Texte in Museen und Ausstellungen: Ein Praxisleitfaden [2. Auflage 2012] 9783839401071

Gleich ob Saaltexte, Kurzführer oder Audiotexte: Das wichtigste Medium, um in Ausstellungen Wissen zu vermitteln, bilden

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German Pages 172 [174] Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Kapitel 1 – Theorie. Zwischen Dogma und Häresie Texte im Museum – pro und contra
Kapitel 2 – Professionalisierung. Texte schreiben als Beruf - Der deutsche Sprachraum im Hintertreffen
Kapitel 3 – Texthierarchien. Wahlfreiheit statt Zwangsbeglückung - Klare Gliederung der Informationen
Kapitel 4 – Lesbare Ausstellungstexte. Die Zeichen an der Wand - Wissensvermittlung in Sekundenschnelle
Kapitel 5 – Texte zum Anfassen. Wenn es mehr sein darf - Kurzführer, Handouts, Detailinformationen
Kapitel 6 – Audiotexte. Die Führung aus dem Off - Schneisen durch das Informationsdickicht
Kapitel 7 – Internettexte. Die elektronische Visitenkarte - Ein Bild sagt mehr als 100 Worte
Kapitel 8 – Fremdsprachige Texte. Ausstellungsbesuch auf Slowakisch - Minderheiten und Touristen als Zielgruppen
Kapitel 9 – Arbeitsorganisation. Füße weg von fremden Zehen! Die 11 Arbeitsschritte zu professionellen Texten
Kapitel 10 – Wirtschaftlichkeit. Besucherorientierung zahlt sich aus - Kosten und Nutzen professioneller Texte
Kapitel 11 – Erfahrungsbericht. Es kommt darauf an, was der andere versteht - Ein Ausstellungsmacher betritt Neuland
Kapitel 12 – Praxisbeispiel. Von A wie Evaluation bis Z wie Grafik - Texterarbeitung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Autorinnen und Autoren
Materialienübersicht
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Texte in Museen und Ausstellungen: Ein Praxisleitfaden [2. Auflage 2012]
 9783839401071

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Texte in Museen und Ausstellungen Ein Praxisleitfaden herausgegeben von Evelyn Dawid & Robert Schlesinger

Benutzerhinweis: Anschriften, Web-Adressen, Preise etc. unterliegen Änderungen. Die in dieser Veröffentlichung enthaltenen Angaben entsprechen dem Stand von Juli 2002.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2002 transcript Verlag, Bielefeld Umschlag und Layout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Michael Jensch, Axel Thünker) Satz: digitron GmbH, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-107-8

Inhalt 3

Inhalt Vorwort 5 Kapitel 1 – Theorie Zwischen Dogma und Häresie Texte im Museum – pro und contra EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER 7 Kapitel 2 – Professionalisierung Texte schreiben als Beruf Der deutsche Sprachraum im Hintertreffen EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER 25 Kapitel 3 – Texthierarchien Wahlfreiheit statt Zwangsbeglückung Klare Gliederung der Informationen EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER 35 Kapitel 4 – Lesbare Ausstellungstexte Die Zeichen an der Wand Wissensvermittlung in Sekundenschnelle EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER 49 Kapitel 5 – Texte zum Anfassen Wenn es mehr sein darf Kurzführer, Handouts, Detailinformationen EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER 85 Kapitel 6 – Audiotexte Die Führung aus dem Off Schneisen durch das Informationsdickicht EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER 95 Kapitel 7 – Internettexte Die elektronische Visitenkarte Ein Bild sagt mehr als 100 Worte EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER 109 Kapitel 8 – Fremdsprachige Texte Ausstellungsbesuch auf Slowakisch Minderheiten und Touristen als Zielgruppen EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER 125

Inhalt 4

Kapitel 9 – Arbeitsorganisation Füße weg von fremden Zehen! Die 11 Arbeitsschritte zu professionellen Texten EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER 129 Kapitel 10 – Wirtschaftlichkeit Besucherorientierung zahlt sich aus Kosten und Nutzen professioneller Texte FREDERIKE MÜLLER 139 Kapitel 11 – Erfahrungsbericht Es kommt darauf an, was der andere versteht Ein Ausstellungsmacher betritt Neuland WALTER PFAFF 149 Kapitel 12 – Praxisbeispiel Von A wie Evaluation bis Z wie Grafik Texterarbeitung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland HANS WALTER HÜTTER & DOROTHEE DENNERT 153 Autorinnen und Autoren 167 Materialienübersicht 171

Vorwort 5

Vorwort »Ich schreibe Ausstellungstexte« ist ein deutscher Satz, gewiss. Dennoch stößt er im deutschen Sprachraum regelmäßig auf Unverständnis. Nicht auf Ablehnung, sondern auf Unverständnis im Wortsinne. »Ach so, Sie sorgen für die grafische Gestaltung der Texttafeln« ist eine Antwort, die man häufig zu hören bekommt. Dass Texte nicht nur gesetzt, sondern zuerst einmal formuliert gehören, und dass für die Formulierung von Ausstellungstexten eigene Gesetze gelten, die beherrschen muss, wer sich an das Genre heranwagt – dafür fehlt in den deutschsprachigen Ländern noch fast jedes Bewusstsein. An diesem Zustand will der vorliegende Praxisleitfaden einiges ändern. Er ist, ohne dass wir die Probleme der grafischen Gestaltung gering schätzen, der Formulierung von Museumstexten gewidmet, diesem Stiefkind des Ausstellungswesens. Das erste Kapitel skizziert die unverzichtbare, aber zugleich bescheidene Rolle, die die Texte in Ausstellungen spielen müssen, und zwar anhand dessen, was aus Besucherstudien darüber zu lernen ist. Kapitel 2 ist ein Plädoyer für die Professionalisierung: Aus der Erarbeitung von Ausstellungstexten muss ein eigener Beruf werden, wie es in vielen Ländern der Welt längst der Fall ist. Es folgen die praktischen Anleitungen zur Texterstellung, illustriert anhand vieler Beispiele aus der Praxis: Je ein Kapitel widmet sich der Gliederung der Texte in Hierarchieebenen; der Formulierung von Wandtexten; von Broschüren, Kurzführern und Detailinformationen aller Arten; von Audiotexten; und von Internettexten (Kapitel 3 bis 7). Kapitel 8 fasst zusammen, wie man fremdsprachige Besucher am besten mit Informationen versorgt.

Vorwort 6

Das Kapitel 9 unternimmt den wichtigen Versuch, die Arbeitsabläufe so zu strukturieren, dass einander Kuratoren, Texter, Architekten, Grafiker und Veranstalter möglichst wenig in die Quere kommen. Frederike Müller streicht die betriebswirtschaftlichen Vorzüge der Auftragsvergabe an professionelle Texter hervor; als Fallstudie dient ihr das Freilichtmuseum am Kiekeberg (Kapitel 10). Der Schweizer Theater- und Ausstellungsmacher Walter Pfaff, der das Wagnis der Zusammenarbeit mit professionellen Museumstextern bereits auf sich genommen hat, berichtet in einem besonders schönen, beinahe literarischen Text von seinen Erfahrungen (Kapitel 11). Den Abschluss machen Hans Walter Hütter und Dorothee Dennert vom Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn: Sie stellen im Zusammenhang dar, wie in ihrem Museum all die im Vorhergehenden beschriebenen Arbeitsschritte in die Tat umgesetzt wurden und werden. Dabei ist nicht zuletzt viel über Evaluationen (mit denen das Haus der Geschichte reiche Erfahrung hat), aber auch über die grafische Gestaltung der Texttafeln zu erfahren. Hütter und Dennert publizieren hier, darauf sind wir stolz, zum ersten Mal das komplette Textkonzept des Hauses der Geschichte (Kapitel 12). Herzlich danken wir unseren Koautorinnen und Koautoren, die ihre Zusagen für Beiträge zu diesem Band eingehalten haben; und dem transcript Verlag, der zu dem Projekt die Idee hatte. Wien, im Juli 2002 Evelyn Dawid & Robert Schlesinger

Kapitel 1 – Theorie 7

Zwischen Dogma und Häresie – Texte im Museum – pro und contra EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER Kein Besucher, keine Besucherin geht in ein Museum oder in eine Ausstellung, um dort die Texte zu lesen. Wenn man Lust zum Lesen hat, nimmt man ein Buch zur Hand und zieht sich je nach Laune und Wetter in einen gemütlichen Sessel oder einen Liegestuhl zurück. Lesen im Stehen hingegen ist eine Strapaze. Ausstellungstexte werden daher nicht mit Freude verschlungen – sondern bestenfalls als Begleiterscheinung in Kauf genommen. Forschungsarbeiten über das Verhalten von Menschen im Museum zeigen: Die Besucher bleiben im Durchschnitt zwischen 20 und 40 Sekunden vor einem Objekt stehen.1 Dies reicht kaum dazu aus, das Exponat zu betrachten; auch noch den dazugehörigen Objekttext zu lesen, scheint unmöglich zu sein. Warum also übertriebene Sorgfalt auf Texte verwenden? »Oh, yes, they do« – so betitelte Paulette McManus einen Aufsatz über das Leseverhalten im British Museum of Natural History.2 Sie lesen also doch, die Besucher in den Ausstellungen – und zwar in einem wesentlich größerem Ausmaß als bis dahin angenommen, das brachte McManus zu Tage, indem sie die Leute nicht nur systematisch beim Rundgang durch die Ausstellung beobachtete, sondern auch ihre Gespräche auf Band aufnahm. Es stellte sich heraus, dass es zahlreiche Besucher gab, die man zwar bei keinem einzigen Blick auf die Texttafeln hatte beobachten können, die aber offenbar schneller lasen, als die Beobachter es bemerkten: Denn sie ließen die Inhalte der Texte in ihre Unterhaltung einfließen, manchmal sogar wortwörtlich. Dazu kommt, dass auf diese Art und Weise nicht nur die Leser die Texte wahrnahmen, sondern auch ihre Begleitpersonen. In den meisten Gruppen übernahm einer die Rolle des Lesers und gab die Informationen an die anderen 1 Chandler G. Screven, The measurement and facilitation of learning in the museum environment: an experimental analysis, Washington 1974, S. 10. Screven beruft sich auf Studien von Fazzini, Parsons und Shettel. 2 Paulette M. McManus, Oh, yes, they do: how museum visitors read labels and interact with exhibit texts. In: Curator, Vol. 32, No. 3, 1989, S. 174-189

Kapitel 1 – Theorie 8

weiter. McManus ermittelte, indem sie die systematische Beobachtung und die Aufzeichnungen der Gespräche zusammenführte, dass 85,1 Prozent der untersuchten Besuchergruppen in den Texten gelesen hatten. Geht man von einem kleinen Museum in einer Provinzstadt aus, in das etwa 15.000 Besucher pro Jahr kommen, ergibt das immerhin 12.765 Leser und Leserinnen der Texte pro Jahr. Eine wissenschaftliche Publikation mit einer vergleichbar hohen Auflage würde jeder Wissenschaftler, jede Wissenschaftlerin – in einer Zeit, da man bereits über 1.500 verkaufte Bücher Luftsprünge vollführt – minutiös vorbereiten.3 An den Formulierungen würde gefeilt und über das Layout lange nachgedacht. Die Texte, die gemeinhin in Ausstellungen und Museen zu lesen sind, erfahren ganz eindeutig nicht diese Sorgfalt. Sie werden häufig in der letzten Minute geschrieben, neben all den anderen Aufgaben, die die Kuratoren bei der Fertigstellung einer Ausstellung zu bewältigen haben. Sich auch noch über die Leser Gedanken zu machen, dazu reicht oft weder die Zeit noch die Energie. Texten oder nicht texten – das ist hier die Frage Dass niemand der Texte wegen ins Museum kommt, an dieser Aussage ändern die Forschungsergebnisse von Paulette McManus gar nichts. Nur der Schluss, dass Texte in Ausstellungen unwichtig wären, kann nicht aufrechterhalten werden. Und damit befinden wir uns mitten in der Diskussion über die Rolle von Texten in Ausstellungen, die seit etwa drei Jahrzehnten, wie die umfangreiche Literatur belegt, mit bewundernswerter Ausdauer und bemerkenswerter Vehemenz und Polemik geführt wird. Seit Beginn dieser Debatte stoßen gegensätzliche Ideologien hart aufeinander: Auf der einen Seite stehen gleichsam die Vertreter der Exponate, die darauf beharren, dass die Objekte in einer Ausstellung für sich allein stehen, dass alle schrift-

3 Diese Argumentation ist entlehnt von B. Serrell, Making exhibit labels: a step by step guide, Nashville 1983, S. 1 (zitiert nach Helen Coxall, How language means: an alternative view of museum text. In: Gaynor Kavanagh (Hg.), Museum languages: objects and texts, Leicester 1996, S. 86).

Kapitel 1 – Theorie 9

lichen Erklärungen deshalb völlig unnötig seien – noch mehr: dass diese in Konkurrenz zur Wirkung, zur Aura der Ausstellungsstücke stünden. Auf der anderen Seite findet man die Vertreter der Besucher, denen es darum geht, den Zugang zu Ausstellungen allen Teilen der Bevölkerung, gleich welcher Bildungsstufe, zumindest theoretisch zu eröffnen. Sie argumentieren, dass die Objekte ohne schriftliche Erklärung für einen Großteil der Besucher und Besucherinnen unverständlich bleiben. Einiges an dieser Diskussion erscheint durchaus eigenartig: Erstens gehen die beiden Seiten erstaunlich wenig aufeinander ein; sie verhalten sich geradezu so, als müssten sie Glaubensgrundsätze verteidigen. Die Befürworter der Texte sprechen den Exponaten ihre Bedeutung für das Medium Ausstellung und deren ästhetische Qualität zum Teil völlig ab; die Gegner der Texte wiederum ignorieren die Forschungsergebnisse über das Verhalten von Menschen in Ausstellungen. Beide enthalten sich nonchalant einer Differenzierung zwischen den verschiedenen Arten von Museen, jeder spricht und schreibt ganz selbstverständlich von dem Museum und meint damit jenes, mit dem er selbst am besten vertraut ist. Die meisten Text-Gegner meinen Kunstmuseen, wenn sie Museum sagen, die Befürworter hingegen eher naturkundliche, technische und historische Sammlungen. Wir scheuen uns keineswegs, in dieser Diskussion Stellung zu beziehen; da es sich aber bei diesem Buch um einen praxisbezogenen Leitfaden handelt, wäre eine lange theoriegeleitete Abhandlung wohl fehl am Platz. Und da man es in einer Debatte um Dogmen ohnehin niemandem Recht macht, können wir unseren Standpunkt ebenso gut in der gebotenen apodiktischen Kürze darlegen.

Kapitel 1 – Theorie 10

Erstens: Eine Ausstellung ist ein eigenes Medium, das aus einem Zusammenspiel von Exponaten, ihrer Präsentation und der dazugehörigen Information besteht. Zweitens: Den Objekten kommt dabei besondere Bedeutung zu. Es hat einen völlig anderen Erlebniswert, vor dem Original zu stehen, es in seiner Dreidimensionalität zu erleben, als etwa ein Foto davon zu sehen. Ganz abgesehen davon, dass es zahlreiche Objekte gibt, die nicht adäquat abgebildet werden können – wir denken da etwa an Gemälde, in denen es auf die Licht- und Schattenwirkung ankommt, Stichwort Caravaggio –, vermögen Originale Emotionen anzusprechen, die durch Reproduktionen niemals ausgelöst werden. Insofern sind Originale »magisch«. Drittens: Ausstellungen werden von dem bestimmt, was ausgestellt werden kann. Das heißt einerseits, dass die zur Verfügung stehenden Objekte (und nicht etwa das Wissen der Kuratoren und Kuratorinnen) den Erzählfluss und Inhalt einer Ausstellung festlegen, andererseits, dass bei solchen Objekten Vorsicht geboten ist, die nur einen unvollständigen Eindruck geben – wie etwa eine Partitur nicht geeignet ist, ein Musikstück »auszustellen«. Viertens: Ausstellungen sind sinnliche, in erster Linie visuelle Erlebnisse, deshalb sind die Ausstellungsarchitektur, die Räumlichkeiten, die Beleuchtung, die Arrangements und die Inszenierungen essentiell. Sie können Eindrücke hinterlassen, die wesentlich nachhaltiger sind, als jegliche schriftliche Information zu geben im Stande ist. Fünftens: Kein Exponat steht für sich. Besucher und Besucherinnen blicken – sofern sie keine Fachleute sind – gleichsam in die Fremde, wenn sie sich mit einem Ausstellungsthema befassen. Laien brauchen Hintergrundinformationen und Erklärungen, um Objekte einordnen und verstehen sowie Zusammenhänge begreifen zu können. Ihr Blick muss gelenkt werden, wenn sie mit Gegenständen und Darstellungen konfrontiert sind, die sie nicht entziffern können. Dies gilt auch für Kunstwerke: Wer mit den Codes nicht vertraut ist, dem bleibt vielleicht ein vergäng-

Kapitel 1 – Theorie 11

liches ästhetisches Erlebnis, aber nicht mehr. Kurz: Ausstellungen brauchen Texte. (Niemand ist jedoch gezwungen, die Informationen in Anspruch zu nehmen. Es steht den Besuchern und Besucherinnen frei, den Ausstellungsbesuch so zu gestalten, wie sie das wünschen – und das tun sie auch.) Sechstens: Ausstellungen haben neben anderem die Kommunikation mit den Besuchern und Besucherinnen zum Ziel. Ein nicht unbeträchtlicher Teil dieser Kommunikation läuft über die Texte ab. Kuratoren, die zu wenig oder gar keine Informationen geben, müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie einen Teil der Besucher von vornherein ausschließen. Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen (noch schlimmer, wenn sie das vielleicht sogar als Lob auffassen), ein elitäres Kulturverständnis zu haben. Ein kurzes Beispiel soll illustrieren, was der Verzicht auf Informationen in einer Ausstellung bedeutet: »Es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn man in Ausstellungsräumen ohne das Gemurmel von Objektbeschriftungen allein gelassen wird. Es fehlt etwas, etwas wie eine Geräuschkulisse. Große Verunsicherung setzt ein. (...) Nach und nach ergeben sich Verbindungslinien, Dialogansätze und man ist stolz auf sich. Alles dauert endlos lang, denn wie soll sich der Blick ohne die üblichen Seilschaften verbaler Aufbereitung von Ding zu Ding lavieren. Die Fortbewegungsart ist anders. Bei jedem neuen Objekt scheut man und es befällt einen der ganze Jammer der Textverlassenheit.«4 Fraglos kann eine Ausstellung, wie sie Monika Schwärzler hier beschreibt, für besonders Interessierte ein faszinierendes und gewinnbringendes Erlebnis sein. Leider sind die meisten Besucher von Ausstellungen, wie zahlreiche Studien belegen, jedoch nicht derart interessiert. Denken Sie an die durchschnittliche Verweildauer von rund einer halben Minute vor einem Exponat.

4 Monika Schwärzler, »Objekte schweigen, ’s flüstern Geigen...«. Objekt-Präsentation im Museum. In: Gottfried Fliedl (Hg.), Erzählen, Erinnern, Veranschaulichen. Theoretisches zur Museums- und Ausstellungskommunikation, Wien 1992, S. 73-4 (alle Interpunktionsfehler im Original)

Kapitel 1 – Theorie 12

Siebentens: Gute Ausstellungstexte funktionieren wie die Stimme aus dem Off bei einem Dokumentarfilm. Die Bilder stehen im Vordergrund, die Information wird dazu geliefert, ohne dass es den Betrachter anstrengt; er merkt überhaupt nicht, dass er neben dem Zuschauen auch zuhört. Ebenso haben es gute Ausstellungstexte den Besuchern und Besucherinnen zu ermöglichen, dass sie die Texte lesen, ohne dass es sie anstrengt; auch sie dürfen nicht merken, dass sie gerade dabei sind, im Stehen (!) zu lesen, obwohl es ihnen eigentlich um das Betrachten der Exponate geht. Daraus folgt: Texte in Ausstellungen und Museen sind eine ganz eigene Textgattung, die ganz eigenen Regeln gehorcht. Achtens: Gute Ausstellungstexte sind schnell erfassbar. Auf diese Art nehmen die Besucher, die (wie erwähnt) nur sehr kurz vor einem Objekt zu verweilen bereit sind, ein Maximum an Information mit. An der Verweildauer wird sich nämlich kaum etwas ändern lassen – also muss man an der Lesegeschwindigkeit ansetzen: Ist der Text so formuliert, dass man ihn in den wenigen Sekunden, die man dafür aufwendet, wenigstens kursorisch durchlesen kann, dann hat er seinen Zweck erfüllt; ist er hingegen so formuliert, dass man in der (stets gleich kurzen) Zeitspanne nur die ersten drei Zeilen gelesen, aber nicht wirklich verstanden hat, dann erfüllen die Texttafeln (wie heute in noch vielen Ausstellungen im deutschen Sprachraum) die Funktion einer Buchstabentapete. Neuntens: Texte sollen in einer Ausstellung so sparsam wie möglich zum Einsatz kommen. Zu wenige Informationen lassen die Fragen der Besucher zwar offen, zu viele aber wirken abschreckend und übersättigen allzu schnell. Zehntens: Ausstellungstexte sind keinesfalls Werbetexte, sondern wissenschaftliche Publikationen – mit einem besonderen Zielpublikum (Laien) und für ein eigenes Kommunikationsmedium (eben Ausstellungen).

Kapitel 1 – Theorie 13

Besucher und Besucherinnen – unbekannte Wesen5 »A museum is a non-profit making, permanent institution in the service of society and of its development, and open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates and exhibits, for purposes of study, education and enjoyment, material evidence of people and their environment (...)«6 – so definiert das International Council of Museums (ICOM) die Aufgaben von Museen. Zwei Begriffe fallen dabei auf: Ein Museum hat nicht nur auszustellen, sondern zu kommunizieren, und es hat nicht nur zur Bildung, sondern auch zum Vergnügen beizutragen. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, müssen Museen und natürlich auch Ausstellungsveranstalter wissen, mit wem sie kommunizieren und wem sie Bildung und Vergnügen verschaffen sollen. Die Antwort darauf kann in den schon mehrmals erwähnten Besucherstudien gefunden werden, die sich allerdings – zumindest im deutschsprachigen Raum – weder bei den Kuratoren noch bei den Pädagogen allzu großer Anerkennung erfreuen. Das mag daran liegen, dass man in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit dem Begriff Besucherstudien gerne Besucherstrukturanalysen verbindet, in denen hauptsächlich die demografische Zusammensetzung der Besucher erhoben wird. Die Initiative zu diesen Analysen geht meist von den Marketingverantwortlichen der Museen aus, die – um Werbestrategien ausarbeiten zu können – wissen müssen, wer ihre Zielgruppen sind. Ein Instrument aus der Wirtschaftswelt, das zur Erfüllung des (häufig politisch geforderten) Ziels eingesetzt wird, möglichst viele Besucher ins Museum zu locken – und das den auf Qualität reflektierenden Kuratoren und Pädagogen offenbar allzu suspekt ist. Sie übersehen allerdings, dass auch sie alle Arten von Besucherstudien gewinnbringend nützen können. Dabei geht es nicht so sehr um die demografische Zusammensetzung des Publikums, sondern um dessen Interessen, Einstellungen und Vorkenntnisse. Möchte man zum Beispiel in

5 Einen vorzüglichen Überblick über Besucherstudien im Zusammenhang mit Texten in Ausstellungen bietet Annette Noschka-Roos, Besucherforschung und Didaktik. Ein museumspädagogisches Plädoyer, Opladen 1994, S. 149-224 6 ICOM Statutes art.2 para.2 (Quelle: www.icom.org)

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einer Ausstellung irritieren oder umgekehrt Irritationen vermeiden, muss man wissen, wie die Besucher mehrheitlich denken. Möchte man neugierig machen, muss man ermitteln, wofür sie sich interessieren. Und möchte man sich verständlich machen, braucht man ein Bild davon, was man an Kenntnissen zum Thema voraussetzen kann und was erklärt werden muss. All dies kann und sollte wohl auch in die Konzeption von Ausstellungen einfließen. Besucherstudien sind ein Zweig der empirischen Sozialforschung, in ihr kommen sowohl quantitative als auch qualitative Methoden7 zur Anwendung. So werden etwa: • Fragebögen eingesetzt, um zu statistisch verwertbaren Daten zu gelangen (insbesondere in der Besucherstrukturanalyse); • Interviews verschiedenster Art durchgeführt (zum Beispiel mit vorgegebenen Fragen, mit Leitfaden oder völlig frei), um etwa herauszufinden, welche Objekte oder welche Themen wie in Erinnerung geblieben sind; ob die Besucher die Absichten der Kuratoren nachvollziehen konnten; ob es Missverständnisse gegeben hat; ob Fragen offen geblieben sind; • Gruppendiskussionen veranstaltet, um Interessen, Meinungen und Kenntnisse zu erheben; • die Besucher bei ihrem Gang durch die Schauräume verdeckt systematisch beobachtet, um zu sehen, bei welchen Ausstellungselementen sie wie viel Zeit verbringen; wie lange sie überhaupt für den Rundgang brauchen; woran sie vorbeigehen, ohne einen Blick darauf zu werfen; wovon sie sich gleich wieder abwenden; ob sie allein oder in Begleitung unterwegs sind und ob sie sich miteinander unterhalten; ob und wie sie interaktive Ausstellungselemente nützen und so weiter. Wie immer in der empirischen Sozialforschung ist es auch eine Frage der Kreativität, welchen Methodenmix man für welche Zielsetzung anwendet. Paulette McManus etwa hat mit der Idee, die Gespräche der Besucher aufzuzeichnen, 7 Chandler G. Screven, United States: a science in the making. In: Museum International, No. 178, Vol. XLV, No. 2, 1993, S. 6-7

Kapitel 1 – Theorie 15

das Problem umgangen, dass in Beobachtungen nur sehr schwer feststellbar ist, ob und wieviel die Besucher tatsächlich lesen. Lesen oder zumindest einen Text überfliegen kann man nämlich mit einiger Übung so verblüffend schnell, dass selbst die professionellen Beobachter es einfach nicht registrieren. Andererseits ist keineswegs klar, ob jene, die ganz eindeutig die Texttafeln ansehen, den Text auch verstehen. Man unterscheidet die folgenden Formen der Evaluation, die sich in erster Linie durch den Zeitpunkt ihrer Durchführung unterscheiden; die oben aufgezählten Methoden können in jeder von ihnen zu Anwendung gebracht werden: • die formative Evaluation, in der noch vor Ausstellungseröffnung einzelne Elemente (mit Hilfe so genannter Mock-ups, also einfacher Modelle der zukünftigen Ausstellung) dahingehend überprüft werden, ob sie von den Besuchern so verstanden und genutzt werden, wie das die Ausstellungsmacher beabsichtigt haben; • die summative Evaluation, die mit dem gleichen Ziel in der schon besuchten Ausstellung stattfindet; • gibt es die Möglichkeit, an der Ausstellung noch etwas zu verändern, etwa die Texte neu zu formulieren, spricht man von Nachbesserungsevaluation. Für welche Form der Evaluation man sich entscheidet, ist in erster Linie eine Kostenfrage. Besucherstudien haben ihren Ursprung in den USA, und zwar schon in den 10-er Jahren des 20. Jahrhunderts,8 in Europa setzen sie sich bis heute nur zögerlich durch, aber in den Niederlanden, in Frankreich, in Deutschland und insbesondere in Großbritannien gibt es schon darauf spezialisierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Die umfangreichste Literatur über das Verhalten von Menschen in Ausstellungen stammt nach wie vor aus den USA. Zu bedenken ist, dass die Erkenntnisse aus diesen Studien

8 Chandler G. Screven, United States ... (Fußnote 7), S. 7-9

Kapitel 1 – Theorie 16

schwer verallgemeinert werden können, gelten die Ergebnisse doch vor allem für ein bestimmtes Museum, für einen bestimmten Zeitraum und für eine bestimmte Ausstellung. Möchte ein Veranstalter genaue Angaben über das Verhalten der Besucher im eigenen Haus, wird er wohl nicht umhin können, selbst eine Studie in Auftrag zu geben. Trotzdem lässt sich aus den vorhandenen Besucherstudien einiges Grundsätzliche ableiten – auch über das Lesen der Ausstellungstexte. Wie bereits erwähnt, wird aus Beobachtungen allein nicht klar, ob Besucher wirklich lesen und wieviel; geschweige denn, ob sie den Inhalt verstanden haben bzw. ob ihre Fragen beantwortet worden sind. Das heißt, um wirklich sinnvolle Aussagen über das Leseverhalten und -verständnis machen zu können, muss man noch andere Methoden, etwa Interviews, zum Einsatz bringen. Als Einflussfaktoren auf das Lesen gelten:9 • die Besuchermerkmale, vor allem Interesse und Erwartungen. Interessiert sich ein Besucher für ein Thema oder ein Exponat überhaupt nicht, wird er einen noch so gut geschriebenen Text dazu nicht lesen. Interessiert er sich sehr, wird er sich vielleicht sogar durch einen schlecht geschriebenen Text quälen. Es geht also darum, mittelmäßig motivierte Besucher – und das sind die meisten – durch gute Texte zum Lesen zu verführen. • die Textmerkmale, die in den ➔ Kapiteln 3 bis 7 ausführlich dargelegt werden. Der Effekt von sachgerecht formulierten Ausstellungstexten ist frappant: Im Naturkundemuseum Karlsruhe10 ergab eine Besucherstudie in einem bestimmten Teil der Dauerausstellung, dass 72 Prozent der »Kunden« überhaupt keinen Gebrauch von den Texttafeln machten. Dann wurden die Texte nach professionellen Kriterien neu formuliert und ihre Verständlichkeit und Akzeptanz in umfangreichen Evaluationen getestet. In der neu gestalteten Ausstellung

9 Ausführlicher bei Annette Noschka-Roos, Besucherforschung und Didaktik (Fußnote 5), S. 149-160 10 Ellen von Borzyskowski, Verführung zum Lesen. Die kontrollierte Verbesserung von Texten. In: Hans-Joachim Klein (Hg.), Evaluation als Instrument der Ausstellungsplanung, Karlsruhe 1991, insbesondere S. 72

Kapitel 1 – Theorie 17

ignorierten nur mehr 24 Prozent der Besucher die Texte; 16 Prozent lasen in dem von der Studie erfassten Bereich nur einen Text (vorher: 18 Prozent), satte 60 Prozent wandten sich mehr als einem Text zu – gegenüber nur 10 Prozent in der alten Ausstellung! • der Ausstellungskontext und hier insbesondere die Dichte der Objekte und der Informationen sowie die Größe der Ausstellung. Das Phänomen der Museumsmüdigkeit, der museum fatigue, das schon in einer der ersten empirischen Untersuchungen 1916 im Bostoner Museum of Fine Arts behandelt wurde, ist für große Ausstellungen ein ernst zu nehmendes Problem. John H. Falk hat ein Muster für den Besuch einer Ausstellung erstellt:11 Auf eine Orientierungsphase folgt etwa eine halbe Stunde, in der sich die Besucher und Besucherinnen mit voller Konzentration der Ausstellung widmen; danach lässt die Aufmerksamkeit rapide nach, und die folgenden Räume werden im Eiltempo absolviert; die letzte Phase ist eine der Erschöpfung, eben der museum fatigue. Daraus kann man schließen, dass gegen Ende der Ausstellung mit höherer Wahrscheinlichkeit wenig gelesen wird; umso stärker kommt es dann auf die Qualität der Texte an. • die Besuchersituation. Das Leseverhalten ist sehr unterschiedlich, je nachdem ob die Besucher allein, zu zweit, mit der Familie, mit Freunden oder in größeren Gruppen kommen. Auch geschlechts- und altersspezifische Unterschiede beim Lesen sind eindeutig festzumachen.12 Massenmedium Ausstellung Besucherstudien finden aber nicht nur heraus, mit wem die Ausstellungsmacher kommunizieren; sie sagen auch vieles über die Art dieser Kommunikation. Bei Ausstellungen handelt es sich um ein ganz eigenes Kommunikationsme11 John H. Falk, Predicting visitor behaviour. In: Curator, Vol. 28, 1985, S. 249-257 (zitiert nach Annette Noschka-Roos, Besucherforschung und Didaktik [Fußnote 5], S. 157) 12 Paulette M. McManus, Making sense of exhibits. In: Gaynor Kavanagh (Hg.), Museum languages: objects and texts, Leicester 1996, S. 37-8; Hans-Joachim Klein, Der gläserne Besucher: Publikumsstrukturen einer Museumslandschaft, Berlin 1990, S. 291-2

Kapitel 1 – Theorie 18

dium. Eine Handvoll Kuratoren, Architekten, Texter und Pädagogen »spricht« zu einer großen Menge von Menschen, • deren Anzahl sie nicht überschauen oder vorhersagen können; • die sie nicht kennen; • von denen sie räumlich getrennt sind; • von denen sie zeitlich getrennt sind; • denen sie niemals von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten und die daher anonym bleiben; • von denen sie im Augenblick der Kommunikation keine Rückmeldung erhalten können, die Rückschlüsse auf Verständnis, Zustimmung oder Interesse zuließen. Einer Menschenmenge zudem, • die nichts anderes verbindet als der Ausstellungsbesuch; • und die völlig heterogen zusammengesetzt ist: Die Besucher stammen nämlich aus verschiedenen sozialen Schichten, ihre Interessen, Meinungen und politischen Überzeugungen haben wenig gemeinsam, ihre Lebensstile, Berufe und Einkommen sind ganz unterschiedlich. All diese Charakteristika gelten eindeutig für Massenkommunikation.13 Bevor großes Entsetzen bei manch einem Leser oder einer Leserin ausbricht, eine weitere Begriffsklärung: Massenkommunikation ist eine etwas unglückliche wortwörtliche Übersetzung aus dem Englischen. Masse heißt in diesem Zusammenhang nichts anderes als eine Vielzahl von Menschen ohne die negativen, oft gar bedrohlichen Konnotationen, die im Deutschen daran geknüpft sind. »Massenkommunikation« sagt auch nichts über die Qualität der Inhalte aus: Ob man die Bild oder die Frankfurter Allgemeine, die Kronen Zeitung oder den Standard, Pro 7 oder Arte konsumiert, immer handelt es sich um Massenkommunikation – schlichtweg, weil die oben aufgezählten Punkte zutreffen.

