Die Ökonomisierung der Gesellschaft: Systemtheoretische Perspektiven [1. Aufl.] 9783839408414

»Ökonomisierung« ist in aller Munde. Die systemtheoretische Perspektive auf das vermeintlich vertraute Phänomen stellt e

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German Pages 164 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Überblick über die Argumentation 10
Das Vorverständnis einer Ökonomisierung der Gesellschaft
Systemtheoretische Disposition
Das Theorem der operativen Schließung
Strukturelle Kopplung
Nebencodierung
Der Begriff der Nebencodierung bei Niklas Luhmann
Abgrenzung von Nebencodierung und Zweitcodierung
Vorschlag einer Theorie der Nebencodienmg
Der Nebencode als A/D-Wandler sozialer Systeme
Konstruktionsprobleme des Nebencodes
Die Invariabilität des Codes
Die Leere des Codes
Sozialstruktur oder Semantik?
Selbstreferenz
Die generative Metapher als Nebencodierung
Die Funktion der generativen Metapher
Die generative Metapher als produktiver Fehler
Die generative Metapher als kognitives Instrument
Die generative Metapher als zyklischer Prozeß
Von Rückkopplung zur Emergenz von Ordnung und Chaos
Die generative Metapher und Emergenz
Beispiele für Nebencodierungen durch generative Metaphern
Nebencodierung der Politik
Nebencodierungen der Kunst
Die göttliche Kunst
Die wahre Kunst
Die engagierte Kunst
Die erfolgreiche Kunst
Das Erziehungssystem
Erziehung als Vermittlung
Erziehung als Selektion 100
Die strukturelle Kopplung der Erziehung zur Wirtschaft
Die Nebencodierung der Erziehung zur Wirtschaft
Das Gesundheitssystem
Das System der Krankenbehandlung als Funktionssystem
Strukturelle Kopplungen zur Wirtschaft
Nebencodierung des Gesundheitssystems
Kennzeichen von N ebencodierungen
Präferenzcharakter
Invisibilisierung
Unbestimmtheit
Inflationierung
Ökonomisierung als gesellschaftliches Problem
Ökonomisierung als Evolutionsprozeß
Ökonomisierung der Gesellschaft und Kolonialisierung der Lebenswelt
Schluß und Ausblick
Literatur
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Die Ökonomisierung der Gesellschaft: Systemtheoretische Perspektiven [1. Aufl.]
 9783839408414

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Franz Kasper Krönig Die Ökonomisierung der Gesellschaft

Franz Kasper Krönig (Dr. phil.) studierte Philosophie, Musikwissenschaft und Linguistik an der Universität zu Köln und ist Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie an der Universität Flensburg.

PRANZ KASPER KRÖ N IG

Die Ökonomisierung der Gesellschaft Systemtheoretische Perspektiven

[ transcript]

Die vorliegende Publikation wurde von der Universität Flensburg im November 2oo6 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:j jdnb.ddb.de abrufbar.

© 2007 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Pranz Kasper Krönig, Köln Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-841-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http:jjwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: info@ transcript-verlag.de

INHALT

Vorwort

7

Einleitung Überblick über die Argumentation Das Vorverständnis einer Ökonomisierung der Gesellschaft

9 10 12

Systemtheoretische Disposition Das Theorem der operativen Schließung Strukturelle Kopplung

15 15 18

Nebencodierung Der Begriff der Nebencodierung bei Niklas Luhmann Abgrenzung von Nebencodierung und Zweitcodierung Vorschlag einer Theorie der Nebencodienmg Der Nebencode als A/D-Wandler sozialer Systeme Konstruktionsprobleme des Nebencodes Die Invariabilität des Codes Die Leere des Codes Sozialstruktur oder Semantik? Selbstreferenz

23 23 26 28 29 31 32 34 37 41

Die generative Metapher als Nebencodierung Die Funktion der generativen Metapher Die generative Metapher als produktiver Fehler Die generative Metapher als kognitives Instrument Die generative Metapher als zyklischer Prozeß Von Rückkopplung zur Emergenz von Ordnung und Chaos Die generative Metapher und Emergenz

51 53 54 55 59 60 63

Beispiele für Nebencodierungen durch generative Metaphern Nebencodierung der Politik Nebencodierungen der Kunst

67 73

65

Die göttliche Kunst Die wahre Kunst Die engagierte Kunst Die erfolgreiche Kunst Das Erziehungssystem Erziehung als Vermittlung Erziehung als Selektion Die strukturelle Kopplung der Erziehung zur Wirtschaft Die Nebencodierung der Erziehung zur Wirtschaft Das Gesundheitssystem Das System der Krankenbehandlung als Funktionssystem Strukturelle Kopplungen zur Wirtschaft Nebencodierung des Gesundheitssystems Kennzeichen von Nebencodierungen Präferenzcharakter Invisibilisierung Unbestimmtheit Inflationierung

75 78 81 86 96 97 100 101 103 111 111 117 121 126 127 127 128 128

Ökonomisierung als gesellschaftliches Problem Ökonomisierung als Evolutionsprozeß Ökonomisierung der Gesellschaft und Kolonialisierung der Lebenswelt

131 132

Schluß und Ausblick

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Literatur

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VORWORT

Die hier vorliegende Untersuchung ist eine gekürzte Fassung meiner im November 2006 am soziologischen Institut der Universität Flensburg eingereichten Dissertation. Die Gutachten wurden von Prof. Dr. Rauke Brunkhorst, Prof. Dr. Urs Stäheli und Prof. Dr. Anne Dorothee Reichold erstellt, die Disputatio erfolgte am I. Juni 2007. Danken möchte ich außer meinem Doktorvater Prof. Dr. Rauke Brunkhorst für die freundschaftliche Unterstützung und Betreuung auch Prof. Dr. Urs Stäheli für zahlreiche außerordentlich wertvolle Anmerkungen und Hinweise und Prof. Dr. Peter Fuchs für seine freundliche Bereitschaft zu hilfreichen und anregenden Diskussionen. Für das Lektorat danke ich Karin Röttgen, Werner Balzert und Dr. Anselm Weyer, wobei letzterer mir nicht nur als kritischer und fachkundiger Leser behilflich war, sondern mir zudem so viele Luhmann-Bücher schenkte, daß sich die Arbeit für mich sehr erleichterte. Zu großem Dank fühle ich mich auch der Universität Flensburg für die Gewährung eines Promotionsstipendiums verpflichtet. Widmen möchte ich diese Studie K., die neben vielen anderen Vorzügen die seltene Eigenart hat, das für ein solches Unterfangen nötige endlose Lesen und Schreiben für eine sinnvolle und wichtige Tätigkeit zu halten und mich dadurch sehr unterstützt hat.

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EINLEITUNG

»Wir haben ein Strukturproblem in unserer Gesellschaft und dieses Strukturproblem heißt >Ökonomisierung der Gesellschaftder Wirtschaft< auf der anderen Seite, die in jene Bereiche >eindringtsehen< kann und was nicht.

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ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

Das Vorverständnis einer Ökonomisierung der Gesellschaft Die Rede von einer >Ökonomisiemng der Gesellschaft< ist seit Anfang der 1990er Jahre 1 zu vernehmen und mittlerweile zu einem »Dauerthema« (Bango 2001 : 60) geworden. Ökonomisierung ist ohne Frage »eines der häufig gebrauchten Schlagworte unserer Tage« (Mühlenkamp 2002: I) und wird ebenso selten definiert wie der Begriff >Gesellschaftdem Sozialen< oder >den menschlichen Lebensbereichen< zur Deckung kommen soll. Was unter einer »reellen Subsumtion der Gesellschaft unter das Kapital« (Hardt/Negri 2003: 341) oder unter einer »Ökonomisierung aller Lebensbereiche« (Grave 2000: 7), einer» Vorherrschaft des Marktes« (Saul 1998: 148) oder gar einem »Terror der Ökonomie« (vgl. Forrester: 1997) verstanden werden soll, ist weitaus weniger evident als das dumpfe Gefühl, auf dem diese kritischen Beobachtungen aufzubauen scheinen. Ökonomisiemng wird fast ausnahmslos als rücksichtslos (vgl. Mittelstrass 1990: 19), gefährlich (vgl. Brüngel 2000: 30), diktatorisch (vgl. Altvater 1996: 28), bedauerlich, aber unausweichlich (vgl. Kirchgässner 1997: 20) und nur selten als »weniger bedrohlich [ ... ] als häufig angenommen« (Kirchgässner 1997: 24) dargestellt. Dabei richtet man sich sowohl gegen die Verwirtschaftung bestimmter Bereiche, wie z.B. der Sozialarbeit (vgl. Bango: 2001 ), des Gesundheitswesens (vgl. KrauseGirth: 1992; Becker: 2004; Kühn: 1995), des Erziehungssystems (vgl. Böttcher: 200 I; Gruschka: 200 I; Oelkers: 2002) und insbesondere der Politik (vgl. Altvater: 1996; Saul: 1998; Hardt; Negri: 2003) , als auch gegen eine allgemeine »Ökonomisiemng aller menschlichen Verhältnisse« (Mittelstrass 1990: 19), meist mit dem Hinweis auf eine »Ausbreitung des Marktes« (Netzler 2002: 16) samt seiner Prinzipien und Prioritäten auf Bereiche, »in denen ökonomische Überlegungen in der Vergangenheit eine eher untergeordnete Rolle zu spielen schienen« (Mühlenkamp 2002: I), bzw. die »bisher solidarisch oder privat organisiert waren« (Grave 2000: 7). Trotz der offenkundigen »semantischen Vielfalt dieses Begriffes« (Mühlenkamp 2002: l) scheinen sich die kritischen Beobachter bei dessen Verwendung darin einig zu sein, die Wirtschaft (das Kapital, der Markt, die Ökonomie) könne in andere Bereiche eindringen und dort ihre spezifischen Operationen vornehmen, die dort nicht hineingehören. »Aus den elektronischen Bibliothekskatalogen ist ersichtlich, daß dieser Begriff [Ökonomisierung] seit ca. 1990 verstärkt in Publikationstiteln erscheint. Zuvor wnrde dieser Terminus nur selten verwendet« (Mühlenkamp 2002: 1). 12

EINLEITUNG

Denn einen Unterschied würden wohl alle nachvollziehen, nämlich daß die schlichte Wirtschaftlichkeit im Sinne von effizientem Umgang mit Geld, Zeit und Ressourcen in sozialen Organisationen weder kritisierenswert ist, noch das, was unter Ökonomisierung verstanden werden soll, da es im sozialen Bereich natürlich auch wirtschaftliche Vorgänge gibt, die lieber besser als schlechter ablaufen sollen: »Ökonomisches Verhalten im Dienstleistungsbereich (z.B. Kindergärten, Schulen, Gesundheitssystem, Pflegeeinrichtungen usw.) ist aber nicht generell mit einer Ökonomisierung gleichzusetzen« (Netzler 2002: 17). Unter Ökonomisierung wird dementsprechend nicht bloß ein Nebeneinander wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher gesellschaftlicher Vorgänge bezeichnet, sondern ein wie auch immer zu verstehendes Ineinander. Daß Erziehungseinrichtungen oder Krankenhäuser auch immer wirtschaftliche Organisationen sind, ist kein Sachverhalt, der als Ökonomisierung dieser Einrichtungen verstanden wird. Gemeint ist vielmehr eine »Unterwerfung sozialer, politischer und natürlicher Verhältnisse unter das ökonomische Prinzip« (Altvater 1996: 33) in dem Sinne, daß in den jeweiligen Bereichen wirtschaftliche Prinzipien zum Tragen kommen, wo vormals nur die eigenen Prinzipien der betreffenden Bereiche zählten. Man sieht jedenfalls, daß die Vorstellung von einer Ökonomisierung der Gesellschaft von einer Raummetaphorik abhängt, nach der es verschiedene gesellschaftliche Bereiche gibt, die in einander eindringen können (aber nicht sollen). Schon allein dieser Sachverhalt legt es sehr nahe, dieser Frage systemtheoretisch nachzugehen, da die Systemtheorie in der Lage ist, klare und eindeutige Aussagen darüber zu machen, was unter gesellschaftlichen Bereichen zu verstehen ist, wie deren Grenzen zueinander beschaffen sind und welche Möglichkeiten eines lneinandereindringens es gibt. Anband der System-Umwelt- und System-System-Unterscheidungen kann und muß man systemtheoretisch angeben, von welchen Bereichen und welchen Beziehungen man jeweils sprechen will.

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SYSTEMTHEORETISCHE DISPOSITION

Die Frage nach dem durch die Rede von der >Ökonomisierung der Gesellschaft< angesprochenen Verhältnis von Wirtschaft zu den anderen gesellschaftlichen Bereichen, muß in der Systemtheorie im Rahmen von System-System-Beziehungen gestellt werden. Die beiden hierbei zentralen Konzepte beziehen sich zum einen auf die Schließung von Systemen, ohne die sie nicht von ihrer Umwelt unterschieden werden könnten - sei es durch externe Beobachter oder durch sich selbst - und zum anderen auf deren Öffnung, ohne die weder von Beziehungen zwischen einzelnen Systemen die Rede sein könnte, noch von >einer Gesellschaft< überhaupt. Im folgenden wollen wir die beiden systemtheoretischen Konzepte der (operativen) Schließung und der (kognitiven) Öffnung durch strukturelle Kopplung unter die Lupe nehmen, um zu sehen, welche Voraussetzungen und welche Beschränkungen sich flir unsere Fragestellung daraus ergeben. Insbesondere interessiert uns natürlich, ob die systemtheoretische Vemeinung der Möglichkeit einer gesellschaftlichen Dominanz und Steuerungsfahigkeit bestimmter Systeme (in unserer Fragestellung die Wirtschaft) notwendig aus der theoretischen Disposition folgt, oder ob doch innerhalb der Theorie die Bedingungen flir die Möglichkeit, Ökonomisierung zu denken, gegeben sind.

Das Theorem der operativen Schließung Die Vorstellung eines Eindringens der Wirtschaft in andere gesellschaftliche Bereiche ist systemtheoretisch nicht nachvollziehbar. Zunächst einmal ersetzt die Systemtheorie die vage Rede von verschiedenen ge15

ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

seilschaftliehen Bereichen durch die System/Umwelt-Unterscheidung, die als diskrete Systemgrenze zu verstehen ist. Egal um welche Systeme es sich handelt, und welche Systemreferenz vorliegt oder wer beobachtet: Es gibt gmndsätzlich keine Unschärfe oder Unentschiedenheit bezüglich der Unterscheidung von Systemen, insbesondere keine »lnterpenetrationszone« (Münch 1994: 388). Jeder Versuch, Systemgrenzen aufzuweichen oder flächenhaft auszudehnen, befindet sich außerhalb der Systemtheorie. Allerdings werden diese harten Systemgrenzen noch nicht dadurch erreicht, daß sich die verschiedenen Systeme als je unvertretbare Lösung für gesamtgesellschaftliche Probleme ansehen, sich also funktional differenzieren. Es »können Zweifel auftauchen - etwa der, ob eine Kommunikation politisch gemeint ist, ob sie eine Rechtsfrage aufwerfen, ob sie eine wirtschaftliche Transaktion vorbereiten will« (Luhmann 1998: 748). Man kann sich beispielsweise gut vorstellen, daß sich die Religion auch als Lösung erzieherischer, rechtlicher oder politischer Probleme beobachtet, was die Systemdifferenzierung völlig unterwandern würde, wenn diese ausschließlich funktional begründet wäre. Um die gemeinsame Operationsweise >Kommunikation< derart zu spezifizieren, daß sich harte Systemgrenzen ergeben, codieren die Teilsysteme ihre Kommunikation binär. Diese binäre Codiemng besteht aus je einem positiven und einem negativen Wert, so daß die Kommunikation sozusagen digitalisiert wird. Durch diese Totalisiemng des Digitalen kann das System seine Operationen (d.h. hier: Kommunikationen) völlig diskret von allen anderen Operationen abgrenzen. Eine digitale Codierung läßt keine Unschärfe zu, so daß zwar Anschlußmöglichkeiten extrem reduziert werden, sich gerade dadurch aber die Anschlußwahrscheinlichkeit erhöht. Beispiele solcher binären Codiemngen sind Recht/Unrecht für das Rechtssystem, Zahlung/Nicht-Zahlung für das Wirtschaftssystem oder Immanenz/Transzendenz für das System der Religion. Immer- und nur dann-, wenn hinsichtlich einer dieser Differenzen beobachtet wird, wird in dem entsprechenden Funktionssystem beobachtet. Ein System ist schlicht dadurch geschlossen, daß es operiert (und seine Umwelt eben nicht). Für einen Beobachter reichte dies schon aus, um das System zu definieren. Hier schließen sich allerdings eine Reihe von Bedingungen an, unter denen das System überhaupt erst operieren kann. Zunächst ist das System ja nicht zugleich sein eigener externer Beobachter, der entscheiden kann, wo es operiert und wo nicht. Das System muß selbst über die Unterscheidungen seiner Operationen von allem anderen verfügen können, ihm muß also Selbstreferenz eignen. Des weiteren interessieren wir uns nicht für Systeme, die nach ein paar Ope16

SYSTEMTHEORETISCHE DISPOSITION

rationeu enden, sondern für solche, die weiter operieren, wenigstens eine gewisse Zeit bestehen. Dies gelingt Systemen, indem sie für die eigenen Operationen gezielt Anschlußmöglichkeiten bereitstellen und bestimmte Einrichtungen zur Erhöhung der Wahrscheinlichkeit evaluieren, daß diese Anschlußmöglichkeiten auch ergriffen werden und somit weitere Operationen folgen, die wiederum flir weitere Operationen Anschlüsse öffnen usf. (Autopoiesis ). Das generelle Verfahren, Anschlußwahrscheinlichkeilen für Operationen zu erhöhen, ist die Reduktion von Anschlußmöglichkeiten durch eine binäre Codierung. Wenn das Rechtssystem ausschließlich hinsichtlich der Differenz von Recht und Unrecht beobachtet, kann es nur noch auf diese einzige Weise an gesellschaftliche Ereignisse anschließen. Jedes soziale Ereignis ist fiir das Recht ein rechtliches Ereignis. Diese Reduktion von Beobachtungsmöglichkeiten des Rechtssystems erhöht aber die Wahrscheinlichkeit, daß rechtliche Kommunikationen auch rechtlich beobachtet werden und nicht etwa in einem undifferenzierten Ineins von rechtlicher und politischer oder religiöser Kommunikation, wie das historisch gesehen vor der funktionalen Differenzierung möglich war. Einfacher gesagt, muß die Operationsweise eines Systems spezifiziert sein. Um operieren zu können, muß es eigene Operationen von allem anderen unterscheiden, da es ja >wissen< muß, wofür es Anschlußmöglichkeiten bereitstellt. Das ist nichts anderes als die Notwendigkeit von Selbstreferenz. Autopoiesis, Selbstreferenz und operative Geschlossenheit bedingen sich derart streng wechselseitig, daß man schon fast versucht ist zu sagen, sie seien ein und dasselbe. Ein System, das nicht operativ geschlossen ist, kann nicht Selbstreferent sein und nicht an die eigenen Operationen anschließen, die es ja nicht von anderen unterscheiden, d.h. >finden< kann. Man muß »Selbstbeobachtung also als Bedingung von Autopoiesis« (Luhmann 2001 b: 149) und Autopoiesis als Bedingung von Selbstbeobachtung annehmen und die wechselseitige Abhängigkeit akzeptieren. Das Entscheidende hierbei ist, daß an der operativen Geschlossenheit durch den binären Code die Systemgrenze hängt und somit die Autopoiesis und die Selbstreferenz des Systems. Daraus folgt, daß ein System in keiner Weise seine Grenze überschreiten kann, denn es müßte dieses ja mit seiner Grenze tun, die eben nichts anderes als die Spezifikation der Kommunikation durch den Code ist. Damit ist ein Durchgriff der Wirtschaft in andere Systeme im Sinne einer Ökonomisierung natürlich ausgeschlossen. Aber auch jegliche System-System-Beziehungen scheinen unmöglich zu sein. Die Beziehungen zwischen Systemen, die unter der Bedingung operativer Kopplung doch bestehen, laufen in der Systemtheorie sämtlich unter dem Begriff der strukturellen Kopplung. 17

ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

Strukturelle Kopplung Auch wenn die Funktionssysteme der Gesellschaft nicht >aus sich heraus< operieren können, können sie die Operationen der anderen Funktionssysteme in ihrer Umwelt beobachten. Diese These einer kognitiven Öffnung scheint allerdings problematisch zu sein, da Beobachtungen nichts anderes als Operationen sind. Das Verständnis des Begriffs der strukturellen Kopplung hängt daher unmittelbar von der Differenz der beiden Konzepte Beobachtung und Operation ab. Jede Beobachtung, worunter nichts anderes zu verstehen ist als eine bezeichnete Differenz, ist in ihrer Singularität eine abstrakte Konstruktion. Niemand kann von einer Beobachtung berichten, die nicht wiederum beobachtet wurde (zumindest und notwendigerweise ja von dem Berichtenden). Jede Beobachtung ist immer eine beobachtende und eine beobachtete Beobachtung. Beobachtungen müssen also operativ 1 verkoppelt sein: »Beobachtungen (i.e. Operationen) kommen nicht singulär vor, sie sind verkettet, sie stoßen immer nur auf Beobachtungen und Beobachtungsarrangement, und niemals auf etwas anderes als auf andere Beobachtungen« (Fuchs 1994: 82f.). Trotz der Untrennbarkeil der Begriffe von Beobachtung und Operation, ist ein Verständnis des Konzeptes der strukturellen Kopplung von deren Unterscheidbarkeil abhängig. Entscheidend ist hierbei die Differenz von Operation und Operativität. Eine Operation kann eine einzelne, ereignishafte Beobachtung sein. Operativität hingegen wird erst an der Logik der Verkettung beobachtbar, wenn also eine Operation als Element einer Systemautopoiesis erkannt wird. Genau das ist aber nur für das System möglich, deren Element die betreffende Operation ist. Nehmen wir als Beispiel den Kauf eines Kunstwerks. Die Wirtschaft kann ein Kunstwerk als gesellschaftliches Ereignis beobachten, sieht dabei allerdings lediglich eine lohnende Investition oder risikoreiche Kapitalanlage, in keinem Fall aber einen schönen, bzw. unschönen ästhetischen Gegenstand. Schön wird ein Kunstwerk erst, wenn es hinsichtlich der kunstspezifischen Leitdifferenz schön/häßlich beobachtet wird. Dann erst gerät auch die Operationslogik in den Blick, indem das Kunstwerk etwa als Reaktion auf andere Kunstwerke, als Plagiat, als Provokation, als Spiel mit kunstinternen Erwartungen usw. beobachtet wird. Die Wirtschaft kann all das nicht sehen, kann nicht beurteilen, woran das Kunst»Die Operation ist schiere Kopplung in der Zeit« (Fuchs 1994: 60). 18

SYSTEMTHEORETISCHE DISPOSITION

werk anschließt, wie es ästhetisch erlebt wird, welche Stellung es im Kunstsystem hat und was es künstlerisch bewirken könnte. So kann die Wirtschaft also ein isoliertes kommunikatives Ereignis beobachten, nicht aber dessen operativen Zusammenhang, wodmch jegliche Steuerungsmöglichkeit ausgeschlossen ist. Von Steuerung kann keine Rede sein, sobald der Steuerungsgegenstand intransparent ist. 2 Operative Schließung ist also mit einer kognitiven Öffnung und Irritabilität vereinbar, da Beobachtung von Ereignissen von Beobachtbarkeit der Operativität zu unterscheiden ist. Die Beobachtung sozialer Umweltereignisse ist allerdings noch nicht strukturelle Kopplung im starken Sinne des Begriffs, sondern lediglich operative Kopplung »auf Ereignislänge« (Luhmann 1995: 441 ). Strukturell wird diese Kopplung erst, wenn ein System Strukturen zum Umgang mit diesen irritierenden Ereignissen ausbildet. Von Irritationen muß man sprechen, da der operative Zusammenhang der Ereignisse nicht sichtbar ist, sodaß diese Ereignisse weder kontrollierbar noch erwartbar sind. Der Begriff der Irritation oder Störung bezieht sich also keineswegs auf die Wirkung der betreffenden Ereignisse, indem diese als negativ und dem System abträglich gekennzeichnet werden, sondern allein auf die Unsteuerbarkeit dieser Ereignisse. Damit ist der Störungsbegriff auch vereinbar mit der Tatsache, daß es sich bei Störungen um die Leistungen der anderen Systeme handelt. Wenn also Geldzahlungen, die ja Leistungen der Wirtschaft sind, als Störung für das Kunstsystem bezeichnet werden, dann nur, weil das Kunstsystem nicht frei über diese Zahlungen verfügen kann, also z.B. den kommerziellen Erfolg ihrer Operationen nicht planen kann. Die Kunst kann lediglich strukturelle Kopplungen ausbilden, um die Wahrscheinlichkeit des Verkaufs von Kunstwerken zu erhöhen. Kunstgalerien sind Beispiele daftir, wie die Irritation durch die Wirtschaft in gewisse Bahnen gelenkt wird. Einerseits besteht diese strukturelle Kopplung in einer Reduktion von Störungen, indem Kunst nicht jederzeit und überall wirtschaftlichen Beobachtungen ausgesetzt ist, und andererseits erhöht diese restriktive Bindung der Verkäuflichkeit von Kunst an bestimmte Orte und Zeiten die Erwartbarkeit wirtschaftlicher Beobachtungen natürlich enorm. Weil Kunst nur in Galerien gekauft werden kann, ist die Chance für Kunst, tatsächlich gekauft zu werden, in solchen Institutionen erhöht. Strukturelle Kopplung in dem hier dargestellten Sinne als Maßnahme zur Erhöhung der Erwartbarkeit von Störungen bzw. Leistungen der

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Eine gute Darstellung dieses Zusammenhangs geben Schwegler/Roth (1992) anhand der Differenzierung des Steuerungsbegriffs in Steuerbarkeit und Steuerungsfähigkeit 19

ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

gesellschaftlichen Umwelt, ist allerdings nicht das einzige Verständnis, auf das man stößt, wenn man diesen systemtheoretischen Grundbegriff untersucht. Es gibt bekanntlich eine ganze Reihe von strukturellen Kopplungen sozialer Systeme mit anderen Systemen wie psychischen und organischen. Alle diese strukturellen Kopplungen sind notwendige Umweltbezüge sozialer Systeme und sie sind sehr voraussetzungsarm. Besser gesagt: die Voraussetzung der strukturellen Kopplung, das synchrone lnUmwelt-Sein von Systemen, ist immer schon gegeben. Andererseits, und das ist vielleicht das Unbefriedigendste an dem Begriff, soll strukturelle Kopplung als funktionaler Begriff die Lösung für ein Problem sein. Und dieses Problem ist: strukturelle Kopplung. Diese Ambiguität der strukturellen Kopplung läßt sich als eine Medium/Form-Differenz des Begriffs selbst darstellen. Zunächst erscheint es so, als handele es sich bei der strukturellen Kopplung eher um eine Problembeschreibung als um einen funktionalen Begriff: »Der Begriff der stmkturellen Kopplung ist jedoch kein krönender Abschluß einer anspmchsvollen Theorie, sondern eher ein Suchbegriff ftir die Beschreibung von Problemen, auf die man sich mit dieser Theorie einläßt« (Baecker 2001: 315).

Das soll heißen, daß mit dem Begriff der strukturellen Kopplung zunächst nur darauf hingewiesen wird, daß Systeme einen synchronen Umweltbezug haben, auf Störungen ihrer Umwelt angewiesen sind, eine gewisse Umweltangepaßtheit aufrechterhalten müssen und diesen Bezug zur Umwelt nicht operativ gestalten können, zumindest nicht im Sinne von Kontrolle oder Steuerung. Man könnte demzufolge meinen, bei der strukturellen Kopplung habe man es mit einem negativen oder privativen Begriff zu tun, der lediglich die Beziehungsmöglichkeiten von System und Umwelt im Gegensatz zu den Beziehungsmöglichkeiten innerhalb eines Systems limitiert: »Stmkturelle Kopplungen beschränken den Bereich möglicher Stmkturen, mit denen ein System seine Autopoiesis durchfuhren kann. Sie setzen voraus, daß jedes autopoietische Systeme als strukturdetem1iniertes System operiert, also die eigenen Operationen nur durch eigene Stmkturen determinieren kann. Strukturelle Kopplung schließt also aus, daß Umweltgegebenheiten nach Maßgabe eigener Stmkturen spezifizieren können, was im System geschieht« (Luhmann 1998: 100).

