Paulus [4., verb. Auflage. Reprint 2020] 9783112321768, 9783112310588


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German Pages 157 [160] Year 1970

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Table of contents :
Inhalt
Vorbemerkung
1. Paulus in der Geschichte
2. Welt und Umwelt
3. Der Mensch Paulus
4. Die Wendung zu Christus
5. Die Mission
6. Predigt und Gemeinde
7. Zeugnis und Theologie
8. Kämpfe
9. Das Ende
10. Das Werk
Literatur
Register
Stellenregister
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Paulus [4., verb. Auflage. Reprint 2020]
 9783112321768, 9783112310588

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Paulus Von D. Dr. Martin Dibelius D. D. (St. Andrews) ehem. ord. Professor an der Universität Heidelberg Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben und zu Ende geführt von Dr. Werner Georg Kümmel ord. Professor an der Universität Marburg

4., verbesserte Auflage

Sammlung Göschen Band 1160 Walter de Gruyter & Co • Berlin 1970 vormals G. J . Göeohen'sehe Verlagahandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J . Trübner • Veit & Comp.

©

Copyright 1970 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . GÖBChen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Iteimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp., Berlin 30. — Alle Rechte, einschl. der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vom Verlag vorbehalten. — Archiv-Nr.: 7 2 3 0 6 9 1 — Druck: Hildebrand OHG, Berlin 65. — Printed in Germany.

Inhalt Vorbemerkung 1. Paulus in der Geschichte 2. Welt und Umwelt 3. Der Mensch Paulus 4. Die Wendung zu Christus 5. Die Mission 6. Predigt und Gemeinde 7. Zeugnis und Theologie 8. Kämpfe 9. Das Ende 10. Das Werk Literatur Register Stellenregister

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Vorbemerkung Martin Dibelius hinterließ bei seinem am I I . Nomember 1947 erfolgten Tode von dem Manuskript eines f ü r die S a m m lung Göschen bestimmten Paulusbüchleins 6 y 2 Kapitel in fast druckfertigem Zustand. Vom Rest des Manuskripts war nichts vorhanden außer den Kapitelüberschriften und der Angabe über den ungefähren Umfang des noch zu Schreibenden. Da eine Veröffentlichung des nachgelassenen Werkes in diesem unfertigen Zustand nicht anging, stellte ich mich auf den Vorschlag von Frau Dora Dibelius und des Herrn Verlegers gerne zur Verfügung, um das Manuskript im Sinne meines verstorbenen Lehrers druckfertig zu machen und die fehlenden Teile hinzuzufügen. Das vorhandene Manuskript, das bis zur Mitte des 7. Kapitels reichte (hier bis S. 103), bedurfte in der Hauptsache nur einer stilistischen Durchsicht und der Entscheidung darüber, was der Verfasser jeweilen als letzte Formulierung beabsichtigt h a t t e . Gemäß der deutlich gekennzeichneten Absicht des Verfassers wurde das 2. Kapitel an einigen Stellen etwas erweitert; sonst mußten nur ganz selten Versehen korrigiert oder kleine Lücken ergänzt werden. So bietet von diesen geringfügigen Ergänzungen abgesehen, der Text der Kapitel 1—7 (S. 103) den von Martin Dibelius beabsichtigten W o r t l a u t und damit auch seine wissenschaftlichen Anschauungen. Der Rest (ab S. 103) ist von mir hinzugefügt worden. Möge das letzte Werk eines großen Theologen, das das Gegenstück zu seinem in der gleichen Sammlung erschienenen Jesus-Büchlein bilden sollte, vielen dazu helfen, die geschichtliche Gestalt des Apostels Paulus klarer zu sehen und seine Bedeutung f ü r den geistigen Kampf der Gegenwart zu erkennen. Zürich, 27. Dezember 1949.

Werner Georg

Kümmel

1. Paulus in der Geschichte Vom Apostel Paulus weiß alle Welt, daß er der größte Missionar des christlichen Glaubens in der alten, der klassischen Zeit des Christentums war, daß seine Briefe einen erheblichen Teil des Neuen Testaments bilden, und daß infolgedessen heute wie in vergangenen Zeiten die Kirche wie alle Leser der Bibel, vom gelehrtesten bis zum schlichtesten, in lebendiger Beziehung zu ihm stehen. Aber sieht man näher zu, so gewinnt man einen zwiespältigen Eindruck. Die Arbeit des Paulus hat den jüdischen Rahmen gesprengt, der das Urchristentum vor ihm umschloß, und den W e g zur Gewinnung der nichtjüdischen Welt frei gemacht. Aber vielen scheint es doch so, als hätten gerade die Briefe des Paulus bewirkt, daß jüdische Begriffe und Voraussetzungen in der christlichen Kirche fortleben. Die Christenheit zählt Paulus zu den Aposteln, aber schon die Urgemeinde zu Jerusalem hat niemals ein uneingeschränktes Vertrauen zu ihm gehabt; und nach seinem Tode hat die Kirche zwar seine Briefe gelesen und seine Begriffe aufgenommen, aber sie hat seine Gedanken verharmlost, indem sie sie in ihre Systeme einbaute und dadurch verflachte. Immer wieder im Lauf der Jahrhunderte sind dann die echten Gedanken des Paulus ausgegraben und fortgebildet und umgebildet worden. Zuerst geschah das durch den großen Erzketzer des 2. Jahrhunderts, Marcion, der unter dem Einfluß des Paulus Gesetz und Evangelium als einander ausschließende Prinzipien betrachtete und sie in Verkennung wichtiger Gedanken des Paulus auf zwei verschiedene Götter zurückführte. Dann hat der Kirchenvater Augustin die Gedanken des Apostels über Sünde und Gnade in eigentümlicherweise erneuert und damit den Charakter des abendländischen Christen-

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tums tiefgreifend beeinflußt. Endlich ist Martin Luther nicht nur durch ein W o r t des Römerbriefs (1,17) in seiner Heilserkenntnis maßgeblich bestimmt worden, sondern er hat auch sein Christus-Verständnis im wesentlichen aus den Paulusbriefen gewonnen. Neben diesen großen und für die Geschichte des Christentums bedeutungsvollsten Paulus-Reaktionen seien auch andere wichtige Wirkungen der Paulus-Gedanken nicht vergessen: der Begründer der großen MethodistenKirche, John Wesley, kam über Luthers Vorrede zum Römerbrief zu seinem entscheidenden „Bekehrungs"Erlebnis, und die neue Theologie des 20. Jahrhunderts, die sogenannte „dialektische Theologie", trat mit einem Paulus-Buch, mit Karl Barths „Römerbrief", auf den Plan. Es hat aber in den letzten hundert Jahren auch nicht an solchen gefehlt, die wesentliche Gedanken des Paulus als Verfälschung des Christentums oder Entartung der Religion bezeichneten und damit eine verbreitete Stimmung schufen, die sich gegen Paulus oder gegen den christlichen Glauben überhaupt richtet. Paul de Lagarde, der große Göttinger Gelehrte, hat mit seinen „Deutschen Schriften" (1886) dieser Stimmung bedeutsamen Ausdruck gegeben. Er zeiht den Paulus, den „völlig Unberufenen", eines dreifachen unheilvollen Einflusses auf das Christentum: er habe es mit dem Alten Testament belastet, er habe die pharisäische Auslegungskunst in der Kirche eingeführt, und er habe ihr „die jüdische Opfertheorie und alles, was daran hängt, in das Haus g e t r a g e n " . Das sind keine sinnlosen Vorwürfe, und es wird sich noch zeigen, daß hinter jeder dieser Anklagen bedeutsame Fragen stehen. Auf diese religionsgeschichtliche Bekämpfung des Paulus folgte die psychologische durch Friedrich Nietzsche. Er hatte noch in der „ M o r g e n r ö t e " (1880) dem „ebenso abergläubigen als verschlagenen Kopf", dem Apostel Paulus, die Verantwortung dafür zugeschrieben, „ d a ß das Schiff des Christentums einen guten Teil des jüdischen

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Ballastes über Bord warf, daß es unter die Heiden ging und gehen konnte". Acht Jahre später, im „Antichrist", ist ihm derselbe Apostel der „Gegensatz-Typus zum frohen Botschafter, das Genie im Haß", der „Dysangelist", der mit dem jüdischen Priester-Instinkt die Geschichte umfälscht, „sich aus einer Halluzination den Beweis vom Nochleben des Erlösers zurecht macht" und damit das Schwergewicht nicht ins Leben, sondern ins „Jenseits" verlegt — der machtgierige Priester, der Massen tyrannisiert, Herden bildet. Viel ernsthafter hat sich Houston Stewart Chamberlain in seinen „Grundlagen des 19. Jahrhunderts" (1899) um das Problem Paulus bemüht; dies erscheint ihm so verwickelt, daß er bei dem Apostel geradezu zwei Wesenshälften voraussetzt (und deswegen in ihm auch am liebsten den Abkömmling einer Mischehe sehen würde): ein jüdisch erzogener und von jüdischen Vorstellungen erfüllter Mensch, der Denkweise des Alten Testaments verpflichtet — und doch zugleich in seiner Lehre von der allgemeinen Sündhaftigkeit und der Erlösung durch „die den Glauben schenkende göttliche Gnade" so unjüdisch — Chamberlain nennt das „indo-europäisch" —, „daß er das Epitheton antijüdisch verdient". Um diesen Kern herum hat er ein jüdisches Gebäude errichtet, „eine Art Gitterwerk", das einem kongenialen Auge kein Hindernis ist, aber für das werdende Christentum zur Hauptsache ward. Unter der Voraussetzung des Rasseglaubens hat dann Alfred Rosenberg in seinem „Mythus des 20. Jahrhunderts" die Stellung Nietzsches ausgebaut. Der „unjüdische" Paulus existiert für ihn nicht. Ihm bedeuten die Gedanken des Apostels eine „Verbastardisierung, Verorientalisierung und Verjudung des Christentums". „Paulus hat ganz bewußt alles staatlich und geistig Aussätzige in den Ländern seines Erdkreises gesammelt, um eine Erhebung des Minder-Wertigen zu entfesseln". Man meint Nietzsche reden zu hören; nur hatte Nietzsche von der neueren wissenschaftlichen

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Paulusforschung, die gerade erst ihr Anfangsstadium vollendete, wenig Kenntnis; in der Zeit zwischen Nietzsche und Rosenberg aber hat sie sich beträchtlich ausgebreitet und hat, zum Teil in Auswertung neugefundener Zeugnisse antiken Lebens, zu einer wesentlichen Erhellung der Probleme geführt. Eine einseitige Erledigung dieser Probleme im Stil der Anklage sollte danach nicht mehr möglich sein. Der erste Gelehrte der neueren Zeit, der erkannte, daß die Oedanken des Paulus nicht im Sinne der kirchlichen Überlieferung in die allgemein christliche Theologie einzubauen und dadurch zu verharmlosen seien, war der Tübinger Ferdinand Christian Baur in seinem 1845 veröffentlichten Buch „Paulus, der Apostel Jesu Christi". Baur und seine Schüler unternahmen es, in Anknüpfung an Hegeische Gedanken die ganze urchristliche Entwicklung aus dem Gegensatz zwischen Judenchristentum und Paulinismus zu begreifen. Die Auseinandersetzung mit diesem „Tübinger" Aufriß des Urchristentums hat die Forschung der folgenden Jahrzehnte maßgeblich bestimmt und hat zur Ausdehnung des Problemkreises auf eine Reihe weiterer Fragen ge; führt, deren Bearbeitung bis in die jüngste Zeit fortdauert. Aus dem Problem, wie es Baur gestellt hatte, ergab sich die Diskussion, ob der Apostel mehr und wesentlicher vom Judentum oder vom Griechentum — oder von Kreuzungen dieser Bereiche, dem hellenistischen Judentum oder dem orientalisierten Hellenismus, beeinflußt sei. Und welcher Anteil an seinen Gedanken kommt der Botschaft Jesu zu, wie war überhaupt seine Beziehung zu der geschichtlichen Person Jesu von Nazareth? Mit diesen geschichtlichen Fragen hängt auch die sachlich wesentliche zusammen, ob der Kern der Heilslehre bei Paulus die Rechtfertigung des Sünders durch Gnade sei oder die Befreiung der Welt von den unsichtbaren Mächten, die sie bedrücken, ob das Heil für ihn wesentlich in gegenwärtigem Besitz oder in der Hoffnung auf eine kom-

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mende Weltverwandlung bestehe. Da alle diese Probleme in den folgenden Kapiteln zur Sprache kommen, mag dieser Hinweis genügen. Man darf dabei auch nicht vergessen, daß die Paulusforschung immer neue Antriebe von andern Wissenschaften erhielt. Das neuerwachte Verständnis für spätgriechische Sprache und Literatur, die Erforschung des jüdischen Rabbinismus, die Veröffentlichung neugefundener Texte, die Papyruskunde, die Religionsgeschichte vor allem des Hellenismus, aber auch die neuere Psychologie — sie alle haben zum Verständnis des Apostels beigetragen und unser Paulusbild bereichert, soweit es die Quellen erlauben. Wir wissen vom Leben und Denken des Paulus verhältnismäßig viel. Unter seinem Namen sind uns 13 B r i e f e im Neuen Testament überliefert, und von seinen Fahrten handelt die ganze zweite Hälfte (Kap. 13—28) der A p o s t e l g e s c h i c h t e , desselben Buches, das in Kap. 9 auch schon von der Bekehrung des Christenverfolgers Paulus erzählt hat. Aber wie alle Geschichtsquellen, antike wie neuzeitliche, müssen auch diese wissenschaftlich untersucht werden, bevor man sie für eine geschichtliche Darstellung benutzt. Der Leser von heute ist erstaunt und leicht befremdet, wenn man ihm versichert, daß nicht alle Briefe, die sich selbst als Schreiben des Paulus bezeichnen, wirklich echt, d. h. vom Apostel verfaßt seien. Er muß sich erst an den Gedanken gewöhnen, daß damals — auch außerhalb des Christentums — ehrenwerte Leute in bester Meinung Briefe unter dem Namen eines bekannten Mannes schrieben und in Umlauf brachten, sei es, daß sie seinen Stil nachahmten, sei es, daß sie bestimmte Situationen seines Lebens als Briefanlaß benutzten, sei es endlich, daß sie nur seinen Namen für die Verfasserschaft in Anspruch nahmen. Auch dem Paulus sind solche unechten Briefe zugeschrieben worden. Man hat Jahrhunderte nach ihm einen Briefwechsel zwischen ihm und dem Philosophen Seneca erdichtet; man hat gemäß Kol. 4,16 einen Brief des Apostels nach Laodicea konstruiert, ebenso einen Briefwechsel mit den Korinthern, und beides ist in Bibelhandschriften aufgenommen worden; man hat in der griechi-

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sehen und syrischen Kirche des 3. Jahrhunderts den Hebräerbrief deswegen dem Neuen Testament einverleibt, weil man ihn für einen Paulusbrief erklärte. So darf man auch an die als Paulusbriefe bezeichneten Schreiben des Neuen Testaments mit der Frage herantreten, ob sie alle 13 wirklich von Paulus herrühren. In der Tat können mindestens die beiden Briefe an Timotheus und an Titus (d. h. die drei sogenannten Pastoral- oder Hirtenbriefe) nicht als Quellen für Leben und Lehre des Paulus verwendet werden. Sie setzen eine andere, älter gewordene, fester organisierte Kirche voraus, als es die Kirche der Paulus-Zeit war, mit andern Ämtern, mit andern Gegnern, und vor allem mit einem andern christlichen Lebensideal; ihnen sind die Spannungen, von denen Paulus weiß, — zwischen der kommenden Welt und dieser Welt, zwischen Fleisch und Geist — schon fremd geworden, das christliche Dasein ist ihnen aufgebaut auf der „vernünftigen Lehre", die auf „gute W e r k e " abzielt und vom Zeugnis des „guten Gewissens" bestätigt wird. Es ist ein Christentum der zweiten oder dritten Generation, das hier redet — und wenn der Ketzer Marcion im zweiten Jahrhundert diese Pastoralbriefe nicht in seine Sammlung der Paulusbriefe aufnimmt, so ist das vielleicht ein Zeugnis dafür, daß damals auch in der Kirche ihre Anerkennung sich noch nicht völlig durchgesetzt hatte. Ob echte Paulusfragmente in diesen Briefen verarbeitet sind, kann hier nicht untersucht, kann überhaupt schwerlich zwingend erwiesen werden. Uns muh die Feststellung genügen, daß die Pastoralbriefe als Quelle für unser Paulus-Verständnis auszuscheiden haben (Näheres siehe meine Gesch. der urchristl. Literatur II, Sammlung Göschen 935, S.76ff.). Von den übrigen zehn Paulusbriefen werden in der Forschung vor allem zwei als nicht fraglos echt bezeichnet. Beim Epheserbrief ist es nicht so sehr sein Inhalt als eine merkwürdige, in Verwandtschaft und Unterschieden sich ausdrückende Beziehung zum Kolosserbrief, die zu Bedenken Anlaß gibt (s. meine Gesch. d. urchristl. Lii. II, S. 30ff. u. 42f.). Auch verrät der Epheserbrief im Gegensatz zu allen anderen Paulusbriefen nichts über die näheren Umstände der Korrespondenz; es ist kein „Brief", es ist ein predigtartiges Schreiben. Selbst der Name „Ephesus" am Anfang ist in den ältesten Handschriften nicht genannt, die Bestimmung für die dem Paulus wohlbe-

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kannte Gemeinde zu Ephesus wird überdies durch den Wortlaut des Briefes widerlegt, der offenbar an eine dem Verfasser fremde Gemeinde gerichtet ist. Gewisse Besonderheiten in Ausdruck und Gedankengehalt, die der Epheserbrief mit dem Schreiben an die Kolosser gemeinsam hat, erscheinen im Kolosserbrief wohl begründet, weil er der Bekämpfung einer neuartigen „gnostischen" Lehre dient; im Epheserbrief sind sie durch nichts veranlaßt. Manche Forscher lösen das Problem, indem sie beiden Briefen die Echtheit absprechen; andere schreiben beide dem Paulus zu und verstehen den unpersönlichen Epheserbrief als Rundbrief an verschiedene Gemeinden. Mir erscheint dasjenige Verständnis beider Briefe am einfachsten, das den Kolosserbrief als Schreiben des Paulus ansieht und seine Besonderheiten aus der besonderen Lage des Apostels erklärt (siehe S. 127 f.), den Epheserbrief aber als Nachbildung des Kolosserbriefes begreift, ihn also aus der Reihe der Quellen für die Gedankenwelt des Paulus streicht. Auch bei dem zweiten Brief an die Thessalonicher wird ein eigentümliches Verwandtschaftsverhältnis als Beweis wider die Echtheit angeführt. Aber hier handelt es sich nicht wie beim Kolosser- und beim Epheserbrief um auffallende Besonderheiten, die sich nur in diesen zwei Briefen fänden. Hier beziehen sich die Übereinstimmungen auf harmlose Dinge, und die einzige Frage, die offen bleibt, ist eigentlich nur diese: ob der Apostel wirklich den kühleren, aber mehr Kenntnis voraussetzenden zweiten Brief an dieselben Leser geschrieben habe, denen der herzliche erste Brief galt, die aber nach eben diesem Brief als neue, der Belehrung noch sehr bedürftige Christen vorzustellen sind (vgl. m. Gesch. d. urchristl. Lit. II, S. 16f.). Allein bevor man auf diese Frage mit der Annahme der Unechtheit antwortet, sollte man sich daran erinnern, daß wir natürlich nicht alle Entstehungsverhältnisse eines solchen Briefwechsels übersehen. Keiner der beiden Briefe an die Thessalonicher bietet ernsthafte Schwierigkeiten, wenn wir beide als Paulusbriefe begreifen. Und so haben denn sie beide, außerdem der Philipper- und der Kolosserbrief samt dem dazugehörigen kleinen Schreiben an Philemon (in Kolossae), vor allem aber die vier „ g r o ß e n " Briefe nach Rom. Korinth (zwei Briefe) und an die Gemeinden in Galatien als Quellen für Leben und Lehre des Paulus zu gelten.

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Es sind Quellen ersten Ranges. Sie sind es nicht nur, weil sie von Paulus geschrieben (oder — wie wir nach Rom. 1 6 , 2 2 1. Kor. 16,21 und anderen Stellen annehmen müssen — diktiert) sind. Ihre Eigenart besteht darin, daß sie uns einen Blick in seine Gemeinden tun lassen, und daß sie zugleich mit den ganz persönlichen Zeugnissen, die sie enthalten, Glauben, Denken und Fühlen des Menschen Paulus enthüllen. Die Berichte über Paulus, wie sie die Apostelgeschichte darbietet, haben, weil sie keine Selbstzeugnisse sind, natürlich nicht den gleichen Quellenwert; wenn sie eindeutigen Darstellungen der Briefe widersprechen, müssen sie zurückstehen; höchstens könnte man bei bestimmten Einzelheiten dem Apostel eine Selbsttäuschung zuschreiben. Aber die Bedeutung der Nachrichten in der Apostelgeschichte ist trotzdem g r o ß . Das gilt vor allem von den Angaben über die Reisestationen des Paulus auf seinen Missionsfahrten, wie sie in Apg. 13—21 enthalten sind. E s ist gar nicht von allen Orten etwas Besonderes zu erzählen; trotzdem werden auch bloße Durchgangsstationen genannt wie Amphipolis und Apollonia Apg. 1 7 , 1 . Offenbar konnte der Verfasser eine Aufzeichnung benützen, die ein Reiseteilnehmer über die Reiseroute, vielleicht auch über die Missionserfolge zur Benutzung bei späteren Wiederholungen der Fahrt angefertigt hatte. D a ß auf gewissen Strecken der Verfasser der Apostelgeschichte selbst es war, der diese Aufzeichnung besorgte, darauf könnte das „ w i r " deuten, das sich 16,10—17 und 2 0 , 5 — 2 1 , 1 8 (später noch 27, 1 — 2 8 , 1 6 ) in der Darstellung findet. Man hat in diesem „ w i r " auch das Zeichen einer besonderen Quelle g e s e h e n ; aber zwischen dem Reisebericht, mit „ w i r " und dem ohne „ w i r " ist weder im Stil noch in der Sache ein Unterschied zu spüren. Außerdem wird ja die ganze Apostelgeschichte auf einen Begleiter des Paulus, auf Lukas, zurückgeführt. Und mir scheint, daß diese Überlieferung keineswegs gering zu schätzen ist. Denn die Apostelgeschichte trat in literarischem Gewand auf; sie war, wie das Lukas-Evangelium, einem gewissen Theophilus gewidmet: sollte wirklich, wenn der Adressat der Widmung bekannt war, der Name dessen, von dem die Widmung ausging, verloren sein? W i r haben also damit zu rechnen, daß der Verfasser der Apostelgeschichte dem Paulus persönlich nahestand. Das

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bedeutet nun freilich nicht, daß alles, was er von Paulus berichtet, bis ins letzte genau ist, und erst recht nicht, daß Lukas Charakter und Theologie des Apostels in ihrer Eigentümlichkeit verstanden und dies Verständnis in seiner Darstellung zum Ausdruck gebracht hat. Er wollte ja, wie sein Aufriß deutlich zeigt, gar keine Biographie des Apostels schreiben, sondern das Werden und Wachsen der Urkirche schildern, von ihrem Ursprung in Jerusalem bis zu ihrer Ausbreitung nach Rom. Paulus aber war für ihn der große Missionar, der diesen Schicksalsweg des Christentums in vorbildlicher Weise gegangen war. Begrenzung und Betonung seines Stoffes ist unter diesem Gesichtspunkt zu verstehen. Auch war Paulus, als Lukas schrieb, schon zwei bis drei Jahrzehnte tot (Anspielungen auf diesen Tod Apg. 20, 22 ff. 38; 21,11). Lukas suchte und sammelte Erzählungen aus der Wirksamkeit des Apostels, angefangen mit der Geschichte seiner Bekehrung, wie solche in den christlichen Gemeinden offenbar verbreitet waren. Und deren geschichtliche Zuverlässigkeit ist natürlich wie immer bei solchen Volkserzählungen im allgemeinen unbestimmbar, jedenfalls aber im einzelnen verschieden. Je weniger geläufige Motive des Volkserzählungsstiles sich finden, desto mehr ist von der geschichtlichen Zuverlässigkeit des betreffenden Textes zu halten. Während also die Reiseangaben der Apostelgeschichte als geschichtlich völlig zuverlässig gelten dürfen, wird man diesen Geschichten nur in gewissem Grade einen wesentlichen Wert für die Geschichte zuschreiben. Einen ganz geringen biographischen Wert aber haben die Reden des Paulus in der Apostelgeschichte. Ihre Bedeutung liegt auf anderem Gebiet, auf demselben, auf das auch die Reden in den Werken der Historiker (Xenophon, Thukydides, auch Josephus) abzielen. Sie alle wollen den Leser an gewissen Stellen zu bestimmten Überlegungen — allerdings sehr verschiedener Art — nötigen. In unserm Fall wollen z. B. die beiden Bekehrungspredigten Apg. 13 und 17 in der Synagoge zu Antiochia und auf dem Areopag vor allem zwei Typen der urchristlichen Missionsrede darstellen — „typisch" natürlich eher für das letzte Viertel des ersten Jahrhunderts, in dem Lukas schrieb, als für die Zeit 50/60 n. Chr., in der Paulus predigte. Die Verteidigungsreden des Apostels aber, in Kap. 22,24 und 26 der Apostelgeschichte enthalten, dienen in erster Linie be-

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stimmten apologetischen Zwecken. Das ist nach der Gewohnheit der Historiker von damals zu vermuten und aus dem Inhalt der Reden zu erschließen. Wieweit Lukas irgendwelche schriftliche Kunde von tatsächlich gehaltenen Reden des Apostels besaß, und ob er hier etwa persönliche Eindrücke verarbeitet hat, ist schwer zu sagen. Er hat ja nicht einmal beabsichtigt, seinen Lesern den Stil der Paulusreden vorzuführen, obwohl er die Erfahrung wie die Kunst der Stilistik besaß. Wenn man die Petrusreden Apg. 2,3,10 mit der Paulusrede aus Kap. 13 vergleicht, sieht man, daß der Verfasser die Gleichheit des Typus hervorheben wollte, nicht aber die Unterschiede der Redner herausarbeiten. Es lag ihm mehr daran zu lehren, wie man predigen soll, als zu berichten, wie Petrus, wie Paulus gepredigt habe. So wenig also die Apostelgeschichte das leistet und leisten will, was wir heute von einer historischen Darstellung erwarten, so sehr wir auch ihr Paulusbild aus den Briefen des Apostels ergänzen und korrigieren müssen, so haben wir doch keinen Grund, dem Aufriß, den sie von dem missionarischen Wirken des Paulus gibt, zu mißtrauen. Der Verfasser besaß jene Reiseaufzeichnungen und — für gewisse Strecken — wahrscheinlich auch eigene Erinnerungen; seine Tendenz, wenn man von einer solchen sprechen will, war allein die, den Missionsweg des Paulus von Antiochia nach Rom als den gottgewollten Weg des Christentums von Syrien aus bis in die Mitte der heidnischen Welt hinzustellen. Diese Absicht hat ihn offenbar bestimmt, bei dem wichtigen Übergang von Kleinasien nach Mazedonien und Griechenland (16,6—10) alle näheren Umstände der Reise zu verschweigen und sich ausschließlich auf die Leitung durch den Geist zu berufen. Er hat auch die letzte Reise des Apostels durch Griechenland ganz summarisch behandelt, offenbar weil sie das Evangelium nicht weiter in die Welt hineinführte (20,1—6). Dagegen hat er die Reise des gefangenen Paulus nach Rom (27, 1—28,16) in aller Breite und nicht ohne Anlehnung an literarische Vorbilder ausgearbeitet, weil diese Fahrt des Gefangenen den Siegeszug des Christus nach der Welthauptstadt bedeutete (obwohl es, wie er selbst berichtet, schon längst Christen in Rom gab). Wir haben aber keinen Grund zu der Annahme, daß etwa die beiden kleinasiatischen Reisen, die Lukas Kap. 13,14 und 15,36—16,10

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berichtet, doppelte Darstellungen derselben Fahrt seien — vor solchen Irrtümern war der Verfasser durch sein Material geschützt. Wohl aber bleibt es für unser „biographisches" Denken ein erheblicher Mangel, daß wir aus der Apostelgeschichte weder über die Jugend des Paulus noch über sein Ende etwas erfahren. Und diese Lücke unseres Wissens wird durch keinen außerbiblischen Bericht in befriedigender Weise geschlossen. Die älteste und wichtigste solcher Nachrichten außerhalb der Bibel steht in dem Schreiben der römischen Gemeinde aus den letzten Jahren des ersten Jahrhunderts, dem sogenannten ersten Clemensbrief (5,6.7): danach hat Paulus siebenmal Fesseln getragen, mußte fliehen, wurde gesteinigt. Auf se'inen Reisen sei er „bis zum äußersten Westen" vorge'drungen, vor den Regierenden habe er sein Zeugnis abgelegt, dann sei er „aus der Welt geschieden und zu dem heiligen Ort eingegangen, das gewaltigste Beispiel der Beharrlichkeit". Wieviel an wirklicher Kenntnis hinter diesen Worten liegt, wird noch zu untersuchen sein (s. S. 139 f.). Was in „apokrypher" Literatur über Paulus erzählt wird — Teile davon sind zu lesen bei Hennecke, Neutestamentliche Apokryphen, 2. Aufl. — muß als romanartige Dichtung gelten. Gerade über die Schrift, die unter dem Titel „Taten des Paulus" (Acta Pauli) umlief, wissen wir etwas mehr, seitdem ein (unvollständiger) griechischer Text dieser Acta (in der Hamburger Staats- und Universitäts-Bibliothek) 1936 veröffentlicht worden ist. Dort findet sich die Erzählung von dem Löwen, der Paulus in der Arena zu Ephesus überfallen soll, der sich aber, mit menschlicher Rede begabt, als alter Freund des Apostels bekennt, ja sogar als derjenige, den Paulus einst getauft hat! In diesen Paulus-Akten steht auch die längst vor dem jüngsten Fund bekannte Legende von der heiligen Thekla, die von Paulus für das Christentum gewonnen, aber von dem Statthalter zu Ikonium zum Feuertod verurteilt wird. Aber weder Feuer noch Löwen und Bären noch Robben vermögen ihr etwas anzuhaben. Die Abfassung dieser Legende setzt wohl schon die Anfänge der dann in der östlichen Kirche weitverbreiteten Thekla-Verehrung voraus. Daß Paulus in diesen Paulus-Akten ganz wesentlich das Gebot völliger geschlechtlicher Enthaltsamkeit vorträgt, ist trotz 1. Kor. 7 eine arge Verzeichnung. Daß er nach dieser Darstellung

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niemals wieder an dieselbe Missionsstation zurückkehrt, ist nach dem Zeugnis der Briefe (z. B. 2. Kor. 13,1) einfach ein Irrtum; und daß er die Reise nach Rom von Korinth aus als freier Mann, nicht als Gefangener, macht, ist angesichts des Berichts Apg. 27 unglaubwürdig. Überdies wissen wir durch den Kirchenvater Tertullian (2. Jahrh.), daß der Verfasser der Acta Pauli, ein unbekannter Presbyter in Kleinasien, selbst die Erfindung eingestanden und bekannt hat, er habe es „nur aus Liebe zu Paulus" getan. So bleiben wir für das Wirken des Paulus im wesentlichen auf die neutestamentlichen Zeugnisse angewiesen.

2. Welt und Umwelt Paulus gehört nach Abstammung und Erziehung drei verschiedenen Lebenskreisen an: sein römisches Bürgerrecht gibt ihm Ansehn und Stellung in dem großen Imperium der Römer, dem die Kultur des Hellenismus die geistige Einheit verleiht. Die Heimatstadt Tarsus wie die Missionsarbeit in Kleinasien, Mazedonien und Griechenland verbindet ihn von Jugend auf mit dieser Kultur. Aber da er in einer hellenistischen Judengemeinde aufwächst, ist er andererseits doch auch wieder in bestimmter Weise aus dieser Welt herausgehoben; denn das Diaspora-Judentum ist trotz aller Angleichung an die hellenistische Kultur doch ein Besonderes, von den andern bald verspottet, bald geachtet, von den einen gemieden, von den andern erstrebt, durch fremdartige Gebräuche berüchtigt, durch Gottesglauben und Sittenreinheit berühmt. Endlich ist Paulus durch seine Ausbildung in Jerusalem auch dem Schriftgelehrtentum Palästinas nahegetreten. Was diese Dreiheit — römischer Bürger, hellenistischer Jude, jerusalemischer Schriftgelehrter — bedeutet, haben wir nun zu betrachten. Tarsus, die Geburtsstadt des Paulus (Apg. 9,11; 21,39; 22, 3) war der verkehrsreiche Mittelpunkt der kilikischen Ebene, durch Pässe über das Taurus- wie über das Amanus-Gebirge ebenso mit der hellenistischen Welt Kleinasiens wie mit der semitischen Syriens verbunden, weder Großstadt noch eigentlich Handelsstadt, aber vermöge seiner Verkehrsmittler-Stellung angesehen und auch kulturell bedeutsam. Der Kirchenvater Hieronymus (um 400) gibt ein Gerücht wieder, nach dem die Eltern des Paulus in

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Gischala in Galiläa gewohnt hätten und infolge einer Eroberung der Stadt nach T a r s u s ü b e r f ü h r t worden wären. Dann würde das Bekenntnis des Paulus, er sei „ H e b r ä e r von H e b r ä e r n " (Phil. 3 , 5 ) bedeuten, daß die Familie erst neuerdings Diaspora-jüdisch geworden sei; dann w ü r d e der Vater des Paulus wohl Kriegsgefangener gewesen sein und vielleicht bei seiner Freilassung, wie es oft geschah, das römische Bürgerrecht erhalten haben, das Paulus nach Apg. 22, 28 bereits ererbt hat. Die Kultur des H e l l e n i s m u s , die auch f ü r die ersten Jahrhunderte der Kaiserzeit noch maßgebend war, ist durch Universalismus und Synkretismus, durch die Richt u n g auf Einheitlichkeit und auf Verbindung mit F r e m d e m , vor allem Orientalischem, bestimmt. Die Einheit der Sprache wurde geschaffen, indem das Griechische, die dialektischen Besonderheiten abstreifend, sich zur allen gemeinsamen (griechisch: Koine) Weltsprache ausgestaltete. Die Einheit der Mittelmeerwelt kam in einem System guter Verkehrsstraßen zum Ausdruck, das das Reisen auch dem geringen Mann, der im Staubmantel zu Fuß ging (Apg. 20,13; 2. Tim. 4,13), erleichterte. Das römische Imperium brachte zu dem allen noch die Vereinheitlichung der Macht hinzu sowie ein über die Volksrechte hinausgreifendes Recht; es gab nun auch Münzen-, Maß- und Gewichtseinheit, dazu steigerte sich der Verkehr innerhalb der immer weiter gesteckten Reichsgrenzen infolge der häufigen Truppenverschiebungen und Beamten versetzunen. Was das alles f ü r die Ausbreitung des christlichen ilaubens bedeutete, Hegt auf der Hand. Man braucht wirklich nicht zu fragen, wie die römische Gemeinde entstanden sein könne. Kaufleute oder Sklaven im Gefolge eines Beamten können das Christentum schon in den dreißiger oder vierziger Jahren nach Rom gebracht h a b e n ; so ist es kein Wunder, daß es nach Ausweis des Römerbriefs Christen in der Hauptstadt gibt, noch bevor Paulus (und Petrus) sie betreten haben. Für die Vermischung der Religionen, den sogenannten Synkretismus, ist ein besonders frühes Zeugnis die infolge der Bedrohung durch Hanniba] erfolgte Überführung des schwarzen Steins der kleinasiatischen Göttermutter Kybele aus Pessinus nach Rom, w o ihr Tempel auf dem Palatin 191 v. Chr. eingeweiht wurde. Hundert Jahre später beginnt der Einfluß fremder Gottheiten, vor allem der ägyptischen Isis und des persischen

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D i b e l i u s , Paulus.

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Mithras, im.römischen Heer zu wachsen, das dann in den ersten christlichen Jahrhunderten dem stiertötenden Persergott im ganzen römischen Reich bis in die Donauländer und Südwestdeutschland seine Heiligtümer errichtet hat. In Griechenland war der orientalische Einfluß der in mancher Hinsicht gleichgerichteten spätgriechischen Entwicklung begegnet. Die stoische Philosophie, deren große Lehrer fast alle aus dem Osten stammten, hatte durch den Oedanken des Weltbürgertums und durch die Lehre von der das All durchwaltenden Weltvernunft, dem Logos, den Boden bereitet, auf dem sich dann eine Einbürgerung und philosophische Deutung fremder Gottheiten, der Isis, des Osiris, des ägyptischen Hermes Trismegistos (d. h. des ägyptischen Gottes Thot) und des Attis vollziehen konnte. Die Wiederbelebung gewisser Orakel, die Bevorzugung der geheimnisvollen unter den griechischen Göttern wie des Dionysos, die Ausbreitung der orphischen Sekte mit ihren Weihen und ihrem Jenseitsglauben schufen eine religiöse Romantik, die allen fremden Kulten, mochten sie auch von Barbaren stammen und barbarisches Aussehen haben (wie die Beschneidung der Juden, die Entmannung der Priester des Attis und der syrischen Göttin), geöffnet war, weil man in wilden und rohen Riten einen geheimnisvollen Hintersinn vermutete. All diese fremden Religionen kommen als Privatkulte in den Westen und tragen die Bezeichnung, mit der man auch die griechischen Sonderkulte der Demeter, des Dionysos, des Orpheus benannte: Mysterien. Man wurde nicht in sie hineingeboren, sondern meldete sich an und wurde, falls die Gottheit es genehmigte, eingeweiht, um dann, als „Myste" der betreffenden Gottheit ganz zugehörig, durch das Leben zu gehen. Man hatte nun am göttlichen Leben teil, wußte sich unter göttlichem Schutz und war aus dem Druck der Schicksalsmacht befreit. Von ihr hatte sich die hellenistische Menschheit in zunehmenden Maß bedroht gefühlt, seitdem sie die alten Bindungen in Stadtstaat, Staatskult und Standesordnung infolge der Ausweitung aller Verhältnisse verloren hatte. Der Einzelne fühlte sich von der blinden Schicksalsmacht umhergeworfen, bis ihn die Gottheit, der er sich als Myste übergab, mit einem neuen Dasein begnadigte. Die Mysterienweihe brachte also den Menschen — ohne Unterschied des Standes — einen neuen Adel, eine Erlösung von der Grausamkeit der Schicksalsmächte durch göttliche Gnade. Die fremden

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Kulte hätten nicht diese Anziehungskraft ausgeübt, hätte nicht weithin ein Erlösungsbedürfnis bestanden. Und auch hier begegnen sich wieder die beiden Welten, die westliche und die östliche. Die alt gewordene griechische Welt kennt dieses Bedürfnis nun auch, aber sie kennt es in vollem Umfang erst, seitdem ihre eigentlichen heimatlichen Zellen, die Stadtstaaten mit den ihnen eigenen Kulten, ihr Sonderdasein verloren h a t t e n ; die orientalischen Religionen dagegen sind mehr oder minder darauf aufgebaut, da der östliche Mensch ein anderes Verhältnis zur Gottheit hat. Steht doch der östliche Mensch der Gottheit immer mit dem Bewußtsein völliger Abhängigkeit und mit dem Wissen um die Verpflichtung zum Sklavendienst gegenüber, und nennt darum der östliche Mensch die Gottheit seinen „ H e r r n " (griech. „ K y r i o s " ) , während der Grieche und Römer bei aller Scheu vor dem Göttlichen den Göttern nie eine absolute Herrenstellung und dem Menschen nie die daraus sich ergebende restlose Abhängigkeit und Dienstverpflichtung zugeschrieben hat. Nicht immer ist freilich diese Verehrung der orientalischen Gottheiten in kultisch fest gefügten und dadurch deutlich abgegrenzten Mysteriengemeinden vor sich gegangen. Besonders bei den Gebildeten hatten sich viele der Mysteriengottheiten mit der ebenfalls aus dem Orient stammenden Offenbarungslehre der „ G n o s i s " (griech. „ E r k e n n t n i s " ) verbunden, und man deutete infolgedessen die alten Göttermythen um zu Offenbarungen über das Werden von Himmel und Erde, über die Geheimnisse von Seele und Geisterwelt, über das Schicksal nach dem T o d e . Der orientalische Mythos vom „ U r m e n s c h e n " , der, aus dem Himmel gekommen, sich in die Materie verstrickt hatte, aber vom Himmel her mit seinem geistigen Ich wieder in die himmlische Welt gerettet worden war, bedeutete für viele nach Erlösung sich sehnende Menschen eine Erklärung für die eigene Gebundenheit in die irdische Welt und eine Hoffnung auf Erlösung in die himmlische Welt, zu der man durch mystische Versenkung oder Ekstase sich zu erheben versuchte. Da diese gnostische Spekulation sich mit den verschiedensten Religionen, auch mit der jüdischen Offenbarungsreligion, verbinden konnte, mußte Paulus früher oder später in seinen Gemeinden auf diese religiöse Weltanschauung stoßen und sich mit ihr auseinandersetzen (s. S. 124 ff.). 2*

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Als östliche Religion war auch das Judentum in die hellenistische Welt aufgenommen worden, und zwar ziemlich frühe. Seit dem Ende der babylonischen Gefangenschaft, die eine ansehnliche „Diaspora" in Babylon begründete, strömten Juden in die bewohnten Gegenden der Mittelmeerwelt, vor allem in die Städte. Denn es waren wesentlich nicht bäuerliche Kolonisten, die das Judentum in der Zerstreuung — das heißt „Diaspora" — begründeten, sondern Städter, die vor allem durch den aufblühenden Handel, dann aber auch durch Kriegsdienst und Deportation, etwa infolge von Kriegsgefangenschaft (s. S. 17), nach Ägypten, Syrien und Kleinasien, nach Griechenland und Italien, schließlich sogar nach Gallien und Spanien gelangten. Erst nach dem Exil, also um 500 v. Chr., beginnt die für das Weltjudentum so bezeichnende Lösung vom, Boden und seiner Bewirtschaftung und, im Zusammenhang damit, die starke Beziehung zum Handel; erst dann beginnt die Lösung von der politischen Geschichte, die mit Ausnahme der kurzen Makkabäerzeit (2.—1. Jahrh. v. Chr.) durch den Verzicht auf eigene Staatlichkeit bedingt ist. Vor dem Exil waren Israel und Juda kleine Staaten mit Ackerbau treibender Bevölkerung gewesen, und das Handelsvolk waren die Phönizier; nun übernahmen die Diasporajuden deren Erbe. Sie lösten sich aber in noch stärkerer Weise von der Heimat: sie nahmen die allgemeine Sprache, das Koine-Griechisch, an, schufen sich in dieser Sprache ihre Bibel — die sogenannte Septuaginta, weil sie der Sage nach von 70 Übersetzern herrührte —, schufen sich auch eine eigene Literatur, die großenteils den Anspruch erhob, auch von Nichtjuden gelesen zu werden. Ja, seitdem 1932/33 die Synagoge von Dura-Europos am Euphrat ausgegraben wurde, wissen wir, daß an vereinzelten Orten die Anpassung an die Sitten der Wirtsvölker bis zur Durchbrechung des alttestamentlichen Bilderverbotes ging. Man hat dort nämlich um 230 n. Chr. die Synagoge an allen Wänden von unten bis oben mit Darstellungen alttestamentlicher Szenen geschmückt, die nicht nur ohne Scheu menschliche Gestalten abbilden, sondern auch vor gelegentlicher Einfügung nackter Menschen und heidnischer Götterfiguren (als Dekoration) nicht zurückschrecken. Der letzte Sinn dieser teilweise sehr eindrucksvollen und figurenreichen Darstellungen bleibt freilieh die Verkündigung des heilschaffenden Handelns Got-

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tes mit seinem Volk in der Geschichte und am Ende der Tage. Das alles hatte denn auch den Erfolg, daß sich zahlreiche Nichtjuden in den jüdischen Gottesdiensten einfanden; die einen, um Gasthörer zu werden, die natürlich gewisse Reinheitsgebote beachten und den Sabbat halten mußten („Gottfürchtende" nennt sie die Apostelgeschichte 13,16. 26), die andern, um durch Übernahme der Beschneidung und des jüdischen Tauchbades Proselyten, d. h. vollberechtigte Glieder der jüdischen Gemeinde zu werden, die nun auch das ganze jüdische Gesetz zu halten hatten und durch Eheschließung mit Juden fest im V o l k e verwurzelten. Von einer Reinerhaltung der Rasse war also im Diasporajudentum keine Spur; was Esra und Nehemia in dieser Beziehung der Gemeinde zu Jerusalem geboten hatten, Trennung der gemischten Ehen, war vergessen, konnte vergessen werden, weil es diesen Juden auf die Religion, nicht auf die Rasse ankam. Paulus wäre wohl nicht der g r o ß e christliche Missionar geworden, hätte er nicht in diesem Judentum seine Heimat gehabt, hätte er nicht griechisch gelesen und geschrieben und die Septuaginta als seine Bibel besessen, wäre er nicht in der Anpassung an fremde Sitten geübt gewesen, und hätte er nicht den Blick gehabt für die g r o ß e Welt der Landstraßen und S e e w e g e , den Blick auch auf die großen Städte der Mittelmeerwelt. Aber auch den Blick auf J e r u s a l e m ! Für Paulus war das selbstverständlich, zumal wenn er aus einer ursprünglich palästinensischen Familie stammte. Aber auch die Masse der Juden in der Diaspora löste sich nicht völlig aus dem Zusammenhang mit Palästina und Jerusalem, der von dort aus durch Sendboten der religiösen Zentralbehörde, des Synedriums, aufrecht erhalten wurde. In Jerusalem stand der Tempel, der einzige Ort, an dem der J u d e opfern durfte, mithin die einzige wirkliche Kultusstätte (im antiken Sinne) des Judentums. In Jerusalem aber hatte sich auch die Betätigung herausgebildet, die nach dem Exil das eigentliche Wesen der jüdischen Frömmigkeit ausmachte: Studium, Lehre und Erfüllung des Gesetzes. Das erste besorgten die Schriftgelehrten, das letzte alle frommen Juden, vor allem die, welche im besonderen Sinne fromm sein wollten, sich deshalb vom ungelehrten V o l k absonderten und sich Abgesonderte, „ P h a r i s ä e r " , nannten. Zu dieser Gruppe hat Pau-

