden Kulturen und erzeugen Raum für kulturelle Ausdrucksformen. Sie schärfen den Blick auf unsere Welt und unsere Umwelt in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie sind Foren für Laien wie für Experten. Sie sind Orte, an denen Wissen vermittelt wird und Orte des Austauschs generationenübergreifend und lebenslang. Die Politik hat in den letzten Jahren erkannt, dass die kulturelle Bildung, wie einige Museen und Ausstellungshäuser sie bereits betreiben, eine wichtige Grundlagen für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft schaffen. Etliche Bundes- und Länderministerien fördern Projekte an der Schnittstelle von Pädagogik und Kultur. »Kulturelle Bildung ist eine der besten Investitionen in die Zukunft unseres Landes«, so die EnqueteKommission »Kultur in Deutschland« des Deutschen Bundestags im Jahr 2007.7 Kultureinrichtungen, die durch den Beauftragten für Kultur und Medien der Bundesregierung (BKM) gefördert werden, sind seit 2008 per Förderauflage verpflichtet, kulturelle Bildung zum integralen Bestandteil ihrer Arbeit zu machen. Seit 2009 lobt das BKM einen Preis für beispielhafte Projekte der kulturellen Bildung aus, der mit 60.000 Euro dotiert ist. Ein Sonderfonds unterstützt zusätzlich Modellprojekte mit Leuchtturmfunktion. Stiftungen, darunter die Stiftung Mercator, Kulturstiftung des Bundes, Deutsche Bank Stiftung, Vodafone Stiftung, um nur einige, wenige zu nennen, schreiben Förderprogramme zu partizipativen Bildungsprojekten aus. Unternehmen stellen ihr Sponsoring um und unterstützen verstärkt Bildungsvorhaben. Nehmen die Kulturbetriebe die gesellschaftliche Aufgabe war, sich als wichtige Säule des gesellschaftlichen Zusammenhalts und als Partner 7 | Connemann, Gitta (Hg.): Schlussbericht der Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland«, Drucksache des Deutschen Bundestags 16/7000 vom 11.12. 2007, S. 8, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/070/1607000.pdf, 3.1.2013.

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für Schulen und Bildungseinrichtungen zu positionieren, sichern sie sich mittel- und langfristig ihre Existenz. Sie sichern sich zusätzliche Gelder sowie BesucherInnen und kümmern sich zugleich um ihren Besuchernachwuchs. Das sind Chancen und gleichzeitig Verpflichtungen. Zu den Verpflichtungen gehört, den Gesamtbereich der kulturellen Wissensvermittlung neu zu denken und sich zu fragen, wie Lernen und Austausch eigentlich funktionieren. Inhalte und Kompetenzen können nicht durch Reden in die Köpfe transferiert werden. Das starre Schema der einseitigen Führung ist ein Auslaufmodell. An ihrer Stelle müssen verstärkt partizipative Vermittlungsprojekte stehen, die junge wie ältere Besuchergruppen mit oder ohne Migrationshintergrund aktiv involvieren. Möglichkeitsräume öffnet dabei die Tandem-Methode.

4. P ROJEK TE UND V ISIONEN RUND UM DIE TANDEM M E THODE IN M USEEN UND A USSTELLUNGSHÄUSERN Einerseits sind Tandemvorhaben teurer und zeitintensiver sowohl in der Vorbereitung als auch in der Durchführung als Einpersonen-Vorhaben. Andererseits ermöglicht das Zweierteamkonzept, unterschiedliche Blickwinkel zu beleuchten und einen erweiterten Horizont aufzuzeigen. Sind die Tandems ähnlich positiv motiviert, können sie sich gegenseitig anregen, ihr Wissen und ihre unterschiedlichen Sichtweisen zu erläutern, Aussagen zu hinterfragen und wiederum argumentativ zu begründen. Die TeilnehmerInnen profitieren durch die offene Reflexion und werden zum Mitdenken und Gespräch animiert. Wissen wird dabei nicht nur ausgetauscht, sondern neues Wissen auch generiert und verarbeitet. Dem gemeinsamen Drehbuch gehen die Beantwortung folgender Fragen voraus: Wie/was möchte der/die KuratorIn vermitteln, welche Geschichte/n soll/ en erzählt werden, welche Exponate sind die wichtigsten/bedeutendsten, was möchten/sollten die BesucherInnen unbedingt sehen, welche Kunstwerke eignen sich, Blickwechsel vorzunehmen, welche Dramaturgie wird verfolgt, wer übernimmt welche Rolle und wo und wie werden die TeilnehmerInnen involviert. Die Tandem-Methode funktioniert wie eine Matrix, die Kunstwerke mit den unterschiedlichen Bereichen kombiniert und dadurch an Dimensionalität gewinnt.

Tandem als Vermittlungsform

a) Interdisziplinäres Lernen: Tandems als kulturelle Bildungsmethode Die positive und motivierende Atmosphäre der Kunst und ihrer Orte kann bei SchülerInnen Zugänge des informellen Lernens öffnen. Diese Art des Lernens ist freiwillig initiiert und nicht formal strukturiert, dadurch grenzt sich das Lernen in Ausstellungen vom Lernen in der Schule ab. Informelles Lernen kann bei SchülerInnen die kognitive Entwicklung stärken. Sie ist als Ergänzung zur Schule zu sehen und orientiert sich am Ausstellungsthema und idealerweise auch am Curriculum der jeweiligen Altersstufe. Dabei spielt der Unterhaltungsaspekt der Vermittlungsarbeit eine Rolle. Er kann bei Ausstellungsstücken das Attraktivitäts- und Verweilpotenzial sowie deren Bildungswirkung erhöhen. Diesen Unterhaltungsaspekt können Tandems leisten, weil sie die Schulklasse auf verschiedene Art und Weise ansprechen, Reaktionen innerhalb der Gruppe bemerken und spontan und authentisch darauf eingehen können. Kunstwerke werden zum interdisziplinären Mittelpunkt. Tandems legen die Interdisziplinarität der einzelnen Werke offen und erforschen sie im Dialog mit dem Publikum. Die Tandempaare setzen sich in der Regel aus einem/er KunstgeschichtlerIn, KulturwissenschaftlerIn oder KünstlerIn zusammen und ExpertInnen anderer Disziplinen. Bei den nachfolgenden Beispielen und Ideen, wird schnell deutlich, dass Tandems themenorientiert variabel und bedürfnisgerecht zusammengestellt werden können. Manche Ideen orientieren sich eng an der Wissensvermittlung von Ausstellungen, andere öffnen den Horizont und zeigen von der Kunstvermittlung ausgehend weitere Möglichkeitsräume: Die Ausstellung »Mythos Olympia. Kult und Spiele« (31.8.2012 – 7.1.2013) erzählte anhand von etwa 800 Objekten die Geschichte der Ursprünge der Olympischen Spiele. Das Tandem verglich zusammen mit SchülerInnen die Olympischen Spiele 776 v. Chr. mit den Olympischen Sommerspielen 2012. Als TandempartnerIn bot sich ein/e SportwissenschaftlerIn oder ein/e SportlerIn an. Die Sportlerdarstellungen aus dem antiken Griechenland wurden mit bekannten Olympiasiegern wie Usain Bolt (100m u. 200m Lauf) und Robert Harting (Diskus) verglichen. Gegenübergestellt wurden Stadion, Startvorrichtung und Startposition, Ausführung der Disziplin, Kleidung u.v.m. Ein anderes Tandem ergab sich spontan. Ein Politikwissenschaftler buchte für eine StudentInnengruppe eine reguläre Führung durch die Ausstellung. Als Folge kamen die Kulturwissenschaftlerin und der Politikwissenschaftler ins Gespräch und

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diskutierten jeweils aus der Perspektive ihrer Fachrichtung Aspekte der Macht rund um die antiken und modernen Olympischen Spiele. Die Ausstellung »Anish Kapoor« ist ab Mai 2013 im Martin-GropiusBau zu sehen. Anish Kapoor ist Künstler indisch/iranischer Herkunft. In seine Arbeiten fließen religiöse Themen und seine Erfahrungen im west-östlichen Spannungsfeld ein. In Planung ist ein Tandem einer/eines Kulturwissenschaftler/in mit einem/er ReligionswissenschaftlerIn, der/ die anhand der Kunstwerke Einblicke in die vier großen Religionen (Hinduismus, Islam, Judentum, Christentum) und unterschiedlichen Weltanschauungen gibt. Tandem und SchülerInnen arbeiten die Elemente heraus, die Kulturen und Religionen ausmachen. Zur Ausstellung »Itten/Klee. Kosmos Farbe« (25.4. – 29.7.2013) ist ein Tandem aus einer regulären Moderatorin und einem/er Physiker/in in Vorbereitung. Im Team sollen die Arbeiten der Bauhausmeister Johannes Itten und Paul Klee erläutert und Licht und Farbe zudem unter physikalischen Gesichtspunkten im Schüleratelier erforscht werden. Tandems eignen sich besonders, um einen spielerischen Umgang mit Sprachen zu vermitteln. Ganz kann der Fremdsprachenunterricht nicht in Ausstellungen verlegt werden, aber Ausstellungen eignen sich, kulturelle Epochen eines Landes in seiner Sprache zu vermitteln. Zu Ausstellungen wie »Pacific Standard Time. Kunst aus Los Angeles der 1950er bis 1980er Jahre« (15.3. – 10.2.2012) wurden englisch-deutsche Tandemführungen und -workshops angeboten, zu »Pierre Soulages« in den Sprachen Französisch und Deutsch. Die Tandems sind nicht gleich gewichtet. Die eigentliche Dialogführung ist in der jeweiligen Fremdsprache. Je nach Sprachverständnis der Schulklasse werden wichtige Informationen auf Deutsch zusammengefasst. Das Credo ist »so viel Fremdsprache wie möglich und so wenig Deutsch wie nötig«. Der deutschsprachige Part setzt ein, sobald SchülerInnen Gefahr laufen, den Roten Faden zu verlieren. Bisher ist das Sprach-Kultur-Tandem für Gruppen buchbar, die seit mindestens zwei Jahren Fremdsprachenunterricht haben. Dieses Modell lässt sich weiter ausbauen. Spannend könnten Tandems sein, die die Sprachfähigkeit von SchülerInnen in Leistungskursen ergänzen oder sich an Menschen wendet, die sich in Deutschland ein neues Leben aufbauen möchten – dazu gleich mehr. Tandems eignen sich für Patenschafts- oder Mentoring-Programme. Freundeskreise sind zur ideellen und monetären Unterstützung von Museen und Ausstellungshäusern bedeutend. Etliche Freundeskreismitglie-

Tandem als Vermittlungsform

der suchen nach Beendigung ihres Berufslebens sinnstiftende Aufgaben. Mitglieder des Freundeskreises übernehmen ehrenamtlich Patenschaften für Mitglieder des Kinder- und Jugend-Clubs. Im Martin-Gropius-Bau setzt er sich aus SchülerInnen aus Brennpunktgebieten Berlins zusammen, die das Zweijahresprogramm MGB Kunst2 am Martin-Gropius-Bau absolviert haben. Die Patinnen und Paten begleiten die jungen Kunstinteressierten der Klassen drei bis fünf in ihrer sprachlichen, schulischen und persönlichen Entwicklung. Sie unterstützen die Clubaktivitäten im Martin-Gropius-Bau, gehen mit den Kindern aber auch in Konzerte und Theateraufführungen und unterstützen sie, wenn gewünscht, bei ihren schulischen Aufgaben. Ziel ist es, den Kindern die Welt der Künste zu zeigen und ihnen einen bestmöglichen Start in die weiterführende Schule zu ermöglichen. Angedacht ist, das Mentoring-Programm auf Jugendliche der Klassenstufen acht und neun auszuweiten, auch um sie auf ihrem Weg ins Berufsleben zu begleiten.

b) Interkultureller Austausch: Tandems vermitteln zwischen den Kulturen Tandemführungen in Kultureinrichtungen können zum festen Bestandteil von Integrationskursen werden. Sie können den NeubürgerInnen Einblicke in die Kultur des Museumsbesuchs an sich geben sowie in die Kunst und Geschichte des neuen Heimatlandes einführen. Das Modell greift das eben erwähnte Sprach-Kultur-Tandem auf. Ein Integrationskurs umfasst einen Basis- und einen Aufbausprachkurs sowie einen Orientierungskurs.8 Innerhalb des Orientierungskurses besuchen die TeilnehmerInnen zwei Ausstellungen. Eine, die Aspekte der alten Heimat und eine, die Aspekte der neuen Heimat vermitteln. Die Tandems werden von zwei MuseumsvermittlerInnen unterschiedlicher Häuser gebildet und von Freundeskreis-Mitgliedern begleitet. Die Tandemnachmittage ermöglichen die Einbindung in die kulturelle und örtliche Gemeinschaft, sie stärken die interkulturelle Kompetenz und etablieren eine Willkommenskultur. Das tandemorientierte Projekt verbindet bürgerschaftliches Engagement und kulturelle Bildung sowie das gemeinsame Wirken von Alt- und NeubürgerInnen. 8 | Bundesinnenministerium, Zur Integration in Deutschland, 2012, www. zuwanderung.de/ZUW/DE/Zuwanderung_ist_Zukunft/Integration/Integra tion_node.html, 3.1.2013.

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Tandems können auch zwischen Generationen vermitteln. So könnte man besonders in Technikmuseen Workshoptandems zwischen Seniorenresidenzen und Jugendheimen anbieten. Senior und Junior bilden ein Tandem und erforschen die Naturwissenschaften. Gemeinsame Projekte wie der Bau eines flugkräftigen Flugzeuges oder das Bauen eines Radios, soundstarken Boxen oder Ähnliches könnten beiden Seiten Spaß machen. Glaubt man der Statistik9, so sind die Chancen für gesellschaftliche Veränderung im dritten Lebensalter zwischen 60 und 80 Jahren am größten. Ältere Menschen sind, was ihre Persönlichkeit angeht, in diesem Altersabschnitt flexibler und neugieriger als lange Zeit angenommen wurde. Man unterscheidet in der Intelligenzforschung zwischen zwei Kategorien von Intelligenz, der Mechanik und der Pragmatik. Die Jungen sind eindeutig besser, wenn es um die Mechanik geht, sie denken einfach schneller; Ältere können aber bei bestimmten Facetten der Pragmatik ganz vorne liegen. Bei der Pragmatik geht es um Wissen und Lebenserfahrung, also um kulturgebundene Fähigkeiten wie Sprache, berufliche Qualifikationen sowie emotionale und soziale Intelligenz.9 Nicht überraschend ist, dass ältere HistorikerInnen, KomponistInnen, DirigentInnen, PolitikerInnen und KünstlerInnen häufig zu den Besten ihres Berufs zählen. Jedes Alter hat seine Vor- und Nachteile. Im Tandem würden die Stärken gestärkt und die Schwächen ausgeglichen werden. Sorge um einen Generationenkrieg könnten damit zumindest symbolisch begegnet werden. In erster Linie beruht die Philosophie des Tandems auf einer Didaktik der Begegnung und des interkulturellen Austauschs. Personen unterschiedlicher Kulturen treten gemeinsam in Kontakt. Deshalb eignet sich dieses Format hervorragend für binationale Ausstellungen. Die Ausstellung zur 1000-jährigen Geschichte von Polen und Deutschland stieß bei PolitikerInnen anderer Nationen, die ebenso konfliktreiche, aber auch fruchtbare Phasen mit ihrem Nachbarland durchlebten, auf großes Interesse. Dieses Dialogformat schafft letztlich partizipative Erinnerungsräume. Ihr immenser Vorteil liegt in ihrer Offenheit, die zulässt, dass mehr als eine historische Wahrheit ausgesprochen wird. Tandems werden auch in Zukunft Sinn stiften, weil sie eine einfache Umsetzung des multiperspektivischen Ansatzes beinhaltet, der ganz konkret erlebbar macht, 9 | Baltes, Paul B.: Wir sind alle jung und alt zugleich: Warum die Deutschen ihre Einstellung zum Alter radikal verändern müssen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.5.2004, Nr. 110, S. 39.

Tandem als Vermittlungsform

dass es unterschiedliche Interpretationen der Vergangenheit geben kann. Sie tragen dazu bei, das historische Narrativ des Anderen besser kennenzulernen. Und das Kennenlernen der anderen Seite ist der Anfang für gegenseitiges Verständnis. Als herausragendes und abschließendes Tandembeispiel ist ein Schulbuch zu nennen, welches zur Nachahmung anregt und sich auch Kunstkataloge binationaler Ausstellungen übertragen ließe. Dieses Projekt hat sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte des Nahostkonflikts aus den Perspektiven der Konfliktparteien darzustellen. Das so entstandene Schulbuch wurde 2003 veröffentlicht und ist seit 2009 auch auf Deutsch erhältlich.10 Ausgangspunkt für die Erstellung des Schulbuches war die Feststellung, frühere israelische und palästinensische Geschichtsbücher würden die jeweils andere Seite komplett ausblenden. Folglich diene der Geschichtsunterricht stets nur zur Legitimation des eigenen Handelns, während die andere Seite ignoriert werde. Einen Ausweg sahen die Herausgeber vom israelisch-palästinensischen Friedensforschungsinstitut PRIME in einem Geschichtsbuch, das keine Erzählung favorisiert. Das Buch ist so strukturiert, dass die jeweiligen Betrachtungsweisen auf zwei Spalten aufgeteilt sind. Auf der linken Seite steht die israelische, auf der rechten Seite die palästinensische Perspektive derselben Geschichtsereignisse. In der Mitte wurde Platz für eigene Anmerkungen gelassen. Die Herausgeber sind der Überzeugung, dass die Überwindung von Feindschaft in den Köpfen beginnt und das Wissen über die jeweils andere Sichtweise, die Grundlagen zur Verständigung ist.11

5. E RGEBNIS Die Ausführungen zeigen, dass in Tandemvorhaben egal welcher Couleur Potenzial steckt. Das Nachdenken darüber kann Museen und Aus10 | Peace Research Institute in the Middle East Berghof Conflict Research (Hg.): Das Historische Narrativ des Anderen kennen lernen. Palästinenser und Israelis, 2008 Berlin. Siehe auch Online-Version: http://friedenspaedagogik. de/blog/wp-content/uploads/2010/03/primetextbuch.pdf, 3.1.2012. 11 | Schenk, Alfred: Entwaffnung der Geschichte, in: Das Parlament vom 9.11.2009, Nr. 46, siehe auch: www.das-parlament.de/2009/46/Themenaus gabe/27773058.html, 3.1.2013.

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stellungshäusern einen Kreativitätskick bei der Vermittlung von Wissen und Kompetenzen verleihen. Dabei ist die Investition in neue Bildungsprojekte eine gute Investition in die Zukunftsfähigkeit der Häuser. Kulturelle Vermittlung wird durch Politik und Wirtschaft gefördert. Sie haben erkannt, dass Kultureinrichtungen die idealen Partner sind, um den gesellschaftspolitischen Gefahren entgegen zu wirken. Mehr denn je wird Kultur gebraucht, um den Wertekanon, der Kulturen miteinander verbindet, lebendig zu halten.

Partizipative Strategien zum Schutz jüdischen Kulturerbes in Polen Léontine Meijer-van Mensch/Dorota Kawęcka/Aleksandra Janus

Museen und andere der Bewahrung des kulturellen Erbes gewidmete Institutionen fordern integrative Herangehensweisen, welche nicht nur im Allgemeinen auf die Besucher eingehen und sie einbeziehen, sondern im engeren Wortsinn partizipativ sind. Das bedeutet, dass ein hohes Maß an Teilhabe von Individuen und Gruppen, sogenannten communities of interest1, zu einer nachhaltigen Rolle des Kulturerbes in einer Gesellschaft beiträgt. Diese Form der Partizipation wirft allerdings auch Fragen nach dem Zusammenspiel von Kontrolle und Teilhabe auf. Sie beinhaltet außerdem das Problem der Trennung zwischen Entscheidungsträgern und bloßen Teilnehmern in Entscheidungsfindungsprozessen. Ein weitergehendes Verständnis von Partizipation stellt auch das Konzept des Museums sowie den Gemeinschaftsbegriff in Frage. Mit dem Siegeszug Sozialer Netzwerke änderte sich die Vorstellung von Gemeinschaft auf fundamentale Weise. In Anbetracht des grenzübergreifenden Charakters des Internets haben geographische Definitionen, wie sie dem Verständnis von Gemeinschaften im musealen Kontext üblicherweise zugrunde liegen, ihre Gültigkeit verloren. Die konzeptionelle Einheit von Gemeinschaft und Ort zerfällt. Die zugrunde liegende Hypothese lautet, dass sich Menschen zunehmend in auf Themen und Situationen basierenden Gemeinschaften organisieren, als in traditionellen Kategorien wie Lokalitäten und Ethnien.2 Hinzu kommt, 1 | Aufgrund der besseren Verständlichkeit wurde auf die Übersetzung von englischen Begriffen weitgehend verzichtet. 2 | Dolff-Bonekämper, Gabi: The social and spatial frameworks. What is new in the Faro Convention?, in: Council of Europe Publishing (Hg.): Heritage and Beyond, Strasbourg 2009, S. 69-74.

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dass das World Wide Web eine klare Unterscheidung zwischen Nutzern und Produzenten aufgehoben hat. Im musealen Kontext wird diese nivellierte Differenz gewöhnlich als Partizipation beschrieben. Ein solches Konzept von Partizipation bezieht sich nicht bloß auf ein hohes Maß an Teilhabe, vielmehr handelt es sich um User Generated Content. In diesem Sinne wird das neue Paradigma in der Arbeit am Museum und am Erbe zunehmend als Museum 2.0 bezeichnet. Eines der Schlüsselkonzepte dieses neuen Paradigmas ist die Idee einer geteilten Verantwortung: der Institutionsmitarbeiter, der Organisationen und Interessensgruppen in Netzwerken von Gemeinschaften. Diese Problematik wird von vielen Autoren mit Konzepten wie dem partizipativen Sammeln, dem gemeinschaftsgelenkten Sammeln, der Mitgestaltung, dem Ko-kuratieren und dem sozialen Kuratieren erfasst (auf Engl. participative collecting, community-led collecting, co-creation, co-curatorship sowie social curatorship).3 Partizipative Strategien stellen eine Herausforderung für die Theorie und Ethik dar, auf denen die traditionellen heritage practices basieren. Hierbei werden Werte wie die institutionelle Autonomie und die professionelle Autorität aufs Spiel gesetzt. Die grundlegende Frage lautet dabei: In welchem Verhältnis steht die auf fachlicher Expertise basierende Reflexivität gegenüber der praktischen Perspektive von Gemeinschaften und individuellen Bürgern? In diesem Beitrag soll dieses aktuelle Partizipationsparadigma in Museen und in der Arbeit am kulturellen Erbe reflektiert werden, indem der participative turn und ein neues Gemeinschaftskonzept mit der sogenannten Jüdischen Renaissance in Polen verbunden werden. Hierbei wird angenommen, dass das Konzept der heritage community – eingeführt durch den Europarat in seiner Rahmenkonvention über den Wert des Kulturerbes für die Gesellschaft von 2005 (Faro-Konvention) – als nachhaltiges Konzept in der Erhaltung jüdischen Kulturerbes in Polen dienen kann.

3 | Siehe Adair, Bill/Filene, Benjamin/Koloski, Laura (Hg.): Letting it go? Sharing historical authority in a user-generated world, Philadelphia 2011. Die neueste deutschsprachige Publikation zu partizipativen Museen wurde unter folgendem Titel veröffentlicht: Gesser, Susanne u.a. (Hg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld 2012.

Par tizipative Strategien zum Schut z jüdischen Kulturerbes in Polen

PARTIZIPATIVE M USEUMSARBEIT IN P OLEN In den Ethischen Richtlinien für Museen (2004) des Internationalen Museumsrates werden source communities und contemporary communities beschrieben. Source Communities sind Gemeinschaften, von denen Sammlungen stammen, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart. Eine contemporary community kann gleichzeitig source community und constituent community sein. In diesem Fall bezieht sich das englische Wort für konstituierend auf die Rolle des Museums als Repräsentant der Interessen dieser Gruppe. Die Gemeinschaft ist dabei aktiv an der Erreichung dieses Zieles beteiligt. Dabei wird angenommen, dass sich das Museum und die Institution oder Initiative für das Kulturerbe selbst als Repräsentanten dieser spezifischen Gemeinschaft verstehen. Museen und andere Institutionen des kulturellen Erbes in Polen sind mit einer Vielfalt an communities of interest als Akteuren konfrontiert. In der Museumsethik zeigt sich eine starke Tendenz, source communities zu involvieren – und zwar so, dass sie zur constituent community werden. In Anbetracht der Fülle an Publikationen zu Partizipation an Museen und Kulturerbe mag man den Eindruck gewinnen, dass das Partizipationsparadigma überall floriert. In diesem Beitrag soll gezeigt werden, dass – im Fall der Institutionen des jüdischen Kulturerbes – die beteiligten Gemeinschaften (als constituent communities) meist nicht Teil der ursprünglichen source community sind. Welche Gemeinschaften haben also Anteil an der Bedeutung des jüdischen Erbes in einem Land, in dem die jüdische Gemeinschaft verschwindend klein ist? Man könnte annehmen, dass manche Gemeinschaften in dieser Hinsicht das Gefühl haben, keinen vollen Zugang zu haben, nicht repräsentiert oder nicht eingeladen zu sein, zu partizipieren. Partizipation muss zunächst als Überbegriff verstanden werden. Die meisten Fallstudien in der Sekundärliteratur weisen eine Bandbreite von Ansätzen zur Partizipation als Methodologie auf. Das International Committee for Collecting (COMCOL) des Internationalen Museumsrates wurde 2010 gegründet – mit dem Ziel, die Diskussion zu vertiefen sowie Wissen über die Entwicklung von Praxis, Theorie und Ethik des Sammelns und von Sammlungen (sowohl materieller als auch immaterieller Natur) zu vermitteln. Die erste internationale Konferenz des COMCOL in Berlin (31. Oktober – 3. November 2011) war diesen partizipativen Strategien gewidmet. In den vorgestellten Fallstudien kam ein breites Spektrum in

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der Praxis und Definition partizipativer Museumsarbeit zum Vorschein. 4 Partizipation kann als Methode für die Publikumsentwicklung oder – radikaler noch – als Form von gesellschaftlichem Aktivismus genutzt werden. Nina Simons Typologie verschiedener Partizipationsarten kann hierbei helfen, die Charakteristika der jeweiligen Ansätze zu identifizieren. In ihrer Publikation The Participatory Museum unterscheidet sie zwischen beitragenden, kooperierenden und mitgestaltenden Partizipationsformen, indem sie sich auf ein zunehmendes Maß an Teilhabe bezieht.5 In der mitgestaltenden Partizipation arbeiten die Gemeinschaften und professionellen Akteure auf einer gleichberechtigten Ebene. In Polen ist Partizipation immer noch eine relativ neue Form musealer Praxis. Der Museumsboom – die weltweit wachsende Anzahl von und das Interesse an Museen – hat dort erst mit dem Jahr 2004 eingesetzt, als das Museum des Warschauer Aufstandes errichtet wurde. Derzeit konzentrieren sich die politischen Entscheidungsträger darauf, qualitativ hochwertige Vermittlungsprogramme und öffentliche Aktivitäten anzubieten. Häufiger als je zuvor finden die neuen Medien Anwendung, hauptsächlich im Ausstellungsdesign. In Anbetracht dieser gegenwärtigen Entwicklungen hat sich das Bild vom Museum, oder was es sein sollte, geändert. Doch das Museum als Institution hat in Polen immer noch die Autorität eines privilegierten Wissensvermittlers, welcher die Einführung mitgestaltender, partizipativer Ansätze behindert. Die Museumsbesucher in Polen aber erwarten – wie Museumsbesucher in anderen Ländern auch – von besagter Institution, dass diese sie in den heritage-making process einbezieht. Ferner zeigt die Praxis, dass sich die Menschen im Falle unerfüllt bleibender Erwartungen eigenständig organisieren, um sich mit einem Thema auseinandersetzen zu können. Solche Initiativen von unten stellen den Museumsgedanken in Frage. Diese Initiativen mögen sich letztendlich in der Form von Museen institutionalisieren (etwa in Gemeinschafts-, Nachbarschafts- und Ecomuseen), doch ist dies nicht zwingend notwendig: So stellt beispielsweise das Internet neue Formen des Teilens und Erfahrens von Kulturerbe zur Verfügung. Wenn Museen nicht imstande sind, aufkommende gesellschaftliche Interessen zu erwidern, werden sie mit der

4 | Für weitere Informationen und Reflexionen zur Konferenz siehe die Website des COMCOL: www.comcol-icom.org, 1.2.2013. 5 | Simon, Nina: The participatory museum, Santa Cruz 2010.

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Konkurrenz der erwähnten Basisinitiativen konfrontiert, da letztere auf einem belastbareren methodischen Fundament ruhen.

E INE J ÜDISCHE R ENAISSANCE ? Es mag verwunderlich scheinen, dass ein halbes Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg ein polnischer Künstler Wände in Städten und Ortschaften, in denen Juden vor dem Krieg gelebt und in denen – mit Ausnahme der älteren Generation – nur einige wenige Mitglieder der Gemeinschaft in ihrem ganzen Leben je einen Juden gesehen haben, mit dem Satz »Ich vermisse dich, Jude« 6 besprüht. In einem Film 7 der israelischen Künstlerin Yael Bartana ruft Sławomir Sierakowski 8 – Anführer der größten linken Bewegung in Polen, Schauspieler und Ko-Autor des Drehbuchs von Bartanas Film: »Juden! Mitbürger! Menschen! […] Kehrt nach Polen zurück! In euer, unser Land!« Sind dies Zeichen einer sogenannten Jüdischen Renaissance oder einer Wiederentdeckung des jüdischen Erbes in Polen? Und wer hat an dieser Renaissance teil? Der Ausruf aus Bartanas Film erinnert an Hugo Bettauers Roman aus den 1920er Jahren, wie Ruth Ellen Gruber zu Beginn ihres Buches erwähnt.9 In Die Stadt ohne Juden wird erzählt, wie Wien und Österreich zu einer Ödnis verkommen, nachdem alle Juden aus dem Land verbannt wurden. Da sowohl die Stadt als auch das Leben an sich ohne Juden unerträglich scheint, wird der erste nach Wien zurückkehrende Jude von einer freudigen Menge und dem Bürgermeister der Stadt begrüßt, indem er ihn gar mein lieber Jude! nennt. Gruber beschreibt es folgendermaßen: 6 | Tęsknię za Tobą, Żydzie (Ich vermisse dich, Jude) ist ein vom polnischen Künstler Rafał Betlejewski im Jahr 2009 initiiertes Projekt. 7 | Der Film Mary Koszmary (Albträume, 2008) ist der erste Teil von Bartanas polnischer Trilogie. Interessanterweise waren Yael Bartana und der dritte Teil ihrer Trilogie Polens Wahl für die Biennale 2011 in Venedig. Sie war die erste Nicht-Polin, die Polen auf dieser Veranstaltung vertrat. 8 | Sławomir Sierakowski ist die leitende Figur der Krytyka Polityczna (Politische Kritik), einer linken Bewegung polnischer Intellektueller, Künstler und Aktivisten. 9 | Gruber, Ruth Ellen: Virtually Jewish. Reinventing Jewish Culture in Europe, Berkeley 2002, S. 3.

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»Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Holocaust ist eine scheinbare Sehnsucht nach den verlorenen Juden – oder danach, was sie angeblich repräsentierten – evident. Gleichsam einem Trend folgend, der sich in den 1980er Jahren schwunghaft entwickelt hatte und dem nach dem Fall des Kommunismus 1989/90 eine besondere Intensität innewohnte, breiteten die Europäer, wie der fiktive Bürgermeister Wiens, Herr Karl Maria Laberl, ihre Arme aus, um wieder eine jüdische Komponente im sozialen, politischen, historischen und kulturellen Mainstream zu begrüßen.« 10

Nach dem Ende des Kommunismus in Polen, 44 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, war es endlich möglich, sich der Vergangenheit zu stellen, indem schwierige oder beschämende Momente anerkannt wurden. Unter dem kommunistischen Regime wurde der Holocaust häufig als eine rein jüdische Angelegenheit angesehen und die Erinnerung an die jüdische Vergangenheit gemeinsam mit dem jüdischen Erbe – als Konsequenz der Emigration der meisten Überlebenden11 – unterdrückt, vergessen und verwahrlost. Nach dem Fall des Kommunismus sah sich die polnische Gesellschaft mit einer Reihe von aufgeschobenen Problemen konfrontiert. Die politische Wende forderte an erster Stelle eine Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit und ihrer Repräsentanten (frühere Politiker, Mitglieder der kommunistischen Partei, Staatssicherheitsdienstagenten). Darauf folgte die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit dem schwierigen Erbe einer weiter zurückliegenden Vergangenheit. Die öffentliche Debatte über das Massaker von Jedwabne und die Bücher von Jan Tomasz Gross12, einem in den Vereinigten Staaten 10 | Ebenda, S. 4. 11 | Die Emigration der polnischen Juden erlebte im März 1968, als die verbliebenen Juden des Landes verwiesen wurden, ihren Höhepunkt. Unmittelbar nach dem Krieg und vor der Einführung des Stalinismus in Polen gab es noch die Möglichkeit eines Gedenkens an den Holocaust. Hierfür kann das Denkmal der Helden des Warschauer Ghettos als Beispiel dienen. 1946 wurde zuerst eine kleine Gedenktafel aufgestellt, zwei Jahre später dann das große Ehrenmal von Nathan Rapoport enthüllt. Die ersten Jahre nach dem Krieg waren aber ebenso eine Zeit des Chaos und der Bedrohung, die der polnische Historiker Marcin Zaremba als Große Furcht bezeichnet, siehe: Zaremba, Marcin: Wielka trwoga. Polska 1944-1947, Kraków 2012. 12 | Gross ist Professor für Krieg und Gesellschaft und Professor der Geschichte an der Princeton University in den Vereinigten Staaten.

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lebenden, kontroversen polnischen Historiker und Soziologen, diente als Katalysator dieses Prozesses. Gross’ Bücher Nachbarn. Der Mord an den Juden von Jedwabne (2001), Angst. Antisemitismus nach Auschwitz in Polen (2012, USA 2006, Polen 2008) und Golden Harvest (2011) lösten eine große Erregung aus und führten zu einer nationalen Debatte über die polnische Beteiligung am Holocaust, über lokale Gewalt gegen Juden während und nach dem Krieg sowie über die Bereicherung einiger Polen im Zuge von Massenermordungen durch die Nationalsozialisten. Die Dringlichkeit dieser Debatte war so bedeutend, dass sich die Redaktion des Polish Sociological Review entschied, diesem Thema eine gesamte Ausgabe zu widmen: »Zum ersten Mal nach dem berüchtigten März 196813, als die Staatspropaganda gegen die ›fremden‹ Juden grollte und für ihren Ausschluss aus der Gesellschaft plädierte, ist den polnisch-jüdischen Beziehungen ihr besonderer Platz in der Diskussion über die polnische Geschichte zugewiesen worden.« 14

Die heftige öffentliche Debatte war ein Meilenstein im Prozess der Auseinandersetzung mit dem schwierigen Erbe der Vergangenheit. Dieses Kulturerbe allerdings ist sowohl materieller als auch immaterieller Natur. Es beinhaltet einerseits die Erinnerung an die jüdische Vergangenheit und das Trauma des Holocaust, andererseits aber auch dessen materielle Spuren wie die ehemaligen Konzentrations- und Todeslager, Massengräber und das verwahrloste Erbe jüdischen Lebens vor dem Krieg (Gebäude, Friedhöfe, Objekte). Gruber mag recht in der Annahme haben, dass diese jüdische Renaissance mit dem »Syndrom der dritten Generation« verbunden ist und »dem Verlangen, vorenthaltenes, geleugnetes oder von älteren Generationen und den regierenden Eliten ignoriertes Wissen zu entdecken und zu erfassen. Die Erinnerung – die Erinnerung an die Juden – wird als Behelf 13 | Die antijüdische Kampagne der polnischen kommunistischen Regierung war eine Antwort auf die Einstellung aller diplomatischen Beziehungen der Sowjetunion mit Israel, wobei auch Mieczysław Moczars Einfluss innerhalb der polnischen Kommunistischen Partei eine Rolle spielte. Der berüchtigte März 1968 resultierte in der Emigration von 12.927 Polen jüdischer Herkunft vor dem Ende des Jahres 1971. 14 | Editorial, in: Polish Sociological Review, 1 (137) 2002, S. 4.

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zur Selbstentdeckung und -erkundung verwendet.«15 Die junge Generation, die Dritte Generation, war die erste, die in einem unabhängigen Land aufgewachsen ist. Dadurch war sie auch die erste Generation, die die von der kommunistischen Propaganda hinterlassenen Leerstellen füllen musste. Das Interessante – und auch Paradoxe – an diesem jüdischen Phänomen ist, dass diese Wiederbelebung in Städten ohne Juden stattfindet.

V IRTUELLES J UDENTUM Dieses Phänomen nennt Ruth Ellen Gruber virtual Jewishness. Sie beschreibt damit die goische Wiederbelebung jüdischer Kultur in Europa. Ihr zufolge sind virtuelle Juden Personen, die »kulturelle oder andere Aktivitäten übernehmen, welche gewöhnlich von Juden ausgeführt würden, […] oder ihre eigenen Realitäten schaffen, in denen das Bild einer jüdischen Gegenwart perpetuiert wird.« Obwohl die Jüdische Renaissance in Polen hauptsächlich von Gojim – mit einigen Juden unter ihnen – initiiert wurde, begreift Jonathan Orstein, Direktor des Krakauer Jüdischen Gemeinschaftszentrum (JCC) dieses Phänomen als erste Stufe in diesem Prozess. In einem Interview für den Guardian sagte Orstein: »Ich bin der Meinung, dass die Menschen einige Jahre lang von einer jüdischen Renaissance in Polen, insbesondere in Krakau, gesprochen haben, und dass es sich dabei vor allem um ein Interesse von Nicht-Juden an jüdischer Kultur handelte, und ich denke auch, dass wir uns nun auf der zweiten Stufe befinden, die durch diese erste Stufe möglich gemacht worden ist. In dieser zweiten Stufe engagieren sich Menschen mit jüdischen Wurzeln in der jüdischen Gemeinschaft.« 16

Dabei handelt es sich nicht notwendigerweise um Stufen, sondern einfach um unterschiedliche Aspekte des Prozesses17, welche die führenden

15 | Gruber (wie Anm. 8), S. 9. 16 | Borger, Julian/Vasagar, Jeevan: A Jewish Renaissance in Poland, in: The Guardian, www.guardian.co.uk/world/2011/apr/07/jewish-renaissance-poland, 3.7.2012. 17 | So erzählt Michał Tkaczyńskis Dokumentarfilm Księżyc to Żyd (Der Mond ist Jude, 2011) die Geschichte eines polnischen Fußballfans, der seine

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Personen der jüdischen Gemeinden in Polen als erbaulich betrachten können.18 Es gibt aber auch ein anderes Problem, das mit der Tatsache einhergeht, dass die jüdische Kultur oder das, was darunter verstanden wird, im öffentlichen Raum sichtbar(er) geworden ist – das Problem der Nostalgie und des Kitsches.19 Grubers Interpretation zufolge basiert die Neuerfindung jüdischer Kultur ohne Juden häufig auf einem abstrakten Bild der Juden oder dessen, was als jüdisch gilt – auf einer sentimentalen und nostalgischen Version der jüdischen Kultur, wie sie aus Anatevka und dem idealisierten Bild des Schtetls bekannt ist. Das wachsende Interesse an der traditionellen jüdischen Kultur fällt allerdings oft mit einem Desinteresse für die diverse, breit gefächerte und dynamische zeitgenössische jüdische Kultur auf der ganzen Welt zusammen. »Tatsächlich haben viele, die sich des jüdischen Gedächtnisses und der jüdischen Kultur annehmen, […] wenig Interesse an der lokalen, lebenden jüdischen Gegenwart gezeigt«.20 Die heutigen Bewohner eines ethnisch derart homogenen Landes wie Polen hätten anstatt eines: Ich vermisse dich, Jude wahrscheinlich eher Projekte nötig, die sich einem: Ich möchte dich kennenlernen, Jude widmen. Jedoch muss auch festgehalten werden, dass: »wie jeder breit gefasste Gedanke, die Idee einer virtuellen jüdischen Welt eine Vielzahl von Bereichen umfasst. Es gibt die politische Dimension und eine streng persönliche Dimension. Es gibt eine physische Dimension, die in Aktivitäten wie der Restaurierung von Synagogen, der Dokumentation von jüdischen Denkmälern und der Neuentwicklung alter jüdischer Viertel sichtbar ist. Eine andere Dimension ist die der Performance, welche per definitionem die Verwendung von Virtualitäten enthält: die auf der Bühne, in Filmen oder in Museen präsentierten, erschaffenen Welten, zum Beispiel.« 21

jüdische Herkunft entdeckt und nach seiner Konversion zum Judaismus ein aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde in Warschau wird. 18 | Borger/Vasagar (wie Anm. 25). 19 | Ebenda. 20 | Gruber (wie Anm. 8), S. 10. 21 | Ebenda, S. 11.

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Die Wiederbelebung und gegenseitige Neuerfindung jüdischer Kultur und jüdischen Erbes in Polen ist ein hochkomplexes Phänomen. Neben dem Kitsch und der Nostalgie können wir derzeit viele Initiativen beobachten, die sich dem Leitsatz: Ich möchte dich kennenlernen, Jude verschrieben haben, und die damit ein öffentliches Bewusstsein erzeugen. Das 1988 ins Leben gerufene Jüdische Kulturfestival in Krakau wird von vielen als Vorreiter dieser Erneuerung22 gesehen: »Es ist ein Ereignis, welches sich nach beiden Seiten hin orientiert, indem es Klezmermusik und jiddische Filme der Vergangenheit, aber auch die Avantgarde einschließt.« 23 Nach dem ersten Festival sind viele ähnliche Projekte in anderen polnischen Städten entstanden. Heute gibt es neue Institutionen und Initiativen, die sich der Einführung einer Perspektivenvielfalt in die Diskussion über die Vergangenheit widmen. Die wichtigsten unter ihnen sind das im Bau befindliche Museum für die Geschichte der Polnischen Juden sowie das Webprojekt des Museums unter dem Namen Das Virtuelle Schtetl. Die in verschiedenen Sprachen zugängliche Website sammelt Informationen zu jüdischem Erbe aus dem ganzen Land, um ein »vollständiges Bild der polnisch-jüdischen Geschichte und Beziehungen«24 zu zeichnen. Die Autoren begreifen die Website als Museum ohne Mauern25, welches zukünftig als Forum für einen internationalen Dialog dienen und so dabei helfen kann, die Geschichte der polnisch-jüdischen Vergangenheit neu zu erzählen. Als Erweiterung des Museums gedacht, fungiert Das Virtuelle Schtetl als Instrument in der Dokumentation des jüdischen Erbes in Polen und als partizipatives Projekt, welches seinen Nutzern ermöglicht, Fotografien hochzuladen, Erinnerungsstücke zu sammeln, Zeugnisse anzuhören und Informationen auszutauschen.26 Neben Institutionen wie dem Museum und dem Jüdischen Historischen Institut ist eine Vielzahl von nationalen und lokalen Nichtregierungsorganisationen am Prozess der Wiederentdeckung des jüdischen Erbes in Polen beteiligt. In kleinen Städten und

22 | Borger (wie Anm. 15) 23 | Ebenda. 24 | Das Virtuelle Schtetl. Das Projekt: www.sztetl.org.pl/de/cms/-ber-dasprojekt/, 10.7.2012. 25 | Ebenda. 26 | Ebenda.

Par tizipative Strategien zum Schut z jüdischen Kulturerbes in Polen

Dörfern spielen gemeinnützige Vereine oft eine Schlüsselrolle in der Neuformung der Erinnerung an die polnisch-jüdische Vergangenheit.27 Obwohl es noch empirisch belegt werden müsste, lässt sich behaupten, dass solche nationalen und lokalen Basisinitiativen zusammen mit künstlerischen Kampagnen 28 eine große Wirkung auf das öffentliche Bewusstsein haben, zumal Befragungen einen Rückgang von Antisemitismus in der polnischen Gesellschaft zeigen.29 Selbst wenn diese Ergebnisse nicht unmittelbar aus diesen Initiativen resultieren, kann man aus ihnen schließen, dass antisemitische Haltungen nicht länger toleriert werden.

