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German Pages 252 Year 2014
Robert Feustel, Maximilian Schochow (Hg.) Zwischen Sprachspiel und Methode
RoBERT FEusTEL, MAxrMILIAN ScHocHow (He.)
Zwischen Sprachspiel und Methode Perspektiven der Diskursanalyse
[ transcript]
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2010
transcript Verlag, Bielefeld
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INHALT
Einleitung: Zwischen Sprachspiel und Methode. Perspektiven der Diskursanalyse
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R oBERT F EUsrELI M AXIMILIAN S cHocHow
Spielräume der Wissenschaft. Diskursanalyse und Genealogie bei Michel Foucault
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HAGEN S c HöLZEL
Schreibfehler. Über das Verhältnis von Diskurs und Austins performative
33
JoNAS HELBIG
Nichts als Geschichte(n). Montage als archäologische Methode in Jean-Luc Godards Histoire(s) du Cinema
57
GuNTHER G EBHA RD/ SrEFFEN S c HRÖTER
~~Off the Record«. Diskursanalyse als die Kraft des Unmöglichen
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R oBERT F EUSTEL
Diskursanalyse als neue Wissenssoziologie? Über einige Schwierigkeiten der disziplinären Verortung Foucaults
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HERMANN Koc YBA
Semantik und Diskurs. Die Wissenskonzeptionen Niklas Luhmanns und Michel Foucaults im Vergleich MATTHIJ\S LEANZJ\
119
Methodisch{e) Welten durcheinanderbringen
147
JoHN LAw
Verknüpfte Welt oder Foucault meets Latour. Zum Dispositv als Assoziation
169
SI LKE VAN DYK
Diskurse und die Welt der Ameisen. Foucault mit Latour lesen (und umgekehrt)
197
ANNE DöLEMEYERIMArHIAs RoDATZ
Krisenfiguren und Brüche. Methodische Anmerkungen zur Diskursanalyse MAXJMJLJAN
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Sc Hoc How
Autorinnen und Autoren
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Einleitung: Zwischen Sprachspiel und Methode. Perspektiven der Diskursanalyse RoBERT FEUSTELIMAXIMJLIAN ScHoc How
Jede Aussage muß wie ein in einem Spiel ausgeführter Spielzug betrachtet werden. Diese letzte Beobachtung führt dazu, ein erstes Prinzip anzunehmen, welches unsere ganze Methode bestimmt: daß Sprechen Kämpfen im Sinne des SpieJens ist. Jean-Franr;ois Lyotard
Die theoretischen Überlegungen und methodischen Anregungen Michel Foucaults, die unter dem Begriff Diskursanalyse firmieren, 1 sind in den vergangenen Jahren in vielfältiger Weise von den Geistes- und Sozialwissenschaften aufgegriffen, angewandt und weiterentwickelt worden (vgl. Bogdal 1999; Landwehr 2001, 2008; Sarasin 2003). Davon zeugt zum einen das breite Spektrum an sozialwissenschaftliehen Einfüh.tungen in die diskursanalytische(n) Methode(n) (vgl. Keller et al. 2001; Eublitz 2003; Keller 2004, 2005; Jäger 2004). Zum anderen verdeutlicht dies die Vielzahl an Beiträgen, die flicherspezifische Ausrichtungen erarbeitet haben (vgl. Bublitz et al. 1999; Angermüller 2007; Bührmann et al. 2008). Darüber hinaus finden sich unzählige Arbeiten, die eine der vielfaltigen Formen der Diskursanalyse anwenden. Kurz gesagt: Nicht nur die Rede von Diskursen ist in den alltäglichen Sprachgebrauch einDem Band liegt ein Foucaultscher Diskursbegriff zugrunde, sodass im Anschluss daran mögliche Weiterentwicklungen fokussiert werden. Einen Überblick zu verschiedenen Diskurskonzepten liefern u. a. Bublitz (2003); Nonhoff (2004). 7
RosERT FEUSTELIMAXIMILIAN S c Hoc How
gegangen, sondern vor allem die Analyse derselben hat sich zu einer anerkannten und in der Praxis etablierten Methode entwickelt. Gleichwohl sich die vielfältigen Anwendungen von Diskursanalyse(n) in den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen etabliert haben, herrscht hinsichtlich der Frage, welchen methodischen Status entsprechende Beiträge haben und wie sie sich von anderen Konzeptionen (Sprechakttheorie, Wissenssoziologie oder systemtheoretische Semantikanalysen) abgrenzen lassen, wenig Einigkeit. Diese Dissonanz war in der Vergangenheit immer wieder von dem Impuls begleitet, eine weitere Präzisierung des methodischen Apparats oder aber Anregungen für neue Perspektiven auf die Diskursanalyse zu entwickeln. Eine dieser Spielarten trat in Form von Formalisierungsbemühungen auf: Diese kritisierten eine »naive Methodenskepsis« (Diaz-Bone 2007) und suchten das Heil der Diskursanalyse in ihrer Etablierung als »empirische Sozialforschung« (Jäger 2001: 111) oder aber in ihrer Bestimmung als »kritische Diskursanalyse« (Jäger 2004). Eine andere Spielart, die für eine deutliche Absage an eine Formalisierung bzw. methodische »Schließung« des Projekts steht, umschrieb die Diskursanalyse bisweilen als »philosophische Haltung« (Sarasin 2003: 8). Schließlich hat sich in jüngster Zeit eine dritte Spielart herauskristallisiert, die auf eine systematische Erweiterung diskurstheoretischer Perspektiven mithilfe der Dispositivforschung abzielt und Dispositivanalysen als einen sehr viel allgemeineren Fall von Diskursanalysen versteht (Bührmann/Schneider 2008). Jean-Franunerbittlich< sind, aber nur ftir den jeweiligen Gegenstand Geltung beanspruchen, in ein formalisiertes und festes Regelwerk der Wissenssoziologie zu pressen, kritisiert auch Hermann Kocyba. In seinem Beitrag DL~kursanalyse als neue Wissenssoziologie? arbeitet er die Differenzen zwischen einem von Foucault geprägten Diskursbegriff und einer eher soziologischen Perspektive aufWissen heraus. Foucaults oft missverstandenes Bekenntnis zu einem »fröhlichen Positivismus« interpretiert Kocyba als bewusste Weigerung einer methodischen »Selbstthematisierung«, um dem »Kollektivsingular des einen Sinns«, der sich im Fahrwasser einer abgegrenzten und formalisierten Methode gleichsam unvermeidlich einschreibt, auszuweichen. Insofern sind soziologische Deutungen und Er-
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EINLEITUNG: ZWISCHEN SPRACHSPIEL UND METHODE
klärungen der (zu untersuchende) Gegenstand von Diskursanalysen, nicht aber ihre Aufgabe. In seinem als Vergleich angelegten Beitrag konstatiert Matthias Leanza ein produktives Spannungsverhältnis zwischen der Systemtheorie Niklas Luhmanns und poststrukturalistischen Theorien. Dieses wird in der Gegenüberstellung von systemtheoretischen Semantikstudien und der Foucaultschen Diskursanalyse ausgelotet. Dabei geht es Leanza aber nicht nur um den Vergleich der unterschiedlichen theoretischen Positionen, das Kenntlichmachen grundsätzlicher Differenzen bzw. das Aufzeigen mitschwingender Ambivalenzen. Vielmehr fokussiert er in seinem Beitrag die Semantikanalyse als Wissenssoziologie und Konstitutionsanalyse einerseits sowie archäologische und genealogische Analysemodi von Diskursen andererseits. Seine Perspektive liegt nicht in dem Versuch einer Methodenverknüpfung, sondern im Verweis auf theoriekonstruktive Anschlussstellen. Diese sieht er in einigen Konvergenzpunkten, die er zwischen den Wissenskonzeptionen Foucaults und Luhmanns herausarbeitet. John Law verschiebt den Blick von der Frage, wie (methodisch) beschrieben werden kann, zu jener, was eigentlich zu beschreiben ist und kritisiert in seinem Beitrag Methodisch(e) Welten durcheinanderbringen die - immer noch aktuelle - Vorstellung, die Sozialwissenschaften würden sich in ihren Analysen an einer vorgängigen und unabhängigen Realität abarbeiten. Gegen diese Annahme bringt Law zwei Argumente hervor: Einerseits verdeutlicht er, dass so etwas wie Realität konstitutiv chaotisch, wirr und vieldeutig ist. Die Vorstellung, mit »sauberen« Methoden ein klares Bild dieser (einen) Realität zeichnen zu können, ist nicht mehr als ein Missverständnis vor allem dessen, was Realität ist oder heißt. Andererseits betont Law auch den performativen Charakter sozialwissenschaftlicher Untersuchungen, die im Prozess des Sichtharrnachens spezifischer Gegenstände andere Dinge (oder andere Lesarten der gleichen Dinge) verschleiern, verdecken oder unsichtbar machen. Der Umstand, dass Präsenz Abwesenheit mit sich bringt, ist allerdings weniger ein methodischer Mangel als vielmehr zwangsläufig. Gegen den hygienischen Imperativ der Methoden, die in ihrer Strenge dem Durcheinander der Welt nicht angemessen sind und in deren Folge die Gegenseite des Präsenten verleugnet wird, plädiert Law für einen allegorischen, spielerischen Zugriff, deres-im konkreten Vollzug der Analyse - besser erlaubt, das Durcheinander einzufangen und zumindest ein Stück weit abzubilden. An Laws Problematisierung einer Realität (die nur sprachlich repräsentiert wäre) schließt Silke van Dyk an und weist auf ein weiteres Problem der Diskursforschung hin, in deren Kontext nicht selten fälschlich 13
RosERT FEUSTELIMAXIMILIAN S c Hoc How
zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Dingen unterschieden wird. In ihrem Beitrag Verknüpfte Welt oder Foucault meets Latour analysiert sie zunächst das unsichere Verhältnis von Dingen und sprachlicher Repräsentation und diskutiert das Missverständnis, Sprache (bzw. Text) und Diskurs als identisch aufzufassen und von der materialen Welt strikt zu trennen. Obwohl nicht-sprachliche Dinge die Welt »bevölkern«, hebelt dies noch nicht das »methodologische Primat des Diskurses« aus, der als symbolische Ordnung den Zugriff auf diese gegenständliche Welt regelt und in spezifische Bahnen lenkt. Von diesem Befund ausgehend macht van Dyk das Dispositiv stark und liest es mit Bruno Latour als Analysewerkzeug, um den vielfaltigen Assoziationen, Verlmüpfungen und Übersetzungen von materialer und sozialer Welt auf die Spur zu kommen. Auch wenn Wissenschaft am Ende immer Sprachliches produziert, hilft das um die methodischen Anregungen Latours erweiterte Dispositiv, ein feineres Gespür flir den »Aussagecharakter von Dingen« zu entwickeln, ohne die »Bilder, Objekte, technische[n] Artefakte« (u. a.) aus ihrer diskursiven Einfassung zu lösen. Eine andere produktive Schnittstelle zwischen Foucault und Latour haben Anne Dölemeyer und Mathias Rodatz vor Augen. In ihrem Beitrag Diskurse und die Welt der Ameisen kritisieren sie die an Foucault geschulten »Regierungsanalysen« flir ihre zu einseitige Fixierung auf Programmschriften. Insbesondere flir Gegenwartsdiagnosen sei es sinnvoll, die Untersuchungsperspektive zu erweitern und die ethnomethodologischen Anregungen Latours zu Rate zu ziehen. Daraus ergibt sich gleichsam eine Perspektive von unten, die Störungen, Brüche oder andere Übersetzungen und Anwendungen von Programmen lesbar macht. Eine solche Yerknüpfung von Foucault und Latour könnte eine »gegenwartstaugliche Diskursanalyse« zum Ergebnis haben, die nicht dem idealisierten »Sollen« der Programmschriften aufsitzt. Vielmehr wäre diese ebenso wachsam ftir die konkreten Übersetzungen, Umdeutungen und Fehlschläge, wie flir Praktiken j enseits gouvemementaler Programme, ohne die zentralen Fragen von Macht und Subjekt aus dem Auge zu verlieren. Maximilian Schochow weist in seinem Text Kriserifiguren und Brüche auf eine grundsätzliche Leerstelle in den methodischen Diskussionen zur Diskursanalyse im Anschluss an Foucault hin. Er thematisiert die Bestimmung und Analyse von Brüchen. Zwar werde in Rekurs aufFo ucault das ereignishafte Hereinbrechen von Diskursen, das Diskontinuierliche von Geschichte oder die Notwendigkeit zur Lokalisierung von Brüchen benannt. Dennoch scheint es nicht oder nur sehr bedingt zu gelingen, diskursive Transformationen in den Griff zu bekommen. Anhand von Foucaults epistemologischer Arbeit Die Ordnung der Dinge skiz14
EINLEITUNG: ZWISCHEN SPRACHSPIEL UND METHODE
ziert Schochow einzelne, verstreute, aber gleichsam signifikante Figuren, die spezifische Eigentümlichkeiten aufweisen: Sie bezeugen mit ihrem Auftreten den Zerfall einer Wissensordnung, künden von der Errichtung neuer diskursiver Regelmäßigkeiten und beschreiben darüber hinaus die spezifischen Mechanismen des jeweiligen Umbruchs. Am Beispiel einer medizinhistorischen Quelle wird die Anwendbarkeit des methodischen Konzepts der Krisenfiguren, das die Identifizierung von Diskontinuitäten innerhalb der diskursiven Regelmäßigkeiten erlaubt, beispielhaft überprüft und konkretisiert. Schließlich bleibt zu konstatieren, dass der Band neben einer Präzisierung des Wie der Analysen auch das Problem zur Diskussion stellt, welche Funktion und welchen Sinn Methoden überhaupt haben. Die Vielfältigkeit der Perspektiven verdeutlicht die Tendenz, die Frage nach der einen richtigen Methode selbst zu historisieren und damit vielleicht ein neues Spiel (play) mit anderen Regeln ins Werk zu setzen. Trotz offenkundiger Unterschiede innerhalb der Beiträge lässt sich - vielleicht nur versuchsweise - eine Gemeinsamkeit, ein Schnittpunkt fixieren: Die Frage nach der Angemessenheit der Methode(n) kann nicht vom Gegenstand der Untersuchung getrennt werden. Allein der Blick auf die Heterogenität der Argumentationen verdeutlicht, dass die Regeln des Spiels letztlichkontingentsind und ihre Tragfähigkeit erst im konkreten Vollzug erweisen. Entscheidend ist weniger das methodische Raster, als vielmehr die Frage, was die jeweiligen Analysen zeigen können.
Literatur Angermüller, Johannes (2007): Nach dem Strukturalismus. Theoriediskurs und intellektuelles Feld in Frankreich, Bielefeld. Birnbacher, Dieter/Burkhardt, Annin (Hg.) (1985): Sprachspiel und Methode: zum Stand der Wittgenstein-Diskussion, Berlin. Bogdal, Klaus-Michael (1999): Historische Diskursanalyse der Literatur. Theorie, Arbeitsfelder, Analysen, Vermittlung, Opladen/Wiesbaden. Bublitz, Hannelore/Bührmann, Andrea D./Hanke, Christine/Seier, Andrea (Hg.) (1999): Das Wuchern der Diskurse. Perspektiven der Diskursanalyse Foucaults, Frankfurt a.M./New York. Bublitz, Hannelore (2003): Diskurs, Bielefeld. Bührmann, Andrea/Schneider, Werner (2008): Vom Diskurs zum Dispositiv. Eine Einführung in die Dispositivanalyse, Bielefeld. Bührmann, Andrea D./Diaz-Bone, Rainer/Rodriguez, Encarnaci6n Guiterrez/Kendall, Gavin/Schneider, Werner/Tirado, Francisco J. (Hg.)
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RosERT FEUSTELIMAXIMILIAN S c Hoc How
(2008): Discourse analysis in the social sciences. Special issue. In: Historical social research 33 (1 ), Köln. Diaz-Bone, Rainer: (2007): Zur Methodologisierung der Foucaultschen Diskursanalyse, Forum Qualitative Sozialforschung 7 ( l ), www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/7 1/146. Jäger, Siegfried (2004): Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung, Münster. Keller, Reiner/Hirseland, Andreas/Schneider, Wemer/Viehöver, Willy (Hg.) (2001 ): Handbuch sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Theorien und Methoden, Bd. 1, Wiesbaden. Keller, Reiner (2004): Diskursforschung. Eine Einführung für Sozialwissenschaftlerlnnen, Opladen. Keller, Reiner (2005): Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms, Wiesbaden. Lyotard, Jean-Franc,;ois (1986): Das postmoderne Wissen, Graz/Wien. Landwehr, Achim (2001): Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse, Tübingen. Landwehr, Achim (2008): Historische Diskursanalyse, Frankfurt a.M./ New York. Mead, Georg Herbert (1934): Mind Self and Society from the Standpoint of a Social Behaviorist, Chicago. Neumann, John von/Morgenstem, Oskar (1961): Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten, Würzburg. Nonhoff, Martin (2004): »Diskurs«. In: Politische Theorie. 22 umkämpfte Begriffe zur Einführung, hg. v. Gerhard Göhler/Matthias Iser/Ina Kerner, Wiesbaden, S. 65-82. Sarasin, Philipp (2003): Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt a.M. Wittgenstein, Ludwig (1971): Philosophische Untersuchungen, Frankfurt a.M.