13 Roland Burkart, Kommunikationswissenschaft, Wien/Köln/Weimar 1995, S. 160-170

Kapitel 1 – Theorie 19

Etwas Entscheidendes fehlt aber noch in der Liste: »Von massenmedial vermittelter Kommunikation soll (nur) dann gesprochen werden, wenn das, was ein Kommunikator mitteilen will, von den jeweiligen Rezipienten seiner Aussage auch so verstanden wird, wie es von ihm gemeint war.«14 Die Kommunikation kommt also nur zu Stande, wenn sich Kuratorinnen, Architekten, Pädagoginnen und Texter verständlich machen können. Die Sprachbarriere, mit der die Besucher von Ausstellungen am häufigsten – viel zu häufig – zu kämpfen haben, ist jene auf der »gegenständlichen« Ebene: Sprecher und Empfänger verfügen über unterschiedliche sprachliche Zeichenvorräte, das heißt der Sprecher verwendet Wörter, die der Empfänger nicht kennt – Wörter einer fremden Sprache.15 Dazu gehören nicht nur die Fremdsprachen im wahrsten Sinne des Wortes, sondern auch Fach- und Sondersprachen, die sich von der gewöhnlichen Alltagssprache allzu weit entfernt haben. Ohne Zweifel ist jede Wissenschaftssprache eine solche Fachsprache.* Heiner Treinen, der seine Theorie über das »aktive Dösen« in Museen seit etwa dreißig Jahren in verschiedensten Aufsätzen entwickelt hat, zäumt das Pferd vom anderen Ende auf und stellt die Besucher und ihr kommunikatives Verhalten in den Mittelpunkt – und er diagnostiziert Reaktionsmuster, wie sie für den Konsum von Massenmedien typisch sind: Die Besucher gehen demnach »relativ planlos« durch eine Ausstellung, in einem Zustand, den Treinen als »aktives Dösen« beschreibt. Sie sind also keineswegs passiv, sondern fortwährend auf der Suche nach Reizen, um einen emotional erwünschten Spannungszustand zu erreichen und möglichst zu erhalten. Das Besondere an dieser Wahrnehmungsart ist, dass sich die Reize sehr rasch abnützen und sich die Konsumenten sogleich auf die Suche nach Neuem begeben. Vom Fernsehen ist uns dieses Verhalten wohl bekannt: Dazu gehört häufiges Umschalten auf andere Programme (Zappen) – kaum wird jemals eine Sendung durchgehend angeschaut –, das Plaudern mit Verwandten und Freunden und noch zahlreiche andere 14 Roland Burkart, Kommunikationswissenschaft (Fußnote 13), S. 167 15 Roland Burkart, ebenda, S. 80-1

* Siehe dazu ➔ Kapitel 2

Kapitel 1 – Theorie 20

Tätigkeiten (zum Beispiel Essen, Bügeln, Kochen und neuerdings sogar Auto fahren). Da Museumsbesucher zu Fuß unterwegs sind, spricht Treinen vom »kulturellen Window-Shopping« – die Besucher verhalten sich also wie bei einem Einkaufsbummel und nehmen nur das mit, was ihre Aufmerksamkeit zu fesseln vermag. Das ist zwar eine wenig erfreuliche Erkenntnis für Ausstellungsgestalter (die Programmmacher bei den Fernsehanstalten haben mit dem Zappen übrigens auch wenig Freude), sie zu negieren hilft aber wenig. Mit ihr umgehen zu lernen, hingegen viel.

Materialien ➔ Literaturtipps, S. 21

Kapitel 1 – Materialien: Literaturtipps 21

Literaturtipps Ellen von Borzyskowski, Verführung zum Lesen. Die kontrollierte Verbesserung von Texten. In: Hans-Joachim Klein (Hg.), Evaluation als Instrument der Ausstellungsplanung, Karlsruhe 1991 Roland Burkart, Kommunikationswissenschaft, Wien/ Köln/Weimar 1995 Helen Coxall, How language means: an alternative view of museums text. In: Gaynor Kavanagh (Hg.), Museum languages: objects and texts, Leicester 1996, S. 83-99 Tom Freudenheim, Museum education in the USA, in: Ekkehard Nuissl (Hg.), Wege zum lebendigen Museum: Museen und Kunstvereine als Orte kultureller Bildung (Tagungsbericht), Heidelberg 21988, S. 149-170 Hans-Joachim Klein, Der gläserne Besucher: Publikumsstrukturen einer Museumslandschaft, Berlin 1990 Gottfried Korff, Fragen an Jürgen Steen. In: Gottfried Fliedl/Roswitha Muttenthaler/Herbert Posch (Hg.), Wie zu sehen ist. Essays zur Theorie des Ausstellens, Wien 1995, S. 63-68 Barry Lord/Gail Dexter Lord (Hg.), The manual of museum exhibitions, Walnut Creek 2001 Siegfried Mattl, Ausstellungen als Lektüre. In: Gottfried Fliedl (Hg.), Erzählen, Erinnern, Veranschaulichen. Theoretisches zur Museums- und Ausstellungskommunikation, Wien 1992, S. 41-54 Siegfried Mattl, Texte sehen. Bilder lesen. In: Gottfried Fliedl/Roswitha Muttenthaler/Herbert Posch (Hg.), Wie zu sehen ist. Essays zur Theorie des Ausstellens, Wien 1995, S. 13-26 Paulette M. McManus, Making sense of exhibits. In: Gaynor Kavanagh (Hg.), Museum languages: objects and texts, Leicester 1996, S. 33-46 Paulette M. McManus, Oh, yes, they do: how museum visitors read labels and interact with exhibit texts. In: Curator, Vol. 32, No. 3, 1989, S. 174-189 Museen und ihre Besucher. Herausforderungen in der Zukunft, Bonn/Berlin 1996

Kapitel 1 – Materialien: Literaturtipps 22

Annette Noschka-Roos, Besucherforschung und Didaktik. Ein museumspädagogisches Plädoyer, Opladen 1994 Christoffer Richartz, Museum, Musentempel und die neuen Medien. In: Kirsten Fast (Hg.), Handbuch der museumspädagogischen Ansätze, Opladen 1995, S. 329-333 Petra Schuck-Wersig/Gernot Wersig, Die Lust am Schauen oder müssen Museen langweilig sein? Plädoyer für eine neue Sehkultur, Berlin 1986 Monika Schwärzler, »Objekte schweigen, ’s flüstern Geigen...«. Objekt-Präsentation im Museum. In: Gottfried Fliedl (Hg.), Erzählen, Erinnern, Veranschaulichen. Theoretisches zur Museums- und Ausstellungskommunikation, Wien 1992, S. 69-77 Chandler G. Screven, The measurement and facilitation of learning in the museum environment: an experimental analysis, Washington 1974 Chandler G. Screven, United States: a science in the making. In: Museum International, No. 178, Vol. XLV, No. 2, 1993, S. 6-12 Chandler G. Screven, Visitor studies: an introduction, in: Museum International, No. 178, Vol. XLV, No. 2, 1993, S. 4-5 Standards manual for signs and labels, hg. von Roxana Adams, Washington 1995 Jürgen Steen, Ausstellung und Text. In: Gottfried Fliedl/ Roswitha Muttenthaler/Herbert Posch (Hg.), Wie zu sehen ist. Essays zur Theorie des Ausstellens, Wien 1995, S. 46-62 Heiner Treinen, Ansätze zu einer Soziologie des Museumswesens. In: Günter Albrecht/Hansjürgen Daheim/Fritz Sack (Hg.), Soziologie. Sprache, Bezug zur Praxis, Verhältnis zu anderen Wissenschaften, Opladen 1973, S. 336-353 Heiner Treinen, Was sucht der Besucher im Museum? Massenmediale Aspekte des Museumswesens. In: Gottfried Fliedl (Hg.), Museum als soziales Gedächtnis? Kritische Beiträge zur Museumswissenschaft und Museumspädagogik, Klagenfurt 1988, S. 24-41

Kapitel 1 – Materialien: Literaturtipps 23

Was will der Besucher im Museum? Podiumsdiskussion zur Motivation und zum Interesse der Besucher in Museen und Kunstvereinen. In: Ekkehard Nuissl (Hg.), Wege zum lebendigen Museum: Museen und Kunstvereine als Orte kultureller Bildung (Tagungsbericht), Heidelberg 2 1988, S. 39-53

Tipp: ... und noch eine äußerst nützliche Internet-Adresse: www.aam-us.org/text/bookstore.htm – dort gibt es an englischsprachiger Fachliteratur für Museen und Ausstellungen online zu bestellen, was immer das Herz begehrt. Jedes Buch wird im Katalog kurz kommentiert.

Kapitel 2 – Professionalisierung 25

Texte schreiben als Beruf – Der deutsche Sprachraum im Hintertreffen EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER »In den Amsterdamer Museen«, konstatiert Tom van der Meer, »sind die Texte in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren tatsächlich besser geworden – weil Texte schreiben ein Beruf geworden ist.«1 Unter anderem für van der Meer selbst: Er ist einer von drei Autoren, die im Rijksmuseum (mit Unterstützung von Freelancern) für sämtliche Texte verantwortlich zeichnen. Die Kuratoren liefern im Rijksmuseum nur die Informationen und stehen den Autoren für Nachfragen zur Verfügung; an der unmittelbaren Formulierung der Texte sind sie nicht beteiligt. Die Texte, die so entstehen, sind von außerordentlicher Qualität. »Unsere Kuratoren«, sagt van der Meer, »könnten gar nicht selber Ausstellungstexte schreiben, die brauchen ihre Zeit für die Kataloge, und natürlich für die Ausstellungen.« »Nein«, kommt im Anne Frank Huis in Amsterdam die etwas erstaunte Antwort, ob die (großartigen) Texte in der Ausstellung von Wissenschaftlern stammen, »das waren Leute, die wirklich schreiben können, ein Team von Publizisten.« Sarah Hyde ist die Textredakteurin der Tate Britain in London: »Solche Jobs wie meinen können sich nur die nationalen Museen leisten. Aber die kleinen Regionalmuseen in Großbritannien unternehmen mit ihren Mitteln unglaubliche Anstrengungen für neue Präsentationsformen, einschließlich der Texte. Das ist oft innovativer als in den großen Häusern.« Anthony Calnek und sein Team verantworten die Texte im Guggenheim Museum in New York; sie überarbeiten eingehend die Textentwürfe der Kuratoren. »Wir schauen darauf, dass es nicht zu akademisch wird«, sagt Calnek;

1 Alle hier zitierten Gespräche mit Vertretern internationaler Museen führte Robert Schlesinger telefonisch im Juni 2002.

Kapitel 2 – Professionalisierung 26

aber um besondere Allgemeinverständlichkeit müssten sie sich andererseits nicht bemühen: »Wir haben ein sehr sachkundiges Publikum – und darunter kaum Kinder.« Für US-Verhältnisse ist das ein ausgesprochen elitärer Ansatz. Nun wird aber eine beträchtliche Anzahl von Ausstellungen des Hauses eins zu eins von Guggenheim Berlin übernommen. Nur die Texte müssten, so ist in der deutschen Dependance der Foundation zu erfahren, immer wieder völlig neu geschrieben werden – formulierten doch die Amerikaner ziemlich superlativisch, redundant, mit einem ganz anderen Sprachduktus, kurz: nicht immer wissenschaftlich genug. Dabei zeichnet bei Guggenheim Berlin für Ausstellungstexte die Pressestelle verantwortlich. Museen mit eigenen Verantwortlichen für die Textformulierung sind im deutschen Sprachraum immer noch Ausnahmen, die an eine Sensation grenzen: Das Haus der Geschichte in Bonn und Leipzig gehört dazu, das (amerikanisch geführte und organisierte) Jüdische Museum Berlin oder eben Guggenheim. Im Deutschen Museum München, das für die Professionalisierung der deutschen Ausstellungstexte eine Pionierrolle gespielt hat, wurde das hauseigene Textbüro inzwischen wieder abgeschafft. Noch einmal zum Vergleich ins Ausland: Allein die Smithsonian Institution in Washington beschäftigt rund 150 text editors und writers für die verschiedensten Bereiche wie Kataloge, Zeitschriften, Internettexte und so weiter; ungefähr 30 davon sind nur mit Wandtexten befasst, sprich: in jedem der 16 Smithsonian-Museen ein bis zwei Personen. Nein, in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz ist das Schreiben von Ausstellungstexten noch kein Beruf; und dementsprechend sehen die meisten Texte auch aus. »Bei uns schreiben die Kuratoren die Texte selbst«, ist die Standardauskunft, und kaum jemand empfindet sie als peinlich. Seltsam. »Bei uns zimmern die Kuratoren die Vitrinen selbst« brächten wohl nicht viele so leicht über die Lippen; obwohl ganz und gar nicht einzusehen ist, warum auf Texte (die für den Inhalt einer Ausstellung doch essen-

Kapitel 2 – Professionalisierung 27

tiell sind) weniger professioneller Ehrgeiz verwendet werden sollte als auf glatt gehobelte Vitrinen. Abschreckende Sprachgewohnheiten Kuratorinnen und Kuratoren, die die Ausstellungstexte selber schreiben sollen oder gar wollen, befinden sich in einer No-win-Situation. Die Sprache, die sie in ihrer Ausbildung gelernt haben, die sie in ihren Publikationen schreiben und die sie bei ihren Studien lesen – diese Sprache sollen sie in ihren Ausstellungen plötzlich nicht verwenden. In der Scientific Community gilt die übliche Wissenschaftssprache als Muss. Wie steht man denn als Kurator da, wenn man seine Forschungsergebnisse plötzlich in ganz gewöhnlichem, sogar in besonders einfach verständlichem Deutsch darstellen soll? Gut, würden wir meinen. Ausstellungen werden nicht – niemals – für die Fachkollegen gemacht, sondern für die Besucher, und die sind nun einmal keine Experten. Überdies ist eine derart komplizierte und hässliche Wissenschaftssprache nur auf Deutsch üblich und schick; auf Englisch, Französisch oder Italienisch kommt man mit einer wesentlich schlichteren, gut verständlichen Sprache aus, ohne dass die wissenschaftlichen Leistungen im Entferntesten darunter leiden würden (im Gegenteil: wie viele Fachrichtungen gibt es schon, in denen die USA keine bedeutende Rolle spielen?). Helen Coxall zitiert eine Studie,2 in der amerikanischen Wissenschaftlern sowohl kompliziert als auch einfach formulierte Aufsätze mit exakt demselben Inhalt vorgelegt wurden. Die Testpersonen hatten bei beiden Versionen keine Verständnisprobleme, aber sie mochten die kompliziert geschriebenen Texte einfach weniger. Wir wagen zu befürchten, dass dies in deutschsprachigen Landen genau umgekehrt wäre. Und darin liegt das Problem, wenn »bei

2 Helen Coxall, How language means: an alternative view of museums text. In: Gaynor Kavanagh (Hg.), Museum languages: objects and texts, Leicester 1996, S. 89

Kapitel 2 – Professionalisierung 28

uns die Kuratoren die Texte selbst schreiben«: Entweder (das ist die Regel) die Texte sind kaum brauchbar; oder die jeweiligen Kuratoren setzen ihre wissenschaftliche Reputation aufs Spiel. Als Lösung bietet sich an, es den USA, den Niederlanden oder Großbritannien gleich zu tun – und aus dem Schreiben von Ausstellungstexten einen Beruf zu machen. Das bedeutet gewiss nicht, Werbeagenturen damit zu beauftragen; Werbetexte haben in Museen nichts zu suchen. Nein, es ist ein eigenes Berufsbild, das entstehen muss, so wie es in den genannten Ländern längst entstanden ist. In der Regel wird es von Vorteil sein, wenn die Ausstellungstexterinnen und -texter mit akademischer Bildung in Berührung gekommen sind; nicht etwa, weil sie inhaltlich kompetent sein müssten (die inhaltliche Oberhoheit bleibt stets bei den Kuratoren), sondern damit sie das nötige Verständnis dafür aufbringen, dass die Kuratoren auch an professionell formulierte Texte mit Recht akribische inhaltliche Ansprüche stellen. Ebenso wichtig ist aber naturgemäß das sprachliche Handwerkszeug derer, die als Texter eingesetzt werden sollen. (Richtig, wir sprechen von Handwerk, nicht von Kunst; man braucht beileibe kein Dichter zu sein, um gute Ausstellungstexte zu schreiben.) Schwierigkeiten, geeignete Leute zu finden, sind jedenfalls nicht zu erwarten; nicht wenige Universitätsabsolventen oder auch Studienabbrecher arbeiten ohnehin in Bereichen, in denen sie mit Sprache umzugehen gelernt haben, wie zum Beispiel als Journalisten oder Verlagslektoren. Unter der Bedingung, dass die Texter das erwähnte Verständnis für die Präzision wissenschaftlicher Publikationen haben (und dazu gehören Ausstellungstexte, nur dass man es ihnen sprachlich unter keinen Umständen anmerken darf), unter dieser Bedingung halten wir es im Gegenteil für einen entschiedenen Vorteil, wenn die Texter keine Fachkollegen der Kuratoren sind. Wenn für Kunstmuseen erst recht wieder Kunsthistoriker schreiben, für Technische Museen Techniker und für naturkundliche Ausstellungen Biologen, dann droht eine der schlimmsten Gefahren nach wie vor: dass nämlich die Texte das Publikum überfordern,

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weil die Autoren das Gespür dafür verloren haben, was sie bei Laien voraussetzen dürfen und was nicht. Wenn hingegen die Texter selbst die ersten Laien sind, denen der Inhalt der Ausstellung vermittelt wird (und zwar gründlicher als jedem anderen, müssen sie doch diesen Inhalt an die Besucherinnen und Besucher weitergeben), dann fungieren sie als ein unersetzliches Korrektiv gegen die stete Gefahr der »Verfachwissenschaftlichung«. Professionelle Laien Um allen Befürchtungen, Laien als Texter könnten die wissenschaftliche Aussage der Ausstellungstexte verfälschen, mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten, sei gleich hier betont, dass die Kuratoren niemals die Kontrolle über den Inhalt der Texte verlieren dürfen; alles Nähere dazu siehe ➔ Kapitel 9. Hinweis: Wie sich auch komplexe und anspruchsvolle wissenschaftliche Überlegungen in ganz schlicht formulierte Ausstellungstexte übersetzen lassen, siehe ➔ Kapitel 4, Beispiele 3 und 5 (S. 74f. und 78f.). Wie nun praktisch am besten vorzugehen ist, das richtet sich in erster Linie nach den konkreten Talenten der zur Verfügung stehenden Personen – und nach dem Budget. Nach den Talenten der Personen: Hier und da mag es ja vorkommen, dass unter den Kuratoren oder unter den sonstigen Mitarbeitern eines Museums jemand ist, der sich zum professionellen Texter eignet; natürlich spricht dann nichts dagegen, ihn für diese Aufgabe einzuschulen – sofern er bereit ist, aus seiner bisherigen Tätigkeit auszuscheiden und sich in Zukunft ganz den Texten zu widmen. In der Regel aber wird es nötig sein, den Kreis der Mitarbeiter zu erweitern, um auch bei den Texten jenen professionellen Standard zu erreichen, der bei den Vitrinen üblich ist.

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Nach dem Budget: In großen Häusern ist ein, in sehr großen Häusern sind mehrere hauptberufliche Texter unerlässlich; und es liegt nahe, dass man die Betreffenden durch eine Anstellung an das Haus binden wird, sofern die finanziellen Mittel dazu ausreichen. Externe Dienstleister hingegen kommen wahrscheinlich billiger. In kleineren Häusern bietet es sich wohl generell an, mit externen oder freiberuflichen Textern zu arbeiten, ist doch hier das Texten meist kein Full-Time-Job, der eine Anstellung finanziell rechtfertigen könnte. Dringend abzuraten ist davon, dass ein Kurator oder ein sonstiger Mitarbeiter die Texte nebenher betreut, als Zusatzaufgabe, die er notgedrungen irgendwann nach Dienstschluss oder am Wochenende erledigen muss. Texte im Museum sind keine Nebensache.

Professionalisierung – die Argumente auf einen Blick: 1. Texte schreiben im Museum ist ein eigener Beruf. 2. Ein eigener Beruf erfordert eigenes Fachpersonal. 3. Ausstellungstexte formulieren ist eine Hauptbeschäftigung. Bürden Sie sie niemals einem Mitarbeiter zusätzlich zu seiner bisherigen Tätigkeit auf. 4. Große Häuser brauchen mindestens einen Full-TimeTexter, oft sogar mehrere. In kleineren Häusern werden sich die Texte auch in Teilzeit bewältigen lassen. 5. Ob die Texter angestellt werden können, ist eine Budgetfrage. Freiberufliche Dienstleister werden in der Regel billiger kommen als Angestellte.

Materialien ➔ Adressen: Textbüros und freie Ausstellungstexter, S. 31

Kapitel 2 – Materialien: Adressen 31

Adressen: Textbüros und freie Ausstellungstexter Das Angebot ist im deutschen Sprachraum nicht gerade groß, die Bekanntheit der wenigen Fachleute auf Grund der geringen Nachfrage noch weniger. Wir haben uns um eine vollständige Liste bemüht, können aber nicht garantieren, dass das Bemühen erfolgreich war. Kontext Stephan Oster & Michael Fiedler Grabenstraße 76 45525 Hattingen Deutschland Telefon: +49 (0) 23 24/99 99 22 Fax: +49 (0) 23 24/99 99 24 E-Mail: [email protected] Internet: www.osterfiedler.de Recherchen in Archiven und nach Exponaten, Ausstellungskonzepte, Wand- und Internettexte, Broschüren, Texte für Jugendliche Kunst&FilmKommunikation Frederike Müller Hannover – Berlin Telefon: +49 (0) 177/ 26 84 851 Fax: +49 (0) 177/ 99 26 84 851 E-Mail: [email protected] Ausstellungstexte, Kindertexte und Audioführungen Linon Medien Lutz Oldemeier Birkenstraße 7 97453 Schonungen Deutschland Telefon: +49 (0) 97 21/29 94 85 Fax: +49 (0) 97 21/29 92 88 E-Mail: [email protected] Internet: www.linon.de Audioführungssysteme, Audiotexte, im Zusammenhang damit auch Wandtexte

Kapitel 2 – Materialien: Adressen 32

Helga Reuter-Kumpmann Heilmannstraße 9B 81479 München Deutschland Telefon: +49 (0) 89/7 90 17 73 E-Mail: [email protected] Ausstellungskonzepte, Wandtexte, Audiotexte Die WortStatt. Evelyn Dawid & Robert Schlesinger Lainzerstraße 77 1130 Wien Österreich Telefon & Fax: +43 (0) 1/8 77 48 03 E-Mail: [email protected] Internet: www.wortstatt.at Wand-, Audio- und Internettexte, Broschüren, PR-Konzepte, Design und Programmierung von Internetseiten, Pressetexte

Hinweis: Firmen, die Audioguides vertreiben, bieten üblicherweise auch die dafür nötigen Texte an – nicht immer in zufrieden stellender Qualität! Bestehen Sie vor Vertragsabschluss auf einer ausreichenden Menge von Textproben oder lassen Sie sich den einen oder anderen Probetext anfertigen, damit Sie entscheiden können, ob Sie nicht doch lieber Texter Ihrer Wahl mit den Audiotexten beauftragen wollen.

Internettipps: Wertvolle Informationen und Hinweise, wie man im Museum (bei den Texten und bei vielen, vielen anderen Themen) zu höherer Professionalität gelangen kann, geben vor allem Internetseiten aus den USA; aber auch eine deutsche Seite können wir empfehlen.

Kapitel 2 – Materialien: Adressen 33

www.aam-us.org (American Association of Museums) www.N-A-M-E.org (National Association for Museum Exhibition – USA) www.archimuse.com (Archives and Museums Informatics) www.icom.org (International Council of Museums) warp6.dva.de/sixcms/list.php?page=dms_home_page (Damals – Geschichte online)

Kapitel 3 – Texthierarchien 35

Wahlfreiheit statt Zwangsbeglückung – Klare Gliederung der Informationen EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER Kein Besucher wird Ihre Ausstellung zur Gänze anschauen, keine Besucherin wird alle Texte lesen. Diese Tatsache ist so unumstößlich, dass es sich kaum auszahlt, sie für traurig zu erachten.1 Und daran ändern auch professionell formulierte Texte nichts Grundsätzliches (auch wenn sie den Textkonsum auf ein Vielfaches steigern*). Die Besucher wählen aus, welche Räume sie besichtigen, zu welchen Themen sie sich informieren wollen. Dabei müssen die Texte sie unterstützen – nicht zuletzt im didaktischen Sinne, denn durch die Texte (insbesondere durch die Überschriften, die ja als Erstes ins Auge springen) lässt sich das Interesse doch ein wenig lenken. Das geschieht durch die Gliederung der Texte in verschiedene Hierarchieebenen, die durch die ganze Ausstellung, durch das ganze Museum im Prinzip durchgehalten werden, um die Orientierung zu erleichtern. Das Ziel ist es, jenen Besuchern, die das wünschen, zu ermöglichen, dass sie sofort beim Betreten eines Raumes oder einer Abteilung erfassen, worum es hier gehen wird. Das kann natürlich nicht gelingen, wenn sie eine Unzahl von detaillierten Texten zu einzelnen Objekten durchzuackern haben, bis sie verstehen, was die Gestalter mit genau dieser Zusammenstellung von genau diesen Ausstellungsstücken eigentlich sagen wollen. Vielleicht interessieren jemanden die letzten vier Räume am meisten; wenn er aber nicht die Chance erhält, die vorigen zwanzig zu überspringen (indem er eben sofort erfährt, was ihr Inhalt ist – und entscheiden kann, sich damit nicht länger zu beschäftigen), dann wird er in »seinen« letzten vier Räumen bereits so müde sein, dass er sie erst recht nicht anschaut. Man kann voraussetzen, dass er diese Ausstellung beziehungsweise dieses Museum nicht in guter Erinnerung behält ...

1 Robert L. Wolf, A naturalistic view of evaluation. In: Museum News, Vol. 58, No. 1, 1980, S. 39-45 (zit. nach Annette Noschka-Roos, Besucherforschung und Didaktik, Ein museumspädagogisches Plädoyer, Opladen 1994, S. 155)

* Siehe hierzu ➔ S. 16f.

Kapitel 3 – Texthierarchien 36

Das Schema: zwei bis fünf Textebenen Zwei Hierarchieebenen von Texten sind das absolute Minimum: erstens Objektkennungen, die in Stichworten erklären, um was für einen Gegenstand es sich handelt, von wann und wo er stammt, wer der Urheber ist etc.; zweitens übergeordnete Texte, die den Zusammenhang zwischen den Objekten herstellen, ihre Einordnung ermöglichen, den Hintergrund erklären. Nahezu ohne Ausnahme wird jedoch auch das zu wenig sein: Bei weitem nicht alle Ausstellungsstücke sind schließlich mit Beschriftungen à la »Monstranz, Silber vergoldet, 17. Jahrhundert, oberbayerisch« erschöpfend erklärt. Nicht wenige Objekte werden über die Objektkennung hinaus einen Objekttext erfordern, der mehr Wissen über den konkreten Gegenstand vermittelt. Auf der »Objektebene« wird es daher in aller Regel zwei Varianten geben: Objekte mit Text und Kennung, Objekte nur mit Kennung. Meistens wird es auch keineswegs genügen, eine einzige Ebene von »übergeordneten Texten« einzuführen. Sinnvoll ist es vielmehr, in Saaltexte (die für einen ganzen Saal oder auch zwei oder drei aufeinander folgende, kleinere Räume gelten) und Bereichstexte (die ein Teilthema innerhalb des Saalthemas behandeln) zu unterteilen. Macht insgesamt, sozusagen als »Standardmaß«, drei Ebenen: Saaltexte, Bereichstexte, Objektbeschriftungen (in zwei Varianten, wie gesagt). Dieses Schema lässt sich noch erweitern. In sehr großen Museen oder Ausstellungen empfiehlt es sich etwa, jeweils eine Reihe von Sälen durch einen Abteilungstext zusammenzufassen. Und schließlich lässt sich noch eine Zwischenebene einführen, die wir als Objektgruppentexte bezeichnen wollen und die zu mehreren verwandten Objekten (die natürlich auch unmittelbar nebeneinander aufgestellt sind) eine gemeinsame Erklärung liefert. Über fünf Ebenen hinauszugehen, ist freilich nicht ratsam, schließlich soll das Schema klar und übersichtlich bleiben. Wir haben somit ein minimales und ein maximales Hierarchieschema definiert:

Kapitel 3 – Texthierarchien 37

Texthierarchien: Schema Minimalvariante

übergeordnete Texte

Objekttext plus Kennung

nur Objektkennung

Maximalvariante

Abteilungstexte

Saaltexte

Bereichstexte

Objektgruppentexte

Objekttexte plus Kennung

nur Objektkennung

Kapitel 3 – Texthierarchien 38

Texthierarchien: Beispiele Minimalvariante

übergeordneter Text: Die Wunderkammer des Fürsterzbischofs Z. (z.B. als Ausstellung in der Ausstellung) Objekttext plus Kennung: Das Skelett des Hofzwergs

nur Objektkennung: Ein Straußenei

Maximalvariante

Abteilungstext: Energie

Saaltext: Kraftwerke

Bereichstext: Wasserkraft

Objektgruppentext: Grundsätzliches über Turbinen (an Hand von fünf nebeneinander aufgestellten Exemplaren) Objektbeschriftung: Turbine aus dem historisch bedeutenden Kraftwerk XY (mit Text) oder eine weniger ›spannende‹ Turbine (nur Kennung)

Kapitel 3 – Texthierarchien 39

Alles, was zwischen diesen beiden Varianten liegt, ist selbstverständlich »erlaubt«. Variationen sind auch innerhalb ein und desselben Schemas möglich: Bereichstexte gibt es nur in jenen Sälen, die groß genug sind, um auch wirklich mehrere thematische Bereiche zu beherbergen; und Objektgruppentexte sind nur dort anzubringen, wo sie auch angebracht sind. Das oberste Gebot: Text sparen! Sollte jetzt der Eindruck entstanden sein, dass wir Ausstellungen mit viel Text bevorzugen (fünf Textebenen! das klingt ja nicht unbedingt sparsam) – dann ist dieser Eindruck freilich grundfalsch. Texte haben in der Ausstellung eine enorm wichtige Funktion; und damit diese Behauptung auch wahr wird, muss die Textmenge und -länge auf das Äußerste reduziert sein. Wenn man nämlich die Ausstellung vor lauter Texten nicht mehr sieht, dann degradieren die Gestalter ihr bestes Informationsmedium zu einer bloßen Buchstabentapete. Schon 1936 stellte Arthur W. Melton in einer Versuchsreihe fest, dass ein größeres Angebot an Texten die Verweildauer der Besucher vor den zugehörigen Objekten nicht verlängert,2 sprich: Sie lesen (oder auch nicht) bei einer Vitrine im Durchschnitt immer gleich lang, egal ob dort ein Text hängt oder drei. Wenn ein Kurator (und das ist leider kein hypothetisches Beispiel, wir haben es selber erlebt) in einem Raum einen Saaltext und zwei Bereichstexte vorsieht und nur ein einziges Exponat, das selber noch mit einem Objekttext garniert ist – dann gibt es nur eines: Er soll das Buch schreiben, das ihm offenbar in Wahrheit vorschwebte, und die Finger von Ausstellungen lassen.

2 Arthur W. Melton, Distribution of attention in galleries in a museum of science and industry. In: The Museum News, Vol. XIV, No. 3, June 1936, S. 5-8

Kapitel 3 – Texthierarchien 40

Es gibt für in den Schauräumen angebrachte Texte ohne Zweifel ein Höchstmaß; aber, und das macht die Sache schwierig, dieses Höchstmaß lässt sich unmöglich in eine Formel oder eine Regel fassen; zu groß sind die Unterschiede, die durch die jeweiligen Räumlichkeiten, die Ausstellungsarchitektur und natürlich das Thema bedingt werden. Das einzige Hilfsmittel, um ein vernünftiges Verhältnis zwischen Texten und Objekten zu finden, ist der optische Gesamteindruck: Zwar müssen die Texte stets so platziert sein, dass sie rasch und problemlos auffindbar sind, aber nie dürfen sie den Raum oder die Exponate dominieren. Sie müssen als eine Zutat erscheinen, nicht als eine Hauptsache. Möglichkeiten, ins Detail zu gehen Nicht zuletzt deshalb ist mit den bisher genannten Textsorten ein Hierarchieschema noch lange nicht komplett. Denn die affichierten Texte allein werden sicher nie allen Informationen Platz bieten, die die Kuratorinnen und Kuratoren gerne unterbringen möchten – und die besonders interessierte Besucher vielleicht wirklich mitnehmen wollen. Welche Möglichkeiten gibt es also, weiter ins Detail zu gehen? Erstens, das ist die traditionelle Methode, Kataloge – die allerdings nicht wenige Nachteile aufweisen: Sie sind mit (häufig sogar ziemlich hohen) Kosten verbunden. Sie vermögen in der Ausstellung selbst nur zu den Objekten Informationen zu liefern, aber nicht zum Hintergrund, liest man doch die Aufsätze mit Sicherheit erst zu Hause. Es handelt sich um wissenschaftliche Publikationen, deren Sprache bei weitem nicht allen Besuchern (auch nicht allen interessierten) zugänglich ist. Und die Kataloge werden in den letzten Jahren dicker und dicker, was viele Meriten hat, aber ihre Benützung in den Schauräumen nicht eben erleichtert. Zweitens: Audioführungen, in die man viel reichhaltigere Informationen verpacken kann und soll als in die affichierten Texte.

Kapitel 3 – Texthierarchien 41

Drittens: Handouts, die an den entsprechenden Stellen der Ausstellung entnehmen kann, wer mag (dafür genügen durchaus formlose, kopierte A4-Blätter). Viertens: Lesestationen, an denen man fix montierte Materialien durchschmökern oder Computer abfragen kann, und zwar – das ist entscheidend! – im Sitzen, denn das steigert die Lust am Lesen sehr beträchtlich. Fünftens: in die Ausstellungsarchitektur integrierte (also nicht zur Entnahme bestimmte) Informationsangebote, zu deren Nutzung der Besucher aktiv werden muss, sprich: die übersehen kann, wer sie übersehen will. Hier ist der Kreativität des Architekten keine Grenze gesetzt: Zum – vorbildlich gelungenen – Beispiel lassen sich im Jüdischen Museum in Hohenems (Vorarlberg) Schubladen herausziehen, die zusätzliche Texte oder Exponate verbergen; man kann Wandschränke öffnen, Wandtafeln wie ein Buch durchblättern, kurz: Jeder Besucher entscheidet selbst, wie tief er in dieses oder jenes Thema eindringen will. Gegenverkehr auf den Hierarchieebenen Eines ist bei Texthierarchien entscheidend: Sie müssen in beide Richtungen benützbar sein, von oben nach unten wie auch von unten nach oben. Ausstellungsgestalter, Texter, Architekten, sie alle denken – notwendiger- und richtigerweise – konzeptionell; sprich: Sie sind in Gefahr vorauszusetzen, dass die Besucher von oben nach unten lesen werden, zuerst den Saaltext, dann den Bereichstext, dann die Objekttexte, wie es eben dem Konzept der Ausstellung entspricht. Traudel Weber hat darauf hingewiesen, dass dies ein Trugschluss ist:3 Die Besucherinnen und Besucher werden vielmehr nicht selten (und wahrscheinlich sogar zum größeren Teil) genau umgekehrt vorgehen, nach Objekten 3 Traudel Weber, Warum darf das Tier mit unguligrader Lokomotion nicht einfach auf vier Hufen gehen? oder: Besucherfreundliche Texte in Museen und Ausstellungen. In: Texte in Ausstellungen. Hinweise und Anregungen für verständliche Formulierung und besucherfreundliche Gestaltung, München 1995, S. 78; siehe auch Anna Grabner, Besucherstruktur, Besuchermodalitäten und Einstellungen von Museumsbesuchern: Besucherbefragung am Naturhistorischen Museum Wien, Diplomarbeit, Universität Wien 1993, S. 118-21

Ein Beispiel dafür, wie sich Informationen sinnvoll auf Saaltext und Audiotext aufteilen lassen, siehe ➔ Kapitel 6, Umsetzungsbeispiel S. 101ff.

