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German Pages [504] Year 2022
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) · James A. Kelhoffer (Uppsala) Tobias Nicklas (Regensburg) · Janet Spittler (Charlottesville, VA) J. Ross Wagner (Durham, NC)
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Karl-Wilhelm Niebuhr
Paulus im Judentum seiner Zeit Gesammelte Studien
Mohr Siebeck
Karl-Wilhelm Niebuhr, geboren 1956; 1986 Promotion; 1991 Habilitation; 1994–1996 Professor für Biblische Theologie (evangelisch) an der Technischen Universität Dresden; 1997–2022 Professor für Neues Testament an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; Präsident des Eastern Europe Liaison Committee (EELC) der Studiorum Novi Testamenti Societas (SNTS). orcid.org/0000-0002-8850-7046
ISBN 978-3-16-161099-8 / eISBN 978-3-16-161100-1 DOI 10.1628/978-3-16-161100-1 ISSN 0512-1604 / eISSN 2568-7476 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Dem Jenaer Café NT
Vorwort Nach einem Band mit Studien zum Frühjudentum (Tora und Weisheit, WUNT 466, Tübingen 2021) lege ich hier nun gesammelte Studien zu Paulus vor, die in den vergangenen drei Jahrzenten entstanden sind. Sie alle basieren mehr oder weniger stark auf meiner Habilitationsschrift, die unter dem Titel „Heidenapostel aus Israel“ (WUNT 62, Tübingen 1992) in derselben Reihe bei Mohr Siebeck erschienen ist, so wie zuvor schon meine Dissertation (Gesetz und Paränese, WUNT II/28, Tübingen 1987). So bin ich während der gesamten Zeit meines akademischen Wirkens mit diesem einzigartigen Verlag, seinem Inhaber, seinem Geschäftsführer und seinen überaus kompetenten und stets freundlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verbunden geblieben. Genannt seien hier dankbar die Namen Georg Siebeck, Henning Ziebritzki, Elena Müller, Matthias Spitzner, Tobias Stäbler und Kendra Mäschke. Ebenso danke ich den Reihenherausgebern, insbesondere Jörg Frey und Tobias Nicklas, die in dieser Hinsicht das Werk von Martin Hengel fortführen, der seinerzeit schon meine Dissertation und meine Habilitationsschrift für die Wissenschaftlichen Untersuchungen zum Neuen Testament akzeptiert hatte. Der Großteil der hier aufgenommenen Arbeiten wurde zwar wieder durchweg formal angeglichen und korrigiert, aber nur gelegentlich und sparsam aktualisiert. Allerdings sind sie nun gerahmt durch drei neue Beiträge, die auch die jüngeren Tendenzen in der internationalen Paulusforschung aufzunehmen versuchen. Am Anfang steht als Einführung in den Band ein ausführlicher Aufsatz, der ihm auch den Namen gegeben hat und den Gesprächskontext signalisiert, in dem meine Arbeiten zu Paulus und seinen Briefen von Beginn an gestanden haben (Paulus im Judentum seiner Zeit. Der Heidenapostel aus Israel in neuer Sicht, 1–40). Der Begriff „Paul within Judaism“ steht für Akzentsetzungen vorwiegend in der englischsprachigen Paulusforschung, die schon durch die „New Perspective on Paul“ seit Beginn der 90er Jahre des 20. Jh. in Gang gesetzt worden war. Solche Zugänge zu Paulus bilden derzeit prägnant wahrnehmbare Stimmen der Forschung. Diese Diskussion auch im deutschsprachigen Raum aufzugreifen und kritisch zu reflektieren, versuche ich im einführenden Aufsatz. Auch der zweite Beitrag (Das jüdischen Gesetz bei Paulus im Kontext des Neuen Testaments, 43–80) ist in dieser Gestalt bisher unveröffentlicht, basiert aber zu wesentlichen Teilen auf dem Material und den Ergebnissen meines RAC-Artikels Nomos, C. Neues Testament, RAC 25, 2013, 1039–1061, der allerdings für den Wiederabdruck durchgängig überar-
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Vorwort
beitet, aktualisiert und stark erweitert wurde. Am Ende steht meine Jenaer Abschiedsvorlesung vom 11. Februar 2022 (Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute, 401–417), in der ich anhand des Römerbriefes versucht habe, meine Gesamtsicht zum Thema dieses Bandes noch einmal systematisch reflektiert darzulegen. Bei der Drucklegung habe ich erneut viel Hilfe bekommen. Dr. Johannes Beck hat noch einmal die Mühen der Korrektur auf sich genommen. Valentine Weigel hat wieder die formale Vereinheitlichung aller Beiträge und die Erstellung des Literaturverzeichnisses übernommen. Die Register wurden diesmal von Frau Martina-Britta Boltres, Studentin an der Theologischen Fakultät Jena, erstellt. Für alle verbliebenen Fehler übernehme ich allein die Verantwortung. Mit der Widmung dieses Bandes verbinde ich einen Dankesgruß an die Menschen, die in den vergangenen 25 Jahren an der Theologischen Fakultät in Jena meine fachliche Heimat waren. Dazu zählen insbesondere meine unmittelbaren Jenaer Fachkollegen Jörg Frey, Christfried Böttrich, Hermut Löhr, Manuel Vogel und Klaus Scholtissek sowie meine wissenschaftlichen Mitarbeiter Florian Wilk, Lutz Doering, Titus Nagel, Stefanie Lorenzen, Sören Swoboda, Franz Tóth, Volker Rabens, Johannes Beck sowie als Mitarbeiter am CJHNT Roland Deines, darüber hinaus aber noch viel mehr Besucher des „Café NT“, sei es als Referenten oder als Gäste. Sie alle haben mich bereichert an Einsichten nicht nur zu Paulus im Judentum seiner Zeit, sondern zum ganzen Neuen Testament in seinen historischen, religionsgeschichtlichen und theologischen Zusammenhängen. Vor allem aber haben sie maßgeblich dazu beigetragen, dass ich auf meine aktive Jenaer Zeit mit großer Befriedigung und Dankbarkeit zurückblicken kann. Markkleeberg, im August 2022
Karl-Wilhelm Niebuhr
Inhaltsverzeichnis Vorwort ....................................................................................................... VII
1. Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit. Der Heidenapostel aus Israel in neuer Sicht ............................................... 1
I Tora 2. Das jüdische Gesetz bei Paulus im Kontext des Neuen Testaments ......... 43 3. Offene Fragen zur Gesetzespraxis bei Paulus und seinen Gemeinden. Sabbat, Speisegebote, Beschneidung ........................................................ 81 4. The Pre-Christian Paul and God’s Righteousness. Paul’s Jewish Identity and the Roots of His Doctrine of Justification .....115 5. „Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien ..........................................................................133 6. Identität und Interaktion. Zur Situation paulinischer Gemeinden im Ausstrahlungsfeld des Diasporajudentums .........................................149 7. Jesus, Paul and the Pharisees. Observations on their Commonalities and their Understanding of Torah ............................................................173
II Christologie und Rechtfertigung 8. Jesus Christus und der eine Gott Israels. Zum christologischen Gottesglauben in den Paulusbriefen ........................................................203 9. Christ of Paul’s Story. Jesus Christ – Son of David and Son of God .......219
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Inhaltsverzeichnis
10. Die paulinische Rechtfertigungslehre in der gegenwärtigen exegetischen Diskussion ........................................................................ 235
III Studien zum Römerbrief 11. Das Neue Testament im Kontext jüdisch-hellenistischer Literatur. Röm 1,19–23 als Testfall ....................................................................... 259 12. Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik. Zwei paulinische Argumentationen (Röm 1,18–2,29; 8,1–30) .............. 275 13. Adam’s Sin and the Origin of Death. Paul’s Argument in Rom 5:12–14 in the Light of Jewish Texts from the Second Temple Period ....................................................................................... 297 14. „Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6b). Römer 9–11 als Zeugnis paulinischer Anthropologie ................................................ 327 15. Paul, the Israelite, on Israel and the Gentiles at the End of Time. Reflections on Romans 9–11 ................................................................. 357 16. Der Römerbrief in ökumenischer Perspektive. Zum theologischen Werk von Eduard Lohse ......................................... 373
IV Ausblick 17. Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute .......................................... 401 Nachweis der Erstveröffentlichungen .......................................................... 419 Literaturverzeichnis ..................................................................................... 421 Stellenregister .............................................................................................. 467 Autorenregister ............................................................................................ 483 Sachregister ................................................................................................. 489
Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit Der Heidenapostel aus Israel in neuer Sicht Mit einem Nachtrag zur ‚New Perspective on Paul‘ seit 2010 1 Hätte man den Apostel Paulus nach seiner Religion gefragt, dann hätte er sicher nicht geantwortet: „Christ“, wohl auch nicht: „Jude“, sondern vermutlich so, wie er es im Römerbrief tut: Ich bin Israelit, aus der Nachkommenschaft Abrahams, vom Stamm Benjamin (vgl. Röm 11,1). 2 Und hätte jemand wegen seiner Propaganda für Jesus aus Nazaret Zweifel an dieser seiner religiösen Identität geäußert, dann hätte er wohl, wie er es im Philipperbrief tut, zornig und stolz entgegnet: Wenn sich jemand etwas auf sein Judesein einbilden wollte, dann am ehesten ich, beschnitten am achten Tag nach der Geburt, aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, Hebräer von Hebräern, in Bezug auf die Tora Pharisäer, wie man an meinem früheren Einsatz gegen die Jesusanhänger sehen kann, was die Gerechtigkeit nach dem Maßstab der Tora angeht, makellos (vgl. Phil 3,5f.). 3 Und hätte man ihm schließlich andere jüdische Zeitgenossen vorgehalten, die – auch als Anhänger Jesu – doch viel treuer als er an den Grundsätzen der Tora festhielten, so hätte er wahrscheinlich auch diesen Einwand scharf zurückgewiesen, wie er es im 2. Korintherbrief tut: Hebräer sind sie? Ich auch! Israeliten? Ich auch! Abrahams Same? Ich auch! Diener des Messias, den Gott zur Rettung seines Volkes Israel gesandt hat? Ihr mögt mich für verrückt halten, aber ich bin es noch viel mehr als sie (vgl. 2Kor 11,22f.). 4 Alle hier wiedergegebenen Aussagen des Paulus stammen aus einer Zeit, in der seine Mission für Christus schon ihren Höhepunkt erreicht hatte. Mit ihnen will Paulus keineswegs etwas über seine biographische Herkunft sagen, gar 1 Der einführende Beitrag zu diesem Sammelband, dem dieser auch seinen Titel verdankt, geht in seinem ersten Teil zurück auf einen im Jahr 2009 publizierten Aufsatz (KARL-WILHELM NIEBUHR, Paulus im Judentum seiner Zeit. Der Heidenapostel aus Israel in „neuer Sicht“, IKaZ 38, 2009, 108–118). Er wurde hier aktualisiert, mit Anmerkungen versehen und durch einen Nachtrag zur neueren Diskussion um die ‚New Perspective on Paul‘ erweitert. 2 Zum Selbstverständnis des Paulus nach dem Römerbrief vgl. meine Darstellung in KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 136–178, sowie DERS., Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute [in diesem Band 401–417]. 3 Vgl. dazu NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (Anm. 2), 79–111. 4 Vgl. dazu NIEBUHR, a.a.O., 112–135.
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Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit
über seine ‚jüdische Vergangenheit‘, die er seit seiner Berufung zum Christusverkündiger hinter sich gelassen und inzwischen bewältigt hätte. Vielmehr geht es Paulus im Zusammenhang der genannten Stellen immer um seine gegenwärtige Identität als Apostel für Jesus Christus. Die Zugehörigkeit zu Israel, dem Gottesvolk, ist für ihn ein gegenwärtig gültiges und wesentliches Merkmal seiner Identität als Missionar und Theologe, auch wenn oder vielleicht sogar gerade weil der Inhalt seiner Verkündigung und seiner Theologie ganz und gar durch Jesus Christus bestimmt ist. Aber was bedeutet es, wenn Paulus sich selbst in seinen Briefen so betont zu Israel rechnet, gerade als Christusapostel? Und wie ist es zu bewerten, dass er sich in der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern so massiv auf seine jüdischen Identitätsmerkmale beruft, um gerade damit seine Autorität gegenüber den Gemeinden zu untermauern, an die er schreibt? Um diese Fragen sachgemäß beantworten zu können, müssen wir zunächst ein paar terminologische und religionsgeschichtliche Voraussetzungen klären.
1. „Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus
1. „Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus Die Begriffe „Judentum“ und „Christentum“ kommen im Neuen Testament als Gegensatzpaar nicht vor. Nicht nur, dass es für solchen Sprachgebrauch dort kein Beispiel gibt. Die ganze Perspektive, Judentum und Christentum als zwei Religionen einander gegenüberzustellen und miteinander zu vergleichen, ist für das Neue Testament anachronistisch. 5 Ebenso anachronistisch wäre es freilich, das ganze Neue Testament oder die Jesusbewegung einfach als Teil des Judentums anzusehen. Judentum und Christentum in dem, was wir heute mit diesen Begriffen bezeichnen, also zwei Religionsgemeinschaften, die klar voneinander unterschieden werden können, sind beide erst das Ergebnis eines über Jahrhunderte andauernden Prozesses der Selbstdefinition, der Bestimmung der je eigenen Identität in Abgrenzung von der des Gegenübers. Das gilt für die Begriffe ebenso wie für die damit bezeichneten Gemeinschaften. 6 5 Vgl. dazu näher KARL-WILHELM NIEBUHR, „Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien, ZNW 85, 1994, 218–233 [in diesem Band 133–148]; MANUEL VOGEL, Jüdisch versus christlich? „Parting of the ways“ als Problem der Terminologie in Quellen- und Beschreibungssprache, EvTh 80, 2020, 418–431; DERS., Ein Streit nicht nur um Worte: Begriffsgeschichtliche Beobachtungen zu frühchristlichen Strategien der Exklusion, in: STEFAN ALKIER/HARTMUT LEPPIN (Hg.), Juden, Christen, Heiden? Religiöse Inklusion und Exklusion in Kleinasien bis Decius, WUNT 400, Tübingen 2018, 43–69. 6 Zur Debatte um den Begriff „the parting(s) of the ways“ und die dahinterstehenden historischen Konstellationen vgl. ANGELA STANDHARTINGER, „Parting of the Ways“. Stationen einer Debatte, EvTh 80, 2020, 406–417; UDO SCHNELLE, Römische Religionspolitik und die getrennten Wege von Juden und Christen, EvTh 80, 2020, 432–443; DERS., Die getrennten Wege von Römern, Juden und Christen. Religionspolitik im 1. Jahrhundert n. Chr., Tübingen
1. „Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus
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Für die Herausbildung des Christentums als eigenständiger Religion bildeten wesentliche Voraussetzungen die Entwicklung praktikabler Organisationsformen und Leitungsstrukturen in den frühchristlichen Gemeinden, die Fixierung ihrer zentralen Bekenntnisaussagen als Lehrgrundlagen einer ‚christlichen‘ Theologie und die Sammlung der für sie maßgeblichen Überlieferungen und Schriften, zu denen von Beginn an sowohl die Schriften Israels als auch spezifisch neue Texte aus der Jesusbewegung gehörten. Diese Prozesse setzten zwar schon in der Zeit der Entstehung später ‚neutestamentlich‘ gewordener Schriften ein, kamen aber erst Generationen später, nach außen erkennbar erst im 4. Jh. n. Chr., zum Abschluss. 7 Aber auch das Judentum musste in dieser Zeit erst zu dem werden, was wir heute darunter verstehen. 8 Entscheidende Zäsuren auf dem Weg dorthin bilden die Jahre 70 und 135 n. Chr. Sie bezeichnen jeweils historische und religiöse Katastrophen des Volkes Israel im Kampf gegen die Römer. Im Jahr 70 endete der erste Jüdische Krieg mit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem, im Jahr 135 der zweite Jüdische Krieg, der Bar-Kochba-Aufstand, mit der endgültigen Niederschlagung der antirömischen Widerstandsbewegungen in Palästina und der Umwandlung der Stadt Jerusalem in eine heidnisch-römische Polis. Juden durften sie fortan nicht mehr betreten, und an der Stelle des Tempels wurde ein Jupiter-Heiligtum errichtet. 9 2019; TOBIAS NICKLAS, Diversität, Dynamik und Differenzierung. Eine Diskussion mit Udo Schnelles Modell der „getrennten Wege von Römern, Juden und Christen“, EvTh 80, 2020, 444–454; DERS., Parting of the Ways? Probleme eines Konzepts, in: STEFAN ALKIER/HARTMUT LEPPIN (Hg.), Juden, Christen, Heiden? Religiöse Inklusion und Exklusion in Kleinasien bis Decius, WUNT 400, Tübingen 2018, 21–41; DERS., Jews and Christians? Second Century ‚Christian‘ Perspectives on the ‚Parting of the Ways‘, Tübingen 2014; JENS SCHRÖTER, Tendenzen und Perspektiven der Erforschung des frühen Christentums, ThRev 112, 2016, 91–110: 99–104. Der Begriff „the parting(s) of the ways“ geht zurück auf JAMES D. G. DUNN, The Partings of the Ways Between Christianity and Judaism and their Significance for the Character of Christianity, London/Philadelphia 1991; vgl. DERS. (Hg.), Jews and Christians. The Parting of the Ways A.D. 70 to 135. The Second Durham-Tübingen Research Symposium on Earliest Christianity and Judaism (Durham, September, 1989), WUNT 66, Tübingen 1992. 7 Vgl. dazu die Gesamtdarstellung von HARTMUT LEPPIN, Die frühen Christen. Von den Anfängen bis Konstantin, München 2018. 8 Vgl. dazu PETER SCHÄFER, Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums, TrC 6, Tübingen 2010. 9 Vgl. dazu grundlegend PETER SCHÄFER, Der Bar Kokhba-Aufstand. Studien zum zweiten jüdischen Krieg gegen Rom, TSAJ 1, Tübingen 1981, sowie DERS. (Hg.), The Bar Kokhba War Reconsidered. New Perspectives on the Second Jewish Revolt against Rome, TSAJ 100, Tübingen 2003 (darin besonders BENJAMIN ISAAC, Roman Religious Policy and the Bar Kokhba War, a.a.O., 37–54); CHRISTOPHER WEIKERT, Von Jerusalem zu Aelia Capitolina. Die römische Politik gegenüber den Juden von Vespasian bis Hadrian, Hyp. 200, Göttingen 2016 (zur römischen Religionspolitik nach 70 in Palästina a.a.O., 83–166); WILLIAM HORBURY, Jewish War under Trajan and Hadrian, Cambridge 2014; SETH SCHWARTZ, Political, Social, and Economic Life in the Land of Israel, 66–c. 235, in: STEVEN T. KATZ
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Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit
Damit waren bisher tragende Pfeiler für den Glauben Israels zum Einsturz gebracht worden. An ihre Stelle mussten neue Stützen gesetzt werden, wenn nicht das ganze Überlieferungsgebäude einstürzen sollte. Wichtige religiöse Überlieferungen wie Gebete und Liturgien aus dem Gottesdienst im Tempel wurden in die Synagogengottesdienste oder in das Familienleben übertragen. An die Stelle der Priesterschaft, die bisher wegen ihrer herausgehobenen Bindung an den einzigen Tempel in Israel besondere religiöse Autorität beanspruchen konnte, traten religiöse Laien, die sich bald besondere intellektuelle Kompetenzen aneigneten, indem sie sich auf die Auslegung der Tora spezialisierten. Offenbar konnten sie damit anknüpfen bei in dieser Hinsicht besonders qualifizierten Gruppen und Strömungen aus der Zeit vor der Tempelzerstörung, die uns im Neuen Testament unter dem Sammelbegriff „Schriftgelehrte“ begegnen. Zu ihnen gehörten auch die Pharisäer, die sich durch besondere Schriftkenntnis und ein reges Interesse an den Glaubensüberlieferungen Israels auszeichneten und in der Regel nicht zur Priesterschaft gehörten. 10 Der Bedarf für eine neue, zeitgemäße Auslegung der Tora war damit ungeheuer gewachsen, denn ein großer Teil der biblischen Gesetze bestand aus Geboten für den Tempelkult und die mit ihm in Verbindung stehenden Lebensvorgänge (etwa die Bewahrung ritueller Reinheit im Alltag und Regelungen für den Opferdienst der Priester) oder für das Leben im biblischen Land Israel, wie die Zehnt- und Abgabenbestimmungen für die Priesterschaft und manche der Speisevorschriften. 11 Alle diese Weisungen mussten jetzt, da der Tempel nicht mehr existierte, neu interpretiert und verstanden werden, wenn man sie nicht einfach beiseiteschieben wollte. Und das wollte man natürlich nicht, denn die Tora war ja der überlieferte Wille Gottes und die erprobte Grundordnung für das Leben des Volkes Israel. Sie war nun nach der politischen und religiösen Katastrophe das einzige, woran man sich noch halten konnte.
(Hg.), The Cambridge History of Judaism, Bd. 4: The Late Roman-Rabbinic Period, Cambridge 2006, 23–52; HANAN ESHEL, The Bar Kochba Revolt, 132–135, a.a.O., 105–127; AMNON LINDER, The Legal Status of the Jews in the Roman Empire, a.a.O., 128–173. 10 Zu den Pharisäern und ihrem Umgang mit der Tora nach der Sicht der neueren Forschung vgl. meinen Aufsatz KARL-WILHELM NIEBUHR, Jesus, Paul and the Pharisees. Observations on Their Commonalities and Their Understanding of Torah, in: FRANTISEK ABEL (Hg.), The Message of Paul the Apostle within Second Temple Judaism, Lanham 2020, 109– 141 [in diesem Band 173–200] (dort auch neuere Literatur). 11 Vgl. dazu näher KARL-WILHELM NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis bei Paulus und seinen Gemeinden (Sabbat, Speisegebote, Beschneidung), BThZ 25, 2008, 16–51 [in diesem Band 81–113].
1. „Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus
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Diese hier nur angedeuteten Vorgänge und Problemstellungen sind Hinweise auf grundlegende Neuorientierungen, die sich in der Geschichte und Religion Israels nach der Tempelzerstörung im Jahr 70 n. Chr. vollzogen haben. 12 Erst im Ergebnis solcher Vorgänge tritt uns das Judentum in seinen Grundzügen in der Gestalt entgegen, die es als lebendige Religion bis heute bewahrt hat. Das bedeutet aber für Paulus und seine jüdische Identität: Sie kann nicht gemessen werden an den heute gültigen Kriterien rabbinisch-jüdischen Selbstverständnisses, sondern ist einzuordnen in die Glaubenswelt Israels vor der Wende des Jahres 70 n. Chr. Maßstäbe jüdischen Lebens und Glaubens, die erst nach den Jüdischen Kriegen entwickelt und fixiert worden sind, können also nicht einfach zurückübertragen werden in die Lebenszeit des Paulus. Für die Epoche des Judentums vor 70 n. Chr. – wir nennen sie die Zeit des Frühjudentums bzw. die Zeit des Zweiten Tempels – kennen wir heute eine Fülle von Quellen, die nicht in die später maßgeblich gewordenen Sammelwerke der rabbinischen Literatur (Mischna, Talmud, Midrasch) aufgenommen wurden. Erst aus allen Zeugnissen des vorrabbinischen und des rabbinischen Judentums in Hellenismus, römischer Kaiserzeit und Spätantike ergibt sich das außerordentlich vielfältige und bunte Bild des antiken Judentums, eine Art jüdischer ‚Multikultur‘, wie man sie nach den spezifischen Grundsätzen der späteren rabbinischen Überlieferung kaum für möglich halten würde. 13 In diese Vielfalt von jüdischen Lebensformen und Glaubensäußerungen sind auch Paulus, Jesus und die übrigen neutestamentlichen Gestalten und Schriften historisch und religionsgeschichtlich einzuordnen, nicht als Zeugnisse einer anderen, nichtjüdischen Religion, sondern als spezifische Ausdrucksformen der vielfältigen Lebens- und Glaubensmöglichkeiten Israels in der Antike neben anderen. 14 Dass dies nicht so bleiben sollte, dass die Wege von Judentum und Christentum später auseinandergingen und dass sich beide dann schließlich doch als verschiedene Religionsgemeinschaften gegenüberstehen und entgegentreten sollten, dies war zur Zeit des Paulus geschichtlich noch nicht abzusehen. Die Gründe, die dazu geführt haben, sind vielfältig. Im Rückblick kann man möglicherweise die theologischen Ursachen, die diesen Prozess in Gang setzten, auch schon bis zu Paulus und seinem Wirken als Missionar für
12 Zu den hier anknüpfenden Vorgängen der Identitätsbildung durch Abgrenzung vgl. DANIEL BOYARIN, Abgrenzungen. Die Aufspaltung des Judäo-Christentums, aus dem Amerikanischen von Gesine Palmer, Berlin/Dortmund 2009 (engl. Original: Border Lines: The Partition of Judaeo-Christianity, Philadelphia 2004). 13 Exemplarische Einblicke in diese Vielfalt vermittelt das vielbändige Sammelwerk von JACOB NEUSNER/ALAN J. AVERY-PECK (Hg.), Judaism in Late Antiquity, 5 Bde. in 9 Teilbdn., HdO 16, 17, 40, 41, 49, 53, 55, 56, 57, Leiden 1995–2001. 14 Zur Perspektive auf Paulus „within Judaism“ vgl. KATHY EHRENSPERGER, Die ‚Paul within Judaism‘-Perspektive. Eine Übersicht, EvTh 80, 2020, 455–464, sowie u., 25–36.
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Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit
Jesus Christus zurückführen. 15 Denn in Paulus begegnet uns erstmals im Neuen Testament das Selbstzeugnis eines Juden, der das Wirken seines Gottes, des Gottes Israels, im Christusgeschehen erkannt hat und der gerade deshalb als Israelit zum Christusapostel für die (Heiden-)Völker geworden ist. 16 Wenn wir also nach dem Verhältnis des Paulus zum Judentum seiner Zeit fragen, dann können wir ihn nicht dem Judentum vergleichend gegenüberstellen, sondern müssen vielmehr versuchen, seinen Platz im Judentum seiner Zeit genauer zu bestimmen. Wir können nicht fragen, ob er auch als Verkündiger des auferstandenen Christus noch Jude geblieben ist, sondern müssen vielmehr fragen, was für ein Israelit das war, der da im Wirken, Weg und Geschick des Menschen Jesus aus Nazaret seinen Gott, den Gott Israels, am Werk sah.
2. Zur Neubewertung des Frühjudentums in der biblischen Exegese
2. Zur Neubewertung des Frühjudentums Eine zweite Voraussetzung für die sachgemäße Zuordnung des Paulus zum Judentum seiner Zeit ist hier anzusprechen. Sie betrifft die offenen oder auch verdeckten Wertungen, die mit einer solchen religionsgeschichtlichen Zuordnung von „Judentum“ und „Christentum“ verknüpft sind. Die christliche Exegese, insbesondere die protestantische im 20. Jh., war lange Zeit durch ein Vorurteil gegenüber dem Judentum als einer so genannten ‚Leistungsreligion‘ bestimmt. 17 Dieses Vorurteil prägte nicht zuletzt auch das Verständnis der Rechtfertigungsaussagen des Paulus, stehen sich doch hier an zentraler Stelle der Glaube an Jesus Christus und die „Werke des Gesetzes“ gegenüber (vgl. Gal 2,16; Röm 3,28; Röm 9,30–10,6; Phil 3,9). 18 Mit der Rechtfertigung „aus Werken des Gesetzes“ war nach herkömmlicher Interpretation die jüdische Religion, mit der sich Paulus exemplarisch für alle im Neuen Testament begründete christliche Theologie auseinanderzusetzen
Darin liegt der Wahrheitskern der Position von Schnelle (s. Anm. 6), die sich aber als Modell historischer Rekonstruktion m.E. nicht halten lässt. 16 Vgl. dazu NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (Anm. 2), 66–78. 17 Vgl. dazu CHRISTIAN WIESE, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im wilhelminischen Deutschland. Ein Schrei ins Leere?, SWALBI 61, Tübingen 1999; KARLHEINZ MÜLLER, Das Judentum in der religionsgeschichtlichen Arbeit am Neuen Testament. Eine kritische Rückschau auf die Entwicklung einer Methodik bis zu den Qumranfunden, JudUm 6, Frankfurt a. M. 1983. 18 Vgl. zum Folgenden auch KARL-WILHELM NIEBUHR, Die paulinische Rechtfertigungslehre in der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, in: THOMAS SOEDING (Hg.), Worum geht es in der Rechtfertigungslehre? Das biblische Fundament der „Gemeinsamen Erklärung“ von katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund, QD 180, Freiburg u.a. 1999, 106–130 [in diesem Band 235–256]. 15
2. Zur Neubewertung des Frühjudentums
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hatte, umfassend charakterisiert. Gegen ein solches Vorurteil erhob sich zunächst von Seiten jüdischer Paulusforscher Protest. Deren Kritik wird inzwischen aber auch von christlichen Bibelwissenschaftlern weitgehend akzeptiert. 19 Heute hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass mit Schlagworten wie ‚Gesetzlichkeit‘, ‚Werkgerechtigkeit‘ oder ‚Leistungsfrömmigkeit‘ das Judentum zur Zeit des Paulus nicht angemessen beschrieben werden kann. Vielmehr ist anhand frühjüdischer Quellen die positive Rolle der Tora, des Gesetzes für Israel, im Judentum zur Zeit Jesu herausgearbeitet worden. 20 Dazu beigetragen haben auch neu entdeckte bzw. für die Forschung neu erschlossene Quellen wie z.B. die Handschriftenfunde aus Qumran oder auch die als so genannte Apokryphen und Pseudepigraphen z.T. schon länger bekannten, aber jetzt erst gründlicher für die Paulusforschung fruchtbar gemachten frühjüdischen Schriften. Die Bemühung um Treue zur Tora wird hier als eine Glaubenshaltung erkennbar, die der Bewahrung jüdischer Identität unter den Herausforderungen der hellenistisch-römischen Zeit diente, besonders in der Diaspora, aber auch unter den Bedingungen römischer Fremdherrschaft im Land Israel. Die Tora kann als Gnadengabe Gottes und Urkunde seines Bundes mit Israel angesehen werden. Sie ist Zeichen der Erwählung, durch die Gott seinen Bund mit Israel aufgerichtet hat. Toratreue ist die Antwort Israels auf seine Erwählung durch Gott, eine Lebenshaltung, die im täglichen Leben zu bewähren ist. 21 Eine solche neue Sicht und Wertung frühjüdischen Toraverständnisses hat auch Konsequenzen für das Verständnis des Gesetzes bei Paulus. 22 Eine Interpretation der paulinischen Aussagen, die allein darauf aus ist, der ‚jüdischen Werkgerechtigkeit‘ das christliche sola gratia entgegenzusetzen, kann kaum der ursprünglichen Intention des Paulus gerecht werden, es sei denn, sie setzte voraus, dass Paulus sich mit einer jüdischen Gesetzesauffassung auseinandergesetzt hat, die es zu seiner Zeit gar nicht gab. 19 Vgl. dazu die Studie von STEFAN MEISSNER, Die Heimholung des Ketzers. Studien zur jüdischen Auseinandersetzung mit Paulus, WUNT II/87, Tübingen 1996. 20 Vgl. dazu die in meinem Aufsatzband KARL-WILHELM NIEBUHR, Tora und Weisheit. Studien zur frühjüdischen Literatur, WUNT 466, Tübingen 2021, gesammelten Studien. 21 Diese Interpretation frühjüdischen Toraverständnisses ist in der neueren Forschung unter dem Begriff „common Judaism“ diskutiert worden, der auf E. P. Sanders zurückgeht, vgl. ED P. SANDERS, Paul and Palestinian Judaism. A Comparison of Patterns of Religion, London 1977; DERS., Jewish Law from Jesus to the Mishnah. Five Studies, London/Philadelphia 1990; DERS., Judaism. Practice and Belief 63 BCE – 66 CE, London/Philadelphia 1992. Zur kritischen Diskussion des Ansatzes von Sanders vgl. MARTIN HENGEL/ROLAND DEINES, E. P. Sanders’ „Common Judaism“, Jesus und die Pharisäer, in: MARTIN HENGEL, Judaica et Hellenistica. Kleine Schriften I, WUNT 90, Tübingen 1996, 392–479. Zu meiner eigenen Sicht frühjüdischen Toraverständnisses vgl. meine Dissertation KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, sowie den Sammelband DERS., Tora und Weisheit (Anm. 20). 22 Vgl. dazu meine Sicht in KARL-WILHELM NIEBUHR, Das jüdische Gesetz bei Paulus im Kontext des Neuen Testaments [in diesem Band 43–80].
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Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit
3. Herkunft
3. Herkunft Auf der Grundlage dieser terminologischen und religionsgeschichtlichen Vorklärungen können wir uns nun den unmittelbar auf Paulus bezogenen biographischen Fragen zuwenden. 23 Von wenigen Gestalten der Antike wissen wir so viel wie von Paulus. Wir haben nicht nur Quellen über ihn, vor allem die Apostelgeschichte, sondern auch Zeugnisse von ihm selbst, mindestens sieben Briefe in verhältnismäßig zuverlässigen Abschriften. Beide Quellenbereiche stimmen bei allen Differenzen im Detail doch in erstaunlicher Weise miteinander überein und ergänzen sich gegenseitig. Freilich gibt es im Hinblick auf die biographische Herkunft des Paulus auch eine Reihe von Interpretationsproblemen, die für unser Thema nicht unwichtig sind. Sie hängen nicht zuletzt mit der jeweiligen Gattung der Quellen und ihrer entsprechenden Aussageabsicht zusammen. Innerhalb der Paulusbriefe finden wir biographische Informationen vor allem in einer Art autobiographischem Rechenschaftsbericht in Galater 1f. 24 Allerdings erfahren wir dort – wie auch sonst bei Paulus – über seine Herkunft nur das, was ihm seinen Adressaten gegenüber wichtig schien und seinen eigenen Darstellungszielen diente. Paulus bezeichnet sich in Gal 1,13f. im Blick auf die Zeit vor seiner Berufung als hervorragenden Vertreter jüdischer Lebensweise, Musterschüler der Tora und eifrigen Verfechter ihrer Ideale. An drei weiteren Stellen erwähnt er, jeweils im Zusammenhang mit situationsbezogenen Auseinandersetzungen und Argumentationen, seine geradezu lupenreine jüdische Abstammung. 25 Darüber hinaus kehrt er im Philipperbrief noch besonders heraus, dass er, wie es sich für einen frommen Juden gehört, am 23 Vgl. zur Herkunft und jüdischen Prägung des Paulus KARL-WILHELM NIEBUHR, The Pre-Christian Paul and God’s Righteousness. Paul’s Jewish Identity and the Roots of His Doctrine of Justification, in: ONDREJ PROSTREDNÍK (Hg.), Justification according to Paul. Exegetical and Theological Perspectives, Bratislava 2012, 89–103 [in diesem Band 115– 131]; JÖRG FREY, Das Judentum des Paulus, in: ODA WISCHMEYER/EVE-MARIE BECKER (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, UTB 2767, Tübingen/Basel 32021, 47–104; DERS., Paulus als Pharisäer und Antiochener. Biographische Grundlagen seiner Schriftrezeption, in: FLORIAN WILK/MARKUS ÖHLER (Hg.), Paulinische Schriftrezeption. Grundlagen – Ausprägungen – Wirkungen – Wertungen, FRLANT 268, Göttingen 2017, 81–112; KLAUS HAACKER, Paulus. Der Werdegang eines Apostels, SBS 171, Stuttgart 1997; MARTIN HENGEL, Der vorchristliche Paulus, in: DERS./ULRICH HECKEL (Hg.), Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991, 177–293; RAINER RIESNER, Die Frühzeit des Apostels Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie und Theologie, WUNT 71, Tübingen 1994; MARKUS TIWALD, Hebräer von Hebräern. Paulus auf dem Hintergrund frühjüdischer Argumentation und biblischer Interpretation, HBS 52, Freiburg u.a. 2008, sowie zu seiner Biographie insgesamt FRIEDRICH W. HORN (Hg.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 43– 134 (verschiedene Autoren). 24 Vgl. dazu NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (Anm. 2), 4–66. 25 Vgl. Phil 3,5; 2Kor 11,22; Röm 11,1.
3. Herkunft
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achten Tag nach der Geburt beschnitten wurde. Das ist ein Hinweis auf den religiösen Ernst seines Elternhauses, sagt aber nichts darüber, wo es stand. Schließlich erfahren wir hier noch aus des Paulus eigener Feder, dass er Pharisäer war (Phil 3,5). Dieser kurze Überblick zeigt: Paulus hatte offenbar relativ selten Veranlassung, seinen Gemeinden etwas über seine Herkunft mitzuteilen, jedenfalls, was die geographischen, chronologischen oder familiären Details angeht. Eine zusammenhängende, in sich geschlossene Lebensbeschreibung gibt er nirgends, auch nicht in Galater 1f., und so bleiben viele Fragen nach seiner Biographie in seinen Briefen ohne Antwort: Wo wurde er geboren und wann? Wo wuchs er auf? Was war seine Muttersprache? Wo bekam er seine Ausbildung und was für eine? Welchen Beruf hat er erlernt und wann und wo hat er ihn ausgeübt? Selbst das, was Paulus erwähnt, steht immer in unmittelbarer Beziehung zu den aktuellen Anliegen der Briefe und ist von ihnen her und auf sie hin gestaltet. Gerade als Primärquelle sind die Paulusbriefe also deutlich subjektive und zudem noch mehr oder weniger zufällige autobiographische Zeugnisse. Die Apostelgeschichte zeichnet demgegenüber ein geschlossenes Paulusbild, auch im Blick auf seine Herkunft, und legt es Paulus selbst in den Mund. Im Rahmen von Verteidigungsreden nach seiner Verhaftung in Jerusalem hat er gleich zweimal Gelegenheit, seinen Lebensweg darzustellen. 26 In diesem Zusammenhang erfahren wir auch seinen Geburtsort: Tarsus in Zilizien (Kleinasien). Wir hören freilich zugleich, dass Paulus offenbar schon als Kind nach Jerusalem gekommen war, wo er aufwuchs und eine Erziehung bei dem berühmten Rabbi Gamaliel (I.) genoss. 27 Weitere Einzelheiten ergeben sich aus anderen Erzählzusammenhängen der Apostelgeschichte: Schon die Eltern des Paulus waren Pharisäer (23,6). In Jerusalem hatte er Verwandte (23,6.16). Von seinen Eltern hatte er sowohl das tarsische als auch das römische Bürgerrecht ererbt. 28 Von Beruf war er Zeltmacher (18,3). Nichts von all diesen Informationen widerspricht dem Wortlaut der Paulusbriefe. Aber alles passt auch besonders gut zur Aussageabsicht der Apostelgeschichte, die eine Darstellung der Wirksamkeit des Paulus aus dem Abstand mehrerer Jahrzehnte gibt. Sie hat den Weg des Evangeliums von Jerusalem nach Rom zum Thema, von den Juden zu den Heiden. An wem könnte man diesen Weg erzählerisch besser darstellen als an einem frommen Juden, der in Jerusalem die höchsten Werte des Judentums kennengelernt hatte, nach seiner Bekehrung sich aber auf den Weg gemacht hat, das ganze Imperium Romanum Vgl. Apg 22,3–5; 26,4–11. Zur viel diskutierten Frage, wie die drei Partizipien in Apg 22,3 zu interpretieren sind, vgl. die grundlegende Untersuchung von WILLEM C. VAN UNNIK, Tarsus or Jerusalem. The City of Paul’s Youth, London 1962; KARL-WILHELM NIEBUHR, Name, Herkunft, Familie, in: HORN, Paulus Handbuch (Anm. 23), 49–55: 50f. 28 Vgl. Apg 21,39; 22,25–29. 26 27
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bis hin zu dessen Hauptstadt für den Christusglauben zu gewinnen? Ist also die Verwurzelung des Paulus im Judentum Jerusalems eine literarische Fiktion des Autors der Apostelgeschichte, zumal sie durch Paulus selbst nirgendwo ausdrücklich bestätigt wird? Jedenfalls kann auch die geschlossene Paulusdarstellung der Apostelgeschichte nicht ohne kritische Rückfragen als Zeugnis für die Herkunft des Paulus verwendet werden. Angesichts dieser Quellenlage spitzt sich die Diskussion um die Herkunft des Paulus im Grunde auf zwei biographische Kernfragen zu: 1. Wo bekam er die entscheidenden geistigen Impulse, in Tarsus in Kleinasien oder in Jerusalem im Land Israel? 2. Was bedeutet es, dass er sowohl nach seinem eigenen Zeugnis als auch nach dem der Apostelgeschichte Pharisäer war? 29 Allerdings verbirgt sich hinter solchen biographischen Einzelfragen die sehr viel weitergehende, grundsätzliche Problematik der Einordnung des Paulus in das Judentum seiner Zeit: Hinter der Frage Tarsus oder Jerusalem steht letztlich das Problem, ob der ‚vorchristliche‘ Paulus in die Mitte jüdischen Glaubens und Lebens seiner Zeit gehört oder eher an dessen Rand? Jerusalem mit dem Tempel, seiner Bedeutung in der biblischen Überlieferung und seiner Rolle in der jüdischen Geschichte war zweifellos ein Haftpunkt für religiöse Überzeugungen bei allen Gruppen und Strömungen des Judentums zur Zeit des Paulus. Tarsus dagegen war eines von vielen Zentren der Diaspora, Ausdruck der Zerstreuung des Volkes Israel, Ergebnis geschichtlicher Katastrophen, ja, womöglich des Gerichts Gottes über sein Volk. 30 Erst am Ende der Zeit würde Gott die Zerstreuten Israels in Jerusalem wieder sammeln. Bis dahin hatten sich Juden in der Diaspora in einer oft feindlichen heidnischen Umgebung zurechtzufinden. Sie konnten das nur, wenn sie sich in ihrer Lebensweise und Kultur, aber eben auch in ihrem Glauben wenigstens ein Stück weit an die überlegene hellenistisch-römische Kultur anpassten. Dass sie dafür auch ihre heiligen Schriften in die Sprache der Umwelt übersetzen mussten, offenbar, weil viele deren ursprüngliche Sprache, das Hebräische, nicht mehr verstanden, kann als äußeres Zeichen solcher notwendigen Anpassung angesehen werden.
29 Zur Diskussion um die ‚Frühzeit‘ des Paulus in Jerusalem vgl. umfassend RIESNER, Die Frühzeit des Apostels Paulus (Anm. 23), 207–237, sowie jetzt MARTIN HENGEL/ANNA MARIA SCHWEMER, Die Urgemeinde und das Judenchristentum, Geschichte des frühen Christentums, Bd. 2, Tübingen 2019, 203–234. Zu Paulus als schriftgelehrtem Pharisäer vgl. FREY, Paulus als Pharisäer und Antiochener (Anm. 23), 99–105. 30 Zur Bewertung der Diasporasituation in der frühjüdischen Literatur vgl. WILLEM C. VAN UNNIK, Das Selbstverständnis der jüdischen Diaspora in der hellenistisch-römischen Zeit. Aus dem Nachlass hg. v. PIETER WILLEM VAN DER HORST, AGJU 17, Leiden 1993, sowie GERHARD DELLING, Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum, in: DERS., Studien zum Frühjudentum, Gesammelte Aufsätze 1971–1987, hg. v. CILLIERS BREYTENBACH/KARL-WILHELM NIEBUHR, Göttingen 2000, 23–121 (Berlin 1987).
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Ist also Tarsus mit seiner hellenistisch-jüdischen Diasporagemeinde eher eine Randzone des Judentums, wo die Grenzen zur nichtjüdischen Umwelt schon fließend werden? Hat man ‚wahres‘, ‚reines‘ oder auch nur ‚normales‘ Judentum vor allem in Jerusalem zu suchen? Die Erforschung des Frühjudentums hat in den letzten Jahrzehnten zu ganz anderen Ergebnissen geführt. Gerade in Jerusalem gab es schärfste Konflikte zwischen ganz unterschiedlichen jüdischen Gruppen, die je für sich beanspruchten, Israel zu repräsentieren. Darüber hinaus ist deutlich geworden, dass das Judentum in Jerusalem und im Land Israel vor 70 n. Chr. keineswegs normativ festgelegt und zur Zeit des Paulus zudem schon seit Generationen stark hellenistisch beeinflusst war. Die Bewegung des Hellenismus hatte um Judäa keinen Bogen gemacht, weder in Politik, Wirtschaft und Kultur noch auf dem Gebiet der Religion. 31 Nur ein Indiz dafür: Der weitaus größte Teil der in Israel ausgegrabenen Inschriften aus dem 1. Jh. n. Chr., doch wohl Ausdruck religiöser Identität, wurde auf Griechisch verfasst, nicht etwa auf Hebräisch! 32 Andererseits hat sich auch gezeigt, dass Juden in der Diaspora bei aller nötigen Anpassung an Lebens- und Kulturformen der hellenistischen Umwelt ihre jüdische Identität keineswegs aufgeben mussten. 33 Persönliche Verbindungen nach Jerusalem waren ein wichtiges Merkmal dieser Identität. So war es den Diasporagemeinden von den römischen Behörden ausdrücklich gestattet, zur Aufrechterhaltung des Tempelkults regelmäßig Abgaben nach Jerusalem zu leisten. 34 Viele Juden aus der Diaspora versuchten, wenigstens einmal im Leben nach Jerusalem zu pilgern, um bei einem der Wallfahrtsfeste im Tempel zu opfern. Wer es sich leisten konnte, verbrachte seinen Lebensabend in der heiligen Stadt.
31 Die klassische Untersuchung dazu stammt von MARTIN HENGEL, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr., WUNT 10, Tübingen 31988 (1969); vgl. DERS., The ‚Hellenization‘ of Judaea in the First Century after Christ, London/Philadelphia 1989. 32 Vgl. dazu WERNER ECK, Rom und Judaea. Fünf Vorträge zur römischen Herrschaft in Palaestina, TrC 2, Tübingen 2007 (vgl. a.a.O., 168f., die tabellarische Übersicht über bis dahin publizierte Inschriften aus Palästina zwischen Alexander dem Großen und der arabischen Eroberung, mit dem Ergebnis: „Das Griechische dominiert weithin …“ [a.a.O., 170]). 33 Das ist die Quintessenz meiner Dissertation (vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese [Anm. 21], 232–240) und erweist sich auch immer wieder in verschiedenen Einzelstudien; vgl. nur exemplarisch im Blick auf Paulus meine Aufsätze DERS., Identität und Interaktion. Zur Situation paulinischer Gemeinden im Ausstrahlungsfeld des Diasporajudentums, in: JOACHIM MEHLHAUSEN (Hg.), Pluralismus und Identität, VWGTh 8, Gütersloh 1995, 339– 359 [in diesem Band 149–171]; DERS., Offene Fragen zur Gesetzespraxis (Anm. 11). Siehe auch DELLING, Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum (Anm. 30), 45–63. 34 DELLING, a.a.O., 70–78.
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Die Frage: „Tarsus oder Jerusalem?“, bedeutet also hinsichtlich der Wahrung jüdischer Identität keine Alternative. Was Paulus im Blick auf die Leitvorstellungen seiner Herkunft und Erziehung sagt und was auch die Apostelgeschichte darüber erkennen lässt, nämlich sein konsequenter Einsatz für die Überlieferungen Israels und deren Schutz vor ihren Feinden und Verächtern, das war in Tarsus wie in Jerusalem gleichermaßen möglich und auch nötig. Bleibt noch die Frage nach Paulus, dem Pharisäer. 35 Nun gehört es zu den schwierigsten Problemen der judaistischen Forschung, sichere Aussagen über das Erscheinungsbild, die Ziele und die geistigen Grundlagen der pharisäischen Bewegung vor 70 n. Chr. zu treffen. Das Pharisäerbild ist weitgehend geprägt durch die Aussageabsichten der jeweiligen Quellen. In der rabbinischen Literatur werden sie, wenn dort überhaupt von ihnen die Rede ist, 36 als Vorläufer der eigenen Bewegung idealisiert, und folglich wird die Darstellung ihrer Lehre und Praxis rabbinischen Prinzipien angepasst. Wer dieses Pharisäerbild auf die Situation des 1. Jh. n. Chr. zurückprojiziert, übersieht, dass die rabbinischen Quellen erst am Ende des 2. Jh. systematisch zusammengestellt worden sind. Die Rabbinen beanspruchten zwar für sich, die wahren Erben der Tora des Mose vom Sinai her zu sein. Ihre Bewegung kann aber nicht einfach mit der pharisäischen in eins gesetzt werden. Oder es wird das negative Bild der Pharisäer vorausgesetzt, das die neutestamentlichen Evangelien zeichnen. Aber auch hier besteht die Gefahr des Anachronismus. Die Auseinandersetzungen zwischen Jesus und den Pharisäern, in denen die Pharisäer oft besonders schlecht wegkommen (Stichwort ‚Heuchler‘), sind sicher erst nach der Tempelzerstörung literarisch ausgestaltet worden. Darin spiegeln sich offenbar auch aktuelle Auseinandersetzungen zwischen Jesusanhängern und jüdischen Gruppen. Auch ein solches Pharisäerbild kann also nicht einfach herangezogen werden, um das Typische der Pharisäer vor der Tempelzerstörung herauszuarbeiten. Dass im Übrigen selbst die Pharisäerdarstellung der Evangelien z.T. durchaus differenziert ist, wird dabei meist übersehen. In der Passionsgeschichte nach Markus treten sie z.B. als Gegner Vgl. zum Folgenden ausführlicher und mit Verweisen auf die aktuelle Forschungsliteratur NIEBUHR, Jesus, Paul and the Pharisees (Anm. 10). Ausgeblendet bleibt hier die Frage, inwieweit zusätzlich zu den Prägungen, die Paulus als Diasporajude in Tarsus erfahren hatte, und zu seiner pharisäischen Profilierung in Jerusalem auch noch die Begegnungen und Beeinflussungen während seines durchaus langen Wirkens als Missionar für Jesus Christus, bevor er uns als Briefschreiber bekannt wird, also die Zeit „zwischen Damaskus und Antiochien“ und die Phase als Mitarbeiter der antiochenischen Gemeinde, prägende Kraft für sein Selbstverständnis hatten – was zweifellos der Fall war; vgl. dazu FREY, Paulus als Pharisäer und Antiochener (Anm. 23), 83–88, sowie umfassend MARTIN HENGEL/ANNA MARIA SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels, WUNT 108, Tübingen 1998. 36 Vgl. die in dieser Hinsicht sehr kritische Position von GÜNTER STEMBERGER, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, SBS 144, Stuttgart 1991, 40–64. 35
4. Ergebnis
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Jesu gar nicht in Erscheinung, und bei Lukas erscheinen sie gelegentlich in einem durchaus freundlichen Verhältnis zu Jesus. Schließlich gibt es noch eine Reihe von Berichten und Zeugnissen über die Pharisäer bei dem jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus. Aber auch dessen Pharisäerdarstellung ist nicht frei von offenen oder verdeckten Aussageinteressen des Autors. Auch Josephus hat ja seine Werke erst in den Jahrzehnten nach dem Jüdischen Krieg verfasst, und zwar als Kriegsgefangener und später freigelassener Sklave des Kaiserhauses in Rom. Angesichts dieser Quellenlage scheint es kaum möglich, zu sagen, was ein Pharisäer zur Zeit des Paulus dachte, machte oder wollte, vor allem, wenn man nur nach dem fragt, was ihn von anderen Juden seiner Zeit unterschied. Diese Frage dürfte aber ohnehin nicht weiterführen. Vielmehr sollte man die pharisäische Bewegung eher im größeren Zusammenhang der Bemühungen um Treue zur Tora im Frühjudentum insgesamt sehen. Solches Bemühen zeichnete die meisten jüdischen Gruppen zur Zeit des Paulus aus. In gewisser Weise kann man auch die Jesusbewegung in diesen Zusammenhang einordnen. Jedenfalls können die Pharisäer keinesfalls als sektenhafte Randerscheinung im Frühjudentum angesehen werden. Vielmehr standen sie mitten in den Diskussionen und Disputen um das rechte Toraverständnis und den rechten Toragehorsam, und mit ihnen auch der Pharisäer Paulus.
4. Ergebnis
4. Ergebnis Damit ergeben sich auf die beiden oben gestellten Fragen nach der Herkunft des Paulus ganz ähnliche Antworten: Ob in Tarsus oder in Jerusalem, in jedem Fall ging es Paulus darum, den Willen Gottes, den er in der lebendigen Überlieferung der Tora niedergelegt fand, mit allem Ernst zu erfüllen. Gerade als Pharisäer stand er in diesem Bemühen nicht allein, sondern in vielfältigem Kontakt und im Austausch mit anderen jüdischen Gruppen seiner Zeit. Weder wegen seines Geburtsortes noch wegen seiner Zugehörigkeit zu den Pharisäern lässt sich Paulus also an den Rand des Judentums drängen. Innerhalb vielfältiger jüdischer Strömungen stand er nicht irgendwo am Rande, sondern mitten im Zentrum, sozusagen in der Strommitte. Freilich ist gerade dieses Zentrum, die Mitte jüdischen Lebens und Glaubens zur Zeit des Paulus, weder geographisch noch theologisch definierbar. Jedenfalls entbrennt nach allem, was wir aus frühjüdischen Quellen wissen, darum immer wieder heftiger Streit, im 1. Jh. n. Chr. ganz besonders. Auch in der Lebensgeschichte des Paulus haben sich Aspekte solcher Auseinandersetzungen um das rechte Erkennen des Willens Gottes für sein Volk Israel wie in einem Brennglas gesammelt. Dass Paulus nach seiner Berufung dann noch einmal ganz eigene und auch andere Wege gehen sollte als viele seiner jüdischen Zeitgenossen, eröffnet ein neues Kapitel seiner Biographie, das an dieser Stelle nicht geschrieben werden
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soll. 37 Aber auch dieses neue Kapitel und die neuen Wege, die Paulus hier suchte und fand, waren jedenfalls seinem Selbstverständnis nach nicht Wege heraus aus dem Judentum seiner Zeit und schon gar nicht Wege eines Abschieds von Israel. Vielmehr war Paulus fest davon überzeugt und blieb es bis zum Ende seines Lebensweges, dass er seinen Gott, den Gott Israels, erst als den Vater des gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus wirklich und endgültig erkannt hatte.
5. Zur ‚New Perspective on Paul‘ seit 2010
5. Zur ‚New Perspective on Paul‘ seit 2010 Dass Paulus, der Heidenapostel, aufgrund der bisher dargestellten religionsgeschichtlichen und biographischen Zusammenhänge gegenüber der ‚klassischen‘ Paulusinterpretation in der deutschsprachigen Exegese des 20. Jh. heute durch die neutestamentliche Forschung ‚in neuer Sicht‘ wahrgenommen wird, steht außer Frage. Maßgeblich dazu beigetragen hat eine Forschungsrichtung, die etwa um das Jahr 1980 in der englischsprachigen Paulusforschung aufkam und mit dem Label ‚The New Perspective on Paul‘ versehen worden ist. Die Wendung geht auf einen Aufsatztitel von James Dunn zurück 38 und hat sich seither als Sammelbegriff für eine ganze Reihe von Forschungsansätzen und Einzeluntersuchungen durchgesetzt. 39 Inzwischen hat sich diese Richtung der
37 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute (Anm. 2). 38 Vgl. JAMES D. G. DUNN, The New Perspective on Paul, BJRL 65, 1983, 95–122. Seine zahlreichen Einzeluntersuchungen zum Thema hat Dunn zusammengestellt in dem Aufsatzband DERS., The New Perspective on Paul. Collected Essays, WUNT 185, Tübingen 2005. Sie gingen auch in seine große Gesamtdarstellung DERS., The Theology of Paul the Apostle, Edinburgh 1998, ein. 39 Die ‚New Perspective on Paul‘ wurde breit diskutiert in der Aufsatzsammlung von MICHAEL BACHMANN (Hg.), Lutherische und neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, WUNT 182, Tübingen 2005. Einen kritischen Überblick über die Debatten seit Dunn und Sanders bietet FREY, Das Judentum des Paulus (Anm. 23), 85–102. Monographische Forschungsberichte haben JENSCHRISTIAN MASCHMEIER, Rechtfertigung bei Paulus. Eine Kritik alter und neuer Paulusperspektiven, BWANT 189, Stuttgart 2010, und IVANA BENDIK, Paulus in neuer Sicht? Eine kritische Einführung in die „New Perspective on Paul“, JuChr 18, Stuttgart 2010, vorgelegt. Zu ökumenischen und interreligiösen Perspektiven aus römisch-katholischer Sicht vgl. FRANCA SPIES, The New Perspective on Judaism. Christliche Israeltheologie im Anschluss an die New Perspective on Paul und Nostra Aetate, RaFi 76, Regensburg 2021. Vgl. zur Diskussion mit Blick auf die Rechtfertigungslehre auch FLORIAN WILK, Gottesgerechtigkeit – Gesetzeswerke – eigene Gerechtigkeit. Überlegungen zur geschichtlichen Verwurzelung und theologischen Bedeutung paulinischer Rechtfertigungsaussagen im Anschluss an die „New Perspective“, ThLZ 135, 2010, 267–282.
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neueren Paulusforschung nicht nur weiter ausdifferenziert, 40 sondern wurde auch durch weiterführende oder gegenläufige Thesen und Ansätze grundlegend in Frage gestellt. 41 Ich habe in einigen früheren Aufsätzen bereits manche Aspekte der ‚New Perspective‘ zustimmend aufgegriffen, andere eher zurückhaltend oder auch kritisch kommentiert. 42 Es scheint mir aber angesichts der inzwischen weitergegangenen Diskussion angemessen, hier noch einmal knapp und überblicksartig auf jüngere Publikationen zu diesem Thema einzugehen. Ausgehend von meinen Aufsätzen aus den Jahren 1999 und 2009 und anknüpfend an die kritische Reflexion von Beiträgen aus der deutschsprachigen Forschung in einem neueren Sammelband 43 kann ich an dieser Stelle nur zwei Aspekte aus der jüngeren Debatte um die ‚New Perspective on Paul‘ aufgreifen, die für die Frage nach Paulus im Judentum seiner Zeit von besonderer Bedeutung sind. Das betrifft zum einen den israeltheologischen Ansatz der Paulus-Interpretation von N. T. Wright, zum andern Anstöße zur Einordnung des Paulus in das spätantike Judentum von Daniel Boyarin, die inzwischen in die ebenfalls zum Label gewordene Forschungsrichtung ‚Paul within Judaism‘ eingemündet sind, wie sie aktuell besonders von Mark D. Nanos und Paula 40 Vgl. die Monographien von FRANCIS WATSON, Paul, Judaism and the Gentiles. A Sociological Approach, SNTSMS 56, Cambridge 1986 (erweiterte Neuausgabe DERS., Paul, Judaism, and the Gentiles. Beyond the New Perspective. Revised and Expanded Edition, Grand Rapids/Cambridge 2007); TERENCE L. DONALDSON, Paul and the Gentiles. Remapping the Apostle’s Convictional World, Minneapolis 1997; BRUCE W. LONGENECKER, The Triumph of Abraham’s God. The Transformation of Identity in Galatians, Nashville 1998; DOUGLAS A. CAMPBELL, The Deliverance of God. An Apocalyptic Rereading of Justification in Paul, Grand Rapids/Cambridge 2009; JOHN M. G. BARCLAY, Paul and the Gift, Grand Rapids 2015; MICHAEL F. BIRD, An Anomalous Jew. Paul among Jews, Greeks, and Romans, Grand Rapids 2016; MATTHEW W. BATES, Salvation by Allegiance Alone. Rethinking Faith, Works, and the Gospel of Jesus the King, Grand Rapids 2017. 41 Vgl. nur exemplarisch FRANK THIELMAN, From Plight to Solution. A Jewish Framework for Understanding Paul’s View of the Law in Galatians and Romans, NT.S 61, Leiden 1989; TIMO LAATO, Paul and Judaism. An Anthropological Approach, SFSHJ 115, Atlanta 1995; STEPHEN WESTERHOLM, Perspectives Old and New on Paul. The „Lutheran“ Paul and His Critics, Grand Rapids 2004; JOHN S. PIPER, The Future of Justification. A Response to N. T. Wright, Wheaton 2007. 42 Vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Gerechtigkeit und Rechtfertigung bei Matthäus und Jakobus. Eine Herausforderung für gegenwärtige lutherische Hermeneutik in globalen Kontexten, ThLZ 140, 2015, 1329–1348 (engl.: Justice and Justification in Matthew and James: A Challenge for Lutheran Hermeneutics Today, Vox Scripturae 25, 2017, 521–546); DERS., Die paulinische Rechtfertigungslehre in der gegenwärtigen exegetischen Diskussion (Anm. 18), 107–112, sowie die Erstfassung dieses Aufsatzes (DERS., Paulus im Judentum seiner Zeit, Anm. 1). 43 JÖRG FREY/BENJAMIN SCHLIESSER (Hg.), Die Theologie des Paulus in der Diskussion. Reflexionen im Anschluss an Michael Wolters Grundriss, BThSt 140, Neukirchen-Vluyn 2013; vgl. darin besonders den Beitrag von SIMON GATHERCOLE, Deutsche Erwiderungen auf die „New Perspective“. Eine anglophone Sicht, a.a.O., 115–153.
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Fredriksen vertreten wird. Während der christliche Theologe und langjährige Bischof der Anglikanischen Kirche Nicholas Thomas Wright eine explizit theologische Interpretation der Paulusbriefe entwickelt hat, nimmt der jüdische Talmudist und Religionsphilosoph Daniel Boyarin eine religions- und kulturwissenschaftliche Perspektive auf Paulus ein. Beide Autoren stützen sich aber auf dieselben antiken Quellen und analysieren diese mit dem Instrumentarium gegenwärtiger historisch-philologischer Bibelwissenschaften. Für das bisweilen im Zentrum der Diskussion um die ‚New Perspective‘ stehende Toraverständnis des Paulus und die damit zusammenhängenden Fragen zur paulinischen Rechtfertigungslehre verweise ich hier auf meine Skizze dazu in dem folgenden Aufsatz. 44 5.1 N. T. Wright und die Bedeutung Israels für die paulinische Theologie Schon in seinem Buch „The Climax of the Covenant“ aus dem Jahr 1991 45 hatte N. T. Wright die Weichen für seine Paulus-Interpretation gestellt, die in seinem monumentalen Werk „Paul and the Faithfulness of God“ ihren endgültigen Niederschlag gefunden hat, 46 das wiederum selbst Teil einer noch größer angelegten Gesamtdarstellung zur Theologie des Neuen Testaments unter dem Titel „Christian Origins and the Question of God“ ist. 47 In zwei Beiträgen am Ende des Aufsatzbandes von 1991 hatte Wright wesentliche Grundlinien skizziert, die bereits die Schwerpunkte seiner Paulus-Interpretation in den monographischen Darstellungen erkennen lassen. So gibt er in dem eigens für den 44 KARL-WILHELM NIEBUHR, Das jüdische Gesetz bei Paulus im Kontext des Neuen Testaments [in diesem Band 43–80]. 45 N. T. WRIGHT, The Climax of the Covenant. Christ and the Law in Pauline Theology, Edinburgh 1991. 46 N. T. WRIGHT, Paul and the Faithfulness of God, Christian Origins and the Question of God, Bd. 4, Minneapolis 2013. Auf Deutsch leicht zugänglich ist auch DERS., Rechtfertigung. Gottes Plan und die Sicht des Paulus, übersetzt v. Rainer Behrens, StOeFr 63, Münster 2015 (engl. Original: Justification. God’s Plan and Paul’s Vision, London 2009); dort, a.a.O., 250–253, auch eine Übersicht der einschlägigen Publikationen von Wright und ihrer Übersetzungen ins Deutsche. Zur Einordnung des Werkes von Wright in die jüngere Diskussion um die paulinische Theologie vgl. BENJAMIN SCHLIESSER, Paul and the Faithfulness of God among Pauline Theologies, in: CHRISTOPH HEILIG/J. THOMAS HEWITT/MICHAEL F. BIRD (Hg.), God and the Faithfulness of Paul. A Critical Examination of the Pauline Theology of N. T. Wright, WUNT II/413, Tübingen 2016, 21–70; JAMES D. G. DUNN, An Insider’s Perspective on Wright’s Version of the New Perspective on Paul, a.a.O., 347–358. 47 N. T. WRIGHT, The New Testament and the People of God, Christian Origins and the Question of God, Bd. 1, Minneapolis 1997; DERS., Jesus and the Victory of God, Christian Origins and the Question of God, Bd. 2, Minneapolis 1997; DERS., The Resurrection of the Son of God, Christian Origins and the Question of God, Bd. 3, Minneapolis 2005; DERS., Paul and the Faithfulness of God (Anm. 46). Zur Anlage des Gesamtwerkes und seinen methodischen und hermeneutischen Prämissen vgl. DERS., The New Testament and the People of God, a.a.O., 3–28.467–476.
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Sammelband verfassten Schlusskapitel unter dem Titel „The Nature of Pauline Theology“ einen kurzen Überblick über die Grundlinien der paulinischen Theologie nach seinem Verständnis. 48 Zur Bestimmung von deren Ausgangspunkt verweist Wright auf Paulus als Pharisäer, der in Jesus Christus ein neues Verständnis seines Glaubens an den Gott Israels gefunden hatte. 49 Paul was a Pharisee who believed that Jesus of Nazareth, who had been crucified as a messianic pretender, had been vindicated by Israel’s covenant God in being raised from the dead. He therefore rethought and reimplemented Jewish theology and the Jewish agenda in the light of this new belief, and (he would quickly have added) in the power of the Spirit of the creator God, made known as the Spirit of Jesus and let loose through the new covenant community into the world. 50
Auf die Frage, welches Problem („plight“) Paulus mit seiner neuen Sicht auf Jesus und den Gott Israels zu lösen hatte, antwortet Wright: The ‚plight‘ consisted of the sorry state of Israel, interpreted as a problem about the covenant faithfulness and justice of the creator God who had called her to be his chosen people. … Nothing less than the framework of covenant theology will do justice to the plight as perceived by Paul. 51
Der Bundesgedanke, der gegenwärtige Unheilszustand Israels und die Treue Gottes, des Schöpfers, gegenüber seinem Volk erscheinen hier bereits als maßgebliche Stichworte zur Deutung der Geschichte Gottes mit Israel. Dementsprechend versteht Wright auch die Lösung („solution“), die Paulus im Christusgeschehen gefunden hat, von der Bundestheologie her: If the creator had done for Jesus what he was supposed to be doing for Israel, then the solution to Israel’s plight had arrived, but it was not in the form that Israel had expected. Paul’s theology takes its particular characteristic from this: that he found himself compelled to understand Jesus’ death and resurrection as the great event for which he had been longing – and thereby to relativize and redraw the categories, theological and practical, in which that great event could be understood. 52
Die in den Schriften Israels verankerte Bundestheologie wird also nach Wright von dem schriftgelehrten Pharisäer Paulus im Licht seiner Christusbegegnung gedeutet und nach dessen neu gewonnenem Selbstverständnis als Chris-
48 N. T. WRIGHT, The Nature of Pauline Theology, in: DERS., The Climax of the Covenant (Anm. 45), 258–267. 49 Zur Bedeutung des Gottesverständnisses für die Interpretation der paulinischen Theologie bei Wright vgl. TORSTEN JANTSCH, God and His Faithfulness in Paul. Aspects of the History of Research in Light of the Letter to the Romans, in: HEILIG/HEWITT/BIRD, God and the Faithfulness of Paul (Anm. 46), 463–488. 50 WRIGHT, The Nature of Pauline Theology (Anm. 48), 260. 51 A.a.O., 261. 52 Ebd.
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tusapostel sozusagen vom Kopf auf die Füße gestellt. In diesem Zusammenhang spricht Wright auch von einer ‚Kritik‘ des Apostels Paulus an Israel und an der Tora, die der Pharisäer Saul noch nicht erkennen konnte: At the very heart of the critique we find the rebellion of Israel against the covenant purposes of God, seen as the acting out by Israel of the primeval sin of Adam, coming to its full flowering in ‚national righteousness‘, the meta-sin against which the gospel of the cross struck with its scandalous force, and resulting in Israel’s rejection of the gospel. 53
Solche Formulierungen haben Wright den Vorwurf eingetragen, er vertrete eine ‚Substitutionstheorie‘ bzw. eine ‚supercessionist ideology‘ gegenüber dem Judentum. Dieser Vorwurf ist aber unberechtigt, wenn man sieht, dass Wright hier nicht eine theologische Metaperspektive einnimmt, sondern die Perspektive des Israeliten und Heidenapostels Paulus, der auf der Grundlage seiner biblisch-jüdischen Glaubensüberzeugungen versucht, das ihm bei der Berufung widerfahrene Christusgeschehen in eine heilsgeschichtlich vorgestellte Israel-Narration einzuordnen. 54 Diesen paulinischen Interpretationshorizont, der nicht mit einem theologisch-dogmatischen oder gar historischen Urteil über Israel bzw. das Judentum aus heutiger Sicht verwechselt werden darf, skizziert Wright im folgenden Abschnitt unter der Überschrift „Paul as a Biblical Theologian“. 55 Ebd. In diesem Sinne habe ich die Berufung des Paulus auch in meiner Habilitationsschrift verstanden, vgl. NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (Anm. 2), 66–78. Zur (z.T. durchaus kritischen) Diskussion der narrrativen Grundstruktur der Paulusinterpretation von Wright vgl. JOEL R. WHITE, N. T. Wright’s Narrative Approach, in: HEILIG/ HEWITT/BIRD, God and the Faithfulness of Paul (Anm. 46), 181–204; PETER STUHLMACHER, N. T. Wright’s Understanding of Justification and Redemption, a.a.O., 359–374: 360–362; J. THOMAS HEWITT/MATTHEW V. NOVENSON, Participationism and Messiah Christology in Paul, a.a.O., 393–415, sowie die Reaktion darauf bei N. T. WRIGHT, The Challenge of Dialogue. A Partial and Preliminary Response, a.a.O., 711–768: 731–743. A.a.O., 740, wehrt sich Wright ausdrücklich gegen den Vorwurf, seine Rede von „plight“ und „solution“ habe eine antijüdische Tendenz: „for a zealous Pharisee like Saul of Tarsus there was indeed a ‚plight‘, namely the present parlous and ‚unredeemed‘ state of Israel. I hope it is clear that saying this about Saul of Tarsus has nothing to do with a Christian back-projection that there was ‚something wrong with Israel.‘“; vgl. auch schon DERS., Paul and the Faithfulness of God (Anm. 46), 367–369. 55 WRIGHT, The Nature of Pauline Theology (Anm. 48), 263–266. Vgl. auch die prägnante Zusammenfassung des neuen Schriftverständnisses von Paulus in: DERS., Paul and the Faithfulness of God (Anm. 46), 375: „Temple, Torah, Prayer, Land, Family, Battle and Scripture: a formidable array of symbolic markers, and none left untouched, all transformed, by the Pauline gospel. These had all been things which said, at a worldview-level …, ‚This is who we are: we are the people of the creator God.‘ The Pauline transformations said, in effect, ‚This is who we are: we are the transformed, messianic people of God.‘ … ‚This is who we are: we are the cross-and-resurrection-reshaped people of God in the Messiah.‘“ Zur Bedeutung und Interpretation der Schriften Israels im Gesamtwerk zur paulinischen 53 54
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In dem Aufsatz „Christ, the Law and the People of God“ 56 legt Wright die Grundlage für sein Verständnis der paulinischen Israel-Theologie nach Römer 9–11. Nach seinem Urteil ist der Abschnitt für den ganzen Römerbrief „the climax of the theological argument“ und „an exposition of how the one God has been faithful, in Jesus Christ, to the promises he made to Abraham“. 57 Ein Vorteil dieser Sicht liege darin, dass sie eine Verbindung zwischen der theologischen Argumentation in Römer 1–11 und den praktischen Zielsetzungen des Briefes in Römer 12–15 ermögliche, denn „the climax of the latter passage (15.7–13) can be seen in fact as the climax of the entire epistle“. 58 Zentrales Thema der drei Kapitel sei also nicht Israel, sondern „the covenant faithfulness of God, seen in its outworking in the history of the people of God“. 59 Entscheidend ist dann, wie die Aussage des Paulus in Röm 11,26 zu verstehen ist: „und so wird ganz Israel gerettet werden“. Wright sieht darin nicht die Ankündigung einer „last-minute salvation of Jews“, sondern einen Hinweis auf das Verständnis der Heidenmission des Paulus, aus der sich als endzeitlich neue Konsequenz „the true definition of the people of God within the paradoxical promises to Abraham and their working out in judgment and mercy, in cross and resurrection“ ergibt. 60 Auf der Basis der in 11,26f. herangezogenen Schriftzitate erschließt Wright so für Paulus ein neues Verständnis des Bundes 61 Gottes mit seinem Volk Israel: This new covenant, which God makes with his people the other side of exile and death, is the real reaffirmation of the Abrahamic promises, and is therefore the final vindication of the righteousness of God. And the new covenant is emphatically not a covenant in which ‚national righteousness‘ … is suddenly affirmed. It is the covenant in which sin is finally dealt with. This was the purpose of the covenant all along: now at last, as in Jeremiah 31.34, it is realized. 62
In seiner Paulus-Monographie hat Wright diese Israel-Narration seiner Interpretation der paulinischen Theologie konsequent zugrunde gelegt und sie umfassend entfaltet. 63 Erwählung, Exil und Rückkehr Gottes bzw. seines Messias Theologie bei Wright vgl. STEVE MOYISE, Wright’s Understanding of Paul’s Use of Scripture, in: HEILIG/HEWITT/BIRD, God and the Faithfulness of Paul (Anm. 46), 165–180. 56 N. T. WRIGHT, Christ, the Law and the People of God: The Problem of Romans 9–11, in: DERS., The Climax of the Covenant (Anm. 45), 231–257. 57 A.a.O., 234. 58 A.a.O., 235. 59 A.a.O., 236. 60 A.a.O., 251. 61 Zu Bund und Gesetz bei Wright vgl. GREGORY TATUM, Law and Covenant in Paul and the Faithfulness of God, in: HEILIG/HEWITT/BIRD, God and the Faithfulness of Paul (Anm. 46), 311–327. 62 WRIGHT, Christ, the Law and the People of God (Anm. 56), 251. 63 Eine kritische Würdigung des Gesamtwerkes findet sich bei CHRISTOF LANDMESSER, Gottes Plan, der Messias und die Einheit des Gottesvolkes. N. T. Wrights Paulus, ThLZ 143,
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Jesus zum Zion bilden das Grundgerüst der Israel-Geschichte, wie Paulus sie von seiner eigenen Christuserfahrung her versteht. 64 Zentrale Bedeutung für die narrative Gesamtdeutung der paulinischen Theologie haben die Kapitel 7 in Book I, Part II, 65 und 10 in Book II, Part III. 66 In Kapitel 7 entfaltet Wright sein Modell der Israel-Narration als Basis der paulinischen Theologie. In Kapitel 10 entwickelt er sein Verständnis von Erwählung, Exil und Rückkehr JHWHs zum Zion. Nach einer knappen Auseinandersetzung mit der Entmythologisierungsthese Bultmanns und einer Bestimmung der eigenen Position zur ‚New Perspective on Paul‘ 67 grenzt sich Wright zunächst von einer dezidiert apokalyptischen Paulusdeutung in der Traditionslinie Käsemanns ab, die er als genauso
2018, 703–716; vgl. auch die ausführliche Rezension von PAULA FREDRIKSEN, CBQ 77, 2015, 387–391. 64 Andere wesentliche Aspekte seiner Paulus-Interpretation wie z.B. das Verständnis der Christologie, des Geistes, der Apokalyptik oder der Ethik, die in der Debatte um Paul and the Faithfulness of God ebenfalls eine große Rolle gespielt haben, müssen hier übergangen werden; vgl. dazu aber LARRY W. HURTADO, YHWH’s Return to Zion. A New Catalyst for Earliest High Christology, in: HEILIG/HEWITT/BIRD, God and the Faithfulness of Paul (Anm. 46), 417–438; JOHN R. LEVISON, The Spirit in its Second Temple Context. An Exegetical Analysis of the Pneumatology of N. T. Wright, a.a.O., 439–462; JÖRG FREY, Demythologizing Apocalyptic? On N. T. Wright’s Paul, Apocalyptic Interpretation, and the Constraints of Construction, a.a.O., 489–531; VOLKER RABENS, The Faithfulness of God and Its Effects on Faithful Living. A Critical Analysis of Tom Wright’s Faithfulness to Paul’s Ethics, a.a.O., 555–580. 65 „The Plot, the Plan and the Storied Worldview“, in: WRIGHT, Paul and the Faithfulness of God (Anm. 46), 456–537. Zur Architektur des Werkes vgl. die Übersicht im Vorwort, a.a.O., xv. Dort gibt Wright auch die theologische Begründung für den Gesamtaufbau seiner Darstellung (a.a.O., xv–vvii). 66 „The People of God, Freshly Reworked“, a.a.O., 774–1042. 67 WRIGHT, Paul and the Faithfulness of God (Anm. 46), 460: „This, I suggest, is the deep, underlying point at which we can discern what the so-called ‚new perspective on Paul‘ might really have been all about. It is not so much a matter of whether ‚Jews believed in grace too‘, whether Paul was interested in ‚staying in‘ rather than ‚getting in‘, or whether the ‚solution‘ preceded the ‚plight‘ or vice versa, important though all those questions are. Rather, it was and is a matter of discerning whether the underlying narrative which we have seen to be so powerful for so many (not all) Jews in Paul’s day was taken over, modified or simply abandoned. For the ‚old perspective‘, Paul had to ditch everything about his previous worldview, theology and culture – the old symbols, the ancient stories, the praxis, the view of God himself. For the ‚new perspective‘, in its manifold and frequently contradictory manifestations, the skirmishing about what precisely Paul meant by ‚works of the law‘ and so on has masked a much deeper question: did Paul actually reaffirm something basic about the underlying Jewish narrative, or did he reject it?“
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‚anti-narrativ‘ und damit ‚ent-judasisierend‘ beurteilt wie Bultmanns existentiale Interpretation. 68 Demgegenüber habe „Paul’s worldview … a strongly implicit and frequently explicit narrative“. 69 Wichtig für Wrights Verständnis von Erzählung ist sein Hinweis, dass es sich dabei nicht um einen literaturwissenschaftlichen, sondern einen theologischen Begriff handelt. Deshalb kann die der paulinischen Theologie zugrundeliegende Narration letztlich auch nicht durch Textanalysen erschlossen oder widerlegt werden, sondern ist in theologischer Deutung zu interpretieren. 70 Die Israel-Narration, wie Wright sie (re-)konstruiert, ist Teil einer noch umfassenderen Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung (bei Wright: „the outer story“ 71). Diese bildet sozusagen die ‚Rahmenhandlung‘. 72 Sie beginnt mit der Erschaffung der Welt und führt über die Sünde der Menschen und ihren Tod hin zur Rettung und Vollendung der Welt durch die Sendung des Messias Jesus und die Auferstehung Jesu Christi bis zu dem Punkt, wo Gott wieder „alles in allem“ ist (1Kor 15,28). Im Rahmen dieser Geschichte erscheint Gott nicht nur als Schöpfer der Welt, sondern auch als ihr König und Richter. Am Ende setzt er seine Herrschaft erfolgreich, das heißt, zum Heil von Welt und Menschheit, durch. 73 In diese umfassende Rahmenerzählung sind bei Paulus mehrere ineinander verschachtelte ‚Untererzählungen‘ („sub-plots“) eingebaut: Der Geschichte von Gott und seiner Schöpfung ist die seiner menschlichen Geschöpfe untergeordnet, die dazu geschaffen sind, die Welt zu ordnen, daran aber scheitern. Darauf reagiert Gott mit einer weiteren ‚Untergeschichte‘, der von Israel 68 Vgl. die Begriffe „anti-Jewish-narratival“ und „to deJudaize“, a.a.O., 460f. In N. T. WRIGHT, Paul and His Recent Interpreters. Some Contemporary Debates, London 2015, 135–218, setzt sich Wright ausführlich mit der ‚apokalyptischen‘ Paulus-Interpretation von J. LOUIS MARTYN, Theological Issues in the Letters of Paul, Nashville 1997; DERS., Galatians. A New Translation with Introduction and Commentary, AB 33A, New York 1997, und MARTIN C. DE BOER, The Defeat of Death. Apocalyptic Eschatology in 1 Corinthians 15 and Romans 5, JSNT.S 22, Sheffield 1988; DERS., Galatians. A Commentary, Louisville 2011, auseinander, die auf J. CHRISTIAAN BEKER, Paul the Apostle. The Triumph of God in Life and Thought, Philadelphia 1980 (dt.: Der Sieg Gottes. Eine Untersuchung zur Struktur des paulinischen Denkens, SBS 132, Stuttgart 1988), zurückgeht und über ihn vermittelt auf Ernst Käsemann. 69 WRIGHT, Paul and the Faithfulness of God (Anm. 46), 461. 70 A.a.O., 467f. Wright verwendet dafür häufig den Begriff „worldview“, der aber nicht dem Konzept von ‚Weltanschauung‘ im Deutschen im Sinne einer philosophischen Kategorie entspricht, sondern eher eine Art System religiöser Überzeugungen meint. 71 A.a.O., 475–485. Vgl. dafür auch die Wendung „framing plot of creator and creation“, a.a.O., 484. 72 Wright veranschaulicht seine Argumentation immer wieder anhand der Erzählstruktur von Shakespeares Sommernachtstraum. 73 A.a.O., 483: „It is part of creational monotheism itself to believe that the good creator will one day sort out his world by uprooting all causes of wickedness and transforming it so that it is ‚full of knowing-YHWH‘, full of a deep understanding of his life-giving purposes.“
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als dem von Gott berufenen Volk, von Mose und der Tora. Da aber auch Israel daran scheitert, Gottes Intentionen mit der Schöpfung und der Menschheit umzusetzen, kreiert Gott schließlich mit Jesus, dem gekreuzigten und auferstandenen Messias Israels, noch eine dritte, letzte ‚Untergeschichte‘ („final subplot“). Gottes Heilswerk in Jesus Christus steht im Zentrum der religiösen Überzeugungen des Paulus und führt alle ‚Untergeschichten‘ und damit letztlich auch die Rahmenhandlung zum Ziel. 74 Mit dieser Anordnung der ‚Geschichten‘ (‚Rahmenhandlung‘ und drei ‚Untergeschichten‘) sind wichtige Einsichten in die Hierarchie des theologischen Denkens bei Paulus verbunden. So ist die paulinische Anthropologie Teil des ersten ‚sub-plots‘, konstituiert aber nicht die ‚Rahmenhandlung‘. Deshalb kann sie auch nicht selbst Zentrum oder Ziel des paulinischen Denkens sein, sondern ist der Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung untergeordnet, während die Israel-Geschichte und mit ihr auch die Geschichte der Tora und der Sendung des Messias Israels die Funktion hat, die Menschheitsgeschichte in der Vollendung der Schöpfung zum Ziel zu führen, und insofern für die ganze Architektur der paulinischen Theologie mindestens ebenso konstitutiv ist wie die Anthropologie. 75 Auf diese Weise möchte Wright sowohl der Anthropologie als auch der Israel-Theologie bei Paulus gerecht werden, ohne eine von beiden zum theologischen Gesamtrahmen der paulinischen Theologie zu erheben. Man kann die Struktur der paulinischen Gesamterzählung nach Wright also am besten nachvollziehen, wenn man die ‚Rahmenhandlung‘ als Schöpfungs- bzw. Weltgeschichte bezeichnet und die drei ‚Untergeschichten‘ als Menschheits-, Israelund Christusgeschichte. Von zentraler Bedeutung für das Israel-Verständnis des Paulus, das Wright in Kapitel 10 darstellt, ist der Erwählungsgedanke. 76 Erwählung meint dabei mehr als nur die Auswahl Israels aus allen Völkern durch Gott. Zur Erwählung gehört auch sein Auftrag an Israel, im Rahmen des göttlichen Plans Welt und
74 „His work, at the centre of Paul’s narrative world, resolves the other sub-plots, and provides a glimpse, as we have just seen, of the resolution for the main plot itself, the creator’s purpose for the whole cosmos.“ (alle Zitate a.a.O., 485). 75 Vgl. die Zusammenfassung in der Übersicht, a.a.O., 489, sowie in der Formulierung a.a.O., 495: „For Paul, however, the story of Israel is the vital, non-negotiable sub-plot, through which the action is decisively advanced. For him, Jesus the Messiah means what he means because in and through him the creator has been faithful to his purpose not only for creation, not only for humankind, but also for Israel itself.“ Im Einzelnen entfaltet Wright die Israel-Geschichte in paulinischer Sicht nach Römer 9–11 a.a.O., 495–501. 76 A.a.O., 774: „We come now to the central chapter of this part of the book, and in a measure to the very heart of our entire topic.“ Zum Verständnis des Terminus ‚Erwählung‘ vgl. a.a.O., 775: „The word ‚election‘, as applied to Israel, usually carries a further connotation: not simply the divine choice of this people, but more specifically the divine choice of this people for a particular purpose.“
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Menschheit zu retten. 77 Damit kommt Israel soteriologische Bedeutung in Gottes Heilsplan zu, allerdings nur im narrativen Zusammenhang der Jesus-Christus-Geschichte. 78 In diesem Zusammenhang bestimmt Wright noch einmal das Verhältnis zwischen der paulinischen Theologie, wie er sie versteht, und dem, was man im Blick auf den frühjüdischen Kontext als ‚jüdische‘ Theologie ansehen kann. Gerade wenn man die radikale Neuheit des paulinischen Denkens aufgrund seiner Christuserfahrung in Betracht zieht, erweist sich seine Theologie als ein messianischer Neuentwurf ‚jüdischer Theologie‘. Rather, the hypothesis at the heart of this book is that Paul’s thought is best understood in terms of the revision, around Messiah and spirit, of the fundamental categories and structures of second-temple Jewish understanding; and that this ‚revision‘, precisely because of the drastic nature of the Messiah’s death and resurrection, and the freshly given power of the spirit, is no mere minor adjustment, but a radically new state of affairs, albeit one which had always been promised in Torah, prophets and Psalms. The radical newness, then, does not alter the fact that Paul’s theology is still a ‚revision‘ of Jewish theology, rather than a scheme drawn from elsewhere, as advocates of a non-Jewish Paul have regularly supposed. 79
Die Neuheit des paulinischen Denkens darf also nicht gegen seine Verwurzelung im jüdischen Denken zur Zeit des Zweiten Tempels ausgespielt werden. Neu sind seine theologischen Überzeugungen deshalb, weil sie aus dem Christusgeschehen als dem Ausdruck des endzeitlichen Handelns des Gottes Israels hergeleitet sind. Aber damit hören sie nicht auf, ‚jüdisch‘ zu sein, wenn sie im Kontext biblisch-frühjüdischer Erwartungen an das endzeitliche Handeln Gottes verstanden werden. At every point the self-aware self-identification of Israel meant that many of Paul’s contemporaries were looking for that new day to dawn in which, at last, God’s covenant faithfulness would be unveiled in a great act of redemption, of new Exodus, of return from exile. According to Deuteronomy 30, that would happen when Israel, much as in Ezekiel 36, was keeping Torah from the heart as a result of God’s new act of covenant grace, for the sake of his own name. And, granted the pressures of the first century, pressures both social and political on the one hand and exegetical and theological on the other, we can see that the question faced by Saul of Tarsus and his contemporaries could have been put like this: granted God’s covenant with Abraham, and granted the widespread failure of most within
77 Israels Aufgabe lautet: „repairing the world in God’s name“ (a.a.O., 775). Vgl. dazu Kapitel 2: „Israel and Its Purpose“, a.a.O., 783–815. 78 A.a.O., 776f. In diesem Zusammenhang setzt sich Wright auch ausdrücklich mit dem Vorwurf auseinander, seine Interpretation sei „supersessionist“ (vgl. a.a.O., 805–811), und verweist dabei auf vergleichbare Konzepte eines Erwählungsverständnisses in Qumran, mit dem Ergebnis: „Call it ‚Jewish supersessionism‘ if you like, but recognize the oxymoronic nature of such a phrase. The scandal of Paul’s gospel, after all, was that the events in which he claimed that Israel’s God had been true to what he promised centred on a crucified Messiah. That is the real problem with any and all use of the ‚supersession‘ language: either Jesus was and is Israel’s Messiah, or he was not and is not.“ (a.a.O., 810). 79 A.a.O., 783.
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Israel to be true to the covenant, to keep Torah properly, and granted the continuing ambiguity of a Temple with a corrupt priesthood and a Land ruled over by pagans – granted all this, when is YHWH going to do what he has promised, what will it look like, and how can we tell in the present time who are the genuine Israel, the ones who are showing the signs of that new, dawning day? This … was at the heart of the ‚plight‘ of which we might expect an early first-century Pharisee to be aware. And this … was radically revised around the new, unexpected and indeed shocking revelation which Saul of Tarsus received on the road to Damascus. God’s righteousness had been revealed in the faithful death of Israel’s Messiah. This is the very heart of his redefinition of ‚election‘, and also the very heart of his ‚gospel‘. 80
Im Folgenden entfaltet Wright diese Grundgedanken breit in zwei Unterkapiteln. Das erste beschreibt das paulinische Verständnis der Erwählung Israels („Israel’s Messiah as the Focus of Election“ 81), das auf die Absicht Gottes fokussiert ist, durch den Messias Jesus seinen Heilsplan gegenüber Israel und der ganzen Schöpfung zu verwirklichen. The purpose for which the covenant God had called Israel had been accomplished, Paul believed, through Jesus. The entire ‚theology of election‘ we have examined in the preceding pages is not set aside. It is brought into fresh focus, rethought, reimagined and reworked around Jesus himself, and particularly around his death, resurrection and enthronement. Christology, in the several senses that word must bear, is the first major lens through which Paul envisages the ancient doctrine of Israel’s election. 82
Anschließend geht Wright ausführlich auf die Bedeutung des Messias Jesus für die Erwählung Israels und die Rettung von Menschheit und Schöpfung ein („Election Reworked around the Spirit: the Messiah’s Justified People“ 83). Auch was herkömmlich ‚Soteriologie‘ heißt, und mithin auch die paulinische ‚Rechtfertigungslehre‘, wird somit bei Wright der ‚Israel-Geschichte‘ eingeordnet und erhält so seinen Ort in der ‚Rahmenhandlung‘ von Gott, dem Schöpfer, der auf die Vollendung des Kosmos sinnt. If the election of Israel was the solemn and unbreakable divine promise to save the world through Abraham’s seed, Paul sees that promise as accomplished in the Messiah and applied through the spirit. And ‚justification‘ is something that happens, as it were, right in the middle of that work. 84
Am Ende des Kapitels resümiert Wright noch einmal die paulinische IsraelTheologie, die belegt, dass Paulus, der Apostel, ein durch und durch ‚jüdischer‘ Denker geblieben ist. 85 Seine theologische Argumentation ist durchweg aus den Schriften Israels hergeleitet und dient dem Nachweis, dass der Gott Israels A.a.O., 815. A.a.O., 815–911. 82 A.a.O., 815f. 83 A.a.O., 912–1037. 84 A.a.O., 912. 85 A.a.O., 1038. 80 81
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im Christusgeschehen getan hat, was er in ihnen seinem Volk verheißen hatte. Freilich hat er es auf eine ganz und gar unerwartete Weise getan, indem er seine Bundestreue im Messias Jesus und durch seinen Geist zum Ziel geführt hat. 86 5.2 Daniel Boyarin und die ‚Paul within Judaism‘-Debatte Im umfangreichen Gesamtwerk von Daniel Boyarin 87 nimmt Paulus nur einen vergleichsweise kleinen Raum ein. Allerdings hat sein Paulusbuch „A Radical Jew“ 88 zumindest innerhalb der englischsprachigen neutestamentlichen Forschung ein breites Echo gefunden und die jüngste Diskussion um Paulus unter dem Label ‚Paul within Judaism‘ stark beeinflusst. 89 Als Ausgangspunkt für sein Paulusverständnis bestimmt Boyarin seine Deutungsperspektive als „a talmudist and postmodern Jewish cultural critic reading Paul“ 90 und stellt ihr die historische Überzeugung voran, dass „Paul lived and died convinced that he was a Jew living out Judaism“. 91 In der Einleitung zu seinem Buch ordnet er sich ein in die durch die ‚New Perspective on Paul‘ vorgezeichnete Forschungslinie und ihre Kritik an der traditionellen protestantischen Paulusinterpretation, betont aber zugleich, dass sein Paulusverständnis auch aktuelle Relevanz für Juden wie für Christen heute habe. 92 Wright nennt das „a redefined Jewish perspective” (ebd.). Auf Deutsch liegen von den für das Neue Testament einschlägigen Monographien vor BOYARIN, Abgrenzungen (Anm. 12), und DERS., Die jüdischen Evangelien. Die Geschichte des jüdischen Christus, aus dem Englischen von Armin Wolf, Würzburg 2015 (engl.: The Jewish Gospels. The Story of the Jewish Christ, New York 2012). Vgl. auch den Sammelband von ANDREAS BEDENBENDER (Hg.), Judäo-Christentum. Die gemeinsame Wurzel von rabbinischem Judentum und früher Kirche, Paderborn/Leipzig 2012. 88 DANIEL BOYARIN, A Radical Jew. Paul and the Politics of Identity, Berkeley 1994. 89 In der deutschsprachigen Forschung wird dagegen kaum auf Boyarin Bezug genommen; vgl. aber ECKART REINMUTH, Paulus in jüdischer Perspektive – aktuelle Stimmen aus Exegese und Philosophie, BThZ 25, 2008, 117–142: 118.126–128. Einen knappen Überblick bietet EHRENSPERGER, Die ‚Paul within Judaism‘-Perspektive (Anm. 14). 90 BOYARIN, A Radical Jew (Anm. 88), 1. 91 A.a.O., 2. Schon der jüdische Religionswissenschaftler SCHALOM BEN-CHORIN, Paulus. Der Völkerapostel in jüdischer Sicht, München 1970, hatte ganz ähnlich geurteilt (vgl. dazu REINMUTH, Paulus in jüdischer Perspektive [Anm. 89], 120–123); vgl. auch PINCHAS LAPIDE, Paulus zwischen Damaskus und Qumran. Fehldeutungen und Übersetzungsfehler, Gütersloh 1993; DERS./PETER STUHLMACHER, Paulus, Rabbi und Apostel. Ein jüdischchristlicher Dialog, Stuttgart/München 1981. Solche jüdischen Stimmen in der deutschsprachigen Diskussion um Paulus wurden und werden in der englischsprachigen Forschung zu ‚Paul within Judaism‘ faktisch nicht wahrgenommen. 92 BOYARIN, A Radical Jew (Anm. 88), 4. Vgl. a.a.O., 11: „I do (unlike Davies and Sanders) believe that Paul was motivated by a critique of Judaism, if not by the slanderous libel that Luther accused him of. In terms of specific understandings and interpretation, the reading of Paul which I undertake here seems to be closest in spirit (and often in detail) to the work of Ferdinand Christian Baur produced over a century ago.” 86 87
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Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit
In einer Mischung aus kulturanthropologischen und religions- bzw. philosophiehistorischen Überlegungen versucht Boyarin, Paulus in ein Spektrum des antiken Judentums einzuordnen, das durch Philon und die Sapientia Salomonis, aber ebenso durch den Mittelplatonismus geprägt ist, stellt aber auch die Neuprägungen des paulinischen Denkens durch die Reflexion des Christusgeschehens heraus. 93 In diesem Zusammenhang stellt er auch die Frage, ob sein Paulusverständnis als ‚supersessionist‘ angesehen werden könnte, und beantwortet sie differenziert positiv: If there has been no rejection of Israel, there has indeed been a supersession of the historical Israel’s hermeneutic of self-understanding as a community constituted by physical genealogy and observances and the covenantal exclusiveness that such a self-understanding entails. 94
Allerdings darf dieser Tatbestand nicht ‚essentialistisch‘ verabsolutiert werden, sondern ist kulturkritisch zu interpretieren. Was aus Sicht des Paulus (wie aus heutiger christlicher Sicht) als Universalismus angesehen und als Ausdruck von Toleranz positiv bewertet werden kann, erscheint aus rabbinisch-jüdischer Sicht als Bedrohung, ja, Austilgung („eradication“) des gesamten Wertesystems, auf dem die jüdische Religion beruht. The call to human Oneness, at the same time that it is a stirring call to equality, constitutes a threat as well to Jewish (or any other) difference. While it is not anti-Semitic (or even antiJudaic) in intent, it nevertheless has had the effect of depriving continued Jewish existence of any reality or significance in the Christian economies of history. 95
In einem kritischen Durchgang sichtet Boyarin anschließend verschiedene Positionen innerhalb der ‚New Perspective on Paul‘ und bewertet dabei besonders die Interpretationen von Westerholm und Dunn positiv. 96 Seine eigene Sicht ist von seinem kulturkritischen Ansatz bestimmt, wonach Paulus von seinem Christus-Verständnis her eine radikale Reform jüdischer ‚Kultur‘ angestrebt habe: What was wrong with Jewish culture in Paul’s eyes that necessitated a radical reform? … The culture itself was in tension with itself, characterized both by narrow ethnocentrism and universalist monotheism. I thus contend that Paul’s motivation and theory were genuinely theological, but that his practice and preaching were directed toward radical change in Jewish society. 97
A.a.O., 25–32. A.a.O., 32. 95 Ebd; vgl. a.a.O., 52 (zu Dunn): „This view takes Paul as a critic of Judaism and a reformer but not as an anti-Jewish thinker. Nor does the fact that this problem of Jewish theology implicitly raises a critique of Judaism itself render its author anti-Judaic. Judaism, like any culture, is obviously not above or beyond criticism from within or without.“ 96 A.a.O., 39–56. 97 A.a.O., 52. 93 94
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Paulus habe sowohl aufgrund seiner Christuserfahrung als auch aufgrund seiner mittelplatonischen Prägung einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen der äußerlichen, physischen Wirklichkeit und einer höheren, geistigen Realität gesehen, der sich auch in den Gegensatzpaaren „Fleisch“ (κατὰ σάρκα) und „Geist“ (κατὰ πνεῦμα) niederschlage, ebenso wie im Gegensatz zwischen dem jüdischen Volk und dem „Israel Gottes“ oder dem von äußeren Werken und innerem Glauben. 98 Während die Vertreter der ‚Paul within Judaism‘-Perspektive die Ansicht von Boyarin teilen, dass Paulus als Jude geboren wurde, gelebt und gedacht hat und gestorben ist, unterscheiden sich viele von ihnen von Boyarin darin, dass sie jede Relevanz der kritischen Urteile des Paulus gegenüber Israel und der Tora für das antike wie das heutige Judentum, also gerade die Pointe der kulturkritischen These von Boyarin, Paulus sei ein ‚radikaler Reformator‘ des Judentums seiner Zeit gewesen, ablehnen. Wenn einer ihrer Hauptvertreter, Mark Nanos, die ‚Paul within Judaism‘-Perspektive als ganz neue Forschungsrichtung sowohl gegenüber der ‚traditionellen‘ (gemeint: christlich-protestantischen) Paulusinterpretation als auch gegenüber der ‚New Perspective on Paul‘ etablieren möchte, so ist dieser Anspruch zunächst einmal ein forschungsstrategisches Statement und wird sich an konkreten weiterführenden Ergebnissen messen lassen müssen. 99 Derzeit ist jedenfalls nicht zu übersehen, dass zum einen viele Ergebnisse der ‚New Perspective‘ inzwischen schon Gemeingut der internationalen Paulusforschung geworden sind, so etwa die Abkehr von den Verzeichnungen des antiken Judentums durch die herkömmliche, ‚alte‘ Paulusperspektive, die biographische Einordnung des Paulus in das vielfältige antike Judentum, die Wahrnehmung seiner bleibenden Zugehörigkeit zu Israel nach paulinischem Selbstverständnis, die Berücksichtigung missionsgeschichtlicher Zusammenhänge der paulinischen Briefe und ihrer theologischen
A.a.O., 53. Vgl. zu diesem „dualism which is not one“ (59) ausführlich Kapitel 3: „The Spirit and the Flesh. Paul’s Political Anthropology“ (57–85). In Kapitel 6 („Was Paul an ‚Anti-Semite‘? “, a.a.O., 136–157) diskutiert Boyarin von dieser Voraussetzung aus das paulinische Toraverständnis im Sinne einer ‚midraschischen‘ Interpretation der Tora. Er schließt sich auch hier weitgehend Dunn an und bezieht sich darüber hinaus positiv auf die Interpretation von Gal 3 bei N. T. WRIGHT, The Seed and the Mediator: Galatians 3.15–20, in: DERS., The Climax of the Covenant (Anm. 45), 157–174. 99 Das Selbstverständnis der Gruppe kommt besonders klar zum Ausdruck in dem auf eine SBL-Consultation seit 2010 zurückgehenden Sammelband MARK D. NANOS/MAGNUS ZETTERHOLM (Hg.), Paul within Judaism. Restoring the First-Century Context to the Apostle, Minneapolis 2015 (mit Beiträgen neben den beiden Herausgebern von Anders Runesson, Karin Hedner Zetterholm, Caroline Johnson Hodge, Paula Fredriksen, Neil Elliott, Kathy Ehrensperger sowie einer „critical evaluation“ von Terence L. Donaldson). Vgl. darin besonders MARK D. NANOS, Introduction, a.a.O., 1–29. Zu weiteren Vertretern dieser Forschungsrichtung gehören William S. Campbell, Pamela Eisenbraun, Joshuah Garroway, Matthew V. Novenson und J. Brian Tucker. 98
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Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit
Argumentationen, die differenzierte Analyse der paulinischen Rechtfertigungsaussagen, die Erkenntnis der Bedeutung der Israel-Aussagen für die paulinische Theologie, die historische Zuordnung paulinischer Missionsgemeinden zu zeitgenössischen jüdischen Diasporagruppen und vieles mehr. Zum andern fällt auf, dass die gesamte nicht auf Englisch publizierte neuere Paulusforschung, die diese durch die ‚New Perspective‘ angeregten Neuorientierungen in breitem Umfang rezipiert hat, von den Vertretern der ‚Paul within Judaism‘-Perspektive faktisch komplett ignoriert wird. 100 Insofern muss die ‚Paul within Judaism‘-Perspektive (anders als die ‚New Perspective on Paul‘!) einstweilen als außerordentlich selbstreferentiell angesehen werden. Gleichwohl erscheint es sinnvoll, einige Akzente, die diese Forschergruppe setzt, in die neuere Forschung zu Paulus einzuordnen. 101 Als Ausgangs- und Bezugspunkt für deren Ansatz begegnet immer wieder der Impuls, den Krister Stendahl (und über ihn vermittelt Albert Schweitzer) seit der zweiten Hälfte des 20. Jh. der neueren Paulusforschung gegeben hat
Wenn etwa MAGNUS ZETTERHOLM, Paul within Judaism: The State of the Questions, in: NANOS/ZETTERHOLM, Paul within Judaism (Anm. 99), 31–51: 34, erklärt: „I will try to explain why I believe the dichotomy between Paul and Judaism to be incorrect and why most New Testament scholarship has been influenced by it“, dann zeugt das von Ignoranz im Blick auf weite Teile der neutestamentlichen Wissenschaft der letzten 40 Jahre. Ich nenne hier nur eine Auswahl von Namen prominenter deutschsprachiger Autoren in alphabetischer Reihenfolge, die keineswegs auf eine „dichotomy between Paul and Judaism“ reduziert werden können und deren einschlägige Publikationen leicht zugänglich sind: Michael Bachmann, Eve-Marie Becker, Lukas Bormann, Christine Gerber, Klaus Haacker, Bernhard Heininger, Friedrich W. Horn, Dietrich-Alex Koch, Matthias Konradt, Wolfgang Kraus, Stefan Krauter, Peter Lampe, Christof Landmesser, Andreas Lindemann, Helmut Merklein, Markus Öhler, Eckart Reinmuth, Rainer Riesner, Dieter Sänger, Benjamin Schließer, Thomas Schmeller, Udo Schnelle, Stefan Schreiber, Thomas Söding, Ekkehard W. Stegemann, Wolfgang Stegemann, Christian Strecker, Michael Theobald, Samuel Vollenweider, Klaus Wengst, Florian Wilk, Oda Wischmeyer, Michael Wolter, Dieter Zeller. Einzig Jörg Frey wird in dem genannten Sammelband kritisch besprochen, und zwar mit einem auf Englisch publizierten Aufsatz (JÖRG FREY, Paul’s Jewish Identity, in: DERS./DANIEL R. SCHWARTZ/ STEPHANIE GRIPENTROG [Hg.], Jewish Identity in the Greco-Roman World. Jüdische Identität in der griechisch-römischen Welt, AGJU 71, Leiden 2007, 285–321; dazu NEIL ELLIOTT, The Question of Politics: Paul as a Diaspora Jew under Roman Rule, a.a.O., 203–243). 101 Zwei in jüngster Zeit publizierte Sammelbände, die einen Großteil der ‚Paul within Judaism‘-Vertreter vereinen, gehen auf ein Forschungsprojekt zurück, das mit Unterstützung der Staatlichen Slowakischen Forschungsagentur VEGA unter Leitung von František Ábel an der Evangelisch-Lutherischen Theologischen Fakultät der Comenius-Universität Bratislava durchgeführt wurde: FRANTIŠEK ÁBEL (Hg.), The Message of Paul the Apostle within Second Temple Judaism, Lanham 2020; DERS. (Hg.), Israel and the Nations. Paul’s Gospel in the Context of Jewish Expectation, Lanham 2021. Eine aktuelle Selbstdarstellung, die sie mir dankenswerterweise vorab zugänglich gemacht hat, gibt jetzt PAULA FREDRIKSEN, What Does it Mean to See Paul „within Judaism“?, JBL 141, 2022, 359–380. 100
5. Zur ‚New Perspective on Paul‘ seit 2010
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und der auch schon für die ‚New Perspective on Paul‘ wegweisend war. 102 Das gilt besonders für Paula Fredriksen, die ihre Monographie „Paul the Pagans’ Apostle“ auch Krister Stendahl gewidmet hat. 103 Autoren wie Lloyd Gaston, 104 John Gager 105 und Stanley Stowers 106 hatten schon deutlich früher unter Berufung auf Stendahl ihre Positionen entwickelt, wonach sich die kritischen Argumentationen des Paulus zur Tora ausschließlich auf Nichtjuden bezogen hätten, während jüdische Jesus-Anhänger davon nicht betroffen gewesen seien. Die Vorstellung von ‚zwei Bünden‘ Gottes, einem mit Israel und einem davon zu unterscheidenden endzeitlichen mit den Völkern, wird allerdings nicht von allen Vertretern der ‚Paul within Judaism‘-Perspektive geteilt. 107 Auch Paula Fredriksen geht in ihrer Paulus-Monographie von der Überzeugung aus: „Paul lived his life entirely within his native Judaism“. 108 Ähnlich wie N. T. Wright ordnet sie die theologischen Überzeugungen des Paulus zunächst in den umfassenden Rahmen biblischer Konzeptionen ein, wie sie in den Schriften Israels vorgegeben sind, von der Schöpfung von Welt und Menschheit über Israels Erwählung, das davidische Königtum und das Exil bis hin zu Prophetie und Apokalyptik. 109 Ihr Hauptaugenmerk liegt aber schon hier auf den Völkern im Rahmen biblischer Endzeiterwartungen. Deshalb wendet sie sich anschließend dem Diasporajudentum zu und analysiert, wie sich jüdische Gemeinschaften auf der Basis der Vorgaben der Schriften Israels in einer nichtjüdischen, ‚paganen‘ 110 Welt zu behaupten hatten und umgekehrt ‚Heiden‘ Vgl. dazu NIEBUHR, Die paulinische Rechtfertigungslehre in der gegenwärtigen exegetischen Diskussion (Anm. 18), 107–112. 103 PAULA FREDRIKSEN, Paul the Pagans’ Apostle, New Haven/London 2017; vgl. besonders a.a.O., 178. 104 LLOYD GASTON, Paul and the Torah, Vancouver 1987. 105 JOHN G. GAGER, Reinventing Paul, Oxford 2000. 106 STANLEY K. STOWERS, A Rereading of Romans. Justice, Jews, and Gentiles, New Haven 1994. 107 Vgl. die kritische Reflexion der Beiträge zum Sammelband von NANOS/ZETTERHOLM, Paul within Judaism (Anm. 99), von TERENCE L. DONALDSON , Paul within Judaism: A Critical Evaluation from a „New Perspective“ Perspective, a.a.O., 277–301. 108 FREDRIKSEN, Paul the Pagans’ Apostle (Anm. 103), xii; wortgleich a.a.O., 175. Auch in ihrem auf Deutsch zugänglichen, allgemeinverständlichen Buch: PAULA FREDRIKSEN, Als Christen Juden waren, Stuttgart 2021 (engl.: When Christians Were Jews. The First Generation, New Haven/London 2018), betrachtet sie Paulus konsequent als toratreuen Juden, ordnet ihn darüber hinaus aber auch in die Geschichte der frühen Jesusbewegung ein. Diesen Kontext skizziert sie in der Paulus-Monographie knapp in der Introduction (a.a.O., 1–7) und kommt im Zuge der Darstellung öfter darauf zurück (vgl. z.B. a.a.O., 77–84). 109 FREDRIKSEN, Paul the Pagans’ Apostle (Anm. 103), 8–31. 110 Den englischen Begriff „pagan“ verwendet sie gezielt und im Wissen um den damit verbundenen Anachronismus, um die damit angesprochene religiöse Identität gegenüber der ethnischen zu betonen; vgl. dazu auch PAULA FREDRIKSEN, The Question of Worship: Gods, Pagans, and the Redemption of Israel, in: NANOS/ZETTERHOLM, Paul within Judaism (Anm. 99), 175–201: 177f. 102
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Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit
mehr oder weniger weitgehende Sympathien für die Überlieferungen und das Ethos Israels entwickeln konnten, ohne dass damit die kategoriale religiöse Differenz zwischen Juden und Nichtjuden aufgehoben worden wäre. 111 Paulus kann in gewisser Weise als repräsentativ für diese Begegnung von Traditionen Israels und solchen der ‚heidnischen‘, griechisch-römischen Welt angesehen werden. Both before his call to be an apostle and, manifestly, after, Paul’s activities triangulated between these three populations: fellow Jews, proximate pagans, and pagan gods. 112
Die Konflikte, in die der toratreue Jude Paulus vor und nach seiner Berufung zum Apostel geriet, hängen nach Fredriksen primär mit dem Verständnis von Religion und Ethnizität zusammen. Nach antikem Verständnis in hellenistischrömischer Zeit war Religion im Wesentlichen durch Familienbeziehungen (im Sinne antiker Großfamilien bzw. Haushalte) vermittelt und wurde in solchen gelebt. 113 Übertritte von Nichtjuden zum Judentum (Fredriksen kritisiert zu recht den Begriff ‚Konversion‘) waren nicht unmöglich, aber unter den jeweils gegebenen politischen, sozialen und religiösen Gegebenheiten vor Ort auszuhandeln, wobei im Blick auf Männer die Frage der Beschneidung auch in der Außenperspektive in hellenistisch-römischer Zeit besondere Bedeutung gewann. 114 Was in der paulinischen Selbstreflexion im Galaterbrief als „Verfolgung“ der „Gemeinde Gottes“ erscheint (Gal 1,13.22f.; 1Kor 15,9; Phil 3,6), spiegelt einen Konflikt um die Stellung jüdischer Diasporagemeinschaften in den hellenistisch-römischen städtischen Gesellschaften wider. Hatte sich (bei allen lokalen Differenzen) in den Städten der östlichen Mittelmeerwelt ein gewisser modus vivendi herausgebildet, der es jüdischen Gemeinschaften ermöglichte, ihren religiösen Überlieferungen treu zu bleiben und dennoch einen Grad von Integration zu erlangen, der sogar eine gewisse Anziehungskraft auf Nichtjuden ausüben konnte, ohne dass diese Juden werden mussten, so wurde dieses Gleichgewicht durch jüdische Agitatoren für die Jesus-Bewegung, zu denen Paulus selbst zählte, erschüttert. 115 Denn sie erwarteten auf der Grundlage ihres
111 FREDRIKSEN, Paul the Pagans’ Apostle (Anm. 103), 32–60; vgl. auch DIES., God Is Jewish, but Gentiles Don’t Have to Be. Ethnicity and Eschatology in Paul’s Gospel, in: ÁBEL, The Message of Paul the Apostle (Anm. 101), 3–19. 112 FREDRIKSEN, Paul the Pagans’ Apostle (Anm. 103), 61. 113 A.a.O., 65: „one’s kinship group, the genos or ethnos, anchored and articulated piety“. 114 Zur Frage des Übertritts von Nichtjuden vgl. FREDRIKSEN, a.a.O., 64–73. Eine gezielte ‚jüdische Proselytenmission‘ habe es (wie in der jüngeren Forschung inzwischen Konsens) nicht gegeben. 115 Eine ähnliche These hatte ich für die in Philippi vorauszusetzenden Konflikte bereits in meiner Habilitationsschrift entwickelt, vgl. NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (Anm. 2), 87–103.
5. Zur ‚New Perspective on Paul‘ seit 2010
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durch das Christusgeschehen ausgelösten neuen, endzeitlichen Selbstverständnisses, dass ‚Heiden‘ nicht bloß Sympathien für den Gott Israels und seine mehr oder weniger gut in die mediterrane Stadtgesellschaft integrierten Anhänger entwickelten, sondern verlangten plötzlich, dass sie sich darüber hinaus auch radikal von ihrer bisherigen, familiär und sozial vermittelten religiösen Praxis lösen sollten. Den biblisch-jüdischen Hintergrund der Forderung dieser missionierenden Jesus-Anhänger findet Fredriksen in einer prophetisch-apokalyptischen Auslegungstradition der Schriften Israels, wonach sich am Ende der Zeit die Völker von ihren Göttern ab- und dem einzig wahren Gott Israels zuwenden werden. Dass sie dabei zum Judentum übertreten und wie Israeliten zum Toragehorsam verpflichtet würden, sei dabei nicht vorausgesetzt. Vielmehr würden sie als ‚eschatologische Heiden‘ zum Zion kommen und den Gott Israels anbeten. Such „eschatological Gentiles“ had long been an imaginative construct, their exclusive commitment to the god of Israel one of any number of anticipated End-time events. Once the Jesus movement established itself in the Diaspora, they began to become a social reality. 116
Wer aber unter den Bedingungen hellenistisch-römischer Stadtkultur auf diese Weise als ‚Heide‘ einen Schnitt mit seiner ethnisch-religiösen Herkunft vollzog, signalisierte so sein endzeitlich bestimmtes Selbstverständnis auf der Basis biblisch-jüdischer Verheißungen und stellte zugleich die auf familiär-ethnische Stabilität ausgerichtete und durch religiöse Praxis stabilisierte städtische Gesellschaft in ihren Grundfesten in Frage, und damit auch die relative Stabilität jüdischer Diasporagemeinschaften in ihrem hellenistischen Umfeld. Knowing what hour it was on God’s clock, racing in the (for all they knew) brief caesura between Christ’s resurrection and his second coming (1 Cor 15), seeing in the pneumatic behavior of their new gentile members confirmation of their own eschatological convictions, these Jewish apostles welcomed gentiles who committed fully to the god of Israel into their messianic assemblies. These ex-pagan pagans were a resounding affirmation and validation of the gospel message: the Kingdom must truly be at hand. But the gods struck back. … The Jewish Jesus movements’ nonnegotiable proviso to interested pagans – their absolute cessation of traditional worship – well explains the anger
FREDRIKSEN, Paul the Pagans’ Apostle (Anm. 103), 88; vgl. DIES., The Question of Worship (Anm. 110), 185f.: „Paul (and others like him), in proclaiming the gospel, radically disrupted the long-lived and socially stable arrangements prevailing between synagogues, god-fearers, and the larger pagan community; and they disrupted relations within the pagan community itself, from those of immediate family right up through the larger family of fellow citizens and the cities’ gods. … By urging his pagans to cease their traditional worship and to honor only Israel’s god – indeed, by insisting that they assume that public behavior associated universally and solely with Jews – Paul put at risk both the local Jewish community (the obvious source of such a message) and the larger host pagan city. Anxious pagans might target the synagogue; angry gods might target the city.“ 116
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of their gods. And this divine anger in turn explains why Paul initially persecuted the movement, and why, later, he was persecuted. 117
Die Haltung des Paulus zu den ‚Heiden‘ vor und nach seiner Berufung folgte nach Fredriksen also denselben religiösen Überzeugungen, die in den Schriften Israels wurzeln, nur, dass er aufgrund seiner Christusbegegnung sozusagen die Seiten gewechselt hatte. Seine Verfolgung von Jesusanhängern wie seine Mission für den auferstandenen Christus machen ihn nicht mehr oder weniger ‚jüdisch‘, denn sie sind beide Ausdruck eines durch den Glauben Israels bestimmten, endzeitlich zugespitzten religiösen Selbstverständnisses. 118 Eine ‚beschneidungsfreie‘ Mission für Christus in der jüdischen Diaspora konnte nach Fredriksen innerhalb biblisch-frühjüdischer Überzeugungen also durchaus nachvollziehbar erscheinen, sofern die durch sie gewonnenen ‚Heiden‘ ihre bisherige religiöse Praxis aufgaben und so zu „eschatological gentiles“ bzw. „ex-pagan pagans“ wurden. 119 Die Forderung, solche an Christus glaubenden ‚eschatologischen Heiden‘ auch beschneiden zu lassen, kam erst nachträglich auf, als sich in der Mitte des 1. Jh. zum einen die unmittelbare Naherwartung der endzeitlichen Vollendung nicht erfüllte, zum anderen missionarische Gruppen auftraten, die von den für Christus gewonnenen Nichtjuden nun doch die Beschneidung verlangten. Sie war also sozusagen eine ‚innerchristliche‘ Neuerung in Folge der Parusieverzögerung. 120 Aus den daraus entstehenden Konflikten, die von außen in die paulinischen Gemeinden hineingetragen wurden, erklären sich dann auch die Aussagen zur Tora im Galaterund im Römerbrief. 121 Paulus selbst hat dagegen zeitlebens an der Gewissheit festgehalten, dass er in der durch Christus heraufgeführten Endzeit lebt und die ganz persönliche Aufgabe hat, ‚Heiden als Heiden‘ für die eschatologische Vollendung des göttlichen Heilswillens zu gewinnen, und deshalb auch zeitlebens die Beschneidung von an Christus glaubenden Nichtjuden abgelehnt. Davon zeugt seine Argumentation im Römerbrief, insbesondere in Römer 9– 11. 122
FREDRIKSEN, Paul the Pagans’ Apostle (Anm. 103), 88f. DONALDSON, Paul within Judaism (Anm. 107), 284–293, äußert sich kritisch zur These einer solchen Sonderstellung von ‚eschatologischen Heiden‘ ohne Toragehorsam. Sein Urteil hat Gewicht, hat er doch selbst eine einschlägige Monographie zum Thema der ‚Heiden‘ in der Endzeit vorgelegt, vgl. DERS., Paul and the Gentiles (Anm. 40). 119 Beide Begriffe bei FREDRIKSEN, Paul the Pagans’ Apostle (Anm. 103), 94. 120 Diese These hatte Fredriksen schon in einem Aufsatz aus dem Jahr 1991 entwickelt: PAULA FREDRIKSEN, Judaism, the Circumcision of Gentiles, and Apocalyptic Hope: Another Look at Galatians 1 and 2, JThS 42, 1991, 532–564; vgl. dazu seinerzeit schon NIEBUHR, Identität und Interaktion (Anm. 33), 353–356. 121 FREDRIKSEN, Paul the Pagans’ Apostle (Anm. 103), 94–130. 122 FREDRIKSEN, a.a.O., 159–166; vgl. 164: „Like the biblical prophets whose words he drew on, Paul expected God’s kingdom to contain two human populations: Israel and the 117 118
5. Zur ‚New Perspective on Paul‘ seit 2010
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Neben Paula Fredriksen gehört Mark Nanos zu den Vertretern der ‚Paul within Judaism‘-Perspektive, die in zahlreichen Arbeiten vor allem zum Galater- und zum Römerbrief das Profil dieser Forschungsrichtung bestimmen. 123 Auch Nanos verortet die paulinische ‚Heidenmission‘ im für Nichtjuden offenen Milieu der jüdischen Diaspora und erklärt die sich in den Paulusbriefen spiegelnden Konflikte aus den Prozessen von Interaktion und Konfrontation, die sich in diesem Milieu ergaben. Ähnlich wie Fredriksen sieht auch Nanos den zentralen Streitpunkt zwischen Paulus und seinen Gegnern nicht in der Frage der Bewertung der Tora oder in Auseinandersetzungen um Fragen konkreter Torapraxis, sondern in der Bestimmung des ‚Zeitpunkts‘ innerhalb eines biblisch vorgegebenen endzeitlichen Szenarios und der daraus resultierenden Beurteilung des Status von Nichtjuden im Kontext jüdischer Diasporagemeinschaften. Mit Blick auf den antiochenischen Konflikt (Gal 2,11–13) hält er fest: What was objectionable to the ones for circumcision was the way that this food was being eaten with these Gentiles apart from their becoming proselyte candidates, as though they were no longer merely pagan guests yet also not on the way to becoming proselytes … These mixed meals symbolized a principle of identity at stake in the gospel of Jesus Christ. It pronounced these Gentiles full members of the people of God apart from the traditional conventions for rendering them such. 124
Diese Konstellation überträgt Nanos auf die Situation in Galatien und sieht in den von Paulus im Galaterbrief bekämpften Gegnern galatische Proselyten in den örtlichen Synagogengemeinschaften, die ihren eigenen Eintritt in die Je-
nations. This meant that gentiles needed to remain gentiles. And this necessity in turn accounts for Paul’s principal resistance to proselyte circumcision.“ Zur Bedeutung der Christologie für Paulus im Rahmen eines ‚Paul within Judaism‘-Ansatzes vgl. PAULA FREDRIKSEN, Christus und das Reich Gottes. Oder Paulus, der Diasporajude, und der christliche Erlöser, in: CHRISTIAN DANZ/KATHY EHRENSPERGER/WALTER HOMOLKA (Hg.), Christologie zwischen Judentum und Christentum. Jesus, der Jude aus Galiläa, und der christliche Erlöser, Tübingen 2020, 81–107. 123 MARK D. NANOS, The Irony of Galatians. Paul’s Letter in First-Century Context, Philadelphia 2002; DERS., The Mystery of Romans. The Jewish Context of Paul’s Letter, Minneapolis 1996; zahlreiche seiner Aufsätze erschienen gesammelt in: DERS., Reading Paul within Judaism, Eugene 2017; DERS., Reading Corinthians and Philippians within Judaism, Eugene 2017; DERS., Reading Romans within Judaism. Collected Essays, Eugene 2018 (vgl. dazu zuletzt noch DERS., „All Israel Will Be Saved“ or „Kept Safe“? [Rom 11:26]. Israel’s Conversion or Irrevocable Calling to Gospel the Nations?, in: ÁBEL, Israel and the Nations [Anm. 101], 243–269). Ein weiterer Band mit Aufsätzen zum Galaterbrief ist angekündigt (vgl. dazu einstweilen DERS., What Was at Stake in Peter’s „Eating with Gentiles“ at Antioch, in: DERS. [Hg.], The Galatians Debate. Contemporary Issues in Rhetorical and Historical Interpretation, Peabody 2002, 282–318; The Inter- and Intra-Jewish Political Context of Paul’s Letter to the Galatians, a.a.O., 396–407). 124 NANOS, What Was at Stake in Peter’s „Eating with Gentiles“ at Antioch (Anm. 123), 301; vgl. ähnlich a.a.O., 316f.
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Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit
susanhängerschaft mit dem Übertritt zum Judentum verbunden, sich also beschneiden lassen hatten und dies nun auch von den ‚paulinischen Heidenchristen‘ verlangten. 125 Allerdings ergibt sich m.E. aus Gal 1,6–9; 6,12 eindeutig, dass die von Paulus bekämpften Agitatoren für die Beschneidung mit Paulus konkurrierende, von außen in die Gemeinden gekommene Christusverkündiger waren. Das muss freilich nicht bedeuten, dass sie mit den in Gal 2,1–13 z.T. namentlich genannten Personen in bzw. aus Jerusalem identifiziert oder auch nur mit ihnen in Verbindung gebracht werden müssen. 126 Eine zentrale Konsequenz aus dieser Rekonstruktion der Konfliktkonstellation in Galatien für die Interpretation der paulinischen Argumentation ist für Nanos die Einsicht, dass sich alle Argumente des Paulus zur Bedeutung der Tora im Galaterbrief allein auf Nichtjuden beziehen. Sie sind also Teil einer innerjüdischen Debatte über den Status von Nichtjuden angesichts des Christusgeschehens. Für die Gegner des Paulus sind diese weiterhin als Nichtjuden zu behandeln, auch wenn sie an Christus glauben, solange sie nicht mit der Beschneidung den Übertritt zum Judentum vollzogen haben. Für Paulus bleiben sie zwar auch weiterhin Nichtjuden, können aber als an Christus Glaubende einschränkungslos in die Gemeinschaft des endzeitlichen Israel und damit auch ebenso einschränkungslos in die Synagogengemeinschaft einbezogen werden. Für das Selbstverständnis von Juden innerhalb der Synagogengemeinschaft und für deren Torapraxis und -verständnis hat das aber nach Nanos keinerlei Bedeutung, auch nicht für diejenigen unter ihnen, die (wie Paulus selbst) zu Christusanhängern geworden sind. In Galatians then, Paul does not express an opinion about the value of Jewish practices for Jewish people, not even proselytes – they are not the addressees (in my view, his rhetoric implies a positive view of Torah observance for Jewish people, including himself, because his argument is predicated upon this foundation in order to make the dissociating case for the incompatibility of the two ways of including Gentiles among the righteous ones of God). Rather, he confronts Christ-believing Gentiles who are considering conversion to proselyte
NANOS, The Inter- and Intra-Jewish Political Context (Anm. 123), 396–398. Nanos nennt die Gegner des Paulus „influencers“ und unterschiedet sie von den „addressees“ des Briefes. Vgl. DERS., The Irony of Galatians (Anm. 123), 73–199, mit ausführlicher Begründung und Auseinandersetzung mit der Forschung. Im folgenden Kapitel („The Local Jewish and Pagan Communal Contexts of the Addressees“, a.a.O., 203–283) entfaltet Nanos seine Rekonstruktion der Konfliktparteien. Dass es für das dabei vorausgesetzte reiche synagogale Leben in Galatien keinerlei zeitgenössische Quellenbasis gibt, wo auch immer man die Briefadressaten nach der ‚nord-‘ oder der ‚südgalatischen‘ Theorie lokalisieren will (vgl. dazu zuletzt FELIX JOHN, Der Galaterbrief im Kontext historischer Lebenswelten im antiken Kleinasien, FRLANT 264, Göttingen 2016), erwähnt Nanos mit keinem Wort. 126 So mit Recht NANOS, The Inter- and Intra-Jewish Political Context (Anm. 123), 401f.; DERS., The Irony of Galatians (Anm. 123), 143–157. Vgl. dazu auch NIEBUHR, Identität und Interaktion (Anm. 33), 353–356. 125
5. Zur ‚New Perspective on Paul‘ seit 2010
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status. This is the case even though they may not have considered sufficiently the Jewish practices that they will be obliged to observe once they acquire this status. 127
Schon in seinem Buch über den Römerbrief hatte Nanos die Ansicht vertreten, die paulinische Argumentation richte sich allein an Nichtjuden und habe deshalb für die Bewertung der Tora bei Juden inner- oder außerhalb der Gemeinden von Jesus-Anhängern keinerlei Relevanz. 128 Dabei stellt Nanos nicht in Frage, dass zu den Adressaten des Römerbriefes auch Juden gehörten, was aus Römer 16 ja auch eindeutig hervorgeht. 129 Vielmehr unterscheidet er zwischen den Briefadressaten und der „implied audience“ der paulinischen Argumentation. 130 Aus den expliziten Anreden an Nichtjuden und zahlreichen impliziten Hinweisen auf deren Perspektive ergebe sich, dass mit der paulinischen Argumentation primär ‚christliche Heiden‘ und nicht ‚christliche Juden‘ angesprochen werden sollen. 131 Denen, die sich als an Christus glaubende Nichtjuden noch im unmittelbaren Zusammenhang römischer Synagogengemeinschaften bewegen, will Paulus seine Überzeugung vermitteln und begründen, dass auch das Christusgeschehen in erster Linie der Rettung Israels gilt, so dass sie sich nicht an die Stelle Israels setzen und sich Juden gegenüber entsprechend hochmütig verhalten dürfen. 132 Somit ergibt sich für Nanos aus dem Römerbrief wie aus dem Galaterbrief sowohl gegenüber der traditionellen Paulusforschung als auch gegenüber der ‚New perspective on Paul‘ insgesamt ein neues Paulusbild. Paulus war weder ein ‚bad Jew‘, der zugunsten der ‚Heidenchristen‘ mit dem Judentum gebrochen hatte, noch war seine Beziehung zum Judentum nach Nanos inkohärent oder inkonsistent. I locate in the author of Romans a very different Paul: a thoroughly Jewish Paul, functioning entirely within the context of Judaism, giving priority to Israel, even willing to give his life in the place of the Jewish people in the tradition of Moses to ensure their irrevocable stature as God’s beloved for whom restoration is certain. … NANOS, The Irony of Galatians (Anm. 123), 85. NANOS, The Mystery of Romans (Anm. 123), 10: „But while his concerns in Romans involve Jews, they are not directed toward Jews, or Jewish exclusivism, except paradigmatically to clarify the problems inherent in the misguided views that were gaining ground among the gentile believers in Rome toward Jews.“ 129 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Juden in Rom unter Nero. Intellektuelle Netzwerke, religiöse Praxis, geistige Horizonte, in: Tempel, Lehrhaus, Synagoge. Orte jüdischen Lernens und Lebens (FS W. Kraus), hg. v. CHRISTIAN EBERHART/MARTIN KARRER/SIEGFRIED KREUZER/MARTIN MEISER, Paderborn 2020, 289–321: 291–294 (= in: DERS., Tora und Weisheit [Anm. 20], 209–237: 211–215). 130 NANOS, The Mystery of Romans (Anm. 123), 75–84. 131 A.a.O., 83: „… all point to the implied readers as Christian gentiles rather than Christian Jews“. 132 Dazu vor allem Kapitel 5 (Paul’s Two-step Pattern and the Restoration of „All Israel“), a.a.O., 239–288. 127 128
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Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit
This study finds the Paul behind the text of Romans to be a practicing Jew – „a good Jew“ – albeit a Jew shaped by his conviction in Jesus as Israel’s Christ, who did not break with the essential truth of the Judaism(s) of his day, who was committed to the restoration of his people as his first and foremost responsibility in the tradition of Israel’s Deuteronomic prophets. 133
5.3 Abschließende Auswertung Die Einzeldiskussion zu den paulinischen Argumentationen vorwiegend im Galater- und im Römerbrief kann an dieser Stelle nicht geführt werden. 134 Es muss genügen, die skizzierten Positionen der ‚New Perspective on Paul‘ und der ‚Paul within Judaism‘-Perspektive knapp auszuwerten und die in den folgenden Studien in diesem Band entfaltete Einordung des Paulus in das Judentum seiner Zeit auf dieser Basis zu positionieren. Zunächst ist es als wesentlicher Fortschritt der Paulusforschung positiv zu würdigen, wenn heute sowohl die Biographie als auch die Briefe des Paulus weitgehend als Ausdruck seiner ‚jüdischen Identität‘ angesehen werden – im Wissen darum, dass dieser Begriff ein Anachronismus ist. Paulus wurde als Jude geboren, lebte, wirkte und starb als Jude. Wie weit seine eigene Torapraxis durch den Auftrag, Nichtjuden das Christus-Evangelium zu verkünden, beeinflusst worden ist, und welche Konsequenzen deren gleichrangige Aufnahme A.a.O., 9. Vgl. zu meiner Interpretation einzelner Briefabschnitte KARL-WILHELM NIEBUHR, Das Neue Testament im Kontext jüdisch-hellenistischer Literatur. Röm 1,19–23 als Testfall, in: GYÖRGY BENYIK (Hg.), The Hellenistic and Judaic Background to the New Testament. 29th International Biblical Conference Szeged 27–29 August, 2018, Szeged 2019, 327–342 [in diesem Band 259–273] (engl.: Right knowledge of God and the Rejection of False Religion: Abraham in Romans 1, in: CLAUDIA D. BERGMANN/THOMAS R. BLANTON IV [Hg.], Abraham as Ritual Model in Jewish and Christian Contexts, Leiden [im Druck]); DERS., Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik. Zwei paulinische Argumentationen (Röm 1,18– 2,29; 8,1–30), in: MATTHIAS KONRADT/ESTHER SCHLÄPFER (Hg.), Anthropologie und Ethik im Frühjudentum und im Neuen Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. Internationales Symposium in Verbindung mit dem Projekt Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (CJHNT) 17.–20. Mai 2012, Heidelberg, WUNT 322, Tübingen 2014, 139–161 [in diesem Band 275–295]; DERS., Adam’s Sin and the Origin of Death: Paul’s Argument in Rom 5:12–14 in the Light of Jewish Texts from the Second Temple Period, in: Studies in Philo (FS G. E. Sterling), hg. v. DAVID T. RUNIA/MICHAEL B. COVER, SPhiloA 32, Atlanta 2020, 205–225 [in diesem Band 297–325]; DERS., „Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6b). Römer 9–11 als Zeugnis paulinischer Anthropologie, in: FLORIAN WILK/J. ROSS WAGNER (Hg.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11, WUNT 257, Tübingen 2010, 433–462 [in diesem Band 327–355]; DERS., Paul, the Israelite, on Israel and the Gentiles at the End of Time. Reflections on Rom 9-11, in: ÁBEL, Israel and the Nations (Anm. 101), 271–288 [in diesem Band 357–371], sowie DERS., Heidenapostel aus Israel (Anm. 2), 4–18.79–103.112–127.136–158. Zur Kritik an der ‚Paul within Judaism‘-Perspektive vgl auch FREY, Das Judentum des Paulus (Anm. 23), 97f. 133 134
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in die entstehenden Christusgemeinden bei Aufrechterhaltung ethnischer Unterschiede und ohne Übertritt zum Judentum für den persönlichen Umgang des Paulus mit Torageboten hatte, lässt sich im Einzelnen schwer feststellen. 135 Die wenigen autobiographischen Abschnitte in seinen Briefen ergeben kein klares Bild. Die brieflichen Argumentationen sind stark von den aktuellen Argumentationszielen bestimmt, die sich vorwiegend auf die Torapraxis der Adressaten beziehen (vor allem auf die Beschneidung), nicht auf die des Paulus. Die Sabbatpraxis wird gar nicht thematisiert. 136 Die spannende Frage, ob Paulus, wenn er nach seiner Berufung noch geheiratet hätte und einen Sohn bekommen hätte, diesen beschnitten hätte, erweist sich schon angesichts der vielen ‚hätte‘ als abwegig. Umgekehrt kann aber das, was zur Bewertung der Tora und zum Umgang mit ihr an der paulinischen Vita und seinen Briefen erkennbar wird, nicht als prinzipielle oder gar programmatische Überschreitung der ‚Grenzen des Judentums‘ seiner Zeit oder gar als ‚unjüdisch‘ angesehen werden, schon allein deshalb, weil solche Grenzen zur Zeit des Paulus nicht definiert worden sind und angesichts der Vielfalt der in antiken Quellen belegten jüdischen Torapraxis auch aus heutiger Sicht nicht definiert werden können. Darüber hinaus haben die Anstöße aus der ‚New Perspective on Paul‘ und der ‚Paul within Judaism‘-Perspektive dazu geführt, die gegenseitige Polemik zwischen der ‚christlichen‘ und der ‚jüdischen‘ Paulusforschung zu reduzieren. Wenn Paulus heute Gegenstand der Forschungen jüdischer Historiker, Religions- und Kulturwissenschaftler oder Philosophen ist, dann wird das Potential seiner Briefe und seines Lebens in aller Regel als positive Anregung aufgenommen, nicht in polemischer Abwehr im Gegensatz etwa zu einer positiven jüdischen Rezeption der Gestalt Jesu. Auf christlicher Seite hat die plakative und verzerrende Abwertung jüdischen Lebens und Glaubens zur Zeit des Paulus stark abgenommen und wird in der Fachwissenschaft kaum noch vertreten – die Popularisierung dieser neuen Sicht auf das antike Judentum in breiteren Kreisen der Kirchen und der immer noch christlich geprägten Gesellschaften der Gegenwart steht auf einem anderen Blatt bzw. bildet eine andauernde Aufgabe und Herausforderung auch für die Bibelwissenschaften. 137 Im Blick auf die theologische Interpretation der Paulusbriefe und auf die Rekonstruktion der mit ihnen verbundenen Konfliktkonstellationen haben die ‚New Perspective on Paul‘ und die ‚Paul within Judaism‘-Perspektive neue Akzente gesetzt. Gegenüber der ‚traditionellen‘ Paulusauslegung, die stark an einer theologisch-anthropologischen Interpretation der paulinischen Aussagen Vgl. dazu im Einzelnen NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis (Anm. 11). Vgl. dazu NIEBUHR, a.a.O., 23–30. 137 Vgl. dazu – lediglich als ein Beispiel – MICHAEL BACHMANN, The Anti-Judaic Moment in the „Pauline“ Doctrine of Justification. A (Protestant) Misinterpretation of the Relevant Statements in Paul’s Letters, in: ÁBEL, The Message of Paul the Apostle (Anm. 101), 21–59. 135 136
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Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit
zur Gerechtigkeit Gottes, zu Sünde, Gnade und Rechtfertigung oder auch zum Heiligen Geist und zur Ethik interessiert war, wird jetzt der Fokus m.E. zurecht stärker auf Israel und die biblisch-jüdischen Traditionen vom endzeitlichen Handeln Gottes an seinem Volk, den Völkern der Welt und der ganzen Schöpfung gelegt. Darüber hinaus richtet sich der Blick in historischer Perspektive besonders auf jüdische Diasporagemeinschaften in ihren antiken Lebenszusammenhängen in den hellenistisch-römischen Stadtgesellschaften des östlichen Mittelmeerraums, in denen sich auch die paulinischen Gemeinden gebildet haben. Dabei kommen die religions-, philosophie- und sozialgeschichtlichen Kontexte zur Geltung, die für das Verständnis der paulinischen Argumentationen und Intentionen in seinen Briefen hohe Erschließungskraft besitzen. Gerade wenn man mit der ‚New Perspective on Paul‘ und der ‚Paul within Judaism‘-Perspektive solche Kontextualisierungen des paulinischen Wirkens ernst nimmt, wird man aber auch die spezifischen innovativen Akzente, die Paulus als Christusverkündiger wie als theologischer Briefschreiber gesetzt hat, stärker würdigen müssen, als es bisweilen in der ‚Paul within Judaism‘Perspektive geschieht. Das betrifft auch die theologische Zielrichtung der Argumentationen des Paulus zur Tora und zu Israel. Ihr kritisches Potential gegenüber anderen ‚jüdischen‘ Positionen im Blick auf die jüdische Torapraxis und das Selbstverständnis Israels angesichts des Christusgeschehens wird m.E. bei Fredriksen und Nanos unterschätzt. Die ‚Neuheit‘ der Offenbarung Gottes im Christusgeschehen, wie es Paulus als „Evangelium“ bezeugt – schon dieser Begriff ist ein Signal –, unterscheidet sich in den theologischen, christologischen, anthropologischen und eschatologischen Konsequenzen von allen anderen uns bekannten frühjüdischen Konzeptionen und führt eine neue, ganz und gar eigene, zuvor völlig unbekannte, vielleicht gar für unmöglich gehaltene Sicht in die Multiperspektivität antik-jüdischer Denk- und Lebensmöglichkeiten ein. Diese ‚Neuheit‘ der paulinischen Konzeptionen – und das ist aus meiner Sicht auch dank der Impulse der ‚New Perspective on Paul‘ und der ‚Paul within Judaism‘-Perspektive das Entscheidende – darf aber nicht verwechselt werden mit ihrer Beurteilung als ‚nicht mehr jüdisch‘ oder gar ‚unjüdisch‘. Das Christus-Evangelium macht Paulus nicht zu einem ‚Nichtjuden‘, aber es gilt nach seiner Überzeugung für Heiden und Juden gleichermaßen. Das hat auch für die Tora und den Umgang mit ihren Geboten in Israel und für Israeliten Konsequenzen, sowohl für diejenigen unter ihnen, die wie Paulus an Christus glauben, als auch, zumindest nach seiner Überzeugung, für solche, die Jesus als Messias ablehnen. Wie die Paulusbriefe zeigen, erweist sich das in erster Linie am Umgang mit Nichtjuden in den Gemeinden von Jesusanhängern. So sehen es auch Vertreter der ‚Paul within Judaism‘-Perspektive wie Nanos und Fredriksen, wenn sie die paulinische Einstellung zu den ‚eschatologischen Heiden‘ in den Rahmen von Konflikten zwischen unterschiedlichen Gruppen in jüdischen Diasporagemeinschaften, darunter Proselyten und ‚Gottesfürchtige‘, einordnen. Paulus selbst entfaltet im Galater- wie im Römerbrief – wenn auch
5. Zur ‚New Perspective on Paul‘ seit 2010
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mit jeweils unterschiedlichen Akzenten und Argumenten – seine eigene Position, wonach die Identität und die Grenzen des eschatologischen Gottesvolkes auf der Grundlage der biblischen Verheißungen und endzeitlich offenbart durch die Botschaft vom Kreuzestod und der Auferweckung des Messias Jesus durch Gott theologisch neu ausgehandelt werden müssen. Dabei hat er auf der Basis der Schriften Israels und mit den intellektuellen und argumentativen Mitteln, die ihm als hellenistisch gebildetem Diasporajuden zur Verfügung standen, aus dem Christusgeschehen theologische, anthropologische, soteriologische und eschatologische Konsequenzen gezogen, die vor ihm, soweit wir sehen, kein anderer Jude seiner Zeit gezogen hatte und die ihn in scharfe Auseinandersetzungen mit nicht wenigen jüdischen Zeitgenossen geführt haben. Solche Auseinandersetzungen sind aber nicht Zeichen dafür, dass Paulus ‚die Grenzen des Judentums überschritten‘ hätte, sondern im Gegenteil Beleg dafür, dass diese Grenzen im Frühjudentum nicht von außen vorgegeben oder von innen definiert, sondern immer wieder, nicht selten im Konflikt, neu auszuhandeln waren, welche Form auch immer solche Aushandlungsprozesse annehmen konnten – das Spektrum reichte wohl von schriftgelehrten Debatten über synagogale Disziplinarmaßnahmen bis zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Seine theologische Reflexion des Christusgeschehens hatte nach Paulus Folgen auch für das Selbstverständnis von Israeliten, sei es, dass sie Christusanhänger wurden oder Jesus als Messias Israels ablehnten. Genau darin, solche Konsequenzen des Christusgeschehens für Israel neu zu durchdenken und zu beschreiben, bestand für Paulus offenbar besonders im Römerbrief die theologische Herausforderung. 138 Aber schon im Galaterbrief war er, wie die dort noch relativ isoliert begegnende Wendung „Israel Gottes“ (Gal 6,16) belegt, mit der Problematik konfrontiert worden, und möglicherweise auch schon in Antiochia, obwohl man die Argumentation zum ‚antiochenischen Zwischenfall‘ im Galaterbrief nicht ohne weiteres auf den Konflikt mit Kefas in Antiochia zurückdatieren kann. 139 Seine ‚Rechtfertigungsargumentation‘ entfaltet Paulus jedenfalls erst im Galater- und im Römerbrief, und ich verstehe sie als Reflexion der Auseinandersetzungen im ‚galatischen Konflikt‘, ohne den sie nicht die theologische Gestalt hätte finden können, in der sie uns in diesen beiden Briefen erstmals begegnet und die für die ganze Theologie- und Christentumsgeschichte seither maßgeblich geworden ist, unabhängig davon, wie man diesen rezeptionsgeschichtlichen Tatbestand bewertet. Das „Israel Gottes“ (Gal 6,16) ist für Paulus nicht identisch mit dem Israel, aus dem der „Christus dem Fleisch nach“ kommt (Röm 9,5), aber es verliert auch nicht – modern gesprochen – seine ethnischen Konnotationen. Nach Pau-
138 Vgl. dazu näher KARL-WILHELM NIEBUHR, Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute (Anm. 2); DERS., Paul, the Israelite (Anm. 134). 139 Vgl. dazu NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis (Anm. 11), 31–41.
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Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit
lus im Römerbrief bleibt Israel auch endzeitlich Israel und damit von den Völkern unterschieden, auch wenn es wie die Glaubenden aus den Völkern im Christusgeschehen gerettet und damit auch selbst verändert wird, nämlich zu dem einen, endzeitlichen Gottesvolk, bestehend aus Juden und Nichtjuden, wird. Nur so erklärt sich der hohe exegetische und theologische Aufwand, den Paulus in Römer 9–11 betreiben muss, um angesichts des Christusgeschehens und der mit ihm zusammenhängenden Differenzierung „in Israel“ (Röm 9,6) daran festhalten zu können, dass „ganz Israel (von Gott) gerettet wird“ (Röm 11,26). Dies den nichtjüdischen Christusanhängern in Rom zu vermitteln, damit sie sich nicht über Israel erheben, ist ihm ein ebenso wichtiges Anliegen, wie seine „Brüder (und Schwestern)“, seine „leiblichen Stammverwandten, die (ja doch immer noch) Israeliten sind“ (Röm 9,3), davon zu überzeugen, dass auch für sie die Wahrheit der Verheißungen für Israel sich endzeitlich in dem Messias Jesus erfüllt hat (Röm 15,8f.). „Israel“ bzw. „Jakob“ bleibt nicht unverändert, wenn es endzeitlich gerettet wird (σωθήσεται), wenn der im Christusgeschehen vom Zion kommende „Herausreißer“ (ὁ ῥυόμενος), der „Erlöser“ (ואל ֵ ֔ ֹ )גּnach Jes 59,20, alle Gottlosigkeit und Sünde von den Israeliten wegnehmen wird (Röm 11,26). Deshalb wendet sich zwar nach Paulus der Ruf zum Christusglauben an alle, Juden wie Heiden. Dennoch unterscheidet er aber auch im Römerbrief zwischen seiner eigenen, spezifischen Aufgabe als Heidenapostel (Röm 11,13), die der Gewinnung des πλήρωμα τῶν ἐθνῶν (Röm 11,25) und, wenn auf diesem Wege möglich, auch wenigstens einiger Juden für Christus gilt (τινὰς ἐξ αὐτῶν, 11,14), und der Rettung von πᾶς Ἰσραήλ durch Gott (Röm 11,26). Dass an dieser entscheidenden Stelle, wo von der Rettung ganz Israels die Rede ist, vom Glauben aller Juden nicht die Rede ist und auch nicht mehr von ihrer Gewinnung durch Paulus, sondern allein davon, dass Gott die „Gottlosigkeiten“ (ἀσεβείαι) von Jakob abwenden und ihre „Sünden“ (ἁμαρτίαι) wegnehmen (Röm 11,27f.) und so auch allen Unglauben (ἀπιστία, 11,23), alle Feindschaft (ἐχθροί, 11,28) und allen Ungehorsam (ἀπειθεία, 11,30f.) in Israel beseitigen wird, darf nicht exegetisch überlesen und theologisch übersehen werden. 140 139F
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Vgl. dazu NIEBUHR, Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute (Anm. 2), 403f.
I Tora
Das jüdische Gesetz bei Paulus im Kontext des Neuen Testaments Einleitung Wenn Paulus im Judentum seiner Zeit wahrgenommen werden soll, dann kann dies sachgemäß nur geschehen, wenn dabei auch die Bedeutung des jüdischen Gesetzes, der Tora, für ihn angemessen gewürdigt wird. Zugleich ist aber in Betracht zu ziehen, dass Paulus sich in seinen Briefen als Apostel Jesu Christi definiert, als „Sklave des Christus Jesus, berufener Apostel, ausgesondert für das Evangelium Gottes, das er (Gott) vorherverheißen hat durch seine Propheten in heiligen Schriften“ (Röm 1,1f.). Sein zentraler Auftrag bestand seither darin, das Christusevangelium zu verbreiten, in dem seiner Überzeugung nach die endzeitliche Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes Gegenwart geworden war, zwar „ohne Gesetz“, aber zugleich „bezeugt vom Gesetz und den Propheten“ (Röm 3,21). Sein Verhältnis zur Tora war also seinem Selbstverständnis nach spätestens seit seiner Berufung zum Apostel, indirekt aber wohl auch schon vorher als „Verfolger der Gemeinde Gottes“ (1Kor 15,9; Gal 1,13), durch seine Beziehung zu Jesus, den dessen Anhänger als Messias Israels ansahen, bestimmt oder zumindest beeinflusst. In den kanonischen Schriften des Neuen Testaments – später ‚nichtkanonisch‘ gewordene geben darüber in historischer Hinsicht nichts Neues zu erkennen – kommt das Verhältnis des Paulus zur Tora einerseits in Gestalt theologischer Argumentationen in seinen Briefen, andererseits in der narrativen Darstellung seiner Biographie und seines Wirkens als Apostel in der Apostelgeschichte zur Sprache. In beiden Quellenbereichen spiegelt sich damit eine historische Entwicklung in den frühesten Gemeinden von Jesusanhängern nach Ostern wider, für die ebenfalls die jüdische Tora ein zentraler Gegenstand der Reflexion und der religiösen Praxis war, wenn auch auf jeweils verschiedene Weise. Die Frage nach Paulus und dem jüdischen Gesetz kann daher nicht unabhängig von der nach der Tora in den frühchristlich-nachösterlichen Gruppen von Jesusanhängern insgesamt sachgemäß beantwortet werden. Darin schlägt sich die Einsicht der jüngeren neutestamentlichen Forschung nieder, dass nicht nur Paulus, sondern auch Jesus und die nachösterliche Jesusbewegung insgesamt, in der alle neutestamentlichen Schriften entstanden sind, nur im Judentum ihrer Zeit historisch und auch theologisch angemessen verstanden werden kann.
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Das jüdische Gesetz bei Paulus und im Neuen Testament
Die folgenden Ausführungen wollen daher das paulinische Gesetzesverständnis und die daraus resultierende Gesetzespraxis in den von ihm gegründeten und beeinflussten Gemeinden in den Kontext der übrigen neutestamentlichen Zeugnisse stellen, in denen sich Auseinandersetzungen um die Tora, aber ebenso eine oft nicht problematisierte religiöse Praxis, die durch die Tora geprägt ist, spiegeln. 1 Auf diese Weise können die neutestamentlichen Schriften auch selbst als Zeugnisse jüdischen Lebens und Glaubens im 1. Jh. n. Chr. gewürdigt werden, jüdischen Lebens und Glaubens, das seine spezifischen Konturen vom Wirken Jesu und dem Glauben an ihn als Messias Israels, den Gott von den Toten auferweckt hat, empfangen hat.
1. Jesus und die Evangelien
1. Jesus und die Evangelien Haltungen und Stellungnahmen Jesu zum jüdischen Gesetz sind nur über die neutestamentlichen Evangelien und die ihnen zugrundeliegende vorliterarische Jesusüberlieferung zugänglich. Alle literarischen und vorliterarischen Zeugnisse über Jesus sind erkennbar geprägt zum einen durch das vom Osterglauben her gestaltete Gesamtbild von Wirken, Weg und Geschick Jesu, des Messias Israels und endzeitlichen Repräsentanten Gottes, zum anderen beeinflusst von Konflikten in den Gemeinden nachösterlicher Jesusanhänger mit anderen jüdischen Gruppen, bei denen Fragen des Umgangs mit der Tora und ihrer Bedeutung für die religiöse Praxis der eigenen Gemeinschaft eine wesentliche Rolle spielten. Von solchen Konflikten und ebenso von den nachösterlichen Glaubensüberzeugungen der Jesusanhänger her wurden auch die Aussagen der Evangelien über Haltungen Jesu zum Gesetz und seinen Geboten exemplarisch ausgestaltet. Nicht übersehen werden kann dabei aber, dass Jesus in einem weitestgehend jüdisch geprägten Umfeld aufwuchs und wirkte, das permanent durch überlieferte und vergegenwärtigte Grundsätze der Tora getragen und geordnet war. 2 Der Beitrag basiert in der Substanz auf meinem Artikel KARL-WILHELM NIEBUHR, Nomos, B. Jüdisch, C. Neues Testament, RAC 25, 2013, 1006–1061: 1039–1061. Er wurde in den Fußnoten aktualisiert und stark erweitert. Der Part dieses Artikels zum Alten Testament und zum Frühjudentum erschien, ebenfalls in aktualisierter und stark erweiterter Fassung, unter dem Titel KARL-WILHELM NIEBUHR, Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum, in: DERS., Tora und Weisheit. Studien zur frühjüdischen Literatur, WUNT 466, Tübingen 2021, 15–100. 2 Vgl. zur Einführung THOMAS KAZEN, Jesu Interpretation der Tora, in: JENS SCHRÖTER/CHRISTINE JACOBI (Hg.), Jesus Handbuch, Tübingen 2017, 402–416; JENS SCHRÖTER, Jesus von Nazaret. Jude aus Galiläa – Retter der Welt, Biblische Gestalten 15, Leipzig 62017, 261–273; WILLIAM R. G. LOADER , Jesus and the Law, in: TOM HOLMÉN/STANLEY E. PORTER (Hg.), Handbook for the Study of the Historical Jesus, Bd. 3, Leiden 2011, 2745–2772; GERD THEISSEN/ANNETTE MERZ, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 42011, 1
1. Jesus und die Evangelien
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1.1 Vorliterarische Jesusüberlieferungen In diachroner Perspektive kommt innerhalb der synoptischen Jesusüberlieferung bei der Frage nach der Haltung Jesu zum Gesetz der Logienquelle, d.h., der Spruchüberlieferung, die Matthäus und Lukas, nicht aber Markus zugrunde lag, besonderes Gewicht zu. Freilich enthält sie nur wenige explizite Stellungnahmen zur Tora, und im Ganzen wird die Bedeutung des jüdischen Gesetzes dort nicht prinzipiell diskutiert oder gar geklärt. Vielmehr wird die Autorität der Tora für Jesus und seine Anhänger grundsätzlich vorausgesetzt und akzeptiert, und auf dieser Basis können dann Einzelheiten des Verhaltens Jesu oder Äußerungen von ihm zu Torageboten thematisiert werden. 3 Dabei zeigt sich, dass die charakteristischen Züge des Wirkens Jesu nicht in erster Linie von seinem Verhältnis zur Tora her zu bestimmen sind, also auch nicht in grundsätzlicher Auseinandersetzung mit ihr, sondern von seinem Anspruch, das endzeitliche Handeln Gottes an seinem Volk Israel, die „Königsherrschaft Gottes“, in Wort und Tat persönlich zu vergegenwärtigen. Erst von diesem Zentrum des Wirkens Jesu aus ergeben sich dann auch neue und für Jesus charakteristische Perspektiven auf die Tora. 4 Explizit wird die Tora als solche in der Logienüberlieferung nur in Lk 16,16f. par. Mt 11,12f.; 5,18 thematisiert. 5 In zwei aufeinander folgenden Jesusworten wird hier zunächst die Epoche der „Königsherrschaft Gottes“, also
311–358; GERHARD DAUTZENBERG, Gesetzeskritik und Gesetzesgehorsam in der Jesustradition, in: KARL KERTELGE (Hg.), Das Gesetz im Neuen Testament, QD 108, Freiburg 1986, 46–70; PETER FIEDLER, Die Tora bei Jesus und in der Jesusüberlieferung, a.a.O., 71–87; MARTIN HENGEL, Jesus und die Tora, in: DERS., Jesus und die Evangelien. Kleine Schriften V, hg. v. CLAUS-JÜRGEN THORNTON, WUNT 211, Tübingen 2007, 352–374 (1978). 3 Vgl. DANIEL KOSCH, Die eschatologische Tora des Menschensohnes. Untersuchungen zur Rezeption der Stellung Jesu zur Tora in Q, NTOA 12, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1989; WILLIAM R. G. LOADER, Jesus’ Attitude towards the Law. A Study of the Gospels, WUNT II/97, Tübingen 1997, 390–431; LUTZ DOERING, Jesus im Judentum seiner Zeit (Die jüdische Prägung Jesu), in: SCHRÖTER/JACOBI, Jesus Handbuch (Anm. 2), 227–229; SCHRÖTER, Jesus von Nazaret (Anm. 2), 80–149; JAMES D. G. DUNN, Jesus Remembered, Christianity in the Making, Bd. 1, Grand Rapids/Cambridge 2003, 563–589. 4 KOSCH, Die eschatologische Tora des Menschensohnes (Anm. 3), 476: „Jesu Stellung zur Tora kann im Vergleich mit ihrer Bedeutung im übrigen Frühjudentum am ehesten so beschrieben werden, dass sie in seiner Verkündigung ihren Stellenwert als zentrale Bezugsgrösse einbüsst und von der Mitte an die Peripherie gerät.“ Vgl. auch CHRISTOPH HEIL, Nachfolge und Tora in Q 9,57–60, in: MARKUS TIWALD (Hg.), Kein Jota wird vergehen. Das Gesetzesverständnis der Logienquelle vor dem Hintergrund frühjüdischer Theologie, BWANT 200, Stuttgart 2013, 111–140: 111–114. 5 Vgl. dazu KOSCH, Die eschatologische Tora des Menschensohnes (Anm. 3), 427–444; JENS SCHRÖTER, Erwägungen zum Gesetzesverständnis in Q anhand von Q 16,16–18, in: CHRISTOPHER M. TUCKETT (Hg.), The Scriptures in the Gospels, BEThL 131, Leuven 1997, 441–458.