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Spielräume der Wissenschaft. Diskursanalyse und Genealogie bei Michel Foucault HAGEN
ScHöLZEL So bietet sich unseren Augen eine Wahrheit dar, welche Reichtum und Fruchtbarkeit ist, sanfte und listig universelle Kraft. Und wir übersehen dabei den Willen zur Wahrheit- jene gewaltige Ausschließungsmaschinerie. Michel Foucault
Stellt man die Frage nach dem Verhältnis von Diskursanalyse und Genealogie, so fUhrt sie mitten in eine komplizierte methodologische Debatte, die sich oberflächlich durch einen zentralen Wendepunkt im Schaffen Michel Foucaults markieren lässt. Sein Buch Archäologie des Wissens, das zuerst 1969 erschienen war, gilt als methodologisches Resümee seiner vorherigen diskursanalytischen Arbeiten. Die am 2. Dezember 1970 am College de France gehaltene Antrittsvorlesung Die Ordnung des Diskurses markiert dagegen wenig später den Übergang zu einem anderen Forschungsprogramm, den genealogischen Untersuchungen. »Man könnte argumentieren«, so fasst Philipp Sarasin diese Entwicklung Foucaults zusammen, »dass dieses prekäre Objekt >Diskurs< schon wenige Jahre nach der Publikation der Archäologie ihm zwischen den Händen zerbröckelt, weil die Frage [ ... ]nach den strategischen Kalkülen hinter der glatten Oberfläche der Diskurse« (Sarasin 2006: 128) sein Interesse weckte. Doch versteckt sich hinter dieser veränderten Oberfläche- Diskursanalyse bzw. Archäologie 1 würde ersetzt durch GeBeide Begriffe werden im folgenden Text synonym verstanden.
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HAGEN ScHöLZEL
nealogie - tatsächlich ein anderes Programm? Ein wenig unterhalb der oberflächlichen Betrachtung fällt auf, dass die Debatte um eine diskursanalytische Methodologie vor allem dadurch gekennzeichnet ist, dass Foucault selbst sie kaum führte. Jenseits der Archäologie des Wissens existieren dazu jedenfalls keine umfassenden oder größeren systematisehen Ausführungen. Methodische Bemerkungen erschienen meist bruchstückhaft in kleineren Aufsätzen, Abschnitten von Vorlesungen oder, oft nur auf Nachfrage, in lnterviewpassagen. Darüber hinaus blieben die Äußerungen manchmal undeutlich und gelegentlich metaphorisch, z. B. wenn Foucault sich und sein Projekt in der Archäologie und in Die Ordnung des Diskurses als »glücklicher Positivist« (Foucault 2008a: 609) bzw. »glücklichen Positivismus« (Foucault 2007: 44) bezeichnete. Mit anderen Worten: Foucault hat es weitgehend vermieden, sich auf eine bestimmte methodische Position festnageln zu lassen und stattdessen immer wieder neue Anläufe genommen, seine Themen anband unterschiedlicher Gegenstände zu formulieren, anders zu formulieren. Aber heißt das auch, Diskursanalysen sind zwangsläufig ebenso prekär und bröselig wie die Objekte ihrer Untersuchung? Die sehr skizzenhafte erste Annäherung an Foucaults Methode(n) liefert jedenfalls noch kein systematisches Argument fUr die Annahme, Diskursanalysen seien nicht als sauber fassbare Methode zu stabilisieren. Sie wirft aber zumindest die Frage auf, wie Foucault auf die Idee gekommen sein mag, seine Arbeiten so durchzuführen, wie er es getan hat. Man könnte Foucaults Weigerung, sich innerhalb eines methodischen Gerüstes zu bewegen, aber auch als Indiz für die gegenteilige Hypothese heranziehen. Demnach erschiene es durchaus möglich (wenngleich nicht zielführend), eine Diskursanalyse exakt zu formalisieren. Er könnte jedoch, diese Möglichkeit vor Augen, bewusst versucht haben, durch permanente Verschiebungen der Perspektive eine solche Festlegung und Einhegung zu vermeiden. Die Formalisierungsanstrengungen auf dem Feld der Diskursanalysen sind jedenfalls zu beobachten. Dass mit ihnen die Substanz poststrukturalistischer Theoriebildung (sofern man sinnvoll davon reden kann) infrage steht, wird an anderer Stelle deutlich aufgezeigt. 2 Gewissermaßen in Ergänzung dazu soll der folgende Beitrag zeigen, dass man dasselbe Problem erneut formulieren kann, ohne damit den Anspruch zu verbinden, etwas gänzlich Anderes sagen zu können. Es handelt sich um den Versuch einer Begutachtung einiger Zusammenhänge und Brüche zwischen Foucaults »Methoden« Diskursanalyse und Genealogie. Zwei für diese Debatte wichtige Probleme sollen im folgenden Beitrag in Augenschein genommen werden. Zunächst soll die Frage nach der Struktur 2
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Vgl. dazu auch den Beitrag von Robert Feustel in diesem Band.
SPIELRÄUME DER WISSENSCHAFT
jenes prekären Objekts »Diskurs« gestellt werden, die zugleich den Ort oder Raum für diskursanalytisches Arbeiten definiert. Die Frage nach dem Vorgehen und möglichen Effekten des Arbeitens in solchermaßen strukturierten Räumen führt im zweiten Abschnitt dann näher an jene möglichen strategischen Kalküle heran, die für Gerrealogien besonders relevant sind.
Genealogie der Diskursanalyse Um der zuerst aufgeworfenen Frage nach der Struktur der Diskurse näher zu kommen, scheint es angebracht sich noch einmal vor Augen zu führen, vor welchem wissenschaftstheoretischen Hintergrund Foucault seine Diskursanalyse »erfunden« hat. Bei der Formulierung einer Antwort auf diese Frage folge ich weitestgehend den Ausführungen Sarasins in dessen Aufsatz »Une analyse structurale du signifie«. Zur Genealogie der Foucault'schen Diskursanalyse (Sarasin 2006). Deutlich wird dort die Bedeutung der linguistischen Annahmen des Strukturalismus, die Foucault einerseits aufgreift, von denen er sich andererseits aber entscheidend absetzt. Ausgangspunkt aller strukturalistischen Gesellschaftsanalysen war die Sprach- und Zeichentheorie Ferdinand de Saussures in der Variante, die im Buch Cours de linguistique genera/es von 1916 dargelegt wurde. Die Sprache wird dort als ein abstraktes System aus Zeichen vorgestellt, sie sei »eine Form und nicht eine Substanz« (Saussure 2001: 146), so lautet eine oft zitierte Aussage. Zeichen wiederum bestehen aus zwei Seiten- dem Signifikant, der symbolischen Erscheinungsform des Zeichens, und dem Signifikat, der Bedeutung des Zeichens. Signifikant und Signifikat werden dabei als zwei voneinander getrennte oder jedenfalls lösbare Ebenen gedacht, was z. B. dann deutlich wird, wenn der gleiche Signifikant verschiedene Bedeutungen haben kann. Wichtig ist nun die Frage, wie ein Zeichen seine Bedeutung erlangt, respektive wie sprachlicher Sinn entsteht. Saussures auf das System der Sprache beschränkte Einsicht lautet, dass sich die Bedeutungen der Sprachzeichen (die Signifikate) nicht vom bezeichneten Gegenstand her denken lassen, sondern innerhalb des abstrakten Systems der Sprache selbst durch das Spiel der Signifikanten erst gebildet werden. Das Netz der Signifikanten, das »im Wesentlichen als Fläche ohne zeitliche Dimension« (Sarasin 2006: 122) behandelt wird, bildet die Signifikate durch unaufhörliche Verweise seiner einzelnen Elemente aufeinander. Es etabliert jene arbiträre Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat, die für diese Denktradition entscheidend ist. 19
HAGEN ScHöLZEL
Die daraus abgeleiteten (und hier sehr schematisch skizzierten) Folgen für die Geistes- und Sozialwissenschaften sind weitreichend. Da sie ihre »Gegenstände« nur vermittelt durch Sprache behandeln und erschließen können, lautete die radikale Schlussfolgerung des strukturalistischen Denkens, dass nichts unabhängig von (sprachlichen) Strukturen existiere, bzw. etwas immer durch außerhalb seiner selbst liegende Strukturen determiniert sei. Während man vor Saussure also davon ausging, eine wie auch immer geartete soziale Wirklichkeit existiere vor der Sprache und sei in dieser, wie wenig präzise auch immer, abgebildet, wurde mit Saussure diese Annahme gewissermaßen umgekehrt, womit die Behauptung im Raum stand, soziale Wirklichkeit sei der Sprache nachgeordnet Das linguistische Paradigma meint mit anderen Worten: Seit den Cours de linguistique genera/es kann man Sprache nicht mehr sinnvoll als Abbild der Wirklichkeit denken, Wirklichkeit lässt sich im Gegensatz dazu jedoch als ein Effekt von Sprache beschreiben. »Der Strukturalismus«, so beschreibt ihn Foucault, »stellt die Frage nach den formalen Bedingungen der Entstehung von Sinn, wobei er bevorzugt von der Sprache ausgeht, da die Sprache selbst ein außerordentlich komplexes Objekt darstellt, das sich in vielfaltiger Weise analysieren lässt. Zugleich dient die Sprache jedoch als Modell flir die Analyse der Entstehung anderer Bedeutungen, die nicht gerrau linguistischer oder sprachlicher Art sind« (Foucault 2001a: 772).
Was ist vor diesem Hintergrund aber Foucaults Diskursanalyse, von der Sarasin meint, sie sei »durch und durch anti-linguistisch und anti-strukturalistisch«, zumal Foucault zeitgleich aufgrund diverser literaturkritischer Studien als »neuer Star des am linguistischen Paradigma orientierten Strukturalismus auf der Pariser Szene« gehandelt wurde (Sarasin 2006: 115)? Am Beispiel der 1963 veröffentlichten Studien Raymond Raussei und Die Geburt der Klinik, die beide am selben Tag publiziert worden sind (ebd. : 115f.), zeigt Sarasin eine scheinbar kleine, in ihren Konsequenzen aber bedeutende Abweichung auf, die Foucaults Diskursanalysen von strukturalistischen Arbeiten unterscheidet. Das eine Buch, Raymond Roussel, führt die Kunst der Sprachspiele Roussels in Form einer gleichsam selbst sprachspielerischen Analyse auf. Eine Schlüsselphrase bildet den Beginn der gesamten Untersuchung. Roussel spielt mit der Aussage »les lettres du blanc sur des bandes du vieux pillard«, aus der dank einer minimalen Abweichung »ies Jettres du blanc sur des bandes du vieux billard« wird.
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SPIELRÄUME DER WISSENSCHAFT
»Die kleinste denkbare Differenz der Schreibweise, jene zwischen pillard und billard- p/b - , stürzt den Sinn des Satzes vollständig und zwingend um: Aus den Briefen des Weißen über die Banden des alten Plünderers, irgendwo im dunklen Afrika, werden die Buchstaben aus Weiß auf den Banden des alten Billardtisches, in einer Kneipe an einem verregneten Nachmittag«,
so fasst Sarasin das Ereignis kurz und bündig zusammen (Sarasin 2006: 117). Es ist dies das Spiel der Signifikanten, die dank minimaler Abweichungen die Bedeutung ihrer Aussagen vollständig umwerfen und ganze Welten, bunte Gemälde völlig unterschiedlicher Signifikate erschaffen. »Es gibt kein der Existenz und der Sprache gemeinsames System«, schreibt Foucault schließlich, und zwar »aus einem ganz einfachen Gmnd, weil nämlich die Sprache und nur sie allein das System der Existenz bildet« (Foucault 1989: 185). Er folgt damit ziemlich genau der Grundannahme des linguistischen Paradigmas, einer Annahme, die allerdings unheimlich anmutet und eine »Furcht vor dem Signifikanten« (Foucault 1989: 191) und dessen determinierender Kraft heraufbeschwören kann. Die mehr oder weniger bange Frage lautet, ob unser aller Existenzen, so wie wir sie wahrnehmen und leben, letztlich Folgeerscheinungen symbolischer Anordnungen sind? In Die Geburt der Klinik präsentiert sich Foucault als ein scheinbar ganz anderer. Er beschreibt darin anhand der anatomischen Untersuchungen Xavier Bichats den Übergang von einer vormodernen zur modernen Medizin. Die vormoderne Medizin gründet dieser Analyse zufolge auf dem Mythos eines »reinen [medizinischen] Blicks, der reine Sprache ist: de[m] Mythos des sprechenden Auges« (Foucault 1991: 128). Krankheiten werden wahrgenommen »als biologische Wesenheiten, die vom kranken Individuum unabhängig beschrieben werden können« (Sarasin 2006: 120). Sie gehorchen der »Logik dieses Blicks, der nur sieht, was die Sprache ihm zu sehen ermöglicht« (ebd.). Die andere, moderne Medizin dringt dagegen in persona Bichats und in Form dessen anatomischer Untersuchungen in die Gewebe der Organe ein und versucht, deren Eigenarten, »die wirklichen funktionalen Elemente des Körpers« (ebd.: 121) zu entschlüsseln. Dieses >>Unbarmherzige« (Foucault 1991: 127) Eindringen in die Organe präsentiert Foucault an der Wende zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert präzise als eine unsägliche Angelegenheit, denn »[f]ür diese Arbeit mit dem Skalpell [ .. .] existiert keine schon vorhandene Sprache, die die Ordnung der Sichtbarkeit garantieren würde«. Die Zerstückelung des Körpers unter dem anatomischen Blick Bichats ist eine Praktik, die sich »entfernt [hat] vom Raster des Sagbaren« (Sarasin 2006: 120f.) und damit zugleich als Provokation der herrschenden Wissenschaft wirkt. 21
HAGEN S c Hö LZEL
Auf den ersten Blick hat diese sehr materielle Untersuchung nichts mit der spielerischen Analyse des Raymond Roussel zu tun. Diese war als sprachliche Intervention in das System der Signifikanten, als ein Kommentar zu bereits vorhandenen sprachlichen Äußerungen zu verstehen, und nach strukturalistischer Annahme war nichts anderes als ein solcher Kommentar möglich: Die endlosen Verweisketten der Signifkanten beziehen sich immer wieder aufeinander. Sarasin zeigt, dass die Analyse der anatomischen Untersuchungen Bichats auf »die genaue Rückseite, das genaue Gegenteil« (Sarasin 2006: 119) jener am linguistischen Paradigma geschulten Arbeit hinausläuft. Die Anatomie Bichats ist eine »Analyse, die sich von ihrem linguistischen Fundament gelöst hat und eher die räumliche Teilbarkeit der Dinge als die sprachliche Syntax der Ereignisse und Phänomene definiert« (Foucault 1991: 145). Sarasins Neuübersetzung einer wichtigen methodologischen Aussage aus Die Geburt der Klinik bringt die Bemühungen Foucaults, sich mit dem linguistischen Paradigma im Hintergrund über dieses hinwegzusetzen, auf den Punkt. Foucaults dort geäußerte Frage an sich selbst lautet: »Wäre nicht eine strukturale Analyse des Signifikats möglich, die dem Schicksal des Kommentars entgeht, indem sie den Signifikanten und das Signifikat in ihrer ursprünglichen Entsprechung belässt« (Sarasin 2006: 122)? Streng linguistisch gedacht wäre eine solche strukturale Analyse des Signifikats allerdings gar nicht möglich, da ein Signifikat, wie oben aufgeführt, nur als arbiträrer Effekt der Struktur des Signifikantennetzes, der ständigen Verweise von Signifikanten aufeinander, gedacht werden kann. Was also bedeutet diese strukturale Analyse des Signifikats? Jedenfalls ist kein Rückfall hinter die Erkenntnisse Saussures gemeint, sie meint also nicht, eine systematische und ungeschichtliche Sprache würde eine vor ihr liegende, außersprachliche Referenz oder soziale Wirklichkeit abbilden. Wenn Sigifikant und Signifikat als synthetische Einheit gedacht werden, 3 »als ein festes, positives Zeichen, als Aussage, an der es nichts zu rütteln gibt« (ebd.: 122), läuft dies vielmehr auf die Hypothese hinaus, es gebe gar keinen prinzipiellen Unterschied zwischen sozialer Wirklichkeit und symbolischer Welt. Die Welt der Zeichen und die Welt der Dinge stehen nicht länger in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, bei dem die eine Seite die andere bestimmt oder abbil3
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Diese Annahme Foucaults gleicht einer erst in jüngerer Zeit bewusst gewordenen Ansicht Saussures, der den binären zugunsten eines synthetischen Zeichenbegriffs aufgegeben hatte. Die in den Cours de linguistique genera/es vertretene und für den Strukturalismus so folgenreiche These, Zeichen hätten eine binäre Struktur, geht wesentlich auf die Herausgeber Charles Bally und Albert Sechehaye zurück, die dieses Buch auf Grundlage von Mitschriften aus Saussures Vorlesungen publizierten (vgl. Jäger 1975: lllff.).