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lus — vielleicht auch schon sein Vater, s. Apg. 23, 6 — gehört. Und man kann auch von diesem wesentlichen Bestandteil seines Lebens sagen, daß Paulus nicht der radikale Christ geworden wäre, der den Christusglauben von der Gesetzesreligion löste, wenn er nicht gewußt hätte, was Bindung an das Gesetz bedeutet, wenn er es nicht besser, tiefer und konsequenter gewußt hätte als die Jünger Jesu. Der strenge Jude im Sinn des Pharisäismus mußte die Bindung an das Gesetz als eine Totalverpflichtung empfinden: Jedermann, der sich beschneiden läßt, „ist verpflichtet, das ganze Gesetz auszuführen" (Gal. 5,3). Die ganze Tragik dieses Gedankens angesichts der Frage, ob denn der Mensch solches überhaupt vermöge, hat der durchschnittliche Pharisäer wohl nicht empfunden. Wenn er sich eingestehen mußte, daß manche gesetzliche Forderung unerfüllt blieb, manches Versagen unbewußt bleibe, so las er aus den alttestamentlichen Worten von Gottes Gnade Trost und Stärkung heraus ( s . S . 3 1 ) . Und das qualvolle Wissen um das Ungenügen den zahllosen Forderungen des Gesetzes gegenüber, wie wir es besonders eindrucksvoll in dem apokryphen 4. Esrabuch, aber auch bei manchen Rabbinen finden, wird doch auch da immer wieder übertönt von dem Glauben an die Zugehörigkeit zum Volke der Erwählung, dem die Verheißungen Gottes gelten, und das somit den Anspruch auf Gottes Gnade erheben darf. Als Christ freilich hat Paulus so geschrieben, als wenn er in seiner jüdischen Zeit diese Gedanken an Gottes Gnade nicht gekannt hätte; es mag immerhin sein, daß der Bekehrte die Konsequenzen der Gesetzesreligion schärfer und einseitiger gesehen hat, als er sie in seiner jüdischen Zeit wahrnehmen konnte. Überhaupt ist das Bild des palästinensischen Judentums vor der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. reicher, als man aus den Worten Jesu wider die Pharisäer und den Paulusbriefen erschließen kann. Erstlich gab es unter den Schriftgelehrten auch minder starre und minder konsequente Vertreter einer strengen Gesetzlichkeit. Solange sie sich für ihre Meinungen auf Bibelstellen berufen konnten, galten sie nicht als Ketzer; und bei der herrschenden Auslegungstechnik konnte man ja schließlich für alles Beweise aus dem heiligen Buche beibringen! Ketzerei war es nur, wenn man den Vorschriften des Gesetzes durch

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Handlungen widersprach (oder andere dazu verführte), also den Sabbat brach, Fleisch vom nicht geschächteten Tier aß, in heidnischen Häusern verkehrte, ohne sich nachher zu „reinigen", eines der 10 Gebote verletzte, ohne durch i r g e n d e i n e Auslegung geschützt zu sein: es ist ja in rein gesetzlichen Religionen immer so, daß das rituelle oder ethische Vergehen für schlimmer gilt als die abweichende dogmatische Lehre. Darum war auch die Spannung so scharf zwischen diesen Vertretern der strengen Gesetzlichkeit, den Pharisäern, und der ihnen in der Lehre grundsätzlich zustimmenden Masse des Volkes, die schon infolge ihrer täglichen Arbeitslast sich weder die nötige Gesetzeserkenntnis aneignen noch auch die Unzahl der alle Lebensgebiete umfassenden Gesetzesforderungen erfüllen konnte. Diesem „Volk des Landes" (hebr. Am haarez), wie die Gesetzestrengen diese Mehrzahl des Volkes verächtlich nannten (s. loh. 7,49), hatten freilich Jesus und seine Jünger angehört, und in diesen Kreisen der „Armen" hatte die Frömmigkeit der Psalmen und Propheten weiter ihre Stätte gehabt. Und schließlich stand ja neben der Welt der Gesetzlichkeit noch die andere Welt des Tempelkults; hier war ein anderer Zugang zu Gott vorhanden, und im antiken Sinn vielleicht der ehrwürdigere und gewissere. Die jüdische Frömmigkeit zur Zeit Jesu war eben nach zwei Seiten hin ausgerichtet: das eine war die Anbetung des heiligen Gottes, der seinen Namen an einem Ort auf Erden hatte wohnen lassen —, „ein Tempel des einen Gottes, allen gemeinsam, so wie Gott allen gemeinsam ist" (so deutet es der jüdische Geschichtsschreiber Josephus, gegen Apion II, 193); das andere war die Unterstellung des ganzen L e t ens unter das Gebot: „ihr sollt mir heilig sein, denn ich bin heilig" (3. Mose 20,26). Und galten die Anwälte der Gesetzlichkeit, die Pharisäer, dem Volk als die besonders Frommen, so währten doch auch die Mitglieder des Priesteradels, die sog. „Sadduzäer", ihre Autorität, ebenso im Synedrium wie im Verhältnis zur römischen Besatzungsmacht, der Judäa und Samaria seit 6 n. Chr., seit der Absetzung des Herodessohnes Archelaos, unterstanden. In Galiläa und Peräa regierte unter römischer Oberhoheit noch der andere Herodessohn, Antipas; zuletzt hat dann ein Enkel des großen Herodes, Agrippa I., noch einmal für wenige Jahre (41—44) das ganze Palästina unter seiner — von den Römern ein-

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— Herrschaft vereinigt (vgl. Dibelius, §esetzten amml. Göschen 1130, S. 29). Doch waren für die

Jesus, innere diese politischen Geschehnisse

Struktur des Judentums ohne Bedeutung. Dagegen ist für diese Betrachtung nicht zu übersehen die Existenz einiger Sondergruppen am Rande des Judentums. Die wichtigste ist der Orden der Essener, der geschlossen in Siedlungen 'oder auch in Städten nach eigenartigen Bräuchen lebte. Asketische, sittliche, ritualistische und kommunistische Vorschriften begründen seine Disziplin. Das Unjüdische daran scheinen nach unserer Kenntnis eine eigentümliche Verehrung der Sonne und ein heiliges Mahl aus besonderen Speisen zu sein, das von den Ordensbrüdern in heiliger Kleidung unter vollkommenem Schweigen eingenommen wird. Das deutet fast auf ein Sakrament oder eine mystische Begehung. Und wenn auch Paulus mit den Essenern nichts zu tun gehabt hat, so darf man doch im Hinblick auf seine christliche Frömmigkeit immerhin fragen, ob es in dem Judentum, in dem er groß wurde, etwas der Mystik Vergleichbares gegeben hat. Manche „mystische" Schriftdeutung, wie sie der größte Schriftsteller des Diaspora-Judentums, Philo von Alexandria, vorträgt, scheint darauf zu weisen. Aber wir wissen nicht, ob Philo dabei eine individuelle Anschauung vertritt oder ob er eine Gemeinde hinter sich hat. An sich ist das pharisäische Judentum der Mystik fremd; denn es hat es nicht nötig, im irrationalen Bereich die Vereinigung mit der Gottheit zu suchen, da ihm ein anderer, rationalerer Weg offensteht, der des Tuns. Aber es wäre doch möglich, daß irgendwo außerhalb des offiziellen Judentums sich eine besondere Bildung mystischer Frömmigkeit erhalten hätte, wie am Rande des Judentums z. B. auch Gruppen existierten, die Waschungen und ähnlichen Zeremonien eine gewisse Bedeutung einräumten, und wie es auch schon früh Verbindungen gnostischer Spekulationen mit gesetzlicher Frömmigkeit gegeben haben muß, auf die Paulus gelegentlich in seinen Gemeinden gestoßen ist. In die Nachbarschaft solcher Sekten gehört vermutlich die Bewegung Johannes des Täufers. Und mit ihr beginnt die Geschichte des Christentums.

3. Der Mensch Paulus Im ersten Jahrzehnt nach Jesu T o d befand sich das

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werdende Christentum noch in ungeklärter, weil unabgegrenzter Stellung. Es gab eine Gemeinde von Jesus-Anhängern in Jerusalem, wartend auf ihres Meisters glanzvolle Wiederkunft vom Himmel her, dabei dem Judentum enger verbunden, als der Meister selbst es gewesen war. Es gab daneben in Antiochia und an anderen Orten Christusgläubige, die in Jesus dem Christus die Vollendung der jüdischen Religion auf einer höheren Ebene erkannt hatten, die früher Diaspora-Juden gewesen waren und wie das DiasporaJudentum so erst recht jetzt als „Kirche" auch geborene Heiden in ihre Gemeinschaft aufnahmen. In diese merkwürdig zwiespältige Lage ist entscheidende Klärung und zukunftweisender Auftrieb durch einen Mann gekommen, durch Paulus. Paulus hat vor allen übrigen Aposteln Jesu dies voraus: daß er am Gesetz geschulter Pharisäer ist und darum ganz anders als jene imstande zu erfassen, welchen Gegensatz zur jüdischen Welt die Botschaft Jesu in sich barg. Vor den meisten Pharisäern aber hatte Paulus wiederum dies voraus, daß er aus dem griechischen Judentum kam und daher mehr wußte von der Welt, mehr verstand von ihrer Sprache und ihrem Denken als die Hüter des Gesetzes in Jerusalem. Beide Vorzüge bilden die Voraussetzung für die geschichtliche Leistung des Apostels Paulus: ohne den ersten wäre er nicht der große Prophet des Christusglaubens geworden, ohne den zweiten nicht der erfolgreiche Missionar. Die besondere Artung dieses Menschen muß man zunächst ins Auge fassen, wenn man jener Leistung nahe kommen will. In den schon erwähnten apokryphen „Taten des Paulus" findet sich eine Beschreibung des Apostels: „klein von Gestalt, mit kahlem Kopf und gekrümmten Beinen, kräftig, mit zusammengewachsenen Augenbrauen und etwas hervortretender Nase, voller Freundlichkeit; erschien er doch einmal zwar wie ein Mensch, dann wieder hatte er eines Engels Angesicht". Es wird sich aber schwerlich beweisen lassen, daß dies mehr ist als die Schilderung eines Juden,

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der in einer gewissen Verklärung angeschaut wird, wie sie dem Apostel, dem Helden des Buches, gebührt.

Damit stehen wir vor der heute bisweilen gestellten Frage, ob Paulus denn wirklich der Rasse nach J u d e gewesen sei. Mindestens hat er sich dafür gehalten: „aus dem Volk Israel, Hebräer von Hebräern" — so hat er sich (Phil. 3 , 5 ) genannt. Ebenso hat er die Juden als seine Stammesgenossen bezeichnet (Rom. 9 , 3 ) und hat sich als Glied dieses Volkes, und zwar des Stammes Benjamin, als Nachkomme Abrahams gewußt (Rom. 11,1). Die einzige Spur, die möglicherweise zu einer anderen Auffassung berechtigen könnte, führt nach Qischala in Galiläa, von wo nach der schon besprochenen (s. S. 16 f.) Notiz des Kirchenvaters Hieronymus die Familie des Paulus ausgewandert sein soll. Wenn diese Nachricht richtig wäre, dürfte man fragen, ob in dem stark überfremdeten Galiläa die rein jüdische Abkunft der Familie sicher vorausgesetzt werden könne. Mit einer Möglichkeit, daß die Familie des Paulus nicht rein jüdisch gewesen sei, muß also immerhin gerechnet werden; doch bedeutet diese Möglichkeit nicht, daß die rein jüdische Herkunft des Paulus ernsthaft in Zweifel gezogen werden müßte. Das allgemeine Interesse gehört der Frage nach der rassischen Herkunft bei Paulus aber nicht ebenso stark wie im Falle Jesu. Viele wünschen Jesus dem Zusammenhang mit dem Judentum zu entnehmen; sie glauben, nur auf diese Weise das Evangelium verstehen zu können. Die Botschaft des Paulus dagegen will man weithin gar nicht „retten", sondern eher aus unserer Welt beseitigen. Man glaubt, diese Botschaft als typisch jüdisch anprangern, nicht aber ihren Zusammenhang mit dem Judentum lösen zu sollen. Dieser Zusammenhang ist übrigens in jedem Fall vorhanden, auch wenn Paulus kein reinrassiger Jude gewesen sein sollte. Denn die Voraussetzungen seines Denkens sind jüdisch und nicht griechisch, nur eben — der Unterschied wurde bereits im zweiten Kapitel verdeutlicht —

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27 diasporajüdisch. Denn Paulus ist, wie schon betont wurde (s. S. 16), zu Tarsus in Kilikien geboren; und da der Vater das römische Bürgerrecht besaß (s. S. 17), darf man auf ein gewisses Ansehn der Familie in Tarsus schließen. Muß ferner zwar unsicher bleiben, ob schon der Vater des Paulus zur Pharisäer-Gemeinschaft der jüdischen Heimat in Beziehung stand (s. S. 22), so geht aus des Paulus Bildungsgang hervor, daß strenges, rechtgläubiges Judentum dem Knaben Saul oder Paulus bereits vererbt wurde. Saul oder Paulus — so haben wir ihn zu nennen; denn die sprichwörtlich gewordene Vermutung, er sei erst durch die Bekehrung aus einem Saulus ein Paulus geworden, stimmt nicht zur Apostelgeschichte, die ihn erst 13,9, d.h. unmittelbar vor dem Einsetzen der Reise-Aufzeichnungen und wohl durch diese veranlaßt, Paulus zu nennen beginnt. Aber das geschieht wiederum zu früh, als daß die alte Vermutung gerechtfertigt würde, der Apostel habe sich nach dem von ihm dem Christentum gewonnenen Prokonsul Sergius Paulus von Zypern Paulus genannt — denn Sergius Paulus bekehrt sich erst 13,12. Nein, alles, was wir von jüdischer Namengebung wissen und aus der Formel, mit der der Name Paulus 13,9 eingeführt wird, erschließen können, legt die Annahme nahe, daß Paulus von Geburt an beide Namen getragen hat: Saul, den Namen des Königs, aus demselben Stamme Benjamin, dem der Apostel angehörte (Rom. 11,1), und Paulus, den wohl als klangverwandt empfundenen römischen Namen. Einen Synagogen-Namen und einen Welt-Namen zugleich zu tragen, war im Judentum jener Zeit und bis in die Gegenwart hinein gebräuchlich: ein Josua hieß Jason, ein Silas Silvanus, ein Johannes Markus. Geboren ist Paulus vermutlich um den Beginn unserer Zeitrechnung. Im Philemonbrief, der zwischen 55 und 60 geschrieben ist, nennt er sich einen alten Mann (Phm.9); nach den Begriffen von damals kann man aber jeden, der über 50 Jahre ist, so bezeichnen.

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Die Apostelgeschichte erwähnt Paulus zum ersten Mal bei der Steinigung des Stephanus (7,58) und spricht von ihm als einem jungen Mann; der Vorgang ppielt sich zwischen 30 und 35 ab, und die Bezeichnung läßt an einen mindestens 24 Jahre alten, vielleicht aber auch einen etwas älteren „jungen Mann" denken. Paulus wuchs in seiner Geburtsstadt Tarsus (s. S. 16) auf, und gewisse Elemente seiner Bildung zeigen, daß er an der hellenistischen Kultur seiner Heimat Anteil gehabt hatte. Hier ist vor allem seine Handhabung der griechischen Sprache zu nennen: es ist kein literarisches Griechisch, was er schreibt; aber dieser an ¡sich vulgäre Stil seiner Briefe, von denen sich die gebildetere Redeweise der Paulusreden in der Apostelgeschichte merkbar abhebt, weist doch in Formen, Konstruktionen, Wortspielen, Antithesen und Bildern Kennzeichen einer „höheren" Sprache auf, wie wir sie vor allem aus der volkstümlichen Rhetorik der stoisch-kynischen Wanderprediger, etwa des ein Menschenalter nach Paulus wirkenden Epiktetj kennen. Dort, wo er sich nicht in schwierige Beweisführung und komplizierte Auslegungen verliert, ist des Paulus Sprache lebendig, unmittelbar zu Herzen gehend, von einer ursprünglichen Kraft, wie sie der Literatur seiner Zeit längst abhanden gekommen war. Auch der Gebrauch der griechischen Bibel in Zitaten, Anspielungen und Erinnerungen deutet auf einen Autor, der im Griechischen zu Hause ist. Der Einfluß philosophischer Lehren ist bei Paulus nur in kurzen Anspielungen (Rom. 1,19. 20; 2,14; Phil. 4,8) und im Gebrauch gewisser Begriffe (Gewissen, Natur, Pflicht) zu spüren. Man darf diese griechischen Bildungselemente überhaupt nicht überschätzen. Es fehlen bei Paulus Zitate aus der höheren Literatur; denn der eine ohne Zitationsformel eingeflochtene Vers aus Menanders Komödie „Thais" (1. Kor. 15,33) kann zum Sprichwort geworden sein. Es ist eine völlig andere, „gebildetere" Art, in der die Apostelgeschichte ihren Paulus, vor

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allem auf dem Areopag, reden und zitieren läßt (17,28). Und wenn der wirkliche Paulus Bilder von Wettkämpfen braucht, wie namentlich l . K o r . 9,25 bis 27, so müssen wir daraus noch nicht auf häufigen Besuch solcher Veranstaltungen schließen; denn diese wie die Bilder vom Heerwesen oder von Milch und fester Speise oder vom Leib ( l . K o r . 14,8; 3 , 2 ; 12, 12 ff.) waren Qebrauchsgut der populären Philosophie. Deren Predigten aber konnte man auf den Straßen u n d Plätzen von Tarsus vernehmen, wie in den andern hellenistischen Städten. Und vielleicht brauchte der junge Jude nicht einmal stehen zu bleiben, um ihnen zu lauschen; gewiß hatte diese Art volkstümlicher Rhetorik auch auf die Beredsamkeit abgefärbt, wie sie in den griechisch sprechenden Synagogen-Versammlungen gepflegt wurde. So ist es wohl möglich, daß Saul-Paulus auch Griechisches durch Vermittlung des Judentums empfangen hat. Vor allem aber hat er jüdisches Erbgut übernommen: die zentrale Bedeutung des Glaubens an den heiligen und gerechten Gott und die Ausrichtung des Lebens und Denkens nach seinem Gesetz. Aber dies, was dem gesamten rechtgläubigen Judentum im Mutterland Palästina wie draußen in der „Zerstreuung" gemeinsam war, hat Paulus in Tarsus zunächst in einer hellenistischen Ausprägung empfangen; es ist ihm ja von der dortigen Synagoge auch zuerst in griechischer Sprache vermittelt worden. Mit diesem hellenistischen Erbteil hängt es zusammen, daß heutige Juden, die vom Rabbinismus herkommen, die Paulusbriefe als fremdartig und un jüdisch empfinden. In der Tat könnten weder die Spekulation von dem ersten und letzten Menschen 1. Kor. 15,45.46 noch die Deutung von Hagar und Sara auf das jüdische und das christliche Verhältnis zu Gott Gal. 4,22ff. im Talmud stehen. Andrerseits darf man bei dieser Art hellenistischen Judentums nicht an den typisch hellenistischen Exegeten des Alten Testaments, an Philo von Alexandria, denken.

Der Mensch Paulus 30 Auch wenn wir von allem absehen, was Paulus, den Christen, von Philo trennt, bestehen hier große Unterschiede schon in der Wertung des Gesetzes. Der Alexandriner führt die gesetzlichen Vorschriften auf allgemein menschliche Gedanken zurück und deutet zugleich die Erzählungen der Genesis auf das mystische Leben der Einzelseele mit Gott, auch hier bemüht, den Bildungswert des Alten Testaments im Sinn der Philosophie zu erweisen; der Apostel dagegen liest aus ihm Gottes strenge Forderungen wie seine Offenbarungen vom Schicksal des Volkes Israel und der Menschheit heraus, zeigt sich also viel weniger bereit zu einer hellenisierenden Umdeutung des heiligen Buches. Das hängt zweifellos damit zusammen, daß Paulus im jüdischen Mutterland, in Jerusalem selbst, in der Gesetzeslehre geschult worden ist. Er ist nach Apg. 22,3 „erzogen in dieser Stadt, als Schüler Gamaliels genau nach dem väterlichen Gesetz unterwiesen". Das klingt fast, als wäre Paulus schon als Kind nach Jerusalem gekommen; aber das wäre angesichts der hellenistischen Elemente in seinem Denken eine unwahrscheinliche Behauptung. Die Eltern mögen in Tarsus geblieben sein; Saulus-Paulus aber ist als junger Mensch nach Jerusalem gegangen, um dort zu studieren, d. h. eine rabbinische Ausbildung zu erhalten. Wenn die Familie wirklich aus Palästina eingewandert war, und wenn etwa nicht nur der Schwestersohn (Apg. 23,16), sondern auch die Schwester des Paulus in Jerusalem lebte, ist diese Obersiedlung wohl begreiflich; daß es einen Pharisäer nach der Hauptstadt des Judentums zog, wäre aber auch ohnedies zu verstehen. Paulus nennt sich selber im Rückblick auf jene Zeit „tadellos gerecht im Sinn des Gesetzes" und berichtet: „im Eifer für die Satzungen der Väter brachte ich es weiter als viele Altersgenossen in meinem Volk" (Phil. 3,6; Gal. 1,14). Daraus darf man aber nicht ohne weiteres schließen, Paulus wäre ein voll ausgebildeter rabbinischer Gelehrter, ein ordinierter Richter, gewe-

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sen. Dagegen macht vor allem bedenklich, daß Paulus als Christ von der jüdischen Lehre ein einseitiges Bild entwirft. Die prophetische Gewalt seiner Verkündigung, die nur die Erhellung der ihm geschenkten Offenbarung zum Ziel hat, mag daran beteiligt sein, auch die Psychologie des Bekehrten, die ihn sein Leben vor der großen Wendung als e i n e n verhängnisvollen Irrweg sehen läßt. Aber diese beiden Gründe genügen nicht zur Erklärung. Wenn Paulus Gal. 5,3 jedem Juden die Aufgabe stellt, das ganze Gesetz unverbrüchlich zu halten, zugleich aber betont, daß kein Sterblicher durch Erfüllung des Gesetzes gerecht werde (Gal. 2,16; Rom. 3, 20), so hat er die grundsätzliche Forderung der Gesetzesreligion in erschütternder Weise gekennzeichnet; aber ein korrekter Schüler der Rabbinen hätte sich daran erinnern müssen, daß deren Lehre auch der vergebenden Liebe einen gewissen Raum gab. Das Wort Gottes an Mose „wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig" (2. Mose 33, IQ) verstand ein rabbinischer Kommentar so, daß Gott zwar dem verdienten Mann nach seinem Verdienst gebe, dem Verdienstlosen aber seine Gnade umsonst schenke (Tanchuma ed. Buber Kitissa § 16, S. 116). Paulus dagegen hat aus demselben Wort die Kundmachung des absoluten Willens Gottes herausgehört, der frei wähle, wen er mit Frömmigkeit begnade und wen er verstocke (Rom. 9,15). Auch diese Anschauung von einer individuellen Gnadenwahl ist nicht korrekt jüdisch; die Rabbinen betrachteten als Objekt der Erwählung das „auserwählte" Volk, und die Zugehörigkeit zu ihm oder zu seinem frommen Kern — als solcher fühlten sich die Pharisäer — gab dem einzelnen die Bürgschaft des Heils. Daß auch die Art, wie Paulus das Alte Testament gebraucht, nicht immer die rabbinische ist, wurde schon an Beispielen gezeigt (s. S. 29). Zu den Gedankenreihen, die bei einem durchschnittlichen Pharisäer auffallen würden, gehört auch die starke Hervorhebung der apokalyptischen Hoffnung.

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Sie wäre bei einem christlichen Apostel selbstverständlich; was aber bei Paulus auffällt, ist, daß er von dem Kommen des Messias Dinge aussagt, deren Kenntnis er nach unserm Wissen weder von der christlichen Gemeinde noch von rabbinischen Lehrern empfangen haben kann; die Kapitel 1. Kor. 15,2. Thess. 2,1. Kor. 2, Kol. 1 bieten Beispiele davon. Es handelt sich hier teils um Elemente volkstümlichen Glaubens, teils aber auch um Spekulationen, wie sie im Diaspora-Judentum gepflegt wurden, und wie wir sie in gnostischen Schriften wiederfinden. Die Rabbinen dagegen haben kfeine geschlossene Eschatologie; sie behandeln einzelne Fragen aus diesem Gebiet in ihrer Weise, indem sie Zeitberechnungen und exegetische Einzelheiten damit verbinden — und das ist kein Wunder, denn in ihrem Reich der Gesetzesinterpretation und Gesetzeserfüllung gibt es keine wirkliche Gespanntheit auf die Zukunft, da alles Interesse der Gegenwart und ihren kleinen und großen Pflichten gehört. Auch unter diesem Gesichtspunkt darf man also bezweifeln, daß das Judentum, in das Paulus hineinwuchs, und das er sich mit leidenschaftlichem Eifer aneignete, das korrekt rabbinische war. Die gleiche Frage wäre im Blick auf die Gedanken zu erwägen, die man bei dem Christen Paulus als mystische oder gnostische bezeichnet, und die seiner Christusfrömmigkeit ihre eigentümliche Tönung geben — wüßten wir nur, ob Paulus auch schon als Jude mit solchen Gedanken und Empfindungen umgegangen ist. Man kann der Ansicht sein, daß es sich nur um eine Anlage des Menschen Paulus handle, die in seiner jüdischen Zeit nicht in Erscheinung getreten sei; man kann freilich auch auf das Vorkommen mystischer Gedanken im hellenistischen Judentum, besonders bei Philo, verweisen und annehmen, daß Paulus von derartigen Strömungen beeinflußt war. Dann wäre er auch in diesem Stück kein rabbinischer Jude gewesen. Denn Mystik gedeiht dort nicht, wo man keinen andern Dienst des ewigen Gottes kennt als die Erfüllung seiner Gebote.

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Um auch noch von einer biographisch wichtigen Folgerung der fraglichen Ansicht zu reden: ein rabbinischer Lehrer würde nach dem Talmud sich wahrscheinlich für verpflichtet gehalten haben, früh zu heiraten — und so hat man denn auch gelegentlich Paulus zum Witwer machen wollen, da er sich 1. Kor. 7 als unverheiratet gibt. Aber gerade dieses Kapitel zeigt in drastischer Weise die Verlegenheit, in der sich Paülus der Ehefrage gegenüber befindet: er soll als Eheloser und für Ehelosigkeit Begeisterter den Korinthern aus seelsorgerlichen Gründen zur Ehe raten. Man merkt seine inneren Hemmungen aus der Art, wie er zwischen Gebot und Erlaubnis, zwischen W o r t des Herrn und seinem eigenen Rat unterscheidet, und wie er zum Schluß, ohne auf die sonst betonte apostolische Autorität zu pochen, seine Meinung mit dem bescheidenen Satze stützt: „und ich meine doch auch den Geist Gottes zu haben". W e m diese F r a g e solche Schwierigkeiten bereitet, der besitzt keine eigene Erfahrung von der E h e : Paulus war Junggeselle, nicht Witwer.

So muß also die Darstellung der Apostelgeschichte 2 2 , 3 , sofern sie Paulus zum korrekten Rabbinenschüler macht, als einseitig gelten, und wir haben keinen Anlaß, um dieses Verses willen anzunehmen, Paulus sei schon als Kind nach Jerusalem verbracht worden. Es haben eben erst, in Tarsus, hellenistisch-jüdische und dann, in Jerusalem, rabbinische Einflüsse auf Saul-Paulus gewirkt. Die Überlieferung, daß Paulus Schüler Gamaliels gewesen sei, muß deswegen nicht bestritten werden; nur zum ordinierten •Richter braucht man ihn nicht zu machen, auch nicht im Zusammenhang mit dem Stephanusmartyrium und der Damaskusreise. In dem Oamali&l der Apostelgeschichte findet man gewöhnlich den im Talmud genannten „ R a b b a n " Gamaliel I. wieder, doch dies ist aus chronologischen Gründen nicht ganz sicher. Gewiß ist aber, daß Paulus Pharisäer war und in der Gesetzeslehre geschult; gewiß ist, daß er dem pharisäischen Lebenskreise und dem Judentum überhaupt — trotz aller Einschränkungen, die hier zu machen waren — einen großen Teil seines geistigen Besitzes verdankt. D i b e l i u s , Paulus.

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Im pharisäischen Judentum war er ja auch schon in Tarsus aufgewachsen. Dazu gehört es auch, daß er ein Handwerk lernte. Apg. 18,3 wird dieses Handwerk mit einem Wort bezeichnet, das „Zeltmacher" bedeutet, das aber die Schriftsteller der Alten Kirche als Lederarbeiter erklären. Paulus ist aber nach seiner sozialen Stellung nicht als Handarbeiter zu betrachten ; der Jude, der sich dem Dienst des Gesetzes widmen wollte, lernte ein Handwerk um seiner Unabhängigkeit willen. Dem Juden Paulus war auch sonst manches in Anschauung und Sitte selbstverständlich, was später seine Gemeinden heidenchristlichen Ursprungs befremdet haben mag. Daß Juden auch als Christen nach jüdischem Brauch lebten, aßen, beteten, ist ihm, zumal in Palästina, nicht anstößig gewesen — sie durften sich nur nicht ein Verdienst vor Gott daraus machen und durften ihren Mitchristen nichtjüdischer Herkunft nicht dieselben Sitten auferlegen; nationale Bräuche durften bei Christen nicht wieder religiöse Leistungen werden! Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich vielleicht Handlungen, die aus seinem apostolischen Wirken berichtet werden, in ihrem Nebeneinander verstehen, obwohl die kritische Forschung ihre Unvereinbarkeit oft behauptet hat. Paulus legt Gal. 2,3 Wert auf die Feststellung, daß der Heidenchrist Titus, sein Begleiter auf der Reise zum Apostelkonvent, in Jerusalem nicht zur Beschneidung veranlaßt worden sei. Die Apostelgeschichte berichtet aber 16,3, daß Paulus den christlichen Halbjuden Timotheus, als er sich ihn zum Missionsgehilfen wählte, habe beschneiden lassen, „in Rücksicht auf die Juden in jenen Gegenden" (gemeint sind die kleinasiatischen Städte Lystra und Ikonium). Timotheus war eben halbjüdischer Herkunft und sollte bei der Missionsarbeit den Juden nicht als Abgefallener gelten. Des Titus Beschneidung in Jerusalem aber hätte das Geständnis eingeschlossen, daß der jüdische Ritus für Christen verbindlich, also verdienstlich sei. Man wird also beides aus der besonderen Stellung des Pau-

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lus geschichtlich verstehen können; dann liegt aber auch kein Qrund zur Bestreitung vor, zumal eine Erfindung jener kurzen beziehungslosen Notiz über Timotheus schwer vorstellbar wäre; die Apostelgeschichte nimmt sonst keine besondere Notiz von Timotheus und erwähnt ihn nur mit andern zusammen. Auch die Nachricht desselben Buches 21,23—26, daß Paulus als Christ sich in irgendeiner Weise an der Gelübde-Absolvierung von vier Judenchristen im T e m pel zu Jerusalem beteiligt habe, kann trotz ihrer Bestreitung durch die Kritik vielleicht doch als glaubwürdig gelten. Der christliche Apostel will zeigen, daß er dem Gesetz seiner Väter Achtung erweist und nicht etwa den Judenchristen auf dem Missionsfeld die Befolgung seiner Vorschriften verwehrt — wenn sie diese nur nicht f ü r ein Verdienst halten oder sie von den Heidenchristen verlangen. W e r will sagen, ob Paulus selbst sich in seinem persönlichen Leben nicht an das jüdische Gebetsritual hielt? Der Radikalismus seines Glaubens erwies sich auf anderm Gebiet, und man muß sich hüten, ihn „protestantisch" zu verzeichnen. In seinen Briefen hat er mindestens einmal jüdischen Brauch auch bei heidenchristlichen Gemeinden vorausgesetzt — und zwar, weil er in allen christlichen Gemeinden galt: als er den Frauen zu Korinth untersagte, in der prophetischen Ekstase oder beim freien Gebet (das dann wohl als inspiriert galt) das Kopftuch, das ihr Haar bedeckte, herunter zu reißen (1. Kor. 11,2—16). Und wenn wir den Text recht verstehen, hat er die Kopftuch-Sitte so begründet, wie er sie als jüdischer Knabe erklärt bekommen hat: wenn die Frau, das schwächere Geschlecht, selbständig ins Überirdische vordringt, muß sie sich der Engel erwehren, die auf sie eindringen oder sie hemmen. Das tut sie mit dem Kopftuch, das bannende Kraft besitzt und somit eine „ M a c h t " auf ihrem Haupte darstellt. Wir können uns diese Vorstellungen nur aus religionsgeschichtlichen Parallelen lebendig machen, die es 3*

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gibt; für Paulus aber waren sie lebendig, weil er in der Lebenswelt einer antiken Religion groß geworden war. Doch das alles sind schließlich Kleinigkeiten im Verhältnis zu dem, was er im Judentum hauptsächlich gelernt hat, so gründlich gelernt hat, daß er wie keiner vor ihm seine Unvereinbarkeit mit dem Christusglauben erkannt hat: es ist die Begründung des Heils auf das Gesetz und die daraus folgende Konzentration des gesamten Lebens auf das Gesetz. Er würde nie mit solcher Radikalität Christus verkündigt haben, wenn er nicht erst mit solchem Ernst Jude gewesen wäre. Und eines ist ihm auch als Christ unantastbar geblieben: die Oberzeugung von dem göttlichen Ursprung des Gesetzes. Das ganze Alte Testament blieb auch dem Christen Paulus das Buch der Offenbarung, das die einzig zutreffende Kunde von Gott vermittelte — mochten auch seine Vorschriften dem Menschen infolge der Infektion durch die „Sünde" Unheil statt Heil gebracht haben. Darum gilt es für Paulus den Christen, dies Buch zu verstehen, womöglich besser zu verstehen, als die Juden es verstanden. Aber wenn er sich nun in Einzelheiten vertieft, ist es ihm natürlich, auch gegen die Juden die exegetische Technik anzuwenden, die er bei den Juden gelernt hatte. So finden wir in seinen Briefen einige der Regeln angewandt, die wir aus dem rabbinischen Schrifttum als Auslegungsregeln kennen: den Schluß vom Schweren aufs Leichte, allerlei Arten von Zitatenkombinationen, die Ergänzung eines Satzes durch die Verneinung des Gegenteils usw. Damit ist auch jener merkwürdige Denkstil gegeben, der auf Assoziationen und Kontrasten beruht und oft von einem Zitat zum andern führt. Wenn Paulus „Leben" sagt, denkt er sofort „nicht Tod", vom Fleisch kommt er mit diesem Konstrastdenken zum Geist, vom geistlichen zum natürlichen Menschen usw. Diese Dinge befremden jeden, der etwa vom Schrifttum der antiken Philosophie zu Paulus

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kommt; wer aber die Paulusbriefe mit dem Talmud vergleicht, wird erkennen, daß Paulus von der Beweistechnik seiner rabbinischen Schule einen sehr gemäßigten Gebrauch gemacht hat. Von ganz anderen, hellenistisch anmutenden Elementen seiner Auslegungstechnik war bereits die Rede (s. S. 29). Das Denken des Paulus ist uns aber überhaupt fremd. Er will ja seinen Lesern oft Dinge b e w e i s e n , die ihm persönlich schon im Zusammenhang seines Christusglaubens gewiß geworden sind. Diesem Ziel strebt er dann von seinem Ausgangspunkt mit Leidenschaft zu, ohne nach rechts und links zu sehen; er zieht keine Folgerungen für andere Oedankengänge; er ist Oelegenheitsdenker, nicht Systematiker. Hier hat sich offenbar jüdisches Erbgut mit einer wesentlichen Anlage seiner leidenschaftlichen Seele verbunden. Ebenso wird man die Tatsache beurteilen dürfen, daß diesem ersten theologischen Denker des Christentums die Werke der griechischen Philosophie, die später so großen Einfluß auf die christliche Theologie gewannen, im Ganzen fremd geblieben sind. Und fremd blieb ihm auch das andere Gebiet, auf dem die Griechen durch Schöpfungen höchsten Ranges die Welt bereichert haben: die bildende Kunst. Es war jüdische Erziehung zur Bilderfeindschaft, es war jüdische Strenge monotheistischen Denkens, was ihn an diesen Werken teilnahmslos vorbeigehen oder aber in ihnen nur Götzendienst sehen ließ, wie es Apg. 17,16 aus Athen berichtet wird. Wer sich in Paulus einfühlen will, muß sich auch dies gegenwärtig halten, daß er zur Kunst, auch zur Dichtkunst, keinen Zugang hat. Und wenn manche Abschnitte in seinen Briefen künstlerisch wirken, so ist die unbewußte Gestaltungskunst des Predigers, dem es „ernst ist, was zu sagen", in Verbindung mit Schulung durch die hellenistische Beredsamkeit die Ursache. Auch bei seinem Stil mögen seelische Anlagen nicht unbeteiligt sein, etwa die leidenschaftliche Einseitig-

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keit, mit der Paulus erst die Verfolgung der Christen, dann die Gewinnung des Heils durch Christus erstrebte. Das Verständnis seines Charakters ist nicht leicht, obwohl wir ja durch die Briefe einen Einblick in sein Inneres erhalten, wie er uns bei nicht vielen antiken Persönlichkeiten möglich ist. Manches, was wir dabei wahrnehmen, ist erst aus dem Bekehrungserlebnis zu erklären. Aber wenn man in Korinth von ihm sagt, nur die Briefe klängen nach Stärke, sein persönliches Auftreten aber sei eindruckslos (2. Kor. 10,1.10), wenn man sich beklagt, daß auf seine Reisepläne kein Verlaß sei (2. Kor. 1,13—2,1), wenn wir selber erleben, wie schnell er von hartem Tadel zur Versöhnung umlenkt (2. Kor. 1,5—11), und wie Selbstbewußtsein und Selbstverkleinerung abwechseln (beide Korinther briefe, aber auch Rom. 15,14—19), so gewinnen wir den Eindruck, daß im Charakter des Paulus Strenge und Weichheit, Höhen und Tiefen dicht beieinander liegen. Ziehen wir dazu die fast ständige Bewegtheit seiner Aussprache, die Erregtheit seines „emotionalen" Denkens in Betracht, so stellt sich uns von selbst die Frage, ob dies alles nicht auf eine äußerst empfindliche nervöse Konstitution zurückzuführen sei. Sie würde sich stellen, auch wenn Paulus nicht selbst andeutete, daß er mit einer chronischen Belastung durch Krankheit zu kämpfen habe. Denn auf eine Krankheit muß man die W o r t e 2. Kor. 12,7 beziehen: „und damit ich mich nicht überhebe ob der Fülle der Gesichte, ward mir ein Stachel verliehen f ü r meinen Körper; ein Satansengel soll mich schlagen". Man wird bei dem einen Bild an ein immerwährendes, also chronisches Leiden denken, bei dem zweiten an bestimmte, von Zeit zu Zeit einsetzende Anfälle. Die zweite Stelle, an der Paulus von seiner Krankheit spricht, findet sich Gal. 4,13—15: „ihr wißt, das erste Mal predigte ich euch, während mein Körper krank war, und ihr habt die Versuchung, die für euch in meinem körperlichen Zustand lag, nicht

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abgewiesen noch davor ausgespuckt, sondern habt mich wie einen Engel Gottes aufgenommen, ja wie Jesus Christus selbst . . . ich kann euch ja bezeugen, daß ihr euch womöglich die Augen ausgerissen hättet, um sie mir zu geben". Die letzten Worte sind doch wohl ein Bild und nicht eine Andeutung über die Art der Krankheit (man hat an Augenmigräne gedacht). Eine Andeutung aber liegt vielleicht in dem Worte „ausspucken". Das Spucken ist im Altertum und auch heute noch im Volksglauben ein „apotropäischer" Ritus, mit dem man sich vor Geistern schützt, und auf böse Geister führte antiker Volksglaube schließlich jede Krankheit zurück. Aber es war doch vor allem ein Leiden, vor dem man ausspuckte, und das deswegen geradezu „die Krankheit, vor der man spuckt" genannt wurde: die Epilepsie. Früher hat man alle Arten Krämpfe auf Epilepsie zurückgeführt und dementsprechend nicht nur Mohammed und Dostojewski, sondern auch Caesar, Peter den Großen j n d Napoleon zu den „großen Epileptikern der Weltgeschichte" gezählt. Die medizinische Beurteilung von Krampfanfällen hat aber in der neuesten Forschung eine Auflockerung erfahren, vor allem durch die kritische Frage, ob es sich um eine wirkliche Krankheit — also um einen fortschreitenden Prozeß — handelt oder um einen Symptomkomplex, eine Reihe von einzelnen Anfällen auf Grund körperlicher Bereitschaft dazu („iktaffine Diathese"). Für Paulus kommt, soviel wir urteilen können, nur das letzte in Betracht; er litt also wahrscheinlich an gelegentlich auftretenden Krampfanfällen, die seine Leistungsfähigkeit im allgemeinen nicht beeinträchtigten. Denn der Mann, der mit 50 und 60 Jahren diese Briefe schrieb, leidet nicht an einem fortschreitenden und seinen Geist schwächenden Krankheitsprozeß, und wer in diesem Alter noch diese Reisen — oft, wenn nicht immer, zu Fuß (Apg. 20,13) — unternimmt, ist kein Epileptiker (und im Blick auf die Leistung des Apostels hat man ja der

40 Der Mensch Paulus Diagnose Epilepsie oft widersprochen). Überhaupt soll man sich hüten, überall im Leben des Paulus Spuren dieser Krankheit wahrzunehmen; seine geistige Persönlichkeit ist intakt geblieben. Er selbst hat die Krankheit als schwere Belastung seines Lebens empfunden und sich erst nach einer Christus-Offenbarung darein ergeben (2. Kor. 12,9). Ihm scheint die ständige Bedrohung ein Gegengewicht zu sein gegen die Fülle der Offenbarungen, die ihm zuteil geworden ist. Wir aber dürfen trotzdem fragen, ob nicht gerade ein Zusammenhang besteht zwischen der visionären Veranlagung, die Paulus zweifellos besessen hat, und jener labilen Konstitution, mit der die Anfälle zusammenhängen. Ob das Bekehrungserlebnis mit einem Anfall verbunden, ob die Hemmungen, die Paulus beim Reden empfunden hat (2. Kor. 11,6), krankhafter Art waren, ob jene Niederlage vor den Gegnern zu Korinth, von der wir noch hören werden (s. S. 125 f.), durch einen Anfall bedingt war, hat man gefragt und kann man fragen. Aber man darf den Inhalt der Bekehrung nicht ins Pathologische verflüchtigen und darf die Leidenschaft, mit der Paulus den Kampf zu Korinth führt, nicht mit einer medizinischen Diagnose verharmlosen. Denn hier sind aridere Seiten seiner Persönlichkeit im Spiel: seine Sache und sein Charakter. Von der Leidenschaft dieses Charakters und von der Bewegtheit seines Denkens war schon die Rede, auch von dem Nebeneinander von Hoch und Tief in Stimmung und Selbsteinschätzung. Der Größe seiner Leidenschaft entspricht die offenbar angeborene Aktivität: als Jude wie als Christ muß er werben und um das Geworbene kämpfen. Daß manche seiner Briefe zu wahren Konfessionen werden, gehört dazu: er muß sich aussprechen, seiner Erkenntnis Anhänger gewinnen und Gegner — auch nur mögliche Gegner wie im Römerbrief — abwehren. Eine Folge dieser Aktivität ist offenbar die schnelle Reaktionsfähigkeit, die sein Verhalten nach der Bekehrung zeigt, und die er bei