Kapitel 3 – Texthierarchien 42

Ausschau halten, die sie faszinieren, den zugehörigen Objekttext lesen – und erst dann, falls sie das Objekt in einen größeren Zusammenhang eingeordnet sehen wollen, nach den übergeordneten Texten suchen. Auch Heiner Treinens These vom »kulturellen Window-Shopping« der Museumsbesucher setzt voraus, dass sie sich vor allem durch die Objekte in ihrem »aktiven Dösen« stimulieren lassen.4 Was aber heißt: in beide Richtungen benutzbar? Erstens, dass die Ebenen inhaltlich strikt voneinander getrennt bleiben müssen: Nie darf im Bereichstext allzu konkret auf die ausgestellten Objekte Bezug genommen werden, nie darf an Hand eines Objekts etwas erklärt werden, was für den ganzen Bereich der Ausstellung gilt. So wird es den Besuchern möglich, entweder nur Saal- und Bereichstexte zu lesen (und danach zu entscheiden, zu welchen Themen sie sich die Objekte überhaupt anschauen wollen) oder, der wohl häufigere Fall, nur von den Objekten auszugehen, ohne auf die grundsätzlichere Ebene vorzudringen. Natürlich sind das die beiden Extreme; das Verhalten der meisten Besucher wird irgendwo in der Mitte liegen. Zweitens: Der inhaltliche Zusammenhang zwischen den verschiedenen Textebenen darf nie verloren gehen. Fragen von allgemeinem Interesse, die sich bei der Lektüre der Objekttexte vermutlich stellen werden (dort aber nicht behandelt werden können), müssen zuverlässig in den übergeordneten Texten eine Antwort finden. Wenn im Gegenteil ein Bereichs- oder Saaltext den Besucher von den Problemen, die ihm an Hand der Objekte und Objekttexte aufgefallen sind, völlig wegführt, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass er in derselben Ausstellung noch einmal den Versuch unternimmt, einen der übergeordneten Texte zu Rate zu ziehen.

4 Heiner Treinen, Was sucht der Besucher im Museum? Massenmediale Aspekte des Museumswesens. In: Gottfried Fliedl (Hg.), Museum als soziales Gedächtnis? Kritische Beiträge zu Museumswissenschaft und Museumspädagogik, Klagenfurt 1988, S. 33; siehe auch Annette Noschka-Roos, Besucherforschung und Didaktik (Fußnote 1), S. 175

Kapitel 3 – Texthierarchien 43

Zum Beispiel: Wenn ein prächtiges skythisches Schmuckstück ausgestellt und erklärt ist, werden sehr viele Besucher wissen wollen, wer eigentlich die Skythen waren. Wenn der Saal- oder Bereichstext ihnen stattdessen von den Kämpfen Alexanders des Großen gegen die Skythen erzählt (und so erneut voraussetzt, dass man die Skythen zu kennen habe), ist damit niemandem gedient: den Besuchern nicht, weil sie die gesuchte Information nicht finden, und den Kuratoren nicht, weil der Konsum der Saaltexte in den folgenden Räumen stark abnehmen wird. Drittens: Die Texttafeln, die man sucht, müssen sofort und mühelos auffindbar sein. Beim Lesen von oben nach unten sollte das kein Problem sein, oder anders gesagt: Wo selbst darin ein Problem liegt, herrscht dringender Bedarf nach einem neuen Ausstellungsarchitekten. Umgekehrt aber ist es gar nicht so einfach, eine gute Lösung zu finden: Vielleicht ist der Saaltext, dessen der Besucher gerade jetzt bedürfte, schon weiter vorne gehängt und von dem Objekt aus, bei dem der Besucher ihn sucht, nicht mehr sichtbar. Die Ausstellungsarchitektinnen oder -architekten haben hier eine wirklich knifflige, aber ebenso wichtige Aufgabe. Bei Abteilungstexten oder Saaltexten in sehr großen Räumen wird es vielleicht sinnvoll sein, die gleiche Texttafel an mehreren Stellen zu platzieren. Viertens haben auch die Grafiker einen wichtigen Beitrag zur Benutzbarkeit der Texthierarchie zu leisten: Ihr Design der Texttafeln muss es auf einen Blick ermöglichen zu erkennen, welcher Ebene der jeweilige Text angehört. Abteilungstexte müssen also anders aussehen als Saaltexte, Saaltexte anders als Bereichstexte und so weiter. Wer den Plan hat, hat die Wahl Was zur Übersichtlichkeit und damit zur Wahlfreiheit der Besucher obendrein – und abgesehen von der Texthierarchie – Entscheidendes beiträgt, sind gut gezeichnete Übersichtspläne; natürlich werden sie umso notwendiger, je größer eine Schausammlung oder Ausstellung ist. Ideal ist es sicherlich, wenn die Besucher zusammen mit der Eintrittskarte einen kostenlosen Folder mit einem solchen

Kapitel 3 – Texthierarchien 44

Übersichtsplan erhalten. Billiger kommt es, den Plan auf die Rückseite der Eintrittskarte zu drucken (die dann logischerweise entsprechend groß sein muss). Nur als Notlösung lässt sich akzeptieren, dass der Plan auf einer Tafel am Eingang angebracht wird; immerhin kann man die Erträglichkeit dieser wenig kundenfreundlichen Variante steigern, indem man solche Tafeln in größerer Zahl im Gebäude verteilt.

Materialien ➔ Leitfaden: Texthierarchien – Die konkreten Arbeitsschritte, S. 45 ➔ Literaturtipps, S. 47

Kapitel 3 – Materialien: Leitfaden 45

Leitfaden: Texthierarchien – Die konkreten Arbeitsschritte 1. Für die Kuratoren und die Texter gemeinsam: a. Anzahl und Art der Hierarchieebenen festlegen. b. Raum für Raum, Bereich für Bereich festlegen, welche Textebene wo Anwendung findet (z.B. Objektgruppentexte, die nur gelegentlich eingesetzt werden können). c. Anzahl der Texttafeln festlegen – und möglichst gering halten! Die Ausstellung nicht mit Text überfrachten! 2. Für die Kuratoren und die wirtschaftliche Betriebsleitung gemeinsam: Festlegen, ob auch detailliertere Informationen angeboten werden sollen – und wenn ja, in welcher Form (Audioführung, Handouts, Elemente der Ausstellungsarchitektur, Lese- oder Computerstationen, Kataloge), was nicht zuletzt eine finanzielle Frage ist. 3. Für die Texter: a. Hierarchieebenen inhaltlich strikt trennen: Objekttexte nur über Objekte, Saaltexte nicht über Objekte etc. b. Gleichzeitig stets auf den Zusammenhang achten: Die verschiedenen Textebenen in einem Saal müssen sich perfekt ergänzen, übergeordnete Texte dürfen nie thematisch abschweifen. 4. Für die Architekten: a. Auffindbarkeit der Texttafeln sicherstellen; besonderes Augenmerk darauf, dass die Besucher die jeweils relevanten übergeordneten Texte von jedem Punkt der Ausstellung aus finden. b. Falls Detailinformationen in die Ausstellungsarchitektur integriert werden sollen (in Schubladen, Wandschränken o.Ä.), ist die Kreativität der Architekten in hohem Maße gefordert.

Kapitel 3 – Materialien: Leitfaden 46

5. Für die Grafiker: Jede Textebene braucht ihr eigenes, von den übrigen Ebenen klar und sofort unterscheidbares Design.

Kapitel 3 – Materialien: Literaturtipps 47

Literaturtipps Anna Grabner, Besucherstruktur, Besuchermodalitäten und Einstellungen von Museumsbesuchern: Besucherbefragung am Naturhistorischen Museum Wien, Diplomarbeit, Universität Wien 1993 Annette Noschka-Roos, Besucherforschung und Didaktik. Ein museumspädagogisches Plädoyer, Opladen 1994 Arthur W. Melton, Distribution of attention in galleries in a museum of science and industry. In: The Museum News, Vol. XIV, No. 3, June 1936, S. 5-8 Heiner Treinen, Was sucht der Besucher im Museum? Massenmediale Aspekte des Museumswesens. In: Gottfried Fliedl (Hg.), Museum als soziales Gedächtnis? Kritische Beiträge zu Museumswissenschaft und Museumspädagogik, Klagenfurt 1988, S. 24-41 Traudel Weber, Warum darf das Tier mit unguligrader Lokomotion nicht einfach auf vier Hufen gehen? oder: Besucherfreundliche Texte in Museen und Ausstellungen. In: Texte in Ausstellungen. Hinweise und Anregungen für verständliche Formulierung und besucherfreundliche Gestaltung, München 1995, S. 63-111

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Die Zeichen an der Wand – Wissensvermittlung in Sekundenschnelle EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER Die wichtigsten Texte in einem Museum oder einer Ausstellung sind jene, die in den Schauräumen affichiert sind. Der Einfachheit halber und um den unschönen Ausdruck »affichierte Texte« zu vermeiden, wollen wir von »Wandtexten« sprechen, obwohl es völlig gleichgültig ist, ob derlei Texttafeln tatsächlich an der Wand hängen, auf Ständer montiert sind oder in der Vitrine bei den Objekten liegen. Wenn wir »Wandtexte« sagen, meinen wir damit Objekttexte, Objektgruppentexte, Bereichstexte, Saaltexte und Abteilungstexte ohne Unterschied – denn für sie alle gelten weitgehend dieselben Regeln. Ein Herzstück jeder Ausstellung Mit diesen Texten steht und fällt der Sinn der Kuratorenarbeit – anspruchsvoller Kuratorenarbeit zumindest, die durch schlechte Wandtexte zu einem wesentlichen Teil zunichte gemacht wird. Schlechte Texte nämlich lassen die Informationen, die die Kuratorinnen und Kuratoren eigentlich vermitteln wollten, nicht bei den Besuchern ankommen. Das muss nicht heißen, dass die jeweilige Ausstellung kein Publikumserfolg wird; aber die Erfolgskriterien werden sich dann darauf reduzieren, ob die Exponate »schön« sind oder nicht, ob viel Gold gezeigt wird und ähnlich Sinniges. Mehr wissen werden die Besucher nach dem Konsum einer Ausstellung mit unprofessionell formulierten Texten jedoch nicht. Das Groteske daran ist, dass üblicherweise die Kuratoren selbst die Urheber der besagten (nahezu flächendeckend anzutreffenden) unprofessionellen Texte sind; sie beeinträchtigen damit Wert und Nutzen ihrer eigenen Arbeit. Der Umkehrschluss gilt freilich nicht: Noch so gute Texte können eine schlecht kuratierte Ausstellung nicht retten. Und ebenso wäre es ein Irrtum anzunehmen, es genüge, etwa die Audiotexte professionell formulieren zu lassen – und bei den Wandtexten einschneidende Änderungen zu vermeiden.

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Nein: Die Wandtexte sind ein Herzstück jeder Ausstellung. Für die Kuratoren sind sie eines der wichtigsten Kommunikationsmedien, das einzige, das es erlaubt, zu allen Besuchern (unabhängig davon, ob sie sich zum Beispiel einen Audioguide ausborgen) zu »sprechen«.1 Wer Wandtexte in einem Stil schreibt, wie er in der deutschsprachigen Wissenschaft üblich ist (und Laien unausweichlich überfordert), der erfüllt den Bildungsauftrag des Museums nicht. Eine Textsorte mit eigenen Regeln Leider ist es nicht einmal dort grundsätzlich besser, wo die Autoren sich mit Erfolg bemühen, den Wissenschaftsjargon zu vermeiden, wo sie einfach und flüssig formulieren. Auch das garantiert nämlich noch keineswegs, dass das Produkt ein funktionierender, für die Besucher benützbarer Ausstellungstext ist. Wichtig: Wandtexte sind keine wissenschaftlichen Texte, keine literarischen Texte und keine Werbetexte. Es handelt sich vielmehr um eine eigene Textsorte mit eigenen Regeln; und wer diese Regeln nicht kennt oder nicht beachtet, schreibt eben keine »richtigen« Ausstellungstexte. Es gilt dabei, sich stets vor Augen zu halten, dass (wie bereits ➔ S. 12 ausgeführt) den Museumsbesuchern nicht zu Bewusstsein kommen darf, dass sie überhaupt lesen; in dem Moment, in dem ihnen dies klar wird – hören sie auch schon zu lesen auf. Texte zu schreiben, die dieser Anforderung genügen und dennoch zugleich wissenschaftlich einwandfreien Inhalts sind, stellt eine anspruchsvolle Aufgabe dar, für die man Spezialkenntnisse nicht nur besitzen, sondern auch souverän beherrschen muss (üben heißt die Devise).

1 Paulette M. McManus, Making sense of exhibits. In: Gaynor Kavanagh (Hg.), Museum languages: objects and texts, Leicester 21996, S. 39

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Das Regelwerk, das wir zu diesem Zweck empfehlen und in unserer praktischen Arbeit anwenden, ist von Traudel Weber und Annette Noschka-Roos2 entwickelt (und von uns nur in wenigen Details modifiziert) worden. Wir halten dieses Regelwerk in der strengsten möglichen Form ein und raten dringend, dasselbe zu tun. Es ist einzuräumen, dass auch eine weniger rigorose Vorgehensweise zum Erfolg (sprich: zu lesbaren Wandtexten) führen kann; aber im deutschen Sprachraum ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies gelinge, auf Grund der hiesigen akademischen Schreibgewohnheiten verschwindend gering. Und schließlich: Wer die Regeln strikt beachtet, kommt auf jeden Fall zum Erfolg; kann einer konkreten Anleitung folgen; und eröffnet sich die Möglichkeit, seine Ergebnisse an Hand klarer Richtlinien zu kontrollieren (oder kontrollieren zu lassen). Lockerere Regeln lassen die Qualität der Wandtexte im Ungefähr stilistischer Vorlieben verschwimmen. Sprachliche Regeln Regel Nr. 1: kein Stil Ein Ausstellungstext hat keinen persönlichen Stil des Autors zu verraten. Klar, dass diese Forderung immer nur annäherungsweise zu verwirklichen ist; klar, dass sich Texte mit genau demselben Inhalt stets deutlich unterscheiden werden, wenn sie aus der Feder verschiedener Autoren stammen. Aber das Regelwerk für die sprachliche und formale Gestaltung der Wandtexte, das wir im Folgenden darlegen, ist doch so dicht, dass es bei konsequenter Befolgung für persönliche stilistische Vorlieben, Marotten und Eigenheiten kaum Platz lässt. Aus eigener Erfahrung können wir sagen: Wenn wir einen Wandtext schreiben, würde darin niemand (auch wir selbst nicht) unsere eigenen Stile (die sich voneinander im Übrigen deutlich unterscheiden) wiedererkennen; und wir würden den »Stil«, der 2 Traudel Weber, Warum darf das Tier mit unguligrader Lokomotion nicht einfach auf vier Hufen gehen? oder: Besucherfreundliche Texte in Museen und Ausstellungen. In: Texte in Ausstellungen. Hinweise und Anregungen für verständliche Formulierung und besucherfreundliche Gestaltung, München 1995; Traudel Weber/Annette Noschka, Texte im Technischen Museum. Textformulierung und Verständlichkeit, Testmöglichkeiten, Berlin 1988; Anne Leopold/Traudel Weber, Verständliche Texte im Museum. Ein Leitfaden, München 1993

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sich für Wandtexte einfach notwendig ergibt, in unseren wissenschaftlichen, journalistischen oder sonstigen Publikationen auch weder goutieren noch verwenden. Aber bei Wandtexten für Ausstellungen ist er der einzig sachgerechte. Denn damit eine Botschaft bei ihren Adressaten ankommt (im konkreten Fall also bei den Besucherinnen und Besuchern), hat sich die Sprache dem jeweiligen Medium anzupassen. Regel Nr. 2: in der Sprache der Besucher schreiben Es ist empirisch nachgewiesen, dass ein enormer Anteil der Ausstellungsbesucher in ihren Gesprächen untereinander Zitate – oft sogar wörtliche – aus den Wandtexten verwendet (in der von Paulette McManus im British Museum of Natural History durchgeführten Erhebung waren das mehr als 73 Prozent der beobachteten Besuchergruppen!).3 Daraus folgt aber logisch, dass die Texte in einer Sprache abgefasst sein müssen, die sich in die alltägliche Konversation der Besucher nahtlos einfügt; und die Fachkollegen der Kuratoren sind ausdrücklich nicht jene Besucher, an die wir dabei denken ... Texte im Wissenschaftsjargon werden den von McManus beobachteten Erfolg mit Gewissheit nicht erzielen. Dies vorauszusetzen heißt keineswegs, die Besucher für dumm zu halten: Erstens muss man nicht dumm sein, um mit deutscher Wissenschaftssprache Verständnisschwierigkeiten zu haben, das passiert auch hochintelligenten und sogar akademisch gebildeten Menschen; zweitens könnten andererseits viele Besucher diese Texte sehr wohl verstehen – verzichten aber bewusst darauf, sich den dafür nötigen Aufwand anzutun: Schließlich soll der Museumsbesuch ein Vergnügen sein und keine Folter. Fremdwörter zum Beispiel sind in Ausstellungstexten (und zwar in allen, nicht nur in Wandtexten) strikt verboten, außer wenn sie zu einem festen Bestandteil der deutschen Sprache geworden sind. Begriffe der Preisklasse »Prämisse«, »Diskurs« oder »Lisenen«, die Wissenschaftlern so leicht von den Lippen kommen, gehören definitiv nicht dazu.

3 Paulette M. McManus, Oh, yes, they do: how museum visitors read labels and interact with exhibit texts. In: Curator, Vol. 32, No. 3, September 1989, S. 175-8

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Vergessen Sie jedes Wort, das ungewöhnlicher ist als »Computer«.4 Nichts anderes gilt übrigens für ausgefallenes deutsches Fachvokabular: Auch »Gurtbögen« machen außer Kunsthistorikern niemanden glücklich. Ausgesprochene Fachausdrücke hingegen sind etwas anderes, sofern sie wirklich für die Ausstellung (und nicht nur für das Urteil der Fachkollegen) von Bedeutung sind. In einer Ausstellung über die Erdzeitalter kann man selbstverständlich vom »Pleistozän« sprechen – nur muss man den Begriff ebenso selbstverständlich eingehend erklären. Solche Erklärungen haben ihren Platz auf der höchsten Textebene, die für das jeweilige Thema von Belang ist, also im Saaltext, wenn der ganze Saal dem Pleistozän gewidmet ist, im Bereichstext, wenn nur das hintere Drittel des Saales davon handelt und so weiter. Das schließt keineswegs aus, die Erklärung in Texten niedrigerer Ordnung zu wiederholen; undenkbar ist es aber, das Pleistozän im Objekttext zu Katalognummer 117 zu erläutern und in der Folge vorauszusetzen. Denken Sie daran, dass niemand alle Texte durchlesen wird, schon gar nicht der Reihe nach. Regel Nr. 3: Überschriften, die Interesse wecken Ob ein Besucher eine Texttafel liest oder nicht, entscheidet sich vor allem nach deren Überschrift. (Das gilt namentlich für übergeordnete Texte; bei Objekt- und Objektgruppentexten wird häufig die Anziehungskraft des Exponats die der Überschrift überwiegen.) Also müssen die Überschriften von Wandtexten richtige Schlagzeilen sein, die dem Besucher ins Auge springen, die seine Aufmerksamkeit fesseln, seine Neugier wecken – ganz genau wie in der Zeitung. Prägnant müssen sie sein, unerwartet, witzig (wenn möglich und passend), sprachlich brillant. Flüchtige Blicke sollen wie gebannt an ihnen hängen bleiben. Kurz: Die Überschrift zu erfinden, ist eine kreative Tätigkeit und darum vielleicht das Allerschwierigste an einem guten

4 Das Problem mit den Fremdwörtern ist hartnäckig; selbst in professionell formulierten Texten kommen bisweilen noch zu viele davon vor – mehr nämlich, als die Besucher verdauen können: Ellen von Borzyskowski, Verführung zum Lesen. Die kontrollierte Verbesserung von Texten. In: Hans-Joachim Klein (Hg.), Evaluation als Instrument der Ausstellungsplanung, Karlsruhe 1991, S. 68-9

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Wandtext. Leider lässt sich Kreativität nur sehr eingeschränkt lernen; Sie können aber immerhin einen Test machen, indem Sie sich überlegen, ob die Überschrift, die Sie ersonnen haben, in Ihrer Tageszeitung als Schlagzeile denkbar wäre. Beispiele aus einer Ausstellung, jeweils der Vorschlag des Kurators und der endgültige, professionell umformulierte Titel: • Aus »Feuer als Katastrophe« wurde »Feuer am Dach«. • Aus »Feuer im Film« wurde »Brandheißes Kino«. • Und aus dem ein wenig lang geratenen Titel »Feuer-Heilige – Feuer-Bekämpfung in alter Zeit – Feuer-Löschordnungen« wurde »Vom Florianiprinzip zur Feuerwehr«. (Das Florianiprinzip dürfte sich außerhalb Österreichs geringer Bekanntheit erfreuen: »Lieber Heiliger Florian, verschon’ mein Haus, zünd’ and’re an!«) Der Einwand, dass bei solchen Überschriften der Witz der Formulierung auf Kosten des Informationsgehalts gehen kann, ist berechtigt – und auch wieder nicht, denn das Problem ist außerordentlich einfach zu lösen: indem Sie, abermals wie Ihre Tageszeitung, der Schlagzeile einen Untertitel hinzufügen, der informativ sein soll und trocken sein darf. Dort können Sie Ihr »17. Jahrhundert« oder Ihre »Methoden der Energiegewinnung« ohne weiteres unterbringen. Regel Nr. 4: Aktiv statt Passiv Passivformen von Verben dürfen in Wandtexten niemals verwendet werden. Von dieser Regel gibt es keinerlei Ausnahmen! Das liegt nicht etwa daran, dass Passivkonstruktionen, wie in der linguistischen Literatur gemutmaßt worden ist, schwerer verständlich seien; diese Annahme scheint kaum schlüssig. Es hängt vielmehr damit zusammen, dass das Lesen in der Ausstellung nicht anstrengen, nicht ermüden darf. Und das ist durch aktive Formulierungen viel besser gewährleistet. Museumsbesucher befinden sich ohnehin in einer weitgehend passiven Situation (da mag man mit interaktiven Ausstellungsstationen noch so

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bemüht gegensteuern); wenn dann auch noch die Sprache der Wandtexte Passivität ausstrahlt (und das tut das Passiv), wird es einfach zu viel. In einer bekannten textpsychologisch-linguistischen Arbeit argumentieren die Autoren Ballstaedt, Mandl, Schnotz und Tergan, irreversible Passivsätze (bei denen also die Vertauschung von Subjekt und Urheber nicht erneut einen Sinn ergibt) böten kein Verständnisproblem – und einen gewichtigen Vorteil: Das inhaltliche Objekt werde in die Position des grammatikalischen Subjekts gesetzt und »erfährt eine Akzentuierung«. (Ein vortreffliches Beispiel für den leserfeindlichen Unsinn von Wissenschaftssprache, übrigens, und damit eine Illustration zu unserer Regel Nr. 2: In normalem Deutsch würde man statt »es erfährt eine Akzentuierung« einfach sagen »es wird hervorgehoben« oder »es erhält mehr Gewicht«, das heißt dasselbe – und man muss nicht studiert haben, um es auch zu verstehen.) Ergo, so schließen Ballstaedt, Mandl, Schnotz und Tergan mit Bezug auf Lehrtexte: »Eine allgemeine Regel, es (sc. das Passiv) zu vermeiden, ist somit nicht sinnvoll.«5 Das ist allerdings kein stichhaltiges Argument. Denn um beim von den vier Wissenschaftlern gebrauchten Beispiel »Der Kanzler wurde vom Parlament nur mit einer Stimme Mehrheit gewählt« das inhaltliche Objekt (also den Kanzler) hervorzuheben, braucht man kein Passiv: »Der Kanzler erreichte seine Wahl im Parlament mit nur einer Stimme Mehrheit« ist auf jeden Fall die bessere Formulierung. Ob man sie in einem »normalen« Text verwenden möchte, ist Geschmackssache; in einem Wandtext für eine Ausstellung jedoch nicht, dort ist es Pflicht, eine aktive Formulierung zu finden. Eine aktive Formulierung, das ist nicht ausschließlich grammatikalisch zu verstehen. Es gilt vielmehr, Verben zu suchen, die möglichst große Aktivität ausdrücken und vor den Augen der Leser Bilder entstehen lassen.

5 Steffen-Peter Ballstaedt/Heinz Mandl/Wolfgang Schnotz/Siegmar-Olaf Tergan, Texte verstehen, Texte gestalten, München, Wien u. Baltimore 1981, S. 207

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Zum Beispiel: »Auf dem Meer herrschte Sturm, die Wellen gingen hoch.« Das ist grammatikalisch gewiss aktiv; freilich nicht gerade vorbildlich aktiv, wenn man so sagen darf. »Der Sturm peitschte über das Meer, die Wellen bäumten sich auf«, das klingt schon anders. Noch ein Beispiel: »Franz Joseph war fast 70 Jahre lang Kaiser von Österreich.« Aktiv – aber fast so einschläfernd wie eine Passivkonstruktion! »Fast 70 Jahre lang herrschte Franz Joseph als Kaiser über Österreich« – das Interessante zuerst, und dann ein starkes Verb. Aus dem Franz-Joseph-Beispiel können wir eine Grundregel destillieren: Vermeiden Sie die Kombination von Prädikatsnomen und Hilfszeitwort, die nie einen sonderlich aktiven Eindruck hinterlässt. Nicht: »Das Auto war schnell«, sondern: »Das Auto fuhr schnell«. Noch besser, falls es inhaltlich zu vertreten ist: »Das Auto raste.« Ebenfalls zurückscheuen sollten Sie vor »man«-Konstruktionen, wenn irgend möglich. Die »man«-Konstruktion ist ja nichts anderes als ein umschriebenes Passiv (bei dem der Urheber weggelassen ist) – und das merkt man ihr an, denn auch sie wirkt passiv; eine Formulierung, in der gewissermaßen Windstille herrscht. Nennen Sie einfach den Urheber (meist gibt es doch einen), machen Sie ihn zum Subjekt, und schon haben Sie eine »aktive Aktivkonstruktion«. Auch dazu ein Beispiel: »Man fand Erz« heißt so viel wie »Es wurde Erz gefunden« – und wirkt auch nicht wesentlich aktiver! Also: »Die Bergleute fanden Erz.«

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Regel Nr. 5: einfache Satzstruktur Nichts in Wandtexten verloren haben die beiden wesentlichen Ingredienzien des Juristen- oder Amtsdeutsch (die leider nicht auf den Sprachgebrauch von Juristen und Ämtern beschränkt bleiben): Nominalstil und Schachtelsätze. Statt »unter Zugrundelegung der Annahme« sagen Sie schlicht »nehmen wir an«. Und Kaskaden von ineinander geschachtelten und voneinander abhängigen Nebensätzen tragen auch nichts zur Lesbarkeit des Textes bei. Daraus folgt jedoch nicht etwa, dass Sie ins Gegenteil verfallen sollen: Den Text in lauter Hauptsätze zu zerhacken, ist ebenso wenig leserfreundlich, weil Zusammenhänge dadurch schwerer herzustellen sind. Also nicht: »Er nahm den Regenschirm. Es fielen die ersten Tropfen.« Sondern: »Er nahm den Regenschirm, weil gerade die ersten Tropfen fielen.« Aus demselben Grund sind Wandtexte in Stichworten abzulehnen; schreiben Sie ganze Sätze. Denken Sie einfach daran, dass der alltägliche Sprachgebrauch der Besucherinnen und Besucher der oberste Maßstab ist. Regel Nr. 6: Fragen? Einige Fachleute empfehlen, in Wandtexten – vor allem in den Überschriften – Fragen zu formulieren.6 Gewiss kann darin eine geeignete Methode bestehen, Interesse zu wecken und zum Lesen anzuregen. Andererseits heißt es immer, jene Journalistenregel zu beherzigen, die schon wesentlich älter ist als der Euro, in heutige Zeitungspreise übersetzt jedoch lautet: »Für einen Euro lässt sich niemand etwas fragen.« Sprich: Man kann es mit den Fragen, gerade in den Schlagzeilen, auch leicht übertreiben; man läuft Gefahr, oberlehrerhaft zu wirken. Paulette McManus hat bei ihrer Untersuchung der Gespräche von Museumsbesuchern festgestellt,7 dass Fragen sehr häufig nicht beantwortet werden, denen man die didaktische Absicht an6 K. D. Hirshi/Chandler G. Screven, Effects of questions on visitor reading behavior. In: ILVS review, Vol. 1, No. 1, 1988, S. 50-61 (zit. nach Annette Noschka-Roos, Besucherforschung und Didaktik, Ein museumspädagogisches Plädoyer, Opladen 1994, S. 154); Anne Leopold/Traudel Weber, Verständliche Texte im Museum (Fußnote 2), S. 37; Traudel Weber, Warum darf das Tier... (Fußnote 2), S. 75 7 Paulette M. McManus, Oh, yes, they do (Fußnote 3), S. 185

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merkt, sprich: denen man allzu deutlich ansieht, dass der Fragesteller die Antwort natürlich kennt. Es genügt, sich an die eigene Schulzeit zu erinnern: Aufdringliche pädagogische Absichten stoßen auf Ablehnung. Wer dies im Hinterkopf behält, kann jedoch ohne Zweifel mit gezielt eingesetzten Fragen in Wandtexten gute Wirkung erzielen. Regel Nr. 7: keine Füllwörter, keine Tautologien Einerseits – andererseits, beispielsweise, im Allgemeinen, sowohl – als auch, wohl, außerdem, daraufhin, nun: Lauter sinnvolle Wörter, gewiss, aber nur manchmal – und bei weitem seltener, als sie tatsächlich verwendet werden. Reine Füllwörter verwischen die Aussage, erhöhen unnötig die Textmenge und ermüden; sie haben daher in Wandtexten, die knapp und konkret zu formulieren sind, nichts zu suchen. Dasselbe gilt für Tautologien à la »lautes Gebrüll«, »furchtbares Grauen« oder »grüner Rasen«: Der Rasen, das Grauen und das Gebrüll tun es auch alleine. Formale Regeln Beim Lesen erfassen Auge und Gehirn nicht Buchstabe für Buchstabe oder Wort für Wort, sondern jeweils größere Einheiten. Das Auge gleitet die Zeilen nicht kontinuierlich entlang, denn wir können nur lesen, wenn der Augapfel ruhig verharrt; also erfassen wir jeweils ein paar Worte mit einem Blick, dann wandert das Auge weiter, bleibt stehen, wir erfassen ein paar Worte und so weiter. Auch das Gehirn zerlegt den Text – nicht nur beim Lesen, sondern auch beim Hören – in kurze Einheiten: in Sinneinheiten. Das ist durch eine Vielzahl von Experimenten nachgewiesen. Wenn man zum Beispiel Versuchspersonen Sätze vorliest und dabei an einigen Stellen des Satzes ein klickendes Störgeräusch ertönen lässt; und wenn man danach die Personen fragt, an welchen Stellen das Klicken den Satz gestört habe, zeigen sie die eindeutige Tendenz, das Geräusch (ganz unabhängig davon, wann es tatsächlich ertönt ist) an den Übergang zwischen zwei Sinn-

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einheiten zu verschieben: Dort hatte der Hörer sozusagen »Zeit«, den zusätzlichen Reiz zu verarbeiten.8 Logischerweise sind, wenn wir zum Lesen zurückkehren, die Sinneinheiten des Gehirns nicht deckungsgleich mit den Blickeinheiten des Auges; das Auge stoppt eben nach einem gewissen Abstand, und der Blick fällt irgendwo mitten in die Zeile, mitten in die Sinneinheit. Damit das Gehirn den Text auf seine Weise strukturieren kann, schauen wir beim Lesen ständig hin und her, vor und wieder zurück. Je schwieriger uns das Verständnis eines Textes fällt, desto öfter; der Schwierigkeitsgrad eines Textes (für den jeweiligen Leser) lässt sich empirisch nach der Zahl der Augenbewegungen bestimmen. Daraus folgen Regeln für den Aufbau von Wandtexten, die die – bereits mehrfach erwähnte – Anforderung erfüllen, dass den Besuchern beim Lesen gar nicht bewusst wird, dass sie lesen; und dass sie das Lesen nicht anstrengt. Beides kann nur gelingen, wenn der Text dem Verständnis (sprich: der Zerlegung in Blick- und in Sinneinheiten) möglichst wenig Widerstand entgegensetzt. Regel Nr. 8: kurze Zeilenlänge Kurze Zeilen, deren Erfassung mit wenigen Blickbewegungen möglich ist, sind leichter und schneller zu lesen. 9 Bei allen Textsorten, die man nicht aus Lust am Lesen konsumiert, sondern nur als Gebrauchstexte, ist darum die Anzahl der Anschläge pro Zeile gering zu halten. Das gilt nicht bei Büchern; wer ein Buch zur Hand nimmt, will ja ausdrücklich lesen, will dafür auch Zeit aufwenden. Aber es gilt schon bei Lexika und ebenso bei Zeitungen. Beides sind typische Gebrauchstexte, deshalb laufen bei ihnen die Zeilen nie über die ganze Seite, sondern sind in schmale Spalten aufgebrochen. (Übrigens fällt auf, dass in den Wochenendbeilagen, die das Feuilleton enthalten und zu deren Lektüre man sich mehr Zeit nehmen kann und mag, die Spalten üblicherweise breiter sind als im aktuellen Teil der Zeitung.) 8 Siehe dazu (mit einer Reihe von weiteren Beispielen) Steffen-Peter Ballstaedt u.a., Texte verstehen (Fußnote 5), S. 50-1 9 Steffen-Peter Ballstaedt u.a., ebenda, S. 227

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Versteht sich, dass man es auch bei Wandtexten in Ausstellungen mit der Zeilenlänge nicht übertreiben darf. Hier kommt gegenüber der Zeitung und dem Lexikon noch erschwerend hinzu, dass die Buchstaben viel größer sind und damit der Textkörper breiter ist; das muss so sein, damit mehrere Besucher gleichzeitig vor einer Texttafel stehen und lesen können, aber es steigert die Anstrengung doch beträchtlich: Man bewegt nicht nur den Augapfel, sondern den ganzen Kopf! Wichtig: 60 Anschläge pro Zeile (Leerzeichen werden immer mitgerechnet!) sind bei Wandtexten das absolute Maximum; noch wohler fühlen wir uns, wenn die Zeilenlänge 55 Zeichen nicht überschreitet. Insofern haben sich die Graphiker nach den Vorgaben der Texter zu richten. Kürzere Zeilen sind allerdings stets erlaubt und erwünscht, in diesem Fall richten sich umgekehrt die Texter nach den Wünschen der Grafiker. Zu kurz dürfen die Zeilen wiederum aus inhaltlichen Gründen nicht sein, wie Sie nach Lektüre der folgenden Regel Nr. 9 sofort verstehen werden. Die kürzesten Zeilen, die wir bei Wandtexten je (nach Vorgabe des Grafikers) geschrieben haben, umfassten 42 Zeichen; das war eine wahre Sisyphusarbeit. Je kürzer die Zeilen werden, desto größere Übung braucht man, um noch Regel Nr. 9 einhalten zu können, und das ist die wichtigste Regel von allen. Die Zeilenlänge, die man mit dem Grafiker oder der Grafikerin gemeinsam festgelegt hat, ist dann übrigens zu hundert Prozent einzuhalten. Sie können nicht in einer einzigen Zeile in der ganzen Ausstellung auch nur ein einziges Zeichen mehr machen, nicht einmal einen Beistrich: Die Grafiker werden nämlich die Schrifttype im Hinblick auf die Größe der Tafeln so wählen, dass für den überzähligen Beistrich mit hoher Wahrscheinlichkeit einfach kein Platz ist. Maximale Zeilenlänge heißt also maximale Zeilenlänge – und gilt absolut.