SPIELRÄUME DER WISSENSCHAFT
det, sondern in einer kontingenten Beziehung als jeweils reale Aussagen. Die Struktur solcher Beziehungen zu erkunden, ist das Ziel der Foucaultschen Diskursanalysen. Deren Aufgabe besteht deshalb darin, Diskurse nicht »als Gesamtheit von Zeichen (von bedeutungstragenden Elementen, die auf Inhalte oder Repräsentationen verweisen), sondern als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen. Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses mehr macht sie irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache. Dieses mehr muss man ans Licht bringen und beschreiben« (Foucault 2008a: 525).' Man müsste also konkrete Aussagen und Wissensbestände als Bestandteile einer realen, historischen Wirklichkeit verstehen, bis hin zum Begreifen der Wirklichkeit der Fiktion (Sarasin 2003b). Gewissermaßen als Rückseite derselben Medaille wäre die soziale Wirklichkeit, die Dinge, die Praktiken und die Institutionen, in ihrer Struktur gleich einem Zeichenprozess zu analysieren, womit die Vorstellung einer stabilen Form des Sozialen als Fiktion entlarvt würde. Diskursanalysen drehen sich bei Foucault um die »Analyse der für unsere Kultur charakteristischen kulturellen Tatsachen« (Foucault 2001a: 776) und operieren damit »ebenso weit von den >Worten< wie von den >Dingen< entfernt« (Sarasin 2003a: 33f., vgl. Foucault 2008a: 524). Dieses Denken der sozialen Wirklichkeit läuft darauf hinaus, ihr einen Status zuzuweisen, der nicht mit Bezug auf eine für die moderne Wissenschaft grundlegende, wenngleich fiktive Existenz einer Wahrheit verstanden werden kann, sondern die Möglichkeit multipler Wahrheiten in Betracht zieht. Diskursanalysen beschreiben vor diesem Hintergrund Wirklichkeiten, die niemals vollständig stabilisierbar sind, weil sie sich vergleichbar zur prinzipiell unabschließbaren und immer polysemischen Sprache konstituieren (vgl. Sarasin 2003a: 33). Wirklichkeiten werden nicht durch Sprache determiniert oder abgebildet und ihre Bedeutung bleibt letztlich brüchig. Die Untersuchung eines spezifischen Diskurses 4
Entsprechend müsste man Sarasins oben wiedergegebene Differenzierung zwischen einem »strukturalistisch« arbeitenden Foucault im Raymond Raussei und einem »diskursanalytisch« arbeitenden Foucault z. B. in Die Geburt der Klinik ein Stück weit relativieren. Auch in der scheinbar sprachwissenschaftlichen Untersuchung über Roussel folgt Foucault, wie er in einem Interview erklärt, letztlich einer diskursanalytischen Fragestellung: »Es geht[ ... ] nicht um ein strukturalistisches Problem im eigentlichen Sinne[ .. .], sondern um die Funktionsweise der Diskurse« (Foucault 2001a: 775). Sarasins methodologisches Argument bleibt davon allerdings unberührt.
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offenbart diesen als nur scheinbar stabile, prinzipiell jedoch »instabile Konventionalisierung von Aussageweisen« (Sarasin 2003a: 33). Geradezu zwangsläufig rückt damit beständig die gefährdete Seite der Diskurse in den Fokus, wie Foucault in einem Interview 1967 verdeutlicht: »[I]m Grunde befasse ich mich weder mit Sinn noch mit den Bedingungen, unter denen Sinn entsteht, sondern mit den Bedingungen, unter denen Sinn verschwindet, so dass anderes an seine Stelle treten kann« (Foucault 2001: 773 ). Diskursanalysen scheinen nur mit Blick auf die Grenzräume der Diskurse, ihre Brüche und Übergänge möglich zu sein.
Was heißt methodisches Forschen? Wenn man dem soeben dargestellten Diskurskonzept folgt, ergibt sich daraus die sehr problematische Frage nach dem Status wissenschaftlichen Arbeitens. Das Soziale als eine Ansammlung kontingenter Wirklichkeiten anzusehen, heißt zunächst einmal, dass es unmöglich wird, abschließende positive Aussagen zu irgendetwas zu treffen. Das bedeutet allerdings nicht, dass Versuche, so etwas dennoch zu untem ehmen, sich nicht im Bereich des empirisch Möglichen befinden. Sie gewinnen vor dem völlig veränderten Horizont angenommener Wahrheiten nur eine andere Qualität, da sie nicht länger als Bewegung hin zu einem Ideal, zu der Wahrheit gelten können. Sie sind aber auch nicht einfach Ideologie, also Ausdruck einer bestimmten Weltanschauung. Klar ist vor dem diskursanalytischen Horizont, dass wissenschaftliche Aussagen ihre »Gegenstände« weder einfach abbilden, noch diese kommentieren, weil im ersten Fall die grundlegende Dichotomie von Signifikat und Signifikant, im zweiten Fall die Vorstellung vom freien Spiel der Signifikanten relevant bliebe. Wenn Diskursanalysen sich aber um die »strukturale Analyse des Signifikats« drehen, dann lässt sich diese Form von Wissenschaft selbst nur als Intervention in den Prozess der systematischen Herausbildung dessen begreifen, wovon sie spricht. Diskursanalysen sind selbst Teil jener Struktur, deren Herausbildung sie beschreiben (vgl. Sarasin 2003a: 43). Man müsste präziser sogar sagen, dass durch die diskursanalytische Brille betrachtet jede Form von Wissenschaft eine solche Intervention in ihren »Gegenstand« darstellt. Wissenschaft kann dann im herkömmlichen Sinn des Worts nichts erklären, da sie nicht außerhalb ihres »Gegenstands« operiert, sondern Teil einer ganz bestimmten dis kursiven Formation ist. Betrachtet man die Geschichte der Denksysteme, dann erklärt keine Wissenschaft irgendetwas, sondem sie wirkt immer an der systematischen Herausbildung dessen mit, wovon sie jeweils spricht. Unterschiede bestehen allerdings hinsichtlich der Frage, aufwel24
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ehe Weise und wie weit solche Interventionen wirken. Die Suche nach einer Wahrheit kann unter dem Blickwinkel diskursanalytischer Untersuchungen jedenfalls ebenso wenig wie methodische Formalisierungen als Anker außerhalb eines Diskurses verstanden werden. Beide wirken unmittelbar innerhalb der jeweils zur Debatte stehenden Diskursformation und offenbaren genau darin ihren ausschließenden und zwingenden Charakter. Diesen entziffert Foucault in Die Ordnung des Diskurses auf dreierlei Weise. Ein »Wille zur Wahrheit« wirkt, erstens, als äußere Begrenzung des Sagbaren, indem er die innere Struktur eines Diskurses und seine Grenzen präformiert (vgl. Foucault 2007: llff.). »[A]uf der Ebene eines Urteils innerhalb eines Diskurses ist die Grenzziehung zwischen dem Wahren und dem Falschen weder willkürlich noch veränderbar, weder institutionell noch gewaltsam. Begibt man sich aber auf eine andere Ebene, stellt man die Frage nachjenem Willen zur Wahrheit, der seit Jahrhunderten unsere Diskurse durchdringt, oder fragt man allgemeiner, welche Grenzziehung unseren Willen zum Wissen bestimmt, so wird man vielleicht ein Ausschließungssystem (ein historisches, veränderbares, institutionell zwingendes System) sich abzeichnen sehen« (ebd.: 13f.). Methodische Formalisierungen wirken daneben, zweitens, als interne Kontrollmechanismen. Sie versuchen Ereignisse und Zufalle zu bändigen, indem sie an der Durchsetzung einer wissenschaftlichen Disziplin mitwirken. Eine solche Disziplin »definiert sich durch einen Bereich von Gegenständen, ein Bündel von Methoden, ein Korpus von als wahr angesehenen Sätzen, ein Spiel von Regeln und Definitionen, von Techniken und Instrumenten: das alles konstituiert ein anonymes System, das jedem zur VerfUgung steht, der sich seiner bedienen will oder kann« (ebd.: 22). Wissenschaftliche Methoden sind damit Teil jener »[internen] Prozeduren, mit denen Diskurse ihre eigene Kontrolle selbst ausüben; Prozeduren, die als Klassifikations-, Anordnungs-, Verteilungsprinzipien wirken« (ebd.: 17). Darüber hinaus kontrollieren Wahrheitswille und methodische Formalisierungen aber auch noch in einer weiteren, dritten Hinsicht ihre eigenen Diskurse, indem sie »die Bedingungen ihres Einsatzes [ .. .] bestimmen, den sprechenden Individuen gewisse Regeln [auferlegen] und so [ ... ] verhindern, dass jedermann Zugang zu den Diskursen hat: Verknappung diesmal der sprechenden Subjekte« (ebd.: 25f.). Die gesamte Problematik eröffnet den Blick auf einige Zusammenhänge von Wissen(-schaft) und Macht und formuliert damit eine spezielle
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Version der in den 1970er Jahren allgemeineren (Wieder-)Entdeckung der politischen Relevanz von Wissensbeständen und deren Produktion, also der politischen Dimensionen wissenschaftlichen Arbeitens. Die Frage nach den Methoden stellt sich im diskursanalytischen Universum nicht länger als eine nach mehr oder weniger erfolgreichen Modi der Erkenntnis, sondern ganz anders als Frage nach der Art Lmd Weise der Intervention in die jeweils debattierte diskursive Formation. Der damit einhergehende Transformationsprozess kann allerdings in verschiedener Hinsicht wirksam werden und unterschiedliche Effekte haben. Während in den archäologischen Arbeiten Foucaults Anliegen darin bestand, »die historische Varianz der freigelegten Denkstrukturen offenzulegen« (Saar 2007: 191), rückte mit der genealogischen Perspektive jedenfalls ab Anfang der 1970er Jahre die Frage nach den strategischen Kalkülen im Umgang mit solch unsicheren Wissensformationen in den Vordergrund. Es geht darum, wie die »Konventionalisienmg von Aussageweisen« im Einzelnen geschieht, bzw. wie Diskurse ihren Status als historische Apriori erlangen (vgl. Foucault 2008a: 6 10ff.) . »Ich setze voraus«, so heißt es in Die Ordnung des Diskurses, »dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird- und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliehe Materialität zu umgehen« (Foucault 2007: I Of.).
Gegen solche tiefgreifenden Interventionen plädiert Foucault dafür, die eigene »Realität des Diskurses« (ebd.: 31) anzuerkennen und gewissermaßen die zu untersuchenden Dinge selbst sprechen zu lassen: »Was kann der Diskurs [... ]legitimerweise anderes sein als ein behutsames Lesen? Die Dinge murmeln bereits einen Sinn, den unsere Sprache nur noch zu heben braucht[ .. .]«, deshalb »muss [man] unseren Willen zur Wahrheit infrage stellen; man muss dem Diskurs seinen Ereignischarakter zurückgeben; endlich muss man die Souveränität des Signifikanten aufheben« (ebd.: 32f.).
Die Logik einer wissenschaftlichen Untersuchung kann sich mit anderen Worten erst im Prozess der Analyse ihres Diskurses ergeben und muss nicht mit einer vorher festgelegten Methodik an diesen herangetragen werden. In einem Interview von 1980 beschreibt Foucault rückblickend seine Arbeiten ganz in diesem Sinne eben nicht als methodisches Herantreten an einen Untersuchungsgegenstand, sondern als Erfahrungen eines
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vorsichtigen Forschers, dessen eigenes Denken jeweils durch die intensive Lektüre der Diskurse verändert wurde: »Ich schreibe nur, weil ich noch nicht genau weiß, was ich von dem halten soll, was mich so sehr beschäftigt. So dass das Buch ebenso mich verändert wie das, was ich denke. [... ] Wenn ich ein Buch beginne, weiß ich nicht nur nicht, was ich bei seiner Vollendung denken werde; mir ist nicht einmal sonderlich klar, welche Methode ich verwenden werde. Jedes meiner Bücher ist eine Weise, einen Gegenstand zu konturieren und eine Methode zu seiner Analyse zu erfinden« (Foucault 2005: 52f.).
In der Aussage, »dass das Buch ebenso mich verändert wie das, was ich denke«, wird deutlich, dass diskursanalytisches Arbeiten mit einer Selbsttransformation des forschenden Subjekts sowie seiner Sicht auf die zur Debatte stehende Diskursformation einhergeht. Für das bereits zuvor erwähnte »behutsame Lesen«, dieses Vorgehen entgegen der vermeintlichen Autorität einer oder verschiedener bestimmter wissenschaftlicher Methoden, beruft sich Foucault auf die durch Nietzsche inspirierte Form genealogischen Arbeitens. Diese umschreibt eine Weise, Geschichte zu schreiben, bei der Diskurse in ihrer »zugleich zerstreut[en], diskontinuierlich[en] und geregelt[en]« Entstehung untersucht werden (Foucault 2007: 41).5 Die Genealogie als Wissenschaft von der Entstehung bzw. der Herkunft muss dabei sehr deutlich von einer historiographischen Suche nach Ursprüngen unterschieden werden, wie Foucault im Aufsatz über Nietzsche, die Genealogie, die Historie schreibt (vgl. Foucault 2002: 166ff.). Diese Unterscheidung markiert »den auch für Nietzsche charakteristischen Schritt weg von den vermeintlich begründenden Substanzen hin zu den Praktiken und Kämpfen, in denen sich die Bedeutungen erst bilden« und erscheint als zentrales Merkmal des »anti-teleologischen Charakter[s] von Genealogie« (Saar 2007: 197f.). Historische Ereignisse werden also nicht als vermeintliche Ursprünge oder Ursachen einer kausalen Folge weiterer Ereignisse verstanden; das entspräche grob dem Blickwinkel traditioneller Geschichtsschreibungen (vgl. Foucault 200la: 777f.). Die damit einhergehende, weit verbreitete Ansicht, wonach wir »glauben, unsere Gegenwart beruhte auf tiefgründigen Absichten und stabilen Notwendigkeiten« (Foucault 2002: 181), stellt der Genealoge Foucault radikal infrage. Ereignisse folgen vielmehr einer »Zufallsreihe« (Foucault 2007: 35) und »der wahre historische Sinn erkennt, dass wir ohne sicheres Bezugssystem inmitten 5
Es gibt allerdings einige Unschärfen und Widersprüchlichkeiten hinsichtlich der konkreten Verwendung des Begriffs Genealogie durch Foucault (vgl. Saar 2007: 188f., 202f.).