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Korinthern und Galatern so schmerzlich vermißt: ich an eurer Stelle hätte längst gehandelt! (1. Kor. 5,3; Oal. 3,1—5; 5,2—12). Daraus entsteht die für den Missionar so wichtige Fähigkeit, sich anzupassen: „ich weiß mich zu ducken, ich weiß mich zu recken" (Phil. 4,12). Daraus ergibt sich aber auch ein schneller Wechsel von Empfindungen, die bei Paulus nicht nur nacheinander, sondern auch nebeneinander geordnet sind: er begreift, wenigstens als Christ, sich selber als Träger besonderer Gnade Gottes, zugleich aber auch als den geringsten der Apostel (1. Kor. 15, 9.10). Aber hie r ist wohl erst von dem Christen Paulus, der grundsätzlich Bürger zweier Welten ist, manches erkannt und bejaht worden, was in seiner eigenen Natur schon vorgebildet war; daß die Begnadung mit Gottes Geist den Menschen nahezu zerreißen kann, den schwachen Menschen und den Träger des Geistes — „als die Sterbenden, und siehe, wir leben" (2. Kor. 6,9) —, das hat Paulus so stark betont, daß wir merken, wie dualistisch er angelegt ist. Was ihm gänzlich abgeht, ist der Drang, die Welt und sich selber als organische Einheit zu verstehen; das Bild vom Leib und den Gliedern, das die antike Literatur häufig von dieser Einheit gebraucht, hat auch Paulus angewandt, aber — auf die Gemeinde! Seinem Wesen fehlt Einheit, Ausgeglichenheit, Harmonie, und somit seinem Denken formal jede Systematik, inhaltlich jeglicher Humanismus. So war Saul-Paulus, so wurde er aus Anlage und Erziehung, in Tarsus und Jerusalem: ein junger Jude, im Gesetz geschult, aber mehr wissend und weiter blikkend als der durchschnittliche werdende Rabbi, Pharisäer, aber auch römischer Bürger, leidenschaftlich dem Dienst Gottes und seines Gesetzes ergeben, zu Werbung und Verteidigung bereit — es wäre befremdlich, wenn ein solcher der aus anderen sozialen Regionen aufsteigenden christlichen Bewegung mit vorsichtig wägender Neutralität gegenüber gestanden hätte, wie es vielleicht sein Lehrer Gamaliel tat (Apg. 5,34). Pau-

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lus mußte Stellung nehmen; er tat es und wurde zum Christenverfolger. 4. Die Wendung zu Christus Paulus gehört zu den Menschen, deren Leben durch ein einziges Ereignis in zwei Hälften zerrissen worden ist. Man redet von seiner Bekehrung, darf sich dabei aber nicht von falschen, mit dem Wort verbundenen Vorstellungen beeinflussen lassen. Paulus ist nicht wie einer, der auf der Bußbank der Heilsarmee kniet, von einem Leben der Sünde zu einem Leben der Gerechtigkeit „bekehrt" worden; eher dürfte man sagen, er habe sich von einer Religion der Gerechtigkeit zu einer Religion des Sünders gewendet. Er ward auch nicht von einem falschen Gott zu dem einen wahren Gott „bekehrt", sondern von einer falschen Weise, Gott zu verehren, zur rechten, nämlich von der Christenverfolgung im Namen Gottes zum Christusdienst zu Ehren desselben Gottes. Lukas hat in seine Apostelgeschichte das Martyrium des ersten christlichen Blutzeugen, Stephanus, aufgenommen. Die Gemeinde hatte den Bericht bewahrt, Lukas hat ihn mit einer großen Rede ausgeschmückt und hat am Schluß ein paar Bemerkungen eingefügt, die den Einzelvorgang mit der Haupthandlung verbinden sollen. Hier lesen wir, daß Saulus bei der Steinigung des Stephanus zugegen gewesen sei und sie als gerecht befunden habe (7,58; 8,1). Daran anknüpfend hat Lukas die Erzählung von der Bekehrung dieses Saul-Paulus mit der Nachricht eingeleitet, Saulus habe sich vom Hohepriester eine briefliche Vollmacht an die Synagogen zu Damaskus geben lassen, die ihn berechtigte, auch dort eine Christenverfolgung ins „Werk zu setzen" (9,1). Ähnliches hatte Paulus schon in Jerusalem und Judäa getan (26,10.11); warum er jetzt gerade nach Damaskus gent, wissen wir nicht; vielleicht hat er Beziehungen zur dortigen Judenschaft, oder die Christen, die noch innerhalb des Synagogen-

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Verbandes stehen, bilden dort eine besonders ernsthafte Gefahr. Dies alles wird durch Paulus selbst im wesentlichen bestätigt: er hat die Gemeinde Gottes verfolgt (1. Kor. 15,9; Phil.3,6); er war ein besonderer Eiferer für die väterlichen Überlieferungen (Gal. 1,14). Richter brauchte er deswegen noch nicht zu sein; Apg. 26,10, wo Luthers Übersetzung von Urteilsspruch redet, ist nur gemeint: „wenn sie getötet wurden, stimmte ich zu". Die kritischen Einwände, die man gegen diese Nachrichten erhoben hat, haben nicht viel Gewicht. Man hat gemeint, der Satz des Galaterbriefs „ich war den judäischen Christengemeinden unbekannt" (1,22) schließe eine Christenverfolgung durch Paulus in Judäa aus. Aber es ist eine naive Vorstellung, die annimmt, die Opfer der Verfolgung hätten den, der sie betrieb, persönlich kennen müssen. Man hat auch ohne zureichenden Grund bezweifelt, daß der Hohepriester dem Saulus solche Vollmachten geben konnte; Hohepriester und Synedrium hatten zwar in Damaskus nicht Recht zu sprechen, wohl aber konnten sie als geistliche Zentralbehörde ihren Einfluß ausüben und gerade zur Entfesselung einer Volksbewegung innerhalb einer auswärtigen Judengemeinde sich eines nicht beamteten Sendlings bedienen. So steht jenseits aller kritischen Bedenken das Bild deutlich vor unserm Auge: SaulPaulus, Rabbinenschüler und zugleich mit den Verhältnissen der Diaspora vertraut, leidenschaftlichen Gemüts, aber alle Leidenschaft in den Eifer um die heilige Sache zusammendrängend, wird in die Christenverfolgung zu Jerusalem hineingerissen und bis zu Grausamkeiten getrieben (Apg. 26,10.11) — die Geschichte der Religionsverfolgungen weiß auch sonst von solchem Fanatismus gerade bei religiös bewegten Charakteren Beispiele zu berichten. Unter Sauls führender Beteiligung greift die Verfolgung über Jerusalem hinaus, und nun übernimmt er selbst die Initiative und reist mit einigen Begleitern nach Damaskus, das

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heiliggrausame Werk dort fortzusetzen. Unterwegs, dem Ziel schon nahe, erlebt er das, was man seine Bekehrung zu nennen pflegt. Eine von himmlischem Licht umstrahlte Erscheinung eben des Jesus von Nazareth, dessen Gemeinde er verfolgt, gebietet ihm Halt; eine Tage währende Blindheit zeigt ihm nach antikem Glauben, daß seine Augen Göttliches geschaut haben. Ob und inwieweit seine Krankheit beteiligt war, können wir nicht ermessen; ihm bedeutet der Vorgang nicht eine Niederlage des Körpers, sondern eine Überwindung des Menschen Paulus durch Jesus den Christus. Die alte Geschichte Apg. 9, der gegenüber die beiden andern Berichte in den Reden Kap. 22 und 26 nur rhetorische, „gebildete" Ausformungen sind, erzählt im Legendenstil zu Ende: ein frommer Judenchrist in Damaskus, Ananias, sei durch eine Vision aufgefordert worden, zu Saul aus Tarsus zu gehen, der bei Judas in der „geraden Straße" (heute Darb-el-Mostakim) wohne. Ananias, der sich zunächst aus Furcht vor dem Christenverfolger sträubte, gehorcht schließlich und heilt Paulus von seiner Blindheit. Die Folge ist nicht nur die Taufe des Paulus und seine Aufnahme in die Christengemeinde von Damaskus, sondern auch sein selbständiges Auftreten als christlicher Prediger. Die Apostelgeschichte läßt ihn alsbald nach seiner Bekehrung mit der Predigt in Damaskus beginnen; im Galaterbrief berichtet Paulus von jener Zeit ausführlicher: „als es ihm gefiel, der mich von Mutterleib ,an erwählt und durch seine Gnade berufen hat, seinen Sohn in mir zu offenbaren, damit ich ihn der Heidenwelt verkündige, habe ich keine Menschenseele um Rat gefragt, bin auch nicht nach Jerusalem hinaufgegangen zu denen, die vor mir Apostel waren; nein, ich ging nach Arabia und kehrte von dort wieder nach Damaskus zurück" (Gal. 1,15—17). Da es gleich darauf heißt, daß die Christen in Judäa Gott priesen, der aus dem Verfolger einen Prediger gemacht habe, hat

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auch nach diesem Selbstzeugnis Paulus bald nach seiner Bekehrung mit christlicher Missionsarbeit begonnen. Mit Arabia ist nicht die Wüste gemeint — als hätte Paulus durch ein Einsiedlerdasein sich auf seinen Beruf vorbereiten wollen —, sondern das von Damaskus aus viel selbstverständlichere Nabatäerreich Arabia. Vielleicht hat er auch dort schon missioniert, jedenfalls aber in Damaskus. Es ist eine Entwicklung von staunenswerter Schnelligkeit, wenn es überhaupt eine „Entwicklung" ist. Es scheint, als seien die Elemente, aus denen der christliche Missionar gebildet wird, schon in dem Christenverfolger verborgen gewesen, und als habe die Christuserscheinung den Umsturz bewirkt, der sie hervortreten ließ. Kein Wunder, daß die Judenschaft über den Abfall Sauls entrüstet ist; kein Wunder, daß sie ihn beseitigen will; kein Wunder endlich, daß sie es in der fremden heidnischen Stadt mit einem Handstreich versucht. Die Apostelgeschichte hat 9,24.25 nur die Schluß-Szene erhalten, die Flucht des Saulus über die Stadtmauer, da die Juden die Tore bewachen lassen." Der Apostel selbst schildert ausführlicher 2. Kor. 11,32: der Ethnarch des nabatäischen Königs Aretas, also ein Bedüinenscheich, habe die Stadt Damaskus (d.h. wohl die Tore) bewachen lassen, und so habe Paulus nur fliehen können, indem er in einem Korb über die Stadtmauer heruntergelassen wofden sei. Will man nicht die schwierige Voraussetzung machen, Aretas habe in Damaskus etwas zu sagen gehabt, so wird man beiden Darstellungen am besten durch die Annahme gerecht, die Juden hätten den Beduinenscheich gedungen, dem Saulus beim Passieren irgendeines Tores aufzulauern und ihn dann bei Gelegenheit zu überfallen. Aber das Erstaunlichste an dem Werden des christlichen Apostels: er wächst gleich über alles, was christlicher Prediger heißt, hinaus durch die Freiheit und Grundsätzlichkeit, mit der er seine Botschaft zu den

Die Wendung zu Christus 46 Nichtjuden bringt. Daß er das von Anfang an getan hat, ist keine bloße Vermutung; er selbst bindet in den angeführten Worten des Qalaterbriefs Bekehrung und Heidenmission zusammen. Und als er die klassischen Erscheinungen des Auferstandenen anführt — durchaus nicht alle, von denen man wußte —, wagt er es, den Ostererlebnissen der Apostel auch seine Vision bei Damaskus anzufügen (1. Kor. 15,8), aber als letzte, offenbar abschließende: denn in der ihm gewordenen Erscheinung sieht er den Willen Gottes zur Heidenmission der christlichen Gemeinde geoffenbart. Die Hypothese einer zweiten Bekehrung des Paulus — vom Judenmissionar zum Heidenmissionar — hat sich nicht halten lassen. Zu deutlich redet Paulus selbst von e i n e r radikalen Umkehr (Phil. 3,7—11). Er hat, Wochen oder Monate nach jenem Ereignis, bereits mit der Heidenmission begonnen, der entscheidende Antrieb dazu muß in dem Bekehrungserlebnis gelegen haben. Wollen wir dies verstehen, so müssen wir zunächst fragen, w a r u m Paulus die Christen leidenschaftlich v e r f o l g t e . Denn auf, mit und wegen dieser Verfolgung ist er zusammengebrochen. Er ist nicht zuerst irre geworden an der Religion des Gesetzes, der Leistung; man darf nicht Luthers klösterlichen Seelenkampf in ihn hineindichten; irre geworden ist er vielmehr an dem Unrecht der Christen. Worin vornehmlich hat er es gesehen, was hat den Juden Saulus an den Christen empört und zur Verfolgung gereizt? Wir können nur feststellen, worin er später, als Christ, den einen frommen Juden empörenden und aufreizenden Charakter des Christentums gesehen hat, sicher von der Erinnerung an vergangene eigene Empfindungen geleitet. Der Glaube der Christen, daß der Messias überhaupt erschienen sei, war es nicht, was den Anstoß gab; denn darüber hätte man diskutieren können. Sondern es war der Anspruch, daß ihnen, den Christen, der Messias von Gott gesandt sei — also

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Leuten, die zum Teil ganz am Rande des gesetzesfrommen Kreises standen, zum Teil als „Am haarez" (s. S. 23) überhaupt nicht zu den Frommen gehörten. Das konnte Gott nicht getan haben! Wie Jahrhunderte später Nietzsche, der Prophet eines aristokratischen Menschenbildes, verächtlich auf die Pöbelbewegung des Christentums herabsieht, auf diese „Erhebung der Schlechten, Ungebildeten, Oedrückten, Kranken" (Ges. Werke XI, 1924, S. 69), so hat Paulus, der Anwalt des auch aristokratischen Pharisäerideals, diese (im gesetzlichen Sinn) ungebildeten, schwachen und unedlen Existenzen (1. Kor. 1, 27 f.) verachtet. Verachtet — und verfolgt. Denn hier war er zur Entscheidung gefordert. Der Anspruch dieser Leute, den Gesalbten Gottes bei sich gehabt zu haben, war eine Beleidigung des Gottes vom Sinai. Entweder hatte er sein Gesetz gegeben als Offenbarung der Erkenntnis und der Wahrheit, daß man die Blinden, die Unwissenden und Toten über seinen Willen belehre (Rom. 2,18—20); dann mußten die Christen unrecht haben. Oder sie hatten recht; dann war Gott ein ganz anderer, als das Judentum glaubte. Daß sich beide Gottesbilder ausschließen, das hat Paulus als erster in aller Radikalität gesehen und bekannt; das konnte er erkennen wie kein anderer, weil er im Zentrum der Gesetzesreligion stand und nicht an ihrem Rande wie die Jünger Jesu. Weil Paulus aber den Anspruch der Christen als Beleidigung Gottes und Zerstörung der Gesetzesreligion empfand, darum mußte er der Ausbreitung dieser Sekte entgegentreten, mußte es tun mit Anwendung von Gewalt, wie sie die Rabbinen dem frommen Eifer immer unter Berufung auf das Beispiel des Pinehas (4. Mose 25, 8) zugebilligt haben. Nun kam der Umbruch, den er als einen Einbruch von außen her empfand. Er hat sich nicht in langsamem Ringen zu einem andern Standpunkt hindurchgearbeitet. Sondern mitten in der Betätigung des „alten" Standpunkts fühlt er sich plötzlich zum Innehalten ge*

48 Die Wendung zu Christus zwungen. Er weiß in jähem Umschlag der Überzeugung auf einmal, daß die Christen recht haben. Nicht anders, nur im Legendenstil zu einem Gespräch ausgeformt, lautet der Bericht Apg. 9,4—6: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?" „Wer bist du, H e r r ? " „Ich bin Jesus, den du verfolgst". Aus der Tatsache, daß sich die Wendung mitten in der Verfolgung vollzieht, erklärt sich ihre Plötzlichkeit und ihre Radikalität. Der so unmittelbar Angerufene kann nun nichts Anderes tun, als sich der eben erst verfolgten Sache mit dem gleichen Eifer zur Verfügung stellen, der ihn bisher zur Verfolgung getrieben hat. Er wird also Christ, Mitglied nicht der jerusalemischen, sondern einer hellenistischen Christengemeinde, die sich aus dem Diasporajudentum gebildet hat, wahrscheinlich zweisprachigen Charakters und jedenfalls dem Einfluß der jünger Jesu nicht unmittelbar unterworfen. Er wird aber noch mehr: er wird Missionar, und er wird es in besonderer Weise. Er hatte als Jude zu wissen geglaubt, daß Gott nicht so gehandelt haben könnte, wie die Christen es voraussetzten. Nun war er von der Erkenntnis überwältigt worden, daß Gott doch so gehandelt hatte, daß er den Messias zu jenen unbelehrten und oft auch unbelehrbaren Fischern und Zöllnern aus Galiläa gesandt hatte, die der Pharisäer als unfromm, als mehr oder minder gesetzlos betrachtete. Gott war also nicht so, wie die jüdischen Frommen ihn vorstellten, das Heil war nicht auf den Kreis der „Gesetzlichen" beschränkt, auch jene mehr oder minder Gesetzlosen im jüdischen Volk konnten daran teilhaben! Wenn aber diese, warum nicht auch die andern Gesetzlosen außerhalb des jüdischen Volkes, die Heiden? Einzelne Fälle von Heiden- oder Proselyten-Bekehrungen waren zu jener Zeit in Antiochia wohl schon vorgekommen (Apg. 11,20). Paulus aber erkannte es als Gottes Willen, daß die Botschaft vom Heil in Christus gerade und vornehmlich zu den Heiden gebracht werde; und er sah in der ihm gewordenen Offenbarung die Ver-

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49 pflichtung, diese Aufgabe zu übernehmen. So wird es uns verständlich, daß dem Paulus bei Damaskus beides zugleich — oder annähernd zugleich — offenbart worden ist: die eine Erkenntnis, daß Gott sein Heil in der Tat den verachteten und verfolgten Christen geschenkt habe, und die andere, daß dieses Heil gerade den Oesetzlosen zugedacht sei, also auch den Heiden! Als den Urheber dieser Wendung in seinem Leben, die zugleich eine große Wendung in der Religionsgeschichte bedeutet, nennt Paulus den, den er fortan als seinen Herrn bezeichnen wird: Jesus Christus. Aber wir haben uns ernstlich zu fragen, inwieweit der g e s c h i c h t l i c h e J e s u s von Nazareth einen Einfluß auf seinen großen Apostel ausgeübt hat. Daß Paulus diesem Jesus einmal begegnet ist, darf als unwahrscheinlich gelten. Alle angeblichen Beweise versagen. Es ist Rationalismus zu meinen, der visionär gesehene Himmlische müsse ihm als irdische Person bekannt gewesen sein — sonst hätte er ihn nicht erkannt. Die Gesetze der Vision wie die des Traumes lassen es durchaus zu, daß man eine Person in der Schau erkennt, ohne sie vorher im Leben gekannt zu haben. Wenn Paulus schreibt: „bin ich nicht Apostel? habe ich nicht unsern Herrn Jesus gesehen?" (1. Kor. 9,1), so meint er jene Schau bei Damaskus — er würde es nie zugeben, daß ein bloßes Sehen oder Kennen des geschichtlichen Jesus Apostolatsrechte verleihe. Und endlich das wichtigste Zeugnis für oder wider die Bekanntschaft des Paulus mit Jesus: gegenüber denen, die sich in Korinth auf Beziehungen zu Jerusalem und auf die Urapostel berufen, prägt er 2. Kor. 5,16 das grundsätzliche Wort: „von nun an (d. h. seit wir Christen sind) kennen wir niemand mehr nach Menschenweise; selbst wenn wir Christus nach Menschenweise gekannt haben (oder: gekannt haben sollten), so kennen wir ihn so fortan nicht mehr". Das ist zunächst eine Absage an alle, die sich auf „Beziehungen" stützen, auch wenn es perD i b e 1 i u s , Paulus.

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sönliche Beziehungen zu Jesus sind. Und man könnte aus dem „wir" sogar folgern, daß Paulus selbst solche Beziehungen gehabt habe. Aber wir wissen aus andern Stellen, daß Paulus es sehr deutlich sagt, wenn er den Gegnern Vorzüge bestreitet, auf die er selbst verzichtet hat: „Wenn es sonst einer mit irdischen Vorzügen wagt, ich kann's noch besser" (Phil. 3,4); „wenn viele prahlen nach Menschenweise, so will ich es auch versuchen. Jene sind Hebräer? ich auch. Sie sind Israels Erbe? ich auch" usw. (2. Kor. 11,18—22). Man dürfte also erwarten, daß Paulus an der fraglichen Stelle geschrieben hätte: „selbst wenn wir Christus nach Menschenweise gekannt haben, wie ja auch ich ihn gekannt habe" — wenn er so hätte schreiben können! Es ist also ein nicht völlig erweisbarer, aber doch psychologisch wahrscheinlicher Schluß, daß Paulus den, den er verkündet, niemals in irdischer Gestalt gesehen hat. Und man kann aus zahlreichen Briefstellen entnehmen, daß seine Gegner in den Gemeinden nicht müde geworden sind, auf diesen — wie sie meinten — wunden Punkt hinzuweisen und die Echtheit seines Apostolats daraufhin anzuzweifeln. Paulus verteidigt sich von seinem radikalen Offenbarungsstandpunkt aus: der Ruf, der ihn bei Damaskus getroffen hat, ist der allersicherste und allerunmittelbarste, denn er kommt von dem zu Gott erhöhten Herrn und gilt ihm, dem Paulus, ganz persönlich. Das ist echter und verpflichtender als die geschichtliche Beziehung zu Jesus, deren die andern sich rühmen. Es ist von weittragender Bedeutung für die Geschichte des christlichen Glaubens geworden, daß der Apostel sein Heil und sein Apostelamt — so gewiß beide für ihn „objektive" Größen waren — in solchem Maß auf die persönliche Erfahrung des himmlischen Herrn gegründet hat: eine der Beziehungen zu Augustin und Luther wird hier sichtbar. Aber wir dürfen fragen, ob nicht doch von einer Wirkung des geschichtlichen Lebens Jesu auf Paulus gesprochen wer-

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den kann. Daß freilich der Verfolger sich mit den Verfolgten in Kampfgespräche eingelassen habe, und daß dabei die Frage nach der Schuld oder Unschuld Jesu und somit sein Leben und seine Lehre behandelt worden sei, ist eine moderne Vorstellung, die auf allzu humanen Voraussetzungen beruht. Wenn die christliche Gemeinde eine Beleidigung Gottes darstellte, so wird es für Paulus nur e i n e Pflicht gegeben haben: sie auszutilgen. Auf Diskussionen mit diesen ungelehrten und verachteten Galiläern wird er sich nicht eingelassen haben; und hätte er mit einem Mann wie Stephanus diskutiert, so würde es um das kommende Heil und die Auferstehung gegangen sein und nicht um die armen und geringen, für einen Messias beleidigenden Begebenheiten des Lebens Jesu. Aber jene dem Pharisäer Paulus verächtliche Zusammensetzung der christlichen Gemeinde, die ihm erst der Anstoß zur Verfolgung, dann der Anstoß zur entscheidenden Neubesinnung wurde, war doch die Folge des Lebenswerkes Jesu. Zöllner und Sünder, Mühselige und Beladene berief sein Evangelium zur Gemeinschaft mit Gott; Zöllner und Sünder, Mühselige und Beladene bildeten den Kern der ersten Gemeinde. Die Überzeugung, daß Gott diese Menschen nicht berufen könne, beflügelte den Eifer des Verfolgers Saul; die Erkenntnis, daß Gott diesen Menschen doch sein Heil gesandt habe, ließ den Pharisäer zum ersten christlichen Theologen werden. Die wesentlichste Verbindung zwischen Jesus und Paulus ist diese: in d e r A r t s e i n e r G e m e i n d e stellte sich das W e s e n der B o t s c h a f t Jesu dar, und diese Art seiner Gemeinde nötigte dem Paulus die entscheidende Einsicht auf, die Einsicht, daß frommes Tun den Menschen nicht zu Gott führen könne, ¡sondern nur die göttliche Gnade und die menschliche Bereitschaft, sie zu empfangen. Diese Verkündigung, die Paulus in begeisterten Worten gepriesen und in theologischen Streitsätzen verteidigt hat, nennt er das von ihm gepredigte Evangelium; 4*

Die Wendung zu Christus 52 von ihm sagt er — wir sahen, mit welchem Recht! —, daß er es nicht Menschen verdanke, sondern der Offenbarung Jesu Christi (Oal. 1,12). Es ist nur scheinbar ein Widerspruch dazu, wenn Paulus sich auf Ü b e r l i e f e r u n g e n d e r G e m e i n d e beruft, die er empfangen und an seine Gemeinden weitergeleitet habe: die Abendmahlsszene 1. Kor. 11,23—25 gehört hierhin wie die Verkündigung von Tod und Auferweckung Jesu 1. Kor. 15,3—5; auch wohl die Worte Jesu 1. Kor. 7,10; 9,14; 1. Thess. 4,15f. — und, nehmen wir als wahrscheinlich an, noch eine ganze Reihe solcher Zitate, die uns schwerer erkennbar sind oder in uns verlöre^ nen Briefen stehen. Daß Paulus in diesem Sinn von Traditionen der Gemeinde abhängig war, darf nicht wunder nehmen; die Überlieferung solcher Stücke an den neuen Christen und werdenden Missionar gehört zu seinem Eintritt in die Gemeinde und zu seiner Ausrüstung als Missionar. Das alles, so reichhaltig es gewesen sein mag, bezieht sich aber nur auf den Stoff: der Christ muß wissen, auf Grund welcher Begebenheiten er glauben, der Missionar, welche Ereignisse er erzählen soll. Die Folgerungen aus diesen Überlieferungen für Glauben und Verhalten des Menschen, sie erst bilden das Evangelium, das Paulus als das seine bezeichnet und für dessen Unabhängigkeit von aller Menschenlehre er eintritt. Und wenn er diese Unabhängigkeit den Uraposteln in Jerusalem gegenüber besonders betont (Gal. 1,17, s.S. 115), so hat er auch dazu ein gutes Recht; denn er ist ja nicht jerusalemer, sondern hellenistischer Christ geworden, in Damaskus, „Arabia", später Antiochia und Tarsus; die Überlieferungen, die er anführt, klingen nicht wie Übersetzungen, sondern waren wohl Von Anfang an griechisch geformt. Nach Jerusalem ist Paulus erst 3 Jahre nach seiner Bekehrung wieder gereist, „um den Kephas (das ist der aramäische Name für Petrus) kennenzulernen" und den Bruder Jesu, Jakobus; das war ein Aufenthalt von 2 Wochen, der sich — wir müssen es Paulus (Gal. 1, IQ)

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g e g e n die Apostelgeschichte (9,28 f.) glauben — verborgen vor der Öffentlichkeit abspielte; Paulus wäre sonst der Rache der Juden anheimgefallen. Denn es hat nach Gal. 2 , 1 wieder 14 Jahre gedauert, bis Paulus abermals in Jerusalem erschien, zu jener grundsätzlichen Besprechung der Apostel, der die kirchliche Überlieferung den Namen des Apostelkonzils gegeben hat. Damals kam Paulus aber schon als der Vertreter der Kirche aus den Heiden, als Missionar und Lehrer, und hatte von Jerusalem nichts mehr zu lernen. Wenn eben von den Fristen von 14 und 3 Jahren die Rede war, so ist zu berücksichtigen, daß die antike Berechnungsweise damit das angefangene Jahr einschließt, also meint: im 14. und im 3. Jahr. Die Zeit zwischen der Apostelbesprechung und der Bekehrung des Paulus würde demnach nicht 14 und 3, sondern 15—16 Jahre betragen; und diese Angabe des Paulus ist wichtig für die C h r o n o l o g i e . Es wird noch davon die Rede sein, daß der einzige leidlich feste Anhaltspunkt für eine solche Berechnung das Prokonsulatsjahr des Gallio ist, dem Paulus Apg. 18,12 vorgeführt wird: er war von Mitte 51—52 (oder, unwahrscheinlicher, von 52—53) Prokonsul von Achaja (s. S. 72). Paulus # hatte damals schon 18 Monate in Korinth gearbeitet (Ap'g. 18,12), war also Anfang 50 (51?) nach Korinth gekommen. Für die in Apg. 15—17 geschilderten Fahrten ist ein halbes bis ein ganzes Jahr anzunehmen, so daß die Apostelbesprechung in das Jahr 40 (50) fallen dürfte. Die Bekehrung des Paulus wäre also 15—16 Jahre früher, auf 33—35 anzusetzen. Das Auftreten und die Wirksamkeit Jesu fällt in den Zeitraum zwischen 27 und 34, sein Tod wahrscheinlich ins Jahr 30 oder 33. Auch unter diesem Gesichtspunkt betrachtet scheint die Berechnung für Paulus richtig zu sein (Näheres s. M. Dibelius, Jesus, Samml. Göschen 1130, S. 43f.). Es ist schon viel, daß wir von so inoffiziellen Vorgängen wie den Reisen des Paulus, die keine Chronik und keine Inschrift nach Kaiserjahren datiert hat, chronologisch leidlich sichere Angaben machen können. Allerdings erlauben uns unsere Quellen nicht, über die ersten 10 Jahre, die Paulus als -Christ verlebte, etwas außer der Flucht aus Damaskus und dem Be-

54 Die Wendung zu Christus such in Jerusalem zu berichten. Nach der bestimmten Versicherung des Galaterbriefs (1,21) war er zwischen der ersten Zusammenkunft mit Petrus und der Apostelbesprechung nicht wieder in Jerusalem, sondern in Syrien und Kilikien. Bei dieser sehr allgemeinen Angabe liegt aller Nachdruck auf der Negation: er war nicht in Jerusalem, sondern in den Ländern im Norden, in Syrien und Kleinasien. Daß er in jenen Jahren nicht nur Kilikien, sondern auch Zypern, Pamphylien, Lykaonien und Pisidien besucht hat, dürfen wir nach Apg. 13 und 14 für gewiß halten, da Lukas gerade für diese Reisen über ausgezeichnetes Material verfügt. Einen wirklichen Widerspruch zu den Angaben des Paulus bildet nur die beiläufig gebrachte Notiz der Apostelgeschichte (11,30; 12,25), daß Paulus noch einmal vor der Apostelbesprechung in Jerusalem gewesen sei, um den Ertrag einer Sammlung der dortigen christlichen Gemeinde zu überbringen. Diese Nachricht steht also mindestens an falscher Stelle; es wird sich noch zeigen, daß Lukas über das Sammlungsunternehmen überhaupt nur Andeutungen bringt. Abgesehen von dieser Notiz erzählt Lukas über Paulus aus dem Jahrzehnt etwa 35—45 überhaupt nichts; offenbar hat er außer der von den Gemeinden aufbewahrten Bekehrungsgeschichte kein Material, das Paulus betrifft; erst für die großen Missionsfahrten steht ihm reichlicher Stoff zur Verfügung. Wenn wir also über den Beginn der Missionsarbeit des Paulus an äußeren Vorgängen nichts wissen, so läßt sich doch nach den Briefen die innere Lage des Apostels wenigstens rekonstruieren. Wir haben Briefe nur aus den letzten anderthalb Jahrzehnten seiner Tätigkeit, von 50 an; es ist also von vornherein unwahrscheinlich, daß in dieser späteren Zeit noch eine wesentliche Entwicklung in den Anschauungen des Paulus stattgefunden hat. Alle wissenschaftlichen Versuche, zwischen einem noch unentwickelten „Lehrbegriff" der (für uns) „frühesten" Briefe (nach Thessalonike) und dem der

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vier großen Hauptbriefe (nach Korinth, Oalatien und Rom) zu unterscheiden, haben sich, von Änderungen in der B e t o n u n g einzelner Lehren abgesehen, nicht halten lassen. Paulus selbst scheint aber von einer Entwicklung dieser Art überhaupt nichts zu wissen, und wir haben bereits gesehen, daß er ein Recht hatte, wesentliche Erkenntnisse von dem entscheidenden Umbruch in seinem Leben abzuleiten. In der Tat können wir uns von dieser Ausgangsstellung aus wichtige Grundgedanken seines E v a n g e l i u m s klar machen. Er selbst empfindet diesen Umbruch nicht als einen psychologischen Vorgang, sondern als einen Eingriff desselben Gottes, dem er bisher gedient hatte. Der Gedanke des großen Ketzers Marcion im zweiten Jahrhundert, daß der christliche Gott ein neuer, fremder Gott sei, liegt ihm weltenfern. „Als es ihm gefiel, der mich von Mutterleib ausersehen und durch seine Gnade berufen hat, seinen Sohn in mir zu offenbaren" . . . , das ist seine Erfahrung. Der Gott, dem er als Pharisäer und als Christenverfolger gedient hat, der hat ihm auch Jesus in himmlischer Herrlichkeit als seinen Sohn erscheinen lassen. Für den inneren Vorgang steht das bezeichnendste Zeugnis 2. Kor. 4,6: „Denn der Gott, der einst sprach: aus Finsternis soll Licht aufstrahlen, der hat auch in unserm Innern einen hellen Schein aufstrahlen lassen: die leuchtende Erkenntnis seiner Herrlichkeit auf Christi Angesicht". Der Gott, von dem das erste Blatt der Bibel die Schöpfung des Weltenlichts erzählt, hat auch dies neue Licht gespendet, Sonst würde es Paulus gar nicht anerkennen. Die Frage, ob er das Alte Testament und dessen Gott abschwören solle, stellt sich ihm überhaupt nicht. Er weiß, gewisser als alles Beweisbare, daß dieser Gott ihn durch Irrtum zur Wahrheit geleitet hat. Also: der Gott des Gesetzes hat ihm Jesus als den Christus geoffenbart. Das ist eine große Entscheidung. Paulus hat sie wahrscheinlich ohne innere Kämpfe getroffen, denn

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sie war ihm selbstverständlich. Er konnte nicht ahnen, an welcher weltgeschichtlichen Wende er stand, und in welchem Maß der W e g des Christentums durch seine persönliche Entscheidung bestimmt wurde. Denn ihre Folge war die Aneignung des Alten Testaments durch die Kirche. Das bedeutet die Festlegung des christlichen Gottesglaubens im Sinne des sittlichen Monotheismus und die Begründung dieses Glaubens auf bestimmte Tatsachen der Geschichte. Es bedeutet weiter die Entstehung der fruchtbaren, aber auch zu Mißverständnissen führenden Problematik von Gesetz und Evangelium. Es bedeutet endlich die Belastung der Kirche mit den jüdischen Besonderheiten, vor allem mit dem Ritualgesetz — man denke nur an Beschneidung, Opfer, Sabbat —, dem Gesetz, das genauso ein Teil der Bibel wurde wie die Zehn Gebote, das aber im Gegensatz zu diesen durch Auslegung als erledigt erklärt werden sollte. Die sittlichen Vorschriften des Gesetzes wie der Propheten lieferten andererseits der neuen Religion einen Grundstock der materialen Ethik, an dem sie — von der Kritik der Bergpredigt Jesu bis zur Auswertung in Luthers Katechismen — ihre eigene Sittlichkeit entwickeln konnte. Paulus hat dies alles kaum geahnt. Für ihn standen die Fragen der sittlichen Lebensführung erst in zweiter Linie. Für ihn wie für alle Christen von damals war ja mit der Erkenntnis, daß der Messias in Jesus schon erschienen sei, der Glaube verbunden, daß dieser Messias — auf griechisch: der Christus — in naher Zeit wiederkommen werde zum Gericht und zur Aufrichtung seines Reiches. Dieser Glaube an das baldige Eintreten der „letzten Dinge" — der „ e s c h a t o l o g i s c h e " Glaube — stellte das ganze Leben unter den Blickpunkt des 'Endes. Dieses Leben ist nur noch ein Zwischenzustand; was zu tun ist in Kirche, Mission, Familie, Staat und Beruf, ist zu tun, „bis daß er kommt" (1. Kor. 11, 26). Der Christ lebt in dieser Welt als ein Bürger der kommenden Welt. Verbindet diese Überzeugung den

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Apostel mit allen andern Christen, so zieht er doch die Folgerungen daraus mit einem radikalen Ernst, den die Jünger Jesu nie erreicht hatten. Darum gelten ihn*, die irdischen Beziehungen, auch die zu dem geschichtlichen Jesus, nichts mehr (2. Kor. 5,16); der Blick auf den himmlischen Herrn, der bald auch der Herr auf Erden sein wird, läßt die Dinge der alten Welt in totaler Umwertung erscheinen. Auch in dieses bedingte Leben, in dessen Zusammenhängen der Christ noch steht, wirkt die andere, die kommende Welt seit Christus so stark hinein, daß sie die Dunkelheiten dieses Daseins leuchtend überstrahlt: „Wir rühmen uns der Trübsal" (Rom. 5,3). Ein Christ weiß zwar, daß die Leiden dieser Zeit nichts sind im Vergleich zu der künftigen Herrlichkeit, aber er empfindet doch zugleich, daß Qott durch seinen Geist auch jetzt schon seiner Schwachheit aufhilft (beide Oedanken in Rom. 8,18. 26). So kommt Paulus — und er setzt das mehr oder minder von jedem Christen voraus — nicht nur über den Gegensatz hinweg, der zwischen seiner hohen Begnadung und seiner bedrängten Weltexistenz sich auftut, sondern er bejaht diesen Gegensatz mit einem freudigen Hochgefühl, weil das Dunkel der einen Hemisphäre gewissermaßen die Bürgschaft für das Licht der andern ist. Das Denken des Paulus in Kontrasten wirkt sich hier vielleicht am stärksten aus. Je schwächer der Mensch Paulus ist — unansehnlich im Auftreten, kein großer Redner, geschlagen von Krankheit, verfolgt vom eigenen Volk —, desto gewisser ist es, daß alle Kraft, die von ihm ausgeht, Kraft Gottes ist und nicht des Menschen. Darum hat er „diesen Schatz in irdenen Gefäßen" (2. Kor. 4,7). So wird es verständlich, daß er sich nicht genug tun kann in der Schilderung seiner todumfangenen Existenz: „Aber ich denke, Gott selbst hat uns Apostel auf den geringsten Platz gewiesen, als todverfallene Kämpfer im Kampfring, ein Schauspiel /ür Welt, Engel und Menschen! . . . Zu Prügelknaben aller Welt sind wir geworden, zum Abschaum der Menschheit bis auf diesen T a g " (1. Kor. 4,9.13).

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So wird ihm immer wieder die Erkenntnis bestätigt, gegen die er sich einst gesträubt hatte: daß die Jüngerschaft des Messias auf Erden eine unansehnliche, arme und verachtete Schar sei. Aber das Erschütterndste dieser Erkenntnis lag für ihn in ihrer negativen Seite: er mußte einsehen, daß man mit dem besten Willen, Gott zu dienen, an ihm vorbeigehen kann. So war es ihm ergangen: im Eifer für das Oesetz, in der Hingabe an den Gott des Gesetzes war er zum Christenverfolger geworden und beinahe ins Verderben geraten. So ging es nun seinem Volk, den Juden: mit dem redlichsten Eifer um den Dienst des wahren Gottes verfehlten sie das Heil, das dieser Gott ihnen gesandt hatte. Denn Paulus redet niemals davon, daß Christus von abtrünnigen, verbrecherischen Juden verurteilt worden sei. Nein, es sind die konsequenten Vertreter der Gesetzesreligion, die „den Herrn Jesus getötet haben und die Propheten" (1. Thess. 2,15). Nun aber erhebt sich die große Frage: was ist das für ein Gott, der sein Volk dauernd in die Irre gehen läßt und seinen treuesten Verehrer beinahe ins Verderben schickt? Paulus scheut sich nicht, im Römerbrief zweimal ausdrücklich zu fragen: ist Gott nicht ungerecht (3,5; 9,14)? Darf er noch zürnen, wenn er selbst die Menschen also verblendet? Paulus sieht sich vor einer ungeheuren Paradoxie — aber er hat bereits, als er von Christus bezwungen wurde, zu ihr im Glauben ja gesagt. Doch der leidenschaftliche Denker begnügt sich nicht mit dem Ja des Glaubens; er sieht sich zuleich am Anfang einer theologischen Überlegung über

f ünde

u n d H e i l , die durchgeführt werden m u ß , weil die tiefste Erschütterung eines Menschen der Motor ist, der die Denkbewegung antreibt. Die Frage: wie konnte Gott so handeln? wird zum Ausgangspunkt seines Denkens als Christ; s e i n e T h e o l o g i e ist in ihren wesentlichen Zügen „ T h e o d i z e e " , Rechtfertigung Gottes. Aber — das ist ebenso deutlich wie erstaunlich —

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Paulus empfindet trotz dieser Erschütterung das neue Leben, das ihm aufgegangen ist, als Seligkeit. Gewiß, er lebt wie alle seine Mitchristen in Hoffnung auf die volle künftige Herrlichkeit des Reiches Gottes. Trotzdem spricht er immer wieder von dem Reichtum der Gegenwart. „Nichts wird uns je scheiden von Gottes Liebe, die in Christus Jesus, unserm Herrn,, erschien"; „ich vermag alles durch den, der mir Kraft gibt"; „wer in Christus lebt, ist eine neue Schöpfung"; „ich freue mich der Nöte, der Mißhandlungen, der Bedrängnis, der Verfolgung und Bedrückung um Christi willen, denn wenn i^h in Not bin, dann bin ich stark" (Rom. 8,38f.; Phil. 4,13; 2. Kor. 5,17; 12,10). Wenn Paulus sich an die Gemeinde wendet, braucht er zur Bezeichnung des neuen Zustandes oft das Wort, mit dem die Christen ihre besonderen Erfahrungen und Kräfte bezeichneten: Geist. Er erinnert die Galater (3,5) an den, „der den Geist euch verlieh und Wunderkräfte unter euch weckte"; er ermahnt die Römer (8,15): „es ist ja kein Sklavengeist, den ihr empfingt, sondern der Geist der Kindschaft". Aber am liebsten redet er, um das neue Wesen zu schildern, doch einfach von „Christus". Daß er mit „Geist" und „Christus" im letzten Grund dasselbe meint, erweist sich, wenn er im Römerbrief (8,9.10) die Tatsache, daß „Gott in euch wohnt", nach einer eigenen Unterbrechung wieder aufnimmt mit den Worten „wenn also nun Christus in euch ist". Er denkt dabei also nicht an den geschichtlichen Jesus oder den kommenden Messias, sondern an den gegenwärtigen Christus, den zu Gott erhöhten Herrn der Gemeinde, der zugleich den einzelnen Gläubigen als Herr ihres Lebens spürbar nahe ist. Aber es ist bezeichnend für jenes schon geschilderte Denken des Paulus in Kontrasten (S. 36), daß er auch von Christus nicht reden kann, ohne des Gegenteils zu gedenken: Christus ist ihm Gewinn, nun achtet er alles andere für Schaden (Phil. 3, 7f.). Spricht er davon, daß das Heil auf dem Glauben an Christus

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beruhe, so stellt sich der Gedanke „nicht auf den Leistungen" von selbst ein. Der Radikalismus des Bekehrten macht sich geltend: alles, was zum alten W e sen gehört, ist nichtig; alle Sterne, die einst dem Leben leuchteten, gelten als untergegangen — entweder waren sie trügerisch, oder aber ihre Geltung war zeitlich bedingt. W i e war es möglich, daß sie überhaupt leuchteten? Auch hier steht Paulus wieder am Ausgangspunkt einer theologischen Gedankenreihe, und wir empfinden, daß er das Problem des G e s e t z e s lösen mußte, nicht weil er als Jude mit ehrerbietiger Pietät an ihm hing, sondern weil ihm die Frag& keine Ruhe ließ, keine Ruhe lassen durfte, was Gott denn eigentlich mit dem Gesetz gemeint habe; nicht das Ansehen des Volkes, nein, die Gerechtigkeit Gottes stand auf dem Spiel. Man kann die Lehre des Paulus vom G e setz nicht verstehen, wenn man diesen entscheidenden Antrieb vergißt: Theologie ist auch hier wesentlich „Theodizee", Rechtfertigung Gottes. In jedem Fall gehört das Gesetz zur alten Welt, denn Gott hat es durch die Sendung seines Christus zu den G e s e t z l o s e n antiquiert. Von dem glücklich erreichten Ufer einer neuen Welt aus schaut Paulus auf die verlassene alte Welt und rechnet ihr, geleitet von seinem Kontrastdenken, alles zu, was zum Wesen des Neuen im Gegensatz steht. Ist „ G e i s t " ein Stichwort zur Bezeichnung des Neuen, so gilt jener alten Welt das Wort „Fleisch". Darunter versteht Paulus das natürliche Leben mit seinen Zusammenhängen, aber auch die sündige Triebwelt, die in unserm Körper herrscht — man muß das Wort im Deutschen jedesmal anders wiedergeben. „Wir kennen niemand mehr nach dem Fleisch" (2. Kor. 5 , 1 6 ) heißt: wir lassen alles Pochen auf menschliche Beziehungen fahren. Aber auch wer glaubt, sich seiner Stellung vor Gott, seines Pharisäertums, seiner Gesetzesleistungen rühmen zu können, der hat „Vertrauen auf das Fleisch" (Phil. 3 , 4 ) . Und so kommt es zu der erstaunlichen Tatsache, daß Paulus bei solcher

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61 Rückschau die Sünde wie die Frömmigkeit der Gesetzesbefolgung in dieselbe Kategorie verweist. „Als wir im Fleisch waren" (Rom. 7,5) — das kann ebensogut eine sündige wie eine selbstgerechte Vergangenheit meinen. Mag manche Theorie von dem Apostel erst im Lauf der Jahre ausgebildet sein, diese Begriffe, diese Gegensätze und diese Fragen nach Gott und seiner Gerechtigkeit scheinen sein Christsein von Anfang an bestimmt zu haben. Es gab zwei Wege, dies alles zu bewältigen; der des Denkens war der eine, er führte zur Theologie. Der andere war der des Handelns; er führte in die Mission. 5. Die Mission Paulus war, wie wir sahen, überzeugt, daß die Stimme Christi ihn nicht nur persönlich berufen habe, sondern daß durch die besonderen Umstände seiner Berufung auch der Wille Gottes zur Heidenmission offenbar geworden sei. Die Apostelgeschichte bringt dieses innere Geschehen durch eine Vision im Tempel zum Ausdruck, die den Paulus bei seinem ersten Besuch Jerusalems nach der Bekehrung ausdrücklich in die Welt der Heiden weist (22,17—21). Des Apostels eigenes Zeugnis macht es unmöglich, dieses Tempelgesicht für eine zweite Bekehrung (von der Judenmission zur Heidenmission) zu halten (s. S. 46). Die Verwertung dieser Vision in der Apostelgeschichte — sie bildet den wirksamen Schluß einer Rede, wird aber im eigentlichen Bekehrungsbericht nicht erwähnt — zeigt mindestens, daß sie für das Leben des Paulus nicht von entscheidender Bedeutung war. Die entscheidenden Antriebe zur Heidenmission liegen im Bekehrungserlebnis selbst: Gott hat seinen Sohn in ihm offenbart, damit er ihn unter den Heiden verkünde (Gal.

