Paulus im Drama [Reprint 2019 ed.] 9783111442167, 9783111075860

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INHALTSVERZEICHNIS
I. PAULUS IM DRAMA DES MITTELALTERS
II. PAULUS IM HUMANISMUS DES AUSGEHENDEN 15. UND BEGINNENDEN 16. JAHRHUNDERTS
III. PAULUS IM DRAMA DER REFORMATION
IV. PAULUS IM SPÄTHUMANISMUS DES AUSGEHENDEN 16. UND BEGINNENDEN 17. JAHRHUNDERTS
IV. PAULUS IM SPÄTHUMANISMUS DES AUSGEHENDEN 16. UND BEGINNENDEN 17. JAHRHUNDERTS
V. PAULUS IM DRAMA DES BAROCK UND DES 18. JAHRHUNDERTS
VI. PAULUS IM DRAMA DES 19. UND 20. JAHRHUNDERTS
QUELLEN
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Paulus im Drama [Reprint 2019 ed.]
 9783111442167, 9783111075860

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STOFF- UND MOTIVGESCHICHTE DER DEUTSCHEN LITERATUR

Stoff- und Motivgeschichte der deutschen Literatur Herausgegeben von

Paul Merker und Gerhard Lüdtke

13

EMRICH

P A U L U S IM D R A M A

1

9

3 4

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung / J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer / Karl J. Trübner / Veit & Comp.

Berlin und Leipzig

PAULUS IM DRAMA Von

WILHELM E M R I C H

WALTER DE G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung / J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer / Karl J. Trübner / Veit & Comp.

Berlin und Leipzig

Printed in Germany

A r c h i v - N u m m e r 4 5 1 5 34

Gedruckt bei Otto v. Holten G.m.b.H., Berlin O 17

MEINER MUTTER

INHALTSVERZEICHNIS Seite

I. Paulus im Drama des Mittelalters 1. Historische Voraussetzungen zur Dramatisierung des Paulusstoffes im Mittelalter 2. Paulus im liturgischen Drama 3. Paulus in den spätmittelalterlichen Mysterien a) „La convercion S. Pol" (ed. Jubinal) Anhang: Weitere Mysterien, die das Martyrium von Petrus u. Paulus behandeln b) „The conversion of St. Paul" (Digby-Plays Nr. 2) c) „Mystère des Actes des Apôtres" der Gebr. A. und Simon Greban II. Paulus im Humanismus des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts III. Paulus im Drama der Reformation 1. Valentin Boltz: Tragicocomoedia Sant Pauls bekerung, Basel 15 51 2. Johann Struthius: Die Bekerung S. Pauli, Nürnberg 1572 . . . . 3. Joh. Brummerus: Tragicomoedia Actapostolica (1592) Anhang: Reformatorische Dramen des 16. Jahrhunderts, in denen Paulus auftritt IV. Paulus im Späthumanismus des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts 1. Ach. Curaeus: Historia Conversi Pauli, Carmine reddita (1562) . . 2. Casp. Reppusius: Conversio D. Pauli Apostoli Carmine conscripta (1581) 3. Paulus im späthumanistischen Schuldrama a) Cornelius Schonaeus: Saulus (1591) b) Balth. Crusius: Paulus naufragus (1609) V. Paulus im Drama des Barock und des 18. Jahrhunderts 1. Frühzeit des Jesuitendramas 2. „Die teutsche Comoedi von dem H. Apostel Fürsten Paulo", Ingolstadt 1631

i i 6 10 10 20 20 27 32 36 38 41 45 50 51 51 52 55 56 60 64 64 66

Seite

3. „Petrus und Paulus Das ist: Ein Christliches Schawspil vom Leben / Wandel / Marter vnd Todt Zweyer Fürsten deß rechten vnd wahren Glaubens" Augsburg 1659

72

4. J. v. Vondel: „Peter en Pauwels", Treurspel 1641

74

5. Paulus im Drama des Spätbarock

80

a) „Tyrannus Sibi ipsi Tyrannus oder etc. ( 1 7 2 1 )

81

b) „Petrus et Paulus. Tragödia" (Köln 1736)

82

6. Aufklärerische Elemente im späten Jesuitendrama

86

7. Paulus in der Aufklärung

90

VI. Paulus im Drama des 19. und 20. Jahrhunderts 1. Paulus im Drama der 30er und 40er Jahre des 19. Jahrhunderts . .

92 92

a) Wilh. Angelstern: Paulus, Eine Tragödie, 1836

92

b) Sig. Wiese: „Paulus, ein Drama" 1836

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2. Paulus im deutschen Drama bis zum Ende des 19. Jahrhunderts . .

98

3. Paulus in der primitiven Vereinsbühnendramatik des 19. und 20. Jahrhunderts 4. George Moore, German, Franz Werfel

103 108

a) George Moore: The Apostle, 1 9 1 1

108

b) German: Der Paulusjünger, 1921

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c) Franz Werfel: Paulus unter den Juden, 1926

112

5. Paulus als symbol. Hintergrund zu modernen Stoffen a) Arne Garborg: Paulus, Schausp. in 5 Aufz., 1898

119 120

b) Rolf Lauckner: Der Sturz des Ap. Paulus, 1918

121

c) G. Stommel: Der W e g nach Damaskus, Tragödie

123

d) Aug. Strindberg: Nach Damaskus

124

Quellen

130

I. P A U L U S IM D R A M A D E S M I T T E L A L T E R S i . Historische Voraussetzungen zur Dramatisierung des Paulusstoffes im Mittelalter Die erste dramatische Gestaltung des Paulusstoffes im Mittelalter führt uns bis zu den Anfangen des neueren Dramas, d. h. bis zum liturgischen Spiel. Die Wandlung vom Liturgischen zum Drama spielte sich nicht nur in der Osterliturgie ab, von der die ersten dramatischen Formen ausgingen, sondern ergriff in einem Parallelvorgang auch bald alle übrigen liturgischen Stoffe. In strenger „Anpassung an den Verlauf des Kirchenjahres, beziehungsweise der außerordentlichen Veranlassung der einzelnen Meßfeier" 1 wurden die Hauptfeste der Kirche liturgisch begangen und weitergestaltet, unter anderem auch das Fest von Pauli Bekehrung (25. Januar), von dem uns ein liturgisches Drama aus dem frühen 13. Jahrhundert vorliegt 2 . Ausschlaggebend für die Gestalt, in welcher der Paulusstoff in dieses Spiel einging, ist die Stellung des Mittelalters zum Stoff als solchem. Im Unterschied zu modernen Kunstanschauungen bietet der Paulusstoff dem Mittelalter kein „Problem", das aus dem Stoff oder durch den Stoff darzustellen ist und also ablösbar wäre von dem konkreten Material des Stoffes. Der Dichter steht nicht „frei über dem Stoff", den er beliebig interpretieren oder „dramatisieren" darf, sondern Problem und Stoff fallen völlig in eins, das Problem ist im Stoff versenkt und als solches überhaupt verschwunden, sodaß nur noch Stoff erscheint. Der extreme Spannungsreichtum, den wir heute in der Gestalt des Apostels Paulus sehen3, besteht für das Mittelalter nicht. Durch die jahrhundertelange Arbeit der Dogmenbildung ist Paulus zu einem fest fixierten Bild geworden, das wohl weiter ausgebaut werden kann, aber prinzipiell nicht mehr zu verwandeln ist. ' Robert Stroppel: Liturgie und geistliche Dichtung zwischen 1050 und 1300. Mit besonderer Berücksichtigung der Meß- und Tagzeitenliturgie. In: Deutsche Forschungen, hrsgeg. von Fr. Panzer und Jul. Petersen, Heft 17. Frankfurt a. M. 1929. S. 7. • Siehe unten S. 6. 1 Siehe: Rob. Steiger: Die Dialektik der paulinischen Existenz, in: Untersuchungen zum N. Test. H. 20. Leipzig 1931. Ferner: W. Mundle: Das religiöse Leben d. Ap. Paulus. Leipzig 1913. Eine Zusammenfassung der früheren Paulusforschung gibt: Albert Schweitzer: Geschichte der paulinischen Forschung von der Reformation bis auf die Gegenwart. Tübingen 1911. Einrieb, Paulus z

2

P A U L U S IM D R A M A DES M I T T E L A L T E R S

Daraus aber ergibt sich die umgekehrte Seite des Stoffproblems: Auch der bloße Stoff, die historische Zuordnung des Stoffes, der historische Paulus, ist verlorengegangen und nur seine dogmatische Zuordnung geblieben. Der Stoff ist vor den Hintergrund eines universalen Dogmengebäudes gebannt, er wird transparent zu diesem hin, d. h. er erhält nunmehr eine bestimmte Richtung und Bedeutung für ein System, eine feste und scharf umrissene Funktion für einen hinter ihm stehenden Bezug. Paulus als Problem in dem vagen Sinne der Moderne ist verschwunden, er ist zum bloßen Stoff geworden, aber zu einem Stoff, der „Bedeutung" hat, und zwar eine präzise, genau bestimmbare Bedeutung im Zusammenhang des kirchlichen Ordo. Das eindeutige, unveränderte Bild einer Figur auf einen eindeutigen dogmatischen Begriff bezogen, damit ist der allegorische Charakter dieser frühen mittelalterlichen Dramatik und geistlichen Kunst beschrieben. Schon die frühesten Bemühungen des Christentums um das Paulusbild weisen auf eine dogmatisch-allegorische Einordnung hin. Die apokryphen Apostelgeschichten 1 , die im 2. bis 4. Jahrhundert entstanden, stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit den großen Legendenbildungen dieser Zeit, wie sie Lucius 2 und Reitzenstein 3 beschrieben haben. Das Leben der Heiligen wird damals enthistorisiert, sehr stark überhöht und in ein bestimmtes Schema gebracht, das sich in fast allen Legenden und den zahllosen Paulusviten 4 späterer Zeit gleichmäßig wiederfindet. Es handelt sich dabei im wesentlichen um Bekehrung und Martyrium, die von Wundern umsponnen werden, um die übernatürlichen Gnadenmittel Gottes und die Macht der Kirche gegenüber dem Reich der Welt und des Teufels zu beweisen. Der dogmatische Hintergrund dieser Erzählungen bildet die streng dualistische Konfrontation von Gottesreich und Weltreich: Petrus und Paulus werden in Rom unmittelbar mit der Macht des Kaisers konfrontiert, der, als Nero, teuflischtyrannische Züge annimmt. Durch das Martyrium, die standhafte Überwindung des Fleisches, und erstaunliche Wundertaten brechen die Apostel die Macht des Kaisers, zerstören die Magie des Heidentums (Himmelssturz des Simon Magus) und legen in demselben Rom die Grundfesten der Kirche (Einsetzung des ersten 1

„Acta apostolorum apocryphae" ed. R. A. Lipsius und M. Gönnet, z Bde. Leipzig 1891 und 1898. Dazu:

R. A. Lipsius: Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden. 3 Bde. Braunschweig 1883—90. * Ernst Lucius: Die Anfänge des Heiligenlebens in der christlichen Kirche. Tübingen 1904. • R. Reitzenstein: Hellenistische Wundererzählungen. Leipzig 1906. 4

Die bekanntesten Paulus-Viten sind:

a) „Vita Pauli" von Hieronymus, ed.: Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristl. Lit. X I V (1), Leipzig 1896. Eine dtsche Interlinearversion dieser Vita in St. Gallen und München (9. Jahrh.). zit.: Steinmeyer-Sievers: Die ahd. Glossen. Bd. 4. b) Eine Paulusvita des Papstes Damasus, mit ahd. Glossen in der Prager fürstl. Lobkowitzschen Bibl. z i t : Steinm.-Siev. a. a. O . 4. Bd.

HISTORISCHE VORAUSSETZUNGEN

3

Papstes Clemens). Schon im 4. Jahrhundert wird darum das Fest des Martyriums Petri et Pauli gefeiert 1 . Die beiden Apostel werden bereits zu Exempeln. Ebenso wird die Bekehrung des Paulus zum Exempel für die unbegreifliche Gnade Gottes, die aus einem tyrannischen Verfolger einen Heiligen, aus „einem Wolf ein Lamm" gemacht hat. Diese letztere augustinische Formel ist ein stehendes Attribut geworden, das in die Breviere und damit in den liturgischen Zyklus aufgenommen wurde 2 . Als bekehrter Sünder wird Paulus auf Bußsakrament und Beichte hin interpretiert3. Die spezifische Lehre des Paulus aber ist verloren gegangen. Zwar wird er noch der große „Lehrer und Prediger" der Kirche genannt und diese Bezeichnung geht sogar formelhaft durch Liturgien und Sequenzen4. Aber der Inhalt seiner Lehre, bis Tertullian noch heftig umstritten — Tertullian nannte ihn einmal im Zorn über die ketzerischen Auslegungen Marcions den „haereticorum apostolus" 5 — , steht nicht mehr im Mittelpunkt. Er hatte seine dogmatische Festlegung gefunden und war damit subjektiven Eingriffen entzogen. Seine Lehre wird zum bloßen Gegenstand des Lehrens. Sie verliert ihre Besonderheit etwa gegenüber den vier Evangelisten oder den Petrus- und Jakobusbriefen. Paulus wird den übrigen 1 2 Aposteln völlig nebengeordnet: Nach der apokryphen Legende, die wie alle Legenden beinahe größere Bedeutung als die Bibel hatte, ist jedem Apostel ein besonderes Missionsland auf der ganzen damals bekannten Erde, in Arabien, Indien, Ägypten etc. zugeteilt. Paulus wird nach Griechenland, Petrus nach Rom etc. geschickt zur Predigt. Sogar der historische Ort ihrer Predigt ist damit aus der Geschichte herausgetreten und zur allegorischen Funktion geworden: Griechenland gehört zum Begriff Lehre, Doctor, Paulus, wie Rom zum Begriff Kirchengründung, Bischofsamt, Petrus. Die Erde ist zum überschaubaren Raum geworden, in dem statisch einzelne Bedeutungen nebeneinander stehen. Ein einziges geschichtliches Moment bleibt noch erhalten, das heilsgeschichtliche. So ist Abel auf Christus bezogen, Moses' Durchgang durch das Rote Meer auf den Weg der Seele durch den Tod zum Paradies etc. Die geschichtliche Erzählung wird zwar in ihrer genauen überlieferten Stofflichkeit belassen, und keine Veränderung oder „Vertiefung" des Stoffes im modernen Sinne durch Unterlegung von „Problemen" ist erlaubt. Aber gerade in ihrer reinen Stofflichkeit, ihrem Abgetrenntsein von allem historisch realen Boden, wird der Stoff zum freskenhaften Entwurf eines allgemeinen universalen Heils1

R . Stroppel a. a. O. S. 123.

• G . Ehrismann: Gesch. d. dtschen Lit. bis z. Ausg. des M.A., München 1922, Bd. II, S. 182. • S. Ehrismann a. a. O. Bd. 1. S. 160. • S. z. B. die Paulussequenz von Eckehard I.: „ D e sanctissimo Paulo apostolo ac gentium doctore in commemorationem ejusdem sequentia" gedr. bei K . Bartsch: Die lat. Sequenzen des Mittelalters, Rostock 1868. • Dobschütz, Ernst v . : „ D e r Ap. Paulus", Halle 1926, S. 38 zitiert diese Tertullianstelle. Uber die Schrift Tertullians gegen Marcions Paulinismus s. Adolf Harnack: Dogmengeschichte, Freiburg i. Br. 1898, § 14, und Ad. Harnack: Marcion, 1921. 2. Aufl. 1928. 1*

4

PAULUS IM D R A M A DES MITTELALTERS

plans, zu dem er allein noch Vordergrund bildet. So stehen die drei großen Momente bei Paulus, Martyrium, Bekehrung und Lehre, schließlich als einzelne Statuen, losgelöst von Raum und Zeit des historischen Paulus, vor dem mittelalterlichen Universalismus, Exempel bietend und Gleichnis für dessen Gnadenmittel 1 . Damit ist bereits eine Antwort auf die Frage gegeben, wie in einer solchen Welt überhaupt dramatische Formen entstehen konnten. Ein Drama im modernen Sinne ist hier natürlich unmöglich. Die unauflösliche Dissonanz entgegengesetzter Kräfte, die das neue Drama seit Shakespeare in einen unendlichen Fluchtpunkt zieht, ist für das Mittelalter undenkbar. Auch die viel vertretene Annahme, es handle sich im mittelalterlichen Drama um ein ewiges Ringen zwischen Gott und Teufel, ist unzulänglich, da der Kampf ja bereits entschieden ist, bevor überhaupt das Ringen einsetzt. Hier gibt es nur feste, nebeneinandergeordnete Standorte, bezogen auf einen festen reliefartigen Hintergrund, die Heilsgeschichte. Das Problem der Entstehung des mittelalterlichen Dramas aber besteht gerade in der Frage, wie es überhaupt zu solchen, aus dem festen Hintergrund hervortretenden und theatralisch dargestellten Standorten kommen konnte. Eigentlich lag in der kirchlichen Dogmatik die Tendenz, alle ihre Bezüge und Einzelheiten in ihrem Hintergrund festzuhalten und nicht der irdisch-konkreten Darstellung zu überliefern, und so hat sich die Kirche in der Tat lange und hartnäckig verhalten. Schon die Erweiterungen und Ausmalungen innerhalb der Liturgie konnten sich nur in langen Kämpfen durchsetzen. Die apokryphen Erzählungen und Legenden waren lange Zeit aus dem kirchlichen Kanon ausgeschlossen und gingen erst allmählich in die Lesungen der Liturgie ein, von denen sie dann ihren Namen (legenda) erhielten. Eigentlich erst im 10. Jahrhundert, „durch die Praxis des Benediktinerordens, der bei der Lectio in den sogenannten Hören die Lesung der Acta Sanctorum bevorzugte, gewannen diese an Bedeutung und Umfang, ganz besonders durch die Aufnahme in die Nocturn" 2 . Das liturgisch Verlesene und Gesungene nun aber auch dramatisch, in leiblichsinnlicher Gestik darzustellen, dieser Schritt bedeutet einen tiefreichenden Umschwung in der religiösen Auffassung selbst. Er bedeutet, daß das in sich verschlossene, abgerundete Dogmengefüge sich seiner selbst entäußert und sich in die offene Vielheit der immanenten Welt zerstreut, er bedeutet, daß das Heilige in die profane Sphäre tritt. Wie aber war das möglich? Es war nur möglich durch * Schon in der frühchristlichen Kunst werden einzig diese drei Momente dargestellt. Paulus trägt zwei Schwerter, von denen das eine sein Martyrium, das andere Schwert das Wort Gottes bedeutet, oder aber, noch deudicher, Schwert und Buch. Oft erscheint er mit Wolf und Lamm, den Sinnbildern seiner Bekehrung (s. Rud. Pfleiderer: Die Attribute der Heiligen, Ulm 1920, und J . E. Stadler: Vollständiges Heiligenlexikon. Augsburg 1835). 1

Ludwig Zoepf: Das Heiligenleben im 10. Jahrhundert, Leipzig-Berlin 1908, S. 6z.

HISTORISCHE VORAUSSETZUNGEN

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einen inneren Widerspruch in der christlichen Entwicklung selbst. Die geschilderte Eingliederung aller historisch religiösen, aber auch weltlichen Stoffe (siehe etwa die allegorische Bedeutung der römischen Kaisergeschichte im „Annolied") in die Sakramentalordnung fand statt unter dem Zeichen eines ungelösten Dualismus von Gottesreich und Weltreich, Leib und Seele, in dem das Reich des Leibes und der Welt in seiner Negativität gesehen und überwunden werden mußte. Paulus als Märtyrer und bekehrter Sünder ist Zeichen für die Uberwindung dieser Welt und wird fast ausschließlich auf das Bußsakrament bezogen. Die Dogmatik, wie sie uns z. B. in der Summa Theologiae 1 entgegentritt, wurde eindeutig beherrscht von dem Dualismus zwischen irdischer und himmlischer Welt, der zu Gunsten der himmlischen entschieden war. Die streng mönchische Haltung des 9. und 10. Jahrhunderts hatte das noch verstärkt. Dann aber trat jener Umschwung ein: Das kirchliche Sakramentalsystem wäre nicht vollkommen, könnte es nicht auch die irdische Sphäre erfassen und retten oder beherrschen. Dieser Gedanke bestimmt die folgende Zeit: Durch intensive Predigt und Lehre gilt es auch den Laien zu erfassen, die kirchlichen Gnadenmittel haben sich auf alle Gebiete zu erstrecken, auch auf die weltlichen. Kaiser und Reich müssen der päpstlichen Macht dienen. Das Bußsakrament, unter dessen Zeichen der Apostel Paulus steht, kann nun, in der Figur dieses Apostels, theatralisch vorgeführt werden. Dieser Prozeß der lehrhaften Herausstellung der kirchlichen Heilsgeschichte setzt schon mit der volkspädagogischen Tendenz der Cluniazenser und ihrer Weltherrschaftsidee ein, dringt aber erst durch im Laufe des 12. Jahrhunderts. „Laienfrömmigkeit" und „gotischer Subjektivismus" treten an Stelle des monumental romanischen „Gemeinschaftsgefühls" 3 . Wie in der Architektur der gerundete Sakralraum der Kirche zum langgestreckten Gemeinderaum wird, so drängt das liturgische Spiel, das noch bis in das 12. Jahrhundert hinein alle Szenen, selbst noch die Mercatorszene des Osterspiels3 in sich beschlossen hielt, zu Beginn des 13. Jahrhunderts langsam nach außen, unter die Gemeinde. Hier liegt auch der erste Ansatz zu der viel berufenen „Verweltlichung", zur „volkstümlichen" Realistik der späteren Mysterienspiele. Der einzelne religiöse Stoff tritt aus dem geschlossenen Dogmengefüge heraus, immer neue Stoffmassen treten neben ihn, verselbständigen sich, und das Spiel zerfällt schließlich in lauter zerstückelte Teile, die keinen „inneren" Zusammenhang mehr zueinander haben. Das einzige, was sie zusammenhält, ist die Heilsgeschichte, die aber immer mehr in dem Hintergrund verschwindet. Das Dogmengefüge, das sich ' ed. Alb. Waag: Kleinere dtsche Gedichte d. u . und 12. Jh., Halle 1916. 1

Alfons Brinkmann: Liturgische und volkstümliche Formen im geisd. Spiel des Mittelalters, in: Forschun-

gen zur deutschen Sprache u. Dichtung, ed. von J . Schwietering, H. 3, Münster 1932, S. 1 1 . ' s. darüber Schwietering, J . : Die deutsche Dichtung des Mittelalters in: O.Walzels Handbuch derLit.Wissensch., Lieferung 183 (1932, H. 2), S. 36—51.

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in die reale Welt ergoß, hat sich in ihr aufgeteilt und droht nun selbst zu zerrinnen. Dieser erst im spätesten Mittelalter vollendete Prozeß ist Stufe für Stufe an der Entwicklung des geistlichen Dramas abzulesen. 2. Paulus im liturgischen Drama Die erste dramatische Darstellung des Paulusstoffes findet sich in einem liturgischen Spiel aus dem 13. Jahrhundert: „Conversio beati Pauli apostoli" 1 , das sich schon recht weit aus den streng liturgischen Formen der Frühzeit gelöst hat. Waren die ersten dramatischen Darstellungen der Osterliturgie (Quem-Quaeritis-Tropus) noch völlig in den feierlichen Umzug der Priester vor dem Altar eingegliedert und als Teil des Gottesdienstes noch gar nicht theatralisch herausgestellt2, so ist diese spätere Form des liturgischen Spieles bereits ein wirkliches Spiel, ein abgesondertes und abgehobenes Stück Theater, das auf dem Altar, v o r der Gemeinde gespielt und gesungen wurde und nicht mehr unmittelbar zum Gottesdienst gehörte 3 . Immerhin ist die kanonische Einordnung des Spieles noch so stark, daß die theatralische Darstellung nur Folie bleibt für den religiösen Hintergrund und jede illusionistische Realistik noch ausgeschlossen ist. So entsteht jene merkwürdig doppelgesichtige „Inszenierung", die auf der einen Seite jeden handlungsmäßigen Vorgang real auf die Bühne (Altar) bringt, sogar mit bestimmten Requisiten (das Bett, auf dem Ananias liegt und den göttlichen Auftrag erhält, der Korb, in dem Paulus „ab aliquo alto loco quasi a muro" aus Damaskus flieht etc.), die aber auf der anderen Seite alle diese Einzelvorgänge durchscheinend und unwirklich macht, indem sie erstens alle Requisiten nur andeutungsweise aufstellt und zweitens sie zeit- und raumlos auf einer einzigen, sie umschließenden Fläche nebeneinander postiert4. Auf einem „geeigneten Ort" (in competendi loci), der Jerusalem bedeuten soll („quasi Jerusalem"), werden zwei Sitze (sedes) aufgestellt; auf dem einen sitzt der Hohepriester, auf dem anderen ein Jüngling „in similtudine Sauli". Ihnen gegenüber sind ebenfalls zwei Sitze aufgestellt, die Damaskus darstellen sollen. In diesen „Bühnenanweisungen" hat Gustav Cohen 5 den Anfang einer wirklichen 1

Hs. aus Fleury, jetzt in der Bibl. Orléans Nr. 178, S. 230. Edition mit Noten bei E . de Coussemaker: Drames liturgiques du moyen-age, Rennes, 1860, S. 210 ff. • s. darüber J . Schwietering a. a. O., der auch den Wandel von der feierlichen Prozession zum selbständigen Spiel erst nach 1200 setzt. • vgl. dazu E. de Coussemakers Vorrede zu einer Edition, a. a. O. S. I X . 4

Petit de Julleville: Les Mystères, Paris 1880, Bd. I, S. 69 sagt zu dem P-spiel: „Elle offrit pareillement des lieux divers indiqués plutôt que représentés dans l'enceinte d'une scène unique." • Gustav Cohen: „Geschichte der Inszenierung im geistlichen Schauspiel des Mittelalters in Frankreich, Leipzig 1907, S. 18 f.

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Theater-Inszenierung, die „erste Simultan-Dekoration, die im 15. und 16. Jh. in voller Blüte steht", gesehen. Leider aber sei „dieses Streben eines unbekannten Regisseurs nach Wahrheit ohne Nachahmung geblieben", und an eine „eigentliche Dekoration im modernen Sinne" sei auch in diesem Spiel nicht zu denken bei dem „ewig unbestimmten quasi Jerusalem, in similtudine Sauli etc.". Dieses ewig unbestimmte quasi Jerusalem etc. bezeichnet in der Tat genau den geschichtlichen Ort, an dem diese Aufführung steht: Einerseits sollen die einzelnen Handlungsmomente wirklich erscheinen, Jerusalem und Damaskus soll man sehen können, Saulus soll bei der Meldung, daß die Christen nach Damaskus geflohen sind, zornig aufspringen und bei der Bekehrungsszene halbtot niederfallen, aber nur „quasi iratus" und „quasi semi-mortuus". Die darstellenden Personen deuten die realen Vorgänge nur an, sie sind selbst nicht identisch mit den Personen, die sie darstellen, sondern ihnen nur ähnlich, sie sind „viri in similtudine Ananie, Sauli" etc., d. h. sie sind keine Schauspieler im modernen Sinne, sondern zeichenhafte Hinweise: Wie der Stuhl oder Sessel nur ein Zeichen ist für Jerusalem und Damaskus, so sind die auftretenden Personen nur Träger von Namen, mit denen sie selbst nicht zusammenfallen; sie bedeuten etwas, das sie selbst nicht sind. Das Bedeutete erscheint nicht unmittelbar in ihnen, sondern steht außerhalb in dem liturgischen Ritus und der kanonisch fixierten Erzählung, die ihre unberührbare Heiligkeit zu bewahren sucht. Die Spannung ist unauflöslich: Das Dogma und der religiöse Stoff muß sich notwendig einer restlosen Verarbeitung durch das Drama entziehen. Auch in der theatralischsten Epoche des Spätmittelalters und des Barock stand der religiöse „Gehalt" immer noch jenseits der sinnlichen Darstellung. Damit ist der allegorische Charakter des religiösen Dramas bis in das tiefste Barock gegeben. Denn die langsame Loslösung der biblischen Erzählungen aus dem sakralen Hintergrund, ihre Profanisierung durch das Theater und die Unmöglichkeit, die sakralen Qualitäten der Stoffe selbst unmittelbar auf das Theater zu zwingen, führt zu jenem Riß zwischen Bedeutung und Erscheinung, der das Wesen der Allegorie ausmacht. Nur in der Kirche selbst, im Abendmahlmysterium, ist der religiöse Stoff „Symbol", fallt Stoff und Bedeutung in eins, ist die sinnliche Manifestation des Göttlichen zugleich das Göttliche selbst. Auf dem Theater jedoch hat nur die Allegorie ihren Platz. In dieser Weise ist unser liturgisches Paulusspiel, das noch zwischen Kirche und Theater steht, halb symbolisch und halb allegorisch: Symbolisch-kirchlich ist der ganze Rahmen: der Sakralraum und die Darstellung durch Priester: „ D i e Verkleidung der Geistlichen hat in keinem Falle Illusionswert, sondern der Darsteller s p r i c h t . . ex persona . . verliert also nie seinen Charakter als verkleideter Geistlicher" 1 . 1

H. Beisker: „Wandlungen der bühnenmäßigen Wirkungsmittel, entwicklungsmäßig dargestellt an der

Epoche des geistlichen Theaters. Diss. Greifswald 1931, S. 54.

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PAULUS IM DRAMA DES MITTELALTERS

Der ganze Aufbau des Dramas selbst aber beweist eine weitgehende Loslösung von der frühen liturgischen Auffassung, welche die Geschichte von Pauli Bekehrung immer nur im Zusammenhang mit dem Bußsakrament gesehen hatte. Jetzt tritt der Stoff isoliert heraus, ohne Deutung und Bezug auf irgendeine religiöse Anschauung oder Aufforderung zur Buße. Die Bekehrungsgeschichte wird einfach von Anfang bis Ende genau nach dem biblischen Bericht (Apg. 9) vorgeführt, und zwar in möglichst sinnfällig sichtbarer Darstellung. Saulus befiehlt seinen Dienern, die Christen zu verfolgen, und schon wird der Befehl in drastische Handlung verwandelt: Man bringt zwei gefesselte Christen herein. Die übrigen sind nach Damaskus geflohen. Saulus springt „quasi ira tus" auf, geht zu dem Stuhl, auf dem der Hohepriester sitzt, und bittet um die schriftliche Vollmacht, die Christen in Damaskus verfolgen zu dürfen. Kaum hat der Hohepriester ihm die Vollmacht überreicht, so ertönt schon die Stimme Christi aus der Höhe 1 : „Saule, Saule, quid me persequeris?" usw. Von einer inneren Umwandlung des Saulus ist überhaupt nichts erwähnt. Das Motiv von der dreitägigen Meditation des Erblindeten fehlt, ebenso seine Taufe. Nur die anschaulichsten Handlungsmomente sind gebracht, so z. B. die Flucht im Korb, die von einem erhöhten Platz aus, der eine Mauer darstellen soll („quasi a muro"), bewerkstelligt wird. Dieser Vorgang ist ohne Worte, rein mimisch-silhouettenhaft auszuführen; vielleicht wurde er sogar überhaupt nicht ausgeführt, sondern durch ein einfaches Hinabschreiten Sauls angedeutet. Wenigstens ist das reale Herablassen in einem Korb bei der Einfachheit der Bühne sehr unwahrscheinlich. Saulus ist darauf sofort wieder in Jerusalem. Er braucht nur zu dem entsprechenden Stuhl zu gehen. Diese Szene in Jerusalem stellt ein Äußerstes an Konkretisierung dar 2 . Von dem biblischen Text ist nur noch das notdürftigste Handlungsgerüst vorhanden. Alle Motivierungen, Zwischenhandlungen etc. sind verschwunden: das Mißtrauen der Jünger in Jerusalem vor dem angeblich Neubekehrten und ihre Furcht vor ihm, das helfende Eingreifen des Barnabas, der ihnen die ganze Bekehrungsgeschichte erzählt, alles ist weggelassen. Statt dessen tritt sofort Barnabas ohne eine Motivierung auf und führt ihn zu den Jüngern. Dieses erste Paulusdrama kennt also nur noch vereinzelte, unverbundene Handlungsteile, die wie die Standorte ihrer Personen auf der Bühne nebeneinandergestellt sind, und von sich aus, von ihrem eigenen Ort, keine Verbindung und Brücke zu dem anderen Handlungsteil, der anderen Person, finden können. Das Drama hat darum keinen „inneren", organisch geschlossenen Zusammenhang, sondern einen „äußeren", den nämlich des kirchlichen Ordo, des liturgischen Kultes, in den allein die Stoffteile eingebettet sind. Die bloße, ungedeutet für sich 1

Nach G. Cohen: a. a. O. S. 18 steht Jesus auf einem Gerüst. * Pet de Julleville, a. a. O. Bd. I. S. 69 sagt, nachdem er den Inhalt des Spiels angegeben hat: „Aucun héÂtre n'a réussi à condenser le drame au même degré que le théâtre liturgique a fait".

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stehende sinnliche Erscheinung ist darum so merkwürdig unwirklich und zeichenhaft, weil sie gar nicht im irdischen Boden, nicht in einer sinnlichen Atmosphäre ruht, sondern nur Bild ist für etwas anderes. Der Vorgang ist im Grunde schon ein allegorischer: bloße Konkretion und bloße Abstraktion stehen sich unverbunden gegenüber, daher der merkwürdig unschauspielerhafte Charakter, den man dem ganzen mittelalterlichen Drama, vor allem den „Moralitäten" und Allegorien bis in das 16. Jahrhundert hinein vorwirft 1 . Aber die Allegorisierung ist hier noch gar nicht vollzogen. Unser liturgisches Paulusspiel ist weder sinnliche Vergegenwärtigung der historischen Paulusbekehrung noch abstrakte Ausdeutung dieser Bekehrung innerhalb eines Dogmensystems, sondern ablösbares Relief für eindeutig gegebene Stoffbestände, die — als sakrale Bestände — nicht restlos eingehen in dieses Relief, sondern in ihm nur ihr stofflichstes Abbild finden. Hand in Hand damit geht eine fortschreitende Vereinzelung und Nebeneinandergruppierung der Stoffelemente, und von hier aus ist erst die spätere Überhandnähme bildlicher Darstellungen der Heilsgeschichte mit allen Neben- und Einzelzügen zu erklären, die nur noch in sehr komplizierter Weise allegorisch interpretiert werden können (in der Hoch- und Spätgotik). Interessant sind in diesem Zusammenhang die bildlichen Darstellungen von Pauli Bekehrung, die Dobschütz beschrieben hat2. Auch dort sind Damaskus und Jerusalem nebeneinander geordnet und nur knapp angedeutet, und auch dort zerfällt die Handlung in drei Teile, die einzeln für sich dargestellt werden. Im weiteren Verlauf des 13. Jahrhunderts tritt dann der Stoff für sich heraus und wird zyklisch geordnet, jede einzelne Szene des ganzen Pauluslebens in großen Bildzyklen besonders dargestellt. In Parallele zu diesen immer größer werdenden Pauluszyklen entfalten sich die Mysterien: Das immer stärkere Heraustreten unverbundener, in sich sinnloser und abgesprengter Stoffteile führt zu der ungeheuren, rein stofflichen Aufschwellung der späteren Mysterienspiele, die nur noch aus grellen Schaustellungen eines Jahrmarktes bestehen, hinter dem die Konturen des großen heilsgeschichtlichen Planes, der einzig noch alles zusammenhält, langsam verblassen wie die Unitas Sanctae Ecclesiae des Mittelalters selbst.

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Auf die Bedeutung der angeblich „lebendigeren" realistisch-komischen Szenen der Mysterienspiele

werde ich in einem späteren Zusammenhang zu sprechen kommen. S. u. S. 18 f. 23, 2 ; f. • E. v. Dobschütz: Die Bekehrung des Paulus, in: Repertorium für Kunstwissenschaft Bd. 50, S. 87 ff., 1929 gibt eine wohl vollständige Zusammenfassung sämtlicher bildlicher Darstellungen von Pauli Bekehrung in allen Jahrhunderten. Eine Beschreibung der übrigen Paulusszenen gibt er in der Arbeit: „ D e r Apostel Paulus", Halle 1926.

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3. Paulus in den spätmittelalterlichen Mysterien a) „ L a convercion S. P o l " (ed. Jubinal) Sehr tief in die spätmittelalterliche Dramatik führt uns das zweite uns überlieferte Paulusdrama, ein ebenfalls französisches Spiel aus der Mitte des 15. Jahrhunderts1 : „ L a convercion S. Pol", das als in sich abgeschlossener Teil in einem großen Mysterienzyklus steht2. Schon die Stellung in diesem Zyklus ist sehr charakteristisch. Voraus geht das Martyrium des hl. Stephanus ( „ L e Martire S. Estienne"), an dessen Steinigung sich auch Saulus beteiligt. Es folgt die Bekehrung des Paulus, dann die Bekehrung des hl. Denis und schließlich das Martyrium von Petrus und Paulus in Rom. Die Reihenfolge dieser Spiele ist vertauschbar. Aus den Spielanweisungen ergeben sich drei Möglichkeiten der Aufführung 3 , erstens: das Martyrium des Stephanus wird zusammen mit Pauli Bekehrung aufgeführt, zweitens: Pauli Bekehrung findet seine Fortsetzung in der Bekehrung des S. Denis durch Paulus in Athen, und drittens : Pauli Bekehrung wird durch das Martyrium in Rom abgeschlossen. Die genauen Vorschriften und Varianten, die der Verfasser für jeden einzelnen Fall gibt, lassen auf eine bestimmte Absicht schließen, einen bestimmten Plan der Zusammenfügung. Nun besteht aber zwischen den zusammengefügten Teilen gar kein innerer Zusammenhang. Mit keinem Wort und keinem Handlungsmoment wird ein Motiv oder eine Reflexion angeschlagen, die hinüberweisen könnte zu dem folgenden oder vorausgehenden Stück. Nimmt man lediglich die Personen als verbindendes Element an, etwa die Figur des Apostels Paulus, die ja in allen vier Stücken auftritt, so würde es sich um eine bloße Lebensdarstellung handeln, in der ganz andere, theatralisch weit wirksamere Momente am Platz wären. Dazu steht in sämtlichen vier Spielen die Person des Paulus, seine Psychologie, seine inneren Wandlungen usw. völlig im Hintergrund. Sie wird einfach als fester Bestand hingenommen und in keiner Weise reflektiert. Dagegen ist aber das Phänomen der Bekehrung, des Martyriums und der Auferstehung in einer ungleich tiefsinnigen Weise herausgearbeitet. Um diese drei Punkte zirkuliert der ganze Zyklus. Um ihretwillen wird das Martyrium von Stephanus mit der paulinischen Bekehrung konfrontiert: „Saint Estienne le premier fut / Que les faulx Juifz lapidèrent. / Après ce le doulz Jhesucrist / Convertit monseigneur saint Pol" heißt es in dem Prolog zu dem Zyklus (S. 3, V. 23). » Nach Pet de Julleville, a. a. O. II, S. 195. * Hs. in der Bibl. Sainte-Geneviève. Edition: Achille Jubinal: Mystères inédits du quinzième siècle, Paris 1837, Bd. 1, S. 42—60. Dazu: Julius Poewe: Sprache und Verskunst der Mystères inédits du quinzième siècle, Diss. Halle 1900. * Abgesehen davon, daß jedes Drama für sich oder der Zyklus als Ganzes gespielt werden kann.

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Um ihretwillen steht die Bekehrung Pauli der Bekehrung des St. Denis gegenüber, in dem das Auferstehungsproblem in langen theologischen Diskussionen aufgerollt und durch Zeichen und Wunder praktisch demonstriert wird. Um ihretwillen endlich finden die Bekehrungen von Paulus und Denis ihre Ergänzung im Martyrium der beiden Kirchenfürsten, die die Auferstehung ihres Leibes durch Wunder und Zeichen beweisen und die Welt des Satans und des verblendeten Tyrannen (Simon Magus und Nero) überwinden in der Gründung der neuen Kirche. Der Tiefsinn aber, in dem diese uralten Legenden, diese uralten Phänomene Bekehrung, Martyrium und Auferstehung hier in dieser spätmittelalterlichen Dramatik erscheinen, springt erst heraus, wenn man sich die unüberbrückbare Vereinzelung klar macht, in der hier jede einzelne Szene erstarrt und verstummt, wenn die fratzenhaft verzerrte Geste ihrer realistischen „ K o m i k " plötzlich in dem Licht erscheint, in dem sich das Spätmittelalter selber sah, in den grauenvollen Teufels- und Marterbildern ihrer Gemälde. Ich greife bereits voraus, aber die Fremdheit, in der jeder Teil dieses Zyklus zu dem anderen steht, und die Bezugslosigkeit, mit der jeder Handlungsteil für sich gespielt wird und durch sein bloßes Dasein erst, nicht durch erlösende Sinndeutung, einen Hinweis zu dem anderen Handlungsteil bietet 1 , dies könnte uns schon tief in den „Sinn" eben jener „sinnlosen", bloß stofflichen Theaterszenen führen. Gerade indem der Regisseur nichts über einen „inneren" Zusammenhang der Teile aussagt, und auch im Text nichts davon erscheinen läßt, sondern die Begebenheiten in ihrer brutalen Stofflichkeit vorführt, ohne Deutung und ohne Sinnzusammenhang, gerade dadurch schlägt hier der Sinn durch die Teile hindurch, die Bekehrung erhält Bezug zum Martyrium und umgekehrt, und genaue Bühnenanweisungen sind erforderlich, um diesen Bezug vor-stellen (nicht deuten !) zu können. Wie aber in der bloßen Stoffverfallenheit, in den versprengten Teilen des Spiels ein ihm transzendenter Bezug erscheint, wie der isolierte und theatralisch „verweltlichte" geistliche Stoff gerade in dieser seiner Verweltlichung Zeichen wird für die Verlorenheit dieser Welt und die Möglichkeit ihrer Auferstehung, dies wird erst sichtbar in der Interpretation eben dieser isoliert sinnlosen Theaterszenen. In der Tat, diese Szenen sind, in ihrer vollendeten Banalität, rätselvoller und unzugänglicher als die irgendeines späteren Theatertypus. Dargestellt auf einem von der Kirche getrennten „weltlichen" Raum, sind auch ihre Inhalte bereits abgetrennt von der kirchlichen Bindung und einem volkstümlichen Naturalismus 1

Etwa das Martyrium des Stephanus zur Bekehrung Sauls in dem abrupt sachlichen Satz: Saint Estienne le premier fut / Que les faulx Juifz lapidèrent. / Après ce le doulz Jhesucrist / Convertit monseigneur saint Pol" (S. 3> V, 23 £).

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verfallen. Was aber bedeutet dieser Naturalismus? Er bedeutet die Überantwortung der Kreatur an die Macht von Welt, Sünde und Teufel, die Zerstreuung der sakralen Elemente in die profane Sphäre: Im Prolog des Spiels werden die kirchlichen Hintergründe gleichsam noch einmal fragmentarisch stammelnd in einem Gemisch von gehobenem Latein und volkstümlichem Dialekt vorgetragen, während die Angst vor Sünde, Welt und Teufel schon erscheint: „ S y ne fault fors que guerroiez / Contre pechié par bon conroy / Et que votre temps emploiez / En bonnes euvres sans desroy. / La manière de guerroier / La char, le monde et les diables / Et de son temps bien emploier / En bonnes œuvres proufitables" (S. 2, V . 9 ff.). In diesem unvermittelten, schon sprachlich zersprungenen Nebeneinander von Glaubenshoffnung und Angst vor Fleisch, Welt und Teufel erschließen sich die wahren Abgründe jenes volkstümlichen Naturalismus. Noch stehen diesem Theater die universalen Heilswahrheiten offen, aber schon versinkt es in der Vielfalt der vereinzelten, gottverlassenen Welt der bloßen Erscheinungen, in der die Mächte von Fleisch, Welt und Teufel regieren. Wie in einer hastigen Rekapitulation malt der Prologsprecher die heilsgeschichtlichen Wahrheiten von Sündenfall, Tod und Erlösung an die Wand : „Vous savez la créacion / Et comment les anges périrent; / Vous savez la transgression / D ' E v e et d'Adam comme ilz chéirent etc." Ebenso deutungslos hart nebeneinander gestellt erscheinen dann die einzelnen Handlungsteile, Martyrium Stephani, Bekehrung des Paulus usw., die aber gerade in ihrer bloßen Erscheinung zueinander hindeuten: „Néron après son grant empire / A perdurable desconfort. / Les apostres par grief martire / Ont perdurable reconfort" (S. 3). Damit sind Verfall der Welt und Rettung der Welt mitten im Verfall, mitten im Martyrium, in knappster Form einander zugedeutet. Und nun die schlagendste Deutung dieser aller Deutung abholden, sich nominalistisch an nur Einzelnes klammernden Stofflichkeit: über Paulus wird gesagt, daß er „tant préscha et tant escrivist / Qu'on le tenoit por vray fol" (S. 4). Der Wissende ist zugleich der Unverstandenste. Die sinnliche Erscheinung kapselt sich spröde ab gegen jedes Wissen, und erst in einem späten Moment, wenn das Drama schon abzubrechen droht, wird rasch und mühsam Deutung und Lösung gebracht. So wickelt sich das Martyrium des hl. Stephanus mechanisch ab, brutal Tatsache an Tatsache reihend. Saulus fordert derb, volkstümlich zur Steinigung auf : „Avant, avant, faulx garnemens; / Ne l'espargniez plus qu'un viez chien" (S. 20, V . 9). Keine Motivierung der Steinigung, keine tiefere Begründung auch der Standhaftigkeit des Märtyrers wie etwa im Barock. Im Gegenteil. Das Drama bricht sogar ab mit dem T o d des Stephanus, zu dem Saul nur hämisch bemerkt: „Son Jhésus qui si bien venger / Le devoit, ou est il alé?" (S. 2 1 , V. 21). Aber es bricht nur dann so ab, wenn darauf unmittelbar die Bekehrung Sauls folgt. Im anderen Falle wird — ganz am Schluß — eine Rechtfertigung und Deutung des

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Geschehens gegeben: Nikodemus muß auftreten und erklären, das ungerechte Martyrium sei belohnt mit der Aufnahme der Seele des Stephanus in den Himmel. Ebenso verhält es sich mit dem Spiel von Paulus' Bekehrung. Auch hier wird die Handlung rein stofflich abgehandelt, sodaß der Umfang des Spiels relativ gering ist (324 Verse). Der Stoff selbst wird also gar nicht aufgeschwellt, er wird nur, wie noch in dem größten aller Apostelspiele, in dem 40tägigen Mysterium der Brüder Greban, neben eine unzählige Menge anderer Stoffe gestellt, sodaß der Schein einer Aufschwellung entsteht. Das Charakteristische der Stoffbehandlung ist vielmehr die absolute Treue zum Stoff, die sich so restlos in das gegebene Material vergräbt, daß schließlich nichts mehr als die sichtbare, greifbare, tastbare Gestalt des Stoffes zurückbleibt. Hier liegt der eigentliche Grund für jenen „Realismus" 1 der Mysterien, der in sehr tiefe Schichten des Spätmittelalters hinabreicht, bis hin in die reflektiertesten Formen der nominalistischen Denker dieser Zeit 2 . Der Realismus wird am deutlichsten vielleicht in der Verfolgungswut Sauls, die nicht als innere Auflehnung gegen Gott oder als tragischer Irrtum geschildert ist, sondern als ein Wüten und Schimpfen gegen die „folz crestiens" (S. 25, V. 4), die das Gesetz verwirren: „ L e euer d'ire ou ventre me serre / De ce que ces faulx crestiens, / Ces faulz bougres, cez ruffiens, / Sy vont nostre loy destruisant" (S. 27, V . 3 f.). Die Szene spielt nicht mehr im metaphysischen Raum, in dem es um Aufruhr oder Demut gegen Gott geht, sondern in einer fest fixierten immanenten Welt, die in Verwirrung geraten ist. Saul ist nicht mehr der Rebell gegen Christus, sondern ein zorniger Hüter der Ordnung. Dennoch ist der Realismus dieser Immanenz gänzlich verschieden von jedem Realismus der Neuzeit. Das zeigt besonders gut die Reiterszene. Das Motiv des reitenden Saulus, der bei der Erscheinung Christi abstürzt, ist nicht in der Bibel vorhanden. Es kommt im 12. und 13. Jahrhundert zuerst in der bildenden Kunst vor und geht, nach den Darlegungen von Dobschütz 3 , auf die Prudentius-Illustration der Allegorie der Superbia4 zurück, die hoch zu Roß gegen die Kirche anstürmt. In der Tat weist die Behandlung des Paulus in einem englischen Mysterium „ T h e conversion of St. Paul" (Digby-Plays Nr. 2), das wir noch analysieren werden, auf eine enge Beziehung zwischen der Superbia-Allegorie und dem Paulusstoff hin. Aus unserem französischen Stück läßt sich allerdings unmittelbar nichts derartiges herauslesen. Aber ein Stück Allegorie steckt auch in dieser „realistischen" Reiterszene. 1

Im modernen Sinne, nicht scholastischer „Realismus". ' Im unmittelbaren Zusammenhang mit der nominalistischen Theologie stehen die Dialoge des 3. Spiels, der Bekehrung des S. Denis, worauf ich im Folgenden zu sprechen komme. Auch wurde ja das größte mittelalterl. Passionsspiel und das gen. Apostelspiel von 2 Theologen und überaus gefeierten Dichtem, den Gebrüdem Greban, gedichtet, s. u. S. 27 ff. • E. v. Dobschütz: Die Bek. d. Paulus, a. a. O. S. 106 ff. ' Illustration zur „Psychomachia" des Prudentius aus dem j. Jahrh.

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Zwar ein unmittelbarer Bezug zu einem Abstraktum fehlt, aber echt realistisch im Sinne einer wirklichen Darstellung des realen Lebens, von Umwelt, Milieu, Atmosphäre usw. sind diese Szenen auch nicht. Das haben gerade Forscher, die den realistischen Charakter des spätmittelalterlichen Dramas betonten, immer wieder bedauert: „Jusqu'à la Renaissance, aucune préoccupation de ,couleur locale* ou de vérité dans la mise en scène 1 ." Der Eindruck, als hätten wir es mit Realismus zu tun, wird vielmehr dadurch hervorgerufen, daß die religiösen Stoffe aus ihrer kanonischen Gebundenheit heraustraten und schließlich nur noch in ihrer puren Stofflichkeit im Raum stehen, vereinzelt und verwirrt. Man kann ähnliches an spätmittelalterlichen Gemälden, etwa der Kreuzespassion, beobachten, wo die Symbole von Schlange, Totenkopf etc., über denen sich der Kreuzesstamm erhebt, zerstreut auf dem Boden herumliegen, während sich in der Umgebung unzählige, „realistisch" ausgeführte, d. h. scharf konturierte und vereinzelte Volks- und Soldatengruppen herumtreiben. Der Bezug dieser Personen zu einem wirklich realistischen Raum, einer geschlossenen Landschaft fehlt. Die Landschaft ist selbst wieder zerfetzt, und die Personen sind, trotz oder wegen der realistischen Henkerszenen und Martyrien, meist anatomisch falsch, d. h. unrealistisch gezeichnet. Selbst die volkstümlichen Krämerszenen der Passionsmysterien sind entstanden aus dem Bedürfnis nach möglichst sinnfällig sinnlicher Vergegenwärtigung jedes einzelnen Vorgangs der Heilsgeschichte, nicht aus einem naturalistischen Kunsttrieb oder einem Verlangen gar nach „wirklichem Leben 2 ." Ebenso unwahrscheinlich ist auch die Reiterszene unseres Paulusmysteriums. Paulus reitet unter einem erhöhten Standort, „Paradis" genannt, vorbei, Jesus schleudert ihm von oben eine brennende Fackel entgegen, und Paulus stürzt vom Pferd. Diese ganze Szene ist eine rein körperhafte Wiederholung der biblischen Erzählung, und dennoch ist der Standort, von dem aus Jesus die Fackel gegen Paulus wirft, das Werfen selbst und die Geste des herunterfallenden Paulus keine naturgetreue Reproduktion des Geschehens oder illusionistische Ausmalung der Stimmung, Landschaft etc., sondern eine bloß zeichenhafte, reliefartige Vorstellung, die im Grunde sogar stumm pantomimisch, etwa als Prozession auf einem fahrenden Wagen hätte dargestellt werden können. Es gibt in der Tat solche rein pantomimischen Mysterien, sozusagen die letzte Verstofflichung, die überhaupt möglich ist. Zum Beispiel wurden 1546 in Béthune nacheinander folgende mimische Mysterien aufgeführt, unter denen sich auch eine Paulusdarstellung befand : „l'offertoire des trois Rois, la Décollation de Abraham, saint Etienne, s a i n t P a u l , saint Christophe, les trois Maries etc. 3 ". ' P. de Julleville, a. a. O. Bd. I, S. 377 ff. » S. dazu S. 25 f., 31. * Zit. von P. de Julleville, a. a. O. Bd. II. S. 212. Auch Félix Clément: Liturgie, Musique et Drame du Moyen-Age, in: Annales archéologiques, cd v. Didrcn Ainé, Paris 1848, Bd. 7. S. 269 erwähnt diese Aufführung.

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So ist diese Reiterszene in ihrer puren Stofflichkeit zwar keine Allegorie, weil ihr das entsprechende Abstraktum fehlt, aber ein Bruchstück von Allegorie: Da eine Idee im modernen Sinne oder die dogmatische Totalität im mittelalterlichen Sinne abhanden kam, steht sie in ihrer physischen Verlassenheit isoliert im Raum, aber diese ihre Verlassenheit verlangt nach einer Deutung, und aus diesem Verlangen entsteht das Gegenbild der reinen Stofflichkeit, die reine Abstraktheit: In demselben Paulusspiel finden sich, einige Zeilen weiter, nach der Ananiasszene, lange moralisierende Reflexionen des Paulus über seine eigene Bekehrung. Diese schroffe, unverbundene Gegenüberstellung von bloßer Handlungsdrastik und bloßer moralisierender Reflexion, die sich im ganzen Spätmittelalter und im ganzen 16. Jahrhundert findet und einem modernen Leser die Lektüre dieser Spiele so unerträglich macht, ist nichts als die Offenbarung jenes Risses, der in der Allegorie selber angelegt ist, des Risses zwischen Konkretion und ihrer Bedeutung. Man könnte von hier aus die ganze Szenerie des Dramas, das Nebeneinander von Handlung und Reflexion als zerstückelte, auseinandergerissene Allegorie bezeichnen. Auch dies hat seine kulturgeschichtlichen Hintergründe. Im Frühmittelalter, etwa in den Gedichten des 1 1 . und 12. Jahrhunderts 1 gab es noch ein universales, geschlossenes Allegoriensystem, in dem jedes Tier, jede Pflanze, jeder geographische Ort eine exakte, fest bestimmte Stelle in der universalen Heilsgeschichte hatte. Der Leopard bedeutet Christus („Physiologus") etc. In der Hoch- und Spätgotik wurde diese Systematik bis an die Grenze des Möglichen getrieben, dadurch aber auch zugleich aufgelöst. Die allegorische Bedeutung jedes einzelnen Teiles wurde bei der Fülle der Bedeutungen 2 schließlich immer geheimnisvoller, ihre Kenntnis zur Geheimwissenschaft, sodaß die Vielfalt der religiösen Symbole nun ungedeutet im Raum stand und damit der willkürlichen Deutung moralisierender Volksprediger oder Mystiker anheimfiel. Worin liegt nun aber der theologische Grund, auf dem sich der „volkstümliche" Naturalismus der Mysterien aufbaut? Er liegt in den drei Phänomenen Bekehrung, Martyrium und Auferstehung, die in einer sehr eigentümlichen Weise gefaßt werden: Zunächst ist die Welt, wie Paulus vor seiner Bekehrung, dem Irrtum verfallen, d. h. sie ist nicht schlechthin gottlos oder widerchristlich, sondern sie hat sich verwirrt und lebt wie Paulus in „erreur et fausseté" (30, 9). Deshalb steht über ihr die Gnade, die aber ebenso undurchsichtig und unfaßbar ist; Paulus wird auf eine unbegreifliche Art gerettet, und immer wieder wird diese seine unverdiente „Erwählung" betont. Kraft seiner Erwählung ist er von der Verwirrung und Zerstückelung dieser Welt befreit, seine Furcht vor Regen, Wind, Königen, 1

s. C. Kraus: Dt. Gedichte des i2.Jhs., Halle 1897, Nr. 7: Rheinauer, Paulus; u. A. Leitzmann: Kleinere geistl. Ged. des 1 1 . Jhs., Berlin 1919: Cantilena de Conversione Sancti Pauli. • s. J. Huizinga: Herbst des Mittelalters, München 1924, S. 273 ff.

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Fürsten und Grafen ist geschwunden 1 , er ist zum Heiligen geworden und kann nunmehr in einem letzten Triumph seine eigene Leiblichkeit stückweise den Mächten dieser Welt opfern, im Martyrium Glied für Glied, wie es die Gemälde jener Zeit darstellen, dem Tod und der Qual preisgeben, und als Seele auferstehen zur unvergänglichen Ruhe in Christo. Die Rettung aber dieser Welt durch den Heiligen vollzieht sich in seiner Predigt, und diese wiederum — wir werden das im S. Denis-Spiel sehen — besteht in nichts anderem als in der theoretischen und praktischen Demonstration der Möglichkeit einer Auferstehung des todverfallenen Leibes. Die letzte Demonstration dieser Möglichkeit ist das Martyrium des Heiligen selbst: Das Haupt des getöteten Paulus spricht zu dem Kaiser Nero als Zeichen der Unsterblichkeit2. In dieser Weise sind die Phänomene Bekehrung, Auferstehung und Martyrium einander zugeordnet, und von hier aus erklärt sich erst die Gliederung des Zyklus, die uns zu Beginn so problematisch erschien. Von hier aus wird der Zyklus überhaupt erst zum Zyklus. Die naturalistische Wendung dieser Theologie wird formuliert jedoch erst in der Diskussion zwischen Paulus und den drei Philosophen zu Athen im Spiel von der „Bekehrung des St. Denis" 3 . Dort stellt der zweite Philosoph Publius die echt nominalistische Frage, ob denn auch die Kühe, die sinnlos-sinnliche, leiblich vereinzelte Kreatur auferstehen könne. Diese Frage muß Paulus verneinen. Für die Welt des Fleisches und der reinen Unvernunft gibt es keine Rettung. Rettung hat nur der Mensch kraft seines Geistes, kraft der Uberwindung und Preisgabe des Leibes durch den Geist: „Doit on faire comparaison / De beste qui est sans raison / A homme qui a sentement / Et raison et entendement? / L'âme de beste est sensitive: / L'âme d'omme est intellective. / L'âme de beste, sans ressort, / Est morte quant le corps est mort; / Mais l'âme d'omme desseurée / D u corps ne sera jà finée . ( S . 44, V. 3). St. Denis will die Auferstehung durch die Vernunft bewiesen haben : „Prouvez par raison; autrement / Jamais ne la pourrions croire" (S. 45, V. 5). Paulus bringt den üblichen kosmologischen Gottesbeweis, Gott habe alles vernünftig geordnet etc., aber in einer kleinen Veränderung, einer stilistischen Nuance nur, die das Ganze in sein Gegenteil verkehrt: Wenn auch die Welt, so sagt er, die Gott aus dem Nichts geschaffen habe, „défait" sei, so könne der Herr sie doch wieder neu schaffen, „refaire" (S. 45, V. 14). Die Geheimnisse Gottes sind für den Menschen unergründlich, und wer das göttliche Gesetz der Natur unterordnet, tut 1

„ S e vous dictes bien, resgardez / Qu'au premier assault je m'enfuie, / Qui ne doy doubter vent ne pluie, /

roys ne princes, ne duc ne comte: / Sire, le seroit trop grant honte" (S. 33, V . 9). • Dieses Motiv findet sich z. B. in den Märtyrerdramen des Barock nicht. Dort ist der Totenkopf endgültig stumm. Die Demonstration der Auferstehung ist im Barock der Demonstration der Vergänglichkeit und des Todes gewichen. S. das Barockkapitel, S. 72, 80. • In allen übrigen mittelalterlichen St. Denis-Spielen, die P. de Julleville, a. a. O. II, S. 502 aufzählt, tritt Paulus nicht auf.