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Das jüdische Gesetz bei Paulus und im Neuen Testament
die des Wirkens Jesu, als Abschluss der Zeit von „Gesetz und Propheten“ bestimmt, die „bis zu Johannes“ reicht. „Gesetz und Propheten“ steht hier für die in den Schriften Israels überlieferte autoritative Glaubensüberlieferung. Unmittelbar anschließend schließt Jesus aus, dass „auch nur ein Jota oder ein Häkchen des Gesetzes fällt“. Rechnet man das bei Lukas folgende Verbot der Wiederheirat nach einer Ehescheidung (Lk 16,18 par. Mt 5,32) zu demselben Überlieferungszusammenhang, so tritt die gerade von Jesus gegebene totale Bestandsgarantie der Tora bis in ihren Wort-, ja, Buchstabenbestand hinein in Spannung zu einer Weisung, die sich nicht unmittelbar durch ein Gebot der Mosetora oder eine ihr entsprechende frühjüdische Regelung begründen lässt. Auf engstem Raum begegnen somit in der Logienüberlieferung Einzelaussagen zur Tora, die zueinander in Spannung stehen und sich nicht zu einer grundsätzlichen Position Jesu gegenüber der Tora systematisieren lassen. Dasselbe gilt für weitere Einzelstücke der Logienüberlieferung, die jeweils wesentliche Konsequenzen für das Verhältnis Jesu zu den Geboten der Tora implizieren, ohne dass sich daraus seine prinzipielle Haltung zum jüdischen Gesetz ableiten ließe. In der Weherede gegen die Pharisäer (Lk 11,39–44 par. Mt 23,5–7.23.25.26–28) 6 setzt sich Jesus mit deren Torapraxis auseinander, die ihr Spezifikum in der minutiösen Einhaltung von Zehnt- und Reinheitsvorschriften findet. Demgegenüber betont Jesus „Recht, Barmherzigkeit und Treue“ als umfassende Forderung des Willens Gottes, wobei diese nicht an die Stelle der pharisäischen Torapraxis rückt, sondern ihr zur Seite steht: „dies ist zu tun, aber jenes nicht außer Acht zu lassen“ (Lk 11,42b). In Lk 9,57–60 par. Mt 8,19–22 mündet eine kleine Reihe von Nachfolgesprüchen in die provokante Forderung: „Folge mir und lass die Toten ihre Toten begraben!“ Dies steht in Spannung zu Forderungen der Tora, Verstorbenen ein angemessenes Begräbnis zu geben, die bis in das Elterngebot des Dekalogs hinein verankert sind und in frühjüdischer Toraparänese lebendig waren. 7 Zeugt eine solche Weisung Jesu von seinem souveränen Umgang mit Einzelforderungen des Gesetzes, sofern sie seinem eigenen Anspruch im Wege stehen, so lässt sich doch auch daraus keine Infragestellung oder gar grundsätzliche Ablehnung der Tora ableiten. In der Einleitung zum Gleichnis vom Hausbau (Lk 6,47–49 par. Mt 7,24–27) wird das endzeitliche Geschick der Angeredeten davon abhängig ge-
6 Vgl. dazu KOSCH, Die eschatologische Tora des Menschensohnes (Anm. 3), 61–212; GERTRAUD HARB, Die ersten beiden Weherufe gegen die Pharisäer in der Logienquelle (Q 11,42.39b.41), in: TIWALD, Kein Jota wird vergehen (Anm. 4), 141–162. 7 Vgl. dazu HEIL, Nachfolge und Tora in Q 9,57–60 (Anm. 4), 125–130; MARKUS BOCKMUEHL, ‚Let the Dead Bury Their Dead‘ (Matt. 8:22 / Luke 9:62): Jesus and the Halakhah, JThSt 49, 1998, 553–581 (= in: DERS., Jewish Law in Gentile Churches. Halakhah and the Beginning of Christian Public Ethics, Edinburgh 2000, 23–48); MARTIN HENGEL, Nachfolge und Charisma. Eine exegetisch-religionsgeschichtliche Studie zu Mt 8,21f. und Jesu Ruf in die Nachfolge, in: DERS., Jesus und die Evangelien (Anm. 2), 40–138 (1968).
1. Jesus und die Evangelien
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macht, ob sie Jesu Worte hören und tun. Damit wird der Weisung Jesu vergleichbare Autorität zugemessen wie der des endzeitlichen Toralehrers in Qumran. 8 Ähnlich wie dort wird auch hier der Wille Gottes für Israel nicht durch Jesus außer Kraft, sondern endzeitlich in Kraft gesetzt (von der Tora ist an dieser Stelle aber nicht explizit die Rede). Auch in der Markus zugrundeliegenden vorliterarischen Jesusüberlieferung wird keine Grundsatzposition Jesu zum jüdischen Gesetz fixiert (explizite Stellungnahmen oder gar Reflexionen zur Tora als solcher fehlen auf dieser Überlieferungsstufe). Vielmehr wird das Thema an Einzelfällen und -aussagen zu Geboten oder Anwendungsbereichen der Tora exemplarisch entfaltet, die sein Verhalten und seinen sich darin zeigenden Selbstanspruch illustrieren. Dabei tritt die Haltung Jesu zum und sein Verhalten am Sabbat besonders hervor. 9 Im Streitgespräch Mk 2,23–28 ist der Verweis auf David zur Rechtfertigung des Sabbat-Verhaltens der Jünger als messianisch begründete Ausnahmegenehmigung zu verstehen, die aus der Gegenwart Jesu abgeleitet wird. Die anschließenden Logien V. 27f. stellen einen Bezug zur Schöpfung her: Der Sabbat wurde um des Menschen willen „geschaffen“ (ἐγένετο), und der Menschensohn wird zum „Herrn“ (κύριος) über den Sabbat erklärt. Damit wird von der Schöpfung und vom eschatologischen Selbstanspruch Jesu her der Mensch dem Sabbat übergeordnet. Nach Mk 3,1–5 (vgl. Mt 12,11f.; Lk 13,15f.; 14,5) macht Jesu Heilen am Sabbat das Konfliktpotential offenbar, das aus seinem Wirken resultierte. Die Sabbatheilungen beziehen ihre provokante Schärfe daraus, dass keine lebensbedrohlichen Krankheiten vorausgesetzt sind, die ausnahmsweise eine Übertretung des Ruhegebotes gerechtfertigt hätten. Vielmehr stellt Jesus in den kommentierenden Logien dem Ruhegebot seinen Anspruch entgegen, auch am Sabbat endzeitlich helfend und lebensförderlich zu handeln. Das provokante Logion Mk 7,15 ist bei Markus (und ihm folgend bei Matthäus) in eine Kontroverse Jesu mit den Pharisäern um Fragen ritueller Reinheit eingeordnet, steht und spricht aber in der vorliterarischen Jesusüberlieferung zunächst für sich: Reinheit oder Unreinheit des Menschen kommen von innen, nicht von außen. 10 Solche Reinheit betrifft das Gottesverhältnis, das aufgrund
8 Vgl. dazu NIEBUHR, Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum (Anm. 1), 35– 38, sowie DIETER T. ROTH, The Words of Jesus and the Torah. A Consideration of the Role of Q 6,47–49, in: TIWALD, Kein Jota wird vergehen (Anm. 4), 89–110: 98–106. 9 Dazu LUTZ DOERING, Schabbat. Sabbathalacha und -praxis im antiken Judentum und Urchristentum, TSAJ 78, Tübingen 1999, 398–478. 10 Vgl. dazu zuletzt WOLFGANG STEGEMANN, Hat Jesus die Speisegesetze der Tora aufgehoben? Zur neuesten kontroversen Einschätzung der traditionellen Deutung des sog. „Reinheitslogions“ von Mk 7,15, in: Jesus – Gestalt und Gestaltungen. Rezeptionen des Galiläers in Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft (FS G. Theißen), hg. v. PETRA VON GEMÜNDEN/DAVID G. HORRELL/M AX KÜCHLER, NTOA/StUNT 100, Göttingen 2013, 29–50, sowie DUNN, Jesus Remembered (Anm. 3), 573–577; DERS., Jesus and Ritual Purity. A
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menschlicher Grundhaltungen gegenüber Gott und den Mitmenschen gestört oder heil sein kann. Auf eine ähnliche Intention verweist die in demselben Zusammenhang überlieferte Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischer Toratradition zuzuordnenden Korban-Gebot (Mk 7,8–13). 11 In Mk 10,2–9 wird der nach der Tora des Mose grundsätzlich gegebenen Möglichkeit zur Ehescheidung eine Weisung Jesu entgegengestellt, die mit Verweis auf die Erschaffung des Menschen und die Weisung des Schöpfers an ihn jede Scheidung als gegen Gottes Willen gerichtet beurteilt. 12 Jesus beruft sich also auf Gott, den Schöpfer, um ein Gebot des Mose faktisch außer Kraft zu setzen. Das anschließende Logion Mk 10,11f. läuft auf ein Verbot jeglicher Ehescheidung durch Jesus hinaus, da sie (bei Wiederheirat) immer in einen durch die Tora verbotenen Ehebruch münden müsste. An zwei Stellen in der vormarkinischen Jesusüberlieferung verweist Jesus explizit auf zentrale Forderungen der Tora, die er auch wörtlich zitiert, den Dekalog und das Nächstenliebegebot (Mk 10,17–22; 12,28–34). 13 Um eine Haltung zu charakterisieren, die dem Gotteswillen entspricht, verweist Jesus auf Grundforderungen der Tora, die in den Geboten des Dekalogs zusammengefasst sind (10,19, vgl. auch 10,18 mit Dtn 6,4). Seine Intention richtet sich freilich über die Erfüllung dieser Grundforderungen hinaus auf die totale Zuwendung der Besitzenden zu den Habenichtsen und Notleidenden. Die Forderungen der Tora werden dadurch nicht verdrängt, sondern radikalisiert und auf die Intention des Gesetzes, Leben zu gewinnen, zurückgeführt. Einer grundsätzlichen Aussage zur Tora am nächsten kommt Jesu Antwort auf die Frage nach dem „ersten“ (Mk 12,28) bzw. „größten“ (Mt 22,36) Gebot (sc. der Tora). In der Zusammenstellung von Grundforderungen aus der Tora wie dem Schema Jisrael und den Geboten der Gottes- und Nächstenliebe folgt Jesus Tendenzen Study of the Tradition-History of Mark 7.15, in: DERS., Jesus, Paul and the Law, London 1990, 37–60. 11 Vgl. dazu E. P. SANDERS, Jewish Law from Jesus to the Mishnah. Five Studies, London/Philadelphia 1990, 51–57. 12 Zu frühjüdischen Kontexten im Blick auf Ehescheidung vgl. DIETER SÄNGER, Schriftauslegung im Horizont der Gottesherrschaft. Die Antithesen der Bergpredigt (Mt 5,21–48) und die Verkündigung Jesu, in: DERS., Von der Bestimmtheit des Anfangs. Studien zu Jesus, Paulus und zum frühchristlichen Schriftverständnis, Neukirchen-Vluyn 2007, 1–32: 19f. Zur Rezeption bei Matthäus vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Die Antithesen des Matthäus. Jesus als Toralehrer und die frühjüdische weisheitlich geprägte Torarezeption, in: Gedenkt an das Wort (FS W. Vogler), hg. v. CHRISTOPH KÄHLER/MARTINA BÖHM/CHRISTFRIED BÖTTRICH, Leipzig 1999, 175–200: 185–189 [in Tora und Weisheit 299–323: 309–313]. Zu Jesu Haltung zur Ehescheidung vgl. TRAUGOTT HOLTZ, „Ich aber sage euch“. Bemerkungen zum Verhältnis Jesu zur Tora, in: INGO BROER (Hg.), Jesus und das jüdische Gesetz, Stuttgart 1992, 135–145 (= in: DERS., Exegetische und theologische Studien. Gesammelte Aufsätze II, hg. v. KARL-WILHELM NIEBUHR, ABIG 34, Leipzig 2010, 207–216). 13 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Weisheit als Thema biblischer Theologie, KuD 44, 1998, 40–60: 51–59 [in Tora und Weisheit 263–284: 275–283].
1. Jesus und die Evangelien
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frühjüdischer Toraparänese, 14 wenngleich die Kombination expliziter Zitate aus Dtn 6,4 und Lev 19,18 außerhalb der Jesusüberlieferung nicht belegt ist. Will man von dem durch Texte nur fragmentarisch skizzierbaren Bild der vorliterarischen nachösterlichen Jesusüberlieferung auf eine Haltung des vorösterlichen Jesus zur Tora zurückschließen, 15 so ist zunächst der Negativbefund festzuhalten, dass rituelle Reinheits-, Speise- oder Abgabenbestimmungen offenbar nicht im Vordergrund seines Wirkens und seiner Botschaft standen. Kultisch-rituelle Komponenten der Torapraxis waren primär auf die Teilnahme am Jerusalemer Tempelkult bezogen und von daher für Jesu Wirken in Galiläa weniger relevant. Zehnt- und Speisebestimmungen waren zudem an die Herstellung und Verwertung landwirtschaftlicher Produkte im Land Israel geknüpft, womit Jesus als nicht sesshafter und nicht berufstätiger Wanderprediger auch eher weniger zu tun hatte. Inhaltliche Schwerpunkte der Torarezeption durch Jesus lagen, abgesehen von der diskussionslos anerkannten Forderung des ersten Dekaloggebotes (vgl. in der Logienüberlieferung Lk 4,8 par. Mt 4,10, in der vormarkinischen Überlieferung Mk 12,29), zum einen im Bereich des menschlichen Zusammenlebens (Sexual-, Ehe- und Familienethik, vgl. Mk 10,2–12; 7,10–13) und der sozialen Ausrichtung des Verhaltens (Mk 10,17–22; 12,28–34), zum andern bei der Sabbatpraxis (Mk 2,23–28; 3,1–5). Jesu Umgang mit dem Sabbatgebot zeigt in radikaler Zuspitzung, wo die Akzente seines Wirkens im Blick auf das Gesetz liegen. Weder will er die Tora oder auch nur den Sabbat außer Kraft setzen, noch Normen für das Verhalten am Sabbat im Sinne rabbinischer Halacha definieren. Seine Intention richtet sich vielmehr auf den Gotteswillen für Israel, der sich schon von der Schöpfung her im Sabbatgebot niedergeschlagen hat und den Jesus endzeitlich zutage bringt. Der Umgang Jesu mit der Tora unterscheidet sich damit charakteristisch sowohl von dem zeitgenössischer pharisäischer Gruppen als auch von halachischen Tora-Debatten rabbinischer Gelehrter. 16 Nicht Einzelfallentscheidungen oder Definitionen von Fallkonstellationen stehen im Fokus, sondern eine Le-
14 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, 164–166.239f. 15 Vgl. dazu JOHN P. MEIER, A Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus, Bd. 4: Law and Love, New Haven/London 2009; DUNN, Jesus Remembered (Anm. 3), 563–592; MARTIN HENGEL/ANNA MARIA SCHWEMER, Jesus und das Judentum, Geschichte des frühen Christentums, Bd. 1, Tübingen 2007, 431–451; SANDERS, Jewish Law (Anm. 11), 1–96. 16 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Jesus, Paulus und die Pharisäer. Beobachtungen zu ihren historischen Zusammenhängen, zum Toraverständnis und zur Anthropologie, RCatT 34, 2009, 317–346: 342–344 (Englisch: Jesus, Paul, and the Pharisees. Observations on Their Commonalities and Their Understanding of Torah, in: FRANTIŠEK ÁBEL [Hg.], The Message of Paul the Apostle within Second Temple Judaism, Lanham 2020, 109–141 [in diesem Band 173–200]).
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benshaltung, die den Grundlinien der Tora entspricht, deren Umsetzung in konkrete Lebensentscheidungen aber den Adressaten der paränetischen Ermahnung Jesu überlassen bleibt. In der Methode, Grundgebote der Tora einer verbindenden, theologisch begründeten Intention zuzuordnen, steht Jesus der frühjüdischen Toraparänese nahe. Auch die in der Jesusüberlieferung auffällig betonte Dekalog-Rezeption deutet auf seine Verwurzelung in der paränetischen Toravergegenwärtigung des Frühjudentums hin. Die Konzentration der Verhaltensausrichtung auf die Grundforderungen der Liebe zu Gott und dem Nächsten entspricht ebenfalls einer frühjüdischen paränetischen Tendenz, wenngleich sie in der Prägnanz eines Doppelgebotes wie in Mk 12,28–34 wohl erstmals von Jesus artikuliert worden ist. 1.2 Matthäus Unter den synoptischen Evangelien hat allein Matthäus das Verhältnis zwischen Jesus und der Tora explizit und konzeptionell ausgestaltet. Aus seinen vorliterarisch und literarisch überlieferten Vorlagen hat er dazu gezielt Logien oder Erzählstücke, die Aussagen zum Gesetz enthielten, aufgenommen, sie durch eigene Akzentsetzungen verstärkt und mit ihrer Hilfe seine eigene Sicht literarisch und theologisch reflektiert entfaltet. 17 Den Ausdruck „Gesetz und Propheten“ 18 hat Matthäus in der Logienüberlieferung im Zusammenhang eines Jesuswortes vorgefunden, das die Epoche der „Königsherrschaft Gottes“ als heilsgeschichtlichen Neueinsatz von der vorangehenden, mit Johannes dem Täufer endenden, absetzt. 19 Matthäus ordnet diesen Spruch in eine Reihe von weiteren Täufer-Überlieferungen ein, durch die er Jesus dem Täufer zugleich heilgeschichtlich zu- und dezidiert überordnet (Mt 11,2–19). Mit Hilfe der Umformulierung des Wortlautes von Lk 16,16 wird bei ihm aus einem die autoritativen Schriften Israels zusammenfassenden Ausdruck „Gesetz und Propheten“ eine Weissagung der ganzen Schrift auf Jesus hin: „Alle Propheten und das Gesetz bis zu Johannes haben es (sc. die durch Jesus herbei gebrachte Gottesherrschaft) prophezeit.“ (Mt 11,13)
17 Vgl. BORIS REPSCHINSKI, Nicht aufzulösen, sondern zu erfüllen. Das jüdische Gesetz in den synoptischen Jesuserzählungen, fzb 120, Würzburg 2009, 57–141; MATTHIAS KONRADT, Die vollkommene Erfüllung der Tora und der Konflikt mit den Pharisäern im Matthäusevangelium, in: DERS., Studien zum Matthäusevangelium, hg. v. Alida Euler, WUNT 358, Tübingen 2016, 288–315; ROLAND DEINES, Die Gerechtigkeit der Tora im Reich des Messias. Mt 5,13–20 als Schlüsseltext der matthäischen Theologie, WUNT 177, Tübingen 2004; LOADER, Jesus’ Attitude towards the Law (Anm. 3), 137–272; HUBERT FRANKEMÖLLE, Die Tora Gottes für Israel, die Jünger Jesu und die Völker. Zu einem Aspekt von Schrift und Tradition im Matthäusevangelium, in: Schrift und Tradition (FS J. Ernst), hg. v. KNUT BACKHAUS, Paderborn 1996, 85–118. 18 Vgl. dazu DEINES, Die Gerechtigkeit der Tora (Anm. 17), 261–265. 19 Lk 16,16; s. dazu o., 45f.
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An drei weiteren, jeweils kompositorisch aussagekräftigen Stellen seines Evangeliums setzt Matthäus darüber hinaus den Ausdruck „Gesetz und Propheten“ ohne Traditionsgrundlage ein, um seine eigenen Darstellungstendenzen zum Thema Jesus und das Gesetz zu verstärken: In Mt 5,17 steht die Wendung im Rahmen einer Grundsatzerklärung dem Abschnitt zum Umgang Jesu mit der Tora programmatisch voran. Ebenfalls programmatisch dient sie in 7,12 (als inclusio mit 5,17 innerhalb der Bergpredigt) zur Untermauerung der „Goldenen Regel“ als umfassender Weisung Jesu. In 22,40 schließt sie (über Markus und Lukas hinausgehend) die Perikope zum höchsten Gebot der Tora ab. Darüber hinaus benutzt Matthäus νόμος, wo Markus und/oder Lukas weniger bestimmte Ausdrücke verwenden: Die bei Markus artikulierte Frage nach dem „ersten Gebot von allen“ (ποία ἐστὶν ἐντολὴ πρώτη πάντων; Mk 12,28) spitzt Matthäus auf das Gesetz zu (ποία ἐντολὴ μεγάλη ἐν τῷ νόμῳ; Mt 22,36). Auch die Polemik der Logienüberlieferung gegen die pharisäische religiöse Praxis ergänzt und verschärft Matthäus durch den Vorwurf: „Ihr habt beiseitegelassen, was schwerer wiegt am Gesetz (τὰ βαρύτερα τοῦ νόμου): Recht, Barmherzigkeit und Treue“ (Mt 23,23; vgl. 12,7). 20 Innerhalb der systematisch durchkomponierten Bergpredigt (Mt 5–7) erhält Jesu Haltung zur Tora zentrale Bedeutung. 21 Auf eine Grundsatzerklärung zum Gesetz (5,17–20) 22 folgt eine aus sechs parallel gebauten Abschnitten bestehende Reihe von Stellungnahmen zu Einzelgeboten der Tora (5,21–48). 23 Sowohl in der Einleitung als auch in der Antithesenreihe sind Einzellogien aus der vorliterarischen Jesusüberlieferung verarbeitet. Ihre textpragmatische Stringenz und ihren theologischen Sinn erhalten sie aber erst im Rahmen der literarischen Gestaltung durch Matthäus. 24 Im Sinne einer Selbstvorstellung definiert der matthäische Jesus seine Haltung zur Tora aus dem Gegensatz zwischen „auflösen“ (καταλῦσαι) und „erfüllen“ (πληρῶσαι): Er sei nicht gekommen, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen (5,17). Indem Matthäus die Propheten gleichrangig neben das Gesetz stellt, modifiziert er (mit der in 11,13 übernommenen Tradition) das Verständnis der Tora im Sinne des durch Jesus endzeitlich definierten Gotteswillens. Der Satz impliziert zugleich ein Bekenntnis des matthäischen Jesus zum Gesetz wie ein Bekenntnis des Evangelienautors und seiner Leser zu Jesus: Es ist Jesus, der Nach REPSCHINSKI, Nicht aufzulösen, sondern zu erfüllen (Anm. 17), 139, ist ἔλεος „als hermeneutisches Instrument matthäischer Gesetzesinterpretation zu betrachten“. 21 Vgl. DEINES, Die Gerechtigkeit der Tora (Anm. 17), 257–434; LOADER, Jesus’ Attitude towards the Law (Anm. 3), 165–182. 22 Vgl. dazu PAUL FOSTER, Community, Law and Mission in Matthew’s Gospel, WUNT II/177, Tübingen 2004, 144–217; MARTIN VAHRENHORST, „Ihr sollt überhaupt nicht schwören“. Matthäus im halachischen Diskurs, WMANT 95, Neukirchen-Vluyn 2002, 234–255. 23 FOSTER, Community, Law and Mission in Matthew’s Gospel (Anm. 22), 94–143; VAHRENHORST, „Ihr sollt überhaupt nicht schwören“ (Anm. 22), 217–234. 24 Vgl. dazu NIEBUHR, Die Antithesen des Matthäus (Anm. 12), 198f. 20
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gehorsame Gottessohn, wie ihn Matthäus in seiner Jesusgeschichte darstellt, der in seinem Kommen den Willen Gottes selbst erfüllt und ihn seinen Nachfolgern als endzeitlichen Gotteswillen vergegenwärtigt. 25 Die anschließende Bestandsgarantie für die Tora als ganze und sämtliche ihrer Gebote (5,18f.) wird durch eine doppelte Zeitbegrenzung (ἕως ἂν … ἕως ἂν πάντα γένηται) und durch die ebenfalls verdoppelte Ortsbestimmung (ἐν τῇ βασιλείᾳ τῶν οὐρανῶν) in den Horizont der durch Jesus heraufgeführten endzeitlichen Gottesherrschaft gerückt. Die Aufforderung an die Jünger, in ihrer Gerechtigkeit Pharisäer und Schriftgelehrte zu überragen, mit der die kleine Spruchgruppe schließt (5,20), korrespondiert mit derjenigen am Ende der Antithesenreihe, vollkommen zu sein wie der Vater im Himmel (5,48). Alle Einzelforderungen der Tora werden damit dem Ziel untergeordnet, in die endzeitliche Gottesherrschaft hineinzugehen. Die Satzstruktur der „Antithesen“ 26 ebenso wie ihre Reihung in Mt 5,21–48 verdankt sich der sprachlichen Gestaltung durch den Evangelisten. Auf eine leicht variierende Anrede („ihr habt gehört, dass gesagt worden ist zu den Alten“), mit der jeweils eine Weisung der Tora eingeleitet wird, folgt, wortgleich durch „ich aber sage euch“ eingeleitet, eine Weisung Jesu. Die zitierten Weisungen der Tora entsprechen nur zum Teil dem Wortlaut des Pentateuch. Die Weisungen Jesu sind unterschiedlich stark entfaltet und haben nur teilweise synoptische Parallelen (aber nie antithetisch formulierte), vorwiegend in der Logienüberlieferung. Für die Interpretation im Sinne des matthäischen Gesetzesverständnisses ist entscheidend, in welchem sachlichen Verhältnis die Weisungen Jesu zu denen der Tora stehen. Die antithetische Form der Aussagen impliziert eine semantische Opposition, die gleichwohl nicht als sachlicher und schon gar nicht als grundsätzlicher Gegensatz verstanden werden muss. Sowohl zu den von Jesus zitierten Weisungen an die Alten als auch zu Jesu eigenen Weisungen finden sich zahlreiche Parallelen in der frühjüdischen Toraparänese. Die Einzelmahnungen Jesu lassen sich durchweg als paränetische Entfaltungen von Themen verstehen, die auch in der frühjüdischen Torarezeption behandelt wurden. Der antithetische Charakter des Abschnitts ergibt sich erst aus der von Matthäus gestalteten Redeform, die seiner Einbindung in die matthäische Jesusgeschichte entspricht. Jesus wird als messianischer Gottessohn und endzeitlicher Toralehrer erkennbar, der sich dem Gotteswillen unterstellt und ihn seinen Jüngern gegenüber in Vollmacht zur Geltung bringt.
25 Zu πληρῶσαι vgl. 3,15; dazu DEINES, Die Gerechtigkeit der Tora (Anm. 17), 261: „Das Bekenntnis gibt den Rahmen vor, in dem die Tora nach Matthäus verstanden werden muss.“ 26 Vgl. dazu NIEBUHR, Die Antithesen des Matthäus (Anm. 12), 175–177. Der Begriff stammt aus dem 19. Jh., vgl. VAHRENHORST, „Ihr sollt überhaupt nicht schwören“ (Anm. 22), 217–219.
1. Jesus und die Evangelien
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Abgesehen von den Antithesen und ihrer Einleitung stehen Toraüberlieferungen noch in weiteren Teilen der Bergpredigt im Hintergrund, ohne dass das Gesetz und seine Gebote dabei ausdrücklich thematisiert werden. 27 So entspricht etwa die Trias der ‚Liebeswerke‘ (Almosen, Beten, Fasten) in Mt 6,1– 18 konventioneller jüdischer Toraparänese. Die Goldene Regel (Mt 7,12) gehört ebenso zu ihrem Repertoire wie die Forderung nach gerechtem Richten (Mt 7,1–5). 28 An solchen in der Antike verbreiteten Verhaltensanweisungen zeigt sich, dass das in der Bergpredigt von Matthäus propagierte Ethos zwar ausdrücklich in der durch Jesus vollmächtig-endzeitlich vergegenwärtigten jüdischen Tora verankert bleibt, seinen Inhalten und Formen nach aber ebenso anschlussfähig für ein sich in die hellenistisch-römische Welt ausbreitendes frühes Christentum war. 29 Außerhalb der Bergpredigt sind diejenigen Abschnitte für das matthäische Gesetzesverständnis besonders aussagekräftig, in denen der Evangelist die von ihm aufgenommenen Traditionen interpretierend ausbaut. Das ist etwa mit Blick auf Jesu Haltung zum Sabbat der Fall (Mt 12,1–14), wenn Matthäus in der Perikope vom Ährenraufen zur Rechtfertigung des Verhaltens der Jünger am Sabbat neben das schon bei Markus zu findende Schriftbeispiel Davids noch die im Gesetz geregelte Opferpraxis der Priester am Tempel stellt (οὐκ ἀνέγνωτε ἐν τῷ νόμῳ; V. 5). Auch bei der anschließend erzählten, ebenfalls aus Markus übernommenen Heilung einer verkrüppelten Hand am Sabbat fügt Matthäus ein weiteres Argument hinzu, um Jesu Tun zu rechtfertigen: die auch am Sabbat erlaubte Rettung eines in die Grube gefallenen Schafes. In der Perikope zur Ehescheidung (Mt 19,1–12) reduziert Matthäus mit Hilfe der sogenannten ‚Unzuchtsklausel‘ die bei Markus überlieferte grundsätzliche Ablehnung der Scheidung um Fälle sexueller Verfehlungen der Ehefrau (Mt 19,9; vgl. 5,32). In Mt 23,1–36 erweitert er die aus der Logienüberlieferung und der markinischen Tradition übernommenen Beispiele pharisäischer Torapraxis und komponiert daraus eine umfassende Weherede gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten, die nach dem Urteil Jesu bei ihrer Konzentration auf Einzelheiten der Toraauslegung das Gewicht der Gesamtausrichtung eines Lebens nach dem Willen Gottes vernachlässigen (Mt 23,23). In den Perikopen zum Schwören (Mt 5,33–37; 23,16–22), für die keine synoptischen Parallelen überliefert sind (vgl. aber Jak 5,12), lassen sich die Stellungnahmen des matthäischen Jesus in 27 Vgl. MARTIN HENGEL, Zur matthäischen Bergpredigt und ihrem jüdischen Hintergrund, ThR 52, 1987, 327–400 (= in: DERS., Judaica, Hellenistica et Christiana. Kleine Schriften II, WUNT 109, Tübingen 1999, 219–292). 28 Vgl. dazu NIEBUHR, Weisheit als Thema biblischer Theologie (Anm. 13), 47–51. 29 Vgl. HANS DIETER BETZ, The Sermon on the Mount. A Commentary on the Sermon on the Mount, Including the Sermon on the plain (Matthew 5:3–7:27 and Luke 6:20–49), Hermeneia, Minneapolis 1995, 167–172; GEORG STRECKER, Das Gesetz in der Bergpredigt – die Bergpredigt als Gesetz, in: TIMO VEIJOLA (Hg.), The Law in the Bible and in its Environment, Göttingen 1990, 109–125.
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Das jüdische Gesetz bei Paulus und im Neuen Testament
ein weites Feld frühjüdischer Schwurpraxis und -reflexion einordnen, zu dem sie eigene Akzente beisteuern. 30 Auch hier ergibt sich die kritische Haltung Jesu gegenüber seinen Gesprächspartnern nicht aus dem Inhalt seiner Weisungen, sondern aus der erzählerischen Einbindung in den Zusammenhang der matthäischen Jesusgeschichte. Insgesamt zeigt sich damit bei Matthäus gegenüber seinen Vorlagen wie im Vergleich zu den beiden anderen Synoptikern ein deutlich herausgehobenes Interesse am jüdischen Gesetz. Als geschichtlicher Hintergrund für die Entwicklung seiner durchaus polemisch zugespitzten Position gegenüber der Tora lässt sich eine Konfliktkonstellation vermuten, in welcher die Trägerkreise des Matthäusevangeliums pharisäisch geprägten Gruppen gegenüberstanden. 31 Den Maßstab für die Bedeutung des Gesetzes und die Bewertung der Haltung Jesu und seiner Jünger ihm gegenüber bezieht Matthäus aber nicht aus dem Wortlaut oder der Funktion der Tora im Rahmen frühjüdischer Überlieferungen, sondern aus seinem Verständnis der Jesusgeschichte als ganzer als dem Zeugnis vom Wirken des messianischen Gottessohnes und eschatologischen Repräsentanten des Gottes Israels. 1.3 Markus Anders als Matthäus haben weder Markus noch Lukas eigenständige theologische Konzeptionen zum jüdischen Gesetz entwickelt, wenngleich beide aus ihren mündlichen und schriftlichen Vorlagen verschiedene Überlieferungen zur Haltung Jesu gegenüber dem Gesetz aufnahmen und in ihre Jesus-Darstellungen einbauten. Markus hat dabei kaum eigene Akzente gesetzt, sondern die ihm zugekommenen einschlägigen Elemente aus der vorliterarischen Jesusüberlieferung – Jesu Verhalten am und seine Haltung zum Sabbat, seine Distanz gegenüber rituellen Geboten, sein Verweis auf Grundforderungen der Tora wie Gottes- und Nächstenliebe, seine dezidierte Ablehnung der Ehescheidung – mit seinem theologisch-biographischen Erzählansatz verknüpft. Lediglich in Mk 7,1–23 32 hat er eine pharisäerkritische Überlieferung zu Fragen ritueller Reinheit zu einem durchkomponierten Streit- und Lehrgespräch ausgebaut, das seine rhetorische Spitze in dem (ebenfalls aus der Tradition übernommenen) Vgl. VAHRENHORST, „Ihr sollt überhaupt nicht schwören“ (Anm. 22), 215–377. Vgl. MATTHIAS KONRADT, Matthäus im Kontext. Eine Bestandsaufnahme zur Frage des Verhältnisses der matthäischen Gemeinde(n) zum Judentum, in: DERS., Studien zum Matthäusevangelium (Anm. 17), 3–42; DERS., Die vollkommene Erfüllung der Tora (Anm. 17), 313–315. 32 Vgl. dazu LOADER, Jesus’ Attitude towards the Law (Anm. 3), 71–79; DUNN, Jesus Remembered (Anm. 3), 569–577, sowie ANDREAS BEDENBENDER, Frohe Botschaft am Abgrund. Das Markusevangelium und der Jüdische Krieg, SKI.NF 5, Leipzig 2013, 132–142; ROGER P. BOOTH, Jesus and the Laws of Purity. Tradition History and Legal History in Mark 7, JSNTS 13, Sheffield 1986. 30 31
1. Jesus und die Evangelien
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Logion Mk 7,15 hat. Schlägt sich in dieser markinischen Erzähleinheit auch eine ins Grundsätzliche gehende Konfrontation mit pharisäischen Auslegungstraditionen und -tendenzen zur Tora nieder (vgl. 7,19!), so hat Markus daraus doch keine prinzipielle Ablehnung des jüdischen Gesetzes durch Jesus abgeleitet. Vielmehr lebt auch der markinische Jesus nach den Maßstäben jüdischer Torapraxis (Mk 1,21.44; 3,1; 6,2) und verweist auf Mose und die Gebote der Tora als Ausdruck des gegenwärtig gültigen Gotteswillens für sein Volk Israel (Mk 10,3–9.18f.; 12,26.29–31). Das wichtigste theologische Interpretament der markinischen Jesus-Erzählung besteht in der Herausstellung der christologischen Bedeutung des Wirkens, des Weges und des Geschicks Jesu als Gottessohn. Ihm sind alle Aussagen zum jüdischen Gesetz zu- und untergeordnet. 33 1.4 Das lukanische Werk Für Lukas ergaben sich aus den Darstellungszielen seines Doppelwerkes, das die Anfänge der christlichen Mission unter programmatischer Zuwendung zu Nichtjuden einschloss, eigene Problemstellungen in Bezug auf das jüdische Gesetz. 34 Gegenüber einer älteren, auf Hans Conzelmann zurückgehenden Auslegungstradition, nach welcher mit Lk 16,16 eine Epochengrenze zwischen der durch das Gesetz bestimmten Heilsgeschichte Israels und der ihr folgenden und sie ablösenden Zeit der Verkündigung der Gottesherrschaft markiert sei, 35 hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass die frühchristliche Mission von Lukas als neue Epoche innerhalb der Heilsgeschichte Israels gedeutet wird, in welche die Heidenvölker einbezogen sind. 36 Daraus ergibt sich auch für das jüdische
33 LOADER, Jesus’ Attitude towards the Law (Anm. 3), 123: „Mark’s Jesus is beyond being a teacher of the Law. He exercises an authority which enables him both to affirm it in parts and to supersede it.“ 34 Zu Gattung und Zielen des lukanischen Doppelwerkes vgl. BETTINA ROST, Das Aposteldekret im Verhältnis zur Mosetora. Ein Beitrag zum Gottesvolk-Verständnis bei Lukas, in: JÖRG FREY/CLARE K. ROTHSCHILD/JENS SCHRÖTER (Hg.), Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, BZNW 162, Berlin 2009, 563–604; zum Gesetz im lukanischen Doppelwerk vgl. REPSCHINSKI, Nicht aufzulösen, sondern zu erfüllen (Anm. 17), 217–350; LOADER, Jesus’ Attitude towards the Law (Anm. 3), 273–389. 35 HANS CONZELMANN, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas, BHTh 17, Tübingen 51964, 146–152. 36 Vgl. MICHAEL WOLTER, Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte, in: Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung (FS E. Plümacher), hg. v. CILLIERS BREYTENBACH/JENS SCHRÖTER, AGJU 57, Leiden 2004, 253–284; JENS SCHRÖTER, Heil für die Heiden und Israel. Zum Zusammenhang von Christologie und Volk Gottes bei Lukas, a.a.O., 285–308. Zur Trendwende in der Beurteilung des Verhältnisses von „Lukas“ zum Judentum vgl. JOSEPH B. TYSON, Images of Judaism in Luke-Acts, Columbia 1992; ROBERT L. BRAWLEY, Luke-Acts and the Jews. Conflict, Apology, and Conciliation, SBLMS 33, Atlanta 1987; JACK T. SANDERS, The Jews in Luke-Acts, London 1987.
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Das jüdische Gesetz bei Paulus und im Neuen Testament
Gesetz im Rahmen lukanischer Theologie eine neue Funktion, die freilich nirgendwo explizit reflektiert wird. Sie lässt sich aber an der Bedeutung des Zeugnisses von Gesetz und Propheten für die Interpretation der Jesusgeschichte ablesen, wie sie insbesondere in den Vorgeschichten des Evangeliums (Lk 1f.), in denen der Toragehorsam der Familie Jesu herausgestellt wird, sowie in exemplarischen Szenen der Erzählung zum Verstehen der Schrift hervortritt (vgl. Lk 24,13–32.44–49; Apg 8,26–39; 13,16–41). Auf dieser christologischen Basis der lukanischen Gesamtdarstellung kann auch das Verhalten Jesu, seiner Jünger und der nachösterlichen Apostel einschließlich des Paulus als grundsätzlich gesetzestreu verteidigt werden (Lk 10,26; 16,17; Apg 6f.), während den jüdischen Gegnern Jesu und seiner Nachfolger vorgeworfen wird, sie stellten sich gegen die Forderungen Gottes und seine Verheißungen. 37 Darüber hinaus wird die faktische Geltung bzw. Nichtgeltung von Vorschriften der Tora für die neu entstehenden, zu erheblichen Teilen aus Nichtjuden bestehenden Gemeinden von Jesusanhängern im lukanischen Werk vor allem in zwei Szenen thematisiert: In der Geschichte von der Bekehrung des römischen Hauptmanns Cornelius durch den Apostel Petrus (Apg 10,1–11,18) wird die prinzipielle Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit Nichtjuden (sc. um ihnen die Christusbotschaft vermitteln zu können) in der Weise narrativ geklärt, dass Gott selbst Petrus in einer Vision zu dieser Aufgabe auserwählt und damit zu diesem Zweck auch die Grenze zwischen rein und unrein aufgehoben hat. 38 Nach der Darstellung des Apostelkonzils in Jerusalem (Apg 15,1–35) wird die prinzipielle Einigung der Abgesandten aus Antiochia mit den Aposteln der Urgemeinde – gegen den Widerstand von pharisäischen Gemeindegliedern, die sich auf das Gesetz des Mose berufen (V. 5) – mit einer schriftlich fixierten Vereinbarung zur Heidenmission ohne Beschneidungsforderung verbunden. 39 Demnach soll in gemischten Missionsgemeinden für alle Gemeindeglieder eine Reihe von ethischen und religiösen Richtlinien gelten, die faktisch So besonders in der Stephanus-Rede, Apg 6f., und in der letzten Rede des Paulus als Gefangener in Rom, Apg 28,25–28. 38 Vgl. dazu FLORIAN WILK, Apg 10,1–11,18 im Licht der lukanischen Erzählung vom Wirken Jesu, in: JOSEPH VERHEYEN (Hg.), The Unity of Luke-Acts, BEThL 142, Leuven 1999, 605–617. 39 Zum ‚Aposteldekret‘ vgl. FRIEDRICH AVEMARIE, The Apostolic Decree and the Jewishness of Luke’s Paul. On the Narrative Function of Acts 15:23–29, in: KLAUS-PETER ADAM/FRIEDRICH AVEMARIE/NILI WAZANA (Hg.), Law and Narrative in the Bible and in Neighbouring Cultures, FAT II/54, Tübingen 2012, 373–392; DERS., Die jüdischen Wurzeln des Aposteldekrets. Lösbare und ungelöste Probleme, in: MARKUS ÖHLER, Aposteldekret und antikes Vereinswesen. Gemeinschaft und ihre Ordnung, WUNT 280, Tübingen 2011, 5–32; ROLAND DEINES, Das Aposteldekret – Halacha für Heidenchristen oder christliche Rücksichtnahme auf jüdische Tabus?, in: JÖRG FREY/DANIEL R. SCHWARTZ/STEPHANIE GRIPENTROG (Hg.), Jewish Identity in the Greco-Roman World. Jüdische Identität in der griechisch-römischen Welt, AGKU 71, Leiden 2007, 323–395, sowie ROST, Das Aposteldekret im Verhältnis zur Mosetora (Anm. 34). 37
2. Der Jakobusbrief
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Forderungen der Tora entsprechen und das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden ermöglichen. Traditionsgeschichtlich lassen sich von hier aus Bezüge zu frühjüdischen Überlieferungen herstellen, die zumindest partiell auch Nichtjuden dem in der Tora niedergelegten Willen Gottes für Israel unterwerfen. In rabbinischer Überlieferung wurden sie später in den so genannten ‚noachidischen Geboten‘ gesammelt. Dafür bot schon die Tora Anknüpfungspunkte mit Geboten für Nichtisraeliten, die im biblischen Land Israel leben. 40 Theologisch schlägt sich bei Lukas darin – wie in den narrativen Ausgestaltungen zum Thema Gesetz in seinem Werk insgesamt – das Anliegen nieder, die heilsgeschichtliche Bindung Gottes an sein Volk Israel mit der endzeitlichen Ausweitung des Heilsgeschehens auf Nichtjuden im Christusgeschehen zu verbinden. Historisch zeigt sich darin eine neue Entwicklungsstufe in einem mehrere Generationen andauernden Prozess der Identitätsfindung des frühen Christentums. 41
2. Der Jakobusbrief
2. Der Jakobusbrief Der Jakobusbrief entwickelt keine eigenständige Lehre vom jüdischen Gesetz, bewertet aber die Tora und ihre Gebote durchweg positiv. 42 Innerhalb der vorherrschenden Aussageintention des Briefes, den (‚christlichen‘, vgl. Jak 1,1;
40 Lev 17f.; 24f.; vgl. dazu MARKUS BOCKMUEHL, The Noachide Commandments and New Testament Ethics, in: DERS., Jewish Law in Gentile Churches (Anm. 7), 145–173; JÜRGEN WEHNERT, Die Reinheit des „christlichen Gottesvolkes“ aus Juden und Heiden. Studien zum historischen und theologischen Hintergrund des sogenannten Aposteldekrets, FRLANT 173, Göttingen 1997, 209–238. 41 Vgl. LOADER, Jesus’ Attitude Towards the Law (Anm. 3), 389: „Luke combines an assertion of total faithfulness to Torah on the part of both Gentiles and Jews with a sense of cultural difference which justifies the separation which has come about from those who continue to uphold their divinely sanctioned ways“. 42 Jak 1,25; 2,8–13; 4,11f. Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Glaube im Stresstest. Πίστις im Jakobusbrief, in: JÖRG FREY/BENJAMIN SCHLIESSER/NADINE UEBERSCHAER (Hg.), Glaube. Das Verständnis des Glaubens im frühen Christentum und in seiner jüdischen und hellenistisch-römischen Umwelt, WUNT 373, Tübingen 2017, 473–501: 483–486.492– 496; DERS., Sünde im Jakobusbrief. Eine vernachlässigte Stimme zur Theologie des Neuen Testaments, KuD 66, 2020, 290–311: 300–303; HUBERT FRANKEMÖLLE, Gesetz im Jakobusbrief. Zur Tradition, kontextuellen Verwendung und Rezeption eines belasteten Begriffes, in: KERTELGE, Das Gesetz im Neuen Testament (Anm. 2), 175–221; MARTINA LUDWIG, Wort als Gesetz. Eine Untersuchung zum Verständnis von „Wort“ und „Gesetz“ in israelitisch-frühjüdischen und neutestamentlichen Schriften. Gleichzeitig ein Beitrag zur Theologie des Jakobusbriefes, EHS.T 502, Frankfurt a. M. 1994; MARTIN KLEIN, „Ein vollkommenes Werk“. Vollkommenheit, Gesetz und Gericht als theologische Themen des Jakobusbriefes, BWANT 139, Stuttgart 1995.
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Das jüdische Gesetz bei Paulus und im Neuen Testament
2,1) Glauben der Adressaten angesichts von äußeren Bedrängnissen und inneren Spannungen zu stärken und zu profilieren, 43 hat der Verweis auf das Gesetz die Funktion, die Einheit von Glauben und Tun (1,22–25; 2,12f.; 4,11), vom Hören des rettenden Wortes und dem Ausleben des mit ihm empfangenen Heils (1,16–23), zu untermauern. Dem ist auch der Argumentationsgang in Jak 2,14– 26 als dialogisch gestalteter Exkurs zur Einheit von Glaube und Werken untergeordnet. 44 Das Gesetz gehört für Jakobus, wie das „Wort der Wahrheit“ (λόγος ἀληθείας, 1,18) und das „eingepflanzte Wort, das die Seelen retten kann“ (ὁ ἔμφυτος λόγος ὁ δυνάμενος σῶσαι τὰς ψυχάς, 1,21), zu den guten Gaben Gottes. Dessen heilsames Wirken an den Glaubenden wird mit Geburts- und Schöpfungsmetaphorik ausgedrückt (1,16–18). Als „vollkommenes Gesetz der Freiheit“ (νόμος τέλειος … τῆς ἐλευθερίας, 1,25) wirkt die Tora wie ein Spiegel, in dem die Adressaten sich als „Täter des Wortes“ und ihre wahre Identität als Geschöpfe Gottes erkennen sollen (1,22–25). Das „königliche Gesetz gemäß der Schrift“ (νόμος … βασιλικὸς κατὰ τὴν γραφήν, 2,8), das zu erfüllen ist, wird mit dem nach Lev 19,18 zitierten Liebesgebot der Tora identifiziert. Unmittelbar anschließend gibt der Verfasser, ebenfalls wörtlich, zwei Dekaloggebote wieder, um den Grundsatz zu illustrieren: Wer das ganze Gesetz (ὅλον τὸν νόμον) hält, aber an einem Gebot zu Fall kommt, ist allen gegenüber schuldig geworden (2,10f.). Auch im Rahmen von Mahnungen zum innergemeindlichen Verhalten verweist der Verfasser ausdrücklich auf die Tora als Maßstab und stellt die Autorität des einen Gesetzgebers und endzeitlichen Richters heraus (νομοθέτης καὶ κριτής, 4,11f.; vgl. 2,19). 45 Dass alle diese Aussagezusammenhänge im Jakobusbrief auf die Tora in Gestalt ihrer im griechischsprachigen Diasporajudentum 46 lebendigen paränetischen Rezeption Bezug nehmen, ist offenkundig. Gleichwohl hat der Autor 43 Jak 1,2–8.12–25; 4,1–12. Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Wer war ‚Jakobus‘ in den Augen seiner Leser? Zu meinem Ansatz der Kommentierung des Jakobusbriefs im EKK, in: EVE-MARIE BECKER/SUSANNE LUTHER/SIGURVIN LÁRUS JÓNSSON (Hg.), Who Was James? Essays on the Letter’s Authorship and Provenience, WUNT 485, Tübingen 2022, 273– 290: 273–277; DERS., Sünde im Jakobusbrief (Anm. 42), 291–298; MATTHIAS KONRADT, Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief. Eine Studie zu seiner soteriologischen und ethischen Konzeption, StUNT 22, Göttingen 1998, 101–170. 44 Der Jakobusbrief redet nie, wie Paulus, von „Werken des Gesetzes“! Vgl. dazu NIEBUHR, Sünde im Jakobusbrief (Anm. 42), 308–310; DERS., Glaube im Stresstest (Anm. 42), 478. Zu meiner Sicht der Einleitungsfragen zum Jakobusbrief und zu seinem Verhältnis zu Paulus vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Der erinnerte Jesus bei Jakobus. Ein Beitrag zur Einleitung in einen umstrittenen Brief, in: Spurensuche zur Einleitung in das Neue Testament (FS U. Schnelle), hg. v. MICHAEL LABAHN, FRLANT 271, Göttingen 2017, 307–329: 326– 329; DERS., Sünde im Jakobusbrief (Anm. 42), 306–310. 45 Zum materialen Gehalt des Gesetzes im Jakobusbrief vgl. KONRADT, Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief (Anm. 43), 171–285. 46 Vgl. schon die Briefadresse ταῖς δώδεκα φυλαῖς ταῖς ἐν τῇ διασπορᾷ, 1,1.
3. Der Hebräerbrief
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auch aus der philosophischen, insbesondere stoischen Tradition seiner Zeit Konzeptionen und Wendungen aufgenommen. 47 Damit steht der Jakobusbrief in geistiger Nachbarschaft zur (meist impliziten) Rezeption der stoischen Lehre vom Naturgesetz im hellenistischen Frühjudentum, 48 wobei die theologische Basis seiner Paränese, ähnlich wie bei Philon und in der Sapientia Salomonis, ausdrücklich im jüdischen Gottesverständnis verankert bleibt (vgl. Jak 2,19!) und das universal gültige Gesetz mit der überlieferten Tora des Mose identifiziert wird.
3. Der Hebräerbrief
3. Der Hebräerbrief Im Hebräerbrief bildet der in der Tora verwurzelte und detailliert geregelte Jerusalemer Tempelkult das Gegenbild zum himmlischen Heiligtum, das den Christen durch ihren „Hohepriester“ Jesus Christus eröffnet worden ist. 49 Basis dieses im Neuen Testament einzigartigen Gesetzesverständnisses, 50 das aber immerhin gewisse Analogien bei frühjüdischen, insbesondere in einigen Qumran-Schriften belegten Vorstellungen von der Entsprechung zwischen irdischem und himmlischem Heiligtum 51 ebenso wie in hermeneutischen Zugängen zur Tora bei Philon 52 hat, ist das Bekenntnis zu Jesus, dem Sohn Gottes. Er wird als „Erbe des Alls“, „Abglanz der Herrlichkeit (Gottes)“ und „Ebenbild seines Wesens“ bezeichnet, der „das All durch sein kräftiges Wort trägt“ und „Reinigung von den Sünden vollbracht“, somit die Funktion des levitischen Sühnopferkults am Jerusalemer Tempel ein für alle Mal übernommen hat. 53
47 Vgl. insbesondere die Wendung ὁ ἔμφυτος λόγος (1,21). Dazu MATT A. JACKSONMCCABE, Logos and Law in the Letter of James. The Law of Nature, the Law of Moses, and the Law of Freedom, NT.S 100, Leiden 2000, 26: „the phrase ἔμφυτος λόγος was in fact coined in philosophical circles, in connection with the Stoic theory that human reason comprises a divinely given ‚natural‘ law“; vgl. dazu auch KARL-WILHELM NIEBUHR, „A New Perspective on James“? Neuere Forschungen zum Jakobusbrief, ThLZ 129, 2004, 1019– 1044: 1032–1034; DERS., Jakobus und Paulus über das Innere des Menschen und den Ursprung seiner ethischen Entscheidungen, NTS 62, 2016, 1–30. 48 Vgl. dazu NIEBUHR, Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum (Anm. 1), 59– 70. 49 GEORG GÄBEL, Die Kulttheologie des Hebräerbriefes. Eine exegetisch-religionsgeschichtliche Studie, WUNT II/212, Tübingen 2006, 212–319. 50 HANS-FRIEDRICH WEISS, Der Brief an die Hebräer, KEK 13, Göttingen 1991, 403– 407. 51 GÄBEL, Die Kulttheologie des Hebräerbriefes, (Anm. 49), 25–111; SUSANNE LEHNE, New Covenant in Hebrews, JSNTS 44, Sheffield 1997. 52 STEFAN NORDGAARD SVENDSEN, Allegory Transformed. The Appropriation of Philonic Hermeneutics in the Letter to the Hebrews, WUNT II/269, Tübingen 2009, 29–52. 53 Hebr 1,2–4; vgl. 9,26–28; 10,12–14.
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Das jüdische Gesetz bei Paulus und im Neuen Testament
Spezifisch entfaltet wird diese vom Gedanken eines von Gott in Christus gestifteten „neuen Bundes“ bestimmte christologische Konzeption 54 in der Benennung Jesu als „Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks“. 55 Diese wiederum basiert auf einer schriftgelehrten Kombination der biblischen Erzählung von der Begegnung Abrahams mit dem nicht-israelitischen (vor allem: nichtlevitischen!) Priesterkönig Melchisedek (vgl. Gen 14,18–20) und der christologisch interpretierten Zusage Gottes an den Sohn Davids nach Ps 110,4: „Du bist ein Priester ewiglich nach der Weise Melchisedeks.“ In Hebr 7,1–28 wird aus dieser biblischen Textcollage, die auf gezielter, in christologischem Interesse getroffener Textauswahl beruht, eine Argumentation aufgebaut, nach welcher Jesus als nicht-levitischer (weil als Davidide von Juda abstammender) Hohepriester der am irdischen Heiligtum tätigen levitischen Priesterschaft qualitativ übergeordnet wird. Davon ist auch die Bedeutung und Bewertung des jüdischen Gesetzes betroffen, „denn wenn das Priestertum verändert wird, dann muss auch das Gesetz verändert werden“ (7,12). Die Konsequenzen werden – auch darin ist der Hebräerbrief im Neuen Testament einzigartig – explizit gezogen: Jesus ist zum Priester eingesetzt „nicht nach dem Gesetz fleischlicher Gebote, sondern nach der Kraft unzerstörbaren Lebens“ (7,16). Damit wird ein früher gegebenes Gebot aufgehoben, weil es „schwach und nutzlos war, denn nichts konnte das Gesetz zur Vollendung bringen“ (7,18f.; vgl. 7,28). 56 Vergleichbare Argumentationsgänge, die jeweils aus der Überordnung von christologisch rezipierten Toratraditionen gegenüber der Mosetora auf die Abwertung und Ablösung des Gesetzes durch das Heilsgeschehen in Christus schließen, das sich in der Gemeinde endzeitlich realisiert, werden im Folgenden entfaltet. Semantische Gegensätze sind hierfür bestimmend: zwischen dem Hohepriester zur Rechten Gottes am himmlischen Heiligtum und der auf Erden tätigen Priesterschaft (Hebr 8,1–5); zwischen dem „ersten“, tadelswürdigen, „veralteten“ und „überlebten“ und dem „besseren“, „zweiten“, „neuen Bund“ (8,6–13 57; vgl. 10,16f.); zwischen dem irdischen, durch Gebote der Tora geregelten, und dem endzeitlichen, nicht mit Händen gemachten Heiligtum (9,1–
SEBASTIAN FUHRMANN, Vergeben und Vergessen. Christologie und Neuer Bund im Hebräerbrief, WMANT 113, Neukirchen-Vluyn 2007; KNUT BACKHAUS, Der Neue Bund und das Werden der Kirche. Die Diatheke-Deutung des Hebräerbriefs im Rahmen der frühchristlichen Theologiegeschichte, NTA 29, Münster 1996. 55 Hebr 5,5f.10; 6,20; 7,17 nach Ps 110,4; vgl. 4,14f.; 8,1. 56 Vgl. BACKHAUS, Der Neue Bund und das Werden der Kirche (Anm. 54), 148: „Der νόμος … wird … mit der in 7,11–19 beschriebenen ἀθέτησις abgetan, also negative ‚aufgehoben‘. Wie das gesamte levitische Gefüge ist der νόμος für das Schreiben ohne aktuelle theologische Bedeutung“. Zum Ganzen vgl. a.a.O., 73–207. 57 Nach Jer 31,31–34. 54
4. Paulus
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11 58); zwischen dem Blut der Opfertiere im irdischen Kult gemäß der Tora des Mose und dem Blut des einmaligen Opfertodes Christi (9,12–28). Sie münden in dem abschließenden Urteil: „Das Gesetz hat den Schatten von den zukünftigen Gütern, nicht die Gestalt der Dinge selbst. Deshalb kann es die, die opfern, niemals vollkommen machen …“ (10,1). 59 Die hier vollzogene grundsätzliche, theologisch reflektierte und exegetisch (im Sinne zeitgenössischer frühjüdischer und frühchristlicher Schriftauslegung) begründete Abwertung und Ablehnung des jüdischen Gesetzes steht im Neuen Testament wie im weiteren Umfeld frühjüdischen Gesetzesverständnisses isoliert da, ist freilich von erheblicher Bedeutung für die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte neutestamentlicher Aussagen zum Gesetz geworden. 60 Historisch spiegelt sich in ihr ein theologisch-philosophisches Milieu, das zum einen durch die in den Schriften Israels gesammelten Überlieferungen geprägt ist, zum andern durch griechische philosophische Schultraditionen insbesondere des Mittelplatonismus. 61 Entscheidend für die Argumentationsrichtung des Hebräerbriefes mit Blick auf das Gesetz und für ihr Ergebnis ist allerdings seine – ebenfalls im Frühjudentum wie in hellenistisch-römischen philosophischen Traditionen verwurzelte – christologische Grundentscheidung. 62
4. Paulus
4. Paulus Angesichts einer andauernden, bisweilen ausufernden Forschungsdiskussion zum Gesetzesverständnis des Paulus im Rahmen seiner Rechtfertigungsaussagen aus der ‚New Perspective on Paul‘ 63 können hier nur wenige Grundlinien 58 Nach Hebr 9,10f. sind die Opfergesetze nur „fleischliche Anordnungen“, die die Gewissen der gottesdienstlich Handelnden nicht vollkommen machen können. 59 Übersetzung nach Luther 2017. Zur textkritischen Problematik des Verses (P46 liest καί statt οὐκ αὐτὴν τὴν εἰκόνα), die eine geradezu entgegengesetzte Interpretation ermöglicht, vgl. MARTIN KARRER, Der Brief an die Hebräer, Bd. 2: Kapitel 5,11–13,25, ÖTBK 20/2, Gütersloh 2008, 180f.186–189. 60 BACKHAUS, Der Neue Bund und das Werden der Kirche (Anm. 54), 306–324. Zur neueren Diskussion um die religions- und philosophiegeschichtlichen Hintergründe des Hebräerbriefes vgl. auch WOLFGANG KRAUS, Zu Absicht und Zielsetzung des Hebräerbriefes, KuD 60, 2014, 250–271: 258–263. 61 GÄBEL, Die Kulttheologie des Hebräerbriefes (Anm. 49), 112–128. 62 WEISS, Der Brief an die Hebräer (Anm. 50), 406f.: „Schriftgelehrte, exegetische ‚Gesetzestheologie‘ wird hier betrieben – und dies alles wiederum im Dienste des christologisch-soteriologischen Grundanliegens des Hebr, um der ‚Einführung einer besseren Hoffnung‘ willen.“ 63 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit. Der Heidenapostel aus Israel in neuer Sicht. Mit einem Nachtrag zur ‚New Perspective on Paul‘ seit 2010 [in diesem Band 1–40]. Kritische Forschungsberichte bieten IVANA BENDIK, Paulus in neuer Sicht? Eine kritische Einführung in die „New Perspective on Paul“, JuChr 18,
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Das jüdische Gesetz bei Paulus und im Neuen Testament
skizziert werden. Zunächst ist auf biographische Zusammenhänge zu verweisen (4.1), in denen Paulus mit dem jüdischen Gesetz in Berührung kam. Anschließend sollen Fragen der Torapraxis in den von Paulus gegründeten Gemeinden besprochen werden (4.2). Sodann werden Ausführungen zum Gesetz in den Paulusbriefen skizziert (4.3), und abschließend wird die Funktion des Gesetzes im Zusammenhang der paulinischen Theologie bestimmt (4.4). 4.1 Biographische Zusammenhänge Nach den Selbstaussagen, die er in seine brieflichen Argumentationen eingestreut hat (Gal 1,13f.; Phil 3,5f.; 2Kor 11,22f.; Röm 9,1–5; 11,1.14), entstammte Paulus nach Herkunft und Prägung einem dezidiert an der Treue zur Tora ausgerichteten jüdischen Milieu. 64 Macht er auch selbst keine Angaben zum Ort seiner Geburt und Jugend (anders Apg 9,11; 21,39; 22,3; 26,4), so ergibt sich doch aus inneren Gründen, dass er der Griechisch sprechenden jüdischen Diaspora entstammte. 65 Dass bereits diese Prägung ihn zu einer dezidiert am Toragehorsam ausgerichteten Lebensführung bestimmte, signalisiert
Stuttgart 2010; JENS-CHRISTIAN MASCHMEIER, Rechtfertigung bei Paulus. Eine Kritik alter und neuer Paulusperspektiven, BWANT 189, Stuttgart 2010; STEPHEN WESTERHOLM, Perspectives Old and New on Paul. The „Lutheran“ Paul and his Critics, Grand Rapids/Cambridge 2004; zum Stand der Debatte vgl. auch MICHAEL BACHMANN, Lutherische und Neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, WUNT 182, Tübingen 2005; zur älteren Diskussion THOMAS R. SCHREINER, The Law and Its Fulfillment. A Pauline Theology of Law, Grand Rapids 1993; JAN LAMBRECHT, Gesetzesverständnis bei Paulus, in: KERTELGE, Das Gesetz im Neuen Testament (Anm. 2), 88–127; FERDINAND HAHN, Das Gesetzesverständnis im Römer- und Galaterbrief, ZNW 67, 1976, 29–63. 64 KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992; DERS., Der vorchristliche Paulus, in: FRIEDRICH W. HORN (Hg.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 49–55; DERS., The Pre-Christian Paul and God’s Righteousness. Paul’s Jewish Identity and the Roots of His Doctrine of Justification, in: ONDREJ PROSTREDNÍK (Hg.), Justification according to Paul. Exegetical and Theological Perspectives, Bratislava 2012, 89–103 [in diesem Band 115–131]; JÖRG FREY, Das Judentum des Paulus, in: ODA WISCHMEYER/EVE-MARIE BECKER (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, UTB 2767, Tübingen/Basel 32021, 47–104. Dass die Herkunft des Paulus Gewicht für die Ausbildung seiner theologischen Konzeption auch hinsichtlich des Gesetzes hatte, betont UDO SCHNELLE, Paulus und das Gesetz. Biographisches und Konstruktives, in: EVE-MARIE BECKER/PETER PILHOFER (Hg.), Biographie und Persönlichkeit des Paulus, WUNT 187, Tübingen 2005, 245–270 65 TOR VEGGE, Paulus und das antike Schulwesen. Schule und Bildung des Paulus, BZNW 134, Berlin 2006, 425–456; MARKUS TIWALD, Hebräer von Hebräern. Paulus auf dem Hintergrund frühjüdischer Argumentation und biblischer Interpretation, HBS 52, Freiburg 2008, 129–183; MARTIN HENGEL, Der vorchristliche Paulus, in: DERS., Paulus und Jakobus. Kleine Schriften III, WUNT 141, Tübingen 2002, 68–192: 71–103 (1991).
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der Begriff Ἰουδαϊσμός, den Paulus in seinem autobiographischen Rechenschaftsbericht Gal 1,10–2,21 argumentativ einsetzt, um damit seine spezifische Kompetenz in der Auseinandersetzung mit den Briefadressaten um die Frage der Beschneidung herauszustreichen. 66 Daraus wie aus der traditionellen Prägung des vor Paulus selten belegten Wortes Ἰουδαϊσμός 67 ergibt sich, dass ein bis zur Militanz reichender Einsatz für die Tora sein ‚vorchristliches‘ Leben bestimmte und offenkundig für ihn auch zum Antrieb wurde, sich gegen die gerade im Entstehen begriffene Jesus-Bewegung zu engagieren. Wie in Gal 1,13f. so verknüpft Paulus auch in Phil 3,5f. (vgl. 1Kor 15,9) seine Erziehung und Prägung im Sinne prinzipiellen Toragehorsams mit seinem Engagement gegen die Gemeinden von Jesusanhängern, wohl, weil diese wenigstens seiner Überzeugung nach sich in Haltungen und Handlungen gegen die Tora wandten. Daraus ist zu schließen, dass Gruppen jüdischer Jesusanhänger, möglicherweise in Anknüpfung an torakritische Akzente der Jesusüberlieferung, 68 bereits in den frühesten Anfängen der nachösterlichen Jesusbewegung (spätestens drei Jahre nach der Kreuzigung Jesu, wie sich aus der paulinischen Chronologie ergibt) eine für Außenstehende erkennbar kritische Haltung gegenüber der Tora oder wenigstens gegen Teile aus ihr eingenommen hatten. Aus chronologischen und biographischen Erwägungen ist als Ort solcher Auseinandersetzungen aller Wahrscheinlichkeit nach Jerusalem anzunehmen. 69 Ein weiteres für die ‚vorchristliche‘ Biographie des Paulus wesentliches Element ergibt sich aus Phil 3,5, wonach er seiner Tora-Orientierung nach Pharisäer war (vgl. Apg 23,6; 26,5). Angesichts der überaus komplexen Quellenlage hinsichtlich der pharisäischen Bewegung vor 70 n. Chr. 70 wird man aus
NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (Anm. 64), 4–78. Vgl. dazu DANIEL BOYARIN, Ioudaismos within Paul. A Modified Reading of Gal 1:13–14, in: ÁBEL, The Message of Paul (Anm. 16), 167–178; KARL-WILHELM NIEBUHR, „Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien, ZNW 85, 1994, 218–233 [in diesem Band 133–148]; MANUEL VOGEL, Ein Streit nicht nur um Worte: Begriffsgeschichtliche Beobachtungen zu frühchristlichen Strategien der Exklusion, in: STEFAN ALKIER/HARTMUT LEPPIN (Hg.), Juden, Christen, Heiden? Religiöse Inklusion und Exklusion in Kleinasien bis Decius, WUNT 400, Tübingen 2018, 43–69: 47–52. 68 Vgl. Mk 2,23–3,6; 7,15 (dazu s.o., 47f.). 69 Vgl. Apg 6–8, dazu WOLFGANG KRAUS, Zwischen Jerusalem und Antiochia. Die ‚Hellenisten‘, Paulus und die Aufnahme der Heiden in das endzeitliche Gottesvolk, SBS 179, Stuttgart 1999, 26–81. Vgl. auch MARTIN HENGEL/ANNA MARIA SCHWEMER, Die Urgemeinde und das Judenchristentum, Geschichte des frühen Christentums, Bd. 2, Tübingen 2019, 148–168; MARKUS ÖHLER, Geschichte des frühen Christentums, UTB 4737, Göttingen 2018, 145–151; UDO SCHNELLE, Die ersten 100 Jahre des Christentums 30–130 n.Chr. Die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion, UTB 4411, Göttingen 2015, 141–147; DIETRICH-A LEX KOCH, Geschichte des Urchristentums. Ein Lehrbuch, Göttingen 22014, 170– 178. 70 Vgl. dazu NIEBUHR, Jesus, Paulus und die Pharisäer (Anm. 16), 318–328. 66 67
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Das jüdische Gesetz bei Paulus und im Neuen Testament
diesem biographischen Faktum nur mit größter Vorsicht Schlüsse auf ein spezifisches Verständnis der Tora bei Paulus vor und nach seiner Berufung ziehen können. 71 Konsequente Einhaltung der Gebote der Tora im Alltag war kein Alleinstellungsmerkmal der Pharisäer, wenngleich Josephus deren besondere Genauigkeit (ἀκρίβεια) dabei herausstellt. 72 Ebenso wenig waren mündliche Auslegungstraditionen zur Tora 73 in frühjüdischer Zeit allein für Pharisäer von Bedeutung, zumal ihnen keine Sammlungen solcher Überlieferungen eindeutig zugewiesen werden können. Am ehesten spezifisch-pharisäische Bereiche der Torainterpretation wie z.B. Fragen ritueller Reinheit bei Tisch oder die Verzehntung von Lebensmitteln (vgl. Mk 7,3f.; Lk 11,37f.42) 74 spielten in der Diaspora, wo die Adressaten der Paulusbriefe lebten, keine Rolle; ob sie für den ‚vorchristlichen‘ Paulus von besonderer Bedeutung waren, entzieht sich unserer Kenntnis. 75 Die in einem visionär-auditiven Geschehen erfahrene Lebenswende des Paulus ist uns nur in Gestalt seiner jeweils argumentativ gezielten und geformten, sporadischen Rückblicke zugänglich. 76 Demnach bestand sie im Kern in der Wahrnehmung des auferstandenen gekreuzigten Jesus als einer zu Gott erhobenen Himmelsgestalt und in der Beauftragung, das mit diesem Jesus verknüpfte endzeitliche Handeln Gottes als Heilsbotschaft an Nichtjuden zu verkünden. 77 Dass mit diesem Geschehen für Paulus von Beginn an auch Konsequenzen hinsichtlich seiner Haltung zur Tora verbunden waren, ist angesichts seiner bisherigen Orientierung anzunehmen, bleibt uns aber in den Einzelheiten verborgen. 78 Am sichersten zu erschließen ist, dass die Beauftragung zur Vgl. zur Debatte, ob Paulus eher „Hillelit“ oder „Schammait“ war, KLAUS HAACKER, Zum Werdegang des Apostels Paulus. Biographische Daten und ihre theologische Relevanz, ANRW II 26,2, 1995, 815–938.1924–1933: 871–877. 72 Josephus, Bell 1,110; 2,162; Ant 17,41; Vit 191. 73 Vgl. Josephus, Ant 13,297.408; Vit 191, polemisch auch Mk 7,8. 74 Vgl. E. P. SANDERS, Judaism. Practice and Belief 63 BCE – 66 CE, London/Philadelphia 1992, 413–451; DERS., Jewish Law from Jesus to the Mishnah (Anm. 11), 131–254; dazu die ausführliche kritische Besprechung von MARTIN HENGEL/ROLAND DEINES, E. P. Sanders’ „Common Judaism“, Jesus und die Pharisäer, in: MARTIN HENGEL, Judaica et Hellenistica. Kleine Schriften I, WUNT 90, Tübingen 1996, 392–479: 411–455. 75 Vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis bei Paulus und seinen Gemeinden (Sabbat, Speisegebote, Beschneidung), BThZ 25, 2008, 16–51: 16–22 [in diesem Band 81–113]. 76 Vgl. Gal 1,16f.; 1Kor 15,8; 2Kor 4,6; Phil 3,7f.; dazu NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (Anm. 64), 66–78. 77 Vgl. KRAUS, Zwischen Jerusalem und Antiochia (Anm. 69), 82–105; TERENCE L. DONALDSON, Paul and the Gentiles. Remapping the Apostle’s Convictional World, Minneapolis 1997, 293–307; ALAN F. SEGAL, Paul the Convert. The Apostolate and Apostasy of Saul the Pharisee, New Haven/London 1990, 117–183. 78 STEPHEN WESTERHOLM, Sinai as Viewed from Damascus: Paul’s Reevaluation of the Mosaic Law, in: RICHARD N. LONGENECKER, The Road from Damascus. The Impact of 71
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Völkermission mit seinem pharisäischen Toraverständnis, sofern es auf konsequente Einhaltung ritueller Torabestimmungen für das Leben im Land Israel ausgerichtet war, unvereinbar ist. 79 Darüber hinaus ist wenigstens zu fragen, ob die schon auf Überlieferungen der frühesten Jerusalemer Gemeinde zurückführbare Überzeugung, mit dem Tod Jesu sei ein Sühnegeschehen vollzogen, das in seiner Konsequenz die weitere Teilnahme am Sühnopferkult im Jerusalemer Tempel erübrige, wenn nicht gar ausschließe, mithin wenigstens im Blick auf die den Tempelkult regelnden Teile der Tora weitreichende Folgen nach sich zog, nicht auch schon Paulus im Zuge seiner Verfolgertätigkeit bekannt geworden und nach seiner Berufung von ihm selbst übernommen worden ist; jedenfalls vertritt er sie später in seinen Briefen als Gemeindetradition. 80 4.2 Torapraxis in der paulinischen Mission Im Zuge der paulinischen Mission tritt als erste Auseinandersetzung um Fragen der Torapraxis eine Debatte um die Beschneidung zu Tage. Offenbar war es in Antiochia schon früh zur Gründung einer Gemeinde von Jesusanhängern gekommen, zu der Juden und Nichtjuden gehörten (Apg 11,19–21). Paulus hatte diese Gemeinde nicht gegründet, war aber zu einem nicht genau zu bestimmenden Zeitpunkt vor Ende der 40er Jahre in sie eingetreten und in ihrem Auftrag (neben Barnabas) führend als Missionar aktiv geworden. 81 Sowohl in der Gemeinde von Antiochia als auch in den von Barnabas und Paulus gegründeten Missionsgemeinden wurde die Christus-Verkündigung an Nichtjuden offenbar nicht mit der Forderung zur Beschneidung (und damit zum Übertritt in das Judentum unter grundsätzlicher Anerkennung der Toratreue) verbunden. Bei einer Zusammenkunft aus diesem Anlass zwischen Paulus und Barnabas als Paul’s Conversion on His Life, Thought, and Ministry, Grand Rapids/Cambridge 1997, 147– 165; MARTIN HENGEL, Die Stellung des Apostels Paulus zum Gesetz in den unbekannten Jahren zwischen Damaskus und Antiochien, in: JAMES D. G. DUNN (Hg.), Paul and the Mosaic Law, WUNT 89, Tübingen 1996, 25–51: 28–36 (= in: DERS., Paulus und Jakobus [Anm. 65], 213–239). 79 ANDREAS LINDEMANN, Paulus – Pharisäer und Apostel, in: DIETER SÄNGER/ULRICH MELL (Hg.), Paulus und Johannes. Exegetische Studien zur paulinischen und johanneischen Theologie und Literatur, WUNT 198, Tübingen 2006, 311–351. 80 Röm 3,25f.; 8,3, mit Blick auf die Stephanus-Gruppe in Jerusalem auch Apg 6,11.13f.; vgl. dazu WOLFGANG KRAUS, Der Tod Jesu als Heiligtumsweihe. Eine Untersuchung zum Umfeld der Sühnevorstellung in Römer 3,25–26a, WMANT 66, Neukirchen-Vluyn 1991, 92–167; MARTIN HENGEL, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung, Stuttgart 1979 (= in: DERS., Studien zum Urchristentum. Kleine Schriften VI, WUNT 234, Tübingen 2008, 1– 104). 81 Apg 11,25f.; Gal 1,21; vgl. dazu MARTIN HENGEL/ANNA MARIA SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels, WUNT 108, Tübingen 1998, 274–403; DIES., Die Urgemeinde und das Judenchristentum (Anm. 69), 294– 346; KOCH, Geschichte des Urchristentums (Anm. 69), 212–223.
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Repräsentanten der antiochenischen Gemeinde und den ‚Säulen‘ der Urgemeinde in Jerusalem (Petrus, Jakobus, Johannes) kam es zur grundsätzlichen Anerkennung dieser Missionspraxis ohne Beschneidung, bei gleichzeitiger Akzeptanz der Mission von Juden. 82 Der sogenannte Antiochenische Zwischenfall 83 setzt diese Einigung voraus, entsteht aber an einem neuen, mit ihr offenbar noch nicht gelösten Problem der Torapraxis: Wie können Juden und Nichtjuden in einer christlichen Gemeinde (eucharistische) Tischgemeinschaft halten? Jüdische Vorschriften auf der Grundlage der Tora schlossen solche Tischgemeinschaft zwar nicht prinzipiell aus, konnten aber (in der Diaspora vorwiegend wegen der Gefahr heidnischreligiöser Verrichtungen, die mit der Speisebeschaffung und -zubereitung verbunden war) zu Konflikten führen bzw. spezifische Maßnahmen zur Sicherung der Toratreue der beteiligten Juden erforderlich machen. 84 An dieser Frage
82 Gal 2,1–10; Apg 15. Die Forschungsliteratur zum Apostelkonzil und zum Antiochenischen Zwischenfall ist uferlos. Monographische Darstellungen bieten u.a. HOLGER ZEIGAN, Aposteltreffen in Jerusalem. Eine forschungsgeschichtliche Studie zu Galater 2,1–10 und den möglichen lukanischen Parallelen, ABIG 18, Leipzig 2005; RUTH SCHÄFER, Paulus bis zum Apostelkonzil. Ein Beitrag zur Einleitung in den Galaterbrief, zur Geschichte der Jesusbewegung und zur Pauluschronologie, WUNT II/179, Tübingen 2004, 160–222; vgl. auch MICHAEL F. BIRD, An Anomalous Jew. Paul among Jews, Greeks, and Romans, Grand Rapids 2016, 170–204; NICHOLAS TAYLOR, Paul, Antioch and Jerusalem. A Study in Relationships and Authority in Earliest Christianity, JSNTS 66, Sheffield 1992, 96–122; WEHNERT, Die Reinheit des „christlichen Gottesvolkes“ aus Juden und Heiden (Anm. 40), 21–130; vgl. zur Einführung auch CHRISTFRIED BÖTTRICH, Der Apostelkonvent und der Antiochenische Konflikt, in: HORN, Paulus Handbuch (Anm. 64), 103–109; HENGEL/SCHWEMER Die Urgemeinde und das Judenchristentum (Anm. 69), 395–415; JAMES D. G. DUNN, Beginning from Jerusalem, Christianity in the Making, Bd. 2, Grand Rapids/ Cambridge 2009, 446–494. 83 Gal 2,11–14; vgl. dazu SCHÄFER, Paulus bis zum Apostelkonzil (Anm. 82), 223–288; TAYLOR Paul, Antioch and Jerusalem (Anm. 82), 123–139; ANDREAS WECHSLER, Geschichtsbild und Apostelstreit. Eine forschungsgeschichtliche und exegetische Studie über den antiochenischen Zwischenfall (Gal 2,11–14), BZNW 62, Berlin 1991; PETER TOMSON, Paul and the Jewish Law: Halakha in the Letters of the Apostle to the Gentiles, CRINT III/1, Assen/Minneapolis 1990, 222–236. 84 Autoren wie Mark Nanos und Paula Fredriksen, die der ‚Paul within Judaism‘-Perspektive zuzurechnen sind (dazu NIEBUHR, Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit [Anm. 63], 25–36), verweisen auf die relativ offenen Beziehungen zwischen Diasporagemeinschaften und mit ihnen sympathisierenden Nichtjuden in hellenistisch-römischen Stadtgesellschaften als Kontext für die Auseinandersetzungen in den paulinischen Gemeinden; vgl. MARK D. NANOS, The Irony of Galatians. Pauls’ Letter in First-Century Context, Philadelphia 2002, 73–199; DERS., What Was at Stake in Peter’s „Eating with Gentiles“ at Antioch, in: DERS. (Hg.), The Galatians Debate. Contemporary Issues in Rhetorical and Historical Interpretation, Peabody 2002, 282–318; PAULA FREDRIKSEN, Paul the Pagans’ Apostle, New Haven/London 2017, 61–93; DIES., Judaism, the Circumcision of Gentiles, and Apocalyptic Hope: Another Look at Galatians 1 and 2, JThS 42, 1991, 532–564.
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kommt es nicht nur zur Auseinandersetzung zwischen Paulus und Petrus, sondern auch zur Trennung des Paulus von Barnabas und der antiochenischen Gemeinde. Weitere Konflikte bzw. offene Fragen im Zusammenhang mit jüdischer Speisepraxis paulinischer Gemeinden in Korinth und Rom sind jeweils spezifisch gelagert, 85 lassen aber erkennen, dass Paulus später von nichtjüdischen Gliedern der Gemeinden zwar nicht fordert, die einschlägigen Toragebote zu halten (was nach jüdischem Toraverständnis wegen der Geltung der ganzen Tora allein für Juden auch unangebracht wäre), sie allerdings dazu auffordert, die Einheit der Gemeinde durch Verzicht auf Verhaltensweisen zu wahren, die die Toratreue jüdischer Gemeindeglieder gefährden könnten. Faktisch führt das zu konkreten Anweisungen für alle Gemeindeglieder, also auch die nichtjüdischen, die der Sache nach den Forderungen der Tora entsprechen. Dies gilt insbesondere für die prinzipielle Ablehnung ‚paganer‘ religiöser Praktiken und Überzeugungen. 86 Offenbar spielten Auseinandersetzungen um die Sabbatpraxis, 87 also den Anwendungsbereich der Tora, der für Jesus, die Jesusüberlieferung und die Jesus-Darstellung der Evangelien von großer Bedeutung war, in den paulinischen Gemeinden keine Rolle. Dies wird am besten verständlich, wenn der Sabbat auch in den paulinischen Gemeinden im Sinne frühjüdischer Torainterpretation in der Diaspora als Feiertag für Israel verstanden wurde, den zu begehen für Nichtjuden durch die Tora weder ge- noch verboten war. 88 Im Vergleich zur Jesusüberlieferung war damit in den paulinischen Gemeinden eine ganz andere Situation gegeben, die dazu führte, dass das Konfliktpotential um den Sabbat für die paulinischen Gemeinden gegenstandslos war. Demgegenüber bildete die Beschneidungsfrage – die wiederum in der gesamten Jesus-Tradition unberührt geblieben war – den für die paulinische Mission entscheidenden Gegenstand der Auseinandersetzung, der im Ergebnis auch zur Ausprägung des spezifischen Profils paulinischer Theologie führte.
85 1Kor 8–10; Röm 14,1–15,6; vgl. dazu NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis (Anm. 75), 31–41; DERS., Identität und Interaktion. Zur Situation paulinischer Gemeinden im Ausstrahlungsfeld des Diasporajudentums, in: JOACHIM MEHLHAUSEN (Hg.), Pluralismus und Identität, VWGTh 8, Gütersloh 1995, 339–359: 357–359 [in diesem Band 81–113], sowie TOMSON, Paul and the Jewish Law (Anm. 83), 189–220.236–254; CHRISTOPH HEIL, Die Ablehnung der Speisegebote durch Paulus. Zur Frage nach der Stellung des Apostels zum Gesetz, BBB 96, Bonn 1994. 86 Vgl. 1Kor 10,14–22; dazu JOHANNES WOYKE, Götter, ‚Götzen‘, Götterbilder. Aspekte einer paulinischen ‚Theologie der Religionen‘, BZNW 132, Berlin 2005, 158–257; VOLKER GÄCKLE, Die Starken und die Schwachen in Korinth und in Rom. Zu Herkunft und Funktion der Antithese in 1 Kor 8,1–11,1 und Röm 14,1–15,13, WUNT II/200, Tübingen 2004, 257– 279. 87 Vgl. dazu NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis (Anm. 75), 23–30. 88 Vgl. dazu DOERING, Schabbat (Anm. 9), 283–386.
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Soweit erkennbar beziehen sich die Aussagen des Paulus immer auf die Beschneidung erwachsener nichtjüdischer Gemeindeglieder. 89 Diese wird von Paulus unter Verweis auf den Kern seiner Christus-Verkündigung kategorisch abgelehnt. Die bereits vollzogene Beschneidung von Juden, die schon zu den Gemeinden gehören, wird demgegenüber als gegeben vorausgesetzt und nicht problematisiert. 90 Die Frage, ob jüdische Mitglieder der Jesusanhänger-Gemeinden ihre neugeborenen Söhne beschneiden lassen (müssen?, sollten?, dürfen?), bleibt offen. 91 4.3 Ausführungen zum Gesetz in den Paulus-Briefen Angesichts der zentralen Bedeutung, die dem Gesetz innerhalb der paulinischen Theologie in der neueren Paulus-Forschung zugewiesen wird, 92 ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich nur in zwei Paulusbriefen ausgeführte theologische Argumentationsgänge zum Gesetz finden, im Galater- und im Römerbrief. 93 Darüber hinaus sind Themen der Tora auch noch im 1. Thessalonicher- und im 1. Korintherbrief von Bedeutung, dort aber vorwiegend in paränetisch-ethischen Zusammenhängen, in denen Paulus auf Formen und Inhalte frühjüdischer Toraparänese zurückgreift. 94
Vgl. NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis (Anm. 75), 41–49. Vgl. dazu grundsätzlich für alle 1Kor 7,18f.; Gal 3,28, für Paulus selbst Phil 3,5. 91 Die viel diskutierte Konstellation von Apg 16,1–3 (Paulus selbst beschneidet „wegen der Juden“ vor Ort den erwachsenen Timotheus, Sohn einer zur Gemeinde gehörenden jüdischen Mutter und eines nichtjüdischen Vaters) kann hier außer Betracht bleiben, da kaum zu klären ist, ob und inwiefern sie als Beleg für die Situation zur Zeit des Paulus gelten kann. 92 Vgl. dazu THOMAS SÖDING, Tora – Sünde – Tod, in: HORN, Paulus Handbuch (Anm. 64), 374–378; MICHAEL WOLTER, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, NeukirchenVluyn 2011, 351–383; ROLAND BERGMEIER, Gerechtigkeit, Gesetz und Glaube bei Paulus. Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke, BThSt 115, Neukirchen-Vluyn 2010; JAMES D. G. DUNN, The Theology of Paul the Apostle, Edinburgh 1998, 128–161; DERS., Was Paul against the Law? The Law in Galatians and Romans: a testcase of text in context, in: DERS., The New Perspective on Paul. Collected Essays, WUNT 185, Tübingen 2005, 259–277; DERS., Paul and the Torah. The role and function of the Law in the theology of Paul the Apostle, a.a.O., 441–461. 93 Das Wort νόμος begegnet sonst nur noch sporadisch, vgl. 1Kor 9,20; 15,56; Phil 3,9. 94 Vgl. 1Thess 4,1–12; 1Kor 5–7; s. a. Röm 12; vgl. dazu ECKART REINMUTH, Geist und Gesetz. Studien zu Voraussetzungen und Inhalt der paulinischen Paränese, ThA 44, Berlin 1985, 12–22.48–74.90–97; BRIAN S. ROSNER, Paul, Scripture and Ethics. A Study of 1 Corinthians 5–7, AGJU 22, Leiden 1994, 61–176; WALTER T. WILSON, Love without Pretense. Romans 12.9–21 and Hellenistic-Jewish Wisdom Literature, WUNT II/46, Tübingen 1991, 91–198; KARIN FINSTERBUSCH, Die Thora als Lebensweisung für Heidenchristen. Studien zur Bedeutung der Thora für die paulinische Ethik, StUNT 20, Göttingen 1996, 108–184. 89 90
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In der paulinischen Argumentation im Galaterbrief 95 tritt nach einer autobiographisch zugespitzten Hinführung zum Gegenstand der Auseinandersetzung mit den Adressaten (dass es dabei um die Beschneidung geht, zeigt sich freilich explizit erst ab 5,2) in 2,16–21 massiv die Wendung „Werke des Gesetzes“ (ἔργα νόμου) hervor, 96 die dem „Glauben an Jesus Christus“ 97 entgegengesetzt wird. Als weitere konstitutive Bestandteile der Argumentation treten zu dieser Opposition Wendungen aus dem Wortfeld „Gerechtigkeit“, „rechtfertigen“ sowie „Sünder“, „Sünde“. Die genannten Lexeme werden durch Verweise auf das Todesgeschick Jesu zusammengehalten und in generalisierenden Aussagen (z. T. in der 1. Pers. Plur. oder Sing.) auf den von diesem Geschehen betroffenen glaubenden Menschen bezogen. Damit liegen in Gal 2,16–21 erstmals innerhalb seiner Korrespondenz die zur Rechtfertigungslehre des Paulus gerechneten Elemente geschlossen vor. Sie bilden die Basis für die folgende, über weite Strecken mit Hilfe von Schriftaussagen zur Verheißung an Abraham einerseits, zur Mosetora andererseits geführte Argumentation, die dem Nachweis dienen soll, dass schon nach biblischem Zeugnis die Rechtfertigung des Sünders aus Glauben dem Gehorsam gegenüber der Tora chronologisch wie theologisch vorausgeht (Gal 3,6–9), während die Tora selbst den Fluch über diejenigen ausspricht, die ihre Forderungen nicht erfüllen, wovon wiederum Christus alle an ihn Glaubenden durch seinen Tod befreit hat. 98 Da aber Paulus mit Blick auf seine nichtjüdischen 95 Vgl. zur Einführung DIETER SÄNGER, Galaterbrief, in: HORN, Paulus Handbuch (Anm. 64), 194–203; JÖRG FREY, Galaterbrief, in: WISCHMEYER/BECKER, Paulus (Anm. 64), 369– 396, sowie zu jüngeren Forschungsdebatten MICHAEL BACHMANN/BERND KOLLMANN (Hg.), Umstrittener Galaterbrief. Studien zur Situierung und Theologie des Paulus-Schreibens, BThSt 106, Neukirchen-Vluyn 2010; NANOS, The Galatians Debate (Anm. 84). Eine theologische Gesamtinterpretation des Galaterbriefs unter breiter Reflexion seiner Auslegungsgeschichte bietet JOHN M. G. BARCLAY, Paul and the Gift, Grand Rapids 2015, 331– 446; vgl. schon DERS., Obeying the Truth. A Study of Paul’s Ethics in Galatians, Edinburgh 1988. 96 Zur traditionsgeschichtlichen Herleitung und Bedeutung der Wendung vgl. ROLAND BERGMEIER, Oὐκ ἐξ ἔργων νόμου, in: DERS., Gerechtigkeit, Gesetz und Glaube bei Paulus (Anm. 92), 5–71; OTFRIED HOFIUS, „Werke des Gesetzes“. Untersuchungen zu der paulinischen Rede von den ἔργα νόμου, in: SÄNGER/MELL, Paulus und Johannes (Anm. 79), 271– 310; MICHAEL BACHMANN, Keil oder Mikroskop? Zur jüngeren Diskussion um den Ausdruck „‚Werke‘ des Gesetzes“, in: DERS., Lutherische und Neue Paulusperspektive (Anm. 63), 69–134; CHRISTOPH BURCHARD, Nicht aus Werken des Gesetzes gerecht, sondern aus Glauben an Jesus Christus – seit wann?, in: DERS., Studien zur Theologie, Sprache und Umwelt des Neuen Testaments, hg. v. DIETER SÄNGER, WUNT 107, Tübingen 1998, 230–240. 97 Dass hier ein genitivus obiectivus vorliegt, ergibt sich aus 2,16: εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν ἐπιστεύσαμεν. 98 Gal 3,10–26; vgl. dazu TERENCE L. DONALDSON, Paul, Abraham’s Gentile ‚Offspring,‘ and the Torah, in: SUSAN J. WENDEL/DAVID M. MILLER (Hg.), Torah Ethics and Early Christian Identity, Grand Rapids 2016, 135–150; GREGORY TATUM, Law and Cove-
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Briefadressaten das Geschehen der Rechtfertigung mit ihrer bereits bei der Gemeindegründung erfolgten Zuwendung zum Christusgeschehen identifiziert (Gal 3,1–5.27–29; 4,8–20), kann daraus nur folgen, dass „Werke des Gesetzes“ von ihnen nun nicht mehr erwartet werden können und dürfen. Die in Kapitel 4 fortgeführte, exegetisch begründete Argumentation zum Verhältnis von Sinai-Tora und Abraham-Verheißung im Licht des Christusgeschehens 99 kommt in den Kapiteln 5f. zum Ziel, wenn Paulus seine Adressaten mit allen rhetorischen und argumentativen Mitteln davon abzuhalten versucht, sich beschneiden zu lassen (vgl. 5,2–6.11f.; 6,12f.). Hier wird sichtbar, worauf die Antithese zwischen „Werken des Gesetzes“ und „Glauben an Jesus Christus“ offenbar von Anfang an zielte, nämlich auf den Konflikt um die Beschneidung in den galatischen Gemeinden, auch wenn Paulus im Zuge der Argumentation seine Reflexionen inzwischen auf sehr viel weiterreichende Felder von Theologie und Anthropologie ausgeweitet hat. Als ‚Entdeckungszusammenhang‘ der paulinischen Rechtfertigungslehre bleibt die Veranlassung des Galaterbriefs und die dabei zur Debatte stehende Frage der Einbeziehung von Nichtjuden in das Christusgeschehen geschichtlich konstitutiv, als ‚Begründungszusammenhang‘ liegt ihr darüber hinaus aber die biblisch verankerte, christologisch basierte und ekklesiologisch entfaltete theologische Reflexion des Paulus zugrunde, die auch ihre Wirkungsgeschichte bestimmte. 100
nant in Paul and the Faithfulness of God, in: CHRISTOPH HEILIG/J. THOMAS HEWITT/MICHAEL F. BIRD (Hg.), God and the Faithfulness of Paul. A Critical Examination of the Pauline Theology of N. T. Wright, WUNT II/413, Tübingen 2016, 311–327; INES POLLMANN, Gesetzeskritische Motive im Judentum und die Gesetzeskritik des Paulus, NTOA/StUNT 98, Göttingen 2012, 219–232; ODA WISCHMEYER, Wie kommt Abraham in den Galaterbrief? Überlegungen zu Gal 3,6–29, in: BACHMANN/KOLLMANN, Umstrittener Galaterbrief (Anm. 95), 119–163; DIETER SÄNGER, „Das Gesetz ist unser παιδαγωγός geworden bis zu Christus“ (Gal 3,24), in: Das Gesetz im frühen Judentum und im Neuen Testament (FS C. Burchard), hg. v. DIETER SÄNGER/MATTHIAS KONRADT, NTOA/StUNT 57, Göttingen 2006, 236– 260. 99 Vgl. dazu DIETER SÄNGER, Sara, die Freie – unsere Mutter. Namensallegorese als Interpretament christlicher Identitätsbildung in Gal 4,21–31, in: ROLAND DEINES/JENS HERZER/KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Neues Testament und hellenistisch-jüdische Alltagskultur. Wechselseitige Wahrnehmungen. III. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti 21.–24. Mai 2009, Leipzig, WUNT 274, Tübingen 2011, 213–239. 100 Vgl. FLORIAN WILK, Gottesgerechtigkeit – Gesetzeswerke – eigene Gerechtigkeit. Überlegungen zur geschichtlichen Verwurzelung und theologischen Bedeutung paulinischer Rechtfertigungsaussagen im Anschluss an die „New Perspective“, ThLZ 135, 2010, 267– 282. Mit der Terminologie von ‚Entdeckungs-‘ und ‚Begründungszusammenhang‘ greife ich Überlegungen von Michael Wolter auf, vgl. WOLTER, Paulus (Anm. 92), 404–411.
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Für die theologische Argumentation im Römerbrief 101 standen Paulus die im Galaterbrief entwickelten Argumente zu Gesetz, Rechtfertigung und Christusgeschehen bereits zur Verfügung. Er entfaltet sie nunmehr ohne unmittelbaren Bezug zum Konflikt um die Beschneidung, aber nicht ohne aktuelle Aussageintentionen. 102 Im Blick auf die Gemeindesituation bei den Adressaten geht es ihm darum, die eschatologische Heilskraft der Rechtfertigung für Juden und Heiden gleichermaßen herauszustellen, 103 im Blick auf seinen bevorstehenden Jerusalembesuch um die Verankerung seiner Heidenmission in den Ursprüngen des Christusgeschehens beim Volk Israel (Röm 15,25–32), im Blick auf seine weiteren Missionspläne mit Bezug auf Rom und Spanien um die Darlegung und Begründung seines Verständnisses des Evangeliums von der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Christusgeschehen (Röm 1,5.10–17; 15,14–24). 104 Das Gesetz spielt in diesem Rahmen im Römerbrief in vier Argumentationsschritten eine herausgehobene Rolle:
Vgl. zur Einführung MICHAEL THEOBALD, Römerbrief, in: HORN, Paulus Handbuch (Anm. 64), 213–227; ODA WISCHMEYER, Römerbrief, in: DIES./BECKER, Paulus (Anm. 64), 429–469. Zur Forschungsgeschichte im 20. Jh. vgl. den Sammelband von KARL P. DONFRIED (Hg.), The Romans Debate. Revised and Expanded Edition, Edinburgh 1991; zu aktuellen Debatten vgl. UDO SCHNELLE (Hg.), The Letter to the Romans, BEThL 226, Leuven u.a. 2009; vgl. auch BARCLAY, Paul and the Gift (Anm. 95), 449–561. 102 Vgl. ROLAND BERGMEIER, Das Gesetz im Römerbrief, in: DERS., Das Gesetz im Römerbrief und andere Studien zum Neuen Testament, WUNT 121, Tübingen 2000, 31–102: 49–82; DERS., Gesetz und Werke im Römerbrief, in: DERS., Gerechtigkeit, Gesetz und Glaube bei Paulus (Anm. 92), 95–134; FRANCIS WATSON, Paul, Judaism, and the Gentiles. Beyond the New Perspective. Revised and Expanded Edition, Grand Rapids/Cambridge 2007, 163–343; FRANK THIELMAN, From Plight to Solution. A Jewish Framework for Understanding Paul’s View of the Law in Galatians and Romans, NT.S 61, Leiden 1989, 87– 116; BRICE L. MARTIN, Christ and the Law in Paul, NT.S 62, Leiden 1989, 69–154. Zur Diskussion um den Römerbrief im Rahmen der ‚New Perspective on Paul‘ und der ‚Paul within Judaism‘-Perspektive vgl. NIEBUHR, Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit (Anm. 63), 19f.35f. 103 Röm 1,16: Ἰουδαίῳ τε πρῶτον καὶ Ἕλληνι, vgl. 2,9f.; 3,29; 11,13f.; 15,7–13, dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, „Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6b). Römer 9–11 als Zeugnis paulinischer Anthropologie, in: FLORIAN WILK/J. ROSS WAGNER (Hg.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11, WUNT 257, Tübingen 2010, 433–462: 438–444 [in diesem Band 327–355]; BERNDT SCHALLER, Christus, „der Diener der Beschneidung …, auf ihn werden die Völker hoffen“. Zu Charakter und Funktion der Schriftzitate in Röm 15,7–13, in: SÄNGER/KONRADT, Das Gesetz im frühen Judentum und im Neuen Testament (Anm. 98), 261–285. 104 Vgl. zu den Abfassungsbedingungen und -zielen des Römerbriefes TRAUGOTT HOLTZ, Die historischen und theologischen Bedingungen des Römerbriefes, in: DERS., Exegetische und theologische Studien. Gesammelte Aufsätze II, hg. v. KARL-WILHELM NIEBUHR, ABIG 34, Leipzig 2010, 127–148. 101
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1. Am Halten bzw. Übertreten seiner Gebote erweist sich, dass alle Menschen, Juden wie Nichtjuden, aus der Perspektive des Christusgeschehens vor Gott Sünder sind (Röm 1,18–3,20). 105 Während Juden den Willen Gottes von der Tora her kennen und nach außen hin vertreten (2,17–24), ist er auch Nichtjuden zugänglich, weil Gott ihnen „das Werk des Gesetzes (τὸ ἔργον τοῦ νόμου) ins Herz geschrieben“ hat, so dass sie, obwohl sie das Gesetz nicht haben, „von Natur aus“ (φύσει) tun, was es fordert, und so „sich selbst Gesetz sind“ (2,14f.; vgl. 1,19f.). Maßstab vor dem endzeitlichen Gerichtsurteil Gottes ist also, für Juden wie für Nichtjuden, nicht das Hören oder Kennen der Tora, sondern das Tun des Willens Gottes. 106 Das Gesetz hat damit die Funktion, die Sünde aller Menschen aufzuweisen (διὰ γὰρ νόμου ἐπίγνωσις ἁμαρτίας, 3,20; vgl. 5,20). 2. Im Zusammenhang der Offenbarung des Christusgeschehens trifft Paulus zur Rolle des Gesetzes zwei Festlegungen (Röm 3,20–31 107): Negativ gesehen kommt ihm keinerlei Heilsfunktion bei der Rechtfertigung des Sünders zu, denn diese geschieht allein aufgrund des heilsamen Handelns Gottes in Christus an den Glaubenden, Juden wie Nichtjuden. 108 Positiv hat das Gesetz die Aufgabe, genau dieses Heilsgeschehen, an dem es selbst nicht beteiligt ist, gemeinsam mit den Propheten zu bezeugen (3,21b; vgl. 1,3). Somit hat das Gesetz für Paulus im Römerbrief im Rahmen der Rechtfertigung des Sünders eine doppelte Zeugenfunktion: Es erweist jeden Menschen vor Gott als Sünder, und es bezeugt jedem Menschen Gottes Gerechtigkeit in Christus. 109 Diesen Gedanken begründet und entfaltet Paulus im Anschluss wiederum exegetisch an Vgl. zum argumentativen Zusammenhang KARL-WILHELM NIEBUHR, Das Neue Testament im Kontext jüdisch-hellenistischer Literatur. Röm 1,19–23 als Testfall, in: GYÖRGY BENYIK (Hg.), The Hellenistic and Judaic Background to the New Testament. 29th International Biblical Conference Szeged 27–29 August, 2018, Szeged 2019, 327–342: 331–333 [in diesem Band 259–273]; DERS., Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik. Zwei paulinische Argumentationen (Röm 1,18–2,29; 8,1–30), in: MATTHIAS KONRADT/ESTHER SCHLÄPFER (Hg.), Anthropologie und Ethik im Frühjudentum und im Neuen Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. Internationales Symposium in Verbindung mit dem Projekt Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (CJHNT) 17.–20. Mai 2012, Heidelberg, WUNT 322, Tübingen 2014, 139–161: 147–154 [in diesem Band 275–295]. 106 Röm 2,2f.6.12f.25–9; vgl. dazu ROLAND BERGMEIER, Wie „Täter des Gesetzes“ gerechtfertigt werden „ohne des Gesetzes Werke“, in: DERS., Gerechtigkeit, Gesetz und Glaube bei Paulus (Anm. 92), 73–94; FINSTERBUSCH, Die Thora als Lebensweisung für Heidenchristen (Anm. 94), 15–21. 107 Hier begegnet auch wieder die aus dem Galaterbrief bekannte Wendung ἔργα νόμου, vgl. 3,20.28. 108 Röm 3,21.28, dazu FINSTERBUSCH, Die Thora als Lebensweisung für Heidenchristen (Anm. 94), 57–83. 109 In diesem Sinne kann Paulus auch behaupten: νόμον ἱστάνομεν (3,31); vgl. dazu CHRISTOPH BURCHARD, Glaubensgerechtigkeit als Weisung der Tora bei Paulus, in: DERS., Studien zur Theologie, Sprache und Umwelt des Neuen Testaments (Anm. 96), 241–262. 105
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der vom Christusgeschehen her interpretierten biblischen Abraham-Überlieferung (vgl. Gal 3f.), nach welcher der Glaube Abrahams seiner Beschneidung vorausging und folglich – in Sinne paulinischer Exegese – die Glaubensverheißung an Abraham und alle seine Nachfahren (sc. beschnittene ebenso wie unbeschnittene, sofern sie den Glauben ihres Vaters Abraham teilen) der Forderung der Tora übergeordnet ist (4,1–25). 3. Bei der Darstellung des neuen Lebens der im Christusgeschehen gerechtfertigten Glaubenden kommt Paulus nach Ausführungen zur Befreiung von Sünde und Tod in den Kapiteln 5f. 110 in Röm 7f. wieder auf das Gesetz zurück. 111 Ausgehend vom Gegensatz von Tod und Leben, der den Gegensatz zwischen der einstigen Existenz der Glaubenden unter der Herrschaft von Sünde und Tod und ihrer jetzigen unter der Herrschaft des Geistes aufnimmt, und im Rückblick auf das Heilsgeschehen von Tod und Auferweckung Christi (vgl. Röm 7,5f.) reflektiert Paulus noch einmal die Rolle und Bewertung des Gesetzes im Zusammenhang von Sünde und Tod, Befreiung und Leben. Dabei nimmt er zunächst die Tora vor dem Vorwurf, selbst Sünde zu sein, in Schutz, bezeichnet sie vielmehr als „heilig“, „gerecht“ und „gut“ und weist stattdessen die Verantwortung für alle negativen Folgen der Begegnung des Menschen mit dem Gesetz allein der Sünde zu (7,7–12). Anschließend beschreibt er das fatale Spannungsverhältnis im Innern des Menschen zwischen seiner Akzeptanz der Forderung des Guten durch das Gesetz und seiner Unfähigkeit, dieser Forderung im Tun auch nachzukommen (7,13–25). Schließlich bringt er erneut die Befreiung durch Christus zur Geltung, die bewirkt, wozu das Gesetz von sich aus unfähig war: Aufhebung des Todesurteils über den Gesetzesübertreter und Befreiung von der Herrschaft der Sünde, was dazu führt, dass die Befreiten nunmehr nicht nur durch die Kraft des Geistes die Forderungen des Gesetzes
110 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Adam’s Sin and the Origin of Death: Paul’s Argument in Romans 5:12–14 in the Light of Jewish Texts from the Second Temple Period, in: Studies in Philo (FS G. E. Sterling), hg. v. DAVID T. RUNIA/MICHAEL B. COVER, SPhiloA 32, 2020, 205–225 [in diesem Band 297–325]. 111 Vgl. dazu POLLMANN, Gesetzeskritische Motive im Judentum (Anm. 98), 199–210, sowie FLORIAN WILK, „Unfreier Wille“? Paulus zur Rolle menschlichen Wollens, Trachtens und Handelns im Gegenüber zu Gott, KuD 64, 2018, 100–115; SUSAN GROVE EASTMAN, Paul and the Person. Refraiming Paul’s Anthropology, Grand Rapids 2017, 109–125; DIES., Strengthening the Ego for Service. The Pastoral Purpose of Romans 7,7–25, in: JOHN M. G. BARCLAY (Hg.), Dying with Christ – New Life in Hope: Romans 5,12–8,39, Leuven 2021, 137–164; JENS HERZER, Röm 8,1–17: Gottes Geist als Kraft des neuen Lebens, a.a.O., 165– 208; EMMA WASSERMAN, The Death of the Soul in Romans 7. Sin, Death, and the Law in Light of Hellenistic Moral Psychology, WUNT II/256, Tübingen 2008, 51–116; HERMANN LICHTENBERGER, Das Ich Adams und das Ich der Menschheit. Studien zum Menschenbild in Römer 7, WUNT 164, Tübingen 2004, 109–202; OTFRIED HOFIUS, Der Mensch im Schatten Adams. Röm 7,7–25a, in: DERS., Paulusstudien II, WUNT 143, Tübingen 2002, 104– 154.
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erfüllen können, sondern aus dieser Kraft auch unverbrüchliche Christusgemeinschaft gewinnen (8,1–39). Kann auch nicht mit Sicherheit behauptet werden, dass νόμος im Argumentationszusammenhang von Röm 7f. sich an allen Stellen ausdrücklich und ausschließlich auf die Tora bezieht, 112 so bleiben doch genügend gesicherte Aussagen, aus denen das komplexe Verständnis des Paulus vom jüdischen Gesetz klar hervorgeht: 113 Es gehört nicht nur eindeutig auf die Seite Gottes in seinem Heilshandeln an den Menschen, sondern hat darüber hinaus auch eine konstruktive Funktion bei dessen Durchsetzung, was freilich nicht ausschließt, dass es zumindest zeitweilig (im heilsgeschichtlichen Sinne, also in der Epoche zwischen dem „Kommen“ des Gebotes, 7,11, und dem „Jetzt“ des Christusgeschehens, 7,6; 8,1) auch destruktive Folgen für den Menschen haben kann. Entscheidend für Paulus ist aber, dass Gott selbst im Christusgeschehen das Gesetz seinem Heilswillen unterworfen und ihm damit eine Funktion zugewiesen hat, die es von sich aus weder erfüllen konnte noch sollte: nämlich die Sünde endgültig zu besiegen und so die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass seine Rechtsforderungen von den Glaubenden erfüllt werden können (8,3–5). 4. Schließlich kommt Paulus auch noch in einem Argumentationsschritt innerhalb des Aufweises der Treue Gottes gegenüber seinem Volk Israel im Christusgeschehen auf das Gesetz zu sprechen. 114 Nachdem er die Souveränität Gottes in seinem Heilshandeln an Juden wie Heiden herausgestellt hat, bemerkt er, dass Israel in seiner Orientierung am „Gesetz der Gerechtigkeit“ (νόμος δικαιοσύνης) nicht zum Gesetz selbst gelangt sei, weil es dieses Ziel nicht ἐκ πίστεως, sondern ἐξ ἔργων angestrebt habe (9,32). 115 Demgegenüber sei Gerechtigkeit Gottes nicht aus eigenem Willen zu erlangen, sondern nur durch Unterwerfung unter Gottes Willen im Glauben (10,3). In diesem Sinn nennt Paulus Christus τέλος … νόμου … εἰς δικαιοσύνην παντὶ τῷ πιστεύοντι, 116 was besagt, dass Israel derzeit sein durch die Tora markiertes Ziel nicht anders als die Nichtjuden, nämlich auf dem Weg des Glaubens an Christus, erreichen kann. Dass dabei noch eine endzeitliche Option offenbleibt, wonach Zum argumentativen Zusammenhang vgl. NIEBUHR, Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik (Anm. 105), 154–158; DERS., Jakobus und Paulus über das Innere (Anm. 47), 22–27. 113 Vgl. BERGMEIER, Wie „Täter des Gesetzes“ gerechtfertigt werden (Anm. 106), 82– 86; MICHAEL WINGER, By What Law? The Meaning of Nomos in the Letters of Paul, SBL.DS 128, Atlanta 1992. 114 Zum argumentativen Zusammenhang vgl. NIEBUHR, „Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Anm. 103), 438–444; DERS., Heidenapostel aus Israel (Anm. 64), 142–158. 115 Vgl. dazu FRANK SCHLERITT, Das Gesetz der Gerechtigkeit. Zur Auslegung von Römer 9,30–33, in: WILK/WAGNER, Between Gospel and Election (Anm. 103), 271–297. 116 Vgl. dazu FRIEDRICH AVEMARIE, Israels rätselhafter Ungehorsam. Römer 10 als Anatomie eines von Gott provozierten Unglaubens, in: WILK/WAGNER , Between Gospel and Election (Anm. 103), 299–320: 306–315. 112
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ganz Israel durch den vom Zion kommenden Erlöser gerettet wird, der Gottlosigkeit und Sünde von ihm wegnimmt, sagt Paulus später in Röm 11,25–32. 117 Auffälligerweise rückt Paulus das Gesetz über die rechtfertigungstheologischen Argumentationen hinaus noch in einen weiteren Anwendungsbereich ein, den der Paränese. In eng miteinander verwandten Wendungen kann er sowohl im Galater- als auch im Römerbrief von der „Erfüllung“ des „ganzen Gesetzes“ sprechen, die er offenbar nicht nur von den jüdischen, sondern von allen Gliedern seiner Gemeinden erwartet (Gal 5,14; Röm 13,8–10). 118 Beide Stellen sind eng mit ihren argumentativen Zusammenhängen verknüpft, lassen sich also nicht als traditionell abtun; beide Male zitiert Paulus wörtlich Tora-Gebote (Lev 19,18; Dekalog-Gebote); an beiden Stellen läuft seine Argumentation auf eine Haltung der Liebe hinaus, in welcher die Forderungen des jüdischen Gesetzes ihren umfassenden Sinn erlangen. Hierin ebenso wie in den zuvor skizzierten Aussagezusammenhängen zur Rechtfertigung zeigt sich die bleibende Bindung des Juden Paulus an die Tora als Ausdruck des Willens Gottes für Israel, an der er auch im Blick auf die Konsequenzen des Heilshandelns Gottes an Juden und Nichtjuden festhält – und damit zugleich auch eine zentrale Verbindung zur Rezeption der Tora bei Jesus. 119 4.4 Das Gesetz im Rahmen der paulinischen Theologie Konturen des Gesetzesverständnisses im Rahmen der paulinischen Theologie ergeben sich aus der Verbindung von biographischen Fixpunkten, historischen Entwicklungslinien und theologischen Dimensionen, die sich aus seinen Briefen erschließen lassen. In biographischer Hinsicht ist davon auszugehen, dass Paulus mit seiner Berufung zum Christusapostel für die Völker seinem Selbstverständnis nach seine jüdische Identität nicht hinter sich gelassen hatte, wohl aber bestimmte Züge seines Umgangs mit der Tora und gewisse Überzeugungen von ihrer Funktion im Blick auf das Verhältnis von Juden und Nichtjuden grundsätzlich zu revidieren gezwungen war. 120 Da Paulus bei seiner Berufung seinen Auftrag als vom Gott Israels kommend und dezidiert auf Nichtjuden Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute [in diesem Band 401–417]. 118 Vgl. dazu FRIEDRICH W. HORN, Die Darstellung und Begründung der Ethik des Apostels Paulus in der new perspective, in: DERS., Paulusstudien, NET 22, Tübingen 2017, 271– 289: 285–287; THOMAS SÖDING, Glaube, der durch Liebe wirkt. Rechtfertigung und Ethik im Galaterbrief, in: BACHMANN/KOLLMANN, Umstrittener Galaterbrief (Anm. 95), 165– 206: 190–194; CHRISTOPH BURCHARD, Die Summe der Gebote (Röm 13,7–10), das ganze Gesetz (Gal 5,13–15) und das Christusgesetz (Gal 6,2; Röm 15,1–6; 1 Kor 9,21), in: DERS., Studien zur Theologie, Sprache und Umwelt des Neuen Testaments (Anm. 96), 151–183; FINSTERBUSCH, Die Thora als Lebensweisung für Heidenchristen (Anm. 94), 97–107. 119 S. dazu o., 48f. 120 Vgl. NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (Anm. 64), 179–186.; SCHNELLE, Paulus und das Gesetz (Anm. 64), 252–259. 117
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ausgerichtet erfahren hatte, konnte er seiner ihn bis dahin leitenden Überzeugung, im Dienste dieses Gottes zu leben, nur treu bleiben, wenn er die auf Israel ein- und von den Völkern abgrenzende Funktion der Tora aufgab. Aus der biographischen Konstellation eines Kämpfers für den Ἰουδαϊσμός erwuchs so für Paulus in Verbindung mit den geschichtlichen Herausforderungen seiner Heidenmission ein neues, theologisch begründetes Verständnis vom Willen Gottes gegenüber Israel und den Völkern, das er in dessen endzeitlichem Handeln an und durch Jesus Christus verankerte. Demnach hatte Gott seinen fordernden und heilsamen Willen nicht allein zum Heil für Israel eingesetzt, sondern nunmehr im Christusgeschehen programmatisch auf alle Menschen gerichtet (was für Paulus konkret bedeutete: auf Juden und Nichtjuden), um sie im Glauben an Jesus Christus aus dem Endgericht zu erretten. In Folge der Auseinandersetzungen im Zuge seiner Heidenmission, insbesondere um die religiöse und soziale Gemeinschaft innerhalb seiner Missionsgemeinden, sah sich Paulus gezwungen, spezifische Bestimmungen der Tora zur Abgrenzung zwischen Juden und Nichtjuden neu zu reflektieren und Konsequenzen daraus für die Gemeindepraxis, aber auch für die Zielrichtung seiner Theologie zu ziehen. 121 Hierbei kommt der Beschneidungsfrage, die in der Auseinandersetzung mit den galatischen Gemeinden in den Mittelpunkt rückte, entscheidende Bedeutung zu. 122 Paulus nimmt sie im Galaterbrief zum Anlass, grundsätzliche Überlegungen zu Bedeutung, Funktion und Grenzen der Tora im Christusgeschehen anzustellen. Die theologischen Grundentscheidungen dafür, dass nämlich Gott selbst durch den Tod und die Auferweckung Jesu endzeitliches Heil für alle Menschen angeboten und Rettung aus dem Endgericht für diejenigen, die an Christus glauben, geschaffen habe, waren Paulus wohl schon bei seiner Berufung, somit wiederum biographisch, vermittelt worden. Ihre theologische Reflexionsdimension in Gestalt von Argumentationen zur Rechtfertigung des Menschen allein aus Glauben ohne Werke des Gesetzes haben sie aber für uns erkennbar erstmals im Galaterbrief und dann, weiter entfaltet, im Römerbrief gefunden. In beiden Briefen wird das Christusgeschehen in den umfassenden Zusammenhang des Handelns Gottes an seinem Volk ein-
121 In dieser Verankerung der Rechtfertigungsaussagen im Galater- und Römerbrief in den Auseinandersetzungen im Zuge der paulinischen Mission stimme ich dem Neuansatz der ‚New Perspective on Paul‘ und auch partiell der ‚Paul within Judaism‘-Perspektive zu, vgl. dazu NIEBUHR, Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit (Anm. 63), 30–32. Vgl. zu den einschlägigen Passagen im Galater- und im Römerbrief zuletzt auch J. ROSS WAGNER, „When the Commandment Came“: The Giving of the Law in Galatians and Romans, in: FLORIAN WILK (Hg.), Paul and Moses. The Exodus and Sinnai Traditions in the Letters of Paul, Tübingen 2020, 67–82. 122 Vgl. NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis (Anm. 75), 41–51; FRIEDRICH W. HORN, Der Verzicht auf die Beschneidung im frühen Christentum, NTS 42, 1996, 479–505 (= in: DERS., Paulusstudien [Anm. 118], 14–39).
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geordnet, wie es in den Schriften Israel bezeugt und für die Endzeit in Vollendung verheißen ist. Die Tora erhält innerhalb der paulinischen Theologie von diesem Endzeitgeschehen her einen spezifisch begrenzten, der Glaubensverheißung an die Völker ein- und untergeordneten Platz. Sie wird zwar nicht außer Kraft gesetzt oder abgetan, wohl aber ihres Ausschließlichkeitsanspruchs bei der Heilszuwendung Gottes an die Menschen enthoben und auf eine Leitund Zeugenfunktion im Rahmen des Christusgeschehens reduziert. In vertiefter Reflexion über den Menschen, also konkret: über Juden und Heiden angesichts der Christusoffenbarung, hat Paulus im Römerbrief daraus mit Blick auf seine Briefadressaten in Rom wie auch in Erwartung kontroverser Debatten in der Jerusalemer Urgemeinde in durchaus systematisierender Absicht weitreichende Schlussfolgerungen über die Konstitution des Menschen als Geschöpf Gottes, als Sünder und Gerechtfertigter, als vom Tod Beherrschter und durch Christus Befreiter gezogen. 123 Aus der Perspektive eines Israeliten (Röm 11,1), der selbst im Christusgeschehen Rechtfertigung erfahren und den Auftrag zur Christusverkündigung an die Völker empfangen hatte (11,13), wendet er sich erneut seinen „Stammesgenossen dem Fleisch nach“ zu, denen nach wie vor – auch den nicht an Christus Glaubenden unter ihnen! – „Sohnschaft, Herrlichkeit, Bundesschlüsse, Gesetzgebung (νομοθεσία), Gottesdienst und Verheißungen“ gehören (9,1–5). Aus der Tora kann Paulus für sie aber nun keine heilvolle Perspektive mehr ableiten (9,30–10,4), da das Gesetz gemäß seiner jetzigen Einsicht zwar eine Zeugenfunktion gegenüber dem Christusgeschehen hat, nicht aber selbst rettende Kraft. 124 Folglich bleibt unter den geschichtlich-endzeitlichen Bedingungen, in denen Paulus seine Missionsverkündigung situiert, für Juden wie Nichtjuden nur ein Weg zum Ziel der Gerechtigkeit Gottes: der Glaube an Jesus Christus. Freilich, für „ganz Israel“ besteht auch darüber hinaus noch Hoffnung auf Rettung aus dem Endgericht, aber nicht etwa mit Hilfe des Gesetzes, sondern durch den von Zion kommenden Erlöser (11,26). 125
Vgl. NIEBUHR, Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik (Anm. 105), 158f.; DERS., „Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Anm. 103), 433–438. 124 Vgl. BERGMEIER, Wie „Täter des Gesetzes“ gerechtfertigt werden (Anm. 106), 86– 90; DUNN, The Theology of Paul the Apostle (Anm. 92), 150–161. Die in Folge der Interpretation der paulinischen Rechtfertigungsaussagen im Galater- und Römerbrief durch Martin Luther in der neuzeitlichen protestantischen Theologiegeschichte entstandene Formel von der „Freiheit vom Gesetz“ trifft daher schwerlich die Intentionen des Paulus; vgl. dazu zuletzt GUIDO BALTES, „Freiheit vom Gesetz“ – eine paulinische Formel? Paulus zwischen jüdischem Gesetz und christlicher Freiheit, in: ARMIN D. BAUM/DETLEF HÄUSSER/EMMANUEL L. REHFELD (Hg.), Der jüdische Messias Jesus und sein jüdischer Apostel Paulus, WUNT II/425, Tübingen 2016, 265–314. 125 Vgl. dazu NIEBUHR, Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute (Anm. 117), 402– 404. 123
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Schluss
Schluss Im Kontext des Neuen Testaments betrachtet, ergeben sich für das Verständnis der Tora und den Umgang mit ihren Geboten bei Paulus und in seinen Briefen einige charakteristische Merkmale, die abschließend thetisch zusammengefasst werden sollen. 1. Die Tora bildet für die Biographie des Paulus ebenso wie für seine briefliche Kommunikation mit den von ihm gegründeten und beratenen Gemeinden und die daraus entspringenden theologischen Argumentationen in seinen Briefen den prägenden Wurzelgrund und einen kontinuierlichen Bezugspunkt. Dieser durchgehende Bezug auf die Tora bei Paulus darf nicht verabsolutiert oder gegen andere, für ihn ebenfalls prägende geistige Einflüsse ausgespielt werden. Die Alternative ‚jüdisch‘ versus ‚hellenistisch‘ ist nicht bloß für Paulus überholt. Gleichwohl bleibt die Tora im Blick auf die Herkunft und das Leben des Paulus vor und nach seiner Berufung zum Apostel ebenso wie für die theologischen und ethischen Orientierungen in seinen Briefen in einzigartiger Weise maßgeblich. Gerade darin erweist sich Paulus als Jude im Judentum seiner Zeit. 2. Dieser gegenüber anderen Prägungen einzigartige Bezug auf die Tora verbindet Paulus und seine Briefe mit anderen neutestamentlichen Schriften, wenn auch in verschiedenem Grade und in unterschiedlicher Weise. Bezeichnenderweise müssen Grad und Art der Verwandtschaft in Bezug auf die Tora dabei nicht immer in die gleiche Richtung weisen. So lässt sich Paulus hinsichtlich des Umfangs seiner Torabezüge innerhalb des Neuen Testaments am ehesten mit dem Matthäusevangelium und dem Jakobusbrief zusammenstellen. Zugleich unterscheidet er sich aber gerade von diesen beiden Schriften besonders deutlich hinsichtlich der Bedeutung, die er dem jüdischen Gesetz im Rahmen des Christusgeschehens zuweist, und auch in den dafür gegebenen theologischen Begründungen. Andererseits sind Bezugnahmen auf die Tora im lukanischen Werk deutlich seltener als bei Paulus, aber die Tendenz, die trennende Funktion der Tora zwischen Juden und Nichtjuden im Christusgeschehen zu relativieren, verbindet beide miteinander. Das hat weniger mit einer Hochoder Geringschätzung der Tora durch die betreffenden Autoren zu tun, als vielmehr mit den jeweiligen Autorenintentionen und den konkreten Problemkonstellationen bei den Adressaten, an die sie sich mit ihren Schriften wenden. 3. Die konkrete Torapraxis Jesu und seine (relativ wenigen) expliziten Stellungnahmen zur Tora und ihren Geboten haben in den Paulusbriefen und auch in der Haltung des Paulus zur Tora keinerlei erkennbare Spuren hinterlassen. Am auffälligsten ist dabei, dass das Sabbatgebot bei Paulus gar keine Rolle spielt, während die Beschneidung in der gesamten Jesusüberlieferung (abgesehen von Lk 1,59; 2,21) nirgendwo thematisiert wird. Auch das hängt vor allem mit den veränderten Rahmenbedingungen und Problemkonstellationen zusammen, denen sich Paulus im Zuge seiner Mission gegenübersah, nicht etwa mit einer abnehmenden oder wachsenden Rolle der Tora in der frühchristlichen
Schluss
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Bewegung. So ergibt sich die herausragende Bedeutung der Beschneidung für Paulus in erster Linie aus den Herausforderungen seiner Missionsgemeinden, zu denen sowohl beschnittene als auch unbeschnittene Jesusanhänger gehörten. Von dieser Problematik ist im Jakobusbrief gar nichts zu spüren, und folglich spielt bei ihm auch die Beschneidung keine Rolle. Bei Matthäus dagegen wird die Haltung Jesu gegenüber der Tora und ihren Geboten zum Paradigma für die Gemeinden der nachösterlichen Jesusanhänger, die sich in ihrem Gemeinde- wie in ihrem Alltagsleben am Willen Gottes orientieren sollen, der in der Tora niedergelegt ist. Dass auch hier die Beschneidung nicht thematisiert wird, deutet darauf hin, dass es bei den Adressaten offenbar kein mit den paulinischen Gemeinden vergleichbares Problem mit der Beschneidung gab. Ein unmittelbarer Rückbezug auf (den vorösterlichen) Jesus und seine Haltung gegenüber der Tora lässt sich aber aus dem Matthäusevangelium ebenso wenig ableiten wie aus dem Jakobusbrief oder den Paulusbriefen. In allen neutestamentlichen Schriften wird das Verhältnis Jesu zum jüdischen Gesetz aus der Perspektive des Osterglaubens reflektiert, wenn es auf die theologischen Reflexionen oder die aktuellen Konfliktkonstellationen in den nachösterlichen Gemeinden von Jesusanhängern angewendet werden soll. 4. Bei Paulus geschieht das vor allem im Rahmen von Argumentationen, die aus dem Christusgeschehen, also dem endzeitlich offenbar gewordenen heilvollen Handeln Gottes an seinem Volk Israel und allen Geschöpfen, Konsequenzen für den Umgang von Juden und Nichtjuden in den Gemeinden ableiten und begründen. Ob dabei das Problem der Abgrenzung zwischen Juden und Nichtjuden aufgrund der Tora (‚plight‘) mit Hilfe der Unterordnung des Gesetzes unter den Juden und Heiden integrierenden Heilswillen Gottes im Christusgeschehen bewältigt wird (‚solution‘) oder ob umgekehrt von der Offenbarung des Evangeliums für Juden und Heiden, wie es Paulus bei Damaskus zugekommen ist (‚solution‘), die Problematik der Tora als Trennmauer zwischen Juden und Nichtjuden (bzw. zwischen Menschen und Gott) überhaupt erst erkennbar geworden ist (‚plight‘), stellt eine eher künstliche Entgegensetzung dar, die dem paulinischen Denken schwerlich gerecht wird. Für den Paulus, den wir aus seinen Briefen kennen, gehören das Heilshandeln Gottes und die Tora ebenso grundsätzlich zusammen wie das Christusgeschehen und die Offenbarung der endzeitlichen Gottesgemeinschaft für Juden und Heiden. Die aus dieser Zusammengehörigkeit resultierenden theologischen Denkaufgaben und die sich in seinen Missionsgemeinden daraus ergebenden Konflikte versucht er in seinen Briefen mit Hilfe der Schriften Israels und seiner theologisch-philologischen Bildung zu bewältigen. 5. Wie kein anderer Autor im Neuen Testament hat Paulus die Frage nach dem endzeitlichen Geschick des Volkes Israel angesichts der Christusoffenbarung gründlich theologisch reflektiert. Auch darin erweist er sich als Jude im Judentum seiner Zeit und zeigt sich die für ihn grundlegende Bedeutung der Tora. Denn als erster Teil der maßgeblichen Schriften Israels war und blieb sie
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für Paulus der unhintergehbare theologische Ausgangspunkt für seine eigenen brieflichen Argumentationen. Schon die (durchaus variablen) Wendungen, mit denen Paulus in seinen Briefen auf die Schriften Israels verweist, belegen, dass er sie als ‚Zeuge des Evangeliums‘ liest (D.-A. Koch), unabhängig davon, ob er mehr oder weniger wörtlich aus ihnen zitiert (in welcher Textgestalt auch immer), auf biblische Persönlichkeiten oder Erzählzusammenhänge Bezug nimmt (explizit oder implizit) oder das Gesamtzeugnis der Schriften für das Christusgeschehen in Anspruch nimmt (mit oder ohne Anspielung auf einzelne Textstellen). Tora, Propheten und ‚Schriften‘ können bei Paulus nicht gegeneinander ausgespielt, nicht einmal eindeutig hierarchisch einander zugeordnet werden, sondern erschließen sich gegenseitig, wenn das Christusgeschehen als Erfüllung der Verheißungen für Israel ‚biblisch‘ begründet werden soll. Hier zeigt sich zweifellos eine Eigenart im Umgang des Paulus mit den Schriften Israels, die eigens untersucht werden müsste (und schon oft und breit untersucht worden ist). Deutlich ist aber gerade im Blick auf Römer 9–11, dass Paulus das Christusgeschehen nicht ohne Heil für ganz Israel denken kann, ebenso wenig wie er von Israels Heil ohne Bezug auf das Christusgeschehen sprechen kann.
Offene Fragen zur Gesetzespraxis bei Paulus und seinen Gemeinden Sabbat, Speisegebote, Beschneidung Gegenüber der viel diskutierten Frage nach dem paulinischen Gesetzesverständnis sind Probleme des Umgangs mit konkreten Forderungen oder Verboten der Tora im Alltag paulinischer Gemeinden in der bibelwissenschaftlichen Forschung sehr viel weniger intensiv bearbeitet worden. Der folgende Beitrag wendet sich unter den damit verbundenen Problemen gezielt solchen Fragen zu, die die religiöse Identität Israels berühren: das Sabbatgebot, die Speisevorschriften und die Beschneidung. Dabei zeigt sich, dass gerade auf diesen Gebieten in den Anfängen der paulinischen Gemeinden noch viele Fragen offen waren. Auch aus dem Blickwinkel der aktuellen Bibelwissenschaft sind einige von ihnen durchaus als offene Fragen zu betrachten.
1. Unterscheidungen innerhalb der Tora
1. Unterscheidungen innerhalb der Tora Neutestamentliche und frühjüdische Quellen stimmen darin überein, dass die Tora eine Einheit ist und als Ganze beansprucht, gehalten zu werden. 1 Allerdings kann die Frage, welches konkrete Verhalten die Tora jeweils fordert, nicht einfach durch Verweis auf ihren Wortlaut beantwortet werden. Der in der Tora zum Ausdruck kommende Wille Gottes ist zugänglich nur auf dem Wege ihrer Interpretation. Das Spektrum möglicher Interpretationen der Tora im Frühjudentum war für unsere Begriffe erstaunlich breit. 2 Die Bindung an den Vgl. nur Röm 2,25; 13,9; Gal 5,3.14; Jak 2,10; 4Makk 5,20f. Zum Toraverständnis im Frühjudentum vgl. u.a. HEINRICH HOFFMANN, Das Gesetz in der frühjüdischen Apokalyptik, StUNT 23, Göttingen 1999; FRIEDRICH AVEMARIE, Tora und Leben. Untersuchungen zur Heilsbedeutung der Tora in der frühen rabbinischen Literatur, TSAJ 55, Tübingen 1996; KARLHEINZ MÜLLER, Anmerkungen zum Verhältnis von Tora und Halacha im Frühjudentum, in: ERICH ZENGER (Hg.), Die Tora als Kanon für Juden und Christen, HBS 10, Freiburg u.a. 1996, 257–292; ED P. SANDERS, Judaism. Practice and Belief 63 BCE – 66 CE, London/Philadelphia 1992; DERS., Jewish Law from Jesus to the Mishnah. Five Studies, London/Philadelphia 1990; KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987; ECKHARD J. SCHNABEL, Law and Wisdom from Ben Sira to Paul. A Tradition Historical Enquiry into the Relation of Law, Wisdom, and Ethics, WUNT II/16, Tübingen 1 2
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Offene Fragen zur Gesetzespraxis bei Paulus und seinen Gemeinden
Wortlaut von Torageboten innerhalb der Schrift war dabei keineswegs maßgeblich. Vielmehr waren aus der Tora selbst Kriterien für ihre Interpretation zu gewinnen. 3 Dazu boten sich sprachliche und inhaltliche Differenzierungen in ihrem Wortlaut an. 4 Die Tora ist zunächst verbindliche Weisung Gottes für Israel. 5 Als solche ist sie Bestandteil der Bundesbeziehung zwischen Gott und seinem Volk, Element des „covenantal nomism“. 6 Das bedeutet: Sie gilt als verbindliche Weisung nur innerhalb des Bundesverhältnisses, in diesem Sinne nur für Israel, nicht für die Völker der Welt. Zwar kann im Frühjudentum von grundlegenden Weisungen der Tora her auch das Verhalten von Nichtjuden bewertet und verurteilt (oder auch anerkannt) werden. Das bedeutet aber nicht, dass sie den entsprechenden Forderungen als Teil der Tora und damit – nach dem Grundsatz
1985; MEINRAD LIMBECK, Die Ordnung des Heils. Untersuchungen zum Gesetzesverständnis des Frühjudentums, Düsseldorf 1971. 3 Ich stütze mich im Folgenden auf eigene Studien zur Torarezeption im Frühjudentum und im frühen Christentum und führe sie mit besonderem Blick auf die Torapraxis bei Paulus und in seinen Gemeinden weiter, vgl. vor allem KARL-WILHELM NIEBUHR, Identität und Interaktion. Zur Situation paulinischer Gemeinden im Ausstrahlungsfeld des Diasporajudentums, in: JOACHIM MEHLHAUSEN (Hg.), Pluralismus und Identität, VWGTh 8, Gütersloh 1995, 339–359, bes. 346–350 [in diesem Band 149–171]; DERS., Tora ohne Tempel. Paulus und der Jakobusbrief im Zusammenhang frühjüdischer Torarezeption für die Diaspora, in: BEATE EGO/ARMIN LANGE/PETER PILHOFER (Hg.), Gemeinde ohne Tempel. Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT 118, Tübingen 1999, 427–460 [in Tora und Weisheit 175–207]; DERS., Die Antithesen des Matthäus. Jesus als Toralehrer und die frühjüdische weisheitlich geprägte Torarezeption, in: Gedenkt an das Wort (FS W. Vogler), hg. v. CHRISTOPH KÄHLER/MARTINA BÖHM/CHRISTFRIED BÖTTRICH, Leipzig 1999, 175–200, bes. 177–181 [in Tora und Weisheit 299–323]; DERS., Die paulinische Rechtfertigungslehre in der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, in: THOMAS SÖDING (Hg.), Worum geht es in der Rechtfertigungslehre? Das biblische Fundament der „Gemeinsamen Erklärung“ von katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund, QD 180, Freiburg u.a. 1999, 106–130, bes. 118–121 [in diesem Band 235–256]; DERS., Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora, in: MATTHIAS KONRADT/ULRIKE STEINERT (Hg.), Ethos und Identität. Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit, Paderborn 2002, 27–50 [in Tora und Weisheit 149–173]. 4 Vgl. zum Folgenden ausführlicher NIEBUHR, Tora ohne Tempel (Anm. 3), 430–437. 5 Vgl. Sir 24,6ff.23, im Unterschied zu dem gelegentlich begegnenden Gedanken einer eschatologischen Tora für die Völker vom Zion her, vgl. etwa Jes 2,2–5; Mi 4,1–5. 6 Vgl. zu diesem Begriff ED PARISH SANDERS, Paul and Palestinian Judaism. A Comparison of Patterns of Religion, London 1977, 75.236.419–428; DERS., Jesus, Paul and Judaism, ANRW II 25/1, 1981, 390–450, bes. 394–402.
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von der Einheit der Tora – der ganzen Tora unterworfen wären. Dem widerspricht schon die ausdrückliche Adressierung der Gebote innerhalb der Tora selbst. 7 Allerdings bot nun gerade der Wortlaut der schriftlichen Tora Anknüpfungspunkte für die Ausweitung der Geltung von Torageboten auch auf Nichtjuden. Bei einer Reihe von Geboten werden nämlich ausdrücklich die „mit im Lande wohnenden Fremden“ erwähnt. In Dtn 1,16 geht es dabei allerdings lediglich um den sozialen Schutz dieser „Fremden im Lande“ und ihre Stellung im Rechtswesen. Dass sie auch Anteil an der Sabbatruhe und manchen Festen haben sollen, 8 entspricht dieser Tendenz. In Lev 17–20 und Num 15; 19 werden nun aber auch eine Reihe von Einzelgeboten auf diese Weise für solche „Fremden im Lande“ verbindlich gemacht: die Weisung zum alleinigen Opferkult am „Zelt der Begegnung“, 9 das Verbot, Blut und Aas zu genießen, 10 verbotene Ehen und sexuelle Entartungen, 11 verschiedene Götzendienstpraktiken, 12 Blasphemie, 13 Ersatzleistung, 14 Opfer- und Sühnebestimmungen 15 sowie Reinigungsriten bei Leichenberührung. 16 Offenkundig liegt der Sinn dieser Ausweitung der Geltung von Torageboten auf die „Fremden“ darin, die Heiligkeit des Landes Israel zu wahren. Im Blick sind ja nur die innerhalb seiner Grenzen lebenden Fremden, nicht die Völker der Welt. Folglich wurde diese Kategorie von Geboten im Frühjudentum auch nicht aufgegriffen, um den universalen Maßstab und Anspruch des von der Tora geforderten Verhaltens gegenüber Nichtjuden zu vertreten. Dazu dienten vielmehr katechismusartige Torazusammenfassungen mit Schwerpunkt auf ethischen und sozialen Weisungen, die freilich weder in der Tora selbst noch in ihrer frühjüdischen Rezeption ausdrücklich auf Nichtjuden ausgerichtet sind. Die Konzeption einer „Tora für die Völker“ begegnet erst in der rabbinischen Literatur mit den „noachidischen Geboten“. 17 Sie knüpfen aber nicht bei den Geboten für die „Fremden im Lande“ an, sondern vielmehr bei den eben Vgl. z.B. Ex 12,3.47 „die ganze Gemeinde Israels“; Ex 20,22 (für das sogen. Bundesbuch) „Söhne Israels“; 25,1; Lev 1,1; 11,1 (für die sogen. Priesterschrift) „Söhne Israels“; Lev 17,3 (für das sogen. Heiligkeitsgesetz) „jedermann vom Haus Israel“. 8 Vgl. Dtn 5,14; 16,11.14; 26,11; vgl. Lev 16,29–31; Ex 20,10; 23,12. 9 Lev 17,8f. 10 Lev 17,10–16. 11 Lev 18,6–30. 12 Lev 20,2–6. 13 Lev 24,16 14 Lev 24,17–22. 15 Num 15,13–16.22–26. 16 Num 19,10b–22. 17 Vgl. dazu KLAUS MÜLLER, Tora für die Völker. Die noachidischen Gebote und Ansätze zu ihrer Rezeption im Christentum, SKI 15, Berlin 1994; DAVID NOVAK, The Image of the Non-Jew in Judaism. An Historical and Constructive Study of the Noachide Laws, TST 14, New York, Toronto 1983. 7
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genannten Torazusammenfassungen. 18 Im Horizont der Frage nach dem möglichen Anteil von Heiden am endzeitlichen Heil werden Zusammenstellungen von Grundgeboten, die schon in frühjüdischen Quellen begegnen (Götzendienst, Unzucht, Blutvergießen), schrittweise erweitert und nun ausdrücklich für Israel und die Völker verbindlich gemacht. So werden sie zu Grundprinzipien des Verhaltens und der Religion, die Juden und Heiden bei aller Wahrung der besonderen Eigenart Israels gemeinsam haben. 19 Selbst von dem Verbot des Götzendienstes sind innerhalb der Tora Nichtjuden nur insoweit betroffen, als sie Israeliten zum Götzendienst verführen könnten, wodurch das Land entheiligt würde. 20 Götzendienst von Nichtjuden außerhalb des Landes ist kein Gegenstand der Tora. Heidnische Religion außerhalb Israels konnte sogar unter Verweis auf Dtn 4,19 und Ex 22,27 (LXX) gerechtfertigt und unter den Schutz der Tora gestellt werden. 21 Dem entspricht es, wenn der jüdisch-hellenistische Historiker Artapanos zusammen mit anderen Kulturleistungen auch den Tierkult der Ägypter auf Mose zurückführt 22 und (Pseudo-) Eupolemos die Astrologie auf Abraham. 23 Das schließt natürlich nicht aus, dass andere frühjüdische Autoren scharf gegen heidnische Religion polemisieren und sie dem Gericht Gottes unterwerfen konnten. 24 Grund solcher Polemik ist aber nicht die Übertretung von Torageboten durch Heiden, sondern
Dies hat überzeugend herausgearbeitet MARKUS BOCKMUEHL, The Noachide Commandments and New Testament Ethics. With Special Reference to Acts 15 and Pauline Halakhah, RB 102, 1995, 72–101 (= in: DERS., Jewish Law in Gentile Churches. Halakhah and the Beginning of Christian Public Ethics, Edinburgh 2000, 145–173). 19 In diesen Horizont sind auch die Ausführungen zur Gültigkeit der Tora für die Völker in der Literatur der tannaitischen Zeit zu rücken, die bei KARIN FINSTERBUSCH, Die Thora als Lebensweisung für Heidenchristen. Studien zur Bedeutung der Thora für die paulinische Ethik, StUNT 20, Göttingen 1996, 22–38, zusammengestellt und interpretiert werden. 20 Vgl. Ex 34,10–17; Dtn 13,2–19; Lev 20,2–7. 21 Vgl. dazu PIETER W. VAN DER HORST, „Thou shalt not revile the gods“. The LXX translation of Ex. 22:28, 27, its background and influence, in: DERS., Hellenism – Judaism – Christianity. Essays on Their Interaction, CBET 8, Kampen 1994, 112–121 (= StPhilo Annual 5 [1993] 1–8); MARTIN GOODMAN, Mission and Conversion. Proselytizing in the Religious History of the Roman Empire, Oxford 1994, 38–59 („Judaism before 100 CE. Attitudes to Gentile Paganism). 22 Fg. 3,4.12 (CARL R. HOLLADAY, Fragments from Hellenistic Jewish Authors, Vol. I: Historians, SBL.TT 20, Chico 1983, 208–213; NIKOLAUS WALTER, Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker, JSHRZ I.2, Gütersloh 21980, 129–132). Zu Artapanos vgl. auch JOHN M. G. BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora. From Alexander to Trajan, 323 BCE – 117 CE, Edinburgh 1996, 127–132. 23 Frgm. 1,3.8 (HOLLADAY, Fragments [Anm. 22], 170–175; WALTER, Fragmente [Anm. 22], 141f.); vgl. Artapanos, Frgm. 1 (HOLLADAY, Fragments 204f.; WALTER, Fragmente 127); Josephus, Ant 1,166–168. 24 Vgl. z.B. Weish 13–15; Sib 3,545–549.601–607. 18
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die Bundesbeziehung zwischen Israel und seinem Gott. Sie ist somit paränetisch ausgerichtet und dürfte sich primär an jüdische Adressaten gerichtet haben. Freilich war in frühjüdischer Zeit heidnische Religion für Israel zu einer Herausforderung geworden, die im Pentateuch so noch gar nicht im Blick sein konnte. Zum Verkehr zwischen Juden und Nichtjuden außerhalb des Landes Israel sagt die Tora streng genommen gar nichts. Jetzt aber standen Juden vor der Aufgabe, im ständigen Umgang mit Nichtjuden in einer von heidnischer Kultur und Zivilisation bestimmten Umwelt auf Dauer die Gefährdung des Götzendienstes zu vermeiden. 25 Die Tora konnte für die hier zu treffenden Verhaltensentscheidungen allenfalls Anknüpfungspunkte bieten. So konnte man die Gebote zur Absonderung von den kanaanäischen Völkern auf die Situation der Diaspora übertragen, wobei freilich ihre ursprüngliche Begründung, die Wahrung der Heiligkeit des Landes, auf der Strecke blieb. Ebenso konnte das Verbot der Mischehe, das in der Tora nur mit Blick auf die kanaanäischen Nationen ausgesprochen worden war, 26 auf alle nichtjüdischen Völker ausgedehnt werden. Aber dies waren mögliche, keineswegs zwingende und exklusiv gültige Interpretationen. Mischehen konnten durch Eintritt des nichtjüdischen Partners in das Volk Israel ermöglicht werden. 27 Dass es in der Praxis noch weitere Möglichkeiten gab, die nicht von vornherein im Gegensatz zur Tora stehen mussten, sei es, in Richtung auf eine stärkere Öffnung oder Abschließung, ist anzunehmen. Die Bindung der Tora an das Leben des Volkes im Land Israel bot Schwierigkeiten und Chancen für ihre situationsgerechte Interpretation. So steht ein erheblicher Teil der Gebote in unmittelbarer Verbindung mit dem Opferkult. Das betrifft nicht nur die Opfervorschriften und die Gebote für die Priester, 25 Vgl. dazu grundlegend GERHARD DELLING, Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum, Berlin 1987 (= in: DERS., Studien zum Frühjudentum. Gesammelte Aufsätze 1971–1987, hg. v. CILLIERS BREYTENBACH/KARL-WILHELM NIEBUHR, Göttingen 2000, 23–121). Zur Bedeutung Dellings für die Erforschung des Diasporajudentums vgl. jetzt CILLIERS BREYTENBACH, Perspektiven der Erforschung des Diasporajudentums und frühen Christentums. Zum Gedenken des 100. Geburtstags Gerhard Dellings, BThZ 23, 2006, 99–115. 26 Vgl. Ex 34,15; Dtn 7,3f. 27 Zum Mischehenproblem vgl. MARTIN HENGEL/ANNA MARIA SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Jerusalem. Die unbekannten Jahre des Apostels, WUNT 108, Tübingen 1998, 117f. mit Anm. 480–487; CHRISTINE HAYES, Gentile Impurities and Jewish Identities. Intermarriage and Conversion from the Bible to the Talmud, Oxford 2002; DIES., Intermarriage and Impurity in Ancient Jewish Sources, HThR 92, 1999, 3–36; CANA WERMAN, Jubilees 30: Building a Paradigm for the Ban on Intermarriage, HThR 90, 1997, 1–22; LOUIS H. FELDMAN, Jew and Gentile in the Ancient World. Attitudes and Interactions from Alexander to Justinian, Princeton 1993, 77–79; BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora (Anm. 22), 410–412, sowie NIEBUHR, Identität und Interaktion (Anm. 3), 348 mit Anm. 41 (dort weitere Lit.).
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sondern ebenso bestimmte Reinheitsgebote und -riten, die Abgabenbestimmungen und, mit letzteren zusammenhängend, manche Speisevorschriften. 28 Zwingend vorgeschrieben waren die meisten der Reinheitsgebote nur für den Heiligkeitsbereich des Tempels, dessen Grenzen allerdings nicht eindeutig und für alle Zeit fixiert waren. Außerhalb dieses Bereiches konnten sie beachtet werden, wenn dies durch Interpretation ermöglicht wurde. Aber hier taten sich wieder verschiedene Interpretationsmöglichkeiten auf. Verunreinigungen nach Lev 11–15 und Num 19 (Totenunreinheit) waren z.T. unvermeidlich und konnten durch relativ einfache Riten (Waschen, Warten bis zum Abend) beseitigt werden. Entscheidend war, dass sie nicht mit dem Heiligkeitsbereich des Tempels in Berührung kamen. Für einen Juden in der Diaspora bedeutete dies, dass er, wenn er etwa als Pilger zu einem der Wallfahrtsfeste im Tempel opfern wollte, sich dem Reinigungsritus von Num 19 zu unterziehen hatte. Von dieser Situation abgesehen aber waren die Reinheitsbestimmungen für seine Existenz als Jude im Prinzip irrelevant. 29 Abgaben (Zehnt- und Erstlingsabgaben) wurden prinzipiell nur vom Ertrag des Landes erhoben, das Israel von Gott, dem eigentlichen Eigentümer, als Erbbesitz erhalten hatte. 30 Juden in der Diaspora konnten versuchen, der Intention solcher Gebote auch in ihrem Lebensbereich nachzukommen, etwa durch Vermeidung unnötiger Verunreinigungen, durch religiöse Waschungen oder freiwillige Gaben für den Tempel. Aber dies war Ausdruck ihrer individuellen Frömmigkeit, nicht des Gehorsams gegenüber bestimmten Torageboten. Angesichts solcher Differenzierungen, die die Tora selbst bietet, 31 werden moderne Kategorien wie die zwischen ethischen und kultischen, religiösen und
Vgl. dazu umfassend SANDERS, Judaism (Anm. 2), 45–314. Zur weiteren Differenzierung hinsichtlich der Reinheitsbestimmungen der Tora mit Blick auf Heiden und auf die Diaspora vgl. besonders die Untersuchungen von JONATHAN KLAWANS, Idolatry, Incest, and Impurity: Moral Defilement in Ancient Judaism, JSJ 29, 1998, 391–415; DERS., The Impurity of Immorality in Ancient Judaism, JJS 48, 1997, 1–16; DERS., Notions of Gentile Impurity in Ancient Judaism, AJSR 20, 1995, 285–312. 30 Lev 27,30; Num 18,21. Davon zu unterscheiden ist die Tempelsteuer nach Neh 10,34, die von allen Juden unabhängig von ihrem Wohnsitz zu zahlen war und der materiellen Aufrechterhaltung des Tempelkultes diente, mit Reinheit aber nichts zu tun hatte. Zu Zehnt- und Abgabenbestimmungen vgl. SANDERS, Judaism (Anm. 2), 146–169. 31 Wenig passend ist freilich die Unterscheidung zwischen Geboten der ersten und der zweiten Tafel des Dekalogs, auch wenn sie sich auf Philon berufen kann (vgl. Decal 50f.). Philon sprengt aber selbst bei der Durchführung diese Zweiteilung (vgl. etwa zum Elterngebot Decal 106f.). Zur Unterscheidung zwischen εὐσέβεια und δικαιοσύνη als Oberbegriffen für die zwei ‚Tafeln‘ der Tora bei Philon und in anderen hellenistisch-jüdischen Texten vgl. SANDERS, Judaism (Anm. 2), 193f. 28 29
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moralischen oder sittlichen und rituellen Geboten fragwürdig. 32 Das Sabbatgebot etwa ist keineswegs rituell, sondern nach modernen Kategorien eher ethisch bzw. sozial ausgerichtet. Andererseits kann die Übertretung mancher Sexualgebote, aber z.B. auch Mord, nach frühjüdischem Verständnis rituelle Verunreinigung zur Folge haben. 33 Vielmehr ist entsprechend den oben aufgeführten Differenzierungen bei der Bewertung der Torapraxis im Frühjudentum jeweils zunächst zu fragen: - Wem gilt ein bestimmtes Gebot der Tora und wem nicht (z.B. das Beschneidungsgebot)? - Wo ist die Erfüllung von Geboten zwingend vorgeschrieben (etwa die der Reinheitsvorschriften und vieler Speisegebote), wo ist sie optional, und wo kann lediglich versucht werden, ihrer Intention gerecht zu werden? - In welche Lebenszusammenhänge gehören bestimmte Gebote, und in welchen sind sie nicht relevant (etwa das Götzendienstverbot und manche Speisevorschriften)? Solche Differenzierungen scheinen auch im Blick auf die Gesetzespraxis bei Paulus und in seinen Gemeinden noch zu wenig beachtet zu werden.
32 Auch SANDERS, Judaism (Anm. 2), 192–195, wendet sich gegen die Unterscheidung zwischen ethischen und rituellen Geboten und schlägt stattdessen eine Differenzierung zwischen Geboten zum Verhältnis zwischen Menschen und solchen zum Verhältnis zwischen Menschen und Gott vor. 33 Vgl. Lev 18,19–24; Num 35,30–34.