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SYSTEMTHEORETISCHE DISPOSITION

So gesehen handelt es sich bei struktureller Kopplung schlicht um den Sachverhalt des Systems-in-Umwelt. Allein aufgrundder Tatsache, daß das System gleichzeitig mit anderen Systemen besteht, ist es strukturell gekoppelt, d.h. schon »[f]aktisch sind alle Funktionssysteme durch strukturelle Kopplungen miteinander verbunden und in der Gesellschaft gehalten« (Luhmann 1998: 779). Das bedeutet, daß alle sozialen Systeme miteinander strukturell gekoppelt sind, da sie im gleichen Medium (nämlich Sinn) operieren und in diesem Sinne schon Umwelt füreinander sind. Ein ebenfalls leicht zugängliches, aber deutlich zu unterscheidendes, Verständnis des Begriffs ergibt sich aus seiner Funktion. Soziale Systeme sind sowohl (operativ) geschlossen als auch (kognitiv) offen. Sie sind sowohl von ihrer Umwelt getrennt als auch von ihr abhängig. Für diesen Sachverhalt, der aufgrund seiner paradoxen Lage als Problem daherkommen muß, soll der Begriff der strukturellen Kopplung die Lösung (und nicht mehr bloß die Beschreibung) sein: »A familiar problern in social systems theory is that the necessary closure of autopoietic communication systems makes it difficult to explain the connection between such systems. And yet we find that social systems, notably the major functional subsystems of society, are intricately intervowen. They depend not only on each other's performance or service in order to be able to continue their reproduction. They also need each other as continuous source of new communication. The theory of >structural coupling< addresses this topic« (Hutter 2001: 290). Versteht man strukturelle Kopplung als Lösung für das Problem der Notwendigkeit des Umweltbezuges (conservation of adaption) unter den Bedingungen operativer Geschlossenheit, erhöht sich der Anspruch. Es genügt nun nicht mehr, schlicht auf das Problem hinzuweisen, daß Systeme auf Irritation angewiesen sind. Nun will man wissen, wie analoge Irritation der digitalen Systemgrenze funktionieren kann: »Strukturelle Kopplungen müssen daher zunächst analoge in digitale Verhältnisse umformen, wenn über sie die Umwelt Einfluß auf ein System gewinnen soll. Das ist, im Verhältnis des Kommunikationssystems zu den Bewußtseinssystemen, eine Funktion der Sprache, die ein kontinuierliches Nebeneinander in ein diskontinuierliches Nacheinander verwandelt« (Luhmann 1998: 101). Will man wissen, wie man sich diese >Verwandlung< durch strukturelle Kopplung vorzustellen hat, fragt man nach bestimmten Formen der strukturellen Kopplung und stößt auf eine Medium/Form-Differenz des

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ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

Begriffs. Es wird beispielsweise die Verfassung als strukturelle Kopplung der Politik mit dem Recht bezeichnet. Wenn im Zuge funktionaler Differenzierung Recht und Politik operativ geschlossene Systeme sind, ergibt sich das Problem des Verhältnisses zueinander. Es bleibt nun nicht dabei, daß sich beide Systeme irritieren. Über dieses Verständnis von struktureller Kopplung als notwendiges irritatives Nebeneinander der Systeme hinaus hat sich eine besondere, unwahrscheinliche, voraussetzungsreiche und kontingente Form entwickelt, diese Störungen in äußerst begrenzte Bahnen zu bringen: die Verfassung. In diesem Sinne ist die Verfassung »reale Errungenschaft« (Luhmann 1995: 470), durch die es gelingt »die wechselseitige Beeinflussung von Recht und Politik auf die in der Verfassung des Staates vorgesehenen Kanäle zu beschränken« (Luhmann 1995: 470) und nicht bloß die schlichte Tatsachenbeschreibung einer Beeinflussung >wie auch immerimmunisierendie eigene Geschichte der Liebe< oder die >informelle Macht der Untergebenen< sind nicht nur analoge Konzepte, sondern zudem schwerlich binarisierbar. Wäre es nicht viel plausibler, z.B. >Zigarettenwährungen< als Ersatz für das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium >Geld< aufzufassen, denn als dessen Nebencodierung? Als prototypische Nebencodierung scheint Luhmann >Reputation< als Nebencode der Wissenschaft aufzufassen, der als einziges prominentes Beispiel gelten kann. Luhmanns Versuch, Reputation als Code darzustellen, der einerseits analog sein soll und andererseits zugleich binär, kann allerdings nicht überzeugen, da er eine Paradoxie impliziert, mit der sich Luhmann nicht weiter auseinandersetzt »Mit der Anerkennung von Reputation wird der Bedarf an Kausalzurechnung in die Form eines Nebencodes des Walu·heitsmediums und damit des Wissenschaftssystems gebracht [... ] Der Reputationscode ist ein Analogcode, kein Digitalcode. Er stützt sich auf ein >mehr oder weniger< an Reputation mit fließenden Übergängen, nicht auf ein künstlich-klares >entweder/odereindeutige Binarität< wäre nichts anderes. Auch für die Reputation gilt also, daß es nicht sinnvoll ist, überhaupt von Codierung zu sprechen. Damit ist natürlich nichts gegen die Bedeutung des Reputationsbegriffs gesagt. Letztlich handelt es sich dabei um die Einführung eines zusätzlichen Mediums in ein System zum Zweck effizienterer Kommunikation. Es kann in manchen Fällen sehr kommunikationsund dann auch zeitaufwendig sein, jede wissenschaftliche Beobachtung wissenschaftlich zu beobachten, was immer heißt, sie im Kontext des wissenschaftlichen Standes an den entsprechenden Kriterien zu prüfen. Es ist mitunter viel einfacher, wissenschaftliche Beobachtungen auf Personen zuzurechnen, um den Bewährungsweg in den Fällen abzukürzen, wo man meint, die jeweilige Person gewähre schon die Validität, der auf sie zugerechneten Kommunikationen. Es handelt sich dann aber lediglich um eine Einrichtung auf der Ebene operativer Kopplung. Es werden Operationsketten, d.h. rein systeminterne Prozesse abgekürzt und nicht etwa Probleme der strukturellen Kopplung, also System-Umwelt-Beziehungen angegangen. Reputation ist dann ein zusätzliches Medium, auf das wissenschaftliche Kommunikation ausweichen kann mit der Gewißheit, stets auf rein wissenschaftliche Prüfung zurückgreifen zu können. Ob und inwieweit Reputation als Medium zugelassen wird, wird von der Wissenschaftskommunikation bestimmt. Festzuhalten bleibt, daß es unbeschadet der Rolle der Reputation als Medium, nicht als sinnvoll erscheint, diese als eine Nebencodierung aufzufassen, da kein binäres Schema als Kriterium für Codiemng überhaupt vorliegt. Es bleibt immer möglich, die Reputationsfrage offen zu lassen, ein Mehr oder Weniger an Reputation zu konstatieren oder gar die Reputation als wachsend oder sinkend zu beobachten. Von der codetypischen Beschränkung auf eine Differenz mit der Funktion des Ausschlusses alles Dritten kann also keine Rede sein.

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ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

Abgrenzung von Nebencodierung und Zweitcodierung Wie wir gesehen haben, hat der Begriff der Nebencodierung bei Luhmann weder eine klare Definition, noch kommt ihm ein besonderer Stellenwert in der Theorie zu. Bei dem Begriff der Zweitcodierung sieht das anders aus. Daß die beiden Begriffe in der systemtheoretischen Literatur selten differenziert werden, ist darauf zurückzuführen, daß der N ebencodierungsbegriff kaum abgrenzungsfähig ist und entsprechend als Zweitcodierung angesehen wird. In Luhmann'scher Manier könnte man sagen: Es scheint sich nicht zu lohnen die beiden Konzepte auseinanderzuhalten, da sich kein Problem findet, das durch eine solche Differenzierung gelöst, bzw. reduziert werden könnte. Genau das ist aber nicht der Fall. Der Begriff der Zweitcodierung ist bei Luhmann in einer Weise eindeutig bestimmt, die eine Vermengung mit dem - wenn auch schwammigen - Konzept der Nebencodierung nicht zuläßt. Bei Zweitcodierungen wird, anders als bei Nebencodierungen der »positive Wert nochmals dupliziert« (Luhmann 1998: 367). Da es also um eine nochmalige Codienmg des Erstcodes handelt, ist auch festgelegt, daß diese Zweitcodierung in demselben oder innerhalb desselben Mediums stattfindet, das durch den Erstcode binarisiert wird. Das ist auch der Grund dafür, daß die Unterscheidung von Erstcode und Zweitcode oft unterschlagen wird, bzw. keine große Rolle spielt. Der Erstcode wird ja nicht substituiert, sondern mit einer zusätzlichen Duplikationsmöglichkeit ausgestattet: »Mit dem Übergang zur Geldwirtschaft wird der Eigentumscode nicht etwa entbehrlich. Im Gegenteil: Mit >Zweitcodierung< soll gerade gesagt sein, daß der Geldcode auf dem Eigentumscode aufbaut und dessen Funktionsfähigkeit voraussetzt« (Luhmann 1994e: 201 ). Berühmte Beispiele fl.ir Zweitcodes, die zumeist als Erstcodes geführt werden, sind neben >zahlen/nicht-zahlen< als Zweitcodierung von >haben/nicht-habenRegierung/Opposition< als Zweitcode von Macht-haben/Macht-nicht-haben< und >besser/schlechter< als Zweitcodierung des Erstcodes >vermittelbar/nicht-vermittelbarhaben/nicht-haben< an Eigentum codiert. Innerhalb dieses Mediums kommt es nun zu einer Duplikation des Präferenzwerts >habenRegierung/Opposition>progressiv und konservativ« (Luhmann 1993a: 274). Auch hier wird dasselbe Medium, d.h. politische Macht, recodiert und eine Verdoppelung des Präferenzwerts ermöglicht, indem Machthabe nun als Regierungs- und Oppositionsmacht oder progressive und konservative Machtausübung differenzierbar ist. Ebenso verhält es sich beim Erziehungssystem, das den Präferenzwert der Vermittlung hinsichtlich einer weiteren Differenz im gleichen »Medium Kind« (Luhmann 2002c: 91) zweiteilt. Im formbaren Erziehungsmedium geht es um die Differenz von vermittelbar und nicht-vermittelbar und in diesem Medium wird auch die Zweitcodierung angebracht: »Zu den wichtigsten Systemeffekten dieses ausgebauten Selektionswesens gehört die Möglichkeit einer Zweitcodierung des Gesamtsystems nach dem Schema besser/schlechter. Die Erziehung selbst läßt sich nur nach dem Code vermittelbar/nicht-vermittelbar bewerten und daraus ergibt sich kein Anhaltspunkt für die Beurteilung ihrer Erfolge. Die Primärcodierung wird daher ergänzt durch ein retrospektives Verfahren, das festzustellen sucht, ob die Vermittlung gelungen ist, oder nicht« (Luhmann 2002c: 73). Bis hierhin sieht es so aus, als hätten wir es mit einer eindeutigen Definition von Zweitcodierung als Duplikation des Erstcodes innerhalb des systemeigenen Mediums zu tun - was den Fall einschließt, daß sich ein weiteres Medium innerhalb dieses Mediums bildet, wie das Geldmedium im Knappheitsmedium. Diese Definition würde eine klare Abgrenzung zur Nebencodierung bedeuten, bei der j a auf fremde Medien zugegriffen wird. Reputation ist also eindeutig keine Zweitcodierung, da sie weder in dem wissenschaftlichen Wahrheitsmedium konstituierbar, noch ein abstrahierter oder symbolisierender Teil dessen (wie Geld in Knappheit) ist. In dieser Hinsicht - in anderer wie gesehen nicht- erscheint es folgerichtig, Reputation als Nebencodierung zu fassen, um den Begriff der Nebencodierung für die Fälle vorzubehalten, wo es um strukturelle Kopplung geht; wo Medien anderer Funktionssysteme, oder nicht-funktionssystemgebundene Medien - wie Reputation - codiert werden. Dies wäre ein sehr systematischer und theoretisch tragfähiger Differenzierungsgesichtspunkt, der zudem den WOrtbedeutungen der Begriffe Rechnung trägt. Da Luhmann aber keinen systematischen Begriff von 27

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Nebencodierung etabliert hat, hat er folglich den Begriff der Zweitcodierung nicht dagegen abgrenzend konsequent auf eigene Medien beschränkt. So finden wir bei ihm auch die »Zweitcodierung der Macht durch das Recht« (Luhmann 1998: 367). Es ist aber nicht zu übersehen, daß mit dieser Zweitcodierung Probleme der strukturellen Kopplung ins Spiel kommen, die bei den anderen Beispielen, wo keine Umwelt-Medien betroffen sind, nicht auftreten. Wie soll es politisch codierter Kommunikation möglich sein, einen Bezug zu rechtlicher Codierung aufzubauen? Die Antwort dieser schwierigen Frage ist im Bereich der strukturellen Kopplung, etwa mit Verweis auf die Verfassung, zu suchen. Die Frage des Bezuges der Knappheitscodierung zur Geldcodierung oder der Machtcodierung zur Regierung/Oppositions-Codierung hat hingegen keinen Umweltbezug und kein Problem struktureller Kopplung und ist daher ungleich einfacher zu fassen. Ginge es um Luhmann-Exegese, wäre man sicher gezwungen an dieser problematischen und unproduktiven Konzeption von Zweitcodierung festzuhalten, die entsteht, wenn man dieses eine >unpassende< Beispiel für Zweitcodierung berücksichtigen muß. Legt man alle anderen genannten Beispiele zugrunde und betont den systematischen, theoriearchitektonischen Gesichtspunkt, scheint sich hingegen ein sinnvoller Begriff von Zweitcodierung zu ergeben, der eine klar angehbare Unterscheidung zu Nebencodierungen ermöglicht.

Vorschlag einer Theorie der Nebencodierung Im folgenden wollen wir versuchen, einen Begriff von Nebencodierung zu erarbeiten, der zum einen als Codierung gelten kann und zum anderen eine sinnvolle Funktion im Bereich der System-System-Beziehungen übernimmt. Einen Vorschlag hierzu hat Peter Fuchs in einem Diskussionsbeitrag gemacht: »Man geht davon aus (wie ich es mitunter tue), daß Nebencodes der je systeminterne Einbezug der Codes anderer Funktionssysteme sind. lch gebe aber sofort zu, daß die Theorie der Nebencodes mir unausgearbeitet und zum Teil widersprüchlich erscheint. Deswegen habe ich mich ja (sozusagen unbekümmert) erst einmal zu dieser Version entschlossen- bis auf Weiteres. Der Kontext wäre jedenfalls eine Sonderform struktureller Kopplung« (Fuchs webl). Der Vorteil der Idee, Nebencodierung als >systeminternen Einbezug der Codes anderer Funktionssysteme< zu fassen, wäre, daß wesentlich stärkere System-System-Beziehungen konstruierbar wären. Die Ökonomisierung eines Funktionssystems ließe sich dann schlicht als die Integra-

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tion der wirtschaftlichen Codierung in dieses System begreifen und die Ökonomisierung der Gesellschaft wäre entsprechend eine solche Integration in alle Funktionssysteme. Auch politische Steuerung ließe sich analog darstellen, was die Systemtheorie von der Bfu·de ihrer radikalen Steuerungsskepsis befreien könnte (vgl. Hutter: 2001: 290; Mayntz 1995: 154). Politische Steuerung wäre dann möglich, indem die politische Codierung als Nebencodierung in anderen Funktionssystemen politischen Einfluß und erhöhte Anschließbarkeit ermöglichen würde. Der Nachteil dieser Konstruktion ist allerdings ihre fundamentale Paradoxie. Die Idee der Inklusion der Codes anderer Funktionssysteme ist nicht vereinbar mit der Tatsache, daß Codes gerade die Exklusion anderer Codes leisten. Die Form dieser Paradoxie kann einfach dargestellt werden als >OUT = INOUT = IN Paradoxie< ist entsprechend nur durch Dynamisierung der Form >OUT ~ (gets) IN< möglich. Eine Möglichkeit, diesen Prozeß verständlich zu machen, öffnet sich, wenn man die Begriffe von OUT und IN in die Begriffe von analog und digital überführt.

Der Nebencode als A/D-Wandler sozialer Systeme Da Systeme ihre Operationen digital codieren, und die Systemgrenze mit der Spezifität dieser digitalen Operationen identisch ist, kann man die System/Umwelt-Unterscheidung folglich auf die Begriffe von digital und analog abbilden. Die Autopoiesis digitaler Systemkommunikation befindet sich »immer zugleich« (Luhmann 1987: 243) in einer Umwelt, die nicht digital codiert ist, bzw. anders codiert ist. Ob Umweltkommunikationen nicht codiert sind (nicht-funktional differenzierte Alltagskommunikation) oder hinsichtlich einer anderen Leitdifferenz, spielt hierbei keine Rolle, da andere Codierungen genauso wenig digital anschließbar sind und somit für das System >draußen< bleiben wie nichtcodierte Kommunikation. Da keine operative Anschließbarkeit vorliegt, spricht Luhmann hier von Rauschen, Perturbation oder Störung im Gegensatz zu Information: »Codierte Ereignisse wirken im Kommunikationsprozeß als Information, nichtcodierte als Störung (Rauschen, noise)« (Luhmann 1987: 197). In einer informationstheoretischen Fragestellung wird aus der System/Umwelt-Unterscheidung also die Differenz von anschlußfähig, d.h. digital und nicht-anschlußfähig, was Luhmann entspre-

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chend analog nennt. Analogizität ist bei Luhmann ein relativ wenig problematisierter Begriff1, der lediglich zum einen die Negation von >digital< im Sinne von >für den binären Code anschließbar< darstellt und zum anderen die Synchronizität von System und Umwelt hervorhebt. Als Überbegriff aller System-Umwelt-Beziehungen ist die strukturelle Kopplung natürlich mit dem Problem der Nicht-lnformativität der analogen Umwelt befaßt. Wenn Luhmann (1998: 779) allerdings schreibt, die strukturelle Kopplung habe es mit einer »Umformung analoger (gleichzeitiger, kontinuierlicher) Verhältnisse in digitale, die nach einem entweder/oder-Schema behandelt werden können« zu tun, dann kann das nicht heißen, daß die strukturelle Kopplung schon eine solche Umformung leistet. Die störenden Umweltereignisse werden durch Formen der strukturellen Kopplung entweder ganz ausgeblendet, oder sie werden mit erhöhter Sensibilität wahrgenommen - gerade diese Selektivität des Umgangs mit Störungen ist die Leistung struktureller Kopplungen. Die selektive kognitive Öffnung gegenüber Störungen kann diese allerdings nicht als Informationen erschließen, sondern als Störungen, die das System veranlassen, operativ auf sie zu reagieren. Diese Reaktion ist weder kausal auf die Umweltstörung zurückführbar, noch als eine Umformung derselben zu deuten. Um aus Störungen Informationen zu machen, braucht das System eine Einrichtung, die man in der Elektronik A-D-Wandler2 nennt. Die analogen, also nicht-codierten Störungen müssen codiert, d.h. digitalisiert werden. Der digitale Systemcode - um schon einmal einen wesentlichen Unterschied zur Erstcodierung anzudeuten - ist im Gegensatz hierzu kein Digitalisierungsverfahren, sondern ein digitales Verfahren, das es nicht mit analogen Inputs zu tun bekommt, sondern nur mit digitalen. Der Erstcode wäre demnach kein A-D-Wandler, sondern- wenn man so will- ein D-D-Mechanismus. Die Umwandlung vom Analogen ins Digitale, die vielleicht zunächst unmöglich erscheint, ist genauer betrachtet weder Hexenwerk noch modern oder technologisch. Digitalisierung liegt z.B. vor, wenn Gefühle oder Sinneswahrnehmungen versprachlicht werden. Schon an diesem Beispiel wird eine Grundeigenschaft der Digitalisierung deutlich: der Verlust, bzw. der Fehler. Das Analoge ist der Bereich des Kontinuierlichen. Hier gibt es unzählbar viele Elemente, die nicht scharf voneinander abgrenzbar sind. Es

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lm Vergleich etwa zu: Goodman 1997: 154 ff. Man spricht auch von AD-Convertem: »Ein ADC ist ein Wandler, der ein analoges Eingangssignal UA in ein äquivalentes digitales Ausgangssignal D = ( d~, d2, ... du) umformt« (Best 1971: 15).

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ist, von dem Aufwand noch abgesehen, prinzipiele nicht möglich, ein Kontinuum in ein Diskontinuum, d.h. Diskretum, eins zu eins zu übertragen, da man aus dem Kontinuum nur anhand relativ willkürlicher Eingrenzungen etwas herausgreifen kann, dem man im Diskretum etwas entgegenstellt. Das wird schnell klar, indem man sich vorstellt, was schon eine einfache Farbwahrnehmung für Probleme bereitet, bei dem Versuch, sie verlustlos in Sprache zu transformieren. Es gibt letztlich unendlich viele Farbtöne, für die im Bereich der diskret gegeneinander abgegrenzten Begriffswelt nur eine begrenzte Anzahl von Gegenstücken zur Verfügung steht. Der Informationsverlust der Digitalisierung kann nur unter hohem Aufwand verringert, allerdings niemals beseitigt werden. Interessanterweise ist es nicht einmal notwendig, mit Differenzen wie kontinuierlich/diskret oder Qualität/Quantität zu arbeiten, um die Problematik von A-D-Wandlungen einsehen zu können. In der Elektrotechnik selbst, die sich diese Gedanken nicht macht, wird der Verlust bei der Digitalisierung als prinzipielle Gegebenheit angesehen, die sich mathematisch fmmulieren läßt (vgl. Best 1971: 15). In der Elektronik hat sich bekanntlich in den letzten Jahrzehnten eine rasante Fortentwicklung von Digitalisierungsverfahren ergeben mit dem Ziel, den Verlust zu minimieren. Nicht nur psychische und technologische Systeme, sondern auch soziale Systeme sind in der Lage, verschiedene Digitalisierungsverfahren zu evaluieren, um aus den Störungen der Umwelt möglichst viel Information zu beziehen und damit ihre mittelbare Beziehung zu anderen Systemen zu stärken. Diese A/D-Wandler sozialer Systeme wollen wir im folgenden als Nebencodierungen darstellen. Bevor wir allerdings zu zeigen versuchen, wie eine solche A/D-Wandlung gelingen kann, müssen wir noch auf einige Konstruktionsprobleme der Nebencodierung eingehen.

Konstruktionsprobleme des Nebencodes Die Nebencodierungen eines Systems sind nicht so etwas wie zweite Erstcodes, weder im Sinne eines Ersatzes noch im Sinne einer einge-

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»Die Paradoxien vom fliegenden Pfeil oder von Achilles und der Schildkröte, um nur zwei der aufrund dreißig geschätzten Zenansehen Paradoxien zu nennen, beinhalten immer wieder das gleiche Problem: Läßt sich die >Anzahl der Punkte< eines Kontinuums den natürlichen Zahlen in eindeutiger Weise zuordnen? Also: Ist das Kontinuum abzählbar? Die Antwort auf diese Frage wurde von Georg Cantor, dem Erfinder der Mengenlehre, auf mathematischem Weg gegeben. Sie lautet: nein« (Eisenhardt/Kurth/Stiehl 1995: 105). 31

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schränkten Funktion. Der Erstcode kann nicht funktional ersetzt oder kurzzeitig suspendiert werden, da an ihm, wie gezeigt, Autopoiesis und Selbstreferenz hängen. Der Erstcode bleibt die einzige Beobachtungsweise der Systeme. Der Nebencode kann nicht, wenn man es raummetaphorisch sagen will, neben dem Erstcode sein. Neben dem Erstcode wird nicht kommuniziert: Es gibt kein System. Das Gleiche gilt für jegliche Positionen außerhalb der Grenze, die der Erstcode >istdrinnendraußen< keine räumliche Differenz, sondern eine informationstheoretische Differenz von analog und digital, bzw. eine operative Differenz hinsichtlich der Anschlußfähigkeit von Kommunikation ist, ohne deshalb der Verortung der Nebencodierung einen Schritt näher zu kommen. In der vereinfachenden Raummetaphorik läßt sich noch eine weitere Verortung vornehmen, die wir bislang ausgelassen haben: Der Nebencode liegt in der Erstcodierung. Wie gezeigt, können die Möglichkeiten, die Nebencodierung der Erstcodierung vor- oder nachzulagern, logisch ausgeschlossen werden, da >Vor< dem Erstcode außerhalb des Systems bedeutet und >nach< der Erstcodierung keine analogen Verhältnisse zu finden sind, die der Nebencode informativ digitalisieren könnte. Es bleibt also nur der Versuch, die Nebencodierung als Modulationsform des Erstcodes selbst zu charakterisieren. Aufgrund dieser Modulation soll es gelingen, für Kommunikationen, die >quer< zum Erstcode des Systems stehen und analoge Störung bleiben, eine Anschließbarkeit zu ennöglichen. Diese Konzeption scheint sowohl in Konflikt mit der Invariabilität des Codes als auch der Leere (Abstraktheit) des Erstcodes zu stehen. Des weiteren stellen sich die Fragen, wie sich eine Modulation des Erstcodes zu der Unterscheidung von Sozialstruktur und Semantik verhält und inwieweit Maßnahmen an der Codierung die Selbstreferenz des Systems gefährden.

Die lnvariabilität des Codes lst der Code modulierbar, d.h. zumindest in irgendeiner Weise variabel, ohne seine Funktion als »Einheitssubstitut« (Stäheli 1996: 277) zu gefährden? Wie Luhmann schreibt, »antworten Codes auf das Problem des Erkennens der Systemzugehörigkeit von Operationen« (Luhmann

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1997a: 305), so daß deren Änderung sich unmittelbar negativ auf die Autopoiesis des Systems auswirken muß, bzw. diese sogarbeenden würde. Urs Stäheli (1996) beschäftigt sich mit der Frage, in wie weit eine Variabilität der Erstcodienmg von Funktionssystemen gedacht werden kann, ohne die Unvertretbarkeit der Funktion des Codes in Abrede stellen zu wollen: »Mit dem Vorschlag, die Variabilität von Codes zu bedenken, wird die Unterscheidung zwischen Code und Programmen nicht einfach eingezogen, und es wird auch nicht vorschnell der Binarismus von Codes kritisiert« (Stäheli 1996: 273). Interessant ist, daß Luhmann selbst in dieser Frage nicht so eindeutig gegen eine Variabilität des Codes argumentiert, wie man das vielleicht erwarten würde. Nicht nur, daß er sehr vage (>weitgehendzu starkzu sehrohne aufzufallensozial strukturelle-operative< Ebene, auf der Entwicklungen stattfinden, fiir deren Beschreibung die Semantik sich trotz ihrer postmodernen Geschwätzigkeit als eigentümlich begriffslos erweist« (Stäheli 1998a: 315). Wir wollen sehen, ob und wie die Opposition von semantikfreier >blinder OperationUnterscheiden und Bezeichnen< eine einzige Operation ist« (Luhmann 1998: 69), sieht die Sache anders aus. Beobachtung ist demnach das, was immer geschieht, wenn überhaupt etwas in einem Sinnmedium geschieht. Immer, wenn man es mit Differenzen zu tun hat, dann mit bezeichneten Differenzen (also Beobachtungen). Wenn man es nicht mit Differenzen zu tun hat, dann mit gar nichts. Zwar kann man als externer Beobachter abstrakterweise über ein Differenzschema sprechen oder versuchen, reine Differentialität zu denken. Fest steht: Selbst diese 9

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Stäheli (1998) argumentiert überzeugend am Beispiel der Politik, daß zumindest nicht von einer Nachträglichkeit der Semantik gesprochen werden kann, da die »Semantik beim politischen System als konstitutiv für die Genese jener mächtigen Operationen, die sie später erst als Staat beschreiben wird« (31 7), angesehen werden muß.

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Konstruktionsversuche von als >leer< bezeichneten Differenzen sind bezeichnete Differenzen. Jede Operation sozialer Systeme und psychischer Systeme ist also eine Beobachtung. Letzter Satz ist zugleich falsch, wenn man bedenkt, daß die Operationen sozialer Systeme Kommunikationen sind und nicht (einfache) Beobachtungen. An dieser Stelle gibt es aber kein großes Problem, da Kommunikation ja nicht ohne die Bezeichnung von Differenzen (also Beobachtung) geschieht, sondern ganz im Gegenteil nur, wenn mehrere dieser Beobachtungen (Mitteilung, Information, Verstehen) ineinander greifen. Der Anschluß an Kommunikation ist nichts anderes als die Bezeichnung der Differenz von Information und Mitteilung (= Verstehen)10. »Beobachten ist also auch die Basisoperation von Verstehen« (Luhmann 1987: 110), die in der Hinsicht allerdings besonders anspruchsvoll und unwahrscheinlich ist, daß sie nicht nur die bestimmte Differentialität von Mitteilung und Information aufmacht, sondern darüber hinaus Mitteilung und Information je selbst als bezeichnete Differenzen(= Beobachtung) auffassen muß. 11 Wird in diesem Sinne >verstehend< beobachtet, ist kommunikativer Anschluß erfolgt. Wenn Luhmann also schreibt, daß »Kommunikation nur als selbstreferentielle Beobachtungsoperation realisiert werden kann« (Luhmann 1993c: 142), macht er einerseits darauf aufmerksam, daß es sich bei Beobachtungen natürlich auch um Operationen handelt, geht aber andererseits nicht darauf ein, daß Kommunikation nicht bloß selbstreferentielles Beobachten ist, sondern eine >Verstehens-Beobachtung< im oben erläuterten mehrfach-differenten Sinne. Aufgrund dieser Verschränkung der Begriffe von Beobachtung und Operation ist es nur möglich, den Begriff der Operation dem der Beobachtung entgegenzusetzen, wenn man ihn als Abstraktum faßt. Wenn man also davon absieht, daß konkrete Operationen im Sinnmedium immer beobachtungsbasiert 12 sind, kann man das Verkoppelt-Sein von Be-

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»Verstehen ist sozial konditioniertes selbstreferenzielles Beobachten eines anderen selbstreferenziellen Beobachtens« (Krause 2001: 229). »Im Verstehen erfaßt die Kommunikation einen Unterschied zwischen dem Informationswert ihres Inhalts und den Gründen, aus denen der Inhalt mitgeteilt wird. Sie kann dabei die eine oder die andere Seite betonen, also mehr auf die Information selbst oder auf das expressive Verhalten achten. Sie ist aber immer darauf angewiesen, daß beides als Selektion erfahren und dadurch unterscheiden wird[ ... ] Wenn und soweit diese Trennung der Selektionen nicht vollzogen wird, liegt eine bloße Wahrnehmung vor« (Luhmann 200lc: 97). Wir sagen nicht einfach >Beobachtungen sindKopplung in der Zeit< gemeint, sondern das >Was< dieser Kopplung, nämlich konkrete Kommunikationen. Zusammenfassend kann man sagen, daß soziale Operationen (d.h. Kommunikationen) nicht nur indirekt auf Beobachtungen im Sinne von Selbstbeobachtungen angewiesen sind, sondern im starken Sinne auf Beobachtung basieren: »So kommt zum Beispiel Kommunikation (also Gesellschaft) immer dann in Gang, wenn man beim Beobachten (das dadurch >Verstehenblinden Operationen< lösen. Erstens ist der Zusammenhang zwischen Kommunikation und Beobachtung- wie wir gesehen haben- viel enger als daß man diese Trennung vornehmen könnte und zweitens müssen die Operationen sozialer Systeme (Kommunikationen) selbst in actu selbstreferent sein: »Jede Kommunikation muß zugleich kommunizieren, daß sie eine Kommunikation ist, und sie muß markieren, wer was mitgeteilt hat, damit die Anschlußkommunikation bestimmt und so die Autopoiesis fortgesetzt werden kann. Sie erzeugt mithin nicht nur durch bloßen Vollzug als Operation eine Differenz (das auch!), sondern sie verwendet auch eine spezifische Unterscheidung, nämlich die von Mitteilung und Information, um zu beobachten, daß dies geschieht« (Luhmann 1998: 86).

Ereignisse höherer Ordnung sind. Man könnte hier von Emergenz sprechen: Auf der Grundlage von Beobachtungen kommt es zu einem kontingenten, unwahrscheinlichen und kausal nicht ableitbaren Übergang zu (ganz vorsichtig) etwas anderem, das andere Eigenschaften aufweist.

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Es geht also nicht um Selbstreferenz im Sinne einer nachträglichen Selbstbeschreibung, sondern um die Notwendigkeit der Anschließbarkeit von Operationen für Operationen, die nur erfolgen kann, wenn Operationen im Akt der Fremdreferenz (Beobachtung anderer Operationen) zugleich selbstreferentiell beobachten, daß sie eine Beobachtung der selben Codierung sind, wie die beobachtete Beobachtung. Etwas weniger vorsichtig und darum schöner formuliert: »Die für Luhmann entscheidende Pointe dieser Idee ist jedoch die Verankerung der Notwendigkeit der Selbstreferenz. Ein Kontakt ist nur ein Kontakt, wenn er als das, was er ist, von den beteiligten Elementen mitgedacht werden kann, die so uno actu zu einer eigenen Selbstreferenz (auf sich als Elemente), zur Fremdreferenz (auf das andere Element) und zu einem Verweis auf das ihnen gemeinsame, ihnen jedoch nur begrenzt verfügbare Dritte, den Kontakt, gezwungen werden« (Baecker web 1). Die Frage, wie sich die Verortung der Nebencodierung zu den Begriffen von Operation und Beobachtung verhält, kann nach allem so beantwortet werden, daß wir uns natürlich auf der operativen Ebene des Systems im Gegensatz zu einer fremdreferentiell beobachteten Semantikebene bewegen, daß aber andererseits hierdurch noch nichts über eine Opposition von Operation und Beobachtung gesagt ist. Über das Problem der Selbstreferenz werden die Konzepte von Operation und Beobachtung so miteinander verwoben - Kommunikation als »selbstreferente Beobachtungsoperation« (Luhmann 1993c: 142) - , daß man am besten sagen sollte: Die Theorie der Nebencodierung setzt bei dem Problem der Selbstreferenz an. Es geht ja um die Anschließbarkeit von Operationen an Operationen unter der besonderen Fragestellung, wie das unter der paradoxen Bedingung der Nicht-Anschließbarkeit - der strukturellen Kopplung nämlich - möglich werden kann.