N EUE V ORSTELLUNGEN VON P ARTIZIPATION Die Zeichen einer Wiederbelebung jüdischer Kultur in Polen sowie die Tatsache, dass die Dritte Generation erwachsen geworden ist und Einfluss auf die weitere Entwicklung der polnischen Kultur haben wird, geben Anlass zur Annahme, dass es sich nun um einen günstigen Moment für eine Wiederentdeckung der Erinnerung an die polnisch-jüdische Vergangenheit und ihre Neugestaltung mithilfe einer breiter angelegten Form von Partizipation der Öffentlichkeit handelt. Viele Gemeinschaften, Or27 | Hier kann das Projekt aus Grodzisk Mazowiecki als Beispiel für solche Initiativen dienen. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten die Juden ungefähr 80 Prozent der Bewohner von Grodzisk ausgemacht. 2009 initiierten lokale Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen ein Projekt unter dem Titel ul. Żydowska (Jüdische Straße), mit dem sie an das jüdische Erbe von Grodzisk und seine ehemaligen jüdischen Bewohner erinnern wollten. Vgl. Ul. Żydowska, http://europaimy.org/ulica/index.php?option=com_content&view=article&id =20:o-projekcie&catid=18:opis-projektu&Itemid=34, 21.6.2012. 28 | Unter den künstlerischen Kampagnen mit Bezug auf die polnisch-jüdische Vergangenheit, die eine Dekonstruktion heroischer Mythen als Formgeber der polnischen nationalen Identität zum Ziel haben, sind u.a. zu zählen: Yael Bartanas Trilogie, Wojciech Wilczyks Album Niewinne oko nie istnieje (Ein unschuldiges Auge gibt es nicht), Rafał Betlejewskis Tęsknię za Tobą, Żydzie, sowie Anka und Wilhelm Sasnals Z daleka widok jest piękny (Von Weitem ist der Anblick wunderschön). 29 | Kogo nie lubi Polak, in: Gazeta Wyborcza, 14.6.2012.

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ganisationen und Akteure sind bereits in diesen Prozess involviert. Das Paradoxe an der Jüdischen Renaissance in einem Land ohne Juden muss nicht notwendigerweise ein Hindernis darstellen. Obgleich das Konzept des virtuellen Judentums – und seine interaktive Implementierung – einen wichtigen Kontext umreißt, scheint es doch, dass der Impetus einer Wiederentdeckung des jüdischen Kulturerbes in Polen einen anderen Ursprung und Zweck hat. In diesem Prozess – abgesehen von Aktionen und Projekten, die unmittelbar von der jüdischen Gemeinde unterstützt werden30 – ist es häufig eine lokale, nicht-jüdische Gemeinschaft, die sich engagiert des Kulturerbes der untergegangenen Gemeinschaft annimmt. In Anbetracht der Abwesenheit einer source community im engeren Sinne werden die nicht-jüdischen non-source-communities zu constituent communities, die das jüdische Kulturerbe als Teil ihres kulturellen Erbes betrachten. In den letzten Jahren ist der Denkmalschutz von materiellem Kulturerbe für die lokalen Gemeinschaften immer wichtiger geworden – infolge von Respekt, zunehmendem Bewusstsein und dem positiven Effekt auf das öffentliche Image des Ortes. Diese Entwicklung schließt Probleme wie Hoheit und Eigentum mit ein. Gibt es einen rechtmäßigen Eigentümer in einem intellektuellen, ethischen und rechtlichen Sinne? Wie lassen sich die Interessen einer lokalen nicht-jüdischen Gemeinschaft mit denen der jüdischen Gemeinden im restlichen Polen sowie den Interessen der Gemeinschaften der Nachkommen auf der ganzen Welt abgleichen? Eine mögliche Lösung dieses Problems kann das Konzept der heritage community sein. Dieses Konzept wurde vom Europarat in der Rahmenkonvention über den Wert des Kulturerbes für die Gesellschaft von 2005 (Faro-Konvention) eingeführt. Eine heritage community wird darin definiert als »bestehend aus Menschen, die spezifische Aspekte kulturellen Erbes wertschätzen, welches sie wiederum im Rahmen öffentlicher Handlungen zu erhalten und späteren Generationen zu übergeben wünschen.« Interessanterweise werden aber keine Anmerkungen zu Raum und Territorium gemacht. Ferner gibt es keinen Hinweis auf die lokale, regionale oder globale Bedeutung. Nennenswert ist ebenso der Mangel an prädefinierten gesellschaftlichen Parametern 30 | In großen Städten wie Warschau und Krakau sind die jüdischen Gemeinden im Vergleich zu kleinen Ortschaften und Dörfern, in denen Juden nicht präsent sind, eher aktiv und sichtbar – so hat die Jüdische Gemeinde in Warschau um die 600 Mitglieder und die in Krakau an die 100.

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– nationale, ethnische, religiöse, berufliche oder auf Klassen basierende. Eine heritage community kann daher über Territorien und soziale Gruppen aufgebaut werden. Sie ist weder im Hinblick auf den Ort, in dem das Kulturerbe situiert ist, noch auf den sozialen Status ihrer Mitglieder, die von woanders, sogar weither teilhaben können, definiert.31 Innerhalb des Rahmengebildes einer heritage community spielt nicht nur fachliche Expertise für die Bedeutung des Kulturerbes eine Rolle, sondern auch »das Bestreben von Bevölkerungsgruppen, die nicht über die Sprache, ethnische Verbindungen oder sogar eine geteilte Vergangenheit, sondern über ein zielgerichtetes Engagement mit einem spezifischen Kulturerbe verbunden sind«.32 In Belgien hat die Flämische Gemeinschaft dieses Konzept in ihrer Gesetzgebung zum kulturellen Erbe (Cultureel Erfgoed Decreet) von 2008 angewandt. In ihrer Definition einer heritage community hat die Flämische Gemeinschaft Organisationen und Einzelpersonen hinzugefügt und auf diese Weise die neue Perspektive mit den traditionellen, institutionsorientierten Grundsätzen verbunden. Institutionen wie Museen erhalten keine finanzielle Unterstützung, sollten sie eine breitere Interessensgemeinschaft nicht einbeziehen. Dieser Erlass schließt Interessensgemeinschaften außerhalb Flanderns nicht explizit aus (sofern sie das Kulturerbe in/von Flandern betreffen). Eine Umsetzung des Konzepts der heritage community in Bezug auf jüdisches Kulturerbe in Polen sollte ebenfalls die Bedeutung internationaler Netzwerke von Organisationen und Einzelpersonen hervorheben. Dies kann eine dynamischere Interaktion mit dem jüdischen Kulturerbe als lebendigem Erbe fördern. Institutionen des kulturellen Erbes wie Museen können die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern der jüdischen Gemeinschaft in Polen und den Personen erleichtern, die im Prozess der Wiederentdeckung des jüdischen Erbes einen Dialog zwischen ihnen unterstützt und gemeinsam Projekte geleitet haben. Darüber hinaus beteiligen sich Museen für gewöhnlich bereits an internationalen Netzwerken. Diese internationale Dimension ist besonders bedeutsam, da man es mit dem Kulturerbe einer beinahe abwesenden Gemeinschaft zu tun hat. Die He31 | Dolff-Bonekämper (wie Anm. 1), S. 69-74. 32 | Thérond, Daniel: Benefits and innovations of the Council of Europe Framework Convention on the Value of Cultural Heritage for Society, in: Council of Europe Publishing (Hg.): Heritage and Beyond, Strasbourg 2009, S. 9-11.

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rausforderung besteht demzufolge in der Herstellung einer Verbindung zwischen polnischen Juden (zumindest denen, die sich diesem Erbe verbunden fühlen), lokalen polnischen Gemeinschaften, welche sich häufig um das vernachlässigte Kulturerbe kümmern (zumal es fast keine Herkunftsgemeinschaft mehr gibt), in der jüdischen Renaissance involvierten Personen (da andere von deren Enthusiasmus und Energie profitieren können), und einer international heterogenen Gemeinschaft, die an der lebendigen, dynamischen, zeitgenössischen jüdischen Kultur teilhat (als Quelle von Wissen und Inspiration). Zusammen können sie eine (virtuelle) heritage community mit einem gewissen Sinn von Eigentum bilden. Lokale Gemeinschaften in Polen, die bereit sind, das jüdische Kulturerbe ihrer Heimatstadt zu entdecken und zu erhalten, mögen Schwierigkeiten haben, dies – mit Rücksicht auf die jüdische Religion und Tradition – ohne institutionelle Hilfe zu tun, da sie keine Experten33 in Bezug auf das Kulturerbe einer abwesenden Gemeinschaft sind. Hierbei könnten sie von einer Zusammenarbeit mit Institutionen und dem Netzwerk der Menschen profitieren, die ihr Wissen und ihre Erfahrung mit ihnen teilen können, um eine breitere Wiederentdeckung des jüdischen Kulturerbes in Polen zu fördern. Museen sollten dabei eine unterstützende Rolle beim Netzwerk- und Kommunikationsauf bau zwischen verschiedenen Gruppen von Akteuren spielen. Sie sollten dabei als Agora funktionieren und so die interne Kohärenz der heritage community stärken. Aus dem Englischen übersetzt von Anna Labentz

33 | Mit Experten meinen wir hier nicht Akademiker mit Fachwissen, sondern diejenigen mit Praxiswissen und -erfahrung. Ein Gemeinschaftsmitglied ist ein Experte für das Erbe seiner eigenen Gemeinschaft. In diesem Fall ist die Gemeinschaft mit dem notwendigen Fachwissen nicht mehr existent, so dass nun eine andere Informationsquelle von Nöten ist.

Den nationalen Kontext verlassen Deutsche und Polen konstruieren eine binationale Ausstellung Jutta Wiedmann

Ein beliebter Artikel im Museumsshop des Museums des Warschauer Aufstands ist der Bastelsatz Liberator, ein Papiermodell des Kampfflugzeugs, mit dem die Royal Air Force Warschau anflog, um für die eingeschlossenen Aufständischen im August 1944 Waffen und Lebensmittel abzuwerfen und ihnen damit zumindest symbolisch zur Hilfe zu eilen. Während der Liberator für Polen ein Zeichen der Hoffnung ist, assoziieren deutsche Besucher dagegen mit diesem Flugzeug die nächtliche Bombardierung deutscher Großstädte. Der Liberator wird nicht nur als Modell verkauft, sein Nachbau in Originalgröße dominiert auch die zweite Ausstellungshalle des Museums, die abgesehen von dem Flugzeug weitgehend leer ist. Auch dies hat symbolische Bedeutung: Auf der freien Fläche finden Veranstaltungen statt – pod liberatorem (deutsch unter dem Liberator) steht dann im Programm. Deutschen Besuchern bleibt diese Symbolik unverständlich. Sie sehen in erster Linie eine mit imposantem Kriegsgerät ausgestattete Ausstellungshalle. Dies ist nur ein Beispiel von vielen für die unterschiedliche Wahrnehmung und Interpretation von Symbolen, die in der deutschen und polnischen Erinnerungskultur zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Rolle spielen. Nicht nur Symbole werden verschieden interpretiert, auch Begriffe sind jeweils anders besetzt. Zu erwähnen sei hier nur Freiheit (polnisch wolność), das in der polnischen Sprache eine andere – universellere – Bedeutung hat als im Deutschen.1 1 | Wierzbicka, Anna: Understanding Cultures through their Key Words. English, Russian, Polish, German and Japanese, Oxford/New York 1997, S. 148ff.

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Ausgehend von diesen unterschiedlichen Wahrnehmungen und Deutungen organisiert das Museum des Warschauer Aufstands gemeinsam mit dem Berliner Verein Jugend bewegt Europa seit 2008 das Projekt Erinnerungskultur des 20. Jahrhunderts in Polen und Deutschland, in welchem Studierende deutsche und polnische Museen und Ausstellungen (2008), Jahrestage (2009), Spiel- und Dokumentarfilme (2010) sowie Architektur (2011) auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich ihres Entstehungskontextes, der vermittelten Identitäten, Ziele und verwendeten Mittel analysierten. 2012 folgten zwei Seminare zur allgemeinen Wahrnehmung von Geschichte für Multiplikatoren politisch-historischer Jugendbildungsarbeit.2 Dieser Beitrag fasst kurz den Ansatz und die Ergebnisse des Museumsprojekts zusammen, um dann einen Schritt weiter zu gehen und zu fragen: Wie könnte ein Projekt aussehen, das vorhandene Unterschiede in der Wahrnehmung vor der Entstehung einer erinnerungskulturellen Institution3 feststellt und diese Erkenntnisse in die Entwicklung einer neuen Institution mit einbezieht? Auf welche Art und Weise kann man im Vorhinein solche Unterschiede identifizieren und wie integriert man das Wissen darüber in ein Ausstellungsprojekt? Ist es realistisch, eine gemeinsame deutsch-polnische Narration zu entwerfen oder muss dieses Vorhaben an zu großen Unterschieden in der Wahrnehmung von historischen Ereignissen scheitern? In diesem Beitrag wird ein Vorschlag skizziert, wie die Erarbeitung einer gemeinsamen Narration durch deutsche und polnische Studierende funktionieren könnte.

2 | Geschichtsprodukte? Standpunkte, Ziele und Grenzen historisch-politischer Bildung in Polen und Deutschland, www.erinnerungskultur.pl, 3.2.2013. 3 | Institution wird hier nicht wie umgangssprachlich üblich als Organisation verstanden, sondern als »stabile, auf Dauer angelegte Einrichtung zur Regelung, Herstellung oder Durchführung bestimmter Zwecke«. Zitiert nach: Schubert, Klaus/Klein, Martina: Das Politiklexikon. Begriffe, Fakten, Zusammenhänge, Bonn 2011, S. 147. Somit können nicht nur Museen, sondern auch Ausstellungen, Denkmäler, Jahrestagsfeierlichkeiten, Spiel- und Dokumentarfilme etc. als erinnerungskulturelle Institutionen bezeichnet werden.

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P ROJEK T E RINNERUNGSKULTUR DES 20 . J AHRHUNDERTS IN P OLEN UND D EUTSCHL AND Um einen systematischen Vergleich deutscher und polnischer erinnerungskultureller Institutionen zu ermöglichen, entwickelten wir für das Projekt Erinnerungskultur des 20. Jahrhunderts in Deutschland und Polen eine Untersuchungsmethode, die sich auf den Ansatz Charles Tillys´ zur Analyse gesellschaftlicher Bewegungen stützt. Tilly geht davon aus, dass interpersonal transactions zwischen Individuen die Grundlage gesellschaftlicher Prozesse bilden, durch die Identitäten, gesellschaftliche Begrenzungen und dauerhafte gesellschaftliche Bindungen geschaffen werden.4 Der Wahl dieses Ansatzes ging die Überlegung voraus, dass Gedächtnis und Politik und damit auch die Entscheidungen für Museen und Ausstellungen Teile gesellschaftlicher Phänomene sind und deshalb denselben Gesetzen wie die gesamte Gesellschaft unterliegen. Deshalb sollte man das Entstehen von Museen und Ausstellungen aus einer breiteren Perspektive, eben als im weiteren Sinne gesellschaftliche Bewegungen betrachten.5 Für das Erinnerungskultur-Projekt haben wir einige der von Tilly für relevant erachteten Dimensionen zur Untersuchung gesellschaftlicher Bewegungen6 für erinnerungskulturelle Institutionen übernommen. Die Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer haben die von ihnen ausgewählte Institution hinsichtlich sechs Faktoren untersucht:7 1) Politischer und kultureller Kontext: Ist er günstig oder ungünstig für das Projekt? 2) Handlungen der Akteure: Handeln vom Staat beauftragte (top down) oder zivilgesellschaftliche (bottom up) Akteure? 4 | Tilly, Charles: Identities, Boundaries, and Social Ties, Boulder 2005, S. 6-7. 5 | Łuczewski, Michał/Bednarz-Łuczewska, Paulina: Wie soll man Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in Polen und Deutschland untersuchen?, in: Museum des Warschauer Aufstands (Hg.): Erinnerungskultur des 20. Jahrhunderts. Analysen deutscher und polnischer Erinnerungsorte, Frankfurt a.M. 2011, S. 15-28, S. 16-17. 6 | Tilly (wie Anm. 4), S. 216ff. 7 | Łuczewski/Bednarz-Łuczewska (wie Anm. 5), S. 22-23.

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3) Identitäten: Wer ist das Objekt des Gedenkens? Welche Erzählungen werden um die Gruppen, derer gedacht wird, konstruiert und mit welchen anderen Gruppen werden sie in Verbindung gebracht? 4) Ziele: Welche Ziele verfolgen die Initiatoren des Projekts? Welche Zielgruppen wollen sie ansprechen? 5) Mittel: Werden eher traditionelle oder innovative Mittel verwendet? 6) Ergebnisse: Wie erfolgreich ist das Projekt? Konnte es ohne größere Hindernisse realisiert werden und wenn ja, wie hoch sind die Besucherzahlen? 20 Fallstudien zu deutschen und polnischen Museen und Ausstellungen des ersten Projektjahrgangs 2008 wurden im Buch Erinnerungskultur des 20. Jahrhunderts. Analysen deutscher und polnischer Erinnerungsorte 2011 veröffentlicht. Zusammenfassend ist zu sagen, dass die deutsche Erinnerungskultur effektiver ist als die polnische. In Polen liegt noch ein Erinnerungsvakuum vor – zahlreiche Institutionen sind gerade erst im Entstehen begriffen, während es in Deutschland viele bereits etablierte Museen und Gedenkstätten gibt. Ein günstiger politischer und kultureller Kontext, d.h. Interesse und Engagement sowohl des Staates als auch zivilgesellschaftlicher Akteure für das Gedenken an die Vergangenheit entwickelte sich in Westdeutschland bereits seit den 1980er Jahren. In Polen konnte es sich erst ab 1989 entfalten. Die zahlreichen geplanten und kurz vor der Realisierung stehenden Institutionen8 zeugen aber davon, dass sowohl die polnische Zivilgesellschaft als auch der Staat sich zunehmend in der Geschichtspolitik engagieren. In diesem Sinne kann man sagen, dass die polnische Erinnerungskultur der deutschen immer ähnlicher wird.9

U NTERSUCHUNGSGEGENSTAND Während es im Museumsprojekt darum geht, die polnische und deutsche Erinnerungskultur zu beschreiben und zu erklären, wird nun ein 8 | z.B. das Museum für die Geschichte Polens, das Museum für die Geschichte der polnischen Juden und das Europäische Solidarność-Zentrum. 9 | Łuczewski, Michał/Bednarz-Łuczewska, Paulina: Polnische und deutsche Erinnerungskultur. Eine zusammenfassende Analyse der Fallstudien, in: Museum des Warschauer Aufstands (wie Anm. 5), S. 151-178, S. 177-178.

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Nachfolgeprojekt – Erinnerungskultur 2.0 – skizziert, dessen Ziel es ist, in studentischen Workshops binationale Ausstellungen zu konstruieren, in die die Unterschiede beider Kulturen von vorneherein miteinbezogen werden. Da wir damit die Ebene der Deskription verlassen und uns auf die normative Ebene begeben, besteht die Gefahr, deskriptive Erkenntnisse mit normativen Zielvorstellungen zu vermengen. Untersuchungsgegenstand im Museumsprojekt ist die Form der Institution, bei Erinnerungskultur 2.0 geht es hingegen darum, das gesammelte Wissen zu nutzen, um die Zielvorstellung einer binationalen, partizipativen Ausstellung verwirklichen zu können. Folgende Schemata verdeutlichen diese Verschiebung des Untersuchungsgegenstands: Abbildung 8: Analyse von erinnerungskulturellen Institutionen pol. u. kult. Kontext Handlungen der Akteure Identitäten Ziele Mittel

Form der Institution

Abbildung 9: Erinnerungskultur 2.0 – Konstruktion von Ausstellungen

?

Ziel: binationale Ausstellung

Mit dem Wissen, dass im Wesentlichen fünf Faktoren das Aussehen einer erinnerungskulturellen Institution bestimmen, wie kann man diese nun zu einem früheren Zeitpunkt, bei der Erarbeitung von Ausstellungen, mit einbeziehen?10

10 | Faktor sechs, Ergebnisse bezieht sich nicht auf die Entstehungsgeschichte der Institution und sei hier deshalb außer Acht gelassen.

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E UROPÄISIERUNG ERINNERUNGSKULTURELLER I NSTITUTIONEN Es gibt bereits Versuche, Erinnerungskultur zu europäisieren, wie zum Beispiel das vom ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, initiierte Haus der Europäischen Geschichte zeigt. Hier offenbarten sich aber schon im Planungsstadium – bis jetzt existiert in erster Linie ein Papier mit konzeptionellen Grundlagen – Unstimmigkeiten, denn obwohl das Planungsgremium mit namhaften Historikern aus verschiedenen EU-Ländern besetzt ist, stoßen einzelne Formulierungen des Konzepts auf erhebliche Kritik. Außerdem gibt es eine Reihe von Beispielen für eine Europäisierung, die von nationaler Seite ausgehen. Das Museum des Warschauer Aufstands europäisiert die lokale Geschichte, indem es das aufständische Warschau als Hort der Freiheit, als einer der wenigen zu jenem Zeitpunkt freien Orte in Europa darstellt. Erklärtes Ziel ist, dass sich nicht nur einheimische, sondern auch ausländische Besucher mit den Helden der Ausstellung identifizieren können.11 Ähnliche Ziele verfolgt die Ausstellung Wege zur Freiheit in Danzig, ein Vorläufer des geplanten Europäischen Solidarność-Zentrums. Deren Losung Über die Solidarność nach Europa kann man als Versuch interpretieren, die Erinnerung an die SolidarnośćBewegung zu universalisieren und sie in einen neuen europäischen Kontext einzuschreiben.12 Die deutsche Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung wird in ihrer geplanten Dauerausstellung nicht nur die Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg thematisieren, sondern diese in den breiteren Kontext von Zwangsmigrationen im Europa des 20. Jahrhunderts einfügen.13 All diese Institutionen sind nationale Projekte, in denen eine Europäisierung der Vergangenheit sowie die Ansprache ausländischer Zielgrup11 | Ołdakowski, Jan u.a.: Podstawowe założenia programowe i organizacyjne Muzeum Powstania Warszawskiego w Warszawie ul. Przyokopowa 28, www. old.1944.pl/download/text/1115211364.pdf, 18.11.2012, S. 3. 12 | Gmitrzuk, Justyna: Das europäische Solidarnosc-Zentrum in Danzig, in: Museum des Warschauer Aufstands (wie Anm. 5), S. 115-120, S. 119. 13 | Stiftung Flucht Vertreibung Versöhnung: Konzeption für die Arbeit der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung und Leitlinien für die geplante Dauerausstellung, www.sfvv.de/sites/default/files/downloads/konzeption_2012_sfvv. pdf, 18.11.12, S. 10-11.

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pen konzeptionell tragende Elemente sind. Bei der Konstruktion der Ausstellungen spielte die Einbeziehung potentieller ausländischer Besucher bisher aber keine Rolle. Im Jahr 2009 unternahmen wir im Rahmen des Erinnerungskulturprojekts den Versuch der Konstruktion einer erinnerungskulturellen Institution. Damals standen zehn deutsche und zehn polnische Studierende vor der Aufgabe, die Feierlichkeiten für einen fiktiven Jahrestag zum Gedenken an die Überwindung des Kommunismus zu planen, mit deren Ausgestaltung sowohl Deutsche als auch Polen einverstanden sind. Die Aufgabe stellte sich als schwierig heraus, weil es den Studierenden nicht gelungen ist, einen gemeinsamen Gedenktag zu skizzieren. Allerdings lernten beide Gruppen in der Diskussion mehr über die jeweiligen Befindlichkeiten der anderen. Danach wussten die Deutschen, warum es aus polnischer Sicht keine gute Idee ist, Michail Gorbatschow zur Symbolfigur eines solchen Tages zu machen. Polnische Studierende konnten lernen, dass Johannes Paul II. für viele Deutsche nicht in erster Linie ein Symbol für die Überwindung des Kommunismus ist. Aus dieser Erfahrung lässt sich ableiten, dass die Konstruktion einer binationalen Institution, in der sich beide Gruppen wiederfinden können, nur ein Mittel zum Zweck ist. Mindestens genauso wichtig wie das Ergebnis ist der Weg dorthin. Die aktive Partizipation an diesem Entstehungsprozess bedeutet in der Praxis vor allem eine aktive sachliche Diskussion. Aus dieser können alle Beteiligten neue Erkenntnisse über den jeweiligen anderen, aber auch über sich selbst gewinnen.

V ISION : E INE BINATIONALE A USSTELLUNG ENTSTEHT Ein zukünftiges Projekt für Studierende müsste folglich zwei Ziele im Blick haben: Im Ergebnis soll eine binationale erinnerungskulturelle Institution entstehen. Genauso wichtig ist aber die Reflektion über deren Entstehungsprozess und, um daraus allgemeine Schlüsse über eventuelle unterschiedliche Wahrnehmungen historischer Ereignisse und deren Konsequenzen ziehen zu können, die ausführliche Dokumentation sämtlicher Diskussionen und Arbeitsschritte. Die vergleichenden Analysen im Rahmen des Erinnerungskulturprojekts wurden im Rahmen von drei mehrtägigen Treffen erarbeitet, die über ein Jahr verteilt waren. Da es sich bei Erinnerungskultur 2.0 um ein

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mindestens ebenso ambitioniertes Projekt handelt, werden an dieser Stelle auch zumindest drei Treffen eingeplant, zwischen denen genug Zeit liegt, um eigene Ideen weiterzuentwickeln. Wichtig für Erinnerungskultur 2.0 wird vor allem die deutliche Abgrenzung der einzelnen Arbeitseinheiten sein. Für die Teilnehmenden muss klar werden, dass es zwei Arbeitsdimensionen gibt: zum einen den Auftrag der Entwicklung einer binationalen Ausstellung, zum anderen die interkulturelle Reflektion über eventuell auftretende Schwierigkeiten bei der Planung. Wie nun diese Arbeitseinheiten zeitlich voneinander abgegrenzt werden, wird in der Praxis erst noch erprobt. Denkbar wäre eine morgendliche Einheit zur Ausstellungsplanung auf die nach einer Mittagspause die Reflektion über das am Vormittag Erörterte folgt. Denkbar wäre aber auch eine zweitägige Planungsphase auf die eine ebenso lange Reflektionsphase folgt. Aufgabe der Moderatoren des Projekts wäre es, das zweite Ziel der interkulturellen Reflektion immer wieder in den Vordergrund zu rücken und dafür zu sorgen, dass interessante Diskussionsansätze aus der Planungs- in der Reflektionsphase aufgenommen und analysiert werden. Der Mehrwert des geplanten Projekts besteht vor allem aus den aus den Reflektionen gezogenen Erkenntnissen und weniger aus dem Ergebnis der Ausstellungskonstruktion, da die geplante Ausstellung in der Realität wenig Chancen auf Realisierung aufweist. Zielgruppe des Projekts wären Studierende sozial- und geisteswissenschaftlicher Fachrichtungen aus Deutschland und Polen. Geschichtsstudierende spielen dabei aufgrund ihres meist fundierten Hintergrundwissens eine wichtige Rolle. Jedoch sind die Beiträge von Soziologie-, Politikwissenschaft- und Kulturwissenschaftsstudierenden genauso wichtig, da diese in der Regel über ein solides Grundwissen qualitativer und quantitativer Methoden verfügen, das zur Erforschung gesellschaftlicher Phänomene erforderlich ist. Ziel ist letztlich die kritische Rezeption historischer Ereignisse in der Gegenwart und nicht das Thematisieren historischer Ereignisse. In diesem Beitrag ist vereinfachend von einer binationalen Gruppe deutscher und polnischer Studierender die Rede, allerdings ist eine solche Definition idealisierend. In der Realität wird das Team aus in Deutschland und in Polen wohnhaften Personen bestehen, die sich durch ihre Sozialisation im deutschen oder polnischen kulturellen Kontext unterscheiden, zwischen denen es aber viele Schnittstellen gibt. Eine besondere Gruppe stellen dabei in Deutschland aufgewachsene Kinder polnischer

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Eltern dar, die zumeist zweisprachig und in beiden Ländern sozialisiert sind. Unter den polnischen Teilnehmenden gibt es außerdem zumeist einige sehr gut Deutschsprechende mit Auslandserfahrung in Deutschland, während in der deutschen Teilgruppe die Kenntnisse der anderen Sprache oft nur ein mittleres Niveau erreichen. Was den Untersuchungsgegenstand betrifft, wäre es wenig sinnvoll, bereits bestehende deutsche und polnische Institutionen auf ihre Tauglichkeit für ausländische Besucher zu überprüfen und ggf. Verbesserungsvorschläge zu formulieren. Vielversprechender wäre es, in einem ersten Schritt den in der multikulturellen Gruppe vorhandenen Erinnerungsbedarf zu diskutieren. Dazu könnte die Leitfrage dienen, welche historischen Ereignisse und Themen es wert sind, in einer neuen Ausstellung behandelt zu werden. Dies könnte anhand folgender Fragen geschehen: Welche Ereignisse und Themen aus der deutschen und polnischen Geschichte sind bis heute noch in keiner Weise in einer Ausstellung oder anderen erinnerungskulturellen Institution thematisiert worden? Über welche historischen Ereignisse und Themen, die die binationalen Beziehungen betreffen ist in Deutschland und/oder Polen nur wenig Wissen vorhanden? Gibt es auf regionaler oder lokaler Ebene Ereignisse, die für die deutsch-polnischen Beziehungen von Bedeutung sind? Und nicht zuletzt: Welche heiklen Themen zwischen Deutschland und Polen erfordern bei der Konzeption einer Ausstellung einen besonderen Diskussionsbedarf, um beide Seiten zufriedenzustellen? In einem zweiten Schritt könnten binationale Arbeitsgruppen gebildet werden, die anhand der bei Charles Tilly abgeleiteten Dimensionen politischer und kultureller Kontext, Identitäten, Ziele und Mittel ein Ausstellungskonzept erarbeiten. Angenommen, eine binationale Gruppe von Studierenden möchte gemeinsam ein Ausstellungskonzept für eine deutsch-polnische Ausstellung über die Überwindung des Kommunismus im Jahr 1989 erstellen – welche Fragen muss die Gruppe dann im Vorfeld bearbeiten? Dabei wird vorausgesetzt, dass die Gruppe einen staatlichen Auftrag und eine bestimmtes Budget für das Projekt erhält. Die Anlage des Projekts wäre demnach per se top-down. Folgende Aufgaben müssten von der Gruppe in diesem Fall bearbeitet werden:14 14 | Łuczewski/Bednarz-Łuczewska (wie Anm. 5), S. 21.

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1. Politischer und kultureller Kontext Das Team diskutiert, welche Gruppen und Individuen sich in den beiden Ländern mit dem Thema Aufarbeitung des Kommunismus beschäftigen, welche Ziele sie verfolgen und ob sie eine eher starke oder schwache Position in der Gesellschaft haben. Es wird eruiert, welche der Akteure dem Projekt wohlwollend gegenüber stehen könnten und welche eher kritisch. Besonderes Augenmerk wird dabei auf Politiker sowie journalistische und wissenschaftliche Meinungsführer gelegt. Sind alle relevanten Akteure identifiziert, muss überlegt werden, wie diese untereinander interagieren und wie damit die Entstehung der Institution begünstigt oder erschwert werden kann. Dabei muss besonders der binationale Kontext berücksichtigt werden. Gibt es deutsche und polnische Gruppen/Individuen/Organisationen, die ähnliche Interessen verfolgen? Gibt es solche, deren Interessen sich unvereinbar gegenüberstehen? In welcher Beziehung stehen diese zueinander? Und gibt es spezielle deutsch-polnische Dynamiken der wechselseitigen medialen Wahrnehmung?

2. Identitäten Hier geht es um die Gruppen, derer erinnert werden soll und die Frage auf welche Art und Weise von diesen erzählt werden soll und in welcher Verbindung sie zueinander stehen. Von der Überwindung des Kommunismus betroffen sind zunächst alle Menschen, die in kommunistischen Staaten gelebt haben. Darunter befinden sich ganz unterschiedliche Untergruppen, deren Spektrum von denjenigen, die den Aufbau des Systems aktiv unterstützen bis zu dessen Opfern reicht. Aufgabe des binationalen Teams wäre es nun zunächst, alle Untergruppen zu identifizieren, die für die binationale Ausstellung berücksichtigt werden müssen. Vermutlich zählen zu diesen sowohl aktive Regimebefürworter und passive Nutznießer als auch Oppositionelle als auch Opfer des kommunistischen Systems sowie unterschiedliche Gruppen von Mitläufern und Akteure von außerhalb, etwa die sowjetischen Streitkräfte. Die Herausforderung für das binationale Team liegt jetzt darin, diese Gruppen in einer binationalen Ausstellung so zu positionieren, dass sowohl deutsche als auch polnische Besucher sich mit der Grundaussage der Ausstellung identifizieren können. Dafür sind folgende Fragen zu erörtern: Soll das Hauptaugenmerk eher auf Opfer oder auf Helden gelegt werden? Wie werden diese

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Kategorien definiert? Inwieweit könnte eine klare Benennung von Tätern auf Widerstand in den beiden Gesellschaften stoßen? Wie stark und in welcher Form soll der internationale Kontext berücksichtigt werden? Wie könnte demnach beispielsweise die Rolle der Sowjetunion dargestellt werden? Findet man diesbezüglich einen Konsens zwischen Deutschen und Polen oder nicht? Vor allem in der Bezeichnung der Institution spiegeln sich die Identitäten wieder, die den einzelnen Gruppen zugeordnet werden. Die polnischen Teammitglieder werden sich vermutlich nicht mit einem Namen einverstanden erklären, der das in Deutschland synonym für den Niedergang des Kommunismus gebräuchliche Mauerfall enthält. Doch auch ohne diesen Begriff ist zu überlegen, ob man von Niedergang oder Überwindung des Kommunismus sprechen kann und will; oder wäre nicht Sozialismus der bessere Begriff? Und könnten sich die deutschen Teammitglieder mit einem eher polnischen Titel, etwa ähnlich dem der bereits erwähnten Danziger Ausstellung Drogi do Wolności (dt. Wege zur Freiheit) einverstanden erklären?

3. Ziele Als nächstes ist in der gemeinsamen Diskussion zu klären, was mit der binationalen Ausstellung erreicht werden soll und welche Zielgruppen man ansprechen möchte. An dieser Stelle lässt sich das Untersuchungsschema zur Analyse erinnerungskultureller Institutionen nicht direkt auf die Gestaltung einer binationalen Ausstellung übertragen. Die Initiatoren einer erinnerungskulturellen Institution sind bestimmte gesellschaftliche Gruppen, die per se schon bestimmte Ziele verfolgen. Die deutschen und polnischen Studierenden in Erinnerungskultur 2.0 sollen aber nicht auf bestimmte Interessen festgelegt werden. Dies würde zu einer starken Einschränkung führen und dem Ziel des Projekts, die Grundanalage eine Ausstellung zu entwerfen, mit der sich sowohl deutsche als auch polnische Besucher identifizieren können, zuwider laufen. Die Zielfindung kann sich aber an der Frage orientieren, welche geschichtlichen Ereignisse in Deutschland und/oder Polen wenig bekannt sind denen man durch eine Ausstellung zu mehr Bekanntheit verhelfen könnte. In diesem Fall hieße das zu überlegen, welche Aspekte des Niedergangs des Kommunismus bisher nur selten thematisiert wurden und eine Ausstellung zu konstruieren, die diese Themen in den Mittelpunkt stellt.

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Bezüglich der Zielgruppen ist beispielsweise zu überlegen, ob eher jüngere oder ältere Menschen angesprochen werden sollen bzw. ob Zeitzeugen besondere Berücksichtigung finden sollen. Es könnte die Frage diskutiert werden, ob die Opfer der kommunistischen Regime und die Protagonisten der Revolution in den beiden Gesellschaften bisher zu wenig gewürdigt wurden und ob es sinnvoll ist, diese mit einer Ausstellung besonders anzusprechen.

4. Mittel Außerdem ist zu erörtern, welche Mittel für die Ausgestaltung der Ausstellung verwendet werden sollen. Soll es eine eher traditionelle Ausstellung unter Verwendung klassischer musealer Instrumente mit einzelnen Exponaten hinter Glas, Bildern und erläuternden Texten werden? Oder ist eine innovative Ausstellung besser geeignet, in der Exponate zum Anfassen ausgestellt sind, viel Multimedia eingesetzt wird und in der man durch den Einsatz von Musik und Hintergrundgeräuschen in die dargestellte Epoche zurückversetzt wird? Daran schließt sich die Frage an, ob die Ausstellung bei den Besuchern bewusst Emotionen auslösen soll oder ob dies nicht erwünscht ist und im Gegenteil eine betont sachliche und nüchterne Atmosphäre herrschen soll. Nicht zuletzt ist zu klären, ob das Schicksal von Gruppen im Ganzen dargestellt werden soll oder ob die Lebensgeschichte von Individuen beispielhaft für eine gesamte Gruppe stehen soll. Entscheidet man sich für eine emotionale Erzählweise, so bietet sich eine Fokussierung auf Einzelschicksale an. In einer sachlichen Ausstellung ist es eher ratsam, Gruppen als Ganzes darzustellen. Allgemein ist zu beachten, dass die im Moment als innovativ bezeichneten Mittel zu traditionellen Instrumenten werden, je häufiger sie in Ausstellungen angewendet werden.15 Entscheidet sich die Gruppe für eine innovative Ausgestaltung ihres Projekts, so ist zu überlegen, ob dies überhaupt in Form einer Ausstellung geschehen muss oder vielleicht völlig anders?

15 | Łuczewski/Bednarz-Łuczewska (wie Anm. 9), S. 171.

Den nationalen Kontext verlassen

Z USAMMENFASSUNG Hat das binationale Team alle Fragestellungen bearbeitet, so kann nun Bilanz gezogen werden. In der abschließenden Auswertung soll festgestellt werden, ob eine gemeinsame Basis für eine deutsch-polnische Ausstellung gegeben ist oder nicht. Konnte kein gemeinsamer Nenner gefunden werden, so gibt es zwei Möglichkeiten fortzufahren: Zum einen kann überlegt werden, ob es den Teilnehmern überhaupt sinnvoll erscheint, das Ausstellungsprojekt weiter zu verfolgen. Eine zweite Möglichkeit wäre es, einen strittigen Sachverhalt auf zweierlei Weise in der Ausstellung darzustellen und daneben die Diskussion über die Streitpunkte zu visualisieren. Die Frage, ob die Ausgestaltung einer binationalen Ausstellung durch ein binationales Team tatsächlich realisiert werden kann, bleibt am Ende der Diskussion offen. Neben den hier skizzierten Herausforderungen spielen in der Realität meist viele Interessengruppen eine Rolle, die in diesem vereinfachten Szenario nicht berücksichtigt werden konnten, die aber die Situation erschweren können. In jedem Fall ist durch eine Diskussion über die Überwindung des Kommunismus und dessen politischen und kulturellen Kontext in Deutschland und Polen heute, die Beziehungen betroffener Gruppen untereinander sowie Ziele und Mittel einer geplanten Ausstellung eines mit Sicherheit erreicht worden: Deutsche und polnische Studierende haben sich ein Bild von einer jeweils anderen Sichtweise gemacht. Sie können nun die in ihrer Gruppe vorherrschenden Diskurse im Bereich Erinnerungskultur und Geschichtspolitik benennen und sind für folgende Fragen sensibilisiert worden: Welche Akteure spielen eine Rolle? Welche Position haben bestimmte gesellschaftliche Gruppen im Nachbarland? Und welche geschichtlichen Ereignisse wurden auf welche Art und Weise bereits in Ausstellungen visualisiert und welche (noch) nicht? Abschließend sei noch einmal das Beispiel des Liberators in der zweiten Ausstellungshalle des Museums des Warschauer Aufstands erwähnt: Neben dem Entwurf einer gemeinsamen Narration durch eine deutschpolnische Gruppe könnte vielleicht auch eine Dekodierung bestehender nationaler Ausstellungen, d.h. eine Übersetzung ihrer Sprache und Symbole in einen anderen kulturellen Kontext ein vielversprechender Weg sein, um Deutsche und Polen einander näherzubringen. Ähnlich wie im skizzierten Projektenwurf bestünde die Herausforderung an die Gruppe

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hier auch darin, herauszufinden, welche unterschiedlichen Sichtweisen auf Geschichte und ihre Symbole es gibt, und ob man zu einer gemeinsamen Sichtweise kommen kann oder ob es sinnvoller ist, die unterschiedlichen Perspektiven sichtbar zu machen und zu erklären.

Räum Dein Stadtmuseum um! Eine partizipative Intervention in die Dauerausstellung 1000 Jahre Breslau Vasco Kretschmann

Stadtmuseen perspektivieren, verwalten und aktualisieren Geschichtsbilder einer lokalen Gesellschaft – sie sind zugleich Generatoren als auch Repräsentationsorte lokaler Narrative über die Vergangenheit. Als öffentliche Institutionen der städtischen Geschichtskultur entspringen Museen einem identitätsbezogenen Orientierungs- und Handlungsbedürfnis. Jedoch geben sie zumeist nur Auskunft über die Vergangenheitsdeutungen und Gegenwartswahrnehmungen kultureller und politischer Eliten, da die vielfältigen Geschichtsbilder der breiten Stadtbevölkerung selten Teil der Ausstellungskonzeption sind. Einen Eindruck von der Komplexität dieses Deutungsprozesses vermittelt das Städtische Museum der polnischen Metropole Breslau1, die nach dem Zweiten Weltkrieg einen nahezu vollständigen Bevölkerungsaustausch erlebte. Die 2009 eröffnete Dauerausstellung 1000 Jahre Breslau (poln. 1000 lat Wrocławia) des Städtischen Museums zeugt durch eine dezidierte Anknüpfung an die städtischen Vorkriegstraditionen, einschließlich der Präsentation der kulturellen Lebenswelten preußischer Könige, von einem differenzierten, aber nicht unumstrittenen Umgang mit der bewegten städtischen Vergangenheit. 1 | Poln.: Wrocław. Im Folgenden wird der Begriff Breslau für die deutsche wie auch für die polnische Stadt verwendet, da zwischen dem polnischen und dem deutschen Stadtnamen eine etymologische Verwandtschaft besteht. Vgl. Kiedroń, Stefan: Einige Worte über das Wort Breslau, in: Balzer, Bernd/Hałub, Marek (Hg.): Wrocław-Berlin. Germanistischer Brückenschlag im deutschpolnischen Dialog. II. Kongress der Breslauer Germanistik, Dresden/Wrocław 2006, S. 41-59, S. 58f.