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Regel Nr. 9: jede Zeile eine Sinneinheit Was nun folgt, ist das »A und O« guter Wandtexte; es in die Praxis umzusetzen, ist ziemlich anspruchsvoll. Texte sind nämlich schlechthin dann am leichtesten zu lesen und am schnellsten zu erfassen, wenn jede (nicht zu lange, siehe oben) Zeile einer Sinneinheit entspricht. Das reduziert die Zahl der Blickbewegungen, die nötig sind, bis das Gehirn seine Einteilung in Sinnabschnitte hat vornehmen können, signifikant; schließlich muss der Blick nicht zurück in die vorherige Zeile wandern. So lässt sich die Lektüre enorm beschleunigen. Und genau das ist bei Wandtexten in Ausstellungen das Ziel: Die Besucher überfliegen zu einem beträchtlichen Teil die Texttafeln geradezu rasant; so rasant, dass ein Beobachter gar nicht wahrnimmt, dass der Besucher überhaupt gelesen hat. Das geht aus der schon mehrfach zitierten Untersuchung von Paulette McManus hervor: Nur 51,6 Prozent der Besuchergruppen wurden beim Lesen beobachtet; aber als zusätzlich die mitgeschnittenen Gespräche der Besucher untereinander ausgewertet wurden, stellte sich heraus, dass in insgesamt 85,1 Prozent der Gruppen die Texte konsumiert worden waren.10 Sprich: Deutlich mehr als ein Drittel der Besuchergruppen, die die Texte nutzten, konnte beim Lesen nicht beobachtet werden, so schnell und kurz lasen sie! Ob man es gut oder schlecht findet, dass die Besucher (oder zumindest sehr viele von ihnen) sich nicht mehr Zeit für die Ausstellungstexte nehmen, ist unerheblich – jedenfalls muss man sich darauf einstellen! Das heißt: Die Texte sind so zu schreiben, dass man auch bei flüchtigem Lesen, auch bei raschem »Querlesen« möglichst viel Information mitnimmt. Und dazu gibt es keine bessere Möglichkeit als: jede Sinneinheit in eine eigene Zeile zu schreiben. Eine Sinneinheit darf nicht über die Zeilenschaltung hinaus in die nächste Zeile weitergezogen werden. Ausnahmen von dieser Regel gibt es niemals. Das allein genügt, um aus dem Schreiben von Wandtexten eine Hauptbeschäftigung zu machen: Es dauert oft

10 Paulette M. McManus, Oh, yes, they do (Fußnote 3), S. 175 und 178-80

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wirklich lange, bis man die Zeilen und die Sinneinheiten so zur Deckung gebracht hat, dass auch (und das ist schließlich entscheidend!) dem Inhalt Genüge getan ist. An zwei oder drei Zeilen kann auch ein Vollprofi gut und gerne eine Stunde sitzen. Und darum ist es ausgeschlossen, Wandtexte neben den übrigen Vorbereitungsarbeiten für die Ausstellung zu schreiben, und womöglich erst in den letzten Tagen vor der Eröffnung. Eine einzige (wesentliche!) Erleichterung gibt es: Einleitungswörter von Nebensätzen – wie zum Beispiel »weil«, »damit«, »indem«, »während« oder die Relativpronomina – können auf beiden Seiten der Zeilenschaltung stehen: also am Ende oder am Anfang einer Zeile (in der Mitte natürlich auch, aber das hilft nichts beim Austüfteln des Zeilenumbruchs). Der Grund ist einfach: Normalerweise ist man gewiss geneigt, im Sinne der Aufteilung in Sinneinheiten die Nebensatzeinleitung in die neue Zeile zu ziehen. Aber sie am Ende der vorigen Zeile stehen zu lassen, ist durchaus gleichwertig: Der Gedanke aus der vorigen Zeile wird ja durch den folgenden Nebensatz fortgeführt oder modifiziert, und auf diese Fortsetzung, Einschränkung, Begründung etc. kann man den Leser gleich im selben (geistigen) Atemzug aufmerksam machen. Oft ist das sogar die bessere Lösung. Beispiel: »Franz Meier war der erste Bürgermeister, der sich für den Bau der Schule einsetzte.« Das führt leicht zu einem Missverständnis: Meier war nicht der erste Bürgermeister, sondern vielleicht der einhundertachtundvierzigste; aber der erste, der sich für die neue Schule stark machte. Besser: »Franz Meier war der erste Bürgermeister, der sich für den Bau der Schule einsetzte.« Ebenso wie Nebensatzeinleitungen sind Konjunktionen (und, aber) und Hilfszeitwörter zu behandeln.

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Ein Wandtext sieht im Druck also aus wie ein Gedicht: lauter unterschiedlich lange Zeilen – im Flattersatz. Das ist die wichtigste Vorgabe für die Grafiker: Die Texter bestimmen die Zeilenumbrüche; und alle Texttafeln sind im Flattersatz zu setzen. Dabei gibt es keine Kompromisse. Wenn Ihr Grafiker mault, er finde Blocksatz schöner oder besser oder aus sonst einem Grund zu bevorzugen, gibt es nur eines: Suchen Sie sich für diese Aufgabe einen neuen Grafiker. Der Blocksatz (bei dem alle Zeilen gleich lang erscheinen, auch wenn sie unterschiedlich viele Anschläge umfassen) mag hübsch sein, aber er wirkt gleichförmig und daher ermüdend. Die wirklich guten Grafiker übrigens wissen das – und würden nie und nimmer Blocksatz vorschlagen. Wichtig: Logische Folge aus der Regel, dass jede Zeile einer Sinneinheit entsprechen muss: Worttrennungen sind verboten! Schwerlich können ja die beiden ersten Silben eines Wortes zu einer Sinneinheit gehören – und die letzte zu einer anderen. Regel Nr. 10: Auch Grafiker wollen leben Dass man als Texter dem Grafiker Vorgaben machen muss, ist kein Freibrief, ihn zu quälen. Und dass gute Grafiker bereitwillig auf die Vorgabe »Flattersatz« eingehen werden, heißt nicht, dass man ihnen eine Freude macht, wenn man ihnen die erste Zeile mit 52 Zeichen liefert, die nächste mit 14 und die übernächste mit 33. Absolut vermeiden lässt sich derlei zwar nicht, und im Zweifelsfall hat gewiss der Inhalt Vorrang. Aber in einem vernünftigen Verhältnis zueinander sollten die Zeilen auch im Flattersatz stehen, sonst kann der beste Grafiker nicht für optisch ansprechende Texttafeln sorgen. Das macht die Arbeit der Texterinnen und Texter noch aufwändiger und langwieriger: Sie müssen nicht nur wissenschaftliche Inhalte in Sinneinheiten zerlegen, die nie mehr als 50, 55 oder 60 Zeichen haben; sondern sie müssen auch eine gewisse Mindestlänge der Sinneinheiten beachten. Auch hier gibt es einen einzigen kleinen Lichtblick: Die letzte Zeile jedes Absatzes darf nach

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Herzenslust kürzer sein als die übrigen, dagegen wird kein Grafiker etwas sagen; im Gegenteil. Apropos Grafik: Eine gut lesbare Schrifttype, Schriftgröße und Schriftfarbe zu wählen, ist Sache der Grafiker; für die Anbringung der Tafeln in geeigneter Höhe sowie für ihre optimale Beleuchtung zu sorgen, Sache des Architekten. All das ist freilich von höchster Bedeutung; wird dabei schlecht gearbeitet, ist die beste und kreativste Arbeit der Texter zunichte gemacht. Regel Nr. 11: überschaubare Zeilenanzahl Zu lange Texte schrecken die Ausstellungsbesucher ab, da hilft keine noch so professionelle Gestaltung: Selbst Testpersonen, die von sich selber meinen, dass sie gerne Texte bis zu 30 Zeilen lesen, brechen in Wahrheit die Lektüre zumeist ab, wenn ein Text mehr als 21 Zeilen hat.11 Wandtexte sollten daher im Regelfall höchstens 20 Zeilen haben. Einige besonders wichtige Texte (aber wirklich nur einige!) dürfen länger werden, aber 26 Zeilen halten wir für das absolute Maximum. Dass auf diese Weise nicht alles und jedes in den Wandtexten unterzubringen ist, versteht sich; man muss eben auswählen, welche Informationen die (für Laien) wichtigsten sind. Wie man darüber hinausreichende Details interessierten Besuchern nahe bringen kann, haben wir im ➔ vorigen Kapitel S. 40f. erklärt. Regel Nr. 12: Strukturierung durch Absätze Strukturieren Sie Ihre Wandtexte, indem Sie Absätze machen. Das »Gedicht« soll mehrere »Strophen« bekommen. Wie lang ein Absatz sein soll, darf aber nicht nach formalen Kriterien entschieden werden: Das ist eine inhaltliche Frage. Wo ein neues Teilthema beginnt, dorthin kommt der Absatz. Achten Sie darauf, dass der Grafiker die Absätze auch deutlich sichtbar werden lässt, sonst ist der Gliederungseffekt dahin.

11 Minda Borun, What’s in a name? A study of the effectiveness of explanatory labels in a science museum, Washington 1980 (zitiert nach: Traudel Weber, Warum darf das Tier... [Fußnote 2], S. 74)

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Inhaltliche Regeln Regel Nr. 13: Fragen beantworten Denken Sie immer daran, dass jene Besucher, für die Sie vor allem arbeiten, Laien sind. Ob auch die Fachwelt aus einer Ausstellung etwas Neues erfährt, ist durchaus zweitrangig. Also muss sich, wer Wandtexte schreibt, in die Situation von Laien versetzen: Welche Fragen werden sie an das Thema stellen? Diese Fragen müssen unbedingt beantwortet werden, das ist noch wichtiger als die Anliegen, die die Kuratoren mit dem Thema verbinden. Das heißt keineswegs, dass man in den Wandtexten nicht auch Aspekte behandeln kann und soll, die den Laien gar nicht aufgefallen wären; sehr wohl aber heißt es, dass solche Aspekte nur zusätzlich angesprochen werden dürfen! Zuerst sind die Fragen der Besucher zu beantworten, danach kommt alles andere; Texte, die ihre Fragen offen lassen, lesen die Leute nämlich einfach nicht weiter – und das, was die Kuratoren stattdessen erklären wollten, verpufft erst recht. Ob es gelungen ist, auf die Interessen von Laien einzugehen, ist freilich für Fachleute, die zum Thema ja einen völlig anderen Zugang haben, gar nicht leicht zu entscheiden. Die beste denkbare Abhilfe schaffen Besucherstudien, die die Vorkenntnisse der Kunden des jeweiligen Museums erheben; oder, noch wirkungsvoller, Evaluationen der Ausstellungstexte. Regel Nr. 14: klare Argumentationen Auch die Gedankenführung muss sich dem Niveau von Laien anpassen. Argumentieren Sie glasklar – und setzen Sie fast überhaupt kein Wissen voraus. Experten – die Kuratorinnen und Kuratoren also – haben es dabei extrem schwer: Wer ständig auf einem Gebiet arbeitet, kann kaum mehr einschätzen, was Laien klar erscheinen wird und was nicht. Die Zusammenarbeit mit professionellen Textern bietet hier einen entscheidenden Vorzug, und zwar unter der Voraussetzung, dass es sich nicht um Absolventen derselben Fachrichtung handelt

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wie die Kuratoren selbst: Dann nämlich sind die Texter die ersten Laien, die die Argumentation nachvollziehen müssen – und zwar besonders gründlich, denn sie haben sie schließlich zu formulieren. Dabei ergeben sich fast immer inhaltliche Verbesserungen: Was die Texter nicht verstehen, werden sie bei den Kuratoren erfragen, und zwar so lange, bis sie sich ein komplettes Bild gemacht haben. Die Texte, die so entstehen, werden letztlich andere (und vermutlich mehr) Informationen erhalten, als die Kuratoren ursprünglich geplant haben.

* Siehe dazu ➔ Kapitel 1 und 12

Die größte Sicherheit, ob die Ausstellungstexte verständlich genug sind, bietet eine Evaluation*, und zwar sogar dann, wenn Sie die Dienste von professionellen Textern in Anspruch nehmen. Regel Nr. 15: Achtung vor Themenverfehlungen Wichtig: Die Wandtexte haben zu erläutern, was in der Ausstellung zu sehen ist, sprich: haben sich thematisch eng an die Schaustücke zu halten. Lassen Sie sich nicht über Themen aus, zu denen Sie keine Exponate haben. Wenn Sie einen Saal über die Skythen einrichten, mit einschlägigen Fundstücken, dann haben die Texte über die Skythen und die ausgestellten Objekte zu erzählen. Mag sein, dass Sie finden, die Sarmaten seien ebenso interessant und wichtig wie die Skythen und sollten unbedingt Erwähnung finden; wenn Sie aber keinerlei sarmatische Funde zeigen, lässt sich das leider nicht verwirklichen. Es ist ausgeschlossen, ein Thema, das in der Ausstellung (wie sie durch die Exponate konstituiert ist) fehlt, der Vollständigkeit halber wenigstens auf einer Texttafel zu behandeln. Die Skythen und Sarmaten sind vielleicht ein krasses Beispiel; dasselbe gilt jedoch auch für weniger exzessive Abschweifungen vom Thema. Erzählen Sie zum Beispiel an Hand von Bildern nicht die ganze Biografie des Malers, sondern nur jene Teile daraus, die für die ausgestellten Bilder von Bedeutung sind.

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Wichtig: Genauso schwer wiegt der umgekehrte Fehler: Myriaden von Wandtexten erzählen akkurat das, was ohnehin jeder Besucher sieht, Marke: »Das Bild zeigt einen Sonnenuntergang.« Das allerdings interessiert niemanden; wenn zu dem Gemälde wirklich nicht mehr zu sagen ist, bekommt es eben keinen Objekttext. Sonderregeln für Objektbeschriftungen Bei den Objektbeschriftungen unterscheiden wir solche, die nur aus einer Kennung bestehen, die die nötigen Angaben über Urheber, Entstehungszeit, Herkunftsort etc. bietet; und andererseits solche, die zusätzlich einen erläuternden Text aufweisen.* Objektkennungen muss es natürlich zu sämtlichen Exponaten geben, und sie müssen quer durch die gesamte Ausstellung einheitlich aufgebaut sein, damit man mit einem flüchtigen Blick die gesuchte Information erfassen kann. Die unbedingt nötigen Angaben sind Bezeichnung des Exponats, Schöpfer, Entstehungszeit und -ort, Leihgeber, eventuell das Material und die Herstellungstechnik sowie, falls im Katalog etwas über das Objekt nachzulesen ist, die Katalognummer. Ganz und gar überflüssig hingegen sind die Größe (die Leute stehen ja davor!) und die Signatur, mit der das gute Stück in den Archivbüchern verzeichnet ist. Bei den Objekttexten ist abermals eine Unterscheidung in zwei Sorten zu treffen: Für ganz kurze Texte (bis maximal drei Zeilen) kann von der Regel abgegangen werden, dass jede Zeile exakt einer Sinneinheit entsprechen muss; der ganze Text ist dann so kurz, dass man ihn auch ohne diese Gliederung leicht versteht – vorausgesetzt natürlich, dass sämtliche anderen Regeln auch hier strikt eingehalten sind! Längere Objekttexte hingegen unterliegen nicht nur dem gesamten Regelwerk von Regel 1 bis 15, für sie gibt es darüber hinaus sogar eine sechzehnte: Wenn ein Objekttext mehr als einen Absatz hat, sollte man ihn in zwei optisch klar unterscheidbare Teile gliedern: Die wichtigsten Informationen zuerst, nur einen Absatz lang, größer oder fett gedruckt; alles, was mehr ins Detail geht, danach in

* Siehe dazu ➔ S. 36ff.

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Normaldruck. Das erleichtert es den Besuchern einmal mehr, eine Auswahl zu treffen, an welchen Stellen der Ausstellung sie sich mehr vertiefen wollen und an welchen weniger; und diese Auswahl ist gerade bei den Objekttexten dringend nötig, gibt es doch davon meist eine enorme Anzahl.

Materialien ➔ Umsetzungsbeispiele: Wandtexte, S. 69 ➔ Leitfaden: Die Regeln für lesbare Wandtexte im Überblick, S. 81 ➔ Leitfaden: Objektbeschriftungen, S. 83 ➔ Literaturtipps, S. 84

Kapitel 4 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 69

Umsetzungsbeispiele: Wandtexte Was für einen Effekt das vorgestellte Regelwerk für Wandtexte hat, zeigt sich am deutlichsten nicht an der Anwendung einzelner Regeln, sondern an fertigen Texten, in denen alle Regeln gemeinsam beachtet sind. Wir bringen einige Beispiele aus unserer Praxis, jeweils zuerst die Textvorlage der Kuratoren und dann die von uns hergestellte Endfassung des Textes. Beispiel 1 Aus einer Ausstellung über Feuer und Feuerwehr 1998: Die gesamte Ausstellung war sehr sparsam betextet. In jedem Raum hing nur ein einziger übergeordneter Text, und bei den Exponaten gab es nicht durchwegs Objekttexte; wenn, dann meist nur ganz kurze. Zuerst: der erste Raum der Ausstellung; ein riesiger Saal, mit (wie überall) nur einem übergeordneten Text.

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Vorschlag des Kurators (in dieser Form – auf einer einzigen Texttafel – zur Affichierung vorgesehen): FEUER als Strafe im Jenseits ➔ In der griechischen Antike gibt es Berichte über Feuer in der Unterwelt ➔ Das Neue Testament droht mit Bestrafung durch verzehrendes Feuer ➔ Im Mittelalter werden die Vorstellungen über ein »Höllenfeuer« durch die Kunst weiterverbreitet und finden Eingang in den Volksglauben ➔ Von der reinigenden Kraft des Feuers kommt die Idee des Fegefeuers, das Verstorbene von ihrer Schuld reinigt und zur ewigen Seligkeit entlässt FEUER als Strafe im Diesseits ➔ Dem Feuer wurde früher eine reinigende Kraft zugeschrieben ➔ Verbrennen sollte den Tod herbeiführen, die verletzte göttliche Ordnung wiederherstellen und die Erinnerung an den/die TäterIn auslöschen ➔ Hinrichtung durch Verbrennen erfolgte bis ins 17./18. Jahrhundert hauptsächlich bei Ketzerei, Zauberei, Homosexualität, Sodomie, Brandstiftung und Mordbrand ➔ Brandmarken sollte strafen, kennzeichnen und abschrecken FEUER im Brauchtum ➔ Feuer spielt im Brauchtum seit jeher eine große Rolle ➔ Feuer auf Bergen und Feldern sollen Kälte, Dunkelheit und Ängste vertreiben und die Fruchtbarkeit fördern ➔ Die Menschen versuchten, die zerstörenden Kräfte des Feuers durch magisch-religiöse Handlungen abzuwehren FEUER im Haus, Hof und Gewerbe ➔ Wohnen und Arbeiten waren lange durch die Verwendung des offenen Feuers bestimmt, das zugleich eine ständige Bedrohung darstellte ➔ Bei Feuerstätten musste der Funkenflug kontrolliert werden. Von der Beleuchtung (Kienspäne und Kerzen) ging eine besondere Brandgefahr aus ➔ Bei vielen Handwerkern spielte das offene Feuer eine zentrale Rolle ➔ Heute ist das Feuer meist »versteckt«, z.B. im Verbrennungsmotor eines Autos, im Bügeleisen, im Elektroherd oder in einem Atomkraftwerk

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Die Endfassung nach professioneller Umformulierung: Feuer – Strafe der Götter und Gottesgeschenk Feuer vernichtet: Die Angst vor dem Tod durch Verbrennen hat die Vorstellungswelt der Menschen seit jeher geprägt. Die schlimmste Strafe, die das Christentum kennt, die ewige Verdammnis in der Hölle nämlich, ist ohne den Schrecken des Feuers nicht denkbar. Aber auch auf Erden tat das Feuer seine strafende und, wie man glaubte, reinigende Wirkung: Es verzehrte unliebsame Bücher ebenso wie unliebsame Menschen, ob es sich nun um christliche Märtyrer handelte oder um wirkliche oder vermeintliche Gegner der Religion. Feuer spendet Leben: Es vertreibt die Dunkelheit und damit die Angst. Ohne sein Licht und seine Wärme gibt es keine Kultur. Im Brauchtum versuchen die Menschen bis heute, die Götter und Naturgewalten freundlich zu stimmen. So auch das Feuer: Es soll ihnen dienstbar sein, es soll vom Bösen reinigen und Dämonen vertreiben – und es soll keinen Schaden anrichten. In früheren Jahrhunderten war die Bedrohung, die vom Feuer ausging, erheblich größer als heute. In Haus und Werkstätte brannten die Flammen offen. Erst der modernen Technik gelang es, das Feuer nicht nur zu nützen, sondern auch zu bändigen, wie in der Dampfmaschine oder im Motor eines Autos.

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Beispiel 2 Aus derselben Ausstellung ein zweites Beispiel: Der Kurator dieses Saales hatte zwei Texte vorgesehen, die – nach den Vorgaben der Veranstalter – auf einen zu reduzieren waren. Die beiden Texte des Kurators lauteten (in dieser Form zur Affichierung vorgesehen): Feuer im Film Das Motiv des Feuers hat auch Filmemacher von Anbeginn fasziniert. Ob als dramaturgisches Mittel, ob als symbolträchtige Aussage, oder schlicht als Spannungselement, zieht sich der brandrote Faden durch die Filmgeschichte. Schon um 1900 ließ der Filmmagier Georges Meliés seine »Jeanne d’Arc« in Flammen aufgehen. Mit Zunehmen der technischen Möglichkeiten verfeinerte sich das »feurige« Bild immer mehr. Bereits in den 30er Jahren ließ man ganze Städte auflodern. Von Rom bis Chicago – das Feuer war schon überall. Aus der unerschöpflichen Fülle haben wir rund 40 Filme – meist der jüngeren Zeit – ausgewählt, die den Siegeszug des Feuers eindrucksvoll belegen. Vom Fantasy-Film bis zum ShakespeareKlassiker schlagen die Funken. Das Feuer wird ebenso »vom Winde verweht«, wie es zwei feindliche Löwen umschließt, die um ihr Trickfilm-Königreich ringen müssen. Sean Connery muss sich ebenso durch den »Rock« schlagen, wie George Clooney vom »Dusk till Dawn«. Feuerwehr im Film Wo Feuer ist, ist auch die Feuerwehr nicht weit. Logisch! Im Film ist das nicht ganz so einfach. Entweder man lässt es brennen, oder die Bekämpfer sind nur eindrucksvoller Hintergrund – das Schicksal stiller Helden. Dennoch gibt es eine kleine, aber feine Anzahl von Filmen, in denen Feuerwehrleute eine zentrale Rolle spielen und Feuer in vielen Varianten niederkämpfen. In nur einem einzigen Klassiker gehen die Männer mit den Schläuchen und Spitzhacken von Filmanfang bis -ende durchgehend ihrem gefährlichen Handwerk nach: dem »Towering Inferno« aus dem Jahre 1974. Hier unterstützt Architekt Paul Newman den Firesquad-Chef Steve McQueen. Wir haben die packenden 158 Minuten zu nicht minder aufregenden 30 Minuten komprimiert. Im Milieu der Feuerwehrleute spielt auch das ebenfalls schon klassische »Backdraft« von 1990. Schließlich nicht zu vergessen der Feuerwehrfilm »mit umgekehrten Vorzeichen«: das Meisterwerk »Fahrenheit 451« von François Truffaut aus dem Jahre 1966 – hier wird Feuer nicht gelöscht, sondern gelegt (Verzeihung, liebe Feuerwehrmänner!). Bei unserem »brennenden« Thema kommt aber auch der Humor nicht zu kurz, wie »It’s a Mad, Mad, Mad, Mad World« zeigt.

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Daraus machten wir als Texter: Brandheißes Kino Schon um 1900 ließ der Filmpionier Georges Meliés seine »Jeanne d’Arc« am Scheiterhaufen sterben. Seitdem hat das Feuer die Filmemacher fasziniert, ob als Symbol oder einfach als Spannungselement. In den 30er Jahren konnte man bereits ganze Städte auf der Leinwand in Flammen aufgehen lassen. In 38 Filmausschnitten fliegen hier für Sie die Funken, vom Fantasy-Film bis zum Shakespeare-Klassiker. Wo Feuer ist, ist auch die Feuerwehr nicht weit – außer im Film, denn dort sieht man es gerne brennen. Nur selten spielen Feuerwehrleute die Hauptrolle: Paul Newman und Steve McQueen kämpften 1974 in »Towering Inferno« mutig gegen die Flammen – 158 Minuten lang, von denen wir Ihnen 30 hier zeigen. Unter den übrigen Ausschnitten findet sich quasi ein »Feuerwehrfilm mit umgekehrten Vorzeichen«: In François Truffauts Meisterwerk »Fahrenheit 451« hat Oskar Werner zu zündeln und nicht zu löschen. Verzeihung, liebe Feuerwehrmänner.

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Beispiel 3 Die Ausstellung »Sein und Sinn« (Niederösterreichische Landesausstellung 2001) war den elementaren Grundbedürfnissen des Menschen (nach Welterklärung, also Religion, nach Schutz, Geborgenheit, Geselligkeit und so weiter) gewidmet – dargestellt wurde das schwierige Thema sehr geschickt an Hand hervorragender prähistorischer und archäologischer Funde. Die Ausstellung fand in einem recht abgelegenen, agrarischen Winkel von Niederösterreich statt, auf Burg Ottenstein; und die Landesausstellungen der österreichischen Bundesländer haben stets das Ziel, möglichst viele Besucher aus allen Schichten anzusprechen – und gerade auch aus der Umgebung des Ausstellungsortes. Die Kuratoren wussten und wünschten von vornherein, dass ihre Texte von Profis umgeschrieben werden sollten; ihre Textvorlagen waren also nur zur Information der Texter gedacht. Viele Themen und daher auch viele Texte waren sehr theoretisch und anspruchsvoll. Das bietet Gelegenheit zu beweisen, dass alle Befürchtungen, einfach formulierte Texte könnten komplizierten Inhalten nicht gerecht werden, aus der Luft gegriffen sind. Ganz im Gegenteil: Alles, und sei es noch so abstrakt, lässt sich in schlichte Worte fassen (genauso wie man bekanntlich, umgekehrt, jede Lappalie mit den Techniken der Wissenschaftssprache zu hochtrabender Bedeutungsscheinschwangerschaft aufblasen kann). Die Vorlage: Bereichs-Text: Grabbrauch Titel: Dem heiligen Augustin zufolge dienen Begräbnisrituale eher den Lebenden als den Toten »Die Hoffnung im Andenken der Gruppe weiterzuleben, die Vorstellung, seine Toten in eine fortschreitende Gegenwart hinein mitnehmen zu können, gehört wohl zu den universalen Grundstrukturen der menschlichen Existenz.« Totengedenken ist in paradigmatischer Weise ein Gedächtnis, »das Gemeinschaft stiftet. In der erinnernden Rückbindung an die Toten vergewissert sich eine Gemeinschaft ihrer Identität.« Jan Assman, Ägyptologe

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Und das Endprodukt: Tote stiften Gemeinschaft Der Welt im Gedächtnis zu bleiben, und zwar über den eigenen Tod hinaus, ist eine uralte Hoffnung des Menschen. Umgekehrt wollen auch die Lebenden nicht auf den Beistand der Toten verzichten. Daraus entsteht das Totengedenken, das in jeder Kultur und zu allen Zeiten Gemeinschaft und Identität stiftet. Begräbnisriten, meinte der hl. Augustinus, dienen eher den Lebenden als den Toten.

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Beispiel 4 In derselben Ausstellung gab es einen Raum über das Religionsverständnis der klassischen Antike. Ein Bereichstext war dort einem Fund aus Ephesos gewidmet. Das Motiv des Reliefs, von dem dabei die Rede ist, war nicht leicht zu entschlüsseln; dass es erklärt wird, ist ausnahmsweise also kein Verstoß gegen die Regel, nichts zu beschreiben, was für die Besucher ohnehin offensichtlich ist. Die Vorlage lautete: Hausgötter an einem Beispiel eines späthellenistischen Peristylhauses in Ephesos Man betrat das Haus, über einen Korridor, der in den Peristylhof führte, über den alle Räume im Erdgeschoss zugänglich waren. An der dem Korridor gegenüberliegenden Wand war in der Mauer eine 20 cm tiefe Nische ausgespart, in die ein Relief von 24 x 32 cm eingelassen war, das bei der Ausgrabung in fünf Teile gebrochen darin aufgefunden wurde. Das Relief zeigt einen heiligen Hain, in dem ein Reiterheros, der auf einen Altar mit Opferfeuer zureitet, während er einer Schlange ein Trankopfer reicht (sic!). Vom dekorativen Standpunkt aus betrachtet ist die Anbringung des Reliefs in 3 m Höhe wenig ergiebig. Als schmückendes Element kann es vom Eintretenden nicht wahrgenommen werden. Dem vom Pferd herabblickenden Heros kommt die Funktion eines Beschützers zu, da er im Gegenteil auf die in das Haus Eintretenden herabblicken kann. In der hohen Nische gegenüber dem Eingang behält er den Überblick über das Kommen und Gehen des Hauses, dessen Bewohner sich seinem Schutz anvertraut haben. Im Versturz des Raumes 1 fanden sich an der Wand vier marmorne Tischbeine und die Ecke der dazugehörenden Platte aus rotem Marmor. Der Schutt der unmittelbaren Umgebung war reich an Terrakottafragmenten, die sich z.T. wieder ganz zusammensetzen ließen: Eros und Psyche einander umarmend und Aphrodite vor dem Bad. Weitere zahlreiche Fragmente spärlich bekleideter Aphroditen zählen zum Fundmaterial. In der Fundgesellschaft fand sich noch ein stark fragmentiertes kleines Räucheraltärchen aus Ton in Form eines runden Marmoraltares wie er auf dem Heroenrelief zu sehen ist. Die auf dem Tisch versammelten Götter verkörpern ästhetische Bedürfnisse und die Sehnsucht nach sinnlichem Begehren und ewiger Liebe.

Kapitel 4 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 77

Daraus wurde, nach eingehender Rücksprache mit der Kuratorin: Ein »Herrgottswinkel« aus der Antike In einem vornehmen Haus in Ephesos, der griechischen Weltstadt der Antike an der Westküste der heutigen Türkei, hing gegenüber dem Eingang ein Relief: Es zeigt einen Halbgott (einen »Heros«), der auf einen Altar zu reitet und zugleich einer Schlange ein Trankopfer darbietet. Das Relief war in drei Meter Höhe montiert und daher für die Bewohner kaum zu sehen. Umso besser überblickte der Heros die Tür; offenbar war er der Schutzgott des Hauses. In einem Zimmer desselben Gebäudes fanden sich Trümmer eines Marmortisches und zahlreicher Figuren aus Terrakotta, die sich zum Teil zusammenfügen ließen. Sie stellen mehrfach die Göttin Aphrodite, ihren Sohn Eros und dessen Geliebte dar. Wir haben aber keinen Hausaltar vor uns, eher eine Sammlung hübscher Nippes, gewidmet der Schönheit und der Liebe, für die Aphrodite zuständig war.

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Beispiel 5 Nur ein paar Kilometer von Burg Ottenstein (»Sein und Sinn«) entfernt, zeigte das Land Niederösterreich 2001 noch eine zweite Ausstellung: »Burg und Mensch« auf Schloss Waldreichs, eine Ausstellung über die Burg als Symbol – also abermals ein recht theorielastiges Thema. Auch hier stand für die Kuratoren von vornherein fest, dass die Texte professionell umgeschrieben würden und dass sie auf die Formulierung der Vorlagen wenig Mühe verwenden mussten. Die Vorlage: Entgegen landläufiger Erwartungen bilden archäologische Funde, die den »typisch ritterlichen« Lebensbereichen Kampf, Reiten und Jagd zuordenbar sind, einen eher geringen Anteil am Gesamtspektrum. Einen ungewohnten Blick eröffnen Objekte aus der Arbeitswelt auf mittelalterlichen Adelssitzen, passen sie doch wenig in das von den Rittern selbst propagierte Bild einer von körperlicher Arbeit weitgehend unberührten Lebenswelt. Dagegen zeigen Funde aus Bereichen der Landwirtschaft und des Handwerks, wie Schmiedewerkzeuge, Sicheln, Rebmesser, Beile, Bohrer, und Steinmetzgeräte, dass, wenn schon der Burgherr nicht selber Hand anlegte, er im Alltag vom geschäftigen Treiben der zumindest teilweise auf Selbstversorgung ausgerichteten Wirtschaft umgeben war. Ein Bild vom friedlichen Leben innerhalb fester Mauern entsteht. Ist dieses jedoch weniger romantisch als das von der »großen Burg«? Steht hier nicht wiederum unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben in der Natur Pate für ein Spiegel-Bild?

Kapitel 4 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 79

Das Ergebnis: Mit Schwert und Pflugschar: Der Ritter als Bauer Frei von körperlicher Arbeit, ein Leben voller Kampf, Reiten und Jagd: So stellten sich die Ritter selbst dar. Die archäologischen Funde aus den Burgen sprechen eine andere Sprache: Viel häufiger als Helme und Lanzen kommen Beile und Bohrer ans Tageslicht, Sicheln, Rebmesser und anderes Werkzeug. Burgen waren also Wirtschaftszentren. Ein friedliches Leben in festen Mauern zeigt sich vor unserem geistigen Auge. Aber ist dieses Bild weniger romantisch als das Waffenklirren und die Jagdhörner, die wir gewöhnlich mit Burgen verbinden? Erzeugt nicht unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben in der Natur neue Phantasievorstellungen von der Burg?

Kapitel 4 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 80

Beispiel 6 Ein Objekttext aus dem Technischen Museum Wien mit der von uns vorgeschlagenen Zweiteilung: zuerst die wichtigsten Informationen für die schnelle Orientierung (grafisch hervorgehoben), dann die Details für solche Besucher, die es genau wissen wollen. Einen Vorlagetext gibt es in diesem Fall nicht, weil der Kurator es vorzog, selber gar nichts zu schreiben und uns stattdessen einen Stoß Fachliteratur mit den nötigen Informationen zu borgen.

Das Ruetzkraftwerk Die Elektrifizierung der österreichischen Eisenbahn begann mit dem Ruetzkraftwerk, das sich wenige Kilometer südlich von Innsbruck befindet. Dieser Maschinensatz war im Ruetzkraftwerk von 1912 bis 1983 in Betrieb. Er erzeugte den Strom für die Mittenwaldbahn, die erste elektrifizierte Normalspurstrecke Österreichs. Wenn Sie in den Maschinensatz hinuntersteigen, können Sie den Generator und die Turbine besichtigen.

Kapitel 4 – Materialien: Leitfaden 81

Leitfaden: Die Regeln für lesbare Wandtexte im Überblick A. Die Sprache 1. Verzicht auf persönliche Stilfärbung. 2. Alltagssprache von Laien verwenden. Fremdwörter sind verboten. Fachausdrücke (egal ob fremd- oder deutschsprachig) unbedingt erklären, und zwar auf der obersten relevanten Textebene. 3. Kreative, fesselnde, unerwartete, auffallende Überschriften erfinden, kurz: »Zeitungsschlagzeilen«. 4. Passive Verbalformen sind ausnahmslos verboten. Auch im übertragenen Sinn möglichst »aktive« Verben verwenden. »Man«-Konstruktionen nach Möglichkeit vermeiden (nicht immer ist es möglich). Hilfszeitwort plus Prädikatsnomen vermeiden. 5. Alltäglicher Satzbau. Kein Nominalstil, keine Schachtelsätze. Aber auch keine »Kleinkindersprache« und keine Stichworte. 6. Fragen gezielt einsetzen, um den Text lebendig zu machen. Aber Achtung vor schulmeisterlicher Didaktik. 7. Präzise, knappe Wortwahl. Keine Tautologien, keine Füllwörter. B. Die formale Gliederung 8. Kurze Zeilen: maximal 60 Anschläge pro Zeile, besser weniger (Leerzeichen mitgerechnet). 9. Jede Zeile muss exakt und ohne Ausnahme einer Sinneinheit entsprechen. Den Zeilenumbruch bestimmen die Texter. Stets Flattersatz, nie Blocksatz. Keine Worttrennungen. 10. Trotzdem optische Qualität sicherstellen und nicht zu große Unterschiede in der Zeilenlänge vorsehen.