1,16).

Seitdem fühlt sich Paulus als Apostel der Heiden: „Griechen wie Barbaren, Gelehrten und Ungelehrten

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weiß ich mich zum Dienst verpflichtet", „mir ist ja von Gott die Gnade verliehen, ein Diener Jesu Christi bei den Heiden zu sein", „Zwang liegt auf mir, wehe, wenn ich nicht verkündige" (Rom. 1 , 1 4 ; 1 5 , 1 5 f . ; l . K o r . 9 , 1 6 ) . Gott hat beides zugleich gestiftet: „er hat durch Christus uns mit sich versöhnt und hat uns den Dienst der Versöhnungspredigt übertragen... So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ruft euch durch unser Wort, und wir bitten in Christi Namen: laßt euch mit Gott versöhnen! (2. Kor. 5 , 1 8 . 20). Und da das Ende und die Wiederkunft des Herrn bevorzustehen scheint, muß dieser Dienst schnell ausgerichtet werden; der Heidenmissionar muß danach trachten, möglichst vielen Völkern das Heil wenigstens anzubieten. Die bewohnte Welt (die sog. „Ökumene"), d. h. für den Blick des Paulus vor allem die Länder rings um das Mittelländische Meer, soll Gelegenheit haben, die Botschaft des Evangeliums zu hören. Daraus erklären sich Missionstechnik und Missionsplan des Apostels. Er kann sich nicht dabei aufhalten, eine ganze Provinz, Stadt für Stadt, mit seiner Predigt zu erfassen oder auf schwierigem Arbeitsfeld auszuharren und mit einer Treue, die wir heute an einem Missionar rühmen würden, immer aufs neue zu versuchen, die Trägheit der Herzen zu überwinden. Das würde ihm Ungehorsam gegen Gottes Gebot scheinen. Seine leidenschaftliche Hingabe an das Werk — es ist derselbe Charakterzug, der schon bei der Christenverfolgung zutage trat — treibt ihn weiter. Er selbst begnügt sich mit der Missionierung einiger Städte — es sind meistens an Verkehrsverbindungen gelegene Orte; von da aus wird das Evangelium weitergetragen werden durch andere; der Apostel reist, oft nach kurzem Aufenthalt, an die nächste geeignete Arbeitsstätte. Und selbst wenn er Monate hindurch in einer Stadt bleibt wie in Korinth, so ist es nicht er, der die Gemeinde organisiert und verwaltet; eine gelegentliche Bemer-

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kung 1. Kor. 1,14.16 verrät uns, daß er gerade in Korinth außer zwei Männern nur eine Familie getauft hat. Wahrscheinlich nimmt ihn die Predigt in der großen Stadt ganz in Anspruch. Sie sollen am Tage des Gerichts nicht sagen, sie hätten das Evangelium nicht gehört; nein — die ganze Welt soll es hören! Daraut ist auch sein Missionsplan angelegt. Er hat eine Provinz nach der andern in Angriff genommen; die Reihenfolge freilich und die Art der wiederholten Besuche ist oft genug mehr durch Schickungen seines Lebens als durch seine Pläne bestimmt worden. Wir sind gewohnt, im Anschluß an die Apostelgeschichte von Reisen des Paulus zu reden. Daraus entsteht leicht ein falsches Bild, als ob der Apostel immer unterwegs gewesen sei. Trotz des auch durch den Endglauben bedingten grundsätzlichen Eil-Zeitmaßes seiner Arbeit hat er aber aussichtsreiche und ungestörte Arbeitsmöglichkeit als einen Auftrag Gottes angesehen, der ihn heiße zu bleiben und weiter zu wirken — wieder ist Korinth dafür ein Beispiel (Apg. 18, 9—11). Im Ganzen ist die Tätigkeit des Paulus durch gewisse Zentren bestimmt, von denen er seine kürzeren und längeren Reisen unternimmt, und die im Lauf der Jahre von einer Provinz in die andere verlegt werden. Das erste Reisezentrum ist offenbar D a m a s k u s gewesen, wenn wir annehmen dürfen, daß jene zwei oder drei Jahre Gal. 1,18 nicht nur mit Selbstbesinnung, sondern auch mit Tätigkeit gefüllt waren. Bei der schnellen Reaktionsfähigkeit des Paulus (s. S. 40) ist diese Annahme für die Zeit bald nach der Bekehrung ziemlich gewiß. Er hätte dann also in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre im Nabatäerreich, vielleicht auch in den Städten des sog. Dekapolis (Gadara, Hippos usw.) mit der Mission begonnen. Diese Periode schloß mit einer Verfolgung durch die Juden von Damaskus und der Flucht über die Stadtmauer (s. S. 45). Das Reisezentrum, in dem sich Paulus nach dem Besuch Jerusalems ansiedelt, war, so scheint es, T a r -

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s u s . Wir schließen das aus der Erwähnung der Stadt Apg. 9,30; 11,25 und aus der Nennung von Kilikien Oal. 1,21. Es ist auch psychologisch glaublich: Paulus arbeitet zunächst in Damaskus^ d. h. dort, wo er in die Christengemeinde Aufnahme gefunden hat, und in dem von dort aus zugänglichen Bezirk: als ihm aber die Juden mit Hilfe des arabischen „Ethnarchen" ein weiteres Auftreten unmöglich machen, geht er in die Heimatstadt. Was er dort, etwa nach 40, im einzelnen getan, wo und wie lange er gewirkt hat, wissen wir nicht. Lukas berichtet nichts darüber, denn diese Missionsarbeit liegt für ihn offenbar noch außerhalb des weltgeschichtlichen Weges, den das Evangelium von Jerusalem nach Rom gezogen ist, und dessen göttliche Lenkung und Leitung zu schildern er beabsichtigt. Daß aber auch diese uns nicht bekannte Periode voll von bewegenden Ereignissen war, können wir der Aufzählung von Nöten und Verfolgungen entnehmen, die Paulus selbst im 11. Kapitel des 2. Korintherbriefes gibt: „von den Juden habe ich fünfmal die Strafe der 39 Schläge erhalten; ich ward dreimal gegeißelt, einmal gesteinigt, litt dreimal Schiffbruch und trieb einen vollen Tag lang auf offenem Meer". Das Wenigste davon können wir aus der Apostelgeschichte belegen, und einige dieser Ereignisse mögen wohl in diese zweite Periode der Paulusmission fallen. Sie schloß aber nicht mit erneuter Verfolgung, sondern damit, daß Paulus nach Antiochia in Syrien geholt wurde, in die Stadt, in der das Christentum bereits frühzeitig von Jerusalem aus angesiedelt worden war (s. S. 25). Damit mündet die Arbeit des Apostels, die er bisher im Gehorsam gegen Gottes Ruf auf eigene Verantwortung getrieben hatte, in die sozusagen offizielle Missionsarbeit der christlichen Gemeinde. Derjenige, der Paulus nach A n t i o c h i a holt, ist Barnabas, „Levit", also dem Tempelkult irgendwie zugehörig und nach Apg. 4,36 in Jerusalem ansässig, zugleich aber hellenistischer Jude, aus Zypern gebürtig — also in dieser

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doppelten Beheimatung dem Paulus nicht unähnlich. Lukas läßt ihn bereits in Jerusalem die Vermittlung zwischen Paulus und den Uraposteln übernehmen (Apg. 9,27); hier in Antiochia ist er offenbar derjenige gewesen, der die Brücke zwischen beiden Missionen, der paulinischen und der antiochenischen, geschlagen hat. Diese hatte inzwischen einen Missionsstil herausgebildet, der, gemessen an Jerusalem, wesentlich freier war und nach Apg. 11,20 auch Heidenbekehrungen einschloß. Man kann sich das gilt vorstellen in dieser zweisprachigen Stadt, die heute noch als Antakije an einer Sprachgrenze und in einem politischen Wetterwinkel, dem Golf von Alexandrette, liegt, und deren Ruinen uns die Größe und Bedeutung dieser dritten Stadt des Imperiums ahnen lassen: zu der hellenistischen Judengemeinde gehörten nicht nur wirkliche Proselyten, Volljuden heidnischer Herkunft, sondern auch „gottfürchtende Heiden", unbeschnittene Gasthörer der Synagoge (s.S. 21). Wenn diese Menschen von der christlichen Predigt ergriffen wurden, war ein gelegentlicher Übergang zur Heidenmission unschwer zu vollziehen. Aber nun trat der Anwalt der grundsätzlichen Heidenbekehrung, Paulus, mit seiner Leidenschaft und seinem Radikalismus in diese Arbeit ein. Nun wurde Antiochia der Mittelpunkt der Heidenmission und wurde immer mehr, was es nach der Apostelgeschichte schon vorher war, der Sammelpunkt besonders begabter christlicher Lehrer, die Lukas „Prop h e t e n " nennt (Apg. 11,27; 13,1), und deren Art in der Tat nicht frei von ekstatischen Zügen ist. Sie entstammen zum Teil der jüdischen Diaspora des Mittelmeers, und haben durch ihre Wirksamkeit in Antiochia eine weltgeschichtliche Entscheidung angebahnt, die Paulus durch seine Wirksamkeit dann vollendet hat. Das Christentum, im aramäischen Sprachbereich auf orientalischem Boden erwachsen, wurde nunmehr eine Religion der Mittelmeerwelt, d. h. der hellenistischen Kultur, des römischen Reiches. Denn nicht von dem ostD

ibelius,

Paulus.

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syrischen Edessa, sondern von dem westsyrisch-hellenistischen Antiochia ist der entscheidende Zug des Evangeliums ausgegangen. Eine Nachricht der Apostelgeschichte ist bezeichnend: hier in Antiochia seien die Gläubigen zuerst „Christianer", Christen, genannt worden (11,26). Die Notiz steht zeitlich an falscher Stelle, denn Paulus kennt den Christen-Namen noch nicht. Aber die Verbindung mit Antiochia ist trotzdem bedeutsam; denn der Name ist eine lateinische Bildung, geschaffen Von Leuten, die „Christus" für einen Eigennamen hielten (nicht mehr für die griechische Wiedergabe von „Messias" = Gesalbter); auch dies weist auf den Zusammenhang mit dem Westen, d. h. mit der Welt der Kultur und des Imperiums. Antiochia ist das dritte Reisezentrum des Apostels. Auf eine Offenbarung hin beginnen Paulus und Barnabas eine Fahrt nach Zypern, Pamphylien, Pisidien, Lykaonien. Sie sind von Johannes Markus aus Jerusalem, einem Verwandten des Barnabas, begleitet. Des Barnabas Beziehung zu seiner Heimat Zypern bestimmt wohl auch die Wahl der ersten Station. Von Seleucia, der Hafenstadt Antiochias, geht es nach Salamis auf Zypern; hier predigen sie beide in der Synagoge. Auf der weiteren Wanderung kommen sie in Paphos vor den Prokonsul Sergius Paulus; Lukas gibt hier eine Geschichte wieder, die mit der Überwindung des jüdischen Wahrsagers am Hofe des Prokonsuls und mit dem Gläubigwerden des Römers schließt. Da von Taufe und Gemeinde nichts gesagt ist, darf man immerhin fragen, ob dieses „Gläubigwerden" nicht einfach interessierte Geneigtheit bedeutet. Die Reisenden fahren dann nach Kleinasien und werden in Perge (Pamphylien) von Markus im Stich gelassen, der aus irgendwelchen Gründen nach Jerusalem zurückkehrt. Ihre erste große Predigtstation in Kleinasien ist das andere, minder bedeutende Antiochia, auf der Grenze von Pisidien und Phrygien hoch im Gebirge gelegen. Hier kommt es zu einer wirklichen Gemeindegründung

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aus Hörern der Synagoge. Kein Wunder, daß sich die Juden zur Wehr setzen; sie tun es auf dem Weg über vornehme Frauen, die Gasthörerinnen der Synagoge sind, und setzen bei deren Männern eine Ausweisung der christlichen Missionare durch. Ähnliches geschieht in den Städten Lykaoniens, Ikonium und Lystra: immer sind es die Juden, die Paulus und Barnabas verfolgen, ihnen sogar nachreisen, das Volk gegen sie aufhetzen und die Apostel zur Flucht zwingen. Trotzdem kommt es hier wie in der letzten Station Derbe zu ausgebreiteter Wirksamkeit und der Begründung von Gemeinden. Aus Lystra hat die Apostelgeschichte eine bezeichnende Szene erhalten (14,8—18). Nachdem Paulus einen Lahmen geheilt hat, gerät das Volk in Erregung; man hält die christlichen Missionare für Götter und sieht in dem Sprecher, dem Paulus, den Götterboten Hermes, in Barnabas den Göttervater Zeus. Schon bringt der Priester des vor dem Tore gelegenen Zeustempels die Opferstiere herbei, da gelingt es den Missionaren, die gotteslästerliche Huldigung abzuwehren. Von Derbe aus, wo sie ungestörter arbeiten, kehren sie denselben Weg nach Pamphylien zurück, predigen in Perge und fahren von der Hafenstadt Attalia unmittelbar nach Syrien. Wären sie von Derbe aus weitergegangen, so wären sie über den Taurus nach Tarsus gelangt. Die Umkehr würde zu der Vermutung, daß Paulus dort schon gewirkt hatte, stimmen: er wollte lieber die neuen und gefährdeten Gemeinden noch einmal aufsuchen als das alte Missionsfeld betreten. Wohl aber hat er es durchreist, als er sich nach der Apostelbesprechung in Jerusalem zu einer weiteren Fahrt anschickt, die ihn über Kilikien, Lykaonien, Phrygien, Galatien und schließlich Troas nach Mazedonien und Griechenland führt. Die längste Zeit, über 18 Monate, hat er auf dieser Reise der Arbeit in Kor i n t h gewidmet; diese Stadt zwischen den Meeren, der „moderne" Verkehrsmittelpunkt im Gegensatz zum 5*

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klassischen Athen, ist das vierte Missionszentrum des Paulus geworden. Aber er ist nicht so bald und nicht ohne größere Unterbrechungen dahin gelangt. Wir können die Begebenheiten im einzelnen nicht sicher feststellen, weil Lukas diese Reise zunächst sehr abgekürzt und zumeist auch ohne Stationsangaben erzählt. Denn ihm liegt daran darzutun, daß es nicht der Wille des Paulus, sondern Gottes F ü h r u n g war, die den Apostel jetzt schon nach Griechenland brachte und so dem Evangelium den W e g nach Rom erschloß. Für Lukas bedeutet es einen wesentlichen Höhepunkt in der Laufbahn des Apostels, daß er auf dem klassischen Boden Athens steht — obwohl es dort anscheinend nicht zu einer wirklichen Gemeindegründung kommt, darum legt er dem Paulus jene berühmte Rede auf dem Areopag in den Mund (Apg. 17, 22ff.), die im Sinn des Lukas das Muster einer Predigt an die Heiden darstellt. Darum redet er auf der Hinreise durch Kleinasien mehrfach von Eingriffen des „Geistes" in die Reise (Apg. 16,6. 7.9) und berichtet nicht, wie man sich diese vorzustellen, und was Paulus auf dieser Fahrt wirklich erlebt habe. Wir müssen also Wesentliches nach den Paulusbriefen ergänzen. Zunächst kommt es zu allerhand Vor- und Zwischenspielen. Im syrischen Antiochia scheinen Paulus und Barnabas, als sie von der Apostelbesprechung zurückkehrten, eine Zeitlang verweilt zu haben (Apg. 15, 35 gegen 15,36). Damals hat wohl auch jene Auseinandersetzung mit Petrus über die Tischgemeinschaft mit den Heiden stattgefunden, von der Paulus Gal. 2,11 ff. spricht, und die, irren wir nicht, den Anfang einer Entfremdung mit Barnabas bildete. Zum Bruch kam es, als Barnabas seinen Verwandten Markus, der sie einst treulos verlassen hatte, wieder mit auf die Reise nehmen wollte. Paulus verweigerte das, trennte sich von Barnabas und Markus, nahm den Silas-Silvanus (und dann von Lystra aus den Timotheus) mit und zog durch Kilikien über den Taurus in das Gebiet der vori-

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gen Reise. Seine Absicht war offenbar, nun, nach dein Süden, die Westküste Kleinasiens in Angriff zu nehmen, die Gegend der großen Griechenstädte Ephesus, Smyrna, Pergamon. Aber da es ihnen „vom heiligen Geist verwehrt wurde, das W o r t in der Provinz Asia id. h. der kleinasiatischen Westküste) zu predigen" (Apg. 16,6), zogen sie durch Phrygien und Galatien, d. h. durch die Landschaften des zentralen Kleinasiens, und — so dürfen wir die bewußt verkürzende Apostelgeschichte ergänzen — predigten nun dort, in Städten phrygisch-galatischer Bevölkerung wie Amorion, Pessinus, Orkiätos, Nakoleia, die von dem Missionar bei der Planung der Reise kaum in Aussicht genommen waren. Es gibt freilich eine Auffassung des Namens Galatien, die auch die bereits missionierten Städte in Lykaonien und Phrygien einschließt; danach sieht der Verlauf der Reise natürlich anders aus. Nach der eben gegebenen Darstellung aber wären in dieser Zeit die Gemeinden gegründet worden, an die der Galaterbricf gerichtet ist. Dann dürfen wir die W o r t e dieses Briefes 4 , 1 3 heranziehen, daß Paulus bei der Missionierung der Galater unter einem Anfall seiner Krankheit gelitten habe (s.S.39f.), und dürfen vielleicht darin das göttliche Zeichen vermuten, das nach Lukas den Verzicht auf die Küste und den unfreiwilligen Aufenthalt in MittelKleinasien bedingt hat. W e n n in diesen Gegenden die sprachliche Verständigung vielleicht nur mit einem Teil der Bevölkerung möglich war, mußte Paulus u m s o mehr danach trachten, nach Norden in die Städte Bithyniens zu ausgedehnterer Wirksamkeit zu gelangen. Aber wieder heißt es Apg. 16, 7: „Jesu Geist erlaubte es ihnen nicht". Die Missionare zogen daraufhin „über Mysien hinaus", d. h. offenbar ohne Predigtaufenthalt nach Troas an der Küste des ägäischen Meeres, und dort sieht Paulus — es ist der dritte Eingriff göttlicher Macht — in nächtlichem Gesicht einen Mazedonier, der ihn bittet: „komm herüber und hilf u n s " (Apg. 16, 9). Da gleich darauf in der Erzählung das „ w i r " ein-

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setzt, die Reisegesellschaft also offenbar um einen vermehrt ist, der sich dann in Philippi wieder verliert, also wohl in Mazedonien zu Hause ist, so ist es erlaubt, aber keineswegs geboten, das nächtliche Gesicht mit dem Auftreten dieses Gefährten, vielleicht des Lukas, in psychologische Verbindung zu bringen. Das aber wird nun klar: die ganze bisherige Reise ist für die Apostelgeschichte nur das Vorspiel zu dem Wirken des Paulus in Griechenland. Denn der Aufenthalt in Mazedonien ist nur von kurzer Dauer, aber reich an Erfolgen. Nachdem sie schnell über Samothrake nach der Hafenstadt Neapolis (heute Kavalla) und von dort nach Philippi gelangt sind, wird hier im Hause der Purpurhändlerin Lydia die erste Zelle der künftigen blühenden Gemeinde geschaffen. Der Aufenthalt endet mit einer dramatischen Begebenheit, die Lukas in Form einer Wundergeschichte erhalten hat (Apg. 16,16—40). Als Paulus eine wahrsagende Magd von ihrer seelischen Störung geheilt, ihre Herren damit aber auch um die besondere Veranlagung des Mädchens und den daraus entspringenden Gewinn gebracht hat, werden die Missionare durch einen Volksaufstand an die Behörde ausgeliefert und nach einer Geißelung im Gefängnis interniert. Dort aber werden sie durch ein Erdbeben als Gottesboten legitimiert, so daß der Gefängniswärter sich zur Botschaft von Christus bekehrt und die Prätoren, von Furcht ergriffen, sie bitten, die Stadt zu verlassen. In diesen von der Apostelgeschichte anschaulich dargestellten Szenen — es ist die ausführlichste Erzählung aus der Missionsarbeit des Paulus — tritt in der Tat ein neuer Geist siegreich trotz aller Schlichtheit den Bräuchen der alten Welt gegenüber: zerstörend, wenn er mit der Krankheit jenes Mädchens auch den Aberglauben vernichtet; aufbauend, wenn der Gefängnisaufseher in Verzweiflung über die vermeintliche Flucht der Gefangenen Selbstmord begehen will, es aber unterläßt, als er die Missionare samt allen andern Qefan-

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genen trotz der geöffneten Türen in der Haft vorfindet; endlich imponierend, wenn die unschuldig Verhafteten die heimliche Entlassung ablehnen und sich von der Behörde selbst befreien lassen. Von Philippi zieht Paulus mit seinen Gehilfen (aber jetzt wieder ohne den Urheber des „wir" in der Apostelgeschichte) über Amphipolis und Apollonia nach Thessalonike, dem heutigen Saloniki, wo er nur einige Wochen, aber mit großem Erfolge arbeitet. Schließlich müssen die Missionare einem von den Juden angezettelten Aufstand durch nächtliche Flucht ausweichen. Sie kommen nach Beröa (heute Verria), wo sie Ähnliches erleben; nur geht die Verfolgung diesmal nicht von der örtlichen Judenschaft, sondern von der in Philippi aus. In Athen dagegen scheint überhaupt keine Gemeinde zustande gekommen zu sein; die Apostelgeschichte hat zwar die Begegnung des christlichen Apostels mit dem griechischen Geist in der Rede auf dem Areopag symbolisch dargestellt; sie läßt aber auch den Mißerfolg deutlich erkennen (17,34). Und so kommt Paulus endlich auf sein eigentliches Arbeitsfeld, das Missionszentrum, von dem aus er anderthalb Jahre lang gewirkt hat: Korinth. Hier treffen allerlei besonders günstige Bedingungen für den Erfolg zusammen: die Hafenstadt, in der Ost und West sich begegneten, wo orientalisches Denken sich in griechischer Sprache kundgab, die Stadt einer starken Judenschaft und vieler „gottfürchtender Heiden", eine Stadt der Suchenden und zweifellos vieler Verlorenen. Die Apostelgeschichte stellt den großen Erfolg der Mission nicht in einer Einzelgeschichte, sondern symbolisch in einem Nachtgesicht dar: der Herr selbst verkündet seinem Diener, daß er „ein großes Volk in dieser Stadt habe" Dagegen bringt Lukas verhältnismäßig viel ilangaben aus jener Zeit: der Berufsgenosse Aquila und seine Frau Priskilla, Diasporajuden, die soeben infolge der Juden-Ausweisung unter Claudius aus Rom haben weichen müssen, ge-

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hen ihm Quartier und vermutlich auch Arbeitsgelegenheit und Handwerkszeug; er hat sich in Korinth ja selbst erhalten. Als Paulus seine Predigt in der Syna g o g e beginnt, kommt es nach einiger Zeit zum Bruch mit den Juden, die allmählich merken, welchem Mann und welcher Botschaft sie Aufnahme gewährt haben. Der Apostel geht mit seiner Predigt in ein Nachbarhaus; wieder erfahren wir den Namen: Titius Justus, ein „gottfürchtender Heide", ist der Besitzer. Sogar einer der Synagogenvorsteher, Crispus, folgt ihm. Aus dieser Zeit der ersten Wirksamkeit in Korinth stammen die beiden kurz nacheinander verfaßten Briefe an die Gemeinde in Thessalonike. Zunächst scheint auch die Judenschaft das Missionswerk unbehelligt gelassen zu haben; sie erheben sich erst, „als Gallio Prokonsul w a r " (Apg. 18,12) — wir wissen nicht, warum gerade Gallios Amtsantritt die Gelegenheit zu einem jüdischen Tumult bot; wir wissen aber, wieviel diese Erwähnung des Gallio und seines einjährigen Prokonsulats für die Chronologie des Paulus bedeutet (s. S. 53). Denn wir besitzen, in Stein verewigt, einen Brief des Kaisers Claudius an die Stadt Delphi, in dem er den Gallio „meinen Freund und Prokonsul von A c h a j a " nennt. Die Zeit dieses Briefes ist zu errechnen, da der Kaiser sich darin nennt „zum 26. Mal als Imperator akklamiert". Die 26. Akklamation fällt in die Zeit von Anfang 52 (oder Ende 51) bis 1. August 52; an diesem Datum hatte der Kaiser schon die 27. Akklamation. Der Prokonsul trat sein Amt gewöhnlich im Frühsommer an und blieb ein Jahr; das Prokonsulatsjahr des Gallio (des Bruders des Philosophen Seneca) fällt also 51—52 oder, unwahrscheinlicher, ein Jahr später. Die Abweisung der Juden durch den Prokonsul führt zu einer Schlägerei, bei der ein Synagogenvorsteher Sosthenes — es ist der sechste Eigenname aus Korinth — der leidende Teil ist. Die Abreise des Paulus von Korinth erfolgte, wie es scheint, in Frieden, da der Prokonsul nicht geneigt war einzugreifen. Priskilla und

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Aquila fuhren mit Paulus von der Hafenstadt Kenchreä zunächst nach Ephesus. W o h i n Paulus selber strebte, zeigt vielleicht eine kleine Bemerkung (Apg. 18,18), wenn wir sie recht verstehen: Paulus habe sich in Kenchreä das Haar scheren lassen, denn er habe ein Gelübde gehabt. Wir wissen (s. S. 35), daß Paulus in seinem persönlichen Leben an frommen Bräuchen des Judentums festhielt, ohne einen Verdienstgedanken damit zu verbinden, und ohne seine Gemeinden darauf zu verpflichten. So hat er auch in Korinth eine Weihe, ein Nasiräat, übernommen, während dessen „kein Schermesser auf sein Haupt kommen d u r f t e " (4. Mose 6,5). Aber zur Beendigung der Weihezeit war noch das Ausweihe-Opfer in Jerusalem nötig; also wundert es uns nicht, daß Paulus in Ephesus zwar die ersten Verbindungen anknüpft, aber dann doch zu Schiff nach Caesarea am Meer fährt und von dort zu kurzem Besuch nach Jerusalem geht, und daß Lukas von dem allen nur kurz berichtet. Vielleicht hat Paulus damals schon eine erste Rate der später völlig durchgeführten Kollekte für Jerusalem dorthin gebracht; mindestens spricht er bald darauf Gal. 2,10 so von diesem Unternehmen, als habe er bereits damit begonnen. Und nun erst bricht er auf zu der längst geplanten Wirksamkeit in der Asia, in E p h e s u s , das sein fünftes Missionszentrum wird. Hier hat er über zwei Jahre gearbeitet, freilich nicht immer in der Stadt verbleibend; mindestens ein Besuch in Korinth fällt in diese Zeit, bei dem es beinahe zum Bruch mit der Gemeinde gekommen wäre (2. Kor. 2, lff.). Aber eine eigentliche Missionsreise bildet erst den Schluß dieser Periode; und so kommt es wohl, daß Lukas, ohne Stationenverzeichnis und somit ohne fortlaufende Quelle, von diesen zwei Jahren wenig zu berichten weiß. Die Hinreise führte den Apostel von Antiochia aus durch die kilikischen Tore zuerst noch einmal zu den galatischen Gemeinden; dann etwa von Nakoleia auf der Straße durch Phrygien über Metropolis und durch das Ge-

Die Mission 74 birgsland (Apg. 18,23; 19,1) nach Ephesus. Auch hier muß die bald gesammelte Gemeinde die Trennung von der Judenschaft und ihrer Synagoge vollziehen. Paulus redet nun täglich in der Lehrhalle eines gewissen (Rhetors?) Tyrannos, und ein vielleicht alter Zusatz gewisser Handschriften zu Apg. 19,9 „von der 5. bis zur 10. Stunde" läßt glauben, daß er nur als Mitbenutzer in der unbequemen Mittagsstunde von 11—4 Uhr dort Hausrecht hatte. Was Lukas sonst aus Ephesus berichtet, betrifft typische Erscheinungen am Rande der sich bildenden Kirche. Es ist von Jüngern Johannes des Täufers die Rede, die sich offenbar zur Gemeinde rechnen, ohne die christliche Taufe empfangen zu haben, und die erst durch Paulus zu vollen Christen werden. Ferner wird von Heilungen erzählt, die Paulus selbst vollbringt, und auch von solchen, die durch indirekte Berührung mit ihm mittels Tüchern und Binden erzielt werden. In Ephesus, der Stadt eines ausgebreiteten Aberglaubens, kommt es zu noch stärkeren Auswüchsen „frommer" Paulus-Verehrung: Juden benützen die Namen Jesus und Paulus zu Geisterbannungen, aber es wird auch erzählt, daß in einem Fall der kranke „Dämonische" sich gegen solchen Mißbrauch empört und die Zauberer böse zugerichtet habe. Schließlich ist von der heilsamen Wirkung die Rede, die die Predigt des Paulus auf die Zentren des Aberglaubens in Ephesus ausgeübt habe: die Leute verbrennen die Zauberbücher, bekennen ihr abergläubisches Tun und schließen sich der Gemeinde an. Was Paulus alles in Wort und Brief in dieser Zeit gewirkt hat, welche Kämpfe er um auswärtige Gemeinden durchzufechten hatte, dürfen wir den aus dieser Zeit stammenden Briefen nach Korinth und nach Galatien entnehmen. Aber es fehlt auch nicht an Widerstand in der Stadt selbst. Auf eine große Gefahr deutet die Bemerkung, daß Paulus „in Ephesus mit Tieren gekämpft" habe oder beinahe hätte (1. Kor. 15,32) — mögen wir den

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Ausdruck symbolisch oder wörtlich nehmen. Auch eine Gefangenschaft hat Paulus in dieser Zeit wahrscheinlich durchgemacht (2. Kor. 1,8.9); aus ihr würde dann der Philipperbrief stammen, der (zumal 2,25. 26) ein so enges Hin und Her zwischen dem Ort der Gefangenschaft und der Stadt der Adressaten bezeugt, daß er schwerlich aus den von Philippi entfernten Städten Caesarea oder Rom, in denen Paulus später noch gefangen war, stammen kann. Endlich berichtet die Apostelgeschichte von einer Gefährdung des Paulus und seiner Arbeit durch den Aufstand der Silberarbeiter, die kleine silberne Artemistempel anfertigen und dieses Gewerbe durch die Erfolge der christlichen Mission bedroht fühlen. In den Tumult werden zwei Reisegefährten des Paulus, aber nicht er selbst verstrickt. Der Stadtschreiber beruhigt die Menge, und so scheint die ganze Bewegung ohne spürbare Folgen für den Apostel ausgegangen zu sein. Er verläßt auch Ephesus nicht auf der Flucht, sondern in Frieden mit dem Plan, nach Mazedonien und Griechenland zu gehen. Die Krisis in Korinth, von der noch zu reden sein wird, war inzwischen durch einen energischen Brief des Paulus, den Titus überbrachte, beigelegt worden; dieser Brief ist uns nicht erhalten geblieben. In Mazedonien traf Paulus den Titus, erhielt die Nachricht vom Ende des Streites und begab sich daraufhin selber nach Korinth. Von diesem letzten Aufenthalt in Korinth wissen wir nur dies eine: daß Paulus von dort aus weitere Pläne gesponnen und sich — und seine Predigt — den Römern angekündigt hat mit der ausgesprochenen Absicht, von Rom nach Spanien zu reisen. Als Anmeldung schickt er eine geschlossene Darstellung seines Evangeliums: er schreibt den Römerbrief an die ihm noch unbekannte Gemeinde. Aber er hat bereits eine Anzahl Bekannte dort; denn das Ausweisungsdekret des Claudius für die Juden hat seine Geltung, jedenfalls seine Kraft verloren, und so sind mit den Juden auch die Judenchristen wie Aquila und Priskilla nach Rom

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zurückgeströmt. Man darf sich also über die lange Grußliste Rom. 16 nicht wundern, sie auch nicht abschneiden und zu einem selbständigen Brief machen. Welche Gemeinden Paulus außer der korinthischen während dieser drei Monate in Griechenland besucht hat, ob es etwa zu Neugründungen gekommen ist, wissen wir nicht. Erst auf der Rückreise scheint die Apostelgeschichte wieder ein Stationsverzeichnis zu benutzen. So erfahren wir gleich, daß Paulus die ursprünglich geplante Seereise von Korinth unmittelbar nach Syrien aufgibt, weil die Juden ihn verfolgen und ihn vielleicht auf dem Schiff ermorden lassen wollten. In Philippi gesellt sich der Begleiter zu ihm, den das „ w i r " der Erzählung einschließt, also wohl Lukas; er fährt mit ihm zu Schiff nach Troas, wo sich eine größere Reisegesellschaft versammelt hat. W i r können aus den Briefen erschließen, daß die Gemeinden die große Geldsammlung für Jerusalem durch diese Abgesandten überbringen ließen. Die Apostelgeschichte nennt die Namen (20,4), aber verschweigt aus unbekannter Ursache den Zweck, der nur später einmal angedeutet wird (24,17). Aus Troas erzählt Lukas die Geschichte, nach der Paulus einem jungen Mann hilft, der während seiner Predigt eingeschlafen und aus dem Fenster gefallen ist (20,7ff.). Die Reise zu Schiff, die Paulus erst in Assos, südlich von Troas, beginnt, wird in der Apostelgeschichte offenbar nach einem Stationsverzeichnis beschrieben: sie führt nach Mytilene auf Lesbos und an Samos vorbei nach Milet. Dort läßt Lukas den Apostel in Vorahnung seines Märtyrertodes und im Vorblick auf die Geschicke der Kirche Abschied von den Ältesten der benachbarten ephesinischen Gemeinde nehmen. Dann geht es über Kos, Rhodos nach Patara, wo man ein Schiff nach Tyrus besteigt. Weil das Schiff dort seine Ladung löscht, bleiben die Reisenden eine Woche bei der tyrischen Christengemeinde und gelangen dann nach Ptolemais, von wo sie nach Caesarea

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wandern und von dort, nach mehrtägigem Aufenthalt im Hause des Evangelisten Philippus (eines der Apg. 6 genannten Sieben), nach Jerusalem. In Tyrus wie in Caesarea fehlt es nicht an prophetischen Stimmen, die Paulus vor drohender Gefahr warnen. In der Tat war das seine letzte Missionsreise im Osten der Kirche. Auch Lukas ist dieser Ansicht; er hat die Rede in MiIet (20,18ff.) zu einem Epilog gestaltet. Man darf also aus dem unechten 2. Timotheusbrief (Kap. 4) nichts Gegenteiliges erschließen; nach Syrien, Kleinasien und Griechenland, seinem eigentlichen Missionsgebiet, ist Paulus nicht wiedergekommen. 6. Predigt und Gemeinde Paulus, der sich als Missionar der Heiden berufen weiß, beginnt seine Arbeit nach der Apostelgeschichte fast in jeder Stadt in der S y n a g o g e . Man hat das für die Wirkung einer angeblichen „Tendenz" des Verfassers gehalten: er habe zwischen Judenchristen und Heidenchristen vermitteln wollen und darum auch den großen Apostel der Heiden zuerst regelmäßig bei den Juden anklopfen lassen. Dabei ist übersehen, daß auch für den Heidenmissionar der geeignetste Hörerkreis im Synagogengottesdienst anzutreffen war. Es waren die zum Judentum bekehrten früheren Heiden, die Proselyten, und vor allem die Gasthörer der Synagoge, die sog. „gottfürchtenden Heiden". Bei ihnen fand er die Überzeugung von dem einen gerechten Gott, der Welt und Geschichte regiere, bereits vor; sie glaubten an die Offenbarung dieses Gottes im Alten Testament; ihnen waren Begriffe wie Gerechtigkeit, Sünde und Gnade sowie der Gedanke an das Jüngste Gericht nichts Fremdes mehr. An sie hat sich Paulus zunächst gewandt; bei ihnen hat er auch, wie die Apostelgeschichte zeigt, zumeist Gehör gefunden. Die eigentlichen Besitzer der Synagoge dagegen, die Juden, haben sich bis auf wenige einzelne spröde verhalten. Sie haben bald gemerkt, daß diese neue Lehre, wiewohl

78 Predigt und Gemeinde sie von einem gelehrten Juden vorgetragen wurde, den Rahmen der väterlichen Überlieferungen sprengte, und haben dann nicht gezögert, ihren Verkünder hinauszuweisen, Volksaufläufe gegen ihn zu erregen, ihn bei den Behörden zu verklagen, ja ihn von Ort zu Ort zu verfolgen. Was uns aus Lystra, Korinth und Ephesus an Einzeltatsachen berichtet wird (Apg. 14,19; 18,6. 12f.; 19,9), dürfen wir ruhig verallgemeinern. Allerdings scheint Lukas dabei in einer Beziehung schematisiert zu haben. Er legt ja, wie die antiken Historiker überhaupt, mehr Wert auf das Typische und Allgemeine als auf das Einmalige und Besondere. So hat man von seiner Darstellung mehrfach den Eindruck, als werde Paulus durch das Verhalten der Juden überrascht und entschließe sich nun erst, zu den Heiden zu gehen. Das ist Apg. 13,45—48; 18,6; 28, 23—28 im pisidischen Antiochia, in Korinth und in Rom der Fall. Jedesmal wird das Verhalten der Juden ganz schematisch nur in allgemeinen Wendungen geschildert; jedesmal aber erklärt Paulus programmatisch, daß er „von nun a n " sich an die Heiden wenden werde. Die Verteilung dieser Szenen auf die drei Gebiete Kleinasien, Griechenland und Italien zeigt vollends, daß es dem Verfasser hier auf die Typik ankommt, nicht auf die einzelnen Begebenheiten: er will zeigen, daß es die Schuld der Juden war, wenn sie vom Heil ausgeschlossen blieben. Paulus selbst hat sich als Heidenmissionar gewußt; das Schicksal seines Volkes aber hat er Gott anheimgestellt, nicht ohne die Hoffnung auf seine einstige Bekehrung (s. S. 109f.). Das ist aber schon ein prophetischer, auf die Endzeit gerichteter Ausblick. Wir sahen bereits, daß der Endglaube auch die Missionsmethode des Apostels bedingt (s. S. 62f.); er hält sich nicht mit Taufen auf, auch nur in geringem Maß mit dem, was wir Organisation nennen. Die Apostelgeschichte führt zwar 14,23 eine einheitliche Organisation mit Presbytern (Ältesten) an der Spitze der Ge-

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meinde au! Paulus zurück, aber die Briefe zeigen, daß sich die Leitung in den verschiedenen Gemeinden je nach den Verhältnissen gestaltete. In Korinth z. B. hatte der Erstbekehrte, Stephanas, der Gemeinde sein Haus für das gemeinsame Mahl zur Verfügung gestellt; nun wünscht Paulus l.Kor. 16,16, daß man dieser Familie eine gewisse Autoritätsstellung einräume. In Philippi gibt es nach Phil. 1,1 Episkopen (Bischöfe) und Diakonen, aber das scheinen nicht leitende, sondern fürsorgende Funktionäre zu sein. Die Verschiedenheit mag damit zusammenhängen, daß Paulus sich um diese Dinge wenig kümmerte, sie vielmehr andern überließ, den Gemeinden oder seinen Missionsgehilfen. Von diesen wissen wir wenig außer den Namen: Timotheus, Titus, Silas-Silvanus sind die wichtigsten. Wenn sie in den Anfangsformeln der Briefe mitgenannt werden, so bedeutet das nicht, daß ihnen ein großer geistiger Anteil an dem Brief zukomme; vor allem darf man sich den individuellen Charakter bestimmter Briefteile, die wie ein persönliches Bekenntnis wirken, nicht durch die Erinnerung an die Mitarbeiter der Apostels stören lassen — auch dort nicht, wo er von sich im Wir-Stil redet. Vielleicht hat Paulus den Missionsgehilfen bisweilen seine Briefe diktiert; vor allem aber hat er sie benutzt, um die Gemeinden zu besuchen und zu betreuen, wenn er es nicht konnte. Auch er selbst hat ja wohl die längeren Aufenthalte in einer Stadt zu gelegentlichen kleinen Besuchsreisen benützt; aber dann wohl weniger mit Betreuungs- als mit Predigt-Absichten. Denn P r e d i g e n ist sein Beruf, den er mit großartiger Einseitigkeit zum Inhalt seines Lebens gemacht hat. Ihm ordnet er alles unter. Wenn er in der Gefangenschaft — vielleicht zu Ephesus — merkt, daß christliche Missionare sein Arbeitsfeld bestellen, um ihn zu verdrängen — was tut's, wenn nur Christus gepredigt wird (Phil. 1,18)! Wenn er sich anpassen muß und nach einem berühmten Wort „den Gesetzlichen zum

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Gesetzlichen werden und den Gesetzlosen zum Gesetzlosen" (1. Kor. 9 , 2 0 ) , so geschieht das, um den einen wie den andern mit dem Evangelium zum Heil zu helfen. Wenn er auf das apostolische Recht, sich von den Gemeinden ernähren zu lassen, oftmals verzichtet und z. B. in Korinth bei einem Handwerksgenossen wohnt, dessen Gerät und Material er benutzen kann (s. S. 72), so ist er darauf bedacht, niemandem zur Last zu fallen und die Predigt von dem Verdacht des Erwerbes frei zu halten. Wenn er Rhetorik spart und weise Worte, so tut er es, um die Gottesbotschaft nicht mit Menschlichem zu vermischen, um ihren Charakter eindeutig zu bezeichnen: ein Ärgernis den Juden, eine Torheit den Heiden, den Berufenen aber Gottes Kraft und Gottes Weisheit: Christus (1. Kor. 1 , 2 3 f . ) . Was hat er nun gepredigt, wenn er eine Stadt zu missionieren begann? Wir dürfen bei der Antwort nicht zunächst an Aufbau und Inhalt der Briefe denken; denn diese sind an Menschen gerichtet, die bereits Christus-Gläubige waren. Den erst zu Bekehrenden mußte der Apostel weniger und mehr geben. Weniger — denn die Theorien des Römer- und Galaterbriefs, aber auch die Konfessionen des 2. Korinther- und Philipperbriefs waren diesem Hörerkreis noch unzugänglich. Mehr — denn diesen Hörern mußte erst Nachricht gegeben werden von dem in Christus erschienenen Heil. Gewiß hat Paulus dabei Überlieferungen benutzt, wie er sie selbst beim Eintritt in die Gemeinde zu Damaskus empfangen hatte: „ich habe euch ja unter den Hauptstücken mitgeteilt, was ich selbst einst empfangen habe: daß Christus starb für unsere Sünden nach der Schrift, daß er begraben ward, daß er auferweckt ward am dritten Tage nach der Schrift, und daß er erschien dem Kephas und dann den Zwölf" ( l . K o r . 15,3—5). Aber ebenso gewiß ist, daß Paulus, der leidenschaftliche radikale Denker, solche Überlieferungen nicht ungedeutet weitergegeben hat. Schon der Tod Christi für die Sünden

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der Menschen, wie ihn die Gemeinde lehrte, bedurfte der erklärenden Begründung: warum mußte das geschehen und wie konnte es geschehen? Erst recht aber mußte von Christus die Rede sein; und gewiß nicht nur im Sinn der Überlieferung, die von seinem geschichtlichen Leben Großes und Wunderbares berichtete. Paulus sah das Leben des Heilandes ja nicht als ein Menschenleben, das von Gott durchwaltet war, sondern gerade umgekehrt: als ein göttliches Leben, das sich zur Menschheit herabgesenkt hatte. Ihm lag also nicht an der Betonung des Außerordentlichen, sondern des Menschenmäßigen. Er erzählt nicht die Geburt aus der Jungfrau, sondern berichtet: „als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, als eines Menschenweibes Kind, damit wir die Kindschaftsrechte (bei Gott) erhielten". Er schildert nicht, wie Jesus das Sabbatgebot bricht, sondern er sagt: „gebunden an das Gesetz, damit er die vom Gesetz Gebundenen löse" (Gal. 4,4.5). In solcher Weise konnte der Apostel auch die Paradoxie des Christuslebens zum Ausdruck bringen, die — wir wissen es schon (s. S. 47) — ihm als Juden empörend erschienen, als Christen wesentlich geworden war: die Tatsache, daß der Gesalbte Gottes unter den Sündern aufgetreten und den Tod eines Verbrechers gestorben war. Immer wieder betont er diese Eigenart des Heilsgeschehens, die aller menschlichen Erwartung widerspricht und doch die menschliche Erlösung begründet: Gott „machte den Sündlosen zum Träger der Sünde um unsertwillen, nun sollen wir durch ihn zu Trägern der Gerechtigkeit Gottes werden" (2. Kor. 5,21); „Christus hat uns losgekauft vom Fluch des Gesetzes, indem er für uns zum Träger des Fluches ward, denn nach dem Schriftwort ist „jeder verflucht, der am Holz hängt"" (Gal. 3,13). Wenn Paulus aber in diesem Zusammenhang von der „Armut" des Christus spricht, so meint er, wie die Fassung des Wortes zeigt, nicht das an Geld und Gütern D i b e i i u s , Paulus