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Die im Museum ausgestellte Erzählung über die Hauptstadt Niederschlesiens reflektiert einen reichen kulturellen Austauschprozess, dessen Niedergang mit der Vernichtung des jüdischen Bürgertums nach 1933 begann und dessen Veränderung nie so plötzlich und so radikal war wie am Ende des Zweiten Weltkriegs. Die mehrheitlich deutsche Bevölkerung wurde im Zuge der alliierten Beschlüsse ins Nachkriegsdeutschland vertrieben. Polnische Staatsbürger aus verschiedenen Regionen Vorkriegspolens und Europas zogen in die stark zerstörte Stadt. Die fremde städtische Landschaft und das vielfältige historische Erbe wurden dem Geschichtsbild der Volksrepublik Polen entsprechend angeeignet. Dem Bruch in der städtischen Geschichtskultur folgte ein stark selektiver und politisierter Umgang mit der lokalen Vergangenheit.2 Mit der Demokratisierung und Regionalisierung des politischen Systems seit 1989 und der Förderung zivilgesellschaftlicher Strukturen trug eine Vielzahl lokaler Initiativen zur Herausbildung differenzierter Geschichtsbilder bei. Die bis dahin verdrängten oder negativ bewerteten Aspekte der städtischen Geschichte wie das böhmisch-habsburgische, preußische oder jüdische Kulturerbe rückten in das öffentliche Interesse und wurden zunehmend als ein Teil der eigenen Geschichte angeeignet. Historische Vielfalt manifestiert sich an diesem Ort nicht durch historische Multiethnizität sondern auch durch die Parallelität und Vielschichtigkeit historischer Erzählungen und damit einem spürbaren Spannungsverhältnis zwischen Vergangenheit und Gegenwart.3 Mit diesem Spannungsverhältnis setzt die neue Dauerausstellung ein sichtbares Zeichen im öffentlichen Raum. Ihre Eröffnung im April 2009 bildete einen vorläufigen Höhepunkt im geschichtskulturel-

2 | Vgl. Mazur, Zbigniew: Wokół niemieckiego dziedzictwa kulturowego na Ziemiach Zachodnich i Północnych [Zum deutschen Kulturerbe in den polnischen West- und Nordgebieten] (= Ziemie Zachodnie. Studia i materiały. Nr. 18), Poznań 1997, S. 584f; Ruchniewicz, Krzysztof: Warum Wrocław nicht Breslau ist. Überlegungen zur Nachkriegsgeschichte der Niederschlesischen Hauptstadt, in: Ders.: Zögernde Annäherung. Studien zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen im 20. Jahrhundert, Dresden 2005, S. 225240, S. 239f. 3 | Vgl. Loew, Peter Oliver: Von Gdańzig nach Bresław. Die deutsche Vergangenheit in der polnischen Gegenwart, in: Kaluza, Andrzej/Wierczimok, Jutta: Jahrbuch Polen 2007 Stadt, Wiesbaden 2007, S. 94-99, S. 98.

Räum Dein Stadtmuseum um!

len Prozess der Herausstellung eines differenzierten Umgangs mit der Stadtgeschichte. Mit der Inszenierung von annähernd 3.000 Exponaten in 25 Räumen wurde eine umfangreiche Chronologie der Stadtgeschichte gestaltet. Bei einem Besuch des barocken Museumsgebäudes an der Ulica Kazimierza Wielkiego scheint es jedoch, dass die zahlreichen Gegenstände und Gemälde aus tausend Jahren Stadtgeschichte es nicht vermögen, dem/der lokalen wie auch zugereisten Besucher/in eine Geschichte zu erzählen. Das Besucherinteresse hält sich offenkundig in Maßen. Die Ursachen für die mangelnde Zugänglichkeit lassen sich nicht nur bei den knappen Objektbeschriftungen sondern auch bei der Auswahl und Inszenierung der Exponate suchen. Wie kann das Interesse der Breslauerinnen und Breslauer für ihr Stadtmuseum geweckt werden und gleichzeitig das Potenzial dieser reichen Museumssammlung für die lokale Geschichtskultur ausgeschöpft werden? Könnte etwa die Bevölkerung Breslaus in Zukunft stärker als bisher bei der Gestaltung intervenieren? Provokant und öffentlichkeitswirksam werden die Breslauerinnen und Breslauer in diesem Pilotprojekt eingeladen, im Rahmen einer großen Aktion ihre Ideen, Perspektiven und Meinungen in eine neukonzipierte Ausstellung einzubringen. Der umfangreiche Objektbestand verschiedener historischer religiöser, sozialer und kultureller Gruppen in der Dauerausstellung wie auch in den Museumssammlungen enthält ein reichhaltiges Potenzial für die Artikulation verschiedener Perspektiven auf die städtische Geschichte. Im Folgenden werden die Ursachen für die geringe Resonanz der Ausstellung wie auch die Ziele und Realisierungsphasen einer partizipativen Intervention seitens der Stadtbevölkerung in der historischen Dauerausstellung skizziert.

A USGANGSPUNK T : 1000 J AHRE S TADTGESCHICHTE SCHWEIGEN Für die Geschichte der Breslauer Museumslandschaft im 20. Jahrhundert ist kennzeichnend, dass weder in der deutschen noch in der polnischen Zeit eine stadtgeschichtlich-chronologische Gesamtschau realisiert wurde. Bis zur Eröffnung der Dauerausstellung 1000 Jahre Breslau im April 2009 wurde die städtische Geschichte in Museen und Ausstellungen

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immer nur partiell und graduell stark politisch vereinnahmt präsentiert. In der Volksrepublik dienten die archäologischen und kulturhistorischen Museen der Propagierung der Polonität Schlesiens.4 Bei einem selektiven Umgang mit der Stadtgeschichte verblieb auch das 1965 gegründete Historische Museum, welches sich auf eine Präsentation der bürgerlichen Architektur des Rathauses und der Kämpfe der Polen an allen Fronten der Welt5 beschränkte. Die Demokratisierung Polens nach 1989 führte in vielen Fällen zu einer Revision der musealen Präsentationen. Das Historische Museum wurde 1993 infolge der Regionalisierung von der Woiwodschaft der Stadt übertragen. In den 1990er Jahren zeichnete sich seine Arbeit durch Sonderausstellungen zu bisher marginalisierten Aspekten der Stadtgeschichte wie den jüdischen BreslauerInnen, Stadtansichten der Jahrhundertwende und zu verschiedenen deutschen und polnischen Persönlichkeiten aus.6 Mit der Gründung des Dachverbandes Städtisches Museum Breslau im Jahr 2000 wurde eine Hinwendung zu einer ganzheitlichen Geschichtspräsentation institutionell und 2009 mit der Dauerausstellung 1000 Jahre Breslau auch konzeptionell vollzogen. Das als Königschloss (poln. Pałac Królewski) bezeichnete Museumsgebäude besteht aus einem Barockpalais der habsburgischen Adelsfamilie von Spätgen aus dem frühen 18. Jahrhundert und zwei Anbauten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Auf der 4 | Vgl. Thum, Gregor: Die fremde Stadt. Breslau 1945, Berlin 2003 (pl.: Obce Miasto. Wrocław 1945 i potem, Wrocław 2006, engl.: Uprooted: How Breslau Became Wroclaw during the Century of Expulsions, Princeton, Oxford 2011), S. 398 f.; Weger, Tobias: Lokal- und Regionalgeschichte in der deutschen und polnischen Geschichtskultur. Schwerpunkt Museen, in: Herget, Beate/Pleitner, Berit (Hg.): Heimat im Museum? Museale Konzeptionen zu Heimat und Erinnerungskultur in Deutschland und Polen (= Colloquia Baltica 14), München 2008, S. 79-101, S. 84. 5 | Starzewska, Maria: Die Museen in Wrocław. Führer, Wrocław 1974 (zuerst pl.: Muzea Wrocławskie), S. 48ff.; Więcek, Adam: Muzea wrocławskie od 1814 roku [Breslauer Museen seit 1814], Wrocław 1997, S. 64ff. 6 | Hierzu zählen u.a. die Ausstellungen Wrocławscy Żydzi 1850-1944 [Breslauer Juden 1850-1944] (1989 und 1996), Nieznany portret miasta [Unbekanntes Stadtporträt] (1990) und die 1997 eröffnete Dauerausstellung Wielcy Wrocławianie. Galeria popiersi we wrocławskim Ratuszu [Große Breslauer. Die Galerie der Büsten im Breslauer Rathaus].

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ersten Etage des Palais wurden 2008 mit einem Arrangement antiquarischer Möbelstücke und Gemälde fünf Appartements preußischer Könige nachempfunden und darauf verwiesen, dass es sich bei dem Gebäude um einen Flügel des Breslauer Residenzschlosses der preußischen Könige handelt. Die neue Raumausstattung lehnt sich an die Exposition des Breslauer Schlossmuseums (1926-45)7 an und reicht von einem Raum zur Friderizianischen Zeit (1741-86) über den Grünen Salon Friedrich Wilhelms II. (1795/96) bis zum Blauen Audienzzimmer Friedrich Wilhelms III. (1813/15). Die königlichen Wohnräume stellen im Ausstellungsrundgang einen direkten Bezug zur Gebäudegeschichte her. Vor und nach diesem Abschnitt wird die tausendjährige Stadtgeschichte von den piastischen Herzögen bis zur Oppositionsbewegung gegen das kommunistische Regime mit einer sachlich-schlichten Präsentation von Kunst- und Gebrauchsgegenständen in Vitrinen wie auch einer Reihe von Grafiken und Gemälden erzählt. Die Geschichte der lokalen Bevölkerungsgruppen wie auch Aspekte der kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Stadtentwicklung werden in einer großen Detailfülle gezeigt. In der Mehrzahl sind hier Relikte des Breslauer Bürgertums sowie der adeligen und geistlichen Eliten zu sehen. Erklärtes Ziel der Ausstellungsmacher ist die Herausstellung der kulturellen Vielfalt der historischen Stadtbevölkerung anhand der Zeugnisse von »Menschen unterschiedlicher nationaler und religiöser Zugehörigkeit« 8. Beim Rundgang durch die Ausstellung präsentiert sich den BesucherInnen eine umfangreiche Objekt- und Bilderschau mit einer Vielzahl historischer Bezugspunkte. Neben den rein dokumentarischen Objektbeschriftungen einer klassischen kunsthistorischen Ausstellung (Titel, Urheber/in, Entstehungsjahr, Sammlung) liefern allein kleine dreisprachige Raumtafeln (Polnisch, Englisch, Deutsch) jeweils einen knappen Abriss zur Verortung ausgewählter Exponate in einem historischen Kontext. Die

7 | Vgl. Hintze, Erwin: Führer durch das Schloßmuseum in Breslau, Breslau 1930. 8 | Vgl. Łagiewski, Maciej: Ein Schloss mit Geschichte – Geschichte im Schloss, in: Ders./Okólska, Halina/Oszczanowski, Piotr (Hg.): 1000 Jahre Breslau. Führer durch die Ausstellung, Städtisches Museum Breslau, 2. erweit. Aufl. Wrocław 2011 (zuerst pl.: 1000 lat Wrocławia. Przewodnik po wystawie, Muzeum Miejskie Wrocławia, Wrocław 2009), S. 9-19.

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KuratorInnen formulieren zu Beginn des Ausstellungsführers ihre konzeptionellen Ziele in folgenden Worten: »Bei der Auswahl der Objekte war es unser Anliegen, durch sie die sich im Laufe der Jahrhunderte vollziehenden Veränderungen so wiederzugeben, dass wir daraus eine historische Narration ablesen können. […] Es war die Intention der Ausstellungsmacher, zum ersten Mal eine Ausstellung frei von politischen Emotionen und einseitiger Kommentierung zu schaffen, die ausschließlich auf authentischen Objekten basiert und von zehn Jahrhunderten Rechenschaft ablegt, unter Wahrung der – nach unserer Ansicht – angemessenen Proportionen, auf der Grundlage glaubhafter geschichtlicher Quellen. […] Das Muzeum Miejskie Wrocławia unternimmt den Versuch, Werkzeuge für das Wissen bereit zu stellen, wobei es dem Verstand der Besucher anheim gestellt bleibt, daraus eigene Schlüsse zu ziehen.« 9

Es wird deutlich, dass den Exponaten hier eine zentrale Aussagekraft zugesprochen wird. Vermutlich aufgrund der Erfahrungen stark politisierter und autoritativer Repräsentationsformen historischer Ausstellungen in der Volksrepublik soll hier in erster Linie auf die dokumentarisch-argumentative Funktion der authentischen Objekte und damit auf die historische Deutungsleistung und die Vorstellungskraft der BesucherInnen gesetzt werden. Es bleiben jedoch Zweifel, ob sich die umfangreichen Objektarrangements ausschließlich anhand der dokumentarischen Beschriftungen und der kurzen Erläuterungen der Raumtafeln erschließen. Um selbst deuten zu können bräuchten die BesucherInnen multiperspektivische Informationen zur Entstehung, Provenienz und Gebrauchsgeschichte der Exponate. Ohne diese Kontextualisierung drohen die »symbolischen Codes [der Ausstellungsstücke] missverstanden« 10 zu werden oder die Artefakte verbleiben rein ästhetisches Dekor. Beispielsweise wird im 14. Ausstellungsraum Gelbes Wohnzimmer Friedrich Wilhelms III. eine Lithografie mit einer Schlüsselszene der Breslauer Geschichte während der Befreiungskriege (1813-15), einem Aufruf an die Breslauer Studenten zum Kampf gegen Napoleon (Februar 1813) folgendermaßen beschriftet: An9 | Ebenda, S. 12f, S. 15. 10 | Borries, Bodo von: Präsentation und Rezeption von Geschichte im Museum (1997), in: Ders.: Lebendiges Geschichtslernen. Bausteine zu Theorie, Pragmatik, Empirie und Normfrage, Schwalbach 2003, S. 226-235, S. 231.

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sprache von Professor Heinrich Steffens (1773-1845) an der Breslauer Universität. Arthur Kampf, 1891. Sammlungen des Breslauer Stadtmuseums.11 Wie bei diesem Beispiel lässt sich allgemein festhalten, dass die kurzen Beschriftungen der Objekte und Gemälde keine Zugänge zur Perspektivität der Quellen geben. Auch die kontextualisierenden Erzählungen der externen Hilfsmedien wie Ausstellungsführer, Audioguide oder Medienstation reichen hier nicht aus. Aus der bewussten Vermeidung politisierter und affirmativer Ausstellungskonzepte folgern die InitiatorInnen eine generelle Ablehnung individueller und kontroverser Zeugnisse. So sind in der Ausstellung auch kaum Aussagen von Zeitzeugen und historische Textzeugnisse zu finden. Damit setzt der Ausstellungsansatz ein Multikulturalitätsparadigma, vermeidet allerdings aufgrund des Verzichts auf eine tiefgründige Kontextualisierung den umfangreichen Objektbestand in eine Geschichte der Stadt und ihrer Bevölkerung einzubetten.

Ö FFNUNG : D AS S TADTMUSEUM ALS GESCHICHTSKULTURELLER R ESONANZR AUM Nach ihrer normativen Zuschreibung sind Stadtmuseen zugleich Generatoren und Gradmesser lokaler Geschichtskultur. Einerseits perspektivieren, verwalten und aktualisieren sie Geschichtsbilder einer Gesellschaft, andererseits können sie ein Resonanzraum für die Bedeutung bestimmter historischer Ereignisse sein und Auskunft geben, wie gesellschaftliche Gruppen, einschließlich politischer FunktionsträgerInnen, über bestimmte Themen kommunizieren und welchen Stellenwert diese in der Gesellschaft einnehmen.12 Jedoch bleiben bei der Bestimmung von 11 | Eine Auswahl der Exponate wird auch auf den Raumtafeln behandelt. Zur hier genannten Lithografie erläutert die Tafel: »An der Wand ist ein Stich mit der Szene zu sehen, in der der Physikprofessor Henrik Steffens seine berühmte Rede an der Breslauer Universität hält, nach der die Studenten mit Begeisterung zu den von Major Ludwig Adolf Wilhelm von Lützow organisierten Freikorps strömen.« Raumtafel Saal 14. 12 | Vgl. Pieper, Katrin: Resonanzräume. Das Museum im Forschungsfeld Erinnerungskultur, in: Baur, Joachim (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S.  187-212, S.  199f, S. 203.

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musealen Geschichtsbildern Fragen nach ihrer gesellschaftlichen Reichweite. Initiativen zum öffentlichen Umgang mit Geschichte gehen auch in demokratisch verfassten Staaten von verhältnismäßig kleinen, elitären und relativ geschlossenen Gruppen aus. Demnach wird der Kanon erinnerungswürdiger Themen in diesen politischen oder intellektuellen Kleingruppen festgelegt und dann nachträglich als gesamtgesellschaftlich relevant deklariert und in Form von medial-öffentlich geführten Disputen in die Gesellschaft getragen.13 Ob diese Diskurse in der breiten Bevölkerung rezipiert oder akzeptiert werden bleibt zweifelhaft. In der öffentlichen Geschichtskultur Breslaus werden mit der Betonung einer historisch-kulturellen Vielfalt die Attribute Toleranz, Offenheit und Stolz auf das historische Erbe projiziert – und damit Stadtmarketingetiketten einer fortschrittlichen und modernen Stadt herausgestellt. Die städtischen Eliten versuchen damit für die Vermarktung einer der wirtschaftlich erfolgreichsten Städte Polens das Image einer multikulturellen europäischen Stadt zu kreieren. Zu Recht wird in der Forschung vermehrt angeführt, dass sich nur schwer feststellen lässt, ob diese öffentlich propagierten Geschichtsbilder über städtische Eliten, Touristen und Investoren hinaus auch bei der breiten Stadtbevölkerung Anklang finden.14 Welche Perspektiven und Meinungen haben die Breslauerinnen und Breslauer? Nach den geschichtsdidaktischen Theoriekonzepten von Karl-Ernst Jeismann und Jörn Rüsen besteht geschichtliches Bewusstsein aus der Verknüpfung von Vergangenheitsdeutungen, Gegenwartswahrnehmungen und Zukunftserwartungen.15 Institutionen, die auf diesem Geschichts13 | Vgl. Jaworski, Rudolf: Die historische Gedächtnis- und Erinnerungsforschung als Aufgabe und Herausforderung der Geschichtswissenschaften, in: Aust, Martin/Ruchniewicz, Krzysztof/Troebst, Stefan (Hg.): Verflochtene Erinnerungen. Polen und seine Nachbarn im 19. und 20. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 17-29, S. 21. 14 | Vgl. Ther, Philipp/Królik, Tomasz/Henke, Lutz (Hg.): Das polnische Breslau als europäische Metropole. Erinnerung und Geschichtspolitik aus dem Blickwinkel der Oral History, Polski Wrocław jako metropolia europejska. Pamięć i polityka historyczna z punktu widzenia oral history, Wrocław 2005, S. 51. 15 | Vgl. Jeismann, Karl-Ernst: Geschichtsbewußtsein. Überlegungen zu einer zentralen Kategorie der Geschichtsdidaktik, in: Süßmuth, Hans (Hg.): Geschichtsdidaktische Positionen, Paderborn 1980, S.  179-222, S.  182f; Rü-

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verständnis gründen, sollten daher auf gesellschaftliche Veränderungen und Interessenlagen der Bevölkerung reagieren. Die Demokratisierung der polnischen Gesellschaft und die beschleunigte Globalisierung der europäischen Gesellschaften fördern eine freie und zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit lokalen und regionalen Geschichten wie auch die Herausbildung heterogener Geschichtsbilder. Dies gilt auch für eine tiefgründige Erschließung des vielfältigen historischen Erbes an einem Ort, dessen gesamte Bewohnerschaft vor 65 Jahren aus verschiedenen Gebieten Polens zugewandert ist. Kulturelle Vielfalt drückt sich an diesem Ort durch ein fremdkulturell-symbolisiertes Kulturerbe und eine Bewohnerschaft von regional heterogener Herkunft aus. Hier stellt sich die Frage, welche Bedeutung das vielfältige Kulturerbe für die heutigen StadtbewohnerInnen hat und inwiefern die heterogenen Herkünfte der Nachkriegsbevölkerung heute noch oder wieder identitätsstiftend wirken. Die InitiatorInnen der Ausstellung 1000 Jahre Breslau formulieren als ein Leitprinzip der Ausstellung die Repräsentation von Zeugnissen unterschiedlicher nationaler und religiöser Zugehörigkeit. Handelt es sich hierbei um eine Adaption der Kampagne der Stadtregierung oder gar um einen Kompromiss, um die preußisch-deutsche Zeit in einer breiter angelegten Perspektive symbolisch einzudämmen? Auch hier ist von Interesse, wie die Bevölkerung mit den transportierten Kulturbildern umgeht. Das Begriffskonzept Multikulturalität im Sinne von Multiethnizität tendiert zu einer Betonung geschlossener kultureller Gruppen und damit zu einer Negierung hybrider kultureller Verflechtungen. Dem gegenüber würde eine inter- oder transkulturelle Repräsentation gesellschaftlicher Vielfalt, basierend auf der Darstellung verschränkter Perspektiven, der Konfrontation mit Widersprüchen, multiple und integrative Zugänge zur Geschichte und damit identitätsstiftende Anknüpfungspunkte eröffnen.16

sen, Jörn: Was ist Geschichtskultur? Überlegungen zu einer neuen Art, über Geschichte nachzudenken, in: Füßmann, Klaus/Grütter, Heinrich Theodor/ Rüsen, Jörn (Hg.): Historische Faszination. Geschichtskultur heute, Köln/Weimar/Wien 1994, S. 3-26, S. 7. 16 | Vgl. Georgi, Viola B.: Geschichte(n) in Bewegung. Zur Aneignung, Verhandlung und Konstruktion von Geschichtsbildern in der deutschen Migrationsgesellschaft, in: Wagner, Bernd: Jahrbuch für Kulturpolitik 2009. Thema: Erinnerungskulturen und Geschichtspolitik, Essen 2009, S. 247-255, S. 247f.

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Wenn die BreslauerInnen nun eingeladen werden ihre stadthistorische Ausstellung mitzugestalten und zu entscheiden, welche Exponate von identitätsstiftender oder lebensweltlicher Relevanz sind, dann werden neben Geschichtsbildern auch Kulturkonzepte sichtbar. Auch von primär kunsthandwerklichen Objekten können identitätsstiftende Bezüge zur Stadtgeschichte ausgehen. Im Vorfeld der Ausstellungseröffnung wurde die symbolträchtige Rückkehr des Breslauer Schatzes aus Bremen, einer umfangreichen Sammlung neuzeitlicher Gold- und Silberschmiedekunst, medial als Zeugnis bürgerschaftlichen Engagements hervorgehoben, da der Ankauf der Sammlung für das Stadtmuseum 2006 durch eine große Spendenaktion heutiger BreslauerInnen und UnternehmerInnen ermöglicht wurde.17 Auch hier wird die Partizipation der StadtbewohnerInnen bei einer Neugestaltung zeigen, welche Bedeutung dieses zurückgekehrte Tafelsilber hat. Eine weitere Zielmarke der Öffnung des Stadtmuseums als geschichtskulturellen Resonanzraum soll am Beispiel der Kontroversen im Jahr 2009 um den preußischen Charakter des bis zum Umbau (2001-09) als Spätgen-Palais (poln. Pałac Spätgenów) bezeichneten Museumsgebäudes ausgeführt werden. Diese Frage berührt nicht nur den Aspekt, was als Teil der lokalen Identität betrachtet werden kann, sondern auch wie konkrete inhaltliche Festlegungen zumeist auf die politische Agenda gesetzt und ausschließlich in journalistischen und anderen professionellen Kreisen verhandelt werden. In der konservativen Tageszeitung Rzeczpospolita wurde anlässlich der Ausstellungseröffnung vor einer Verehrung des preußischen Militarismus in Breslau gewarnt und in der national-katholischen Zeitung Nasz Dziennik gar eine »kriechenden Re-Germanisierung« Breslaus prophezeit. Aufgrund des antipolnischen Geistes Friedrichs II. dürfe das Museumsgebäude nicht als Königschloss (poln. Pałac Królewski) bezeichnet werden und zudem solle die polnische Gesellschaft ausschließlich Königen in Warschau und Krakau huldigen.18 Vonseiten der 17 | Vgl. Łagiewski, Maciej/Oszczanowski, Piotr/Trzynadlowski, Jan J. (Hg.): Der Breslauer Schatz aus Bremen, Muzeum Miejskie Wrocławia, Wrocław 2008 (zuerst pl.: Wrocławski skarb z Bremy, Wrocław 2007) und Zajonz, Michael: Königsschloss. Die Blume Europas, in: Der Tagesspiegel, Berlin 22.8.2009. 18 | Vgl. Nowak, Jerzy Robert: Pełzająca germanizacja Wrocławia (2) [Die schleichende Germanisierung Breslaus (2)], in: Nasz Dziennik (Nr. 41/2009), Warszawa 18.2.2009; Marczak, Tadeusz: Jak byśmy byli pod pruskim zabo-

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liberalen Zeitung Gazeta Wyborcza, dem Direktorium des Stadtmuseums und der Breslauer Stadtregierung wurde hingegen vor einer Amputation der Geschichte gewarnt und bekundet, dass Breslau die Souveränität habe, die »historische Wahrheit zurückkehren« zu lassen und sich die Breslauer BürgerInnen mit den »unbekannten Seiten der Geschichte Breslaus« vertraut machen wollen, da »ihnen die Stadtgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts noch nicht vollständig« bekannt sei.19 Notwendig wäre hier zu erfahren, welche Meinung die Bevölkerung der 630.000-EinwohnerStadt hat. Wie wichtig sind den BreslauerInnen heute die preußischen Könige? Soll das preußische Stadterbe herausgestellt werden? Um erstens in der Bevölkerung vorhandenen Geschichts- und Kulturbilder zu aktivieren und zu repräsentieren und zweitens das Museum als einen besser frequentierten Ort zu etablieren, wird im Folgenden die Idee für eine partizipative Kampagne entwickelt: Jetzt wird aufgeräumt – gestalte Dein Stadtmuseum! In der gemeinsamen Aktion von Breslauer Schülergruppen und individuellen StadtbewohnerInnen wird diskutiert, was aus der Ausstellung herausgenommen, was bleiben und was hinzugefügt werden soll. Durch dieses umfassende Partizipationsangebot veranlasst das Stadtmuseum seine lokalen BesucherInnen zu einer Vergegenwärtigung und Reflexion der Bedeutung von Gegenständen und Themen, aber auch von gesellschaftlichen Verhältnissen und Identitäten. Damit öffnet sich das Museum den unmittelbaren Lebensweltbezügen der heutigen BreslauerInnen. Mit einem solchen Experiment schafft es Raum für persönliche Relevanz.20

rem [Als ob wir unter preußischer Herrschaft wären], in: Nasz Dziennik (Nr. 179/2009), Warszawa 1.2.8.2009. 19 | Vgl. Okólska, Halina im Interview mit Kwiecień, Małgorzata: 1000 lat Wrocławia od 19 kwietnia w Pałacu Królewskim, in: Punkt Informacji Kulturalnej Wrocław, 14.4.2009; Maciejewska, Beata: Zakończmy wojnę wrocławskopruską [Lasst uns den Breslauer Preußenkrieg beenden], in: Gazeta.pl (zugleich: Gazeta Wyborcza Wrocław), Wrocław 27.9.2009. 20 | Vgl. Piontek, Anja: Partizipation in Museum und Ausstellung. Versuch einer Präzisierung, in: Gesser, Susanne u.a. (Hg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Bielefeld 2012, S.  221-230, S. 227.

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D IE B RESL AUER I NNEN SORTIEREN IHR S TADTMUSEUM Die Aktion Jetzt wird aufgeräumt – gestalte Dein Stadtmuseum! sollte einen Zeitraum von sechs Monaten umfassen und ließe sich – um eine Aktualisierung der Ausstellung sicherzustellen – in Fünfjahresrhythmen wiederholen. Grundlegend für den Ablauf der partizipativen Gestaltung einer neuen stadthistorischen Ausstellung sind eine öffentlichkeitswirksame Kampagne und ein von allen Beteiligen mitgestalteter Findungs- und Abstimmungsprozess. Es gelten dabei die Prinzipien von Transparenz, demokratischer Mitwirkung und des Kulturgüterschutzes. Die folgenden vier Schritte bilden den Kern des Findungsprozesses: 1. Öffentlichkeit und Beteiligung, 2. Auswahl, 3. Kommentierung und 4. Abstimmung. Anschließend wird ein Team engagierter BürgerInnen gemeinsamen mit MuseumskuratorInnen und externen Professionellen die Ausarbeitung und Umsetzung der beschlossenen Ausstellungsvorschläge vornehmen. Die Ehrenamtlichen treffen in der Arbeitsgruppe die inhaltlichen Entscheidungen, während das Museum seine vormalige Autorität auf eine beratende und moderierende Funktion beschränkt. Für diesen Organisationsstab werden am Städtischen Museum Räume zur Verfügung gestellt. Neben der Beteiligung von Schulklassen zählt zu den Hauptzielen, einen möglichst großen Anteil der Breslauer Bevölkerung zu einer Partizipation in mindestens einem der Auswahl- und Abstimmungsschritte zu bewegen. Als ambitionierte Zielmarke könnte gelten, ein Viertel der Stadtbevölkerung für eine Teilnahme zu gewinnen. Neben Werbekampagnen in verschiedenen medialen Formaten (Anzeigen Print/Online, Flyer) ist davon auszugehen, dass die Vorstellung der Projektidee aufgrund ihres im lokalen Kontext provokativen Charakters eine mediale Resonanz und einige Kontroversen auslösen könnte. Die Aufforderung an die Bevölkerung das städtische Museum umzuräumen bzw. der breiten Bevölkerung die Frage zu stellen, welche historischen Aspekte wenig Relevanz haben und damit zurück in Museumsdepot wandern, würde wahrscheinlich für einige Empörung in journalistischen und akademischen Kreisen sorgen. Ein erwünschter Nebeneffekt einer solchen Kampagne wäre es, dass sich verschiedene Medien der bestehenden Dauerausstellung widmeten wie auch vermehrt Privatpersonen einen Anreiz erhielten, einen neuen Blick auf die unscheinbare Ausstellung des Stadtmuseums zu werfen.

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Für die Auswahl vor Ort werden zwei Tage veranschlagt. Die TeilnehmerInnen erhalten hierfür kostenfreien Zugang wie auch Räumpläne mit Verzeichnissen der Objekte und Gemälde in der Ausstellung und im Museumsdepot. Die TeilnehmerInnen nehmen an einer Depotbegehung teil, bei welcher die Sammlungsbestände kurz vorgestellt und gemeinsam diskutiert werden. Die geleitete Begehung des Depots ist sowohl aus konservatorischen wie auch aus sprachlichen Gründen unerlässlich. Nur geschultes Personal darf die Exponate berühren und kann zudem oftmals deutschsprachige Dokumente übersetzen. Nach der gemeinsamen Sichtung des Depotbestandes schauen sich die TeilnehmerInnen die Ausstellung an und vermerken auf Listen, welche Exponate gestrichen, ersetzt, umplatziert oder neu angeschafft werden sollten. Die Öffnung der Depotbestände für eine Auswahl von Lieblingswerken durch das Publikum hat sich bereits bewährt. So präsentierte das Wallraf-Richartz-Museum Köln in einer Sonderausstellung (Panoptikum, Oktober 2011 bis Januar 2012) 500 Gemälde aus seinem Museumsdepot. Allerdings wurde hier anschließend nur ein Gemälde für ein Jahr in die Dauerausstellung übernommen.21 Ein weiteres partizipatorisches Depotprojekt fand 2011 am Gerhard-Marcks-Haus in Bremen statt. In der Aktion gerhardWER? waren über einen Zeitraum von drei Monaten die Besucher eingeladen, sich individuell im Depot oder auf der Internetdatenbank ihr Lieblingskunstwerk auszusuchen. Dieses wurde dann zusammen mit einer individuellen Begründung für 14 Tage ausgestellt.22 Beide Projekte zeugen von eingeschränkt partizipatorischen Ansätzen, da das Publikum lediglich in einem begrenzten Umfang und für einen festen Zeitraum die Museumsausstellung mitgestalten konnte. Allerdings würde bereits bei diesen kurzweiligen und dynamischen Ausstellungen erreicht, dass für die TeilnehmerInnen wie auch unbeteiligte BesucherInnen ein Anreiz für Mehrfachbesuche entsteht. Ein weiterer Effekt dürfte sein, dass ein breiteres Publikum erfährt, dass Museen keine statischen und unveränderlichen Institutionen sind. Deutlich wird bei diesen praktizierten Beispielen jedoch, dass die Publikumsmitbestimmung hier nur so weit

21 | Vgl. Ohne Autor: Wallraf-Richartz-Museum. Panoptikum zeigt geheime Depot-Schätze, in: Die Welt. Region Köln, Berlin 20.10.2011, Online: www.welt. de/13672195, 14.9.2012. 22 | Vgl. Piontek (wie Anm. 20), S. 227f.

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zugelassen wurde, wie sie noch grundlegend kontrollierbar war und damit die Leitgedanken des Museums nicht beeinträchtigt haben. Die Breslauer Kampagne sollte hingegen von einer grundlegenden Ergebnisoffenheit bestimmt und damit auch von Planungsunsicherheit gekennzeichnet sein. Die TeilnehmerInnen entscheiden hier nicht nur über den gesamten Objektbestand der zukünftigen Ausstellung, sie sind auch aufgefordert thematische Vorschläge und Ausführungen, wie die Objekte präsentiert werden sollen, auf den Auswahllisten zu vermerken. Als Orientierungsfragen für die Visionen wird den TeilnehmerInnen folgender Fragenkatalog aufgeführt: Wo leben wir? Wie war das früher? Wie nehmen wir uns wahr? Woher kommen unsere Großeltern? Worin bestehen heute Unterschiede? Auch Schulklassen und Jugendliche sollen eingebunden werden. Hierzu moderieren beteiligte MuseumsmitarbeiterInnen Projektarbeiten zu relevanten Themenbereichen wie der Situation von Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Epochen und Gesellschaftsschichten oder zur mittelalterlichen Geschichte. Auch Jugendgruppen reichen ihre Papiere ein. Alle Listen und Anmerkungen werden beim Organisationsstab gesammelt. Hier findet eine quantitative Auszählung der favorisierten Exponate statt. Das Zwischenergebnis wird als Diskussionsgrundlage auf einem Onlineportal veröffentlicht. Zugleich werden hier die Vorschläge von Gruppen und Einzelpersonen für eine Abstimmung und Kommentierung veröffentlicht. Grundlegend ist hier ein Abstimmungs- und Kommentierungsprozess von zwei bis drei Monaten, an dem StadtbewohnerInnen wie auch, mit gesonderten Kommentaren, KuratorInnen, HistorikerInnen, JournalistInnen und PolitikerInnen teilnehmen können. Jede(r) Nutzer/in kann drei Stimmen verteilen. Es entscheidet das Mehrheitsprinzip. Angesichts der Herausforderung auf Grundlage des Rankings der Exponatslisten und der Abstimmungsergebnisse zu den inhaltlichen Vorschlägen eine neue Ausstellungskonzeption zu entwerfen, wird das koordinierende Team aus engagierten BürgerInnen und KuratorInnen beauftragt eine Auswahl zu treffen aus mindestens 80  % der 2.000 beliebtesten Exponate – eine deutliche Entspannung gegenüber den gegenwärtig 3.000 ausgestellten Exponaten. Das Abstimmungsergebnis bildet die Arbeitsgrundlage. Unter Berücksichtigung der drei erstplatzierten Ausstellungsvorschläge und der Diskussionsbeiträge entwirft der Organisationsstab eine neue Ausstellungskonzeption. Auch beim Aus-

Räum Dein Stadtmuseum um!

arbeitungsprozess gilt das Leitprinzip der »geteilten Expertise« 23 – die beteiligten KuratorInnen und Professionellen bringen ihre museologischen und organisatorischen Erfahrungen als Arbeitsgrundlage ein, während die ehrenamtlich engagierten Breslauerinnen und Breslauer alle inhaltlichen Entscheidungen – unter Berücksichtung der Abstimmungsergebnisse – treffen. Da die partizipative Aktion der Motivation entspringt, eine historische Ausstellung der StadtbewohnerInnen zu entwickeln und damit zugleich einen Resonanzraum über die vielfältigen Geschichtsbilder und die städtische Geschichtskultur zu erhalten, wird hier ausdrücklich auf eine Partizipationsmöglichkeit für BesucherInnen aus Polen oder Deutschland verzichtet. Es bleibt auch die gesellschaftspolitische Frage offen, ob mit der hier vorgeschlagenen Neugestaltung der Dauerausstellung, Minderheitenrechte übergangen werden, da die Mehrheit entscheidet, wie auch die Pionierfunktion des Museums als Ort der Einführung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und historischer Narrative erheblich eingeschränkt wird. Vermutlich wird die neue stadthistorische Ausstellung einen deutlich größeren Schwerpunkt auf zeitgeschichtliche Themen setzen. Letztlich gilt es hier einen normativen Bildungsanspruch der Institution Museum gegenüber dem zuvor festgestellten geringen Interesse der Stadtbevölkerung abzuwägen. Die Intervention der StadtbewohnerInnen in ihre stadthistorische Ausstellung schafft einen stärkeren Lebensweltbezug und macht das Museum zu einem neu gestalteten Resonanzraum lokaler Geschichtskultur.

23 | Vgl. Gerchow, Jan/Gesser, Susanne/Jannelli, Angela: Nicht von gestern! Das historische museum frankfurt wird zum Stadtmuseum für das 21. Jahrhundert, in: Gesser/Handschin/Jannelli (wie Anm. 20), S. 22-32, S. 29f.

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Das partizipative Stadtmuseum Eine Vision für das Museum Neuruppin Magdalena Pyzio

S TÄDTISCHE M USEEN HEUTE G EGENWART ALS H ER AUSFORDERUNG UND C HANCE Das 2005 innerhalb der ICOM gegründete Komitee für Sammlungen und Tätigkeiten der stadtspezifischen Museen (CAMOC) zeugt vom international wachsenden Interesse an der Frage welche Rolle Stadtmuseen in der Öffentlichkeit der Zukunft spielen sollen. In vielen europäischen Ländern, allen voran in Großbritannien, Frankreich, Portugal, Holland und den Ländern Skandinaviens, zeichnet sich in diesem Bereich ein neues Paradigma ab. Seit einigen Jahren lässt sich auch in der deutschen Museumslandschaft ein Wandel ausmachen. Gottfried Korff konstatiert gar erste Anzeichen für einen konjunkturellen Aufschwung der Stadtmuseen. Und tatsächlich, auf der musealen Landkarte Deutschlands sind viele wichtige Initiativen auszumachen: das Historische Museum Frankfurt bekommt bis 2015 einen großen Neubau mit einer durch den partizipatorischen Ansatz stark geprägten Neukonzeption des Hauses. In Stuttgart entsteht voraussichtlich bis 2016 ein neues Stadtmuseum mit einem Schwerpunkt auf Migrationsgeschichte(n). Auch in Wiesbaden positioniert sich das Stadtmuseum neu. Düsseldorf und München haben bereits konzeptionelle und gestalterische Erneuerungen hinter sich gebracht. In Berlin 1 | Vgl. Korff, Gottfried: Die Dynamisierung des Stillgestellten. Sechs Bemerkungen zu einem Trend, der das Stadtmuseum erfasst hat, in: Gemmeke, Claudia/Nentwig, Franziska (Hg.): Die Stadt und ihr Gedächtnis. Zur Zukunft der Stadtmuseen, Bielefeld 2011, S. 72.

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soll das Märkische Museum einen zweiten Standort nach dem Umzug der Landes- und Zentralbibliothek in die geplante Metropolen-Bibliothek bekommen und so die Chance in unmittelbarer Nähe zum künftigen Humboldtforum eine neue Dauerausstellung zu präsentieren. Auch in Ostdeutschland lassen sich zahlreiche Beispiele für ambitionierte kommunale Museumsarbeit finden: Görlitz, Leipzig, Neuruppin, Zittau etc. Dresden glänzt als Standort wichtiger musealer Initiativen. Neben dem schon seit Jahren vielgelobten Deutschen Hygiene-Museum und dem vor kurzem eröffneten Militärhistorischen Museum nach Entwürfen von Daniel Libeskind kann sich das Stadtmuseum mit der 2006 neu eröffneten Dauerausstellung durchaus behaupten. Aus wissenschaftlicher Perspektive wird diese Entwicklung von zahlreichen Tagungen und Symposien begleitet. In Berlin wurde von Fachleuten aus Wissenschaft und Politik während der Tagung Die Stadt und ihr Gedächtnis 2009 die Frage nach der Zukunft der Stadtmuseen erörtert. Im Nürnberg fanden 2009 und 2012 gleich zwei Tagungen zum ähnlichen Themenkomplex statt, die das Prinzip Stadtmuseum identitätspolitisch und stadtökonomisch hinterfragten. Und im Historischen Museum Frankfurt wurde 2010 über das partizipative Museum und die neuen Herausforderungen der gegenwartsorientierten Arbeit an kulturhistorischen Ausstellungen debattiert. Die wachsende Aufmerksamkeit, die den Stadtmuseen seit einiger Zeit zukommt, kann als Reaktion auf den beschleunigten Wandel der städtischen Lebensräume gelesen werden. Durch die Globalisierung und die wachsende Mobilität steigt zugleich die Heterogenität der städtischen Bevölkerung und somit auch das Konfliktpotential. Die Kategorie nationale Identität verliert immer mehr an Bedeutung, was zugleich die Komplexität moderner Identitäten, die im ständigen Wandel begriffen sind, augenscheinlich macht. In diesem Kontext stellt sich verstärkt die Frage nach den künftigen Aufgaben der Stadtmuseen. In der Tradition der Bürgergesellschaft des 19. Jahrhunderts verhaftet, haben städtische Museen in den letzten Jahrzehnten immer mehr den Bezug zu den Entwicklungsdynamiken globaler Lebensräume verloren. Als Speichergedächtnisse lokaler Gemeinschaften erzählten sie am Ran2 | Im transcript Verlag ist der Konferenzband erschienen – Gesser, Susanne u.a. (Hg.): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content, Bielefeld 2012.

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de des Geschehens verstaubte Erzählungen vom normativen Wir einer homogenen Gemeinschaft, die es so nicht mehr gibt und vielleicht auch nie gab. Wer könnte in solchen Städten wie New York, Berlin oder gar Stuttgart heute noch als Adressat dieser Wir -Botschaft gelten? Wer fühlt sich heute noch von einer linearen Erzählung eines bildungsbürgerlichen Geschichts- und Gesellschaftsbildes angesprochen? Stadtmuseen tragen heute verstärkt die Verantwortung auf die Wachsende demographische, kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt zu reagieren: weg vom Abbilden verallgemeinernder Narrative, hin zur Multiperspektivität und der Vielfalt an Wahrheiten. Trotz der Herausforderungen, denen sich die Stadtmuseen heute stellen müssen, birgt die Entwicklung auch große Chancen in sich. Der Ethnologe Wolfgang Kaschuba sieht zwei mögliche Entwicklungstendenzen der künftigen Stadtmuseen: »Entweder werden sie weiterhin in gewisser Weise historisch konservative Verwalter einer lokalen Geschichtsschreibung sein, einer Geschichte der Hiesigen und Einheimischen, der eingesessenen Handwerker also, der alten Kaufleute, der Honoratioren, die sich stets als das Zentrum, als die bürgerliche Seele, der Stadt geriert haben. Oder sie werden künftig eine stärker kultur- und sozialgeschichtliche Perspektive auf urbane Kulturen entwickeln müssen, in der die Stadt als ein Raum beständiger Produktions- und Neukonstruktionsprozesse von städtischen Lebenswelten erscheint.«3 Dieser Perspektivenwechsel auf die Funktion eines Stadtmuseums rückt seinen Aktionsradius viel stärker in die Gegenwart der städtischen Lebenswelt. Ein Stadtmuseum wäre somit nicht nur der Bewahrer des Vergangenen, sondern ein Akteur und Mediator in den Aushandlungsprozessen über die Probleme der Gegenwart und die Visionen für die Zukunft einer Stadt. Stadtmuseen würden somit zunehmend die Lasten ihrer bürgerlichen Provenienz ablegen und ihren Platz in den städtischen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts finden. Die Chancen zeigen sich in der aktiven Rolle der Stadtmuseen bei den Debatten um Stadtentwicklungsstrategien und in einer partizipativen Öffnung für die Stadtbevölkerung. Gottfried Korff schreibt dazu:

3 | Kaschuba, Wolfgang: Wem gehört die Stadt? Für eine Re-Politisierung der Stadtgeschichte, in: Gemmeke/Nentwig (wie Anm. 1), S. 21.

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»Es geht darum, die Partizipations- und Interaktionsformen der Besucher zu erweitern, um solcherart ein Publikum zu gewinnen, das nicht nostalgisch-retrospektiv orientiert sei, sondern der Gegenwart und Zukunft ins Gesicht sehen wolle – und für diese Gegenwarts- und Zukunftsausrichtung Stoff und Richtung auch im Museum erwarte.« 4

Es sollte stärker der Versuch unternommen werden, das Wissen, die Erfahrungen und Gewohnheiten der StadtbewohnerInnen zu reflektieren und zu repräsentieren und so den Wirkungskreis heimatkundlicher und regionalgeschichtlicher Museen zunehmend um Teilnahme und Einbindung zu erweitern.