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unrecht: „ S y est folie à homme en terre / Des secrez de Dieu trop enquerre / Et à la loy Dieu fait injure / Qui la veult soubzmetre à nature" (S. 45, V. 16). Und so leitet Paulus im folgenden gerade aus der Negativität und Unvernunft des Irdischen, aus der Tatsache, daß die Guten leiden und die Bösen Wohlleben, die Möglichkeit von Auferstehung und Erlösung ab (S. 46, V . 7 ff.). Der kosmologische Gottesbeweis ist damit gerade auf den Kopf gestellt. Auch die Auferstehung ist in Wahrheit keine geistige, sondern leibliche Auferstehung des Menschen. Sie kann darum mit aller Drastik und sinnlichen Wundersucht jener Zeit demonstriert werden, so im letzten Stück des Zyklus: „Comment S. Père et S. Pol alèrent à Romme / Et comme ilz furent martirez." Zunächst wird an Himmelfahrt und Sturz des Simon Magus die negativ teuflische Möglichkeit einer Auferstehung dargestellt. Diese ganze Szene, auch die Hilfsstellung der Teufel bei der Himmelfahrt, beruht auf den alten Apostelapokryphen. Neu aber und für das Spätmittelalter ausschlaggebend ist die Deutung des Geschehens, die die Teufel bei der Verspottung Simons geben : „ H a ha ! Symon, or du baler, / Maistre Symon, sire Symon, / Vostre corps qui est de limon / Vouloit voler lassus au ciel ! Il déplaisoit à dan Michiel. Sy estes trebuchié à honte" (S. 7 1 , V. 19 ff.). Mit dem eigenen todverfallenen Leib in den Himmel fahren und Gott gleich werden wollen, dieser Hochmut des Magiers muß in der Tat für ein nominalistisches Zeitalter die größte Verlockung und Versündigung sein : Das einzige Erkenntnismittel, das dem Nominalismus bleibt, die sinnliche Anschauung versprengter Einzelteile, auszuwerten zu einer Geheimwissenschaft des Irdischen, um diesem Irdischen wieder Macht und Würde zu verleihen, ein solcher Versuch erweist sich für die sich selbst überlassene Welt des Spätmittelalters als Frevel gegen die einzige Instanz, die ihr noch Hoffnung zu schenken vermag, als Frevel gegen die außerweltliche Macht Gottes. Es ist die Rebellion und der Hochmut der Einzelteile gegen die Universalität des jenseitigen Gottes und muß darum als Magie und Schwarzkunst empfunden werden. Die Begriffe Magie, Hochmut und weltlicher Tyrann sind hier fast identisch1 : „ T a , ta! Symon, l'amy Néron,/Ton orgueil, ta enchanterie,/Ta mauvestié, ta simonie, / T e seront bien tost chier vendus! / Passe! tu es nostre rendus" (S. 72, V. 5), sagt der zweite Teufel, während er mit seinen Genossen den Leichnam Simons hinwegträgt. Simon verfällt der Macht der Teufel, die als einzige von ihrer Schwäche und Abhängigkeit wissen und darum ü b e r dem Zauberer stehen. Schon bevor sie Simon auf ihre Schultern nehmen und gen Himmel führen, wissen sie, daß er der Macht Gottes und Petri erliegen wird: „N'en doubte, il mourra niaisement; / Car il est maudit du Saint Père!" (S. 70, V . 3). Der stets betrogene Teufel der mittel1

Noch deutlicher wird das in dem engl. Digby-Mysterium : „The Conversion of S. Paul", wo diese drei Begriffe sogar unmittelbar in der Gestalt des christenverfolgenden Saul zusammenfallen. S. u. S. 22. Emrich, Paulus

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alterlichen Mysterien ist darum nur scheinbar komisch. Seine Komik besteht in seinem Geprelltwerden, aber sie schlägt schon um in Trauer, weil er um seine Komik weiß. Die Teufel des mittelalterlichen Theaters klagen, und ihr Brüllen und Fratzenschneiden, mit dem sie über die Bühne eilen („en uslant" (S. 32) tragen sie den Leichnam Simons hinweg), ist ebenso grausig, wie die Teufelsfratzen, die auf den Manuskripten der Mysterienspiele gemalt und gezeichnet sind. Zwar, das Gelächter, mit dem sie auf dem Theater belohnt werden, zerstört auch noch ihre Trauer, aber die Frage, ob komischen Wirkungen nicht traurige Tatbestände zu Grunde liegen, bleibt damit noch bestehen 1 . Endlich ist das Martyrium der Apostel selbst nur auf das Problem der A u f erstehung hin angelegt. Nero glaubt nicht, daß Christus auferstanden sei und die Toten erwecken könne, und will die Probe auf das Exempel machen: Paulus soll sterben und die Auferstehung mit seinem eigenen Leibe beweisen. Paulus geht darauf ein: „ T u nous verras joyeulx et liez / Après la mort, tirant Néron, / Tous. II. en vie, et parleron / Tout platement à ton visage" (S. 82, V . 17). Petrus und Paulus werden darauf unter Schimpfen und Schmähen der Häscher gebunden, gemartert und hingerichtet. Die Martyrien sind ohne Worte oder Monologe der Sterbenden ausgeführt. Es ist mehr ein stummes Bild, zu dem nur die Henker ihre rohen Späße hinzufügen. Charles Aubertin sagt dazu : „Dans le Mystère de saint Pierre et saint Paul, les bourreaux insultent les apôtres et plaisantent sur leur martyre avec un cynisme goguenard que leur envieraient les farceurs de la foire 2 ." Die Welt dieser vereinzelten Standorte ist stumm, und nur die vereinzelte, sinnlose Banalität brutaler Stofflichkeit redet ihre in die Alltäglichkeit vergrabene Sprache. Der T o d dieser Märtyrer ist der Tod ihrer Leiblichkeit, und dieser Tod hat keine Verklärung, weil es der Tod des Sinnlosen, des hoffnungslos „Unvernünftigen" ist; die Märtyrer reden erst wieder im Himmel. Auf der Erde ist das Reich der Roheit und des sinnlos grausamen Jahrmarktspieles: Die für uns unverständliche Mischung von naiv lachender Brutalität und innigster Frömmigkeit, sinnlichster Prachtentfaltung und demütigster Askese, die uns aus zahllosen Quellen des Spätmittelalters anspricht3, ist das Spiegelbild jener unüberbrückbaren Kluft, die sich zwischen Himmel und Erde, sakramentaler Gnadenordnung und sich selbst überlassener Stofflichkeit gezogen hat. So werden auf der Erde die Leiber der toten Apostel begraben, aber im nächsten Augenblick befiehlt Gott seinen Engeln, ihnen kostbare Kleider anzuziehen und 1 Genauer eingehen auf die Frage Trauer oder Komik bei den Teufelsszenen werde ich noch bei dem DibgyPlay, wo mir mehr Material, auch mehr Thesen einzelner Forscher, vorliegen. S. u. S. 2$ f. dazu S. 30. 1 Charles Aubertin: „Histoire de la littérature française au moyen-âge, Paris 1876, S. 460. 1 S. die Beispiele, die J . Huizinga: „Herbst des Mittelalters", München 1924, anführt.

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sie vor Nero zu führen 1 . Die beiden Apostel ziehen sich an „sans parler" (S. 93), Paulus überreicht Plautilla die Augenbinde „sans rien dire" (S. 93). Darauf treten Petrus und Paulus vor Nero und rufen ihm zu : „Néron, nous vivons à honneur, / Mais tu mourras à déshonneur" (S. 93, V . 13). „Lors s'en voisent avec les anges en paradis" (S. 93, V . 15). Sofort setzt der Sturz des Tyrannen ein. Einige Bürger melden Nero den Aufstand der Römer gegen ihn, — der Brand in Rom wird nicht erwähnt — und Nero ermordet sich: „Lors ronge. I. baston et le boute en sa pance et chiée mort" (S. 94). Mit Gebrüll erscheinen die Teufel: „ H a ! Ha! ha! ha! Néron! Néron! / Ou puis d'enfer te porteron" (S. 94, V. 8). „ L o r s l'emportent et puis le jetent en une chaudière assise un pou haut enmy le champ" (S. 94). Der eine Teufel malt nun alle Martern aus, die Nero zugedacht sind, und der zweite fügt tiefsinnig hinzu: „Néron, sans mourir tu mourras;" (S. 95, V. 2). Der ewige Tod als Gegenbild zum ewigen Leben, die ewige Qual des Leibes als Gegenbild zur ewigen Freude der Seele, in diesem Äußersten an Spannung liegt erst das Schrecknis der puren Äußerlichkeit, in der das mittelalterliche Drama verharrt: Vor den Augen der Zuschauer wird Nero verbrannt, zerquält und auf die grausam scherzhafteste Weise verstümmelt: „Lors souffle ly uns soulz la chaudière et face. I. pou de fumée, et l'autre face semblant de ly faire boire or guele baée, et bientôt cessent" (S. 95). Die Qualen Neros sind nichts als „äußerlich", er empfindet nichts als physischen, bloß körperlichen Schmerz, und alle Tragik und „innere" Not ist ihm fremd. Darum ist seine Qual dem Gelächter preisgegeben. Aber auch das Gelächter noch ist schauerlich wie der Kessel, in dem Nero ewig brennt, und schauerlich wie die Höllenfratzen auf den Selbstdarstellungen des Mittelalters und den Schreckensgemälden Dantescher Visionen. Man mag in solchen Szenen Komik sehen und reine Volksbelustigung — die meisten Forscher haben es so dargestellt2 — , aber auch die Volksbelustigung hat ihr zeitliches Gesicht, und oft sagt ein Jahrmarkt mehr über die Trauer einer Zeit aus als die innerlichste Dichtung.

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In manchen mittelalterl. Spielen werden sogar der Leib und die Seele des Gestorbenen direkt voneinander getrennt von i verschiedenen Schauspielern gespielt. So in „Mariae Himmelfahrt" aus d. Jahr 1391: „Anima Mariae recipitur a Jhesu et ipse didt apostolos", sie sollen unterdessen den Leichnam Mariae in das Tal Josaphat tragen und dort begraben (gedr. Fr. Jos. Mone: Altteutsche Schauspiele, Quedlinburg-Leipzig 1841, Bd. I, Akt 3, Auftritt 1). 1 S. z. B. Creizenach, Gesch. des neueren Dramas, 2. Aufl. 1911, Bd. I, S. 201 Anm. 3, der in diesem Zusammenhang von der populären „Beliebtheit dieser grotesken Teufelsszenen" spricht, die sich aus einer Hs des Mysteriums von Petrus u. Paulus ergeben. (Gemeint ist das folgende, von unserem Drama abhängige Spiel, ed. Zeitschr. f. rem. Philol. 26, 82.) 2«

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Anhang: Weitere Mysterien, die das Martyrium von Petrus und Paulus behandeln Unmittelbar abhängig von diesem Martyrium ist ein anderes Petrus und PaulusMystère aus Frankreich 1 , das als Bruchstück erhalten ist und im wesentlichen wörtlich mit unserem behandelten Drama übereinstimmt. Nur die Teufels- und Neroszenen sind noch naturalistischer und breiter ausgeführt. Auch das zweitägige provenzalische Mysterium von 6135 Versen und 83 Personen 2 „Istoria Petri et Pauli" aus dem i j . Jahrhundert und das riesige französische Mysterium von rund 17000 Versen und 100 Personen: „S'ensuit le mistere de monseigneur sainct Pierre et sainct Paul, par personnages contenant plusieurs aultrs vies, martires et conversions de sainctz . . . Paris . zwischen 1510 und 1520® zeigen eine starke Aufschwellung der Teufelsbeschwörungen, Predigten und Wunder, hinter denen die Figuren von Petrus und Paulus fast verschwinden. b) „ T h e Conversion of St. Paul" (Digby-Plays Nr. 2) Ebenfalls in einem Zyklus steht ein englisches Mysterium, „ T h e Conversion of St. Paul" aus dem späten 15. Jahrhundert, das zweite Spiel der Digby-Mysteries 4 . Eine Beziehung zu den übrigen Dramen des Zyklus 5 besteht aber hier überhaupt nicht. Die Stücke sind einfach nach der chronologischen Reihenfolge der Kirchenfeste geordnet, die gerade das behandelte biblische Ereignis feiern. Das Mysterium „ T h e Conversion of St. Paul" ist also isoliert zu analysieren. Nach Bates® gehört das Drama bereits dem Verfall der mittelalterlichen Mysterien an und weist auf zukünftige Formen hin. Dieses Urteil erweist sich in der Analyse als richtig, wenn auch in einem anderen Sinne, als es Bates faßt. Vorwärtsweisend ist die dramatische Verknüpfung von Spieler und Gegenspieler in der dritten „Station", und im Verfall des mittelalterlichen Dramas steht es insofern, als hier schon die „lebendige", umfassende 1

Hs in der Bibl. des dem Fürsten Salm-Salm gehörenden Schlosses Anholt, Neudruck und Vergleich mit

dem Jubinal-Mysterium von Hugo Andresen in der Zeitschr. f. roman. Philologie, Bd. 26 (1902), S. 76—100. • Handschr.: „Incipit istoria Petri et Pauli" aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, heute in der Bibl. nationale Paris. Edition von Paul Guillaume: Istoria Petri et Pauli, Mystère en langue provençale du X V e siècle. Paris 1887. Lit. a) A. Jeanroy: Observations sur le théâtre méridional au moyen-âge, in: Romania 23 (1894), S. 525 ff. b) Petit de Julleville, a. a. O. II, S. j ö j . • Titelangabe, Personenverzeichnis und Inhaltsangabe bei P. de Julleville, a. a. O . II. S. 548 f. Das Drama ist an keiner deutschen Bibl. und war mir darum nicht zugänglich. 4

Neudruck von F. J. Furnivall: The Digby Mysteries, in: New Shakspere Society Series 7 London 1882,

und in: Early English Text Society Extra Series 70, London 1896. Ich zitiere nach der letzteren Ausgabe. Dazu: Karl Schmidt: Die Dibgy-Spiele, Diss. Berlin 1884. ' 1. Herod's Killing of the children. 3. Mary Magdalene. 4. Christ's Burial and Résurrection. • Kath. Lee Bates: The English Religious Drama, New-York 1893, S. i j j f.

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Hülle der religiösen Totalität gefallen ist, und die dem mittelalterlichen Mysterienspiel zu Grunde liegende Struktur nun wie ein grell sichtbares Skelett heraustritt. Denn schroff nebeneinander finden sich in diesem kurzen Spiel (663 Verse) alle Momente, die wir in den früheren Mysterien fanden: breite Monologe neben derben Szenen und Tänzen, eine umfangreiche Bußpredigt über die sieben Todsünden neben einem volkstümlich drastischen Dialog zwischen einem Stallknecht und einem Diener Sauls, dazu Teufelsszenen, die Erscheinung eines Engels usw. Das Drama spielt auf drei „stations", die wahrscheinlich als Wagen einer Prozession, die während des Spielens stehen blieben, oder als Standorte auf einem großen Stadtplatz gedacht waren. Jedenfalls „war das Spiel trotz seines geringen Umfangs offenbar darauf berechnet, in drei Gruppen zerlegt und bei einer Prozession vorgeführt zu werden" 1 , sodaß man sich wahllos die verschiedensten Szenen nebeneinander ansehen konnte, bald den Anfang, bald das Ende und bald die Mitte. Jede „Station" beginnt mit einem Prolog des „Poeta" und endet mit einer „Conclusyon", die ebenfalls von dem Poeta gesprochen wird; jede „Station" ist damit für sich abgeschlossen. Zwischen den einzelnen „stations" braucht gar keine direkte Brücke zu bestehen, da für neu hinzukommende Zuschauer der Prolog den ganzen Inhalt der vorigen Stationen wiederholt. Dreimal sind zwischen Prolog und szenischer Darstellung Tänze eingelegt, die allerdings erst von einer späteren Hand hinzugefügt wurden 2 . Der Prolog der ersten „Station" sagt ausdrücklich, sie wollten nun mit ihrer Darstellung „fortfahren" („to procede owr processe" (V. 9)). Diese erste „ S t a tion" ist also gar nicht als Anfang gedacht, sondern steht zufallig neben soundso viel anderen Darbietungen. Anfang und Ende, einen planmäßigen Aufbau usw. gibt es hier nicht. Eine Fülle von Handlungen spielt sich in der verwirrten Jahrmarktswelt dieser Zeit ab, und kein Raum ist, der sie vereinigte, und keine Zeit, die die Ereignisse auf ein Ziel oder Ende hin ordnete. Selbst die Handlung, die eben, in d i e s e m Augenblick auf d i e s e m Schauplatz dargestellt werden soll, Pauli Bekehrung, steht nicht für sich selbst ein: Die wahre Kenntnis von der Handlung, sagt der Poeta, kann nur die Bibel vermitteln: „whoo lyst to rede the booke Actum Appostolorum, / ther shall he haue the very notycyon" (V. 1 1 ) . Und in der „Conclusyon" dieser ersten Station sagt er: „ T o vnderstande this matter wo lyst to rede / The holy bybyll for the better spede; / Ther shall he haue the perfyth intellygens . . " (V. 158). Die Repräsentation versteht sich also selbst als ein nur zeichenhaftes Bruchstück 3 für einen Inhalt, der in die Ferne gerückt und unmittelbar nicht mehr habhaft ist. Buch und Schrift nur 1

W. Creizenach: Geschichte des neueren Dramas, 1 9 1 1 2 , 1 , S. 304. • Wahrscheinlich stammt diese Überarbeitung, die auch die ganze Teufelsszene neu einführte, von Myles Blomefylde. S. die Einleitung Furnivalls zu seinem Neudruck. • Daher auch die traditionellen Entschuldigungen des Prologsprechers für die unvollkommene Darstellung.

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enthüllen diesen Inhalt, aber nur dem Kenner, dem Gelehrten, der die lateinische Schrift entziffern kann. Das V o l k bleibt im Schauen, in der bloß stofflichen unvollkommenen Reproduktion. Und so bereiten sich denn die Spieler zur Schaustellung vor. Während sie sich umkleiden, wird ein Tanz eingelegt: „but as we can, we shall vs redres,/ Brefly with yowr fauor begynyng owr proces (V. 1 3 ) . . Daunce" (szenische Bemerkung). Darauf tritt Saulus auf die Bühne, gekleidet wie ein fahrender Ritter 1 , ein „aunterous knyth", und stellt sich dem Publikum vor. Dieser vorstellende Monolog könnte nun auch tatsächlich von der allegorischen Figur der Superbia gesprochen werden 2 , denn es ist die Sprache der Überheblichkeit selbst: „Most dowtyd man, I am lyuyng vpon the ground, / goodly besene with many a riche garlement. / my pere on lyue I trow ys not found, / thorow the world, fro the oryent to the occydent / my fame ys best knowyn vndyr the fyrmament; / 1 am most drad of pepull vnyuersall / they dare not dyspease my most noble;" (V. 15 ff.). Saulus als adliger, reicher Herr, als der gefürchtetste und berühmteste Mann unter dem Himmel, damit ist der Hochmut der kirchenstürmenden Superbia zum Hochmut des Menschen geworden, der sich auf dieser Erde und nur auf dieser Erde („upon the ground") sicher wähnt, und auf die Macht solcher Äußerlichkeit pocht. Saulus stürmt weder gegen die Kirche wie die Allegorie der Superbia bei Prudentius, noch gegen die Religion, noch gegen den Inhalt der Religion, sondern er nimmt nur diejenigen gefangen, die einen Fehltritt begangen haben und durch ihr Vorbild und ihre Predigt die alte Ordnung, das Gesetz und die Synagoge zerstörten: „ I bring them to punyshement for ther trespace. / we wyll them nott suffer to rest in no place; / ffor they g o abouzte to preche and g y f f exemplis, / T o destroye our lawes, sinagoges, and templis" ( V . 25). Charakteristisch für das ganze Spiel ist die Mischung von derb burlesken mit steif zeremoniellen Zügen. Die Personen sprechen in genau 7zeiligen Stanzen (ababbcc), die bei dem geringfügigsten Anlaß herunterdeklamiert werden. Jede szenische Darstellung, die Überreichung der Briefe, das Besteigen des Pferdes, die Erscheinung Christi, Sauls Sturz, die Wegführung durch die Diener, die Erscheinung Christi bei Ananias, Heilung und Taufe Sauls usw., alles ist in eine breite Sprache gehüllt, sodaß die Handlung selbst erstarrt zu einer langsamen zeremoniellen Gestik, um die sich wie ein fremdes Gewand die breiten siebenzeiligen Stanzen der Handelnden legen. Aber auch die Handlung selbst bricht in dieser Weise auseinander: Unmittelbar auf ein steif förmliches Treugelöbnis der Knechte Saul gegenüber folgt ein populär clownhafter Streit zwischen dem Servus und einem Stallkneckt. Der Stallknecht weigert sich, für Saul Heu zu holen, denn er sei eines Edelmannes Knecht. Der Diener Sauls verspottet ihn darauf ironisch, er bitte um Gnade, er habe nicht 1

„The future apostle appearing as a knight-errant" (K. L. Bates, a. a. O. S. 155).

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S. o. S. 13.

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gewußt, daß er es mit einem so großen Herrn zu tun habe; jedoch sei er ihm einmal mit einem Gentleman begegnet. Sie hätten zusammen einen Mistkarren gefahren, und dabei seien sie beide ausgeglitten und in den Kot gefallen mit dem ganzen Gesicht. Einen solchen Anblick habe er noch nie gesehen. Diese Knechtszene, zweifellos nur zur bloßen Belustigung gespielt, trägt dennoch in der Art dieser Belustigung ein spezifisch spätmittelalterliches Gesicht. Zwar, zankende Knechte gibt es zu allen Zeiten, und auch der Inhalt des Zankes, die prahlerischen Schmähreden etc., dürfte sich überall, auch in anderen Theaterund Dramenformen, wiederfinden lassen. Aber der geschichtliche Ort, in dem diese allgemeinen Inhalte erscheinen, gibt selbst solchen Inhalten noch sein Gepräge, wenngleich dies sehr schwer herauszuarbeiten ist. Die Schwierigkeit liegt daran, daß diese komisch burlesken Elemente sehr tief in geschichtslose, rein natürliche Schichten reichen und darum fast niemals restlos in kulturell geschichtliche Formen eingehen. Das Theater aber als kulturell bedingte Institution greift diese geschichtslosen Elemente auf, verarbeitet sie und prägt ihnen damit ein bestimmtes Moment auf, das dem geschichtlichen Ort des jeweiligen Theaters zugehört. Dieses Moment liegt in unserem Spiel sogar sehr verstärkt vor, da ja gerade die geschichtliche Tendenz des spätmittelalterlichen Theaters nach bloßer Stofflichkeit, nach geschichtslos sinnlicher Darstellung drängt. D i e Bevorzugung realistisch komischer Elemente ist selbst schon historisch begründet und nicht etwa nur aus rein natürlichen Triebschichten, Spielfreude etc. zu erklären. Diese dringen erst ein, nachdem der Boden dazu freigelegt ist. So ist unsere Knechtszene zwar ein rein natürlich derbes Spiel, das zum Lachen reizen soll, und als solches geschichtslos; zugleich aber spiegelt es fast überdeutlich die StofTverfallenheit des Spätmittelalters wieder: Der Stolz des bloß kreatürlichen, bloß der Sinnenwelt offenen Menschen wird gedemütigt durch das Versinken in dieser Sinnenwelt. D e r Knecht, der mit seinen Kleidern, Ehren, Gentlemanallüren prahlt, steht nur auf der untersten Stufe der Gesellschaft und fallt darum dem Gelächter anheim. Sein Gesicht wird mit Kot beschmutzt, und alle Ehre ist dahin. Der Knecht ist das Gegenbild zu Saulus, wenngleich es nicht so von dem Dichter gemeint war und niemand damals ein Bewußtsein davon gehabt haben mag. Nicht das Bewußtsein einer Zeit entscheidet über sie, sondern ihr Sein. In der Tat steht das Motiv des immanenten Hochmuts und Falls hier im Mittelpunkt. Auch die paulinische Bekehrung erscheint nicht mehr als Rettung aus kreatürlicher Vereinzelung, sondern als psychologische Wendung vom Trotz zur Standfestigkeit gegenüber den eigenen Affekten: „euer to be stedfast and neuer to flyt; / but euer constant, with-owt varyacyon" ( V . 327). So rettet in diesem Spiel zwar noch das sakramentale Moment der Taufe Saulus aus seiner hochmütigen Verstrickung in die Wirrnis dieser Welt, aber das sakra-

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mentale Moment ist keineswegs mehr ein durchschlagendes transzendentes Ereignis, das die Immanenz unterwirft, erlöst und von sich selbst befreit. Sauls „Erlösung" besteht vielmehr in der Gewinnung von Sicherheit gegenüber den Leidenschaften und in der Gewinnung der Erkenntnis seiner eigenen Schwäche. Die Bekehrung ist im Grunde gar kein transzendenter Eingriff mehr, sondern eine Wandlung in der Immanenz selber. Der Umschlag von Hochmut zu demütiger Selbsterkenntnis spielt sich für Saul im rein Sinnlichen ab. Er äußert seine Demut Ananias gegenüber nur auf dessen banale Aufforderung hin, zu essen und zu trinken und sich zu stärken. Wie sein Kampf gegen die Christen nur ein immanenter war, so auch sein Umschwung. Nichts von einer Erlösung von Himmel und Erde, nichts von einer Ergriffenheit durch transzendente Mächte. Die Taufe ist nur noch eine getreue Reproduktion des Bibeltextes und um dessentwillen gebracht. Sie steht nicht mehr in einem liturgischen oder sonstigen religiösen Zusammenhang. Und wie als letzter Beweis für die Vergegenständlichung, in die hier alle transzendenten Bezüge eingegangen sind, erscheint plastisch sichtbar, als theatralischer Effekt, der heilige Geist über seinem Haupt: „Hic aparebit spiritus sanctus super eum" (V. 291). Damit sind die transzendenten Bezüge faktisch verirdischt. Das Problem der Auferstehung ist gar nicht mehr gestellt, und langsam beginnt schon die Aufteilung der Immanenz selbst in feindlich sich bekämpfende Mächte, langsam beginnt sich schon die Struktur des modernen Dramas herauszuarbeiten: Dieses überraschende Phänomen ergab sich mir bei der Analyse der dritten „Station". Es findet sich hier nämlich schon eine konsequent durchgeführte „Handlung" im modernen Sinn mit Spieler und Gegenspieler. Der erste Ansatz dazu findet sich bereits in der zweiten „Station" in der Unterhaltung der beiden Soldaten Sauls über die Damaskusszene. Dort erklären beide, sie wollten zu Kaiphas und Hannas gehen und ihnen die Bekehrung Sauls melden. Bevor also Paulus von Ananias geheilt und getauft ist, wird hier schon eine dramatische Gegenbewegung eingeleitet, ein vorwärtstreibendes, spannungerregendes Motiv eingeführt. Wirklich wird diese Aktion in der ersten Szene der dritten „Station" weitergetrieben: Die zwei Diener melden Kaiphas und Hannas die ganze Bekehrungsgeschichte, worauf diese sofort Rache an dem Verräter Saul beschließen. Die Teufelsszene, die unmittelbar auf diesen Racheschwur folgt, ist von einer späteren Hand eingefügt. Sie verstärkt aber nur die Gegenbewegung gegen Saul: Die Teufel erfahren von seiner Bekehrung und beschließen, ihn zu töten. Saul hält inzwischen im Tempel eine lange Bußpredigt, die ebenfalls Kaiphas und Hannas gemeldet wird. Sie befehlen, Saul zu fangen und die Tore zu schließen. In diesem Augenblick tritt wie ein Deus ex machina, der den Knoten zerhaut, ein Engel auf, tröstet Saul und läßt ihn im Korb entwischen. Die bloß epische Aneinanderreihung von biblischen Ereignissen ist damit

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durchbrochen und ein dramatisches Ineinandergreifen von Spieler und Gegenspieler angestrebt. Wir haben in diesem späten, dem „Verfall" des Mysteriums angehörigen Stück schon die ersten Elemente einer neuen, rein in der Immanenz sich bewegenden Dramatik, in die Engel, Teufel, Taufe, Heiliger Geist usw. noch wie die letzten Relikte einer vergangenen Heilsbezogenheit hineinragen, aber selbst schon von der immanenten Dramatik ergriffen und entheiligt sind: Taufe und Heiliger Geist sind requisitenhafte Begleiterscheinungen der Handlung, die Teufel helfen mit den Knoten schürzen, und der Engel vollends erscheint wie ein Deus ex machina aus der antiken Tragödie, der den geschürzten Knoten zerhaut und darum selbst verflochten ist in den immanenten Handlungsmechanismus. Das Zeichen aber, unter dem diese „reine Immanenz" steht, wird in den Teufelsszenen und der Predigt Pauli offenbar: Es ist das spätmittelalterliche Zeichen von Todes- und Sünden verfallenheit des Fleisches: Nachdem sich Belial als mächtigster, unumschränkter Herrscher vorgestellt hat („my powre ys princypall and now of most soferaynte; / . . . I reyne and rule ouer creatures humayne . . " (V. 416, 427)), unter dessen Gewalt auch Kaiphas und der Christen verfolgende Saul stehen, meldet ihm sein Bote Mercurius unter Heulen und Wehklagen („cryeng and roryng" (V. 432/3)) den Abfall Sauls. Belial bricht darüber in fast rührende, leidenschaftliche Klagen aus. Man habe ihm den Geliebtesten, seinen einzigen Liebling geraubt: „ H o ! owzt! owzt! what have we loste!! / our darlyng most dare whom we lowyd moste" (V. 466). Und Mercurius ruft aus: „ f o r thowzte I can do non other but crye". Here thei shal rore and crye, and then belyal shal saye: „Owzte, this grevyth us worse than hell payne: / the conuersyon of synner certayne / ys more payne to vs, and persecutyon, / than all the furyes of the Infernall dongyon" (V. 471). Alle Höllenpein ist also nach Belial erträglicher als die Tatsache, daß ein Sünder plötzlich von der Vorsehung ergriffen und gerettet werden kann. Alle Angst ist nichts gegen den Schmerz, den die verlorenen Geister dann empfinden, wenn sich plötzlich über ihnen die Decke öffnet und einer ihrer Mitverlorenen auf unbegreifliche Weise treulos in den Himmel entweicht. Die Teufel beginnen dann zu klagen, und ihr „roaryng and crying" erfüllt den aufgelösten Theaterraum des spätmittelalterlichen Theaters wie das Heulen der Verlorenen in Dantes Inferno. Die reine gottverlassene Immanenz klagt. Sie hält das Szepter dieser Welt in der Hand, der frühe Saul und Belial sind Fürsten und Herren der Erde. Aber ihr Stolz wandelt sich in Schmerz, wenn plötzlich das schwache Licht einer anderen Welt in sie hineinleuchtet, an dem sie keinen Teil haben. Man hat auch diese Teufelsszenen und gerade sie für ein reines Erzeugnis der Volksbelustigung gehalten: Bates 1 sagt, sie sei nur eingefügt worden, um die nun folgende langweilige (dull) Predigt des Paulus über die sieben T o d 1

K. L. Bates, a. a. O. S. 155.

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sünden und überhaupt das ganze Drama dem Volke schmackhafter zu machen. Und J. B. Moore 1 zitiert diese Szene geradezu als ein Hauptbeispiel für komische Elemente im mittelalterlichen Drama und stützt sich dabei auf folgende Bühnenanweisungen: „Here to enter a devil with thunder and fyre and to avaunce hym sylfe, saying as followyth; and hys spech spokyn, syt downe in a chayre" (V. 411 /2). A u s dieser Anweisung aber ist nichts von Komik abzulesen. Donner und Blitz, mit denen der Teufel auftritt, machen ihn noch nicht zum Clown. Er hält vielmehr zuerst eine lange und durchaus ernsthafte Rede und setzt sich dann sehr gesittet auf einen Stuhl. A u c h die drei folgenden Zitate: 1. „Here shall entere another devyll callyd mercury with a fyeryng, commyng in hast, cryeng and roryng, and shal say as f o l o w y t h " , 2. „Here thei shal rore and crye, and than belyal shall s a y e . . . " , 3. „Here thei shal vanyshe away with a fyrye flame and a tempest", weisen nichts Komisches auf. Die Ursache ihres „roryng and cryeng" wird vielmehr von den Teufeln sehr genau angegeben und ist alles andere als komisch. Ja man kann sogar etwa aus der Zeile: „ h o ! owzt! owzt! what haue we loste! our darlyng most dere whom we lovyd mostd" (V.466) so etwas wie einen wirklichen Schmerz herausspüren. Umgekehrt hat nun z. B. Gayley 2 in diese Szene einen zu allgemeinen und verschwommenen „Sinn" hineingelegt, der nicht unmittelbar mit dem historischen Material gegeben ist und darum über die Tatbestände hinwegdeutet. Er sieht nämlich in dieser Szene einen „conflict between good and evil for the possession of a human soul, which is the raison d'etre of the ,moral'". Ähnlich wie in den Moralitäten der damaligen Zeit die Allegorien der Laster und Tugenden um die Seele des Menschen gestritten hätten, so sei auch Sauls Seele hier von Gut und Böse umworben, nur daß der Konflikt an Stelle allegorischer Figuren von Gott und Teufel ausgekämpft werde. Mit dieser allgemeinen Formel: Gott und Teufel kämpfen um die menschliche Seele, ist noch gar nichts über die spezifische Problematik des Spieles gesagt. Auch um Fausts Seele findet ein solcher Kampf statt, und der „Theophilus" eines barocken Dramatikers weist genau dieselbe Spannung auf. Es fragt sich nur, in welcher Konstellation ein solch allgemeiner Dualismus erscheint. Für unser D i g b y Spiel ergibt sich dabei folgendes: W i r haben es bereits mit einem säkularisierten Theater zu tun, in dem Gott und Teufel, Gut und Böse, nur noch als Zeichen und allegorische Bilder für immanent-irdische Konflikte gelten und darum in eine Vielheit von Allegorien, Lastern und Tugenden zerfallen. D e r Grundkonflikt, dem selbst der Teufel unterworfen ist, heißt deshalb: W i e befreie ich mich von der Welt der reinen Äußerlichkeit, wie entrinne ich der Liebe zu mir selbst und meiner irdisch äußerlichen Macht, wie wird das Phänomen des Hochmuts überwunden? 1

J. B. Moore: The Comic and the Realistic in English Drama, Chicago 1925, S. 8 f.

• Charles Mills Gayley: Plays of our forcfathers, London 1908, S. 208.

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Der letzte und endgültige Ausweg ist die Rettung durch die Transzendenz (Pauli Bekehrung), aber dieser Ausweg ist für das Spätmittelalter schon beinahe verstellt. Deshalb spielt sich der zentrale Kampf — auch für Paulus — in der Immanenz ab, im Kampf zwischen den verschiedenen Lastern und Tugenden, nicht mehr zwischen Gut und Böse schlechthin, sondern zwischen guten und bösen Eigenschaften. Das Theater wird so im engen Sinne moralisch (Moralitäten) und wird es vollends, als im 16. Jahrhundert der katholische Heilshintergrund restlos verschwand und die rein bürgerlich diesseitige Moralität übrig blieb, während die Forderung nach Rettung aus dieser Welt des Fleisches nur noch in der Innerlichkeit des persönlichen Gewissens (Luther) eine Stätte fand. Die im engen Sinne moralistische Haltung des endenden 15. Jahrhunderts ist überall spürbar, auch in unserem Digby-Spiel. Paulus hält eine lange, mit Bibelsprüchen versehene Rede über die sieben Todsünden Hochmut, Wut, Neid, Wollust, Eitelkeit etc. So stellt dieses englische Paulus-Mysterium eine merkwürdige Mischung rückwärtsbezogener und zukunftsweisender Elemente dar, und bereits ein weiter Bogen ist umschrieben mit seiner Darstellung. Aber noch einmal hat das spätmittelalterliche Theater ein letztes und großartigstes Nachspiel erlebt in dem Apostelmysterium der Gebrüder Greban. c) „Mystère des Actes des Apôtres" der Gebrüder Arnoul und Simon Greban Wir haben im Verlauf dieser Untersuchung den Weg verfolgt, den der Paulusstoff im Drama des Mittelalters nahm, wir sahen, wie er aus seiner dogmatischen Geschlossenheit der Frühzeit heraustrat und zum bloßen Stoff wurde, der isoliert und deutungslos in der Welt bloßer Erscheinungen steht. Und wir fanden, wie ihm Deutung nur zukam im reinen Versinken in seinen eigenen Stoff, in Bekehrung und Martyrium, aus denen zuletzt, im Moment ihrer brutalsten Veräußerlichung, die Deutung als Lehre und starre Abstraktheit heraussprang. Höhe und Ende dieser Entwicklung bildet das ungeheure „Mystère des Actes des Apôtres" der Gebrüder Arnoul und Simon Greban 1 , das äußerlichste und zugleich abstrakteste Werk, das wohl überhaupt das mittelalterliche Drama hervorbrachte. 1

Begonnen von Simon schon 1450—60 (s. Ch. Aubertin, a. a. O., S. 464), beendet von beiden etwa um 1500

(s. P. de Julleville, a. a. O. II, S. 41). Die Hs. des Simonschen Teils in Paris aus d. J . 1528/9, eine unvollständige Hs. aus dem 15. Jh. in der Bibl. de l'Arsenal 3360—3363. Dazu gibt es 3 gedruckte Ausgaben aus d. J . 1537, 1540, 1541, alle in Paris gedr., und Exemplare in der dortigen Bibl. nationale (nicht verleihbar), ein Ex. des letzten Jahres auch in Brüssel, dort ebenfalls nicht verleihbar. Zugänglich war mir die Ausgabe von 1537: „Triumphant Mystere des Actes des Apostres translate fidelement a la vérité Historiale / escripte par sainct Luca Theophile. Et illustre des legendes autenticques et vies de sainctz Receues par leglise / tout ordonne par personnages. Auer priuilege du R o y 1573 (Paris)", Exempl. in der Univ.Bibl. Göttingen. Den genauen Titel der übrigen Ausgaben s. bei P. de Julleville, a. a. O. II, S. 461 f. Aufgeführt wurde ein Teil des Dramas 1478 in Aix vor dem König René, das ganze Drama 1536 im großen antiken Amphitheater zu

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PAULUS IM DRAMA DES MITTELALTERS

Es besteht aus 40 Spieltagen, 61908 Versen und 494 Personen, deren Aufzüge und Kleidung zusammen mit den raffinierten Theatereffekten z. B. bei der Aufführung in Bourges 1536 das Prunkvollste und Kostbarste darstellen, was uns aus mittelalterlichen Theaterschilderungen bekannt ist 1 . Große Maschinerien, fliegende Drachen, Feuereffekte, Schiffahrten und Schiffbrüche, breit ausgedehnte Marterszenen, Wundererscheinungen usw. wechseln ununterbrochen ab. Daneben läuft eine äußerst komplizierte, an Wortspielen und Längen überreiche Sprache. Die Handlung dehnt sich über 9 Bücher aus, die die ganze Apostelgeschichte des Lukas, sämtliche legendarische Berichte über die Apostel, d. h. Predigten, Wundertaten und Martyrium jedes einzelnen Apostels in Rom, Griechenland, Indien, Äthiopien, Ägypten, Mazedonien, Babylonien, kurz auf der ganzen damals bekannten Erde behandeln, dazu noch die Ereignisse der gleichzeitigen römischen Kaiser. Die Ausgabe von 1541 enthielt sogar noch die Johannesapokalypse, die Visionen des Johannes auf Pathmos, die in lebenden Bildern und einem begleitenden Text des träumenden Johannes vorgeführt wurden 2 , während auch hier wieder Teile der römischen Kaisergeschichte, monströse Greueltaten Domicians etc. eingelegt wurden. Nichts ist ausgelassen. Alles auch nur einigermaßen sinnlich Darstellbare wird inszeniert. Und daneben diese merkwürdig differenzierte, an Wortkünsten sich schier überschlagende Sprache. Der Aufbau dieses „Dramenungeheuers" ist nun aber nicht so ganz wirr und „unkünstlerisch", wie er immer hingestellt wird 3 . Im Gegenteil wurden die beiden Verfasser, zwei bedeutende Gelehrte (Theologen) und Dichter, um dieses Werkes willen von ihrer Zeit außerordentlich gefeiert und ihr dichterisches Talent immer und immer wieder gepriesen4. Die Zeit also fand dies ihr eigenes Werk gut. Darum gilt es, das, was so zu ihr sprach, herauszuarbeiten, will man ein einigermaßen zutreffendes Bild von ihr erhalten. Ich sagte, der Aufbau des Dramas sei nicht so durchaus wirr, sondern enthalte einen bestimmten, in seiner Zeit tief verwurzelten Plan: Die Lebensgeschichte der Apostel wird nämlich nicht einfach chronologisch abgewickelt, sondern vollzieht Bourges; über diese Aufführung liegt uns eine genaue Szenen- und Personenangabe, sowie eine Beschreibung der Kostüme, aller Requisiten etc. vor in der Edition von Le Baron A. de Girardot: Mystère des Actes des Apôtres, représentée i Bourges en Avril 1536, Paris 1854. Aus dieser Edition zitiere ich die Requisiten und Bühnenanweisungen. Die letzte Aufführung fand im J . 1541 in Paris durch die berühmte Confrérie de la Passion statt. 1571 sollte das Drama noch einmal in Argenton gespielt werden. Die Aufführung fand aber nicht statt (P. de Julleville II, S. 165). 1

Schilderung von Jacques Thiboust: La relation de l'ordre de la triomphante et magnifique monstre du myst. des act. d. ap., gedr. Bourges 1536, Auszüge ed. von A. de Girardot, a. a. O. in s. Einleitung, und von P. de Julleville, a. a. O. Bd. I. S. 377 ff. • S. Wilh. Creizenach, a. a. O. Bd. III, S. 14/15. • S. die Urteile Creizenachs, Jullevilles etc. « Genaue Angaben über das Leben der 1 Dichter bei P. de Julleville, a. a. O. Bd. I. S. 317—322.

P A U L U S IN D E N S P Ä T M I T T E L A L T E R L I C H E N MYSTERIEN

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sich unter einem systematischen Kampf zwischen Aposteln und Teufeln um die Rettung des Menschen aus der Verlorenheit des Fleisches. Teufelsszenen und Apostelszenen wechseln ununterbrochen polar ab: Der Hl. Geist steigt unter feurigen Zungen und einem „tonnoirre résonant en paradis" (Feuillet V I ) auf die Jünger herab. D i e Hölle beantwortet diesen Versuch, das Göttliche in das Irdische fließen zu lassen, mit ebensolchem Donner: „ I c y se doibt faire v n g grant tonnerre en enfer" (F. VIII, 2). Jede Szene aus der Apostelgeschichte wird in dieser Weise sozusagen unter dem Protest der Teufel gespielt, unter einem Aufruhr der gottverlassenen, höllischen Kreatur gegen die unbegreifliche und darum unverdiente Begnadigung der Heiligen. Diese Begnadigung der Heiligen aber ist nur möglich durch ununterbrochenes Leiden und endliches Opfer ihrer Leiber. Schon vor seinem eigentlichen A u f treten sitzt Paulus wie ein stummes Bild des Leidens im Gefängnis. Dann erst folgt seine Bekehrung und eine unendliche Kette von Steinigungen, Einkerkerungen, Rutenschlägen, Schiffbrüchen usw., die Paulus erdulden muß. Als begnadendes Gegenbild zu diesen Leiden erscheint die fürbittende Maria. V o n Maria gehen für das Spätmittelalter 1 alle Wunder und Rettungen aus. Sie ist die letzte menschlich-mütterliche Zuflucht einer menschlich verirdischten Zeit. Sie, die zwischen Himmel und Erde steht, ist die wahre Mittlerin und Pforte zur immer ferner entschwindenden Transzendenz. So steht sie2 zu Anfang des zweiten Buches auf dem Berg Tabor in tiefer Kontemplation, auf welche die Teufel mit „grant bruict" antworten und das Martyrium des Stephanus in Angriff nehmen. In solch ständiger Parallelität von Martyrium und Begnadung ist das ganze Drama weitergeführt. Jeder einzelne Apostel wird auf seinem einzelnen Standort gemartert und durch ein Wunder erlöst, und jede einzelne Szene ist selbst wieder, in ihrer maschinell effektvollen Theatervorführung, nichts als eine Demonstration des Satzes, daß die Welt dieser Erscheinung eine Welt des bloßen Stoffes ist: So stürzt Paulus unter großen Lichterscheinungen und Donner vom Pferd und fahrt auf einem wirklichen Schiff, das mit den technisch detailliertesten Mitteln vorgeführt wird, nach R o m : „Fault une navire sur mer pour mener st. Pol à Romme. Fault a lad. navire une polye au matz et une cheville en terre, et passer une corde en lad. polye pour virer lad. navire. Fault de la poix pour fondre et rabiller la navire par le patron" 3 . Aber das Grundmotiv, die Demonstration der Gnade mitten in der Nacht der Äußerlichkeit, ist durchgehalten. Gott will Paulus durch die Lichtvision vor Damaskus den Glauben an die Auferstehung schenken: „ C a r de croire il est 1

S. z. B. die große Zahl der Mirakelspiele de Notre Dame: Miracles de Notre Dame, ed. von G. Paris-

Ulysse, in der Société des anciens textes français, Paris 1878. 1

Nach A . de Girardot, a. a. O . S. 10.

• A. de Girardot, a. a. O . S. 22.

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PAULUS IM DRAMA DES MITTELALTERS

incite / Que point ne suis ressuscite / Luy voulons oster et corriger / D e sa mauluaistie presumptiue / De lumiere tresexcessiue / Voulons quil soit circumfulczy" (Feuillet L X X V I I I , 2). Das Wunder der Auferstehung ist das erschütterndste Erlebnis für die stoffverlorene Welt des spätmittelalterlichen Theaters. Wenn das „lumière tresexcessiue" auf Paulus fällt, da sind selbst die Teufel geblendet und wissen nicht ein und aus vor ratloser Bestürzung. Burgibus hält das Licht für eine Täuschung, die er natürlich zu erklären versucht: „ C a r toute organicque puissance / Se corrompt bien par violence" (F. L X X I X ) . „Sathan" aber weiß zu tief, wie das göttliche Licht aussieht, und wie sehr alles irdische Licht an Reinheit und Gewalt von ihm überstrahlt wird : „Mais est par nature impossible / Car lair est tant nect et tant pur / Quil ny a rien qui soit obscur / Des parties hyperborees / Et de midy / sont separees / Nues prains quen cestuy domaine / Notus osa grant barbe amaine / Regarde orient, occident / Il est tout clair et luident / Qui bien imagine et calculle / Quil ny a impression nulle / Naucun effect metheoricque / Pourtant ne tarreste en physicque / Senquerir veulx la vérité / D e ceste luminosité / La cause est supernaturelle" (F. L X X I X ) . Die Uberantwortung alles Religiösen an die irdische Welt ist hier schon so weit fortgeschritten, daß bereits rückwirkend vom Natürlichen her die Wunder bezweifelt werden. Aber die gleiche Uberantwortung, die gleiche Verfallenheit an die Immanenz zwingt auch zur Annahme eines radikal jenseitigen „übernatürlichen" Lichtes, aus dem allein noch Gnade und Rettung kommt. Die Spannung hat hier ein Äußerstes erreicht. Die Teufel versinken bereits in philosophisches Grübeln über ihren eigenen Zustand, so daß ihnen Luzifer zurufen muß: „Pensez a ce que ie suppose / Philosophez, philosophez, / Quant que vous vous eschauffez / A en donne vostre sentence" (F. L X X X ) . Wenn noch irgendein Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Teufelsszenen besteht, so mögen diese Worte überzeugen, denn wahrlich, die Rolle der Teufel kann kaum ernster gefaßt werden, als es hier geschieht. Das Erlösungswunder, das überirdische Licht, das plötzlich, „en vng moment" in die Greuel der Erde fallt, ist das große Ereignis, um das sich alles Wundern und Schauen dieses Theaters bewegt. Paulus predigt immer und immer wieder davon. Er malt dem Landpfleger Felix Sündenfall und Verblendung der Menschheit aus und die endliche Rettung durch die leibliche Auferstehung des Gekreuzigten. Noch auf dem Wege zum Martyrium ruft er aus: „ O hommes fors et vertueux / Hommes courageux, vigoureux / . . noblesses dont auez regence / En vostre noble intelligence / Dont ne pouez la vente / Longnoistre en parfaicte équité / Qui est en vous, conuertissez" (F. C C X I I I ) . Das Martyrium ist darum der eigentliche Gipfel des Schauspiels: Die einzige Figur, die geschlossen durch das ganze Drama geht und ihm erst seine Einheit

PAULUS IN DEN SPÄTMITTELALTERLICHEN MYSTERIEN

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verleiht, ist die „grausig spaßhafte Figur" 1 des Henkers Daru, der unermüdlich einen Apostel nach dem anderen abschlachtet2 Mit diesem Äußersten an Versinnlichung der geistlichen Stoffe hat das mittelalterliche Drama zugleich den wirklichen Charakter seines „Realismus" entlarvt. Der Realismus — dies wird jetzt klar geworden sein — entspringt aus der Uberantwortung alles Geistigen an die Welt des Leibes, die von dem Irdischen jedoch keine Sinnerfüllung und „Realität" gewinnen kann, und darum den Sinn gerade aus dem Tod des Leibes, der „realistischen" Ausmalung des Martyriums und der wundersüchtigen Rückwendung zur entschwindenden Transzendenz empfangt. Der Realismus dieses Theaters ist nicht im Irdischen, nicht in Boden, Heimat oder Landschaft gegründet 3 , sondern in der detailliertesten Darstellung todverfallener Leiblichkeit: „Les scènes du martyre, des interrogatoires, les supplices préliminaires, le tourment suprême sont établés uniformément avec un luxe de détails" 4 . Es ist gar kein echter Realismus, weil er in der völligen Verwirrung der Sinne und der Physis auch seine eigenen Realien und Wahrheiten verloren hat. Die Sprache dieser Dichtung ist schon die der Sprachverwirrung, des bloßen Klangs und des sinnlichen Körpers. Der hl. Andreas stellt sich folgendermaßen vor: „Pescheur je fuz, peschant poissons et rhetz ; / Prescheur je fuz, peschant pescheurs errez / Au parfond fond d'inique iniquité. / Mes effectz faictz, es suyvans vers verrez / Et que tout pour équité ay quitté; / Car quand Jesus m'a incite cité, / A sa voix vois sans delay délaissant / Ces rhetz servez, et a vng pas passant / A ses accès, car a qui acquitté / Est mal malheur, s'en va de paise paissant" 5 . Wie weit eine solche Sprache von echter Volkstümlichkeit entfernt ist, spricht für sich selbst. Äußerste Prachtentfaltung verbunden mit äußerster Sinnentleerung, damit ist der letzte Schritt dieser Entäußerung des dogmengebundenen Stoffgehaltes vollzogen, die wir im Verlaufe unserer Paulusspiele beobachtet haben. Nach der Aufführung des Grebanschen Apostelmysteriums in Paris i. J . 1541 entstand im französischen Parlament ein längerer Streit über die verderbliche Wirkung des Spieles, der mit dem Verbot des Dramas und dem baldigen Verschwinden auch aller übrigen Mysterien endete8. Das mittelalterliche Drama hatte sich seine letzte und phantastischste Vorstellung gegeben 7 . 1

W . Creizenach, a. a. O. I. S. 212.

• P. de Julleville, Bd. I. S. 218. " „Toutes les époques et tous les pays se ressemblent. La physiognomie des héros etc. est indistincte et peu vivante", P. de Jullev. a. a. O. I, S. 229. • P. de Julleville, a. a. O. Bd. I, S. 276. ' Das Zitat hat P. de Julleville, a. a. O. I, S. 292 abgedruckt. * S. darüber Genaueres bei P. de Julleville, a. a. O. Bd. I, S. 424 ff. * In den mittelalterlichen Dramen, in denen Paulus nur auftritt, spielt der Apostel eine solch untergeordnete Rolle, daß ich sie nur am Schluß, S. 132 f., bibliographisch anführe. Paulus erscheint dort meist unter der Schar der Apostel und tritt höchstens mit einem oder zwei Versen heraus.

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PAULUS IM HUMANISMUS

II. P A U L U S IM H U M A N I S M U S D E S A U S G E H E N D E N 15. U N D B E G I N N E N D E N 16. J A H R H U N D E R T S Die endgültige Ablösung des Paulusstoffes von dem sakramental-dogmatischen Heilshintergrund des katholischen Mittelalters vollzog sich zum ersten Male sichtbar in der großen humanistischen Welle des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts. Hier wurde der Paulusstoff aus der Negativität der reinen, sich selbst überlassenen Äußerlichkeit befreit und mit einem neuen immanenten „Sinn" durchdrungen. Und zwar geschah dies zunächst durch Transponierung der Paulusfigur in die neu einströmende Stoffwelt der Antike. A m deutlichsten wird das in dem Paulus-Epos des französischen Poeta Laureatus P. Rosettus aus dem Jahre 1522: „ P . Rosseti Poetae Laureati, P A U L U S , Venudat Badio, Cum priuilegio in trieniu, Paris 1 5 2 2 " 1 . Das Epos ist in lateinischen Hexametern geschrieben und stellt die radikalste Einwanderung des Paulus in die antike Epenwelt dar, die man sich vorstellen kann. Schon in den Einleitungsversen wird Paulus als antiker Heros angesprochen, der wie Aeneas jahrelang auf dem Weltmeer umherirrte, Leiden und Schmach erduldete, bis er endlich in Rom, an der Küste des Aeneas, Ruhe findet: „Ordiri varios mihi mens imensa labores / Herois posuit qui corda furentia quondam / Caelesti iussu: moremque reliquit avitum: / Vim maris irati quoties, an dira suorum / Est odia expertus, laeti dum nuncius aevi / Tot terris ultro erraret: quid limina vinctus / Aeneadum: et sumum petiit quo funere coelum / Expediam." Bekehrung und Martyrium treten natürlich ganz zurück. Die Handlung setzt nicht chronologisch mit der Christenverfolgung Sauls und seiner Bekehrung ein, sondern mit einer großen Volksszene in Jerusalem (Act. 2 1 , V . 26 ff.), der endgültigen Gefangennahme und Uberweisung des Paulus nach Cäsarea, die seine Überfahrt nach Rom nach sich zieht (Act. 21—28). Diese Volksszene, die Erregung der Juden bei seinem Eintritt in den Tempel, seine Rede und Gefangennahme usw., ist breit durch Darstellung von einzelnen Gruppenbildern, aufziehenden Soldaten, hin und her wogendem Volk etc. ausgemalt. Dabei wird — wie in der Bibel — während der Verteidigungsrede des Paulus vor den Juden seine Bekehrung erzählt (Act. 22, V. 3—22). Das Hauptgewicht in dieser Bekehrungserzählung legt Rosettus wieder auf die Schilderung der Szenerie, des Städtebildes von Damaskus, des aufflammenden Lichtes usw.: „ . . . atque vobis vicina tenebam / Rura viam accelerens: turres ac tecta v i d e b a m . . . Eripiam: pulsaque dabo caligine lucem etc" 2 . Anstatt nun die Blindheit und Verzweiflung Sauls zu bringen, 1 Ein Exemplar in der Pr. Staatsbibl. Berlin. Eine 2. Ausgabe von 1537 ist in der BibL nationale Paris unter Y e 8564, nicht verleihbar.

• In der 1. Schilderung der Bekehrung im II. Buch des Epos Fo. X X I I I lauten die Worte ähnlich.

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läßt er Paulus in diesem Moment in einer Vision 1 den Glanz und die Pracht des Himmels schauen: „ . . . et secum multa me luce iacentem / Aethera per liquidum tulit: atque evexit olympo: / . . Divorum vidi loca luce micantia late: / Multiplicesque choros: . Dennoch ist diese Schilderung, wie auch übrigens die von Damaskus und den Volks- und Gruppenbildern, keine eigentliche Milieu- oder Landschaftsmalerei, sondern mehr eine Inszenierung, die möglichst helle Beleuchtung eines im Grunde fremden, noch nicht in unmittelbare Gegenwart verwandelten antiken Stoffes. Das Verhältnis der Antike zur eigenen christlichen Gegenwart ist in der Tat das Grundproblem des Epos. Bei der Übersiedelung des gefangenen Paulus nach Caesarea läßt der Dichter Jupiter eine lange Klagerede darüber halten, daß er nun mitsamt den Göttern vor dem neuen Gott des Paulus weichen muß. Das 2. Buch enthält entsprechend eine ausführliche Betrachtung über das Verhältnis von Paulus zu den Göttern. Zunächst wird in antik mythologischen Bildern der Sieg des Christentums durch Paulus demonstriert: „Iampridem coelum omne patet: gens aurea surgit Christigenu quibus ipse domum rex magnus Olympi / Annuit cetheram: stygis iam clauditur vmbris, / Forte pios tante, vt quondam, ne munere fraudat / Dux erebi vinctus: meriris patientia plenam" (Fo X V ) . Daran schließt sich eine mit dem ganzen mythologischen Apparat versehene Darstellung des Weltendes, Mohammeds, des Antichrist und letzten Gerichtes, und schließlich die „Querula Junonis", die Klagen der Juno, die, wie einst dem Odysseus, nun Paulus Rache droht durch Sendung von Schiffbrüchen, Irrfahrten und Leiden aller Arten, aber sich eingestehen muß, daß Paulus stärker ist als sie: „ . . extinguat nostros nunc Paulum honores / Subiiciat Christo totum nunc improbus orbem: / Profat extremae Christum extra limina terrae. / Heu pudor, heu moeror, versae in conuicia laudes, / Et vetus imperii mutata est gloria nostri / Dedecus in tantum: saevo me opponere frustra / Sum molita viro: nam Semper victa refugi . . Naufragis elatis quoties elapsus ab undi es?" Die Götter klagen also, daß sie von dem neu aufziehenden Christentum überwunden werden. Andererseits aber spricht Paulus selbst in antiken Bildern und Wendungen, und Rosettus überträgt ohne weiteres mythologische Vorstellungen auf den christlichen Himmel. Dieses komplizierte Verhältnis des Humanismus zu Antike und Christentum wird von Rosettus auf eine sehr tiefsinnige Weise in der zweiten Schilderung der Bekehrung (Fo X X I I I I ) entwickelt: Das Licht, so sagt Rosettus, sei nicht umsonst zur Erde auf Paulus herab gefallen, sondern es habe ihm und allen Menschen ein neues Leben geschenkt: „ N o n frustra summo lapsurum ex aethere numen / Auxilio terrae, rursumque ad limina vitae / Venturos homines bissenis patribus orti / Credidimus". Das Griechentum aber habe nicht 1 Paulus soll nach alter Vorstellung seine Visionen, von denen er spricht, während seiner Blindheit in Damaskus gehabt haben.

Emrich, Paulus 3

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vorwärts zu diesem neuen göttlichen Willen geschaut, sondern, obwohl es Zeichen von Auferstehung gekannt habe, wie Eurydice rückwärts in den Tartarus, in die Welt des Todes geblickt: „ . . . iterum post funera vixit / Virbius 1 : Eurydice, manes si forte dedissent, / Vixisset rursum: geminos superesse vicissim / Tindaridas fama est: locus non talia poscit" (Fo X X I I I I ) . Und sofort stellt er den Gegensatz zu Paulus, dem Tharser, auf: „Tarsius haec contra: in promptu, quem dicimus extant / Omnia: quid fama cunctis tot cognita vulgo / Gesta dei memorem?" (Fo X X I I I I ) . Dann führt er in einer genialen Erfindung das christliche Gegenbild zu Eurydice, den auferstandenen Lazarus ein. Damit spricht Rosettus in prägnantester Weise die für die ganze Renaissance geltende Tatsache aus, daß die antike Stoffwelt zwar die Grundlage für eine Neuerschließung der Immanenz bot, andererseits aber diese Immanenz eine schuldund todüberwindende Positivität erst erhalten konnte mit Hilfe der christlichen Auferstehungslehre, d. h. durch Einsenkung der langsam entschwindenden Heilstranszendenz in die Immanenz. Dieser Weg, schon von den Mystikern (Eckhart) angebahnt in ihrer Vorstellung, daß in jeder irdischen Erscheinung Gott unmittelbar anschaubar sei, wurde vollendet von der Renaissancephilosophie (Nik. Cusanus) in der Lehre von der ungebrochenen Identität zwischen Gott und Welt. Die antiken Elemente, es handelt sich interessanterweise fast immer um spätantik-neuplatonische Vorstellungen, die ja einen durchaus weltverneinenden Zug tragen, werden aus ihrer negativ rückwärts- und todesgewandten Haltung befreit und in die Positivität einer weltbezwingenden und -beherrschenden Immanenz verwandelt. So läßt z. B. Rosettus im 4. Buch seines Paulusepos, „ D e Hierarchiis coelistibus", seinen Helden in einer Vision den ganzen neuplatonischen Stufenbau des Kosmos schauen, aber diese Hierarchie ist für ihn keine Stufenleiter von dem höchsten räum- und zeitlosen „Uber-Seienden" (Plotin) bis zur elendesten, sünden- und schuldbeladenen Materie, sondern die Trinität Gottes ist auch inklusive in jeder Erscheinung, auch in der Materie verborgen: „Mundus adest triplex: triplici sunt ter tria mundo / Agmina coelicolu: triplex est omnibus illis / Imperium, vt triplex divinem mentis imago" (Fo X X X V I I I ) . In jeder weltlichen Erscheinung ist Gott ganz enthalten. Es gibt keinen eigentlichen Bruch mehr zwischen Himmel und Erde. Zwar ist Gott der im platonischen Sinn unbewegt Bewegende: „ . . Et molem mouet immensam non motus" (Fo X X X V I I ) . Aber dennoch ist er nicht mehr der radikal Jenseitige, Ubervernünftige, der an keiner Materie Teil hat und nur durch asketisch-ekstatische Befreiung von der Materie (Plotin) geschaut werden kann, sondern er ist zugleich die die Immanenz erfüllende und gestaltende Kraft, die „Quelle alles Lebens": „Fons vitae exuperans, 1 Beiname des von seinen Pferden zerrissenen Hippolytus, nachdem er wieder lebendig geworden war, gleichsam „bis vir". (Georges Lat. Handwörterbuch, Hannover, Leipzig 1897.)