Selbstreferenz Wenn hier eine Theorie der Nebencodierung an der Selbstreferenz ansetzen will, muß sich zeigen lassen, inwieweit- bzw. ob überhaupt- die Selbstreferenz des Systems variabel sein kann. Würde eine Veränderung der Codierung deren Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, würde das natürlich die selbstreferentielle Schließung des Systems gefährden. Bevor wir uns diese Frage stellen können, wollen wir uns einen kurzen Überblick über den Begriff der Selbstreferenz bei Luhmann verschaffen. Es ist zunächst keine Frage, daß Selbstreferenz für Luhmann einer der zentralsten Grundbegriffe der Systemtheorie ist, denn erst 41

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»[ d]urch Selbstreferenz wird rekursive, zirkelhafte Geschlossenheit hergestellt« (Luhmann 1987: 606), ohne die von Systemen keine Rede sein kann. Sobald von autopoietischen Systemen gesprochen wird, ist es unvermeidbar, daß »die Figur der Selbstreferenz ins Zentrum der Systemtheorie gerückt« (Luhmann 1987: 593) wird. Über die Annahme hinaus, daß soziale Systeme >>zweifelsfrei selbstreferentielle Objekte« (Luhmann 1987: 593) sind 13 , handelt es sich bei dem Begriff der Selbstreferenz in der Systemtheorie genauso zweifelsfrei um einen hochproblematischen Begriff. Das Problem, daß Selbstreferenz zugleich das Konzept von Differenz und von Identität in Anspruch nimmt, ist nicht genuin systemtheoretisch. An dieser Paradoxie müht sich auch die Philosophie des Selbstbewußtseins seit Jahrhunderten ab. Aus der Position einer Differenztheorie besteht die Paradoxie in der Tatsache, daß Einheiten immer nur als Differenzen konstruiert werden können, so daß das >Selbst< der Selbstreferenz niemals als eine Einheit greifbar werden kann, die sich in dem Sinne durchhält, daß sie die Identität des Referierenden mit dem Referie1ien gewährleistet. Bevor wir uns dieser Paradoxie zuwenden, wollen wir sehen, wie sich die verschiedenen Begriffe der Selbstreferenz bei Luhmann zueinander verhalten, um zu klären, welcher Selbstreferenzbegriff sich auf das für uns zentrale Problem der autopoietischen Schließung bezieht und folglich die Codierung betrifft. Luhmann unterscheidet drei Arten von Selbstreferenz, je nachdem »durch welche Unterscheidung das Selbst selbst bestimmt wird« (Luhmann 1987: 600): basale Selbstreferenz, Reflexivität und Reflexion. So kann man bei der Betrachtung von sozialen Systemen deren ereignishafte Elemente (Kommunikationen) in den Blick nehmen oder auch den Prozeß, der diese Elemente operativ verkoppelt oder auch die Gesamtheit14 des Systems, das sich dann nur noch von seiner Umwelt unterscheidet. Luhmann setzt Selbstreferenz auf allen dieser drei Beobachtungsebenen an. Wenn es um die Referenz des Systems auf sich selbst geht, schlägt Luhmann den Begriff der Reflexion vor, wenn der Prozeß selbst als Selbstreferent dargestellt werden soll, will Luhmann von Reflexivität sprechen und schließlich von basaler Selbstreferenz für den Fall, daß die Selbstbezüglichkeit der Kommunikationen gemeint ist:

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Man nehme das >sind< als >müssen beobachtet werden als ... metaphorisch< immer im Rahmen der Interaktionstheorie als eine Auffassungsweise von etwas als etwas zu verstehen ist. Wie genau diese Auffassungsweise darzustellen ist, variiert je nachdem, auf welcher Ebene die Elemente, die in einem als Interpretation zu verstehenden Prozeß miteinander interagieren, betrachtet werden. Hier ist es möglich, auf die Text-Kontext-Ebene zu gehen, aber nicht notwendig: »Zwischen der Metapher und ihrem Kontext besteht semantische Inkongruenz. Ein wechselseitiger Jnterpretationsprozeß muß daher einsetzen (deswegen: Interaktion)« (Kurz 1982: 8). Die generative Metapher als Modell, das der Interaktionstheorie zuzurechnen ist, zeichnet sich dadurch aus, daß die Interaktion, die zwischen zwei Elementen stattfindet, als ein zirkulärer Prozeß dargestellt wird: »The making of generative metaphor involves a developmental process. Jt has a life cycle. ln the earlier stages of the life cycle, one notices or feels that A and Bare similar, without beingable to say similar with respect to what. Later on, one may come to be able to describe relations of elements present in a restructured perception of both A and B which account for the preanalytic detection of similarity between A and B, that is, one can formulate an analogy between A and B. Later still, one may construct a general model for which a redescribed A and a redescribed B can be identified as instances. To read the later model back onto the beginning of the process would be to engage in a kind of historical revisionism« (Schön 1993: 142f.). Das Besondere ist also, daß nicht eine Sache als eine andere Sache gesehen wird, weil eine tatsächliche Ähnlichkeit zwischen den beiden Dingen schon immer besteht, die sozusagen nur aufgedeckt wird. Das wäre der Fall, wenn man sagt >Der Mensch ist ein Wolf< und damit meint, eine verborgene aber gleichwohl tatsächliche Eigenschaft des Menschen metaphorisch anzusprechen, indem man das >Wölfische< in ihm ans Licht bringt. Tut man das, hat man zwar eine Metapher konstruiert, allerdings keine generative. Zwischen >Mensch< und >Wolf< hat keine Interaktion stattgefunden, sondern lediglich eine einsinnige Prädikatenübertragung. >Wolf< erfährt keine Veränderung, sondern bleibt bloßes Prädikat, das nur deshalb metaphorisch genannt wird, weil es in diesem

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GENERATIVE METAPHER

Kontext ungewöhnlich ist. Es handelt sich also um ein Metaphernphänomen gemäß des antiken Metaphernbegriffs, einer bloßen Substitution. Ganz im Gegensatz hierzu steht die generative Metapher, die - wie gesehen- in einer nicht nur wechselseitigen, sondern zirkulären Interaktion zwischen den Elementen besteht. Wollte man >Der Mensch ist ein Wolf< als generative Metapher sehen, müßte der Mensch, der durch das Prädikat des >Wölfischen< verändert wurde, auf das Verständnis dessen, was ein Wolf ist, zurückwirken, was wiederum zu einer veränderten Prädikation führt und so fort. Gelingt dies, ist eine Ersetzung des Begriffs Wolf durch einen anderen, >eigentlichen< Begriffnicht mehr möglich, da er sich in einem dynamischen Prozeß befindet und nicht fixiert werden kann. Schön (1993) gibt ein sehr einfaches Beispiel einer generativen Metapher aus dem technologischen Bereich. Er beschreibt den tatsächlichen Versuch einer Forschergruppe, einen Pinsel aus synthetischem Material herzustellen, wobei unerwartete Schwierigkeiten auftauchten. Zunächst zeigten nämlich die ausprobierten Kunststoffe deutlich schlechtere Ergebnisse im Auftragen von Farbe als der natürliche Haarpinsel. Die Forscher konnten zunächst keine Erklänmg für das schlechtere Verhalten der Kunstfasern finden, bis ein Forscher auf die Idee kam, den Pinsel als eine Pumpe zu sehen: »You know, a paintbrush is a kind of pump« (Schön 1993: 140). Diese Sichtweise öffnete den Blick ftir Eigenschaften des Pinsels, die zuvor überhaupt nicht gesehen wurden. Als das Entscheidende bei der Leistung im Auftragen von Farbe stellten sich nämlich weniger die Fasern selbst, als vielmehr deren Zwischenräume dar. Die Zwischenräume wurden plötzlich als Kanäle sichtbar, die beim Aufdrücken des Pinsels auf eine Oberfläche gekrümmt, somit verkürzt wurden und dadurch einen Pumpeffekt erreichten. Durch das »SEEINGAS« (Schön 1993: 141) des Pinsels als Pumpe wurde nicht nur eine neue Sicht auf den Pinsel eröffnet, sondern zugleich eine E1weiterung dessen geleistet, was man normalerweise unter Pumpe versteht. Die Pumpe muß zu einer sozusagen abstrakten Pumpe werden, um als Analogie zum Pinsel fungieren zu können. Diese Abstraktion wird aber wiederum nur dadurch initiieii, daß man sie mit dem Pinsel in Verbindung bringt. Es besteht also selbst bei diesem äußerst einfachen Beispiel ein dynamischer und zirkulärer Zusammenhang. Im Gegensatz hierzu stünde die bloße Übertragung einer pumpenintrinsischen Eigenschaft auf den Pinsel, die dort auch zu sehen ist. Hier wird aber nicht der Pinsel als Pumpe in dieser oder jener Hinsicht gesehen, sondern es entsteht eine völlig neue Idee des Pinsels-als-Pumpe. Hierbei wird nicht nur ein Pinsel als etwas Neues gesehen, sondern zugleich die Pumpe in einer Weise begriffen, die von dem herkömmlichen Pumpenbegriff Abstand nimmt.

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Ein anderes Beispiel einer generativen Metapher ist der Satz Schopenhauers >Architektur ist gefrorene Musikgefrorene Musik< einfach einen >eigentlichen< Ausdruck setzen könnte. Durch das seeing-as der Architektur als Musik wird eine ganz bestimmte Vorstellung von Architektur evoziert, die z.B. eher die ästhetischen Gesichtspunkte als die bautechnischen hervorhebt. Man denkt dann vielleicht an rhythmisierte Säulen oder räumliche Harmonie. Generativ wird diese Metapher aber erst, wenn das derart veränderte Architekturverständnis auf die Vorstellung des anderen Ausdrucks, also Musik zurückwirkt. Musik wird dann zu einer Art von Architektur, vielleicht >Architektur im Fluß< oder >verzeitlichte Architekturwahrer< Erfahrung im Gegensatz zu >falscher< Erfahrung sein. Jedenfalls handelt es sich bei der Erfahrung, die sozusagen einen Umweg über ein Als-Etwas geht und nach Analogien sucht, um eine Erfahrung, die zu deutlich anderen Ergebnissen führt, d.h. anderes >siehtlife cycle< vielleicht etwas in der Art von Stmkturdeterminiertheit oder Äquifinalität, wenn sich darin ausdrücken soll, daß der Prozeß nicht völlig und vielleicht nicht einmal überwiegend von den darin enthaltenen Elementen determiniert wird. Man kann einwenden, daß die Beschreibung der generativen Metapher als Lebenszyklus selbst metaphorisch ist und über eine sachliche Beschreibung des Vorgangs hinausgeht. Als Gegenstand einer solchen sachlichen Beschreibung der generativen Metapher bleibt die Tatsache der Rückkopplung zentral. Sieht man Aals B und läßt die Veränderung, die das seeing-as dem B zuführt, auf A zurückwirken, ist eine FeedbackSchleife in Gang gekommen. Man kann nun zeigen, daß schon allein der Sachverhalt der Rückkopplung eines Prozesses in seiner einfachsten Form ausreicht, um Eigenschaften wie Stmkturdeterminiertheit und die Möglichkeit von Emergenz 4 hervorzubringen. Im folgenden ist an einem sehr einfachen mathematischen Beispiel zu sehen, wie die schlichte Rückkopplung eines voll strukturdetern1inierten Systems sowohl zu der

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»Als Emergenz wird allgemein der Vorgang der Entstehung nichtreduktionistisch erklärbar neuer Eigenschaften von Systemen aus Vorzuständen bezeichnet« (Völcker 1998: 2).

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ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

Emergenz neuer Systemeigenschaften führen kann als auch zu chaotischem Verhalten befähigt.

Von Rückkopplung zur Emergenz von Ordnung und Chaos P.F. Verhulst ftihrte 1845 ein neues Glied in Gleichungen zur Darstellung von Populationskurven ein. Es gelang ihm dadurch, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß Populationszuwachsraten nicht stabil sind, sondern davon abhängen, wie hoch die Population ist, von der das Wachstum ausgeht. Das Wachstum einer relativ niedrigen Population läßt sich meist exponentiell beschreiben. Hier ist eine Wachstumsgleichung noch einfach darzustellen:

Xn ist hierbei die Population des letzten Jahres, Xn+l die des aufXn folgenden Jahres und B die Geburtenrate, wobei Xn der Einfachheit halber normiert wird, so daß X ~ 1 im Sinne von 100% die größtmögliche, bzw. als größte beobachtete Population darstellt, X ~ 0,5 demnach die Hälfte usw. Nach dieser Gleichung würde sich die Population, wenn man die Geburtenrate B = 2 setzt, jährlich verdoppeln und so schon nach einigen Generationen exponentiell ins Unermeßliche wachsen. Verhulst gelang es, durch die Einführung eines weiteren Terms, die in der Natur zu beobachtende Verringerung der Geburtenrate B bei wachsenden X d.h. X die gegen 1 gehen, mathematisch darzustellen. Er führte auf der rechten Seite zusätzlich den Faktor (1- X11) ein. Die Glieder X11 und (1- X11) arbeiten hierbei gegeneinander, da bei X11 , die gegen 1 tendieren, das Wachstum gegen 0 tendiert und bei X die gegen 0 gehen, die Schwächung der Geburtenrate B durch den Term (1- Xn) gegen 0 tendiert. Diese Rückkopplung führt selbst in dieser sehr einfachen Gleichung zu einem nichtvorhersehbaren Verhalten, das Eigenschaften komplexer Systeme zeigt. Das Einzige, womit hier herumexperimentiert wird, ist der Wert der Geburtenratenvariablen B. Gibt man hier Werte unter 1 ein, geschieht nichts Unerwartetes. Die Population ist monoton fallend und erreicht 0. Interessant wird es erst, wenn man Werte über I probiert. Nimmt man z.B. den Wert B = 1,5, würde man vielleicht erwarten, daß die Population zunimmt. Der Fall ist hingegen, daß die Population zunächst schlagartig absinkt, um sich dann von unten dem Wert 0,66 (also 66% der Maximalpopulation) anzunähern und im folgenden bei exakt diesem Wert zu verbleiben. Man spricht dann von einem Attraktor. Anders scheint es 11

11

11,

11,

11,

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GENERATIVE METAPHER

zunächst, wenn man den Wert B = 2,5 angibt. Hier zeigt sich anfangs ein Auf und Ab, das sich dann aber ebenfalls bei dem Attraktor 0,66 einpendelt und stabil wird. Bei noch höheren Werten hält lediglich das Schwingungsverhalten länger an, bis der Attraktor erreicht wird. Um mit Watzlawick zu sprechen, könnte man in diesem Verhalten das Prinzip der Äquifinalität offener Systeme sehen. Ab einem Wert von 3,0 tritt eine gänzlich neue Systemeigenschaft in Erscheinung. Es zeigen sich plötzlich zwei Attraktoren, zwischen denen die Population beständig hin und her schwankt. Bei noch höheren Werten kommen weitere Attraktoren hinzu, genauer gesagt, kommt es zu sogenannten Periodenverdoppelungen, bis bei einem Wert von 3,56999 die Anzahl der Attraktoren unendlich ist. Man kann keinerlei Struktur oder Ordnung, d.h. hier Symmetrie, erkennen. Schon diese äußerst einfache Gleichung nimmt den sogenannten >Periodenverdoppelungsweg zum ChaosVersklavungsprinzipnormalen< Erstcodierung des Systems geschieht, wenn sie nebencodiert wird. Wir haben zu zeigen versucht, daß es sich bei der Nebencodierung um eine konservative Modulation handelt, die der Erstcodierung quasi aufsitzt und nicht alternativ an deren Stelle tritt. Es bleibt aber die Frage, ob diese modulierende Nebencodierung nur in bestimmten Kommunikationssituationen zu beobachten ist, oder ob sie, einmal aufgetaucht, alle Beobachtungen des Systems moduliert. Die folgenden empirischen Beispiele deuten eher daraufhin, daß in einer bestimmten evolutorischen Situation die generativ-metaphorische Umdeutung der Erstcodierung ununterbrochen ist. Es ist aber nicht auszuschließen, daß in manchen Fällen das Modell von Anderseu/Born (2000) einer Code-Oszillation vorzuziehen ist. Dies vor allem bei Organisationen, die in ganz ausgeprägter Weise auf Informationsgewinn aus Kommunikationen der verschiedenen Punktionssysteme in ihrer Umwelt angewiesen sind.

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BEISPIELE FÜR NEBENCOOlERUNGEN DURCH GENERATIVE METAPHERN

Wir wollen nun an konlueten Beispielen zeigen, daß und wie verschiedene Funktionssysteme bestimmte generative Metaphern evaluieren, um diese als Nebencodierungen, d.h. gezielte Einrichtungen zum optimierten Umgang mit Störungen des Wirtschaftssystems, einzusetzen. Die prinzipielle Unmöglichkeit flir Systeme, an die Codierung anderer Systeme anzuschließen, wird hierbei in den rückgekoppelten Prozeß der generativen Metapher eingeführt und entparadoxiert. Wir richten damit das Augenmerk auf Phänomene innerhalb von Systemkommunikation, die auf eine metaphorische Umdeutung des jeweiligen Präferenzwertes der Codierung zurückzuführen sind. Klar davon zu unterscheiden sind alle Phänomene der strukturellen Kopplung zwischen verschiedenen Systemen und der Wirtschaft. So wenig das Konzept der strukturellen Kopplung unter der unhintergehbaren Bedingung operativer Schließung an System-System-Beziehungen ermöglicht, so wenig läßt sich in dessen Rahmen ein substantieller Einfluß der Wirtschaft auf andere Funktionssysteme (Ökonomisierung) rekonstruieren. Die Beispiele flir Nebencodierungen zur Wirtschaft, die weder als Nebencodierungen zur Wirtschaft vollständig sein wollen, noch ausschließen wollen, daß wichtige Nebencodierungen der jeweiligen Systeme zu anderen Funktionssystemen bestehen, sind in allen Fällen Beispiele dafür, wie Systeme intern eine Beziehung zur Wirtschaftskommunikation herstellen. Durch eine generative Metapher wird es möglich, die eigene Präferenz als zugleich die Präferenz der Wirtschaft zu sehen (seeing-as). Wie im vorausgegangenen Kapitel deutlich werden sollte, handelt es sich hierbei um einen

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ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

produktiven und informativen Fehler, der aufgrund seiner zyklischen Prozessualität die Emergenz neuer Strukturen ermöglicht. Indem wir empirisches Beispielmaterial, das die als >Ökonomisierung< zu bezeichnenden strukturellen Veränderungen belegen soll, ins Feld fuhren, begeben wir uns natürlich in den Bereich der Semantik und Selbstbeschreibung 1 von Systemen. Geht man - wie Urs Stäheli (1998a) -nicht von einer linearen Nachträglichkeit der Semantik aus, sondern bedenkt die Komplexität2 des Verhältnisses von Semantik- und Strukturebene3, bzw. Beobachtung und Operation4 , ist dem möglichen Einwand, es handele sich bei der Semantik lediglich um kontingente und unterkomplexe - und deshalb irrelevante - Beschreibungen vorausgehender und unabhängiger Systemprozesse, der Boden entzogen. Zudem macht Stäheli (1998a) darauf aufmerksam, daß der Strukturbegriff gleichermaßen auf operative Prozesse und semantische Prozesse anwendbar ist. Das heißt, daß die beispielshafte Untersuchung von Selbstbeschreibungen nicht in einem völlig ungeordneten Raum herumstochern muß, sondern ganz im Gegenteil versuchen kann, semantische Strukturen aufzuzeigen, die nicht anders können, als mit operativen Prozessen zu korrelieren. Wie man diese Korrelation auch immer auffaßt - selbst wenn man an einer chronologischen Nachträglichkeil der Semantik festhalten wollte -, spräche das immer noch nicht gegen die Möglichkeit, strukturell-operative Phänomene an strukturell-semantischen Phänomenen aufzuzeigen. Im Falle der politischen Kommunikation kommt ohnehin hinzu, daß es nicht sinnvoll ist, politische Selbstbeobachtungsoperationen (!) von politischen Operationen scharf zu trennen. 5 Dies gilt auch für

2

3

4 5

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Mit >Selbstbeschreibungen< sind bei Luhmann (textförmige) Beschreibungen von Selbstbeobachtungen gemeint (vgl. Luhmann 1998: 887). Von >Semantik< spricht Luhmann an gleicher Stelle, um die Gesamtheit der »bewahrenswerten Sinnvorgaben«, die aus solchen Selbstbeobachtungen hervorgehen, zu bezeichnen. Man bedenke z.B., daß auch Selbstbeobachtungen nicht nur Beobachtungen sind, sondern auch Operationen, genauer: Kommunikationen, so daß eine einfache Trennung von Semantikebene, auf der beobachtet wird, und Strukturebene, auf der operiert wird, vom Ansatz her nicht haltbar ist. Urs Stäheh (1998a) kann am Beispiel des politischen Systems plausibel machen, daß der Code des Systems auf eine Staatssemantik angewiesen ist, was eine konstitutive Rolle der Semantik in der Operativität des Systems belegt. Diese Arbeit hat zu zeigen versucht, daß der Code als rein struktureller Operator ohne eine eigene semantische Minimalbestimmtheit nicht sinnvoll denkbar ist und zudem seine Funktion im Zusammenhang mit der Selbstreferenzproblematik nicht erfüllen könnte. Gegen die Möglichkeit einer diesbezüglich klaren Trennung haben wir argumentiert, was nicht gegen eine Unterscheidbarkeit sprach. Vgl. Stäheh (1996) und Stäheli (1998a).

BEISPIELE FÜR NEBENCOOlERUNGEN

weite Bereiche der modernen Kunst, wo Selbstbeobachtungen zu Kunstoperationen werden. 6 Diese Arbeit bietet keine expliziten Selbstbeschreibungsanalysen der verschiedenen Funktionssysteme, sondern lediglich Beispiele von Selbstbeschreibungen, die aufgrund ihrer Prominenz und Häufigkeit Aufschluß über strukturell-semantische Veränderungen und damit verbunden strukturell-operative Veränderungen geben sollen.

Nebencodierung der Politik Im folgenden wollen wir die These vertreten, daß das politische System einen internen Bezug zur Wirtschaftskommunikation hergestellt hat, indem es eine generative Metapher, die sich in dem Satz >Sozial ist, was Arbeit schafftSozial ist, was Arbeit schafft< in der politischen Kommunikation extrem häufig fallt. Eine Suche bei www.google.de als exakte Phrase, d.h. >Sozial ist, was Arbeit schafftIch habe gesagt, der Slogan >Sozial ist, was Arbeit schafft< weckt bei mir die Assoziation >Arbeit macht freianbringendemokratische Parteien/nicht-demokratische Parteien< aufgegeben wird. Außerdem ließe sich die Kommunikation unter konkurrierenden Oppositionsparteien nicht auf diese Leitdifferenz bringen, was heißen würde, daß die inneroppositionelle Auseinandersetzung nicht dem politischen System zuzurechnen wäre. Davon abgesehen scheint auch die Engführung von politischer Kommunikation auf das, was direkt im Zusammenhang mit Wahl und Abwahl steht, dem, was im allgemeinen unter >Politik< verstanden wird, nicht angemessen: »Obwohl Luhmann eine nicht-essentialistische Theorie des politischen Systems präsentiert, geht die radikale Bedeutung des Politischen als Institution des Sozialen verloren. Das mögliche Feld politischer Antagonismen ist reduziert auf die Beziehung zwischen Regienmg und Opposition, wodurch wichtige Phänomene - wie soziale Bewegungen und andere politische Jdentitäten dem Horizont des politischen Systems entgleiten« (Stäheli 2000: 260). Auch wenn wir dieser Frage hier nicht den nötigen Raum geben können, wollen wir mit einem eigenen Vorschlag einer Codierung der Politik weiterarbeiten. Wenn wir über politische Kommunikation sprechen, dann immer in einer ganz bestimmten kontingenten historischen Situati15

Stäheli (2000) weist darauf hin, daß Luhmann nicht deutlich machen kann, »wie das >sowieDoppel-Codieren< funktionieren könnte« (255). 71

ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

on: über das »wohlfahrtsstaatliche politische System« (Luhmann 1994d: 108). Auch wenn es sich hierbei >lediglich< um eine Selbstbeschreibung handelt, geht diese auf der operativen Ebene mit ganz bestimmten strukturellen Besonderheiten einher: »Das Wohlwollen des Wohlfahrtsstaates ist mitsamt seinen fatalen Konsequenzen gesellschaftsstrukturell gedeckt. Der Übergang zu einer andersartigen Typik von Politik zeichnet sich nicht ab und ist auch nicht zu prognostizieren. Das Auffällige, historisch Unvergleichbare daran ist: daß Ordnung nicht über ein Eliminieren von Abweichungen, sondern über eine Steigerung der Abweichungen von bestehenden Zuständen angestrebt wird. Sie soll, kybernetisch gesprochen, nicht über negativen Feedback, sondern über positiven Feedback realisiert werden« (Luhmann 1994d: 108).

Die Arbeitshypothese, auf der wir die folgenden Überlegungen aufbauen, ist, daß die politische Kommunikation des W ohlfahttsstaates sich an der Leitdifferenz sozial/nicht-sozial orientiert, wenn >sozial< soviel heißt wie >im Hinblick auf die Gesamtgesellschaft verantwortbar bzw. wünschenswertsozial ist, was Arbeit schafft< als Modulation des Präferenzwertes >sozialSozial ist, was Arbeit schafft
Richtiges< herauskäme oder gar die Politik tatsächlich Wirtschaftsoperationen tätigte, sondern mit dem Ergebnis, daß überhaupt etwas herauskommt. Es entstehen nämlich fraglos Informationen, auch wenn es sich nicht um Informationen über die Wirtschaft handelt, sondern nur um selbst-hervorgebrachte Information, die deshalb Information ist, da deren eigene Hervorbringung durch die Komplexität des dynamischen Prozesses der generativen Metapher unvorhersehbar und irrtransparent (Emergenz) und deswegen >neu< ist und folglich »einen Unterschied ausmacht« (Bateson 1985: 488). Die Frage nach der Motivation 17 für dieses eigenartige Verhalten des politischen Systems und dessen Folgen für es selbst und die Gesamtgesellschaft wollen wir uns erst stellen, wenn wir einige weitere Beispiele herangezogen haben werden.

Nebencodierungen der Kunst Am Beispiel der Nebencodierungen der Kunst können gleich mehrere Aspekte verdeutlicht werden. Indem wir verschiedene Nebencodierungen, die die Kunst zu verschiedenen Zeiten zu verschiedenen Systemen ausgebildet hat, anführen, soll ein wesentlicher Gesichtspunkt der Nebencodierung in Erscheinung treten: die relative Instabilität. Nebencodierungen sind als Instrumente der kognitiven Öffnung sensibel für gesamtgesellschaftliche Veränderungen. Anders als bei der Erstcodierung gefährdet selbst eine drastische Änderung der Nebencodierungen ein System nicht. Es ist gerade eine zentrale These dieser Arbeit, daß man wichtige Aussagen über die Gesellschaft machen kann, in-

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Der Begriff der Motivation wird natürlich in diesem Theoriezusammenhang evolutionstheoretisch, d.h. ohne jeden Bezug zu psychischen Gegebenheiten zu verstehen sein. 73

ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

dem man an den Nebencodierungen, die die Funktionssysteme evoluiert haben, die aktuellen Verhältnisse der Funktionssysteme zueinander abliest. Der Kunst scheint es ausgesprochen gut zu gelingen, auf die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse einzugehen, wie an der Pluralität erfolgreicher Nebencodierung sichtbar werden soll. Des weiteren ist das Beispiel der Kunst besonders interessant, da die Kunst mit nicht-sprachlichen Metaphern als Nebencodierungen operiert. Soziale Systeme kommunizieren nicht in allen Fällen sprachlich, sondern auch mit anderen symbolischen Formen wie Kunstwerken oder Geld. Sicherlich muß man auch sprachliche Beobachtungen beispielsweise zu den Systemen von Kunst, Wirtschaft und Religion zählen. Gleichwohl ist es keine Frage, daß nicht-sprachliche Kunstwerke (oder auch nicht-versprachlichte Eigenschaften an Kunstwerken), elektronische Zahlungsvorgänge und mentale Haltungen jeweils bei diesen Systemen eine zentrale Beobachtungsform der ersten Ordnung 18 sind. Es kann also nicht ernsthaft bezweifelt werden, daß auch nicht-sprachliche Kommunikation eine wichtige Rolle in sozialen Systemen einnimmt. Damit ist nicht verwiesen auf Kommunikation, die nicht-sprachlich abläuft in dem Sinne, daß sie vor dem Hintergrund von Sprache sich selbst, sozusagen als Ausnahme, als nicht-sprachlich markiert. So könnte in vielen Fällen eine Geste oder eine Zeichnung an die Stelle von sprachlichen Mitteln treten, was kaum gelingen könnte, wenn die sprachlichen Möglichkeiten und Kontextualisierungen nicht im Hintergrund stünden. Im Falle der Kunst liegt auf der Hand, daß sich nicht alle Merkmale eines beobachteten Kunstwerks versprachlichen lassen und es in vielen Fällen gerade um rein sinnliche Qualitäten geht. Würde man diese sinnlichen Qualitäten wie Farbe und Klang als Zeichen auffassen, käme das Prinzip der abstraktiven Relevanz zur Geltung, nach dem nur bestimmte Merkmale eines Zeichenkörpers verweisungsrelevant sind und andere nicht (vgl. Bühler 1934). Während bei einem Buchstaben dessen Farbe in den meisten Fällen keine Rolle spielt, ist bei einem monochromen Gemälde, im Grunde aber auch bei jedem gelungenen Kunstwerk, schwerlich ein unwesentliches Merkmal aufzufinden. In Bezug auf den modernen Metaphernbegriff, den wir zu Grunde legen, stellt die Möglichkeit der Nicht-Sprachlichkeit von Kunst kein Problem dar. Metaphern sind »not specifically linguistic« (Sadock, 1993: 42), schon gar nicht, wenn es um die generative Metapher geht, 18

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Beobachtungen zweiter Ordnung, also das Beobachten von Beobachtern, bzw. der Differenz, die einer anderen Beobachtung zugrunde liegt und somit das Wie und nicht mehr das Was von Beobachtungen in den Blick bekommt, scheinen hingegen auf Sprache angewiesen zu sein, egal um welchen Beobachter es sich handelt.