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„arme Leben Jesu", sondern die Erniedrigung des Gottessohnes in die Menschenwelt: „er, der so reich war, ist um euretwillen arm id. h. ein bloßer Mensch) geworden, damit ihr durch seine Armut reich würdet (an ewigem Leben)" (2. Kor. 8,9). Und auch das berühmte Wort von der „Entäußerung" zur Knechtsgestalt (wörtlich: „Sklavengestalt") bezieht sich nicht auf den sozialen Stand Jesu, sondern auf das Dasein als Mensch, das im Vergleich zu der Würde des Gottessohnes ein Knechtsdasein heißen muß: „wiewohl er in göttlicher Gestalt lebte, war er nicht auf die Würde, Gott gleich zu sein, bedacht, sondern legte alle Würde ab, um eine Knechtsgestalt einzutauschen, ward menschengleich an Gestalt und menschengleich an Gebärde" (Phil. 2,6.7). Diese ganze Auffassung, die das Christusgeschehen vom Himmel her, nicht von der Geschichte her, betrachtet, hat man sich gewöhnt als „Christus-Mythus" zu bezeichnen; dabei ist mit dem Wort „Mythus" natürlich weder eine uralte Volksdichtung noch eine moderne politisierende Umdichtung, sondern einfach eine Erzählung gemeint, die den W e g eines göttlichen Wesens beschreibt und seine geschichtliche Existenz als Mensch in diesem Rahmen mit umschließt. So verbindet Paulus seine Predigt mit der Überlieferung der Gemeinde; diese liefert Stoff, die Predigt das Verständnis des Stoffes. Erst durch diese seine besonders ausgerichtete Botschaft bewahrt er sie vor der Gefährdung, die gerade für Heiden in dem jüdischen Ursprung des Evangeliums liegt. Es ist ja der jüdischen Hüllen noch nicht völlig entkleidet. Die Christengemeinde in Jerusalem — mindestens diese — lebt ja als „Sekte" des Judentums (Apg. 24,5.14) noch im Raum einer antiken Religion mit Opfer und Priester, Satzung und Lehrhaus, und manche, Juden wie Christen, konnten glauben, dies alles gehöre zum Christentum, weil ja eine Religion ohne solchen Apparat nicht denkbar sei. So bestand für alle, die aus Heiden zu

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Christen wurden, und erst recht für solche, die dazwischen noch der jüdischen Synagoge angehört hatten (als Proselyten oder „Gottfürchtende", s . S . 2 1 ) , die offene Frage: sollten sie zugleich mit dem Christentum die jüdische Satzung übernehmen, den Sabbat halten, sich beschneiden lassen, nur kultisch geschlachtetes Fleisch essen? Paulus hat diese Frage mit allem Erns't verneint. Wenn er selbst den jüdischen Raum wieder betrat, fügte er sich, wie wir sahen (s. S. 35), gewissen jüdischen Ordnungen; denn sie waren immer noch die altüberlieferte Regelung des nationalen Lebens im jüdischen Volke. Aber seine heidenchristlichen Gemeinden sollte niemand dazu verführen, diese Satzungen neu anzunehmen! Denn für sie wäre das etwas Neues und infolgedessen eine Trübung des Evangeliums gewesen, und sie hätten denken müssen, die christliche Botschaft sei nur in diesem Rahmen „Religion". Was er ihnen brachte, war eine Botschaft von Gottes Gnade; und es bedurfte auf Seiten des Menschen nicht der kultischen und rituellen Anstrengungen, sondern nur der vertrauensvollen Hingabe an diese Gnade! Auf der andern Seite aber bestand unleugbar die Gefahr, daß die Paulus-Gemeinden durch eine so radikale Botschaft von andern christlichen Gemeinden isoliert wurden, mindestens von der Muttergemeinde in Jerusalem. Paulus hat diese Gefahr nicht übersehen. Seine Predigt hat immer wieder an Begriffe und Erfahrungen angeknüpft, die allen Christen gemeinsam waren. Die wichtigste Erfahrung wird mit dem Worte „ G e i s t " verbunden. Daß jeder Christ den Geist im Zusammenhang mit seiner Bekehrung als übernatürliche Gabe empfangen habe, das hat Paulus in seinen, aber auch in den andern Gemeinden einfach voraussetzen können. „Dies allein möchte ich von euch wissen: was hat euch die Gabe des Geistes verschafft, Handeln nach dem Gesetz oder Hören im Glauben?" schreibt er an die Galater (3,2). Aber ebenso an die ihm fremden Römer: „wenn einer den Geist Christi 6*

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nicht hat, dann gehört er Christus nicht an" (d. h. er ist kein Christ) (Rom. 8,9). Es ist kein Zweifel: die jungen Christengemeinden haben Außerordentliches in ihrer Mitte erlebt: Heilungen und andere „Machttaten"; ekstatische Begeisterung, vor allem das beseligende Stammeln in Lauten, die dem andern nicht verständlich sind — sie nennen es „Zungenreden"; Hellsichtigkeit, die weiß und aussagt, was in dem Mitmenschen vor sich geht: „seine geheimsten Oedanken kommen zutage — und schließlich fällt er auf die Knie, gibt Gott die Ehre und kündet laut, daß gewißlich Gott aus euch redet" (1. Kor. 14,25). Auch Gebete können Gabe des Geistes sein; den alten, aus dem Aramäischen in das Christen-Griechisch übernommenen Gebetsrut „Abba" (Vater) hat Paulus als geistgegebene Bestätigung gefaßt, daß der also Rufende wirklich Gottes Kind sei (Rom. 8,15; Gal.4,6). Aber Paulus hat auch deutlich betont, daß nicht nur auffallende und wunderbare Erscheinungen, sondern alle Kräfte des neuen Lebens, auch Liebe, Güte, Sanftmut und Keuschheit, „Früchte des Geistes" seien (Gal. 5,22); ja sogar die Gabe der Gemeindeleitung und alles, was an Tat und Wort, an Hilfe und Lehre in der Gemeinde geschieht, ist ihm Offenbarung der neuen Kraft, die in den Gemeinden waltet, des göttlichen Geistes. Was das Gesetz an s i t t l i c h e n G e b o t e n enthielt, das müßte von den Christen eigentlich ohne Satzung in Kraft des Geistes vollbracht werden (Rom. 8,4). Aber diese jungen Missionsgemeinden bedürfen noch der Belehrung, die ihnen im einzelnen sagt, was denn nun zu tun, und vor allem, was zu lassen sei. Diesen Fragen zu genügen, haben schon die Prediger vor Paulus Sprüche gesammelt, aus jüdischer und griechischer Spruchweisheit, aber auch aus den Worten Jesu und den Erfahrungen der Gemeinde — und Paulus hat daran teil. So erklärt sich, daß gewisse Abschnitte mancher Briefe (Rom. 12.13; Gal. 5,13—6,10; Kol. 3, 1—4,6; l.Thess.4,1—12; 5,12—22) anderen urchrist-

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liehen Zeugnissen wie dem Jakobus- und dem 1. Petrusbrief formell so ähnlich sind: es ist derselbe gemeinsame Stoff, der hier wie dort verarbeitet wird, um dem allgemein verbreiteten Notstand abzuhelfen, daß die jungen Christen zwar wissen, daß sie den Willen Gottes tun sollen, aber nicht wissen, welches der Wille Gottes ist. Gemeinsam ist dem Paulus und den übrigen Christengemeinden auch die Voraussetzung der T a u f e ; und zwar in einer bestimmten Deutung, die man o f t für eine Schöpfung des Paulus hält, die der Apostel aber doch in der ihm fremden Römergemeinde offenbar voraussetzt (Rom. 6 , 4 ) : das Einsenken des ganzen Körpers in das Taufwasser — nur um diese T a u f f o r m handelt es sich — bilde das Einsenken des Leibes Jesu in das Grab nach. Wie in den Mysterienkulten oft g e wisse Riten als Wiederholungen bestimmter Vorgänge aus dem Mythus des Mysteriengottes verstanden werden, und wie von ihnen eine mystische Verbindung des Mysten mit dem Gott erwartet wird, so wird auch die christliche T a u f e zum Träger ähnlicher H o f f n u n g . Der Apostel selbst freilich kann sich solche Verbindung auch ohne kultisches Mittel denken: „unser alter Mensch ist mitgekreuzigt" heißt es gleich nach jener Stelle, und von einer Nachbildung der Kreuzig u n g im Kultus ist keine Rede; erst die Gnostiker haben das Ausstrecken der Hände beim Gebet in solcher Weise gedeutet. Gemeinsamkeit mit der Gesamtgemeinde und Selbständigkeit eigenen Denkens zeigt Paulus auch in dem Gebrauch des Wortes „ G l a u b e " . Dieses W o r t gewinnt seine Vielfalt und Mannigfaltigkeit erst dort, wo eine Gesinnungsreligion über die Grenzen der Nation hinauswächst und „ G l a u b e " nun eben die Überzeugung meint, die sich zu jener Religion bekennt. „Wenn du mit dem Munde bekennst „Herr ist J e s u s " u n d mit dem Herzen glaubst, daß Gott ihn von den Toten erweckt hat, so wirst du gerettet w e r d e n " (Rom. 10, 9).

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Diese Sprache versteht jeder Christ. Davon, daß darüber hinaus Paulus dem Glauben eine zentrale Bedeutung zugeschrieben hat, wird später die Rede sein (s. S. 105 ff.). So hat Paulus trotz der Selbständigkeit seines Evangeliums die von ihm gegründeten Gemeinden in die gesamte Christenheit eingegliedert und dadurch erst eigentlich „Kirche" geschaffen. Mit der Muttergemeinde in Jerusalem aber hat er sie verbunden durch jenes große H i l f s w e r k , das er bei der Apostelbesprechung übernommen hat, und zu dessen Ausführung er die Korinther mehrfach (1. Kor. 16,1; 2. Kor. 8.9) ermahnt. Es scheint, als ob eine solche Geldunterstützung bereits früher im Zusammenhang mit einer Hungersnot innerhalb der Gemeinde von Antiochia geplant worden ist, und daß Lukas ihrer deswegen in der Schilderung der Mission nicht gedenkt — bis auf die kurze Andeutung im Rückblick Apg. 24,17; jedenfalls hat Paulus sie sich besonders angelegen sein lassen und hat ihr eine hohe Bedeutung für den Zusammenhang der Kirche zugesprochen (Rom. 15,25—32). Ja, er hat bei ihrer Überbringung bewußt sein Leben aufs Spiel gesetzt. Die Urgemeinde soll wissen, daß die neuen Christen draußen in der Welt ihr verbunden sind, und daß ihr Apostel sie den Judenchristen in Jerusalem nicht entfremdet, sondern die einen mit den andern zusammenschließt zur Einheit der christlichen Kirche. Dieser Einheit dient auch der Verkehr, den Paulus mit seinen Gemeinden durch seine B r i e f e unterhält. Alle hier als echt vorausgesetzten neun Briefe (s. S. 9 ff.) sind eigentlich Gelegenheitsbriefe und wollen die Adressaten in bestimmter Lage anreden; einer, der Römerbrief, will Paulus bei der ihm fremden Gemeinde anmelden und einführen. Eine menschliche Empfehlung würde Paulus ablehnen; er „empfiehlt" sich mit der Botschaft, die er verkündet; und so bringt es dieser Anlaß mit sich, daß der Apostel in Rom. 1,16—11,36 eine Art systematischen Aufbaus seines Evangeliums

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gibt. Andere Briefe sind Kampfbriefe, sie richten sich gegen Entstellungen und Verkehrungen der christlichen Lehre (Kol., Qal.) oder gegen schwere Mißverständnisse (2. Kor.). Alle Briefe sollen in der gottesdienstlichen Versammlung der Gemeinde vorgelesen werden; aus dieser Bestimmung erklärt sich der kultische Ton, der namentlich am Anfang wie am Ende vorwaltet. Manches in den mittleren Abschnitten aber liest sich wie ein Dialog, bei dem wir uns die Stimme des einen Teilnehmers ergänzen müssen: die Gemeinde hat gefragt, der Apostel antwortet; oder er hat dies und das von ihr gehört, und nun billigt oder tadelt oder belehrt er. Von einem regen Briefverkehr mit der Gemeinde zu Korinth erhalten wir eine ziemlich deutliche Vorstellung: erst hat Paulus einen Brief geschrieben, in dem eine Bemerkung mißverstanden wurde (s. 1. Kor. 5,9); nun stellt er in Beantwortung eines Briefes der Korinther diesen Punkt richtig und bespricht zugleich eine Menge von Fragen des Gemeindelebens: das ist unser „erster Korintherbrief"; jener allererste aber ist uns nicht erhalten, vermutlich weil die Gemeinde ihn als überholt betrachtete und ihn, da er falsch verstanden werden konnte, nicht an andere Gemeinden zum Abschreiben auslieh; er kam also nicht in weitere Kreise. Bald nach unserm ersten Korintherbrief ist Paulus zu kurzem Besuch von Ephesus in Korinth gewesen und hat dort mit einem Teil der Gemeinde einen Zusammenstoß gehabt (s. S. 73), dessen Folge ein scharfer Rüge- und Warnungsbrief des Apostels war (2. Kor. 2,3ff.; 7,8ff.). Auch ihn besitzen wir nicht; die Korinther werden sich gehütet haben, ihn andern Gemeinden zu lesen zu geben, zumal nachdem die Versöhnung eingetreten war. Sie wird uns durch unsern „zweiten Korintherbrief" bestätigt, in dem Paulus, Konflikt und Mißverständnis unter höherem Gesichtspunkt betrachend, das große Selbstzeugnis seines Apostolats ablegt. Wenn er in einem langen Nachwort die Gegner noch einmal abweist, so sind

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diese vier letzten Kapitel doch nicht, wie man gemeint hat, der fälschlich in diesen Brief hineingeratene ältere Rügebrief: denn sie enthalten das gerade nicht, was in jenem Brief gestanden haben müßte. Die Sorgen des Missionars und die Nöte der Gemeinde lernen wir am besten aus dem 1. und 2. Thessalonicher- und dem 1. Korintherbrief kennen. Es sind noch allerlei Reste der alten heidnischen Gesellschaftsordnung spürbar: man läuft noch mit allerlei Streitsachen zum Richter, also zum Ungläubigen ( l . K o r . 6,1 ff.), man duldet es, daß ein Mann die Frau seines Vaters — vielleicht die Sklavin und Geliebte — zum Weib hat (1. Kor. 5,1 ff.). Auch Reste außerchristlicher Religiosität machen sich noch bemerkbar: manche haben eine abergläubische Besorgnis vor Fleisch von einem Tier, dessen andere Teile zum (heidnischen) Opferdienst verwendet waren — und das konnte bei jedem auf dem Markt verkauften Fleisch vermutet werden ( l . K o r . 8 — 1 0 ) ; andere verwechseln die Predigt des Evangeliums mit allerlei mystischen oder philosophischen ,,Weisheiten", und dementsprechend nennen sich dann die Christen nach den angeblichen Gründern ihrer Schule (1. Kor. 1,12), nach Kephas, Paulus oder auch nach Apollos, einem Judenchristen aus Alexandria, der offenbar mit Lehren der dortigen philosophischen Schule großen Eindruck in Korinth gemacht hatte. Sie vergessen dabei, daß niemand einen anderen Grundstein der Gemeinde legen kann als den, auf dem sie erbaut ist, Jesus Christus (1. Kor. 3,11). Noch andere überschätzen die ekstatischen Elemente des neuen Gemeindelebens, vor allem das Zungenreden (s. S. 84); sie vergessen den Ernst der Kreuzespredigt, so daß Paulus energisch an den Zusammenhang des Abendmahls mit den Leiden des Herrn erinnern m u ß (1. Kor. 11,17ff.). Aber auch die neuen Christen haben ihre Sorgen: vor allem machen ihnen die ersten Todesfälle in ihrem eigenen Kreise zu schaffen; sind diese Toten nun ausgeschlossen von dem

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Reich Gottes, das der wiederkehrende Christus vom Himmel auf die Erde bringt (1. Thess. 4 , 1 3 f f . ) ? Und wenn sie auferstehen sollen, kann denn der begrabene verwesliche und verwesende Körper in Gottes Reich und Gottes Nähe noch ein Dasein haben (1. Kor. 15, 35 ff.)? Paulus hat auf diese Fragen geantwortet. Er hat den Auferstehungszweiflern vorgehalten, daß es einen Auferstehungsleib geben müsse, der nicht von Fleisch und Blut sei. Er hat denen, die in der Ekstase die intimste Verbindung mit Gott sehen, eine viel sicherere Brücke zur Ewigkeit gewiesen, den „ W e g aller W e g e " (1. Kor. 12,31): „Könnte ich reden in Zungen, könnte ich reden wie Engel, und hätte der Liebe nicht, ich wäre doch nur ein tönendes Erz, eine klingende Schelle". Aber auch die kleinen Sorgen und Fragen hat er von der Mitte der Heilsbotschaft aus ansehen gelehrt — und gerade das ist es, was den Entscheidungen über zeitbedingte Themen ihren unvergänglichen Wert verleiht. Dort, wo sich „schwache" Christen durch die Nötigung zum Essen von Opferfleisch innerlich bedrängt fühlen, warnt er die andern, daß nicht auch durch ihre Erkenntnis ein „Schwacher" ins Verderben gerate, „der Bruder, für den Christus gestorben ist" (1. Kor. 8,11). Lieber sollen sie auf Fleischgenuß verzichten — und er kann die Notwendigkeit solchen Verzichts an seinem eigenen Leben beweisen: hat er doch in Korinth und anderswo keinen Gebrauch von dem Recht des Apostels gemacht, sich von der Ortsgemeinde unterhalten zu lassen, sondern hat von seiner Hände Arbeit und von gelegentlichen Liebesgaben ihm besonders vertrauter Gemeinden — wie der von Philippi — gelebt ( l . K o r . 9). Aber auch solche Gaben sind ihm nicht deswegen wert, weil sie ihm helfen, sondern weil sie bezeugen, wie es mit dem praktischen Christentum der Gemeinde steht. Er selber fordert keine Hilfe, und so antwortet er den Philippern, indem er seine Freude über das Gemeinschaftszeichen bezeugt, aber

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das Wort „Dank" im menschlichen Sinne meidet. Er selber ist solchen menschlichen Beziehungen entrückt: „ich habe gelernt, mich mit dem zu bescheiden, was mir zufällt. Ich weiß mich zu ducken, ich weiß mich zu recken, in alles und jedes bin ich eingeweiht: satt sein und hungern, reich sein und darben; ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht" (Phil. 4, 11—13). Bezeichnend ist auch sein Urteil über das Prozessieren vor heidnischen Gerichten. Zuerst erinnert er die Gemeinde an das, was man ihre Genossenschaftspflicht nennen könnte: „habt ihr denn keinen Weisen unter euch, der zwischen Brüdern schlichten könnte?". Und erst dann kommt die Mahnung aus der Tiefe des Evangeliums, im Geist der Bergpredigt Jesu: „es ist schon schlimm genug, daß ihr überhaupt Streitigkeiten habt! Warum laßt ihr euch nicht lieber Unrecht t u n ? " (1. Kor. 6,5.7). So kann man für die Behandlung aller Alltagsfragen durch Paulus das Wort als Motto nehmen, das Paulus den Römern schreibt, die über das Recht des religiösen Vegetariertums diskutieren (14,7.8): „Keiner von uns lebt sich selber, und keiner von uns stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn; also, ob wir leben oder sterben, wir sind des Herrn!" Groß ist die Zahl, groß auch die Verschiedenheit der Themen, die der Missionar behandelt. Infolgedessen wechselt der Stil seiner Briefe oft von Abschnitt zu Abschnitt. Die Dialektik sowohl des rabbinischen Schlußverfahrens wie der Popularphilosophie mit ihrer schlichten Rhetorik, der Plauderton persönlicher Aussprache, der kultische Stil der Danksagungen, der geballte der Bekenntniskapitel, die oft in hymnenartige Gebilde ausklingen, alles das enthalten die Paulusbrjefe; alles das gibt ihnen ihre Farbigkeit, wenigstens im griechischen Text — die einheitliche Sprachprägung Luthers hat den Gegensatz der Farben erheblich gemildert. Man merkt, daß Paulus diktiert hat; so nah

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steht das geschriebene Wort dem gesprochenen. Und das will etwas heißen in einer Zeit, deren Schriftsteller in konventioneller Form verharren. Der Apostel schreibt lehrend, mahnend, bekennend — aber immer aus der unmittelbaren Lebenserfahrung heraus. Der emotionale Charakter seines Denkens (s. S. 38), der ihn von der Kühle des philosophischen Beweises so weit abrückt, ergreift und erschüttert den Leser, weil er die Wahrheit des prophetischen Zeugnisses und die Wirklichkeit seines Gegenstandes spürt. Wo Paulus hymnisch redet, da trachtet er nicht nach der Kunstform, sondern nach der rechten Art der Anbetung; er dichtet, aber auf den Knien, er steigert seine Stimme, aber in Gottes Gegenwart. Spricht er von seinem eigenen Leben, so sind die Worte getragen von dem radikalen Ernst der Bekehrung: „wenn es sonst einer mit irdischen Vorzügen wagt, ich kann's noch besser: ich, am achten Tag beschnitten, Kind des Volkes Israel^ aus dem Stamm Benjamin, Hebräer und Sohn von Hebräern, Pharisäer nach dem Gesetz, eifriger Verfolger der Gemeinde, tadellos gerecht im Sinn des Gesetzes! Aber was mir Gewinn war, das scheint mir jetzt Schaden — und das um Christi willen. Denn überhaupt alles scheint mir Schade zu sein im Vergleich mit der überwältigenden Erkenntnis meines Herrn Christus Jesus. Ihm zuliebe ließ ich mich schädigen an allem, ja es gilt mir alles als Dreck — wenn ich nur Christus dafür eintausche und in ihm geborgen bin" (Phil. 3,4—9). Verkündet er aber die Freiheit des neuen Lebens, wie sie von ihm in der Gnade Gottes und in der Kraft des Geistes erlebt ward, so schließt er sich mit allen Christen in einem sieghaften Hymnus zusammen, in dessen Fluß bezeichnenderweise auch der Schriftbeweis nicht verschmäht wird (Rom. 8,31 ff.): „Was können wir da noch weiter sagen? Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Er hat seines eigenen Sohnes nicht verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben — wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?

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Wer will klagen wider die Erwählten Gottes? — Gott selber spricht sie frei! Wer will verurteilen? — Christus, der gestorben, Christus, der erstanden, der zur Rechten Gottes sitzt, tritt für uns ein! Wer will uns scheiden von seiner Liebe? Not, Bedrängnis, Verfolgung, Hunger und Blöße, Gefahr und Gewalt? (Denn es geht uns ja nach dem Schriftwort: Deinethalb werden wir getötet den ganzen T a g und sind wie Schlachtschafe geachtet). Aber alles überwinden wir durch ihn, der uns seine Liebe geschenkt hat. Denn ich weiß gewiß: nicht Tod noch Leben, nicht Engel noch Mächte, nicht Heutiges, ni:ht Künftiges noch andere Gewalt, nicht Geister der Höhe, nicht Geister der Tiefe noch irgendeine Kreatur wird je uns scheiden von Gottes Liebe, die erschien in Christus Jesus, unserm Herrn!" 7. Zeugnis und Theologie Es ist deutlich geworden, daß Paulus die Gemeinden in seinen Briefen auf sehr verschiedene Weise anredet. Er spricht einmal als Lehrer, der Überlieferung und Mahnung weitergibt, kleine und große Übelstände korrigiert und die früheren Heiden mit den Forderungen eines christlichen Lebens inmitten der Welt vertraut macht. Davon ist hier nicht weiter zu reden; der wesentliche Inhalt der Briefe ist ja ein anderer. Paulus gibt in ihnen Zeugnis von dem neuen Dasein, in dem er steht, und das er in ähnlicher Weise den Lesern wünscht, diesem Dasein, das Seligkeit ist bei und trotz aller Verlorenheit in der Welt — wir sahen bereits, wie er auch hier seiner Neigung, in Kontrasten zu reden, Ausdruck gibt (s. S. 57ff.). Als Ursache und Inhalt dieser neuen Wirklichkeit nennt er Christus den Herrn; und er wird nicht müde, immer wieder zu betonen,

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welche Seligkeit, Freiheit und Kraft dieses Leben „in Christus" gewähre, und den Christen die Begnadung dieses Daseins in hymnischem Preis wie in mahnendem Zeugnis zu verkünden. In anderen Teilen der Briefe aber geht Paulus von Fragen aus, die — wir sahen es schon — die paradoxe Art des Christus-Ereignisses ihm aufgibt: der gekreuzigte Messias, das in die Irre gegangene Volk der göttlichen Erwählung, der Gott, der Sünder annimmt und „Gerechte" verstößt — Rätsel über Rätsel! Sie aufzulösen versucht der Denker Paulus, welcher Theologe ist schon von seinen jüdischen Anfängen her, darum Gedanken und Methoden seiner Schule verwendet, welcher aber nicht spekulativ vorgeht, nicht denkt um des Denkens willen, kein einheitliches Gedankengebäude errichtet, sondern durch ihn bewegende und aufregende Tatbestände getrieben wird zu „emotionalem" Denken. Dieses Nebeneinander von unmittelbar prophetischem Zeugnis und theologischer Dialektik — oder wie man früher sagte: einer „mystischen" und einer „juridischen" Gedankenreihe — bildet für Paulus keinen Gegensatz. Er kann beide eng verbinden (Phil. 3,9. 10): „fern davon, eigene Gerechtigkeit aus dem Gesetz zu haben, aber im Besitz der Gerechtigkeit aus Gott, die durch den Christusglauben kommt, auf Grund des Glaubens" — auf diese theologische Formulierung mit den entscheidenden Worten „Gesetz", „Gerechtigkeit" (zwiefacher Art) und „Glaube" folgt sofort das Zeugnis eigenen inneren Lebens: „ihn zu erkennen, die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden; so verwandle ich mich und sterbe ihm nach, ob ich zuletzt gelangen könnte zur Auferstehung von den T o t e n " . An der „Verwandlung", aber auch an dem vom Innewerden der Offenbarung zu verstehenden „erkennen" merkt man die mystisch-gnostische Art dieser Erfahrungen. Beide Gedankenreihen können verbunden werden, weil sie von derselben Wirklichkeit ausgehen, von dem Christus-Ereignis, das alle die

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Kräfte entbindet, von denen Paulus immer wieder Zeugnis gibt, das aber auch die Fragen aufgibt, mit denen der Theologe Paulus es zu tun hat. Wenn man zunächst an das erste denkt, an die Fülle des Besitzes, den Paulus durch Christus erlangt zu haben sich bewußt ist, so stellt sich die Frage, ob es sich dabei nicht um ein mystisches Erleben handelt. Diese Frage ist immer wieder gestellt worden, weil Paulus Ausdrücke braucht, die aus der hellenistischen Mystik stammen, Bilder verwendet, die an die Mysterienkulte erinnern, und zumal Leiden, Sterben und Auferstehen des Christus fast ebenso ins eigene Dasein überträgt, wie der Myste den Mythus seines Gottes in kultischer Weihehandlung nachbildet. So deutlich dies alles ist, so ergeben sich bei näherem Zusehen doch alsbald Einschränkungen, grundsätzlich und im einzelnen. Als religiöser Typus betrachtet ist P a u l u s k e i n M y s t i k e r . Er lebt nicht in dem Bewußtsein der Einung zwischen Gott und Mensch, so daß der Abstand zwischen ihnen verneint würde. Er sieht Gott als Richter, den Menschen als Angeklagten und verkündet unter dieser Voraussetzung das Heil: „wer will klagen wider die Erwählten Gottes? Gott selber spricht sie frei" (Rom. 8,33). Ein ähnliches Gegenüber von Gott und Mensch wird auch vorausgesetzt, wenn Paulus sagt, daß Gott durch Christus die Welt mit sich versöhnte, indem er ihnen ihre Übertretungen nicht anrechnete (2. Kor. 5,19). Und wenn er Gal. 3,22 betont, daß die Verheißung auf Grund des ChristusGlaubens den Glaubenden geschenkt werde, so ist wieder bezeugt, daß die begnadeten Menschen nicht wie in der Mystik die Eingeweihten sind, sondern die, die solchen Glauben haben. Der Glaube aber ist das Jasagen zu dem fernen Gott und seiner Heilsverwirklichung in Christus; er setzt also ein Gegenüber von Gott und Mensch voraus. Der Paulus, der solches lehrt, ist kein Mystiker, sondern gehört dem Gegentypus an, den man mit Friedrich Heiler den prophetischen nennen kann.

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Die wesentliche Kraft seiner Frömmigkeit empfängt er im Bewußtsein der Trennung von Qott und Mensch. Wenn es aber gilt, diese Kraft zu beschreiben, wenn der Apostel es wagt, von seinem Zusammenhang mit der göttlichen Welt zu reden, dann gebraucht er oft die Sprache der Mystik. In den Mysterien wird der Myste durch die irgendwie vermittelte Schau der Gottheit zum Bilde seines Gottes verwandelt; und Paulus sagt, daß die Christen durch Schau der Glorie ihres Herrn zu seinem Bild verwandelt werden (2. Kor. 3, 18); gedacht ist dabei an ein inneres Erleben, also nicht an eine Weihehandlung und nicht an eine materiell vorgestellte „Glorie". In den Mysterien wird manche kultische Handlung als Nachbildung eines Vorgangs aus dem Mythus verstanden; so versteht Paulus, und vielleicht vor ihm schon manch anderer Christ, die Taufe als ein Abbild des Begräbnisses Jesu (s. S. 85). Die Folge wird dann ganz unmystisch ins Sittliche gewendet: wie Christus auferweckt ward zu neuem Leben, so soll der Christ sich als einer erweisen, dem „neues Leben" geschenkt ward (Rom. 6,4). Von derselben Taufe sagt Paulus, daß die Christen dadurch „mit Christus bekleidet worden sind" (Gal. 3,27) — und auch dieses Wort ist am ehesten aus dem Mysterienbrauch zu verstehen, der den Mysten durch Anlegen des Göttergewandes zum Gott macht. Jene Deutung der Taufe auf das Begräbnis Jesu gehört bereits in die L e i d e n s m y s t i k . Das Leiden des Gottessohnes am Schandpfahl,furchtbarster Anstoß für Paulus den Juden, war von Paulus, dem Christen, als gottgewollt und heilsnotwendig bejaht worden. Wenn er nun selber Leiden zu ertragen hatte, konnte ihm der Gedanke nicht fern liegen, daß das Leiden ihn Christus ähnlicher mache. Seine Krankheit, von der schon die Rede war (s. S. 38 f.), hatte er zunächst als unerträgliche Belastung, gewiß auch als Hemmung der Arbeit empfunden, und er hatte „den Herrn dreimal gebeten", daß jener Satansengel von ihm ablasse. Und Christus

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hatte ihn einer Antwort gewürdigt, einer besonderen Offenbarung, von der Paulus nicht die Form, nur den Inhalt den Korinthern mitteilt; „du hast g e n u g an meiner Gnade, denn die Kraft kommt erst in Schwachheit zur Vollendung" (2. Kor. 12,7—9). Nun machte er die Erfahrung, die aus der Geschichte der Mystik auch sonst bekannt ist: gerade wenn das menschliche Gefäß zerbrechlich ist, m u ß alle Kraft umso gewisser als ein göttliches W u n d e r erscheinen. So wurde ihm zur Gnade, was ihm erst als Fluch erschienen war. Und in ähnlicher Weise lernte er auch die leidvollen Erfahrungen seines apostolischen Lebens verstehen. Er hat sie 2. Kor. 11,26 angedeutet: „Gefahr von Flüssen, Gefahr von Räubern, Gefahr von Juden, Gefahr von Heiden, Gefahr in den Städten, Gefahr in der Einöde, Gefahr auf dem Meer und Gefahr unter falschen Brüdern". Er weiß, daß er alles dies, Nöte, Schläge, Geißelung, Verhaftung hinzunehmen hat als Zeichen des Christas, daß sich so eine immer zunehmende „Durchchristung" seines ganzen Menschen vollzieht. Aber nun wird an dieser „Leidensmystik" auch ein Z u g offenbar, der sie von aller kultischen und kontemplativen Mystik unterscheidet: die Vereinigung mit Christus vollzieht sich nicht in der Weise einer Mysterienfeier und nicht in der geheimnisvollen Stunde einer inneren Schau, sondern in dem unruhigen und gefahrenreichen Dasein des Missionars: das apostolische Leben selbst ist seine Einweihung. Darum kann er auch davon reden, daß er an seinem Körper das M a ß der „ChristusDrangsale" erfülle, und daß das zum Besten der Kirche, die der Leib des Christus sei, geschehe (Kol. 1, 24); dabei ist entweder an eine Art Stellvertretung gedacht: was seine Gläubigen leiden, leidet Christus mit — oder Paulus meint, daß bis zum Ende noch eine g e wisse Zahl von „Christusleiden" der Christenheit aufgegeben sind, und daß er dazu helfe, sie abzutragen. Diese Beurteilung des Leidens wäre aber nicht eine so beseligende Erfahrung, wenn nicht zugleich dem

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Apostel das Bewußtsein gegeben wäre, an der Auferstehung des Christus teilzunehmen. Und nicht nur in der von allen Christen geglaubten Weise, daß die Auferstehung des Einen auch die Auferstehung seiner Gläubigen notwendig zur Folge habe (Phil. 3,11; Rom. 8,11.17); schon in der Gegenwart lebt der Christ eine Art Auferstehungs-Leben: die W o r t e von der „Kraft seiner Auferstehung" wurden bereits zitiert (s. S. 93); Paulus kann sich aber auch gegenüber den unbotmäßigen Korinthern auf diese aus der Auferstehung stammende Kraft berufen (2. Kor. 13,4). Endlich aber wirkt sich diese Kraft auch in der sittlichen Erneuerung aus (Rom. 6 , 4 ) — und dabei wird wieder deutlich, daß das Denken des Apostels letztlich doch nicht von Antrieben der Mystik beherrscht wird. Dieselben Beobachtungen kann man an der Formel machen, mit der Paulus besonders gern das Christsein mit all seinen Konsequenzen umschreibt: „in C h r i s t u s J e s u s " . Gefüllt vom Pathos des neuen wunderbaren Daseins klingt sie, wenn er bezeugt: „ist einer in Christus, so ist er eine neue S c h ö p f u n g " (2. Kor. 5, 17), und noch persönlicher: „ich weiß mich zu ducken, ich weiß mich zu recken; in alles und jedes bin ich eingeweiht: satt sein und hungern, reich sein und darben! — Kraft habe ich zu allem in ihm, der mich stark m a c h t " (Phil. 4,12.13). Aber Paulus braucht die Formel nicht nur von den besonderen Erfahrungen seines Lebens; er kann von jedem Christen sagen, daß er „in Christus J e s u s " ist, und der Ausdruck „Andronikus und Junias, die vor mir in Christus gewesen s i n d " (Rom. 16, 7), bezeichnet einfach den zeitigeren Eintritt in die Gemeinde — Paulus hat ja noch kein Wort für „Christ", „Christ sein", „Christentum" und m u ß darum mit jener Formel die Zugehörigkeit eines Menschen zum „Leib des Christus", zur Gemeinde, oder seine Tätigkeit in ihr bezeichnen. Hinter diesem Gebrauch steht dann natürlich kein besonderes mystisches Erleben. Die Umkehrung jener Formel, den GeD i b e I i u s , Paulus.

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danken des „ C h r i s t u s in m i r " , hat Paulus viel weniger o f t v e r w e n d e t (z. B. Rom. 8,10). Einmal scheint dieser G e d a n k e freilich zum Ausdruck radikaler Mystik zu w e r d e n : „ich bin mit Christus gekreuzigt; nun lebt nicht m e h r mein Ich, s o n d e r n Christus lebt in m i r " (Qal. 2,20). Das neue Leben läßt, so scheint es, f ü r das alte Ich ü b e r h a u p t keinen Raum mehr, so „durch christet" ist der ganze Mensch. Aber die F o r t s e t z u n g lautet: „ w a s ich aber jetzt noch im Fleisch zu leben habe, das lebe ich im Glauben an den G o t t e s s o h n , der mich geliebt u n d sich f ü r mich d a h i n g e g e b e n h a t " . Auf einmal ist wieder von dem andern, dem alten Leben die Rede, u n d in diesem Z u s a m m e n h a n g gilt nicht die Ein u n g mit Christus, sondern die Kraft, die über alle Abg r ü n d e h i n w e g die Liebe des G o t t e s s o h n e s ergreift, die Kraft des Glaubens. Immer wieder d r ä n g t sich die B e o b a c h t u n g auf, daß Paulus, w e n n man ihn schon auf dem P f a d der Mystik zu sehen glaubt, mit einer plötzlichen W e n d u n g oder einer unvermuteten W o r t w a h l seine inneren E r f a h r u n gen anders deutet, als es der Mystiker t u n w ü r d e . Der Unterschied von wirklicher Mystik kann auch sonst nicht übersehen w e r d e n . Paulus kannte z. B. die Mystik der Identität nicht, die Gleichsetzung des Mysten mit der G o t t h e i t : du bist ich und ich bin du. Paulus hat zuviel israelitisches Erbe, ist zu sehr erfüllt von der alttestamentlichen Scheu vor dem ewigen Gott, als d a ß er sich auch nur f ü r einen Augenblick auf dieselbe E b e n e mit dem Herrn der Welt stellen könnte. Und es ist w o h l auch kein Zufall, sondern hat denselben G r u n d , d a ß Paulus das „ h e i d n i s c h e " W o r t „Verg o t t u n g , A p o t h e o s e " meidet, o b w o h l er 2. Kor. 3,18 von der V e r w a n d l u n g des Menschen zum Bilde Gottes redet. Bezeichnend f ü r das ganz unmystische Verhältnis des Apostels zu Gott ist auch, d a ß er keine Gottesmystik kennt; der Mensch kann sich nur mit Christus verbinden als mit dem, der G o t t innerhalb der Menschheit o f f e n b a r t hat. Endlich unterscheidet sich

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Paulus von der eigentlichen Mystik dadurch, daß ihm die vollkommene Beseligung erst in der Zukunft möglich erscheint, wenn Christus sich am Ende der T a g e offenbaren wird, um seines Reiches Herrschaft anzutreten. Für die Gegenwart aber gilt: „nicht als ob ich (ihn) schon ergriffen hätte oder schon vollkommen wäre, ich strebe aber danach, ihn zu ergreifen, weil ich ja von Christus Jesus ergriffen b i n " (Phil. 3,12). Wenn Paulus die neue Wirklichkeit aussprechen will, die ihm mit Christus geschenkt ist, kann er Ausdrücke und Bilder der Mystik verwenden; wenn er aber seine und der Christen Lage in der Welt denkend verstehen will, ist ihm die Schranke bewußt, die in dieser Welt noch das volle Einssein mit Christus hemmt. Sein Denken erfaßt diese Welt und alles in ihr als ein Vorläufiges. Die Gedanken des Paulus über das W e l t e n d e sind im Großen von jüdischer Schultheologie geprägt: erst wird der große Abfall kommen, und der Antichrist wird auftreten; dann kommt der Messias vom Himmel her, und die Gläubigen — die noch lebenden und die aus den Gräbern erweckten — bilden sein Gefolge; es beginnt das Reich des Christus, das dauert, bis er seine Herrschaft dem Vater übergibt. Für den Christen Paulus aber hat dieses eschatologische Bild eine neue Aktualität bekommen. Das eschatologische Geschehen hat bereits mit der Auferstehung und Erhöhung des Christus begonnen; Gott hat seine Macht über den T o d kundgetan und hat als Unterpfand des Kommenden den Christen seinen Geist gesandt, damit sie schon jetzt ihrer Teilnahme am kommenden Reich gewiß sein dürfen. Der Gedanke an den eigenen T o d tritt bei Paulus zunächst noch zurück; er hofft darauf, die Wiederkunft des Christus noch zu erleben (1. Thess. 4,15. 17). Unter dem Einfluß erfahrener Todesnähe scheint diese H o f f n u n g erschüttert zu sein, und Paulus klagt 2. Kor. 5 , 2 . 4 darüber, daß er das himmlische Gewand nicht gleich beim Tode überziehen darf, sondern damit 7*

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rechnen muß, erst des irdischen Kleides entledigt zu werden und eine Zeitlang „nackt" — im Grabe — zu verharren. Andere W o r t e deuten darauf, daß er auch in diesem Fall die H o f f n u n g hat, „abzuscheiden und (dann gleich) bei Christus zu sein" (Phil. 1,23); und es scheint nicht, als ob er diesen Gedanken erst am Ende seines Lebens gefaßt hätte. Die individuelle Hoffnung des Apostels, immer angetrieben durch die Gewißheit „jetzt schaue ich im Spiegel, dann aber von Angesicht zu Angesicht" (1. Kor. 13,12), eine Gewißheit, die eigentlich auch keinen Platz für eine lange Grabesruhe läßt, steht unausgeglichen neben dem überlieferten echatologischen Zukunftsbild. Eine theologische Bearbeitung dieser Gedanken hat Paulus nicht gegeben; er hat l . K o r . 15,51 nur als Prophet im „Geheimnis" davon gesprochen. Ausgeführtere theologische Gedankenreihen hat Paulus nur dort gebildet, wo er aufregende, seine überlieferte Gedankenwelt scheinbar umstürzende Erfahrungen gemacht hatte. Der gekreuzigte Messias, die Diskreditierung aller Frömmigkeit und Gerechtigkeit, die Relativierung des Gesetzes und die Entthronung des Gottesvolkes, vor diese belastenden, kaum faßbaren Wirklichkeiten sah er sich gestellt. Hier setzen die wesentlichen Gedanken des Paulus ein — sie gehen aus von dem Bewußtsein, daß die genannten Paradoxien unerschütterliche Tatsachen seien —, vorwärts getrieben aber werden die Gedanken durch die unerhörte, ja beleidigende Art jener Wirklichkeiten, die den Denker Paulus immer wieder vor die Frage stellt: wie konnte Gott so handeln? Wir haben gesehen, daß die Herkunft der Christengemeinden aus laienhaften und gesetzlosen Kreisen dem Pharisäer Paulus eine Verbindung mit ihnen unmöglich machte (s. S.46f.). Denn wenn Gott diese Leute bevorzugt hätte, dann wäre ja die jüdische Frömmigkeit mit ihrem Gesetzesglauben ins Unrecht gesetzt worden. Wozu dann die peinliche Befolgung aller Vor-

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Schriften vom Aufstehen bis zum Niederlegen? Wozu die schwierigen Überlegungen, wieviel Schritte man am Sabbat gehen darf, wann und wie man die „Erstlinge" der Früchte aussondert, unter welchen Bedingungen die Laubhütte an dem Fest dieses Namens tauglich ist — wenn das alles vor Gott nichts galt? Nun hatte aber Gott den Christen recht und den jüdischen Frommen unrecht gegeben. Daraus war zu schließen, daß das menschliche Streben nach „Gerechtigkeit", nach dem Zustand, in dem Gott den Menschen haben will, vergeblich sei. Dies zu erklären trägt Paulus seine Gedanken über die S ü n d e vor, die oft als „Sündenpessimismus" kritisiert, oft — pietistisch — als Trauer über die begangenen Sünden mißverstanden worden sind. Von Sünden in der Mehrzahl, begangenen Tatsünden, redet Paulus, wenn er Altes Testament oder Gemeindeüberlieferung zitiert oder sich der Gemeindesprache anschließt. Im Rahmen seines theologischen Denkens aber spricht er von der Sünde in der Einzahl, und bisweilen klingt es, als wäre sie ein lebendes Wesen, ein Tyrann, der die Menschengeschlechter beherrscht (Rom. 5,12—21), oder ein Dämon, der sich im Innern des Menschen betätigt (Rom. 7, 7—25). Es soll dadurch der Tatbestand ausgedrückt werden, daß dem Menschen, wie er einmal ist, eine Gottferne eignet, daß er gewissermaßen infiziert ist, so daß auch seine Frömmigkeit, sein Streben nach Gerechtigkeit, seine Erkenntnis des Guten ihm zum Bösen gerät. Das hatte Paulus wie wohl noch kein Jude erleben müssen, an sich selbst, an seinem Volk, auch an dem Schicksal Jesu, der ja nicht von den Gottlosen, sondern von den Frommen an die Römer ausgeliefert worden w a r : eine geheimnisvolle Macht läßt die Frommen gegen Gottes Willen handeln, ja sie ließ den Paulus selbst fast sein Heil verfehlen und läßt noch jetzt sein Volk in die Irre gehen. Diese Macht ist die Sünde. Seit Adam gehört sie zur menschlichcn Anlage, sie und der ihr ver-