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zahlloser verlorener Ereignisse leben« (Foucault 2002: 181). Wenn solche Ereignisse aber als »Serie« oder mit »Regelhaftigkeit« (Foucault 2007: 35) auftreten, dann sehen wir vor unseren Augen einen Diskurs als Effekt von Wiederholungen und Auseinandersetzungen entstehen. Die Idee des Ursprungs als »Ürt der Wahrheit« geht verloren, wenn wir erkennen, dass die »Wahrheit und ihre ursprüngliche Herrschaft [ ... ] selbst ihre Geschichte in der Geschichte« haben (Foucault 2002: 170, H. d. A.). Was genealogische Untersuchungen zeigen können ist, »[d]ass es hinter den Dingen >etwas ganz anderes< gibt: nicht deren geheimes, zeitloses Wesen, sondern das Geheimnis, dass sie gar kein Wesen haben oder dass ihr Wesen Stück fur Stück aus Figuren konstruiert wurde, die ihnen fremd waren. Wie die Vernunft entstanden ist? Natürlich auf ganz und gar >vernünftigemoderne< Moral, das >moderne< Strafsystem), nicht mehr so gesehen werden kann, wie zuvor« (Saar 2009: 249). Sie handeln von unseren Wissensbeständen, unseren institutionalisierten Praktiken und Selbstverständnissen und jede/r einzelne kann sich von ihnen betroffen oder angesprochen fühlen. »Genealogien stellen die Frage, ob man so sein will, wie man ist, wenn man auf eine solche Weise geworden ist, w ie es die Genealogie erzählt« (Saar 2007: 128). Sie rufen damit appellativ zur »Gewordenheitskritik«, zu einer (Selbst-)Bewusstwerdung des historisierten Selbst als historisches auf. Sie leisten auch eine »Machtkritik« j ener kontingenten Wirkungen, die zur Konstitution des Selbst beigetragen haben. Beides impliziert eine »Selbst-Kritik[ ... ] eines Selbst, dem gezeigt oder vorgeführt wird, wie es geworden ist oder
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geworden sein könnte« (Saar 2009: 254). Die Folgen eines solchen Appells bleiben jedoch offen: »Der Aufruf, der von den genealogischen Texten an seine Leser ergeht, ist gleichermaßen existenziell oder ethisch dringlich wie unterbestimmt Er lässt offen, welche Handlungen oder Handlungsändemngen er genau motivieren könnte. Aus der Destabilisiemng eines bestimmten moralischen Bewusstseins folgt ein allgemeiner Ausmf [sie] zur Transformation, kein konkreter Vorschlag einerneuen Form ethischer Orientiemng« (ebd.: 256). Trotz dieser unbestimmten und offenen Folgen genealogischer Darstellungen nehmen diese keine neutrale Position außerhalb der Diskurse, die sie beschreiben, ein. Sie zeigen das Gewordensein herrschender Diskurse aus zufälligen Ereignissen und seriellen Wiederholungen auf und beschreiben sie als kontingente Effekte von Konflikten um unterschiedliche Wissensbestände. Da sie innerhalb der Diskurse operieren, die sie analysieren möchten, sind Genealogien auch Teil jener Auseinandersetzungen, die um sie geführt werden. ln diesem »Kampf im Wissen« (Saar 2007: 203) stehen Genealogien (wie auch die früheren archäologischen Arbeiten) auf der Seite »unterworfener Wissen« (Foucault: 2001: 22), das sie bspw. aus verstaubten Archiven ausgraben. Solche unterworfenen Wissen können einerseits »Inhalte gewissenhafter, gelehrter, genauer, technischer historischer Kenntnisse« sein, d. h. in historischen Konflikten unterlegene und daher »verborgene Bildungswissen«. Sie können aber auch »diese lokalen, spezifischen Wissen, diese Wissen der Leute [ ... ],die man aufbestimmte Weise brachliegen ließ, wenn man sie nicht sowieso und ausdrücklich abseits gehalten hat«, kurz: »disqualifizierte Wissen« (ebd.: 22) sein. Genealogien versuchen beide Wissensformen, die »gelehrten Erkenntnisse und lokalen Erinnerungen« (ebd.: 23), erneut ins Spiel der (wissenschaftlichen) Debatte einzubringen. Sie positionieren sich damit »gegen die theoretische Einheitsinstanz [ ... ], die den Anspruch erhebt, im Namen wahrer Erkenntnis« (ebd.: 23) bestimmte Wissensformen zu delegitimieren oder zu disqualifizieren. Da es im diskursanalytischen Universum diese eine wahre Erkenntnis nicht geben kann, schließt sich hier der Bogen zu jener Ausgangsfrage dieses Beitrags nach den Zusammenhängen und Brüchen zwischen archäologischen Diskursanalysen und Genealogien bei Foucault: »Kurz gesagt wäre die Archäologie die der Analyse der lokalen Diskursivitäten entsprechende Methode und die Genealogie die Taktik, ausgehend von den solchermaßen beschriebenen lokalen Diskursivitäten, die sich auftuenden und aus der Unterwerfung befreiten Wissen spielen zu lassen« (ebd.: 26).
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Wie solche taktischen Interventionen genau geschehen können, ist indes ein nur am konkreten Diskurs fassbares Problem, das daher hier nicht mehr betrachtet werden kann.
Schluss Der zurückliegende Versuch, Diskursanalyse und Genealogie im Zusammenhang zu sehen, kann sicher nur als ein Beitrag unter mehreren möglichen gelesen werden. Er sollte im vorliegenden Kontext auf einige Problemstellen wissenschaftlichen Arbeitens im Allgemeinen und diskursanalytischer Untersuchungen im Besonderen aufmerksam machen, welche die Vermutung nahe legen, dass die Frage nach einer wie auch immer gedachten Methode der Diskursanalyse nicht abschließend beantwortet werden kann. Vieles weist deutlich darauf hin, dass es die eine Methode nicht geben kann, wenn man den ernsthaften Versuch unternimmt, das Murmeln unterschiedlicher Diskurse zu entziffern. Allerdings kann auch niemand ernsthaft für sich beanspruchen, am Ende des Tages Recht zu haben. Insofern scheint die Alternative - Methode ja oder nein - , keine wirkliche Alternative zu sein. Es stellt sich mit Blick auf unterschiedliche Weisen der Wissensproduktion eher die Frage nach der Tiefe der Interventionen in den zu untersuchenden Diskurs und die Frage nach den Effekten auf die untersuchten Wissensbestände und die involvierten Subjekte. Vielleicht ließe sich jenseits dichotomen Denkens der glückliche Positivist Foucault (Je positiviste heureux - Foucault 1969: 164) daher eher alsfröhlicher Positivist dechiffrieren (analog zu Nietzsches Fröhlicher Wissenschaft). Im Feld der Diskursanalyse haben die Verfechter strenger Methoden, die damit offenbar das Ziel verfolgen, eine Wahrheit der Diskurse zu formulieren, jedenfalls ein ernsthaftes »methodisches« Problem. Sie können nicht anders, als ihren Willen zur Wahrheit zu verschleiern, unabhängig davon, ob sie wirklich an diese glauben oder »nur« strategische Ziele verfolgen: »Der wahre Diskurs, den die Notwendigkeit seiner Form vom Begehren ablöst und von der Macht befreit, kann den Willen zur Wahrheit, der ihn durchdringt, nicht anerkennen; und der Wille zur Wahrheit, der sich uns seit langem aufzwingt, ist so beschaffen, dass die Wahrheit, die er will, gar nicht anders kann, als ihn zu verschleiern« (Foucault: 2007: 17). Um zum Schluss ein vielleicht nur vermeintlich passendes Bild zu bemühen: Es steht außer Frage, dass es möglich ist, aus einem Fluss mit sumpfigem Ufer, entwurzelten Bäumen, Untiefen und Getier eine
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schnittige Wasserstraße zu bauen. Die Notwendigkeit, es tatsächlich zu tun, besteht aber nicht, und zwischen und jenseits der hier aufscheinenden Dichotomie eröffnen sich weite Spielräume der Wissenschaft. Auch könnte der Versuch, das Murmeln eines Biotops zu entziffern, es sprechen zu lassen, wissenschaftlich mindestens so interessant sein, wie Techniken zu entwickeln, die das Betonieren des Grunds, die Begradigung der Ufer und den Bau von Dämmen ermöglichen. Klar ist auch, dass im Fall einer einmal gebauten Wasserstraße eine Menge weiterer Mühe anfällt: Sedimente müssen abgebaggert, Schleusen müssen gewartet werden- die Ordnung des Diskurses gegen das Rauschen des Wassers zu behaupten, erfordert erhebliche Anstrengungen. Das Biotop in seiner Vielfalt und Veränderlichkeit zu beobachten, wäre allerdings auch eine schier unendliche Aufgabe - es könnte sein, dass sich immer andere Geschichten offenbaren, da die Evolution selbst als Diskurs, als kontingente Struktur ihrer Signifikate gelesen werden kann (Sarasin 2009). Dessen ungeachtet bleibt weiterhin die Frage spannend, ob irgendwann, irgendwo jemand baden geht.
Literatur Foucault, Michel (1969): L'archeologie du savoir, Paris. Foucault, Michel (1989): Raymond Roussel, Frankfurt a.M. Foucault, Michel (1991): Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks, Frankfurt a.M. Foucault, Michel (2001): In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am College de France (1975-76), Frankfurt a.M. Foucault, Michel (200la): »Wer sind Sie, Professor Foucault? (Gespräch mit P. Caruso, 1967)«. In: ders.: Dits et Ecrits. Schriften in vier Bänden, Bd. I, hg. v. Daniel Defert/Frana< der differance lässt sich auch das Flottieren des Objekts klein a als 4
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Das Reale fmdet sich in der Laclau/Mouffeschen Diskurstheorie neben der differance als ein zweiter Ansatz, das Außen des Diskurses zu denken. Vgl. dazu Stäheli (1995), der die Frage stellt, ob das Konzept von Laclau/ Mouffe somit durch das Zusammen zwei er »inkompatibler Strategien« gekennzeichnet ist, insofern die Ahistorizität und Nichtdiskursivität des Realen die mit der Diskursivität gewonnene Überwindung diskursiv/nichtdiskursiv relativiert.
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Überschuss im Diskurs lesen, deutet dabei letztlich aber auf einen irreduziblen Mangel hin. Gemeinsam ist beiden Formen des >a< ihre Hinweisfunktion auf einen für das Symbolische nicht einzuholenden Rest. Das Reale ermöglicht somit ein Abstellen auf die Unvollständig- und Unregelmäßigkeiten des Diskurses - unterminiert doch die Negativität des Begehrens die diskursive Produktion von Sinn und »bewirkt, dass Diskurse vom Flüstern verborgener Bedeutungen unterwandert werden, aufbrechen und sich verändern« (Sarasin 2003: 53). Zwar erhält die Diskursanalyse aufgrund ihrer psychoanalytischen Informiertheit zusätzliche Werkzeuge an die Hand, um dem Rauschen des Diskurses besser auf die Schliche kommen zu können. Sie ist damit aber auch weniger als stabilisierbare, an Fakten orientierte und objektivierbare Methode zu verstehen, denn als Lesart, als Haltung, die nie eindeutig wird (vgl. Sarasin 1994: 39). Zum Zweiten macht die von Foucault disqualifizierte Einbeziehung der »Psyche« den Weg für eine Neuverhandlung der mit dem Diskurs immanent verbundenen Frage nach dem Subjekt frei. Auch wenn das Lacansche Subjekt prinzipiell in der Welt der Sprache lebt und durch diese beschrieben wird, bleibt aufgrund der Verfasstheil des Begehrens immer ein Rest, welcher auf die Handlungsspielräume (agency) eines dezentrierten Subjekts verweist. Jenseits eines seine Welt ständig aus sich selbst heraus setzenden Subjekts der Intention sowie auch jenseits der umfassenden diskursiven Auflösung des Subjekts wird demnach die Frage möglich, »wie Subjekte sich in den Widersprüchen der symbolischen Ordnung als eigenständige, eigensinnige Produkte dieser Ordnung einnisten« (Sarasin 2003: 55, H. d. A.). Was hat das nun alles mit dem performative zu tun? Kehren wir hierfür zunächst noch einmal zum Beispiel des Gemüsehändlers zurück, der sich nach Havel in den Lücken des diskursiven Ensembles einnistet. So ist nicht nur dem Gemüsehändler das Spruchband gleichgültig, sondem auch der Büroangestellten, die - nachdem sie eine Stunde vorher im Gang ihres Amtes dasselbe Spruchband mechanisch angebracht hat an seinem Schaufenster vorbei kommt und nach Tomaten sucht. Beide Sprechakte bedingen sich gegenseitig, indem sie ein allgemeines »Panorama des Alltags« sowie ein »Diktat des Rituals« miterzeugen bzw. erhalten: »Einer schlägt dem anderen etwas zur Nachahmung vor, und jeder akzeptiert den Vorschlag des anderen. Ihre gegenseitige Gleichgültigkeit den Parolen gegenüber ist nur ein Trug. ln Wirklichkeit zwingt einer den anderen durch sein Spruchband, das vorgegebene Spiel zu akzeptieren und dadurch auch die gege-
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bene Macht zu bestätigen, einer hält einfach den anderen in Gehorsam. Beide sind Objekte der Beherrschung, zugleich aber ihre Subjekte« (Havel1989: 24).
Der entscheidende Punkt an den performativen Äußerungen des Gemüsehändlers und der Büroangestellten ist ihr ambivalenter Charakter. Ihre Sprechhandlungen bestätigen zwar einerseits die Macht des Diskurses, andererseits werden im Kontext von Zwiebeln und Möhren Zuschreibungen wie Gleichgültigkeit, Selbstbetrug, Heuchelei, Maskerade etc. aufgerufen, die jenes Panorama zugleich trüben und einer absoluten Reinheit des Diskurses offenbar im Wege stehen. Genau an dieser Stelle treten die Schnittmengen zwischen einer Diskursanalyse der Unregelmäßigkeiten und dem, was Austin peiformative genannt hat, klar hervor. So wie das Abheben auf >a< das Scheitern einer buchstäblichen Schließung von diskursiven Systemen demonstriert, verdeutlicht auch Austins Konzept der Performativa die stete Möglichkeit des Misslingens einer reinen Wiederholung des Diskurses.
Unlimited lnk Austin beschäftigt sich mit einer Erscheinung, um die sich vor ihm, wie er sagt, niemand richtig gekümmert hat. Konkret konzentriert er sich auf Äußerungen, die an der Oberfläche »das Aussehen - oder jedenfalls die grammatische Politur- von Aussagen« besitzen (Austin 1979: 35). 5 Das typische Merkmal von Aussagen, argumentiert Austin, ist gewöhnlich ihre Strukturierung durch einen wahr/falsch-Code. Allerdings lassen sich die Äußerungen, die er im Auge hat, gerade nicht dieser Unterscheidung zuordnen. Austin tauft jene Äußerungen performative Äußerungen (peiformative utterance oder in der substantivierten Kurzform: performative), womit er eine Form der Rede meint, bei der im Zuge einer Äußerung zugleich auch eine Handlung vollzogen wird. Als Beispiele für diese Handlungsdimension im Sprechen führt er u. a. die Taufe eines Schiffes, das Ja-Wort bei einer Trauung oder - als Paradebeispiel einer performativen Äußerung- das Versprechen an. Performative Äußerungen sind also in erster Linie als an Konvention gebundene ritualisierte Praktiken zu verstehen. Hierbei positioniert Austin die Performativa als Gegenpol zu einer Gruppe von deskriptiven Äußemngen, die entlang einer wahr/falsch-Unterscheidung zumeist als Feststellungen von Tatsachen funktionieren und die er konstative Äußerungen nennt. Indem sich 5
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Foucault (1973 : 120ff.) unterscheidet die enonces des Diskurses von den Aussagen im Sprechakt, da es oft mehr als einer Aussage bedürfe, um einen Sprechakt zu bewirken.
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im Gegensatz dazu die performativen Äußerungen durch den Code gelingen/nicht-gelingen bzw. glücken/missglücken charakterisieren, demnach also weder beschreiben, berichten noch behaupten, will Austin dem »wahr/falsch-Fetisch« in Philosophie und Sprachtheorie auf den Leib rücken (Austin 1979: 168). Zur Überprüfung der Tragfähigkeit der Konstativ/Perfon11ativ-Dichotomie seziert Austin anhand seiner »Lehre der Unglücksfälle« ausgiebig die Gelingensbedingungen von performativen Äußerungen (vgl. ebd.: 37ff.). Eine solche Klausel des Gelirrgens ist die notwendige Existenz eines konventionalen Verfahrens, bei dem bestimmte Personen unter bestimmten Umständen bestimmte Wörter äußern müssen. Die betroffenen Personen haben des Weiteren nicht nur auf das Verfahren zu passen, sondern sie müssen das Verfahren auch korrekt und vollständig durchführen. Geht nun bei der Erfüllung dieser Voraussetzungen etwas schief, dann handelt es sich um Verunglückungsarten (infelicities) der Kategorie Versager (misfires). In diesen Fällen, die Austin weiter ausdifferenziert (non-play, misplay, misexecution, void etc.), mag die unternommene Handlung zwar vielleicht vollzogen werden, aber sie ist gleichsam ungültig, verdorben, unvollständig. Austin stellt neben die misfires eine zweite Hauptkategorie mit dem Namen Missbräuche (abuses), die sich dann ebenfalls weiter verästeln lässt (dissimulation, disloyalities, breaches etc.). Was hier nicht erfüllt wird, sind Gelingensbedingungen für Performativa, bei denen Meinungen oder Gefühle im Spiel sind. Sie erfordern, dass die Verfahrensteilnehmer diese Meinungen und Gefühle wirklich haben und sich entsprechend verhalten. Kommt es zu einer Form der abuses, dann gilt die performative Handlung rein äußerlich zwar als vollständig vollzogen, muss aber zugleich auch als unredlich und hohl angesehen werden. All diese performativen Widersprüche fördern deutlich eine Kluft zwischen Äußerung und Bedeutung zu Tage. Sie verweisen also auf Unregelmäßigkeiten. Nachdem Austin die Unterscheidung zwischen Konstativa und Performativa mittels der Frage des Gelirrgens sowie über die Suche nach einem grammatikalischen Kriterium durchgespielt hat, kommt er jedoch zu dem Schluss, dass die Dichotomie nicht aufrechtzuerhalten ist. So gelten die Bedingungen des Glückens/Missglückens durchaus auch für konstative Äußerungen; und umgekehrt lässt sich der wahr/falsch-Code genauso gut auf Perfonnativa applizieren. Austin will nun »die Frage ganz neu angehen. Wir wollen allgemeiner untersuchen, in wie verschiedener Weise etwas Sagen etwas Tun bedeuten kann, in wie verschiedener Weise wir etwas tun, indem wir etwas sagen« (Austin 1979: 11 0). Jenes Neuangehen mündet bei ihm in einer allgemeinen Theorie der Sprechakte, welche mit ihrer Typologie der Iokutionären (gesamte
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Handlung, etwas zu sagen), illokutionären (Handlungen kraftder Worte) und perlokutionären (Handlungen als Folge von Worten) Akte sowohl aufperformative wie auch aufkonstative Äußerungen zutreffen soll. Mit diesem Zusammenbruch der Konstativ/Performativ-Dichotomie verband sich in der Folge eine bis heute andauemde Kontroverse, bei der die Geste Austins verschiedentlich als Rück- bzw. als Fortschritt gelesen wird. 6 Austins Verunglückungsarten zeigen in doppelter Weise die Unmöglichkeit einer vollständigen Formalisierung auf. Zum einen lassen sie die formalisierte Setzung der Konstativ/Performativ-Dichotomie kollabieren. Zum anderen, und das ist entscheidender, exerziert Austin damit aber auch die Form der sich auf Tatsachen berufenden konstativen Äußerungen, indem er zeigt, dass ihre Wahrheiten missglücken können. Hierin scheint ein Grund zu liegen, warum vor allem poststrukturalistisehe Autoren die Konstativ/Performativ-Dichotomie gegenüber den illokutionären Akten immer wieder bevorzugt haben. So hat die Verlagerung von den performativen Äußerungen zu den illokutionären Akten bspw. für Zizek (1993: 109) einen »bestimmten radikalen Verlust« zur Folge, wobei »das wirklich Subversive am Begriff des Performativs im Laufe dieses Übergangs auf irgendeine Art verloren gegangen ist«. Insgesamt besteht der theoriestrategische Vorteil in einer technisehen (und nicht ontologischen) Rehabilitierung der Konstativ/Performativ-Dichotomie darin, die Wahrheiten vermeintlicher Tatsachen, das Festsetzen von Bedeutung, die Formalisienmgen und Normierungen anband der Konstativ/Performativ-Unterscheidung immer wieder durchzudeklinieren, damit das Subversive der Performativa (also die infelicities) zur Geltung zu bringen und folglich die Gewalt der Form, der Norm, des Rituals scheitem zu lassen. Auch Jacques Derrida gefällt an Austins Ausführungen vor allem sein Angriff auf die Fetische des sein/sollen sowie des wahr/falsch. Indem Austin die Problematik des Performativs einführt, »könnte es scheinen«, dass es ihm damit gelungen ist, den Kommunikationsbegriff als »rein semiotischen, sprachlichen oder symbolischen Begriff gesprengt« zu haben: Der Performativ stellt eine Form der Kommunikation dar, »die sich nicht wesensmäßig darauf beschränkt, einen semantischen lnhalt zu transportieren, der bereits durch ein Anvisieren der Wahrheit [ ... ]gebildet und überwacht wird« (Derrida 2001: 34). Das, was Derrida am Konzept der Performativa am meisten überzeugt, ist die Parasitierung durch die infelicities, die Versehrnutzung der reinen Bedingungen einer Form, die Unterwanderung der Geltung von geschlossenen Regelsystemen, die von einer Sprachanalyse aus geführte 6
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Vgl. zur Konstativ/Performativ-Unterscheidung Rolf (2009).