N E W M USEOLOGY Die Bemühungen den partzipativen Zugang in der Museumsarbeit zu stärken, sind im internationalen Kontext nicht neu. Bereits in den 1980er Jahren sprechen André Desvallées von muséologie nouvelle (1980) und Peter Vergo von New Museology (1989). Die Anfänge der New Museology reichen in die 60er Jahre zurück, als in Frankreich, Spanien, Portugal, Kanada und Latein Amerika versucht wurde in Eco  - und Heimatmuseen den Einfluss lokaler Gemeinschaften auf den Umgang mit kulturellem Erbe zu stärken. Gemeinsam ist diesen Initiativen das Konzept des Museo Integral (integratives Museum), wie es während des Runden Tisches in Santiago de Chile 1972 formuliert wurde.  Es war ein politischer Blick

4 | Korff (wie Anm.1), S. 77f. 5 | Die ersten Ecomuseen wurden in den 70er Jahren in Frankreich von Georges Henri Rivière und Hugues de Varine entwickelt. Beide prägten eine holistische Sicht auf die Museumsarbeit und den Umgang mit dem kulturellen Erbe. Ecomuseen verfolgen ähnliche Ziele wie die Vertreter der New Museologie – verstärkte Fokussierung auf den lokalen Kontext in der Museumsarbeit, Unterstützung der Partizipation und der lokalen Gemeinschaften. 6 | Die Erklärung des Runden Tisches in Santiago de Chile, 1972: www. minom-icom.net/index.php?option=com_content&view=article&id=11:roundtable-santiago-chile-en&catid=2:presentation, 23.6.2012.

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auf die Museumsarbeit, der durch den grassroots-Ansatz die Entwicklung lokaler Gemeinschaften fördern wollte. Den Grundstein für die New Museology-Bewegung (MINOM – The Movement for a New Museology) legte 1984 die Declaration of Quebec. Die Quebecer Initiative war das Resultat einer wachsenden Unzufriedenheit mit den Methoden der traditionellen Museologie. Kritisiert wurde ihre Rückwärtsgewandtheit, die Isolation von der breiten Öffentlichkeit und die daraus resultierende Unfähigkeit auf den sozialen Wandel und die Herausforderungen der Gegenwart zu antworten. Die traditionelle Museologie wurde als ein Unterdrückungsinstrument der gesellschaftlichen Eliten angesehen, mit dem die hegemonialen Diskurse einer Minderheit auf die gesamte Bevölkerung transferiert werden. Zu den Hauptzielen der New Museology wurde die Entwicklung lokaler Gemeinschaften (community development) erklärt. Diese sollte vordergründig durch die Analyse wichtigster Antriebskräfte sozialer Entwicklungen und das Einbeziehen dieser in die eigene Entwicklungsstrategie erreicht werden. Paula Assunção dos Santos fasst den Aktionsradius der New Museology folgendermaßen zusammen: »strength community’s identity and sense of ownership of its territory and heritage; raise community’s aware7 | Verstanden als eine basisdemokratische Artikulation der Bürgerinteressen durch die der Wandel des Status quo herbeigeführt werden soll. 8 | Assunção dos Santos, Paula: To understand New Museology in the 21st Century, Cadernos de Sociomuseologia/Sociomuseology III, N° 37, 2010, S. 5. 9 | Vgl. dazu Assunção dos Santos, Paula: Museology and Community Development in the XXI Century, Cadernos de Sociomuseologia/Sociomuseology II, N° 29, 2009, S. 20ff. 10 | Declaration of Québec, 1984: www.minom-icom.net/index.php?option= com_content&view=article&id=10:quebec-declaration-en&catid=2:presentation, 23.6.2012. 11 | Paula Assunção dos Santos ist die Vorsitzende der MINOM International und die Mitherausgeberin der Zeitschrift Cadernos de Sociomuseologia/ Sociomuseology, die sich der Erforschung der sozialen Rolle der Museen und des sozialen Wandels verschrieben hat. Zu den Schlüsselinstitutionen der New Museology bzw. Sociomuseology zählen gegenwärtig die bereits erwähnte MINOM Internationale, die Lusófona University of Humanities and Technology in Lisabon, The Brasilian Institut of Museums und die Reinwardt Academy in Amsterdam.

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ness of itself and its conditions of existence; stimulate creativity and selfconfidence; favour cultural exchanges inside the community and between the community and the outside.« Diese Ziele sind unmittelbar mit dem Konzept der lokalen Partizipation und der steigenden Dezentralisierung des Umgangs mit dem kulturellen Erbe verbunden. Somit zielt der partizipative Ansatz vorrangig auf das Empowerment lokaler Gemeinschaften und den Wandel des lokalen Rezipienten in einem lokalen Akteur. Mit dieser Einstellung wird zugleich ein fundamentaler Wandel der Idee eines Museums als Institution vollzogen. Ein Museum wäre somit nicht mehr eine Produktionsstätte von fertigen Gesellschaftsbildern und -interpretationen, sondern ein Ort der offenen (Selbst-)Reflexion und der prozessualen Veränderung beider – des Museums und der lokalen Gemeinschaft, in der es agiert. Abhängig vom Grad der Öffnung einer Institution kann Partizipation im musealen Kontext verschiedene Formen annehmen. Grob gesehen lässt sich der partizipative Ansatz in drei methodische Kategorien unterteilen: 1. Bottom-up-Ansatz – darunter werden die grassroots-Initiativen und soziale Bewegungen verstanden, die aus sich heraus einen Wandel des Status quo im Umgang mit dem kulturellen Erbe bewirken wollen. 2. Top-down-Ansatz – die Museen initiieren und steuern die Beteiligung der lokalen Bevölkerung. 3. Museen als Begleiter – bei diesem Ansatz sind Museen nur am Rande die Initiatoren eines partizipativen Prozesses und versuchen im institutionellen Rahmen ähnlich offene Ergebnisse, wie bei dem Bottom-up-Ansatz, zu erzielen. MuseumsmitarbeiterInnen bieten ihre Expertise und das institutionelle Wissen in den Bereichen des Museumswesens, der Politik und der Wirtschaft an. Die Frage nach der eigenen Positionierung zwischen dem kanonisierten Bildungsauftrag, der wissenschaftlichen Expertise und der Öffnung für

12 | Assunção dos Santos (wie Anm. 9), S. 110. 13 | Vgl. Heijnen, Wilke: The new professional: Underdog or Expert? New Museology in the 21th century, Cadernos de Sociomuseologia/Sociomuseology III, N° 37, 2010, S. 16ff.

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die Vielfalt einer Gesellschaft muss jede Institution auf ihre Weise beantworten. Auf der Grundlage der Prinzipien der New Museology haben Felix Ackermann und die Autorin dieses Beitrages in Zusammenarbeit mit der Leitung des Museum Neuruppin ein neues museumspädagogisches Konzept erarbeitet, das im Rahmen des Initiativpreises der Ostdeutschen Sparkassenstiftung im Jahr 2011 eingereicht wurde. Das im Folgenden vorgestellte Konzept spiegelt ihre Vision eines partizipativen Stadtmuseums der Zukunft.

D AS M USEUM N EURUPPIN Mit der Sanierung des Museums im Noeldechen-Haus und dessen moderner Erweiterung stellt sich eines der traditionsreichsten Museen Brandenburgs auf die Anforderungen an Museen im 21. Jahrhundert ein. Auf der Basis der Planungen des Büros Springer Architekten verwirklicht die Fontanestadt Neuruppin in den Jahren 2012-2013 ein familien- und kinderfreundliches Museum. Dazu werden vier thematische Ebenen miteinander vernetzt: 1. Anhand der kulturhistorischen Bestände wird die lokale Geschichte präsentiert. Von der Stadtwerdung im Mittelalter bis zu den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts entsteht ein facettenreiches Bild von Neuruppin und seinen Bewohnern. 2. Weiterhin widmet sich die Dauerausstellung den großen Persönlichkeiten der Stadt: dem Schriftsteller Theodor Fontane, dem Architekten, Baubeamten und Künstler Karl Friedrich Schinkel und dem Orientmaler Wilhelm Gentz sowie dem Kronprinzen Friedrich. 3. Die archäologische Sammlung des Grafen Friedrich Christian Zieten macht den aus dem 19. Jahrhundert stammenden Kern des Museums aus. Die Herstellung ihrer historischen Inszenierung erschließt die Ur- und Frühgeschichte der Region. 14 | Das Museum der Stadt Neuruppin beherbergt eine der ältesten Sammlungen im Land Brandenburg. Friedrich Christian Graf von Zieten hatte als Landrat des Kreises Ruppin (1800-1841) mit seiner Sammlung vaterländischer Altertümer den Grundstock für das Museum gelegt.

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4. Die Bilderbogensammlung des Museums wird im neu entstehenden Anbau als Höhepunkt der Ausstellung inszeniert.

E VALUATION DES BISHERIGEN A NGEBOTS Während der Evaluation der derzeitigen Ausrichtung des Museumsangebots ließen sich drei zentrale Schwachpunkte ausmachen, an denen im Rahmen der zukünftigen Neugestaltung gearbeitet werden sollte: 1) Um das Museum Neuruppin für Kinder attraktiver zu machen, sollte die neue Dauerausstellung Elemente enthalten, die die Geschichte von Neuruppin und seiner Söhne für junge Menschen erzählt – am Besten mit Hands-on-Elementen, mindestens aber auf Augenhöhe der Kinder. Derzeit gibt es faktisch außer einigen Bilderbogen kein spezifisches Angebot für Kinder. Die wenigen angebotenen Workshops werden nicht wahrgenommen, weil kein Netzwerk zu Multiplikatoren in Kindergärten und Schulen besteht. 2) Die Perspektive der heutigen Stadtbewohner muss stärker berücksichtigt werden, indem ihr Erfahrungshorizont repräsentiert wird – das betrifft sowohl die Lebenswelt jüngerer wie auch älterer Neuruppiner. In der derzeitigen Ausstellung sind adlige und bürgerliche Lebenswelten des 19. Jahrhunderts zentral. Die Umbrüche zwischen Drittem Reich, Kriegsende, Gründung der DDR sowie der Wende von 1989 werden ebenso wenig thematisiert, wie die Folgen der Wiedervereinigung. Während das Museum von Touristen gut angenommen wird, wird es von Neuruppinern selbst selten frequentiert – viele Bewohner können das imposante Gebäude noch nicht einmal der Institution Museum zuordnen. 3) Der Prozess der Historisierung des 20. Jahrhunderts und in Zukunft auch des 21. Jahrhunderts sollte nicht als elitäres wissenschaftliches Projekt verstanden werden, sondern die neu zu erschließenden Zielgruppen aktiv mit einbinden. So könnte die Umbauphase des Museums genutzt werden, um gemeinsam mit jungen und älteren Stadtbewohnern Neuruppins neue museumspädagogische Angebote zu entwickeln und so durch den partizipativen Zugang die Identifikation mit der Institution zu stärken.

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Die Analyse dieser Aspekte führte zu der Einsicht, dass die Konzentration auf Kinderangebote allein das Innovationspotential des Museums nicht ausschöpft. Kinder kommen selten allein ins Museum – sie sind in der Regel in Begleitung von Erwachsenen. So müssen zwar zielgruppenspezifische Angebote formuliert werden. Diese sollten aber nicht als gesondertes Ferienprogramm oder Kindermuseum separiert, sondern so in die Dauerausstellung integriert werden, dass diese erstens ein Familienerlebnis stimuliert und zweitens das Lernen zwischen den Generationen anregt. Der Umbau des Museums Neuruppin gibt die einmalige Gelegenheit das Museum zu einem Ort des kritischen Austauschs zu machen, zu einer Aushandlungsbühne, auf der über die Stadt, ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, über das Erinnern und Vergessen und über die Funktionen des Museums selbst debattiert und gestritten wird. Das Museum Neuruppin könnte die Bedürfnisse seiner BesucherInnen stärker berücksichtigen und den Wandel als wichtigen prozessualen Bestandteil der eigenen Entwicklung begreifen. Es würden so vielmehr Fragen aufgeworfen als fertige Antworten und Erzählungen präsentiert. Auf diese Weise könnte eine Öffentlichkeit geschaffen werden, die nicht nur einen Lernprozess anstößt, sondern das Angebot des Museums selbst ergänzt und erweitert, und so in die Zukunft weist.

G ENER ATIONENLERNSTATION Eine neue Form des Generationenlernens macht den Kern der neuen Vermittlungsstrategie des Museums Neuruppin aus. Der Besuch des Museums wird durch ein zielgruppenspezifisches Angebot für Gruppen, Familien und individuelle BesucherInnen zu einem besonderen Erlebnis. Dabei wird nicht nur auf ExpertInnen-Wissen zurückgegriffen, das in der Ausstellung auf bereitet wurde. Es wird vielmehr das Potenzial der BesucherInnen selbst angesprochen – sie sind eingeladen, das Museum aktiv zu entdecken, eigenständig Fragen zu formulieren und sich selbst ein Bild zu machen. Kinder lernen dabei immer auch von ihren Großeltern und Eltern. Die erwachsenen Besucher verändern wiederum ihre gewohnte Perspektive. Dank des intergenerationellen Ansatzes der neuen Dauerausstellung erfahren sie einen neuen Zugang zur Vergangenheit und Gegenwart Neuruppins durch die Augen der Kinder.

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Kinder können in Neuruppin ein auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes Museum entdecken. In jedem Ausstellungsraum lädt ein durch Farbgebung, Gestaltung und vor allem die Höhe erkennbares Erlebnismodul zum Entdecken ein. Dort wird das Thema der jeweiligen Ausstellungseinheit etwa durch entsprechend aufgearbeitete Schautafeln, Bastelelemente, interaktive Computerterminals oder Hörstationen für Kinder anschaulich gemacht. Die mediale Form muss dem jeweiligen Inhalt angepasst werden. Es wird darauf geachtet auch die Lebenswelten und den Alltag von Kindern in der jeweiligen historischen Epoche zu thematisieren. Durch die Verbindung der unterschiedlichen Module entsteht eine didaktische Strecke, die den intergenerationellen Austausch fördert. Sie erlaubt in die Welten vergangener Epochen einzutauchen – diese zu sehen, zu hören und zu ertasten. Die Alltagsgeschichte und der Bezug zur Gegenwart erlauben auch erwachsenen Besuchern eine andere Rezeption der Ausstellung. An den Erlebnismodulen wird der intergenerationelle Austausch angeregt. Großeltern können von ihren Erlebnissen und ihrer eigenen Kindheit erzählen. Eltern können als Experten zu Rate gezogen werden. Dabei wird die didaktische Strecke nicht vom Rest der Dauerausstellung etwa in Form eines museumspädagogischen Raumes oder eines gesonderten Kindermuseums getrennt, sondern in die Dauerausstellung integriert. An den Erlebnismodulen werden Fragen aufgeworfen, die durch gezieltes Suchen in der Dauerausstellung beantwortet werden. So durchdringen sich die Ebenen der Strecke und der anderen Exponate gegenseitig.

Z UKUNF TSL ABOR M USEUM N EURUPPIN Partizipation und Multiperspektivität werden als zentrale Prinzipien der Vermittlungsarbeit im Museum Neuruppin eingeführt. Die Institution geht dabei in ihrer Vermittlungsstrategie über die klassische Funktion eines affirmativen Vermittlungsmediums hinaus und stärkt seine Rolle als Akteur im lokalen Umfeld. Das Museum wird als Ort der Gegenwart und Zukunft der Stadt für neue Zielgruppen erfahrbar und die Bürger Neuruppins können sich im Museum mit dem einbringen, was sie ganz persönlich wichtig finden. In unterschiedlichen Vermittlungsformaten wie musemspädagogisch begleiteten Workshops, öffentlichen Debatten und Sonderausstellungen

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wird die Stadt und damit auch das Museum selbst thematisiert: Erinnern und Vergessen, das Museum in 20 Jahren, Stadtgeschichte und Stadtentwicklung, Demografie, DDR-Erinnerung, Nachwendezeit und die Last der Transformation sowie Zukunftsvisionen – wären mögliche Themenfelder. Um den partizipativen Gedanken zu stärken, werden Kinder, SchülerInnen und ihre Eltern in Form von Workshops dazu eingeladen, selbst das Museum in Form von temporären Ausstellungen mitzugestalten. Das Zukunftslabor wirft die Frage auf, was sie selbst mit ins Museum bringen würden und was, ihrer Meinung nach, am besten Neuruppin symbolisiert. Gegenstände aus der Lebenswelt der StadtbewohnerInnen als Artefakten im Museum machen die Funktionsweise und die Aufgabe des Museums selbst zum Thema. So entsteht eine Ausstellung mit den eingereichten Objekten und der Begründung des jeweiligen Spenders. Nach der Ausstellung behält das Museum die Objekte, gleichzeitig bleibt die Ausstellung in einer Online-Präsentation weiterhin für Besucher zugänglich. Im zweiten Schritt wird die Sammlung in einer von Experten begleiteten Workshopreihe von Neuruppinern untersucht. Dabei wird die Funktionsweise des Museums, insbesondere das Sammeln, Bewahren und Ausstellen thematisiert. Ziel ist es das Museum Neuruppin zum Museum der Neuruppiner zu machen. Junge Bürger Neuruppins können das Museum bereits in ihrer Kindheit und Jugend als ihr Museum erleben und die älteren Neuruppiner ein Forum für ihre Gegenwart finden.

D AS M USEUM GEHT IN DIE S TADT Die Neugestaltung des Neuruppiner Museums bietet die einmalige Chance, bereits die Konzeptionsphase als partizipativen Prozess zu gestalten, in dem die Bedürfnisse der künftigen BesucherInnen und die in der Stadt vorhandenen Ressourcen berücksichtigt werden. Durch die Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren (Schulen, Vereinen, engagierten BürgerInnen) sowie regionalen Bildungseinrichtungen und Experten wird das Museum zu einem Zukunftslabor. Die gemeinsam erarbeiteten Inhalte und Konzepte bilden die Basis für die entstehende Dauerausstellung und die museumspädagogische Vermittlungsstrategie des Museums. Um ein museumspädagogisches Portfolio mit Workshop- und Führungsformaten zu erarbeiten, sollte das Museum Neuruppin möglichst in

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der Kooperation mit Brandenburger Hochschulen, der Neuruppiner Lehrerschaft sowie Museumsmitarbeitern Fragestellungen, Vermittlungsmethoden und Workshopinhalte entwickeln, die in einer einjährigen Pilotphase vor der Eröffnung gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen getestet werden. Die so erarbeiteten Module wären der Ausgangspunkt der künftigen museumspädagogischen Arbeit am Museum Neuruppin. Auch räumlich sollte das Museum Neuruppin schon während der Umbauphase in der Stadt präsent sein. Eine Verweil- und Erlebniszone für alle Neuruppiner wird in dieser Zeit auf das Museum aufmerksam machen. Einerseits kann man dort über die Umgestaltung des Museums und die neue didaktische Arbeit informieren, andererseits bietet sich diese temporäre, museale Zone als eine Experimentierbühne für das spätere Zukunftslabor MN an. Mit ihr entsteht ein Aushandlungsraum, in dem durch Wechselausstellungen, Diskussionen, Workshops und Vorträge museums- und stadtnahe Themen zur Debatte gestellt werden. Die museale Zone sollte kein künstlich aufgesetztes Terrain sein, sondern von Anfang an als ein sinnvolles Unterfangen wahrgenommen werden. Das Areal kann beispielsweise an einem Ort entstehen, das einer Revitalisierung oder Wiederbelebung bedarf. Ein solcher Ort ließe sich durch eine Umfrage ermitteln oder die Stadtbewohner schlagen einen Ort mit einer entsprechenden Begründung für eine Revitalisierungsmaßnahme vor. Eine weitere Variante wäre ein Workshop mit Neuruppinern, in dem der Standort und die Form des Areals zur Debatte steht. Auch die Suche nach der Finanzierung kann zur aktiven Teilhabe am Prozess animieren – Auktionen gespendeter Objekte oder SMS-Aktionen sind mögliche Formate. Die temporären Ausstellungen sollten lokalen Initiativen und Vereinen die Möglichkeit geben sich auf visuelle Weise zu relevanten Themen zu äußern und ein sichtbares Zeichen im öffentlichen Raum zu hinterlassen. Teile dieser Arbeiten können später ihren Platz in der Dauerausstellung finden. Das hier vorgestellte Konzept operationalisiert die Ansätze der New Museology mit einer ähnlichen Zielsetzung – beim Ausstellen, Vermitteln und Sammeln eine partizipative Öffnung zu erreichen, um auf diese Weise das Stadtmuseum innerhalb der lokalen Gemeinschaft anders zu positionieren. Unsere Vision ist, das Museum Neuruppin als wichtiger lokaler Akteur zu stärken, der nachhaltig die Aushandlungsprozesse über die Gegenwart und Zukunft Neuruppins anregt und moderiert.

Zwangsmigration partizipativ erinnern Vermittlungansätze für das Haus Brandenburg in Fürstenwalde/Spree Lisa Just

Derzeit wird in Berlin an einem sichtbarem Zeichen zur Erinnerung an Flucht und Vertreibung1 im 20. Jahrhundert gebaut. Der Gründung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung waren eine Vielzahl politischer Debatten um die Notwendigkeit und Legitimität des Gedenkens an deutsche Opfer des Zweiten Weltkriegs im europäischen Kontext vorausgegangen. Der politischen Entscheidung zum Bau eines zentralen Gedenkortes mit Dokumentations- und Ausstellungszentrums folgt nun die wissenschaftliche, kuratorische und architektonische Arbeit am Inhalt und der Gestaltung der Dauerausstellung. Die für 2016 geplante Eröffnung wird den vollständigen Übergang des kommunikativen Gedächtnisses zum Speicher- und Funktionsgedächtnis in Bezug auf die Erfahrung von Zwangsmigration in Deutschland markieren. Bis dahin stellt sich an vielen kleineren Orten die Frage, was beispielsweise aus den zahlreichen Heimatstuben wird, die von der Erlebnisgeneration nach dem Zweiten Weltkrieg zumeist weit von ihrer einstigen Heimat entfernt eingerichtet wurden. Eine Möglichkeit liegt in der Zentralisierung – einer Übergabe 1 | Die mit Evakuierung, Vertreibung, Flucht, Umsiedlung, Repatriierung und Deportation beschriebenen Formen der Zwangsmigration beziehen sich auf deutsche und polnische Vertriebene: »Vertreibung ist eine erzwungene Form von Migration über Staatsgrenzen hinweg. Die von ihr Betroffenen werden und mittelbarem oder unmittelbarem Zwang dazu genötigt, ihre Heimat zu verlassen. Vertreibung ist unumkehrbar und endgültig.« Zitiert nach: Ther, Phillip: Deutsche und polnische Vertriebene: Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945-1956, Göttingen, 1998, S. 99.

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ganzer Sammlungen an das zentrale Ausstellungs-, Dokumentationsund Informationszentrum zu Flucht und Vertreibung. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Entwicklung neuer didaktischer Konzepte für die dezentralen Gedenkräume. Diese müssten die Erfahrung von Flucht und Vertreibung neu thematisieren und dabei vor allem neue Zielgruppen erschließen, die nach 1989 geboren wurden. Dieser Text untersucht dazu exemplarisch die Voraussetzungen im brandenburgischen Fürstenwalde, wo seit 1999 ein Haus Brandenburg an den ehemaligen Osten der Provinz Brandenburg erinnert. Ein Regionalmuseum für Ostbrandenburg in Ostbrandenburg – auf den ersten Blick wohl keine Überraschung. Auf den zweiten Blick entpuppt sich das Museum als Ort der Dokumentation für ein früheres, vergangenes Ostbrandenburg – also jenen Teil von Brandenburg, der heute in Polen liegt. Diese historische Landschaft der Neumark umfasste die östlich der Oder gelegenen brandenburgischen Kreise und wurde nach 1945 mit wenigen Veränderungen zur polnischen Verwaltungseinheit Ziemia Lubuska – auf Deutsch Lebuser Land. Ihr Name nimmt Bezug auf Lebus, eine kleine Stadt am linken Ufer der Oder. Weil Lebus zwischen dem zehnten und dreizehnten Jahrhundert zum Einflussgebiet des polnischen Fürstengeschlechts der Piasten gehörte und 1125 zum Sitz eines gleichnamigen Bistums wurde, sind die Stadt und ihr Name bis heute wichtige historische Bezugspunkte für die 1999 gegründete Woiwodschaft Lubuskie. Selbst für Anwohner, Historiker und Nachfahren von Vertriebenen ist schwer nachzuvollziehen, warum ausgerechnet in Fürstenwalde/Spree an eine Region erinnert wird, die 40km weiter östlich liegt. So stellen sich insbesondere für die partizipative Museumsarbeit zunächst die Fragen: Was hat das Museum mit seiner Umgebung zu tun und wie verhält es sich zur heutigen Woiwodschaft Lubuskie? Welche Rolle spielt die source community2 , die Erlebnisgeneration von Ostbrandenburgern, die die Gründung des Museums einst vorangetrieben hat? Und wie gestaltet sich das Verhältnis zur constituent community – den heutigen Bewohnern Brandenburgs, aber auch den heutigen Bewohnern der Woiwodschaft Lubuskie? Dafür wird zunächst das Selbstverständnis des Museums näher betrachtet. 2 | Für eine ausführliche Besprechung der Begriffe siehe den Beitrag Partizipative Strategien zum Schutz jüdischen Kulturerbes in Polen.

Zwangsmigration par tizipativ erinnern

O STBR ANDENBURG ALS HISTORISCHE K ONSTRUK TION Das einzige Regionalmuseum für Ostbrandenburg, wie die Selbstbezeichnung lautet, versteht sich als Dokumentationszentrum für die Geschichte der Region östlich von Oder und Lausitzer Neiße. Dabei bezieht sich die Stiftung Brandenburg auf einen Grenzverlauf, der in den hier bearbeiteten Grenzen nur acht Jahre lang während der Zeit des Nationalsozialismus existiert hatte.3 Es besteht kein Anspruch eine umfassende Geschichte Ostbrandenburgs im Spiegel der Zeit zu erzählen, sondern den von den Museumsgründern erlebten zeitlichen Abschnitt zu beleuchten. Die Entscheidung für diesen Grenzverlauf verdeutlicht, dass auch Ostbrandenburg als Region ein historisches Konstrukt ist, dessen Grenzen und Zugehörigkeiten seit dem 12. Jahrhundert immer wieder neu verhandelt worden sind.4Seine Konstruiertheit erkennbar zu machen, eröffnet für die partizipative Museumsarbeit neue Anknüpfungspunkte, aber dazu später mehr. Die Ansiedlung des Museums in Brandenburg folgte einer westdeutschen Tradition, nach der unterschiedliche Bundesländer eine symbolische Partnerschaft zu einer vor dem Ende des Zweiten Weltkrieg von Deutschen besiedelten Region in Mittel- und Osteuropa übernahmen. Im Gegensatz zu dem mit Bundesmitteln bereits 1981 in Lüneburg entstandenen ostpreußischen Landesmuseum, dem Ulmer Museum für die Geschichte der Donauschwaben oder dem Schlesischen Museum in Görlitz,5 gibt es für Brandenburg bislang nur diverse private Initiativen, die im Haus Brandenburg gebündelt werden.6 3 | So wurden Kreise wie Schwerin, Meseritz und Teile des Kreises Bomst in der Konzeption von Ostbrandenburg belassen, obwohl sie erst im Zuge einer Gebietsreform 1938 zur Neumark gekommen waren und sogar erst seit 1939 offiziell Provinz Brandenburg hieß. Heinrich, Gerd: Kulturatlas Brandenburg, Berlin 2011, S. 35. 4 | So war die preußische Provinz Brandenburg erst durch die Beschlüsse der Wiener Konferenz im Jahr 1815 aus verstreut liegenden Teilen der Mark Brandenburg zusammengestückelt worden. 5 | Weitere Museen sind das Oberschlesische Landesmuseum Ratingen und das Westpreußische Landesmuseum Münster. 6 | Die Gründe für diesen Umstand sind vielfältig, können hier aber nicht näher beleuchtet werden. Die im Vergleich zu anderen Teilen des deutschen

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Das 1999 eröffnete Haus Brandenburg, das in Trägerschaft der privaten Stiftung Brandenburg geführt wird, beherbergt einen 100m² großen Ausstellungsraum, eine Bibliothek sowie ein Archiv. Finanziert wurde der Neubau des Museums maßgeblich von der Landsmannschaft Berlin Mark Brandenburg, einem eingetragenen Verein, in dem sich ehemalige Bewohner des historischen Ostbrandenburgs und ihre Nachkommen organisiert haben.7 Die Mitarbeiter des Hauses Brandenburg sehen ihre Aufgabe im Wachhalten der Erinnerung an Lebenswelten Ostbrandenburgs, die im Zuge des Zweiten Weltkriegs zerstört wurden. Die Ausstellung richtet sich dabei vor allem an ehemalige Bewohner von ostbrandenburgischen Städten wie Landsberg/Warte, Küstrin und Crossen, die diese nach Kriegsende verlassen haben und die seit 1945 unter den Namen Gorzów Wielkopolski, Kostrzyn oder Krosno Odrzańskie auf polnischen Territorium liegen. So wurde das Haus zunächst als Gasthaus konzipiert, in dem eine Übernachtungsmöglichkeit für Reisende bestand, die aus dem Westen kommend Familienorte im heutigen Polen besuchen wollten. Die Bewohner des heutigen Brandenburgs etwa aus Fürstenwalde, Frankfurt (Oder) oder Bad Saarow hatten die Gründer anfangs nicht im Blick. Schließlich ging es ihnen oft erstmals darum einen wertschätzenden Auf bewahrungsort für Familienerbstücke zu finden und sich und anderen eine Anlaufstelle zu schaffen bei der ihre geteilte Erfahrung im Mittelpunkt steht. Ebenso wenig waren die Bewohner der heute polnischen Region als Zielgruppe oder als Partner in den 1990er Jahren Teil der Konzeption. Die Stiftung hatte daher bald sowohl in der alltäglichen Arbeit als auch auf politischer Ebene ein Legitimationsproblem: Reiches vergleichsweise geringe Anzahl von deutschen Bewohnern Ostbrandenburgs mag ein Faktor gewesen sein. Ende 1944 wurde die Zahl der Deutschen in der Neumark mit 640 000 beziffert, Ende der 1940er Jahre waren es nur noch einige Tausend. Nach Jankowiak, Stanisław: Einleitung, in: Borodziej, Włodzimierz/Lemberg, Hans: Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945-1950 (Dokumente aus polnischen Archiven, Bd. 3), Wojewodschaft Posen, Marburg, 2004, S. 34f. 7 | Die Unterhaltskosten werden u.a. von einem Freundeskreis des Hauses getragen, es erhält nur geringe öffentliche Fördermittel. Die Landsmannschaft ist Mitglied im Bund der Vertriebenen: www.haus-brandenburg-fuerstenwalde. de/landsmannschaft.html, 3.2.2013.

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Der eingangs beschriebene Übergang vom kommunikativen Gedächtnis in Bezug auf die Erfahrung von Zwangsmigration hin zum kulturellen Gedächtnis hieß für das Haus, dass immer weniger Angehörige der Erlebnisgeneration nach Fürstenwalde kommen konnten. Parallel dazu schlossen immer mehr Heimatstuben einzelner Kreise oder Städte, deren Sammlungen nach Fürstenwalde gebracht wurden, sodass sich das Haus Brandenburg zum zentralen Speicherort entwickelte – allerdings einhergehend mit einem chronischem Besuchermangel. Die Stiftung reagierte darauf mit dem Versuch verstärkt Kooperationspartner zu gewinnen, um sich über Vorträge und Buchvorstellungen einem größeren Interessentenkreis zu öffnen. Auch polnische Partner sind willkommen, wie der in seiner Satzung formulierte Stiftungszweck zeigt: »das kulturelle Erbe Brandenburgs, besonders des ehemaligen ostbrandenburgischen Gebiets, das heute zur Republik Polen gehört, zu pflegen, es im Bewusstsein der Brandenburger, des gesamten deutschen Volkes und im Geiste einer zukunftsorientierten Zusammenarbeit mit Polen zu erhalten, zu erforschen und für die Gegenwart und Zukunft zu erschließen«. 8 Die bisherige Kooperation mit polnischen Partnern wie dem Stadtrat von Choszczno, der Woiwodschaftsbibliothek von Gorzów Wielkopolski oder dem namhaften polnischen Publizisten und Pädagogen Zbigniew Czarnuch trägt der Tatsache Rechnung, dass die Stiftung im Begriff ist ihr Bild von Ostbrandenburg neu zu konstruieren. Sie ist damit in der Gegenwart angekommen – die Voraussetzung für eine zukünftige Erzählung deutscher und polnischer Zwangsmigration an einem gemeinsamen Ort.

W ELCHE G ESCHICHTE WIRD (NICHT) ERZ ÄHLT ? Die Ausstellungsstücke selbst spiegeln die eher unsystematische, auf privaten Spenden beruhende Sammlungstätigkeit des Hauses wider. Sie besteht aus Schenkungen und Leihgaben ehemaliger Bewohner der Region, die zum Teil aus der Überführung ganzer Heimatsammlungen in die Ausstellung im Haus Brandenburg zustande kam. In einem hellen, schlichten Neubau stehen Modelle historischer Bauwerke wie der Festung Küstrin. Daneben werden in Glasvitrinen verschiedene Trachten 8 | Zitiert nach: § 2 Abs. 1 der Stiftungssatzung i. d. Fassung vom 5.12.2007. Siehe: www.haus-brandenburg-fuerstenwalde.de/das-haus.html, 25.3.2012.

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ausgestellt. An den Wänden des etwa 40 Quadratmeter großen Ausstellungsraums hängen historische Litographien und aus der Nachkriegszeit stammende Stadtansichten von Königsberg und anderen Sehnsuchtsorten. In übersichtlichen Vitrinen liegen Porzellan, Münzen und Notgeld aus. In der Ausstellung werden Zeugnisse aus der Vor- und Nachkriegszeit nebeneinander gestellt, um die untergegangene Lebenswelt der Bewohner des bis 1945 existierenden Gebildes Ostbrandenburg zu konstruieren. Die Darstellung betont die deutsche Prägung der Gebiete, andere kulturelle Bezüge werden nicht thematisiert. Auffällig ist, dass die Erzählung die Ursachen für den Verlust der Heimat fast gänzlich ausklammert. Es werden weder der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, noch die regionale Bedeutung bei der Aufrüstung der Wehrmacht sowie der hohe Zuspruch der Bevölkerung in diesen als Grenzmark verstandenen östlichen Gebieten des Deutschen Reichs thematisiert. Auch die physische Zerstörung vieler Orte der Neumark 9 einem Hauptschauplatz der letzten Kriegsmonate – wird nicht in der Ausstellung dokumentiert, ebenso wenig wie das mit Flucht und Vertreibung einhergehende Leid der Spender der hier ausgestellten Artefakte.10 Die beschriebenen Auslassungen bewirken aber auch, dass die Ausstellung keine Klage erhebt, dass Ostbrandenburg nicht mehr deutsch ist. So bleibt Raum für die Einbindung des heutigen Lubuskie, wie Kooperationen zwischen dem Haus Brandenburg und der Woiwodschaftsbibliothek in Gorzów gezeigt haben. Die geringe finanzielle Ausstattung des Museums hat zur Folge, dass für eine wissenschaftliche Aufarbeitung oder Inszenierung der Artefakte nicht genügend Mittel zur Verfügung stehen. Dadurch handelt es sich beim Besuch der Ausstellung eher um einen Gang durch die Sammlungsbestände. Dennoch ist die Ausstellung der Versuch eine Narration aus 9 | Zitiert nach: § 2 Abs. 1 der Stiftungssatzung i. d. Fassung vom 5.12.2007. Siehe: www.haus-brandenburg-fuerstenwalde.de/das-haus.html, 25.3.2012. 10 | Die in der Ausstellung offenkundigen Lücken in der Sammlung des Hauses gehen auf eine Kombination von Ursachen zurück, die direkt mit dem Vertreibungsgeschehen zusammenhängen: Während Flucht und Vertreibung war es beschwerlich viele Erinnerungsgegenstände mitzunehmen, Überlebensnotwendiges hatte Vorrang. Durch die späte oder gar nicht erfolgte Evakuierung der Zivilbevölkerung aus diesen vor der Oder gelegenen Gebieten konnten nur wenige Familien eine frühzeitige Flucht geordnet planen und durchführen.

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Sicht der Erlebnisgeneration der in der Landsmannschaft Mark Brandenburg organisierten Zeitzeugen zu kreieren. Der Heimatbegriff in seiner vom Bund der Vertriebenen geprägten Lesart spielt eine zentrale Rolle für die Umsetzung: Die Sammlung von Gegenständen stellt vor allem einen Bezug zu konkreten Orten her. Es werden viele originale Gegenstände mit einem Verweis zu einzelnen Dörfern und Städten ausgestellt, die durch Vitrinen, ihre Positionierung im Raum sowie die Kennzeichnung als Artefakte inszeniert werden. Die für den Besucher erfahrbare Historizität ist Sinnbild für eine untergegangene Welt, die als Summe dieser im Sinne der Vertriebenen verlorenen Orte verstanden wird. Die Ausstellung ist damit einerseits symbolische Repräsentation eben jener Region Ostbrandenburg, die es so nicht mehr gibt. Sie ist aber auch der Versuch, öffentlich etwas dem mit dem Ableben der Vertriebenen einhergehenden Vergessen entgegenzusetzen.11 In Fürstenwalde kann man beobachten, mit welchen Schwierigkeiten die Mitglieder der Landsmannschaft Mark Brandenburg zu kämpfen haben, um den Übergang vom kommunikativen, eher in den Familien und konkreten Heimatstuben konstituierten Gedächtnis der Erlebnisgeneration in das Funktionsgedächtnis des Hauses Brandenburg zu übertragen. Dabei bietet das Haus mit seiner Ausstellung, dem Archiv und der Bibliothek einen Rahmen, der genau diesen Prozess befördern kann. Die derzeit geringe öffentliche Resonanz auf das Haus deutet darauf hin, dass es diese Aufgabe momentan nur sehr eingeschränkt erfüllt.

H EIMAT ? A NSÄT ZE DER V ERMIT TLUNG Z WISCHEN V ERGANGENHEIT UND G EGENWART Für eine potenzielle Rezeption der Ausstellung durch eine breitere Öffentlichkeit erweist sich die fehlende Verknüpfung von Flucht- und Vertreibungserfahrungen mit gegenwärtigen Lebenswelten als Problem: Was hat das ehemalige Ostbrandenburg mit dem Leben der Menschen 11 | So waren bereits 1983 etwa ein Drittel derer, die den rechtlichen Status Vertriebener innehatten, nach 1949 geboren. Möglich war das durch den Umstand, dass dieser Status für erblich erklärt worden war. Siehe: Hahn, Eva/ Hahn, Hans Henning: Flucht und Vertreibung, in: Deutsche Erinnerungsorte, München 2002, S. 339.

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im heutigen Ostbrandenburg zu tun und wie sieht das Leben an beiden Orten heute aus? Betrachtet man Geschichten von Umsiedlung, Flucht und Vertreibung stärker als Teil der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit den Folgen von Migration im Allgemeinen, hat die Fürstenwalder Ausstellung einen starken Kern: Sie sammelt Artefakte, die für Menschen aus einer nahen, aber heute in einem anderen Land liegenden Region Heimat bedeutet haben. So betrachtet werden Anknüpfungspunkte etwa zur jüngsten deutsch-deutschen Teilungsgeschichte sichtbar, aber noch deutlicher zu polnischen Erfahrungen von Flucht und Vertreibung. Dann wird offensichtlich, dass Ostbrandenburg gleichzeitig Fluchtpunkt, aber auch Ankunftsort gewesen ist. Gerade wegen der offensichtlichen Abwesenheit einer expliziten Erzählung über Flucht und Vertreibung in der Ausstellung wird es möglich, über die Ursachen, den Verlauf, die Folgen und die individuelle Bedeutung von Zwangsmigration zu sprechen – ohne auf eine bereits fixierte Narration Bezug zu nehmen. Einzelne Objekte wie ein Pferdekarren, der für die Flucht einer ganzen Familie verwendet wurde, ermöglichen solche Erzählstränge durchaus. Stellt man dabei das Thema Heimat in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit den heutigen Besuchern, bieten sich eine Vielzahl von gegenwärtigen Bezügen zu Migration und Identität an. Dabei kann ein Spiel mit dem Selbstverständnis des Hauses als Regionalmuseum für Ostbrandenburg am Anfang stehen – wäre die Bezeichnung Heimatmuseum nicht passender? Im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte wurde der Begriff Heimat in der Bundesrepublik Deutschland oft in Verbänden organisierten Flüchtlingen und Vertriebenen überlassen. In der DDR hingegen war der Begriff mit staatlicher Symbolik aufgeladen, der eine sozialistische Teilhabe an Dörfern, Städten und der Natur nahelegte. Gegenwärtig erlebt der Heimatbegriff eine Neuauflage, nicht nur in Krimireihen im Fernsehen, in der Neuinszenierung einzelner Viertel in Großstädten sondern auch in der Kunst. In der Ausstellung Heimatkunde. 30 Künstler blicken auf Deutschland befragten Kuratoren des Jüdischen Museums Berlin in Deutschland lebende Künstler zu ihrer Wahrnehmung von Deutschland.12 Dabei 12 | Die Sonderausstellung wurde von September 2011 bis Januar 2012 im Jüdischen Museum Berlin gezeigt. www.jmberlin.de/heimatkunde/ausstellung/

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standen Fragen von Zugehörigkeit und Anderssein ebenso im Raum wie die künstlerischen Annäherungen an Familienerinnerungen und Identitätsbildung. Diesen so vielschichtigen, belasteten Heimatbegriff aus seinem historischen Kontext zu lösen und in der brandenburgischen Gegenwart neu zu verorten, könnte das Ziel eines zukünftigen Vermittlungsansatzes im Haus Brandenburg werden.13 Die in Heimatkunde aufgeworfenen Themen dienen dabei als Leitmotive für eine Neugestaltung der Ausstellung im Rahmen partizipativer Museumsarbeit. Wie lässt sich nun das Museum als Raum für Austausch und Transformation von Geschichtserzählungen nutzen? Und wie können dabei diejenigen eingebunden werden, für die heute die Städte der historischen Neumark Heimat sind? Wie könnten diejenigen, die in Fürstenwalde aufgewachsen sind und heute hier leben in die Neudefinition des Begriffs einbezogen werden? Wäre es sogar möglich, das Thema so weit zu fassen, dass auch die Tausenden Migranten aus Brandenburg in die Arbeit des Hauses einbezogen werden, die aus dem heutigen Osten nach der Wiedervereinigung in den Westen Deutschlands gegangen sind? Gerade weil das Haus Brandenburg sich auf eine historische Region konzentriert, die im öffentlichen Bewusstsein wenig präsent ist, stehen museumspädagogische Bemühungen vor der Herausforderung neue Besucher ganz neu an das Thema zu führen. Beherzigt man für die Vermittlungsarbeit daher den aus dem modernen Ausstellungsdesign übernommenen Leitgedanken den Zugang zu den Objekten vom Publikum her zu denken14, verlangt die Ausstellung im Haus Brandenburg nach einem klaren, starken Gegenwartsbezug. Indem ihre Lebenswelt gezielt mit in die Ausstellung einbezogen wird, anstatt zu verlangen sie an der Eingangstür abzustreifen, könnte das gelingen. Die Ausstellungsobjekte könnten zum Ausgangspunkt für zwei Prozesse werden: Das Nachforschen nach den Geschichten der Ostbrandenausstellungsinfo.php 26.2.2013. Auch das Haus der Kulturen der Welt lud vor einigen Jahren zur Auseinandersetzung mit dem Begriff in seiner Ausstellung Heimat Kunst ein. 13 | Neumeyer, Michael: Heimat: zu Geschichte und Begriff eines Phänomens, Kiel 1992, S. 120. 14 | Mit Dingen erzählen 3: Wie erzähle ich eine Ausstellung?, in: Audience+: Museen und das partizipative Web, http://blog.hslu.ch/audienceplus/2010/11/15/ mit-dingen-erzahlen-3-wie-erzahle-ich-eine-ausstellung/, 23.3.2012.