Kapitel 4 – Materialien: Leitfaden 82

11. Wenige Zeilen: Im Allgemeinen hat eine Texttafel höchstens 20 Zeilen, eine Handvoll Ausnahmen dürfen bis 26 gehen. 12. Den Text durch Absätze sinnvoll gliedern. C. Die Argumentation 13. Versetzen Sie sich in die Situation eines Laien: Die Fragen, die er an das Thema stellt, müssen beantwortet werden. 14. Die Argumentation muss für Laien nachvollziehbar sein. 15. Beim Thema bleiben. Nichts erklären, was mit den Exponaten nichts zu tun hat. Aber auch nichts beschreiben, was in der Ausstellung ohnehin jeder sieht.

Kapitel 4 – Materialien: Leitfaden 83

Leitfaden: Objektbeschriftungen 1. Einheitliche und vollständige Kennungen für alle Objekte. 2. Bei Objekttexten bis maximal drei Zeilen keine Kongruenz von Zeile und Sinneinheit nötig. 3. Bei längeren Objekttexten Einhaltung sämtlicher »Regeln für lesbare Wandtexte« (siehe oben). 4. Bei Objekttexten mit mehr als einem Absatz Zweiteilung: das Wesentliche im ersten Absatz, grafisch hervorgehoben; die Details danach im Normaldruck.

Kapitel 4 – Materialien: Literaturtipps 84

Literaturtipps Steffen-Peter Ballstaedt/Heinz Mandl/Wolfgang Schnotz/ Siegmar-Olaf Tergan, Texte verstehen, Texte gestalten, München, Wien u. Baltimore 1981 Ellen von Borzyskowski, Verführung zum Lesen. Die kontrollierte Verbesserung von Texten. In: Hans-Joachim Klein (Hg.), Evaluation als Instrument der Ausstellungsplanung, Karlsruhe 1991, S. 49-74 Anne Leopold/Traudel Weber, Verständliche Texte im Museum. Ein Leitfaden, München 1993 Paulette M. McManus, Making sense of exhibits. In: Gaynor Kavanagh (Hg.), Museum languages: objects and texts, Leicester 21996, S. 33-46 Paulette M. McManus, Oh, yes, they do: how museum visitors read labels and interact with exhibit texts. In: Curator, Vol. 32, No. 3, September 1989, S. 174-89 Annette Noschka-Roos, Besucherforschung und Didaktik. Ein museumspädagogisches Plädoyer, Opladen 1994 Beverly Serrell, Exhibit labels: an interpretive approach, Walnut Creek 1996 Traudel Weber/Annette Noschka, Texte im Technischen Museum. Textformulierung und Verständlichkeit, Testmöglichkeiten, Berlin 1988 Traudel Weber, Warum darf das Tier mit unguligrader Lokomotion nicht einfach auf vier Hufen gehen? oder: Besucherfreundliche Texte in Museen und Ausstellungen. In: Texte in Ausstellungen. Hinweise und Anregungen für verständliche Formulierung und besucherfreundliche Gestaltung, München 1995, S. 63-111

Kapitel 5 – Texte zum Anfassen 85

Wenn es etwas mehr sein darf – Kurzführer, Handouts, Detailinformationen EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER Wandtexte sind nicht die einzigen Texte zum Lesen, die in Ausstellungen Verwendung finden. Was es sonst noch gibt, fassen wir in diesem Kapitel zusammen. Grundsätzlich lässt sich unterscheiden zwischen Broschüren einerseits, die Wandtexte ersetzen; und Detailtexten (ganz unterschiedlicher Art), die die Wandtexte ergänzen und zu deren Benutzung die Besucherinnen und Besucher selbst aktiv werden müssen. Für sie alle gelten jedoch ähnliche Regeln, die zum Teil geringfügig weniger streng sind als die für Wandtexte. Die Alternative zu Wandtexten: Broschüren statt Menschentrauben Bisweilen kann es gute Gründe geben, in der Ausstellung keine Texttafeln einsetzen zu wollen: • wenn dadurch der ästhetische Eindruck der Exponate oder der Ausstellungsarchitektur gestört würde, • wenn (etwa aus konservatorischen Gründen) in der unmittelbaren Nähe der Objekte die Lichtverhältnisse nicht ausreichen, um lesen zu können, • wenn solche Besuchermassen zu erwarten sind, dass sich vor jeder Texttafel ein Stau bilden würde, • oder wenn sich die Texttafeln aus welchen Gründen auch immer nicht dort anbringen lassen, von wo aus man den richtigen Blick auf die jeweiligen Exponate genießt (ein Problem, das etwa häufig bei großformatigen Gemälden auftritt, die man aus größerer Distanz anschauen sollte).

Kapitel 5 – Texte zum Anfassen 86

Auch dafür gibt es eine Lösung: Die Besucher bekommen eine Broschüre in die Hand (die selbstverständlich im Eintrittspreis inbegriffen ist), in der die Texte zu den Sälen und zu den Exponaten mühelos auffindbar sind; in der Ausstellung selbst hängen nur die Objektkennungen sowie (gut lesbare!) Nummern, die die Zuordnung von Objekt und Text bzw. Saal und Text ermöglichen. Wichtig: Solche Broschüren müssen handlich und klein sein, ihr Layout besonders übersichtlich, die Schriftgröße und -farbe sind so zu wählen, dass auch ältere Menschen ohne Lupe auskommen. Unter gewissen Umständen kann man bei Broschüren sogar auf die »Gedichtform« der Wandtexte verzichten, also auf die Kongruenz von Zeile und Sinneinheit (wohl gemerkt: man kann, aber man muss nicht): * Siehe ➔ Kapitel 4

** Zum Thema fremdsprachige Texte siehe ➔ Kapitel 8

• wenn alle übrigen Regeln, die für Wandtexte* gelten, streng eingehalten sind (damit sich eine vernünftige, also wirklich kurze Zeilenlänge ergibt, ist eine Broschüre mit sehr schmalen Seiten zu empfehlen), • und wenn sich die Texter äußerste Zurückhaltung bei der Textlänge auferlegen und sich noch kürzer halten als bei Wandtexten (nicht mehr als fünf bis zehn Zeilen pro Text). Übrigens lassen sich solche Broschüren auch zusätzlich zu Wandtexten mit großem Gewinn einsetzen: um nämlich dieselben Texte, wie sie an der Wand hängen, auch in Fremdsprachen anzubieten.** Broschüren sind dabei unschlagbar: Von ihnen kann (wer die finanziellen Ressourcen dazu hat) ruhig acht oder zehn verschiedene Ausgaben herstellen, in acht oder zehn Sprachen – wenn Sie hingegen fremdsprachige Versionen der Wandtexte affichieren wollen, sind wohl zwei Sprachen (Deutsch und eine Übersetzung) das Limit, wenn nicht die gesamte Ausstellung mit Texttafeln tapeziert sein soll.

Kapitel 5 – Texte zum Anfassen 87

Längsschnitte durch das Museum: themenbezogene Kurzführer Eine sehr interessante Möglichkeit, den Besucherinnen und Besuchern die Orientierung in wirklich großen Museen zu erleichtern, bietet eine andere Art von Broschüren: themenbezogene Kurzführer. Große Kunstmuseen zum Beispiel sind üblicherweise (wie es durchaus sinnvoll ist) chronologisch und geografisch geordnet. Mit Hilfe eines Kurzführers kann man nun Routen durch das Haus zusammenstellen, die sich nicht an die Chronologie halten – etwa »Porträtmalerei« oder »Heiligenlegenden«. Solche Kurzführer sollen mit ganz eigenen Texten ausgestattet werden, die in der Ausstellung selbst nicht am Platz wären; denn es ist sicher nicht sinnvoll, in den Wandtexten bei den niederländischen Porträtmalern im dritten Stock Bezüge zu den Velazquez-Bildern im vierten Stock herzustellen. Der Kurzführer hingegen kann und soll das tun (schon damit die Besucher wissen, wozu sie ihn gekauft haben). Er ermöglicht es, die Bilder eine andere Geschichte erzählen zu lassen, als sie es bei chronologischer Betrachtung des Museums tun. Es gelten hier dieselben Regeln wie bei jenen Broschüren, die die Wandtexte ersetzen (➔ siehe oben). Der Gratis-Katalog: Handouts Will man detailliertere Informationen anbieten, als die Wandtexte es vermögen, und will man diese Informationen auch solchen Besuchern zugänglich machen, die keinen Katalog kaufen wollen oder können (das ist ja auch eine Frage des Preises), dann sollte man überlegen, Handouts aufzulegen: kopierte Blätter zur freien Entnahme (auf das Layout muss man dabei nicht übertrieben große Mühe verwenden), die die Besucher aus jenen Räumen nach Hause mitnehmen werden, deren Thema ihr besonderes Interesse geweckt hat.

Kapitel 5 – Texte zum Anfassen 88

Klar ist freilich, dass solche Handouts tatsächlich eine ähnliche Funktion haben wie der Katalog: Es ist nicht anzunehmen, dass sehr viele Besucher sie gleich in der Ausstellung durchstudieren werden, eher handelt es sich um Lesestoff für daheim. Trotzdem sollen Handouts in der Länge und im wissenschaftlichen Anspruch hinter dem Katalog deutlich zurückbleiben – erstens um dem Katalog keine zu große Konkurrenz zu machen, zweitens um jene Besucher nicht erst recht wieder abzuschrecken, die vom Katalog deswegen Abstand nehmen, weil er ihnen zu umfangreich oder zu kompliziert ist. Mehr als zwei A4-Seiten pro Themenbereich sind für Handouts auf keinen Fall zu empfehlen; wenn Sie mit einer Seite auskommen – umso besser. Für die Gestaltung gelten einige der schwierigen Wandtexte-Regeln nicht: Sie dürfen das Passiv verwenden und Sie brauchen sich nicht um die Zeilenlänge oder um die Übereinstimmung von Zeile und Sinneinheit zu kümmern. Alle übrigen Regeln halten Sie bitte ein: Das Ergebnis soll ein im besten Sinne populärwissenschaftlicher Text sein. Objekttexte zum Anfassen: Handouts bei riesigen Exponaten Bei besonders großen Exponaten, um die man herumgehen muss oder in die man eintreten kann (ägyptische Grabkammern, Turbinenräume von Kraftwerken oder Ähnliches), sind affichierte Objekttexte nur sehr eingeschränkt brauchbar. Sie sollten dort nur die wichtigsten Informationen im Überblick beinhalten, damit der Besucher entscheiden kann, ob er in die Grabkammer hineingehen möchte oder nicht; aber es hilft ihm wenig, wenn ihm vorab erklärt wird, was er erst drinnen zu sehen bekommt. Abhilfe schaffen Handouts, die man zur Besichtigung des guten Stücks mitnehmen kann. Für derartige Handouts, die ja in der Ausstellung selbst (und im Stehen und Gehen!) benutzt werden, gelten allerdings strikt und ohne Abstriche dieselben Regeln wie für Wandtexte!

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Details aus der Schublade Wer einen findigen Ausstellungsarchitekten hat, kann Details für besonders interessierte Besucher in die Architektur integrieren – und zwar stets so, dass man aktiv werden muss, um das Angebot zu nutzen: durch das Öffnen einer Schublade oder eines Wandschranks, durch das Durchblättern fix montierter Täfelchen oder Ähnliches. So lassen sich auch die in historischen Ausstellungen gefürchteten Dokumente, Zeitungsausschnitte etc. hervorragend unterbringen: Es bekommt sie ja nur zu Gesicht, wer für das Thema des jeweiligen Bereichs gesteigertes Interesse entwickelt. Wichtig: Bedenken Sie aber, dass auch solche Texte meist stehend gelesen werden müssen! Daraus folgt: Bei selbst geschriebenen Texten gelten exakt dieselben Regeln wie bei Wandtexten; und mit Dokumenten sollte man es auch hier nicht übertreiben, sonst schlafen die Besucher im Stehen ein. Lesen im Sitzen Wer mit allen bisher vorgestellten Möglichkeiten, Texte zur Information der Besucher einzusetzen, für sein Thema immer noch nicht auskommt – der sollte daran denken, dass man beim Lesen nicht ungern zu sitzen pflegt. Schließlich lesen Sie die aktuellen Fachzeitschriften vermutlich auch nicht beim Joggen! Wenn also größere Textmengen angeboten werden sollen, hat dies in Ruhezonen mit ausreichend Sitzgelegenheiten zu geschehen. Dort können Sie Ihre Material- und Textsammlungen in jeder erdenklichen Form präsentieren: auf Plastiktafeln, die zu einer Art Buch gebunden sind (wie etwa in der zweiten Version der Wehrmachtsausstellung), auf umfangreicheren Handouts; Sie können sogar tatsächlich (angekettete) Bücher auflegen.

Kapitel 5 – Texte zum Anfassen 90

Wichtig: Bedenken Sie, dass die Nutzer solcher Ruhe- und Lesezonen keinen Blickkontakt mit den Exponaten der Ausstellung haben; Sie müssen also auf alle Erklärungen verzichten, die es notwendig voraussetzen, dass man die zugehörigen Objekte vor sich hat. Details aus dem Computer Leseecken wie die eben beschriebenen lassen sich auch elektronisch einrichten: mit Computern statt mit Büchern. Das hat bedeutende Vorteile – und nicht zu unterschätzende Nachteile. Für die Computer spricht, dass man auf keine andere Weise den Besuchern eine solche Menge an Wissen (und natürlich auch an Texten) zur Verfügung stellen kann. Sorgen Sie aber auf jeden Fall dafür, dass die Besucher zum Thema ihrer Wahl rasch und problemlos vordringen; auch und gerade am Computer gilt, dass die Auswahl der gewünschten Informationen (und das Übergehen der unerwünschten) erleichtert werden muss – schon damit die Leute nicht Stunden vor dem Bildschirm zubringen. Via Computer (mit Sitzgelegenheit, wohlgemerkt!) können Sie Texte jeder Art anbieten, ohne irgendwelche Regeln für Ausstellungstexte beachten zu müssen. Dass man sich nicht mehr vor den Objekten befindet, an die die Informationen anknüpfen, ist (anders als in »konventionellen« Lesezonen) vor dem Computer kein Problem, man kann das Objekt ja abbilden; oder es, im Gegenteil, sogar vergrößern, heranzoomen, kurz: besser betrachtbar machen, als es oft beim Original möglich ist. Damit sind wir aber auch bei der Gefahr angelangt, die Computer für Museen darstellen: Sie stechen allzu leicht die Originalexponate aus. Die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden (und sei es nur per Mausklick), übt vor allem auf die jungen Besucher enorme Faszination aus. Im Extremfall sitzen die Leute mehr vor dem Computer, als sie sich in der Ausstellung bewegen.

Kapitel 5 – Texte zum Anfassen 91

Ob und wie Bildschirme in der Ausstellung selbst (also außerhalb der Lesezonen) eingesetzt werden sollen, ist gewiss ein interessantes Thema – es sprengt aber hier den Rahmen. Nur so viel: Sofern Computerschirme, Touchscreens und Ähnliches im Stehen zu konsumieren sind und dabei Texte enthalten, halten wir es für sinnvoll, auch hier die Regeln für Wandtexte anzuwenden.

Materialien ➔ Leitfaden: Texte zum Anfassen, S. 92

Kapitel 5 – Materialien: Leitfaden 92

Leitfaden: Texte zum Anfassen

* Siehe ➔ Kapitel 4, S. 81f.

** Siehe ➔ S. 86

Broschüren statt Wandtexte: 1. Kleines, handliches, am besten sehr, sehr schmales Format. 2. Einhaltung sämtlicher »Regeln für lesbare Wandtexte«.* Einzige mögliche Ausnahme: Unter bestimmten Umständen** ist keine Kongruenz von Zeile und Sinneinheit nötig. 3. Klare Zuordnung zwischen Objekten und Texten bzw. Sälen und Texten durch deutliche Nummerierung ermöglichen. 4. Auf Lesbarkeit achten (Schriftgröße und -farbe). 5. Broschüren sind obendrein die ideale Möglichkeit, Übersetzungen der Wandtexte in möglichst viele Fremdsprachen anzubieten (für jede Sprache eine eigene Broschüre). Themenbezogene Kurzführer: 1. Zusammenstellung von Exponaten, die quer durch das ganze Haus verstreut sind; sozusagen Routenvorschläge durch das Museum. 2. Für die Gestaltung gelten die Punkte 1-4 der oben stehenden Hinweise »Broschüren statt Wandtexte«. Handouts als »Gratis-Katalog«: 1. Maximale Länge zwei A4-Seiten pro Themenbereich, besser kürzer. 2. Einfachere Sprache und Argumentation als im Katalog, populärwissenschaftliche Texte. Handouts zu besonders großen Objekten: 1. Allgemeine Information in den affichierten Objekttext; was man beim Betrachten wissen muss, kommt in das Handout. 2. Es gelten lückenlos die »Regeln für lesbare Wandtexte«.

Kapitel 5 – Materialien: Leitfaden 93

Details aus der Schublade: 1. Hier ist vor allem die Kreativität des Ausstellungsarchitekten gefragt. 2. Sofern auf diese Weise selbst geschriebene Texte angeboten werden (und nicht etwa Originaldokumente), gelten lückenlos die »Regeln für lesbare Wandtexte«. Lesezonen mit und ohne Computer: 1. Für die Formulierung der Texte gibt es keinerlei Regeln – die Lesezone befindet sich außerhalb des Mediums Ausstellung mit seinen Gesetzmäßigkeiten. 2. Sehr wohl aber für die Sitzgelegenheiten, die bequem sein müssen. 3. Sorgen Sie für eine übersichtliche Strukturierung des Textangebots, damit die Besucher umgehend zu ihrem Interessengebiet vordringen können.

Kapitel 6 – Audiotexte 95

Die Führung aus dem Off – Schneisen durch das Informationsdickicht EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER Audioguides erfreuen sich in der deutschsprachigen Museumslandschaft keineswegs einhelliger Beliebtheit. Erstens, weil sie mit recht hohen Kosten verbunden sind. Zweitens werden sie verschiedentlich als unerwünschte Konkurrenz zu den Ausstellungsführungen betrachtet – eine Befürchtung, die nicht ganz von der Hand zu weisen, aber doch stark zu relativieren ist: Denn zu einem großen Prozentsatz würden sich jene Besucher, die einen Audioguide ausleihen, auf keinen Fall einer Führung anschließen, aus Zeitgründen oder weil sie lieber autonom auswählen wollen, welchen Teilen der Ausstellung sie mehr und welchen sie weniger Aufmerksamkeit widmen. Der dritte Grund für die durchaus zwiespältige Bewertung der Audioguides dürfte aber sein, dass die dafür nötigen Texte äußerst selten professionellen Qualitätsstandards entsprechen, vielleicht noch seltener als die Wandtexte. Nicht einmal die theoretische Diskussion darüber ist sonderlich weit gediehen, ist das Medium doch noch relativ neu. Die Regeln für die Formulierung Audiotexte – und das gilt für Audioguides ebenso wie für fix montierte Audiostationen – müssen sprachlich geradezu radikal einfach sein; selbst Wandtexte, die nach den von uns aufgestellten Kriterien formuliert sind, erscheinen noch als hoch komplexe Sprachkunstwerke im Vergleich zu einem guten Audiotext. Beim Zuhören verliert man nämlich noch viel schneller den Faden als beim Lesen! Andererseits sind für Audiotexte weit weniger strenge formale Regeln zu beachten. Die Verwendung von passiven Verbalformen ist hier kein Problem; vor allem aber dürfen und sollen Audiotexte ungleich länger sein als Wandtexte, sprich: Sie bieten Platz für viel eingehendere Informationen. Es empfiehlt sich an dieser Stelle einmal mehr der Hinweis: Noch so weit gehende sprachliche Vereinfachung

Kapitel 6 – Audiotexte 96

hat mit inhaltlicher Vereinfachung nichts zu tun; der Inhalt hat selbstverständlich auch bei Audiotexten wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen. Audiotexte dürfen eine Minute lang sein (was nicht heißt, dass alle so lang sein sollen); einige wenige wichtige Überblickstexte – in das Hierarchieschema von Wandtexten übersetzt: Saal- oder Bereichstexte – können sogar bis zu zwei Minuten dauern; eine Möglichkeit, von der man aber, das sei mit Nachdruck gesagt, klugerweise nur äußerst sparsam Gebrauch macht. Um die Länge zu kontrollieren, bleibt nichts anderes übrig, als dass Sie den Text laut vorsprechen, mit der Stoppuhr in der Hand. Der sprachliche Duktus darf niemals erkennen lassen, dass es sich um einen geschriebenen Text handelt, der vorgelesen wird (auch wenn natürlich genau das der Fall ist). Der Benutzer muss das Gefühl haben, jemand spreche mit ihm, wie man eben miteinander spricht. Nehmen Sie sich ein Beispiel an Informations- oder Featuresendungen im Radio (wenn wir von jenen selten gewordenen Radiostationen ausgehen, die einen Wortanteil von mehr als 37 Sekunden pro Stunde noch für zumutbar erachten). Jenes Kriterium, das bei einer Umfrage, was einen Text denn eigentlich einfach mache, wohl den ersten Preis erränge, kommt dabei freilich kaum in Betracht: kurze Sätze nämlich. Kurze Sätze sind für die gesprochene Sprache alles andere als typisch, und beim Schreiben erlaubt man sich beinahe niemals so lange Satzkonstruktionen wie in der Alltagskommunikation. Nein, nicht auf die Kürze kommt es an, sondern auf den simplen Satzbau: Relativ wenige Nebensätze, die immer an genau die Stelle des Hauptsatzes geschoben werden, an der ihre Entschlüsselung die geringsten Probleme bereitet – und die niemals ineinander verschachtelt sind.

Kapitel 6 – Audiotexte 97

Gar kein Problem, sondern ausdrücklich erwünscht sind Wortwiederholungen. In der Schriftsprache gelten sie mit vollem Recht als schwerer stilistischer Fehler; in der gesprochenen Sprache hingegen (zu der die Audiotexte eindeutig zu zählen sind) erfüllen sie eine wichtige Funktion für die bessere Textverständlichkeit. Alle typisch schriftsprachlichen Ausdrücke und Satzkonstruktionen sind verpönt. Der Maßstab sind stets die Radionachrichten: Lesen Sie den Text, den Sie geschrieben haben, laut vor – und überlegen Sie ehrlich, ob er in dieser Form im Radio denkbar wäre. Was im Übrigen die Argumentation anlangt, halten Sie sich an die »Inhaltlichen Regeln« für die Wandtexte.*

* Siehe ➔ Kapitel 4, S. 65f.

Apropos Radio: Auch Audioguides und Audiostationen müssen nicht zwangsläufig nur Texte präsentieren – wie in einem Radiofeature können Sie zusätzlich Musik, Geräusche oder historische Tonaufnahmen verwenden, um Stimmungen zu vermitteln. Interviewausschnitte lassen sich zum Beispiel in Ausstellungen zeitgenössischer Kunst hervorragend einsetzen, um den Besuchern den Künstler näher zu bringen. Texthierarchien Auch bei Audioguides gibt es verschiedene Textebenen**, ganz wie bei den Wandtexten. Dabei können Sie sämtliche Hierarchiestufen verwenden (Objekttexte, Objektgruppentexte, Bereichstexte, Saaltexte, Abteilungstexte); solange nur in der Ausstellung jeweils an der richtigen Stelle kenntlich gemacht wird, wo es einen Hörtext gibt und unter welcher Nummer er abrufbar ist, bleibt die Sache übersichtlich. Der Audioguide bietet sogar besonders gute Möglichkeiten, die verschiedenen Textebenen miteinander zu verbinden: Wenn Sie in einem Audio-Objekttext das Wort »Früh-

** Siehe ➔ Kapitel 3

Kapitel 6 – Audiotexte 98

expressionismus« verwenden, fügen Sie einfach am Ende des Textes den Hinweis an: »Wenn Sie mehr über den Frühexpressionismus erfahren wollen, drücken Sie Nr. soundso« – so leiten Sie den Benutzer zum entsprechenden Bereichs- oder Saaltext (den er an der im Ausstellungsraum markierten Stelle vielleicht nicht abgerufen hat), und zwar besser als bei den Wandtexten (dort muss man die gesuchte Texttafel erst einmal wiederfinden).

Tipp: Nach demselben Schema kann man bei den Audioguides sogar eine zusätzliche Ebene von Texten mit Detailinformationen einziehen, die im System der Wandtexte keinen Platz hätten – abermals unter einer eigenen Nummer abzurufen, die jedoch nicht unbedingt im Ausstellungsraum angezeichnet sein wird (dort hat dieser Text ja keine direkte Entsprechung). Die Auswahl der Sprecher Wie im Radio müssen schließlich auch die Sprecherinnen und Sprecher klingen. Die besten Audiotexte werden völlig ruiniert, wenn sie (wie es nur allzu oft geschieht) von Nicht-Profis vorgelesen werden, denen man bei jedem Satz anmerkt, wie sie vom Blatt buchstabieren. Der Tonfall von Schulfunksendungen ist zu meiden. Beharren Sie darauf, dass Radiosprecher oder Schauspieler engagiert werden – sonst sparen Sie definitiv am falschen Fleck. Sinnvoll ist es außerdem, nicht den regionalen SprachChauvinismus der Besucher anzustacheln: Schweizer Sprecher in deutschen Ausstellungen, deutsche Sprecher in österreichischen lösen Ablehnung aus. Audioguides sollten sich an die lokale Sprachfärbung halten, um sympathisch zu wirken.

Kapitel 6 – Audiotexte 99

Der ideale Ort für Zitate Da Audiotexte, wie erwähnt, viel länger sind als Wandtexte, enthalten sie natürlich auch mehr Information (wenn auch nicht proportional mehr: Sie dürfen nämlich nie zu »dicht« sein, sonst können die Zuhörer ihnen nicht folgen). Und dieses Mehr an Information wird man nutzen, um hier Details unterzubringen, für die in den Wandtexten einfach kein Platz bleibt. Es wird auch ausdrücklich erwartet, dass die Audiotexte anderes bieten als die Wandtexte; wenn sie genau dasselbe erzählen, nur mit anderen Worten (ein Kardinalfehler, der in einer Unzahl von Ausstellungen begangen wird), fühlen sich die Besucher auf den Arm genommen, besonders dann, wenn sie für den Audioguide extra bezahlt haben. Vor allem sind Audioguides der ideale Ort, um Zitate einzusetzen. Für Wandtexte eignen sich Zitate nur sehr, sehr eingeschränkt, weil sie sich zumeist nicht in das Schema einfügen lassen, nach dem jede Zeile einer Sinneinheit zu entsprechen hat: Wenn irgendeine Sinneinheit im jeweiligen Zitat mehr Anschläge hat als Ihre Druckzeilen, ist das Zitat schon nicht mehr zu gebrauchen. Audioguides hingegen gewinnen durch Zitate ungemein. Voraussetzung: Sie brauchen zwei Sprecher – einen für den Fließtext, den zweiten für die Zitate. Vorgegebene Marschrouten Im Klaren müssen Sie sich darüber sein, dass der Audioguide eine Vorselektion der Exponate vornimmt. Selbstverständlich könnte der Besucher zu jenen Objekten, zu denen es keinen Audiotext gibt, auf die Wandtexte zurückgreifen; er wird es aber erfahrungsgemäß nicht tun. Das lässt sich jedoch kreativ nutzen: für spezielle Themenführungen, als Alternative zu den themenbezogenen Kurzführern in Schriftform, die wir vorgeschlagen haben*, also beispielsweise um in einem technischen Museum die Erfindungen

* Siehe ➔ S. 87

Kapitel 6 – Audiotexte 100

aus den USA quer durch das ganze Haus zu einer Führung zusammenzustellen, oder in einem Kunstmuseum die Landschaftsbilder. Ein weiterer Vorteil: Audioguides lassen sich in verschiedenen Sprachen anbieten, auch in solchen, in denen es in Ihrem Haus keine Führungen gibt.

Materialien ➔ Umsetzungsbeispiele: Audiotexte, S. 101 ➔ Leitfaden: Audiotexte, S. 108

Kapitel 6 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 101

Umsetzungsbeispiele: Audiotexte Beispiel 1 Unterschiede im Informationsgehalt zwischen Wandtext und Audiotext Aus dem Technischen Museum Wien finden Sie im Folgenden: die Vorlage des Kurators (der wusste, dass seine Texte neu formuliert werden); den Wandtext; und zum selben Thema den ungleich längeren und ausführlicheren Audiotext. Sie werden feststellen, dass der Audiotext sogar mehr Informationen bietet als die ursprüngliche (sehr lange!) Vorlage des Kurators.

Kapitel 6 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 102

Vorlage Steinway-Flügel mit Selbstspieleinrichtung Das Instrument kam 1969 vom Kurhaus Semmering in einem desaströsen Zustand ins Technische Museum. Es war scheints [sic!] lange Zeit als Salonklavier im Kurhaus in Betrieb, litt unter russischer Besatzung und landete wahrscheinlich (den Schadensspuren zufolge) auf einem Schutthaufen. Nach eingehender Untersuchung stellte sich jedoch heraus, dass das Instrument aufgrund seiner Erscheinungsform und seines Alters innerhalb der Museumslandschaft so bedeutend war, dass der Entschluss zu einer gründlichen Restaurierung 1995 gefasst wurde. Der Flügel stammt aus dem Jahr 1913 und ist der derzeit einzig erhaltene in gekalkter Eichenoberfläche. Der Einbau der Selbstspieleinrichtung von Welte erfolgte 1915, es handelt sich um das System »rot«. Da die Gebläsekiste fehlte, wurde eine passende nach einem Vorbild im Instrumentenmuseum Utrecht rekonstruiert. Auch der Deckel und das Notenpult fehlten und konnten historischen Vorbildern gerecht rekonstruiert werden. Selbstspieleinrichtungen an Klavieren gibt es seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Sie waren zuerst rein mechanisch, d.h. dass die Tasten über Hebelglieder angeschlagen wurden, die über Kartonstreifen oder bestiftete Holzlatten (Planchetten) betätigt wurden. Um die Jahrhundertwende begann man die Druckluftsteuerung, die vom Orgelbau her schon bekannt war, mit einer Lochstreifensteuerung zu verbinden und auf das Klavier zu übertragen. Dabei wird jeder Taste der Klaviatur ein Loch auf einem Papierstreifen zugeordnet, die Tasten werden über einen kleinen Balg, der meist über Saugluft betätigt wird, angeschlagen. Die Selbstspieleinrichtung in Welte-Flügeln besitzt darüber hinaus eine Regelvorrichtung für Lautstärke und Dynamik, die 1904 zum Patent angemeldet wurde. Berühmte Pianisten der Zeit zwischen 1905 und 1925 bespielten Tausende von Rollen, sodass ein großes Repertoire authentischer Interpretationen dieser Zeit in hervorragender Wiedergabequalität vorliegen [sic!]. Insofern handelt es sich bei dieser Art mechanischer Instrumente keineswegs um Spielereien oder Kuriositäten, sondern um musikwissenschaftlich bedeutende Dokumente und zugleich die ersten bespielten Tonträger, die es gibt. Da die Instrumente zur Wiedergabe sehr teuer waren, blieb die Verwendung auf gut situierte Kreise und Gaststätten beschränkt. Es verwundert daher nicht, dass die Instrumente bald vom Plattenspieler verdrängt wurden. Erst in den letzten Jahren erfreuen sie sich großer Beliebtheit und erzielen bei Auktionen hohe Preise. Es werden für Sammler auch wieder Notenrollen nach- und neugestanzt.

Kapitel 6 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 103

Wandtext Steinway-Flügel mit Selbstspieleinrichtung Dieser Flügel erhielt 1915 eine Selbstspieleinrichtung: Er kann Musikstücke automatisch so wiedergeben, wie sie vorher ein Pianist aufgenommen hat. Jeder aufgenommene Ton entspricht einem Loch in einem Papierstreifen. Der Papierstreifen steuert ein Druckluftsystem, das die Tasten des Klaviers anschlägt. Diese selbst spielenden Flügel nach dem »System Welte« boten erstmals die technische Möglichkeit zu künstlerisch zufrieden stellenden Klavieraufnahmen.

Kapitel 6 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 104

Audiotext Was Sie hier sehen, ist kein gewöhnlicher Konzertflügel. Nicht nur, dass er von der weltberühmten Firma Steinway hergestellt wurde; er besitzt vor allem eine Selbstspieleinrichtung, das heißt, seine Tasten werden nicht von einem Pianisten gespielt, sondern automatisch. Der Flügel stammt aus dem Jahr 1913; zwei Jahre später wurde die Selbstspieleinrichtung eingebaut. Er war viele Jahre im Kurhaus Semmering in Betrieb. Als er 1969 in den Besitz des Technischen Museums kam, war er in katastrophalem Zustand. Wegen seines großen Seltenheitswerts wurde er aber aufwändig restauriert. Fehlende Teile wurden originalgetreu nachgebaut. Die Selbstspieleinrichtung kombiniert eine Lochstreifensteuerung mit einem Druckluftsystem. Bei der Aufnahme des Musikstückes werden Löcher in einen Papierstreifen gestanzt, für jeden Ton ein Loch. Beim Abspielen steuern diese Lochstreifen, in welcher Reihenfolge und wie lange die Tasten angeschlagen werden. Dies geschieht mit Hilfe von Druckluft. Bei jeder Taste des Klaviers gibt es einen kleinen Blasebalg, der mit Luft gefüllt ist. Die Taste wird gespielt, indem die Luft aus dem Balg abgesaugt wird. Die Selbstspieleinrichtung dieses Flügels ist das so genannte »System rot«, ein Patent, das von einem Erfinder namens Welte im Jahr 1904 angemeldet wurde. Das Besondere am Welte-System ist, dass auch die Lautstärke und die Dynamik exakt so wiedergegeben werden, wie der Pianist bei der Aufnahme gespielt hat. Die Bedeutung der selbst spielenden Klaviere war deswegen so groß, weil sich die frühe Schallplattentechnik für Klavieraufnahmen fast nicht eignete. Die berühmtesten Pianisten und Komponisten bespielten also von 1905 bis 1925 Tausende von Papierrollen für Welte-Flügel, so etwa Max Reger, Claude Debussy, Eugen d’Albert, Wladimir Horowitz oder Wilhelm Backhaus. Von vielen Künstlern gibt es überhaupt keine Schallplatten, sondern nur die Welte-Rollen, die daher als musikgeschichtlich bedeutende Dokumente gelten dürfen.

Kapitel 6 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 105

Mit Welte-Flügeln wurden in der Provinz, wo die berühmten Pianisten niemals hingekommen wären, sogar Konzerte veranstaltet. Und es gab für diese Klaviere eigene Kompositionen, die so schwierig waren, dass sie kein Pianist hätte spielen können.