BEISPIELE FÜR NEBENCOOlERUNGEN

die wir ja als eine bestimmte Art des seeing-as bezeichnet und unter anderem an einem technologischen Beispiel verdeutlicht haben, bei dem die Versprachlichung des seeing-as eines Pinsels als Pumpe nicht primär war. Systemtheoretisch kann man ja gerade sehen, daß Kunstwerke Kunstwerke beobachten und daflir zwar auf die Wahrnehmungsfähigkeit, die Gedächtnisleistung und die Aufmerksamkeit psychischer und organischer Medien angewiesen sind, aber nicht auf Versprachlichung. Im folgenden wollen wir an historischen Beispielen mögliche Nebencodierungen der Kunst zu den Systemen der Religion, der Wissenschaft, der Politik und der Wirtschaft vorführen. Ohne an dieser Stelle die Frage, ab wann man - historisch gesehen - von einer funktional differenzierten Gesellschaft sprechen kann, 19 aufgreifen zu wollen, scheint es sinnvoll zu sein, damit in der Renaissance20 zu beginnen. Wem es zu gewagt erscheint, in der Renaissance schon von einem Kunstsystem im systemtheoretischen Sinne zu sprechen, was nach Luhmann ab dem 15. Jahrhundert möglich ist2 \ sei darauf verwiesen, daß das synchrone Vorhandensein von Stratifikation noch nicht bedeutet, daß es ganz und gar keine geschlossene Kunstkommunikation gegeben hat. Wenn man von einer funktional differenzierten Gesellschaft spricht, dann ist damit die These verbunden, daß es sich dabei um den primären Differenzierungstyp handelt und nicht etwa um den einzigen.

Die göttliche Kunst Die Beziehung der Kunst zur Religion läßt sich in der Renaissance am besten als Nebencodierung mittels der generativen Metapher der >göttlichen Kunst< darstellen.

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»Die Anfange [der funktionalen Differenzierung, F.K] sind schwer zu datieren, weil sie sich gegenüber dem, was wir Vorentwicklungen nennen, kaum abgrenzen lassen« (Lulunann 1998: 707). Es sei, da es uns hier lediglich um ein Beispiel geht, dahingestellt, was von dem Epochenbegriff der Renaissance zu halten ist. Wir wollen uns hier der Ansicht von Hempfer anschließen, da eine Epochenbezeichnung immerhin »den Vorteil hat, daß man nicht genauer angeben muß, wovon man redet« (Luhmann 199lb: 67): »Ausgehend von dem sich seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert etablierenden Selbstverständnis, daß die eigene Zeit sich in allen Lebensbereichen als Bruch zum Vorausgehenden konstituiert, ist es naheliegend, die Renaissance als eigenständige Epoche zu konstruieren« (Hempfer 1993: 12). »Die Ausdifferenzierung eines Systems für Kunst gelingt in Italien im 15. Jahrhundert unter ganz untypischen Sonderbedingungen der Konkurrenz kleiner Fürstenhöfe und Republiken« (Luhmann 1998: 712).

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ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

Entgegen der mittlerweile in der Kunstgeschichte überwundenen »paganisierten Betrachtungsweise« (Traeger 1997: 387) ist das »gläubige Kunstbewußtsein« (Traeger 1997: 399) der Renaissance trotz aller Brüche mit der sakralen Kunst des Mittelalters nicht zu bezweifeln: »Ihre Verehrung der Antike, die Entwicklung der profanen Kunst und die Freizügigkeit der Sitten haben dazu gefiihrt, daß sie [die Renaissance] vielfach flir eine Epoche des Unglaubens gehalten wurde, einzig und allein auf der Suche nach dem Vergnügen. Nichts könnte irrtümlicher sein! [... ]Kaum ein anderes Zeitalter hatte ein so tiefes Verlangen nach Religion, war so beschäftigt mit seinem Heil, so durchdrungen vom Glauben [... ] Gab sich die Kunst auch oft profan, so war sie doch öfter religiös« (Jestaz 1985: 16). Die Religiosität der Kunst liegt jetzt nicht mehr im Bereich der stratifikatorischen Unterordnung der Kunst unter die Religion, sondern im Bereich der autonomen und kontingenten Selbstbeobachtung der Kunst als religiös, denn auch wenn die Künstler der Religion dienten, dann »doch ohne Abstriche an ihre Kunst. Diejenigen, die nachgaben, waren keine Künstler« (Jestaz 1985: 17). Die Kunst hat so getan, als habe ihre eigene Operation schon eine direkte Verbindung zu religiöser Operation. Das, was schön ist, soll zugleich transzendent sein: Das Schöne ist göttlich. Zunächst ist zu bemerken, daß es hierbei nicht um eine Metaebene geht, auf der Kunst theoretisierend als göttlich betrachtet wird. Gemeint ist, daß die Kunstkommunikation ihre eigenen Operationen metaphorisch auffaßt, indem sie so tut, als sei die Kunstkommunikation schon an sich intrinsisch transzendent. Die Selbstreferenz der Kunst unternimmt den strategischen Fehler des seeing-as ihrer eigenen Operationen als ineins religiös. Es handelt sich hier um einen produktiven Fehler im Sinne der generativen Metapher, da die unvermeidlichen Paradoxien der falschen Selbstbeobachtung dazu zwingen, die Idee des Schönen auf der einen Seite und das Konzept des Heiligen, Göttlichen oder Transzendenten auf der anderen Seite irgendwie in Einklang zu bringen, das heißt zu entparadoxieren. Das kann nur in einem zirkulären Prozeß geschehen, bei dem sich die beiden beteiligten Bedeutungskomplexe wechselseitig umdeuten:

schön

C.:;t=~

t r ans z e n den t I nicht-schön

Die göttliche Kunst

Die Nebencodierung der >göttlichen Kunst< ist hier also als generativmetaphorische Umdeutung der Kunstpräferenz durch den religiösen Prä-

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BEISPIELE FÜR NEBENCOOlERUNGEN

ferenzwert konstruiert. In Bezug auf Kunst darfman sich diesen Umdeutungsprozeß nicht als genuin begrifflich vorstellen, sondern z.B. als eine »Stimmung, die nach geistiger Erhebung drängte« (Velmans 2003: 7), als »Einheit von religiöser Hingabe und ästhetischem Kalkül« (Traeger 1997: 389) oder als »mythische Ambivalenz der Kunst« (Traeger 1997: 387), in jedem Fall also als eine Selbstbeobachtung, die die eigenen Beobachtungen erster Ordnung begleitet. Einfacher gesagt: Der Künstler geht nicht erst nach rein ästhetischen Gesichtspunkten vor, um dann, wenn er fertig ist, das Ergebnis in einen religiösen Zusammenhang zu stellen, sondern ist vielmehr beseelt22 von der Transzendenz seines Pinselstrichs selbst: »Alle bedeutenden Künstler und Gelehrten begriffen sich als Diener einer höheren Wahrheit, selbst wenn die Auffassungen vom Wesen dieser Wahrheit und von den Mitteln, die notwendig sind, um sie zu offenbaren, beträchtlich voneinander abwichen. Wie sehr das transzendente Ziel auch paganisiert wurde, die auf das Göttliche ausgerichteten künstlerischen Entwürfe - gleich ob es sich dabei um Nachahmungen der Natur oder um intellektuelle Leistungen handelte- blieben als das höchste Ziel der Kunst in ihren entscheidenden und besten Werken letztlich unantastbar« (Kemp 1997: 126f.). Hier zeigt sich deutlich, daß Nebencodierungen der Tendenz nach entdifferenzierend wirken. Die Nebencodierung des Schönen als das Göttliche ist ja im Mittelalter, das soll jetzt heißen: vor der funktionalen Differenzierung, der Normalfall gewesen: »Das abendländische, lateinisch-christliche Mittelalter dachte sich seine Kirchenmusik als vom heiligen Geist inspiriert: vom 9. Jahrhundert ab hat man um die bisher fesselndste Persönlichkeit eines römischen Papstes, Gregor den Großen (t604), die Legende gewoben, der heilige Geist habe ihm Melodien eingegeben, die man deshalb die gregorianischen nannte. Zahlreich sind die zeitgenössischen Miniaturen, die den diktierenden oder selbst eifrig schreibenden Papst darstellen, die Taube mit dem Heiligenschein auf der Schulter, ihm Melodien ins Ohr flüsternd« (Stäblein 1984: 1). Hier haben wir es wieder mit einer generativen Metapher zu tun, oder genauer, mit der Versprachlichung einer generativen Metapher. Wohl wissend, daß das Schöne nicht dasselbe ist wie das Göttliche, wird diese Falschaussage produktiv, indem sie zu ihrer eigenen Entparadoxierung zwingt. Der Künstler, der glaubt, als Künstler in diesem Sinne göttlich 22

Die Formulierung soll auf die Möglichkeit der Nicht-Sprachlichkeit hinweisen.

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ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

sein zu müssen, obwohl er weiß, daß ihm das nicht vergönnt ist, muß sich schon sehr weit zur Decke strecken. Wenn wir davon ausgehen, daß sich im Laufe der Renaissance eine funktionale Differenzierung, d.h. Autonomisierung der Kunst ereignet hat, wird auch klar, daß die Kunst nicht daran gebunden war, eine Nebencodierung zum System der Religion auszubilden, auch wenn man sagen wird, daß es in Anbetracht der Vorgeschichte und der Bedeutung der Religion nicht überrascht, daß das neu ausdifferenzierte Kunstsystem gerade für den Umgang mit religiöser Kommunikation nach einer unmöglichen Möglichkeit gesucht hat, an deren Code anzuschließen, indem sie diesen systemintern abbildete. Zwar kann die Kunst nicht den vollen Code immanent/transzendent integrieren, aber - wie gezeigt - anband der Metapher des Schönen als Göttlichem so tun, als sei der Präferenzwert der kunsteigenen Codierung zugleich der Präferenzwert der religiösen Kommunikation.

Die wahre Kunst In der Renaissance läßt sich die Evolution einer weiteren Nebencodierung des Kunstsystems ausmachen, die die Das-Schöne-ist-göttlich-Metapher zunehmend verdrängt bzw. transformiert. Das soll allerdings nicht darauf hinweisen, daß anzunehmen sei, die Zahl der N ebencodierungen eines Systems müsse begrenzter sein als die Anzahl der sozialen Systeme in seiner Umwelt. Ob ein System eine generative Metapher als Nebencodierung zu anderen Systemen aufbaut oder nicht, ist schlichtes kontingentes Faktum der Evolution. Es spricht also nichts dagegen, daß Systeme mehrere Nebencodierungen zur gleichen Zeit haben können. Die These, die nicht zuletzt aus den Beispielen, die hier angeführt werden, zu erhärten sein wird, ist aber, daß es eine Motivation für die Evolution von Nebencodierungen gibt, die in einer in Dominanzbegriffen zu fassenden Asymmetrisierung der Funktionssysteme in der gemeinsamen sozialen Umwelt besteht. Systeme werden dazu neigen, Nebencodierungen zu dem System oder den Systemen aufzubauen, deren Operationen nicht zuletzt durch Quantität - die gesamtgesellschaftliche Umwelt besonders stark stören. Dieser Sachverhalt ist schon eine hinreichende Definition eines modernen sozialbiologischen Dominanzbegriffs, auf den wir später noch genauer zu sprechen kommen werden: »Dominance, in contrast [to success], is best measured at two Ievels: at any given time, by the relative abundance of the clade in comparison with related clades, and over its entire history, by the ecological and evolutionary impact it has on the coexisting fauna and flora« (Wilson 1990: 19).

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BEISPIELE FÜR NEBENCOOlERUNGEN

Im Zuge der Renaissance, so wollen wir behaupten, hat sich die Kunst zunehmend bemüht, die eigene Operation in die Nähe der Wissenschaft zu rücken. 23 Schön soll nun das sein, was wahr ist. Es wird jetzt zentral, in einem wissenschaftlichen, d.h. überprüfbaren Sinne, wahrhaftige Kunstwerke zu produzieren. Auffällig sind hier zum Beispiel die Bestrebungen, Zeichnungen menschlicher Körper möglichst anatomisch exakt auszuführen. Wichtig ist, daß es nicht um einen bloß thematischen also äußerlichen Bezug geht. Ebenfalls geht es nicht um die in der Renaissance erwachsene Zumutung der Kunst durch Kunsttheorie (vgl. Kemp 1997: 121) angesichtsderer man sagen kann: »Alles in allem ist das eigentliche Wunder der Renaissance, daß die Kunst soviel Wissenschaft widerstanden hat« (Jestaz 1985: 16). Der Bezug der Kunst zur Wissenschaft, den wir mit dem Begriff der Nebencodierung ansprechen, ist wiederum der Versuch der Kunst, systemintern ihre eigenen Operationen als wissenschaftlich umzudeuten. Der Präferenzwert >schön< wird mit dem fremden Präferenzwert >wahr< in einer generativen Metapher gleichgesetzt, die es ermöglicht, die Paradoxie dieser Gleichsetzung produktiv werden zu lassen:

schön

C.;t==~

wahr I nicht-schön

Die wahre Kunst

Möglichkeiten, das Wahre als das Schöne aufzufassen, gibt es genug. Ein Weg besteht darin, daß sich Künstler in ihren Formentscheidungen an nicht-wahrnehmbaren mathematischen Zusammenhängen orientieren, wie bei der »pythagorisierenden Architektur der Renaissance« (Klein 1996: 91 ), flir die »Schönheit [ ... ] nur flir eine rationale Analyse, die in den meisten Fällen niemand zu unternehmen Lust oder Mittel besaß« (Klein 1996: 90), existiert: »Ein Ensemble wie Vasaris Fresken im Palazzo Vecchio konnte so viele kohärente und parallele Bedeutungen aufweisen [... ], war gleichzeitig der Träger von physikalischen, moralischen, religiösen und politischen Auslegungen. Aber für wen häufte man diese Bedeutungen übereinander? [ .. .] Der Erfin-

23

Korrekt müßte es heißen: Die besondere Strukturelle-Kopplungs-Situation einer zunächst rein quantitativen Dominanz von wissenschaftlichen Kommunikationen in der gesamtgesellschaftlichen Umwelt ermöglicht es der Kunstkommunikation, vermehrt Umgangsformen mit eben diesen Störungen >auszuprobiereneinfach so< etwa durch behauptete Inspiration durch den Heiligen Geist - als gött-

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BEISPIELE FÜR NEBENCOOlERUNGEN

lieh auf, sondern über den Umweg der auf Gott verweisenden Wissenschaft: »Durch Erfindungsgabe unterscheidet sich Leonardo zufolge der Mensch vom Tier, da der Mensch sich dadurch >als ein göttliches Wesen erweistdas göttliche Wesen der Wissenschaft des Malers bewirkt, daß sich sein Geist in ein Abbild göttlichen Geistes verwandelt; frei schaltend und waltend, schreitet er zur Erschaffung mannigfacher Arten verschiedener Tiere, Pflanzen, Früchte< usw. Die Malerei sei >nicht nur eine Wissenschaft [... ], sondern [muß] eine Gottheit genannt werden, die alle sichtbaren Werke des Allmächtigen neu erschafftgesellschaftliche Relevanz< der Musik gefordert wird« ( 18) und man selbst »politische Tendenzen in der geistlichen Musik« ( Gottwald 1971: 31) zu finden bemüht ist. Sowohl die wissenschaftliche Diskussion der Zeit als auch die künstlerische Selbstdarstellung orientiert sich in zuvor ungekanntem Ausmaß - und im übrigen zu Unrecht25 im Rückgriff auf Sartre - an der Unterscheidung zwischen engagierter und autonomer Kunst. Es wird von einem »Dilemma« (Dahlhaus, 1971: 10) gesprochen, von einer »Allmacht der Alternative« (Adomo 1971: 209), von einer »Spaltung in autonome und funktionale Musik« (Dahlhaus 1971: 10), und für Adomo bleibt »die Kontroverse [ ... ] so dringlich, wie heute nur etwas sein kann« (Adomo 1971: 208):

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»ln einem etwas früheren Rückblick hat 1972 ein anderer, gleichfalls dem Terminus >litterature engagee< ablehnend gegenüberstehender Gmppenautor, Helmut Heißenbüttel, auch den Zeitpunkt genannt, zu dem der deutsche Engagement-Begriff durchgesetzt war: >Mitte der sechziger Jahre< zusammen mit der Frage nach der gesellschaftspraktischen Funktion von Literatur« (Peitsch 1999: 32). »Selten ist ein Buch derart oberflächlich gelesen und mißverstanden worden - bis in literaturgeschichtliche Handbücher hinein - , wie Sartres Schrift Was ist Literatur?, selten ist ein Begriff derart mißdeutet worden, wie der der >engagierten LiteraturL'Express< das unmittelbare politische Engagement der Literatur, das sich auf Brecht beruft, Fried in seinem >ZeitHaltung< ist allerdings noch nicht viel gewonnen, wenn nicht deutlich wird, daß der signifikante Unterschied von Tendenz und Engagement in dem Gelingen der Ästhetisienmg des Politischen besteht, etwa durch das künstlerische Mittel der Mehrdeutigkeit: »Was aber das Engagement künstlerisch vorm tendenziösen Spruchband voraus hat, macht den Inhalt mehrdeutig, für den der Dichter sich engagiert« (Adomo 1971: 213). Letztlich geht es darum, ob das Engagement der Kunst lediglich als etwas Äußerliches (notwendig Störendes) zugemutet wird, oder ob es gelingt, die Sphäre des Künstlerischen (Ästhetik, Formentscheidungen, Stil) selbst zu politisieren. Wenn Handke einwendet: »das Engagement ist materiell bestimmt, die Literatur hingegen formal« (Handke 1978: 44), trifft er genau den entscheidenden Punkt. Wenn von engagierter Kunst- in Abgrenzung zu Tendenzkunst, die Handke meint- gesprochen werden soll, dann nur in der Hinsicht, daß sieformal engagiert ist, indem sie »sich auch ästhetisch artikuliert. Das heißt, wenn es [das Engagement] sich auch materialimmanent umsetzt« (Kolleritsch 1971: 94). Dahlhaus faßt diesen Unterschied mit den Begriffen von (intrinsischer) Qualität und (angetragener) Funktion: »Außerdem bleibt es, wenn von engagierter Musik die Rede ist, fast immer unklar, ob eine Qualität oder eine Funktion gemeint ist, ob also von dem musikalischen Gebilde Zeichen oder Spuren eines bestimmten Engagements abiesbar sein müssen, oder ob das Engagement in nichts anderem besteht, als daß sich ein Stück Musik einem Zweck unterwirft, den es mit einem anderen vertauschen könnte, den es jedoch angemessen erfüllt, solange es mit einem bestimmten Text verbunden bleibt und in einem Zusammenhang steht, der die Funktion zur Geltung kommen läßt« (Dahlhaus 1971: 7). Man kann in dieser Hinsicht die verschiedenen künstlerischen Versuche danach beurteilen, wie gut es ihnen (dem Diktum der Zeit folgend) gelungen ist, Engagement als inneres, formales, versinnlichtes, d.h. ästhetisches Prinzip zu entdecken und nicht bloß als äußerliche, akzidentielle, thematische Zutat. Man wird dann wohl den Versuch eines Komponis-

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ten, die Aufhebung der Solist/Orchestermusiker-Unterscheidung als Engagement dahingehend zu interpretieren, daß das hieße, »die Unterdrückten aufzusuchen und sich mit ihnen zu solidmisieren« (Henze 2003: 62iB, kritisch beurteilen müssen. Eine schon deutlich weniger oberflächliche Ästhetisierung des Politischen kann in der Pop-Art gesehen werden, da hier der Bezug zum Engagement nicht bloß thematisch ist, sondern im kreativen künstlerischen Prozeß selbst verankert ist: »In Pop-art wurde das Populäre, das Massenhafte, das Alltägliche, das Triviale, die Unterhaltung und Werbung der boomenden kapitalistischen Konsumund Warenwelt zur Hochkultur verwandelt. Protest war angesagt, gerade auch gegen den traditionellen Kunstbegriff Durch Imitation wurde entfremdet und parodiert. Kunst zielte nun darauf, Codes zu identifizieren, Repräsentationen zu kritisieren, Reproduktionen und Duplikate zu entlarven [ ... ], die Konsumentenwelt wurde zur künstlerischen Welt verwandelt- eine als reizvoll empfundene Grenzüberschreitung« (Faulstich 2003: 66). Wenn es allerdings ganz im Sinne Sartres gelingt, auf der Stilebene von Kunst, wo es also ausschließlich um kunstinterne Entscheidungen geht, Engagement zu verankern, dann ist das sicherlich die höchste Form der engagierten Kunst, die dann auch keine inneren Widersprüche zwischen Ästhetik und Politik auszuhalten hat: »Anstalt so zu tun, als könnte man durch die Sprache schauen wie durch eine Fensterscheibe, sollte man die tückische Sprache selber durchschauen und, wenn man sie durchschaut hat, zeigen, wie viele Dinge mit der Sprache gedeht [sie.] werden können. Diese stilistische Aufgabe wäre durchaus, dadurch, daß sie aufzeigte, auch eine gesellschaftliche« (Handke 1978: 30). Wenn man aber angesichts von künstlerischem Schaffen dazu kommt, zu urteilen, es sei »vergeblich, die vorhandenen oder fiktiven Schönheiten seines [Brechts] Werkes von der politischen Intention abzuheben« (Adorno 1971: 219), dann ist eine derartige Verinnerlichung des Politischen in das Künstlerische erfolgt, daß Kunst als ineins politisch erscheint, ohne dadurch ihre Autonomie und Identität als Kunst einzubüßen29:

28 29

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Hans Wemer Henze, zitiert nach: Faulstich 2003. Wobei diese in dieser Hinsicht sehr positive Bewertung der politischen Kunst Brechts überrascht, da gerade Brecht als jemand erscheinen kann, dem es nicht gelingt, sein politisches Engagement mnstörend< zu verdichten. Dieser Ansicht ist auch Handke (1978): »Brecht ist, verglichen mit Autoren seiner Zeit, etwa William Faulkner und Samuel Beckett, sicherlich ein Trivialautor. Ich konnte ihn nie leiden, weder seine fiüheren

BEISPIELE FÜR NEBENCOOlERUNGEN

»Das ist die Substanz von Brechts Dichterschaft das Lehrstück als artistisches Prinzip. Sein Medium, die Verfremdung unmittelbar erscheinender Vorgänge, ist denn auch eher eines der Formkonstitution, als daß es zur praktischen Wirkung beitrüge« (Adomo 1971: 218). Auch Kolleritsch hält ein derartiges Ineins von Musik und politischem Engagement für möglich, wenn das eine »radikale Veränderung der musikalischen Sprache« (Kolleritsch 1971: 95) bedeutet; wenn das Engagement also - anders als er es bei Hanns Eisler kritisch konstatiert auch kompositorisch eingelöst wird: »Anders [als bei Eisler] verhält es sich bei Luigi Dallapiccola und Luigi Nono. In den Werken, wo sie sich mit Anklage und Protest engagieren, ist das kampositionstechnische Verfahren mit der kritischen Aussage des Textes zur Dekkung gebracht. Das Engagement hat sich auch in der Materialstruktur der Musik fortgesetzt« (Kolleritsch 1971: 97). Wie kann es nun zu einem solchen Ineins zweier so gegensätzlicher Sphären wie Kunst und Politik in der Kunst selbst kommen? Wir wollen diese Frage wiederum mit Hilfe der Theorie der generativen Metapher beantworten. Es wurde hinreichend gezeigt, daß das Engagement des Schönen zunächst als unvermittelbarer Widerspruch gesehen werden muß. 30 Von den erläuterten Mißverständnissen abgesehen, ist dieser Widerspruch von den Künstlern und Kunstkritikern der Zeit auch als Problem anerkannt und individuell gelöst worden. Diese Lösungen bestehen, von Ausnahmen abgesehen, natürlich nicht in der Aufgabe der Kunst als Kunst und zu dieser Zeit auch eben nicht: in der schlichten Abweisung des Anspruches, Kunst habe engagiert zu sein. Diese Möglichkeit des Nicht-Stehenbleibens bei der Paradoxie der Identifikation des Schönen und des Politischen verdankt sich einer zirkulär-prozessualen wechselseitigen Umdeutung der beiden Elemente,

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genialischen Kraftmeiereien, noch seine vorsichtigen, gehemmten Lehrstückchen der mittleren Periode, noch seine späteren aufgeklärten Weltproblemstücke, noch seine letzten abgeklärten chinoiden Teekannensprüche« (63). Seit Kant ( 1990) kann es als einer der verbreitetsten - und begründetsten - Gedanken zur Kunst gelten, daß der Begriff der Kunst mit dem des Zwecks unvereinbar ist: »Aller Zweck, wenn er als Grund des Wohlgefallens angesehen wird, führt immer ein Interesse als Bestimmungsgrund des Urteils über den Gegenstand der Lust bei sich. Also kann dem Geschmacksurteil kein subjektiver Zweck zum Grunde liegen. Aber auch keine Vorstellung eines objektiven Zwecks, d.i. der Möglichkeit des Gegenstandes selbst nach Prinzipien der Zweckverbindung, mithin kein Begriff des Guten kann das Geschmacksurteil bestimmen« (59).

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die es ermöglicht, den starren Widerspruch zu entparadoxieren. Das Schöne ist im Zuge dieser generativen Metapher nicht mehr einfach l'art pour l'art, sondern z.B. ein schaffendes Eingreifen in die Welt, und das Engagement ist nicht mehr nur das Politische, sondern z.B. das Arbeiten an der Widerständigkeit der Welt, so daß die beiden Gegensätze einander näher rücken, ohne allerdings j e den Bezug zu ihrer generativ überwundenen Ursprungsbedeutung völlig aufzugeben. Wenn man will, könnte man hier von einem prozessualen >Aufheben< im Sinne Hegels sprechen. Die generative Metapher des seeing-as des Schönen als das Engagierte kann als Nebencodierung der Kunst im Sim1e einer systeminternen Verarbeitung der Codierung des politischen Systems verstanden werden. Diesen Sachverhalt könnte man verkürzt als Nebencodierung der Kunst zur Politik bezeichnen. Dies geschieht, wie an den anderen Beispielen schon vorgeführt, durch die generative Metaphorisierung des Präferenzwertes der Codierung der Kunst. Der Erstcode >schön/nichtschön< wird durch das seeing-as der generativen Metapher nebencodiert zu: schön

I

C.:;i:=~

so z i a I I nicht-schön

Die engagierte Kunst

I

Natürlich sind die Bezeichnungen flir die Codewerte schön/nicht-schön für Kunst und sozial/nicht-sozial flir Politik ihrerseits schon sehr problematisierenswert. Wollte man die Codierung noch abstrakter fassen, um der Kontingenz deren Benennung zu entgehen, hieße das für die Nebencodierung der Kunst zur Politik: KunstC.:;t=~Politik/Nicht-Kunst.

Die erfolgreiche Kunst Abschließend soll die These plausibilisiert werden, daß in der aktuellen (evolutionären) gesellschaftlichen Situation ein Verhältnis von Kunstsystem und Wirtschaftssystem beobachtet werden kann, das sich von Seiten der Kunst am besten als Nebencodierung durch die generative Metapher der >erfolgreichen Kunst< darstellen läßt. Neben diesem Verhältnis, auf das es uns ankommt, gibt es natürlich eine Reihe anderer Beziehungen zwischen Kunst und Wirtschaft, die allerdings nicht auf der operativen Ebene der Kunst selbst anzusiedeln sind. Zunächst eimnal scheint es plausibel, »Kunst als Anlagegegenstand und damit als Kapitalbildungsobjekt« (Becker 1996: IX) betrachten zu

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BEISPIELE FÜR NEBENCOOlERUNGEN

können. Das ist aber gerade nicht möglich, da das Gekauft-Werden von Kunstwerken nicht den geringsten Bezug zu Kunstkommunikation hat, sondern lediglich und ausschließlich Operation der Wirtschaft bleibt. Es ist hierbei nicht einmal so, als bekäme es die Wirtschaft auf diese Weise mit Kunst zu tun. Die Wirtschaftskonununikation ist bekanntlich durch Geld in besonders radikalem Sinne symbolisch generalisiert, indem es überhaupt keine Rolle spielt, für was gezahlt, bzw. Zahlung empfangen wird. Wir haben es beim Verkauf von Kunstwerken also noch nicht einmal mit einem strukturellen Kopplungsphänomen zu tun. Von struktureller Kopplung - auch noch nicht der Ebene, um die es uns geht - kann man erst sprechen, wenn man nicht nur das obige Beispiel ereignishafter Kunstverkäufe bedenkt, sondern die Situation in den Blick nimmt, daß sich die Kunst dauerhaft (strukturell) auf die Möglichkeit ihrer Käuflichkeit einstellt und die Wirtschaft die Kunst als eigenes Marktsegment betrachtet. Luhmann (1997) weist sehr plausibel darauf hin, daß diese strukturellen Kopplungen meist überbewertet werden, da sich Kunst ptinzipiell nicht auf ihre eigene Vermarktung einstellen darf, will sie nicht als Kunst unglaubwürdig und letzten Endes unerkennbar werden. Auch wenn man von der Seite der Wirtschaft auf die Kunst blickt, kann man zwar eine »wirtschaftliche Bedeutung des Kunstsektors« (Fehring 1998: 51) konstatieren, aber wird wohl kaum behaupten wollen, daß die Wirtschaft gerade auf diesen Markt derart angewiesen ist, daß sie sich strukturell darauf verlassen können müßte: »Es gibt nur wenige und eher lasehe strukturelle Kopplungen zwischen Kunstsystem und anderen Funktionssystemen. Es gibt nach wie vor einen auf Kunstwerke spezialisierten Markt als Kopplung von Kunstsystem und Wirtschaftssystem. Aber hier werden Kunstwerke als Kapitalanlagen gehandelt oder als extrem teure Individualgüter [... ] Die Irritationen, die von da aus auf die Kunstproduktion selbst zurückwirken, dürfen aber nicht überschätzt werden. Gerade das Gebot, original zu sein, verhindert, daß der Künstler sich nach dem Markt richtet« (Luhmann 1997a: 391 ). Man könnte hier einwenden, daß Luhmann sich lediglich auf eine bestimmte >hochkulturelle< 31 Kunst bezieht und daß sich z.B . der Bereich

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Wenn Adomo (1971) den Unterschied von hoher und leichter Kunst noch für zwar problematisch, aber gleichwohl in der Sache selbst verankert sieht, müssen wir diese Differenz in unserem Theorierahmen als kommunikativ konstruierte, deswegen aber nicht weniger relevante Unterscheidung behandeln: »Unter den Symptomen des Zerfalls von Bildung ist nicht das letzte, daß der wie sehr auch fragwürdige Unterschied von autonomer >hoher< und kommerzieller >leichter< Kunst zwar nicht

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der pop-kulturellen Kunst sehr wohl mach dem Markt richtetProdukten< Kenntnis hat und deshalb zu dem falschen Schluß kommen kann, Popkultur produziere >qua pop< wirtschaftlich erfolgreiche Kunst. Erstens ist aber der überwältigende Teil popkulturellen Kunstschaffens wirtschaftlich völlig erfolglos - man bedenke nur, daß die allermeisten Rockbands noch nicht einmal in Gestalt einer CD-Veröffentlichung auch nur die erste Bedingung auf dem Weg zu wirtschaftlichem Erfolg aufweisen (und trotzdem weiterproben). Zweitens zeichnen sich die wirklich erfolgreichen >Produkte< der Popkultur, genauso wie die Werke der sogenannten Hochkultur/ 2 durch Originalität und Innovationskraft aus, 33 die sich von jeder Marktorientierung abheben. Selbst wenn sich Kunst - welche auch immer - am Markt orientieren wollte, könnte das aufgrund der lntransparenz des Marktes nicht zu Erfolg führen. Noch nicht einmal die heutigen Casting-Shows und gemachten Superstars

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33

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kritisch durchschaut, dafür aber überhaupt nicht mehr wahrgenommen wird« (138). Zu der Frage, was unter Hochkultur verstanden werden kann, vertritt Beat Wyss (2004) die interessante These: »Der Wettstreit zwischen >High< und >Low< ist eine polemische Konstruktion der Pop-Theorie. Mit dem negativ besetzten Begriff der >Hochkunst< werden die Vertreter der Abstraktion zu Gegnern präpariert, die gemessen an der breiten Publikumsgunst für Pop keine Chancen haben« (26). Dazu muß allerdings gesagt werden, daß dem natürlich Differenzierungsversuche von Seiten der Hochkultur vorausgegangen sind, die sogar mit demokratischem Selbstverständnis nicht vereinbar sind: »Durch ihr bloßes Auftreten zwingt die neue Kunst den braven Bürger, sich als das zu fühlen, was er ist, braver Bürger, ein Geschöpf, das nicht fähig ist, das Sakrament der Kunst zu empfangen, blind und taub für die formale Schönheit. Das kann nach hundert Jahren Volksverherrlichung und jeder Art Liebedienerei vor der Masse nicht ungestraft geschehen. Die Masse, die daran gewöhnt ist, überall das große Wort zu fUhren, fühlt sich durch die neue Kunst in ihren >Menschenrechten< verletzt; denn die neue Kunst ist eine Kunst der Bevorrechtigten, des Nervenadels, der lnstinktaristokratie« (Ortega 1964: 9). Man mag über die Prädikate streiten, an denen der Unterschied zwischen erfolglosen und erfolgreichen Erzeugnissen popkulturellen Schaffens festgemacht wird. Entscheidend ist hier nur, daß Kunst - ob Pop oder nicht - ihre eigene Nicht-Beliebigkeit mitkommunizieren muß, um als Kunst erkennbar zu werden (im übrigen auch schlicht im Hinblick auf die notorische Knappheit von Aufmerksamkeit). Kunst muß Kriterien ihrer Nicht-Beliebigkeit evaluieren, die nicht mit ihrer Funktion und ihrer Selbstbeschreibung im Widerspruch stehen. Anstelle von Originalität kämen mit Sicherheit im Falle von Pop-Musik Prädikate in Frage, die flir die >Ernste Musik< keine Verwendung finden, z.B. attitudeoder personality der Interpreten.