PAULUS IM HUMANISMUS

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atque ardua lucis origo / Cuncta fovet, sobolem tollitque novatque caducam" (Fo X X X V I I ) . Der christliche Schöpfergott und der platonisch Unbewegte sind hier verbunden, aber die Verbindung ist locker, die Gottesvorstellung ist ohne eine geschlossene Systematik: Darum ist Paulus bei Rosettus weder ein antiker Heros noch ein christlicher Märtyrer, sondern er ist beides. Er ist weit- und götterüberwindender Sieger, der alle Enden der Erde für sich gewinnt, aber nur durch seine Geduld, seine Leidensfahigkeit und vor allem durch seine Bereitschaft für das Licht, das ihm in der Bekehrungsstunde aus dem offenen Himmel entgegenstrahlte. Jedoch er ist beides nicht in einer sprunglosen Einheit, sondern in einem unentschiedenen Nebeneinander. Die antike Verkleidung ist ein fremdes Medium, das eine Wiedergewinnung von neuem immanentem Boden darstellt, aber als fremdes Medium diese Wiedergewinnung nicht restlos erreicht. Der humanistische Paulus ist keine geschlossene Gestalt, die auf einem festen, gegenwärtigen Boden stünde, sondern er ist nur eine Maske, in der die humanistische Spannung Antike— Christentum abstrakt exemplarisch zum Ausdruck kommt: Das eigentliche „Leben" des Paulus, wie es sich faktisch abgespielt hat, kommt in ihm kaum zur Darstellung. Er ist mehr ein Durchgangspunkt für allgemein kulturelle Probleme des Humanismus. Paulus ist zum erstenmal eine Figur geworden, der beliebige „Probleme" untergelegt werden können, ablösbar von dem konkreten Stoff des Paulus. In den drei ersten Büchern behandelt Rosettus die Bewährung des Apostels gegenüber den Verfolgungen der Götter, und im vierten Buch seine Entrückung in den kosmischen Aufbau der himmlichen Hierarchien. Erst das fünfte Buch enthält das eigentliche Leben des Paulus, aber mehr als knappen Abriß, den der Dichter wie in letzter Stunde nachholt. Rosettus sagt selbst am Ende des Buches, es enthalte „fere omnes errores Pauli et maiorem aerumnarum partem brevissime". Und im sechsten Buch endlich wird, ebenfalls in „kürzester" Weise, das Martyrium in Rom dargestellt: „sequitur liber Sextus: in quo et aperte et breviter beatissima Pauli passio describitur". Das Martyrium ist wirklich nur in allerknappster Weise geschildert. Den größten Raum nehmen die Reden zwischen Paulus und Nero, Patroclus und Nero etc. ein. Die ausführliche Beschreibung der Greuel Neros und seiner Henker, wie sie das Spätmittelalter gab, ist restlos geschwunden. Ja, die Tyrannei des Kaisers wird überhaupt nicht mehr verstanden, sondern als „der menschlichen Natur fremd" bezeichnet: „ . . a natura hominum alieni tyranni Neronis mores pessimi ostenduntur". DemMenschlichen, dem Humanum, dem Mittleren zwischen dem Dämonischen und Göttlichen (Cusanus) ist das einseitig Teuflische und das einseitig Himmlische fremd. Die ungeheure Kluft, die das Spätmittelalter geöffnet hatte, ist vorübergehend geschlossen. Aber nur scheinbar und in den Gedankenbildern der Philosophen des Humanismus. In Wahrheit blieb die Kluft bestehen. Das beweist der künstlerische 3*

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Aufbau des Paulusepos, das beweist vor allem die weitere Gestaltung des Paulusstoffes in den Kultursatiren des 16. Jahrhunderts und vollends die Wendung des späten Humanismus zum Barock im ausgehenden 16. Jahrhundert1. Rosettus ist der bedeutendste Vertreter der humanistischen Umformung des Paulusstoffes. Aber er steht darin keineswegs allein. Schon 1512 schrieb Marcus Jordanes eine lateinische Poetisierung von Pauli Reisen2. Das Motiv der Meeresfahrten steht also wiederum im Mittelpunkt. Joachim Camerius (1500—74) erdichtet einen griechischen Briefwechsel im Stil von Eobanus Hessus' Heroidenbriefen zwischen Paulus und den Ältesten der Gemeinde von Ephesus, die ihn nach Milet einladen3. Zu gleicher Zeit beginnt die Ubersetzertätigkeit: Bertram v. Damm übersetzt 1539 den Römerbrief in lateinische Verse nach Melanchthon, Johannes Clajus übersetzt ihn in deutsche Verse4 und Jan Fruytiers in holländische5. Eine Paraphrase des Römerbriefes in lateinischen Distichen, die nicht wiedergefunden ist, verfaßte 1529 Theodor Ad. Dietrich Reysmann8, und der Spanier Alvaro Gomez brachte gar im gleichen Jahr sämtliche Briefe des Paulus in lateinische Verse7. Auf die Paulusepen von Achatius Cureus (1562) und Caspar Reppusius (1581) werde ich erst im Zusammenhang mit den humanistischen Schuldramen, die den Paulusstoff behandeln, eingehen, da sie bereits in eine spätere Entwicklung des Humanismus hineinführen. Zu den „Anfangen des humanistischen Dramas in Florenz" 8 gehört das PetrusDrama von Pietro Domizio, das das ganze Leben des Apostelfürsten und dessen Streit mit Simon Magus behandelt. Wieweit darin Paulus vorkommt, konnte ich nicht feststellen, da mir das Werk nicht zugänglich war. III. P A U L U S IM D R A M A D E R R E F O R M A T I O N Die dramatische Gestaltung des Paulusstoffes im Reformationszeitalter gewährt ein sehr widerspruchsvolles Bild: Mit Luthers radikaler Fassung der paulinischen Lehre von der Rechtfertigung allein durch den Glauben ohne alle 1

S. z. 6. das Paulusepos von C. Reppusius (1581), sowie die humanistischen Schuldramen aus dem Ende des Jhs. s. u. S. 5 2 ff., 55 ff. • Zit. Wolfg. Stammler: Von der Mystik zum Barock, Stuttgart 1927, S. 132. Ein Exemplar des Werkes ist laut Auskunftsbüro Berlin bis jetzt in keiner deutschen Bibliothek nachweisbar. • Zit. Wolfg. Stammler, a. a. O. S. 127. ' Zit. Goedeke, Grundriß, I, S. 182. • „Den Sentbrief Pauli tot den Romeynen", Leyden IJ82, nicht in Paris, Amsterdam, Leyden oder einer anderen größeren holländ. und belg. Bibl. • Zit.: Histor. Verein der Pfalz, Mitteilungen, Heft 29/30, 1927. ' „Musa Paulina", Compluti 1529. Ein Exemplar in Staatsbibl. Berlin, war mir zugänglich. • Wilh. Creizenach, a. a. O. II. S. 12. Anm. 1. Das Drama befindet sich als Nr. 1067 in den AshburnhamHandschriften der Laurenziana (nach Creizenach). 16.

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irdisch sichtbaren Werke wurde Paulus zum zentralen Mitstreiter im Kampf gegen die kirchlich dogmatischen Bindungen des Mittelalters, gegen jegliche Art irdisch sinnlicher Verwirklichung der religiösen Heilserfahrung. Diese Radikalität war bei dem historischen Paulus des Urchristentums keineswegs in dieser einseitigen Form vorhanden. Bei ihm gibt es — das haben gerade die neueren Forschungen der protestantischen Theologie erwiesen 1 — noch daneben eine Fülle durchaus primitiv sakramentaler, ja selbst magischer Vorstellungen, z. B. in seinem Begriff der Taufe, des Abendmahls und seiner Christusmystik. Bei Luther aber — jedenfalls bei dem frühen — spielt sich die religiöse Heilserfahrung allein im persönlichen Gewissen ab, in der Verzweiflung des isoliert einzelnen und verlorenen Menschen, der in der letzten und verlassensten Stunde erst durch die Gnade Gottes ergriffen und gerettet wird. Die paulinische Bekehrung kann sich darum nur im Innern des einzelnen Menschen abspielen, der gnadesuchend vor Gott steht, und so wurde es auch in einzelnen Reformationsdramen 2 tatsächlich formuliert. Aber so wurde es nie künstlerisch gestaltet. Diese innere Verwandlung des Menschen durch Gott ist im Gegenteil nur ein Kampfbegriff, der ausschließlich in der politisch-sozialen Polemik gegen die Auswüchse der Kirche, gegen die wirtschaftliche Ausbeutung durch Ablaß- und Investiturwesen etc. verwandt wird. Alle Paulusdramen, die uns vorliegen, bewegen sich lediglich in einer solchen immanenten Polemik. Der Bekehrungsvorgang wird in keiner Weise ins Metaphysische gehoben oder verinnerlicht, ja er wird sogar, ganz gegen den reformatorischen Ansatz Luthers, bürgerlich moralisierend interpretiert, Warnungen vor allen möglichen Lastern angeschlossen und damit ganz und gar wieder in die Sphäre der guten Werke gezogen. 1 Den ersten Anstoß gab Lüdemann: Die Anthropologie des Ap. Paulus, 1872, der 2 Anthropologien bei P. nachwies, eine ethische und eine physisch magische. Dann: Hcitmüller: Taufe und Abendmahl bei Paulus", 1903; Wrede, William : „Paulus", 1904; Otto Eveling: „Die paulinische Angelologie und Dämonologie", 1888. Zusammenfassung dieser Forschungen bei Albert Schweitzer: Gesch. d. paulin. Forschung von der Ref. bis auf die Gegenwart, Tübingen 1911 ; ders. : Die Mystik des Ap. Paulus, Tübingen 1930. Von neueren Forschungen seien genannt: Deißner, Kurt: Paulus und die Mystik seiner Zeit, 2. Aufl., Leipzig 1921. Wertheimer, Max: Das Mysteriumjudentum u. der Heidenapostel Saulus-Paulus, Wien 1923. W. Mundle: Das religiöse Leben des Ap. P., 1923. Feine, P.: Der Ap. Paulus. Das Ringen um das geschichd. Verständnis des P., Gütersloh 1927 (Beiträge zur Förderung christl. Theologie, Reihe 2 Bd. 2). (Die erste Hälfte ist eine Gesch. der P.-Forschung). Joh. Schneider: Die Passionsmysrik des Paulus, Leipzig 1929, Bd. 1 j der „Untersuchungen zum Neuen Testament". Lohmeyer, Rud.: Grundlagen paulinischer Theologie, Tübingen 1929, in: Beiträge zur histor. Theologie, Bd. 1. Hans v. Soden: Sakrament und Ethik bei Paulus, in: Marburgische theolog. Studien, hsgeg. v. H. Frick, Heft 1, 1930. G. Köhlmann: Theologia naturalis bei Philon und Paulus. Eine Grundlage der paulin. Anthropologie, in: Neutestamend. Forschungen, herausgegeben von O. Schmitz, Reihe 1, Heft 7. Prüßner, Julius: Sterben u. Auferstehen im Hellenismus und Urchristentum, Greifswald 1930, Diss. S. ferner den Artikel von R. Bultmann: Paulus, in: Die Religion in Gesch. und Gegenwart, Handwörterbuch f. Theologie und Religionswissensch. 2. Aufl. Bd. 4. Tübingen 1930. • S. z. B. Naogeorgs „Mercator", überhaupt die reformatorische Fassung des Jedermann-Stoffes.

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Der zentrale Punkt, der zur Gestaltung dieser Dramen drängte, liegt also an einer anderen Stelle, und zwar in der umstrittenen politisch-sozialen Immanenz selber. Das spezifisch-historische Bild dieser Immanenz ist uns zwar nicht mehr unmittelbar gegenwärtig, es erscheint aber noch in ihrem künstlerischen Ausdruck, in der Technik und konkreten Form, in der sich die Paulusdramen darstellen. Denn als Erzeugnis des sozialpolitischen, für uns verschwundenen Bodens sind sie zugleich ein überlieferter Teil dieses Bodens. i. Valentin Boltz: „Tragicocomödia Sant Pauls bekerung", Basel 15 51 (aufgeführt 1546) Eine solch deutliche Wiedergabe des sozialpolitischen Bodens, auf dem die reformatorische Dramatik erwuchs, ist das große Basler Bürgerspiel von Valentin Boltz: „Tragicocomödia / Sant Pauls / bekerung. / Gespilt von einer Burgerschafft der wyt- / berümpten frystatt Basel, im jor M . D . X L V I / Jetzund gebessert und gemehrt mit Figuren. / Durch Valentinum Boltz / von Ruffach (Holzschnitt) Getruckt zu Basel / vff dem Nüwen platz / by Jacob Kündig / im yor M . D . L I . " 1 Die ganze Bekehrungsgeschichte des Paulus wird von Boltz eigentlich in die Gegenwart verlegt. Die Juden und der gesetzeseifernde Saulus sind identisch mit den Papisten, und die verfolgten Christen mit den Evangelischen. Schon im Prolog sagt der Herold von Saulus: „Ein grosser wüttrich ist er gsin / Vnder einem geistlichen schyn . . . Die Bischoff hulffend jm dorzu / . . Wie jetz noch alle tag beschicht / Des hat ein jeder guten bhricht" (aiij 15 aiiij). In den langen Diskussionen der vielen Beratungsszenen geht es fast nie um eigentliche Glaubensfragen, sondern um Ständesatiren. Die Juden (Geistliche) klagen über das Schwinden ihrer politischen und wirtschaftlichen Macht durch die „nüwen leer", die „uns schier vmb land vnd lüt hat bracht" (cv 32 d). Auch das Motiv der Bauernausplünderung durch die Geistlichen wird angeschlagen, und im 4. Akt werden die gelehrten Stände revueartig nacheinander karikiert. Kennzeichnend für den Wandel, den die Dramatik gegenüber dem Mittelalter durchgemacht hat, ist schon die Bühnenform. Auch hier ist die Bühne zwar noch ein freier Platz, der Kornmarkt zu Basel, auch hier treten noch große Volksmengen auf (78 Spieler), Soldaten, Bürger, Ratsherren, Trommler und Trompeter in Waffen und prächtigem Schmuck 2 , und auch hier wird die Bekehrungsszene noch 1

Exemplar in der Staatsbibl. München P. o. germ. 15 5, ein anderes, unvollständiges Ex. in Basel. Der Holz-

schnitt stellt die Bekehrungsgeschichte dar. * S. den Brief von Josias Simmler v. 1 1 . Juni 1546 (Basel) über die Aufführung des Spiels an Heinr. Bullinger in Zürich: „Sexta die Junii a civibus Basiliensibus acta est conversio D . Pauli, máximo apparatu atque sumptuoso, vestes namque plurimi nouas confecere variis formis. Aderat etiam exercitus peditum pariter et equitum, ut pulcherrimum hic superbiae spectaculum videre licuerit magis quam ullius alterius rei." Abgedr. von J . Baechtold: Gesch. d. dtschen Lit. in der Schweiz, Frauenfeld 1892, Anm. zu S. 256.

VALENTIN BOLTZ

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mit Blitz und Donner 1 bewerkstelligt. Aber alle diese „mittelalterlichen Relikte" 2 haben ihre rein äußerliche, wunderbare oder brutal physische Theatralik verloren und sind in einen überschaubaren, nach den Gesetzen des Wahrscheinlichen im Sinne bürgerlich geregelter Verständigkeit geordneten Bühnenraum getreten. Die mittelalterliche Simultanbühne ist hier schon nach Art der Terenzbühne 3 mit geschlossenen Zellen versehen, „ H o f " oder „Tabernakel" genannt, aus denen die Schauspieler zur Aktion heraustreten und danach wieder in ihnen verschwinden 4 : „Jetz drittet der obrist Bischoff / vß sym hoff ins concilium" (I. Akt, av 13 b), „Jetz gadt der obrist Bischof zhof / vnn das gantz Concilium Stadt uff / gedt auch in sin Tabernackel / Vndt singt man / vnd orglet hier zwischen / so lang biß sich Sau / lus mit seynen Räten gesetzt hat" (ciij 23 ciiij). Räumlich weit auseinander liegende Orte wie Jerusalem und Damaskus werden so durch voneinander isolierte Zellen angedeutet. Vor allem aber erhält die Szenenfolge durch diese Zellentechnik eine gewisse Wahrscheinlichkeit und Übersicht. Die einzelnen Gruppen können viel klarer miteinander verkehren und die Personen in natürlicher Weise in ihren Wohnungen verschwinden, wenn sie überflüssig sind, während sie auf der mittelalterlichen Bühne auf ihren festen Standorten verharrten oder einfach von der Bühne hinweggingen. Ludwig Traube sagt von der Bühne des 16. Jahrhunderts, sie sei „eine in feste Formen gebrachte Mysterienbühne. Ihre Teile haben bestimmte Namen, eine bestimmte Ordnung. Zinne, Loch, Brücke entsprechen dem Paradies, der Hölle, dem sonstigen Bühnenraum; sie werden nicht willkürlich an diese oder jene Stelle verlegt, sondern in dem Ganzen der Bühne haben sie jedesmal denselben Platz" 5 . Das Theater hat nunmehr eine feste Gliederung und bürgerliche Uberschaubarkeit, eine immanent gesicherte Ordnung erhalten. Das beweist auch der Aufbau der Handlung, die nach einem möglichst „wahrscheinlichen" Ordnungsprinzip ineinandergreift. 1

S. die Schilderung von Felix Platter: „ . . in einem runden Himmel, der hieng oben am „Pfuwen", dorus der Stral schoß, ein fürige Raketen, so dem Saulo, als er vom RoB fiel, die Hosen anzündet... Im Himmel macht man den Donner mit Fassen, so voll Stein Umtrieben waren". Gedr. in: H. Boos: Thomas und Felix Platter, Leipzig 1878, S. 143 f. • Fr. Mohr: „Die Dramen des Val. Boltz", Diss., Basel 1916, S. 20, und Expeditus Schmidt: Die Bühnenverhältnisse des dtschen Schuldramas u. s. volkstüml. Ableger i. 16. Jh., in: Forschungen z. neueren Lit.-Gesch. hrsgeg. v. Fr. Munker X X I V , Berlin 1903, S. 130 Anm. 1 sprechen von dem mittelalterl. Einfluß auf das Drama. • S. Exped. Schmidt, a. a. O. S. 130 Anm. 1 über die Bühne des Dramas. Zudem war Boltz einer der bedeutendsten Terenzübersetzer. ' Die Zellen scheinen sogar Vorhänge gehabt zu haben, denn im 4. Akt weist Malchus den Archisynagogus in das Haus Judae mit folgenden Worten: „Den vmbhang will ich dannen thon,/ So mag man zu den Schelmen gon" (gv 38 h). • Ludwig Traube: Vorlesungen und Abhandlungen Bd. 3, München 1920: Zur Entwicklung der Mysterienbühne, S. 318.

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In breit ausgeführten Beratungsszenen entwickeln sich die politisch-sozialen Gegensätze zwischen Juden und Christen, „ P f a f f e n " und Reformatoren, sodaß die Paulushandlung ganz in eine genau überschaubare Gruppengegenüberstellung aufgeteilt ist unter peinlichster Beobachtung jedes Handlungsdetails, Botengangs usw. Die großen Beratungsszenen sind daher trotz ihrer mittelalterlich prächtigen Aufmachung 1 schon längst aus der Manifestation bloßer Äußerlichkeit getreten und bilden eine bestimmte, fest umrissene und in sich gegliederte Masse, deren Teile selbständig gegeneinander agieren, und zwar im wesentlichen auf das Wort gestützt, nicht auf Zeichen und Wunder. Die Sprecher treten zwar noch in einem revueartigen Nebeneinander auf, aber sie sind nicht, wie z. B. in den mittelalterlichen Apostelszenen, unter sich ungeschiedene Sprachrohre eines und desselben Gedankens, sondern jeder spricht von einem besonderen Standpunkt aus. Selbst die Vertreter der gleichen Gruppe, z. B. die gesetzestreuen Juden in der Beratung über Sauls Brief, sind unter sich variabel, ja z. T . sogar feindlich entgegengesetzt: Abimelech und Baruch sehen die Lage zuversichtlicher an als Johannes und Jesse, und der letztere erhält sogar von Abimelech wegen seines Kleinmuts eine heftige Rüge. Andererseits sind die Figuren des Spieles auch keine Personen und „Persönlichkeiten", keine „Menschen", sondern Typen verschiedener Sozialgruppen, darum ist die Dramenführung nicht dialogisch, keine ineinandergreifende Verknüpfung und Gegeneinanderführung der Personen, sondern revueartige Demonstration, polemische Vorstellung im großen Versammlungsraum. Interessant ist z. B. die Anklage von „Arabella, einem gfangen w y b " : „ A c h Säule, Säule, laß mich gan / Das wyblich bild sollt sehen an . . " (e 6 dv). Arabella hält also Saul nicht ihr eigenes individuelles Leid vor, sondern ein Bild ihrer Gattung; sie steht wie eine mahnende Figur vor ihm, wie ein Bild, das für ein Allgemeines eintritt, für das Weibliche schlechthin, wie ein allegorisches Bild „das Weib", und dieses Bild soll er ansehen, soll es sich einprägen, um zur Wandlung und zum Mitleid bewegt zu werden. Klarer kann man den demonstrativ allegorischen Charakter dieser Szenen nicht fassen. Die Bekehrungsszene selbst ist ganz traditionell gehalten. Blitz und Donner findet in der geschilderten Weise statt2. Auch der Dialog zwischen Christus und Saulus lehnt sich eng an die Bibel an. Charakteristisch und neu aber sind die moralisierenden Volksweisheiten, die Saulus an seine eigene Bekehrung anknüpft: „Ich hab ein schnöde hoffnung ghan / Mich uff myn witz auch gar verlon / . . Zu1

Diese Vorliebe für große Volksszenen und Ratsverhandlungen ist nach Creizenach, W., a. a. O. I. S. 337 eine charakteristisch schweizerische Neigung dieser Zeit, die sich z. B. bei den trocken moralisierenden sächsischen Schuldramatikern des 16. Jh. nicht findet. • S. o. S. 39, Anm. 1.

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vyl witz ist nit allweg gut, / Gar offt sy grossen schaden thut / Fürsichtigkeit ist eehren werd . . . Ein hoher berg, falt offt ins thal / Je höher bäum Je schwerer fal. etc. (ev 39 f). Der ganze Bekehrungsvorgang wird also moralisiert. Von der radikalen Gewissensnot Luthers ist nichts mehr vorhanden. Die Umwandlung ist eine Angelegenheit immanenter Lebensklugheit, mit der man rechnen und umgehen kann. Selbst das Wunderbare der Erscheinung Christi ist geschwunden. Psychobin, der „trabant Sauli", der die Stimme Christi hörte, wird durch das ganze Ereignis nur zu der nüchternen Frage bewegt, wie es eigentlich zugehe, daß dieser Christus noch lebe, und im übrigen beeilt er sich sofort, dem Bescheid Jesu zu folgen und seinen Herrn nach Damaskus in das Haus Juda zu führen. Um die nüchterne, fast hausbackene Umsichtigkeit dieser Bekehrungsszene noch zu erhöhen, unterhalten sich Knecht und Magd vor dem Haus über das Fasten und Beten ihres Gastes und klagen, weil Paulus nichts ißt und trinkt und darum ihr Dienst so langweilig wird. Wie weit die Ubersetzung der Paulushandlung ins Sozialpolitische geht, zeigt der letzte Akt (nach der Flucht Sauls), der eine einzige Satire gegen die Gesinnungslosigkeit der Söldner ist und zur Paulushandlung überhaupt keinen Bezug mehr hat. Vom Ideal einer geschlossenen Dramenführung her hat man das scheinbar Unkünstlerische, Unkompositorische besonders dieses „überflüssigen" Schlußaktes gerügt 1 . Aber es fragt sich, ob die Gestaltung einer menschlichen Persönlichkeit (Paulus) und einer entsprechend geschlossenen Handlung überhaupt in dem Willen des 16. Jahrhunderts liegen konnte, und ob die „formlose" Satire nicht viel tiefer in dem damaligen Zeitbewußtsein lag und nicht viel notwendiger zu solchen „Formen" (Revue, Typik, Ständebilder etc.) greifen mußte. Paulus, im mittelalterlichen Drama eine Figur, durch die trotz aller Stoff- und Todverfallenheit das rettende Licht der Transzendenz in Bekehrung und Martyrium leuchtete, ist nun, in der Gestaltung dieses Dramas, in die Immanenz selbst eingetreten und nichts als ein Mittel im Kampf der politischen und sozialen Gruppen. Der metaphysische Paulus Luthers aber war von Beginn an vergessen und nicht mehr schaubar in der realen Struktur der protestantischen Mächte des 16. Jahrhunderts. 2. Johann Struthius: Die Bekerung S. Pauli, Nürnberg 1572 Der bürgerlich faßbare Paulus jedoch lebte weiter, und er wurde noch einmal in seiner ganzen nüchternen Simplizität gestaltet in einem kleinen Drama (26 Personen) von Johann Struthius aus Elsterberg 2 : „ D i e Bekerung / S. Pauli. / Das 1

s. Fr. Mohr, a. a. O. S. 18 ff. u. Arnold: Das deutsche Drama, 192;, S. 64. Latinisierung von Joh. Strauß. Biographisches und einfache Inhaltsangabe des Dramas bei H. UhdeBernays, in: Mitt. aus d. Germ. Nat.-Museum Nürnberg, Jahrg. 1901, S. 172—77. 1

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I X . Capitel / auß / den Geschichten der Apostel / Spilweiß gestellet / vnd in Reimen verfasset. / Durch / Joannem Struthium Elsterb:" (Nürnberg 1572)1. Nach seinem Vorwort agierte Struthius das Spiel auch einmal öffentlich auf dem Marktplatz zu Elsterberg. Wir haben es wieder mit einer dekorationslosen Simultanbühne zu tun, auf der die verschiedensten Orte zellenartig, oder — bei diesem Spiel wahrscheinlicher — als einfache Standplätze nebeneinander postiert sind. Gegenüber dem Schweizer Drama ist der dekorative Prunk der aufziehenden Massen geschwunden und die Zahl der Personen auf die biblischen Figuren reduziert. Die Handlung spielt sich nur noch in den Reden einzelner Personen ab, die sich in aller nur denkbaren Umständlichkeit über jedes einzelne Geschehnis ergehen. Auch die reformatorische Tendenz ist schon stark verblaßt. Sie zeigt sich nur noch in Wendungen wie: „Wir (die Priester) seind der Welt ein Kinderspiel, / Der gmeyne Mann will klüger sein / Denn wir . . " (I, 1, Z. 24), oder im Gesang von „Ein feste Burg" am Ende des 1. Aktes. Im übrigen aber ist das Drama, wie schon der Titel sagt, eine einfache Darstellung des Inhalts der Apostelgeschichte. Der Prolog beschränkt sich auf die bloße Wiedergabe der Bekehrungsgeschichte, und das Argumentum des 1. Aktes spricht nur allgemein von der Bedrohung der Christen durch die Anschläge des Teufels: „Hie lest sich sehen der grimmig list / Des Teuffels wider Jesum Christ / Vnd seine Christen hie auff erd / Den setzt er zu mit Fewer vnd Schwert / Durch seine Vertrawte manigfalt / Schont nicht, sie sein jung oder alt / Damit leidt not der arme hauff / Den Jesus Christus hat erkaufft." Die aktiv polemische Haltung des reformatorischen Dramas beginnt bereits langsam einem mehr passiv leidenden Charakter zu weichen. Wir schreiben das Jahr 1572, als schon die Gegenreformation im Anzug ist. Interessant für diese Ubergangszeit ist das rein buchmäßige Verhältnis zum Stoff. Der biblische Inhalt wird Stück für Stück abgehandelt, und zwar immer unter einem bestimmten Motto, zu dem der Inhalt das Exempel bietet. Ich zitierte bereits das „Argumentum" des x. Aktes, in dem die Verfolgung der Christen durch Saulus nur ein Gleichnis ist für die allgemeine Verfolgung des Christen durch die Anschläge des Teufels. Sauls Verfolgung ist nur ein Exempel, sie hat keine Eigenexistenz und darum auch keine eigene Atmosphäre, kein eigenes dramatisches Leben: „Saul, wie er sich hier stellt so wild / Der ist ein recht natürlich bild / Aller Tyrannen hie auff Erd / Die sein den Christen auch so gferd" heißt es im Epilogus (F. 2. Z. 16). Saulus ist nur ein allegorisches Bild, die Handlung nur die Interpretation dieses Bildes. Zu Anfang jedes Aktes wird im Prolog die Moral gebracht, die dann Stück für Stück in der Handlung konkretisiert wird. So heißt es im Argumentum des 2. Aktes: „ O b gleich die Kirch ein Zeitlang ruht / In gheym vnd still, vnd kriegt ein muth": damit ist der in der folgenden ersten Szene gespielte Entschluß der 1

Ein ExempL des Druckes ist im Germ. Nationalmuseum Nürnberg. Sign. LM89C.

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Jünger Johannes, Petrus, Simeon und Samuel gemeint, nach Damaskus zu fliehen und dort unerschrocken auszuharren 1 . Der weitere Vers: „Doch grüblet jmer lenger nach / Der Teuffei, biß er vngemach / Vnter sie brengt / Vnd treibt sie auß / Biß endtlich gar zum Land hinauß" bezieht sich auf den Plan Sauls, die Christen bis nach Damaskus zu verfolgen (II 2,4). Und der Schlußsatz endlich: „Noch hat er daran nicht genug / Er sucht daselbst zu jr auch f u g " bezeichnet die Vollmacht, um die Saul den Hohen Rat in der 5. Szene ersucht. So geht Stück für Stück der konkreten Handlung in einen abstrakt vorweggenommenen Lehrsatz ein. Die Bedeutung dieser buchmäßigen Aufteilung des Stoffes in einem größeren zeitgeschichtlichen Zusammenhang zu zeigen, kann hier nicht unternommen werden. Sie wird sich uns erst im Verlauf der Untersuchung aus einem umfassenderen Material erschließen. Wesentlich ist zunächst das neue Auftauchen des Leidensmotivs und die Darstellung Sauls als „ T y r a n n " , der über die Standhaftigkeit der Christen ergrimmt und von ihr so betroffen ist, daß er sogar an seinem eigenen Glauben zu zweifeln beginnt. „Solte vnser Moses falsch sein / Vnd auch die Schrifftgelehrten fein? / Das kann nicht sein, ich glaubs auch nicht!" 2 Allerdings tauchen solche Motive nur sporadisch auf. Das Drama selbst ist noch ganz in der behäbig breiten Umständlichkeit der früheren protestantischen Spiele gehalten. So ist z. B. der transzendente Eingriff Gottes auf dem Marsch nach Damaskus dort restlos banalisiert und verbürgerlicht. Das Aufflammen des Lichtes kann nach allgemeiner Logik nur nachts richtig wirken. Also muß Saul erst gegen Abend abreisen. Diese Verschiebung der Reise ist aber ebenfalls zu begründen und zwar mit der Trunkenheit Sauls durch den „Reinischen Wein". „Dieser rheinische Wein hat zur Folge, daß die Knechte, vor allem aber Saul sich allzu gütlich tun, und der Abmarsch erst gegen Abend vor sich gehen kann. Dem Publikum des 16. Jahrhunderst gegenüber mußte diese einfache Begründung für die folgende Katastrophe — das Wandern in der Nacht und das Einschlagen des Blitzes — am wirksamsten erscheinen 3 ." Auch das Einschlagen des Blitzes selbst wird sorgfaltig nach den Regeln des gesunden Menschenverstandes motiviert: Saulus und die Knechte schildern ein aufziehendes Gewitter: „ . . mich dünket gleich / Wie das ein Wetter daher zeucht" (IV 2, v. 7). Und dieses Wetter wiederum führt der Knecht auf die Hitze des Tages zurück: „ D i e Sonn hat heut gestochen hardt / Ist wunder, daß si lang gespart / Vnd nicht ehe hat gefangen an." Der Blitzschlag ist theatralisch folgendermaßen gedacht: „Hic circumfulget eos lux: Man mag ein 1

Johannes: „Wolan, so bleibts geredt also: / Morgen so find ein jeder do / An disem ort sich vnerschrocken"

(II, 1 V . 35). • Dieses Motiv wird im 19.Jh. breit ausgesponnen, aber psychologisch gewandt als innerer Zweifel, der S. quälte, und so langsam den Umbruch in der Bekehrungsszene vorbereitete. • Herrn. Uhde-Bernays, a. a. O. S. 175.

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hand vol geklopffet Pech vnter sie lassen werffen / mit einem kertzlein auß der hand angezündet / geschieht on schaden." Auf den Blitzschlag hin bricht Saulus in lautes Zetern und Schreien aus: „ O weh, o weh, der großen klag / O heißt mir doch . . O zeter, das ich an das ort / Hab je zu ziehen gnommen für." Die Knechte laufen besorgt herbei: „Ach Herr was ist euch kommen an? / A n euch kein schadn ich sehen kan . . . , / Ich hab da würtze noch." In dieser Weise reden sie hin und her, so daß von einer wirklichen Erschütterung überhaupt keine Rede sein kann. Der Dialog zwischen Christus und Saul setzt jetzt erst ein und geht sofort wieder zu den praktischen Ratschlägen über, wie man Saul am besten nach Damaskus schaffen kann. Auch diese Übersiedelung wird mit peinlicher Genauigkeit ausgeführt. Ein Bürger weist ihnen in Damaskus umständlich den Weg: „ D a geht das kleine gäßlein hnumb, / Ist schlecht, gerad on alle krümb / Wenn jr das habt gegangen auß / Da ist das . . . Hauß / Nicht weitt vom gäßlein, wenig rab / Zur rechten hand, das mercket drab/ Ist vnten Steynern, oben Holtz / Ist weiß vnd schwartz gefärbet stoltz. / Da findet jr denselben Man / Die Gäst er wol tractiren kan" (IV, 5). Endlich wird in derselben Breite der Empfang Sauls im Hause des Juda vorgeführt. Auch diese Dramatik also bewegt sich in reiner „Äußerlichkeit", aber in der Äußerlichkeit fest gefügter Ordnungen und einer gesicherten Immanenz. Das interessante Korrelat zu dieser rein „realistisch" ausgefeilten Milieuschilderung ist und bleibt jedoch die abstrakt außenstehende Lehre und allegorische Hindeutung. Kurz vor der eigentlichen Bekehrungsszene, um die Zeitdauer zwischen dem Abmarsch in Jerusalem und der Erscheinung Christi auszufüllen, läß Struthius den Christen Samuel in einer Traumvision die bevorstehende katastrophale Bekehrung ahnen: „Mir träumet heint ein böß gesicht. / Ach Herr Gott laß war werden nicht / Mir träumet: Wie ein brinnend Fewer / Von Jerusalem vngehewer / sich waltzet her gen Damascum / Verzeret da gantz vmb vnd vmb / Die Heuser darinn Christlich blut / Ins Herren Namen ruhen thut / Die andern blieben vnuerseert / Ja wurden noch darzu verehrt. / Als nun die not am grösten war / Ein Wasserflus vom Himel klar / Herab sich senckt, vnd tilgt die glut / Erquicket auch das Christlich blut / Was dies mag sein, das weis ich nicht / Herr Gott, es steht in deim Gericht" (IV 3). Hier also schlägt durch die bürgerliche Verständigkeit des Dramas ein vorausdeutendes wunderbares Traumbild, wenngleich auch in ihm die verpflichtende Objektivität der mittelalterlichen Wundererscheinungen geschwunden ist. Denn es ist nicht Gott oder ein Engel, der ihm das Bild zeigt, sondern ein natürlicher Traum, über dessen Wahrheit er erst Gott fragen muß. Das Wunder ist in die persönlich immanente Trauminnenwelt gesunken 1 , wie 50 Jahre zuvor die Heils' Vergl. damit die Traum- und Wunderbilder des Barock, die alle auf dem Problem des immanenten Scheins beruhen, s. u. S. 79, und über das Barock als extremste Immanenz S. 55, 66, 84.

JOH. BRUMMERUS

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gewißheit Luthers nur im persönlichen Erlebnis noch ihren Ort fand. Die unmittelbare Brücke zwischen Wunder und äußerer Welt, die in den mittelalterlichen Martyrien und Bekehrungen noch durchaus anschaubar war, ist zerbrochen. Das reine, bürgerlich gesicherte Diesseits steht einer reinen Innenwelt gegenüber; zwischen ihnen gibt es keine Verbindung. Darum ist die Kunst dieser Zeit sowohl eng milieugebunden wie abstrakt allegorisierend. Im Epilog tritt geradezu die Moral des Stückes in vier Abteilungen vor die Zuschauer. Die Bekehrungsgeschichte wird in einem vierfachen allegorischen Bild dargestellt, und zwar in der Etappe der Gottesfeindschaft, der Gnade Gottes, der Buße und des Gehorsams gegen Gott. Erst in dieser Fassung ist das Drama vollendet. Lehre und Exempel (Handlung) erscheinen zwar wie zersprungene Scherben eines Gefäßes. Aber am Ende des Dramas versammeln sich ihre Teile und fügen sich zusammen, ohne allerdings zu verschmelzen. Wieder steht der Stoff in seiner puren Banalität und wieder die Lehre in ihrer puren Abstraktheit da, aber die Banalität ist die der gesicherten Immanenz und die Abstraktheit die der geregelten Moral. Wieder ist diese Kunst allegorisch. Aber ihre Allegorie ist nicht mehr Teil und Ausbruch aus einem geschlossenen Dogmensystem, sondern Zeichen für variable, immanent bürgerliche Moralbestände, die allein noch im persönlichen Gewissen und in der Verantwortung der Gesellschaft gegenüber sich gründen. 3. Johann Brummerus: Tragicomoedia Actapostolica Das ist: Die Historien der heiligen Aposteln Geschieht (1592) In sehr interessanter Weise hat diesen Begriff der Allegorie Johann Brummer entwickelt in der Widmung zu seinem großen Aposteldrama: „Tragicomoedia Actapostolica Das ist: Die Historien der heiligen Aposteln Geschieht" 1 . Dort verteidigt er mit Hilfe von Bibelzitaten und anderen Stellen aus antiken Schriftstellern das Verfassen von biblischen Komödien, denn in ihnen seien „gar graphice vnd lustig zu ersehen die Idea certaminum Religionis nostri temporis" (S. 9), wobei er „Idea" mit „Abbildung" übersetzt. Als „Abbilder der Religionsstreit unserer Zeiten" erscheinen die alten biblischen Stoffe auf dem Theater, die durch „betrachtung / Collation und gegeneinanderhaltung dann / bey allen rechtgläubigen billig sonder stärckung / trost vnd geduldt im Hertzen erwecken sole" (S. 9). Daher — und jetzt folgt die zentrale Definition — „dannenhero nicht ubel die Comoedien von etlichen (wie gemeldt) ein lebendig und redend Gemähl / genennet worden" (S. n ) . Das Theater soll also Gemälde bieten für andere, hinter ihnen liegende Vorstellungen. Das Gemälde selbst aber, das auf dem Theater sich abspielende Ge1

Ein Exemplar des Druckes ist in der Bayer. Staatsbibl. München Sig. P. o. germ. 196.

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schehen, hat keinen Eigenwert und darf nicht unmittelbar um seiner selbst willen gespielt werden. Darum polemisiert Brummer ausdrücklich gegen die Aristotelische1 Theorie, daß das Theater eine Nachahmung der Natur sei und der Schauspieler sich möglichst tief in die darzustellende Figur einleben müsse. Denn, besonders wenn die Schauspieler göttliche Figuren darstellen, erhebe dies die agierenden Personen über sich hinaus und verführe zu Hochmut und Abgötterei: „Was auch die nachuolg unnd abbildung der Thaten oder Wunderwercken Christi oder der Heiligen anlangt / werden solche gar nicht der meinung fürgestelt vnn eingefürt / selbige handlungen mit schimpff oder gspött nachzuäffen / Oder auch den agierenden Personen eine sondere vbernatürliche opinionem alicius excellentiae / ansehenlicheit oder maacht / Abgöttischer weiß zu concilieren oder zuzumessen / Sondern allein den Einfältigen solche Gschichten und Wunderthaten / die Gott der Herr / zur erzeigung seiner Allmacht / und bestätigung der Evangelischen Lehr erzeigt / desto kräfftiger zu gemüt zu füren / und einzuschreiben" (S. 12). Die Figur auf dem Theater soll also in keiner Weise Illusion schaffen, in keiner Weise identisch sein mit dem, was sie darstellt. Sie wird bewußt von der Idee und Person, die sie repräsentiert, getrennt. Der Riß zwischen Idee und Erscheinung kann nicht deutlicher ausgesprochen werden als in dieser Theorie, die in der Komödie nicht als ein „lieblich Gleichnus und Figur betrachtung" (S. 12) sieht. Dies Gleichnis ist aber nicht mehr, wie noch im späten Mittelalter, auf ein bestimmtes religiöses Phänomen hin fixiert. Ja, es ist im Grunde überhaupt nicht mehr fixiert. Denn nicht nur auf die gegenwärtigen Glaubenskämpfe, sondern auch auf das alltägliche Leben, auf jede beliebige Gelegenheit ist es beziehbar. „Uber welches uns auch fürs fünffte die Comoedien hoch und werdt zu halten / diß bewegen soll / Das in vleißiger Gegeneinanderhaltung und betrachtung sich befindt / das sich dem Menschlichen leben nichts nähnen und besser vergleicht / als eine Comoedia oder Tragoedia" (S. 13). Denn wie in der Komödie der Spielende Kleider, Würden etc. je nach seinem Stand und seiner vorgeschriebenen Rolle an- und wieder ablege, so geschehe es auch im Leben. Das Bild auf dem Theater ist zugleich Abbild des Lebens in seinem ständigen Auf und Ab, und das Leben ist selbst wieder nur Theater. Dieser schon tief ins Barock führende Gedanke 2 erscheint besonders merkwürdig, wenn man sich Brummers Drama selber ansieht. Hier ist nämlich durchaus nichts von einer solchen „Gleichnus und Figur betrachtung" vorhanden. Die Personen treten nirgends deutend oder gar als Alle1

Natürlich nicht gegen Aristoteles selbst, gegen dessen Autorität niemand anzugehen wagte, wohl aber

faktisch gegen seine Nachahmungstheorie. 1

Auch sprachlich steht ja diese Vorrede schon im Ubergang zum Barock, während das Drama selbst noch

in Handlung und Versführung im 16. Jh. verwurzelt ist.

JOH. BRUMMERUS

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gorien auf. Vielmehr sind sie im wörtlichen Sinn nichts als ungedeutete Chiffren und Buchstaben aus dem biblischen Text: Das Drama ist eine streng von Kapitel zu Kapitel durchgeführte Übertragung der Apostelgeschichte, in der jedes, aber auch jedes nur einigermaßen darstellbare Ereignis genau gespielt wird, ohne Deutung, ohne Kommentar, ohne Handlungsaufbau und ohne Gliederung. Mit 246 Personen und 9192 Versen repetiert es die Apostelgeschichte. Die Einteilung in 5 Akte ist eine einfacheStaffage; der Verfasser hat selbst am Rand eine Einteilung in die 28 Kapitel der Apostelgeschichte gegeben. Aber selbst diese standen ursprünglich nicht allein. Das Drama war als Fortsetzung der Evangelien gedacht 1 . Nichts als eine buchmäßige Übertragung der biblischen Geschichte liegt also vor. Selbst der große heilsgeschichtliche Entwurf, der doch wenigstens noch durch die breitesten, stofflichsten Mysterien zog, ist geschwunden. Weder die Passion, noch die Auferstehung, noch das Martyrium oder die Bekehrung stehen im Mittelpunkt. Es steht überhaupt nichts im Mittelpunkt. Mit der letzten Zeile der Apostelgeschichte schließt das Drama, wie es mit der ersten begann, ohne Ausblick, und ohne das weitere Geschick der Apostel etwa in Rom zu verfolgen. Das einzige, was an diesem Drama haftet, ist das Buch, ist der reine Stoff als Buchstabe, als ungedeutete Gelehrsamkeit. Und dennoch tritt Brummerus mit dem Anspruch auf, Deutung, Gleichnis und Exempel zu liefern, sogar für das aktuell politische und das alltägliche Leben. Wir stehen hier vor einem Rätsel, vor dem Rätsel jener viel gelästerten „Gelehrsamkeit" des endenden 16. Jahrhunderts und des folgenden Barock. Von unserem Aposteldrama aus läßt sich natürlich dafür noch keine Lösung oder auch nur Wegweisung geben. Nur einige Hinweise liefert die Analyse, denen nachzugehen sich immerhin lohnt. Die Beschränkung auf die Paulusszenen entspricht dabei selbst den Intentionen des Verfassers, wenn er sagt, daß „sonderlich bey der Historie S. S. Stephani und Pauli" die „Religionsstreit unserer Zeiten" sich exemplarisch vorstellten. Gerade in diese Szenen also legte er einen „Sinn". Dieser Sinn erscheint aber nun in einer sehr merkwürdigen Weise. Negativ gesagt, in der Handlung selbst, auch in den Reden der Personen, ist er nirgends zu finden. Reformatorische Tendenzen bringt er sehr selten, und dann auch nur abgeschwächt. Worin also besteht das Gleichnis und die Sinndeutung, die nach Brummerus dieses rein buchmäßige „Gemälde" liefern soll? Das Problem scheint zunächst unlösbar. Im Gemälde selbst, in der rein schauspielerischen oder rednerischen Darstellung, liegt die Deutung nicht. Brummer sagt in seiner Einleitung, das theatralische Auf und A b der Personen gebe ein Exempel für das Auf und Ab im menschlichen Leben. Insofern wäre also der rein theatralische Vorgang schon Exempel. Aber diese Möglichkeit schneidet sich Brummer selbst ab, indem er das ' s. Brunners Vorwort zum Drama, S. 16.

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Schauspiel um seiner selbst willen ablehnt. Der Konflikt liegt offensichtlich darin, daß die Moralien, auf die hin Brummerus seine Exempla beziehen will, schwankend und auswechselbar sind. Er selbst zählt ja allein fünferlei Nutzen auf, die das Theater gewähren könne. Das heißt: der feste, in sich gegründete Boden immanent bürgerlicher Moralbezüge, wie er im Drama des 16. Jahrhunderts nachweisbar war, ist aufgelockert. Es handelt sich für Brummerus schon nicht mehr um einzelne Laster oder Eigenschaften, die satirisch zu bekämpfen oder zu verteidigen sind (Brant, Murner etc.), sondern um das fragwürdige Auf und A b des menschlichen Lebens selbst. Die Ständeordnung ist von hier aus bereits metaphysisch durchkreuzt. Brummerus sagt in seiner Einleitung, auf dem Theater könne man sehen, wie ein Knecht zum Herrn wird und umgekehrt (S. 13). Die feste, eindeutige Beziehung der Paulushandlung zum sozialpolitischen Leben der Zeit (Boltz) ist damit geschwunden, weil dieses sozialpolitische Leben selbst nicht mehr als konstitutiv angesehen wird, sondern als fortwährend sich änderndes Schauspiel, das sich in den Katastrophen von Aufstieg und Sturz bewegt. Das Sozialpolitische wird selbst zum Bild und „Theatrum" eines dahinter stehenden „ewigen" Auf und Ab. Das „ewige" Auf und A b aber ist prinzipiell überall demonstrierbar. Jedes historische Geschehen ist ein Denkmal von ihm, also auch der Paulusstoff. Gelingt es, sein Geschehen möglichst exakt festzuhalten, nachzuzeichnen und als Denkmal aufzurichten, so ist zugleich seine Deutung unmittelbar gegenwärtig, ist der Stoff unmittelbares Bild für das ewige Auf und Ab. Die späthumanistische und dann barocke Gelehrsamkeit könnte damit als Versuch gedeutet werden, möglichst viele solcher Stoffe zu sammeln und als Denkmale aufzubewahren, um gerade in der chaotischen Stoffülle Beispiele zu liefern für das unausweichlich sinnlose und fragwürdige Auf und A b alles historischen und menschlichen Lebens. Gerade das buchmäßig abstrakte, nicht in Worten gedeutete „Vorstellen" und „Gegeneinanderhalten" der Stoffe wäre für Brummer also „Gleichnus", „Figurbetrachtung" und Allegorie für „das Leben". Die Unmöglichkeit, das Paulusgeschehen direkt, in Rede oder Allegorie, zu deuten, wird evident gerade an der einzigen Stelle, an der das Drama zu einer allegorischen Deutung heraustritt, an der Teufelsszene, die sofort auf die Bekehrung vor Damaskus folgt. Hier durchbricht Brummerus zum ersten und letzten Male den mechanisch buchmäßigen Ablauf des Dramas und läßt die Teufel Luciper und Astaroth in eine höchst charakteristische Klagerede über den Verlust ihres Dieners Saul ausbrechen: Luciper versteht die Welt nicht mehr und vor allem nicht mehr Gott, daß er so mit Gewalt, auf eine völlig unbegreifliche Weise die Welt errettet: „Das der oben die Leut mit Gwalt / Will inn Himel zwingen und reißen / . . Was laßt er dann Tauffen und Lehren / Kan er doch dWelt mit gwalt bekehren? / Also ist gut inn Himel zkommen / Was mühen sich dann lang die frommen?" (II, 9). Und Astaroth gar gerät in eine tieftraurige Reflexion über

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seine eigene sinnlose Verlorenheit: „ D a man uns thut inn dHöll verschließen / Drinn wir ewig verdampt sein müssen. / Die wir doch geister hoher art / Derngleichen creatur nicht ward. / Warumb braucht Got nicht auch ein Gewalt / Vns zubekehren solcher gstalt. / E y wann ich als recht thu ermessen / Möcht ich mich salb vor zoren fressen" (II, 9). Durch diese Verzweiflungsfrage des Teufels erhält unser Problem eine ganz sonderbare und neue Perspektive. Nicht nur die rein kreatürliche Immanenz ist sinnlos, sondern auch die Erlösung dieser Immanenz durch Gottes Gnade. Unverständlich ist die ganze Welt, und „Tauffen und Lehren" sind überflüssig geworden, sie treffen gar nicht mehr den eigentlichen Inhalt der Religion. Darum sind die Allegorien und Exempla nur noch Hinweise und Stufen irgendwelcher Bedeutungen, die zu ergründen nicht mehr möglich ist. Der letzte, umwälzende Augenblick der Erlösung hebt alle gewonnenen Bedeutungen und Lehren auf. Er spielt sich in einem unfaßbar jähen und „gewaltsamen" Akt Gottes ab, ja, er spielt sich sogar nur an einem einzigen Fall ab, und alle übrige Welt bleibt weiter versunken in Nacht und Hölle. Die Kreatur hat keine Hoffnung und ist verstört. Die Immanenz bleibt versperrt, und der Ausweg zur Transzendenz ist nur spontan und undurchsichtig. Wir stehen damit schon tief in der Barockproblematik, wie sie z. B. von Joh. Müller 1 und W . Benjamin 2 entwickelt wurde. Ersterer hat zudem gezeigt, daß das Problem der Prädestination, das so schroff in unserer Teufelsszene 3 gestellt wurde, gerade in jener Zeit, in der das Drama entstand, eine überaus große Rolle spielte1. Das uralte Problem der Prädestination — dies mag unser Aposteldrama gezeigt haben — erhält eine spezifische Bedeutung hier im Zusammenhang der beginnenden Infragestellung der Immanenz selbst, in die doch jene Welt hoffnungslos verstrickt ist. Der Sinn jener sinnlos buchmäßigen Stoffanhäufung (siehe z. B. Fischart) der Epoche des ausgehenden 16. Jahrhunderts besteht eben darin, daß aus ihr selbst keinerlei Sinn mehr entspringen kann, daß sie in uferloser Dunkelheit verharrt, und das Licht einer Deutung erst in letzter und spätester Stunde aus einem jäh geöffneten Himmel auf sie herabfallt. Dieses letzte protestantische Paulusdrama aus dem 16. Jahrhundert hat uns in eine grundsätzliche Wandlung des paulinischen Bekehrungsmotivs geführt, und seine Form gab uns die entsprechende Wandlung in der kulturellen Struktur an: buchmäßige Stofflichkeit mit dem Anspruch, das „Leben selbst", nicht mehr einzelne Sozialgruppen, zu exemplifizieren. 1 Joh. Müller: „Das Jesuitendrama in den Ländern deutscher Zunge vom Anfang (1555) bis zum Hochbarock (1665)". 2 Bde. Augsburg 1930. • Walter Benjamin: „Ursprung des deutschen Trauerspiels". Berlin 1928. * Übrigens auch in einigen Stellen von Pauli Predigt in Damaskus, z. B.: „Nun hat Gott durch seine Gnadenwahl / Mich erledigt von dem Irrsal" (II, 12, V. 14). 4 Joh. Müller, a. a. O. Bd. I. S. 30.

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Anhang: Reformatorische Dramen des 16. Jahrhunderts, in denen Paulus auftritt 1 Eine ähnliche Entwicklung läßt sich in den Dramen, in denen Paulus nur auftritt, nachweisen. Als Hauptstütze der protestantischen Rechtfertigungslehre verficht er meist die „reine Lehre" gegen Priester, Mönche, gute Werke usw., z. B. im „Totenfresser" des Niklas Manuel oder im „Pammachius" und „Mercator" des Naogeorg, oder stürmt selbst wie im „ N e w Deutsch Bileams Esel" als christlicher Ritter gegen das Papsttum an. In den protestantischen Weltgerichtsspielen hat Paulus nur eine ähnlich untergeordnete Funktion wie in den mittelalterlichen Spielen vom Jüngsten Gericht. Als bürgerlich moralisierender Hauslehrer erscheint er in Schuwards: „Haustaffel", von dem das Drama von G. Mauritius: „Comödia von allerley Ständen" abhängig ist, und im „Schulteuffel" (Almansor) von Hayneccius. Im „Hans Pfriem" von Hayneccius ist er der zum Frieden mahnende Apostel gegenüber dem polternden Petrus. In den Moralitäten vom miles christianus (Alexius Bresnicerus: „Miles Christianus", Henry de Barran: „L'homme justifié par foi", Friedrich Dedekind: „ D e r christliche Ritter"), die auf der Paulusstelle Eph. 6, io, der Allegorie von der geistlichen Waffenrüstung, beruhen, bewaffnet und unterstützt Paulus den christlichen Ritter gegen die Anschläge von Welt, Fleisch, Teufel, Tod, Gesetz usw. Die Berner Trilogie: „ D r y geistlich Spyl" aus dem Ende des 16. Jh. verbindet dieses Thema mit dem Everyman-Motiv (s. Naogeorgs: „Mercator"), der Bekehrung eines Sünders auf dem Totenbett, und zeigt, besonders im 3. Teil, bereits ein auffälliges Anwachsen der Leidens- und Märtyrermotive. Ganz in protestantischer Tagespolemik steht Paulus noch in der Moralität von Seitz: „ V o m großen Abendmahl und den zehn Jungfrauen" (1540). Er bekämpft dort die weltlichen Herren, die mit Gewalt die Leute zum Abendmahl holen wollen, d. h. er wendet sich gegen den „durch die Fürsten im schmalkaldischen Krieg verursachten Glaubenszwang" 1 . In breiten theologischen Diskussionen ergeht sich Paulus im „Phasma" von Frischlin, von dem ein Prosadrama aus dem 17. Jh. abhängig ist: „Eine anmuthige Comoedie von der wahren, alten, Catholischen und Apostolischen Kirchen . . . Romanopoli.. gedruckt im Jahre 1 6 7 1 " (das Drama enthält trotz des Titels eine Polemik gegen die katholische Kirche). Mit der Überhandnähme der Leidens- und Märtyrermotive entstehen auch einige Stephanusdramen (Sebastian Wild: „Versteynigung Stephani" (1566), Zacharias 1 1

Genaue bibliographische Angaben s. S. 13$ AT. H. Holstein: Die Reformation im Spiegelbild der dramatischen Literatur des 16. Jh., Halle 1886, S. 140.

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Zahn: „Tragoedia lapidati Stephani" (1589) und Melchior Neukirch: „Stephanus" (1591), in denen Paulus nur eine geringe Rolle spielt. Die Verstärkung der Leidensmotive zeigt sich besonders bei einem Vergleich zwischen den zwei Versionen des „Martyrium Apostolorum" aus einer Luzerner Handschrift. I V . P A U L U S IM S P Ä T H U M A N I S M U S D E S A U S G E H E N D E N 16. U N D B E G I N N E N D E N 17. J A H R H U N D E R T S 1. Achatius Curaeus: Historia Conversi Pauli, Carmine reddita (1562) Auch in die humanistische Gelehrtenliteratur des 16. Jahrhunderts drang, wie zu erwarten, durch die antik mythologische Maske dieselbe religions- und kulturpolitische Atmosphäre ein, die in allen eben beschriebenen Dramen lebte. So zeigt z. B. ein lateinisches Paulusepos von Achatius Curaeus: „Historia Conversi Pauli, Carmine reddita A M. Achatio Curaeo, Mariaeburgensi, Gymnasij Dantiscani collega. (Holzschnitt) Regiomonti Borussiae Excudebat Joannes Daubmannus 1 5 6 2 " 1 , noch alle Züge jenes irdisch streibaren Paulus, den wir in den protestantischen Dramen um die Mitte des Jahrhunderts gefunden hatten. Curaeus will vor allem die K ä m p f e des Apostels darstellen: „Sed memorare volo praelia Pauli" (V. 15), und zwar soll der Kampf des reinen Wortes Gottes gegen den Irrtum falscher Lehren gezeigt werden. Paulus ist einer der Gottesmänner, „Qui miseros moneant ä falso cernere verum, / Et spretis dubijs numina vera sequi" (V. 31). Diesen Kampf führt er jedoch nicht allein. Vielmehr steht er in einer systematisch durchgebildeten Schlachtordnung, in einer Kerntruppe, die Gott ausdrücklich erlesen hat2, ja, die der einsame Gott geradezu braucht, um sein Werk auf Erden zu verwirklichen: „Non ideo, duri cum Martis bella geruntur,/ Unus similes victus ab hoste cadit, / Haec deserta manet statio, sed proximus illam / Complet, idemque gravi pectore munus obit / Qui ne dispereant sacro sibi foedere iuncti, / Pro socijs fortes vertit in arma manus. / Sic Deus immensum solus qui dirigit orbem, / Agmen et in populo collocat ipse suo. / Id validis cingit vallis et robore, contra / Perstet ut hostiles in statione viros" (V. 35 ff.). Das Epos schließt mit einer eindeutigen Polemik, mit der Bitte an Gott, alle diejenigen, welche sein reines Wort durch eigene Sinndeutung entstellen, wie Saulus mit flammenden Blitzen zu schrecken, alle übrigen aber, welche das ursprüngliche Wort Gottes wieder herstellen wollen, zu leiten und vor allem Unheil zu bewahren: „Hos veluti Saulum flagranti fulmine terre, / Ne mutent verbi proptia sensa tui, / At tua qui sensu retinent quo verba dedisti, / Hos rege et ä 1

Exempl. in einem Sammelbd. der Stadt- u. Univ.-Bibl. Königsberg (Pb 21 Q Stück 23). Der Holzschnitt stellt die Bekehmngsszene dar. • „Colligis et servas agmina sancta tibi" (V. 28). 4'

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cunctis protege quaeso malis" (V. 270 ff.). Die Bekehrung Pauli ist also nur ein Argument im Kampf gegen die römische Kirche. Sie ist eine von oben gesetzte Strafe für Sauls Irrtum und falsche Lehre, nicht eine innere Wandlung. Paulus ist in der Tat, wie W . Stammler sagt, „nur der Schutzpatron Luthers", und „das Verlangen des Dichters, dem Heiligen zu dienen, ist geringer als die Verteidigung kirchlicher Sätze" 1 . 2. Caspar Reppusius: „Conversio D . Pauli Apostoli Carmine conscripta" ( 1 5 8 1 ) Eine völlig neue und überraschende Wendung in Grundauffassung und Atmosphäre nimmt dagegen das Paulusepos von Caspar Reppusius aus dem Jahr 1 5 8 1 : „Conversio D . Pauli Apostoli Carmine conscripta: & in celeberrima Argentoratensium Academica recitata A Casparo Reppusio Eckhardshusiano (Wappen) Argentinae, Typis Nicolai VVyrioti 1 5 8 1 " 2 . Hier ist nichts mehr von einer politischen Polemik und auch nichts mehr von dem ruhigen, dem Bibeltext folgenden Berichterstatterton des Curaeus. Hauptthema ist jetzt der Sturm der Affekte, der sich der Seele des vom Teufel besessenen Saul bemächtigt und in blinder Zerstörungswut über die Häupter der Heiligen Christi hereinbricht. In aller Breite jagt Reppusius diesen Sturm durch das Epos; angefangen mit der Verfolgung der Jünger unmittelbar nach dem Tode Christi führt er über eine leidenschaftliche Rede Sauls im Hohen Rat zur Steinigung Stephans und zur Flucht der Jünger. In riesigen Bildern ziehen die Greuel der Hölle vorbei: Ein teuflisches Schlangenungeheuer, die „ D e a Gorgoneis", erhebt sich aus dem Krater der Finsternis, fliegt durch die Lüfte nach Jerusalem zu dem schlafenden Paulus und flüstert ihm den Rat ein, die Christen auch bis nach Damaskus zu verfolgen. Paulus fiebert im Albdruck, aber hält die Teufelserscheinung für eine göttliche Vision. Und nun erst beginnt die eigentliche Verfolgung, der Weg nach Damaskus, der Blitzschlag in der Nacht, die taumelnde Verzweiflung des Blinden und schließlich der Umschlag in die stoische Ruhe des erleuchteten Heiligen. Das alles ist heftig, erregt und vor allem in rein physischen Bildern geschildert. Die Affekte des Paulus sind keine „Seelenqualen" im modernen Sinn, sondern rein leibliche Ausbrüche, Dokumente der physischen Schmerzgebundenheit der Kreatur. Sein Leiden ist ein rein kreatürliches, wie die Affektenlehre jener Zeit, angefangen bei Macchiavell bis hin zu Descartes und Hobbes, eine Affektenlehre des Körpers ist und der physischen, fast physikalischen Mechanismen dieses Körpers. ' Wolfgang Stammler: Von der Mystik zum Barock, Stuttgart 1927, S. 154. * Exempl. in der Staatsbibl. Berlin. Das Lied wurde von Reppusius in der Straßburger Akademie rezitiert: „hora amemeridiana nona recitabit" heißt es im Vorwort S. 4 (S. aij). Zu Beginn und Ende des Epos sind noch einige Widmungsgedichte eingefügt.