Kapitel 6 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 106

Beispiel 2 Ein Audiotext mit Zitaten (zu lesen von zwei Sprechern) aus der Österreichischen Galerie Belvedere Lovis Corinth Dame am Goldfischbassin (Die Gattin des Künstlers), 1911 Lovis Corinth war ein spontaner Maler: Situationen, die ihm gefielen, hielt er möglichst sofort in einem Bild fest. Hier zeigt er seine Frau Charlotte in ihrem Lieblingszimmer, in ihrer Leseecke, die nach ihren eigenen Plänen ausgestattet war: mit möglichst vielen Pflanzen, dem Aquarium und der Bronzefigur einer »Wasserträgerin«. Corinths Darstellung lässt nicht nur die Liebe zu seiner Frau erkennen, sondern auch wie sehr ihm die gemeinsame Wohnung ans Herz gewachsen war. Liebevoll porträtiert er jedes Detail, meisterhaft erfasst er die architektonische Situation in dem Hauseck und das warme Licht der Nachmittagssonne. Corinth malte von seiner Frau rund 80 Porträts. Über die Entstehung dieses Bildes hier gibt es von Charlotte einen ausführlichen Bericht: »Still saß ich. Von der Straße her hörte ich die Stimmen der Portierkinder, die vor dem Haus spielten. Um mich im Raum war das Schweigen einer schöpferischen Stunde. Ich beherrschte mich, nicht vom Buche hochzublicken und zu Lovis hinzusehen, obwohl ich es so unendlich liebte, sein Gesicht anzusehen, welches, während er malte, den herrlichen Ausdruck des Entzückens trug und zugleich die gehaltene Kraft äußerster Konzentration. Nach langer Zeit der schweigsamen Arbeit hörte ich seine Stimme: ›Petermannchen, wenn Du eine Pause machen willst, dann...‹ ›Dann mach lieber keine Pause...‹, vollendete ich seinen Satz. Er lachte: ›Na ja, offengestanden, wenn Du es noch so aushalten könntest, das wäre mir lieb. Es ist nämlich eine geradezu reizende Sache, so wie Du und das alles aussieht. Ich möchte bei diesem Bilde gerne in die Einzelheiten gehen, es weit ausführen.‹ Lovis malte vier Tage an dem Bilde. Er ließ sich Zeit, weil er, wie er sagte, die Einzelheiten so reizvoll fand. Wann immer ich später das Bild wiedersah, empfand ich den Zauber jener Stunden.«

Kapitel 6 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 107

Beispiel 3 Ein Audio-Saaltext aus demselben Museum Die Historienmalerei Seit 1804 trugen die Habsburger einen neuen Titel: Sie nannten sich nun »Kaiser von Österreich«. Das Heilige Römische Reich, dessen Kaiserkrone sie bisher getragen hatten, lösten sie 1806 auf; es war durch die Napoleonischen Kriege völlig zerrüttet. Die neue österreichische Kaiserwürde verlangte nach Propaganda. Darum wurden die Historiker angehalten, die Geschichte neu zu schreiben; sie sollten betonen, wie sehr die Habsburger mit ihren österreichischen Kronländern verbunden waren. Auch die Maler wandten sich der Darstellung bedeutender Themen aus der Geschichte zu; diese so genannte Historienmalerei nahm einen großen Aufschwung. Auch Anspielungen auf aktuelle Ereignisse waren dabei gern gesehen. Die beliebtesten Helden der Historienmalerei waren selbstverständlich die berühmten Habsburger. Zum Beispiel sehen Sie in diesem Raum das Bild »Rudolf von Habsburg und der Priester« von Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld und das Bild »Kaiser Maximilian in der Martinswand« von Moritz von Schwind. Zu allen Zeiten gab es auch Historienmaler, die in ihren Bildern den Herrscher verherrlichten, der gerade an der Macht war. Besonders effektvoll gelangen solche aktuellen Motive dem Franzosen Jacques Louis David, der am Ende des 18. Jahrhunderts Ereignisse aus der Französischen Revolution malte. Bei David in Paris studierte zwei Jahre lang der Deutsche Johann Peter Krafft, der später in Österreich lebte und arbeitete. Wie für seinen Lehrer David war auch für Krafft die Historienmalerei nur dann von Interesse, wenn sie einen Bezug zur Gegenwart hatte. Krafft zeigte in seinen Bildern gerne auch das Volk, wie zum Beispiel beim »Einzug Franz’ I. nach dem Pariser Frieden 1814 in Wien«. Die zentrale Figur des Kaisers ist von einer jubelnden Menge umgeben. Solche Bilder waren natürlich ganz im Sinne des Herrscherhauses, denn sie zeigten die Beliebtheit des Kaisers bei seinem Volk.

Kapitel 6 – Materialien: Leitfaden 108

Leitfaden: Audiotexte 1. Textdauer: Maximal eine Minute, nur bei ganz wenigen, besonders wichtigen übergeordneten Texten zwei Minuten. 2. Sprache: a. Duktus von geschriebenen Texten unbedingt vermeiden. b. Vorbild: Radionachrichten und -features. c. Radikal einfacher Satzbau, lange Sätze jedoch erlaubt. d. Wortwiederholungen erlaubt und erwünscht. e. Passivkonstruktionen erlaubt. f. Inhaltlicher Aufbau/Argumentation wie bei Wandtexten. 3. Texthierarchien: a. Verknüpfung der Textebenen durch »Links« zu übergeordneten Texten sicher stellen. b. Eine Ebene mehr als bei Wandtexten erlaubt: Texte mit Detailinformationen, die eigens aufrufen kann, wer mag. 4. Sprecher: a. Müssen Top-Profis sein. b. Sollten keine allzu »fremde« regionale Sprachfärbung haben. 5. Inhalt der Audiotexte: a. Unbedingt ausführlicher als Wandtexte. b. Der ideale Ort für Zitate; Voraussetzung: zwei Sprecher. 6. Vorselektion durch Audioguide: a. Besucher, die einen Audioguide benützen, nehmen nur mehr die darin behandelten Objekte wahr. b. Dies lässt sich positiv nützen: zur Zusammenstellung spezieller »Marschrouten«. 7. Hervorragend geeignet als Ersatz für fremdsprachige Führungen.

Kapitel 7 – Internettexte 109

Die elektronische Visitenkarte – Ein Bild sagt mehr als 100 Worte EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER Das Internet ist ein visuelles Medium. Mehr noch als für Ausstellungen gilt hier, dass sich die Texte auf keinen Fall in den Vordergrund drängen dürfen; die Botschaft muss in erster Linie durch die Fotos und die grafische Gestaltung vermittelt werden. Die Texte, die als Informationsträger gleichwohl unverzichtbar sind, haben auf das Äußerste reduziert zu sein. Sonst reagieren die Nutzer (genannt: »User«) mit einem Mausklick – und verlassen die Seite. Virtuelle Ausstellungen, die eigens für das World Wide Web zusammengestellt werden, könnten in Zukunft durchaus ihre Bedeutung für Museen gewinnen. Vorläufig allerdings stecken sie noch in den Kinderschuhen, und wir beschränken uns daher auf die Auseinandersetzung mit solchen Internetauftritten, die der Werbung für real existierende Museen und Ausstellungen dienen. Trotzdem betrachten wir diese Websites nicht als klassische Werbung in der Art von Inseraten oder Plakaten; denn sie ermöglichen es – vorausgesetzt, dass sie gut gestaltet sind –, weit höheren Ansprüchen gerecht zu werden. Sie können (und sollen) eine Art »Abstract« der Ausstellung darstellen; eine elektronische Visitenkarte, die die Ideen, die Ästhetik und die didaktischen Absichten der Ausstellung widerspiegelt. Dies allerdings hat in einer Form zu geschehen, die dem Medium Internet entspricht: Und das heißt, wie gesagt, sich auf die visuellen und technischen Möglichkeiten zu stützen, die das Netz bietet, und erst in vierter oder fünfter Linie auf Texte. Interaktive Seiten für aktive User Unbedingt (diese Abschweifung vom Thema Texte sei hier gestattet) müssen spielerische Elemente eingebaut werden: Die Attraktivität des Internet liegt insbesondere darin, dass es interaktiv ist, und die Userinnen und User messen die Qualität einer Seite daran, wie geschickt sie dem Rechnung

Kapitel 7 – Internettexte 110

trägt. Da muss es möglichst viel anzuklicken geben, die Oberfläche muss sich verändern, wenn man mit der Maus über einzelne Elemente fährt, und so weiter. Daraus folgt keineswegs, dass das Ziel die Ästhetik eines Computerspiels ist, bei dem alles hysterisch blinkt und piepst, Leuchtkugeln in Neonfarben über den Bildschirm hüpfen und Ähnliches. Ganz im Gegenteil: Auch im Internet ist wirklich elegantes Design durchaus möglich – es ist nur nicht leicht, einen Webdesigner zu finden, der dazu fähig ist. Das Medium steckt noch immer in seinen Anfängen, und das merkt man leider insbesondere am erschreckenden Mangel an wirklich qualifizierten Dienstleistern. Auch darf die interaktive Gestaltung der Website kein Selbstzweck sein; jede Anwendung muss ihren Sinn haben. Der User soll seine Maus dort benützen, wo es Informationen zu holen gibt, wo er weiter in die Tiefe vordringen kann, Bilder vergrößern etwa – oder Texte abrufen. Zum Beispiel kann man die Fotos von Exponaten der jeweiligen Ausstellung so programmieren, dass der (kurze!) Text, der sie erläutert, nur dann am Bildschirm auftaucht, wenn man mit der Maus über das Bild fährt: Wenn die Seite aufgeht, erscheint also nirgends ein Textblock, nur eine Beschriftung zu jedem Foto (wie die Objektkennung im Museum, nur viel kürzer, am besten nur ein Wort oder zwei) – und nur bei besonderem Interesse für dieses oder jenes Objekt besorgt sich der User aktiv die näheren Informationen dazu. So wird man den Erwartungen an das Medium Internet doppelt gerecht: erstens weil der optische Eindruck nicht durch Text gestört wird; zweitens weil ein interaktives Element eingebaut ist. Vorrangregeln im Internet: erst Bild, dann Text Wie verführerisch ist es doch, ins Internet lange, lange Texte zu stellen! Es ist ja Platz, soviel man will oder braucht, und man bringt auf jeder einzelnen Unter-Seite einer Website eine ganze Bibliothek unter. Allerdings ist der Einsatz von viel Text eine hundertprozentige Garantie für eine miserable Internetseite, die jeder fluchtartig sofort wieder verlässt. Gute Internettexte sind kurz; am besten ist

Kapitel 7 – Internettexte 111

es, wenn erst gar nicht die Notwendigkeit entsteht zu »scrollen«.1 Klar ist, dass so die Themen Ihrer Ausstellung nur grob umrissen werden; komplette Erklärungen haben keinen Platz. Ihre Website ist eben keine virtuelle Ausstellung, sondern soll nur auf die reale Ausstellung Lust machen. Das Wichtigste ist stets das Bild, es hat erkennbar im Zentrum zu stehen. Berücksichtigen Sie dies unbedingt beim Abfassen der Texte. Erstens darf es nie einen Text geben, der sich nicht auf eine Illustration bezieht. Zweitens legen Sie sich beim Schreiben das entsprechende Foto neben den Schreibblock oder die Tastatur und denken Sie daran: Die User haben dieses Bild ständig vor Augen, und sie interessieren sich zuerst für das Bild und dann erst für den Text. Nehmen Sie also auf das Bild Bezug, aber beschreiben Sie nichts, was ohnehin jeder selbst sieht. Formuliert werden die Texte im Internet einfach und griffig. Sogar ein gewisser umgangssprachlicher Touch schadet nicht; wir versteigen uns nicht zu der Behauptung, dass er notwendig sei, aber er passt jedenfalls gut zu den Usancen im Web. Hierarchieebenen – auch elektronisch Auch das Internet ist geeignet (ganz hervorragend geeignet sogar), mehrere Ebenen einzuziehen. Sie können jedes beliebige Wort in jedem Text als »internen Link« programmieren lassen, sprich: Man klickt darauf, und ein neuer Bildschirm oder ein neues Fenster öffnet sich, mit weiterführenden Informationen (das können und sollen außer Texten natürlich, um es nochmals zu betonen, auch Bilder sein). Zwar soll die Sprache von Internettexten möglichst einfach sein. Aber wenn Sie einmal einen Fachausdruck verwenden oder, besseres Beispiel, einen Namen, dann machen Sie daraus einen internen Link und geben Sie die Erklärung zur Person oder zum Begriff auf einer neuen 1 Eine Seite im Internet funktioniert wie eine Schriftrolle: Wenn sie länger ist als das, was auf einmal auf den Bildschirm passt, muss man »scrollen«; das bedeutet, die Schriftrolle weiter zu lesen, sprich: nach unten hin abzurollen.

Kapitel 7 – Internettexte 112

Ebene, vielleicht in einem kleinen Fenster (einem so genannten Pop-up-Fenster), das sich nur über einen Teil der geöffneten Seite legt, sodass der Text, von dem der User ausgegangen ist, sichtbar bleibt. Als Grundregel gilt: Auf den obersten Ebenen, auf denen mehr User unterwegs sind, ist weniger Text erlaubt, auf den unteren, wohin nur User mit größerem Interesse aktiv vordringen, darf es auch ein bisschen (wohl gemerkt: ein bisschen!) mehr sein.

Materialien ➔ Umsetzungsbeispiele: Internettexte, S. 113 ➔ Leitfaden: Internettexte, S. 123

Kapitel 7 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 113

Umsetzungsbeispiele: Internettexte Beispiel 1 Altsteinzeitliche »Venusstatuetten« aus der Niederösterreichischen Landesausstellung 2001, »Sein und Sinn« Wir geben eine Gegenüberstellung von Wandtexten aus der Ausstellung und den Internettexten zum selben Thema; dazu wieder die (für uns und nicht für die Besucher bestimmten) Rohtexte der Kuratorin. Internettexte sind allerdings ohne die visuelle Aufbereitung im Netz gröblich unvollständig; wir empfehlen daher dringend, die entsprechende Seite unter ➔ www.noe-landesausstellung.at/2001/ 5.html aufzurufen und dort auf den Link »Göttin oder Gartenzwerg?« zu klicken (das ist das unterste der drei kleinen Schwarz-Weiß-Fotos). Die Kuratorin, die mit dem Web sehr gut vertraut war, wählte selbst das Bildmaterial aus, das sie uns zur Verfügung stellte – und zwar mit einer ganz anderen Gewichtung als in der Ausstellung. Sie schlug vor, im Netz eine andere der prähistorischen Skulpturen ins Zentrum der Erklärung zu stellen als im entsprechenden Schauraum, und zwar – vorbildlich internetgerecht – weil ihr für die Website ein Bild am besten geeignet erschien, das in der Ausstellung nur am Rande vorkam (nämlich nur als Bildtapete): ein Gemälde aus dem 19. Jahrhundert, das reichlich phantasievoll die Herstellung der (in der Ausstellung präsentierten) steinzeitlichen Statuette imaginiert. Daraus folgt, dass dieselben Inhalte in den beiden Textsorten völlig anders gruppiert und dargestellt sind. Die Herstellung der Internetvariante blieb jedoch zur Gänze uns als Textern überlassen; die Rohtexte der Kuratorin beziehen sich nur auf die Argumentationslinie, die für die Wandtexte bestimmt war.

Kapitel 7 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 114

Vorlagen ......Nur dick und feminin?...... Menschliche Darstellungen der Eiszeit Fruchtbarkeit ist ein zentraler Wunsch des Menschen. Wir alle wissen, was wir uns darunter vorzustellen haben. Woran also denkt der moderne Mensch beim Anblick üppiger, nackter Frauenfiguren? Nacktheit und Körperfülle waren es jedenfalls, die die Frauenstatuetten der Eiszeit – sog. »Venusfiguren« – zu einem Sinnbild für Fruchtbarkeit bringende Muttergöttinnen werden ließen und etliche Forschergenerationen dazu veranlassten, erotische Fantasien über das »steinzeitliche Schönheits- und Mutterideal« zu entwickeln. Die großen Unterschiede im Aussehen der Figuren wurden bei diesen Interpretationen gerne übersehen. In einem Gebiet, das sich zwischen der französischen Atlantikküste und Sibirien erstreckt, wurden bisher ca. 200 Figuren aus der Altsteinzeit (Paläolithikum) gefunden. Sie stammen aus einem Zeitraum zwischen 30.000 und 10.000 Jahren vor heute. Nebeneinander betrachtet wird eines deutlich: Nicht alle Figuren sind dick, nackt und weiblich und lassen sich mit Fruchtbarkeit assoziieren. Mit großer Leidenschaft wird weiter versucht, die Botschaft der Figuren zu entschlüsseln und jeder Generation wird dabei ein Spiegel vorgehalten. Verschiedenste Gruppierungen machen die Statuetten zu Symbolen für ihre jeweiligen sozialen, religiösen oder politischen Interessen. Unzüchtig und schön Die erste eiszeitliche Figur wurde im Jahre 1864 in einer französischen Höhle in der Dordogne gefunden. Ihr Entdecker, der Marquis de Vibraye, taufte sie scherzhaft »Venus Impudique« – die unzüchtige Venus. Venus – ein Scherz? Der Marquis war sich sicher, mit dieser kleinen schlanken Figur das Schönheitsideal unserer Vorfahren entdeckt zu haben. Aber was für ein Ideal, verglichen mit der formvollendeten Venus von Milo! Den Forschern des 19. Jhs. erschienen die Eiszeitfiguren keineswegs als Kunstobjekte, und mit der Unzüchtigkeit war es ihnen bitter ernst. Nacktheit galt als Zeichen von Wildheit und Primitivität und als Beweis für die Sittenlosigkeit unserer Vorfahren.

Kapitel 7 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 115

Objekte der Begierde Die eigentliche Vorgängerin des »Venuslabels« mit großen Brüsten, breiten Hüften und Fettleibigkeit war Saartje Baartman, eine Buschmannfrau und sog. »Hottentottenvenus«. Sie wurde 1810 von Südafrika nach London gebracht. Ihre Fettsteißbildung übte eine unheimliche Faszination auf die Forscher des viktorianischen Zeitalters aus. WEIB OH WEIB! FETTES WEIB! SCHÖNES WEIB! – Eiszeitvenus!? Die nackten Frauendarstellungen der Eiszeit beeindruckten die männlichen Forscher dieser Generation durch ähnliche Reize. Andere Merkmale, wie die kurzen Arme und Beine wurden als krankhafte Veränderungen des Körpers gedeutet. Die Eiszeitvenus wurde so zur Ausdrucksform einer »unterentwickelten Rasse« erklärt. Kunst von und für Männer Religion und Kunst werden als wichtige Bestandteile altsteinzeitlichen Lebens gesehen. Aktiv nehmen aber nur Männer daran teil. Bis heute werden Frauen nie als Herstellerinnen der Statuetten gezeigt. Die Vision einer weiblichen Gottheit, die von den Jägern um Hilfe gebeten werden kann, ändert nichts an der Meinung über die Stellung der Frau in der Eiszeit. Frauen sind nur wichtig als Gebärende und für häusliche Aufgaben. So ist es auch heute noch weit gehend akzeptiert, dass viele der Figuren schwangere Frauen darstellen. Sind die Figuren wirklich alle weiblich? Betrachtet man die Statuetten nebeneinander fallen nicht nur Gemeinsamkeiten sondern auch Unterschiede auf: nicht alle sind fettleibig nicht alle sind nackt nicht alle haben ein bestimmbares Geschlecht

Kapitel 7 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 116

Wandtexte Fruchtbare Steinzeit-Phantasien Üppige, nackte Frauenfiguren ... Der moderne Mensch denkt sofort an Fruchtbarkeit und Sexualität. Die »Venusstatuetten« als angebliche Schönheits- und Mutterideale der Eiszeit erweckten die erotischen Phantasien ganzer Generationen von Forschern. Von der Göttin Venus zu sprechen, ist die prominenteste dieser Phantasien. Zwischen Atlantikküste und Sibirien kamen rund 200 dieser Figuren ans Licht, die 30.000 bis 10.000 Jahre alt sind. Ihre Funktion ist in Wahrheit ungeklärt. Die leidenschaftlichen Bemühungen, dem Rätsel auf die Spur zu kommen, haben bis heute große Konjunktur. Mehr als über die Figuren selbst sagen sie über die Interpreten und ihre Zeit aus.

Unzüchtig und schön Die Entdeckung der ersten Eiszeitvenus ereignete sich 1864 in einer Höhle in der Dordogne in Südwestfrankreich. Der Fund glückte dem Marquis de Vibraye, der sie »Venus Impudique« taufte, zu Deutsch die »unzüchtige Venus«. War es ein Scherz, von Venus zu sprechen, der strahlenden antiken Schönheitsgöttin? Nein: Der Marquis war sich sicher, das nackte Figürchen sei die Verkörperung des erotischen Ideals der Altsteinzeit. Mit der Unzüchtigkeit war es ihm ernst:

Kapitel 7 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 117

Die Hervorhebung der Geschlechtsteile war in seinen Augen ein Zeichen der primitiven Wildheit unserer Vorfahren.

Fettes Weib! Schönes Weib! Das Urbild der »Eiszeitvenus« war eine Frau aus Fleisch und Blut: Die Buschmannfrau Saartje Baartman, 1810 aus Südafrika nach London gebracht, wo sie mit ihrem starken »Fettsteiß«, einer auffälligen Gesäßvergrößerung, als so genannte »Hottentottenvenus« die männlichen Forscher enorm faszinierte. Ihr Fettsteiß war keine Missbildung: Bei den Saan (den »Buschmännern«) und den Khoikhoi (den »Hottentotten«) ist er regelmäßig zu beobachten. Die nackten Frauenfiguren aus der Eiszeit beeindruckten mit ganz ähnlichen Reizen. Ihre kurzen Arme und Beine hingegen galten als krankhafte Veränderungen des Körpers, und darin sah man im 19. Jahrhundert Zeichen einer »unterentwickelten Rasse«.

Kunst von und für Männer Zwar gibt es umfangreiche Theorien, dass die Menschen der Altsteinzeit eine Muttergottheit verehrt hätten. Trotzdem ähneln die gängigen Vorstellungen über die damalige Stellung der Frau allzu sehr den Gesellschaftsformen, die wir aus Neuzeit und Gegenwart kennen. Wer immer sich mit der Eiszeit befasst, geht davon aus, dass es Männer waren, die die Religion und Kunst bestimmten,

Kapitel 7 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 118

die auch die Venusstatuetten schufen. Die Frau erscheint in diesen Deutungen nur als Sexsymbol, Hausfrau und Mutter. War es wirklich schon in der Steinzeit so? Mit Sicherheit lässt sich nur sagen, dass nicht alle »Venus«-Figuren Frauen zeigen, dass nicht alle unbekleidet sind und dass nicht alle dick und »schwanger« sind, wie viele Wissenschaftler behaupten.

Kapitel 7 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 119

Internettexte 1. Ebene: Göttin oder Gartenzwerg? So entstand die »Venus von Dolnì Vestonice« – entstand sie so? Vermutlich nicht: Nachdem die kleine Frauenfigur aus der Altsteinzeit im 19. Jahrhundert in Südmähren gefunden worden war, fühlte sich ein tschechischer Maler von ihr zu diesem Gemälde inspiriert, das wohl mehr über seine erotischen Phantasien sagt als über die Steinzeit. Ähnliches gilt aber auch für die wissenschaftlichen Deutungen der zahlreichen – meist weiblichen – Figuren aus der Altsteinzeit. Schon die übliche Bezeichnung »Venusstatuetten« ist eine etwas gewagte Festlegung. Tatsächlich weiß niemand, ob es sich nun um Bilder von Göttinnen handelt oder um erotische Darstellungen, um Gartenzwerge oder Kinderspielzeug.

2. Ebene: (zur Venusstatuette: es öffnen sich drei weitere Bilder solcher Statuetten) Nackt und bekleidet, dick und dünn Circa 200 »Venusstatuetten« aus der Altsteinzeit wurden bisher gefunden. Sie sind 30.000 bis 10.000 Jahre alt und unterscheiden sich stark. Ein großer Teil zeigt deutliche weibliche Geschlechtsmerkmale, wie etwa die »Schwarze Venus von Dolnì Vestonice« oder die bekleidete, hochschwangere »Venus von Kostenki«. Aber es gibt auch andere Beispiele: Die »Venus von Mal’ta« etwa scheint in ein Fell gehüllt zu sein, und ob es sich tatsächlich um eine »Venus« oder aber um einen Mann handelt, ist unklar.

Kapitel 7 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 120

(zum Magier) Kunst von und für Männer Dass unser Maler einen Mann die »Venus« herstellen lässt, ist bezeichnend. Zwar knüpfen sich an die steinzeitlichen »Venusstatuetten« umfangreiche Theorien über den Kult einer Muttergottheit, ja sogar über ein Matriarchat – also eine Herrschaft der Frauen – bei unseren Vorfahren. Trotzdem geht die Forschung, nicht anders als der Maler, wie selbstverständlich von der eigenen Gegenwart aus: und setzt voraus, dass auch in der Steinzeit in Religion und Kunst die Männer die dominante Rolle spielten.

(zu den tanzenden Frauen) Die schamlose Venus Dass an vielen Frauenstatuetten aus der Steinzeit die Geschlechtsteile offen zu sehen sind, erschien den Betrachtern im 19. Jahrhundert anstößig, wild und primitiv – bezeichnenderweise zeigt unser Maler die Tänzerinnen als dunkelhäutig, den Magier hingegen als Weißen. Und doch war das 19. Jahrhundert von der Nacktheit dieser Frauen fasziniert. Die »Venusstatuetten« galten als unzüchtig, und trotzdem erhielten sie den Namen der Göttin der Schönheit und der Liebe: Venus.

Kapitel 7 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 121

Beispiel 2 Aus derselben Ausstellung ein Beispiel dafür, welche glänzenden technischen Möglichkeiten zur Präsentation eines Exponats das Internet bietet. Gehen Sie bitte abermals auf ➔ www.noe-landesausstellung.at/2001/5.html und klicken Sie diesmal auf das mittlere der drei Schwarz-Weiß-Bilder (»Bilderrätsel aus der Bronzezeit«). Wir beschränken uns hier auf den Abdruck der Internettexte; das Entscheidende an diesem Beispiel ist das Zusammenspiel von visueller Gestaltung, Programmierung und Text.

1. Ebene: Bilderrätsel aus der Eisenzeit Rund 2.500 Jahre alt sind die so genannten »Situlen«: Eimer aus Bronzeblech, deren exakte Verwendung nicht bekannt ist. Noch weniger wissen wir über die Szenen, mit denen die Situlen geschmückt sind: Sie zeigen offenbar Feste, Wettkämpfe, Liebespaare – aber was wollten die Künstler damit sagen? Schriftliche Aufzeichnungen gab es in der Eisenzeit noch nicht. Klar scheint nur eines: Die Situlenkunst bildet das Bedürfnis des Menschen nach sozialen Kontakten ab. Die Situlen stammen vor allem aus Slowenien und aus der Poebene. Die Situla von Vace, die hier zu sehen ist, gehört zu den prächtigsten Exemplaren. ^

2. Ebene: (Musikszene: mittlerer Streifen, dritte von links) Musik und Trank Die sitzende Person spielt auf einem Musikinstrument, einer so genannten Syrinx. Die andere Figur bietet der ersten zu trinken, aus einem Schöpflöffel. In der anderen Hand hält sie eine Situla – wahrscheinlich das Gefäß, in dem das Getränk aufbewahrt wurde. Es scheint sich um ein Ritual zu handeln, dessen Bedeutung wir nicht kennen.

Kapitel 7 – Materialien: Umsetzungsbeispiele 122

(zwei Faustkämpfer) Der Faustkampf Zwischen den beiden Kontrahenten ist auf einem Ständer ein Helm ausgestellt – anscheinend ein Siegespreis. Es dürfte sich also um einen sportlichen Wettkampf handeln. Eine Besonderheit der Situlenkunst sind die hantelförmigen Gegenstände, die die Männer in den Händen halten. Ihre Funktion ist unklar. (Szene rechts von den Faustkämpfern) Das Opferlamm Tiere mit Vögeln auf dem Rücken sind auf der Situla von Vace mehrmals zu sehen. Die Wissenschaft glaubt, dass es sich bei diesem hier um ein Opfertier handelt, das zum Altar geführt wird: Schließlich trägt die eine der beiden Personen, die vor dem Tier gehen, ein Beil auf der Schulter. ^

Kapitel 7 – Materialien: Leitfaden 123

Leitfaden: Internettexte 1. Technische Möglichkeiten des Mediums nützen, interaktive Elemente einbauen. 2. Im Zentrum steht immer das Bild, der Text ist nur Zutat und muss stark auf die Illustrationen, zu denen er gehört, Bezug nehmen. 3. Fassen Sie sich kurz, formulieren Sie so griffig wie möglich. 4. Hierarchieebenen sind technisch gut umzusetzen (interne Links).

Kapitel 8 – Fremdsprachige Texte 125

Ausstellungsbesuch auf Slowakisch – Minderheiten und Touristen als Zielgruppen EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER Ausstellungsbesuch in einer fremden Stadt: Alle Texte nur in der Landessprache, nicht einmal eine englische Übersetzung ist verfügbar. Wem das noch nie passiert ist, der war noch nicht, zum Beispiel, im Palazzo Grassi in Venedig (wo die italienischen Texte noch dazu abschreckend schlecht formuliert sind). Selbstverständlich erleben Menschen, die nicht oder nur mangelhaft Deutsch können, dasselbe umgekehrt in gar nicht wenigen deutschen oder österreichischen Ausstellungen. In einem kleinen Regionalmuseum wird man dies vielleicht tolerieren; in Museen von größerer Bedeutung und höherem Anspruch ist es nicht zu entschuldigen. Es muss nicht immer Englisch sein – Fremdsprachige Wand- und Objekttexte Nun müssen bei den Wand- und Objekttexten zwei Versionen – also Deutsch plus eine Fremdsprache – genug sein, wenn die Texttafeln nicht die eigentliche Ausstellung erschlagen sollen. Nirgends steht allerdings geschrieben, dass diese eine Fremdsprache (wie fast überall, wo die Wandtexte zweisprachig angeboten werden) Englisch sein muss. Entscheidend ist, welche Besucher die Ausstellung ansprechen wird – und welche sie ansprechen möchte. Im Osten Deutschlands wird sich also vielleicht eher Polnisch als zweite Sprache anbieten, in Kärnten Slowenisch (ausdrücklich auf die Gefahr hin, dass dabei ein paar volkstreue Kärntner Deutschtumsschützer der Schlag trifft). In Berlin oder in Wien wäre es zu begrüßen, wenn wenigstens bei bestimmten Ausstellungsthemen Texte in Türkisch oder Serbokroatisch affichiert würden.

Kapitel 8 – Fremdsprachige Texte 126

Kurzum: Denken Sie nicht nur an Touristen – und nicht nur an Touristen aus den »klassischen« Ländern wie Frankreich, Italien oder USA. Auch aus anderen Himmelsrichtungen kommen Urlauber; und auch Minderheiten, egal ob zugewandert oder »alt eingesessen«, wollen als Zielgruppen des Kulturbetriebs ernst genommen werden. Sage keiner, türkische Arbeitsmigranten gingen doch ohnehin nicht in Museen – schließlich lädt sie ja auch keiner dazu ein! Entsprechend übersetzte Ausstellungstexte hingegen wären eine sehr deutliche Einladung.

* Siehe ➔ Kapitel 4

Wandtexte auch in einer Übersetzung anzubieten, ist jedoch ein aufwändiges Unterfangen: Auch die Übersetzer müssen sämtliche Regeln für Wandtexte* einhalten; eine sehr eng am Originaltext orientierte Übersetzung wird dabei nicht durchwegs möglich sein. Das heißt: Man braucht erstklassige Übersetzer, die zudem mit den Ausstellungstextern eng kooperieren. Fremdsprachige Broschüren und Audiotexte Auf keinen Fall kann eine Fremdsprache allein die Bedürfnisse aller Besucher abdecken – je wichtiger das Museum oder die Ausstellung, desto weniger. Also müssen für alle weiteren Fremdsprachen andere Medien herhalten: entweder Broschüren oder Audiotexte.

** Siehe ➔ S. 86

Beides ist wesentlich leichter zu bewerkstelligen als Übersetzungen der Wandtexte. Bei Broschüren gilt: Wenn die Wandtexte in voller Länge übersetzt werden sollen, sind auch hier alle Regeln zu beachten. Wenn man hingegen in die Broschüre nur sehr kurze Texte druckt (fünf bis zehn nicht zu lange Zeilen), wenn man also die Wandtexte stark verknappt, eher nacherzählt als übersetzt – dann fällt die am schwierigsten zu beachtende Regel weg, die besagt, dass jede Zeile exakt einer Sinneinheit entsprechen muss.**

Kapitel 8 – Fremdsprachige Texte 127

In Audiotexten kann man nach Herzenslust alle Informationen auch in den fremdsprachigen Versionen wiedergeben; und die Übersetzer haben es vergleichsweise leicht: Die Regeln für Audiotexte* bieten für Menschen mit souveräner Sprachbeherrschung (und dazu sollten Übersetzer doch gehören) weit geringere Schwierigkeiten, und auch die Textlänge ist bei weitem flexibler. Der Stolperstein liegt woanders: Die Auswahl der Sprecher, der bei Audioführungen höchste Bedeutung zukommt, könnte sich bei manchen Fremdsprachen etwas komplizierter gestalten. Natürlich braucht man native speakers; und stets müssen die Sprecher das Niveau von – hervorragenden! – Schauspielern oder Radiomoderatoren haben. Wenn Sie fremdsprachige Texte ausschließlich über Broschüren oder Audioguides anbieten (und überhaupt nicht affichieren), werden Sie sich übrigens mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ausstellungsarchitekten zu Freunden machen: Doppelt so viele oder doppelt so große Texttafeln sind nicht überall leicht unterzubringen. Ob man lieber Broschüren oder lieber Audioführungen anbietet, und in wie vielen Sprachen, das sind vor allem Geldfragen. Bei Audioguides kommt es vor allem auf das technische System an, das man wählt: Wenn jedes Gerät (wie bei den meisten Firmen) nur einen Datenträger enthält, muss man für jede Sprache eigene Geräte anschaffen. Wenn jedoch der Hersteller die technische Möglichkeit bietet, mit ein und demselben Gerät über mehrere Kanäle (per Funk) Texte zu empfangen, genügt eine Garnitur Geräte für sämtliche Sprachen; bis zu 31 Sprachen pro Gerät sind so – laut Herstellerangaben – heute möglich.

Materialien ➔ Leitfaden: Fremdsprachige Texte, S. 128

* Siehe ➔ Kapitel 6

Kapitel 8 – Materialien: Leitfaden 128

Leitfaden: Fremdsprachige Texte 1. Zielgruppen: Zielgruppen festlegen: Welche Touristen, welche Minderheiten wird/soll die Ausstellung ansprechen? 2. Wandtexte: a. Übersetzung: nach allen Regeln der Wandtext-Kunst, also sehr anspruchsvoll. b. Einsatzmöglichkeit: nicht mehr als eine Fremdsprache. c. Kosten: Übersetzer, Herstellung der Texttafeln. 3. Broschüren: für jede Sprache eine eigene Broschüre! a. Übersetzung: genauso schwierig wie bei Wandtexten, falls diese in voller Länge übersetzt werden sollen; einfacher, falls sie auf fünf bis allerhöchstens zehn Zeilen gekürzt werden (siehe ➔ S. 86). b. Einsatzmöglichkeit: an sich unbegrenzt, je nach finanziellen Möglichkeiten. c. Kosten: Übersetzer, Druck. 4. Audiotexte: a. Übersetzung: vergleichsweise einfach, Textlänge recht flexibel. b. Einsatzmöglichkeit: an sich unbegrenzt, je nach finanziellen Möglichkeiten. c. Kosten: Übersetzer, Sprecher, Tonstudio – für jede Sprache extra; starke Kostenunterschiede je nach technischem System der Geräte: Braucht man für jede Sprache eigene Geräte oder genügt ein und dasselbe Gerät für alle Sprachen?