BEISPIELE FÜR NEBENCOOlERUNGEN

können als Produkte von Selbststeuerungsversuchen der Kunst im Hinblick auf Marktkompatibilität betrachtet werden. Es handelt sich dabei nämlich um musikindustrieinterne (d.h. wirtschaftliche) Maßnahmen die Interpreten sind, wie man weiß, trivialisierte Ausfuhrende nichtkünstlerischer Entscheidungen, deren >Musik< (hier nur zu verstehen als der auditiven Wahrnehmung angebotene Machwerke), die nicht einmal verhüllen will, daß es ihr um Markterfolg und nicht um ästhetische Ziele geht, schlichtweg nicht der Kunst zuzurechnen ist. Man könnte daher sagen, »Rock ist in eine High-Art und eine Low-Art« (Diederichsen 1993: 10) zerfallen, wobei zu hinterfragen wäre, ob es sinnvoll ist, im Falle von letzterer von Kunst zu sprechen. Selbst wenn man die Frage, wie denn >Pop< generell zum Kunstsystem steht, 34 nicht aufwirft, kann man behaupten, daß Pop als Pop (egal ob Kunst oder nicht) eine solche K.ommerzialisierung nicht gelten lassen kann. Wohlgemerkt widerspricht der wirtschaftliche Erfolg von Pop-Kunst nicht deren Selbstverständnis, um so mehr muß dann aber der Eindruck vermieden werden, es gehe dem Pop um schlichtes Geldverdienen. Dieser Eindruck soll dann oft dadurch vermittelt werden, daß Pop sich, über die eigene Autonomiebehauptung hinaus, auch noch als Gegner des Kommerzes geriert: »Doch lauert in der kritischen Einstellung gegen die Medien und den Kommerz oft genug die pure Heuchelei. Denn ein diskretes Subkultur-Renamme ist längst eine absehbare Aufstiegsqualifikation in Medien und Kommerz, also in den Breiten-Pop. [ ... ]Bei solchen Karrieren aus der Subkultur in die Massenmedien kann man seine pop credibility allerdings dadurch verteidigen, dass man Widerwillen gegen jede Vermarktung bekundet, auf dem eigenen Bankkonto aber nicht praktiziert« (Grasskamp 2004: 12). Gleichwohl sind diese Vorgänge, die man gewöhnlich als Frage der Kommerzialisierung 35 von Kunst bezeichnet, keine Orientierungsversuche der Kunst am Markt, sondern rein wirtschaftsinterne Operationen im Sektor des Kunstmarktes. Selbst wenn ein Künstler sich am Markt orientieren will, dann kann er das nur tun, indem er in seinen künstlerischen

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Vgl. zu dieser Frage Fuchs/Heidingsfelder (2004) und andere Beitrage dieses Bandes. »für viele steht die Autonomie der Kunst im Prozeß der Ökonomisierung des Kulturbetriebes auf dem Spiel. Wenn zunehmend Geld der Kunst und damit auch den Museumsbetreibern und Kunstschaffenden diktiert, welche Kunstgattungen präsentiert und welche künstlerischen Ausdrucksformen im Interesse von Werbewirksamkeit und Medienpräsenz präferiert werden, dann steht die Autonomie der Kunst zur Disposition« (Hermsen 2001: 156).

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Formwahlen bestimmte Entscheidungen trifft. Für diese künstlerischen Formen gibt es auf der Seite des Marktes überhaupt keine Entsprechung. Es kommt auf der Ebene der strukturellen Kopplung also nicht zu festen Einrichtungen, die das Verhältnis der beiden Systeme restringieren. Man könnte sogar sagen, daß die Wirtschaft sich überhaupt nicht strukturell auf Kunstkommunikation einstellt, sondern schlichtweg auf Kunstwerke als Handelsobjekte, die ebensogut Bananen oder Autos sein könnten. Kunst - auf der anderen Seite - kann sich kaum strukturell (sondern nur situativ) aufihre eigene Vermarktbarkeit einstellen, da diese strukturelle Kopplung im Kunstsystem selbst als Kommerzialisierung beobachtbar würde und in Konflikt mit ihren eigenen Programmen geriete. Wenn starke Formen der scheinbaren strukturellen Kopplung, wie Casting-Shows, auftauchen, kann man das als Kriterium dafür nehmen, daß keine Kunstkommunikation mehr vorliegt (sondern Unterhaltung?). Luhmanns Einschätzung, nach der die strukturelle Kopplung von Kunst und Wirtschaft kaum Effekte auf die je eigenen Systemoperationen hat, ist also nicht bloß dem systemtheoretischen Dogma der strikten Trennungen geschuldet, sondern einer klugen Beobachtung des Phänomens. Auch Grasskamp (1992) weist - ohne systemtheoretisch zu konstruieren - den Gedanken, der Kunstn1arkt sei so etwas wie eine Grauzone, in der Kunst irgendwie mit Wirtschaft kontaminiert wird, scharf zurück: »Immer wieder muß man bei Podiumsdiskussionen, Lehrveranstaltungen und Partygesprächen die nachdenklich vorgetragene Frage gewärtigen, ob der Markt die Kunst nicht zu sehr beeinflusse - eine Erwägung, die Kunstfeme und Marktfeme gleichermaßen verrät. Die Vorstellung, der Markt bedränge die Kunst so, daß seine unsittlichen Übergriffe mit etwas gutem Willen auch abgewehrt werden könnten, ist naiver als die Naive Malerei. Und als sozialromantische Mengenlehre darf der Glaube gelten, zwischen den Gefilden einer autonomen Kunst und dem Sumpf des allgemeinen Marktes gäbe es eine kleine Schnittmenge, den Kunstmarkt, dem man nur feste Grenzen zu ziehen bräuchte, um die unschuldige Kunst vor dem Zugriff gieriger Händlerhände zu bewahren und das Auftrumpfen minderer Talente zu unterbinden« ( Grasskamp 1992: 14).

Wenn es uns aber um die Nebencodierung der Kunst geht, befinden wir uns nicht auf der Ebene der strukturellen Kopplung (wie z.B. der Kunstmarkt), sondern auf der operativen Ebene, wo Probleme der strukturellen Kopplung systemintern rekonstruiert werden. Beispiele für rein systeminterne, d.h. operative Bezüge der Kunst zu Wirtschaftskommunikation gibt es zu Genüge. Adorno (1971) beispielsweise kritisiert am Jazz bestimmte Restriktionen der Formenwahl - das ist die kunsteigen-

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ste Operation-, die er auf die Antizipation der Massenrezeption, bzw. des Kunstmarktes im Schaffensprozeß selbst zurückführt: »Eben diese Tendenz leistete der Standardisierung, kommerziellen Ausschlachtung und Erstarrung des Mediums Vorschub. Nicht etwa haben erst böse Geschäftsleute von außen der Stimme der Natur ein Leids getan, sondern der Jazz besorgt es selber und zieht durch die eigenen Gebräuche den Mißbrauch herbei, über den dann die Puristen des unverwässerten reinen Jazz sich entrüsten« (Adorno 1971: 132). Nicht nm die produktionsästhetische Seite der Kunst unterliegt nach Ansicht Adomos einer solchen Tendenz zur Marktförmigkeit, sondern auch die Rezeptionsseite. Gehört es seit Kant zum Begriff der Kunst, daß bei der Kunstrezeption die »Lust [ ... ] auf keinerlei Weise praktisch« (Kant 1990: 61) sein darf, wird sie Adornos Darstellung zufolge zu einer schlichten Konsumhaltung: »Daß keiner mit Kunst sich abgäbe, der, wie die Bürger sagen, gar nichts davon hätte, ist nicht zu bestreiten, aber doch wieder nicht so wahr, daß eine Bilanz zu ziehen wäre: heuteabendNeunte Symphonie gehört, soundso viel Vergnügen gehabt; und solcher Schwachsiim hat mittlerweile als gesunder Menschenverstand sich eingerichtet« (Adorno 2003a: 27). Es ist klar, daß es sich bei diesen Beschreibungen von Phänomenen der Kunstproduktion und -rezeption um nichts der Kunst Äußerliches handelt. Geht es um Formenwahlen und Rezeptionshaltungen, dann geht es um die Operationen des Kunstsystems selbst. Wir haben zu zeigen versucht, daß diese oft beklagten36 Phänomene nicht mit dem Begriff der strukturellen Kopplung erklärt werden können. Aus oben angeführten Gründen gibt es - wie Luhmann sagt - »nur wenige und eher Iasche strukturelle Kopplungen« (Luhmann 1997a: 391) zwischen Kunst und Wirtschaft.

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Man spricht von »einer enthemmten Kommerzkultur« (Grasskamp 2004: 18), einer »Übermacht der amerikanischen Kulturindustrie« (Groys 2004: 100) und von der »Kommerzialisierung - und somit auch Popularisierung - von Kunst im 20. Jahrhundert« (Bronfen 2004: 166) oder beklagt eine »wirtschaftliche Instrumentalisierung der Kunst« (Fehring 1998: 51). Es gibt sogar die Beobachtung einer kompletten Austauschung künstlerischer Kriterien durch wirtschaftliche: »leb habe umgekehrt, gemeint oder nicht, vorgeschlagen, dass man neuerdings nicht mehr selten, sondern - wenn man gut hinhört - nur selten nicht mehr hört, dass etwas Kunst sei, weil es teuer sei« (Todesco web 1).

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Wir wollen versuchen, die beschriebenen Verhältnisse der Kunst zur Wirtschaft als Nebencodierung der Kunst durch die generativ-metaphorische Umdeutung ihres Präferenzwertes darzustellen. Das, was schön ist, d.h. Gegenstand ästhetischer Einstellung, soll zugleich aufgrund der entparadoxierenden Weise der generativen Metapher (wirtschaftlich) erfolgreich sein:

schön

~:;t=~

wir t s c h a ft I ich I nicht-schön

Die erfolgreiche Kunst

Auch wenn es zunächst schwer vorstellbar sein mag, wie es zu einer wechselseitigen Umdeutung des Schönen und des Wirtschaftlichen kommen kann, da es sich um semantisch recht distanzierte Begriffe handelt, gibt Groys (2004) anband des Pop-Geschmacks ein Beispiel, das exakt das Verfahren der generativen Metapher beschreibt: »Wie situiert sich aber ein Mensch mit Pop-Geschmack in diesem Spannungsfeld zwischen unmittelbarer Begeisterung und Kulturkritik? Er weint nicht aber er empört sich auch nicht. Er schaut überhaupt nicht so sehr auf den Film selbst - ihn interessieren in erster Linie und fast ausschließlich die Zahlen. Wenn die Zahlen stimmen und beweisen, dass der Film [Titanic] ein großer Publikumserfolg ist, dann findet der Mensch mit dem Pop-Geschmack diesen Film auf jeden Fall symptomatisch und relevant. Aber eigentlich auch großartig. Einfach wunderbar. Einfach überwältigend. Und zwar nicht deswegen, weil der Film selbst ihn, den Menschen mit dem Pop-Geschmack, überwältigt hat, sondern weil der Film auf das globale Publikum eine überwältigende Wirkung hatte. Dadurch hat dieser Film nämlich bewiesen, dass er irgendwie dem Zeitgeist entsprochen habe - und zwar aus dem Bauch heraus« (Groys 2004: 100). Wir haben hier ein Paradebeispiel eines generativen, zirkulären Prozesses der Entparadoxierung der Identifikation des Schönen mit dem Erfolgreichen. Zunächst stehen sich die ästhetische Beobachtungsweise (schön/nicht-schön) und die ökonomische (Kassenschlager/Flop) unvereinbar gegenüber, und eine lineare Ableitung der einen Differenz auf die andere würde weder in der Kunstkommunikation noch in der Wirtschaftskommunikation anschließen können, geschweige denn akzeptiert werden.37 Einen Filmverleih interessiert nicht, ob ein Film gut ist, son-

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Mit der Differenz Akzeptanz/Ablehnung soll der schon erfolgte kommunikative Anschluß hinsichtlich der Frage unterschieden werden, ob der

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dem ob er ihn verleihen kann, und in der Kunstkommunikation sind Beobachtungen wirtschaftlicher Art nicht anschlußfähig. Daher würden Kommunikationen, die unmittelbar an die je andere Operation anschließen wollten, die Systemreferenz sofort unterbrechen bzw. wechseln:

B" 38 : >Der Film ist kitschig< Bn+J: >nein, denn er hat schon 50 Millionen eingespielt< oder in umgekehrter Systemreferenz: Bn: >Wir nehmen den Film nicht in unseren Vertrieb< Bn+l: >Das müßt ihr aber, denn das Drehbuch ist hervorragendschön< und >wirtschaftlich< so aufgehoben wird, daß in einem zirkulären Umdeutungsprozeß dem Schönen durch die Metapher des künstlerischen Erfolgs quasi ein intrinsischer Bezug zur Wirtschaftlichkeit angedacht wird, und das ökonomisch Erfolgreiche als zugleich schön - »Erfolg macht schön, Erfolg macht sexy« (BZ web!)- gesehen wird. Im Zuge dieses Prozesses verändern sich die Konzepte von >schön< und >wirtschaftlich< derart, daß sie - ohne völlig ineinander aufzugehen - in der Metapher des Erfolgs zu einer Harmonie kommen. Diese Harmonie besteht natürlich nur genau so lange, wie die generativ-metaphorische Auffassungsweise besteht. Gerade diese Metapher als dynamisches seeing-as des Schönen als das Erfolgreiche verbietet dann auch jedes lineare Schön-weil-wirtschaftlich-erfolgreich. Die generative Metapher ermöglicht im Gegensatz dazu nämlich, wie im obigen Beispiel deutlich wird, über ein schön-7erfolgreich hinaus zu einer Idee von Erfolg zu gelangen, die zugleich sowohl an Kunst als auch an die Wirtschaft anknüpfen kann. Zu einem Identifikationsprozeß also, der sich an seiner Paradoxie abmüht, aber nicht blockiert wird, da die beiden Elemente, die sich gegenüber stehen, nicht statisch bleiben, sondern sich in einem wechselseitigen Umdeutungsprozeß aneinander annähern, ohne je greifbar zu werden. Für einen einigermaßen aufmerksamen Beobachter der Kulturszene dürfte leicht ersichtlich sein, daß das am Pop dargestellte Phänomen des

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kommunikativ erwartete bzw. nahegelegte Anschluß (Präferenzwert) ergriffen wird oder nicht. Wie auch schon zuvor in dieser Arbeit, steht Bn für eine Beobachtung innerhalb der autopoietischen Verkettung zwischen Bn-I und Bn+I, wodurch zum einen die Prozessualität von Kommunikation berücksichtigt wird und zum anderen der Eindruck, es seinen zwei Individuen oder Psychen, die sich unterhalten, vermieden wird. Dieser Eindruck kann bei dem bekannten Alter/Ego-Modellleicht entstehen.

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erfolgreichen Schönen auch in Bezug auf symphonische Musik, Malerei, Belletristik und andere Kunstformen, die gemeinhin der höheren Kunst zugerechnet werden, anzutreffen ist. Sehr eindrucksvoll hat W alter Grasskamp (1992) in Die unästhetische DemoJ..Tatie am Beispiel der Malerei das vorgeführt, was wir die Evolution der Nebencodiemng der Kunst zur Wirtschaft anhand der generativen Metapher des erfolgreichen Schönen bezeichnen. Seiner Beobachtung zufolge hat sich das eigentümliche Verhältnis vom Schönen zum wirtschaftlich Erfolgreichen in der Zeit zwischen 1980 und 1990 eingestellt. 39 Diese Einschätzung deckt sich mit der von Butter, der sich sicher ist, »daß noch vor kurzem das Verhältnis der beiden Wertungen [die künstlerischen vs. die wirtschaftlichen] völlig anders eingeschätzt wurde« (Hutter 1999: 1). Wenn Grasskamp ( 1992) schreibt, »ohne Markterfolg gibt es keine Kunst« (25), dann ist das kein Zynismus oder Defatismus, noch ein Hinweis auf ein vermeintliches Ende der Kunst, sondern die Zurkenntnisnahme einer geschichtlichen Situation, in der die Kunst eine Nebencodierung zur Wirtschaft evaluiert hat. Anhand der generativen Metapher des erfolgreichen Schönen kommt es zu der eigenartigen Verquickung von Unvereinbarem, die wie jede Metapher etwas Magisches40 zu haben scheint: »Die Geldmengen, die sich bereits hinter einem auf dem Markt angebotenen Werk gesammelt haben, um von noch größeren Geldmengen ausgelöst zu werden, sie übertragen eine geradezu summende Energie in das Werk [... ]Es ist eine einzigartige Kraft, die sich wahrscheinlich nur dem Sammler voll mitteilt. Zu ihren zauberischen Eigenschaften gehört, daß sie die Werke in der Überschärfe eines Entscheidungsdrucks erscheinen läßt, der die Sensibilität weit über die eines normalen Betrachters hinaustreibt« (Grasskamp 1992: 26). Aber auch flir Nicht-Galerienbesucher ist diese Entwicklung quasi aus der Ferne beobachtbar. Man denke etwa an den »Event-charakter« (Spiegel webl) der MoMa-Ausstellung41 , die auch gerne als »Blockbuster-Ausstellung« (DB Artmag web I) bezeichnet wurde mit Warteschlangen bis zu 800 Metern. Nicht nur, daß man sich über die plötzli-

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»Zehn Jahre später, im Frühjahr 1990, war bei den Galerie-Eröffnungen ein völlig anderer Geruch auszumachen. [... ]Kein Zweifel, es roch nach Geld« (Grasskamp 1992: 28). Wir können das Magische in unserem Rahmen rekonstruieren, indem wir auf emergente Eigenschaften (Unvorhersehbarkeit usw.) dynamischer Prozesse hinweisen, die ja - wie wir gesehen haben - auch die generative Metapher als zyklischer Prozeß aufweist. 20. Februar bis 19. September 2004 in der Neuen Nationalgalerie in Berlin.

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ehe Welle der Kunstbegeisterung wundem kann. 42 Das Besondere ist, daß der immense Erfolg der MaMa-Ausstellung von einem der Kunst äußerlichen Begleitumstand zu dem Hauptgesichtspunkt der Wahrnehmung geworden zu sein scheint: »Das Drumherum ist inzwischen wichtiger als die Kunst selbst. Über die Warteschlange vor der gerade erst beendeten MaMA-Ausstellung in Berlin wurde mehr berichtet als über die Kunstwerke« (taz vom 21.9.2004: 20). In der Tat wurde man in den Feuilletons eher über die Besucherzahlen, die Versicherungssumme, die Gewinne usw. informiert als über die ästhetische Beschaffenheit der ausgestellten Werke. Dabei muß man sagen, daß das Feuilleton ja gerade die Möglichkeit hat, in der Gestalt von Kunstkritik, an der Autopoiesis des Kunstsystems teilzunehmen. Es ist hier aber weniger plausibel, in schlichte Kulturkritik zu verfallen und anzunehmen, das große Publikum der Ausstellung nehme überhaupt nicht am Kunstsystem teil, als zu vermuten, daß es zu der eigenartigen Vermengung des Schönen mit dem Erfolgreichen kam, die wir als generative Metapher dargestellt haben. In rezeptionsästhetischer Terminologie könnte man vielleicht sagen, daß die Tatsache des Erfolges die Bereitschaft zur Einnahme einer ästhetischen Einstellung zu Objekten erhöht und andererseits die künstlerische Qualität der Werke den Erfolg als (künstlerisch) berechtigten Erfolg erscheinen läßt. Wenn man dieses Phänomen des erfolgreichen Schönen in unserem Sinne als zirkulären Umdeutungsprozeß versteht, wird aus der äußerlichen Unvereinbarkeit ein scheinbar innerer Zusammenhang, denn »wo sich Schlangen bilden, muss was gut sein, da muss man dabei sein« (Tagesspiegel web I). Ein weiteres Beispiel wäre das in diesem Maße sicherlich neue Phänomen, daß Interpreten symphonischer Musik als »Superstar der klassischen Musik« (Reski 2006) gelten und mit Prädikaten wie- z.B. im Falle der russischen Sopranistin Anna Netrebko - »sexy« (FAZ 2005: 31) versehen werden. Auch hier >darf< offen kommuniziert werden, daß es nicht allein um künstlerische Kriterien geht, sondern eine Wechselwirkung aus Talent (ästhetische Kategorie) und Image (ökonomische Kategorie) das Ganze ausmacht: »Doch fernab von der Bühne sind Opernarien nur selten Verkaufhits. Dennoch flihrt Anna Netrebkos erste CD bereits die Charts an. Talent alleine erklärt ihren Erfolg nicht, denn es gibt viele großartige Stimmen weltweit. Doch keine

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»Etwa die Hälfte der Besucher habe nie oder sehr selten ein Museum besucht« (FAZ web 1).

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lässt sich so gut vermarkten wie die der schönen jungen Russin. Mit ihrer Musik wird zugleich ein sinnliches Image verkauft« (zdfwebl). Diese Wechselwirkung, man könnte auch sagen: dieser »Wertewechselstrom« (Butter 1999: 20), kann - wie gezeigt - im Rahmen einer Theorie der generativen Metapher trotz aller Rätselhaftigkeit in ihrer Möglichkeit erklärt werden. Wir kommen über einen schlichten Hinweis auf Paradoxien hinaus, da die generative Metapher als dynamischer (rückgekoppelter, zirkulärer) Prozeß die Möglichkeit von Entparadoxierung erstens im Hinblick auf Zeitlichkeit erklären kann und zweitens im Hinblick auf Emergenz. Durch Zeit werden Paradoxien zunächst entzerrt, denn zeitlich »kann vieles nacheinander geschehen, was nicht gleichzeitig geschehen könnte« (Luhmann 1987: 515). Emergenz, d.h. der »Vorgang der Entstehung nichtreduktionistisch erklärbar neuer Eigenschaften von Systemen aus Vorzuständen« (V ölcker 1998: 2), tritt selbst bei den einfachsten Rückkopplungsprozessen auf und so auch in Gestalt eines neuen seeing-as aufgrund des zirkulären Prozesses der generativen Metapher.

Das Erziehungssystem Beschäftigt man sich mit Niklas Luhmanns Konstruktion eines Funktionssystems der Erziehung, stößt man neben einigen systematischen Lükken auf den irritierenden Sachverhalt zwei er unvereinbarer >VersucheForm< der Erziehung. Erziehung kann nämlich als Einheit der Differenz von Sozialisation und Erziehung definiert werden. Der Begriff der Erziehung gewinnt seine Bestimmtheit in der Abgrenzung von dem der Sozialisation anhand des Begriffs der Absicht: »Als Erziehung haben alle Kommunikationen zu gelten, die in der Absicht des Erziehens in Interaktionen aktualisiert werden. Damit ist klargestellt, was durch den Begriff der Erziehung ausgeschlossen werden soll, nämlich absichtslose Erziehung, also Sozialisation« (Luhmann 2002c: 54). Damit hat Luhmann sicherlich einen sehr unstrittigen - wenn auch noch nicht vielsagenden - Ausgangspunkt gefunden. Die eigentliche Entscheidung, über was gesprochen wird, wenn über Erziehung gesprochen wird, fällt erst mit der Angabe der Operation von Erziehung. Auch hier scheint es Luhmann in der von uns als >erste Fassung< verstandenen Konstruktion darum zu gehen, möglichst nahe sowohl am empirischen Gegenstand als auch an der Selbstbeschreibung des Erziehungssystems zu bleiben, wenn er die Operation der Erziehung- d.h., das, was immer geschieht, wenn Erziehung geschieht- als Vermittlung auffaßt: »[Es hat] sich eingebürgert, die erzieherische Tätigkeit als >Vermittlung< von Wissen und Können zu beschreiben. Wir werden diesem Vorschlag folgen. [ ... ] Der Begriff der Vermittlung abstrahiert zunächst von den Realitäten der lnteraktionssituationen, in denen Erziehung durchgeführt werden muß. Er bezeichnet nur die elementare Struktur der Operation, die durchgeführt werden muß, damit überhaupt Erziehung zustande kommt« (Luhmann 2002c: 43). Es scheint nun folgerichtig und unvermeidbar, der Vermittlungsoperation den Code >vermittelbar/nicht-vem1ittelbar< zur Seite zu stellen, damit die selbstreferentielle Schließung des Erziehungssystems gelingt:

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Um nicht ganz fernliegendem Mißverständnis vorzubeugen, sei hier erwähnt, daß Erziehung als Vermittlung nicht etwa schon eine Nebencodierung der Erziehung sein soll, sondern zunächst nur eine mögliche Fassung des Erziehungssystems. Genauso verhält es sich mit dem Abschnitt Erziehung als Selektion. Das Thema der Nebencodierung wird erst in den folgenden Abschnitten bearbeitet.

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»Diese Unterscheidung [von >verrnittelbar< und >nicht-verrnittelbarvermittelbar< bezeichnet die Operationen des Systems, der Negativwert bezeichnet ihr Scheitern und dient somit als Reflexionswert des Codes« (Luhmann 2002c: 59). Diese Erstcodierung ergänzt Luhmann durch die Zweitcodierung in besser/schlechter, die damit sogar als typische Zweitcodierung gelten kann, da durch die Differenz von besser/schlechter »der positive Wert nochmals dupliziert« (Luhmann 1998: 367) wird: »Zu den wichtigsten Systemeffekten dieses ausgebauten Selektionswesens gehört die Möglichkeit einer Zweitcodierung des Gesamtsystems nach dem Schema besser/schlechter. Die Erziehung selbst läßt sich nur nach dem Code vermittelbar/nicht-vermittelbar bewerten und daraus ergibt sich kein Anhaltspunkt für die Beurteilung ihrer Erfolge. Die Primärcodierung wird daher ergänzt durch ein retrospektives Verfahren, das festzustellen sucht, ob die Vermittlung gelungen ist, oder nicht« (Luhmann 2002c: 73). Irritierenderweise arbeitet Luhmann allerdings nicht in dieser Richtung weiter, sondern rückt den Begriff der Absicht aus der Formbestimmung der Erziehung in eine Position, die funktional gesehen dem Code zustehen muß. Nicht nur die selbstreferentielle Schließung (basale Selbstreferenzt4 spticht er nun der >Absicht< zu, wenn es nicht mehr der Code sein soll, sondern die »Absicht zu erziehen, an der sich Erziehung als Erziehung erkennt« (Luhmann 2002c: 57). Auch die Symbolisierung des Gesamtsystems- eigentlich Aufgabe des Codes als »Einheitssubstitut« 45 - soll der >Absicht< obliegen: »Die Absicht zu erziehen symbolisiert die Einheit des Erziehungssystems« (Luhmann 2002c: 58). In einer früheren Veröffentlichung optiert Luhmann ganz offen für den Verzicht auf eine Codierung des Erziehungssystems und dessen Ersetzung durch das Konzept der erzieherischen Absicht: »Wenn aber nicht am Code, wie anders unterscheidet das Erziehungssystem Ereignisse als zugehörig/nichtzugehörig? Welches Erkenntnissignal wird benutzt, um operative Geschlossenheit und beschränkte Anschlußfahigkeit zu erzeugen? Die Absicht zu erziehen dient dem Erziehungssystem anstelle eines 44 45

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»Die Absicht markiert die Selbstreferenz« (Luhmann 1992b: 124). »Als Einheitssubstitut kann nur das dienen, was mit jeder Operation des Systems impliziert wird. Die reine Selbstreferenz, welche durch den Code symbolisiert wird, läuft immer schon asymmetrisiert, auf operativer Ebene als Selbstreferenz mit« (Stäheli 1996: 277).

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eigenen Code als dasjenige Symbol, das Operation mit Operation verknüpft und dadurch die Einheit des Systems symbolisiert« (Luhmann 1992b: 112). Auch eine eindeutige Funktionsangabe des Erziehungssystems sucht man bei Luhmann vergeblich, so daß neben einer fehlenden Codiemng auch noch ein zweites zentrales Konstruktionskriterium von Funktionssystemen wegbricht, bzw. unidar bleibt. Selbst innerhalb seines posthum veröffentlichten Manuskripts Das Erziehungssystem der Gesellschaji findet man zwei diesbezüglich konkurrierende Angaben. Die Auffassung, es gehe »tatsächlich nur um die Vorbereitung des Einzelmenschen auf sein späteres Leben, um seinen >LebenslaufMan lernt für das Leben, nicht für die Schulegewissen Rahmen< des Erwartbaren absteckt: »Konsens (im Sinne einer Übereinstimmung der Bewußtseinszustände) zu erwarten, wäre utopisch. Aber gespielter Konsens (wenn man so fommlieren darf) ist unerläßlich, wenn die Autopoiesis sozialer Systeme fortgesetzt werden soll. Und durch Erziehung (wir können jetzt auch sagen: Bildung) läßt sich erreichen, daß dies auch in nichtstandardisierten Situationen möglich wird, während Sozialisation sehr stark an ihren Ursprungskontext gebunden bleibt« (Luhmann 2002c: 81). Neben dieser Fassung des Erziehungssystems als - grob gesagt - absichtsvoller Vermittlung von Wissen und Können zur Formung persönlicher Lebensläufe, bzw. Ermöglichung gespielten Konsenses, unter bloßer unvermeidbarer46 Zuhilfenahme eines Selektionscodes (Zweitcodierung), gibt es eine radikal andere Konstruktion des Erziehungssystems, die voll auf Selektion abstellt.