ACH. CURAEUS — CASP. REPPUSIUS

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So schildert z. B. Reppusius die Erregung Sauls während seiner Rede vor dem Hohen Rat in folgenden Bildern: „Hactenus haec Saulus: cui protinus intima lervens / Occupat ossa calor: torvo sudantis ab ore / Scintillae absistunt: oculo micat ignis utroque / Non secus ac Taurus: qui prima in praelia diros / Mugitus ciet, et jam jamque in cornua tentat / Irasci obmiscus trunco: ventosque lacessit / Calcibus, et densam per inane revolvit arenam" (S. 9, V . 19—25). Jeder Teil der Handlung wird in eine solch physische Erregung hineingerissen. Eine klare Rede und Gegenrede im Hohen Rat gibt es nicht mehr, ebensowenig Dienerszenen, Vorbereitungen zur Verfolgung oder gar einzelne, konkrete Fälle, an denen die Verfolgung demonstriert würde. Alles Gegenständlich-Handlungsmäßige ist in die drängende Dynamik der Affekte eingesogen. Die Überreichung der Vollmacht wird mit dem Wort abgetan: „dant scripta" (S. 17, V. 16). Das ist alles. Das Übrige sind breite Gemälde der Wut Sauls und der überstürzten Flucht der Christen in Höhlen, Klüfte und verborgene Winkel ihrer Häuser. Elementar physisch ist selbst die himmlische Erscheinung vor Damaskus: Christus reißt den Himmel mit Gewalt auseinander: „et medium cogit discedere caelum" (S. 19, V. 6). Der Blitz saust hernieder: „Protinus ardent vibratus ab aethere fulgor / Missus adest," (S. 19, V. 7). Alles ist ringsum plötzlich von Finsternis bedeckt: „ E t subito tenebris nigrescunt omnia circum" (S. 19, V. 25). Wie in der heroischen Landschaft eines Barockgemäldes steht erstarrt in einem grellen Wechsel von Licht und Finsternis die schreckverzerrte Figur Sauls: „Saulique repente perambulat artus, / Ipsumque in tanta prosternit luce dementem" (S. 19, V. 8). Die Worte Christi klingen wie eine Schreckensfanfare: „Säule, quid usque furis? quae mentem insania coepit? / An non nostra tuo sentis adversa furori / Numina? cede D e o : sanctos desiste minaci / Ferro agitare viros: terrorum et caedis abunde est" (S. 19, V . 12). Von dem biblischen Dialog ist so gut wie nichts mehr geblieben. Sauls Furor hat selbst Christi Worte verwandelt und zu dem Gegenaffekt eines heiligen Zornes hingerissen, während Saulus nun in eine leidenschaftlich schluchzende Reue ausbricht: „Exanimis jacet, et mediis vox faucibus haeret. . . singultibus altis / Mixta hac pauca refert (S. 19, V . 18 f.) . . . Fronte ferit pronus terram seque increpat ultro" (S. 2 1 , V . 1). Von hier aus erhalten auch die religiös dogmatischen Vorstellungen, die katholische Sakramentallehre etc. wieder eine ganz neue Bedeutung: Die Schuld Sauls liegt nicht mehr im Kampf gegen eine aktuelle neue Lehre, auch nicht in persönlichen Lastern und Leidenschaften, wie noch im frühen und mittleren 16. Jahrhundert, sondern sie liegt eigentlich außerhalb von ihm, in der Verstrickung der ganzen Natur in körperliche Triebe und Affekte. Die Welt wird in der reinen, physischsten Immanenz erlitten, außer der es nichts mehr gibt. Die Immanenz aber ist schon von Beginn an, wie bei Macchiavell und Hobbes, dem Kampf und der Feindschaft ihrer eigenen Elemente anheimgegeben. Die Urschuld,

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so sagt Reppusius angesichts des Martyriums Stephani, liegt schon in Kains Brudermord. Das Leiden der Kirche, das Martyrium des Stephanus, ist ewig; es war schon, als Gott das Fundament von Himmel und Erde legte: „Sed tales Semper clades E C C L E S I A sensit / Quae verae amplexata fuit pietatis amorem. / Vix etenim jam prima soli, coelique locarat / Fundamenta D E U S : saevum cum surgit in ensem, / Contra Germanum miseranda frauda C A I N U S . / Sic etiam S T E P H A N U S primus post funere Christi, / Ingenti posuit lapidum sub grandine vitam" (S. 10, V. 26). Das Leiden dieser Welt ist physisch, wie die Sünde ihren Sitz im Fleisch hat. Die Uberwindung der Sünde kann darum nur in der Beherrschung des Fleisches, im körperlichen Martyrium erreicht werden. Wieviel Blut auch über die Erde hinströmte, sagt Reppusius, in der Constantia Christi und des Stephanus dem T o d gegenüber rettete sich dennoch die Welt zuletzt: „Haud tarnen inde minus, quin et magis et magis altas / Radices egit, sancto maculata cruore: / In veraque fide constanti pectore mansit. / Et tandem vires, totum diffusa per orbem, / Paulatim sumsit majores, nescia vinci" (S. 1 1 , V . 1 1 ) . Christus ist der Wiederhersteller des Heils, „Instaurator aeternae salutis" (S. 20, V . 1). Er allein kann dem in sterblichem Blut geborenen Saulus („mortali sanguine natum", S. 20, V. 9) den Himmel öffnen: „Ipse tibi summo Christus patefecit Olympi" (S. 22, V. 19), sagt Ananias zu Saulus und stellt ihm noch einmal die ganze Heilsgeschichte von Adams Verschuldung bis hin zu Christi Sühnopfer vor Augen: „ . . contractum crimine Adami / Eluitur: veterisque abeunt contragia culpae: / Multa Deum rogitat, primaque ab origine mundi / Omnia de Christo vatum monumenta recludit" (S. 23, V . 1). Die spezifisch neue Wendung, die das alte Heilsdogma hier genommen hat, erscheint in zwei Momenten, einmal in der leiblich sakramentalen Auffassung vom Sühnopfer: Das göttliche Blut reißt geradezu physisch den Sterblichen aus der höllischen Finsternis: „Is genus in ligno, divini rore cruoris, / Eripuit stygiis unus mortale tenebris" (S. 23, V. 9). Es ist wie eine Wiederaufnahme der primitiv naturalistischen Auffassung vom Sakrament, die gerade bei einem Protestanten sehr erstaunt. Aber es ist die Wendung, die in jener Zeit überall vor sich ging, jene große gegenreformatorische Wendung, die wider ihr eigenes Wissen auch die Protestanten ergriff. Das zweite Motiv, das die spezifisch neue Fassung der Heilsbegriffe kennzeichnet, ist das Motiv von der Standhaftigkeit des Märtyrers im Leiden, und zwar in der Form des plötzlichen Umschwungs vom leidenschaftlichen Sinnesmenschen zum todüberwindenden Dulder. Die Welt des Irdischen ist hier wieder dem Verderben preisgegeben, aber in einem umgekehrten Sinn als im Spätmittelalter. Dort bestand die Todverfallenheit des Leiblichen nur im verstofflichten Heraustreten aus den schon primär gegebenen Heilsbezügen. Die Welt des Leibes war starrer und sinnloser Stoff.

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Hier aber ist primär gerade die dynamisierte, leidenschaftlich bewegte Immanenz gegeben, die verzweifelnd nach einem transzendenten Bezug drängt. Die Immanenz selber ist versperrt1 und ringt „pathetisch" in ihren eigenen Ketten. Erst in ihrem letzten Moment, im Moment des tiefsten Verfalls und Todes, springt sie dialektisch um in ihr eigenes Gegenteil, in die Gnade. Die Gnade ist hier nicht transzendenter Einbruch, sondern Umschlag der Immanenz selbst2. Der Mensch ist primär widergöttlich, auch seine Seele. Alles was er tut, fühlt, weiß, tut er in Feindschaft gegen Gott. Alles Wissen ist darum teuflisch (Faust): „Est animis igitur firmis, est viribus usus: / Audendum contra (Deum): et cunctis studijsque dolisque / Impedienda Dei. quantum licet, usque voluntas" (S. 14, V. 25). So sagen die Teufel und erkennen sich selbst als die Elendesten und Ehrlosesten: „Nunc miseri et sine honorem sumus" (S. 14, V. 19) 3 . Nur ein Wissen gibt es, das dem Heil zugeordnet ist: das Wissen, das mitten in der sterblichen Welt, die dem zeitlichen Sturz entgegen eilt, unbewegt an der Paradoxie des göttlichen Wunders festhält: „ T u quoque funesto hoc ruituri tempore mundi, / Serves Doctores, qui in relligione tuenda / Immotas teneant quovis discrimine mentes. / Quae nobis fortuna: sacras ut Erinnys agat res, / C H R I S T E vides: et quam terrae loca cuncta pererret / Serpentis furiale malum pernicibus alis./ Ergo ades: affer opem: et propius tua Numina firma: / In te nostra salus uno inclinata recumbit. / D I X I . " Mit diesen stoisch tod- und triebüberwindenden Worten schließt das Paulusepos, das merkwürdig frühe Dokument einer Zeithaltung, die sich erst später, weit über ein Jahrhundert hinaus, auswirken sollte. 3. Paulus im späthumanistischen Schuldrama des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts Das eigentliche Problem, das uns die Wende des 16. Jahrhunderts stellt, den genauen Punkt des Umschlags von der aktiv-moralisierenden zur leidend-stoizistischen Haltung zu fixieren und stilkritisch zu bestimmen, wird erst aktuell in den Paulus-Dramen des Späthumanismus. Dort überschneiden sich nämlich in einer historisch nicht wiederholten Weise beide Haltungen in einer Dramenform, die genau die Wage hält zwischen den nüchtern bürgerlichen Formen des politischen 16. und den erregt deklamatorischen des „metaphysischen" 17. Jahrhunderts. Die Uberkreuzung, in der beide Haltungen stehen, wird darum so überdeutlich, weil sie sich vor einem objektiven Spiegel, vor den vorgeformten 1

S. dazu W. Benjamin, a. a. O. S. 68—71 in Bezug auf das Barock.

• Was hier unter dialektischem Umschlag exakt gemeint ist, wird erst deutlich bei der Analyse einiger barocker Märtyrerdramen, s. u. S. 75, 79 f., 83, 85 usw. • Vergl. damit als Gegenbeispiel den Stolz des Teufels in dem Digby-Play, s. o. S. 25. Über das im Barock so überaus weit verbreitete Motiv der „ E h r e " kann in diesem Zusammenhang nichts ausgesagt werden. Es bedürfte einer besonderen Untersuchung.

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Bildern des antiken Dramas spiegelt. Die Stellung zur antiken Dramatik, sowohl in ihrer theoretischen wie praktischen Auswirkung, ist aufschlußgebend gerade für den eigenen historischen Ort, an dem diese späthumanistischen Schuldramen stehen. a) Cornelius Schonaeus: „Saulus" ( 1 5 9 1 ) So verhält sich das „ i m Stil des Terenz" geschriebene Paulusdrama des Holländers Cornelius Schonaeus: „Saulus" 1 in sehr charakteristischer Weise zu Terenz. A u s moralisch pädagogischen Gründen lehnt Schonaeus den „obszönen" Inhalt der Terenzkomödien ab, aber die „phrasis elegantia" (Präf. S. 1 ) und reine Latinität seiner Sprache bewundert er und will sie für den Schulunterricht bewahren. Darum überträgt er, unter möglichster Beibehaltung der „schönsten und feinsten" „Floskeln", „Sentenzen" und „Emblemata" 2 , die Sprache des Terenz auf die würdigeren biblischen Stoffe. Die sprachliche Reinheit, sogar die leichte und witzige Fügung der Dialoge des Terenz hofft er mit dem Ernst und der Frömmigkeit der religiösen Inhalte verbinden zu können. So weit würde diese Terenzauffassung in keiner Weise über die üblichen „Reinigungsmethoden" der Schulmänner hinausgehen, und in dem völligen A u s einanderfallen von klassizistisch antikisierender „ F o r m " und konkret religiösem „Inhalt" wäre wieder einmal ein neuer Beweis erbracht für die oft perhorreszierte „Lebensferne" und Erstarrung des deutschen Humanismus dieser Zeit. In der Tat wurde von der seitherigen Forschung dieses Auseinanderfallen und besonders die moralisierende Tendenz bei Schonaeus aufs heftigste gerügt 3 . Dieser Moralismus aber und schließlich auch die dramatische Gestaltung erhalten sofort eine ganz andere Bedeutung, wenn man sich die wörtlichen Inhalte ansieht, mit denen sie Schonaeus selbst bestimmte. 1

In der Sammlung von Schonaeus: „Terentius Christianus, seu Comoediae sacrae sex. Coloniae, apud

Gerardum Greuenbruch. A N N O M D X C V I " (Sammelbd. in Stadtbibl. Frankf. a. M.). Erstdruck in Köln 1591 (Exempl. Un.-Bibl. Breslau). Die Dramen wurden sehr viel aufgeführt, so nach einem Schreiben des M. Henricus Gödeken (Rector) an den Rat der Stadt Hildesheim (19. März 1608) „sein die Comoedien zum offten zu Coln, Ingolstadt, Munster, München, Regensburg, undt auff ander papistischen örtern agiert" (K. Th. Gaedertz: Archivalische Nachrichten über die Theaterzustände von Hildesheim, Lübeck, Lüneburg im 16. u. 17. Jh. Bremen 1888, S. 13). Bei Gottsched: Beyträge zur crit. Historie der dtschen Sprache, Poesie u. Beredsamkeit, hrsg. von einigen Mitgliedern der Dtschen Ges. in Leipzig, Leipzig 1736, im 8. Band wird sogar eine Aufführung bereits aus dem Jahr 1583 in St. Annaberg erwähnt: „1583, Den 13. Febr. Saulus conversus, aus dem Cornelio Schonaeo, auf dem Rathhause lateinisch aufgeführet, und den 17. Febr. deutsch." (Bd. 8. S. 475 ff.) « S. 50. • S. z. B. das Urteil von Otto Francke: „Terenz u. die lat. Schulkomödie in Deutschi." Diss. München 1877, Weimar gedr. S. 48. Selbst noch von Rieh. Alewyn: „Vorbarocker Klassizismus u. griech. Tragödie" (in: Neue Heidelberger Jahrb. N . F . Jahrb. 1926) wird von jener „verhängnisvollen Spaltung" gesprochen zwischen dem „hohen Stil der lat Dichtungen" und den zeitgemäßen Inhalten im „niedrigen Niveau der damaligen deutschen Schulkomödie".

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Für ihn sind die „obscoeniores sales, turpes facetias" etc. des Terenz darum so von Grund auf verderblich für die Seelen der unerfahrenen Jugend „tenerae aetate", weil der menschlichen Natur selbst ein Hang zur Verderbtheit zu Grunde liege, weil sie durch ihre „corruptae communis naturae pronitate" wie von selbst ins Verderben stürze, „sponte eö corruit" (S. 3). Das Laster schmeichle den Sinnen und der Eitelkeit der Menschen und verführe sie zu Selbstsucht und T y rannei. Andererseits aber — und hier lebt noch alte humanistische Tradition — stellt er als Gegenideale die natürliche Einfachheit, die „saniorem sententiam" (S. 4), die Beständigkeit, Festigkeit („firmitas") usw. auf, ja, er faßt sogar Saulus als einen ursprünglich milden und „humanen" Menschen, der erst aus Gram über die vermeintliche Verblendung der Christen zum Tyrannen wird: „Me sua culpa (gemeint ist die Schuld der Christen) ex miti factum esse acerrimum" (S. 39, V. 27), „Ita me Deus adiuuet, vt ego . . non atrocitate animi commoueor, a t . . amore, humanitate, atque misericordia" (S. 21, V . 18). Von hier aus wird in der „Dedicatio" 1 ein ganzes Geschichtsbild entworfen. Die Reinheit der griechischen und jüdischen Könige wird gegen die Verderbtheit der spätrömischen Tyrannen gestellt mit der Behauptung, daß die Wurzeln zu beiden Eigenschaften schon in der Kindheit liegen. Die „Moral" des Schonaeus hat also eine doppelte Voraussetzung. Einerseits ist der Mensch noch der Humanitas und Liebe fähig, ja, die Humanitas ist sogar seine ursprüngliche, „reine" Natur. Andererseits aber wird die Klage über die prinzipielle Verderbtheit, Tyrannei und eitle Selbstsucht des Menschen immer stärker, so daß schließlich die entgegengesetzte Anthropologie, der Glaube an die ursprüngliche Bosheit des Menschen, bei ihm ebenso stark anklingt. Die Stellung zu Terenz scheint von hier aus verständlich zu sein. Die sittlich reinen Inhalte liefert die Bibel, die Form aber und Sprache hat ihre reineren Quellen in der antiken Literatur, in Terenz. Von ihm schöpft er die einfache Szenenführung, die geringe Personenzahl, die dekorationslose Zellenbühne, über ihn hinaus aber verlegt er das Schwergewicht von der komischen Verwicklung in das reine Rezitieren, in das „undramatische" Aussprechen von Sentenzen, die selten oder nie von einer konkreten „Handlung" begleitet werden. Selbst die Bekehrungsgeschichte spielt sich als reine Rezitation ab: Christus ist unsichtbar, er spricht als „ v o x inconspicua". Blitz und Donner fallen aus. Saulus reitet nicht mehr zu Pferde etc. Im Grunde übernimmt also Schonaeus gerade die „ F o r m " des Dramas, das undialogische Aussprechen der Sentenzen um der Sentenzen willen gerade nicht aus Terenz, sondern aus der pädagogischen Haltung seiner Gegenwart, die in Wort und Sentenz sozusagen schon einen objektiven Eigenwert sah, den man selbständig herauslösen und mit nach Hause nehmen kann. Auch 1

Von Cornelius Loosaeus verfaßt.

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Terenz ist genau wie die Bibel 1 buchmäßig vom Dramatiker aufzunehmen und Stück für Stück darzubieten. So sehr dies reine Rezitativ seine Wurzel in dem bloß pädagogischen Wunsch hat, den Schülern ein korrektes Latein beizubringen, so tief führt es doch auch in die innerste Problematik der „Gelehrtenliteratur" dieser Zeit. Auch die späteren Dramen der Jesuiten dienten ja wesentlich dem Lateinunterricht, und dennoch trat in ihnen das Dekorativ-Schauspielerische viel stärker, ja fast ausschließlich hervor. Hier aber in dieser Ubergangsdramatik ist das sentenziöse Vor-tragen Ausdruck einer ganz spezifischen Zeithaltung, der doppelten Auffassung nämlich in Moral und Menschenbild. Die „reinen" Quellen des Menschentums, Antike und Natur, sind sozusagen langsam im Verschütten begriffen. Man kann sie nur noch „sammeln" und buchmäßig aufführen, während im Hintergrund bereits langsam die Verwirrung und Dynamisierung der Immanenz einsetzt und zur negativen Wertung der Kreatur und des Menschen führt. Die alten Güter sammeln und sie sentenziös dem bedrohten Jugendlichen vor-stellen, ist noch die einzige Möglichkeit dieses Humanismus. Man kann darum von einem Riß zwischen „Inhalt" und „ F o r m " eigentlich nicht reden. Auch die Stellung zu Terenz und zur Bibel, zur Antike und zur konkreten Gegenwart divergiert in diesem Sinne nicht. Terenz und Bibel sind buchmäßig getreu in gleicher Weise ausgeschöpft, und die „Lebensferne" solcher „Buchtreue" hat, wie jede Lebensferne, ihre bestimmten zeitgeschichtlich „lebendigen" Hintergründe. Wie diese Hintergründe hier exakt aussehen, mag die Analyse des Dramas ergeben. Es handelt sich dabei um ein fast durchweg nachweisbares Schwebeverhältnis zwischen „humaner" Vergangenheit und barocker Zukunft. Schon im „ P r o l o g " heißt es von Saulus: „Nempe vt Saulus Tarsensis ignorantia, haud / Malitia peccans, Dominicum affligit gregem" (S. 3, V . 8). Saul ist also nicht der von Anfang an ruchlose Tyrann des Barock, aber auch nicht der konfessionelle Gegner wie im protestantischen Drama, sondern er ist beides. In seiner „ignorantia" drückt sich dies Doppelte aus. Sie ist einmal das Nichtwissen der wahren Lehre: „ A recte religionis aberrans tramite" (S. 63, V. 8), andererseits ist sie auch das unwissende, unüberlegte Verfallen an die eigene Leidenschaft, an Zorn, Ungeduld und Mißmut, d. h. eine allgemein menschliche Erscheinung, ein An-Sich, das losgelöst vom aktuell konfessionellen Kampf steht und in seiner allgemeinsten, d. h. alltäglichsten und trivialsten Form gesehen wird. Saulus wird, wie es in der „ C o moediae periocha" 2 heißt, durch die Frömmigkeit der Christen wie von einer „Roßbremse" gereizt: „ S A V L V S iuuenili feruore, ac praepostero / Quodam pietatis oestro percitus" (S. 4, V . 1). Der Zorn Sauls ist primitiv alltäglich wie die Welt des bürgerlichen Schuldramas des 16. Jahrhunderts. Aber schon führt er 1

S. den Abschnitt über das Apostelspiel von Brummerus, S. 47 ff. • Kurze Inhaltsangabe des ganzen Dramas, die zwischen Prolog und erster Szene gegeben wird.

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einen Schritt über sie hinaus. Denn als Sauls Diener Sosia über die Launen und den Grimm seines Herrn klagt, hält ihm Tranio, ein „satelles" Sauls, ein pessimistisches Wort entgegen, das über die Einzelverfehlungen hinweg auch von der Grundverfehlung des Menschen als solchem weiß: „Commune isthuc Sosia mortalibus vitium est: sua / Cuique sors, conditioque vitae displicet:" (S. 7, V. 16). Und langsam steigt schon aus diesen trivialen Zügen die Figur des Tyrannen auf, der die Tragödie dieser Welt böse, verschlagen und wie eine Maschinerie bewegt: „ O tyrannidem! / Hanc nobis Saulus, sat scio, mouet tragoediam / Nos obseruat, insidiantur, omnibusque / Oppugnat machinis" (S. 17, V. 16). So zieht sich der größte Teil des Dramas (4 Akte) ausschließlich über die tyrannische und verschlagene Verfolgung Sauls hin. Erst der fünfte Akt bringt die eigentliche Damaskusszene. Die Verfolgung hat allerdings noch nichts von jenem Sturm der Affekte, wie wir ihn im Paulusepos von Reppusius fanden. Andererseits spielt sie sich auch nicht mehr in den endlosen Diskussionen und Ratsszenen des protestantischen Dramas ab. Vielmehr stellt Saulus den Christen wie ein mißtrauischer, durch die angeblichen Tücken und Ränke des Gegners in Wut versetzter Häscher nach, der einerseits aus Ärger über die Langsamkeit seiner Diener in ein höchst irdisches Schelten und Zetern ausbricht, andererseits selbst darüber trauert, daß er durch das Blendwerk der Christen gereizt, aus einem humanen und vernünftigen Menschern zu einem grausam tyrannischen Verfolger wurde. Interessant ist, daß die Personen fast immer in zwei Gruppen zerfallen, in Ängstliche und Standhafte. Der klagenden Eulalia steht der tröstende Theophilus, dem ängstlichen Lyco der entschlossene Tranio (II, 3) gegenüber, den jammernden Christen Eustachius, Sophronius (II, 1 ) und Macarius (V, 1 ) der mutige Philippus usw. Von „Charakteren" kann hier natürlich noch keine Rede sein. Es handelt sich für jene Zeit vielmehr um das objektive Phänomen des Leidens, auf das nur zwei Reaktionen möglich sind, ein hilfloses Verfallen an das Leiden und ein stoisches Ertragen dieses Leides. Die Personen sind nur Spiegel, in denen sich dieses objektive Phänomen bricht. Daher der Spruchcharakter jener Dramatik, daher die „Sentenzen", die sozusagen über den Personen schweben und sie mit einem Plus oder Minus versehen, das wie ein Spruchband an ihnen haftet. Selbst die „dramatische Fabel gilt nur als Illustration der Sprüche", die umgekehrt wieder „die Quintessenz" der lehrhaft interpretierten Fabel ist 1 . Von einer eigentlichen Verknüpfung der Fabel in sich selber kann darum nicht gesprochen werden. So ist z. B. der ganze 3. Akt nur eingeschoben, um die christliche Humanitas (Gastfreundschaft, Heilung eines Blinden etc.) zu demonstrieren. Die rein stoffliche Aneinanderreihung von äußeren Handlungsmomenten des mittelalterlichen Dramas ist geschwunden, ebenso die breite Entfaltung von Partei 1

S. Rieh. Alewyn, a. a. O. S. 5.

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und Gegenpartei des protestantischen Dramas. Statt dessen erhält das Drama eine Art „Grundproblem", nämlich die Verblendung Sauls und seine Befreiung von ihr. Es ist darum schon auf ein bestimmtes Ziel hin gerichtet: Von der detaillierten Vorführung der verblendeten Verfolgung führt es zur endlichen Lösung und Befreiung in Bekehrung und Heilung, zur Befreiung auch aus Furcht und Zittern, in denen die ängstlichen Christen mit Ausnahme des standhaften Philippus und Theophilus lebten. Diese Richtung auf ein Ende hin äußert sich allerdings noch nicht in einer planmäßigen Verknüpfung von Spieler und Gegenspieler. Diese stehen im Gegenteil noch ebenso isoliert nebeneinander wie auf der mittelalterlichen Bühne. Aber sie haben eine bestimmte, fest umrissene Stellung zum Zuschauer hin, den sie sentenziös moralisierend beeinflussen und verwandeln wollen. Ihr Gesicht ist deklamatorisch dem Publikum zugewandt, wie das Podium selbst, auf dem sie stehen, diametral dem Publikum gegenüber steht und nicht mehr, wie auf der mittelalterlichen Bühne, von den Zuschauern von beliebigen Seiten und Stellungen betrachtet, ja umgangen werden kann. Zum Schluß des Dramas ruft der Epilogsprecher aus: „Huc hue acurrite, qui à dominico aberrastis grege; et / Veluti cum Saulo deliquistis hactenus. / Ita eundem quoque resipiscentem imitamini. / Non tarn labi, quàm in crimine pertinaciter / Persistere impium est. Nemo despondeat / Animum, cum omnen culpam quantumuis maxima / Diuina longé exuperet misericordia. / Valete omnes, & si placuimus, plaudite." (S. 64, V . 17.) b) Balthasar Crusius: „Paulus naufragus" (1609) Die unterirdische Spannkraft, auf der sich die klassizistische Wage des vorstehenden Dramas gerade noch zwischen Vergangenheit und Zukunft hielt, wird noch einmal außerordentlich deutlich in einem etwas späteren „Säkularspiel" von Balthasar Crusius: „Paulus naufragus Tragoedia sacra et nova E x Actis Apostolicis pro Ludo Seculari inclytae Academiae Lipsicae sub unius die et loci spacium ad forman Dramaticum redacta à M. Balthasare Crusio Plisso verdano Sub finem annexus est brevis D e re Dramatice Tractatus. Altenburgi in Misnia Anno M D C I V " 1 . Das Drama wurde geschrieben und aufgeführt zur 200jährigen Gründungsfeier der Universität Leipzig im Jahr 1609. Wie der Titel sagt, hält sich Crusius genau an die klassizistischen Regeln von der Einheit der Zeit und des Ortes. Die Bedeutung undUmdeutung dieser Regeln für die vorbarocke Dramatik stellt Crusius selbst sehr klar heraus in einer dem Drama angefügten Abhandlung aus demselben Jahr: „ D e Dramatibus Tractatus brevis et necessarius, ex antiquis et optimis autoribus studiosè collectus à M. Balth. Crusio. Altenburgi Excudebatur A N N O M D C I V . " 1

Exempl. in der Univ.-Bibl. Marburg in Sammelband VI a C64.

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Auch ihm kommt alles auf die moralische Einsicht an. Die Dramen sollen „exempla virtutum" sein, „quae ibi sententiosè traduntur" (S. 4). Das Wort „Drama" übersetzt er zwar mit „agere" („agere significat"). Aber dieses „agere" besteht nach ihm aus Reden, die auf einzelne Personen verteilt werden, wodurch diese dann auf dem Theater „agieren": „Nam hujusmodi Poemata sunt Colloquia de rebus necessarijs in personas certas collata et distributa ut in theatris agantur." Der Zweck dieser Reden ist moralisch: „et spectatores", so fährt er fort, „aut per oblectationem ad virtutum excitent, aut per metum â vitijs absterreant" (S. 4). Um diesen Zweck zu erreichen, müssen die „Colloquia" möglichst klar und einprägsam vorgetragen werden. V o r allem dürfen sie nicht durch optisch sinnliche Theatermittel zerstreut oder verwirrt werden: „ I n Dramatum actionibus longé aliud quid proponitur, quam oculorum inanis pastus. Interlocutrices personae non tantum oculis saturandis, vel perstringendis, sed auribus etiam atque animis erudiendis in theatro praesto sunt" (S. 6). Es darf darum nur eine geringe Zahl von Personen auf der Bühne sprechen: „ D e loquentibus personis loquor: quarum si multae sunt, turbatur actio et fit difficilior (S. 5 f . ) . . . Nam nec vulgus ipsum Dramatis linguam intelligit, etsi spectat avidè, nihil autem audiendo percipit.. nihil certe audiverunt, nihil didicerunt" (S. 7). Crusius beruft sich für diese Regeln auf Aristoteles, Sophokles, Euripides, Plautus, Terenz, aber auch auf moderne Ästhetiker wie Scaliger, Muretus, Barlandus usw., und polemisiert von hier aus gegen seine zeitgenössischen Dramatiker, deren „theatrum esset tabula cosmographica" (S. 13), ein verwirrendes Durcheinander von Raum und Zeit. Gemeint ist damit das neu aufkommende Jesuitentheater, vor dessen „prahlerischem Blendwerk", Wundererscheinungen und anderen Effekten er im Epilog ausdrücklich warnt (S. 53, V. 23). Sie umgaukeln die Augen („oculos ita perstringere", S. 54, V . 4) und trüben die versittlichende Wirkung des Stückes. Die Einheit von Zeit und Raum hat für Crusius darum vor allem den Sinn, die Zuschauer auf die Lehren und Sentenzen zu konzentrieren, auf die moralische Einsicht, welche „per exempla spectatoribus proposita elucet" (S. 17). Die Einheit und Konzentration der Handlung ist dabei sekundär, sie unterläuft nur nebenbei mit : Im Gegensatz zum Epos und zur Historie soll das Drama — um die Einheit der Zeit zu wahren — in médias res beginnen und durch Berichte die Vorgeschichte nachholen: „Historia rerum ordinem sequitur. Drama in médias res incidit" (S. 16). Die Praxis, der Aufbau von Crusius eigenem Drama, beweist, daß wir es hier tatsächlich nicht mit einer konzentrierten Handlungseinheit, sondern mit einer Zusammenfassung aller Momente zur möglichst sentenziös herausgestellten Lehre zu tun haben: „hoc Drama", sagt er in seiner Einleitung zum „Paulus naufragus", „hoc Drama sacrum est, et plénum piarum sententiarum et exemplorum" (S. 5).

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Schon die Entstehung des Dramas ist dafür bezeichnend. Crusius wurde nämlich nicht von dem unmittelbaren Interesse an dem Stoff selbst zur Abfassung des Dramas bewogen, sondern durch die enge Beziehung, die zwischen der Universität Leipzig und der dortigen Paulskirche bestand, vor allem aber durch ein Altargemälde dieser Kirche, das den Schiffbruch Pauli darstellte: „Hanc autem Dramatis de Paulo Naufrago materiam, ideo elegi, quöd dictae Academicae pijs actibus templum Paulinum Lipsiae attributum est, at quod Collegi Paulum religiorum est augustissimum, quodque in ara templi hec ipsa de Pauli naufragio historia antiquitus depicta conspicitur, quippe multorum seculorum memoria admodum digna" (Widmung an den Fürsten von Sachsen S. 6). A l s Interpretation eines Bildes also, als ein Versuch, ein ewig denkwürdiges Ereignis in einleuchtende Sentenzen zu fassen, so stellt sich uns dieses Paulusdrama dar. Ein Bild steht im Hintergrund, und auf dem Altarraum bewegen sich Personen, die dasselbe noch einmal abbilden, aber nun abstrakt deklamierend, in der Sprache einer Zeitmoral, die dem Ganzen als Sinn zugrundeliegt. Der Paulusstoff ist hier längst eliminiert. Er ist ein Exemplum unter vielen, nicht mehr notwendiger Teil eines universalen Heilsplans und nicht mehr schärfste Waffe im Kampf gegen die katholische Kirche. Er ist ein Bild geworden, denkwürdig, ehrwürdig, in einen strengen Rahmen gefaßt und buchmäßig auszulegen mit Sentenzen und Sprüchen: A l m o und Dämon, zwei Unterpriester, beobachten vom Ufer aus den Schiffbruch Pauli, und ihr erstes Wort ist — eine Reflexion über die Fortuna: „Spectare tuto naufragos e littore / Commonefacit felicitas me meae" (S. 12, V . 1). Damit beginnt die Handlung, und damit bewegt sie sich weiter. Die beiden schildern unter allgemeinen Betrachtungen über die Unsicherheit des Meeres die Rettung der Unglücklichen, die sich vor Kälte zitternd ein Feuer am Land anzünden. Mit der rhetorischen Absicht, „humaniter" den Schiffbrüchigen mit Essen, Kleidung und Obdach beizustehen, gehen beide ab. Humanismus und Christentum sind hier — das wird noch deutlicher bei der Analyse späterer Partien — in derselben doppelten Anthropologie zueinander geordnet, die wir schon bei Schonaeus fanden: Überrascht von der Humanität des Inselvolkes gesteht Paulus: „haud sunt barbare / Ut experimur, insulae hujus incolae / Humanitate vel Latinis sunt paros" (S. 16, V . 3). Und weil dieses V o l k so human ist, ist es nach Paulus auch zum Heil in Christo bestimmt. Denn das W o r t von Hosias sei hier anzuwenden: „ D e u s Populus meus qui non fuit, fiet meus: / Et ille me esse Deum suum fatebitur, / Et fiet aeternae salutis particeps" (S. 16, V . 12). D e r T a g des Heils ist jetzt schon angebrochen: „Haec est dies salutis" (S. 16, V . 16). Der Mensch kann, auch wenn er wie dies Inselvolk noch nicht die göttlichen Wahrheiten besitzt, von Natur aus human und gütig handeln, ja, gerade dadurch wird er erst würdig der göttlichen Wahrheit, so daß sich jetzt

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Paulus entschließt, zu predigen. Der Tag des Heils ist in die Gegenwart gerückt, in die menschlich gütige Nähe der Naturbewohner. Er steht nicht mehr in einer eschatologischen Zukunft wie im Mittelalter oder — mit einem anderen Akzent 1 — im Barock, sondern erscheint in klassisch einfacher, wenn auch buchmäßiger Natürlichkeit 2 . Andererseits ist der Mensch aber auch ganz und gar ohnmächtig und verloren und den Mächten des Meeres und der Natur preisgegeben. Und so konfrontiert Crusius in dem folgenden „Chorus Captivorum", dem Schlußchor des ersten Aktes, das Menschliche mit dem Göttlichen unter Betonung der Trostlosigkeit des Menschlichen: „Humana quando desinunt solamina / Divina tunc se proferant juvamina" (S. 17, V . 18). Diese Züge werden auffallender noch im zweiten Akt. Hatte der erste Akt gerade die Rettung des Menschen dargestellt und im Schlußchor gepriesen, so bringt der zweite Akt seine Verirrung und Verfehlung: Die Inselbewohner halten Paulus für einen Gott und wollen ihm in ihrer Verblendung opfern. Der Kapitän Hanno fallt in Sorgen um sein verlorenes Gold, und die Matrosen sollen wegen ihres Fluchtversuches und ihrer Absicht, die Gefangenen zu töten, um sie an einer Flucht zu verhindern, bestraft werden. All das wird nacheinander, Szene für Szene, in kurzen Dialogen und Monologen dargeboten. Ein Zwischenchor bringt dann noch einmal in sehr klarer Weise jene halb humanistischen, halb christlichen Elemente, zwischen denen dieses klassizistische Drama steht: Kein Volk lebt auf Erden, so verkündet der Chor in fast aufklärerischer Weise, kein Volk lebt auf Erden, es mag noch so barbarisch und roh sein, dem nicht eine Vorstellung von Gott innewohne, das nicht den Ewigen in irgendeinem Kult anbete: „Gens nulla vivit tarn fera/ Inculta, stulta, barbara, / Quae non putet aliquem Deum / Certis colendum ritibus" (S. 22, V. 21). Es gibt also hier schon den Gedanken einer „natürlichen" Gottesverehrung, die durch alle Kultformen hindurch doch immer den Einen und Ewigen durchscheinen läßt und das Absolute der Einen Kultform, der Einen Konfession, in Frage stellt. Aber dieser Gedanke ist nicht ausgeführt, denn sofort bringt Crusius den Gegenschlag: der Glaube der Heiden ist irregeführt, eitel und verblendet; sie beten Steine an und halten Menschen für einen Gott: „ A h quanta, quanta caecitas / Mentes gravat mortalium! / Errore tellus et Mare / Repleta sunt vanissimo" (S. 23, V. 6). Das barocke Motiv der Verwirrung der Sinne und der Eitelkeit des Natürlichen durchkreuzt den aufklärerischen Ansatz zu einer „natürlichen Religion" und einem „Naturrecht" und erweitert sich im Schlußchor zu einer allegorischen Betrachtung über die schwankenden Wellen des Lebens: „Aegre maris periculis 1

S. Eschatologie als Chiliasmus im Barock bei W. Benjamin, a. a. O. S. 56, 71. • Uber den damals wichtigen Begriff „Natur als Buch" müßte noch, besonders in seiner Beziehung zu Drama und der Kunstauffassung jener Zeit, gearbeitet werden, vor allem was die Weiterentwicklung zum Barock betrifft.

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evasimus . . . Durius vitae genus Orbe toto / Quam maris fluctus ratibus secantum / Constat haud ullum ac totidem periclus / Undique cinctum" (S. 26, V. 1). Das barocke Motiv von der Unbeständigkeit alles Irdischen verbindet sich mit dem ebenso barocken Gegenmotiv von der Constantia mitten in den Wellen des Lebens: „Imium vitae genus esse quis non / Credat, et vitat, nisi sacrum vatum / Scripta nonnumquam quoque navigandi / ausa probarent. . . quantus an terror trepidatioque, . . Patria fines utinem liceret / Ingredi rursus etc." (S. 27, V. 1). Solche Allegoresen zwischen Paulus' Schiffahrt und dem menschlichen Leben wurden tatsächlich später im Barock sehr stark ausgebildet, so z. B. in den großen Predigtauslegungen von Jacob Stolterforth: „Die gefahrliche Schifffarth S.Pauli" (Lübeck 1638) 1 und Georgius Laetus: „Pauli Apostoli Peregrinatio" (1639) 2 . In der Tat war die klassizistische Statik, in der Crusius noch die gegensätzlichen Spannungen hielt, schon im Zerfallen begriffen. Denn schon brach jener sinnlich pathetische Affektensturm des Reppusius über die Bühne herein in Gestalt der Jesuitendramen, gegen die sich Crusius noch einmal im „Epilogus" vergeblich wehrt. Dort verkündet er den Zuschauern, wer leibhaftig sehen wolle, wie Paulus den Kranken die Hand auflegt, der solle sich an die Jesuiten erinnern, die mit solchen Effekten zu prahlen pflegten. Wichtiger als die Vorführung von Wundern sei die Erkenntnis der religiös dogmatischen Wahrheiten: „At qui volet spectare, qualiter manus / Imponat aegris Paulus, haud sit immemor,/Jam desijsse illam facultatem virum, / Quam Jesuitae, sed dolose jactitant. / Nec est ea necessaria hujus temporis / Ecclesiae, quae pristinus miraculis, / Innota veritatis esse dogmata, / Seit et fatetur, et hunc Deo gratis agit. / Nos notimus oculos ita praestingere / Quin fructuosiüs repetimus dogmata" (S. 53, V. 21). Auch die „Ecclesia" des protestantischen Humanisten Crusius befindet sich nur noch in Abwehr: „Ut palma, quö premitur magis, surgit magis, / Sic sub crucis surgit oneribus Ecclesia. / Ecclesiam servat Deus contra omnium / Dolumque, vimque, immanitatemque hostium" (S. 54, V. 24). Die „reine Lehre" bewegte sich nur noch auf der Rückzugslinie gegenüber der „vimque, immanitatemque hostium", den mächtigen, prunkvollen Theaterspielen der Jesuiten, die das Unbegreifliche, die Paradoxie von Wunder und Auferstehung in die sinnliche Anschauung zu fassen sich mühten. V. PAULUS IM D R A M A DES B A R O C K U N D DES 18. J A H R H U N D E R T S 1. Frühzeit des Jesuitendramas Das erste bedeutende Paulusdrama der Jesuiten, das „der Ubergangszeit vom Humanismus zum Barock" 3 angehört, „De conversione S. Pauli" (1592) von 1

Exempl. Stadtbibl. Frankf. a. M. • s. Joh. Müller, a. a. O. I. S. 13 ff.

1

Exempl. Stadtbibl. Frankf. a. M.

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FRÜHZEIT DES JESUITENDRAMAS

J . Gretser, ist leider verloren gegangen 1 . Das Drama wurde zur Einweihung der St. Pauls-Kirche in Regensburg unter „vielen Tränen" 2 aufgeführt. Auch in Ingolstadt fand im gleichen Jahr eine Aufführung statt3. Der Verfasser, einer der größten Gelehrten des Jesuitenordens, hat in der Trilogie: „Regnum Humanitatis" eines der bedeutendsten Dokumente für die Wendung innerhalb des Humanismus zum Barock gegeben. „ D e r Humanismus wird zwar noch aufgerufen, aber Gretser kennt nur noch die katholischen Vertreter konservativer Richtung. Terenz ist verschwunden . . . Daß Gretser das selbst fühlte, hat er klar durch den Prologsprecher der Comoedia Secunda (aus dem Regio Humanitatis) verkünden lassen: „in leges veteris comoediae saepe peccabimus, non contemptu, sed consilio". Kraftgefühl und Selbstsicherheit waren an Stelle der sklavischen Nachahmung getreten" 4 . Zweifellos muß auch das Paulusdrama von Gretser unter diesem Geist gestanden haben. „Mit diesem Drama und mit seinem ,Augustinus conversus* (1592) 5 hat Gretser — abgesehen von dem Theophilus — die lange Reihe der Bekehrungsdramen eröffnet, die für 50 Jahre die Jesuitenbühne beherrschen sollten" 6 . Bedauerlich ist, daß sich die genaue Umformung des Bekehrungsmotivs hier an dieser ersten Stufe des Barock nicht mehr nachzeichnen läßt. Im Zusammenhang mit dem Umschlag des Humanismus zum Barock steht, wie Joh. Müller7 gezeigt hat, das Cenodoxusdrama des Jacob Bidermann8. Es behandelt die Geschichte von der „geheimen Ichvergötterung" des Pariser Doctors Cenodoxus, den man im „Irdischen preist und mit Pomp begräbt, während er im Himmel verdammt wird" 9 . Ähnlich wie im Fauststoff sind hier Wissenschaft und irdische Ehren als Versuchung zur Selbstvergottung in Frage gestellt. In dem fürchterlichen Urteilsspruch, den Christus im Einverständnis mit Petrus und 1

Verzeichnet von Gretser in seinem Dramenverzeichnis des Msc. 229 aus der Kreis- und

Studienbiblio-

thek Dillingen als: „ D i a l o g u de conversione S. pauli: Habitur s. Radisbonae 13. octobris 1 J 9 2 . " • Bemh. D u h r : „Gesch. der Jesuiten in den Landen deutscher Z u n g e " . 2 Bände. Freiburg i. Br. 1907 und 1909. Bd. 1 . S. 210. • Bemh. Duhr, a. a. O . I. S. 340, Anm. 1. ' Joh. Müller, a. a. O . I. S. 22 ff. • Gleichfalls verloren. • Joh. Müller, a. a. O . I. S. 3 1 . ' Joh. Müller, a. a. O . I. S. 36, 46. ' Bereits 1602 von Bidermann in der Marianischen Kongregation München aufgef. Aus dem Jahr 1609 ist uns eine entsprechende Perioche erhalten. Exempl. in einem Sammelbd. der Staatsbibl. München. Einen Neudruck der deutschen Ausgabe des ganzen Dramas vom J . 1635 (ebenfalls München) gab Willi Flemming heraus in: „Deutsche Lit. Reihe Barock. Bd. 2 : Das Ordensdrama, Leipzig 1930. E s gibt femer eine lat. Ausgabe von 1666 in: Ludi theatrales sacri sive Opera comica Posthuma i R . R . Jacobo Bidermanno", München 1666. In allen 3 Ausgaben tritt Paulus mit Petrus und Michael beim Urteilsspruch Christi auf, ohne dabei eine wesentl. Rolle zu spielen. • Joh. Müller, a. a. O. S. 36. Emrich

Paulus 3

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P A U L U S IM D R A M A D E S B A R O C K U N D D E S 18. J H .

Paulus über den verworfenen Pariser Professor fallt, hat das Barock das letzte Urteil über den Humanismus und die „irdische" Haltung des 16. Jahrhunderts gesprochen: „ D e r Cenodoxus ist der Abschluß der Übergangsproblematik 1 .... der Seelenkampf zwischen der individualistischen Einstellung der Vergangenheit und der Gottverbundenheit der Neuzeit.. die Triumphpforte, durch die der neue barocke Geist seinen Siegeszug begann" 2 . Andererseits hat sich das Barock zugleich damit sein eigenes Thema gegeben: Cenodoxus ist der in die Immanenz Verstrickte, der dem Verfall und Todesurteil dieser seiner irdischen Welt entgegentreibt, ohne Aussicht auf Rettung und transzendente Erlösung. Cenodoxus ist die mit dem Teufel verbundene Ehrsucht und spiegelt die „pathetisch" leidende Aufblähung der Immanenz wieder, die nur sich selbst kennt und darum verzweifelnd aus sich selbst heraus drängt. In diesem Sinn wäre das Wort Johannes Müllers von der „Gottverbundenheit" des Barock zu korrigieren und präzisieren. Wie aber „der Siegeszug des barocken Geistes" aussah, mögen die folgenden Paulusdramen zeigen. 2. „ D i e teutsche Comoedi Von dem H. Apostel Fürsten Paulo" (Ingolstadt 1 6 3 1 ) In die volle Entfaltung barocker Dramatik führt uns die Münchener Perioche aus dem Jahr 1 6 3 1 : „Summarischer Inhalt Der teutschen Comoedi von dem H. Apostel Fürsten Paulo" 3 . Dem Paulusstoff sind hier die merkwürdigsten, ja man darf sagen tiefsinnigsten Bedeutungen untergelegt worden, die ihm vielleicht überhaupt eine Zeit zu geben wußte. Die Allegorese wird nun — und dies macht ihre „ T i e f e " aus — in einen unendlichen Fluchtpunkt gezogen; in einer Bildbedeutung sich nie erfüllend stürzt sie von Bild zu Bild, um sich in der Tiefe eines nie enträtselten „Sinnes" schier zu verlieren 4 . Zum erstenmal wird der Paulusstoff restlos von den allegorischen Bedeutungen verzehrt: In einem Vor- und Nachspiel (Prologus und Epilogus) erscheint zunächst ein „moderner" Paulus: „Paulus ein Lutherischer Buchdrucker Gesell / veracht unser liebe Frau / auch derselben Bruderschafft / wird derentwegen von unser lieben Frawen mit einem Stral vom Himel getroffen / vnd Blind gemacht" (Prologus). Nachdem dann das ganze historische Paulusdrama von Geburt bis Martyrium gespielt ist, vollendet sich auch das moderne Paulusdrama: „Ihren blinden 1

Joh. Müller, a. a. O. I. S. 36.

• Joh. Müller, a. a. O. I. S. 46.

• Einzclexempl. in der Univ.-Bibl. München 4* P. lat. rec. 5 57. Ein Exempl. in einem Sammelbd. Bavar. 2197, Vol. IV, Nr. 30 der Staatsbibl. München. Der Holzschnitt stellt Paulus dar in voller Größe mit Heiligenschein, Bart, langem Gewand, auf einem Grabhügel knieend, in der Rechten ein Schwert, in der Linken ein Buch, die üblichen Paulussymbole. * Vgl. die langsame Auflösung der Allegorese in eine Vielfalt von Bedeutungen bei Brummerus. S. o. S. 46.

DIE TEUTSCHE COMOEDI VON DEM H. APOSTEL FUERSTEN PAULO

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Paulum / macht unser liebe Fraw durch Fürbitt deß H. Apostels Pauli wider sehend / und schickt jhn zu jhrer Brüderschaft sich underweisen zulassen / wie er dann auch verspricht" (Epilogus). Das Wesentliche an dieser AHegorese ist, daß hier zwei Handlungen aufeinander bezogen sind, ohne daß sie unmittelbar unter einem gemeinsamen Transzendentalgeschehen, einem universalen Heilsplan stehen. Sie sind beide Exempla, aber Exempla für einen Sinn, der nicht unmittelbar durchscheint, sondern einmal auf ein immanent Religionspolitisches, zum anderen auf eine leid voll vergängliche und in Trauer entschwindende Welt bezogen ist: Denn die eigentliche Paulushandlung ist nichts als eine einzige Demonstration des leidvollen Menschenweges von Geburt bis zum Tode. Sie ist ein wunderbares Bild für den natürlichen Lauf, den jedes Leben nehmen muß; das Paulusleben ist transfiguriert in ein allgemeines Leben, das zwischen Geburt und Tod eingeklemmt sein unentrinnbares Geschick mitleben und mitsterben muß. Zuerst wird der kleine Saul an der Seite seiner Eltern vorgestellt: „Aser der Vatter / Jahel die Mutter deß Sauli / die ziehen mit jhrem Sohn von Giscalis auff Tarschen zu / vnder wegen begegnet jhnen ein alter Jüdischer Rabi / vnd sagt jhnen wahr" (Actus I Seena I). Am Anfang also wandern Vater und Mutter auf die Geburtsstadt ihres Sohnes zu und lassen sich das Bild des zukünftigen Lebens dieses ihres Sohnes entwerfen. Das geschichtliche Leben des Paulus ist in das natürliche des Menschen überhaupt eingewandert und selbst nur ein Exempel für dies natürliche. Das Zeichen aber, unter dem sich das natürliche Leben abspielt, ist das von Streit, Leid und Verfall. Ein Wahrsager entwirft den Eltern die Linien des Lebensweges ihres Sohnes, und diese Linien müssen düster genug ausgesehen haben, denn „Discordia der Kriegs Teuffei mit seinem Geschwader / Erfrewet sich ob deß Alten wahrsagen / verhofft dadurch Saulum zu uberkommen" (1,2). Das Leben Sauls ist ein Zeichen für das durch Krieg und Discordia zerfurchte Leben dieser Welt selbst, und hinter den Zügen des jungen Saul erscheint das Bild des Jünglings schlechthin, in dem der Geist des Bösen Platz nehmen will. Discordia „gibt dem Geist Asmodeo bevelch / in einen Jüngling zufahren / werden letztlich von einem Christen durch das H. Zeichen verjagt" (I, 2). Das Bild Sauls ist auswechselbar: Er kann sich in jeder anderen Figur allegorisch ausdrücken: Eben bedeutete er noch den Buchdruckergesellen Paulus in Ingolstadt, jetzt ist er der Jüngling, wie er ewig von Sünde und Versuchung heimgesucht wird, usw. Das geschichtliche Bild Sauls wird aufgehoben und zur Allegorie für eine Reihe natürlicher und zeitgenössischer Bilder. Die natürlichen Bilder aber überwiegen. Sie sind Zeichen für die ewige, in Tod und Sünde verlorene Kreatürlichkeit des Irdischen. Der Teufel bemächtigt sich der Seele des Jünglings, und gebannt und „verjagt" kann er nur werden durch das heilige Kreuzeszeichen, das Zeichen leidvollster Uberwindung der leidvollen Welt. Der 5*

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PAULUS IM DRAMA DES BAROCK UND DES 18. JH.

Triumph über das Leiden ist letztlich der Triumph des Märtyrers, der gerade im äußersten Schmerz sich dem Schmerz entzieht. Der Heilsplan Gottes aber und die transzendente Erlösung sind dunkel, und selten oder nie fallt ein Lichtstrahl von oben in den Kerker des Fleisches, in den auch noch der Märtyrer eingeschlossen ist: „ D e r Schutzengel neben der Fürsichtigkeit Gottes stellen für Augen die unergründliche Urtheil Gottes" (I, 3). Das Grauen des Krieges und die „unergründliche Urtheil Gottes" stehen am Anfange des Lebensweges von Paulus. Und wie die Allegorien dieser Szenen bei aller Deutung letztlich deutungslos im „Unergründlichen" ihres Sinnes verharren und fragmentarisch nur Teile ihres Sinnes liefern, so zerfallt auch das Leben dieses Paulus in Stücke und Splitter, die im Theaterraum erscheinen und vergehen wie Bilder einer Laterna Magica, die der suchende Blick der Zuschauer vergebens zu enträtseln sucht. Fragmente von Paulus Leben, das bietet das Drama, Fragmente von seiner Kindheit, Christenverfolgung, Bekehrung, Mission und Martyrium. Alle stehen sie in irgendeinem allegorischen Bezug zur Welt und zum „Leben", aber der Bezug ist nie eindeutig fixiert. So wird eine Episode aus Sauls Kindheit vorgeführt, eine scheinbar „sinnlose" und nur der Kurzweil dienende Episode: „Caspar Faul ein Landsknecht / beklagt sich / wie es jhme au ff der gart ergangen / Saulus kombt vnd will auch ein Landtsknecht werden / vnd lernen Hennen fangen / so bald aber der Bawr kombt / laufft er darvon. Hanß Lorsch der Bawr / sambt dem Landtsknecht / werden in die gefangknuß geführt" (I, 4). Diese Episode steht in dreifacher Beleuchtung im Drama: Einmal gibtSaul ein natürliches Bild ab für alleKnaben, die derVersuchung nach Abenteuern, Diebstahl etc. erliegen, und mag so eine pädagogische Bedeutung für die Jesuitenschule gehabt haben. Zweitens liegt in der Gefangennahme des Landsknechtes sowohl wie des an sich unschuldigen Bauern vielleicht der Versuch einer natürlichen Begründung der weltlichen Staatsgewalt. Denn in der unmittelbar folgenden Szene erscheinen „Kayser Claudius mit zwen Landtpflegern / als Felix vnnd Festus / neben zwen Römischen Senatores Saturnino ynd Pomponio / hält einen Rhat / vnd laßt sich hören / wie er zum Kayserthumb kommen / auch durch den Cantzler etliche / Rhatschlaege fürbringen" (I, 5). Auf den Diebstahl des Knaben Saul folgt als warnendes Bild die Macht des Kaisers, repräsentiert in den zwei Landpflegern, die später Paulus gefangen nahmen und dem Kaiser überlieferten. Das heißt: Die natürlichen Affekte der Menschen in ihrer primitivsten Form, Diebstahl, Geiz, Ehrsucht etc. erfordern eine strenge Staatsgewalt, und so muß sich der Kaiser Claudius „hören lassen, wie er zum Kayserthumb kommen". Alles wird — wir werden dies noch an anderen Beispielen bestätigt finden — auf seine Ursprünge hin untersucht, und zwar auf die natürlichen. Wie der geschichtliche Paulus, so werden auch die geschichtlichen Phänomene von Kaiser und Staat auf natürliche reduziert, auf den natürlichen Zusammenprall

D I E T E U T S C H E C O M O E D I V O N D E M H. A P O S T E L F U E R S T E N P A U L O

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menschlicher Affekte, die wie in Macchiavells Staats- und Affektenlehre den Kreislauf von Monarchie, Demokratie, Tyrannei und Monarchie bedingen, oder wie in der echt barocken Staatstheorie von Hobbes den Absolutismus begründen 1 . Eine direkte Beziehung zwischen der Landsknechtszene und der Kaiserszene braucht hier noch gar nicht zu bestehen, und war vom Dichter vielleicht auch nicht gedacht. Aber schon ihr unmittelbares Nebeneinander ist auffallig genug, und in der Tat ist ja das Wechselspiel zwischen all diesen locker hingestreuten Handlungsfragmenten so außerordentlich bunt und mannigfaltig, daß sich unzählige Kombinationen ergeben, von denen jede richtig ist und doch nie den allegorischen Sinn der Szenen restlos erschöpft. So läßt z. B. die Landsknechtszene noch eine dritte Deutung zu. In der 3. Szene des 3. Aktes taucht nämlich plötzlich die Episode wieder auf, und zwar mitten in Sauls Verfolgungen zwischen der Ausstellung der Vollmacht und der Damaskusszene: „Caspar Faul Landtsknecht / vnd Hanß Losch Bawr / werden durch Michel Stiffel den Ambtmann auß der Gefangknuß für den Richter Orix gestellt / welcher nach verhör sie wider in gefangknuß geschafft / sie aber sich wider vom Ambtmann ledig machen" (III, 3). Danach hätten wir es — nach der Erteilung der Vollmacht durch den Hohen Rat und dem Treueid, den Saul von seinen Landsknechten verlangt (III, 2) — mit einer Rechtfertigung und Kritik zugleich der weltlichen Macht zu tun, der es gefahrlich ist in das Garn zu laufen, vor der man sich aber doch im letzten Moment befreien kann und soll. Der Landsknecht empfängt die gerechte Strafe, aber die Strafe am Bauern ist ungerecht. Und wie Sauls Verfolgung durch Gesetz und Recht sanktioniert und gerechtfertigt und dennoch ungerecht ist, so steht auch die weltliche Macht selbst in einem Doppelverhältnis, ist sie selbst die gerechteste, notwendigste und höchste Instanz irdischer Natur und zugleich die korrupteste, zufalligste und teuflischste Tyrannei irdischer Natur. So steht der Kaiser Claudius des 1 . Aktes neben dem Tyrannen Nero des 5. Aktes, und die Tyrannei selbst wird mit dem Löwen verglichen, dem Naturkönig, der die Christen zerreißt (V, 6). Denn die Natur lebt im ewigen Haß und Widerstreit ihrer eigenen Elemente. Die Erde ist heimgesucht vom Teufel Discordia, vom großen Schrecken, der sich als ständiger Kampf aller gegen alle über Natur und Geschichte breitet, und dem nur durch das Zeichen des Kreuzes, durch das Martyrium zu begegnen ist. Aber selbst der Märtyrer wird noch vom Naturkönig, vom Löwen in Stücke zerrissen: „Silen / Arnos / Jetron / drey Christen / reden von den Gutthaten G O T T E S / werden ohn gefahr deß todten Stephani jnnen; als sie jhn aber be1

Die Zusammenhänge zwischen diesem Drama und den barocken Staatstheorien sind natürlich nicht

kausalhistorisch, sondern als Analogievorgänge zu betrachten. Zudem erlaubt der dürftige Periochentext nur eine sehr vorsichtige Interpretation dieser Zusammenhänge, die aber an anderen Dramen (z. 6 . Vondel, s. S. 78, ferner S. 83 f.) deutlicher werden.

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wainten, Werdens von zweyen Löwen verjagt" (II, 5). Die „ R e d e " von der „Gutthat Gottes" also wandelt sich in Trauer angesichts des toten Stephanus, und selbst die Trauer wird nicht zugelassen, die wilde Natur in Gestalt zweier Löwen vertreibt sie. Die Natur als brüllender Löwe, vor deren Schrecken selbst die Trauer weicht, diese Allegorie taucht immer wieder im Drama auf. So wird in der 6. Szene des 5. Aktes die Tyrannei Neros demonstriert an einem Löwen, der einen Jungen zerreißt. Auch das Motiv der verstummenden Klage ist wieder damit verbunden: „Quirius / Kaysers Nero Löwen Meister / klagt über die Tyranney seines Herrn / man führt jhm einen Jungen für / den er seine Löwen muß zerreißen lassen" (V, 6). Ja, in der 1 1 . Szene desselben Aktes soll sogar Paulus selbst den Löwen vorgeworfen werden: „Kayser Nero der Tyrann / schafft Paulum für die Löwen zuwerffen / weil jhm aber Quintus der Römer widerbart hält / schafft er denselben ins Ellend / vnd bevilcht Paulum mit dem Schwerd zurichten" (V, 1 1 ) . Das Bild des schrecklichen Naturkönigs und das Bild des geschichtlichen Tyrannen stehen hier allegorisch füreinander ein wie in den Wappenschildern der Fürsten, und es ist wesentlich für die barocke Trauer, daß sie dem Tyrannen gegenüber, d. h. der historisch zeitlichen Erscheinung, in laute Klagen ausbricht, während sie angesichts der „ewigen" Greuel derNatur verstummt zu schweigender Melancholie. Die Reduzierung der Geschichte auf Natur rechtfertigt zwar die Geschichte, führt sie aber zugleich in den Abgrund der Natur, in Sterben, Vergehen und Discordia. Die Kreatur und ihr leiblicher Kerker ist die unaufhebbare Macht, an die sich der barocke Mensch selbst gebunden sieht 1 . Um die Allegorie der Vergänglichkeit kreist alles Geschehen: „Das Glück / durch erzehlung zwo Histori beriembt sich seines gewalts; Die Zeit aber schreibt jhr noch mehr zu; Werden aber bayde von der Fürsichtigkeit Gottes abgefertiget" (III, 1). Damit ist das Grundthema, das im geheimen hinter jedem Fragment der Paulushandlung steht, formuliert: Die Eitelkeit dieser Welt, ihr Glück, wird überwunden von der enteilenden Zeit. Der Abgrund aber des Vergehens, in den die Zeit alles zieht, erhält sein „Abfertigung" durch die Vorsehung Gottes, die jedoch ebenso „unergründlich" ist (I, 3). Zugleich liefert diese Allegorie eine Deutung der Paulushandlung. Saulus treibt im Pochen auf sein Glück ins Verderben und wird von der unergründlichen Vorsehung Gottes mit einem Blitzstrahl niedergeschlagen: „Saulus mit seinem Hauffen / trowet den Christen / vnnd zeucht auff Damasco zu / wird aber vnder wegen mit einem Stral darnieder geschlagen / vnd von Christo zur bekehrung gewisen / aber blind gen Damasco geführt" (III, 4). Interessant ist, daß die Allegorie der Zeit hier, aus stofflichen Gründen, nicht unmittelbar in die Paulushandlung eingeführt werden konnte. Faktisch 1 Über das Verhältnis Natur und Geschichte, Naturgott und Tyrann im Barock s.: W. Benjamin: Der Ursprung des deutschen Trauerspiels, Berlin 1928, S. 75 f., 78, 83.

DIE TEUTSCHE COMOEDI VON DEM H. APOSTEL F U E R S T E N PAULO

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können nur „das Glück" und die „Fürsichtigkeit" Gottes in der Bekehrungsszene gegeneinander spielen. Das Motiv der Vergänglichkeit in diesem Stoff ist schwer denkbar. Dennoch aber ist es eingeführt, und zwar deshalb, weil es zutiefst allen barocken Allegorien zugrunde liegt, weil in ihm, dem Phänomen der enteilenden Zeit, überhaupt erst die Allegorien zu jener außerordentlichen Bedeutung erhoben werden konnten, die sie für das barocke Drama haben: Indem nämlich die Vergänglichkeit auch noch die allegorischen Bilder in sich greift, auch sie noch, die sinngebenden Bilder, zu vergänglichen und darum sinnverlierenden Gebilden macht, fallt der deutungsuchende Blick von einem Bild zum anderen; eine Allegorie löst die andere ab, von Bildrätsel zu Bildrätsel jagt das Geschehen in einer Fülle sich nie erfüllender Allegorien vor den Augen des Zuschauers vorüber. Auch das Fragmentarische der Allegorien, jenes Abrupte, Abgebrochene, in dem die Handlungsteile sich folgen, hat seinen Grund im Phänomen der Vergänglichkeit, das alle Erscheinungen auseinanderreißt und eine Kluft zwischen eben gewonnener Bedeutung und Erscheinung sofort wieder öffnet. Die Allegorie, die ihrem Wesen nach auf der Trennung von Idee und E r scheinung beruht, ist darum die dem Barock gemäßeste Form 1 . Im Mittelalter stets auf die sakramentale Heilsordnung, im 16. Jahrhundert auf moralische Daten und Fakten bezogen und darum immer in einer gewissen Statik und Eindeutigkeit ruhend, hat sich nun die Allegorie sozusagen in ihrem eigenen Wesen verloren. Indem sie nach ihrer eigenen Bedeutung suchen muß, da ihr zum konkreten Bild das konkrete Abstraktum fehlt, ist sie sich selbst zur Allegorie der Allegorie, zur Allegorie des Auseinanderseins von Sein und Bedeutung geworden. Das Schillernde und Sprunghafte der barocken Allegorie ist nur in einem letzten Sinne eindeutig, in der Deutung nämlich auf das Vergängliche, auf das Enteilen der Zeit, die in einem letzten Bild, einer letzten Allegorie endet, im Totenkopf, in der Allegorie des Todes. Die Fülle der Bilder kann nie groß genug sein, um zu diesem letzten Bild vorzustoßen. Andererseits spielt dabei auch das Motiv der T r e u e zum Stoff, zur genauen Nachzeichnung des Gewesenen und Vergänglichen eine große Rolle 2 . Der Versuch, in der Vergänglichkeit des Irdischen gerade das Irdischste, Stofflichste, Physischste festzuhalten, ist sehr kennzeichnend für die nur scheinbar „weltflüchtige" Haltung dieser Zeit. Das geht so weit, daß selbst alle in der Bibel nur flüchtig erwähnten Missions-Stationen wenigstens ebenso flüchtig erzählt werden: „Barnabas erzehlt Marco / w o er allenthalben mit Paulus gewest" ( I V , 7), „Timotheus erzehlt zu Caesarea Aristarcho unnd Gaio / w o er allenthalben mit Paulo gewest" ( V , 5). 1 1

Eine grundsätzliche Auseinandersetzung über Allegorie u. Symbol bei W. Benjamin, a. a. O. S. 157 ff. Vgl. die gelehrte Stoffausbreitung im Barock, s. dazu o. S. 48 f.