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burger vor 1945 und die Entwicklung eigener Erzählungen der heutigen Ostbrandenburger – ohne als Illustration für eine vorgefertigte Narration ausgenutzt zu werden. Es muss in einem gemeinsam mit der constituent community vorgenommenen Neuinterpretationsprozess keine identitätsstiftende kollektive Erzählung für eine ganze Region erfunden werden. Das Haus Brandenburg könnte als Raum dienen, in dem unterschiedliche Aspekte der Geschichte Brandenburgs miteinander in Bezug gebracht werden. Im Unterschied zu einem normalen Regionalmuseum geht es im Haus Brandenburg allerdings nicht um die Abbildung möglichst vieler Facetten eines bestimmten Ortes, sondern immer um eine Zuspitzung auf Fragen der Zugehörigkeit und Differenz vor dem Hintergrund des Verlustes einer Heimat.

H EIMAT ! K ONKRE TE V ERMIT TLUNGSANSÄT ZE FÜR DAS H AUS B R ANDENBURG Die Selbstbezeichnung als Regionalmuseum für Ostbrandenburg enthält die Möglichkeit einer Öffnung für die Lebenswelten im heutigen Ostbrandenburg. Doch spielt das Museum für die Entwicklung bzw. Repräsentation einer regionalen Identität in Fürstenwalde heute nur eine geringe Rolle. Eine Anbindung oder zumindest der Beginn einer Kooperation zwischen dem Fürstenwalder Stadtmuseum und dem Haus Brandenburg könnte die Strukturen schaffen um die Wirklichkeit heutiger Ostbrandenburger besser spiegeln zu können. Die grenzüberschreitende Dimension des Hauses Brandenburg soll noch stärker als bisher thematisiert und weiterentwickelt werden. Mit den bestehenden Kooperationspartnern wie dem Heimatmuseum der polnischen Gemeinde Witnica (dt. Vietz)15 könnte von Bewohnern beider 15 | In Witnica hat der polnische Lehrer, Aktivist und Publizist Zbigniew Czarnuch ein besonders Denkmal gegen Vertreibung initiiert: »Das ist der Wegweiserpark. In Grenzländern waren die Bäume oft zerschossene Stämme, an die nagelte man dann die Wegweiser.« Drei Wege führen zum Stamm hin oder weg – je nachdem. Auf dem einen stehen Namen im Pflaster wie Alfeld, Erftstadt, Lauenburg, Herford. »Das sind Orte, wohin Vietzer vertrieben wurden.« Auf dem anderen Weg stehen Nieswież, Złoczów, Oszmiana, Kozaki –

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Orte eine gemeinsame Ausstellung erarbeitet werden. Projektteilnehmer könnten Objekte aus beiden bestehenden Ausstellungen fotografieren und anhand einer im Rahmen eines Workshops eigens entwickelten Narration neu zusammenstellen. Diese Ausstellung könnte an beiden Orten fest verankert werden, gewissermaßen als Dilogie: Heimat 1 und Heimat 2. Nur zusammen ergeben sie ein umfassendes Bild. So ließen sich Lücken in der Sammlung füllen, sich eventuell überschneidende Wege in die jeweiligen Städte nachzeichnen, aber auch Geschichten im Kleinen erzählen. Eine stärkere Teilhabe jüngerer Generationen würde ermöglichen, die Geschichten neu zu erzählen und ganz unterschiedliche Schichten der Erinnerung aufzudecken. Die Kooperation könnte über die Ergänzung einer Dokumentation von Lebenswelten der ehemaligen deutschen Bewohner chronologisch wie thematisch hinausgehen. Dabei könnte auch recherchiert werden, ob es andere Formen der Erinnerung gibt, die der Funktion der brandenburgischen Heimatstuben entsprechen, die etwa an die verlorene Heimat in der heutigen Ukraine erinnern. Die Einbeziehung dieser räumlichen Dimension könnte ein Ungleichgewicht zwischen deutschen und polnischen Erwartungen verhindern. Der Finanzaufwand für ein solches Projekt wäre allerdings deutlich größer als für andere Formen, weil eine dauerhafte Übersetzung notwendig wird. Als Projektteilnehmer könnten die Bewohner Fürstenwaldes und von Witnica – die Nachbarn des Museums, Schüler nahegelegener Schulen, Migranten, Rentner, Verwaltungsangestellte, Arbeitslose, Mitglieder von Vereinen, Kirchen und Parteien, Asylsuchende – einbezogen werden. Unter der Fragestellung Was ist Heimat eigentlich? Und kann man eine neue Heimat finden, wenn man die alte verlassen muss? könnte die gemeinsame Analyse der in Fürstenwalde und Witnica präsenten historischen Erzählungen am Beginn stehen. Dennoch bleibt die Frage nach dem Verhältnis zu den Geschichten der Erlebnisgeneration. Dafür ließen sich die Heimatbegriffe heutiger Bewohner von Fürstenwalde und Witnica und die in den beiden Museen präOrte aus Zentralpolen und dem ehemaligen Ostpolen, aus denen die jetzigen Witnicer teils vertrieben wurden, teils hergezogen sind. Auf dem dritten Weg stehen Ländernamen: USA, Kanada – dorthin sind Polen aus Witnica ausgewandert.« Zitiert aus: Gerlach, Thomas: Ein Stück Heimat, in: Transodra online: www.transodra-online.net/de/node/1951, 27.3.2012.

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sentierten Heimatverständnisse in einem weiteren Schritt in Beziehung zueinander setzen. Als notwendiger Zwischenschritt zur Annäherung an das Thema Zwangsmigration dient dabei die Auseinandersetzung mit den praktischen Folgen des Verlusts einer Heimat. Um gezielt jüngere Besucher anzuregen, ließe sich in Kooperation mit umliegenden Schulen und örtlichen Vereinen unter der Fragestellung Welcher Gegenstand bedeutet für Dich Heimat? eine Fotoausstellung realisieren, die dann als Sonderausstellung gezeigt werden bzw. auch in digitaler Form für das Internet auf bereitet werden könnte. Heimat und der eigene Blick auf die Heimat ändern sich laufend, so auch die Blickwinkel. Daher ist nicht nur die partizipativ ausgerichtete Erarbeitung der Ausstellungsinhalte wichtig, sondern auch die ständige Auseinandersetzung mit zukünftigen Besuchern. Formate zu finden, die neue Besucher ansprechen und deren Blick auf ihre neue oder alte Heimat einbinden, wären eine weitere Herausforderung.

S CHLUSS : W IE KÖNNEN H EIMAT UND Z WANGSMIGRATION ZUSAMMEN GEDACHT WERDEN ? Mit der Einrichtung einer Sammlung besteht die Hoffnung, zukünftige Generationen mögen die Objekte und die Erinnerung an spezifische Umstände und Gegebenheiten bewahren und als Teil ihrer eigenen Geschichte begreifen. Daher erfordert es das Fortbestehen einer Sammlung diese Hoffnungsträger einzubinden. Um einen Ausgangspunkt für die heutige Beschäftigung mit Geschichte zu schaffen, werden lebensweltliche Bezüge für gegenwärtige und zukünftige Besucher aktiv hergestellt. Dafür kann in Zukunft sowohl der Begriff Heimat stärker thematisiert werden, als auch Zwangsmigration stärker in einen breiteren Migrationskontext gestellt werden. Der Kern des Hauses bleibt seine einmalige Sammlung von Gegenständen aus Ostbrandenburg, diese kann durch Gegenstände, die für unterschiedliche Besucherzielgruppen heute Heimat bedeuten, erweitert werden. Dabei soll in enger Zusammenarbeit mit Besuchergruppen darüber diskutiert werden, wie in Zukunft Verlust von Heimat thematisiert werden kann. Wie lässt sich diese Erfahrung mit den Gegenständen im Haus Brandenburg darstellen? Welche historischen Prozesse müssen erklärt werden, um sie nachvollziehbar zu machen?

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Um das Thema Flucht und Vertreibung im Zuge des Zweiten Weltkriegs im deutsch-polnischen Kontext nachvollziehbar zu machen, wird in diesem Prozess der Versuch unternommen, die heute in der Woiwodschaft Lubuskie lebenden Akteure mit einzubeziehen. So ließen sich zwei source communities in die zukünftige Neugestaltung des Hauses Brandenburg einbinden. Es könnte noch stärker als bisher einen Raum zur Begegnung eben dieser Gruppen bilden und auf diese Weise auch neue Rezipienten erreichen. Beide Gruppen könnten sich auf diese Weise im Museum repräsentiert fühlen. Das Haus Brandenburg kann so die Vergangenheit der historischen Neumark mit der Gegenwart von Brandenburg und Lubuskie verbinden.

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Das Eigene und das Fremde im Museum Die museale Re-Präsentation sozialer Differenz Jakob Ackermann

Jedes Museum re-präsentiert in erster Linie eine bestimmte Ziel- und Trägergruppe und übernimmt auch maßgeblich deren gruppenspezifischen Vorstellungen von Kultur und Gesellschaft. Museale Räume beherbergen also oft ganz unterschiedliche Vorstellungen von Wahrheit, Ästhetik und Zugehörigkeit. Sie sind »Schauplätze […] der Inszenierung von Identität und Alterität«1 und führen einzelne gesellschaftliche Standpunkte durch ihre Medialität und Exponatsbindung wortwörtlich vor Augen, verstärken diese oder stellen sie gezielt in Frage. Als solcher Resonanzraum2 beteiligen sie sich mittels ihrer Vermittlungsarbeit an den gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen von Gemeinschaft und Fremdheit, von Grenzen und Differenzen, von Wir und Nicht-Wir. Deshalb sieht Katrin Pieper in ihnen auch Indikatoren3 für den soziopolitischen Zustand einer Gesellschaft. Museen kommunizieren dabei vielstimmig: Sie können Alterität und Differenz als Bereicherung, aber auch als Gefahr beschreiben, können Integration sowie Inklusion anstreben und dennoch für Befremden sorgen. Die einen sehen sich eher im Dienste einer einzelnen Nation oder Region, möchten deren Fortschritt, Künstlern oder Geschichte die Ehre erweisen. Andere fühlen sich eher universalen Werten verbunden und wollen Gren1 | Baur, Joachim: Museumsanalyse. Zur Einführung, in: Ders. (Hg.): Museumsanalyse, Bielefeld 2012, S. 7-14, S. 7. 2 | Nach Pieper, Katrin: Resonanzräume. Das Museum im Forschungsfeld Erinnerungskultur, in: Baur (wie An. 1), S. 187-212, vgl. hier Kapitel 4: Das Museum als Indikator und Generator. 3 | Ebenda.

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zen überwinden. Ihre Darstellungen sind ähnlich heterogen und facettenreich wie die Gesellschaften, die sie hervorbringen. Sie alle widmen sich jedoch einem Anliegen: Der Verhandlung, Vermittlung und Konservierung von Kultur, also dem, was eine Gesellschaft für sich als bezeichnend und bemerkenswert erachtet.4 Sie bilden dabei gleichzeitig Kulturspeicher und -generatoren5, die jedoch bei der Konstruktion von Weltdeutungs- und Identifizierungsangeboten unweigerlich Verzerrungen ausgesetzt sind – Museen arbeiten stets perspektivisch, selektiv und intentional, formulieren lediglich Plausibilitäten, Normen und Geschmäcker.6 Gesellschaftliche Realität verfremden oder vereinfachen sie also eher, als dass sie diese authentisch abzubilden vermögen.7 Doch gerade aufgrund dieses im besten Wortsinn konstruktiven Charakters besitzen Museen eine außerordentliche gesellschaftspolitische Funktionalität: Sie können die unterschiedlichsten sozialen Prozesse unterstützen und so den Bedürfnissenn verschiedener Interessensgruppen nachkommen. Daher haben auch ganz unterschiedliche Vorstellungen von Gesellschaft ihre entsprechende museale Re-Präsentation erhalten. 4 | Vgl. dazu die Museumsdefinition des Internationalen Council of Museums (ICOM), der als Objekte im Interesse der Museen materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt sieht. 5 | Zu dieser doppelten Funktionalität vgl. Korff, Gottfried: Speicher und/oder Generator. Zum Verhältnis von Deponieren und Exponieren im Museum, in: Ders. (Hg.): Museumsdinge. Deponieren – exponieren, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 167-178. 6 | Nicht zuletzt auf Grund der epistemologischen Prinzipien historischer Erkenntnis, die auf den gesamten kulturellen Vermittlungsbereich übertragen werden können: Retroperspektivität, Partikularität und Konstruktivität (HansMichael Baumgartner). Diese schränken die Möglichkeit a priori ein, durch Re-Produktion/Darstellung eine Wirklichkeit abzubilden. Erläuterungen hierzu z.B. bei Schöner, Alexander: Kompetenzbereich historische Sachkompetenz, in: Körber, Andreas/Schreiber, Waltraud/Schöner, Alexander (Hg.): Kompetenzen historischen Denkens. Ein Kompetenz-Strukturmodell, Schwalbach 2007, S. 265-314, S. 281ff. 7 | Man kann sogar sagen, sie bilden geradezu Parallelwelten aus; vgl. dazu Foucault, Michel: Andere Räume, in: Barck, Karlheinz u.a. (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 34-46.

Das Eigene und das Fremde im Museum

Diese Vielfalt wird in diesem Text anhand der soziopolitischen Phänomene Nationalismus, Multikultur, Interkultur und Transkultur mit ihrem jeweiligen musealen Repräsentationen exemplarisch nachgezeichnet.

N ATIONALE F OKUSSIERUNG Während des Siegeszugs des Nationalismus im langen 19. Jahrhundert bildeten sich Museen zuerst einmal als nationalstaatliche Institutionen aus. Sie gehörten zu den gesellschaftlichen Räumen, in denen die Konstruktion der jeweiligen Nation vollzogen und inszeniert wurde. Seit diesen Anfängen gelten Museen als effektives Werkzeug für Nation-Building, als »major-public-site of the construction of national unity.«8 Sie sollten dabei unterstützen, eine Gemeinschaft zu schaffen und den zugehörigen Staat als strukturelle Einheit zu festigen. Und auch in der heutigen, immer wieder als post-national wahrgenommenen globalisierten Welt hat die Nation als Referenzrahmen für museale Darstellungen noch immer Bestand. Dies belegen zentrale museale Projekte wie das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin sowie das Haus der Geschichte der BRD (HdG) in Bonn und Leipzig oder Neugründungen wie das derzeit im Bau befindliche Museum der Geschichte Polens in Warschau.9 Denn durch ihre Sammlungs- und Vermittlungsarbeit können Museen gut funktionierende kollektive Rückversicherungen auf gemeinsame Traditionen, Ansichten und Grundlagen konstruieren, die sie durch die Exponate geradezu 8 | Young, Linda: Globalisation, Culture and Museums, in: ISS 29 (1998): Museology and Globalisation, S. 93-104, S. 101. Hier ist zu beachten, dass Museen nicht die einzigen Räume darstellen, in denen nationale Erzählungen entwikkelt wurden. Auch in der Literatur, Denkmälern oder den Curricula in Schulen wurden sie umgesetzt. 9 | Dabei fällt gerade in Polen auf, dass die Konstruktion neuer nationaler Mythen wie etwa im Museum des Warschauer Aufstands parallel zu Versuchen einer gezielten Europäisierung der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg erfolgt, wie sie derzeit für das geplante Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig projiziert wird. Solche supranationalen Verfahren versuchen, durch interkulturelle Diskussion ihre Darstellungen über das eigene Land hinweg abzusichern und zukunftsfähig zu machen – jedoch abermals nur innerhalb eines abgeschlossenen Erinnerungsdiskurses und einer Gemeinschaft: Europa.

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vor Augen führen können. Und durch ein solches Identitätsangebot kann das soziopolitische Ziel der Einheit und Gemeinschaft einer Gesellschaft nachhaltig gestützt werden. Vermittelt wird dabei zumeist das Bild einer geschlossenen (Kultur)Gesellschaft mit einer scheinbar klar umrissenen Mitgliedergruppe.10 In Museen findet diese Vorstellung von nationaler Eigenheit, Einheit und Gleichheit entsprechenden Widerhall und zwar in der Auswahl der Exponate sowie den begleitenden Deutungen, Symbolen und Definitionen: Große nationale Errungenschaften, eine gemeinsame Herkunft, geteilte Schönheitsideale und Werte, eine kollektiv erinnerte Geschichte,nationale Helden und Taten. So untermauern Museen die Konstruktion einer nationalen Hochkultur. Sie helfen festzusetzen, was eine Nation und deren zugeordnete Mitglieder ausmacht und was sie von anderen unterscheidet. Das Wir wird betont, das Fremde wird ausgegrenzt oder verbleibt fremd.11 Dies schafft nun starke Identifikationsangebote für diejenigen, die bereits als Mitglied der gedachten Gruppe akzeptiert wurden. In diesem Sinne sind nationale Museen vor allem Räume einer Verständigung nach innen. Ein solcher nationaler Ansatz kann dann im Idealfall zwar der Konstituierung von Staaten als rechts- und ordnungsvereinheitlichte Räume helfen, doch hängt ihm der logische Zirkelschluss des methodologischen Nationalismus 12 an: Es wird »implizit oder explizit davon ausgegangen, dass der moderne Nationalstaat die natürliche soziale und politische Form der modernen Welt und mithin die maßgebliche Form der Betrachtung darstellt.«13 Die Nationale Ordnung wird so als alternativlos dargestellt, 10 | Dazu die Klassiker: Anderson, Benedict: Imagined Communities. Reflections on the origin and spread of Nationalism, London, New York 1983; Hobsbawm, Eric J.: Nations and Nationalism since 1780, Cambridge 1990. 11 | Ähnlich verhält es sich in vielen polynationalen oder polykulturellen Museen (z.B. das Museum für Völkerkunde Wien), also Institutionen, die sich mehr als einer Kulturgesellschaft, einem Land widmen. Doch auch diese Museen entwickelt zunehmend ein Gespür für die Ausgewogenheit der Darstellung, z.B. durch die Beteiligung der thematisierten Gesellschaftsgruppen. Vgl. dazu die multikulturellen Zugänge in Museen weiter unten. 12 | Zum methodologischen Nationalismus vgl.: Smith, Anthony D.: Nationalism, 2010; Beck, Ulrich: Was ist Globalisierung? Frankfurt a.M. 1997. 13 | Baur, Joachim: Migration – Kultur – Integration. Und die Rolle des Museums?, in: Museumskunde Bd. 75, 1/10, 2010, S. 12-19, S. 13.

Das Eigene und das Fremde im Museum

gleichzeitig die Grenzen und die Unterschiede zu anderen Nationen beziehungsweise Nationalstaaten oftmals überbetont, so dass Blockaden für das Aushandeln von Gemeinschaft in von Diversität und Multikulturalität geprägten Gesellschaften entstehen. Nun ist in den vergangenen Jahren das Bewusstsein für soziale Gruppen gestiegen, die sich nicht mit den zuvor in Institutionen wie dem DHM entworfenen Vorstellungen der Nation identifizieren oder sich nicht in deren Ordnungssystem wiederfinden. Sie fallen durch das nationale Raster. Für die in diesem Band gestellte Frage nach Partizipation in musealen Räumen ist deshalb entscheidend, ob und in welcher Form es verschiedenen Gruppen ermöglicht wird, sich der im Museum kommunizierten kollektiven Identitäten einer Nation anzuschließen oder gar aktiv an deren Verhandlung teil zu nehmen.14 In zahlreichen Museen wird deshalb neuerdings versucht, das Konzept der Nation nun in einer reflektierten Weise zu thematisieren und damit der längst laut gewordenen Kritik an nationalen Narrationen gerecht zu werden. So richten sich zum Beispiel sowohl das DHM in Berlin als auch das Haus der deutschen Geschichte nominell an alle Deutschen, an die Deutschen der BRD und der DDR und an die Gemeinschaft des nach der Wende neu vereinigten Deutschlands. Eine genauere Bestimmung der Deutschen erfolgt dabei nicht – im Gründungsmanifest des DHMs heißt es aber, es solle den Bürgern »helfen, sich darüber klar zu werden, wer sie als Deutsche und Europäer, als Bewohner einer Region und als Angehörige einer weltweiten Zivilisation sind, woher sie kommen, wo sie stehen und wohin sie gehen können.« 15 Diese Museen liefern dabei 14 | Viele Regional- und Heimatmuseen, gerade in größeren Städten, haben hingegen hier schon einen entscheidenden Wandlungsschritt vollzogen, so z.B. das Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg oder das donauschwäbische Zentralmuseum in Ulm. Sie konzentrieren sich zunehmend auf Phänomene wie Migration, das Zusammenleben in multikulturellen Lebenswelten sowie die Abbildung möglichst vielfältiger Gesellschaftsgruppen. 15 | Zitiert nach: Hartung, Olaf: Dingwelten zwischen Ästhetik und Erkenntnis. Zur Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums, in: Kirsch, Jan-Holger/Zündorf, Irmgard (Hg.): Zeitgeschichte-online, Thema: Geschichtsbilder des Deutschen Historischen Museums. Die Dauerausstellung in der Diskussion, Juli 2007, www.zeitgeschichte-online.de/portals/_rainbow/ documents/pdf/dhm_hartung.pdf, S. 2, 1.11.2012.

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mehr oder weniger schlüssige, offiziöse Orientierungsangebote für das akute Selbstvergewisserungsbedürfnis der Deutschen. Bewusst verzichten sie dabei auf den Begriff der Nation. Stattdessen werden mit Europa und Region weitere Bezugsebenen eingeführt.16 Besonders das DHM ist heute darum bemüht, keine eindeutige oder einseitige (nationale) Perspektive mehr zu formulieren, sondern Platz »für mehrere, auch konkurrierende Geschichtsbilder«17 zu bieten. Dennoch steht die Dauerausstellung sichtbar auf dem Fundament einer engen nationalen Perspektive – anscheinend konnte das Dilemma zwischen einem didaktisch-wissenschaftlichen Anspruch und politischer Intention hier nicht aufgelöst werden, weswegen die Kritik nicht verklingt.18 Der also derzeit noch immer bestehende symbolische und praktische Ausschluss bestimmter Gruppen aus der musealen Re-Präsentation der Nation als fest umrissene Gruppe, kann jedoch durch die frühzeitige Partizipation der ausgeschlossenen Gruppen, meist gesellschaftliche 16 | »Vom Nationalmuseum zu sprechen, das erscheint uns in Deutschland nach den politisch-historischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts nicht mehr möglich, und so wurde denn bei der Namensgebung der beiden neuen übergeordneten Geschichtsmuseen, die Ende der 1980er Jahre gegründet wurden – dem Deutschen Historischen Museum in Berlin und dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn – der Begriff national bewußt vermieden. Dessen ungeachtet ist es die Aufgabe, ja die Herausforderung beider Häuser, die deutsch-deutschen Gemeinsamkeiten, und Unterschiede, die Brüche, das Trennende und das Verbindende, kurz: die Fragen, die die deutsche Nation bewegen, in das Zentrum ihrer Ausstellungen zu stellen.« Beier-de Haan, Rosmarie: Post-national, trans-national, global? Zu Gegenwart und Perspektiven historischer Museen, in: Hinz, Hans-Martin (Hg.): Das Museum als Global Village. Versuch einer Standortbestimmung am Beginn des 21. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 2001, S. 45. 17 | Hartung (wie Anm. 15), S. 2. 18 | »Der ursprüngliche Anspruch eines offenen, pluralen oder vielleicht sogar zur kritischen Selbstreflexion einladenden Geschichtsbilds ist offenbar auf der Strecke geblieben; weder die Standortgebundenheit der Ausstellungsmacher noch die mögliche Kontroversität ihrer Deutungen werden irgendwo deutlich gemacht. Ihre Darbietungen werden vielmehr als etwas objektiv Gegebenes vorgestellt, gerade so, als ergäben sich die Inhalte und die Form der Ausstellung gleichsam natürlich aus der Sache selbst.« Zitiert nach: Ebenda, S. 4

Das Eigene und das Fremde im Museum

Minderheiten, an der Gestaltung zukünftiger Sammlungs-, Deutungs-, Gestaltungs- und Ausstellungsprozesse vermindert werden.

M ULTIKULTURELLE F OKUSSIERUNGEN Einige der marginalisierten Gruppen forderten dies im Zuge ihres Ringens um Partizipation an politischen und kulturellen Aushandlungsprozessen ein – bis heute streben verschiedenste Vereinigungen eine angemessene Repräsentation im Museum an. Unterstützt werden sie seit den 1970er Jahren durch das neue Selbstverständnis etablierter Kulturakteure, die allen Menschen kulturelle Teilhabe ermöglichen wollen. Doch Bildungsferne, Migranten und andere Minderheiten stehen seit dem – zumeist leider nur formal auf dem Papier – in jeder Zielgruppenvereinbarung. In den vergangenen Jahren wurden jedoch auch neue gestalterische und institutionelle Wege skizziert, wie Museen gesellschaftliche Diversität zum Thema machen können und wie dabei auch bisher nicht re-präsentierte Gruppen in den Verhandlungsprozess einbezogen werden können. Beispiele sind hier die Minderheitenmuseen 19, aber auch schichtspezifische Museen, Kinder- und Jugendmuseen, Gender-Museen und im Prinzip auch die Spezialmuseen für ein sehr begrenztes Publikum. Sie alle zusammen spiegeln wider, ob und in welcher Form öffentlich kulturelle Differenz ausgedrückt werden kann. Durch mehr Partizipation von unterschiedlichen sozialen Gruppen in der Museumslandschaft könnte es gelingen, ein differenzierteres Bild von Gesellschaft zu zeichnen. Denn sie erfassen in ihrer Summe und Vielseitigkeit den Großteil der heterogenen kulturellen Ausdrucksformen ganz unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen.

19 | Hauptsächlich im anglo-amerikanischen Raum, aber auch hier vorhanden, so z.B. die Museen der Minderheit der Spätaussiedler wie das Donauschwäbische Zentralmuseum in Ulm; dieses letztgenannte Museum hat jedoch transnationale Phänomene mit aufgegriffen und konzentriert sich stark auf die globalen Themen rund um Migration, ohne aber spezifische Merkmale der eigentlichen thematischen Fokussierung auszublenden. In dieser Hinsicht hat es Vorbildcharakter.

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Viele dieser Museen richten sich zwar nur an ein sehr eng gefasstes Zielpublikum, für das es dann gleichzeitig Kommunikationsmittel nach außen als auch Selbstversicherungsinstrument nach innen ist. Der übrigen Gesellschaft zeigt es zumindest deren Vielfalt: Zuvor als fremd wahrgenommene Gruppen werden im Idealfall vertrauter; es gibt die Möglichkeit zum gegenseitigen Kennenlernen und zur Begegnung. In einer solchen Idealvorstellung könnte so jeder Teil der Gesellschaft sein, »ohne Aufgabe der eigenen kulturellen Identität.«20 Diese Art multikulturellen Gesellschafts- und Kulturverständnisses wird jedoch zur Recht kritisiert: Denn einerseits akzeptiert, ja fördert sie das Nebeneinander kultureller Gemeinschaften innerhalb einer Gesellschaft, andererseits betont sie in der getrennten Einzeldarstellung die Eigenart und damit auch die Sonderrolle der jeweiligen Gruppe. Eine solche (selbst)bewusste Entscheidung kann zur symbolischen Emanzipation und Wahrnehmung innerhalb der Gesellschaft beitragen. In der Rezeption kann dies jedoch entgegen der Intention dazu führen, dass vor allem die Unterschiede zwischen den Kulturen wahrgenommen werden, also das Fremde im Anderen, mindestens jedoch ein verkürztes, verengtes Bild – sein Klischee. So dominiert die Perspektive der reinen Distinktion und eine nachhaltige Inklusion neuer Kulturakteure kann gewährleistet werden. Die Thematisierung in gesonderten Museen verbleibt eben oft eine symbolische Auslagerung. Weiterhin haben nur wenige Nationalstaaten ihre innere gesellschaftliche Diversität offiziell zum Teil ihres Selbstverständnisses gemacht – etwa in Form von Gesetzen – und damit die Vorstellung einer (einzigen) homogenen kollektiven Kultur mit einem feststehenden Kanon an Literatur, Geschichte, Kunst etc. auch formell aufgegeben. Die daraus resultierende Grenzziehung zwischen Wir und Ihr kann einerseits also das Selbstverständnis einzelner Gruppen stär20 | Nationaler Aktionsplan Integration 2012, S. 20. Ein viel engeres Verständnis von Integration findet sich in den vorhergehenden Aktionsplänen – zur Vieldeutigkeit und den unterschiedlichen Auslegungen des Integrationsbegriffs siehe: Baur (wie Anm. 13), S. 12-19; Baur arbeitete dort heraus, dass der Integrationsplan 2010 sich hierbei an vielen Stellen noch selbst widersprich, und dahin tendiert, meist eher eine Anpassung an eine fest definierte deutsche Kultur zu fördern sowie »eine Kulturalisierung und Ethnisierung, bei gleichzeitiger De-Thematisierung sozialer und politischer Aspekte« betreibe. Zitiert nach: Ebenda, S. 17.

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ken, was eine Voraussetzung für Partizipation im Museum ist. Andererseits können so soziokulturelle Konflikte befördert werden, die eine gesellschaftliche Verständigung im Museum erschweren.

I NTERKULTURELLE B EGEGNUNGEN IM M USEUM Museen können dazu beitragen, solche Konflikte und Grenzziehungen produktiv zu nutzen, indem Mitglieder unterschiedlicher kultureller Gruppen »nicht nur Differenzen (Multikulturalismus) oder Gemeinsamkeiten (Transkulturalismus) sondern vor allem Überlagerungen (Interferenzen), wechselseitige Abhängigkeiten (Interdependenzen) und gegenseitige Durchdringungen von Grenzen und Kontakten«21 in ihre Vermittlungsangebote einfließen lassen. Inzwischen gibt es bereits Erfahrungen in dieser Form der interkulturellen Arbeit in Museen. Der Anspruch lautet dabei, Akteure unterschiedlicher Kulturen miteinander ins Gespräch zu bringen und sie nicht nur oberflächlich nebeneinanderzustellen oder isoliert darzustellen. Im Fall der Ausstellung Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte im Martin-Gropius-Bau Berlin setzten sich Akteure aus den beiden Staaten gemeinsam mit der Vergangenheit und Kultur der Länder auseinander, analysierten die jeweiligen nationalen Interpretationen, Meinungen und auch deren Gültigkeit bzw. Plausibilität und Konstruktivität. Ein solcher Prozess der interkulturellen Verständigung ist dabei nicht in einen dauerhaften Zustand überführbar, auch wenn mit der Ausstellung eine Momentaufnahme gezeigt wurde. Es handelt sich vielmehr stets um kreisende »Such- und Problembewegungen für weiter- und tiefergreifende interkulturelle Begegnungen, Optionen und Transformationen.«22 Selbstreflexion und Fremdverständnis sind hierbei die Kennzeichen und gleichzeitig Ziel- und Schlüsselbegriffe.23 21 | Demorgon, Jacques/Kordes, Hagen: Multikultur, Transkultur, Leitkultur, Interkultur; in: Nicklas, Hans/Müller, Burkhard/Kordes, Hagen (Hg.): Interkulturell denken und handeln. Theoretische Grundlagen und gesellschaftliche Praxis, Bonn 2006, S. 27-37, S. 34. 22 | Ebenda. 23 | Aufgeschlüsselt beinhalten diese Kernziele etwa die »Prinzipien einer interkulturellen Pädagogik«, wie sie Carmel Camilleri formuliert: »die innere

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Museen können einen Raum für diese aktive Suche nach Identität und für die Verhandlung von Kultur und Gesellschaft schaffen. Dazu trägt die Zugänglichkeit zu ihren Sammlungen von Gegenständen mit einer potentiellen kulturellen Wertigkeit und ihre öffentliche Inszenierung bei. Dieser Pool von Gegenständen ist außerdem prinzipiell offen und verändert sich laufend, wird auch ständig mit neuen Kulturgütern gespeist.24 Diese potentiellen Exponate sind dabei grundsätzlich erst einmal sprachlos und wertneutral, das heißt sie sind interpretationsoffen und halten konträre Deutungen aus.25 Erst durch die Inszenierung und Kontextualisierung, die Eingliederung in einen spezifischen kulturellen Rahmen erhalten die Dinge auch kulturelle Bedeutung, werden von Deponiertem zu Exponiertem. Durch ihre Räumlichkeit können Museen nun reale Begegnungsräume schaffen. Es reicht dazu aber eben nicht nur »[d]ie Öffnung der Museen und ihrer Themen hin zu allen Bevölkerungsschichten.«26 Viele Museen haben deshalb ihre Kernkompetenz verlagert »von der Wissensvermittlung […] auf die Fähigkeit zur Kommunikation.« 27 Ihre gesellschaftliche Funktionalität liegt weniger in der Bekräftigung einer bestimmten Position als vielmehr in der »Weiterentwicklung und Kräftigung der unumgehbaren, aber bedrohlichen multikulturellen Wirklich-

Logik der jeweiligen Kulturen verstehen«; »zum Relativismus erziehen«; »die Kulturen nicht wie starre, unantastbare Gebilde behandeln«; »sich mit Heterophobie auseinandersetzen«; »nicht versuchen, Streit und Konflikt zu vermeiden«. Camilleri, Carmel: Prinzipien einer interkulturellen Pädagogik, in: Nicklas/Müller/Kordes (wie Anm. 21), S. 47-54. 24 | Vor Kurzem wurden ja sogar entsprechende Empfehlungen zum Entsammeln formuliert, wie man also ehemalig als Kulturgüter bezeichnete Gegenstände (Exponate) nun wortwörtlich wieder zu »Deponiertem« macht, der Deponie zuführt; vgl. dazu den Leitfaden des dt. Museumsbunds: Nachhaltiges Sammeln. Ein Leitfaden zum Sammeln und Angeben von Museumsgut, Berlin/Leipzig 2011. 25 | Vgl. Korff (wie Anm. 4). 26 | Schäfer, Hermann: Wie besucherorientiert darf/muß ein Museum sein?, in: Rheinisches Archiv- und Museumsamt: Das besucherorientierte Museum; Köln 1997, S. 91-97, S. 97. 27 | Ebenda, S. 92.

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keiten durch interkulturellen Diskurs, interkulturelle Kommunikation oder interkulturellen Dialog.«28 Die sogenannten Eco- und Community-Museen 29 sind hierbei sehr konsequent: Sie machen den Diskurs sowie seine Prozesshaftigkeit zum eigentlichen Kern der Ausstellung. Dafür ermöglichen sie ihrem Publikum direkte Einwirkungen auf die Wahl von Exponaten, ihre Inszenierung und deren Deutung, ohne dabei jedoch gänzlich die Kompetenzen und Aufgabenbereiche der Museumsmitarbeiter in Frage zu stellen. Ein ähnliches Ziel hat das bis jetzt wohl nur Theorem gebliebene konstruktivistische Museum30 von Georg E. Hein, das die Arbeitsweisen, Perspektiven und Intentionen der Museumsmacher zu einem wichtigen Teil der Ausstellung macht.31 Es will die Sinnkonstruktion in den Ausstellungen für den Betrachter sichtbar machen und ihn dabei nach Möglichkeit auch interaktiv beteiligen: »Ein ganz zentraler Punkt in dem Konzept für konstruktivistische Museen ist die Aufforderung an die Museumsmacherinnen, die Subjektivität der Ausstellung deutlich zu machen. Es darf nicht versucht werden, die Wahrheit darzustellen, sondern der Besucher muss sich darüber im Klaren sein, dass ihm nur eine mögliche Interpretation der Realität präsentiert wird.«32 Dem Besucher soll und kann hier vermittelt werden, dass die museale Darstellung ebenso wie Kultur im 28 | Zur Begriffsbestimmung vgl.: Demorgon/Kordes (wie Anm. 21), S. 33-35. 29 | Laut Definition des Europäischen Netzwerks der Ecomuseen ist ein Ecomuseum »a dynamic way in which communities preserve, interpret, and manage their heritage for a sustainable development. An Ecomuseum is based on a community agreement.« Zitiert nach: Declaration of Intent of the Long Net Workshop, Trento (Italy), May 2004; vgl. dazu auch Maggi, Maurizio/Falletti, Vittorio: Ecomuseums in europe. What they are and what they can be; W.P. 137/2000, IHRES,Torino 2000. 30 | Hein, Georg E.: The constructivist museum, in: Journal for Education in Museums, Heft. 16, 1995, S. 21-23. 31 | Pohl, Karl Heinrich: Wann ist ein Museum »historisch korrekt«? Offenes Geschichtsbild, Kontroversität, Multiperspektivität und Überwältigungsverbot als Grundprinzipien musealer Geschichtspräsentation, in: Hartung, Olaf (Hg.): Museum und Geschichtskultur. Ästhetik, Politik, Wissenschaft, Bielefeld 2006, S. 273-286. 32 | Kamel, Susan: Wege zur Vermittlung von Religionen in Berliner Museen: Black Kaaba Meets White Cube, Berlin 2004, S. 86-89. Dies waren wie oben

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Allgemeinen zeit-, personen- und ortsgebunden konstruiert wurde. Kultur wird somit als gestaltbar skizziert.33 Ein offener, fluider Kulturbegriff erleichtert die Dekonstruktion starrer Vorstellungen von Kultur und Gesellschaft und ermöglicht interkulturelle Begegnungen. Gemeinsam und im Idealfall gestützt durch die Museumsmitarbeiter kann nach Mustern und Argumentationslinien, nach Techniken und Medieneinsatz, nach Wertungen, Intentionen und Narrationsverfahren innerhalb der Museen gesucht werden, um deren jeweilige Position aufzuschlüsseln und sich seines eigenen Standorts zu versichern. Reflexion und Selbstreflexivität sind dabei gerade für das partizipative Museum notwendige Kerntechniken. So wird eine prozess- und kontextabhängige34 Identitätsarbeit gefördert, die ein in-between35 des Einzelnen zwischen den unterschiedlichen Kulturen einer Gesellschaft erlaubt. Im Prinzip kann dieses prozessorientierte Reflexionsverfahren der kontinuierlichen De-Konstruktion und Re-Konstruktion des eigenen (sozio-)kulturellen Bewusstseins in jedem Museum erfolgen, egal wie sich dieses positioniert: Auch in einem nichtkonstruktivistischen Museum lässt sich dessen Arbeit dechiffrieren und durch Triftigkeitsprüfungen qualitativ einordnen.36 Das eigene Urteil, der eigene Standpunkt, den man in der Gesellschaft einnimmt, kann dann schon erwähnt auch die Ansätze des DHMs – auf eine Umsetzung wird noch gewartet. 33 | Ob und inwiefern das tatsächlich und vor allem von den eingesessenen Institutionen umgesetzt wird, und ob dann die ersten Versuche gelingen, bleibt abzuwarten. Erste Schritte in diese Richtung ging die Dauerausstellung des Alimentariums; vgl. dazu Schärer, Martin R.: Ausstellungswanderungen. Notizen museologischer Streifzüge durch das Alimentarium, Vevey 2002. 34 | Gippert, Wolfgang: Transkulturelle Ansätze und Perspektiven in der Historischen Bildungsforschung, in: Bilstein, Johannes/Ecarius, Jutta/Keiner, Edwin (Hg.): Kulturelle Differenzen und Globalisierung: Herausforderungen für Erziehung und Bildung. 2011, S. 15-32, S. 25. 35 | Vgl. dazu: Muttenthaler, Roswitha: Museum, Differenz, Vielfalt, Schreibund Denk-Werkstatt Museologie Drosendorf, 28. Mai-3. Juni 2007, S. 15. 36 | Beispielsweise kann man nach normativen Wertungen fanden, deren Begründungen durchleuchten, die Intentionen und Abhängigkeiten der Macher herausfinden oder die Wirkung der Ausstellungsarchitektur testen; ein Leitfaden zur De-Konstruktion historischer Ausstellungen wurde von der Professur für Theorie und Didaktik der Geschichte der KU Eichstätt-Ingolstadt

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in einem zweiten Schritt durch Selbstreflexion ebenso kritisch betrachtet werden.

D IE G LOBALISIERUNG DES M USEUMS Derzeit lässt sich eine Internationalisierung der Formensprache bei der Gestaltung von Ausstellungen und Museumsgebäuden beobachten, welche transkulturelle Züge trägt. So hat sich beispielsweise inzwischen eine globale Stilsprache für eine stark mit symbolischen Formen und Materialien arbeitende Erinnerungs-Architektur herausgebildet. Diese kann weltweit gelesen und ihre Inhalte, Motive und Formen nahezu überall verstanden werden, wenn auch nicht immer im gleichen Sinne. Auch das Museum als Institution hat sich zu einem solchen ein transnationalen Phänomen entwickelt. Es hat sich zwar in West- und Mitteleuropa ausgebildet, aber erfährt schon seit geraumer Zeit internationale Verbreitung und Weiterentwicklung. Mittlerweile hat es sich so losgelöst von seiner kultur- bzw. regionalspezifischen Herkunft. Museen zeigen heutzutage »in [ihrer] spezifischen Form der Vergegenwärtigung und auch der Wissensvermittlung fast überall auf der Erde ein relativ hohes Maß an Übereinstimmung.«37 Einhergehend mit der sich verstärkenden Mobilität der Macher und auch der potentiellen Besucher von Museen kann es zu einem verstärkten Austausch zwischen den Kulturen38 kommen, der weit über die Grenzen des eigentlichen Zielpublikums hinausreicht. Internationale Strukturen und Verbände wie der ICOM unterstützen durch ihre Arbeit den grenzentwickelt; vgl. mit Praxisbeispielen versehen www.museumsvergleich-holocaust.eu/, 1.11.2012. 37 | Ob und inwiefern das tatsächlich und vor allem von den eingesessenen Institutionen umgesetzt wird, und ob dann die ersten Versuche gelingen, bleibt abzuwarten. Erste Schritte in diese Richtung ging die Dauerausstellung des Alimentariums; vgl. dazu: Schärer, Martin R.: Ausstellungswanderungen. Notizen museologischer Streifzüge durch das Alimentarium, Vevey 2002. 38 | Beier-de Hahn, Rosmarie: Post-national, trans-national. Global? Zu Gegenwart und Perspektiven historischer Museen, in: Hinz, Hans-Martin (Hg.): Das Museum als Global Village. Versuch einer Standortbestimmung am Beginn des 21. Jahrhunderts; Frankfurt a.M. 2001, S. 43-59, S. 58.

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überschreitenden Austausch. Im Zuge dieses Prozesses werden bewusst allgemeingültige Prinzipien und ethische Regeln für die Arbeit von Museen verhandelt.39

A BSCHLUSSBEMERKUNG Eine stärkere Berücksichtigung von symbolisch ausgeschlossenen Gruppen im Museum findet damit im Spannungsfeld von drei Prozessen statt: Erstens der eigenen Konstitution als spezifische Gruppe in gesonderten Museen, zweitens der Aushandlung der eigenen Position innerhalb der breiteren Gesellschaft in Museen, die gesellschaftliche Diversität zum Thema ihrer Ausstellungen aber auch der eigenen Arbeitsweise machen und drittens in einer zunehmenden Globalisierung der im Museum hergestellten Bezüge, die Migration und Differenz in einem breiteren, transkulturellen Kontext stellen. Jedes Museum dient dabei auf seine Weise zumindest einem Teil der Gesellschaft als Medium, als Diskursgenerator oder als Quelle für Selbstbestätigung oder Verständigung. Jede dieser Institutionen birgt das Potential für kulturelle Veränderung und die Bewahrung von Kultur. Museen schaffen Räume, in denen die gesellschaftliche Diskussion mittels der Kritik der Inhalte einer Ausstellung gewissermaßen eingeübt werden können. Mit ihrer Mannigfaltigkeit an konkurrierenden Orientierungsangeboten können sie deshalb einen Raum zur Verfügung stellen, in dem die Vermittlung zwischen verschiedenen kulturellen und sozialen Positionen möglich ist. Museen skizzieren auch die notwendigen Grenzen zwischen unterschiedlichen kulturellen Vorstellungen. Sie können aber ebenso der einfacheren Überwindung derselben dienen. Entscheidend ist daher letztlich der aktive Umgang mit Museen, ihren Exponaten und Ausstellungen. Über diesen entscheidet der Besucher selbst. In Zukunft wird es noch mehr um die Frage gehen, in welcher Form unterschiedliche soziale Gruppen ihre Vorstellungen, Werte, Ideen und Erzählungen in den Gestaltungsprozess ganzer Ausstellungen und Sammlungen einbringen. 39 | Gemeint sind die ICOM Ethische Richtlinien für Museen (Code of Ethics for Museums), hier z.B. die deutsche Übersetzung der ICOM-Nationalkomitees von Deutschland, Österreich und der Schweiz, Berlin/Wien/Zürich 2003, die aber Verabschiedung bei Nationalkomitees weltweit gefunden hat.