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»Wir müssen deshalb davon ausgehen, daß Selektion sich nicht vermeiden läßt, wenn Erziehung sich als gute Absicht vorstellt und das Richtige markiert« (Luhmann 2002c: 63).

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Erziehung als Selektion Der zweite Ansatz Luhmanns, der in früheren Publikationen47 vorherrscht, beschreibt Erziehung als »Selektion für Kanieren«48 . Hat Luhmann >Selektion< in der oben skizzierten Konstruktion eines Erziehungssystems nur als unvermeidbaren Zweitcode, eines zudem unsicheren Erstcodes >vermittelbar/nicht-vermittelbar< eingeführt, entscheidet er sich ein paar Jahre zuvor für >Selektion< als die Operation des Erziehungssystems schlechthin. Der Vorteil dieser Konstruktion liegt auf der Hand. Wie wir oben gesehen haben, hat der Ausgangspunkt bei den Begriffen von Vermittlung und Absicht zu keinem tragfähigen Funktionsbegriff geführt, hat »anders als in anderen Funktionssystemen keine klare Unterscheidung von Codierung und Programmierung« (Luhmann 2002c: 74) ermöglicht und mußte aufgrundeiner schwachen Codierung die entscheidenden klassischen Codefunktionen dem Konzept der erzieherischen Absicht aufbürden. Erziehung als Selektion flir Karrieren läßt sich hingegen >viel schöner< konstruieren. Die entscheidenden Parameter ergeben sich wie von selbst. Krause (200 1) nennt als Funktion des Erziehungssystems die »Selektion für Karrieren«, als Leistung »Ermöglichung unwahrscheinlicher Kommunikationen«, als Medium »Lebenslauf (Kind)«, als Code »besser lernen/schlechter lernen, Lob/Tadel« und als Programme »Bildung, Lehr/Lernpläne« (43). Luhmann entfernt sich - natürlich wissentlich49 - weit von der pädagogischen Selbstbeschreibung, wenn er Erziehung in diesem Sinne verstehen will, stärkt aber die Konsistenz und Plausibilität auf der (selbstreferentiellen) Theorieseite. Die Operation als Selektion ermöglicht mit der entsprechenden Codierung ohne Frage eine wünschenswert klare Systemschließung: »Die Koordination dieser Vielzahl von Kaniereereignissen, die vom kaum wahrnehmbaren Beurteilen bis zum dramatischen, schicksalentscheidenden Prüfungsgeschehen reichen, erfordert eine binäre Struktur, nämlich eine deutliche Differenz von besser und schlechter im Hinblick auf die Förderung der Karriere. Deshalb bildet sich, ob geplant oder nicht, ein codiertes Selektionsmedium, das abstrakt genug ist, um Religion und Mathematik, Grundschule 47 48 49

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Luhmann 1994f; Luhmann 1992b. Diese Formulierung ist bei Luhmann nicht zu finden, ergibt sich aber aus dem theoretischen Zusammenhang, weshalb Krause (2001) diese Formulierung als Funktionsbezeichnung der Erziehung übernimmt (43). »Codiert wird nur die soziale Selektion, und dies auf eine technisch so zwingende Weise, daß die Pädagogik beiallihrer Mitwirkung daflir nur Abneigung und Widerwillen aufbringen konnte« (Luhmann 1994f: 187).

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und Gymnasium, Arbeiterkinder und Akademikerkinder übergreifen und aufeinander beziehen zu können. Dieser Code fasziniert das Erziehungssystem [ ... ] Er fasziniert Lehrer und Schüler gleichermaßen« (Luhmann 1994f: 190).

In diese Idee des Erziehungssystems als Selektion für Karrieren fügt sich Luhmanns Vorschlag, den Lebenslauf als »das allgemeinste Medium des Erziehungssystems« (Luhmann 1997b: 18) anzusehen. Lediglich der Schwerpunkt scheint anders zu liegen, da ja der Lebenslauf immer nur »der Lebenslauf jeweils eines Individuums« (Luhmann 1997b: 20) ist und noch keinen Selektionsmechanismus im Rahmen einer Konkurrenz von Lebensläufen untereinander (Karrieren) impliziert.

Die strukturelle Kopplung der Erziehung zur Wirtschaft Im folgenden soll die These vertreten werden, daß das Erziehungssystem zurzeit eine starke Nebencodierung zum System der Wirtschaft ausgebildet hat, wobei >Nebencodierung zu ... < immer nur als interne Abbildung des Erstcodes des betreffenden Systems auf operativer Ebene verstanden werden kann. Damit sind Phänomene der strukturellen Kopplung eindeutig ausgeschlossen. Wenn wir uns nämlich die strukturelle Kopplung von Erziehung und Wirtschaft anschauen, stoßen wir lediglich auf die schlichten Tatsachen, daß Bildung Geld kostet und daß Wirtschaft sich auf Ausbildung verlassen können muß. Aus dieser strukturellen Kopplung lassen sich keine nennenswerten Einflußnahmen der beiden Systeme aufeinander ableiten. Würde man behaupten - wie es allenthalben geschieht -, eines der beiden Systeme erbringe seine Leistung flir das je andere System nicht, erfülle also seine gesamtgesellschaftliche Funktion unzureichend, kann man kaum von einer Einflußnahme des mutmaßlich scheitemden Systems sprechen. Der Vorwurf von vorsätzlicher Leistungsverweigerung zu Steuerungszwecken wird wohl kaum an Funktionssysteme gerichtet werden. Es ist selbstverständlich, daß das Erziehungssystem für das Wirtschaftssystem nichts anderes sein kann als ein Lieferant möglichst gut ausgebildeter Arbeitskräfte auf der einen Seite und Zahlungsempfänger andererseits. Man kann daher sagen, daß für die Wirtschaft die Erziehung immer a) zu schlechte Leistung bringt (bessere Leistung wäre zumindest denkbar und würde die Wirtschaft stärken) und b) zu viel kostet. Funktionale Differenzierung bedeutet aber gerade, daß diese kritische Beobachtung durch das Wirtschaftssystem der Erziehung recht egal sein kann. Die Erziehung sieht sich ja gerade nicht >durch die Brille< der Wirtschaft, sondern durch die eigene. Die Forderungen der Wirtschaft sind für sie genauso sekundär wie die der anderen Funktionssysteme. 101

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Lediglich die Tatsache, daß sich die Erziehung als Funktionssystem versteht, führt dazu, daß sie für das Gesamtsystem erziehen will. Das heißt dann auch, daß sie für jedes einzelne andere Funktionssystem eine Leistung erbringen will: Für die Politik die Erziehung zum mündigen und toleranten Bürger, flir die Wissenschaft die Erziehung zum Nachwuchs, flir die Kunst zum kultivierten Rezipienten, für die Religion zur christlichen (bzw. jeweiligen) Tradition usw. Aus der Tatsache, daß das Erziehungssystem, wie jedes andere, von allen anderen Funktionssystemen beobachtet und beansprucht wird, folgt, daß es sich natürlich nicht nach fremden Ansprüchen richten kann, sondern durch deren Pluralität sogar noch besser das kompromißlose - und ohnehin unabdingbare - Beharren auf der eigenen Funktionsbestimmung verteidigen kann. Was ist dann aber mit der viel beklagten »Ökonomisierung der Bildung«50 gemeint? Wenn etwa der damals amtierende Bundespräsident Johannes Rau (2001) davor warnt, man dürfe »Bildung nicht darauf beschränken, junge Menschen auf den Beruf und für den Arbeitsmarkt vorzubereiten« (14), und damit »[w]ider die Nützlichkeit des Lemens« (13) aufstehen zu müssen meint, ist die Motivation dafür leicht zu finden. Man spricht von Bildung und Erziehung heute in zuvor ungekanntem Ausmaß in wirtschaftlicher Begriftlichkeit. So wird Bildung als der »wichtigste Rohstoff« (Späth 2001: 178) und »Standortfaktor« (EngelenKefer 1993: 76; Franz 1993: 87) des Landes gesehen; Zu-Erziehende werden als »Humankapital« (Lennings 1993: 10) und als qualitativ minderwertige »Produkte der Massenuniversitäten« (Kleinewefers 1993: 49) bezeichnet. Es wird »mangelndes Bildungsmanagement« (Kluge 2003: 14) beklagt und auf»Effizienzsteigerung des Bildungswesen« (Lennings 1993: 20) gedrungen. Das alles kann aus systemtheoretischer Perspektive nicht irritieren, geschweige denn Besorgnis erregen, da es sich lediglich um - wenn auch stilistisch fragwürdige, mitunter auch ärgerliche - Formulierungen wirtschaftlicher Beobachtung der Erziehung handelt. Das kann das Erziehungssystem nur insofern betreffen, als es sich angesichts der Existenz solch >ungebildeter< Beobachtungen hinsichtlich ihrer Leistung kritisch hinterfragen mag. Die Tatsache jedoch, daß die Wirtschaft auch die Erziehung wirtschaftlich beobachtet, ist eine Selbstverständlichkeit. Wie diese geschieht, kann der Erziehung aber letztlich so lange egal sein, wie diese Beobachtungen nicht zu einer Reduktion der Leistungsbezüge führen. Auch wenn das Erziehungssystem meist sehr negativ als eine Misere (vgl. Kluge 2003) und Katastrophe (vgl. Picht 1964) und

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So zum Beispiel der Titel einer Informationsveranstaltung am 11. Mai 2006 an der Universität zu Köln.

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wenigstens als »großer Standortnachteil« (Franz 1993: 84) gesehen wird, ist das zunächst eine Anerkennung ihrer gesamtgesellschaftlichen Relevanz und ihrer funktionalen Unvertretbarkeit. Bei dem Problem, das als >Ökonomisierung der Bildung< bezeichnet wird, handelt es sich allerdings nicht nur um ein Scheinproblem in dem Sinne, daß die Selbstbeschreibung der Erziehung (natürlich!) nicht mit der Beschreibung der Erziehung durch die Wirtschaft übereinstimmt. Es geht auch nicht nur um das schlichte Problem, daß Bildung Geld kostet - einschließlich aller darauf bezogenen Fragestellungen - oder die kritische Einschätzung der Leistung des Erziehungssystems durch andere Systeme. Dies sind sämtlich Probleme der strukturellen Kopplung, die weder neu noch schwerwiegend sind, da die Erziehung solche Einschätzungen und Ansp1üche mit dem Hinweis auf ihre einzigartige und unvertretbare Funktion und Operation leicht von der Hand weisen könnte und dies auch immer getan hat: »Der Streit um die angemessene Ressourcenausstattung der Schule ist nicht neu. Wenig Originalität kann auch die Kritik an der Leistungsfahigkeit der Schule für sich beanspruchen. Und doch haben beide Diskussionsstränge sich in den letzten gut 20 Jahren miteinander zu einer starken schulreformerischen Kraft verbunden, von der sich die Pädagogik häufig an den Rand gedrückt fühlt, von wo aus sie in aller Regel nur reaktiv Terrain zurückgewinnen kann. Statt pädagogischer Ideen sind ökonomische Konzepte leitend fiir Schulentwicklung geworden« (Böttcher 2001: 894.) Was hat sich also innerhalb des Erziehungssystems gewandelt, das man als Ökonomisierung deuten könnte?

Die Nebencodierung der Erziehung zur Wirtschaft Kann man sinnvollerweise von einem »Eindringen betriebswirtschaftlieber Denkfiguren in pädagogische und bildungspolitische Diskurse« (Böttcher 2001: 893) oder einer »Anpassung des Erziehungswesens an den Marktmechanismus« (Saul1998: 81) sprechen im Sinne eines »sich anbahnenden neuen Paradigma der >Üutputorientierung< im Bildungswesen« (Böttcher 2001: 893)? Wir wollen die These vertreten, daß sich tatsächlich im Erziehungssystem selbst, d.h. auf operativer Ebene, ein Bezug zu wirtschaftlicher Kommunikation eröffnet hat, den man als Nebencodierung darstellen kann. Der Erziehung gelingt es durch die generativ-metaphorische Umdeutung ihres Präferenzwertes >besser lernen< mit dem Erstcode der Wirtschaft, die Nebencodierung >Qualität< zu evaluieren: 103

ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

B e s s e r - I e r n e n C. ;t=~ e f f i z e n t! schlechter-lernen Qualität

>Qualität< taucht innerhalb des Bildungssystems an einem Ort auf, der nicht auf eine modische Semantik hinweist, sondern die Rolle eines allgemeinen pädagogischen Prinzips annimmt: »Qualität ist zu einem der leitenden Begriffe innerhalb des allgemeinen Bildungsdiskurses geworden und hat mittlerweile eine Prominenz erreicht, die durchaus detjenigen früherer Leitkonzepte wie etwa Kindgemäßheit, Chancengleichheit, Emanzipation oder Wissenschaftsorientierung entspricht« (Terhart 2000: 809).

Der Qualitätsbegriff nimmt also nicht bloß die Stellung eines Bildungsinhaltes, eines pädagogischen Programms oder einer bestimmten Methodik ein, sondern die eines >Leitkonzeptsbesser-lernen< dahingehend moduliert, daß >besser< nun als zugleich >qualitativer< im Hinblick auf den Qualitätsbegriff des Qualitätsmanagements (Wirtschaft) bestimmt wird. Wenn wir >Qualität< als Nebencodierung der Erziehung zur Wirtschaft darstellen wollen, muß gezeigt werden können, wie >Qualität< mit dem Erstcode der Wirtschaft in Verbindung steht, heißt doch Nebencodierung die interne Berücksichtigung der Erstcodierung eines anderen Systems. Man käme schwerlich zu dem Begriff von Qualität, wenn man lediglich von zahlen/nicht-zahlen als Erstcodierung der Wirtschaft ausginge, die ja auch strenggenommen nur die Zweitcodierung ist. Davon abgesehen, daß Luhmann oft auch »Haben/Nichthaben« (Luhmann 1994e: 191) und »Eigentum/Nichteigentum« (Luhmann 1994e: 211) als Erstcodes der Wirtschaft nennt, darf man bei der wohl prominentesten Fassung >zahlen/nicht-zahlen< nicht vergessen, daß es sich dabei um die Abkürzung eines doppelten Sachverhalts handelt. Die Codeformulierung zahlen/nicht-zahlen kann den Eindruck erwecken, die Wirtschaft habe es nur mit Geld zu tun, codiere also ihr Medium - »zunächst einfach die 51

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»Das Thema Qualität hat mit all seinen Variationen in den letzten fünf Jahren einen ungeheuren Boom erlebt« (Reinhart!Lindemann/Heinz1 1996: 1).

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Menge der Güter, auf die man zugreifen kann« (Luhmann l994e: 187) rein pekuniär. Tatsächlich gibt es beim Wirtschaftssystem die Eigentümlichkeit, daß die Knappheit des Mediums der Güter durch eine artifizielle Knappheit symbolisch generalisiert wird, was zu einer Verdopplung der Knappheit fiihrt: »Die Innovation besteht in der Duplikation von Knappheit. Neben die Knappheit der Güter wird eine ganz andersartige Knappheit des Geldes gesetzt. Das heißt, Knappheit selbst wird codiert« (Luhmann 1994e: 197). lm Grunde handelt es sich bei dieser Codierung um nichts anderes als die Zweitcodierung von >haben/nicht-haben< (Luhmann 1994e: 20 I). Diese Zweitcodierung scheint allerdings für Luhmann einen derart hohen Stellenwert einzunehmen, daß er oft darauf verzichtet, darauf hinzuweisen, daß es >lediglich< um eine Zweitcodierung und nicht um den Erstcode selbst geht. Das Entscheidende ist, daß es Wirtschaft immer mit beiden Fonnen von Knappheit zu tun hat. Geld ohne Güterlmappheit ist genau so undenkbar wie ein Medium zugreifbarer Güter (und Leistungen) ohne Knappheit: »Es gibt danach zwei Knappheitssprachen: die der Güter und die des Geldes, die beide auf verschiedene Bedingungen ansprechen. In der modernen Wirtschaft sind alle wirtschaftlichen Operationen gehalten, beide Knappheitssprachen zugleich, also den Gesamtcode der Wirtschaft und nur diesen Code zu verwenden, nämlich fiir Leistungen zu zahlen« (Luhmann 1994e: 46f.). Nun ist es nicht schwer zu zeigen, wie die Verbindung des Qualitätsbegriffs zu der Codierung >Zahlen-ftir-Leistungen/Nicht-Zahlen< ist. Es handelt sich nämlich ganz deutlich um eine »>ökonomische< Form der Bestimmung von Qualität« (Terhart 2000: 812), die - etwas verkürzt dargestellt - lediglich den Präferenzwert >Zahlen-für-Leistungen< der Wirtschaft quantifiziert (!). Differenzierter müßte man allerdings sagen, daß der Qualitätsbegriff, um den es hier geht, als solcher zunächst nur so etwas wie >Produktgüte< 52 meint. Da der Qualitätsbegriff aber immer im 52

»Um ein ganzheitliches, gleichsam ästhetisches Verständnis von Qualität [wie die Wortbedeutung des Begriffs erwarten läßt, F.K.] geht es innerhalb des neueren Qualitätsdiskurses im Bildungsbereich allerdings nicht oder nur ganz am Rande. >Qualität< wird demgegenüber in einem sehr viel instrumenteUeren Sinne verstanden: Als ein verabredeter Gütemaßstab, der auf den offiziellen Zwecksetzungen des Bildungssystems insgesamt, bzw. einzelner Bildungs- und Sozialeinrichtungen basiert und der insofern dann auch als Bezugspunkt für die Ermittlung und ggf. den Vergleich der faktischen Wirkungen dieser Einrichtungen herangezogen 105

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Hinblick auf Qualitätssteigerung verwendet wird, wenn »wir nur von Qualität sprechen, ist in der Regel die >gute Qualität< gemeint« (Kalac 2004: 1), Qualität sozusagen gemanagt werden soll, werden »Qualität und Qualitätssicherung [ ... ] zu den Leitbegriffen einer an Produkten bzw. an Wirkungen festgemachten vergleichenden Überprüfung der Leistungsfähigkeit« (Terhart 2000: 823). Man kann also durchaus sagen, daß die Übernahme des Qualitätsbegriffs aus dem »privatwirtschaftlichen Sektor« (Terhart 2000: 820) einer internen Verarbeitung des Wirtschaftscodes gleichkommt, denn »Die Qualitätsverbesserung bezeichnet die >innerhalb einer Organisation ergriffenen Maßnahmen zur Erhöhung der Effektivität und Effizienz von Tätigkeiten und Prozessen»Qualität< [ ... ] mittlerweile in allen Bildungsbereichen- Kindertagesstätten, Schulen, Ausbildungsbetrieben, Weiterbildungseinrichtungen, Hochschulen- diskutiert« (Böttcher 1999: 20) wird. Es werden sogar im »Rahmen der verschiedenen Bemühungen um Qualitätssicherung im Bildungsbereich [ ... ] alle diejenigen Instrumentarien übernommen und adaptiert, die aus dem privatwirtschaftliehen Sektor bekannt sind« (Terhart 2000: 820). Es handelt sich also fraglos - und das ist neu - um eine aktive interne Übernahme der wirtschaftlichen Differenzen durch das Erziehungssystem und nicht bloß um eine äußere Zumutung: »Aus dem privatwirtschaftliehen Bereich sind solche Denkmodelle [des Qualitätsmanagements] auf den Bildungsbereich übertragen bzw. von hier aus übernommen worden und haben dort mittlerweile Fuß gefaßt« (Terhart 2000: 813). Daß es sich bei dieser >Übernahme< um eine generative Metapher handelt, liegt fast schon auf der Hand. Die Identifizierung der pädagogischen Präferenz des Besser-Lernens mit der wirtschaftlichen >Qualität< im Sinne von höherer Leistung flir weniger Geld oder Zeit ist schlichtweg unsinnig, bzw. falsch. Nur der zirkuläre Umdeutungsprozeß, bei dem beide Konzepte sich im Lichte des anderen brechen, kann eine Ent-

werden kann. Da Qualität und Qualitätssicherung ursprünglich mit Normung und Standardisierung von Produkten und Abläufen zu tun haben, verwundert es denn auch nicht, daß als Ergebnis eines selbstbezüglichen Aktes der Begriff der Qualität selbst genormt ist: >Qualität ist die Beschaffenheit einer Einheit bezüglich der Eignung, festgelegte und vorausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen< (DlN 553550, Teil 11)« (Terhart 2000: 815).

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paradoxierung der Fehlidentifikation herbeiführen, indem sowohl >besser lernen< als auch >Qualität< dynamisch bleiben. Es ist durch diese Konstruktion prinzipiell unmöglich, Eindeutigkeit in der Bestimmung der beiden Konzepte zu erreichen, da diese Eindeutigkeit sofort den Fehler der Gleichsetzung aufdecken würde, bzw. den zirkulären generativen Umdeutungsprozeß abbrechen würde. Wie Qualität als solche mit pädagogischen Konzepten als solchen in Verbindung steht, ist eine Frage, die durch die Nebencodierung der >qualitativen Erziehung< gleichsam invisibilisiert wird: »Während sich an der Frage, was unter Leistung und Bildung verstanden werden soll, in der Vergangenheit kaum beizulegende Kontroversen knüpften, wird der Qualitätsbegriff, der derzeit im Vordergrund steht, wie eine einfach bestimmbare Meßgröße gehandhabt, über die weitgehend Konsens besteht« (Boenicke 2000: 140). Qualität wird als eine »mächtige Leerformel« (Böttcher 1999: 21) sowohl durch ihre hohe Abstraktheit, als auch durch ihren starken Präferenzcharakter zu einer extrem erfolgreichen Nebencodierung. Man kann nicht nur jedes beliebige Ereignis in der Differenz >hohe Qualität/geringe Qualität< beobachten, sondern gibt über die Qualitätskommunikation den Anschluß de facto schon vor: »ln diesem Netz von Trends und Stimmungen reüssiert der Qualitätsbegriff Er ist durch wenigstens zwei allgemeine Charakteristika gekennzeichnet. Er ist erstens in hohem Maße allgemein und unbestimmt. Zweitens ist er emotional sehr stark positiv besetzt. Er ist in diesem Sinne >mächtig»Üutputorientierung< im Bildungswesen, welches nicht mehr gute Absichten prämiert, sondern Wirkungen empirisch bestätigt sehen will« (Böttcher 2001: 893), gekommen zu sein, des weiteren zu einer »Funktionalisierung der Bildung« (Gmschka 2001: 625), zu »Konkurrenzverhalten« (Gmschka 2001: 626), und ganz konkret scheint es nun mehr um »fachliches, kognitives paper-and-pencil-Wissen« (Boenicke 2000: 145) zu gehen als zuvor. Diese Entwicklung hängt natürlich mit den >internationalen Schulleistungsvergleichsforschungen< (vgl. Helmke (2001), bzw. der damit einhergehenden »Test-Inflation« (Schwarz 2002: 18) (PISA, MARKUS, TIMSS, VERA, IGLU, DESI) zusammen. Diese Tests können allerdings nicht als Katalysator55 der Evolution der Qualitäts-N ebencodiemng angesehen werden, da Schulleistungsvergleiche, die nicht schon von einer diesbezüglich nebencodierten Erziehung beobachtet werden, überhaupt nicht als pädagogisch relevant zur Kenntnis genommen werden können. Bevor die Erziehung mit dieser Nebencodierung einen internen Bezug zu >Leistung< hergestellt hat, konnten solche Tests lediglich als außenständige Beobachtung beobachtet werden, die in nur sehr losem Zusammenhang mit erzieherischen Fragen stand. Es war- und ist es jetzt nicht mehr - möglich, diese Beurteilungen mit dem schlichten Hinweis von der Hand zu weisen, daß es der Erziehung überhaupt nicht um Leistung in diesem Sinne (Qualitätsmanagement) geht, sondern um ganz anderes, möglicherweise um die Förderung der Entwicklung des Kindes zu einem Wesen, das sich gerade nicht vergleichend evaluieren läßt (Fremdbestimmung), sondern auf Selbstbestimmung setzt: »Innerhalb nur eines Jahrzehntes hat sich in der internationalen Schulleistungsvergleichsforschung - ganz besonders in Deutschland, das sich bei etlichen vorangegangenen Schulleistungsvergleichen der IEA (Intemational Association for the Evaluation of Educational Achievement) abstinent verhieltein bemerkenswerter Wandel vollzogen. Während das Interesse an solchen in55 108

Von Ursache wollen wir in diesem Zusammenhang und Theorierahmen schon gar nicht sprechen.

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ternational angelegten Studien über die betroffenen Wissenschaftlergruppen hinaus in der Vergangenheit gering und bildungspolitisch weitgehend folgenlos war, hat sich dies in Deutschland seit der TIMSS-Studie gründlich geändert. Selten hat eine internationale Studie hierzulande einen derart großen >impact< gehabt« (Helmke 2001: 155). Nicht zu unterschätzen sind die Auswirkungen der pädagogischen Übernahme des Qualitätsbegriffs samt seiner privatwirtschaftlich orientierten Leistungs- und Effizienzkonzepte. Das Erziehungssystem scheint diese Output-Orientierung derart internalisiert zu haben, daß schon fast jedes Mittel recht erscheint, um >gut abzuschneidenbesser lernen/schlechter lernen< danach gefragt, wie >besser lernen< ermöglicht wird, sondern etwa, wie »sich Schulen auf Lernstandserhebungen und Leistungsüberprüfungen vorbereiten« (Klexer 2005: Editorial) können. Diese neuen Zielsetzungen im Erziehungssystem können - davor wird schon gewarnt - pädagogische Verfahren wie »kurzfristiges Training« (Helmke/Hosenfeld 2005: 4) erfordern, die gerade nicht zu besserem Lernen führen. Hier sprechen wir also nicht mehr nur von einem Funktionalisierungsversuch56 der Erziehung, der auch im Rahmen der strukturellen Kopplung beschrieben werden könnte, sondern von einer Veränderung der Erziehungsoperation selbst: Es werden ganz schlicht im Erziehungssystem Vorgänge als Erziehungsoperationen beobachtet - und somit angeschlossen - , die früher nicht anschließbar gewesen wären (z.B. das oben genannte >Raten< bei Tests).

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»In erheblichem Umfang wird Erziehung heute als Ausbildung geplant, das heißt: als Erwerb von Fähigkeiten, die karrierewirksam eingesetzt werden können« (Luhmann 1997b: 27).

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Eine weitere wichtige Veränderung, die nicht überschätzt werden kann, ist der dem Leistungsbegriffinhärente Zeitbezug. Zeit ist nicht nur plötzlich ein knappes Gut, sondern nimmt einen deutlich höheren Stellenwert in der Erziehung ein: »Das zentrale Problem der heutigen Erziehung ist Zeit, ich wiederhole diesen Punkt. Zeit ist grundlegender als zum Beispiel Disziplin oder Autorität, eine historische Priorität, die mit dem Vorrang der Lehrerliteratur zu tun hat. In der heutigen Erziehungserfahrung ist Zeit nicht nur ständig knapp, sie wird zugleich anders gestaltet als früher, nämlich unstetig, vielfach unterbrochen, okkasionell und mit stark ansteigenden Qualitätserwartungen« (Oelkers 2002: 565).