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schwisterte T o d . W i e dieser H a n g zum Bösen in Gottes gute Schöpfung hineingekommen ist, sagt dem Apostel die Geschichte vom Sündenfall; wie er sich weiter entwickelt hat, darüber hat Paulus keine Theorie aufgestellt. Er b e g n ü g t sich mit der Feststellung: durch einen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der T o d ; und somit kam der T o d über alle Menschen, sie haben ja alle gesündigt (Rom. 5,12). Die kirchliche Erbsündenlehre stammt nicht von Paulus, ist vielmehr eine irrtümliche Entfaltung und Weiterbildung seiner Gedanken. Paulus redet also von der immer wieder gemachten Erfahrung aus, daß der Mensch seiner Natur nach — „dem Fleische n a c h " — nicht zu Gott kommen, nicht „Gerechtigkeit erlangen" kann. Und sein „Sündenpessimismus" nennt diese der menschlichen Natur innewohnende Macht „die Sünde". Er kann sich auch das Bild des also von „der S ü n d e " gequälten Menschen vor Augen stellen; es ist ihm so nah, daß er dabei im Ichstil reden kann, obwohl er als Christ dieser Verzweiflung bereits überhoben ist und auch als Jude ihr nicht verfallen war, weil er damals noch nicht so pessimistisch dachte. Er sagt Rom. 7,18—20: „Denn ich weiß: in mir, d . h . in meinem „Fleisch", w o h n t nichts Gutes. Am Wollen fehlt es mir nicht, wohl aber am Vollbringen des Guten. Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will. Wenn ich aber tue, was ich gar nicht will, dann handelt nicht mehr mein Ich, sondern die in mir wohnende Sünde". Das ist der stärkste Ausdruck jenes „Sündenpessimismus". Und doch darf auch er nicht mißverstanden werden. Allerdings ist der „Gerechte" jeder Art rettungslos diskreditiert. Es soll sich nur noch einmal einer erdreisten, vor Gott als Frommer aufzutreten wie der Pharisäer im Gleichnis Jesu (Luk. 18,11) — Paulus würde ihm auf den Kopf zusagen: auch in dir w o h n t die Sünde! Aber der Blick des Paulus auf die Masse

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der Menschen ist trotzdem kein hoffnungsloser. Jene so trostlos klingenden Sätze nennen das Ereignis nicht, das inzwischen eingetreten ist und die Menschheit in ein neues Verhältnis zu Qott gebracht hat: die Offenbarung einer neuen Gerechtigkeit durch Jesus Christus. Nun liegt die Welt der Völker vor Paulus nicht als Trümmerfeld, sondern als Saatfeld; wie mit Adam alle dem Tod verfielen, so sollen mit Christus alle des Lebens teilhaftig werden (1. Kor. 15,22). So kritisch der Apostel über die Kräfte der Menschennatur denkt, so erwartungsvoll hofft er auf die Kräfte des Geistes. Es gilt nur den W e g dafür zu bahnen durch die Gewinnung der Vielen für Christus. Der Drang zur Mission, die eilige Art der Werbung und ihre eschatologische Ausrichtung, die dem kommenden Ende zuvorkommen will — alles das muß in diesem Zusammenhang betrachtet und bewertet werden (vgl. S. 62). Der „Sündenpessimismus" ist grundsätzlich; in der praktischen Beurteilung aber tritt die Missionshoffnung in den Vordergrund. Freilich, ein Gebiet scheint von dieser Missionsfreude ausgenommen zu sein: das Judentum. Und wir begreifen nun noch mehr, daß die Frage nach dem Sinn des Gesetzes und dem Schicksal des Gottesvolkes zu jenen Gedanken-Komplexen gehört, die des Paulus Theologie auflösen muß, weil sie Theodizee ist (s. S. 60). Gottes Gerechtigkeit steht in der T a t auf dem Spiel: er hatte das Gesetz gegeben, und das Gesetz hatte sich als schädlich erwiesenj es hatte das Volk zu einer mechanistischen Befolgung verführt, bei der die kultischen und rituellen Forderungen im Vordergrund standen. Durch die Befolgung dieser Gebote hatte sich der Jude vor Gott Verdienste erwerben zu sollen gemeint, und Paulus selber war auf diesem W e g der „Gesetzeseerechtigkeit" bis zum äußersten Ende gegangen (Phil. 3 , 6 ) . Nun war dem Paulus durch seine Bekeh-

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rung aber klar geworden, daß dieser W e g falsch war, daß die Juden durch ihr Streben nach Gerechtigkeit auf Grund des Gesetzes gerade keine „Gerechtigkeit" erlangt hatten, daß er selbst einen falschen W e g gelaufen war, der nicht zur Rettung hatte führen können. Hatte ihn also das Gesetz ins Verderben geführt, w^r das Gesetz eine teuflische Macht? Oder hatte gar Gott selbst sein Verderben gewollt, das erwählte Volk verstoßen? Gegen diese scheinbar zwingenden Folgerungen wehrt sich der Apostel mit der ganzen Leidenschaft eines Menschen, dem es unantastbare Wahrheit ist, daß es der Gott der Väter war, der ihm seinen Sohn offenbart hatte (s. S. 55), und daß dieser Gott seinen Verheißungen nicht untreu geworden sein könne: „es ist unmöglich, daß Gottes W o r t hinfällig geworden w ä r e " (Rom. 9,6). Und um die Unmöglichkeit solcher falschen Folgerungen zu erweisen, sucht Paulus die wahre Bedeutung des Gesetzes und das Wesen des wahren Heilsweges zu Gott denkend zu ergründen. Hier ist der Quellpunkt für die „ R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e " des Paulus, jenen theologischen Gedanken, der grundlegend wurde für die Heilserkenntnis Luthers und der Reformation überhaupt, den die protestantische Orthodoxie zum Artikel erklärte, „mit dem die Kirche steht und fällt", um dessentwillen aber auch Paulus vielen Menschen als dunkler und wirklichkeitsfremder Denker gilt. Es kann aber kein Zweifel sein, daß hier das Herz des Denker? Paulus am lebhaftesten schlägt, daß gerade hier die Mitte der paulinischen Verkündigung zu suchen ist. Paulus, der schon als jüdischer Denker Mensch und Welt von Gott her anzusehen g e w o h n t war, mußte die Frage s o stellen: warum hatte Gott sein Heil g e r a d e den Gesetzlosen g e schenkt, warum hatte Gottes Gesetz als Heilsweg versagt, versagen müssen? Die Antwort, die Paulus auf diese für einen frommen Juden erschütternden Fragen gegeben hat, ist aus der beseligenden Erfahrung des neuen Lebens erwachsen, das ihm geschenkt worden

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war: „siehe, jetzt ist die vollkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils" (2. Kor. 6,2). Dieser Tag des Heils aber war zur Wirklichkeit geworden dadurch, daß Gott seinen Sohn gesandt hatte, als die Zeit erfüllt war (Qal. 4,4), daß Gott in diesem Christus Jesus aus Gnaden die Erlösung geschenkt hatte (Rom. 3,24). Bisher hatte Paulus mit den Juden gemeint, der Mensch müsse sich durch Gehorsam gegenüber den Forderungen des Gesetzes, durch „Werke des Gesetzes", Gottes Wohlgefallen erwerben; nun aber war ihm — und er schließt alle Judenchristen in diese Erkenntnis ein — aufgegangen, daß Gott einen ganz anderen Weg der Rettung gezeigt hatte: „Wir sind freilich von Geburt Juden und zählen uns nicht zu den „Sündern" aus der Heidenwelt. Weil wir aber wissen, daß kein Mensch durch Leistungen nach dem Gesetz Gerechtigkeit erlangt, sondern nur durch den Glauben an Jesus Christus, so haben wir uns zu diesem Glauben bekehrt, um Gerechtigkeit zu finden im Christusglauben und nicht in Leistungen nach dem Gesetz" (Gal. 2,15.16). Es ist eine völlig neue Stellung des Menschen vor Gott, die sich hier zeigt: nicht weil der Mensch etwas geleistet hat, darf er auf Gottes Wohlgefallen rechnen, sondern weil er an Christus glauben darf. Und wie Paulus das von ihm jetzt als falsch erkannte Verhältnis zu Gott mit den jüdischen Begriffen „Gerechtigkeit erlangen", „Gesetzeswerke" zu beschreiben gewohnt gewesen war, so beschreibt er nun auch das neue Leben in dieser Sprache: „Jetzt ist, unabhängig vom Gesetz, Gottes Gerechtigkeit hervorgetreten, Gottes Gerechtigkeit, die dem Glauben an Christus zuteil wird und allen gilt, die glauben . . . Denn alle haben gesündigt . . . und sollen Gottes Gerechtigkeit geschenkt erhalten nach seiner Gnade durch die von Jesus Christus vollbrachte Erlösung. Ihn hat Gott durch sein Blut sühnen lassen, und der Glaube erhält daran Anteil; s o wollte Gott seine Gerechtigkeit erweisen, indem er die früher, unter Gottes Langmut,

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geschehenen Sünden vergab, s o wollte Gott seine Gerechtigkeit in dieser jetzt gekommenen Zeit erweisen. Wir meinen nämlich, daß der Mensch gerecht wird aus Glauben, nicht aber durch die Erfüllung des Gesetzes" (Rom. 3,21—28). Hatte schon die Überlieferung der christlichen Gemeinden, die Paulus bei seinem Christwerden übernahm, bezeugt, „daß Jesus Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift" (l.Kor. 15,3; s.S.80), so war dem Paulus nun klar geworden, warum'das so sein mußte: gerade auf diesem Wege, der den Juden Ärgernis sein, den Heiden Torheit scheinen mußte, wollte Gott seine Liebe erweisen, wollte Gott die Glaubenden retten (l.Kor. 1, 21.23). Es ist späteren christlichen Theologen nicht immer gelungen, bei diesem kühnen Gedanken stehen zu bleiben und nicht weiter wissen zu wollen, w a r u m Gott gerade durch den Sühnetod seines Sohnes seine Liebe erweisen wollte, und besonders seit Anselm von Canterbury (f 1109) ist die Anschauung weit verbreitet, Paulus gebe hier genaue Auskünfte darüber, warum Gott n u r durch den Tod seines Sohnes seiner Forderung auf Bestrafung der menschlichen Sünde und zugleich seinem rettenden Willen habe Nachachtung verschaffen können. Von allen diesen Gedanken weiß Paulus nichts: ihm ist es sicher, daß die Menschen aus der Macht von Sünde und Tod gerettet sind durch Gott, der Jesus Christus sterben ließ, und er bezeugt dieses wunderbare Geschehen mit den ihm geläufigen Vorstellungen von Sühneopfer und Tilgung der Sündenschuld. Hatten die Juden und mit ihnen Paulus gemeint, der am Kreuz Gestorbene sei von Gott verflucht, so wußte Paulus jetzt, daß Gott vielmehr durch diesen Sühnetod die Menschen vor dem Fluch bewahrt hatte, dem sie als Sünder verfallen waren: „Christus hat uns losgekauft vom Fluch des Gesetzes, indem er für uns zum Träger des Fluches ward" (Gal. 3,13). Mag uns Menschen von heute, denen kultisches Sühnopfer und religiöser Fluch keine erlebten Wirk-

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lichkeiten mehr sind, diese Sprache fremd erscheinen, so verstehen wir die prophetische Gewalt dieser Verkündigung besser, wenn Paulus von derselben Wirklichkeit auch mit dem Begriffe der Versöhnung reden kann: „Gott hat in Christus die Welt mit sich versöhnt, indem er ihnen ihre Übertretungen nicht anrechnete, und hat das Wort von der Versöhnung unter uns aufgerichtet" (2. Kor. 5,19). Das ist der Auftrag, den Paulus als Apostel seit seiner Bekehrung zu erfüllen hatte, dieses den Menschen neuschaffende Handeln Gottes hatte er zu verkündigen: Gott ist gerade darin der gerechte Gott — aller menschlichen Erwartung zuwider —, daß er den Gottlosen als „gerecht" anerkennt, daß er den Menschen annimmt so, wie er ist, daß er dem Menschen die Möglichkeit zur Rettung geschaffen hat. Und angesichts dieser Botschaft von Gottes versöhnendem Handeln, von Gottes rechtfertigender Tat, gilt es nur eines: zu glauben: „Denn wenn du mit deinem Munde bekennst: „Herr ist Jesus" und mit dem Herzen glaubst, daß Gott ihn von den Toten erweckt hat, so wirst du gerettet werden" (Rom. 10,9). Das eben heißt glauben: von sich selbst, seinem Elend ebenso wie seiner Würdigkeit, wegsehen und darauf vertrauen, daß Gott in Jesus Christus das Entscheidende getan hat. Das bedeutet ganz gewiß zuerst ein Jasagen zu der Predigt vom Gekreuzigten und Auferstandenen; denn „der Glaube erwächst aus dem Hören, das Hören aber aus der Rede von Christus" (Rom. 10,17). Aber Glaube ist für Paulus unendlich viel mehr: wer glaubt, der vertraut sich wider alle menschliche Hoffnung Gott an, wie es Abraham tat; ja, wer glaubt, der empfängt von Gott den Geist und lebt nun in der Liebe (Rom. 4,18; Gal. 3, 2; 5,6). So ist der Glaube nicht ein „Werk des Gesetzes"; eine menschliche L e i s t u n g in all ihrer Fragwürdigkeit und Ungewißheit; und doch erreicht den Menschen Gottes Handeln in Jesus Christus nur dann, wenn er glaubt: „Wir meinen nämlich, daß der Mensch gerecht wird

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aus Glauben, nicht aber durch Erfüllung des Gesetzes" (Rom. 3,28). Rückt so der Glaube bei Paulus in die Mitte, so geht das weit hinaus über das, was die christliche Überlieferung schon vom Glauben gesagt hatte (s.S. 85 f.); damit war den brennenden Fragen gegenüber, die sich dem Paulus auf Grund seiner Bekehrung stellten, der gerechte Gott als der Urheber des Heils in der G e g e n w a r t erwiesen. Aber noch blieben zwei Fragen zu beantworten: was war denn nun die Bedeutung des Gesetzes? und war nicht durch diese neue, endgültige O f f e n b a r u n g das Volk der Erwählung verstoßen? Daß der Mensch nicht durch Erfüllung der F o r d e r u n g e n des Gesetzes „ger e c h t " werden könne, hatte die Berufung der Gesetzlosen durch Gott gezeigt. W a r das Gesetz also b ö s e ? Paulus lehnt diese Folgerung aus voller Überzeugung ab: „Das Gesetz ist heilig und das Gebot heilig, gerecht und g u t " (Rom. 7, 12). Aber da der Mensch die Forderungen des Gesetzes alle erfüllen müßte und doch nicht erfüllen kann, so kann das Gesetz nicht m e h r bewirken, als daß es dem Menschen seine Verlorenheit vor Gott aufzeigt und ihn immer tiefer in dieser Hilflosigkeit versinken läßt (Rom. 3,20; 5,20). Paulus sieht hinter diesem Versagen des Gesetzes durchaus die Sünde wirksam, jene dämonische Macht, von der wir schon gesprochen haben (s.S. 101): „So hat, was gut war, mir den T o d gebracht? Bewahre! sondern das war die Sünde. Damit sie ganz als Sünde in Erscheinung träte, brachte sie mir den T o d durch das, was eigentlich gut war, und erwies sich so, gerade am Gebot, als Verkörperung des Bösen" (Rom. 7,13). Aber Paulus beruhigt sich nicht bei dieser Einsicht in die dämonischen Hintergründe des menschlichen Verhaltens gegenüber Gott; sein radikales Denken kommt nicht zur Ruhe, ehe es nicht auch hinter diesem rätselhaften Geschehen Gottes Willen ergreift: Gott wollte gar nicht, daß die Menschen durch das Gesetz zum Leben kommen sollten; das Gesetz sollte nur wie ein

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109 schlechter Sklave oder Gefängniswärter die Menschen reif machen für das Hören der Christusbotschaft (Oal. 3,21—24): „denn Christus bedeutet das Ende des Gesetzes, damit jeder, der glaubt, Gerechtigkeit empfange" (Rom. 10,4). So urteilt Paulus als Christ, so muß er urteilen, weil er als Glaubender und aus der Erfahrung des neuen Lebens heraus den „alten Bund" nur noch als Umweg Gottes ansehen konnte. Aber waren nun nicht die Juden, die noch an diesem alten Bund festhielten, der doch einst Gottes alleiniger Weg gewesen war, verworfen? Hatte nicht Gott darum den Paulus zum Heidenapostel berufen, weil er sich von seinem Volke der Erwählung abgewandt hatte? Paulus hat diese Frage mit der ganzen Leidenschaft des frommen Juden gestellt, dessen Liebe zu seinem Volke so groß ist, daß er noch den Römern schreiben kann: „Ich möchte verflucht sein, von Christus getrennt, zugunsten meiner irdischen Volksgenossen" (9,3). Er übersieht den Unglauben der Mehrzahl der Juden der Predigt des Evangeliums gegenüber keineswegs; er weiß auch, daß es gerade die frommen Juden waren, die „den Herrn Jesus und die Propheten getötet und uns verfolgt haben, die Gott nicht gefallen und allen Menschen feindlich sind. Sie hindern uns, den Heiden ihr Heil zu predigen, und füllen so beständig das Maß ihrer Sünde" (l.Thess. 2,15f.). Und doch hat Paulus immer wieder in den Synagogen zu predigen begonnen (s. S. 77 f.) und betont: „Das Evangelium ist die Kraft Gottes, die zum Heil führt jeden, der glaubt, den Juden zuerst und ebenso den Griechen" (Rom. 1,16; vgl. 1. Kor. 1,24). So bestreitet Paulus nicht, daß die Juden selber schuldig sind, wenn sie sich vom Heil ausgeschlossen haben, aber er sieht in diesem Versagen dennoch prophetisch einen Umweg G o t t e s (Rom. 11,11—32): durch die Bekehrung der Heiden, die Berufung des neuen Gottesvolkes, sollen die Juden eifersüchtig gemacht werden, und so wird schließlich doch noch

110 Zeugnis und Theologie „ganz Israel gerettet werden". Es ist ein „Geheimnis", das Paulus hier verkündet, es ist prophetische Ausschau auf das als nahe erwartete Weltende. Man hat oft gemeint, Paulus wolle hier eine für alle Zeiten gültige Voraussage von Ereignissen der irdischen Geschichte geben; aber das ist schon darum irrtümlich, weil diese prophetische Ausschau ja mit dem Weltende in nächster Nähe rechnet. Paulus gibt vielmehr ein g ö t t l i c h e s Geheimnis kund, das er durch eine persönliche Offenbarung erfahren hat, und das seinen Zweifeln ein Ende bereitete: die Hoffnung, daß Gott doch noch das erwählte Volk, trotz dessen Versagen, zur Erkenntnis seines wahren Messias führen werde. Aus dieser Hoffnung heraus hat Paulus umso eifriger den Heiden gepredigt, hat Paulus die Heiden zur Gemeinde des Messias gerufen; in dieser Hoffnung hat der Denker Paulus Ruhe gefunden, und es bleibt ihm nur die staunende Anbetung der Wege Gottes: „Wie abgrundtief ist Gottes Reichtum, Weisheit und Wissen! Wie unbegreiflich sein Gericht, wie unerforschlich sein Weg! Denn von ihm, durch ihn und zu ihm sind alle Dinge, Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen." (Rom. 11,33.36). So hat Paulus die Fragen, die sich ihm durch seine Bekehrung und durch die ihn zunächst so befremdende Wirklichkeit der neuen Gemeinde des Messias Jesus stellten, durch theologische Besinnung zu klären gesucht. Aber er ist auch an der Aufgabe nicht vorbeigegangen, sich über die Wirklichkeit klar zu werden, die ihn umfing, seit er Christ geworden war, und deren Aufbau sein ganzes missionarisches Wirken galt, die K i r c h e . Wir sahen schon, daß Paulus wie alle Christengemeinden die Taufe als Eintrittsritus für die christliche Gemeinde kannte und diesen Taufakt — ebenfalls in Übereinstimmung mit den hellenistischen Christengemeinden — als ein Mitsterben mit Christus deutete (s. S. 85). Wer sich als Glaubender taufen läßt, der erlebt nach Paulus nicht ein innerliches Sterben,

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der erlebt auch nicht in geheimnisvoller Weise noch einmal den T o d Christi — „Christus ist e i n f ü r a l l e M a l f ü r die Sünde gestorben" (Rom. 6,10) —, sondern der erfährt im Glauben, daß er wirklich Teil erhalten hat an der Wirkung von T o d und Auferstehung Christi, daß darum auch er tot ist für die Sünde und lebt für Gott — s o f e r n er glaubt: „Ihr seid mit Christus in der T a u f e begraben, ihr seid in Christus auch auferweckt durch den Glauben an den Gott, der die Macht hatte, ihn von den Toten zu erwecken; euch, die ihr tot wart in den Verfehlungen..., hat Gott mit Christus lebendig gemacht, indem er uns alle Übertretungen v e r g a b " (Kol. 2,12f.). Paulus sieht demgemäß in der T a u f e ein göttliches Handeln am Menschen, das Gottes Handeln in Christus dem einzelnen Gläubigen zur persönlichen Wirklichkeit werden läßt, und das zugleich dem Gläubigen die Gabe des göttlichen Geistes vermittelt und ihn so aufnimmt in die neue Heilsgemeinde, den „Leib Christi": „in einem Geist sind wir alle durch die T a u f e in einen Leib hineingenommen" (1. Kor. 12,13). So hat jeder einzelne Christ teil an der Wirklichkeit der e i n e n Kirche, die der Leib Christi ist und von ihrem Haupte ihr Leben empfängt (Kol. 2,19), und die die Gesamtheit aller Christengemeinden umfaßt. Und wie Paulus so in der T a u f e nicht bloß einen Aufnahmeritus gesehen hat, sondern darin die unbegreifliche Wirklichkeit des rettenden göttlichen Handelns an jedem Getauften sich ereignen sah, so bedeutete ihm die Zugehörigkeit zur Kirche Jesu Christi mehr als die Mitgliedschaft in irgend einer religiösen Gemeinschaft: „wie wir in einem Leib viele Glieder haben, die nicht alle dieselbe Aufgabe haben, so sind wir vielen ein Leib in Christus und Glieder im Verhältnis zueinander" (Rom. 12,4f.). Die Christen haben wirklich schon Anteil an dem durch Christus gebrachten neuen Leben, sie sind „Kinder Gottes durch den Glauben in Christus Jesus" (Gal. 3,26), d. h. als Glieder seines Leibes. Wieder

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erscheint die Taufe als das Ereignis, das den Beginn dieser Zugehörigkeit zum Leibe Christi bedeutet, und es ist der Glaubende, dem in der Taufe diese göttliche Gabe geschenkt wird. Und wie so die Taufe von Paulus als der Beginn der Eingliederung in die Kirche verstanden wird, so das H e r r e n m a h l als immer neues E m p f a n g e n dieser Zugehörigkeit. Paulus h a t t e auch diese kultische H a n d lung aus dem gottesdienstlichen Gebrauch der Urkirche übernommen, die der täglichen Mahlsitte Jesu ebenso gefolgt war wie dem letzten Mahl Jesu. Paulus setzt in seinen Gemeinden bereits die Ü b u n g voraus, nach der am gemeinsamen gottesdienstlichen Mahl der Christengemeinden nur die wirklichen Glieder der Gemeinden teilnehmen konnten, während f ü r Nichtget a u f t e n u r der Wortgottesdienst zugänglich war. Für die getauften Christen aber bedeutete die Teilnahme am Herrenmahl ein immer neues In-Beziehung-Treten zum lebendigen Herrn der Gemeinde: „ B e d e u t e t nicht der u n t e r Segenssprüchen geschehende Genuß des Segenskelches, d a ß wir teilhaben a m Blut Christi? Und bedeutet der Genuß des Brotes, das wir brechen, nicht Teilhabe a m Leib Christi? Denn wie e i n Brot da ist, so sind wir vielen e i n Leib, genießen wir doch alle von dem e i n e n B r o t " (1. Kor. 10, 16f.). W e n n die Christen gemeinsam den Wein trinken, so wird der Opfertod Christi von neuem wirksam f ü r sie; sie erfahren von neuem, d a ß Jesus C h r i s t u s f ü r sie gestorben und auferstanden ist und sie d a d u r c h befreit worden sind von der Gebundenheit in Schuld und Tod. Und wenn die Christen von dem einen Brot essen, so werden sie von neuem eingegliedert in den Leib Christi, in die Gemeinde, u n d erhalten von neuem an deren K r ä f t e n Anteil. Aber wiederum geschieht das nicht einfach d a r u m , weil der Ritus gefeiert wird — Paulus hat gegen solches Mißverständnis schon f r ü h k ä m p f e n müssen (s. bes. 1. Kor. 10, l f f . ) —, sondern es k o m m t darauf an, d a ß der Christ „den Leib auszeichnet"

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i l . Kor. 11,29), d . h . weiß, daß er am Leib des Herrn Anteil erhält, daß er im Glauben stehen und verweilen muß, wenn die Wirklichkeit des Herrenmahles für ihn eine Segenswirkung und kein Gericht sein soll (1. Kor. 10,6 ff.; 11,29.31). Denn das ist nun das gemeinsame Merkmal aller dieser theologischen Gedanken des Paulus: er sucht, da er vom jüdischen Gott der Geschichte ausgeht, das religiöse Leben der Christen fest an die geschichtliche Heilstat Gottes in Christus zu binden und jedes Abgleiten der Frömmigkeit in geschichtslose Mystik oder in bloßes Bauen auf gottesdienstliche Vorgänge zu verhüten. Darum verkündet er ganz gewiß seinen Gemeinden, welche g r o ß e Gaben sie durch die Taufe und das Herrenmahl erhalten haben und immer wieder erhalten. Aber Paulus kann auch vom Sterben mit Christus reden, o h n e daß er die T a u f e erwähnt: „einer ist für alle gestorben, so sind alle gestorben" (2. Kor. 5,14); er kann den Geistempfang ausschließlich an den Glauben binden: „was hat euch die Gabe des Geistes verschafft, Handeln nach dem Gesetz oder Hören im G l a u b e n ? " (Gal. 3 , 2 ) ; ja, das neue Leben wird einfach aus 'der T a t Christi abgeleitet: „Christus ist für uns gestorben, damit wir . . . mit ihm Leben haben sollen" (1. Thess. 5,10). Und das Teilhaben an den Segnungen des Leibes Christi kann Paulus ausschließlich von dem Hören des „ R u f e s " Gottes abhängig machen: „Der Friede Christi regiere in euern Herzen, denn zu diesem Frieden seid ihr gerufen als Glieder e i n e s Leibes" (Kol. 3,15). So hat Paulus die Christen in die Kirche eingegliedert gewußt und die Einheit der Kirche und ihrer Gaben stark betont, ja um dieser Einheit willen persönliche Gefahren auf sich genommen (s. S. 86). Aber er hat zugleich als der radikale Denker das Sein des Christen ohne jede Abschwächung allein auf die T a t Gottes in Christus zurückgeführt, der er das neue Leben verdankte, und die ihm das Rätsel gelöst hatte, das die Existenz der ChristenD i b e I i u s , Paulus.

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gemeinde für ihn bedeutet hatte. So fand Paulus eine Antwort auf die Frage nach Gottes Gerechtigkeit, die sich ihm, dem frommen Pharisäer, seit seiner Bekehrung gestellt hatte. So gelang es ihm aber auch — und darin liegt die weiterwirkende Bedeutung dieses theologischen Denkens —, die christliche Verkündigung vor der Rückkehr zur jüdischen Gesetzlichkeit ebenso zu sichern wie vor der Auflösung in eine Religion des sakramentalen Besitzes, indem er den unauflöslichen Zusammenhang von Glaube und geschichtlicher Heilstat Gottes immer wieder betonte. Und dadurch ist der Theologe Paulus der immer verpflichtende Maßstab für alles christliche Denken geworden. 8. Kämpfe Paulus war durch seine Bekehrung zu der Einsicht geführt worden, daß der W e g der Juden zu Gott nicht zum Ziel führen könne, weil Gott selber diesen W e g durch die Sendung seines Sohnes und die Berufung der christlichen Gemeinde als falsch erwiesen hatte. Und Paulus hatte als ehemaliger überzeugter Anhänger des Gesetzesweges und als geschulter Theologe den Gegensatz der neuen Heilsoffenbarung Gottes zum W e g des Gesetzes in voller Klarheit erkannt und daraus die Folgerung gezogen, daß Gottes Heil unter Ausschaltung des Gesetzes auch, ja gerade den Heiden gelte (s. S. 45 f.). Eben diese Tatsache aber, daß Paulus als jüdischer Theologe die Gegensätzlichkeit von Christusglauben und jüdischer Religion mit solcher Schärfe erkannte und bereit war, daraus die Folgerungen zu ziehen, mußte ihn von vorneherein in eine gewisse Spannung zu den ersten Jüngern Jesu bringen, die zugleich die ersten Führer der christlichen Gemeinde in Jerusalem geworden waren. Diese ersten Jesusjünger, unter denen Petrus die führende Rolle spielte, waren, wie wir sahen (s. S. 25), dem Judentum eng verbunden, hielten ihre Zusammenkünfte teilweise im Tempel ab (Apg. 2 , 4 6 ) und waren, wie besonders

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die Corneliuserzählung (Apg. 10) beweist, dem Gedanken einer Berufung von unbeschnittenen Heiden in die christliche Gemeinde nicht zugänglich. Aber sie waren die Träger der Überlieferung vom irdischen Jesus und die ersten Zeugen seiner Auferstehung, und darum konnte es keine Christengemeinde geben ohne irgendeinen Zusammenhang mit dieser Urgemeinde. Daneben aber hatten sich seit der Verfolgung und Flucht der hellenistischen Judenchristen Jerusalems, deren Wortführer Stephanus gewesen war, christliche Gemeinden in der jüdischen Diaspora gebildet, die auch ehemalige Heiden zu ihren Gliedern zählten. Als Paulus bei Damaskus Christ geworden war, hatte er sich in Damaskus einer solchen hellenistischen Christengemeinde angeschlossen und war zunächst mit den Uraposteln in Jerusalem nicht in Beziehung getreten. Ob das Zufall oder Absicht war, können wir nicht wissen; Tatsache ist jedenfalls, daß Paulus nach seiner eigenen feierlichen Erklärung (Gal. 1 , 1 7 f . ) zwei bis drei Jahre Jerusalem ferngeblieben ist. Und deutlich geht auch aus den weiteren Angaben des Galaterbriefs (1,1 ff.) hervor, daß Paulus Jerusalem darum fernbleiben k o n n t e , weil er sein Evangelium ganz auf die direkte Berufung durch den himmlischen Herrn zurückführen durfte, so daß er für seine Tätigkeit als Apostel keiner Beauftragung oder auch nur Belehrung durch die Urapostel bedurfte. Nach etwa drei Jahren (die Angaben von Apg. 9 , 1 9 f f . müssen wir nach Gal. 1 , 1 8 korrigieren) ist Paulus dann doch nach Jerusalem gegangen, hat aber dort nur 14 Tage geweilt und nur Petrus und Jakobus, den Bruder Jesu, gesprochen (s. S. 52). Was bei dieser Zusammenkunft besprochen wurde, wissen wir nicht, ahnen darum auch nicht, ob Paulus schon damals mit den Jerusalemern über das Recht der Heidenmission und die Frage der Gesetzesfreiheit diskutiert hat; auf alle Fälle hat Paulus seinen ihm vom Herrn übertragenen Missionsauftrag an die Heiden sich nicht bestreiten lassen. 8*

Kämpfe 116 Aus den nun folgenden etwa 14 Jahren der Missionstätigkeit des Paulus wissen wir sehr wenig, weil die Apostelgeschichte keine Quellen gehabt zu haben scheint und Paulus selber nichts erwähnt außer der Tatsache, daß er in Syrien und Kilikien gewirkt habe (Oal. 1,21; s. S. 54, 64 f.). Zweifellos hat er von den beiden Missionszentren Tarsus und Antiochien aus und dabei besonders auf der ersten uns genauer bekannten Missionsreise durch Zypern und das südliche Kleinasien (Apg. 13 u. 14, s. S. 66 f.) weiterhin als bewußter Heidenmissionar gewirkt und daher Gemeinden gegründet, die in ihrer Mehrzahl aus ehemaligen Heiden zusammengesetzt waren. Von diesen Heiden hat Paulus niemals die Übernahme des jüdischen Gesetzes gefordert, weil diese Forderung ja bedeutet hätte, daß diesen in die christliche Gemeinde eintretenden Heiden die Erfüllung der Gesetzesgebote als L e i s t u n g hätte erscheinen müssen, ohne deren Erfüllung sie sich Gottes Wohlgefallen nicht hätten erwerben können. Die Gesetzesfreiheit, die zweifellos von der vorpaulinischen Heidenmission der hellenistischen Judenchristen in gewissem Umfang auch schon geübt worden war, war so für Paulus von Anfang an eine bewußte und konsequente. Dem stand aber nun die ebenso konsequente Anschauung derjenigen Judenchristen Jerusalems entgegen, die nach wie vor die Erfüllung des Gesetzes als unabdingbare Forderung für jeden Menschen erklärten, der vor Gott bestehen wollte, und für die der Glaube an den auferstandenen Jesus Christus nicht eine neue Religion bedeutete, sondern nur die Anerkennung der Tatsache, daß der von den Juden fälschlich erst erwartete Messias in der Person Jesu schon auf Erden gewirkt habe und in Bälde wiederkommen werde, um sein Reich aufzurichten. Diese „zum Glauben gekommenen Pharisäer" — so nennt Lukas diese Kreise (Apg. 15,5) — verkörperten offensichtlich nicht die Gesamtheit der jerusalemischen Christen: Paulus unterscheidet sie, die er „Falschbrü-

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d e r " nennt (Gal. 2,4), deutlich von den eigentlichen Uraposteln, den „Säulen" Jakobus, Petrus und Johannes (Qal. 2,9), aber er weiß doch auch zu berichten, daß diese Falschbrüder einen so großen Einfluß in der Jerusalemer Gemeinde gewonnen hatten, daß ein Bruch zwischen der paulinischen Heidenchristenheit und der Jerusalemer Gemeinde zu befürchten war (Gal. 2,2). Denn inzwischen waren natürlich Nachrichten über die gesetzesfreie Heidenmission des Paulus nach Jerusalem gedrungen und hatten bei dem einflußreichen extremen Flügel der dortigen Gemeinde nicht nur allgemein Unwillen, sondern wohl auch schon die Befürchtung geweckt, daß in den paulinischen Gemeinden auch die Judenchristen zum Verzicht auf die Erfüllung des Gesetzes veranlaßt werden könnten (Apg. 21,21). Dieser Unwille und diese Befürchtung waren aber nicht bei Stimmungen verharrt, sondern hatten sich in die Tat umgesetzt, und zwar zunächst, soweit wir sehen können, vor allem im syrischen Antiochia, dem Mittelpunkt der vorpaulinischen Heidenmission und dann auch der 'damit sich verbindenden paulinischen Missionstätigkeit. Dorthin waren von seiten der gesetzesstrengen Judenchristen Jerusalems — „Judaisten" hat man diese Richtung zu benennen sich g e w ö h n t — Abgesandte geschickt worden, die versuchen sollten, die Beschneidung der Heiden innerhalb der christlichen Gemeinden durchzusetzen und die den Heidenchristen in diesen gemischten Gemeinden bisher gewährte Freiheit vom jüdischen Gesetz aufzuheben (Apg. 1 5 , 1 . 5 ; Gal. 2,3f.). Damit aber entstand nun wirklich die Gefahr, daß die e i n e Kirche zum wenigsten in zwei Gruppen auseinanderfiel, da Paulus es aus Treue gegen den ihm zuteil gewordenen göttlichen Auftrag nicht zulassen konnte, daß die für Christus gewonnenen Heiden nun nachträglich auch noch zu Juden gemacht wurden, und daß dem freien Wirken des Geistes Christi unter den Heiden so eine fast unüberschreitbare Schranke gesetzt werden sollte.

118 Kämpfe Um diesen Bruch zu vermeiden, entschloß sich Paulus, nach etwa vierzehnjähriger Abwesenheit wieder nach Jerusalem zu gehen, um sich mit den Uraposteln zu besprechen. Er nahm Barnabas mit, der vielleicht schon 14 Jahre vorher die Brücke zwischen Paulus und den Jerusalemern geschlagen und Paulus einst aus Tarsus nach Antiochia geholt hatte (Apg. ll,25f.), und Titus, einen unbeschnittenen Heidenchristen. Über diese Apostelzusammenkunft, die man herkömmlicherweise „Apostelkonzil" nennt, haben wir die kurzen Bemerkungen des Paulus (Gal. 2,1—10) und einen ausführlichen Bericht der Apostelgeschichte (15,1—29). Obwohl es immer wieder bestritten wird, kann man nicht ernsthaft bezweifeln, daß beide Texte von demselben Ereignis reden. Doch widersprechen sich beide Texte hauptsächlich an einem Punkte, an dem ein Ausgleich kaum möglich erscheint: während Paulus feierlich erklärt, daß er keinerlei Verpflichtung übernommen habe außer einer Sammlung für die Armen der Gemeinde in Jerusalem, berichtet die Apostelgeschichte, daß man bei dieser Versammlung beschlossen habe, den Heidenchristen nur die Forderung aufzuerlegen, sie sollten „sich enthalten von der Befleckung durch die Götzen und von Unzucht und Ersticktem ( = nicht rituell geschlachtetem Fleisch) und Blut(genuß)" (Apg. 15,20); durch Abgesandte habe man in einem Brief diesen Beschluß den christlichen Gemeinden in Antiochia, Syrien und Kilikien mitgeteilt. Diese Angabe steht nun nicht nur mit dem Bericht des Paulus über das Apostelkonzil in Widerspruch, sondern auch mit der Tatsache, daß Paulus später im Galaterund 1. Korintherbrief die v ö l l i g e Freiheit der Christen von der Pflicht zur Befolgung des Gesetzes vertritt und dabei nicht einmal bei der Frage des Essens von Götzenopferfleisch (l.Kor. 8—10) erwähnt, daß darüber einmal unter seiner Mitwirkung ein Beschluß gefaßt worden sei, der natürlich auch für die Korinther verbindlich gewesen wäre. So muß hier im Bericht der

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Apostelgeschichte ein Versehen vorliegen; das „Aposteldekret" ist wohl in späterer Zeit und bestimmt ohne Beteiligung des Paulus entstanden und hat mit dem Apostelkonzil nichts zu tun. Auch sonst zeigt der Bericht der Apostelgeschichte über das Apostelkonzil, daß Lukas keine genaueren Kenntnisse über das dort Vorgefallene hatte, so daß wir für dieses Ereignis fast ganz auf den Bericht des Paulus angewiesen bleiben. Paulus war nach Jerusalem gegangen, um durch Darlegung seines Verständnisses der Heidenmission die Jerusalemer davon zu überzeugen, daß ein Eingehen auf die Forderung der Judaisten auf Unterstellung der Heidenchristen unter das jüdische Gesetz einer Verleugnung des ihm vom himmlischen Herrn selber erteilten Auftrags gleichkäme. Offensichtlich haben die extremen Kreise in Jerusalem auch jetzt ihre Forderung durchzusetzen versucht, indem sie verlangten, daß der von Paulus mitgebrachte Heidenchrist Titus beschnitten werden müsse, wenn sie ihn als wirkliches Mitglied der Gemeinde des Messias Christus anerkennen sollten. Paulus hat die Erfüllung dieser Forderung verhindern können, da sich die Urapostel selber auf seine Seite stellten, die göttliche Beauftragung des Paulus anerkannten und dem Paulus zugestanden, daß von den Heiden keinerlei Erfüllung des jüdischen Gesetzes gefordert werden dürfe, wenn sie Christen wurden. Man einigte sich dahin, daß Paulus und Barnabas im heidnischen Gebiet Mission treiben sollten, während die Urapostel sich wesentlich der Gewinnung von Juden widmen wollten; Paulus aber übernahm die Verpflichtung, in den von ihm gegründeten heidenchristlichen Gemeinden für die Armen in Jerusalem eine Geldsammlung zu veranstalten, um so durch eine nicht mißzuverstehende Liebestat der Tatsache Ausdruck zu verleihen, daß auch die Heidenchristen sich mit der Urgemeinde in Jerusalem verbunden wußten. Paulus hat diese Verpflichtung später treulich durchzuführen sich bemüht und dabei auch keine Lebensgefahr gescheut (s. S. 86).