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Nur in der stofflichsten Reproduktion der Vergänglichkeit kann schließlich ihr letztes, stofflichstes Abbild, der Totenkopf, erscheinen. Im Martyrium zu Rom vollendet sich der Umschlag von der Discordia zur Ruhe des Leibes. Die Auferstehung aber kann nicht mehr realisiert werden: „Paulus wird mit dem Schwerdt gericht / und wo sein heiliges Haupt hinfalt / entspringen drey Brunnen. Die Christen bewainen Paulum / mit einem Klag Gesang / vnd tragen das Heyligthumb herrlich hinein" (V, 12). Mit dieser Bergung des Leichnams und seiner „herrlichen" Aufbewahrung im Heiligtum schließt das Drama, das von Stufe zu Stufe, angefangen bei der düsteren Prophezeiung zu Beginn bis hin zu Tod und Martyrium die Stationen irdischer Vergänglichkeit vorgestellt und beweint hat, um in der letzten Minute den Leichnam zu betten im Heiligtum unvergänglicher Ruhe. In der Bergung des Leichnams Pauli sind alle Bedeutungen und Allegorien wie in einem Tempel versammelt. Hier im Tod ist der Sinn der vergänglichen Welt und aller ihrer Stufen erschöpft, und jede Episode war nur ein Schritt zu ihm hin. Wie alles Geschichtliche nur im Natürlichen sein Gegen- und Vorbild fand, so war das Leben des geschichtlichen Paulus nur eine Manifestation des natürlichen Ablaufs des Menschenlebens von Geburt bis zum Tode, in dem der Leichnam „herrlich hineingetragen wird in das Heyligthumb". Die „Gottbezogenheit" des Heiligen ist nur die letzte Stufe der Naturbezogenheit seines Leibes. Aber gerade hier, im letzten Bild des Natürlichen, im Tod, rettet sich die Natur in die Geschichte. Kein Himmel öffnet sich über dem Gestorbenen, keine Auferstehung dringt in das Gewölbe des Grabes, aber das Grabgewölbe selbst verwandelt sich in ein „Heiligthumb", in dem der Leichnam „herrlich" aufbewahrt in den Ruhm der Geschichte sich birgt 1 . Alles Geschichtliche eilte im Sturz der Zeit dem Tode zu, um hier, in der letzten Entblößung seiner Kreatürlichkeit, zur geschichtlichen Ewigkeit sich zu retten. 3. „Petrus Vnd Paulus Das ist: Ein Christliches Schawspil vom Leben / Wandel / Marter vnd Todt Zweyer Fürsten deß rechten vnd wahren Glaubens" (Augsburg 1659) Das Martyrium Pauli zusammen mit Petrus in Rom tritt im Lauf des Barock immer stärker in den Vordergrund, so daß wir weit mehr barocke Petrus-Paulusdramen kennen als einfache Paulusdarstellungen. Auch sie lassen meist alle Lebensstationen der zwei Apostel in allegorischen Bildern aufleuchten und verschwinden, bis in der letzten Station, im Martyrium, alle allegorische Bedeutung umschlägt zur wunderbaren Rettung des Vergänglichen. Ein sehr lehrreiches Beispiel dafür, wie sich Allegorie und stofftreuer Chronikenstil verbinden, bietet die Perioche vom Jahr 1659: „Petrus vnd Paulus Das ist: Ein Christliches Schawspil vom 1

Deutlicher wird dies noch im Schluß des Vondelschen Dramas, s. u. S. 80, ferner S. 83.

PETRUS UND PAULUS DAS IST: EIN CHRISTLICHES SCHAWSPIEL

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Leben / Wandel / Marter vnd Todt Zweyer Fürsten deß rechten vnd wahren Glaubens" In diesem Drama treten nach dem Personenverzeichnis folgende Allegorien auf: Afflictatio corporis, Mundus, Timor Dei, Cura salutis, Gloria Coelestis, Amor Diuinus, Misericordia, Obedientia, Religio, Justitia, Vita Apostolica, Genius Germaniae, Genius Galliae, Genius Hispaniae, dazu die antiken Götter- und Sagenwesen Juppiter, Mars, Faunus, Vmbra, Cupido, Castor, Pollux, Orcus. Paulus wird in drei Personen verkörpert, einmal als singender „Paulus in dramate cantato", dann als „Anima S. Pauli" und schließlich in seiner einfach historischen Rolle als „Paulus". In der Perioche selbst wird leider von der Funktion dieser Allegorien nie etwas angegeben. Die fünf Akte laufen vielmehr streng chronikalisch nach den Kapiteln der Apostelgeschichte und Legende ab: „ A C T U S I. Begreifft in sich / was sich begeben von dem Jahr Christi 34. biß auff 37, Actus II. Begrifft in sich / was sich begeben von dem Jahr Christi 39. biß auff 51. etc.". Die Lebensdarstellung der zwei Apostel geht dabei unter dem Motto von Fall und Aufstieg, natürlicher Niedrigkeit und göttlicher Rettung: „Daß Petrus schlechten vnd geringen herkommens / von Christo aber als ein Bettler auß dem Kott erzogen / vnd erhebt" usw. Der Umschlag von der Verlorenheit zur Rettung, von „blutgieriger" Tyrannei zum Heiligen ist bei Paulus wie zu erwarten besonders „stark und hefftig". „Diser Paulus durch göttliche Stimme / gleich als einem DonnerklapfF / von Blutgüriger Verfolgung der ersten Christen / dann auch von dem Jüdischen Gesatze selbsten abgeschröckt vnd gezogen / so starck vnd hefftig er zuuor bekrieget alle Gottesforcht vnd Tugendt / so starck vnd hefftig / ja noch stärcker vnnd vnaußsätzlich / hat er hernacher verfolget vnd bekrieget alle Vntugendt vnd Gottlosigkeit / biß er endlich durch das Neronische Schwerdt enthauptet / an statt deß Bluts / lauter Milch hat fließen lassen / zum Zaichen seiner Junckfräwlichen Lehr" (Inhalt). Die plötzliche Wendung von Untugend zur Tugend und „jungfräulichen Lehre" führt in sehr tiefe Regionen barocker Vorstellungen: Es handelt sich hier weniger um moralische als theologische Kategorien, nämlich um die Wiederherstellung des ursprünglichen, des „jungfräulichen" Paradiesesstandes der Natur in Verbindung mit der Märtyreridee: In der Constantia und Beharrlichkeit schützt der Märtyrer zugleich die wiederhergestellte Tugend vor den ruchlosen Anschlägen und Irrgängen der Welt: So werden in der letzten Szene des Dramas die gemarterten Apostel Petrus und Paulus zusammen mit der „keuschen vnschuldigen Susanna" vorgeführt: „ D i e Kirch gantz betrübt / als welche schon vorhinein sichet / was für entsetzliche Meerwunder der Irrthumben sich mitler Zeit herfürthun vnd eraignen / wie sie werden noch mehrers angerennet vnd verfolget werden / wird von den zween Himmel-Fürsten Petro vnd 1

Exempl. in der Staatsbibl. München, Sammelbd. Bavar. 2197 IV Nr. 37.

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Paulo / die nun mehr mit Christo Triumphieren / von Himmel herunder getröstet / vnd jhr neben andern / sonderlich die keusche vnschuldige Susanna / welche zween alte Bößwicht / vor Gericht / falschlich als ein Ehebrecherin vmbgezogen / zue nachricht vnd beyspil vorgehalten vnd gestellet" (V, n ) . Die „entsetzliche Meerwunder der Irrthumben" bestehen vor allem in der Verdrehung der göttlichen Wunder in teuflische Zauber- und Verführungskünste. Darum ist der große Gegenspieler der beiden Apostel in diesem Drama Simon Magus, der schon im ersten Akt, unmittelbar nach der großen Pfingstpredigt Petri, das Volk verführt: „Simon der Zauberer bethöret vnd verführt durch seine Zauberkunst die Samaritaner / trachtet ehrgeitziger weiß nach göttlichen Ehren" (I, 4). Die Simon-Magus-Handlung ist als einzige neu in das Drama eingefügt, das sonst genau den Inhalt der Apostelgeschichte wiedergibt. Eine allegorische „Entegegenstellung" konfrontiert Petrus und Simon Magus folgendermaßen: „ D e r Beruff vnd Eingang Petri / auch aller rechtschaffnen wahren Hürten / in den SchafFstall Christi / wirdt verglichen vnnd entgegen gestellt der Trewlosigkeit Simonis deß Zauberers / der sich vergeblich vnderstunden / durch seine Zauberstücklein vnd böse Künsten / haimblich vnd verstohlner weiß in die Heerd Christi einzutragen" (I, 1 1 ) . Das Gegenspiel zwischen Petrus und dem Zauberer geht durch das ganze Drama: Im zweiten Akt erhebt sich der ehrgeizige Zauberer bis zur göttlichen Würde: „Simon der Zauberer kombt vnder Claudio dem Kayser nacher Rom / vnd erhaltet mit seiner schwartzen Kunst vnd Zauberey so vil / daß jhme von dem Volck ein Ehrenbild auffgerichtet / vnd er in die Zahl der Goetter ist gesetzet worden" (II, 7). Diesem echt barocken „Ehrenbild" gegenüber, dieser Selbstvergottung, zu der sich der irdische Seelenverführer erhebt, errichtet Petrus sofort den „Stul und Sitz der gantzen Christenheit": „Gleich darauff folget Petrus / dem Zauberer vnd seinen Teufflischen Künsten zu begegnen: entziehet sich also dem grimmen Herodis / begibt sich nacher Rom / richtet alldorten auff seinen Stul und Sitz der gantzen Christenheit / so vest / daß selben nach den Worten Christi / die Pforten der Höllen biß anhero niemaln ermaistern konden" (II, 8). Mit dem Himmelssturz des Zauberers und dem Martyrium der beiden Apostel endet das Drama, ebenfalls ohne eine Auferstehung zu bringen: „beyder Leichnamb werden mit großer Sorg vnd gebürender Ehrenbietigkeit zu Erden bestattet" (V, 10). 4. J . van Vondel: Peter en Pauwels, Treurspel (1641) Das einzige barocke Paulusdrama von dichterischer Höhe: „Peter en Pauwels, Treurspel" (Amsterdam 1641) 1 von dem großen holländischen Dramatiker Josse 1 Neudruck in der großen Vondel-Ausgabe: „ D e Werken van Vondel" ed. v. J . van Lennep, 4. Teil, S. 41 ff., Amsterdam 1858. Eine, allerdings ungenügende, Übersetzung ins Deutsche von L. v. Helmsteede in: Kath. Unterhaltungsbibliothek, 2. Serie, Bändchen 2, Aachen 1873, Ex. Stadtbibl. Aachen.

J . V. V O N D E L : „ P E T E R E N P A U W E L S '

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van Vondel, beweist, daß bei aller Gewalt der Sprache und Bildkraft, die diesem Dichter zur Verfügung stand, die Gewalt und Bildfülle doch nur zu schöpfen war aus demselben Boden, der die bereits analysierten Peter-Paulus-Dramen bestimmte, daß sich in ihm alle jene Elemente und Teilprobleme wieder finden, die wir nur fragmentarisch aus den dürftigen Inhaltsangaben der Periochen herauslesen konnten. Das dem Drama vorangehende Widmungsgedicht an Eusebia ruft das Bild Roms auf und zeigt, wie dort die Weltherrschaft nicht durch das Schwert und die Macht des Cäsaren errungen wurde, sondern durch Martyrium, Tränen und Blut, durch den Zerfall gerade des Irdischen, über das nun die Apostel durch den Triumph der Kirche herrschen: „Niet met geweit van schildtpadt, ram en bogen, / Waer mee het fei al't aertrijck t'onderbraght; / Maer met gebeen, en tränen, en twee tongen, / En wonderheen, en afgepeynight bloet. / Wat Caesar dwongk helff Christus dus ged wongen" (S. 43, V . 7) 1 . Martyrium und Tyrann, Kerker und Hof stehen in einer dialektischen Umkehrung und Verkreuzung zueinander: Die Gruft des Märtyrers wird zum Ort des Triumphes, und der Hof des triumphierenden Tyrannen wird zum Ort des Schreckens und Verfalls: „Daer puft de stanck des kerckers 't weeligh hof. / Daer kiest uw lust geen perlen voor die tränen. / Daer weeght man kroon en scepter uit, als stot" 2 . Der geschichtliche Schauplatz des Sieges der leidenden Apostel über den römischen Tyrannen verwandelt sich zugleich in den Schauplatz der Natur, denn das Martyrium der Apostel wird zur Allegorie für den natürlichen Zerfall des Fleisches: „Wat is ons vleesch, dat tock in't graf moet rotten? / Wat is het lijf vermast van snode pracht?/ Der wormen spijze, en voetsel voor de motten" (S. 44, V. 37)®. Das Martyrium ist entsprechend als rein physischer Schmerz gefaßt: „ D i e 't hemelpadt, of purper niet betreen, / Maer op de punt van spijckers, ne van zwaerden, / Gekloncken en geknast door vleesch en been" (S. 44, V. 34)*. Zugleich soll das Martyrium der Jugend ein Beispiel für die Eitelkeit alles Irdischen und aller Tyrannei geben: „Terwijl de jeught, met ydelheen geladen,/ Den oogenblick des levens wulpsch verquist, / Leert d'aendacht hie de tyranny versmaden, / En d'ydelheen, noch ydeler dan mist. / Zy laert 'er naer Godts 1

Übers, von Helmsteede, S. 7: „Nicht vor der Waffen Wucht soll es (Rom) sich neigen, / Womit es selbst

das Weltreich an sich bracht! / Nein! Thränen und Gebet, Apostelzungen, / Und Märtyrblut und Wunder siegen hier! Was Cäsar zwang, hat Christus so bezwungen." ' „ D e m Hofe zieht man vor des Kerkers Graus; / Die Thränen suchend, wird man Perlen meiden, / Und kehrt, wie Staub, so Krön' als Szepter, aus." * „ W a s ist das Fleisch, das faulen muß im Grabe? / Was ist der Leib, den man so kostbar schmückt? / Der Würmer Nahrung und der Motten Labe" (Helmsteede, S. 8). ' „Die nicht auf Purpur wandeln himmelwärts; / Nein: Schwertesschneiden, Nägel, Eisensplitter / Durchbohren Fleisch und Bein mit Todesschmerz" (Helmsteede, S. 8).

P A U L U S IM D R A M A D E S B A R O C K U N D D E S 18. J H .

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strenge Ridders aerden" (S. 44, V . 29) 1 . Theologisch wird das Martyrium folgendermaßen begründet: Die Seele ist, obgleich Gottes Antlitz „nachgeschnitten", in den Kerker der Immanenz, in Erde und Lehm gesperrt, und nur im standhaften Ertragen des leiblichen Schmerzes öffnet sich ihr ein Ausweg, nur am „Marterfaden" findet sie durch das „Labyrinth der Welt" zum himmlischen Glück: „Dat's't wezen uit zijn aengezicht gesneden, / De hemelsche en in klay gevange zicel, / Die haecht te spoen, met wyde en wisse schreden, / Naer't zaligh honck, waer op haer liefde viel. / Geen Labyrinth der weerelt kan verwarren / Haer opzet, zoo zy volght den marteldraet" (S. 45, V . i) 2 . Das Thema des Trauerspiels ist damit schon umrissen. In der ersten Szene, von Vondel selbst als Vorspiel gedacht 3 , steigen um Mitternacht die Geister Simon der Zauberer und sein Diener Elymas aus der Hölle empor und schwören fürchterliche Rache an ihren Gegenspielern Petrus und Paulus. Sie rufen endlich alle Geister der Hölle auf, um das Martyrium der beiden Apostel zu inszenieren: „Wellekom, o nimmer slapende Ickers, / Zielmoorders, bloetraen, stokebranden, aertsverklickers, / Trauwanten, die, gespitst op't schijnschon valsch, en vreet, / Den Godt des afgrondts dient, en stapt in zijnen eedt; / Verblijt u, want ghy zult, met ons, uw kromme kraewels / Nu waffchen in het bloet van Peter, en van Pauwels" (V. 134) 4 . Diese Geisterszene hat eine fast Shakespearische Faszination und Sprachgewalt. Das Außergewöhnliche der Stunde, der Sprung aus der Hölle, das Düstere der Nacht, alles ist in die Verse eingegangen, mit denen Simon seinen Monolog beginnt: „Ick Simon Toveraer boor hier, van's afgronts stoel, / Door's aertrijx ingewant, te keel uit van den poel, / Waer in de Ridder sprongk, die neder quam te paerde, / En sleepte zoo de pest van boven, onder d'aerde. / Wat nur magh 't zijn? my dunckt de sterren staen in keer / De stille midnacht. Elymas? waer blijst mijn schildknaep achter?" (V. i) 5 . Und wirklich ist das ganze lähmende Schwei1

„Indeß die Jugend sonst in eitlem Trachten / Vertändelt ihres Lebens flücht'gen Hauch, / Lernt Andacht

hier, die Tyrannei verachten / Und Eitelkeit, verfliegend wie der Hauch. / Sie sieht das Beispiel strenger GottesRitter" (Helmsteede, S. 8). • „Die Seele, Gottes Antlitz nachgeschnitten, / Die Lehm-Gefang'ne, sie ist Ihm so werth; / Sie strebt mit festen und beschwingten Schritten / Zu ihrer Liebe Heim, des Glückes Herd. / Kein Labyrinth der Welt kann sie entfernen / Vom Ziel, hält sie am Marterfaden sich". (Helmsteede, S. 8). • In der Inhaltsangabe, „Inhoudt", sagt er: „ D e Geesten van Simon toveraer en Elymas spreecken devorrede" (S. 47). • „Seid willkommen, ihr Dämonen! / Aufwiegler, Seelenmörder, Erzverräther! / Trabanten ihr des Höllenfürsten, die / Mit Schönheit das Verderbniß übertüncht, / Erfreuet Euch! Ihr dürft die krummen Krallen / Jetzt in das Fleisch von Paul und Peter schlagen". (Heimst, hat die Alexandriner Vondels in Jamben übertragen, die Chöre im Originalversmaß). ' „Tief aus der Erde finstrem Eingeweide / Steig ich hervor, aus jenem Schlund, woraus / Der Ritter Curtius sprang mit seinem Roß, / Die Pest zugleich zur Tiefe niederziehend. / Die Sterne, die zum Niedergang sich wenden, / Verkünden mir die Zeit der Mitternacht. / W o mag nur Elymas, mein Knappe, bleiben?"

J . V. V O N D E L : „ P E T E R E N P A U W E L S '

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gen der Kreatur, in dem die Welt um Mitternacht verstummt und erstarrt liegt, in die Worte des Elymas verdichtet, wenn er antwortet: „Ick volgh op meesters spoor, al valt mijn tret wat zachter. / D e werlt leit nu stom, in hären eersten droom. / Waer ben ick, meester? Zegh, wat ruischt hier voor een stroom?" (V. 8)i. Der erste Traum also, in dem die Welt liegt, ist die Nacht der Hölle, d. h. die Welt ist von Beginn an, schon ihrem Ursprung nach, der Schuld und ewigen Pein verfallen. Die Stunde der Mitternacht gibt die Szenerie, in der das barocke Drama seine äußerste Verdichtung 2 und Wirkung erfahrt, denn in ihr liegt die Welt sozusagen als Skelett erstarrt vor den Augen des Beschauers und gibt ihr Geheimnis preis, das Geheimnis der Vergänglichkeit. Um Mitternacht wird die Hölle frei, d. h. die Macht des Bösen und der Schuld, der die Welt schon in ihrem ersten Traum anheimgegeben ist. Darum ist das mitternächtige Vorspiel des Dramas zugleich das Vorspiel des Martyriums, das notwendige Vorspiel zum letzten und endgültigen Sturz des Leibes in Schmerz und Tod, in den „alles besiegenden Abgrund:": „ D a t al de werelt z i e , . . . Op dat geen maght zoo groot verschijn, voor's menschen oogen, / Waer tegen 's afgronts maght en kracht niet op zou mögen" (V. 169) 3 . Hier, in dieser Vernichtung des Irdischen im Abgrund der Hölle, liegt die allegorische Bedeutung des Vorspiels. Aber auch diese Bedeutung ist nicht endgültig, sondern treibt neue aus sich heraus: Daß das Martyrium, diese Waffe und dieser letzte Vollzug der Hölle, zugleich erster Triumph und erste Begnadung des Himmels ist, diese Dialektik ahnt weder die Hölle, noch ahnen es die Christinnen Petronella und Plautilla, die in der nächsten Szene die beiden Apostel befreien wollen. Vielmehr wird diese „Bedeutung" des Martyriums erst von Stufe zu Stufe sichtbar, in der sprungweisen Entfaltung aller Möglichkeiten von Deutungen: Denn die Apostel werden nicht etwa sofort in gleichmäßig konstanter Todesverachtung vorgeführt, sondern in ihrem Jammer und Elend, in der Schuld und Schwäche ihres todesbangen Leibes. Die ganze 3. Szene ist nichts als ein ununterbrochenes Weinen und Klagen des Petrus über seinen Verrat an Christus, seine Feigheit und Schwäche einer Magd gegenüber, die ihn bei Christi Verurteilung den Kriegsleuten hätte ausliefern können. In endlos sich überströmenden Tränen weint sich Petrus aus, bis schließlich Paulus einstimmt und seine eigene Schuld bekennt, die er bezeichnenderweise ausschließlich in seiner Teilnahme am Martyrium Stephani sieht. Auch die Strafe für seine Schuld empfindet Paulus rein 1

„ E r folgt des Meisters Spur, doch schreitet leiser. / Wie liegt so still die Welt im ersten Traum! / W o sind

wir? welcher Strom umrauscht uns hier?" * S. dazu W. Benjamin, a. a. O. S. 130. * „ D i e ganze Welt soll s e h e n , . . . Daß keine Macht so groß den Menschen scheine, / Die nicht des Abgrunds Kraft besiegen könnt."

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physisch: Es ist die Krankheit (Epilepsie), die ihn oft heimsucht, und wie er sagt, mit Fäusten schlägt: „Wee my, wee my! wie klinckt my daer met vuisten / zoo fei in 't aengezicht? o nachtgeest, zijt ghy dat? / Sla toe, 'k verdien noch meer. ick zit van bloet bekladt. / Verneder dezen worm, eer hy zieh verhoovaerdigh. / 'k Vernoegh aen die gena; ben ick haer anders waerdigh. / Och och och och och och och och och och och och" (V. 414) 1 . Der zweite Akt verschiebt die Handlungsebene vom Märtyrer zum Tyrannen. Cornelia, die Oberin der Vestalinnen, klagt über den Frevler Nero, der die Altäre besudele, die Götterbilder für seine Kriegskosten umschmelze, dasVolk unterdrücke und eine Vestalin geschändet habe. Nero entschließt sich zur Hinrichtung der beiden Apostel. Märtyrer und Tyrann stehen wieder in einer sonderbaren Dialektik von Natur und Geschichte: Die Verworfenheit des geschichtlichen Tyrannen wird auf die natürliche Urschuld des Romulus zurückgeführt: „Dat heeft van Remus af begost; Van dat de broeder sloegh / Ter neder zijnen vollen broeder: gelijck nu lest de zoorn zijn moeder, / Die hem, haer hoop, te werelt droegh, En zette in top van't Rijck" (V. 1337) 2 . Das irdisch geschichtliche Reich Roms wird damit wiederum auf eine kreatürliche Urschuld, einen Brudermord, zurückgeführt. Der Staat hat seinen Ursprung in den menschlichen Affekten, im Kampf aller gegen alle. Und im Tyrannen konzentrieren sich die Mächte der verderbten Natur zu souveräner Bosheit. Aber als Geschöpf der Kreatur geht auch der Tyrann dem Verfall aller Kreatur entgegen. Im 5. Akt vollzieht sich die leibliche Auflösung Neros: „ H y hijght naer zijnen aem. de spraeck luit schor, en heesch / Der tong slaet yzerklanck, en slibbert onder 't spreken. / AI 't aengezicht, gelijck met dootverf overstrekken, / Ziet bleeck, en blaeuw, als loot, en hier en daer gevlacht" (V. 1388) 3 . So schildert Agrippa seinen Herrn. Aber dieser kreatürliche Verfall des Herrschers der Erde findet seine letzte Tiefe erst in der barocken Dialektik von Schein und Wirklichkeit, Spiel und Wahrheit, in die sich der wahnsinnige Kaiser verirrt: „ D e Vorst, die onlangs speelde Orestes, droet en dol, / En vlughtigh voor wraeck, speelt un zijn eige rolj / Maer in der daet, en niet in schijn, van schrick gedreven, / Druckt uit, hoe veel de schijn en't veinzen scheelt van't leven" (V. 1383) 4 . Der Fürst spielt in der Rolle 1

„Weh mirl Wer schlägt mit Fäusten / Ins Antlitz mir? Bist du es, Geist der Nacht? / Ich habe mehr ver-

dient, ich Blutbeiadner, / Schlag immer zu, erniedrige den Wurm, / Daß er sich nicht erhebe, Gnade nenn ich / Die Ruthe dankbar. Ach! und Nichts als A c h ! " * „ V o n Remus ab begann dies schon, / Als ihn der Bruder schlug / Voll Herrschsucht bei den Mauern nieder; Jetzt der Sohn die Mutter wieder, / Die hoffnungsreich im Schoß ihn trug, / Ihm gab des Weltalls Reich" • „Sein Athem keucht, die Stimm ist rauh und heiser, / Und bleibeschwert, und stotternd lallt die Zunge. / Sein Angesicht hat eine Leichenfarbe, / ganz blaß und blau mit dunklen Flecken" 4

„ D e r Fürst, der jüngst Orestes spielte, von / Den Furien gepeitscht, spielt jetzt sich selbst, / Doch wirklich,

nicht zum Schein, von Schreck getrieben, / Und zeigt, wie sehr das Spiel der Wahrheit fern bleibt."

J . V. VONDEL: „ P E T E R EN PAUWELS'

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des Orest seine eigene Rolle, das Spiel wird Wahrheit, das Theater wird plötzlich scheinlos und zum unmittelbaren Schauplatz des Todes. Das Theater auf dem Theater als Spiel vor dem Tod, dieses Hamletproblem lebt auch bei Vondel. Und es besteht kein Zweifel, daß hier keinerlei romantische Interpretation erlaubt ist, daß dieses Spiel im Spiel nicht ironische Überlegenheit des Geistes über die Realität, sondern im Gegenteil seine völlige Unterwerfung unter die Realität bedeutet. Denn das Spiel selbst, die Rolle des Orest, fallt der viel stärkeren Wirklichkeit zum Opfer, in „dem Schrecken zeigt sich, wie sehr das Spiel der Wahrheit fern bleibt." Aber noch mehr, diese Rolle Orests ist selbst ein Stück Wirklichkeit, sie ist nicht nur ein Spiegel, in dem der Tyrann sich selbst erkennt, sondern springt in seine eigene Realität hinüber, so daß er sich im Wahn selbst als Orest sieht und alle Verbrechen Orests mit seinen eigenen verwechselt. Die Begriffe Schein und Wirklichkeit haben im Barock eine genau umgekehrte Funktion wie in der R o mantik. Wahn und Schein sind hier nicht Fluchtwege der Phantasie aus der Wirklichkeit oder ironische Überlegenheit über sie, sondern äußerste Intensivierung und Steigerung gerade der Wirklichkeit. Das Grauen vor der Realität des körperlichen Verfalls Neros und die Angst, die sich auf den Gesichtern des ganzen Hofes malt, reißt Agrippa zu dem Ausruf hin: „Hoe schichtigh is dit hof gedraiet, als een tooneel!" (V. 1400) 1 . Der Hof wird im Moment des Todes zum gespenstischen Theaterspiel, und dieses Spiel ist die scheinloseste, illusionsloseste aller Wirklichkeiten, ist nichts als enthüllte Wirklichkeit, nämlich die Offenbarung von Tod und Verfall, wie der Wahnsinn Neros nichts als die Offenbarung seiner Verbrechen bedeutet: Nero gesteht dem ganzen Hof in der Verwechslung mit Orest alle Verbrechen, die er begangen hat. Die Welt dieses Theaters ist scheinlos, und alle Dekorationskunst und Pracht des Barock diente nicht der Illusionierung des Zuschauers, wie meist angenommen wird, sondern seiner Desillusionierung und Enthüllung, der Enthüllung gerade der Pracht, mit der man spielte. Das Spiel ist Wirklichkeit, aber die Wirklichkeit wird Spiel nur im Moment ihrer tiefsten Scheinlosigkeit: Im äußersten Schrecken der Selbstanschauung sieht sich der Hof selbst als Gespenst, als leere, hohle Theaterfigur. Das Theater und „tooneel" enthüllt seine Geschichte, und die Masken der Bühne sind Larven, hinter denen das letzte Bild aller Wirklichkeit, der Totenkopf, erscheint. Die Dialektik von Spiel und Wirklichkeit hat ebenfalls ihre Wurzel im Problem der Vergänglichkeit: Die Welt des Sichtbaren vergeht und wird zum Schein, aber dieser Schein enthüllt zugleich die letzte Realität der Wirklichkeit, den scheinlosen Tod. Der Wahnsinn Ophelias und die Melancholie Hamlets an ihrem Grabe sind das Schlußspiel jenes grausamen Spiels, das Hamlet mit sich selbst und 1

„Wie scheu ist dieser Hof, gleich Bühnenhelden."

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seinem königlichen Oheim spielen mußte, um dieser seiner letzten Realität, des Totenkopfes, ansichtig zu werden. Aber auch der Gegenspieler des Tyrannen, der Märtyrer, steht unter der gleichen Dialektik. Sein Weg zum Tode ist ein Schauspiel. „ W i e auf einer Bühne schreitet er" zur scheinlosesten aller Schaustellungen, zur Hinrichtung: „Hier wert d'Apostel, als naer een tooneel, gebraght; / Op dat d'erfvyantschap van't menschelijck geslacht / . . . D'een, uit des anders bloet en gal, moght honigh zuigen" (V. 1 3 1 3 ) 1 . So schildert Petronella das Martyrium. Diese Schilderung gehört zu den grausigsten naturalistischsten Stellen des Dramas: „ . . dat kloppen kraecken knarssen / Door zenuwen en been, gingk t'elckens door mijn harssen, / Ja door mijn schrillend hart, en moorde het gemoedt.. dit hing alree: dat quam / Op aer en zenuw aen, en opende drie sluizen / Van vleesch, waer uit meer bloets, al schuimende, quam bruizen. / De Kruishelt zagh van bloet besprenghelt en bespet" (V. 1544) 2 . Erst in dieser äußersten Verleiblichung alles Schmerzes, in dem gänzlichen Verfall des Körpers, erscheint das Theater als Vorhof des Tempels, der neuen Kirche, schlägt der Schein des Natürlichen um in die Realität der Geschichte: Petrus prophezeit vom Kreuz aus die künftigen Martyrien und Leiden der Christen, aus denen endlich die Frucht, der Frieden unter Konstantin erwachse. Und Petri Nachfolger Linus ordnet die Reliquienverehrung an, um damit auf den Gebeinen der Toten den Bau der katholischen Kirche zu gründen, vor der alle Szepter und Kronen der Erde vergehen müssen. Indem die Kreatur bis zur Grenze ihres Leibes vordringend zerfallt, rettet sie sich in den Tempel des Heiligtums, strahlt sie verewigt im Glänze der Geschichte. Die Natur ist zeitlos sterblich; die Geschichte zeitlich unsterblich. Die geschichtlichen Bilder werden geborgen in Hallen und Tempeln, die natürlichen vergehen wie der Sand am Meer. Doch im Skelett sind auch sie zur Reliquie verewigt. Die letzte Ruhe des Natürlichen ist erstes Erwachen in der Geschichte. 5. Paulus im Drama des Spätbarock Die Gegenüberstellung von Märtyrer und Tyrann in jener Dialektik, wie wir sie seither in fast allen analysierten Paulusdramen des Barock fanden, ist mit Vondel noch längst nicht auf ihrer Höhe angelangt. Das späte Barock bis tief in das 18. Jahrhundert hinein führt das Thema immer breiter aus: Tyrann und Märtyrer treten in ihrer reinen Grausamkeit und ihrer reinen Unschuld immer 1

„Nun mußt' er wie auf einer Bühne schreiten, / Damit der Menschenfeind, der wilde Heide,

An Juden-

galP und Christenblut sich weide." * „ . . dies Klopfen, Krachen, Knirschen / Durch Sehnen und Gebein, ließ jedes mal / Mein Herz in Todesqual zusammenschrecken, . . wie riß / Da Sehn und Ader auf, und Ströme Blutes / Entsprangen schäumend jenem heiligen Dreiquell."

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krasser auseinander, scheinen allerdings damit langsam die Dialektik des Umschlags und der Verwandlung des einen in das andere Phänomen zu verlieren. Wie sich das im Einzelfall äußert und welche Veränderungen dabei eintreten, mögen die folgenden Dramen zeigen. a) „Tyrannus Sibi ipsi Tyrannus oder Wider sich selbst wüttende Tobsucht / In Nerone Dem Römischen Wütterich Durch ein Treuer-Spiel Auff öffentlicher Schau-Bühne vorgestellet" (Amberg 1 7 2 1 ) Wie schon der Titel dieses Dramas 1 sagt, ist hier der Tyrann Opfer seiner eigenen Affekte. D as radikale Gegenbild zu ihm ist die „hart betrangte Unschuld", die fleckenlose, in leidenschaftsloser Ruhe sich bewährende Reinheit. Die Gegensätze sind hier äußerst schroff, eindeutig schroff gefaßt. Aber das breite Pathos im Sprachstil ist geschwunden: Leicht, gefällig, arioso lassen sich die Partien hören: „migrandum est / cedendum est, procul ab aura / Scelerum caula / migrandum est, cedendum est etc.". Daß dies nicht einfach im Arienstil liegt, beweisen die gesprochenen Dialoge, so wenn Paulus in einem fast heiter beschwingten T o n die neu bekehrten Jünger anredet, die doch aufs äußerste von Nero bedroht sind: „vigeat per vos Religio Sacra, dilectij filii, christique nomen ad serös volet nepotes facile" (I, 1). Der Kontrast zu solcher Zuversicht, die Angst vor der Grausamkeit Neros, wird zwar dann sogar sehr schroff gebracht, aber nicht mehr als Klage und Entsetzen, sondern mehr als Besorglichkeit: „at vos amicij caesaris ira, saevus furos impetet crucj additas si sciat". Das ist alles. Von der Erregung und Leidenschaft des Hochbarock ist hier nichts mehr zu spüren. Die Kontraste aber von Tyrann und Märtyrer sind aufrecht erhalten und stehen wie zwei ausgehöhlte Schemata undialektisch einander gegenüber. Man lese nur die Inhaltsangabe der beiden ersten Szenen: „Pars I Seena I. Indem Petrus und Paulus mit glücklichem Fortgang den christlichen Glauben zu Rom ausbreiten / und sogar an dem Kayserlichen Hof einige Christo gewinnen. Seena II. Ergrimmet Nero über die Anzahl der Christen/ und befilcht die Stadt anzuzünden / die Schuld aber denen Christen beizumessen / auf daß er selbe bey dem Volck verhasset mache. Seneca dem Sitten-Lehrer des Kaysers / da er denselben die Wahrheit etwas freyer aufgeiget / wird zum Lohn schier die Geigen umb den Kopff geschlagen" (Seena III). Der barocke Inhalt, den solche Szenen natürlich noch enthalten, lebt auch in allen folgenden Szenen 1

In einem früheren „Nero furens" von 1604 (in Jesuitengymn. Paderborn aufgeführt. Als Msc. X , 14,

Nr. 13 in der Akadem. Bibl. Paderborn.) ist eine Gegenüberstellung von Märtyrer u. Tyrann, wie wir sie im Hochbarock finden, überhaupt noch nicht vorhanden. Paulus tritt dort noch nicht auf. Das zitierte Nerodrama von 1721 befindet sich in der Staatsbibl. München (cod. bav. 1 1 ; ; . Cod. lat. 2155). Der Text ist als lateinische Handschrift vollständig erhalten. Es geht ihm eine gedruckte Perioche in lat. und deutscher Sprache voraus. Einrieb, Paulus

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weiter, in der Verschwörung von Sulpitius und Galba gegen Nero, in Simons Verführungskünsten, der Flucht Petri, den Greueln Neros angesichts der brennenden Weltstadt usw. Im Schwinden begriffen scheint nur die Unheimlichkeit der dialektischen Umbrüche, die nie enträtselte Bedeutung der allegorischen Bilder. Das Problem, vor das uns vorliegendes Drama stellt, ist dies: W i e verhält sich die gekennzeichnete Schematisierung der Kontraste, die „mechanischer", leidenschaftsloser, unlebendiger werdende Sprache usw. zu den in den Analysen der früheren Dramen gefundenen Grundkategorien des Barock wie Vergänglichkeit, Umschlag der allegorischen Bedeutungen, die Dialektik von T o d und Rettung in die Geschichte usw.? Stellen sie eine Entleerung, „Veräußerlichung" des Gegebenen dar oder spielt sich in ihnen vielleicht gerade der letzte, tiefste Vollzug des Gegebenen ab, die maskenhaft fratzenartige Enthüllung alles dessen, was als „Eigentliches" und „Rätselvolles" im Barock lebte? Sollte sich gerade in der Erstarrung der Kontraste, in der extremen Konfrontierung der Gegensätze die Dialektik enthüllen und zu ihrer eigenen Selbstanschauung gelangen, zu der sie im unmittelbaren Prozeß des Umschlags der Phänomene niemals finden konnte? Die Antwort mag ein zweites Drama aus dem Jahre 1736 geben: b) „Petrus et Paulus. Tragoedia." (Köln 1736) 1 Alle Elemente barocker Dramatik sind hier in unvergleichlicher Vollständigkeit versammelt, aufbewahrt und als „Klischee" dem Zuschauer serviert. Die Allegorien arbeiten mit einer Drastik, wie sie in keinem früheren Drama zu finden war. So wird Petrus im Vorspiel vom Geist Christi in einen Felsen verwandelt, auf den er die Kirche baut: „ D e r Art-Geist Christi (Genius Christi) nimbt die Stell eines Bau-meisters im Tantz an, und verändert den Petrus in einen Felsen (Petrum in petram mutat) worauff er seine Kirch bawet, laut des Matth. X V I wider welche vergebens Nero, die Pforten und Gespenster der Höllen sich auffbaumen" (Vorspiel, Prologus). Diese Schrecken der Hölle aber werden nur noch in schematischer Aufzählung, nicht mehr in der breit erregten Ausmalung des Hochbarock gebracht: „ K o m b t alle auß der Höllen / Zorn, Unmuth, Ketzerey / Erweckt all Unglücks-Wellen / Tragt alle Kräfften bey / Die Kirch da hoch erhoben / Steht schon viel hundert Jahr / Sie acht nichts ewer Toben / Verachtet all gefahr." 1

Ex. als Synopse in lat. und deutscher Sprache in der H. und St. Bibl. Köln. A m Schluß ist auch der T e x t

der Arien und Duette beigefügt. Nach einer handschriftl. Notiz, die dem Titel beigegeben ist, heißt der V e r fasser Hilger. Rötgen. „ D i e Music hat componiert der Herr Ignatius Liechtenauer Capellen-Meister in der Thumb-Kirchen zu Osnabrück" (letzte Seite). Unmittelbar abhängig davon ist das Trierer Spiel: „ S . S. Petrus et Paulus" Perioche in deutscher und lat. Sprache, Trier 1754, Exempl. Stadtbibl. Trier. Arientexte vollständig erhalten. Verfasser im Widmungslied als Joannes Philipp bezeichnet.

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Jedoch gerade aus dieser einfachen Kontrastierung springt nunmehr fast handgreiflich jener dialektische Umschlag heraus, der in jeder Allegorie des Barock heimlich lebte: „Petrus in petram mutat", in solch knappen Formeln findet die Allegorie nun ihre eigene Deutung. Auch die Handlung selbst arbeitet nun mit der vollen Apparatur des Wechsels von Lust und Grauen, Schrecken und Zuversicht. Nero wird mitten im nächtlichen Gelage von Agrippa zum Tode der Apostel „angehetzt": Agrippa „Macht sich fluggs auff zum Kayser, der bey nächtlicher Weil lustiger ding beym SeithenSpiel wäre: (Erste Abhandlung 3). Und hetzet den, durch die Wollust und den Wein seiner nit mächtigen Nero also scharff wider die Apostolen an, daß er ihnen den Tod schwähren thut" (Erste Abhandlung 4). Das Lustmahl Neros in der dritten Szene bringt in außerordentlich schlagender Weise ein neues Barockmotiv, die uns wohlbekannte allegorische Verknüpfung von geschichtlichem Tyrann und wilder Natur: „Kombt auß Wäldern edle Stammen / Kombt ihr wilde Thier zusammen / (Schweige Orpheus dein Gesang) / Folgt Neronis Lautenklang" (Aria Canto Solo 1). Und nun das Erstaunlichste: die leblose Natur selbst springt in die geschichtliche Welt über, die „harten Steine" „spatzieren" nach Rom und verwandeln auf den Ruf Neros die schlechten Häuser in schöne Paläste: „Harte Steinen euch, erhebet, / Und forthin in Lüfften schwebet / Nero spielt, euch ist er hold / Euch bekleiden will mit Gold. / Marmor auch nach Rom spatziere / Dorten alle Straßen ziehre / W o nur steht ein schlechtes Hauß / Macht ein schönen Tempel drauß" (Aria Canto Solo 2). Drastischer kann die sprunghaft plötzliche Verwandlung gerade der erstarrtesten Formen der Natur in Geschichte nicht ausgedrückt werden. Auch die Figur des Simon Magus erhält nun ihre letzte Deutung: In einem „Schertz-Tantz" wird alle Politik und Doppelzüngigkeit zurückgeführt auf Simon Magus, den „Ertz-Zauberer", dessen „unartige Kinder kein Haar besser dan ihr Vatter": „Das HErr Simon vom Verderben / Sich nit konte machen loß / Hat er eingestellt zu erben / Alle Welt P O L I T I C O S , / Also seyndverschwestert worden / Simonie und Policey, / Leben jetzt an einem Orden / Schreiben sich Gewissen frey. / 2. Protreus kan so viel Gestalten / Seines Leibs nit legen an / Auch Vertumnus in die Falten / Sein Gesicht nit legen kan / Wie die Hertzer kan erweichen / Simonie durch güld'ne Tück / Und sich selbst mit Färb bestreichen / Wan sie zeigt ihr Meister-Stück.." ( A R I E T T A im Zwischen-spiel). In einem „Gauckelers Tantz, So vorstellt die Macht des blancken und gelben Gottes", ist die Funktion des politischen Ränkeschmiedes nochmals eindeutig auf „göttlichen", will sagen, satanischen Ursprung reduziert. Hier also erst, in der spätbarocken Allegorie, ist die Figur des Simon Magus restlos enthüllt: In dem Peter-Paul-Drama von 1659 noch der entscheidende Gegenspieler Petri, der teuflische Verführer und Irrlehrer der Welt, dem nur durch Geisterbeschwörungen und Gebet zu widerstehen ist, 6*

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und dessen Bedeutung darum noch in ein rätselvolles und dunkles Licht getaucht war, sodaß Vondel ihn noch in einem spukhaft geheimnisvollen Vorspiel erscheinen, klagen und verwehen läßt wie ein Gespenst, ist dieser Simon Magus jetzt in das Verhängnis der Welt selbst verstrickt, ist er der Vater aller tückischen Politici, die das furchtbare Räderwerk des irdischen Geschehens beherrschen, aber ihm selbst verfallen als einem naturverhängten Schicksal und zusammen mit dem Tyrannen, dessen Schritte sie lenkten, untergehen: Auch hierin liegt Dialektik: Der Verfolger ist zugleich der Verfolgte, und je fester das Gewebe sich knüpft, je „mechanischer", klischeehafter und starrer diese Haupt- und Staatsaktionen ihr „blutrünstiges" Doppelspiel von Henker und Gehenktem, Tyrann und Märtyrer vor ihren verstaubten Kulissen spielen, umso tiefer öffnet sich der Abgrund, um so unentrinnbarer verfangt sich die Welt in ihrer eigenen Dialektik: Nero, „da er den Todts-Sententz über den Paulus und aller Orthen durch die Außspäher auffgesuchten Petrus fallen wilt, wird er nit wenig von den Polder-Geistern in die Enge getrieben" (Dritte Abhandelung. Vierter Auftritt). Der Tyrann fällt in seine eigenen Stricke, und der gespenstische Alpdruck der Schreckgeister ist kein Wink aus der Transzendenz, sondern Ausgeburt der eigenen versperrten Immanenz 1 . Aber selbst Paulus, der über den ihm verkündeten Tod „in Freuden außschallet" (III, 2), steht in einem unterirdischen Zusammenhang mit dieser Umstrickung durch Immanenz. Sein Martyrium ist ein Ablaufen der „Lebens-Uhr", dessen „ G l ü c k " in der gleichzeitigen Überantwortung an die „Liebs-Strick" Jesu besteht. Die Dialektik ist die gleiche wie bei dem Tyrannen, nur mit umgekehrten Vorzeichen: „Mein Lebens-Uhr laufft ab, / Ich eyl mit Freud zum Grab, / O höchst beglückte Stund! Dir Jesu mich verbinde, / In Liebs-Strick mich einwinde / Von dir kein Schwerd mich Scheidt / Wans Leib und Seel entzweyt (Aria. Tenore, Solo im 3. Auftritt 3. Abhandelung). Drastischer kommt das noch in der Petrusszene des 4. Aktes zum Ausdruck. Dort wird dem Apostel, während er von der Quo-vadis-Szene mit Christus in seinen Kerker zurückkehrt, „sein Schicksal vorgebildet", indem er „auff den Gassen noch rauchende Todten-Cörper antrifft" (IV, 4). Dieser Szene folgt ein „Hirten-Gesang, so anstimbt das Lob des Ober-Hirtens, so gern seine Seel vor seine Schäfflein dargibt." Wie aber sieht dieses Loblied aus? Es ist eine fast naturalistische Todes- und Blutsmystik: Die Liebe entspringt erst aus dem Tode, nicht umgekehrt der Todesmut aus der Liebe: „Im Hirten-Stab die Lieb einetzet!/ Ich steh' biß in den Tod dir bey: / Drumb wer sich für den Tod entsetzet, / Versteht nit, was recht Lieben sey. / Dem Hirt für Lieb all Ad'ren wallen, / Ein jeder Bluts-Tropffgantz erhitzt, / Dem Wolff wilt in den Rachen fallen, / Sö bald er auß den Glied'ren spritzt" (Aria Canto Solo. Im Hirten-Sang). Die Greuel des Martyriums und die Greuel des Tyrannen Nero hängen aufs engste zusammen. Es 1

Über das Gespenst im Barock s. W. Benjamin S. 129 ff.

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sind die Greuel von Tod und Verfall, unter denen die Kreatur von Anfang an steht. Denn nicht umsonst wird dieser Gesang Hirten in den Mund gelegt. Der politische Schauplatz findet sein unmittelbares Abbild im natürlichen, wie die Schäferdichtung des Barock nicht sentimental Rousseausche Flucht aus dem Grauen der Politik in die Natur bedeutet, sondern unmittelbare Fortsetzung der Staatsaktion in der Natur, natürliches Gegen- und Abbild in Gestalt von Naturallegorien 1 . Denn die Natur hat für das Barock so wenig Trost wie die Geschichte. Im Gegenteil, sie ist trostverlassener als die Geschichte, da sie in ihrer restlosen Vergänglichkeit die Rettung des Zeitlichen in das Pantheon des Ruhms nicht kennt. Die Natur ist nicht „Antithese" zur Geschichte, sondern steht in einer dialektischen Bewegung zu ihr, und das „antithetische Lebensgefühl" 2 des Barock enthüllt sich bei einer genaueren Untersuchung als dialektische Todestheologie. Auch die Natur ist so sehr dem Tode verfallen wie der Staat, ja ist allein rettbar durch sterbendes Eindringen in den Staat. Schon „die kleinen Kinder weynen bey dem Brand so häuffige Zähren / als wollen sie selben außlöschen" (Nach-Spiel zum „Schwerd-Tantz Neronis" am Ende des 3. Aktes). In all diesen Dramen 3 — das wird jetzt deutlich geworden sein — sind die konstitutiven Elemente des Barockdramas, wie Kreaturverfallenheit, Martyrium und Tyrannei, Vergänglichkeit und Rettung der Natur in die Geschichte in der äußersten Minute des Todes usw. aus der unmittelbar dynamischen, ungetrennten Verschränktheit ihrer hochbarocken Periode herausgetreten und in getrennt mechanischer Aufreihung zur klaren Scheidung und Anschaubarkeit gelangt. In der Erstarrung und „Veräußerlichung" der Phänomene offenbart sich zugleich ihr verborgener Sinn: Die Allegorien stehen nunmehr theatralisch starr einander gegenüber, alle Elemente versammeln sich sozusagen auf einem überschaubaren Raum, wenngleich ihr letzter Sinn stets noch Rätsel bleibt und Paradoxie einer unbegreiflichen Umkehrung aller Phänomene im Moment des Todes. Das Rätsel hat sich zurückgezogen in dies letzte Phänomen, und je hülsenhafter alles Übrige, je toter die Stufenleiter der allegorischen Bedeutung wurde, um so deutlicher offenbarte sich gerade in diesen Hülsen der letzte Grund, auf dem sie alle ruhten, das Phänomen der Vergänglichkeit, das sie mit dem Hauch des Todes und der Entleerung traf. Die Konsequenz dieser Entwicklung war unvermeidlich. Sollte sich die „Lebendigkeit" des Affektensturms von Reppüsius, Vondel usw. einmal auf ihr eigenes 1

S. W. Benjamin, a. a. O. S. 83 ff.

• S. Arthur Hübscher: Barock als Gestaltung antithetischen LebensgefUhls" in: Euphorion X X I V . Leipzig u. Wien 191z. S. 517 ff. u. S. 759 ff. • Z. B. auch in dem Benediktinerdrama: „Petrus apostolus, e Romae moriens, vita urbis et Orbis", das J . Schmidhueber komponierte (gedr. Freisingen 1747, mit Arien. Text vollständig erhalten, Exempl. Staatsbibl. München), in dem aber Paulus nur eine geringe Rolle spielt.

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Problem besinnen, so mußte diese Erstarrung aller Erscheinungen, diese radikalste Entlarvung alles Irdischen vor der Macht des Todes eintreten, so mußte die Lebendigkeit selber dem Tode erliegen und die breite Sprache des Hochbarock in das Totengehäuse ihrer zerstückelten „Wörter" („Wörter der Music") zerfallen, das Theater zum „Klischee" werden. Von hier ging kein Weg mehr weiter. Und so beginnen in der spätesten Periode des Jesuitendramas langsam neue, fremde Elemente einzudringen, sich des überkommenen Theaterapparates des Barock zu bemächtigen und — unter Beibehaltung aller Formen und z. T . auch Motive — in eine unbarocke Richtung zu drängen. 6. Aufklärerische Elemente im späten Jesuitendrama In bezug auf den Paulusstoff scheint der erste Ansatz zu einer Veränderung der barocken Motive in einer kleinen Yperner Perioche vom Jahre 1743 zu liegen: „Saulus Christi fidem amplectens" 1 . Erhalten ist nur eine sehr dürftige Inhaltsangabe der 5 Akte 2 , woraus sich natürlich nur sehr wenig schließen läßt. Immerhin ist schon die rein inhaltliche Umformung des Stoffes so überraschend und neuartig, daß eine genaue Interpretation sich lohnt. Der ganze Grundaspekt der paulinischen Bekehrungsgeschichte ist hier verschoben, und zwar von der eigentlichen Bekehrung hinweg auf ihre psychologische Wirkung bei den Christen in Damaskus. Das Drama setzt erst ein mit der Ankunft des erblindeten Saul in dem Hause seines früheren Gastfreundes Barsabas, der kürzlich Christ geworden ist und aus Schrecken vor dem vermeintlichen Christenfeind trotz der Rufe Sauls heimlich entflieht. Die freundliche Aufforderung von Saulus hält er für „grausamste Hinterlist", und während er sich noch mit seinen Freunden „zum tapferen Sterben" „anstachelt", werden sie von den Juden gefangen. Aber diese befinden sich ebenfalls im Irrtum. Sie führen die Gefangenen vor Saulus, der sich plötzlich als Christ entpuppt, seine Glaubensgenossen befreit und sich taufen läßt. Die ganze Handlung stützt sich also auf ein Mißverständnis seitens der Christen sowohl wie der Juden. Furcht auf der einen Seite und falsche Aktivität auf der anderen sind das Ergebnis, das zu einer pädagogischen Bewährungsprobe der Christen, vor allem des Barsabas ausgewertet wird, der lernen soll, zu sterben und die Furcht zu überwinden. Der Schluß wirkt fast wie eine lustspielartige „Enthüllung", in der der Gute belohnt und der Böse bestraft wird. Die Technik ist die der Verwechslungskomödie. Martyrium und Tod sind verschwunden, ebenso die Erschütterung der Damaskusvision. Geblieben ist nur noch die sittliche Bewäh1

Ex. unter A. 1244, 30 in der Bibl. der Univ. Gent, die mir freundlicherweise eine photographische Wiedergabe übersandte. Die Perioche ist lat. * Sogar die untergeteilten Szeneninhalte fehlen.

AUFKLÄRERISCHE ELEMENTE IM SPÄTEN JESUITENDRAMA

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rung, das Ethos der Aufklärung, die Prüfung und Läuterung, die als treibende Kraft hinter dem Lustspiel des 18. Jahrhunderts steht. Der Schluß erscheint zunächst kühn, und er wird modifiziert werden müssen, besonders was das Verhältnis zur barocken Tradition betrifft, die zweifellos auch noch in diesem Jesuitendrama wie in allen übrigen weitergelebt haben muß. Zum Glück ist uns ein vollständiges und sehr spätes Paulusdrama aus dem Jahr 1772 erhalten, das wirklich eindeutig eine solche Umfunktionierung der barocken Theaterelemente durch aufklärerische Motive aufweist. Es handelt sich um eine jener damals im Jesuitenorden sehr beliebten dramatischen Meditationen: „ S . Paulus Exemplum Verae Conversionis, quam Timor coepit, Spes promovit, et Amor perfecit, Argumentum Trium Meditationum" 1 . Das Drama ist ausdrücklich zu einem pädagogischen Zweck geschrieben, nämlich „pro sacris verni jejunii Meditationibus" (Argumentum). Zu den Meditationsübungen der Schüler soll der Paulusstoff ein Exemplum der „wahren Bekehrung" überhaupt liefern, das jeder Zuschauer auf sich selbst beziehen soll: „hic ut in nobis hodie ad salutem animae nostrae similiter operetur, in Saulo de v o b i s i p s i 2 serio meditemini" (Argumentum, S. 7). Die Bekehrung ist schematisch in 3 Teilen durchgegliedert. Sie beginnt mit der Furcht („Timor coepit"), zu deren Demonstration die eigentliche Bekehrung Sauls gespielt wird. Sie wird fortgeführt in der Hoffnung („Spes promovit"), die man an der langen Gefangenschaft von Paulus in Caesarea und an seiner Zuversicht im Gegensatz zu den klagenden Mitchristen exemplifiziert. Ihre Vollendung findet sie endlich in der Liebe („Amor perfecit"), die sich in der freudigen Hingabe im Tod, im Martyrium zu Rom, offenbart. In diesen drei Etappen (es sind sogar drei Spieltage) wickelt sich das Drama ab. Jede Meditatio zerfällt wieder nach Art eines Lehrsatzes in Unterabteilungen, so die 1. Meditatio in die eigentliche „Materia", den „Timor D e i " und in zwei Punkte, „puncta duo. Primum: Causa timoris D E U S offensus: Säule, Säule! quid me persequeris? Act. 9. V. 2. Secundum: Effectus timoris, Heroica Resolutio: Et continuo in Synagogis praedicabat Jesum, quoniam hic est filius Dei. Act. 9. V . 20." Es handelt sich hier also um eine streng systematisierte Bekehrungs- und Meditationstechnik, die mit Hilfe des Theaters und der allegorischen Stoffinterpretation den einzelnen Menschen umgestalten will. Der Hauptakzent liegt hier wieder auf einer pädagogischen Prüfung und Läuterung des Helden Paulus sowohl wie des Zuschauenden, die nach rational durchsichtigen Prinzipien durchgeführt wird. In diesem Sinne sind die barocken Figuren und Motive umgestaltet. 1

Im Text ist mit Bleistift der Verfasser Franz Xaver Scherer angegeben. Ex. in der Univ.-Bibl. München im Sammelbd.: „Dramen der Jesuitenschulen in München", Bd. II. (Sign. P. lat. rec. 1145). • Gesperrt im Original, auch alle weiteren Sperrungen.

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So spielt das „Praeludium" in einem einsamen Ort, vor dem die Seele erschrickt: „Vah! locus horridus, vah! tristis, squalidus" (S. 9, V. 1). Die Gnade aber versichert ihr, gerade dies sei der nützlichste und geeignetste Ort für sie: „Sed tibi utilissimus, I Et voci Domini aptissimus (V. 2). Soweit könnten wir es mit einer barocken Situation zu tun haben, einem plötzlichen Umschlag der Allegorie von Verzweiflung zur Hoffnung. Diese Hoffnung ist aber eine praktisch nützliche. Darum haben wir es im Grunde überhaupt nicht mehr mit einem Umschlag zu tun, denn auch der Schrecken ist ja in diese Nützlichkeit einkalkuliert, er ist das nützlichste Mittel zur Weckung der Seele. Der Schrecken ist schon von vornherein aufgehoben und mit einem fremden Zweck unterlegt. Er stürzt nicht mehr in das äußerste Extrem, in die letzte Tiefe des Entsetzens vor der Vergänglichkeit, sondern ruht bereits von Anfang an in der Gewißheit seines heilsamen Nutzens für die Seele. Ein dialektischer Umschlag ist darum von vornherein unmöglich. Er ist unmöglich, weil das Problem der Vergänglichkeit einem anderen Problem gewichen ist, dem des Verhältnisses des einzelnen zur Gesellschaft, oder genauer, des Verhältnisses der Seligkeit der Einzelseele zu den gesellschaftlichen Forderungen: Der Ort der „heiligen Einsamkeit" ist ausdrücklich gewählt, um die Seele vor den verwirrenden Geschäften des Alltags zu lösen: „Negotiorum strepitum, / Et turbam hominum / Divinus non amet spiritus. / Cum solo solus loquitur familiarius. Vox Domini / Non sonat homini / In publico." Die Seele aber stellt dem entgegen die Sorge um die gesellschaftlichen Pflichten: „Gratia, dimitte me. / Sunt varia negotia, / Domestica et publica, / Quae me / Excusant hodie", worauf ihr die Gnade erwidert, wichtiger als alle Geschäfte sei sie selbst, die Rettung der Seele und zwar der Einzelseele: „Primum et maximum T U T I B I es negotium" (S. 1 1 , Z. 19). Diese Betonung der Rettung des Einzelnen und der Abwendung von allem weltlichen Tun und Treiben erinnert stark an pietistische Vorstellungen. Auch die rationale Bekehrungstechnik und sorgfaltige Selbstanalyse, wie sie im „Argumentum" gefordert wird, könnte aus pietistischem Lager stammen. Die Parallelen zwischen der Pädagogik der Jesuiten und der Pietisten jener Zeit sind in der Tat außerordentlich stark 1 . Wie sehr beide Religionsrichtungen trotz aller Polemik gegen den Rationalismus selber einer rationalen Strömung unterlegen sind, ist eine oft ausgesprochene Tatsache. Wesentlich an dieser Frage für unsere Betrachtung ist dabei nur der Einfluß auf die dramatische Gestaltung, der vor allem in der rationalen Auflösung der allegorischen „Bedeutungen" besteht, d. h. in der Aufhebung der barocken Dialektik. Die Dramatik ist hier zur Ruhe gekommen und zu einem übersichtlichen, klar erfaßbaren Lehrgebäude geworden: 1

S. G. Mertz: Die Pädagogik der Jesuiten und Pietisten, in: Neue Jbb. f. d. kl. Altertum, Gesch. und dt. Lit und für Pädagogik. 2. Jahrg. 3. u. 4. Bd. Heft 8, 9. 1899.