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2. Torapraxis bei Paulus auf ihrem frühjüdischen Hintergrund 2.1 Sabbat 34 a) Paulinische Aussagezusammenhänge
Im auffälligen Unterschied zur Jesusüberlieferung 35 wird in den Paulusbriefen die Sabbatpraxis nirgends explizit problematisiert. Das Stichwort σάββατον kommt nur an einer einzigen Stelle vor. Nach 1Kor 16,2 ist deutlich, dass die „heidenchristliche“ Gemeinde von Korinth die Zeit nach der jüdischen Woche teilte. Was sie am Sabbat tat oder unterließ, geht daraus aber nicht hervor. Indirekt könnte vom Sabbat noch an drei anderen Stellen die Rede sein. In Gal 4,10 wirft Paulus den Galatern vor, sie beobachteten Tage, Monate, Zeiten und Jahre (ἡμέρας παρατηρεῖσθε καὶ μῆνας καὶ καιροὺς καὶ ἐνιαυτούς). Meist wird vermutet, dass Paulus hier gegen Praktiken jüdischer „Kalenderfrömmigkeit“ polemisiere. Mit „Tagen“ wäre demnach das Halten des Sabbats gemeint, das Paulus für seine Gemeinden ablehnt. 36 Auch in Röm 14,5f. ist von Tagen die Rede, denen einige Gemeindeglieder besondere Beachtung schenken (ὃς μὲν [γὰρ] κρίνει ἡμέραν παρ’ ἡμέραν, ὃς δὲ κρίνει πᾶσαν ἡμέραν). Im Kontext geht es um Fragen des Essens und Trinkens (nach 14,21 Fleisch und Wein), die zu Auseinandersetzungen in der Gemeinde geführt haben. Da Paulus diese Streitfrage unter dem Gesichtspunkt von rein und unrein (V. 14 κοινόν, V. 20 καθαρά) behandelt, dürften jüdische Speisevorschriften bzw. -praktiken im Hintergrund stehen. Von daher könnte
Vgl. zum Folgenden die grundlegende Monographie von LUTZ DOERING, Schabbat. Sabbathalacha und -praxis im antiken Judentum und Urchristentum, TSAJ 78, Tübingen 1999, mit umfassender Aufarbeitung der Sekundärliteratur; danach sind erschienen: CORINNA KÖRTING/HERMANN SPIECKERMANN/ROBERT GOLDENBERG/BERNDT SCHALLER/ JÜRGEN KAISER, Art. Sabbat, TRE 29, 1998, 518–533; ANDRE LEMAIRE, Art. Sabbat, NBL 3, 1998, 388–391; ERNST HAAG /HANS-JÜRGEN BECKER/WILLI RORDORF, Art. Sabbat, LThK3 8, 1999, 1401–1405; GOTTFRIED SCHIMANOWSKI, Die Bedeutung des Sabbat bei Josephus, in: JÜRGEN U. KALMS (Hg.), Internationales Josephus-Kolloquium Arhus 1999, MJSt 6, Münster u.a. 2000, 97–121; HEROLD WEISS, A Day of Gladness. The Sabbath among Jews and Christians in Antiquity, Columbia 2003; ANDREA J. MAYER-HAAS, „Geschenk aus Gottes Schatzkammer“ (bSchab 10b). Jesus und der Sabbat im Spiegel der neutestamentlichen Schriften, NTA 43, Münster 2003; ECKART OTTO/LUTZ DOERING/ELISABETH HOLLENDER/JAN WILLEM VAN HENTEN/ULRICH VOLP/MATTHIAS MORGENSTERN, Art. Sabbat, RGG4 7, 2004, 712–717; als Überblick vgl. auch KARL-WILHELM NIEBUHR, Art. σάββατον, TBLNT2 1, 1997, 459–462. 35 Vgl. dazu DOERING, Schabbat (Anm. 34), 398–478; BERNDT SCHALLER, Jesus und der Sabbat, FDV 3, Münster 1994. 36 Vgl. etwa FRANZ MUSSNER, Der Galaterbrief, HThK 9, Freiburg u.a. 51988, 298–303; JÜRGEN BECKER, Der Brief an die Galater, NTD 8/1, Göttingen 1998, 66f. 34
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man vermuten, 37 dass auch mit den Tagen jüdische Festtage, unter ihnen der Sabbat, gemeint seien. 38 Unabhängig davon, wie man die einzelnen Stellen beurteilt, ist der Befund zur Sabbatpraxis bei Paulus jedenfalls außerordentlich mager. Alle wesentlichen Fragen bleiben offen: Hat Paulus selbst während seiner Missionstätigkeit den Sabbat gehalten? Haben Glieder seiner Gemeinden das getan? Wenn ja, dann: Welche? Alle? Nur die Juden? Wer immer wollte? Was hieß es für ihn oder für seine Gemeinden, den Sabbat zu halten: Nicht arbeiten? Ein Fest feiern? Wenn ja, dann: Wo? Zu Hause? In der Gemeinde? In der Synagoge? Auch der Blick auf die frühjüdische Sabbatpraxis kann diese Fragen nicht eindeutig beantworten. Er kann aber wenigstens Möglichkeiten aufweisen, die für Paulus und seine Gemeinden bereitlagen. b) Frühjüdische Sabbatpraxis In der Bibel gehört das Sabbatgebot zu den Weisungen, die ausdrücklich auch für die „Fremden im Lande“ gelten. 39 Deren Erwähnung hat aber weniger die Funktion, sie der Tora zu unterstellen, als vielmehr die, ihnen Anteil an der Wohltat der Arbeitsruhe und der Festfreude zu gewähren. Denn der Sabbat ist nach frühjüdischem Verständnis geprägt von Freude, Gotteslob und Gebet in Synagoge und Haus. 40 Fasten und Tragen schmutziger Kleidung waren verboten, 41 gutes Essen und Trinken dagegen empfohlen. 42 Arbeitsruhe am Sabbat ist in den frühjüdischen Zeugnissen zwar durchgängig vorausgesetzt, steht aber keineswegs immer im Vordergrund. Einzelbestimmungen dazu finden sich in Ansätzen schon in der Bibel; 43 in der frühjüdischen Literatur begegnen sie vorwiegend in essenisch geprägten Quellen. 44 Die detaillierte, auf Praktikabilität bedachte und im Vergleich dazu insgesamt weniger strenge Sabbathalacha der 37 So ULRICH WILCKENS, Der Brief an die Römer. 3. Teilbd.: Röm 12–16, EKK VI/3, Zürich u.a./Neukirchen-Vluyn 32005, 83.114; JAMES D. G. DUNN, Romans 9–16, WBC 38B, Dallas 1988, 805f. 38 GOTTFRIED SCHIMANOWSKI, „Abgrenzung und Identitätsfindung“. Paulinische Paränese im 1. Thessalonicherbrief, in: REINHARD FELDMEIER/ULRICH HECKEL (Hg.), Die Heiden. Juden, Christen und das Problem des Fremden, WUNT 70, Tübingen 1994, 297–316, möchte auch in 1Thess 4,11 einen Hinweis auf die Sabbatruhe sehen, da das Stichwort ἡσυχάζειν in frühjüdischen und neutestamentlichen Bezugnahmen auf den Sabbat begegnet. Er schlägt vor, V. 11a φιλοτιμεῖσθαι ἡσυχάζειν zu übersetzen: „(euch engagiert darum zu kümmern) die Sabbatruhe zu bewahren …“ (a.a.O., 311). 39 Vgl. Ex 20,8–11; 23,12; Dtn 5,12–15. 40 Vgl. bes. 2Makk 8,27; LibAnt 11,8; Philo, VitMos 2,211f.214. 41 Jdt 8,6; Jub 50,12; CD XI 3f. 42 Jub 2,21.31; 50,9f. 43 Vgl. Jes 58,13; Jer 17,19–27; Neh 10,32ff.; 13,15–22. 44 Jub 2,29f.; 50,6–8.12; CD X 14–12,6; vgl. Josephus, Bell 2,147; s. aber auch Philo, Migr 91; VitMos 2,22.
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rabbinischen Literatur 45 kann für die neutestamentliche Zeit nicht als bekannt vorausgesetzt werden. Zentral für das frühjüdische Sabbatverständnis ist der Bezug auf die Schöpfung. 46 Nach Philon ist der Sabbat „Geburtstag der Welt“, 47 sogar älter als die Schöpfung. 48 Als in der Schöpfung begründete Institution gehört er in die Reihe der Feste, die die Zeit nach dem Willen des Schöpfers ordnen. 49 Seiner universalen Bedeutung entspricht es, wenn erwartet wird, dass in der Endzeit auch die Völker den Sabbat halten werden. 50 Dies impliziert freilich, dass von der Tora her für Nichtjuden das Halten des Sabbats weder erwartet noch gar gefordert war. Philon und Josephus stellen zudem heraus, dass Synagogenversammlungen am Sabbat der Toraunterweisung dienten. Dadurch wurden sie zu einer entscheidenden Institution für die Wahrung jüdischer Identität in der Diaspora. 51 Seit der Makkabäerzeit wird der Sabbat neben Beschneidung, Speisevorschriften und Tempelkult als Merkmal jüdischer Identität erkennbar. 52 In der Diaspora stand er unter dem Schutz örtlicher politischer Privilegien, 53 war aber gleichzeitig heidnischer Polemik ausgesetzt 54 und bedurfte von daher jüdischer Apologetik. 55 Polemik wie Apologetik stimmen dabei darin überein, dass der Sabbat, vor allem seine häuslichen Festbräuche, auch auf Nichtjuden eine gewisse Anziehungskraft ausübte. 56 Die frühjüdischen Zeugnisse insgesamt lassen erkennen, dass er seinem Grundcharakter entsprechend eher als Entlastung denn als Belastung erfahren wurde.
Vgl. z.B. mShab 7,2; mBes 5,2. Vgl. bes. Jub 2; 2Makk 15,2f.; Philo, Decal 97f.; SpecLeg 2,260; Josephus, Ant 1,33; LibAnt 11,8; VitAd 51,2. 47 SpecLeg 1,170 u.ö. 48 VitMos 2,263. 49 Jub 1,14; 6,34–38; 1Makk 10,34; Philo, SpecLeg 2,41. 50 Jes 56,1–8; 66,23. 51 Vgl. z.B. Philo, Hyp 7,10–14.20; SpecLeg 2,61–64; VitMos 2,216; Josephus, Ant 16,43; Ap 2,175; zur Unterweisung in der Tora als identitätsstiftender Maßnahme im Frühjudentum vgl. auch NIEBUHR, Hellenistisch-jüdisches Ethos (Anm. 3), 30f. 52 Vgl. 1Makk 1,39.43; 2Makk 6,6.11; Josephus, Ant 12,259; LibAnt 44,6f.; Jub 2,19– 22. 53 Vgl. 1Makk 10,34; Philo, LegGai 155–158; Josephus Ant 14,226.242.245.258. 263f.; 16,163f.168. 54 Vgl. die Belege bei ROBERT GOLDENBERG, The Jewish Sabbath in the Roman World up to the Time of Constantine the Great, ANRW II 19,1, 1979, 414–447. 55 Vgl. Philo, VitMos 2,21f.; Josephus, Ap 2,20–27; 282; Ant 16,43. 56 Vgl. Josephus, Bell 7,45; Ap 2,282; Philo, VitMos 2,21; Sueton, Tiberius 32,2; Juvenal, Sat 14,96.106. 45 46
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c) Sabbatpraxis in den paulinischen Gemeinden Auf dem Hintergrund der frühjüdischen Sabbatpraxis erscheint es weniger überraschend, dass Auseinandersetzungen um den Sabbat in den Paulusbriefen nicht begegnen. Die Probleme und Auseinandersetzungen, die sich in der paulinischen Korrespondenz spiegeln, stehen in Zusammenhang mit der programmatischen Einbeziehung von Nichtjuden in die eschatologisch bestimmte Christusgemeinschaft. 57 Dass Nichtjuden den Sabbat halten sollen, wurde aber weder in der Tora noch sonst im Frühjudentum gefordert. Wer dies von sich aus tat, konnte sich vielleicht auf biblische Ansätze oder eine Praxis im Umfeld von Diasporasynagogen berufen. Den Sabbat zu halten, bedeutete aber jedenfalls nicht, zum Judentum über- bzw. in das Gottesvolk Israel einzutreten. Dazu war vielmehr der Gehorsam gegenüber der ganzen Tora unabdingbar und damit verbunden bei Männern die Beschneidung. 58 Dem Sabbat kam also keine soteriologische Bedeutung zu. Nichtjuden in den paulinischen Gemeinden hätten allenfalls von Jes 56 und 66 her ihre Sabbatpraxis als Zeichen ihrer eschatologischen Gemeinschaft mit dem Gottesvolk verstehen können. Davon wird aber in den Paulusbriefen nichts erkennbar. Andererseits musste es aber auch nicht zu Konflikten führen, wenn Juden (und vielleicht auch Nichtjuden) in den paulinischen Gemeinden den Sabbat hielten. Im Unterschied zu manchen Speisevorschriften betraf der Sabbat solange nicht den Umgang zwischen Juden und Nichtjuden, wie Juden nicht zur Verletzung der Arbeitsruhe gezwungen wurden. Dazu bestand zwar im öffentlichen Leben hellenistischer Städte mancherlei Anlass, weswegen entsprechende Privilegien für Juden von hoher Bedeutung waren, 59 kaum aber innerhalb der paulinischen Gemeinden. Es besteht demnach Grund zur Annahme, dass hier unterschiedliche Haltungen gegenüber dem Sabbatgebot problemlos nebeneinander bestehen konnten. Von hier aus sind nun auch die oben genannten paulinischen Aussagezusammenhänge noch einmal näher zu betrachten, an denen von besonderen Tagen die Rede ist. Schon der Sprachgebrauch weckt Zweifel, ob hier überhaupt der Sabbat im Blick ist. Im Kontext von Röm 14,5 geht es durchgängig und ausschließlich um Essen und Trinken. Der Verweis auf besondere Tage betrifft einen damit in Zusammenhang stehenden Streitfall, der aber nicht näher ausgeführt wird. Soll dieser Streitfall in der paulinischen Argumentation mehr sein als eine beiläufige Illustration, dann muss er ebenfalls wenigstens etwas mit 57 Vgl. dazu NIEBUHR, Die paulinische Rechtfertigungslehre (Anm. 3), 112–114.; DERS., Identität und Interaktion (Anm. 3), 353–356. 58 Die gelegentlichen Hinweise auf Ausnahmen von dieser Regel in den Quellen können die prinzipielle Geltung des Beschneidungsgebotes für Proselyten nicht in Frage stellen, s. dazu u., 108f. Zur Diskussion der betreffenden Belege vgl. NIEBUHR , Identität und Interaktion (Anm. 3), 347f. mit Anm. 39. 59 S. o., 89.
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Essen und Trinken zu tun gehabt haben. Dies spricht dafür, dass es bei den Auseinandersetzungen in der römischen Gemeinde nicht um das Halten des Sabbats, sondern um das Einhalten bestimmter Fasttage ging. 60 Fasten ist durch die Tora für Israeliten nur am Großen Versöhnungstag vorgeschrieben. 61 Daneben gab es die Praxis freiwilligen Fastens, für die offenbar auch bestimmte Tage vorgezogen werden konnten, wofür sich die besten Belege aus frühjüdischer Zeit bezeichnenderweise im Neuen Testament finden lassen. 62 Freiwilliges Fasten von Nichtjuden in Nachahmung jüdischer Praxis
60 Diese Interpretation wird auch am besten der ungewöhnlichen Terminologie gerecht, die Paulus in Röm 14,5 verwendet, wenn er vom „Beurteilen“ (κρνεῖν παρά τι) bestimmter Tage spricht. Gemeint ist damit offenbar eine qualitative Unterscheidung, die zur Bevorzugung des einen gegenüber dem anderen führt. Ähnlich interpretiert EDUARD LOHSE, Der Brief an die Römer, KEK 4, Göttingen 2003, 371, ohne sich freilich zwischen einem Bezug auf den Sabbat oder auf „durch Tabuvorschriften bzw. Astrologie hervorgehobene Tage o.ä.“ zu entscheiden. Nach MAYER-HAAS, „Geschenk aus Gottes Schatzkammer“ (Anm. 34), 105f., intendiert die Wendung κρίνεῖν ἡμέραν παρ’ ἡμέραν „insbesondere die Observanz des Sabbats und weniger die Feier anderer jüdischer Feiertage“, ohne dass sie dafür eine bessere Begründung angeben könnte als die, dass der Sabbat „auch im antiken Rom als herausragendes Kennzeichen jüdischer Religion“ galt. HEROLD WEISS, Paul and the Judging of Days, ZNW 86, 1995, 137–153, geht davon aus, dass „in Rome every one agreed on the significance of the sabbath“ (a.a.O., 150), und setzt von daher voraus, dass Paulus auch in Röm 14,5 auf unterschiedliche Positionen innerhalb der römischen Gemeinde gegenüber dem Sabbat Bezug nimmt. Warum er dabei das Stichwort Sabbat vermeidet, bleibt freilich auch für Weiss „a puzzle“ (ebd.); vgl. DERS., The Sabbath in the Pauline Corpus, StPhilo Annual 9, 1997, 287–315: 288–290 (290: „It seems, then, that Christians at Rome, who agreed on the need to serve the Lord and to keep in mind the day, differed in their identification of the Sabbath. While some saw it in a day set apart, others saw it in all days of the week.“). Unentschieden bleibt MARK REASONER, The Strong and the Weak. Romans 14.1– 15.13 in Context, MSSNTS 103, Cambridge 1999, 158: „From our knowledge of the impressions with which Sabbath observance was held in the early Empire, and the prevalence of fasting as a form of religious expression, these two activities seem to be the best candidates for the nub of the dispute over days that is reflected in 14.5–6a.“ 61 Vgl. Lev 16,29ff. (auch für den „Fremden im Lande“!); 23,27–32; Num 29,7. 62 Vgl. Mk 2,18 parr.; Lk 18,12; Did 8,1. Am Sabbat wie an Festtagen überhaupt war nach Jdt 8,6 Fasten verboten (vgl. auch Philo, VitCont 36). Im Alten Testament belegen etwa Sach 7,3–5; 8,19; 1Makk 3,47; 2Makk 13,12 das Fasten aus speziellen Anlässen. Nahrungsaskese bezeugt Philon für die Therapeuten (VitCont 34–37.73f.), vgl. auch TestAss 2,8; 4,3; TestJos 9,2 (dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese [Anm. 2], 151), im NT noch Luk 2,37; 2Kor 11,27. Zur Fastenpraxis im Frühjudentum vgl. SANDERS, Jewish Law (Anm. 2), 81– 84; SHMUEL SAFRAI, Religion in Everyday Life, in: DERS./MENAHEM STERN (Hg.), The Jewish People in the First Century. Historical Geography, Political History, Social, Cultural and Religious Life and Institutions, CRI I/2, Assen/Philadelphia 1987, 793–833: 814–816; EMIL SCHÜRER, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ, 175 B.C.–A.D. 135, Bd. II, Edinburgh 1979, 483f.
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erwähnt auch Josephus. 63 Philon bestätigt dies für das Fasten am Versöhnungstag und lobt solche Praxis im Gegensatz zu heidnischen Festen mit ihren Trinkund Speisegelagen. 64 Eine Fastenpraxis nach frühjüdischem Vorbild scheint von daher auch für die in Römer 14f. vorausgesetzte Situation näher liegend als Auseinandersetzungen um den Sabbat. 65 Auch in Gal 4,10 spricht der Kontext gegen eine Bezugnahme auf den Sabbat. In V. 8–11 hat Paulus, im Unterschied zu 3,6–4,7, allein die nichtjüdischen Gemeindeglieder im Blick. 66 Vor ihrer Bekehrung waren sie Götzendiener, 67 nun sind sie im Begriff, sich wiederum solchen Mächten zu unterwerfen. 68 Ihre gegenwärtig geübte Praxis der Beobachtung von Tagen und weiteren Zeitpunkten bzw. -räumen 69 ist ein Rückfall in diejenige vor ihrer Bekehrung. 70 Sie lässt Paulus befürchten, dass sie sich auch künftig nicht in seinem Sinne verhalten werden und er sich daher umsonst um sie bemüht habe (4,11). Das gegenwärtige Verhalten der Adressaten wird also mit ihrer heidnischen Religionspraxis vor der Bekehrung gleichgesetzt. Nichts deutet darauf hin, Ap 2,282. VitMos 2,23. 65 Klaus HAACKER, Der Brief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Leipzig 1999, 282f., spekuliert, „daß der Sabbat in der Öffentlichkeit so eindeutig als eine Sitte der jüdischen Nation angesehen wurde, daß Paulus die Sabbatobservanz von (auch nichtjüdischen) Christen nicht an die große Glocke hängen wollte“. Unentschieden WILCKENS, Röm 3 (Anm. 37), 83: „Es mag offenbleiben, ob es sich nun um die Einhaltung bestimmter Fastentage gehandelt hat (vgl. Did 8) oder um die Observanz des Sabbats (vgl. Kol 2,16) bzw. des jüdischen Festkalenders (vgl. Gal 4,10).“ In jedem Fall geht es aber auch nach Wilckens um Fragen jüdischer Torapraxis. Zu Gal 4,10 s. gleich, zu Kol 2,16 sei hier lediglich vermerkt, dass dort, anders als in Gal 4,8–10, das Beachten von Speisevorschriften, Festtagen, Neumonden und Sabbaten nicht als Rückfall in die Vergangenheit der Adressaten vor ihrer Berufung qualifiziert wird, sondern als „Schatten des Künftigen“. Im Kontext der Argumentation wird dabei der Sabbat in ähnlicher Weise metaphorisiert wie zuvor die Beschneidung (vgl. 2,11– 13) und gewinnt damit einen positiven Sinn. Vgl. auch MAYER-HAAS, „Geschenk aus Gottes Schatzkammer“ (Anm. 34), 116–134, 129: „Im platonischen Sinne sind die genannten Bestandteile jüdischer Religion ein zwar minderwertiger, aber dennoch das Eigentliche andeutender Umriß des Urbildes: Die genannten jüdischen Kultgebote, einschließlich des Sabbats, sind nicht wertlos, sondern sind angesichts des Christusereignisses in ihrer Bedeutung relativiert und nicht mehr notwendig.“ 66 Dafür spricht unter anderem der sehr bewusst gewählte Gebrauch der Pronomina im Argumentationsgang 3,6–4,11. Während Paulus sich in 3,6–4,7 mehrfach im kommunikativen Plural der 1. Person mit den Adressaten verbindet (vgl. 3,13f.23–25; 4,3.5f.), setzt er die zweite Person Plural dezidiert im Blick auf die Adressaten (vgl. 3,26–29; 4,8–10) und stellt am Ende sich selbst ihnen entgegen (4,11). Hieran anknüpfend kann er sie dann in einem sehr persönlichen Appell auffordern, „wie ich“ zu werden (4,12–20). 67 τότε … ἐδουλεύσατε τοῖς φύσει μὴ οὖσιν θεοῖς, 4,8. 68 νῦν … πάλιν, 4,9. 69 ἡμέρας παρατηρεῖσθε καὶ μῆνας καὶ καιροὺς καὶ ἐνιαυτούς, 4,10. 70 πῶς ἐπιστρέφετε πάλιν, 4,9. 63 64
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dass hier ein Verhalten im Rahmen jüdischer Tradition im Blick ist. 71 Ihr gegenwärtiges Verhalten ist auf jeden Fall zu unterscheiden von ihrem künftigen, der von Paulus befürchteten Übernahme der Beschneidung, von der explizit aber erst ab Kap. 5 die Rede ist. 72 Rhetorisch wirksam ist dieser Aufbau der Argumentation gerade dadurch, dass die aktuelle Streitfrage, die Beschneidung, erst als solche beim Namen genannt wird, nachdem die entscheidenden Argumente für die paulinische Position schon überzeugend vorgebracht worden sind. Die rhetorische Pointe des Paulus liegt dann darin, beides, die heidnische Praxis des Beachtens von Zeiten (4,8–10) und die jüdische Forderung der Annahme der Beschneidung (5,1–12), auf eine Ebene zu stellen. 73 Eine verdeckte Polemik gegen das Halten des Sabbats käme daher in Kap. 4 verfrüht
71 So auch TROY MARTIN, Apostasy to Paganism: The Rhetorical Stasis of the Galatian Controversy, JBL 114, 1995, 437–461, 449: „In Gal 4:8–20, Paul applies his preceding demonstration of the validity of his gospel (1:10–4:7) to the Galatians’ behavior. He asks the Galatians for the reason they are returning to their paganism (4:9), as evidenced by their renewed observance of their former pagan time-keeping scheme (4:10).“. Vgl. DERS., Pagan and Judeo-Christian Time-Keeping Schemes in Gal 4.10 and Col 2.16, NTS 42, 1996, 105– 119, 112: „When Paul refers to days, months, seasons, and years in Gal 4.10, he lists categories most characteristic of a pagan time-keeping system … The immediate context of Gal 4.10 argues for the pagan character of this list.“. Martin verbindet diesen Befund mit einer eigenen These zur Veranlassung der paulinischen Aussagen im Galaterbrief, wonach die Adressaten angesichts der Beschneidungsforderung der Paulus-Gegner in Galatien erwägen, das Christus-Evangelium ganz abzulehnen und zu ihrer nichtjüdischen Religionspraxis zurückzukehren; vgl. a.a.O., 115f.: „Confronted with circumcision as a requirement of the true Christian gospel, the Galatians most likely apostatize and return to their former status as Gal 4.8–11 plainly states … Paul argues against the circumcision gospel because its acceptance by the Galatians results in their rejection of Christianity and return to paganism since they refuse to be circumcised.“ M.E lässt aber die paulinische Argumentation im Galaterbrief eher auf den Wunsch der Adressaten schließen, sich beschneiden zu lassen, als auf ihre Ablehnung der Beschneidung. 72 Vgl. 5,2.12; 6,12f. Die gegenteilige Annahme bei MAYER-HAAS, „Geschenk aus Gottes Schatzkammer“ (Anm. 34), 93 mit Anm. 62, ergibt sich nicht aus dem Text, sondern allein aus der Voraussetzung, dass in 4,10 von jüdischen Festzeiten die Rede ist. Dass die Annahme der Beschneidung durch die Galater erst bevorsteht, also gegenwärtig noch nicht vollzogen worden ist, ergibt sich aus der Textpragmatik des gesamten Briefes. Vgl. dazu MARTIN, Apostasy to Paganism (Anm. 71), 459–461. 73 Dazu dient auch die Verwendung des gemeinsamen Stichworts στοιχεῖα in 4,3 und 4,9, das aus der von Paulus gewonnenen Glaubensperspektive heraus (kommunikativer Plural in 4,3!) die von den Briefadressaten immer noch bzw. wieder hochgehaltenen „zeitlichen Mächte“ als schwächlich und armselig abqualifizieren kann, weil sie zur nun im Glauben überwundenen Vergangenheit gehören. Allein, diese Glaubensperspektive ist, so fürchtet Paulus, noch nicht die der Adressaten.
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und würde den rhetorischen Effekt zerstören. Für die Frage nach der Sabbatpraxis in den paulinischen Gemeinden trägt also diese Stelle nichts aus. 74 So lässt sich die Frage, welche Haltung Paulus und seine Gemeinden zum Sabbat einnahmen, nicht mehr beantworten. Dass es aber um diese Frage, soweit wir sehen können, keinen Streit gab, entspricht genau dem Bild, das sich aus den frühjüdischen Quellen nahelegt. 2.2 Speisegebote 75 a) Paulinische Aussagezusammenhänge In Gal 2,11–14 berichtet Paulus von seiner Auseinandersetzung mit Kephas in Antiochia. 76 Dieser habe sich zunächst an der in der Gemeinde geübten Tischgemeinschaft von Heiden und Juden beteiligt, nach dem Eintreffen „einiger 74 Gegen MAYER-HAAS, „Geschenk aus Gottes Schatzkammer“ (Anm. 34), 91. WEISS, The Sabbath in the Pauline Corpus (Anm. 60), 290–300, diskutiert ausführlich den paulinischen Argumentationsgang, kommt aber zu keinem klaren Ergebnis hinsichtlich eines Bezugs auf den Sabbat. Auch HANS DIETER BETZ, Der Galaterbrief. Ein Kommentar zum Brief des Apostels Paulus an die Gemeinden in Galatien. Aus dem Amerikan. übers. v. SIBYLLE ANN, Gütersloh 1988, 379, bleibt unentschieden: „Die kultischen Beobachtungen betreffen sowohl ihre heidnische Vergangenheit als auch ihr künftiges Leben im Judentum, falls sie sich dafür entscheiden.“ 75 Vgl. die umfassende Monographie zum Thema von CHRISTOPH HEIL, Die Ablehnung der Speisegebote durch Paulus. Zur Frage nach der Stellung des Apostels zum Gesetz, BBB 96, Weinheim 1994. Einen Überblick zu einschlägigen Speisevorschriften mit Bezug auf das frühe Christentum bietet HERMUT LÖHR, Speisenfrage und Tora im Judentum des Zweiten Tempels und im entstehenden Christentum, ZNW 94, 2003, 17–37. Vgl. auch SANDERS, Jewish Law (Anm. 2), 272–283. 76 Als Einführung zum „antiochenischen Zwischenfall“ vgl. UDO SCHNELLE, Paulus. Leben und Denken, Berlin/New York 2003, 129–135. Zur Erschließung der umfangreichen Sekundärliteratur vgl. JÜRGEN WEHNERT, Die Reinheit des „christlichen Gottesvolkes“ aus Juden und Heiden. Studien zum historischen und theologischen Hintergrund des sogenannten Aposteldekrets, FRLANT 173, Göttingen 1997; LOTHAR WEHR, Petrus und Paulus – Kontrahenten und Partner. Die beiden Apostel im Spiegel des Neuen Testaments, der Apostolischen Väter und früher Zeugnisse ihrer Verehrung, NTA 30, Münster 1996; NICHOLAS TAYLOR, Paul, Antioch and Jerusalem. A Study in Relationships and Authority in Earliest Christianity, JSNT.S 66, Sheffield 1992, 123–139; ANDREAS WECHSLER, Geschichtsbild und Apostelstreit. Eine forschungsgeschichtliche und exegetische Studie über den antiochenischen Zwischenfall (Gal 2,11–14), BZNW 62, Berlin/New York 1991; ANDREAS FELDTKELLER, Identitätssuche des syrischen Urchristentums. Mission, Inkulturation und Pluralität im ältesten Heidenchristentum, NTOA 25, Göttingen 1993. Vgl. auch CHRISTFRIED BÖTTRICH, Petrus und Paulus in Antiochien (Gal 2,11–21), BThZ 19, 2002, 224–239; ANNA MARIA SCHWEMER, Paulus in Antiochien, BZ 42, 1998, 161–180; PHILIP F. ESLER, Making and Breaking an Agreement Mediterranean Style: A New Reading of Galatians 2:1–14, Biblical Interpretation 3, 1995, 285–314 (= in: MARK D. NANOS [Hg.], The Galatians Debate. Contemporary Issues in Rhetorical and Historical Interpretation, Peabody 2002, 261–281); DONALD J. VERSEPUT, Paul’s Gentile Mission and the Jewish Christian Community. A
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von Jakobus“ sich aber daraus zurückgezogen und abgesondert, weil er „die aus der Beschneidung fürchtete“. Auch „die übrigen Juden“ hatten sich ihm darin angeschlossen, so dass selbst Barnabas die bisher geübte Praxis aufgab. In seiner Widerrede gegen Kephas nennt Paulus diesen einen „Juden, der heidnisch und nicht jüdisch lebt“ (ἐθνικῶς καὶ οὐχὶ ἰουδαϊκῶς ζῇς), das von den Heiden in der Gemeinde verlangte Verhalten „nach jüdischer Art leben“ (ἰουδαΐζειν). 77 Es stellt sich die Frage: Welchen Charakter hatte die Mahlgemeinschaft in Antiochia? Spielte die Art und die Zubereitung der Speisen eine Rolle? Was haben „die aus der Beschneidung“ im Blick auf die Mahlgemeinschaft verlangt und mit welchen Begründungen? Schließlich: Was heißt im Blick auf Essen (und Trinken) „heidnisch“ bzw. „jüdisch leben“? In den Auseinandersetzungen um Speisefragen in Korinth (1Kor 8–10) 78 ging es nicht um die Mahlgemeinschaft in der Gemeinde, sondern um Speisen bei Gastmählern heidnischer Gastgeber, die in jüdischen Augen durch Berührung mit heidnischem Kult einen besonderen Charakter annehmen konnten (εἰδωλόθυτα). In 8,10 wird darüber hinaus vorausgesetzt, dass ein Gemeindeglied in einem heidnischen Tempel (εἰδωλεῖον) sitzt und dabei von einem anderen Gemeindeglied beobachtet werden kann, das dadurch selbst zum Essen von εἰδωλόθυτα verleitet werden könnte. Die hypothetische Verpflichtung des Paulus zum Vegetarismus in V. 13 lässt darauf schließen, dass es sich bei solchen Speisen um Fleisch handelte. Die konkreten Anweisungen, die Paulus am Schluss seiner Argumentation gibt (10,25–30), betreffen zum einen die Beschaffung der Speisen auf dem Markt (μακέλλον), zum anderen die Teilnahme an Gastmählern bei „Ungläubigen“. 79 Beide Anweisungen gehen insofern in
Study of the Narrative in Galatians 1 and 2, NTS 39, 1993, 36–58; TRAUGOTT HOLTZ, Der Antiochenische Zwischenfall. Galater 2,11–14, NTS 32, 1986, 344–361 (= in: DERS., Geschichte und Theologie des Urchristentums. Ges. Aufs., hg. v. ECKART REINMUTH/CHRISTIAN WOLFF, WUNT 57, Tübingen 1991, 171–188). 77 Vgl. zur Terminologie und ihren Zusammenhängen im Frühjudentum und frühen Christentum KARL-WILHELM NIEBUHR, „Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien, ZNW 85, 1994, 218–233. 78 Vgl. zur Erschließung der Sekundärliteratur VOLKER GÄCKLE, Die Starken und die Schwachen in Korinth und in Rom. Zu Herkunft und Funktion der Antithese in 1 Kor 8,1– 11,1 und in Röm 14,1–15,13, WUNT II/200, Tübingen 2004, 3–22.110–291; JOHN FOTOPOULOS, Food Offered to Idols in Roman Corinth. A Social-Rhetorical Reconsideration of 1 Corinthians 8:1–11:1, WUNT II/151, Tübingen 2003. 79 Vgl. dazu DIETRICH-ALEX KOCH, „Alles, was ἐν μακέλλῳ verkauft wird, eßt …“. Die macella von Pompeji, Gerasa und Korinth und ihre Bedeutung für die Auslegung von 1Kor 10,25, ZNW 90, 1999, 194–219; DERS., „Seid unanstößig für Juden und für Griechen und für die Gemeinde Gottes“ (1Kor 10,32). Christliche Identität im μακέλλον in Korinth und bei Privateinladungen, in: Paulus, Apostel Jesu Christi (FS G. Klein), hg. v. MICHAEL TROWITZSCH, Tübingen 1998, 35–54.
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die gleiche Richtung, als sowohl der Speisebezug vom Markt als auch die Teilnahme an Gastmählern solange möglich sind, wie nicht ihr Bezug zum Götzendienst ausdrücklich kenntlich gemacht worden ist. In Röm 14,1–15,6 kommen innergemeindliche Spannungen zur Sprache, die sich daran entzünden, dass manche meinen, alles essen zu können, andere dagegen, auf Fleisch und Wein verzichten zu müssen (14,2.21). 80 Die Bezeichnung der Speisen als „unrein“ (κοινόν, V.14) bzw. „rein“ (καθαρόν, V.20) zeigt, dass es um ihre Bewertung von jüdischen Voraussetzungen aus geht. 81 Die Weisungen des Paulus richten sich darauf, die im Glauben an Christus erlangte Gemeinschaft nicht durch Auseinandersetzungen um Essen und Trinken zu gefährden. 82 Sind somit auch die Konflikte in Antiochia, Korinth und Rom nicht einfach gleichzusetzen, so stellen sich doch im Blick auf die frühjüdische Speisepraxis ähnliche Fragen: Welche der Speisevorschriften der Tora waren in der Situation der beiden Gemeinden relevant? Welche Interpretationsmöglichkeiten einschlägiger Toragebote waren für das Leben in der Diaspora entwickelt worden? In welchem Verhältnis stehen die paulinischen Weisungen zu ihnen? b) Frühjüdische Speisepraxis Unter den verschiedenen Kategorien von Speisevorschriften 83 sind in der Tora nur die Verbote von Blut und Aas auch für die „Fremden im Lande“ verbindlich (Lev 17,10–16). Sie gelten, ebenso wie die Verbote bestimmter Tierarten und von Aas (Lev 11; Dtn 14), unabhängig vom Tempelkult und vom Land Israel und waren daher auch für Juden in der Diaspora relevant, im Unterschied zu solchen Speisegeboten, die aus den Opfer- und Abgabenbestimmungen resultierten. 84 Das bedeutet, dass in der Diaspora nicht der Status der Speisen im Sinne kultischer Reinheit bzw. Unreinheit von Bedeutung war, sondern allein ihre Auswahl entsprechend den Vorgaben der Tora und ihre Zusammensetzung, vor allem ihr Blutgehalt, gegebenenfalls auch die Vermengung von Milch- und Fleischspeisen nach Ex 34,26. 80 Vgl. zur Erschließung der jüngeren Diskussion GÄCKLE, Die Starken und die Schwachen (Anm. 78), 22–32.292–449; REASONER, The Strong and the Weak (Anm. 60), 1–23. 81 So auch JOHN M. G. BARCLAY, ‚Do we undermine the Law?‘ A Study of Romans 14.1– 15.6, in: JAMES D. G. DUNN (Hg.), Paul and the Mosaic Law, WUNT 89, Tübingen 1996, 287–308; HAACKER, Röm (Anm. 65), 277f. 82 Eine Verbindung zum Götzendienst fehlt hier ebenso wie ein Hinweis auf die Tischgemeinschaft von Juden und Heiden. Von daher erscheint es zweifelhaft, dass Paulus sich hier „Rechenschaft über Erfahrungen, die er in Korinth und anderswo gemacht hat“ gibt, wie LOHSE, Röm (Anm. 60), 374, meint; vgl. auch seinen Exkurs: „Die Schwachen und die Starken“, a.a.O., 372–374. 83 Vgl. dazu die ausführliche Zusammenstellung bei HEIL, Ablehnung der Speisegebote (Anm. 75), 23–38. 84 Vgl. etwa Lev 3,17; 7,22–25; Dtn 12; 15; Num 18.
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Hinzu kommen in frühjüdischer Zeit 85 Herausforderungen aus der Begegnung mit heidnischer Religion. So können die Verbote von heidnischem Wein, 86 Olivenöl 87 oder gar Brot 88 aus keinem der Speisegebote der Tora unmittelbar abgeleitet werden. Sie dienten vielmehr der Vermeidung von Speisen, die möglicherweise mit heidnischem Kult in Berührung gekommen waren. 89 Im Extremfall konnte die Sorge vor Kontakt mit Götzendienst zu konsequenter Selbstversorgung 90 oder Vegetarismus 91 führen. Dass für Juden die Tischgemeinschaft mit Nichtjuden Einschränkungen unterlag, wird in den Quellen vielfach sichtbar. Allerdings zeigen die meisten dafür angeführten Belege, dass nicht der rituelle Status der Heiden problematisch war, sondern der Charakter der Speisen. Die Beachtung bestimmter Sonderregelungen konnte eher dazu dienen, Tischgemeinschaft zu ermöglichen, 92 als sie zu verhindern. 93 Überblickt man die zahlreichen Belege zur Speisepraxis von Juden aus jüdischer wie aus heidnischer Perspektive, 94 so stehen im Mittelpunkt zum einen Die Belege sind umfassend gesammelt und chronologisch nach den Quellen angeordnet bei HEIL, Ablehnung der Speisegebote (Anm. 75), 39–123. 86 Vgl. Dan 1,8–16; Jdt 10,5; 12,13; Est 4,17x. 87 Josephus, Ant 12,119f.; Bell 2,591f.; Vit 74ff. 88 Tob 1,10f. 89 Vgl. auch 4Makk 5,2. 90 Josephus, Vit 13f. 91 Dan 1,8–16. 92 Ein praktikables Verfahren beschreibt der Aristeasbrief: Die aus Jerusalem angereisten Juden, unter ihnen der Hohepriester Eleazar, speisen an einer Tafel mit dem König. Die Getränke und Speisen werden von einem zuverlässigen Koch ihren Gebräuchen entsprechend zubereitet und von speziellem Personal unter Beachtung ihrer Gebräuche serviert, d.h. ohne heidnische Opferherolde, Priester und Gebete. Stattdessen spricht der jüdische Priester Elissaios den Tischsegen. Im weiteren Verlauf des Symposions werden die Tafelfreuden reichlich genossen, wobei der König seinen Gästen immer wieder freundlich zutrinkt (EpArist 180–186; vgl. 202.235.247.261.294). 93 ED PARISH SANDERS, Jewish Association with Gentiles and Galatians 2:11–14, in: The Conversation Continues. Studies in Paul and John (FS J. L. Martyn), hg. v. ROBERT T. FORTNA/BEVERLY R. GAVENTA, Nashville 1990, 170–188; DERS., Judaism (Anm. 2), 214– 217; Jewish Law (Anm. 2), 272–283. Zur differenzierten Haltung von Juden in der Diaspora hinsichtlich der Möglichkeit von Tischgemeinschaft mit Heiden vgl. BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora (Anm. 22), 434–437; SANDERS, Jewish Association with Gentiles (s. o.), 176–180, sowie MARKUS BOCKMUEHL, James, Israel and Antioch, in: DERS., Jewish Law in Gentile Churches (Anm. 18), 49–83, bes. 56–61; ALAN F. SEGAL, Paul the Convert. The Apostolate and Apostasy of Saul the Pharisee, New Haven/London 1990, 230–233 (231: „Since there was no explicit law forbidding Jews and gentile from eating together, we must assume that some, possibly many, ate with gentiles, despite qualms.“). 94 Für Juden geltende Speiseverbote dem ptolemäischen König verständlich zu machen, versuchen nach EpArist 128f.143–171 die aus Jerusalem angereisten Priester (übrigens vorwiegend Verbote aus Lev 11 und Dtn 14). 85
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die Verbote aus Lev 11; 17 und Dtn 14, vor allem das Schweinefleischverbot und das Verbot des Blutgenusses, zum anderen das Bestreben, Kontakt mit dem Götzendienst zu vermeiden. Keine Rolle spielen dagegen die Zehnt- und Abgabenbestimmungen hinsichtlich der Speisen (Dtn 12; Num 18) sowie die Bestimmungen zur rituellen Reinheit. Da die Tora selbst für den Umgang von Juden und Nichtjuden außerhalb des Landes keine eindeutigen Bestimmungen bereithielt, konnten auch im Blick auf die Tischgemeinschaft zwischen ihnen unter Wahrung der beiden genannten Grenzen durchaus unterschiedliche Konsequenzen gezogen und praktische Regelungen gefunden werden. c) Speisepraxis in den paulinischen Gemeinden Der Konflikt in Antiochia wird am besten auf dem Hintergrund unterschiedlicher frühjüdischer Positionen zur Tischgemeinschaft zwischen Juden und Nichtjuden verständlich. 95 Sowohl die zunächst in der Gemeinde geübte Praxis als auch ihre auf Betreiben der Jakobus-Leute vollzogene Änderung lassen sich in dieses Spektrum einordnen. Da die Tora für die in Antiochia aktuelle Situation keine eindeutigen Weisungen vorschreibt, kann weder die Haltung der Jakobus-Leute als von ihr zwingend gefordert noch die Position des Paulus als im Widerspruch zu ihr stehend angesehen werden. 96 In rhetorischer Überspitzung konnte Paulus die von Kephas zunächst geübte Tischgemeinschaft als „heidnisch und nicht jüdisch leben“ bezeichnen. 97 Dass Kephas die Heiden in Antiochia gezwungen hätte, „jüdisch zu leben“, muss ebenso als rhetorische Offenlegung einer möglichen Implikation seines Rückzugs von der Tischgemeinschaft verstanden werden, da ja vom Verhalten der Heiden in der Gemeinde sonst gar nicht die Rede ist.
95 So mit SANDERS, Jewish Association with Gentiles (Anm. 92), 172.186, der sich ausführlich mit alternativen Lösungen auseinandersetzt, unter ihnen auch derjenigen von JAMES D. G. DUNN, The Incident at Antioch, Gal. 2:11–18, JSNT 18, 1983, 3–57 (= in: NANOS, The Galatians Debate [Anm. 76], 199–234); vgl. zum Folgenden auch PETER J. TOMSON, Paul and the Jewish Law. Halakha in the Letters of the Apostle to the Gentiles, CRI III/1, Assen/Minneapolis 1990, 222–236, sowie NIEBUHR, Tora ohne Tempel (Anm. 3), 449f. 96 Zu undifferenziert urteilt FRIEDRICH WILHELM HORN, Der Verzicht auf die Beschneidung im frühen Christentum, NTS 42, 1996, 479–505, 483: „Reine und unreine Menschen essen Speisen, die zu verzehren einem Juden untersagt sind. Nicht nur in der Frage der Beschneidung, ebenso in Speisefragen wird die bislang verbindliche Vorgabe der jüdischen Tora ignoriert.“ 97 Wenn ἰουδαϊκῶς ζῆν vom Sprachgebrauch des Paulus im Kontext und von frühjüdischer Tradition her eine jüdische Lebensweise entsprechend der Tora unter besonderer Betonung der Abgrenzung gegenüber Nichtjuden bezeichnet, dann muss ἐθνικῶς in diesem Zusammenhang nicht mehr bedeuten als eine Lebensweise von Juden (!), die auf solche Abgrenzung keinen besonderen Wert legen. Vgl. zum Wortfeld ἰουδαϊσμός κτλ. NIEBUHR, „Judentum“ und „Christentum“ (Anm. 77), 221–224.
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Für die Wende im Verhalten der überwiegenden Mehrheit der Gemeinde einschließlich Kephas und Barnabas ist m.E. eher die Nähe zur Synagoge von Antiochia verantwortlich zu machen als eine mögliche Verschärfung der Lage der Juden in Palästina. 98 Nicht relevant war jedenfalls in der Diaspora und somit auch in Antiochia das Problem der Verunreinigung im kultischen Sinn, sei es, durch Kontakt mit „unreinen“ Heiden oder durch mangelnde Verzehntung. Auch auf die Gefahr der Berührung der Speisen mit irgendwelchen Formen heidnischer Religion deutet hier nichts hin. Das ist, da die antiochenische Gemeinde im Umfeld der Synagoge entstanden war und wohl immer noch stand, nicht weiter verwunderlich. Offenbar ging es überhaupt nicht um die Speisen selbst, sondern um das miteinander Essen (συνεσθίειν). Dies wäre kaum vorstellbar, wenn zu den gemeinsam von Juden und Heiden genossenen Speisen Blut oder verbotene Tiere gemäß Lev 11; Dtn 14 gehört hätten. 99 Ebenso dürften die für die „Fremden im Lande“ geltenden Speisegebote der Tora nach Lev 17,10–16 faktisch von allen Beteiligten eingehalten worden sein. Hierin liegt das verbindende Moment zwischen dem „Aposteldekret“ (Apg 15,29; 21,25) und der Speisenpraxis in Antiochia, wenngleich die „halachischen“ Gegebenheiten und Begründungen dafür nicht unmittelbar die der Tora sein konnten, da hier ja gar nicht das „Leben im Lande“ betroffen war. 100 Dass ihm die Praxis 98 Vgl. dazu NIEBUHR, „Judentum“ und „Christentum“ (Anm. 77), 226–229; SCHWEMER, Paulus in Antiochien (Anm. 76), 167–173; HENGEL/SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Jerusalem (Anm. 27), 300–312. MARK D. NANOS, What Was at Stake in Peter’s „Eating with Gentiles“ at Antioch?, in: DERS., The Galatians Debate (Anm. 76), 282–318, sieht in „denen aus der Beschneidung“ (2,12) ebenso wie in „denen von Jakobus“ nichtchristliche Juden aus Antiochia, die gegen die Einbeziehung von Heiden in eine unter eschatologischem Horizont begangene Tischgemeinschaft der christlichen Gemeinde protestieren. 99 Dass über die umstrittene Tischgemeinschaft hinaus in Antiochia auch „die Art der Speise zum Problem wurde“, wie LÖHR, Speisenfrage und Tora (Anm. 75), 25, vermutet, lässt sich m.E. am Text ebenso wenig ablesen wie, dass es sich um „Mahlzeiten im Rahmen gottesdienstlicher Versammlungen“ (ebd.) gehandelt hätte. Dass Petrus etwa mit Paulus und anderen Christen in Antiochia „sat down to eat undrained and unsalted pork from pigs sacrificed before a pagan deity“ bzw. „pork, shellfish or hare“, halte ich ebenso für unwahrscheinlich wie Sanders (Jewish Association with Gentiles [Anm. 92], 171.187). Insofern dürfte die Speisepraxis in Antiochia vor und nach dem Konflikt eben doch „in teilweiser Konformität zur Tora zu sehen“ sein (gegen LÖHR, a.a.O., 26, Anm. 42). Grundsätzlich ist hinsichtlich der Speisenpraxis im Frühjudentum sorgfältiger, als es in der Forschung üblich ist (vgl. z.B. SCHNELLE, Paulus [Anm. 76], 130f.), zu unterscheiden zwischen einem Verbot der Tischgemeinschaft mit Nichtjuden, dem Verbot spezieller in der Tora definierter Speisen und dem Verbot verunreinigter Speisen (vgl. o., 97f.). 100 Vgl. dazu zuletzt ROLAND DEINES, Das Aposteldekret – Halacha für Heidenchristen oder christliche Rücksichtnahme auf jüdische Tabus?, in: JÖRG FREY/DANIEL R. SCHWARTZ /STEPHANIE GRIPENTROG (Hg.), Jewish Identity in the Greco-Roman World. Jüdische Identität in der griechisch-römischen Welt, AGJU 71, Leiden/Boston 2007, 323–395. Deines wendet sich zu Recht gegen die derzeit weit verbreitete Rückführung des „Aposteldekrets“ auf die Torabestimmungen für die „Fremden im Lande“ nach Lev 17f. und betont a.a.O.,
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in Antiochia vor wie nach dem „Zwischenfall“ im Grunde entsprach, das Dekret somit auch von Paulus anerkannt werden konnte (ob er es nun kannte oder nicht), scheint mir jedenfalls wahrscheinlich. 101 Die Jakobus-Leute verlangten dagegen offenbar mehr, und darum geht es Paulus bei der Darstellung seiner Erfahrungen im Blick auf den Konflikt um die Beschneidung in Galatien. Sie prägt den Bericht des Paulus vom antiochenischen Zwischenfall und seinen Kontext durchgängig, vor allem aber seine Stellungnahme ab V. 15. Erst aus ihr, nicht aber schon aus der in Antiochia akuten Streitfrage ist seine Position zu den ἔργα νόμου (V. 16) zu erklären. 102 Ausgangspunkt der paulinischen Argumentation in 1Kor 8–10 ist die ihm und den Angesprochenen in Korinth gemeinsame Erkenntnis (γνῶσις) von der Schöpfermacht und Alleinherrschaft Gottes, die durch die Herrschaft des auferstandenen Christus repräsentiert wird (8,1). Die aus dieser Einsicht in Korinth von den Angesprochenen im Unterschied zu den „Schwachen“ gezogenen Konsequenzen hinsichtlich des Essens bieten allerdings für Paulus Anlass zur Kritik. Basis seiner Argumentation ist die Ablehnung jeglichen Götzendienstes, der als Gefährdung für den Heilsstatus der Glaubenden angesehen wird. In Korinth ging es somit offenbar einzig und allein um den Götzendienst. 103 Von Speisevorschriften ist hier ebenso wenig erkennbar wie von der Tischgemeinschaft in der Gemeinde. 104 Die Position, die Paulus in seinen Briefen insgesamt der heidnischen Religion gegenüber einnimmt, ist freilich schärfer und eindeutiger als die mancher frühjüdischer Autoren. 105 Dies wird seinen Grund 364, „dass im Hinblick auf die Verantwortlichkeit bzw. Loyalität Israels gegenüber Gott kategorial unterschieden werden muss zwischen den Einwohnern des Landes Israel und denen, die in der Diaspora leben“, worauf ich selbst schon in einer früheren Studie hingewiesen hatte (vgl. NIEBUHR, Tora ohne Tempel [Anm. 3], 430–437). 101 Mit SCHWEMER, Paulus in Antiochien (Anm. 76), 174, ist freilich das Aposteldekret eher zu den Nachwirkungen des antiochenischen Zwischenfalls zu rechnen. 102 Dass die paulinische Argumentation zum Verhältnis von Christusglaube und Gesetz im Galaterbrief damit grundsätzliche theologische Bedeutung gewinnt und den konkreten Ursprungszusammenhang einer Auseinandersetzung um Fragen der Torapraxis in einer frühchristlichen Gemeinde aus Juden und Nichtjuden übersteigt, soll nicht in Abrede gestellt werden, ist aber nicht Gegenstand dieser Untersuchung. 103 Vgl. JOHANNES WOYKE, Götter, ‚Götzen‘, Götterbilder. Aspekte einer paulinischen ‚Theologie der Religionen‘, BZNW 132, Berlin/New York 2005, 158–257; s. auch HEIL, Ablehnung der Speisegebote (Anm. 75), 177–235; TOMSON, Paul and the Jewish Law (Anm. 95), 187–220; NIEBUHR, Identität und Interaktion (Anm. 3), 357–359; PEDER BORGEN, ‚Yes,‘ ‚No,‘ ‚How Far?‘: The Participation of Jews and Christians in Pagan Cults, in: TROELS ENGBERG-PEDERSEN (Hg.), Paul in His Hellenistic Context, Minneapolis 1995, 30–59; SEGAL, Paul the Convert (Anm. 92), 228–233. 104 Zurecht betont von LÖHR, Speisenfrage und Tora (Anm. 75), 24. 105 Von daher scheint mir die in 8,10 beschriebene Situation (Sitzen im εἰδωλεῖον) als eine von Paulus in der Praxis akzeptierte nur schwer vorstellbar. Sie dürfte eher der hypothetischen Zuspitzung seiner Argumentation entspringen.
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nicht zuletzt in der auch in 1Kor 8,7 durchscheinenden heidnischen Herkunft der Mehrheit der Gemeindeglieder in Korinth haben. Gerade ihnen muss Paulus nun die Abkehr von ihrer früheren religiösen Praxis einschärfen und eine Haltung nahelegen, die sachlich derjenigen von Juden in der Diaspora entspricht, obwohl sie doch nach Paulus gerade nicht zum Judentum übertreten sollen. Darin liegt das argumentative Problem des Paulus. Die Anweisungen von 10,25–30 dagegen wollen konkrete Hilfestellungen für die im Alltag der korinthischen Christen zu treffenden Entscheidungen bieten. Kriterium dafür, ob bestimmte Speisen in bestimmten Situationen zu meiden sind, ist das Wissen, ob, bzw. der ausdrückliche Hinweis, dass es sich um Götzenopferfleisch handelt. Der Entscheidungsspielraum, innerhalb dessen Tischgemeinschaft von Juden und Nichtjuden möglich ist, wird also entsprechend frühjüdischer Torapraxis in der Diaspora begrenzt – und damit bildet faktisch die Haltung der „Schwachen“ den Maßstab. 106 Entschieden werden soll nicht anhand der Beschaffenheit oder des Status der Speisen, sondern nach der bewussten Intention 107 dessen, der die heidnische Religion praktiziert. 108 Paulus wendet in 1Kor 10 diesen Grundsatz auf alle Glieder seiner Gemeinden an, also auf Juden und Nichtjuden im Verkehr mit ihrer heidnischen Umwelt. Unverkennbar ist damit, dass der Weg, den Paulus den Briefadressaten empfiehlt, innerhalb der Bahnen frühjüdischer Torapraxis verläuft. 109 Dass Paulus dabei nicht explizit mit der Tora argumentiert, liegt hier wie an anderen Stellen 110 nicht daran, dass die Tora und ihre Regelungen für den Umgang mit Vgl. KOCH, „Seid unanstößig …“ (Anm. 79), 46: „Die Anweisungen von 10,25.27– 30 markieren die Grenze, bis zu der ein ‚Starker‘ gehen kann … Die ‚Starken‘ haben also weiterhin die Praxis der ‚Schwachen‘ zu respektieren.“ Zu undifferenziert beurteilt allerdings KOCH, a.a.O., 49–51, die Möglichkeiten zur Tischgemeinschaft von Juden und Nichtjuden in der Diaspora (vgl. dazu o., 98, mit Anm. 92). 107 συνείδησις, 10,27ff. 108 Eine ähnliche Argumentationslinie hat TOMSON, Paul and the Jewish Law (Anm. 95), 208–216, für die tannaitische Halacha im Blick auf den Verkehr von Juden mit Nichtjuden in der Diaspora nachgewiesen. Vgl. auch GÄCKLE, Die Starken und die Schwachen (Anm. 78), 276–279, der freilich mit zu schematischen Kategorien wie „die strikte rabbinische Auslegung der Speisegebote“ oder „liberaler Auslegung“ operiert, die den sehr viel subtileren und textnahen Argumenten von Tomson nicht gerecht wird. Gäckle gegenüber muss ebenso wie gegen Koch, daran festgehalten werden, dass für die rabbinischen Argumentationen eben gerade nicht „alles an der Substanz selbst hängt“ (GÄCKLE, a.a.O., 279, Anm. 794, mit KOCH, „Seid unanstößig …“ [Anm. 79], 44f.), sondern vielmehr an der bewussten Intention. 109 Gegen LÖHR, Speisenfrage und Tora (Anm. 75), 25, der meint: „Die von Paulus erteilte Weisung orientiert sich also überhaupt nicht an der Ordnung der Speisen, wie sie in der Speisehalacha des Judentums vorgezeichnet ist.“ 110 Vgl. z.B. 1Kor 5–7, dazu BRIAN S. ROSNER, Paul, Scripture and Ethics. A Study of 1 Corinthians 5–7, AGJU 22, Leiden 1994, 1Thess 4,3–12, dazu ECKART REINMUTH, Geist und Gesetz. Studien zu Voraussetzungen und Inhalt der paulinischen Paränese, ThA 44, Berlin 1985. 106
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Speisen für ihn und seine Gemeinden keine Bedeutung mehr hätten, sondern vielmehr daran, dass er Regelungen entwerfen muss, die für die religiöse Praxis von Juden und Nichtjuden gleichermaßen zu gelten haben. So etwas aber sah die Tora im Grunde nicht vor. Die theologische Brücke, die Paulus hier baut, basiert auf dem Glauben an den einen Gott Israels als dem Schöpfer der Welt und damit auch dem Herrn der Völker, der sich im Christusgeschehen eschatologisch identifiziert und definiert (1Kor 8,6). 111 Wenn in Röm 14,1–15,6 112 reine von unreinen Speisen unterschieden werden, dann ist damit nicht ihre kultische Verunreinigung gemeint. 113 Vielmehr wird hier entsprechend dem weiteren Sprachgebrauch der frühjüdischen Literatur auf Speisen verwiesen, deren Genuss Juden durch die Tora verboten war. Weder Probleme der Tischgemeinschaft noch eine Gefährdung durch Götzendienst werden dagegen an unserer Stelle erkennbar. Stattdessen geht es um individuell unterschiedliche Praktiken des Essens und Trinkens, die erst dadurch zum Problem werden, dass sie in der Gemeinde gegeneinander ausgespielt werden. Die Haltung, die Paulus empfiehlt, läuft darauf hinaus, beide Praktiken nebeneinander zu akzeptieren, sofern sie nicht die Einheit der Gemeinde und ihre Identität als endzeitliche Heilsgemeinschaft zerstören. Faktisch bedeutet das freilich, dass sich Nichtjuden in ihren Speisegebräuchen innerhalb der Grenzen zu bewegen haben, die die frühjüdische Torapraxis in der Diaspora setzte. Allerdings waren diese Grenzen, anders als es die prägnanten Wendungen des
Vgl. NICHOLAS T. WRIGHT, Monotheism, Christology and Ethics: 1Corinthians 8, in: The Climax of the Covenant. Christ and the Law in Pauline Theology, Edinburgh 1991, 120–136, 126f.: „Paul’s argument … may be understood as follows. He is reaffirming the basic Jewish tradition about paganism – that it is idolatry, and that genuine monotheists must not flirt with it. But he then argues (a) that the ‚strong‘ position of his opponents … might, after all, lead them into an accidental paganism …, and (b) that true monotheism is found, not in a Hellenistic-Jewish γνῶσις and its accompanying σοφία, but in Jesus Christ. In other words, he both analyses and criticizes his opponents’ position on the basis of the Shema.“ 112 Vgl. dazu HEIL, Ablehnung der Speisegebote (Anm. 75), 243–265; BARCLAY, ‚Do we undermine the Law?‘ (Anm. 81), 288–293, sowie FRANCIS WATSON, Paul, Judaism and the Gentiles. A Sociological Approach, MSSNTS 56, Cambridge 1986, 94–105 (= in: KARL P. DONFRIED [Hg.], The Romans Debate. Revised and Expanded Edition, Edinburgh 1991, 203–215). 113 Mit TOMSON, Paul and the Jewish Law (Anm. 95), 236–245, gegen HEIL, Ablehnung der Speisegebote (Anm. 75), 265, der zu undifferenziert von „rituell-kultischen Unterschiede(n)“ spricht, die „als Heilsparadigma ein für allemal beseitigt“ seien. Ebenso pauschal und ohne Problembewusstsein spricht GÄCKLE, Die Starken und die Schwachen (Anm. 78), 348–351, von „atl.-jüdischen Reinheits- und Speisegeboten“, die „im Diasporajudentum“ in Geltung gestanden hätten. 111
DERS.,
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Aristeasbriefes nahelegen könnten, alles andere als „eiserne Mauern“. 114 Vielmehr boten sie einen Spielraum mit durchaus flexiblen und dehnbaren Grenzmarkierungen. Gleichwohl konnte eine Speisepraxis von Nichtjuden, die sich innerhalb dieser Grenzen bewegte, von außen betrachtet als jüdisch identifiziert und entsprechend beurteilt werden. 115 Auch diese Außenperspektive mag zu den Auseinandersetzungen in der (bzw. den) römischen Gemeinde(n) beigetragen haben. Zwar ist sicher anzunehmen, dass die Unterscheidung zwischen „reinen“ und „unreinen“ Speisen nach Kriterien jüdischer Speisepraxis erfolgte. Nicht sicher feststellbar ist aber, ob die Vermeidung unreiner Speisen ausschließlich von Juden in der Gemeinde praktiziert wurde und die Freiheit, alles zu essen, nur von Nichtjuden. Eine solche von der Tora her naheliegende Unterscheidung kann ja, wie wir schon mit Blick auf 1Kor 8–10 gesehen haben, nicht ohne weiteres auf die paulinischen Gemeinden übertragen werden. Ihre Zusammensetzung aus Juden und Nichtjuden und ihr Selbstverständnis als Teil des endzeitlichen Gottesvolkes lassen sie von den Voraussetzungen frühjüdischer Torapraxis her als eine Einheit sui generis erscheinen, für deren konkrete Lebensentscheidungen die Tora keine eindeutigen Richtlinien anbieten konnte. Damit ist auch der Punkt benannt, der für das Verständnis der Gesetzespraxis bei Paulus und in seinen Gemeinden insgesamt entscheidend ist. Bevor man darüber urteilt, ob die von Paulus empfohlenen und in seinen Gemeinden praktizierten Entscheidungen den Maßstäben der Tora entsprechen oder ihren Rahmen sprengen, muss man fragen, ob sie überhaupt von der Tora her entscheidbar sind. Wer meint, Paulus habe die Tora in seinen Gemeinden außer Kraft gesetzt, 116 der übersieht, dass sie von frühjüdischem Verständnis her zu den meisten hier zur Debatte stehenden Fragen, sofern sie das Verhalten von Nichtjuden betrafen, gar nichts sagt und auch gar nichts sagen will. Und selbst das Verhalten von Juden in den Gemeinden konnte von der Tora her nicht eindeutig bestimmt werden, da ihre Gemeinschaft mit Nichtjuden ja von ganz neuen, eben endzeitlichen Voraussetzungen geprägt war. Auf diesem Hintergrund er-
114 EpArist 139. Zum Sinn dieser Wendung im Aristeasbrief und zu ihrer Intention gegenüber seinen Adressaten als „nach innen gerichtete Apologie“ vgl. REINHARD FELDMEIER, Weise hinter „eisernen Mauern“. Tora und jüdisches Selbstverständnis zwischen Akkulturation und Absonderung im Aristeasbrief, in: MARTIN HENGEL/ANNA MARIA SCHWEMER (Hg.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994, 20–37 (zitierte Wendung a.a.O., 34). 115 Vgl. dazu BARCLAY, ‚Do we undermine the Law?‘ (Anm. 81), 294f.; LÖHR, Speisenfrage und Tora (Anm. 75), 21f. 116 Vgl. etwa LÖHR, Speisenfrage und Tora (Anm. 75), 28: „Eine deutliche Distanzierung von Tora und Israel hat stattgefunden!“ Seine Vermutung, „dass Paulus im Sinne der Tora unreine Speisen gegessen hat“ (ebd.), bleibt unbelegt und lässt sich anhand der paulinischen Texte schwerlich begründen, wird vielmehr durch Röm 14,15 geradezu ausgeschlossen.
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scheinen die konkreten Weisungen, die Paulus seinen Gemeinden im Zusammenhang mit den hier behandelten Fragen des Sabbats, der Beschneidung und der Speisevorschriften gibt, in einem anderen Licht. Sie können nicht beanspruchen, Tora zu sein im Sinne der aktuell und situationsbezogen interpretierten biblischen Weisung Gottes für sein Volk Israel. Sie scheinen aber, ähnlich wie manche Weisungen zu grundlegenden Fragen des zwischenmenschlichen Zusammenlebens, einen Versuch darzustellen, die Intention des in der Tora manifestierten Gotteswillens in der endzeitlichen Gemeinde aus Juden und Heiden zur Geltung zu bringen. 2.3 Beschneidung 117 a) Paulinische Aussagezusammenhänge Im Gegensatz zum Sabbat ist die Beschneidung in den Paulusbriefen zentraler Gegenstand der Auseinandersetzung bereits seit dem sogenannten Apostelkonzil und bis in die Zeit der Konflikte in den galatischen Gemeinden und in Philippi hinein. 118 Dabei geht es soweit erkennbar immer um die Beschneidung von erwachsenen Getauften. Die bereits vollzogene Beschneidung von Juden wird dagegen als gegeben vorausgesetzt und nicht problematisiert. 119 Zur Beschneidung von Kindern getaufter Juden finden sich bei Paulus keine Aussagen. Die Apostelgeschichte erwähnt allerdings einen solchen Fall: Paulus selbst habe im Zuge seiner Mission in Kleinasien den „Jünger“ Timotheus, Sohn einer „gläubigen jüdischen Frau“ und eines Griechen, „wegen der Juden in jener Gegend“ beschnitten (16,1–3). 120 117 Vgl. die umfassende Belegsammlung von ANDREAS BLASCHKE, Beschneidung. Zeugnisse der Bibel und verwandter Texte, TANZ 28, Tübingen/Basel 1998, sowie KLAUS GRÜNWALDT, Exil und Identität. Beschneidung, Passa und Sabbat in der Priesterschrift, BBB 85, Frankfurt/M. 1992; BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora (Anm. 22), 438f.; HENGEL/SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Jerusalem (Anm. 27), 119–125; JOHN J. COLLINS, A Symbol of Otherness: Circumcision and Salvation in the First Century, in: JACOB NEUSNER/ERNEST S. FRERICHS (Hg.), „To See Ourselves As Others See Us“. Christians, Jews, „Others“ in Late Antiquity, Chico 1985, 163–186; vgl. auch NIEBUHR, Identität und Interaktion (Anm. 3), 347f. 118 Entsprechend umfangreich ist die Forschungsliteratur zu dieser Problematik, die hier auch nicht in Ansätzen dokumentiert werden kann. Als Einführung vgl. JÖRG FREY, Das Judentum des Paulus, in: ODA WISCHMEYER (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, UTB 2767, Tübingen/Basel 32006, 47–104, bes. 74–77 (vgl. ausführlicher DERS., Paul’s Jewish Identity, in: DERS. u.a., Jewish Identity [Anm. 100], 285–321: 310–315); JAMES D. G. DUNN, The Theology of Paul the Apostle, Edinburgh 1998, 354–359, sowie SCHNELLE, Paulus (Anm. 76), 117–129. 119 Vgl. Phil 3,5; 1Kor 7,18f. 120 Vgl. dazu HORN, Der Verzicht auf die Beschneidung (Anm. 96), 487–489; SHAYE J. D. COHEN, Was Timothy Jewish (Acts 16:1–3)? Patristic Exegesis, Rabbinic Law, and Matrilineal Descent, JBL 105, 1986, 251–268.
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Die Position des Paulus zur Streitfrage der Beschneidung ist, soweit aus seinen Briefen erkennbar, konsistent. Auf dem Apostelkonzil (Gal 2,1–10; vgl. Apg 15) 121 hatte er von den Jerusalemer Aposteln die Anerkennung seiner Heidenmission erlangt. Dafür kann er im Galaterbrief auf Titus als exemplarischen Fall verweisen (Gal 2,3). Es ergibt sich zudem aus der Bezeichnung seines spezifischen Auftrags als τὸ εὐαγγέλιον τῆς ἀκροβυστίας (2,7) und seiner Ausrichtung auf die ἔθνη (2,9). Die Konflikte in den Gemeinden von Galatien und Philippi setzen voraus, dass deren Glieder dem Wirken von Agitatoren für die Beschneidung ausgesetzt waren. 122 In Galatien dürfte es sich um Christusverkündiger gehandelt haben (vgl. Gal 1,6–9), denn nur solchen konnte Paulus unterstellen, sie wollten durch ihre Beschneidungsagitation Verfolgungen wegen des Kreuzes Christi vermeiden (6,12). 123 In Philippi ist das nicht so sicher. Ob die Agitatoren dort im Zusammenhang mit ihrer Beschneidungsforderung auch irgendeine Form der Christusbotschaft verbunden haben, kann weder durch ihre Bezeichnung als „schlechte Arbeiter“ (Phil 3,2) bewiesen, noch durch ihre Bezeichnung als „Feinde des Kreuzes Christi“ (3,18) ausgeschlossen werden. Die in
121 Zur Erschließung der Forschungsgeschichte, vor allem unter dem Aspekt der Zuordnung der betreffenden Texte des Galaterbriefs und der Apostelgeschichte, vgl. HOLGER ZEIGAN, Aposteltreffen in Jerusalem. Eine forschungsgeschichtliche Studie zu Galater 2,1–10 und den möglichen lukanischen Parallelen, ABIG 18, Leipzig 2005, zur Vorgeschichte des Apostelkonzils unter primär historischem Aspekt vgl. RUTH SCHÄFER, Paulus bis zum Apostelkonzil. Ein Beitrag zur Einleitung in den Galaterbrief, zur Geschichte der Jesusbewegung und zur Pauluschronologie, WUNT II/179, Tübingen 2004, 160–222; TAYLOR, Paul, Antioch and Jerusalem (Anm. 76), 96–122; zu den historischen, religionsgeschichtlichen und theologischen Fragen der Frühgeschichte der Jesusbewegung bis zum Apostelkonzil vgl. HENGEL/SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien (Anm. 27), bes. 314– 320.383–389. 122 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 7–10.87– 103. 123 Gegen die These, es handele sich um nichtchristliche jüdische Gegenmissionare, bei NIKOLAUS WALTER, Paulus und die Gegner des Christusevangeliums in Galatien, in: ALBERT VANHOYE (Hg.), L’Apôtre Paul. Personnalité, style et conception du ministère, BEThL 73, Leuven 1986, 351–356 (= in: DERS., Praeparatio Evangelica. Studien zur Umwelt, Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments, WUNT 98, Tübingen 1997, 273–280; engl. DERS., Paul and the Opponents of the Christ-Gospel in Galatia, in: NANOS, The Galatians Debate [Anm. 76], 362–366).
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diesen Auseinandersetzungen von Paulus gebrauchten Stichworte und Argumentationen 124 begegnen erneut im Römerbrief, ohne dass dort eine ähnlich aktuelle Beschneidungsagitation von Gegnern erkennbar wird. 125 Sind somit die Grundzüge der paulinischen Position zum Problem der Beschneidung einigermaßen deutlich, 126 so bleiben dennoch Fragen bezüglich der Beschneidungspraxis in den paulinischen Gemeinden offen. Neben der bereits genannten nach den Motiven und Gründen der Beschneidungsagitatoren betrifft das vor allem historische Einzelfragen: Wann wurde die Beschneidung für Paulus zum ersten Mal zum Problem und warum? Hat Paulus nach seiner Berufung noch selbst die Beschneidung vollzogen (vgl. Apg 16,1–3) oder gar „gepredigt“ (Gal 5,11)? Wenn ja, mit welcher Absicht und Begründung? Warum schließlich hält Paulus in den Auseinandersetzungen in Galatien und Philippi die Beschneidung von Getauften nicht bloß für unnötig, sondern für die Christusbotschaft zerstörend? Welche Haltung zur Beschneidung von Nichtjuden war von frühjüdischen Voraussetzungen her naheliegend, welche eher ungewöhnlich? b) Frühjüdische Beschneidungspraxis In der Bibel hat die Beschneidung eine relativ schwache Basis, wenngleich sie schon vom Abraham-Bund her konstitutives Zeichen der Zugehörigkeit zum Volk der Verheißung ist. 127 Innerhalb der Sinai-Tora wird sie überhaupt nur einmal im Zusammenhang der Reinheitsvorschriften für die Mutter erwähnt: Söhne sollen am achten Tag nach der Geburt beschnitten werden. 128 Auch der nichtjüdische Haussklave ist nach Gen 17,12f. in dieses Gebot eingeschlossen. Am Passaritus, der schon im Rahmen der Exodus-Erzählung, also noch vor der Vgl. bes. Gal 5,1–12; 6,11–13; Phil 3,2–4.9–11.17–19. Der paulinische Beleg 1Kor 7,18–21 kann hier außer Betracht bleiben, da sich dahinter keine spezifische Problemkonstellation verbirgt, die von den übrigen hier behandelten zu unterscheiden wäre; vgl. auch BLASCHKE, Beschneidung (Anm. 117), 397–401. 125 Röm 2,25–29; 3,1.27–30; 4,9–12; 15,7–9; vgl. dazu BLASCHKE, Beschneidung (Anm. 117), 408–425. 126 Ganz anders steht es freilich um die Interpretation der theologischen Konsequenzen, die Paulus daraus zieht. Diese Frage beschäftigt die Paulusforschung mit unverminderter Ausdauer und hat mit der Diskussion um die sogenannte „new perspective on Paul“ seit nunmehr bald drei Jahrzehnten immens viel neue Nahrung bekommen. Ich kann auf diese Diskussion hier freilich gar nicht eingehen (vgl. aber NIEBUHR, Die paulinische Rechtfertigungslehre [Anm. 3], 107–112), sondern lediglich auf zwei aktuelle Sammelbände zu ihr hinweisen: MICHAEL BACHMANN (Hg.), Lutherische und Neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, WUNT 182, Tübingen 2005; JAMES D. G. DUNN, The New Perspective on Paul. Collected Essays, WUNT 185, Tübingen 2005; vgl. zur Einführung auch FREY, Das Judentum des Paulus (Anm. 118), 35–42. 127 Vgl. Gen 17,9–14. 128 Lev 12,3; vgl. Gen 17,12. 124
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Sinai-Offenbarung, eingesetzt wird, dürfen nur Beschnittene teilnehmen. Deshalb müssen nichtjüdische Sklaven und „Fremde im Lande“ vor der Teilnahme am Passafest beschnitten werden. 129 Dem entspricht es, wenn nach Jos 5,2–9 vor der ersten Passafeier im verheißenen Land die während der Wüstenwanderung verhinderte Beschneidung der Israeliten nachgeholt wird. Im Deuteronomium ebenso wie in der gesamten prophetischen Überlieferung kommt die Beschneidung nur in metaphorischer Bedeutung, als „Beschneidung des Herzens“, vor. 130 Die Beschneidung von Nichtjuden (abgesehen von Haussklaven und „Fremden im Lande“) begegnet allein in der Erzählung von der Rache Simeons und Levis an den Sichemiten. 131 Sie ist hier ein durchaus fragwürdiges Mittel zum Zweck der militärischen Schwächung der Kanaanäer. In hellenistischer Zeit führt das Festhalten an der Beschneidung jüdischer Nachkommen im Land Israel allerdings zum status confessionis. 132 Im Zuge militärischer Erfolge der Hasmonäer wird nun auch von Zwangsbeschneidungen ganzer nichtjüdischer Volksgruppen berichtet. 133 Grund dafür ist offenbar die Ausweitung des Territoriums des hasmonäischen Staates und die Unterwerfung seiner nichtjüdischen Bewohner, die dem Selbstverständnis Israels als dem Land und Volk der Verheißung eingegliedert werden sollen. Ihre Beschneidung dürfte deshalb von Gen 17,12f. her begründet worden sein. Auch gelegentliche summarische Aussagen über kollektive Übertritte von Nichtjuden in aller Welt „aus Furcht vor den Juden“ 134 mögen in der Euphorie der hasmonäischen Erfolge ihren Ursprung haben. Als Beleg für eine gezielte jüdische Heidenmission in hellenistischer Zeit können sie dagegen nicht dienen. Freilich sind Übertritte Einzelner unter Annahme der Beschneidung in jüdischen wie auch nichtjüdischen Zeugnissen reich belegt. 135 Die Initiative dazu ging aber in der Regel von den Nichtjuden aus. Ein wichtiges Motiv dafür dürfte die Heirat jüdischer Frauen gewesen sein, die offenbar trotz aller Abgrenzungsbestrebungen im Blick auf Mischehen unter dieser Voraussetzung
Ex 12,44.48. Vgl. Dtn 10,16; 30,6; Jer 4,4; 6,10; 9,25. 131 Gen 34,13–24. Die breite frühjüdische Rezeption dieser Erzählung (vgl. Jdt 9,2–4; Jub 30; TestLev 5,3f.; Josephus, Ant 1,337–341; LibAnt 8,7) steht im Zusammenhang des Verbotes von Mischehen (in Anknüpfung an Gen 34,14) und verschweigt bezeichnenderweise die Beschneidung der Sichemiten. In TestLev 6,3–7,3 wird sie immerhin erwähnt, zugleich aber das Verfahren der Jakobsöhne problematisiert. 132 Vgl. bes. 1Makk 1,60f.; 2,46; 2Makk 6,10; 4Makk 4,25; Josephus, Ant 12,254. 133 Josephus, Ant 13,257f.318f. 134 Est 8,17; Josephus, Ant 11,285. 135 Vgl. Jdt 14,10; Josephus, Ant 20,17–48; Philo, SpecLeg 1,52; QuaestGen 3,62; Tacitus, Hist 5,5,2; Juvenal, Sat 14,96–106. 129 130
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möglich war. 136 Eine systematisch organisierte jüdische Proselytenmission hat es bei aller Anziehungskraft jüdischen Lebens auf Nichtjuden 137 offenbar in frühjüdischer Zeit nicht gegeben. 138 Die Beschneidung war und blieb somit seit hellenistischer Zeit die entscheidende Grenzmarkierung zwischen Juden und Nichtjuden und wurde auch von nichtjüdischer Seite aus als solche erkannt. 139 Natürlich gab es, aus welchen Gründen auch immer, einzelne unbeschnittene Juden, aber konzeptionell war spätestens seit der Makkabäerzeit die Beschneidung Kennzeichen und Bedingung der Zugehörigkeit zu Israel. 140 Für Nichtjuden wurde die Beschneidung nur dann relevant, wenn sie sich zum vollständigen Übertritt zum Judentum entschlossen. Nirgends in der Tora gibt es ja ein Gebot, Heiden zu beschneiden. Auch das eschatologische Geschick der Heiden war nach biblischem und frühjüdischem Verständnis nicht von der Annahme der Beschneidung abhängig. Im Blick auf die Endzeit schweigen jüdische Texte, sofern sie überhaupt von einem positiven Geschick der Heiden sprechen, bezüglich der Beschneidung. 141 Erwartet wird vielmehr ihre Abkehr von Götzendienst und Unmoral sowie gelegentlich sogar ihre Teilnahme am Tempelkult und das Halten des Sabbats, nirgendwo aber eine ‚eschatologische Massenbeschneidung‘. 142 136 Vgl. Josephus, Ant 20,139.145f. Zum Mischehenproblem s. die o., Anm. 27, angegebene Literatur. 137 Vgl. dazu DELLING, Die Bewältigung der Diasporasituation (Anm. 25), 79–83 (= DERS., Ges. Aufs., 103–109). 138 Vgl. zur Diskussion dieser Frage SCOT MCKNIGHT, A Light among the Gentiles. Jewish Missionary Activity in the Second Temple Period, Minneapolis 1991; MARTIN GOODMAN, Jewish Proselytizing in the First Century, in: JUDITH LIEU/JOHN NORTH/TESSA RAJAK (Hg.), The Jews among papans and Christians, London/New York 1992, 53–78, sowie die umfassende Monographie von FELDMAN, Jew and Gentile in the Ancient World (Anm. 27), auf die sich HENGEL/SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Jerusalem (Anm. 27), 101–132, zustimmend beziehen. Vgl. auch NIEBUHR, Identität und Interaktion (Anm. 3), 346–348. 139 Ähnlich urteilt BLASCHKE, Beschneidung (Anm. 117), 364: „Die Beschneidung ist also nicht nur die permanenteste nota Iudaica, sondern auch die in ihrer Bedeutung weitreichendste“. Zur Frage der Grenzmarkierungen zwischen Juden und Nichtjuden als identitätsbildenden Faktoren vgl. jetzt JUDITH M. LIEU, Christian Identity in the Jewish and GraecoRoman World, Oxford 2004, 98–146. Zur Bewertung der Beschneidung von außen vgl. HORN, Der Verzicht auf die Beschneidung (Anm. 96), 491f.; DELLING, Bewältigung der Diasporasituation (Anm. 25), 25f. (= Ges. Aufs., 44f.). 140 So auch TERENCE L. DONALDSON, Paul and the Gentiles. Remapping the Apostle’s Convictional World, Minneapolis 1997, 54–60. 141 Vgl. PAULA FREDRIKSEN, Judaism, the Circumcision of Gentiles, and Apocalyptic Hope: Another Look at Galatians 1 and 2, JThS 42, 1991, 532–564: 544–548 (= in: NANOS, The Galatians Debate [Anm. 76], 235–260: 244–247). 142 Zu den durchaus vielfältigen Erwartungen zum Geschick der Heiden in der Endzeit in der Bibel und im Frühjudentum vgl. DONALDSON, Paul and the Gentiles (Anm. 140), 52–
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Die Beschneidung war also zwar Bedingung für den Zugang von Nichtjuden zum geschichtlichen Israel, nicht aber für ihre Teilhabe am eschatologischen Heil. Dass das geschichtliche Israel und das eschatologische Gottessvolk nicht identisch sind, sagt nicht bloß Paulus. 143 Die Einbeziehung von Heiden in das eschatologische Heil war im Frühjudentum ebenso vorstellbar wie der Ausschluss von Israeliten aus ihm. c) Beschneidungspraxis in den paulinischen Gemeinden Blicken wir von diesen Voraussetzungen her auf die Auseinandersetzungen um die Beschneidung im Zusammenhang der paulinischen Mission, so kann weder die Haltung des Paulus als völlig analogielose Neuerung oder gar grundsätzlicher Bruch mit dem Judentum angesehen werden, 144 noch die Position seiner Gegner als die traditionelle oder gar im Judentum allein mögliche. Wenn im Frühjudentum die kollektive Beschneidung von Nichtjuden weder durch die Tora für die Gegenwart gefordert noch in der Prophetie und der Apokalyptik für die Endzeit erwartet wurde, dann besteht Erklärungsbedarf eher für die Beschneidungsagitation der Gegner des Paulus als für seine eigene Missionspraxis ohne Beschneidung. 145
78; DERS., Proselytes or ‚Righteous Gentiles‘? The Status of Gentiles in Eschatological Pilgrimage Patterns of Thought, JSPE 7, 1990, 3–27; DERS., The ‚Curse of the Law‘ and the Inclusion of the Gentiles: Galatians 3.13–14, NTS 32, 1986, 94–112, sowie umfassend WOLFGANG KRAUS, Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus, WUNT 85, 1996, 12–110. 143 Vgl. Röm 9,6b. Anders akzentuiert – bei gleicher Beleglage – BLASCHKE, Beschneidung (Anm. 117), 371: „Eine Hinwendung zu den Heiden und deren (wie auch immer genau bestimmter) Anteil am Heil war für Paulus aus alt- und zwischentl. Literatur traditionsgeschichtlich ableitbar, nicht jedoch der Verzicht auf die Beschneidung für die so angesprochenen Heiden bei gleichzeitiger Gleichstellung mit Israel.“ 144 So aber immer wieder in der christlichen Exegese, etwa auch bei SCHNELLE, Paulus (Anm. 76), 162–176; vgl. dagegen FREY, Das Judentum des Paulus (Anm. 118), 34: „Aufgrund seiner Berufung musste Paulus erkennen, dass der Kreis derer, die Gott als ‚gerecht‘ ansieht, durch Gottes eschatologisches Handeln in Christus neu definiert ist. Beschneidung und Toraobservanz können nicht mehr das Kriterium sein … Freilich kommt es nicht zu einer abrogatio legis, etwa in dem Sinne, dass die Tora nicht mehr als Orientierung dienen könne und nur noch das Liebesgebot in Kraft wäre (Röm 13,10).“; vgl. DERS., Paul’s Jewish Identity (Anm. 118), 319–321. 145 Vgl. zum Folgenden auch NIEBUHR, Identität und Interaktion (Anm. 3), 354–356.Die häufig gebrauchte Wendung „Verzicht auf die Beschneidung“ (so mit vielen anderen auch z.B. BLASCHKE, Beschneidung [Anm. 117], 395f.) verdeckt m.E. im Blick auf Paulus das Begründungsgefüge. „Neu“ war seine Position zur Beschneidung, weil sie auf der Neuheit des Christusgeschehens beruhte, nicht, weil er Neuerungen im Umgang mit der Tora einführen wollte.
2. Torapraxis bei Paulus auf ihrem frühjüdischen Hintergrund
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Die Frage der Beschneidung ist auf dem Apostelkonzil offenbar auch nicht von Paulus selbst zur Debatte gestellt worden, sondern von den „eingedrungenen falschen Brüdern“. 146 Für Paulus bestand Klärungsbedarf nicht hinsichtlich der Beschneidung, sondern in der Frage, ob sein Anspruch, das Christusevangelium an Heiden zu verkünden, den er aus seiner Berufung herleitete, mit der Christusverkündigung der Jerusalemer Apostel in Einklang zu bringen sei. 147 Hierin konnte er in Jerusalem Übereinstimmung feststellen. Die Beschneidungsforderung wurde auch nicht von den Jerusalemer Autoritäten erhoben, die Position der „falschen Brüder“ vielmehr gemeinsam abgewiesen. Somit ergibt sich auch aus der Rekonstruktion der Diskussionslage auf dem Apostelkonzil, dass im Zuge der paulinischen Mission eher die Forderung der Beschneidung von Nichtjuden als ihre Unterlassung das Ungewöhnliche war. Dem entspricht es, wenn auch bei der folgenden Auseinandersetzung um die Tischgemeinschaft in der Gemeinde von Antiochia ihre ursprüngliche Akzeptanz nachträglich durch von außen kommende Agitatoren in Frage gestellt wurde. 148 In den Konflikten in Galatien und Philippi war die Situation insofern anders, als hier die Beschneidungsagitation bereits innerhalb der Gemeinde Anklang gefunden hatte. Getaufte Heiden fanden offenbar die Übernahme der Beschneidung attraktiv. Grundlage der Haltung des Paulus in diesen Auseinandersetzungen ist dagegen die Überzeugung, dass die Heiden bereits durch Annahme des Christusevangeliums Zugang zum endzeitlichen Gottesvolk gewonnen haben. Ausdruck dessen sind die in den Gemeinden seit ihrer Gründung erfahrbaren Geistwirkungen. 149Dass Paulus diese Grundlagen seiner Verkündigung den Gemeinden gegenüber mit allen rhetorischen Mitteln vertreten muss, deutet freilich darauf hin, dass sie nicht (oder nicht mehr) ohne weiteres von allen geteilt wurden. Fragen wir von hier aus nach den Gründen der Beschneidungsagitatoren, dann könnten diese vielleicht ebenfalls in der Beurteilung des eschatologischen Gal 2,4f.; vgl. auch Apg 15,1.5: „einige aus Judäa“. Ähnlich urteilt HORN, Der Verzicht auf die Beschneidung (Anm. 96), 481: „Die Frage der Beschneidung allein war wohl nicht der direkte Anlaß des Apostelkonvents, wurde aber zu einem zentralen Diskussionspunkt durch das Auftreten der ‚falschen Brüder‘.“ Ob tatsächlich, wie TRAUGOTT HOLTZ, Die Bedeutung des Apostelkonzils für Paulus, NT 16, 1974, 110–148 (= in: DERS., Ges. Aufs. [s. Anm. 76], 140–170), annimmt, „die Heiden in Antiochien bei ihrer Aufnahme in die Gemeinde zunächst beschnitten wurden“ (Ges. Aufs., a.a.O., 160), scheint mir von daher fraglich. 147 Dies betont zurecht HOLTZ, Die Bedeutung des Apostelkonzils für Paulus (Anm. 146), 165–168. 148 S. dazu o., 98–100. 149 Darauf verweist auch BLASCHKE, Beschneidung (Anm. 117), 378f. Vgl. Gal 3,1–5; 4,6; 5,5.16.25; Phil 1,27; 3,3. S. auch NIEBUHR, Identität und Interaktion (Anm. 3), 350– 353. 146
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Offene Fragen zur Gesetzespraxis bei Paulus und seinen Gemeinden
Charakters der paulinischen Verkündigung liegen. Die Beschneidungsagitatoren in Galatien werden eben die eschatologischen und soteriologischen Konsequenzen der paulinischen Christusverkündigung 150 nicht geteilt haben und daher sich auch nicht in der Lage gesehen haben, der eschatologischen Neudefinition der Zugehörigkeit zum Volk Gottes, wie Paulus sie vornahm, zu folgen. Wollten sie dennoch ihre Heilsbotschaft auch an Nichtjuden ausrichten, so konnten sie z.B. ihr Evangelium vom gekreuzigten Jesus mit einer Aufforderung zur Nachfolge des Juden Jesus verbunden haben. 151 Die Agitatoren in Philippi mögen gegen Ansprüche protestiert haben, die heidnische Glieder der paulinischen Gemeinde aufgrund ihres Selbstverständnisses als Glieder des endzeitlichen Gottesvolkes an die Synagoge stellten. Sie hätten damit lediglich den Christen gegenüber die Forderung der Beschneidung als Bedingung für den Eintritt in das Gottesvolk der Geschichte aufrechterhalten, wie er im Frühjudentum allgemein vertreten wurde. In beiden Fällen ginge es damit um die Frage: Führt der Christusglaube Heiden in das Israel der Erwählung vor der Endzeit oder in das Gottesvolk aus Israel und den Völkern im Eschaton. Je nach der Antwort auf diese Frage entschied sich die Haltung zur Beschneidung.
3. Ergebnis
3. Ergebnis Sabbat, Speisevorschriften, Beschneidung und noch weitere Gebote der Tora wie z. B. das Verbot der Mischehen hatten in frühjüdischer Zeit zunehmend die Funktion von Erkennungszeichen ethnischer und religiöser Zugehörigkeit zum Volk Israel und jüdischer Identität in Abgrenzung zu nichtjüdischer Religion gewonnen. Gleichwohl lassen sich die hier behandelten Bereiche der Tora von den Grundsätzen frühjüdischen Toraverständnisses her nicht einfach auf einen Begriff bringen. Von außen betrachtet konnten zwar die genannten Gebote der Tora als ‚boundary markers‘ wahrgenommen (und in der Perspektive historischer Differenzierungen können sie heute als solche funktional interpretiert) werden. Im Rahmen und unter den Prämissen frühjüdischen Toraverständnisses kam ihnen aber keine eigene, von anderen Teilen der Tora prinzipiell unterschiedene Qualität zu. Sowohl die frühjüdischen Quellen als auch die paulinischen Zeugnisse zeigen, dass jedes Gebot und jede aus seiner Umsetzung in die Lebenspraxis entstehende Konstellation für sich betrachtet werden müssen. Eine schematische Vgl. nur Gal 3,10–14! Gal 1,6–8; 6,12. Vgl. auch HORN, Der Verzicht auf die Beschneidung (Anm. 96), 502: „Es muß diese judenchristliche Mission ernstgenommen werden als ein Versuch der Heidenmission, der unter Beibehaltung des jüdischen Rahmens und des Christusbekenntnisses Heiden in den Beschneidungsbund eingliedert.“ 150 151
3. Ergebnis
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Unterscheidung in ‚ethische‘ und ‚rituelle‘ Gebote oder Teile der Tora 152 verdeckt die von der Tora selbst angebotenen und in frühjüdischer Zeit weiterentwickelten Differenzierungsmöglichkeiten. Welche Gebote der Tora in den wechselnden Situationen und unter den jeweiligen Rahmenbedingungen jüdischen Lebens in frühjüdischer Zeit einschlägig waren und wie man ihrer Forderung im täglichen Leben konkret gerecht werden konnte, dies herauszufinden war eine Interpretationsaufgabe für jeden Juden, der sein Leben nach dem Willen Gottes führen wollte. Für Paulus und seine Gemeinden stellten sich die Fragen einer alltäglichen Lebensgestaltung nach dem Willen Gottes in neuer und anderer Weise als für frühjüdische Diasporagemeinschaften. Denn anders als in jenen war in den paulinischen Gemeinden, jedenfalls nach dem Verständnis des Paulus, die Zugehörigkeit zum Gottesvolk nicht mehr per definitionem mit der Zugehörigkeit zum geschichtlichen Volk Israel identisch, bei Männern signalisiert durch das Bundeszeichen der Beschneidung, sondern sie wurde auf der Basis des Christusglaubens neu definiert. 153 Das schloss freilich nicht aus, dass man nun in dieser neuen Gemeinschaft des eschatologischen Gottesvolkes sich auch weiterhin bei der Lebensgestaltung am Willen Gottes orientierte, wie er in der Tora für Israel niedergelegt worden war. Vielmehr ist es genau dieses Bild, das sich aus den Briefen des Paulus ergibt, wenn man die verschiedenen Einzelfragen der Gestaltung des Lebens in den Gemeinden genauer analysiert. Gerade an solchen Torageboten, die als Identitäts- und Abgrenzungsmerkmale jüdischen Lebens in der Diaspora fungieren konnten, zeigt sich dabei ein bemerkenswert differenzierter Befund: Während die Beschneidung bereits zur Gemeinde gehörender Nichtjuden von Paulus kategorisch abgelehnt wurde, weil sie die Infragestellung der Heilsbedeutung ih-
152 So jetzt auch wieder bei UDO SCHNELLE, Paulus und das Gesetz. Biographisches und Konstruktives, in: EVE-MARIE BECKER/PETER PILHOFER (Hg.), Biographie und Persönlichkeit des Paulus, WUNT 187, Tübingen 2005, 245–270, 262: „Für Paulus und seine Gemeinden galt Beschneidungsfreiheit; der ethische Kernbestand der Tora in Form des Dekalogs wurde selbstverständlich rezipiert, und man orientierte sich an den neuen Normen des Glaubens und des Geistes, so dass die zahlreichen Einzelbestimmungen der Tora faktisch keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielten.“ Aber warum gab es dann in den paulinischen Gemeinden um Beschneidung und Speisepraxis überhaupt Streit? Und will Schnelle wirklich behaupten, das Sabbatgebot (immerhin ein Gebot des Dekalogs!) sei überall in den paulinischen Gemeinden „selbstverständlich rezipiert“ worden? 153 So auch HORN, Der Verzicht auf die Beschneidung (Anm. 96), 483: „Ohne Beschneidung erfüllten sie nicht die an einen Proselyten gestellten Bedingungen. So aber befanden sich Beschnittene und Unbeschnittene in einer Heilsgemeinde, die nun nicht mehr durch die traditionellen ‚identity markers‘ bestimmt war.“; vgl. ähnlich a.a.O., 498: „Die Notwendigkeit eins unterscheidenden Zeichens zwischen Israel und den Völkern war hinfällig geworden. Was ‚Bund‘ ist und wer dazugehört, wird nicht über den Beschneidungsbund definiert, sondern über die Christuszugehörigkeit.“
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rer Zuwendung zum Christusglauben implizierte, wurde hinsichtlich der Speisenpraxis in den paulinischen Gemeinden nach Lösungen gesucht, die auch im Rahmen frühjüdischer Lebensweise in der Diaspora als akzeptabel erscheinen konnten. Hinsichtlich des Verhaltens am Sabbat gab es dagegen in den paulinischen Gemeinden soweit erkennbar überhaupt keine nennenswerten Konflikte. An diesem Befund wird zum einen deutlich, dass selbst die drei hier behandelten Bereiche frühjüdischer Torapraxis, Sabbat, Speisevorschriften und Beschneidung, im Kontext paulinischer Gemeindewirklichkeit keineswegs als Einheit behandelt worden sind. Zum andern hat sich gezeigt, dass sich aus der spezifischen Eigenart und dem Selbstverständnis dieser Gemeinden (und ihres Gemeindegründers) ein Regelungsbedarf für das Gemeindeleben in seinen Kontexten innerhalb der hellenistisch-römischen Gesellschaft ergab, der jedenfalls nicht ohne Bezug auf die Tora als Weisung Gottes für sein Volk bearbeitet werden konnte. Dass sich im Alltag täglich neue, offene Fragen ergaben, auf die lebbare Antworten gefunden werden mussten, die der Tora als Ganzer und ihrer Forderungen im Einzelnen wenigstens der Intention nach entsprachen, auch dies verbindet die jungen paulinischen Gemeinden mit den jüdischen Gemeinschaften der Diaspora in hellenistisch-römischer Zeit.
The Pre-Christian Paul and God’s Righteousness Paul’s Jewish Identity and the Roots of His Doctrine of Justification Introduction The topics of sin, faith and God’s righteousness were already part of Jewish milieus where Paul was born and where he grew up. The biographical question regarding Paul’s youth: Tarsus or Jerusalem, should not conceal the fact that the influence of Jewish life and beliefs remained formative even for his later theological thinking as expressed in the letters he wrote as a missionary for Jesus Christ. The paper critically reconsiders what we can know about Paul’s family and childhood in Tarsus and/or Jerusalem. Then a brief sketch follows about his activities as a Pharisee, and as a persecutor of the adherents of Jesus in Jerusalem. Finally, concepts of sin, faith and righteousness, as testified in early Jewish writings, are consulted and identified as theological ‘building blocks’ for Paul’s doctrine of justification.
1. Paul’s Youth: Biblical Images and Historical Reconstruction
1. Paul’s Youth According to the Book of Acts, Paul was born in Tarsus in Cilicia 1 where he also came back later to spend some time after he had been called to be an apostle. 2 Yet in his letters, Paul never mentions his place of birth. From Acts we learn that Paul’s family maintained relationships in Jerusalem where a nephew of Paul lived, a son of his sister. 3 Jerome tells us that his parents originated
Acts 9:11; 21:39; 22:3. Acts 9:30; 11:25; cf. Gal 1:21. Cf. JÖRG FREY, Das Judentum des Paulus, in: ODA WISCHMEYER (Ed.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, UTB 2767, Tübingen/Basel 2006, 5–43; MARTIN HENGEL, Der vorchristliche Paulus, in: DERS./ULRICH HECKEL (Ed.), Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991, 177–293; JAMES D. G. DUNN, Beginning from Jerusalem, Christianity in the Making, Vol. 2, Grand Rapids/Cambridge 2009, 322–335. 3 Acts 23:16–22. 1 2
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from Gischala in Galilee and had been prisoners of war, to be deported by Roman military officers. 4 However, this information does not coincide with Acts 22:28 where it reads that Paul was already born as a Roman citizen. Behind this tradition, perhaps, there was some reminiscence about the ancestors of Paul who had possibly suffered such a fate in the course of military operations by Roman troops lead by Varus in the year 4 BCE as is reported by Josephus. 5 According to Roman law in the early Empire, former slaves of Roman citizens could marry as freedmen (liberti) so that their children would automatically be born Roman citizens. This would explain Paul’s claim to being born a Roman citizen as found in Acts. 6 Nevertheless, a Galilean background of Paul’s family cannot be taken for granted. Paul himself in his letters does not write a single word about the place of his youth, even until he became known by the Judean churches as a persecutor of the followers of Jesus (Gal 1:22). The book of Acts, in contrast, gives us a clear picture: Born as a Jew in Tarsus in Cilicia, Paul came to Jerusalem already as a little child and grew up there with his family. Later he there received his education in the Torah by Rabbi Gamaliel I and his training in the study and interpretation of the Law. In consequence of this, he became an arduous advocate of Jewish live and belief. 7 From his youth he lived an exemplary Jewish life and as a Pharisee, he became an adherent to the most law observant wing of Jewish religion. 8 For a pious Jewish family in the Diaspora it was a plausible option to return to Jerusalem. This we learn from Jewish sources of the 1st century AD. Acts 6:9 confirms this by mentioning synagogues of the Libertini, Cyrenaei and Alexandrini in Jerusalem as well as other Jews living in Jerusalem from Cilicia and Asia. To date Paul’s move to Jerusalem in his childhood is a conclusion from a three part biographical scheme used in Acts 22:3 that consists of three participles: γεγεννημένος, ἀνατεθραμμένος and πεπαιδευμένος. This scheme identifies two levels of growth in the youth of a human being after his birth (γεγεννημένος). The participle ἀνατεθραμμένος refers to childcare and
4 Jerome, Ad Philemona 23; De Viribus Illustribus 5; cf. KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 107f. 5 Josephus, Bell 2,66–71; Ant 17,286–294. 6 Cf. HENGEL, Der vorchristliche Paulus (n. 2), 206–208; RAINER RIESNER, Die Frühzeit des Apostels Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie und Theologie, WUNT 71, Tübingen 1994, 129–136. 7 Acts 22:3–5; cf. KLAUS HAACKER, Zum Werdegang des Apostels Paulus. Biographische Daten und ihre theologische Relevanz, ANRW II 26,2, 1995, 815–938.1924–1933: 855–860; IDEM, Paulus. Der Werdegang eines Apostels, SBS 171, Stuttgart 1997. 8 Acts 26:4f.
1. Paul’s Youth
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education at home until the age of schooling, whereas πεπαιδευμένος marks external training by a professional teacher. 9 However, questions remain whether the author of the Book of Acts here gives a historically correct description of the biographical circumstances of Paul’s youth. In fact, there is no way to verify the picture of Acts from Paul’s own statements in his letters. On the other hand, it is impossible to exclude a longer stay of Paul in Jerusalem before his call to apostleship. Even Gal 1:22, according to which Paul was known as a persecutor to the Christian churches in Judea only by hearsay, but unknown by face, cannot be seen as proof in this direction, because this rhetorically well-formulated statement refers to the time when he already was acting as an apostle, not to the period of his life before his call. 10 That the Book of Acts shows a tendency to picture Paul as an exemplary Jew from Jerusalem does not mean by itself that this picture cannot be true. On the other hand, one may wonder how Paul would have been able to gain such an excellent knowledge of Greek as we see it from his letters if not as a Greek native speaker. The same refers to his rather thorough Hellenistic Roman education. Yet even in this regard, in the light of a considerable Greek speaking Jewish community in this city one cannot exclude Jerusalem as a candidate for the place of Paul’s youth and education. Possible implications of Paul’s origin from Tarsus indirectly follow from what he reveals in his letters and in his apostolic ministry. From ancient sources, we cannot deduce a clear picture of the Jewish community in this city from which Paul originated in the first half of the 1st century AD. Jewish evidence from Tarsus in this period is missing completely. We may only take into account several general considerations and apply to Paul what we know about Greek speaking Diaspora Judaism as a whole in Asia Minor in the 1st century AD. 11 Clear evidence of his education is the level at which Paul commanded the Greek language. In his letters, he uses Greek in a rather idiosyncratic, but rhetorically well-directed way. Moreover, his familiarity with and his reference to topics of popular philosophy of his time points to the level of Paul’s education already before he started writing letters, irrespectively to wherever or whenever he had achieved it. Whether or not he would have needed a higher institutional education for this on a gymnasium or academic level we cannot say with certainty, because of the very limited information for the Jewish educational system in Asia Minor or Jerusalem at this time. 12 9 WILLEM C. VAN UNNIK, Tarsus or Jerusalem. The City of Paul’s Youth, London 1962, 17–45. 10 Cf. NIEBUHR, Heidenapostel (n. 4), 58–60. 11 Cf. FREY, Das Judentum des Paulus (n. 2), 11–16. 12 Cf. TOR VEGGE, Paulus und das antike Schulwesen. Schule und Bildung des Paulus, BZNW 134, Berlin/New York 2006, 352–374; MARKUS TIWALD, Hebräer von Hebräern.
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Recent research on ancient Judaism in the Hellenistic Roman period has shown that since the 2nd century BCE at the latest, the cultural and intellectual movement of ‘Hellenism’ had an impact on Jewish life even in the land of Israel. 13 Moreover, it has become clear that Jewish communities in the Greek speaking Diaspora, although well integrated into their social and cultural environment, tried to follow as far as possible the rules of the Torah for their ordinary life. Having this in mind, the distinction between Tarsus and Jerusalem as the place of Paul’s youth should not be overestimated. Neither points an origin from the Diaspora to an only superficial Jewish identity, nor would his growing up in Jerusalem automatically tend to a radically Jewish behaviour. The only way to grasp more precisely the level of education Paul acquired from his origin and training is to classify and to rank his literary relics in comparison with other ancient Jewish sources in Greek of his time. 14 For such an arrangement, we can on the one hand refer to the works of Jewish authors from the 1st century AD, as Philo of Alexandria or Flavius Josephus. However, both do not origin from Asia Minor and both did not write letters (at least no transmitted ones). On the other hand, we know Jewish writings, but not letters, from Asia Minor at this time as, for instance, the Book of Revelation or the 4th Book of Maccabees. If we arrange Paul’s letters in this spectrum of Jewish writings of his time with regard to language ability and philosophical training we can draw some tentative conclusions. With regard to the use and understanding of philosophical topics and ideas of his time, Paul ranks fourth between Philo, 4 Maccabees and Josephus on the one hand, and the Book of Revelation on the other. Measured according to his ability to assimilate basic ideas and concepts from popular philosophical ethics and to use them for his own interests one may rank him also after Philo and Josephus, but in this case, perhaps, higher than 4 Maccabees and, in any case, higher than Revelation. There is no doubt about the Jewishness of Paul’s education and training, even with regard to his own statements in his letters. This refers to his family background as well as to his upbringing and education and his personal concerns as an adult. In four passages in his letters, he explicitly comments on this. In every case his statements are rhetorically well formed, even polemically shaped, and pointed to specific situations. 15 In Gal 1:13f. Paul depicts his “former conduct in the ‘Judaism’” (ἀναστροφήν ποτε ἐν τῷ Ἰουδαϊσμῷ). He first mentions emphatically his commitment as a persecutor of the “church of Paulus auf dem Hintergrund frühjüdischer Argumentation und biblischer Interpretation, HBS 52, Freiburg 2008, 71–77. 13 Cf. MARTIN HENGEL, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr., WUNT 10, Tübingen 31988. 14 Cf. JOHN M. G. BARCLAY, Paul Among Diaspora Jews: Anomaly or Apostate?, JSNT 60, 1995, 89–120. 15 Cf. NIEBUHR, Heidenapostel (n. 4), passim.
1. Paul’s Youth
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God”. Only second, he refers to the formative impacts from his origin and education that drove him into this direction. He was outstanding in his engagement of the Torah, more than his congeners and classmates. Assiduously, he strove to bring to fruition the values in which he was trained by paternal education (τῶν πατρικῶν μου παραδόσεων) in his efforts against the followers of Jesus. The term Ἰουδαϊσμός sounds like a reference to the experience of Jews during the Maccabean revolt very much alive in the memories of Jews in the whole eastern Mediterranean region under Roman rule in the 1st century AD, but especially in Judea. The autobiographical reference in Phil 3:5f. rather points to religious practices. First, corresponding to the context, Paul refers to his circumcision on the eighth day after birth, which gives evidence mainly for the enduring observance of the Torah by his parents even in the Diaspora. Then he highlights his origin as a member of Israel, which he underlines by reference to his belonging to the tribe of Benjamin – at a time when the twelve tribes of Israel long ago had become a matter of spiritual and religious memories only, but not any longer a historical or political reality. It is an open question whether the apostle here also wants to give a subtle reference to Saul, the famous Benjaminite, whose name he obviously bore. The term Ἑβραῖος ἐξ Ἑβραίων also underlines the rootedness of Paul and his family in Jewish origins and identity even in the Diaspora, which proved itself by keeping contacts to the biblical homeland of Israel. It is discussed whether this term included the command of Hebrew or Aramaic languages, an open question also in regard to Paul himself. The autobiographical statement finishes by pointing to Paul’s way of life before his call, which emerged from his Jewish origin and confirmed it: According to his Torah orientation, he became a Pharisee. Even as an arduous persecutor of the followers of Jesus he directed his way of life according to the Torah and in this way showed up as blameless and righteous Jew. In 2Cor 11:22f., by reference to his Israelite origin, Paul wants to highlight the authority of his apostolic ministry in polemic opposition against agitators who wanted to undermine his position in the Corinthian church. At the beginning three expressions occur about the Jewish identity of the apostle in which he claims to be equal to his opponents, though the emphasis of his statement lies on the fourth, when he ranks himself superior to them as a servant of Christ. At the same moment, he rhetorically identifies such ranking itself as folly. Here, Jewish origin is not the culmination of his argument. Nevertheless, according to the conclusion from the minor to the major, the statements bear weight. There is no fundamental semantic difference between the three single terms, which all refer to the origin (Ἑβραῖοι, Ἰσραηλῖται, σπέρμα Ἀβραάμ), but for Paul it is important that all three points mentioned here support his claim for authority as an apostle over and against his opponents in Corinth.
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The Pre-Christian Paul and God’s Righteousness
After all, in his argument in Romans 9–11, Paul also refers emphatically to his identity as an Israelite, precisely at a place where he wants to underline his function as the apostle to the Gentiles (cf. Rom 11:13). In Rom 9:1–5 the refusal of the gospel of Christ in Israel is at stake. Paul expresses his deep sorrow for those of Israel who deny the gospel and he calls them his “congeners according to the flesh” (9:3). In a similar way, in 11:4 he characterizes as “my flesh” those of Israel who do not yet believe, but whom he wants to make jealous by his mission to the Gentiles in order to save at least some of them. In 11:1 he emphatically calls himself an Israelite (present tense!) to attack the false assertion that God may have cast out his people. In all these texts it is not so much the Jewish origin of the apostle that is at stake here (which is of course the necessary precondition for the argument), but his present identity as an Israelite, which is formative for his function and his task as the apostle to the Gentiles.
2. Paul as a Pharisee and Persecutor
2. Paul as a Pharisee and Persecutor The Book of Acts as well as his own letters testify that Paul was a Pharisee. 16 In view of our very limited sources about the ‘historical’ Pharisees, the value of this information cannot be overestimated. 17 There is no other primary evidence written by a Pharisee from the period before 70 AD than Paul! However, when Paul wrote his letter to the Philippians he, of course, had already quit his career as a Pharisee. Therefore, if we want to draw any biographical conclusions for Paul from the fact that he was a Pharisee, we have to reassess critically what can be judged particularly for the Pharisaic movement before 70 AD. There are three areas of references to the Pharisees of this time: the New Testament, the works of Flavius Josephus and early rabbinic traditions. 18 To analyse the information given by Josephus confronts us with several methodological problems. For instance, his evaluation of the Pharisees changes in his works and seems to be contradictory sometimes. Moreover, we have to take into account that Josephus’ judgments about the Pharisees depend on the sources he used. Moreover, in his descriptions of Pharisaic religious convictions, which he inserts like an excursus at several places in his works, he rather Cf. Phil 3:5; Acts 23:6; 26:5. Cf. KARL-WILHELM NIEBUHR, Jesus, Paul and the Pharisees: Observations on their Historical Commonalities, on their Understanding of the Torah and on Anthropology, in: FRANTIŠEK ÁBEL (Ed.), The Message of Paul the Apostle within Second Temple Judaism, Lanham 2020, 109–141 [in this volume 173–200] (in German: Jesus, Paulus und die Pharisäer. Beobachtungen zu ihren historischen Zusammenhängen, zum Toraverständnis und zur Anthropologie, RCatT 34, 2009, 317–346). 18 Cf. ROLAND DEINES, Art. Pharisäer, TBLNT2 2, 1455–1468; GÜNTER STEMBERGER, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, SBS 144, Stuttgart 1991. 16 17
2. Paul as a Pharisee and Persecutor
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schematically follows the genre of descriptions of Hellenistic Roman philosophical schools. After all, it remains unclear in which relationship Josephus himself stood to the Pharisees. In his autobiography he suggests to having started his public career as an adherent of the Pharisees at the age of nineteen (ἠρξάμην πολιτεύεσθαι τῇ Φαρισαίων αἱρέσει ἀκολουθεῖν) after he had verified empirically all other Jewish ‘schools’ and then had become a follower of the ascetic Bannus (ζηλωτὴς ἐγενόμην αὐτοῦ) for three years. 19 However, this does not necessarily mean that he himself had become a member of the Pharisees. Possibly, he only wanted to boost his political career by following Pharisaic positions. 20 In the New Testament, we meet Pharisees mostly as the typical opponents of Jesus. 21 The Sayings Source attests their specific interests in regulations with regard to tithes or purity laws of the Torah. 22 Mark limits the conflicts between Jesus and the Pharisees to his Galilean ministry, and concentrates them to debates on Sabbath, ritual purity and marriage laws. 23 Matthew and John, on the other hand, put the Pharisees primarily in an ‘unholy alliance’ created by all opponents of Jesus who worked towards his death in Jerusalem. Luke, who attributes a similar role to the Pharisees, also includes in his gospel some traditions that show a much more positive relationship between Jesus and the Pharisees. 24 In the Book of Acts there are only ‘good Pharisees’, 25 particularly those who believe in the resurrection of the dead, 26 and some of them even became members of the Jesus movement, with Paul on top. 27 The third area of sources for the Pharisees, the early rabbinic tradition, is the most difficult area to assess according to the present state of research. 28 Taking into account the literary development of the Mishnah and the Talmud, no single rabbinic reference to the Pharisees dates definitely before 70 AD. Moreover, it is questionable to understand all rabbinic statements using the
Josephus, Vit 10–12. STEVE MASON, Was Josephus a Pharisee?, JJJ 40, 1989, 31–45. 21 FLORIAN WILK, Die synoptischen Evangelien des Neuen Testaments als Quellen für die Geschichte der Pharisäer, in: LUTZ DOERING/HANS-GÜNTHER WAUBKE/FLORIAN WILK (Ed.), Judaistik und neutestamentliche Wissenschaft. Standorte – Grenzen – Beziehungen, FRLANT 226, Göttingen 2008, 85–107. 22 Luke 11:37–44 par. Matt 23:23–28. 23 Mark 2:13–3:6; 7:1–23; 8:11,15; 10:2–12. 24 Luke 7:36; 11:37f.; 13:31; 14:1. 25 As, for instance, Gamaliel I, Acts 5:34. 26 Cf. Acts 23:8. 27 Cf. 15:5; 23:6; 26:5. 28 Cf. STEMBERGER, Pharisäer (n. 18), 40–64; DANIEL R. SCHWARTZ, On Pharisees and Sadducees in the Mishnah. From Composition Criticism to History, in: DOERING/WAUBKE/ WILK, Judaistik (n. 21), 133–145. 19 20
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The Pre-Christian Paul and God’s Righteousness
term peruschim as reference to the ‘historic’ Pharisees. Rather, this word signifies any ‘dissenters’ from rabbinic majority view. Even people we can identify without doubt as Pharisees from other sources, as for instance Rabbi Gamaliel I, 29 are never referred to as Pharisees in the Mishnah. In the face of this state of evidence, it is very difficult to define specific positions of the Pharisees in which they differed from several or all other Jewish groups before 70 AD. They obviously were not the only group in the Judaism of their time to make an effort to keep rigorously the Law of Moses as a whole as well as all of its commandments in their everyday life, even though Josephus and some of the New Testament references agree that the Pharisees tried to do this with particular accuracy (ἀκρίβεια). 30 In the same way, the interest in creating and transmitting exegetical traditions on the Torah cannot be limited to the Pharisees only, the more so as we do not know any collections of such traditions identifiable as Pharisaic. 31 To keep the law and to follow their rules derived by interpretation and actualization of commandments, which was necessary with regard to the places and situations of present life, was a common interest and feature of most of the Jewish groups. They, nevertheless, remained different and not always agreed about the understanding of the Torah, which repeatedly resulted in unfriendly relations between them. If we combine the three areas of references discussed so far, we may suggest that the Pharisees had developed special interests in the fields of tithes, purity laws and table fellowship. This special interest is indicated by the endeavour of the Pharisees for ritual purity at table fellowship and for correct tithing of food. This is also mentioned in the Jesus tradition. 32 Josephus underlines their strong cohesion among each other. 33 Pharisaic purity regulations are discussed in the Mishnah (if only at one single place). 34 There is some rabbinic evidence for societies (‘clubs’) of table fellowships (ḥaburoth) possibly run by Pharisees. 35 However, one has to keep in mind that a combination of information collected from different sources with different backgrounds is highly speculative from a methodological point of view. Negatively, after all, we can only state that there is no evidence whatsoever for Pharisees living permanently in the Diaspora in the period before 70 AD. 36 This leads to the suggestion that
Cf. Acts 5:34. Cf. Josephus, Bell 1,110; 2,162; Ant 17,41; Vit 191; Acts 26:5, cf. for Paul also 22:3. 31 For the Pharisees cf. Josephus, Ant 18,297, 408; Vit 191; polemically Mark 7:8. 32 Cf. Mark 7:3f.; Luke 11:37f., 42. 33 Cf. Josephus, Bell 2,166. 34 Cf. m. Yad. IV 6–8. 35 Cf. HANS-GÜNTHER WAUBKE‚ Die talmudische Haberim-Halacha und die Pharisäer, in: DOERING/WAUBKE/WILK, Judaistik (n. 21), 108–132. 36 Cf. NIEBUHR, Heidenapostel (n. 4), 55; DANIEL R. SCHWARTZ, Josephus on the Pharisees as Diaspora Jews, in: CHRISTFRIED BÖTTRICH/JENS HERZER (Ed.), Josephus und das 29 30
2. Paul as a Pharisee and Persecutor
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Pharisaic convictions and a Pharisaic way of life were developed and followed primarily in the land of Israel. This, perhaps, may be the first and only fixed point to localize Paul as a Pharisee in early Judaism. It clearly follows from his autobiographical reports that he took efforts to keep the Law with particular dedication. Yet this does not make him a Pharisee by itself. When he underlines his outstanding zeal (ζῆλος) for the Law, 37 this term cannot be seen as a specific token for a Pharisee of his time (for them the term ἀκρίβεια was used more often), but rather for the ‘Zealotic’ movement. However, the contexts of the rhetorically pointed statements of Paul about his ‘zeal’ rather show his interest to highlight his activities as a persecutor of the followers of Jesus. Peculiarities of his Torah interpretation, deducible from his own Pharisaic past in Jerusalem, cannot be identified in his letters. Rather, his Torah interpretation follows from the theological aims and the practical challenges of his missionary activities in the field of Hellenistic Roman Diaspora Judaism. 38 The way the Book of Acts displays Paul’s activities as a persecutor – from a distance of several decades! 39 – presupposes that Paul persecuted the followers of Jesus not only in Jerusalem, but was sent officially and authorized by the High Priest to proceed against the Christians systematically even in the synagogues in Damascus. The terminology used (διωγμὸς μέγας, παρεδίδου εἰς φυλακήν, τιμωρεῖν) as well as the image of a systematic persecution of the Christians by means of violence and legal measures up to the death penalty clearly show that in the background of this account there is a presupposed later development of early Christianity. In any case, the political conditions and the legal status under Roman rule in Jerusalem and Judea in the early 30s make it impossible to think of such a systematic proceeding of institutions of Jewish self-administration, including capital punishment, even more with regard to Damascus where the High Priest of Jerusalem held no official jurisdiction at all. If we want to retain the view of the Book of Acts, that Paul was active against the followers of Jesus already in Jerusalem during the brief period of time between the crucifixion of Jesus and his own call to become an apostle, we have to think of the Greek speaking synagogues in this city. Here we find the best historical conditions for such an effort. Paul himself as a Jew from the Diaspora may have been at home there. Acts 6:1–6 presupposes that the Jesus Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen, II. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum 25.–28. Mai 2006, Greifswald, WUNT 209, Tübingen 2007, 137– 146. 37 Cf. Gal 1:14; Phil 3:6. 38 Cf. KARL-WILHELM NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis bei Paulus und seinen Gemeinden (Sabbat, Speisegebote, Beschneidung), BThZ 25, 2008, 16–51 [in this volume 81–113]. 39 Cf. Acts 8:1–3; 9:1f.; 22:5; 26:9–11.
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The Pre-Christian Paul and God’s Righteousness
movement very early entered the Greek speaking synagogues in Jerusalem. The report distinguishes between groups of ‘Hellenists’ and ‘Hebrews’. In the background of the Lukan story about a conflict over social care for widows in the church we may discover a pre-Lukan tradition that points to distinct ‘Jewish Christian’ groups in the early Jerusalem Jesus movement, distinguished from each other by their colloquial and liturgical language, even though we cannot date exactly the origins of this development. We also cannot reconstruct with certainty the means used in these conflicts between Paul and the followers of Jesus in the Greek speaking synagogues. They may have included verbal debates about religious convictions of the followers of Jesus as well as disciplinary measures of the synagogue or even violent quarrels or rows. According to Paul’s later judgement, in any case, he at that time intended to fundamentally question and deprive the Jesus movement of the right to exist in the synagogues, at least in those where he himself was active. 40 For this end, he may have used all means he disposed on, beginning with scholarly discussions on understanding Scripture and followed by inciting disciplinary measures against followers of Jesus according to the rules of the synagogue, to end with verbal and/or physical violence. In connection to hindsight of his call and his activities as a persecutor, Paul also mentions the city of Damascus. 41 According to 2 Corinthians a later stay there as apostle is presupposed. 42 Nevertheless, this does not testify that he had persecuted Christians in this city. 43 We cannot even be sure that his call happened immediately on his way from Jerusalem to Damascus as it is recounted in the Book of Acts, although this cannot be excluded as well. 44 The periods and the places where Paul lived after his call and before his first visit to Jerusalem “after three years” (Gal 1:18) remain very uncertain, apart from the single information that “I left for the Arabia” (1:17). For Paul, it was more important to highlight the reasons and convictions of his own and those of his opponents when he persecuted them, than to inform his readers about places, dates and ways of activities as a persecutor. Nevertheless, he does all this according to the way he evaluates it now, at the time of writing his letters. This change in perspective can be noticed when he now calls
Cf. Gal 1:13: καὶ ἐπόρθουν αὐτήν. Gal 1:17. 42 2Cor 11:32. 43 Differently GEORG STRECKER, Der vorchristliche Paulus. Überlegungen zum biographischen Kontext biblischer Überlieferung – zugleich eine Antwort an Martin Hengel, in: Texts and Contexts. Biblical Texts in Their Textual and Situational Contexts (FS L. Hartman), ed. TORD FORNBERG/DAVID HELLHOLM, Oslo 1995, 729–731; EVA EBEL, Das Leben des Paulus, in: WISCHMEYER, Paulus (n.2), 83–96: 92f. 44 Cf. MARTIN HENGEL/ANNA MARIA SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels, WUNT 108, Tübingen 1998, 60–80. 40 41
2. Paul as a Pharisee and Persecutor
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the victims he then had persecuted the “community of God”. 45 Possibly, this term was already a self-designation of the church of Jerusalem. In any case, it displays a theological evaluation of the Jesus movement originating from Jerusalem that Paul as apostle of Christ now attributes to them. 46 From this perspective, he also evaluates his own earlier efforts to destroy the Jesus movement. Now he judges this as directed against God, although he then had seen himself as a servant of the same God, as one who took pains to observe the Law and to struggle against its enemies. 47 Thus, the autobiographical statements in his letters express a personal biographical and religious tension in Paul. This tension results from his dedication to serve God by his personal struggle in favour of the Torah and against its enemies. However, when God himself in the Christ event decided to carry out his plans differently with his elected people and with all peoples of the world, Paul’s dedication to serve God would turn against what God had intended. Beginning with these statements about Paul as a persecutor, 48 we notice that they all are part of argumentative contexts where he wants to say something about his call to be an apostle of Christ. The turn from persecutor to ‘proclaimer’ became a topos in his self-understanding as an apostle. On both places in Galatians and Philippians Paul underlines that his effort against the followers of Jesus was a direct consequence from, and expression of, his orientation to the Torah in which he was educated by ‘paternal traditions’ from his childhood. The convictional background of this training can be identified with the tradition of ‘zeal for the Torah’ as it is evidenced in Jewish sources since the 2nd century BC and which had its roots in the Maccabean wars. 49 This tradition was particularly alive in circles that were devoted to Jewish Law and ready to defend it against its opponents from inside and outside. Even Paul the Pharisee probably was influenced by this tradition. On this background, we may better understand the reasons why he turned against the Jesus movement right from its beginnings. 50 Of course, for a reconstruction of these reasons we cannot simply take for granted the arguments Paul mentions in his letters when he refers to his activities as a persecutor because they obviously are biased by the determination to persuade the addressees of his letters.
Gal 1:13; 1Cor 15:9: ἐκκλησία τοῦ θεοῦ, cf. Phil 3:6: ἐκκλησία. Cf. 1Cor 15:9! 47 Cf. NIEBUHR, Heidenapostel (n. 4), 66–78. 48 Cf. Gal 1:13, 23; 1Cor 15:9; Phil 3:6; cf. DUNN, Beginning (n. 2), 335–346; NIEBUHR, Heidenapostel (n. 4), 57–66; KARL-WILHELM NIEBUHR, “Judentum” und “Christentum” bei Paulus und Ignatius von Antiochien, ZNW 85, 1994, 218–233 [in this volume 133–148]. 49 Cf. MARTIN HENGEL, Die Zeloten. Untersuchungen zur jüdischen Freiheitsbewegung in der Zeit von Herodes I. bis 70 n. Chr., AGSU 1, Leiden 21976 (3rd edition by ROLAND DEINES/CLAUS-JÜRGEN THORNTON, WUNT 283, Tübingen 2011). 50 Cf. HAACKER, Paulus (n. 7), 78–97. 45 46
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The Pre-Christian Paul and God’s Righteousness
The only way we can continue is to combine what we know about the development and the situation of the early post-Easter Jesus movement with the biographical information of Paul before his call, and develop a hypothesis of the reasons for his persecution of the followers of Jesus. Obviously, for Paul the Jesus movement seemed to be a danger for Israel and the Torah. Following the tradition of ‘zeal for God’, he consequently had to use all means at his disposal against this movement. The best starting point to integrate such a configuration in what we know about the first years after the crucifixion is to analyse the report of the Book of Acts on Stephen and his martyrdom, and to look for pre-Lukan traditions used in this story that may lead us back to the beginnings of the church in Jerusalem. 51 Going in this direction, we can assume as the nucleus of the accusations against Stephen (and against the group for which he stays, after all the ‘Hellenists’) the allegation that he speaks against the Torah and the Temple cult. 52 Moreover, the Lukan story tends to define as the actual cause for Stephen’s stoning his confession of Jesus as the crucified Messiah who will return for the eschatological judgment as the Son of Man. 53 Whether we also find a pre-Lukan tradition here may remain open. In any case, it seems clear that Stephen as a follower of Jesus was challenged because he took critical positions against the Temple and the Torah. 54 By tentatively drawing some conclusions from this tradition for possible convictions of the followers of Jesus during the first years after his crucifixion we may discover a motif for Paul as a persecutor of such critical attitudes against the Temple and the Torah. One step further would be to assume that the ‘Hellenists’ combined their own critical views of the Temple and Torah with Jesus’ attitude to such issues as reflected in parts of the Jesus tradition. It was well known to his followers as well as to his opponents in Jerusalem that Jesus had been put to death after conflicts that, by their content and place, related to the Temple. 55 Moreover, at least his adherents in Jerusalem knew well about the controversies between Jesus and his opponents on issues of the Torah, like the Sabbath laws or his attitudes to matters of ritual purity during his ministry and proclamation in Galilee. 56 This does not mean that all of them would have already drawn fundamental conclusions from this for their own attitudes to the Law. It is sufficient to assume that disputes originated by virtue
Cf. WOLFGANG KRAUS, Zwischen Jerusalem und Antiochia. Die ‘Hellenisten’, Paulus und die Aufnahme der Heiden in das endzeitliche Gottesvolk, SBS 179, Stuttgart 1999, 38– 55. 52 Acts 6:11, 13f. 53 Acts 7:56f. 54 Cf. 6:14! 55 Cf. Mark 11:15–17; 13:1f.; 14:58. 56 Cf. Mark 2:23–3:6; 7:15. 51
3. Concepts of Sin, Faith and Righteousness
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of different attitudes or comments to the Law, and in consequence of such debates, more far-reaching allegations arose about the followers of Jesus who held positions fundamentally directed against Torah and Temple with reference to Jesus’ own views. After all, we may also consider tentatively the possibility that the interpretation of the death of Jesus as atonement for the sins of the believers may have created disputes already at the beginning of the church of Jerusalem, because it clashed with the biblical basis of the Temple cult and its daily conduct in the Temple of Jerusalem. At least, we already find traces for this interpretation in the earliest layers of confession formulas embedded in New Testament writings. Paul, who was educated and trained in interpreting the Law, could draw similar conclusions. 57 However, such conclusions only later appear in the argumentations of his letters on the understanding of the relationship between Christ and the Law. Whether he had drawn such conclusions already before his call to apostleship and whether he was driven to action against the followers of Jesus by such conclusions, we cannot prove definitely, as every further considerations taken into account as reasons for his persecution are highly speculative.
3. Concepts of Sin, Faith and Righteousness: Paul’s Jewish Heritage?
3. Concepts of Sin, Faith and Righteousness When Paul refers to biblical concepts of God’s righteousness, he stands in a line of early Jewish exegetical traditions as evidenced by the Septuagint or other, extra-biblical texts. For Paul as for the authors of these early Jewish writings the Scripture was not a text from the past. The Tanakh, the three-part collection of biblical texts consisting of the Torah, the Prophets and the Writings functions as God’s word for the present day. Even translations of the Scriptures into Greek (Septuagint) or Aramaic (Targumim) could have been understood in this way. The Qumran scrolls may show that in the 1st century AD a ‘canon’ of Scriptures in the sense of the later Christian Old Testament had not yet become firm, neither with regard to its wording nor to the selection of writings belonging to it. Nevertheless, Paul frequently refers to ‘the Scriptures’ or to parts of them explicitly or implicitly 58 and he quotes from them 59 when he expresses his specific theological convictions or arguments. His dealing with the Scriptures of Israel shows that he was able to understand the Christ event appropriately only
Cf. Rom 3:25f.; 1Cor 11:23f.; Gal 3:10–13. Cf. 1Cor 15:3–5; Rom 3:21. 59 Gal 3:10–13; Rom 4:3. 57 58
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The Pre-Christian Paul and God’s Righteousness
if based on God’s salvific acts over against Israel as transmitted and believed in early Judaism. For Paul the Greek language was the means of expressing his own theological convictions. Consequentially, he drew on the Scriptures of Israel also in Greek. This does not mean that he was unable to rework deliberately the transmitted text of the Bible. Moreover, we have to be aware of a plurality of text forms in early Judaism that cannot be limited according to the shape of modern print editions of the Septuagint. 60 When translated into Greek or Aramaic the biblical Scriptures underwent modifications depending on the difference of languages, which could affect biblical statements on God’s righteousness as well. Thus, there are considerable differences between the understanding of God’s righteousness as rooted in the Hebrew Bible on the one hand and the philosophical and ethical concepts of justice in Greek philosophy on the other. Old Testament references to God’s righteousness often are linked to expressions about God as creator and Lord of the world. 61 At the same time they characterize the order of world and life as preserved by God. 62 In contrast, the Greek understanding of justice as developed in Hellenistic times derived from political and ethical fields of application and referred to virtues or to the distribution of goods. Nevertheless, the Greek terminology of righteousness in the Septuagint and in most of the Jewish writings of the time is much more influenced by contents of the biblical texts than by Greek philosophical traditions. Moreover, even in biblical or early Jewish texts the normative and distributive aspect in the understanding of righteousness does not fade out completely. 63 Thus, there is no fundamental difference between the Hebrew Bible and the Septuagint in their understandings of God’s righteousness in New Testament times. However, a considerable modification in the understanding of God’s righteousness resulted from its conjunction with statements about the Torah as God’s beneficial gift and as God’s good order of life for the people of Israel, which occurs in early Jewish writings as well. Here, God’s covenant with Israel is interpreted as an expression of his righteousness. Even the demand to keep God’s commandments points to the covenant. In early Judaism, such an understanding of God’s righteousness increasingly became oriented to the eschatological judgment and to the completion of times. At the eschatological doom, 60 For Isaiah cf. FLORIAN WILK, Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus, FRLANT 179, Göttingen 1998, 16–59. 61 Cf. Deut 32:4; Ps 89:15; 97:2; Isa 45:21. 62 HANS HEINRICH SCHMID, Gerechtigkeit als Weltordnung. Hintergrund und Geschichte des alttestamentlichen Gerechtigkeitsbegriffes, BHTh 40, Tübingen 1968. 63 MARK SEIFRID, Paul’s Use of Righteousness Language Against Its Hellenistic Background, in: DONALD A. CARSON/PETER T. O’BRIEN/MARK A. SEIFRID (Ed.), Justification and Variegated Nomism, Vol. II: The Paradoxes of Paul, WUNT II/181, Tübingen 2004, 39– 74.
3. Concepts of Sin, Faith and Righteousness
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God will reveal his righteousness over against Israel by punishing those who transgressed his commandments, but at the same time he will demonstrate his mercy and forgiveness to them which by far overrides his wrath. Several early Jewish texts show how this understanding developed further. Thus, the semantic field of God’s righteousness is used to consider the situation of human beings and their deeds in front of God’s judgment. The Book of Jubilees, for example, links together the deliverance of the Torah to Moses on Mount Sinai, a revelatory speech of God about Israel’s future sins, an announcement of the judgment against Israel because of its violation of the Torah, and an expression of Israel’s repentance to which God will react with mercy. I shall reveal to them an abundance of peace in righteousness. And with all my heart and with all my soul I shall transplant them as a righteous plant … And I shall not forsake them and I shall not be alienated from them because I am the Lord their God. 64
When Moses asks God not to abandon his people and to keep them from departing from the “ways of righteousness”, he receives a promise. I know their contrariness and their thoughts and their stubbornness … I shall create for them a holy spirit, and I shall purify them so that they will not turn away from following me from that day and forever … And they all will be called ‘sons of the living God’ … that they are my sons and I am their father in uprightness and righteousness. And I shall love them. 65
In early Judaism, keeping the commandments of the Torah and trusting in the merciful God were not contrary. This appears, for example, in the ending of the so-called Halakhic Letter from Qumran. The following exhortation addresses the letter recipients: Remember David, one of the ‘pious’ and he, too, was freed from many afflictions and was forgiven. And also we have written to you some of the works of the Torah which we think are good for you and for your people, for we saw that you have intellect and knowledge of the Law. Reflect on all these matters and seek from him that he may support your counsel and keep far from you the evil scheming and the counsel of Belial, so that at the end of time, you may rejoice in finding that some of our words are true. And it shall be reckoned to you as justice when you do what is upright and good before him, for your good and that of Israel. 66
The promise of Hab 2:4: “a righteous person will live by his/her truth”, is interpreted in the Qumran pesher on Habakkuk as referring to everybody who keeps the Torah in the house of Judah whom God will save out of the house of judgment. 67 Prayers of repentance in the Book of Daniel as well as in several Qumran texts and the Apocalypse of Ezra (Fourth Ezra) provide impressive evidence Jub 1:15–18. Jub 1:22–25. 66 4QMMT 398, Frgm. 14 II. 67 1QpHab VIII 1–3. 64 65
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The Pre-Christian Paul and God’s Righteousness
that in early Judaism God’s righteousness is an expression of his salvific will. In Daniel, the one who prays turns to God with the request: O Lord, in view of all your righteous acts, let your anger and wrath, we pray, turn away from your city Jerusalem, your holy mountain; because of our sins and the iniquities of our ancestors, Jerusalem and your people have become a disgrace among all our neighbours … Open your eyes and look at our desolation and the city that bears your name. We do not present our supplication before you on the ground of our righteousness, but on the ground of your great mercies. 68
A prayer in the Rule of the Community from Qumran reads as follows: As for me, if I stumble, the mercies of God shall be my salvation always; and if I fall in the sin of the flesh, in the justice of God, which endures eternally, shall my judgment be; if my distress commences, he will free my soul from the pit and make my steps steady on the path; he will draw me near in his mercies, and by kindness set in motion my judgment; he will judge me in the justice of his truth, and in his plentiful goodness always atone for all my sins; in his justice he will cleanse me from the uncleanness of the human being and from the sin of the sons of man, so that I can give God thanks for his justice and The Highest for his majesty. 69
The Hodayot (hymns) from Qumran show an awareness that sin can only be entrusted to God’s righteousness: What is flesh compared to this [God’s glory]? What creature of clay can do wonders? He is in iniquity from his maternal womb, and in guilt of unfaithfulness right to old age. But I know that justice does not belong to man or to a son of Adam a perfect path. To God Most High belong all the acts of justice, and the path of man is not secure except by the spirit which God creates for him to perfect the path of the sons of Adam so that all his creatures come to know the strength of his power and the abundance of his compassion with all the sons of his approval … I thought, for my offences I have been barred from your covenant. But when I remembered the strength of your hand and the abundance of your compassion I remained resolute and stood up; my spirit kept firmly in place in the face of affliction. For I leaned on your kindness and on the abundance of your compassion. For you atone iniquity and cleanse man of his guilt through your justice. 70
In Fourth Ezra, the sinner tellingly reflects about his experiences of sin. Although he knows that those who keep God’s commandments will obtain life, he has come to know that there is almost no one who meets this demand: For who among the living is there that has not sinned, or who among man has not transgressed your covenant? … For all who have been born are involved in iniquities, and are full of sins and burdened with transgressions … For in truth there is no one among those who have been born who has not acted wickedly, and among those who have existed there is no
Dan 9:16–18. 1QS 11:11–15. 70 1QH 4:29–37. 68 69
3. Concepts of Sin, Faith and Righteousness
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one who has not transgressed. For in this, O Lord, your righteousness and goodness will be declared, when you are merciful to those who have no store of good works. 71
This selection of references in early Judaism about trust in God’s righteousness shows that Paul was closely connected to an understanding of God thoroughly coined by traditions of belief in Israel as collected and transmitted in biblical and extra biblical Jewish writings. However, whereas in early Jewish tradition trust in God’s righteousness was combined with the requirement to keep the Torah, for Paul this biblical understanding of God was newly and eschatologically defined by the Christ event. On this eschatological basis, his understanding of God’s righteousness underwent decisive modifications. Paul’s view of God’s righteousness differs considerably from any other Jewish sources by dissolving the belief in God from the trust in the Torah as the decisive means of God to create and to keep his covenant relationship with Israel, as it had become determinative in early Judaism. However, to found his new understanding of God’s righteousness which he had achieved by his interpretation of the Christ event, Paul refers to Scripture anew. In his letters to the Galatians and to the Romans, he deliberately reinforces his argumentation by those references in the Scriptures where righteousness and faith are combined. From Abraham one shall learn that God attributes his righteousness to those who believe in him even “without works of the law”. 72 The prophecy of Habakkuk that the just will receive life out of his truth is interpreted by Paul as evidence for the eschatological gift of life to those who believe in the Gospel, Jews and non-Jews as well. 73
4 Ezra 7:46, 68; 8:35. Gen 15:6 in Gal 3:6; Rom 4:3, 9. 73 Hab 2:4 in Gal 3:11; Rom 1:17. 71 72
„Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien* Judentum und Christentum kommen im Neuen Testament als Gegensatzpaar nicht vor. Nicht nur, dass es für solchen Sprachgebrauch dort kein Äquivalent gibt. Die Perspektive, Judentum und Christentum als zwei Religionsgemeinschaften nebeneinander oder gegenüber zu stellen, ist für das Neue Testament anachronistisch. Ebenso anachronistisch ist es allerdings, das Neue Testament dem Judentum als Teil zuzurechnen. Judentum wie Christentum in dem, was wir heute mit diesen Begriffen bezeichnen, sind beide erst Ergebnis eines Prozesses der Selbstdefinition, der Bestimmung der eigenen Identität in Abgrenzung von der des Gegenübers. Dieser Prozess beginnt allerdings in dem Moment, wo Juden das Wirken ihres Gottes, des Gottes Israels, im Christusgeschehen erkennen. Das Stichwort Ἰουδαϊσμός, im Neuen Testament nur in Gal 1,13f. belegt, führt uns genau an diese Stelle. Ignatius von Antiochien hat als erster und im ganzen 2. Jh. einziger dem „Judaismus“ den „Christianismus“ entgegengesetzt. Bei ihm können wir eine weitere Etappe des genannten Vorgangs der Selbstdefinition erkennen, keineswegs aber deren Abschluss. Auch für Ignatius sind Judentum und Christentum noch nicht das, was wir heute damit meinen. So steckt der rote Faden der folgenden Überlegungen und die Pointe des Themas vor allem in den Anführungsstrichen.
1. Paulus und der Ἰουδαϊσμός
1. Paulus und der Ἰουδαϊσμός 1.1 Ἰουδαϊσμός im autobiographischen Rechenschaftsbericht Gal 1,10–2,21 Der Galaterbrief ist rhetorisch gestaltet. 1 Das heißt nicht, dass er eine Rede ist, sondern nur so viel, dass der Autor mit sprachlichen Mitteln, die in der antiken * Der folgende Beitrag wurde während meines durch ein Feodor-Lynen-Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung ermöglichten Forschungsaufenthaltes 1992/93 in Cambridge (England) erarbeitet. 1 Vgl. dazu die Literatur bei KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 5ff., sowie ANTONIO PITTA, Disposizione e Messagio della Lettera ai Galati. Analisi retorico-letteraria, AnBib 131, Roma 1992, 33–41; MICHAEL BACHMANN, Sünder oder Übertreter. Studien zur Argumentation in Gal 2,15ff., WUNT 59, Tübingen 1992, 11– 23.103–160; RICHARD HALL, Historical Inference and Rhetorical Effect: Another Look at
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„Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien
Schulrhetorik gepflegt wurden, die Adressaten seines Briefes beeinflussen, ihr Urteilen und Handeln in seinem Sinne verändern möchte. Was will also Paulus mit seinem Brief in Galatien bewirken? 2 Zum einen will er Konkurrenten aus dem Feld schlagen, Verkünder eines anderen Evangeliums (1,8f.). Er tut dies mit Hilfe eines Fluchs, eines niedergeschriebenen Wortes, das bei den Adressaten angekommen die Konkurrenten eschatologisch vernichten soll. Er will sodann seine Autorität als Apostel verteidigen und die Glaubwürdigkeit seiner Verkündigung begründen. Dazu dient ihm zunächst ein autobiographisch angelegter Rechenschaftsbericht (1,10–2,21) und dann eine argumentative Erörterung mit Hilfe der Schrift (3,1–4,31). Vor allem aber möchte Paulus die Adressaten in einer aktuellen Entscheidungsfrage in seinem Sinne beeinflussen, der Frage, ob sie sich als Christen beschneiden lassen sollen. Hierauf zielt alle Polemik, Apologetik und Argumentation. Hier setzt Paulus all seine Autorität geballt ein: „Hier stehe ich, Paulus, und sage euch“ (5,2), „Seht hier, was ich euch eigenhändig mit Großbuchstaben schreibe“ (6,11): Ihr dürft das nicht tun! Denn ihr würdet damit euer Leben, eure aus dem Christusgeschehen geschenkte Identität verspielen (5,2–6; 6,12–15). Am Anfang seines Briefes, mit Hilfe des autobiographischen Rechenschaftsberichts, erinnert Paulus die Adressaten an den Ursprung seines Aposteldienstes. Dabei bildet der Wandel im Ἰουδαϊσμός eine eigene Epoche (1,13f.). Mit dem ungewöhnlichen Wort Ἰουδαϊσμός will Paulus offenbar eine Lebensweise kennzeichnen, die erlernbar ist, in der man andere überragen kann. Diese Epoche seiner Biographie stellt Paulus in Gegensatz zu der ihr folgenden, in der er sich als einen von Gott beauftragten und von menschlichen Autoritäten unabhängigen Apostel darstellt (1,15–24). Die Erwähnung des Ἰουδαϊσμός in 1,13f. hat aber nicht allein negative Relevanz. Paulus betont zwei Aspekte besonders: seine herausragende Qualifikation im Ἰουδαϊσμός und seine aus ihr herrührende Aktivität als Verfolger der christlichen Gemeinde. Gerade diese beiden Aspekte spielen aber bei der in Galatien anstehenden Streitfrage zumindest seinem Urteil nach eine wesentliche Rolle. Zu entscheiden, ob zum Christusglauben gekommene Heiden sich beschneiden lassen sollen, erfordert Kompetenz in jüdischen Angelegenheiten, und den Beschneidungsagitatoren unterstellt Paulus, sie wollten bloß Verfolgungen wegen Galatians 1 and 2, in: Persuasive Artistry. Studies in New Testament Rhetoric (FS G. A. Kennedy), hg. v. DUANE F. WATSON, JSNTS 50, Sheffield 1991, 308–320; JAMES D. HESTER, Placing the Blame: The Presence of Epideictic in Galatians 1 and 2, in: Persuasive Artistry (a.a.O.), 281–307; G. WALTER HANSEN, Abraham in Galatians: Epistolary and Rhetorical Contexts, JSNTS 29, Sheffield 1989, 19–93; CHARLES H. COSGROVE, The Cross and the Spirit. A Study in the Argument and Theology of Galatians, Macon 1988, 23–31. – Für die folgende Interpretation von Gal 1f. darf ich summarisch auf meine oben genannte HabilSchrift, bes. auf die Seiten 4–43, verweisen. 2 Vgl. zur Situation und Aussageabsicht des Galaterbriefs JOHN M. G. BARCLAY, Obeying the Truth: A Study of Paul’s Ethics in Galatians, Edinburgh 1988, 36–105.
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des Kreuzes Christi vermeiden (6,12; vgl. 5,11). Wenn Paulus also auf seinen einstigen Wandel im „Judentum“ zu sprechen kommt, redet er nicht bloß von vergangenen Zeiten, sondern lässt bereits hier die aktuelle Frage anklingen, um die es ihm geht. Er signalisiert so, dass er weiß, wovon er redet, hervorragend qualifiziert in jüdischen Angelegenheiten und mit persönlichen Erfahrungen in Sachen Verfolgung von Christen. Als Abschluss seines Rechenschaftsberichts erzählt Paulus von einer Auseinandersetzung mit Kephas in der Gemeinde von Antiochia (2,11–14). 3 Anlass des Streits war das Verhalten des Kephas beim Gemeinschaftsmahl, Hintergrund Meinungsverschiedenheiten darüber, ob Juden und Heiden als Glieder einer christlichen Gemeinde miteinander essen dürfen. Paulus stellt hier zwei Dinge heraus: Wer aus Angst vor Auseinandersetzungen mit Juden die Tischgemeinschaft der Gemeinde verlässt, ist ein Heuchler, handelt der Wahrheit des Evangeliums zuwider. Und er, Paulus, habe Kephas vor aller Augen mit folgendem Wortspiel ad absurdum geführt: „Wenn du als Jude heidnisch und nicht jüdisch lebst, wie kannst dann du die Heiden zwingen, jüdisch zu leben?“ (2,14b). Auch hier gebraucht Paulus ungewöhnliche Wörter, die den bekannten Wortstamm Ἰουδαϊ- verfremden. Wieder akzentuiert er die beiden Aspekte Angst vor Auseinandersetzungen mit Juden und jüdisch leben. Paulus bringt also gezielt mit Blick auf das Anliegen seines Briefes Ereignisse zur Sprache, in denen jüdische Lebensweise in Konflikt mit Entscheidungen und Haltungen von Gliedern christlicher Gemeinden steht. 4 Zur Kennzeichnung jüdischer Lebensweise benutzt er ungewöhnliche, aber aus dem Textzusammenhang verständliche und treffende Formulierungen. Den Gegensatz zu Ἰουδαϊσμός bringt er aber nicht auf einen vergleichbar einprägsamen sprachlichen Nenner. Einmal ergibt er sich implizit durch den Fortgang des Berichts. Das nächste Mal beruht er auf der traditionellen Antithese jüdisch –
Vgl. dazu zuletzt DONALD J. VERSEPUT, Paul’s Gentile Mission and the Jewish Christian Community. A Study of the Narrative in Galatians 1 and 2, NTS 39, 1993, 36–58; NICHOLAS TAYLOR, Paul, Antioch and Jerusalem. A Study in Relationships and Authority in Earliest Christianity, JSNTS 66, Sheffield 1992, 123–139; PAUL C. BÖTTGER, Paulus und Petrus in Antiochien. Zum Verhältnis von Galater 2.11–21, NTS 37, 1991, 77–100; ANDREAS WECHSLER, Geschichtsbild und Apostelstreit. Eine forschungsgeschichtliche Studie über den antiochenischen Zwischenfall (Gal 2,11–14), BZNW 62, Berlin/New York 1991; ED P. SANDERS, Jewish Association with Gentiles and Galatians 2:11–14, in: The Conversation Continues. Studies in Paul and John (FS J. L. Martyn), hg. v. ROBERT T. FORTNA/BEVERLY R. GAVENTA, Nashville 1990, 170–188; TRAUGOTT HOLTZ, Der Antiochenische Zwischenfall. Galater 2,11–14, NTS 32, 1986, 344–361 (= in: DERS., Geschichte und Theologie des Urchristentums. Gesammelte Aufsätze, hg. v. ECKART REINMUTH/CHRISTIAN WOLFF, WUNT 57, Tübingen 1991, 171–188). 4 Auch im Blick auf das Apostelkonzil (2,1–10) setzt Paulus diese Akzente (vgl. bes. V. 3f.) und stellt hierbei sein eigenes Verhalten und – mit Abstrichen – dass der δοκοῦντες als vorbildlich dar (V. 5f.9f.). 3
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heidnisch. 5 Dort schließlich, wo die Streitfrage, die den Brief veranlasst hat, entschieden werden soll, stellt Paulus der Beschneidungsforderung das Kreuz Christi entgegen, hier nicht mehr argumentierend, sondern konfessorisch und polemisch (5,2–6; 6,12–16). 6 1.2 Ἰουδαϊσμός im Frühjudentum Wie kam Paulus auf den „Judaismus“? Die wenigen Belege für das Wort lassen sich leicht überschauen: In größerer Dichte begegnet es erst bei den Kirchenvätern des 3. und 4. Jh., 7 davor nur bei Ignatius und in einem eng begrenzten Bereich der in der Septuaginta überlieferten Literatur, im 2. und 4. Makkabäerbuch. Hinzu kommen zwei Inschriften aus der jüdischen Diaspora. Alle Belege in den Makkabäerbüchern beziehen sich auf die Auseinandersetzungen in Jerusalem unter Antiochus IV. 2Makk 2,23 kündigt im Vorblick Heldentaten von Kämpfern für den Ἰουδαϊσμός an. In 8,1 wird dann erzählt, wie Judas Makkabäus heimlich Leute um sich sammelt, die am Ἰουδαϊσμός festgehalten haben. In 14,37 ist von einem Jerusalemer Ältesten die Rede, der wegen seines Ἰουδαϊσμός schwere Prüfungen zu ertragen hatte und Leib und Seele für diesen eingesetzt hat. 4Makk 4,26 berichtet, dass Antiochus Juden durch Folter dazu zwingen wollte, unreine Speisen zu essen und so dem Ἰουδαϊσμός abzuschwören. Ἰουδαϊσμός ist in diesen Texten Teil eines Wortfeldes, das die Identitätsmerkmale jüdischer Lebensweise in Abgrenzung zur nichtjüdischen Umwelt zur Sprache bringt: die Tora mit besonderer Betonung von Beschneidung und Speisegeboten, die Bindung an Jerusalem und seinen Tempel, die Zugehörigkeit zum Gottesvolk. Festhalten am Ἰουδαϊσμός bedeutet also Treue zur Tora in kritischen Lagen, Wahrung der jüdischen Identität angesichts ihrer Gefährdung von außen. Eine solche Haltung war besonders in der von hellenistischer Kultur und Religion umgebenen jüdischen Diaspora gefordert. Sie wird durch das 2. und 4. Makkabäerbuch propagiert und unterstützt. Beide sind griechische Originalwerke, bestimmt für den Gebrauch in der Diaspora. Sie sind stark von hellenistischen Einflüssen geprägt und doch gleichzeitig ganz auf die Treue zur Tora ausgerichtet, gewissermaßen selbst Zeugnisse von Ἰουδαϊσμός. 8 Die 5 Vgl. zu 2,14f. ROLF DABELSTEIN, Die Beurteilung der ‚Heiden‘ bei Paulus, BET 14, Frankfurt a.M. u.a. 1981, 62ff. 6 Vgl. NIEBUHR, Heidenapostel (Anm. 1), 66–69. 7 Dies ergab eine vorläufige Durchsicht mit Hilfe des TLG-Programms. 8 Zu 2Makk auf dem Hintergrund hellenistischer Geschichtsschreibung vgl. ROBERT DORAN, Temple Propaganda: the Purpose and Character of 2Maccabees, CBQ.MS 12, Washington 1981, 77–109; DERS., 2Maccabees and „Tragic History“, HUCA 50, 1979, 107– 114. Zu 4Makk vgl. HANS-JOSEF KLAUCK, 4. Makkabäerbuch, JSHRZ III/6, Gütersloh 1989, 659–665, sowie zusammenfassend KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, 216f.
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Aufnahme von bis zu vier Makkabäerschriften in die großen christlichen Bibelhandschriften des 4./5. Jh. 9 ist Indiz für die Verbreitung der Makkabäerüberlieferung und mit ihr des Konzeptes des Ἰουδαϊσμός im Diasporajudentum. Es wird durch die beiden erwähnten Inschriften gestützt. 10 Eine Synagogeninschrift aus Stobi in Mazedonien (3. Jh. n. Chr.) rühmt den Stifter, der „seine ganze Lebensführung nach dem Ἰουδαϊσμός ausgerichtet hat“. Eine Grabinschrift aus Latium preist die Tochter eines „Vaters der Synagoge“, weil sie „schön lebte im Ἰουδαϊσμός“. Das Diasporajudentum ist, wie wir sehen, keineswegs mit dem Ende der Jüdischen Kriege von der Bildfläche verschwunden und durch das rabbinische Judentum abgelöst worden. Archäologische Zeugnisse belegen gerade für die folgenden drei Jahrhunderte zahlreiche wohlorganisierte, in das Leben hellenistisch-römischer Städte integrierte, toratreue Synagogengemeinschaften. 11 Nicht zuletzt die scharfe Polemik altkirchlicher Schriftsteller gegen sie oder gegen Christen, die sich von ihnen angezogen fühlten, beweist ihre Ausstrahlungskraft. 12 1.3 Paulus und sein „Judentum“ Kehren wir nun zur Argumentation des Paulus im Galaterbrief zurück. Wir haben bisher ein Merkmal des autobiographischen Rechenschaftsberichts außer Acht gelassen, das schon an der Textoberfläche deutlich zutage tritt: Paulus gibt seinem Lebensweg, den er in gezielter Auswahl darlegt, eine theologische Deutung. Er will erweisen, dass er auf ihm nicht von Menschen, sondern von Gott durch Offenbarung geleitet wurde (1,10ff.). Nicht „Fleisch und Blut“, sondern Gott hat ihn als Heidenapostel auf den Weg geschickt (1,16f.), aufgrund einer Offenbarung ist er von Antiochia nach Jerusalem gegangen, um die Freiheit und Wahrheit seines Evangeliums abzusichern (2,2). Kephas konnte er in Antiochia deshalb so bestimmt entgegentreten, weil der bereits
Vgl. dazu und zu ihrer Kenntnis bei den Kirchenvätern EMIL SCHÜRER, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ (175 B.C. – A.D. 135). A New English Version rev. and hg. v. GEZA VERMES u.a., Bd. 3/1, Edinburgh 1986, 182f. (1Makk).534f. (2Makk).540f. (3Makk).591f. (4Makk). 10 CIJ 1, 694 (Stobi).537 (Porto in Latium). Dazu grundlegend MARTIN HENGEL, Die Synagogeninschrift von Stobi, ZNW 57, 1966, 145–183 (Text der Stobi-Inschrift: 146); zu neueren Ausgrabungen in Stobi vgl. A. T. KRAABEL, The Diaspora Synagogue: Archaeological and Epigraphic Evidence since Sukenik, ANRW II 19,1, 1979, 477–510. 11 Für Kleinasien hat das jetzt PAUL R. TREBILCO, Jewish Communites in Asia Minor, MSSNTS 69, Cambridge u.a. 1991, eindrucksvoll belegt. 12 Vgl. die Zusammenstellung der Belege bei HEINZ SCHRECKENBERG, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (1.–11.Jh.), EHS 23/172, Frankfurt a.M./Bern 1982, 171–329. 9
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von Gott verurteilt war (2,11). 13 Zugespitzt bringt Paulus sein Selbstverständnis auf den Ausruf: „Ich lebe – nein, nicht mehr ich selbst, sondern Christus ist es, der in mir lebt!“ (2,20). So schreibt Paulus auch seine Wende vom hervorragenden Wandel im Ἰουδαϊσμός zum Apostel für die Heiden ganz der Entscheidung Gottes zu: Es habe Gott so gefallen (εὐδόκησεν), ihm blieb nichts, als sofort und ohne weitere Absprache aufzubrechen (1,15f.). Diese Verquickung von Biographie und theologischer Deutung ist für Paulus in der Sache begründet. So wie die Propheten im Alten Testament verkörpert er im Neuen den inneren Zusammenhang von der Person des Verkündigers mit dem Inhalt seiner Botschaft. 14 Den Anspruch, sein Leben in den Dienst Gottes zu stellen, erhebt nun Paulus nicht erst für sich als Heidenapostel. Auch sein hervorragender Wandel im Ἰουδαϊσμός war seinerzeit, wie das Wort sagt, Ausdruck seiner Treue zu Gott, ausgerichtet darauf, die Identität Israels als Gottesvolk zu wahren, den in der Tora erkennbaren Willen Gottes zu erfüllen. Sich gegen Leute zu wenden, die durch ihr Verhalten und ihre Überzeugungen die Identität des Gottesvolkes gefährden, wäre gebotene Konsequenz solcher Treue zu Gott. Aber das steht im Widerspruch zu den Werturteilen, die Paulus gegenwärtig mit seinen Adressaten teilt. Jetzt weiß er wie sie, dass es gerade die ἐκκλησία τοῦ θεοῦ war (1,13; vgl. 1,2.22f.), die eschatologische Heilsgemeinde, gegen die er sich einst aus Treue zu Gott gewandt hatte. Zwischen seinem jetzigen und seinem damaligen Urteil steht aber nicht bloß eine persönlich vollzogene Lebenswende, sondern ein Handeln Gottes an ihm. Gott selbst, in dessen Dienst er sich „von Mutter Leibe an“ engagiert hatte (1,15), 15 hat seine Lebensphase im Ἰουδαϊσμός, die in seiner Verfolgertätigkeit gegen Christen kulminierte, abgeschlossen und ihm eine neue eröffnet. Nachdem Gott ihm Jesus Christus als seinen Sohn offenbart und ihn mit der Heidenmission beauftragt hatte, konnte er Gott nur treu bleiben, indem er den Wandel im Ἰουδαϊσμός hinter sich ließ. Denn diesen Dienst hätte er nach dessen Maßstäben nicht erfüllen können. Er überschreitet die von Gott zur Wahrung der Identität Israels gesetzten Grenzen hin zu den Heidenvölkern. Während sich so in seiner Lebensweise ein Bruch offenbarte, blieb er doch gerade darin angesichts der von Gott selbst heraufgeführten neuen Situation Gott treu.