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Der Kern der Museumsarbeit wird sich dabei nicht verändern, denn er liegt weiterhin in der Kombination aus Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln. Lediglich die Vorstellung davon, worin Vermittlung liegt und wo sie ansetzt, wird sich weiter verändern: Das Museum wird zunehmend zum Moderator gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse, der aktiv Räume für Begegnungen, aber auch das Aushandeln von Konflikten schafft. Die Verantwortung für die Gestaltung dieses Prozesses liegt dabei nicht allein bei den Museen. Erst durch die Inklusion bisher nicht repräsentierter Gruppen in die Verhandlung von Kultur und Gesellschaft können auch bestehende Museumsnarrationen erweitert, gestärkt und auch korrigiert werden. So wird dann auch weiter ernsthaft an der Umsetzung der ICOM-Richtlinie gearbeitet, dass das Museum »im Dienste der Gesellschaft«40 steht.

40 | Zitiert nach: ICOM Ethische Richtlinien für Museen (Code of Ethics for Museums), deutsche Übersetzung der ICOM- Nationalkomitees von Deutschland, Österreich und der Schweiz, Berlin/Wien/Zürich 2003, Anhang, Artikel 2.1, S. 18.

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Geteilte Erinnerungsräume Zur Vision eines Inklusiven Museums aus kuratorischer Sicht Lorraine Bluche/Frauke Miera

E INFÜHRUNG Fluchtpunkt der in diesem Aufsatz präsentierten Überlegungen zu geteilten Erinnerungsräumen ist unsere Vision eines Inklusiven Museums. Den Begriff Inklusives Museum verwenden wir in Anlehnung an Richard Sandell. Der britische Museologe begreift Inklusion hierbei als social inclusion – also als eine eminent politische Kategorie, die auf der Trias Zugang, Partizipation bzw. Teilhabe und Repräsentation fußt. Sandell betrachtet die Museen als gesellschaftspolitische Akteure und nimmt sie in die Pflicht, mit ihrer Arbeit aktiv auf die Herstellung sozialer Gerechtigkeit und die Überwindung von Vorurteilen hinzuwirken. Unsere Vision eines Inklusiven Museums leitet sich einerseits aus den im angelsächsisch-angloamerikanischen Raum zu verortenden, seit den 1970er/1980er Jahren verstärkt diskutierten Ansätzen her, die unter dem Label der New Museology zusammengefasst werden können und derzeit im partizipativen Paradigma münden. Andererseits bezieht sie sich auf die Debatte um die Repräsentation der Geschichte von MigrantInnen im Museum, die in Deutschland seit der Jahrtausendwende Konjunktur hat. Diese beiden diskursiven Stränge wurden in der deutschsprachigen Debatte bisher nicht systematisch miteinander verbunden. 1 | Vgl. hierzu: Dodd, Jocelyn/Sandell, Richard (Hg.): Including Museums: Perspectives on Museums, Galleries and Social Inclusion, Leicester 2001; Sandell, Richard: Museums, Prejudice and the Reframing of Difference, London 2007 sowie Nightingale, Eithne/Sandell, Richard (Hg.): Museums, Equality and Social Justice, London 2012.

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Darüber hinaus ist unsere Vision des Inklusiven Museums von der Praxis inspiriert – insbesondere von den Erfahrungen, die wir als freie Kuratorinnen in dem zweijährigen Ausstellungsprojekt ortsgespräche. stadt – migration – geschichte. vom halleschen zum frankfurter tor am Berliner Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg (kurz: Kreuzberg Museum) gesammelt haben. Unsere Überlegungen zum Inklusiven Museum haben sich aus einer konkreten Fragestellung heraus entwickelt: Wie kann es gelingen, die Geschichte(n) von MigrantInnen nicht allein als Geschichte ihrer Migration zu erzählen, sondern MigrantInnen wie Nicht-MigrantInnen als Handelnde in der Stadt zu Wort kommen zu lassen? Wie kann die Geschichte eines Stadtbezirks in einer Ausstellung als Geschichte all seiner BewohnerInnen erzählt werden – als Geschichte von MigrantInnen, ihren Nachkommen, Einheimischen und neu Zugewanderten. Wie können also geteilte Erinnerungsräume entstehen? Geteilte Erinnerung verstehen wir hier im doppelten Wortsinn: geteilt im Sinne von shared und divided 4, von gemeinsam und nebeneinander. Ein Erinnerungsraum ist nach unserem Verständnis ein Ort, an dem Erinnerung öffentlich ver2 | Die Ausstellung ortsgespräche war Teil des Projekts Migration macht Geschichte (2010/2011). Das Projekt beinhaltete darüber hinaus die experimentelle Neu-Bewertung von Sammlungen, die in der Ausstellung NeuZugänge mündete. Die Ausstellung ortsgespräche ist seit Ende Januar 2012 bis voraussichtlich Ende 2013 im Kreuzberg Museum in Berlin zu sehen. Das Projekt Migration macht Geschichte wurde maßgeblich vom Hauptstadtkulturfonds gefördert und vom Berliner Stadtmuseum unterstützt. 3 | Der Fokus auf die Verknüpfung von Migrations- und Stadtgeschichte im hier diskutierten Projekt brachte eine Engführung der Fragestellung mit sich. In einer vielfach pluralen Gesellschaft sind diese Überlegungen in Zukunft noch stärker auf Geschichten und Erinnerungen weiterer marginalisierter Gruppen zu übertragen und miteinander in Bezug zu setzen. 4 | Vgl. auch Motte, Jan/Ohliger, Rainer, Einwanderung – Geschichte – Anerkennung. Auf den Spuren geteilter Erinnerungen, in: Dies. (Hg.): Geschichte und Gedächtnis, Essen 2004, S. 17-49, insb. S. 47. Wenn wir den Begriff der geteilten Erinnerung aufgreifen, so verstehen wir ihn explizit nicht als zweigeteilte Erinnerung, wie von Motte/Ohliger impliziert, sondern als mehrfach geteilt, da nach unserem Verständnis die Idee der Erinnerungen von Einheimischen versus MigrantInnen eine jeweilige Homogenität unterstellt, die es ebenfalls zu dekonstruieren gilt.

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mittelt, verhandelt und zugänglich gemacht wird. Im Folgenden fokussieren wir in diesem Sinn auf das kulturhistorische bzw. stadtgeschichtliche Museum als einen solchen Ort und auf unsere Vorstellungen darüber, wie dieser Ort zu einem geteilten Erinnerungsraum werden kann.

PARTIZIPATION — M IGRATION — G ETEILTE E RINNERUNGSRÄUME Das partizipative Paradigma Museen sind Institutionen der Anerkennung und der Identität par excellence. Sie können damit Orte der Inklusion wie auch der Exklusion sein. Die damit einhergehende Verantwortung der Museen den Gesellschaften und Gemeinschaften gegenüber, die sie adressieren, wurde lange Zeit kaum thematisiert. Peter van Mensch und Léontine Meijer-van Mensch sprechen in diesem Zusammenhang von drei Museumsrevolutionen: Nachdem um 1900 eine Professionalisierung der Museumsberufe stattgefunden hatte, begann sich um 1970 das Paradigma der New Museology  herauszubilden, infolge dessen die Reflexion über den Sinn und Zweck von Museen stärker in den Fokus der museologischen Debatte gerückt ist. Die Hinwendung zu Fragen der Kontextabhängigkeit und Kontingenz musealer Darstellungen sowie der gesellschaftspolitischen Verantwortung der Institution Museum ging nicht zuletzt auf die Forderungen bislang in der westlichen Museumslandschaft marginalisierter Gruppen nach (Selbst-)Repräsentation zurück. Die neu-museologische Diskussion war an diesem Punkt stark mit der postkolonialen Kritik verzahnt.

5 | Vgl. Mensch, Peter van/Meijer-van Mensch, Léontine: New Trends in Museology, Celje 2011, auch für den folgenden Abschnitt. 6 | Vgl. zusammenfassend: MacDonald, Sharon: Museen erforschen. Für eine Museumswissenschaft in der Erweiterung, in: Baur, Joachim (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 49-69. Popularisiert wurde das Schlagwort New Museology durch den Sammelband: Vergo, Peter (Hg.): The new museology, London 1989. 7 | Vgl. schnittpunkt – Kazeem, Belinda/Marinz-Turek, Charlotte/Sternfeld, Nora (Hg.): Das Unbehagen im Museum. Postkoloniale Museologien, Wien 2009.

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Die Frage nach dem »Wer spricht?« war und ist in diesem Zusammenhang zentral. Damit verbunden ist zugleich eine verstärkte Hinwendung zu verschiedenen Formen der Öffnung bzw. Demokratisierung des Museums im Sinne der social inclusion. In diesem Zusammenhang erkennen van Mensch und Meijer-van Mensch um das Jahr 2000 eine dritte museale Revolution: »The new paradigm has no name yet, but for us the key word is participation.«8 Während Konzepte der New Museology in Deutschland in der Vergangenheit insgesamt nur wenig rezipiert bzw. diskutiert worden sind, ist Partizipation innerhalb der deutschen Museumslandschaft in den letzten Jahren tatsächlich zu einem regelrechten Modewort geworden. Eine große Rolle für die aktuelle Konjunktur des Begriffs Partizipation spielen offenkundig der Vormarsch des Web 2.0 und damit verbundene, neue Formen der Kommunikation bzw. Interaktion, die speziell im Hinblick auf die Gewinnung neuer Besuchergruppen in den Fokus vieler Museen rücken. Inwiefern hierbei auch gesellschaftskritische und emanzipatorische Überlegungen im Sinne der New Museology, die auf eine Selbstermächtigung marginalisierter Bevölkerungsgruppen zielt, eine Rolle spielen, lässt sich schwer beantworten. Eine Debatte über Sinn und Zweck, Formen und Adressaten von partizipativen Methoden steht hierzulande noch am Anfang.

8 | Mensch/Meijer-van Mensch (wie Anm. 5), S. 13. 9 | Vgl. hierzu Sternfeld, Nora: Der Taxispielertrick. Vermittlung zwischen Selbstregulierung und Selbstermächtigung, in: schnittpunkt – Jaschke, Beatrice/Martinz-Turek, Charlotte/Sternfeld, Nora (Hg.), Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005, S. 15-33. 10 | Vgl. insb. die Tagungen zu Partizipation im Museum des Historischen Museums Frankfurt, Frankfurt a.M. vom 18. bis 19. November 2010, und im Stapferhaus Lenzburg (Schweiz) vom 30. Juni bis 1. Juli 2011 sowie die entsprechende Publikation: Gesser, Susanne u.a. (Hg.): Das partizipative Museum: Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld 2012.

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Z UR M USE ALISIERUNG DER M IGR ATION Historische Ausstellungen in deutschen Museen haben lange Zeit die Geschichte der Migration seit 1945 ausgespart.11 Entsprechend der in der Bundesrepublik über Jahrzehnte geltenden offiziellen Maßgabe, Deutschland sei kein Einwanderungsland und die hier lebenden MigrantInnen hielten sich nur vorübergehend im Land auf, hatten diese auch in der im Museum hergestellten Erinnerung (fast) keinen Platz. Eine Ausnahme stellten die deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen dar. Ihre Geschichte war und ist Teil des dominanten Narrativs; allerdings galten sie nicht als MigrantInnen: In einer ethnonationalen Perspektive gehörten Flüchtlinge und Vertriebene, ähnlich wie auch die späteren Aussiedler, aufgrund ihrer deutschen Abstammung zur Nation und galten allenfalls als Rückkehrer. Die kritische, linke Öffentlichkeit folgte hingegen lange einer Definition von Migration, die einer Opferperspektive verhaftet war: In ein solches Bild passten die deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen als potentiell revisionistische AkteurInnen nicht hinein. Hingegen wurde die Geschichte vor allem jener Menschen in deutschen Museen nicht erzählt, die seit 1955 auf der Grundlage von Anwerbeabkommen zum Arbeiten in die Bundesrepublik gekommen waren, ihrer nachgereisten Angehörigen und in Deutschland geborenen Kinder ebenso wie die Geschichte der Flüchtlinge und Asylbewerber, die hier Schutz suchten und suchen.12 11 | Die Migrationsgeschichte vor 1945 war zwar in musealen Geschichtserzählungen punktuell durchaus präsent – so z.B. die Einwanderung protestantischer Glaubensflüchtlinge aus Frankreich, der Hugenotten, nach Preußen und in andere deutsche Staaten während des 17. und 18. Jahrhunderts oder aber die großen Migrationsbewegungen im Zuge der Industrialisierung –, wurde aber nicht als solche benannt. Der Topos der ›anthropologischen Konstante Migration‹, der zunächst von der Historischen Migrationsforschung stark gemacht wurde und der inzwischen auch in verschiedenen Ausstellungsprojekten im historischen Querschnitt produktiv aufgegriffen worden ist, spielte bis in die jüngste Zeit weder bei der historischen Einordnung weiter zurückliegender noch aktueller und wenige Jahrzehnte zurückliegender Migrationsbewegungen eine Rolle. 12 | Auch in der DDR-Geschichtsschreibung wurde die Migration in die DDR kaum beachtet bzw. lediglich in den ideologischen Kontext der Internationalen Völkerfreundschaft gestellt. Im Diskurs über das vereinigte Deutschland haben MigrantInnen in Ost und West im Prinzip bis heute keinen Platz.

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Angestoßen durch Migranteninitiativen, den Aktivitäten vor allem lokaler oder regionaler Museen sowie internationalen museologischen Impulsen und im Kontext von allgemeinpolitischen Forderungen nach einer interkulturellen Öffnung der Kulturinstitutionen stellen sich deutsche Museen seit dem Ende der 1990er Jahre der Frage, wie sie das Thema Migration stärker in die Ausstellungs-, Sammlungs- und Vermittlungsarbeit implementieren können. Während der letzten zehn bis fünfzehn Jahre nahm die Zahl der Tagungen rund um das Thema Migration und Museum deutlich zu; der Deutsche Museumsbund richtete im Jahr 2010 einen Arbeitskreis Migration ein; in nahezu jeder größeren deutschen Stadt wurde inzwischen eine Sonderausstellung zur jüngeren Migra13 | Bereits vor zwanzig Jahren gründeten EinwandererInnen aus der Türkei das Dokumentationszentrum und Museum für die Migration aus der Türkei bzw. in Deutschland (DOMiT bzw. heute DOMID e.V.). Der Verein baut eine Sammlung zur Einwanderungsgeschichte auf und richtet Ausstellungen aus. 14 | So wurde bspw. 2007 in Frankreich mit der Cité nationale de l’histoire de immigration ein nationales Migrationsmuseum eröffnet. 15 | Vgl. hierzu auch Motte, Jan/Ohliger, Rainer (Hg.): Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen historischer Rekonstruktion und Erinnerungspolitik, Essen 2004 sowie Baur, Joachim: Die Musealisierung der Migration. Einwanderungsmuseen und die Inszenierung der multikulturellen Nation, Bielefeld 2009. 16 | Beispielhaft seien hier angeführt: Das historische Erbe der Einwanderer sichern. Die Bundesrepublik Deutschland braucht ein Migrationsmuseum, Brühl 2002, Migration in Museums-Narratives of Diversity in Europe, Berlin 2008 sowie Kunstvermittlung in der Migrationsgesellschaft, Berlin 2011. 17 | Vgl. z.B.: Fremde Heimat – Yaban, Silan olur. Eine Geschichte der Einwanderung aus der Türkei, DOMIT (vgl. Fußnote 13)/Ruhrlandmuseum Essen, 1998; Fremde in Deutschland – Deutsche in der Fremde. Schlaglichter von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart, Museumsdorf Cloppenburg, 1999; Geteilte Welten. Einwanderer in Hamburg, Museum der Arbeit Hamburg, 2003; Neapel – Bochum – Rimini. Arbeiten in Deutschland. Urlaub in Italien, LWL-Industriemuseum Zeche Hannover, Bochum 2003; Von Fremden zu Frankfurtern – Zuwanderung und Zusammenleben, Historisches Museum Frankfurt a.M., 2004; Projekt Migration, DOMID (vgl. Fußnote 13) u.a., 2005; Jeder nach seiner Façon. 300 Jahre Zuwanderung nach Friedrichshain-Kreuzberg, Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg Berlin, 2005; Zuwanderungsland Deutschland. Migratio-

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tionsgeschichte präsentiert. Diese Ausstellungen wurden vielfach mit Beteiligung von MigrantInnen erarbeitet, so insbesondere auch am Berliner Kreuzberg Museum. So positiv zu bewerten ist, dass das Thema Migration inzwischen stärkeren Eingang in die museale Geschichtsschreibung findet, ist zugleich kritisch anzumerken, dass in den genannten Ausstellungen Migrationsgeschichte meist als Sondergeschichte präsentiert wird. Die Dauerausstellungen zur allgemeinen Geschichte und die Sonderausstellungen zur Migrationsgeschichte stehen unverbunden nebeneinander. Die Erinnerungsräume der Einheimischen und der MigrantInnen bleiben voneinander getrennt. Letztlich sind die MigrantInnen die Anderen, die nicht am gemeinsamen Wir teilhaben. Darüber hinaus kommen in vielen Migrationsausstellungen MigrantInnen und ihre Nachkommen hauptsächlich in ihrer Eigenschaft als MigrantInnen zu Wort: Es geht um ihre Migrationsgründe, Erfahrungen von Fremdheit und ihre Eingliederung in die neue Gesellschaft. Insofern bleiben solche Ausstellungen letztlich dem allgemeinen Integrationsdiskurs verhaftet.

G E TEILTE E RINNERUNGSR ÄUME SCHAFFEN Die Diskussionen um die Implementierung des Themas Migration im Museum berühren grundsätzlich die Rolle von Museen als Verhandlungs- und Produktionsstätten von nationalen, regionalen und lokalen nen 1500-2005, Deutsches Historisches Museum Berlin, 2005; Angekommen. Russlanddeutsches Leben, LWL-Freilichtmuseum Detmold, 2009; Gastarbeit in Hannover. Geschichten vom Kommen, Gehen und Bleiben, Historisches Museum Hannover, 2011; Wir hier – Zuwanderung in Lüdenscheid und im Märkischen Kreis, Geschichtsmuseum der Stadt Lüdenscheid, 2012. Seit der Erweiterung des Deutschen Auswandererhauses in Bremerhaven  Anfang 2012 wird das Thema Einwanderung nach Deutschland erstmals in einer permanenten Ausstellung präsentiert. 18 | Vgl. Düspohl, Martin: In jeder Generation tauscht sich die Bevölkerung einmal aus – Migrationsgeschichte in der Konzeption der Kreuzberg Museum, in Motte/Ohliger (wie Anm. 15), S. 159-180. Inwiefern bei der Planung und Realisierung der zahlreichen Sonderausstellungen MigrantInnen beteiligt waren, ist unseres Wissens nach nicht dokumentiert oder systematisch ausgewertet.

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Identitäten: Wie und wessen Geschichte wird erzählt, worin besteht das kulturelle Erbe einer Gesellschaft und wer definiert dies? Folgt man dem Konzept der social inclusion, ist die Institution Museum im Idealfall ein Museum von allen. Es sollte der Ort der (Selbst-) Repräsentation und damit auch der Erinnerungsraum der jeweiligen glocal community sein. Mit dem Begriff der glocal community meinen wir die Personen, Gruppen und Organisationen im Einzugsbereich eines stadthistorischen Museums, die im Austausch oder Diskurs mit dem Museum stehen bzw. – aus der Perspektive des Museums – idealerweise stehen sollten, und zwar unabhängig von sozialen Kategorien, Bildung, ethnischer, religiöser Zuordnung, Migrationshintergrund, Geschlecht oder sexueller Orientierung, körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Um sich als Erinnerungsraum der glocal community zu legitimieren, ist es der Auftrag des Museums, den Austausch mit einer möglichst großen Bandbreite von Mitgliedern dieser glocal community zu suchen. Auf 19 | Dieses Ziel bezieht sich idealerweise auf sämtliche Aufgabenbereiche des Museums, also nicht allein auf das Ausstellen, auf das wir uns hier konzentrieren, sondern auch auf das Sammeln, Forschen und Vermitteln. In Bezug auf Methoden, wie ein entsprechendes Sammlungskonzept entwickelt werden kann, haben wir 2011 die Laborausstellung NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen gemeinsam mit dem Museum für Islamische Kunst, dem Stadtmuseum Berlin, dem Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Berlin sowie Christine Gerbich, Susan Kamel and Susanne Lanwerd vom Forschungsprojekt Experimentierfeld Museologie, Technische Universität Berlin, am Kreuzberg Museum konzipiert und realisiert. Vgl. hierzu Bluche, Lorraine u.a. (Hg.): NeuZugänge. Museen, Sammlungen und Migration. Eine Laborausstellung, Bielefeld 2013 (i.E.). 20 | Die glokale Community bezieht sich zunächst auf das geographisch abgegrenzte Areal, dessen Geschichte das Museum erzählt. Zur glocal community gehören nicht nur die EinwohnerInnen des Areals, sondern auch jene, die sich über ihre Arbeit, über Schule, Verein, Freizeitaktivitäten oder andere persönliche Bezüge dem Einzugsbereich des Museums verbunden fühlen. Im Kontext von Mobilität, Globalisierung und Transnationalität sind zudem die Grenzen der glocal community teilweise fließend. Zu den verwandten Begriffen »constituent community«, »user community«, »contemporary«, »heritage« oder »source community« vgl. Mensch/Meijer-van Mensch (wie Anm. 5), S.  49-55 sowie S. 97f.

Geteilte Erinnerungsräume

diese Weise kann das Museum dominante Geschichtsbilder reflektieren und die musealen Erinnerungsräume für bisher an den Rand gedrängte AkteurInnen der Gesellschaft, für bisher marginalisierte Geschichten und Themen öffnen. In diesem Prozess reagiert das Museum einerseits auf die Forderungen entsprechender Personen und Gruppen nach Teilhabe. Andererseits ist es die Aufgabe des Museum als öffentlicher Einrichtung, unabhängig von solchen Forderungen aktiv insbesondere auf jene Personen und Gruppen zuzugehen, die nicht von sich aus den Kontakt zur Institution Museum suchen. Hierbei ist es hilfreich, institutionelle, soziale, sprachliche, bauliche oder andere Barrieren abzubauen. Auf der anderen Seite sollte das Ziel, Zugänge zu erleichtern, nicht mit der Erwartung verwechselt werden, jedes Mitglied der glocal community müsse zwangläufig Interesse, Zeit und Lust an der diskursiven Auseinandersetzung innerhalb des Museums haben. Die Trennung von Erinnerungsräumen zumindest in Teilen aufzuheben bzw. Erinnerungsräume zu erweitern, war unser Anliegen bei der Konzeption und Umsetzung der von uns am Kreuzberg Museum kuratierten Ausstellung ortsgespräche. Wir wollten versuchen, den Dualismus der allgemeinen Geschichte versus der Geschichte der Anderen zu überwinden, und stattdessen einen Raum kreieren, in dem die Erinnerungen von MigrantInnen, ihren Nachkommen und Einheimischen miteinander verwoben werden sind – sich ergänzend, sich widersprechend oder nebeneinander stehend. Migrationsgeschichte sollte als integraler Bestandteil von Stadtgeschichte erzählt und das Gezeigte als facettenreich, vielstimmig und diskursiv begriffen werden. Zugleich gingen wir im oben beschriebenen Sinne davon aus, dass aus der Sicht des Museums erst durch die Beteiligung von AkteurInnen aus dem Bezirk, dessen Geschichte erzählt werden sollte, tatsächlich Räume für eine geteilte Erinnerung entstehen können. Dies bedeutete eine Neubewertung der Rolle der KuratorInnen im Sinne des Inklusiven Museums. Diese übernehmen nunmehr verstärkt auch die Rolle von ModeratorInnen, BegleiterInnen, MediatorInnen. Sie akzeptieren die zwangsläufige Beschränktheit ihres eigenen Wissens und sind daran interessiert, dieses durch die Perspektiven eines möglichst breit gefächerten Spektrums von Nicht-MuseumsmitarbeiterInnen zu ergänzen und zu reflektieren. Damit verbunden ist die Auffassung, dass das Museum ein diskursiver Raum ist, der seine eigenen Begrenzungen offenlegen und zur Diskussion stellen sollte.

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ORTSGESPRÄCHE :

V ON DER I DEE ZUR A USSTELLUNG

Orte erzählen (Migrations)Geschichten Um die Idee einer integrierten Stadt- und Migrationsgeschichte des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg und das Prinzip der Vielstimmigkeit einer Geschichte von unten zu operationalisieren, beschlossen wir, konkrete Orte im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zu den Fluchtpunkten bzw. zu den strukturierenden Elementen der Ausstellung zu machen. Wir gingen davon aus, dass sich die Verknüpfung von Stadtentwicklungs- und Migrationsprozessen an konkreten Orten in der Stadt besonders gut zeigen lässt. Menschen begegnen sich an solchen Orten, sie prägen und verändern diese Orte im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte. Hier bündeln sich unterschiedliche Erlebnisse und Wahrnehmungen, Gemeinsamkeiten, Konflikte und Veränderungen. Die Stärke dieses Zugangs liegt darin, dass die verschiedenen AkteurInnen jeweils zum gleichen Thema – nämlich über ihre Erinnerung, ihre Assoziationen zu bestimmten Orten – sprechen. Dadurch werden die Befragten nicht auf bestimmte reale oder zugeschriebene Eigenschaften reduziert. MigrantInnen wie Nicht-MigrantInnen können so gleichermaßen als Handelnde in der Stadt zu Wort kommen.

Z UM V ERHÄLTNIS VON KUR ATORISCHEM UND PARTIZIPATIVEN P ROZESS Wie bereits erwähnt, muss die Rolle der KuratorInnen im Inklusiven Museum einer Neubewertung unterzogen werden. Leitbild kann unseres Erachtens nicht mehr »the old-fashioned curator, (…), emphasising his authority and autonomy« 21 sein. Ein vollkommen gegensätzliches Leitbild wäre das eines »project worker of a community museum who sees himself (herself) as executor of the will of a specific contemporary community« 22. In diesem Sinne wurde in verschiedenen Ausstellungsprojekten am Kreuzberg Museum die Autorenschaft ganz an museumsexterne Mitglie-

21 | Ebenda, S. 60. 22 | Ebenda.

Geteilte Erinnerungsräume

der aus der glocal community abgegeben.  In diesem Modell entzieht sich das Museum allerdings nahezu vollkommen der Verantwortung für die Inklusion ganz unterschiedlicher Gruppen und Stimmen innerhalb eines Projekts. Daher verorten wir unsere Rolle in Anlehnung an Léontine Meijer-van Mensch zwischen diesen beiden Polen: »In most cases, the role of the museum professional as broker, facilitator, mediator or moderator will lie between these extremes, acknowledging that the museum professional cannot be independent or neutral. (…) as facilitator, a museum professional will see it as his/her responsibility to create and sustain a participatory environment, cultivating cultural awareness and sensitivity. He/she will assist the community or group in reflection on its experience. In all that he/she will bring the professional responsibilities into the discussion. Facilitation should include transparency.« 24

Was dieses Rollenverständnis für das Verhältnis von kuratorischem und partizipativem Prozess bzw. seine Verschränkung in der Ausstellung ortsgespräche im Konkreten bedeutete, sei im Folgenden beispielhaft skizziert. Zunächst ist klar zu benennen, dass wir mit dem Projekt ein konkretes Ziel verfolgten: die Verwirklichung einer Ausstellung, in der integrierte Stadt- und Migrationsgeschichte aus multiplen Perspektiven erzählt wird. Wir wollten explizit jene zu Wort kommen lassen, die bisher in Ausstellungen selten gehört und deren Themen oder Stimmen marginalisiert werden. Auf diese Weise wollten wir im Sinne eines Inklusiven Museums die vermeintlich eindeutig abgesteckten, bisher von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft dominierten Erinnerungsräume öffnen.  Dieser von uns als Kuratorinnen vorgegebene konzeptionelle Grundgedanke gab den Rahmen vor, innerhalb dessen Raum für Diskursivität, Vielstimmigkeit und die Nicht-Abgeschlossenheit von Geschichte entstehen sollte. Diskursivität und Vielstimmigkeit wiederum wollten wir 23 | Vgl. Düspohl (wie Anm. 18), S. 159-180; Bluche, Lorraine/Düspohl, Martin/Miera, Frauke: Partizipation im Berliner Kreuzberg Museum. Erfahrungen und Perspektiven, in: Gesser (wie Anm. 9), S. 156-163. 24 | Mensch/Meijer-van Mensch (wie Anm. 5), S. 60. 25 | Hierzu gehört selbstverständlich, dass wir rassistischen, sexistischen, homophoben oder andere Gruppen diskriminierenden Stimmen keinen Raum geben wollten.

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vor allem durch die Anwendung verschiedener Formen der Partizipation erreichen. Mit der Entscheidung, das Ausstellungsprojekt partizipativ zu gestalten, traten wir aus der klassischen KuratorInnen-Rolle zumindest teilweise heraus und nahmen stärker die Rolle von Lernenden an, die immer wieder mit Mitgliedern der glocal community über Inhalte und Gestaltung in Diskussion traten. Die Formen der Partizipation im Ausstellungsprojekt ortsgespräche kategorisieren wir im Folgenden unter Rückgriff auf ein von der US-amerikanischen Ausstellungsmacherin Nina Simon vorgelegtes Analyseraster. Um den Grad der Einbindung von BesucherInnen in ein Ausstellungsprojekt zu bemessen, unterscheidet Simon in ihrem Praxishandbuch »The Participatory Museum« zwischen drei Formen der Beteiligung: »In contributory projects, visitors are solicited to provide limited and specified objects, actions, or ideas to an institutionally controlled process. (…) In collaborative projects, visitors are invited to serve as active partners in the creation of institutional projects that are originated and ultimately controlled by the institution. (…) In co-creative projects, community members work together with institutional staff members from the beginning to define the project’s goals and to generate the program or exhibit based on community interests.« 26

Während der Phase der Ausstellungsvorbereitung suchten und führten wir den Dialog mit einer möglichst großen Bandbreite von MultiplikatorInnen: mit Personen, die im Bezirk politisch, sozial und kulturell aktiv sind, darunter Migranten aus verschiedenen Ländern, Angehörige der zweiten oder dritten Einwanderergeneration und einheimische Deutsche. Diese konzeptionelle Begleitung des Projekts bis hin zur Ausstellungser26 | Simon, Nina: The Participatory Museum, Santa Cruz 2010, S. 187. Simon hat ihr Analyseraster um eine weitere Variante der Partizipation ergänzt, die sie unter dem Begriff hosted fasst. In dieser Variante zieht sich die institutionelle Seite komplett zurück, stellt lediglich den Raum zur Verfügung, nimmt aber keinen inhaltlichen Einfluss auf das Projekt; vgl. auch das oben genannte Modell des Kurators als »project worker«. Die Fragen, welche Personen und Gruppen am Ausstellungsprozess teilhaben, wer aus welchen Gründen das Museum für sich als öffentlichen Ort reklamiert und wen die KutarorInnen durch ihre jeweiligen Vernetzungsstrategien erreichen, sind mit diesem Analyseraster noch nicht angesprochen.

Geteilte Erinnerungsräume

öffnung durch Museumsexterne ist an der Schnittstelle zwischen co-creative und collaborative zu verorten. Wir führten zu Beginn des Projekts eine Workshop-Reihe durch, aus der ein Ausstellungsbeirat hervorging, der im Turnus von drei Monaten tagte. In den Workshops und den Beiratssitzungen haben wir das Konzept und unsere jeweiligen weiteren zentralen Arbeitsschritte zur Diskussion gestellt und im Dialog mit den Beteiligten weiterentwickelt. Aus kuratorischer Sicht waren diese Treffen immer wieder Inspirationsquelle und konstruktives Korrektiv, speziell bei der Feinjustierung von Inhalten. Zugleich schöpften nicht nur wir als Kuratorinnen einen Mehrwert aus diesem Dialog. Wie in der auswertenden Sitzung nach Ausstellungseröffnung deutlich wurde, waren die Beiratssitzungen auch für seine Mitglieder bereichernd: Im Gespräch miteinander lernten alle Beteiligten neue Facetten der Bezirksgeschichte kennen. Kontributive Formen der Partizipation wählten wir, um besonders im Hinblick auf die jüngere Bezirksgeschichte möglichst viele und unterschiedliche KreuzbergerInnen und FriedrichshainerInnen zu direkten AkteurInnen der Ausstellung zu machen, ihre Stimmen in der Ausstellung hör- und sichtbar zu machen. Für die Ausstellung haben wir, unterstützt von ehrenamtlichen MitstreiterInnen, mit mehr als einhundert Personen Interviews geführt, die in Form von Audio- und Videointerviews, Zitaten usw. in die Präsentation eingeflossen sind. Manche der InterviewpartnerInnen haben darüber hinaus weiterführendes ExpertInnen-Wissen sowie Objekte beigesteuert. In der Phase seit der Fertigstellung und Eröffnung der Ausstellung haben die BesucherInnen darüber hinaus verschiedene Möglichkeiten, eigene Spuren oder Perspektiven in der Ausstellung zu hinterlassen, die ebenfalls als kontributive Elemente bezeichnet werden können: so zum Beispiel indem sie auf Post-Its eigene Kommentare und kleine Geschichten an hierfür vorgesehene Tafeln oder in einem eigens eingerichteten Aufnahmestudio per Interview neue Ortsgeschichten beitragen, die sukzessive in die Ausstellung integriert werden. Diese Möglichkeiten der kontributiven Partizipation während der Laufzeit versinnbildlichen die Idee der Nicht-Abgeschlossenheit und Diskursivität von Geschichtserzählungen bzw. des in der Ausstellung kreierten Erinnerungsraums. Die Entscheidungen darüber, welche Orte, Themen und Stimmen in Form von Interviews in die Ausstellung Eingang finden sollten, fällten letztendlich wir. Dies war den Beteiligten in Workshops, Beirat und auch den InterviewpartnerInnen bewusst. Dennoch lassen sich diese Entschei-

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dungen nicht unabhängig von den vielen Diskussionen und Gesprächen mit diesen AkteurInnen denken. Die kuratorischen Entscheidungen waren zugleich Produkte der vielfältigen Dialoge, die im Projekt auf verschiedenen Ebenen durchgängig stattfanden. Der partizipative Prozess – so lässt sich zusammenfassen – hat dazu geführt, dass die Stimme der Kuratorinnen in der Ausstellung untrennbar mit unzähligen weiteren Stimmen verwoben ist, gleichwohl sie insbesondere auf der konzeptionellen Metaebene, immer präsent ist. Insofern lässt sich von einer gegenseitigen Bedingtheit sprechen: Dieses Projekt mit seinen spezifischen Inhalten hätte weder ohne unsere konzeptionellen Überlegungen und Entscheidungen noch ohne die Beteiligung der verschiedenen museumsexternen AkteurInnen in dieser Form umgesetzt werden können. Auch wenn wir letztendlich die Autorinnen der Ausstellung bleiben, so verliert dennoch die Kategorie der Autorenschaft in einem partizipativen Projekt zwangsläufig an Eindeutigkeit.

Geteilte Erinnerungsräume in der Ausstellung ortsgespräche Anhand zweier Beispiele aus der Ausstellung wollen wir einen Einblick in die geteilten Erinnerungsräume geben, die aus der oben beschriebenen Verzahnung von kuratorischem und partizipativen Prozess heraus entstanden sind.

1. Der Görlitzer Park: Multikulturelles Kreuzberg neu erzählt Im ersten Ausstellungsraum werden sechs zentrale Orte des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg in ihrer historischen Vielschichtigkeit präsentiert. Einer dieser Orte ist der heutige Görlitzer Park. Diese noch relativ junge Grünfläche – vormals eine umweltverseuchte Brache und ehemaliges Bahnhofsgelände – im Herzen von Kreuzberg gilt gemeinhin als Beispiel für gelungenes bürgerschaftliches Engagement und den Beginn von Bürgerbeteiligung an Stadt planungsprozessen. Aufgrund der Gespräche in den Workshops und im Beirat sowie weiterer Recherchen kommen in der Ausstellung AkteurInnen mit ihren Geschichten zu Wort, die bisher nicht Teil dieser von einheimischen deutschen AktivistInnen geprägten hegemonialen Geschichtserzählung waren. So berichtet ein Schlosser, der 1970 aus der Türkei nach Deutschland angeworben wurde und sich bald selbständig machte, wie er ohne jede Entschädigungszahlung mit seinem Betrieb vom Gelände weichen musste, weil hier der Park entste-

Geteilte Erinnerungsräume

hen sollte. Der damalige Sprecher einer islamischen Moscheegemeinde erzählt, wie seine Gemeinde in den 1980er Jahre Räume auf dem Gelände nutzen konnte, aber ebenfalls aufgrund des Parkvorhabens gezwungen war, unter großen Schwierigkeiten neue Räumlichkeiten zu suchen. Schließlich erinnert ein Aktivist türkischer Herkunft an konkrete Pläne für ein Türkisches Kulturzentrum auf dem Parkgelände, welches neben Teehaus, Dampfbad und Bibliothek auch einen Gebetsraum beherbergen sollte. Dieses Vorhaben bewertet der Vertreter der Moscheegemeinde wiederum als Vereinnahmung der Muslime durch die säkularen, politisch linken EinwandererInnen aus der Türkei. Der Entwurf für das Zentrum fand bei den von einheimischen Deutschen besetzten Entscheidungsgremien keine Mehrheit. Neben diesen weitgehend unbekannten oder nicht erinnerten Geschichten kommt eine Aktivistin deutscher Herkunft zu Wort. Ihre Geschichte wurde wiederum von behördlicher Seite kaum gewürdigt. Sie kämpfte lange Jahre mit großem Engagement gegen die Umweltverschmutzung auf dem Gelände und für die Parkidee. Durch ihre Stimme wird aber auch deutlich, dass es unter den deutschen AnwohnerInnen, die sich für den Park einsetzten, pauschale Vorbehalte gegen die Türken gab, die sich ja bereits Räume auf dem Gelände angeeignet hatten oder Mitsprache und Mitgestaltung bei der Parkplanung beanspruchten. Diese verschiedenen Perspektiven auf die Geschichte des Görlitzer Parks vermitteln ein facettenreiches und widersprüchliches Bild dieses Ortes. Es entsteht ein geteilter Erinnerungsraum, in dem der Park nicht nur als Symbol für Bürgerbeteiligung und multikulturelles Leben begriffen wird, sondern auch als ein Ort von Konflikten unter MigrantInnen aus der Türkei sowie von Begrenzung der Teilhabe gerade von MigrantInnen.

2. Virtuelle Stadtführungen: Multiperspektivität und Alltagsgeschichte In der zweiten Ausstellungsetage wird die Idee der geteilten Erinnerungsräume in Bezug auf individuelles, alltagsgeschichtliches Erinnern umgesetzt. Hierfür baten wir mit Unterstützung ehrenamlicher MitstreiterInnen etwa dreißig Bewohner und Bewohnerinnen des Bezirks, uns ihre persönlichen Stadtrundgänge zu erzählen. Wir fragten sie nach fünf bis acht Orten im Bezirk, an denen sie sich gern oder ungern aufhalten, die sie besonders geprägt haben und die sie typisch für den Bezirk halten. Ins-

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gesamt sind etwa 150 alltägliche, persönliche Geschichten entstanden.  Sie erzählen über die erste Wohnung, den ersten Deutschkurs, über Orte der individuellen Politisierung, über Orte der Zuflucht oder der Bedrohung, über Orte des Freizeitvergnügens und zwischenmenschlicher Begegnungen, und Geschichten, in denen sich Ereignisse von übergeordneter geschichtlicher Bedeutung mit subjektivem Erleben verbinden. Bei der Auswahl der InterviewpartnerInnen haben wir versucht, nicht nur eine möglichst große Bandbreite von Menschen des Bezirks abzubilden, sondern gerade auch Menschen zu Wort kommen zu lassen, deren Stimmen in der Regel im Museum nicht gehört werden. Es sprechen hier also Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, Illegalisierte, Kinder, Jugendliche, Alte, ein Gehörloser oder queere Menschen. Die Besucher können die Geschichten per iPod anhören; sie orientieren sich dabei auf einem überdimensionierten Stadtplan des Bezirks FriedrichshainKreuzberg, auf dem die Orte zu den Geschichten markiert sind. Die Multiperspektivität auf Geschichte und die Stadt wird auf verschiedene Weise deutlich. Zum einen lernen die Besucher über die persönlichen Touren auch etwas über die vielfältigen, individuellen Charaktere und Biografien der Interviewten. Zum anderen überschneiden sich die Touren an verschiedenen Orten: Hier können die Besucher mehrere Geschichten aus unterschiedlichen Blickwinkeln zum selben Ort hören. Insgesamt entsteht eine Art dichter und zugleich differenzierter Beschreibung des Bezirks durch seine Bewohner.

D AS INKLUSIVE (S TADT-)M USEUM DER Z UKUNF T E IN A USBLICK Am Beispiel der Ausstellung ortsgespräche haben wir aufgezeigt, wie wir – geleitet von der Vision eines Inklusiven Museums – die Schaffung geteilter Erinnerungsräume in einem stadtteilgeschichtlichen Museum erprobt haben. Dies implizierte ein auf die Inklusion gesellschaftlich marginalisierter Gruppen abzielendes Konzept, eine Neubewertung der Rolle der Ku27 | Zudem können die BesucherInnen in einem eigens eingerichteten Aufnahmestudio eigene Ortsgschichten beitragen. So erweitert sich die Ausstellung während ihrer Laufzeit um weitere Perspektiven.

Geteilte Erinnerungsräume

ratorInnen im Sinne von VermittlerInnen oder ModeratorInnen sowie verschiedene Formen der Einbeziehung von Mitgliedern der glocal community in den Prozess der Ausstellungsentwicklung und -umsetzung. Zugleich sind uns die Grenzen unseres Vorgehens in dem hier vorgestellten Projekt bewusst. In den Diskussionsprozess über das Ausstellungskonzept waren im Rahmen der Workshops und des Beirats insgesamt rund sechzig Personen involviert; in der Ausstellung kommen alles in allem etwa einhundert InterviewpartnerInnen in verschiedener Form zu Wort. So hoch diese Zahlen auch sind, versteht sich von selbst, dass – bei aller Heterogenität der am Projekt beteiligten Menschen – zahlreiche Stimmen fehlen.  Hier spielen zeitliche, personelle und finanzielle Beschränkungen eine Rolle. Um zum Beispiel gesellschaftlich stärker marginalisierte Gruppen zu erreichen, und nicht allein Personen zu gewinnen, die bereits ein Grundinteresse an einer solchen Arbeit haben, wären weitere Strategien zu entwickeln und umzusetzen. Diese Begrenztheit haben wir in der Ausstellung teilweise sichtbar gemacht, indem wir den BesucherInnen Möglichkeiten gegeben haben, eigene Kommentare und Geschichten beizusteuern. Darüber hinaus ist bezogen auf die Grenzen unseres Vorgehens im Hinblick auf die Erweiterung von Erinnerungsräumen festzuhalten, dass wir in der Ausstellung ortsgespräche den inhaltlichen Schwerpunkt auf das Thema Migration und die Beteiligung von MigrantInnen und ihren Nachkommen gelegt haben. Im Inklusiven Museum der Zukunft sind die einzubindenden Gruppen und Themen selbstverständlich auszuweiten.  So würden in einem zukünftigen Stadtmuseum sozial Benachteiligte, Menschen im Rollstuhl, Menschen mit Lernschwierigkeiten, Blinde, Schwule, Lesben, Transgender, Alte, Jugendliche und Kinder, Menschen mit den unterschiedlichsten 28 | So waren beispielsweise mehr Menschen türkischer als vietnamesischer Herkunft im Projekt aktiv. Die traditionell stärkere Verankerung des Kreuzberg Museums in der türkischen Community, die die Kontaktaufnahme erleichtert hat, spielte hier sicher eine Rolle. Mit mehr Zeit und weiteren MitarbeiterInnen mit entsprechenden Sprachkenntnissen, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, hätte hier womöglich ein größeres Gleichgewicht erreicht werden können. 29 | Vgl. z.B. in Bezug auf die systematische Implementierung von Gender in Ausstellungen Muttenthaler, Roswitha/Wonisch, Regina: Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen, Bielefeld 2007.