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Mit diesen Abmachungen schien die Gefahr gebannt, daß die Heidenchristen sich dem Drängen der radikalen Judenchristen beugen müßten, oder daß die e i n e Kirche Jesu Christi aus Heiden u n d Juden auseinanderbrach. Wie wenig freilich ein gegenseitiges Verständnis wirklich gewonnen war, zeigt sich schlaglichtartig an einem Vorfall in Antiochia, auf den Paulus Gal. 2 , 1 1 ff. kurz anspielt. Paulus und Barnabas waren nach der Apostelbesprechung nach Antiochia zurückgekehrt, und auch Petrus muß bald darauf dorthin gekommen sein. Petrus scheint sich in der aus Juden- und Heidenchristen gemischten dortigen Gemeinde den Jerusalemer Abmachungen gemäß an den gemeinsamen Mahlzeiten der Gemeinde beteiligt zu haben, indem er seine Bedenken gegen die kultische Unreinheit der Heidenchristen unterdrückte. Nun aber kamen aus Jerusalem Judenchristen, die sich auf Jakobus beriefen und dem Petrus wegen seiner Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen Vorwürfe machten, da Petrus nach der Meinung der extremen Judenchristen zweifellos die einem Juden durch das Gesetz gebotene Schranke überschritten hatte. Und Petrus ließ sich durch diese Vorwürfe beeindrucken und gab die Tischgemeinschaft auf, und sein Beispiel veranlaßte auch den 'Barnabas und die übrigen Judenchristen zum Rückzug. Damit war natürlich die Gesetzesfreiheit der Heidenchristen nicht angetastet, aber die Gemeinde in Antiochia doch auseinandergebrochen. Paulus hat denn auch den Petrus dieses inkonsequenten Verhaltens wegen zur Rede gestellt und wohl auch dem Barnabas Vorwürfe gemacht (s. S. 68), hat sich jedenfalls daraufhin von der Gemeinde in Antiochia gelöst und ist ohne Barnabas zu weiterer Missionstätigkeit in Kleinasien abgereist. Damit schien auch dieser Zwischenfall erledigt und kein ernsthafter Anlaß zu neuen Auseinandersetzungen mehr gegeben zu sein, da Paulus nun in ganz heidnischem Gebiet weiter missionierte. Und so hören wir

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denn auch in dem Bericht der Apostelgeschichte für längere Zeit nichts mehr von Differenzen des Paulus mit den Judenchristen in Jerusalem. Aber dieser Schein trügt. Im Galaterbrief, der fünf bis sechs Jahre später geschrieben wurde, als Paulus längere Zeit von Ephesus aus Mission trieb (s. S. 74) und bereits zweimal im Inneren Kleinasiens gewirkt hatte, reagiert Paulus auf die Nachricht, daß nach seinem 2. Besuch in Galatien dort Judaisten aufgetreten waren, die sich auf ihre Beziehungen zu Jerusalem und den Uraposteln beriefen, und die nun in diesen fern von Palästina gelegenen paulinischen Missionsgemeinden den Heidenchristen gegenüber die Forderung erhoben, sie müßten sich nachträglich noch beschneiden lassen und das jüdische Oesetz auf sich nehmen. Und nicht lange danach sehen wir, daß auch in Korinth das Apostelamt des Paulus von judaistischer Seite bestritten wird, indem man dem Paulus vorwirft, er sei kein rechter Apostel, da er nicht wie die Urapostel zu den Jüngern des irdischen Jesus gehört habe (2. Kor. 5,12—17; 2. Kor. 10—13). Paulus greift in seiner Abwehr gegen diese Oegenrnission die Urapostel nicht selber an, umso schärfer aber die „Falschapostel" oder „Überapostel" (2. Kor. 11,5.13), und es läßt sich daraus entnehmen, daß hinter dieser bewußten Störung der paulinischen Mission offenbar nicht die Urapostel selber standen, wohl aber die gleichen extremen Kreise der Judaisten in Jerusalem, die schon beim Apostelkonzil die Unterstellung der Heidenchristen unter das jüdische Gesetz gefordert hatten. Sie hatten sich offensichtlich mit der schiedlichfriedlichen Einigung zwischen Paulus und den Uraposteln auf dem Apostelkonzil nicht abgefunden und trugen nun den Kampf in die paulinische Heidenkirche hinaus. Das bedeutete natürlich nicht nur einen Bruch der Abmachungen des Apostelkonzils, sondern auch eine G e f ä h r d u n g der Einheit der Kirche und eine Bedrohung des weltweiten Missionsaüftrags des Heidenapostels Paulus. So wäre es schon von hier aus durch-

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aus begreiflich, daß Paulus scharf zugriff, als er von dieser Oegenmission hörte. Aber Paulus sah darüber hinaus — und zweifellos mit Recht — in der judaistischen Forderung auf Eingliederung der Heidenchristen in die jüdische Religionsgemeinschaft durch die Beschneidung eine Verleugnung des in Jesus Christus erschienenen Handelns Gottes. Das war ja die jüdische Auffassung gewesen, in der Paulus einst gelebt hatte, und die nun die Judaisten mit fanatischem Eifer propagierten, daß der Mensch von Gott zur Erfüllung der Gebote des jüdischen Gesetzes gefordert sei, und daß jedermann sich nur durch möglichst treue und sorgfältige Erfüllung dieser Gebote Gottes Wohlgefallen erringen könne. Nur der gesetzestreue Jude konnte so vor Gott bestehen, und darum erschien es den Judaisten als religiöse Pflicht, die Heidenchristen zu beschnittenen Judenchristen und damit zu Kindern „unseres Vaters Abraham" zu machen. Gerade das aber hatte Paulus als den Irrweg seines Lebens erkannt, daß er als Jude gemeint hatte, durch seine Leistung im Rahmen der jüdischen Religion sich Gottes Wohlgefallen erwerben zu können; gerade das hatte Gott durch die Berufung der Verachteten und „Gottlosen" in die Gemeinde des Messias Jesus gezeigt, daß es Gott nicht auf die Leistung des Juden ankam, sondern auf die Bereitschaft des Menschen, sich der in Jesus Christus sichtbar gewordenen suchenden und rettenden Liebe Gottes anzuvertrauen: „Also kommt es nicht darauf an, daß einer will oder läuft, sondern daß Gott sich erbarmt" (Rom. 9,16). Was die Judaisten wollten, war die Gewinnung neuer Glieder für die jüdische Volksreligion; was Paulus als Gottes Willen im Evangelium erkannt hatte, war die Befreiung von Juden u n d Griechen aus der Knechtschaft der Welt und ihre Einsetzung zu freien Kindern Gottes (Gal. 3,28; 4,3.6). So kämpft Paulus im Galaterbrief nicht gegen ein anderes Verständnis des Evangeliums, gegen eine falsche Theologie oder eine falsche Ethik,

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sondern gegen „ein anderes Evangelium, das kein anderes ist" (Gal. 1,6f.), und er kämpft dagegen mit solcher Leidenschaft, daß er zu sagen wagt: „Auch wenn wir oder ein Engel vom Himmel das Evangelium verkündeten im Gegensatz zu dem Evangelium, das wir verkündet haben, so sei ein solcher (Verkünder) verflucht!" (Gal. 1,8). Denn was die Judaisten wollten und durch die Gegenmission in den paulinischen Gemeinden zu erreichen suchten, das war eben nicht, dem Paulus sein Lebenswerk zu zerstören, das war vielmehr eine Vernichtung des Werkes Christi selber an diesen Heidenchristen: „Ich, Paulus, sage euch: wenn ihr euch beschneiden laßt, kann Christus euch nichts mehr helfen! Wenn ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, habt ihr nichts mehr mit Christus zu schaffen und keinen Teil mehr an Gottes Gnade!" (Gal.5,2.4). Und das war kein Irrtum des Paulus: hier standen sich nicht zwei verschiedene Möglichkeiten christlichen Glaubens gegenüber, sondern hier mußte der Kampf Jesu gegen die Pharisäer auf einer andern Stufe noch einmal ausgefochten werden. Jesus hatte als der Bringer und Verkünder des endgültigen göttlichen Heilshandelns und der unbedingt maßgebenden Forderung Gottes die Feindschaft der Vertreter des offiziellen Judentums erweckt, denen das Heil des Juden begründet erschien in der Erfüllung des Gesetzes im Rahmen der jüdischen Religionsgemeinschaft; und nun erhob sich noch einmal diese jüdische Volksreligion mit ihrem Pochen auf die Leistung des Menschen gegen die Botschaft vom rettenden Handeln Gottes in Christus für alle Menschen und von der Begründung des menschlichen Tuns in Gottes einmaliger Heilstat. Noch einmal stand der Wahn des frommen Menschen, sich sein Heil verdienen zu können, gegen die Wirklichkeit der durch die Auferstehung Christi und die Sendung des Geistes begründeten Gemeinde derer, die wußten, daß „Gott es ist, der in euch Wollen und Vollbringen wirken muß nach

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seinem Wohlgefallen" (Phil. 2,12). Und so ging es bei diesem Kampf nicht um den Einfluß oder Erfolg des Paulus, sondern wirklich um die Sache seines Herrn. Darum hat Paulus sich nicht gescheut, die judaistischen Gegner mit aller Schärfe in seinen Gemeinden zu bekämpfen und so dem Auftrag treu zu bleiben, den er bei seiner Berufung zum Heidenapostel empfangen hätte. Wir wissen über die Einzelheiten dieser Auseinandersetzungen nicht Bescheid, insbesondere gar nichts darüber, ob der Brief des Paulus nach Galatien dem Einfluß der Judaisten dort Halt gebot oder nicht; doch weist die Erhaltung des Galaterbriefs u n d seine Aufnahme in die spätere Sammlung der Paulusbriefe eher auf einen Erfolg des Paulus. Daß Petrus nach der 'Auseinandersetzung mit Paulus in Antiochien mit Paulus völlig gebrochen, sich auf die Seite der extremen Jerusalemer Judaisten gestellt und sich aktiv an der Gegenmission gegen Paulus beteiligt habe, hat man oft angenommen, ist aber äußerst unwahrscheinlich; Paulus selber erwähnt den Petrus später so, daß kein Gegensa'tz ernsthafter Art spürbar wird (1. Kor. 3, 22; 9,5). Die Judaisten freilich sind durch die Abwehr des Paulus nicht vom Unrecht ihrer Sache überzeugt worden, ihre Feindschaft hat Paulus noch bei seinem letzten Aufenthalt in Jerusalem bedroht (s. S. 131). Und an einem Ort, nämlich in Korinth, können wir die Wirkung des judäistischen Kampfes gegen Paulus auch nach der Zeit des Galaterbriefes noch genauer beobachten, u n d hier zeigt sich zugleich ein weiterer Gegner, m'it dem Paulus zu kämpfen hatte. Paulus hatte über 18 Monate in Korinth gewirkt und sich dann nach kürzeren Aufenthalten in Palästina und dem südlichen und mittleren Kleinasien f ü r längere Zeit in Ephesus niedergelassen (s. S. 71 ff. 87). Dort erreichten ihn, wahrscheinlich einige Zeit nach der galatischen Krise, mündliche Nachrichten und ein Brief der Gemeinde aus Korinth, die ihn veranlaßten, der Gemeinde in einem umfangreichen Schreiben (unserm l . K o -

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rintherbrief) in vielen Einzelfragen des Glaubens und Lebens Hilfe und Belehrung zukommen zu lassen. Schon in diesem Brief können wir deutlich erkennen, daß bei diesen großenteils aus dem hellenistischen Heidentum in seinen verschiedensten Formen herkommenden Christen das alte heidnische Denken die christliche Botschaft stark gefährdete. Man sah die christliche Taufe als eine Mysterienweihe an und stellte sich "darum zu den Taufenden wie zu den „Vätern" der Mysterienweihen ( l , 1 2 f f . ; 4 , 1 5 ) ; man glaubte, durch den Eintritt in die Christengemeinde in den Besitz übernatürlicher Kräfte g e k o m m e n zu sein, und achtete darum das ethische Verhalten gering ( 4 , 8 ; 6 , 1 2 f f . ; 1 0 , 6 f f . ) ; man sah das höchste Zeichen göttlicher Ergriffenheit im ekstatischen „Zungenreden" und glaubte gar, die Befreiung von der Vergähglichkeit, die Auferstehung, schon zu besitzen (14,1 ff.; 15,12). Diese Christen sähen also in der Zugehörigkeit zur Christengemeinde nur einen weiteren W e g zum Erwerb übernatürlicher Kräfte und damit zur Flucht aus der Welt des Schicksals und der Vergänglichkeit in die göttliche Welt der Unsterblichkeit und Furchtlosigkeit. So muß Paulus von immer neuen Seiten deutlich machen, daß der Christ sein Heil empfängt durch den Zusammenhang mit dem geschichtlichen Heilshandeln Gottes in Kreuz und Auferstehung Christi, daß er gerettet wird nicht durch den Besitz übernatürlicher Kräfte, sondern durch die gläubige Annahme dieses göttlichen Handelns und ihre Bewährung im Leben. Aber neben der Sorge des Paulus um dieses Verhaftetbleiben der jungen Gemeinde in der alten heidnischen Frömmigkeit zeigt der l.Korintherbrief keine Abwehr eigentlicher Opposition in der Gemeinde. D o c h bald darauf muß sich die Lage in Korinth grundlegend geändert haben. Paulus mußte, wohl auf alarmierende Nachrichten hin, von Ep'liesus aus nach Korinth reisen, und dort kam es zu einer scharfen Auseinandersetzung mit einem Teil der Gemeinde,

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wobei ein Glied der Gemeinde dem Paulus schweres Unrecht tat. ohne daß die Gemeinde den Paulus in Schutz genommen hätte (2. Kor. 2,5ff.). Den Vorfall können wir nicht mehr genauer erkennen, auch nur feststellen, daß Paulus in Trauer abreiste und dann einen ^verlorenen) Brief „unter vielen T r ä n e n " schrieb, der bei der Mehrzahl der Korinther Reue und den Entschluß zur Bestrafung des Schuldigen bewirkte (2. Kor. 2,1 ff.; 7 , 8 f . 12ff.). Diese gute Nachricht hatte der ebenfalls nach Korinth gesandte Titus dem Paulus überbracht, der inzwischen nach Makedonien abgereist war. Nun sucht Paulus im 2. Korintherbrief die Lage in Korinth wieder ganz herzustellen, und dabei können wir erschließen, was die tieferen Ursachen dieser Auseinandersetzung waren. Immer noch muß Paulus gegen die heidnische Verkennung des wahren Charakters des Christentums ankämpfen (2. Kor. 7 , 1 ; 11,6; 12,21), aber ihre eigentliche Kraft hat die O p p o sition gegen ihn jetzt dadurch, d a ß auch in Korinth Christen auftreten, die dem Paulus sein Apostelamt streitig machen, ihm Selbstbereicherung vorwerfen und dagegen die wahre Autorität der Urapostel stellen (2. Kor. 7,2; 11,5; 12,16ff.). Von der Forderung auf Erfüllung des Gesetzes durch die Heidenchristen hören wir hier nichts, aber ganz deutlich ist, daß die Judaisten durch ihre Bestreitung der Apostelwürde des Paulus auch die korinthischen Heidenchristen in direkte Abhängigkeit von den gesetzestreuen Judenchristen in Jerusalem bringen wollten. Darüber ist es fast zum Bruch zwischen der Gemeinde und Paulus gekommen, und wieder hat Paulus nur durch betonten Hinweis auf die den alten Bund Gottes überwindende Christusoffenbarung und die daraus sich ergebende Verpflichtung des einzelnen Christen zum Gehorsam gegen den himmlischen Herrn die Gefahr des Rückfalls in die alte Volksreligion der Gesetzeserfüllung bannen können. Und ganz ist die G e f a h r auch zur Zeit der Abfassung des 2. Korintherbriefs noch nicht gebannt gewesen.

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Verbindet sich hier in Korinth die judaistische Opposition gegen Paulus mit der bei den Heidenchristen noch lebendigen Bindung an die alte Naturreligion, so ist diese hellenistische Gefahr der eigentliche Gegner, gegen den Paulus kämpfen muß in einem der letzten Briefe, die wir von seiner Hand haben, dem Kolosserbrief. Ephesus war das letzte Missionszentrum gewesen, von dem aus Paulus längere Zeit gewirkt hatte, und von Ephesus aus waren wohl Schüler des Paulus ins Tal des Lykus gekommen und hatten Gemeinden in Kolossae, Laodicea und Hierapolis gegründet. Als Paulus nun nach seiner letzten Rückkehr nach Jerusalem gefangengesetzt worden war (s. S. 132ff.), erfuhr er von Schwierigkeiten in diesen Gemeinden und schrieb aus dem Gefängnis, am wahrscheinlichsten in Caesarea, an die ihm persönlich unbekannten Christengemeinden in Kolossae und Laodicea Briefe, die so sehr die a l l g e m e i n e n Nöte dieser Gemeinden behandeln, daß Paulus einen Austausch dieser Briefe zwischen den Gemeinden wünschen kann (Kol. 4,16). Erhalten ist uns aber nur der Brief an die Kolosser (nebst dem aus der gleichen Situation stammenden kleinen Privatbrief an den Kolosser Philemon). Hier blicken wir nun hinein in eine Gemeinde, in der die christliche Botschaft über die heidnische Frömmigkeit noch nicht wirklich gesiegt hatte. Diese Christen waren noch immer überzeugt, daß ihr Leben aufs stärkste beeinflußt und abhängig sei von einer großen Anzahl verschiedenartiger Geistermächte, ohne deren Wohlwollen der Mensch keinen Zugang zur Gottheit finden könne. Sie hielten darum fest an der Verehrung der „Engel", glaubten durch Visionen und deren spekulative Ausdeutung eine Kenntnis der Geisterwelt sich erwerben zu können, um auf diese Weise an der „Fülle" der Gottheit Anteil zu erhalten. Es liegt hier deutlich eine Spielart der „Gnosis" vor (s. S. 19), die durch kultische Annäherung an die Geistermächte und durch spekulative Weltdeutung sich einen Schutz gegen diese Ele-

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mentargeister („Weltelemente") zu verschaffen suchte. Und diese Form der Gnosis war zugleich vermischt mit jüdischen Oesetzesforderungen, indem man die Feier jüdischer Festtage und Sabbate und die Erfüllung von Speisegesetzen verlangte, aber darüber hinaus auch Askese übte (Kol. 2, 8ff. 16 ff.). Es ist deutlich, daß hier eine typische Religionsmischung vorliegt, und daß diese Christen bei Jesus Christus nicht a u s r e i c h e n d e n Schutz und sichere Rettung zu finden vermeinten. Paulus nennt diese ganze Gedankenwelt menschliche Erfindung: „Gebt acht, daß euch nicht jemand durch Philosophie und nichtigen Trug nach menschlicher Überlieferung gefangennehme, wobei es um die Kräfte geht, die die Welt durchwalten, und nicht um Christus" ( 2 , 8 ) . Und er betont solch vertrauensvoller Hingabe an angeblich mächtige Geister und solcher Erfüllung gesetzlicher Forderungen gegenüber, daß dabei Christus völlig verkannt werde: „Er ist es ja, in dem der Gottheit Fülle leibhaftig wohnt, und nur in ihm könnt ihr mit der Gottheit volle Gemeinschaft erhalten, er ist das Haupt jeder Macht und Gewalt" ( 2 , 9 f . ) . Christus ist nicht nur der Offenbarer der Gnade Gottes, er steht ebenso hinter dem Schöpfer, wie er Gottes Versöhnung gebracht hat, und nur in Christus kann man Leben und Anteil an Gottes Herrschaft haben (1,13ff.). Paulus betont hier also nicht nur, daß Christus Herr sei über alle Mächte dieser Welt, er betont in einer uns so sonst nicht bekannten Deutlichkeit die den ganzen Kosmos umfassende Bedeutung Christi. Es kann keine Frage sein, daß Paulus hier, veranlaßt durch die Religionsmischerei der kolossischen Irrlehrer, Züge seines Christusbildes stärker hervorhebt, die wir sonst nur in Andeutungen bemerken können. Es kann aber ebensowenig eine Frage sein, daß Paulus gerade dabei trotz aller mythischen Ausdrucksformen seiner Zeit, deren er sich bedient, mit besonderer Schärfe daran festhält, daß nur der G l a u b e an das Christusereig-

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nis dem Menschen die B e r ü h r u n g mit der rettendeil Wirklichkeit Gottes verschafft, u n d d a ß mit diesem Glauben nicht die N o t w e n d i g k e i t besonderer f r o m m e r Leistungen, w o h l aber der Lebensgehorsam des Glaub e n d e n dem himmlischen H e r r n g e g e n ü b e r g e g e b e n ist: „ E u c h , die ihr einst G o t t e n t f r e m d e t und feindlich w a r t in eurer G e s i n n u n g durch böses T u n , euch hat er versöhnt durch den T o d , den er als Mensch auf sich n a h m , u m euch auf diese Weise heilig und fehlerlos u n d untadelig vor G o t t hinzustellen, w e n n ihr im Glauben festgewurzelt u n d sicher bleibt u n d euch nicht abbringen laßt von der H o f f n u n g , die ihr im Evangelium g e h ö r t habt. Und alles, was ihr mit W o r t u n d W e r k tut, das alles tut im N a m e n des H e r r n Jesus und dankt auf diese W e i s e G o t t dem Vater durch i h n " (1,21—23; 3 , 1 7 ) . So hat Paulus gerade in dem ihm durch judenchristliche Feindschaft wie durch heidenchristliches Unverständnis aufgenötigten Kampf die Sache seines Herrn, die er mit seiner B e k e h r u n g als A u f t r a g ü b e r n o m m e n hatte, in ganzer Folgerichtigkeit vertreten u n d d a d u r c h die Botschaft von Gottes rettendem Handeln in Christus vor jeder Verderbnis durch das Betonen menschlicher Leistung oder durch das Vertrauen auf menschliche Frömmigkeit b e w a h r t . Aber solche T r e u e seinem himmlischen Herrn g e g e n über ist ihm auch zum irdischen Verhängnis g e w o r d e n . 9. Das Ende Paulus w a r zum Schluß seiner letzten Missionsreise im Osten nach Jerusalem gelangt (s. S. 77). Sein weiterer Plan, von dem er den Römern in seinem als Anmeldungsschreiben gemeinten Brief berichtet (15,22ff.), w a r g e w e s e n , die G e l d s p e n d e der heidenchristiichen G e m e i n d e n f ü r die Armen der Muttergemeinde in Jerusalem in Begleitung der Abgesandten der Gemeinden nach Jerusalem zu bringen (s. S. 76. 86) und d a n n über Rom, w o er sich kürzere Zeit a u f h a l ten wollte (Rom. 1,11—13; 15,24), zu neuer MissionsDibelius. Paulus.

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tätigkeit nach Spanien zu reisen. Er fährt freilich nur mit Bangen nach Jerusalem: „Euch aber bitte ich, bei unserm Herrn Jesus Christus und bei der Liebe, die der Geist verleiht, tretet bei Gott für mich ein in euren Gebeten, daß ich vor den Ungläubigen in Judäa bewahrt werde, und daß mein Dienst für die Gemeinde von Jerusalem bei den Heiligen g u t a u f g e n o m m e n werde, damit ich mit Freuden zu euch kommen und, so Gott will, mit euch zusammen Stärkung finden k a n n " (Rom. 15,30—32). Paulus befürchtet also in J e rusalem ein Doppeltes: die Juden könnten ihm nach dem Leben trachten, da er nach ihrer Meinung den jüdischen Gemeinden in der Diaspora schweren Schaden angetan hatte; und die gesetzestreuen Judenchristen könnten ihn trotz der Gabe für die Armen ihrer Gemeinde ablehnen, und so könnte er am Ende gar an der geplanten Missionsreise in den fernen Westen gehindert werden. Paulus hat sich nicht getäuscht, die Reise nach Jerusalem ist ihm zum Verhängnis geworden. Wir haben freilich für diesen letzten Abschnitt seiner Wirksamkeit nur noch den Bericht der Apostelgeschichte zur V e r f ü g u n g und können ihn nicht mehr an den eigenen Briefen des Paulus kontrollieren; und in dem Teil der Apostelgeschichte, der von der Ankunft des Paulus in Jerusalem bis zu seiner Abreise als Gefangener aus Palästina reicht (21,19—26,32), setzt der Reisebericht, der den Reisestationen des Paulus bis nach Jerusalem folgte, völlig aus bis zur Abreise des Paulus nach Rom (Apg. 27,1), so daß wir für die letzten Geschicke des Paulus in Palästina nur von Lukas durch Reden stark erweiterte Einzelerzählungen zur Verfügung haben. Und über das Lebensende des Paulus erzählt die Apostelgeschichte überhaupt nichts mehr. Infolgedessen bleibt unsere Kenntnis der letzten Lebensjahre des Paulus äußerst unsicher und bruchstückhaft, und nur die entscheidenden Etappen dieser Geschichte können wir sicher erkennen. Die Apostelgeschichte erzählt zunächst (21,20—26),

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daß Jakobus, der jetzt der anerkannte Führer der jerusalemischen Christengemeinde war, aber offensichtlich immer noch einen gewissen Abstand von den extremen Judaisten gewahrt hatte, den Paulus darauf aufmerksam gemacht habe, daß die gesetzestreuen Judenchristen in Jerusalem von Paulus vernommen hätten, er habe von allen Juden in der Diaspora verlangt, sie sollten die Befolgung des jüdischen Gesetzes aufgeben. Jakobus habe darum dem Paulus vorgeschlagen, er solle seine persönliche Treue dem Gesetz gegenüber dadurch unter Beweis stellen, daß er die gesetzlich vorgeschriebenen Kosten für die Beendigung eines Gelübdes trage, das vier Judenchristen auf sich genommen hatten; Paulus sei auf diesen Vorschlag eingegangen, weil er, der selber wahrscheinlich einige Jahre vorher ein solches Gelübde auf sich genommen hatte ( A p g . 18,18), dadurch zeigen konnte, daß es nicht seine Absicht war, die Treue der Judenchristen gegenüber dem väterlichen Gesetz zu zerstören. Nichts spricht daher dagegen, daß Paulus tatsächlich auf Rat des Jakobus hin diesen Versuch unternahm, das Mißtrauen der Judaisten gegen seine Person zu zerstreuen (s. S. 35), und er konnte aus voller Überzeugung so handeln, weil er das Recht der Judenchristen, weiterhin nach dem Gesetz zu leben, nie bestritten, wohl aber die N o t w e n d i g k e i t solchen gesetzestreuen Lebens als eine Heilsbedingung bekämpft hatte. Eine ganz andere Frage ist aber, ob das von Jakobus und Paulus beabsichtigte Ziel durch die versöhnliche Geste des Paulus erreicht wurde. Obwohl Lukas davon direkt nichts erzählt, ist es höchst unwahrscheinlich, daß die extremen Judenchristen, die schon durch die Überbringung der Kollekte nicht versöhnt werden konnten, sich durch diesen Erweis der persönlichen Anhänglichkeit des Paulus an das väterliche Gesetz freundlicher stimmen ließen. Denn wir hören in dem weiteren Bericht über die Schicksale des Paulus in Jerusalem nichts davon, daß die Jerusalemer Christengemeinde sich irgendwie um 9*

Das Ende die Rettung des ernstlich gefährdeten Heidenapostels bemüht habe. Als Paulus sich nämlich zur Erfüllung seines Versprechens sieben Tage im Tempelgebiet aufhielt, wurde er dort von kleinasiatischen Juden gesehen, die ihm wegen seiner Missionserfolge im Diasporagebiet feindlich gesinnt waren, und mit der Behauptung festgenommen, er habe den Tempel entweiht, indem er einen unbeschnittenen Heiden, Trophimus aus Ephesus, in den nur Juden zugänglichen Teil des Tempels mitgenommen habe. Das war offensichtlich eine Verleumdung, aber eine sehr gefährliche; denn auf dem Eindringen von Nichtjuden in den verbotenen Teil des Tempels stand die Todesstrafe, wie auf Inschriften zu lesen stand, deren eine wiedergefunden worden ist. Der falschen Anklage, die den verhaßten Missionar beseitigen wollte, folgte ein Aufruhr, der zur Tötung des Paulus geführt haben würde, wenn nicht der Kommandant der in Jerusalem stationierten römischen Kohorte den angeblichen Ruhestörer in seine Obhut genommen und so in Sicherheit gebracht hätte (Apg. 21, 27—36). Nun sah sich dieser römische Offizier aber vor die schwierige Aufgabe gestellt, die für einen Nichtjuden so oft unverständliche Ursache des Aufruhrs ausfindig zu machen. Die Apostelgeschichte erzählt zwar, daß der römische Offizier dem Paulus, noch ehe er verhört war, gestattet habe, in aramäischer Sprache zu der Menge zu reden, und läßt den Paulus in dieser Rede seine Bekehrung erzählen bis hin zum ersten Besuch in Jerusalem, bei dem Paulus in einer Vision den Auftrag zur Heidenmission noch einmal bestätigt erhielt (Apg. 21,37—22,23). Es ist aber äußerst unwahrscheinlich, daß der Offizier angesichts der erregten Menge eine solche Erlaubnis erteilt haben sollte, deren Folgen nicht abzusehen waren; die Rede ist auch deutlich nur eine Wiederholung von früher Berichtetem, wobei die zum Schluß wiedergegebene Nachricht von dem einstigen Erlebnis des Paulus im Tempel dem Lukas durchaus überliefert gewesen sein kann. In Wirk-

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lichkeit ließ wohl der Offizier, wie Lukas weiter erzählt (Apg. 22,24—23,10), den Paulus in die Kaserne bringen, um ihn dort in der üblichen Weise durch Folterung zu verhören. Aber Paulus verbat sich unter Berufung auf sein römisches Bürgerrecht die Folterung, die der Offizier, der sich selber dieses Bürgerrecht erst teuer erkauft hatte, sofort untersagte. Da es sich um eine religiöse Streitfrage zu handeln schien, lag eine Rückfrage beim Synedrium nahe, das das höchstc Gericht der Juden in weltlichen und geistlichen Dingen war. Was freilich Lukas von der Vorführung des Paulus vor dieser Behörde und von dem dort entstandenen Streit erzählt, scheint wenig brauchbare Überlieferung zu verraten, und auf alle Fälle ist dem Offizier die Angelegenheit nicht klarer geworden. Nun aber nimmt die Angelegenheit eine dramatische Wendung, die von Lukas sehr farbig erzählt wird (Apg. 23,11— 35). Eine Gruppe fanatischer Juden hat sich verschworen, den Paulus bei erster Gelegenheit zu ermorden, und dieser Plan wird durch einen Neffen des Paulus dem römischen Kommandanten hinterbracht, in dessen Gewahrsam sich Paulus befindet. Da die Anklage gegen einen römischen Bürger sowieso in die Kompetenz des Statthalters fiel, und da Paulus vor den Nachstellungen der Juden in Caesarea sicherer zu beschützen war, ließ der Kommandant den Gefangenen unter militärischem Schutz nach Caesarea, dem Amtssitz des Statthalters, überführen mit der Bitte, der Statthalter möge den undurchsichtigen Fall untersuchen und entscheiden. So verließ Paulus Jerusalem als Gefangener und kehrte als Gefangener nach Caesarea zurück. Dort amtete als Statthalter Antonius Felix, ein Bruder des unter Claudius so einflußreichen Pallas; er hatte die jüdische Prinzessin Drusilla zur Frau, die Tochter des letzten jüdischen Herrschers Agrippa I., die er ihrem ersten Mann, dem König Aziz von Emesa in Syrien, abspenstig gemacht hatte: von der Mißwirtschaft des Felix

Das Ende 134 reden die römischen Historiker in scharfen Ausdrükken. Felix wartete mit dem Verhör des Paulus, bis seine Ankläger aus Jerusalem gekommen waren, die dann dem Paulus Aufruhr unter den Juden in der ganzen Welt und Entweihung des Tempels vorwarfen, zwei außerordentlich belastende Anklagen. Paulus betonte demgegenüber nach dem Bericht des Lukas, der freilich schwerlich auf genauer Überlieferung beruht (Apg. 24,1—26), daß er trotz seiner abweichenden Anschauungen durchaus ein treuer Jude sei, und daß die ihn des Aufruhrs beschuldigenden kleinasiatischen Juden für ihre Behauptung erst Beweise beibringen müßten. Felix sah offenbar ein, daß es sich um eine innerjüdische Streitfrage handle, und vertagte darum die Entscheidung, indem er Paulus in leichter Haft behalten ließ; ob Felix und seine Frau wirklich auch an der Verkündigung des Paulus Interesse hatten, wie Lukas berichtet, ist angesichts ihres Charakters doch recht fraglich. Sicher aber ist, daß Paulus nun für zwei Jahre (Apg. 24,27) in Caesarea in einer Haft blieb, die den Verkehr der Gemeinden mit ihm nicht unmöglich machte. Und es ist darum recht wahrscheinlich, daß Paulus in dieser Zeit durch den Kolosser Epaphras von den Schwierigkeiten in der kolossischen Gemeinde gehört hat, und daß der Sklave Onesimus des kolossischen Christen Philemon bei Paulus in Caesarea Zuflucht gesucht hat, der ihn als Gefangener zum Christenglauben bekehrte. Wenn diese Annahme zutrifft, hat Paulus in dieser Zeit der Gefangenschaft in Caesarea etwa zu gleicher Zeit die Briefe an die Kolosser und an Philemon geschrieben (s. S. 127), die beweisen, daß er in seiner Gefangenschaft sich aufs eifrigste um die aus seiner und seiner Schüler Missionsarbeit erwachsenen Gemeinden bemüht hat und alles daransetzt, diese Gemeinden im Glauben fester an Christus zu binden und ganz besonders sie auch zu lehren, ihr tägliches Leben von diesem Glauben her zu gestalten (s. besonders Kol. 3,5—4,1). Weiter ergibt sich aus

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diesen Briefen, daß Paulus durchaus auf ein Freikommen hoffte, das ihm von neuem die Missionstätigkeit ermöglichen würde (Kol. 4 , 3 ) , ja daß er jetzt die Absicht hat, nach seiner Freilassung nach Kolossae zu kommen (Phm. 22). Und man darf wohl vermuten, daß Paulus durch die beunruhigenden Nachrichten aus K o lossae veranlaßt worden ist, die Reise über Rom nach Spanien, die er direkt von Jerusalem aus unternehmen wollte, etwas zu verschieben, um erst einmal in der gefährdeten Kolossergemeinde, die er selber noch nicht tiesucht hatte, das Gemeindeleben sicherer auf die alles umfassende Christuswirklichkeit sich gründen zu helfen. Aber auch aus diesen Plänen wurde nichts. Als Paulus zwei Jahre in Caesarea in Haft gewesen war, wurde der Statthalter Felix wegen seiner Mißwirtschaft abberufen und durch Porcius Festus ersetzt (leider kennen wir das J a h r dieses Wechsels nicht sicher, man kann es nur mit einiger Wahrscheinlichkeit auf etwa 59 n. Chr. berechnen). Der Prozeß des Paulus, der während der ganzen Zeit der Gefangenschaft des Paulus in Caesarea geruht hatte, wurde nun wieder aufgenommen (Apg. 2 5 , 1 — 1 2 ) . Die jüdischen Behörden in Jerusalem forderten Festus auf, ihnen Paulus zur Aburteilung in Jerusalem zu überlassen; Festus verlangte dagegen, daß die Juden ihre Klage in Caesarea vorbringen sollten, was auch geschah. D a Anklage und Verteidigung keine wirkliche Abklärung des Sachverhalts brachten, schlug Festus eine Verlegung der Verhandlungen nach Jerusalem vor. Aber Paulus fürchtete wohl mit Recht, daß für ihn die Gefahr von Seiten der Juden in Jerusalem zu g r o ß sein werde, und so machte er von dem Recht Gebrauch, das er als römischer Bürger hatte, und verlangte, vor dem kaiserlichen Gericht in Rom abgeurteilt zu werden. „ D a besprach sich Festus mit den Beisitzern und antwortete: Du hast an den Kaiser appelliert, du sollst zum Kaiser z i e h e n " (Apg. 2 5 , 1 2 ) . Mit diesem Beschluß war gegeben, d a ß

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Paulus bei Gelegenheit mit anderen Gefangenen nach Rom gebracht werden mußte. Wie lange Paulus noch warten mußte, bis er nun, freilich als Gefangener, nach Rom reisen konnte, wissen wir nicht. Sicher ist, daß Festus zusammen mit dem Gefangenen über den Fall einen Bericht nach Rom schicken mußte, und daß er darum Interesse daran hatte, sich weitere Informationen zu verschaffen. Lukas erzählt nun, daß gerade damals der Herodianer Agrippa II., der einige Gebiete im Norden als Vasall Roms beherrschte, mit seiner durch ihre Sittenlosigkeit berüchtigten Schwester Berenike zu einem Antrittsbesuch zu Festus nach Caesarea gekommen sei; da habe Festus die Gelegenheit benutzt, den gefangenen Paulus dem jüdischen Herrscher vorzuführen, um womöglich durch diesen Juden ein klareres Bild über die wirklichen Anklagepunkte gegen Paulus zu erhalten. Nachdem Paulus in einer langen Rede seine Bekehrung erzählt und seine Unschuld beteuert hat, sehen sich die beiden jüdischen Fürstlichkeiten ebenso wie Festus außerstande, einen Grund ausfindig zu machen, warum Paulus gefangen gehalten oder gar zum Tode verurteilt werden sollte. „Agrippa aber sagte zu Festus: Dieser Mensch hätte freigelassen werden können, wenn er nicht an den Kaiserappelliert hätte" (Apg. 25,15—26,32). Diese von Lukas mit besonderer Sorgfalt gestaltete Szene läßt den christlichen Apostel das Evangelium vor den Herrschern der Juden und Römer verkünden und ist dadurch besonders eindrucksvoll. Und es ist durchaus wahrscheinlich, daß der römische Statthalter das Verständnis des jüdischen Vasallenfürsten zu Hilfe gerufen hat, als er sich gezwungen sah, sich ein Urteil über diesen Streitfall zu bilden. Aber über Einzelheiten dieser Befragung des Paulus hat Lukas schwerlich genauere Nachrichten gehabt, und die Rede des Paulus wiederholt nur in wirksamer Form Dinge, die schon früher gesagt worden waren. Doch kann nicht bezweifelt werden, daß Paulus jetzt, nachdem er seine

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Aburteilung durch das kaiserliche Gericht in Rom beantragt hatte, vom Statthalter auch dann nicht mehr hätte freigelassen werden können, wenn der Statthalter wirklich seinerseits den Gefangenen für unschuldig gehalten hätte. „Freispruch ist jetzt unmöglich, nachdem das statthalterliche Gericht abgelehnt und das des Kaisers mit der Sache befaßt ist" (Th. Mommsen). Als sich Gelegenheit bot, wurde Paulus darum mit anderen Gefangenen unter Bewachung nach Rom überführt. Lukas schildert diese Seereise sehr ausführlich, und da hier der Bericht wieder in die Wir-Form übergeht (27, 1—28, 16), liegt kein Grund vor zu bezweifeln, daß Lukas hier wieder dem Reisebericht und damit einer zuverlässigen Quelle folgt, die er freilich da und dort ausgeschmückt hat. Die Reise, bei der Paulus außer von dem Urheber des „wir" auch von dem Thessalonicher Aristarch begleitet ist, führte an Zypern vorbei nach dem südlichen Kleinasien und Kreta und von da trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit weiter nach Westen. In einem schweren Sturm wird das Schiff abgetrieben und zerschellt vor Malta, wohin sich alle Insassen retten können. Dort überwintert man und fährt dann im Frühjahr an Sizilien vorbei nach Puteoli am Golf von Neapel. Hier betritt die Reisegesellschaft italienischen Boden, hier findet Paulus auch bereits eine Christengemeinde vor, die ihn freundlich aufnimmt. Und als er auf der Via Appia nach Rom weiterreist, schicken ihm die römischen Christen Abgesandte entgegen bis Forum Appii und Tres Tabernae (60 bzw. 48 km von Rom entfernt) und beweisen ihm dadurch ihre Freude über sein Kommen. „Als wir aber nach Rom hineinkamen, wurde dem Paulus gestattet, ein eigenes Quartier zu nehmen zusammen mit dem ihn bewachenden Soldaten" (Apg. 28,16). Paulus war also auch in Rom trotz seiner Haft nicht der Möglichkeit beraubt, als Missionar zu wirken. Damit bricht das „wir" in der Apostelgeschichte ab und ebenso unsere sichere Kenntnis der weiteren Geschicke des Paulus. Von der Berührung des Paulus mit der römischen Christengemeinde erzählt Lukas nichts mehr, dagegen schildert er in dramatischer Form einen letzten Zusammenstoß des Paulus mit den römischen Juden (Apg. 28,17—28), der mit einem letzten Hinweis darauf schließt, daß das Heil sich nach Gottes Willen zu den Heiden

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wende. Mag diesem Bericht ein einzelnes Vorkommnis zu Grunde liegen oder nicht, Lukas hat diese Szene zweifellos ans Ende seines Buches gestellt, um dadurch deutlich zu machen, daß nun das Evangelium endgültig in die Hauptstadt des römischen Reiches und damit zu den Heiden gelangt ist. Und er schließt mit dem Satz: „Er blieb aber zwei ganze Jahre in seiner eigenen Mietwohnung, empfing alle, die zu ihm kamen, verkündete die Gottesherrschaft und gab Kunde vom Herrn Jesus Christus mit allem Freimut, ohne daß er gehindert worden w ä r e " (Apg. 28,30. 31). Es kann keine Frage sein, daß Lukas voraussetzt, daß nach Ablauf dieser zwei Jahre die Lage des Paulus sich grundlegend geändert hat. Aber davon wollte er offenbar nichts mehr berichten, da seine Absicht erfüllt war, den Lauf des Evangeliums von Jerusalem nach Rom zu schildern. Die gelegentlich vertretene Annahme, die Apostelgeschichte sei am Ende dieser zwei Jahre geschrieben, so daß Lukas gar nichts Weiteres mehr habe berichten können, ist unhaltbar, weil dieses Buch nicht vor dem letzten Viertel des 1. Jahrhunderts geschrieben sein kann (s. S. 13), wie sich aus dem Zusammenhang mit dem Lukasevangelium und aus dem unzweifelhaften Abstand von den Ereignissen ergibt. Andererseits verrät Lukas deutlich, daß er davon weiß, daß Paulus nach der Zeit seiner römischen Gefangenschaft nicht mehr in den Osten gekommen ist, ja daß er zur Zeit der Abfassung des Buches nicht mehr lebt (s. bes. Apg. 20,18 ff. u. S. 77). So könnten wir über das Lebensende des Paulus nur etwas Sicheres wissen, wenn uns andere Quellen als die Apostelgeschichte darüber Zuverlässiges mitteilen würden. Nun haben wir ja im sog. 1. Clemensbrief, einem Schreiben der römischen Gemeinde aus dem Ende des 1. Jahrhunderts, im Rahmen einer rhetorisch gestalteten Schilderung der Opfer bösen Eifers folgende Ausführung: „Halten wir uns die tapferen Apostel vor Augen: Petrus, der als Opfer ungerechten Eifers nicht ein oder zwei, sondern eine ganze Anzahl von Beschwerden ertragen hat und danach als Bekenner zu dem ihm gebührenden Ruhmesplatz hingegangen ist. Um bösen Eifers und Streites willen wurde Paulus mit dem Siegespreis der Ausdauer gekrönt, er, der siebenmal Fesseln getragen, Flüchtling gewesen, mit Steinigung bestraft, als Herold gewirkt hat in Ost wie in West — er hat herrlichen Ruhm für seinen Glauben erlangt. Als er

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die ganze Welt Gerechtigkeit gelehrt hatte, bis zur Grenze des Westens gelangt war und vor den Machthabern sein Bekenntnis abgelegt hatte, ward er danach von der Welt befreit und aufgenommen an die heilige Stätte — das größte Vorbild der Ausdauer ist er g e w o r d e n " (1. Clem. 5,4—7). Da im Anschluß daran von den Opfern derneronischen Verfolgung die Rede ist, hat man den Eindruck, daß vom T o d des Petrus und Paulus als von Vorgängen die Rede ist, die zeitlich v o r dieser Verfolgung des Jahres 64 liegen. Es ist nun aber äußerst schwierig zu sagen, was Clemens an Tatsachen weiß, denn er redet von den Schicksalen der beiden „ S ä u l e n " so, daß sie als Kämpfer in der geistigen Arena erscheinen, und verwendet dabei ständig geläufige rhetorische Formulierungen. S o ergibt s h h bei vorsichtiger Betrachtung der Ausführungen über Paulus, daß der Verfasser des Briefes zwei Nachrichten verwertet, die nicht einfach traditionell und die für uns darum von Wert sind: Paulus ist bis zum „ E n d e im Wes t e n " gekommen, d. h. bis nach Spanien, und er ist nach einem Zeugnis vor den Machthabern gestorben. Daß dieser T o d des Paulus im Zusammenhang mit einem „Bekenn e n " vor den staatlichen Behörden erfolgt ist, setzt also Clemens deutlich voraus, und nur wenn dieses „Bekenn e n " in Rom geschah, erklärt sich, warum gerade Paulus in diesem Zusammenhang erwähnt wird. Hat aber Clemens auch gewußt, daß Paulus doch noch nach Spanien gekommen ist? Erst 100 Jahre später hören wir von dieser Reise nach Spanien wieder, als in dem ältesten erhaltenen Verzeichnis der Schriften des Neuen Testaments, das aus der römischen Gemeinde stammt und nach seinein Entdecker Muratori das „Muratorische F r a g m e n t " genannt wird, davon die Rede ist, daß Lukas in der Apostelgeschichte, weil er nicht dabei war, die Reise des Paulus /on „der S t a d t " (d. h. Rom) nach Spanien weggelassen nabe. Hier liegt nun freilich schwerlich ein selbständiges Zeugnis vor, da der Verfasser dieses Verzeichnisses nicht nur den Römerbrief des Paulus kannte, in dem ja Paulus von der Absicht seiner Reise nach Spanien gesprochen hatte, sondern sicher auch den 1. Clemensbrief, der in Rom geschrieben worden war. S o bleibt uns als selbständige Übeilieferung nur das Zeugnis des 1. Clemensbriefes, und dieses Zeugnis ist darum unsicher, weil wir bei der rhetorischen Sprache des Verfassers nicht erkennen können,

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ob er wirklich eine eigene Überlieferung über die Spanienreise des Paulus hatte, oder ob er diese Reise aus dem ihm zweifellos bekannten Römerbrief des Paulus gefolgert hat. Es ist nun freilich nicht gerade wahrscheinlich, daß man in Rom etwa 40 Jahre nach dem Tode des Paulus nichts mehr davon gewußt hat, ob Paulus nach der zweijährigen römischen Gefangenschaft noch einmal freigekommen und nach Spanien gelangt ist. Und man kann darum mit guten Gründen die Annahme vertreten, daß Paulus nach einer Wirksamkeit in Spanien nach Rom zurückgekehrt und dort dann als Märtyrer gestorben sei. Die Annahme, daß Paulus also ein zweites Mal in Rom als Gefangener geweilt und diese zweite Gefangenschaft mit dem Tode besiegelt habe, ist in diesem Falle unvermeidlich, aber eben nirgendwo in alter Überlieferung bezeugt. Man kann daher ebensogut die Annahme vertreten, daß Clemens die Reise des Paulus nach Spanien nur aus dem Römerbrief des Paulus erschlossen habe, und dann muß man folgern, daß der Prozeß des Paulus nach den zwei Jahren der römischen Gefangenschaft, von denen die Apostelgeschichte berichtet, eine Wendung zum Schlimmeren genommen hat, und daß Paulus nun zum Tode verurteilt und hingerichtet worden sei. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten läßt sich keine sichere Wahl treffen. So bleibt das Einzige, was wir einigermaßen sicher wissen, daß Paulus in Rom als Märtyrer gestorben ist, und zwar zu Anfang der sechziger Jahre, aber schwerlich in direktem Zusammenhang mit der Verfolgung der römischen Gemeinde unter Nero. Bleibt uns so manches verborgen, was wir über das Lebensende des Paulus gerne wüßten, so wird unser Blick umso nachdrücklicher von der Person des großen Apostels hinweggelenkt auf sein Werk. 10. D a s Werk P a u l u s hat sich selber in erster Linie als „ A b g e s a n d t e n " a n g e s e h e n , dessen A u f g a b e es w a r , a a s E v a n g e lium von Jesus C h r i s t u s überall d o r t h i n zu t r a g e n , „ w o C h r i s t u s nicht g e n a n n t w o r d e n i s t " (1. Kor. 1 , 1 7 ; R o m . 1 5 , 1 6 . 2 0 ) . U n d s o ist er d e n n a u c h mit Recht als der g r o ß e H e i d e n m i s s i o n a r in die Geschichte e i n g e g a n g e n . Er ist freilich nicht der erste christliche H e i d e n m i s s i o n a r g e w e s e n u n d a u c h in seiner Zeit nicht der einzige

Das Werk 142 geblieben; denn schon vor ihm hatten hellenistische Judenchristen in Syrien damit begonnen, auch Heiden von Jesus Christus zu predigen und Heiden in die in der jüdischen Diaspora entstehenden christlichen Gemeinden aufzunehmen; und die christliche Botschaft ist unabhängig von Paulus schon früh nach Italien und Rom, wohl auch in andere Gegenden des römischen Reiches gedrungen. Aber Paulus ist, soweit wir wissen, der erste christliche Missionar gewesen, der in voller Klarheit erkannt hat, daß die Predigt von Jesus Christus keine Sache des jüdischen Volkes oder auch nur der jüdischen Religionsgemeinschaft, sondern eine Sache der ganzen Menschheit und darum auch und gerade der Heiden sei. Er wußte sich nicht nur als Diasporajude in die Diaspora gesandt, er fand nicht nur in den Synagogen der Diaspora die dem Judentum sich bereits zuneigenden Heiden unter seinen Hörern und kam so fast notwendig in Berührung mit Menschen heidnischer Herkunft; Paulus hat vielmehr von Anfang an erkannt, daß Gott in Christus nicht die jüdischen Hoffnungen auf einen Endzeitkönig des jüdischen Volkes erfüllt, sondern „die Welt mit sich versöhnt hatte" (2. Kor. 5,19), daß „das Evangelium eine Rettungskraft ist für jeden Glaubenden, den Juden zunächst und auch den Griechen" (Rom. 1,16). Damit war weder die Bedeutung des jüdischen Volkes als des alten Heilsvolkes noch die Aufgabe der Gewinnung der Juden für Jesus Christus unwichtig geworden; aber es war deutlich, daß es nicht mehr die Aufgabe eines christlichen Missionars sein konnte, neue Glieder dem jüdischen Heilsvolk hinzuzufügen, sondern daß es die Aufgabe des christlichen Missionars sein mußte, dafür zu werben, daß alle „in einem Geist zu einem Leibe getauft wurden, Juden wie Griechen, Sklaven wie Freie" (1. Kor. 12,13). Von hier aus erschien das Christentum g r u n d s ä t z l i c h nicht mehr als eine wenn auch noch so weltoffene Volksreligion, sondern als die Botschaft, die allen Menschen in al-

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len Völkern in gleicher Weise gilt, und die darum im ganzen Bereich der „bewohnten Welt" (Ökumene, Rom. 10,18) verkündet werden muß. Aber Paulus hat nicht nur erkannt, daß das Evangelium etwas völlig Neues ist im Vergleich zu den Volks- oder Naturreligionen der Antike, und hat darum seine Aufgabe in der Predigt bis zum „Ende im Westen" gesehen; Paulus hat auch die einzelnen Gemeinden, die er gründen half, oder denen er Hilfe bei ihrem Gemeindeaufbau bot, niemals als auf sich gestellte Gruppen angesehen, sondern immer als Glieder an dem e i n e n Leib Christi, als „die Gemeinde Gottes" (1. Kor. 10,32). Und er hat diese Einheit zu einer Wirklichkeit werden lassen nicht nur durch den Zusammenhang der Gemeinden mit seiner eigenen Person, indem er als Apostel Jesu Christi für alle Gemeinden Autorität war (1. Kor. 7,17), sondern er hat diese Gemeinden zur Einheit zusammengefaßt durch die gemeinsame Bindung an die Muttergemeinde in Jerusalem, die Trägerin der Jesusüberlieferang (Rom. 15,27), durch die gegenseitige Hilfe unter den „Genossen des Glaubens" (Gal. 6,10) und den Austausch von führenden Gliedern der Gemeinden untereinander (Rom. 16,1 f.; 2. Kor 8,22f.). Ganz besonders aber hat er den Christen in den einzelnen Gemeinden immer wieder vor Augen gestellt, daß sie alle e i n e m Herrn dienen (l.Kor. 8,6) und darum im Verhältnis zueinander Glieder sind (1. Kor. 12,27). Indem Paulus so in den mit ihm in Zusammenhang stehenden Gemeinden ein Bewußtsein der Einheit der Kirche Jesu Christi weckte und pflegte, ist er recht eigentlich der erste Herold der weltweiten Gemeinde des Auferstandenen, des „Israel Gottes" (Gal. 6, 16), geworden. Und wenn das Christentum beim Übergang vom Boden Palästinas zur Welt des Heidentums doch das Bewußtsein der Einheit der einen Kirche nicht verlor, so ist das weitgehend die Folge des Werkes des Paulus, der auch darin von sich sagen durfte, daß Gottes Gnade an ihm nicht wirkungslos geblieben sei (l.Kor. 15,10).