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Kritik an der »Autorität des Codes« (Derrida 2001: 42). Allerdings sieht er in diesem originellen Moment von Austins Theorie zugleich einen der schwerwiegendsten Kritikpunkte. So sei die »Möglichkeit des Negativen« (hier der infelicities) bei Austin zwar grundsätzlich ein strukturelles Risiko, jedoch werde »im Namen einer Art idealer Regulierung« dieses Risiko zugleich als »zufalliges, äußerliches Risiko ausgeklammert«. Dieses Risiko habe Austin nicht »als wesentliches Prädikat oder als Gesetz geprüft« (ebd.: 25, 35f.). Tatsächlich sind die Ausschlüsse Austins im Zuge der Konstativ/ Performativ-Unterscheidung verwirrend. So bleiben bei seiner Analyse in voller Absicht all diejenigen infelicities außen vor, die im Zuge eines Szenenwechsels - bspw. auf die Bühne des Theaters- die performative Äußerung unernst, parasitär, ungewöhnlich und verkümmert wirken lassen. »Parasitierung«, so Derrida, »bedarf nicht des Theaters oder der Romanliteratur, um zu erscheinen« (ebd.: 142). Das Hauptproblem an Austins langer Liste der Misserfolge liegt für ihn gerade in ihrer steten Zurückbindung an das, was für Austin der totale Kontext darstellt. Eines der markantesten Elemente dieser Fixierung auf den Kontext sei klassischerweise das Bewusstsein, also die Präsenz der Intention eines sprechenden, sich selbstgegenwärtigen Subjektes. Hiermit wird die performative Kommunikation wieder zur Kommunikation eines intentionalen Sinns. Lassen wir Derrida zur Erläuterung dessen gleich mehrmals ausführlich zu Wort kommen: »Diese bewusste Anwesenheit des Sprechenden oder Empfangenden, die am Vollzug eines Performativs teilhaben, ihre bewusste und intentionale Anwesenheit [ ... ] impliziert teleologisch, dass der präsenten Totalisierung kein Rest entgeht. Kein Rest, weder in der Definition der erforderlichen Konventionen, noch im internen sprachlichen Kontext, noch in der grammatischen Form, noch in der semantischen Bestimmung der verwendeten Wörter; keine irreduzible Polysemie, das heißt keine dem Horizont der Einheit des Sinns entgehende >Dissemination«< (ebd.: 35).
Für Derrida bleibt die Theorie der performativen Sprechakte in ihrem fruchtbarsten, strengsten und interessantesten Teil eine Theorie des Rechts, der Konvention und der Politik als Moral. Sie beschreibt für ihn die reinen Bedingungen eines ethisch-politischen Diskurses. Dadurch, dass sie hierbei ihre Intentionalität an Konventionalität oder eine Regel bindet, verharrt sie allerdings im Sinnhorizont des Diskurses, d. h. sie unterwirft sich der Norm, die sie analysieren will. »Daher gleichzeitig ihr fundamentaler, ihr innewohnender Moralismus und ihr irreduzibler Empirismus« (Derrida 2001: 153). Um jenem Moralismus und entspre45
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chend dem totalen Kontext zu entkommen, weitet Derrida das Konzept der infelicities aus und macht das Misslingen performativer Äußerungen zur Bedingung ihrer Möglichkeit. Das bedeutet, dass die performativen Akte ihre Kraft nicht mehr wie bei Austin aus den Elementen des totalen Kontextes beziehen, sandem gerade aus ihrer Fähigkeit, den Kontext zu wechseln, aus der Möglichkeit einer De- und emeuten Rekontextualisierung. Nicht Intentionalität und Konventionalität zeichnen dann die Performativa aus, sandem eine allgemeine Zitathaftigkeit, eine spezifische Form der Wiederholung, die Derrida Iterabilität nennt: »[Die] Iterabilität - (iter, nochmals, kommt von itara, anders im Sanskrit, und alles Folgende kann als Ausbeutung dieser Logik gelesen werden, die die Wiederholung mit der Andersheil verknüpft) stmkturiert das Zeichen [marque] der Schrift selbst, übrigens ganz gleich um welchen Schrifttypus es sich auch handeln mag (den piktographischen, hieroglyphischen, phonetischen oder alphabetischen, um sich dieser alten Kategorien zu bedienen). [ ... ]Der einzigartige Charakter dieser Stmktur der Iterabilität, vielmehr dieser Kette, denn man kann die lterabilität durch jede Art Supplement supplementieren (wie differance, Graphem, Spur und so weiter), besteht darin, dass sie, indem sie Identität und Differenz, Wiederholung und Verändemng und so weiter trägt, das Projekt der ldealisiemng möglich macht, aber >sich selbst< nicht flir eine reine, einfache und idealisierte Begrifflichkeil eignet. Kein Prozess oder Projekt der Idealisiemng ohne Iterabilität, aber keine mögliche Idealisiemng der Iterabilität« (Derrida 2001: 24, ll5f.).
Die Erklärung der performativen Kraft aus der lterabilität heraus ist keineswegs als eine Abschaffung, sandem allenfalls als eine Relativierung von Intention und Kontext zu verstehen. Wie Judith Butler bestätigt, gelingt Derrida die Entkräftung der Intention dadurch, dass er die lterabilität gegen die Semantik arbeiten lässt. Ist es bei Austin die rituelle Dimension der Konvention, die den Sprechakt stützt, so legt Derrida mit der Ersetzung des Rituals durch die Iterabilität »den Akzent auf die strukturelle Darstellung der Wiederholung anstelle eines eher semantischen >Sinns< ftir das gesellschaftliche Ritual« (Butler 2006: 12). Mit der Iterabilität werden die irifelicities als eine Frage des Rauschens des Diskurses lesbar. Sie erlaubt es, Zuschreibungen wie Lüge, Indifferenz, Heuchelei etc. vom totalen Kontext ein Stück weit abzutrennen und sie als Misslingensarten folglich nicht mehr umfassend den Moralisierungen bzw. dem Sinnhorizont des Diskurses zuzuordnen. Verdeutlichen wir uns dies ein weiteres Mal am Beispiel des Gemüsehändlers: Aufgrund der Iterabilität wird seine Zitation des Spruchbandes zugleich ermöglicht und kontaminiert. Ermöglicht wird sie insoweit, als die Parole im Kontext von Zwiebeln und Möhren überhaupt wiederhol-
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bar ist. Zugleich zeigt sich hierin aber auch die Unmöglichkeit einer »reinen« Wiederholung der Parole, führt doch der banale Kontext des Gemüseladens zu Irritationen, die auf Risse und Brüche des Sinnhorizonts hindeuten und die mit moralisierenden Zuschreibungen wie Heuchelei und Indifferenz gekittet werden sollen. Die konkrete analytische Frage, welche sich dann insbesondere in Bezug auf die Kontaminierung stellt, ist nicht, ob der Gemüsehändler in seinem tiefsten Inneren dem Spruchband gegenüber indifferent ist und ob er mit dem Anbringen der Parole tatsächlich als Heuchler zu klassifizieren wäre. Vielmehr müsste gefragt werden, ob die im Sinnhorizont des Diskurses liegenden Zuschreibungen der Indifferenz und Heuchelei auf Verschmutzungen bzw. auf die Grenzen der Autorität des Codes verweisen. Gerade in ihrer Funktion als Mittel der diskursiven Schließung, des Insistierens auf den wahr/falsch-Code deuten diese Moralisierungen auf eine unkontrollierbare Öffnung, auf das Hereinbrechen von >a< hin. Insofern der Diskurs immer auch eine Wahrheitsordnung darstellt, darf die zur Täuschung deklarierte performative Äußerung nicht als »falsche« Wiederholung verstanden werden, sondem ist im Gegenteil als R>aa< ihren Gegenstand denaturalisiert, um Raum für eine Verschiebung bzw. Reformulierung zu gewinnen. Mit dem Begriff der Performativität hat Butler diese Potentiale des Performativs hinsichtlich einer diskursiven Handlungsmacht (agency) untersucht.
Performativ i tä t Neben Foucault konstituiert Butler ihren Diskursbegriff vor allem mit Austin und Derrida, wobei der Performativ gemeinsam mit der lterabilität zum wesentlichen Merlemal des Diskurses avanciert. Deutlich wird dies an ihrem von Austin entlehnten Begriff der Perfonnativität »Zunächst einmal darfPerformativität nicht als ein vereinzelter oder absichtsvoller >Akt< verstanden werden, sondern als die ständig wiederholende und zitierende Praxis, durch die der Diskurs die Wirkungen erzeugt, die er benennt« (Butler 1997: 22). Um funktionieren zu können, muss ein Diskurs performativ sein. Häufig wird Butlers Disqualifikation der Performativität als intendierter Akt im gleichen Atemzug für eine Absetzbewegung von der subjekttheoretischen Version des Performativs bei Austin gehalten. Vor dem Hintergrund unserer Lektüre von How to do things with Words ist die Annahme eines bei Austin anzutreffenden Subjekts der Intentionjedoch mehr als fragwürdig. Wie darüber hinaus eine Textstelle gegen Ende der ersten Vorlesung suggeriert, ist eher davon auszugehen, dass auch Austin die Intention weniger dem Subjekt als vielmehr der Seite konventioneller Sprache und ihren Moralisienmgen zuschlägt. So schließt Austin (1979: 32) bezüglich der Wirkkraft von Äußerungen »märchenhafte innere Akte« aus: »Genauigkeit und Moral finden sich beide auf der Seite des klaren >Ein Mann, ein Wort«Inhalt< weder wahr noch falsch ist, weil ihre erste Aufgabe gar nicht in der Beschreibung besteht. Ihr Auftrag ist vielmehr, ein Subjekt in der Unterwerfung zu zeigen und einzusetzen« (Butler 2006: 59). Die Anrufung vollzieht sich fortwährend, formt als wiederholte Handlung des Diskmses stetig das Subjekt in seiner Unter49
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werfung. Folglich ermöglicht und verunmöglicht sie zugleich die Rede des Subjektes. Es wird in die Lage versetzt, sich im Diskurs zu artikulieren, allerdings nur in seinen Grenzen des Sagbaren. Doch woher kommt diese produktive Kraft des Sprechaktes, einen Namen zu vergeben? Für Butler trägt der Name »in sich die Bewegung einer Geschichte, die er zum Stillstand bringt« (Butler 2006: 63). Er besitzt eine Geschichtlichkeit, die durch die Sedimentierung und Wiederholung seiner Gebrauchsweisen geprägt ist. Gerrau diese sedimentierten Wiederholungen rufen die Historie einer Gemeinschaft von Sprechern auf, welche den Augenblick eines einzelnen Sprechaktes übersteigt und der Benennung somit ihre Kraft verleiht. Der Sprechakt ist als »ritualisierter Augenblick« gemäß einer »kondensierten Geschichtlichkeit« zu verstehen: »Er überschreitet sich selbst in die Vergangenheit und in die Zukunft, insofern er ein Effekt vorgängiger und zukünftiger Beschwörungen der Konvention ist« (ebd.: 12). Anders ausgedrückt: Die illokutionäre Kraft des Sprechaktes wird durch Konventionen sichergestellt. Damit distanziert sich Butler von Derrida insoweit, als ihrer Ansicht nach die ZitatDimension (im Sinne der Dekontextualisierung) als einzige Kraftquelle des Sprechaktes eine gesellschaftliche Analyse der wirkungsvollen Äußerung »lähmt« (ebd.: 234). Um funktionieren zu können, bedarf der Sprechakt auch der Geschichtlichkeit, den Sedimentationen einer »überlieferten Reihe von Stimmen« (ebd.: 47). Die Kraft der Performativität, ein Subjekt fortlaufend in der Unterwerfung hervorzubringen, speist sich also aus einem nicht-konventionalen und einem konventionalen Aspekt. Er basiert auf der Wiederholung als Dekontextualisierung und auf der Wiederholung als ritueller Zitation von in der Geschichte sedimentierten, diskursiv geformten Normen. Gerade hinsichtlich der Konventionalität agiert die Perfonnativität mittels Verdeckung und Verschwiegenheit. So lässt die performative Äußerung erstens das Subjekt als Verfasser diskursiver Effekte und als vermeintliche Quelle der Äußerung erscheinen. Jener Subjekt-Effekt ergibt sich für Butler aus einer verborgenen Zitathaftigkeit, aus der Herabilität als einem »metaleptischen Verfahren«, wonach das Subjekt, »das die performative Äußerung >zitiertamschens. In der damit einhergehenden Unabschließbarkeit des Diskurses liegt für sie das Potential flir Widerstand und Handlungsmacht im 51
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Sinne diskursiver Transformation. Denkbar wird das Rauschen durch ihren Begriff der Verwerfung, welcher die Vorstellung eines konstitutiven Außens erlaubt. 7 Das Verworfene (abject) stellt für Butler (1997: 23) »Zonen der Unbewohnbarkeit« dar, welche dennoch von denjenigen dicht bevölkert sind, die »nicht den Status des Subjekts genießen, deren Leben im Zeichen des >Nicht-Lebbaren< jedoch benötigt wird, um den Bereich des Subjekts einzugrenzen«. Diese Zone ermöglicht und verunmöglicht das Subjekt zugleich; sie ist ein »verwerfliches Außen, das im Grunde genommen innerhalb des Subjektes liegt, als dessen eigene fundierte Zurückweisung«. Mag Butlers Begriff der Verwerfung, wie Distelhorst (2007: 103ff.) zu Recht anmerkt, insofern unpräzise sein, als sie (im Gegensatz zu Laclau/Mouffes Antagonismus) keinen Mechanismus benennt, durch den der Ausschluss zustande kommt, so wird doch auch bei ihr deutlich, wie die differenzlogische Verquickung der Identität des Subjektes mit seinem Außen eine vollständige Kontrolle des (konventionalen) Sprechens, des Sprechaktes blockiert. Demzufolge ist der Diskurs stetig Unregelmäßigkeiten ausgesetzt, die nach Butler einerseits durch den Körper als einen Ort der Sedimentienmg von Sprechakten sowie andererseits durch die Iterabilität deutlich zu Tage treten. Was den Körper betrifft, ist Butlers Bezugnahme auf Shoshana Felman wichtig. Für Felman, der es nicht zuletzt um die Schnittmengen zwischen Austins Sprechakten und Lacans Psychoanalyse geht, ist der Performativ »an event- a ritual- of desire« (Felman 2003: 76, H. d. A.). Zur Verdeutlichung dessen liest sie Austins Sprechakttheorie zusammen mit dem Don Juan-Mythos, wobei sie in erster Linie den Scandal of the Speaking Body freilegen will. Jener Skandal besteht fUr Felman gerade darin, dass ein Sprechen niemals vollständig intentional ist, dass also kein Sprechakt die rhetorischen Effekte des sprechenden Körpers umfassend kontrollieren kann. So ist der Sprechakt des Heiratsversprechens im Falle Don Juans wiederholt dem Misslingen, der Subversion durch seinen begehrenden Körper ausgesetzt. Don Juans Begehren nach Verführung lässt ihn das Eheversprechen stets von neuem eingehen und brechen Oh I'm lookin 'for my miss in' piece. Butler referiert mehrfach auf Fe!7
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Die Existenz eines konstitutiven Außens im Butlersehen Diskursbegriff relativiert den gegen sie immer wieder erhobenen Vorwurf einer Überdehnung der sprachlichen Verfasstheit des Diskurses. Der Umstand, dass auch bei ihr Diskurse rauschen, verweist auf ein Denken, bei denen gerade auch nicht-linguistische Elemente den Diskurs charakterisieren. Vielleicht sollte man die durchaus dominante Stellung der Sprache im Butlersehen Diskursbegriff eher im Sinne Stähelis verstehen, wonach der Rekurs auf die Sprache in der Diskurstheorie einen »methodologischen Status« einnimmt, »da differentielle Artikulationen anhand von sprachlichen Zeichengefügen besonders gut beobachtbar sind« (Stäheli 1995: 371 ).