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Muttersprachen, Hautfarben usw. zusammenkommen, zuhören und mitreden. Das zentrale Moment im Hinblick auf die Schaffung eines Inklusiven Museums ist Kontinuität und Nachhaltigkeit. Im Rahmen eines zeitlich befristeten Projekts können Prozesse lediglich angestoßen, aber nicht nachhaltig verankert werden. Wie könnte also das Inklusive Museum der Zukunft idealerweise aussehen? Im Inklusiven Museum der Zukunft stehen die MuseumsmitarbeiterInnen auf der Grundlage eines gemeinsam erarbeiteten Leitbild kontinuierlich mit einem (immer wieder erweiterbaren) community board in Austausch und erarbeiten dialogisch, welche Themen und Inhalte für das Museum – für seine Ausstellungs-, Sammlungs-, Forschungs- und Vermittlungsarbeit – relevant sind. Die Mitglieder des community boards fungieren zugleich als MultiplikatorInnen in die Stadt hinein und sind unterstützend dabei tätig, Interessierte für die Mitarbeit in konkreten Projekten zu gewinnen. Das Inklusive Museum ist ein diskursiver Ort, ein Ort der Begegnung und des Austausches. Im Hinblick auf diese kommunikative Funktion stellt das Inklusive Museum offene und einladende Projekträume im Sinne eines Stadtlabors zur Verfügung. Das Inklusive Museum der Zukunft ist ein zukunftgewandtes Museum, das zugleich geschichtsbewusst ist. Die Entwicklung von Strategien zum gegenwartsbezogenen Sammeln und eine verantwortungsbewusste Auseinandersetzung mit dem Web 2.0 spielen eine zentrale Rolle. Ohne sich selbst obsolet zu machen, tritt das Inklusive Museum der Zukunft auch außerhalb seiner Räumlichkeiten in Interaktion mit dem Stadtraum. Es sucht aktiv den Kontakt mit seiner glocal community. Dieses Inklusive Museum ist nicht nur personell angemessen ausgestattet, sondern verfügt auch über Mittel, um ehrenamtliche Arbeit zu honorieren, damit der strukturelle Ausschluss von sozial Benachteiligten sich nicht auch hier perpetuiert. Nicht zuletzt spiegelt sich auch in der MitarbeiterInnen-Struktur des Museums die Vielfalt unserer Gesellschaft wider. Auch wenn wir hier von Visionen sprechen, erscheint uns die Realisierbarkeit des Inklusiven Museums nicht allzu utopisch. Zahlreiche Museen im internationalen Kontext können hier Vorbildfunktion haben. Auch in Deutschland zeigen beispielsweise das Historische Museum Frankfurt, das Stadtmuseum der Stadt Düsseldorf sowie das Berliner 30 | Vgl. bspw. die zahlreichen Praxisbeispiele in: Dodd/Sandell (wie Anm. 1).

Geteilte Erinnerungsräume

Kreuzberg Museum, dass sich Elemente des Inklusiven Museums erfolgreich umsetzen lassen. Unsere Überlegungen zum Inklusiven Museum zielen zunächst auf stadt(teil)geschichtliche Museen ab. Dies heißt im Umkehrschluss allerdings nicht, dass ein inklusiver Ansatz nicht auch in anderen Museumstypen erprobt werden könnte. Wie Richard Sandell und Jocelyn Dodd in »Including Museums« schreiben: »The challenge is for individual organisations, and everyone who works within them, to explore the relevance of social inclusion to their own context and to become more open to the development of new goals and professional practices.« 32

31 | Das Kreuzberg Museum kann hier auf die längste Tradition zurückblicken. Zur Praxis des Museums in den letzten fünfzehn Jahre vgl. Düspohl, (wie Anmerkung 18). 32 | Dodd/Sandell (wie Anm. 1), S. 35.

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Anhang

Seminarplan Europa-Universität Viadrina Professur Geschichte Osteuropas Sommersemester 2011

Praxisseminar Bachelor/Master

Interkulturelle historisch-politische Bildung in musealen Räumen Dr. Felix Ackermann, Anna Boroff ka, Gregor H. Lersch

6.5.

Blockseminar 13-18 Uhr, Märkisches Museum, Berlin, Treffpunkt 13.00 Uhr Foyer Museumstheorie: Museum, Artefakt, Erinnerung

13.5.

Blockseminar 15-19 Uhr, Gropiusbau, Berlin, Treffpunkt 15.00 Uhr Foyer Museumsanalyse: Narration, Architektur und Kommunikation

27.5.

Blockseminar 14-19 Uhr, Märkisches Museum, Museumslabor Museumsdidaktik: Dekonstruktion & Rekonstruktion

3.-5.6. Blockseminar in Görlitz, Abfahrt nach Cottbus: 7.26 Uhr Hbf. Berlin, 7.34 Hbf. Frankfurt Sächsische Landesausstellung Via Regia und des Schlesische Museum 14.6. Verbindliche Anmeldung zum Führungspool und ModerationsWorkshop am 1.7. 17.6.

Blockseminar 15-18 Uhr, Berlin

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Par tizipative Erinnerungsräume

Multiperspektivität: 1000 Jahre deutsch-polnische Beziehungsgeschichte? 1.7.

9.30-18 Uhr Workshop Museumsmoderation I, Klubraum Kultur projekte, Klosterstr. 68 Partizipative Führungen in musealen Räumen

15.7.

Blockseminar 15-19 Uhr Präsentation und Diskussion des Tandemführungskonzepts

22.9. 9.30-18 Uhr Workshop Museumsmoderation II, Martin-GropiusBau Einüben der Tandemführung in der bereits aufgebauten Ausstellung 23.9. Reguläre Öffnung der Ausstellung Deutschland. Polen. 1000 Jahre. 24.9. Beginn der deutsch-polnischen Tandemführungen

Seminarplan

Grundlage zur Selbstevaluation nach Abschluss des Seminars:

Notiere bitte für Dich, welche Ziele Du selbst mit der Seminarteilnahme verfolgst! _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________

Wie viel Zeit bist Du bereit, in das Projektseminar zu investieren? O 25 Stunden O 150 Stunden

O 50 Stunden O 250 Stunden

O 100 Stunden

@ Bring bitte am 6.5. einen Gegenstand mit, der mit Deiner Familien geschichte zu tun hat! @ Lies die fett gedruckten Texte zur Vorbereitung der nächsten Sitzung unter den kursiv formulierten Fragestellungen!

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Par tizipative Erinnerungsräume

6.5. Blockseminar 13-18 Uhr, Märkisches Museum Berlin, Treffpunkt Foyer 13.00 Museumstheorie: Artefakt, Museum, Erinnerung Was ist ein Museum? Was ist eine Ausstellung? Inwieweit verändert sich ein Gegenstand im musealen Kontext? Welche Rolle spielt das Museum in der Erinnerungskultur? Pomian, Krzysztof: Museum und kulturelles Erbe, in Korff, Roth (Hg.): Das historische Museum, Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik. Frankfurt a.M., 1990, S. 41-64. Korff, Gottfried, Zur Eigenart der Museumsdinge, in Korff, Museumsdinge, Köln, 2002, S. 140-145. Pieper, Katrin, »Resonanzräume. Das Museum im Forschungsfeld Erinnerungskultur« in Baur, Joachim (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld, 2010, S. 187-212. Beier-de Haan, Rosemarie: Die Notwendigkeit der Inszenierung, in: Dies.: Erinnerte Geschichte – Inszenierte Geschichte: Ausstellungen und Museen in der Zweiten Moderne, Frankfurt a.M., 2005, S. 176-187. Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, OnlineAusgabe,  4 (2007), H. 1+2, Debatte: Zwischen Event und Aufklärung: Zeitgeschichte ausstellen URL: www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Inhalt-2-2007 Materialien zur Debatte Zwischen Event und Aufklärung: Zeitgeschichte ausstellen, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 4 (2007), H. 1+2, URL: www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Material-Debatte-22007 Wider die Gegenwartsschrumpfung. Einige Überlegungen zur Zukunft des Museums, in: John, Hartmut, Dauschek, Anja (Hg.): Museen neu denken. Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit, Bielefeld 2008, S. 133-152.

Seminarplan

Echterhoff, Gerald: Das Außen des Erinnerns: Medien des Gedächtnisses aus psychologischer Perspektive, in: Erll, Astrid, u.a. (Hg.): Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität – Historizität – Kulturspezifität, Berlin/New York 2003, S. 61-82.

@ Lies die fett gedruckten Texte zur Vorbereitung der nächsten Sitzung unter den kursiv formulierten Fragestellungen! @ Besucht nochmals das Märkische Museum mit Fotoapparat und untersucht in Arbeitsgruppen die Dauerausstellung unter einem der folgenden Gesichtspunkte: -

Raum: In welchem Verhältnis stehen die Architektur des Hauses und die Gestaltung der Ausstellung? Exponat – Text: Wie ist das Verhältnis von Exponaten und Text? Inwiefern wirken hier Dominanzeffekte? Narration: Wie verläuft die Erzählung der Ausstellung? Existiert eine Dramaturgie? Partizipation: Wie wird der Besucher durch die Ausstellung geführt? Wird er einbezogen? Kommunikation: Welches Begleitangebot gibt es für welche Zielgruppen?

@ Bereitet gemeinsam in Eurer Gruppe zum 13.5. eine 5-minütige Präsentation mit 3 Hauptthesen und max. 3 Slides vor! Bitte als Ppt-Datei mit max. 1.500 Wörtern an [email protected] bis zum 7.5.2011!

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Par tizipative Erinnerungsräume

13.5. Blockseminar 15-19 Uhr, Gropiusbau Berlin, Treffpunkt Foyer 15.00 Museumsanalyse: Narration, Architektur, Kommunikation In welchen Dimensionen lässt sich ein Museum/eine Ausstellung analysieren?

Wie entsteht Kommunikation in musealen Räumen?

Beier-de Haan, Rosmarie: Historische Ausstellungen zwischen Erster und Zweiter Moderne, in: Dies.: Erinnerte Geschichte – Inszenierte Geschichte. Ausstellungen und Museen in der Zweiten Moderne, Frankfurt a.M. 2005, S. 232-253. Paul, Stefan: Kommunizierende Räume. Das Museum, in: Geppert, Alexander C.T./Jensen, Uffa/Weinhold, Jörn (Hg.): Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert, Bielefeld 2005, S. 341-357. Thiemeyer, Thomas: Geschichtswissenschaft: Das Museum als Quelle, in: Baur, Joachim (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld, 2010, S. 73-94. Pohl, Karl Heinrich: Wann ist ein Museum »historisch korrekt«, in: Olaf Hartung (Hg.): Museum und Geschichtskultur. Ästhetik – Politik – Wissenschaft, Bielefeld, 2006, S. 273-286. URL: www.zeithistorische-forschungen.de/Portals/_ZF/documents/pdf/ Pohl-Museum.pdf John, Hartmut: Museumskultur für alle – 2.0, in: Ders., Dauschek, Anja (Hg.): Museen neu denken. Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit, Bielefeld 2008, S. 15-64. Dyroff, Stefan: Das Deutschlandbild in polnischen Museen. Einführende Überlegungen, in: Ders./Krzoska, Markus (Hg.): Geschichtsbilder und ihre museale Präsentation. Ausgewählte Beiträge zur Geschichte der Deutschen in Polen in Vergangenheit und Gegenwart, München 2009, S. 11-23.

Seminarplan

Wolff-Powęska, Anna: Das Deutschland- und Deutschenbild der Polen in den letzten Jahren, in: Dyroff, Stefan/Krzoska, Markus (Hg.): Geschichtsbilder und ihre museale Präsentation. Ausgewählte Beiträge zur Geschichte der Deutschen in Polen in Vergangenheit und Gegenwart, München 2009, S. 25-51.

@ Lies die fett gedruckten Texte zur Vorbereitung der nächsten Sitzung unter den kursiv formulierten Fragestellungen! @ Entwickle allein oder in einer Gruppe von bis zu 4 Personen einen didaktischen Ansatz für die Erschließung des Museum Viadrina für neue Besucher! Beantwortet dazu folgende Fragen: -

welche Gruppen werden derzeit nicht aktiv adressiert? Auf welche würdet Ihr Euch konzentrieren? welche Gegenwartsfrage möchtet ihr im Museum Viadrina thematisieren? welche Objekte/Bilder/Räume eignen sich dafür? mit welcher Methode könnte man im Museum Viadrina eine partizipative Situation kreieren? welche zeitlichen, materiellen und finanziellen Mittel müssten aufgebracht werden, um ein Pilotprojekt durchzuführen? welche offenen Fragen gibt es im Projekt?

@ Formuliert die Antworten in Form eines 1-2-seitigen Konzepts, das außerdem einen aussagekräftigen Titel, die Namen der Autoren sowie einen Kontakt zu diesen enthält und sendet es bis zum 23.5.2011 an [email protected]

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Par tizipative Erinnerungsräume

27.5. Blockseminar 15-19 Uhr, Gropiusbau Berlin, Treffpunkt Foyer 15.00 Museumsdidaktik: Dekonstruktion & Rekonstruktion Wie funktioniert historische Sinnbildung im musealen Kontext? Welche Kompetenzen können im Museum gefördert werden? Körber, Andreas: Kompetenzoriertes historisches Lernen im Museum. Eine Skizze auf der Basis des Kompetenzmodells »Historisches Denken«, in: Popp, Susanne/Schönemann, Bernd (Hg.): Historische Kompetenzen und Museen, Idstein 2009, S. 62-93. Borries, Bodo von: Lernende in Historischen Museen und Ausstellungen. Erhoffter Kompetenzerwerb und kritische Rückfragen, in: Popp, Susanne/Schönemann, Bernd (Hg.): Historische Kompetenzen und Museen, Idstein 2009, S. 100-120. Geschichtsdidaktik, in: http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtsdidaktik, 20.3.2011 Schreiber, Waltraud/Zabold, Stefanie: Mit Geschichte in Ausstellungen umgehen lernen, in: Schreiber, Waltraud u.a. (Hg.): Ausstellungen anders anpacken. Event und Bildung für Besucher – ein Handbuch, Neuried 2004, S. 197-224. Borries, Bodo von: Historisch Denken Lernen – Welterschließung statt Epochenüberblick. Geschichte als Unterrichtsfach und Bildungsaufgabe, Opladen 2008, S. 20-26. Schwan, Stephan: Lernen und Wissenserwerb in Museen, in: Kunz-Ott, Hannelore/Kudorfer, Susanne/Weber Traudel (Hg.): Kulturelle Bildung im Museum. Aneignungsprozesse Vermittlungsformen Praxisbeispiele, Bielefeld 2009, S. 33-44. Schreiber, Waltraud, u.a. (Hg.): Historisches Denken. Ein KompetenzStrukturmodell, Neuried 2006. Urban, Andreas: Geschichtsvermittlung im Museum, in: Mayer, Ulrich u.a. (Hg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht, Schwalbach 2004, S. 370-388

Seminarplan

@ Analysiere Webauftritt und Flyer der Sächsischen Landesausstel-

lung Via Regia > Welche Erwartungen werden geweckt? Welche Zielgruppen werden angesprochen? Gibt es eine Kernaussage?

@ Lies den fett gedruckten Text zur Vorbereitung der Exkursion

unter den kursiv formulierten Fragestellungen!

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Par tizipative Erinnerungsräume

3.-5.6. Exkursion Görlitz Sächsische Landesausstellung Via Regia und des Schlesische Museum Worin besteht der Unterschied zwischen kunstgeschichtlichen und anderen historischen Artefakten? Was hat Kunstvermittlung mit Kulturwissenschaften zu tun? Erzeugt die Ausstellung vor Ort interkulturelle Kommunikation?

Mörsch, Carmen: Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen. Die documenta zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation, in: Dies. (Hg.): Kunstvermittlung. Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts, Bd. 2, Zürich/Berlin 2009. Nora Sternfeld: Der Taxispielertrick. Vermittlung zwischen Selbstregulierung und Selbstermächtigung, in: schnittpunkt (Hg.): Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005, S. 15-34. Panofsky, Erwin: Ikonographie und Ikonologie, in: Kaemmerling, Ekkehard (Hg.): Ikonographie und Ikonologie, Theorien – Entwicklung – Probleme (Bildende Kunst als Zeichensystem, Bd. 1), Köln 1979, S. 207-224. Gombrich, Ernst: Kunst und Illusion. Zur Psychologie der bildlichen Darstellung. 6. Auflage mit neuem Vorwort, Berlin 2002. Kemp, Wolfgang (Hg.): Zeitgenössische Kunst und ihre Betrachter, Köln 1996. Borries, Bodo von: Geschichtslernen an Kunstwerken? Zur geschichtsdidaktischen Erschließung von Kunstmuseen, in: Hartung, Olaf (Hg.): Museum und Geschichtskultur Ästhetik – Politik – Wissenschaft, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2006, S. 72-101. Dech, Uwe Christian: Sehenlernen im Museum. Ein Konzept zur Wahrnehmung und Präsentation von Exponaten, Bielelfeld 2003, S. 61-90. Schreiber, Waltraud: Führungen vorbereiten – Tipps für Führende und Ausstellungsteams, in: Dies., u.a. (Hg.): Ausstellungen anders anpacken.

Seminarplan

Event und Bildung für Besucher – ein Handbuch, Neuried 2004, S. 379403. Nadler, Michael: Fundiere Grundinformation transportieren. »Richtlinien« für die Entwicklung historische Ausstellungsführungen, in: Schreiber, Waltraud u.a. (Hg.): Ausstellungen anders anpacken. Event und Bildung für Besucher – ein Handbuch, Neuried 2004, S. 406-420.

@ Organisiert Euch in Kleingruppen und legt ein Projekt fest, dass Ihr didaktisch und methodisch so ausarbeitet, dass es bis Ende des Semesters in einem Pilotdurchgang z.B. einer Besuchergruppe getestet werden und ausgewertet werden kann!

@ Alternativ ist es möglich, an der Konzeption und Umsetzung deutschpolnischer Tandem-führungen für die Ausstellung Tür an Tür im Gropiusbau teilzunehmen. Dazu ist eine verbindliche Anmeldung bis zum 8.6. per E-Mail an [email protected] notwendig.

@ Bereitet in beiden Fällen zum 15.7. eine 5-minütige Präsentation

vor. Es ist möglich, am 15.7. bereits Ergebnisse der Pilotphase zu präsentieren. Bitte das Konzept als Doc-Datei und die Präsentation als Ppt-Datei bis zum 7.7.2011 an [email protected]!

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Par tizipative Erinnerungsräume

15.7. Blockseminar 15-19 Uhr Präsentation und Diskussion der Projektkonzepte Präsentation — Diskussion — Evaluation

Selbstevaluation nach Abschluss des Seminars: Was hast Du durch das Seminar gelernt? _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________

Welche Fragen sind offen geblieben? _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ Wie viel Zeit hast Du letztlich verwendet, um das Projektseminar erfolgreich zu bestreiten? O 25 Stunden O 150 Stunden

O 50 Stunden O 250 Stunden

O 100 Stunden

Seminarleitfaden zur Museumsanalyse Europa-Universität Viadrina, SS 2011 Felix Ackermann, Anna Boroff ka, Gregor H. Lersch Interkulturelle historisch-politische Bildung in musealen Räumen, Exkursion nach Görlitz 3.-5.6.2011

Fokus

Multiperspektivität

Leitfragen

– welche Zielgruppen (Schichten, Generationen, geographische Herkunft) werden angesprochen? – werden unterschiedliche Sichtweisen innerhalb der Ausstellung ermöglicht/verdeutlicht? – welches Konzept von Interkulturalität wird für die Region konstruiert? Funktioniert dieses? Notizen

Objekte – welche Artefakte werden ausgestellt? – wird ihr Entstehungskontext/unterschiedliche Bedeutungen klar? – wie werden sie inszeniert? Text – wie erfolgt die Kontextualisierung der Objekte? – wie wird genau mit Mehrsprachigkeit umgegangen? – für wen sind die Texte verfasst?

Zusammenfassung

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Par tizipative Erinnerungsräume

Raum – wie korrespondiert die Ausstellung mit der historischen Bausubstanz? – lässt der Raum unterschiedliche Wege die Ausstellung zu betrachten zu? Narration – was ist im Kern der Plot, der erzählt wird – ist er schlüssig? – wie wird deutsch-polnische/ schlesisch-lausitzisch-böhmische Beziehungsgeschichte erzählt? – wie werden in diese Erzählung Interkulturalität eingewoben? Synthese

Fokus

Partizipation

Leitfragen

– werden die Besucher in der Ausstellung angesprochen und einbezogen? – wie wirken dabei externe Faktoren (Auswahl der Objekte, Gestaltung der Texte und Räume)? – wie emotionale Faktoren (berührt die Ausstellung, ist sie spannend, überraschend, unterhaltsam)? Notizen

Objekte – welche Objekte werden ausgestellt? – Welche Objekte, stehen jeweils für Vergangenheit, Gegenwart und/oder Zukunft? – Legt die Inszenierung einzelner Objekte eine Mittlerrolle nahe?

Zusammenfassung

Seminarleitfaden einer Museumsanalyse

Text – wie erfolgt die Kontextualisierung der Objekte, ist der Text dazu notwendig? – wie stark ist die Rolle des Textes bei der Erläuterung der Intention? – wird der Text in der Gegenwart oder Zukunft formuliert? Kommen Versatzstücke der Vergangenheit Raum – in welchem Verhältnis stehen Ausstellungsarchitektur und historische Bausubstanz? – Beeinflusst die Gestaltung des Ausstellungsraums die Wirkung der Ausstellung und ihre Aussage? – In welchem Verhältnis steht die Ausstellung zum Stadtraum der Europastadt Görlitz/Zgorzelec? Narration – Welche narrativen Elemente werden für die Darstellung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und deren Verbindung angewandt? – Welche Brüche sind in der Erzählung offensichtlich? – Ist die Erzählung schlüssig Synthese

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Par tizipative Erinnerungsräume

Fokus

Brückenfunktion zwischen Vergangenheit und Zukunft

Leitfragen

– Welches Bild von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird vermittelt? – Gibt es einen Bezug zur Gegenwart, wie sieht dieser aus, wie wird er genau hergestellt?

Objekte Noitzen – welche Objekte werden ausgestellt? – Welche Objekte, stehen jeweils für Vergangenheit, Gegenwart und/ oder Zukunft? – Legt die Inszenierung einzelner Objekte eine Mittlerrolle nahe Text – wie erfolgt die Kontextualisierung der Objekte, ist der Text dazu notwendig? – wie stark ist die Rolle des Textes bei der Erläuterung der Intention? – wird der Text in der Gegenwart oder Zukunft formuliert? Kommen Versatzstücke der Vergangenheit zum Einsatz? Raum – in welchem Verhältnis stehen Ausstellungsarchitektur und historische Bausubstanz? – Beeinflusst die Gestaltung des Ausstellungsraums die Wirkung der Ausstellung und ihre Aussage? – In welchem Verhältnis steht die Ausstellung zum Stadtraum der Europastadt Görlitz/Zgorzelec?

Zusammenfassung

Seminarleitfaden einer Museumsanalyse

Narration – Welche narrativen Elemente werden für die Darstellung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und deren Verbindung angewandt? – Welche Brüche sind in der Erzählung offensichtlich? – Ist die Erzählung schlüssig? Synthese

Vergleichende Museumsanalyse Schlesisches Sonder- LandesausMuseum ausstellung stellung Via Regia Multiperspektivität – welche Zielgruppen werden angesprochen? – werden unterschiedliche Sichtweisen innerhalb der Ausstellung ermöglicht? – welches Konzept von Interkulturalität wird für die Region konstruiert? Partizipation – werden die Besucher in der Ausstellung angesprochen und einbezogen? – wie wirken dabei externe Faktoren? – emotionale Faktoren Brückenfunktion – Welches Bild von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird vermittelt? – Gibt es einen Bezug zur Gegenwart, wie sieht dieser aus, wie wird er genau hergestellt? Synthese Lektionen Offene Fragen

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Methodenprotokoll einer Tandemführung Autoren: Lisa Just/Anne Wanitschek Datum: 17.9.2011 Titel: »Geistige Anregung durch Andersdenkende« Idee: Zäsuren der polnischen Geschichte hatten Auswirkungen auf ihre Nachbarn bzw. waren durch sie bedingt.

Titel und Leitlinie umreißen: Beziehungsgeschichte

Wechselseitige Vorstellung der Ausstellung, unserer Personen und unserer Führung (im groben) Begrüßung auf deutsch und polnisch

Aspekt der Leitlinie

Impuls/Einstieg

Methode

0. Begrüßung

Station/Raum, Werk(gruppe)

Von MM geleiteter Austausch, Diskussion, spätere Betrachtung des Portraits

Titel und Jahr nennen Wie ist die Figur dargestellt?

Gemeinsame Betrachtung, von MM geleiteter Austausch Input

Künstler und Jahr nennen. Was sieht man?

- gemeinsame Betrachtung der Werkbestandteile - Überleitung: Verknüpfung mit Titel - Input - Irritation und Spannungsaufbau von moderner Kunst mit historischem Thema

Anne übernimmt Input, beschreibt eigene Erfahrung als Aufhänger In welchem Zusammenhang haben die TN Kopernikus wahrgenommen? (im deutschen oder polnischen Kontext?)

- Hedwigskult ging von Schlesien aus und kam bis nach Berlin (Hedwigs-Kathedrale) -Verbreitung von Verwaltungsmodellen auf polnischem Gebiet, die sie administrativ mit sächsischen Städten verbanden.

1. Annes persönliche Erfahrungen in Thorun: Präsenz im Stadtraum: Uni, Planetarium, Marktplatz, Lebkuchenfirma. Überleitung zu: 2. Rezeptionsgeschichte seiner Biografie: deutsch/polnisch/seine eigene Sicht (Wo lebte er/reiste er?) 3. Rezeption seiner Forschung: Planeten, Anerkennung seiner Zeitgenossen? Wie wurden seine Entdeckungen verbreitet?

3. Nicolaus Copernikus Portrait

Verbindung zwischen Heiligem Römischen Reich und Herzogtum Polen auf personeller Ebene skizzieren

1. Hl. Adalbert von Prag 2. Heilige Hedwig von Mirosław Bałka, (Das Magdeburger Recht in Polen) 1987 (Polen um das (Raum 2) Jahr 1000)

334 Par tizipative Erinnerungsräume

2-3 Minuten

1.Raum, vor Tür (Objekt)

Dann kommen wir zunächst zu einer Person, die ihnen eher unbekannt erscheinen wird, aber einen großen Einfluss in der polnischen Geschichte hatte…

Dauer

Standort Tandem/ Teilnehmer

Brücke

M: Unter dem Portrait, eher mittig im Raum, da auch Verweis auf andere Objekte im Raum TN: im Raum Nun kommen wir zu einem Ereignis in der Geschichte, bei dem der Nationsgedanke immer mehr an Bedeutung gewann – die erste Teilung Polens im Jahr 1772.

Dann nehmen wir sie jetzt mit auf eine kleine Reise und gehen weiter nördlich von Schlesien ins Ermland nach Torun. Dabei passieren wir in den nächsten Räumen Krakau und möchten Ihnen in Thorn eine weitere Person vorstellen.

Die Ausweitung des christlichen Glaubens hing eng mit dem Bau von Klöstern und Kirchen zusammen, aber auch mit weltlichen Verwaltungsreformen. Eine wichtige Figur in diesem Geflecht wollen wir uns bei der nächsten Station anschauen.

7 Minuten

M: Nebeneinander, neben der Vitrine TN: vor Vitrine, eng zusammen

5-6 Minuten

M: Rechts neben dem Objekt TN: vor Objekt

5-6 Minuten

Methodenprotokoll einer Tandemführung

335

4. Der Königliche Kuchen – Johannes Esaias Nilson, 1773

dramatischer Einschnitt in die Beziehungsgeschichte, da Nachbarn sich bemächtigten in Polen einzugreifen.

Was ist auf dem Gemälde zu sehen?

Bildanalyse mit TN (vom Groben ins Feine) Input

Station/ Raum, Werk(gruppe)

Aspekt der Leitlinie

Impuls

Methode

Gespräch zwischen MM über Bedeutung und Wirkung der Aufstände

Schauen Sie sich das ausgestellte Blatt an und hören Sie auf die Musik.

- Austausch über Grenzen unter Künstlern, Militärs und Schriftsteller wird an Wagners Werk deutlich Rezeption der Aufstände in Europa: Polenbegeisterung bis nach Paris, Wagner, - Vom Geist der Revolution in Frankreich getragen, ähnliche Versuch auch im Deutschen Reich 1848

(Die Aufstände in Polen 1830/31)

5. Notenblatt von Wagners Overtüre: »Polonia« in C-Dur

M weist auf Lichthof und »Depot der Geschichte/ Erinnerung als Schnittstellen in Ausstellung hin)

Werk entstand im Rahmen einer Solidaritäts-aktion für Solidarność in Polen Ereignisse im Nachbarland regten Künstler an

Was assoziieren Sie mit dem Werk?

Bildbetrachtung, gemeinsame Analyse Input

-Bogen zu 966, Taufe Mieszkos, -Feierlichkeiten 1966 - Andersdenkende nur eine Handvoll - Kirche vs Staat - »Wandel durch Annäherung« - Willy Brandt Kniefall

Zitat aus Brief vortragen: Wie finden Sie das Zitat? Zitat + Diskussion Bedeutung in beiden Ländern, auch BRD und DDR

Blick des Betrachters ist wichtiger Bestandteil des Werkes, wird durch Kontext und Vorwissen geprägt bietet eigene Assoziationen Raum

Wie wirken die beiden Räume auf Sie? Mit Gruppe im Raum, um das Objekt, Wirkung und dann gemeinsame Deutung,

polnische Legionen kämpften für Österreich im 1. WK, Gewährung polnischen Staates in Friedensverhandlungen von Versailles

Was ist auf dem Gemälde dargestellt?

Bildbetrachtung, Bild aus Aufhänger, Symbolik

keine

10. »Splitter für Polen« 1982 Günther Uecker

9. Hirtenbrief der polnischen Bischöfe – 1965/66 (deutschpolnische Annäherung)

8. T-Turn – Miroslaw Balka, 2004

7. Nike der polnischen Legionen – Jacek Malczewski 1916 (Wiederentstehung des pl. Staates 1918)

6. Zwischenstop im Lichthof

Input

Erläuterung von Ueckers Zitat - Zusammenfassung der Ausstellung: Besonderheit: Fülle an Objekten, Nebeneinander an historischen und modernen Objekten

11. Abschluss

336 Par tizipative Erinnerungsräume

groß

Nun wollen wir der Frage nachgehen, ob und was denn die Polen gegen diese Mächte unternommen haben!?

Dramaturgie

Brücke

Bevor wir zu unserem nächsten Objekt kommen, bei dem es um die Neuentstehung des pl. Staates geht, bitten wir Sie, einen kleinen Zwischenstop im Lichthof einzulegen.

mittel

Rahmen der Versailler Vertrages nach dem 1. WK.

Wir machen nun den angekündigten Sprung von 123 von der 3. Teilung Polens bis zur Neuentstehung eines polnischen Staates im

gering Neuer polnischer Staat ist entstanden, trotz Probleme, gab es auch goldene 20er Jahre, welche sie in den nächsten Räumen dargestellt finden. Wir machen aber einen Sprung und treffen uns im 2. Raum des 2. WK wieder.

mittel

mittel

Detail

Fokussierung

groß

M rechts neben Vitrine, TN im Raum zwischen Vitrine und Trennwand

M: Links neben Bildern TN: im Halbkreis

Standort Tandem/ Teilnehmer

mittel

5-6 Minuten M: rechts vom Bild TN: vor dem Bild, eng, da wenig Platz

2-3 Minuten Vor Infotafel, außerhalb des Depotgitters

5 Minuten

5-6 Minuten

Dauer

5 Minuten

Nun machen wir einen Sprung in die Nachkriegszeit, in das Jahr 1965.

groß

detail

Alle um Objekt im Boden

7 Minuten

Wir kommen nun zu unserem letzten Objekt, das sich auch mit dem Thema Annäherung beschäftigt.

mittel

detail

alle um Vitrine

Ein Zitat von Günther Uecker gab unserer Führung den Namen »Anregung durch Andersdenkende«, daher möchten wir mit seinem Werk schließen.

gering

mittel

M an der schrägen Wand bevor das Werk zu sehen ist, TN im Halbkreis davor

Methodenprotokoll einer Tandemführung

337

Dokumentation einer Tandemführung Dokumentation Deutsch-Polnische Tandemführungen, Gropiusbau 22.9.2010-9.1.2011

Tandemteam

Magda Pyzio, Felix Ackermann

Datum

16.10.2011

Dialog

- der Einstieg über den Kühlschrank funktioniert bestens: nach dem Durchgang gibt es eine starke Diskussion darüber, dass die dt.-pl. Beziehungen mal schlecht waren (meist wird Kaczynski genannt), dass sie aber jetzt schlecht seien

(Verlauf, Gesprächsfaden, Fragen, Diskussionen)

- in diesem Moment geben viele Teilnehmer freiwillig schon sehr viel von sich preis, weil es eine lockere Runde ist und der Kühlschrank stark emotional wirkt, wenn man gemeinsam durch geht > Erlebnischarakter des Kunstwerks - ein großer Teil der Gruppe kam geschlossen aus einem deutschpolnischen Verein aus dem Ruhrgebiet – es waren dabei mehr Frauen aus Polen mit ihren Männern aus Deutschland als umgekehrt - die polnischen Teilnehmer, die länger in Deutschland leben, sind besonders gesprächig und haben klare Meinungen, die sie auch im Gropiusbau kund tun - es wurden in dieser vertrauten Konstellation auch innereheliche Dispute öffentlich gemacht – eine polnische Frau spielte mehrmals auf ihren Mann an - das Ende bei Richeza funktioniert relativ schlecht, weil man bei dem Gemälde wenig gemeinsam analysieren kann bzw. relativ aufwendig den Kontext seiner Entstehung erläutern muss

- wir hatten eine große Spannweite von »einfachen Bürgern« bis hin zu einem Professor für Schutz europäischer Kulturgüter, sowie von Anfang 20 bis Ende 70 - es war schwieriger mit der Gruppe ins Gespräch zu kommen > es gab zwar einzelne Statements, aber die gemeinsame Beschreibung und Analyse der Objekte ging relativ zähflüssig - es gab eine sehr engagierte Gruppe von (wahrscheinlich nicht organisierten schwulen) Vertriebenenkinder, die zwar nicht mehr Polnisch sprechen, sich aber dem Land sehr verbunden fühlen und großen Wert auf Versöhnung legen - außerdem gibt es auch in dieser Gruppe eine Bildungsbürgerin, die im Laufe der vergangenen zwei Jahre zum ersten Mal in Polen war und es (überraschender Weise) so toll fand, dass sie jetzt alles verteidigt, was Polnisch ist bzw. eine sehr kritische Haltung zur deutschen Sicht auf Polen pflegt - erstaunlich gut funktionierte ganz am Ende die Analyse von Bałkas Adalbert, wenn zuvor die Geschichte als Kontext mitgeteilt wird, fällt die Deutung der grünen Tropfen und des Hafers relativ leicht, was nicht heißt, dass alle einer Meinung waren

340

Par tizipative Erinnerungsräume

Besondere Vorkommnisse

- das Vorgespräch im Foyer ist ein wichtiger Moment, weil die Teilnehmer genau wissen wollen, mit wem sie es zu tun haben und auf welcher Sprache die Führung erfolgt (Kommunikation durch »deutsch-polnisches Tandem« nicht ganz eindeutig)

- schwer ist die Orientierung der Gruppe auf das Kruzifix gegenüber der Preußischen Huldigung, weil beim Betreten des Depots automatisch alle Blicke auf das Monumentalgemälde gerichtet sind – hier war es notwendig, mehrmals hin und herzugehen

- wir nutzten die Zeit, um mehr über die größere Gruppe herauszufinden und konnten so schon ab der 1. Station auf einzelne Personen zugehen

Was lief im Tandem richtig gut?

- der Gang entgegen der Chronologie funktioniert sehr gut - das dialogische Format hat insgesamt sehr, sehr gut funktioniert - ganz besonders ist, dass z.B. deutsch-polnische Ehepaare beide Seiten zu Wort kommen und so Unterschiede und sogar Konfliktlinien erkennbar werden - es ist für die Teilnehmer angenehm zwei Personen zuzuhören; wirkt konzentrationsfördernd - wir haben selbst durch das Gespräch immer wieder neue Blickweisen auf einzelne Objekte erfahren

Was sollte überarbeitet werden?

- die Übergänge zwischen den einzelnen Stationen sollten klarer und zügiger erfolgen, damit die Gruppe nicht beginnt, auszuschwärmen > ideal, wenn einer vorgeht und einer von hinten einsammelt - die Aufteilung der Redeimpulse und die Stellung zu den Objekten muss zuvor klar abgesprochen sein - wir stellen zu viele Fragen und vermitteln das Gefühl, dass wir die Antwort kennen - an machen Stellen, wollen wir zu viel vermitteln/lassen unseren analytischen Verstand zu stark zum Einsatz kommen > dabei Gefahr immer wieder auf die Metaebene zu gleiten - die Kontextualisierung von Objekten muss ganz kompakt und klar erfolgen - es war für die Besucher eine leichte Redekonkurrenz zwischen den Tandempartnern zu beobachten – das lässt sich durch bessere Absprachen und eine stärkere Zurückhaltung beider abstellen - wenn polnische Teilnehmer kaum zu Wort kommen, könnte man zwischendurch eine Nachfrage auf Polnisch stellen und die Antworten sofort ins Deutsche zu übersetzen - am Ende jeder Station sollte vor der Überleitung eine kurze Zusammenfassung/ Abschluss formuliert werden

Dokumentation einer Tandemführung

Was lässt sich über dt.-pl. Interkulturalität nach der Führung aussagen?

- für die Teilnahme an der Gruppe spielt eine Mischung aus Persönlichkeit und der Rolle/Situation/Position in der deutschen Gesellschaft eine entscheidende Rolle - dadurch dass die Teilnehmer an der Führung teilnehmen, weil sie z.B. als Polen in Deutschland oder eine »gemischte« Ehe führen (und damit eine klar auf das Thema bezogene Motivation haben), sind sie bereit im Dialog explizit als »Polen«, »Deutsche«, »Polendeutsche«, »Ehemann einer polnischen Frau« aufzutreten - interessant ist, dass relativ viele Teilnehmer sehr offensiv mit ihrer eigenen Identität umgehen und das in der Tandemsituation auch so kommunizieren, dass andere darauf reagieren können – wir haben diese Situation nicht aktiv durch Nachfragen »Wer sind Sie?« »Woher kommen Sie?« provoziert, sondern das Setting der Ausstellung, der als »deutsch-polnisch« deklarierten Tandems sowie die erste Station unserer Führung mit der offenen Frage zu den deutsch-polnischen Beziehungen schafft einen Raum, in dem es relativ locker und persönlich wird - Polen, die entweder in Polen leben oder erst seit kurzem in Berlin leben, melden sich in der Regel gar nicht oder nur nach konkreter Einladung zu Wort > das hat etwas mit Sprachkenntnissen zu tun > dadurch dass die Führung durchgängig auf Deutsch geführt wird, sind routiniert Deutsch sprechende in klarem Vorteil

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Berichterstattung in der Berliner Zeitung Berliner Zeitung, 28.11.2011 Deutsch-polnische Beziehungskiste Von Katharina Wagner Die Polen wurden aus Lemberg vertrieben und nach Breslau umgesiedelt«, sagt Anna Labentz und blickt zu ihrer Kollegin Liane Matern. »Und die Deutschen mussten aus Breslau weg«, fügt diese hinzu. Die beiden Studentinnen stehen vor einem Gemälde des polnischen Künstlers Bogusław Szwacz: Otto Grotewohl, Ministerpräsident der DDR, und Józef Cyrankiewicz, Ministerpräsident von Polen, unterzeichen 1950 das Görlitzer Abkommen und erkennen damit die Oder-Neiße-Grenze an. Das Gemälde ist Teil der Ausstellung »Tür an Tür« im Martin- Gropius-Bau. In 19 Sälen und 22 Kapiteln erzählen etwa 800 Kunstwerke von der tausendjährigen Geschichte der deutsch-polnischen Nachbarschaft. Anna Labentz, 23, und Liane Matern, 32, sind eines von sechs Studentenpaaren der Europa Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, die an den Wochenenden kleinere Besuchergruppen durch die Ausstellung begleiten. Die Tandemführungen sind ein Pilotprojekt: Zwei Seiten, zwei Betrachtungsweisen, zwei Personen, die für jeweils eine davon stehen. Unterschiede und Gemeinsamkeiten Anna Labentz studiert European Studies und Liane Matern Intercultural Communication Studies. Entwickelt haben sie und ihre Kommilitonen die Führungen in einem Seminar im Sommersemester. Jedes Paar präsentiert in knapp 90 Minuten seine Sicht auf die deutsch-polnische Nachbarschaft. Dass es für die Geschichte eine deutsche und eine polnische Erklärung gibt, ist erst einmal nicht überraschend. Richtig deutlich wird das den Besuchern dann, wenn das Zweierteam vor ihnen steht und ihre Blicke aus verschiedenen Perspektiven auf die Kunstwerke lenkt. Die Studentinnen werfen sich die Bälle zu, erklären den Kontext, in dem ein

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Par tizipative Erinnerungsräume

Objekt in der jeweiligen Gesellschaft verstanden wird. Sie machen Unterschiede klar, versuchen aber auch Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Vor dem Bild zum Görlitzer Abkommen bleiben sie lange stehen: »Beide, die Deutschen und die Polen, haben unter dem Friedensvertrag von 1950 gelitten. Die einen, weil sie aus Breslau vertrieben wurden. Die anderen, weil man sie zwang, ein neues Leben in Breslau zu beginnen«, sagt Matern. Und Labentz ergänzt: »Aber keiner von beiden hat gesehen, dass es dem jeweils anderen ähnlich geht.« Sie unterhalten sich über das Kunstwerk, der erfrischend subjektive Dialog macht die Führung lebendig. Ihre Zuhörer gucken ein wenig überrascht, dann nicken sie. Ihre Perspektive haben sich die beiden Studentinnen nicht zufällig angeeignet. Sie ist auch kein bloßes Ergebnis aus dem Uni-Seminar. »Mein Großvater wurde umgesiedelt«, sagt Anna Labentz. »Ich habe nie verstanden, warum wir nicht rüber dürfen. Es hieß doch immer, die Polen seien unsere sozialistischen Brüder«, sagt Liane Matern. Das Thema der Ausstellung spiegelt sich in den Biografien der beiden wider. In der »Kühlzelle« »Wir haben zu Hause immer nach den polnischen Bräuchen Weihnachten gefeiert. Meinen deutschen Freunden habe ich das nicht verraten. Das habe ich mich irgendwie nicht getraut«, erzählt Anna Labentz. Beide sitzen am Sonnabend im Café des Gropius-Baus. Bis die nächste Gruppe kommt, haben sie eine halbe Stunde Pause. Labentz ist in Neuss in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen, ihre Eltern waren bereits vor ihrer Geburt von Polen nach Deutschland gezogen. Die Schulferien hat sie oft bei ihren Verwandten in Polen verbracht. Die 23-Jährige spricht perfekt Deutsch. »Polnisch habe ich erst richtig gelernt, als ich einen Kurs an der Uni besucht habe. Meine Eltern wollten, dass ich mich gut integriere.« Ihre Kommilitonin kommt aus Frankfurt/Oder: »Ich war als Jugendliche immer die Uncoole. Weil ich an deutsch-polnischen Kunst-Workshops teilgenommen habe«, sagt Matern. Mit den Vorurteilen gegenüber den polnischen Nachbarn, »die klauen Autos«, sei sie groß geworden: »Verstanden habe ich das nie. Es kannte doch niemand Leute aus Polen.« Wenn sie ihre Freunde in Polen besuchte, dann sei sie dort immer die Deutsche gewesen, die gar nicht richtig deutsch ist. Die letzte Station ihrer Führung und zugleich das letzte und aktuellste Exponat der Ausstellung »Tür an Tür« ist die »Kühlzelle« des deutschen

Berichterstattung in der Berliner Zeitung

Künstlers Gregor Schneider, ein begehbarer Raum, entstanden 2011. Weiße Wände, an einigen Stellen bröckelt Putz, es ist kalt in diesem Raum, eiskalt. Ist das der Ist-Zustand der deutsch-polnischen Beziehung? Vielleicht. »Der Künstler hat folgendes gesagt«, erzählt Liane Matern. »Im Raum frieren die Leute. Aber sobald sie wieder draußen sind, ist ihnen wärmer als vorher.« Anna Labentz gibt den Besuchern noch eine andere Überlegung mit auf den Weg: »Jeder kann doch selbst entscheiden, ob er den kühlen Raum betritt. Man kann ja auch außen herumgehen.«

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Bibliographie M USEUMSTHEORIE UND A USSTELLUNGSPR A XIS Adams, Marianna/Falk, John H./Dierking, Lynn D.: Things Change: Museums, Learning, and Research, in: Xanthoudaki, Maria/Tickle, Les/ Sekules, Veronica (Hg.): Researching Visual Arts Education in Museums and Galleries: An International Reader, Dordrech 2003, S. 1532. Assunção dos Santos, Paula: Museology and Community Development in the XXI Century, in: Cadernos de Sociomuseologia/Sociomuseology II, N° 29, 2009, S. 5-12. Baur, Joachim (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010. Baur, Joachim: Migration – Kultur – Integration. Und die Rolle des Museums?, in: Museumskunde Bd. 75, 1/10, 2010, S. 12-19. Beier-de Haan, Rosmarie: Post-national, trans-national, global? Zu Gegenwart und Perspektiven historischer Museen, in: Hinz, Hans-Martin (Hg.): Das Museum als Global Village. Versuch einer Standortbestimmung am Beginn des 21. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 2001, S. 43-61. Bennett, Tony: The Birth of the Museum: History, Theory, Politics, London/New York 1995. Bluche, Lorraine u.a. (Hg.): NeuZugänge. Museen, Sammlungen und Migration. Eine Laborausstellung, Bielefeld 2013. Bredekamp, Horst: Antikensehnsucht und Maschinenglaube. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, Berlin 1993. Clifford, James: Museums as Contact Zones, in: Ders. Routes: Travel and Translation in the Late Twentieth Century, Cambridge 1997, S.  188219.