AUFKLÄRERISCHE ELEMENTE IM SPÄTEN JESUITENDRAMA

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Bevor der eigentliche „ T i m o r " die Seele ergreift, verkündet die Gnade genau der Seele den Weg, den sie gehen wird von der Furcht über die Hoffnung zur Liebe: „Vides hic tria domicilia: / Primum T I M O R I S servit i n c i p i e n t i b u s , / Alterum SPES paratum est p r o f i c i e n t i b u s , / Tertium A M O R I S p e r f e c t i s est locus stabilis." (S. 12, V. 1 1 ) . Es handelt sich hier um einen fortschreitenden Bewährungsprozeß ähnlich den Bewährungsstufen etwa in der „Zauberflöte". Zuerst wird die Seele vor das „domicilium Timoris" (S. 12, V. 13) geführt. Sie schaut dort das Bild des vom Pferde stürzenden Saul: „Exhibitio Sauli ex equo delapsi" (szen. Bemerk. S. 12, V. 15). Die Gnade fordert die Seele auf, sich das Bild einzuprägen und bei sich fruchtbar zu machen; worauf dann die eigentliche Paulushandlung einsetzt, die aber ebenfalls in die Selbstanalyse des blinden Saul verlegt wird. Der Knabe Jahiel, der Sohn von Sauls Gastwirt Judas, führt den blinden, sich auf einen Stock stützenden Saulus zu einer Ruhebank im Garten. Es entspinnt sich zwischen ihnen ein Dialog, in dem sich Saul seiner Schuld anklagt, Gott beleidigt zu haben. Die naiven Fragen des Knaben erinnern ihn an seine eigene gläubige Kindheit: „ O innocuum parvulum! sie ego fui in diebus adolescentiae meae, quando secreto Deus erat in tabernaculo meo, quando erat Omnipotens mecum Heu! sie fui: sed jam non sum modo" (Seena II, Z. 31). Rousseausches Kindheitssentiment und aufklärerische Naturvorstellungen mögen in diese Knabenszene als allgemeine Zeitstimmung hineinspielen, wenngleich der Verfasser sie nicht gekannt zu haben braucht. Rational durchanalysiert wird dann die Bekehrung in dem Gespräch Sauls mit zwei Pharisäern, die ihm mit den Beweisführungen eines Rationalisten aus dem 18. Jahrhundert diese Vision als eine Täuschung darstellen wollen. Saulus beruft sich auf seine Sinne: „omnia his oculis vidi, his auribus audiyi, & dubitem?" (Seena III). Hebal antwortet ihm, die Sinne könnten täuschen: „Videris, audieris, quid tum? Säule! sensus fallunt". Saul fragt, ob ihn denn auch jetzt, wo er mit ihnen spreche, sie höre, sehe und fühle, seine Sinne ihn täuschten, worauf ihn Hebal mit der echt rationalistischen Unterscheidung zwischen dem „ordo naturae" und der oft täuschenden übernatürlichen Offenbarung zu überzeugen sucht. Er hält die Vision für ein Produkt seiner Phantasie, die noch besonders durch sein Fasten, Beten und Nachtwachen krankhaft erhitzt sei. Man sieht, im Mittelpunkt des Dramas steht eigentlich nicht mehr eine innerreligiöse Problematik, sondern die Abwehr der Kirche gegen die rationalistische Auflösung des Ubersinnlichen, des Wunderglaubens, der Meditationen, Gebete und der Bekehrungstechnik, die nun auch einer psychologischen Deutung und Aufhebung anheimzufallen drohte. Gerade die ja in sich selbst rationalistische und raffiniert psychologische „Methode", mit der die Jesuiten und Pietisten Reuegefühle, Furcht und Bekehrung hervorzurufen pflegten, war der Kritik der Ratio-

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nalisten und Deisten am meisten ausgesetzt, konnte ihnen am wenigsten stand halten und mußte darum am dringendsten geschützt werden. Dieser Schutz war nur durch ein Credo möglich, und so sagt Judas gegen die beiden pharisäischen Rationalisten: „ E g o certe majus subesse aliquid arbitror, quam quod ratione explicari queat" (Seena VI). Sämtliche religiösen Phänomene, Bekehrung, Martyrium, Auferstehung usw. sind in ihrem Rückzug vor dem Rationalismus selbst rationalistisch durchhöhlt. Das Martyrium in Rom wird nur noch durch ein philosophisches Gespräch zwischen Paulus und Seneca wiedergegeben. Mit Zitaten aus Senecas Schriften läßt der Verfasser den spätrömischen Philosophen gegen Paulus die stoische Naturrechtslehre von der Differenz zwischen der positiven und natürlichen Religion, der kultischen und der vernünftigen Verehrung Gottes entwickeln. Gott ist ihm das „mens universi", das vom gemeinen Volk nur in primitiven Formen erfaßt und erst vom Philosophen in seinem reinen Wesen erkannt werden kann. Für Paulus ist natürlich eine solche Scheidung unmöglich. Der Eine Gott kann auch nur Einen Kult haben: „Cultus divinus in genere idem est, ac religio." Die Verbindung der spätantiken Vorstellungen von einer Vernunftreligion mit den aufklärerischen Strömungen des 18. Jahrhunderts leuchtet ein. Die Figur des Seneca, der nach legendärer Tradition sogar im Briefwechsel mit Paulus gestanden hat, gab dem Dichter eine willkommene Gelegenheit, die akuten Probleme seiner Zeit, vor allem die Polemik der Kirche gegen den Deismus in Angriff zu nehmen. Die Szene endet mit dem Triumph der positiven Religion über die Philosophie. Paulus wird zum Martyrium geführt, ohne daß dieses natürlich vorgeführt oder auch nur geschildert wird. Mit den Ausrufen: „ A h Seneca " , Ah Paule " trennen sich die beiden feindlichen Brüder, der aufgeklärte Rationalist und der strenggläubig systematisierende Jesuit aus dem 18. Jahrhundert und beenden damit das Drama. 7. Paulus in der Aufklärung Die eigentliche Aufklärung hat begreiflicherweise kein Paulusdrama hervorgebracht. Dazu stand sie zu ablehnend oder desinteressiert der „positiven Religion" gegenüber, an die nun einmal dieser Stoff geknüpft ist. Außerdem widersprach das Ungewöhnliche der Fabel z. B. der Gottschedschen Theorie von der Wahrscheinlichkeit, die das Drama aufweisen müsse 1 . Aber auch vom rein Psychologischen her, etwa einer dramatischen Charakterentwicklung, war der Auf1 S. dazu die Polemik Gottscheds gegen die Verwendung biblischer Stoffe auf der Bühne in: Beyträge zur crit. Historie der dtschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, hrsg. von Einigen Mitgliedern der Deutschen Ges. in Leipzig. Leipzig 1736. Bd. 7. 28. Stück. S. 582 ff.

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klärung dieser plötzliche Umschlag eines Saulus zu Paulus fremd. D'Alembert sagte einmal bei Gelegenheit seiner Polemik gegen die Theaterfeindschaft Rousseaus: „Plötzliche Bekehrungen sind nicht das Amt der Bühne, aber in allmählichen Eindrücken stärkt sie den Schwachen und befestigt den Redlichen" 1 . Dem pädagogischen Sinn der Aufklärung, ihrer Idee vom langsamen Fortschreiten der Vernunft usw. mußte das Jähe, zwischen äußersten Extremen sich Bewegende im Charakter des Paulus fremd, unverständlich oder gar anstößig sein, da das Moralische für das 18. Jahrhundert unmittelbar mit dem Vernünftigen zusammenfiel. Selbst die Theologen jener Zeit, und gerade sie, bemühten sich um eine mehr rationale Erklärung der Bekehrung und vor allem um den Nachweis einer langsamen psychologischen Entwicklung im paulinischen Bekehrungsvorgang. So erklärt z. B. der noch ganz in der Aufklärung stehende2 Kirchenhistoriker G. J . Planck 3 folgendermaßen die Bekehrung: „Paulus befand sich auf dem Wege nach Damaskus in starker Spannung des Gemüts. Bei der Lebhaftigkeit seines religiösen Sinnes und bei der Zartheit seines moralischen Gefühls ist es nicht zu verwundern, daß ihm plötzlich die Frage aufs Herz fiel, ob sein Vorgehen gegen die Christen auch recht sei. Der Gedanke, daß er vielleicht gegen schuldlose Menschen, ja gegen Gott selbst wüte, erweckt in ihm herzzerreißende Angst. Warum sollte man nun nicht annehmen, daß zufällig im selben Augenblick ein Blitzstrahl herniederfuhr?" Ammon 4 , Eichhorn 6 und Eckermann 6 vertraten gleichfalls die Gewitterhypothese. Gegen die rationale Auflösung des Wunders wandte sich schon Lyttleton 7 , arbeitete aber selber dabei mit rationalen Mitteln, ebenso wie Bandelin8 und Bengel 9 . Bandelin mühte sich sogar sehr eindringlich um den Nachweis, daß Saulus kein „Schwärmer" gewesen sei „von verworrenem raschen Temperament": „Seine Christenverfolgung war nicht blinder, unvernünftiger Religionshaß, nicht eigentlich sogenannte Religionsschwärmerei und nichts weniger als wilde Leidenschaft. Denn auch hier handelte er noch stets nach solchen durchgedachten Grundsätzen, die nicht nur nach seinen eigenen Einsichten, son1

Zit. bei Karl Hase: Das geistl. Schauspiel, Leipzig 1858 aus D'Alembert: Supplément à la Collention des

Œuvres de J . J . Rousseau. T . I. • So eingeordnet von Karl Aner: Zum Paulusbild der deutschen Aufklärung, in : Harnack-Ehrung, zu seinem 70. Geburtstag, Leipzig 1921. Aner zeigte, daß „die rationale Erklärung auf theologischem Gebiet sich erst seit den 90er Jahren Bahn bricht" (S. 371). • G . J . Planck: Gesch. des Christentums, Göttingen 1818. S. 90 ff. ' Chr. Friedr. Ammon: De repentina Pauli ad doctr. ehr. conversione, Erlangen 1792. • In: Allgemeine Bibl. der bibl. Lit. V I , 1787 ff. St. I.

• In: Theolog. Beiträge. 1790. II. St. I.

• W. Lytdeton: „Observations on the conversion of St. Paul, London 1747, deutsch von F. Chr. Hahn, Hannover 1748. ' Joh. Niklas Bandelin: Über Sauls Bekehrungsgeschichte, Lübeck 1789 u. 1821. • Prälat Dr. Bengel: Über die Bekehrung des Apostels Paulus zum Christenthum, aus dem Lat. übersetzt v. Niethammer, Tübingen 1826.

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dem auch nach dem Urteil der Klügsten seines Volks — richtig und sogar edel waren . . . . Saul irrte hier wirklich — mit Vernunft 1 ." Der aufklärerische Zug ist hier eindeutig genug, und es ist begreiflich, daß die Dramendichter der Aufklärung sich nicht mit einem solchen Stoff befaßten, aus dem sich nur mit äußerster Anstrengung ein Funke von Vernunft herausschlagen ließ. VI. P A U L U S IM D R A M A D E S 19. U N D 20. J A H R H U N D E R T S 1. Paulus im Drama der 30er und 40er Jahre des 19. Jahrhunderts Erst im Gefolge der christlichen Spätromantik taucht auch wieder eine Reihe von Paulusdramen auf, die fast alle in den Jahren 1836—40 geschrieben sind. Damals ging, vielleicht in Parallele zur Nazarenischen Bewegung in der bildenden Kunst, eine Welle biblischer Dramen über die Bühne, die bis in die 50er Jahre anhielt. Noch 1857 schreibt Heinrich Benecke, daß „unsere jungen Dichter so eifrig sind, die Bibel wiederum aufs Theater zu bringen, und in diesem ihren Bemühen z . T . durch hohe und einflußreiche Personen unterstützt werden" 2 . Dabei fanden diese Dichter „einen Gewährsmann an dem französischen Romantiker Châteaubriand" 3 , der in seinem „Génie du christianisme" in der Religion die wahre Quelle aller Poesie und Kunst sah. a) Wilhelm Angelstern: „Paulus, Eine Tragödie, Bielefeld 1836" In der Tat spricht schon das gereimte Vorwort zu dem Paulusdrama von Wilhelm Angelstern: „Paulus, Eine Tragödie, Bielefeld 1836" 4 , eine echt romantische Sehnsucht nach der „verlorenen schönen Zeit" aus, in der noch der Glaube auf Erden regierte. Diese Zeit aber — dies wird eindeutig und unter Schmerzen zugestanden — sei für immer vergangen: „ O schöne Zeit, warum bist du verklungen, / D u einst dem Himmel selbst entschwebter Ton ! / D u edle Krone unsrer Huldigungen, / Des Glaubens Zeit, warum bist du entflohn? / Es schallet deiner hehren Thaten Kunde, / Es leuchtet deiner Gotteshelden Glanz, / Es flicht die Nachwelt dir den Ehrenkranz: / Doch ach, du selbst — entschwandst dem Erdenrunde ! " Der wahre Untergrund dieser Sehnsucht enthüllt sich jedoch erst im Drama selbst: Dem Apostel Paulus ist nämlich ein höchst interessanter Gegenspieler entgegengestellt: Nero als romantisches Genie, das, im Abgrund seiner eigenen Subjektivität versinkend, vergebens nach einer objektiven Welt sucht: „In phan1

Bandelin, a. a. O. Kap. III.

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Heinr. Benecke: Der biblische Stoff u. das Drama, in: Deutsches Museum, Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben, herausgegeben von Robert Prutz, 7. Jahrgang, Leipzig 1857, Juli-Dezember S. 367 ff. • H. Benecke, a. a. O.

* Exemplar in der Staatsbibliothek Berlin.

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tastischer Kleidung, auf Polstern ausgestreckt, einen goldenen Becher in der Hand", läßt er sich in der ersten Szene als trunkner Dichter feiern, dessen „tief eingreifende Empfindung" (S. 13) nie verstanden wird von dem „jämmerlichen Geschlecht, deß Gott zu sein / Mich heute ekelt" (S. 14). In alle Tiefen der Erkenntnis glaubt er eingedrungen zu sein, und findet doch immer nur sich selbst, sein eigenes, ohnmächtiges „langweiliges" Ich: „ D e n Sinn der Dinge hab ich längst erschöpft, / Und was gefunden? Eben baaren Unsinn . . Ich fühle, daß ich Langeweile habe,/ Und die hat nur der Geist, ein Esel nie, / Und das verbürgt, daß ich kein Esel bin" (S. 15) »Das ew'ge Ja ermüdet meinen Geist; / Ich will das Nein, das bitt're trotz'ge Nein, / Dem ich mein starres Nein entgegensetze. / Dies feige Rom ist nur ein Puppenspiel, / . . Dies Leben / Ist gleich der Dirne, die dem Winke folgt, / Und Ekel regt, w o man gereizt sein will". Das romantische Genie, das ironisch, selbstherrlich über der Objektwelt schwebt und mit ihr spielt, findet nun in seiner dünnen Einsamkeit immer nur sich selbst und schreit nach einem harten Nein, einem strengen Gegenüber und ganz und gar Anderem, das ihm abhanden kam. Er, der Herrscher und „ G o t t " der Welt („Bin ich nicht Jupiter der donnernde?") ist zugleich der Narr der Welt, aus der ihm stets nur das Echo seiner selbst entgegentönt. Der Romantiker, dessen Ich die Welt setzte (Fichte, Schelling), verirrt sich zugleich in diesem Ich, in dieser Identität von allem mit allem, aus der kein Weg mehr zur Objektivität einer andersgearteten Wirklichkeit führt. Aber er braucht eine Wirklichkeit, um zu leben, und so erträumt er sie sich, indem er in eine vergangene Religiosität, in die Scheinobjektivität eines „Glaubens" flieht, in die „schöne Zeit" einstiger „Gotteshelden". Hier liegt der eigentliche Ansatzpunkt zur Wiederaufnahme der religiösen Thematik in der Spätromantik, hier liegt der Ansatzpunkt zur Einführung der Paulusfigur, von der sich der verzweifelte Nero wieder einen Halt und Stützpunkt verspricht. Man sieht, die Kontrastierung Tyrann und Märtyrer ist verschwunden, an ihre Stelle tritt der Erlösung suchende Herrscher der Welt und Dichter vor den gläubigen Gotteshelden aus vergangener Zeit: Nachdem Nero die stoische Tugendlehre des eintretenden Seneca gähnend über sich ergehen ließ, wird er nachdenklich und will selbst Paulus suchen, zu dem ihn eine dunkle Hoffnung treibt: „Und habe doch nur Eins gelernt: mit Ruh / zu sterben, wenn die Götter winken; aber / Was dann? — (Er steht sinnend) was dann? / Ich weiß es nicht! Ich will / Doch diesen Paulus nicht so ungehört vergessen . . . Es sei! ich such' ihn. (ab)". (S. 28). Da die eigentliche Romhandlung, Martyrium und Wunder, für diese Atmosphäre nicht mehr faßbar ist, läßt Angelstern Paulus auf eine andere Weise umkommen, nämlich durch die Hand des nationalistischen Juden Simeon, der den Verrat des Paulus am Judentum und an seiner Tochter, der einstigen Geliebten

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des Apostels, rächen will. Es erscheinen hier also zwei neue Motive: Paulus opfert Heimat und Liebe für seine „Sendung", die plötzlich vor Damaskus über ihn kam. Auch Paulus ist ein romantisches Genie, dessen innere Sendung sich erhaben über allen menschlichen Bindungen dünkt: „hoch über alles Irdische, / Hoch über Freundesliebe, Gattenglück". Wie bei Schiller ist mit dem Opfer der Liebe auch die Lösung von den unmittelbaren Naturbindungen der Heimat verknüpft. Simeon sieht durch Paulus „unsres Volkes Einigkeit" bedroht, während Paulus gerade in Christus den „Retter seines Volkes" verehrt (S. 1 1 5 , 117). Große Gemeinschaftsgruppen von Volk, Heimat, Stamm, Familie stehen also dem Einzelnen gegenüber als Forderung und Aufgabe. Zur Harmonie mit der Gemeinschaft wird er gebracht gerade durch das, was ihn von der Gemeinschaft zunächst zu trennen scheint, durch das göttlich Intuitive seines Wesens, von dem aus sich die Rettung der Gemeinschaft vollziehen kann, wie etwa Schillers „Jungfrau von Orleans" die Rettung ihres Volkes vollzieht, gerade indem sie sich aus ihrer unmittelbaren Gemeinschaft, aus Heimat, Volk und Liebe löst. Andererseits ist diese Thematik zu einer persönlich erotischen, ja häuslich sozialen geworden. Ausdrücklich wirft Simeon Paulus vor, daß er „das heiige Band der Familie zerreißt", und in einer anderen Tragödie von Angelstern: „Angelica, eine moderne Tragödie", Bielefeld 1839, hat Angelstern den angeblich verhängnisvollen Einfluß der katholischen Kirche auf das Familienleben dargestellt. Ferner ist die Tatsache, daß hier zum erstenmal ein Liebeskonflikt in die Gestalt des Apostels Paulus gelegt wird, wichtig genug. Denn auch in fast allen weiteren Paulusdramen des 19. und 20. Jahrhunderts wird dieses Motiv gebracht und fast immer mit der gleichen Wendung, dem Kampf zwischen innerem Beruf und sinnlichen Bindungen im Rahmen einer leicht sentimentalen Hausidylle. Im Zusammenhang damit steht ein weiteres Motiv: der Gegensatz zwischen Genie und Bürger, zwischen dem innerlich getriebenen, rastlos arbeitenden Paulus und dem in behaglicher Weisheit sich pflegenden Gastwirt Ostorius: „Sieh', ich bin rund und fett — / Und du wirst leider alle Tage magrer,. . . Was kommt denn nun bei Alledem heraus? / Wir sterben all' einmal, dasselbe Loos — I So ungefähr. Nun denk ich doch, 's ist besser, / In aller Ruh' Falernerwein zu schlürfen, / Muränenfleisch zu essen, und so weiter, / Als immerdar mit Sorgen sich zu plagen, / Mit den Prätoren sich zu zanken, Wasser, / Das traurige, zu trinken, und so weiter" (S. 44). Die Konfrontation mit Paulus beruht auf einem höchst fragwürdigen Dualismus. Denn die schmerzlich ironische Überlegenheit des „Einzelnen" über die „Masse" ist nur eine scheinbare. Das Genie ist innerlich zerrieben, es magert ab, und sieht darum die „Unterschicht" ebenfalls nur als Karikatur. In einem primitiven Geist-Leben-Dualismus sind beide Seiten, sowohl der „Geist" (Saulus) wie das „Leben" (Ostorius) verzerrt und wider Willen karikiert.

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Interessant ist, daß das Problem überhaupt nicht mehr ernsthaft durchgefochten wird. Dem „Geist" fehlt jede starke Denkkraft und dem „Leben" jede Aktivität. Das dumpfe Gefühl irgendeiner „inneren" Sendung umhüllt ihn im Nebel eines vagen Gefühlspantheismus. Die christlichen Begriffe Sünde, Erlösung, Bekehrung, Auferstehung usw. haben alle harten, fordernden Akzente verloren, ja sie sind fast völlig geschwunden und zu einer allgemeinen, kosmischen Gefühlsreligion verblaßt. Gott ist für Paulus der „Heilige, der Urgrund alles Lebens", der „in dieser weiten Welt, / Und unter diesem sternenvollen Bogen / Des Himmels, im All der Dinge" lebt. In verschwommenen Lyrismen verbinden sich ihm Erde und Himmel, Leib und Seele, Vergangenheit und Zukunft, überbrücken sich die Gegensätze wie von selbst zu einer traumhaften Harmonie. Selbst ein Gegensatz zu Senecas Philosophie wird kaum geöffnet. Die Achtung vor der Größe eines Mannes genügt bereits, um diesen Mann anzuerkennen: „ D u bist zu groß für solchen Pöbelwahn, / Drum acht' ich dich und biete dir die Hand", sagt Seneca am Schluß der Diskussion. Größe schlechthin, das Genie als solches ist ihm interessanter als der Inhalt dieser Größe. Und so kann solche Art romantischer Genieverehrung in einem unentschiedenen Staunen bald diese, bald jene Lehre zur Kenntnis nehmen, überwältigt allein von dem Gefühl eines großen Glanzes, das von irgendwoher ihn traf. Andererseits aber steht das große Gefühl völlig ratlos vor der konkreten Gestaltung der Dinge, in unserem Falle z. B. vor der Gestaltung dramatischer Konflikte. Angelstern hilft sich durch Häufung von Theatereffekten: Nero verliebt sich in Servilia, die Geliebte des Timotheus; seine Gemahlin Poppäa sucht Servilia zu vergiften, weswegen Nero sie wiederum zu erstechen sucht, was Paulus im letzten Moment verhindert usw. Die Wurzeln solcher Schauerdramatik können hier nicht untersucht werden. Sie mögen bis zum frühen Schiller, vielleicht sogar bis zu den Haupt- und Staatsaktionen des Barock zurückgehen. Wesentlich für die Dramatik unseres „Epigonen" ist dabei nur ein Faktor, nämlich die bis heute landläufige Verwirrung in der Auffassung vom „Dramatischen": Das Drama soll einerseits eine dramatisch packende, hinreißende „Handlung" besitzen, andererseits aber soll es auch „Symbolkraft" in sich tragen, „Ideen" offenbaren. Diese beiden Vorstellungen ringen ständig um die Oberhand. Die Furcht vor dem „Buchdrama" verleitet zu Theatereffekten, die Furcht vor dem Effekt zu theoretischen, „tiefen" Diskussionen. Die unmittelbare Durchdringung von Idee und Handlung, „Idee und Erscheinung", wie sie die idealistische Ästhetik gefordert hatte, ist in den seltensten Fällen, kaum bei Schiller und Hebbel, gelungen, geschweige in der Dramatik der „Epigonen". Der Geist-Leben-Dualismus richtet sich hier, in der konkretesten Gestaltung künstlerischer Werke, rückwirkend gegen den Schaffenden

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selbst, dem die symbolische Verdichtung von Idee und Erscheinung fast stets mißrät. So stehen bei Angelstern unendliche Diskussionen zwischen Paulus und Seneca, Paulus und Nero usw. neben krasser Gift- und Dolchdramatik. Dazu kommt die seit etwa Lessing bestehende Auffassung von der Notwendigkeit einer einheitlichen „Charakterisierung" der Personen. Um zu „charakterisieren" läßt Angelstern zu Beginn des Dramas Nero in „phantastischer Kleidung" erscheinen und sich von einem Sklaven bewundern. Ebensogut könnte sich Nero wie in den Dramen des 16. Jahrhunderts einfach dem Publikum „vorstellen". Das widerspräche jedoch der Vorstellung vom dramatischen „Leben", und so muß ein Diener herhalten und einen Dialog hervorzaubern, der in Wahrheit ein Monolog Neros ist. Genau in der gleichen Weise wird Paulus vorgeführt: Epaphroditus, dem Paulus den Philipperbrief überreicht, ist nur ein Statist, an dem sich die Frömmigkeit des Apostels zeigen soll. Mit der eigentlichen „Handlung" haben alle diese „Charakterisierungsszenen" nichts zu tun. Im Grunde stehen hier unter der Maske des Dialogs und des wie zufälligen „Lebens" genau wie im 16. Jahrhundert eine Reihe abstrakter Ideen im Raum, die zufällig dies oder jenes Kleid dieser oder jener Personen annehmen. Verschoben haben sich nur die „Ideen" selbst. An Stelle von moralisch-pädagogischen sind erhaben-idealistische getreten. Zwar, die unmittelbar sinnliche Atmosphäre eines Menschen, eines trauernden Mädchens etwa, aufzufangen, wie es z. B. Shakespeare und Goethe gelungen ist, steht als geheime Forderung auch noch hinter Angelstern, wie fast hinter jedem Drama des 19. und 20. Jahrhunderts. Aber eben diese Forderung verwirrte nur den wahren Tatbestand, verhüllte die abstrakte Leere, in die die idealistischen Begriffe schon bei Schiller gerieten, mit dem Scheinleben einer verschwommenen Lyrik. Mit dieser Lyrik verdeckt und überkleidet Angelstern alle Risse und Sprünge seiner Dramentechnik. Mit ihr wird alles zum „empfundenen Ausdruck", was in Wahrheit nur zufälliges Gewand für ein Abstraktum ist. So erhält z. B. die Liebesszene zwischen Timotheus und Servilia in keiner Weise „inneres Leben", wohl aber eine idealistische Lehre, nämlich: Opfere deine Neigungen zugunsten der Pflicht. Und so wird der nun ausbrechende Konflikt zwischen Paulus und Simeon nur eine Demonstration der Lehre: Opfere Familien- und Heimatbande zugunsten deiner göttlichen Sendung. Dazu kommt die historische Schau, durch die der Tod des Paulus gerechtfertigt wird: „ R o m wird dir zum Scheiterhaufen. Größre Ehre hat / Kein König je genossen . . " (S. 191). Paulus fällt nicht mehr als Märtyrer, sondern als Opfer seines Abfalls von Heimat und Liebe, als Opfer seiner Sendung. Sein Tod wird wie das tragische Ende eines Schillerschen Helden von der Weihe der Idee und des sittlichen Triumphes verklärt. Wie bei Schiller wird auch hier dem tragisch historischen Tod des Helden das sentimental-heroische Ende eines Liebespaares beigesellt. Servilia

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fallt von den Knechten der eifersüchtigen Poppäa und Timotheus „verhüllt sein Antlitz" an der Leiche seines Lehrers und seiner Geliebten. b) Sigismund Wiese: „Paulus, Ein Drama", 1836 und „ D e r Apostel Paulus" 1851 Im gleichen Jahr ist ein anderes Paulusdrama entstanden: „Paulus, Ein Drama", von Sigismund Wiese 1 , das im wesentlichen die gleichen Elemente aufweist wie Angelsterns Tragödie. Paulus erscheint vor seiner Bekehrung als weltschmerzlerisch verzweifelndes Genie: „ O , Irrsal, Welt, mir ekelt's dein! / Verbrennte diesen Leib die Flamme hier, / Die immer weg will, an den Himmel schlagend, / Zerrisse über mir das Firmament, / Und ließ' mich ein, w o Wahrheit wohnt!" (S. 1 1 3 ) . Nero ist wieder der in sich selbst verirrte Genius, der aus purer Langeweile und aus Ekel vor den Menschen alle seine Nächsten, seine Mutter, seine Gemahlin und schließlich Seneca ermorden läßt. Von Paulus erhofft er ein außerordentliches Wunder, irgendeine gewaltige Tat, die ihn über sich hinausheben und frei von aller Schuld machen könnte. Dies Außerordentliche, das Nero verlangt, ist sehr bezeichnend für diese Neroauffassung im Gegensatz etwa zum Barock. Im Barock war Nero noch der Kreaturdämon, der als Tyrann schon von vornherein außerordentlich ist. Hier aber sucht er, obwohl er sich für sehr außerordentlich hält und erhaben dünkt über aller „Masse", gerade nach etwas Außergewöhnlichem und erstickt in seiner eigenen Langeweile. Er schreit nach einer Scheinwelt, während das Barock gerade aus der Welt des Scheins flieht. Das „Geniale" an ihm ist seine sehnsüchtige Langeweile. Von hier aus wäre viel über den romantischen Genie- und Unendlichkeitsbegriff zu sagen. In einem zweiten Drama: „ D e r Apostel Paulus. Ein Drama in drei Akten" 2 hat Wiese die meisten Partien aus seinem ersten Drama wörtlich übernommen, aber einen Liebes- und Heimatkonflikt eingeflochten in der Gestalt von Sauls Schwester Maria. Auch hier erscheint der Konflikt nicht mehr als inhaltliche Auseinandersetzung mit Heimat und persönlichen Bindungen, sondern als einfache Tatsache des „Andersseins" als die Masse, als das ruhige Bürgerglück der Schwester und Mutter in Tarsus. Die innerreligiöse Uberwindung des Judentums durch die Begriffe Gnade und Erlösung tritt ganz zurück gegenüber dem einfachen Faktum der Ablösung selbst, die der Dramatiker des 19. Jahrhunderts zur Darstellung der Befreiung des einzelnen aus der Gesellschaft schlechthin auswertet. Die Freisetzung selbst ist wichtiger als der Inhalt dieser Freiheit, wie die „ G r ö ß e " des Genies wichtiger ist als seine inhaltliche Leistung. 1

Als zweites Drama in seinem Sammelband: „Drei Dramen, Leipzig 1836". Gedr. in: „Zwei geistliche Dramen. 1. Der Apostel Petrus. 2. Der Apostel Paulus", Berlin 1851. Ex. Südd. Landesbibl. 4

Emrich, Paulus

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Saulus ist seinen Begleitern auf dem Weg nach Damaskus „ein wunderbarer Mensch, / Voll hoher Anlag', göttlichen Gemüths, / Und nicht geschaffen für's gemeine Glück" (S. 214). Dieser selbe Saulus aber empfindet eine dumpfe Lebensnot, ein wildes Verlangen, seinem „wunderbaren und göttlichen Gemüth" zu entfliehen, es zu zerschlagen und in irgendein noch dumpferes Gefühl von Wahrheit und „Leben" einzudringen: „ O Irrsal, Leben, unerklärte Qual, / In innerm Trost und Glüh'n empört mich's deiner! / Verbrennte diesen Leib die Flamme hier, I Die immer weg will, an den Himmel schlagend, / Zerrisse über mir Jas Firmament, / Und ließ' mich ein, wo Wahrheit wohnt und L e b e n ! " (S. 212) 1 . Der innere Widerspruch ist deutlich genug. Aber er wird noch deutlicher in der Schilderung der Bekehrung, die Paulus zu Beginn des 2. Aktes seiner Mutter und Schwester in Tarsus gibt. „Ich nenne Gott / Und weiß nicht, was ich sage. Es ist Traum, / Verzückung, völl'ges Sein, weit weg, weit über / Die Leiblichkeit und Sinne — Heimath, Heimath! / Was ich auch sagte, war' ein Sang und Tönen, / Nur kindisch Lallen, Ausruf, sel'ges Sterben" (S. 218). Die Damaskusszene ist hier in einem wogenden Meer von Gefühlen, Tönen, Lallen, Rufen versunken. Die Radikalität des Umbruchs ist geschwunden, ja schon eine Bestimmung oder Beschreibung dessen, was sich eigentlich in Saul gewandelt hat, fehlt: „ D a s Unsichtbare und das Unfaßliche/ Umgiebt mich wie im Weiten wunderbar" sagt Maria bei seiner Erzählung und „wirft sich ihm aufschluchzend an's Herz" (S. 220). 2. Paulus im deutschen Drama bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Nach der Welle von Paulusdramen um das Jahr 1836 2 steht die Produktion bis etwa 1890 still. Paulus tritt nur noch in einigen Nerodramen auf, die besonders im Jungen Deutschland sehr beliebt sind. Unter anderen hat z. B. Gutzkow ein Nerodrama verfaßt, in dem Paulus allerdings nicht auftritt. Die zerrissene Sinnlichkeit und Phantastik Neros mußte dem Jungen Deutschland mehr liegen als die Figur des Apostels. So sind eigentlich die Nerodramen, in denen Paulus auftritt, vom Jungen Deutschland unbeeinflußt. Es handelt sich um Dramen, die entweder der christlichen Spätromantik oder den prunkvollen „Historischen Schauspielen" der 70er und 80er Jahre zugehören. In dem Nerodrama von Friedrich Richter: Nero, Tragödie in 3 Akten, Regensburg 1 8 3 1 , einem Prosadrama, spielt Paulus noch eine ähnliche Rolle wie in den Dramen von Angelstern und Wiese. 1

Von Wiese gesperrt.

* S. auch die Paulusoratorien und -epen die damals entstanden (bibliographisch verzeichnet S. 143 f.), sowie das Drama von Wilh. Nagel: „Paulus, Tragödie, 1 8 3 7 " , Exempl. Staatsbibl. Berlin, das merkwürdigerweise nicht verleihbar ist.

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Das Verhältnis zu Nero ist das gleiche und wiederum sind der naive und der geistige Mensch einander verzerrt konfrontiert in Paulus und seinem Kerkermeister. In eine ganz andere Atmosphäre führt das Nerodrama aus dem Jahre 1875 von R.Bunge: „ N e r o " , Tragödie in 5 Akten, Cöthen 1875 1 , das als großes historisches Drama in einer Folge von 5 Tragödien steht, in welcher „die Wirkung des Christenthums auf das politische und staatliche Leben der Völker in fünf Hauptepochen der Weltgeschichte zur Darstellung gebracht werden soll. Ich habe", so fahrt der Verfasser in seinem Vorwort 2 fort, „zur Ausführung dieses Planes wiederum gerade die fünftheilige Form als die naturgemäße und hergebrachte in der tragischen Kunst gewählt, weil für mich das Christenthum in seiner ganzen Entwicklung bis zur Gegenwart selbst das Bild eines vielgestaltigen und völkerbewegenden Dramas ist, dessen Exposition oder Eröffnungsakt für das europäische Völkerleben ich in „ N e r o " , der ersten unter den vorliegenden Tragödien, durch eine Darstellung des Urchristenthums und den neronischen Christenverfolgungen zu zeichnen versuchte." Das ganze Geschichtsdrama schließt mit dem Siege „des allgemeinen Humanitätsprincipes, das die Religion und Völkerwohlfart der Zukunft ist" (S. VII). Dieses „Humanitätsprincip" ist jedoch auch in die Figur des Apostels Paulus eingegangen, der dem tyrannischen Nero in pompösen Deklamationen die Religion der Liebe und Menschlichkeit predigt. Diese Religion verbindet ihn mit Seneca, der hier zum erstenmal zum bedingungslosen Freund des Apostels wird, ja, von Bunge sogar als „Priester des Gekreuzigten" (IV, 6) bezeichnet ist. Philosophie und Religion reichen sich hier die Hände zum Kampf gegen die Unterdrückung der Freiheit durch Nero. Wie sehr aber der alte liberalistische Kampf gegen die Autonomie des Staates hier bereits abgeschwächt ist, beweist der Aufstand des christlichen Volksfreundes Narzissus, der von Paulus mit dem Bibelwort: „ G i b dem Kaiser, was des Kaisers ist" verhindert wird. Das Drama ist nur noch deklamatorische Schaustellung verblaßter „Ideen". Gegenüber den Dramen von 1836 hat sich die Diskussion zwischen dem Apostel und dem Tyrannen völlig verschoben. Nero ist in keiner Weise mehr das zerrissene Genie, das nach Wahrheit sucht, sondern einfach ein tyrannischer Popanz, der den Apostel überhaupt nicht ernst nimmt. Paulus aber ist der „würdige und ernste" (II, 6) Prophet, der über den Hohn Neros in „tiefem Schmerz das Haupt an Senecas Brust birgt" (II, 6). Auch noch die letzte „innere" Spannung zwischen beiden ist ausgetrieben. Pomp steht gegen Pomp: Während Nero am Schluß des 4. Aktes mit bekränztem Haupt vor dem flammenden Rom singt, „ruft Paulus, rings von Feuer umgeben, mit fester Stimme: Der Herr ist 1 In: Rudolf Bunge: „Tragödien, Bd. 1. S. 1 ff., Cöthen 1875. • „Vorbemerkung" S. VI.

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groß! der Herr ist groß und stark! — Hallelujah! Gebt unserem Gott die Ehre! (Christlicher Gesang, wie Engelchöre, ertönt von fern her. Paulus wirft sich auf die Kniee, alle anderen folgen seinem Beispiele; in demselben Augenblicke stürzt der Palast über ihnen zusammen und der Vorhang fallt)". Nicht weniger „theatralisch" ist der „historische Augenblick" im Schlußakt. Aus dem Scheiterhaufen der toten Christen springt — nach einer Legende — Ahasver hervor, an dessen Leib Neros Schwert zerbricht. Nero fordert darauf Gott heraus. Zwei Blitze schlagen dicht neben ihm ein. Eine Säule und ein Triumphbogen fallen vor seinen Füßen zusammen, und unter diesen Symbolen des kaiserlichen Sturzes murmelt Nero „unter steigender Angst: Ha! wenn auch ich ein zweiter Ahasver — Und dieses Christentum . . der neue Weltgeist wär' und mir der Geist des Fluchs — wenn es emporwüchs' und / Gleich einem Wunderbaum des Orient / Einst aus der Wüste bis gen Himmel s t i e g . . . Den ganzen Erdball überschattete?... Prophet von Nazareth, du hast gesiegt! / Die Welt ist dein! — das Kampfspiel ist vorbei: (Er ersticht sich; dann sinkend, mit gebrochener Stimme:) Der Fechter fiel und Beifall jauchzt die Menge! (Der Vorhang fallt schnell)". Das Hohle solcher Gestik liegt nicht nur am „Theatereffekt", sondern vor allem an der undialektischen Statik, in der hier Schwarz gegen Weiß, eine historische Epoche gegen eine nächstfolgende stehen. Auch die barocken Nerodramen waren voller Schwarz-Weiß-Zeichnung und historischer „Schau", und dennoch lebte in ihnen eine tiefe Spannung, weil die beiden Gegner, Märtyrer und Tyrann, Christentum und vergehendes Rom, noch in einer geheimen Identität, einer innerdialektischen Dynamik standen. Das eine Phänomen lag bereits im anderen und umgekehrt, und kam durch sein Gegenbild überhaupt erst zur Selbstdarstellung. Hier aber, in dem Drama aus den 70er Jahren, kommt nur noch das einfache Nebeneinander zum Ausdruck, in dem ein „Weltgeist" den anderen ablöst. Die Geschichtsdynamik ist gar keine Dynamik mehr, sondern hat sich schon von vornherein selbst geborgen. In 5 Etappen läuft die ganze Welttragödie ab von Nero bis zum Jahre 1870. In der Figur des Nero lebt die alte, in Paulus die neue Zeit. Beide sind zwei grundverschiedene Typen, durch keine inneren Spannungen mehr verbunden. Hatte sich bei Hegel und Hebbel noch konsequent die eine Figur in einem dialektischen Umschlag aus der anderen ergeben, so stehen sie hier beide dumpf und schwer einander gegenüber, jeder in seiner aufdringlich vereinfachten Zeitfarbe gehalten, Nero als spätantikerWüstling undPaulus als langweilig „würdiger" Christ. Statisch wechselt eine Zeit die andere ab. Jede steht für sich, wird als Tatsache hingenommen, bewundert. Bunge entscheidet sich für keine Zeit und läßt am Schluß das „allgemeine Humanitätsprincip" siegen. Der „ P o m p " des Barock ist darum von einer ungleich tieferen Dynamik als der Pomp der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts, und die Allegorien — denn eine

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Allegorie ist zweifellos dieser vom Blitz getroffene Triumphbogen, der zu Neros Füßen fällt — die Allegorien dieses Dramas sind so unallegorisch wie nur irgendeine Allegorie, weil sie so „ b e d e u t u n g s l o s sind wie keine Allegorie, so bedeutungslos nämlich wie die allegorischen Fresken an den Wänden eines Wilhelminischen Theaterbaus. Man hat ein Recht, in diesem Zusammenhang unser Nerodrama zu zitieren, denn es war ausdrücklich für die „große Bühne" bestimmt und wurde auch auf ihr gespielt 1 ; ja, ein ähnliches Nerodrama von K a r l W e i s e r : „ N e r o " , Tragödie in 5 Aufzügen, Karlsruhe 1881, 1883 2 , hatte sogar einen ausgesprochenen Bühnenerfolg 3 . Auch dieses Drama will den historischen Kampf zwischen Christentum und Antike in der Figur von Paulus und Nero zusammenfassen. Wie der Verfasser in der „Vorrede" sagt, hatte er „anfangs die Absicht, das Christenthum in Petrus zu verkörpern, kam aber dann davon zurück. Die kindlich-fromme Einfalt des Fischers paßte nicht in den Kampf mit Nero! Da war der historische Charakter des Paulus besser am Platz." (S. VT/VII). Paulus also ist von vornherein ein „historischer Charakter" und eine „Verkörperung des Christenthums", die Verkörperung einer Idee. Man sieht, ohne sein Wissen läßt der Verfasser die von der idealistischen Ästhetik verfemte Allegorie wieder erscheinen, nur mit dem einen Unterschied, daß die „Bedeutung" der Allegorie jetzt überdeutlich und darum bedeutungslos und undramatisch wird, während sie im Barock erst in einem langsamen Prozeß sich enträtselte. Die Bedeutung, die Paulus zu „verkörpern" hat, wird ihm schon zu Beginn sozusagen aufgeklebt. In einem feierlichen Waldgottesdienst bezeichnet Paulus sich selbst als Verkünder der Liebe und läßt das Publikum nicht im unklaren über seine „historische" Mission: „ A n Romas Säulen knistert die Zerstörung . . . Bis über den Gekreuzigten hinweg / Die Wahrheit steigt zur wahnbefreiten Erde, Der Frieden seine sanften Palmen schwingt, / Die Liebe von dem Thron der Menschheit strahlt, / Und alle Völker jauchzen: „ E s ist T a g ! " Abstrakte Begriffe im historischen Gewand, allegorischer konnte selbst ein Barockdrama sich nicht darbieten. Aber die Allegorie hat keine Rätsel mehr. Sie ist enthüllt schon im Moment ihres Erscheinens, enthüllt durch die „historische Mission", die jede Figur auf der Stirn trägt. Wie sehr diese Geschichtsdeutungen aus der eigenen Gegenwart genommen sind, zeigt die Einführung eines Sklavenführers, der Paulus auffordert, am Sklavenaufstand teilzunehmen, was Paulus „mit ruhiger Würde" ablehnt: „ D u irrst, Verblendeter! / Das hieße nur / Der alten Erdenhölle N a m e n tauschen, / Und nicht ein neues Himmelreich erbauen. Dich treibt der S e l b s t s u c h t Rache, — * S. „Vorbemerkung" S. V. » Exempl. Süddeutsche Landesbibl. • S. Vorrede zur 2. Auflage, die einige Kritiken abdruckt. Das Drama wurde in Hamburg, Weimar und Frankfurt a. M. mit Erfolg aufgeführt.

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nicht der G e i s t ! / Die Welt-Umwälzung kommt nicht durch G e w a l t ! / In Deiner eigenen Brust befreie Dich / Und Du wirst frei sein, selbst in deinen Ketten." Sogar die idealistische Polemik gegen den Sozialismus also hat Weiser in sein Drama gebracht. Auch die große Diskussion zwischen Nero und Paulus dreht sich um ähnliche Begriffe. Paulus spricht gegen die Ichsucht, die Diesseitsverehrung und genußsüchtige „Hetzjagd", durch die die „Welt kopfüber in das Chaos stürme" (S. 38), und glaubt allein an die innere Stimme, die Sehnsucht, die die Menschen erlöse: „Und wo ein Funke nur von Sehnsucht glimmt / Da öffnet sich der Weg zum bessern Leben!" (S. 37). Entsprechend endet das Drama mit einem gewaltigen allegorischen Bild: Unter dem „Richt-Kreuz" des sterbenden Paulus bricht Nero unter Donner und Sturm zusammen mit den Worten: „Gekreuzigter, — du hast mich überwunden — Und — wie des Aeneiden-Sängers Helden / Mit Zähneknirschen zu den Schatten fahrend, — Laß ich — dir — diese — Welt! (stirbt)." Um dieser Pointe willen, einer „Idee", wie Weiser behauptet (Vorrede), ist die Todesart des Apostels verändert: „Daß ich Paulus nicht als Römer und durch das Schwert, sondern als Jude, seinem Heiland folgend, am Kreuz sterben lasse, war zur plastischen Verkörperung der Idee im Schlußmonolog Neros nothwendig!" (Vorrede). Paulus ist damit eindeutig zum verklärten Opfer einer historischen Mission geworden. Aber der scheinbar geschichtliche Sinn der Dramatik des 19. Jahrhunderts wäre durch solche Szenen widerlegt. Denn die Geschichte erscheint hier nur als willkommene Maske zur Manifestation einiger moderner „Ideen", die sich angeblich im ganzen „Weltdrama" offenbart haben. Die konkrete Wirklichkeit einer geschichtlichen Situation kann von hier aus gar nicht erfaßt werden, denn Bilder und Visionen wölben sich über die Geschichte und verdecken in idealistischer Beleuchtung alle Konturen und Zeichen der realen Erscheinungen. Wie weit die historischen „Perspektiven" von einer rein gegenwärtigen Stellung erborgt sind, beweist am drastischsten das Nerodrama von Friedr. v. H i n d e r sinn : „ N e r o " , Schauspiel in 5 Aufzügen, Leipzig 1886. Dort wird nicht nur der Sieg des Christentums über Rom, sondern auch der Aufmarsch des jungen Germaniens gegen die verfallende Antike vorgeführt. Neben der Figur des Apostels Paulus und des Timotheus steht der unverbrauchte Cheruskersoldat Melo, der die Liebe von Neros Gattin Poppäa zurückweist. Paulus ist wieder genau so gezeichnet wie bei Weise. Er ist der Vertreter des geistigen Reiches gegenüber der Welt der Sinne und — in der Diskussion mit Poppäa — der Vertreter der himmlischen Liebe gegenüber der irdischen. Der idealistische Dualismus von „innerlich" und „äußerlich", Geist und Leben, naiv und sentimental usw. ist hier in der unerträglichsten Weise verbraucht, ab-

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gegriffen und zur pompösen Phrase geworden. Er zerstört alle ernsthaften und realen Konflikte durch reine Innerlichkeit: Da der Mensch „innerlich" frei ist und „wäre er auch in Ketten geboren", so ist im Grunde eine historisch-politische Tragödie überflüssig, jeder Kampf ist überflüssig, und darum auch jedes Staatsund Geschichtsdrama. Der Gegner (Nero) wird zum Popanz und die eigene Innerlichkeit zur lyrisch-historischen Deklamation. War bei Schiller die Dämonie des Staates durch Intrigenszene, Verwicklungen usw. dramatisch noch außerordentlich lebendig, so daß sich der ideale Schwung eines Don Carlos, eines Ferdinand, einer Thekla usw. noch wirklichen Gegnern gegenüber sah, so stehen jetzt beide prunkvoll nebeneinander, und kein Dialog, keine Maschinerie und keine Deklamation historischer Perspektiven vermögen ihnen noch Leben einzuhauchen. 3. Paulus in der primitiven Vereinsbühnendramatik des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts Kennzeichnend für die Paulusdramen der Vereinsbühne ist das unverbundene Zusammentreffen aller bis jetzt aus den Paulusdramen des 19. Jahrhunderts herausgearbeiteten Elemente, der sentimentalen Haus- und Liebesidyllik, des weltanschaulichen Raisonnements, des großen historischen Augenblicks und des plumpen Theatereffekts. Diese Elemente, in stilisierter Weise alle schon bei Schiller und Hebbel zu finden, stehen hier aufdringlich, entblößt und entkleidet vor den Augen des naiv ergriffenen Vereinspublikurns, und es ließe sich von hier aus rückschließend mancherlei über die innere Technik, das Verhältnis von Person und Idee, die Dialogführung, kurz über den gesamten Handlungsmechanismus sagen, der in Schiller und Hebbel im Gegensatz zu ihrer eigenen Theorie von der totalen Einheit von Idee und sinnlicher Erscheinung aufweisbar ist. Diese Arbeit kann im Rahmen meiner Aufgabe nicht geleistet werden. Aber die Elemente dazu liefert der Stoff von selbst, und schon ihre bloße Aufreihung und Herausstellung redet. Das erste Drama: „ A u s Damaskus, Dramatische Szenen in 2 Akten, Berlin 1892" von D . Paulus Cassel, trägt über dem ersten Akt eine merkwürdige Uberschrift: „ D e r Schlüssel". Damit ist der „Schlüssel zum Tempel des Herzens" gemeint, den Paulus nach seiner Bekehrung trägt. Gemeint ist zugleich der Schlüssel, den ihm drei ahnungslose Rabbiner zum „christlichen Bethaus" in Damaskus geben, damit er dort die Christen vernichte. Paulus gebraucht ihn dann gegen die Juden. Darum wird er auch der Schlüssel „zur Aufhebung des Gesetzes" und des „Einzuges der Liebe" genannt. Er ist der Schlüssel zum menschlichen Herzen, und in diesem rührenden Sinn wird auch die Bekehrung des Apostels gefaßt: Das Drama beginnt mit einer Liebesszene zwischen Silas und Lydia, der Tochter des Ananias und Nichte des gesteinigten Stephanus. Silas war der Be-

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gleiter Sauls auf dem Wege nach Damaskus. Verwandtschaft und Häuslichkeit sind also notwendig, um das christliche Band zu knüpfen. Silas erzählt die Bekehrungsszene, die er auch wieder psychologisch als inneres Ringen Sauls zwischen Zweifel und Hoffnung schildert. Dann tritt Ananias ein und heilt Saulus, dem Lydia einen Becher reicht mit den Worten: „Trink* mit mir aus dem Becher den heil'gen Lebensbund / Denn Gott gehört Dein Herz — der Liebe weih' den Mund!" Darauf erscheinen die 3 Rabbiner und überreichen Saulus ahnungslos den Schlüssel zum christlichen Bethaus. Mit einer rührenden Verlobungsszene schließt der Akt :„Silas und Lydia knieen von Ananias nieder, der seine Hand auf sie legt." D e r zweite Akt ist überschrieben: „Apostel und Landpfleger" und soll den Gegensatz zwischen weltlicher und geistlicher Macht demonstrieren: „Christus hat nichts nationales, liebt nicht Juden blos und Griechen, / Helfen will er geistlich allen, heilen alle Herzenssiechen... Doch Christus kam den Staat nicht zu zerstören, / Die Lücken kam er auszufüllen, die überall im Leben gähnen, / Der Sklave soll gehorchen . . . Gehorsam ist der Liebe Honig." Uberwältigt von der historischen Umwälzung, die ein solcher Satz mit sich bringt, ruft Abdias, der Ethnarch und Landpfleger, aus: „Sie (die Christen) haben Recht! es kommt die neue Zeit, — / Die alte Welt ist morsch — und Schwert und Geld sie können nicht verjüngen." Wiederum also wird über die Welt der Politik die Welt der Innerlichkeit gestellt, die in einer unsichtbaren Aktion alle Ungerechtigkeiten im Irdischen aufhebt, wenn auch den Sklaven zum Gehorsam verpflichtet. Das Motiv der Flucht im Korb wird ähnlich wie in der Romszene bei Angelstern mit der Begierde des weltlichen Fürsten nach einer Christin begründet. Abdias will Lydia gewinnen, mit der dann Paulus im Korb entflieht. Verstärkt wird das Motiv noch durch das Auftreten der Maria Magdalena, die ihre Sünden nun bereut und überwunden hat. Saulus unterhält sich mit ihr über ihr gegenseitiges „Vorleben". Diese Unterredung verwandelt sich geradezu in eine Liebeserklärung. Saulus sagt zu ihr: „Empfang* ein Gleichnis: Einst ein Löwe trieb durch sein Gebrüll / In weite Flucht und Ferne die Gazelle. / Und was geschah? Der Löwe folgt ihr und fiel in eines Größeren Hand / Gebändigt lag er im Gefängnis. Gazellchen kam und rettet ihn. / D u bist die rettende Gazelle, Magdalena." Maria dreht nun die Geschichte herum und bezeichnet sich als Hyäne, die „in der Hütte lauernd" ihm nachgespürt habe und nun durch ihn gerettet sei. Während Pauli Flucht im Korb „steht sie oben betend allein, und der Vorhang fallt." Der religiöse Inhalt, die Wandlung und Bekehrung Sauls, ist damit zu einem Liebeserleben geworden, dessen psycho-analytische Untergründe dem Verfasser obendrein nicht klar sind. Die erotische Problematik als Hintergrund der Bekehrungsepisode wird noch deutlicher in einem „Kirchlichen Festspiel" von D . Johannes Lehmann: „Paulus, Bilder aus dem Leben des Apostels, Deuben bei Dresden 1894". Dort tritt Saulus

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vor der Abreise nach Damaskus noch einmal seine christliche Schwester Mirjam entgegen, die ihn mit den stärksten Liebesworten von der Tat abzuhalten versucht: „ V o n dir reißt keine Macht der Welt mich los. / Entfliehe mir und ich will dich verfolgen / Mit meiner Schwesternliebe bis zum Tode: / Du kannst nicht von mir los, du kannst es nicht!" Als er sich weigert, wirft sie sich schließlich zu seinen Füßen nieder mit der Aufforderung, sie zu töten. Da „schaut ihr Saulus sinnend ins Gesicht und sagt: Klug hast dus angefangen, Satanas / Daß du in dieser schönen Maske kamst!" Saul empfindet also seine Schwester als erotische Verführerin, als schwerste Probe, die ihm bevorsteht. Hinter der sinnigen Maske der Schwester verbirgt sich die sinnliche der Geliebten. Im Hintergrund steht wieder der Widerstreit zwischen innerer Berufung und menschlicher Bindung: „Kein menschlich Fühlen darf mein Amt mir wehren", hält Saul seiner Schwester entgegen (S. 12). Und wiederum ist dieses „ A m t " als innere Begnadung und Zwiespältigkeit, als romantisch dämonische Ergriffenheit von einem höheren Es gefaßt: „Ich muß und will, doch wiederum nicht ich, / Ein andrer Saulus will und muß in mir. Ich streite, doch nicht mein Arm führt das Schwert, / Ein andrer wird von oben mir gewährt", so spricht er im Vorspiel zu Gamaliel, der ihn verwundert ziehen läßt. Der romantische „ D ä m o n " enthüllt sich also in naiver Offenheit als erotischer Dämon, und die höhere Macht, von der sich Paulus ergriffen fühlt, als erotische Macht, wie sich die göttliche Ergriffenheit in der Bekehrung als ein Liebeserleben offenbart. Die Reduzierung der religiösen und dichterischen Phänomene auf erotische hat sich also in der religiösen und künstlerischen Literatur des 19. Jahrhunderts selbst abgespielt und ist kein Debakel, dessen Schuld allein auf Freud, Adler und Nietzsche abzuwälzen ist. Der genialische Dämon und die religiös subjektive Ergriffenheit als — Liebeserleben auf der Vereinsbühne, damit hat sich der verinnerlichte Individualismus des 19. Jahrhunderts selbst persifliert, und es bedürfte eigentlich keiner Analyse, um ihn aufzuhellen. Das Drama von Eugen Spork: „Saulus und die ersten Christen, Biblisches Schauspiel. Graz 1900" 1 , zeigt einen sehr ungewöhnlichen formalen Aufbau, bei dem vielleicht noch österreichisch-barocke Tradition mitspielt. Zu Beginn tritt nämlich in einer „Wolkendekoration" die „Religion im langen Kleid, ein Kreuz im Arme" auf und hält eine Rede über das Erlösungswerk Christi und den Tod des ersten „muthigen Bekenners" Stephanus. Darauf wird ein „Tableau", d. h. ein lebendes Bild vorgeführt, das die Steinigung von Stephanus darstellt. Und nun erst setzt der erste Akt ein, der die Uberschrift: „Saulus, der Christenfeind" trägt. Genau so ist der zweite, dritte und vierte Akt aufgebaut. • In: „Vereinsbühne, Sammlung von Theaterstücken für katholische Vereine. Herausgegeben aus dem Theater-Archiv des Grazer Gesellenvereines. II. Bd. Graz 1900". Exempl. Universit.-Bibliothek Graz.

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Das Drama verläuft nach einer historischen Folge einzelner Paulusstationen, die begrifflich bezeichnet werden: Saulus der Christenfeind, Saulus der Bekehrte, Saulus der Bekenner und Saulus der Überwinder. Die Allegorese ist rein historisch. Wesentlich ist, daß die Handlung nachträglich, nach der Konzeption des Begriffes, eingeführt ist, wie die Figur der Maria Magdalena in Paul Cassels Drama erst nachträglich und Paulus in den Nerodramen des 19. Jahrhunderts erst nachträglich, nach der Konzeption der Ideen eingeführt ist. Der Aufbau dieses Dramas ist darum ganz konsequent, konsequenter als die Dramen von Angelstern, Wiese usw., weil der falsche Schein einer primär konkreten, sinnlichen Handlung hier gänzlich enthüllt und aufgegeben ist: Die Dramatiker des 19. Jahrhunderts einschließlich Schiller und Hebbel, gingen faktisch meist von vorgestellten Begriffen aus, zu denen sie dann eine Handlung schufen. Behauptet und theoretisch gefordert aber wurde immer das Gegenteil: die unmittelbar „lebendige" Konzeption eines konkreten Menschen, einer leibhaftigen Gestalt, die aus sich selbst empfindet, fühlt und handelt und sich dadurch erst zum „Menschheitssymbol" erhebt. Das Durchscheinen des Begriffes durch die Maske des Lebendigen wird nirgends deutlicher als dort, w o die pure Technik Hebbels und Schillers übernommen wird und als Technik stehen bleibt, so in den pompös historischen Nerodramen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und in den Paulusdramen von Angelstern und Wiese. Maskenlos erscheint der Begriff aber erst auf der primitiven Vereinsbühne, wo es nur noch historische Reminiszenzen, philosophische Allgemeinplätze und eine feierlich erhobene Hand gibt. Sämtliche Figuren sind hier Typen. Die diskutierenden Gruppen sind aufgeteilt in Begriffe, die natürlich alle aus der Gegenwart stammen. Philo ist der Vertreter der „freien Forschung" (S. 7), Isabod ein unduldsamer Orthodoxer und Gamaliel ein toleranter Liberaler, der den Tod des Stephanus bedauert, „denn wie gesagt, er war ein sittlich reiner Charakter, er war ein schlechter Jude, aber ein vortrefflicher Menschenfreund. Man hätte ihn nicht morden sollen" (S. 9). Die Aufteilung des Dramas in begriffliche Stationen, die der Held nach und nach durchläuft, findet sich auch in Karl Rörigs: „Paulus, eine religiöses Drama, Leipzig 1 9 0 1 " . Die Stationen lauten: 1. Saulus (als Christenverfolger). 2. Die Bekehrung. 3. Aus tiefster Not zum heißersehnten Ziel. 4. Vor Nero. 5. Der Sieg. Die Überschriften klingen wie die Themen eines Schulaufsatzes über ein Drama von Schiller, und in der Tat, daß dies möglich war, eine Idee loszulösen vom konkreten Stoff, das müßte die Ästhetiker, die an der unmittelbaren Identität von Idee und Erscheinung oder am „interesselosen Wohlgefallen" bei der Klassik festhalten, stutzig machen. Umgekehrt ist nach dem klassischen Formprinzip gearbeitet das Drama von Gebhard Treß: „Des Saulus Bekehrung, biblisches Schauspiel in 5 Aufzügen,

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Kempten 1900" 1 . In fünffüßigen Jamben führt es von der Exposition (1. Akt: Bedrohung der Christen durch Saul, ihr Schutz durch Gamaliel, der sich Saul gegenüber zu Christus bekennt) zur steigenden Handlung (2. Akt: verschärfte Verfolgung Sauls, Einkerkerung einer Reihe von Christen, Vollmacht vom Hohen Rat) und schließlich zur Peripetie (3. Akt: Marsch nach Damaskus, weitere Gefangennahme von begegnenden Christen, Freude der Rabbiner, die Saulus unterwegs trifft, Erscheinung Christi, Überraschung bei den Rabbinern, von denen sich Saulus nun rigoros trennt). Moment der letzten Spannung und Katastrophe fallen aus, da sie nicht im Stoff liegen. Sie wurden im Grunde schon im dritten Akt gegeben. Der 4. Akt bringt die Freude der Damascener Christen, die Heilung und Erleuchtung durch Ananias, und der J . A k t stellt die Aufnahme des Bekehrten in die Gemeinde zu Jerusalem dar. Das Verhältnis zur Klassik ist hier gerade umgekehrt wie bei den übrigen Dramen: Beibehalten ist nur noch das formale Schema, die „äußere" Handlung, dagegen sind alle „Ideen" verschwunden: Partei kämpft gegen Partei, aber eine abstrakte Begründung oder Diskussion zwischen den Gegnern tritt nicht ein, sondern wird stets durch ein rasches Eingreifen Sauls, durch Gefangennahme usw., d. h. immer durch eine „vorwärtstreibende Handlung" abgebrochen. Die Forderung nach konkreter, packender Handlung ist hier so einseitig befolgt wie in den übrigen Dramen die Forderung nach hohen Ideen. Die klassische Pathetik ist natürlich ebenso beibehalten. Ein Monolog Sauls z. B. schließt mit den Worten: „ S o lang der Sonne Bahn am Firmament / Wird währen, soll man unsern Kindern noch / In's späteste Geschlecht verkünden, daß / Des Saulus Eifer nie erschüttert ward" (II, 1). Ein „historisches Charakterbild" wollte Robert Falke in seinem Drama: „Paulus. Historisches Charakterbild in fünf Aufzügen, Halle a. S. 1904" liefern. Das Stück ist geradezu ein Sammelbecken aller Motive, die in den Paulusdramen des 19. Jahrhunderts vorkamen: Paulus leidet unter einem heftigen Liebeskonflikt. Nicht nur seine Schwester Tabea, sondern auch eine wirkliche Geliebte Elisabeth sucht ihn von der Verfolgung der Christen abzuhalten. Er glaubt sich von ihr verlassen, völlig isoliert und ist dazu noch von inneren Zweifeln an seinem Glauben gequält: „ A m Scheidewege sitz' ich einsam hier, / W o rechts und links sich meine Pfade trennen, / Und beide enden sie in grausem Dunkel etc." (S. 2 8 , 1 , 9). Die Bekehrung ist entsprechend in den Liebeskonflikt eingebaut. Der Konflikt mit Elisabeth geht aber weiter. Als Christ heißt es entsagen. Paulus muß in die Fremde, zu den Heiden. Dort will er ständig an sie denken: „Als Engel gehst du mir zur Seite. Sei stark. Die Liebe höret nimmer a u f " (S. 54). Wie die Spruchbilder an den Wänden eines christlichen Kleinbürgerhauses sind solche Sätze in das Drama eingestreut. 1

In: Katholische Dilettantenbühne, Heft 133, Kempten 1900, Exempl. Staatsbibliothek München.