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mans Arbeit, um deutlich zu machen, wie das Sprechen als körperliche Handlung, wie der begehrende Körper die Intelligibilität des Diskurses überschreitet. Gerade sein unbewusstes Sprechen »markiert die Grenze der Intentionalität des Sprechaktes. Der Sprechakt sagt immer mehr oder sagt es in anderer Weise, als er sagen will« (Butler 2006: 23). Führt der Körper nach Butler zu einer ständigen Disruption des Diskurses, so ist es doch gerade eine andere Erscheinung des Rauschens, die lterabilität respektive die differance, welche flir sie den Sprechakt zur Möglichkeit des politischen Widerstandes werden lässt: »Genau darin, dass der Sprechakt eine nicht-konventionale Bedeutung annehmen kann, dass er in einem Kontext funktionieren kann, zu dem er nicht gehört, liegt das politische Versprechen der perfOtmativen Äußerung, ein Versprechen, dass die performative Äußerung ins Zentrum einer hegemonialen Politik stellt und dem dekonstruktivistischen Denken eine unvorhersehbare politische Zukunft eröffnet« (ebd.: 252). Tatsächlich ist die dekonstruktivistische Geste als ein performativer Akt zu verstehen, der nicht, wie von ihren Gegnern unentwegt vorgebracht, eine Auflösung des Sozialen in der Beliebigkeit zum Ziel hat, sondern Identitäten ihre ontologische Wurzel zieht. Damit wird versucht Raum zu gewinnen, um die spürbaren, differenzlogischen Anordnungen von Diskursen zu verschieben. Butler nennt diese Möglichkeit der Verschiebung von Bedeutungen Resignifizierung. Dabei bedient sie sich dem iterativen Charakter von Sprechakten, indem sie vor allem das in der Wiederholung angelegte Moment der Alterierung stark macht. In den Worten Sybille Krämers (2001: 254) wird das Zitieren »Zum Rezitieren, die Signifikation zur Resignifikation, die Kontextualisierung zur Rekontextualisierung«. Die Perfonnativität ermächtigt das Subjekt also nicht nur im Diskurs sprechen zu können, sondern ihre notwendige Unvollständigkeit enthält auch das Potential für eine Fehlaueignung von Normen, die sich gegen deren geschichtlich sedimentierte Wirkungen richtet und deren Iteration eine Transformation erlaubt. Für Zizek muss Butler mit ihrem Ansatz, den Sprechakt als einen Akt des Widerstandes zu denken, notwendig innerhalb des hegemonialen Feldes sitzen bleiben. Die subversiven Verschiebungen der Resignifikation stellen seiner Ansicht nach nichts weiter als einen »internen Guerillakrieg«, eine »inhärente Überschreitung« dar, »welche das Andere in Gestalt eines vorherrschenden Diskurses, der nur marginal verschoben oder überschritten werden kann, als Bezugspunkt braucht« (Zizek 2001 b: 362). Derlei Praktiken unterstützten letztendlich das, was sie unterlaufen wollen, sei doch das eigentliche Gebiet flir solche Überschrei-
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tungen schon von der hegemonialen Form des großen Anderen (hier die symbolischen Normen und ihre kodifizierten Überschreitungen) erfasst, ja sogar erzeugt worden. Anstatt auf das nicht intelligible Außen des Diskurses abzuheben, entpuppt sich die Resignifikation ftir Zizek als bloße Verschiebungspraxis innerhalb des Sinnhorizonts. Allerdings ignoriert er Butlers explizite Bezugnahme auf die Iterabilität und wirft ihr stattdessen vor, Widerstand vor allem von Foucault her zu denken, wonach Resistenz der Macht immanent ist, vom Sinnhorizont des Diskurses also bereits einkalkuliert wurde. Davon ausgehend vermenge sie den Sprechakt mit einer tatsächlichen Bezugnahme auf >a< (hier das Reale), mit dem »echten Akt«, mit dem Lacanschen »ethischen Akt« (Zizek 2001 b: 361 ). Beide Akte müssen Zizek zufolge jedoch streng auseinander gehalten werden, wobei nur der radikalere Akt als Exzess zu einer »gründlichen Umgestaltung« des Symbolischen in der Lage sei (ebd.: 362). Widerstand bedeutet danach, wie Antigone eine Art symbolischen Tod zu erleiden, indem der Ausschluss aus dem soziosymbolischen Raum in Kauf genommen wird. Die entscheidende Frage, die sich hier an Zizeks kritische Auseinandersetzung mit Butler stellt, ist, welche Form das Symbolische nach seiner gründlichen Umgestaltung, nach dem Akt als Exzess, zugespitzter: nach dem Ideal der Revolution haben würde. Muss nicht davon ausgegangen werden, dass auch eine radikale Neuformulierung des Symbolischen notwendig Ausschlüsse produzieren würde, dass sich das Symbolische also erneut mit Schreibfehlern diesseits und jenseits der einkalkulierten inhärenten Überschreitungen herumzuschlagen hätte? Die Geschichte im Anschluss an die Oktoberrevolution 1917, insofern man dieses Ereignis als einen radikalen Akt verstehen möchte, scheint jedenfalls beständig auch die einer Rückkehr des Ausgeschlossenen gewesen zu sein. Für diese Hartnäckigkeit des >a< fanden bereits die Revolutionäre um Lenin einen Namen: Opportunismus.
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Nichts als Geschichte(n). Montage als archäologische Methode in Jean-Luc Godards Histoire(s) du Cinema GuNTHER GEBHARDI STEFFEN S cHRÖTER
Es ist noch gar nicht allzu lange her, dass man einem Beitrag, der vorwiegend Michel Foucault im Blick hatte, den Titel Wer hat Angst vorm »linguistic turn«? (Schöttler 1997) geben konnte. Foucault wurde- was nicht nur angesichts des zentralen Begriffs des Diskurses, sondern durchaus auch aufgrund des theoretischen und methodischen Bezugs auf die Linguistik plausibel war- dieser 1967 von Rorty (vgl. 1992) identifizierten sprachtheoretischen Wende zugeordnet. Zumindest in den deutschen Debatten um Foucault standen lange Zeit in erster Linie andere Aspekte im Vordergrund. Zum einen arbeitete man sich - sozialphilosophische Fragen debattierend - hinlänglich an dem vermeintlichen Generalangriff auf die Vernunft ab. Zum anderen bezog man - methodische Fragen aufgreifend - Foucault in den Stellungskrieg zwischen quantitativer und qualitativer Sozialforschung ein. 1 Inzwischen wurde ein weiterer turn ausgerufen - der »iconic« oder »pictural turn« (Mitchell 1994) -,der zwar eigentlich auch schon etwas in Jahre gekommen, jedoch nach wie vor nicht umfassend verarbeitet ist. 2 Möglicherweise tun sich die deutschsprachigen Geistes- und Sozialwissenschaften aufgrund von Gegebenheiten, die man als wissenschaftskulturelle bezeichnen könnte, besonders schwer mit visuellen Phänome-
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Vgl. zur Methodisierung Foucaults und zu methodologischen Fragen allgemein Gebhard/Schröter (2007). Zu bemerken am teils skizzenhaften, teils programmatischen Charakter jüngerer Veröffentlichungen, die versuchen, das Foucaultsche Denken für visuelle Phänomene fruchtbar zu machen (vgl. u. a. Maasen et al. 2006; Prinz/Schäfer 2008).
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nen; zumindest hat Martin Jay (1991) der deutschen Philosophie eine beinahe generelle Bildabstinenz attestiert. 3 Konstatieren lässt sich aber in jedem Fall, dass in der Folge des iconic tums die Problematik und Bedeutung des Visuellen im Hinblick auf das Denken Foucaults und die Diskursanalyse verstärkt diskutiert werden. Dabei werden vor allem zwei Aspekte - nicht selten miteinander vermischt - zum Thema. Zum einen bemerkte man, dass der Blick in Foucaults Arbeiten eine zentrale Rolle spielt und dass- worauf Martin Jay (ebd.: 135) schon vor geraumer Zeit hingewiesen hat- voir, savoir und pouvoir in einem Zusammenhang stehen, der ganz offensichtlich ein systematischer ist. So hatte Foucault schon in seinen frühen Werken, in Wahnsinn und Gesellschaft und in Die Geburt der Klinik, gezeigt, dass in der Medizin des klassischen Zeitalters Blick und Erfahrung zunehmend identisch werden. Der medizinische Blick, das Wissen und die Wahrheit gingen eine enge Beziehung ein; eine folgenreiche Entwicklung, da die Medizin als empirische Wissenschaft zum Modell der Forschung in den Humanwissenschaften allgemein wird (vgl. ebd.: 139f.; Rajchmann 2000). Ebenso spielt der Blick in Überwachen und Strafen eine entscheidende Rolle. Die Differenz von Souveränitäts- und Disziplinarmacht ist auch eine der Blickregime: das Schauspiel der Marter auf der einen, das Regime der ubiquitären Sichtbarkeit in den Kadettenschulen oder - paradigmatisch - Benthams Panopticon auf der anderen Seite. Zum anderen entdeckte man Foucaults verstreute Einlassungen zu Bildern: am bekanntesten das Eröffnungskapitel in Die Ordnung der Dinge über Velazquez' Las Meninas, darüber hinaus Arbeiten zu Magritte, Manet, Klee, Kandinski, aber auch zu Panofsky. In beiden Fällen- Blick und Bilder- kann man jedoch konstatieren, dass die Ausarbeitung einer Systematik in theoretischer oder methodologischer Hinsicht bei Foucault fehlt. Angesichts der >>Unübersehbare[n] empirische[n] Tatsache« eines »ständige[n] Anwachsen[s], [eines] ubiquitäre[n] Ausstoße[s], [der] Allgegenwart von technologisch produzierten Bildern in der aktuellen Wirklichkeit einer Medien- und lnformationsgesellschaft« (Maasen et al. 2006a: 16) versuchen daher neuere Arbeiten im Anschluss an Foucault, Bilder als konstitutive Bestandteile der Wissensproduktion, der »Konstruktion und Wahrnehmung von Subjekten und Gesellschaft« (ebd.: 14) zum Gegenstand der Analyse zu machen. 4 3
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Jays Beobachtung ist, dass deutsche Philosophen, wenn sie Kunst thematisieren, beinahe durchweg auf die Musik als exemplarisches Medium zurückgreifen, während französische Philosophen insbesondere über Malerei reflektieren (vgl. Jay 1991: 133ff.). Auf die Bedeutung der meuen< Medien hatte Foucault, wenn auch in anderem Zusammenhang, hingewiesen. Tm Hinblick auf das- gemessen an den Intentionen-Scheitemdes disziplinarischen Programms erklärte Foucault:
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Eine der zentralen Herausforderungen in methodischer Hinsicht liegt in der Eigenständigkeit der Bilder. Lassen sich Bilder einfach analog zu Diskursen analysieren? Funktionieren Bilder ebenso wie Sprache oder fehlt ihnen nicht die Klarheit und Eindeutigkeit, die sich mit Sprache erzeugen lässt? lnwiefem muss eine an Foucault anschließende Methodik das Verhältnis von Bild und Sprache bestimmen? 5 Solche Fragen bilden auch den Hintergrund der folgenden Überlegungen. Diese werden jedoch nicht den Weg nehmen, von der Sprache und der Diskursanalyse auszugehen, um dann über das Verhältnis zu visuellen Artefakten zu reflektieren. Vielmehr soll einer - eher am Rande getätigten und nicht systematisch ausgearbeiteten - Äußerung Youssef lshaghpours gefolgt werden. Dieser hatte in einem Interview mit Jean-Luc Godard die These aufgestellt, dass sich dessen Videoprojekt Histoire(s) du cinbna (1988-1998) 6 als Archäologie des Kinos im Foucaultschen Sinne verstehen ließe (vgl. Godard/lshaghpour 2008: 39). Folgt man dieser Überlegung, wird Archäologie bei Godard mithin nicht im Medium des Texts, sondem in dem des Films betrieben. Godards grundlegende Idee für die Histoire(s) war es, eine »wahre« Geschichte des Films zu produzieren, die in Eildem und Tönen erzählt »Es ist die Illusion fast aller Ref01mer des 18. Jahrhunderts, die der Meinung eine beträchtliche Stärke eingeräumt haben. Weil die Meinung nur richtig sein konnte, da sie das unmittelbare Bewusstsein des gesamten Gesellschaftskörpers war, glaubten sie, die Leute würden aufgrund der Tatsache, dass sie erblickt würden, tugendhaft werden. Die Meinung war fiir sie gleichsam die Reaktualisierung des Vertrags. Sie verkannten die wirklichen Bedingungen der Meinung: die Medien, eine Materialität, die in den Formen der Presse, des Verlagswesens, dann des Kinos und des Fernsehens in den Mechanismen der Ökonomie und der Macht eingefangen ist« (Foucault 2003: 268).
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Schon die Sprache scheint eine solche Verhältnisbestimmung nicht selten zu erschweren. Man denke nur daran, wie oft in wissenschaftlichen Texten zu lesen ist, dass etwas sichtbar gemacht werden soll. Godard begann die Arbeiten zu diesem Projekt 1978 in Montreal, einer Einladung von Serge Losique, des damaligen Leiters des Conservatoire d'Art Cinematographique, folgend, mit Filmvorflihrungen, an die sich in einer Art Vorlesungszyklus Reflexionen über das Gesehene anschlossen. Die Veranstaltungen waren dabei so konzipiert, dass Filme von anderen Regisseuren mit Arbeiten Godards konfrontiert wurden, um Bezüge zwischen den Filmen sichtbar zu machen. Aus den Veranstaltungen resultierte aber zunächst kein Film, sondern wiederum >nur< ein Buch, das Godard als »Drehbuch« flir eine »wahre Geschichte des Films« verstand (vgl. Godard 1989: o. S.). Die Arbeiten zu den Histoire(s) du Cinema nahm er 1988 in Angriff. Nach knapp zehn Jahren der Beschäftigung mit dem Projekt, die immer wieder von der Arbeit an anderen Filmprojekten unterbrochen wurde, wurden die Histoire(s) 1998 fertiggestellt Der Film besteht aus insgesamt acht Kapiteln (1A-4B) mit unterschiedlicher Länge, die auch als Einzelfilme funktionieren.