Κατεγνωσμένος ist passivum divinum. Vgl. KARL O. SANDNES, Paul – One of the Prophets? A Contribution to the Apostle’s Self-Understanding, WUNT II/43, Tübingen 1991, 48–70 (zu Gal 1,15f.), sowie schon TRAUGOTT HOLTZ, Zum Selbstverständnis des Apostels Paulus, ThLZ 91, 1966, 321–330 (= in: DERS., Ges. Aufs. [s. Anm.3], 129–139). 15 Vielleicht sind hier (anders als in Röm 1,1) durch ἀφορίσας und καλέσας zwei zu unterscheidende und aufeinander folgende Akte göttlichen Handelns an Paulus angedeutet. Vgl. auch SANDNES, Prophets (Anm. 14) 60f. 13 14
2. Ignatius und der Ἰουδαϊσμός
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Paulus gründet also seine eigene Identität in der Identität Gottes in seinem Handeln. 16 In den Dienst des Gottes Israels hatte er seinen Wandel im Ἰουδαϊσμός gestellt. Es ist der Gott Israels, der im Christusgeschehen end-gültig gehandelt hat. Und dieser Gott Israels hat ihn, Paulus, mit einem einzigartigen Dienst beauftragt. Im Lichte seiner Christuserfahrung und aus der Perspektive seines neuen Auftrags erkennt Paulus, dass sein bisheriger Wandel im Ἰουδαϊσμός im Gegensatz zum Willen Gottes stand. So sind für ihn nun die Feinde des Gottesvolkes zur Gemeinde Gottes geworden, ist seine Berufung zum Apostel zugleich Bekehrung des Verfolgers. Worauf es Paulus mit seinem Verweis auf den Ἰουδαϊσμός in Gal 1,13f. ankommt, ist also zweierlei: Zum einen geht es ihm um die Autorisierung seines Dienstes durch den Gott Israels, zum anderen um die Zielrichtung seines Dienstes hin zu den Heidenvölkern. Aus beidem bestimmt sich nach seinem Urteil die Identität der christlichen Gemeinde, die bei den Adressaten seines Briefes angesichts einer konkreten Lebensfrage zur Debatte steht.
2. Ignatius und der Ἰουδαϊσμός
2. Ignatius und der Ἰουδαϊσμός Gut 60 Jahre nach Paulus schreibt Ignatius, Bischof von Antiochia in Syrien, sieben Briefe an Gemeinden in Kleinasien und Rom. 17 Aus ihnen erfahren wir, dass ihr Autor sich als Gefangener auf dem Transport nach Rom befindet, wo ihm das Martyrium bevorsteht (IgnEph 1,2; IgnRöm 5,1). Er schreibt also Abschiedsbriefe, im Vorblick auf sein persönliches Geschick, das er den Adressaten als Konsequenz seines Glaubens nahebringen will, und in Sorge um das Geschick der Gemeinden, die er von innen und außen bedroht sieht. Eines der zentralen Anliegen des Ignatius ist es, sich mit seiner eigenen Autorität für die Durchsetzung der Autorität der Bischöfe in den Adressatengemeinden zu verwenden. In der Einheit der Ortsgemeinde unter Leitung des 16 Vgl. dazu TRAUGOTT HOLTZ, Theo-logie und Christologie bei Paulus, in: Glaube und Eschatologie (FS W. G. Kümmel), hg. v. ERICH GRÄSSER/OTTO MERK, Tübingen 1985, 105–121 (= in: DERS., Ges. Aufs. [s. Anm.3], 189–204). 17 Die Echtheit der sieben Briefe der „mittleren Rezension“ wird hier vorausgesetzt. Auch die beiden neueren Ignatius-Kommentare gehen von ihr aus: HENNING PAULSEN, Die Briefe des Ignatius von Antiochia und der Brief des Polykarp von Smyrna. Zweite, neubearb. Aufl. d. Auslegung v. WALTER BAUER, HNT 18, Tübingen 1985; WILLIAM R. SCHOEDEL, Ignatius of Antioch. A Commentary, Hermeneia, Philadelphia 1985. Zur Diskussion abweichender Positionen aus jüngerer Zeit vgl. CAROLINE P. HAMMOND BAMMEL, Ignatian Problems, JThS 33, 1982, 62–97; WILLIAM R. SCHOEDEL, Are the Letters of Ignatius of Antioch authentic?, RStR 6, 1980, 196–201. Nur noch verweisen kann ich auf zwei umfangreiche Forschungsberichte: WILLIAM R. SCHOEDEL, Polycarp of Smyrna and Ignatius of Antioch, ANRW II 27,1, 1993, 272–358; CHARLES MUNIER, Où en est la question d’Ignace d’Antioch? Bilan d’un siècle de recherches 1870–1988, ANRW II 27,1, 1993, 359–484.
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„Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien
Bischofs und der ihm untergeordneten Presbyter und Diakone sieht er den einzig wirksamen Schutz vor Gefährdungen durch innere und äußere Gegner. 18 Zwar bezeichnet Ignatius sich selbst nur ein einziges Mal als Bischof (IgnRöm 2,2). Die Art und Weise aber, wie er den Adressaten Weisung erteilt, darunter auch seinem Bischofskollegen Polykarp von Smyrna (IgnPol 1,2f.; 3,2; 4,2f.; 7,2; 8,1), lässt seinen über die eigene Gemeinde weit hinausreichenden Autoritätsanspruch klar erkennen. 2.1 Ἰουδαϊσμός und Χριστιανισμός in IgnMagn und IgnPhld In den Briefen nach Magnesia und Philadelphia führt ihn sein Anliegen zur Auseinandersetzung mit dem Ἰουδαϊσμός. So schreibt er: „Lasst euch nicht irreführen durch andere Meinungen und alte, nutzlose Mythen. Denn wenn wir bis heute dem Ἰουδαϊσμός entsprechend leben, bezeugen wir, die Gnade nicht empfangen zu haben.“ (IgnMagn 8,1) Zur Begründung verweist Ignatius zunächst auf die Propheten, die bereits „Christus Jesus entsprechend gelebt“ haben und dafür Verfolgung geerntet haben (8,2; vgl. 9,2), sodann auf diejenigen, die nicht mehr, in alten Verhältnissen wandelnd, den Sabbat halten, sondern dem Herrentag entsprechend leben (9,1). Folglich sollen auch jetzt die Jünger Jesu lernen, dem Χριστιανισμός entsprechend zu leben. „Denn wer mit einem anderen Namen als diesem genannt wird, ist nicht Gottes. … Es ist nicht am Platz, Christus Jesus zu sagen und zu judaisieren. Denn der Χριστιανισμός ist nicht zum Glauben an den Ἰουδαϊσμός gekommen, sondern der Ἰουδαϊσμός an den Χριστιανισμός“ (10,1.3). Ähnlich warnt Ignatius die Gemeinde in Philadelphia: „Wenn euch jemand Ἰουδαϊσμός vorträgt, hört ihn nicht an. Denn es ist besser, von einem Mann, der beschnitten ist, Χριστιανισμός zu hören, als von einem Unbeschnittenen Ἰουδαϊσμός.“ (IgnPhld 6,1) Auch hier verweist Ignatius im unmittelbaren Zusammenhang auf das Christuszeugnis der Propheten (5,2; 9,2). Zudem dient ein Verweis auf die Priester des Alten Bundes der Herausstellung der höheren Würde des Hohepriesters Christus, dem das Allerheiligste anvertraut ist. Er ist die Tür zum Vater, durch die Abraham, Isaak, Jakob, die Propheten, die Apostel und die Kirche in die Einheit Gottes eingehen (9,1). In 8,2 berichtet Ignatius von einer Auseinandersetzung um die Bedeutung der Schrift. Ihm seien gewisse Leute entgegengetreten, die sich auf die Schrift als Maßstab für den Christusglauben berufen haben. 19 Ihnen gegenüber habe er auf Christus als der Grundurkunde des Glaubens bestanden. 18 Vgl. den zusammenfassenden Exkurs bei PAULSEN, Briefe (Anm. 17), 29ff., sowie PETER MEINHOLD, Studien zu Ignatius von Antiochien, Wiesbaden 1979, 2–8.34ff.; GEORG SCHÖLLGEN, Monepiskopat und monarchischer Episkopat. Eine Bemerkung zur Terminologie, ZNW 77, 1986, 146–151; HAMMOND BAMMEL, Problems (Anm.17), 89–93. 19 Dass mit den ἀρχεῖα das Alte Testament gemeint ist, hat WILLIAM R. SCHOEDEL, Ignatius and the Archives, HThR 71, 1978, 97–106, nachgewiesen.
2. Ignatius und der Ἰουδαϊσμός
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Wir können aus diesen wenigen, polemischen Äußerungen nicht die Vorgänge in den Adressatengemeinden und die Anschauungen der von Ignatius bekämpften Gegner rekonstruieren. 20 Wir können nur erschließen, was der Briefautor in solchen Auseinandersetzungen für entscheidend hielt. Dafür spricht die auffällige Ähnlichkeit seiner Argumentation in beiden hier zitierten Briefen. Beide Male bringt er die Agitation, der die Gemeinden ausgesetzt sind, auf den Begriff Ἰουδαϊσμός. Beide Male setzt er ihm als positiven Gegenbegriff den Χριστιανισμός entgegen. Beide Male verweist er im Kontext begründend auf die Propheten, die bereits das Christusgeschehen angekündigt haben. Dies fällt umso mehr auf, als der Bezug auf die Propheten, auf die Schrift, überhaupt auf die biblisch-jüdische Tradition sonst in den Briefen so gut wie keine Rolle spielt. Auf die Tora wird nur einmal nebenbei verwiesen, Israel kommt buchstäblich nicht vor, David ausschließlich als Stammvater Jesu. 21 Wie ist dieser auffällige Befund zu erklären? Sind die Ignatius-Briefe Beleg für ein Christentum, das schon ganz die Verbindung zur biblisch-jüdischen Überlieferung verloren hat, das nur noch Traditionsbrocken polemisch benutzt, aber das zeitgenössische Judentum als lebendige Glaubensgemeinschaft schon völlig aus den Augen verloren hat? Ich werde versuchen, eine genau entgegengesetzte Erklärung zu begründen.
20 Damit soll nicht bestritten werden, dass Ignatius auf Auseinandersetzungen dort Bezug nimmt, was vor allem für Philadelphia wahrscheinlich ist. Vgl. dazu JAKOB SPEIGL, Ignatius in Philadelphia. Ereignisse und Anliegen in den Ignatiusbriefen, VC 41, 1987, 360–376; STEPHEN G. WILSON, Gentile Judaizers, NTS 38, 1992, 605–616; LLOYD GASTON, Judaism and the Uncircumcised in Ignatius and Related Writers, in: STEPHEN G. WILSON (Hg.), AntiJudaism in Early Christianity, Bd. 2: Separation and Polemic, Waterloo 1986, 33–44. Dass es unter den Christen in Magnesia solche gab, die den Sabbat hielten, ist zwar in IgnMagn 9,1 nicht eindeutig gesagt, aber doch naheliegend. Vgl. dazu die vorsichtige Argumentation bei WILLIAM R. SCHOEDEL, Theological Norms and Social Perspectives in Ignatius of Antioch, in: ED P. SANDERS (Hg.), Jewish and Christian Self-Definition. I. The Shaping of Christianity in the Second and Third Centuries, London 1980, 30–56. 21 Die Propheten werden außer an den im Text genannten Stellen nur noch zweimal erwähnt (IgnSm 5,1 neben dem νόμος Μωϋσέως, aber sachlich dem Evangelium und dem Leiden der christlichen Märtyrer untergeordnet, sowie 7,2 ähnlich, aber ohne Bezug auf die Tora). Die Schrift wird lediglich zweimal zitiert (IgnEph 5,3; IgnMagn 12), und zwar aus den Proverbien (3,34; 18,17 LXX). In IgnTrall 8,2 scheint eher ein Herrenwort als Jes 52,5 aufgenommen zu sein (mit PAULSEN, Briefe [Anm. 17] 63). IgnSm 1,2 erwähnt, wohl unter Aufnahme von plnEph 2,16, die Glaubenden unter Juden wie Heiden in dem einen Leib der Kirche. Zu David als Stammvater Jesu s. IgnEph 18,2; 20,2; IgnTrall 9,1; IgnRöm 7,3; IgnSm 1,1.
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„Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien
2.2 Christengemeinde und Synagogenverband in Antiochia Der Schlüssel zum Verständnis der Polemik des Ignatius liegt in Antiochia, in der Situation seiner eigenen Gemeinde und damit primär im Erfahrungshorizont des Briefautors. 22 Aus den – freilich bruchstückhaften – Informationen, die in Apg 11,19–26 verarbeitet sind, können wir erschließen, dass die antiochenische Christengemeinde 23 im Wirkungskreis der Juden von Antiochia entstand. Die in Apg 13,1 aufgezählten Leitungsmitglieder der Gemeinde dürften ebenfalls ihre Wurzeln in sogenannten hellenistischen Synagogen gehabt haben, unter ihnen Barnabas und Saulus, beide Diasporajuden, die vorher in Synagogen Jerusalems aktiv waren. 24 Der Konflikt, von dem Paulus in Gal 2,11– 14 berichtet, setzt voraus, dass in der antiochenischen Gemeinde Juden und Nichtjuden miteinander Gemeinschaftsmahl gehalten haben. Vermutlich setzte sich in ihm die Position durch, die stärker auf die jüdischen Abgrenzungsbestimmungen Rücksicht nahm, aus Furcht vor „denen aus der Beschneidung“, wie Paulus polemisch bemerkt. Auch die Vorgänge, die in der Darstellung von Apg 15 ihren Niederschlag gefunden haben, belegen die Relevanz jüdischer Lebensweise für die Gestaltung des christlichen Gemeindelebens in Antiochia. Nach Apg 11,26 wurden in Antiochia Jesusanhänger erstmals als eigenständige Gruppierung wahrgenommen und mit dem Namen Χριστιανοί belegt, vielleicht, um sie innerhalb des weiteren Synagogenverbandes, zu dem sie gerechnet wurden, als etwas Besonderes zu kennzeichnen. 25 Dass damit ihre Kontakte zu nichtchristlichen Juden abbrachen, kann man daraus nicht erschließen. Aus der Perspektive der antiochenischen Judenschaft dürfte diese Sondergruppe zunächst freilich allenfalls als Randerscheinung wahrgenommen worden sein. Antiochia war nicht nur Weltstadt, die drittgrößte in der Antike nach Rom und Alexandria, 26 sondern hatte auch einen jüdischen Bevölkerungsanteil 22 Vgl. PAUL J. DONAHUE, Jewish Christianity in the Letters of Ignatius of Antioch, VC 32, 1978, 81–93, der freilich die Auseinandersetzung mit den „Judaisten“ zu stark in den Bahnen des antiochenischen Zwischenfalls nach Gal 2,11–14 interpretiert. 23 Vgl. RAYMOND E. BROWN/JOHN P. MEIER, Antioch and Rome: New Testament Cradles of Catholic Christianity, New York/London 1983, 28–44; WAYNE A. MEEKS/ROBERT L. WILKEN, Jews and Christians in Antioch in the First Four Centuries of the Common Era, SBLSBS 13, Missoula 1978, 1–52 (bes. 13–18). 24 Zum ‚vorchristlichen‘ Paulus vgl. MARTIN HENGEL, Der vorchristliche Paulus, in: Paulus und das antike Judentum, hg. v. MARTIN HENGEL/ULRICH HECKEL, WUNT 58, Tübingen 1991, 177–293; NIEBUHR, Heidenapostel (Anm. 1), 43–48.57–66. 25 Wer der erste Namengeber war, ob die römischen Behörden (so BROWN/MEIER, Antioch [Anm. 23], 35) oder die Christen selbst (so ELIAS BICKERMAN, The Name of Christians, HThR 42, 1949, 109–124 [= in: DERS., Studies in Jewish and Christian History. III, AGAJU 9/3, Leiden 1986, 139–151]), kann hier offenbleiben. 26 Vgl. FREDERICK W. NORRIS, Antioch on-the-Orontes as a Religious Center. I. Paganism before Constantine, ANRW II 18,4, 1990, 2322–2379 (zur Bevölkerungszahl 2325 mit Anm. 5).
2. Ignatius und der Ἰουδαϊσμός
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von ca. 15% (im 4. Jh. waren das etwa 22.000 Personen, im 1. Jh. vielleicht die Hälfte). 27 Aus Josephus ist zu entnehmen, dass Juden schon seit der Gründung der Stadt um 300 v. Chr. dort präsent waren und früh mit Privilegien ausgestattet wurden, die auch in römischer Zeit Bestand hatten (Ant 12,119–124; Bell 7,100–111; Ap 2,39). Die Juden Antiochias konnten ein πολίτευμα bilden, eine im Rahmen der Polis relativ eigenständige Korporation mit eigener Verwaltung und Rechtsprechung, geschütztem Kultus und Sonderrechten wie z.B. der Befreiung vom Militärdienst. Das jüdische πολίτευμα in Antiochia war nach Josephus nicht nur anerkannter Bestandteil der hellenistischen Polis, sondern wirkte auch auf Nichtjuden anziehend (Bell 7,44f.). Zwar hat es offenbar im Zusammenhang mit dem Jüdischen Krieg auch in Antiochia antijüdische Unruhen gegeben. Aber der Status der Judenschaft der Stadt änderte sich dadurch nicht wesentlich (Ant 12,120–124; Bell 7,46–62.100–111). Zu ihrer Blüte mag auch eine Attraktion beigetragen haben, die in unserem Zusammenhang besonders interessant ist, die Pflege des Andenkens an die jüdischen Märtyrer der Makkabäerzeit. Für das 4. Jh. ist die Verehrung ihrer Grabstätte bei Juden und Christen in Antiochia belegt. 28 Voneinander unabhängige jüdische und christliche Quellen könnten darauf hinweisen, dass bereits kurz nach dem Jüdischen Krieg eine Gedenksynagoge für sie errichtet wurde. Das 4. Makkabäerbuch scheint gerade in Antiochia besonders intensiv gelesen worden zu sein. 29 Es ist im 1. Jh., evtl. noch vor dem Jüdischen Krieg entstanden, vielleicht im Zusammenhang mit der in Antiochia gepflegten Makkabäer-erinnerung und -verehrung. 30 Zur Geschichte und Bedeutung der Judenschaft Antiochias s. MEEKS/WILKEN, Antioch (Anm. 23), 2–13. 28 Vgl. ERNST BAMMEL, Zum jüdischen Märtyrerkult, ThLZ 78, 1953, 119–126 (= in: DERS., Judaica. Kleine Schriften I, WUNT 37, Tübingen 1986, 79–85); MARGARET SCHATKIN, The Maccabean Martyrs, VC 28, 1974, 97–113. 29 Vgl. BAMMEL, Märtyrerkult (Anm. 28), 121 mit Anm. 17; HAMMOND BAMMEL, Problems (Anm. 17), 73; MAURICE GILBERT, Wisdom Literature, in: MICHAEL E. STONE (Hg.), Jewish Writings of the Second Temple Period. Apocrypha, Pseudepigrapha, Qumran Sectarian Writings, Philo, Josephus, CRINT 2/2, Assen 1984, 283–324. Zum Einfluss des 4Makk auf Ignatius s. auch MEINHOLD, Studien (Anm. 18), 4f.7. 30 Zur Datierung von 4Makk vgl. ELIAS BICKERMAN, The Date of Fourth Maccabees, in: DERS., Studies (Anm. 25) I, Leiden 1976, 275–281; BAMMEL, Märtyrerkult (Anm. 28), 122 (dazu Nachtrag in: DERS., Judaica [Anm. 28], 85); KLAUCK, 4. Makkabäerbuch (Anm. 8), 668f.; SCHÜRER, History 3/1 (Anm. 9), 591. Anders jetzt JAN W. VAN HENTEN, Datierung und Herkunft des Vierten Makkabäerbuches, in: Tradition und Re-Interpretation in Jewish and Early Christian Literature (FS J. C. Lebram), hg. v. JAN W. VAN HENTEN u.a., SPB 36, Leiden 1986, 136–149 (um 100 n. Chr. in Zilizien). – Inzwischen beurteile ich die Rückschlüsse aus dem 4. Makkabäerbuch auf eine vorchristlich-jüdische Makkabäerverehrung in Antiochia deutlich zurückhaltender (vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Tora – Weisheit – Philosophie im 4. Makkabäerbuch, in: DANIEL SCHUMANN u.a. [Hg.], Konferenzband zum Antiochia-Symposium Tübingen 2021, im Druck). 27
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„Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien
Zweifellos konnte Ignatius, Bischof der antiochenischen Christen, die Bedeutung der Judenschaft am Ort aus eigener Anschauung einschätzen. Sicher war sie seiner eigenen Gemeinde gegenüber weit in der Überzahl. 31 Auch die Pflege der Makkabäertradition dürfte ihm und seinen Gemeindegliedern kaum entgangen sein. Jedenfalls zeigen seine Briefe in Stil und hellenistisch beeinflusster Vorstellungswelt gerade mit dem 4. Makkabäerbuch deutliche Verwandtschaft. 32 Auch die stark ausgestaltete Martyriumserwartung kann auf diesem Hintergrund gesehen, wenn auch nicht allein aus ihm abgeleitet werden. 33 Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass Ignatius durch sein Wirken in Antiochia das Konzept des Ἰουδαϊσμός in Sprache und Anschauung bekannt war. 2.3 Ignatius, Paulus und das „Judentum“ Bekannt war Ignatius zweifellos auch Paulus. 34 Er kennt ihn nicht nur als Briefschreiber, sondern er stellt ihn, zusammen mit Petrus, auch als unumstrittene apostolische Autorität und Vorbild für sein Martyrium dar (IgnRöm 4,3; IgnEph 12,2). Dass er auch den Text von Paulus-Briefen kennt, ist zumindest für den 1. Korintherbrief nachgewiesen. 35 Darüber hinaus finden sich zahlreiche
Leider fehlen direkte Zeugnisse für die Christen Antiochias am Anfang des 2. Jh. völlig. In den Ignatius-Briefen selbst sind Bedrängnisse der Gemeinde angedeutet. In den vier von Smyrna aus geschriebenen Briefen fordert Ignatius zur Fürbitte für die Christen in Antiochia auf (IgnMagn 14; IgnTrall 13,1; IgnRöm 9,1; IgnEph 21,2), in den drei von Troas aus geschriebenen vermeldet er eine Beruhigung der Lage (IgnPhld 10,1; IgnSm 11; IgnPol 7). Die konkreten Hintergründe bleiben aber im Dunkeln. 32 Vgl. HAMMOND BAMMEL, Problems (Anm. 17), 73. 33 Vgl. WILLIAM H. C. FREND, Martyrdom and Persecution in the Early Church. A Study of a Conflict from the Maccabees to Donatus, Oxford 1965, 197–201. Dass die Martyriumsanschauung des Ignatius gegenüber jüdischen Martyriumsvorstellungen eigenständig ausgestaltet und vor allem durch die imitatio Christi geprägt ist (vgl. dazu YOSHIAKI SATO, Martyrdom and Apostasy, in: HAROLD W. ATTRIDGE/GOHEI HATA (Hg.), Eusebius, Christianity, and Judaism, SPB 42, Leiden 1992, 619–634; DOROTHEA WENDEBOURG, Das Martyrium in der Alten Kirche als ethisches Problem, ZKG 98, 1987, 295–320; MEINHOLD, Studien [Anm. 18], 10–17), braucht dem nicht zu widersprechen. Zur jüdischen Martyrologie vgl. jetzt JAN W. VAN HENTEN (Hg.), Die Entstehung der jüdischen Martyrologie, SPB 38, Leiden 1989. 34 Vgl. HEINRICH RATHKE, Ignatius von Antiochien und die Paulusbriefe, TU 99, Berlin 1967; HENNING PAULSEN, Studien zur Theologie des Ignatius von Antiochien, FKDG 29, Göttingen 1978, 32–36.44ff.; ANDREAS LINDEMANN, Paulus im ältesten Christentum. Das Bild des Apostels und die Rezeption der paulinischen Theologie in der frühchristlichen Literatur bis Marcion, BHTh 58, Tübingen 1979, 82–87.199–221; DERS., Paul in the Writings of the Apostolic Fathers, in: WILLIAM S. BABCOCK (Hg.), Paul and the Legacies of Paul, Dallas 1990, 25–45. 35 Vgl. RATHKE, Ignatius (Anm. 34), 23–41; PAULSEN, Studien (Anm. 34), 32ff.; LINDEMANN, Paulus (Anm. 34), 202f.208ff. 31
2. Ignatius und der Ἰουδαϊσμός
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sprachliche Anklänge, die bei Ignatius freilich in ganz anderen sachlichen Zusammenhängen stehen als bei Paulus. 36 Der Befund ist wohl am besten dadurch zu erklären, dass Ignatius mit den Paulus-Briefen vertraut ist, sie aber in seinen eigenen Briefen nicht als autoritative Schrift heranzieht. Ebenso wenig erhebt er den Anspruch, in seinen Briefen paulinische Theologie zu vertreten. Er beruft sich vielmehr auf Paulus als apostolische Autorität und bedient sich paulinischer Sprache, sofern sie ihm hilft, seine eigenen Anliegen zu vermitteln. Gleichzeitig ist er aber selbst sprachlich ausgesprochen kreativ. Eigenständig kreative Verwendung paulinischer Sprache kann m.E. auch die zitierten Formulierungen erklären, in denen Ignatius das seltene Wort Ἰουδαϊσμός aufgreift. Möglicherweise spielt er sogar mit dem „Mann, der, Beschneidung habend, Χριστιανισμός“ verkündigt (IgnPhld 6,1), auf Paulus selbst an. Jedenfalls ist die Formulierung im Singular auffällig und widerrät einer Deutung auf die ersten Judenchristen oder die judenchristlichen Apostel als Gruppe. 37 Mit der Gegenüberstellung von Beschneidung und Unbeschnittenheit nimmt Ignatius offenbar eine typisch paulinische Antithese auf, wenn auch nicht wörtlich. 38 Der Gedanke, den er im Kontext zum Ausdruck bringen will, lässt sich freilich nicht aus dem paulinischen Aussagezusammenhang herleiten. In IgnMagn 8–10 weist nicht nur das Wort Ἰουδαϊσμός, sondern eine ganze Reihe weiterer sprachlicher und sachlicher Anklänge auf den Galaterbrief. 39 Auch hier mag die Personifikation von Χριστιανισμός und Ἰουδαϊσμός, die durch das Verb ἐπίστευσεν hervorgerufen wird, durch den Selbstbericht des Paulus in Gal 1 angeregt worden sein. Der Erfahrungshorizont des Ignatius mit Blick auf die Judenheit von Antiochia und seine Vertrautheit mit der Gestalt und den Briefen des Paulus bilden so die Voraussetzung für seine Abgrenzung von Ἰουδαϊσμός und Χριστιανισμός. Das Konzept des Ἰουδαϊσμός wird ihm aus der Makkabäertradition bekannt gewesen sein, sei es aus eigener Anschauung in Antiochia, sei es literarisch. Im Galaterbrief fand er nicht nur das Stichwort wieder, sondern auch RATHKE, Ignatius (Anm. 34), 40f.53–66; zurückhaltender urteilen Paulsen, Studien (Anm. 34), 44–55; LINDEMANN, Paulus (Anm. 34), 199–221. 37 So SCHOEDEL, Commentary (Anm. 17), 202f. mit Verweis auf IgnMagn 9,1. 38 Vor allem fehlt bei Ignatius das Abstraktum ἀκροβυστία. Vgl. bei Paulus Gal 2,7; 5,6; 6,15; 1Kor 7,19; Röm 2,25ff.; 3,30; 4,9–12, sowie Kol 2,13; Eph 2,11. Weitere paulinische Stichworte im Kontext von IgnPhld 6,1: εὐαγγέλιον (5,1f.; 8,2; 9,2), σάρξ – πνεῦμα (7,1), δικαιωθῆναι (8,2). Dass Ignatius den Galaterbrief gekannt hat, setzt offenbar Meinhold, Studien (Anm. 18), 27, Anm. 61, mit Blick auf IgnPhld 1,1 und Gal 1,1 voraus. 39 Zu κατα Ἰουδαϊσμὸν ζῶμεν (8,1) und Ἰουδαΐζειν (10,3) vgl. Gal 2,14, zu χάριν μὴ εἰληφέναι (8,1) vgl. Gal 5,4, zu διὰ τοῦτο (sc. ihrer Christus Jesus entsprechenden Lebensweise wegen) και ἐδιώχθησαν (8,2) vgl. Gal 5,11, zu ζύμη (10,2) vgl. Gal 5,9 (aber auch 1Kor 5,6ff.). Paulinische, aber nicht auf den Galaterbrief einzuschränkende Sprache prägt auch 10,3 (πιστεύειν, πᾶσα γλῶσσα). 36
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„Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien
den Selbstbericht dessen, der als ein hervorragender Vertreter des Ἰουδαϊσμός zum Christusverkündiger geworden ist. Den beiden Gemeinden gegenüber, deren Einheit er durch Leute gefährdet sieht, die sich auf jüdische Inhalte und Lebensweisen berufen, macht er seine Kenntnis fruchtbar. Unter Verwendung des Christennamens, den er auch sonst in seinen Briefen gern heranzieht, 40 bildet er hier eine rhetorisch einprägsame Antithese: Demjenigen, der als Unbeschnittener Ἰουδαϊσμός vorträgt, stellt er den entgegen, der als Beschnittener Χριστιανισμός 41 verkündigt hat. Er ist das exemplarische Vorbild dafür, dass nicht Christen jüdische Lebensweise übernehmen sollen, wohl aber Juden zum Glauben an Jesus Christus gerufen sind. Für die Adressaten ist es dabei nicht entscheidend zu erkennen, dass Ignatius auf Paulus selbst anspielt. Die rhetorische Wirksamkeit der Formulierungen ist davon nicht abhängig, der gemeinte Sachverhalt ist eindeutig. Fragt man aber, wie Ignatius zu dieser prägnanten Ausdrucksweise gekommen ist, so ist m.E. der Rückschluss auf Gal 1,13f. zwingend. 42 Freilich erkennen wir beim Vergleich der Aussagen des Ignatius mit denen des Paulus auch signifikante Unterschiede: Wo Paulus zwei aufeinanderfolgende Epochen seiner Biographie darstellt, stellt Ignatius zwei Lebensweisen antithetisch gegenüber. Wo Paulus ein treffendes Stichwort zur Charakterisierung seiner früheren Lebensweise aufgreift, bildet Ignatius ein begrifflich prägnantes Gegensatzpaar. Wo Paulus seine Wende vom Ἰουδαϊσμός zum Dienst als Heidenapostel in der Identität des einen Gottes Israels verankert, gründet bei Ignatius die Identität der christlichen Gemeinde auf ihrer Einheit unter dem Ortsbischof. Allerdings führt es kaum weiter, Ignatius hier vom Standpunkt moderner Paulusinterpretation aus theologisch abzuurteilen. Berücksichtigen wir den situativen und argumentativen Kontext seiner Aussagen, dann erkennen wir in ihnen aktuell veranlasste und theologisch reflektierte Urteile. Ignatius sah in der Spaltung der Gemeinde, im Zerbrechen ihrer in der Eucharistiefeier sichtbaren Einheit, letztlich die Einheit Gottes gefährdet. „Wo Spaltung ist und Zorn, wohnt Gott nicht. Allen aber, die umkehren, vergibt der Hier besonders zeigt sich die sprachliche Kreativität des Ignatius (vgl. MEINHOLD, Studien [Anm. 18] 4f.). Χριστιανός hat er siebenmal (IgnEph 11,2; IgnMagn 4; IgnRöm 3,2f.; IgnPol 7,3), dazu Χριστιανισμός fünfmal (IgnMagn 10,1.3; IgnRöm 3,3; IgnPhld 6,1) sowie Χριστιανικός (IgnTrall 6,1), Χριστομαθία (IgnPhld 8,2), Χριστόφορος (IgnEph 9,2) und Χριστόνομος (IgnRöm inscr.). 41 Das Wort wird Ignatius selbst in Analogie zu Ἰουδαϊσμός gebildet haben. Es begegnet außer in MartPol 10,1 einmal bei Clemens von Alexandrien und sonst, ähnlich wie Ἰουδαϊσμός, erst häufiger bei den Kirchenvätern des 3. und 4. Jh. 42 Der Galaterbrief erscheint in der Belegsammlung The New Testament in the Apostolic Fathers, Oxford 1905 (zu Ignatius 63–83), 70f., nur unter Kategorie C des Grades der Sicherheit einer Bezugnahme bei Ignatius. Gal 1,13f. wird dabei nicht in Betracht gezogen. Vielleicht deshalb sind die hier dargestellten sprachlichen und sachlichen Bezüge in der Ignatius-Literatur, soweit diese mir bekannt geworden ist, nicht gewürdigt worden. 40
2. Ignatius und der Ἰουδαϊσμός
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Herr, wenn sie umkehren zur Einheit Gottes und zum Rat des Bischofs.“ (IgnPhld 8,1) 43 Die Grundverkündigung der Propheten, „dass Gott einer ist“ (IgnMagn 8,2), 44 bleibt für Ignatius wie für Paulus Basis der Christusverkündigung, gerade weil beide im Offenbarwerden Jesu Christi diesen Gott handeln sehen. Von daher erkennt Ignatius im Wirken der Propheten bereits den Χριστιανισμός, die der Einheit Gottes entsprechende Lebensweise im Christusglauben. Die antithetische Gegenüberstellung von Ἰουδαϊσμός und Χριστιανισμός dient ihm so letztlich zur Wahrung der Einheit des Gottes Israels. 45 Hinter ihr verbirgt sich nicht Entfremdung von biblisch-jüdischer Überlieferung, sondern gerade ihre Beanspruchung zur Bestimmung der eigenen Identität. Dieser Identitätsanspruch hat sich als Anspruch einer Minderheit gegenüber dem gleichzeitigen Anspruch der Mehrheit der nichtchristlichen Judenschaft auf die gleiche Überlieferung zu behaupten. So führt gerade die Verbundenheit in gemeinsamer Tradition zu Konflikt, Polemik und Abgrenzung. In solcher Lage fand Ignatius in Paulus ein Identifikationsmodell. Er sah in ihm den Vorkämpfer für die Identität der christlichen Gemeinde, sofern deren Einheit durch die Forderung nach Ausrichtung der Christen an jüdischer Lebensweise gefährdet schien. Fassen wir zusammen: „Judentum“ bei Paulus ebenso wie „Judentum“ und „Christentum“ bei Ignatius bezeichnen nicht Religionsgemeinschaften oder Glaubenssysteme, sondern Lebensweisen. Beide Stichworte haben in ihrem jeweiligen Kontext rhetorische Funktion. Sie dienen der prägnanten Kennzeichnung von Identitätsmerkmalen und implizieren damit die Abgrenzung von solchen Lebensweisen, die diese Identität gefährden könnten. Mit dem Stichwort Ἰουδαϊσμός ist im Frühjudentum das Bemühen um die Wahrung jüdischer Identität in hellenistisch-heidnischer Umwelt bezeichnet. Ausdruck dafür ist eine Lebensweise in Treue zu den spezifischen, das Gottesvolk in Abgrenzung von den Nichtjuden auszeichnenden Geboten der Tora. Auch in IgnPhld 4 mündet die Mahnung zur Einheit der Gemeinde in der Eucharistiefeier (fünfmal εἷς!) in der Ausrichtung allen Tuns an der „Weise Gottes“ (κατὰ θεὸν πρᾶσσετε). Nach 9,1 ist Christus „die Tür zum Vater, durch die eingehen Abraham, Isaak, Jakob, die Propheten, die Apostel und die Kirche - alles dies in die Einheit Gottes“. 44 Vgl. auch IgnMagn 7: Die Einheit des Herrn mit dem Vater ist Vorbild für die Einheit der Gemeinde unter dem Bischof und den Presbytern. Christus ging von dem einen Vater aus und kehrte zu ihm, dem Einen, zurück (insgesamt neunmal εἷς, das letzte davon absolut als Name Gottes). Die geradezu trinitarisch klingende Aussage über die Unterordnung der Apostel unter den Christus, den Vater und den Geist (IgnMagn 13,2) ist ebenfalls auf die Einheit (ἕνωσις) ausgerichtet. 45 Auch MEINHOLD, Studien (Anm. 18), 37–44, stellt die Einheitlichkeit des Gottesgedankens und den daraus resultierenden Anspruch der Christen auf die biblische Überlieferung heraus, freilich im Zusammenhang einer geschichtstheologischen Interpretation des Gegensatzes von Ἰουδαϊσμός und Χριστιανισμός im Sinne der „Überwindung des Judentums durch das Christentum“ (a.a.O., 39), die im Blick auf Ignatius weder philologisch gedeckt, noch aus seinen Bezugnahmen auf die biblische Tradition abzuleiten ist. 43
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„Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien
Paulus bezeichnet mit diesem Stichwort die Lebensepoche, die durch seine Berufung zum Christusapostel für die Heiden abgeschlossen wurde. Hier wie auch bei der rhetorisch gezielten Verwendung desselben Wortstammes im Zusammenhang mit dem antiochenischen Zwischenfall bestimmt der Gegensatz Juden – Heiden, nicht Juden – Christen, das Verständnis. Im Zusammenhang der Aussageabsicht des Galaterbriefs wird aber deutlich, dass die paulinische Position, zu der er die Adressaten führen will, in Konflikt mit den Grundzügen des Ἰουδαϊσμός führt. Seine neue, dazu sachlich, aber noch nicht sprachlich im Gegensatz stehende Lebensweise verwurzelt er im Gehorsam und in der Treue gegenüber dem Gott Israels, der im Christusgeschehen offenbarend, d.h., seinen Heilswillen end-gültig definierend gehandelt hat. Für ihn, den Verfolger der Gemeinde Gottes, bedeutete die Abkehr vom Ἰουδαϊσμός Umkehr zum Gott Israels. Ignatius hat das Stichwort Ἰουδαϊσμός aufgegriffen und ihm, unter Bezugnahme auf den Christennamen, das Stichwort Χριστιανισμός entgegengesetzt. Dabei hat er sich implizit auf Paulus und dessen Darstellung seines Lebensweges in Gal 1f. gestützt. Mit der Warnung vor dem Ἰουδαϊσμός und der Mahnung zum Χριστιανισμός wollte er die Einheit und Identität der christlichen Gemeinden stärken angesichts einer im sozialen und kulturellen Zusammenhang der hellenistischen Diaspora überlegenen Synagogengemeinschaft. Auch er verwurzelt die Identität der christlichen Gemeinde im Glauben an den einen Gott Israels, den die Propheten der Bibel bezeugt haben. Die exklusive Beanspruchung dieses Zeugnisses für die Christusbotschaft dient bei ihm aber primär der Wahrung der Einheit der Gemeinden unter Führung des Ortsbischofs in der gemeinsamen Feier der Eucharistie. Christentum und Judentum als Begriffe für verschiedene Religionsgemeinschaften standen weder Paulus noch Ignatius zur Verfügung. Dieser Sprachgebrauch ist nicht Voraussetzung, sondern Folge einer Entwicklung, in deren Verlauf Christen und Juden in Kontakt und Konflikt, gegenseitiger Befruchtung und Abgrenzung voneinander ihre Identität neu zu bestimmen hatten. Der hier im Blick auf Paulus und Ignatius dargestellte Sachverhalt sollte auch in der Sprache ihrer Interpreten Berücksichtigung finden.
Identität und Interaktion Zur Situation paulinischer Gemeinden im Ausstrahlungsfeld des Diasporajudentums Traugott Holtz, dem Hallenser Neutestamentler, in Verbundenheit
Bei Euseb von Cäsarea erscheint die religiöse Welt der ersten drei Jahrhunderte als Kriegsschauplatz, auf dem nach opferreichem Kampf schließlich die Kirche gegenüber dem Heidentum als Sieger dasteht (HistEccl 1,1f.). Dem Judentum kommt in diesem Geschehen keine aktive Rolle zu, da es unmittelbar seit seiner Verschwörung gegen Christus von den Folgen dieses Tuns umfangen wurde (1,2). Gegenüber dieser theologischen Deutung der Kirchengeschichte 1 ist aus religionsgeschichtlicher Sicht herausgestellt worden, dass die religiöse Lage im Römischen Reich des 1. und 2. Jh. nicht einem Kriegsschauplatz, sondern eher einem Marktplatz vergleichbar sei, auf dem das Judentum gerade erst beginne, seinen Stand zu errichten, mit wachsendem Erfolg in den folgenden Jahrhunderten. 2 Schließlich wird in religionssoziologischer Perspektive auf die Funktion und die Regeln religiöser Gruppenbildung beim Eintritt jüdischer und christlicher Gemeinschaften in die Welt des paganen Pluralismus der Spätantike verwiesen. 3 Im Folgenden möchte ich versuchen, die von Paulus gegründeten sogenannten heidenchristlichen Gemeinden in den skizzierten Kontext Vgl. dazu HANS GEORG THÜMMEL, Die Kirche des Ostens im 3. und 4. Jahrhundert, KGE 1,4, Berlin 1988, 50ff. 2 JUDITH LIEU/JOHN NORTH/TESSA RAJAK (Hg.), The Jews among Pagans and Christians, London/New York 1992. Vgl. dort bes. die Introduction von JUDITH LIEU, a.a.O., 1– 8, sowie die Beiträge von JOHN NORTH, The Development of Religious Pluralism, a.a.O., 174–193, und MARTIN GOODMAN, Jewish Proselytizing in the First Century, a.a.O., 53–78. 3 GERD THEISSEN, Judentum und Christentum bei Paulus. Sozialgeschichtliche Überlegungen zu einem beginnenden Schisma, in: MARTIN HENGEL/ULRICH HECKEL (Hg.), Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991, 331–356; WAYNE A. MEEKS, The First Urban Christians. The Social World of the Apostle Paul, New Haven/London 1983, bes. 84–96; NORTH, Development (Anm. 2), 178–186. Vgl. auch den Sammelband von JACOB NEUSNER/ERNEST S. FRERICHS (Hg.), „To See Ourselves As Others See Us“. Christians, Jews, „Others“ in Late Antiquity, Chico 1985, dort bes. die Beiträge von WAYNE A. MEEKS, Breaking Away: Three New Testament Pictures of Christianity’s Separation from the Jewish Communities, a.a.O., 93–115, und TESSA RAJAK, Jews and Christians as Groups in a Pagan World, a.a.O., 247–262. 1
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Identität und Interaktion
einzuordnen, und dabei alle drei genannten Perspektiven, die theologische, die religionsgeschichtliche und die soziologische, im Blick behalten. Nach der Apostelgeschichte fand Paulus seine ersten Anhänger in den Synagogen der Diaspora. Der Autor will so den Weg des Christusevangeliums von den Juden zu den Heiden darstellen und theologisch deuten. 4 Die Unterschiede der einzelnen Berichte von Gemeindegründungen machen es wahrscheinlich, dass er dabei auf lokale Überlieferungen zurückgreifen kann. 5 Dass auch in historischer Perspektive Synagogen Anknüpfungspunkte der paulinischen Mission waren, ist schon im Blick auf den Apostel selbst allein naheliegend. Seiner Herkunft und Ausbildung nach war er zum Lehrvortrag in der Synagoge bestens befähigt. 6 Als Handwerker hatte er weder Mittel noch Ansehen, um öffentlich als Redner aufzutreten. 7 Zu den Adressaten seiner Verkündigung ge-
4 Apg 13,44–52; 18,5ff.; 20,19ff.; 28,25–28. Zur Funktion des lukanischen Werks bei der Identitätssuche der Christen am Ende des 1. Jh. vgl. GREGORY E. STERLING, Historiography and Selfdefinition. Josephos, Luke-Acts and Apologetic Historiography, NT.S 64, Leiden u.a. 1992, 378–386. Zur Rolle des paulinischen Missionswerkes im lukanischen Entwurf s. weiterhin JOSEPH B. TYSON, Images of Judaism in Luke-Acts, Columbia 1992, 130–157; ROBERT L. BRAWLEY, Luke-Acts and the Jews. Conflict, Apology, and Conciliation, SBLMS 33, Atlanta 1987, 68–83.133–154; JACK T. SANDERS, The Jews in Luke-Acts, London 1987, 69–83.259–281. Kritisch zu Sanders JON A. WEATHERLY, The Jews in Luke-Acts, TynB 40, 1989, 107–117. Zum geschichtlichen Hintergrund der lukanischen Konzeption s. jetzt WOLFGANG STEGEMANN, Zwischen Synagoge und Obrigkeit. Zur historischen Situation der lukanischen Situation der lukanischen Christen, FRLANT 152, Göttingen 1991, bes. 91–186. 5 Traditionsgrundlage vermuten etwa für Philippi GERD LÜDEMANN, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte. Ein Kommentar, Göttingen 1987, 188– 191, für Zypern JÜRGEN ROLOFF, Die Apostelgeschichte, NTD 5, Göttingen 1981, 197f., für Korinth WOLFGANG SCHRAGE, Der erste Brief an die Korinther, Teilbd. 1: 1Kor 1,1–6,11, EKK 7,1, Zürich u.a. 1991, 29f., für Ephesus RUDOLF PESCH, Die Apostelgeschichte, Teilbd. 2: Apg 13–28, EKK 5,2, Zürich u.a. 1986, 167f. Zu Ephesus vgl. jetzt die Auswertung der (hinsichtlich jüdischen Materials leider wenig ergiebigen) Inschriften bei PETER LAMPE, Acta 10 im Spiegel der ephesinischen Inschriften, BZ 36, 1992, 105–168, und GREG H. R. HORSLEY, The Inscriptions of Ephesos and the New Testament, NT 34, 1992, 105–168. 6 Vgl. MARTIN HENGEL, Der vorchristliche Paulus, in: DERS./HECKEL, Paulus und das antike Judentum, (Anm. 3), 177–291: 180–188.256–265. 7 STANLEY K. STOWERS, Social Status, Public Speaking and Private Teaching. The Circumstances of Paul’s Preaching Activity, NT 28, 1984, 59–82. Dass ein wichtiger Ort der ‚Gemeindearbeit‘ des Paulus seine Werkstatt (bzw. die seiner Gastgeber) war (vgl. dazu STOWERS, a.a.O., 65–70; RONALD F. HOCK, The Social Context of Paul’s Ministry: Tentmaking and Apostleship, Philadelphia 1980, 37–42), unterscheidet ihn nicht von Gliedern der Synagogen, sondern verbindet ihn eher mit ihnen, wie das Beispiel Aquila zeigt. Vgl. zu ihm PETER LAMPE, Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten. Untersuchungen zur Sozialgeschichte, WUNT II/18, Tübingen 21989, 156–164. Zu Berufsverbänden als Teil der Synagogengemeinschaft vgl. SHIMON APPLEBAUM, The Organization of the Jewish Communities in the Diaspora, in: SHMUEL SAFRAI/MENAHEM STERN (Hg.), The
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hörten sowohl Nichtjuden als auch Juden (1Kor 9,20f.). Sie brachte ihm Konflikte in Synagogen und Disziplinarstrafen ein (2Kor 11,24f.). Das Geschehen, das er zu verkünden hatte, betraf Juden und Heiden (1Kor 1,23f.; Röm 1,16), auch wenn er es in seinen Briefen vornehmlich an Heiden adressiert hat. Nicht so sehr der Christusverkündiger Paulus soll uns aber im Folgenden beschäftigen als vielmehr seine Hörer. Und auch an ihnen interessieren uns nicht so sehr die alsbald erkennbaren eigenständigen Gruppenmerkmale und Lebensvollzüge als vielmehr diejenigen, die sie mit den Synagogen der Diaspora teilten. Wir werden zunächst die Situation synagogalen Lebens im 1. Jh. n. Chr. in Kleinasien und Griechenland beleuchten und dann versuchen, in den Paulusbriefen erkennbare Lebensfragen seiner Gemeinden 8 auf diesem Hintergrund zu interpretieren. Dabei fragen wir nach Voraussetzungen und ersten Schritten in einem Prozess der Identifikation und Selbstdefinition ‚christlicher‘ Gruppen im Kontext der Diasporasynagoge und ihrer nichtjüdischen Umwelt. 9
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1. Juden in Kleinasien und Griechenland im 1. Jh. n. Chr. Die Vielfalt jüdischen Lebens in der Griechisch sprechenden Diaspora ist in jüngerer Zeit zunehmend in den Blick gekommen. 10 Freilich stammen die Jewish People in the First Century. Historical Geography, Political History, Social, Cultural and Religious Life and Institutions, CRINT 1,1, Assen/Philadelphia 1974, 464–503: 480– 486. 8 Als nicht im strengen Sinn paulinisch bleiben die Gemeinden von Antiochia und Rom hier außer Betracht. Vgl. zu ihnen WAYNE A. MEEKS/ROBERT L. WILKEN, Jews and Christians in Antioch in the First Four Centuries of the Common Era, SBibSt 13, Missoula 1978; RAYMOND E. BROWN/JOHN P. MEIER, Antioch and Rome: New Testament Cradles of Catholic Christianity, New York/London 1983; RAYMOND E. BROWN, Further Reflections on the Origins of the Church of Rome, in: The Conversation Continues. Studies in Paul and John (FS J. L. Martyn), hg. v. ROBERT T. FORTNA/BEVERLY R. GAVENTA, Nashville 1990, 98– 115; LAMPE, Christen (Anm. 7). 9 Der hier angesprochene Prozess wird gegenwärtig vor allem mit Blick auf das Ende des 1. und das 2. Jh. diskutiert: JAMES D. G. DUNN (Hg.), Jews and Christians. The Parting of the Ways A.D. 70 to 135, WUNT 66, Tübingen 1992; JAN VAN AMERSFOORT/JAN VAN OORT (Hg.), Juden und Christen in der Antike, Kampen 1990; ED P. SANDERS/BEN F. MEYER/A. I. BAUMGARTEN/ALAN MENDELSON (Hg.), Jewish and Christian Self-Definition, Bd. 1: The Shaping of Christianity in the Second and Third Centuries, London 1980; Bd. 2: Aspects of Judaism in the Graeco-Roman Period, London 1981; Bd. 3: Self-Definition in the Graeco-Roman World, London 1982; NEUSNER/FRERICHS, „To See Ourselves As Others See Us“ (Anm. 3). 10 Überblicke über das Belegmaterial bieten EMIL SCHÜRER, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ, 175 B.C. – A.D. 135. A New English Version revised and edited by GEZA VERMES u.a., Bd. 3/1, Edinburgh 1986, 1–86; SAFRAI/STERN, The Jewish People (Anm. 7), Bd. 2, CRINT 1,2, Assen u.a. 1987 (bes. die Beiträge von SHIMON APPLEBAUM, The Social and Economic Status of the Jews in the Diaspora, a.a.O., 701–727,
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meisten bisher bekannten archäologischen Belege für Kleinasien und Griechenland aus späterer Zeit. 11 Immerhin ist die frühe Ausbreitung von Juden in dieser Region literarisch gut belegt. 12 Für die konkreten Verhältnisse in Galatien, Philippi, Thessalonich oder Korinth sind wir aber ganz auf Rückschlüsse und SHMUEL SAFRAI, The Synagogue, a.a.O., 908–944); PIETER W. VAN DER HORST, Ancient Jewish Epitaphs. An Introductory Survey of a Millennium of Jewish Funerary Epigraphy (300 BCE – 700 CE), CBET 2, Kampen 1991; LAURENCE H. KANT, Jewish Inscriptions in Greek and Latin, ANRW II 20,2, 1987, 671–713; GERHARD DELLING, Die Begegnung zwischen Hellenismus und Judentum, ANRW II 20,1, 1987, 3–39; A. THOMAS KRAABEL, The Diaspora Synagogue: Archaeological and Epigraphic Evidence since Sukenik, ANRW/ II 19,1, 1979, 477–510. Speziell für Ägypten s. WILLIAM HORBURY/DAVID NOY, Jewish Inscriptions of Graeco-Roman Egypt. With an Index of the Jewish Inscriptions of Egypt and Cyrenaika, Cambridge 1992, für die Cyrenaika GERT LÜDERITZ, Corpus jüdischer Zeugnisse aus der Cyrenaika mit einem Anhang von JOYCE M. REYNOLDS, BTAVO, B 53, Wiesbaden 1983; SHIMON APPLEBAUM, Jews and Greeks in Ancient Cyrene, SJLA 28, Leiden 1979, für Kleinasien PAUL R. TREBILCO, Jewish Communities in Asia Minor, MSSNTS 69, Cambridge u.a. 1991. Für Griechenland und Rom (s. hierfür aber HEIKKI SOLIN, Juden und Syrer im westlichen Teil der römischen Welt. Eine ethnisch-demographische Studie mit besonderer Berücksichtigung der sprachlichen Zustände, ANRW II 29,2, 1983, 587–789.1222–1249) fehlen m.W. neuere Gesamtdarstellungen. 11 Das ist auch im Blick auf die Aphrodisias-Inschrift festzuhalten (s. dazu u., Anm. 36). Ein Synagogengebäude ist in unserem Bereich bisher nur für Delos und Acmonia in Phrygien nachgewiesen. Zu jüdischen Zeugnissen in Delos s. SCHÜRER, History (Anm. 10), Bd. 3/1, 70f.; KRAABEL, Diaspora Synagogue (Anm. 10), 491–494; DERS., New Evidence of the Samaritan Diaspora Has Been Found on Delos, in: Diaspora Jews and Judaism (FS A. T. Kraabel), hg. v. J. ANDREW OVERMAN/ROBERT S. MACLENNAN, SFSHJ 41, Atlanta 1992, 331–334; MICHAEL L. WHITE, Building God’s House in the Roman World. Architectural Adaption among Pagans, Jews, and Christians, Baltimore/London 1990, 64–67. Zu Acmonia vgl. TREBILCO, Communities (Anm. 10), 58–84. Für (Nord-)Galatien s. jetzt die bei STEPHEN MITCHELL, Regional Epigraphic Catalogues of Asia Minor, Bd. 2: The Ankara District. The Inscriptions of North Galatia, BAR.I 135, Oxford 1982, publizierten Zeugnisse (vor allem Nr. 209b, S. 177f., wo eine προσευχή erwähnt ist; der Hg. datiert unter Vorbehalt auf das 3. Jh. n. Chr.; vgl. auch Nr. 418, 509–512, 133, 141). Relativ naheliegend ist auch Panticapaeum auf der Krim, wo im 1. Jh. n. Chr. eine wohlorganisierte Judenschaft lebte, vgl. dazu TREBILCO, Communities (Anm. 10), 155f.; IRINA A. LEVINSKAYA, A Jewish or Gentile Prayer House? The Meaning of Proseuche, TynB 41, 1990, 154–159. Für Korinth, Thessalonich und Philippi ist das archäologische Material dürftig und spät (vgl. SCHÜRER, History [Anm. 10], Bd. 3/1, 65ff.). 12 In 1Makk 15,16–24 sind Briefe eines römischen Konsuls Lucius an die Herrscher von Ägypten, Syrien, Pergamon und Parthien sowie an 19 weitere Gemeinwesen in Griechenland, der Ägäis, Kleinasien und Nordafrika erwähnt, die zur Akzeptanz und Unterstützung der Judenschaften vor Ort auffordern. Vgl. zur Datierung und Historizität SCHÜRER, History (Anm. 10), Bd. 1, Edinburgh 1973, 194–197; Bd. 3/1, 4. Philo, LegGai 281 (vgl. 245), zählt jüdische ἀποικίαι auf, darunter in Kleinasien Pamphylien, Zilizien, „ganz Asien bis Bithynien und in die Winkel von Pontus“, sowie in Europa Thessalien, Böotien, Mazedonien, Ätolien, Attika, Argos, Korinth und „das meiste und beste der Peloponnes“. Josephus, Ant 12,47–153 berichtet von der Umsiedlung mesopotamischer Juden nach Phrygien und Lydien.
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aus dem Gesamtbefund angewiesen. Dabei können die wesentlich besser bezeugten Verhältnisse in den Diasporazentren Antiochia, 13 Alexandria, 14 Rom 15 oder auch Sardes 16 nicht ohne weiteres übertragen werden. Für die relativ jungen römischen Kolonien Philippi 17 und Korinth 18 werden wir z.B. kaum eine längere, kontinuierliche Entwicklung der jüdischen Gemeinschaft voraussetzen können. Wir werden am ehesten ein zutreffendes Bild gewinnen, wenn wir von den relativ sicher in unserem Bereich datierbaren Belegen ausgehen, bei der Gesamtbeurteilung aber auch weiter Zeugnisse berücksichtigen. Josephus stellt in den Antiquitates Privilegien für jüdische Gemeinden Kleinasiens und der ägäischen Inseln zusammen. 19 Für die Mehrzahl von ihnen ist freilich nicht mehr als das Recht zur Ausübung ihrer Religion vermerkt. 20 Das trifft sich mit der Berufung Philons auf einen Brief des Augustus an die Prokuratoren der Asia, in dem die Juden ausdrücklich vom Versammlungsverbot Cäsars ausgenommen werden (LegGai 311.316). Auch die Sammlung von Tempelgeldern, die Philon in diesem Zusammenhang erwähnt, 21 steht unter
Für Sardes ist dies auch unabhängig bezeugt, vgl. GEORGE M. A. HANFMANN (Hg.), Sardis from Prehistoric to Roman Times. Results of the Archaeological Exploration of Sardis 1958– 1975, Cambridge/London 1983, 111f.117f.135f. Zur Historizität der Quelle des Josephus vgl. SCHÜRER, History (Anm. 10), Bd. 3/1, 17, Anm. 33. Zur literarischen Bezeugung jüdischer Gemeinschaften in Kleinasien insgesamt s.a. TREBLICO, Communities (Anm. 10), 5– 20. 13 Vgl. dazu MEEKS/WILKEN, Antioch (Anm. 8), 2–13. 14 Vgl. umfassend ARYEH KASHER, The Jews in Hellenistic and Roman Egypt. The Struggle for Equal Rights, TSAJ 7, Tübingen 1985. 15 Vgl. SCHÜRER, History (Anm. 10), Bd. 3/1, 73–81. 16 Vgl. ANDREW R. SEAGER/A. THOMAS KRAABEL, The Synagogue and the Jewish Community, in: HANFMANN, Sardis (Anm. 12), 168–190. 17 Vgl. WINFRIED ELLIGER, Paulus in Griechenland. Philippi, Thessaloniki, Athen, Korinth, SBS 92, Stuttgart 1978, 40–50. 18 Vgl. DONALD ENGELS, Roman Corinth. An Alternative Model for the Classical City, Chicago/London 1990, 16–21; JEROME MURPHY-O’CONNOR, St. Paul’s Corinth. Texts and Archaeology, GNS 6, Wilmington 1983, 77–80; JAMES WISEMAN, Corinth and Rome I: 228 B.C.–A.D. 267, ANRW II 7,1, 1979, 438–548: 497–533; ELLIGER, Paulus in Griechenland (Anm. 17), 210–225. 19 Josephus, Ant 14,185–267. Vgl. auch 16,160–178. 20 So für Tralles (242), Milet (244ff.), Halikarnassos (256ff.), Laodizea (241ff.). S. dazu SCHÜRER, History (Anm. 10), Bd. 3/1, 116f. Für Kos ist der Schutz jüdischer Gesandtschaften erwähnt (233), für Delos die Versammlungsfreiheit (213–216.231f.). Vgl. für die Diskussion der Einzelheiten TESSA RAJAK, Was there a Roman Charter for the Jews?, JRS 74, 1984, 107–123; GERHARD DELLING, Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum, Berlin 1987 (= in: DERS., Studien zum Frühjudentum. Gesammelte Aufsätze 1971–1987, hg. v. CILLIERS BREYTENBACH/KARL-WILHELM NIEBUHR, Göttingen 2000, 23–121), 49–55, sowie die u., Anm. 23, aufgeführte Lit. 21 LegGai 312f.315. Vgl. auch Josephus, Ant 16,167f.172f.
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dem Schutz römischer Privilegien, die auch für weniger bedeutende Synagogen Kleinasiens gelten. 22 Das lokale Bürgerrecht haben die Juden in der Diaspora aufs Ganze gesehen im 1. Jh. weder erlangt noch auch nur angestrebt. 23 Für die größeren Gemeinschaften war der Status eines Politeuma erreichbar, der das lokale Bürgerrecht per definitionem nicht einschloss. 24 In den meisten Gemeinden Kleinasiens und Griechenlands musste das Verhältnis zur Polis ad hoc geregelt werden und wird sich je nach den örtlichen Bedingungen und der Lage der Zeit unterschiedlich gestaltet haben. 25 Aus der Perspektive römischer Gesetzgebung wurden sie als collegia betrachtet und standen so auf einer Ebene mit ethnischen Korporationen oder Kultvereinen. 26 In kleineren Gemeinwesen werden sie über den Status
Cicero, pro Flacco 28,69, verteidigt die Konfiskation von Tempelkollekten durch Flaccus (Prokurator der Asia 62/61 v. Chr.) u.a. in Apamea, Laodizea, Adramyttium und Pergamon (Text bei SCHÜRER, History [Anm. 10], Bd. 3/1, 118, Anm. 45). 23 Dies zeigt gerade die in vieler Hinsicht exzeptionelle Lage in Alexandria (dazu KASHER, Jews [Anm. 14]). Für Kleinasien s. TREBILCO, Communities (Anm. 10), 8–12. 167–185. Den Gesamtbefund der Diaspora erfassen SCHÜRER, History (Anm. 10), Bd. 3/1, 107–137; ALFREDO M. RABELLO, The Legal Condition of the Jews in the Roman Empire, ANRW II/13, 1980, 662–762; E. MARY SMALLWOOD, The Jews under Roman Rule. From Pompey to Diocletian, SJLA 20, Leiden 1976; SHIMON APPLEBAUM, The Legal Status of the Jewish Communities in the Diaspora, in: SAFRAI/STERN, The Jewish People (Anm. 7), Bd. 1, 420–463. AMNON LINDER, The Jews in Roman Imperial Legislation, Detroit/ Jerusalem 1987, bietet in seinem Textkorpus (99–411) nur Texte aus der Zeit von Antoninus Pius (138 n. Chr.) bis Justinian (533 n. Chr.). Natürlich gab es für Einzelne die Möglichkeit, lokale Bürgerrechte zu erwerben, wie das Beispiel Paulus zeigt. Vgl. dazu HENGEL, Paulus (Anm. 6), 188–193. 24 Ein Politeuma der Juden ist in Kleinasien nur für Sardes (Josephus, Ant 14,235, vgl. dazu TREBILCO, Communities [Anm. 10], 170f.; SCHÜRER, History [Anm. 10], Bd. 3/1, 90) und Ephesus anzunehmen, falls man die Nachricht des Josephus (Ant 12,125; Ap 2,39), die Juden dort hätten seit der Zeit Antiochus II. (261–246 v. Chr.) Bürgerrechte besessen, in diesem Sinne interpretiert. Vgl. dazu SCHÜRER, History (Anm. 10), Bd. 3/1, 129f.; HORSLEY, Inscriptions (Anm. 5), 121–127. Zum Politeuma-Status vgl. APPLEBAUM, Legal Status (Anm. 23), 450–454; KASHER, Jews (Anm. 14), 182; SCHÜRER, History (Anm. 10), Bd. 3/1, 88ff.; SMALLWOOD, Roman Rule (Anm. 23), 135f.; RABELLO, Legal Condition (Anm. 23), 694ff.719–722. 25 So mit SCHÜRER, History (Anm. 10), Bd. 3/1, 107–125; TREBILCO, Communities (Anm. 10), 171f.; APPLEBAUM, Legal Status (Anm. 23), 460. 26 Dies zeigt die erwähnte Freistellung jüdischer Gemeinden vom Versammlungsverbot Cäsars (Philo, LegGai 311f.; Josephus, Ant 14,213–216; Sueton, Caes Div Iul 42). Vgl. auch TREBILCO, Communities (Anm. 10), 13; SCHÜRER, History (Anm. 10), Bd. 3/1, 116f.; MEEKS, Urban Christians (Anm. 3), 32, sowie MARTIN HENGEL, Proseuche und Synagoge. Jüdische Gemeinde, Gotteshaus und Gottesdienst in der Diaspora und in Palästina, in: Tradition und Glaube (FS K. G. Kuhn), hg. v. GERT JEREMIAS u.a., Göttingen 1971, 157–184. 22
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privater religiöser Vereinigungen nicht hinausgekommen sein. 27 Ein eigenes Synagogengebäude werden wir kaum überall voraussetzen können. Das Wort Synagoge konnte auch lediglich Zusammenkunft bedeuten. Gebräuchlicher Name für eine jüdische Versammlungsstätte in der Diaspora war προσευχή. 28 Die ältesten bisher ausgegrabenen Synagogengebäude waren für gottesdienstliche Zwecke genutzte bzw. umgebaute Privathäuser. 29 Entscheidend für die Bewahrung jüdischer Identität unter den Lebensbedingungen hellenistisch-römischer Gemeinwesen war also der ethnische und religiöse Zusammenhalt der Juden untereinander. 30 Er konnte durch lokale Privilegien gefördert werden, war aber nicht durch einen zentral verordneten Sonderstatus gesichert. Immerhin bot die weithin gültige Befreiung der Juden vom Verbot der collegia ihnen die Möglichkeit, sich auch in kleineren Gemeinschaften zusammenzuschließen und nach Analogie religiöser Vereine zu organisieren. Dies dürfte die übliche Erscheinungsform von Synagogen in Kleinasien und Griechenland im 1. Jh. n. Chr. gewesen sein. Wie der Name προσευχή sagt, dienten die Versammlungsstätten der Juden in der Diaspora dem gemeinsamen Gebet. Dass es seinen Ort in den Zusammenkünften am Sabbat hatte, ist anzunehmen. Auch Festversammlungen und
Dafür sprechen auch Parallelen in der Benennung von Funktionsträgern (vgl. SCHÜHistory [Anm. 10], Bd. 3,1, 100f.; Bd. 2, Edinburgh 1979, 435ff.). Zur Frage der Synagogenämter s. jetzt JAMES T. BURTCHAELL, From Synagogue to Church: Public Services and Offices in the Earliest Christian Communities, Cambridge 1992, 228–271. 28 Vgl. zur Entwicklung der Synagoge als Zusammenkunft, Organisationsform und Versammlungsstätte zuletzt BURTCHAELL, a.a.O., 201–271; WHITE, God’s House (Anm. 11), 60–101. Die Diskussion um den Sprachgebrauch von Synagoge und Proseuche und um dessen genaue Bedeutung in der Apostelgeschichte ist kürzlich wieder aufgeflammt, vgl. HOWARD C. KEE, The Transformation of the Synagogue after 70 C.E.: Its Import for Early Christianity, NTS 36, 1990, 1–24; RICHARD E. OSTER, Supposed Anachronism in LukeActs’ Use of Synagoge. A Rejoinder to HOWARD C. KEE, NTS 39, 1993, 178–208. Weitere Lit. zur Synagoge: LEE I. LEVINE (Hg.), The Synagogue in Late Antiquity, Philadelphia 1987; JOSEPH GUTMANN (Hg.), Ancient Synagogues. The State of Research, Chico 1981; SAFRAI, Synagogue (Anm.10); SCHÜRER, History (Anm. 10), Bd. 2, 423–454; APPLEBAUM, Organization (Anm. 7), 464–503; KRAABEL, Diaspora Synagogue (Anm. 10.). 29 BURTCHAELL, Synagogue (Anm. 27), 225f.; J. ANDREW OVERMAN, The Diaspora in the Modern Study of Ancient Judaism, in: DERS. u.a., Diaspora Jews and Judaism (Anm. 11), 63–78; KEE, Transformation (Anm. 28), 8–11 (dazu kritisch ED P. SANDERS, Jewish Law from Jesus to the Mishnah. Five Studies, London/Philadelphia 1990, 341ff., Anm. 28f.); A. THOMAS KRAABEL, Social Systems of Six Diaspora Synagogues, in: GUTMANN, Ancient Synagogues (Anm. 28), 79–91 (= in: OVERMAN, a.a.O., 257–267). Zum sozialgeschichtlichen Hintergrund vgl. WHITE, God’s House (Anm. 11), 77–85. 30 Das einschlägige Belegmaterial ist aufgearbeitet bei DELLING, Diasporasituation (Anm. 20). Vgl. auch TESSA RAJAK, The Jewish Community and it’s Boundaries, in: LIEU/ NORTH/RAJAK, Jews (Anm. 2), 9–28; DIES., Jews and Christians as Groups (Anm. 3). 27
RER,
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Gemeinschaftsmahlzeiten werden nach Analogie religiöser Vereine der Umwelt dort stattgefunden haben. 31 Einen regelrechten Sabbatgottesdienst können wir freilich nicht rekonstruieren. 32 Philon wie Josephus betonen im Blick auf die Sabbatversammlungen ganz einseitig Schriftlesung und Studium der Tora. Sie stellen besonders heraus, dass die Lesung und Auslegung der Tora in der Synagoge der Unterweisung dient. Die Synagogen sind Lehrhäuser aller Tugenden. Sie vermitteln Kenntnis der Tora und bewahren so vor ihrer Übertretung im Alltag. Gleichzeitig rüsten sie aus zur Weitergabe des Gelernten in der familiären Toraunterweisung. Sie bilden somit den Kristallisationskern für die Bewahrung jüdischer Identität unter den Alltagsbedingungen der Diaspora. 33 31 Zur Vielfalt religiöser Funktionen der Synagogen vgl. DELLING, Bewältigung (Anm. 20), 43–48; LEE I. LEVINE, The Second Temple Synagogue: The Formative Years, in: DERS., The Synagogue in Late Antiquity (Anm. 28), 7–31: 14–22; SHAYE J. D. COHEN, Pagan and Christian Evidence on the Ancient Synagogue, in: LEVINE, a.a.O., 159–181: 165–172; BURTCHAELL, Synagogue (Anm. 27), 220–224. Sichere Rückschlüsse für Kleinasien und Griechenland im 1. Jh. sind freilich schwierig. Josephus, Ant 14,216, erwähnt ein Privileg Cäsars, das den Juden gestattete, Gemeinschaftsmahlzeiten zu halten (vgl. SCHÜRER, History [Anm. 10], Bd. 3/1, 144f.). Passa- und Pfingstfest sind für Kleinasien erst später inschriftlich belegt (Hierapolis, vgl. SCHÜRER, a.a.O., 27f.). Möglicherweise deutet eine Inschrift aus Delos (Rhenaia, um 100 v. Chr.) auf den Großen Versöhnungstag (SCHÜRER, a.a.O., 70), den offenbar auch Philon als allgemein zu begehen voraussetzt (VitMos 2,23f.). Freilich hatten daneben die alexandrinischen Juden auch ihre speziellen Feste (Philo, VitMos 2,41f.; Josephus, Ap 2,55; vgl. SCHÜRER, a.a.O., 145). Für Berenike in der Cyrenaika sind im 1. Jh. n. Chr. Neumondfeiern und das Laubhüttenfest belegt, vgl. SCHÜRER, a.a.O., 144; LÜDERITZ, Corpus (Anm. 10), 148–155. Eine systematische kritische Auswertung aller neutestamentlichen Belege wäre nötig (vgl. nur 1Kor 16,8; Apg 20,6.16!). 32 Lediglich Toralesung und -studium bzw. -auslegung sind durch Philon und Josephus klar belegt (Philo, SpecLeg 2,62; LegGai 156; VitMos 2,216; Somn 2,127; Josephus, Ant 16,43.164). Vielleicht lässt Philo, Hyp 7,12ff., am ehesten etwas von den Vorgängen am Sabbat in der Synagoge erkennen: Einer der Priester oder Ältesten liest den schweigend und in respektvoller Ordnung sitzenden Hörern die „heiligen Gesetze“ vor und erklärt sie Punkt für Punkt, unterbrochen lediglich von gelegentlichen Zustimmungsäußerungen der Zuhörer. Haftaralesung und Predigt sind dagegen nur im NT für unseren Zeitraum belegt, vgl. vor allem Apg 13,14ff. (pisidisches Antiochia) sowie 17,2 (Thessalonich); 17,11 (Beröa); 17,17 (Athen); 18,4 (Korinth); 18,19.26; 19,8 (Ephesus). Dass Gebete zum Sabbatgottesdienst gehörten, ist ohne Frage, ebenso, dass Amida und Schema dort ihre Vorstufen haben. Freilich lassen sie sich nicht im Wortlaut rekonstruieren. Vgl. zum Synagogengottesdienst SCHÜRER, History (Anm. 10), Bd. 2, 447–463; DELLING, Bewältigung (Anm. 20), 44ff.; SAFRAI, Synagogue (Anm. 10), 914–933; LEVINE, Second Temple Synagogue (Anm. 31), 15–20; PETER SCHÄFER, Der synagogale Gottesdienst, in: JOHANN MAIER/JOSEF SCHREINER (Hg.), Literatur und Religion des Frühjudentums. Eine Einführung, Würzburg/Gütersloh 1973, 391– 413; ED P. SANDERS, Judaism. Practice and Belief 63 BCE – 66 CE, London/Philadelphia 1992, 195–208. 33 Philo, VitMos 2,216; SpecLeg 2,62; Hyp 7,14; Josephus, Ap 2,175. Vgl. zur Bibellesung in der Synagoge zusätzlich zu der in Anm. 32 genannten Lit. noch CHARLES PERROT, The Reading of the Bible in the Ancient Synagogue, in: MARTIN J. MULDER (Hg.), Mikra.
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Damit stehen wir bei dem Problem der Interaktion zwischen Juden und Nichtjuden. Gerhard Delling hat sie in seiner Schrift „Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum“ 34 unter Leitworten wie Absonderung, Bindung, Öffnung, Auftrag und Erprobung reich dokumentiert. Studien zu Einzelaspekten haben Dellings Beurteilung im Wesentlichen bestätigt. So hat Shaye Cohen Möglichkeiten und Grade der Annäherung von Heiden an das Judentum differenziert untersucht. 35 In Paul Trebilcos Arbeit über die jüdischen Gemeinschaften in Kleinasien spielt der Aspekt der Interaktion zwischen Juden und Nichtjuden eine erhebliche Rolle. 36 Scott McKnight Text, Translation, Reading and Interpretation of the Hebrew Bible in Ancient Judaism and Early Christianity, CRINT 2,1, Assen/Philadelphia 1988, 137–159. Zur Funktion der Toravergegenwärtigung in diesem Kontext vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR , Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, 57–72. 34 S. Anm. 20. 35 SHAYE J. D. COHEN, Crossing the Boundary and Becoming a Jew, HThR 82, 1989, 13– 33; DERS., Respect for Judaism by Gentiles According to Josephus, HThR 80, 1987, 409– 430. Zur Konversion in diesem Zusammenhang vgl. ALAN F. SEGAL, The Costs of Proselytism and Conversion, SBL.SP 1988, 336–369; LOUIS H. FELDMAN, Proselytes and „Sympathizers“ in the Light of the New Inscriptions from Aphrodisias, REJ 148, 1989, 265–305; DERS., Jewish Proselytism, in: HAROLD W. ATTRIDGE/GOHEI HATA (Hg.), Eusebius, Christianity, and Judaism, SPB 42, Leiden 1992, 372–408. Zum sogenannten Proselytismus s. aber gleich u. im Text und Anm. 37. 36 TREBILCO, Communities (Anm. 10), bes. 145–185. In diesen Zusammenhang gehört die Diskussion um die „Gottesfürchtigen“, die vor allem nach der Veröffentlichung der Aphrodisias-Inschrift geradezu uferlos geworden ist. Edition der Inschrift: JOYCE REYNOLDS/ ROBERT TANNENBAUM, Jews and God-Fearers at Aphrodisias. Greek Inscriptions with Commentary, Cambridge Philological Society, Suppl. Bd. 12, Cambridge 1987. Lit. zu den „Gottesfürchtigen“ bei SCHÜRER, History (Anm. 10), Bd. 3/1, 165–172, bes. 166, Anm. 72. Vgl. weiter THOMAS M. FINN, The God-fearers Reconsidered, CBQ 47, 1985, 75–84; JOHN J. COLLINS, A Symbol of Otherness: Circumcision and Salvation in the First Century, in: NEUSNER/FRERICHS, „To See Ourselves As Others See Us“ (Anm. 3), 163–186; A. THOMAS KRAABEL, Synagoga Caeca: Systematic Distortion in Gentile Interpretations of Evidence for Judaism in the Early Christian Period, a.a.O., 219–246 (= in: OVERMAN, Diaspora Jews and Judaism [Anm. 11], 35–62); RAJAK, Groups (Anm. 3), 255–262; JOHN G. GAGER, Jews, Gentiles, and Synagogues in the Book of Acts, in: Christians among Jews and Gentiles (FS K. Stendahl), hg. v. GEORGE W. E. NICKELSBURG/GEORGE W. MACRAE, HThR 79, Philadelphia 1986, 91–99; A. THOMAS KRAABEL, Greeks, Jews, and Lutherans in the Middle Half of Acts, a.a.O., 147–157; ROBERT S. MACLENNAN/A. THOMAS KRAABEL, The God-Fearers – A Literary and Theological Invention, BarR 12/5, 1986, 47–53 (= in: OVERMAN, Diaspora Jews and Judaism [Anm. 11], 131–143); J. ANDREW OVERMAN, The God-fearers: Some Neglected Features, JSNT 32, 1988, 17–26 (= in: DERS., Diaspora Jews and Judaism [Anm. 11], 145–152); COHEN, Crossing (Anm. 35), 31ff.; FELDMAN, Proselytes and „Sympathizers“ (Anm. 35), 274–282; PIETER W. VAN DER HORST, Jews and Christians in Aphrodisias in the Light of their Relations in Other Cities of Asia Minor, NThT 43, 1989, 106–121 (= in: DERS., Essays on the Jewish World of Early Christianity, NTOA 14, Fribourg/Göttingen
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Identität und Interaktion
kommt in seinem Buch über jüdische Missionsaktivitäten im Frühjudentum zwar zu einem (m.E. richtigen) negativen Urteil hinsichtlich organisierter jüdischer Mission, dokumentiert aber dabei eindrucksvoll das Faktum nichtorganisierter Attraktion von Heiden an die Synagogen und der Ausstrahlung der Synagogen auf sie. 37 Für das 1. Jahrhundert n. Chr. kann einerseits keine streng halachische Terminologie zur Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden vorausgesetzt werden, 38 andererseits aber auch nicht angesichts vereinzelter Stellungnahmen für einen Übertritt zum Judentum ohne Annahme der Beschneidung dies zu einer anerkannten Konzeption erklärt werden. 39 1990, 166–181); SCOT MCKNIGHT, A Light among the Gentiles. Jewish Missionary Activity in the Second Temple Period, Minneapolis 1991, 110–115; TREBILCO, Communities (Anm. 10), 145–166; FELDMAN, Proselytism (Anm. 35), 389–396; IRINA A. LEVINSKAYA, The Inscription from Aphrodisias and the Problem of God-fearers, TynB 41, 1990, 312–318; VAN DER HORST, Epitaphs (Anm. 10), 71f.109–113.135ff.; JEROME MURPHY-O’CONNOR, Lots of God-Fearers? THEOSEBEIS in the Aphrodisias Inscription, RB 99, 1992, 418–424; RAJAK, Community (Anm. 30), 19ff. – M.E. erweist die Aphrodisias-Inschrift die Möglichkeit, nichtjüdische Sympathisanten der Synagoge als Gruppe mit dem Terminus θεοσεβεῖς (o.ä.) zu bezeichnen. Freilich ist damit der Bedeutungsgehalt des Wortes nicht näher fixiert und über das konkrete Verhältnis dieser Sympathisanten gegenüber der Synagoge und ihren ‚Vollmitgliedern‘ nicht viel gesagt, schon gar nicht für das 1. Jh. n. Chr.! 37 MCKNIGHT, Light (Anm. 36). Ähnlich zurückhaltend urteilen GOODMAN, Jewish Proselytizing (Anm. 2), und SHAYE J. D. COHEN, Adolph Harnack’s „The Mission and Expansion of Judaism“: Christianity Succeeds Where Judaism Fails, in: The Future of Early Christianity (FS H. Koester), hg. v. BIRGER H. PEARSON, Minneapolis 1991, 163–169. 38 Weder die Begriffe „Proselyt“ oder „Gottesfürchtiger“ waren schon klar definiert, noch der Vorgang des Übertritts. Vgl. außer COHEN, Crossing, (Anm. 35); DERS., Respect (Anm. 35), vor allem LAWRENCE H. SCHIFFMAN, Who was a Jew? Rabbinic and Halakhic Perspectives on the Jewish Christian Schism, Hoboken 1985; MARTIN GOODMAN, Nerva, the Fiscus Judaicus and Jewish Identity, JRS 79, 1989, 40–44. Der von LAWRENCE H. SCHIFFMAN, At the Crossraods: Tannaitic Perspectives on the Jewish-Christian Schism, in: SANDERS/ MEYER, Jewish and Christian Selfdefinition, Bd. 2 (Anm. 9), 115–156 (= erweitert DERS., Who was a Jew? Rabbinic and Halakhic Perspectives on the Jewish Christian Schism, Hoboken 1985), 122–139, dargestellte vierstufige Konversionsvorgang (Annahme der Tora, Beschneidung, Tauchbad, Opfer) kann im 1. Jh. noch nicht vorausgesetzt werden. Vgl. auch MCKNIGHT, Light (Anm. 36), 78–89. 39 So aber unter Berufung auf Philo, Migr 92; QuaestEx 2,2; Josephus, Ant 20,41, vor allem PEDER BORGEN, Observations on the Theme „Paul and Philo“. Paul’s preaching of circumcision in Galatia (Gal. 5:11) and debates on circumcision in Philo, in: SIGFRIED PEDERSEN (Hg.), Die Paulinische Literatur und Theologie, TeolSt 7, Aarhus/Göttingen 1980, 85–102; DERS., Paul Preaches Circumcision and Pleases Men, in: Paul and Paulinism (FS C. K. Barrett), hg. v. MORNA D. HOOKER/STEPHEN G. WILSON, London 1982, 37–46; DERS., The Early Church and the Hellenistic Synagogue, StTh 37, 1983, 55–78 (= in: DERS., Philo, John and Paul: New Perspectives on Judaism and Early Christianity, BJSt 131, Atlanta 1987, 207–232). Demgegenüber zurückhaltend bis ablehnend SCHÜRER, History (Anm. 10), Bd. 3/1, 169; COHEN, Crossing (Anm. 35), 27f.; MCKNIGHT, Light (Anm. 36), 78–82; SANDERS, Judaism (Anm. 32), 213f. Vgl. zu Philon noch COLLINS, Symbol of Otherness (Anm.
1. Juden in Kleinasien und Griechenland im 1. Jh. n. Chr.
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Die Bindung an die Tora bestimmte in der Regel auch in der Diaspora den Alltag der Juden, führte sie aber nicht in ein Getto. Ihre Synagogen standen für alle offen (Philo, SpecLeg 2,62), und ihre Feste konnten auch Heiden anziehen (VitMos 2,41; vgl. Josephus, Bell 7,44f.). Treue zu den Speisevorschriften der Tora schloss nicht von vornherein jede Teilnahme an Mahlzeiten mit Heiden aus, 40 und trotz aller Warnungen gab es auch Ehen zwischen Juden und Nichtjuden. 41 Möglicherweise hat gerade die fehlende halachische Definition eines Juden die Synagoge für nichtjüdische Interessenten offengehalten. Attraktion und Ausstrahlung über ihre Grenzen hinaus wurden dadurch eher gefördert als behindert. Jedenfalls haben Juden in der Diaspora die Frage der Beschneidung nicht in den Mittelpunkt ihres Verkehrs mit Nichtjuden gestellt, 42 sondern neben ihrer (natürlich auch möglichen und erwünschten) Annahme 43 auch geringere Grade der Annäherung akzeptiert. Die Ernsthaftigkeit solcher nicht bis zur Beschneidung führenden Zuwendung von Heiden zur Synagoge sollte nicht unterschätzt werden. Erfahrungen der Desozialisierung von den ererbten familiären und kulturellen Bedingungen waren auch mit ihr schon verbunden. 44 Es 36), 171–174, zu Josephus LAWRENCE H. SCHIFFMAN, The Conversion of the Royal House of Adiabene in Josephus and Rabbinic Sources, in: LAWRENCE H. FELDMAN/GOHEI HATA (Hg.), Josephus, Judaism, and Christianity, Leiden 1987, 293–312. Natürlich mag es, aus welchen Gründen auch immer (einige wurden später halachisch definiert), einzelne unbeschnittene Juden gegeben haben, aber konzeptionell war spätestens seit der Makkabäerzeit die Beschneidung Kennzeichen und Bedingung der Zugehörigkeit zu Israel. 40 EpArist 181–186 lässt erkennen, unter welchen Voraussetzungen solche Teilnahme unter Wahrung der Treue zur Tora möglich war (vgl. DELLING, Bewältigung [Anm. 20], 12f.). Nicht Absonderung von den Heiden war dabei das Motiv, sondern Vermeidung von durch die Tora verbotenen oder im heidnischen Kult verwendeten Speisen. Vgl. ED P. SANDERS, Jewish Association with Gentiles and Galatians 2:11–14, in: FORTNA/GAVENTA, The Conversation Continues (Anm. 8), 170–188; DERS., Judaism (Anm. 32), 214–217; Jewish Law (Anm. 29), 272–283. 41 Die frühjüdische Schrift Joseph und Aseneth beschreibt den (gewünschten) Modellfall im Blick auf eine nichtjüdische Frau. Apg 16,1ff. belegt eine Mischehe mit nichtjüdischem Mann. Vgl. MCKNIGHT, Light (Anm. 36), 16f.23f.; SHAYE J. D. COHEN, From the Bible to the Talmud: The Prohibition of Intermarriage, HAR 7, 1983, 23–39; DERS., Was Timothy Jewish (Acts 16:1–3)? Patristic Exegesis, Rabbinic Law, and Matrilineal Descent, JBL 105, 1986, 251–268; DERS., Crossing (Anm. 35), 25f.; GOODMAN, Who was a Jew? (Anm. 38), 9. 42 Das wird nicht nur – in der Natur der Sache begründet – an der Wahl Aseneths zum Vorbild für die Zuwendung zum Judentum deutlich (JosAs), sondern gerade auch an der literarischen Darstellung Abrahams, sofern er als Prototyp des Proselyten gezeichnet wird. Vgl. bes. Philons Aussagen in diesem Zusammenhang, zusammengestellt bei KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 94 mit Anm. 76–79. 43 Vgl. DELLING, Bewältigung (Anm. 20), 80–83; MCKNIGHT, Light (Anm. 36), 31–48. 44 Vgl. die bei NIEBUHR, Heidenapostel (Anm. 42), 93f., zusammengestellten Belege, sowie COLLINS, Symbol of Otherness (Anm. 36), 175ff.
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Identität und Interaktion
war ja viel auffälliger, am Sabbat nicht zur Arbeit, sondern in die Synagoge zu gehen, als beschnitten zu sein oder nicht! Zentrale synagogale Inhalte wie die Abwendung von falscher Gottesverehrung zu akzeptieren, konnte die persönlichen Bindungen innerhalb des Patronatsverhältnisses und den Sozialstatus innerhalb der Kommune gefährden. Freilich ist gerade hier bei der Auswertung der Belege auch der Unterschied zwischen der Innen- und der Außenperspektive in Rechnung zu stellen. Wer in den Augen seiner Verwandten und Freunde wegen seiner Zurückhaltung gegenüber gewohnten religiösen Verrichtungen schon als Jude angesehen wurde, musste von geborenen Gliedern der Synagoge noch lange nicht als ein solcher akzeptiert oder gar bezeichnet werden. Und umgekehrt: Nicht jeder, den man wegen seiner Sympathien oder Wohltaten gegenüber der Synagoge bereit war, dort als ‚einen der unseren‘ zu betrachten, wird sich selbst als Jude angesehen und gegenüber seiner nichtjüdischen Umwelt als ein solcher verhalten haben. 45 Vor allem der Bereich des heidnischen Kults stellte eine Gefährdung jüdischer Identität dar. Hier war die Abgrenzung am deutlichsten geboten und erkennbar und führte immer wieder in Konflikte. 46 Immerhin bleibt erstaunlich, dass auch durch solche Abgrenzung die Übernahme öffentlicher Ämter und die Teilnahme am geistigen Leben der Stadt keineswegs von vornherein ausgeschlossen war, obwohl mit ihr zwangsläufig zumindest die passive Teilnahme an Veranstaltungen religiösen Charakters verbunden war. Wahrung der Identität und Suche nach einem modus vivendi im Verkehr mit Nichtjuden schlossen sich also nicht aus, sondern stellten vor die Aufgabe täglicher Bewährung. Die Lebendigkeit jüdischer Gemeinschaften im Sozialzusammenhang hellenistisch-römischer Städte, wie sie für die folgenden Jahrhunderte reich belegt ist, zeigt, dass die Juden in Kleinasien und Griechenland schon im 1. Jh. n. Chr. diese Aufgabe bestanden haben.
2. Lebensfragen paulinischer Gemeinden im Umfeld jüdischer Diasporagemeinschaften
2. Lebensfragen paulinischer Gemeinden Nach Wayne Meeks können die paulinischen Gemeinden soziologisch gesehen nicht als jüdische ‚Sekten‘ betrachtet werden. Sie seien unabhängig von den lokalen Synagogen entstanden und hätten sich ohne größere Kontakte mit den Juden vor Ort organisiert. Lediglich der Apostel selbst habe gewissermaßen eine jüdische Vergangenheit zu bewältigen gehabt. 47 Nun ist allerdings für Vgl. COHEN, Crossing (Anm. 35), 17.21. Vgl. DELLING, Bewältigung (Anm. 20), 16ff. 47 MEEKS, Breaking Away (Anm. 3), 104–108; vgl. auch DERS., Urban Christians (Anm. 3), 32–39. Wesentlich differenzierter stellt THEISSEN, Judentum und Christentum (Anm. 3), die Beziehungen zwischen paulinischem Christentum und Diasporajudentum dar, wenn er 45 46
2. Lebensfragen paulinischer Gemeinden
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Paulus das Verhältnis zwischen Nichtjuden und Juden in der Gemeinde ebenso wie zu Juden außerhalb ihrer nicht lediglich eine soziologische Frage, sondern eine von höchster theologischer Brisanz (vgl. Röm 9–11 einerseits, 1Thess 2,14–16 andererseits). 48 Aber uns geht es hier primär um die geschichtliche Frage nach der Situation der Gemeinden. Meeks selbst verweist auf die in 2Kor 11,24ff. angedeuteten Konflikte des Paulus mit der Disziplinargewalt der Synagogen. 49 Schon aus chronologischen Gründen ist es aber kaum möglich, sie völlig von den Auseinandersetzungen zu trennen, die auch seine Gemeinden betrafen und zur Herausbildung ihrer Identität beitrugen. 50 Sicher kann man nicht alle Konflikte auf einen Nenner bringen, aber die Gegenstände der Auseinandersetzungen sind nicht ohne den Hintergrund der Interaktion von Juden und Nichtjuden erklärbar. Drei Lebensbereiche der paulinischen Gemeinden, in denen solche Interaktion relevant war (und blieb!), wollen wir etwas näher betrachten: die Vorgänge bei der Gemeindegründung, Auseinandersetzungen um den Status von Nichtjuden in der Gemeinde und den Umgang mit nichtchristlichen Heiden im Alltag. Es gehört zur argumentativen Strategie des Paulus, seine Adressaten an ihre Berufung zum Glauben zu erinnern. Offenbar kann er voraussetzen, dass dieses Geschehen in den Gemeinden als prägend anerkannt wird. In 1Thess 1,4–10 erinnert Paulus daran, wie das Evangelium in Thessalonich angekommen ist: nicht durch ein Wort allein, sondern durch Krafterweis und durch heiligen Geist und durch viel Überschwang (1,5). 51 Christusverkündigung und Geistererfahrung waren schon bei der Gründung der Gemeinde mit der Leidensnachfolge verbunden (1,6). Im Zuge des Gründungsgeschehens haben sich die Adressaten von den Götzen weg dem lebendigen und wahren Gott zugewendet
zwischen Parallele, Entschränkung und Transformation unterscheidet. Freilich scheint mir auch seine Terminologie, sofern sie eine bereits erkennbare Identität des Urchristentums im Unterschied zu dem Judentum unterstellt, problematisch. 48 Vgl. dazu TRAUGOTT HOLTZ, Das Gericht über die Juden und die Rettung ganz Israels (1Thess 2,15f. und Röm 11,25f.), in: Wissenschaft und Kirche (FS E. Lohse), hg. v. KURT ALAND/SIEGFRIED MEURER, TAzB 4, Bielefeld 1989, 119–131 (= in: DERS., Geschichte und Theologie des Urchristentums. Gesammelte Aufsätze, hg. v. ECKART REINMUTH/CHRISTIAN WOLFF, WUNT 57, Tübingen 1991, 313–325); NIEBUHR, Heidenapostel (Anm. 42), 136– 178. 49 MEEKS, Breaking Away (Anm. 3), 105. 50 Zusammenstellung der Belege bei NIEBUHR, Heidenapostel (Anm. 42), 96, Anm. 86. Vgl. auch BORGEN, The Early Church (Anm. 39), 224f., sowie jetzt STEGEMANN, Synagoge und Obrigkeit (Anm. 4), 134ff. 51 Offenbar war auch die Art des Auftretens des Apostels in der Gemeinde auffällig und erinnernswert, vgl. V. 5!
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Identität und Interaktion
und erwarten seither seinen Sohn, den auferweckten Jesus, als eschatologischen Retter (1,9f.). 52 In 2,13f. nimmt Paulus erneut auf die Gemeindegründung Bezug: Seine Missionsverkündigung wurde als Gottes-, nicht als Menschenwort empfangen. Sie wurde in den Glaubenden wirksam und hat sie ins Leid geführt. So kommt Paulus auf Leid zu sprechen, das von Juden verursacht wird, kulminierend in der Verfolgung und Behinderung der Missionsverkündigung (2,15f.). 53 Im Zusammenhang von 4,3–8 verweist Paulus nochmals auf das Berufungsgeschehen: Er habe schon damals vorhergesagt, dass der Herr widergöttliche Taten rächen wird (4,6). So gilt es auch jetzt: Wer als von Gott Berufener nicht in Heiligung lebt, sondern – wie die Heiden – in Unreinheit, verwirft den Gott, der ihm bei der Berufung seinen Geist gegeben hat. 54 Betrachten wir nun die Bezugnahmen auf die Gemeindegründung im Galaterbrief! Die Galater haben die göttliche Berufung durch eine Wortverkündigung des Paulus vernommen (Gal 1,8), 55 bei der ihnen Jesus Christus als Gekreuzigter vor Augen geschrieben wurde (3,1). Die Annahme des Christusevangeliums ging einher mit Geisterfahrungen, war aber auch mit Leid verbunden (3,2–5). 56 Im Zuge ihrer Berufung vollzogen die Galater die Abkehr von
52 Vgl. TRAUGOTT HOLTZ, „Euer Glaube an Gott“. Zu Form und Inhalt von 1Thess 1,9f., in: Die Kirche des Anfangs (FS H. Schürmann), hg. v. RUDOLF SCHNACKENBURG u.a., EThSt 38, Leipzig 1977, 459–488 (= in: DERS., Geschichte und Theologie des Urchristentums [Anm. 48], 270–296). Zum Hintergrund jüdischer Heidenpolemik vgl. ROLF DABELSTEIN: Die Beurteilung der ‚Heiden‘ bei Paulus, BET 14, Frankfurt a. M. u.a. 1981, 40f.; BORGEN, The Early Church (Anm. 39), 212f. 53 Vgl. TRAUGOTT HOLTZ, Der erste Brief an die Thessalonicher, EKK 13, Zürich u.a. 1986, 21990, 110–112; DERS., Gericht über die Juden (Anm. 48), 314ff. Neuere Lit. zu 1Thess 2,15f. bei NIEBUHR, Heidenapostel (Anm. 42), 185, Anm. 7. Vgl. jetzt noch EKKEHARD STEGEMANN, Zur antijüdischen Polemik in 1Thess 2,14–16, KuI 5, 1990, 54– 64; JOHN W. SIMPSON, The Problems Posed By 1Thessalonians 2:15–16 and a Solution, HBT 12, 1990, 42–72. 54 Vgl. ECKART REINMUTH, Geist und Gesetz. Studien zu Voraussetzungen und Inhalt der paulinischen Paränese, ThA 44, Berlin 1985, 12–15.92f.; DABELSTEIN, Beurteilung der „Heiden“ (Anm. 52), 52–57. 55 Gal 1,9 προειρήκαμεν deutet an, dass Paulus bereits bei der Erstverkündigung in Galatien Auseinandersetzungen um sein Evangelium im Blick hatte. 56 Zu 3,1–5 im Zusammenhang der Aussageabsicht des Galaterbriefs vgl. JOHN M. G. BARCLAY, Obeying the Truth: A study of Paul’s Ethics in Galatians, Edinburgh 1988, 83ff.; DAVID J. LULL, The Spirit in Galatia. Paul’s Interpretation of Pneuma as Divine Power, SBL.DS 49, Chico 1980, 38f.54–59.72ff.; G. WALTER HANSEN, Abraham in Galatians: Epistolary and Rhetorical Contexts, JSNT.S 29, Sheffield 1989, 109–112; MICHAEL BACHMANN, Sünder oder Übertreter. Studien zur Argumentation in Gal 2,15ff., WUNT 59, Tübingen 1992, 133ff.; CHARLES H. COSGROVE, The Cross and the Spirit. A Study in the Argument and Theology of Galatians, Macon 1988, 44.85f.
2. Lebensfragen paulinischer Gemeinden
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den Götzen und die Zuwendung zu Gott (4,8f.). 57 Mit der Gründungsverkündigung war die Warnung verbunden, dass diejenigen, die dem Willen Gottes zuwider handeln, das Reich Gottes nicht erben werden (5,21). 58 Auch die Gemeinde in Korinth erinnert Paulus an seinen ersten Auftritt dort (1Kor 2,1–5): Nicht als überragender Weisheitsredner habe er die Mysterien Gottes verkündigt, sondern als Kenner des gekreuzigten Jesus (2,2). 59 Aber gerade in dieser Redeweise geschah der Beweis des Geistes und der Kraft (2,4). 60 In 12,2 verweist Paulus auf die Zeit, als die Korinther noch zum Götzendienst hingerissen waren. Unmittelbar anschließend stellt er dem Fluch gegen Jesus das im Geist Gottes gesagte Bekenntnis zu ihm als Kyrios entgegen (12,3). In diesem Bekenntnis ist die Abwendung vom Götzendienst und die Zuwendung zu Gott ausgesprochen und die Geisterfahrung laut geworden. 61 Überblicken wir, was Paulus zur Sprache bringt, wenn er an das Geschehen der Gemeindegründung erinnert, 62 so wird sofort der zentrale Platz der Kreuzes- und Auferweckungsbotschaft innerhalb der Missionsverkündigung deutlich. Mit ihrer Annahme bei den Hörern ging einher ihre Abwendung vom Götzendienst und ihre Zuwendung zum allein wahren und lebendigen Gott. Damit verbunden waren Geisterfahrungen, wodurch die paulinische Predigt als Gottes-, nicht Menschenwort erwiesen wurde. Das Gründungsgeschehen führte aber gleichzeitig in Auseinandersetzungen und Leid. Inhalt, Autoritätsanspruch und erfahrbare Folgen der paulinischen Missionspredigt führten zur eschatologischen Ausrichtung des Lebens der Berufenen, zur Heiligung ihres Wandels nach dem Willen Gottes und der Erwartung der Parusie des auferstandenen Jesus und der Teilhabe am Reich Gottes. Es bedeutet keine Nivellierung der paulinischen Verkündigung, wenn wir die hier zusammengestellten Bestandteile des Gründungsgeschehens bei seinen Gemeinden in den weiteren Horizont der Interaktion von Juden mit ihrer heidnischen Umgebung in der Diaspora stellen. Dass die autoritative Wortverkündigung in Synagogen auch Nichtjuden erreichte, haben wir gesehen. Eine Verkündigung, die zur Abwendung von falscher, nichtiger Gottesverehrung und zur Gestaltung des Lebens nach dem Willen Gottes aufrief, hatte in den Synagogen schon vor dem Auftreten christlicher Missionare einen guten Platz. Über enthusiastische Vorgänge in synagogalen Versammlungen fehlen freilich
Vgl. BORGEN, The Early Church (Anm. 39), 209–213. Vgl. zum Kontext REINMUTH, Geist und Gesetz (Anm. 54), 20.54–66. 59 Vgl. auch die Rückbezüge auf die paulinische Missionsverkündigung in Korinth in 15,1–11 (bes. VV. 1ff.11) und 2Kor 11,4. 60 Zur Interpretation s. SCHRAGE, 1Kor (Anm. 5), 233f. Vgl. auch 9,11. 61 TRAUGOTT HOLTZ, Das Kennzeichen des Geistes. 1. Kor 12,1–3, NTS 18, 1972, 365– 376 (= in: DERS., Geschichte und Theologie des Urchristentums [Anm. 48], 234–245). 62 Vgl. auch noch Phil 4,9. 57 58
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Identität und Interaktion
Zeugnisse aus dem uns interessierenden Bereich. 63 Man könnte immerhin auf die Anziehungs- und Ausstrahlungskraft der jüdischen Feste verweisen. 64 Analogielos bleibt aber neben dem spezifischen Inhalt der paulinischen Predigt die betonte Anrede an Heiden und vor allem die eschatologische Ausrichtung des Geschehens. 65 Es scheinen vornehmlich dies die Elemente des Gründungsgeschehens gewesen zu sein, die die paulinischen Gemeinden von Beginn an in Konflikte geführt haben. Dass diese Konflikte sich zumindest zum Teil in Synagogen abspielten, ist von 2Kor 11,24ff. her anzunehmen.
3. Identitätsbildung und Interaktion im endzeitlichen Horizont
3. Identitätsbildung und Interaktion im endzeitlichen Horizont In der relativ kurzen Zeit zwischen der Gründung der Gemeinden in Kleinasien und Griechenland und der Abfassung der Briefe an sie kam es dort zu Auseinandersetzungen um die Beschneidung. 66 Die Ausgangspositionen in diesem Streit müssen sorgfältig bestimmt werden. Für Paulus steht außer Frage, dass die durch seine Christusverkündigung berufenen Nichtjuden ohne Annahme der Beschneidung gerettet sind (1Thess 1,10; 2,16). Die formelhafte Gegenüberstellung von Beschneidung und Unbeschnittenheit an verschiedenen Stellen seiner Briefe (1Kor 7,18f.; Gal 5,6; 6,15; Röm 2,25–29; 3,30; 4,9–12) entspricht sachlich der Einigung mit den Jerusalemer Aposteln, neben dem Evangelium der Beschneidung auch das der Unbeschnittenheit anzuerkennen (Gal 2,7ff.). Dabei wird freilich nicht die Beschneidung gegenüber der Unbeschnittenheit abgewertet, sondern beide werden im Blick auf ein jeweils Drittes relativiert. 67
Immerhin beschreibt Philo, Virt 217, Abraham, den vorbildlichen Proselyten, als vom göttlichen Geist beseelt und verwandelt. 64 Vgl. bes. Philo, VitMos 2,41–44, über die Ausstrahlungskraft des Jahresfestes zur Verehrung der griechischen Bibelübersetzung, woran sich ein Ausblick auf die (eschatologische?) Zuwendung der Heiden zur Anerkennung der Tora anschließt. 65 REINMUTH, Geist und Gesetz (Anm. 54), 48–74.90–93, hat als paulinisches Spezifikum gegenüber frühjüdischen Zeugnissen die Vorordnung des Geistempfangs vor die Forderung zur Heiligung des Lebens nach dem Gotteswillen herausgearbeitet. Sie dürfte hierin wurzeln. 66 Dass diese Auseinandersetzungen eine Vorgeschichte in Jerusalem haben, bringt Paulus in Gal 2,1–10 (bes. VV. 3.7ff.) zur Sprache. Wir können hier aber auf das Apostelkonzil nicht weiter eingehen; vgl. dazu zuletzt DONALD J. VERSEPUT, Paul’s Gentile Mission and the Jewish Christian Community. A Study of the Narrative in Galatians 1 and 2, NTS 39, 1993, 36–58; NICHOLAS TAYLOR, Paul, Antioch and Jerusalem. A Study in Relationships and Authority in Earliest Christianity, JSNTS 66, Sheffield 1992, 127–130; PAULA FREDRIKSEN, Judaism, the Circumcision of Gentiles, and Apocalyptic Hope: Another Look at Galatians 1 and 2, JThS 42, 1991, 532–564. 67 1Kor 7,18ff.: Berufung durch Gott und Halten seiner Gebote, Gal 5,6: in der Liebe wirksamer Glaube, Gal 6,15: neue Schöpfung, Röm 2,25–29: Tun des Gesetzes, Röm 3,30; 63
3. Identitätsbildung und Interaktion im endzeitlichen Horizont
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Auf dem Hintergrund jüdischer Erwartungen seiner Zeit ist die paulinische Position nicht so ungewöhnlich, wie oft behauptet. 68 Nirgends in der Tora gibt es das Gebot, Heiden zu beschneiden, 69 und im Blick auf die Endzeit schweigen jüdische Texte, sofern sie überhaupt von einem positiven Geschick der Heiden sprechen, bezüglich der Beschneidung. 70 Erwartet wird die Abkehr von heidnischer Unmoral. Juden und Heiden können dann gemeinsam im Tempel Gott verehren und das eschatologische Festmahl halten, ohne dass aber der Unterschied zwischen beiden aufgehoben wäre. 71 Auf diesem Hintergrund erhebt sich die Frage, wie es überhaupt dazu kam, dass von Gliedern paulinischer Gemeinden die Beschneidung verlangt wurde. Paula Fredriksen hat im Blick auf das Apostelkonzil die Beschneidungsforderung als judenchristliche Antwort auf ein doppeltes Dilemma gedeutet: die Parusieverzögerung und die Überzahl von Heidenchristen in den Gemeinden. Angesichts dessen hätten die Judenchristen sich für die Beschneidung von Heidenchristen eingesetzt und so erstmals eine jüdische Heidenmission begründet. Die Auseinandersetzung um die Beschneidung beruhe also auf einer innerchristlichen Neuerung. 72 4,9–12: Glaube. Dies entspricht dem Grundsatz, den Paulus in allen seinen Gemeinden vertritt, vgl. 1Kor 7,17–20. 68 So z.B. zu Röm 3,29f. von ERICH GRÄSSER, „Ein einziger ist Gott“ (Röm 3,30). Zum christologischen Gottesverständnis bei Paulus, in: „Ich will Euer Gott werden“. Beispiele biblischen Redens von Gott, SBS 100, Stuttgart 1981, 177–205 (= in: DERS., Der Alte Bund im Neuen. Exegetische Studien zur Israelfrage im Neuen Testament, WUNT 35, Tübingen 1985, 231–258, dort 254–258). 69 Gen 17,27, die einzige Ausnahme, bezieht sich auf im jüdischen Haus lebende nichtjüdische Sklaven und wird z.B. von Philo, QuaestGen 3,62, auf die Philanthropie des weisen Mannes gegenüber Ausländern hin ausgelegt, ohne die Beschneidung zu erwähnen. Vgl. dazu DELLING, Bewältigung (Anm. 20), 80. 70 Dies hat FREDRIKSEN, Judaism (Anm. 66), 544–548, anhand jüdischer Traditionen über das Geschick der Heiden in der Endzeit herausgestellt. Zusammenstellungen entsprechender Belege auch bei TERENCE L. DONALDSON, The „Curse of the Law“ and the Inclusion of the Gentiles: Galatians 3.13–14, NTS 32, 1986, 94–112; MCKNIGHT, Light (Anm. 36), 35.50f.; CLEMENS THOMA, Entwürfe für messianische Gestalten in frühjüdischer Zeit, in: Messiah and Christos. Studies in the Jewish Origins of Christianity (FS D. Flusser), hg. v. ITHAMAR GRUENWALD u.a., TSAJ 32, Tübingen 1992, 15–29: 29; JÜRGEN BECKER, Die Testamente der zwölf Patriarchen, JSHRZ III/1, Gütersloh 1974, 104, Anm. 3e. Vgl. mit Blick auf Sib 3 COLLINS, Symbol of Otherness (Anm. 36), 165f. Auch die o., Anm. 64, erwähnte eschatologisch gefärbte Passage bei Philo, VitMos 2,44, schweigt bezüglich der Beschneidung. 71 Vgl. FREDRIKSEN, Judaism (Anm. 66), 547. Nach Sach 14,16 werden nach dem eschatologischen Kampf die Übriggebliebenen aus den Völkern im Tempel das Laubhüttenfest feiern! 72 FREDRIKSEN, a.a.O., 558–562. Dies würde in der Tat zu dem oben erwähnten Bild bei Meeks von den paulinischen Gemeinden als von Synagogen unabhängigen Gemeinschaften passen.
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Identität und Interaktion
Freilich bleiben hier im Blick auf die paulinischen Gemeinden erhebliche Fragen offen: Warum sollten die „Falschbrüder“, die in Jerusalem auf die Parusie und das Hinzuströmen der Heiden warteten, plötzlich in die Diaspora aufgebrochen sein, um in den paulinischen Gemeinden Heiden zu beschneiden? Wäre es nicht naheliegender, sich um die wenigstens schon beschnittenen Glieder der Diasporasynagogen zu bemühen? Wäre überhaupt – angesichts der bisher vertretenen Erwartung – die Beschneidung von Heiden ein taugliches Mittel gegen die Parusieverzögerung? Warum sollte denn – angesichts der Bevölkerungsverhältnisse im Römischen Reich – die Überzahl unbeschnittener Gottesverehrer ein Dilemma sein? Die Vorstellung von einer innerchristlichen Entwicklung scheint mir zudem für die Frühzeit paulinischer Gemeinden anachronistisch. Unbeteiligte Beobachter konnten Auseinandersetzungen um eine so typisch jüdische Frage wie die Beschneidung nur als innerjüdische Angelegenheit beurteilen. 73 Wer von Nichtjuden verlangte, sich beschneiden zu lassen, wird selbst beschnitten gewesen sein und damit das entscheidende jüdische Identitätsmerkmal getragen haben. 74 Selbst Paulus, der die entgegengesetzte Haltung einnahm, konnte sich dabei stolz auf seine eigene Beschneidung berufen (Phil 3,5). Nicht einmal er, geschweige denn seine Widersacher können also als Apostaten angesehen werden. Warum also sollten sie alle Verbindungen mit der Synagoge gekappt haben? Betrachtet man von hier aus die im Philipperbrief vorausgesetzte Gemeindesituation, dann deutet sich ein möglicher Hintergrund für die Beschneidungsforderung in den paulinischen Gemeinden an. 75 Die Warnung in Phil 3,2 zeigt, dass Beschneidungsagitatoren in der Gemeinde zwar noch nicht zum Ziel gekommen sind, aber eine reale Gefahr darstellen. Unbeschnittene Gemeindeglieder fanden also die Annahme der Beschneidung attraktiv. Als Hörer der paulinischen Missionspredigt hatten sie sich vom Götzendienst abgewendet und ihr Leben in Erwartung der Parusie (1,5f.9ff.) dem Willen Gottes entspre-
73 Dass es sie gab und dass sie entsprechend reagierten, legen die Vorgänge um die Ausweisung von Juden aus Rom durch Claudius nahe, vgl. LAMPE, Die stadtrömischen Christen (Anm. 7), 4–9. Die gerade nicht schematischen, m.E. auf Lokaltraditionen beruhenden Verwicklungen von Heiden in die in der Apostelgeschichte geschilderten Auseinandersetzungen (vgl. o., bei Anm. 5) deuten auf ähnliche Verhältnisse in den paulinischen Gemeinden. 74 Vgl. zur Beschneidung als Grenzmarkierung jüdischer Identität JAMES D. G. DUNN, What was the Issue between Paul and „Those of the Circumsicion?“, in: HENGEL/HECKEL, Paulus und das antike Judentum (Anm. 3), 295–313; DERS., The Partings of the Ways Between Christianity and Judaism and Their Significance for the Character of Christianity, London 1991, 124–130; COLLINS, Symbol of Otherness (Anm. 36). 75 Vgl. dazu NIEBUHR, Heidenapostel (Anm. 42), 87–103.
3. Identitätsbildung und Interaktion im endzeitlichen Horizont
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chend geheiligt. Als Kompensation für die damit verbundene soziale Desintegration 76 war ihnen die Erfahrung vermittelt worden, zusammen mit Israel zum eschatologischen Gottesvolk zu gehören (3,3.20). Deshalb konnten sie alle Grenzen zwischen Juden und Heiden für gefallen ansehen. Aus solchem Selbstverständnis heraus wäre ihr Anspruch verständlich, als Teil der Gemeinschaft anerkannt zu werden, die sich in der Synagoge konstituiert. Mit ihm könnte die Erwartung verbunden worden sein, auch den sozialen, religiösen und rechtlichen Schutz des jüdischen Gemeinwesens genießen zu dürfen. 77 Angesichts dessen hätten Juden 78 die Beschneidung als Grenzmarkierung zwischen ihnen und den Heiden herausgestellt und damit die Teilhabe an der Synagogengemeinschaft für unbeschnittene Gemeindeglieder verhindert. So fände die an sich ungewöhnliche Attraktivität der Beschneidung bei paulinischen Heidenchristen soziologische Plausibilität. Die theologische Motivation der Beschneidungsagitatoren können wir aus der paulinischen Darstellung nicht mehr erkennen. Er jedenfalls sieht in ihrer Forderung einen grundlegenden Widerspruch zu seiner Christusverkündigung 79 und zum Selbstverständnis seiner Gemeinden. 80 Leiderfahrungen gefährden nicht ihre Identität, sondern entsprechen gerade der Gestalt, die das Endzeitgeschehen im Gekreuzigten gefunden hat. 81 Sie weisen der Gemeinde ihren Platz zwischen Anbruch und Vollendung des Heils zu. Wer aber die Beschneidung fordert oder annimmt, bringt zum Ausdruck, dass für ihn die Zeit des endzeitlichen gemeinsamen Gottesdienstes von Juden und Heiden noch nicht angebrochen ist, dass also die Geisterfahrung bei der Gründung der Gemeinde irreführend war. Damit aber wäre nicht nur der apostolischen Existenz des Paulus, sondern auch der Identität seiner Gemeinden der Boden entzogen. 82
Vgl. die Hinweise auf Leidenserfahrungen in der Gemeinde (1,27–30; 3,1; 4,1), die den Hintergrund für die Ermahnung des Apostels zur Freude im Herrn bilden. Vgl. dazu NIEBUHR, a.a.O., 83f. 77 Das Stichwort πολίτευμα in 3,20 könnte durch einen solchen Hintergrund angeregt sein, vgl. NIEBUHR, a.a.O., 94f.102. 78 Ob sie auch Jesusanhänger waren, ist nicht so selbstverständlich wie oft vorausgesetzt. Für die Beschneidungsagitatoren in Galatien ist es von Gal 6,12 her wahrscheinlich (vgl. aber NIKOLAUS WALTER, Paulus und die Gegner des Christusevangeliums in Galatien, in: ALBERT VANHOYE [Hg.], L’Apôtre Paul. Personnalité, Style et Conception du Ministère, BEThL 73, Leuven 1986, 351–356), während es für die in Philippi zumindest aus dem Philipperbrief nicht eindeutig hervorgeht (vgl. NIEBUHR, Heidenapostel [Anm. 42], 88–92). 79 Phil 3,18. Vgl. auch 1Kor 1,23; Gal 5,11, dazu NIEBUHR, Heidenapostel (Anm. 42), 68f. 80 Phil 3,3.20. 81 Phil 3,21; vgl. 3,10; 2,8. 82 Vgl. NIEBUHR, a.a.O., 97–103. 76
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Identität und Interaktion
4. Identität und religiöse Praxis
4. Identität und religiöse Praxis Dass auch für die Gestaltung des Gemeindelebens im Alltag einer hellenistisch geprägten Umwelt Modelle der Interaktion zwischen Juden und Nichtjuden in den paulinischen Gemeinden rezipiert wurden, soll abschließend exemplarisch an 1Kor 8–10 verdeutlicht werden. 83 Dass zur ‚heidenchristlichen‘ korinthischen Gemeinde auch Juden gehörten, ist sicher. 84 Darüber hinaus ist das Maß an Vertrautheit mit der Schrift, der Anerkennung ihrer Geltung und der Kenntnis jüdischer Überlieferung und Praxis, das Paulus bei allen Adressaten voraussetzt, in den Korintherbriefen besonders hoch. 85 Ohne dass wir die verschiedenen Gruppen in der korinthischen Gemeinde hier näher bestimmen könnten, 86 gibt allein schon die in 1Kor 8–10 zur Debatte stehende konkrete Lebensfrage Aufschluss für unser Thema. Gegenstand der Erörterungen sind εἰδωλόθυτα, Speisen, deren Genuss nach jüdischer Ansicht der Treue zu Gott widerspricht. 87 Paulus kann bei allen Beteiligten Einverständnis erwarten zum einen in der grundsätzlichen Ablehnung des Götzendienstes (1Kor 8,4), zum andern im gemeinsamen Bekenntnis zum 83 Zum jüdischen Hintergrund der situationsbezogenen Paränese im 1. Korintherbrief insgesamt vgl. TRAUGOTT HOLTZ, Zur Frage der inhaltlichen Weisungen bei Paulus, ThLZ 106, 1981, 385–400 (= in: DERS., Geschichte und Theologie des Urchristentums [Anm. 48], 205–222); REINMUTH, Geist und Gesetz (Anm. 54), 18f.48–51; PETER TOMSON, Paul and the Jewish Law: Halakha in the Letters of the Apostle to the Gentiles, CRINT 3,1, Assen/Minneapolis 1990, 97–149; BRIAN S. ROSNER, Paul, Scripture and Ethics: A Study of 1 Corinthians 5–7, AGJU 22, Leiden u.a. 1994, 26–58. Eher kritisch dazu ANDREAS LINDEMANN, Die biblischen Toragebote und die paulinische Ethik, in: Studien zum Text und zur Ethik des Neuen Testaments (FS H. Greeven), hg. v. WOLFGANG SCHRAGE, BZNW 47, Berlin 1986, 242–265. 84 Einige von ihnen kennen wir sogar mit Namen: Krispus (1Kor 1,14; Apg 18,8), Sosthenes (1Kor 1,1; Apg 18,17), Jason (Röm 16,21; Apg 17,5–9), sowie Aquila und Prisk(ill)a (1Kor 16,19; Röm 16,3; Apg 18,2). Vgl. auch SCHRAGE, 1Kor (Anm. 5), 31f.; HANS-JOSEF KLAUCK, Herrenmahl und hellenistischer Kult. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung zum ersten Korintherbrief, NTA 15, Münster 1982, 234ff.; RICHARD E. OSTER, Use, Misuse and Neglect of Archaeological Evidence in Some Modern Works on 1 Corinthians (1 Cor 7,1–5; 8–10; 11,2–16; 12,14–26), ZNW 83, 1992, 52–73: 55–58. 85 Vertrautheit mit der Schrift z.B. in 1Kor 10,1–4; 2Kor 3, Anerkennung ihrer Geltung in 1Kor 9,8ff. Ganz selbstverständlich datiert Paulus nach dem jüdischen Kalender (16,8). Die Gemeinde lebt nach der jüdischen Woche (16,2). Passafestbräuche sind so bekannt, dass Paulus allegorisierend auf sie anspielen kann (5,6ff.). 86 S. dazu jetzt ausführlich SCHRAGE, 1Kor (Anm. 5), 38–63; HELMUT MERKLEIN, Der erste Brief an die Korinther, Bd. 1: Kapitel 1–4, ÖTK 7,1, Gütersloh/Würzburg 1992, 114– 152; WILLIAM BAIRD, „One against the Other“: Intra-Church Conflict in 1 Corinthians, in: FORTNA/GAVENTA, The Conversation continues (Anm. 8), 116–136. 87 Zu den in der Diaspora einschlägigen jüdischen Speisevorschriften vgl. SANDERS, Jewish Law (Anm. 29), 272–283; DERS., Judaism (Anm. 32), 214–217; DELLING, Bewältigung (Anm. 20), 12f.; TOMSON, Paul and the Jewish Law (Anm. 83), 231–235.
4. Identität und religiöse Praxis
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einen Gott, der durch den Herrn Jesus Christus wirkt und in der Gemeinde gegenwärtig ist (8,6). Auseinandersetzungen um die praktischen Folgen dieser gemeinsamen Basis erfordern eine umfangreiche argumentative Ermahnung. Die am Geschehen in Korinth beteiligten Gruppen kann man nicht einfach in Juden- und Heidenchristen unterteilen. 88 Offenbar waren diejenigen, deren Gewissen jetzt durch Genuss von Götzenopferfleisch beschwert wird, früher selbst gewohnheitsmäßige Götzendiener (8,7), während diejenigen, die in christlicher Freiheit keine Unterschiede beim Essen machen, dabei von dem gut jüdischen Grundsatz ausgehen, dass Gott nur einer ist (8,4). In jedem Fall aber wurde das zur Debatte stehende Problem überhaupt nur dadurch relevant, dass Grundsätze jüdischer Lebensgestaltung in der paulinischen Gemeinde bestimmend blieben bzw. für die ehemals heidnischen Glieder erst bestimmend wurden. Nicht Paulus ist es, der hier der Gemeinde seine eigene jüdische Identität aufprägt, sondern die Korinther selbst suchen nach Wegen, jüdische Identitätsmerkmale gegenüber ihrer heidnischen Umwelt zu bewahren. 89 Peter Tomson hat jüngst versucht, die konkreten Weisungen des Paulus in 1Kor 8–10 ganz von jüdischer Halacha für das Leben in der Diaspora her zu verstehen. 90 Wichtig ist sein Hinweis, dass in der Diaspora nicht Fragen kultischer Reinheit oder korrekter Verzehntung problematisch waren, sondern allein die Abgrenzung gegenüber dem Götzendienst der Heiden. 91 Genau darum geht es auch Paulus. Er setzt mit dem Verweis auf die Nichtigkeit der Götzen (8,1.4) und auf das Bekenntnis zur Alleinherrschaft Gottes, des Schöpfers (8,6), ein. Daraus ergibt sich freilich die von ihm geforderte Verhaltensweise gerade nicht, sondern eher die von ihm kritisierte. 92 Auch der anschließende Verweis auf die Liebe und die Rücksichtnahme gegenüber den Schwachen
Vgl. zur Diskussion um die „Schwachen“ CHRISTIAN WOLFF, Der erste Brief des Paulus an die Korinther. Zweiter Teil: Auslegung der Kapitel 8–16, ThHK 7/2, Berlin 1982, 2f., sowie vor allem GERD THEISSEN, Die Starken und die Schwachen in Korinth. Soziologische Analyse eines theologischen Streites, EvTh 35, 1975, 155–172 (= in: DERS., Studien zur Soziologie des Urchristentums, WUNT 19, Tübingen 31989, 272–289); JEROME MURPHYO’CONNOR, Freedom or the Ghetto (1 Co 8,1–13; 10,23–11,1), in: LORENZO DE LORENZI (Hg.), Freedom and Love. The Guide for Christian Life (1 Co 8–10; Rom 14–15), SMBen 6, Rom 1981, 7–38; KLAUCK, Herenmahl (Anm. 84), 241–285, bes. 246ff.; SAMUEL VOLLENWEIDER, Freiheit als neue Schöpfung. Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt, FRLANT 147, Göttingen 1989, 199–232, bes. 213 mit Anm. 75. 89 Vgl. vor allem 8,4 als Wiedergabe der korinthischen Position (dazu WOLFF, 1Kor [Anm. 88], 6). Kynisch-stoische Argumente bei der Kritik an heidnischer Religion sind im hellenistischen Judentum im Interesse der Abgrenzung vom Götzendienst rezipiert worden, vgl. dazu TOMSON, Paul and the Jewish Law (Anm. 83), 156f.208–216. 90 TOMSON, a.a.O., 151–220. Vgl. auch BRUCE W. WINTER, Theological and Ethical Responses to Religious Pluralism – 1 Corinthians 8–10, TynB 41, 1990, 209–226. 91 TOMSON, Paul and the Jewish Law (Anm. 83), 216. 92 Vgl. HOLTZ, Zur Frage der inhaltlichen Weisungen (Anm. 83), 213f. 88
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Identität und Interaktion
(8,7–13) kann die Regelungen in 10,25–30 nicht material begründen. Sie basieren vielmehr auf der grundsätzlichen Gefährdung durch die heidnische Religion (10,1–22), wie sie Juden der Diaspora täglich vor Augen stand, und auf deren Erfahrungen bei der Bewältigung dieser die jüdische Identität gefährdenden Herausforderung. 93 Mag auch tannaitische Halacha nicht in der Weise leitend für Paulus gewesen sein, wie Tomson annimmt, so ist ihm doch darin zuzustimmen, dass die paulinische Argumentation und die aus ihr resultierenden konkreten Weisungen keine grundsätzliche Abkehr von der Tora propagieren, 94 sondern darauf ausgerichtet sind, alle Glieder der Gemeinde vor der Partizipation am Götzendienst zu bewahren. Dieses Interesse und der dabei angesprochene Interaktionsbereich verbinden die korinthische Christengemeinde mit der Synagoge. Die Herausforderungen, die aus dem Kontakt von Juden und Nichtjuden im Rahmen des synagogalen Lebens der Diaspora erwuchsen, ebenso wie die Mittel zu ihrer Bewältigung, bildeten den Horizont, in dem die paulinische Gemeinde aus Juden und Nichtjuden ihre eigene Identität entwickeln konnte. Sie konnten freilich diese Identität selbst nicht begründen. Diese wurzelt vielmehr in der von Paulus der Gemeinde zugesprochenen Teilhabe an Leib und Blut Christi (10,16f.). In ihr ist die Grenze zwischen Juden und Nichtjuden in der Gemeinde aufgehoben, die gegenüber dem Götzendienst aber – gemeinsam mit der Synagoge – umso entschiedener gezogen. Damit ist die Gemeinschaft der Gemeinde im Herrenmahl sichtbare Entsprechung zur Geisterfahrung bei der Gemeindegründung. In ihr nimmt die paulinische Kreuzesverkündigung Gestalt an. 95 Die Einheit der Gemeinde aus Juden und Nichtjuden in der Teilhabe an Leib und Blut Christi lässt gleichzeitig auch die identitätsstiftende Differenz zum Israel κατὰ σάρκα (10,18) erkennen. Von hier aus erklärt es sich, dass Paulus die Gemeinde Gottes neben Juden und Griechen stellen kann (10,32). So wie die Interaktion vor Ort, das Essen und Trinken und alles Tun, für Juden und Nichtjuden ein Glaubenshindernis werden kann, wenn mangelnde Abgrenzung gegenüber falscher Gottesverehrung ihre Einbeziehung in die Gemeinde Gottes verhindert, so kann sie auch die Identität der Endzeitgemeinde selbst gefährden, die Herrlichkeit Gottes verdunkeln (10,31) und ihre noch ausstehende Vollendung aufs Spiel setzen. In solcher Verknüpfung von Interaktion und 93 Vgl. dazu BORGEN, The Early Church (Anm. 39), 225–228. Bei JOHN K. CHOW, Patronage and Power. A Study of Social Networks in Corinth, JSNT.S 75, Sheffield 1992, und WENDELL L. WILLIS, Idol Meat in Corinth: The Pauline Argument in 1 Corinthians 8 and 10, SBL.DS 68, Chico 1985, bleibt dieser Hintergrund weitgehend unbeachtet. 94 So aber WILLIS, a.a.O., 231. 95 In 1Kor 1,10–2,5 ist angesichts von Spaltungen in der Gemeinde ein strukturell vergleichbarer Zusammenhang im Blick auf die Taufe hergestellt, auch hier, wie in 10,32, mit ausdrücklichem Bezug auf Juden, Griechen und „uns“! Vgl. dazu MERKLEIN, 1Kor (Anm. 86), 162–167.187–190.
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Identität spiegelt sich das eschatologisch exklusive ebenso wie das institutionell und organisatorisch inklusive Selbstverständnis der Gemeinde nach der Sicht des Paulus wider.
Jesus, Paul and the Pharisees Observations on their Commonalities and their Understanding of Torah For a long time now, ‘Western’ Biblical scholarship has been accustomed to the term ‘the historical Jesus’. However, the methodological and theological implications of this approach have been reflected profoundly and critically upon already by Martin Kähler more than a hundred years ago. 1 Nowadays, some basic grounds for inquiring into the historical Jesus (‘Rückfrage nach Jesus’) are largely agreed. Today, one can have slightly more optimistic expectations for the success of this inquiry, despite all limitations in terms of the source basis and our understanding of the methodological and hermeneutical pitfalls, which attach to the question. 2 Turning specifically to inquire into the relationships between Jesus, Paul, and Jewish groupings of their time, especially the Pharisees, it seems to be historical and religious-historical relations which call first for attention. Admittedly, my presentation goes beyond that remit, since, in addition to the historical determination of the interrelationships, the question of the interpretation of the Torah and anthropological aspects should be particularly taken into consideration. This extension of perspective should also determine the structure of my presentation. First, I will shed light on the historical relationships between Jesus, Paul, and the Pharisees; then present their respective ways of dealing with the Torah; and I shall conclude by briefly and by way of illustration examining an example of some aspects of anthropology that play a role here.
1 MARTIN KÄHLER, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus, ed. ERNST WOLF, München 1961. For Kähler’s approach see KARL-WILHELM NIEBUHR, Welchen Jesus predigen wir? Überlegungen im Anschluss an Martin Kähler, Sacra Scripta 9, 2011/12, 123–142. 2 For an overview of the discussion, cf. JENS SCHRÖTER/CHRISTINE JACOBI (Ed.), Jesus Handbuch, Tübingen 2017; GERD THEISSEN/ANNETTE MERZ, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 1996 (42011). For a particular aspect of recent Jesus research, the Galilean perspective and on basic hermeneutic question, cf. JENS SCHRÖTER, Jesus im Kontext, ThLZ 134, 2009, 905–928. In my opinion, the pre-eminent introduction to the topic, both in historical and theological terms, is MARTIN HENGEL/ANNA MARIA SCHWEMER, Jesus und das Judentum, Geschichte des frühen Christentums, Vol. 1, Tübingen 2007.
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Jesus, Paul and the Pharisees
1. Jesus, Paul and the “Historical Pharisees”
1. Jesus, Paul and the “Historical Pharisees” The question of the ‘historical Pharisees’ 3 presents us with at least as great a methodological problem as that of the ‘historical Jesus’. However, if we wish 3 Recent literature on Pharisee research include JOSEPH SIEVERS/AMY-JILL LEVINE (Ed.), The Pharisees, Grand Rapids 2021; FLORIAN WILK, Die synoptischen Evangelien des Neuen Testaments als Quellen für die Geschichte der Pharisäer, in: LUTZ DOERING/HANSGÜNTHER WAUBKE/FLORIAN WILK (Ed.), Judaistik und neutestamentliche Wissenschaft. Standorte – Grenzen – Beziehungen, FRLANT 226, Göttingen 2008, 85–107; HANSGÜNTHER WAUBKE, Die talmudische Haberim-Halacha und die Pharisäer, ibid., 108–132; DANIEL R. SCHWARTZ, On Pharisees and Sadducees in the Mishnah. From Composition Criticism to History, ibid., 133–145; JACOB NEUSNER/BRUCE CHILTON (Ed.), In Quest of the Historical Pharisees, Waco 2007; HILLEL NEWMAN, Proximity to Power and Jewish Sectarian Groups of the Ancient Period. A Review of Lifestyle, Values, and Halakhah in the Pharisees, Sadducees, Essenes, and Qumran, ed. RUTH LUDLAM, Leiden 2006; ROLAND DEINES, The Pharisees Between ‘Judaisms’ and ‘Common Judaism’, in: DONALD A. CARSON/PETER T. O’BRIEN/MARK A. SEIFRID (Ed.), Justification and Variegated Nomism, Vol. I: The Complexities of Second Temple Judaism, WUNT II/140, Tübingen 2001, 443–504; IDEM, Pharisäer, TBLNT 2, 2000, 1455–1468; ELLIS RIVKIN, Who were the Pharisees?, in: ALAN J. AVERY-PECK/JACOB NEUSNER (Ed.), Judaism in Late Antiquity, Part III: Where We Stand: Issues and Debates in Ancient Judaism, Vol. 3, HO I/53, Leiden 2000, 1–33; LESTER L. GRABBE, Sadducees and Pharisees, in: JACOB NEUSNER/ALAN J. AVERY-PECK (Ed.), Judaism in Late Antiquity, Part III: Where we Stand: Issues and Debates in Ancient Judaism, Vol. 1, HO I/40, Leiden 1999, 35–62; JOACHIM SCHAPER, The Pharisees, in: WILLIAM HORBURY/WILLIAM D. DAVIES/JOHN STURDY (Ed.), The Cambridge History of Judaism, Vol. 3: The Early Roman Period, Cambridge 1999, 402–427; ALBERT I. BAUMGARTEN, The Flourishing of Jewish Sects in the Maccabean Era. An Interpretation, JSJ.S/ StPB 55, Leiden 1997; HANS-FRIEDRICH WEISS, Pharisäer, TRE 26, 1996, 473–485; JACOB NEUSNER/CLEMENS THOMA, Die Pharisäer vor und nach der Tempelzerstörung des Jahres 70 n. Chr., in: Tempelkult und Tempelzerstörung (70 n. Chr.) (FS C. Thoma), ed. SIMON LAUER/HANSPETER ERNST, Bern 1995, 189–230; ROLAND DEINES, Jüdische Steingefäße und pharisäische Frömmigkeit. Ein archäologisch-historischer Beitrag zum Verständnis von Joh 2,6 und der jüdischen Reinheitshalacha zur Zeit Jesu, WUNT II/52, Tübingen 1993; PETER SCHÄFER, Der vorrabbinische Pharisäismus, in: MARTIN HENGEL/ULRICH HECKEL (Ed.), Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991, 125–175; GÜNTER STEMBERGER, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, SBS 144, Stuttgart 1991; ED P. SANDERS, Jewish Law from Jesus to the Mishnah. Five Studies, London 1990, 97–254; LOUIS FINKELSTEIN, Pharisaic Leadership after the Great Synagogue, 170 B.C.E.–135 C.E., in: WILLIAM D. DAVIES/LOUIS FINKELSTEIN (Ed.), The Cambridge History of Judaism. Vol. 2: The Hellenistic Age, Cambridge 1989, 245–277; ANTHONY J. SALDARINI, Pharisees, Scribes and Sadducees in Palestinian Society. A Sociological Approach, Wilmington 1988 (Reprint 2001). For the history of research, cf. ROLAND DEINES, Die Pharisäer. Ihr Verständnis im Spiegel der christlichen und jüdischen Forschung seit Wellhausen und Graetz, WUNT 101, Tübingen 1997; HANS-GÜNTHER WAUBKE, Die Pharisäer in der protestantischen Bibelwissenschaft des 19. Jahrhunderts, BHTh 107, Tübingen 1998. – My thanks go to Roland Deines for a series of helpful critical remarks and further references on this contribution, which I have sought to reflect at the appropriate points.
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to describe the relations between Jesus, Paul and the Pharisees with any degree of profile, we cannot avoid it. Of course, even a cursory consideration makes the challenges of this issue clear: the only pre-AD 70 Pharisee of whom we have proven original records is none other than the apostle Paul! 4 All other ancient sources for the Pharisees – essentially, Flavius Josephus, the New Testament writings and the rabbinic tradition – each quite clearly reflect their authors’ own biases, which can only be explained if the date of their composition came after the decisive turning-point in Jewish history which saw the demise of the Land of Israel in the first century AD, following the end of the Jewish War. Moreover, even the Pharisee Paul unmistakably acknowledges value judgments about that phase of his life in this respect, which he himself only resolved after the change in his life: his calling to be an apostle of Christ. 5 1.1 Pre-AD 70 Pharisaism according to Josephus In three places in his works – without any apparent connection to the context in any of the instances – Josephus has an excursus on Jewish “sects”, in which he characterises the Pharisees in the manner of Jewish schools of philosophy (Bell 2,117–166; Ant 13,171–173; 18,11–25). 6 In light of their doctrine of destiny or free will, he ascribes to the Pharisees the view that God and man work together in doing justice. As to the soul, we are told that the Pharisees taught the immortality of all souls: those of the righteous underwent metempsychosis into another body upon death, whereas those of the wicked were subjected to eternal punishment. 7 In addition to such rather philosophical or doctrinal convictions, Josephus intimates the following to us about the Pharisees in the course of this excursus on the schools. They distinguished themselves by a scrupulous interpretation (akribeia, ‘meticulousness, strict adherence’) of the law, as well as by a particular care for the community, an abstemious lifestyle On Paul as Pharisee, cf. KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 48–57. 5 Cf. esp. Phil 3:2–11; on which, cf. NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (n. 4), 79–111. 6 On Josephus’ portrayal of the Pharisees, cf. STEVE MASON, Flavius Josephus on the Pharisees. A Composition-Critical Study, StPB 39, Leiden 1991; IDEM, Revisiting Josephus’s Pharisees, in: JACOB NEUSNER/ALAN J. AVERY-PECK (Ed.), Judaism in Late Antiquity, Part III: Where we Stand: Issues and Debates in Ancient Judaism, Vol. 2, HO I/41, Leiden 1999, 23–56; LESTER L. GRABBE, The Pharisees: A Response to Steve Mason, in: AVERY-PECK/NEUSNER, Judaism in Late Antiquity, III/3 (n. 3), 35–47. Cf. also GÜNTHER BAUMBACH, Die Pharisäerdarstellung des Josephus – propharisäisch oder antipharisäisch? FDV 6, Münster 1997; JACOB NEUSNER, Josephus’ Pharisees. A Complete Repertoire, in: LOUIS H. FELDMAN/GOHEI HATA (Ed.), Josephus, Judaism and Christianity, Leiden 1987, 274–292. 7 Most recently on this, cf. CASEY D. ELLEDGE, Life after Death in Early Judaism. The Evidence of Josephus, WUNT II/208, Tübingen 2006, 53–63, 81–130. 4
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and by their reverence for the elders. They enjoyed large sway over the people and also exerted substantial influence upon the Temple cult. Besides this, we encounter Pharisees in Josephus in the course of his historical accounts, as individuals or in groups, in connection with various episodes of political strife between the second century BC and the Jewish War, beginning with John Hyrcanus (Ant 13,288–298) through Salome Alexandra (Bell 1,107–114; Ant 13,400–432), Herod the Great (Bell 1,571; Ant 17,41–45 and Ant 15,3ff., 370), Quirinius (Ant 18,4) through to the events of the years AD 66–70 (Bell 2,411; Vit 20–23, 189–198). Taken together, these references give a rather negative picture of Pharisaism. Although their political influence is acknowledged, it is by the same token deplored. A historically conclusive assessment of their political significance, as adopted by scholars such as Jacob Neusner, 8 cannot in fact be made out. Our picture is rather incoherent, especially since it is not always clear whether the evaluation of the Pharisees offered reflects Josephus’ own point of view or is derived from his sources. Finally, to a few of the aforementioned references to the Pharisees in political contexts, Josephus adds explanatory ‘footnotes’ characterising them more generally (Bell 1,110; Ant 13,288, 294, 297; 17,41). If these evaluations are shorn of their context and lumped together, what results is a generally very positive portrayal of the Pharisees. Their peculiar piety and akribeia in dealing with the Torah is emphasised, as is their esteem among the people, their courage even in the face of kings and their leniency in punishing offences. Yet in the argumentative context in which each of these references occurs in Josephus, the mentions of the Pharisees serve quite the opposite purpose. What, then, does the picture of the Pharisees in Josephus look like, and how is it drawn? Is there a difference in his Pharisaic portrayal between the Bellum and the Antiquitates, and if so, how is such to be interpreted? How did Josephus relate to the Pharisees before and after AD 70? Although he claims in Vit 12 to have modelled his public ministry after the Pharisees from his youth on, does that mean that he himself was a Pharisee, and how compatible is that with his aristocratic-priestly origin, which he points out in his Vita (Vit 1–6)? 9 What was Josephus seeking to achieve vis-à-vis the Pharisees at the time of penning his works in Rome? All these questions have been emphasised in recent research on the Pharisees, but none of them has been given generally accepted answers.
8 Cf. JACOB NEUSNER, From Politics to Piety. The Emergence of Pharisaic Judaism, New York 1973 (21979). 9 On this, cf. STEVE MASON, Was Josephus a Pharisee?, JJS 40, 1989, 31–45.
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1.2 New Testament sources on the Pharisees Apart from Paul, all New Testament mentions of Pharisees date from after AD 70 and they typically depict more or less clear conflicts between Jewish followers of Jesus and their equally Jewish opponents. 10 In the Q tradition (Sayings Source), the particular pains taken by the Pharisees on tithing laws and Torah purity codes regarding food, as well as questions of the pollution of the dead (Lk 11:37–44 par. Mt 23:23–28), feature as an object of Jesus’ polemic. 11 In Mark, the Pharisees are – besides, to some extent, the scribes – Jesus’ main opponents in Galilee (2:13–3:6; 7:1–23; 8:11,15; 10:2–12), although, strikingly, they no longer appear clearly as such in Jerusalem in connection with the Passion account. At issue in conflicts between Jesus and the Pharisees are the latter’s “traditions of the fathers”, especially regarding ritual purity in food (Mk 7:2–13, 2:16), as well as questions of Sabbath-keeping (Mk 2:23–3:6) and divorce (Mk 10:2–12). In the collection of disputes in Mk 12:13–40, it is evident that the Pharisees are deliberately hived off as a category distinct from the Sadducees and scribes, although it is questionable whether the respective subject matters mentioned in that passage actually relate to specific characteristics of the groupings. 12 During the course of Matthew’s story, the differentiation between different Jewish groups in antagonism to Jesus increasingly disappears. 13 The Pharisees – in contrast to their antagonism, which is often pointed out in the sources – are lumped together with the scribes and Sadducees into a community of action against Jesus (Mt 16:1, 5; 12:22, 34), 14 and even in the Passion narrative, the Pharisees, unlike in Mark’s version, now take a leading role among the opponents of Jesus (Mt 27:62–66).
Most recently on this, cf. WILK, Die synoptischen Evangelien (n. 3). On the remarks concerning the Pharisees in the Q source and in Mark, cf. most recently ROLAND DEINES, Die Pharisäer und das Volk im Neuen Testament und bei Josephus, in: CHRISTFRIED BÖTTRICH/JENS HERZER (Ed.), Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen, II. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum 25.–28. Mai 2006, Greifswald, WUNT 209, Tübingen 2007, 147–180. 12 This may apply to the pericope on the Sadducees’ question of Mk 12:18–27 (on which, see below, pp. 197f.), but surely it applies hardly if at all to the question of which is the greatest commandment in Mk 12:28–34. 13 Most recently on this, cf. MATTHIAS KONRADT, Die vollkommene Erfüllung der Tora und der Konflikt mit den Pharisäern im Matthäusevangelium, in: Das Gesetz im frühen Judentum und im Neuen Testament (FS C. Burchard), ed. DIETER SÄNGER/MATTHIAS KONRADT, NTOA/StUNT 57, Göttingen 2006, 129–152. 14 DEINES, Pharisäer (n. 3), 1462, agrees that the phrase “Pharisees and Sadducees” in Mt 3:7; 16:1, 6, 11ff. has to do with a characteristically Matthean pairing (“eine typisch matthäische Verbindung”). 10 11
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In contrast, Luke sketches an internally contradictory picture of the Pharisees. On the one hand, the Pharisees, as in the Q tradition and Mark, are likewise here encountered as the main opponents of Jesus in Galilee. 15 On the other hand, Luke, uniquely among the Evangelists, also mentions Jesus’ positive contacts with Pharisees. They warn Jesus against Herod (Lk 13:31) and even invite him occasionally to their banquets (7:36; 11:37ff.; 14:1). As in Mark, the Pharisees are completely absent from the Passion account in Luke. Besides this, there is the consistently positive depiction of the Pharisees given in the book of Acts, which not only portrays Paul himself and even his forefathers as exemplary Pharisees (Acts 23:6; 26:5), but also explicitly identifies his Jerusalem teacher, Gamaliel, as a Pharisee with no critical undertones (Acts 5:34). The author also makes use of the contrast between the Pharisees and Sadducees on the point of the resurrection of the dead in order to anchor the Christian hope of resurrection in the Jewish tradition (Acts 23:6–9). It is not surprising then, that in the portrayal of Acts, there are also Pharisees among the initial Jerusalem church (Acts 15:5). The Gospel of John represents the Pharisees with the most undifferentiated polemic. For John, they represent ‘the Jews’ as a whole in their principled opposition to Jesus and his followers from beginning to end, including, of course, in the Passion narrative. 16 Ultimately, the subject of dispute is always the confession of Jesus as Messiah and Son of God. Individual cases, such as the Pharisee Nicodemus (3:1) or even the high priest Caiaphas (11:49), who is close to the Pharisees, apparently constitute deliberately-sketched exceptions to the rule in the Johannine account, in order to mark the fundamental front of opposition all the more distinctly. All in all, the portrayal of Pharisaism in the New Testament sources is more differentiated than is customarily assumed. Certainly, though, many questions remain unanswered. How significant are the specific subjects of the clashes between Jesus and the Pharisees for their respective group characteristics? In the domain of purity and dietary commandments, one might assume such a relationship; conversely, on the fundamental question of the meaning of the Torah and what its focal elements are, or indeed as regards the Sabbath, such would scarcely apply, if one is on the lookout for specifically Pharisaic conceptions. On the other hand, the portrayal of the disagreement between the Pharisees and Sadducees on the hope of the resurrection of the dead exactly matches that given by Josephus. The question of contacts, or even a degree of inward affinity, between the Jesus movement and the Pharisees cannot be answered unambiguously on the 15 Besides occurring in the parallel places between the aforementioned Markan and Q traditions, polemic portrayals of the Pharisees are found in Lk 16:14ff. (avarice) and 18:9– 14 (Pharisees and tax-collectors). 16 Cf. Jn 1:24; 4:1; 7:32, 45–48; 9:13–16:40; 11:46ff., 57; 12:19–42; 18:3.
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basis of the New Testament sources. 17 Evidently, Paul was not the only Pharisee in the post-Easter Jesus movement, although it remains unclear to what extent Pharisaic principles could still retain their influence over such “Christian Pharisees”. At any rate, the indications of positive contacts between Jesus himself and individual Pharisees deserve special attention, in view of the basically oppositional tendency of the New Testament tradition. We can well sum this up with the words of Günter Stemberger: Dass Jesus während seines öffentlichen Wirkens sich am meisten mit den Pharisäern auseinandersetzen mußte, ist nicht zu bezweifeln. Die relativ große Nähe Jesu zu den Pharisäern führt zu Abgrenzungsproblemen, die sich in den christlichen Gmeinden verstärken, wie die mit wachsendem zeitlichen Abstand in den Evangelien immer größere Rolle der Pharisäer bezeugt. 18
1.3 The Pharisees according to the Mishnah The rabbinic evidence about Pharisees living before AD 70 is particularly hard to evaluate. 19 Those individuals whom we can identify as Pharisees from the New Testament or from the works of Josephus (e.g. Gamaliel I) are never identified as such in the Mishnah, nor are any of the pre-AD 70 rabbinic scholars who are named in the tradition chains of Mishnah Abot I or Mishnah Ḥagigah II 2. 20 On the other hand, by no means should all of the groups expressly identified in the Mishnah as perushim be simply identified with the Pharisees. Rather, in the Mishnah, this term refers to all manner of various ‘dissenters’, who can in almost no case be associated with specifically Pharisaic notions. Only a single perikope in the Mishnah indisputably refers to the Pharisees as opposed to the Sadducees: Mishnah Jadajim IV 6–8 discusses detailed disagreements on questions of ritual purity and civil law, with the editorship of the Mishnah clearly taking the Pharisees’ side. In some other sections, the Mishnah explicitly represents an anti-Sadducee position on purity issues, albeit without identifying that position as Pharisaic. Moreover, the line represented by the Sadducees (or by the Essenes) on purity matters is often stricter than that of the rabbis in the Mishnah, so perhaps one could find here some corroboration of Josephus’ evaluation that the Pharisees were generally “mild” in their judgments (Ant 13,294).
On this, cf. the overview in CHRISTOPH NIEMAND, Jesus und sein Weg zum Kreuz. Ein historisch-rekonstruktives und theologisches Modellbild, Stuttgart 2007, 129–151. 18 STEMBERGER, Pharisäer (n. 3), 39. 19 Most recently on this, cf. DANIEL R. SCHWARTZ, On Pharisees and Sadducees in the Mishnah (n.3). 20 DEINES, Pharisees (n. 3), 492, seeks to explain this by reference to there having been no need in internal rabbinical debates for participants to identify themselves as Pharisees, as that was self-evident; to assert this is to beg the question, which in itself is open to dispute. 17
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In addition, the editors of the Mishnah frequently depict school disputes between the ‘houses’ of Hillel and of Shammai, focusing on issues of the proper tithing of food and ritual purity in everyday life. Quite often, well-known preAD 70 rabbis are cited in these. Of course, neither they nor Hillel and Shammai or their ‘houses’ are explicitly identified as Pharisees or Sadducees. Finally, the Mishnah mentions special associations (khaburot) which were particularly concerned with the proper tithing of food and with ritual purity at community meals. Yet even they are not explicitly identified with the Pharisees. Thus, even despite the rabbinic attestations, more detailed questions about the Pharisees before AD 70 remain unanswered. What criteria can be used to decide whether the Mishnah is in certain places speaking of Pharisees, and to what extent can these have significance for the period prior to AD 70? Can one consider the editors of the Mishnah as legitimate heirs of the pre-AD 70 Pharisees, and is that what they sought to be? How are we to understand the fact that even though they never explicitly identify themselves with the Pharisees, they nevertheless occasionally embrace Pharisaic views of halakha? How important are the issues of tithing and purity in relation to food and meals in reconstructing an image of pre-AD 70 Pharisaism? To what extent can the rabbinic evidence for dining clubs (khaburot) be related to pre-AD 70 Pharisaic associations? 1.4 Conclusion To all these questions and many others besides arising from the three main domains of sources for the Pharisees, recent research has found no consensual answers. The quest to establish what distinguished the pre-AD 70 Pharisees exclusively from other Jewish groups of their time – their ipsissima vox or their ipsissima intentio, so to speak – does not seem to have any way forward in the current state of research. As with the quest for the ‘historical Jesus’, the disposition of sources is the decisive problem here as well. We quite simply have no immediate access to what specifically typified the pre-AD 70 Pharisaic movement. Of course, as with regard to Jesus, I also believe in regard to the Pharisees that certain contours that were characteristic of their work and their selfimage can be identified. In ascertaining them, just as with regard to Jesus, one first has to take into account what in principle they shared with other Jewish groupings of their time, and should not merely stress that which distinguished them exclusively from the others. In any event, first-century Pharisaism, as interpreted by Josephus, was certainly no marginal phenomenon in Judaism – not a sect in the modern sense – but was at the heart of discussions and arguments about the right understanding
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of the Torah and proper Torah obedience given the cultural and religious challenges of a society in the Hellenistic-Roman period. 21 Efforts to regard even those parts of the Torah that were originally restricted to Temple worship and the priesthood as authoritative in everyday Jewish life cannot, however, have been exclusively limited to the Pharisees. The Qumran community, for instance, or the Jewish diaspora communities sought in their own way to undertake something fundamentally similar, albeit with very different outcomes. Nevertheless, clear pre-AD 70 attestation of Pharisaic communities outside the Land of Israel is not in evidence, and even with regard to the Galilee the evidence is relatively thin, other than the evidence from the New Testament. 22 In this respect, it is fair to say that pre-AD 70 Pharisaism was essentially a phenomenon of Jewish life in the Land of Israel. 23 Finally, it is extremely difficult to judge whether Pharisees were organised in associations (khaburot) before AD 70. 24 This is directly attested only in the rabbinic sources. On the other hand, hints in Josephus as to the social nature of the Pharisaic movement, and perhaps also evidence from New Testament documents (cf. e.g. Lk 11:39–42; Mk 2:16; 7:1–5, 15) indicates that the Pharisees had a special interest in communal meals with group-specific rules and in individual religious commitment by group members. Analogies from clubs in the Hellenistic-Roman period would alone be enough to make such a form of organisation quite plausible for the pre-AD 70 era. We may also need to distinguish more strongly between membership in a Pharisaic association, which was probably confined to a relatively select number, and a wider circle of followers with Pharisaic beliefs and of sympathisers with the Pharisaic movement. This might explain the differentiation in Josephus’ portrayal of the Pharisees between a relatively small number of members and the especially large influence of the Pharisees among the people, and perhaps also his own personal relationship with the Pharisees, so oddly vacillating in his autobiography. A special interest in questions of ritual purity, especially with regard to foodstuffs and meals, is very unlikely to have been the preserve of the Pharisees Also, and emphatically, stated by DEINES, Pharisees (n. 3), 449ff., 491, who moreover seeks outright to demonstrate that Pharisaism should be understood as “the fundamental and most influential religious movement within Palestinian Judaism between 150 B.C. and A.D. 70” (ibid., 503; emphasis in original). To me, it seems that such an evaluation, to avoid falling short, should be nuanced, whether it be on matters such as the significance of the Temple at Jerusalem and its officers or with regard to the predominantly Sadducee aristocracy. 22 On this, cf. JAMES D. G. DUNN, Jesus Remembered, Grand Rapids/Cambridge 2003, 306–308. 23 It seems dubious to me whether one can really invoke Mt 23:15; Josephus, Ant 20,42ff. and 4QpNah II 1, 9 to aver that the Pharisees practised mission among the Gentiles (“betrieben Mission unter Nichtjuden”, as DEINES, article Pharisäer [n. 3], 1462, has it). 24 Most recently on this, cf. WAUBKE, Die talmudische Haberim-Halacha und die Pharisäer (n. 3). 21
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alone. It forms, one could say, the overlap between the various indicators in the three source domains of Josephus, the New Testament and Mishnah. Tellingly, this area of Pharisaic interests was essentially bound up with living a life as close as possible to the Jerusalem Temple. At least in the period before AD 70 the ritual significance of the Temple cult in the Land of Israel is not essentially in question, even if some Jewish groups such as the Qumran community (or perhaps even the earliest Jerusalem church) could polemically deny it in individual cases. Thus, the Pharisees’ religious concern for ritual purity in everyday life could for factual reasons depend on their attachment to life in the Land of Israel, which in turn explains the finding that Pharisaic life in the preAD 70 diaspora is nowhere attested. 25 On the other hand, seeking to live up to the standards of the Torah in daily life and of the necessarily modernising interpretation of its traditional commandments – including group-specific interpretive traditions – certainly cannot be considered the exclusive distinguishing feature of the Pharisees vis-à-vis other Jewish groups. On the contrary, they agreed in principle with all the Jewish groups of their time, although the individual traditions of Torah interpretation, and certainly also particular interests, could differ. Even the Sadduceetending priesthood at the Jerusalem Temple, of course, needed modernising Torah interpretative traditions, simply to maintain the cult under the social and political realities of the Hellenistic-Roman period. Some of the texts found at Qumran also point to such priestly traditions, which, of course – unlike the Pharisaic traditions – were geared precisely to their immediate field of application in the Temple and by the priesthood, and which could not have had wider public impact, not least because of that consideration. Such an agreement on matters of principle in the conviction that the traditional Torah (in practice, then, the commandments of the Pentateuch) by no means excludes there having been the fiercest disagreements on the right way of representing the updated Torah and on a Torah praxis arising therefrom. The transmitted text of the Pentateuch had constantly to be given renewed relevance by the present-day Torah, which is to say, life-teaching on the will of God for his people Israel through a modernising interpretation. Such arguments could reach such a pitch as to deny that representatives of rival Torah interpretations belonged to the people of Israel, as can be seen in some of the Qumran texts as well as in parts of the New Testament Jesus tradition. Such polemics, rooted in a variety of receptions of the Torah, remained – despite all their radicalism –
Nor is this called into question by SCHWARTZ, Josephus on the Pharisees as Diaspora Jews, in: BÖTTRICH/HERZER, Josephus und das Neue Testament (n. 11), 137–146: 142, whose somewhat misleading title refers not to the ‘historical’ pre-AD 70 Pharisees but rather to Josephus’ image of the Pharisees as an exemplary portrayal of how Jews in the diaspora were to relate to the Torah. 25
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ultimately founded on the common basis of a principled recognition of the Torah as binding rule of life for Israel as the people of God, and to that extent they must be classified within the spectrum of intra-Jewish disagreements. In view of such group-specific interpretative traditions of the Torah, there are also grounds for approaching Jesus and Paul in the first instance as standing in a close relation to the Pharisees. All three, in their own way, fundamentally agreed that the Torah was the whole and applicable instruction of God to every Israelite. 26 They likewise all agreed in principle that the commandments of the Torah needed a modernising interpretation for them to remain at all applicable as an everyday rule of life. 27 Differences in the handling of the Torah and in the attitude towards it arose, of course, as a function of their interpretations and interests – possibly based on particular traditions and lifestyles – on which such a modernising interpretation of the Torah was made. Here, upon a fundamentally common basis, different groupings could set different priorities and could criticise and polemically dispute the priorities of the other groupings. Therefore, it was particularly the shared appeal to the Torah which could lead to fiercely-argued conflicts about its right interpretation. It will thus be necessary to ask to what extent this constellation also underlies the relationship between Jesus, Paul and the Pharisees, and whether there are possibly even more fundamental differences in attitude towards the Torah between them. This is certainly the decisive question for determining their theological and historical interrelationship, a determination, of course, that by no means renders superfluous a carefully differentiated answer to the above questions.