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Historische Perspektiven eröffnen sich bei Pauli Auftreten in Athen und Rom und gipfeln in der großen Zukunftsvision des Apostels am Schluß des 4. Aktes: „ D e r Sieg des Heilands ist geknüpfet an / Germaniens zukünftige Geschichte. / In deutsches Sinnen und Gemüt wird er / Die Wurzeln tausendästig senken Und wo auf Felsen wurzeln deutsche Eichen, / Pflanzt es der Weltenherrschaft Siegeszeichen. (Der Vorhang fallt)". In derselben Manier verläuft die Diskussion mit Nero und das Ende. Die Übertragung moderner Ideen in den Paulusstoff ist auch deutlich in den Dramen, welche die Demetriusszene in Ephesus behandeln, in Guido Wächters: „Paulus in Ephesus, ein biblisches Drama, Amberg i. Erzgeb. 1898" 1 , in B. Ponholzers: „Paulus in Ephesus, religiöses Volksschauspiel in 5 Akten" 2 und in M. G. Webersheims: „Paulus in Ephesus, Schauspiel in 3 Aufzügen für die Jungmännerbühne" 3 . Es wird dort die Profitsucht des Großstädters Demetrius stets konfrontiert mit der Religion der Liebe. 4. George Moore, German, Franz Werfel a) George Moore: „ T h e Apostle" Die Entleerung der religiösen Inhalte durch Historismus und Psychologie, welche gerade in den Dramen der positiven Religionsgemeinschaften des 19. und 20. Jahrhunderts zu beobachten ist, war nur das schwache Abbild einer längst vollzogenen Auflösung der christlichen Mysterien (vor allem des Auferstehungsmysteriums) durch Aufklärung und historische Bibelkritik. Selbst der Rückschlag der Romantik konnte die Absolutheit dieser Mysterien nicht wieder herstellen. Auch sie vermochte in der christlichen Heilsgeschichte nur noch Symbol und Gleichnis allgemeiner Wahrheiten zu sehen, d. h. sie kam prinzipiell nicht über die Aufklärung hinaus, die im Christentum eine historische Manifestation der ewigen Vernunft, eine Stufe auf dem Wege zur restlosen Verwirklichung dieser Vernunft, sah. Ein später Niederschlag dieser Haltung liegt in dem ersten bedeutenderen Paulusdrama vor, das die Gegenwart hervorgebracht hat, in George Moore's: „ T h e Apostle" 4 . Zunächst gibt George Moore eine „natürliche" Erklärung des Auferstehungswunders. Joseph v. Arimathias hat den Körper des Gekreuzigten aus dem Grabe in seinen Garten gebracht und entdeckt, daß er noch lebte. Jesus ist wieder von seinen Wunden genesen, von den Essenen am Bach Kerith aufgenommen worden und wieder reumütig zum alten Gesetzesglauben zurückgekehrt. Da erscheint Paulus, der inzwischen das Christentum ausgebreitet hat. 1

In: Sammlung christlicher Fest- und Schauspiele Heft 5 1898, Ex. Landesbibl. Dresden. In: Theaterbibliothek 489, Bonn 1916. * In: Theaterbibliothek, Bd. 150, Limburg 1927, Ex. Landesbibl. Wiesbaden. 1

' I.Ausgabe Dublin 1 9 1 1 , 2 . Aufl. (in 1030 Exemplaren) London 1923, letztere war mir zugänglich: Exempl. Staatsbibl. Berlin. Eine 2. Fassung: „The Passing of the Essenes", London 1930.

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Als sich ihm Jesus zu erkennen gibt, schreit Paulus: „A madman! A madman! Or possessed by an evil spirit!" und läuft in das Gebirge. Aber Jesus folgt ihm, pflegt den Erschöpften und sagt ihm, wie er zuerst gegen ihn in Jerusalem habe zeugen wollen, aber dann davon abgekommen sei, da er dadurch die Menschen nur noch mehr verwirren würde. Denn das Predigen sei immer eitel und gefährlich: „Although we preach naught but the kingdom of heaven, Paul, preaching is vain and mischievous" (S. 117). Dem eifernden Apostel hält er darum die stillen Worte entgegen: „It is better to love the good than to hate the wicked" (S. 117). Paulus ist im tiefsten erschüttert. Aber indem ihm der konkrete Glaube an die Auferstehung schwindet, wandelt sich ihm das Geschehen zum Symbol. Der Mensch Jesus, der in Jerusalem gepredigt und gezeugt hat, war nur eine Hülle, in der Christus sich offenbarte, wie er sich in Moses, Elias, Pythagoras, Sokrates und Plato offenbarte (S. 119). In einer Folge von großen Persönlichkeiten erscheint immer und immer wieder das Ewige, Christus. Und so geht Paulus nach Rom, um die Wahrheit vom ewigen Christus weiter zu lehren. Die aufklärerische Vorstellung von der ewigen Wahrheit, die sich durch alle historischen Erscheinungen hindurch offenbart, ist hier, in Verbindung mit Gedanken der englischen „Ethical Church" und romantischen Genieauffassungen, in ein entleertes Christusbild geflossen, das sich in ebenso entleerten Bildern „großer Männer" stets repräsentiert. Die Rettung der religiösen Begriffe konnte sich nur unter dieser letzten Abstrahierung, unter diesem letzten Verzicht auf alles Verpflichtende der Religion vollziehen, und selbst die historischen Figuren von Moses bis Plato und alle fernsten Zeiten werden hier bar aller historischen Konkretheit, reihen sich wie in einem Pantheon vor dem achtungsvollen Blick eines aufgeklärten Zuschauers aus dem 20. Jahrhundert, der über allen Zeiten schwebend den Inhalt aller Geschichtsschreibung, den exakten Gehalt des Vergangenen, aus den Augen verlor. Nur noch die „Größe" der Vergangenen vermag er zu bewundern, gleichgültig, welcher Art diese Größe war und welche Forderung sie an ihn noch zu stellen vermöchte. In den schattenhaften Umrissen eines verblaßten Idols erscheint ein „ewiger" Christus. „Die Wahrheit liegt über den Wundmalen" („The truth lies beyond the scars", S. 120), mit diesen Worten hat Timotheus das Zentrale der Christusgestalt, das Leiden, aufgehoben. Die Wahrheit liegt in den Wundmalen und nur in ihnen, so hätte jeder christliche Märtyrer geantwortet. Aber Paulus, angetan von der zeitlosen „Größe" seines Christus, fühlt nun plötzlich auch Größe in sich: Er selbst macht sich zu Christus, nachdem ihm der konkrete Jesus entschwunden war: „I, too, was crucified (S. 119).. „Jesus goes this day to Rome" (S. 125). Auch Paulus ist eine Manifestation des Ewigen, auch Paulus ist Christus. Eunice fordert ihn auf: „to go to Rome and fetch the world to Christ, and glorify thyself" (S. 120).

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In dieser Paulusauffassung liegt zugleich die Dialektik des modernen Geniebegriffes. Paulus ist einerseits die sich selbst vollendende große Persönlichkeit, andererseits aber auch der von einer übergreifenden Macht Getragene und Begnadete. Er ist Schöpfer und Geschöpf. Der Inhalt aber seines Schaffens und der Inhalt jener ewigen Kraft, die ihn trägt, sind entleert und unbestimmbar. Darum ist Paulus zugleich der tragisch Einsame und der dunkel Getriebene: „ I go alone! I am led!" das sind die letzten Worte dieses modernen Paulusgenies. b) German: „ D e r Paulusjünger, Berlin 1 9 2 1 " Eine ähnliche Verflüchtigung der religiösen Substanz stellt das anthroposophische Paulusdrama von German dar: „ D e r Paulusjünger, Berlin 1 9 2 1 " . „ D e r historische Hintergrund des „Paulusjünger" ist die Zeit der ersten Christenverfolgung. Aber die Inspiration . . . rückt das Werk hinein in die brandende Gegenwart" (Vorwort). Paulus wird hier wiederum zum Symbol für allgemeine und allgemeinste Ideen, die sich angeblich im Historischen niederschlugen: „Gang und Ziel aller Menschenentwicklung ist es . . . in stetig wachsender Innenbereicherung die gewonnenen Kräfte außen zu messen, immer neue Innen- und Außenreiche zu eröffnen, um dann endlich zu einem Abschluß, dem Haltepunkte vorläufiger Ichvollendung zu gelangen" (Vorwort). Eine Vorwegnahme der Ichvollendung stellt Christus dar, „der die in der Spätantike verloren gegangene Einheit von Wissenschaft, Kunst und Religion" wiederfand. Alle späteren historischen Ereignisse sind nur Entwicklungen zu diesem bereits erschienenen Vorbild Christus hin. Paulus ist die erste Stufe. In der Damaskusvision wurde „sein freies Selbst", das sich dem „Erdengeist" noch allzu nahe fühlte, „urplötzlich von der Christuswesenheit ergriffen". An Stelle dieses plötzlichen paulinischen Erlebnisses sind Hamlet und Faust die Stufen „einer langsamen Entwicklung, in der das Ich Christus immer näher kam". Eine Synthese beider Stufen soll der „Paulusjünger" von German bilden: „Wenn während der ersten Christenverfolgung der Geist jener Zeit in Paulus seine allumfassende Verkörperung gefunden hatte, wenn weiter Goethe wegweisend in dem geisthöheren Reiche der Kunst sein Ich gestalten wollte, so will der „Paulusjünger" als ein Versuch gelten, im Fortschreiten beide Erlebnisse nach seiner Art zu einen und in seiner wahren Ichheit den tiefen Urgrund alles Lebens und Sterbens bewußt zu erfassen, allda wo Wissen und Glauben ihrer Einigung harren . . . in dem kommenden s c h a u enden Menschen" (Vorwort). Diese Gedanken werden in folgende Handlung gebracht: Paulus' Jugendfreund Johannes liebt Mirjam, die zum Christentum übergetreten ist und gesteinigt wird. Johannes ist noch gesetzestreuer Jude und ringt vergeblich um Mirjam, für die ihr Glaube über ihre Liebe geht. Im Augenblick der Steinigung, die unter dem Zeichen des christenverfolgenden Saulus vollzogen wird, kommt

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ein Brief des bekehrten Paulus an, den Johannes zu spät dem Volk vorliest. Mirjam stirbt, Johannes bleibt verzweifelt zurück und ringt sich dann langsam zum Paulusjünger durch. Die dramatische Gestaltung erhebt sich jedoch nicht weit über die Vereinsbühnentechnik, die wir im vorigen Kapitel analysierten. Leidenschaftslose Liebeskonflikte, Hausidyllen, Spannung zwischen innerer Sendung und äußerer Bindung, aufgeputschte TheaterefFekte usw. beherrschen auch hier das Bühnenbild, das im übrigen viel mit purpurroten Sonnenuntergängen, langsam dahinschreitenden Priestern in langen Gewändern usw. arbeitet. Je geistiger und innerlicher die Paulusauffassung hier scheinbar wird, umso äußerlicher und starrer werden Worte und Gesten, und Beleuchtung und ein feierlich getragenes Gewand sind die dürftigen Mittel, um das dürre Skelett dieser Begriffe und Schemata von außen und innen, Geist und Leib usw. zu bekleiden. Die „Inspiration", die das Werk „in die brandende Gegenwart rückt", und den Sinn aller Zeiten als „Menscheninnenentwicklung" auszuschöpfen meint, schwebt in Wahrheit im Nirgends aller Zeiten und ihre einzige Beziehung zur „brandenden Gegenwart" ist eine historische, nämlich die fatale Abhängigkeit von erstorbenen WeltgeistbegrifTen und Geist-Leben-Dualismen, (z. B. in der Konfrontierung von Paulus und Johannes, der tanzenden Thecla und dem melancholischen Johannes usw.), die der deutsche Idealismus in weit großartigerer Weise hervorgebracht hat. Denn nicht mehr in Sprüngen und dialektischen Antithesen wie etwa noch bei Hegel entfalten sich für German die Begriffe Innen und Außen, Subjekt und Objekt in der Geschichte, sondern in einer bruchlos gleichförmigen Entwicklung, die darum auch sein Drama spannungs- und gegensatzlos macht wie ein mechanisch gesprochenes Gebet. Gerade hier, in seiner Innerlichkeit, hat sich das Lebendige veräußerlicht und ist zur bloßen Geste und zum abendlichen Lichteffekt geworden. Seine Polemik gegen den Materialismus (Vorwort) findet darum hier ihre Grenze. Denn die „Veräußerlichung", die er diesem Materialismus (Positivismus) vorwirft, lebt in weit extremerer Form in seinem Drama, wie Rudolf Steiners Beweisführung gegen den naturwissenschaftlichen Positivismus (etwa in seiner „Philosophie der Freiheit") weit mehr von diesem Positivismus in sich aufgenommen hat, als er es selbst geahnt haben mag. Der eigentliche Grund des Mißlingens liegt jedoch an einer anderen Stelle, nämlich im Stoffproblem selbst, in Germans Verhältnis zum historischen Stoff. German geht bewußt mit einer gewissen subjektiven Willkür vor und sucht von vornherein den Stoff aus seiner Geschichtlichkeit zu lösen und in die „brandende Gegenwart" zu bannen, d. h. er dichtet über den gegebenen Stoff hinweg und symbolisiert ihn schon, bevor er ihn ernst genommen und wirklich angeschaut hat. Man muß, um das Verhältnis von historischem Stoff und Gegenwart hier einmal genauer zu fixieren, geradezu die paradoxe Gegenhypothese aufstellen, daß, je

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strenger die historische Konkretion eines Stoffes gewahrt bleibt, je intensiver sich ein Dichter um die genaue Beschaffenheit eines Stoffes bemüht, umso stärker und eindrucksvoller die Gegenwart erscheint, in der der Dichter selbst steht, umso mehr von gegenwärtigem Zeitgehalt in das Drama eingeht. Man kann das am deutlichsten an dem Paulusdrama von Franz Werfel demonstrieren: c) Franz Werfel: „Paulus unter den Juden. Dramatische Legende in 6 Bildern" 1926 Denn das einzige moderne Paulusdrama von dichterischer Höhe, Franz Werfeis: „Paulus unter den Juden" 1 , ist eine streng geschichtliche Tragödie: „Das Drama, die Tragödie", so sagt Werfel im „Argument" (Nachwort) zu seinem Werk, „kann nichts als Geschichte sein" (S. 184). Sie kann die Mysterien der Religion nicht wiederherstellen, „denn sie stellt nicht das Wunder dar, sondern Menschen, begründete Leidenschaften und Handlungen . . . Es werden nicht Anschauungen, Bekenntnisse, Lehren, Dogmen, Glaubensstufen aneinander gemessen, verklärt und verworfen. Nichts anderes wird hier gezeigt als die große tragische Stunde des Judentums. Protagonist dieses Spiels ist Israel. Ohne Willkür. So ist es! So war e s ! " Ohne Willkür. So ist es! So war es! Um eine wirkliche „ R e konstruktion des Weltgeschehens" handelt es sich für Werfel. „Ein losgelassenes Fabulieren in solch reiner Sphäre hasse ich als Unzucht, und jede poetische Freiheit ohne strenge Begründung erschiene mir als unkünstlerischer und verletzender Leichtsinn." Für jede Figur seines Dramas gibt Werfel eine historische Rechtfertigung. Aus der exakten Begründung dieser Figuren erwächst erst ihre tiefere Bedeutung und Gegenwärtigkeit, wird die „bloße Rekonstruktion" zu einer „tiefern Rekonstruktion, wie der Traum die tiefere Rekonstruktion des persönlichen Lebens ist". So haben sich in der Tat aus der reinen Geschichtlichkeit des Werfeischen Dramas eine Fülle moderner und modernster Gestalten ergeben, die tiefer in der Gegenwart verankert sind als alle Paulusgestalten, deren Modernität sozusagen auf ihrer Stirn geschrieben steht. Erst indem sich der Dichter gänzlich in den historischen Stoff vergräbt, springt der Stoff in die Gegenwart über und erlebt dort eine zweite Geburt: Alle historischen Ereignisse, der Aufstand der jüdischen Zelotenpartei gegen die Römer und tatenlosen Priester, die hellenistischen Strömungen innerhalb des Judentums und schließlich der Abfall der Nazaräer vom Gesetz durch die paulinischen Lehren, sind bei Werfel zu einer Tragödie verdichtet, in der als treibender Faktor gerade nicht ein historisches Geschehen, sondern der vitale 1

Erschienen P. Zsolnay-Verlag, Berlin-Wien-Leipzig 1926.

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Konflikt zwischen Vater und Sohn, Lehrer und Schüler 1 , d. h. die spezifische Problematik des Expressionismus erscheint. Chanan, der älteste Sohn des Hohepriesters, ist zum Führer der Zelotenpartei geworden. Er plant einen Aufstand gegen die Römer. 300 Krieger stehen bereits vor den Toren Jerusalems und sollen nun durch den römischen „Verräterjuden" Pinchas Waffen erhalten. Pinchas fragt Chanan, was er eigentlich im tiefsten mit dem Aufstand bezwecke. Chanan antwortet, indem „er ihn langsam anschaut: Das Andere." Pinchas schreit auf: „Dich selbst willst d u ! " Aber Chanan spricht darauf in schwermütig glühenden Worten von Saul, seinem verschollenen Freund, dem er „immer und ewig" Treue halten will und um dessentwillen er eigentlich den ganzen Aufstand inszenierte. Die historisch religiöse Problematik verschwindet also fast ganz hinter der persönlichen, und es wird sich zeigen, wie sehr diese persönliche Problematik wiederum von vital-erotischen Motiven getragen ist, wie sehr der unbestimmte Drang, „das Andere" zu wollen, und sich dem Freund zu opfern, aus Motiven von Selbsthaß und Todestrieb entspringt. Die tiefsten Wurzeln des Konflikts liegen jedoch in der Feindschaft zum Vater und jüngeren Bruder. Die Welt des Vaters ist die der Fäulnis und des Untergangs. Es ist Spenglersche Stimmung, die sich bis zum letzten Akt hält, und gegen die der Sohn vergebens rebelliert. Der Hohe Priester ist als „müder Mann mit schweren Tränensäcken und einem traurig abwesenden Ausdruck" geschildert. Er will Ruhe und Frieden haben und verhandelt dementsprechend mit dem Römer Marullus. Durch Bestechung erreicht er es endlich, daß die kaiserlichen Feldzeichen und die Götterbilder Caligulas nicht in Jerusalem verehrt werden müssen. Marullus klagt über „die Jugend Judas, die gegen die Reichen und das Reich hetze" (S. 25), und der Hohe Priester sagt über den Aufruhr der Christen, er sei „wie ein Vatermord an Gott" (S. 25). Der Konflikt zwischen seinen beiden Söhnen bricht in der folgenden Szene aus: Der Jüngere, Mathias, ist Hellenist und Schönheitsschwärmer, Chanan radikaler Zelot. Beide hassen sie den Vater und das morsche Judentum, der eine durch Flucht und Abfall, der andere durch revolutionäre Rückführung auf die große jüdische Vergangenheit. Mathias fragt den römischen Germanen Frisius, seit wann er seine Heimat verlassen habe. Frisius antwortet: „Ich bin ein Kind gewesen". Darauf sagt Mathias das charakteristische Wort: „ D a hast du die Deinen ja noch nicht hassen können?" Der Haß gegen Vater, Familie und Heimat ist ihm ein allgemeines, fast metaphysisches Phänomen, im Menschen tief verwurzelt und unausrottbar. Der Haß gegen seinen älteren Bruder durchschneidet ihn wie eine Stichflamme: „Noch hab ich dir zwanzig Marterjahre des jüngeren Bruders nicht heimgezahlt", schreit er ihm ins Gesicht, und Chanan selbst haßt seinen Vater und 1

Das zentrale Problem ist nach Werfel der „tiefe Lehrer-Schüler-Konflikt" zwischen Paulus u. Gamaliel („Argumentum"). Emrich, Paulus

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das verfallende Judentum, das er in „fanatischem Eifer" reinigen und auf die ursprüngliche Gesetzesstrenge zurückführen will. Der Vater aber steht traurig, müde, resigniert zwischen ihnen und murmelt: „Das Geheimnis ist der Fluch, der zwischen Vater und Sohn geworfen wird" (S. 36). Er wirbt um seine Söhne, um sein Erbe zu erhalten. Aber Chanan ruft aus: „Ich tue das Erbe von mir", und der Vater spricht erschüttert: „Mensch! Warum begehrst du auf? Es ist kein Sinn in dir, sondern der,Nackte Böse Trieb'. Was haben wir Juden anders als Erbschaft? Chanan? Du auch bist ergriffen von der Lust des Untergangs, der schlimmsten Begierde. Chanan: Ja! Was war, ist zu Ende! Hohe Priester: . . Ich bin nur mehr ein Toter, der aufrecht steht. Die Hände strecke ich aus und meine Kinder nehmen sie nicht. . . Warum sind die Kinder des Menschen die Verzerrung seiner selbst?" (S. 36 f.). Die Tragödie ist eine zeitliche und eine menschliche: der Untergang eines alten Geschlechts, einer alten Kultur, an der die „Lust des Untergangs" nagt, und der Aufruhr des „Nackten Bösen Triebs" im Menschen in Gestalt des Vatermordes. Aber so sehr das Menschliche dieses Konfliktes psychoanalytisch bedingt sein mag (Ödipuskonflikt), so sehr ist es wiederum im Geschichtlichen eingebettet, denn nur in diesem Augenblick stand der Kampf zweier Geschlechter so auf Messers Schneide, nur in den Vor- und Nachwehen eines Weltkrieges war die Kontinuität der Geschlechter in solch katastrophaler Weise abgeschnitten wie hier in Werfeis Paulusdrama. Jahrhundertelang trat im religiösen Drama kein ödipusproblem und kein Lehrer-Schülerkonflikt zwischen Gamaliel und Paulus auf, trotzdem er so nahe lag, jahrhundertelang war das scheinbar „ewig Menschliche" solcher Phänomene nicht erkennbar, und erst hier, in dem spätesten Paulusdrama, in der Periode eines schon fast erloschenen Nachkriegsexpressionismus, wird es plötzlich faßbar und öffnet den Abgrund eines zeitgeschichtlichen Geschehens; erst jetzt wird der vitale Konflikt zwischen Vater und Sohn zu einem geschichtlischen. Jetzt erst wird auch wieder die paulinische Bekehrung ernsthaft aktuell, im expressionistischen Phänomen der „Wandlung": „Dort die Verzweiflung! . . Hier die neue Schöpfung! Tod — Leben . . . Damals fiel ich ab von Gamaliel. Nur ein toter Ast kann abfallen von Gamaliel. Aber Gott wollte, daß ich ausdorre, damit ich jetzt brenne . . . Der Trotz . . . schmolz hin. Nie endet das Weh, das bittersüße der Seele!" (S. 66 f.). Die Wandlung, von der hier Paulus spricht, ist ein plötzliches Erwachen in der Schöpfung, das spontane, fassungslose Gefühl, im Dasein zu stehen, zu leben, zu fühlen, zu atmen, mitzufühlen mit allem Geschaffenen und nicht länger in Selbstqual und „Trotz" den Tod des blind Eigensüchtigen zu leben: „Aller Leib ist jetzt atemvermischt. Als ich der alte Schaul war, stand zwischen mir und den Geschöpfen tote, schwarze Luft, Einsamkeit! Tod hieß der zweite Name der Welt.

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T o d alles Lächeln, aller Duft der Erde, höhnischer, stinkender T o d ! Und jetzt? Warum ist die Einsamkeit gefallen? Was ist diese starke, jauchzende Liebe in mir?! Woher die Ewigkeit im Herzen, die alle Angst und Verwesung verbrennt?! Verwandlung!! Ich sage dir, kein Hälmchen wächst unverwandelt mehr! . . . mitten im Reich Gottes leben wir und wissen's nicht." (S. 116). Die Bekehrung des Paulus hat sich hier in einen visionär ekstatischen Ausbruch ursprünglicher, elementarer Naturkräfte gewandelt, der aus sich heraus jene gewaltig chaotische Bildfülle des Expressionismus schleuderte. Es ist die „Wandlung", die von Sorge, Toller und Unruh verkündet wurde und sich nun hier auch in Werfeis Paulusvision niederschlug, ein plötzliches Wissen, daß „ W i r sind", daß alles sich bewegt, lebt, atmet und wir mitten darin leben und weben und alle Schranken zwischen den Dingen, zwischen Ich und D u gefallen sind. Es ist ein plötzliches „Existenzbewußtsein", das sich jenseits alles Zeitlichen stellt und dennoch Abglanz und Gegenspiel dieses Zeitlichen ist, Gegenspiel des Bruder-, Vater- und Selbsthasses, der alle diese Figuren, Saul, Chanan und Mathias verzehrt, und Abglanz des Risses zwischen den Generationen, den plötzlich ein Damaskusstrahl überbrückt: „Ich herrsche nicht mehr in mir", sagt Paulus. (S. 68). Aber selbst noch diese Brücke und Liebesflamme, die Saul mit allem verknüpft, und gerade sie, öffnet den Riß aufs neue: Paulus ist durch seine „Wandlung" gerade von denen auf immer getrennt, die „von Anfang an in der Liebe standen" wie Gamaliel, wie Petrus und Jakobus. Hier eigentlich beginnt erst das Problem. Wie im ganzen Expressionismus ist die Wandlung des Paulus ein negativ-revolutionärer Aufruhr gegen alles, was besteht, was Form, Gesetz und Ordnung hat, sie ist im tiefsten ein Aufruhr gerade gegen das „Seiende", das sie so ekstatisch feiert, sie ist „Lust des Untergangs". Die Liebe dieses Paulus, und darin besteht ihre Dialektik, ist notwendig aus Haß geboren, aus Haß gegen alles Seiende und im letzten aus Selbsthaß. Werfel sagt im „Argument", der tiefste Grund der Wandlung sei der eifersüchtige Abfall von der Liebe der „hohen Seele" Gamaliels gewesen, das innersteWissen, daß er nie diese ursprüngliche Güte und Menschlichkeit erreichen werde, die von Anfang an den „Erwählten" umstrahlte. Dieser Abfall entstand aus dem Abscheu gegen seine eigene Ohnmacht, aus Selbsthaß. Aber dieser Abfall war der eigentliche „Ort der äußersten Christusferne", und von dort „lag Damaskus nur einen knappen Schritt weit entfernt" (S. 182). Die plötzlich auflodernde Liebe, das große Ereignis, das ihn durchglüht, lag „nur einen knappen Schritt" vom — Haß entfernt, ja, war eigentlich erst das Produkt dieses Hasses. Die Liebe war wesentlich das — Ergebnis aus Vater-, Lehrer- und Selbsthaß. In der Tat, diese Dialektik spielt durch das ganze Drama hindurch. Sie geht schrittweise von der Auseinandersetzung mit Petrus über die Auseinandersetzung 8«

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mit Chanan zur großen Diskussion mit Gamaliel, in der sie sich erst restlos offenbart. Gamaliel ist der große Menschenfreund, der kampflos Gütige, der alles heilt und zum rechten Wege führt; Paulus aber ist der Eifernde, der in zitternder Sündenangst, im Kampf mit Fleisch und Begierde das Gesetz nicht zu halten vermochte und durch ein furchtbares Ringen erst zum Evangelium der Liebe und Erlösung durchdrang, er ist der „Schrei aus dem Abgrund", dessen schwere Lehren und Paradoxien die Menschen nur verwirrt und tiefer ins Verderben zu treiben droht. Sein „Spiegel" und Widerspiel ist Chanan, der ihm blindlings folgte und nun an ihm zugrunde geht: „ D u hast mich gelehrt, das Israel dieser Zeit zu hassen! Ich hab mich losgerissen, Schaul, und gut zu hassen gelernt. Nichts mehr hab ich als Dich! Meine Verwandten hass ich, ich hasse selbst, die ich befreien will, und mich und mich!! Denn verflucht ist, wer sich selber sieht. Nun gehör ich dir ganz!" (S. 73 f.). Die Liebe zu Saul ist nur ein verzweifelter Ausweg aus dem Selbsthaß dessen, der „sich selber sieht", und seine ganze politische Erhebung durch die Zeloten ist nur die stürmische, wilde Sucht, sich zu opfern, von sich selbst frei zu werden, sich selbst zu erlösen: „Der Sieg ist nichts, das Ziel ist nichts und alles nur die Sehnsucht, geopfert zu werden. (Auf ihn zu). Umarme mich, Schaul!" Auch der Opferwille Chanans ist also kein Opfer für sein Land, für seine Heimat, für den Freund, sondern ein gewaltsam sehnsüchtiges Todesverlangen, ein blinder Selbsthaß, der sich in Selbstvernichtung entlädt, ein verzweifelt narzistischer Destruktionstrieb dessen, der „verflucht ist, stets sich selbst zu sehen". Und die Tiefe der Leidenschaft, die Glut der Sprache, mit der dieses Opfer formuliert ist, eröffnet eine seltsame Perspektive auf Werfeis Opfer- und Liebesreligion. Denn auch auf Paulus trifft dieser Destruktions- und Todestrieb zu. Er steht am Anfang seiner „Wandlung": „Denn du bist der Schaul, den ich ausgezogen habe", sagt Paulus zu Chanan, „Vergiß mich! Geh! Ich kann mich nicht länger in dir spiegeln!" Chanan ist der Spiegel von Paulus und beide sind im letzten identisch. Chanan stürzt sich im vierten Bild blindlings ins Verderben: Obgleich er weiß, daß der Aufstand bereits im Keim erstickt ist, befiehlt er den Angriff, während Pinchas entsetzt ausruft: „ D u bist kein Eiferer Gottes. D u bist ein (schreiend) Selbstmörder!" (S. 109). Der narzistische Todestrieb, der hinter seinem „ O p f e r " steht, ist damit eindeutig formuliert. Formuliert ist auch die Problematik Sauls, dessen Spiegel und „alter Mensch" ja Chanan darstellte. Alle Figuren, Saul, Chanan, Gamaliel, Mathias, der Hohe Priester sind ähnlich wie im „Spiegelmenschen" im Grunde identisch. Und wie im „Spiegelmenschen" handelt es sich überall um die Freiwerdung des Menschen von sich selbst, um die Erlösung aus der ewigen Spiegelung des stets gleichen, ewig hassenden, im tiefsten sich selbst hassenden Ich. Die reine Subjektivität, die seit Sturm und Drang

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und Romantik fast ausschließlich die deutsche Dichtung bestimmte, führt hier einen letzten und traurigsten Selbstkampf aus. In fanatischer Verzweiflung sucht Chanan vergebens nach dem „Anderen", das er in Saul zu finden hoffte, und in einem ebenso verzweifelten „Schrei aus dem Abgrund" rief Paulus nach der überpersönlichen Macht, die nun „in mir herrscht" und „aus mir spricht" (S. 6 8 , 7 1 ) 1 . Die Gewißheit und Echtheit aber dieses überpersönlichen Gotterlebnisses, und hier stehen wir im zentralen Problem des Dramas, die Gewißheit des Gotterlebnisses muß notwendig in sich selbst fragwürdig sein, da das Erlebnis aus reiner Subjektivität entsprang und das Ich das D u durch einen todessüchtigen Schrei aus sich selber zeugte. Das Uber-Ich, von dem Paulus spricht, ist selber wieder ein Spaltungsprodukt des Ich, wie das „ E s " eine Verdrängungsprojektion des Ich über sich selbst hinaus. Diese psycho-analytische Deutung des „Wandlungserlebnisses" ist notwendig in dem Werfeischen Drama selbst angelegt, und spricht aus jedem Satz, aus jeder Figur und vor allem aus dem ganzen dramatischen Aufbau 2 , aus der Gegeneinanderführung von Vater und Sohn, Bruder und Bruder, Saul und Chanan und springt endlich in der großen Diskussion zwischen Paulus und Gamaliel völlig heraus. Es handelt sich dabei um zwei prinzipiell verschiedene religiöse Haltungen, um die gleichmäßig gütige, schon von Anfang an in Liebe und Erwählung stehende, mehr johanneische Christusauffassung, und um die radikale, sich in Umbrüchen von Tod und Auferstehung, Sünde und Gnade sich bewegende paulinische Christusauffassung. Gamaliel sieht nur die menschliche Seite des Christusbildes, Paulus nur die übermenschlich göttliche: Gamaliel liest, bevor er in die Diskussion mit Paulus eintritt, die Berichte über das Leben Jesu und ist tief bewegt von der Güte und Weisheit, die aus jedem Zug dieses Lebens spricht: „Ich habe einen heiligen Menschen gefunden und ich will zeugen für ihn . . . Ein Fehlurteil ist geschehen in Israel. Ich will mit dir vor den Richtern stehen . . Sühne ist nötig; ich will sie darbringen . . . D u aber eifere nicht! Denn auch das Licht ist schuldig, wenn es für 1

Vergl. damit die theologische Wendung des Paulusproblems bei Karl Barth in seiner Interpretation des

„Römerbriefes", der ähnlich wie sein expressionistischer Zeitgenosse Werfel durch einen radikalen „Sprung" den „ganz Anderen", Gott und das „ D u " „existenziell" zu erleben sucht unter Ausschaltung aller psychologischen und historischen Deutung der religiösen Inhalte. • Das ödipusproblem (Vaterhaß, Mutterliebe) läßt sich in sämtlichen Werken Werfeis nachweisen. Den Jungschen Begriff des Kollektivunterbewußten, den man etwa mit dem spontan aufspringenden Lebens- und Existenzgefühl in der expressionistischen „Wandlung" in Verbindung bringen könnte, vor allem was die chaotisch archaische Bilderfülle des Espressionismus betrifft (s. den Begriff der mythischen „Bilder" bei Jung), halte ich für problematisch, da er die historische Einmaligkeit solcher Wandlungen und Bilder, die konkrete Konstellation des Expressionismus nicht zu erfassen vermag. Überhaupt führe ich hier die psycho-analytischen Begriffe nur zur Verdeutlichung ein, da ich die Psycho-Analyse selber nur im Zusammenhang mit der subjektiv erotischen und gesellschaftlichen Problematik seit etwa Nietzsche und Strindberg sehen kann.

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schwache Augen zu grell ist. Sehr gefahrlich hat Jehoschua das Gesetz erhellt. Und dazu war es zu früh." (S. 166). Paulus aber eifert dennoch: „ E r hat mehr getan, o Herr, als das Gesetz erhellt" (S. 166). Er hat eine Wandlung im Menschen bewirkt. In glühenden Worten malt Paulus diese Wandlung aus. Aber Gamaliel „erhebt sich: Was hat die Liebe dieses Jesus verwandelt? Nichts hat sie verwandelt . . . Die Wechslertische im Tempel warf er um und am nächsten T a g standen sie wieder." Für ihn ist Jesus nur ein Mensch unter anderen, der das Leid dieser Welt wie die anderen erträgt in Geduld. Eine Wandlung ist darum prinzipiell ausgeschlossen: Als Paulus von der Gottessohnschaft Christi spricht, „geht Gamaliel schwer atmend auf Paulus zu: Schaul! Um dein- und meinetwillen sag: er war ein Mensch! . . Vernichte mein Friedenswerk nicht! Messias ist nicht gekommen, denn der Ewig-Künftige ist er". Der Ewig-Künftige, damit hat Gamaliel den tief konservativen Charakter seiner Religiosität gekennzeichnet :DasLeiden der Menschen ist ewig, darum ist auch ihre Hoffnung ewig. Der Messias kommt nie, darf nie kommen, denn seine Gegenwart wäre eine Aufhebung des Menschlichen: „Weißt du, wer Messias ist? Die Vernichtung ist er! Denn wenn dieser Pfeil entschwirrt, zerbricht der Bogen. Ich will ihn nicht sehen!" Auf diese Frage spitzt sich die ganze Diskussion zu: „Paulus (nach furchtbarer Uberwindung, leise, stoßweise): Der Bogen ist zerbrochen: Israel! Und für ewig!" Der Einbruch des Messias bedeutete die Revolution und das Ende des Judentums, er bedeutete den Einbruch des geschichtlich Verwandelnden in die Statik des Ewig-Künftigen. Noch einmal fordert Gamaliel Antwort, diesmal von Gott selbst. Er ergreift das Opfermesser, um Paulus zu töten, und erwartet dazu die Stimme Gottes. Gott aber schweigt, zum erstenmal, und entscheidet sich für Paulus, der in einem visionären Bild sich plötzlich in den heidnischen Weltstädten missionieren sieht. Im gleichen Augenblick melden die Priester, daß Gott das Sühnopfer verworfen habe. Marullus bricht in den Tempel ein und verliest den Erlaß des Kaisers, wonach der jüdische Gottesdienst für immer aufzuhören hat und im Allerheiligsten das Bild des Kaisers aufzurichten ist. Das Volk gerät in Raserei, schreit nach Gamaliel, der jedoch als Leiche hinausgetragen wird. Unter „dem grauenvollen Weinen" des Volkes und den Worten Petri: „ D e r letzte Gerechte gefallen! Antichrist erschienen . . . Die Stunde das Christus ist d a ! " schließt das Drama. Aber noch einmal, auf dem Gipfel der Diskussion, gab Werfel selbst eine psychologische Deutung dieser geschichtlichen Wende. Als Paulus das furchtbare Wort aussprach: „ D e r Bogen ist zerbrochen: Israel!", da ruft Gamaliel aus: „Verräter! . . . Ich widerrufe meinen Willen über Jesus von Nazareth! — Du rasest von Messias und Liebe, du kalter Satan, der nichts liebt, nichts, n i c h t s ! . . . Du Zerstörer, du trunken Abtrünniger! Und damit du weißt, wer du bist, gebe ich dir den Namen: Israels Selbsthaß!" (S. 170 f.). Also auch die Wandlung und

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große Umwälzung vor Damaskus wäre nichts als Ausbruch und Umkehrung eines — Selbsthasses? Sie wäre nichts als die verzweifelte Abwehr gegen alles, was liebenswert, menschlich und gütig an Gamaliel war, und was Paulus nie, auch jetzt noch nicht, erreichen konnte? „ D u Zerstörer! Du trunken Abtrünniger, du kalter Satan, der nichts liebt, nichts, nichts!", dies sollte das letzte Wort über Paulus sein? Die Liebe also und Wandlung Sauls wäre nichts als todessüchtige, rachsüchtige Umkehr und Wendung gegen sich selbst und sein Volk, wie schon bei Chanan und in der Vater- und Brudertragödie? Das plötzliche Allgefühl und die Offenheit, in der „aller Leib atemvermischt" ineinandersank — nichts als gefühlsmäßige Überhöhung eines — Selbsthasses? Das Evangelium der Liebe und des Mitleids, das uns Werfel nun schon seit Jahren verkündet, geriete damit in ein bestürzend merkwürdiges Licht, und man muß, von solchen Motivierungen, Ineinanderfügungen und Verknüpfungen der Personen, Schicksale und Ereignisse dieses Dramas her die ernsthafte Frage an Werfel stellen, wie lange er sich seine religiöse Umhüllung eigentlich noch gestatten will, wenn er selbst die Hintergründe solcher Religiosität so offen zur Schau stellt. Andererseits aber macht gerade die unerhörte Deutlichkeit und Sprachgewalt, mit der die subjektive Problematik des Expressionisten immer wieder durch das scheinbar so historische Paulusdrama durchbricht, das Werk zeitgeschichtlich bedeutsam und erhebt es über das Niveau sämtlicher Paulusdramen des 19. und 20. Jahrhunderts. Die dramatische Gestaltung, in die hier das Generationsproblem, der Vater-Sohn-Konflikt, der Selbsthaß des Individualismus und die visionäre Untergangsstimmung einer Kultur gebannt sind, bildet ein Zeitdokument unter vielen, ein Zeitdokument aber, welches die Zeichen der Zeit seltsam eindringlich und erregend ins Bewußtsein hebt.

5. Paulus als symbolischer Hintergrund zu modernen Stoffen Der soeben gezeichnete „Selbsthaß" des Individualismus lebt besonders stark in den Dramen, in denen der Paulusstoff völlig verflüchtigt ist zu einem Symbol, das hinter zeitgenössischen Stoffen und Problemen steht. Paulus ist nämlich in allen diesen Dramen ohne Ausnahme ein Bild für den Zusammenbruch des isoliert Einzelnen gegenüber den Forderungen der Gesellschaft und der Ehe. Der Einzelne ist dabei meist als lebensfremder Träumer und Idealist gesehen, der der Realität nicht mehr gewachsen ist. Die erotische Problematik verbindet sich mit der sozialen zu einer Damaskuskatastrophe, in der alle idealistischen Träume, die den Individualismus stützen, versinken, während die gesellschaftliche Wirklichkeit als unheimliches und unlösbares Rätsel gestellt ist.

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a) Arne Garborg: „Paulus, Schauspiel in 5 A u f z ü g e n " Schon in dem von Ibsen beeinflußten norwegischen Drama von Arne Garborg : „Paulus" 1 erscheint diese Problematik außerordentlich stark. Paulus Hohwe, ein religiöser Schwärmer, verschenkt Haus und Hof, um das christliche Gebot der Armut und des Opfers zu erfüllen. Er predigt im Sinne von Tolstoj ein einfaches schlichtes Landleben, Aufhebung des Eigentums, christlichen Kommunismus, die unmittelbare Liebe von Mensch zu Mensch, und baut sich in der Heide eine kleine Hütte. Verfolgt von Staat und Gesellschaft (er wird schließlich verhaftet), scheitert er jedoch ähnlich wie Tolstoj gerade in der persönlichsten, engsten Liebesgemeinschaft, in der Liebe zu seiner Frau. Er jagt, wie er selbst gesteht, stets einer Idee nach, aber die unmittelbarste, menschlichste Liebe seiner Frau übersieht er: „ D i c h werde ich opfern müssen", flüstert er ihr nachts zu, und dieses W o r t läßt die Frau nicht mehr los. In den zwei christlichen „Schwestern" Tabitha und Evelinde, die viel mit Paulus zusammen arbeiten, sieht sie — z. T . mit Recht — Nebenbuhlerinnen. Paulus bekämpft zwar seine Neigungen. Aber er verfallt einem hoffnungslosen Dualismus von Geist und Fleisch: „ D e r Geist streitet wider das Fleisch, deshalb ist der Mann verloren, wenn er sich unter das Naturgesetz beugen muß. Der Mann ist rücksichtslos und roher in seiner Liebe als das Weib, weil er eine verborgene Scham in seinem Inneren betäuben muß und sich wie von einem Zauberbann bedrückt fühlt. Das ist ein gefährlicher, ein entsetzlicher Streit, ein Kampf im Dunkel der Nacht! Der Christ kann in diesem Streit leicht den kürzeren ziehen und untergehen" (S. 37). Aber alle Versuche, seiner Frau die Eifersucht auszureden, mißglücken. Sie fühlt zu instinktiv, daß er sie in seinem religiösen Liebesfanatismus im tiefsten nicht achtet und ernst nimmt. Sie spürt mit Recht, daß „sich hinter dem, was du Gott nennst, leicht ein weibliches Wesen verbergen kann" (S. 85). Diese unreine Mischung religiöser und erotischer Gefühle, die sich auch besonders stark in der Verehrung der beiden „Schwestern" ihrem Mann gegenüber findet, führt schließlich zur Katastrophe. Gerade in dem Augenblick, als Paulus, um die Eifersucht seiner Frau hinfallig zu machen, Evelinde zur Ehe mit Gudleik überreden will, kommt seine Frau dazu, glaubt sie in einer Liebesszene überrascht zu haben und vergiftet sich. Paulus wird darauf vor Gericht wegen staatsgefährlicher, anarchistischer und kommunistischer Tendenzen angeklagt. Außerdem legt man ihm den T o d seiner Frau zur Last. Man verhaftet ihn in dem Augenblick, als er in einem Gespräch mit Evelinde ihre Liebe abweist und von ihr das Opfer erzwingt, den ungeliebten Gudleik zu heiraten und ihm zu entsagen. Damit schließt das Drama. 1

Der norwegische Text ist überschrieben: „Lehrer"; eine deutsche Übersetzung von Eugen v. Enzberg,

nach der ich zitiere, erschien 1898 in Reclams Universalbibl. Bd. 3867, Leipzig 1898.

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Es muß hier betont werden, daß Garborg den Paulushelden völlig ernst nimmt und seinen religiösen Liebeseifer und Opferwillen als heroische Tat feiert gegenüber den Staatsleuten, die karikiert gesellschaftskritisch gezeichnet sind als geldgierige Snobisten usw. Das Tragische des Dramas liegt in dem Aufweis der Unmöglichkeit, in der modernen Gesellschaft auch nur den einfachsten christlichen Satz, den von der Armut und der Nächstenliebe, zu verwirklichen: Paulus will all sein Gut den Armen schenken. Aber während der Versteigerung kauft der reichste Mann des Dorfes seinen Hof auf und verwirtschaftet ihn zu seinen Zwekken, während Paulus auf die Heide zieht, niemandem nützt und sich nur schadet. Dazu kommt der Ehekonflikt, der seit Tolstoj, Ibsen und Strindberg immer Hand in Hand mit der gesellschaftskritischen Haltung ging. So utopisch Paulus „gegen die bürgerliche Gesellschaft, das Eigentum, die Ehe, mit einem Wort gegen alles predigt, was uns heilig und teuer ist" (S. 93), so utopisch geht er an jeder Realität vorbei, vor allem an der Realität seiner eigenen Frau. Der Kampf der großen Gesellschaftskritiker Tolstoj, Ibsen, Strindberg gegen die Frau, sowie der GeistTrieb-Konflikt bei ihnen, ist im tiefsten ein Kampf eines fanatischen Idealismus gegen die Wirklichkeit, gegen die unerbittlichen Gesetze der „bürgerlichen Gesellschaft". Eingehender läßt sich das an der gewaltigen Dramenleistung Strindbergs: „Nach Damaskus" entwickeln. Thematisch in engerer Beziehung zu Garborg steht zunächst jedoch das Drama des „Expressionisten" 1 : b) Rolf Lauckner: „ D e r Sturz des Apostels Paulus" 2 , 1918 Lauckner stellt ebenfalls einen religiösen Träumer in die moderne Gesellschaft und läßt ihn ebenfalls einen entsprechenden „Sturz" erleben. Ebenfalls vergißt der Held Paul Schumann über seinen Plänen und Ideen die Liebe zu Frau und Kind und seinem nächsten Freund. In der ersten Szene liegt er als Friseurgeselle mit dem Hundefanger Czibulka in einer Dachkammer und erzählt seinem Freund von seinen inneren Visionen und Gesichten, von den Wundern und von Gottes Geist, der über ihn komme und von dem die tote Welt nichts wisse usw. Das wahre Motiv dieser „Innenwelt" ist jedoch der Drang nach Macht über die Menschen: „Glaubst du mir, daß ich mal große Macht haben werde? Wenn ich den Leuten alles sage, was ich weiß. Viele wissen weniger und sind mächtig" (S. 1 1 ) . 1

So rangiert Lauckner in der Literaturgeschichte. Diese Einordnung erscheint jedoch etwas fragwürdig bei

der sehr stimmungshaften, fein abgetönten, fast gedämpften Führung der Dialoge und Szenen, der sicheren, fast realistischen Meisterung von Milieu und realer Sprechweise der einzelnen Berufe usw. und vor allen Dingen bei dem völlig Unvisionären, Unekstatischen und Bildannen seiner Sprache. • Erschienen Stuttgart und Berlin 1929 (3. Aufl.). 1. Aufl. Berlin 1918 (Erich Reiß-Verlag). Exempl. Staatsbibliothek Berlin.

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Und nun folgt die zentrale Stelle des Dialogs: Paul Schumann sagt: „ D u bist doch mein Freund, Hundefanger? . . Czibulka: Du brauchst gar nicht immer Hundefanger zu mir zu sagen! . . Paul Schumann: Was? . . Czibulka: Na ja . . Paul Schumann: Aber sie nennen dich doch alle s o . . Czibulka: Deswegen heiß ich immer noch Emil. Emil Czibulka! Ich habe mir auch mal was anderes gedacht, als hinter den lausigen Viechern herzulaufen.. Paul Schumann: Na j a . . Emil. . Du kommst dann zu mir . . . Czibulka: Ganz was andres als die lausigen Viecher . . . (schläft ein). Paul Schumann: Wie weit sie sich alle Gott denken! e t c . . . . " Und nun beginnt Paul Schumann, anstatt über seine Beziehung zu diesem Hundefanger nachzudenken, sich als Napoleon, Jesus, Buddha usw. in Positur zu stellen und lyrische, selbstgedichtete Verse in die Mondnacht hineinzudeklamieren. Der „Sturz des Apostels Paulus" beginnt schon hier. Es ist der Sturz eines Träumers und Dichters, dem der Boden unter den Füßen weicht, der in seelischer Selbstirflation sich steigert und berauscht, ohne die einfachsten Wahrheiten seiner Umwelt zu begreifen. Wiederum jedoch nimmt der Verfasser, obwohl er gerade das durch und durch Lieblose seines Helden herausarbeitet, seine Traumwelt ernst und gestaltet aus ihr einen tragischen Konflikt zwischen Idee und Wirklichkeit. Geistesgeschichtlich interessant an diesem Konflikt ist die absurde Leere, in der hier Idee und Traum der weit größeren Tragik des realen Lebens gegenüberstehen. Der einzige Inhalt, der diese Ideen überhaupt konstituiert, ist der Gegensatz zum „Alltag" und die Sucht nach Macht über diesen Alltag. Der Friseurgeselle Paul Schumann hält in kleinen Versammlungen Vorträge, erringt sich durch Magnetismus, Gesundbeterei usw. die Gunst reicher Frauen, und will eine neue weltumstürzende Religion schaffen, „eine Revolution des Geistes", größer als alle irdischen Revolutionen und Umwälzungen. Wiederum wird er dabei mit dem einfachen Hundefänger und einem demütigen Kaplan konfrontiert, die ihm beide menschlich weit überlegen sind, während er sich über ihre Verständnislosigkeit beklagt und sich selbst immer tiefer der Einsamkeit und Isolierung entgegengehen sieht. Zu einer ernsthaften Tragödie wird das jedoch alles erst in der Begegnung mit einer Frau, die ihm in allem vertraut. Er will ihr Kind gesundbeten, tötet es aber dabei, da er alle ärztliche Hilfe als ungöttlich verhindert hat. Man erklärt ihn für geisteskrank. Er entgeht deshalb der gerichtlichen Strafe wegen fahrlässiger Tötung. Die Mutter heiratet ihn schließlich aus Mitleid zu ihm, arbeitet sich für ihn schier krank, aber erntet nichts als Hochmut und Verachtung. Sie ist ihm als Frau das niedrigere Prinzip des Leibes gegenüber dem männlichen Geist, und so wirft er ihr sogar ihre körperliche Schwäche als Sünde und sittliche Minderwertigkeit vor. Ja, endlich will er ihrer sogar wieder ledig werden, um frei zu sein für seine innere „Berufung". Hedwig verläßt ihn: „Ich habe dich geliebt —

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Hab die Nächte lang gesessen und gefroren — ohne einen Dank — ohne einmal ein freundliches Wort! Paul Schumann: Ja — und Gott? Hedwig: Dein lieber Gott? D u machst dich ja selbst zum lieben G o t t . . " In der letzten Szene ist Paul Schumann wieder allein, alt und krank in der Dachkammer bei dem Hundefanger Czibulka. Aber noch immer ist er der alte, erwartet täglich die Nachricht, daß man ihn zum Apostel ausrufe. Das Paket seiner Frau öffnet er überhaupt nicht. Immer erwartet er Briefe und schwärmt dem Hundefanger von seinen Vorträgen vor, die er noch halten will. Czibulka fragt nüchtern, wieviel Geld er damit verdienen könne. Währenddessen tönt von unten ein Leierkasten herauf. Czibulka sagt: „ N a — das ist auch so einer wie du . . . Paul Schumann: So . . . wie . . . ich?. Czibulka: Was denn? Denkst du denn, daß du allein Musik machst? . . Das ist die Konkurrenz! — Konkurrenz ist überall!!" (S. 146 f.). Auch der scheinbar freie Traum des Vereinsamten also unterliegt dem Konkurrenzkampf, und nur ein Blinder kann glauben, daß er „allein Musik macht." Der Hundefanger schläft langsam ein. Paul Schumann „packt zögernd und mit widerstrebenden Gefühlen" das Paket seiner Frau aus, freut sich schließlich doch über alles, was sie ihm zurechtgemacht hat und sagt „mit Tränen in den Augen": „Ich werde das alles dem Hundefanger schenken!" Mit diesem unfreiwilligen Liebesgeständnis schließt das Drama. Der „Sturz des Apostels Paulus" ist zum Zusammenbruch des ichsüchtigen Traumes vor den Realien dieser Welt geworden, zum Zusammenbruch „der Idee vor der Erscheinung", deren Härte und alltäglich stille Menschlichkeit stärker ist als alle krankhafte Innerlichkeit des VereinsamtHochmütigen. c) Gottfried Stommel: Der Weg nach Damaskus. Tragödie aus der Gegenwart in 4 Aufzügen, Leipzig-Gohlis 1908. In die „aktuelle" Problematik der Gegenwart führt das Drama von Gottfried Stommel: Der Weg nach Damaskus 1 . Wie der Verfasser im Vorwort sagt, ringt es um die Fragen „einer neuen religiösen Weltanschauung im Kampf gegen die Entwicklung des Sozialismus". Ein Sozialist namens Immanuel Hauser hat sich bekehrt, ist zum christlichen „Propheten" und „Erlöser des Volkes" geworden (S. 16) und wird nun von dem Führer der Partei, Balder Braun, und dem Katholiken Stritt in der infamsten Weise kaltgestellt. Man nimmt ihm durch Betrug seine Stellung und sucht ihn auf alle Weise unschädlich zu machen. Braun ist als rücksichtsloser Herren- und Machtmensch geschildert und seine Lehre, der Sozialismus, als eine Theorie vom ewigen Kampf aller gegen alle, in dem der materiell stärkere den materiell schwächeren besiegen und niederringen muß. Hauser sucht ihn von 1

Exempl. Staatsbibl. Berlin.

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der Wahrheit des inneren Christentums zu überzeugen. Für ihn ist Deutschland und der vierte Stand unter Führung des Kaisers der Träger des neuen Christentums, das er unter den Massen verbreiten will, und von dem er eine „religiöse Wiedergeburt" erhofft. Braun fälscht jedoch die Papiere Hausers und klagt ihn wegen Diebstahls an der Parteikasse an, die ihm anvertraut worden war. Man arbeitet mit falschen Zeugen und beschuldigt ihn der Gotteslästerung, weil er die Gottessohnschaft Christi leugnete und das Dogma von der unbefleckten Empfängnis angriff. Als Braun seine falschen Aussagen vor Gericht beschwören will, bezeichnet sich Hauser als der Schuldige, um Braun an der Sünde des Meineides zu verhindern. Braun bricht zu Hause, in seiner Wohnung, erschüttert zusammen. In eine Vision schaut er Golgatha und einen Fremden in der Gestalt Hausers. Diese Vision wird theatralisch ausgeführt. Mit „Blitz und Donnerschlag" und dem Wort Brauns: „Damaskus" fällt der Vorhang. Die Sprache ist aufdringlich deutlich gehalten, zudem in einem ständig sprunghaften Wechsel von Dialektsprache, „flottem" Gesellschaftston und lyrisch ergriffenen Versen, die mitten in Gesprächen und politischen Reden deklamiert werden. Nicht minder aufdringlich direkt ist die politische Satire und der verinner lichte Ton des christlichen Helden 1 . d) August Strindberg: „Nach Damaskus" Die große Trilogie Strindbergs: „Nach Damaskus" 2 stellt unter dem Symbol der Bekehrung vor Damaskus das erschütterndste Schauspiel des Zusammenbruchs reiner Ichvollendung und reiner Subjektivität dar, das sowohl in gedanklicher wie vor allem in künstlerischer Hinsicht das ausgehende 19. Jahrhundert vielleicht überhaupt geben konnte. Der dramatische Wurf, das erregend Neue und Außerordentliche an diesem Werk ist die Leidenschaft, mit der sich hier ein Künstler in sich selbst vergrub und sämtliche Figuren, sämtliche Personen, ja selbst Kulissen, Zimmer, Landschaften, Flüsse, Himmel und Hölle aus einer einzigen Person, „dem Unbekannten" erstehen ließ, der 3 Dramen hindurch ununterbrochen Selbstgespräche hält und in allen Figuren, Straßen, Zeiten, Räumen immer wieder sich selbst findet, immer wieder dem unentrinnbaren Kreislauf von Schuld, Sühne, Haß, Selbstüberhebung und Verzweiflung verfallt. 1

Dasselbe Thema, die Wandlung eines Sozialisten zum Christen unter dem Symbol von Damaskus, be-

handelt der Roman von Karl Christiansen: „Saul", Ein Kulturgemälde aus dem Gegenwartsleben (Kassel 1 9 : 3 ) . Neben der Bekehrung Franz Müllers, des Führers des „himmelstürmenden Proletariats", läuft die entsprechende Wandlung eines „Übermenschen", eines Nietzscheanhängers Jost Sondermann, der, „wie sein Name sagt, der Alleinflieger unter dem Kulturhimmel, der Typus des Intellektualismus ist, wie er in den Kreisen der modernen Wissenschaftler und Künstler täglich den Tod der Zersetzung stirbt" (Nachwort S. 333). • Teil I 1898, Teil II 1898, Teil III 1901. Ich zitiere nach der deutschen Gesamtausgabe, Abteilung Dramen Bd. j , Übersetzung v. Emil Schering, Georg-Müller-Verlag München 1913.