Zeit steht nun ganz eindeutig auf der Kostenseite der Erziehung. Es wäre >mehr Qualitätspeed learningQualität< und deren outputorientiertem Leistungsbegriff zu einer oben schon angedeuteten Verschiebung des Mediums der Erziehung. Man würde nicht mehr das Kind als »das Medium der Erziehung« (Luhmann 2002c: 90) verstehen, wenn das heißen soll, es »geht um konlaete Kinder« (Luhmann 2002c: 90) mit einem je eigenen Lebenslauf, sondern es geht nun vielmehr um vergleichbare Lebensläufe im Sinne von Karrieren als Selektionen innerhalb eines Humankapitals. Wie wir gesehen haben betreibt der Qualitätsbegriff ja gerade die Objektivierung, al110

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so Ent-Individualisierung des >ErziehungsgegenstandsGesundheitssystems< zu orientieren, was dazu führen muß, daß eine systemtheoretische Rekonstruktion dieses Gegenstands als rein kommunikativ operierendes System, den Eindruck von einem sehr »absonderlichen Sozialsystem« (Bauch 2000: 387) erwecken muß, kann man dann doch nicht umhin, die Reichweite einer Kommunikationstheorie in den Bereich körper- und psychenbezogener Handlungen zu problematisieren. Man kann ganz im Gegenteil aber auch theoretisch ansetzen und davon ausgehen, »daß das Gesundheitssystem ein Sozialsystem ist und sich kommunikativ (und nur so) in dann spezifischer Weise reproduziert« (Fuchs 2006: 22). Dadurch entfernt man sich natürlich weit von dem, >>was man in alltäglicher Einstellung als Gesundheitssystem imaginiert« (Fuchs 2006: 21 ), und muß folglich »seltsam, ja bizarr« (Fuchs 2006: 30) behaupten, die »Operation des Gesundheitssystems ist nicht: Krankenbehandlung, denn genau das wäre keine kommunikative Operation« (Fuchs 2006: 30). Was das Residuum einer Konstruktion, für die es in >alltäglicher Einstellung< beabsichtigterweise keinen Anknüpfungspunkt gibt, sein soll, ist allerdings rätselhaft. Was konstruiert man in diesem Falle denn? Luhmann jedenfalls hat sich zwar nicht selten von der Selbstbeschreibung der jeweiligen Systeme freigemacht, nie aber von der »Verantwortung für die Bewährung seiner Aussagen an der Wirklichkeit« (Luhmann 1987: 30). Natürlich ist es nicht so, daß man entweder den Gegenstand oder die Theorie inplausibilisieren muß, indem man mit einer Kommunikationstheorie entweder den Gegenstand deformiert (Krankenbehandlung als reine Kommunikationsoperation) oder die Theorie beschränkt und Krankenbehandlung als systemtheoretischen Gegenstand ausschließt. Ohne daß einem solchen Versuch hier der nötige Raum gegeben werden kann, 112

BEISPIELE FÜR NEBENCOOlERUNGEN

ließe es sich durchaus plausibilisieren, Krankenbehandlung als Kommunikation aufzufassen. Man könnte nämlich darauf verweisen, daß die Ereignisse der organischen Verfassung erstens nur als beobachtete Phänomene >vorkommengibt< es nur aufgrund von Diagnose, und Diagnosen sind kommunikative Beobachtungen. Wir wollen aber über diese Plausibilisierungsversuche hinaus nicht weiter auf die Frage eingehen, ob sich das System der Krankenbehandlung als primär soziales System darstellen läßt oder nicht. Wenn wir also davon ausgehen, daß Krankenbehandlung als soziales System mit einer eigenen und unvertretbaren Funktion aufgefaßt werden kann, stellen sich noch eine Reihe weiterer Fragen, die darüber entscheiden, ob von einem regelrechten Funktionssystem der Gesellschaft gesprochen werden kann oder nicht. Die in unserem Zusammenhang ohnehin wichtigste Frage bezieht sich auf die Codierung des Systems: »Das System der Krankenbehandlung ist ein autonomes Funktionssystem der Gesellschaft[ .. .] Aber dieser Funktionstest reicht allein nicht aus. Zumindest ein weiteres Kriterium müssen wir heranziehen, das für ausdifferenzierte Funktionssysteme typisch ist: die binäre Codierung« (Luhmann 1993d: 184). Für Luhmann korrunt als binärer Code »nur eine einzige Unterscheidung [ ... ] in Betracht - die von krank und gesund« (Luhmann 1993d: 186), denn nur »hiermit wird etwas bezeichnet, flir das es außerhalb des Systems keine Entsprechung und keine Äquivalente gibt« (Luhmann 1993d: 186). Das heißt einerseits, daß jede Kommunikation, die sich an der Leitdifferenz krank/gesund orientiert, eine Operation des Systems der Krankenbehandlung ist, und andererseits, daß in diesem System ausschließlich auf diese Weise beobachtet wird. Lediglich eine Zweitcodierung des Wertes >krank< durch »heilbar/unheilbar« (Luhmann 1993d: 194) bietet eine zusätzliche Beobachtungsmöglichkeit Luhmann konstatiert bei der Codierung des Systems eine Besonderheit, die bei keinem anderen System zu beobachten ist. Bei dem System der Krankenbehandlung scheint eine auffällige »Gegenläufigkeit von Codierung und Teleologie ärztlichen Handelns« (Luhmann 1993d: 188) vorzuliegen, in der übrigens der Grund dafür zu finden ist, daß Luhmann nicht von einem Gesundheitssystem, sondern von einem System der Krankenbehandlung spricht. Hat bei allen anderen Funktionssystemen 113

ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

der Präferenzwert der Codierung einen sozusagen positiven Bezug zur Funktion59 des Systems, bzw. gibt einen Hinweis auf die im System >erwünschten< kommunikativen Anschlüsse (lieber zahlen als nicht zahlen; lieber Transzendenz als Immanenz; lieber Recht als Unrecht; lieber schön als häßlich ... ), ist bei dem System der Krankenbehandlung das Gegenteil der Fall: »Wenn es ein Code sein soll, muß ein Positivwert und ein Negativwert nachweisbar sein, so daß die Operationen durch eine Asymmetrie stmkturiert werden. Der Positivwert vermittelt die Anschlußfähigkeit der Operationen des Systems, der Negativwert vermittelt die Kontingenzreflexion, also die Vorstellung, es könnte auch anders sein. Im Anwendungsbereich des Systems der Krankenbehandlung kann dies nur heißen: der positive Wert ist die Krankheit, der negative Wert die Gesundheit. Nur Krankheiten sind flir den Arzt instmktiv, nur mit Krankheiten kann er etwas anfangen. Die Gesundheit gibt nichts zu tun, sie reflektiert allenfalls das, was fehlt, wenn jemand krank ist« (Luhmann 1993d: 186t). Die Vertauschung des positiven Wertes mit dem negativen beim System der Krankenbehandlung macht Luhmann daran fest, daß die Anschließbarkeit von Operationen nur über den Wert >krank< laufen könne. Diese Ansicht, nach der der Präferenzwert der Codierung über das Ja oder Nein des Anschlusses entscheide und nicht vielmehr nur über die Annahme der Kommunikation, ist höchst eigenartig und steht im Widerspruch zu der Code-Konzeption aller anderen Funktionssysteme. Ob gezahlt wird oder Zahlungen anläßtich von Zahlungsverpflichtungen unterlassen werden; ob ein Kunstwerk als schön beobachtet wird oder als unschön; ob auf Recht entschieden wird oder auf Unrecht: in jedem Fall liegt den Beobachtungen die Leitdifferenz eines Funktionssystems vor, so daß kommunikativer Anschluß erfolgt ist. Ob der Anschluß so erfolgt, daß man sagen kann, eine Kommunikationsofferte werde angenommen (Mahnungen werden bedient, Gesetze werden beachtet, ästhetisches Wohlgefallen stellt sich ein), ist eine Frage, die sich erst stellen kann, wenn der Anschluß schon erfolgt ist, d.h. Systemzugehörigkeit der Kommunikation gegeben ist. Auch im Falle der Religion, wo man denken könnte, >Immanenz< gehöre nicht in das System, >Transzendenz< hingegen schon, ist der Anschluß an >Immanenz< ebenfalls systemzugehörig. Beobachtungen, die sich auf Immanenz beziehen, finden in kei-

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»Von einem Code muß erwartet werden, daß er (1) der Funktion des entsprechenden Systems entspricht, nämlich den Gesichtspunkt der Funktion in eine Leitdifferenz übersetzt« (Luhmann 1997: 302).

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nem anderen System statt und sind im übrigen natürlich nur möglich, wenn Transzendenz als Negation mitgedacht wird. An allen anderen Stellen macht Luhmann entsprechend auch deutlich, daß die »Codierung das Oszillieren zwischen positivem und negativem Wert« (Luhmann 1998: 749) regelt, und dadurch sicherstellen kann, »daß immer eine Anschlußkommunikation möglich ist, die zum Gegenwert übergehen kann« (Luhmann 1998: 749). Zum Beispiel gehört zum Wissenschaftssystem nicht nur alles, was sich auf >wahr< beziehen läßt, sondern es bereitet, wenn etwas als >wahr< beobachtet wird, »keine Schwierigkeiten, mit einer weiteren Operation zu bestimmen, was folglich unwahr wäre, nämlich die gegenteilige Aussage« (Luhmann 1998: 361). Gerrau so verläßt eine Kommunikation, die sich auf den Wert >Unrecht< bezieht, keinesfalls das Rechtssystem, da »[s]owohl über Recht als auch über Unrecht [ ... ] richtig, und notfalls heißt dies einfach: rechtskräftig, entschieden werden« (Luhmann 1994c: 20) muß. Auch hier gilt: >Unrecht< gibt es nur im Rechtssystem. Weder >Unrecht< noch >Unwahr< oder >Nicht-Zahlenkrank< orientieren. Abstrakt könnte man sagen, daß die Orientierung an Gesundheit im Unterschied zur Orientierung an Krankheit genau dem Paradigmenwechsel entspricht, den Luhmann als Fortschritt der Systemtheorie durch die Einführung des Negentropiekonzeptes sieht. Im Gegensatz zu der Theorie geschlossener Systeme kann die Systemtheorie anhand ihrer Selbstorganisations- und Autopoiesistheorie danach fragen, wie »order from noise« (Luhmann 1987: 236) - also hier: Gesundheit aus Krankheit62 - entstehen kann und nicht nur, wie Gesundheitsverfall verzögert werden kann (Entropie). Ohnehin scheint es plausibel zu sein, mit Bauch (2000) der Tatsache Rechnung zu tragen, daß das Gesundheitssystem weit über die bloße Krankenbehandlung, die sich an der Differenz krank/gesund orientiert, hinausgeht. Es kann nicht einleuchten, was durch die Beschränkung dessen, was im Gesundheitswesen an gesundheitsbezogenen Operationen zu beobachten ist, auf die reine Krankenbehandlung gewonnen wäre: »Luhmann ist seinen Überlegungen nach meiner Auffassung zu sehr an der Krankenbehandlung orientiert und identifiziert mit ihr die Medizin und das Gesundheitswesen insgesamt. Eine solche Identifizierung der akutmedizinischen Krankenbehandlung mit dem Medizin-System (besser: Gesundheitssystem) insgesamt ist aber heute nicht mehr sinnvoll, denn das Gesundheitssystem hat sich durch Aufgabensummation weit über den Bereich der >eigentli61

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Unter anderem: »Auch erweist sich durch die sog. salutogenetische Wende in der Medizin [ .. .] die Vorstellung als falsch, dass nur die Krankheit für das System der Krankenbehandlung instruktiv sein soll und Gesundheit zwar geschätzt wird, aber keinen Anschlusswert hat« (Bauch 2000: 397). Und: »Von einer >solipsistischen< Krankheitsorientierung der Medizin kann heute mithin nicht mehr gesprochen werden« (Bauch 2000: 379). Die Theorie der Salutogenese scheint diesen Platz einzunehmen, vgl. Lorenz (2004).

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chen< Krankenbehandlung ausgedehnt und ist [... ] für viele Aufgaben zuständig, die unmittelbar mit Krankenbehandlung nichts zu tun haben. Genannt werden können hier z.B. die Verhältnisprävention, der Umweltschutz oder die Datenaggregierung flir die Politik. Für das sich in weite gesellschaftliche Bereiche spreizende Gesundheitssystem stellt das System der Krankenbehandlung nach dieser Auffassung lediglich ein - wenn auch wichtiges - Subsystem dar« (Bauch 2000: 392f.). Aus diesem Grund macht Bauch (2000) einen eigenen Vorschlag für eine Codierung des Systems in >»gesundheitsförderlich/gesundheitshinderlich< und >lebensförderlich/lebenshinderlichAbsonderlichkeitenerfundenEnergieverbrauch< (Geld) des immer leistungsfähiger und damit teurer werdenden Systems nur von außen reguliert werden, indem schlicht die Mittel gekürzt, bzw. beschränkt werden. Die »Effekte solcher Maßnahmen (mehr Zahnverfall, stärkere Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten etc.)« (47) sind für Luhmann genauso wenig wünschenswert wie vermeidbar. 66 Lediglich die Möglichkeit »Politik dazwischenzuschalten« (49) kann - so Luhmann- die Gefahr mindern, »Verhinderung von Tod, Krankheit und Schmerzen[ ... ] aus wirtschaftlichen Gründen nicht zu realisieren« (49), was natürlich nicht heißt, daß Politik die Geldprobleme oder gar die medizinischen Probleme des Gesundheitssystems lösen kann. Politik kann lediglich dafür sorgen, daß die knappen Operationen des Gesundheitssy65 66

>Operieren< wird hier auch immer nur im allgemeinen systemtheoretischen Sinne verstanden als Verkettung von Beobachtungen und nicht als die besondere Form der invasiven Krankenbehandlung. Tm übrigen sind diese >Effekte< längst sichtbar: »In der Unterschicht sind also schon Personen zwischen 35 und 44 Jahren bereits stärker chronisch behindert als die 75jährigen der Oberschicht. Die beiden unteren sozioökonomischen Schichten leiden bereits im mittleren Lebensalter unter erheblichen chronischen Bedingungen und funktionalen Einschränkungen, die in der oberen Schicht - wenn sie überhaupt auftreten - ins hohe Alter verschoben sind« (Kühn 1995: 21 ). 119

ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

stems - politisch gesehen - gerecht verteilt werden und nicht nach der Maßgabe der Wirtschaft an Besser-Zahlende. Für das Gesundheitssystem selbst ist jede dieser Beschränkungen eine nicht akzeptable Zumutung, da für es schlichtweg jeder Kranke als Kranker behandelt werden muß und andere Hinsichten irrelevant sind. Von der Seite der Wirtschaft her gedacht handelt es sich bei dem Gesundheitssystem um einen Markt. Fragt man hier nach den Auswirkungen dieser strukturellen Kopplung auf das Gesundheitssystem, wird im besonderen »der wenig kontrollierte Einfluß der Pharmaindustrie auf den Arzneimittelkonsum« (Krause-Girth 1992: 170) beklagt. Krause-Girth (1992) zeigt eindrucksvoll, daß die Ärzteschaft der Einflußnahme der Pharmaindustrie unterliegt, wie »die nach wie vor hohen Verordnungszahlen auch von unsinnigen oder obsoleten Präparaten« (172) beweisen. Zugleich muß man aber sehen, daß Pharmavertreter weder Patienten heimlich Tabletten einfuhren, noch Ärzte zwingen, ihre Präparate zu verwenden. Man kann auf keinen Fall von einer Steuerung im Sinne kausaler Einwirkung der Pharmaindustrie auf die verschreibenden Ärzte sprechen. Das Phänomen läßt sich entweder als Bestechung bzw. Korruption beschreiben, oder man kann der Selbsteinschätzung der Ärzteschaft glauben, die sich »eher als Opfer einer unkoutrollierten Beeinflussungskampagne, durch die sie irregeführt, desorientiert und der öffentlichen Kritik ausgesetzt wird« (171), sieht. Belegt ist jedenfalls, daß die Ärzte »mehr den unbegründeten Versprechungen der Pharmaindustrie - für jedes Leiden eine Pille - als den wissenschaftlichen Erkenntnissen ihres Faches« (177) folgen. Es scheint aber einiges dafür zu sprechen, daß es sich hierbei nicht um Bestechung oder Korruption handelt, sondern - systemtheoretisch gefaßt - um eine Selbstreferenz/Fremdreferenz-Verwechslung der Ärzte. Wenn Ärzte davon ausgehen, von Pharmavertretern medizinisch beraten zu werden, rechnen sie diese dem Gesundheitssystem zu, schließen also an deren Operation an: »Pharmaberater haben ein klares Ziel: Verkaufsfördemng. Daranmißt sich ihr individueller Erfolg und ihr Einkommen. Den Ärzten dagegen- vor allem isoliert arbeitenden Ärzten - geht es um Informationen, wenn sie Pharmaberater empfangen[ ... ] Interessanterweise glauben die Ärzte selbst, daß kommerzielle Quellen ihre Verschreibungen nicht bedeutend beeinflussen, entweder weil ihnen der Einfluß nicht bewußt wird oder weil sie es nicht eingestehen können« (Krause-Girth 1992: 172f.).

Diese zunächst kaum nachvollziehbare Verwechslungsmöglichkeit der Systemreferenz wird dadurch gesteigert, daß es den Pharmaberatem ge120

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lingt, die Überzeugung zu erwecken, »daß die Kollegen dies auch tun« (Krause-Girth 1992: 172), also daran anknüpfen können, daß »die Informationen von Kollegen bzw. deren Verhalten in konkreten Fällen die größte Bedeutung« (172) flir Ärzte haben. Klar ist jedenfalls, daß dieser ganze Bereich des Verhältnisses von Ärzteschaft und Pharmaindustrie nicht als eine Steuerung ersterer durch letztere zu deuten ist. Wie die Ärzteschaft mit der >Störung< durch die Pharmaindustrie umgeht, liegt voll in deren Hand, kann also systemintern so oder so verarbeitet werden. Ähnlich67 - und deshalb hier nicht eigens untersuchenswert- ist das Verhältnis der Medizingerätetechnik und deren Marktsegments zum Gesundheitssystem zu betrachten: als reine strukturelle Kopplung ohne Steueruugs- oder Eingriffschancen in das Gesundheitssystem.

Nebencodierung des Gesundheitssystems Das, was unter >Ökonomisierung des Gesundheitssystems< 6 s verstanden wird, läßt sich nicht mit den Mitteln der strukturellen Kopplung sehen. Es geht nicht bloß um eine - auch noch so stark ausgeprägte - Umweltbeziehung zur Wirtschaft, sondern um eine Veränderung auf operativer Ebene des Systems selbst. Es geht um eine Entwicklung, deren Beginn auf etwa Anfang der 90er Jahre69 datiert werden kann: »ln den modernen marktwirtschaftlich organisierten, reichen Gesellschaften gehören Termini wie Kosteneffizienz, Ausgabenbeschränkung, Rationalisierung bzw. Rationierung seit jeher zum gängigen Vokabular in gesundheitspolitischen Debatten. Sie waren und sind stets auch wesentliche Prämissen für die jeweiligen Entscheidungen. Relativ neu ist dagegen, daß seit Beginn der 90er Jahre (äußerlich gekennzeichnet durch den Beginn der Wahlfreiheit für eine Krankenkasse) zunehmend Begriffe wie Wettbewerb, Marktregulierung, Kunde(nverhalten) u.am. die Diskussion prägen und substantiell Eingang in die 67

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»Die Ausstattung einer Praxis mit technischen Geräten führt oft dazu, daß sie häufiger benutzt werden, als zur Behandlung unbedingt erforderlich ist (Postman 1992; Kirchberger 1986). Gerade bei invasiven diagnostischen Eingriffen wird immer häufiger im Interesse der Patienten gefordert, daß nicht der Arzt die Indikation stellt, der an einer technischen Untersuchung auch verdient« (Krause-Girth 1992: 170). So der Titel des internationalen IPPNW-Kongresses (>International Physicians for the Prevention ofNuclear Warsubstantiellem Eingang< des Marktes in das Gesundheitssystem im Unterschied zu bloßer struktureller Kopplung, wie wir sie oben dargestellt haben, gemeint ist, ist nicht nur ein semantisches Phänomen. Es geht nicht nur darum, daß auf einmal »Patienten[ ... ] gleichsam als Kunden eines Krankenhauses gesehen werden« (Hauke et al. 1994: 36) können, sondern es wird vielmehr befürchtet, daß sie tatsächlich als Kunden behandelt werden und somit »die Unverletzlichkeit der Grenzen der therapeutischen Situation« (Kick 2006: 8) verlorengeht Aus einer systemtheoretischen Sicht kann man auch nicht, wie Bauch, darauf setzen, daß das Personal des Gesundheitssystems sich aus moralischen Gründen dem - ohnehin schon laufenden - Trend widersetzt: »[M]ögliche Einwände, die sich nicht auf die Funktionserfüllung an sich, sondern gegebenenfalls auf die Effizienz oder Effektivität der Funktionserftillung beziehen, können (jedenfalls bislang) durch die >Ressortmoral< (Arnold Gehlen) der Ärzte und die Betonung der Priorität von Gesundheit abgewendet werden« (Bauch 2000: 389). Von der Möglichkeit einer Abweisung ökonomischer Zumutungen kann keine Rede sein, sind doch längst die zentralen inneren Strukturen des Gesundheitssystems betroffen. Nicht nur der »Wettbewerb um den Kunden >PatientMedizinisch NotwendigenQualität< die Schlüsselrolle bei dieser Entwicklung zu spielen. Auch hier ist das Qualitätskonzept der Versuch, die Präferenzen der Gesundheit und der Wirtschaft irreins zu setzen. Wenn wir uns an den Codevorschlag von Jost Bauch »gesundheitsförderlichlgesundheitshinderlich« (Bauch 2000: 399) halten, spricht einiges dafür, einen generativ-metaphorischen Eingang des Qualitätsbegriffs in den Präferenzwert >gesundheitsförderlich< als Kern der Ökonomisiemng des Gesundheitssystems zu begreifen: gesundheitsf"örderlich C+ f.=~ effizient I gesundheitshinderlich.

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Qualität

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Was die Verbreitung des privatwirtschaftliehen Qualitätsbegriffs im Gesundheitssystem betrifft, kann man sagen, daß die »Etablierung eines systematischen Qualitätsmanagements im allen Einrichtungen und Praxen des Gesundheitswesens immer mehr zum geforderten Standard wird« (Petersen 2005: 5). Gerade was die freiwillige Qualitätszertifiziemng der Krankenhäuser betrifft, gibt es eine eindeutige Tendenz: »Die Krankenhäuser in Deutschland treiben ihre Zertifizierung voran. Mittlerweile ist fast die Hälfte aller Häuser zertifiziert« (Buscher 2005), und »doppelt so viele Krankenhäuser (80%) wie 2004 veröffentlichen im Jahr 2005 medizinische Leistungsdaten zur besseren Transparenz für den Patienten« (Buscher 2005). Gegenstand dieses Qualitätsmanagements ist explizit nicht nur die Krankenhausverwaltung oder das Krankenhaus, insofern es eine in ihren Abläufen optimierbare Organisation ist, sondern gerade der Bereich der Krankenbehandlung und Pflege: »Ziel der Qualitätssicherung sollte es sein, daß sich der Qualitätsgedanke im Laufe der Zeit - ausgehend von der Führungsebene - bei allen Mitarbeitern durchsetzt. Sie alle sollten eine den Patientenanforderungen entsprechende Qualität der Dienstleistungen und Produkte zu möglichst niedrigen Kosten anstreben« (Rauke et al. 1994: 11 ).

Wie wir schon am Beispiel des Erziehungssystems gesehen haben, handelt es sich bei dem Qualitätsbegriff des Qualitätsmanagements um ein rein wirtschaftliches Effizienzktiterium. Die Qualität, um die es hier geht, ist Dienstleistung70 pro Zeit, bzw. Geld. Pointiert könnte man sagen, daß die Qualität selbst bei sinkender Dienstleistung oder degressiver Dienstleistungsgüte steigen kann. Nehmen wir an, es gelingt, eine Station so zu organisieren, daß die Halbierung der Zahl der Schwestern und Ärzte die medizinische Versorgung der Patienten nur um 30% sinken läßt. Die Qualität muß dann als um 40 % gestiegen angesehen werden, auch wenn das so nie ausgesprochen werden würde. Man (Hügli 1997) sagt dann lieber nur, »schlanke Arbeitsabläufe [ ... ] [seien] sinnvoll« (17) und spricht von »Straffung der Abläufe[ ... ] [und] Eliminiemng von Leistungsredundanzen« (17). Jedenfalls gibt es für das Qualitätsmanagement keine qualitativ wünschenswerten Abläufe, es sei denn, sie sind kosten- und zeitsparend. Einen für die Krankenbehandlung verheerenden Einfluß hat die Qualitätsorientierung der Behandlung vor allem aufgrund ihrer K.undenorientierung: 70

Auch wenn der physikalische Leistungsbegriff ja schon einen Zeitbezug hat (Arbeit pro Zeit), ist das beim Dienstleistungsbegriff natürlich nicht der Fall. Dienstleistung ist Arbeit und nicht Leistung. Es ist also keine Tautologie, von Dienstleistung pro Zeit zu sprechen. 123

ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

»Oberstes Ziel des Qualitätsmanagements ist die Herstellung von Kundenzufriedenheit Denn letztendlich muß das Unternehmen Gewinne erwirtschaften, und das kann es langfristig nur mit zufriedenen Kunden. Was Qualität ist, bestimmt also der Kunde« (Reinhart/Lindemann/Heinzl1996: 13). Auch wenn man das Wort >KundePatient< ersetzt, wird aus der so verstandenen Patientenorientierung nichts Gutes. »Patientenorientierung« (Hauke et al. 1994: 37) heißt nämlich nicht, daß sich der Arzt am Wohle des Patienten orientiert, sondern daß sich das, was als Qualität gilt, an der subjektiven Einschätzung des Patienten orientieren soll. Das Problematische daran ist zunächst, daß dann nur noch »jene Qualitätsmerkmale, deren Veränderung eine Variation der individuellen Qualitätsurteile bedingen« (Graf 1998: 18), relevant sind. Es ist demgemäß nicht mehr sinnvoll, bzw. qualitätssteigemd, Dinge zu tun, die zwar medizinisch geboten sind, aber von dem Patienten nicht als wünschenswert angesehen werden. Da die Irrtransparenz medizinischer Vorgänge flir den Patienten sehr groß ist, kann eine Orientierung an der Patientenzufriedenheit kaum, bzw. nur zufällig, zu medizinisch sinnvollen Maßnahmen führen. Gleichwohl wird im Gesundheitssystem genau die Orientierung an der subjektiven Qualitätseinschätzung der Patienten gefordert und als anzustrebende Qualität gesehen: »Die Qualität der Produkteigenschaften bzw. Dienstleistungen wird dabei durch die Wahrnehmung des Patienten bestimmt. Die Qualitätsmessung wird nach subjektiven Kriterien vorgenommen, da jeder Patient fiir sich selbst ein individuelles Qualitätsniveau festlegt, d.h. ein bestimmtes Etwartungs- bzw. Anspruchsniveau hat« (Hauke et al. 1994: 11). Diese Kundenorientierung des Gesundheitssystems wird allerdings nicht bloß von der Wirtschaft in Gestalt von Qualitätsmanagern gefordert, sondern im System selbst in sehr ausgeprägter Weise praktiziert: »Einige amerikanische Untersuchungen zeigen, daß bis zu 90% der ärztlichen Dienstleistungen primär von den Patienten bestimmt werden (Harris 1990). In hohem Maße scheinen Ärzte, z.B. bei der Arzneimittelverordnung, Patientenwünsche zu erfüllen« (Krause-Girth 1992: 180). Daß nicht selten »das Ernstnehmen des Patienten [ ... ] im Widerspruch steht zu klinisch rationalen Therapieentscheidungen« (Krause-Girth 1992: 180), liegt auf der Hand:

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»Das Eingehen auf Patientenbedürfnisse, die mit wissenschaftlich begründeten Therapieverfahren nichts zu tun haben, nennt der Allgemeinmediziner Abholz Placebo- oder Humbug-Medizin. Auch wenn er seine eigene Bereitwilligkeit zu dieser Art von Medizin als gering einstuft, schätzt er den Anteil seiner Patienten, die ihn dazu verführen, dennoch in dieser Weise Medizin zu betreiben, auf ein Fünftel. Er gibt damit ein eindrucksvolles Beispiel für die Einflußnahme von Patienten auf ärztliche Entscheidungen. lnteressante1weise werden solche eher patientenorientierten Behandlungsweisen in (nicht psychosomatischen) medizinischen Fachzeitschriften selten dokumentiert und das schlechte Gewissen darüber scheint groß« (Krause-Girth 1992: 181). Hier ist wieder zu sehen, daß die Metapher, das Gesundheitsförderliche sei gleichzeitig wirtschaftlich effizient, von der eigenen lnvisibilisierungskraft abhängt. Der Begriff der Qualität und der davon abhängige Begriff der Patientenorientierung können im System nur funktionieren, wenn die Paradoxie des lneins von Gesundheit und Wirtschaftlichkeit verhüllt wird. Das gelingt der Metapher der Qualität durch den zyklischen Prozeß, in dem sich das Gesundheitsförderliche und das Effiziente derart wechselseitig umdeuten, daß ein neues Verständnis der beiden unvereinbaren Konzepte entsteht. Qualitative medizinische Versorgung kann dann widerspruchsfrei sowohl medizinische als auch wirtschaftliche Ansprüche erfüllen, so lange nicht offengelegt wird, daß Qualität im dargestellten Sinne als privatwirtschaftliches Effizienzkriterium verstanden wird. Solange aber der generative Prozeß des seeing-as des Gesundheitsförderlichen als das Effiziente im Sinne des Qualitätsbegriffs aufrecht erhalten wird, eröffnet sich das Gesundheitssystem einen scheinbaren Zugang zu wirtschaftlicher Kommunikation. Das Gesundheitssystem kann so die Zumutungen der Wirtschaft im Rahmen der strukturellen Kopplung intern in die eigene Operation einbringen, indem der Präferenzwert >gesundheitsförderlich< metaphorisch mit >Effizienz< identifiziert und zugleich durch >Qualität< entparadoxiert wird. Die wohl erschreckendste Konsequenz dieser Nebencodierung der Gesundheit durch die wirtschaftliche >Qualität< besteht in der so gewonnenen Möglichkeit der >Qualifizierung< von Lebensqualität Wie wir gesehen haben, stellt der hier verwendete Qualitätsbegriff einen Bezug zu wirtschaftlicher Effizienz her. Auf das Konzept der Lebensqualität angewendet, ermöglicht er eine Relativierung und sogar Quantifizierung von Lebensqualität hinsichtlich ihres Wertes. Man kann dann aufgrund der invisibilisierten Doppelgesichtigkeit (Gesundheit/Wirtschaft) des Qualitätsbegriffs sagen, Lebensqualität habe eine zu geringe Qualität in dem Sinne, daß es sich weder medizinisch noch wirtschaftlich lohnt, sie zu 125

ÖKONOMISIERUNG DER GESELLSCHAFT

erzielen. Es kommt hierbei zu genau der metaphorischen Verquickung, die dazu führt, daß man das Gesundheitsförderliche nicht mehr unabhängig von dem Wirtschaftlichen sehen kann: »Katz und Mitarbeiter schätzten schon vor zehn Jahren, 80 Prozent eines jeden hinzugewonnenen Lebensjahres (9,6 Monate) würden in eingeschränktem und abhängigem Zustand verbracht. Scheinen schon diese Aussichten auf das Alter nicht gerade vielversprechend, so kommt noch deren ökonomische Seite hinzu. Die hochgerechnete enorme Zahl alter Menschen hat einen weit überdurchschnittlichen Bedarf an Behandlung und Pflege. Ist es da verwunderlich, daß in den Vereinigten Staaten seit Mitte der 80er Jahre mit großem öffentlichen Echo über eine >Rationierung< effektiver medizinischer Leistungen gesprochen wird und daß hierbei, wie auch in England, das Kriterium Alter am häufigsten genannt wird? Warum, so das Argument, sollte man so viel Geld fiir die Behandlung alter Menschen ausgeben, wenn die gewonnene Lebenszeit von so niederschmetternder Lebensqualität ist?« (Kühne 1995: 18).

Kennzeichen von Nebencodierungen Will man aus den genannten Beispielen für generative Metaphern als Nebencodierung sozialer Systeme zur Wirtschaft eine Typik von Nebencodierungen erstellen, muß man sich im klaren sein, auf dem Boden welcher Konkreta man diese Abstraktion vornimmt. Natürlich haben wir nur eine kleine Zahl solcher Nebencodierungen in Augenschein genommen und es handelte sich- bis auf die historischen Beispiele des Kunstsystems- durchweg um Nebencodierungen zur Wirtschaft. Daß wir nur diese Nebencodierungen gesucht haben, hängt zum einen lediglich mit der Fragerichtung dieser Arbeit zusammen. Zum anderen könnte man behaupten, daß Nebencodierungen zur Wirtschaft in unserer Zeit besonders stark ausgeprägt und gesellschaftlich relevant sind. Diese Behauptung soll im nächsten Kapitel plausibel gemacht werden. Gleichwohl scheint nichts dafür zu sprechen, daß Nebencodierungen zur Wirtschaft strukturell von anderen Nebencodierungen unterschieden sind, und die Beispiele der Nebencodierungen zur Religion, zur Wissenschaft und zur Politik, die wir im Falle der Kunst beschrieben haben, sind ein erster Beleg hierfür. Generative Metaphern als Nebencodierungen scheinen grundsätzlich vier Eigenschaften aufzuweisen, die sich zum Teil aus ihrer Funktion ergeben und zum Teil die Folge der eigenen Verwendung sind.