For Jesus, cf. only Mk 12:28–34 par.; for Paul, cf. Gal 5:14; Rom 13:8–10. On this, see also Martin Hengel’s evaluation: “Im Gegensatz zu der bei uns gängigen ethischen Auffassung beruht für Jesus die Norm des Handelns nicht auf autonomer, allein rational begründeter, vernünftiger Einsicht, sondern auf Gottes Willen und Gebot, wie er Israel in Tora und Profeten vorgegeben war … Darin erweist er sich als jüdischer Lehrer.” (HENGEL/ SCHWEMER, Jesus und das Judentum [n. 2], 433ff.). 27 For this, one should refer, with regard to Jesus, summarily to the tradition of the antitheses as given in Mt 5:21–48 but also to the interpretation of the Torah’s divorce law as given in Mk 10:2–9 (on which, cf. TRAUGOTT HOLTZ, “Ich aber sage euch”. Bemerkungen zum Verhältnis Jesu zur Tora, in: INGO BROER [Ed.], Jesus und das jüdische Gesetz, Stuttgart 1992, 135–145); for Paul, see below, pp. 189–195, and cf. my essay: KARL-WILHELM NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis bei Paulus und seinen Gemeinden (Sabbat, Speisegebote, Beschneidung), BThZ 25, 2008, 16–51 [in this volume 81–113]. 26
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2. Jesus’, Paul’s and the Pharisees’ Handling of the Torah Recent research on ancient Judaism in the second-temple period has led to a consensus, at least to the extent that one cannot now presume, as was the prevailing impression for a long time, a ‘normative Judaism’ that was supposedly shaped according to the categories and institutions of later rabbinic traditions. At times, this new consensus has led to a use of language which seeks to avoid speaking of Judaism in the singular any more, but rather about ‘Judaisms’ in the plural and which, accordingly, speaks of different individual expressions alongside one another, such as a ‘Enochic’, a ‘Qumran’, a ‘priestly’, a ‘Philonic’ Judaism, etc. Such terminology properly reflects the finding that the term Judaism is not a source-language term for the pre-rabbinic period, but rather a secondary, reflective, evaluative combination of different historical individual phenomena from an external perspective. Nonetheless, I consider talk of ‘Judaisms’ in the plural to be ultimately misleading, because it disregards, or at least understates, the connective elements between the various Jewish groupings, which clearly distinguished them from all non-Jewish groupings. 28 At a minimum, these connecting elements include the referring back to the Torah by all known early Jewish groups. The often-bitter struggle over the correct interpretation of the Torah is proof of this common, ultimately indispensable basis for all groups who wished to be reckoned as pertaining to Judaism. 29 Certainly, how one dealt with the Torah, the attitudes that one took towards it, could be extremely varied and sometimes even contradictory, a phenomenon essentially found in Jewish history since its beginnings after the Babylonian exile to the present day. In my opinion, the Jesus movement, the Pharisees, and 28 Similarly also JAMES D. G. DUNN, Judaism in the Land of Israel in the First Century, in: JACOB NEUSNER (Ed.), Judaism in Late Antiquity, Part II: Historical Syntheses, HO I/17, Leiden 1995, 229–261; IDEM, Jesus Remembered (n. 22), 255–292. In addition, Roland Deines has extensively treated the thesis of a plurality of “Judaisms” (Judentümer), cf. DEINES, Pharisees (n. 3), 452–455. 29 On my own understanding of the term and topic of the Torah set out here, cf. KARLWILHELM NIEBUHR, Nomos, B. Jüdisch, C. Neues Testament, RAC 25, 2013, 1006–1061; IDEM, Die Antithesen des Matthäus. Jesus als Toralehrer und die frühjüdische weisheitlich geprägte Torarezeption, in: Gedenkt an das Wort (FS W. Vogler), ed. CHRISTOPH KÄHLER/MARTINA BÖHM/CHRISTFRIED BÖTTRICH, Leipzig 1999, 175–200 [in Tora und Weisheit 299–323]; IDEM, Tora ohne Tempel. Paulus und der Jakobusbrief im Zusammenhang frühjüdischer Torarezeption für die Diaspora, in: BEATE EGO/ARMIN LANGE/PETER PILHOFER (Ed.), Gemeinde ohne Tempel – Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT 118, Tübingen 1999, 427–460 [in Tora und Weisheit 175–207]; IDEM, Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora, in: MATTHIAS KONRADT/ULRIKE STEINERT (Ed.), Ethos und Identität. Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit, Paderborn 2002, 27–50 [in Tora und Weisheit 149–173]; IDEM, Gesetzespraxis (n. 27), 16–22.
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the Pauline missionary movement each furnish us with examples of such distinctively different attitudes towards the Torah, allowing them all to be classified within the diversity of possibilities for Jewish life and faith in the Hellenistic-Roman period. That consideration, however, is not the be-all and end-all of these three groupings and their interrelationship! 2.1 Jesus Following a long period in which Jesus’ attitude to the Torah had been judged, especially in the German research context, unilaterally from rabbinic traditions, as they had been compiled above all in the commendable compilation of Paul Billerbeck, nowadays the questionableness of such a scheme has become indubitably clear. 30 Not only has the generally confrontational engagement between Jesus and the rabbis in older research proven to be too undifferentiated; the subject of comparison as such, the rabbinic manner of dealing with the Torah, has now been recognised as anachronistic for the time of Jesus. This can be seen externally in the literary genres in which Torah traditions meet: the earliest rabbinic traditions are collected in thematic treatises that are assignable to given subject areas or domains of law and in which individual cases of legal decisions are presented discursively and optionally resolved by example. On the other hand, the Jesus-tradition has been handed down in biographical narratives in which, where necessary, we encounter exemplary scenes or characteristic expressions of Jesus upon individual subjects of the Torah or the Torah as a whole. In my opinion, this varying literary tradition for individual subjects reflects a fundamentally different way of dealing with the Torah in the case of Jesus on the one hand and by the later rabbinic scholars on the other, not to mention the question of dating the respective literary sources. I would like to characterise this by distinguishing between a ‘halakhic’ and a ‘paraenetic’ approach to the Torah. By this terminological distinction, neither a historical classification nor an evaluation between the two ways of dealing with the Torah has to be made. 31 Rather, it concerns two different approaches to handling the Torah which in a 30 For example, cf. the compendium edited by BROER, Jesus und das jüdische Gesetz (n. 27), and the succinct overview in NIEMAND, Jesus und sein Weg zum Kreuz (n. 17), 58–67. The current state of research is extensively reflected in the work of Martin Hengel; cf. esp HENGEL/SCHWEMER, Jesus und das Judentum (n. 2), 431–451; MARTIN HENGEL, Zur matthäischen Bergpredigt und ihrem jüdischen Hintergrund, ThR 52, 1987, 327–400 (= in: IDEM, Judaica, Hellenistica et Christiana. Kleine Schriften II, WUNT 109, Tübingen 1999, 219–292); IDEM, Jesus und die Tora, ThBeitr 9, 1978, 152–172 (= in: IDEM, Jesus und die Evangelien. Kleine Schriften V, WUNT 211, Tübingen 2007, 352–374). 31 Neither term – halakha nor parainesis – is an original-source term with regard to the question of Jesus and the Pharisees, and the use of both should be tentative, for fear of anachronistic deployment.
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religious-historical perspective are basically valubale and which are also – to use modern-day parlance – similarly religiously profound and ethically conscious, yet which differ in their approach and objectives. Characteristic of Jesus’ paraenetic approach to Torah interpretation is that basic attitudes of human conduct are described, which as a whole are aligned with the demands of the Torah, that is, the will of God for Israel. This concerns both the domain of interpersonal conduct and the domain of religious attitudes, i.e. one’s relationship with God. Comparison with early Jewish – that is, prerabbinic – Torah traditions makes it very clear that Jesus’ interpretation of the Torah is close to early Jewish Torah paraenesis. One could perhaps call such a representation of the Torah’s basic demands ‘wisdom’, in the sense that they refer to exemplary attitudes of life. The application of the commandments of the Torah to the specific decisions in daily conduct is left up to the recipient of such instruction, although he is already equipped by it to face that task. 32 The focal points of Jesus’ reception of the Torah point in a similar direction. It refers to interpersonal areas of conduct such as sexual, marriage and family ethics (cf. Mk 10:2–12; Mk 7:10–13; Mt 5:27–32) or the social orientation of behaviour (Mk 10:17–23 par.; Lk 10:29–37; Mt 6:1–4). Moreover, Jesus’ attitude to the Sabbath can also be understood best, in my opinion, as the expression of such a wisdom-eschatologically formed attitude to the Torah. 33 Jesus’ pronouncements about the Sabbath, as well as his own behaviour on the Sabbath, are rooted in his eschatological proclamation of the Kingdom of God, but in no way do they seek to express a fundamental break with the Sabbath, let alone with the Torah as a whole, on his part. Characteristic of this is the debate in Mk 2:23–28. The reference to David (see 1 Sam 21:2–7) here serves to justify the disciples’ attitude to the Sabbath in the sense of an exemption from something generally forbidden, owing solely to the presence and authority of their teacher. The sayings in Mk 2:27f., which were already connected to this material before Mark, anchor the Sabbath within the order of creation that is healthful for mankind and that is entrusted to his rule, which is brought to bear by Jesus in an eschatological perspective. 34 Jesus’ provocative healing praxis on the Sabbath (cf., e.g., Mk 3:1–6 parr.), too, can be understood in this sense. Jesus’ doings entail also the Sabbath-shaping, life preserving and salvationprocuring will of God, which must not be hampered by the commandment to
On this, cf. KARL-WILHELM NIEBUHR, Jesus als Lehrer der Gottesherrschaft und die Weisheit. Eine Problemskizze, EvErz 53, 2001, 116–125 [in Tora und Weisheit 285–297]. For more examples from early Jewish Torah paraenesis see my collection of essays: IDEM, Tora und Weisheit. Studien zur frühjüdischen Literatur, WUNT 466, Tübingen 2021. 33 On this, cf. LUTZ DOERING, Schabbat. Sabbathalacha und -praxis im antiken Judentum und Urchristentum, TSAJ 78, Tübingen 1999, 398–478. 34 In my view, “Son of Man” in v. 28 was originally meant in the lower-case, generic sense of “human being”. Also cf. DOERING, Schabbat (n. 33), 420–423. 32
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rest. This corresponds to the ideological foundations of the early Jewish understanding of the Sabbath, as well as to early Jewish Sabbath observance. The attitude of Jesus to the Sabbath handed down in the context of the authentic Jesus tradition cannot justify the notion of an abolition of the Sabbath or of even the entire Torah by Jesus. 35 Nor can it be classified among rabbinichalakhic discussions of the scope of the Sabbath rest command. Likewise, the literary development of Jesus’ Sabbath disputes in the Synoptic Gospels (besides Mk 3:1–6 par., cf. also Mt 12:1–14; Lk 13:10–17; 14:1–6) does not follow halakhic standards, but rather serves to emphasise the authority of Jesus as the end-time representative of the will of God. Therefore, Jesus’ attitude to the Sabbath refers to the will of the Creator underlying the Sabbath commandment, which he himself conclusively represents. The conflict between Jesus and his adversaries is not ignited by halakhic questions of the Sabbath Torah but by his exclusive, ultimately eschatological-messianic claim. 36 Finally, with regard to the contents of Jesus’ reception of the Torah, we still have to note the negative finding that questions of ritual purity or of Torahdetermined handling of foodstuffs and mealtimes were apparently not the focus of his intentions. The offensive and provocative encounters of Jesus precisely with those persons and groups who in their everyday life typically did not want or were able to keep Pharisaical group standards, are at any rate obvious in the Jesus tradition. 37 Jesus seems to have had quarrels about such questions especially with Pharisees, as shown in the context of a dispute with Pharisees and scribes delivered in the saying in Mk 7:15 par. 38 Even that dictum, by which Jesus puts an end to the debate about pure versus impure, is not a halakhic argument but the quintessence of his offensive stance against religious mechanisms of exclusion. Even the forms of teaching which concern Jesus’ interpretation of individual commandments or basic requirements of the Torah differ fundamentally from those of later rabbinic teachers. Nowhere in the synoptic tradition do we find discussions of Jesus with other Torah scholars about contradictory but fundamentally acceptable doctrines; no individual case outlines or conditions of application that can be sketched out in detail; nor any student groups or forms of
DOERING, Schabbat (n. 33), 419: “Jesus ‘sprengt’ nicht jüdische Sabbattheologie, sondern vertritt – wenn auch nicht systematisch, sondern durch einzelne Handlungen und Worte – eine eigene Linie derselben.” Also cf. HENGEL, Jesus und die Tora (n. 30), 366– 368. 36 I have briefly summarised my own view of this in KARL-WILHELM NIEBUHR, σάββατον, TBLNT I, 1997, 459–462. 37 On this, cf. DUNN, Jesus Remembered (n. 22), 526–537, 599–607. 38 On this, cf. ROGER P. BOOTH, Jesus and the Laws of Purity. Tradition History and Legal History in Mark 7, JSNT.S 13, Sheffield 1986; JAMES D. G. DUNN, Jesus and Purity: An Ongoing Debate, NTS 48, 2002, 449–467. 35
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teaching based on the model of rabbinic teaching tradition. Jesus always appears as the only teacher, 39 who represents his interpretation of the Torah to his audience with an exclusive claim to validity by reference to the will of God. Finally, the method of putting together basic commandments from the Torah and assigning them to a unifying overall intent is a further linkage between texts from the Jesus tradition and those of early Jewish Torah paraenesis. For example, the strikingly strong reception of the Decalogue in the Jesus tradition and the New Testament can best be explained by anchoring Jesus’ interpretation of the Torah in the early Jewish paraenetic actualisation of the Torah. 40 Some of the germane synoptic textual sections – such as the series of antitheses in Mt 5:21–48 or the pericopes of the “rich young man” (Mk 10:17–22) or on divorce (Mk 10:2–12) – reflect accurately Jesus’ approach to Torah commandments, even if they condense in their transmitted wordings the intent of the presynoptic tradition and the editorial intentions of the evangelists. Nowhere is it a matter of individual case decisions or exemplary definitions of case constellations, but rather a matter of a standard of living demanded by Jesus, which in the basics corresponds to the demands of the Torah. The implementation in particular life decisions is left in the hands of the addressees of such a paraenetic exhortation. This is what I mean by a paraenetic as opposed to a halakhic handling of the Torah. The framework for such an actualising reception of the Torah in Jesus is an understanding of the law which places the traditional written Torah within the broader horizon of the authoritative commands and promises of God to his people Israel. Even for Jesus, the Torah is enshrined as a gift of God to his people in the covenant relationship with Israel, as can be clearly seen in his reference to the Shema Yisra’el and the love commandment of the Torah (Mk 12:28–34). Such a compilation of two quotations from Deut 6:4 and Lev 19:18 to form a ‘principle’ of the Torah is not attested independently of the Jesus tradition. The spreading of the New Testament tradition on the love commandment 41 is best explicable, to my mind, if we assume here a basic impulse from Jesus received differently and accentuated in different contexts in the New Testament traditions. In my opinion, there is clear evidence that Jesus was able explicitly to invoke individual words or passages of Scripture, such as the Decalogue, the love commandment of Lev 19, or the Shema Yisra’el, which he declared in his own interpretation to be God’s will today. The basis for this assumption is an interpretation of the ministry of Jesus as the eschatological representative of God SAMUEL BYRSKOG, Jesus the Only Teacher. Didactic Authority and Transmission in Ancient Israel, Ancient Judaism and the Matthean Community, CB.NT 24, Stockholm 1994. 40 On this, cf. KARL-WILHELM NIEBUHR, Weisheit als Thema biblischer Theologie, KD 44, 1998, 40–60 [in Tora und Weisheit 263–284]. 41 As well as the Synoptic accounts, cf. on this also Rom 13:9; Gal 5:14; Jas 2:8. 39
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towards Israel, who, in his words and deeds, in his way of life and in his destiny, embodied the promised eschatological act of salvation by God to Israel itself. 42 2.2 Paul If one is seeking to outline Paul’s manner of dealing with the Torah and to relate it to that of Jesus and the Pharisees, first of all the provisions themselves must be named, which are recognisable from the wording of the Torah, but above all from the Torah reception observable in early Jewish attestations. Moreover, before any fundamental conclusions are drawn about Paul’s understanding of the law, it is necessary to consider Torah praxis in Paul and in his congregations as consistently and in as much detail as possible. 43 The handling of the Torah in Paul and in the Pauline communities is above all one determined by a fundamental reorientation, provided for by the heralding of Christ, of the relationship between Jews and Gentiles in the church, according to their selfunderstanding as the eschatological people of God. This marks a category shift that a priori must lead to differences from the understanding of the Torah seen in Jesus as well as in the Pharisees. After all, neither for Jesus nor for the Pharisees, going by all that we know about them, was the community of Jews and non-Jews a fundamental issue, let alone – as it was for Paul – a programmatic demand. A second essential difference results from the respective basic conditions for dealing with the Torah. For Paul, the concrete field of application for the Torah and all of its commandments was the diaspora, i.e. Jewish life outside of the Land of Israel circumscribed by biblical borders. Essential parts of the Torah were in principle or for practical reasons designed for and limited to Jewish life in the Land of Israel. Some of them belong immediately to the Temple area, such as all commandments associated with ritual purity, or somewhat more broadly are linked to the Promised Land, such as the tax provisions concerning the income of the land. 44 In the diaspora, one could at best try to do justice to the intentions of such Torah provisions or to place analogous demands to serve in their stead. Yet even this was enough to open up a discipline of modernising and presentation of the Torah, which not only provided a broad scope for interpretation but also required varying interpretations in light of the specific religious, social and political conditions prevailing. Overall, one can only be amazed at the variety and creativity of early Jewish Torah reception under the conditions of the diaspora. As I shall seek to suggest in the following, in my Cf. for this my brief sketch: KARL-WILHELM NIEBUHR, Jesus, in: IDEM (Ed.), Grundinformation Neues Testament. Eine bibelkundlich-theologische Einführung, Göttingen 52020, 403–430. 43 On this, cf. NIEBUHR, Gesetzespraxis (n. 27), 23–51. 44 On this, cf. SANDERS, Jewish Law (n. 3), 255–308. 42
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opinion one may count Paul among the most creative of such early Jewish interpreters of the Torah. On the other hand, neither in Jesus nor in the Pharisees do we find comparable reflections or even indications of such challenges for early Jewish Torah praxis in the diaspora. If we start from the particular fields of application of the Torah as reflected in the Pauline letters, commandments that directly affect the relationship between Jews and Gentiles are particularly significant. This applies in particular to the obligation to be circumcised, but also to how one deals with different sorts of food and to the question of table fellowship, and finally, in a sense, to the Sabbath laws. Certainly, these three domains of the Torah often taken together show quite distinct faces from each other upon closer inspection of Paul’s Torah praxis. With regard to the Sabbath, it should be noted that the Sabbath commandment and Sabbath praxis are nowhere explicitly problematised in the Pauline Epistles, in striking contrast to the Jesus tradition. Neither in Galatians nor in Romans can the occasional relevant passages (Gal 4:10; Rom 14:5ff.) unambiguously be referring to the Sabbath, in my opinion. Only in Colossians is the Sabbath once mentioned, together with food and drink, feast days and new moons, and is deprecated as set against Christ (Col 2:16f.), but even there church members are by no means forbidden to keep the Sabbath. As long as the contrary cannot be proved, I therefore assume that the Sabbath as such and the observance of Sabbath-day rest were not a fundamental problem for Paul or for members of his congregations. Incidentally, this finding is well compatible with the early Jewish understanding of the Sabbath, for the Sabbath was by no means limited to Israel on the basis of its biblical precepts, but was already anchored in the biblical account of creation and could therefore also be understood in a universal perspective. Of course, keeping the Sabbath on the basis of the Torah could not be demanded of Gentiles, but those who wished to do so on their own account could draw upon biblical approaches to include Gentiles and slaves in Sabbath rest 45 or, for instance, could avail themselves of the Sabbath gatherings in the synagogue, which were also open to Gentiles. 46 At any rate, the Sabbath was not on any account to be emphasised as a Jewish distinguishing feature from Gentiles, even though from an external perspective it sometimes could have this function, as some ancient anti-Jewish polemics prove. 47
Cf. Ex 20:8–11; 23,12; Deut 5:12–15. Cf. Philo, SpecLeg 2,62; VitMos 2,21; Josephus, Bell 7,45; Ap 2,282; Suetonius, Tiberius 32:2. 47 Cf. e.g. Persius, Sat 5:180–184; Juvenal, Sat 14:96–106. 45 46
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However, the very opposite is found to apply to circumcision in the Jesustradition. Whereas circumcision is scarcely ever mentioned there, 48 it was precisely around the question of circumcision that signal clashes arose in the Pauline communities. This is not surprising, since it expressly concerned the question of the relationship between Jews and Gentiles in the Pauline communities. For, despite all the diversity of Jewish Torah reception and Torah praxis, there is throughout early Judaism no evidence of a fundamental repudiation of circumcision as a mark of belonging to the people of God. 49 Paul’s position on the question of circumcision is sufficiently clear without us having to reconstruct in detail the individual reasons for it. 50 Circumcision of baptised adult non-Jews is excluded, not merely unnecessary, but even diametrically opposed to the salvific significance of baptism. Paul says nothing about the circumcision of the newborn sons of baptised Jews. The question of what Paul would have done to his own son would certainly have been a compelling one, had he, as apostle to the Gentiles, in fact begotten one. Yet the mere fact the Pauline letters are silent as to how to settle such individual cases, even though such are generally quite possible to arise, suggests that even in the context of the Pauline mission, issues of Torah interpretation were not primarily discussed and resolved in halakhic terms. Apparently, the urge to circumcise was by no means only carried into the Pauline communities from outside but (at least partially) it received much support within it. Therefore, Paul in his letter to the Galatians had to use all the rhetorical and theological means at his disposal to dissuade the addressees from circumcision. It was, then, an imminent danger, which he must have deemed very grave. Hence, circumcision must have been somehow attractive to baptised adult Gentiles in Galatia. While we do not wish to speculate further as to the reasons for this, what is important is the finding that in antiquity, from a non-Jewish point of view, circumcision was obviously not always the butt of ridicule and mockery, although of course that too is widely attested. 51 48 A few exceptions are Jn 7:22ff.; Lk 1:59; 2:21, although these contain no polemical point against circumcision. 49 Of course, this is not to say that there could not have been a few uncircumcised Jewish males for medical reasons, for instance, which were discussed later in rabbinic halakha. Moreover, we find in Philo debates as to an allegorical interpretation of the rite of circumcision, which in Philo’s own view should not be allowed to be turned into arguments against the practice of circumcision (Migr 92; QuaestEx 2:2; also cf. Josephus, Ant 20,41). 50 On this, cf. KARL-WILHELM NIEBUHR, Die paulinische Rechtfertigungslehre in der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, in: THOMAS SÖDING (Ed.), Worum geht es in der Rechtfertigungslehre? Das biblische Fundament der “Gemeinsamen Erklärung” von katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund, QD 180, Freiburg et al. 1999, 106–130 [in this volume 235–256], and IDEM, Gesetzespraxis (n. 27), 41–49. 51 Cf. e.g. Petronius, Sat 68:8; Persius, Sat 5:184; Juvenal, Sat 14:96–104; Martial, Epigr. 11:94.
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The situation with regard to dietary commands presents itself as very differentiated. Here, again, I can only summarily go over what I have developed elsewhere in more detail. 52 What applied to dining practice was that such provisions as concerned the tithing of the yield of the land or dues of first fruits did not apply to the diaspora. Neither did the ritual status of purity play any role in who could take part in meals, for instance by avoidance or removal of impurity, since such ritual purity could neither be demanded nor obtained outside the Holy Land, because the purification rites themselves, according to the Torah, were bound up with the Temple. At most, this would have become relevant in the context of making a pilgrimage to the Land of Israel and the Temple in Jerusalem. 53 However, the Torah’s explicit dietary prohibitions regarding certain species of animals and the consumption of blood were naturally valid for every Jew whereever he or she lived, including those in diaspora. The most important scope of application of dietary laws in the diaspora was, of course, the shunning of idolatry. Due to ancient meal customs in the diaspora, such a danger was present even at private mealtimes and even more so with any kind of public, communal meals. Certainly, this was not about the ritual status of Gentiles per se, nor about the character of the food or the way in which it was prepared, but was simply about possible pagan religious practices or even mere connotations in connection with meals and table fellowship. 54 In the context of the Pauline mission, corresponding problems become visible in three places, each of which differs slightly. The Antiochene dispute (Gal 2:11–14) seems to have taken place in the immediate vicinity of a synagogue. 55 The subject of the debate was not the food to be eaten, nor the ritual status of the Gentile participants in the meal, but the possibility of table fellowship between Jews and Gentiles at all. This conflict was probably exacerbated by the fact that it concerned a religious event that concerned the Antiochene Christian community made up of Jews and Gentiles, namely the celebration of the Lord’s Supper. Here already appears the basic structure of the conflict, which then intensified on the question of circumcision in the communities personally founded by Paul. The different positions in the Antiochene dispute, between
52 Cf. KARL-WILHELM NIEBUHR, Identität und Interaktion. Zur Situation paulinischer Gemeinden im Ausstrahlungsfeld des Diasporajudentums, in: JOACHIM MEHLHAUSEN (Ed.), Pluralismus und Identität, VWGTh 8, Gütersloh 1995, 339–359 [in this volume 149–171]; IDEM, Gesetzespraxis (n. 27), 31–41. 53 Although the fact that replacement rites suitable for Jewish life in the diaspora, such as hand-washing, are attested (cf. e.g. Sib 3,591–594) does constitute an accomodation of the Torah appropriate to the prevailing conditions of life, this is on a different level to that of rabbinic halakha; on which, cf. NIEBUHR, Tora ohne Tempel (n. 29), 442ff. 54 Extensively covered in PETER J. TOMSON, Paul and the Jewish Law: Halakha in the Letters of the Apostle to the Gentiles, CRI III/1, Assen/Philadelphia 1990, 151–186. 55 On this, cf. NIEBUHR, Gesetzespraxis (n. 27), 31–33.
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Paul on the one hand and the people from James, Peter, Barnabas and presumably the majority of the congregation on the other, derive basically from the different possibilities that already exist within the context of early Jewish Torah reception for solving the problem of table fellowship with Gentiles. While Paul favoured unrestricted table fellowship, 56 the Jacobine faction apparently wished to retain the distinction between Jews and Gentiles in the commemoration of the Christian meal. Certainly, we can now as little discern the means, arguments and consequences that obtained in this process from the one-sided Pauline account of the process as we can discover the reasons and proposed solutions that were put forward in Antioch by Paul himself. His epistolary reasoning jumps – exactly where we would expect answers to these questions – directly to the Galatian conflict over circumcision (v. 15). In Corinth, on the other hand, participation in meals with pagan hosts became problematic (1 Cor 8–10). 57 The inevitable danger of participation in pagan religious customs, including the consumption of food associated with such activities, evidently represented a problem largely within the congregation. Such participation could call into question again the rejection of any idolatry that Gentiles had demonstrated by their conversion to the Christian community. Here, then, what was at stake was not at all any particular dietary requirements of the Torah, but ultimately only the prohibition of idolatry, which, of course, 58 Paul characteristically enforced even for Gentile members of the congregation at Corinth. In this case, too, the practical solution proposed by Paul classifies within a relatively wide range of possibilities allowed within the framework of early Jewish Torah praxis. 59 Finally, in Romans 14ff., the Pauline logic on internal tensions in the congregation, faced with different eating practices in the Roman churches, ultimately amounts to allowing such differences as long as it does not jeopardise the community that has come to faith in Christ. 60 Again, this is not about cult status or even the character of the foods itself, but rather the connotations associated with them or with their consumption in view of the community between Jews and Gentiles in the church (at Rome, idolatry was apparently no problem). In fact, this may have had the consequence that even Gentiles had to observe Jewish food laws in the diaspora to the extent that the Jewish congregation members demanded for the sake of preserving their own religious identity. However, neither from the Pauline evidence nor from early Jewish sources In my opinion, table fellowship in the Antioch church might actually have followed the provisions of the apostolic decree, in that there are hardly any indications that animals proclaimed unclean in the Torah or blood was provided as food there. On this, cf. NIEBUHR, ibid., 35–37. 57 Cf. NIEBUHR, ibid., 32, 37–39. 58 Cf., however, 1 Cor 8:6! 59 For more on this, cf. TOMSON, Paul and the Jewish Law (n. 54), 189–220. 60 Cf. NIEBUHR, Gesetzespraxis (n. 27), 32ff., 39ff. 56
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can we deduce exactly where the boundaries of such Jewish identity with regard to foodstuffs and meal communities in the diaspora lay, nor how flexible they were. From our closer examination of several practical questions as to how the Torah was handled in Pauline communities, it can be seen that for particular decisions in everyday life, it was not always the theological basic arguments that were decisive, as we find them exemplarily in the Pauline letters. Conversely, we ought rather to ask whether such theological arguments, at least in their original context, are perhaps much more closely connected with particular everyday decisions in the life of Pauline communities than Paul’s broadlybased biblical-theological, christological and soteriological thought processes allow. Such a ‘grounding’ of Pauline theology and its understanding of law takes away, in my opinion, none of its theological significance. Rather, the latter can only be deduced hermeneutically by reference to its historical occasions. In this context, it seems necessary to inquire once again fundamentally into the significance of the Torah as an instruction for Israel and for the people in the end times, in view of the Christ-event. Obviously, central areas of the Torah, such as the Decalogue and the demands of the love commandment were, according to Paul, also valid for the eschatological people of God made up of Jews and Gentiles. It is scarcely conceivable that Paul’s agreement with Jesus in this regard should be purely coincidental! Even in the most mature development of Paul’s christologically-founded theology, in the Epistle to the Romans, the Torah remains a central reference point regarding God’s action to Israel and the peoples, especially in the context of Romans 9–11! 61 Likewise, Paul also holds the Gentile members of his congregations to the central demand of the Decalogue, the First Commandment, with the greatest emphasis. Of course, Paul concentrates his reception of parts of the Torah on such instructions as were already in early Judaism, especially in the diaspora, represented in paraenetic contexts. Sometimes they could relate to Gentiles already there, although without other parts of the Torah thereby being devalued or excluded in principle. In any case, the still popular distinction between ‘ethical’ and ‘cultic’ or ‘ritual’ parts of the Jewis law is anachronistic and misleading with regard to early Jewish understanding of the Torah. If individual commandments or entire parts of the Torah are either not at all relevant in Paul’s view or are rejected in principle for his congregations, then there are in every instance clear, understandable reasons for that within the categories of early Judaism. These are either connected with the basic conditions prevailing for Pauline communities in the context of the Jewish diaspora or with very specific consequences of their christologically and eschatologically founded self-understanding. Moreover, where Paul gives specific instructions on conduct and 61
Cf. esp. Rom 9:30–10:4.
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justifies them with regard to individual specific commandments or passages of the Torah, these instructions can usually be classified within the range of early Jewish possibilities for an actualising handling of the Torah. All in all, Paul proves to be a particularly creative Torah exegete who, in view of the Christevent and its ramifications for the composition and self-understanding of the communities which he founded, seeks practicable, comprehensible ways within the context of early Jewish understanding of the Torah to establish guidelines for living life in accordance with God’s will. 2.3 The Pharisees Quite fundamentally, Paul’s handling of the Torah could be described as Pharisaic in that the pre-rabbinic Pharisees were indeed also concerned with adapting the traditional Torah text, by their own creative interpretive traditions, to the changed conditions of Jewish life in the Hellenistic-Roman period, primarily in order to allow a consistent orientation of everyday life according to the Torah’s demands. Of course, the similarities between the Pauline and the Pharisaic understanding of the Torah cease even with such a very broadly-based structural parallel, without that having to be demonstrated here in individual cases. The two most major differences have already been seen: the Pharisees neither had a discernible interest in living conditions in the diaspora, nor did they programmatically include the relationship between Jews and non-Jews in their interpretation of the Torah. Judgments to the contrary are based on a very one-sided interpreted evidence in the New Testament or in Josephus and in rabbinical literature. 62 Yet Paul also differs in terms of his method of Torah reception, as does Jesus, from a halakhic handling of the Torah as characteristically profiled in the later rabbinic tradition, at least in its halakhic branch. It remains questionable whether basic features of such a halakhic treatment of the Torah can be assumed for the pre-AD 70 Pharisees or even regarded as specific to them. In view of findings in some of the Qumran texts, which attribute structurally comparable methods and fields of application of Torah interpretation to priestlyoriented groups in particular, the latter seems to me unimaginable. 63 The focus of Pharisaic interests on questions of ritual purity and the tithing of food could at least plead for the former, which will have made it necessary to have had precise arrangements for individual cases with a view to the Torah-oriented 62 Such is seen, for example, in Mt 23:15 or Josephus, Ant 20,17–53 as a supposed reference to a “Pharisaic mission of proselytism”, yet also with regard to rabbinic sources on Hillel, who was from Babylon, who cannot unambiguously be reckoned among the Pharisees nor cited on relations with the pre-AD 70 Greek-speaking diaspora. On this debate, cf. NIEBUHR, Heidenapostel (n. 4), 55. 63 Cf. esp. 4QMMT. DEINES, Pharisees (n. 3), 463–474, is quite content to see in this text a disagreement with particular Pharisaical positions, which to me seems unprovable.
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organisation of community meals. However, to obtain clear results regarding a specifically Pharisaic way of dealing with the Torah, the pre-AD 70 evidence that can with certainty be attributed to the Pharisees is to my mind insufficient. It seems equally unlikely to me that the detailed rabbinic Sabbath halakha, whose roots can already be traced back to the early Jewish period 64 and which then constitutes a central plank of Torah interpretation in the Mishnah, bears any specific relation to the pre-AD 70 Pharisees. 65 It is also unlikely that Jesus’ conduct on the Sabbath – which, according to the Gospel accounts, especially gave rise to disputes – can be traced back to a particular conflict with the Pharisees as such. Rather, the Sabbath seems to have been of great importance to all early Jewish groups of whom we know, which may have been due to the fact that its celebratory character, as well as the demanded Sabbath rest, were not tied to life in the Land of Israel or to specific group characteristics. Not least because of this, the Sabbath commandment was then able to become one of the nuclei of crystallisation in the reorganization of Jewish life after AD 70, which in turn helped make it so exceptionally significant in the rabbinic tradition. 2.4 Conclusion As regards understanding and handling of the Torah, it has been shown that despite their common conviction of the fundamental importance of the Torah as a rule of life according to the will of God, there were major differences in dealing with the Torah between Jesus, Paul and the Pharisees. These differences become all the clearer when one understands all three movements as specific manifestations of the possibilities of early Jewish faith and life within the horizon of biblical Israel. Whereas the Pharisees made a special effort to extend the scope of Torah legislation to everyday life beyond the immediate cultic space, paying special attention to issues of purity and careful shunning of foodstuffs in their community life, this realm of the Torah evidently had no prominent role to play for Jesus. Rather, the pre-Easter Jesus movement was more likely to be known for its offensive-to-provocative disregard of such specific purity provisions, to the extent that these could limit or prevent group community and especially fellowship with Jesus. Nonetheless, even Jesus was fundamentally able to understand the individual commandments of the Torah, thereby extending it beyond its original scope, limited by the wording of the Torah, into the broader field of ethical attitudes in everyday life. Apparently, Jesus connected this paraenetic extension of the validity of the Torah with its eschatologically motivated proclamation of the Kingdom of God. 64 65
For an extensive treatment of this, cf. DOERING, Schabbat (n. 33), 43–282. DOERING, ibid., 508–536; he also makes a very cautious study of this.
3. Jesus’, Paul’s and the Pharisees’ Images of Man
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The fundamental difference between Jesus and the Pharisees, on the one hand, and Paul, on the other, was that the reflective and programmatic inclusion of non-Jews in the Pauline mission, with its extension to the Jewish diaspora, required substantial transformations in the understanding of the Torah, which also led to modifications in Torah praxis. Neither for the Pharisees nor for the pre-Easter Jesus-movement were such transformations in view, whereas Paul, in his quest to give his congregations a Torah-like orientation, was able to connect with the scope of early Jewish Torah reception in the diaspora. For both historical and theological reasons, however, he was unable to avail himself of the Torah’s decided reference to Israel and to the biblical Land, as characterised the Pharisees. The wisdom-paraenetic attitude of Jesus’ Torah interpretation in this regard was found more promising as a basic reference point for post-Easter reflections on the meaning of the Torah in the light of the Christevent. Naturally, such major differences regarding the focus of Torah reception and interpretation must not be allowed to obscure the common ground upon which Jesus, Paul and the Pharisees unfolded and justified their respective specific intentions. That common ground is formed by their binding themselves to the God of Israel, testified in the writings of Israel, who fixed in the Torah his will and his promise for his people bindingly and conclusively. This brings into our view the contours of an image of the human being whose biblical nature unmistakably stamped Jesus, Paul and the Pharisees.
3. Jesus’, Paul’s and the Pharisees’ Images of Man
3. Jesus’, Paul’s and the Pharisees’ Images of Man Only very sketchily can such contours be mapped out on this score, and for the time being I should like to base myself on a single exemplary scene within the synoptic tradition: the pericope on the Sadducees (Mk 12:18–27). 66 Here, Jesus is setting out his position polemically against a view held by the Sadducees, who are seeking to reduce his position ad absurdum because of the view which he is being presumed to espouse of an individual eschatological resurrection of the dead. There also arises here – not least given the context of the preceding pericope, namely the question by Jesus’ Pharisaic opponents as to payment of Caesar’s taxes – a trichotomy: Jesus, the Sadducees and the Pharisees. Through the portrayal in Acts, Paul also comes into play. In a dramatic scene before the Sanhedrin, Paul makes a skilful move by identifying himself as a For an extensive treatment of this, cf. OTTO SCHWANKL, Die Sadduzäerfrage (Mk 12,18–27 parr). Eine exegetisch-theologische Studie zur Auferstehungserwartung, BBB 66, Frankfurt 1987, and for a few aspects cf. also KARL-WILHELM NIEBUHR, Tod und Leben bei Josephus und im Neuen Testament. Beobachtungen aus wechselseitiger Wahrnehmung, in: BÖTTRICH/HERZER, Josephus und das Neue Testament (n. 11), 49–70. 66
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Jesus, Paul and the Pharisees
Pharisee who stands accused because of his hope of the resurrection of the dead (Acts 23:6–10; cf. 24:15, 21). This results in disorder, division between the Pharisaic, and Sadducean members of the Sanhedrin, so that Paul can no longer be convicted. For readers of the Book of Acts, of course, Paul’s move also serves to reveal a confession of the resurrection of Jesus, while at the narrative level it is apparently only indicative a dispute between representatives of different end-time convictions – a fine example of double entendre in Luke’s narrative art! The historical and religious-historical background to these synoptic and Lucan pericopes (implicitly presented in the Synoptics as a known background) constitutes a specific doctrinal difference between the Pharisees and the Sadducees, as is outlined in both Josephus’ and the New Testament’s documentation of the Pharisees. Whereas the Pharisees, according to these sources, believe that people have an individually attributable future in the context of God’s eschatological action, the Sadducees reject any kind of such anthropologicaleschatological speculation. 67 On closer inspection, however, the specific anthropological and eschatological conceptions ascribed to the Pharisees in Josephus and in the New Testament evidence turn out to be extraordinarily differentiated and hard to reconcile. In particular, the statements in Josephus require a very precise philological, traditional and religious-historical analysis before they can serve as a basis for the reconstruction of a Pharisaic anthropology and eschatology. 68 The picture is even more colourful, but also more blurred, if we also take into account the statements in Paul’s letters regarding the hope of resurrection, and the theological and anthropological circumstances of these. It seems to me that here, too, the evidence is insufficient to allow for a precise categorisation between Paul’s, Jesus’ and specifically Pharisaic views. What is clear, however, is the impression that in the synoptic portrayals of Jesus as well as in Luke’s image of Paul both Jesus and Paul unambiguously approach the Pharisaic position on this question and stand distinct from the Sadducean position. For Paul himself, this finding can at the least be connected with the self-testimony of his prior membership of the Pharisees; for Jesus, it can at most be connected with the evidence in Luke – evidence at odds with the tendency in the rest of the tradition – for an occasionally friendly relationship between Jesus and the Pharisees. Once again, though, what seems to me more important than such historical ascriptions to a distinctly Pharisaic position is another consideration: Possibly, the notions attributed to the Pharisees of people’s end-time fate had already spread far beyond the limits of that grouping in the Hellenistic-Roman period. At any rate, it is difficult to ascribe all evidence for the hope of resurrection 67 68
Cf. esp. Josephus, Bell 2,162–165; Ant 18,13–17; Mk 12:18 par.; Acts 23:8; 26:5ff. On this, cf. ELLEDGE, Life and Death (n. 7), 53–145.
Addendum: More Recent Studies on the Pharisees
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from the dead in early Judaism exclusively to the Pharisees. Therefore, classifying Jesus and Paul in a broader and colourful spectrum of early Jewish views, one in which the Pharisees also had a stake, would be a better solution in terms of religious history (and probably also of theology) than would setting them in sharp contrast to each other. This regards to central categories and conceptions of anthropology just as it regards to Torah interpretations. On the other hand, an adequate sharpness of distinction ought to be emphasised in instances where the confession of the resurrection of Jesus from the dead as a fundamental statement of specifically Christian anthropological and eschatological views is notably reflected in the texts. Such is undoubtedly the case in the letters of Paul, where the fate of Jesus and the fate of those believing in Jesus are bound up with each other, both in terms of the experience of death and in terms of an expectation of life beyond individual death. 69
Addendum: More Recent Studies on the Pharisees
Addendum: More Recent Studies on the Pharisees
AMOS, ROGER, Hypocrites or heroes? The Paradoxical Portrayal of the Pharisees in the New Testament, Eugene 2015. BAUMGARTEN, ALBERT I, Die Pharisäer und die Gräber der Propheten. in: ANDREAS BEDENBENDER (Ed.), Judäo-Christentum. Die gemeinsame Wurzel von rabbinischem Judentum und früher Kirche, Leipzig 2012, 13–32. BEDENBENDER, ANDREAS, Die Pharisäer sind unter uns. Zur Rolle der pharisaioi in den synoptischen Evangelien und zur Rolle der peruschim in der rabbinischen Literatur, in: IDEM (Ed.), Judäo-Christentum. Die gemeinsame Wurzel von rabbinischem Judentum und früher Kirche, Leipzig 2012, 33–69. DEINES, ROLAND, The Social Profile of the Pharisees, in IDEM, Acts of God in History. Studies Towards Recovering a Theological Historiography, WUNT 317, Tübingen 2013, 29–52. DOCHHORN, JAN, Paulus als Pharisäer und Antiochener. Biographische Grundlagen seiner Schriftrezeption, in FLORIAN WILK/MARKUS ÖHLER (Ed.), Paulinische Schriftrezeption. Grundlagen – Ausprägungen – Wirkungen – Wertungen, FRLANT 268, Göttingen 2017, 81–112. ESPOSITO, THOMAS, Jesus’ Meals with Pharisees and their Liturgical Roots, AnB 209, Rome 2005. HOWELL, JUSTIN R., The Pharisees and Figured Speech in Luke-Acts, WUNT II/456, Tübingen 2017. KNOWLES, MICHAEL P., Serpents, Scribes, and Pharisees, JBL 13, 2014, 165–178. LINDEMANN, ANDREAS, Paulus – Pharisäer und Apostel, in: DIETER SÄNGER/ULRICH MELL (Ed.), Paulus und Johannes. Exegetische Studien zur paulinischen und johanneischen Theologie und Literatur, WUNT 198, Tübingen 2006, 311–351. MARSHALL, MARY, The Portrayals of the Pharisees in the Gospels and Acts, FRLANT 254, Göttingen 2015.
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On this, cf. esp. 1 Thess 4f.; 1 Cor 15; 2 Cor 5; Rom 5.
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Jesus, Paul and the Pharisees
NEUDECKER, REINHARD, Moses interpreted by the Pharisees and Jesus. Matthew’s antitheses in the light of early rabbinic literature, Rome 2012. POPLUTZ, UTA, Die Pharisäer als literarische Figurengruppe im Johannesevangelium, in: JOERG FREY (Ed.), Narrativität und Theologie im Johannesevangelium, BThSt 130, Neukirchen-Vluyn 2012, 19–40. SIEGERT, FOLKER, Das Pharisäerbild des Evangelisten Johannes, in: ANDREAS BEDENBENDER (Ed.), Judäo-Christentum. Die gemeinsame Wurzel von rabbinischem Judentum und früher Kirche, Leipzig 2012, 70–84.
II Christologie und Rechtfertigung
Jesus Christus und der eine Gott Israels Zum christologischen Gottesglauben in den Paulusbriefen Die Frage nach der neutestamentlichen Rede von Gott soll im folgenden Beitrag an die Paulus-Briefe und die in ihnen aufgenommenen und entfalteten Zeugnisse frühester Christologie gestellt werden. Dies nicht nur, weil uns in Paulus der erste literarische Zeuge des christologisch gefüllten Gottesglaubens im Urchristentum entgegentritt, sondern darüber hinaus, weil bei Paulus besonders deutlich die Lebenszusammenhänge sichtbar werden, in denen solcher Glaube verwurzelt war. Paulus verdankt der Überlieferung der frühesten christlichen Gemeinde nicht nur die Kenntnis wesentlicher Züge des Wirkens und des Geschicks Jesu, sondern auch die zentralen Bekenntnisse zu seiner Funktion und Bedeutung. Er hat diese Zeugnisse aufgrund seiner eigenen Berufungserfahrung und im Blick auf die konkreten Herausforderungen seines Wirkens als Gemeindegründer und Apostel reflektiert und interpretiert. Für ihn wie für die Adressaten seiner Briefe kam dabei dem Zeugnis der Schrift maßgebliche Bedeutung zu, sofern sie das Christusgeschehen als Wirken des Gottes bezeugte, der schon in dem in ihr berichteten Geschehen am Werk war. Die hiermit berührten Gesichtspunkte der Überlieferung und des Vorverständnisses, der persönlichen religiösen Erfahrung, der Reflexion und Interpretation sowie der religiösen und gottesdienstlichen Praxis sind bei der Frage nach der Rede von Gott im Neuen Testament stärker zu berücksichtigen, als es bei einer auf die Untersuchung der Titel oder Formeln beschränkten Darstellung möglich wäre und verbreitet ist. Von daher bieten sich die Paulus-Briefe für unser Thema an. 1
Für eine eingehende Auseinandersetzung mit der einschlägigen Monographie von PAUL-GERHARD KLUMBIES, Die Rede von Gott bei Paulus in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext, FRLANT 155, Göttingen 1992, ist hier nicht der Ort. Während die Untersuchung von Klumbies „auf das Proprium paulinischer Theo-logie (zielt)“ (a.a.O., 136) und dabei m.E. nicht der Gefahr schematischer Verzeichnung frühjüdischen und ‚vorpaulinischen‘ Gottesverständnisses entgeht (krass in dem Abschnitt „Der ferne nahe Gott im Judentum der hellenistisch-römischen Zeit“, a.a.O., 104–106), wollen wir das Verbindende in der Rede von Gott im Frühjudentum und im Urchristentum herausarbeiten. Dass dabei das Spezifikum urchristlichen Glaubens nicht verdunkelt wird, sondern gerade präziser bestimmt werden kann, soll Kapitel 3 erweisen. 1
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Jesus Christus und der eine Gott Israels
1. Das Bekenntnis der Christen im Rahmen des frühjüdischen Gottesverständnisses
1. Christusbekenntnis und frühjüdisches Gottesverständnis Das Christusbekenntnis, das in den paulinischen Briefen laut wird, ist geschichtlich einzuordnen in die Vielfalt der Zeugnisse zeitgenössischen jüdischen Gottesglaubens. Ausnahmslos alle, die an seiner Ausbildung beteiligt waren, waren Juden oder standen zumindest im Ausstrahlungsbereich jüdischen Lebens. 2 Dieser Tatbestand schlägt sich inhaltlich darin nieder, dass das Grundbekenntnis zum Gott Israels, das Schema Jisrael (Dtn 6,4), auch Maßstab des Christusbekenntnisses ist. Der Glaube an den einen Gott gehört zu den wenigen im Urchristentum gänzlich unumstrittenen Größen. Dieser für geborene Juden unter den Christen kaum verwunderliche Befund bleibt ausdrücklich auch dort in Geltung, wo im Zuge der Wirksamkeit des Paulus die Christusbotschaft bewusst und reflektiert die Grenze zwischen Juden und Nichtjuden überschreitet. Paulus trägt durch seine Christusverkündigung das Bekenntnis zum einen Gott Israels zu den Heiden. Das wird explizit klar in 1Kor 8–10. 3 Das in diesen Kapiteln zur Debatte stehende aktuelle Problem, das Essen von Götzenopferfleisch (8,1.4), entsteht aus dem Zusammenkommen von Juden und Nichtjuden in heidnischer Umgebung zur einen von Gott berufenen christlichen Gemeinde. 4 Paulus gründet seine Weisungen der Gemeinde gegenüber auf die von Gott her wirksame Liebe (8,1–3) und baut seine folgende Argumentation auf dem als bekannt und unbestritten vorausgesetzten Gegensatz zwischen dem einen Gott und den ihm gegenüber nichtigen Götzen auf (8,4). Ist schon hier deutlich das Schema Jisrael vergegenwärtigt, so wird dieses Grundbekenntnis in dem alle Christen verbindenden Glauben entfaltet: „Wir haben einen Gott, den Vater, aus dem alles ist und wir auf ihm hin, und einen Herrn Jesus Christus, durch den alles ist und wir durch ihn (8,6).“ Jesus, der Christus, der kraft seiner Auferstehung zum Vater erhöhte Sohn, ist hier nicht ein anderer, der die Einheit des Einen gefährden oder gar 2 Vgl. dazu mit ausführlichen Literaturverweisen meinen Aufsatz: Identität und Interaktion. Zur Situation paulinischer Gemeinden im Ausstrahlungsfeld des Diasporajudentums, in: JOACHIM MEHLHORN (Hg.), Pluralismus und Identität, VWGTh 8, Gütersloh 1995, 339– 359 [in diesem Band 149–171]. 3 Vgl. auch 1Thess 1, 9f.; Gal 4,8f.; 1Kor 12,2. Die gezielte, organisierte Gewinnung von Heiden für den Glauben ist im Frühjudentum ohne Vorbild und hat in der Christuserfahrung der Apostel ihren Ursprung. Entsprechend erscheint in den genannten Stellen die Abwendung von den Götzen und Zuwendung zu dem einen, lebendigen Gott in untrennbarer Verknüpfung mit dem Christusbekenntnis. Das Bekenntnis zum einen Gott wird für Paulus auch dort aktuell, wo die Einheit der christlichen Gemeinde aus Heiden und Juden in Gefahr ist (vgl. Röm 3,29f.; Gal 3,20). 4 Zu den Weisungen des Paulus in 1Kor 8–10 auf dem Hintergrund jüdischer Torapraxis in der Diaspora vgl. PETER TOMSON, Paul and the Jewish Law: Halakha in the Letters of the Apostle to the Gentiles, CRINT 3,1, Assen/Minneapolis 1990, 151–220.
1. Christusbekenntnis und frühjüdisches Gottesverständnis
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aufheben könnte. Das zweifache Bekenntnis zu dem Einen ist nicht Verdoppelung, sondern entfaltende Wiederholung. Dass das Bekenntnis der christlichen Gemeinde zu Gott inhaltlich gespeist ist durch frühjüdische Gotteserfahrung und dass es in der Sprache des Frühjudentums zum Ausdruck gebracht wird, lässt sich aus der geprägten Formulierung von 1Kor 8,6 erschließen. Sie steht im traditionsgeschichtlichen Kontext des frühesten Christentums, in den sich Paulus bewusst einordnet, ob er sie nun selbst gebildet oder aus dem lebendigen Gebrauch vor und neben ihm übernommen hat. 5 Gott wird hier bekennend zur Sprache gebracht: als Schöpfer, als Vater und als Allmächtiger. Dass der eine Gott als Schöpfer des Alls bekannt wird, gehört zu den Grundaussagen gerade solcher frühjüdischen Zeugnisse, die sich in Sprache und Vorstellungswelt der in der hellenistischen Umwelt bereitliegenden Mittel bedienen. Dabei ist oft polemische Abgrenzung vom heidnischen Kult ein treibendes Motiv. 6 Solche Abgrenzung bildet auch in 1Kor 8,6 den Anlass und den Kontext des Bekenntnisses zum Schöpfer. Die exklusive Bindung an den einen Gott Israels sichert die Aussagen über Herkunft und Grund des Alls vor ununterscheidbarem Aufgehen im philosophischen Denken der hellenistischen Welt. Auch dass die bekennenden „wir“ im Bekenntnis zum Schöpfer ausdrücklich Platz haben, verbindet die All-Aussagen von 1Kor 8,6 mit dem frühjüdischen Gottesverständnis, kann also nicht erst für eine christliche Rezeptionsstufe veranschlagt werden. Der eine Gott, der Schöpfer und Beherrscher des Alls, steht in einzigartiger Beziehung zu dem erwählten Volk, das er in seiner Geschichte führt und schützt und das daher auch für Außenstehende als sein Volk erkennbar wird. Ebenso wird im Bekenntnis zu Gott, dem Vater, zunächst einmal frühjüdische Gotteserfahrung laut. 7 Dort kann das Vater-Prädikat wie hier absolut gebraucht die Allherrschaft des Schöpfers benennen. Darüber hinaus aber erweist sich Gottes Vaterschaft nach frühjüdischem Glauben vor allem in seiner Treue gegenüber Israel, dem Volk, dem von daher die Sohnschaft zukommt (vgl. Röm 9,4). Diese Überzeugung wurzelt in der biblischen Treuezusage Gottes an Israel und der in der Bibel berichteten Erfahrung ihrer Verwirklichung. Tradi-
5 Vgl. CHRISTIAN WOLFF, Der erste Brief des Paulus an die Korinther. Zweiter Teil, Auslegung der Kapitel 8–16, ThHK 7,2, Berlin 1982, 7–10. 6 Zum frühjüdisch-hellenistischen Gottesbild vgl. GERHARD DELLING, Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum, Berlin 1987, 70–77; JOHANN MAIER, Zwischen den Testamenten. Geschichte und Religion in der Zeit des zweiten Tempels, NEB.ATE 3, Würzburg 1990, 191–196. 7 Dazu vgl. jetzt die umfassende Monographie von ANGELIKA STROTMANN: „Mein Vater bist du!“ (Sir 51,10). Zur Bedeutung der Vaterschaft Gottes in kanonischen und nichtkanonischen frühjüdischen Schriften, FTS 39, Frankfurt 1991.
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Jesus Christus und der eine Gott Israels
tionsgeschichtlich ließe sich dieser theologische Befund an der Natansweissagung (2Sam 7,14f.) und am Moselied (Dtn 32,1–20) unter Berücksichtigung der Wirkungsgeschichte dieser Texte im Frühjudentum aufweisen. 8 Das asymmetrische Verhältnis von strafendem Zorn und barmherziger Vergebung, aus dem die Vater-Metapher ihre Dynamik bezieht, ist schon dort auf die Beziehung des Gottes Israels zu seinem Volk angewendet. Dass Gott der zur Umkehr rufende, vergebende und liebende Vater ist, bestimmt also den Gottesglauben, den die ersten Christen aus biblisch-jüdischer Tradition übernehmen konnten, weil er sich ihnen gerade am Christusgeschehen neu als wahr erwiesen hatte. Die christologische Entfaltung der Vaterschaft Gottes knüpft damit an die Gotteserfahrung Israels an, die im Frühjudentum lebendig war. 9 Ihr Spezifikum wird dadurch nicht verwischt, braucht aber auch nicht gegenüber einem verzerrten Bild vom frühjüdischen Gottesverständnis herausgearbeitet zu werden. Neben den expliziten Prädikationen Gottes als Schöpfer und Vater führt die zweigliedrige Struktur der Formulierung von 1Kor 8,6 mit ihrer gezielten Spannung zwischen Parallelität und Differenz noch zu einer Implikation. Mit ihr wird die Frage berührt, ob durch die Zusammenstellung von Gottesbekenntnis und Christusbekenntnis die Einheit des Gottes Israels gefährdet sei. Ist Gott noch der Allmächtige, wenn er neben sich einen Kyrios duldet? Diese Frage, die aus moderner Perspektive oft als zentrales Problem des Textes angesehen wird, lässt sich auf dem Hintergrund frühjüdischen Gottesverständnisses durchaus unproblematisch positiv beantworten. Die frühjüdischen Zeugnisse enthalten gerade im Zusammenhang ihres Bekenntnisses zur Einheit Gottes eine erstaunliche Vielfalt von Vorstellungen über die Welt Gottes und die diese
8 Für Paulus ist bes. auf 2Kor 6,18 zu verweisen. Zur Wirkungsgeschichte von 2Sam 7,14 in der Bibel und im Frühjudentum vgl. JAMES M. SCOTT, Adoption as Sons of God. An Exegetical Investigation into the Background of YIOTHESIA in the Pauline Corpus, WUNT II/48, Tübingen 1992, 96–117.187–220. Eine weitere Traditionslinie zur Barmherzigkeit Gottes geht von der Reihung von Gottesnamen in Ex 34,6 aus und findet über zahlreiche biblische und frühjüdische Wiederaufnahmen (vgl. Num 14,18f.; Joel 2,13; Jona 4,2; Ps 86, 15; 103;8; 145,8; Neh 9,17; Dan 9,9; Sir 2,11; 1QH 6,8f.; JosAs 11,10) ihren Höhepunkt im Gebet Manasses (OrMan 7; vgl. EVA OSSWALD, Gebet Manasses, JSHRZ IV/1, Gütersloh 1974, 15–27: 24). 9 Dies bestätigt auch ein Blick auf die Vater-Prädikation Gottes im Corpus Paulinum, Gott ist Vater der Schöpfung (neben 1Kor 8,6 noch Phil 2,11 [vgl. V.10]; Eph 3,14; 4,6), des Gottesvolkes (2Kor 6,18; vgl. Eph 2,18), der Christen (Gal 1,4; Phil 4,20; 1Thess 1,3; 3,11.13; 2Thess 2,16; s.a. den Abba-Ruf, Gal 4,6; Röm 8,15, sowie den absoluten Gebrauch in Kol 1,12) und schließlich des Kyrios Jesus Christus (Röm 15,6; 2Kor 1,3; 11,31, vom Kontext her auch Röm 6,4; 1Kor 15,24). Auch in den Briefpräskripten begegnet die VaterPrädikation in ähnlicher Vielfalt der semantischen Beziehungen (besonders kompakt in 2Kor 1,3).
1. Christusbekenntnis und frühjüdisches Gottesverständnis
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Welt bevölkernden transzendenten Wesen. 10 Gott ist zwar der eine, aber er ist nicht alleine. In unserem Zusammenhang ist vor allem die Vorstellung von dem einen göttlichen ‚Generalbevollmächtigten‘ von Bedeutung, 11 die im frühjüdischen Monotheismus in vielfältiger Gestalt Platz hatte, sei es, als Personifikation göttlicher Attribute wie Weisheit, Logos oder des Namens Gottes, sei es, als ein zu Gott erhöhter Patriarch der biblischen Überlieferung (z.B. Henoch oder Mose), sei es, als oberster der Hierarchie der Engel (z.B. Michael oder Jaoel). Eine solche himmlische Mittlergestalt hat ihre Heimat in unmittelbarer Nähe zu Gott, etwa auf oder neben seinem Thron. Sie wirkt im Auftrag Gottes, ist ihm also subordiniert, steht aber an Macht und Ehre über allen anderen Wesen im Himmel und auf Erden. Das einemal hat sie eine mitwirkende Rolle bei der Schöpfung, das anderemal beim eschatologischen Gericht, und an wieder anderen Stellen tritt sie als Repräsentant Gottes auf Erden in Erscheinung. Werden alle diese sehr vielfältig vorgestellten Gestalten auch mit göttlichen Attributen und übernatürlichen Potenzen ausgestattet und als Teilhaber an der himmlischen Welt gezeichnet, so scheinen sie doch den Glauben an den einen Gott nicht gefährdet zu haben. Sie begegnen jedenfalls gerade auch in solchen Texten, die sich um die Stärkung und Bewahrung jüdischer Identität angesichts ihrer Gefährdung durch die polytheistische Umwelt bemühen und dabei das Bekenntnis zum einen Gott Israels ausdrücklich herausstellen. Zudem wird bei aller Beliebtheit solcher idealisierter Himmelswesen in Glaube und Frömmigkeit offenbar doch die Grenze zu kultischer oder anderweitig religiöser Verehrung nicht überschritten. Die frühjüdische Vorstellung von einem über alle übrigen Himmelswesen erhobenen, allein Gott nachgeordneten ‚Generalbevollmächtigten‘ Gottes kann als Verständnishorizont für die Interpretation des Bekenntnisses in 1Kor 8,6 herangezogen werden. Sie macht begreiflich, dass das Bekenntnis zu dem einen Gott, dem Schöpfer und Beherrscher des Alls, nicht aufgehoben sein muss durch das Bekenntnis zu einem ebenso einzigartigen Kyrios, der ebenfalls eine Funktion bei der Erschaffung und Erhaltung des Alls zugewiesen bekommen hat. Darüber hinaus aber werden sofort auch Unterschiede sichtbar: Bei aller Vielfalt der frühjüdischen Vorstellungen von himmlischen Gestalten ist es doch nie ein in unmittelbarer Vergangenheit verstorbener Zeitgenosse, der in die Funktion des göttlichen Bevollmächtigten versetzt wird. Und nirgends kommt einem solchen göttlichen Bevollmächtigten selbst in irgendeiner Weise religiöse Verehrung zu, sondern immer allein Gott. Im folgenden geht es uns darum, auf dem gezeichneten Hintergrund frühjüdischen Gottesverständnisses 10 Vgl. dazu LARRY W. HURTADO, One God, One Lord. Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism, Philadelphia 1988; MICHAEL MACH, Entwicklungsstadien des jüdischen Engelglaubens in vorrabbinischer Zeit, TSAJ 34, Tübingen 1992. 11 Belege bei HURTADO (s. vorige Anm.), 17–92.
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Jesus Christus und der eine Gott Israels
spezifische Neuprägungen der Christusverehrung in den Paulus-Briefen zu erkennen, die schließlich im dritten Teil theologisch zu interpretieren sein werden.
2. Phänomene der Christusverehrung und ihr Ursprung
2. Phänomene der Christusverehrung und ihr Ursprung Die Erforschung der neutestamentlichen Christologie war in unserem Jahrhundert lange bestimmt durch einen formgeschichtlichen Lösungsansatz und die Suche nach einem geschichtlichen Entwicklungsmodell. Die Ergebnisse dieser Arbeit haben sich klassisch niedergeschlagen in den Werken von Ferdinand Hahn 12 und Werner Kramer 13. Die Frage nach Herkunft und Bedeutung der verschiedenen christologischen Titel schien damit weitgehend beantwortet. Ihre Einordnung in ein mehrstufiges Entwicklungsmodell der Geschichte des Urchristentums von der palästinischen Urgemeinde über die hellenistisch-judenchristliche Gemeinde und das paulinische Christentum bis hin zum Heidenchristentum und zum Frühkatholizismus schien ausreichend differenziert und umfassend. Obwohl dieser Lösungsentwurf bis heute wirksam ist, stehen ihm doch zwei entscheidende Schwierigkeiten gegenüber, die besonders von Martin Hengel herausgearbeitet worden sind. 14 Die geschichtliche Schwierigkeit: Der in dem Modell angenommene mehrstufige Entwicklungsprozess christologischer Vorstellungen lässt sich nicht in der Chronologie des Urchristentums unterbringen. Die traditionskritische Schwierigkeit: Die christologischen Aussagen begegnen in den Texten nicht nach Konzeptionen getrennt, sondern in bunter Mischung nebeneinander. Berücksichtigt man die anhand der Paulus-Briefe und der übrigen Quellen möglichen Datierungen, so bleibt für einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess von einer alten, judenchristlichen, ‚niedrigen‘ Christologie zu einer späten, hellenistisch-synkretistischen ‚hohen‘ weder Zeit noch Raum. Vergegenwärtigt man sich die religions- und geistesgeschichtliche Situation des Frühjudentums im 1. Jh. n. Chr., so besteht freilich dafür auch gar kein Bedarf. Ein treibendes Motiv für die zeitliche und geographische Streckung der christologischen Entwicklung war ja das Urteil, die neutestamentliche Christusvereh-
FERDINAND HAHN, Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum, FRLANT 83, Göttingen 1963. 13 WERNER KRAMER, Christos Kyrios Gottessohn. Untersuchungen zu Gebrauch und Bedeutung der christologischen Bezeichnungen bei Paulus und den vorpaulinischen Gemeinden, AThANT 44, Zürich 1963. 14 MARTIN HENGEL, Christologie und neutestamentliche Chronologie. Zu einer Aporie in der Geschichte des Urchristentums, in: Neues Testament und Geschichte (FS O. Cullmann), hg. v. HEINRICH BALTENSWEILER/BO REICKE, Zürich/Tübingen 1972, 43–67. 12
2. Phänomene der Christusverehrung und ihr Ursprung
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rung sei im Bereich des palästinischen Judentums bzw. Judenchristentums dieser Zeit undenkbar und nur durch das spätere Eindringen des hellenistischen Synkretismus erklärbar. Demgegenüber ist aber inzwischen die Rezeption hellenistischen Geistesgutes im Frühjudentum der Diaspora und auch des Mutterlandes schon lange vor der Zeit Jesu klar erkennbar geworden, ohne dass durch solche Rezeption die Identität des Judentums synkretistisch aufgelöst worden wäre. 15 Eine frühe Herausbildung hoheitlicher Aussagen über den auferweckten Jesus kann also nicht mehr mit Verweis auf das im Rahmen jüdischer Vorstellungen Mögliche bzw. Unmögliche von vornherein ausgeschlossen werden. Ein Überblick über Phänomene der Christusverehrung in den Paulus-Briefen zeigt, dass zum Zeitpunkt ihrer Abfassung, also rund zwanzig Jahre nach der Kreuzigung Jesu, schon alle wesentlichen Züge einer ‚hohen‘ Christologie begegnen. Der auferweckte Jesus ist der Sohn Gottes (Röm 1,4; Gal 1,16; 1Thess 1,10 u.ö.). Ihm ist der Name Gottes verliehen (Phil 2,9f.). Er wird als Kyrios angerufen (Röm 10,9; 1Kor 12,3), gerade auch in solchen Wendungen und Zitaten der Schrift, die in der Bibel den Gottesnamen wiedergeben (Röm 10,13; 1Kor 1,31; 2,16). 16 Er ist Gott gleich bzw. sein Abbild (Phil 2,6; 2Kor 4,4) 17 und trägt Gottes Herrlichkeit an sich (2Kor 4,6; Phil 3,21). Er ist als präexistentes Wesen vorgestellt und am göttlichen Schöpfungshandeln beteiligt (Phil 2,6; 1Kor 8,6). Sein Platz ist im Himmel (1Thess 1,10; 4,16f.; Phil 3,20 u.ö.) zur Rechten Gottes (Röm 8,34). Er herrscht über das All (1Kor 15,27; Phil 3,21) und über die himmlischen Mächte (Phil 2,10). Er wirkt im Auftrag Gottes (Gal 4,4f.; 1Kor 15,24–28) und ist von ihm zum Bevollmächtigten beim eschatologischen Gericht eingesetzt (1Thess 1,10; 2Kor 5,10; 1Kor 16,22; vgl. 1,7f.). Die meisten der hier aufgezählten christologischen Aussagen werden nicht von Paulus als Neuerungen eingeführt, sondern sind bei seinen Adressaten offenbar bekannt und akzeptiert. Sie lassen sich nicht zu einer systematischen christologischen Konzeption zusammenfassen und dadurch spezifisch lokalisieren, sondern belegen ein im Urchristentum weit verbreitetes Milieu vielfältiger und blühender Christusverehrung schon in den ersten beiden Jahrzehnten der christlichen Mission. Der Stand der Ausbreitung christlicher Gemeinden 15 Bahnbrechend war die Monographie von MARTIN HENGEL, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr., WUNT 10, Tübingen 1969 (31988). 16 Vgl. dazu DAVID B. CAPES, Old Testament Yahweh Texts in Paul’s Christology, WUNT II/47, Tübingen 1992. 17 Auf diesem Hintergrund wäre es durchaus denkbar, dass die Doxologie in Röm 9,5 auf den auferstandenen Christus zu beziehen ist, dieser somit auch einmal das Prädikat „Gott“ zugesprochen bekommt. Vgl. den Überblick über die Diskussion bei CHARLES E. B. CRANFIELD, The Epistle to the Romans, ICC, Edinburgh 1979, 464–470, sowie MURRAY J. HARRIS, Jesus as God. The New Testament Use of Theos in Reference to Jesus, Grand Rapids 1992, 143–172.
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zu dieser Zeit zwingt zu der Annahme, dass die Urheber und die Tradenten solcher Zeugnisse weit überwiegend den prägenden Raum des Frühjudentums noch nicht verlassen hatten und auch nicht verlassen wollten. Sie betrachteten also ihr Christusbekenntnis als mit ihrem Glauben an den einen Gott vereinbar. Bieten die oben skizzierten frühjüdischen Vorstellungen auch den Verstehenshorizont solcher Aussagen der frühen Christusverehrung, so können sie doch ihren Ursprung nicht hinreichend erklären. Vor allem zur gottesdienstlich-religiösen Verehrung eines göttlichen Bevollmächtigten fehlt jede frühjüdische Analogie. 18 Sie aber ist für den auferweckten und zu Gott erhöhten Christus schon in der frühesten, noch aramäisch sprechenden Gemeinde durch den Μαρανα θα-Ruf belegt (1Kor 16,22). Dieser Gebetsruf ist nur ein Indiz unter vielen, die die einzigartige Bedeutung des erhöhten Christus in der Frömmigkeit und der Gottesdienstpraxis der frühesten Gemeinden illustrieren. Wir finden aus dem Gottesdienst stammende Hymnen, die ganz auf das Wirken Jesu im Auftrag Gottes konzentriert sind (Phil 2,5–11; Kol 1,15–20). Gebete einzelner und der Gemeinde richten sich direkt an den erhöhten Christus (2Kor 12,8; 1Kor 16,22). Handlungen und Äußerungen der Gemeinden wie Taufe, Herrenmahl, gottesdienstliche Akklamation oder Gemeindedisziplin stehen in exklusiver Beziehung zum Namen Jesu. Auch das Bekenntnis zum erhöhten Christus ist Gegenstand nicht bloß theologischer Reflexion, sondern vor allem gottesdienstlicher Praxis (1Kor 12,3). Solche Indizien religiösen Lebens weisen stärker noch als die reflektierte Sprache titularer Christusprädikationen auf die einzigartige Rolle des auferstandenen und zu Gott erhöhten Jesus im Leben der frühesten christlichen Gemeinden. Zweifellos hatte bei der Ausbildung solcher religiöser Formen und Praktiken das in der lebendigen Überlieferung des frühjüdischen Gottesglaubens wurzelnde individuelle und kollektive Vorverständnis eine wichtige Funktion. Die entscheidenden Züge der frühesten Christusverehrung bleiben dort aber gerade ohne Beleg: die Einsetzung eines Zeitgenossen in die Funktion des einzigartigen Repräsentanten Gottes und seine gottesdienstliche Anrufung und Verehrung. Sie sowie die mit ihnen einhergehende, geradezu explosionsartige Entstehung vielfältiger Formen der Christusverehrung verweisen auf ihnen zugrundeliegende einzigartig neue religiöse Erfahrungen. Nun ist der Rekurs auf religiöse Erfahrungen als Grund der christologischen Entwicklung durchaus mit Schwierigkeiten belastet. Schon von ihrer Gattung her sind die konkret veranlassten Paulus-Briefe nicht primär Zeugnisse religiöser Erfahrung, sondern eher zielgerichteter Reflexion. 19 Zwar spielt Paulus gelegentlich auf die für ihr bestimmend gewordene Berufungserfahrung an Dazu und zum folgenden HURTADO, One God (Anm. 10), 93–128. Diese Differenzierung kommt bei der ansonsten verdienstvollen Untersuchung von SEYOON KIM, The Origin of Paul’s Gospel, WUNT II/4, Tübingen 21984, bes. 100–268, zu kurz. 18 19
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(Gal 1,15f.; 1Kor 2,9f.; 9,1; 15,8; 2Kor 3,5f.; 4,1–6; Phil 3,8). Diese ist aber nirgendwo ausdrücklich sein Thema. Soviel wird immerhin deutlich, dass es sich bei dieser Erfahrung um eine Vision, verbunden mit einer Audition, gehandelt haben muss. Das Berufungsgeschehen des Paulus ist zu Recht mit prophetischen Berufungsberichten der Bibel, vor allem mit Jes 49,1–6, in Verbindung gesetzt worden. 20 Dort ist vor allem der Aspekt der Audition mit dem spezifisch ausgerichteten Auftrag an den Berufenen verwurzelt. Der visionäre Aspekt, der in den paulinischen Anspielungen an seine Berufung ebenfalls deutlich erkennbar ist, lässt sich aber allein von dorther nicht erklären. Er setzt den in frühjüdischer Zeit lebendigen Verstehenshorizont des ‚Einblicks in höhere Welten‘, der visionären Schau der himmlischen Welt und des Gottesthrones, voraus. 21 Auch dieser Überlieferungskomplex wurzelt in biblischen Berichten von Prophetenberufungen, besonders solchen, in denen der Beauftragung des Propheten die Schau des Thrones Jahwes und der ihn umgebenden himmlischen Wesen vorangeht (vgl. 1Kön 22,19; Jes 6,1–7; Ez 1f.; Dan 7,9– 14). Sicher wird man die Vision des Paulus sich nicht nach Art der detaillierten Visionsschilderungen der späteren jüdischen Mystik vorstellen dürfen. Andererseits ist eine visionäre Begabung des Paulus gar nicht zu bestreiten (vgl. nur 2Kor 12,1–5). Und die wenigen aus den Anspielungen erkennbaren Züge seiner Berufungsvision deuten auf eine im Himmel geschaute, mit göttlichen Attributen ausgestattete menschliche Gestalt, die die Züge Jesu trug (1Kor 9,1; Gal 1,16; 2Kor 4,5f.). Natürlich ist in Rechnung zu stellen, dass in die Wiedergabe des Geschauten im Zusammenhang der je verschiedenen Ziele der brieflichen Argumentationen neben der Erinnerung an das einst Erfahrene auch die darauffolgende reflektierende Interpretation schon mit eingeflossen ist. Auch für solche nachträgliche Interpretation stand ja der biblisch-frühjüdische Verstehenshorizont der Vision der Welt Gottes zur Verfügung. Man wird bei einer Rekonstruktion des Visionsinhaltes entsprechend zurückhaltend sein müssen, kann aber den Tatbestand eines aller Reflexion zugrundeliegenden religiösen Erlebnisses schwerlich bestreiten. 22 Paulus verdankt somit sein Christusbild so-
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TRAUGOTT HOLTZ, Zum Selbstverständnis des Apostels Paulus, ThLZ 91, 1966, 321– 330 (= DERS., Geschichte und Theologie des Urchristentums. Gesammelte Aufsätze, hg. v. ECKART REINMUTH/CHRISTIAN WOLFF, WUNT 57, Tübingen 1991, 129–139). 21 Vgl. dazu CHRISTOPHER ROWLAND, The Open Heaven. A Study of Apocalyptic in Judaism and Early Christianity, London 1982; MARC PHILONENKO (Hg.), Le Trône de Dieu, WUNT 69, Tübingen 1993. Zur paulinischen Christologie auf diesem Hintergrund s. jetzt CAREY C. NEWMAN, Paul’s Glory-Christology. Tradition and Rhetoric, NT.S 69, Leiden u.a. 1992. 22 Das zeigt sich in 2Kor 3,1–4,6, wo Visionsterminologie und Bezugnahme auf das Berufungsgeschehen eng verbunden sind (vgl. bes. 3,5f.16.18; 4,4.6). Freilich darf auch hier
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wohl seiner Berufungsvision als auch ihrer Identifikation, Verifikation und Interpretation anhand der Schrift und im Blick auf die Herausforderungen seines apostolischen Dienstes. Nun ist Paulus bekanntlich keineswegs der erste und älteste Zeuge des zu Gott erhöhten Christus. In 1Kor 15,5–8 ordnet er seine eigene Christusschau als letzte ein in eine Reihe mit denen einer beträchtlichen Zahl anderer Apostel vor ihm. Das Wissen um die Erhöhung des auferweckten Jesus zu Gott erscheint bei Paulus als gemeinsame Basis aller Apostel und liegt als solche schon den Christusaussagen zugrunde, die er aus der Gemeindetradition aufgenommen hat. 23 Schon zum Zeitpunkt seiner Berufung muss dieses Wissen in den christlichen Gemeinschaften bestimmend gewesen sein, wenn auch wohl noch nicht in derart entwickelter sprachlicher Gestalt wie in seinen späteren Briefen. Eine Erklärung für den explosionsartigen Vorgang der Herausbildung und Entfaltung christologischer Vorstellungen bis hin zu Paulus wird kaum allein auf dem Felde theologischer Reflexion gefunden werden. Sie muss Aspekte der individuellen und kollektiven religiösen Erfahrungen, des Vorauswissens und der internen und externen Gruppenprozesse im Zusammenhang der Gründung christlicher Gemeinschaften berücksichtigen. Für die Entstehung der frühesten Christusverehrung bedeutet dies: Die Ostererscheinungen trafen auf die unmittelbar gegenwärtigen Erinnerungen von Jesus-Anhängern an das Wirken und das Geschick ihres Meisters. Der geschaute Christus trug die Züge des Gekreuzigten. Die umstürzenden Konsequenzen der Ostererfahrung, vor allem die unmittelbar anschließende Ingangsetzung einer enthusiastischen Missionsbewegung, für die es im zeitgenössischen Judentum keine Analogie gibt, deuten darauf, dass die ersten Apostel im Geschehen der Auferweckung des Gekreuzigten die eschatologische Zeitenwende identifiziert und erfahren haben. Damit war der in ihrer Erinnerung haftende Anspruch Jesu, in seinem Wirken das endzeitliche Handeln Gottes an Israel zu repräsentieren, durch Gott selbst bestätigt worden. Schließlich muss die produktive Kraft einer eschatologisch orientierten Lektüre und Reflexion der Schrift, vor allem der prophetischen Überlieferung und des prophetisch gelesenen Psalters, in Anschlag gebracht werden. Für die Bewältigung und Interpretation des Erfahrenen boten die vielfältigen eschatologischen und messianischen Erwartungen des Frühjudentums immer neue Einsichten und Antworten auf der Basis einer vergegenwärtigenden Schriftlektüre an, gerade weil sie zur Zeit Jesu noch nicht der argumentative Kontext nicht übersehen werden. Für ihn ist nicht die Thronvision-Überlieferung leitend, sondern die Gegenüberstellung von Aposteldienst und Mosedienst, mit der Paulus Ex 34 aktualisierend interpretiert. Indessen geht es auch in Ex 34,29–35 (sowie vor allem in 33,18–23; vgl. auch Ex 33,17 mit 2Kor 3,5f.; 1Kor 15,10!)) um die Schau der göttlichen Doxa und des göttlichen Angesichts. 23 Vgl. dazu PETER STUHLMACHER, Biblische Theologie des Neuen Testaments. Bd. 1, Grundlegung: von Jesus zu Paulus, Göttingen 1992, 169–175.
3. Aspekte christologischer Erschließung des Gottesglaubens
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zu einer klar umrissenen Messiasvorstellung verdichtet worden waren. Zentrale Bedeutung im frühesten Christentum gewannen dabei Schriftpassagen wie Ps 110 24 und 2Sam 7,12–14. 25 Alle Reflexion und Interpretation wurzelte aber in dem Ursprungsgeschehen, das aus dem irdischen Wirken Jesu, seinem Ende am Kreuz und der Erfahrung seiner Auferweckung und Erhöhung durch Gott bestand. Da die ersten Christen in diesem Geschehen Gott am Werk sahen, hatten sie seine Konsequenzen in ihr Verständnis von Gottes heilschaffendem Handeln einzubeziehen.
3. Aspekte christologischer Erschließung des Gottesglaubens
3. Aspekte christologischer Erschließung des Gottesglaubens Die ersten Christen brachten in ihrem Bekenntnis zu Christus ihren Glauben an den einen Gott Israels zum Ausdruck, wie er sich ihnen im Christusgeschehen erschlossen hatte. Aufgrund dieser Erfahrung entwickelten sie Formen der Christusverehrung, die im zeitgenössischen Judentum ohne Analogie sind. Es erhebt sich somit die Frage, ob und in welcher Weise durch die Erfahrung des Christusgeschehens, ihre Reflexion und die mit ihr verbundene religiöse Praxis, der Gottesglaube selbst substantiell betroffen war und verändert wurde. 26 Vier Aspekten dieser Frage, dem messianischen, dem eschatologischen, dem soteriologischen und dem ekklesiologischen, soll nun nachgegangen werden. Wie die Interpretation von 1Kor 8,6 gezeigt hat, stellt das Bekenntnis zu Jesus, dem eschatologischen Bevollmächtigten Gottes, die Einzigkeit des Gottes Israels nicht in Frage, sondern gerade heraus. Dies wird noch deutlicher dort sichtbar, wo ein klares Beauftragungsverhältnis zwischen Gott und seinem eschatologischen Bevollmächtigten zum Ausdruck gebracht ist (z.B. in den MARTIN HENGEL, Psalm 110 und die Erhöhung des Auferstandenen zur Rechten Gottes, in: Anfänge der Christologie (FS F. Hahn), hg. v. CILLIERS BREYTENBACH/HENNING PAULSEN, Göttingen 1991, 43–73. 25 PETER STUHLMACHER, Das Christusbild der Paulus-Schule – eine Skizze, in: JAMES D. G. DUNN (Hg.), Jews and Christians. The Parting of the Ways A.D.70 to 135, WUNT 66, Tübingen 1992, 159–175: 167–170. 26 Den Reflexionshorizont der folgenden Ausführungen bilden WOLFGANG SCHRAGE, Theologie und Christologie bei Paulus und Jesus auf dem Hintergrund der modernen Gottesfrage, EvTh 36, 1976, 121–154; ERICH GRÄSSER, „Ein einziger ist Gott“ (Röm 3,30). Zum christologischen Gottesverständnis bei Paulus, in: „Ich will euer Gott werden“. Beispiele biblischen Redens von Gott, SBS 100, Stuttgart 1981, 177–205 (= DERS., Der Alte Bund im Neuen. Exegetische Studien zur Israelfrage im Neuen Testament, WUNT 35, Tübingen 1985, 231–258); TRAUGOTT HOLTZ, Theo-logie und Christologie bei Paulus, in: Glaube und Eschatologie (FS W. G. Kümmel), hg. v. ERICH GRÄSSER/OTTO MERK, Tübingen 1985, 105–121 (= DERS., Geschichte und Theologie des Urchristentums [Anm. 20], 189– 204); WILHELM THÜSING, Gott und Christus in der paulinischen Soteriologie. Bd. 1: Per Christum in Deum. Das Verhältnis der Christozentrik zur Theozentrik, NTA 1, Münster 3 1986. 24
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Sendungsformeln Gal 4,4f.; Röm 8,3f. oder, im Blick auf die eschatologische Vollendung, in 1Kor 15,23–28; Phil 2,11). Das Christusbekenntnis als solches kann entsprechend jüdischer Erwartungen die Einheit und Allmacht Gottes nicht gefährden, sondern eher nur unterstreichen. Dennoch lässt sich das spezifische Bekenntnis der ersten Christen nicht folgenlos in den frühjüdischen Gottesglauben einordnen. Dass Gott gerade Jesus, den eben erst mit einzigartigem Vollmachtsanspruch aufgetretenen und infolge dessen durch Kreuzigung hingerichteten Zeitgenossen, als seinen bevollmächtigten Repräsentanten erwählt haben sollte und nach solchem schändlichen Ende zu sich erhöht und mit seiner göttlichen Doxa ausgestattet habe, wurde von Anfang an von Juden, die dieses Bekenntnis nicht nachvollzogen, als Blasphemie bewertet (vgl. Apg 2,36; 5,30; 10,39f. unter Berufung auf Dtn 21,22f.). Solchem Urteil gegenüber hatten die Christen die von ihnen erfahrene Auferweckung des Gekreuzigten als Beweis für die Berechtigung ihrer Identifikation Jesu entgegenzustellen und zu bekennen: Gerade dieser ist derjenige, durch den der Gott Israels an seiner Welt und seinem Volk heilvoll handelt. 27 Der messianische Aspekt des Christusgeschehens hat somit für die Erschließung und Entfaltung des frühchristlichen Gottesglaubens identifizierende und präzisierende Funktion. Die Erfahrung der Auferweckung Jesu von den Toten führte darüber hinaus zu einer Bestimmung des in diesem Geschehen erfahrenen Gotteshandelns als endzeitlich und endgültig (eschatologischer Aspekt). In Entsprechung zu seinem Handeln als Schöpfer hatte sich Gott durch die Auferweckung Jesu von den Toten als der erwiesen, der Tote lebendig macht und das Nichtseiende ins Sein ruft (Röm 4,17). Mit der Auferweckung Jesu war die für die Endzeit erwartete Totenauferweckung bereits angebrochen (1Kor 15,20–28). An Paulus war durch Offenbarung des Auferstandenen als des Sohnes Gottes der Auftrag zur endzeitlichen Heilsverkündigung an die Heiden ergangen (Gal 1,15f.). Im eschatologischen Geschehen der Auferweckung Jesu von den Toten hat also nicht ein neuer, anderer Gott gehandelt, aber der eine und selbe Gott Israels hat in diesem Geschehen neu, so wie nie zuvor und endgültig gehandelt. Diese eschatologische Selbstbezeugung Gottes im Christusgeschehen kann seiner Selbstbezeugung gegenüber Israel in seiner Geschichte nicht entgegengesetzt, mit ihr aber auch nicht auf dieselbe Ebene gestellt werden. Bezeichnenderweise sind es wieder frühjüdische Vorstellungen, die den Verstehenshorizont zur Erfassung des Gotteshandelns im Christusgeschehen liefern, ohne aber das Geschehen selbst begründen zu können. So bietet die im Frühjudentum (nicht nur in der Apokalyptik) lebendige typologische Gegenüberstellung vom Handeln Gottes in Urzeit und Endzeit, in Schöpfung und Erlösung, den Ansatzpunkt, im lebenschaffenden Handeln Gottes an dem gekreuzigten Jesus den Anbruch des endzeitlich neuen Schöpfungshandelns Gottes zu erkennen. Und 27
Vgl. STUHLMACHER, Biblische Theologie I (Anm. 23), 191f.
3. Aspekte christologischer Erschließung des Gottesglaubens
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die Vorstellung, dass die Schrift auf das Geschehen der Endzeit hin gelesen und gedeutet werden muss, bildet die Grundlage für die im Urchristentum sehr früh einsetzende christologische Schriftlektüre. Auf diese Weise erkennt Paulus gerade die einzigartig neue Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Christusgeschehen als „bezeugt durch das Gesetz und die Propheten“ (Röm 3,21; vgl. 1,2.16f.). Und selbst die endzeitliche Teilhabe der Heiden am Heil ohne Übernahme der Verpflichtung zum Toragehorsam hat nach seinem eschatologischen Schriftverständnis in dieser Bezeugung ihren Platz (Gal 3,6–18). Gottesbild und Gotteshandeln sind somit gegenüber dem frühjüdischen Gottesglauben nicht „totaliter aliter verändert“, 28 wohl aber durch das Christusgeschehen neu und endgültig definiert. 29 Darin liegt in Ergänzung zur identifizierenden die definierende Funktion der christologischen Erschließung des Gottesglaubens. Mit ihr ist bereits der soteriologische Aspekt berührt. Gott hat sich endgültig als gerecht erwiesen im Todesgeschick Jesu (Röm 3,25f.). Die Deutung des Todesgeschicks Jesu als Sterben „für uns“ (bzw. „für die vielen“) und die Rückführung dieses Geschehens auf den Willen Gottes gehören zum frühesten Glaubensgut der Christen und sind m.E. in Jesu eigener Deutung seines Geschicks verwurzelt. 30 Der einmalig-endgültige Charakter des Opfertodes Jesu ist zumindest in Teilen des frühesten Urchristentums erfasst und zum Opferkult des Jerusalemer Tempels in antithetische Beziehung gesetzt worden. Paulus hat diese Deutung übernommen (1Kor 15,3; Röm 4,25), ihre torakritische Tendenz zugespitzt (Gal 3,10–13; Röm 8,1–4) und ihre Konsequenzen im Blick auf den Einschluss der Heiden in die Endzeitgemeinde Gottes zur Grundlage seiner spezifischen Missionstätigkeit gemacht (Röm 3,27–31). Im einmaligendgültigen Versöhnungshandeln Gottes durch den Opfertod Jesu (2Kor 5,19a) erschließt sich ihm der eine Gott Israels als nicht allein Gott der Juden, sondern auch Gott der Heiden, der „die Beschnittenheit aus Glauben und die Unbeschnittenheit durch Glauben rechtfertigt“ (Röm 3,29–31). Damit ist zwar nicht der Gott Israels durch den Gott der Christen ersetzt, wohl aber hat Gott selbst sich im Christusgeschehen derart erschlossen, dass nicht mehr der Gehorsam gegenüber der Tora, sondern allein der Glaube an Christus die Zugehörigkeit zur endzeitlichen Gemeinde Gottes ermöglicht. In Röm 9–11 will Paulus den für die Gewissheit seines Evangeliums unerlässlichen Nachweis führen, dass Gott gerade darin seiner Heilszusage an Israel GRÄSSER, „Ein einziger ist Gott“ (Anm. 26), 255. STUHLMACHER, Biblische Theologie I, 175: „Wer der eine Gott ist, lässt sich abschließend und endgültig erst von Jesus, seiner messianischen Sendung, seinem Kreuzestod, seiner Erhöhung zum ‚Herrn und Christus‘ (Apg 2,36) und seiner Erscheinung vom Himmel her erkennen, und umgekehrt wird Jesus in seinem Sein und seiner Sendung nur und erst von diesem einen Gott her verständlich.“ 30 Ich folge damit Stuhlmachers Interpretation von Mk 10,45 und 14,24, vgl. Biblische Theologie I, 120–143. 28 29
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treu bleibt, dass er im Christusgeschehen seine Endzeitgemeinde aus Juden und Heiden beruft. 31 Dieser Nachweis ist insofern für den christlichen Gottesglauben konstitutiv, als nur ein seiner Zusage treuer Gott mit Gewissheit als der geglaubt werden kann, der im Christusgeschehen Heil schafft, auch wenn seine Wege und Gründe dabei menschlicher Einsicht verborgen bleiben (Röm 11,33– 36). Die Reflexion der soteriologischen Konsequenzen des Christusgeschehens erhält damit bei Paulus im Blick auf den Gottesglauben assertorische Funktion. Das endzeitliche Handeln Gottes im Christusgeschehen ist der christlichen Gemeinde, solange sie den Bedingungen der Geschichte weiter ausgesetzt bleibt, zugänglich nur in Gestalt des Kreuzes (ekklesiologischer Aspekt). Die spezifische Todesart Jesu zwang die Christen von Beginn an zu Apologie und Reflexion. Paulus hat sie in 1Kor 1f. in Auseinandersetzung mit konkurrierenden Antworten auf das Christusgeschehen zum Maßstab erhoben, an dem sich das Geschick und die Gestalt der christlichen Gemeinde entscheiden. 32 Gott hat sich im Christusgeschehen in einer Weise erschlossen, die aller menschlichen Erwartung entgegengesetzt ist und weder aus vorangegangenen Geschichtstaten noch aus philosophisch-theologischer Reflexion abgeleitet werden kann (1Kor 1,23). Nur in der Annahme der Verkündigung vom gekreuzigten Christus erfahren die zur Gemeinde Berufenen Gottes rettendes Handeln (1,18.24). Gottes Herrlichkeit wird am Kreuz para-dox sichtbar, erkennbar nur für die, denen es Gott durch seinen Geist offenbart (2,6–16). Nicht die Herrlichkeit des zu Gott erhöhten Christus selbst ist damit in Frage gestellt (vgl. 2,8!), wohl aber ihre Instrumentalisierung und damit die Instrumentalisierung Gottes zur eigenmächtigen Gestaltung und Beherrschung der Gemeinde. Die Gleichgestaltung mit diesem spezifischen Geschehen des Kreuzestodes Jesu ist demgegenüber Maßstab für das Leben des Apostels und der Gemeinde. Das stellt Paulus gerade in Zusammenhängen heraus, in denen er seine Berufungserfahrung und die mit ihr verbundene Schau der göttlichen Herrlichkeit zur Sprache bringt: Der Erleuchtung durch Erkenntnis der Doxa Gottes im Angesicht Jesu Christi entspricht das Umhertragen des Sterbens Jesu am eigenen Leibe als Kennzeichen apostolischer Existenz (2Kor 4,6–10; vgl. auch 1,5; 13,4 im Blick auf die Gemeinde). Die Erkenntnis Christi und der Macht seiner Auferstehung ist gebunden an die Gemeinschaft seiner Leiden und die Gleichgestaltung mit seinem Tode, während die Gleichgestaltung mit dem Leib seiner Herrlichkeit erst glaubend von der Parusie des erhöhten Herrn Jesus Christus erwartet werden kann (Phil 3,10.20f.). Weil das Kreuz Signum der Gemeinde 31 Vgl. dazu meine Interpretation von Röm 9–11 in KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 136–178. 32 Vgl. WOLFGANG SCHRAGE, „… den Juden ein Skandalon“? Der Anstoß des Kreuzes nach 1Kor 1,23, in: EDNA BROCKE/JÜRGEN SEIM (Hg.), Gottes Augapfel. Beiträge zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden, Neukirchen-Vluyn 21988, 59–76.
3. Aspekte christologischer Erschließung des Gottesglaubens
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Jesu Christi vor seiner Parusie ist, ja, weil gerade in diesem Zeichen Gott sich als der endgültig Rettende erschließt, deshalb kann auch der Verweis auf das Erscheinungsbild dieser Gemeinde und der Welt, in der sie lebt, nicht Erweis der Unwahrheit der Christusbotschaft sein. Vielmehr stellt das Kreuz alle, die ihm begegnen, innerhalb und außerhalb der Gemeinde, vor die Entscheidung zwischen Glauben und Unglauben. Insofern kommt im Kreuz die kritische Funktion der christologischen Erschließung Gottes für den Glauben zur Geltung. Fassen wir zusammen: Für die neutestamentliche Rede von Gott, wie sie in den Paulus-Briefen erkennbar wird, bietet der Gottesglaube des Frühjudentums den entscheidenden Verstehenshorizont. Gemeinsam mit dem Frühjudentum bekennt sich die früheste christliche Gemeinde zu Gott, dem Schöpfer, dem liebenden Vater und dem Herrn über alle Welt. Auch die schon früh vielfältig ausgeprägten christologischen Vorstellungen knüpfen an frühjüdische Gottesvorstellungen an, wenngleich sie nicht aus ihnen abgeleitet werden können. Sie setzen die lebendige Erfahrung des Christusgeschehens als eines Geschehens, in dem Gott selbst sich zu erkennen gegeben hat, voraus. Ihre sprachliche Ausprägung verdanken sie der reflektierenden Aneignung und situationsbezogenen Interpretation solcher Erfahrung auf der Basis und mit den Mitteln frühjüdischen Gottesglaubens. Dieser grundlegende Zusammenhang zwischen neutestamentlicher Rede von Gott und dem Gottesglauben des Frühjudentums betrifft nicht allein Vorstellungen und Sprachformen, sondern wurzelt im Kern biblischer Gotteserfahrung: Gott, dem sich alle Welt verdankt, erschließt sich durch sein Tun. Ihn zu erkennen, bedeutet, sein heilschaffendes Handeln anzuerkennen. Von diesem Kern her ist die Frage nach dem Platz und der Bedeutung Jesu Christi in der Welt Gottes für Christen kein Problem theoretischer Reflexion über die Grenzen des Monotheismus, sondern Herausforderung, gegenüber dem erfahrenen Christusgeschehen Stellung zu beziehen. Die christologischen Zeugnisse, die Paulus in seinen Briefen aufgenommen und entfaltet hat, setzen eine Entscheidung in dieser Frage immer schon voraus. Für sie ist das Christusgeschehen der Ort, an dem der eine Gott seine Treue gegenüber seinem erwählten Volk erwiesen und seinen endzeitlichen Heilswillen gegenüber allen Menschen in Gang gesetzt hat. Daher ist der Christusglaube die ihrer Erfahrung und ihrem Bekenntnis allein angemessene Weise ihres Glaubens an den einen Gott. Welche Gestalt der Christusglaube als Ausprägung des Glaubens an den einen, wahren, lebendigen Gott gewinnt, war schon in der frühesten Epoche des Christentums Ergebnis vielfältiger Reflexion, religiöser Praxis, geistlicher Erfahrung und inneren wie äußeren Auseinandersetzungen. Es steht auch gegenwärtiger theologischer Überprüfung offen.
Christ of Paul’s Story Jesus Christ – Son of David and Son of God In Paul’s letters, the confession to Christ is much more in the focus than the story of Jesus. For Paul, Jesus is the Lord, the Son of God, who died at the cross for the sins of all humankind and who was raised from the dead by God to an everlasting reign in the union with the Father and the Holy Spirit. 1 Jesus, the Galilean Jew, who preached the gospel of God’s kingdom, who called the twelve disciples to follow him, who healed the sick and spoke in parables about the kingdom of God, this ‘earthly’ Jesus remains almost invisible in Paul’s letters. 2 Not much is said either in the Ecumenical Confessions of the ancient church about Jesus as a human being and about his deeds and words during his lifetime in Galilee and Jerusalem. On the other hand, many well-known christological terms and conceptions which were incorporated later into the christological confessions by the ecumenical councils, for the first time occur in Paul. There seems to be a hidden link, therefore, between Pauline Christology and the faith of the ancient church when it comes to the emphasis by which the quintessence of New Testament Christology is expressed. In contrast to the tendency just observed, this essay tries to chart a pattern of New Testament Christology which obviously got lost largely in the development of ancient Christian Christology and which does not play any role in the ecumenical confessions of the fourth and fifth century at all: Jesus, the Israelite. However, if Jesus is confessed to be a human being, born of a woman, this implies that he was born as an ancient Jew from Galilee, according to the circumstances of his earthly life known to us from the gospel narratives. Moreover, interpreted from the perspective of biblical theology, being a Jew is more than just a personal detail of Jesus’ biography. It is, in fact, of theological and christological importance. For Jesus as a human being among other human beings, at the same time, is the Messiah from Israel, a Jew elected by God to save
1 Cf. 1Cor 15:3–5, 20–28; Rom 1:4; Gal 4:4–7. For a theological interpretation of Gal 4:4–7 as implying a ‘trinitarian theology’ see SCOTT R. SWAIN, “Heirs through God”: Galatians 4:4–7 and the Doctrine of the Trinity, in: MARK W. ELLIOTT et al. (Ed.), Galatians and Christian Theology. Justification, the Gospel, and Ethics in Paul’s Letters, Grand Rapids 2014, 258–267. 2 Cf., for an overview, JAMES D. G. DUNN, The Theology of Paul the Apostle, Edinburgh 1998, 182–206.
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Christ of Paul’s Story
God’s people and to live and act as God’s eschatological messenger and ruler over all peoples of the earth. In the second article of the Apostolic Creed (like in any other ecumenical confession of the ancient church), the belief in Jesus Christ, the Son of God, as one person of the Holy Trinity, is much more emphasized than his earthly ministry. 3 Statements about Jesus as a human being are limited to his birth from the Virgin Mary and to his suffering and death on the cross under Pontius Pilate. In the course of reception history of the ecumenical creeds, it has been barely noticed any longer that behind the confession to Jesus, the Son of God incarnate, there was a hidden tangible biography of a Galilean Jew in the time of the Second Temple. Therefore, the central confession of any Christian biblical theology that God had revealed his love and salvation to all humankind by sending his Messiah from the elected people of Israel has almost been faded out. 4 This falling into oblivion of Israel in the ecumenical creeds – as in large parts of Christian theology – has to be cut through by deeper reflection on fundamental statements and implications of Paul’s Christology from the perspective of biblical theology. In what follows, I take into consideration three arguments from Pauline theology: First, I specify the implications that belong to Paul’s confession “Jesus (is) Christ”. Then, I relate essential christological convictions of Paul to early Jewish confessions to the one and only God of Israel. Finally, I draw attention to two fundamental predications in Paul’s Christology by which he explicitly highlights the relationship and the ministry of Jesus to the people of Israel and to Israel’s fate.
1. Christological Implications of Jesus’s Name in Paul
1. Christological Implications of Jesus’s Name in Paul The proper name ‘Jesus’ very common in ancient Judaism forms a basic pattern for the earliest Christian confessions. 5 Any proper name implies a distinctive Cf. IRENE DINGEL (Ed.), Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Quellen und Materialien, Bd. 1: Von den altkirchlichen Symbolen bis zu den Katechismen Martin Luthers, Göttingen 2014, 3–34 (Adolf M. Ritter). 4 Cf. most recently MICHAEL THEOBALD, Israel-Vergessenheit in den Pastoralbriefen: Ein neuer Vorschlag zu ihrer historisch-theologischen Verortung im 2. Jahrhundert n. Chr. unter besonderer Berücksichtigung der Ignatius-Briefe, SBS 229, Stuttgart 2016, who proves that, as indicted by the Pastoral Epistles and the Ignatian epistles, Israel as a theologically relevant topic had been forgotten as early as in the middle of the 2nd century. 5 The name Ἰησοῦς Χριστός in Paul occurs only in Rom 1:4; 10:9; 1Cor 12:3; 2Cor 1:3; Gal 3:1; Phil 2:11; 1Thes 1:10 (see also, in connection with confessions, Acts 11:17; 17:3; 18:5, 28; 24:24; 28:31). Luke also prefers phrases like ἐπί or ἐν τῷ ὀνόματι Ἰησοῦ Χριστοῦ (cf. Acts 2:38; 3:6; 4:10; 8:12; 10:48; 15:26; 16:18). However, in his gospel he never uses Ἰησοῦς Χριστός (diff. Matt 1:1, 18; Mark 1:1; John 1:17; 17:3). In NT letters, 3
1. Christological Implications of Jesus’s Name in Paul
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biographical element. By calling the Messiah ‘Jesus’, the earliest confessional formulas refer to a distinctive biography of a Jew from the Land of Israel, notably by name, who lived in Galilee in the first half of the 1st century A.D. The personal name ‘Jesus’ does not bear any theological meaning by itself. 6 Therefore, it had to be filled with such a meaning by New Testament authors retrospectively. 7 Later theological interpretations, reciprocally, demonstrate the contingency of the ‘historical’ name of Jesus as part of the Christian creed. Nevertheless, the personal name ‘Jesus’ formed a constitutive part for all christological predications in the New Testament, explicitly or implicitly. The sheer proper name implied a reference to the ‘historical’ figure of Jesus and to his personal biography largely known to his contemporaries. Of course, in the context of early Jewish messianic concepts and expectations, it was self-evident that the Messiah would be a member of the people of Israel, a human being elected by God to serve God’s saving aims to His people. 8 Nevertheless, the proper name of the Messiah can be realized only after he has come. Josephus,
in Paul in particular, more frequently occurs the sequence Ἰησοῦς Χριστός (cf. Eph 1:2, 3, 5, 17; 5:20; 6:23f.; Col 1:3; 1Tim 6:3.14; 2Tim 2:8; Tit 2:13; 3:6; Heb 13:8; Jas 1:1; 2:1; 1John 2:22; Rev 1:1, 2, 5), but by no means is used stereotypically as a proper name (still more frequently is Χριστὸς Ἰησοῦς). As a proper name “Jesus Christ” is used only in the Catholic Epistles (1Pet 9x; 2Pet 9x; 1John 6x; 2John 2x; Jude 6x). 6 Cf. FRIEDRICH AVEMARIE, Josua. Jesu Namenspatron in antik-jüdischer Rezeption, in: Fragmentarisches Wörterbuch. Beiträge zur biblischen Exegese und christlichen Theologie (FS H. Balz), ed. KERSTIN SCHIFFNER/KLAUS WENGST/WERNER ZAGER, Stuttgart 2007, 246–257. Avemarie, on the one hand, points to the fact that the Christian Messiah bears the name of one of the most significant figures of Biblical history (namely Joshua). But, at the same time, he asserts that, different to Moses, David or Elijah, ‘Joshua’ never served as a model figure for Jesus as Messiah in the New Testament (ibid., 246). 7 See Matt 1:21–23, where Jesus holds a ‘double name’ with more than one theological implication: ‘Jesus’, “for he will save his people from their sins”, and ‘Emmanuel’, which means, “God is with us.” Both names are full of biblical implications, cf. Ps 130:8; Isa 8:8, 10. See also GERHARD SCHNEIDER , Art. Ἰησοῦς, οῦ Iēsous Jesus, EWNT II, 1981, 440–452: 442f.; NIKOLAUS WALTER, Art. Ἐμμανουήλ Emmanouēl Immanuel, EWNT I, 1980, 1080f. 8 For references to ancient Jewish Messianic expectations cf. MARKUS BOCKMUEHL/ JAMES CARLETON PAGET (Ed.), Redemption and Resistance: The Messianic Hopes of Jews and Christians in Antiquity, London 2009; JOSEPH A. FITZMYER, The One Who is to Come, Grand Rapids 1997; KENNETH E. POMYKALA, The Davidic Dynasty Tradition in Early Judaism. Its History and Significance for Messianism, Atlanta 1995; GERBERN OEGEMA, Der Gesalbte und sein Volk. Untersuchungen zum Konzeptualisierungsprozess der messianischen Erwartungen von den Makkabäern bis Bar Koziba, SIJD 2, Göttingen 1994; JAMES H. CHARLESWORTH, The Messiah. Developments in Earliest Judaism and Christianity, Minneapolis 1992; JACOB NEUSNER/WILLIAM S. GREEN/ERNEST S. FRERICHS, Judaisms and Their Messiahs at the Turn of the Christian Era, Cambridge 1987. Cf. also the seminal work by SIGMUND MOWINCKEL, He That Cometh. The Messiah Concept in the Old Testament and Later Judaism, transl. by GEORGE W. ANDERSON, Grand Rapids 2005, 1956.
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for instance, knew by name several messianic pretenders of his time, but, according to his judgment, they had by no means been true anointed ones by the Lord, but violent criminals. 9 On the other hand, messianic figures expected for the last time of salvation, as mentioned in the Dead Sea Scrolls, 10 the Psalms of Solomon 11 or the Fourth Apocalypse of Ezra, 12 remained nameless. If Jesus from Nazareth was called Messiah by his followers – which was a matter of course for Paul at the latest – this denomination would imply a decided confession to a contemporary Jew known by name as the eschatological representative of the God of Israel. Yet, due to the development of ancient Christian Christology that more and more left the matrix of early Jewish presuppositions and convictions, this basically Jewish understanding of the Messiah became less conscious and was not any longer reflected sufficiently. The fact self-evident at the roots of the Jesus movement that the Messiah would bear a proper name, namely the proper name of a contemporary Jew whose biography and origin was known in its outlines, belongs to the less reflected implications of ancient Christian Christology. However, biographical implications contained in Jesus’ name define the direction of understanding the fundamental christological creed: “Jesus (is) Christ”. This does not mean that (just any Jew from Nazareth in Galilee named) Jesus is the (long awaited) Messiah (from Israel as known from Scripture, but rather to be born in Bethlehem). To the contrary, it means that the Messiah (who scarcely had been awaited by every Jew and, if at all, was conceived in variable ways) is (nobody else than this Jew well acquainted to us called) Jesus (who just recently had been sentenced to death, although he originated from Nazareth in Galilee and not from Bethlehem in Judah and although he did not look like any of the Messiahs promised in the Scriptures). The name ‘Jesus’ defines what the Christian confession to the Messiah means, not any traditional biblical or Jewish messianic conceptions!
9 Cf. MARTIN HENGEL, The Zealots. Investigations into the Jewish Freedom Movement in the Period from Herod I until 70 A.D., transl. DAVID SMITH, Edinburgh 1989 (cf. the new edition of the German original from 1961: Die Zeloten. Untersuchungen zur jüdischen Freiheitsbewegung in der Zeit von Herodes I. bis 70 n. Chr., 3rd edition revised and supplemented by ROLAND DEINES/CLAUS-JÜRGEN THORNTON, WUNT 283, Tübingen 2011, 289– 301). 10 Cf. 1QS 9:11; 1QSa 2:11–22; 4QMidrEschata III 10–13, 18f.; 4QpJesa, Frgm. 8–10, Kol. III 11–21; 4Q 285, Frgm. 5; CD VII 18–21; XII 23–XIII 1; XIX 33–XX 1. For messianic expectations in Qumran see JOHN J. COLLINS, The Scepter and the Star. Messianism in Light of the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids 22010; JOHANNES ZIMMERMANN, Messianische Texte aus Qumra-n. Königliche, priesterliche und prophetische Messiasvorstellungen in den Schriftfunden von Qumran, WUNT II/104, Tübingen 1998. 11 Cf. PsSol 17f. 12 Cf. IVEzr 7:28f.; 11:37–12:1; 12:31–34; 13:3–13; 13:25–52; 14:9.
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Obviously, for those who articulated such a confession for the first time it was self-evident that the Messiah had to be a Jew, first because there was no alternative to this option in the framework of ancient Jewish messianic expectations, and second since the Jewish identity of Jesus still was alive in their personal memories. 13 But for the recipients of the confessional and narrative traditions in New Testament writings up to those who later articulated the Apostolic Creed this matter of course more and more got into oblivion, and the messianic predication of Jesus as the Anointed emerged as a proper name ‘Jesus Christ’, above all at the level of Greek speaking tradition. Even in Paul’s letters, the biographical aspect in the name ‘Jesus’ still remained unambiguous. In fact, not always in Paul’s theological or christological statements messianic overtones in the designation of Jesus as ‘Christ’ are determining, but they neither completely fall by the wayside. 14 Several important passages in Paul’s letters remain where the predication of Jesus as Messiah according to biblical and ancient Jewish messianic expectations is relevant, 15 even though Paul frequently used the designation ‘Jesus Christ’ like a proper name. Yet, for Paul in this connection the extension of the sphere of action of Jesus the Messiah to the Gentiles is of particular significance. Apparently, we here observe the unique direction of Paul’s missionary activities to non-Jews which forced him
13 Luke, for one, who has been marked as a ‘Gentile Christian’ by New Testament scholarship for a long time, in his narration about Jesus’ childhood vividly describes the Jewish way of life and belief in the family of Jesus (Luke 1f.). Even for Mark it was self-evident that Jesus according to his custom went to the synagogue at every Sabbath to teach there (Mark 1:21). 14 For more recent discussion of this question see MATTHEW V. NOVENSON, Christ among the Messiahs: Christ Language in Paul and Messiah Language in Ancient Judaism, Oxford 2012, 64–97; AQUILA H. I. LEE, Messianism and Messiah in Paul: Christ as Jesus?, in: CHRISTOPH HEILIG et al. (Ed.), God and the Faithfulness of Paul. A Critical Examination of the Pauline Theology of Nicholas T. Wright, WUNT II/413, Tübingen 2016, 375–392; J. THOMAS HEWITT/MATTHEW V. NOVENSON, Participationism and Messiah Christology in Paul, ibid., 393–415; DIETER ZELLER, Zur Transformation des Χριστός bei Paulus, JBTh 8, 1993, 155–167. 15 See in particular Rom 1:3; 9:3–5; 15:7f.; 1Cor 1:22–24; Gal 3:16.
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to modify not only his ecclesiological convictions 16 but also his christological language. 17 Paul combines different semantic elements with regard to Jesus (in addition to the understanding of the term as a christological predicate 18) when he uses the term ‘Son’ for Jesus: his descent from David (Rom 1:3), his being born of a Jewish woman (Gal 4:4), his earthly-human identity (Rom 8:3), his mortality (Rom 5:10), his suffering fate (Rom 1:32; Gal 2:20), his likeness to the image of God as a human creature (Rom 8:29). All these semantic elements refer to Jesus as a human being, a creature. Yet, sometimes they occur immediately close to predicates that express the divine nature of Jesus as well or the soteriological meaning of his life. 19 The term ‘Son’, therefore, has a double meaning in Paul. It signifies a biographical as well as, at the same time, a christological pattern. This is particularly striking in the prescript of Paul’s letter to the Romans. Here, Paul calls Jesus ‘Son of God’ twice, first to signify his fundamental relation to God in a comprehensive way, as he uses the predicate in many other
16 This is the focus of the so-called ‘New Perspective on Paul’ for which I here refer only to FRANCIS WATSON, Paul, Judaism, and the Gentiles. Beyond the New Perspective. Revised and Expanded Edition, Grand Rapids/Cambridge 2007; JAMES. D. G. DUNN, The New Perspective on Paul. Collected Essays, WUNT 185, Tübingen 2005; MICHAEL BACHMANN (Ed.), Lutherische und neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, WUNT 182, Tübingen 2005; STEPHEN WESTERHOLM, Perspectives Old and New on Paul. The “Lutheran” Paul and His Critics, Grand Rapids 2004; FLORIAN WILK, Gottesgerechtigkeit – Gesetzeswerke – eigene Gerechtigkeit. Überlegungen zur geschichtlichen Verwurzelung und theologischen Bedeutung paulinischer Rechtfertigungsaussagen im Anschluss an die “New Perspective”, ThLZ 135, 2010, 267– 282; KARL-WILHELM NIEBUHR, Die paulinische Rechtfertigungslehre in der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, in: THOMAS SÖDING (Ed.), Worum geht es in der Rechtfertigungslehre? Das biblische Fundament der “Gemeinsamen Erklärung” von katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund, QD 180, Freiburg et al. 1999, 106–130 [in this volume 235–256]. 17 Cf., as a summary, FRIEDRICH W. HORN (Ed.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 279– 365, and MARTIN KARRER, Jesus Christus im Neuen Testament, GNT 11, Göttingen 1998, 142–146. 18 The term ‘Son of God’ is of particular importance for Pauline Christology (Rom 1:4, 9; 5:10; 8:3, 29, 32; 1Cor 1:9; 15:28; 2Cor 1:19; Gal 1:16; 2:20; 4:4, 6; 1Thess 1:10), cf. for this more recently LARRY W. HURTADO, Lord Jesus Christ. Devotion to Jesus in Earliest Christianity, Grand Rapids 2003, 101–108; MARTIN KARRER, “Sohn Gottes” bei Paulus, in: Paulus – Werk und Wirkung (FS A. Lindemann), ed. PAUL-GERHARD KLUMBIES/DAVID S. DU TOIT, Tübingen 2013, 265–288; UDO SCHNELLE, Paulus. Leben und Denken, Berlin/New York 2003, 500f.; ANTJE LABAHN/MICHAEL LABAHN, Jesus als Sohn Gottes bei Paulus. Eine soteriologische Grundkonstante der paulinischen Christologie, in: Paulinische Christologie (FS H. Hübner), ed. UDO SCHNELLE/THOMAS SÖDING, Göttingen 2000, 97–120. 19 Cf. Rom 1:3f.; 8:1f.; 8:28–30; Gal 2:19–21; 4:5f.
2. Monotheism and Christology
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christological passages in his letters, 20 and second, obviously by using a traditional confessional formula, to define Jesus specifically as “established as God’s Son … by the resurrection from the dead”. 21 Yet, even in this dense formulation both the christological confession to Jesus as God’s Son and the proper name ‘Jesus’ for the Messiah from Israel remain decisive for Paul’s Christology, 22 whether one comprehends the relation of Jesus to God as God’s son in pre-existent or in ‘adoptianic’ terms. This can also be derived from the nice chiastic structure and the inclusio that surrounds the whole prescript. 23
2. Monotheism and Christology
2. Monotheism and Christology It has been no compromise for Paul’s firm convictions about the one and only God of Israel to call Jesus Son of God and the Kyrios either (1Cor 8:6), 24 yes indeed even ‘God’ (cf. Rom 9:5). 25 In fact, we may observe here the definitive fixation of any christological convictions to the Biblical and Jewish understanding of God in the earliest Christian movement. The confession to Jesus as the eschatological representative and the principal agent of God grew up in the framework of early Jewish traditions and convictions about God. 26 On the other
Rom 1:3, cf. 1:9; 5:10; 8:3 etc. Rom 1:4. For discussion cf. most recently MICHAEL WOLTER, Der Brief an die Römer, Teilbd. 1: Röm 1–8, EKK VI/1, Neukirchen-Vluyn/Ostfildern 2014, 76–78, 85–91. 22 Cf. WOLTER, Römer (n. 21), 86: “κατὰ σάρκα bezeichnet … die menschlicher Wahrnehmung zugängliche menschliche Wirklichkeit Jesu. In dieser Hinsicht hat das κατὰ σάρκα von V. 3b seine engste Entsprechung in dem adverbialen τὸ κατὰ σάρκα von Röm 9,5, mit dem Paulus die Herkunft Jesu aus Israel charakterisiert”. 23 Cf. v. 1: Χριστοῦ Ἰησοῦ, with V. 7: Ἰησοῦ Χριστοῦ. 24 Cf. KARL-WILHELM NIEBUHR, Jesus Christus und der eine Gott Israels. Zum christologischen Gottesglauben in den Paulusbriefen, FuH 34, 1995, 10–29 [in this volume 203– 217]; TRAUGOTT HOLTZ, Theo-logie und Christologie bei Paulus, in: DERS., Geschichte und Theologie des Urchristentums. Gesammelte Aufsätze, ed. ECKART REINMUTH/CHRISTIAN WOLFF, WUNT 57, Tübingen 1991, 189–204. 25 The word order at the end of V. 5, according to my view, demands to relate the doxology ὁ ὢν ἐπὶ πάντων θεὸς εὐλογητὸς εἰς τοὺς αἰῶνας to the immediately antecedent phrase ὁ Χριστὸς τὸ κατὰ σάρκα. For discussion, cf. DUNN, The Theology of Paul the Apostle (n. 2), 255–257; MURRAY J. HARRIS, Jesus as God. The New Testament Use of Theos in Reference to Jesus, Grand Rapids 1992, 143–172; KLAUS HAACKER, Der Brief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Leipzig 1999, 186f. 26 Cf. for this the seminal work by LARRY W. HURTADO, One God, One Lord. Early Christian Devotion and Ancient Jewish Monotheism, Philadelphia 1988; IDEM, How on Earth Did Jesus Become a God? Historical Questions about Earliest Devotion to Jesus, Grand Rapids/Cambridge 2005; IDEM, Lord Jesus Christ (n. 18), 27–53. 20 21
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hand, this development of early Christian confessions happened like an ‘explosion’ (M. Hengel) 27 by perceiving and processing central elements of what I call the ‘Jesus phenomenon’ (the ministry, death and resurrection of Jesus). 28 In early Judaism, there existed manifold perceptions about God and God’s heavenly realm (e.g. angelology, expectations of a Messiah, concepts of eschatological judgment, visions of God’s throne, veneration of God’s name, wisdom speculations). 29 Many of these conceptions occurred in the Jesus movement to understand and to interpret what was perceived as decisive about Jesus’ own life and fate for the faith of his believers (Jesus’ claim to authority, the meaning of his death, the resurrection, the reception of the Holy Spirit in the congregations, Paul’s mission to the Gentiles). Yet, again, what was known about Jesus, his origin as an Israelite, his biography as a Galilean Jew, his personal fate in Jerusalem, was determinative to understand the confession to Jesus as Christ. The direction of understanding the confession to Jesus as God’s eschatological messenger was depending on the knowledge of his personal life. Obviously, it belonged to the fundamental convictions of those responsible for the development of Christian confessions in the early post-Easter Jesus movement that Jesus had lived as a Jew and had believed in the one and only God of Israel. This belief remained formative for any post-Easter faith in Christ as well. The first Christians painstakingly respected the barrier that prevented their confession to Jesus, the Son of God, to crossing the borderline drawn by the First Commandment of the Decalogue. In all writings of the New Testament, beginning with Matthew and ending with the Book of Revelation, this confessional borderline was never crossed. 30 Nevertheless, by an extremely short time period the first post-Easter followers of Jesus created new expressions of their belief in Christ, new convictions about their experience of the presence of God in their congregations and new forms for their communities. Almost all of these new developments took place in a milieu stamped by early Jewish traditions and convictions. Yet, the refer-
MARTIN HENGEL, Christologie und neutestamentliche Chronologie. Zu einer Aporie in der Geschichte des Urchristentums, in: IDEM, Studien zur Christologie. Kleine Schriften IV, WUNT 201, Tübingen 2006, 1972, 27–51: 46; cf. ibid., 42: “Die christologische Entwicklung von Jesus bis hin zu Paulus vollzog sich so in dem für einen geistigen Prozess von diesem Ausmaß kurzen Zeitraum von rund 18 Jahren. Im Grunde hat sich christologisch innerhalb dieser wenigen Jahre mehr ereignet als in den nachfolgenden 700 Jahren Kirchengeschichte.” 28 Cf. KARL-WILHELM NIEBUHR, Jesu Wirken, Weg und Geschick. Zum Ansatz einer Theologie des Neuen Testaments in ökumenischer Perspektive, ThLZ 127, 2002, 3–22. 29 Cf. HURTADO, One God (n. 26), 17–92; ANDREW CHESTER, Messiah and Exaltation. Jewish Messianic and Visionary Traditions and New Testament Christology, WUNT 207, Tübingen 2007, 45–80. 30 Cf., in addition to 1Cor 8:6 and Rom 9:5, Matt 4:8–11; Rev 1:4–8. 27
3. Jesus, “Born of a Woman, Born as a Jew” (Gal 4:4)
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ence of the confession of faith to the ‘Jesus phenomenon’ also became the initial point to develop new and independent forms of distinctive ‘Christian’ confessions and of a distinctive ‘Christian’ group identity. However, the commitment to monotheistic faith of Israel remained determinative even in early Christian strands that purposefully aimed to pass the border to the Gentiles, as in the Pauline mission. 31 This was by no means self-evident, as developments in other ancient Christian groups which became dismissed from the mainstream churches and declared heretic by the end of the 2nd century can illustrate. 32 There are good reasons to assume that the fixation to the monotheistic faith of Israel as evidenced in Pauline Christology contributed decisively to this result. 33
3. Jesus, “Born of a Woman, Born as a Jew” (Gal 4:4)
3. Jesus, “Born of a Woman, Born as a Jew” (Gal 4:4) This biblical and early Jewish understanding of God remained regulatory even for the development of new and independent convictions of belief in the postEaster Jesus movement. At the same time, the reference of all these new convictions of ‘Christian’ belief to the ‘Jesus phenomenon’ remained determinative likewise. There is no evidence whatsoever in any early Christian sources preserved or certain to reconstruct for a post-Easter Jesus movement that did not combine the faith in the God of Israel with the confession to the risen
Cf. for this KARL-WILHELM NIEBUHR, Identität und Interaktion. Zur Situation paulinischer Gemeinden im Ausstrahlungsfeld des Diasporajudentums, in: JOACHIM MEHLHAUSEN (Ed.), Pluralismus und Identität, VWGTh 8, Gütersloh 1995, 339–359 [in this volume 149–171]; IDEM, Offene Fragen zur Gesetzespraxis bei Paulus und seinen Gemeinden (Sabbat, Speisegebote, Beschneidung), BThZ 25, 2008, 16–51 [in this volume 81–113]. 32 As, for instance, Marcion and so-called ‘Gnostic’ circles. For the beginnings of this development cf. JUDITH M. LIEU, Marcion and the Making of a Heretic. God and Scripture in the Second Century, New York 2015; UDO SCHNELLE, Die ersten 100 Jahre des Christentums 30– 130 n. Chr. Die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion, Göttingen 2015, 540–559; HURTADO, Lord Jesus Christ (n. 18), 487–561; JAMES D. G. DUNN, Neither Jew nor Greek. A Contested Identity, Christianity in the Making 3, Grand Rapids 2015, 26–40, 524–528, 710–720. 33 As references for the reception of Gal 4:4, collected by MARTIN MEISER, Galater, NTP 9, Göttingen 2007, 179–189, indicate, this biblical passage was used in ancient Christian theology not only to ward ‘adoptianic’ positions in the development of Christian confessions, but also to contest ‘Gnostics’: “In der antihäretischen Literatur der Jahrzehnte um 200 n. Chr. sichert Gal 4,4a die Einheit der beiden Testamente gegen Gnostiker genauso wie gegen die Bestreitung des Christusereignisses durch die Juden … Heilsgeschichtliche und christologische Interessen bestimmen die Rezeption der Stelle ab dem 3. Jahrhundert” (ibid. 179f.). For the reception of Galatians in ancient Christianity see also KARLA POLLMANN/MARK W. ELLIOTT, Galatians in the Early Church: Five Case Studies, in: ELLIOTT, Galatians and Christian Theology (n. 1), 40–61. 31
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Christ, notwithstanding the plurality of convictions of belief in this time. Moreover, with regard to early Christian Christology, references to the individual biography of Jesus, his life as a Jew from Nazareth and his death at the cross in Jerusalem, remained a constitutive element for all confessional formulations, explicitly or implicitly. Such references implied the knowledge about Jesus as a Jew descending from David and, by implication, a member of the tribe of Judah. Such knowledge is to be presupposed for Paul as well, even though in his letters he only rarely refers to Jesus as a Jew. Apart from the name ‘Jesus’ 34, after all, he knew of the specific events that led to his fatal end of life (Gal 3:1; 1Cor 1:18.23 et al.). He refers to Jesus’ last supper with his disciples “in the night when he was surrendered” (1Cor 11:21–26). He knew of the circle of the Twelve (1Cor 15:5), among them, specifically of Kefas/Peter (Gal 1:18; 1Cor 9:5; 15:5) and John (Gal 2:9); furthermore he knew of James, the brother of the Lord (Gal 1:19; 1Cor 15:7), and he was aware of several more of Jesus’ brothers and of their distinctive ways of acting as missionaries (1Cor 15:9). 35 In Gal 4:4, Jesus’ ‘natural’ birth as a human being forms one of two constitutive parts of Pauline Christology. When the time was fulfilled, God sent his Son, who, at the same time, was the son of a woman. 36 Paul is using the same word for the fact that Jesus was born of a woman as for his subordination under the rule of the Law: γενόμενον. 37 In the Septuagint as in the New Testament See above, 220–225. For the issue often discussed of how much Paul knew about Jesus cf. more recently CHRISTINE JACOBI, Jesusüberlieferung bei Paulus? Analogien zwischen echten Paulusbriefen und den synoptischen Evangelien, BZNW 213, Berlin/Boston 2015; DUNN, The Theology of Paul the Apostle (n. 2), 183–189; ANDREAS LINDEMANN, Paulus und die Jesustradition, in: DERS., Glauben, Handeln, Verstehen. Studien zur Auslegung des Neuen Testaments. Band II, WUNT 282, Tübingen 2011, 73–115; HORN, Paulus Handbuch (n. 17), 279–285 (JENS SCHRÖTER); FRANK HOLZBRECHER, Paulus und der historische Jesus. Darstellung und Analyse der bisherigen Forschungsgeschichte, TANZ 48, Tübingen/Basel 2007; DETLEF HÄUSSER, Christusbekenntnis und Jesusüberlieferung bei Paulus, WUNT II/210, Tübingen 2006; RAINER RIESNER, Paulus und die Jesus-Überlieferung, in: Evangelium – Schriftauslegung – Kirche (FS P. Stuhlmacher), ed. JOSTEIN ÅDNA/SCOTT J. HAFEMAN/OTFRIED HOFIUS, Göttingen 1997, 347– 365; TRAUGOTT HOLTZ, Paul and the Oral Gospel Tradition, in: HENRY WANSBROUGH (Hg.), Jesus and the Oral Gospel Tradition, JSNTS 64, Sheffield 1991, 380–393 (= IDEM, Exegetische und theologische Studien. Gesammelte Aufsätze II, ed. KARL-WILHELM NIEBUHR, ABIG 34, Leipzig 2010, 97–108); IDEM, Jesus-Überlieferung und Briefliteratur. Zur Frage des Ortes der Jesus-Überlieferung in der frühen Gemeinde, in: IDEM, Geschichte und Theologie des Urchristentums (n. 24), 17–30. 36 This factually conforms to Rom 1:3f. I do not deal here with the question often discussed whether Paul in Gal 4:4 presupposes the Son’s preexistence; cf. for this SWAIN, “Heirs through God” (n. 1), 260–262. 37 The wording is slightly different by using different prepositions, cf. HANS D. BETZ, Galatians: A Commentary on Paul’s Letter to the Churches in Galatia, Philadelphia 1979, 207: 34 35
3. Jesus, “Born of a Woman, Born as a Jew” (Gal 4:4)
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this word belongs to the terminology used for God’s creation. 38 In Paul, as in John, 39 it also encompasses God’s eschatological intervention into ‘earthly– human–historical’ conditions of existence, i.e. ‘incarnation’, “when the fullness of time had come”. 40 Therefore, for Paul the life of Jesus as a Jew faithful to the Torah belonged to his understanding of the incarnation of the Son of God. This incidence was and remained a part of God’s eschatological saving work over against God’s chosen people. 41 God’s initiative by sending his son, therefore, had a double objective according to Paul, “in order to redeem those who were under the law” and, “so that we (i.e. Paul and his addressees in Galatia) might receive adoption as children”. 42 In the light of this positive aim of God’s action, former conditions of human existence appear to be obsolete. This, however, refers to both the existence ‘under law’ which has to appear like slavery seen from the perspective of liberation, as well as the existence of all human beings as God’s creature. The ‘sonship’ Paul is referring to is not just another expression for the ,creaturehood’ of all human beings as ‘God’s children’, but a gift hoped for and received by those who have found salvation by their faith in Jesus Christ. 43 ‘Sonship’, therefore, is the aim and the result of God’s sending his son and of the redemption of those ‘under law’. Thus, being ‘under law’ of the Jews is not evaluated differently than being created by God of all human beings. As much as the ‘creaturehood’ of all human beings, Jews and Gentiles as well, is not evaluated “The term γίvεσθαι ἐκ refers to the birth of a human being ‘out of’ a human mother, while γίvεσθαι ὑπό defines the conditions of existence of a human being.” 38 Cf. Gen 1:3; John 1:3; see also Mark 2:23. 39 Cf. also John 1:3! 40 Gal 4:4: ὅτε δὲ ἦλθεν τὸ πλήρωμα τοῦ χρόνου. For a theological interpretation of the Pauline time scheme in Galatians see TODD STILL, “In the Fulness of Time” (Gal. 4:4), in: ELLIOTT, Galatians and Christian Theology (n. 1), 239–248. 41 This is indicated not least by the term ‘the time fulfilled’ (τὸ πλήρωμα τοῦ χρόνου), cf. BETZ, Galatians (n. 37), 206: The phrase “the fulness of time” occurs only here in Paul, but belongs to the Jewish and Christian eschatological language that Paul shared. For a theological interpretation of the ‘story of Christ’ in Galatians see NICHOLAS T. WRIGHT, Messiahship in Galatians?, in: ELLIOTT, Galatians and Christian Theology (n. 1), 3–23; EDWIN C. VAN DRIEL, Christ in Paul’s Narrative: Salvation History, Apocalyptic Invasion, and Supralapsarian Theology, ibid., 230–238. 42 The conjunction ἵνα occurs twice in 4:5! For the structure of the statement cf. the thorough analysis by HERMUT LÖHR, Factum ex muliere (Gal 4,4–5). Zu einer These Daniel Boyarins und zur Frage einer adoptianischen Christologie bei Paulus, in: König und Priester. Facetten neutestamentlicher Christologie (FS C.-P. März), ed. MARTINA BAER et al., EThS 44, Würzburg 2012, 191–206 (193–199). 43 Cf. for this VOLKER RABENS, The Holy Spirit and Ethics in Paul. Transformation and Empowering for Religious-Ethical Life, WUNT II/283, Tübingen 22013, 216–219, who states by hinting to the related passage Rom 8:15f.: “υἱοθεσία … is best translated as ‘adoption as sons’ … it characterizes the very essence of Christian existence” (ibid., 218).
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Christ of Paul’s Story
negative, even the existence of Jews following the Torah is not judged dismissive by itself. Being ‘under law’ and being a mortal creature as well is obsolete by God’s initiative who himself sent his son Jesus, a Jew by birth. Thus, God directed his eschatological acts to Israel and to the Gentiles as well, as is also the case in other expressions of Pauline theology. 44 In addition to the two poles of Paul’s Christology, Jesus, the Son of God and the son of a woman, Paul in Gal 4:4 adjoins an explicit indication of Jesus’ birth as “faithful to the Law” (γενόμενον ὑπὸ νόμον). As a supplementary element, this formulation bears particular weight. Following Jewish thinking and language, Jesus’ Jewish identity emerges more precisely by this hint to the Torah. In a way comparable to the reference to his own biographical origin and identity in Phil 3:5f., 45 Paul by referring to the Torah emphasizes that Jesus was born as an Israelite and that he and his family had lived faithful to the Jewish Law. Both aspects as biographically and theologically indispensable elements belong to his Christology, even though this may have been self-evident for Paul himself as an Israelite. 46 The continuation of the argument in Gal 4:5 („in order to redeem those who were under the law”) does not limit its importance. Rather, Jesus’ ‘Jewishness’ forms the soteriological basis for God’s saving work over against Israel and the Gentiles. 47
44 Cf. Rom 1:16f.; 3:28–30. The basic idea of Gal 4:4–7 entirely correlates to the argument of Paul in Rom 1–3 (cf. also Rom 11:13f., 28–32). See for this KARL-WILHELM NIEBUHR, Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik. Zwei paulinische Argumentationen (Röm 1,18– 2,29; 8,1–30), in: MATTHIAS KONRADT/ESTHER SCHLÄPFER (Ed.), Anthropologie und Ethik im Frühjudentum und im Neuen Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. Internationales Symposium in Verbindung mit dem Projekt Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (CJHNT) 17.–20. Mai 2012, Heidelberg, WUNT 322, Tübingen 2014, 139–161: 147–154 [in this volume 275–295]. 45 Cf. v. 6: κατὰ δικαιοσύνην τὴν ἐν νόμῳ γενόμενος ἄμεμπτος. For further interpretation see KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 79–111. 46 For the importance of this statement in Paul’s Christology and for other Pauline references to the sending of the Messiah by God see MARTIN HENGEL, Präexistenz bei Paulus, in: IDEM, Paulus und Jakobus. Kleine Schriften III, WUNT 141, Tübingen 2002, 262–301 (284–286). 47 In view of Paul’s argument in Gal 4:4 as here retraced briefly it is barely fair to say that “der historisch unbestreitbare Sachverhalt, dass Jesus Jude war, von Paulus offensichtlich nicht theologisch reflektiert wird” (ANDREAS LINDEMANN, Der jüdische Jesus als der Christus der Kirche. Historische Beobachtungen am Neuen Testament, in: DERS., Glauben, Handeln, Verstehen [n. 35], 4–32 [26]), notwithstanding the fact that for Paul indeed “‘in Christus’ die Unterscheidung von ‘Jude’ und ‘Grieche’ aufgehoben ist” (ibid.). Nevertheless, for Paul it was not meaningless to emphasize time and again the differentiation into ‘Jews and Gentiles’ what we call ‘humankind’ in a modern sense, because just at this point he had found his own particular task as a missionary an as a theologian as well. Cf. for this in more detail NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (n. 45), 66–78, 158–178; IDEM, “Nicht alle aus Israel sind Israel” (Röm 9,6b). Römer 9–11 als Zeugnis paulinischer Anthropologie, in: FLORIAN WILK/J. ROSS WAGNER
4. Christ, “the Servant of the Circumcised” (Rom 15:8)
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It is noteworthy that Paul profiles his Christology in the way described just in his letter to the Galatians, where he argues against circumcision as a precondition for belonging to God’s eschatological people. Whereas Paul’s opponents argue that the already baptized members of the Galatian churches shall be circumcised in order to enter the ‘historical’ Israel, Paul rejects this demand under all circumstances and by all rhetorical and argumentative means. For him, acceptance of circumcision by already baptized Christians would imply the rejection of God’s saving work in Jesus Christ. 48 Eschatological salvation in Christ cannot be restricted to those who belong to the ‘historical’ Israel or to those Gentiles who enter Israel via circumcision, even though Jesus himself as God’s principal agent and eschatological representative belonged to this ‘historical’ Israel.
4. Christ, “the Servant of the Circumcised” (Rom 15:8)
4. Christ, “the Servant of the Circumcised” (Rom 15:8) In Rom 14:1–15:13, in a pointed argument of paraenesis Paul applies the motif of Jesus the Israelite to the situation of the churches in the city of Rome. We understand best the conflicts that Paul here refers to if we assume that in Roman house churches expressions of Jewish religious practice were disrespected by Christ believing non-Jews. 49 Paul, in contrast to such a disdain of religious convictions and practice of Christian brothers and sisters, that is: Jews and nonJews, demands to welcome each other as Christ “has welcomed you for the glory of God”. 50 Paul subsequently justifies this procedure of welcoming each other and motivates it in a double perspective: “Christ has become a servant of the circumcised on behalf of the truth of God in order that he might confirm the promises given to the patriarchs, and in order that the Gentiles might glorify
(Ed.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11, WUNT 257, Tübingen 2010, 433–462 [in this volume 327–355]. 48 Cf. Gal 2:21; 5:2. See for this in more detail KARL-WILHELM NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis (n. 31), 41–51 [in this volume 81–113]. 49 Cf. JOHN. M. G. BARCLAY, ‘Do we undermine the Law?’: A Study of Romans 14.1–15.6, in: IDEM, Pauline Churches and Diaspora Jews, WUNT 275, Tübingen 2011, 37–59; FRANCIS WATSON, Paul, Judaism and the Gentiles. A Sociological Approach, MSSNTS 56, Cambridge 1986, 88–176 (Revised and Expanded Edition Grand Rapids/Cambridge 2007, 163–344); VOLKER GÄCKLE, Die Starken und die Schwachen in Korinth und in Rom. Zu Herkunft und Funktion der Antithese in 1Kor 8,1–11,1 und in Röm 14,1–15,13, WUNT II/200, Tübingen 2004, 22–32, 292–449; MARK REASONER, The Strong and the Weak. Romans 14.1–15.13 in Context, MSSNTS 103, Cambridge 1999; NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis (n. 31), 31–41. 50 15:7, cf. 14:1. For the interpretation of the gospel in Romans as directed to Jews and Gentiles see NIEBUHR, Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik (n. 44), 438–444.
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Christ of Paul’s Story
God for his mercy.” 51 Both infinitives in this proposition refer to the objective of Christ’s ministry. The promises given to the patriarchs shall be confirmed (βεβαιῶσαι) and the Gentiles shall glorify God (δοξάσαι). 52 Thus, the story of Jesus Christ points to the salvation of Israel and the Gentiles as well, even though in distinctive perspectives. Whereas for Israel Christ has become the confirmation of God’s promises to God’s people, as is written in Scripture, for the Gentiles he has been a surprising cause for eschatological rejoice. To justify his argument and by using exegetical techniques of his time, Paul creates something like a cento from different passages of Scripture by which Israel and the Gentiles shall join for a hymn-like glorification of God (15:9–13). 53 Thus, whereas Israel’s salvation is rooted in biblical promises to the patriarchs in the Pentateuch, 54 hope for the eschatological salvation of the Gentiles grounds in several eschatological prospects mentioned by the prophets. According to them, God will gather Israel together with the Gentiles at the end of time on mount Zion and those who survive the eschatological battle between JHWH and Israel’s enemies will move up to Jerusalem to worship JHWH in the temple and to celebrate Sukkoth together with Israel. 55 In comparison to the original contexts in the writings from which Paul derives his quotations, he particularly accentuates the positive expressions about salvation for the Gentiles without diminishing the promises for Israel. Nevertheless, there is no evidence in Paul for the concept of a pilgrimage of the Gentiles to mount Zion. On the contrary, his own ministry as apostle to the Gentiles was ‘centrifugally’ oriented rather than ‘centripetally’. 56 This ministry had lead away Paul himself from Jerusalem to places were the Gentiles lived, in particular to Rome, the
51 15:8f. Cf. NICHOLAS. T. WRIGHT, Paul and the Faithfulness of God, Minneapolis 2013, 523f., 1494f.; DUNN, The Theology of Paul the Apostle (n. 2), 529f.; WOLFGANG KRAUS, Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus, WUNT 85, Tübingen 1996, 326– 333; GERHARD SASS, Leben aus den Verheißungen. Traditionsgeschichtliche und biblischtheologische Untersuchungen zur Rede von Gottes Verheißungen im Frühjudentum und beim Apostel Paulus, FRLANT 164, Göttingen 1995, 462–490. 52 For an interpretation of the passage cf. JAMES D. G. DUNN, Romans 9–16, WBC, Dallas 1988, 847; HAACKER, Römer (n. 25), 296f. Haacker properly states: “Die Rede vom Dienst Christi an Israel erinnert zugleich daran, dass der Messiasbegriff grundsätzlich einen Beauftragten Gottes gegenüber Israel meint”. 53 Cf. for this FLORIAN WILK, Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus, FRLANT 179, Göttingen 1998, 146–158, 169–171, 233–239; RICHARD B. HAYS, Echoes of Scripture in the Letters of Paul, New Haven/London 1989, 70–73. 54 To Abraham in particular according to Gen 17:5; 22:17, cf. also Rom 4:13–25; 9:5; 11:28. 55 Cf. Isa 11:10–16; 56:6–8; 66:18–21; Zach 14:16. On the fate of the Gentiles at the end of time according to early Jewish and Pauline views cf. THOMAS. L. DONALDSON, Paul and the Gentiles. Remapping the Apostle’s Convictional World, Minneapolis 1997, 51–78; KRAUS, Volk Gottes (n. 51), 12–110; NIEBUHR, Offene Fragen zur Gesetzespraxis (n. 31), 41–49. 56 ROLAND DEINES by private communication.
4. Christ, “the Servant of the Circumcised” (Rom 15:8)
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capital of the Gentile world of his time. 57 Nevertheless, Paul did not cut his links to Jerusalem completely. On the contrary, his last and fatal journey led him back to the city of Christian origins that, at the same time, was the heart of Israel. 58 Thus, Paul’s ministry as apostle related to a double target. He could even interpret the double aim of his mission according to the pattern of the ministry of Jesus Christ. 59 As “minister of Christ Jesus” (λειτουργὸς Χριστοῦ Ἰησοῦ, v. 16) he had been sent to the Gentiles, but at the same time he organized his mission in order “to serve the saints in Jerusalem”. 60 His demand to welcome each other in the church according to the example of Jesus Christ is not confined to inner-Roman affairs. On the contrary, according to Paul the ministry of Christ as directed towards Israel and to the Gentiles forms a fundamental yardstick for the life and the unity of the church. The designation of Jesus as “servant of the circumcised” (διάκονος … περιτομῆς) has neither been introduced into any post-Easter confessional formulas nor has it been implemented into the ecumenical creeds of the ancient church. Nevertheless, this formulation points to a foundational element of Paul’s Christology. It testifies God’s saving work by Jesus Christ, the Messiah from Israel, who was an Israelite himself and who’s ministry, according to Paul’s conviction, was directed towards Israel as well as to the Gentiles. In this case, links appear even to Paul’s argument in Galatians and Romans about justification by faith in Christ without works of the law. For, by no means Christ has become a “servant of sin”, 61 but the servant of “circumcision” and the “hope for the Gentiles” as well. 62 Therefore, in Christ eschatological hope for Jews and Gentiles is alike.
Gal 1:16; Rom 11:13f.; 15:19f.; cf. NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (n. 45), 66–78, 171–175. 58 Cf. Rom 15:25–27. 59 Cf. Rom 15:14–21. 60 Cf. Rom 15:25. On the collection for Jerusalem that forms the background of this phrase cf. the seminal work by DIETER GEORGI, Der Armen zu gedenken. Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalem, Neukirchen-Vluyn 21994, and more recently REIMUND BIERINGER, The Jerusalem Collection and Paul’s Missionary Project. Collection and Mission in Romans 15.14–32, in: ARMAND PUIG I TÀRRECH/JOHN M. G. BARCLAY/JOERG FREY (Ed.), The Last Years of Paul. Essays from the Tarragona Conference, June 2013, WUNT 352, Tübingen 2015, 15–31; MICHEL QUESNEL, The Collection for Jerusalem in the Context of Paul’s Missionary Project: Theological Perspectives, ibid., 33–48; UDO SCHNELLE, Die ersten 100 Jahre (n. 32), 288–291; DIETRICH-ALEX KOCH, Geschichte des Urchristentums. Ein Lehrbuch, Göttingen 2 2014, 331–343; HORN, Paulus Handbuch (n. 17), 116–119 (Friedrich W. Horn). 61 Not ἁμαρτίας διάκονος, which explicitly is excluded in Gal 2:17; cf. also Rom 3:7f. 62 Rom 15:12; Gal 1:16; 3:8; cf. also Gal 2:15; Rom 3:29f. 57
Die paulinische Rechtfertigungslehre in der gegenwärtigen exegetischen Diskussion Eine der wichtigsten Entwicklungen in der deutschsprachigen neutestamentlichen Exegese der zweiten Hälfte des zu Ende gehenden Jahrhunderts war zweifellos die Herausbildung einer ökumenischen Arbeitsgemeinschaft evangelischer und katholischer Bibelwissenschaftler. Sie entfaltete sich nach der Veröffentlichung des entscheidenden päpstlichen Dokuments Divino afflante Spiritu im Jahre 1943 1 in rasantem Tempo und war schon vor 25 Jahren, zu Beginn meiner Studienzeit, geradezu zu einer Selbstverständlichkeit geworden. 2 Die unmittelbar zurückliegende Diskussion der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ und die öffentlichen Stellungnahmen insbesondere vonseiten deutscher evangelischer Universitätstheologen haben freilich unübersehbar deutlich werden lassen, dass durch die problemlose Zusammenarbeit der Exegeten beider Konfessionen die überlieferten kontroverstheologischen Probleme keineswegs gelöst oder irrelevant geworden sind. Was hat das zu bedeuten? Dass die Neutestamentler sich aus der systematisch-theologischen und hermeneutischen Diskussion auf eine religionsgeschichtliche oder linguistische Insel der Seligen zurückgezogen haben? Dass die Systematiker Entwicklungen der Exegese der letzten Jahrzehnte nicht mehr zur Kenntnis genommen haben und bei den exegetischen und theologischen Urteilen der BultmannSchule stehengeblieben sind? Dass die Ökumeniker beider Konfessionen sich mit einem weder systematisch-theologisch noch exegetisch hinterfragten Biblizismus begnügen, der den Diskussionsstand beider Disziplinen nicht mehr kennt und braucht? Die Aufgabe des folgenden Beitrags besteht nicht darin, solche Fragen zu beantworten. Vielmehr soll in einem Moment ökumenischer Ernüchterung versucht werden, exegetische Aspekte ins Gespräch zu bringen, die in der zurückliegenden Phase der evangelisch-katholischen Zusammenarbeit auch unter 1 Über die zeitgemäße Förderung der biblischen Studien. Rundschreiben Pius’ XII. Divino afflante Spiritu vom 3. September 1943 und wichtige römische Dokumente zur Heiligen Schrift, Stuttgart 1964 (Leipzig 1965). 2 Exemplarisch dokumentierte sich diese Entwicklung zum einen in den Artikeln zum Exegetischen Wörterbuch zum Neuen Testament von Gerhard Schneider und Karl Kertelge zur Wortgruppe δίκαιος, δικαιοσύνη, δικαίωμα κτλ. (vgl. EWNT I 781–810), zum andern in den beiden Kommentarreihen „Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament“, Zürich u.a./Neukirchen-Vluyn u.a., und „Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament“, Gütersloh/Würzburg.
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Die paulinische Rechtfertigungslehre in der exegetischen Diskussion
Neutestamentlern zumindest im deutschsprachigen Raum noch relativ wenig berücksichtigt und außerhalb der Grenzen der exegetischen Disziplinen wohl kaum wahrgenommen worden sind. Solche Neuansätze lassen sich im englischsprachigen Bereich exegetischer Publikationen schon seit den sechziger Jahren beobachten und sind seit den achtziger Jahren für die Tendenz der Forschung bestimmend geworden. Gerade für eine biblisch fundierte und ökumenisch orientierte Reflexion und Diskussion der Rechtfertigungslehre sind sie von Bedeutung, da sie nicht zuletzt in Auseinandersetzung mit einer lutherisch genannten Auslegungstradition der paulinischen Rechtfertigungsaussagen entfaltet worden sind.