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Sämtliche Figuren, der Bettler, der Arzt, der Konfessor, der Cäsar usw., sind identisch, und selbst seine Geliebte, „die Dame", ist von Anfang an mit seinem Blut verbunden, entpuppt sich im Schlußakt als seine Mutter. „Nicht den Tod, aber die Einsamkeit fürchte ich, denn in der Einsamkeit trifft man j e m a n d . . . Ich weiß nicht, ob es ein anderer ist oder ich selbst, den ich wahrnehme, aber in der Einsamkeit ist man nicht einsam. Die Luft wird dichter, die Luft keimt, und es beginnen Wesen zu wachsen, die unsichtbar sind, aber wahrgenommen werden und Leben besitzen" (S. 7), so sagt der Unbekannte zu Beginn des sinnlosen Karussels, das sich über 3 Dramen hinjagt. Die psychopathische Wurzel solcher Selbstspaltung mag zugegeben werden, aber sie liegt nicht nur im Natürlichen, ist nicht nur Produkt einer Krankheit, sondern sie liegt auch zu tiefst im zeitgeschichtlichen Raum, aus dem heraus sie eine Dramenform hervorbrachte von einer Konzentration, wie sie seit Jahrzehnten nicht mehr erhört und gestaltet war. Zu allen Zeiten gab es Psychopathen, aber nur in dieser Zeit traten sie so in die Kunst ein, nur in dieser Zeit des zerfallenden Persönlichkeitsbegriffes wurde auch der Zerfall einer einzelnen Persönlichkeit zur geschichtlichen Aufgabe, zum dramatischen Motor. Denn der Wahnsinn Strindbergs, die Selbstspaltung seines Ich und ihre mörderische Selbstanalyse in unausgesetzten Dialogen zwischen ewig identischen Partnern, ist das treibende Problem des Dramas, ist der historische und persönliche Sinn, der in dem Sinnlosen dieser Analysen lebt: Unmittelbar nach dem Wort von der Einsamkeit, aus der gespenstergleich neue Wesen keimen, sagt der Unbekannte: „Das Leben, das früher ein großer Nonsens war, hat einen Sinn bekommen und ich merke eine Absicht, wo ich früher nur den Zufall sah." Die geheime Absicht, die Strindberg im Verfolgungswahn hinter jeder Wand, hinter jeder Person und jeder Geste wittert, wird ihm zum Sinn, zum großen Schicksal, zum Drohbild des „unsichtbaren" Gottes, gegen den der Damaskuswanderer sich trotzig verzweifelnd auflehnt. Aus eigener Angst ersteht auch der eigene Gott, der nichts mehr ist als die dumpfe Stimme eines gepeinigten Gewissens, das überall die Grundschuld der Welt sucht und nirgends findet. Die Objektwelt ist vollkommen versunken in diesem Selbstzersetzungsprozeß. Als in der ersten Szene der Kreislauf von Liebe und Haß, Verachtung und Zerknirschung mit dem Kuß der Dame einsetzt, die ihm in die Ehe folgen will, da „wird das erleuchtete Rosettenfenster der Kirche plötzlich dunkel; der Baum über der Bank schüttelt sich; die Begräbnisgäste erheben sich von ihren Plätzen und sehen nach dem Himmel hinauf, als ob sie etwas Ungewöhnliches und Schreckeneinjagendes sähen" (S. 21). Umwelt, Milieu, Kulissen, alles sind Zeichen und unheimliche Symbole für Innenkonflikte, und der Dialog spielt sich jenseits von Zeit und Raum ab: Zwei Menschen von irgendwoher, ohne Namen, Alter und Gesicht, der „Unbekannte" und die „ D a m e " , treffen sich an einer beliebigen

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Straßenecke, und ihre Sprache ist offen, brutal und direkt wie die Sprache von Menschen, die sich seit Jahrzehnten kennen und die geheimsten Gedanken, Wünsche und Schwächen des Partners zu beobachten und auszunutzen wissen. Man spricht bei Strindberg im Uberall und Nirgends, und alles, was den Dialog vorwärtstreibt, ist die Sucht, sich selbst zu verteidigen gegen den verhaßten Partner, mit dem man doch im tiefsten identisch ist; das einzig Vorwärtstreibende ist die — Selbstpeinigung. Die Selbstpeinigung ist das Ende der „Persönlichkeit", die sich seit Goethe selbst vollendet und doch in dieser Vollendung sich selbst zum Opfer fallt, in die Dämonie einer Innerlichkeit versinkt, aus der es keinen Zugang mehr gibt zu Menschen und Objekten: „Indem ich ihr (meiner Geliebten) einen Namen meiner eigenen Erfindung gab, machte ich sie zu der meinen, wie ich sie umzuschaffen gedenke nach meinem Sinn" (S. 53), gesteht der Unbekannte, und während der glücklichsten Stunde seiner Liebe, „am Meer", spricht er von nichts anderem als von der pantheistischen Steigerung seines Ich, die er durch diese Liebe erlebte: „ J a , jetzt lebe ich, gerade jetzt! und ich fühle mein Ich schwellen, sich ausdehnen, sich verdünnen, unendlich werden: ich bin überall, im Meer, das mein Blut ist, in den Felsen, die mein Skelett sind, in den Bäumen, in den Blumen; und mein Haupt reicht hinauf in den Himmel, ich sehe hinaus über das Universum, das ich bin, und ich fühle die ganze Kraft des Schöpfers in mir, denn der bin ich" (S. 38). Die Geliebte empfindet dies mit Recht als Gotteslästerung, und nun folgt die interessanteste Stelle des ganzen ersten Teils: Der Unbekannte faßt das als bösartigen Angriff ihrerseits gegen seine Persönlichkeit auf und lästert nun in der Tat vor ihren Augen Gott, indem er „einen drohenden Blick nach oben wirft" und ausruft: „ K o m m ! Erschlage mich mit deinem Blitze, wenn du wagst! Schrecke mich mit deinem Sturm, wenn du k a n n s t . . . . Wer erdreistet sich, mich in meinem Liebestraum zu stören?" (S. 40). Worin aber besteht dieser fürchterliche Gott, und gegen was kämpft der Unbekannte in Wahrheit an? Strindberg selbst gibt die Antwort: Der fürchterliche Gott, gegen den er vergebens ankämpft, ist niemand anderes als die Objektwelt selbst, die hochmütig vernachlässigte und von Strindberg in seiner Dramatik so genial übersprungene Welt der Alltäglichkeit, des wirtschaftlichen Kampfes in seiner materiellsten Form: Die Gotteslästerung des Unbekannten geschieht auf Grund einer Geldverweigerung seitens der Verleger, die im Augenblick der Liebesszene am Meer gemeldet wird. Erst auf diese Nachricht hin schreit der Dichter in den Himmel: „Jetzt ist der Handschuh geworfen und nun wirst du (zu seiner Geliebten gewandt) das Handgemenge zwischen den Großen sehen! . . . Kleine Bürgergötter, . . . die sich nicht auf den Platz einfinden, aber mit einer unbezahlten Rechnung antworten, dem Küchenwege, um den Herrn vor seinen Knechten zu b l a m i e r e n . . . . pfui, Mächte, Gewalten, Herrschaften, pfui!" (S. 41). Aber Strindberg geht noch weiter. Das ganze erste Drama der Trilogie hat er auf

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diese Frage zugespitzt. In der ersten Szene an der Straßenecke hat der Unbekannte aus Hochmut einen Brief von der Post nicht abgeholt. Er durchläuft nun auf der Flucht mit der Dame alle Etappen der Erniedrigung, von Ausweisungen aus Hotels, unbezahlten Rechnungen, Bettelei auf der Landstraße, einem jämmerlichen Empfang bei den Schwiegereltern bis zum Irrenhaus (dem Asyl), und dann wieder sämtliche Stationen rückwärts bis zur Straßenecke, wo ihm plötzlich wieder der Brief einfallt, in dem das ersehnte Geld ist: „Alle diese Leiden, und alle diese Tränen — u m s o n s t . . . Ich tat dem Unsichtbaren unrecht" (S. 105). Der scheinbar metaphysische Pauluskampf gegen Gott war also ein Kampf gegen die Umwelt, gegen die Objekte, gegen die Wirtschaft, hinter denen der Verfolgungswahnsinnige alle nur erdenklichen Intrigen und Geheimverschwörungen gegen ihn wittert. Die geheimen Gesetze der Seele liegen also irgendwo hinter den Dingen, in den fatalen Verwicklungen der wirtschaftlichen Mächte, die nicht mehr überschaubar sind. Die Rebellion des Einzelnen und Einsamen gegen Gott, gegen die Geliebte und gegen sich selbst ist eine Rebellion gegen dies Unbekannte, gegen das diabolische Netz der Dinge, das ihn sinnlos im Kreise herumführt und narrt: „Ich wollte nicht des Lebens Narr sein, und deshalb wurde ich e s ! " (S. 106). Für Strindberg steigerte sich das bis zum Glauben an dämonische Schicksalsmächte, die das Leben bestimmen und jeden schuldig und böse werden lassen. Der tragische Vorwurf für das Drama, aus dem das Damaskussymbol erwächst, ist der verzweifelte, fanatisch unbedingte Kampf des Unbekannten gegen dieses verhängte Schicksal: Die Mutter seiner Frau zwingt ihn des nachts in der Küche auf die Kniee vor dem Gekreuzigten, der alles Leid trägt, und „dies ganze Lebenspanorama ungeschehen machen kann" (S. 82). Aber der Unbekannte beugt sich nicht: „Ich kann nicht, ich will nicht. Ich weiß nicht, wo ich diesen höllischen Trotz herhabe . . " (S. 76). Doch der scheinbar metaphysische Trotz ist nur Ausdruck des hoffnungslosen Ringens mit sich selbst, des Ringens in einem entleerten und verzweifelt in sich selbst kreisenden Ich: „Doch das Allerschlimmste ist, daß ich einen solchen Abscheu vor mir selbst bekommen habe, daß ich frei von mir werden möchte, aber dazu sehe ich keine Möglichkeit" (S. 75). Und so geht er seinen Weg nach Damaskus weiter. Noch einmal will er sich gegen „den Unsichtbaren" erheben, durch seine naturwissenschaftlichen Experimente. Durch die Elektrizität will er „den Turmbau zu Babel" errichten, als „Baalspriester das Blitzfeuer vom Himmel locken" (S. 134). Und wieder steht im Hintergrund der Kampf gegen die wirtschaftliche Sklaverei des Menschen: Er will Gold herstellen: „Ich habe das Schicksal der Erde in meinem Tiegel: Ich bin der, welcher getan hat, was noch niemand getan hat. Ich bin der, welcher das goldne Kalb stürzen und die Wechseltische der Händler umstoßen wird; . . . Glaubst du, ich mache Gold, um uns und die anderen zu bereichern; nein, um die

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ganze Weltordnung lahm zu legen und zu zerstören, siehst du! Ich bin der Zerstörer, der Auflöser, der Weltverbrenner, und wenn alles in Asche liegt, dann werde ich hungernd zwischen den Schutthaufen streifen, und mich an dem Gedanken freuen: das habe ich getan, ich habe das letzte Blatt in der Weltgeschichte geschrieben, die damit für abgeschlossen gelten kann" (S. 135). Nicht um den Besitz, um die Macht allein geht es ihm, um die geheime, diabolische Macht über die diabolischen Dinge, um den Ruhm, als letzter in der Weltgeschichte zu rangieren. U m dieses Ruhmes, um dieser geheimen Macht willen, verläßt er W e i b und Kind und läßt sich in einer phantastischen Wirtshaussitzung, die sich am Schluß als eine Vereinigung von Bettlern und Zuhältern entpuppt, als größten Mann des Jahrhunderts feiern. U m dieser Macht willen verläßt er sein Weib, die er beherrschen, immer beherrschen und beherrschen wollte. Im Gefängnis meldet ihm sein böses Gewissen, der „Bettler" (identisch mit dem Konfessor), daß seine Frau sich von neuem verheiratete. D e r Unbekannte bricht in Tränen aus, weil er sie verlassen hat. D e r Bettler ruft ihm zu: „Beuge dich oder brich! Der Unbekannte: Ich kann mich nicht beugen! Der Bettler: Dann brich! Der Unbekannte (fällt nieder)". Der Unbekannte sinkt immer tiefer, selbst die Dirnen wollen ihn nicht mehr gegen Bezahlung annehmen. Der Fluch des Deuteronomion wird über ihn ausgesprochen. Die Schuld seines ganzen Lebens, deren Ursprung bezeichnenderweise in einem Kindheitserlebnis1 gesehen wird, tanzt in einer gespenstischen Abfolge von Personen an ihm vorüber. Aber sein Hochmut bricht immer noch nicht: „Hochmut, das ist doch die letzte Spur von unserem göttlichen Ursprung! . . . Komm, Priester, ehe ich meinen Sinn ändere" (S. 176). Das sind die letzten Worte des II. Teils. Der III. Teil bringt endlich die Entscheidung: Der Unbekannte geht ins Kloster. Jenseits des Flusses, hoch oben auf einem Berg, liegt das weiße Gebäude, von dem er die ewige Ruhe erhofft. Zuvor aber muß er alles aufgeben, seinen Ruhm, denn drüben liest man seine Bücher nicht, seine Wünsche und vor allem seine Machtgelüste. Aber gerade das letztere fällt ihm am schwersten: „Vertiefe dich nicht in Betrachtungen; Erinnerungen liegen auf dem G r u n d ! " warnt der Konfessor, aber der Unbekannte antwortet: „ U n d Vergessen und Lieder, und Macht — eingebildete Macht, aber gerade darum um so stärkere . . " (S. 193). Und nun führt Strindberg eine höchst charakteristische Szene v o r : „ D i e Dame kommt (in tiefer Trauer, von rechts; ihr Schatten rückt allmählich auf den Schatten des Unbekannten zu). D e r Unbekannte (der zuerst seinen Schatten allein betrachtet). Ha! Die Sonne! Sie schafft aus mir ein blutloses Bild, einen Riesen, der 1

Ein Schulfreund wurde seinetwegen ungerechterweise bestraft. Er begegnet ihm wieder in Gestalt des

Arnes „Wehrwolf", des früheren Mannes der Dame, der selbst wieder einen Irren namens Cäsar hält, der identisch ist mit dem Unbekannten. Man sieht, alle Gestalten sind einander schuldverkettet.

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auf dem Wasser des Flusses geht, den Berg hinaufklettert, über das Dach der Klosterkirche steigt und — jetzt geht er in den Weltraum hinaus — zu den Sternen — ha, jetzt bin ich oben bei den Sternen . . . (Bemerkt den Schatten der Dame). Aber wer verfolgt mich, wer stört meine Himmelfahrt, und sucht auf meine Schultern zu steigen? — D u ! " (S. 193). Hier liegt der innerste Grund von Strindbergs Frauenhaß: Die Frau bedroht seine idealistisch „blutlosen" Ichträume, sie wird zum Prinzip des „Fleisches", das den „Geist" in seiner Himmelfahrt zu hemmen sucht, ein von Strindberg hundertmal formulierter Satz. Und doch ist es nur die Unfähigkeit und infantilistische Angst, sich hinzugeben, das D u und ganz und gar Andere anzuerkennen: „Warum ich die Frauen haßte? Vielleicht bin ich eifersüchtig auf meine Persönlichkeit gewesen — habe gefürchtet, unter Einfluß zu kommen" (S. 206). Und in der gleichen Szene enthüllt sich auch der Grund dieser Unfähigkeit: Strindberg wollte immer zurück, zurück zum bergenden Urgrund, zur Mutter, wie ja der ganze gespenstische Kreislauf des Dramas ein Kreislauf der stets wiederkehrenden Vergangenheit ist: „Als ich ganz hilflos war und das Ende nahe glaubte, wuchs eine Sehnsucht, auf dem Knie einer Mutter einzuschlafen, an einem Riesenbusen, wo ich meinen müden Kopf begraben und die Zärtlichkeit trinken konnte, die ich entbehrte" (S. 208). Dieser sentimentale Infantilismus hindert ihn, die Geliebte zu finden, in die er nachträglich immer wieder die Mutter hineinprojiziert: Auf dem Wege zum Kloster enthüllt sich die Dame offen als seine Mutter: „(Sie verwandelt sich während dieser Szene so, daß ihre Tracht fallt und sie als ein weißgekleidetes Weib mit aufgelöstem Haar und einem üppigen, mütterlichen Busen dasteht). Der Unbekannte: Meine Mutter! Die Dame: Ja, Kind, deine M u t t e r ! . . . Auf meinen Knieen wiege ich Dich zur Ruhe. Der Unbekannte weint, daß er am ganzen Körper schlottert und folgt ihr" (S. 229). Es entspinnt sich von hier aus ein Kampf zwischen dem geistigen Prinzip der Höhe, des „Steinharten, Kalten, Weißen", das der Konfessor und der Versucher repräsentieren, und dem mütterlichen Prinzip der Erde und des „NiedrigWarmen". Der Unbekannte entscheidet sich für die Mutter und will darauf sogar eine neue Ehe mit der Dame gründen: „Und ich (gehe) hinab zur Erde, zur Mutter mit dem weichen Busen und dem warmen Schoß" (S. 235). Die Ehe scheitert notwendigerweise abermals, denn abermals hat Strindberg ein Wunschbild in die Geliebte hineinprojeziert: „Ich will Leben in dich lieben, ich will dich dichten, und jetzt wird das Glück zu uns kommen" (S. 236), singt der Dichter in ehrlicher Emphase. Aber gerade hier verläßt ihn das Glück: „Jetzt hast du mich aufgesaugt, mich gefressen, mein Ich, meine Persönlichkeit getötet", sagt er drei Seiten weiter und beklagt sich, daß sie sich über seine Gedichte langweilt. Und wie er seine eigene Persönlichkeit „retten" wollte vor ihr, so projiziert er sogar noch dies sein eigenes Manöver in sie hinein, wirft ihr sein eigenes Laster Emricb, Paulus

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PAULUS IM DRAMA DES 19. UND 20. JAHRHUNDERTS

vor: „Sie entwickelte ein wirkliches Genie im Aufspüren dessen, was ich verabscheute. Das nannte sie „ihre Persönlichkeit retten" (S. 243). Das Ideal der „freien Persönlichkeit" ist damit an einem Äußersten angelangt: „ W i r sind zwei Wassertropfen, die einander zu nahe zu kommen fürchten, um nicht aufzuhören, zwei zu sein und eins zu werden" (S. 240). Und konsequent schlägt dieses Ideal in sein Gegenteil um, in die resignierte Selbstaufgabe, in die Sehnsucht nach dem Kloster, nach Ruhe und ewigem Frieden. Von Hingabe und Liebe kann bei diesem letzten Akt natürlich keine Rede sein. Denn es ist in der Tat nichts anderes als die radikale Sucht nach Selbstvernichtung, verbunden mit einer zynischen Absage an das Denken, an jede Strenge und Entschiedenheit des Geistes, der sich um Objekte bemüht. Der Prior führt dem Unbekannten in einer Gemäldegalerie die Doppelgesichtigkeit jedes großen Mannes der Geschichte vor, und zieht daraus den Schluß, sich für nichts zu entscheiden und alles auf sich selbst beruhen zu lassen: „ W i r haben hier keine Ansichten: wir haben den Glauben, wie ich schon gesagt habe . . Also: sei nicht mehr exklusiv! Sag nicht: entweder — oder, sondern: sowohl — als auch! Mit einem Wort oder zweien: Humanität oder Resignation" (S. 266)... „Den Sinn des Lebens kann niemand wissen,... er wollte wissen, konnte aber nicht! Und darum g 1 aub t er jetzt!'' Das im tiefsten Zynische und Gewaltsame solcher Resignation erscheint am drastischsten in der Schlußszene, in welcher der Unbekannte mit lebendigem Leib in das Bahrtuch gelegt und beerdigt wird, während der Konfessor und der Chor ausrufen: „Herr, gib ihm die ewige Ruhe! Und das ewige Licht leuchte ihm! E r ruhe in Frieden. A m e n ! " (S. 269). Der Trotz ist zur Ruhe gekommen und der Machtwille mit Gewalt gebrochen. Aber eine Umkehr und Aussicht auf ein Neues fand nicht statt. Das Symbol von Damaskus ist das Vernichtungssymbol für den Individualismus, für die freie Persönlichkeit und das freie Denken. Aber noch fehlen die Zeichen für eine A u f erstehung, für eine gegründete Ordnung, in der die Fieberträume der Innerlichkeit und der Machtsucht zur Ruhe, und das Denken in eine konsequente objektbezogene Aktion gesetzt werden könnte.

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QUELLEN I. M I T T E L A L T E R i. Paulusdramen „Conversio beati Pauli apostoli", liturgisches Drama aus dem 13. Jahrhundert, Hs. aus Fleury, jetzt in der Bibl. Orléans. Edition: E. de Coussemaker: „Drames liturgiques du moyen-age, Rennes 1860. S. 210 ff. „La convercion S. Pol", französisches Mysterium des 15. Jh. aus einem Zyklus: 1. Le Martire S. Estienne. 2. La convercion S. Pol. 3. La convercion S. Denis. 4. Le Martire S. Père et Pol en Romme. Hs. in der Bibl. Sainte-Geneviève. Edition: Achille Jubinal: Mystères inédits du quinzième siècle, Paris 1837, Bd. 1. In allen 4 Stücken tritt Paulus auf. Abhängig von Nr. 4 ist ein französ. Mysterium von Petrus und Paulus, ed. von Hugo Andresen in Zeitschr. f. roman. Philologie, Bd. 26 (1902), S. 76—100. „Istoria Petri et Pauli", provenzalisches Mysterium des 15. Jahrhunderts, Hs. in der Bibl. nationale Paris, Edition: Paul Guillaume: Istoria Petri et Pauli, Mystère en langue provençale du X V e siècle, Paris 1887. „Mistere de monseigneur sainct Pierre et sainct Paul, par personnages contenant plusieurs aultres vies, martires et conversions de sainctz . . . et est ledit mistere a 100 personnages. Paris veuve feu Jehan Trepperel et Jehan Jehannot", in 40 goth. von 130 Seiten. Druckjahr unbekannt, zwischen 1510 und 1550 (zit. Petit de Julleville: „Les Mystères", Paris 1880, Bd. II, S. 548 f.). Das Drama war mir nicht zugänglich. „The Conversion of St. Paul", zweites Spiel aus den Digby-Plays (spätes 15. Jahrhundert). Edition: F. J. Furnivall in: New Shakespeare Society Series 7 London 1882, und in: Early English Text Society Extra Series 70, London 1896. Arnoul und Simon Greban: „Mystères des Actes des Apôtres, entstanden von 1450—1500, Hs. des Simonschen Teiles aus 1528/9, Drucke von 1537 (Paris), 1540 (Paris), 1541 (Paris). Druck von 1537: „Triumphant Mystere des Actes des Apostres . . . Paris 1537" ist in der Univ.-Bibl. Göttingen. Eine szenische Angabe über Requisiten etc. der Aufführung von 1536 in Bourges ediert A. de Girardot: Mystère des Actes des Apôtres représentée à Bourges en Avril 1536, Paris 1854. 2. Verlorene Paulusdramen „ L a devotione de sancto Paulo", 1376 in Monaci aufgeführt laut einer Ratsrechnung von dort: Libro di spese del 1376, pag. 3. (zit. Al. d'Ancona: Origini del teatro italiano, Turin 1891 2 , Bd. 1. S. 207/8, Anm. 3). Ein Spiel vom Martyrium des Petrus und Paulus 1417 durch „jocatores" in Rom auf dem Scherbenberg aufgeführt (zit.: W. Creizenach: Gesch. des neueren Dramas, I, S. 379). 9'

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„Saint Pierre et saint Paul", ein Mysterium, 1451 in Compiègne aufgeführt. (Archivquellen bei P. de Julleville: Les Mystères, Paris 1880, II, S. 21.) Reverini, Francesco: „ L a conversione di Paolo", 1480 in Rom aufgeführt (geistliches Singspiel), (zit.: Böhme, F. M.: Geschichte des Oratoriums, Gütersloh 1878 2 , S. 8. 18). Maestro Melchiorre Giovannantonio: „Misten di S. Paolo, Aquila 1 5 1 7 " . Der Druck ist verloren gegangen (an keiner deutschen und ital. Bibl.). Mimisches Mysterium von S. Paul, 1546 in Béthune aufgeführt (zit.: P. de Julleville: Les Mystères, Paris 1880, Bd. II, S. 212). Monet: Verfasser eines zweitägigen Dramas über die Taten der Apostel, 1546 in Genf aufgeführt laut den Briefen Calvins vom 3. und 4. Juli 1546 an Farel, gedr. von Rud. Schwarz : Joh. Calvins Lebenswerk in seinen Briefen, Bd. I, Tübingen 1909, S. 246. „II Martirio di S. Paolo" soll nach AI. d'Ancona: Origini del teatro italiano, Turin 1891 2 , II, S. 215, noch heute in Soccavo aufgeführt werden. Es ist jedoch weder in Soccavo noch in einer größeren italienischen Bibl. ein Text davon nachweisbar. „Massacre des Apôtres Pierre et Paul", 1770 zum letzten Mal in St. Maurice (Schweiz, Wallis) aufgeführt. (Tradition der mittelalterlichen Mysterien), (zit. : J . Bertrand: Le théâtre populaire en Valais, in: Schweizer Archiv f. Volkskunde, 2 1 , Heft 1, S. 51. (1931)). An keiner Schweizer Bibliothek. 3. Dramen, in denen Paulus auftritt: „Epitre farcie pour la fête de saint Etienne" aus dem 12. Jahrhundert. Saulus darin erwähnt. Edition: Edelstand du Méril: Origines latines du théâtre moderne. Paris 1840. (Eine halb erzählende, halb dramat. Rezitation.) Ein fragmentarisches Spiel von Mariae Himmelfahrt aus dem Ende des 13. Jahrhunderts, Beginn des 14., ed. von Heym in Z. f. d. A . 52,1 ff., enthielt wahrscheinlich die Figur Pauli. „Mariae Himmelfahrt", zweitägiges Mysterium von 1391. Hs. aus Innsbruck, Edition: Fr. Jos. Mone : Altteutsche Schauspiele, Quedlinburg-Leipzig 1884, Bd.i, S. 21 ff. (Bibl. der gesamten deutschen Nat.-Literatur, Bd. 21). „L'assumption de la glorieuse Vierge Maria", 15. Jh. (zit. P. de Julleville, a. a. O. II. S.480 ff.) (War mir nicht zugänglich, da es kein Exemplar in Deutschland gibt.) „ D e sevenste Bliscap van onser vrouwen", 1446/7 entstanden, 1559 und 1560 in Brüssel aufgef. Hs. in der Kgl. Bibl. Brüssel. Edition: G. Leendertz: Middelnederlandsche Dramatische Poezie, Leiden 1903, T . 1. S. 329 ff. „Miracle de Saint Sevestre et de l'ampereur Constantin qu'il converti". Edition: G . Paris-Ulysse, R . : Miracles de Notre Dames, in: Société des anciens textes, français, Paris 1878, Bd. III, S. 204 ff.

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Mirakelspiel vom hl. Remy, französ. Spiel, Hs. in der Bibl. de l'Arsenal, 15.Jahrhundert, (zit. : P. de Julleville, a. a. O. II, S. 555.) „Mistere de l'institucion de l'ordre des freres prescheurs", gedr. Paris von Jehan Trepperei, (zit.: P. de Julleville, a. a. O. II. S. 522.). Datum unbekannt (15. Jh.). Gothaisches Spiel von der Verfolgung der Apostel, Fragment einer Hs. aus dem 15. Jahrhundert, einer Botenrolle. Edition: Karl Bartsch: Beiträge zur Quellenkunde der althochdeutschen Lit., 1886, S. 355—58, und Ed. Schröder in Z. f. d. A . 38 (1894) S. 222/4. „Wahrhafftige Beschreibung des jüngsten Gerichtes im Thal Josaphats" Hs. C. im Churer Archiv. 1507 aufgeführt, (zit. K . Reuschel: Die deutschen Weltgerichtsspiele, Leipzig 1906, S. 89). „Comedy vom jüngsten Gericht" 1781 zum letzten Mal in Altenmarkt aufgeführt. (Mysterientradition). Teilweise Edition von Mathias Jäger in: Programm: (50. Jahresfest) des fürsterzbischöflichen Gymnasiums zu Salzburg 1898/9. 4. Verlorene Dramen, in denen Paulus auftrat: Ein franz. Drama aus dem 15. Jahrhundert behandelte die Reise u. Predigt Pauli in Griechenland zusammen mit Mariae Auferstehung. Ein unvollständiges Manuskript war in der Sammlung des M. Soleinne, ging aber verloren (zit. : P. de Julleville, a. a. O. II, S. 472). „Mystère de Saint Pierre", 1452 in Beauvais aufgeführt, (zit.: P. de Julleville, a. a. O. II. S. 22) Freiberger Weltgerichtsspiel von 1516. Nach einer Notiz Mollers: Theatri Freibergensi chronici pars posterior, Freiberg 1653, S. 163, trat darin Paulus auf (S. dazu Z. f. d. A . 2, 244 und K . Reuschel, a. a. O., S. 109). Dortmunder Antichristspiel von 1 5 1 3 . Erhalten nur das Personenverzeichnis: Chronik der Stadt Dortmund, in: Dietrich Westhoff: Chroniken der deutschen Städte, Bd. X X , S. 389 (s. K. Reuschel, a. a. O., S. 89). Ein Bayreuther Mysterium von 1478, erhalten nur eine Ratsrechnung, in der ein Schwert Pauli genannt wird. (s. Archiv f. Geschichte u. Altertumskunde von Oberfranken, Bd. 19, Heft 1, Bayreuth 1893. S. 35. Wahrscheinlich trat Paulus auf in den folgenden Mysterien: „ L e trepassement Nostre Dame" 1448, Eine Handschrift war im 18. Jahrhundert noch in der Biblothèque du roy (Paris), (laut: C. und F . Parfait: Hist. du théâtre française, 15 Bde., Paris 1745 Bd. II, S. 563), ging aber verloren. „Rappresentatione de Sancto Steffano", vor 1452 entstanden, nach einem Brief des Nicodemus da Pontremoli v. J . 1452, den Al. d'Ancona, a. a. O. I. S. 283 zitiert. „Vita e Passione di S. Steffano" von 1463, von Gabotto notiert (s. AI. d'Ancona: a. a. O. I. S. 331. Anm. 1.)

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René Lamier: „Mystère de Sainte Etienne" 1509 im Dorf Le Genêt bei Laval aufgeführt, (zit. : P. de Julleville, a. a. O. II, S. 94). „Mystère de Saint Etienne", 1446 in Orléans aufgeführt nach den dortigen Rechnungsbüchern, (zit.: P. de Julleville, a. a. O. II. S. 18 ff.). 5. Weitere Quellen des Mittelalters (Pauluslegenden,-Viten,-Sequenzen etc.). „Acta apostolorum apocryphae" ed. von R. A. Lipsius und M. Bonnet, 2 Bde. Leipzig 1891 und 1898. Dazu: R. A. Lipsius: Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden, 3 Bde. Braunschweig 1883—90. Hieronymus: „Vita Pauli" ed. in Texte u. Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur. X I V , 1. Leipzig 1896. Eine deutsche Interlinearversion dieser Vita in St. Gallen und München (9. Jh.), (zit.: Steinmeyer-Sievers: Die althochdeutschen Glossen, Bd. 4). „Acta Petri et Pauli auctore Marcello" ed. in: Codex apocryphicus novi testamenti, herausgegeben v. Fabricius, Bd. III, Hamburg 1749. „Vita S. Pauli" von dem Papst Damasus, mit ahd. Glossen in der Prager fürstl. Lobkowitzschen Bibliothek, (zit. : Steinmeyer-Sievers : Die ahd. Glossen, Bd. 4). „Cantilena de conversione Sancti Pauli", ein Gedicht (Sündenklage) um 1150 in elsässischem Dialekt, ed. von Alb. Leitzmann : Kleinere geistliche Gedichte des 12. Jh. Berlin 19292, ferner ed. in Z. f. d. A. 40, 205 ff.; 41, 92 ff. „Rheinauer Paulus", mhd. Gedicht (Sündenklage) um 1110—30, ed. von C. Kraus: Deutsche Gedichte des 12. Jahrhunderts, Halle 1894, S. 7. Deutsches Reimgebet auf Pauli Bekehrung, Münchener Hs. des 14. Jahrhunderts, ed. von Mone: Latein. Hymnen des Mittelalters, Freiburg 1853, Bd. 3, S. 85. „S. Paulus", mhd. Gedicht (Eine Paulusvision), Fragment, ed. von C. Kraus, a. a. O. S. 38 ff. Mittelenglische Version der Paulusvisionen, ed. von. C. Horstmann in: Englische Studien, Bd. I, S. 295 (1877). Provenzalische Version der Paulusvisionen, ed. von Karl Bartsch: Denkmale der provenzal. Literatur, Stuttgart 1856, S. 310. Dänische Version der Paulusvisionen, ed. J. W. Liffmann-Stephens : Herr Irom Lejowiddaren, Stockholm 1849, S. X X X I I ff. Notker III (Labeo) : Prolog zu seiner Ubersetzung von Boetius: „ D e consolatione philosophicae" enthält Prophezeiungen des Ap. Paulus auf die Zukunft des röm. Reiches, ed. in Hattemers Denkmahle 3,531 ff, ferner Z. f. d. Ph. 13,305 ff., 461 ff., Z. f. d. A. 17, 449 ff.

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Eckehard I: „ D e sanctissimo Paulo apostolo ac gentium doctore in comraemorationem e jusdem sequentia", ed. K.Bartsch: Die Iatein. Sequenzen des Mittelalters, Rostock 1868. Notker Balbulus: „Petre summe Christi pastor et Paule gentium doctor" (Sequenz) ed. K. Bartsch, a. a. O. S. 14. II. HUMANISMUS DES A U S G E H E N D E N 15. U N D B E G I N N E N D E N 16. J A H R H U N D E R T S Paulus-Epos in latein. Hexametern von P. Rosettus: „ P . Rosseti Poetae Laureati, PAULUS, Venudat Badio, Cum priuilegio in trieniu, Paris 1522" Exempl. Pr. Staatsbibl. Berlin. Eine zweite Ausgabe von 1537 ist in Bibl. Nationale Paris. Marcus Jordan es schrieb eine Poetisierung von Pauli Reisen 1512, die in keiner deutschen Bibl. mehr nachweisbar ist. (zit. W. Stammler: Von der Mystik zum Barock, Stuttgart 1927, S. 132). Joachim Camerius dichtet einen griech. Briefwechsel zwischen Paulus u. den Ältesten von Ephesus im Stil von Eobanus Hessus' Heroidenbriefen. (zit. W. Stammler: a. a. O. S. 127). III. R E F O R M A T I O N S Z E I T A L T E R 1. Paulusdramen Valentin Boltz: „Tragicocomödia Sant Pauls bekerung", Basel 1546 aufgef., Basel 1551 gedruckt, Ex. Münchener Staatsbibl., ein defektes Ex. Universitätsbibl. Basel. Johannes Struthius: „Die Bekerung S. Pauli" Drama, gedruckt Nürnberg 1572. Exempl. German. Nationalmuseum (Bibl.) Nürnberg. Johann Brummer: „Tragicomoedia Actapostolica, Das ist: Die Historie der heiligen Aposteln Geschieht. . 1592 in Kaufbeuren aufgeführt, 1593 zu Laugingen gedruckt. Ex. Staatsbibliothek München. „Martyrium Apostolorum", Hs. vom Jahre 1585 in der Bürgerbibl. Luzern, Bruchstück, Bearbeitung von Jac. Wilh. Ritzius aus einem Apostelspiel aus Beromünster vom Jahre 1560, Erweiterungen der Hs. bei einer Aufführung von 1599. S.Oskar Eberle:Theatergesch.d. inneren Schweiz, Königsberg 1924. S. 5,26f., 184. Willem van Haecht: Zyklus von 5 Dramen, die die Apostelgeschichte behandeln. Hs. in der Kgl. Bibl. Brüssel. 1563—1564 in Antwerpen aufgeführt. Nur als Fragment erhalten, teilweise ed. in Belgisch Museum 10, 322 ff.

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2. Verlorene Paulusdramen: Hans von Rüte: „Paulus", Drama 1532 (Schweiz). Jahreszahl laut Auskunftsbureau Berlin, zit. Hallenser Neudrucke, Bd. 75, S. X X I X . Andreas Diether: „Conversio Pauli. Comoedia. Basilieae 1 5 5 3 " laut Auskunftsbureau im Britischen Museum, doch ist das Drama auch dort nicht vorhanden. „Ein new Euangelisch Comedia von der bekherung Paulj", genannt in einem Verzeichnis: „Teutsche Comoedien und Tragoedien", Hs. Nr. 10082 der Nationalbibl. Wien. Zit. Z. f. d. A. 32, S. 10. 3. Dramen, in denen Paulus auftritt: „ D e r new Deutsch Bileams Esel" 1522—4, Exempl. Süddeutsche Landesbibl. Stuttgart. „Kögelspil, gebracttiziert auß dem yeczigen zwytracht des glaubens" 1522 (Elsaß), Paulus wird nur allegorisch als „dreyer" im Kegelspiel genannt, tritt nicht auf. Ex. Staatsbibl. Berlin u. Univ.-Bibl. Göttingen. „Das Jungst Gericht" Kolmarer Spiel aus den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts. (zit. K . Reuschel: „Deutsche Weltgerichtsspiele des Mittelalters u. der Reformation", Leipzig 1906). Niklas Manuel: „Vom Pabst und seiner Priesterschaft oder die Totenfresser", Bern 1522, ed. von J.Bächtold-Ferd. Vetter in: Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz, Bd. II. Frauenfeld 1878. Thomas Naogeorg: „Pammachius", lat. Urtext 1538, ed. von Joh. Bolte-Erich Schmidt in: Latein. Literatur-Denkmäler des 15. und 16. Jahrhunderts, Bd. 3. Eine deutsche Ubersetzung von Justus Menius vom Jahre 1539 ed. Froning: Das Drama der Reformationszeit, in: „Kürschners deutsche Nat.-Lit." Bd. 22. Thomas Naogeorg: „Mercator sive Judicum", lat. 1539, dann Hamburg 1540 ff. Deutsche Ausgabe 1541 Straubingen (Ex. Universitäts-Bibl. Königsberg). Liborius Hoppe: Lüneburger Propheten- und Apostelspiel, ein geistliches Spiel auf das Interim v. J . 1548, in einer Sammelhandschrift der Stadtbibl. Lüneburg, teilweise ediert von K. Borchling in: Jahrbücher des Vereins f. niederdeutsche Sprachforschung, Norden u. Leipzig, Bd. X X I I I (1897), S. 120—4. Johannes Schuward: „Hausstaffel" 1565 Eisleben, Ex. Staatsbibl. Berlin. Abhängig von Schuward ist Georg Mauritius: „Comoedia Von allerley Ständen" Leipzig 1606, Exempl. Staatsbibl. Berlin; Eine Ausgabe von 1610 (Nürnberg) ist noch nicht gefunden. Martin Hayneccius: „Almansor" 1578/9, ed. v. Otto Haupt in: Neudrucke pädagogischer Schriften hrsg. v. Alb. Richter, Bd. V , Leipzig 1891. Deutsche Eigenübersetzung von Hayneccius: „Almansor, Der Kinder Schuelspiegel", in:

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„ D r e y newe, schöne und Lustige Comoedien, 1582", und: „Schulteuffel, Leipzig 1603". Zur Bibliographie s. Hallenser Neudrucke, Bd. 36, S. III. M. Hayneccius : „Hansoframea sive Momoscopus, Leipzig 1 5 8 1 " , deutsche Ausgabe von 1582: „Hans Pfriem oder Meister Kecks" ed. von Theod. Raehse in: Hallenser Neudrucke deutscher Literaturwerke des 16. u. 17. Jahrhunderts, Bd. 36, 1882. Alexius Bresnicerus : „Comoedia vom geystlichen kampff / Christlicher Ritterschaft" Freiberg 1553, Ex. Berliner Staatsbibl. Abhängig von Bresnicer laut H. Holstein: „ D i e Reformation im Spiegelbild der dramt. Lit." Halle 1886, S. 164. Johannes Heros: „ D e r irdische Pilger" Tragödie Nürnberg 1562. War mir nicht zugänglich. Henry de Barran: „L'homme justifié par f o i " 1554. Moralität (zit.: P. de Julleville: Répertoire du théâtre comique au moyen-age, Paris 1886, S. 69). War mir nicht zugänglich. Friedrich Dedekind: „ D e r christliche Ritter", Ulzen 1576, Lüneburg 1590, 1604 (Braunschweig) übersetzt und bearbeitet von Bechmann. Braunschweig 1604. Friedrich Dedekind : „Papista conversus" 1596, Moralität. Die beiden Dramen von Dedekind wurden aufgenommen in die beiden letzten Stücke einer Trilogie : „ D r ü geistlich Spyl oder Comedien / Das erst / Peccator conversus . . / Das Ander / Miles christianus . . . / Das Dritte / Martyr Christianus . . . " Hs. A 67 der Bongarsischen Handschriften in Bern. Zacharias Bletz: Weltgerichtsspiel, zweiter Tag des Luzerner Spiels von 1549. Teilweise ed. von R . Brandstetter: Die Technik der Luzerner Heiligenspiele II. in: Herrigs Archiv f. neuere Sprachen. Bd. 75, Braunschweig 1886, S. 383 ff. Hans Sachs: „Tragedia mit 34 personen, des jüngsten Gerichtes, auß der schrifft uberal zu sammen gezogen, und hat 7 actus" 1558, ed. A . Keller, Große Hans Sachs-Ausgabe, Bd. 1 1 in : Bibl. des Liter.Vereins Stuttgart, Bd. 136,Tübingen 1878, S. 400 ff. Alexander Seitz: „Ein Tragedi / Das ist / ein Spile . . . Und ist Vom großen Abentmal und den zehen Junckfrawe / . . " Straßburg 1540. Ex. Stadt- u. Univ.Bibl. Königsberg, dazu Z. f. d. A . 26, S. 72. Wolfgang Schmeltzl: „Aussendung der / zwelffpoten und die frag des Reichen jünglings / von wegen des / gesatz / sampt dem jüngsten Gericht" Wien 1542, Ex. Wiener Nat.-Bibl. Bartholomäus Krüger: „Eine schöne und lustige / newe Action / Von dem Anfang und Ende der Welt / darin die gantze Histori unseres Herrn und Heylandes Jhesu Christi begriffen" 1580, Neudruck: Julius Tittmann: Schauspiele des 16. Jahrhunderts, Teil II, Leipzig 1868.

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Nikodemus Frischlin: „Phasma", Tragödie, 1592 erschienen, seit 1595 der Gesamtausgabe von Frischlins Komödien angehängt. Abhängig von Frischlins „Phasma" ist die Komödie: „Eine anmuthige Comödie von der wahren, alten Catholischen und Apostolischen Kirchen. Romanopoli i67i".(Exempl. Staatsbibl. Berlin). Der katholische Titel führt irre, Druckort fiktiv. Sebastian Wild: „Versteynigung Stephani, Augspurg 1566", als zweites Stück in Wilds: „Schöne Comedien und Tragedien zwölff: Auß heiliger göttlicher schrifft und auch auß etlichen Historien gezogen" Augsburg 1566, Ex. Staatsbibl. Berlin. Zacharias Zahn: „Tragoedia lapidati Stephani" Mühlhausen 1589. Ex. Staatsbibl. Berlin. Melchior Neukirch: Stephanus, Eine schöne geistliche Tragedia", Braunschweig 1591, Magdeburg 1592, Nürnberg 1592, Exempl. Stadtbibl. Magdeburg. 4. Verlorene Dramen in denen Paulus auftrat: Englisches Reformationsspiel vom Jahre 1528, in Greenwich vor Heinrich VIII. gespielt, (zit.: Hugo Holstein: Die Reformation im Spiegelbild der dramat. Literatur des 16. Jahrhunderts, Halle 1886, S. 198). IV. SPÄTHUMANISMUS: AUSGEHENDES 16. U N D BEGINNENDES 17. J A H R H U N D E R T 1. Paulusdramen Cornelius Schonaeus: „Saulus", Köln 1591, in: „Terentius christianus, seu Comoediae sacrae sex . . . Köln 1591" (ebenfalls von Schonaeus); weitere Ausgaben des „Terentius christianus" Köln 1592, Harlem 1592 und 1594, Köln 1596, Gravenburg 1600, Köln 1600, zusammen mit 2 weiteren Teilen Amsterdam 1629, Frankfurt a. M. 1672, 1691. Balthasar Crusius: „Paulus naufragus. Tragödia, Altenburg 1609", Exempl. Univ.-Bibl. Marburg. 2. Paulusepen Achatius Curaeus: „Historia Conversi Pauli Carmine reddita, Regiomonti 1562" (Danziger Gymnasium). Exempl. Univ.-Bibl. Königsberg. Caspar Reppusius: „Conversio D. Pauli Apostoli Carmine conscripta", Straßburg 1581, Ex. Staatsbibl. Berlin.

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139 V. B A R O C K U N D 18. J A H R H U N D E R T : 1. Paulusdramen:

„Die teutsche Comoedi Von dem H. Apostel Fürsten Paulo" Perioche, Ingolstadt 1631 (Jesuitendrama), Ex. Staatsbibl. München. Josse van Vondel: „Peter en Pauwels" Amsterdam 1641, Neudruck in der großen Vondelausgabe: De Werken van Vondel, herausgegeben v. J. van Lennep. 4. Teil, Amsterdam 1858. Eine deutsche Ubersetzung des Dramas von L. v. Helmstede in: Katholische Unterhaltungsbibliothek. 2. Serie, Bd. 2, Aachen 1873. J. Villemot: La conversion de S. Paul ou: la Grâce triomphante. Tragi-Comédie dédiée à messire Jacques de Neuchezes évèque de Chalon. in-8°. Claude la Rivière, avec permission 1655". Exempl. Britisches Museum, war mir nicht zugänglich. „Petrus Vnd Paulus Das ist: Ein Christliches Schawspil vom Leben / Wandel / Marter vnd Todt Zweyer Fürsten deß rechten vnd wahren Glaubens" Perioche, Augsburg 1659 (Jesuitendrama), Exempl. Staatsbibl. München. „Petrus et Paulus. Tragoedia a Perillustri . . . Juventute . . . Gymnasii S. J . Coloniae, Acta Ludis Autumnalibus 1736. 26. et 27. Septembris. Coloniae, typis Nicol. Theod. Hilden. 1736, 4 ff." Perioche in lat. und deutscher Sprache (Jesuitendrama). Musik stammt von Ign. Liechtenauer, Kapellmeister zu Osnabrück. Text der Arien ist handschriftlich beigefügt, Ex. in der H. und St.Bibl. Köln. Nach einer hs. Notiz heißt der Verfasser Hilger. Rötgen. Abhängig von diesem Kölner Spiel ist das Trierer Jesuitendrama: „S. S. Petrus et Paulus", Perioche in deutscher und lat. Sprache, Trier 1754, Ex. Stadtbibl. Trier, Arientext erhalten. Verfasser im Widmungslied als Joannes Philipp bezeichnet. Guiseppe Bonno komp. : „S. Paolo in Atene" ital. Oratorium, Text von Pasquini, Hs. aus Wien 1740, in der Nationalbibl. Wien. „Saulus Christi fidem amplectens exhibebitur ab infimae classis grammatices studiosis in Gymnasio Societatis Jesu Ipris X X I X . Julii MDCCXLIII. Ipris apud Petrum Jacobum de Rave" Perioche 1743 Ypern, Exemplar in der Uni versi tätsBibl. Gent. Franz Xaver Scherer: „S. Paulus exemplum verae conversionis", München 1772 (Jesuitendrama, vollständiger Text, Exemplar Staatsbibl. München.). 2. Verlorene Paulusdramen: von „S. Paulus Apostolus", Jesuitendrama Dillingen 1559, De BackerSommervogel. Bibliotheque de la Compagnie de Jésus. 10 Bde., Brüssel 1890 ff., unter Dillingen.

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J . Gretser: „ D e conversione pauli" 1592 in Ingolstadt und Regensburg aufgeführt. Verzeichnet von Gretser in seinem Dramenverzeichnis des Msc. 229 der Kreis- und Studienbibl. Dillingen. „Saulus in Paulum conversus" am 23. Okt. 1600 aufgef. im Jesuitenkolleg Kommotau (Böhmen), zit.: De Backer-Sommervogel, a. a. O. unter Kommotau. („Divi Paulini Comoedia" aufgef. Glaz 1609 (Jesuitendrama, behandelte wahrscheinlich nicht Paulus, sondern den hl. Paulinus von Nola)). „Petrus et Paulus, Festdrama, 1 6 1 2 im Jesuitenkolleg Bamberg aufgeführt, zit.: Bernh. Duhr: „Gesch. der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, Bd. II, Freiburg i. Br. 1909, S. 676, Anm. 2. „ S . Paulus Apostolus" 3. Juni 1619 in Saint-Omer aufgef. (Jesuitendrama), zit.: De Backer-Sommervogel, a. a. O. „ D e r Apostel Paulus", Jesuitendrama, Luzern 1649 dem Markt aufgef., zit.: Oskar Eberle: Theatergesch. der inneren Schweiz, Königsberg 1929, S. 277. „Unitas in Triade Uni Trino, et inter se unita, in Sanctis Pauli, Joanne et Jacobo Crucifico Scenica adumbrata . . " Jesuitendrama 1706 gedr. Breslau, zit.: De Backer-Sommervogel, a. a. O. (behandelt wahrscheinlich aber die 3 heiligen Jünglinge Paulus, Joh. u. Jacobus). „Sergius Paulus exhibebitur a Mediae Classis Grammatices Studiosis in G y m nasio Societatis Jesu Mechliniae die 26. Junii 1 7 1 5 . Antverpiae, apud Viduam Petri Jacobs", Jesuitendrama aus Mecheln (Malines), zit.: De Backer-Sommervogel unter Malines (behandelt die biblische Szene zwischen Paulus und Sergius Paulus). „Saulus door de genaede gods geworden Paulus een uchtverkoren vat des Heere, opgedraegen voor een nieuw Jaer-Gifte aen alle Christi geloovige door een Priester der Societeyt Jesu tot Antwerpen 1 7 2 1 . T'Antwerpen By Jacobus van Gaesbeeck woorende op d'ouche Korren-Merkt in den Akkerman" Jesuitendrama, Antwerpen 1 7 2 1 , zit.: De Backer-Sommervogel, a. a. O. „Paulus in Areopago disputans", eine Theaterdarstellung der Piaristen zu Horn bei einer Öffnungszeremonie des Heiligen Grabes, Ostern 1722 und 1739 in Horn aufgef. laut Annalen E. 13 zu Horn. „Paulus fugiens in Scenam dabitur a Mediae Classis Grammatices Studiosis in Gymnasio Societatis Jesu Trajecti ad Mosam die 22. Junii 1727. Typis Joannis van Gulpen in platea vulgo de Munt." Jesuitendrama aus Maestricht, Verfasser heißt Jean Stiltingh. zit.: D e Backer-Sommervogel, a. a. O. J . E. Eberlin, komp.: „Paulus oder das Heil in der Flucht", Oratorium in lat. und deutscher Sprache, Verfasser unbekannt, aufgef. im Salzburger Akademietheater am 1 1 . Juni 1745. zit.: Artur Kutscher: Das Salzburger Barocktheater, 1924, S. 124.

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„Punita Saulis posteritas tragoedia" Jesuitendrama, 1754 in Mecheln aufgef. Behandelt vielleicht statt Paulus den alttestamentl. König Saul. „Paulus Thebanus in desertum fugiens, pro theatro exhibitus in collegio . . Jesuitendrama aus Hradisch (Böhmen) vom Jahre 1755. 3. Dramen, in denen Paulus auftritt: „ D e S. Stephano", Hs. im Staatsarchiv Koblenz. Jahreszahl unbekannt. Jacob Bidermann: „Cenodoxus", Neudruck der deutschen Ausgabe von 1635 von Willi Flemming in: Deutsche Literatur. Reihe Barock, Bd. 2. Das Ordensdrama, Leipzig 1930. Schon 1602 im Münchener Jesuitengymnasium aufgef. Als Perioche daselbst gedruckt 1609 (Ex. Staatsbibl. München). „ S . Petrus Triumphans Simonem Magum et Caesarem Neronem Tragi-Comoedia", Dillingen 1629. Als Perioche in der Staatsbibl. München. Avancini: „Pietas victrix sive: Flavius Constantinus magnus de Maxentio T y ranno victor" ed. von W . Flemming in: Deutsche Literatur, Reihe Barock, Bd. II. Das Ordensdrama, Leipzig 1930, S. 184 ff. „Tyrannus sibi ipsi Tyrannus oder Wider sich selbst wüttende Tobsucht / In Nerone Dem Römischen Wütterich Durch ein Treuer-Spiel Auff öffentlicher Schau-Bühne vorgestellet",vollständiger Text als latein. Handschrift u. gedruckte Perioche von 1721 (gedr. Amberg) in Staatsbibl. München. J . Schmidhueber comp.: „Petrus apostolus, Romae moriens, vita urbis et Orbis" Tragödie, Freisingen 1747 mit Arien. Text vollständig erhalten, Benediktinerdrama. Exempl. Staatsbibl. München. 4. Verlorene Dramen, in denen Paulus auftritt: „Spiel von Samen" 1608, laut chronikalischer Notiz aus dem Staatsarchiv Obwalden (Schweiz). 5. Dramen, in denen Paulus symbolisch hinter anderen Stoffen steht, ohne selbst aufzutreten: „Victoria Crucis sive Neanias S. Crucis virtute triumphans, a Diocletiano Imperatore supremus per Syriam armorum Praeses declaratus, persecutione Saulus, conversione Paulus, Crucis victoria Constantini prodromus." Jes.-Drama Paderborn 1672, Hs. als Msc. 83 fol. 1 in der Provinzialbibl. Münster. „Neaenias Procopius, novus Saulus et Paulus, victima pro fide Catholica — Ein neuer Saulus und Paulus, gestorben für den katholischen Glauben" JesuitenPerioche Regensburg 1669, nicht erhalten, zit.: De Backer-Sommervogel, a. a. 0 . unter Regensburg.

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„Novus e Saulo Paulus daß ist Neaeniae eines Antiochensischen Jünglings Bekehrung" 4. u. 6. Sept. 1674 in Jesuitenkolleg Eichstädt aufgef., gedr. 1674 in Ingolstadt, verloren, zit.: De Backer-Sommervogel, a. a. O. „Novus Saulo Paulus Seu Mulaeus Mahometes Regius Fessae'et Marocci Princeps é Persecutore Crucifixi Ejusdem Cultor, Imitator, Socius . . . Den 4. und 6. Herbstmonats 1724". Perioche und Handschrift des ganzen Textes in der Bibl. Freiburg in der Schweiz. 6. Weitere Bearbeitungen des Paulusstoffes im Barock: Andreas Gryphius: „Am tage der bekehrung Pauli", Sonett, ed. in Neudrucke deutscher Literaturwerke, Halle 1883, Nr. 37/8: Andreas Gryphius: Sonnund Feiertags-Sonette, Abt. II. Festags Sonette Nr. 8. Ebendort als Nr. 18 das Sonett: „Am tage Petri undt Pauli" von Gryphius. Heinrich Schütz schrieb eine „Symphonia Sacra" über den Text: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?", ed. in „Symphoniae sacrae", Bd. 1 1 , von Phil. Spitta in den Ges. Werken von H. Schütz, III. Teil, 2. Abtheilung, Nr. VIII, S. 59, Leipzig 1891. Georgius Laetus: „Pauli Apostoli Peregrinatio, Lugduni 1639" Predigt. Jacob Stolterfoth: „Die gefahrliche Schiffarth S. Pauli", Lübeck 1638. Predigt. (Das Salzburger Schulfestspiel: „Paulus a Jove et Apolline in Deum iure elevatus" (lat. Hs. von 1739 in Studienbibl. Salzburg) hat nicht Paulus zum Gegenstand). VI. 19. U N D 20. J A H R H U N D E R T 1. Paulusdramen: Wilhelm Angelstern: „Paulus, Eine Tragödie", Bielefeld 1836. Ex. Staatsbibl. Berlin. Siegmund Wiese: „Paulus, ein Drama", in: „Drei Dramen", Leipzig 1836. Ex. Staatsbibl. Berlin. Siegmund Wiese: „Der Apostel Paulus", in: „Zwei geistliche Dramen", Berlin 1851. Exempl. Süddeutsche Landesbibl. Stuttgart. Wilhelm Nagel: „Paulus, Tragödie", 1837, Ex. Staatsbibl. Berlin, merkwürdigerweise nicht verleihbar. Paul Cassel: „Aus Damaskus, Dramatische Szenen in zwei Akten", Berlin 1892. J. Lehmann: „Paulus, Bilder aus dem Leben des Apostels. Ein kirchliches Festspiel". Deuben bei Dresden 1894. Guido Wächter: Paulus in Ephesus, ein biblisches Drama, in: Sammlung christlicher Fest- und Schauspiele, Heft 5, 1898, Amberg i. Erzgeb. Ex. Landesbibl. Dresden.

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E. Spork: „Saulus und die ersten Christen, Bibl. Schauspiel in 4 Akten und 4 Bildern. Graz 1900, in: Vereinsbühne, Sammlung von Theaterstücken für katholische Vereine, herausgegeben aus dem Theaterarchiv des Grazer Gesellenvereins, Bd. II, Graz 1900. Ex. Univ.-Bibl. Graz. Gebh. Treß: „Des Saulus Bekehrung. Biblisches Schauspiel in 5 Aufzügen, Kempten 1900, in: Kathol. Dilettantenbühne, Heft 133, Kempten 1900. Ex. Staatsbibl. München. M. Bertling: „Paulus, Bilder aus dem Leben des Apostels, zur Darstellung auf der Volksbühne ausgewählt und dargeboten, Gotha 1900, war mir nicht zugänglich. Karl Rörig: „Paulus, ein religiöses Drama", Leipzig 1901. George Moore: „The Apostle" Dublin 1 9 1 1 , London 1923 2 , eine andere Fassung erschien London 1930 unter dem Titel: „The passing of the Essenes". Ex. Staatsbibl. Berlin. R. Falke: „Paulus, Historisches Charakterbild in j Aufzügen", Halle 1904. B. Ponholzer: „Paulus inEphesus, Religiöses Volksschauspiel in 5 Akten", in: Theaterbibl., Bd. 150, Bonn 1916. Paul Weiß: „Paulus, der Jünger des Kreuzes, Eine Aufführung in 4 Bildern", Pforzheim. Klatzsche bei Dresden 1921, war mir nicht zugänglich. German: „Der Paulusjünger", Berlin 1921. Franz Werfel: „Paulus unter den Juden. Dramatische Legende in 6 Bildern", Berlin-Wien-Leipzig 1926. M. G. Webersheim: „Paulus in Ephesus, Schauspiel in 3 Aufzügen für die Jungmännerbühne" Limburg a. d. Lahn, in: Theaterbibliothek Bd. 1 jo, Limburg a. d. Lahn 1927. Exempl. Nass. Landesbibl. Wiesbaden. Ein bibliographisch gut durchgearbeitetes Verzeichnis englischer Paulusdramen (besonders Vereinsbühnendramen) gibt Edw. S. Coleman: „The Bible in English Drame", New York 1931, S. 147 ff. 2. Paulusoratorien: Felix Mendelssohn-Bartholdy: „Paulus" Oratorium, 1836. Erstaufführung in Düsseldorf. Heinrich Eikamp: „Paulus", Oratorium, Berlin 1838. Ex. Staatsbibl. Berlin. Karl Löwe: „Die Apostel von Philippi" Oratorium, Quedlinburg 1844, Text von Ludwig Giesebrecht. Ex. Staatsbibl. Berlin. Mühling:„Paulus" Oratorium 1830, nicht mehr auffindbar, zit.: M.F.Böhme: Gesch. des Oratoriums, S. 1x6. Rieh. Bartmuß: „Die Apostel in Philippi, Eine Missionskantate" Göttingen 1909, Text von P. B. Kindscher. Hermann Kroll: „Saulus. Deklamatorium in 3 Teilen", Kassel 1931.

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144 3. Dramen, in denen Paulus auftritt:

Friedrich Richter: „Nero, Tragödie in drei Akten", Regensburg 1831. Rudolf Bunge: „Nero, Tragödie in 5 Akten", Cöthen 1875, in: „Tragödien", Bd. 1. Cöthen 1875. Karl Weiser: „Nero, Tragödie in 5 Aufzügen", Karlsruhe 18832 (1. Aufl. 1881). Ex. Süddeutsche Landesbibl. Stuttgart. Friedr. v. Hindersinn: „Nero, Schauspiel in 5 Aufzügen", Leipzig 1886. 4. Dramen mit modernen Stoffen, hinter denen symbolisch die Gestalt des Paulus steht: Arne Garborg: „Paulus", Schauspiel in 5 Aufzügen, übersetzt aus dem Norwegischen in: Reclam Nr. 3867, Leipzig 1898, die norwegische Fassung von 1896 trägt den Titel „Lehrer". August Strindberg: „Nach Damaskus", Trilogie, Teil I, 1898, Teil II 1898, Teil III 1901. Deutsche Ubersetzung in der Deutschen Gesamtausgabe von Strindbergs Werken, Abteilung Drama, Bd. 5, München 1923 (Ubersetzung von Emil Schering). Georg Stommel: „Der Weg nach Damaskus. Tragödie aus dem Gegenwartsleben in 4 Aufzügen". Leipzig-Gohlis 1908. Ex. Staatsbibl. Berlin. Rolf Lauckner: „Der Sturz des Apostels Paulus", Berlin 1918, StuttgartBerlin 19293. Ex. Staatsbibl. Berlin. 5. Paulusepen: Carl Gustav Schöll: „Paulus, Epos in 7 Gesängen", Stuttgart 1830, nicht mehr auffindbar. Anonym: „Apostel Paulus, Erster Gesang", in: „Hesperus", Jahrgang 1825, S. 925/7. Ex. Univ.-Bibl. Göttingen (vielleicht 1. Gesang des Epos von Schöll). Karl Schramm: „Paulus, Epos in 6 Gesängen", Sorau und Bunzlau 1842. Heinrich Alexander Seidel: „Paulus, Geistliche Dichtung in 10 Gesängen", Schwerin-Berlin 1845. Ex. Stadtbibl. Frankfurt a. M. Georg Saffenreuter: „Paulus der Weltapostel, Ein Epos in 9 Gesängen", Würzburg 1859. Ex. Staatsbibl. München. Edmund Behringer: „Die Apostel des Herrn, Eine Dichtung", Aschaffenburg 1879. Elisabeth Haase: „Paulus. Ein Lebensbild in gebundener Rede auf rein biblischer Grundlage", Berlin 1908. Martin Greif: „Pauli Bekehrung, Bibl. Dichtung in 6 Gesängen", in dessen: Gesammelte Werke, Bd. 2: Epische Klänge u. Feierstimmen, S. 102 ff. (1909).

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145 6. Paulus in Novelle und Roman:

Victor Rydberg: „Römische Legenden von den Aposteln Paulus und Petrus, aus dem Schwedischen übertragen von Josef Fredbäry", Wismar 1907. Ex. Univ.Bibl. Greifswald. Hans Much: „Zwei Tage vor Damaskus. Drama in erzählender F o r m " , Leipzig 1913. Ex. Univ.-Bibl. Leipzig. Kristine R o y : „Saul von Tarsus. Züge aus dem Leben des Apostels Paulus", Striegau 1928 2 . Theod. van Tischelen: „ V o n Petrus und Paulus und allerlei, in: Was das sonnige Jahr erzählt, Bd. 6", Steyl 1929. Gustav Adolf Müller: „Paulus. Ein Apostelroman", Paderborn 1929. Basil Matthews: „ U m Weltmeisterschaft (Paul the Dauntless). Das Leben eines großen Kämpfers." Ubers, aus dem Engl. 1929. Felix Nabor: „Mysterium crucis, Roman aus der Zeit des Kaisers Nero", 2 Bde., Regensburg 1930 (6. Auflage). ([Wilhelm Bölsche: „Paulus", Roman 1885, behandelt nicht den Apostel Paulus], danach ist W . Kosch: Lit.-Lexikon, Bd. 2. Spalte 1825 zu berichtigen.) Nur als Symbol hinter einem modernen Stoff erscheint Paulus in: K . Christiansen: „Saulus, Ein Kulturgemälde aus dem Gegenwartsleben, R o man", Kassel 1913 (Ex. Landesbibl. Kassel). Rud. Presber: „ D e r T a g vor Damaskus. Humoristische Novellen, Stuttgart 1917/8, 2. A u f l . : Berlin-Leipzig 1924. 7. Paulus-Lyrik: C. F. D . Schubart: „Paulus", Gedicht von 1785, Neudruck in: „ C . F . D . S c h u barts sämtliche Gedichte, von ihm selbst herausgegeben", Stuttgart 1842, S. 272. J . Gottlob Trautschold: „ D e r Apostel Bewährung in Schmach und Ruhm: Paulus mit Barnabas in Lystra", ferner: „ D i e Kraft des reinen Bewußtseins: Paulus mit Silas zu Philipp!*', beide in seinem: „Bibelgenuß in dichterischen Darstellungen aus der heiligen Gemütswelt des Alten und Neuen Testaments", Meißen 1823. Ex. Staatsbibl. Berlin. E. Breyther: „ D i e Bekehrung des Paulus" in dessen: „Cöleste oder Bibel, Natur und Menschenleben in Gesängen", Magdeburg 1828, S. 26. Joh. Ladislaus Pyrker: „Bilder aus dem Leben Jesu und der Apostel", Leipzig 1842. Julius Sturm: „Paulus", Sonett 1850, in dessen: „Gedichte", Leipzig 1850, S. 147. Emrich, Paulus 10

Stoff- und Motivgeschichte der deutschen Literatur Herausgegeben von Paul Merker und Gerhard Lüdtke Bisher erschienen: 1. T r i s t a n und Isolde in der französischen und deutschen Dichtung des Mittelalters und der Neuzeit. Von Wolfgang Golther, o. ö. Professor an der Universität Rostock. Groß-Oktav. VI, 72 Seiten. 1929 . RM. 4.— 2. Die J u n g f r a u von Orleans in der Dichtung. Von Wilhelm Grenzmann. Groß-Oktav. V I I I , 74 Seiten. 1929 RM. 4.— 3. Julianus Apostata in der deutschen Literatur. Von Käte Philip. GroßOktav. IV, 78 Seiten. 1929 RM. 5 — 4. Parzival in der deutschen Dichtung. Von Wolfgang Golther. GroßOktav. VI, 66 Seiten. 1929 RM. 5 — 5. Heidelberg als Stoff und Motiv der deutschen Dichtung. Von Rudolf K . Goldschmidt. Groß-Oktav. VI, 47 Seiten. 1929 RM. 4.— 6. Ahasverus, der ewige J u d e . 73 Seiten. 1930

Von Werner Zirus.

Groß-Oktav. IV, RM. 5.—

7. Judith in der deutschen Dichtung. Von Otto Baltzer. Groß-Oktav. IV, 62 Seiten. 1930 RM. 5.— 8. Napoleon in der deutschen Literatur. Oktav. V I I I , 87 Seiten. 1930

Von Milian Schümann. GroßRM. 5.—

9. Geschichte des Didostoffes in der deutschen Dichtung. Von Eberhard Semrau. Groß-Oktav. V, 95 Seiten. 1930 RM. 5.— 10./11. Das Vater - Sohn - Motiv in der Dichtung. Von Kurt T. Wais. Groß-Oktav. Teil I : Bis 1880. X I V , 69 Seiten. 1930 RM. 5 — Teil I I : Von 1880—1930. V I I I , 89 Seiten. 1931

RM. 5 —

12. Die Gestalt des bildenden Künstlers in der Dichtung. Von Käte Laserstein. Groß-Oktav. IV, 80 Seiten. 1931 RM. 5.— Bibliographie der Stoff- und Motivgeschichte der deutschen Literatur. Von Kurt Bauerhorst. Groß-Oktav. X V , 100 Seiten. 1 9 3 1 . . RM. 8.55 In den einzelnen Untersuchungen dieses Sammelwerkes werden vielbehandette Stoffe auf ihrem Schicksalsgang innerhalb der deutschen Literatur verfolgt. Die behandelten und ausgewerteten Dichtungsinhalte sollen als Exponenten der jeweiligen Kulturstimmung und Stilrichtung erscheinen und somit Bausteine zur Geschichte des geistigen Lebens und der seelischen Entwicklung des deutschen Volkes bilden.

Walter de Gruyter & Co., Berlin W10,

Genthiner

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