Kapitel 9 – Arbeitsorganisation 129

Füße weg von fremden Zehen! Die 11 Arbeitsschritte zu professionellen Texten EVELYN DAWID & ROBERT SCHLESINGER Die Arbeitsorganisation ist stets von entscheidender (und zwar für die Qualität entscheidender) Bedeutung, wenn die Arbeit verschiedener Spezialisten koordiniert werden muss. Umso mehr auf neuen Gebieten, auf denen es noch relativ wenig Erfahrungswerte gibt; und ein solches Gebiet ist im deutschen Sprachraum die professionelle Erstellung von Museumstexten. Um Teamwork im engeren Sinne handelt es sich nicht. Zwar mag es ein Team von Textern geben oder, noch wahrscheinlicher, ein Team von Kuratoren; aber Architekten, Grafiker, Kuratoren und Texter bilden gemeinsam kein Arbeitsteam, ihre Beiträge zum gemeinsamen Projekt müssen vielmehr ineinander greifen wie Zahnräder. Das macht die Koordination noch komplizierter. Die Rolle der Veranstalter Eine Herausforderung stellt dies insbesondere für die Veranstalter dar, zum Beispiel für die Direktion des jeweiligen Museums. Dort muss es unbedingt einen Letztverantwortlichen geben, der den gesamten Prozess der Texterarbeitung begleitet – nicht als »Anstandswauwau«, der entscheidet, ob es im Übersichtstext zu Saal 14, Zeile 7, »aber« oder »jedoch« heißen soll, sondern als Moderator und Organisator, der auf die Einhaltung der Termine achtet und den einzelnen Mitarbeitern die gröberen Hindernisse aus dem Weg räumt, falls es welche gibt (irgendwann wird es vermutlich welche geben). Es ist von essentieller Bedeutung, dass diese letztverantwortliche Person, dass die Veranstalter generell hinter dem Projekt der professionellen Texterarbeitung wirklich aus ganzem Herzen stehen; denn Widerstände gibt es dagegen (verstößt es doch immer noch gegen die Gepflogenheiten in der deutschsprachigen Museumslandschaft) ohnehin meist genug.

Kapitel 9 – Arbeitsorganisation 130

Der konkrete Ablauf Man kann kaum früh genug beginnen, die Planung der Texte in Angriff zu nehmen. Traditionell gehören die Texte zwar eher zu den letzten Dingen, die bei der Vorbereitung einer Ausstellung an die Reihe kommen; tatsächlich aber müssten sie zu den ersten gehören. Es ist dabei unbedingt sinnvoll, die Texter von Anfang an einzubinden. Der im Folgenden skizzierte Arbeitsablauf gilt ganz unabhängig davon, ob man mit externen oder mit im eigenen Haus angestellten Texterinnen und Textern arbeitet. Schritt 1: Die Auswahl der Textmedien Die Entscheidung, welche Textmedien in einer Ausstellung zum Einsatz kommen, ist als eine der allerersten der gesamten Planung zu treffen: Werden Wandtexte affichiert oder stattdessen lieber Broschüren an die Besucher verteilt? Soll es Audioguides geben? Audiovisuelle Stationen? Handouts? Lesezonen? All das ist eine Frage des Budgets – und daher zu konzipieren, bevor alles Geld bereits verplant ist und für die Texte nur mehr Brosamen abfallen. ➔ Die Entscheidung liegt bei: der wirtschaftlichen Betriebsführung, den Museumspädagogen, den Kuratoren und den Architekten; die Texter sind zu konsultieren.

* Siehe ➔ S. 13ff.

Schritt 2: Die Entscheidung über Evaluationen Ebenfalls bereits jetzt ist zu klären, ob die Texte evaluiert werden sollen (was in der Regel nur für Dauerausstellungen in Frage kommen dürfte, aus Kostengründen); und wenn ja, ob im Voraus oder im Nachhinein.* Präzise zu definieren ist die Fragestellung und damit das genaue Ziel der Evaluation, ferner die Methoden der Durchführung und nicht zuletzt, an wen der Auftrag gehen soll. Hier ist die Hilfe externer Spezialisten meist unerlässlich. Klar ist, dass eine Vorab-Evaluation ihre Zeit braucht; dementsprechend früh muss eben die Entscheidung darüber fallen.

Kapitel 9 – Arbeitsorganisation 131

Eine Evaluation im Nachhinein bedeutet hingegen, dass die Texttafeln auswechselbar sein müssen; und das ist dem Architekten rechtzeitig, also sehr früh, mitzuteilen. ➔ Die Entscheidung liegt bei: der wirtschaftlichen Betriebsführung; zu konsultieren sind Kuratoren, Museumspädagogen und Texter. Schritt 3: Die Festlegung der Hierarchieebenen Wie viele und welche Hierarchieebenen* es bei den Texten (egal ob Wand- oder Audiotexte) geben soll, ist eine weitere Entscheidung, die schon sehr früh ansteht. Die Kuratoren brauchen zu diesem Zeitpunkt noch kein detailliertes Konzept zu haben; ein Überblick über die Situation in den Ausstellungsräumen und die Aufteilung der einzelnen Themenbereiche genügt. Zum Beispiel: Wird es in jedem Saal nur ein – eher eng umrissenes – Thema geben? Dann kommt man mit dem Saaltext aus und braucht keine Bereichstexte. Die Festlegung der Hierarchieebenen sollte geschehen, noch bevor die Architekten ihre Rohentwürfe liefern, damit sie sich möglichst bald ein Bild davon machen können, welche Menge an Texttafeln sie unterzubringen haben. ➔ Die Entscheidung liegt bei: den Kuratoren und den Textern gemeinsam. Schritt 4: Die Festlegung der einzelnen Texte An Hand des Rohentwurfs des Architekten und des – mittlerweile schon recht weit gediehenen – Konzepts der Kuratorinnen und Kuratoren gilt es als Erstes, Raum für Raum, Wand für Wand, Objektgruppe für Objektgruppe festzulegen, wohin welcher Text zu welchem Thema kommt. Das geschieht in einem (hoffentlich fruchtbaren) Diskussionsprozess: Die Kuratoren bringen ihre inhaltliche Kompetenz ein, die Architekten ihre visuelle – und die Texter achten auf die logische Strukturierung des Textsystems und vor allem darauf, dass es in der Ausstellung insgesamt nicht zu viel Text gibt.

* Siehe ➔ Kapitel 3

Kapitel 9 – Arbeitsorganisation 132

Wichtig: Unbedingt nötig, damit dieser Schritt (der zu den wichtigsten gehört) gelingt: Alle Beteiligten müssen die Ausstellungsräume kennen und nicht etwa nur Pläne (wie es bei Veranstaltungsorten, die nur ausnahmsweise für Ausstellungen genützt werden, häufig vorkommt). Am besten trifft man sich zur Festlegung der einzelnen Texte direkt in den betreffenden Räumlichkeiten. Auf der Grundlage der Wandtexte erfolgt analog die Festlegung, welche Themen auch für die Audioführung oder für das Internet herangezogen werden sollen. ➔ Die Entscheidung liegt bei: Kuratoren, Textern und (sofern die Wandtexte betroffen sind) Architekten gemeinsam. Schritt 5: Das Design der Texttafeln Als nächstes briefen die Texter Grafiker und Architekten. Das Ziel ist die sachgerechte visuelle Gestaltung der Tafeln, auf denen die Texte angebracht werden sollen. Üblicherweise werden die Architekten die Tafeln auswählen und die Grafiker die Schrifttype und -größe. Dabei sind sie freilich an die Vorgaben der Texter gebunden, was die maximale (aber auch minimale) Anzahl der Zeichen pro Zeile und die maximale Anzahl der Zeilen pro Text anlangt. Sicherzustellen ist von Architekten und Grafikern die optische Unterscheidbarkeit der verschiedenen Textebenen. Auch der Zeilenumbruch, der Flattersatz und die (gut erkennbaren!) Absätze sind bekanntlich Vorgaben der Texter; bevor die Grafiker einen Entwurf für das Textlayout anfertigen, müssen sie davon natürlich ausführlich in Kenntnis gesetzt werden. ➔ Die Entscheidung liegt bei: Grafikern und Architekten, aber nach den Vorgaben der Texter.

Kapitel 9 – Arbeitsorganisation 133

Schritt 6: Die Entwürfe der Architekten und der Webdesigner Auf der Grundlage des genauen Plans für das Textsystem erarbeiten die Architekten ihre endgültigen Entwürfe. Sehr wichtig: Die Texttafeln müssen voneinander genügend Abstand haben; indiskutabel ist es zum Beispiel, links und rechts vom Saaltext, womöglich auf derselben Texttafel, gleich noch zwei Bereichstexte unterzubringen. Zweitens: Die jeweils relevanten übergeordneten Texte müssen von jedem Punkt in der Ausstellung aus leicht auffindbar sein. Unangenehm für die Architekten, aber leider nicht zu vermeiden: Einzelne Abänderungen des bereits festgelegten Textsystems werden sich vermutlich noch während der Arbeit an der Formulierung der Texte ergeben; es kann noch die eine oder andere Texttafel dazu- oder wegkommen. Ebenso sind jetzt das Drehbuch und der Entwurf für die Internetseite zu erarbeiten; der funktionelle Aufbau und das Design einschließlich, sehr wichtig, der Bilder müssen definitiv feststehen, bevor die Texter ihre Arbeit an den Internettexten beginnen können. ➔ Die Entscheidung liegt bei: den Architekten beziehungsweise den Webdesignern; zu konsultieren sind eventuell die Texter. Schritt 7: Die inhaltlichen Grundlagen für die Texte Wenn das inhaltliche Konzept für die Ausstellung endgültig fertig ist, wenn die Exponate feststehen, dann beginnt die eigentliche Arbeit an den Texten. Die Kuratoren liefern dazu den Textern die nötigen Informationen: schriftlich oder (auf Tonband aufgezeichnet) mündlich – und zwar lieber ein bisschen mehr Informationen, als letztlich auf den Texttafeln Platz haben werden, vor allem dann, wenn auch Audiotexte geplant sind, in die viel mehr Inhalt verpackt wird als in die Wandtexte. ➔ Die Arbeit liegt: bei den Kuratoren.

Kapitel 9 – Arbeitsorganisation 134

Schritt 8: Die inhaltliche Feinabstimmung Nun fragen die Texter bei den Kuratoren nach, so lange bis sie alles verstanden haben und über alle Informationen verfügen, die ihnen nötig scheinen. Daraus folgt eine Kontrolle und allenfalls Überarbeitung der vorher getroffenen Festlegung der einzelnen Texte: Hier und da wird man vielleicht aus einer Texttafel zwei machen oder (besser noch) aus zweien eine. Davon sind umgehend die Architekten zu informieren. ➔ Die Arbeit liegt: in erster Linie bei den Textern, aber in Kooperation mit den Kuratoren. Schritt 9: Die Formulierung der Texte Als nächstes tun die Texter ihre Hauptarbeit: Sie formulieren die Texte. In welcher Reihenfolge, sprich: ob zuerst Wand- (einschließlich Objekt-), Audio- oder Internettexte, das ist, falls noch genügend Zeit bleibt, Geschmackssache beziehungsweise kann sich nach produktionstechnischen Erfordernissen richten. Unbedingt darauf zu achten ist jedoch, dass die Internettexte bereits einige Monate vor der Ausstellungseröffnung fertig sind und ins Netz gestellt werden; wenn nötig, sind sie also als Erste zu formulieren. Alles Übrige – themenbezogene Kurzführer oder Detailtexte für Lesezonen, Handouts und so weiter – sollte erst am Schluss an die Reihe kommen, wenn die »Haupttexte« (die für die Wandtafeln und die Audioguides) fertig sind, um Überschneidungen ebenso wie Lücken zu vermeiden. Wenn mehrere Texter am selben Projekt arbeiten, ist die Beachtung völlig einheitlicher Standards Pflicht: Alle Texte müssen aus einem Guss sein. Auf jeden Fall sinnvoll ist es, dass dieselbe Person alle Texte zum selben Thema schreibt, also Wand-, Internetund Audiotexte; das minimiert den Zeitaufwand für den jeweiligen Kurator, dem sonst verschiedene Texter zum selben Themengebiet ein Loch in den Bauch fragen. ➔ Die Arbeit liegt bei: den Textern (und hier geht es, wohl gemerkt, um den mit Abstand aufwändigsten aller Arbeitsschritte).

Kapitel 9 – Arbeitsorganisation 135

Schritt 10: Korrekturen Die fertigen Texte gehen zur inhaltlichen Korrektur an die Kuratoren. Die Betonung liegt dabei auf »inhaltlich«: Für die sprachliche Durchführung dieser Korrekturen sind allein die Texter kompetent und zuständig. Selbstverständlich wird auch die Endfassung noch einmal den Kuratoren vorgelegt. Sobald sie abgesegnet ist, geben die Texter ihr Werk weiter: die Wandtexte an die Grafiker, die Audiotexte an die Produktionsfirma und die Internettexte an die Programmierer. ➔ Die Arbeit liegt bei: Kuratoren und Textern gemeinsam; danach werden die Grafiker, die Hersteller der Audioführung und die Web-Programmierer aktiv. Schritt 11: Evaluation Falls eine Evaluation vorgenommen wird (und zwar egal ob vor oder nach der Eröffnung), dient sie der neuerlichen Überarbeitung der Texte; auch einige wenige Veränderungen der Zahl und der konkreten Themen der Texttafeln bzw. der Audiotexte sind noch einmal möglich. Nachdem die Ergebnisse der Evaluation vorliegen, beginnt der Arbeitsprozess noch einmal bei Schritt 7. ➔ Die Arbeit liegt bei: Kuratoren und Textern.

Materialien ➔ Leitfaden: Die 11 Arbeitsschritte zu professionellen Texten, S. 136 ➔ Literaturtipps, S. 137

Kapitel 9 – Materialien: Leitfaden 136

Leitfaden: Die 11 Arbeitsschritte zu professionellen Texten 1. Auswahl der Textmedien: Audioguides, Kurzführer, Handouts etc. 2. Wird es eine Evaluation geben? Mit welcher Fragestellung? Wer führt die Evaluation durch? Wann? Und nach welchen Methoden? 3. Festlegung der Texthierarchieebenen, sowohl für Wand-als auch für Audiotexte. 4. Festlegung der einzelnen Texte, ihres Themas wie auch (für die Wandtexte) ihres Platzes in der Ausstellung. 5. Auswahl und grafischer Entwurf der Tafeln für die Wandtexte. 6. Entwurf der Architekten: Hängung der Tafeln. Entwurf der Webdesigner, Auswahl der Bilder und Festlegung des Drehbuchs für die Website. 7. Übermittlung der nötigen Informationen durch die Kuratoren an die Texter. 8. Verständnisfragen der Texter, eventuell Überarbeitung der Festlegung der einzelnen Texte. 9. Formulierung der Texte, und zwar aller Textsorten (Wandtext, Audiotext, Internettext) zum selben Thema durch dieselbe Person. 10. Inhaltliche Korrektur durch die Kuratoren, sprachliche Umsetzung der Korrekturen durch die Texter. 11. Eventuell: Durchführung der Evaluation der Texte, Einarbeitung der Ergebnisse in revidierte Textversionen.

Kapitel 9 – Materialien: Literaturtipps 137

Literaturtipps Exhibition planning and management: Reprints from NAME’s Recent and Recommended, Reprint Package, Washington 1992 Barry Lord/Gail Dexter Lord (Hg.), The manual of museum exhibitions, Walnut Creek 2001 Kathleen McLean, Planning for people in museum exhibitions, Washington 1993

Kapitel 10 – Wirtschaftlichkeit 139

Besucherorientierung zahlt sich aus – Kosten und Nutzen professioneller Texte FREDERIKE MÜLLER In den vergangenen Jahren ist das Vermitteln der präsentierten Ausstellungsinhalte aus dem MauerblümchenDasein gerückt: Der Bildungsauftrag steht nun mehr im Vordergrund, der, erfüllt ihn das Museum in vorbildlicher Weise, gleichzeitig einen stärkeren Rückhalt des Museums auf breiter Basis schafft. Im Fokus der Museen stehen seitdem die BesucherInnen und die Frage, wie die Beziehung miteinander gestaltet werden soll. Im Idealfall bringt sie wissenschaftlichen Inhalt mit Besucherzufriedenheit in Einklang und macht die BesucherInnen zu aktiven NutzerInnen des Museums. Erst durch ein geglücktes Vermittlungskonzept ist es möglich, auch schwierige Inhalte interessant und verständlich aufzubereiten. Besucherorientierung heißt dann keinesfalls mehr, sich nur nach dem Publikumsgeschmack zu richten – das können Museen getrost den rein kommerziell orientierten Themenparks, Ausstellungshallen und Science Centern überlassen –, sondern auch unbequeme und qualitativ hochwertige Themen verständlich darstellen zu können. Doch was suchen BesucherInnen überhaupt im Museum? Die Hauptmotivation für einen Museumsbesuch besteht nach wie vor in der Wissensbestätigung und -erweiterung (38,3 %), gefolgt vom gemeinsamen Kulturerlebnis (29,7 %); an dritter Stelle schließlich steht das Motiv der Schaulust und Neugier (26,4 %).1 Mit solchen Untersuchungen wächst in den Museen das Bewusstsein, wie sehr eine stärkere Professionalisierung gerade im Bereich Vermittlung Not tut – ist hier doch immer mehr ein interdisziplinäres Arbeiten von WissenschaftlerInnen, MuseumspädagogInnen und SpezialistInnen von außen nötig.

1 M. Hummel/L. Becker/C. Saul u.a.: Grafik »Motive für den Museumsbesuch«. In: Materialien aus dem Institut für Museumskunde, Heft 46, Berlin 1996, S. 71

Kapitel 10 – Wirtschaftlichkeit 140

Das Freilichtmuseum am Kiekeberg Und in den Museen tut sich tatsächlich etwas. Ein aktuelles Beispiel ist etwa das Freilichtmuseum am Kiekeberg, das, erfolgreich dem Museumsmanagement verpflichtet, schon seit Jahren seine BesucherInnen und den Bildungsauftrag in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt. Die Kombination aus fachwissenschaftlichem Anspruch und leichter Verständlichkeit auch für den Laien stand damit als Forderung am Anfang der Neugestaltung des Indoor-Bereiches der Landwirtschaftsausstellung des Kiekeberg-Museums.2 Zur Diskussion stand insbesondere der Text als Vermittlungsmedium, der einen wichtigen Baustein in der Ausstellung darstellt. Man wollte dem bekannten Fakt Rechnung tragen, dass sich BesucherInnen über schlechte, zu viele oder zu wenige Texte in einer Ausstellung ärgern, da diese ihr Hauptmotiv zum Museumsbesuch, die Wissenserweiterung, empfindlich stören.3 Wohl dosierte, anschaulich formulierte Texte dagegen unterstützen die Befriedigung des Hauptbesuchermotivs »Wissenserweiterung« nachhaltig.4 Zwar war das Schreiben wissenschaftlicher Texte für das Kiekeberg-Museum kein Problem, aber deren bisherige Aufbereitung zu Ausstellungstexten führte nicht zur allgemeinen Befriedigung – weder bei den MuseumsmitarbeiterInnen intern noch bei den BesucherInnen extern. Mit der tiefer gehenden Analyse zur Definition von Zielen (controlling) traten zunächst folgende Problemstellungen zutage:

2 Eröffnung am 13. Juni 2002 3 Als wie gut oder wie schlecht die Texte eines Museums empfunden werden, lässt sich jeweils nur durch kritische Stichproben im eigenen Haus herausfinden, etwa durch Besucherfragebögen. 4 Vgl. hierzu das in der Betriebswirtschaft entwickelte Kano-Modell, nach dem – in diesem Fall die BesucherInnen – ihren Ausstellungsbesuch unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung ihrer Erwartungen von Basisanforderungen, Leistungsanforderungen und Begeisterungsanforderungen bewerten werden. In: Lothar Müller-Hagedorn/Christa Feld, Kulturmarketing, Hagen 2000, S. 81

Kapitel 10 – Wirtschaftlichkeit 141

1. Das Ausgangsproblem bestand darin, dass zahlreiche MuseumsmitarbeiterInnen Texte zu ihrem jeweiligen Ausstellungsbereich verfassen sollten, auf dessen Thema sie wissenschaftlich spezialisiert waren. Dadurch entstanden sehr heterogen formulierte Texte. 2. Wie für die meisten WissenschaftlerInnen war es auch für sie unproblematisch, Fachtexte für KollegInnen zu verfassen. Die Schwierigkeit lag darin, für ein LaienZielpublikum prägnante und verständliche Ausstellungstexte zu formulieren.5 3. Darüber hinaus verschlang bei bisherigen Ausstellungen das gegenseitige Korrekturlesen von Texten, das als erste Kontrolle durchaus sinnvoll war, für alle zu viel Zeit. Sie ging für die wissenschaftliche und organisatorische Arbeit des Museums verloren, etwa um weitere geldwerte Projekte oder Sponsoren zu gewinnen. 4. Die neuen Rechtschreibregeln und welche von diesen nun anzuwenden seien, sorgten für zusätzliche Unsicherheiten. 5. Erste positive Erfahrungen mit externem Textkorrektorat zu Katalogen waren bereits gewonnen. Auf dieser Basis erfolgte die Definition der Zielstellung: leicht verständliche Texte in einem speziell für die bekannten Zielgruppen6 maßgeschneiderten Textsystem, um einen Zuwachs an zufriedenen BesucherInnen zu verzeichnen, die schließlich zu »Stammnutzern« des Museums werden. Hier sei ergänzend auf die wichtige Erkenntnis der Betriebswirtschaft hingewiesen, dass es sehr viel kostspieliger ist, einen neuen Kunden zu gewinnen als einen alten 5 Vgl. hierzu die Untersuchung von Klein, die sich auch auf Texte anwenden lässt. H.-J. Klein, Barrieren des Zugangs zu öffentlichen kulturellen Einrichtungen, Karlsruhe 1978, S. 161-174. Klein spricht u.a. von folgenden Barrieren: Verstehens- und Beanspruchungsbarrieren, fehlende Unterhaltsamkeit der Ausstellung, Museumsbesuch vermittelt scheinbar keinen praktisch verwertbaren Nutzen. 6 Die Bestimmung der Zielgruppen ist hier wiederum eine entscheidende Voraussetzung. Durch Besucher-Evaluationen vor Ort war diese Vorarbeit durch das Freilichtmuseum am Kiekeberg geleistet, bevor es die Neukonzeption seiner Ausstellung anging. Museen sollten ihre Zielgruppen möglichst genau kennen und die Texte entsprechend anpassen. Nur so können innovative Textsysteme entworfen werden, die die Ausstellung und ihre Aussagen unterstützen. Wer in diesem Punkt über ein Basistextsystem hinaus möchte, sollte auf jeden Fall die Zusammenarbeit mit Textprofis suchen.

Kapitel 10 – Wirtschaftlichkeit 142

zu halten. Die Erzeugung von Kundentreue gilt daher als ein herausragendes Marketingziel. Gleiches gilt natürlich auch für MuseumsbesucherInnen. Die einzelnen Zielformulierungen wurden auf dem Weg zur Verwirklichung regelmäßig überprüft und gegebenenfalls modifiziert. Eine innovative Problemlösung wurde angestrebt und folgende Handlungsstrategie umgesetzt: 1. Dieses Ziel zu verwirklichen ist in house nicht leistbar, sondern nur mit der Hilfe eines Textprofis, in diesem Fall einer auf Museumstexte spezialisierten Lektorin.7 Die Kriterien Professionalität in der Ausstellungsarbeit und günstiges Zeitmanagement8 konnten so erfüllt werden. 2. In Zusammenarbeit entwickelten die Ausstellungskuratoren und die Lektorin9 ein mehrschichtiges Textsystem, das den BesucherInnen der Ausstellung als roter Faden dient. Für Kinder etwa wurde ein eigenes Textsystem entwickelt. 3. Die überarbeiteten Einzeltexte wurden sprachlich vereinheitlicht, das heißt in der Regel durch die Lektorin stilistisch neu formuliert, um Ausstellungstexte wie aus einem Guss zu gewinnen. Zudem legte die Lektorin jeden Einzelzeilenumbruch genau fest, um die Lesefreundlichkeit der Texte auch visuell zu erhöhen.

7 Das Korrektorat besteht lediglich aus der Korrektur eines Textes in Bezug auf die Interpunktion und die Orthografie. Das Lektorat beinhaltet das Korrektorat und leistet darüber hinaus die weitergehende Textüberarbeitung in Stil, Inhalt, logischem Aufbau, Verständlichkeit und Form. AutorIn und LektorIn sind einander ergänzende Berufe. 8 Hierbei ist in der Praxis festzustellen, dass gerade der Punkt des Zeitmanagements von den MuseumsmitarbeiterInnen sehr individuell beurteilt wird. Dies hängt i.d.R. damit zusammen, ob die abgegebenen »Textrohlinge« missverständliche Inhalte hinter wissenschaftlichem Jargon verbargen oder nicht. Hier mussten inhaltliche Aussagen dann neu bestimmt werden. 9 Anm. d. Hg.: Die Autorin ist zu bescheiden, um zu erwähnen, dass diese Lektorin niemand anderer war als sie selbst.

Kapitel 10 – Wirtschaftlichkeit 143

4. Durch eine exakte Budgetplanung des Ausstellungsetats war der Einkauf der freien Lektorin möglich.10 5. Der Einkauf der freien Lektorin brachte darüber hinaus den unverbrauchten Blick und die Kreativität, die jedem Museum innewohnende Betriebsblindheit zu überwinden. Mit dem Setzen dieser Qualitätsstandards im Textbereich (bench marks)11 fällt die Erfüllung der Besuchererwartungen leichter: Denn die BesucherInnen bewerten die Leistungen des Museums nach Erfüllung 1. der Leistungen, die man billigerweise erwarten kann, 2. der erwarteten Leistung, 3. der optimalen oder als ideal angesehenen Leistung.12 Das Ergebnis dieser Bewertung beeinflusst unmittelbar die Entscheidung, wieder zu kommen oder das Museum weiterzuempfehlen. Kosten-Nutzen-Relation Plötzlich identifizieren sich Menschen mit »ihrem« Museum, kommen immer wieder und empfehlen es weiter. Neben vermehrten Eintrittsgeldern und Einkäufen im Museumsladen fließt auch mal die ein oder andere Spende. Zu diesem Nutzen der Steigerung von BesucherInnenzufriedenheit kam etwa im Freilichtmuseum am Kiekeberg ein rein interner Nutzen hinzu: Statt mit Rechtschreibung, Stil oder Form zu ringen, konnten sich die MuseumsmitarbeiterInnen voll und ganz auf den Inhalt konzentrieren, der an der jeweiligen Stelle der Ausstellung vermittelt werden sollte.

10 Viele Museen schrecken aus finanziellen Gründen vor dem Einkauf einer Dienstleistung im Textbereich zurück. Dies führt entweder dazu, dass Texte »selfmade« bis unlesbar sind oder einige Museen, dies erkennend, dann lieber ganz auf Texte verzichten – sehr zum Ärger ihrer BesucherInnen. Richtig ist natürlich, dass ein Textlektorat seinen Preis hat – jedoch in welcher Höhe und welche Leistung letztendlich eingekauft wird, ist frei verhandelbar. 11 Neben dem Freilichtmuseum am Kiekeberg setzen im Textbereich besonders das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, das Deutsche Museum in München, das Deutsche Technikmuseum Berlin oder auch das Jüdische Museum Berlin Standards. Um die Problematik von Ausstellungstexten wissend, beschäftigte etwa das Jüdische Museum Berlin eigens einen »exhibition writer«. 12 L. Müller-Hagedorn/C. Feld, Kulturmarketing (Fußnote 4), S. 78f.

Kapitel 10 – Wirtschaftlichkeit 144

Allgemein kann das, was auf den ersten Blick billiger erscheint (»machen wir selber mit unseren MitarbeiterInnen«), auf den zweiten Blick schnell teurer werden. So spielt neben der Professionalisierung im Qualitätsstandard auch die Zeit-Geld-Relation eine Rolle. Denn eine Lektorin kann die Textarbeit wesentlich schneller erledigen. Kürzere Arbeitszeiten bedeuten aber auch günstigere Kosten. Und lasse ich meine Mitarbeiter zu lange über Texten brüten, fehlen sie mir für andere Aufgaben, für die sie tatsächlich profiliert sind. Auch das Thema Sponsoren ist hierbei zu bedenken. Da Sponsoren in der Regel aus dem Wirtschaftsbereich kommen, ist ihnen der Wert gut formulierter Texte, die Inhalte vermitteln können, durchaus bekannt, etwa aus ihren PR-Abteilungen. Insgesamt bringen gute Texte sowohl für die Beschaffung von Ressourcen als auch für den Absatz der Leistung, der gelungenen Ausstellung, das Geld wieder ein (Refinanzierung).13 Fazit Man sieht nur, was man weiß. Daher ist die »Bereitstellung von Informationsblättern und allgemein verständlicher, pädagogisch gestalteter Erklärungstexte zu den Ausstellungsgegenständen« unerlässlich.14 Das gilt nicht nur für Wandtexte, sondern allgemein für Texte im Museum. So erhalten etwa alternativ im Diözesanmuseum Köln alle BesucherInnen als Eintrittskarte einen 50-seitigen Kurzfüh-

13 »Die zunehmenden Einsparungen im kulturellen Bereich haben damit erheblichen Einfluss auf die Ressourcensituation und damit auf die Leistung. Wenn sich die Leistung verschlechtert oder verringert, so hat dies direkte Konsequenzen für die Abnehmer – insofern ist Beschaffungsmarketing über die produkt- bzw. programmbezogene Komponente eng mit dem Absatzmarketing verknüpft. (...) Der entscheidende Wechsel in der Sichtweise liegt in der Öffnung für die ›Außenperspektive‹, dem Heraustreten aus primär auf die Leistungserstellung konzentriertem Wirken.« In: L. Müller-Hagedorn/C. Feld (Fußnote4), S. 27f. 14 L. Müller-Hagedorn/C. Feld, ebenda, S. 135

Kapitel 10 – Wirtschaftlichkeit 145

rer mit prinzipiellen Informationen zu Ausstellung, Sammlung und gezeigten Werken.15 Jedes Museum muss die eigene Situation erkennen, was seine Ressourcen (MitarbeiterInnen, Budget) und seine Zielabsichten betrifft. Der Einkauf der Dienstleistung »Textlektorat« bringt intern freie Kapazitäten und birgt damit neue Ressourcen für weitere Museumsaufgaben. Unter der Zeit-Geld-Relation betrachtet, ist ein externer Profi finanziell immer günstiger. Zudem bringt er den unverstellten Blick von außen und damit neue Ideen mit. Idealerweise gelingt es dem Museum, seinen externen Ausstellungstext-Profi zum(r) KooperationspartnerIn des Museums zu machen. Dann werden sich diese auch weiterhin für das Museum mit verantwortlich fühlen und gerne über den Auftrag hinaus als AnsprechpartnerInnen fungieren sowie den guten Ruf des Museums weitertragen. Sie sind Multiplikatoren. Museen sollten diesen positiven Nutzen der Teamarbeit mit freien DienstleisterInnen erkennen und umsetzen. Extern, sprich bei BesucherInnen und potenziellen Geldgebern, bringt eine interessante Ausstellung mit gut verständlichen und spannenden Texten einen Imagegewinn und die Anerkennung der Professionalität des Museums.

Materialien ➔ Übersicht: Professionelle Texte als Managementaufgabe, S. 146 ➔ Literaturtipps, S. 147

15 J. Plotzek, Kunst für alle. In: Landschaftsverband Rheinland, Rheinisches Archiv- und Museumsamt (Hg.), Das besucherorientierte Museum, Köln 1997, S. 98, 101

Kapitel 10 – Materialien: Übersicht 146

Übersicht: Professionelle Texte als Managementaufgabe Schritt 1: Die Beziehung zwischen Museum und BesucherIn klären (a) Die Faktensammlung: 1. Was tut das Museum im Bereich Vermittlung? 2. Welche Rangordnung nimmt dabei das Medium Text ein? (b) Die Evaluation (qualitative Analyse): 1. Welche spezifischen Gruppen besuchen das Museum? 2. Wie wird das Museum von außen wahrgenommen? 3. Wie wird seine Vermittlungsarbeit bewertet? 4. Wie werden insbesondere seine Texte eingestuft? Schritt 2: Die interne Seite klären 1. Welchen Zielgruppen will das Museum welche Leistungen anbieten? 2. Welches Bild von sich will es nach außen tragen? 3. Welche Funktion und welches Gewicht soll die Vermittlungsarbeit dabei haben? 4. Welche professionellen Ressourcen hat das Museum in house (MitarbeiterInnen-Spezialisierung)? 5. Sollten zusätzlich Spezialisten von außen eingesetzt werden, um zum bestmöglichen Ergebnis zu kommen? Schritt 3: Ziele definieren und Handlungsstrategie entwerfen 1. Beim Entwurf einer Handlungsstrategie möglichst innovative Problemlösungen anstreben. 2. Kräfte- und Finanzeinsatz festlegen 3. Exakte Budgetplanung Schritt 4: Handlungsstrategie umsetzen 1. Dabei regelmäßig die Zielformulierungen überprüfen. 2. Gegebenenfalls Anpassungen vornehmen.

Kapitel 10 – Materialien: Literaturtipps 147

Literaturtipps Bernhard Graf, Texte und Beschriftungen in Museumsausstellungen – zur Information des Besuchers oder zum Ruhm des Curators? In: Bernhard Graf/Günter Knerr (Hg.), Museumsausstellungen. Planung-Design-Evaluation, München 1985, S. 66-73 Das besucherorientierte Museum (hg. vom Landschaftsverband Rheinland, Rheinisches Archiv- und Museumsamt), Köln 1997 Lothar Müller-Hagedorn/Christa Feld, Kulturmarketing, Hagen 2000 Annette Noschka-Roos, Referierende Bibliographie zur Besucherforschung. Materialien aus dem Institut für Museumskunde, Heft 44, Berlin 1996 Traudel Weber/Annette Noschka, Texte im Technischen Museum. Materialien aus dem Institut für Museumskunde, Heft 22, Berlin 1988 Rolf Wiese (Hg.), Museumsmanagement. Eine ausgewählte Bibliografie. Schriften des Freilichtmuseums am Kiekeberg, Ehestorf 1998

Kapitel 11 – Erfahrungsbericht 149

Es kommt darauf an, was der andere versteht – Ein Ausstellungsmacher betritt Neuland WALTER PFAFF Künstler und solche, die es glauben zu sein, und dazu gehören fast ausnahmslos die Theatermacher, also Menschen, die ihr Innenleben für so interessant halten, dass sie glauben, ein jeder möchte nichts mehr als eintreten und es kennen lernen, solche Menschen also, wenn sie laut sprechen und noch mehr, wenn sie schreiben, glauben, dass das, was sie geschrieben haben, strotzend von Originalität, tiefer Einsicht und einsamer Überzeugung, von keinem anderen so gesagt werden kann wie sie es gesagt haben – und damit haben sie ja meistens recht, wenn auch zu Lasten des Empfängers – und insofern von keinem angerührt, kommentiert oder gar verändert werden darf, kurzum: dass ihre Texte, als kämen sie aus Hölderlins Werkstatt, sakrosankt sind und Jota für Jota so bleiben sollen, wie sie die Künstlerhand entworfen hat, damit die künstlerische Essenz in der Unantastbarkeit ihrer Einmaligkeit wie ein imprägnierter Korken auf den Wogen der Zeit dahintanze. So dachte auch ich. Wie meine Glaubensgenossen schaute auch ich herab auf alle jene, deren Beruf es ist, das Interesse und Verständnis der Hörer und Leser mehr zu achten als die Emanationen der eigenen Hirnrindschale. Nun ist das Medium des Theaters nicht die Schrift, mithin sind Theaterleute nicht Spezialisten der Kommunikation mittels Lesetext. Wenn sie ihre Theatererfahrung per Schrift weitergeben, verlassen sie ihren angestammten Bereich und tauchen in ein Medium ein, dessen Gesetze der Kommunikation sie nicht beherrschen.