1. Paulus in neuer Sicht. Zur Kritik an einer ‚lutherischen‘ Paulusinterpretation
1. Paulus in neuer Sicht In jüngerer Zeit sind vor allem aus dem angelsächsischen Raum kritische Fragen an eine Paulusdeutung gerichtet worden, die gern als ‚lutherisch‘ bezeichnet wird. Hinter dieser Benennung steht die Auffassung, Kategorien und Denkmuster der Paulusinterpretation wie der Gegensatz zwischen Gnade und Verdienst bzw. zwischen Glaubensgerechtigkeit und Werkgerechtigkeit, die vor allem die deutsche protestantische Auslegung bestimmt haben, seien aus der Auseinandersetzung Luthers mit der mittelalterlichen Bußpraxis der katholischen Kirche abgeleitet worden, träfen aber nicht auf diejenigen Positionen zum jüdischen Gesetz zu, mit denen sich Paulus auseinanderzusetzen hatte. Ziel solcher Anfragen ist vor allem das Paulusverständnis Rudolf Bultmanns und seiner Schüler. Für die Sicht Bultmanns 3 waren drei Merkmale charakteristisch: 1. Ausgangspunkt seiner Deutung ist die paulinische Anthropologie. 2. Im Zentrum der paulinischen Theologie steht die Rechtfertigungslehre. 3. Rechtfertigung wird gedeutet als Wandel im Daseinsverständnis des Einzelnen von einer erworbenen hin zu einer verdankten Existenz. Dabei erscheint bei Bultmann das Judentum als Repräsentant eines Selbstverständnisses im Sinne erworbener Existenz. Freilich richtet sich diese Einschätzung nicht gegen ein geschichtlich identifizierbares Judentum, sondern prinzipiell gegen jedes religiöse Selbstverständnis, das sich auf eigenmächtige Aktivität des Menschen stützt. Insofern steht das Judentum lediglich als Paradigma, als exemplarischer Fall für den religiösen Menschen überhaupt. Gegen solche Funktionalisierung des Judentums ist massiv Einspruch erhoben worden. Blickt man auf die geschichtlichen Zusammenhänge, aus denen Sie ist klassisch dokumentiert in: RUDOLF BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 1953, 187–353. 3
1. Paulus in neuer Sicht
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die Paulusbriefe herrühren und in die sie hineinwirken wollen, dann werden als Hintergrund der Aussagen über das Gesetz Auseinandersetzungen um den Status der Heidenchristen in den paulinischen Gemeinden erkennbar. Die negativen Urteile über die Tora haben im Zusammenhang der paulinischen Argumentationen die Funktion, gegenüber ‚judaistischen‘ Gegnern den Platz der nichtjüdischen Glaubenden in der Gemeinde zu sichern, ohne sie bestimmten Forderungen der Tora, insbesondere der Beschneidungsforderung, zu unterwerfen. Sie sind also geschichtlich veranlasst und nicht Ausdruck eines prinzipiellen Gegensatzes zwischen jüdischer Werkgerechtigkeit und christlichem Vertrauen auf die gnädige Heilszuwendung Gottes. Zudem begegnen sie ausformuliert erst in der Spätphase der paulinischen Wirksamkeit, in den Briefen nach Galatien und Rom, setzen also die sich im Galaterbrief spiegelnden Auseinandersetzungen voraus, in denen die paulinische Rechtfertigungslehre erst Gestalt gewonnen hat. Diese kann daher nicht als Kriterium paulinischer oder gar neutestamentlicher Theologie angesehen werden, sondern stellt eine historisch bedingte Konkretion des Evangeliums neben anderen dar. Einen Initialbeitrag zu dieser ‚neuen Perspektive‘ auf Paulus leistete bereits im Jahre 1963 der seinerzeit in Harvard lehrende spätere lutherische Bischof von Stockholm, Krister Stendahl, mit einem Aufsatz unter dem Titel: „The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West“. 4 Er wandte sich besonders dagegen, die Paulusbriefe als Dokumente von individuellen Gewissenskämpfen anzusehen und das Rechtfertigungsgeschehen auf den Aspekt der individuellen Zueignung des Heils an die angefochtenen Glaubenden zu beschränken. Einer solchen Engführung lägen Weichenstellungen zugrunde, die sich von dem Augustinermönch Martin Luther bis zu Augustin zurückverfolgen ließen. Sie hätten das geistesgeschichtliche und theologische Erscheinungsbild des Abendlandes seither bestimmt. Demgegenüber zeugten die paulinischen Selbstaussagen von einem eher robusten Gewissen, und sein Gesetzesverständnis entspringe einer missionspragmatischen Problemstellung, der
KRISTER STENDAHL, The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West, HThR 56, 1963, 199–215. Der Aufsatz wurde in einen Sammelband aufgenommen: DERS., Paul among Jews and Gentiles and other essays, London 1977, 78–96, nicht aber in dessen deutsche Übersetzung: DERS., Der Jude Paulus und wir Heiden. Anfragen an das abendländische Christentum, München 1978. Auf Deutsch wurde er erst zugänglich als: DERS., Der Apostel Paulus und das ‚introspektive‘ Gewissen des Westens, KuI 11, 1996, 19–33 (übers. Wolfgang Stegemann). Das Stichwort ‚New Perspective‘ geht zurück auf den Aufsatz von JAMES D. G. DUNN, The New Perspective on Paul, BJRL 65, 1983, 95–122. Bei dem Aufsatz: DERS., Die neue Paulus-Perspektive. Paulus und das Gesetz, KuI 11,1996, 34–45, handelt es sich um eine Übersetzung von Wolfgang Stegemann des (gekürzten) § 5 aus der Einleitung zu Dunns Römerbriefkommentar, vgl. DERS., Romans 1–8, Word Biblical Commentary 38A, Dallas 1988, lxiii–lxxii. Vgl. auch den instruktiven Überblick von CHRISTIAN STRECKER, Paulus aus einer „neuen Perspektive“, KuI 11, 1996, 3–18. 4
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Die paulinische Rechtfertigungslehre in der exegetischen Diskussion
Frage nach dem Platz der Heiden im Heilsplan Gottes angesichts des Christusgeschehens. Die durch Stendahl angestoßene Debatte wurde zunächst lediglich in einem Aufsatz von Ernst Käsemann explizit aufgenommen. 5 Erst die monographischen Arbeiten von Ed P. Sanders 6 und Heikki Räisänen 7 fanden ein stärkeres Echo. 8 Vor allem bei Sanders verband sich die Kritik an einer individualistischen Auslegungstradition der Paulusexegese mit der an einem ideologisierten Bild vom Judentum zur Zeit des Neuen Testaments als angeblichem Musterbeispiel einer Religion der ‚Werkgerechtigkeit‘. Die stärkere Berücksichtigung frühjüdischer Quellen in der neutestamentlichen Exegese, im Unterschied zur früheren Favorisierung rabbinischer Überlieferungen, für die exemplarisch der Strack-Billerbeck gestanden hatte, ließ erkennen, dass das Frühjudentum ein weitaus vielfältigeres Erscheinungsbild bot, als es die Vorstellung von einem normativen pharisäisch-rabbinischen Judentum als Gegenüber zu Jesus und dem Urchristentum hatte erahnen lassen. Die Frage, ob und wie auch Paulus in diese Vielfalt einzuordnen sei, insbesondere seine Aussagen und seine Haltung gegenüber der Tora, bestimmt seither zu einem wichtigen Teil alle neueren Untersuchungen zur paulinischen Rechtfertigungslehre. Von solchen neuen Perspektiven der Paulusforschung ausgehend und mehr oder weniger kritisch an Sanders und Räisänen anknüpfend, wurden inzwischen eine ganze Reihe von Untersuchungen vorgelegt, die einzelne Aspekte stärker betont oder detaillierter ausgearbeitet haben. Eine missionspragmatische bzw. ‚soziologische‘ Interpretation der Rechtfertigungsaussagen des Paulus vertrat Francis Watson. 9 Alan F. Segal 10 versuchte von der Berufungserfahrung des Paulus her, die er auf dem Hintergrund frühjüdischer mystischer Überlieferungen deutet, sein Verhältnis gegenüber der Tora, Israel und den ERNST KÄSEMANN, Rechtfertigung und Heilsgeschichte im Römerbrief, in: DERS., Paulinische Perspektiven, Tübingen 1969, 108–139. 6 ED P. SANDERS, Paul and Palestinian Judaism. A Comparison of Patterns of Religion, London 1977 (dt.: DERS., Paulus und das palästinische Judentum. Ein Vergleich zweier Religionsstrukturen, StUNT 17, Göttingen 1985); vgl. DERS., Paul, the Law, and the Jewish People, Philadelphia 1983. Auf Deutsch zugänglich ist auch eine Kurzdarstellung der Paulusinterpretation von Sanders: DERS., Paulus. Eine Einführung, RUB 9365, Stuttgart 1995 (engl. Original: DERS., Paul, Oxford 1991). 7 HEIKKI RÄISÄNEN, Paul and the Law, WUNT 29, Tübingen 1983. 8 Vgl. etwa HANS HÜBNER, Pauli theologiae proprium, NTS 26, 1980, 445–473; DERS., Rez. zu Ed P. Sanders, SNTU.A 11, 1986, 238–245; JAN LAMBRECHT, Gesetzesverständnis bei Paulus, in: KARL KERTELGE (Hg.), Das Gesetz im Neuen Testament, QD 108, Freiburg 1986, 88–127. 9 FRANCIS WATSON, Paul, Judaism and the Gentiles. A Sociological Approach, MSSNTS 56, Cambridge 1986 (revised and expanded edition: Paul, Judaism, and the Gentiles: Beyond the New Perspective, Grand Rapids 2007). 10 ALAN F. SEGAL, Paul the Convert. The Apostolate and Apostasy of Saul the Pharisee, New Haven/London 1990. 5
1. Paulus in neuer Sicht
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Heiden zu bestimmen. Ähnliches hatte, freilich unter ganz anderen theologischen und exegetischen Prämissen, vor ihm schon Seyoon Kim 11 unternommen. Frank Thielman 12 wollte in Auseinandersetzung mit Sanders zeigen, dass das paulinische Gesetzesverständnis durchaus auch im Rahmen frühjüdischer Bundestheologie verständlich zu machen sei. Stärker ausgerichtet an einer heilsgeschichtlichen Einordnung der paulinischen Gesetzesaussagen und der Eingrenzung ihrer soteriologischen Relevanz allein auf die Heiden sind die Beiträge von Lloyd Gaston. 13 Auch N. T. Wright hat einen Sammelband mit Studien zur Christologie und zum Gesetzesverständnis des Paulus vorgelegt, 14 in welchen er sich differenziert mit Sanders auseinandersetzt. Mittlerweile hat sich die ‚neue Perspektive‘ so weit in der Paulus-Forschung etabliert, dass sie selbst zum Gegenstand differenzierender und resümierender Kritik geworden ist. So präsentiert Mark A. Seifrid 15 ausführlich die jüngere Debatte um die ‚lutherische‘ Paulusdeutung, bevor er seine eigene These vorlegt, nach welcher die Rechtfertigungslehre in einer soteriologischen Neuorientierung des Paulus bei Damaskus verankert sei und von daher sehr wohl grundlegende Funktion für die paulinische Theologie habe. Eine differenzierte und eigenständige Sicht in Auseinandersetzung mit der jüngeren Forschungsdiskussion vertritt auch Terence L. Donaldson, 16 der die Ausrichtung der paulinischen Verkündigung auf eine Heilsperspektive für die Völker in einer Neukonfiguration seiner Überzeugungen über die Heiden bei seiner Berufung verankert. Die profilierteste Gesamtdarstellung zur paulinischen Theologie aus der ‚neuen Perspektive‘, basierend auf einer größeren Zahl von Vorstudien, hat James D. G. Dunn vorgelegt. 17 Er geht aus von der Funktion spezifischer Torabestimmungen wie Beschneidung, Sabbat und Speisevorschriften als Identitäts- bzw. Abgrenzungsmerkmalen („identity“ bzw. „boundary markers“), die SEYOON KIM, The Origin of Paul’s Gospel, WUNT II/4, Tübingen 1981 (21984). FRANK THIELMAN, From Plight to Solution. A Jewish Framework for Understanding Paul’s View of the Law in Galatians and Romans, NT.S 61, Leiden 1989. 13 Gesammelt in: LLOYD GASTON, Paul and the Torah, Vancouver 1987. 14 N. T. WRIGHT, The Climax of the Covenant. Christ and the Law in Pauline Theology, Edinburgh 1991. 15 MARK A. SEIFRID, Justification by Faith. The Origin and Development of a Central Pauline Theme, NT.S 68, Leiden 1992. 16 TERENCE L. DONALDSON, Paul and the Gentiles. Remapping the Apostle’s Convictional World, Minneapolis 1997. Die Konsequenzen von ‚Damaskus‘ werden auch in einem neuen Sammelband in ihren unterschiedlichen Aspekten dargestellt: RICHARD N. LONGENECKER (Hg.), The Road from Damascus. The Impact of Paul’s Conversion on His Life, Thought, and Ministry, Grand Rapids/Cambridge 1997. 17 JAMES D. G. DUNN, The Theology of Paul the Apostle, Edinburgh 1998; s.a. den Sammelband: DERS., Jesus, Paul and the Law. Studies in Mark and Galatians, London 1990. Seine These hatte Dunn bereits in dem Aufsatz: DERS., The Incident at Antioch (Gal. 2:11– 18), JSNT 18, 1983, 3–57, entwickelt. 11 12
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Die paulinische Rechtfertigungslehre in der exegetischen Diskussion
den Sonderstatus Israels als des von Gott erwählten Volkes signalisieren und sichern. Wenn Paulus sich gegen Werke des Gesetzes wende, dann habe er nicht die Tora als Ganzes, sondern speziell diese Identitätsmerkmale im Blick, weil sie die in seinem Evangelium zu verkündende Einbeziehung der Heiden in den Heilswillen Gottes verhinderten. Die polemische Seite der paulinischen Rechtfertigungslehre richte sich somit gegen eine Tendenz im Judentum, die die Universalität der Gerechtigkeit Gottes auf seinen Bund mit Israel eingrenzen wolle, eine Tendenz, für die exemplarisch Paulus selbst in seinem Wirken als Verfolger der urchristlichen Gemeinden stehe. Zwar basiere die Rechtfertigungslehre des Paulus auf seiner neuen Gotteserfahrung bei Damaskus. Sie sei aber keineswegs ein Dokument der Abwendung vom jüdischen Glauben oder gar vom Gott Israels, sondern im Gegenteil ein Zeugnis der Wiederentdeckung des biblischen Gottesverständnisses, nach welchem der Gott Israels als Schöpfer der Welt seine Gerechtigkeit in seinem barmherzigen und heilsamen Wirken Israel und den Völkern gegenüber erweise. Die hermeneutischen Konsequenzen der hier lediglich angedeuteten Neuorientierung in der Paulusforschung liegen auf der Hand: Die grundlegende, zentrale und maßgebliche Bedeutung der Rechtfertigungsaussagen für das Ganze der paulinischen Theologie und damit auch ihre kriteriologische Funktion für eine biblisch fundierte Theologie können aufgrund der exegetischen Diskussionslage nicht mehr vorausgesetzt werden, sondern bedürfen selbst exegetischer und theologischer Begründung. Situationsbezogenheit und Kohärenz theologischen Denkens schließen sich offenbar bei Paulus nicht aus, sondern sind charakteristische Kennzeichen seiner Theologie. Der Ursprungszusammenhang der paulinischen Rechtfertigungsaussagen in den Auseinandersetzungen um die Zugehörigkeit von an Christus glaubenden Heiden zur Gemeinde kann nicht als „zufällige Geschichtswahrheit“ (Lessing) bestimmt werden. Er hat selbst theologische Qualität, da mit ihm die Frage nach der Identität und Einheit des eschatologischen Gottesvolkes verknüpft ist und damit letztlich die Frage nach der Identität und Einheit Gottes in seinem heilsamen Wirken an den Menschen.
2. Zum Ursprung der paulinischen Rechtfertigungslehre
2. Zum Ursprung der paulinischen Rechtfertigungslehre Die These, dass die Rechtfertigungslehre keineswegs den Kern und die Mitte paulinischer Theologie bilde, hatten schon um die Wende zum 20. Jh. William Wrede und Albert Schweitzer in ihren Paulusdarstellungen vertreten. Für
2. Zum Ursprung der paulinischen Rechtfertigungslehre
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Wrede 18 war sie lediglich eine ‚Kampfeslehre‘ im Streit mit Juden und Judenchristen. Den Kern der paulinischen Theologie habe dagegen eine hellenistisch geprägte Erlösungslehre gebildet. Ähnlich hatte Schweitzer unterschieden zwischen einer (freilich aus jüdischen apokalyptischen Quellen gespeisten) Mystik des Paulus als der Mitte seiner Theologie und der Rechtfertigungslehre als einem ‚Nebenkrater‘. 19 Auf solche Entwürfe wird in den neueren Paulusdarstellungen gelegentlich bewusst zurückgegriffen. 20 Sie werden allerdings nunmehr (wenigstens zum Teil) mit einem unten zu beschreibenden, völlig neu erarbeiteten Bild vom Frühjudentum verknüpft. Im Zusammenhang einer geschichtlichen Einordnung der paulinischen Rechtfertigungsaussagen werden dabei unterschiedliche Modelle diskutiert. Ausgehend von der Beobachtung, dass die paulinische Rechtfertigungslehre nur im Galater- und im Römerbrief argumentativ ausgeführt wird, während sie z.B. im 1. Thessalonicherbrief und den Korintherbriefen ganz oder weitgehend fehlt, sprechen manche Exegeten von einer Entwicklung in der paulinischen Theologie. 21 Demnach habe Paulus die Rechtfertigungslehre erst im Zuge der Auseinandersetzungen mit judaistischen Gegnern um die Frage der Beschneidung, die sich im Galaterbrief widerspiegeln, entwickelt. Die Rechtfertigungslehre sei also weder Ausgangspunkt noch Zentrum der paulinischen Theologie, vielmehr ihre aktuelle Entfaltung in einer spezifischen, wenngleich für die Entwicklung seiner gesetzesfreien Heidenmission grundlegenden und wegweisenden Phase. Andere Autoren wollen die theologische Relevanz der Rechtfertigungsargumentation des Paulus ganz auf die geschichtlichen Gegebenheiten der galatischen Krise und unmittelbar mit ihr zusammenhängende Konstellationen innerhalb der paulinischen Mission beschränken. Paulus gehe es in seiner gesetzeskritischen Argumentation allein um die Sicherung des Platzes der Nichtjuden in seinen Gemeinden. Juden habe er dabei überhaupt nicht im Blick. 22 Negative Urteile über die Tora seien als „secondary rationalization“ zu verstehen,
WILLIAM WREDE, Paulus, RV I/5–6, Halle 1904, wieder abgedruckt in: KARL HEINRENGSTORF (Hg.), Das Paulusbild in der neueren deutschen Forschung, WdF 24, Darmstadt 1982, 1–97. 19 ALBERT SCHWEITZER, Die Mystik des Apostels Paulus, Tübingen 1930 (= in: DERS., Ausgewählte Werke in fünf Bänden, Berlin 1971, Bd. 4, 15–510). 20 So besonders der Rückgriff auf Schweitzer bei SANDERS, Paul and Palestinian Judaism (Anm. 6), 434–442. 21 GEORG STRECKER, Befreiung und Rechtfertigung. Zur Stellung der Rechtfertigungslehre in der Theologie des Paulus, in: Rechtfertigung (FS E. Käsemann), hg. v. JOHANNES FRIEDRICH/WOLFGANG PÖHLMANN/PETER STUHLMACHER, Tübingen 1976, 479–508 (= in: DERS., Eschaton und Historie. Aufsätze, Göttingen 1980, 229–259); UDO SCHNELLE, Wandlungen im paulinischen Denken, SBS 137, Stuttgart 1989. 22 So z.B. behauptet von Gaston (vgl. den in Anm. 13 genannten Sammelband). 18
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als Versuch der argumentativen Bewältigung negativer Missionserfahrungen 23. Schon in der differenzierteren Darstellung der Thematik im Römerbrief deute sich an, dass die Aussagen des Galaterbriefes aktuell veranlasst waren und deshalb nicht als theologische Grundsatzentscheidungen zu verstehen seien, insbesondere nicht auf Glieder des Gottesvolkes Israel übertragen werden dürften. Nun ist freilich daran festzuhalten, dass es im Zuge des paulinischen Wirkens nicht erst in Galatien zu Konflikten um die Stellung von Nichtjuden in den urchristlichen Gemeinden kam. Das belegen die Vorgänge in Jerusalem und Antiochia, von denen in Gal 1f. die Rede ist. Auch unabhängig davon hören wir von Auseinandersetzungen in Synagogen, in die Paulus und seine Gemeinden verwickelt waren, 24 ganz abgesehen von der Darstellung des paulinischen Missionsweges in der Apostelgeschichte. 25 Es muss also schon vor dem Konflikt um die Beschneidung in Galatien Anlass gegeben haben, die Missionspraxis des Paulus in Frage zu stellen, und auch Paulus selbst wird nicht unvorbereitet in diesen Konflikt eingetreten sein. Man wird deshalb die Auseinandersetzung um die Beschneidung in Galatien kaum als Wendepunkt ansehen können. Der entscheidende Wendepunkt für Paulus war vielmehr seine Berufung zum Christusapostel für die Völker (vgl. Gal 1,15f.). Die Richtung, in die er damit gewiesen war, lag seither unumkehrbar fest, ebenso wesentliche Inhalte seiner Verkündigung wie das Bekenntnis zum gekreuzigten Jesus, den Gott von den Toten auferweckt hatte, die Einsicht, dass Gott damit das in der Schrift verheißene endzeitliche Heil hat Wirklichkeit werden lassen und die Gewissheit, dass in dieses Geschehen nicht nur Israel, sondern auch die Völker einbezogen sind. Bei Damaskus war Paulus freilich erst aufgebrochen auf diesen Weg, und es ist kaum anzunehmen, dass er schon im Voraus über alle seine Kurven, Abzweigungen, Umleitungen und Schlaglöcher Bescheid wusste. Die Krise in Galatien wird ihn bewogen haben, die bisher zurückgelegte Wegstrecke zu bedenken, die eingeschlagene Richtung zu überprüfen und die künftigen Schritte festzulegen. Der Römerbrief lässt erkennen, dass unter veränderten Umständen erneut Anlass zu solchen Überlegungen bestand. Im Galaterbrief liegt uns somit ein in Sprache gefasstes Ergebnis der Reflexion geschichtlicher Herausforderungen vor. Man wird kaum von einer konsequenten, geradlinigen Entwicklung des paulinischen Denkens sprechen können, allein schon wegen der allzu bruchstückhaften Überlieferung der Textzeugnisse. Man wird aber sagen können, dass die geschichtliche und auch die theologische Bedeutung des Paulus gerade darin liegt, Grundorientierungen über das Handeln Gottes im Christusgeschehen, die ihm bei seiner Berufung zugekommen waren, in neuen Situationen auch auf neue Weise zur Sprache gebracht zu haben. So etwa WATSON, Paul (Anm. 9), 61–72. 2Kor 11,24f.; vgl. Gal 5,11; 1Thess 2,14f. 25 Vgl. Apg 13,50; 14,2.19; 17,5–9.13; 18,12–17. 23 24
3. Neubewertung des Judentums
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3. Neubewertung des Judentums
3. Neubewertung des Judentums 3.1 Anstöße aus dem jüdisch-christlichen Gespräch
Gegen das Vorurteil gegenüber dem Judentum als einer Leistungsreligion erhob sich schon früh Protest vonseiten jüdischer Paulusforscher. Genannt seien hier lediglich die Namen Joseph Klausner, Leo Baeck, Hans-Joachim Schoeps, Pinchas Lapide und Schalom Ben-Chorin. 26 Bei aller Verschiedenheit ihrer Positionen und Argumente stimmen sie doch darin überein, dass ein Bild vom Judentum, das allein aus den paulinischen Rechtfertigungsaussagen abgeleitet worden ist, nicht als zutreffende Beschreibung für das Judentum zur Zeit des Neuen Testaments angesehen werden kann, ja, als dessen Verzerrung zu werten ist. Die jüngere Forschung sowohl von jüdischen als auch von christlichen Exegeten hat ergeben, dass diesem Urteil unumwunden zuzustimmen ist. Dazu kamen zunehmend Anstöße aus dem jüdisch-christlichen Gespräch. In diesem Zusammenhang wurden die scharf kritischen Aussagen des Paulus zur Tora natürlich als besondere Belastung empfunden. Als wenig weiterführend erwies sich dabei zunächst eine durch Rosemary Ruether ausgelöste, äußerst polemisch geführte Debatte. Ruether hatte in ihrem Buch geurteilt, die theologische Position des Paulus sei „fraglos die des Antijudaismus“. 27 Gegen solch plakative Einordnungen hatte Günter Klein Einspruch erhoben, indem er sie als „semantischen Einschüchterungsversuch“ bezeichnete. 28 Auch in der scharfen Auseinandersetzung zwischen Peter von der Osten-Sacken und Erich Gräßer wurden eher Fronten markiert als ein Gespräch geführt. 29 Eine historische Rückführung des neuzeitlichen Antisemitismus auf Auseinandersetzungen neutestamentlicher Autoren mit ihren Zeitgenossen ist freilich nicht nur anachronistisch, sondern geradezu absurd, waren diese selbst doch (fast) allesamt Juden. Allerdings kann nicht bestritten werden, dass bestimmte Züge des Bildes, das im Neuen Testament von Juden und jüdischen Gruppen gezeichnet wird, in geschichtlich veränderten Situationen zur Verstärkung antijüdischer Positionen beigetragen haben. Insofern können die Anstöße Eine umfassende Darstellung zur jüdischen Paulusforschung hat STEFAN MEISSNER, Die Heimholung des Ketzers. Studien zur jüdischen Auseinandersetzung mit Paulus, WUNT II/87, Tübingen 1996, vorgelegt. 27 ROSEMARY RUETHER, Faith and Fratricide, New York 1974 (dt.: Nächstenliebe und Brudermord. Die theologischen Wurzeln des Antisemitismus, München 1978, Zitat a.a.O., 101). 28 GUENTER KLEIN, Christlicher Antijudaismus. Bemerkungen zu einem semantischen Einschüchterungsversuch, ZThK 79, 1982, 411–450. 29 Die Beiträge beider Autoren liegen gesammelt vor in: PETER VON DER OSTEN-SACKEN, Evangelium und Tora. Aufsätze zu Paulus, TB 77, München 1987; DERS., Die Heiligkeit der Tora. Studien zum Gesetz bei Paulus, München 1989; ERICH GRÄSSER, Der Alte Bund im Neuen. Exegetische Studien zur Israelfrage im Neuen Testament, WUNT 35, Tübingen 1985. 26
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Die paulinische Rechtfertigungslehre in der exegetischen Diskussion
aus dem jüdisch-christlichen Gespräch, auch wenn sie ihrerseits von Verkürzungen und Verzeichnungen nicht frei sind, zur Sensibilisierung bei der Suche nach einem geschichtlich zutreffenden und theologisch aussagekräftigen Bild der paulinischen Rechtfertigungsaussagen durchaus beitragen. Inzwischen sind aber auch eine ganze Reihe von exegetischen Untersuchungen erschienen, die ein wesentlich differenzierteres Bild der Zuordnung des Paulus zum Judentum seiner Zeit ermöglichen. Das betrifft zum einen seine biographische und geographische Einordnung, 30 des Weiteren seinen Umgang mit der biblischen Überlieferung, 31 sodann sein Toraverständnis, 32 schließlich sein Selbstverständnis als Heidenapostel 33 sowie zentrale Bereiche seiner Theologie. 34 Es kommt nun darauf an, dass eine solche differenziertere Sicht der Exegeten auch wiederum Rückwirkungen auf das jüdisch-christliche Gespräch ausüben kann. 35
30 Vgl. MARTIN HENGEL, Der vorchristliche Paulus, in: DERS./ULRICH HECKEL (Hg.), Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991, 177–293; DERS./ANNA MARIA SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre, WUNT 108, Tübingen 1998. 31 DIETRICH-ALEX KOCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums. Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus, BHTh 69, Tübingen 1986; RICHARD B. HAYS, Echoes of Scripture in the Letters of Paul, New Haven/London 1989; TIMOTHY LIM, Holy Scripture in the Qumran Commentaries and Pauline Letters, Oxford 1997; FLORIAN WILK, Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus, FRLANT 179, Göttingen 1998. 32 PETER TOMSON, Paul and the Jewish Law. Halakha in the Letters of the Apostle to the Gentiles, CRI III/1, Assen/Maastricht/Minneapolis 1990. 33 KARL OLAV SANDNES, Paul – One of the Prophets? A Contribution to the Apostle’s Self-Understanding, WUNT II/43, Tübingen 1991; KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992. 34 DIETER SÄNGER, Die Verkündigung des Gekreuzigten und Israel. Studien zum Verhältnis von Kirche und Israel bei Paulus und im frühen Christentum, WUNT 75, Tübingen 1994; GERHARD SASS, Leben aus den Verheißungen. Traditionsgeschichtliche und biblischtheologische Untersuchungen zur Rede von Gottes Verheißungen im Frühjudentum und beim Apostel Paulus, FRLANT 164, Göttingen 1995; WOLFGANG KRAUS, Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus, WUNT 85, Tübingen 1996. 35 Etappen der Diskussion seit dem in gewisser Weise Epoche machenden Beschluss der Rheinischen Landessynode von 1980 „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“ lassen sich verfolgen in zwei Sammelbänden: EDNA BROCKE/JÜRGEN SEIM (Hg.), Gottes Augapfel. Beiträge zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden, Neukirchen-Vluyn 21988; WOLFGANG KRAUS (Hg.), Juden und Christen. Perspektiven einer Annäherung, Gütersloh 1997.
3. Neubewertung des Judentums
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3.2 Vom ‚Spätjudentum‘ zum ‚Frühjudentum‘ Dass die christliche Exegese, insbesondere die protestantische im 20. Jahrhundert, lange Zeit durch ein Vorurteil gegenüber dem Judentum als ‚Leistungsreligion‘ bestimmt war, lässt sich kaum bestreiten. Dieses Vorurteil prägte auch das Verständnis der Rechtfertigungsaussagen des Paulus, stehen sich doch in ihrem Zusammenhang an zentraler Stelle der Glaube an Christus und die „Werke des Gesetzes“ als Gegensatz gegenüber (Gal 2,16; Röm 3,28; vgl. Röm 9,30–10,8; Phil 3,9). Mit Rechtfertigung „aus Werken des Gesetzes“ war nach herkömmlicher Interpretation gerade die jüdische Religion umfassend charakterisiert, mit der sich Paulus exemplarisch und prinzipiell für alle im Neuen Testament gründende christliche Theologie auseinandergesetzt habe. Inzwischen hat sich, nicht zuletzt auf der Grundlage intensiver Erforschung frühjüdischer Quellen, in der Exegese weitgehend die Einsicht durchgesetzt, dass mit Schlagworten wie ‚Leistungsfrömmigkeit‘, ‚Werkgerechtigkeit‘ oder ‚Gesetzlichkeit‘ im pejorativen Sinn das Judentum zur Zeit Jesu nicht angemessen beschrieben werden kann. Zur Verbreitung des beschriebenen Vorurteils in weiten Teilen des Christentums bis heute hatte offenkundig die apologetische und polemische Verzerrung der Gegner Jesu in den Evangelien beigetragen. Für die negative Bewertung des Judentums in der neueren Exegese und Theologie noch folgenreicher wurde aber ein Deutungsschema, das in der Religionsgeschichtlichen Schule am Beginn des 20. Jahrhunderts entworfen worden war. 36 Demnach habe die Blütezeit der israelitischen Religion bei den vorexilischen Propheten gelegen. Mit dem Exil sei deren Zenit überschritten worden. Die nachexilische (persische) Zeit sei durch schrittweisen Niedergang gekennzeichnet, der schließlich in hellenistisch-römischer Zeit in ritualistischer Erstarrung (Sadduzäer), Buchstabenglaube und Kasuistik (Pharisäer) oder apokalyptischer Spekulation geendet habe. Ein so gezeichnetes Bild vom zeitgenössischen Judentum diente dann als Kontrastfolie für die Botschaft Jesu: Jesus habe mit seiner Kritik an Kult und Kasuistik beim klassischen Ethos der Propheten angeknüpft. Damit habe er den JHWH-Glauben aus seiner nationalen Verengung und religiösen Beschränktheit wieder herausgeführt in ein universal gültiges und allen zugängliches Ethos der Liebe. Diese ‚Verfallstheorie‘ der Religionsgeschichtlichen Schule ist heute weitgehend aufgegeben. Das zeigt sich augenfällig schon an der Ersetzung der Bezeichnung ‚Spätjudentum‘ durch ‚Frühjudentum‘. Während mit dem Epochenbegriff ‚Spätjudentum‘ eine Sicht der jüdischen Geschichte verbunden war, 36 Vgl. die forschungsgeschichtliche Monographie von KARLHEINZ MÜLLER, Das Judentum in der religionsgeschichtlichen Arbeit am Neuen Testament. Eine kritische Rückschau auf die Entwicklung einer Methodik bis zu den Qumranfunden, JudUm 6, Frankfurt/M. 1983, der eine entsprechende Traditionslinie der Deutung von Julius Wellhausen über Adolf Hilgenfeld und Otto Pfleiderer bis hin zu Bultmann und vielen Autoren des Theologischen Wörterbuchs zum Neuen Testament zeichnet.
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Die paulinische Rechtfertigungslehre in der exegetischen Diskussion
nach welcher das Judentum mit dem Auftreten Jesu und des Christentums sein Ende gefunden zu haben schien, impliziert der Begriff ‚Frühjudentum‘, dass in der Sammlung der Israeliten nach dem Exil um Tora, Tempel und JHWH-Glauben der Keim zu einer neuen Entwicklungsstufe der Religion Israels gelegt worden war. Die Zeit des Zweiten Tempels (von seiner Errichtung und Weihe nach der Zerstörung durch die Babylonier im Jahr 515 v. Chr. bis zu seiner erneuten Zerstörung durch die Römer im Jahr 70 n. Chr.) wird folgerichtig in eine nachexilische und eine frühjüdische Epoche unterteilt, wobei letztere in der Regel die beiden Jahrhunderte vor und das erste nach Christus umfasst. Das rabbinische Judentum, das sich erst nach der zweiten Tempelzerstörung zu konstituieren begann und gegen Ende des 2. Jh. n. Chr. mit der Mischna die bis heute maßgebliche Grundlage des Judentums geschaffen hat, repräsentiert demnach die klassische Epoche des Judentums. 3.3 Zum frühjüdischen Gesetzesverständnis Im Rahmen dieser Neubewertung des Judentums zur Zeit Jesu kommt dem Gesetzesverständnis des Frühjudentums besondere Bedeutung zu. Die Konzentration auf die Tora wird erkennbar nicht als Ausdruck von ‚Gesetzlichkeit‘, sondern als eine Glaubenshaltung, die der Bewahrung jüdischer Identität dient, insbesondere unter den Herausforderungen der Diasporaexistenz in hellenistisch-römischer Zeit, aber ebenso unter den Bedingungen heidnischer Fremdherrschaft und den Einwirkungen hellenistischer Kultur im Land Israel. Die Tora kann hier als Gnadengabe Gottes und Urkunde seines Bundes mit Israel erfahren werden. Sie ist Ausdruck der Erwählung, durch welche Gott von sich aus die Bundesbeziehung mit Israel aufgerichtet hat. Toratreue ist die von den Israeliten geforderte Antwort auf ihre Erwählung durch Gott, eine Lebenshaltung, die in den alltäglichen Lebensvollzügen zu bewähren ist. Ungehorsam straft Gott, aber der im Bundesverhältnis stehende Israelit hat die Möglichkeit, seine Übertretungen zu bereuen und die von Gott in der Tora dafür bereitgestellten Sühnemittel (Buße, Opfer, Barmherzigkeitstaten) zu gebrauchen. Auf diese Weise kann er in der Bundesbeziehung verbleiben. Eine heilvolle Gottesbeziehung wird also nicht erst durch Gesetzesgehorsam ‚erworben‘, sondern sie ist Voraussetzung für das Leben in einer durch Gott selbst errichteten und von ihm getragenen Lebensordnung. Toragehorsam ist mehr als Erfüllung von Geboten und Vermeidung von Übertretungen. Er ist Bekenntnis zum Bund Gottes mit Israel und Ausdruck des Strebens, diesen Bund nicht eigenmächtig zu verlassen oder zu zerstören. Dieses Grundmuster frühjüdischen Gesetzesverständnisses ist von Ed P. Sanders anhand von Texten aus der frühen rabbinischen Überlieferung, aus den Qumran-Funden und aus den als Apokryphen und Pseudepigraphen überlieferten frühjüdischen Schriften herausgearbeitet und als „covenantal nomism“
3. Neubewertung des Judentums
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(vom Bundesgedanken bestimmtes Gesetzesverständnis) bezeichnet worden. 37 Vorher schon hatte Meinrad Limbeck den Zusammenhang von Tora und heilvollem Handeln Gottes gegenüber seiner Schöpfung und dem Volk Israel herausgestellt. 38 Dass die Tora Weisungen und Hilfestellungen für ethische Entscheidungen im Alltagsleben eines frommen Juden zu geben in der Lage ist, wurde auch von Eckart Reinmuth 39 und mir selbst 40 darzustellen versucht. Charakteristische Aussagen zum Zusammenhang von Tora und Erwählung finden sich z.B. in Sir 24, wo die Weisheit in einem Selbstpreis ihren Ursprung bei Gott vor aller Schöpfung, ihr Hervorgehen aus Gottes Mund, ihr Herabsteigen zur Erde und zu allen Nationen und schließlich ihre Einwohnung in Israel auf dem Zion nach dem Befehl des Schöpfers beschreibt (V. 1–22). Die IchRede der Weisheit wird beendet durch einen Kommentar des Weisheitslehrers: Dies alles gilt vom Buch des Bundes des höchsten Gottes, dem Gesetz, das uns Mose auferlegt hat, als Erbteil für die Gemeinden Jakobs. (Sir 24,23)
Der Anfang des Jubiläenbuches 41 erscheint literarisch als in die Gottesrede an Mose auf dem Sinai eingeordnete Offenbarungsrede (vgl. 1,1–5). Der erste Abschnitt dieser Gottesrede endet mit der Selbstbindung Gottes an sein Volk gerade angesichts von dessen Untreue: Ich werde sie umpflanzen als Pflanze der Gerechtigkeit mit meinem ganzen Herzen und mit meiner ganzen Seele. Und sie werden zum Segen sein und nicht zum Fluch, Kopf und nicht Schwanz. Und ich werde erbauen mein Heiligtum in ihrer Mitte, und ich werde wohnen mit ihnen, und ich werde ihnen Gott sein, und sie werden mir mein Volk sein, welches in Wahrheit und welches in Gerechtigkeit. Und ich werde sie nicht verlassen, und ich werde sie nicht verstoßen, denn ich bin der Herr, ihr Gott. (Jub 1,16–18)
Auf die Bitte des Mose, Gott möge sein Volk nicht verlassen, erhält er die Zusage: Ich kenne ihren Widerspruch und ihre Gedanken und ihren harten Nacken. Und sie werden nicht hören, bis wenn sie erkennen ihre Sünde und die Sünden ihrer Väter. Und nach diesem 37 SANDERS, Paul and Palestinian Judaism (Anm. 6). Sanders hat später in zwei weiteren umfangreichen Monographien stärker den praktischen Umgang mit der Tora im Frühjudentum dargestellt: ED P. SANDERS, Jewish Law From Jesus to the Mishnah. Five Studies, London/Philadelphia 1990; DERS., Judaism. Practice and Belief 63 BCE – 66 CE, London/Philadelphia 1992; vgl. dazu auch die Rezension von MARTIN HENGEL/ROLAND DEINES, E. P. Sanders’ ‚Common Judaism‘, Jesus, and the Pharisees, JThS 46, 1995, 1–70. 38 MEINRAD LIMBECK, Die Ordnung des Heils. Untersuchungen zum Gesetzesverständnis des Frühjudentums, Düsseldorf 1971. 39 ECKART REINMUTH, Geist und Gesetz. Studien zu Voraussetzungen und Inhalt der paulinischen Paränese, ThA 44, Berlin 1985. 40 KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987. 41 Im Folgenden zitiert nach KLAUS BERGER, Das Buch der Jubiläen, JSHRZ II/3, Gütersloh 1981, 273–574.
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werden sie umkehren zu mir in aller Rechtschaffenheit und mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele. Und ich werde beschneiden die Vorhaut ihres Herzens und die Vorhaut des Herzens ihres Samens. Und ich werde ihnen schaffen einen heiligen Geist. Und ich werde sie rein machen, damit sie sich nicht von mir wenden von diesem Tag an bis in Ewigkeit. Und es werden anhängen ihre Seelen mir und allem meinem Gebot. Und sie werden [für sich] mein Gebot tun. Und ich werde ihnen Vater sein, und sie werden meine Kinder sein. Und sie alle werden genannt werden Kinder des lebendigen Gottes. Und es werden sie kennen alle Engel und alle Geister. Und sie sollen sie kennen, daß sie meine Kinder sind und ich ihr Vater in Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit und daß ich sie liebe. (Jub 1,22–25)
Das slavische Henochbuch 42 enthält eine Reihe von Seligpreisungen, in denen exemplarisch das von der Tora geforderte gerechte Verhalten im Alltag geschildert wird: Selig ist, wer den Namen des Herrn fürchtet, und immer vor seinem Angesicht dient, und die Gaben aufrichtig ordnet mit Furcht in diesem Leben, und in diesem Leben gerecht lebt und stirbt. Selig ist, wer ein gerechtes Gericht hält, nicht um eines Lohnes, sondern um der Gerechtigkeit willen, ohne danach irgendwelche Dinge zu erhoffen. Schließlich wird ihm ein Gericht ohne Ansehen der Person folgen. Selig ist, wer die Nackten mit einem Gewand bekleidet und den Hungrigen sein Brot gibt. Selig ist, wer ein gerechtes Gericht für die Waise und die Witwe richtet und jedem Gekränkten hilft … Selig ist, in welchem Wahrheit ist, damit er auch die Wahrheit zu seinem Nächsten redet. Selig ist, wer Barmherzigkeit in seinem Munde hat und Sanftmut im Herzen. Selig sind, welche jedes von Gott gemachte Werk des Herrn begreifen und es preisen. Denn die Werke des Herrn sind gerecht, aber die Werke des Menschen – die einen sind gut, die anderen aber sind böse. Und an den Werken werden die Lästerlügner erkannt. (2Hen 42,6–14)
Eine neue Sicht und Wertung des frühjüdischen Toraverständnisses, die sich auf Texte wie die hier zitierten stützen kann, hat Konsequenzen auch für die Interpretation der paulinischen Aussagen zum Gesetz. Eine Paulusdeutung, die lediglich darauf ausgerichtet ist, angeblich jüdischer ‚Werkgerechtigkeit‘ das reformatorische sola gratia und sola fide entgegenzusetzen, kann kaum der Intention der paulinischen Aussagen gerecht werden, sofern sie nicht annehmen will, dass Paulus sich mit einer jüdischen Gesetzesauffassung auseinandergesetzt habe, die es zu seiner Zeit allenfalls als Randerscheinung gab. 3.4 Gerechtigkeit Gottes im Frühjudentum Auch die Aussagen über die Gerechtigkeit Gottes im Römerbrief erhalten ihr besonderes Profil, wenn sie auf dem Hintergrund biblisch-jüdischer Überlieferungen interpretiert werden. An frühjüdisches Gottesverständnis konnte Paulus anknüpfen, wenn er das Christusgeschehen als Erweis der Treue Gottes zu seinen Verheißungen an Israel deutete. Der Ausdruck Gerechtigkeit Gottes (δικαιοσύνη θεοῦ) bezeichnet im biblischen Sprachgebrauch vorwiegend eine Zitiert nach CHRISTFRIED BÖTTRICH, Das slavische Henochbuch, JSHRZ V/7, Gütersloh 1996, 781–1040. 42
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Relation, nicht eine Eigenschaft. 43 Gerechtigkeit Gottes meint von daher bei Paulus (außer Röm 1,17; 3,21–26; 10,3 nur noch 2Kor 5,21; vgl. auch Phil 3,9) wie im Alten Testament (besonders in den Psalmen sowie bei [Deutero-] Jesaja) und im Frühjudentum Gottes Bundes- bzw. Gemeinschaftstreue. Gott erweist seine Gerechtigkeit nicht im konsequenten Strafvollzug für Vergehen, um auf diese Weise sein Gerechtsein zu wahren, sondern in der Herstellung und Erhaltung einer heilsamen Lebensordnung zwischen sich und seinem Volk. Gerechtigkeit ist also nicht eine Eigenschaft, sondern ein Tun Gottes, und zwar zum Heil für die Menschen. Als frühjüdische Beispiele können Bußgebete in Dan 9, 4Esr 8 und einigen Qumran-Texten genannt werden. Im Danielbuch wendet sich der Beter mit der Bitte an Gott: Ach, Herr, um aller deiner Gerechtigkeit willen (�֙ ִצ ְדק ֶֹ֨ת/ τὴν δικαιοσύνην σου) wende ab deinen Zorn und Grimm von deiner Stadt Jerusalem und deinem heiligen Berg. Denn wegen unserer Sünden und wegen der Missetaten unserer Väter trägt Jerusalem und dein Volk Schmach bei allen, die um uns her wohnen. Und nun, unser Gott, höre das Gebet deines Knechtes und sein Flehen. Lass leuchten dein Angesicht über dein zerstörtes Heiligtum um deinetwillen, Herr! Neige deine Ohren, mein Gott, und höre, tu deine Augen auf und sieh an unsere Trümmer und die Stadt, die nach deinem Namen genannt ist. Denn wir liegen vor dir mit unserm Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit ( ַﬠל־צִ ְדקֹ תֵּ ינוּ/ οὐ γὰρ ἐπὶ ταῖς δικαιοσύναις ἡμῶν), sondern auf deine große Barmherzigkeit (� ַר ח ֶ ֲ֥מי/ διὰ τὸ σὸν ἔλεος). (Dan 9,16–18)
In der Esra-Apokalypse betet der Sehr: Was ist denn der Mensch, daß du ihm zürnst, oder das vergängliche Geschlecht, daß du auf es so erbittert bist? In Wahrheit gibt es nämlich niemand unter den Geborenen, der nicht böse gehandelt, und unter den Gewordenen, der nicht gesündigt hätte. Denn dadurch wird deine Gerechtigkeit und deine Güte offenbar, Herr, daß du dich derer erbarmt hast, die keinen Bestand an guten Werken haben. (4Esra 8,34–36) 44
In einem Gebet aus Qumran heißt es: Und ich – wenn ich wanke, sind Gottes Gnadenerweise ( )חסדי אלmir Hilfe für immer, und wenn ich strauchle durch Fleischesschuld, steht mein Urteil in Gottes Gerechtigkeit ( )בצדקת אלauf Ewigkeit fest: Weil Er meine Bedrängnis aufschließt, aus Verderben meine Seele errettet und meinen Fuß auf den Weg setzt, in Seinem Erbarmen ( )ברחמיוmich nahen ließ und durch Seine Gnadenerweise ( )בחסדיוeintritt mein Recht, Er mich in seiner wahren Gerechtigkeit ( )בצדקת אמתוrichtete und Er in der Fülle Seiner Güte alle meine Verschuldungen sühnt, und Er in Seiner Gerechtigkeit ( )בצדקתוmich reinigt von menschlicher Unreinheit
Vgl. z.B. Dtn 33,21 (Mosesegen); Ri 5,11 (Deboralied); Ps 36,7; Jes 45,24f.; Mi 6,5. Bezeichnenderweise kann die LXX auch חסדmit δικαιοσύνη übersetzen (vgl. Gen 24,27 u.ö.). 44 Zitiert nach JOSEF SCHREINER, Das 4. Buch Esra, JSHRZ V/4, Gütersloh 1981, 289– 412. 43
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Die paulinische Rechtfertigungslehre in der exegetischen Diskussion
und Sünde von Menschensöhnen, um Gott Seine Gerechtigkeit ( )צדקוzu bekennen und dem Höchsten seine Pracht! (1QS 11,11–15) 45 4F
Auch die Ausrichtung auf die eschatologische Heilszeit, in der sich Gottes Gerechtigkeit in seinem Gericht über die Taten der Menschen erweist (vgl. ἀποκαλύπτεται, Röm 1,17!), entspricht biblischen und frühjüdischen Aussagen. Ebenso finden sich dort eindrückliche Zeugnisse für die Einsicht in die Sündhaftigkeit aller Menschen und ihre Angewiesenheit auf Gottes Barmherzigkeit im eschatologischen Gericht, z.B. in einem der Loblieder aus Qumran: Und ich sprach in meiner Sünde: „Ich bin entlassen aus Deinem Bund!“ Doch als ich gedachte der Kraft Deiner Hand mit der Fülle Deines Erbarmens ()רחמיכה, ermannte ich mich und ich stellte mich auf und mein Geist hielt Stand vor (der) Plage, denn [ich] stütz[te mich] auf Deine Gnadenerweise ( )בחסדיכהund (auf) die Fülle Deines Erbarmens ()רחמיכה. Denn Du sühnst Verschuldung, um zu rei[nigen den Men]schen von Schuld durch Deine Gerechtigkeit ()בצדקתכה. (1QH XII [früher IV] 35ff.) 46 45F
Die entscheidende Sachdifferenz zwischen diesen frühjüdischen Zeugnissen 47 und den paulinischen Aussagen liegt freilich darin, dass die Gottesgerechtigkeit im Frühjudentum durchgängig auf die Tora bezogen bleibt, während sie bei Paulus ebenso konsequent mit dem Christusgeschehen verbunden wird. An die Stelle der Treue zur Tora, die Maßstab des göttlichen Urteils im Gericht und Ziel seiner Barmherzigkeit über den Sünder ist, rückt bei Paulus der Glaube an den Gott, der Jesus von den Toten auferweckt hat (vgl. Röm 1,3–5; 10,9–13).
4. Die neue Gerechtigkeit Gottes im Christusgeschehen
4. Die neue Gerechtigkeit Gottes im Christusgeschehen 4.1 Voraussetzungen des paulinischen Evangeliums von der Gottesgerechtigkeit
Diese Herauslösung der Gerechtigkeit Gottes aus der exklusiven Bindung an das Verhältnis Gottes zu seinem Volk Israel, das gerade durch die Tora entscheidend begründet und aufrechterhalten wird, berührt nun allerdings den Kern des paulinischen Evangeliums. Dabei sind zunächst einige traditionsge-
45 Zitiert nach JOHANN MAIER, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, Bd. 1: Die Texte der Höhlen 1–3 und 5–11, UTB 1862, München/Basel 1995, 166–200; hebr. Text: FLORENTINO GARCÍA MARTÍNEZ/EIBERT J. C. TIGCHELAAR (Hg.), The Dead Sea Scrolls Study Edition, Bd. 1: 1Q1–4Q273, Leiden 1997, 68–98. 46 Zitiert nach MAIER, Die Qumran-Essener (Anm. 45), 45–124: 76; hebr. Text bei MARTÍNEZ/TIGCHELAAR, The Dead Sea Scrolls (Anm. 45), 146–204: 170. 47 Zahlreiche weitere Belege hat PETER STUHLMACHER, Biblische Theologie des Neuen Testaments, Bd. 1: Grundlegung. Von Jesus zu Paulus, Göttingen 1992, 326–332, zusammengestellt.
4. Die neue Gerechtigkeit Gottes im Christusgeschehen
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schichtliche Zusammenhänge zu berücksichtigen, die hier nur angedeutet werden können. Zum einen ist auf die prägende Kraft der Jesusüberlieferung für das Verständnis der nachösterlichen Verkündigung zu verweisen. Man kann zwar das Auftreten Jesu nicht aus den von der Tora bestimmten frühjüdischen Lebenszusammenhängen herauslösen. Aber ebenso wenig kann man seine Verkündigung bruchlos in das Wirken frühjüdischer Toralehrer einebnen. Die Distanz Jesu zum Bestreben, die Einheit und Reinheit Israels gegenüber allen Außenstehenden zu sichern und zu verteidigen, ist ganz offensichtlich und wurde in der Jesusüberlieferung von Anfang an als charakteristisch für sein Wirken herausgestellt. Zum anderen, und wohl auch anknüpfend an solche den Rahmen der Tora überschreitenden Züge des Wirkens Jesu, ist sein Sterben am Kreuz schon sehr früh als heilvolles Geschehen „für viele“ (bzw. „für uns“) gedeutet worden. Paulus setzt diese Deutung in seinen Briefen jedenfalls als allgemein bekannt voraus. Hier konnten Deutungen des Todes Jesu mit Hilfe der biblischen Sühnevorstellung anknüpfen. Damit werden Kategorien auf das Jesusgeschehen übertragen, die im Frühjudentum exklusiv an den Tempelkult und damit an einen zentralen Bestandteil der Tora gebunden waren. Schließlich sind zum dritten die Herausforderungen der paulinischen Verkündigung gegenüber Nichtjuden in Betracht zu ziehen. Diese spezifische Ausrichtung seines Evangeliums verankert Paulus schon in seiner Berufungserfahrung. Von Damaskus her hatte er das Geschehen von Tod und Auferweckung Jesu als Anbruch der eschatologischen Heilszeit anzukündigen, die eben auch für Nichtjuden heilvolle Auswirkungen hat, sofern sie sich diesem Geschehen glaubend zuwenden (Gal 1,15f.). Dass für Nichtjuden die Tora keine heilsentscheidende Funktion hat, widerspricht nicht von vornherein frühjüdischen Prämissen. Die Tora gilt ja prinzipiell nur für Israel, nicht für die Völker der Welt. 4.2 Die Rechtfertigungsargumentation im Römerbrief Charakteristisch für Paulus ist nun, dass das Christusgeschehen als endzeitliches Heilsgeschehen für alle Menschen gleichermaßen und auf gleiche Weise gilt. Zugang zu diesem Geschehen können damit beide, Juden und Heiden, nur auf gleichem Weg finden. Und dieser kann nicht die Tora sein, da sie ja nur für Israel gilt. An ihre Stelle tritt eben deshalb – für beide! – der Glaube. Im Römerbrief begründet Paulus die Auflösung des Zusammenhangs von Gerechtigkeit Gottes und Tora mit der These von der Verfallenheit aller Menschen, Juden und Heiden, an die Sünde und damit an Gottes Zorn. Der ganze erste Argumentationsgang im Römerbrief (1,18–3,20) dient dem Nachweis dieses Gedankens, der im Rahmen der paulinischen Theologie den unverzichtbaren Ausgangspunkt für das Heilsgeschehen der Rechtfertigung im Christusgeschehen bildet. Man muss nun freilich fragen: In welchem Verhältnis steht diese Erkenntnis des Paulus zu den frühjüdischen und urchristlichen Aussagen
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Die paulinische Rechtfertigungslehre in der exegetischen Diskussion
über die Gerechtigkeit Gottes? Inwiefern verdankt sie sich seiner spezifischen Christuserfahrung vor Damaskus? Sind möglicherweise spätere Erfahrungen als Heidenmissionar in seine Deutung des biblischen Gottesverständnisses und des Christusgeschehens eingeflossen? Ist also die Rechtfertigungslehre Kern seiner Botschaft und damit des Christusevangeliums von allem Anfang an oder ist sie eine geschichtlich bedingte und damit durch andere geschichtliche Entwicklungen revidierbare Ausprägung urchristlicher Verkündigung? Vergegenwärtigen wir uns kurz den Argumentationsgang im Römerbrief. Die paulinische Verkündigung wird im Präskript als Evangelium Gottes bezeichnet, auf Gottes Verheißung durch Propheten und heilige Schriften zurückgeführt und durch den Verweis auf das Christusgeschehen inhaltlich bestimmt. Sie richtet sich auf alle Menschen aus, besonders aber auf die Heiden (1,5.13f.). Das im Präskript zuerst zur Sprache gebrachte Christusgeschehen wird den ganzen Brief hindurch ständig wieder aufgegriffen, wobei vor allem seine heilvollen Konsequenzen betont werden. Das Sterben Jesu erscheint als Sühnegeschehen zur Befreiung von der Sünde, die Auferweckung als Vermittlung neuen Lebens. Die beiden gegensätzlichen Seiten des Geschicks Jesu werden auf die Existenz der Christen übertragen bzw. mit ihrer Existenz identifiziert. Dadurch werden die Christen jedenfalls sprachlich unmittelbar in das Christusgeschehen einbezogen. 48 Das Leitwort Gerechtigkeit Gottes begegnet zum ersten Mal in 1,16f. und wird in der folgenden Argumentation vom Christusgeschehen her erschlossen. Zentrale Bedeutung hat dabei die Deutung von Tod und Auferweckung Jesu. In diesem Geschehen handelt Gott in heilsamer Weise an den Menschen. Das Sterben Jesu bewirkt ihre Befreiung von der Sünde, seine Auferweckung vermittelt ihnen neues Leben. 49 Die These von der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Christusgeschehen wird in der folgenden Argumentation (1,18–3,31) mit Hilfe des Gegensatzes Glaube – Werke des Gesetzes expliziert. Er dient dazu, die im Licht des Evangeliums erkennbar gewordene Sünde aller Menschen und die mit der Verkündigung des Evangeliums verbundene Vermittlung neuen Lebens zueinander in Beziehung zu setzen, und erweist sich damit als Entfaltung des Schriftwortes, das der Argumentation vorangestellt ist: „Der Gerechte aus Glauben wird leben.“ Auch der semantische Gegensatz Juden – Heiden, der schon im Briefeingang umfassend die Adressaten des paulinischen Evangeliums bezeichnet, wird in der folgenden Argumentation durch Aussagen zur Gerechtigkeit Gottes entfaltet. 50 Durch Stichwörter wie „Welt“, „jeder Mensch“, „jeder, der glaubt“, „alles Fleisch“ wird die universale Ausrichtung und Geltung des paulinischen Evangeliums unterstrichen. 51 Vgl. 3,25f.; 4,24f.; 5,6–11; 6,3–11; 7,4; 8,3.11.17.32; 10,9; 14,9.15; 15,3. Vgl. 3,21–26; 4,1–5; 5,12–21; 6,12–23; 9,30–10,13. 50 Vgl. 1,5.13.14.16; 2,9f.; 3,9.29; 4,17f.; 9,24; 10,19; 11,11–13. 51 Vgl. 1,8.18.20; 2,3.16.19.20.22.29; 4,13; 5,12f.; 11,12.15. 48 49
4. Die neue Gerechtigkeit Gottes im Christusgeschehen
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Für die Interpretation der Rechtfertigungsargumentation im Römerbrief ist m.E. entscheidend, dass Paulus vom Zorn Gottes über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen erst spricht, nachdem er zuvor die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, herausgestellt hat. Er denkt also vom Christusgeschehen und seinen heilvollen Konsequenzen her rückblickend nach über die Situation der Menschen vor und ohne Christus. Erst im Licht der Christusoffenbarung wird die Sündenverfallenheit aller Menschen, Juden wie Heiden, erkennbar. Überträgt man diese Beobachtung an der paulinischen Argumentation im Römerbrief auf die Frage nach dem Ursprung der paulinischen Theologie, so kann man sagen, dass Paulus von seiner Berufung her die entscheidenden Bestandteile seiner Theologie zur Verfügung standen: Das Bekenntnis zu Jesus als dem messianischen Sohn Gottes, die Erfahrung der Auferweckung des gekreuzigten Jesus als eines endzeitlichen Handelns Gottes, die Deutung des Sterbens Jesu als eines Sühnegeschehens und die Einbeziehung der Nichtjuden in das endzeitliche Heilsgeschehen. Hinzu kommt seine ureigene Erfahrung als Verfolger der Jesusanhänger, aus der er durch eine unmittelbare Begegnung mit dem auferstandenen Jesus herausgerissen worden war. In diesem Sinne können die Grundelemente des paulinischen Evangeliums von der Rechtfertigung der Sünder durch Gott im Christusgeschehen als ursprünglich und konstitutiv für seine Theologie angesehen werden, auch wenn sich ihre theologische Reflexion und terminologische Entfaltung erst den Herausforderungen und Auseinandersetzungen im Zusammenhang seiner Mission verdankt. 4.3 Israel in der paulinischen Theologie Ein wesentliches Ergebnis der Neubesinnung, die durch den jüdisch-christlichen Dialog angestoßen wurde, ist die Zuwendung zur Israelfrage bei Paulus. In der Auslegung des Römerbriefes hat das dazu geführt, dass die Kapitel 9– 11 heute durchgängig als wesentlicher Bestandteil der paulinischen Argumentation zur Gerechtigkeit Gottes angesehen werden, während sie lange Zeit als Exkurs, Digression (Abschweifung), situationsloser theologischer Traktat oder gar Interpolation betrachtet worden waren. 52 In der Tat zeigt sich, dass Paulus in Röm 9–11 nicht nur das in Kapitel 3 schon kurz angeschnittene Problem des „Überschusses“ der Juden wieder aufgreift (vgl. Röm 3,1–8) und nun ausführlich darstellt. Vielmehr erweist sich die Israelargumentation als zwingend notwendiges Element seiner Rechtfertigungslehre. Denn zur Debatte steht hier nicht lediglich das künftige Geschick Exemplarisch sei hier lediglich auf zwei Untersuchungen verwiesen: HANS-MARTIN LÜBKING, Paulus und Israel im Römerbrief. Eine Untersuchung zu Römer 9–11, EHS.T 260, Frankfurt/M. 1986; HANS HÜBNER, Gottes Ich und Israel. Zum Schriftgebrauch des Paulus in Römer 9–11, FRLANT 136, Göttingen 1984. Vgl. auch die ausführlichen Passagen zu Röm 9–11 in den Monographien von Sänger, Saß und Kraus (s. Anm. 34). 52
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Die paulinische Rechtfertigungslehre in der exegetischen Diskussion
der Juden, die nicht an Christus glauben, sondern vielmehr die Treue Gottes zu den Verheißungen an sein erwähltes Volk. Diese Treue Gottes zu seinen Heilszusagen ist aber wiederum unaufgebbarer Bestandteil der paulinischen Christusverkündigung. Wenn Gott nicht einmal seinen Verheißungen gegenüber seinem auserwählten Volk treu bliebe, wie sollten dann die Heiden Gewissheit über ihre Zugehörigkeit zum eschatologischen Heilsvolk durch Glauben an Christus erlangen können? Indem aber Gott seinem Volk treu bleibt auch über den Abgrund seines Unglaubens hinweg, erweist er seine Gerechtigkeit, setzt er sie endzeitlich in Kraft. Die endzeitliche Errettung ganz Israels durch Christus, den Gott vom Zion her als Retter wiederkommen lässt, um alle „Gottlosigkeit von Jakob abzuwenden“ und „ihre Sünden wegzunehmen“ (Röm 11,25ff.), ist also nicht ein ‚apokalyptischer Rest‘ innerhalb der paulinischen Theologie. Vielmehr ist sie erneuter Ausdruck und endzeitliches Ziel der Rechtfertigung des Gottlosen allein im Christusgeschehen, wie sie die Heiden schon bei ihrer Zuwendung zu Christus durch die paulinische Evangeliumsverkündigung im Glauben erfahren haben. Mit der Neubesinnung auf Israel innerhalb der paulinischen Theologie ist somit die Gottesfrage als Grund jeder theologischen Reflexion und deshalb auch der paulinischen Rechtfertigungslehre neu in den Blick gerückt. Wenn sich an den paulinischen Texten erweisen lässt, dass eschatologische Rettung im Christusgeschehen nicht an Israel vorbeigehen kann, gerade auch an dem nicht an Jesus Christus glaubenden Israel der Gegenwart, dann sind damit sowohl für die christliche Selbstreflexion als auch für das christlich-jüdische Gespräch zentrale Aufgaben neu gestellt. Israel, das Gottesvolk, kann dann nicht mehr als Paradigma für den religiösen Menschen an sich herhalten und damit in seinem geschichtlichen Weg und seiner heilsgeschichtlichen Identität missbraucht werden, sondern wird als Zeuge für den Glauben an den einen Gott, der seinem Volk durch alle Höhen und Tiefen der Geschichte hindurch die Treue hält, relevant für den christlichen Glauben. Israel kann aber ebenso wenig aus dem Handeln Gottes, das Christen in ihrer Zuwendung zu Christus als einzig-endzeitlich-gültig erfahren, ausgegrenzt und auf einen eigenen, anderen Heilsweg abgedrängt werden. Ebenso wenig wie die Kirche in ihrer Selbstbesinnung auf Christus an Israel vorbeigehen kann, kann Israel – aus der Perspektive des christlichen Glaubens geurteilt – in seiner Selbstbesinnung auf seinen Gott am Christusgeschehen vorbeigehen.
5. Das paulinische Evangelium im Horizont biblischer Theologie
5. Das paulinische Evangelium im Horizont biblischer Theologie Die Schärfe der Debatten um Paulus ist ein Indiz dafür, dass wir es mit einem Problem von hoher theologischer Relevanz zu tun haben. In den Kirchen der Reformation ist das Christuszeugnis des Neuen Testaments entscheidend von
5. Das paulinische Evangelium im Horizont biblischer Theologie
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der paulinischen Rechtfertigungstheologie her bestimmt worden. Wenn im Blick auf die paulinischen Rechtfertigungsaussagen auf Grund exegetischer Erkenntnisse gelegentlich die Forderung nach Sachkritik an Paulus erhoben wird, so berührt das die Mitte reformatorischer Theologie. Wie eng historische Ergebnisse und theologische Urteile in der Paulus-Exegese miteinander verknüpft sind, ist an der Frage nach dem Ursprung der paulinischen Rechtfertigungslehre sichtbar geworden. Ob sie Kernstück der paulinischen Theologie von ihrem Anfang bei Damaskus her ist oder ‚Kampfeslehre‘ angesichts spezieller Gefährdungen der paulinischen Heidenmission in einer ganz bestimmten Phase, ob sie zwingende soteriologische Konsequenz der Offenbarung des auferstandenen Gekreuzigten ist oder Ergebnis nachträglicher Reflexion angesichts ausbleibender Missionserfolge unter den Juden, ob sie konstitutiv für das Christusevangelium ist oder lediglich eine situationsbezogene Entfaltungsmöglichkeit neben anderen, dies alles sind exegetische Fragen mit erheblichen hermeneutischen Konsequenzen. Wir haben versucht, eine Antwort zu geben, welche die theologischen Grundlagen des paulinischen Evangeliums in seiner Berufung vor Damaskus und damit in einem Offenbarungsgeschehen verankert, gleichzeitig aber davon ausgeht, dass die Theologie des Paulus ihre sprachliche und argumentative Gestalt erst im Zuge der Erfahrungen seiner Mission, des kritischen Gesprächs mit seinen Gemeinden und der Auseinandersetzungen mit seinen Gegnern gefunden hat, die in andauernder Reflexion im Lichte der Schrift verarbeitet worden sind. Biblisch-frühjüdische Glaubensaussagen sind somit nicht nur zum Verständnis der paulinischen Aussagen unverzichtbar, sondern bilden einen konstitutiven Bestandteil seiner Verkündigung. Die Treue Gottes zu den Verheißungen an sein Volk Israel, von der das Alte Testament zeugt, eben seine „Gerechtigkeit“, ist nicht nur Modell oder Vorbild für die Gerechtigkeit Gottes, die im Christusgeschehen offenbar wird. Vielmehr gehört das Christusgeschehen selbst hinein in das Zeugnis von „Gesetz und Propheten“ (Röm 1,2; 3,21). Und umgekehrt offenbart sich in diesem Geschehen keine andere Gerechtigkeit als die des einen, seiner Verheißung gegenüber Israel treuen Gottes. Allerdings hat sich nach paulinischer Sicht dieser eine Gott Israels im Christusgeschehen neu und end-gültig (eschatologisch) offenbart. Das charakteristische Signal „nun aber“ (Röm 3,21) markiert eine Wende im geschichtlich erfahrbaren Handeln Gottes. Paulus definiert diese Wende nach zwei Seiten hin, einer christologischen und einer soteriologischen. Zunächst: Seine Verheißung der endzeitlichen Rettung Israels hat Gott nirgendwo anders als im Geschehen von Tod und Auferweckung Jesu wahrgemacht. In diesem Geschehen hat er eben diesen Jesus als den Messias erwiesen, seinen endzeitlichen Repräsentanten auf dem Thron Davids, seinen Sohn. Nicht der Glaube seiner Nachfolger vor und nach Ostern macht Jesus zum Messias, sondern Gott selbst erweist ihn durch den Kreuzestod und die Auferweckung von den Toten als Messias und gibt ihn als solchen dem christlichen Bekenntnis vor. Das ist die Erfahrung, die
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Die paulinische Rechtfertigungslehre in der exegetischen Diskussion
Paulus bei seiner Berufung selbst gemacht hat und die er den Adressaten seiner Verkündigung vorlegt. Die zweite Konsequenz, die den christlichen Glauben an den einen Gott Israels definiert, betrifft das Gesetz. Als Israelit konnte Paulus Gott und sein Gesetz niemals voneinander trennen. Das Neue, das er bei seiner Berufung erfahren hatte, betraf aber wenigstens in seinen Konsequenzen auch das Gesetz. Wenn wir annehmen können, dass die Ausrichtung der paulinischen Verkündigung auf die Heiden schon Bestandteil seiner Berufung war, dann musste sich die Frage nach der Rolle der Tora schon hier zwangsläufig stellen. Im Galater- und im Römerbrief entfaltet Paulus sie jedenfalls in der Weise, dass der Zugang zur endzeitlichen Heilsgemeinschaft nicht mehr über den Weg des Gesetzes führt, sondern über den des Glaubens. Diesen Weg hat nicht erst Paulus reflektierend entworfen und gebaut, sondern Gott selbst hat ihn im Christusgeschehen Paulus offenbart. Gerade darin und dadurch hat er sich als Gott nicht allein der Juden, sondern auch der Heiden erwiesen. Ein solches Verständnis des endzeitlich-neuen Handelns Gottes kann sich freilich nicht aus den Schriften Israels allein und aus Israels Glaubensüberlieferungen selbst ergeben, sondern nur und erst aus der Perspektive des Christusgeschehens auf sie. Wer nicht Gott im Christusgeschehen erfahren hat, kann auch die Schriften Israels nicht als Zeugnis dieses Geschehens lesen und verstehen. Dies ist die Perspektive der Juden, die in Jesus nicht den Messias, in dem Gekreuzigten nicht den von Gott auferweckten und als seinen Sohn erwiesenen endzeitlichen Repräsentanten erkennen. Paulus kann aber, ebenso wenig, wie er Gott und sein Gesetz voneinander trennen kann, Gott und das Christusgeschehen voneinander trennen. Deshalb muss er auch Juden gegenüber daran festhalten, dass der Weg in die endzeitliche Heilsgemeinschaft über Christus führt, nicht über das Gesetz. Das Evangelium, das der Heidenapostel Paulus verkündigt, gilt jedem, der glaubt, Juden und Heiden.
III Studien zum Römerbrief
Das Neue Testament im Kontext jüdisch-hellenistischer Literatur Röm 1,19–23 als Testfall Die neutestamentlichen Schriften gehören in den literatur- und religionsgeschichtlichen Zusammenhang des Hellenismus und des antiken Judentums. Sprache, Ethos und kulturelle Prägungen verbinden sie mit der religiösen Literatur der kaiserzeitlichen Koine, ihr Gottesverständnis und ihre eschatologische Orientierung mit der frühjüdisch-hellenistischen Literatur. Der folgende Beitrag stellt anhand eines Beispiels (Röm 1,19–23) Anliegen und Durchführung des Projekts Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti vor. Im Zusammenhang mit frühjüdischen Belegen zu Abraham als Modell rechter Gotteserkenntnis erscheint der erste Argumentationsschritt des Römerbriefes in neuem Licht. Abraham ist nach frühjüdischen Zeugnissen biblisches Vorbild für die Abkehr vom Götzendienst. Mit der impliziten Bezugnahme auf Abrahams Gottesverständnis unterstreicht Paulus seine Argumentation, wonach alle Menschen, Juden wie Heiden, unter dem Gerichtszorn Gottes stehen.
1. Zum Neuen Testament in religionsgeschichtlicher Perspektive
1. Zum Neuen Testament in religionsgeschichtlicher Perspektive Dass die neutestamentlichen Schriften nicht als Texte ‚eigener Natur‘ betrachtet oder als Offenbarungsquellen angesehen werden, die sich jeder geschichtlichen Einordung entziehen, ist seit der Zeit der Aufklärung zumindest für die wissenschaftliche Bibelexegese in der westeuropäischen (zunächst vornehmlich protestantischen, seit der Mitte des 20. Jh.s auch katholischen) Exegese Konsens. Die Frage, welchen Bereichen der antiken Religions- und Literaturgeschichte sie vornehmlich zugeordnet werden sollen, ist aber seither ganz unterschiedlich beantwortet worden. Man kann geradezu von Wellenbewegungen sprechen, wenn man nach den in der Forschung bevorzugten religionsgeschichtlichen Kontexten des Neuen Testaments fragt. Zu Zeiten des „alten“ Wettstein 1 war es die Gesamtheit der antiken griechischen Literatur, angefangen von den klassischen Dichtern und Philosophen über die Autoren der hellenistischen und römischen Zeit bis in die Spätantike und, ein wenig am Rande, JOHANN JAKOB WETTSTEIN, Novum Testamentum Graecum I–II, Amsterdam 1751, 1752 (Nachdruck Graz 1962). 1
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Das Neue Testament im Kontext jüdisch-hellenistischer Literatur
auch die biblische und jüdische Literatur. In der Religionsgeschichtlichen Schule an der Wende vom 19. zum 20. Jh. traten die paganen Quellen antiker Religion in römischer Zeit in den Mittelpunkt des Interesses, vom Mithraskult bis hin zu den Mysterienreligionen. 2 Dann begann die große Zeit der rabbinischen Quellen, die angeblich das Judentum zurzeit Jesu widerspiegelten, wofür das klassische Werk von Strack und Billerbeck steht. 3 Sie wurde nach der Entdeckung der Texte von Nag Hammadi abgelöst durch die Gnosis-Welle, die die spätantiken paganen Quellen, besonders die der platonisch-neuplatonischen Richtung, in den Blick rückte, 4 worauf die Entdeckung der Qumran-Texte wieder eine gewisse Gegenbewegung hin zu zeitgenössischen jüdischen Quellen einleitete. 5 Heute sind sich die meisten Bibelwissenschaftler darin einig, dass ein Entweder-oder zwischen jüdischen und paganen Texten als Referenzquellen für die neutestamentlichen Texte weder diesen noch den religionsgeschichtlichen Gegebenheiten gerecht wird, die bei der Exegese zu beachten sind. 6 Schon ihre Sprache macht sie zu Quellen des Hellenismus, aber ebenso eindeutig zwingt das in ihnen ausnahmslos vertretene Gottesverständnis dazu, sie religionsgeschichtlich dem antiken Judentum zuzuordnen. Eine einseitige Bevorzugung entweder der jüdischen oder der paganen Kontexte oder gar ihre Entgegensetzung kann nur zur Verengung des Blickwinkels und damit zu unsachgemäßen religionsgeschichtlichen Urteilen führen. Vielmehr ist, nicht zuletzt angesichts der immer umfangreicher zugänglichen Quellen, eine sinnvolle Arbeitsteilung nötig, um die religionsgeschichtlichen Zuordnungen im Blick auf einzelne neutestamentliche Texte mit der notwendigen Präzision und Tiefenschärfe vornehmen zu können. Dieser Überlegung folgt auch die Konzeption des Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (CJHNT). Exemplarisch steht dafür die Monographie von WILHELM BOUSSET, Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenaeus, FRLANT 21, Göttingen 1913. 3 HERMANN LEBERECHT STRACK/PAUL BILLERBECK, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, München 1926–1928 (Nachdruck 1956–1961). 4 Hierfür sei, wiederum nur exemplarisch, der Johannes-Kommentar von Bultmann genannt: RUDOLF BULTMANN, Das Evangelium des Johannes, KEK 2, Göttingen 1937–1941 (21/121986). 5 Besonders wirksam geworden ist im deutschen Sprachraum die zweisprachige Studienausgabe der Haupttexte von EDUARD LOHSE, Die Texte aus Qumran Hebräisch und Deutsch. Mit masoretischer Punktation, Übersetzung, Einführung und Anmerkungen, München 1964 (Darmstadt 41986). 6 Exemplarischer Ausdruck dafür ist die Neubearbeitung eines klassischen Lehrbuchs durch JENS SCHRÖTER und JÜRGEN K. ZANGENBERG (Hg.), Texte zur Umwelt des Neuen Testaments, UTB 3663, Tübingen 2013. Epochemachend für die Neubewertung der religionsgeschichtlichen Zusammenhänge des Frühjudentums war das Werk von MARTIN HENGEL, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jhs. v. Chr., WUNT 10, Tübingen 1969 (31988). 2
2. Zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti
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2. Zum Ansatz und Aufbau des Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti
2. Zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti Das CJHNT 7 konzentriert sich ausdrücklich auf Zeugnisse des griechischsprachigen Judentums in hellenistisch-römischer Zeit. Es folgt mit dieser Eingrenzung aber keiner religionsgeschichtlichen Präferenz, sondern allein pragmatischen Gesichtspunkten. Das Corpus der zu berücksichtigenden Quellen umfasst neben der Septuaginta und ihren Rezensionen, sofern sie als eigenständige Zeugnisse des hellenistischen Judentums angesehen werden können, die hellenistisch-jüdische Autorenliteratur (einschließlich der bei den Kirchenvätern überlieferten Fragmente), weiter die zahlreichen pseudonymen und anonymen frühjüdischen Schriften sowie die schwer eindeutig abzugrenzende Gruppe antiker paganer und christlicher Schriften, in denen Jüdisches überliefert ist, schließlich dokumentarische Quellen wie Inschriften, Papyri oder archäologische Befunde. 8 Dass die so ausgewählten antiken Belege nur eine Teilmenge der für das Verständnis des Neuen Testaments einschlägigen Quellen umfassen, wird ausdrücklich in Rechnung gestellt und kann bei der Interpretation einzelner Befunde gegebenenfalls auch thematisiert werden. Für die ausführliche Darbietung und Erschließung längerer Textauszüge beschränkt sich das Projekt aber auf jüdische Quellen und will auf diese Weise den für das Neue Testament zentralen Befund verdeutlichen, dass die frühesten Zeugnisse der christlichen Bewegung in den religionsgeschichtlichen Zusammenhang des antiken Judentums gehören.
7 Vgl. dazu ROLAND DEINES/KARL-WILHELM NIEBUHR, The Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti-Project: From the Past to the Future, Early Christianity 1, 2010, 633– 639; KARL-WILHELM NIEBUHR, Das Corpus Hellenisticum. Anmerkungen zur Geschichte eines Problems, in: WOLFGANG KRAUS/KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Frühjudentum und Neues Testament im Horizont biblischer Theologie. Mit einem Anhang zum Corpus JudaeoHellenisticum Novi Testamenti, WUNT 162, Tübingen 2003, 361–382; NIKOLAUS WALTER, Zur Chronik des Corpus Hellenisticum. Aus den Akten in Halle zusammengestellt (Halle 1955/58), mit Nachträgen Naumburg 1999, a.a.O., 325–344. – Ein weiterer bereits exemplarisch nach dem Modell des CJHNT behandelter Text aus dem Römerbrief ist Röm 5,11– 21, vgl. dazu meinen Aufsatz: Adam’s Sin and the Origin of Death: Paul’s Argument in Rom 5:12–14 in the Light of Jewish Texts from the Second Temple Period, in: Studies in Philo (FS G. Sterling), ed. DAVID T. RUNIA/MICHAEL B. COVER, StPhilo Annual 32, 2020, 205– 225 [in diesem Band 297–325]. 8 Eine Übersicht über die im CJHNT berücksichtigten literarischen Quellen (abgesehen von der Septuaginta) bieten die Abkürzungsverzeichnisse in den Konferenzbänden zu den CJHNT-Symposien, vgl. zuletzt MATTHIAS KONRADT/ESTHER SCHLÄPFER (Hg.), Anthropologie und Ethik im Frühjudentum und im Neuen Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen, Internationales Symposium in Verbindung mit dem Projekt Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (CJHNT) 17.–20. Mai 2012, Heidelberg, WUNT 322, Tübingen 2014, XI–XIX.
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Das Neue Testament im Kontext jüdisch-hellenistischer Literatur
Angesichts der großen Zahl frühjüdischer Quellen kann natürlich das für die Texte des Neuen Testaments einschlägige Material niemals vollständig erfasst werden. Trotzdem wird eine umfassende Berücksichtigung der betreffenden Quellenbereiche dadurch angestrebt, dass ein System der Belegauswahl entwickelt wurde, mit dem zumindest ein flächendeckender Überblick gewonnen werden kann. In einer „Belegstellenübersicht“ werden zunächst möglichst alle frühjüdischen Belege angeführt, die in der neutestamentlichen Forschung der vergangenen rund 100 Jahre zu der betreffenden NT-Stelle eine wichtige Rolle gespielt haben. Dazu werden eine Reihe von ‚ständigen Zeugen‘ für die betreffende neutestamentliche Schrift systematisch und vollständig ausgewertet, angefangen beim ‚alten‘ Wettstein über die Marginalien im Nestle-Aland 9 und im Neuen Wettstein 10 bis hin zu ausgewählten exegetischen Kommentaren (mindestens je ein älterer deutscher und englischer sowie die wichtigsten aktuellen). Hinzu kommen Belege, die durch eigene Recherchen der Bearbeiter des CJHNT erschlossen wurden. Außerdem werden gezielt ausgewählte Monographien aus der Sekundärliteratur zu einzelnen Stellen oder Quellen ausgewertet, die jeweils eigens bibliographisch nachgewiesen werden. Sodann folgt ein systematischer Durchgang durch die gesammelten Belegstellen mit dem Ziel, die für das Verständnis der neutestamentlichen Stelle wichtigsten Belege auszuwählen, die anschließend in Text und Übersetzung dargeboten werden. Dieser Arbeitsschritt ist besonders aufwändig und erfordert den höchsten Grad an Fachkompetenz, weil hier im Grunde die gesamte bisherige und aktuelle Forschung zu den frühjüdischen Schriften und der betreffenden NT-Stelle kritisch gesichtet werden muss, um zu begründeten Entscheidungen zu kommen. Freilich verspricht gerade dieser Arbeitsschritt auch den größten wissenschaftlichen Ertrag für die Interpretation der neutestamentlichen Texte. Es folgt das Kernstück des Projekts, die Präsentation der Textausschnitte aus frühjüdischen Quellen in der Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften. Geboten werden der griechische bzw. lateinische Originaltext (sofern vorhanden) nach den jeweils aktuellen Editionen, eine eigene Übersetzung der Bearbeiter (bzw. bei orientalischen Überlieferungssprachen in der Regel die aktuell maßgebliche Übersetzungsausgabe). Bei längeren Textzusammenhängen können gelegentlich auch nur Übersetzungen mit eingeschobenen originalsprachigen Wendungen geboten werden, aber in der Regel sollen die Textausschnitte komplett zweisprachig dargeboten werden. Zwischen Text und Übersetzung können bei Bedarf philologische Anmerkungen stehen, die den Zugang zum Originaltext erleichtern. Vor der Darbietung der Textauszüge steht jeweils eine knappe Erläuterung zum literarischen Kontext innerhalb der frühjüdischen Quelle, auf sie folgt eine kurze Interpretation des Textstücks mit Blick auf die Novum Testamentum Graece, hg. v. BARBARA und KURT ALAND u.a., Stuttgart 282012. Neuer Wettstein. Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus, hg. v. UDO SCHNELLE u.a., Berlin/New York 1996 ff. 9
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betreffende neutestamentliche Passage. Am Ende jedes Eintrags wird der Erkenntnisgewinn zusammengefasst, der sich aus der Heranziehung der präsentierten frühjüdischen Belege für das Verständnis der neutestamentlichen Stelle ergibt. Dieser Aufbau der einzelnen Einträge des CJHNT macht deutlich, dass es in dem Projekt um weit mehr geht als lediglich um eine Sammlung ausgewählter Belegstellen. Vielmehr soll im Einzelnen und im Ganzen mit hohem interpretativen Aufwand bei der Quellenerschließung deutlich gemacht werden, inwiefern die neutestamentlichen Schriften ‚eingebettet‘ sind in den religiösen, historischen und literarischen Zusammenhang des antiken Judentums und ohne ihn nicht sachgemäß verstanden werden können. Dieses Anliegen soll im Folgenden an einer Passage aus dem Römerbrief illustriert werden.
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3. Röm 1,19–23 als Testfall für das CJHNT 3.1 Zum argumentativen Kontext von Röm 1,16–2,29
Den Ausgangspunkt für die paulinische Argumentation im Römerbrief 11 bildet die in Röm 1,16 aufgebaute semantische Opposition Ἰουδαῖος (πρῶτον) – Ἕλλην. Mit ihr wird die gesamte Menschheit, wie Paulus sie nach biblischjüdischer Tradition begrifflich erfasst, in zwei (historisch-numerisch freilich ungleiche) Hälften unterteilt. Die semantischen Pole „Jude“ versus „Grieche“ werden zusammengehalten durch den Glauben, wie schon die inclusio πᾶς ὁ πιστεύων – ὁ δίκαιος ἐκ πίστεως in V. 17f. zeigt. Ziel des Argumentationsteils 1,16-2,29 ist die semantische Opposition in 2,28f.: ὁ ἐν τῷ φανερῷ Ἰουδαῖος – ὁ ἐν τῷ κρυπτῷ Ἰουδαῖος. Auch sie wird in einer übergeordneten Gemeinsamkeit ‚aufgehoben‘, nämlich in dem endzeitlichen Gerichtsurteil Gottes über den „im Verborgenen (als) Jude (Lebenden) und die Herzensbeschneidung im Geist“ (V. 29). Der semantische Gegensatz „Jude“ versus „Grieche“ aus 1,16 wird also durch die folgende Argumentation so qualifiziert, dass am Ende eine theologisch bestimmte Gemeinsamkeit zwischen beiden steht. Beide Seiten dieser semantischen Opposition kann Paulus auffälligerweise mit dem Wort „Jude“ bezeichnen. 12 11 Zur neueren Römerbriefauslegung sei hier pauschal auf die neuesten Kommentare verwiesen: MICHAEL WOLTER, Der Brief an die Römer, 2 Bde., EKK VI, Neukirchen-Vluyn/ Göttingen/Ostfildern 2014, 2019; ROBERT JEWETT, Romans. A Commentary, Hermeneia, Minneapolis 2007; EDUARD LOHSE, Der Brief an die Römer, KEK 4, Göttingen 2003; KLAUS HAACKER, Der Brief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Leipzig 1999 (52019). 12 Zu meiner Sicht auf Aufbau und Argumentation im Römerbrief vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik. Zwei paulinische Argumentationen (Röm 1,18–2,29; 8,1–30), in: KONRADT/SCHLÄPFER, Anthropologie und Ethik (Anm. 8), 139–161 [in diesem Band 275–295]; DERS., „Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6b).
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Angesichts dieser Zielrichtung der Argumentation und ihres Bezugs auf die aktuellen Veranlassungen der paulinischen Mission können auch die Aussagen zur rechten oder verfehlten Gotteserkenntnis aller Menschen in Röm 1,19–23 nicht als allgemeine Feststellungen im Sinne einer natürlichen Theologie verstanden werden. Paulus trifft sie vielmehr aus der Perspektive der Christusoffenbarung. Von hier aus benennt er die Möglichkeiten und die Wirklichkeit der Menschheit als einer Ganzheit von Gott geschaffener Wesen. Menschen können sich zwar prinzipiell für oder gegen Gottes Willen entscheiden, sie sind aber faktisch alle seinem „Zorn vom Himmel her über jegliche Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen“ unterworfen (1,18). 3.2 Gotteserkenntnis aller Menschen vor Abraham: Röm 1,19–23 im Kontext frühjüdisch-hellenistischer Literatur Die Argumentation des Paulus in Röm 1,16–2,29 ist also an der Einteilung der Menschheit in Juden und Nichtjuden orientiert. Beim Vergleich mit Texten aus dem Corpus der frühjüdischen Literatur verdienen daher solche Belege besondere Aufmerksamkeit, bei denen Polemik gegen pagane Religion und Aussagen zur Erkenntnis Gottes aus den Ordnungen der Natur mit der Frage nach der Identität des Volkes Israel verbunden sind. Damit kommt die biblische Abraham-Figur in den Blick, 13 denn Abraham steht an der Schnittstelle zwischen der universalen von Gott geschaffenen Menschheit seit Adam und ihrer Ausdifferenzierung in verschiedene Menschengruppen. Gegenüber stehen sich seit Abraham Menschen(-gruppen), die sich in Abirrung von ihrem Schöpfer sei-
Römer 9–11 als Zeugnis paulinischer Anthropologie, in: FLORIAN WILK/J. ROSS WAGNER (Hg.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11, WUNT 257, Tübingen 2010, 433–462 [in diesem Band 327–355]. 13 Zu Abraham in der frühjüdischen Überlieferung vgl. TERENCE L. DONALDSON, Paul, Abraham’s Gentile ‚Offspring,‘ and the Torah, in: SUSAN J. WENDEL/DAVID M. MILLER (Hg.), Torah Ethics and Early Christian Identity, Grand Rapids 2016, 135–150; BEATE EGO, Abraham im Judentum, in: CHRISTFRIED BÖTTRICH/BEATE EGO/FRIEDMANN EISSLER (Hg.), Abraham in Judentum, Christentum und Islam, Göttingen 2009, 29–40; FERDINAND HAHN, Die Gestalt Abrahams in der Sicht Philos, in: Zion – Ort der Begegnung (FS L. Klein), hg. v. FERDINAND HAHN u.a., Bodenheim 1993, 203–215; MATTHIAS KÖCKERT, Abraham. Ahnvater – Vorbild – Kultstifter, Biblische Gestalten 31, Leipzig 2017, 290–348; ANKE MÜHLING, „Blickt auf Abraham, euren Vater.“ Abraham als Identifikationsfigur des Judentums in der Zeit des Exils und des Zweiten Tempels, FRLANT 236, Göttingen 2011, 248–325; KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 93–95; ANNETTE YOSHIKO REED, Abraham as Chaldean Scientist and Father of the Jews: Josephus, Ant. 1.154–168, and the Greco-Roman Discourse about Astronomy/Astrology, JSJ 35, 2004, 119–157; FRIEDRICH EMANUEL WIESER, Die Abrahamvorstellungen im Neuen Testament, EHS 23, Bern u.a. 1987, 153–179.
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nen Geschöpfen mit religiöser Verehrung zugewandt haben, und das aus solcher Verirrung herausgerufene Gottesvolk Israel, dem die Verheißung gilt. Mit Abraham tritt nach der narrativen Chronologie der biblischen Überlieferung demnach derjenige in der Menschheitsgeschichte auf den Plan, der durch Erkenntnis des Schöpfers zur Einsicht in den fatalen Irrtum der Verehrung der Schöpfungswerke geführt wurde. 14 Schon in innerbiblischer Rezeption 15 wie auch in der außerbiblischen frühjüdischen Literatur wird die Abkehr Abrahams vom Götzendienst nicht nur in paränetischer Intention zur Abgrenzung von Nichtjuden vergegenwärtigt, sondern auch als nach innen gerichtete Warnung vor verfehlter, durch die Tora verbotener religiöser Praxis. Das Thema rechter Gotteserkenntnis im Gegensatz zur verfehlten Religion der Heiden wird in frühjüdischen Schriften nicht selten am Beispiel Abrahams entfaltet. 16 So erinnert nach LAB 23,5a Josua die versammelten Israeliten in der Form prophetischer Gottesrede an den Erzvater: „Und als die Bewohner der Erde verführt wurden, jeder einzelne hinter seinen Erwartungen her, glaubte Abraham mir und ließ sich nicht verführen mit ihnen.“ 17 Nach PseudOrph B 27–31 hat „jener Einziggeborene, weggerissen von fernher, aus dem Stamm der Chaldäer“, die Bewegungen des Himmelsgewölbes erkannt und dar-aus erschlossen, dass Gott „durch (seinen Schöpfer-)Geist Luft und Strömung umher [lenkt]“. 18 Ohne den Namen Abraham explizit zu nennen, stellt auch Sib 3,218–247 den Chaldäern „das Geschlecht der gerechtesten Männer“ Vgl. Gen 11,27–12,4. Vgl. Jdt 5,6–9. 16 Das Thema spielt bei Philon auch ohne unmittelbaren Bezug zu Abraham häufig eine Rolle: In LegAll 1,60f geht es um die richtige Gotteserkenntnis Adams im Paradies (unter Bezug auf den „Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen“, vgl. Gen 2,9), in Opif 8– 10 und LegAll 3,97–101 um die Gotteserkenntnis Moses im Gegensatz zu derjenigen der Philosophen, die behaupten, die Welt sei unerschaffen (vgl. ähnlich Conf 94–98; Fug 12). In Post 16–21 kommt zwar nach der Gotteserkenntnis des Mose (vgl. Ex 33,13) auch diejenige Abrahams in den Blick, der mit Hilfe seiner Vernunft wenigstens von ferne den „Ort“ geschaut hat (vgl. Gen 22,3f.; ähnlich Somn 1,65–67), aber dort fehlt der Gedanke der Abkehr von falscher Gotteserkenntnis (so auch in Somn 1,70 zu Abrahams Gotteserkenntnis nach Gen 18,33). In Ebr 107–110 reflektiert er grundsätzlich über den Götzendienst, der daraus entspringt, dass die Menschen den „Seienden“ verfehlt wahrnehmen, indem sie die mit den Sinnesorganen erblickten Weltkörper für die Ursache alles Werdenden halten. 17 Übersetzung nach CHRISTIAN DIETZFELBINGER, Pseudo-Philo: Antiquitates Biblicae (Liber Antiquitatum Biblicarum), JSHRZ II/2, Gütersloh 1979, 164. Vgl. Jos 24,2f. 18 Übersetzung nach NIKOLAUS WALTER, Pseudepigraphische jüdisch-hellenistische Dichtung: Pseudo-Phokylides, Pseudo-Orpheus, Gefälschte Verse auf Namen griechischer Dichter, JSHRZ IV/3, Gütersloh 1983, 238f. Vgl. auch PseudEupolHist Frg. 1,3f. von Abraham, „der an Adel und Weisheit alle übertroffen habe, der auch die Astrologie und die chaldäische Kunst erfunden und als Bahnbrecher der (wahren) Frömmigkeit bei Gott Wohlgefallen erlangt habe“ (Übersetzung nach NIKOLAUS WALTER, Fragmente jüdisch-hellenistischer Historiker, JSHRZ I/2, Gütersloh 1976, 141). 14 15
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gegenüber, die sich nicht mit Astrologie, Wahrsagerei und ähnlichen irreführenden Dingen befassen, welche „die unvernünftigen Menschen tagtäglich zu erforschen suchen“, sondern auf Gerechtigkeit und Tugend bedacht sind. 19 3.3 Präsentation ausgewählter Texte Auswahlkriterien für die im Folgenden präsentierten Texte sind also entsprechend der Argumentation in Röm 1,19–23 der Bezug auf Abraham, die mit ihm verbundene Thematik der Abkehr von verfehlter Religion und die in diesem Vorstellungszusammenhang implizierte Frage nach der Identität Israels im Gegenüber zu den Völkern. Die Reihenfolge der Texte folgt keiner chronologischen Ordnung, sondern einem sachlichen Kriterium: der zunehmenden philosophisch-theologischen Reflexion der Thematik, in welche die paulinische Argumentation in Röm 1 eingeordnet werden kann. Deshalb steht Philon am Schluss. a) Abrahams Abkehr vom Götzendienst seiner Vorfahren (Jub 12,2–7) Nach dem Jubiläenbuch begann schon der Knabe Abram, „den Irrtum der Erde zu erkennen, wie jeder hinter dem Götzen seiner Statue her irrte und hinter Gusswerken“. Deshalb trennte er sich von seinem Vater, um nicht selbst Götzen anzubeten (11,16). Lange bevor Abram auszog aus Haran nach Kanaan in das Land der Verheißung, um Stammvater Israels zu werden (vgl. 12,28; 13,1), hatte er nämlich schon erkannt, dass Götzen zu nichts nutze sind, „denn in ihnen ist kein Geist“ (12,3). Von dieser Einsicht ausgehend wendet sich Abram an seinen Vater: Und er sagte: „Welche Hilfe und Vorteil sind uns von diesen Götzen, die du verehrst und vor denen du niederfällst? 3Denn in ihnen ist kein Geist. Denn sie sind stumm, und ein Irrtum des Herzens sind sie. Verehrt sie nicht! 4Verehrt den Gott des Himmels, der Regen und Tau herabsteigen lässt auf die Erde und der alles auf der Erde macht und alles geschaffen hat durch sein Wort! Und alles Leben ist von seinem Antlitz. 5Weshalb verehrt ihr die, in denen kein Geist ist? Denn Werke von Händen sind sie, und auf euren Schultern tragt ihr sie. Und euch wird keine Hilfe von ihnen sein, sondern große Schande denen, die sie gemacht haben, und Irrtum des Herzens denen, die sie verehren. Und nun, Vater, verehrt sie nicht!“ 6 Und er (sc. Abrams Vater) sagte zu ihm: „Auch ich weiß es, mein Sohn. Was soll ich machen (mit) dem Volk, welche mir befohlen haben, vor ihnen (sc. den Götzen) zu dienen? 7 Und wenn ich ihnen die Wahrheit erzähle, werden sie mich töten. Denn ihnen folgt ihre Seele bei ihnen, dass sie sie verehren und sie loben.“ 20 2
Übersetzung nach HELMUT MERKEL, Sibyllinen, JSHRZ V/8, Gütersloh 1998, 1088. Am Beispiel der Niniviten erörtert dagegen PseudPhiloJona 1,20–23 das Problem, dass Gottes gute Schöpfungsgaben nicht mit dem Dank an den Schöpfer beantwortet werden. 20 Übersetzung nach KLAUS BERGER, Das Buch der Jubiläen, JSHRZ II/3, Gütersloh 1981, 391f. 19
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Mit dem Begriff „Geist“, der den Götzen abgesprochen und damit implizit allein dem Schöpfergott zugesprochen wird, erhält der Verweis auf die Schöpfungswerke Gottes (Himmel, Regen, Tau und alles auf der Erde) theologische Tiefe. Ebenso impliziert die Wendung: Gott, der „alles geschaffen hat durch sein Wort“, eine reflexive Verarbeitung der biblischen Schöpfungsberichte. b) Abrahams Zorn über den Götzendienst seines Vaters (ApkAbr 6,1–4) In der Apokalypse Abrahams wird in aller Ausführlichkeit und mit beißendem Spott erzählt, wie Abraham schon im Hause seines Vaters durch Beobachten, Nachsinnen, Bedenken alles dessen, was er an religiöser Praxis um sich herum erlebt, zur rechten Antwort auf die Frage geführt wird, „welcher … wirklich der starke Gott sei“ (1,1). Dies ist auch die Leitfrage der Schrift, die am Anfang ausdrücklich benannt und im Zuge der Erzählung zunächst narrativ (Kapitel 1– 6), dann revelatorisch (8–10), aber in Kapitel 7 auch reflektierend (‚philosophisch‘) beantwortet wird, indem die vier Weltelemente dem einen Schöpfer untergeordnet werden. 21 Dementsprechend will Abraham „den Gott suchen, der alles geschaffen hat, nicht die von uns erdachten Götter“ (7,6). Angesichts des durch nichts zu beirrenden Vertrauens seines Vaters auf die Macht der Götzen hatte Abraham ihn zuvor geradezu verzweifelt angesprochen: Ich aber, Abraham, als ich solche Worte meines Vaters hörte, lachte in meinem Geiste auf, und stöhnte in Bitternis (und) im Zorn meiner Seele. 2Und ich sprach: „Wie kann denn irgend etwas, das er selbst geschaffen hat, Götzenbilder, meinem Vater eine Hilfe sein? Soll denn der Leib seiner Seele unterworfen sein, und die Seele – dem Geist, (und) der Geist aber 22 – dem Wahnsinn (und) der Unwissenheit?“ 3Und ich sagte: „Es geziemt sich, einmal ihm meine Gedanken offen darzulegen.“ 4Ich antwortete (und) sprach: „Vater Tare, welchen dieser Götter du auch loben magst, so bist du doch unsinnig in deinem Denken.“ 23 1
Man beachte hier besonders die Verbindung von noetischen und emotionalen Ausdrücken zur Verstärkung der paränetischen Intention der Aussage. Gotteserkenntnis und Abkehr von den Götzen vollziehen sich in der Umkehr des Denkens und Empfindens, die zu einer erneuerten Lebenspraxis führen soll.
21 Vgl. die zahlreichen noetischen Ausdrücke, z.B. in 1,1 („da fragte ich mich“), 1,4 („ich dachte in meinem Geiste“), 2,7 („ich überlegte in meinem Herzen“), 3,2 („ich sprach in meinem Herzen“), 4,1 („und da ich so nachsann“), 5,1 („bedenkend“), 6,3 („ich werde meine Gedanken offen darlegen“). 22 Die auch in frühjüdischen Texten belegbare anthropologische Differenzierung in Leib, Seele und Geist (vgl. Weish 7,22; 8,19f.; PseudPhok 105–108) folgt platonischer Tradition, könnte aber auch Ergebnis einer byzantinischen Interpolation sein (so RYSZARD RUBINKIEWICZ, L’Apocalypse d’Abraham en vieux slave. Introduction, texte critique, traduction et commentaire, Lublin 1987, 115). 23 Übersetzung nach BELKIS PHILONENKO-SAYAR/MARC PHILONENKO , Die Apokalypse Abrahams, JSHRZ V/5, Gütersloh 1982, 425f.
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c) Abrahams Gotteserkenntnis aus der Schöpfung (Josephus, Ant 1,155f.) Auch nach Josephus, der hier wohl seiner Quelle PseudHekatHist II folgt, 24 verfügte Abraham schon vor seinem Auszug aus „Mesopotamien“ über hervorragende Urteilskraft und Tugend, die ihn dazu führten, sachgemäßere Gedanken als andere über Gott und die Tugend zu entwickeln. So war er der erste, der aus der Betrachtung der Schöpfung heraus in der Lage war, richtige Schlüsse zu ziehen, dass es nämlich nur einen Gott, den Schöpfer von allem, gebe und dass das Geschaffene nicht selbst Ursache seiner Erhaltung und Veränderung sei, sondern dem Befehl dessen unterworfen ist, dem allein Verehrung und Dankbarkeit zukommen. διὰ τοῦτο καὶ φρονεῖν μεῖζον ἐπ᾽ ἀρετῇ τῶν ἄλλων ἠργμένος καὶ τὴν περὶ τοῦ θεοῦ δόξαν, ἣν ἅπασι συνέβαινεν εἶναι, καινίσαι καὶ μεταβαλεῖν ἔγνω. πρῶτος οὖν τολμᾷ θεὸν ἀποφήνασθαι δημιουργὸν τῶν ὅλων ἕνα, τῶν δὲ λοιπῶν εἰ καί τι πρὸς εὐδαιμονίαν συντελεῖ κατὰ προσταγὴν τὴν τούτου παρέχειν ἕκαστον καὶ οὐ κατ᾽ οἰκείαν ἰσχύν. 156εἰκάζεται δὲ ταῦτα τοῖς γῆς καὶ θαλάσσης παθήμασι 25 τοῖς τε περὶ τὸν ἥλιον καὶ τὴν σελήνην καὶ πᾶσι τοῖς κατ᾽ οὐρανὸν 26 συμβαίνουσι. 155
Deshalb auch verstand er als erster, besser über die Tugend zu denken als die anderen und die Auffassung über Gott, in welcher alle übereingekommen waren, zu erneuern und zu verwandeln. Als erster wagte er es daher auszusprechen, dass Gott, der Schöpfer des Alls, Einer ist und dass, wenn irgendeiner von den übrigen etwas zum Wohlergehen vollbringe, dann (nur) nach dem Befehl, welchen dieser einem jeden erteilt hat, und nicht aus eigener Kraft. 156 Dies vermutete er aufgrund der Erscheinungen zu Lande und zu Wasser, welche sowohl mit der Sonne als auch mit dem Mond in Beziehung stehen, und von allem, was sich nach himmlischen Regeln zuträgt. 155
Die naturkundlichen Erkenntnisse Abrahams werden also bei Josephus, ähnlich wie bei Philon (s.u.), mit seiner Herkunft aus Chaldäa, dem Land der Astronomen, verbunden. 27
Vgl. Ant 1,159; ClemAl, Stromata V 113. Das Wort πάθημα im Plur. kann für Ereignisse oder Veränderungen (i.S. von bewirkten Vorgängen), u.a. bei Himmelskörpern, stehen. 26 Der Ausdruck κατ᾽ οὐρανόν ist vom Kontext her zu übersetzen: nach himmlischen Regeln. 27 Ähnlich sehen es PseudEupolHist Frg. 2: „Abramos aber, in der astrologischen Wissenschaft unterwiesen, sei zuerst nach Phönizien gekommen und habe die Phönizier die Astrologie gelehrt; später sei er nach Ägypten gelangt.“, und PseudOrph B 27–31: Abraham sei „weggerissen von fernher, aus dem Stamm der Chaldäer. Denn kundig war er des Umlaufs des Gestirns und des Himmelsgewölbes, wie es seine Bewegung rings um die Erde im Kreise vollzieht, abgerundet und (stets) gleichmäßig, gemäß seiner eigenen Achse. Durch (seinen Schöpfer-)Geist lenkt er Luft und Strömung umher.“ (vgl. auch PseudEupolHist Frg. 1,3f.). Hier werden zwar die Herkunft Abrahams aus Chaldäa und seine astronomischen Kenntnisse gewürdigt, nicht aber seine neue Gotteserkenntnis und seine Abkehr vom Götzendienst. 24 25
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d) Abrahams geistige Schau der Schöpfungswerke (Philon, Abr 60–88) Besonders lehrreich ist die Deutung, die Philon dem Herausgehen Abrahams aus seinem Vaterhaus in Abr 60–88 gibt. Schon vorab hatte er Abraham als „Sinnbild der durch Belehrung erworbenen Tugend“ (σύμβολον διδασκαλικῆς ἀρετῆς) bezeichnet und damit den philosophischen Charakter Abrahams gegenüber der „natürlichen“ (φυσικῆς) Tugend Isaaks und der „durch Übung erworbenen“ (ἀσκητικῆς) Jakobs herausgestellt (52). Abraham habe sich insbesondere dadurch ausgezeichnet, dass er nicht bloß die gesprochenen oder geschriebenen Befehle Gottes befolgte, sondern auch diejenigen, „die durch bestimmtere Zeichen der Natur offenbar gemacht worden sind“ (60). Den Auszug Abrahams deutet Philon allegorisch als Abkehr von der Astronomie der Chaldäer, die aus der Erforschung der Bewegungen der Gestirne ableiteten, „dass der Kosmos selbst Gott sei“, indem sie „das Gewordene dem gleichstellten, der es gemacht hat“ (69). Demgegenüber habe Abraham, der selbst in diesem Glauben herangewachsen war, wie aus tiefem Schlafe erwachend das Auge der Seele geöffnet und in dem von ihm geschauten reinen Lichtganz den Weltenlenker erkannt (70). Aus der Besinnung auf den unsichtbaren Nous, 28 der im Innern des Menschen herrscht und seine Sinne und Schritte lenkt, schließt Philon auf den ebenfalls unsichtbar (ἀόρατος) herrschenden König der Welt, der sie zusammenhält und gerecht über sie waltet. Damit kann der Mensch aus sich selbst erkennen, 29 dass die Welt nicht selbst höchster Gott ist, sondern Werk des höchsten Gottes und Allvaters, der unsichtbar ist, aber alles offenbart und „die natürlichen Eigenschaften der großen wie der kleinen Dinge an den Tag legt“. Nach weiteren philosophisch-theologischen Erörterungen schließt Philon den Gedankengang zur Auswanderung Abrahams aus der sinnlich wahrnehmbaren Welt ab und lobt den ‚geistigen‘ Abraham, der sein Denken nicht auf das sinnlich wahrnehmbare Sein richtete bzw. den „sichtbaren Kosmos“ für Gott hielt, sondern „noch eine andere Natur, eine bessere als die des Sichtbaren, nämlich eine ‚noetische‘ schaute“. 30 60 … λεκτέον δ᾽ ἑξῆς, ἐν οἷς ἕκαστος ἰδίᾳ προήνεγκεν, ἀπὸ τοῦ πρώτου τὴν ἀρχὴν λαβόντας. ἐκεῖνος τοίνυν εὐσεβείας, ἀρετῆς τῆς ἀνωτάτω καὶ μεγίστης, ζηλωτὴς γενόμενος ἐσπούδασεν ἕπεσθαι θεῷ καὶ καταπειθὴς εἶναι τοῖς προσταττομένοις ὑπ᾽ αὐτοῦ, προστάξεις ὑπολαμβάνων οὐ τὰς διὰ φωνῆς καὶ γραμμάτων μηνυομένας αὐτὸ μόνον, ἀλλὰ καὶ τὰς διὰ τῆς φύσεως τρανοτέροις 31 σημείοις δηλουμένας, ἃς ἡ ἀληθεστάτη τῶν αἰσθήσεων πρὸ ἀκοῆς τῆς ἀπίστου καὶ ἀβεβαίου καταλαμβάνει. 61 θεώμενος γάρ τις τὴν ἐν τῇ φύσει τάξιν καὶ τὴν παντὸς λόγου κρείττονα πολιτείαν, ᾗ χρῆται ὁ κόσμος, ἀναδιδάσκεται φθεγγομένου μηδενός, εὔνομον καὶ εἰρηνικὸν
Vgl. Abr 73: νοῦς ἀόρατος, 74: νοῦς ἡγεμὼν ἐπιτεταγμένος. Vgl. Abr 75: ἀναδιδασκόμενος ἔκ τε ἑαυτοῦ. 30 Abr 88; vgl. ähnliche, aber kürzere Interpretationen in Her 97–99; Virt 212–215. 31 Dat. plur. komp. τρανοτέροις von τρανής = poet.: bestimmt. 28 29
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βίον ἐπιτηδεύειν εἰς τὴν τῶν καλῶν ἐξομοίωσιν 32 ἀποβλέποντα 33. ἐναργέσταται δὲ τῆς εὐσεβείας ἀποδείξεις εἰσίν, ἃς περιέχουσιν αἱ ἱεραὶ γραφαί· πρώτην δὲ λεκτέον, ἣ καὶ πρώτη τέτακται. … Es ist nun der Reihe nach darüber zu reden, worin ein jeder sich besonders hervortat, und wir beginnen mit dem ersten (sc. Abraham). Jener also, der zum äußerst eifrigen Anhänger höchster und größter Tugend, der Frömmigkeit nämlich, geworden war, bemühte sich außerordentlich darum, Gott nachzufolgen und seinen Anordnungen gehorsam zu sein. Er nahm nicht allein diejenigen Befehle auf, die durch eine Stimme oder Buchstaben verkündigt worden sind, sondern auch solche, die durch bestimmtere Zeichen der Natur offenbar gemacht worden sind, welche die wahrhaftigste der Sinneswahrnehmungen (sc. das Auge) eher ergreift als das Gehör eines Unzuverlässigen und Ungefestigten (sc. Menschen). 61Wer nämlich die Ordnung der Natur anschaut und die jeder sprachlichen Beschreibung überlegene Verfassung, derer sich der Kosmos bedient, der wird belehrt, ohne von jemandem Laute zu vernehmen, einen wohlgeordneten und friedlichen Lebenswandel zu pflegen, indem er hinblickt auf die Nachahmung des Schönen. Am einleuchtendsten aber sind die Beweise der Frömmigkeit, welche die heiligen Schriften enthalten; zuerst ist ja anzusprechen, was auch am Anfang steht.
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Am Ende könnte Philon auf die Schöpfungsberichte zu Beginn der Genesis anspielen, die der Sinai-Gesetzgebung voranstehen. Damit wäre, ähnlich wie bei Paulus, eine der biblischen Chronologie folgende und mit der Stellung Abrahams verbundene Überordnung der universalen Schöpfungsordnung gegenüber der geschriebenen Mosetora impliziert. Philon entwickelt diesen Gedanken allerdings aus dem Unterschied bzw. der Hierarchie zwischen Sehen (= Betrachten der Schöpfungswerke) und Hören (= Annehmen der Gebote der Tora). 69 Χαλδαῖοι γὰρ ἐν τοῖς μάλιστα διαπονήσαντες ἀστρονομίαν … τὸν κόσμον αὐτὸν ὑπέλαβον εἶναι θεόν, οὐκ εὐαγῶς 34 τὸ γενόμενον ἐξομοιώσαντες τῷ πεποιηκότι. 70 ταύτῃ τοι τῇ δόξῃ συντραφεὶς καὶ χαλδαΐσας 35 μακρόν τινα χρόνον, ὥσπερ ἐκ βαθέος ὕπνου διοίξας τὸ τῆς ψυχῆς ὄμμα καὶ καθαρὰν αὐγὴν ἀντὶ σκότους βαθέος βλέπειν ἀρξάμενος ἠκολούθησε τῷ φέγγει 36 καὶ κατεῖδεν, ὃ μὴ πρότερον ἐθεάσατο, τοῦ κόσμου τινὰ ἡνίοχον καὶ κυβερνήτην ἐφεστῶτα καὶ σωτηρίως εὐθύνοντα τὸ οἰκεῖον ἔργον, ἐπιμέλειάν τε καὶ προστασίαν καὶ τῶν ἐν αὐτῷ μερῶν ὅσα θείας ἐπάξια φροντίδος ποιούμενον 37.
Das Wort ἐξομοίωσις bedeutet hier „Anpassung“, „werden wie“, in Opif 18 auch „Vorbild“ (dort vom guten Demiurgen, der auf die unkörperlichen Ideen blickend die körperlichen Schöpfungswerke herstellt). 33 Der AcP ἀποβλέποντα ist abhängig von ἐπιτηδεύειν und mit diesem gemeinsam von ἀναδιδάσκεται. 34 Das Wort εὐαγής kann „rein“, „heilig“ im Sinne von frei von Blutschuld bedeuten (bes. in religiösen Kontexten). 35 Zu χαλδαΐζειν vgl. bei Paulus ἰουδαΐζειν (Gal 2,14). 36 Das Wort φέγγος ist Synonym zu φῶς. 37 Die Wendung ἐπιμέλειάν τε καὶ προστασίαν ist zu ποιούμενον zu ziehen. 32
3. Röm 1,19–23 als Testfall für das CJHNT
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Die Chaldäer nämlich betrieben zumeist Astronomie … Sie nahmen an, dass der Kosmos selbst Gott sei, indem sie unfromm das Gewordene dem gleichstellten, der es gemacht hat. 70 Nachdem er (sc. Abraham) in solch einer Meinung erzogen worden war und eine Zeit lang selbst chaldäisiert hatte, öffnete er wie aus tiefem Schlaf kommend das Auge der Seele. Und indem er begann, reinen Lichtglanz anstelle von tiefer Finsternis zu sehen, folgte er dem Licht und verstand, was er vorher nicht geschaut hatte, den Wagenlenker des Kosmos und Steuermann, der sein eigenes Werk beherrscht und heilsam lenkt, indem er Fürsorge und Leitung übt auch gegenüber denjenigen Teilen in ihm (sc. seinem Werk), welche göttlicher Besorgnis würdig sind. 69
Auch hier betont Philon die Wahrnehmung mit Hilfe des Auges als des noetischen Organs der Seele. 38 Solch vertieftes, verstehendes Schauen übertrifft die bloß sinnliche Wahrnehmung der Schöpfungswerke. 39 ταῦτά τις ἐπιλογιζόμενος καὶ οὐ πόρρωθεν ἀλλ᾽ ἐγγύθεν ἀναδιδασκόμενος ἔκ τε ἑαυτοῦ καὶ τῶν περὶ αὑτὸν εἴσεται 40 σαφῶς, ὅτι ὁ κόσμος οὐκ ἔστιν ὁ πρῶτος θεός, ἀλλ᾽ ἔργον τοῦ πρώτου θεοῦ καὶ τοῦ συμπάντων πατρός, ὃς ἀειδὴς ὢν πάντα φαίνει μικρῶν τε αὖ καὶ μεγάλων διαδεικνὺς τὰς φύσεις 41. 75
Wer dieses erwägt und sich nicht von Fernliegendem belehren lässt, sondern vom Nächstliegenden, nämlich von sich selbst und dem, was um ihn her ist, wird sichergehen, dass der Kosmos nicht der erste Gott ist, sondern Werk des ersten Gottes und Vaters des Ganzen, 42 der, selbst unsichtbar, alles ans Licht bringt, indem er die natürlichen Eigenschaften der großen wie der kleinen Dinge an den Tag legt. 75
88 ἑκατέραν οὖν ἀπόδοσιν 43 πεποιημένοι … ἀξιέραστον καὶ τὸν ἄνδρα καὶ τὸν νοῦν 44 ἀπεφήναμεν, τὸν μὲν πεισθέντα λογίοις ἐκ δυσαποσπάστων 45 ἀφελκυσθέντα, τὸν δὲ νοῦν, ὅτι οὐ μέχρι παντὸς ἀπατηθεὶς ἐπὶ τῆς αἰσθητῆς οὐσίας ἔστη τὸν ὁρατὸν κόσμον ὑπολαβὼν μέγιστον καὶ πρῶτον εἶναι θεόν, ἀλλὰ ἀναδραμὼν τῷ λογισμῷ φύσιν ἑτέραν ἀμείνω τῆς ὁρατῆς νοητὴν ἐθεάσατο καὶ τὸν ἀμφοῖν ποιητὴν ὁμοῦ καὶ ἡγεμόνα.
Indem wir nun jeder von beiden Seiten (sc. dem literalen und dem allegorischen Sinn der Abraham-Geschichte) Tribut gezollt haben, … haben wir ausgesprochen, dass sowohl der Mann als auch der Nous liebenswürdig sind, der eine nämlich, weil er den Worten gehorsam sich losriss von schwer abzuwerfenden (Fesseln), der Nous aber, weil er nicht für immer
88
Zu ψυχῆς ὄμμα vgl. Opif 4f. Mit dem Gegensatz zwischen Licht und Finsternis dürfte Philon wieder auf die Schöpfungsgeschichte anspielen (vgl. Gen 1,2–4), wie aus Opif 30–35 noch klarer hervorgeht. 40 Die Form εἴσεται ist 3. Pers. Fut. mask. von εἶμι = gehen. 41 Der Plural φύσεις meint „natürliche Eigenschaften“. 42 Zur Wendung „erster Gott und Vater des Ganzen“ vgl. Opif 10: „Denn dass der Vater und Schöpfer sich um das Geschaffene kümmert, erfasst die Vernunft.“ Es handelt sich um eine platonische Wendung (vgl. Platon, Tim. 28c, sowie den Zeus-Hymnus des Kleanthes, V. 34). 43 Das Wort ἀπόδοσις kann „Bezahlung“ bedeuten. 44 Das Wort ἀνήρ bezeichnet hier den literalen Sinn der Abraham-Figur, das Wort νοῦς den allegorischen. 45 Das Wort δυσαπόσπαστος kommt von ἀποσπάω = wegreißen. 38 39
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Das Neue Testament im Kontext jüdisch-hellenistischer Literatur
getäuscht bei dem sinnlich wahrnehmbaren Sein stehen blieb und den sichtbaren Kosmos für den größten und ersten Gott hielt, sondern im Denken aufstieg und eine andere Natur, vorzüglicher als die des Sichtbaren, nämlich eine geistige schaute und den Schöpfer und Beherrscher beider zugleich.
Hier wird das Sehen selbst noch einmal hierarchisch gegliedert in Sinne der Unterscheidung zwischen dem sinnlich Wahrnehmbaren (ἀπατηθεὶς ἐπὶ τῆς αἰσθητῆς οὐσίας) und dem noetisch Geschauten (νοητὴν [φύσιν] ἐθεάσατο).
4. Zusammenfassung zum Befund in der frühjüdischen Literatur
4. Zusammenfassung zum Befund in der frühjüdischen Literatur Gotteserkenntnis wird in der frühjüdischen Literatur zunehmend als Problem der Reflexion aufgrund von Wahrnehmungen dessen, was wir Natur nennen, diskutiert. Solche Naturwahrnehmung ist in den frühjüdischen Texten immer mit der Frage nach Gott, dem Schöpfer verbunden. Der Schöpfer des wahrnehmbaren Universums und der Menschheit ist für Juden zugleich der Gott Israels, der in der Tora seinen Willen für sein Volk festgelegt hat. Die Tora kann daher nicht im Widerspruch zur Schöpfung stehen, sondern die Schöpfung wird umgekehrt zum umfassenden und einleuchtenden Paradigma für die Tora. Damit tritt zu dem religiösen Interesse am Ursprung des Kosmos die Frage nach der rechten oder falschen religiösen Praxis in Abgrenzung von verfehlter Gotteserkenntnis und daraus folgender verfehlter religiöser und ethischer Praxis der Heiden. Sie wird exemplarisch an der biblischen Abrahamgestalt thematisiert. Abraham ist das biblische Vorbild für die Abkehr vom Götzendienst und die Zuwendung zum Gott Israels. Diese Linie der frühjüdischen Auslegung von Gen 11,27–12,4 prägt auch die Interpretation der Abrahamgestalt bei den Kirchenvätern; sie sehen in ihm, dem ehemaligen Götzendiener, den ersten Verehrer des wahren Gottes. 46 Darüber hinaus wird an Abraham zunehmend das Nachdenken über die Ordnungen der Schöpfung und die Möglichkeiten des Menschen, diese zu erkennen, thematisiert. Finden sich solche reflektierenden Aspekte auch schon in narrativen Texten, so werden sie erst bei Philon und Josephus zu einem zentralen Gegenstand der Rezeption der biblischen Abraham-Überlieferung.
Vgl. dazu THERESIA HEITHER/CHRISTIANA REEMTS, Biblische Gestalten bei den Kirchenvätern. Abraham, Münster 2005, 244–248. 46
5. Auswertung für die Interpretation von Röm 1,19–23
5. Auswertung für die Interpretation von Röm 1,19–23
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5. Auswertung für die Interpretation von Röm 1,19–23 Paulus baut im Rahmen seiner aktuellen Aussageabsicht seine Argumentation zur Situation des Menschen vor Gott auf biblisch-frühjüdischen Traditionen auf. Aktuell steht für ihn die Differenzierung zwischen Beschnittenen und Unbeschnittenen in der endzeitlichen Gemeinde Gottes im Blickpunkt. Das Unterworfensein der gesamten Menschheit vor und bis zu Abraham unter Gottes Willen, aber auch die prinzipielle Möglichkeit, Gottes Willen zu erkennen, bilden die argumentative Basis für die Gemeinsamkeit von Juden („zuerst“!) und Nichtjuden mit Blick auf Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit angesichts der Christus-Offenbarung (vgl. Röm 1,16–18). Auf die Christus-Offenbarung als Basis des Glaubens für Juden und Nichtjuden zielt die Argumentation des ersten Hauptteils im Römerbrief. Abraham steht damit, wie sich aus den herangezogenen frühjüdischen Texten nahelegt, schon in Röm 1,18–32 implizit im Hintergrund der paulinischen Argumentation, und zwar als Repräsentant der durch Gotteserkenntnis zum Willen Gottes geführten Menschheit, die freilich Gottes Willen dennoch nicht tut. Damit ist Abraham im Sinne des frühjüdischen Abraham-Bildes schon in der Argumentation von Röm 1 verborgen präsent, auch wenn Paulus ihn erst ab Röm 4,1 als „Abraham, unseren Vorvater“, ausdrücklich hervortreten lässt. Das Urteil des Paulus über verfehlte Gotteserkenntnis und daraus resultierende verfehlte religiöse Praxis trifft nach Röm 1,18–2,29 demnach alle Menschen, Juden wie Nichtjuden, während das Besondere der Juden ab Röm 3,1 näher in den Blick kommt.
Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik Zwei paulinische Argumentationen (Röm 1,18–2,29; 8,1–30) Anthropologie und Ethik in ihren Zusammenhängen bildeten den thematischen Schwerpunkt eines Heidelberger Symposiums des Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti. Frühjüdische und neutestamentliche Textzusammenhänge zu diesem Themenfeld sollten in wechselseitiger Wahrnehmung erschlossen werden. Mit diesem Ansatz knüpfte man bei früheren Symposien und Arbeitsphasen des CJHNT an, die bereits zu ersten Ergebnissen geführt haben. 1 Im Blick auf das spezifische Thema von Anthropologie und Ethik scheint mir allerdings eine Ausweitung und auch eine gewisse Modifikation des bisherigen Ansatzes, der sich mit dem Stichwort „wechselseitige Wahrnehmungen“ verbindet, geboten. Zu den biblisch-frühjüdischen und den neutestamentlichen Perspektiven auf den Zusammenhang zwischen Anthropologie und Ethik sollte in diesem Fall auch die Perspektive der griechischen Philosophie in hellenistisch-römischer Zeit hinzutreten. Das liegt zum einen in der Natur der Sache, wenn es um antike Menschenbilder in ihren Kontexten und um Reflexionen und Impulse zum Handeln gehen soll. Es legt sich zum andern aber noch einmal besonders mit Blick auf die paulinischen Texte zum Thema nahe. Das spezifische Profil der Aussagen des Paulus zu Anthropologie und Ethik ergibt sich zwar primär aus seinem Verständnis des Christusgeschehens. Dieses Profil prägt sich aber sprachlich und gedanklich aus, indem Paulus seine anthropologischen und ethischen Positionen angesichts situativer Herausforderungen seiner Missionspraxis auf der Basis biblisch-jüdischer Vorgaben mit
1 Vgl. die bisher erschienenen Bände der CJHNT-Symposien: ROLAND DEINES/KARLWILHELM NIEBUHR (Hg.), Philo und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. I. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum 1.–4. Mai 2003, Eisenach/Jena, WUNT 172, Tübingen 2004; CHRISTFRIED BÖTTRICH/JENS HERZER (Hg.), Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. II. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum, 25.–28. Mai 2006, Greifswald, WUNT 209, Tübingen 2007; ROLAND DEINES/JENS HERZER/KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Neues Testament und hellenistisch-jüdische Alltagskultur. Wechselseitige Wahrnehmungen. III. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti 21.–24. Mai 2009, Leipzig, WUNT 274, Tübingen 2011; s.a. JENS HERZER (Hg.), Papyrologie und Exegese. Die Auslegung des Neuen Testaments im Licht der Papyri, WUNT II/341, Tübingen 2012.
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Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik
den Mitteln und mit Bezug auf Topoi griechisch-römischer Popularphilosophie zur Sprache bringt, zuweilen auch in deren Terminologie. 2
1. Mose-Tora und Naturgesetz als Basis frühjüdischer Anthropologie und Ethik
1. Mose-Tora und Naturgesetz Für die stoische und die platonische Ethik, die seit der Neukonstitution der Akademie in der ersten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. faktisch kaum noch voneinander unterschieden werden können, ist der Grundsatz maßgeblich, dass rechtes Tun auf rechter Erkenntnis der Zusammenhänge zwischen dem Göttlichen, dem Menschen und der Natur beruht, unabhängig davon, wie man im Einzelnen diese Zusammenhänge in der Physik, der philosophischen Theologie oder der Ethik definiert. 3 Aber im hellenistischen Frühjudentum bilden Ethik und Anthropologie nicht weniger einen Zusammenhang als im Rahmen stoischer und platonischer Reflexionen in hellenistisch-römischer Zeit. Schon die frühjüdische Paränese lebt davon, dass materiale ethische Forderungen nicht bloß in der Sinai-Offenbarung verankert und mit Geboten der Mose-Tora identifiziert werden, sondern auch als durch Gott in seine Schöpfung eingestiftet erscheinen. 4 Tora und Schöpfung konnten so als hilfreiche Lebensordnungen für den Menschen wahrgenommen werden. Ethische Grundsätze, die in der SinaiGesetzgebung schriftlich fixiert vorlagen und von daher als Tora des Mose überliefert wurden, beanspruchten nicht allein für Israel Geltung, sondern waren der Sache nach schon von Adam her für die gesamte Menschheit erkennbar und normativ. Sie konnten und mussten also nicht nur von Juden, sondern von allen Menschen beachtet werden.
Die philosophischen Kontexte und Hintergründe paulinischer Theologie werden in jüngerer Zeit wieder stärker wahrgenommen und analysiert, vgl. nur TROELS ENGBERG-PEDERSEN, Paul and the Stoics, Edinburgh 2000; GEORGE H. VAN KOOTEN, Paul’s Anthropology in Context. The Image of God, Assimilation to God, and Tripartite Man in Ancient Judaism, Ancient Philosophy and Early Christianity, WUNT 232, Tübingen 2008; NIKO HUTTUNEN, Paul and Epictetus on Law. A Comparison, London 2009; RUNAR M. THORSTEINSSON, Roman Christianity and Roman Stoicism. A Comparative Study of Ancient Morality, Oxford 2010. 3 MAXIMILIAN FORSCHNER, Die stoische Ethik. Über den Zusammenhang von Natur-, Sprach- und Moralphilosophie im altstoischen System, Darmstadt 21995, 30–42.123– 141.160–211; HANS-JOSEF KLAUCK, Die religiöse Umwelt des Urchristentums II. Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie, Gnosis, Stuttgart 1996, 77–107. 4 KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987; MAX KÜCHLER, Frühjüdische Weisheitstraditionen. Zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Bereich des frühjüdischen Jahweglaubens, OBO 26, Freiburg, Schweiz/Göttingen 1979. 2
1. Mose-Tora und Naturgesetz
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Am deutlichsten reflektiert tritt dieser Zusammenhang von Sinai-Tora und Naturgesetz im Frühjudentum bei Philon von Alexandrien zu Tage. 5 Gleich zu Beginn seiner groß angelegten Expositio legis verankert Philon das Gesetz des Mose explizit in der Weltschöpfung, wenn er betont, dass „sowohl die Welt mit dem Gesetz als auch das Gesetz mit der Welt im Einklang steht (ὡς καὶ τοῦ κόσμου τῷ νόμῳ καὶ τοῦ νόμου τῷ κόσμῳ συνᾄδοντος) und dass der gesetzestreue Mann ohne weiteres ein Weltbürger (κοσμοπολίτης) ist, da er seine Handlungsweise nach dem Willen der Natur (πρὸς τὸ βούλημα τῆς φύσεως) regelt, nach dem auch die ganze Welt gelenkt wird“ (Opif 3). 6 Offenkundig greift Philon hier Topoi auf, die in der philosophischen Ethik seiner Zeit populär waren. So ist nach stoischer Auffassung der Kosmos vom Logos durchwaltet. Der Mensch hat die Aufgabe, der Natur entsprechend zu leben, wobei er seine Vernunft gebrauchen soll, um die ungeschriebenen Gesetze der Natur zu erkennen. 7 In dem Gedanken, dass die Natur als kosmische Ordnung normative Bedeutung für menschliches Denken und Verhalten hat, verbinden sich stoische Ethik und platonische Metaphysik. Diese Mixtur, die sich über Cicero schon auf den Platoniker Antiochus von Askalon, den Wiederbegründer der platonischen Akademie zu Beginn des 1. Jh. v. Chr., zurückführen lässt, firmiert in der jüngeren Philosophiegeschichtsschreibung unter dem Begriff „Mittelplatonismus“. 8 Im Unterschied zu dieser griechisch-philosophischen Tradition stellt Philon allerdings die Gesetze der Natur nicht in einen Gegensatz zu den geschriebenen Geboten des Volkes Israel, der Tora also, sondern betont gerade die Harmonie zwischen beiden. Das Mosegesetz ist sozusagen Abschrift des Naturgesetzes und lässt sich nicht nur in der geschriebenen Tora des Mose, sondern etwa auch am tugendhaften Leben der Patriarchen Israels ablesen. Sie können gewissermaßen als personifiziertes Naturgesetz angesehen werden, als „Ahnen unseres Volkes und gleichsam als Verkörperungen ungeschriebener Gesetze“ (ἀρχηγέτας τοῦ ἡμετέρου ἔθνους καὶ νόμους ἀγράφους, Decal 1) bzw. als „beseelte und vernünftige Gesetze“ (ἔμψυχοι καὶ λογικοὶ νόμοι, Abr 5; vgl. 275f.). 9 Von hier aus kann dann auch Mose Vgl. dazu ausführlicher KARL-WILHELM NIEBUHR, Art. Nomos. B. Jüdisch, C. Neues Testament, RAC 25, 2013, 1006–1061 (erweitert: DERS., Die Tora im Alten Testament und im Frühjudentum [in Tora und Weisheit 15–100: 61–65]). 6 Zum Leben gemäß der Natur bei Philon vgl. auch VitMos 2,48. 7 MATTHIAS KONRADT, Tora und Naturgesetz. Interpretatio graeca und universaler Geltungsanspruch der Mosetora bei Philo von Alexandrien, in: DERS., RAINER CHRISTOPH SCHWINGES (Hg.), Juden in ihrer Umwelt. Akkulturation des Judentums in Antike und Mittelalter, Basel 2009, 87–112; HINDY NAJMAN, The Law of Nature and the Authority of Mosaic Law, StPhilo 11, 1999, 55–73. 8 JOHN DILLON, The Middle Platonists. A Study of Platonism 80 B.C. to A.D. 220, London 1996. 9 HINDY NAJMAN, A Written Copy of the Law of Nature: An Unthinkable Paradox?, StPhilo 15, 2003, 54–63. 5
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Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik
selbst als νόμος ἔμψυχος (VitMos 1,162) und Verkörperung aller Tugenden (VitMos 2,8–11) erscheinen. Nicht nur der philosophisch gebildete Philon, sondern auch der Historiker Flavius Josephus und weitere hellenistisch-jüdische Autoren gingen mehr oder weniger explizit von einer sachlichen Identität zwischen den materialen ethischen Forderungen der Tora und den Grundsätzen griechischer Moralphilosophie aus, gerade auch wenn sie auf diesem Hintergrund den besonderen Wert der jüdischen „Verfassung“ gegenüber nichtjüdischen Staatsordnungen herausstreichen wollten. 10 So begründet Josephus im Proömium zu den Antiquitates (Ant 1,1–26) mit grundsätzlichen Erwägungen zum Verhältnis von Gott, Natur und Gesetz, warum er – entsprechend seiner biblischen Vorlage – der Darstellung der jüdischen „Altertumskunde und Staatsverfassung“ (ἀρχαιολογία καὶ διάταξις τοῦ πολιτεύματος, 5) eine „Naturgeschichte“ (φυσιολογία, 18) voranstellt. Wer sein Leben selbst gut führen und andern Gesetze geben wolle, müsse (wie Mose zu Beginn der Genesis) zuerst Gottes Natur betrachten (θεοῦ πρῶτον φύσιν κατανοῆσαι, 19) und dann Gottes Werke für seinen eigenen Lebenswandel zum Vorbild nehmen. Philosophische Topoi zur Begründung von Torageboten finden sich in zahlreichen weiteren frühjüdischen Schriften wie etwa bei Aristobulos, im Aristeasbrief, in der Sapientia Salomonis, im 4. Makkabäerbuch oder bei PseudoPhokylides. 11 Ein Grundgedanke, der allerdings selten so systematisch entfaltet wird wie bei Philon oder Josephus, ist dabei die Überzeugung, dass in der Ordnung der Schöpfung ein für alle Völker und Menschen geltendes „Naturgesetz“ verankert ist, das mit dem Mosegesetz der Sache nach übereinstimmt. 12 Theologische Basis für die Akzeptanz dieses Naturgesetzes ist der Glaube, dass allein der Gott Israels Schöpfer des Universums und Gesetzgeber für alle Menschen ist. 13 Wenn also die Zusammenhänge zwischen Anthropologie und Ethik bei Paulus näher in den Blick genommen werden sollen und dabei in Rechnung zu
Vgl. dazu NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 4), 44–72; KARL-WILHELM NIEBUHR, Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora, in: MATTHIAS KONRADT/ULRIKE STEINERT (Hg.), Ethos und Identität. Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit, Paderborn 2002, 27–50: 42–46 [in Tora und Weisheit 149– 173]. 11 GREGORY E. STERLING, Universalizing the Particular: Natural Law in Second Temple Jewish Ethics, StPhilo 15, 2003, 64–80. 12 MARKUS BOCKMUEHL, Natural Law in Second Temple Judaism, in: DERS., Jewish Law in Gentile Churches. Halakhah and the Beginning of Christian Public Ethics, Edinburgh 2000, 87–111: 107–110. 13 Zu den theologischen Grundlagen frühjüdischer Paränese vgl. MEINRAD LIMBECK, Die Ordnung des Heils. Untersuchungen zum Gesetzesverständnis des Frühjudentums, Düsseldorf 1971. 10
2. Wahrnehmungen von Gottebenbildlichkeit bei Paulus
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stellen ist, dass der Diasporajude und Heidenmissionar Paulus lebenslang maßgeblich durch Traditionen des hellenistischen Frühjudentums geprägt war und blieb, 14 dann müssen im Sinne des methodischen Ansatzes der „wechselseitigen Wahrnehmungen“ seine Aussagen zum Thema in ein dreidimensionales Koordinatensystem eingeordnet werden. Biblische und frühjüdische Überlieferungen über den Menschen als Geschöpf Gottes und Adressat seines Willens, hellenistisch-römische moralphilosophische Reflexionen über die Erkenntnisund Entscheidungsfähigkeit des Menschen als eines mit Vernunft begabten Wesens und die spezifisch christliche Einsicht angesichts der Offenbarung in Jesus Christus in das Scheitern des Menschen gegenüber Gottes Forderungen an ihn kommen bei Paulus zusammen. Sie werden in seinen theologischen Argumentationsgängen zu einer reflektierten Sicht vom Menschen zusammengeführt, die religions- und geistesgeschichtlich innovativ und wirkungsgeschichtlich einzigartig ist.
2. Wahrnehmungen von Gottebenbildlichkeit bei Paulus
2. Wahrnehmungen von Gottebenbildlichkeit bei Paulus Die einleitend in den Blick genommenen Zusammenhänge von Anthropologie und Ethik im hellenistischen Frühjudentum bilden die Basis, auf der Paulus seine Reflexionen über den Menschen, sein rechtes Tun und Denken anstellt. Entscheidend ausgeformt wurden die paulinischen Argumentationen allerdings erst auf der Grundlage seiner Christusverkündigung. Ob Paulus als in der Diaspora geprägter und in Jerusalem pharisäisch geschulter Jude 15 schon vor seiner Berufung über eine reflektierte Sicht des Menschen im Gegenüber zu Gott verfügte, muss Spekulation bleiben. Was er in seinen Briefen dazu sagt, ist jedenfalls klar erkennbar bestimmt von den theologischen und geschichtlichen Herausforderungen seiner Missionsverkündigung mit ihrer besonderen Zielrichtung auf Nichtjuden, die ihm bereits mit seiner Berufung zum Apostel aufgegeben war (Gal 1,15f.). 16 Das schlägt sich unverkennbar dort nieder, wo Paulus vom Christusgeschehen her Aussagen über den Menschen mit Blick auf 14 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992. 15 Vgl. dazu als Skizze KARL-WILHELM NIEBUHR, II. Der vorchristliche Paulus, 1. Paulus, ein Diasporajude aus Tarsus. 1.1. Name, Herkunft, Familie, 2. Pharisäer in Jerusalem, 3. Verfolger der christlichen Gemeinde, in: FRIEDRICH WILHELM HORN (Hg.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 46–52.70–78 (Englisch: The Pre-Christian Paul and God’s Righteousness. Paul’s Jewish Identity and the Roots of His Doctrine of Justification, in: ONDREJ PROSTREDNÍK [Hg.], Justification according to Paul. Exegetical and Theological Perspectives, Bratislava 2012, 89–103 [in diesem Band 115–131]). 16 Vgl. dazu TERENCE L. DONALDSON, Paul and the Gentiles. Remapping the Apostle’s Convictional World, Minneapolis 1997, 263–307; ALAN F. SEGAL, Paul the Convert. The Apostolate and Apostasy of Saul the Pharisee, New Haven/London 1990, 150–183.
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Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik
dessen Konstitution durch die Polarität von Juden und Nichtjuden trifft. Ohne auf die jüngeren Debatten um die „New Perspective on Paul“ hier eingehen zu können, 17 soll lediglich noch einmal festgehalten werden, dass die situative Veranlassung der Argumentation im Galater- und Römerbrief im Zusammenhang mit den Herausforderungen der paulinischen Heidenmission, wie sie m.E. zu Recht durch die jüngere Paulusforschung herausgearbeitet worden ist, eine grundsätzliche theologische Reflexion über den Menschen im Licht der Christusoffenbarung durch Paulus nicht aus-, sondern gerade einschließt. Die Alternative zwischen einer „soziologischen“, 18 „apokalyptischen“ 19 oder „theologischen“ 20 Paulusinterpretation halte ich daher für verfehlt. Die Thematik der paulinischen Anthropologie und Ethik auf dem Hintergrund hellenistisch-römischer philosophischer sowie frühjüdisch-hellenistischer Konzeptionen ist in jüngerer Zeit in mehreren Monographien untersucht worden, die in der Regel die Gesamtheit der einschlägigen Aussagen des Paulus zum Thema berücksichtigen. George van Kooten hat die Gottebenbildlichkeit des Menschen bei Paulus im Zusammenhang einer ‚tripolaren‘ Anthropologie von Geist, Seele und Leib im Kontext griechisch-römischer Philosophie analysiert und mit dem Gedanken einer Transformation des Menschen in ein gottnahes Wesen durch Empfang des Pneuma verbunden, wobei er besonders die Zusammenhänge mit mittelplatonischen Konzeptionen betonte. 21 Stefanie Lorenzen hat das paulinische Eikon-Konzept stärker aus seinen Zusammenhängen mit der frühjüdischen Literatur, vor allem mit der Sapientia Salomonis und Philon, entwickelt. 22 Emma Wasserman konzentrierte sich auf das Seelenverständnis im Römerbrief und stellte es in den Rahmen platonischer Moralphilosophie und -psychologie. 23 Troels Engberg-Pedersen betonte stärker den 17 Vgl. dazu JENS-CHRISTIAN MASCHMEIER, Rechtfertigung bei Paulus. Eine Kritik alter und neuer Paulusperspektiven, BWANT 189, Stuttgart 2010, sowie meine Skizze: KARLWILHELM NIEBUHR, Die paulinische Rechtfertigungslehre in der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, in: THOMAS SÖDING (Hg.), Worum geht es in der Rechtfertigungslehre? Das biblische Fundament der „Gemeinsamen Erklärung“ von katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund, QD 180, Freiburg u.a. 1999, 106–130 [in diesem Band 235–256]. 18 Für sie wird in der Regel auf FRANCIS WATSON, Paul, Judaism and the Gentiles. A Sociological Approach, MSSNTS 56, Cambridge 1986 (revised and expanded edition Grand Rapids/Cambridge 2007), verwiesen. 19 Vgl. DOUGLAS A. CAMPBELL, The Deliverance of God. An Apocalyptic Reading of Justification in Paul, Grand Rapids/Cambridge 2009. 20 Am deutlichsten vertreten durch MARK A. SEIFRID, Justification by Faith. The Origin and Development of a Central Pauline Theme, NT.S 68, Leiden 1992; vgl. auch WILLIAM S. CAMPBELL, Paul and the Creation of Christian Identity, London/New York 2008. 21 VAN KOOTEN, Paul’s Anthropology in Context (Anm. 2). 22 STEFANIE LORENZEN, Das paulinische Eikon-Konzept. Semantische Analysen zur Sapientia Salomonis, zu Philo und den Paulusbriefen, WUNT II/250, Tübingen 2008. 23 EMMA WASSERMAN, The Death of the Soul in Romans 7. Sin, Death, and the Law in Light of Hellenistic Moral Psychology, WUNT II/256, Tübingen 2008.
2. Wahrnehmungen von Gottebenbildlichkeit bei Paulus
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stoischen Kontext des paulinischen Geistverständnisses und seiner Anthropologie (im Unterschied zu entsprechenden Konzeptionen in der Sapientia Salomonis und Philon), ohne dabei eine jüdisch-apokalyptische Prägung des Paulus in Abrede zu stellen. 24 Sang Meyng Lee untersuchte den Zusammenhang von Kosmologie und Anthropologie als „kosmisches Heilsdrama“ in vier Akten, einer gesetzlosen Periode von Adam bis Mose, der Gesetzesperiode von Mose bis zu Christus, dem Zeitalter der Kirche mit dem Christusgeschehen als Mitte und schließlich der Parusie. 25 Jonathan Worthington stellte die paulinische Anthropologie in den Zusammenhang frühjüdischen Schöpfungsdenkens, vor allem bei Philon, und betonte dabei besonders die Bedeutung der Rezeption von Gen 5,3. 26 Volker Rabens schließlich hat das Wirken des Geistes in den Glaubenden und dessen Folgen für die Ethik bei Paulus auf dem Hintergrund hellenistisch-römischer und frühjüdischer Vorstellungen umfassend untersucht und dabei ein Beziehungsgeschehen zwischen Gott, dem Geist und den Glaubenden (‚relational work of the Spirit‘) als entscheidend für die paulinische Anthropologie und Ethik herausgearbeitet. 27 Allen diesen neueren Arbeiten ist gemeinsam, dass sie eine Dichotomie zwischen jüdischen und nichtjüdischen hellenistisch-römischen Kontexten für das paulinische Denken ablehnen und – bei jeweils durchaus unterschiedlicher Schwerpunktsetzung – die prägende Bedeutung des hellenistischen Judentums, vor allem repräsentiert durch Philon und die Sapientia Salomonis, für die paulinische Anthropologie herausstellen. Im Folgenden sollen nun die Zusammenhänge zwischen Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik bei Paulus exemplarisch an zwei Argumentationsgängen im Römerbrief näher untersucht werden, die aus der Perspektive des Christusgeschehens (1,16f.) Ursprung (1,18–2,29) und Ziel des Menschen (8,1–30) beleuchten. 28 Diese beiden Textabschnitte rahmen gewissermaßen
TROELS ENGBERG-PEDERSEN, Cosmology and Self in the Apostle Paul. The Material Spirit, Oxford 2010. 25 SANG MEYUNG LEE, The Cosmic Drama of Salvation. A Study of Paul’s Undisputed Writings from Anthropological and Cosmological Perspectives, WUNT II/276, Tübingen 2010. 26 JONATHAN D. WORTHINGTON, Creation in Paul and Philo. The Beginning and Before, WUNT II/317, Tübingen 2011. 27 VOLKER RABENS, The Holy Spirit and Ethics in Paul. Transformation and Empowering for Religious-Ethical Life, WUNT II/283, Tübingen 22013. 28 Ich knüpfe hiermit an meine Interpretation der Argumentation des Paulus im Römerbrief mit Blick auf die paulinische Anthropologie an, die ich ausgehend von Röm 9–11 in dem Aufsatz: KARL-WILHELM NIEBUHR, „Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6b). Römer 9–11 als Zeugnis paulinischer Anthropologie, in: FLORIAN WILK/J. ROSS WAGNER (Hg.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11, WUNT 257, Tübingen 2010, 433–462 [in diesem Band 327–355], in Angriff genommen habe. 24
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Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik
den ersten Hauptteil des Römerbriefes, in dem Paulus in grundsätzlicher theologischer Reflexion, wenn auch nicht ohne aktuelle Veranlassung, 29 seine Sicht des Menschen vor Gott in Christus darlegt. Allerdings müssen dazu vorab noch zwei Einschränkungen gemacht werden: Wir konzentrieren uns bei der folgenden Interpretation ausschließlich auf die beiden genannten Argumentationszusammenhänge im Römerbrief, in denen Paulus den Menschen in seiner Relation zu Gott darstellt und ihn von daher bestimmten ethischen Forderungen unterworfen sein lässt. Im Rahmen der Aussagintention des Römerbriefes handelt es sich dabei freilich nur um Teilaspekte der paulinischen Argumentation, die hier mit Blick auf den Zusammenhang von Anthropologie und Ethik ausgewählt und dabei in gewisser Weise aus ihrem Zusammenhang gerissen worden sind. Eine weitere Grenze der folgenden Ausführungen besteht in der Beschränkung auf den Römerbrief. Thematisch verwandte Aussagen bei Paulus zur Gottebenbildlichkeit, vor allem in den beiden Korintherbriefen, müssen hier ganz außerhalb des Blickfeldes bleiben. 30
3. Zwei paulinische Argumentationszusammenhänge im Römerbrief
3. Zwei Argumentationszusammenhänge im Römerbrief 3.1 Die Menschheit zwischen Adam und Abraham (Röm 1f.)
Den Ausgangspunkt für die paulinische Argumentation in Röm 1f. bildet die in 1,16 aufgebaute semantische Opposition Ἰουδαῖος (πρῶτον) – Ἕλλην. Mit dieser Opposition wird die gesamte Menschheit, wie Paulus sie in biblischjüdischer Tradition bezeichnet, begrifflich erfasst und in zwei ‚Hälften‘ unterteilt. Die beiden semantischen Pole der Opposition werden zusammengehalten durch den Glauben: πᾶς ὁ πιστεύων (V. 16) – ὁ δίκαιος ἐκ πίστεως (V. 17). Ziel des Argumentationsteils 1,18–2,29 ist die semantische Opposition in 2,28f (ὁ ἐν τῷ φανερῷ Ἰουδαῖος – ὁ ἐν τῷ κρυπτῷ Ἰουδαῖος). Auch sie wird ‚aufgehoben‘ in einer verbindenden, übergeordneten Gemeinsamkeit, dem endzeitlichen Gerichts- und Rettungsurteil Gottes über den „im Verborgenen (als) Jude (Lebenden) und die Herzensbeschneidung im Geist“ (V. 29). Für sie gilt: ὁ ἔπαινος … ἐκ τοῦ θεοῦ. Der semantische Gegensatz zwischen „Juden und Griechen“ in 1,16 wird also durch die Argumentation von 1,18–2,29 so TRAUGOTT HOLTZ, Die historischen und theologischen Bedingungen des Römerbriefes, in: Evangelium – Schriftauslegung – Kirche (FS P. Stuhlmacher), hg. v. JOSTEIN ÅDNA/SCOTT HAFEMANN/OTFRIED HOFIUS, Göttingen 1997, 238–254 (= in: DERS., Exegetische und theologische Studien. Ges. Aufs. II, hg. v. KARL-WILHELM NIEBUHR, ABIG 34, Leipzig 2010, 127–148). 30 Sie sind jüngst umfassend von Stefanie Lorenzen analysiert worden (vgl. Anm. 22). – Ich danke Frau Lorenzen sehr herzlich für zahlreiche weiterführende Hinweise zu meinem Heidelberger Vortrag, die ich versucht habe, in der Druckfassung zu berücksichtigen. 29
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entfaltet und qualifiziert, dass am Ende eine theologisch begründete und endzeitlich bestimmte Gemeinsamkeit entsteht, die mit dem Wort ‚Jude‘ bezeichnet werden kann. Wie das geschieht, soll kurz vom Ende des Argumentationsteils ausgehend nachgezeichnet werden. Ein (im Rahmen der Argumentation letztes) Mittel für den Aufweis der Gleichheit von Juden und Heiden vor Gott bietet das Argument mit der Beschneidung in 2,25–27: Wenn Ἰουδαῖος durch φανερός bzw. κρυπτός näher bestimmt werden soll, so entspricht dem der semantische Gegensatz zwischen ἀκροβυστία (viermal in V. 25–27) und καρδία (V. 29): Die Beschneidung kann man sehen, das Herz nicht! Die ‚Beschneidung‘, um die es Paulus geht, ist freilich die περιτομὴ καρδίας ἐν πνεύματι οὐ γράμματι. Woran aber zeigt sich, wie das Herz bestimmt ist? Am Tun der Tora. Der ganze kleine Abschnitt ist dementsprechend durchzogen von Wortverbindungen mit νόμος (παραβάτης νόμου vs. νόμον πράσσειν, φυλάσσειν, τελεῖν). Kriterium für die ‚Beschneidung‘ ebenso wie für das ‚Judesein‘ im Sinne des paulinischen Argumentationsziels ist somit nicht die Sichtbarkeit des Zeichens (ἡ ἐκ φύσεως ἀκροβυστία, vgl. 4,11), sondern das ‚verborgene Judesein‘, das sich im Tun der Tora offenbart. Daraus ergibt sich nun für den gesamten paulinischen Gedankengang in Röm 1–3: Die Argumentation in 1,18–2,29 dient zunächst einmal dem Aufweis der Richtigkeit von 1,18 bezüglich aller Menschen: Gottes Zorn ist endzeitlich offenbart worden vom Himmel her über jegliche Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten. Menschen sind somit alle, die in 1,16 als „Juden in erster Linie, aber auch Heiden“ bezeichnet werden. Das Besondere der Juden wird dann (erst!) ab 3,1 näher in den Blick genommen, aber zuvor sind sie natürlich auch schon mit gemeint, eben zusammen mit den Heiden. Von dieser Zielbestimmung des Argumentationsteils her blicken wir zurück auf seinen Beginn: Was heißt πᾶσα ἀσέβεια καὶ ἀδικία ἀνθρώπων (1,18), und wie wird ‚der Mensch‘ in diesem Zusammenhang von Paulus semantisch bestimmt? Meine These lautet: Alle Menschen werden nach Paulus von der Schöpfung der Welt durch Gott her definiert, an den Forderungen des Gotteswillens gemessen und dem Gericht Gottes unterworfen, und zwar gilt das zu allen Zeiten, gegenwärtig also konkret für Juden und Nichtjuden (1,16!). Eine Aufteilung der Argumentationsteile auf zuerst allein die Heiden (1,18–32) und dann (ab 2,1 bzw. 2,17–3,20) ausschließlich die Juden 31 wird von daher m.E. 31 So etwa LORENZEN, Das paulinische Eikon-Konzept (Anm. 22), 187ff., mit vielen anderen. Differenzierter scheint zunächst KLAUS HAACKER, Der Brief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Leipzig 1999, 56, zu urteilen, wenn er schreibt: „Das Ziel der Argumentation – die Gleichstellung von Juden und Nichtjuden unter der Übermacht der Sünde (vgl. 3,9) – ist für den Apostel offenbar so selbstverständlich, daß sich bereits innerhalb des Gedankengangs die Grenze zwischen Heiden und Juden verwischen kann.“ Haacker schränkt diese
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dem Aufbau des paulinischen Gedankengangs nicht gerecht. Vielmehr wird der gesamte Argumentationsgang von dem universalen paulinischen Menschenbild bestimmt, wie es eben skizziert wurde. Differenzierungen trägt Paulus je nach Bedarf ein, wenn sie entweder seinem gerade angestrebten partikularen Argumentationsziel dienen oder wenn es die aktuelle Veranlassung seiner Argumentation fordert. Von dieser Einsicht her hat also auch der erste Argumentationsabschnitt 1,18–32 nicht allein Nichtjuden im Blick, aber natürlich ebenso wenig allein Juden. Semantisch bestimmt werden „die Menschen“ hier vielmehr zunächst einmal ethisch und religiös, durch die umfassenden Ausdrücke πᾶσα ἀσέβεια καὶ ἀδικία am Beginn in 1,18 sowie durch die katalogartige Aufzählung von Vergehen am Schluss in 1,26–32. Dass damit spezifisch und ausschließlich nichtjüdische Vergehen bezeichnet sein sollten, wird nicht gesagt und entspricht auch nicht dem paulinischen Argument an dieser Stelle, selbst wenn man solche Spezifizierungen möglicherweise traditionsgeschichtlich begründen könnte. 32 Vielmehr dürfte Paulus hier die gesamte Menschheit von der Schöpfung bis zu Abraham im Blick haben, während er erst ab 3,1 dann speziell „das Besondere des Juden“, nämlich die mit Abraham gekommene Beschneidung, bespricht. 33 Ein kurzer Blick auf die frühjüdische Überlieferung kann zeigen, dass Abraham nach biblischer Erzählchronologie genau an der Schnittstelle zwischen der von Gott geschaffenen universalen Menschheit und dem von Gott erwählten Volk der Verheißung steht. Gerade dies macht Abraham für Paulus so attraktiv, weil es ihm darum geht, seiner aktuellen Aussageintention entsprechend in der biblischen Geschichte nach Verbindendem zwischen Juden und Nichtjuden zu suchen. Abrahams bewusst vollzogene Abkehr von der religiösen Praxis seiner Umwelt und Herkunft schon vor seiner Beschneidung kann im Frühjudentum und damit auch für Paulus paradigmatische Bedeutung gewinnen. m.E. zutreffende Einsicht aber sofort wieder mit der Bemerkung ein: „Das in 3,9 genannte (und in 3,20 nach den vorangehenden Schriftzitaten erst wirklich erreichte) Argumentationsziel darf nicht schon für den Anfang dieses Briefteiles vorausgesetzt werden.“ (a.a.O., Anm. 81). Zur Begründung meiner abweichenden Sicht vgl. auch NIEBUHR , „Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Anm. 27), 438–442. 32 Die Konstellation ‚Juden‘ vs. ‚Heiden‘ ist mit Blick auf den paulinischen Argumentationsgang in 1,18–2,29 im Grunde anachronistisch, da eine solche Differenzierung nach biblisch-narrativer Chronologie ja frühestens mit Abraham in den Blick kommen kann, auf den allenfalls implizit mit der Erwähnung der Beschneidung in 3,1 abgehoben sein könnte. Das schließt natürlich nicht aus, dass bei der Rezeption des Textes traditionsgeschichtlich unterfütterte Kategorien wie ‚heidnischer Götzendienst‘ o.ä. mitschwingen. 33 Auch wenn von Abraham explizit erst ab Röm 4 die Rede ist, steht er m.E. doch schon vorher im Hintergrund, wie insbesondere die Frage in 3,1 nahelegt: τί οὖν τὸ περισσὸν τοῦ Ἰουδαίου, ἢ τίς ἡ ὠφέλεια τῆς περιτομῆς;
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Nach dem Jubiläenbuch begann schon der Knabe Abram, den Irrtum der Erde zu erkennen, wie jeder hinter dem Götzen seiner Statue herirrte und hinter Gußwerken. … Und er trennte sich von seinem Vater, damit er nicht mit ihm den Götzen anbetete. Und er fing an, anzubeten zum Schöpfer aller Dinge, daß er ihn errette aus dem Irrtum der Menschenkinder und daß sein Anteil nicht falle in den Irrtum hinter Unreinheit und Schlechtigkeit. 34
Lange bevor Abram auszieht aus Haran nach Kanaan in das Land der Verheißung (vgl. 12,28; 13,1), um Stammvater Israels zu werden, 35 hat er schon erkannt, dass Götzen zu nichts nutze sind, „denn in ihnen ist kein Geist“ (12,3; vgl. 12,5). „Verehrt sie nicht!“, sagt er zu seinem Vater, Verehrt den Gott des Himmels, der Regen und Tau herabsteigen lässt auf die Erde und der alles auf der Erde macht und alles geschaffen hat durch sein Wort! Und das Leben ist von seinem Antlitz. (12,3f.)
Das weiß im übrigen auch schon Vater Tare, aber er hat Angst vor dem Volk, welche mir befohlen haben, vor ihnen (sc. den Götzen) zu dienen. Und wenn ich ihnen die Wahrheit 36 erzähle, werden sie mich töten. Denn ihnen folgt ihre Seele bei ihnen, dass sie sie (sc. die Götzen) verehren und sie loben. (12,6f.)