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A BBILDUNGSNACHWEIS Abbilungen 3-7 © jansch

Autorinnen und Autoren

Felix Ackermann Kulturwissenschafter. 2008-2011 Leitung der Geschichtswerkstatt Europa, einem Förderprogramm der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« zur Analyse europäischer Erinnerungskulturen, 2008 Promotion an der Europa-Universität Viadrina zum Zusammenhang von Raum, Ethnizität und Erinnerung in der heute belarussischen Stadt Grodno, 2001 Gründung des Instituts für angewandte Geschichte in Frankfurt (Oder), das in der deutsch-polnischen Grenzregion seither eigene Vermittlungsprojekte zur Aushandlung von Vergangenheiten durchführt. Lehrt und forscht seit 2011 als Langzeitdozent des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an der Europäischen Humanistischen Universität Vilnius. Jakob Ackermann Historiker und Museumspädagoge, derzeit tätig am Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim. Beschloss sein Studium in Eichstätt und Wien als Magister der Fächer Theorie und Didaktik der Geschichte, Alte Geschichte und Mediävistik sowie dem 1. Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien (Geschichte/Deutsch). Führte für Institutionen im In- und Ausland zahlreichen Forschungs- und Begegnungsprojekte zur europäischen Geschichtskultur durch und betätigt sich im Bereich der historisch-politischen und interkulturellen Bildungsarbeit. Maria Albers Studentin des Masters Kultur und Geschichte Mittel- und Osteuropas an der Europa-Universität Viadrina und studentische Hilfskraft an der Freien Universität Berlin beim DFG-Forschungsprojekt Kollektives Gedächtnis als Basis einer Identifikation mit Europa. Geschichtsdeutung zwischen

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Globalisierung, Europäisierung, Renationalisierung und Hybridisierung. Teilnehmerin des Projekts der Tandemführungen in der Ausstellung Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte. Aktives Mitglied der Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS) e.V. Lorraine Bluche Dr. phil., Historikerin und Kuratorin, 2004-2006 wissenschaftliches Volontariat am Deutschen Historischen Museum: (Ausstellung Zuwanderungsland Deutschland. Migrationen 1500-2005, 2005-2006), 20062011 Dissertationsprojekt sowie Ausstellungsmitarbeit im Rahmen des Forschungsprojekts Imagined Europeans. Die wissenschaftliche Konstruktion des Homo Europaeus an der Humboldt-Universität zu Berlin. Derzeit als freiberufliche Kuratorin tätig, zuletzt im Projekt Migration macht Geschichte am Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin, mit den Ausstellungen NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen (2011) und ortsgespräche. stadt-migration-geschichte. vom halleschen zum frankfurter tor (2012– 2013). Anna Boroff ka Kunsthistorikerin. Seit 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Hamburg. 2010-2012 wissenschaftliches Volontariat im Bereich Kulturelle Bildung/Kulturvermittlung bei der landeseigenen Kulturprojekte Berlin GmbH (Berliner Senat für Kulturelle Angelegenheiten). Seit 2010 zudem Dozentin der kunsthistorischen und museumspädagogischen Weiterbildung, zwischen 2006 und 2010 Tätigkeit für verschiedene Berliner Museen, Sammlungen und Festivals (u.a. Hamburger Bahnhof, Deutsche Guggenheim, Martin-Gropius-Bau, Stiftung Stadtmuseum, Sammlung Olbricht, transmediale, berlin biennale). Studium der Kunstgeschichte und Spanischen Philologie in Berlin und Granada (Spanien), derzeit Promotion im Fach Kunstgeschichte. Aleksandra Janus Doktorandin an der Fakultät für Geschichte der Jagiellonen-Universität in Krakau und Stipendiatin des Polnischen Ministeriums für Wissenschaft und Bildung. Sie ist gemeinsam mit Dorota Kawęcka unter dem Namen inne muzeum (auf dt. anderes Museum) als Beraterin für museumstheoretische Expertise und Kulturerbe tätig.

Autorinnen und Autoren

Lisa Just Kulturwissenschaftlerin. Tätigkeit als Museummoderatorin (Tür an Tür. 1000 Jahre Polen-Deutschland, Deutsch-Russisches Museum BerlinKarlshorst). Seit 2011 Masterstudium Geschichte und Sozialkunde für Lehramt, FU Berlin. 2007-2011 Masterstudium Geschichte und Kultur Mittel- und Osteuropas, Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Beschäftigung mit deutsch-polnischen Austauschprojekten und museumspädagogischer Vermittlung. Dorota Kawęcka Studentin im Masterstudiengang Museology an Reinwardt Academy in Amsterdam and freie Wissenschaftlerin gefördert vom Polnischen Ministerium für Wissenschaft und Bildung. Gemeinsam mit Aleksandra Janus unter dem Namen inne muzem (auf dt. anderes Museum) als Beraterin für museumstheoretische Expertise und kulturelles Erbe tätig. Vasco Kretschmann Historiker. 2009-2012 Masterstudium der Public History an der Freien Universität Berlin und am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Abschlussarbeit zur neuen Dauerausstellung des Breslauer Stadtmuseums. Bachelorstudium der Geschichte und Politikwissenschaften in Berlin und Warschau. Beschäftigung mit deutsch-polnischen und europäischen Ausstellungsprojekten. Derzeit Ausarbeitung eines Promotionsprojektes zur geschichtskulturellen Analyse der Musealisierung von Breslauer Stadtgeschichte im 20. Jahrhundert. Constance Krüger M.A., 2001-2009 Studium der Kunstgeschichte und Genderstudies in Berlin und Krakau, 2005-2009 studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Kunstgeschichte Osteuropas der Humboldt-Universität zu Berlin, 20092010 Mitarbeiterin in der Galeria LeGuern Warschau, 2010-2012 Volontärin am Martin-Gropius-Bau Berlin im Ausstellungsprojekt Tür an Tür. Polen-Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte, seit Juli 2012 Direktionsassistenz im Martin-Gropius-Bau. Forschungsinteressen in den Bereichen Geschlechterforschung in der mittelosteuropäischen Kunst des 20. Jahrhunderts sowie Textilkunst.

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Anna Labentz Literatur- und Kulturwissenschaftlerin. Teilnahme am Projekt der Tandemführungen in der Ausstellung Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte. Wissenschaftsmanagerin am Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften, dort seit September 2012 Koordinatorin des Forschungsprojektes Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. Gregor H. Lersch Kulturwissenschaftler und Kulturmanager. Projektleiter der Ausstellung Tür an Tür. Polen-Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte am Martin-Gropius-Bau Berlin (2009-2012). Nach dem Studium der Kulturwissenschaften, Geschichte und Kunstgeschichte in Frankfurt (Oder), Berlin, Léon und Cádiz in der Organisation von internationalen Ausstellungsprojekten tätig: Die Neuen Hebräer, Berlin (2005) und Ägyptens versunkene Schätze (2006-2010) in Berlin, Paris, Madrid, Turin und Yokohama. Seit 2007 Entwicklung und Durchführung von Seminaren und internationalen Projekten zu Museumstheorie und -praxis an der EuropaUniversität Viadrina. Derzeit Promotion am Kunsthistorischen Institut der Eberhard Karls Universität Tübingen. Liane Matern Historikerin und Bildungsreferentin, 1979 in Frankfurt (Oder) geboren und dort aufgewachsen, Studium Neuere und Neueste Geschichte, Soziologie und Literaturwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin, der Universität Potsdam und Jagiellonen-Universität Krakau. Léontine Meijer-van Mensch Lehrt Kulturerbe-Theorie und Berufsethik an der Reinwardt Academy Amsterdam. Studium der Neuen und Theoretischen Geschichte und Jüdischen Studien in Amsterdam, Jerusalem und Berlin. Absolvierung des Studiengangs Schutz Europäischer Studiengang in Frankfurt (Oder) mit einen Schwerpunkt auf Museologie. Als Wissenschaftler und Vermittler an zahlreichen Ausstellungsprojekten beteiligt, unter anderem am Jüdischen Museum und den Jüdischen Historischen Museum Amsterdam. Als Vorstand in mehreren internationalen Museumsverbänden tätig: COMCOL, das ICOM International Commitee for Collecting und die Internationale Schule für Museologie in Celje (Slowenien). Als Wissen-

Autorinnen und Autoren

schaftlerin momentan Forschungen zur Museologie als Wissenschaft in Mitteleuropa, besonders in der DDR. Frauke Miera Dr. phil., Politologin und Kuratorin, Forschungs- und Lehrtätigkeit mit dem Schwerpunktthema Migration/Integration u.a. im EU-Forschungsprojekt EMILIE – A European Approach to Multicultural Citizenship: Legal, Political and Educational Challenges (2006-2009). Ausstellungsmitarbeit im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, und im Deutschen Historischen Museum, Berlin (Ausstellung Zuwanderungsland Deutschland. Migrationen 1500-2005, (2005-2006). Derzeit freie Kuratorin, zuletzt als Leiterin des Projekts Migration macht Geschichte am Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin, mit den Ausstellungen NeuZugänge. Migrationsgeschichten in Berliner Sammlungen (2011) und ortsgespräche. stadt-migration-geschichte. vom halleschen zum frankfurter tor (2012-2013). Magdalena Pyzio Studium der Kulturwissenschaften und Ausstellungswesen in Frankfurt (Oder), Krakau und Rom. Sie hat als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Europa-Universität Viadrina gearbeitet und verfasst derzeit ihre Dissertation zu Transformationsprozessen der Erinnerungskulturen in Ostdeutschland und Polen nach 1989. Susanne Rockweiler Dr. phil., studierte Betriebswirtschaftslehre, Kulturmanagement und Kulturwissenschaften in Mannheim, Wien und Ludwigsburg. Tätigkeit für die Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim. Seit 2009 Leitung der Abteilung Kommunikation, Organisation, kulturelle Vermittlung am Martin-Gropius-Bau, seit 2010 dort stellvertretende Direktorin. Lehrbeauftragte an der Universität der Künste, Berlin. Anne Wanitschek Studentin, Master Kultur und Geschichte Mittel- und Osteuropas an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), zuvor Bachelorstudium der Kultur- und Politikwissenschaften in Frankfurt (Oder) und Thorn. Studentische Mitarbeiterin bei Aktion Sühnezeichen Friedensdienste im

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Referat für Polen, Tschechien und Deutschland. Seit 2005 ehrenamtliche Tätigkeit in internationaler historisch-politischer Bildungsarbeit. Jutta Wiedmann Diplom-Verw.wiss. und MSc. Koordinatorin für internationale Projekte im Museum des Warschauer Aufstands (2006-2010). Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaft in Konstanz und Warschau, Studium der Kommunikationswissenschaften in Krems, Österreich. Derzeit Mitarbeiterin der Katholischen Hochschulgemeinde Karlsruhe und Projektreferentin Öffentlichkeitsarbeit für das Forum Hochschule und Kirche (Bonn). Seit 2006 Konzeption zahlreicher Projekte im Bereich Zeitgeschichte, Erinnerungskultur und Stadtentwicklung im deutsch-polnischen Bereich, Mitglied im Redaktionsteam von Polen.pl.

Danksagung

An erster Stelle möchten wir uns bei den Projektteilnehmerinnen bedanken, ohne die dieses Projekt nicht entstanden wäre: Maria Albers, Susanne Bonowicz, Lisa Just, Karolina Knopik, Anna Labentz, Liane Matern, Magda Pyzio, Eva Spanka, Marianna Sykala, Lolita Tag, Anne Wanitschek und Agata Wozniak. Ohne ihre Offenheit, ihre Ausdauer und Kritik wären im Martin-Gropius-Bau Berlin keine Tandemführungen entstanden. Auch bedanken wir uns bei allen Autorinnen und Autoren dieses Bandes, die trotz eines mehrstufigen Redaktionsprozesses dem Projekt treu blieben. Für uns war das Unterfangen auch eine wichtige Erfahrung interinstitutionellen Lernens. So konnten wir das Projekt in dieser Konstellation nur deshalb gemeinsam mit unseren Studierenden entwickeln, weil wir Freiräume genossen haben, die institutionell abgesichert waren. Für uns war dieser Versuch der nachhaltigen Arbeit im Zusammenspiel zwischen Theorie und Praxis möglich, weil wir einen konkreten Arbeitszusammenhang zwischen Wissenschaft, kultureller Bildung sowie Ausstellungswesen herstellen konnten. Dafür bedanken wir uns besonders herzlich bei Prof. Dr. Karl Schlögel an der Europa-Universität Viadrina, bei Prof. Gereon Sievernich, dem Direktor des Martin-Gropius-Baus sowie Moritz van Dülmen, dem Geschäftsführer der Kulturprojekte GmbH. Ohne das Engagement von Frau Dr. Susanne Rockweiler als stellvertretende Leiterin des Martin-GropiusBaus wären das Tandem-Projekt und seine Auswertung nicht zustande gekommen – wir möchten ihr an dieser Stelle besonders für die Energie danken, die sie in das Gelingen des Projekts gegeben hat. Bei der Umsetzung haben uns in diesen Institutionen wichtige Partner unterstützt: Seitens der Kulturprojekte Berlin GmbH Arnold Bischinger, Dr. Christiane Schrübbers, Veronika Brassel und Michael Haas, im

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Museum Viadrina Dr. Martin Schieck, an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden Roland Enke, an der Europa-Universität Viadrina Heidrun Hotzan, Dr. Jan Musekamp, Konrad Tschäpe und Stefani Sonntag, am Schlesischen Museum Dr. Maximilian Eiden sowie im Märkischen Museum Dr. Claudia Gemmeke und Constanze Schröder. Die großzügige Unterstützung der Deutschen Bank Stiftung hat das Vermittlungsprogramm der Ausstellung Tür an Tür sowie die vorliegende Publikation möglich gemacht. Ohne diese hätten wir das Experiment nicht unternehmen können. Zu guter Letzt bleibt uns noch, der Kuratorin Anda Rottenberg dafür zu danken, dass sie eine streitbare Ausstellung entworfen und durchgesetzt hat. Ohne ihren Willen wäre die deutsch-polnische Beziehungsgeschichte um einen Bezugspunkt ärmer. Und ohne diese Ausstellung wäre die Idee zu den deutsch-polnischen Tandemführungen nicht entstanden. Felix Ackermann, Anna Boroff ka und Gregor H. Lersch, Berlin im Mai 2013

Kontakt zu den Herausgebern: Felix Ackermann: [email protected] Anna Boroff ka: boroff [email protected] Gregor H. Lersch: [email protected]

Streszczenia artykułów Partycypacyjne przestrzenie pamięci Felix Ackermann, Anna Boroff ka, Gregor H. Lersch Niniejsza książka łączy trzy wątki dyskusji wokół pamięci historycznej: 1. Muzeologię, która stawia polityczne pytanie o współuczestniczenie w negocjacji narracji historych, chcąc włączyć widzów do procesu tworzenia wystaw oraz w dalszej perspektywie zmierzając do pełniejszego odzwierdciedlenia ich potrzeb w konstrukcji instytucji jako takiej. 2. Dialogiczną dydaktykę edukacji historyczno-obywatelskiej, która stara się stworzyć warunki do wspólnej rozmowy i unika jednokierunkowego nauczania. Formy takiej dydaktyki stawiają na wytworzenie wiedzy w procesie komunikacji i refleksji. 3. Kulturoznawstwo stosowane, które analizuje doświadczenia z projektów naukowych wykraczających poza ramy uniwersyteckie. Próba połączenia teorii i praktyki w procesie poznania łączy się z dążeniem do otwarcia uniwersytetu oraz powrotu wiedzy zdobytej poza jego granicami do dyskursów naukowych. Książka powstała jako wynik projektu Polsko-Niemieckie Oprowadzania Tandemowe przeprowadzonego w ramach wspólnej wystawy Obok. Polska – Niemcy. 1000 lat historii w sztuce zrealizowanej w 2011 roku przez Martin-Gropius-Bau Berlin oraz Zamek Królewski w Warszawie. Kuratorka Anda Rottenberg wspólnie z polsko-niemieckim zespołem zgromadziła ponad 800 obiektów ze 100 muzeów w Polsce, Niemczech i całego świata, aby przez pryzmat sztuki pokazać historię polsko-niemieckiego sąsiedztwa. Na potrzeby wystawy studenci Europejskiego Uniwersytetu Viadrina stworzyli w ramach seminarium oprowadzania tandemowe dla zwiedzających Martin-Gropius-Bau. Jest to otwarta forma transkulturowego dialogu, która jest bardziej zaproszeniem do dyskusji niż nauczaniem o historii. W niniejszej książce po teoretycznym wstępie zamieszczono analizy wystawy, przeprowadzonych oprowadzeń oraz medialnego odzewu. Natomiast w ostatniej części uczestnicy projektu oraz

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inni autorzy spisali własne wizje dialogowych projektów muzealnych w Polsce i Niemczech.

I Ujęcia teoretyczne Muzeum i wystawa Partycypacyjne przestrzenie pamięci? Gregor H. Lersch W intensywnych debatach, które toczyły się w ciągu ostatnich dziesięcioleci nad kulturą pamięci główną rolę odgrywały muzea, a także wystawy czasowe, będące społecznymi przestrzeniami pamięci. Artykuł poświęcony jest szczególnej funkcji, jaką pełnią w tym procesie muzea i wystawy czasowe, zaznaczając jednocześnie różnice w stosunku do koncepcji miejsc pamięci. W tych przestrzeniach pamięci tworzy się narracje o przeszłości poprzez przestrzenne uporządkowanie przedmiotów. Narracje te zawierają wyraźne odniesienia do teraźniejszości oraz wizje przyszłości. Muzea i wystawy nie są tu rozpatrywane jedynie pod kątem funkcji reprezentującej, ale rozumiane jako suma różnorodnych, indywidualnych aktów spostrzeżeniowych i społecznych procesów komunikacji, które dochodzą do skutku dopiero dzięki partycypacji w danej wystawie. Na zakończenie przeanalizowano różnice między muzeami a wystawami czasowymi w odniesieniu do procesów pamięci. Edukacja kulturalna i edukacja muzealna ukierunkowana na zwiedzających Dyskursy teoretyczne a praktyka muzealna i wystawiennicza Anna Boroff ka W polityce edukacyjnej ostatnich lat zaczęto przywiązywać duże znaczenie do edukacji kulturalnej. W ramach tego procesu dochodzi również do przemyślenia i przeobrażenia dotychczasowych propagatorskich działań muzeów, przy czym szczególne znaczenie przypada obszarowi określanemu mianem edukacji muzealnej. Pod wpływem konstruktywistycznej teorii uczenia się oraz postulatów nurtu new museology prowadzone są poszukiwania nowych sposobów komunikacji ze zwiedzającymi, co prowadzi do modyfikowania charakterystycznej dla muzeów, asymetrycznej

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struktury komunikacyjnej, która obecnie zaczyna uwzględniać wielość perspektyw i różne formy partycypacji. Dotyczy to zarówno pracy kuratorów, jak i spersonalizowanej edukacji oraz oprowadzania zwiedzających. Szczególnie obiecujące wydają się w tym względzie różnorodne modele dialogicznej multiplikacji, które umożliwiają zastosowanie w muzeach nowych metod konstruowania wiedzy oraz kształcenia kulturalnego. Kulturoznawstwo stosowane Partycypacyjna produkcja wiedzy w teorii i praktyce Felix Ackermann Kulturoznawstwo stosowane rozpatruje projekty naukowe jako proces, który łączy teorię i praktykę. Materiał empiryczny powstały w jego toku można poddać analizie, pozwalającej na poznanie relacji między nauką a społeczeństwem. W tym sensie nie chodzi o dążenie do sukcesu w formie produkcji gotowej wiedzy, a raczej o porażki, trudności i konflikty będące ważnym elementem empirycznej fazy projektu naukowego. Celem kulturoznawstwa stosowanego nie jest niwelowanie różnic między poszczególnymi aktorami społecznymi, ale refleksja nad procesem produkcji wiedzy w kontekście relacji między sferą naukową a publiczną. Z tego względu autor proponuje świadomy udział w publicznych procesach negocjacji wiedzy. Posługując się metodą obserwacji uczestniczącej kulturoznawstwo stosowane bierze odpowiedzialność za określony proces społeczny, obejmując ochroną odnośne osoby oraz instytucje. Właśnie ta odpowiedzialność utrudnia udostępnianie wyników kulturoznawstwa stosowanego. Z tym większym więc naciskiem autor konstatuje potrzebę poruszania się po różnych płaszczyznach działalności naukowej. Charakterystyczna dla kulturoznawstwa stosowanego jest ciągła oscylacja między teorią a praktyką, jak również pomiędzy nauką a publicznością. Pomijając opisane w tekście ograniczenia stwierdzić można, że nieustanna refleksja nad własną rolą umożliwia uwzględnienie porażki jako integralnej części poznania naukowego.

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II Zebrane doświadczenia Obok. Polska – Niemcy. 1000 lat historii w sztuce Krótkie wprowadzenie do wystawy Gregor H. Lersch Obok było pierwszą próbą opowiedzenia w ramach jednej wystawy o dwunarodowej historii stosunków polsko-niemieckich począwszy od X wieku. Rezultat prezentowano w Berlinie od września 2011 do stycznia 2012 roku. Organizatorami były berlińskie muzeum Martin-Gropius-Bau oraz Zamek Królewski w Warszawie, wystawie towarzyszyły liczne prezentacje sztuki polskiej w Berlinie. Zaprezentowano około 700 obiektów z ponad 200 muzeów w całej Europie. W kontekście debat o miejscu przechowywania dóbr kultury godne uwagi jest to, że ponad 100 polskich instytucji zgodziło się na wypożycznie swoich obiektów do Niemiec. Celowo włączano przy tym sztukę współczesną w inscenizację tematów historycznych, za co odpowiedzialność merytoryczną ponosiła kuratorka wystawy, Anda Rottenberg. Oprowadzania tandemowe Podwójnie dialogiczne przekazywanie wiedzy w praktyce Felix Ackermann/Anna Boroff ka Oprowadzania tandemowe to zinstytucjonalizowane dialogiczne spacery po wystawach. Pozwalają otworzyć wielogłosowe przestrzenie rozmowy. Kierują się zasadą podwójnej dialogiczności: para moderatorów prowadzi dialog między sobą, konstruując w ten sposób wspólnie punkt odniesienia dla rozmowy z grupą. Ten format oprowadzania jest interaktywnym procesem i daje możliwość szybkiej krystalizacji różnorodnych punktów widzenia w ramach grupy a następnie zestawienie ich ze sobą. Nie chodzi przy tym o wypracowanie wspólnego stanowiska wszystkich uczestników, lecz o rozpoczęcie partycypacyjnego procesu konstruowania wiedzy poprzez rozważenie różnych perspektyw. Na drodze świadomie zaplanowanej refleksji nad konkretnymi eksponatami i tym, jak zostały zainscenizowane na wystawie, możliwa staje się aktywizacja wiedzy, którą grupa już posiada. Poprzez wspólną interpretację i dyskusję nad eksponatami dochodzi do jasnego zdefiniowania stanowisk i zaprezentowania ich innym. Tandem moderuje proces zdobywania wiedzy przez grupę, porzu-

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cając przy tym jednak pozornie neutralną postawę moderatora i stając się aktywnym partnerem rozmowy. Podwójne dialogi Doświadczenie polsko-niemieckich oprowadzań tandemowych Liane Matern/Anna Labentz W niniejszym artykule opisano przykładowe oprowadzanie tandemowe po wystawie Obok. Polska – Niemcy. 1000 lat historii w sztuce. Dokonano analizy mocnych i słabych stron tej formy oprowadzania, którego celem było przedstawienie historii stosunków polsko-niemieckich na podstawie wybranych sytuacji. Z praktycznych bądź merytorycznych względów niektóre z tych sytuacji odniosły większy sukces niż inne, przy czym te ostatnie modyfikowano, zmieniano lub usuwano przy następnych podejściach. Omawianie poszczególnych dzieł sztuki na tle historycznym wywoływało ożywione dyskusje, w związku z czym prezentacja przedstawiona przez osoby oprowadzające stawała się podwójnym dialogiem – zarówno między nimi samymi, jak i na linii oprowadzający-zwiedzający. Podsumowując, można zastanawiać się z jednej strony nad tym, w jakim stopniu oprowadzający mimo krytycznej postawy wobec ekspozycji, zbliżyli się jednak stopniowo do przesłania przyjaznego sąsiedztwa, a nawet je zaakceptowali. Z drugiej strony zaś – na ile ulegali reakcjom i opiniom zwiedzających, chcąc jak najbardziej ułatwić interakcję i dialog z grupą oraz w jej obrębie. Odmienność jako inspiracja Dialogiczne przekazywanie wiedzy o historii stosunków polsko-niemieckich Anne Wanitschek W ramach studenckiego projektu na Uniwersytecie Europejskim Viadrina latem 2011 r. zainicjowana została seria dialogicznych oprowadzań tandemowych, dostępnych w ramach programu towarzyszącego wystawie Obok. Polska – Niemcy. 1000 lat historii w sztuce dla zwiedzających muzeum Martin-Gropius-Bau. Artykuł jest przykładowym omówieniem jednego z tych oprowadzań. W artykule postawione zostaje pytanie, czy dialogiczne oprowadzanie po wystawie dzieł sztuki może skutecznie przekazać wiedzę o historii. Krok po kroku pokazano wybór eksponatów oraz reakcje zwiedzających na oglądane wspólnie obiekty. Tekst zamyka krótka

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refleksja na temat doświadczeń zebranych podczas pracy nad projektem a także na temat szans i wyzwań, jakie niesie ze sobą dialogiczny i partycypacyjny program, towarzyszący wystawie historycznej. Żyć obok siebie i uczyć się od siebie Analityczne refleksje na temat wystawy Obok Anna Labentz W niniejszym artykule podjęta została próba analizy wystawy Obok. Polska – Niemcy. 1000 lat historii w sztuce za pomocą trzech kategorii analitycznych (pośredniczenie między przeszłością a teraźniejszością, wieloperspektywiczność, partycypacja). W pierwszej części wystawy na plan pierwszy wysuwa się kontrastowe zestawienie historycznych eksponatów ze współczesnymi artystycznymi interpretacjami oraz efekty krytycznej refleksji nad pamięcią kulturową. Sztuka spełnia tu funkcję pośredniczącą między przeszłością (zarówno niemiecką, jak i polską) i zbiorową pamięcią o niej. Natomiast przyjęta perspektywa narracji jest – jak podkreśla sama kuratorka – świadomie polska. Wieloperspektywiczność spojrzenia została zaznaczona bardzo subtelnie i dostrzeżenie jej wymaga od zwiedzających dużej samodzielności. Niemniej wystawa oferuje niewiele okazji do partycypacji; działania edukacyjne, takie jak oprowadzanie itp., mogą temu efektywnie przeciwdziałać. Polsko, nadchodzę! Kilka myśli o znaczeniu księgi gości Constance Krüger W niniejszym eseju autorka zarysowuje wizję zastosowania księgi gości jako partycypacyjnego elementu ekspozycji muzealnej. Punktem wyjścia dla jej rozważań są księgi wyłożone na wystawie Obok. Polska – Niemcy. 1000 lat historii w sztuce. Zawierają one wpisy, życzenia, uzupełnienia i uwagi krytyczne zwiedzających, które autorka analizuje przez pryzmat aktualnych badań na temat wystawiennictwa, zachowań zwiedzających i strategii edukacyjnych. Na tej podstawie proponuje, by księgę gości przesunąć z jej obecnego miejsca na końcu wystawy – o ile nie w ogóle poza nią – i uczynić elementem koncepcji kuratorskiej, by skonstruować ją jako partycypacyjną przestrzeń pamięci. Partycypacja oznaczałaby tu wykorzystywanie wiedzy zwiedzających, skłanianie ich do wypowiadania

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się podczas bezpośredniego zetknięcia z ekspozycją oraz inspirowanie do wzajemnego dialogu. Zwiedzający staliby się w ten sposób active audience i zostali włączeni w wystawę. Dzięki takiej strategii można by rozbudować i umocnić dialog międzykulturowy, do którego dążą przedsięwzięcia takie jak ekspozycja Obok. Dekonstrukcja i pojednanie Medialny odzew na wystawę Obok Maria Albers Większość niemieckiej i polskiej prasy codziennej bardzo pozytywnie zrecenzowała wystawę Obok. Polska – Niemcy. 1000 lat historii w sztuce. Przed i po otwarciu ekspozycji ukazywały się w prasie artykuły w dużej mierze oparte na wypowiedziach kuratorki, materiałach udostępnianych przez Martin-Gropius-Bau oraz przemówieniach prezydentów obu państw. Zakomunikowano więc publicznie, że wystawa ukazuje różne aspekty relacji historycznych, stanowiąc zarazem symbol procesu pojednania toczącego się przez ostatnie dwadzieścia lat. Po otwarciu wystawy zaczęły pojawiać się interpretacje poszczególnych eksponatów oraz samej ekspozycji. Niemieckie i polskie rozumienie jej wymowy niewiele się od siebie różnią, choć uwaga Polaków i Niemców skupia się na różnych obiektach bądź też na odmiennych aspektach tych samych obiektów. W artykule omówione zostały również nieliczne krytyczne opinie o wystawie oraz dyskusja, jaka wywiązała się po usunięciu Berka Artura Żmijewskiego. Granice multiperspektywiczności O inscenizacji dialogu polsko-niemieckiego Felix Ackermann Tekst ukazuje szczególną rolę, jaką w polsko-niemieckich oprowadzaniach tandemowych odgrywają moderatorzy i moderatorki. Mają oni do dyspozycji szczególną władzę: kierują rozmową proponując język, tematy i kolejność ich omawiania. W polsko-niemieckich konstelacjach okazało się, że w rozmowach uaktywniały się przede wszystkim osoby mieszkające w Niemczech i mówiące dobrze po polsku. Z drugiej strony można było zaobserwować wyraźny kontrast między wiedzą wielu niemieckich uczestników a wiedzą gości z Polski. Z punktu widzenia tych ostatnich wystawa zawierała wiele obrazów będących częścią ich wykształcenia

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ogólnego i ich osobistej pamięci wizualnej, natomiast dla wielu uczestników z Niemiec te same obiekty były całkowitą nowością. Z tego wynikała z jednej strony istotna rola moderatorek i moderatorów, którzy problematyzowali tę różnicę w rozmowie, z drugiej strony prowadziło to do umocnienia pozycji imigrantów z Polski od dłuższego czasu mieszkających w Niemczech, ponieważ to oni dysponowali zarówno znajomością języka niemieckiego, jak i polską socjalizacją. Ponadto, tekst zwraca uwagę na kontrast między oficjalną inscenizacją wystawy a jej odbiorem w polsko -niemieckich oprowadzaniach tandemowych. Oficjalnie mówiło się o przedstawieniu dwu odrębnych kultur i państw, natomiast wiele oprowadzań pokazało, jak bardzo hybrydyczne są tożsamości wielu uczestników i uczestniczek.

III Perspektywy Przyszłość partycypacji w muzeum Tandem jako forma pośredniczenia miedzy wystawą a zwiedzającymi Susanne Rockweiler Przeprowadzona przez Susanne Rockweiler analiza i opracowane przez nią wizje współuczestniczących form edukacji muzealnej mogą twórcom kultury dostarczyć uzasadnień i elementów do dalszego rozwoju partycypacyjnych form kontaktu z kulturą z muzeach i salach wystawowych. Autorka reprezentuje tezę mówiącą, że instytucje kulturalne mogłyby wypracować dodatkowe uzasadnienie swojego istnienia, pozyskać więcej funduszy i ściągnąć nowe grupy zwiedzających, gdyby w większym stopniu pojmowały się jako instytucje edukujące i ośrodki wymiany intelektualnej. Uwzględniając zmiany, jakie w ostatnim dziesięcioleciu zaszły w społeczeństwie i gospodarce, Rockweiler szkicuje programy edukacji muzealnej odwołujące się do metody tandemowej i pozwalające dostrzec, że ta forma pośredniczenia między wystawą a zwiedzającymi odpowiada potrzebom współczesności, jest komunikatywna i pozwala na skuteczne przekazywanie wiedzy. Część przykładów zastosowano w Martin-Gropius -Bau, jednym z najważniejszych i cieszących się największym powodzeniem muzeów europejskich.

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Strategie partycypacyjne a ochrona dziedzictwa żydowskiego w Polsce Léontine Meijer-van Mensch/Dorota Kawęcka/Aleksandra Janus Celem niniejszego artykułu jest refleksja nad tym, w jaki sposób partycypacyjny model muzeum może okazać się pomocny w procesie odkrywania i ochrony dziedzictwa żydowskiego w Polsce. Tło dla tej refleksji stanowi zarówno intensywny rozwój muzealnictwa, jaki od niemal dekady możemy obserwować w Polsce, jak i rosnące zainteresowanie kulturą żydowską i dziedzictwem polskich Żydów oraz powiązane z tym procesem zjawiska, takie jak np.  virtual Jewishness (wirtualna żydowskość) opisana przez Ruth Ellen Gruber w książce Odrodzenie kultury żydowskiej w Europie (2004). W refleksji nad tą kwestią istotną rolę odgrywa wprowadzone w 2005 roku w Konwencji ramowej Rady Europy w sprawie znaczenia dziedzictwa kulturowego dla społeczeństwa pojęcie wspólnoty dziedzictwa (ang. heritage community) opisujące taką wspólnotę, której członkowie identyfikują się z określonym dziedzictwem kulturowym, choć niekoniecznie są z nim geograficznie związani i niekoniecznie stanowi ono ich lokalny kontekst. Poza kontekstem narodowym Polacy i Niemcy konstruują wystawę dwunarodową Jutta Wiedmann Artykuł poświęcony jest różnorodnym sposobom postrzegania i interpretacji symboli i pojęć w kulturze pamięci we współczesnych Niemczech i Polsce. Opierając się na rezultatach projektu badawczego Kultura pamięci XX w. w Polsce i Niemczech, w którym studiujący porównywali polskie i niemieckie instytucje związane z kulturą pamięci pod kątem kontekstu ich powstania, propagowania określonych tożsamości a także celu działalności, niniejszy artykuł proponuje, by polsko-niemiecki zespół jeszcze przed powstaniem instytucji muzealnej rozpoznawał istniejące różnice w postrzeganiu historii, które następnie uwzględniano by przy tworzeniu nowej placówki. Kultura pamięci 2.0 nie jest więc empiryczną analizą stwierdzonych faktów, lecz hipotetycznym projektem opartym na empirycznych rozpoznaniach. W artykule zaproponowano następujące postępowanie: tworząc dwunarodową instytucję muzealną studiujący powinni uwzględnić kontekst polityczny i kulturowy, tożsamości, które ma ona upowszechniać, a także cele oraz środki, jakich należy użyć. Ponad-

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to należałoby wiele uwagi poświęcić refleksji na procesami powstawania instytucji, co pozwoli dostrzec ewentualne odmienności w postrzeganiu wydarzeń historycznych i wyciągnąć z nich odpowiednie wnioski. Ekspertyza końcowa powinna zawierać stwierdzenie czy w ogóle istnieje wspólny fundament, na którym można by oprzeć polsko-niemiecką instytucję muzealną. Przebuduj swoje muzeum miejskie! Partycypacyjny głos na temat wystawy stałej 1000 lat Wrocławia Vasco Kretschmann Otwarta w 2009 r. wystawa stała 1000 lat Wrocławia w Muzeum Miejskim Wrocławia odzwierciedla koncepcję całościowego ujęcia dziejów miasta. Ekspozycja zawiera odniesienia do historii Pałacu Królewskiego oraz prezentuje dzieje wielokulturowego miasta. Założenie, na którym opiera się wystawa, zmierza z jednej strony do dyskretnego komentowania jakoby autentycznych obiektów muzealnych, a z drugiej chce pozostawić przestrzeń dla różnorodnych interpretacji. Budzą się jednak wątpliwości czy zwiedzający znajdą tu informacje wystarczające do zrozumienia eksponatów? Rodzi się też pytanie, w jakim stopniu uwypuklanie historycznej wielokulturowości w oficjalnej kulturze historycznej i strategii marketingowej Wrocławia Miasto spotkań odpowiada obrazom historii rozpowszechnionym wśród mieszkańców miasta. Muzeum staje się tym samym wyznacznikiem różnorodnych postaw wrocławskiej ludności wobec kultury historycznej. Partycypacyjne muzeum miejskie Wizja dla muzeum w Neuruppin Magdalena Pyzio Od pewnego czasu dostrzec można rosnące zainteresowanie pracą muzeów miejskich. W wielu miastach w Niemczech muzea przedefiniowują podstawy swojego działania. Powstają nowe wystawy stałe, poszczególne placówki inicjują debaty naukowe i dążą do zwiększonej partycypacji zwiedzających. Niniejszy artykuł jest przeglądem historycznego tła krytycznej autorefleksji na temat roli muzeów w lokalnych społecznościach i prezentuje wizję muzeum miejskiego dostosowanego do wymagań XXI wieku.

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Partycypacyjna pamięć o przymusowych przesiedleniach Propozycje dla muzeum Haus Brandenburg w Fürstenwalde Lisa Just Istniejące od 1999 r. muzeum Haus Brandenburg w Fürstenwalde nad Szprewą stara się spełniać funkcję muzeum regionalnego dla wschodniej Brandenburgii, która obecnie jest częścią Polski (województwo lubuskie). Do 1945 r. historyczna Brandenburgia wschodnia należała do Rzeszy Niemieckiej jako Neumark. Muzeum dokumentuje życie codzienne byłych niemieckich mieszkańców regionu posługując się oryginalnymi przedmiotami pochodzącymi z lokalnych izb pamięci. Ekspozycja skierowana jest przede wszystkim do pokolenia, które przeżyło tamte czasy, natomiast mieszkańcy dzisiejszej Brandenburgii nie uważają jej za część swojej przeszłości czy też teraźniejszości. Wychodząc od codziennych doświadczeń mieszkańców obecnej Brandenburgii wschodniej muzeum chciałoby połączyć dzisiejszą małą ojczyznę z tą utraconą, co pozwoli rozbudować narrację prezentowaną na wystawie. Wyeksponowanie założycieli muzeum i historii jego powstania pozwoliłoby przywołać historyczny kontekst przymusowej migracji po II wojnie światowej. Należy ożywić różnorodne związki muzeum z regionem zarówno na wschód, jak i na zachód od Odry, dążąc do zbliżenia z podobną placówką w województwie lubuskim. Zasadnicze znaczenie będzie miał przy tym udział czynników lokalnych w tworzeniu i udostępnianiu ekspozycji. Swoje i obce w muzeum Muzealna reprezentacja różnic społecznych Jakob Ackermann Przestrzenie muzealne na różne sposoby uczestniczą w procesie kształtowania tożsamości kulturowej społeczeństwa. Przykładami tej różnorodność są muzealne prezentacje nacjonalizmu, wielokulturowości, międzykulturowości i transkulturowości. Muzea powstawały bowiem jako instytucje państwa narodowego, jako przestrzeń, w której odbywa się konstruowanie i re-prezentowanie każdego z narodów. Mają pomóc w konstytuowaniu społeczności i w konsolidacji przynależnego do niej państwa jako wyodrębnionej struktury. Multiplikowany w ten sposób obraz społeczeństwa skupia się przy tym najczęściej na przedstawianiu społe-

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Par tizipative Erinnerungsräume

czeństwa narodowego, które można w miarę jasno scharakteryzować i powiązać z jednoznacznie zdefiniowaną grupą osób. Bardziej zróżnicowany obraz społeczeństwa ukazują liczne, najczęściej małe muzea niewielkich grup pozostających na obrzeżach kultury. Razem wzięte odzwierciedlają różnorodność społeczności, do których przynależą, pomagając w ich konsolidacji i służąc im jako sposób komunikacji ze światem zewnętrznym. Prezentowane w nich wystawy bywają jednak hermetyczne, przez co mogą niewspółmiernie podkreślać wyjątkowość i specjalną rolę odgrywaną przez poszczególne grupy. Muzeum rzeczywiście pojmowane jako platforma komunikacji różnych aktorów społecznych, pomaga w nawiązaniu relacji między tym, co obce a tym, co swojskie i w ten sposób ożywia nasze kultury. (Po)dzielone miejsca pamięci Wizja inkluzywnego muzeum z punktu widzenia kuratorki Lorraine Bluche/Frauke Miera Zawarte w niniejszym artykule rozważania na temat (po)dzielonych przestrzeni pamięci koncentrują się wokół wizji inkluzywnego muzeum. Autorki dokonują skrótowego przeglądu dyskusji toczących się w ramach paradygmatu partycypacji oraz debat na temat muzealnych przedstawień migracji, zaznaczając swoje stanowisko. Następnie odnoszą się do wystawy ortsgespräche. stadt – migration – geschichte (rozmowa na miejscu. miasto – migracja – historia) w berlińskim Kreuzberg Museum, której były kuratorkami. Celem tego projektu wystawienniczego ukształtowanie narracji łączącej dzieje miasta i historię migracji, jak również stworzenie (po)dzielonych przestrzeni pamięci. Z takich założeń wyniknął projekt dążący do inkluzji marginalizowanych grup społecznych, przedefiniowania roli kuratora i kuratorki (pośredniczenie i moderacja) oraz różne sposoby włączania source communities w proces projektowania i tworzenia wystaw. Wychodząc od przykładu wziętego z praktyki Bluche/Miera przedstawiają wizję inkluzywnego muzeum miejskiego i dzielnicowego. Tłumaczenie: Justyna Górny