Kapitel 11 – Erfahrungsbericht 150

1998 erarbeitete ich für das Österreichische Theatermuseum die Ausstellung »Der sprechende Körper«, deren Zentrum die Veröffentlichung der Forschungsarbeit des Parate Labor 1989 bis 1996 war. Als Regisseur hatte ich die Ausstellung geplant als eine Inszenierung in der Form eines räumlich ausgebreiteten 5-aktigen Initiationsspieles. Große Texttafeln sollten wie ein Conférencier durch das Stück führen, kleine Tafeln die Szenen der Ausstellung kommentieren. Die Texte brachte ich fertig mit. Welch großes Erstaunen, welch tiefer Schreck, als ich im Direktionsbüro zwei Menschen – Ausstellungstextern – gegenüber saß, die mir zu vermitteln versuchten, dass meine Texte schlicht unleserlich, sprich unverständlich seien. Um dem Sturm meiner Entrüstung zu begegnen, hatten sie sich, wie in einer spontanen Improvisation zu Bertolt Brechts Geschichte von den Bäumen, die den Sturm durch Biegsamkeit überstehen, auf ihre kleinste Größe reduziert. Noch heute erinnere ich mich mit leichter Scham, wieviel Takt, menschliche Feinheit, Geduld und Verständnis, fast möchte ich sagen: Liebe zu den Worten sie aufboten, um den gegenseitigen Dialog in diesem ersten Aufprall am Leben zu erhalten. Davon merkte ich damals allerdings nichts; schwer bewaffnet hatte ich mich in die Schützengräben der Kunst zurückgezogen, entschlossen, mein Gesamtkunstwerk zu verteidigen. Nun, sie überzeugten mich schließlich, den Versuch zu wagen, und so begann die Arbeit an den Texten der Ausstellung. Sie war hart, denn einerseits ließ ich nicht locker, wo ich die Präzision der Details, terminologische Zusammenhänge oder ganz einfach das Verständnis theatertechnischer Vorgänge gefährdet sah, die, da es sich um Forschungsarbeit auf dem unbekannten Feld des Paratheaters oder indischer ritueller Formen handelte, nicht einer banalisierenden Vereinfachung zum Opfer fallen durfte; sie wiederum, wo es um die Lesbarkeit und Verständlichkeit der Texte ging. Der Vorgang, der daraus entstand, war eine Art gegenseitiger Schulung. Ich versuchte, ihnen meine Theaterarbeit verständlich zu machen, und sie versuchten,

Kapitel 11 – Erfahrungsbericht 151

mir die Gesetze der Text-Kommunikation beizubringen. Das Resultat unserer gemeinsamen Arbeit ist in der Broschüre »Der Weg des Performers« nachzulesen, wo sämtliche Texte der Ausstellung abgedruckt sind. Heute planen wir, in Zukunft gemeinsam ein Theater zu leiten. Zum Abschluss möchte ich den Einfluss der Zusammenarbeit mit den beiden Profitextern auf meine heutige Arbeit im Theater zusammenfassen. Erstens ist mir aufgegangen, wie wenig ich bislang die Theorien, Techniken und Methoden der Kommunikationsund Verhaltensforschung in meiner Theaterarbeit berücksichtigt hatte. Seither habe ich begonnen, mit Instituten dieser Wissenschaftsrichtungen praktisch zusammenzuarbeiten. Zweitens, und das ist in meinen Augen das Entscheidende, habe ich erkannt, dass es nicht darauf ankommt, was ich sage, sondern darauf, was der Andere versteht. Das ist eine weit reichende Erkenntnis. Sie führt dahin, das Theater neu zu denken, und einen neuen Stil zu entwickeln, der den Austausch und Dialog mit dem Publikum sucht. Ich bin daran, den Elfenbeinturm zu verlassen, in dem sich das Theater – trotz allem Lärm, den es gelegentlich verursacht – selbst gefangen hat. Der Weg dahin führte nicht über einen berühmten Meister der Theaterkunst, der als Vorbild diente, sondern über die Stunden im Büro des Österreichischen Theatermuseums, wo sich am einfachen Beispiel der Ausstellungstexte eine elitäre mit einer demokratischen Ansicht von Kommunikation konfrontierte.

Kapitel 12 – Praxisbeispiel 153

Von A wie Evaluation bis Z wie Grafik – Texterarbeitung im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland HANS WALTER HÜTTER & DOROTHEE DENNERT Texte in Ausstellungen und Museen beschäftigen meist mit hohem zeitlichem Aufwand Kuratoren und Beiräte. Besucher hingegen rezipieren diese Ausstellungselemente mit geringerer Aufmerksamkeit: Texttafeln rangieren in deren Gunst deutlich hinter historischen Gegenständen, audiovisuellen Medien oder Fotos. Gleichwohl hält die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Texte in historischen Ausstellungen für unverzichtbar. Um sie möglichst besucher- und lesefreundlich in ihre Ausstellungen integrieren zu können, wurden vor Eröffnung des Hauses umfangreiche Evaluationen durchgeführt und anschließend die Beobachtungen systematisch fortgeschrieben. Auf der Basis der entwickelten Kriterien unter Einbeziehung der Evaluationsergebnisse werden die Ausstellungstexte geschrieben. Das Museumskonzept Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn präsentiert deutsche Zeitgeschichte vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die Gegenwart. Die Ausstellungen sind besucherfreundlich und erlebnisorientiert gestaltet. Dreidimensionale Objekte, Fotos, Dokumente sowie Ton- und Filmbeiträge verbinden sich zu historischen Ausstellungsszenen und schaffen einen Weg der Bilder, Töne und Eindrücke. Grundsätzlich chronologisch angelegt erleben die Besucher vielfältige thematische Vertiefungen, Rück-, Aus- und Überblicke. Bundeskanzler Helmut Kohl eröffnete das Museum im Juni 1994. Im Sommer 2001 wurden große Teile der Dauerausstellung inhaltlich aktualisiert, völlig neu gestaltet und von Bundeskanzler Gerhard Schröder wiedereröffnet. Anregungen aus umfangreichen Evaluationen flossen in die gründliche Überarbeitung der Ausstellung ein.

Kapitel 12 – Praxisbeispiel 154

Den grundsätzlichen Gestaltungs- und Vermittlungskonzepten entsprechend sowie unter Berücksichtigung der Erfahrungen seit 1994 eröffnete die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1999 in Leipzig das Zeitgeschichtliche Forum, ein Museum, das in seiner Dauerausstellung vor allem Opposition und Widerstand in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR vor dem Hintergrund der Repressionen des SED-Regimes besucherorientiert präsentiert. Auch in Wechsel- und Wanderausstellungen widmet sich die Stiftung den vielfältigen Aspekten der deutschen Zeitgeschichte unter Einbeziehung internationaler Verflechtungen. Auch diese besucher- und erlebnisorientiert gestalteten Präsentationen des Hauses richten sich wie die Dauerausstellung an ein heterogenes Publikum, den »Alltagsmenschen«. Die Dauerausstellung im Haus der Geschichte in Bonn zeigt auf ca. 4.500 m2 Fläche mehr als 7.000 Exponate, zahlreiche interaktive Elemente, knapp 100 Audio- und AV-Stationen, mehr als 200 Thementexte und etwa 1.000 Objekttexte. Integriertes Ausstellungskonzept Um den Besuchern die notwendige Orientierung und zugleich möglichst viel Freiheit bei der Besichtigung der Ausstellungen zu bieten, ist deren Gesamtgestaltung unter Einbeziehung der Texte und des Einsatzes der Audio- und audiovisuellen Medien durch eine dreigegliederte Informationshierarchie strukturiert: Eine Ausstellungsszene, die auf der ersten Informationsebene Einzelthemen in einem Großeindruck zusammenfasst, lenkt den Blick der Besucher auf thematische Schwerpunkte. Innerhalb dieser Szene vertiefen Einzelthemen – Informationsebene zwei – die Inhalte. Einzelobjekte und Objektgruppen, Dokumente, AV-Medien, Fotos und interaktive Elemente vermitteln auf der dritten Informationsebene Detailinformationen.

Kapitel 12 – Praxisbeispiel 155

Ein Beispiel in aller Kürze: Die Ausstellungsszene »Parlamentarische Demokratie« fasst Themen wie Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident, Bundeskanzler, Bundesverfassungsgericht etc. zusammen. Visuell und emotional erwartet den Besucher u.a. ein Teil des Originalgestühls aus dem ersten Plenarsaal des Deutschen Bundestags einschließlich Rednertribüne. Auch der nur flüchtige Besucher erhält einen ersten Eindruck oder erinnert Szenen aus dem Parlamentsalltag. Diese ersten Eindrücke kann der Besucher in Einzelthemen, z.B. Bundestag oder Bundesrat, durch die Betrachtung von einzelnen Objekten, Fotos und Dokumenten vertiefen. Auf dieser zweiten Informationsebene taucht der Besucher ein in spezielle Fragestellungen, kann Zusammenhänge ergründen und vertiefende Informationen abfragen. Auf der dritten Informationsebene ergründen die Betrachter spezielle Themen wie Wahlergebnisse, Biografien der Wahlkreisabgeordneten und vieles mehr. Hier wie an zahlreichen Stellen der Dauerausstellung werden in Flipcharts, herausziehbaren und anderen interaktiven Elementen weitere Details angeboten. Diesem Strukturprinzip folgt auch der Einsatz der Audio- und audiovisuellen Medien, das Textkonzept fügt sich in diese Gesamtplanung ein. Erkenntnis durch Evaluation Wesentliche Erkenntnisse bei der Entwicklung des Textkonzepts erbrachten 1991 Untersuchungen im Rahmen der von Lothar Gall inhaltlich konzipierten und von ClausPeter Gross gestalteten historischen Ausstellung im Reichstag in Berlin »Fragen an die deutsche Geschichte«. Die Stiftung hatte seinerzeit – unterstützt von Bernhard Graf vom Institut für Museumskunde in Berlin – die Möglichkeit, unterschiedliche Formen und Formulierungen von Texten in dieser von einer – wie auch für das Haus der Geschichte erwarteten – heterogenen Zielgruppe viel besuchten Ausstellung zur deutschen Zeitgeschichte zu evaluieren. Besucherbefragungen und verdeckte -beobachtungen erbrachten weit reichende Erkenntnisse über das Rezeptionsverhalten hinsichtlich Texten in Ausstellungen.

Kapitel 12 – Praxisbeispiel 156

Ergänzend untersuchten Evaluationen in Werkstattausstellungen des Hauses während der Entwicklungsphase vor Eröffnung der neuen Dauerausstellung diese Thematik in enger Kooperation mit Hans-Joachim Klein aus Karlsruhe. Erfahrungen von Kolleginnen und Kollegen in anderen Häusern im In- und Ausland halfen Probleme zu analysieren und Lösungen zu entwickeln. Vor allem Chandler Screven, Harris H. Shettel und Ross Loomis aus den USA brachten umfangreiche Erkenntnisse aus Sicht der Wahrnehmungspsychologie und aus Untersuchungen zur Akzeptanz und Rezeption von Texten in Museen ein. Bis heute begleiten Ross Loomis und Heiner Treinen aus Bochum die Evaluationen des Hauses der Geschichte in Bonn und Leipzig kritisch und konstruktiv. Für jede Ausstellung, für jedes Museum mit den jeweiligen individuellen Fragestellungen ist eine spezielle Antwort zu finden, wie Texte funktional und gestalterisch, sprachlich und grafisch zu realisieren sind. Für das Haus der Geschichte (und somit für viele vergleichbare Häuser ähnlich) ergaben die empirischen Untersuchungen, dass ein hellgrauer, mattsilberner – nicht ein hartweißer, farbiger oder durchsichtig-gläserner – Untergrund mit schwarzer, dunkelgrauer oder anthrazitfarbener Schrift in ausreichender Größe zum höchsten Aufmerksamkeitswert und zur größten Lesefreundlichkeit führt. Auch diese Erkenntnisse flossen in das Textkonzept ein und werden immer wieder überprüft, in Details verbessert und so in den Ausstellungen der Stiftung Haus der Geschichte angewandt. Besonders beachtet wird bei der Wortwahl die Konnotation, die bestimmte Begriffe für Leser aus dem Westen und dem Osten der Bundesrepublik Deutschland haben. Ein Beispiel: Der Begriff »deutsch-französische Freundschaft«, im Westen grundsätzlich positiv besetzt, löst bei den – zumindest älteren – Bewohnern aus der DDR (den heutigen neuen Bundesländern) andere, eher negative Assoziationen aus, da sie mit Völkerfreundschaft – vor allem am Beispiel der staatlich verordneten, oft problematischen deutschsowjetischen Freundschaft – andere Erfahrungen und Zusammenhänge verbinden als ihre Landsleute in den

Kapitel 12 – Praxisbeispiel 157

alten Bundesländern. Viele Begriffe wurden für die Abfassung der Texte in der Dauerausstellung des Hauses der Geschichte 1993/94 in einer umfangreichen Studie analysiert, an der Institute in Leipzig und Karlsruhe beteiligt waren. Die Ergebnisse gaben Aufschluss und Hinweise für die Antizipation des Verständnisses und die Formulierung der erforderlichen Ausstellungstexte. Inzwischen haben vielfältige wissenschaftliche Untersuchungen diese Fragestellungen vertieft, auf die zum Beispiel bei der Erstellung der Texte für die Dauerausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig 1998/99 zurückgegriffen werden konnte. Aktuelle Publikationen zum Kommunikationsverhalten zwischen West- und Ostdeutschen geben den Autoren heute weitere Hinweise bei der Abfassung von Texten, die sich allgemein verständlich an ein gesamtdeutsches und internationales Publikum wenden. Bei den Evaluationen zeigte sich auch, dass eigentlich Selbstverständliches immer wieder übersehen wird: Texte sind in akzeptabler Lesehöhe, ordentlich beleuchtet, im Objekt- und Ausstellungszusammenhang anzubringen. Texte sollen – trotz aller ästhetischen Ansprüche – nicht unbeleuchtet bleiben, nicht an der Fußleiste angebracht und nicht hinter Säulen versteckt werden. Vielmehr sind sie konstitutiver Bestandteil einer besucherfreundlichen Ausstellungsgestaltung. Einen Text, den der Kurator verstecken möchte, sollte er überhaupt nicht schreiben! Vielmehr ist es vor allem Aufgabe von Museumspädagogen und Redakteuren, die Texte als wesentliche Bestandteile der Orientierung und Vermittlung so zu formulieren und präsentieren, dass sie im Kontext der Gestaltung und gemeinsam mit den Objekten, Dokumenten, Fotos und Medien als Elemente der Vermittlung bestehen und ihre eigene Rolle spielen können. Die Texte in den Ausstellungen des Hauses der Geschichte führen in die präsentierten Themen ein, erläutern und vertiefen sie. Sie stehen in engem Zusammenhang mit der Ausstellungsszene, den präsentierten Objekten und den eingesetzten audiovisuellen Medien. Die Texte sind formal Bestandteil der Ausstellungsgestaltung und hierdurch in

Kapitel 12 – Praxisbeispiel 158

die Wandabwicklungen und den Besucherrundgang integriert. Inhaltlich holen sie den Besucher unmittelbar am jeweiligen visuellen Eindruck ab, der sich aus den Ausstellungsszenen, Objekten, Dokumenten und Fotos ergibt. Sie sind lesefreundlich formuliert und gedruckt sowie besucherfreundlich präsentiert. Hierzu dienen auch die Festlegung auf maximale Zeilenlänge und Zeichenzahl, vor allem die semantische Optimierung: Jede Zeile soll einer gedanklichen Leseeinheit entsprechen. Die vorgesehene Textstruktur hilft, die Ausstellungen zu gliedern und dem Besucher das Verständnis zu erleichtern. Die Texte bauen aufeinander auf, sie ergänzen einander. Gleichwohl ist jeder Text auch allein erklärend in Bezug auf Thema und Objekt. Grundsätzlich sind die Texte gegliedert in Themen- und Objekttexte. Dauerausstellung Haus der Geschichte, Bonn: »Befreiung und Besatzung«

Kapitel 12 – Praxisbeispiel 159

Textkonzept Erste Informationen erhält der Ausstellungsbesucher über »Große Thementexte«, deren Headlines auch der thematischen Orientierung dienen. Diesen Texten auf der ersten Informationsebene folgen auf der zweiten »Kleine Thementexte«, die sich dem Gestaltungsprinzip analog einzelnen Themen widmen. Texte zu Objekten oder Objektgruppen bilden die dritte Informationsebene. Die »Großen Thementexte« bestehen aus maximal 30 Zeilen à 50 Zeichen. Die Headlines sind in deutscher und englischer Sprache abgefasst, die Texte selbst nur deutschsprachig. Die englischsprachigen Headlines sollen den fremdsprachigen Besuchern Orientierungshinweise geben. Übersetzungen der Texte in englischer und französischer Sprache stehen am Informationsschalter als Textbücher im Format ca. DIN-A6 zur Verfügung. Vergleichbar den Zeitungen fasst der erste, drucktechnisch hervorgehobene Absatz die wesentlichen Aussagen zusammen. Die »Kleinen Thementexte« beziehen sich auf einzelne Ausstellungseinheiten, erläutern Einzelthemen. Sie bestehen aus maximal 15 Zeilen à 50 Zeichen. Deutsch- und englischsprachige Überschriften dienen als orientierende Headlines. Auch hier wird der erste, zusammenfassende Absatz drucktechnisch hervorgehoben. »Objekttexte« dienen der Erläuterung von Objekten und Objektgruppen. Sie beginnen mit einem Schlagwort oder einer kurzen Headline. Die »Großen Objekttexte« – bis zu 10 Zeilen à 50 Zeichen – erläutern entweder mehrere thematisch zusammenhängende Objekte oder vermitteln eine Geschichte zum Einzelobjekt. Die »Kleinen Objekttexte« – bis zu 4 Zeilen à 50 Zeichen – erläutern den für das Verständnis von Ausstellungsstücken notwendigen Sinnzusammenhang. Bei besonders aussageklaren Objekten kann der Objekttext entfallen, wenn der Ausstellungszusammenhang eindeutig ist. Eine Informationszeile kann – wenn unumgänglich – Autor, Quelle o.Ä. nennen.

Kapitel 12 – Praxisbeispiel 160

Übersicht über die Informationsebenen

GT

Großer Thementext

Kleiner Thementext

Großer Objekttext Kleiner Objekttext

KT

KT

GO KO KO KO KO

KT

KO GO KO

Bei der Formulierung der Texte wird darauf geachtet, die höchst unterschiedlichen Vorkenntnisse und Interessen der Besucher zu berücksichtigen. Daher soll auf Fachbegriffe und nicht allgemein verständliche Fremdwörter weitgehend verzichtet werden. Das bevorzugte Tempus ist das Präsens. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schaffen bereits bei den ersten Entwürfen einen möglichst unmittelbaren Bezug zur Ausstellungssituation, zum Objekt o.Ä. Der Text soll nicht allein für sich wirken, sondern ausdrücklich dem Objekt und seiner Entschlüsselung dienen. Viel Aufmerksamkeit widmen in der Stiftung Haus der Geschichte alle an der Textproduktion Beteiligten der semantischen Optimierung – ein Gedanke, eine Zeile. Starke, wichtige Begriffe gehören an den Anfang oder gegebenenfalls an das Ende der Zeile. Dem Ausstellungsbesucher wird hierdurch das Verständnis beim Lesen der Texte erheblich erleichtert, der Bezug zur Präsentation eindeutiger. So gestaltete Ausstellungstexte unterscheiden sich erheblich vom Buch oder wissenschaftlichen Aufsatz. Um den Bearbeitern von Ausstellungseinheiten und Autoren bei der Abfassung der Texte Hinweise und Hilfen zu geben, wurden Grundsätze zur Abfassung von Ausstellungstexten im Haus der Geschichte in einem semantisch optimierten »Kleinen Thementext« zusammengefasst:

Kapitel 12 – Praxisbeispiel 161

Struktur der Ausstellungstexte Structure of Exhibition Labels Die Überschrift ist knapp, treffend, auf die Botschaft hin formuliert, bei Objekttexten auch als Stichwort. Wesentliches fasst der erste Absatz zusammen. Semantisch optimiert sind alle Texte: Jede Zeile besteht aus einer Sinneinheit. Die Sätze sind kurz, lesbar und aussagekräftig. Fachbegriffe und Fremdwörter sollen vermieden werden. Die Zeile enthält 50 Zeichen. Bevorzugtes Tempus ist das Präsens. Objekttexte beginnen mit dem visuellen Eindruck. Überraschendes und Neues stellen sie vor. Sie beschränken sich auf vier bzw. zehn Zeilen. Besucherorientierte, besucherfreundliche Texte unterstreichen das Präsentationsziel einer Ausstellungseinheit und vertiefen die Eindrücke auf der jeweiligen Informationsebene. Sie sind Bestandteil der visuellen Aussage und leiten an, diese besser zu verstehen und zu interpretieren. Die Texte wiederholen nichts, was der Besucher den Objekten entnehmen kann, zum Beispiel den Text eines Plakats oder die gut lesbare Beschriftung auf einem Objekt oder Dokument. Ihre Aussagekraft entfalten sie erst im Zusammenspiel mit den Objekten in der gestalteten Ausstellung. Vor allem im Kontext der Ausstellung wirken sie und werden deshalb nicht als selbstständiges Medium, sondern als integrierter Bestandteil betrachtet. Semantische Optimierung fördert Lesbarkeit und Verständlichkeit.

Kapitel 12 – Praxisbeispiel 162

Redaktionelle Bearbeitung Auch bei der Textarbeit hat sich im Haus der Geschichte Teamarbeit bewährt. Die Fachwissenschaftler sind für die inhaltlichen Aussagen verantwortlich und legen einen ersten Entwurf auf der Basis des Textkonzepts vor. Der museumspädagogische Mitarbeiter bringt dann die didaktischen Aspekte ein und achtet auf die Einhaltung der Textstruktur, die allgemeine Verständlichkeit und Lesbarkeit. Abschließend lesen je nach Absprache der Projektleiter, der Abteilungsleiter und/oder der Präsident alle oder ausgewählte Texte. Im Zusammenspiel der Kompetenzen entstehen besucher- und lesefreundliche Ausstellungstexte. Diese Arbeit verläuft in mehreren Phasen, die eine enge Abstimmung im Team voraussetzen. Die Beteiligung der verschiedenen Arbeitsbereiche im Haus gewährleistet eine konsequente Durcharbeitung der Textentwürfe auf der Basis des allgemein gültigen Konzepts. Die Gremien der Stiftung Haus der Geschichte wirken beratend an der Texterstellung mit. Fachlich begleiten Spezialisten aus dem Wissenschaftlichen Beirat und abhängig vom Thema bisweilen auch aus dem Arbeitskreis gesellschaftlicher Gruppen die Projektteams. Sie geben Hinweise, schalten sich aber in der Regel nicht in die konkrete Abfassung und Redaktion der Texte ein. Lediglich die Thementexte für die Dauerausstellungen in Bonn und Leipzig wurden auf Grund ihrer besonderen Bedeutung zwischen den wissenschaftlichen Bearbeitern im Team und einer Redaktionskommission des Wissenschaftlichen Beirates besprochen. Das Kuratorium – der aus Vertretern des Deutschen Bundestags, des Bundesrats und der Bundesregierung drittelparitätisch besetzte Aufsichtsrat der Stiftung – hat sich bisher nicht in die Erarbeitung der Texte eingeschaltet. Die Gremien überließen bislang in allen Fällen die abschließende Formulierung von Texten den Ausstellungsteams, die der Präsident gegenüber den Gremien und der Öffentlichkeit vertritt. Die Organisationsform der selbstständigen Stiftung öffentlichen Rechts erlaubt eine vertrauensvolle, vor allem aber unabhängige inhaltliche Arbeit auch in diesem sensiblen Segment.

Kapitel 12 – Praxisbeispiel 163

Zusammenfassung Texte in Ausstellungen und Museen stellen eine besondere Gattung von Texten dar. Sie müssen in der spezifischen Situation der Ausstellung bestehen können. Hierfür sind strenge inhaltliche, formale und grafische Kriterien zu erfüllen. Sie sollen lesefreundlich und besucherorientiert in die Gesamtgestaltung von Ausstellungen integriert werden. Gut formulierte und gezielt positionierte Texte sind wichtige Vermittlungsträger in Ausstellungen und Museen. In einer in die Gestaltung integrierten Kombination mit Objekten, Fotos, Dokumenten und Medien übernehmen Texte nach wie vor Organisations-, Vermittlungs- und Vertiefungsfunktion. Ausstellungen ohne Texte haben sich bislang als zumindest sehr problematisch erwiesen. Ausstellungen mit für die spezifische Situation des Lesens zu langen, zu komplizierten, leseunfreundlich gestalteten und positionierten Texten erreichen Besucher und Vermittlungsziele oft nicht. Texte in Ausstellungen und Museen, die nur für Fachwissenschaftler und Kuratoren verfasst sind und die Mehrzahl der Besucher nicht erreichen, verfehlen im Sinne der Besucherorientierung ihr Ziel.

Materialien ➔ Übersicht: Grafische Richtlinien zum Textkonzept des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, S. 164

Kapitel 12 – Materialien: Übersicht 164

Übersicht: Grafische Richtlinien zum Textkonzept des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Schrift Headline

Headline/Englisch

Fließtext

Großer Thementext Plattengröße Headline Fließtext und englische Headline Neben Headline/englische Headline oben links im Abstand von 2 cm (nur in der Dauerausstellung) Kleiner Thementext Plattengröße Headline Fließtext und englische Headline Neben Headline/englische Headline oben links im Abstand von 1 cm (nur in der Dauerausstellung) Großer Objekttext Plattengröße Headline Fließtext Objekt-Info-Zeile Kleiner Objekttext Plattengröße Headline Fließtext Objekt-Info-Zeile

Univers Univers bold, auf 90 % condensed Druckfarbe: schwarz, matt Fließtextgröße, aber Univers bold, auf 90 % condensed Druckfarbe: grau, matt Univers regular, auf 90 % condensed Druckfarbe: schwarz, matt 135 x 80 cm 128 Pt. 68 Pt. 6,4 x 6,4 cm graues Quadrat

42 x 34,5 cm 59,5 Pt. 34,0 Pt. 3,4 x 3,4 cm graues Quadrat

8,6 x 12,5 cm 16,5 Pt. 13,5 Pt. 9,0 Pt. 5,5 x 12,5 cm 16,5 Pt. 13,5 Pt. 9,0 Pt.

Kapitel 12 – Materialien: Übersicht 165

Diese Richtlinien für die Textproduktion wurden 1993 gemeinsam mit dem Gestalterbüro Würth und Winderoll in Seefeld bei München zunächst für die Dauerausstellung im Haus der Geschichte in Bonn erarbeitet. Für die Dauerausstellung der Stiftung im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig sowie für die Wechsel- und Wanderausstellungen werden sie seither ebenfalls angewandt, für letztere je nach Größe und Thema der Ausstellung jedoch in leicht abgewandelter Form. So können die Texttafeln in ihrer Größe gering differieren, abhängig von der jeweiligen Gestaltungslinie. In Wechselausstellungen wird als »Großer Thementext« der Einleitungstext verfasst, »Kleine Thementexte« strukturieren die Ausstellungen, die in der Regel 600 m2 Präsentationsfläche nicht überschreiten.

Anhang – Autorinnen und Autoren 167

Autorinnen und Autoren Evelyn Dawid arbeitet als freie Sozialwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Biografieforschung, Migration und Frauen. Sie hat Ausbildungen zur Kulturvermittlerin und zur Webdesignerin abgeschlossen. Gemeinsam mit Robert Schlesinger betreibt sie Die WortStatt, ein Textbüro für Museen und Ausstellungen. Kontaktadresse: Die WortStatt. Mag.a Evelyn Dawid Lainzerstraße 77 1130 Wien Österreich E-Mail: [email protected] Internet: www.wortstatt.at Telefon & Fax: +43 (0) 1/8 77 48 03 Dorothee Dennert, seit 1991 Museumspädagogin der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Kontaktadresse: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Dorothee Dennert Willy-Brandt-Allee 14 53113 Bonn Deutschland E-Mail: [email protected] Telefon: +49 (0) 2 28/91 65-113 Fax: +49 (0) 2 28/91 65-302

Anhang – Autorinnen und Autoren 168

Hans Walter Hütter, Dr. phil, seit 1986 wissenschaftlicher Mitarbeiter, seit 1990 Abteilungsleiter Öffentlichkeitsarbeit, seit 1991 stellvertretender Direktor der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Kontaktadresse: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Dr. Hans Walter Hütter Willy-Brandt-Allee 14 53113 Bonn Deutschland E-Mail: [email protected] Telefon: +49 (0) 2 28/91 65-200 Fax: +49 (0) 2 28/91 65-300 Frederike Müller lektoriert und schreibt Ausstellungstexte, Kindertexte und Audioführungen für Museen und erarbeitet ausstellungsdidaktische Konzepte. Darüber hinaus berichtet sie in einem Internet-Bildungsportal über museumspädagogische Aktivitäten und ist als freie Filmemacherin tätig. Kontaktadresse: Kunst&FilmKommunikation Frederike Müller M.A. Hannover – Berlin E-Mail: [email protected] Telefon: +49 (0) 1 77/ 26 84 851 Fax: +49 (0) 1 77/ 99 26 84 851

Anhang – Autorinnen und Autoren 169

Walter Pfaff arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Regisseur. 1979-81 im Direktorium des Theaters am Neumarkt in Zürich, seit 1989 Direktor des Parate Labor Schweiz und seit 1992 Direktor des Centre de Travail de Recherches Théatrales in Frankreich. Daneben Tätigkeit als Ausstellungskurator und als Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten. Zahlreiche Publikationen zur Theateranthropologie. Kontaktadresse: Walter Pfaff Rindermarkt 11 8001 Zürich Schweiz E-Mail: [email protected] Robert Schlesinger ist freier Historiker mit den Forschungsschwerpunkten »Emotionale Grundlagen der Moderne« sowie »Oper und Gesellschaft«. Er arbeitet außerdem als Journalist, vorwiegend für die Wiener Tageszeitung »Der Standard«. Gemeinsam mit Evelyn Dawid betreibt er Die WortStatt, ein Textbüro für Museen und Ausstellungen. Kontaktadresse: Die WortStatt. Dr. Robert Schlesinger Lainzerstraße 77 1130 Wien Österreich E-Mail: [email protected] Internet: www.wortstatt.at Telefon & Fax: +43 (0) 1/8 77 48 03

Anhang – Materialienübersicht 171

Materialienübersicht Kapitel 1 – Theorie ➔ Literaturtipps 21 Kapitel 2 – Professionalisierung ➔ Adressen: Textbüros und freie Ausstellungstexter 31 Kapitel 3 – Texthierarchien ➔ Leitfaden: Texthierarchien – Die konkreten Arbeitsschritte 45 ➔ Literaturtipps 47 Kapitel 4 – Lesbare Ausstellungstexte ➔ Umsetzungsbeispiele: Wandtexte 69 ➔ Leitfaden: Die Regeln für lesbare Wandtexte im Überblick 81 ➔ Leitfaden: Objektbeschriftungen 83 ➔ Literaturtipps 84 Kapitel 5 – Texte zum Anfassen ➔ Leitfaden: Texte zum Anfassen 92 Kapitel 6 – Audiotexte ➔ Umsetzungsbeispiele: Audiotexte 101 ➔ Leitfaden: Audiotexte 108 Kapitel 7 – Internettexte ➔ Umsetzungsbeispiele: Internettexte 113 ➔ Leitfaden: Internettexte 123 Kapitel 8 – Fremdsprachige Texte ➔ Leitfaden: Fremdsprachige Texte 128 Kapitel 9 – Arbeitsorganisation ➔ Leitfaden: Die 11 Arbeitsschritte zu professionellen Texten 136 ➔ Literaturtipps 137

Anhang – Materialienübersicht 172

Kapitel 10 – Wirtschaftlichkeit ➔ Übersicht: Professionelle Texte als Managementaufgabe 146 ➔ Literaturtipps 147 Kapitel 12 – Praxisbeispiel ➔ Übersicht: Grafische Richtlinien zum Textkonzept des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 164

Die Titel dieser Reihe: Susann Qubeck Museumsmarketing im Internet Grundlagen – Anwendungen – Potentiale 1999, 172 Seiten, kart., 20,50 €, ISBN: 3-933127-39-4

Compania Media (Hg.) Der Museumsshop Positionen – Strategien – Sortimente Ein Praxisführer 1999, 384 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN: 3-933127-02-5

2001, 264 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN: 3-933127-56-4

Andrea Hausmann Besucherorientierung von Museen unter Einsatz des Benchmarking 2001, 346 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-933127-72-6

Compania Media (Hg.) Handbuch Museumsberatung Akteure – Kompetenzen – Leistungen 2000, 468 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN: 3-933127-41-6

Hartmut John (Hg.) Shops und kommerzielle Warenangebote Publikumsorientierte Instrumente zur Steigerung der Museumsattraktivität 2000, 132 Seiten, kart., 21,00 €, ISBN: 3-933127-55-6

Bernd Günter, Hartmut John (Hg.) Besucher zu Stammgästen machen! Neue und kreative Wege zur Besucherbindung 2000, 132 Seiten, kart., 21,00 €, ISBN: 3-933127-57-2

Claudia Gemmeke, Hartmut John, Harald Krämer (Hg.) euphorie digital? Aspekte der Wissensvermittlung in Kunst, Kultur und Technologie

Hartmut John, Susanne Kopp-Sievers (Hg.) Sicherheit für Kulturgut Innovative Entwicklungen und Verfahren, neue Konzepte und Strategien 2001, 170 Seiten, kart., 21,00 €, ISBN: 3-933127-68-8

Stefan Brüggerhoff, Ruth Tschäpe (Hg.) Qualitätsmanagement im Museum?! Qualitätssicherung im Spannungsfeld zwischen Regelwerk und Kreativität – Europäische Entwicklungen 2001, 236 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN: 3-933127-69-6

Hans Scheurer (Hg.) Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Kultureinrichtungen Ein Praxisführer

Gabriele Kindler (Hg.) MuseumsTheater Theatrale Inszenierungen in der Ausstellungspraxis 2001, 226 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN: 3-933127-70-X

Hans H. Clemens Inventur im Museum Rekonstruktion und Modernisierung traditioneller Sammlungsverwaltung Ein Praxisleitfaden 2001, 188 Seiten, kart., 21,00 €, ISBN: 3-933127-73-4

Annette Hünnekens Expanded Museum Kulturelle Erinnerung und virtuelle Realitäten Februar 2002, 272 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-933127-89-0

Anne Koch Museumsmarketing Ziele – Strategien – Maßnahmen. Mit einer Analyse der Hamburger Kunsthalle Mai 2002, 284 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-933127-93-9

Evelyn Dawid, Robert Schlesinger Texte in Museen und Ausstellungen Ein Praxisleitfaden Oktober 2002, 172 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-107-8

2001, 180 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-933127-67-X

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de