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wird, da eine Filmgeschichte in Buchform notwendig die Sache verfehle, weil sie den Bildern nicht gerecht werden könne (vgl. Godard 1989: o. S.). Dabei sollte es nicht darum gehen, (Film-)Geschichte chronologisch zu erzählen, sondern sein Ansatz zielte darauf, Bezüge zwischen unterschiedlichen medialen Materialien (Malerei, Skulptur, Fotografien), insbesondere aber zwischen verschiedenen Filmen herzustellen, um etwas Neues (und hier trifft das Wort einmal) sichtbar zu machen, Geschichte anders zu erzählen: »Denn wenn man die Filme in Beziehung setzt zueinander, dann ergeben sich andere Vorstellungen und Gesichtspunkte dazu, wie die Dinge entstanden sind« (ebd.: 255). Es geht mithin darum, Beziehungen zu konstruieren, die im Material vorhanden sind, im Kino selbst jedoch üblicherweise verborgen bleiben. Foucaults Idee der Archäologie war es, »ein positives Unbewußtes des Wissens zu enthüllen: eine Ebene, die dem Bewußtsein des Wissenschaftlers entgleitet und dennoch Teil des wissenschaftlichen Diskurses ist« (Foucault 2002: 11 f.). Analog dazu wäre Godards Projekt als eines aufzufassen, das zum einen eine vorhandene, bislang aber so nicht gesehene Geschichte des Kinos im 20. Jahrhundert zeigt und zum anderen eine Geschichte des 20. Jahrhunderts in seiner Verwobenheit mit seinem Leitmedium, dem Kino. Sollte dieses Unterfangen gelingen, sollten also die folgenden Ausführungen einige Plausibilität beanspruchen können, dann ließe sich behaupten, dass Godard die archäologische Methode bereichert hat und dies in einem Medium, das bislang kaum als prädestiniert für einen wissenschaftlichen analytischen Zugriff auf die Wirklichkeit galt. lm Folgenden wird an drei sich durch Godards Film ziehenden thematischen Linien, die sachlich heterogen sind (Bild/Sprache, Gewalt/ Holocaust, Begehren/Sex/Tod), Godards zentrale methodische Herangehensweise, die Montage, exemplarisch vorgestellt werden: Dabei wird im ersten Beispiel vom Beginn des Films ausgegangen (wobei dies flir die Rekonstruktion der Serie keine Notwendigkeit ist) und zu zeigen versucht, wie sich Serien auf einer Makroebene entfalten, um dann in unterschiedliche Richtungen auseinanderzustreben bzw. sich auf unterschiedlichen Mikroebenen zu verzweigen (l.). Im zweiten und dritten Beispiel werden zwei Passagen in den Blick genommen, die als verdichtete Anfänge von sich entfaltenden Geschichten verstanden werden können (ll.). Im Anschluss daran wird das Godards Histoire(s) zugrunde liegende Montagekonzept diskutiert (lll.). Abschließend werden die Überlegungen zu Godards Histoire(s) zusammengeführt und mit Foucaults Archäologie konfrontiert (IV.).
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Godards Histoire(s) du cim!ma beginnen- angesichts dessen, dass es sich um einen Film handelt, dass die Geschichte(n) also selbst Kino sind- auf eigenwillige, zumindest nicht unbedingt zu erwartende Weise: mit Text. »Hoc opus« liest man in großen weißen Lettern auf schwarzem Grund, und dann »hic Iabor est« 7, dazu hört man aus dem Off Godards Stimme mit den Worten >me change rien pour que tout soit different« (ändere nichts, damit alles anders ist). Als eigenwillig kann man diesen Einstieg bezeichnen, weil man wohl behaupten darf, dass er kontraintuitiv ist. Könnte, sollte, dürfte man bei einem Film, der behauptet, eine Geschichte bzw. Geschichten des Kinos zu sein, nicht eine primäre Betonung des Visuellen erwarten? Diese Akzentuierung gibt es zwar auch, aber ganz am Beginn des Films steht Text. 8 Die Einblendung von Schrift wird in Godards Histoire(s) eine - einfach zu identifizierende Konstante - ausmachen. Sie erreicht eine im Kino kaum gekannte Dominanz. Die Zwischentitel, weiße (teilweise auch farbige) Schrift auf schwarzem Grund, ließen sich als Reminiszenz an den Stummfilm lesen; jedoch bleibt es nicht bei solchen Zwischentiteln, sondern Schrift wird auch über Bilder geblendet; darüber hinaus wird Schrift - anders als im Stummfilm - sparsamer eingesetzt; sie gibt weder die im Film gesprochene Rede wieder noch wird mit ihr eine Geschichte erzählt. Vielmehr handelt es sich um kurze Sentenzen, einzelne Worte, Namen; vieles taucht nur einmal auf, manches oft, insbesondere der Titel des Films selbst. Auch belässt es der Film nicht bei der bloßen Ein- und Ausblendung der Schrift, sondern er wechselt das Tempo der Einblendung (bis hin zu einem kurzen, kaum wahrnehmbaren Erscheinen) und spielt immer wieder mit den Buchstaben, lässt bspw. das bei »Histoire(s)« in Klammern stehende »S« erst nach einer Pause erscheinen oder reduziert »Histoire« auf »Toi«. Nicht zuletzt wird in diesen SchriftMontagen der visuelle Aspekt von Schrift selbst betont: Die Typografie mag zwar nicht meisterhaft ausgeführt sein, lässt aber im Gebrauch unterschiedlicher Schrifttypen, konturierter Buchstaben, unterschiedlicher Schriftfarben einen expliziten Formwillen erkennen. 9 7 8 9
Der Satz stammt von Vergil; die Prophetin beschreibt mit ihm die Mühen des Aufstiegs aus der Unterwelt. Die mehr oder weniger freie Übersetzung lautet: »Das ist ein hartes Stück Arbeit«. Selbstverständlich beginnen viele Filme mit Worten, mit dem Vorspann, der aber nicht im engeren Sinne als Text zu bezeichnen wäre. Auch könnte man in der Typografie eine Reflexion von Geschichtlichkeit ausmachen: In den ersten vier Kapiteln ist insbesondere das immer wiederkehrende »Histoire(s) du cinema« nahezu durchgängig in einer konturierten Schrift gesetzt, die eher in den 80er Jahren >modern< war; in den 61
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Nur wenig später, noch bevor die erste Minute des Films abgelaufen ist, sieht man Godard, der ein Blatt Papier in eine Schreibmaschine einspannt, dann eine Taste betätigt, daraufbin hört man das Geräusch vielleicht, angesichts dessen, dass es sich um eine geradezu >maschinentypischegeborgt< hat: einem Text ein Motto, einen programmatischen Satz voranzustellen. Indem Godard dieses Prinzip jedoch ständig anwendet, untergräbt er die exponierte Stellung dieser Sentenz und lässt den Eindruck einer ubiquitären Anwesenheit von Text im Film entstehen. Und dass kurz darauf mit dem Sound der Schreibmaschine - eines Gerätes, das dazu dient, Schriftstücke zu produzieren - Text noch einmal ins Spiel gebracht wird, macht ebenso den Text als solchen, also als abstrakte Form wie als Medium im Film anwesend. So unerwartet der Beginn des Films also sein mag, so programmatisch ist er. Die beiden >Aussagen< bilden den Ausgangspunkt eine Serie. Von einem Ausgangspunkt ist dabei nur in dem Sinne zu sprechen, dass beide Ereignisse am Beginn des Films stehen, dass sie also in eine durch das Medium und seine technischen Gegebenheiten bedingte zeitliche Struktur des Films eingebaut sind. Sie sind jedoch kein Ausgangspunkt im Sinne eines ersten Ereignisses einer sich entwickelnden, gar linearen Erzählung oder Argumentation. Die Serie könnte man vielmehr an vielen Punkten im Film beginnen lassen, ohne dass sich ihre Rekonstruktion dadurch verändern würde. Diese Serie entfaltet sich in unterschiedlichen Formen, sie weist Konstanten auf - Formen, die sich wiederholen ebenso wie einmalige Ereignisse. Ausgehend von dieser, gewissermaßen auf der Makro-Ebene angesiedelten Serie ließen sich die einzelnen Ereignisse wiederum selbst als Montagen rekonstruieren - eine Strategie,
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die im nächsten Kapitel in den Blick genommen wird. Dabei würden jeweils spezifische Verbindungen sichtbar wie bspw. die von Text-Bild/ Kino-Revolution oder (auf einer allgemeineren Ebene) Text-Kino-Gewalt. Auf der Ebene dieser Makro-Montage aber wird der Text thematisiert - seine Historizität, seine Verwobenheit mit Bildern ebenso wie seine Rolle in der Geschichte.
II Wechselt man die Blickrichtung und widmet sich einzelnen Fragmenten und ihrer Zusammenstellung in Godards Histoire(s), dann lassen sich Beziehungsfelder beobachten, die weit über die Montage im Kleinen hinausgehen und deren Fluchtlinien auf bereits Gesehenes/Gelesenes/ Gehörtes und noch zu Sehendes/zu Lesendes/zu Hörendes ausstrahlen. Entsprechend entwickeln sich in den Histoire(s) auch ausgehend von der Montage im Kleinen - also von der Konfrontation von (mindestens) zwei Bildern, Szenen, Tonfolgen etc.- Geschichten, die aber freilich gerade ob des disparaten Materials, das zusammengefügt wird, ein komplexes Gefüge aufweisen: Liest man diese Geschichten ausgehend von der Montage von einzelnen Fragmenten, entstehen verschiedene Stränge, die in unterschiedliche Richtungen auseinanderstreben. Für diese Verzweigungen gibt es mehrere Ursachen. Erstens sorgt die Disparatheit des zitierten Materials dafür, dass der Komplexitätsgrad der j eweiligen Geschichten steigt; so können die Geschichten bspw. auf der Ebene des Tons >weitererzählt< werden, während es auf der Ebene des Bildes zum Aufbau neuer Bezüge kommt. Zweitens nutzt Godard ein Verfahren, das auf dem Fragmentcharakter des Materials beruht: Da die Fragmente einem spezifischen Kontext (einem Film, einem Text, einem Musikstück) entstammen, wird es möglich, Erzählstränge durch die Verbindung mit anderen Fragmenten aus diesem Kontext zu bilden. Und drittens werden die konstruierten Stränge mithilfe des Verfahrens der Wiederholung von Fragmenten verdichtet. All dies, so die Überlegung, kann ausgehend von der Montage im Kleinen erschlossen werden. Man könnte hier entsprechend zwischen einer Mikro-Montage (Montage von Fragmenten) und einer Makro-Montage (Montage von Mikro-Montagen bzw. Montage von Mikro-Montagen mit anderen Fragmenten) unterscheiden, wobei die Mikro-Montagen als Verdichtungen von Geschichten zu verstehen sind. Dies soll im Folgenden an zwei Beispielen angedeutet werden. 10 10 Dabei sollte allerdings klar sein, dass der Ausgangspunkt der Beschreibung, also die Identifikation der Mikro-Montage, ein Akt ist, der notwendig kontingent bleibt. Je nachdem, was man als Montage identifiziert, entste-
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Im ersten Beispiel, das dem letzten Teil des Kapitels lA (Toutes !es histories) entstammt, ereignet sich Folgendes: Aus dem Off ertönt die Stimme Godards, die die These formuliert, dass der europäische Film vom US-amerikanischen und vom Fernsehen nach dem Zweiten Weltkrieg in den Ruin getrieben worden sei - dazu ist eine US-amerikanische Flagge zu sehen. Im Anschluss an diese Worte setzt dramatische Musik ein. Dazu sieht man zunächst ein kurzes Filmfragment, das einen Mann in Uniform zeigt, der gegen den Widerstand einer Frau ein Kind aus dem Fenster wirft. In das kurze Fragment ist das Wort >Endlosung< einmontiert. Die Musik erreicht ihren Höhepunkt, während man sieht, wie ein Mann von einem Speer durchbohrt wird. Diese Szene wird mit einem Standbild überblendet, das eine Großaufnahme einer augenscheinlich paralysierten, fassungslosen jungen Frau zeigt. Der darauf folgende Schnitt besteht aus einem schwarzen Bild, auf dem in Versalien in weißer Schrift Fragmente des Titels Histoire(s) du Cimima lesbar sind, darüber montiert ist in gelber Schrift das Wort >EuropaTod/Ruin/Endlösung< und >FassungslosigkeitAkteur< der Geschichte ehendieses Jahrhunderts gewesen sei - sei es, dass es die Greuel widerspiegelte, sei es, dass es den Menschen die Flucht aus der Realität ermöglichte, indem es ihnen den Zugang zu einer Traumwelt verschaffte, oder sei es schließlich, dass es vern1ochte, zum Nachdenken über diese Realität anzuregen.
111 Nachdem sich den Hisfaire(s) in den vorangegangenen Abschnitten auf zwei Weisen angenähert wurde, gilt es im Folgenden, Godards Arbeit mit dem Material auf einer abstrakteren begrifflichen Ebene zu betrachten. Der in diesem Zusammenhang augenscheinlich wichtigste Begriff ist der der Montage, der auch als entscheidender Begriff für Godards kinematografisches chosesfremdem< Material arbeitet. Der Punkt, dass mit Zitaten gearbeitet wird, ist insofem entscheidend, als damit die 18 Es ist dies nicht die einzige Stelle, die das Verfahren thematisiert, aber es ist die einzige, die den Akt des Zusammenfiigens und nicht den des Schneidens (Cut) zeigt. Metabilder des Schneidens gibt es in den Histoire(s) einige: Anna Karina mit der Schere in Godards Pierrot le fou ( 1965), Bilder von einem Schneidetisch, auf dem verstreut einzelne Filmbilder liegen ... 19 So werden bspw. in einer Passage von Godards 2 ou 3 choses que je sais d'elle (1966) Werbeschilder, eine Tankstelle, eine im Sonnenlicht erstrahlende Motorhaube eines Autos, eine junge Frau und im Wind wogende Bäume nacheinander ins Bild gesetzt, während im Offüber das Verhältnis zwischen dem Sichtbaren und der Sprache reflektiert wird. 20 So etwa in Godards La Chinoise (1967), in dem (Film-)Kunst, Maoismus und der Vietnamkrieg miteinander konfrontiert werden. 21 Vgl. unter anderem Nouvelle Vague ( 1990), wo Literatur, indem die Figuren gewissermaßen zu literarischen Jukeboxes werden und beständig in >fremden Zungen< sprechen, Malerei (eine Postkarte mit der Reproduktion eines Bildes von Gauguin), Film (insbesondere Joseph L. Mankiewicz' Barefoot Contessa (1954)) und Musik in ein spannungsvolles Gefiige integriett sind. 22 Ein Beispiel für eine solche Verfahrensweise ist Pierrot le fou, wo unter anderem auf Film-Noir-typische Einstellungen, Musical- und Tanzszenen oder Roadmovie-Motive zurückgegriffen wird. 23 Vgl. zu diesen beiden Denkfeldern im kinematografischen choses< und ihre Einfügung in neue Kontexte; sie umfasst mithin - in anderen Begriffen fonnuliert ebenso die Demontage wie die Konstruktion von Zusammenhängen (vgl. Kurzawa 1981: 111; Spiegelmann 2000: 114f.). Das genutzte Material wird aus mehr oder minder festgefügten Zusammenhängen herausgelöst und buchstäblich fragmentiert. Dadurch geht der Sinnbezug verloren, den der eigentliche Kontext der >Dinge< stiftet. Sinn kann sich mithin nur noch in Bezug auf die >Dinge< selbst aufbauen oder durch den Zusammenhang, den die Montage herstellt, indem sie zwei oder mehr >Dinge< miteinander verbindet. 24 In diesem Sinne ist auch der auf dem Montagekonzept beruhende Begriff des kinematografischen Bildes bei Godard gedacht. So formuliert Godard anlässlich seines Filmes Sauve qui peut (Ia vie) (1979): »Film heißt nicht: ein Bild nach dem anderem, sondern ein Bild plus ein Bild, woraus ein drittes Bild entsteht« (Godard 1981: 43f., vgl. auch Godard/Ishaghpour 2008: 25). Das >Plus< funktioniert in dieser Aussage offensichtlich als Konjunktion, die Bilder oder Fragmente verbindet, und steht für die Montage. Godard behauptet mithin, dass die Essenz des Films die Montage sei. 25 Führt man sich vor Augen, dass die Aneinanderfügung von Bildern für einen Film schlicht eine Notwendigkeit ist, erscheint Godards Aussage zunächst geradezu selbstevident Das Spezifische im Ansatz Godards liegt aber im Abstraktionsgrad, darin, dass abstrakt von einem >Plus< gesprochen wird, ohne dass festgelegt würde, wie die Zusanunenfügung konkret auszusehen habe. Bezieht man sich auf die Deutung des >Plus< als Konjunktion, heißt dies, dass durch Montage zwischen den Bildern unterschiedlichste Beziehungen entstehen können: Beziehungen des mndoderaber< etc. Montage meint also 24 Allerdings muss man hier insbesondere im Hinblick auf die zitierten Filmszenen oder die Filmstills etwas vorsichtiger argumentieren. So schwinden zwar die Bezüge zu einem Vorher und Nachher, die das Material in seinem ursprünglichen Kontext aufweist, aber sie lösen sich nicht auf, denn das Material führt trotz seiner Fragmentierung Spuren des ursprünglichen Kontextes mit sich. Entsprechend überlagern sich durch die Montage verschiedene Schichten, die mit unterschiedlicher Intensität präsent sind: einerseits (Sinn-)Spuren des Ausgangskontextes, andererseits Sinnzusammenhänge, die durch die Montage hergestellt werden. 25 Mit dieser These stellt sich Godard gegen eine stimmgewaltige Fraktion von Theoretikern oder Kritikern des Films, die der Montage nur eine untergeordnete Rolle zugestehen - und wendet sich dabei insbesondere gegen den einflussreichsten französischen Filmtheoretiker (bzw. -kritiker) der 1950er Jahre, Andre Bazin, und dessen Ansatz der »Schärfentiefe« (vgl. Bazin 2009, 2009a). Allerdings greift auch Godard auf eine filmtheoretische Tradition zurück, in der sich unter anderem Eisenstein und Vertov verorten lassen.