Schließlich erkennt Abram aus der Betrachtung der Gestirne in einer Neumondnacht, dass sie alle in der Hand des Herrn sind. Und er betete in dieser ganzen Nacht und sagte: ‚Mein Gott, mein höchster Gott. Du allein bist für mich Gott. Und du hast alles erschaffen. Und Werk deiner Hände ist alles, was ist. Und dich und dein Reich habe ich erwählt.‘ (12,19)
In der Apokalypse Abrahams wird in aller Ausführlichkeit und mit beißendem Spott erzählt, wie Abraham schon im Hause seines Vaters Thare durch Beobachten, Nachsinnen, Bedenken 37 alles dessen, was er an religiöser Praxis um sich herum erlebt, zur rechten Antwort auf die Frage geführt wird, „welcher … wirklich der starke Gott sei“ (1,1). 38 Angesichts des durch nichts zu beirrenden Vertrauens seines Vaters auf die Macht der Götzen fragt sich Abraham geradezu verzweifelt: Jub 11,16f. Übers. hier und im Folgenden nach JSHRZ II/3. Das wird erst ab Kap. 14 Thema, vgl. aber schon 12,22–24 nach Gen 12,1f. 36 Nach BERGER, JSHRZ II/3, 392, wörtlich: „Gerechtigkeit“. 37 Man beachte die auffällig häufigen noetischen Ausdrücke in 1,1 („da fragte ich mich“), 1,4 („ich dachte in meinem Geiste“), 2,7 („ich überlegte in meinem Herzen“), 3,2 („ich sprach in meinem Herzen“), 4,1 („und da ich so nachsann“), 5,1 („bedenkend“), 6,3 („ich werde meine Gedanken offen darlegen“) u.ö.! 38 Dies ist die Leitfrage der Schrift, die gleich am Anfang ausdrücklich benannt und dann im Zuge der Erzählung zunächst narrativ (Kap. 1–6), dann revelatorisch (Kap. 8–10), aber in Kap. 7 auch grundsätzlich theoretisch (‚philosophisch‘) beantwortet wird, indem die vier Weltelemente dem einen Schöpfer untergeordnet werden. Übers. hier und im Folgenden nach JSHRZ V/5. 34 35
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Wie kann denn irgend etwas, das er selbst geschaffen hat, Götzenbilder, meinem Vater eine Hilfe sein? Soll denn der Leib seiner Seele unterworfen sein, und die Seele – dem Geist, (und) der Geist aber – dem Wahnsinn (und) der Unwissenheit? (6,2)
Demgegenüber will Abraham „den Gott suchen, der alles geschaffen hat, nicht die von uns erdachten Götter“ (7,6). Auch nach Josephus verfügte Abraham schon vor seinem Auszug aus „Mesopotamien“ über hervorragende Urteilskraft und Tugend, die ihn dazu führten, sachgemäßere Gedanken als andere über Gott und die Tugend zu entwickeln (Ant 1,154–157). So war er der erste, der aus der Betrachtung der Vorgänge zu Lande und zu Wasser und aus den Veränderungen der Gestirne in der Lage war, die richtigen Schlüsse zu ziehen, dass es nämlich nur einen Gott, den Schöpfer von allem (δημιουργὸς τῶν ὅλων ἕνα, 155), gebe und dass das Geschaffene nicht selbst Ursache seiner Erhaltung und Veränderung sei, sondern vielmehr dem Befehl dessen unterworfen sei, dem allein Verehrung und Dankbarkeit zukommen. Besonders lehrreich ist die Deutung, die Philon dem Herausgehen Abrahams aus seinem Vaterhause gibt (Abr 60–88). 39 Abraham habe sich insbesondere dadurch ausgezeichnet, dass er nicht bloß die gesprochenen oder geschriebenen Befehle Gottes befolgte, sondern auch die, welche die Natur in deutlichen Zeichen offenbart (τὰς διὰ τῆς φύσεως τρανοτέροις σημείοις δηλουμένας, 60). Denn wer die in der Natur herrschende Ordnung (τὴν ἐν τῇ φύσει τάξιν) und die über jede Beschreibung erhabene Verfassung der Welt betrachtet, der lernt, ohne dass jemand ihm ein Wort sagt, ein gesetzestreues (εὔνομον) und friedliches Leben führen (61).
Den Auszug Abrahams deutet Philon dann allegorisch als Abkehr von der Astronomie der Chaldäer, die aus der Erforschung der Bewegungen der Gestirne ableiteten, „dass die Welt selbst Gott sei (τὸν κόσμον αὐτὸν ὑπέλαβον εἶναι θεόν), indem sie sündhafterweise das Geschaffene dem Schöpfer gleichstellten“ (τὸ γενόμενον ἐξομοιώσαντες τῷ πεποιηκότι, 69). Demgegenüber habe Abraham, der selbst in diesem Glauben herangewachsen war, wie aus tiefem Schlafe erwachend das Auge der Seele geöffnet und in dem von ihm geschauten reinen Lichtganz den Lenker und Leiter der Welt erkannt (70). Aus der Besinnung auf den unsichtbaren Geist, der im Innern des Menschen herrscht und seine Sinne und Schritte lenkt (νοῦς ἀόρατος, 73, vgl. 74: νοῦς ἡγεμὼν ἐπιτεταγμένος), schließt Philon auf den ebenfalls unsichtbar (ἀόρατος) herrschenden König der Welt, der sie zusammenhält und gerecht Schon vorab hatte Philon Abraham im Vergleich mit Isaak und Jakob als „das Sinnbild der durch Belehrung erworbenen Tugend“ (σύμβολον διδασκαλικῆς ἀρετῆς) bezeichnet und damit den philosophischen Charakter Abrahams gegenüber der „natürlichen“ (φυσικῆς) Tugend Isaaks und der „durch Übung erworbenen“ (ἀσκητικῆς) Jakobs herausgestellt (Abr 52). 39
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über sie waltet (73f.). Damit kann der Mensch aus sich selbst erkennen (ἀναδιδασκόμενος ἔκ τε ἑαυτοῦ), dass die Welt nicht der höchste Gott ist, sondern das Werk des höchsten Gottes und Allvaters, der selbst unsichtbar ist, aber alles offenbart und die Natur der kleinen wie der großen Dinge deutlich zeigt“ (75). Nach weiteren philosophisch-theologischen Erörterungen schließt Philon den ganzen Gedankengang zur „Auswanderung“ Abrahams aus der Welt des sinnlich Wahrnehmbaren und lobt dessen Geist (νοῦς), weil er nicht für immer in Selbsttäuschung bei dem sinnlich wahrnehmbaren Sein (ἐπὶ τῆς αἰσθητῆς οὐσίας) stehen blieb und die sichtbare Welt (τὸν ὁρατὸν κόσμον) für die höchste und erste Gottheit hielt, sondern in seinem Denken höher stieg und noch eine andere Natur (φύσιν ἑτέραν), eine bessere als die sichtbare, nämlich die geistige schaute ([φύσιν] νοητὴν ἐθεάσατο) und den, der zugleich Schöpfer und Herrscher beider (des sichtbaren und des gedachten Seins) ist. (88) 40
Zieht man solche Reflexionen in der frühjüdischen Abraham-Überlieferung in Betracht, so kann auf diesem Hintergrund angenommen werden, dass es auch in Röm 1f. um die gesamte vorabrahamitische Menschheit, wie sie in Gen 1– 11 gezeichnet und in frühjüdischer Rezeption dieser biblischen Grunderzählungen vielfältig vergegenwärtigt wird, geht. 41 Mit Abraham tritt nach der narrativen Chronologie der biblisch-frühjüdischen Erzähüberlieferung derjenige in der Menschheitsgeschichte auf den Plan, der zum ersten Mal durch Erkenntnis des einen Schöpfers der Welt zur Einsicht in den fatalen Irrtum der Verehrung jeglicher Schöpfungswerke geführt wurde. In paränetischer Intention kann diese Abkehr Abrahams vom Götzendienst der Chaldäer in der frühjüdischen Literatur gegenwärtig gehalten werden, nicht allein um der polemischen Abgrenzung von Nichtjuden willen, sondern auch als nach innen gerichtete Warnung vor verfehlter und in der Tora verbotener religiöser Praxis. Auf dieser biblisch-frühjüdischen Traditionsgrundlage 42 will offenbar nun auch Paulus im Rahmen seiner gegenwärtigen Aussageabsicht sein Argument zur Situation des Menschen vor Gott aufbauen, das ja eben auch für Juden und Nichtjuden gleichermaßen gelten muss. Denn aktuell veranlasst steht für ihn besonders die Differenzierung zwischen Beschnittenen und Unbeschnittenen in der endzeitlichen Gemeinde Gottes im Blickpunkt. Die Gemeinsamkeit der gesamten vorabrahamitischen Menschheit hinsichtlich ihrer ethischen Qualifikation spiegelt sich damit wieder in der gegenwärtigen Gemeinsamkeit von Juden („zuerst“!) und Nichtjuden mit Blick auf ihre Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit angesichts der Christus-Offenbarung. 40 Vgl. die ähnlichen, aber kürzeren Interpretation von Abrahams Auszug aus Chaldäa in Her 97–99 und Virt 212–215. 41 Vgl. nur grLAE; LAB 1–7; Jub 3–11; Sir 49,16–18; Weish 10,1–5; 1QGenAp sowie die vielfältige frühjüdische Adam- und Henoch-Literatur! 42 Vgl. zur Rezeption von Gen 12,1–3 in der frühjüdischen Literatur noch die Belege bei NIEBUHR, Heidenapostel (Anm. 14), 94, Anm. 77.
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Mit einer solchen umfassenden Perspektive auf „den Menschen“ setzt auch der zweite Teilabschnitt der Argumentation ein (2,1–16). Was schon in 1,20 generell für alle vorabrahamitischen Menschen festgestellt worden war, spricht Paulus jetzt in generischer Anrede „dem Menschen, der richtet“ zu: ἀναπολόγητος εἶ. 43 Weder gilt diese Anrede ausschließlich den Heiden, noch speziell den Juden, sondern eben jedem, der den andern richtet und damit sich selbst verurteilt, ob Jude oder Nichtjude. Beide werden am Maßstab des Tuns des Gotteswillens gemessen und dem göttlichen Gericht nach den Werken unterworfen (V. 5f.). Dieses Gericht ergeht ja ausdrücklich ἐπὶ πᾶσαν ψυχὴν ἀνθρώπου … Ἰουδαίου τε πρῶτον καὶ Ἕλληνος (V. 9f.). Denn bei Gott gibt es kein Ansehen der Person (V. 11). In V. 12–16 wird das noch einmal unter Verwendung des Wortfeldes νόμος κτλ. entfaltet, aber dies dient hier gerade dem Aufweis der Gültigkeit des Maßstabs der Tora und ihrer Forderungen für das ethische Verhalten beider, Juden wie Nichtjuden. Was für die vorabrahamitische Menschheit galt, die Menschheit zwischen Schöpfung und Beschneidung, das gilt auch jetzt, für Juden und Nichtjuden, die vor Gottes Gericht stehen. Auch die ausdrückliche Anrede eines Juden 44 in 2,17–24 muss vom Gang der Argumentation her semantisch gefüllt werden. Das σύ wird durch Ἰουδαῖος ἐπονομάζῃ semantisch näher bestimmt, nämlich dahingehend, dass sich der Angeredete in einer problematischen Weise selbst benennt. Nicht dagegen soll mit σὺ Ἰουδαῖος etwas für alle Juden Geltendes ausgesagt werden, nämlich, dass sie sich angeblich selbstgefällig auf das Gesetz verließen. Paulus geht es nicht darum, etwas ‚typisch Jüdisches‘ zu beschreiben. Vielmehr will er eine Verhaltensweise charakterisieren, die in sich widersprüchlich ist. Nicht der Angeredete wird also als Jude qualifiziert, sondern einer, ja, jeder Mensch, der sich als Juden bezeichnet, sich damit also einerseits auf die Tora beruft, und sich dabei andererseits doch so verhält wie in V. 17–24 geschildert, jeder also, der durch sein Tun die Forderungen der Tora übertritt, ob er nun ‚geborener‘ Jude ist oder nicht, lästert Gott und ist dem Gericht verfallen. Die Gerichtsankündigungen in 2,16 und 2,27 bilden somit eine Klammer um den Schuldaufweis in 2,17–24. Von diesen argumentativen Zusammenhängen her ist nun auch die Aussage über die Menschen in 1,23 zu interpretieren. Ist im Rahmen von 1,18–32 der Mensch primär ethisch qualifiziert (und zwar scharf negativ!), so untermauert Paulus dies in 1,19–25 durch einen Rekurs auf die dem Menschen prinzipiell gegebene Fähigkeit zur Gotteserkenntnis, und zwar von der Schöpfung her (ἀπὸ κτίσεως κόσμου, V. 20). Der Abschnitt ist durchsetzt mit ‚noetischer‘
43 Die 2. Pers. Sing. hat hier den Sinn von „jeder“, vgl. πᾶς ὁ κρίνων, V. 1, mit ὦ ἄνθρωπε ὁ κρίνων, V. 3. 44 Nicht etwa aller oder gar ‚des Juden‘! Vgl. dazu HAACKER, Römer (Anm. 31), 67f.
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Terminologie. 45 Auch vom Herzen ist hier als ‚Sinnesorgan‘ die Rede, wenn auch negativ. 46 Geradezu lakonisch wird das negative Fazit gezogen: φάσκοντες εἶναι σοφοὶ ἐμωράνθησαν (V. 22). Der Mensch als Geschöpf, ob Jude oder Heide, hat Herz und Verstand, Gott zu erkennen und seinem Willen zu folgen, aber er tut es nicht! Warum nicht? Die Antwort geben V. 23 und V. 25: Sie vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes (τὴν δόξαν τοῦ ἀφθάρτου θεοῦ) mit dem gleichnishaften Abbild eines vergänglichen Menschen (ἐν ὁμοιώματι εἰκόνος φθαρτοῦ ἀνθρώπου) bzw. von Vögeln, Vierfüßern oder Kriechtieren. Sie sind solche, die die Wahrheit Gottes in Lüge verwandelt haben und die Schöpfung religiös verehrten und ihr Gottesdienst leisteten anstelle des Schöpfers.
„Vertauschen“ (ἀλλάσσειν, μεταλλάσσειν) steht zugleich für einen Erkenntnisvorgang („verwechseln“) und eine daraus resultierende religiöse Praxis („verkehren“), die zu einem entsprechend verdorbenen ethischen Verhalten führt (vgl. μετήλλαξαν, V. 26). Im Blick auf die Gotteserkenntnis besteht das Vertauschen in der Verkennung des Gegensatzes zwischen Unvergänglichem und Vergänglichem, und damit zugleich zwischen Gott und Mensch nebst aller sonstigen Kreatur (ἀφθάρτου θεοῦ – φθαρτοῦ ἀνθρώπου). Im Blick auf den Gottesdienst wird, wenn statt dem Schöpfer die Schöpfung religiös verehrt wird, Wahrheit in Lüge verkehrt (ἀλήθεια τοῦ θεοῦ – ψεῦδος). Und im Blick auf die Ethik kommt es zu einem Verhalten „gegen die Natur“ (ἡ φυσικὴ χρῆσις – ἡ παρὰ φύσιν, vgl. auch V. 27). Dass falsche Gotteserkenntnis zu unethischem Verhalten führt, hält V. 28 dann noch einmal fest: Und da sie es nicht für gut befanden, Gott anzuerkennen (τὸν θεὸν ἔχειν ἐν ἐπιγνώσει), hat Gott sie dahingegeben an eine unbrauchbare Vernunft (εἰς ἀδόκιμον νοῦν), damit sie tun, was sich nicht ziemt (ποιεῖν τὰ μὴ καθήκοντα).
Selten bei Paulus wird so explizit philosophisch formuliert und argumentiert, wenn es um paränetische Topoi geht. Und dennoch bleibt das spezifisch jüdische Profil des paulinischen Gottesbildes unverkennbar. 47 Das philosophisch-anthropologische Motiv des Menschen als Abbild Gottes ist somit in Röm 1,23 keineswegs Leitgedanke, sondern allenfalls ein Argument im Rahmen einer umfassenderen Charakterisierung des Menschseins aus 45 τὸ γνωστὸν τοῦ θεοῦ, V. 19; τὰ ἀόρατα αὐτοῦ … νοούμενα καθορᾶται, ἥ τε ἀΐδιος αὐτοῦ δύναμις καὶ θειότης, V. 20; γνόντες τὸν θεὸν … ἐματαιώθησαν ἐν τοῖς διαλογισμοῖς αὐτῶν, V. 21. Vgl. Wasserman, The Death of the Soul (Anm. 23), 118–122. 46 ἐσκοτίσθη ἡ ἀσύνετος αὐτῶν καρδία, V. 21; vgl. V. 24: ἐν ταῖς ἐπιθυμίαις τῶν καρδιῶν αὐτῶν, s.a. 2,5. 47 Vgl. ENGBERG-PEDERSEN, Cosmology and Self (Anm. 24), 61: „It appears, therefore, that although he knew the Stoic argument for the existence of God, Paul simply understood God as an acting person without engaging in any further speculation about his ontological status. Or differently put: Paul’s God was just the Jewish God.“
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der Perspektive der Christus-Offenbarung mit paränetisch-ethischer Zuspitzung. Streng genommen ist auch gar nicht explizit von der Gottebenbildlichkeit des Menschen die Rede, sondern lediglich von dem „gleichnishaften Abbild eines vergänglichen Menschen“ (Adam), dem die Doxa Gottes entgegengestellt wird. Nur implizit und im Umkehrschluss ergibt sich daraus ein in der Schöpfung des Menschen als Abbild Gottes angelegtes anthropologisches Ideal der Unvergänglichkeit, das der Unvergänglichkeit Gottes entspricht, das aber vom ‚geschichtlichen Menschen‘, dem Menschen zwischen Adam und Abraham, verfehlt wird. 48 Die Gottebenbildlichkeit des Menschen bildet hier somit lediglich ein Element zur Definition rechter Gotteserkenntnis und dient zugleich dem Aufweis verfehlter Gotteserkenntnis. Trotz seiner in der Erschaffung durch Gott wurzelnden Entsprechung zur göttlichen Doxa steht der Mensch in der Gefahr, Gott zu verfehlen, indem die Grenze, ja, der Gegensatz zwischen Schöpfer und Geschöpf übersehen wird. Gerade weil Gott sich in der Schöpfung seinen Geschöpfen sichtbar gemacht hat (V. 19), weil was unsichtbar ist an ihm, seine immerwährende Macht und Göttlichkeit, von der Schöpfung des Kosmos her an seinen (Schöpfungs-)Werken als Idee geschaut werden kann (V. 20), ist die Gefahr verfehlter Gotteserkenntnis und, damit zusammenhängend, verkehrten Gottesdienstes und verdorbener Lebensführung für den Menschen so naheliegend und real. 3.2 Die Christusähnlichkeit der Gotteskinder in Röm 8 Ausgangspunkt des Argumentationsgangs in Röm 8 ist die Rettung aus dem Gericht durch Christus (8,1). Sie betrifft in unmittelbarer Anknüpfung an Kap. 7 den Menschen in seinem Todesverhängnis, das ihn zu dem Verzweiflungsruf in 7,24 getrieben hatte: „Ich armseliger Mensch (ἄνθρωπος)! Wer kann mich herausretten (ῥύσεται) aus diesem Todesleib (ἐκ τοῦ σώματος τοῦ θανάτου τούτου)?“ Am Anfang steht also die bereits geschehene endzeitliche Rettung des an sich selbst verzweifelnden Sünders durch das Christusgeschehen (oὐδὲν ἄρα νῦν κατάκριμα, 8,1): Das vom „Geist des Lebens durch Christus Jesus bestimmte Gesetz“ (ὁ νόμος τοῦ πνεύματος τῆς ζωῆς ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ) bewirkte seine Befreiung aus dem „Todesleib“, der vorher von Gesetz und Sünde in ihrem todbringenden Zusammenspiel beherrscht worden war (ὁ νόμος τῆς ἁμαρτίας καὶ τοῦ θανάτου, 8,2). Ziel des Argumentationsgangs 8,1–30 ist die „Verherrlichung“ von „uns“ (τούτους καὶ ἐδόξασεν, 8,30), den von Gott zur Christusgemeinschaft Berufenen (οἱ κατὰ πρόθεσιν κλητοί, 8,28). 49 Die Lebensspanne des Menschen, die hier beschrieben wird, reicht also Vgl. LORENZEN, Das paulinische Eikon-Konzept (Anm. 22), 187f. Die 1. Pers. Plur. durchzieht den ganzen vorangehenden Argumentationsabschnitt seit 8,12. 8,31–39 schließt den ganzen ersten Hauptteil des Briefes mit einer Zusammenfassung ab. 48 49
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von seiner Befreiung aus Todesnot durch Christus bis zu seiner Vollendung in einer endzeitlich verherrlichten Schöpfung. 50 Der Argumentationsgang dazwischen ist zunächst in 8,2–17 beherrscht von einer Reihe von semantischen Oppositionen, die in vielfältiger Variation eine Art Spannungsraum aufbauen, in dem sich das Leben der Befreiten vor ihrer Vollendung und Verherrlichung abspielt: Gegenwärtig ist und bleibt ihnen einstweilen auch noch der Gegensatz von Tod und Leben (8,2.6.10.11.13). Zumindest im Rückblick steht ihnen auch noch die Herrschaft von Fleisch und Sünde vor Augen und wird ihnen immer wieder geradezu penetrant in Erinnerung gerufen, 51 auch wenn sie nun vom Geist und von der Gerechtigkeit bestimmt sind. 52 Auch als Befreite wissen sie durchaus noch vom Gegensatz zwischen Sklaverei und Freiheit. 53 Ihre Gegenwart ist noch immer dadurch bestimmt, dass sie mit Christus leiden, erst ihre Zukunft dadurch, mit ihm verherrlicht zu werden. 54 Der ganze Abschnitt 8,2–17 bildet also eine semantische Einheit, wenngleich zunächst eher beschreibende Aussagen über das Befreiungsgeschehen und seine Auswirkungen auf die Befreiten im Vordergrund stehen (V. 2–11), danach eher appellative zu ihrer Lebensgestaltung (V. 12–17). 55 Der Zusammenhang zwischen der Verwandlung des Menschen durch seine Befreiung und seinem neuem ethischen Wandel ist jedenfalls auch hier offensichtlich. Bindeglied zwischen beidem ist das πνεῦμα. 56 Im nächsten Abschnitt (8,18–25) kommt dann erneut (wie schon in 1,18– 32) die Schöpfung in den Blick, aber jetzt nicht mehr im Rückblick auf eine vorabrahamitische Epoche der Menschheit, sondern als „unsere“ Zukunft und Hoffnung. In δόξα wird sie erstrahlen (V. 18.21). „Söhne Gottes“ (V. 19, vgl. V. 23: υἱοθεσία) und „Gotteskinder“ (V. 21) werden sie bevölkern. Befreit
Exemplarisch formuliert in dem semantischen Gegensatz in 8,18: τὰ παθήματα τοῦ νῦν καιροῦ – ἡ μέλλουσα δόξα. 51 σάρξ in 8,2–9 in jedem Vers! 52 πνεῦμα 17 Mal in 8,2–17; vgl. bes. 8,10: τὸ μὲν σῶμα νεκρὸν διὰ ἁμαρτίαν, τὸ δὲ πνεῦμα ζωὴ διὰ δικαιοσύνην. 53 Vgl. 8,15: οὐ γὰρ ἐλάβετε πνεῦμα δουλείας πάλιν εἰς φόβον, ἀλλὰ ἐλάβετε πνεῦμα υἱοθεσίας. 54 8,17: εἴπερ συμπάσχομεν ἵνα καὶ συνδοξασθῶμεν. 55 Dass Paulus auch im Rahmen des appellativen Argumentationsabschnitts 8,12–17 die Kraft des in den Glaubenden gegenwärtigen Geistes betont und in seinem Wirken die christliche Lebensgestaltung verankert, arbeitet RABENS, The Holy Spirit and Ethics in Paul (Anm. 27), 203–237, heraus: „Paul comprehends this Spirit-created filial relationship with God as an empowerment for ethical living.“ (a.a.O., 203). 56 Vgl. dazu RABENS, The Holy Spirit and Ethics in Paul (Anm. 27), 171–242; ENGBERGPEDERSEN, Cosmology and Self (Anm. 24), 70–72; MARTIN MEISER, Some Facets of Pauline Anthropology – How Would a Greco-Roman Reader Understand it?, in: MICHAEL LABAHN/OUTI LEHTIPUU (Hg.), Anthropology in the New Testament and its Ancient Context, Leuven u.a. 2010, 55–85. 50
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sein wird sie von der Sklaverei der Vergänglichkeit zur Freiheit der Verherrlichung (V. 21: δουλεία τῆς φθορᾶς – ἐλευθερία τῆς δόξης). Zu erwarten und zu erhoffen haben wir τὴν ἀπολύτρωσιν τοῦ σώματος ἡμῶν (V. 23). Damit muss ja wohl die Befreiung von der Vergänglichkeit des Leibes gemeint sein (vgl. V. 21), also vom Todesleib (7,24), wenn auch nicht die Befreiung vom Leib an sich, wie auch immer dieser von Vergänglichkeit befreite Leib dann vorzustellen wäre. 57 Darüber hinaus sind aber nicht allein die durch Christus befreiten Menschen, sondern ist „die ganze Schöpfung“ (πᾶσα ἡ κτίσις) Teil dieser Zukunftserwartung. Am Ende des Argumentationsteils steht ein Kettenschluss (8,28–30), in dem Schöpfungs- und Berufungsaussagen miteinander verbunden werden. Zunächst sehr unbestimmt werden die hier Gemeinten als solche, die Gott lieben, benannt (οἱ ἀγαποῦντες τὸν θεόν, V. 28). Das Vokabular der einzelnen Glieder des Sorites lässt im Folgenden dann erst einmal eher an Israel, das erwählte und berufene Gottesvolk, denken. 58 Mit δικαιοῦν und δοξάζειν stehen am Ende aber wieder deutlich die durch das Christusgeschehen Befreiten im Blick. Einen auffälligen Einschub zwischen dem ersten und dem zweiten Kettenglied bildet die Satzergänzung zu οὓς … προώρισεν: „ähnlich (συμμόρφους) dem Bild seines Sohnes, auf dass er Erstgeborener unter vielen Brüdern sei“ (V. 29). Christusgemeinschaft im mit ihm Leiden und mit ihm Verherrlichtwerden (so in V. 17) wird jetzt zur Christusähnlichkeit. 59 Was zunächst von Paulus als Partizipation am Christusgeschick formuliert worden war, als Teilhabe am Sterben und Auferwecktwerden Christi (daher der Kontrast von Tod und Leben, vgl. V. 11), wird jetzt auf der Ebene der Gestalt zur Sprache gebracht (σύμμορφος). Wie sich Brüder ähnlichsehen, so gibt der auferstandene Christus das Modell ab für die durch ihn vom Tod Befreiten. Zwischen der Berufung der Vorherbestimmten und der Verherrlichung der Gerechtfertigten steht also ihre ‚Verähnlichung‘ mit Christus, dem Gottessohn, ihre Angleichung an dessen εἰκών. Christusgeschehen und Christusdarstellung kommen hier in der Identität der Brüder 60 zusammen, und zwar so, dass die durch Christus Befreiten nicht nur aussehen wie Christus, vielmehr auch somatisch an ihm und seinem Geschick Anteil haben und auf diese Weise ihm gleichgestaltet werden. 61 Ihre ‚Ähnlichkeit‘ mit Christus bezieht sich also auf seine δόξα ebenso wie auf sein σῶμα. Denn ebenso wie sein σῶμα auferweckt wurde von den Toten, haben auch sie durch ihn ἀπολύτρωσις τοῦ σώματος Im Unterschied zu 1Kor 15,35–49 (vgl. dazu LORENZEN, Das paulinische Eikon-Konzept [Anm. 22], 146–186) erläutert Paulus das hier nicht näher. Vgl. zu Röm 8,14–30 auch ENGBERG-PEDERSEN, Cosmology and Self (Anm. 24), 51–55. 58 πρόθεσις, κλητός, προγινώσκειν, προορίζειν, καλεῖν. 59 Vgl. zum Ganzen VAN KOOTEN, Paul’s Anthropology in Context (Anm. 2), 199– 218.375–388. 60 Und Schwestern, was für das Verständnis von σύμμορφος nicht völlig belanglos ist! 61 Vgl. LORENZEN, Das paulinische Eikon-Konzept (Anm. 22), 204–206. 57
4. Anthropologie und Ethik im Römerbrief
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zu erwarten (V. 23). Ihre Gott- bzw. Christusebenbildlichkeit hat somit somatische Qualität. Die εἰκών des Gottessohnes, der die durch Christus Befreiten sich angleichen, signalisiert „die somatische Identität von Christus und seinen Nachfolgern“. 62 Das Motiv der Gottebenbildlichkeit wird somit in Röm 8,29 eschatologisch orientiert, christologisch spezifiziert und ekklesiologisch kollektiviert. 63 Schöpfungsmotive werden darin ebenso integriert wie erwählungstheologische Motive. Wichtig für das Verständnis der Christusebenbildlichkeit in Röm 8,29 ist die Dynamik des Geschehens: Es handelt sich wie bei der Vorherbestimmung und Berufung des erwählten Gottesvolkes und der Rechtfertigung und Verherrlichung der an Christus Glaubenden um einen eschatologischen Vorgang, bei dem sich die durch Christus Befreiten seinem Bild anverwandeln (bzw. ihm anverwandelt werden). Vom Argumentationszusammenhang her muss dieser Vorgang als ein pneumatischer, aber zugleich auch als ein somatischer verstanden werden. Im πνεῦμα liegt die schöpferische, lebensspendende, endzeitliche Kraft Gottes verborgen, die aus dem σῶμα τοῦ θανάτου τούτου (7,24) die somatische εἰκών des Gottessohnes erschafft und auf diese Weise den unter Vergänglichkeit leidenden Menschenkindern die δόξα τῶν τέκνων τοῦ θεοῦ verleiht (8,21).
4. Anthropologie und Ethik im Römerbrief im Spannungsfeld von biblisch-jüdischer Überlieferung, griechischer Philosophie und Christusoffenbarung
4. Anthropologie und Ethik im Römerbrief Es ist deutlich geworden, dass Paulus seine Aussagen zur Gottebenbildlichkeit des Menschen auf den Fundamenten biblisch-jüdischer Überlieferungen über die Schöpfung der Welt und die Erwählung Israels aufbaut. Bestimmend für sein Menschenbild im Römerbrief ist und bleibt die grundlegende Polarität von Juden und Nichtjuden, die durch die biblischen Grunderzählungen der Genesis Mit dem Gedanken von der somatischen Identität zwischen Christus und den Glaubenden folge ich der Interpretation von LORENZEN, Das paulinische Eikon-Konzept (Anm. 22), 198–211 (Zitat a.a.O., 210). 63 In die Verknüpfung von Christologie und Soteriologie, die LORENZEN, Das paulinische Eikon-Konzept (Anm. 22), 205, mit Blick auf Röm 8,28–30 zu recht betont, muss also auch die Ekklesiologie, das Verständnis von der Identität des eschatologischen Gottesvolkes als der von Christus in seine Gemeinschaft Berufenen und ihm endzeitlich Anverwandelten, mit einbezogen werden. So auch Lorenzen, a.a.O., 210f: „Wie in 1Kor 15,49 bedeutet εἰκών in Röm 8,29 daher ‚die somatische Identität von Christus und seinen Nachfolgern‘. … Durch diese eschatologische Gottessohnschaft ergibt sich eine Verknüpfung zur Israelthematik in Kap. 9–11, und nicht umsonst erwähnt Paulus in 9,4 die Gottessohnschaft Israels.“ Hier ist der Anschluss gewonnen zu meiner anthropologisch orientierten Lektüre von Röm 9–11 in NIEBUHR, „Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Anm. 27). 62
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Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik
(und damit der Tora) konstituiert wird, für die weiteren biblischen Schriftengruppen (Prophetie, Weisheitsliteratur) bestimmend ist und in der frühjüdischen Literatur prinzipiell unhinterfragt bleibt. Solche Schöpfungs- und Israelüberlieferungen sind im Frühjudentum schon vor Paulus zumindest partiell in einen endzeitlichen Horizont gerückt und dadurch substantiell weiterentwickelt worden. In anthropologischer und ethischer Hinsicht traten dabei insbesondere Gerichtsaussagen über Israel und die Völker bzw. über einzelne Gerechte und Gottlose in den Fokus. Diese endzeitliche Perspektive auf den Menschen und sein Tun und Denken gehört zu den frühjüdischen Vorgaben, die Paulus seiner Argumentation im Römerbrief erkennbar zugrunde legt. 64 Die beiden hier näher betrachteten paulinischen Argumentationen haben darüber hinaus eine Reihe von Argumenten, Begriffen und Stilmitteln vor Augen geführt, die in der weitläufigen philosophischen oder wenigstens philosophisch durchtränkten nichtjüdischen hellenistisch-römischen Literatur verbreitet sind. Nicht dass damit diese Argumente, Begriffe oder Stilmittel bei Paulus selbst zu ‚nichtjüdischen‘ würden. Vielmehr wird man annehmen können, dass Paulus sie bereits vermittelt über das ihm zeitgenössische Frühjudentum rezipiert hat, wofür Philon, aber etwa auch die Sapientia Salomonis die nächstliegenden Belege bieten. Gerade an anthropologischen und ethischen Textzusammenhängen erweisen sich somit wechselseitige Wahrnehmungen bei Paulus als besonders ergiebig, wenn sie das dreipolige Spannungsfeld von Frühjudentum, hellenistisch-römischer Philosophie und frühem Christentum mit seinen Interferenzen vermessen. Paulus entwickelt im Römerbrief seine Argumentation auf der Basis seines Verständnisses des Christusgeschehens als eines Rettungsgeschehens für Juden und Nichtjuden. Wird damit auch sein Menschenbild durch die Polarität von Juden und Nichtjuden geprägt, die letztlich das Menschsein von der Schöpfung bis zur eschatologischen Vollendung bestimmt, so lässt sich doch in anthropologischer und ethischer Hinsicht das Motiv der Gottebenbildlichkeit als eine übergreifende Kategorie erkennen, die im Römerbrief freilich eher als Hintergrundgedanke fungiert, der in dem Argument von der Entsprechung des geschaffenen Menschen zur Doxa seines Schöpfers (Röm 1,23) und in der Christusebenbildlichkeit des Glaubenden mitschwingt. Zweifellos hat das Motiv der Gottebenbildlichkeit längst nicht dieselbe strukturierende Kraft für das ethische Denken des Paulus wie die Polarität von Juden und Nichtjuden für seine Anthropologie. Immerhin lassen aber Bezugnahmen auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen (zu denen neben den hier behandelten Argumentationen aus dem Römerbrief vor allem die in den beiden Korintherbriefen und im Philipperbrief hinzutreten müssten) erkennen, dass 64 Vgl. dazu MATTHIAS KONRADT, Gericht und Gemeinde. Eine Studie zur Bedeutung und Funktion von Gerichtsaussagen im Rahmen der paulinischen Ekklesiologie und Ethik, BZNW 117, Berlin/New York 2003, 496–520.
4. Anthropologie und Ethik im Römerbrief
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Paulus sich auch anthropologisch-ethischer Kategorien bedienen kann, die in der zeitgenössischen Philosophie außerordentlich hohe Bedeutung hatten. Bei der Frage nach einem christlichen Menschenbild und seinen Zusammenhängen mit einer christlichen Ethik, die sich auf das Zeugnis des Paulus stützen will, sollten solche religionsgeschichtlichen Zusammenhänge nicht übersehen werden. Sie bieten antike Analogien auch für gegenwärtige Diskurse über den Menschen, sein Denken und sein Tun, in denen die christliche Perspektive längst schon lediglich nur noch eine unter verschiedenen jeweils wechselseitigen Wahrnehmungen ist und sein kann.
Adam’s Sin and the Origin of Death Paul’s Argument in Romans 5:12–14 in the Light of Jewish Texts from the Second Temple Period Introduction One of the numerous merits of Greg Sterling’s scholarly work has been to overcome the mutual isolation of Philonic studies and New Testament exegesis. I greatly appreciate his approach and feel honored to contribute to this Festschrift a piece that follows his footsteps by placing Philo in the context of the New Testament, and the writings of the New Testament in the context of Philo conversely. By doing so I follow the approach of the Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (CJHNT) that has been developed further during the last two decades by a team consisting of Christfried Böttrich, Roland Deines, Jens Herzer and myself, together with several colleagues. 1 Our aim has been to study the New Testament texts and ancient Jewish writings in ‘mutual perception’ (‘in wechselseitiger Wahrnehmung’). In a way different from focusing on genealogical relations between early Jewish and Christian texts, we are nevertheless convinced that the Greek New Testament writings belong to a milieu closely related to Jewish sources written in or translated into Greek in prerabbinic times that is formative for most of them. Philo certainly is one of the most important representatives of that milieu. However, Philo is to be studied in context too, with regard to other Jewish texts in Greek and to the New Testament writings as well. The same applies, of course, to Paul, as most New Testament scholars today will fortunately agree. Therefore, I choose as an example a short passage of Paul’s letter to the Romans that played an important part in Pauline studies with respect to Paul’s
1 Cf. ROLAND DEINES/KARL-WILHELM NIEBUHR, The Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti-Project. From the Past to the Future, Early Christianity 1, 2010, 633–639. Greg Sterling contributed to our project by a keynote lecture given at the first international Symposium of CJHNT in Eisenach, see GREGORY E. STERLING, The Place of Philo of Alexandria in the Study of Christian Origins, in: ROLAND DEINES/KARL-WILHELM NIEBUHR (Ed.), Philo und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. I. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum 1.–4. Mai 2003, Eisenach/Jena, WUNT 172, Tübingen 2004, 21–52. – A shorter version of this article has been published in SPhilo Annual 32, 2020, 205-225 (= FS G. E. Sterling).
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Adam’s Sin and the Origin of Death
cosmology and anthropology. 2 In Romans 5, Paul develops his “new perspective of faith in relation to the individual and to humanity at large”. 3 To place that step of Paul’s argument in relation not only to Philo, but also to other Jewish voices from a Hellenistic-Roman milieu may enrich our insights into a broader field of ancient reflection on the human being that formed the NT message originally. In what follows I do not intend to present a full exegetical analysis of Romans 5:12–21. 4 My main intention is to introduce to the readership of this journal (and to the person honored by this Festschrift in particular) the method and the approach of the CJHNT project. By choosing Rom 5:12–14 as an example I seek to illustrate how the ancient Jewish sources consulted can illuminate Paul’s argument on the origin of sin and death of human beings – and vice versa.
1. The Structure of Argument in the CJHNT Project
1. The Structure of Argument in the CJHNT Project I begin with some short explanations of the approach of the CJHNT. The objective of the project is to improve the understanding of New Testament writings by systematically placing them in the context of ancient Jewish literature, religion and culture. In the end, the work will consist of collections of testimonies from Hellenistic-Jewish sources arranged according to the order of the New Testament writings and its pericopes. To step beyond earlier approaches of exploiting Jewish sources contemporary to the New Testament, we decided to include in our research both the context of the NT passages in view and the 2 I have published a second case study on Rom 1:19–23, see KARL-WILHELM NIEBUHR, Das Neue Testament im Kontext jüdisch-hellenistischer Literatur. Röm 1,19–23 als Testfall, in: GYÖRGY BENYIK (Ed.), The Hellenistic and Judaic Background to the New Testament. 29th International Biblical Conference Szeged 27–29 August, 2018, Szeged 2020, 327–342 [in this volume 259–273] (English translation: Right Knowledge of God and the Rejection of False Religion: Abraham in Romans 1, in: CLAUDIA D. BERGMANN/THOMAS R. BLANTON IV (Ed.), Abraham as Ritual Model in Jewish and Christian Contexts, Leiden forthcoming). 3 The formulation is James Dunn’s in his commentary on Romans, see JAMES D. G. DUNN, Romans 1–8, WBC 38A, Dallas 1988, 242. 4 See for this JOHN M. G. BARCLAY , Under Grace: The Christ-Gift and the Construction of a Christian Habitus, in: BEVERLY R. GAVENTA (Ed.), Apocalyptic Paul: Cosmos and Anthropos in Romans 5–8, Waco 2013, 59–76; JENS ADAM, Paulus und die Versöhnung aller. Eine Studie zum paulinischen Heilsuniversalismus, Neukirchen-Vluyn 2009, 315–338; DAVID HELLHOLM, Universalität und Partikularität. Die amplifikatorische Struktur von Römer 5,12–21, in: DIETER SAENGER/ULRICH MELL (Ed.), Paulus und Johannes. Exegetische Studien zur paulinischen und johanneischen Theologie und Literatur, WUNT 198, Tübingen 2006, 217–269; MARTINUS C. DE BOER, The Defeat of Death: Apocalyptic Eschatology in 1 Corinthians 15 and Romans 5, JSNTS 22, Sheffield 1988, 141–180.
1. The Structure of Argument in the CJHNT Project
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context of the extracts taken from selected Jewish writings. Therefore, a constitutive part of our approach is to comment on the selected testimonies and on the profit that they offer for a better understanding of the New Testament passages. A second aim is to place the selected Jewish sources and testimonies in the history of modern research. To this end, the editors of the fascicles of the CJHNT are committed to consult systematically a selection of scholarly monographs, commentaries and studies published during the last century, including at least one older commentary in English, German or French, and to document all references to Hellenistic-Jewish sources that are dealt with there. A selection of works consistently consulted for a New Testament writing as a whole is searched in every volume, supplemented by studies devoted to particular pericopes that are documented at the head of every entry (A [Secondary Literature]). Then follows the documentation of all references to Jewish-Hellenistic sources as discovered in modern research, structured according to our list of sources (B [Synopsis of References]). 5 A particularly important step to prepare the presentation of the material is to justify the selection of those testimonies to be presented in larger extracts. Obviously, the number of references is much higher than the space available in a published volume, or even any sort of electronic publication, as long as more is pursued than just a mechanical presentation of the material. However, to select particular testimonies not simply by chance or by the limited acquaintance of the editor calls for a set of criteria. Therefore, each entry contains a discussion of the complete evidence from Jewish sources and justifies the selection of texts quoted word-for-word and interpreted in more detail afterwards (C [Justification of Selection of Presented References]). The core part of the project is the section where the extracts from Jewish sources are presented in their original language (Greek or Latin 6) and in English or German translation (D [Presentation of Selected References]). This section normally consists of six sub-sections: (a) specific studies dealing with the Jewish texts quoted, (b) an introduction to the context and the contents of the passage quoted, (c) the excerpt in original language (or in the ancient language of transmission), (d) textual-critical or philological annotations or explanations, (e) the excerpt in German or English translation (new translations prepared by the editors), (f) comments about the excerpt. Every entry ends by
For works used in this article, see Appendix II: Consistently Consulted Works. For the structure of entries, see Appendix I; for the order of extracts from Jewish sources, see Appendix III. 6 The editors decided to quote sources transmitted in oriental languages only in modern translations. 5
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Adam’s Sin and the Origin of Death
summarizing the results of the consultation of the Jewish testimonies for a better understanding of the New Testament pericope (E [Conclusion and Results regarding the NT passage]).
2. The Place of Romans 5:12–14 in the Argument of Paul’s Letter to the Romans
2. The Place of Romans 5:12–14 in the Argument To avoid an isolated collection of parallels, every entry has to take into consideration the flow of thoughts of the text to be illustrated as well as of the Jewish sources consulted. The place of chapter 5 in the flow of thoughts in Paul’s letter to the Romans is disputed. 7 Recent commentators prefer to attribute the chapter as conclusion to the first argumentative circle of the letter. 8 Others consider Romans 5 to being the first part of the second main section, reaching to the end of chapter 8. 9 I regard the chapter as a hinge between the first and the second section of Paul’s argument. It concludes the argument on the sin of all human beings and their justification by faith in Christ (chapters 1–4), and it opens a new argument focused on the new life of the believers in Christ (chapters 6– 8). That function as a hinge also occurs as inner structure of the chapter itself. It starts by drawing the conclusion from the justification of those who believe in Christ for their present and future life (5:1–5). Then follows a retrospect to the salvific agency of God for the sinners in Jesus Christ’s death (5:6–11). In the second half of the chapter (5:12–21) Paul contrasts the sin and the fate of Adam – the one (and first) man, that resulted in the reign of death – to the gift of eternal life for all who believe in Christ – the other (and last) man, that resulted in their future and eternal life. 10 The focus on death and life in Rom 5:12–21 emerges if we analyse the paragraph by distinguishing between the thema and the rhema. 11 It becomes clear
7 See for discussion ULRICH WILCKENS, Der Brief an die Römer. Bd. 1: Röm 1–5, EKK VI/1, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1987, 181f. 8 DUNN, Romans (n. 3), 242–244; MICHAEL WOLTER, Der Brief an die Römer. Vol. I: Röm 1–8, EKK VI/1, Neukirchen-Vluyn/Ostfildern 2014, 69–71; KLAUS HAACKER, Der Brief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Leipzig 42012, 133–135. 9 ARLAND J. HULTGREN, Paul’s Letter to the Romans. A Commmentary, Grand Rapids 2011, 197–199. 10 The verb βασιλεύσῃ is an aorist subjunctive with a future sense, cf. BDF § 363. 11 The thema – rhema terminology is borrowed from linguistics, specifically from functional grammar of the “Prague-School”. It distinguishes between elements in a sentence or text mentioned or established already and newly introduced aspects of meaning; cf. as introduction with critical reflections KLAUS BRINKER/HERMANN COELFEN/STEFFEN PAPPERT, Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden, Berlin 82014, 44–60.
2. The Place of Romans 5:12–14 in the Argument
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by applying that method that Paul in Rom 5:12–21 pursues forward his argument to another focus. After having finished the discussion on justification of all sinners by faith in Jesus Christ (= thema), he looks back to the origins of sin of all human beings with Adam, the first who sinned (= rhema). After having demonstrated that God in the salvific events of death and resurrection of Jesus Christ deprived sin of its power (= thema), Paul continues to reflect on the power of death and its disempowerment resulting from that events (= rhema). 12 From a semantic point of view, in Rom 5:12–21 Paul introduces a new lexical field. The first half of the chapter is thoroughly determined by the terminology of justification (δικαιωθέντες οὖν ἐκ πίστεως, χάρις, καυχᾶσθαι, ἔτι ἁμαρτωλῶν ὄντων ἡμῶν Χριστὸς ὑπὲρ ἡμῶν ἀπέθανεν, σωθησόμεθα δι’ αὐτοῦ ἀπὸ τῆς ὀργῆς). In the second half this terminology changes, and the semantic opposition of death and life comes to the fore. That death “reigned” (ἐβασίλευσεν, 5:14) from Adam to Moses is a new problem that Paul wants to solve in Romans 5:15–21 when he once more turns to the death of Christ and its salvific results (cf. διὰ τῆς ὑπακοῆς τοῦ ἑνὸς δίκαιοι κατασταθήσονται οἱ πολλοί in v. 19). The problem of death or mortality appeared in Romans only peripherally before (cf. 1:32: οἱ τὰ τοιαῦτα πράσσοντες ἄξιοι θανάτου εἰσίν). From Rom 5:12 onwards, however, it becomes the core issue. 13 Of course, there is continuity in the flow of thoughts as well, as is testified by the semantic opposition between sin and transgression on the one hand and grace and justification on the other. At the end of the paragraph Paul summarizes “that, as sin reigned in death, grace also might reign through righteousness leading to eternal life through Jesus Christ our Lord” (5:21). It follows from this analysis of the place of Rom 5:12–21 in the argument of Paul that to shed new light on it from Jewish sources we should look for such related texts in particular where similar anthropological topics are in the focus. To illuminate Paul’s argument from contemporary Jewish sources, we shall focus on texts where, by pointing back to Adam, the reflection on the origins and the power of death or the mortality of human beings is in view, rather than to consult any references to sin as a typical feature of humankind in general. This preliminary decision guides our discussion of the Jewish material exploited in studies on Romans 5 so far.
12 Cf. C. CLIFTON BLACK, Pauline Perspectives on Death in Romans 5–8, JBL 103, 1984, 413–433: 420: “Paul’s main interest in this section is not the origin of sin but the origin of death.” 13 The word θάνατος occurs 21 times in Rom 5–8, ἀποθνῄσκειν 17 times; a similar ratio could be shown with regard to terms of life and living (ζωή occurs only in 2:7 and then 12 times in Rom 6–8, ζῆν only in 1:17 and then 12 times in Rom 6–8).
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Adam’s Sin and the Origin of Death
Thema and Rhema in Romans 5:12–21 12 Therefore, just as sin came into the world through one man, and death through sin, and so death spread to all men because all sinned 13 for sin indeed was in the world before the law was given, but sin is not counted where there is no law. 14 Yet death reigned from Adam to Moses, even over those whose sinning was not like the transgression of Adam, who was a type of the one who was to come. 15 But the free gift is not like the trespass. For if many died through one man’s trespass, much more have the grace of God and the free gift by the grace of that one man Jesus Christ abounded for many. 16 And the free gift is not like the result of that one man’s sin. For the judgment following one trespass brought condemnation, but the free gift following many trespasses brought justification. 17 For if, because of one man’s trespass, death reigned through that one man, much more will those who receive the abundance of grace and the free gift of righteousness reign in life through the one man Jesus Christ. 18 Therefore, as one trespass led to condemnation for all men (sc. to death), so one act of righteousness leads to justification and life for all men. 19 For as by the one man’s disobedience the many were made sinners, so by the one man’s obedience the many will be made righteous. 20 Now the law came in to increase the trespass, but where sin increased, grace abounded all the more, 21 so that, as sin reigned in death, grace also might reign through righteousness leading to eternal life through Jesus Christ our Lord. Sin is thema, death is rhema v. 12 death spread to all men v. 14 death reigned v. 15 if many died v. 17 death reigned v. 18 condemnation for all men (sc. to death) v. 21 sin reigned in death Jesus Christ is thema, Adam is rhema v. 12 through one man v. 13 before the law was given … where there is no law v. 14 from Adam to Moses … the transgression of Adam v. 15 through one man’s trespass v. 16 one man’s sin … judgment following one trespass v. 17 because of one man’s trespass … through that one man v. 18 one trespass v. 19 by the one man’s disobedience
3. Romans 5:12–14 in Context: The Origin of Death in Hellenistic-Jewish Literature
3. Romans 5:12–14 in Context
A Special Studies on Rom 5:12–21 in its Jewish Context ADAM, JENS, Paulus und die Versöhung aller. Eine Studie zum paulinischen Heilsuniversalismus, Neukirchen-Vluyn 2009, 315–338; BLACK, C. CLIFTON, Pauline Perspectives on Death in Romans 5–8, JBL 103, 1984, 413–433; DE BOER, MARTIN C., The Defeat of Death:
3. Romans 5:12–14 in Context
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Apocalyptic Eschatology in 1 Corinthians 15 and Romans 5, JSNTS 22, Sheffield 1988; BRANDENBURGER, EGON, Adam und Christus: Exegetisch-religionsgeschichtliche Untersuchung zu Röm. 5,12–21 (1. Kor. 15), WMANT 7, Neukirchen-Vluyn 1962; CROASMUN, MATTHEW, The Emergence of Sin: The Cosmic Tyrant in Romans, Oxford 2017, 102–139; FEUILLET, ANDRÉ, Le règne de la mort et le règne de la vie (Rom. v, 12–21), RB 77, 1970, 481–521; GABRIELSON, TIMOTHY A., Primeval History according to Paul: “In Adam” and “In Christ” in Romans, PhD diss. Marquette University, 2015, 91–177; HELLHOLM, DAVID, Universalität und Partikularität. Die amplifikatorische Struktur von Römer 5,12–21, in: DIETER SÄNGER/ULRICH MELL (Ed.), Paulus und Johannes. Exegetische Studien zur paulinischen und johanneischen Theologie und Literatur, WUNT 198, Tübingen 2006, 217–269; TOBIN, THOMAS H., The Jewish Context of Rom 5:12–14, SPhiloA 13, 2001, 159–175.
B Synopsis of References from Jewish-Hellenistic Literature 14 |1| Gen 2:17; 3:19 (N28); Deut 32:5 (W); Bar 4:1 (Jewett 377); WIS 1:12–15 (W, NW, Dunn 273, Haacker 143.144); 2:23f. (N28, W, NW, Sanday 137, Michel 186, Dunn 272, Jewett 374, Lohse 175, Haacker 142.143, Wolter 342f.); Sir 14:17 (Dunn 272, Haacker 142); 25:24 (W, Sanday 137, Lietzmann 61, Dunn 272, Jewett 374, Haacker 142, Wolter 342f.); 49:16 (Jewett 374) |4| Opif. 46 (Hultgren 220); 134f. (Lohse 178, Hultgren 220); Mos. 2,147 (Dunn 274); Leg. 1,31f. (Dunn 277, Lohse 178); 40–51; Gig. 3 (Sanday 135); Deus [= Imm.] 134 (Dunn 274); Conf. 41, 62f., 146f. (Dunn 277); QG 1,51 |5| A.J. 1,40–51; 1,82 (W); 5,218 (Jewett 378); 8,62 (W) |6| Sib. Or. 3,757 (Jewett 377) |7| Apoc. Ab. 23:5–11; 2 Bar. 17:3; 23:4f. (N28, Dunn 272, Haacker 142, Hultgren 221, Wolter 343); 24:1 (Dunn 274); 48:40–43; 54:14f., 19 (N28, Sanday 137, Lietzmann 61, Michel 187, Dunn 272.274, Hultgren 221, Wolter 342ff); 56:5f. (Dunn 272, Wolter 342f.); 4 Ezra 3:5–7, 21f., 25 (N28, Dunn 272, Jewett 374, Hultgren 221, Wolter 342f.); 4:30 (Dunn 272, Jewett 374, Hultgren 221, Wolter 342f.); 7:10f. (Wolter 342f.); 7:48 (Hultgren 221); 7:116–118 (Sanday 137, Lietzmann 61, Michel 187, Dunn 272, Lohse 175, Hultgren 221, Wolter 342); 8:35 (Dunn 274, Hultgren 221); 1 En. 5:9 (Hultgren 221); 6:2–10:12 (Jewett 374); 69:6 (Jewett 374); 81:3 (Wolter 342); 104:7 (Dunn 274, Haacker 144); 2 En. 30:10, 16, 18 (Dunn 272); 33:10 (Jewett 374); 58:1f. (Jewett 374); Jub. 2:33 (Jewett 377); 4:22 (Jewett 374); 5:1–14 (Jewett 374); 7:21–25 (Jewett 374*); 24:11 (Jewett 377); 30:19–23 (Dunn 274, Haacker 144); LAB 13:8; LAE [Apoc. Mos.] 9:1–11:3 (Jewett 374); 14:2 (Dunn 272, Wolter 343); 32:2 (Dunn 272, Wolter 342); 39:1–3 |8| Apoc. Adam 21:1 (Jewett 374).
For the order of references and abbreviations, see Appendix III. Bold passages are selected for word-for-word presentations. 14
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Adam’s Sin and the Origin of Death
C Justification of the Selection of Presented References The biblical background of Paul’s appeal to Adam’s sin is Genesis 2f., with a particular focus on the commandment in Gen 2:17 not to eat of the tree of knowledge of good and evil. Although the punishment for violation of that commandment is to “surely die”, Adam and Eve do not die immediately after their sin, 15 but have to leave paradise either to work hard or to bring forth children in pain respectively (Gen 3:16, 19). 16 Other references in Scripture to this particular part of the paradise story are sparse and rather incidental. When Sir 14:17 reads “All flesh becomes old like a garment, for the covenant of old is, ‘By death you shall die!’”, this is part of a reflection on human mortality in general (cf. Sir 14:11–19), without reference to the origin of death with Adam. This is different in Sir 25:24 “From the woman is the beginning of sin, and because of her we all die.” However, here Adam’s wife appears to be the cause of sin and death. 17 The only passage in the Septuagint focused on reflection about the origin of death related to the world created by God is Wis 1:12–15; 2:23f. Therefore, this text has been selected for a word-for-word presentation in the CJHNT. Most references to Jewish literature in commentaries point to the large field of “Pseudonym or Anonym Texts Referring to Biblical Figures”. 18 However, the majority of testimonies mentioned there appear to be rather loose allusions to the creation of man (and woman, cf. 1 En. 69:6; 2 En. 30:17f.) or to the topic of sin in general (cf. 2 Bar. 24:1; 1 En. 5:9; 81:3; 104:7; Jub. 30:19–23). 19 Only Apoc. Ab. 23 qualifies the seduction of Adam and Eve in paradise as the origin of human desire and sexual drive that leads the couple to impiousness and perdition; it makes this claim, however, without reflecting on the problem of death or mortality. Thus, from this stock of consistently consulted sources only the references in 2 Baruch and 4 Ezra remain. I have added one passage from the Greek Life of Adam and Eve (LAE = Apoc. Mos.) not mentioned in any of 15 Philo, Opif. 169, infers from that incongruence that God “being merciful by nature, took compassion and moderated the punishment. He allowed the race to survive …” (all translations from Opif. follow PACS). 16 Deut 32:5 and Bar 4:1 deal with human sin in general or with the Book of the Law as the reason for death or life, without reflecting the problem of origin of sin and death. 17 Sir 49:16 refers to Adam as “above every living thing in creation”, but not to his sin and death. For the argument that Eve’s culpability surfaces in Rom 7, see, NICK ELDER, ‘Wretch I Am!’ Eve’s Tragic Speech-in-Character in Romans 7:7–25, JBL 137, 2018, 743– 763. 18 Section 7 in our order of references. 19 1 En. 6:2–10:12; Jub. 4:22; 5:1–14; 7:21–25, mentioned by Jewett, retell the story of Gen 6:1–4, but have nothing to do with Adam, sin and death. 1 En. 69:6 (mentioned by Jewett as well) refers to Eve as seduced, not to Adam. 2 En. 33:10 and 58:1f. refer to Adam, but not to his sin. Jub. 2:33; 24:11; Sib. Or. 3,757 are not at all related to the topic of Rom 5. Apoc Adam 21:1 as stated by Jewett seems to be a misprint.
3. Romans 5:12–14 in Context
305
them. 20 In all three writings, the sin and death of all human beings form the central theological problem to solve based on the traditions about Adam. As a task for the introductions to the entries it remains to justify the selection of extracts out of these writings that are most illuminative for a better understanding of Rom 5:12–14 in context. Philo of Alexandria is another Jewish author engaged in interpreting the biblical reports on the creation of humankind. 21 Philo devotes large parts of his treatise De opificio mundi (the first part of his Exposition of the Law) 22 to the creation of man as recounted twice in the Bible. Moreover, he returns to Adam several times in his Allegorical Commentary (cf. Leg. 1,31f.; Conf. 41, 62f., 146f.) and in another commentary on the Pentateuch (QG 1,51). 23 Philo’s arguments in Leg. 1,31f. and QG 1,51 are quite close to his interpretation of Gen 2:7 in Opif. 134f. At both places he deduces from the biblical text the ‘double nature’ of man, being “moulded not only from the earth but also from the divine spirit” (QG 1,51). Therefore, the human being “becomes … a soul endowed with mind and actually alive” (Leg. 1,32). In Opif. 134f. Philo focuses on the idea of mortality and immortality of human beings. 24 Therefore, to illuminate Paul’s thoughts in Rom 5:12–14 we chose that passage for a word-for-word presentation.
LAE 39,1–3. See also LAB 13:8: “This is the place concerning which I taught the first man, saying, ‘If you do not transgress what I have commanded you, all things will be subject to you.’ But that man transgressed my ways and was persuaded by his wife; and she was deceived by the serpent. And then death was ordained for the generations of man.” However, the last sentence is missing in important manuscripts, an interpolation caused, perhaps, by allusion to Rom 5:12? (cf. HOWARD JACOBSON, A Commentary on Pseudo-Philo’s Liber Antiquitatum Biblicarum: With Latin Text and English Translation, AGJU 31, Leiden 1996, 521: “The fact that the entire sentence is missing in the π tradition may be taken in different ways. The statement could be a Christian addition to our text. On the other hand, it could have been removed from the text by a Jew who did not hold this view and felt the sentiment sounded too Christian.”); for interpretation see THOMAS H. TOBIN, The Jewish Context of Rom 5:12–14, SPhiloA 13, 2001, 159–175: 168f. 21 The references to Adam in Josephus (A.J. 1,82; 8,62) point to Adam as starting point for counting the generations of humankind, but not to his sin. In A.J. 1,40–51, Josephus retells the biblical story without particular accents (A.J. 5,218, mentioned by Jewett, seems to be a misprint). 22 For a systematic order of Philo’s works see recently GREGORY E. STERLING, The Structure of Philo’s Allegorical Commentary, ThLZ 143, 2018, 1225–1238: 1230–1235. 23 In Deus [= Imm.] 134 Philo deals with the problem of sin due to ignorance. In Mos. 2,147 he articulates, with regard to the offering of a calf according to Exod 29:1, 10, that “sin is congenital to every created being”. In Gig. 3 he refers to Noah, not to Adam, by declaring that “the birth of just Noah and his sons should make evident the abundance of the unjust”. 24 Opif. 46, indicated by Hultgren, seems to be a misprint (perhaps to mean 146?). 20
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Adam’s Sin and the Origin of Death
D Presentation of Selected References 1. Where Does the Death Come From? (Wis 1:12–15; 2:23f.) (a) Special Studies BRANDENBURGER, EGON, Adam und Christus. Exegetisch-religionsgeschichtliche Untersuchung zu Röm. 5,12–21 (1. Kor. 15), WMANT 7, Neukirchen-Vluyn 1962, 49–52; COLLINS, JOHN J., Wisdom and Immortality, in: IDEM, Jewish Wisdom in the Hellenistic Age, Edinburgh 1998, 178–195: 187–190; GAVENTA, BEVERLY R., The Rhetoric of Death in the Wisdom of Solomon and the Letters of Paul, in: The Listening Heart. Essays in wisdom and the Psalms (FS R. E. Murphy), ed. KENNETH G. HOGLUND, JSOT 58, Sheffield 1987, 127–141; KOLARCIK, MICHAEL, The Ambiguity of Death in the Book of Wisdom: A Study of Literary Structure and Interpretation, Roma 1991, 63–81; LEVISON, JOHN R., Portraits of Adam in Early Judaism: From Sirach to 2 Baruch, JSPES 1, Sheffield 1988, 49–62; MAZZINGHI, LUCA, Weisheit, IEKAT, Stuttgart 2018, 70–75, 98–101; TAYLOR, R. J., The Eschatological Meaning of Life and Death in the Book of Wisdom I–V, ETL 42, 1966, 72–137: 101–116; TOBIN, THOMAS H., The Jewish Context of Rom 5:12–14, SPhiloA 13, 2001, 159–175: 160f.
(b) Introduction The theme of the death of the sinners and the life of the righteous governs the first main section of the Wisdom of Solomon. After a brief introduction framed by the demand for justice that is immortal (ἀγαπήσατε δικαιοσύνην … δικαιοσύνη γὰρ ἀθάνατός ἐστιν, Wis 1:1, 15), the fictive speaker King Solomon addresses his royal colleagues by comparing the fate of the ungodly and the righteous (1:16–5:29). 25 The impious belong to the lot of death (2:24) and make a covenant with him (1:16). They are aware of the brevity of human life (2:1–5; cf. 3:16–19; 4:3–6; 5:9–13), but deduct from that insight that they should enjoy the good things that exist and that they may legitimately persecute and oppress the righteous poor (2:10f., 19f.). However, they do not know the divine mysteries of the creation and the completion of the cosmos and humankind (2:22). For God decided to rescue the oppressed and to save the righteous. Even if in the sight of human beings the pious presently suffer and die, in the sight of God they are already accepted and transferred into God’s hand (3:1–8; cf. 3:13–15; 4:1f.; 4:7–15). Eventually, at the end of time, the righteous will stand with great confidence against the impious who have afflicted them (τότε στήσεται ἐν παρρησίᾳ πολλῇ ὁ δίκαιος κατὰ πρόσωπον τῶν θλιψάντων αὐτόν, 5:1) and will render the judgment over them. Then, it will be too late for the evildoers to realize that “the hope of the impious is as dust” and “the righteous live forever” (δίκαιοι δὲ εἰς τὸν αἰῶνα ζῶσιν, 5:14f.). Thus, the focus of the first speech of Solomon is to exhort his addressees to seek justice 25 For introductory questions of the Book of Wisdom see KARL-WILHELM NIEBUHR, Einführung in die Schrift, in: IDEM (Ed.), Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos), SAPERE 27, Tübingen 2015, 3–37 [in Tora und Weisheit 457–491].
3. Romans 5:12–14 in Context
307
and to avoid injustice, yet his main argument is to refer to the consequences of virtuous and evil deeds with regard to enduring life or death. His initial question where the death comes from (1:13; 2:24) is not primarily a theological or philosophical problem to be solved theoretically, but part of rhetorical strategy. (c) Excerpt in Original Language 1:12 μὴ ζηλοῦτε θάνατον ἐν πλάνῃ1 ζωῆς ὑμῶν μηδὲ ἐπισπᾶσθε ὄλεθρον ἐν ἔργοις χειρῶν ὑμῶν· 13 ὅτι ὁ θεὸς θάνατον οὐκ ἐποίησεν οὐδὲ τέρπεται ἐπ’ ἀπωλείᾳ ζώντων. 14 ἔκτισεν γὰρ εἰς τὸ εἶναι τὰ πάντα, καὶ σωτήριοι αἱ γενέσεις2 τοῦ κόσμου, καὶ οὐκ ἔστιν ἐν αὐταῖς φάρμακον ὀλέθρου οὔτε ᾅδου βασίλειον3 ἐπὶ γῆς· 15 δικαιοσύνη γὰρ ἀθάνατός ἐστιν. 2:23 ὅτι ὁ θεὸς ἔκτισεν τὸν ἄνθρωπον ἐπ' ἀφθαρσίᾳ4 καὶ εἰκόνα τῆς ἰδίας ἀϊδιότητος5 ἐποίησεν αὐτόν· 24 φθόνῳ δὲ διαβόλου θάνατος εἰσῆλθεν εἰς τὸν κόσμον, πειράζουσιν δὲ αὐτὸν οἱ τῆς ἐκείνου μερίδος ὄντες. 26
(d) Textual-critical or Philological Annotations Understood as Hebraism, the dative ἐν πλάνῃ is an instrumentalis: “by the error”. γενέσεις means either “generative forces” or the products of creation (= “creatures”). 3 See the opposite in Rom 5:14: ἐβασίλευσεν ὁ θάνατος ἀπὸ Ἀδὰμ μέχρι Μωϋσέως. 4 ἐπί with dative, as in v. 13 ἐπ’ ἀπωλείᾳ with regard to the purpose of God’s creation. 5 ἀϊδιότης (“everlastingness”) is a rare term that should be preferred as lectio difficilior over against ἰδιότης in Ziegler’s edition. 1 2
(e) Excerpt in Translation 1:12 Do not zealously seek death by the error of your life, or bring destruction on yourselves by the deeds of your hands, 13 because God did not make death nor does he delight in the destruction of the living, 14 For he created all things that they might exist, and the generative forces of the world are wholesome, and there is no destructive poison in them, nor is the kingdom of Hades on earth. 15 For righteousness is immortal. 2:23 Because God created human beings for incorruption and made them the image of his own nature, 24 but through the envy of the devil death entered the world, and those who belong to his party experience it. 27
Text: JOSEPH ZIEGLER, Sapientia Salomonis, Göttingen 21980. Translation according to NETS (with the exception of „eternity” in 2:23, see above, Textual-critical and Philological Annotations, 5). 26 27
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Adam’s Sin and the Origin of Death
(f) Comments and Interpretation on the Excerpt The ideas of immortality (ἀθανασία 3:4; 4:1; 8:13, cf. ἀθάνατός ἐστιν 1:15) and incorruption (ἀφθαρσία 2:23; 6:18, 19, cf. ἄφθαρτος 12:1; 18:4) are prominent in the Book of Wisdom more than in any other parts of Scriptures. Compared to such ideas, mythical elements like “the kingdom of Hades” (1:14) or “the envy of the devil” (2:24) are less important for the argument of the author. This corresponds to the language of the book that frequently shows a proximity to ethical or philosophical texts from the Hellenistic-Roman period. 28 However, what at first sight looks like a popular philosophical reflection on the origin of death and mortality turns out to be a paraenetically pointed argument. The theological basis for the ethical exhortation of the author is the biblical and Jewish view on the world and on human beings as created by the God of Israel. 29 God demands from his creatures to obey his will and to consider his eschatological judgment. Nevertheless, the question of death and afterlife occupies the author and his addressees increasingly, in comparison to other parts of Scripture. Obviously, they share a common interest of people of their time in the Hellenistic-Roman period. Seen in this context, the clear line drawn between the reign of God and the power of death is noteworthy. God is not responsible for the humankind’s experience of death, but the evildoers themselves summon their fate by their deeds and words (1:16). It is not by the will of the creator that death entered creation, but through the envy of the devil. 2. The Human Being as a Compound Creature (Philo, Opif. 134f.) (a) Special Studies BRANDENBURGER, EGON, Adam und Christus: Exegetisch-religionsgeschichtliche Untersuchung zu Röm. 5,12–21 (1. Kor. 15), WMANT 7, Neukirchen-Vluyn, 1962, 117–131; DAVID M. HAY, Philo’s Anthropology, the Spiritual Regimen of the Therapeutae, and a Possible Connection with Corinth, in: ROLAND DEINES/KARL-WILHELM NIEBUHR (Ed.), Philo und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. I. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum 1.–4. Mai 2003, Eisenach/Jena, WUNT 172, Tübingen 2004, 127–142; LEVISON, JOHN R., Portraits of Adam in Early Judaism: From Sirach to 2 Baruch, JSPES 1, Sheffield 1988, 63–88; RUNIA, DAVID T., On the Creation of the Cosmos according to Moses: Introduction, Translation and Commentary, PACS 1, Leiden 2001, 321–329; IDEM, Philo of Alexandria and the Timaeus of Plato, Leiden 1986, 334–340; SCHALLER, BERNDT, Adam und Christus bei Paulus. Oder: Über Brauch und Fehlbrauch von Philo in der neutestamentlichen Forschung, in: DEINES/NIEBUHR, Philo und das Neue Testament,
28 See for this KARL-WILHELM NIEBUHR, Die Sapientia Salomonis im Kontext hellenistisch-römischer Philosophie, in: IDEM, Sapientia Salomonis (n. 25), 219–256. 29 Cf. JOHN R. LEVISON, Portraits of Adam in Early Judaism: From Sirach to 2 Baruch, JSPES 1, Sheffield 1988, 49: “The sage does not accept Greco-Roman cosmology and anthropology uncritically. For instance, his limitation of mortality to the pious alone constitute a careful amalgamation of biblical and Platonic spheres of thought.”
3. Romans 5:12–14 in Context
309
ibid., 143–151; TOBIN, THOMAS H., The Creation of Man: Philo and the History of Interpretation, CBQMS 14, Washington 1983, 108–112, 126–128; IDEM, The Jewish Context of Rom 5:12–14, SPhiloA 13, 2001, 159–175: 162–164; WORTHINGTON, JONATHAN, Creation in Paul and Philo. The Beginning and Before, WUNT II/317, Tübingen 2011, 138–203; IDEM, Philo of Alexandria and Romans 5:12–21: Adam, Death, and Grace, in: BEN C. BLACKWELL/JOHN K. GOODRICH/JASON MASTON (Ed.), Reading Romans in Context: Paul and Second Temple Judaism, Grand Rapids 2015, 80–86.
(b) Introduction In Opif. 134 Philo begins the second part of his exegesis of the creation of humanity according to Gen 1f.. The key for his interpretation is the observation that the Book of Genesis reports twice on the creation of humanity (Gen 1:27; 2:7). From that observation, Philo draws the conclusion that first God had made the ‘ideal’ human being, as a type or genre, and only after that created the singular and sense-perceptible particular human beings (ὁ αἰσθητος καὶ ἐπὶ μέρους ἄνθρωπος). After Philo had dealt with the ‘ideal’ human being in Opif. 69–88 and concluded his interpretation by the insight that “the incorporeal and intelligible ideas … are in fact the seals of the completed products perceived by the senses” (129), he turns to the “formed” human being (πλασθείς ἄνθρωπος). 30 First, he emphasizes once more the categorical difference between the ‘ideal’ and the corporeal man (134f.). Whereas the first “came into being” (γεγονώς), the second was formed or “moulded” (διαπλασθείς) by the creator. Then, Philo describes the qualities of human beings consisting of body and soul (136–139) and asserts that these qualities deteriorated from generation to generation (140f.). In the next paragraph, he highlights once more the skills and abilities of human beings (142–150) before he turns to the seduction and fall of the first human couple according to Gen 3 (151–172). The last paragraph of the treatise draws conclusions about lessons to learn from these biblical accounts (170–172). Only in the paragraphs Opif. 134 and 135 in the long presentation of his understanding of the human being does Philo explicitly treat the problem of mortality and death. Therefore, this passage is most illuminating with regard to our approach. 31
For a thorough analysis of Philo’s interpretation of the creation of man in Opif. see WORTHINGTON, Creation in Paul and Philo (Special studies), 138–185; RUNIA, Philo of Alexandria and the Timaeus of Plato (Special studies), 334–340; TOBIN, The Creation of Man (Special studies), 102–134. 31 For discussion of the philosophical background of Philo’s anthropology and the relationship between the two or three concepts of man in Philo, see LEVISON, Portraits of Adam (Special studies), 69–75; RUNIA, Philo of Alexandria and the Timaeus of Plato (Special studies), 334–340; TOBIN, The Creation of Man (Special studies), 126–128. 30
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Adam’s Sin and the Origin of Death
(c) Excerpt in Original Language 134 … ἐναργέστατα καὶ διὰ τούτου παρίστησιν ὅτι διαφορὰ παμμεγέθης ἐστὶ τοῦ τε νῦν πλασθέντος ἀνθρώπου καὶ τοῦ κατὰ τὴν εἰκόνα θεοῦ γεγονότος πρότερον· ὁ μὲν γὰρ διαπλασθεὶς αἰσθητὸς ἤδη μετέχων ποιότητος1, ἐκ σώματος καὶ ψυχῆς συνεστώς, ἀνὴρ ἢ γυνή, φύσει θνητός· ὁ δὲ κατὰ τὴν εἰκόνα ἰδέα τις ἢ γένος ἢ σφραγίς, νοητός, ἀσώματος, οὔτ᾽ ἄρρεν οὔτε θῆλυ, ἄφθαρτος φύσει. 135 τοῦ δ᾽ αἰσθητοῦ καὶ ἐπὶ μέρους ἀνθρώπου τὴν κατασκευὴν2 σύνθετον εἶναί φησιν ἔκ τε γεώδους οὐσίας καὶ πνεύματος θείου· γεγενῆσθαι γὰρ τὸ μὲν σῶμα χοῦν τοῦ τεχνίτου λαβόντος καὶ μορφὴν ἀνθρωπίνην ἐξ αὐτοῦ διαπλάσαντος, τὴν δὲ ψυχὴν ἀπ᾽ οὐδενὸς γενητοῦ τὸ παράπαν, ἀλλ᾽ ἐκ τοῦ πατρὸς καὶ ἡγεμόνος τῶν πάντων· ὃ γὰρ ἐνεφύσησεν, οὐδὲν ἦν ἕτερον ἢ πνεῦμα θεῖον ἀπὸ τῆς μακαρίας καὶ εὐδαίμονος φύσεως ἐκείνης ἀποικίαν τὴν ἐνθάδε στειλάμενον ἐπ᾽ ὠφελείᾳ τοῦ γένους ἡμῶν, ἵν᾽ εἰ καὶ θνητόν ἐστι κατὰ τὴν ὁρατὴν μερίδα, κατὰ γοῦν τὴν ἀόρατον ἀθανατίζηται. διὸ καὶ κυρίως ἄν τις εἴποι τὸν ἄνθρωπον θνητῆς καὶ ἀθανάτου φύσεως εἶναι μεθόριον ἑκατέρας ὅσον ἀναγκαῖόν ἐστι μετέχοντα καὶ γεγενῆσθαι θνητὸν ὁμοῦ καὶ ἀθάνατον, θνητὸν μὲν κατὰ τὸ σῶμα, κατὰ δὲ τὴν διάνοιαν ἀθάνατον. 32
(d) Textual-critical or Philological Annotations 1 The rare word ποιότης is missing in the Septuagint, Josephus, Greek-Jewish literature and the New Testament, but frequently used by Philo (57 references). It occurs in Plato, Theait. 182a, where it is called ἀλλόκοτον ὄνομα. 2 The word κατασκευή means both formation and equipment (in German: “Konstruktion”). The noun is missing in the New Testament, but known to the Septuagint (e.g. Exod 27:19; 1Chr 29:19) and common in Josephus.
(e) Excerpt in Translation 134 … By this also he shows very clearly that there is a vast difference between the man thus formed and the man that came into existence earlier after the image of God: for the man so formed is an object of sense-perception, partaking already of such quality, consisting of body and soul, man or woman, by nature mortal; while he that was after the (Divine) image was an idea or type or seal, as object of thought (only), incorporeal, neither male nor female, by nature incorruptible. 135 It says, however, that the formation of the individual man, the object of sense, is a composite one made up of earthly substance and of Divine breath: for it says that the body was made through the Artificer taking clay and moulding out of it a human form, but that the soul was originated from nothing created whatever, but from the Father and Ruler of all: for that which he breathed in was nothing else than a Divine breath that migrated hither from that blissful and happy existence for the benefit of our race, to the end that, even if it is mortal in respect of its visible part, it may in respect of the part that is invisible be rendered immortal. Hence it may with propriety be said that man is the borderland between mortal and immortal nature, partaking of each so far as is needful, and that he was created at once mortal and immortal, mortal in respect of the body, but in respect of the mind immortal. 33 32 Text: FRANCIS H. COLSON/GEORGE H. WHITAKER, Philo Vol. I, LCL 226, Cambridge/London 1929. 33 Translation: RUNIA, On the Creation (Special studies), 82.
3. Romans 5:12–14 in Context
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(f) Comments and Interpretation on the Excerpt Philo’s careful distinctions with regard to the origin and the qualities of human beings are based on the biblical text on the one hand, and on Platonic traditions on the other. It is not our aim here to comment on Philo’s anthropology in general. 34 More important for our approach is to understand what Philo has in view with regard to the problem of human life and death. However, both questions belong together, for if according to Philo the individual, corporeal human being is a composite consisting of earthly matter and divine breath, or of a body formed from earthly matter and the inbreathed soul stemming from the “Father and Director of all things”, 35 then this unnatural bond has to be dissolved eventually. Therefore, only the ‘ideal’ human being perceptible by reason alone (νοητός) is immortal by nature (ἄφθαρτος φύσει), while the tangible human being, man and woman, consisting of body and soul, by nature is mortal (φύσει θνητός). 36 Sin, in this place, 37 does not play any part in the mortal and perishable constitution of all human beings, 38 as is missing in Philo’s argument any figure of a seducer. The immortal part in human beings, the πνεῦμα θεῖον, is a “guest on earth”, a migrant who founded a colony on earth of his blissful and happy heavenly homeland for our benefit. Thus, human beings are “mortal in
For the rather complicated problem of distinguishing exactly between the two (or even three?) concepts of the human being in Opif. see the comments by RUNIA, ibid., 82, 321– 324. 35 This is a Platonic view on God (cf. Tim. 28c 3–5) pointing back to a Homeric phrase, see REINHARD FELDMEIER, Der oberste Gott als Vater. Die frühjüdische und frühchristliche Rede vom göttlichen Vater im Kontext stoischer und platonischer Kosmos-Theologie, in: IDEM, Der Höchste. Studien zur hellenistischen Religionsgeschichte und zum biblischen Gottesglauben, WUNT 330, Tübingen 2014, 178–193. 36 In Opif. 165, Philo gives a slightly different, rather ‘psychological’ explanation for the mortality of human beings, based on the biblical story of the seduction of Adam by Eve: As “in us the intellect has the role of man, while sense-perception has that of woman. Pleasure encounters and consorts with the senses first, and through them she deceives the ruling intellect as well. … He (sc. reason) is immediately ensnared. Instead of being a ruler he becomes a subject, a slave instead of a lord, an exile instead of a citizen, a mortal instead of an immortal being (θνητὸς ἀντ᾽ ἀθανάτου γίνεται).” 37 This may be different at other places (e.g., Leg. 1,35) where “Philo does have a concept of sin, using both nouns ἁμάρτημα and ἁμαρτία copiously, and the verb ἁμαρτάνω. Such sin is undoubtedly linked in some way to composite human nature” (Michael Cover by personal communication). 38 See WORTHINGTON, Philo of Alexandria and Romans 5:12–21 (Special studies), 82f.: “Philo uses strong language, but we should not think he is arguing for some universal state of affairs because of what Adam did. … There is not, however, an inescapable wrath, slavery, or death that began when and because Adam transgressed. Just do not act like he did when tempted!” 34
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Adam’s Sin and the Origin of Death
respect of the body, immortal in respect of the mind”. The human being, according to Philo, is a mixture standing “on the borderline” 39 (μεθόριον) between mortal and immortal nature. 40 3. Adam’s Sin and Its Aftermath (4 Ezra and 2 Baruch) (a) Special Studies BRANDENBURGER, EGON, Adam und Christus: Exegetisch-religionsgeschichtliche Untersuchung zu Röm. 5,12–21 (1. Kor. 15), WMANT 7, Neukirchen-Vluyn 1962, 55–58; LEVISON, JOHN R., Portraits of Adam in Early Judaism: From Sirach to 2 Baruch, JSPES 1, Sheffield 1988, 113–144; LONGENECKER, BRUCE W., Eschatology and the Covenant: A Comparison of 4 Ezra and Romans 1–11, JSPES 57, Sheffield 1991, 50–65, 75–98; TOBIN, THOMAS H., The Jewish Context of Rom 5:12–14, SPhiloA 13, 2001, 159–175: 165–167.
(b) Introduction to 4 Ezra For both the Ezra Apocalypse (= 4 Ezra) and the Syriac Apocalypse of Baruch (= 2 Bar.) the perspective of the ‘historical’ authors after the destruction of Jerusalem and the temple in the first Jewish War is decisive. Both works reflect the consequences of the fall of Jerusalem with regard to the present situation of the people of Israel and the understanding of the true nature of the human being in general. By fictive voices of two prophetic figures of the Bible situated prominently in the aftermath of the destruction of the temple in the year 587 BCE, the authors thus comment on the catastrophe of the year 70 CE. 41
39 As translated by RUNIA, On the Creation (Special studies), 327. The word μεθόριος is another Platonic term very common in Philo (see references in RUNIA, ibid.). 40 See also 2 En. 30:10 for a very similar view on the creation of man: “From invisible and visible substance I created man. From both his natures come both death and life.” In 2 En. 30:17, the origin of sin and death is traced back to the “nature” of man: “Whereas I have come to know his nature, he does not know his own nature. That is why ignorance is more lamentable than the sin such as it is in him to sin. And I said: ‘After sin there is nothing for it but death.’” See for this text also GEORGE E. STERLING, Recherché or Representative? What is the Relationship between Philo’s Treatises and Greek-speaking Judaism?, SPhiloA 11, 1999, 1–30: 8–10. 41 Probably, both works are written in the period between the first and the second Jewish War and have a partly common history of origin. 4 Ezra may be slightly older than 2 Bar. and perhaps has been used by its author. See for details of scholarly discussion FOLKER SIEGERT, Einleitung in die hellenistisch-jüdische Literatur. Apokrypha, Pseudepigrapha und Fragmente verlorener Autorenwerke, Berlin/Boston 2016, 350–378; ALBERT-MARIE DENIS, Introduction à la littérature religieuse judéo-hellénistique, Turnhout 2000, 719–747, 815– 853.
3. Romans 5:12–14 in Context
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The main corpus of 4 Ezra consists of a cycle of seven visions that reflect the fate of Israel (visio I–IV) and her eschatological future (visio V–VII). 42 The horizon of such a reflection, however, is not restricted to Israel, the elected people according to biblical tradition. It is much broader and includes the history of all humankind, beginning with Adam and looking ahead to the end of time – and the time beyond. 43 I chose for presentation two extracts that treat in extenso Adam’s transgression as the cause for the death of all human generations. Other references in 4 Ezra mention similar thoughts. 44 The first extract belongs to the first vision that forms an exposition for the complete cycle. In a dream vision, Ezra sees the desolation of Zion. In his reaction, firstly, he reminds God to the beginnings of the earth and to the creation of Adam as “a lifeless body” into whom God had “breathed … the breath of life, and he was made alive in your presence” (3:5). Then, very abbreviated, Ezra retells the story of Adam’s transgression of God’s commandment and its results. He emphasizes the ungodly behaviour of all of Adam’s descendants, nations, tribes, peoples or clans of humankind (3:7–19), beginning with the generations between Adam and Noah (vv. 8–11) and ending up with Abraham, Isaac and Jacob and their descendants (vv. 14–18). In 3:20–27 the visionary draws a first conclusion of his critical survey of the history of man. God, although being the creator of human beings, had not taken enough care by 42 For an analysis of the structure of the work see WOLFGANG HARNISCH, Der Prophet als Widerpart und Zeuge der Offenbarung. Erwägungen zur Interdependenz von Form und Sache im IV. Buch Esra, in: DAVID HELLHOLM (Ed.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East, Tübingen 1983, 461–493. A detailed interpretation of the work is given by BRUCE LONGENECKER, Eschatology and the Covenant: A Comparison of 4 Ezra and Romans 1–11, JSPES 57, Sheffield 1991, 50–157. For an interpretation of the “evil heart” in 4 Ezra see KONRAD SCHMID, Esras Begegnung mit Zion. Die Deutung der Zerstörung Jerusalems im 4. Esrabuch und das Problem des ‘bösen Herzens’, JSJ 29, 1999, 261– 277. 43 See for more details KARL-WILHELM NIEBUHR, “Nicht alle aus Israel sind Israel.” (Röm 9,6b). Römer 9–11 als Zeugnis paulinischer Anthropologie, in: FLORIAN WILK/J. ROSS WAGNER (Ed.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11, WUNT 257, Tübingen 2010, 433–462: 454–456 [in this volume 327–355]. 44 See 4 Ezra 3:25: They “transgressed, in everything doing as Adam and all his descendants had done”; 4:30: “For a grain of evil seed was sown in Adam’s heart from the beginning, and how much ungodliness it has produced until now and will produce until the time of threshing comes!”; 7:10f.: “He said to me: ‘So is also Israel’s portion. For I made the world for their sake, and when Adam transgressed my statutes, what had become made was judged.” Such statements emphasize Adam’s responsibility for the sins of all later generations, but do not mention death as a result. Only in 7:48, death is a matter of concern (see below), but Adam is not mentioned there. See also 8:35: “For in truth there is no one among those who have been born who has not acted wickedly, and among those who have existed there is no one who had not transgressed.” Translations by BRUCE M. METZGER, The Fourth Book of Ezra (Late First Century A.D.). A New Translation and Introduction, OTP I, 1983, 517–559: 529, 530f., 537.
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providing them with a right and sane heart to keep God’s commandments and to avoid the evil. The vision continues by pointing to David, the founder of Zion. Jerusalem was a city for God’s name, but her inhabitants transgressed God’s commandments, as Adam had done (vv. 23–27). Our first extract (3:5–7) emphasizes death as the result of Adam’s transgression. The second (3:21f.) points to Adam’s “evil heart” as the cause for his transgression and for all sins of later generations. 4 Ezra 3:5–7, 21f. (c) Excerpt in Latin Translation 5 … et insufflasti in eum spiritum vitae, et factus est vivans coram te. 6 Et induxisti eum in paradisum, quem plantavit dextera tua antequam terra adventaret. 7 Et ad hunc1 mandasti diligentiam2 unam tuam, et praeterivit eam, et statim instituisti in eum mortem et in nationibus eius. 21 Cor enim malignum baiolans3 primus Adam transgressus et victus est, sed et omnes qui ex eo nati sunt. 22 et facta est permanens infirmitas et lex cum corde populi cum malignitate radicis, et discessit quod bonum est et mansit malignum. 45
(d) Textual-critical or Philological Annotations ad hunc is a conjecture for incomprehensible adhuc in the manuscripts. Manuscript L adds precepta. 3 baiulo = carrying a burden. 1 2
(e) Excerpt in English Translation 5 … and you breathed into him the breath of life, and he was made alive in your presence. 6 And you led him into the garden which your right hand had planted before the earth appeared. 7 And you laid upon him one commandment of yours; but he transgressed it, and immediately you appointed death for him and for his descendants. 21 For the first Adam, burdened with an evil heart, transgressed and was overcome, as were also all who were descended from him. 22 Thus the disease became permanent; the law was in the people’s heart along with the evil root, but what was good departed, and the evil remained. 46
The following excerpt is part of the third vision (6:35–9:25). First, the seer recollects the creation events according to the biblical report in Gen 1 (6:38– 54). In this context he calls Adam the “ruler over all the works which you have made; and from him we all come, the people from whom you have chosen” (6:54). Then Ezra complains that the elected people has been delivered to the 45 Text: ALBERTUS F. KLIJN, Der Lateinische Text der Apokalypse des Esra (IV Esra), TU 131, Berlin 1983; IDEM, Die Esra-Apokalypse (IV. Esra). Nach dem lateinischen Text unter Benutzung der anderen Versionen übersetzt und herausgegeben, GCS, Berlin 1992. 46 Translations by METZGER, OTP I (n. 44), 528f.
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Gentiles (6:57–59). In a long dialogue between Ezra and an angel who was sent to him, they discuss the fate of Israel and of all human beings, the pious and the ungodly, righteous and evildoers (7:1–8:3). All human beings will have to face the judgment of God, but almost all of them will fail because “an evil heart has grown up in us, which has alienated us from God, and has brought us into corruption and the ways of death, and has shown us the paths of perdition and removed us far from life” (7:48). Therefore, Ezra asks why God had created man at all. “It would have been better if the dust itself had not been born so that the mind had not been made from it. But now the mind grows with us, and therefore we are tormented, because we perish and know it.” (7:63f.) Yet, the angel points Ezra to the Day of Judgment after death prepared by God already before he made the world and Adam (7:70–77, 102–115). At the moment of death, “the spirit leaves the body to return to him again who gave it” (7:78). Then the souls of those who did not keep the law will suffer torments (7:79– 87). The souls of the righteous, however, eventually will “hasten to behold the face of him whom they served in life and from whom they are to receive their reward when glorified” (7:98). Thus, “the day of judgment will be the end of this age and the beginning of the immortal age to come, in which corruption has passed away” (7:113). There will be no intercession of the righteous for the ungodly and no mercy on sinners (7:102–115). This is the moment when Ezra begins a long lament on the fate of all humankind (7:116–126) and desperately exclaims: 4 Ezra 7:116–119 (c) Excerpt in Latin Translation 116 Hic sermo meus primus et novissimus, quoniam melius erat non dare terram Adam vel, cum iam dedisset, coercere1 eum ut non peccaret. 117 Quid enim prodest omnibus2 in praesenti vivere in tristitia et mortuos sperare punitionem? 118 O tu quid fecisti, Adam? Si enim tu peccasti, non est factum solius tuus casus et nostrum qui ex te advenimus. 119 Quid enim nobis prodest, si promissum est nobis immortale tempus, nos vero mortalia opera egimus?
(d) Textual-critical or Philological Annotations 1 2
Syriac and Ethiopic translations read: “had taught him not to sin”. V.l. hominibus.
(e) Excerpt in English Translation 116 This is my first and last word: It would have been better if the earth had not produced Adam, or else, when it had produced him, had restrained him from sinning. 117 For what good is it to all that they live in sorrow now and expect punishment after death? 118 O Adam, what have you done? For though it was you who sinned, the fall was not yours alone, but
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ours also who are your descendants. 119 For what good is it to us, if an eternal age has been promised us, but we have miserably failed? 47
(b) Introduction to 2 Baruch The Syriac Apocalypse of Baruch treats a topic closely related to that of the Apocalypse of Ezra. The work consists of six episodes structured by moments of pause when the seer retreats for seven days of fasting. 48 The extracts selected for our presentation are distributed to several parts of the work and, therefore, concern one of its central topics. 49 The first extract belongs to a long dialogue between Baruch and “a voice from heaven” (13:1). The present fate of Zion leads the seer to a reflection on the perishability of all human life (14:10–19). When God points him to the Law as a means to understand God’s judgments, Baruch replies by arguing that the timespan of human life is too short and evil to “inherit that which is unmeasurable” (16:1). Yet, the Lord answers: 2 Bar. 17:1–3 (e) Excerpt in English Translation 1 With the Most High no account is taken of much time and of few years. 2 For what did it profit Adam that he lived nine hundred and thirty years and transgressed that which he was commanded? 3 Therefore, the multitude of time that he lived did not profit him, but it brought death and cut off the years of those who were born from him.
The next section (21:1–30:5) begins with a long prayer of Baruch (21:4–26) in which he asks God about the future fate of human beings: “How long will corruption remain, and until when will the time of mortals be happy, and until when will those who pass away be polluted by the great wickedness in this world?” (21:19). God answers by demanding patience from Baruch and by pointing him to the limits of his understanding:
Translations by METZGER, OTP I (n. 44), 541. See the charts in ALBERTUS F. J. KLIJN, 2 (Syriac Apocalypse of) Baruch (early Second Century A.D.), OTP I, 1983, 615–652: 615, and IDEM, Die syrische Baruchapokalypse, in: JSHRZ V/2, 1976, 107–191: 118f. 49 In 2 Bar. 56:5f., by interpreting Baruch’s dream vision of a cloud and a series of black and light waters, the angel explains to him: “This (sc. the first black waters) is the transgression which Adam, the first man, committed. For when he transgressed, untimely death came into being, mourning was mentioned, affliction was prepared, illness was created, labor accomplished, pride began to come into existence, the realm of death began to ask to be renewed with blood …”. 2 Bar. 24:1 is an announcement of the “coming days” when “the books will be opened in which are written the sins of all those who have sinned”. Neither Adam nor death are mentioned there. All Translations from 2 Bar. by KLIJN, OTP I (n. 48). 47 48
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2 Bar. 23:3–5 (e) Excerpt in English Translation 3 For as you have not forgotten men who exist and who have passed away, I remember those who will come. 4 For when Adam sinned and death was decreed against those who were to be born, the multitude of those who would be born was numbered. And for that number a place was prepared where the living ones might live and where the dead might be preserved. 5 No creature will live again unless the number that has been appointed is completed. For my spirit creates the living, and the realm of death receives the dead.
The sixth episode (48:1–77:26) begins with another long prayer of Baruch (48:1–25). God replies to it by announcing his judgment over the sinners and the eschatological events preceding it (48:26–41), whereupon Baruch turns his view to the blessedness of the righteous (48:48–50). Our extract marks the transition from God’s answer to Baruch’s reply. 2 Bar. 48:40–43 (e) Excerpt in English Translation 40 For each of the inhabitants of the earth knew when he acted unrighteously, and they did not know my Law because of their pride. 41 But many will surely weep at that time – more, however, because of the living ones than of the dead. 42 And I answered and said: O Adam, what did you do to all who were born after you? And what will be said of the first Eve who obeyed the serpent, 43 so that this whole multitude is going to corruption? And countless are those whom the fire devours.
The dialogue continues with a prospect on the resurrection of the dead (49:1– 50:4) and on the opposite fate of the sinners and the righteous after God’s judgment (51:1–52:8). It follows Baruch’s dream vision of a cloud and a series of black and light waters (53:1–12). Before he receives the interpretation by the angel Ramael (55:1–74:4), Baruch turns towards the Lord in prayer by asking him for an explanation of what God had revealed to him (54:20). Our last extract is part of Baruch’s prayer. 2 Bar. 54:14f., 19 (e) Excerpt in English Translation 14 And those who do not love your law are justly perishing. And the torment of judgment will fall upon those who have not subjected themselves to your power. 15 For, although Adam sinned first and has brought death upon all who were not in his own time, yet each of them who has been born from him has prepared for himself the coming torment. And further, each of them has chosen for himself the coming glory. … 19 Adam is, therefore, not the cause except only for himself, but each of us has become our own Adam.
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Adam’s Sin and the Origin of Death
(f) Comments and Interpretation on the Excerpts In the apocalypses of Ezra and Baruch, Adam is explicitly and most frequently blamed of the mortal fate of all human beings of later generations and of the eternal perdition of all sinners. Death pertaining to all humankind is the immediate result of Adam’s sin (cf. Gen 2:17!), even though in God’s eschatological judgment every sinner will receive punishment for his own transgressions (2 Bar. 54:19). The basic idea of death as the result of Adam’s transgression is common to all passages quoted, although the literary contexts, the textual genres or the formulations differ. Sometimes emphasis is on transgression(s) of the Law. Some other statements point to God’s eschatological judgment. Still others develop ideas on anthropological conditions in general. Death in both works appears as a fact or a condition of human life, rather than as a power or a personified figure. However, death plays a constitutive part for the experience and the understanding of the truth about all human beings. 4. Adam’s Body and Eschatological Resurrection (LAE 39:1–3) (a) Special studies BRANDENBURGER, EGON, Adam und Christus: Exegetisch-religionsgeschichtliche Untersuchung zu Röm. 5,12–21 (1. Kor. 15), WMANT 7, Neukirchen-Vluyn 1962, 39–41, 49–52; DOCHHORN, JAN, Die Apokalypse des Mose. Text, Übersetzung, Kommentar, TSAJ 106, Tübingen 2005, 514–522; KNITTEL, THOMAS, Das griechische ‘Leben Adams und Evas’. Studien zu einer narrativen Anthropologie im frühen Judentum, TSAJ 88, Tübingen 2002, 119–147; LEVISON, JOHN R., Portraits of Adam in Early Judaism: From Sirach to 2 Baruch, JSPES 1, Sheffield 1988, 163–190; NIEBUHR, KARL-WILHELM, Hopes of Resurrection in Greek Texts of Early Judaism. Narrative Theology in the Greek “Life of Adam and Eve” in Light of the Septuagint Translation of the Psalms, Sirach, and Job, forthcoming (German translation: Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum. Narrative Theologie im griechischen “Leben Adams und Evas” auf dem Hintergrund der Septuaginta zu den Psalmen, Sirach und Hiob, in: IDEM, Tora und Weisheit. Studien zur frühjüdischen Literatur, WUNT 466, Tübingen 2021, 547–570); TOBIN, THOMAS H., The Jewish Context of Rom 5:12–14, SPhiloA 13, 2001, 159–175: 167f.
(b) Introduction The last section of the Greek Life of Adam and Eve focuses on the events around the death and burial of the first human couple. Chapters 31–43 form a circular composition. First, the upcoming death of Adam and Eve is announced (31:1–4). Then, a prayer of repentance spoken by Eve is reported (32:1–2). Next, a long and detailed description of the circumstances of Adam’s death follows (32:3–42:2). After that, the death and burial of Eve is narrated, but much more briefly than Adam’s (42:3–43:3), before the book closes with a liturgical ending (43:4). The passage on Adam’s death consists of two parts,
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Eve’s vision of Adam’s elevation to the throne of God (33:2–37:6), and a theophany at the place on earth where Adam’s body is laid down (38:2–42:2). God seated on a carriage, pulled by the winds and accompanied by angels comes to the Paradise (on earth!), “to the place where the body of Adam was” (38:3f.). While Seth is mourning greatly over his death, God speaks to Adam’s body. 50 (c) Excerpt in Original Language 39:1 … Ἀδάμ, τί τοῦτο ἐποίησας; εἰ ἐφύλαξας τὴν ἐντολήν μου, οὐκ ἂν ἐχαίροντο οἱ κατάγοντές1 σε εἰς τὸν τόπον τοῦτον. 2 πλὴν λέγω σοι ὅτι τὴν χαρὰν αὐτῶν ἐπιστρέψω εἰς λύπην, τὴν δὲ λύπην σοῦ ἐπιστρέψω εἰς χαράν. καὶ ἐπιστρέψω σε εἰς τὴν ἀρχήν σου, καὶ καθίσω σε εἰς τὸν θρόνον τοῦ ἀπατήσαντός σε. 3 ἐκεῖνος δὲ εἰσβληθήσεται εἰς τὸν τόπον τοῦτον,2 ἵνα ἴδῃ σε καθήμενοv ἐπάνω αὐτοῦ. τότε κατακριθήσεται αὐτὸς καὶ οἱ ἀκούσαντες αὐτοῦ, καὶ λυπηθήσεται ὁρῶν σε καθήμενον ἐπὶ τοῦ θρόνου αὐτοῦ. 51
(d) Textual-critical or Philological Annotations V.l. κατηγοροῦντες “accuse”, cf. Rev 12:10: ἐβλήθη ὁ κατήγωρ τῶν ἀδελφῶν ἡμῶν, ὁ κατηγορῶν αὐτοὺς ἐνώπιον τοῦ θεοῦ ἡμῶν ἡμέρας καὶ νυκτός, “the accuser of our brothers has been thrown down, who accuses them day and night before our God”. 2 V.l. ἐν πυρὶ γεεννῆς, “in the fire of the hell”. 1
(e) Excerpt in Translation 39:1 … Adam, why did you do this? If you had kept my commandment, those who brought you down into this place would not have rejoiced. 2 Yet now I tell you that their joy shall be turned into sorrow, but your sorrow shall be turned into joy; and when that happens, I will establish you in your dominion on the throne of your seducer. 3 But that one shall be cast into this place, so that you might sit above him. Then he himself and those who listen to him shall be condemned, and they shall greatly mourn and weep when they see you sitting on his glorious throne.
50 Other references indicated in the permanently consulted secondary literature on Rom 5:12–14 point to Eve’s responsibility for Adam’s illness (LAE 9:2: “My lord Adam, rise, give me half of your illness and let me bear it, because this has happened to you through me; because of me you suffer troubles and pains.”), or to Adam’s lament over Eve’s transgression (14:2: “Why have you wrought destruction among us and brought upon us great wrath, which is death gaining rule over all our race?”; see also 32:2, the beginning of Eve’s prayer of repentance: “I have sinned before you, and all sin in creation has come about through me.”). Death is not a topic in all these references. All translations from LAE are from MARSHALL D. JOHNSON, Life of Adam and Eve (First Century A.D.). A New Translation and Introduction, OTP II, 1985, 249–295. 51 I follow the Greek text according to JOHANNES TROMP, The Life of Adam and Eve in Greek. A Critical Edition, PVTG 6, Leiden 2005; see also the textual-critical comments by JAN DOCHHORN, Die Apokalypse des Mose. Text, Übersetzung, Kommentar, TSAJ 106, Tübingen 2005, 514f.
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(f) Comments and Interpretation on the Excerpt The narrative plot of the Greek Life of Adam and Eve involves several anthropological and eschatological concepts that not always accord with each other. 52 Scenes from the biblical story on the events in Paradise form a common basis for the narrative, yet they are broadly extended by numerous motifs stemming from extra-biblical Jewish traditions. Whereas at other places in the work mostly Eve is primarily blamed of her sin in Paradise and its fatal consequences (cf. 10:2), in our extract the death of Adam that is in view results from his transgression of God’s commandment. However, more important than that is the perspective of a future change of that situation that God promises the dead Adam. He will be elevated on the throne where presently the seducer still has taken his place. This conforms to the thematized role of Satan or diabolos in the plot of the story. He is accused of bringing death to the prime human couple by seducing Eve first, who then persuaded Adam (cf. 7:2; 15:1–26:4). Thus, in the Greek Life of Adam and Eve death is an unavoidable ingredient of the conditio humana and an integral part of their mythic story, in which the devil plays an important role. However, such a narrative treatment of the problem of death is overcome by the prospect to the eschatological future that transcends the layer of the story. In our extract, the devil will be cast down from the throne where Adam then will take his seat again, but only after the story had ended by telling about his burial. 53 “Then all flesh from Adam up to that great day shall be raised, such as shall be the holy people; then to them shall be given every joy of Paradise, and God shall be in their midst, and there shall not be any more sinners before him, for the evil heart shall be removed from them, and they shall be given a heart that understands the good and worships God alone.” (LAE 13:3–5; cf. 10:2; 28:4; 41:2; 43:2). E Conclusion and Results Regarding Romans 5:12–14 Death as a constitutive part of human life occupies a considerable area of reflection in the Jewish literature of the Hellenistic-Roman period. The biblical story on the creation of human beings and their conditions of life as reported
See for details KARL-WILHELM NIEBUHR, Auf der Suche nach dem Paradies. Zur Topographie des Jenseits im griechischen Leben Adams und Evas, in: WALTER AMELING (Ed.), Topographie des Jenseits. Studien zur Geschichte des Todes in Kaiserzeit und Spätantike, Würzburg 2011, 49–67 [in Tora und Weisheit 511–531]. 53 At other places, Adam is promised explicitly to undergo the resurrection from the dead, yet only beyond the layer of the story. For the topic of resurrection in LAE see NIEBUHR, Auferstehungshoffnungen im griechischsprachigen Frühjudentum (Special studies), 557– 564; KNITTEL, Das griechische ‘Leben Adams und Evas’ (Special studies), 290–298. 52
3. Romans 5:12–14 in Context
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in Gen 1–3 and retold manifold times in early Jewish sources forms the particular starting point for most of the ancient Jewish voices. This sounds significantly different than other anthropological accounts of the Hellenistic-Roman world. Paul in his argument in Romans 5:12–21 conforms to this specific starting point and thereby proves to be what he calls himself in Romans 11:1, an Israelite. Adam in several of the texts studied here appears as the representative of all human beings, often paired to Eve who, however, is missing from Rom 5. Another common feature known to most of the receptions of the Paradise story in ancient Jewish literature is the association of Adam with sin, as is also a characteristic attribute in Paul’s reception of the figure of Adam in his letter to the Romans. 54 Such associations in early Jewish literature appear in combination with other anthropological concepts, some of which are close to contemporary philosophical ideas, particularly in Middle Platonism. 55 Other works (or, as in the case of LAE, the same work) enhance the biblical story by selecting particular motifs and embellishing, resulting in more developed narratives that include more or less mythic elements within them. Satan or Hades or the Snake or an amalgamation of all these figures together make their career in the course of such narrative developments. Seen from this perspective, it is striking that Paul in his argument in Rom 5 seems to avoid any such mythological associations. 56 On the other hand, Paul seems to be less influenced than, for instance, Philo, by Platonic anthropological concepts about the separation or even the opposition of body and soul. Death in Rom 5:12–14 strikes Adam and all later generations entirely, not only their bodily or fleshly parts. The life they are to expect as believers in Jesu Christs is not a continuation of parts of their spiritual or psychic identity, but a completely new existence. Thus, for Paul the human being is not, as for Philo, a mixture between mortal and immortal nature, a borderline being, but a being with a past and a future. He or she is to live either See also implicitly in Rom 7:8–12. See the extracts quoted from the Wisdom of Solomon and Philo, but also from LAE. 56 CROASMUN, The Emergence of Sin (Special studies on Rom 5:12–21), 110, argues that “Rom 5:12 constitutes the second creation account of Sin in Romans: the creation of the cosmic tyrant, Sin. If the early account of the origins of s/Sin focus largely on the level of moral psychology, here the focus is on the mythological level – the development of Sin as a mythological power that exercises dominion over the creation.” But as Croasmun adds: “However much Sin might function as a cosmic tyrant in Romans, Sin’s power develops with the cooperation of its subjects … Sin arises from a supervenience base of human transgressions, of human sinning. Sin as a cosmic power emerges from the exercise of individual human agencies – paradigmatically Adam’s, but subsequently the contingent, historical, and destructive behavior of people.” (ibid.) Compared to the Jewish texts dealing with Adam, sin and death, and seen in the context of Paul’s argument in Rom as a whole, I hesitate allocating too much weight to the mythical level in Paul. 54 55
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Adam’s Sin and the Origin of Death
under the reign of sin or under the reign of grace, but as those who believe in Christ, their life under the reign of sin is over and their life under the reign of Christ just begun. After all, there was nothing like a ‘dogmatics’ of Adam in early Judaism. The receptions of the Adam figure in Jewish-Hellenistic literature differ strongly according to their literary contexts and to the intentions of the authors. The deployment and the arrangement of the Adam figure and of motifs from the Adam tradition in different literary contexts in each case depend on the interests and the faculties of the authors who take up elements from that tradition that suit their argumentative or narrative intentions. Paul’s intention in Romans was to develop further his ideas on justification of all human beings, Jews and Gentiles alike, by faith in Christ. In Rom 5–8 he turns to the consequences of justification in Christ for a ‘Christian’ way of life and belief, with a particular regard to the problem of death. Again, Paul appears to be an Israelite by turning to Scripture when he tries to explain his understanding of death and life with regard to the proclamation of the gospel as the basic story and the eschatological event of God’s turning death into life. Yet, for him, Christ and the perspective of eschatological salvation of all who believe in Christ play the decisive part in his argument in Rom 5:12–21. Seen in the context of other receptions of Adam in ancient Jewish literature, this focus is particular to Paul. However, it is not untypical or even strange to contemporary Jewish thinking, as the receptions in the Book of Wisdom of Solomon or in the Greek Life of Adam and Eve have shown. On the other hand, as the examples of 4 Ezra and the Syriac Apocalypse of Baruch may prove, Adam could also function as the biblical model for the fate of human beings mastered by the power of sin everlasting and delivered to it more or less hopelessly. Paul does not follow this pattern as he is very much engaged in discussing the problem of sin from the perspective of faith in Jesus Christ. For him, the power of sin and death is vanquished by Christ’s resurrection, so that death as the result of one man’s trespass is overcome by God’s grace in life through the one man Jesus Christ.
4. Future Prospects
4. Future Prospects The aim of the Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti is to put in context the thoughts, arguments or intentions of New Testament writings. As the earliest New Testament author Paul is certainly a suitable candidate to begin with. As a Jew (or better, as he calls himself, an Israelite) well educated in Greek culture and language and at the same time thoroughly formed in his views and intentions by the Scriptures, Paul wrote his letters to Greek speaking communities of Christ believers to explain, to strengthen, to correct and to enhance their faith and life.
Appendices
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In the attempt to better understand his thoughts and intentions, it has proved fruitful to put Paul in the context of Hellenistic-Jewish literature. However, the approach of the CJHNT does not work in one direction only. By speaking of “wechselseitige Wahrnehmung” (mutual perception) we want to indicate that the New Testament writings are part of the Hellenistic-Jewish literature in a broader sense as well and can be used to complete our understanding of ancient Jewish religion and culture. According to our approach it would be perfectly possible to apply the same methods of selection, presentation and discussion of textual extracts, for example, to the Book of Wisdom of Solomon. In that case, Paul’s argument in Rom 5:12–14 would be a good candidate among several others to be selected and presented alongside Philo, Opif. 134f., LAE 39, or other testimonies that can help to better understand the particular intentions of the author of the Sapientia Salomonis. Perhaps, digital technologies will render it possible effectively to use and to apply the approach of the CJHNT in both directions. The structure of the project seems to be technically shaped enough to operate in different digital environments, more easily than a printed book would allow. On the other hand, the task of selection, presentation, interpretation and evaluation of texts can never be outsourced to machines. Smart minds and qualified scholars will always remain the primary human resources wanted for our project.
Appendix I: Structure of Entries
Appendices A [Secondary Literature] B [Synopsis of References] C [Justification of Selection of Presented References] D [Presentation of Selected References] (a) (specific studies) (b) (introduction) (c) (excerpt in original language) (d) (textual-critical or philological annotations) (e) (excerpt in German or English translation) (f) (comments and interpretation regarding the excerpt) E [Conclusion and Results regarding the NT passage]
Appendix II: Consistently Consulted Works N28 W
KURT ALAND/BARBARA ALAND (Ed.), Novum Testamentum Graece, Stuttgart 28 2012 (margins and index of references). JOHANN JAKOB WETTSTEIN, Novum Testamentum Graecum Editionis Receptae, Amsterdam 1751/52.
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Adam’s Sin and the Origin of Death
NW
GEORG STRECKER/UDO SCHNELLE (Ed.), Neuer Wettstein, Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus, Bd. II/1: Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse, Berlin/New York 1996. Sanday WILLIAM SANDAY/ARTHUR C. HEADLAM, A Critical and Exegetical Commentary on the Epistle to the Romans, Edinburgh 51905. Lietzmann HANS LIETZMANN, An die Römer, Tübingen 41933. Michel OTTO MICHEL, Der Brief an die Römer, Göttingen 121963. Dunn JAMES D. G. DUNN, Romans 1–8, Dallas 1988. Lohse EDUARD LOHSE, Der Brief an die Römer, Göttingen 2003. Jewett ROBERT JEWETT, Romans. A Commentary, Hermeneia, Minneapolis 2007. Hultgren ARLAND J. HULTGREN, Paul’s Letter to the Romans. A Commentary, Grand Rapids 2011. Haacker KLAUS HAACKER, Der Brief des Paulus an die Römer, Leipzig 42012. Wolter MICHAEL WOLTER, Der Brief an die Römer, Teilbd. 1: Römer 1–8, NeukirchenVluyn/Ostfildern 2014.
Appendix III: Order of References I Bible 1. Septuagint 2. LXX-Recensions Qumran/Naḥal Hever
Aquila/Symmachus/Theodotion
Hexapla
Samariticon
II Hellenistic-Jewish Authors 3. Fragments Aris. Ex. Ezek. Trag.
Aristob. Ph. E. Poet
Artap. Ps.-Eup.
Cl. Mal. Theod.
Dem. Eup. Theoph. Hist.
Ps.-Apoll. Ps.-Hesiod Ps.-Philem. Sib. Or.
Ps.-Diph. Ps.-Homer Ps.-Phoc Syr. Men.
4. Philo 5. Josephus
III Pseudonym or Anonym Texts 6. Pseudo-Auctores Hellenistici [Ahiqar] Let. Aris. Ps.-Eurip. Ps.-Hec. Hist. I Ps.-Kallim. Ps.-Menand. Diph. Ps.-Pyth. Ps.-Pind.
Ps.-Aisch. Ps.-Hec. Hist. II Ps.-Orph. Ps.-Soph.
7. Pseudonym or Anonym Texts Referring to Biblical Figures Apoc. Ab. Apoc. Ezek. Apoc. Sedr. Apoc. Syr. Pss. 2 Bar. 3 Bar. 4 Bar. El. Mod. 1 En. 2 En. Hist. Jos. Jos. Asen. LAB Lad. Jac. LAE Liv. Pro. Pr. Jos. Pr. Man. Ps.-Philo De Jona Pss. Sol. T. Job T. Mos. T. 12 Patr. Treat. Shem
Apoc. Zeph. 4 Ezra Jub. Mart. Ascen. Isa. T. Ab.
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Appendices 8. Texts with Doubtful Origin Apoc. Adam Apoc. Dan. Hist. Rech. Jan. Jam. Ques. Ezra Rev. Ezra T. Sol. Vis. Ezra
Apoc. El. (C) Odes Sol. T. Adam
IV Jewish Life in non-Jewish Sources 9. Jewish Life in Pagan Authors 10. Jewish Life in Christian Sources
V Documentary Sources 11. Inscriptions 12. Coins 13. Archaeology 14. Iconography
5 Ezra Pr. Jac. T. Isaac
6 Ezra Prs. Synag. T. Jac.
„Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6b) Römer 9–11 als Zeugnis paulinischer Anthropologie 1. Das „Menschenbild“ des Paulus nach Römer 9–11
1. Das „Menschenbild“ des Paulus nach Römer 9–11 Die Grundthese meiner diesem Beitrag zugrunde liegenden Interpretation von Römer 9–11 besagt, dass gerade mit Blick auf die paulinische Anthropologie der innere Zusammenhang zwischen Rechtfertigungsargumentation (Römer 1– 8) und Israel-Argumentation (Römer 9–11) besonders klar hervortritt. 1 Die Zielaussage von Römer 9–11 „ganz Israel wird gerettet werden“ (σωθήσεται, 11,26) ist verklammert mit der Basisaussage der Argumentation des gesamten Briefs über das Evangelium als „Gotteskraft zur Rettung (εἰς σωτηρίαν, 1,16) für jeden, der glaubt, den Juden zuerst wie auch den Griechen“. Bevor die argumentative Verklammerung von Israel-These und Rechtfertigungsthese im Römerbrief aufgewiesen wird, werden die semantischen Konturen des Menschenbildes innerhalb von Römer 9–11 erhoben. Nach einer emotional höchst aufgeladenen Selbstaussage, mit der Paulus in Gestalt einer Selbstverfluchung sein persönliches Geschick an das seines Volkes bindet (9,1–3), setzt er in 9,6a mit der zentralen These ein, die Durchführung und Ziel der gesamten Argumentation von Römer 9–11 bestimmt: Dass Gottes Verheißungswort hinfällig werden könnte, ist eine von vornherein ausgeschlossene Möglichkeit, so bedrängend auch gegenläufige Indizien aus der Gegenwartserfahrung sein mögen. 2 Das die folgende Argumentation leitende Argument besteht darin, die Souveränität Gottes bei der Durchsetzung seiner
1 Diese These liegt auch dem Paulus-Kapitel meiner in Arbeit befindlichen Anthropologie des Neuen Testaments zugrunde, in deren Zusammenhang der hier vorliegende Beitrag erarbeitet worden ist. 2 Vgl. zum Folgenden auch KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 142–178. Daran, dass in 9,6a die Grundfrage gestellt wird, der die gesamte Argumentation bis zum Ende von Kapitel 11 gewidmet ist, meine ich auch gegenüber dem Einwand von WOLFGANG KRAUS, Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus, WUNT 85, Tübingen 1996, 298, festhalten zu müssen. Angesichts der radikalen Problemstellung, wie sie Paulus in Röm 9,1–5 aufrichtet, kann eben mit der Verheißung der Rettung eines Restes aus Israel in 11,7–10 noch nicht die Lösung des Problems, dem sich Paulus mit der rhetorischen Frage in 9,6a stellt, erreicht sein.
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„Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6b)
Heilszusage gegenüber Israel herauszustellen. Dieser ganz und gar unhinterfragbaren, geradezu „fundamentalistisch“ erscheinenden Wirklichkeit Gottes steht auf Seiten Israels eine höchst differenzierte Wirklichkeit gegenüber, aus der sich überhaupt erst das Problem ergibt, das Paulus argumentativ bearbeitet. Er stellt es in prägnanter Kürze eines Nominalsatzes seiner Argumentation voran: „nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6b). Die beiden Seiten dieser semantischen Opposition lassen sich relativ leicht die gesamte folgende Argumentation hindurch verfolgen. Zwei Merkmale stechen dabei heraus und sind für das Argumentationsziel letztlich entscheidend: Erstens: Die eine Seite der Opposition wird durch unbestimmte Zahlwörter bzw. Ausdrücke näher bestimmt, die eine Teilmenge aus Israel bezeichnen, 3 während die andere Seite als Ganzheit erscheint. 4 Deutlich wird dabei: Die Teilmenge aus Israel stellt das Problem dar, „ganz Israel“ benennt demgegenüber die Lösung, die erreicht werden soll. Das erhellt nicht zuletzt daraus, dass am Anfang wie am Ende jeweils Ausdrücke zu der Gesamtheit Israel stehen, 5 die eindeutig Heilscharakter haben. 6 Zweitens: Die paulinische Argumentation läuft auf das Ziel hinaus, beide Seiten der Opposition zusammenzuführen, sozusagen semantisch zu „ver-einigen“. Dass Israel lediglich als Teilmenge zu der Wirklichkeit gehören sollte, die sich der Durchsetzung von Gottes Heilswillen verdankt, stellt eine für Paulus theo-logisch unmögliche, gleichwohl empirisch gegenwärtig nicht von der Hand zu weisende Möglichkeit dar. Den argumentativen Ausweg aus diesem Dilemma findet Paulus in Ausdrücken, die sich drei semantischen Phänomenen zuordnen lassen: Verben mit Gott als Subjekt, semantischen Zusammenstellungen von Israel und den Völkern, Ausdrücken des Glaubens an Gott und Jesus Christus. Wer der Argumentation des Paulus theologisch folgen will, muss die verschiedenen semantischen Phänomene in Römer 9–11 wohl differenziert wahrnehmen, sollte sie aber nicht künstlich voneinander isolieren. Die verbalen Ausdrücke mit Gott als Subjekt leiten und lenken die ganze Argumentation im 9,6b; 10,16: οὐ … πάντες, 9,7a: οὐδ’ … πάντες, 9,21: ὃ μέν … ὃ δέ, 9,24: οὓς … ἐξ Ἰουδαίων, 9,27: ὁ ἀριθμὸς τῶν υἱῶν Ἰσραήλ / τὸ ὑπόλειμμα, 10,16: τίς, 11,5: λεῖμμα, 11,7: ἡ ἐκλογὴ / οἱ λοιποί, 11,14: τινὰς ἐξ αὐτῶν, 11,17: τινες, 11,25: ἀπὸ μέρους τῷ Ἰσραήλ. Vgl. auch in 9,28 den auf Zahlen beziehbaren Ausdruck λόγον … συντελῶν καὶ συντέμνων. 4 9,6b: οὗτοι Ἰσραήλ, 9,24: οὐ μόνον … ἀλλὰ καί, 10,11–13: πᾶς ὁ πιστεύων, ὁ … αὐτὸς κύριος πάντων, εἰς πάντας τοὺς ἐπικαλουμένους αὐτόν, πᾶς … ὃς ἂν ἐπικαλέσηται, 11,12: τὸ παράπτωμα αὐτῶν, 11,26: πᾶς Ἰσραήλ, 11,32: zweimal τοὺς πάντας. 5 9,4: Ἰσραηλῖται, 11,26: πᾶς Ἰσραήλ. 6 9,4f.: ὧν ἡ υἱοθεσία καὶ ἡ δόξα καὶ αἱ διαθῆκαι καὶ ἡ νομοθεσία καὶ ἡ λατρεία καὶ αἱ ἐπαγγελίαι, ὧν οἱ πατέρες, καὶ ἐξ ὧν ὁ Χριστὸς τὸ κατὰ σάρκα, 11,26: σωθήσεται, 11,31: ἐλεηθῶσιν, 11,32: ἐλεήσῃ. 3
1. Das „Menschenbild“ des Paulus nach Römer 9–11
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Sinne der theologischen Prämisse von der souveränen Durchsetzung des Heilswillens Gottes gegenüber Israel. Die Erwähnung der Völker innerhalb eines Argumentationsgangs, der dem Geschick Israels gewidmet ist, verweist auf die theologisch-christologischen und soteriologischen Prämissen des Paulus, die im vorangehenden Briefteil entfaltet worden sind und auch für Römer 9–11 bestimmend bleiben. Dasselbe gilt für die Aussagen über den Glauben an Gott und Christus. Betrachtet man die Ausdrücke, die in Affinität zu Israel im Sinne der heilvollen Ganzheit des Gottesvolkes stehen, so fällt gerade an dieser Stelle die Benennung der Völker ins Gewicht. 7 Die erste Erwähnung findet sich gegen Ende des ersten Argumentationsteils an einer stilistisch und textpragmatisch herausgehobenen Stelle in 9,24. Der Anakoluth betont das hier eingeführte „wir“ (οὓς καὶ ἐκάλεσεν ἡμᾶς) und unterstreicht damit das souveräne Erwählungshandeln Gottes, das sich schon in der Gegenwart in seinem Berufen von „uns … nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden“ erwiesen hat. Unterstrichen wird das durch die folgenden Schriftzitate (9,25–29), die um Ausdrücke aus dem Wortfeld „Volk“ einerseits und solche für das souveräne Gotteshandeln andererseits gruppiert sind. Für den zweiten Argumentationsteil (9,30–10,21) ist die Gegenüberstellung Israel – die Völker semantisch bestimmend, mit der Pointe, dass am Ende, in der Reihe von Schriftzitaten (10,18– 21), Israel als Adressat der Gottesverkündigung gerade dort zu stehen kommt, wo die Schrift sonst die Völker sieht. 8 In der Mitte aber (10,11–13) steht der entscheidende, Israel und die Völker ver-einende Verweis auf „jeden der glaubt“, „jeden, der den Namen des Herrn anruft“, „alle, die sich seiner Herrschaft unterstellen“; denn wenigstens in dieser Hinsicht gilt: Es gibt keinen Unterschied zwischen einem Juden und einem Hellenen, denn er selbst, der Kyrios Jesus in der Einheit mit dem Gott, der ihn von den Toten erweckt hat, ist Herr über alle, die seinen Namen anrufen (10,12). In ihrem Bekenntnis zu Christus und dem von ihm nicht mehr zu trennenden Gott werden nach Paulus Israel und die Völker durch Gott ver-einigt. Dadurch verliert Israel nichts von seiner Identität als erwähltes Volk, das dem souveränen Heilshandeln Gottes rettungsvoll ausgesetzt ist. Es wird aber darüber hinaus zugleich durch seine ebenfalls im Handeln desselben Gottes wurzelnde Bekenntnisgemeinschaft mit den Völkern neu definiert. Seine Grenzen zu den Völkern hin werden aufgebrochen in dem Maße, wie diese durch das Berufen Gottes im Christusgeschehen in das Gottesvolk einbezogen werden. Dass dies geschieht, hängt weder am Wollen Israels noch an dem der Völker, Vgl. zum Folgenden bes. KRAUS, Volk Gottes (Anm. 2), 269–333. 10,18: εἰς πᾶσαν τὴν γῆν … εἰς τὰ πέρατα τῆς οἰκουμένης. Zu τὰ πέρατα τῆς γῆς als Ort der Völker vgl. Ps 2,8; 21(22),28; 65(66),8; 66(67),7; Tob 13,11; zur οἰκουμένη als Wohnort der Völker vgl. Ps 9,8; 48(49),2; 66(67),5; 95(96),13; 97(98),7.9; Jes 10,13f.; 14,26; 34,1. 7 8
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„Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6b)
sondern allein am Wirken Gottes, wie es Paulus im Christusgeschehen erkannt hat. Der abschließende Satz dieses kleinen, zentralen Abschnitts wird am Ende der Argumentation wiederaufgenommen: 10,13: πᾶς γὰρ ὃς ἂν ἐπικαλέσηται τὸ ὄνομα κυρίου σωθήσεται. 11,26: πᾶς Ἰσραὴλ σωθήσεται. Im Sinne synthetischer Synonymität wird damit der Ausdruck „Israel“ durch das Bedeutungselement „den Namen des Herrn [der im Christusgeschehen berufend handelt] anrufen“ semantisch gefüllt. Damit ist zugleich auch die semantische Füllung der Schlusszusammenfassung festgelegt: 11,32: συνέκλεισεν γὰρ ὁ θεὸς τοὺς πάντας εἰς ἀπείθειαν ἵνα τοὺς πάντας ἐλεήσῃ. „Die alle“ (οἱ πάντες), die Gesamtheit der Adressaten des endzeitlich-heilvollen Gotteshandelns, das eschatologische Gottesvolk also, braucht für Paulus keinen neuen Namen. Er nennt diese endzeitliche Gesamtheit nicht etwa „das neue“ oder „wahre Israel“, sondern schlicht „alle“ bzw. „jeder“. Aber dieses „alle“ bzw. „jeder“ ist kein semantisches (oder gar philosophisches) abstractum „die Menschheit“ oder „der einzelne Glaubende“, sondern hinter ihm verbirgt sich konkret die Bekenntnisgemeinschaft aus Israel und den Völkern, die durch ihre Relation zu Gott in Jesus Christus bestimmt ist. „Alle“ bedeutet hier nicht weniger als Israel in Gemeinschaft mit den Völkern vor Gott angesichts des Christusgeschehens. Der einzelne Glaubende, der sich zu Jesus Christus bekennt, kommt im Rahmen eines solchen Menschenbildes somit primär als Glied des endzeitlichen Gottesvolkes in den Blick. Sein Bild ist ebenso wie das Bild ganz Israels in Römer 9–11 bestimmt durch das souveräne Wirken Gottes an ihm. Auch die Relation Israels wie des Einzelnen zum Christusgeschehen ist dem souveränen Gotteshandeln untergeordnet, ohne dass dadurch seine (ganz Israels wie des Einzelnen) Verantwortung gegenüber Gott angesichts des Christusgeschehens aufgehoben würde. Von hier aus sind auch die Aussagen im ersten Argumentationsteil zu verstehen (9,6–29), also nicht etwa im Sinne einer individuellen Prädestination! Die Einbindung der „geborenen“ Nachkommen Abrahams in die Kindschaft Israels seinem Gott gegenüber ist Auswirkung der Berufung eines jeden einzelnen von ihnen durch Gott (9,7–9). Zwar gibt es unter den „Kindern Israel“, konkret: unter den Söhnen Rebekkas und Isaaks, größere und kleinere, Erstund Zweitgeborene, Leute, die Gutes oder Schlechtes tun, aber solche Individualitäten bestimmen gerade nicht die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der von Gott Berufenen (9,10–13). Auch die Differenzierung innerhalb Israels, von welcher der ganze Argumentationsgang ausgeht, verdankt sich allein dem differenzierenden Handeln Gottes an Einzelnen:
1. Das „Menschenbild“ des Paulus nach Römer 9–11
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9,16: Ἐλεήσω ὃν ἂν ἐλεῶ, καὶ οἰκτιρήσω ὃν ἂν οἰκτίρω. (vgl. 9,18) Die anthropologischen Differenzierungen zwischen „wollen“ und „laufen“ (9,16), „größer“ und „kleiner“, „gut“ und „schlecht“, werden also keineswegs ignoriert, bleiben aber im Blick auf die Teilhabe an der endzeitlichen Heilswirklichkeit Israels sekundär. Der Einzelne begegnet in diesen Bildern und Argumenten zwar als individueller Adressat des göttlichen Berufungshandelns, nicht aber als „Entscheidungsindividuum“ im neuzeitlichen Sinn. Das enthebt ihn freilich nicht der Verantwortung für seine Haltung dem ihn berufenden Gott gegenüber, worauf er von Paulus auch in einem rhetorisch wirkungsvollen Singular angesprochen werden kann. 9 Von diesem Grundgedanken biblischer Anthropologie her ist zunächst der mittlere Argumentationsteil (9,30–10,21) primär mit Blick auf Israel, der abschließende dritte (11,1–32) dann primär mit Blick auf die Berufenen aus den Völkern bestimmt. Damit wird deutlich, dass der generelle Ausdruck ὦ ἄνθρωπε in 9,20 tatsächlich Israel und die Völker umfasst und schon auf beider Verantwortung gegenüber Gott angesichts des Christusgeschehens hinzielt, von dem ab 9,24 dann auch explizit die Rede ist. Die Wurzel für das hier zugrunde liegende Menschenbild wird somit schon im ersten Argumentationsteil benannt, im Verweis auf Gott, den Schöpfer, der seinen Geschöpfen gegenüber zwar nicht rechenschaftspflichtig ist, 10 der sie aber sehr wohl in die Pflicht nehmen kann, ihm gegenüber Rechenschaft abzulegen. Vielleicht sollte mit Blick auf 9,30–10,21 deshalb besser nicht von einem „Aufweis der Schuld“ gegenüber dem gegenwärtig nicht glaubenden Teil Israels gesprochen werden, da ein entsprechendes Wortfeld hier in der Tat nicht begegnet. 11 Wohl aber muss im Sinne des Paulus klargestellt werden, dass dieser Teil Israels gegenwärtig (und das heißt: in eschatologischer Perspektive!) seiner Verantwortung gegenüber dem heilvollen Handeln Gottes im Christusgeschehen nicht gerecht wird und deshalb dem göttlichen Gericht unterliegt. 12 Freilich ist, wiederum entsprechend biblischer Anthropologie und biblischen Gottesverständnisses, Unterwerfung unter das Gericht Gottes nicht gleichbedeutend mit Verwerfung durch Gott! Diese Konsequenz ist in Römer 9–11 für Paulus im Blick auf Israel von Anfang bis Ende ausgeschlossen. Denn gerade der Richter, dem der nicht glaubende Teil aus Israel unterworfen ist, ist ja kein anderer als der Berufende, der aus Juden und Heiden „uns“, das gegenwärtigendzeitliche Gottesvolk, berufen hat und der am Ende ganz Israel retten wird. 13 9,20: ὦ ἄνθρωπε, μενοῦνγε σὺ τίς εἶ. 9,20: τίς εἶ ὁ ἀνταποκρινόμενος τῷ θεῷ; 11 So die Kritik von KRAUS, Volk Gottes (Anm. 2), 304f., an meiner Darstellung in Heidenapostel (Anm. 2), 156. 12 Das muss auch angesichts von 11,28 gegenüber KRAUS, a.a.O., 294, festgehalten werden. 13 Vgl. dazu auch TRAUGOTT HOLTZ, Das Gericht über die Juden und die Rettung ganz 9
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„Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6b)
2. Israel und die Völker vor Gott im Christusgeschehen nach dem Römerbrief
2. Israel und die Völker vor Gott im Christusgeschehen Die Einbindung von Römer 9–11 in die Gesamtargumentation des Römerbriefs lässt die Intention erkennen, den Aufweis der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Christusgeschehen mit dem Nachweis der Verheißungstreue Gottes gegenüber seinem Volk Israel zu verknüpfen. Auf diese Weise wird einer vorwiegend aus Nichtjuden bestehenden Adressatenschaft 14 die fundamentale Bedeutung des biblisch-jüdischen Gottesverständnisses für ihren Glauben dargelegt. Ist somit Römer 9–11 ein konstitutiver Bestandteil der paulinischen Argumentation zur Rechtfertigung im Christusgeschehen, so sind auch die charakteristischen Grundzüge des Menschenbildes dieses Argumentationsteils bei der Interpretation der Gesamtargumentation des Briefes in Rechnung zu stellen. Dabei wird deutlich, dass auch das Verständnis von Sünde, Rechtfertigung und Lebenswandel der Gerechtfertigten angesichts des Christusgeschehens in den Rahmen eines Menschenbildes einzuordnen ist, das maßgeblich von biblischen und frühjüdischen Überlieferungen über Israel geprägt ist. Die in Römer 9–11 aufgewiesene semantische Füllung der Ausdrücke für das eschatologische Gottesvolk angesichts des Christusgeschehens lässt sich rücklaufend durch die gesamte Argumentation des Briefes hindurch bis in sein Präskript hinein nachverfolgen. Hinsichtlich der Zugehörigkeit zu Israel ist dabei zunächst zu verweisen auf die Anrede (eines Teils?) der Briefadressaten als solche, „die das Gesetz kennen“, 15 denen wiederum das Ich des Briefschreibers (wie immer man es interpretiert 16) als im Gegenüber zum Gesetz stehend begegnet (7,7–25). Für die Argumentation in 4,13–25 ist das Wortfeld Abraham – Nachkommenschaft – Verheißung – Erbe bestimmend, das mit dem von Gesetz – Glaube – Gerechtigkeit – Gnade verknüpft wird, mit der Pointe, dass dies alles geschah „um unsertwillen, derer, die an den glauben, der Jesus, unsern Herrn, von den Toten auferweckt hat“ (4,24). 17 Unmittelbar zuvor schon hat Paulus das „wir“, in dem er sich mit seinen Adressaten zusammenschließt,
Israels. 1. Thess 2,15f. und Röm 11,25f., in: Wissenschaft und Kirche (FS E. Lohse), hg. v. KURT ALAND/SIEGFRIED MEURER, TAB 4, Bielefeld 1989, 119–131 (= in: DERS., Geschichte und Theologie des Urchristentums. Gesammelte Aufsätze, hg. v. ECKART REINMUTH/CHRISTIAN WOLFF, WUNT 57, Tübingen 1991, 313–325). 14 Vgl. Röm 1,5–7.13–15. 15 7,1: ἀδελφοί, γινώσκουσιν … νόμον. 16 Zur Forschungsgeschichte vgl. HERMANN LICHTENBERGER, Das Ich Adams und das Ich der Menschheit. Studien zum Menschenbild in Römer 7, WUNT 164, Tübingen 2004, 15–104. 17 Vgl. dazu DIETER SÄNGER, Die Verkündigung des Gekreuzigten und Israel. Studien zum Verhältnis von Kirche und Israel bei Paulus und im frühen Christentum, WUNT 75, Tübingen 1994, 106–122.
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und zwar mit allen, unabhängig davon, ob sie „geborene“ Israeliten sind oder nicht, explizit auf „unsern Vater Abraham“ zurückgeführt. 18 Der erste Argumentationsgang in Röm 1,18–3,31 wiederum hat erst dort sein theologisches Ziel erreicht, wo Gott als Gott nicht allein der Juden, sondern auch der Heiden erwiesen worden ist, welcher „die Beschneidung aus Glauben und die Unbeschnittenheit durch Glauben rechtfertigen wird“ (3,29f.). Alle Adressaten dieses Heilsgeschehens, also Juden wie Heiden, werden dabei unterschiedslos 19 in die Gesamtheit der Glaubenden (εἰς πάντας τοὺς πιστεύοντας) eingeordnet, die identisch ist mit derjenigen Gesamtheit, die durch Sündigen bestimmt war und der Herrlichkeit Gottes ermangelte. 20 Gleichwohl übersieht Paulus keineswegs anthropologische Differenzierungen aufseiten der Adressaten des Rechtfertigungsgeschehens. Ausdrücklich hält er vielmehr schon in diesem Zusammenhang an einem περισσὸν τοῦ Ἰουδαίου (3,1), einem „Überschuss der Ganzheit Israels“, welcher τὰ λόγια τοῦ θεοῦ anvertraut sind, fest, aus der lediglich „einige gesündigt hatten“ (ἠπίστησάν τινες), weshalb aber die Verheißungstreue Gottes dieser Ganzheit gegenüber keinesfalls hinfällig geworden war (3,2–4). Dieselbe Differenzierung innerhalb Israels, die ab 9,6b dann den Argumentationsgang bestimmt, wird also hier schon eingeführt, zunächst freilich noch dem Argumentationsziel des ersten Teils eingeordnet, Juden wie Heiden als Sünder zu erweisen. 21 Noch differenzierter erscheint das Menschenbild dort, wo Paulus zwischen einem ἐν τῷ φανερῷ Ἰουδαῖος und einem ἐν τῷ κρυπτῷ Ἰουδαῖος unterscheidet (2,28f.). Ausgangspunkt für diese Differenzierung ist die detaillierte Beschreibung eines Juden in 2,17–24, den Paulus scharf kritisch auf sein JudeSein anspricht. 22 Diese Anrede und Charakterisierung ist offenbar nicht Beschreibung eines Einzel- oder gar Ausnahmefalls, sondern dient in rhetorischpolemischer Verallgemeinerung zur Charakterisierung eines hypothetischen typischen Falls innerhalb der Möglichkeiten des Jude-Seins. Hierin spiegelt sich somit, ähnlich wie später in Römer 9–11, die Differenzierung zwischen dem Israel, wie es idealiter von Gott her vorgegeben ist, 23 und einer Teilmenge dar-aus, die diesem Ideal empirisch widerspricht, ja, ihm geradezu entgegengesetzt ist. 24 Wenn in dem voranstehenden ersten Teil des ersten Argumentationsgangs von „dem Menschen“ die Rede ist, 25 so ist auch damit bereits spezifischer Bestimmtes im Blick als lediglich die universale Menschheit, das abstractum „der 4,12: τοῦ πατρὸς ἡμῶν Ἀβραάμ, 4,1: Ἀβραὰμ τὸν προπάτορα ἡμῶν κατὰ σάρκα. 3,22: οὐ γάρ ἐστιν διαστολή. 20 3,23: πάντες γὰρ ἥμαρτον καὶ ὑστεροῦνται τῆς δόξης τοῦ θεοῦ. 21 3,9: Ἰουδαίους τε καὶ Ἕλληνας πάντας ὑφ’ ἁμαρτίαν εἶναι. 22 2,17: σὺ Ἰουδαῖος ἐπονομάζῃ. 23 Vgl. die Aufzählung der Prädikate in 2,17–25. 24 Vgl. die Gegensatzpaare in 2,21–23. 25 Sechsmal in 1,18–2,16 ἄνθρωπος im Singular und Plural. 18 19
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Mensch“. Vielmehr war ja dieses abstractum schon unmittelbar zuvor in genau der Weise semantisch präzisiert worden, die für Paulus in der Tradition biblisch-frühjüdischer Überlieferung als Ausdruck für „die Menschheit“ allein vorstellbar ist: nämlich als „Juden und Heiden“, wie sie dem Heilshandeln Gottes im Christusgeschehen in nicht austauschbarer Reihenfolge als Gesamtheit gegenübertreten. 26 Die Wirklichkeit, die in dem neuzeitlich auf den Begriff gebrachten abstractum „Menschheit“ generalisierbar ist, gibt es für Paulus nur in der bipolaren Struktur von „Juden und Heiden“. Mit dieser Wendung greift Paulus also schon in der These von 1,16f. die Anrede der Briefadressaten im Präskript auf und führt diese so in seine Argumentation ein. Als zu den Heiden Roms Gehörenden 27 gilt gerade ihnen die Evangeliumsverkündigung des Christusapostels. Gerade ihnen will er geistliche Gaben mitteilen, damit er bei ihnen wie auch unter den übrigen Heiden Frucht habe, 28 denn dies ist er Griechen und Barbaren, Weisen und Ungebildeten schuldig. 29 Von solcher Benennung der Adressaten des Christusgeschehens aus sind auch die einzelnen Ausdrücke in 1,18–2,16 für „den“ bzw. „die Menschen“ jeweils genauer semantisch zu erschließen, was zu Modifikationen gegenüber der landläufigen Aufteilung in „die Heiden“ (1,18–32) und „die Juden“ (2,1– 16) führt. So können aus dem umfassenden Ausdruck ἐπὶ πᾶσαν ἀσέβειαν καὶ ἀδικίαν ἀνθρώπων (1,18) schwerlich Juden von vornherein ausgeschlossen werden. Vielmehr werden alle diejenigen, denen ein solcher Vorwurf gilt, ob sie nun Juden oder Heiden sind, dem ebenso umfassenden Gerichtsurteil in 1,32 unterworfen: οἱ τὰ τοιαῦτα πράσσοντες ἄξιοι θανάτου εἰσίν. Ebenso kann freilich das Gerichtsurteil über „jeden Menschen, der richtet“ 30 nicht etwa nur auf Juden bezogen werden, sondern trifft vielmehr jeden, bei dem eigenes Tun und Verurteilen des Nächsten im Widerspruch zueinander stehen. 31 Somit hat die Ankündigung des Gerichtstages Gottes, der das Verborgene des Menschen richten wird, ebenso paränetisches Gewicht im Blick auf Juden und Heiden wie der gerade hier mit ihr verbundene Hinweis auf das paulinische Christus-Evangelium. 32 Wird somit im rücklaufenden Durchgang durch die Argumentation des Römerbriefs bis hin zum Präskript erkennbar, dass die anthropologischen Differenzierungen in Römer 9–11 mit Blick auf Israel und die Völker bereits die 1,16: Ἰουδαίῳ τε πρῶτον καὶ Ἕλληνι, vgl. 2,9. 1,5–7: ἐν πᾶσιν τοῖς ἔθνεσιν … ἐν οἷς ἐστε καὶ ὑμεῖς … ἐν Ῥώμῃ. 28 1,13: ἐν ὑμῖν καθὼς καὶ ἐν τοῖς λοιποῖς ἔθνεσιν. 29 1,14: Ἕλλησίν τε καὶ βαρβάροις, σοφοῖς τε καὶ ἀνοήτοις. 30 2,1.3: ὦ ἄνθρωπε ὁ κρίνων. 31 So explizit 2,9f.: ἐπὶ πᾶσαν ψυχὴν ἀνθρώπου τοῦ κατεργαζομένου τὸ κακόν, Ἰουδαίου τε πρῶτον καὶ Ἕλληνος … παντὶ τῷ ἐργαζομένῳ τὸ ἀγαθόν, Ἰουδαίῳ τε πρῶτον καὶ Ἕλληνι. 32 2,16: κατὰ τὸ εὐαγγέλιόν μου διὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ. 26 27
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gesamte vorangehende Briefargumentation bestimmen, so verstärkt sich dieses Urteil, wenn man von den Aussagen über das Christusgeschehen in 1,16f. ausgeht und von ihnen her versucht, die paulinische Argumentation noch einmal vorlaufend zu erschließen. Aussagen über die Christusoffenbarung, den Glauben und die Rechtfertigung werden in Römer 1–8 immer wieder einer Gesamtheit von Menschen (πᾶς, πάντες) zugesprochen. 33 Unterschieden werden aber auch Teilmengen von solchen, die gerettet, und solchen, die gerichtet werden. 34 Bei aller Betonung der Souveränität Gottes in seinem Heilshandeln bleibt die Verantwortung des Menschen ihm gegenüber unumstritten (vgl. 3,5–8!). Mit Betonung schließt Paulus in sein „wir“ seine Stammesgenossen aus Israel ebenso ein wie die Berufenen aus den Heiden. 35 Dieses „Wir“, das nach Röm 1,18–3,31 konkret als Gemeinschaft der gerechtfertigten Sünder aus Juden und Heiden definiert worden war, ist dann auch in Römer 5 im Blick, 36 wenn das Christusgeschehen auf Adam als Repräsentanten aller von Gott geschaffenen Menschen bezogen wird. 37 Nichts spricht von daher dafür, die Aussagen in Römer 6–8 über das neue Leben der Gerechtfertigten allein auf solche aus den Heiden zu beziehen. 38 Von der Gesamtanlage der Argumentation ebenso wie von den semantischen Bezügen her kann auch das „Ich“ in Römer 7 nur im Horizont der anthropologischen Ausdrücke verstanden werden, die zuvor schon Verwendung gefunden haben. Weder dürfen die Bezüge zum Briefautor außer Betracht gelassen werden, der sich im Präskript als δοῦλος Χριστοῦ Ἰησοῦ, κλητὸς ἀπόστολος, ἀφωρισμένος εἰς εὐαγγέλιον θεοῦ eingeführt hat (1,1), noch kann das „Ich“ in Römer 7 auf ihn als Individuum eingegrenzt werden. Vielmehr trägt es die Züge eines jeden, der im Christusgeschehen dem Heilshandeln Gottes begegnet ist und von dieser Heilserfahrung her auf sein Leben und Wesen als Mensch blickt, damit aber auch die Züge des „Wir“ von 7,5f. und deshalb diejenigen eines jeden, der glaubt, sei er Jude oder Heide. Dasselbe muss dann auch für Römer 8 gelten. „Die in Christus Jesus“ (8,1) sind demnach ebenso konkret Juden und Heiden, die im Christusgeschehen Freispruch aus dem göttlichen Gericht erfahren haben. Durch Christus befreite 33 Z.B. 1,16: παντὶ τῷ πιστεύοντι, 2,1: πᾶς ὁ κρίνων, 3,4 πᾶς ἄνθρωπος, 3,20: πᾶσα σὰρξ ἐνώπιον αὐτοῦ, 3,22: εἰς πάντας τοὺς πιστεύοντας, 3,23: πάντες γὰρ ἥμαρτον, 4,16: παντὶ τῷ σπέρματι … Ἀβραάμ ὅς ἐστιν πατὴρ πάντων ἡμῶν. 34 Z.B. 2,7f.: τοῖς μέν … τοῖς δέ, 3,3: ἠπίστησάν τινες, 8,5: οἱ γὰρ κατὰ σάρκα ὄντες … οἱ δὲ κατὰ πνεῦμα, 8,8f.: οἱ δὲ ἐν σαρκὶ ὄντες … ὑμεῖς δὲ οὐκ ἐστὲ ἐν σαρκὶ ἀλλὰ ἐν πνεύματι. 35 Vgl. 4,11f.23f. 36 5,1–11 sind durchgängig in der 1. Pers. Plur. formuliert! 37 5,12: ὥσπερ δι’ ἑνὸς ἀνθρώπου … καὶ οὕτως εἰς πάντας ἀνθρώπους. 38 Vgl. die wir-Aussagen in 6,1–10.15; 7,5f., auch die anthropologischen Ausdrücke im generalisierenden Sinn, so etwa 6,6: ὁ παλαιὸς ἡμῶν ἄνθρωπος … τὸ σῶμα τῆς ἁμαρτίας.
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Juden und Heiden sind es demnach auch, die jetzt im Geist wandeln, 39 die nicht mehr dem Fleisch verpflichtet sind, 40 die mit Paulus rufen: Αββα ὁ πατήρ. 41 Kinder Gottes sind sie, „sind wir“, sagt ihnen Paulus. „Wenn aber Kinder, dann auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi“. 42 Mit „Kindschaft“ 43 und „Sohnschaft“ 44 schreibt Paulus ihnen in gedrängter Fülle genau diejenigen Prädikate zu, welche die Identität Israels bilden, als welche sie auch von Paulus unmittelbar anschließend in Römer 9 aufgegriffen und erneut problematisiert werden. Es zeigt sich also, dass das paulinische Menschenbild in der gesamten Argumentation des Römerbriefs, nicht allein in Römer 9–11, durch die Bipolarität von Juden und Heiden, von Israel und den Völkern, konturiert ist. Auch eine Analyse der verbleibenden Argumentationsteile in Römer 12–16 könnte dieses Urteil bestätigen. 45 Innerhalb der Konturen eines solchen biblisch-jüdisch vorgegebenen Menschenbildes nimmt Paulus allerdings Differenzierungen vor, die sich von der Offenbarung des Christusgeschehens her ergeben. Dabei erscheint die Gesamtheit von Juden und Heiden, also das, was wir neuzeitlich mit dem Ausdruck „Menschheit“ bezeichnen, als Adressat des Heilshandelns Gottes. An allen Stellen, an denen Paulus diese Adressatenschaft des Heilshandelns Gottes mit umfassenden Ausdrücken wie „alle“, „jeder“ o.ä. bezeichnet, ist die Differenzierung der so Bezeichneten als „Juden und Heiden“ semantisch präsent. Dort wo es um unterschiedliche Konstellationen von Menschen zu diesem Heilshandeln bzw. ihre Reaktionen darauf geht, kann Paulus dann noch weiter differenzieren, indem er etwa unterscheidet zwischen solchen, die „nach dem Fleisch wandeln“, und solchen, die „nach dem Geist wandeln“, 46 oder zwischen „unserem alten Menschen“, 47 der mit Christus mitgekreuzigt wurde, und dem in seiner Auferweckung von den Toten gegebenen neuen Leben der Getauften. 48 Auch die mit einem solchen biblisch-frühjüdischen Menschenbild verbundene Asymmetrie zwischen Israel und den Völkern, die von einem dauerhaft bestehenden περισσὸν τοῦ Ἰουδαίου (3,1) geprägt ist, bleibt für Paulus in Geltung, wenngleich sie nun mit Blick auf die Gesamtheit der Juden von einer 39 8,4: τὸ δικαίωμα τοῦ νόμου πληρωθῇ ἐν ἡμῖν τοῖς μὴ κατὰ σάρκα περιπατοῦσιν ἀλλὰ κατὰ πνεῦμα. 40 8,12: ὀφειλέται ἐσμέν, οὐ τῇ σαρκὶ τοῦ κατὰ σάρκα ζῆν. 41 8,15. 42 8,16f. 43 8,16.17.21. 44 8,14.15.19.23.29. 45 Berücksichtigt werden müsste dabei vor allem 15,7–13, vgl. dazu KRAUS, Volk Gottes (Anm. 2), 326–333. 46 Vgl. 8,5.8f. 47 6,6: ὁ παλαιὸς ἡμῶν ἄνθρωπος. 48 Vgl. 6,6–11.
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zusätzlichen Differenzierung aufgrund ihrer Reaktion auf das Christusgeschehen überlagert wird. 49 Gerade an dieser Stelle lässt sich freilich exemplarisch das Verhältnis von Souveränität Gottes gegenüber den Menschen und Verantwortung der Menschen gegenüber der Forderung Gottes ablesen. Der in biblischer Sprache eingeführte Grundsatz, dass Gott wahrhaftig sei, alle Menschen aber Lügner, 50 führt nicht etwa zur Entlastung der Menschen von ihrer Verantwortung, sondern unterstellt sie dem Gericht Gottes. 51 Auch diese anthropologische Differenzierung gilt im Rahmen der Argumentation im Römerbrief mit Blick auf „den Juden zuerst wie auch den Griechen“, wie sich aus dem Zusammenhang der argumentativen Hauptteile Römer 1–8 und Römer 9–11 zwingend ergibt. Berücksichtigt man schließlich die gezielt gewählten Formulierungen in der 1. Pers. Sing. oder Plur., dann wird vollends deutlich, wie stark die anthropologischen Differenzierungen bei Paulus mit seinen Argumentationszielen im Römerbrief verbunden sind. Auch wenn die Briefadressaten ausweislich des Präskripts und mancher Wendungen im Briefkorpus 52 klar als Nichtjuden benannt werden, so bleibt die Aussageabsicht des gesamten Briefes aus sachlichtheologischen Gründen doch ebenso auf Israel ausgerichtet. Der Gegenstand der Ausführungen, die Offenbarung des Christusevangeliums und ihre Auswirkungen auf die von ihm betroffenen Menschen, macht dies zwingend erforderlich. Denn ohne Israel kann für Paulus das Christusgeschehen als Heilsgeschehen nicht gedacht werden, weil es Werk desselben Gottes ist, der Israel seine Heilszusage gegeben hat. Wenn Paulus dieses Heilsgeschehen seinen „heidenchristlichen“ Briefadressaten in Rom vermittelt, kann er also gar nicht von Israel als Adressat des göttlichen Heilshandelns im Christusgeschehen absehen. Deshalb ist für ihn das Dilemma Israels, von dem er ausführlich erst in Römer 9–11 handelt, auch dort schon längst im Blick, wo er das Evangelium als Gotteskraft für jeden, der glaubt, den Juden zuerst und auch den Griechen, zur Sprache bringt. 53
Vgl. 3,1–8. 3,4; vgl. Ps 115,2 LXX; 50,6 LXX. 51 Vgl. 3,5–8. 52 Vgl. nur 11,13. 53 Vgl. dazu auch TRAUGOTT HOLTZ, Die historischen und theologischen Bedingungen des Römerbriefes, in: Evangelium – Schriftauslegung – Kirche (FS P. Stuhlmacher), hg. v. JOSTEIN ÅDNA u.a., Göttingen 1997, 238–254, 254: „Der Römerbrief ist das große Bekenntnis des Apostels Paulus zu dem im Christusevangelium endgültig handelnden einen Gott Israels. Darin gründet seine fundamentale Bedeutung, damals wie heute.“ 49 50
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3. Biblische und frühjüdische Vorgaben für das paulinische Menschenbild in Römer 9–11
3. Biblische und frühjüdische Vorgaben für das paulinische Menschenbild Dass die Argumentation in Römer 9–11 von Zitaten, Anspielungen und Bezügen auf die Schrift durchzogen ist, liegt zutage. 54 Mithilfe solcher Schriftbezüge werden zugleich auch Grundzüge biblisch-jüdischer Menschenbilder transportiert, die Paulus mehr oder weniger explizit aufgreift. In jedem Fall zeichnen sie sich aber erkennbar in den Konturen des Menschenbildes angesichts der Christus-Offenbarung ab, wie es sich aus der paulinischen Argumentation ergibt, nämlich einerseits in der Bipolarität zwischen Israel und den Völkern und andererseits in der Bipolarität von Glauben und Unglauben angesichts des eschatologischen Handelns Gottes. Darüber hinaus tritt in dieser Perspektive als wesentliches Merkmal des Menschen seine Geschöpflichkeit und seine Unterordnung unter den Schöpfer hervor. Diese biblischen und frühjüdischen Vorgaben für das paulinische Menschenbild lassen sich nun nicht bloß aus den in Römer 9–11 herangezogenen Schriftaussagen herleiten. Vielmehr ergeben sie sich deutlicher noch aus den semantischen und textpragmatischen Koordinaten der Argumentation, wie sie in den beiden vorangehenden Teilen dieses Beitrags erhoben wurden. Es sind in erster Linie drei theologische Aussagezusammenhänge, die dabei prägend gewirkt haben: die prophetischen Traditionen über Israel und die Völker in der Endzeit, die weisheitlichen Überlieferungen über die Stellung des Geschöpfs gegenüber seinem Schöpfer sowie das „deuteronomistische Geschichtsbild“ von Israel und seinen Gliedern vor dem Gericht Gottes. Im Folgenden können nicht alle diese Aussagezusammenhänge im Einzelnen mit Texten aus der biblischen und frühjüdischen Literatur belegt werden. Es muss genügen, Konturen eines Menschenbildes nachzuzeichnen, die sich dort erkennen lassen und die sich offenbar auch in der paulinischen Argumentation in Römer 9–11 abzeichnen. 3.1 Israel und die Völker in der Endzeit Das Bild, das die Schrift, insbesondere die prophetische Literatur, von den Völkern zeichnet, ist ambivalent. 55 Einerseits sind sie die klassischen Repräsen-
Vgl. dazu im Einzelnen FLORIAN WILK, Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus, FRLANT 179, Göttingen 1998; HANS HÜBNER, Gottes Ich und Israel. Zum Schriftgebrauch des Paulus in Römer 9–11, FRLANT 136, Göttingen 1984. 55 Vgl. zum Folgenden KRAUS, Volk Gottes (Anm. 2), 12–110; TERENCE L. DONALDSON, Paul and the Gentiles. Remapping the Apostle’s Convictional World, Minneapolis 1997, 51–78; zur inneralttestamentlichen Rezeption von Gen 12 vgl. ANDRE FLURYSCHÖLCH, Abrahams Segen und die Völker. Synchrone und diachrone Untersuchungen zu Gen 12,1–3 unter besonderer Berücksichtigung der intertextuellen Beziehungen zu Gen 18; 54
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tanten verkehrter Religion und werden deshalb dem Gericht Gottes unterworfen. 56 In dieser Rolle können sie zugleich als abschreckendes Beispiel für Israel fungieren, sowohl, was die falsche Religion, als auch, was die daraus resultierende Gerichtsverfallenheit betrifft. 57 Andererseits gibt es daneben aber auch einen durchaus beachtlichen Traditionszweig, der den Völkern ein positives Geschick im Zusammenhang mit den Endzeitereignissen zusprechen kann, sei es, dass sie in den Zustrom der Zerstreuten Israels zum Zion einbezogen werden, sei es, dass sie an der heilvollen Vollendung der Schöpfung einschließlich der Völkerwelt partizipieren. 58 Eine totale Gerichtsbotschaft gegen Israel ohne Aussicht auf endzeitliche Rettung hat sich in der biblisch gestalteten und überlieferten Verkündigung der Propheten nicht erhalten, mag es sie auch in manchen ihrer Vorstufen einmal gegeben haben. Ohne Frage bleibt somit in allen prophetischen Ausblicken auf die Endzeit, die in der Schrift Israels in frühjüdischer Zeit gegenwärtig und lebendig waren, dass Gott Israel gegenüber letztlich heilvoll handeln wird. Die prophetische Schriftensammlung in ihrer frühjüdischen und später (christlich) kanonisch gewordenen literarischen Endgestalt ist bei allem Festhalten auch an den – nunmehr paränetisch gewendeten – Gerichtsansagen über Israel insgesamt als endzeitliche Heilszusage für Israel gestaltet worden. Dies ließe sich etwa an der Endgestalt des Jesajabuches und ihrer literarischen Vorgeschichte exemplarisch zeigen, gilt aber ebenso für das Dodekapropheton und wohl auch für den Prophetenkanon insgesamt und dürfte Ergebnis seiner gezielten, durchgängigen literarisch-redaktionellen Gestaltung sein. 59 Wie nun die Aussagen des Paulus über das Geschick Israels und der Völker in der Endzeit in das Spektrum frühjüdischer Möglichkeiten einzuordnen sind, soll ein Blick auf ausgewählte Zeugnisse frühjüdischer Literatur andeuten, die bewusst aus disparaten Kontexten gewählt worden sind. Es soll dabei nicht versucht werden, die paulinischen Aussagen in Römer 9–11 in einen traditi-
22; 26; 28; Sir 44; Jer 4 und Ps 72, fzb 115, Würzburg 2007. 56 Z.B. Jes 14,26; 40,15–17; Jer 10,25; 30,11; 46,28; Ps 9,6–9.16–21; vgl. dazu den Überblick zum Sprachgebrauch bei A. R. HULST, Art. עם/‘ גויam/goj Volk, THAT II, 1976, 290– 325: 320–323. 57 Vgl. Dtn 7,1–6; Ex 34,10–16. 58 Z.B. Jes 56,3–7; 66,23; Sach 8,20–23; 14,16; Ps 22,28–32; 47,10; 86,9f.; vgl. dazu WALTER GROSS, Israel und die Völker: Die Krise des YHWH-Volk-Konzepts im Jesajabuch, in: ERICH ZENGER (Hg.), Der Neue Bund im Alten. Zur Bundestheologie der beiden Testamente, QD 146, Freiburg u.a. 1993, 149–176. 59 Exemplarisch kann hier auf den Befund aus den Qumran-Handschriften verwiesen werden, vgl. dazu nur JAMES A. SANDERS, The Impact of the Judean Desert Scrolls on Issues of Text and Canon of the Hebrew Bible, in: JAMES H. CHARLESWORTH (Hg.), The Bible and the Dead Sea Scrolls. Bd. 1: Scripture and the Scrolls, Waco 2006, 25–36; J. J.M. ROBERTS, The Importance of Isaiah at Qumran, a.a.O., 273–286.