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Aber dieses Werk des Paulus wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht Paulus als der scharfe theologische Denker, der er war, dieses neue Wesen des Christentums in seiner letzten Tiefe erkannt und so das Wesentliche an der neuen Botschaft gegen Mißverständnisse geschützt und klar durchdacht hätte. Für ihn, den ehemaligen Pharisäer, war die Beziehung von Gott und Mensch ganz selbstverständlich durch die Forderung Gottes im Gesetz und die Erfüllung dieser Forderung durch den Menschen gekennzeichnet gewesen: und ebenso selbstverständlich war für ihn als Juden gewesen, daß der fordernde Gott der Gott sei, der mit den Vätern seinen Gnadenbund geschlossen hatte und gerade darum den Juden als der fordernde begegne. Nun war aber Paulus durch seine Bekehrung davon überzeugt worden, daß Gott in Jesus Christus den von den Juden verworfenen Gekreuzigten zum himmlischen Herrn gemacht und in die Gemeinde dieses Herrn gerade die Verachteten gerufen und so durch seine am Ende der Tage vollzogene Heilstat ein neues Gottesvolk geschaffen habe. Damit war ihm sicher, daß alles Wissen über die Beziehung von Gott und Mensch nunmehr von dieser Heilstat Gottes auszugehen habe, daß der Mensch nun nicht mehr zuerst gefragt sei, was er getan habe und tue, sondern ob er sich von dieser Heilstat Gottes erfassen und sein Leben dadurch bestimmen lasse. Von hier aus war einerseits gegeben, daß der Christ an die Forderung der Erfüllung des jüdischen Gesetzes nicht gebunden werden dürfe, wodurch das Christentum grundsätzlich und endgültig als eine neue und andersartige Religion gegenüber dem Judentum herausgestellt und begründet war. Von hier aus war andererseits gegeben, daß die christliche Botschaft streng als Frohbotschaft ( = Evangelium) verstanden wurde, daß also in den Mittelpunkt der christlichen Predigt die Kunde von Gottes rettender Heilstat trat, die Kunde von Kreuz und Aufeistehung Jesu Christi als der geschichtlichen Heilstat Gottes (Rom

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4,24f.), die Kunde, daß es grundlegend nicht ankommt auf unser Wollen und Rennen, sondern auf Gottes Erbarmen (Rom. 9,16). In der Gegenwart hatte Paulus diese lebenschaffende Neuschöpfung e r l e b t ; und sosehr seine Sehnsucht sich ausstreckte nach dem, was vorne liegt, nach der Erscheinung des Retters Jesus vom Himmel (Phil. 3,13f. 20), so sehr wußte er den Christen bereits versetzt „in die Herrschaft des geliebten Sohnes Gottes, in dem wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden haben" (Kol 1,13 f.). Durch diese klar erkannte Lösung der christlichen Botschaft von der Bindung an die jüdische Volksreligion und durch diese Konzentration der Botschaft der Kirche auf das die Gegenwart beherrschende Heilshandeln Gottes in Christus hat Paulus die von ihm so entscheidend mitgeschaffene Kirche Jesu Christi aus den „Völkern" auf einen festen Boden gestellt. War die Kirche Jesu Christi als selbständige Größe unabhängig gemacht vom Judentum, so konnte der Untergang des jüdischen Staates im Jahre 70 die Kirche nicht mehr ernsthaft erschüttern; und war das Heil der Christen als Teilhabe am gegenwärtigen Handeln Gottes in Christus erfahren, so konnte die Notwendigkeit, die endgültige Heilsvollendung allmählich weiter hinauszuschieben, den Glauben der Christenheit nicht mehr ernsthaft gefährden. So hat Paulus nicht nur am Aufbau der e i n e n Kirche entscheidenden Anteil, sondern er hat dieser Kirche auch die gedankliche Begründung gegeben, die ihr die Selbstbehauptung in den ersten schweren Krisen ermöglichte. Auf diese Weise ist das Werk des Paulus maßgeblich gewesen für die Entstehung und geistige Grundlegung der weltweiten Kirche Jesu Christi. Aber damit ist sein Werk noch nicht ausreichend beschrieben. Paulus hat zu seinen Lebzeiten mit vielen Gegnern zu kämpfen gehabt, und seine Lehre ist zwar auch dann und wann sachgemäß weitergebildet, oft aber entscheidend mißverstanden worden. Seine Briefe jedoch, soD i b e l i u s , Paulus.

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weit sie überhaupt erhalten geblieben sind, kamen als erste Schriften der apostolischen Zeit neben den Evangelien in den sich bildenden neutestamentlichen Kanon des 2. Jahrhunderts, und diese Briefe haben durch die Jahrhunderte weitergewirkt, mehr als irgend ein anderer Teil des Neuen Testaments außerhalb der Evangelien. An der Auseinandersetzung mit diesen Briefen hat sich die Neubesinnung des theologischen Denkens immer wieder entzündet (s. S. 5 f.), und an der Stellung zur Theologie des Paulus, die uns aus diesen Briefen entgegenklingt, scheiden sich bis zum heutigen T a g Konfessionen und theologische Richtungen. W a s ist es, das diesen Briefen und damit dem Denken des Paulus solch weitreichende Wirkung sichert? Als Paulus die Kirche mit geschaffen hat, hat er sie nicht begründet auf menschliche Organisation oder irgend eine Art menschlicher Frömmigkeit oder menschlicher Leistung, sei es im Gottesdienst, sei es im Leben des Alltags. Paulus hat vielmehr mit nicht mißzuverstehender Einseitigkeit die Kirche begründet allein auf Gottes Heilstat in Christus, auf das, was darin dem Menschen ein für alle Mal geschenkt wird, von Gott geschenkt wird. Es ist aber die Gefahr jeder kirchlichen Formwerdung ebenso wie jedes christlichen Glaubens, daß der Mensch in den Mittelpunkt rückt, daß Glaubensbekenntnisse und Kirchenordnungen, daß religiöse Erlebnisse oder sittliche Leistungen das einzig Entscheidende verdecken oder verdrängen, die Begegnung mit Gott in der geschichtlichen Wirklichkeit Jesu Christi. W o aber Christen diese Gefahr empfunden haben oder empfinden, sind sie auf Paulus gestoßen und haben von ihm Hilfe und Wegleitung erhalten. So hat Paulus durch die Geschichte der Kirche und des christlichen Denkens hindurch eine kritische Funktion ausgeübt, sobald das Evangelium in Gefahr geriet, verschüttet, vergessen zu werden. Und Paulus hat diese kritische Funktion ausüben können, weil er ein grundlegendes Werk geleistet hat: als die junge Kirche durch die Er-

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Literatur

fahrungen von Ostern und Pfingsten entstanden war, hat er die Botschaft Jesu vom baldigen Kommen des Gottesreiches und des himmlischen Menschensohnes so umgeprägt, wie es sich von der neuen Erfahrung her als nötig erwies, und gerade dadurch die Botschaft Jesu in ihren wesentlichen Zügen der Kirche erhalten. Indem Paulus die Kirche und ihre Theologie immer wieder auf die entscheidende Tat Gottes in Jesus Christus verwies und sie vor der Überschätzung menschlicher Leistung zu bewahren suchte, erhielt er sie beim Evangelium des Herrn selber. Und so ist es das geschichtliche Werk des Paulus über die Jahrhunderte hin gewesen, auf den Herrn zurückzuweisen, in dessen Dienst er sich restlos gestellt hatte. Und diese Aufgabe erfüllt Paulus auch heute noch an jedem, der auf seine Botschaft zu hören bereit ist, ob wir ihm mit theologischen Fragen oder einfach mit suchendem Herzen begegnen. „Denn ich habe beschlossen, unter euch von nichts anderem etwas zu wissen als von Jesus Christus, und zwar dem Gekreuzigten" ( l . K o r . 2 , 2 ) . Literatur Der Leser sollte eine wissenschaftliche Übersetzung des Neuen T e s t a m e n t s in Händen haben, etwa die von H e r mann M e n g e oder L u d w i g A l b r e c h t oder die sog. Z ü r c h e r B i b e l (letzte Revision 1931). Aus der sehr umfangreichen Paulusliteratur sollen hier nur W e r k e genannt werden, die auch für Nichttheologen bestimmt sind oder die sich für weiterführendes Studium besonders eignen. Diejenigen Arbeiten, die keine besonderen Vorkenntnisse voraussetzen, sind durch einen Stern gekennzeichnet; auf umfassende Bibliographien ist durch den Zusatz „ L i t . " verwiesen. Zur Geschichte der

Paulusforschung:

A. S c h w e i t z e r , Die Geschichte der paulinischen Forschung, 1 9 1 1 { = 2. Aufl. 1933). B. R i g a u x , Paulus und seine Briefe. Der Stand der Forschung, Bibl. Handbibliothek II, 1964 ( L i t . ) . 10*

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Literatur

Die exegetische Begründung seines Verständnisses der kleinen Paulusbriefe hat M. D i b e l i u s gegeben in den Kommentaren im „Handbuch zum Neuen Testament": An die Thessalonicher 1. II., An die Philipper, 3. Aufl. 1937; An die Kolosser, Epheser. An Philemon, 3. Aufl. neu bearbeitet von H. O r e e v e n , 1953. Die vier großen Paulusbriefe bearbeitete im selben Handbuch H a n s L i e t z m a n n : An die Römer, 4. Aufl. 1933; An die Korinther I. II., vierte von W. G. K ü m mel ergänzte Aufl. 1949 (fünfte, durch ein Literaturverzeichnis erweiterte Aufl. 1969); An die Galater, 3. Aufl. 1932. Eine allgemeinverständliche Auslegung der Paulusbriefe durch verschiedene Verfasser bietet das *„Neue Testament Deutsch", Band 6—8, 10. und 12. Aufl. 1965—1967; in derselben Sammlung Auslegung der Apostelgeschichte, Band 5, 10. Aufl. von G. S t ä h l i n , 1967. Den Römerbrief allein behandeln allgemeinverständlich * E . G a u g i e r , I. II. (Zürcher Bibelkommentare), 1945. 1952; * K . B a r t h , Kurze Erklärung des Römerbriefs, 3. Aufl. 1964. Die literarischen Fragen angesichts der Apostelgeschichte und der Paulusbriefe sind erörtert bei *M. D i b e l i u s , Geschichte der urchristlichen Literatur II (Sammlung Göschen 935), 1926 und M. D i b e l i u s , Aufsätze zur Apostelgeschichte, 5. Aufl. 1969. Vgl. auch P. F e i n e — J . B e h m , Einleitung in das Neue Testament, 16. völlig neu bearbeitete Aufl. von W. G. K ü m m e l , 1969, §§9. 12—24 (Lit.). Biographische Gesamtdarstellungen des Paulus unter Einschluß seiner Botschaft bieten: •A. D. N o c k , Paulus. Deutsch von H. H. Schaeder, 1940. * E . F a s c h e r , Paulus, in „Sokrates und Christus. Beiträge zur Religionsgeschichte", 1958, S. 245—308. *C. T r e s m o n t a n t , Paulus in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 1959 (Lit.). G. B o r n k a m m , Artikel „Paulus", in „Die Religion in Geschichte und Gegenwart", 3.Aufl. Band5,1961, Sp. 166 bis 190. • K - Z i m m e r m a n n , Der Apostel Paulus, 1962. Darstellungen der Theologie des Paulus: *W. W r e d e , Paulus, Religionsgeschichtliche Volksbücher I, 5 . 6 , 2. Aufl. 1907 (wieder abgedruckt in: Das Paulusbild in der neueren deutschen Forschung, Wege der Forschung X X I V , hrsg. v. K- H. Rengstorf, 1964).

Literatur

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A. S c h w e i t z e r , Die Mystik des Apostels Paulus, 1930 ( = 2. Aufl. 1954). H. D. W e n d l a n d , Die Mitte der paulinischen Botschaft, 1935. R. B u l t m a n n , Theologie des Neuen Testaments, 5. Aufl. 1965, S. 187—353. H. J . S c h o e p s , Paulus. Die Theologie des Apostels im Lichte der jüdischen Religionsgeschichte, 1959. *L. B a e c k , Der Glaube des Paulus, in „Paulus, der Pharisäer und das Neue T e s t a m e n t " , 1961, S. 7—37 (auch in „ D a s Paulusbild . . . " , s. o. bei W. Wrede). *U. W i l c k e n s , Gottes Offenbarung, Ein Weg durch das Neue Testament, 1963, S. 63—102. *G. D e l l i n g , Die Botschaft des Paulus, 1965. *G. B o r n k a m m , Paulus (Urban-Bücher 119D), 1969 (Lit.). H. C o n z e l m a n n , Grundriß der Theologie des Neuen Testaments (Einführung in die evang. Theologie II), 1967, S. 175 bis 314. *W. G. K ü m m e l , Die Theologie des Neuen Testaments nach ihren Hauptzeugen. Jesus — Paulus — Johannes (Grundrisse zum Neuen Testament III), 1969, S. 121—227. Im Zusammenhang der Geschichte des Urchristentums werden Lehre und Wirksamkeit des Paulus geschildert in folgenden Werken: • J . W e i s s , Das Urchristentum, 1917, S. 103—511. *A. S c h l a t t e r , Die Geschichte der ersten Christenheit, 3. und 4. Aufl., 1927. J . K l a u s n e r , Von Jesus zu Paulus, 1950, S. 287—561 (zur Kritik vgl. W . G . K ü m m e l , J u d a i c a 4, 1948, S. 1—35; wieder abgedruckt in W. G. K., Heilsgeschehen und Geschichte, Marburger Theologische Studien III, 1965, S. 169 bis 191). L. G o p p e l t , Die apostolische und nachapostolische Zeit, in „Die Kirche in ihrer Geschichte" I, A, 1962, S. 41—70. H. C o n z e l m a n n , Geschichte des Urchristentums (Grundrisse zum Neuen Testament V), 1969, S. 62—91. Zu Kap. 1 (Paulus in der Geschichte): *W. G. K ü m m e l , Das Neue Testament. Geschichte der Erforschung seiner Probleme, 1958, 2. Aufl. 1970 (s. Register).

150

Literatur

Zu Kap. 2 (Welt und Umwelt): *R. B u l t m a n n , Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 3. Aufl. 1963 (auch in Rowohlts Deutscher Enzyklopädie). C. K. B a r r e t t , Die Umwelt des neuen Testaments. Ausgewählte Quellen, deutsch von C. C o l p e , 1959. U m w e l t d e s U r c h r i s t e n t u m s , hrsg. v. J . Leipoldt u. W. Grundmann, Bd. I. II, 1965 u. 1967. Paulus): Zu Kap. 3 (Der Mensch H. W i n d i s c h , Paulus und das J u d e n t u m , 1935. W. D. D a v i e s , Paul und Rabbinic Judaism, 2. Aufl. 1935. Zu Kap. 4 (Die Wendung zu Christus): W . G . K ü m m e l , Römer 7 und die Bekehrung des Paulus, 1929. U. W i l c k e n s , Die Bekehrung des Paulus als religionsgeschichtliches Problem, Zeitschr. f ü r Theologie und Kirche 58, 1959, S. 273—293. B. R i g a u x (s. o. S. 147), S. 64—82. Zu Kap. 6 und 7 („Predigt und Gemeinde" und „Zeugnis und Theologie"): G. B o r n k a m m , T a u f e und neues Leben, in „ D a s Ende des Gesetzes. Paulusstudien", 1952, S. 34—50. J . M u n c k , Paulus und die Heilsgeschichte, Acta J u t l a n d i c a 26, 1, 1954 (dazu R. Bultmann, Theol. Literaturzeitung 84, 1959, Sp. 4 8 1 - ^ 8 6 ) . M. D i b e l i u s , „Glaube und Mystik bei P a u l u s " und „Paulus und die Mystik", in „Botschaft und Geschichte" II, 1956, S. 94—116. 134—159. P. A l t h a u s , Paulus und Luther über den Menschen, 3. Aufl. 1958. G. B o r n k a m m , Herrenmahl und Kirche bei Paulus, in „ S t u dien zu Antike und Urchristentum", 1959, S. 138—176. G. D e l l i n g , Zum neueren Paulusverständnis, Novum Testamentum 4, 1960, S. 95—121. W. S c h r ä g e , Die konkreten Einzelgebote in der paulinischen Paränese, 1961 (Lit.). G. D e l l i n g , Die Taufe im Neuen Testament, 1963, S. 108 bis 130.

Literatur

151

O . M e r k , Handeln aus Glauben (Marburger Theol. Studien V), 1968. Zu Kap. 8

(Kämpfe):

W. S c h m i t h a l s , Die Qnosis in K o r i n t h , 2. Aufl. 1965. *H. K ö s t e r , Artikel „ H ä r e t i k e r im U r c h r i s t e n t u m " , in „Die Religion in Geschichte u n d G e g e n w a r t " , 3. Aufl. Band 3, 1959, Sp. 17—21 (Lit.). W. S c h m i t h a l s , P a u l u s u n d J a k o b u s , 1963. D. G e o r g i , Die Gegner des P a u l u s im 2. Korintherbrief, 1964. Zu Kap. 10 (Das

Werk):

*A. J ü l i c h e r , P a u l u s und Jesus, Religionsgeschichtliche Volksbücher I, 14, 1907. R. B u l t m a n n , J e s u s u n d Paulus, i n : „ J e s u s Christus im Zeugnis der Hl. Schrift u n d der K i r c h e " , Beiheft 2 zur „Evangelischen Theologie", 1936, S. 68—90 (wieder abged r u c k t in R. B., Exegetica, 1967, S. 210—229). W . G. K ü m m e l , J e s u s u n d Paulus, Theol. Blätter 19, 1940, Sp. 209—231 (wieder a b g e d r u c k t i n : W . G . K . , Heilsgeschehen . . . s. o. S. 149, S. 81—106). J . S c h n i e w i n d , Die B o t s c h a f t J e s u und die Theologie des Paulus, in „Nachgelassene Reden u n d Aufsätze", 1952, S. 16—37. E. J ü n g e l , P a u l u s und Jesus, 1962. O. K u s s , Die Rolle des Apostels P a u l u s in der theologischen Entwicklung der Urkirche, Münchener Theol. Zeitschr. 14, 1963, S. 3—59, 109—187. W . G. K ü m m e l , J e s u s und Paulus, New T e s t a m e n t Studies 10, 1963/4, S. 163—181 (wieder a b g e d r u c k t in W . G. K., Heilsgeschehen . . . , s. o. S. 149, S. 439—456).

Register Abba 84 Abendmahl 88. I 1 2 f . Acta Pauli 15 f. 25 Am haarez 23. 47 Anselm von Canterbury 106 Antichrist 99 Antiochia (Syrien) 13.25. 48. 52. 6 4 f . 68. 73. 86. 116. 118. 120. 124 Antiochia (Pisidien) 66. 78 Apokalyptik 31 Apollos 88 Apostelamt 50 . 61. 96.115 121.126. 141. 143 Aposteldekret 119 Apostelgeschichte 9. 12 f f . 139 Apostelkonzil 34. 53 f. 6 7 f . 118 f f . 121 Apotheose 98 Aquila 71. 73. 75 A r e o p a g r e d e 13. 28 f. 68. 71 Athen 37- 68. 71 A u f e r s t e h u n g 51. 89. 97. 125 A u f e r s t e h u n g Christi 46. 52. 97. 107. 111. 115. 123. 144 Augustin 5. 50 Barnabas 64 f . 67 f. 118 f f . 120 Barth, Karl 6 Baur. F. C. 8 Beröa 71 Beschneidung 18. 34. 122 Bischöfe 79 Bithynien 69 Caesarea 73. 76f. 133ff. Chamberlain. H . St. 7 Christenname 66 Christentum, hellenistisches 48. 115

C h r i s t e n v e r f o l g u n g 42 f. 4 6 f f . 51. 58. 140 Christus, s. Jesus Christus ,,in C h r i s t u s " 9 7 f . 128 C h r i s t u s - E r e i g n i s 93. 103. 113 Christusmythus 82 Chronologie 53. 72 Clemensbrief, e r s t e r 15. 139 f. Damaskus 33. 42 f f . 49. 52. 63 f. 80. 115 Derbe 67 Diakonen 79 Diaspora-Judentum 16 f. 20 f. 25. 27. 29. 32. 48. 65. 71. 115. 130 f. 142 Ekstase 84. 89 Epheserbrief 10 f. Ephesus 10 f. 15. 68. 7 3 f . 78 f. 87. 124. 127 Epiktet 28 Erbsündenlehre 102 Erlösung 7. 19. 105 E r w ä h l u n g 22. 31. 55 Eschatologie 32 . 56 . 6 3 . 78. 99 f. 110. 145 Essener 24 Evangelium 51 f. 55 f. 62. 80. 86. 109. 122. 144. 146 f . Exegese 36. 56 Felix 133 f. Festus 135 Fleisch 10 . 36 . 60 f. 89. 102 Fluch 106 Freiheit 91 Qalatien 67 f f . 73 Qalaterbrief 69. 87. 121. 124

O a l l i o 53. 72 Gamaliel 30. 33. 41 Gebote, sittliche 84 Geist 10. 36. 59 f. 68. 83 f. 99.111 Geistermächte 127 Gerechtigkeit 60. 93. lOOf. 102. 103 f f . 114 Gesetz 5.21 f. 29. 31. 3 5 f . 47. 5 6 f f . 60. 93. 100. 103f. 114.117. 131 Gesetzeserfüllung 21 f. 31ff. 35. 83. 103ff. 108. 114. 116. 121 f f . 126. 128. 131. 144 Gesetzesfreiheit 22. 45 f. 1 l 5 f f . 120 Glaube 50. 59. 85 f. 93 f. 105 f . 114. 128 f. Gnade 5. 22. 83. 96. 144 Gnosis 19. 32. 85. 93. 127f. Gottesdienst 87 Gottesglaube, christlicher 47. 56 Gottesglaube, jüdischer 16. 23. 29. 47. 55. 77. 104 G o t t e s k i n d s c h a f t 84. 122 G o t t e s m y s t i k 94. 98 Griechenland 14. 16. 18. 67. 70 f. 75. 77 f . Handeln, f r o m m e s 51. 145 f . Hebräerbrief 10 Hegel, F. W . 8 Heidenmission 46.61 f. 65. 78. 110. 1 1 5 f f . 119. 121. 132. 141 Heidenchristen 34 f. 77. 83. 115. 120.126 Heil 8. 51. 58. 80. 105. 114. 123. 125 Heilsbotschaft 89 Hcilstat G o t t e s 81 f . 113. 123.125. 129.144 f . 147 Hellenismus 16 f f . 65

Register H e r r (Kyrios) 19. 59. 129. 143. 147 H e r r s c h a f t Christi 99 H i e r o n y m u s 16. 26 H o f f n u n g 8. 31. 99 f. Hymnus 93 Jakobus 52. 115. 117. 120.131 Identitätsmystik 9 8 f . Jerusalem 1 3 . 1 6 . 2 1 . 2 5 . 30 . 3 4 f . 42. 5 2 f . 61. 64 f . 67 . 73 . 77. 82 f. 86. 115 f f . 119. 121. 126f. 129 f. 135 Jesus Christus 8. 25 f. 36. 44. 49 f . 55 f f . 59. 88. 92. 115. 121. 123. 128 Ikonium 67 Johannes 117 Johannesjünger 74 Judaisten 117 f . 121 f. 123f. 126. 131 Judenchristentum 8. 35. 77. 86. 115. 120. 131 Judentum. Juden 2 0 f f . 6 6 f f . 108f. Judentum» hellenistisches 8. 16. 2 0 f . 29. 32. 64 Judentum, palästinisches 22 f . Jünger Jesu 57. 114 J u n g f r a u e n g e b u r t 81 Kenchreä 73 Kilikien 16 . 54. 6 7 f . 116. 118 Kirche 25. 53. 110 f f . 117. 143. 145 Kleinasien 14. 16. 54. 66. 69. 7 7 f . 120. 124 Koine 17. 20 Kollekte 5 4 . 7 3 . 76. 86. 119. 129. 131 Kolossä 127. 135 Kolosserbrief 10 f. 87. 127 f . 134 Kontrastdenken 36. 57 f f . Korinth 16. 38. 40. 53. 6 2 f . 67. 71 f f . 75. 78. 87. 121. 124f. Korintherbrief, erster 8 7 f . 124 f. Korintherbrief, zweiter 87. 126 Kreuz C h r i s t i 88. 95. 100. 106. 144

Kosmos 128 Kultus 23 Lagarde, P a u l de 6 Laodizea 9. 127 Leben, neues 59. 92 . 95. 9 7 . 1 0 3 f . 111. 145 Leib C h r i s t i 97 f. 111. 113.143 Leiden 57 Leidensmystik 9 5 f . Leiden Christi 95 Liebe 84. 89. 107 Logos 18 Lukas 12. 70. 76 Luther 5 . 46. 50 . 56. 90. 104 Lykaonien 54. 6 6 f . 69 Lystra 67 f. 78 Mahl, heiliges 24 M a r k u s , Johannes 68 Marcion 5. 10. 55 Mazedonien 14. 16. 67. 70. 75 Messias 31. 46. 51. 56. 5 9 . 6 6 . 9 9 . 110.116 Milet 7 6 f . Missionsgehilfen 79 Monotheismus 55. 77 Muratorisches F r a g m e n t 140 Mysien 69 Mysterien 18 f. 85 . 94 f. 96.125 Mystik 18 . 32. 85. 88. 93 f f . Mythus 19. 82. 85. 9 4 f . Nabataerreich 45 Nietzsche 6 f . 47. 63 O f f e n b a r u n g 19. 36. 47 52. 84. 93. 96 O p f e r 88. 106. 112 Organisation 78. 84 O r t h o d o x i e 27. 104 Ostererlebnisse 46 Pamphylien 54. 66 f. P a s t o r a l b r i e f e 10 Paulus Bekehrung 9. 13. 27. 38 . 40 . 42 f f . 53 f . 61. 103 f. 108. 114. 129. 136. 144

153 2. Bekehrung 46. 61 C h a r a k t e r 38 Ehe 33 Entwicklung 54 f. G e f a n g e n s c h a f t 14. 79. 133 f f . H a n d w e r k 34. 72. 80 Jugend 15 Krankheit 3 8 f f . 44. 57. 69. 95 Missionar 5. 13. 25. 45. 48. 52 ff. 61 f f . 78. 90 . 96. 115 f. 134 f . 141 f . N a c h w i r k u n g 5 f . 145f. Quellen 12 f f . römischer B ü r g e r 16f. 27. 133. 135 Stil 37 f. 91 Theologe 37. 58. 9 2 f f . 114. 144f. 146 T o d 13. 15. 76. 130. 139 f f . Paulusbriefe 9 f f . 8 6 f f . 145 f . Paulusbriefe, Echtheit 9 ff. P e t r u s 14. 5 2 f f . 68 . 88. 115. 117. 120. 124 P h a r i s ä e r 21 f f . 2 5 . 27. 30. 3 3 f . 47 f. 60. 100. 102. 123. 144 Philemonbrief 11. 127. 134 Philipperbrief 11. 75 Philippi 7 0 f . 76. 79. 89 Philo 29. 32 Philosophie 2 8 f . 30. 37. 88. 90f. Phrygien 6 6 f . 6 S f . 73 Pisidien 54. 66 Presbyter 78 Priskilla 71 f. 75 Proselyten 21. 48. 65. 67. 71. 77. 83 Rabbinen 22. 3 2 f . 4 3 . 4 7 R e c h t f e r t i g u n g 8. 104 f f . Reich, römisches 65 f. ' Reisebericht 12. 14. 73. 76. 130. 137 Rom 13 f. 17 . 64 . 68. 71. 78. 129 f . 135. 137. 141 f . Römerbrief 75. 86. 129. 141 Rosenberg, A. 7

154 Sadduzäer 23 Sakrament 24. 114 S a m o t h r a k e 70 Saulus-Paulus 27 Schicksalsmächte 18 Schöpfung Schriftbeweis 91 Seligkeit 59. 92 Seneca 9. 72 Septuaginta 20 f . 28 Sergius Paulus 27. 6 6 Silas 68. 79 Spanien 75. 130. 135. 140f. Spruchüberlieferigig 84 Stephanus 28. 33 . 42. 51. 115 Sühnetod Christi 106 Sünde 5 . 7. 36. 58. 61. 101 f . 108. 111 Synagoge 42. 6 5 f f . 72. 77. 83 Synedrium 21. '.33 Synkretismus 17. 128 Syrien 14. 16. 54. 7 6 f .

116. 118

Register T a l m u d 37 T a r s u s 16 f. 27 f. 30. 33. 44.52. 63 f. 6 7 . 1 1 6 . 118 T a u f e 44. 66. 74 . 78. 85. 95. 110. 125 T e r t u l l i a n 16 T e s t a m e n t . Altes 6. 31. 36. 55 f. 77 Thekla 15 Theodizee 58. 60. 103 T h e o p h i l u s 12 T h e s s a l o n i c h e r b r i e f e 11. 72. 88 Thessalonike 5 4 . 71 T i m o t h e u s 34. 68. 79 T i t u s 34 . 75. 79. 118 f . T o d 88. 99. 102. 103 T o d C h r i s t i 81. 106. l l l f . T r o a s 67 . 69. 76 Oberlieferungen 43. 52. 78. 80 f f . 106. 115. 143 Universalismus 17 U r a p o s t e l 52. 65. 115. 117. 119. 121 126

Urgemcinde 5. 86. 115. 143 Urmenschenmythus 19.29 Verdienst 34. 73 Versöhnung 62. 107 Verwandlung 93. 98 Volk, erwähltes 100. 108 f f . 110. 142 Volkserzählungen 13 Weltende 9 9 f . W e r k e , gute 10. 105. 129 Wesley, J. 6 W i e d e r k u n f t C h r i s t i 25. 62. 89. 99. 116. 147 „ W i r " in der Apostelgeschichte 12. 69. 76. 137 Wir-Stil 79 Zungenreden 8 t . 88. 125 Zypern 27 . 54 . 61 f f . 116. 137

Stellenregister Apostelgeschichte 2 : 14 2, 46: 114 3 : 14 4, 36: 64 5 , 3 4 : 41 6 : 77 7, 58 : 28, 42 8. 1: 42 9: 9,44 9, 1: 42 9. 4 — 6 : 48 9, 11: 16 9. 1 9 f f . : 115 9, 24. 25 : 45 9 , 2 7 : 65 9, 2 8 f . : 53 9, 30: 64 10: 14. 115 11, 20 : 48, 65 11,25 : 64. 118 11, 26 : 66. 118 1 1 , 2 7 : 65 1 1 , 3 0 : 54 12, 25: 54 13: 13, 14, 54, 116 13—21: 12 13, 1: 65 13, 9. 12: 27 13, 16. 26: 21 13,45—48 : 78 14: 14, 54, 116 1 4 , 8 — 1 8 : 67 1 4 , 1 9 : 78 14, 23: 78 15—17: 53 1 5 , 1 : 117 15, 1—29: 118 15, 5 : 116, 117 1 5 , 2 0 : 118 15. 35. 36 : 68 15, 36—16, 10: 14 16, 3 : 34 16, 6—10: 14 1 6 , 6 . 7 . 9 : 68,69 16, 10—17: 12 16. 16—40: 70 17: 13

17, 1 : 12 17, 16: 37 17, 2 2 f f . : 68 17, 28: 29 17, 34: 71 1 8 , 3 : 34 18, 6. 1 2 f . : 78 1 8 , 9 - 1 1 : 63 18, 10: 71 18, 12: 53, 72 18. 18: 73. 131 1 8 , 2 3 : 74 19, 1: 74 19, 9 : 74, 78 20, 1—6: 14 2 0 , 4 : 76 20, 5—21, 18: 12 20, 7 f f . : 76 20, 13: 17, 39 20, 1 8 f f . : 77.139 20, 2 2 f f . : 13 20, 38: 13 21, 11: 13 21, 19—26, 32: 130 21, 20—26: 130 21. 21: 117 21, 23—26 : 35 21, 27—36: 132 21, 3 7 — 2 2 , 2 3 : 132 21, 39: 16 22: 13,44 22. 3 : 16, 30, 33 22, 17—21: 61 22. 24—23, 10: 133 22, 28: 17 23, 6 : 22 23, 11—35: 133 23, 16: 30 24: 13 24, 1—26: 134 24, 5 . 1 4 : 82 24, 17 : 76, 86 2 4 , 2 7 : 134 25, 1—12: 135 25, 15—26.32: 136 26: 13,44 26, 10. 11: 42, 43 27: 16 27, 1 : 130

27, 1—28, 16: 12 28, 17—28: 137 28, 23—28 : 78 2 8 , 3 0 . 3 1 : 139 Römer 1. 11—13: 129 1. 14: 62 1. 16—11, 36: 86 1. 16: 109, 142 1, 17: 6 1, 19. 20: 28 2. 14: 28 2. 18—20: 47 3. 5 : 58 3, 20: 31. 108 3, 21—28: 106 3, 24: 105 3, 28: 108 4, 18: 107 4, 2 4 f . : 145 5, 3 : 57 5, 12: 102 5, 12—21: 161 5, 20: 108 6, 4 : 85, 95, 97 6, 10: 111 7, 5 : 61 7, 7—25: 101 7, 12: 108 7, 13: 108 7, 18—20: 102 8 , 4 : 84 8, 9 f . : 59, 84 8, 10: 59. 98 8. 1 1 . 1 7 : 97 8 , 1 5 : 59,84 8. 18. 26: 57 8. 31 f f . : 91 8, 33: 94 8. 3 8 f . : 59 9, 3 : 26. 109 9, 6 : 104 9. 14: 5P 9. 15: 31 9. 16: 122, 14b 10, 4 : 109 1 0 , 9 : 85. 107 10. 17: 107

156

Stellenregister

10, 18: 143 11, J: 26. 27 11,11—32: 109 11,33.36: 110 12 13: 84 12, 4f.: I l l 14,7.8: 90 15, 14—19: 38 15, 15f.: 62 15, 16.20: 141 15, 22ff. : 129 15, 24: 129 15, 25—32: 86 15. 27: 143 15, 30—32: 130 16, I f . : 76, 143 16, 7: 97 16,22: 12 1. Korinther

1, 12: 88

1. 12 ff.: 125 1, 14. 16: 63 1, 17: 141 1,21.23: 106 1, 23f.: 80 I, 24: 109 1, 27f.: 47 2: 32 2, 2: 147 3,2: 29 3, 11: 88 3, 22: 124 4,8: 125 4, 9. 13: 57 4, 15: 125 5, I f f . : 88 5,3: 41 5,9: 87 6, I f f . : 88 6, 5.7: 90 6, 12 ff.: 125 7: 15,33 7, 10: 52 7. 17: 143

8—10: 88, 118

8.6: 143 8. 11: 89 9: 89 9. 1: 49 9,5: 124 9. 14: 52 9, 16: 62 9, 20: 80 9. 25—27: 29 10, I f f . : 112 10. 6ff.: 113,125

10. 16f.: 112 10,32: 143 11, 2—16: 35 11, 17 ff. : 88 11. 23—25: 52 11, 26: 56 11,29—31: 113 12. 12 ff. : 29 12, 13: 111, 142 12, 27: 143 12, 31: 89 13, 12: 100 14, I f f . : 125 14,8: 29 14,25: 84 15: 32 15, 3: 106 15,3—5: 52,80 15,8: 46 15, 9: 43 15, 9. 10: 41 15, 10: 143 15, 12: 125 15, 22: 103 15. 32: 74 15, 33: 28 15. 35ff.: 89 15. 45. 46: 29 15,51: 100 16, 1: 86

16, 16: 7V 16, 21: 12 2. Korinther 1, 5—11: 38 1.8.9: 75 1, 13—2, 1: 38 1, 21. 32: 45 2, I f f . : 73, 126 2, 3ff.: 87 2, 5ff.: 126 3, 18: 95, 98 4, 6: 55 4, 7: 57 5. 2. 4: 99 5. 12—17: 121 5, 14: 113 5. 16: 49, 57, 60 5. 17: 59, 97 5, 18. 20: 62 5, 19: 94, 107, 142 5. 21: 81 6, 2: 105 6, 9: 41 7. 1. 2: 126 7. 8ff.: 87,126 7, 12ff.: 126

8.9: 86 8, 9: 82 8, 22f.: 143 10—13: 121 10. 1. 10: 38 11: 64 11,5: 121,126 11. 6: 40. 126 11,13: 121 11, 18—22: 50 11,26: 96 11, 32: 45 12, 7: 38 12,7—9: 96 12, 9: 40 12, 10: 59 12, 16ff.: 126 12. 21: 126 13, 1: 16 13, 4: 97 Galater 1. I f f . : 115 1. 6f. 8: 123 1, 12: 52 1, 14: 30. 43 1. 15—17: 44 1. 16: 61 1. 17: 52 1. 17f.: 115 1. 18: 63. 115 1. 19: 52 1, 21: 54, 64, 116 1, 22: 43 2, 1: 53

2, 1—10: 118

2. 2: 117 2, 3f.: 34, 117 2, 4: 117 2. 9: 117 2, 10: 73 2, 11 ff.: 68. 120 2. 15. 16: 105 2, 16: 31 2. 20: 98 3, 1—5: 41 3. 2: 83, 107, 113 3, 5: 59 3. 13: 81. 106 3, 21—24: 109 3, 22: 94 3, 26: 111 3, 27: 95 3.28: 122 4. 3: 122 4. 4: 105 4. 4. 5: 81

157

Stellenregister 4, 6 : 84. 122 4. 13: 69 4. 13—15: 38 4, 2 2 f f . : 29 5 , 2 . 4 : 123 5, 2—12: 41 5, 3 : 22. 31 5 , 6 : 107 5, 13—6, 10: 84 5 , 2 2 : 84 6, 10: 143 6, 16: 143

3, 7 f . : 59 3, 9. 10: 93 3, 11: 97 3, 12: 99 3, 13 f - : 145 3 , 2 0 : 145 4, 8 : 28 4. 11—13: 90 4, 12: 41 4, 12. 13: 97 4. 13: 59

Philipper 1 . 1 : 79 1, 18: 79 1, 23: 100 2, 6. 7 : 82 2, 12: 124 2, 2 5 . 2 6 : 75 3 . 4 : 50,60 3, 4—9: 91 3, 5 : 17. 26 3, 6 : 30, 43, 103 3 , 7 — 1 1 : 46

1: 32 1, 1 3 f . : 128, 145 1 , 2 1 — 2 3 : 129 1, 24: 96 2. 8 f f . : 128 2, 9 f . : 128 2. 1 2 f . : 111 2. 1 6 f f . : 128 2, 19: 111 3, 1—4. 6 : 84 3 , 3 : 135 3, 5—4. 1: 134

Kolosser

3, 15: 113 3, 17: 1 2 j 4, 16: 9, 127 1. T h e s s a l o n i e h e r 2. 15: 58 2. 1 5 f . : 58, 109 4, 1—12: 84 4, 1 3 f f - : 89 4, 1 5 f . : 52 4, 15. 17: 99 5. 10: 113 5, 12—22: 84 2. T h e s s a l o n i c h e r 2 : 32 2. T i m o t h e u s .4: 77 4, 13: 17 Philemon 9 : 27 22: 135

SAMMLUNG GÖSCHEN Jesus von M. Dibelius f . 4. Aufl. m. e. Nachtr. von W. G. Kümmel MOS. 1966. (1130) Luther von F. Lau. 2., verb. Aufl. 153 S. 1966. (1187) Melanchthon von R. Stupperich. 139 S. 1960. (1190) Zwingli von F. Schmidt-Clausing. 119 S. 1965. (1219) Friedrich Schleiermacher. Leben und Werk (1768 bis 1834) von M. Redeker. 320 S„ 3 Büdn. 1968. (1177/1177a) Sören Kierkegaard. Leben und Werk von H. Gerdes. 134 S. 1966. (1221) Einführung in die Konfessionskunde der orthodoxen Kirchen von K. Onasch. 291 S. 1962. (1197/1197a) Geschichte des christlichen Gottesdienstes von W. Nagel. 2. Aufl. 215 S. 1969. Im Druck (1202/1202a) Geschichte Israels. Von den Anfängen bis zur Zerstörung des Tempels (70 n.Chr.) von£. L. Ehrlich. 2. Aufl. Im Druck (231/231a) Römische Religionsgeschichte von F. Altheim. 2 Bde. 2., umgearb. Aufl. I: Grundlagen und Grundbegriffe. 116 S. 1956. (1035) II: Der geschichtliche Ablauf. 164 S. 1956. (1052) Die Religion des Buddhismus von D. Schlingloff. 2 Bde. I: Der Heilsweg des Mönchstums. 122 S„ 11 Abb., 1 Kte. 1962. (174) II: Der Heilsweg für die Welt. 129 S„ 9 Abb., 1 Kte. 1963. (770)

WOLFGANG TRILLHAAS

Dogmatik Groß-Oktav. 2., verbesserte Auflage. XVI, 582 Seiten. 1967. Geb. DM 3 6 (Sammlung Töpelmann I, 3)

Ethik Groß-Oktav. 2., neubearbeitete Auflage. XVI, 498 Seitea 1965. Geb. DM 32,(Sammlung Töpelmann I, 4)

Das Evangelium und der Zwang der Wohlstandskultur Oktav. XIII, 82 Seiten. 1966. DM 12,(Theologische Bibliothek Töpelmann, Heft 13)

Gott existiert Eine dogmatische Studie von Carl Heinz Ratschow Oktav. 2. Auflage. IV, 87 Seiten. 1968. DM 12,(Theologische Bibliothek Töpelmann, Heft 12)

WALTER DE GRUYTER & CO • BERLIN

Der Weg Jesu Eine Erklärung des Markus-Evangeliums und der kanonischen Parallelen Von Ernst Haenchen Groß-Oktav. 2., durchgesehene u. verbesserte Auflage. XVI, 594 Seiten. 1968. Geb. DM 32,(De Gruyter Lehrbuch)

On the Trial of Jesus Von Paul Winter Groß-Oktav. X, 216 Seiten. 1961. Geb. DM 2 2 (Studia Judaica Band I)

Die Religion und die Rollen Eine psychologische Untersuchung der Frömmigkeit Von Hjalmar Sundén Groß-Oktav. VIII, 451 Seiten. 1966. Geb. DM 6 8 , -

Neutestamentliche Zeitgeschichte Die biblische Welt 500 v. bis 100 n. Chr. Von Bo Reicke Groß-Oktav. 2., verbesserte Auflage. VIII, 257 Seiten mit 5 Tafeln. 1968. Geb. DM 28,(De Gruyter Lehrbuch)

WALTER DE GRUYTER & CO • BERLIN