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schlicht, »die Dinge zueinander in Beziehung setzen, [ .. .] einfach etwas in Verbindung bringen« (Godard 1989: 16). Das entstehende >dritte BildPlus< als Platzhalter für unterschiedliche Konjunktionen auffasst. Vielmehr lässt sich gerade in den Histoire(s) beobachten, dass das >Plus< eine bildliehe Entsprechung hat, dass sich also gewissermaßen ein Bild zwischen die miteinander montierten Bilder schiebt. Dieses Zwischenbild - es kann ein einfaches schwarzes Bild oder ein Zwischentitel sein etc. - fungiert als eine Art Grenze (vgl. Deleuze 2005: 233f.) oder Schleuse, die einerseits die Sinnbezüge der Einzelbilder voneinander trennt, andererseits aber auch die Sinnbewegungen zwischen ihnen reguliert und kontrolliert, also Verhältnisse zwischen ihnen herstellt. Genau an dieser Stelle ist das >Plus< kinematografisch zu verorten. Auf diesem Zwischenbild basiert die Montage, von hier aus beginnt sie ihre Sinn- bzw. Verknüpfungsarbeit. Zum anderen kann hinsichtlich Godards Aussage gefragt werden, welche Rolle die Sprache und der Ton spielen könnten. Offensichtlich ist zunächst, dass es der Sprache nicht notwendig bedarf, um filmische Aussagen anhand der Montage zu tätigen - dafür braucht man nur Eisenstein anzuführen. 26 Allerdings ist genauso offensichtlich, dass sich mit einem Montageverständnis, das nicht nur Bilder, sondern auch Sprache und Ton umfasst, weitaus komplexere Aussagen treffen lassen (vgl. Kluge et al. 1999: 28f.). Und genau das kann in den Filmen Godards und insbesondere in den Histoire(s) beobachtet werden. Die Sprache wird eingesetzt, um die Bilder zu (de-)kontextualisieren, um Kontrapunkte zu ihnen zu setzen oder um parallel zu den >Bildgeschichten< neue Reflexions- oder Erzählebenen zu eröffnen. 27 Der nonverbale Ton (Musik, Geräusche etc.) wie26 Man denke nur an die in filmtheoretischen Schriften oft zitierte - und auch in den Histoire(s) gezeigte - Bildfolge der Löwenskulpturen in Eisensteins Panzerkreuzer Poternkin oder an die Diskussion unterschiedlicher Montagesequenzen in den Schriften Eisensteins (vgl. z. B. Eisenstein 2006: 19ff.). 27 Harun Farocki merkt in einem Gespräch mit Kaja Silverman über Godards Film Nouvelle Vague an, dass die Sprache in diesem Film mitunter eine solche Autonomie gewinne, dass Worte mit Worten statt Menschen mit Menschen kommunizieren würden (vgl. Silverman/Farocki 1998: 228). Diese Beobachtung trifft noch stärker auf die Histoire(s) zu, in denen die 73
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derum mntermalt< die Bilder, eröffnet Sinnbezüge (bpsw. die Filmmusik aus Psycho in der im vorherigen Abschnitt kurz diskutierten Szene) oder verfugt Fragmente und stiftet so Zusammenhänge. Kurz: Die möglichen Verhältnisse, die sich schon auf der Bildebene einstellen - eben die, die sich durch die Konjunktion >Plus< ergeben - , werden durch die Hinzufügung der Sprach- und Tonebene noch einmal multipliziert. Montage meint also das Zusammenfügen verschiedener Fragmente auf den unterschiedlichen im Film benutzbaren Aussageebenen, um filmische Aussagen zu treffen. Das >dritte Bild< ist eben dies: die filmische Aussage. Montage ist die Methode, um zu diesen Aussagen zu gelangen. Angesichts der Komplexität der möglichen Verhältnisse, die die Fragmente auf den einzelnen Ebenen miteinander eingehen können, und angesichts des Anspruchs, Dinge zusammenzubringen, die noch nicht zusammengebracht worden sind, eröffnet das Godardsche Montagekonzept einen Raum der Unbestimmtheit. Godards Ansatz unterscheidet sich somit signifikant von klassischen Montagekonzeptionen, etwa der Attraktionsmontage Eisensteins (vgl. 2006) oder von den Überlegungen von Yertov oder Pudowkin, flir die »zwar der Konflikt der Bilder oder der narrativen Stränge wesentlich« war, bei denen der »strategisch eingesetzte Widerstreit der Bilder und Einstellungen [ ... ]jedoch genutzt werden [sollte], um mit den Mitteln der Montage eine bestimmte, kalkulierte Wirkung, eine neue Haltung und eine neue politische Einstellung zu erzeugen, und zwar gerade im Sinne einer Synthese« (Stiegler 2008: 24). Demgegenüber geht es bei Godard darum, die Verhältnisse zwischen den kinematografischen Elementen auszuloten. Es geht darum, zu erforschen, was mit dem Film bzw. was im Film >gesagt< werden kann. Der Sinn der filmischen Aussagen, die aus einer solchen Haltung resultieren, lässt sich nicht mehr eins zu eins fixieren: Die Aussagen weisen aufgrund der Komplexität des Arrangements der Fragmente immer wieder Störgeräusche, auseinanderstrebende Sinnbezüge auf, die Deutungen unterminieren. Godards Ansatz, den Film als Reflexionsmedium zu nutzen, zielt mithin nicht darauf, die Komplexität der Welt auf eine- vom Regisseur bzw. Monteur intendierte- politische Deutung einzuschrumpfen, sondern vielmehr darauf, Komplexität aufzubauen.
Aussagen und Textpassagen unterschiedlichster Autoren gewissermaßen auch als autonome Textmontage gelesen werden könnten. 74
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IV Godards filmische Methode lässt sich mit Foucaults archäologischem Vorgehen abgleichen. Foucaults zentrale Überlegung war es, das Material als »Monumente« - im Gegensatz zu »Dokumenten« - zu behandeln. Während die Geschichtswissenschaften den »Dokumenten« a priori eine »verborgene Bedeutung« zugeschrieben hätten (vgl. Foucault 2001: 902), ginge es einer Archäologie vielmehr darum, das Material als »stumme«, »kontextlose Gegenstände« - eben als Monumente - zu betrachten (vgl. Foucault 1981: 15). In diesem Sinne ist Diskursanalyse als Instrument einer auf Dauer gestellten Distanzierung von (anscheinenden) Selbstverständlichkeiten, Notwendigkeiten, Unveränderlichkeiten oder Naturwüchsigkeiten konzipiert. Als allgemeiner Mechanismus, der umso notwendiger ist, je historisch oder kulturell >näher< der Gegenstand der Untersuchung der eigenen Kultur liegt, lässt sich der der Verfremdung identifizieren. Um diesen Fremdheitscharakter des Materials herzustellen, kann methodisch auf unterschiedliche Weise vorgegangen werden. lm Hinblick auf Godard wäre die Montagetechnik der zentrale methodische Einsatz. 28 Die Godardsche Montage meint dabei ein bestimmtes Verfahren. Prinzipiell könnte man - wie bereits bemerkt - nahezu jeden Film als Montage bezeichnen, da der Schnitt ein Verfahren des Zusammensetzens von vorher getrennten (einzeln aufgenommenen) Teilen ist; jedoch zielt die Montage im Sinne des Schnitts üblicherweise darauf, Kohärenz und Eindeutigkeit zu erzeugen. 29 Godard hingegen setzt die Montage - wie beschrieben - auf unterschiedlichen Ebenen an: Es sind überaus heterogene Elemente, die er montiert, Teile aus unterschiedlichen Filmen, (geschriebene und gesprochene) Texte, Musik, Geräusche, die >Ursprünglich< nicht zusammengehörten. Auf diese Weise erreicht Godard eine Dekontextualisierung seiner >VorlagenAussagen< beschreiben ließe. 28 Ein weiterer Verfremdungsmechanismus wäre der Medienwechsel, also dass Godard (Film-)Geschichte mit dem Medium Video erzählt. Diesen Aspekt diskutiert Joachim Paech in seinen Überlegungen zur lntermedialität in den Histoire(s) (vgl. Paech 2002: 287f.); zur Bedeutung des Mediums Video vgl. Godard/lshaghpour (2008: 23f.). 29 Stiegler weist darauf hin, dass bspw. Hitchcock durch ftir den Zuschauer nicht sichtbare Schnitte den Eindruck zu erwecken versuchte, nur eine einzige Einstellung zu verwenden. Hitchcock stehe dabeiparspro toto für das Hollywoodkino und dessen »Montagepraxis [ ... ], die Schnitte eher zu kaschieren sucht, als dass sie Brüche explizit ausstellt« (Stiegler 2008: 25; Fn. 7).
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Die Verfremdung des Gegenstandes war flir Foucault die Voraussetzung, um zu einer »immanenten Beschreibung« (Foucault 1981: 15) gelangen zu können, um also eine Struktur aufzuzeigen, die dem Gegenstand (und nicht der Vorinterpretation) eigen ist. Aussagen ließen sich somit auf unterschiedliche Weisen ordnen, wobei sich die Ordnungsprinzipien aus dem Gegenstand ergeben. Ähnlich Foucault, der unterschiedliche >Formationen< identifiziert hatte - die der Gegenstände, der Äußerungsmodalitäten, der Begriffe und der Strategien-, geht auch Godard vor. Die drei hier exemplarisch vorgeführten Themenstränge ließen sich als unterschiedliche Formationen auffassen, die auf verschiedene Weise organisiert sind. Diese Strategie ermöglicht es Godard, eine zwar weitgehend verborgene, jedoch dem Kino innewohnende Geschichte desselben sichtbar zu machen, die gleichzeitig eine Geschichte des 20. Jahrhunderts ist: eine Geschichte der Gewalt, die eng mit der Geschichte der Gewalt des Kinos und im Kino verknüpft ist; eine Geschichte des Begehrens des 20. Jahrhunderts, die ohne das Kino so nicht denkbar wäre; und nicht zuletzt eine Reflexion auf das Kino als historisches Medium selbst, die sich in diesem verfremdeten Blick anders zeigt als eine Geschichte des Kinos, wie sie üblicherweise geschrieben wird. Mit der Verfremdung als Bedingung der Distanzierung ist auch ein anderer Impetus verbunden. Geschichte zu schreiben, wie Foucault es getan hat, ist als Methode prinzipiell darauf angelegt, die Komplexität des Gegenstands zu entfalten. Damit unterscheidet sich das archäologische Verfahren von anderen Methoden, die in der Reduktion und dem Aufzeigen einer möglichst übersichtlichen Zahl von Kausalbeziehungen nicht selten geradezu den Ausweis der Wissenschaftlichkeit selbst sehen. Auch hier zeigt sich eine deutliche Parallele zu Godards Kino. Sein Montageverfahren unterläuft die Seh- und Hörgewohnheiten des Zuschauers, dessen Erwartungen an das Kino (bspw. die einer durcherzählten Geschichte). Stattdessen eröffnet sich ein Beziehungsgeflecht von überdeterminierten Elementen. Auf diese Weise spielt Godard eine Geschichte des 20. Jahrhunderts durch, die zwingend auch eine Geschichte des Kinos ist. Godards Geschichte des Kinos und des 20. Jahrhunderts weist damit den allen Geschichtserzählungen innewohnenden, jedoch meist zugunsten der Behauptung einer wissenschaftlich fundierten Realgeschichte verdeckten Konstruktionscharakter aus. Ishaghpour formuliert in diesem Sinne, dass sich das Verfahren in den Histoire(s) als »eine Archäologie« begreifen ließe, »die, ausgehend von verstreuten Momenten und Monumenten, zu Konstruktionen übergeht, die zufällig erscheinen könnten« (Godard/Ishaghpour 2008: 39f.). Godards Geschichte könnte man mithin als Fiktion - wie Foucault (vgl. 1996: 28) es nannte - verstehen; eine
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Fiktion, die darauf zielt, » Wahrheitswirkungen hervorzurufen und so zu erreichen, daß der Wahrheitsdiskurs etwas hervorruft, >fabriziertfingiert«< (Foucault 1978: 117). Ein derartiger Ansatz verzichtet also nicht auf Geltung, vielmehr wird mit ihm »zu zeigen« versucht, »wie die Dinge jenseits unserer Selbstverständlichkeiten anders liegen könnten« (Raichman 2000: 46). 30 In diesem Sinne weist Godard mit seinen Histoire(s) dem Kino eine Funktion als Reflexionsmedium dieses Jahrhunderts zu und formuliert einen zumindest ungewöhnlichen Anspruch. Wenn Godard mit seinem anfänglichen »hoc opus« dem Film ein Motto voranzustellen scheint, so ist dies mehr als ein - wie oben behauptet - »Borgen« eines Verfahrens aus der Literatur. Indem Godard dieses Mittel immer wieder einsetzt, löst er es von der Literatur. Gleichzeitig entzieht es sich einer klaren Bestimmung: Weder handelt es sich um >Überschriften< noch um Kommentare. Vielmehr wird die Verwendung von Text zu einem im genuinen Sinne zum Film gehörenden Mittel. Eine verwandte Strategie lässt sich auch im Hinblick auf die wiederholte Einblendung des Filmtitels selbst beobachten. In der Redundanz von dessen Einblendung mag man eine fortwährende Selbstversicherung der Möglichkeit eines solchen Projekts erkennen können. Jedoch dürfte es mehr als das sein. Der Film okkupiert gleichsam das Medium der Geisteswissenschaften - und vor allem der Geisteswissenschaft: der Geschichtswissenschaft-, die Schrift/den Text, und fügt es in das Medium Film ein. Dieser Akt ist weniger einer der Selbstversicherung, sondern vielmehr eine (doppelte) Provokation: die (skandalöse) Behauptung, dass Geschichte, auch wenn sie von (professionellen) Historikern geschrieben wird, aus erzählten Geschichten besteht, und die, dass Geschichte im Medium des Films möglich ist, dass sie also nicht die Domäne der (Film-)Historiker ist (solange diese nicht zu Filmemachern werden). 31 30 Godards Projekt wäre dann als ein im Sinne Foucaults kritisches zu verstehen (vgl. Foucault 1990), wobei Kritik das Aufdecken und Offenhalten von Kontingenz meint, eine Haltung >mnunterbrochene[r] Altemierung« (Mersch 1999: 162). Vgl. zu Foucaults Kritikbegriff (Gebhard et al. 2006). 31 Impliziert ist mit dieser Überlegung nicht, dass sich Archäologie ausschließlich in dem Medium betreiben ließe, in dem das Material vorliegt, dass eine Archäologie des Kinos also nur im Medium Film möglich wäre. Das Argument ist vielmehr, dass die archäologische Analyse im Medium Film eine Möglichkeit ist, Archäologie zu betreiben. Entscheidend ist jedoch, dass bei >Übersetzungen< in ein anderes Medium ein nicht einzuholender >Rest< bleibt (was entsprechend auch für die Richtung Text Bild/Film gilt). Die hier angestellten Überlegungen zielen also nicht darauf, die Archäologie des Kinos den Historikem oder Soziologen entreißen zu wollen, jedoch darauf, dass anerkannt werden sollte, dass die Archäologie in diesem Sinne keine ausschließliche Domäne der Wissenschaft ist. Die
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Indem der Text immer wieder im Film anwesend gemacht wird, unterläuft er die weit verbreitete Prädisposition, dass der Film ein (audio-) visuelles Medium sei. Godard behauptet den Film vielmehr als ein (auch) textuelies Medium und als eines, das mit den >klassischen< textuellen Medien - der Literatur, der (Geistes-)Wissenschaft - verbunden ist, und zwar im Sinne einer wechselseitigen Verwiesenheit. Die Geschichte, die die Histoire(s) zeigen und schreiben, ist eine des Kinos, das als solches nicht verstanden werden kann, wenn man meint, sich ausschließlich oder auch nur primär auf die visuellen Aspekte konzentrieren zu können. Vielmehr lässt sich das Kino als (wie Godard immer wieder behauptet) das Medium des 20. Jahrhunderts nur analysieren, wenn man es als ein - um einen Begriff Foucaults zu nutzen - Dispositiv versteht, zu dem (neben anderen) eine visuelle und eine textuelle Komponente gleichermaßen gehört. Weder die Geschichte des Begehrens, des Sexes noch die der Gewalt (einige der >großen< Themen, die immer wieder auftauchen), die das Kino des 20. Jahrhunderts geschrieben hat, ließe sich ohne Rekurs auf Text(e) denken; ebenso aber bliebe eine Geschichte des Begehrens, des Sexes oder der Gewalt, die nur im Medium der Sprache geschrieben würde, notwendig defizitär. Und letztendlich ist Realgeschichte des 20. Jahrhunderts - anders als viele Historiker meinen, die >Quellen< studieren- nicht ohne das Kino denkbar.
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