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Präferenzcharakter Da die Nebencodierung ja eine generative Metapher im Sinne des wechselseitigen seeing-as zweier Code-Präferenzen ist, hat sie einen ausgeprägten Präferenzcharakter. Es läßt sich schlecht gegen >QualitätErfolg< und >Arbeitsplätze< kommunizieren, bzw. solche Versuche haben geringere Akzeptanzwahrscheinlichkeit, was dazu führt, daß die Nebencodierung, obwohl sie von dem Präferenzwert der Erstcodierung abweicht, in diesem System akzeptiert wird. Auch wenn es dem Gesundheitssystem eigentlich um das Gesundheitsförderliche geht, kann die >Qualität< kaum als Beobachtungsdifferenz ausgeschlossen werden, da Qualität ja zum Gesundheitsförderlichen zu gehören scheint. Daß das Qualitätskonzept auch den nicht-gesundheitlichen Aspekt der wirtschaftlichen Effizienz in sich birgt, ist aufgrund der metaphorischen Umdeutung nicht offensichtlich und kaum kommunizierbar. Damit ist schon das zweite Merkmal angesprochen.

lnvisibilisierung Aus mindestens zwei Gründen sind generative Metaphern nicht transparent. Als zirkuläre, d.h. nicht-lineare Prozesse sind sie in dem Sinne komplex, daß es nicht möglich ist, aus den Anfangsbedingungen, d.h. den beiden Präferenzcodes, die in einem wechselseitigen seeing-as stehen, die Beschaffenheit des Prozesses zu errechnen. Wie eine metaphorische Code-Modulation abläuft und wie sie sich auswirkt, sind dann letztlich empirische Fragen. Außerdem gehört die Invisibilisierung der Funktionsweise der Nebencodierung zu ihrer Funktion. Der Erziehung kann es nur gelingen, die wirtschaftliche Präferenz zu integrieren, indem sie es sozusagen unter der Hand tut. Es ist mit der Funktion und der Selbstbeschreibung der Erziehung nicht vereinbar, sich an objektivierbaren Leistungskriterien zu orientieren. Will die Erziehung den externen Ansprüchen der Wirtschaft an sie selbst nachgeben, so muß sie es in einer Weise tun, die intern nicht als Ökonomisierung beobachtet und folglich im Verweis auf die eigene Funktion, die »für dieses (und nur für dieses) System Priorität genießt« (Luhmann 1998: 747), abgelehnt wird, sondern als erzieherische Qualitätssteigerung (nach bestimmten Kriterien) angenommen werden kann. Nebencodierungen, die ihre eigene Funktion nicht invisibilisieren, wären folglich nicht funktionsfahig.

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Unbestimmtheit Die lnvisibilisierung des Umdeutungsprozesses gelingt aufgrund der inhaltlichen Unbestimmtheit, bzw. Undefinierbarkeit der generativen Metapher. Da es sich nicht um eine >Substitutionsmetapherlnteraktionsmetapher< (vgl. Kurz 1982) handelt, läßt sie sich nicht durch einen »eigentlichen« (Müller-Richter/Larcati 1996: 57) Ausdruck ersetzen und in einer wörtlichen Bedeutung erfassen. Versuchte man, das paradoxe seeing-as einer Systempräferenz als ineins eine andere logisch zu begreifen, kommt es zu einer Blockade durch die dann offenkundige Paradoxie. Wenn das Erziehungssystem die wirtschaftliche Präferenz als fremde Beobachtungsform zurückweist, dann kommt es schlichtweg zu einer kognitiven Schließung. Wenn es aber die wirtschaftliche Effizienz anhand der generativen Metapher der >Qualität< als zugleich die eigene Präferenz >siehtQualität< eindeutig definiert, etwa als DIN (vgl. Reinhart/Lindemann/Heinzl 1996), dann wäre die kognitive Öffnung sehr reduziert, da sich dann klar zeigen würde, in welchen konkreten Kommunikationssituationen etwas als erzieherisch und qualitativ zugleich gesehen werden kann. Deshalb fungiert >Qualität< als »mächtige Leerformel« (Böttcher 1999: 21 ), genau so, wie kaum angehbar ist, was denn nun künstlerischer >Erfolg< ist. Dieser darf sich nicht einfach in Zahlen angeben lassen - eine solche Beobachtung wäre in der Kunstkommunikation ausgeschlossen - , sondern muß zugleich signalisieren, daß es in gleicher Weise um ästhetische Kategorien geht. Das zahlreiche Publikum eines >erfolgreichen Künstlers< im Sinne der generativen Metapher ist dann nicht bloß eine Konsumentenmasse, sondern eine beeindruckende Zahl an Kennern, deren Wertschätzung für die künstlerische Qualität spricht. Wie genau sich Popularität und Markterfolg in ästhetische Kategorien >Umrechnen< läßt, muß hierbei unklar bleiben: >Irgend etwas< -das leistet die generative Metapher- >muß künstlerisch schon an einem erfolgreichen Kunstwerk dranseinwas Arbeit schafftVe1wicklung< zu entfalten ist, liegt auf der Hand, daß Nebencodes genau wie Erstcodes als zentrale Einrichtungen der Systemoperativität eine besonders prominente »semantische Karriere« (Luhmann, 1994c: 19) haben. Da es die Funktion generativer Metaphern ist, nicht-anschlußfähige Kommunikationen der Umwelt anschlußfähig zu machen, und diese Funktion sich ja nur aus dem Problem ergibt, daß die betreffenden Kommunikationen auch quantitativ als Störungen so stark sind, daß sich die Evolution einer Nebencodierung lohnt, folgt, daß generative Metaphern besonders häufig verwendet werden. Empirisch konnten wir das leicht am Beispiel der >Sozial-ist-was-Arbeit-schafft-Metapher< in der Politik und der >Qualitätbezahlengibt< und daß es zweitens nicht sinnvoll ist, die gesellschaftliche Evolution im Hinblick auf die Hervorbringung von Problemen zu beobachten. Genauso wenig wie die Natur produziert die Gesellschaft Probleme, sondern vielmehr Lösungen für Probleme. Entsprechend haben wir auch Nebencodierungen funktional als Lösung für die Probleme der Nicht-Anschließbarkeit fremder Systemkommunikation und der Irritation durch externe Leistungsansprüche verstanden. Gleichwohl hat sich schon an den behandelten Beispielen gezeigt, daß die Nebencodierung durch metaphorische Umdeutung des eigenen Codes Systeme in einen Abstand zu ihrer eigenen Funktion bringen kann, indem sich die betreffenden Systeme übermäßig an ihrer Leistung in Bezug auf das System, zu dem sie die Nebencodierung ausgebildet haben, orientieren. Im folgenden wollen wir sehen, ob sich zeigen und begründen läßt, daß die verschiedenen Funktionssysteme vorrangig und gezielt Nebencodierungen zur Wirtschaft ausbilden. Außerdem wollen wir versuchen, diesen Sachverhalt, sofern er sich plausibilisieren läßt, mit dem Begriff der gesellschaftlichen Dominanz der Wirtschaft in Verbindung zu bringen. Davon abzuheben ist in einem nächsten Schritt der Ansatz, das gesellschaftliche Phänomen der Ökonomisierung als ein Problem für und von Individuen darzustellen. Die Unfähigkeit der Systemtheorie, sich normativ oder gar mitfühlend auf eine Teilnehmerperspektive einzulassen, wird ihr zu ihrer Stärke, indem sie das gesellschaftliche Phänomen

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der Ökonomisierung als gesellschaftliches Problem entdecken kann, ohne es vorher schon im Sinne von kritischem Vorverständnis vorausgesetzt zu haben. Hierbei wird sie zu einem wesentlich höheren Differenzierungsgrad gezwungen.

Ökonomisierung als Evolutionsprozeß Wir haben an einigen Beispielen gesehen, wie Funktionssysteme eine Nebencodierung zur Wirtschaft aufbauen können, wodurch sich ihre eigene Operationsweise verändert. Es handelt sich nicht um ein bloß semantisches Problem, oder etwas, das keine oder nur geringe Auswirkungen auf die Systemoperationen hat. In allen dargestellten Fällen führt die generativ-metaphorische Umdeutung des eigenen Präferenzwertes zu einer veränderten Operationsweise, die sich mehr oder weniger deutlich von ihrem Funktionsbezug entfernt. Politik, die das Soziale als das zugleich Wirtschaftliche begreifen will, Kunst, die ein Irreins von Schönheit und Erfolg anstrebt, und Gesundheit und Erziehung, die anhand von Qualitätskonzepten eine Verschmelzung ihrer eigenen Präferenz mit wirtschaftlichen Effizienzkriterien erreichen wollen, geraten in genau die Konflikte, die zwischen ihrem je eigenen Problembezug und dem (autonom) übernommenen wirtschaftlichen Problembezug bestehen. Wir haben von vornherein nach Nebencodierungen der Funktionssysteme zur Wirtschaft gesucht und diese auch anhand reichlichen empirischen Materials belegen können. Das heißt allerdings nicht, daß in synchroner Perspektive nicht auch ausgeprägte Nebencodierungen zu anderen Systemen beobachtbar sind. In diachroner Perspektive haben wir nur am Beispiel der Kunst die evolutionäre Geschichtlichkeit von Nebencodierungen verdeutlicht. Gleichwohl ließe sich solch eine Historisierung von Nebencodierungen auch an anderen Funktionssystemen vorführen. Nicht nur die Beobachtung der >Ökonomisierung des Sozialen< allgemein, sondern auch die Beschreibungen der entsprechenden Prozesse in den einzelnen Funktionssystemen sind ja - wie wir gesehen haben recht einhellig ab etwa Anfang der 90er Jahre zu finden. Auch wenn man die mögliche These, auch zu anderen Funktionssystemen als der Wirtschaft seien in dieser Zeit in vergleichbar universeller1 Weise erWir haben die Nebencodierung von Funktionssystemen nur an vier Beispielen gezeigt. Man könnte leicht eine ähnliche Entwicklung in der Wissenschaft nachweisen (Exzellenz, Qualität, Wettbewerb). Warum - zumindest auf den ersten Blick- das Rechtssystem und das System der Religion bei der Ökonomisierung außen vor zu bleiben scheinen, ist zwar eine sehr interessante Frage, deren Beantwortungsversuch diesen Rahmen al132

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folgreiche Nebencodierungen zu konstruieren, kaum falsifizieren kann, scheint eine solche Annahme kaum überzeugend. 2 Eine >Transzendentalisierung des Sozialen< würde nach dem Mittelalter- wenn man mal von der durchaus wichtigen Tatsache absieht, daß damals keine funktionale Differenzierung vorlag - niemand behaupten wollen. Eine Politisietung des Sozialen hätte man vielleicht noch bis zu den 80er Jahren beschreiben wollen; in den 50er Jahren wohl eine Technisierung und davor vielleicht eine Vetwissenschaftlichung. Keine dieser Thesen wollen wir hier zu belegen versuchen. Es scheint aber doch nicht besonders gewagt zu behaupten, daß ein solcher Versuch zu den dafür angegebenen Zeiten weitaus erfolgversprechender anmutet, als wenn man die entsprechenden Entwicklungen in dem Zeitraum seit den 90er Jahren verorten wollte. Worauf es hier ankommt, ist lediglich die evolutionäre Geschichtlichkeit dieser Vorgänge. Die Systemtheorie Luhmanns versucht nicht, eine Teleologie oder eine Dialektik geschichtlicher Ereignisse zu begründen, sondern beläßt es bei der schlichten Kontingenzbehauptung: Es hätte auch ganz anders kommen können, war nicht notwendig, aber möglich. Wir wollen trotzdem die Frage stellen, ob die seit etwa Anfang der 90er Jahre beobachtete Entwicklung einer Ökonomisietung der Gesellschaft im Sinne der Ausbildung von Nebencodierungen verschiedener Funktionssysteme zur Wirtschaft- völlig kontingent ist, oder ob sich nicht wenigstens Voraussetzungen dieser Entwicklung nennen lassen. Von Gründen und Ursachen zu sprechen, wäre bei einem solch komplexen Sachverhalt, der ja gerade nicht auf linearen (Ursache-Wirkung), sondern dynamischen, zyklischen Prozessen aufbaut, sicherlich völlig unangemes-

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lerdings sprengen würde, da man natürlich auf genauere Einsichten in die betreffenden Systeme zurückgreifen müßte. Wenn man nun davon ausgeht, daß systemtheoretisch plausibel von einer Ökonomisierung der Gesamtgesellschaft gesprochen werden kann, heißt das noch nicht, daß damit eine >Verwissenschaftlichung< oder >Politisietung< einzelner Funktionssysteme ausgeschlossen ist. Es ist beispielsweise denkbar, daß es zu synergetischen Effekten verschiedener generativer Metaphorisietungen (Nebencodietungen) kommt. Im Falle des Erziehungssystems ist leicht vorstellbar, daß eine Verwissenschaftlichung der Erziehung erst den Boden einer Ökonomisierung bereitet. Am Beispiel der Renaissancekunst haben wir zu zeigen versucht, daß es zu etwas wie einer Kopplung von Nebencodierung kommen kann, wenn das Schöne zugleich als das wissenschaftlich Wahre und das Göttliche aufgefaßt wird. Eine Verwissenschaftlichung, Verrechtlichung, Ästhetisierung oder Politisierung aller Funktionssysteme scheint doch im Gegensatz zu einer Ökonomisierung aller Funktionssysteme empirisch nicht überzeugen zu können, wobei natürlich jederzeit empirisch das Gegenteil nachgewiesen werden kann.

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sen. Notwendige Voraussetzungen dieser Entwicklung sind hingegen unschwer zu nennen. Dem biologischen Dominanzbegriff zufolge kann die Wirtschaft ganz eindeutig als das dominierende System beschrieben werden, erstens aufgmnd ihres »ecological and evolutionaty impact [ .. .] on the coexisting fauna and flora« (Wilson 1990: 19), womit hier natürlich andere Funktionssysteme in der gesellschaftlichen Umwelt gemeint sind. Wohlgemerkt haben wir nicht von vornherein die Wirtschaft als das dominierende System angesetzt, sondern in einer speziellen evolutionären (geschichtlichen) Situation den >impact< des Wirtschaftssystems an seinem Umwelteinfluß auf andere Systeme gesucht, wenn man >impact< verstehen darf als die Beobachtung der verstärkten und vorrangigen Evolution von Nebencodiemng anderer Funktionssysteme zur Wirtschaft. Der Einfluß (impact) läßt sich im Stömngsparadigma konstmieren und wird so auch in der Biologie verstanden. Zu der Frage, wamm es zu der Situation kommt, daß andere Systeme sich operativ an der Wirtschaft orientieren, d.h. entsprechende Nebencodierungen ausbilden, kann man den zweiten Bestandteil der biologischen Dominanzdefinition ins Felde führen, nämlich »the relative abundance of the clade in comparison with related clades« (Wilson 1990: 19). Der rein quantitative Sachverhalt, daß bestimmte Systeme >mehr< oder schneller kommunizieren als die anderen Systeme, kann zu einem verstärkten >impact< auf andere Systeme und somit zu Dominanz fuhren. Man kann sich das leicht vorstellen, wenn man sich nicht-, bzw. fremdcodierte Kommunikation als eine Art von Umweltverschmutzung vorstellt. Die Umwelt eines jeden Funktionssystems besteht aus störenden, d.h. nicht-anschlußfähigen, aber gleichwohl beobachtbaren Kommunikationen. Wir haben gezeigt, daß Systeme unter der Bedingung operativer Geschlossenheit sehr wohl Operationen anderer Systeme beobachten können, wenn auch nicht deren operative Verkopplungslogik Sie finden also nicht einfach nur >Rauschen< in ihrer Umwelt vor, sondern bestimmte symbolische Formen im Sinne Ernst Cassirers (1994), die aufgmnd ihrer unwahrscheinlichen Form als Kommunikationen (intentional Hervorgebrachtes) erkennbar sind. Zudem sind die jeweiligen symbolischen Formen in ihrer spezifischen Anders-Codiertheit erkennbar: Die Politik kann eine Zahlung von einem Kunstwerk unterscheiden, auch wenn sie als Politik an keine der beiden symbolischen Formen anschließen, noch deren operative >Logik< durchschauen kann. Man kann also in jedem Fall von einer Nichtbeliebigkeit der Umweltstötungen sprechen, wenn das heißen soll, daß es für Systeme einen Unterschied macht, an welche Kommunikationen sie jeweils nicht anschließen können. Daraus folgt, daß die Motivation, besondere Einrichtungen zum Umgang mit spezifischen Störungen 134

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zu evaluieren, mit der Quantität dieser spezifischen Störungen zusammenhängen kann. Das gilt natürlich schon für die strukturellen Kopplungen (System-Umwelt-Beziehungen), aber eben auch für die entsprechenden Einrichtungen auf operativer Ebene (systemintern), die wir als Nebencodierungen beschrieben haben. Daß sich die Quantität von Wirtschaftsoperationen, also Zahlungen für Güter und Leistungen, mit der infrastrukturellen Vernetzung (globale Märkte) und vor allem durch die Möglichkeit des elektronischen Zahlungsverkehrs enorm erhöht hat, steht außer Zweifel. Auch relativ gesehen- und nur darum geht es ja- kann man mit Sicherheit sagen, daß die quantitative Zunahme von Wirtschaftsoperationen die Entwicklungen der anderen Funktionssysteme übersteigt. Man könnte etwa darauf verweisen, daß die Kommunikationen aller anderen Funktionssysteme zeitund geldaufwendiger sind als Zahlungsoperationen. Elektronischer Zahlungsverkehr kostet so gut wie nichts und beansprucht so gut wie keine Zeit. Auch der Warentransport wird durch die technologische Entwicklung in einem höheren Maße billiger und schneller, als diese Entwicklungen anderen Systemen zugute kommen. Zwar ermöglicht das Internet den Wissenschaftlern auch schnelles und billiges Publizieren; das Produzieren von wissenschaftlichen Texten wird hierdurch nicht in einem vergleichbar hohen Maße erleichtert. Für die besonders interaktionsabhängigen Systeme wie Erziehung und Gesundheit bleibt trotz aller technologischer Hilfsmittel stets der natürliche Limitationsfaktor des menschlichen Handeins erhalten. Wenn man also von der sozusagen quantitativen Dominanzbedingung der Wirtschaft ausgehen kann, stellt sich die Frage, wie aus der Quantität der Störungen ein qualitativer >impact< werden kann. Es gibt in der allgemeinen Systemtheorie eine ganze Reihe von mathematischen und naturwissenschaftlichen Modeliierungen dieses Emergenz- oder allgemeiner Order-from-noise-Problems3 . Für unseren Fall genügt es, auf die Eigenart rückgekoppelter, d.h. dynamischer, zyklischer Prozesse zu verweisen, die wir an einem einfachen mathematischen Beispiel verdeutlicht haben. Diese Prozesse können nicht nur selbstverstärkend sein (positives feed-back), sondern zeitigen unvermittelte Übergange von Chaos zu Ordnung, was schon als Emergenz bezeichnet werden kann. Wenn also ein Funktionssystem ständig von Wirtschaftsoperationen gestört wird, kann es eine Umgangsweise mit diesen Störungen ausbilden (strukturelle Kopplung), die auf die Wirtschaftsoperationen positiv rückwirkt. Nehmen wir an, Systeme evaluieren bestimmte Organisationsfor-

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Eisenhardt/Kurth/Stiehl 1995; Völcker 1984; Knobloch 1992; Saunders 1986; Mihata 1997; Haken 1983; Brown 1995.

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men des effizienteren Umgangs mit Zahlungen und Zahlungsforderungen, so werden diese Einrichtungen der strukturellen Kopplung wirtschaftliche Operationen vereinfachen, bzw. beschleunigen. Die derart >beschleunigte< Wirtschaft wird dann natürlich wieder höhere organisatorische Anforderungen stellen usw. Damit hätten wir schon ein Beispiel flir positive Rückkopplung im Bereich der strukturellen Kopplung. Daß eine solche Dynamik auf den Systemprozeß selbst und nicht nur dessen Umweltbezug rückwirken kann, ist leicht vorstellbar. Die Evolution einer Nebencodierung zur Wii1schaft ließe sich dann als ein emergentes Phänomen auf der Grundlage positiv rückgekoppelter SystemUmwelt-Prozesse verstehen. Das heißt gerade nicht, daß die Grenze von struktureller Kopplung und systeminterner, operativer Ebene aufgeweicht wird oder ein Durchgriff der einen Ebene in die andere ermöglicht werden soll. Emergenz bezeichnet ja gerade einen ebenenüberschreitenden (und damit ebenenkonservierenden) Vorgang mit nicht-linearen Mitteln. Auch wenn Emergenz genauso wenig in Begriffen von Ursache und Wirkung beschrieben werden kann, wie die Phänomene, die der Begriff erklären soll, handelt es sich aber nicht um ein reines Erklärungsprinzip, also etwas, das im Sinne Batesons alles und nichts erklärt (vgl. Bateson 1985: 73). Emergenz ist vielmehr der Begrifffür die Paradoxie der Gleichzeitigkeit von Kontinuität und Diskontinuität beim Entstehen von Neuern generell, die nicht von der Hand zu weisen ist. Einerseits gilt: die Evolution non jacit saltus, andererseits muß sie Sprünge machen: »Emergenz spielt im Rahmen der Selbstorganisationstheorien eine wesentliche Rolle. Aber eine Theorie der Emergenz soll nicht nur jene transformativen Evolutionsschritte beschreiben. Die Entstehung einer neuen dynamischen Struktur erfordert einen kontinuierlichen Prozeß, der Übergang zur neuen Struktur erfordert Diskontinuität. Die Struktur der Evolution ist somit sowohl zusammenhängend als auch unzusammenhängend« (Völcker 1998: 57f.). Das Problem also, wie aus der quantitativen Dominanz der Wirtschaft (strukturelle Kopplungen) eine qualitative Dominanz (Ausbildung von Nebencodierungen zur Wirtschaft) entsteht, wird mit der Nennung des Emergenzbegriffs natürlich nicht gelöst. Es wird aber deutlich, daß es sich um eine generelle theoretische Paradoxie handelt, die allerdings evolutionär (wie auch immer) stets schon entfaltet ist.

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Ökonomisierung der Gesellschaft und Kolonialisierung der Lebenswelt Unsere Untersuchung der Ökonomisierung der Gesellschaft hat an keiner Stelle die Teilnehmerperspektive eingenommen und etwa danach gefragt, »wie die Lebenswelt als der Horizont, in dem sich die kommunikativ Handelnden >immer schon< bewegen, ihrerseits durch den Strukturwandel der Gesellschaft im ganzen begrenzt und verändert wird« (Habermas 1985: 182). Wenn man nicht wie Habermas von einer »Gleichzeitigkeit von System und Lebenswelt« (Jäger/Baltes-Schmitt 2003: 141) ausgeht, sondern Kommunikation mit Luhmann (1987) als »basalen Prozeß« (192) und somit sozusagen als »Letztelement« (193) in den Blick nimmt, handelt es sich bei jeder Frage nach » Austauschbeziehungen zwischen Subsystemen und Lebenswelt« (Habermas 1985: 523) um ein mindestens sekundäres, wenn nicht sogar um ein kaum zu konstruierendes Problem. >Handlung< und >Lebenswelt< können in der Systemtheorie ja nichts anderes als kommunikativ erzeugte, kontingente Differenzen sein, die eben konstruiert werden können, aber nicht müssen. Aus einer moralischen Perspektive, wie sie Habermas einnimmt, kann man dem Systemfunktionalismus daher sicherlich eine gewisse Teilnahmslosigkeit vorwerfen: »Er zieht nämlich die Schicksale, die sich an kommunikativ strukturierten Lebenswelten vollziehen, auf die Ebene der Mediendynamik und nimmt ihnen, indem er sie aus der Beobachterperspektive an Ungleichgewichte intersystemischer Austauschbeziehungen assimilie1t, die Bedeutung von identitätsbedrohenden Deformationen, als die sie aus der Teilnehmerperspektive wahrgenommen werden« (Habermas 1985: 552). Es gibt eine Reihe von Gründen, sich in der hier behandelten, von systemtheoretischem Boden ausgehenden Thematik nicht mit dem Problem der Lebenswelt auseinanderzusetzen. Zunächst einmal ist der Begriff der Lebenswelt schlichtweg zu anspruchsvoll. Von der Warte der Systemtheorie aus handelt es sich sogar weniger um einen Begriff als um einen äußerst komplexen Zusammenhang, der mindestens die Begriffe von Kommunikation, Bewußtsein, Handlung, Interpenetration, Welt und struktureller Kopplung unmittelbar in Anspruch nimmt und zudem die »erhebliche Belastung« (Luhmann 1987: 553) des Nichtzusammenfallens der ebenfalls durch den Begriff des >kommunikativen Handelns< anfallenden Differenzen »System/Umwelt und Gesellschaft/lnteraktion« (Luhmann 1987: 553) in sich birgt.

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Es stellt sich demnach die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, diese komplexen Zusammenhänge zugleich erfassen zu wollen. Nach Ansicht von Luhmann ist schon allein der Versuch, den Menschen insoweit berücksichtigen zu wollen, daß man Gesellschaft und Bewußtsein im Zusammenhang sieht, nicht mehr sinnvoll, seit wir ein »nicht mehr integrierbares Wissen über psychische und soziale Systeme« (Luhmann 200lc: 94) haben. Des weiteren ist zu bedenken, daß es - selbst wenn es gelänge, den Begriff der Lebenswelt systemtheoretisch nachzuvollziehen - ausgeschlossen ist, »Austauschbeziehungen zwischen Subsystemen und Lebenswelt« (Habermas, 1985: 523) zu konstruieren. Man könnte systemtheoretisch also bestenfalls fragen, wie psychische Systeme die als Ökonomisierung beschriebenen sozialstruktureilen Prozesse beobachten, keinesfalls aber nach wechselseitigen Beziehungen zwischen psychischen und sozialen Systemen, die - etwas überspitzt gesagt - »völlig überschneidungsfrei nebeneinander« (Luhmann 200 I a: 123) bestehen. Jedenfalls ist nicht an eine Kommunikationsmöglichkeit zwischen Kommunikation und Bewußtsein zu denken. Deshalb verließe man, wenn man etwa mit Habermas (1985) das »Alltagsbewußtsein« (521) ins Spiel brächte, radikal den Diskurs und würde über einen völlig anderen Sachverhalt sprechen, der keine direkte Verbindung zu Problemen zwischen Funktionssystemen mehr hätte. Ob das >AlltagsbewußtseinKolonialisierung der Lebenswelt< die These vertritt, »daß die mediengesteuerten Subsysteme Wirtschaft und Staat mit monetären und bürohatischen Mitteln in die symbolische Reproduktion der Lebenswelt eingreifen« (522), indem die »Imperative der verselbständigten Subsysteme [ ... ] von außen in die Lebenswelt« (522) eindringen, haben wir uns gerade darum bemüht, erstens die Raummetapher des innen/außen zu vermeiden, zweitens die notwendige operative Schließung sozialer Systeme zu beachten, die jedes >Eingreifen< verbietet und drittens Steuerung im allgemeinen nicht auf komplexe dynamische Prozesse anzuwenden.

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SCHLUSS UND AUSBLICK

Zu Anfang der Arbeit haben wir gesehen, daß es systemtheoretisch keine Möglichkeit gibt, die Rede einer Ökonomisierung der Gesellschaft im Sinne einer Steuerung anderer Funktionssysteme durch die Wirtschaft zu verstehen, da Steuerung und Dominanz mit dem Theorem der operativen Systemschließung unvereinbar sind. Alle System-System-Beziehungen müssen systemtheoretisch im Rahmen von strukturellen Kopplungen konstruiert werden. Neben einigen Schwierigkeiten, die dieser Begriff bietet, reicht er auf jeden Fall nicht hin, um die seit etwa Anfang der 90er Jahre konstatierte und beklagte Ökonomisierung der Gesellschaft bzw. einzelner Funktionssysteme auch nur sehen zu können. Als erster Gewinn unserer Untersuchung dieses Themas mit den Mitteln der Systemtheorie kann die Abweisung jeglicher umproblematisierter Behauptungen, die Wirtschaft >mache etwas mit anderen SystemenschreibenRauschen< oder >Störungunmögliche< Anschluß von codierten Kommunikationen an anders-codierte Kommunikationen kann so intern metaphorisch ablaufen, ohne je zu einer tatsächlichen Anschließung zu führen. Empirisch erscheint dieses Phänomen als paradoxer Versuch eines Funktionssystems, die eigene Operationsweise als zugleich die Operationsweise eines anderen Systems aufzufassen, indem die Präferenz der Codierung metaphorisch als zugleich die Präferenz eines anderen Systems gesehen wird. Auf diese Weise wird es möglich, >Ökonomisierung der Gesellschaft< systemtheoretisch als die Evolution von Nebencodierungen verschiedener Funktionssysteme zur Wirtschaft zu deuten. Man kann dann sehen, daß es sich um eine relevante Entwicklung handelt, in dem Sinne, daß sich die Systemoperationen der jeweiligen Funktionssysteme tatsächlich verändern, um einen internen Bezug zur Wirtschaft darstellen zu können. Es kann zudem empirisch gezeigt werden, daß die Ausbildung von Nebencodierungen zur Wirtschaft - bei manchen Systemen mehr als bei anderen -zu belastenden Konflikten führt, indem Systeme durch die metaphorische Modulation ihres Präferenzwertes in Abstand zu ihrer Funktion geraten. Des weiteren wird ersichtlich, daß es sich bei der oft beklagten Ökonomisierung nicht um eine Aktivität der Wirtschaft handelt, sondern um die autonome Reaktion verschiedener Punktionssysteme auf den rein quantitativen Erfolg der Wirtschaft. Wollte man gar Lösungsvorschläge dahingehend machen, wie mit der so verstandenen Ökonomisierung der Gesellschaft umzugehen wäre, ergäbe sich eindeutig, daß nur die jeweiligen - sich als ökonomisiert beschreibenden- Systeme verantwortlich und handlungsfahig und deshalb in dieser Frage adressierbar sind. >Adressierbar< kann in Bezug auf Funktionssysteme natürlich nicht heißen, daß Personen oder andere Funktionssysteme sich >an sie wenden< oder sie >ansprechen< könnten, sondern bezeichnet, wo das Problem, das man konstruiert hat, verortet ist. Die Probleme, die man unter dem Schlagwort der Ökonomisierung faßt, liegen in dem autonomen Operationsbereich der als >ökonomisiert< beobachteten Systeme und nicht >in der Wirtschaftdabei denktStellen< in der Luft rauschen oder trübe sind, sondern der gesamte flir Formenbildungen verwendbare mediale Bereich. lst es völlig undenkbar, daß sich Medien wie >WählerschaftÄrzteschaft< oder >die Lehrer< auf eine Weise kollektiv verändern, die bestimmte Formenbildungen- wie z.B. die Ökonomisierung eine ist- nicht mehr ermöglicht? Lehrer können darauf verzichten, >qualitativgewollt< als Geld, Gesundheit, Macht, Transzendenz, Liebe oder Recht. 1 Kunst kann es sich also kaum leisten, auf die Nebencodierung zur Wirtschaft zu verzichten, da das >erfolgreiche Schöne< Aufmerksamkeit in enormem Ausmaß akquirieren kann (Blockbuster-Ausstellungen, Stardom). Man kann vermuten, daß es der Kunst als Kunst schadet, das Schöne als das Erfolgreiche darstel-

Weshalb das interesselose Wohlgefallen bei der Betrachtung des Schönen (vgl. Kant 1990) in seiner >ReinheitFiiiher war alles besser< hinreißen zu lassen, was aber noch lange nicht heißt, daß man eine neutrale, geschweige denn konservative Position zu gesellschaftlichen Entwicklungen einnehmen muß. Gesellschaftliche Entwicklungen sind nach dem systemtheoretischen Evolutionsbegriff ja gerade nicht notwendig, teleologisch >zielftlhrend< oder gar >sinnvollÖkonomisierung der Gesellschaft< an die Hand geben will, erleichtert einerseits die Aufrechterhaltung einer wissenschaftlichen Einstellung und weist andererseits dem normativen Denken die sozusagen komplementäre Rolle zu: nicht die der Erkenntnis dessen, was ist, sondern dessen, was sein soll.

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