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onsgeschichtlichen oder gar genealogischen Zusammenhang mit den hier herangezogenen frühjüdischen Texten zu stellen. Ebenso wenig können wir die ausgewählten Belege in ihrem jeweiligen Zusammenhang interpretieren und in die Gesamtkonzeption der jeweiligen Quellen einordnen. Vielmehr soll lediglich die Breite der Möglichkeiten im Rahmen des Frühjudentums illustriert werden, die auf der Basis der überlieferten Schriftaussagen zum Thema ausgefüllt werden konnte. 3.1.1 Buch III der Sibyllinischen Orakel Einen besonders eindrücklichen Beleg für die Rezeption der prophetischen Überlieferung im hellenistischen Frühjudentum stellt Buch III der Sibyllinischen Orakel dar. 60 Hier wechseln ‚brutalst mögliche‘ apokalyptische Schilderungen des Endgeschicks der gottfeindlichen Völker mit paradiesischen Beschreibungen der Zukunft der „gerechten“ bzw. „frommen Männer“, in denen unschwer das Gottesvolk Israel zu erkennen ist. Mehrfach werden Gerichtsankündigungen gegen die Heiden abgeschlossen durch Heilsverheißungen für Israel. So heißt es am Ende einer apokalyptischen Geschichtsperiodisierung (Sib 3,167–195): Und dann wird das Volk des großen Gottes (ἔθνος μεγάλοιο θεοῦ) wieder stark sein und sie werden allen Sterblichen Führer des Lebens (βίου καθοδηγοί 61) sein. (Sib 3,194f.) 62
Im Rahmen einer Reminiszenz an die Wegführung Israels in die babylonische Gefangenschaft und seine darin wurzelnde Diasporaexistenz seither (Sib 3,266–294) wird dem Gottesvolk am Ende angekündigt:
Text: JOHANNES GEFFCKEN, Die Oracula Sibyllina, GCS 8, Leipzig 1902; Übers.: HELMERKEL, Sibyllinen, JSHRZ V/8, Gütersloh 1998; JÖRG-DIETER GAUGER, Sibyllinische Weissagungen. Griechisch-deutsch, Düsseldorf/Zürich 1998. Zu den Einleitungsfragen vgl. die jüngste umfassende Monographie von ROBERT BUITENWERF, Book III of the Sibylline Oracles and its Social Setting. With an Introduction, Translation, and Commentary, SVTP 17, Leiden/Boston 2003; kritisch dazu JOHN J. COLLINS, The Third Sibyl Revisited, in: DERS., Jewish Cult and Hellenistic Culture. Essays on the Jewish Encounter with Hellenism and Roman Rule, JSJ.S 100, 82–98 (= in: Things Revealed. Studies in Early Jewish and Christian Literature (FS M. E. Stone), hg. v. ESTHER CHAZON/DAVID SATRAN, Leiden 2004, 3–19); s.a. GAUGER, a.a.O., 440–451; MERKEL, a.a.O., 1043–1070; JAMES R. DAVILA, The Provenance of the Pseudepigrapha: Jewish, Christian, or other?, JSJ.S 105, Leiden, Boston 2005, 181–186; GERBERN S. OEGEMA, Apokalypsen, JSHRZ VI/1,5, Gütersloh 2001, 165– 181; ALBERT-MARIE DENIS, Introduction à la littérature religieuse Judéo-Hellénistique, Tome II (Pdeudépigraphes de l’Ancien Testament), Turnhout 2000, 947–992. 61 Vgl. zu der Wendung Röm 2,19! 62 Übersetzungen hier und im Folgenden nach MERKEL, Sibyllinen (Anm. 60). 60
MUT
3. Biblische und frühjüdische Vorgaben für das paulinische Menschenbild
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Aber es erwartet dich ein glückliches Ende und herrliche Ehre, wie es dein Gott und ein Sterblicher 63 gewähren. Du aber bleibe treu den heiligen Gesetzen des großen Gottes, bis er dein ermattetes Knie zum Licht hin aufrichtet. Und dann wird der Himmelsgott einen König senden, der wird jeden Menschen richten mit Blut und Feuersglut. Es gibt aber einen königlichen Stamm, dessen Geschlecht wird nicht straucheln; und dieses wird im Umschwung der Zeiten herrschen und einen neuen Tempel Gottes zu errichten beginnen. Und alle Könige der Perser werden beisteuern Gold und Erz und mühsam geschmiedetes Eisen. Denn Gott selbst wird einen heiligen nächtlichen Traum senden. Und dann wird es wieder einen Tempel geben, wie er vorher war. (Sib 3,282–294)
Innerhalb einer Charakterisierung des künftig lebenden „heiligen Geschlechts frommer Männer“ (Sib 3,573–600) heißt es: In Gerechtigkeit … werden sie glückselig Städte und fruchtbare Felder bewohnen, selbst werden sie, vom Unsterblichen erhöht, Propheten sein, die allen Sterblichen große Freude bringen. (Sib 3,580–583)
Schließlich wird den „Söhnen des großen Gottes“ ein heilvolles Leben unter seinem Schutz um den Tempel herum verheißen, das die Völker zu dem staunenden Ausruf bewegt: Wie sehr liebt der Unsterbliche diese Männer; denn alles kämpft für sie und hilft ihnen: der Himmel, die von Gott gelenkte Sonne und der Mond. (Sib3, 702f.711–713)
Es folgt in 3,715–726 eine Schilderung der Anbetung des „großen und ewigen Gottes“ Israels durch die Völker, ihre Sendung von Gaben zum Tempel, die Anerkennung des „Gesetzes des höchsten Gottes“ durch sie und ihre Abkehr vom Götzendienst. 64 3.1.2 Flavius Josephus, De Bello Judaico Dass es zu einem solchen letztlich auf eine Heilszusage für ganz Israel unter Beteiligung der Völker hinauslaufenden Gesamtentwurf der Interpretation der prophetischen Tradition im Frühjudentum auch Alternativen gab, kann die theologische Geschichtsschreibung des Josephus belegen. Josephus wird in seiner Interpretation der Katastrophe im Jüdischen Krieg gegen Rom – sicher auch aus politischen und persönlichen Motiven – zu einer Geschichtsdeutung geführt, in welcher für ein endzeitliches Heilsgeschick Israels im Gegenüber zu den Völkern letztlich offenbar kaum mehr Raum bleibt. Josephus stellt sich dabei ausdrücklich in die Traditionslinie der für ihn schon biblisch gewordenen Prophetie, übernimmt darin aber die Rolle eines Unheilspropheten gegen Israel. So kündigt er in De Bello Judaico Israel das Text unsicher; Geffcken, den Buitenwerf übersetzt, bietet für das handschriftlich überlieferte θεὸς καὶ βροτός die Emendation θεὸς ἄμβροτος (nach Alexandre). 64 Vgl. ähnlich Sib 3,767–780. Zu den Aussagen über den Tempel in Sib 3 vgl. ANDREW CHESTER, The Sibyl and the Temple, in: Templum Amicitiae. Essays on the Second Temple (FS E. Bammel), hg. v. WILLIAM HORBURY, JSNT.S 48, Sheffield 1991, 37–69. 63
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Gericht, den Römern dagegen, insbesondere deren Heerführer Vespasian, Heil an. Gott selbst ist es nach der prophetischen Verkündigung des Josephus, der Israel in die Gewalt der Römer gegeben hat. Da es dir gefällt, daß das Volk der Juden (τὸ Ἰουδαίων … φῦλον), das du geschaffen hast, in die Kniee sinkt, und alles Glück zu den Römern übergegangen ist … so übergebe ich mich aus freien Stücken den Römern und bleibe am Leben. 65
So betet Josephus zu dem Gott Israels, als dessen Diener er sich gerade auch darin sieht (σὸς εἶμι διάκονος), bevor er sich dem römischen Tribun Nikanor ergibt (Bell 3,354). Vor der Einnahme Jerusalems versucht er noch, nun schon auf Seiten der Römer, die Verteidiger zum Niederlegen der Waffen zu überreden, u.a. mit dem Argument, „überall habe sich das Glück ihnen (sc. den Römern) zugeneigt, und Gott, der unter den Völkern die Herrschaft von einem zum andern übergehen lasse, stehe jetzt zu Italien“ (Bell 5,367). Schließlich kommt er nach einem Durchgang durch die Geschichte Israels (Bell 5,375– 419) zum Ergebnis: Es ist daher meine Überzeugung, daß die Gottheit aus dem Heiligtum gewichen ist und sich auf die Seite derer gestellt hat, mit denen ihr Krieg führt. (Bell 5,412) 66
Die Römer sind für Josephus jetzt also offenkundig an die Stelle der Babylonier getreten, wie sich aus dem Vergleich mit Ez 10f. ergibt, wo angesichts der Belagerung und Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar vom Auszug der Herrlichkeit JHWHs aus dem Tempel in Jerusalem die Rede ist. Während aber das Ezechielbuch mit einer groß angelegten Schilderung des wiedererrichteten endzeitlich-neuen Tempels in Jerusalem endet (vgl. Ez 40–48) und in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Rückkehr JHWHs dorthin ankündigt (43,1– 5), fehlt eine solche Heilsperspektive für Israel bei Josephus völlig! 3.1.3 Paulus Mit dem dritten Buch der Sibylle einerseits, der Geschichtsdeutung des Josephus andererseits sind die Pole frühjüdischer Eschatologie in einem hellenistisch-jüdischen Milieu bezeichnet, innerhalb derer auch die Aussagen des Paulus über das Geschick Israels und der Völker angesichts des Endgerichts Gottes eingeordnet werden können. Offenbar steht Paulus näher bei der Sibylle als bei Josephus, wenngleich seine eigenen Akzente unübersehbar bleiben. Sie liegen insbesondere bei der ausdrücklichen und gleichrangigen Einbeziehung von 65 Text und Übersetzung hier und im Folgenden nach Flavius Josephus, De Bello Judaico/Der Jüdische Krieg. Griechisch und Deutsch, hg. v. OTTO MICHEL/OTTO BAUERNFEIND, 3 Bde., München 1959–1969. 66 Vgl. auch Bell 7,359: „Denn, wie es scheint, fällte Gott schon lange über das ganze jüdische Volk (κατὰ τοῦ παντὸς Ἰουδαίων γένους) dies Urteil, so daß wir aus dem Leben zu scheiden haben, da wir nicht in der Lage sind, in der rechten Weise mit ihm umzugehen.“
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Nichtjuden in das Heilsgeschehen, sofern sie sich dem Messias aus Israel glaubend zuwenden. Das ist deutlich mehr, als ihnen in den Sibyllinischen Orakeln zugebilligt wird, wo die Völker, soweit sie nicht schon vorher vernichtet worden sind, im Wesentlichen als staunende und applaudierende Zuschauer der Heilsereignisse dargestellt werden. Es ist gleichzeitig aber deutlich weniger als bei Josephus, der die heidnischen Römer ausdrücklich als Erben der Heilszusagen Gottes an Israel erscheinen lässt. Eine derartige ‚Substitutionstheorie‘ begegnet im theologischen und traditionsgeschichtlichen Rahmen des Frühjudentums somit bemerkenswerter Weise nicht etwa bei Paulus oder anderen christlichen Autoren des 1. Jh., sondern eher bei dem sich selbst als frommen Israeliten verstehenden Juden Josephus! 67 Für unsere Frage nach dem paulinischen Menschenbild ergibt sich freilich aus diesem Vergleich auch eine stark ausgeprägte Verbindung zwischen Paulus, den Sibyllinischen Orakeln und Josephus. Alle drei nehmen den einzelnen Israeliten primär als Teil des Gottesvolkes wahr. Für alle drei kann dieser einzelne Israelit durchaus Adressat einer paränetischen Verkündigung sein, die darauf zielt, den Willen Gottes in seiner konkreten Lebens- und Entscheidungssituation zu erkennen und ihm zu folgen. 68 Gleichwohl kann das Lebensgeschick des Einzelnen, gerade auch unter eschatologischem Horizont, für alle drei nicht losgelöst betrachtet werden von dem seines Volkes. Und der Ausgang des endzeitlichen Geschicks Israels, sei er heilvoll oder katastrophal, liegt letztlich nicht in der Hand mehr oder weniger vieler einzelner seiner Glieder, sondern ganz und gar in der Hand Gottes. 3.2 Schöpfer und Geschöpf Stärker noch als in den bisher betrachteten biblischen und frühjüdischen Zeugnissen über Israels Geschick im Endgericht ist der Einzelne in solchen Überlieferungen im Blick, die den Menschen als Geschöpf seinem Schöpfer gegenüberstellen. Dabei zeigt sich freilich bei näherem Hinsehen, dass auch in diesen 67 Zur Einordnung solcher Aussagen in die geschichtstheologische Gesamtsicht des Josephus und die textpragmatische Ausrichtung des Bellum vgl. JOHN M. G. BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora. From Alexander to Trajan, 323 BCE – 117 CE, Edinburgh 1996, 351–356. Demnach habe Josephus sich vor allem gegen die politischen Intentionen der aufständischen Juden gegenüber den Römern gewandt, nicht aber die soziale Solidarität mit seinem Volk aufgekündigt. „Josephus indicates how he sees the future of his people. While the nation has been ‚brought to its knees‘, it has not been destroyed, and Josephus is hopeful that Roman power will preserve, not threaten, its distinct identity.“ (a.a.O., 355f.) Immerhin stellt auch Barclay angesichts der oben zitierten Passagen fest: „it remains the most forthright expression of Jewish-Roman political accomodation known to us“ (ebd.). 68 Zu den paränetischen Intentionen von Sib 3 vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, 169–185, zu Josephus mit Bezug auf Ap 2,190–219 vgl. a.a.O., 31– 72.
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Zusammenhängen seine Einbindung in das Gottesvolk Israel reflektiert wird und gerade darin das Besondere Israels gegenüber den Völkern gesehen wird. Auch hier können wieder nur wenige Linien angedeutet werden, die immerhin Konturen eines Menschenbildes erkennen lassen. Eine Spur zu den biblischen Hintergründen seines Menschenbildes in Römer 9–11 legt Paulus selbst, wenn er als zentrales Argument für die Souveränität des Heilshandeln Gottes gegenüber Israel das Stilmittel des Rechtsstreits zwischen Gott, dem Schöpfer, und den Menschen als seinen Geschöpfen verwendet. 69 Diese Redeform begegnet in der Schrift besonders eindrücklich bei Deutero-Jesaja und in den JHWH-Reden im Hiob-Buch, 70 einzelne Motive daraus wie z.B. das Töpfer-Bild sind aber noch sehr viel weiter verbreitet. 71 In frühjüdischer Zeit sind die möglicherweise ursprünglich traditionsgeschichtlich voneinander unabhängigen Überlieferungsbereiche von Weisheit und Prophetie freilich längst miteinander verschmolzen und zudem noch mit Toratraditionen verknüpft worden, wie sich etwa bei Ben Sira zeigen lässt. 72 Für eine solche Verknüpfung boten die von der Schöpfungstheologie geprägten Texte des Jesaja-Buches die beste Ausgangsbasis, war doch bereits hier explizit der Gedanke der Herrschaft JHWHs über Israel mit dem der universalen Schöpfermacht Gottes über alle Völker verbunden worden. 73 Damit sind Koordinaten vorgegeben, innerhalb derer in frühjüdischer Zeit die Beziehungen zwischen Israel, den Völkern und dem Gott Israels nachgezeichnet werden konnten. Gleichzeitig können dieselben Motive und Argumente dort aber auch zur paränetischen Ermahnung innerhalb Israels dienen. Exemplarisch greifen wir wieder zwei Texte heraus, in denen charakteristische Züge eines Menschenbildes erkennbar werden, die auch die paulinische Argumentation im Römerbrief erkennbar prägen. 3.2.1 Sapientia Salomonis In der Sapientia Salomonis folgt auf eine Mahnrede des (pseudepigraphischen) Königs des Gottesvolkes 74 an die Herrschenden der Völker (Kapitel 1–8) und ein Bittgebet des Königs um Weisheit (Kapitel 9) seine den Rest der Schrift umfassende Rede über die Weisheit Gottes in der Geschichte seines Volkes (9,18–19,22). Durchgängiges Thema dieser Rede ist die souveräne Führung Israels durch seinen Gott in Strafe und Erbarmen, entfaltet im zentralen Redeteil in einer siebenteiligen Synkrisis zwischen Israel und Ägypten (Kapitel 11– Röm 9,20f.; vgl. 11,34f. Vgl. Jes 40,12–31; Hi 38–41. 71 Vgl. etwa Jes 45,9; 64,7; Jer 18,6; Weish 15,7. 72 Vgl. bes. Sir 24. 73 Vgl. bes. Jes 40,12–26; 41,8–24; 43,8–13. 74 Vgl. 9,7: „du hast mich im vorhinein als König deines Volkes erwählt“; 9,1: „Gott (meiner) Väter“. 69 70
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19), in impliziter Anknüpfung an zahlreiche Erzählelemente aus dem Buch Exodus, gestaltet nach dem einleitend benannten Prinzip: Durch die Mittel nämlich, durch die ihre Feinde gezüchtigt wurden, durch diese wurde ihnen, als sie in Not waren, Wohltat zuteil. (11,5) 75
Besteht der polemische Hauptakzent gegenüber den Völkern in der scharfen Abweisung ihrer verkehrten Religion, dargestellt in einer geschlossenen Abhandlung über den Götzendienst (Kapitel 13–15), so wird demgegenüber die Güte und Langmut Gottes mit seinem Volk herausgestellt, sofern es sich von solchem Götzendienst fernhält. Du aber, unser Gott, bist gütig und wahrhaftig, langmütig und in Erbarmen verwaltend das All. Auch wenn wir ja uns verfehlen, sind wir dein, denn wir kennen deine Stärke; wir werden uns aber nicht verfehlen, weil wir wissen, dass wir dir zugerechnet sind. Dich zu kennen ist ja vollkommene Gerechtigkeit, und deine Stärke zu kennen Wurzel der Unsterblichkeit. (15,1–3)
Am Ende der Schrift steht das Bekenntnis: In allem ja, Herr, hast groß gemacht du dein Volk und verherrlicht und hast es nie vernachlässigt, sondern ihm zu jeder Zeit und an jedem Ort beigestanden. (19,22)
Wird somit ihr gesamter zweiter, durchaus gegenüber den Völkern polemischer Teil von der Zuversicht in die Barmherzigkeit Gottes mit seinem Volk Israel gegenüber seinen Feinden beherrscht, so trägt die Schrift als ganze doch einen paränetischen Hauptakzent, 76 der sich an die Israeliten selbst richtet (wenngleich sie im Rahmen der literarischen Fiktion des Werkes nie explizit als solche benannt oder gar angeredet werden). Wenn der König Gott um das Geschenk der Weisheit bittet, damit er sein (sc. Gottes) Volk gerecht regieren kann (9,12), so begründet er dies mit seiner Einsicht in die Unfähigkeit des Menschen, Gottes Willen von sich aus zu erkennen. Welcher Mensch wird ja den Willen Gottes erkennen? Oder wer wird erfassen, was der Herr will? … Deinen Willen aber, wer erkannte ihn, wenn nicht du (ihm) Weisheit gabst und deinen heiligen Geist aus den höchsten Höhen sandtest? (9,13.17)
Von dieser zwar dem König in den Mund gelegten, aber letztlich einen jeden Menschen betreffenden Einsicht ausgehend, können auch die Mahnungen des königlichen Weisheitslehrers an seine Herrscherkollegen aus den Völkern in Kapitel 1–8 textpragmatisch als an die jüdischen Leser der Schrift gerichtet 75 Übersetzungen hier und im Folgenden nach HEINZ-GÜNTHER NESSELRATH, in: KARLWILHELM NIEBUHR (Hg.), Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos), eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen, SAPERE 27, Tübingen 2015; s. auch die Kommentare von HANS HÜBNER, Die Weisheit Salomos. Liber Sapientiae Salomonis, ATD Apokryphen 4, Göttingen 1999, und LUCA MAZZINGHI, Weisheit, IEKAT, Stuttgart 2018. 76 Vgl. zur paränetischen Ausrichtung der Schrift NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 68), 211–216.
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verstanden werden. Sie sollen ja doch in den Exempeln der Geschichte Israels, die ihnen hier in Erinnerung gerufen werden, das Wirken ihres Gottes wiedererkennen. Ebenso sollen sie dann aber auch die Ermahnung zur Liebe der Gerechtigkeit (1,1), mit der die Rede des Königs einsetzt, und alle folgenden daraus abgeleiteten Paränesen der weisheitlichen Mahnrede als an sich gerichtet verstehen. In diesem Kontext dient vor allem die Gegenüberstellung der Gottlosen und der Gerechten (1,16–3,10; 4,3–5,16) der paränetischen Intention der Schrift, ebenso wie die Gerichtsankündigung an die Könige und Richter der Erde (6,1–8). Auch das Selbstbekenntnis des idealen Königs zur Weisheit (7,1–8,21) hat Vorbildcharakter für jeden einzelnen im Gottesvolk. Es beginnt mit einem Bekenntnis zu seiner Geschöpflichkeit: Auch ich bin ein sterblicher Mensch, gleich allen, und des aus Erde Entstandenen Nachkomme, des Erstgeformten; und im Bauch der Mutter wurde ich als Fleisch geformt … Keiner von den Königen hatte ja einen anderen Beginn seines Werdens … Deswegen betete ich, und verständiges Denken wurde mir gegeben ich rief (Gott) an, und es kam mir der Geist der Weisheit. (7,1.5.7)
In einer langen, mit personifizierenden Metaphern der ehelichen Gemeinschaft ausgeschmückten Ich-Rede 77 schildert der ideale König Israels dann seine Begegnung und sein Leben mit der Weisheit (8,2–20). Bevor diese Ich-Rede in sein Gebet zu Gott mit der Bitte um Weisheit übergeht, fasst er seine Einsicht so zusammen: Und da ich erkannte, dass ich nicht anders ihrer habhaft würde, wenn nicht Gott (dies) gibt – auch dies aber gehört zur Einsicht: zu wissen, wessen gnädiges Geschenk sie ist –, wandte ich mich an den Herrn und flehte … (8,21). 78
Auch im Gebet selbst kommt diese Einsicht in die Bedürftigkeit des Menschen gegenüber Gott als dem Geber der Weisheit eindrucksvoll zur Geltung: Die Berechnungen der Sterblichen sind ja elend und Täuschungen unterworfen unsere Vorstellungen; ein vergänglicher Körper beschwert ja die Seele, und es drückt die Behausung aus Erde nieder den Geist, der vieles sinnt, … Und so wurden die Pfade der Wesen auf der Erde richtiggestellt, und das dir Gefällige wurde den Menschen vermittelt, und durch die Weisheit wurden sie gerettet (ἐσώθησαν). (9,14f.18)
In der Sapientia Salomonis begegnet also ein durchaus optimistisches Menschenbild, das die Einsicht in die souveräne und universale Schöpfermacht und Geschichtsmächtigkeit des Gottes Israels verbindet mit einer eindringlichen Ermahnung, seinen Lebenswandel nach dem Willen dieses Gottes zu führen, geleitet durch die von ihm kommende und die Schritte des Menschen bestimmende Weisheit. Exemplarisch wird eine solche Haltung an dem weisen König 77 78
Vgl. Röm 7! Vgl. ähnlich schon 7,15f.
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abgebildet, den die jüdischen Leser als Salomo identifizieren müssen. Indem der ideale König Israels sich selbst zum Vorbild für alle Herrscher auf Erden erklärt, wird die von ihm vorgelebte Haltung zur universalen Norm menschlichen Lebens nach dem Willen des Schöpfers. Im Blick auf die (zweifellos jüdischen) Leser der Schrift als Adressaten ihrer Paränese wird die königliche Norm ‚demokratisiert‘. Jeder von ihnen als Glied des Gottesvolkes soll dem Vorbild des weisen Königs folgen. 3.2.2 Viertes Esrabuch Eine ganz andere Tonlage mit Blick auf die Möglichkeiten menschlicher Einsicht und menschlicher Lebenshaltung gegenüber den Forderungen Gottes und auf die Konsequenzen daraus mit Blick auf das göttliche Gericht stimmt dagegen das Vierte Esrabuch an. Dass dem Sünder im Gericht Gottes der Verdammungstod bevorsteht, ist in weiten Teilen der frühjüdischen Überlieferung belegt. In der Vierten Esraapokalypse, die offenkundig die Tempelzerstörung im Jüdischen Krieg und deren katastrophale Folgen zu verarbeiten versucht, 79 wird dieses Urteil aber gerade dem Gottesvolk Israel gegenüber besonders drastisch zum Ausdruck gebracht. Angesichts der gegenwärtigen Not des Gottesvolkes, das den Händen der Völker ausgeliefert ist, erinnert Esra zwar Gott an seine Heilszusagen für Israel (6,54–59). Die Antwort, die er darauf erhält, fällt aber ernüchternd aus: So verhält es sich auch mit Israels Erbteil. Denn ihretwegen habe ich die Welt erschaffen. Als aber Adam meine Gebote übertrat, wurde das Geschaffene gerichtet … Warum also betrübst du dich nun, da du doch vergänglich bist? Und warum regst du dich auf, da du doch sterblich bist? Warum hast du dir nicht das Künftige zu Herzen genommen, sondern die Gegenwart? (7,10f.15f.) 80
Aber selbst im Blick auf dieses Künftige, der in einer Vision kurz freigegeben wird (7,26–44), bleibt es bei der harten Ankündigung des Gerichts über die Sünder: Der Höchste offenbart sich auf dem Richterthron … das Erbarmen vergeht … die Langmut verschwindet, nur das Gericht bleibt. (7,33f.)
Wieder setzt der Seher neu an mit seiner Bitte, doch auch der Sünder aus Israel in Barmherzigkeit zu gedenken, denn: Vgl. 10,21–23. Zu den Einleitungsfragen vgl. den Kommentar von MICHAEL E. STONE, Fourth Ezra. A Commentary on the Book of Fourth Ezra, Hermeneia, Minneapolis 1990, 1– 47; neuere Sekundärliteratur bei OEGEMA, Apokalypsen (Anm. 60), 94–115. Zum Vergleich mit Paulus s. bes. BRUCE W. LONGENECKER, Eschatology and the Covenant. A Comparison of 4 Ezra and Romans 1–11, JSNT.S 57, Sheffield 1991, sowie JOHN R. LEVISON, Portraits of Adam in Early Judaism. From Sirach to 2 Baruch, JSPE.S 1, Sheffield 1988, 113–127. 80 Übers. hier und im Folgenden nach JOSEF SCHREINER, Das 4. Buch Esra, JSHRZ V/4, Gütersloh 1981. 79
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Wer ist es von den Lebenden, der nicht gesündigt hätte? Oder wer von den Geborenen ist es, der deinen Bund nicht übertreten hätte? Jetzt aber sehe ich, daß die kommende Welt nur wenigen Wonne bringen wird, vielen aber Qualen. Denn in uns ist das böse Herz gewachsen, das uns diesem entfremdete, uns dem Verderben entgegenführte, uns die Wege des Todes zeigte, die Pfade der Vernichtung (wies) und uns vom Leben entfernte, und zwar nicht wenige, sondern beinahe alle, die erschaffen wurden. (7,46–48)
Aber erneut erhält er zur Antwort nur die harte Replik: Denn ich werde mich über die wenigen freuen, die gerettet werden, weil sie es sind, die jetzt schon meinen Ruhm befestigen und durch die schon jetzt mein Name gepriesen wird. Und ich werde nicht traurig sein über die Menge derer, die verlorengehen. (7,60f.)
Auch der Appell an die zahlreichen Prädikate der Barmherzigkeit Gottes (7,132–139) führt nur zur erneuten Einschärfung des Grundsatzes göttlichen Richtens: Diese Welt hat der Höchste um der vielen willen erschaffen, die künftige aber nur wegen der wenigen … Viele sind zwar geschaffen, aber nur wenige werden gerettet. (8,1.3)
Immer wieder bittet Esra Gott, die Menschen, die doch von seinen Händen und nach seinem Ebenbild geschaffen sind (8,44; vgl. 8,7–14), nicht zugrunde zu richten, oder doch wenigstens sein Volk Israel zu verschonen (8,15f.; vgl. 8,45). Aber seine Bitte: Schau nicht auf die Sünden deines Volkes, sondern auf die, die dir in Wahrheit dienen … Denn wir und unsere Väter haben in sterblichen Werken dahingelebt. Du aber wirst wegen uns Sündern der Barmherzige genannt (8,26.31),
wird geradezu zynisch zurückgewiesen: Du hast einiges richtig gesagt, und nach deinen Worten wird es auch so geschehen. Denn ich denke wirklich nicht an das, was die Sünder sich bereitet haben, an Tod oder Gericht oder Verderben, sondern ich will mich über das freuen, was die Gerechten sich erworben haben, über ihre Ankunft, ihre Rettung und ihren Lohnempfang. (8,37–39)
So bleibt es bis zum Schluss bei der schonungslosen Anweisung: Frag also nicht weiter nach der Menge derer, die zugrunde gehen. Denn auch sie hatten die Freiheit empfangen, und sie haben den Höchsten verachtet, sein Gesetz nicht beachtet und seine Wege verlassen, dazu noch aber auch seine Gerechten zertreten … Deshalb naht mein Gericht bald heran. (8,55–57.61)
Auch wenn die letzte Vision Esras mit dem Ausblick auf das wiedererbaute Zion einen heilvolleren Charakter hat (10,25–27.44) und am Ende der Adlervision mit ihrer apokalyptischen Geschichtsperiodisierung (11,1–12,34) davon die Rede ist, dass der Gesalbte „mein übriggebliebenes Volk … diejenigen, die in meinem Land gerettet wurden … gnädig befreien“ und „ihnen Freude bereiten“ wird, „bis das Ende, der Tag des Gerichtes kommt“ (12,34), so sind auch hier offenbar lediglich die wenigen Gerechten aus Israel im Blick.
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Die Einsicht in die Geschöpflichkeit des Menschen ist im Vierten Esrabuch also verknüpft mit der Erkenntnis in seine geradezu ausweglose Verfallenheit an die Sünde und das ihr zwangsläufig folgende Vernichtungsgericht Gottes über die Sünder. Allein die Gerechten können diesem Gericht entgehen und Anteil am künftigen eschatologischen Heil gewinnen. Warum es angesichts der Sündenverfallenheit aller Menschen seit Adam überhaupt noch solche Gerechten geben kann, wird nicht weiter reflektiert. Allein der Maßstab dafür, das Halten des Gesetzes des Mose, wird immer wieder in aller Klarheit benannt. 81 3.2.3 Paulus Dass Gott sich um das Geschick der Sünder kümmern werde, sich ihrer erbarmen oder ihnen gar durch Verleihung von Weisheit die Fähigkeit zur Umkehr und zum Tun des Gerechten verleihen könnte, wie es die Sapientia Salomonis eindrücklich bezeugte, wird im Vierten Esrabuch ausdrücklich ausgeschlossen. Von einer Heilsperspektive für ganz Israel, wie sie in der Sapientia wenigstens als Ziel der Paränese erscheint und von Paulus als Glaubensgewissheit angesichts des Christusgeschehens bekennend zur Sprache gebracht wird, kann im Vierten Esrabuch keine Rede mehr sein. Es ist offenkundig, zu welcher Seite innerhalb des Spektrums frühjüdischer anthropologischer und eschatologischer Konzeptionen, das durch die Sapientia Salomonis einerseits, das Vierte Esrabuch andererseits begrenzt wird, die paulinische Sicht des Menschen als Teil des Gottesvolkes neigt. 3.3 Israel unter dem Gericht Gottes Stellt die geradezu totale Gerichtsperspektive für Israel im Vierten Esrabuch sicherlich eine Extremposition dar, in der sich offenbar die katastrophalen Erfahrungen des Jüdischen Krieges und der Tempelzerstörung durch die Römer niedergeschlagen haben, so sind biblische Überlieferungen zur Zukunft Israels in frühjüdischer Zeit daneben auch in einer deutlich davon unterschiedenen Weise rezipiert und transformiert worden. Ein besonders profiliert ausgeprägtes Deutungsmuster dafür bildete das sogenannte „deuteronomistische Geschichtsbild“, nach welchem der Weg Israels durch seine Geschichte in einer charakteristischen Abfolge von Erwählung und Führung durch Gott, Abkehr und Untreue des Volkes, der darauf folgenden Strafe Gottes, der Umkehr und Reue Israels und der am Ende siegenden Barmherzigkeit Gottes mit seinem Volk gezeichnet wird. Dieses Geschichtsbild, das sich schon in der literarischtheologischen Gestaltung der Geschichtsüberlieferungen im Pentateuch niedergeschlagen hat, wurde in frühjüdischer Zeit zu einer paränetisch akzentuierten Leitkonzeption bei der Reflexion der Geschichte und der Identität Israels. 82 81 82
Vgl. 7,24.45.72.79.81 u.ö. Vgl. dazu grundlegend ODIL HANNES STECK, Israel und das gewaltsame Geschick der
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Exemplarisch dafür steht das große Sündenbekenntnis des Volkes in Neh 9,5– 37. Hier wird dem Durchgang durch die biblisch überlieferte Geschichte des Volkes nach dem Muster des „deuteronomistischen Geschichtsbildes“ das Bekenntnis zur Einzigkeit JHWHs und zu seiner Schöpfermacht vorangestellt (9,6), und der Grundton des Sündenbekenntnisses liegt im Vertrauen auf die Barmherzigkeit und Treue Gottes zu seinem Volk gerade angesichts von dessen Untreue: In deinem großen Erbarmen hast du ihnen keine Vernichtung bereitet und sie nicht verlassen. Denn ein gütiger und barmherziger Gott bist du. (Neh 9,31)
3.3.1 Testamente der Zwölf Patriarchen In frühjüdischen Texten kann dieses theologische Deutungsschema zur Begründung und Vertiefung der Toraparänese verwendet werden, was sich besonders eindrücklich an den Testamenten der Zwölf Patriarchen zeigen lässt. 83 Sie sind für unsere Frage nach frühjüdischen anthropologischen Konzeptionen besonders interessant, weil hier im Rahmen einer primär paränetisch ausgerichteten Schrift Aussagen über das endzeitliche Geschick Israels verbunden sind mit Einsichten über die Verantwortung des Einzelnen für seine Lebensgestaltung nach dem Willen Gottes, also gemäß den Weisungen der Tora für den Alltag eines frommen Juden. 84 Schon aus der literarischen Gesamtgestalt, einer Sammlung von testamentarischen Mahnreden der zwölf Söhne Jakobs an ihre Nachkommen, ergibt sich der Bezug des Werkes auf „ganz Israel“. Über die Verankerung der Patriarchenüberlieferungen in ihren biblischen Kontexten hinaus weist aber die mit der Testamentsform gewählte Redeperspektive der Jakobssöhne. Sie richtet sich gattungsgemäß auf die Zukunft der Nachkommen nach dem Tod ihrer Väter, was den narrativen Ausgangspunkt für ihre eschatologische Ausrichtung bildet. Ohne literarischen Bruch können so sämtliche Überlieferungen, die in der Schrift den Väterüberlieferungen chronologisch erst folgen, bereits in die Reflexion über das künftige Geschick Israels einbezogen werden, und zugleich kann im Vorausblick der testamentarischen Rede der Patriarchen das künftige Propheten. Untersuchungen zur Überlieferung des deuteronomistischen Geschichtsbildes im Alten Testament, Spätjudentum und Urchristentum, WMANT 23, Neukirchen-Vluyn 1967, bes. 110–215. 83 Text: MARINUS DE JONGE, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Critical Edition of the Greek Text, PVTG I/2, Leiden 1978; Kommentar: HARM W. HOLLANDER/MARINUS DE JONGE, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Commentary, SVTP 8, Leiden 1985; Übersetzungen hier und im Folgenden nach JÜRGEN BECKER, Die Testamente der zwölf Patriarchen, JSHRZ III/1, Gütersloh 1974. 84 Zur Rezeption des deuteronomistischen Geschichtsbildes in den TestXII vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (Anm. 68), 77–79, zur paränetischen Intention der Schrift insgesamt a.a.O., 82f.
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Verhalten ihrer Nachkommen unmittelbar mit dem für sie zu erwartenden endzeitlichen Geschick verbunden werden. Solche Ausblicke auf die eschatologische Zukunft Israels werden in der Mehrzahl der Testamente gestaltet nach dem Schema: Aufweis der Sünde Israels – Ankündigung der Strafe Gottes durch Exil und Zerstreuung Israels unter die Völker – Erbarmen Gottes und Rückkehr der Zerstreuten in das ihnen verheißene Land (= „SER-Schema“). In offenkundiger Aufnahme des deuteronomistischen Geschichtsbildes wird dabei die Untreue Israels anhand von konkreten Übertretungen von Geboten der Tora aufgewiesen. 85 Als Strafe Gottes dafür werden z.B. „Brandschatzung des Tempels Gottes, Verwüstung des Landes, Knechtschaft eurer selbst unter den Völkern“ angekündigt (TestJud 23,3). Die Nachkommen der Patriarchen „werden zerstreut werden unter den Völkern und ihren Feinden dienen“ (TestIss 6,2). 86 Die sich am Ende durchsetzende Barmherzigkeit Gottes angesichts und trotz der Untreue Israels wird dementsprechend als Verheißung der Rückführung der Nachkommen der Patriarchen aus der Verbannung angekündigt. 87 Die biblisch überlieferte Geschichte des Gottesvolkes, das gegenwärtige Verhalten der Israeliten und das künftige Schicksal ganz Israels können somit in den Zwölfertestamenten in einer literarisch wie textpragmatisch außerordentlich kohärenten und kompakten Weise verknüpft werden. Dass Israel in diesem narrativ-theologischen Rahmen als Ganzheit erscheint, ergibt sich schon aus der literarischen Endgestalt der Sammlung von zwölf Patriarchentestamenten. Diese aus der überlieferten biblischen Geschichte des Gottesvolkes abgeleitete Einheitsvorstellung wird mit Hilfe des deuteronomistischen Geschichtsbildes auf das endzeitliche Gottesvolk übertragen. Auch wenn das Element der Rückkehr der Zerstreuten nicht in allen zwölf Patriarchentestamenten explizit vorkommt, so ist doch die Vorstellung von der endzeitlichen Rückführung der Israeliten in ihr Land für das in sich einheitliche Gesamtwerk textpragmatisch entscheidend. 88 Den Lesern soll vermittelt werden, dass Israel wie am Anfang seiner Geschichte so auch in seiner eschatologischen Vollendung
Z.B. TestJud 23,1f.; TestIss 6,1; TestSeb 9,5; TestDan 5,5; TestAss 7,5. Vgl. TestSeb 9,6; TestDan 5,8; TestNaph 4,2; TestAss 7,2.6. 87 Z.B. TestJud 23,5: καὶ ἐπισκέψεται ὑμᾶς κύριος ἐν ἐλέει καὶ ἀναγάγῃ ἀπὸ τῆς αἰχμαλωσίας τῶν ἐχθρῶν ὑμῶν, TestIss 6,4: ὅτι ἐλεήμων ἐστὶ καὶ ἐξελεῖται αὐτοὺς, τοῦ ἐπιστρέψαι εἰς τὴν γὴν αὐτῶν, vgl. TestSeb 9,7; TestDan 5,9; TestNaph 4,3; TestAss 7,7. 88 Die fragmentarisch überlieferten Reste eines aramäischen Testaments Levis sowie eine spätere Fassung eines hebräischen Testaments Naftalis deuten darauf hin, dass einzelne Patriarchentestamente möglicherweise zu den literarischen Vorstufen der TestXII gehörten; die griechischen TestXII lassen sich aber nicht dekomponieren, sondern bilden eine literarische Einheit, zu deren zentralen Eigenschaften die Zwölfzahl der Testamente gehört. Vgl. dazu HOLLANDER/DE JONGE, Commentary (Anm. 83), 17–29. 85 86
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wieder als Einheit und Ganzheit des Zwölf-Stämme-Volkes im von Gott ihm zugesagten Land leben wird. 3.3.2 Zweites Makkabäerbuch In deutlich weniger schematischer Weise, gleichwohl mit vergleichbaren geschichtstheologischen Denkmustern, ist im 2. Makkabäerbuch von der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Israels die Rede. 89 Als Werk der hellenistischen Geschichtsschreibung, genauer: als Epitome des fünfbändigen Geschichtswerkes des Jason von Kyrene, widmet es sich einem konkret abgegrenzten Abschnitt der jüngsten Geschichte Jerusalems und Judäas zur Zeit der Herrschaft der Seleukiden Antiochus IV. Epiphanes, Antiochus V. Eupator und Demetrios I. Vergangenheit und Gegenwart des Gottesvolkes sind von daher sehr viel spezifischer darstellbar als in den paränetisch-erbaulichen Zwölfertestamenten. Umso deutlicher tritt die grundsätzliche Übereinstimmung beider Werke hinsichtlich der Heilserwartungen für die Zukunft Israels hervor. Sie kommen im 2. Makkabäerbuch schon in den Einleitungsbriefen und innerhalb der Geschichtsdarstellung dann vor allem in eingeschobenen Kommentaren des Epitomators zum Ausdruck. Dass die gegenwärtige Not des Volkes nicht zuletzt Folge der Übertretung des Gesetzes durch dessen Repräsentanten ist, wird hier keineswegs verschwiegen. Ausgerechnet auf Veranlassung des Hohenpriesters waren ja in Jerusalem die auf dem Gesetz beruhende Verfassung aufgehoben und dem Gesetz zuwiderlaufende Bräuche eingeführt worden (4,11). Unter Führung des Hohenpriesters Jason war „eine solche Blüte des Hellenismus und ein solcher Zulauf zur Fremdtümelei“ 90 entstanden, dass die Priester sogar den Altardienst im Tempel zugunsten der Übungen in der Palästra vernachlässigten (4,13f.). Unmittelbare Folge dessen war, wie der Epitomator festhält, eine schlimme Zeit … und gerade die, deren Lebensart sie nachzueifern sich bemühten … erhielten sie zu Feinden und Rächern. Denn es ist nichts Geringes, gegen die göttlichen Gebote zu freveln (4,16f.).
Die Eroberung Jerusalems und die Tempelschändung durch Antiochus IV. kommentiert der Epitomator folgendermaßen:
89 Vgl. dazu ULRIKE MITTMANN-RICHERT, Historische und legendarische Erzählungen, JSHRZ VI/1,1, Gütersloh 2000, 40–62. 90 Übersetzung hier und im Folgenden nach CHRISTIAN HABICHT, 2. Makkabäerbuch, JSHRZ I/3, Gütersloh 1976.
3. Biblische und frühjüdische Vorgaben für das paulinische Menschenbild
353
Antiochus überhob sich in seinem Sinn, denn er erkannte nicht, daß wegen der Verfehlungen derer, die die Stadt bewohnten, der Herr für eine kurze Weile zürnte und deshalb eine Nichtachtung der heiligen Stätte eintrat … Aber der Herr hatte nicht wegen der Stätte das Volk (τὸ ἔθνος), sondern um des Volkes willen (διὰ τὸ ἔθνος) die Stätte auserwählt. Deshalb nahm auch die Stätte, so wie sie jetzt an den Unglücksfällen der Nation (τοῦ ἔθνους) teilhatte, später an den Wohltaten teil. Und der im Zorn des Alleinherrschers verlassene Platz wurde in der Versöhnung des großen Herrn mit allem Ruhm wieder aufgerichtet. (5,17–20)
Im Anschluss an die Schilderung der Gesetzlosigkeiten der Religionsverfolgung im Auftrag des Antiochus durch den Athener Geron (6,1–11) wendet sich der Epitomator explizit an „die Leser dieses Buches“, um sie angesichts der geschilderten Unglücksfälle zu ermutigen und „zu bedenken, daß die Strafen nicht zum Verderben, sondern zur Erziehung unseres Volkes (τοῦ γένους ἡμῶν) bestimmt sind“ (6,12). Gerade darin zeige sich die Gnade Gottes, denn während er bei anderen Völkern (ἐπὶ τῶν ἄλλων ἐθνῶν) die Bestrafung herauszögere, damit sie ungehindert „selbst zur Erfüllung ihrer Verfehlungen gelangen“ (καταντήσαντας αὐτοὺς πρὸς ἐκπλήρωσιν ἁμαρτιῶν), habe er Israel sofort gestraft, um es vor der Vollendung seiner Verfehlungen zu bewahren (ἵνα μὴ πρὸς τέλος ἀφικομένων ἡμῶν τῶν ἁμαρτιῶν). Deshalb entzieht er uns nie sein Erbarmen, sondern er verläßt sein Volk (τὸν ἑαυτοῦ λαόν) nicht, auch wenn er es unter Leiden erzieht. (6,16)
Am Beginn der Schilderung der Widerstandsbewegung unter dem Makkabäer Judas steht das Gebet der „am Judentum Festhaltenden“ (τοὺς μεμενηκότας ἐν τῷ Ιουδαϊσμῷ, 8,1): Sie riefen immer wieder den Herrn an, auf sein von allen bedrängtes Volk zu schauen (ἐπιδεῖν τὸν ὑπὸ πάντων καταπατούμενον λαόν), sich auch des von gottlosen Menschen geschändeten Tempels zu erbarmen, Mitleid zu haben mit der zugrunde gehenden Stadt (8,2f.).
Und bevor noch die erfolgreichen Aktionen des Judas überhaupt geschildert worden sind, lautet das Urteil des Geschichtsschreibers schon: Als der Makkabäer es aber zu einer Heerschar gebracht hatte, da wurde er schon den fremden Völkern unwiderstehlich (ἀνυπόστατος ἤδη τοῖς ἔθνεσιν), weil der Zorn des Herrn sich in Erbarmen gewendet hatte. (8,5)
War in den Testamenten der Zwölf Patriarchen die Wiederherstellung ganz Israels durch Rückführung der Zerstreuten aus den zwölf Stämmen in das verheißene Land für die eschatologische Heilszeit angekündigt worden, so kann der Epitomator im 2. Makkabäerbuch schon für die unmittelbar zurückliegende Geschichte Jerusalems auf die Erfüllung einer solchen Hoffnung auf Wiederherstellung des Gottesvolkes und seiner Heilsinstitutionen verweisen. Für eine entsprechende auf die Endzeit gerichtete Erwartung scheint somit in seiner Gegenwart kaum noch Raum zu sein. Gleichwohl macht die Einleitung seines Werkes durch die Diasporabriefe deutlich, dass es durchaus noch Anlass gibt,
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„Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6b)
Gott um die Erfüllung seiner Verheißungen an ganz Israel zu bitten. So heißt es in dem Gebet zur Tempelweihe unter Nehemia, das im zweiten Einleitungsbrief an die Juden in Alexandria zitiert wird: Herr, Herr unser Gott … der Du Israel rettest aus allem Übel (ὁ διασῴζων τὸν Ισραηλ ἐκ παντὸς κακοῦ), der Du unsere Väter auserwählt und geheiligt hast, nimm an das Opfer für Dein ganzes Volk Israel (ὑπὲρ παντὸς τοῦ λαοῦ σου Ισραηλ) und bewahre und heilige Deinen Anteil. Führe unsere Brüder in der Zerstreuung wieder zusammen, befreie die unter den Heiden Versklavten, sieh auf die für nichts Geachteten und Verabscheuten: so sollen die Heiden erkennen, daß Du unser Gott bist. (1,24–27)
Der letzte Brief schließt mit der Ermahnung an die Adressaten in der alexandrinischen Diaspora, das Tempelweihfest zu feiern, und mit einem Verweis auf Gott, der sein ganzes Volk errettet (ὁ σώσας τὸν πάντα λαὸν αὐτοῦ) und allen das Erbland (τὴν κληρονομίαν) gegeben hat, das Königtum (τὸ βασίλειον) und die Priesterschaft (τὸ ἱεράτευμα) und die Heiligung … (τὸν ἁγιασμόν), so wie er es im Gesetz versprochen hat. (2,17f.) 91
3.3.3 Paulus Wie „ganz Israel gerettet wird“, lässt sich ausweislich der hier herangezogenen frühjüdischen Zeugnisse durchaus unterschiedlich vorstellen. Israels Verfehlungen, insbesondere durch Übertretung der Tora, brauchen dabei ebenso wenig verschwiegen zu werden wie das ihnen folgende Gericht Gottes. Dass aber das Gottesvolk als Ganzes eine Heilsperspektive hat und dass Gott dieses Heil für ganz Israel auch gegen seine Feinde durchsetzen wird, dies ist, abgesehen vielleicht vom 4. Esrabuch, ihre gemeinsame Überzeugung, die auch von Paulus, auf seine Weise, geteilt wird.
4. Ausblick
4. Ausblick Für die Theologie des Paulus ergeben sich aus der Berücksichtigung seines Menschenbildes nach Römer 9–11 wesentliche Modifikationen. Der für den Römerbrief charakteristische Zusammenhang von Rechtfertigungsargumentation (Römer 1–8) und Israel-Argumentation (Römer 9–11) hat grundlegende Funktion für sein Verständnis des Christusgeschehens. Gottes heilvolles Handeln im Christusgeschehen kann nicht losgelöst werden von dem „Ort des Geschehens“, der Glaubens- und Lebenswelt Israels unter den Völkern, der konkret raum-zeitlich bestimmten Lebens- und Glaubensgeschichte des Gottesvolkes in frühjüdischer Zeit. Dies gilt sowohl mit Blick auf die geschichtlichen 91
Zur Aufzählung der „Ruhmestitel Israels“ vgl. Röm 9,4f.!
4. Ausblick
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Rahmenbedingungen und den geschichtlichen Charakter des Wirkens Jesu selbst (einschließlich der offenkundig geschichtlich bedingten Zusammenhänge seines Lebensendes!) als auch hinsichtlich der geschichtlich erfassbaren Vorgänge und Verhältnisse der paulinischen Mission und Gemeindebegleitung, für die Paulus seine theologischen Argumentationen verfasst hat. Christlicher Glaube und christliche Theologie können nicht losgelöst von solchen geschichtlichen Bezügen gedacht und nachvollzogen werden, damit aber auch nicht losgelöst von Israel! Im Zusammenhang der Frage nach einer biblischen Anthropologie können die Aussagen über den Menschen in Römer 9–11 erst dann ihren theologischen Sinn erfüllen, wenn sie in einen hermeneutisch reflektierten Gesamtentwurf einer Theologie des Neuen Testaments eingeordnet werden. Dabei kommt der Zuordnung des fundamentalen Zeugnisses der christlichen Bibel beider Testamente zum diesem Zeugnis vorgeordneten zentralen Geschehen der Christusoffenbarung und seiner explikativen Ausgestaltung in den theologischen Entwürfen neutestamentlicher Autoren entscheidende Bedeutung zu. 92 Mit Blick auf die anthropologischen Komponenten der paulinischen Argumentation in Römer 9–11 ist zu fragen, ob in der Einbeziehung ganz Israels und der Vollzahl der Glaubenden aus den Völkern in das heilvolle endzeitliche Handeln Gottes auch ein Grundimpuls des Wirkens und der Verkündigung Jesu in österlicher Transformation zu erschließen ist. Der Schöpfungsbezug der paulinischen Argumentation, der nachdrückliche Verweis auf die Souveränität des Handelns Gottes und die prinzipiell uneingeschränkte Heilsperspektive für ganz Israel auch und gerade angesichts von dessen Unglaube und Abkehr von Gott lassen auf solche Transformationsprozesse von Grundimpulsen aus dem Wirken Jesu schließen. 93
Zu den hier vorausgesetzten hermeneutischen Prämissen vgl. KARL-WILHELM NIEJesu Wirken, Weg und Geschick. Zum Ansatz einer Theologie des Neuen Testaments in ökumenischer Perspektive, ThLZ 127, 2002, 3–22, bes. 14–21. 93 Zur Entfaltung dieser Andeutungen kann ich einstweilen nur auf meine im Entstehen befindliche Anthropologie des Neuen Testaments verweisen (Anm. 1). 92
BUHR,
Paul, the Israelite, on Israel and the Gentiles at the End of Time Reflections on Romans 9–11 Introduction In his argument in Romans 9–11 Paul combines three different levels of reasoning. First, a personal or biographical level: Paul, the Israelite and apostle to the Gentiles. Second, a tradition historical one: quotations from Scripture and expectations in ancient Jewish traditions on Israel and the Gentiles. Third, a level of theology or salvation history: Paul’s own proclamation of the gospel as part of the eschatological events and its credibility. 1 The correlation between Paul’s understanding of his gospel and his statements about the fate of Israel and the Gentiles at the eschatological time of revelation of Jesus Christ is a determining parameter for the exegetical interpretation of this section of Paul’s letter to the Romans. The three levels of interpretation stand out from each other methodologically, but the meaning of the text as a whole is accessible only by observing their diffusion or permeation. The text-pragmatical peculiarity of the passage results from the combination of biographical arguments, references to Scripture and statements about Israel’s standing vis-à-vis of God. Paul acts as agent in the events of God’s salutary agency over against Israel and the nations. As apostle called to proclaim the gospel to the Gentiles, he at the same time represents Israel at the end of time. Paul understands himself as an eschatological messenger according to the model of the biblical prophets. 2
1 I have provided a thorough interpretation of Rom 9–11 in my habilitation thesis. Cf. KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 136–178. A more recent collection of essays on these three chapters of Romans is FLORIAN WILK/J. ROSS WAGNER (Ed.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11, WUNT 257, Tübingen 2010, therein: KARL-WILHELM NIEBUHR, “Nicht alle aus Israel sind Israel” (Röm 9,6b). Römer 9–11 als Zeugnis paulinischer Anthropologie, 433–462 [in this volume 327–355]. My argument in the following chapter is based on the exegesis pre-sented there in more detail. 2 KARL OLAV SANDNES, Paul – one of the prophets? A contribution to the apostle’s selfunderstanding. WUNT II/43, Tübingen 1991.
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Paul, the Israelite, on Israel and the Gentiles at the End of Time
1. The Biographical Level – Paul, Apostle to the Gentiles and Israelite
1. The Biographical Level Four times in his argument in Romans 9–11 Paul refers to himself, his person, his task and his aims, even his emotions. 3 Each time, he is concerned with his personal relationship to Israel, the people of God, to whom he counts himself. By pointing to his identity as Israelite (11:1) 4 Paul assures his existential bond to Israel, even to those from his people who actually are remote from Jesus Christ (9:1–5). 5 He substantiates this bond by continuous intercession in favour of their salvation (10:1), 6 and he proves it by tying his own lifework as apostle to the Gentiles to the goal to lead his own people to eschatological salvation (11:13). 7 In view of such a subjective colouring of his argument, 8 we may ask how Paul exactly relates his identity as Israelite to his task as apostle to the nations. What, according to the contents of Paul’s proclamation of Christ to the Gentiles, is the result of the history of God’s people and its present situation in view of the Christ revelation? In which way his expectation of the eschatological salvation of all Israel (11:26) affects his actual proclamation and his mission to the Gentiles? Is there any link between his propositions about the present status of Israel and the situation in the communities of Christ believers in Rome or the state of his missionary project as a whole? 9 By asking such questions, we notice that Paul’s basic theological convictions closely relate to his individual experience as a missionary and to biblical and Jewish religious traditions as well. Chapters 9–11 are part of the argumentative explication of the theme of the letter indicated in 1:16f. God has revealed his righteousness in Jesus Christ to
EVE-MARIE BECKER, Autobiographisches bei Paulus. EADEM/PETER PILHOFER (Ed.), Biographie und Persönlichkeit
Aspekte und Anliegen, in: des Paulus, WUNT 187, Tübingen 2005, 67–87, completely ignores all references to Paul’s identity as an Israelite in his letters, but his self-designation as “apostle to the Gentiles” in Rom 11:13 (introduced by εἰμι ἐγώ!) as well. 4 Cf. NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (n. 1), 167–171. 5 Cf. NIEBUHR, ibid., 163–165. 6 Cf. NIEBUHR, ibid., 163–167. 7 Cf. NIEBUHR, ibid., 171–175. 8 Cf. the highly emotional diction in 9:1–5. 9 A positive answer to this question has been the assumption of FRANCIS WATSON, Paul, Judaism and the Gentiles: A Sociological Approach. SNTS.MS 56, Cambridge 1986, 88– 105 (revised and expanded edition: Paul, Judaism, and the Gentiles: Beyond the New Perspective, Grand Rapids 2007, 163–191); cf. also WILLIAM S. CAMPBELL, The Addressees of Paul’s Letter to the Romans: Assemblies of God in House Churches and Synagogues?, in: WILK/WAGNER, Between Gospel and Election (n. 1), 171–195. 3
1. The Biographical Level
359
every believer, Jew or Gentile. In Romans 1–8 Paul explains how God has enforced his intention to save all human beings, Jews and Gentiles alike, that is, by faith in Jesus Christ. 10 In Romans 9–11, he ingrains the Christ event in the saving agency of God over against Israel by defining God as the one who calls Jews and Gentiles to his people and has mercy upon them. 11 The credibility of Paul’s gospel to the Gentiles, therefore, stands and falls with the trustworthiness of God over against his people. That trustworthiness, however, seems to be in question, given the refusal of Christ in Israel, because Paul can interpret this refusal merely as an expression of Israel’s turning away from God. 12 For Israel, if turning away from God, ends up under God’s wrath. In Romans 9–11, therefore, the trustworthiness of God as the theological basis for Paul’s credibility as apostle of Christ is in question due to the disbelief in Israel that brings Israel under conviction by God. By manifesting his permanent solidarity to Israel even as apostle to the Gentiles and even in view of disbelief in Israel, Paul in his letter to the Romans intervenes to debates that arose in his churches due to his ministry. 13 When Paul asserts the faithfulness of God to Israel, even against appearance, he points his Roman audience to his ministry as apostle to the nations as performed by order of the God of Israel. 14 Likewise, he points them to his faith in Jesus Christ. His faith in Jesus Christ, in his view, is the same as his faith in the God of Israel. The addressees in Rome, as believers in Christ from the Gentiles, are called to believe in the God of Israel. On this ground, the apostle exhorts them not to react to the unbelief in Israel with self-praise and arrogance, but with hope and expectation that God will save all Israel at the end of time. 15 10 For Rom 1–8 cf. KARL-WILHELM NIEBUHR, Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik. Zwei paulinische Argumentationen (Röm 1,18–2,29; 8,1–30), in: MATTHIAS KONRADT/ESTHER SCHLÄPFER (Ed.), Anthropologie und Ethik im Frühjudentum und im Neuen Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. Internationales Symposium in Verbindung mit dem Projekt Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (CJHNT) 17.–20. Mai 2012, Heidelberg, WUNT 322, Tübingen 2014, 139–161 [in this volume 275–295]. 11 Rom 9:22–24; cf. NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (n. 1), 150f. See also BEVERLY R. GAVENTA, On the Calling-into-Being of Israel: Romans 9:6–29, in: WILK/WAGNER, Between Gospel and Election (n. 1), 255–269. 12 Cf. NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (n. 1), 154–158; IDEM, Nicht alle aus Israel sind Israel (n. 1), 437f. 13 Rom 11:13–31. Cf. WILLIAM S. CAMPBELL, Paul and the Creation of Christian Identity, London/New York 2008, 121–139; MARK D. NANOS, Broken Branches: A Pauline Metaphor Gone Awry? (Romans 11:11–24), in: WILK/WAGNER, Between Gospel and Election (n. 1), 339–376 (= IDEM, Reading Romans within Judaism: Collected Essays, Eugene 2018, 112–152); IDEM, The Mystery of Romans: The Jewish Context of Paul’s Letter, Minneapolis 1996, 75–84. 14 Cf. for the whole argument WATSON, Paul, Judaism, and the Gentiles, revised and expanded edition (n. 9), 301–343 (the whole section on Rom 9–11 is thoroughly reworked). 15 Cf. CAMPBELL, The Addressees of Paul’s Letter to the Romans (n. 9), 183–185.
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Paul, the Israelite, on Israel and the Gentiles at the End of Time
1.1 Romans 9:1–5 Paul’s personal affirmation of his steadfast solidarity to Israel (9:1–5) follows a hymnal confession of communion to God in Jesus Christ (8:31–39). 16 His deep sorrow and unremitting grief in view of the present state of Israel is in stark contrast to his joy about the inseparable communion between the Christ believers and God as just expressed when Paul had claimed that nothing will be able to separate from the love of God those who are in Christ (8:39). However, by cursing himself, Paul expresses with highest emotions that he wished to be apart from Christ if this would help his fellow Israelites to be saved (9:3). 17 The relationship between Paul and Israel obviously is not only a biographical or personal link of parentage, but it belongs to his identity as apostle of Jesus Christ. Paul’s immeasurable grief results from questioning his relation to Christ by the present unbelief in Israel. The theological poignancy of the situation as initially expressed emotionally by Paul becomes a subject of his argument explicitly from 9:6ff., 18 but is already there implicitly in the exposition in 9:1–5. If Israel’s refusal of Christ results in God’s abandoning his promises to Israel, then indeed God would have rejected his people. Precisely this is the consequence explicitly pronounced four times by Paul in his argument, yet, only to deny it emphatically each time. “It is not the case that God’s word has lapsed!” (9:6a) “Has God rejected his people? By no means!” (11:1) “So I ask, have they stumbled so as to fall? By no means!” (11:11) “For the gifts and the calling of God are irrevocable.” (11:29) Therefore, from the beginning to the end of his argumentation, Paul never raises any doubts that God would be unfaithful to his promises to Israel. However, this does not suffice as a theologically satisfying solution for Paul’s problem that at present part of Israel locks out themselves from God’s saving agency in Christ. Here Paul’s immeasurable sorrow has its roots. However, this apparently desperate state of affairs at the beginning of Paul’s argument has still another reason. For Paul, the faithfulness of God to Israel is at the same time the guarantee for his own proclamation to the Gentiles to be saved in Christ. If God would not be faithful even to his own people, how will they, as Gentiles who believe in Christ, trust him to fulfil his promise to all who turn to God by faith in Christ? Therefore, Paul’s faithfulness as well as his self-understanding as apostle to the nations, founded by his call, is in question. The Pauline gospel proclaimed to the Gentiles and theologically justified 16 Cf. MICHAEL WOLTER, Der Brief an die Römer, Teilbd. 2: Röm 9–16. EKK VI/2, Ostfildern/Göttingen 2019, 25–43; ARLAND J. HULTGREN, Paul’s Letter to the Romans: A Commentary, Grand Rapids 2011, 353–360. 17 NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (n. 1), 160–161; cf. HANS DIETER BETZ, Geschichte und Selbstopfer. Zur Interpretation von Römer 9,1–5, in: IDEM, Paulinische Theologie und Religionsgeschichte. Gesammelte Aufsätze V, Tübingen 2009, 71–86. 18 Cf. NIEBUHR, Nicht alle aus Israel sind Israel (n. 1), 433–438.
1. The Biographical Level
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by his letters depends on his belief in the God of Israel who puts into effect his promises unrestrictedly. 19 1.2 Romans 10:1 In the light of the present state when Gentiles have come to righteousness in Christ already, but Israel on her way lead by the Torah has not yet arrived at the promised end of the Torah (9:30f.), 20 Paul turns to God in prayer (10:1). His urgent request to God aims to Israel’s salvation in the eschatological judgment. Thereby, Paul expresses to his audience his conviction that the present state of part of Israel far from salvation does not entail as its result Israel’s ultimate rejection by God. Instead, Paul perceives from this situation a mandate from God to advocate energetically in favour of Israel’s salvation. 21 Two convictions about Israel crucial for Paul’s understanding of the gospel are plain: Salvation from God’s judgment is needed for Israel as well as for the Gentiles as long as they lean on their own will and turn themselves against God. 22 Yet, salvation from judgment is possible for everyone (that is, also for every Israelite who does not believe in Christ) who submit him or herself to the righteousness of God revealed in Jesus Christ. 23 When Paul addresses his predominantly non-Jewish audience in Rome by pointing them to his prayer in favour of Israel, he testifies his enduring solidarity with his people, including its presently non-believing members. At the same time, he substantiates his judgment that those who do not believe in Christ are disobedient to God and therefore submitted to his wrath. 24 Thus, his testimony in favour of Israel implies a convicting judgment on Israel. All Israelites have the chance to be saved by faith in Christ now and then. Yet, those of Israel who refuse this possibility now, according to Paul, stand on par with the Gentiles before they turned themselves to God by faith in Christ. 25
Cf. NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (n. 1), 142–148. Cf. STEPHEN WESTERHOLM, Paul and the Law in Romans 9–11, in: IDEM, Law and Ethics in Early Judaism and the New Testament, WUNT 383, Tübingen 2017, 265–288. For recent debates on the phrase τέλος νόμου see the excursus in WOLTER, Römer (n. 16), 107– 112. 21 Cf. NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (n. 1), 154–156. 22 10:2f., cf. 1:18–2:29! 23 Cf. 10:4–13. 24 Cf. FRIEDRICH AVEMARIE, Israels rätselhafter Ungehorsam. Römer 10 als Anomalie eines von Gott provozierten Unglaubens, in: WILK/WAGNER, Between Gospel and Election (n. 1), 299–320. 25 Cf. NIEBUHR, Nicht alle aus Israel sind Israel (n. 1), 437f. 19 20
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Paul, the Israelite, on Israel and the Gentiles at the End of Time
1.3 Romans 11:1 Paul, the Israelite, represents those from Israel who already have grasped this possibility. 26 Therefore, he can point to himself to exclude the assumption that God has abandoned his people altogether (11:1). Moreover, by hinting to himself Paul manifests not only his belonging to the “remnant from Israel” (11:5). 27 By his self-designation as Israelite from the offspring of Abraham, from the tribe of Benjamin, he also refers to the numeration of the privileges of Israel at the beginning of his argument in 9:1–3. As an Israelite, he has part in these privileges permanently, even now when he is proclaiming as God’s agent the gospel to the nations. His particular task as apostle to the Gentiles called by God is just to warrant that God did not abandon his own people. Thus, in a way, God had made Paul a sign for all Israel and for those in Israel in particular who at present do not believe in Christ. For, they all together own the promises of God that are fulfilled already in Paul as well as in the believers from Israel and from the Gentiles. Paul as Israelite and as apostle to the nations, therefore, is an apparent proof for the faithfulness of God over against his people. 1.4 Romans 11:13 In Rom 11:7–15, Paul deploys a thought that is crucial for his argumentation. God will bring all Israel to eschatological salvation on a way that leads just across the field where the gospel of Christ is proclaimed. 28 In the middle of the paragraph, Paul again points to himself. When he turns explicitly to his Gentile audience to highlight his mandate as apostle to the nations, he aims to bring close to them the salvific future of all Israel (11:13f.). 29 If the invitation of the nations to have a part in eschatological salvation by faith in Christ indicates God’s graceful richness already, it will be proved largely by his acceptance of all Israel in future (11:15). Thus, if believers from the nations will come to salvation this will result in a salutary future for all Israel (11:25–32). 30 Paul’s proclamation of the gospel to the Gentiles, therefore, cannot be separated from the salvific fate of all Israel. Israel for Paul is not just a means to save the nations, but Israel and the nations altogether are the addressees of the
Cf. NIEBUHR, ibid., 167–171. Cf. ANDREAS LINDEMANN, Paulus und Elia. Zur Argumentation in Röm 11,1–12, in: Logos – Logik – Lyrik (FS K. Haacker), ed. VOLKER A. LEHNERT/ULRICH RÜSEN-WEINHOLD, ABIG 27, Leipzig 2007, 201–218. 28 Cf. NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (n. 1), 171–175. 29 Cf. MICHAEL F. BIRD, An Anomalous Jew: Paul among Jews, Greeks, and Romans, Grand Rapids 2016, 69–107 (“Paul, Apostle to the Gentiles and Jews?”). 30 Cf. DIETER SÄNGER, Er wird die Gottlosigkeit von Israel entfernen (Röm 11,26). Kontinuität und Wandel in den Israelaussagen des Apostels Paulus, in: WILK/WAGNER, Between Gospel and Election (n. 1), 121–146. 26 27
2. The Tradition Historical Level
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salvific message that Paul has to proclaim. 31 Salvation only for the nations that does not include Israel’s participation would be thinkable for Paul only by abandoning the faithfulness of God to his promises – and that is an unthinkable possibility, for it destroys the theological basis for Paul’s gospel. Paul submits his ministry as apostle to the nations to the God of Israel who intends to grant his people eschatological salvation. Thereby, he attributes to his apostolic ministry a salvation historical function, even though he carefully marks the boundary between God’s agency and his own work. Only God can take care of all Israel’s salvation, yet Paul can contribute to this at least somewhat by proclaiming the gospel to the nations. If Israel, excited by believing Gentiles, will seek to participate in that eschatological salvation then all Israel also will be saved – this is Paul’s hope, at least. It seems, therefore, that Paul’s biography, that is his personal view on his ministry as apostle, relates inseparably to his understanding of God’s agency over against Israel. In his proclamation of the gospel to the nations, Paul discovers an indispensable contribution to the enforcement of eschatological salvation for all Israel that God is going to realize. To avoid any accusation of hubris or even blasphemy, Paul at the end of his argumentation points to the unsearchable ways of God (11:32– 36). However, it is his deep conviction that the ways to salvation for Israel and for the Gentiles belong together and that these ways do not pass off Christ, a conviction that has always determined his ministry as Christ’s apostle and has guided his theological reflection in Romans 9–11 as well.
2. The Tradition Historical Level – Israel and the Nations at the End of Time
2. The Tradition Historical Level A large number of quotations, allusions or links to Scripture obviously draw through Paul’s argument in Romans 9–11. 32 By this means, Paul at the same time takes up more or less explicitly a number of basic features of biblical and ancient Jewish expectations regarding the eschatological time. The relationship between Israel and the Gentiles at the end of time is one of such conceptions that is a given feature for Paul’s argument. 33 Following a model of biblical and Cf. CAMPBELL, The Addressees of Paul’s Letter to the Romans (n. 9), 192–195. Cf. RICHARD HAYS, Echoes of Scripture in the Letters of Paul, New Haven/London 1989, 34–83; FLORIAN WILK, Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus, FRLANT 179, Göttingen 1998, passim; ROBERT B. FOSTER, Renaming Abraham’s Children: Election, Ethnicity, and the Interpretation of Scripture in Romans 9, WUNT II/421, Tübingen 2016, 151– 238. 33 Cf. WOLFGANG KRAUS, Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus, WUNT 85, Tübingen 1996, 16–110; TERENCE T. DONALDSON, Paul and the Gentiles: Remapping the Apostle’s Convictional World, Minneapolis 1997, 51–78. 31 32
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Paul, the Israelite, on Israel and the Gentiles at the End of Time
Jewish thinking on the human being(s), Paul understands what we today would call ‘humankind’ according to the bipolar distinction between Israel and the Gentiles, and, at the same time, according to the bipolar distinction between faith and faithlessness in view of God’s agency. 34 Three areas of biblical traditions are particularly crucial for Paul’s argument: the prophetic tradition on Israel and the nations at the end of time, the sapiential tradition on the creation and the creatures in front of their creator, and the so-called ‘deuteronomistic model of history’ about Israel and her members at the judgment of God. I can only go into the first mentioned item here a little bit more in detail. 35 The picture of the nations as drawn by prophetic literature in Scripture in particular is ambivalent. On the one hand, Gentiles are the classic representatives of wrong religion submitted under God’s judgment. 36 As such, they function as deterrent examples for Israel, regarding wrong religion as well as liability to God’s judgment. 37 On the other hand, aside this there is a considerable branch of tradition according to which the nations expect a positive fate in the eschatological events. Either they belong to those who draw near to Zion in a pilgrimage of peoples together with the Israelites scattered among the nations, 38 or they are part of all creation that will partake in the eschatological veneration of the God of Israel. 39 Nevertheless, according to the biblical writings God without question will act beneficially in the end to his own people. This basic idea appears in the book of Isaiah in its final shape (notwithstanding its earlier layers) and is apparent in the Dodekapropheton as well as in the canonical collection of prophetic writings as a whole. Apparently, this eschatological focusing of prophetic traditions on the salvation of Israel was the result of a purposeful redaction of the biblical writings guided by conscious literary and theological reflection. A brief look at selected Jewish writings may show how Paul’s propositions about the fate of Israel and the Gentiles at the end of time appear as part of a spectrum of possibilities in early Judaism influenced by the biblical traditions just mentioned. For this purpose, I select only two examples from very different fields of the early Jewish literature. I thereby do not want to deviate Paul’s propositions from such statements, neither by assumption of a literary nor a tradition historical dependency. I simply attempt to describe a conceivable spectrum of possibilities testified by contemporary Jewish writings available to determine the relationship between Israel and the nations at the end of time. For an anthropological interpretation of Rom 9–11 see NIEBUHR, Nicht alle aus Israel sind Israel (n. 1), 433–444. 35 Cf. for the other two traditions NIEBUHR, ibid., 450–461. 36 Cf., e.g., Is 14:26; 40:15–17; Jer 10:25; 30:11; 46:28; Ps 9:6–9, 16–21; for a more detailed interpretation see NIEBUHR, ibid., 445–446. 37 Cf. Dtn 7:1–6; Ex 34:10–16. 38 Cf. Is 2:2–5; Mi 4:1–5; Jer 16:19–21; Zech 8:20–23; 14:16; Is 56:3–7. 39 Cf. Is 66:23; Ps 22:28–32; 47:10; 86:9f. 34
2. The Tradition Historical Level
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2.1 Book 3 of the Sibylline Oracles Book 3 of the Sibylline Oracles provides an impressive insight into the reception of prophetic traditions in Hellenistic Judaism. 40 Extremely brutal descriptions of the fate of nations inimical to God alternate to paradise-like depictions of the future life of the “righteous men” who easily can be identified as members of the people of Israel. Several times promises to eschatological salvation for Israel conclude predictions of judgment against the Gentiles. Thus, at the end of an apocalyptical periodization of history 41 the Sibyl says: And then the people of the great God will again be strong who will be guides in life for all mortals. (Sib 3,194f.)
As part of a reminiscence to the deportation to the Babylonian exile and to the existence in the diaspora 42 the people of God receives the annunciation: But a good end and a very great glory await you as immortal God decreed for you … And then the heavenly God will send a king and will judge each men in blood and the gleam of fire. There is a certain royal tribe whose race will never stumble. This too, as time pursues its cyclic course, will reign, and it will begin to raise up a new temple of God. All the kings of the Persians will bring to their aid gold and bronze and much-wrought iron. (Sib 3,282–292)
To characterize the “sacred race of pious men” 43 the Sibyl announces: Sharing in the righteousness of the law of the Most High, they will inhabit cities and rich fields in prosperity, themselves exalted as prophets by the Immortal and bringing great joy to all mortals. (Sib 3,580–583)
Finally, the “sons of the great God” will experience a salvific life around the temple protected by God 44 that leads the nations to wonder and to confess: 40 Critical Greek edition: JOHANNES GEFFCKEN, Die Oracula Sibyllina, GCS 8, Leipzig 1902; translations according to JOHN J. COLLINS, Sibylline Oracles (Second Century B.C. – Seventh Century A.D.), in: JAMES H. CHARLESWORTH (Ed.), The Old Testament Pseudepigrapha, Vol. 1, London 1983, 317–472. For critical discussion on introductory questions, see RIEUWERD BUITENWERF, Book III of the Sibylline Oracles and its Social Setting. With an Introduction, Translation, and Commentary, SVTP 17, Leiden 2003; JOHN J. COLLINS, The Third Sibyl Revisited, in: IDEM, Jewish Cult and Hellenistic Culture. Essays on the Jewish Encounter with Hellenism and Roman Rule, JSJ.S 100, Leiden 2005, 82–98; ALBERT-M ARIE DENIS, Introduction à la littérature religieuse Judéo-Hellénistique, Tome II (Pseudépigraphes de l’Ancien Testament), Turnhout 2000, 947–992. 41 Sib 3,167–195. 42 Sib 3,266–294. 43 Cf. Sib 3,573–600. 44 Cf. Sib 3,702–703.
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Paul, the Israelite, on Israel and the Gentiles at the End of Time
How much the Immortal loves those men! For everything fights on their side and helps them, heaven, divinely driven sun and moon. (Sib 3,711–713)
It follows what is a description of adoration to the “great eternal God” of Israel by the nations. They will send gifts to the temple and “ponder the Law of the Most High God” so that they will repent their aberration from the Immortal by revering things made by hands. 45 Israel, according to such expectations, will not be alone at the end of time. It will be in contact and communication with the nations. The nations, however, clearly are subordinate to the people of God. They will be spectators at best, forced to accept the glorious fortune of Israel, to marvel about their fate and to praise the God of Israel for that. 2.2 Flavius Josephus, De Bello Judaico Flavius Josephus, a historian with theological ambitions, shows a completely different view on Israel and the Gentiles in early Judaism. In his particular historical situation, he contests any promise of salvation for Israel among the nations, as still was the hope for the Sibylline Oracles when they adopted respective aspects from the prophetic tradition. For Josephus, in contrast, there is no space any longer for a salvific future of Israel among or over against the nations. In his theological interpretation of the events of the Jewish War against Rome, probably caused by his personal and political motives, Josephus takes a position alongside the Romans. Nevertheless, Josephus too arranges his position in relation to the traditions of the biblical prophets, yet he now takes the role of a prophet of doom over Israel. Thus, in De Bello Judaico 46 he announces the judgment of God against Israel, whereas he promises salvation to Rome. According to the prophetic proclamation of Josephus, God himself had delivered Israel under the power of the Romans. Therefore, by regarding himself as God’s servant Josephus prays to God before surrendering to the Roman tribune Nikanor: Since it pleases thee, […] who didst create the Jewish nation, to break thy work, since fortune has wholly passed to the Romans, […] I willingly surrender to the Romans and consent to live. (Bell 3,354)
Sib 3,715–726, cf. Sib 3,767–780. For the view on the temple in Sib 3 cf. ANDREW CHESTER, The Sibyl and the Temple, in: Templum Amicitiae. Essays on the Second Temple (FS E. Bammel), ed. WILLIAM HORBURY, JSNT.S 48, Sheffield 1991, 37–69. 46 Critical edition of the Greek text in: Flavius Josephus, De Bello Judaico/Der Jüdische Krieg. Griechisch und Deutsch, ed. OTTO MICHEL/OTTO BAUERNFEIND, 3 Vols., München 1959–1969; translations according to HENRY ST. J. THACKERAY, Josephus in Nine Volumes, II: The Jewish War, Books I–III, III: The Jewish War, Books IV–VII. With an English Translation, London/Cambridge 1927/1928. 45
2. The Tradition Historical Level
367
Before the Romans conquer Jerusalem, Josephus once more wants to persuade those who try to defend the city to lay down their arms. Now, already alongside the Roman troops, Josephus tries to convince his fellow Jews by the argument: Fortune, indeed, had from all quarters passed over to them, and God who went the round of the nations, bringing to each in turn the rod of empire, now rested over Italy. (Bell 5,367)
Finally, after an excursus about Israel’s history, Josephus concludes: My belief, therefore, is that the Deity has fled from the holy places and taken His stand on the side of those with whom you are now at war. (Bell 5,412) 47
The Romans in the present time, according to Josephus, have occupied the position of the Babylonians in Israel’s history, as is depicted in Ezekiel 10f. In view of the siege and the conquest of Jerusalem, the prophet there observes how the glory of God leaves the temple. However, whereas the Book of Ezekiel ends in a glorious depiction of the restored eschatological temple, 48 such a salvific perspective is completely missing in Josephus. 2.3 Paul The eschatological expectations in the third book of the Sibylline Oracles on the one hand and Josephus’ interpretation of Israel’s history on the other exhibit two poles of possible concepts in Hellenistic Judaism on the fate of Israel and the nations at the end of time. How do Paul’s propositions range in relation to them? Probably, Paul comes closer to the Sibyl than to Josephus with regard to the future of Israel, although his own accents are obvious. This refers in particular to the inclusion of non-Jews into eschatological salvation, provided they turn to the God of Israel by faith in Jesus Christ. This certainly is more than what the Sibylline Oracles admitted them, for there, the nations are no more but spectators wondering and applauding to the saving events in favour of Israel, if not being destroyed before. It is, however, much less than what Josephus offers them, who deems the Romans the heirs of God’s promises to Israel. This sort of ‘substitution theory’, strangely enough, does not occur with Paul, the apostle of the Gentiles, or with any other ‘Christian’ sources from the 1st century AD, but with the Jewish author Josephus who counts himself a pious member of Israel! 49 All three, Paul, the Sibyllines and Josephus, perceive every Israelite as a member of the people of God. By parenetical exhortation, they attempt to prompt every single Israelite to follow the will of God in their individual everyCf. also Bell 7,359. Cf. Ez 40–48. 49 For an interpretation of Josephus’s overall view on theologically interpreted history and its text-pragmatic intentions cf. JOHN M. G. BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora. From Alexander to Trajan (323 BCE – 117 CE), Edinburgh 1996, 351–356. 47 48
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Paul, the Israelite, on Israel and the Gentiles at the End of Time
day life, their religious, ethical or political decisions. 50 However, the individual situation of all Israelites relates inseparably to the fate of the people of God under eschatological perspective. Yet, the outcome of the eschatological events with regard to Israel, either salutary or catastrophic, does not lie in the hands of Israel or any of her members, but in God’s hands alone.
3. The Theological Level – God’s Agency over against Israel
3. The Theological Level Paul highlights the privileges of Israel and God’s promises to his people (9:4f.) even before he articulates the problem with regard to Israel that brings him to utter his deeply felt sorrow and grief about them (9:6–29). The tension that results from this situation forces Paul to argue theologically, based on Scripture. At the end of his argument that leads him to the result that all Israel will be saved, Paul again emphasizes the graceful agency of God that is founded theologically in his mercy upon “all”, that is, upon Israel and the nations (11:30–36). Between these brackets, the principle of God’s trustworthiness to his promises to Israel forms the theological basis for the construction of Paul’s argument. 51 3.1 Romans 9:6–29 The first deployment of the argument replies to the impossible assumption that God’s word has lapsed (9:6a). 52 In this step of the argument, the leading idea refers to God who has always enforced his intent to save his people by calling them. This was true for Abraham and his offspring (9:7–10) as well as for Rebecca’s sons (9:11–14). It can be shown for Moses likewise as for Pharaoh (9:14–18) and it follows the insight of the biblical wisdom and the prophets (9:19–21). When Paul in his argument turns from biblical times to the present time, his leading idea remains the same (9:22–29). God’s calling is the only reason for salvation. Therefore, even now, even for “us”, that is, for Jews and Gentiles, God’s promises to Israel have been fulfilled only because he has called us (9:24).
For a primarily parenetical intention of Sib 3 cf. KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur. WUNT II/28, Tübingen 1987, 169–185. For Josephus with regard to Ap 2,190–219 see ibid., 31–72. 51 Cf. the interpretation of Rom 9–11 in: JOHN M. G. BARCLAY, Paul and the Gift, Grand Rapids 2015, 520–561, who identifies the theological coherence in these chapters in “the fact that God’s mercy (or grace) is given without regard to worth, and thus forms the creative root of God’s purposes for the world” (ibid., 521). 52 Cf. NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (n. 1), 143f. 50
3. The Theological Level
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Israel, therefore, is the people to which God acts by enforcing his will when he calls them to salvation. Paul comes to a solution for the hard pressing problem of disbelief in Israel only by arguing from the point of view of God’s agency, not from the point of view of Israel’s virtues or deeds. This arises clearly from Paul’s argument in 9:22–29. 53 Given that currently not all “from Israel” are “Israel” (9:6b), Paul has to explain if and how God will stick to his promises to Israel in future. He does this by interpreting the present situation because of God’s calling. This suits his former arguments with regard to the biblical examples mentioned in 9:9–18. God enforces his salutary promise to all of Israel by calling sovereignly out of Israel and the Gentiles those who believe in Christ (9:24). Certainly, this still leaves open the question of how God will comply his promises towards all of Israel, although there is no indication at all in this passage that God would have withdrawn or only restricted his promises or even have transferred them upon the nations in view of Israel’s disbelief. 3.2 Romans 11:2–10 The next step of Paul’s argument adopts the biblical idea of a remnant from Israel (11:2–10). 54 In the present time, the existence of such a remnant belonging to the saved already would indicate at least that God has not disowned his people completely, but has lead Israel to salvation at least partly by his calling. This means that presently all of Israel already face God’s intention to save them, but only part of them have accomplished God’s will entirely. The rest are “hardened”, as Paul calls it (11:7). To understand Paul’s thoughts correctly, it is decisive that this “hardening” of part of Israel results from God’s agency as well. Paul attributes a positive function to the rejection of Christ in Israel! This act of part of Israel is the precondition for believers from the nations who are called to salvation to enter the eschatological people of God. Thereby, the “hardened” part of Israel takes on a positive role when God enforces his salutary will over against Israel and the nations. In fact, all Israel has not yet come to salvation, but the part of Israel that has not yet arrived there, nevertheless, is exposed to the salvific agency of God that succeeded already by calling Jews and Gentiles alike to salvation through faith in Christ in the present time. 3.3 Romans 11:11–32 This opens a new perspective to the salvation of all Israel (11:12, 15). Turning to his predominantly non-Jewish audience in Rome, Paul in a parenetical argument first deploys this possibility by using the metaphor of the olive tree
53 54
Cf. NIEBUHR, ibid., 150f. Cf. NIEBUHR, ibid., 145f.151–154.
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Paul, the Israelite, on Israel and the Gentiles at the End of Time
(11:16–24). 55 However, his point here is not the quality of the tree or its roots. Again, the decisive activity in the events of salvation is with God, not with Israel. The olive tree and its roots, therefore, do not represent Israel or the patriarchs, but refer to God in his salvific agency towards Israel and the nations. The olive tree embodies the space and the events where and when God enacts his salutary will. Israel’s participation in the eschatological salvation as well as the participation of the Gentiles in it is due to God’s will alone. It is the result of God’s sovereign intention to put into effect his promises to his people. What is expressed as a possibility in the parable of the olive tree is deployed as eschatological reality at the end of Paul’s argumentation (11:25–27). 56 He calls it a “mystery” that all Israel will be saved when the hardening over Israel will have succeeded by opening the way to salvation for believing Gentiles. Then, the saviour will come from Zion to take off all ungodliness from Jacob. Again, the theological basis for this idea is the conviction that God alone is acting in this event, by hardening as well as by saving his people. This is the theological reason why Paul does not need to claim that all Israel in the end will believe in the saviour Jesus Christ. 57 The nations, if at all, will be saved by faith in Christ alone. All Israel, however, at the end of time will be saved by the salvific eschatological act of the merciful God who will enforce his promises to his people out of his own will. This remains as a difference between Israel and the Gentiles, even at the time of the eschatological completion. This does not mean, however, that all Israel, according to Paul, will be saved by passing off Christ, and it also does not mean that Israel can be saved by passing off those from the nations who are saved by faith in Christ alone. When God will accomplish his promises to Israel, he acts as the one and only God of Israel who has revealed his salvific will towards all humankind, Jews and Gentiles, in Jesus Christ. That is how Paul sees it, the apostle to the Gentiles from Israel.
Conclusion
Conclusion For Paul, the Israelite and the apostle to the Gentiles, every hope for eschatological salvation is rooted in the biblical promises. In Romans 9–11, Paul employs the fundamental consequences of his proclamation of the gospel in view of challenges resulting from his mission to the Gentiles. To his primarily Gentile audience in Rome, he declares the trustworthiness of God towards his
Cf. NIEBUHR, ibid., 152f. Cf. NIEBUHR, ibid., 146f. 57 The verb πιστεύειν is missing here. 55 56
Conclusion
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promises in favour of Israel the fundamental basis for any belief in God. Therefore, Paul points even Gentiles, who have come to faith in Jesus Christ, to the promises to Israel as fundamental for their own, ‘Christian’ faith. In his argument in Romans 9–11, Paul repeatedly refers to himself as Israelite and apostle to the Gentiles. This biographical fact has theological importance, for Paul sees himself as eschatological agent in the events when God is enforcing his salutary will over against Israel and the Gentiles. Paul finds a solution for the urgent problem of Israelites who refuse to believe in Jesus Christ by developing a scenario of how God is pursuing his aim to save all human beings, Jews and Gentiles. In his mandate to proclaim the gospel to the Gentiles, Paul identifies a means by which God is going to entice his own people. Thus, Paul’s Gentile mission and his hope for Israel’s salvation become parts of the same course of events. The basic elements of Paul’s hope for Israel and the Gentiles are rooted in biblical and early Jewish traditions about Israel and the nations at the end of time. Put in that context, Paul’s particular ideas about the eschatological future prove to be shaped by such biblical traditions on the one hand, but on the other hand are fundamentally based on the faith that God has revealed his eschatological intent to save every human being, Jew and Gentile, in Jesus Christ.
Der Römerbrief in ökumenischer Perspektive Zum theologischen Werk von Eduard Lohse 1 Früher hat man sich oft auf Paulus berufen, um konfessionelle Kontroversen zu führen. Heute wird Paulus neu als eine Gestalt der Ökumene entdeckt, und zwar nicht nur in der Rechtfertigungslehre, sondern auch bei Themen wie Taufe, Eucharistie und Amt. Die paulinische Theologie begründet eine Ökumene, die Unterschiede nicht verschleiert, aber differenzierte Konsense trägt. Denn um in ihrem ganzen Reichtum erkannt zu werden, braucht die „Wahrheit des Evangeliums“ (Gal 2,5.15), die nach Paulus in der Frage der Rechtfertigung aus Glauben auf dem Spiel steht, verschiedene Weisen ihrer Bezeugung, die auf einem soliden gemeinsamen Fundament beruhen. 2
Diese Einschätzung zur aktuellen ökumenischen Bedeutung der paulinischen Theologie entstammt einem Studientext zu den biblischen Grundlagen der Rechtfertigungslehre, der von einer internationalen Kommission im Auftrag des Lutherischen Weltbundes, des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen und des Weltrates Methodistischer Kirchen vorgelegt worden ist. Er soll hier zum Ausgangspunkt für Überlegungen dienen, ob und in welcher Weise Grundaussagen zur Rechtfertigung aus den Argumentationen des Paulus im Römerbrief in gegenwartsbezogene Reflexionen ökumenischer Theologie eingebracht werden können. Wenn es im Zusammenhang mit dem 500. Jahrestag der Reformation um die biblischen Grundlagen reformatorischer Theologie heute gehen soll, dann führt an Paulus kein Weg vorbei, aber eben auch nicht daran, dass die internationale neutestamentliche Wissenschaft in den vergangen gut drei Jahrzehnten Konturen eines Paulus-Verständnisses entworfen und weiterentwickelt hat, die sich erheblich von dem Bild paulinischer Theologie unterscheiden, wie es in 1 Der folgende Beitrag beruht auf einem Vortrag zur akademischen Gedenkveranstaltung der Georg-August-Universität Göttingen für Eduard Lohse am 13. Februar 2016. Vortragscharakter und Ausrichtung auf ein Auditorium, das zu weiten Teilen nicht aus Bibelwissenschaftlern bestand, wurden beibehalten. 2 WALTER KLAIBER (Hg.), Biblische Grundlagen der Rechtfertigungslehre. Eine ökumenische Studie zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Im Auftrag des Lutherischen Weltbundes, des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen, der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen und des Weltrates Methodistischer Kirchen vorgelegt von einer Arbeitsgruppe alttestamentlicher, neutestamentlicher und systematischer Theologinnen und Theologen, Leipzig/Paderborn 2012, 95; der Text wurde zuerst auf Englisch publiziert: The Biblical Foundations of the Doctrine of Justification. An Ecumenical FollowUp to the Joint Declaration on the Doctrine of Justification, New York/Mahwah 2012.
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Der Römerbrief in ökumenischer Perspektive
der Mitte des 20. Jh. für weite Teile der protestantischen Theologie (mit einem gewissen Schwerpunkt bei der deutschen exegetischen und systematisch-theologischen Forschung) bestimmend gewesen ist. 3 Neutestamentler römisch-katholischer wie evangelischer Konfession hatten freilich schon in dieser Zeit wichtige Vorarbeiten zur Destruktion traditioneller kontroverstheologischer Interpretationsmodelle paulinischer Theologie geleistet. 4 Mit der so genannten New Perspective on Paul trat aber seit etwa 1980 in der internationalen Paulusforschung ein Deutungsmodell hervor, das bei aller notwendigen Kritik 5 und weiterhin kontroversen Debatten 6 das Bild auf die paulinische Theologie heute unumkehrbar verwandelt hat. 7 Daran kann eine hermeneutisch orientierte 3 Programmatischen Ausdruck gefunden hatte dieses Paulus-Verständnis seinerzeit in der Theologie des Neuen Testaments von Rudolf Bultmann, vorgelegt zunächst in mehreren Lieferungen in den Jahren 1948–1953 und dann in vielen Neuauflagen (vgl. zur Entstehung und Charakterisierung dieses Werkes KONRAD HAMMANN, Rudolf Bultmann. Eine Biographie, Tübingen 32012, 397–408). Zur Wirkung der NT-Theologie von Bultmann vgl. REINHARD VON BENDEMANN, Rudolf Bultmann und seine Schüler, in: FRIEDRICH W. HORN (Hg.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 24–29, zu deren Aufbau und Anliegen ODA WISCHMEYER, Themen paulinischer Theologie, in: DIES./EVE-MARIE BECKER (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, Tübingen 32021, 470–506: 475–479. 4 Vgl. etwa KARL KERTELGE, „Rechtfertigung“ bei Paulus. Studien zur Struktur und zum Bedeutungsgehalt des paulinischen Rechtfertigungsbegriffs, NTA 3, Münster 1967; PETER STUHLMACHER, Gerechtigkeit Gottes bei Paulus, FRLANT 87, Göttingen 1965; ULRICH WILCKENS, Rechtfertigung als Freiheit. Paulusstudien, Neukirchen-Vluyn 1974. 5 Vgl. etwa PETER STUHLMACHER , Zum Thema Rechtfertigung, in: DERS., Biblische Theologie und Evangelium. Gesammelte Aufsätze, WUNT 146, Tübingen 2002, 23–65; WILFRIED HÄRLE, Paulus und Luther. Ein kritischer Blick auf die ‚New Perspective‘, ZThK 103, 2006, 362–393. 6 Vgl. zur ersten Phase der Debatte KARL-WILHELM NIEBUHR, Die paulinische Rechtfertigungslehre in der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, in: THOMAS SÖDING (Hg.), Worum geht es in der Rechtfertigungslehre? Das biblische Fundament der „Gemeinsamen Erklärung“ von katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund, QD 180, Freiburg u.a. 1999, 106–130 [in diesem Band 235–256]. Zum Fortgang der Diskussion vgl. JENS-CHRISTIAN MASCHMEIER, Rechtfertigung bei Paulus. Eine Kritik alter und neuer Paulusperspektiven, BWANT 189, Stuttgart 2010; FLORIAN WILK, Gottesgerechtigkeit – Gesetzeswerke – eigene Gerechtigkeit. Überlegungen zur geschichtlichen Verwurzelung und theologischen Bedeutung paulinischer Rechtfertigungsaussagen im Anschluss an die „New Perspective“, ThLZ 135, 2010, 267–282; MICHAEL BACHMANN (Hg.), Lutherische und neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, WUNT 182, Tübingen 2005; FRANCIS WATSON, Paul, Judaism, and the Gentiles. Beyond the New Perspective. Revised and Expanded Edition, Grand Rapids/Cambridge 2007; JAMES D. G. DUNN, The New Perspective on Paul. Collected Essays, WUNT 185, Tübingen 2005; STEPHEN WESTERHOLM, Perspectives Old and New on Paul. The „Lutheran“ Paul and His Critics, Grand Rapids 2004. 7 Wie Reaktionen der deutschen Paulus-Forschung auf die New Perspective aus angelsächsischer Perspektive gespiegelt werden, zeigt der instruktive Beitrag von SIMON GATHERCOLE, Deutsche Erwiderungen auf die „New Perspective“. Eine anglophone Sicht, in:
1. Die paulinische Rechtfertigungslehre im ökumenischen Horizont
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und auf gegenwärtige Aufgaben und Probleme evangelischer Theologie und Kirche ausgerichtete Befassung mit den paulinischen Texten des Neuen Testaments heute nicht mehr vorbeisehen und -gehen. Eduard Lohse hat wie nur wenige seiner Generation und Zeit seine Kompetenzen als akademischer und als kirchenleitender Theologe auf die ökumenischen Konsequenzen der biblischen Botschaft gerichtet. Das gelang ihm in einer so überzeugenden Weise, dass im Rückblick auf sein Wirken die Qualität seines fachtheologischen Werkes, insbesondere als Neutestamentler, ebenso außer Frage steht wie seine Bedeutung als Landesbischof einer der größten Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes und als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. 8 Es kann im Folgenden nicht darum gehen, das theologische Werk von Eduard Lohse in seiner ganzen Breite und Tiefe zu würdigen. 9 Aus bestimmten Gründen, die am Ende offengelegt werden, will ich mich auf einen einzigen Aspekt seiner exegetischen Arbeit konzentrieren: die theologische Interpretation der Rechtfertigungsaussagen, wie sie Paulus im Römerbrief in situationsbezogener und zugleich systematisch reflektierter Weise formuliert hat. Natürlich steht im Hintergrund dieser Themenwahl Lohses großer Römerbriefkommentar. 10 Hinzu kommen zahlreiche Arbeiten zur paulinischen Theologie, die dem Kommentar vorangingen und folgten. 11 Ich werde aber auch auf all diese Arbeiten nicht explizit eingehen können, implizit freilich schon. Mehr noch liegt mir aber daran, Anregungen aufzunehmen und weiterzuentwickeln, die ich an dem theologischen Werk Eduard JÖRG FREY/BENJAMIN SCHLIESSER (Hg.), Die Theologie des Paulus in der Diskussion. Reflexionen im Anschluss an Michael Wolters Grundriss, BThSt 140, Neukirchen-Vluyn 2013, 115–153. 8 Ein Nachruf der Theologischen Fakultät Göttingen erschien in dem Sammelband, der die Beiträge zum Symposium anlässlich des 90. Geburtstages von Eduard Lohse enthält: FLORIAN WILK (Hg.), Das Vaterunser in seinen antiken Kontexten. Zum Gedenken an EDUARD LOHSE, FRLANT 266, Göttingen 2016, 179f. 9 Eine vollständige Bibliographie ergibt sich aus den publizierten Teilbibliographien in: Wissenschaft und Kirche (FS E. Lohse), hg. v. KURT ALAND/SIEGFRIED MEURER, Bielefeld 1989, 371–404; EDUARD LOHSE, Das Neue Testament als Urkunde des Evangeliums. Exegetische Studien zur Theologie des Neuen Testaments III, FRLANT 192, Göttingen 2000, 250–262; DERS., Rechenschaft vom Evangelium. Exegetische Studien zum Römerbrief, BZNW 150, Berlin/New York 2007, 219–224; WILK, Das Vaterunser in seinen antiken Kontexten (Anm. 8), 181–186. 10 EDUARD LOHSE, Der Brief an die Römer, KEK 4, Göttingen 2003. 11 In einem Band gesammelt liegen seine Studien zum Römerbrief vor: Rechenschaft vom Evangelium (Anm. 9); zahlreiche weitere Paulusstudien enthalten die Sammelbände: EDUARD LOHSE, Die Einheit des Neuen Testaments. Exegetische Studien zur Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 1973; DERS., Die Vielfalt des Neuen Testaments. Exegetische Studien zur Theologie des Neuen Testaments II, Göttingen 1982; DERS., Urkunde des Evangeliums (Anm. 9); hinzu kommt die Monographie: DERS., Paulus. Eine Biographie, München 1996.
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Der Römerbrief in ökumenischer Perspektive
Lohses wahrgenommen habe und in der aktuellen Diskussion zur Paulusforschung für weiterführend halte. Sie verdienen m.E. auch beim Fragen nach der Bedeutung der paulinischen Rechtfertigungslehre für gegenwärtige Theologie und Kirche Beachtung.
1. Die paulinische Rechtfertigungslehre im ökumenischen Horizont
1. Die paulinische Rechtfertigungslehre im ökumenischen Horizont 1.1 Einig in der Rechtfertigungslehre? Einer der wichtigsten Beiträge von Eduard Lohse für Kirche und Theologie seiner Zeit war die Anregung, die er im Jahr 1980 anlässlich des Besuchs von Papst Johannes Paul II. in Deutschland gab: Die beiden großen Kirchen sollten doch endlich auch offiziell aussprechen, dass sie sich in wesentlichen theologischen Fragen einander angenähert hätten, ja, dass sie gerade in der theologischen Streitfrage, die im 16. Jh. zum Auseinandergehen ihrer Wege geführt hatte, inzwischen im Wesentlichen einig sind: im Verständnis der Rechtfertigungslehre. 12 Die lange und bisweilen kurvenreiche Strecke, die am Ende zur „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ (GER) geführt hat, 13 braucht hier nicht nachgezeichnet zu werden. Das Ergebnis wurde und wird bis heute kontrovers beurteilt. 14 Unumstritten dürfte aber sein, dass aktuelle kirchenpolitische Konflikte zwischen evangelischer und katholischer Kirche heute kaum noch im unterschiedlichen Verständnis der Rechtfertigung begründet werden. Die Zusammenarbeit evangelischer und katholischer Bibelwissenschaftler bei der historisch-kritischen Erforschung des Neuen Testaments, die seinerzeit noch als erfrischende Frühlingsluft erlebt worden war, ist inzwischen so selbstverständlich geworden, dass sie auf Vertreter anderer theologischer Vgl. zu diesem Ereignis und seinen Folgen KARL LEHMANN/WOLFHART PANNENBERG (Hg.), Lehrverurteilungen – kirchentrennend?, Bd. 1 : Rechtfertigung, Sakramente und Amt im Zeitalter der Reformation und heute, DiKi 4, Freiburg/Göttingen 1986, 9–17, sowie die Dokumentation in demselben Band, 177–196. Auf das Dokument des „Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen“, an dessen Erarbeitung Eduard Lohse als Initiator und evangelischer Vorsitzender der „Gemeinsamen Ökumenischen Kommission“ beteiligt war, ging Walter Kasper in der Lohse-Festschrift von 1989 ausführlich ein: WALTER KASPER, Lehrverurteilungen – kirchentrennend? Überlegungen zu der Studie des Ökumenischen Arbeitskreises, in: ALAND/MEURER, Wissenschaft und Kirche (Anm. 9), 189–203. 13 Lutherischer Weltbund, Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre/Gemeinsame offizielle Feststellung/Anhang (Annex) zur Gemeinsamen offiziellen Feststellung, 1999. 14 Vgl. dazu umfassend: Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Dokumentation des Entstehungs- und Rezeptionsprozesses, hg. v. FRIEDRICH HAUSCHILDT/UDO HAHN, Göttingen 2009. 12
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Disziplinen bisweilen schon wieder etwas abgestanden zu wirken scheint. Weder historische Echtheitsdebatten noch Streitfragen der Interpretation paulinischer Texte stehen jedenfalls heute noch zwischen evangelischer und katholischer Kirche. Bibelwissenschaftler sollten über den mit dieser Entwicklung möglicherweise verbundenen Wahrnehmungsverlust ihrer Disziplin nicht klagen, sondern eher nach Impulsen aus ihrer Quelle, der Heiligen Schrift, suchen, die in den aktuellen Interessenlagen von Kirche und Gesellschaft vielleicht nicht unmittelbar zutage liegen. Sie können freilich kaum erwarten, dass daraufhin sofort die Weichen der Kirchenpolitik neu gestellt oder innerkirchliche Strukturen grundlegend verändert werden. Sie werden aber beharrlich mit dem Pfund wuchern, das ihnen anvertraut ist, und dabei, wenn möglich, auch diejenigen speziellen Kompetenzen zur Geltung bringen, die nicht zuletzt in der Geschichte ihrer Fächer erarbeitet worden sind, angefangen bei der biblischen Philologie und Einsichten in die kulturellen, historischen und sozialen Zusammenhänge der biblischen Texte bis hin zu hermeneutischen Reflexionen. Bei einem solchen Zugang zur Bibel und ihrer Bedeutung für die Kirche heute könnte sich herausstellen, dass die paulinische Rechtfertigungslehre durchaus weiterhin theologisches Potential in sich trägt, dass in gegenwärtigen Diskussionen um Gestalt, Auftrag und Zukunft der Kirche berücksichtigt zu werden verdient. M.E. eröffnet die Rechtfertigungslehre, wenn sie in systematischer Reflexion aus ihren geschichtlichen und biblisch-theologischen Zusammenhängen erhoben wird, weiterführende Perspektiven insbesondere für eine gegenwartsbezogene Ekklesiologie und für die Frage nach Glaube und Geschichte. Diese These mag etwas steil klingen, wenn man an aktuelle ökumenische Debatten denkt. Einigung oder wenigstens ein nach außen hin einheitlich wirkendes Auftreten der Kirchen lässt sich heute womöglich eher bei sozialethischen oder politischen Fragen erreichen, zumindest öffentlich leichter darstellen als mit Blick auf theologische und ekklesiologische Themen. Es bleibt aber doch ein Stachel, wenn die einst so feierlich deklarierte Einigkeit der RömischKatholischen und der evangelischen Kirchen in Fragen der Rechtfertigungslehre, also eine grundlegende theologische Einsicht, so wenig erkennbare Folgen im geistlichen Miteinander der Kirchen zeitigt. Wo könnten biblische Impulse aus der paulinischen Rechtfertigungslehre liegen, die das Leben und die Gestalt der Kirchen heute anregen oder zurechtbringen, und wie könnte eine bibelwissenschaftlich verwurzelte Theologie dazu beitragen, sie freizulegen und wirksam werden zu lassen? Die Herausforderungen für ein solches Vorhaben sind erheblich, und die Voraussetzungen der neutestamentlichen Wissenschaft, sie zu bewältigen, scheinen eher bescheiden. Immerhin kann vielleicht die Erinnerung an vergleichbare Herausforderungen, vor denen der Apostel Paulus bei der Abfassung seines Briefes nach Rom stand, Mut machen. Auch bei seinen römischen
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Adressaten und deren Zeitgenossen, wenn wir etwa an Seneca oder Philon denken, waren seinerzeit vermutlich andere Themen aktueller als nun gerade das Zusammenleben von religiös begeisterten Juden und Nichtjuden, die sich auf einen in Jerusalem hingerichteten Galiläer beriefen. 15 Dass „ganz Israel gerettet wird“, 16 wie Paulus schreibt, dürfte angesichts der aktuellen Verhältnisse im Imperium Romanum bei politisch auch nur rudimentär Informierten in der Stadt Rom allenfalls mit Achselzucken zur Kenntnis genommen worden sein. Dass bei solcher Rettung „ganz Israels“ auch noch „die Juden zuerst“ und dann erst „die Griechen“ zum Zuge kommen sollten, 17 mag vielleicht ein gewisses Stirnrunzeln hervorgerufen haben, und dass dies alles sich „mit Macht“ und „ohne Gesetz“ vollziehen sollte, 18 konnte zwar politisch wie theologisch brisant klingen. Aber dass solche Themen die römischen Eliten unmittelbar angesprochen hätten, wird man kaum annehmen können. Gleichwohl hat Paulus mit seiner These von der Rechtfertigung eines jeden Menschen, ob Jude oder Grieche, allein aus Glauben und ohne Gesetzeswerke, die er im Römerbrief erstmals systematisch reflektiert und ausformuliert hat, geistige Grundlagen geschaffen, die nicht allein für die durch ihn maßgeblich in Bewegung gesetzte religiöse Bewegung des antiken Christentums unabsehbare Folgen nach sich
Röm 14,1–15,13; vgl. dazu EDUARD LOHSE, Theologische Ethik im Römerbrief des Apostels Paulus, NAWG I, Nr. 6, Göttingen 2004 (= in: DERS., Rechenschaft vom Evangelium [Anm. 9], 54–79), sowie DERS., Röm [Anm. 10], 40f.372–374). Zu Situation von Juden in Rom in der 1. Hälfte des 1. Jh. n. Chr. vgl. meinen Aufsatz: KARL-WILHELM NIEBUHR, Roman Jews under Nero: Personal, Religious, and Ideological Networks in Mid-First Century Rome, in: ARMAND PUIG I TÀRRECH/JOHN M. G. BARCLAY/JÖRG FREY (Hg.), The Last Years of Paul. Essays from the Tarragona Conference, June 2013, WUNT 352, Tübingen 2015, 67–89; aktualisierte Fassung auf Deutsch: Juden in Rom unter Nero. Intellektuelle Netzwerke, religiöse Praxis, geistige Horizonte, in: Tempel, Lehrhaus, Synagoge. Orte jüdischen Lernens und Lebens (FS W. Kraus), hg. v. CHRISTIAN EBERHART u.a., Paderborn 2020, 289–321 (= in: DERS., Tora und Weisheit. Studien zur frühjüdischen Literatur, WUNT 466, Tübingen 2021, 209–237). 16 Röm 11,26; vgl. zur Interpretation EDUARD LOHSE, Gottes Gnadenwahl und das Geschick Israels, in: DERS., Rechenschaft vom Evangelium (Anm. 9), 29–42, sowie DERS., Röm (Anm. 10), 319f. 17 Röm 1,16; vgl. zur Interpretation EDUARD LOHSE, „Die Juden zuerst und ebenso die Griechen“, in: Eschatologie und Schöpfung (FS E. Gräßer), hg. v. MARTIN EVANG, BZNW 89, Berlin 1997, 201–212, (= in: DERS., Urkunde des Evangeliums [Anm. 9], 117–128), sowie DERS., Röm (Anm. 10), 77f. 18 Röm 1,4.16; 3,21; vgl. dazu EDUARD LOHSE, „Wir richten das Gesetz auf!“ Glaube und Thora im Römerbrief, in: DERS., Treue zur Thora. Beiträge zur Mitte des christlichjüdischen Gesprächs (GS G. Harder), hg. v. PETER VON DER OSTEN-SACKEN, Berlin 1977, 65–71, (= in: DERS., Vielfalt des Neuen Testaments [Anm. 11], 121–127), sowie DERS., Röm (Anm. 10), 64–67. 15
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gezogen haben, sondern ebenso für die gesamte römische Gesellschaft wie für ihre Nachfolgegesellschaften von der Antike bis in die Gegenwart. 19 Die soeben aufgegriffenen Stichworte aus dem Römerbrief lassen bereits die Diskussion um den ‚politischen Paulus‘ anklingen, die derzeit in der Paulusforschung eine gewisse Rolle spielt. 20 Bevor ich darauf eingehe, möchte ich aber zunächst die biblisch-theologischen Zusammenhänge etwas näher beleuchten, in denen bei Paulus die Argumentationen zur Rechtfertigung stehen. 1.2 Die paulinische Rechtfertigungslehre in biblischer Perspektive Einer der Vorwürfe gegen die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre lautet, sie habe wichtige Weiterentwicklungen in den Bibelwissenschaften, insbesondere in der internationalen Paulusforschung, nicht ausreichend zur Kenntnis genommen und das Alte Testament nur in verzerrter Interpretation berücksichtigt. Darüber hinaus sei die biblische Basis der Rechtfertigungsbotschaft einseitig auf Paulus gestützt worden, und dessen Aussagen seien ohne Bezug zu ihren biblischen und historischen Kontexten interpretiert worden. 21 So berechtigt diese Kritik auch ist, darf dabei doch nicht verschwiegen werden, dass sie schon in der Erklärung selbst und der zu ihr gehörenden „Gemeinsamen Offiziellen Feststellung“ (GOF) in gewisser Weise vorweggenommen wurde, wenn sich die Partner seinerzeit dort ausdrücklich verpflichteten, ihre
Die weit über seinen ursprünglichen Anlass hinaus wirksam gewordene theologische Bedeutung des Römerbriefes hat Eduard Lohse in einer Akademieschrift eindrucksvoll herausgearbeitet: EDUARD LOHSE, Summa Evangelii – zu Veranlassung und Thematik des Römerbriefes –, NAWG I 3, Göttingen 1993. 20 Vgl. RICHARD A. HORSLEY (Hg.), Paul and Empire. Religion and Power in Roman Imperial Society, Harrisburg 1997; DERS (Hg.), Paul and Politics. Ekklesia, Israel, Imperium, Interpretation (FS K. Stendahl), Harrisburg 2000; DERS. (Hg.), Paul and the Roman Imperial Order, Harrisburg 2004; NEIL ELLIOTT, Liberating Paul. The Justice of God and the Politics of the Apostle, Maryknoll 1994; DERS., The Arrogance of Nations. Reading Romans in the Shadow of Empire, Minneapolis 2008; vgl. dazu die kritischen Reflexionen von JAMES M. G. BARCLAY, Why the Roman Empire Was Insignificant to Paul, in: DERS., Pauline Churches and Diaspora Jews, WUNT 275, Tübingen 2011, 363–387. 21 Vgl. zu dieser Kritik THOMAS SÖDING, Kriterium der Wahrheit? Zum theologischen Stellenwert der paulinischen Rechtfertigungslehre, in: DERS. (Hg.), Worum geht es in der Rechtfertigungslehre? (Anm. 6), 193–246, sowie besonders zum Umgang mit dem Alten Testament den konstruktiv-kritischen Beitrag von FRANK-LOTHAR HOSSFELD, Gedanken zum alttestamentlichen Vorfeld paulinischer Rechtfertigungslehre, a.a.O., 13–26. Zur Auseinandersetzung um die biblischen Grundlagen der GER vgl. auch meinen Beitrag: KARLWILHELM NIEBUHR, Gerechtigkeit und Rechtfertigung bei Matthäus und Jakobus. Eine Herausforderung für gegenwärtige lutherische Hermeneutik in globalen Kontexten, ThLZ 140, 2015, 1329–1348: 1337–1340. 19
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gemeinsame theologische Arbeit fortzusetzen. 22 Mit Blick auf die biblischen Grundlagen der Rechtfertigungslehre ist das in der eingangs erwähnten ökumenischen Arbeitsgruppe geschehen. Der dort erarbeitete Studientext will die biblische Basis für die Rechtfertigungslehre verbreitern, dabei das Alte Testament stärker berücksichtigen und insbesondere die hermeneutischen Grundlagen klären, auf denen die biblischen Texte in der Reformationszeit als maßgeblich für Kirche und Theologie galten und auch heute gelten können. 23 Um das Zeugnis der Schrift als Ganzes zur Geltung zu bringen und es nicht von vornherein einseitig nur von der paulinischen Theologie her zu interpretieren und so einzugrenzen, fügt die genannte Studie zwischen die Darstellung der paulinischen Rechtfertigungstheologie und die Behandlung anderer neutestamentlicher Zeugnisse von der Gerechtigkeit Gottes einen Abschnitt unter der Überschrift „Das Evangelium Jesu Christi und die Theologie der Rechtfertigung“ ein. 24 Hier wird nicht etwa nach dem ‚historischen Jesus‘ gefragt, sondern nach dem ‚Christusgeschehen‘, das der paulinischen Theologie in seinen Briefen ebenso zugrunde liegt wie den Evangelien und den übrigen neutestamentlichen Schriften. Die Predigt Jesu von der Gottesherrschaft, sein Geschick am Kreuz in Verkörperung seiner Botschaft, das Bekenntnis zu seiner Auferweckung von den Toten und die theologische Reflexion dieses Geschehens, all das muss im Zusammenhang gesehen werden, wenn von der Gerechtigkeit Gottes im biblischen Sinn die Rede sein soll. Zum andern wird in dem Studientext relativ breit die Botschaft des Alten Testaments von Gottes Gerechtigkeit gegenüber seiner Schöpfung und seinem Volk Israel dargestellt. 25 Ausführlich werden die weit gefächerten Zeugnisse zum Thema Gerechtigkeit in den Traditionen, Schichten und Texten des Alten Testaments dargestellt, und zwar zunächst einmal unabhängig von den Rechtfertigungsaussagen im Neuen Testament. Ausdrücklich wird dabei auch auf das antike Judentum, wie es die gegenwärtige Bibelwissenschaft erschlossen hat, als relevante Stimme zum Thema verwiesen 26 – auch dies in Aufnahme von Kritik an der GER. 27 Erst danach kommen diejenigen alttestamentlichen
22 Vgl. GOF 3: „Die beiden Dialogpartner verpflichten sich, das Studium der biblischen Grundlagen der Lehre von der Rechtfertigung fortzuführen und zu vertiefen.“ Vgl. auch GER 43. 23 Vgl. KLAIBER, Biblische Grundlagen der Rechtfertigungslehre (Anm. 2), bes. die Teile II („Hermeneutische Aspekte“, a.a.O., 23–31) und III („Traditionen der Bibelinterpretation“, a.a.O., 33–50). 24 A.a.O., 132–139. 25 A.a.O., 51–81. 26 A.a.O., 81–86. 27 Schon in einer Studie aus dem Jahr 1974 hatte Eduard Lohse dezidiert auf die alttestamentlichen und frühjüdischen Hintergründe des paulinischen Verständnisses von Gerechtig-
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Passagen eigens in den Blick, die an den „neutestamentlichen Schlüsselstellen“ zur Rechtfertigungslehre zitiert werden. 28 Die Studie der internationalen ökumenischen Arbeitsgruppe bietet einen Ausgangspunkt für neue und weiterführende Fragestellungen, die nicht aus den Problemkonstellationen der Reformationszeit herrühren. Die Einordnung der Theologie des Paulus in das vielstimmige Zeugnis der ganzen Bibel muss keineswegs zum Abschleifen des Profils seiner Rechtfertigungslehre führen, sondern will sie in Hinsicht auf das Christusgeschehen in angemessener Weise ‚relativieren‘. 29 Die paulinische Theologie ist ja nicht mit dem Christus-Evangelium identisch, sondern soll ihm dienen – so wie andere theologische Stimmen im Neuen Testament. 30 Eine solche ‚Relativierung‘ der Rechtfertigungslehre kann den Horizont einer gegenwartsbezogenen Theologie erweitern. In diesem Horizont stehen auch gegenwärtig ökumenisch relevante Probleme wie die Ekklesiologie und das Verhältnis von Glaube und Geschichte. Bevor ich darauf zurückkomme, möchte ich aber zunächst den antiken Horizont der frühchristlichen Mission noch etwas näher beleuchten, in dem die Rechtfertigungsaussagen des Paulus stehen.
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2.1 ‚Heiden‘, ‚Juden‘, ‚Christen‘ – Begriffe und ihre Geschichten Fachbegriffe haben in der Regel eine Vorgeschichte und nicht selten ihre Tücken. Je nach Vorverständnis und Intentionen der Forscher können sie ein- oder ausschließen, trennen oder verbinden. Das gilt auch für Begriffe, die in der neutestamentlichen Forschung zur Erfassung der paulinischen Mission und Theologie verwendet wurden und werden. Jeder Exeget, der die Rechtfertigungsaussagen des Paulus in ihren geschichtlichen Zusammenhängen verstehen will, sieht sich dieser Problemkonstellation ausgesetzt. Ein anderer Göttinger Neutestamentler, Hans Conzelmann, hat im Jahr 1981 eine Monographie unter dem Titel „Heiden – Juden – Christen. Auseinandersetzungen in der Literatur der hellenistisch-römischen Zeit“ veröffentlicht. 31
keit Gottes hingewiesen: EDUARD LOHSE, Die Gerechtigkeit Gottes in der Paulinischen Theologie, in: LORENZO DE LORENZI (Hg.), Battesimo e Giustizia in Rom 6 e 8, SMBen 2, Roma 1974, 7–26: 13–16 (= in: LOHSE, Einheit des Neuen Testaments [Anm. 11], 209–227). 28 KLAIBER, Biblische Grundlagen der Rechtfertigungslehre (Anm. 2), 86–91. 29 Vgl. dazu auch meine Überlegungen zum Matthäusevangelium und zum Jakobusbrief: NIEBUHR, Gerechtigkeit und Rechtfertigung (Anm. 21), 1340–1346. 30 Vgl. 1Kor 15,11! 31 HANS CONZELMANN, Heiden – Juden – Christen. Auseinandersetzungen in der Literatur der hellenistisch-römischen Zeit, BHTh 62, Tübingen 1981. – Eduard Lohse hat seinen
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Behandelt werden hier nach einer Einführung in die politischen Grundlagen (Teil I A) zuerst „Die Beurteilung des Judentums in der griechisch-römischen Literatur“ (Teil I B), dann „Die Auseinandersetzung des hellenistischen Judentums mit der hellenistisch-römischen Welt“ (Teil II) und schließlich „Christen und Juden bis Origenes“ (Teil III), womit Conzelmann vor allem die „Auseinandersetzung der Kirche mit der Synagoge“ meinte, die nach seinem Urteil schon „durch die Stiftung der Kirche selbst gesetzt“ sei. 32 Vertieft man sich in dieses quellengesättigte Werk, dann wird die Differenziertheit der antiken Textzeugnisse überaus deutlich. Conzelmanns Begrifflichkeit aber ist klar und scharf: Es gibt eben „Heiden“, „Juden“ und „Christen“. Historische Analysen der Quellen und ihre interpretierende Synthese haben zur Aufgabe, dieses klar konturierte Bild freizulegen und bis zu den Anfängen des Christentums oder, wie Conzelmann sich ausdrückt, bis zur „Stiftung der Kirche selbst“, zurückzuverfolgen. Daran wird zum einen deutlich: Historische Analyse und theologische Interpretation können nicht voneinander getrennt werden. Wer vorgibt, ‚rein historisch‘ zu argumentieren, 33 der steht in Gefahr, unkritisch und damit unhistorisch zu arbeiten. Und zum andern: Kategorien und Begriffe der Analyse und Interpretation sollten sich möglichst an quellensprachlichen Ausdrücken oder Beschreibungen messen lassen; sonst stehen sie ebenfalls in der Gefahr, unkritisch und unhistorisch gebraucht zu werden. Hier ist heute sicherlich die Auseinandersetzung mit Conzelmann notwendig. Nicht nur Ausdrücke wie ‚das wahre Israel‘ (gegenüber einem ‚empirischen‘), ‚das Zeremonialgesetz‘ (mit Blick auf ‚Ritualgebote‘ der Tora gegenüber einem ‚moralischen‘ bzw. ‚ethischen‘ Gesetz) oder auch ‚das Christentum der dritten Generation‘ (gegenüber einer ursprünglichen ‚Stiftung der Kirche selbst‘), die in der aktuellen exegetischen Literatur immer noch verbreitet sind, haben in den antiken Texten kein Äquivalent, sondern ebenso die Trias ‚Heiden‘, ‚Juden‘, ‚Christen‘, jedenfalls im Sinne von klar voneinander abgrenzbaren, in ihrem Selbstverständnis getrennten religiösen Gruppen, zumindest für das erste Jahrhundert der ‚christlichen Zeitrechnung‘. 34 Jeder dieser Termini hat seine eigene, sehr spezielle Ge-
Göttinger Kollegen in einem akademischen Nachruf einfühlsam gewürdigt: EDUARD LOHSE, Hans Conzelmann. 27. Oktober 1915 – 20. Juni 1989, JAWG 1990, 104–111. 32 CONZELMANN, Heiden (Anm. 31), 236. 33 Das tut Conzelmann keineswegs, vgl. nur den ersten Satz seiner Einführung (a.a.O., 1): „Dieses Buch ist nicht aus musealem historischem Interesse geschrieben worden […]“. 34 Sie deutet sich an bei Aristides (Mitte 2. Jh.), der τρία γένη […] ἀνθρώπων unterscheidet, nämlich „diejenigen, die von euch so genannte Götter verehren, sowie Juden und Christen“ (vgl. CONZELMANN, Heiden [Anm. 31], 264). Allerdings differenziert Aristides die erste Gruppe dann noch genauer aus in Chaldäer, Griechen und Ägypter, wodurch die Dreiteilung der Menschheit wieder ein Stück weit aufgehoben wird. – Zum terminologischen Gegensatz ‚Judentum‘ vs. ‚Christentum‘ vgl. meinen Aufsatz: KARL-WILHELM NIEBUHR,
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schichte, die sich in den zeitgenössischen Quellen auch gelegentlich niedergeschlagen hat, aber als begrifflich fixierte Dreiergruppe Heiden – Juden – Christen haben sie in der frühchristlichen Periode bis zum Ende des 2. Jh. zunächst nicht funktioniert! 35 Deshalb sind auch die historischen und theologischen Differenzierungen, die der paulinischen Mission und der Herausbildung der paulinischen Theologie zugrunde liegen, mit einer solchen Terminologie nicht sachgemäß zu erfassen. Das ist in der jüngeren Paulusforschung auch weitgehend akzeptiert, und derzeit dreht sich die Diskussion eher darum, ob es im 1. Jh. überhaupt schon Anzeichen für ein ‚Auseinandergehen der Wege‘ gibt („the parting[s] of the ways“ 36), die dann im zweiten oder in noch späteren Jahrhunderten auch zu soziologisch eigenständigen Gruppenbildungen geführt haben, oder ob das ganze Modell für die Entstehung des spätantiken Christentums ungeeignet ist („the ways that never parted“ 37). Diese Diskussion kann ich hier nicht aufgrei-
„Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien, ZNW 85, 1994, 218–233 [in diesem Band 133–148]. Davon zu unterscheiden ist die jüngere Debatte um den semantischen Gehalt der Wortgruppe Ἰουδαῖος κτλ., vgl. dazu zuletzt instruktiv DIETER SÄNGER, Ἰουδαϊσμός – ἰουδαΐζειν – ἰουδαϊκῶς. Sprachliche und semantische Überlegungen im Blick auf Gal 1,13 f. und 2,14, ZNW 108, 2017, 150–185. 35 Der Diognet-Brief (Ende 2. Jh.) nennt die Christen καινὸν γένος und setzt sie von Griechen und Juden ab (Diogn 1); vgl. dazu SAMUEL VOLLENWEIDER, Are Christians a New ‚People‘? Detecting Ethnicity and Cultural Friction in Paul’s Letters and Early Christianity, EC 8, 2017, 293–308. Der Ausdruck tertium genus hominum geht auf Tertullian zurück und ist insgesamt eher selten belegt, vgl. dazu MICHAEL WOLTER, „Ein neues Geschlecht“? Das frühe Christentum auf der Suche nach seiner Identität, in: „Ein neues Geschlecht“? Entwicklung des frühchristlichen Selbstbewusstseins (FS W. Pratscher), hg. v. MARKUS LANG, NTOA 105, Göttingen 2014, 282–298: 288–292. Das Quellenmaterial zur Sache ist schon bei ADOLF VON HARNACK, Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 1924, 259–289, gesammelt und ausgewertet. CONZELMANN, Heiden (Anm. 31), 228, geht nur beiläufig darauf ein und unterscheidet ausdrücklich zwischen dem Ausdruck „dritte Generation“, den er der Sache nach schon auf den Lukas-Prolog und die Pastoralbriefe zurückführen will (sc. der Generation der fiktiven Verfasser nach derjenigen der Apostel und der Apostelschüler), und „drittes Geschlecht“, den er als „ungeschichtlich entworfene(n) Selbstbestimmung“ bezeichnet. 36 Vgl. zu Sache und Begriff JAMES D. G. DUNN, The Partings of the Ways Between Christianity and Judaism and their Significance for the Character of Christianity, London 2 2006 (1991); DERS. (Hg.), Jews and Christians: The Parting of the Ways A.D. 70 to 135, WUNT 66, Tübingen 1992. Zur Verankerung der so genannten paulinischen ‚Heidenmission‘ in den Institutionen und Traditionen des Diasporajudentums vgl. DIETER SÄNGER, Heiden – Juden – Christen. Erwägungen zu einem Aspekt frühchristlicher Missionsgeschichte, ZNW 89, 1998, 145–172. 37 So ADAM H. BECKER/ANNETTE Y. REED (Hg.), The Ways that Never Parted. Jews and Christians in Late Antiquity and the Early Middle Ages, TSAJ 95, Tübingen 2003. Zur Diskussion mit Blick auf das 2. Jh. vgl. TOBIAS NICKLAS, Jews and Christians? Second Century
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fen. Der Hinweis auf die Begriffe soll lediglich dazu dienen, den antiken Horizont aufzuzeichnen, unter dem die Briefe des Paulus – und mit ihnen auch seine Aussagen zur Rechtfertigung allein aus Glauben ohne Werke des Gesetzes – ursprünglich standen. 2.2 Die paulinische Mission in ihrem antiken Kontext Wenn wir auf den biblischen Paulus hören, treten wir ein in die Welt der hellenistisch-römischen Antike. Damit betreten wir eine gegenüber unserer eigenen durchaus andere Welt. 38 Das lehrt der Sprachgebrauch der überlieferten antiken Quellen. Schon das Wort Ökumene hat antiken Klang. Bezeichnenderweise verwendet es vor allem Lukas, wenn er beschreiben will, wie die Botschaft Gottes in der Welt der Menschen ankommt. 39 Lukas hatte unter den Autoren des Neuen Testaments eben den weitesten Horizont. Aber auch der römische Bürger Paulus bewegte sich souverän in der Welt der Antike. 40 Zweisprachig aufgewachsen und gebildet, geprägt durch jüdische Erziehung und die Überlieferungen Israels ebenso wie durch Sprache und Kultur der antiken Mit-
¸Christian‘ Perspectives on the ¸Parting of the Ways‘. Annual Deichmann Lectures 2013, Tübingen 2014. Vgl. auch die Beiträge zur Debatte von Daniel Boyarin, der allerdings auf die historischen und theologischen Konstellationen zur Zeit des Paulus m.E. nicht differenziert genug eingeht. Auf Deutsch ist erschienen: DANIEL BOYARIN, Abgrenzungen. Die Aufspaltung des Judäo-Christentums, ANTZ 10, Berlin/Dortmund 2009. 38 Vgl. zur Illustration dieses Befundes nur den Sammelband: J. PAUL SAMPLEY (Hg.), Paul in the Greco-Roman World. A Handbook, Harrisburg 2003. Eduard Lohse hat die antiken Horizonte des Neuen Testaments immer mit besonderer Aufmerksamkeit wahrgenommen, wie sich besonders an seiner bewundernswert knapp gehaltenen Darstellung: EDUARD LOHSE, Umwelt des Neuen Testaments, GNT 1, Göttingen 1971, 102000, zeigt. 39 Lk 2,1; 4,5; 21,26; Apg 11,28; 17,6.31; 19,27; 24,5. MICHAEL WOLTER, Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008, 121, nennt antike Belege für den Terminus und stellt mit Blick auf dessen theologische Reflexion bei Lukas zu 2,1 sachgemäß fest: „Die Geschichte Israels gewinnt durch Jesus welthistorische Bedeutung. Die Fortsetzung wird zeigen, dass gerade auch der Herrscher über den gesamten orbis terrarum […] damit zum Werkzeug von Gottes Heilsplan wird.“ Eduard Lohse hatte sich schon in seiner Mainzer Antrittsvorlesung dem Thema gewidmet: EDUARD LOHSE, Lukas als Theologe der Heilsgeschichte, EvTh 14, 1954, 256–275 (= in: DERS., Einheit des Neuen Testaments [Anm. 11], 145–164), und war seinerzeit mit Blick auf die Bedeutung Israels für die lukanische Theologie zu dem Ergebnis gekommen: „Die Feindschaft der Juden hat nun aber nicht etwa bewirkt, dass Jesus aufgehört hätte, der Heiland des alten Bundesvolkes zu sein. Im Gegenteil, Lukas betont stärker als die anderen Evangelisten, dass Jesus der Messias ist, der die Verheißungen des alten Bundes erfüllt.“ (a.a.O., 269). 40 Zur Diskussion um das römische Bürgerrecht des Paulus vgl. zuletzt HEIKE OMERZU, Tarsisches und römisches Bürgerrecht, in: HORN, Paulus Handbuch (Anm. 3), 55–58.
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telmeerwelt, verkörpert er wie kein anderer im Neuen Testament die Begegnung von Judentum und Hellenismus. 41 Das hatte natürlich auch auf die Ausformung seines Denkens und die Ausformulierung seiner grundlegenden theologischen Erkenntnisse Auswirkungen. Daraus ergibt sich zwangsläufig: Wer Paulus und seine Aussagen über die Rechtfertigung des Sünders aus Glauben an Jesus Christus ohne Werke des Gesetzes verstehen will, kann von den antiken Horizonten seines Denkens und Wirkens nicht absehen. Die Einordnung des Paulus in die Welt der Antike ist also keine historische Vorfrage, die vor der ‚eigentlichen‘ theologischen Interpretation abzuarbeiten wäre. Ohne seine antiken Kontexte ist Paulus auch heute nicht zu haben. Hier stellt sich ganz grundsätzlich die Frage, wie der Geschichtsbezug des christlichen Glaubens, die Verankerung des Jesus-Christus-Geschehens in Raum und Zeit der Antike, theologisch zu verstehen ist. 42 Für Conzelmann war diese Frage im Grunde mit Rudolf Bultmanns Entgegensetzung von Glaube und Weltanschauung, Religion und Offenbarung, Kerygma und Geschichte geklärt. 43 Das entspricht nicht mehr der aktuellen theologischen Lage. Neutestamentler sind sich heute jedenfalls weitgehend darin einig, dass ohne genauere Einblicke in antike Diskurse über Gerechtigkeit und Freiheit, Geist und Materie, Idee und Begriff, Habitus und Reflexion usw. die Aussagen des Paulus kaum sachgemäß verstanden werden können. 44 Gerade für Paulus als Juden, der in antiken Geistes- und Lebenswelten aufgewachsen ist, waren solche Diskurse bewusst wie unbewusst prägend. Ebenso wenig können freilich die religiösen Vorgaben und Denkmuster außer Acht gelassen werden, die dem Israeliten und Pharisäer Paulus aus der biblischen und frühjüdischen Überlieferung vertraut waren und die sein theologisches Denken maßgeblich bestimmt haben.
Zu den biographischen Konturen des Paulus vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, II. Der vorchristliche Paulus, 1. Paulus, ein Diasporajude aus Tarsus, 1.1 Name, Herkunft, Familie, in: HORN, Paulus Handbuch (Anm. 3), 49–55; JÖRG FREY, Die religiöse Prägung: Weisheit, Apokalyptik, Schriftauslegung, a.a.O., 59–66; TOR VEGGE, Die kulturelle Prägung: Sprache, Erziehung, Bildung, a.a.O., 66–72. 42 Vgl. zur Sache den instruktiven Sammelband: JÖRG FREY/STEFAN KRAUTER/HERMANN LICHTENBERGER (Hg.), Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte in der biblischen Tradition und in der theologischen Deutung, WUNT 248, Tübingen 2009. 43 Vgl. dazu seine knappen, scharf polemischen Bemerkungen „Zur Einführung“ in der genannten Monographie, die in Sätzen gipfeln wie diesen: „Wenn sich die Kirche für das wahre Israel hält, ist das historische Israel jedenfalls für sie kein heiliges Volk mehr.“ (CONZELMANN, Heiden [Anm. 31], 2); „Wodurch besteht die Einheit der Schrift? Durch die Identität des Gottes des Gesetzes mit dem Vater Jesu Christi, der des Gesetzes Ende ist.“ (a.a.O., 3), oder: „Doch die Geschichte Israels bleibt im Bereich der Weltgeschichte.“ (a.a.O., 4). 44 Vgl. exemplarisch meinen Aufsatz zur paulinischen Anthropologie: KARL-WILHELM NIEBUHR, Jakobus und Paulus über das Innere des Menschen und den Ursprung seiner ethischen Entscheidungen, NTS 62, 2016, 1–30. 41
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Auch das sind antike religiöse Konzeptionen, die nur aufgrund sorgfältiger hermeneutischer Reflexion in gegenwärtige theologische Positionsbestimmungen eingebracht werden können. Diese Einsicht muss Konsequenzen haben auch für die Relevanz paulinischer Rechtfertigungsaussagen im Rahmen gegenwartsbezogener theologischer Argumentation. Es reicht eben nicht aus, unter Berufung auf ‚neuzeitliches Denken‘ (womit meist Schleiermacher gemeint ist) die Aussagen des Paulus einfach auf ein individuelles religiöses, psychologisches, philosophisches oder politisches Selbstverständnis von Menschen im 21. Jh. zu übertragen. 45 Die Kategorien, in denen Paulus denkt und schreibt (gerade auch im Römerbrief 46), sind vielmehr zunächst zu antiken Vorstellungen und Denkmustern in Beziehung zu setzen, also zu denen seiner jüdischen und nichtjüdischen Zeitgenossen, die wir in nicht geringem Umfang kennen – von Seneca und Philon war schon die Rede. In diesem Rahmen kommt dann auch dem so genannten ‚politischen Paulus‘ eine gewisse, wenn auch begrenzte Rolle zu. 47 Jedenfalls sind die politischen Kontexte seiner Sprache mitzuhören, wenn man sich in die Situation der Briefempfänger in Rom versetzt. 48 Aber wichtiger noch sind für seine Argumentationen im Römerbrief die theologischen Konzepte, die er zum einen aus der biblischen und frühjüdischen Überlieferung übernimmt, 49 zum anderen mit seinen spezifischen Überzeugungen als von Gott berufener Apostel Jesu Christi für die Völker verbindet und auf dieser Basis ganz neu zur Sprache bringt. 50 45 Vgl. zur vertieften Erfassung der theologie- und geistesgeschichtlichen Entwicklungen seit Schleiermacher – wiederum exemplarisch – HENNING THEISSEN, Die evangelische Eschatologie und das Judentum. Strukturprobleme der Konzeptionen seit Schleiermacher, FSÖTh 103, Göttingen 2004. 46 Eine Skizze zum zeitgenössischen Juden-Bild in Rom habe ich in NIEBUHR, Roman Jews under Nero (Anm. 15), 80–82, gegeben. 47 S. dazu die o., Anm. 20, genannten Arbeiten. 48 Besonders überzeugend, weil auf umfassenden Quellenstudien basierend, hat das STEFAN KRAUTER, Studien zu Römer 13,1–7. Paulus und der politische Diskurs der neronischen Zeit, WUNT 243, Tübingen 2009, herausgearbeitet. Vgl. jetzt auch die abgewogene Diskussion der Frage bei MICHAEL F. BIRD, An Anomalous Jew. Paul among Jews, Greeks, and Romans, Grand Rapids 2016, 205–255. 49 Vgl. dazu JAMES M. SCOTT, Paul and the Nations. The Old Testament and Jewish Background of Paul’s Mission to the Nations with Special Reference to the Destination of Galatians, WUNT 84, Tübingen 1995; J. ROSS WAGNER, Heralds of the Good News. Isaiah and Paul “In Concert” in the Letter to the Romans, NT.S 101, Leiden/Boston/Köln 2002; NICHOLAS T. WRIGHT, Paul’s Western Missionary Project: Jerusalem, Rome, Spain in Historical and Theological Perspectives, in: PUIG I TÀRRECH, The Last Years of Paul (Anm. 15), 49–66. 50 Vgl. dazu TERENCE L. DONALDSON, Paul and the Gentiles. Remapping the Apostle’s Convictional World, Minneapolis 1997; KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62,
2. Der ökumenische Horizont der paulinischen Mission
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Weder biblisch-jüdische und hellenistisch-römische noch politische und theologische Denkwelten dürfen bei Paulus gegeneinander ausgespielt werden. Das gilt auch im Blick auf die zentralen Rechtfertigungsaussagen, wie schon kurz illustriert wurde. Allerdings wird bei näherem Hinsehen deutlich, dass die religiösen Konzeptionen, die Paulus aus dem Milieu des griechischsprachigen Judentums empfangen hat, in theologischer Hinsicht für ihn weit stärker prägend waren als andere religiöse, philosophische oder politische Denkmodelle seiner Zeit. 51 Im hellenistischen Frühjudentum waren schon lange vor Paulus biblische Überlieferungen in griechischer Sprache mit hellenistisch-römischen Vorstellungen und Denkweisen verbunden worden. Paulus entwickelt daraus in produktiver Mischung ganz neue Leitvorstellungen von der Gerechtigkeit Gottes und seinem Gericht, 52 von der Verfehlung des Menschen gegenüber der Tora 53 und vom Eingreifen des Gottes Israels in die Geschichte seines Volkes. 54 Maßgeblich und entscheidend dafür war allerdings noch ein Drittes: Für Paulus hatte sich der ‚Einbruch‘ Gottes in die Geschichte seines Volkes und der ganzen Welt in einem Geschehen ereignet, das er nach den Vorstellungen, die ihm als jüdisch-hellenistisch-römischem Menschen zur Verfügung standen, in Raum und Zeit einzuordnen hatte, ja, in seine eigene, biographisch begrenzte Lebenszeit, nämlich in der Auferweckung des in Jerusalem gekreuzigten galiläischen Juden Jesus. 55 Dass für Paulus die auf der Grundlage biblisch-frühjüdischer Vorgaben und Erwartungen theologisch verstandene und eschatologisch interpretierte Wende der Zeiten mit einem datier- und lokalisierbaren Geschehen in seiner biographischen Lebenszeit und unter den historischen, kul-
Tübingen 1992, 4–78. S.a. EDUARD LOHSE, Das Präskript des Römerbriefes als theologisches Programm, in: Paulus, Apostel Jesu Christi (FS G. Klein), hg. v. MICHAEL TROWITZSCH, Tübingen 1998, 65–78 (= in: LOHSE, Urkunde des Evangeliums [Anm. 9], 104– 116). 51 Vgl. nur die zahlreichen Beiträge in den Sammelbänden von DONALD A. CARSON/PETER T. O’BRIEN/MARK A. SEIFRID (Hg.), Justification and Variegated Nomism, Bd. 1: The Complexities of Second Temple Judaism, WUNT II/181, Tübingen 2001; Bd. 2: The Paradoxes of Paul, WUNT II/140, Tübingen 2004. 52 Vgl. nur Röm 1,18–2,29. 53 Vgl. Röm 7,7–25. 54 Vgl. Röm 9–11. 55 Vgl. Röm 1,16f. Einen ausdrücklichen Bezug zur biographischen Identität Jesu als Jude stellt Paulus freilich nur in Gal 4,4 her (vgl. aber auch Röm 15,8). Vgl. dazu meinen Aufsatz: KARL-WILHELM NIEBUHR, Jesus, der Israelit. Die Menschlichkeit Jesu im Zusammenhang der paulinischen Christologie, in: JENS HERZER/ANNE KÄFER/JÖRG FREY (Hg.), Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Der zweite Artikel des Apostolikums im Dialog zwischen Bibelwissenschaft und Systematischer Theologie, UTB 5268, Tübingen 2017, 85– 101 (engl.: Christ of Paul’s Story: Jesus Christ – Son of David and Son of God [in diesem Band 219–233]).
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Der Römerbrief in ökumenischer Perspektive
turellen und sozialen Bedingungen der ihm zeitgenössischen Gesellschaft verbunden war, lassen seine Briefe ebenso klar erkennen wie sein Wirken als Missionar. 56 Die Einbindung seiner Aktivitäten bei der Gründung und dem Aufbau von Gemeinden in die hellenistisch-römische Stadtkultur zeigt das deutlich. 57 Offenbar nutzte Paulus nicht nur für die Kommunikation mit seinen Gemeinden die Infrastruktur der römischen Provinzen, 58 sondern konzentrierte sich auch bei der Auswahl geeigneter Gebiete für seine Mission auf ein spezifisch römisches Milieu. Philippi, Thessalonich, Korinth, aber auch die Region Galatien, wenn man der ‚Provinzhypothese‘ folgt, 59 sowie Ephesus 60 sind in der Mitte des 1. Jh. Städte bzw. Kulturräume mit signifikant römischer Prägung. 61 Gerade im Römerbrief ist unverkennbar, wie Paulus die Verkündigung des Evangeliums, zu der er sich als Sklave des Christus Jesus ausgesondert sieht (1,1), in die konkreten geopolitischen Gegebenheiten seiner Zeit einordnet: Er adressiert seinen Brief an die „unter allen Völkern […] in Rom […] berufenen Heiligen“ (1,6f.), deren „Glaube in der ganzen Welt angepriesen“ wird (1,8), und sein „Vorhaben ist, auch euch, denen in Rom, das Evangelium zu verkündigen“ (1,15). Am Ende des Briefes bezeugt er „durch Kraft von Zeichen und Wundern, durch Kraft des Geistes Gottes […] von Jerusalem aus und Umgebung bis nach Illyrien das Christus-Evangelium erfüllt“ zu haben (15,19) und deshalb nun endlich auch nach Rom und dann darüber hinaus nach Spanien gelangen zu wollen, zuvor aber noch (von Korinth aus, wo er den Brief schreibt, 16,1) nach Jerusalem reisen zu müssen (15,22–26). Es ist die Landkarte der gesamten antiken Mittelmeerwelt, die Paulus hier zeichnet, um den Rahmen für die Verkündigung des Evangeliums abzustecken. Wir stehen damit vor dem Phänomen, dass ein antiker Mensch, dessen schriftliche Hinterlassenschaft bis heute als theologisch maßgeblich angesehen Vgl. dazu die Überlegungen von FRIEDRICH AVEMARIE, Heilsgeschichte und Lebensgeschichte bei Paulus, in: FREY/KRAUTER/LICHTENBERGER, Heil und Geschichte (Anm. 42), 357–383. 57 Vgl. dazu MARTIN EBNER, Die Stadt als Lebensraum der ersten Christen. Das Urchristentum in seiner Umwelt I, GNT 1,1, Göttingen 2012 (z.B. 85–88 zum Stichwort ‚Ekklesia‘ in Röm 16,23). S.a. die schon etwas ältere Arbeit vom WAYNE A. MEEKS, Urchristentum und Stadtkultur. Die soziale Welt der paulinischen Gemeinden, Gütersloh 1993. 58 Vgl. dazu CHRISTIAN STRECKER, Die Logistik der paulinischen Mission, in: HORN, Paulus Handbuch (Anm. 3), 266–273. 59 Vgl. dazu CILLIERS BREYTENBACH, Paulus und Barnabas in der Provinz Galatien. Studien zu Apostelgeschichte 13f.; 16,6; 18,23 und den Adressaten des Galaterbriefs, AGAJU 38, Leiden/New York/Köln 1996; FELIX JOHN, Der Galaterbrief im Kontext historischer Lebenswelten im antiken Kleinasien, FRLANT 264, Göttingen 2016. 60 Vgl. dazu PAUL TREBILCO, The Early Christians in Ephesus from Paul to Ignatius, WUNT 166, Tübingen 2004. 61 Vgl. dazu KSENIJA MAGDA, Paul’s Territoriality and Mission Strategy. Searching for the Geographical Awareness Paradigm behind Romans, WUNT II/266, Tübingen 2009, 57– 116. 56
3. Israel als ökumenischer Horizont der Kirche
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wird, behauptet, der Gott, an den er glaubt, hat unmittelbar in die Geschichte seiner Zeit eingegriffen, und zwar mit Folgen, die den Gang dieser Geschichte unumkehrbar verändert und letztlich entschieden haben. Man kann darüber streiten, ob eine solche ‚Problemkonstellation‘ mit den denkerischen Mitteln des 21. Jh. zu bewältigen ist. Man kann die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Geschichte aber nicht verschweigen oder auch nur vernachlässigen, wenn man der paulinischen Theologie gerecht werden will. Jedenfalls kann man von den antiken ökumenischen Horizonten, in denen der Römerbrief und die paulinische Mission insgesamt stehen und die auch Rückwirkungen auf Grundlinien der paulinischen Theologie haben, bei der theologischen Interpretation seiner Rechtfertigungslehre auch heute nicht absehen.
3. Israel als ökumenischer Horizont der Kirche
3. Israel als ökumenischer Horizont der Kirche 3.1 Die neue Perspektive des Paulus (Röm 9–11)
In diesen Rahmen der antiken ökumenischen Horizonte paulinischer Theologie gehört nun auch die Frage nach Israel. Es ist bemerkenswert, dass Eduard Lohse schon lange, bevor dieses Thema nicht zuletzt in Folge des neu erwachten theologischen Gesprächs zu Kirche und Judentum in den Mittelpunkt gerückt wurde, und bis in die letzten Jahre seiner wissenschaftlichen Arbeit hinein sich immer wieder der Frage „Israel und die Christenheit“ zugewendet hat. Schon im Vorwort zu einer kleinen Schrift unter diesem Titel aus dem Jahr 1960 bekennt er: Lange Zeit hindurch ist sich die Christenheit nicht recht dessen bewußt gewesen, daß sie die Kirche Jesu Christi aus Juden und Heiden ist. Die Frage nach Israel, die die älteste Kirche so stark beschäftigt hatte, wurde nicht mehr vernommen. Man kümmerte sich nicht mehr um die Synagoge und verachtete die Juden, die in verstocktem Unglauben verharrten. 62
In Differenz zum Hauptstrom der Römerbriefauslegung seiner Zeit betonte Lohse: Die Sorge um Israel hat den Apostel zutiefst bewegt, denn die Predigt von der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes kann nicht ausgerichtet werden, ohne auf Israel als das Volk des Bundes zu schauen. Man hat daher Paulus nicht verstanden, wenn man nur die ersten acht Kapitel des Römerbriefes liest, die Kapitel 9–11 aber lediglich als einen Anhang betrachtet. Paulus kann vielmehr von der Gerechtigkeit Gottes gar nicht sprechen, ohne die Frage nach Israel zu stellen. 63
Einer der letzten Aufsätze Eduard Lohses zu Paulus trägt den Titel „Gottes Gnadenwahl und das Geschick Israels“. 64 EDUARD LOHSE, Israel und die Christenheit, KVR 102, Göttingen 1960, 3. A.a.O., 24. 64 In: LOHSE, Rechenschaft vom Evangelium (Anm. 9), 29–42. 62 63
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Der Römerbrief in ökumenischer Perspektive
Dem Neutestamentler obliegt es, die Denkwege zu erfassen, auf denen Paulus versucht hat, dieses Problem zu bewältigen. Sie liegen nirgends so deutlich zutage wie im Römerbrief, und zwar in dem gesamten Argumentationsweg, den Paulus dort zurücklegt, 65 angefangen bei Adam als Repräsentant der von Gott geschaffenen Menschheit (Röm 1,18–2,16) über Abraham, den Vater Israels und vieler Völker (4,1–12), bis hin zu Jesus Christus, durch den „ohne Gesetz Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden ist“ (3,21–31), und zwar nicht allein für Israel, sondern auch für die Völker (3,29f.), womit freilich die Zeit Gottes mit den Menschen noch nicht zu Ende gekommen ist, vielmehr sich erst aufgetan hat in eine Zukunft, die Paulus nur zum Teil durchschaut, zum andern Teil ein „Mysterium“ nennt, also einen Weg durch eine noch kommende Zeit, den Gott schon kennt, den die Menschen aber nur im Glauben erahnen können, wenn nämlich „ganz Israel gerettet wird“, und zwar durch niemand anderen, da ist sich Paulus ganz sicher, als durch den kommenden Retter vom Zion, den er zweifellos mit Jesus Christus identifiziert (11,25–32). 66 „Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes“ nennt Paulus diese Wege Gottes durch die Geschichte – wir würden heute Theologie dazu sagen – und bekennt staunend, wie es sich für einen guten Theologen gehört, dass niemand die Wege Gottes ausforschen und ihnen folgen kann, geschweige denn Einblick nehmen in Gottes ‚Denkwege‘. 67 Das heißt für Paulus aber nicht, dass er die Wege Gottes nun auf sich beruhen lassen oder auch nur von den geschichtlichen Erfahrungen ablösen könnte, die er selbst als Israelit bei seiner Berufung gemacht hat und die er als Apostel für die Völker noch einmal ganz neu zu machen hatte. Im Gegenteil, Paulus wagt es, sich selbst in die Rettungswege Gottes einzuzeichnen, und bejubelt als Apostel der Völker 65 Die Grundlinien meiner Interpretation von Röm 9–11 finden sich in NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (Anm. 50), 136–178, sowie in meinem Aufsatz: „Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6b). Römer 9–11 als Zeugnis paulinischer Anthropologie, in: FLORIAN WILK/ J. ROSS WAGNER (Hg.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11, WUNT 257, Tübingen 2010, 433–462 [in diesem Band 327–355]. Vgl. auch meinen Aufsatz: Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik. Zwei paulinische Argumentationen (Röm 1,18–2,29; 8,1–30), in: MATTHIAS KONRADT/ESTHER SCHLÄPFER (Hg.), Anthropologie und Ethik im Frühjudentum und im Neuen Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. Internationales Symposium in Verbindung mit dem Projekt Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (CJHNT) 17.–20. Mai 2012, Heidelberg, WUNT 322, Tübingen 2014, 139–161: 147–154 [in diesem Band 275–295]. 66 Vgl. zu dieser Spitzenaussage des paulinischen Israel-Verständnisses und ihrem Verhältnis zu 1Thess 2,14–16, einer Aussage, die von manchen als ein Tiefpunkt paulinischer Theologie angesehen wird, zuletzt DIETER SÄNGER, „Er wird die Gottlosigkeit von Jakob entfernen“ (Röm 11,26). Kontinuität und Wandel in den Israelaussagen des Apostels Paulus, in: WILK/WAGNER, Between Gospel and Election (Anm. 65), 121–146. 67 Röm 11,33f. In bemerkenswerter Dichte verwendet Paulus hier ‚noetische‘ Terminologie, um theologische Gegebenheiten zu erfassen (σοφία καὶ γνῶσις θεοῦ, ἀνεξεραύνειν, γινώσκειν, νοῦς κυρίου, σύμβουλος).
3. Israel als ökumenischer Horizont der Kirche
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seinen Dienst, durch seine Verkündigung von Jesus Christus nicht nur ein paar Heiden zu überzeugen, sondern auch für Israel seinen (offenbar notwendigen) Anteil am Rettungswerk Gottes zu übernehmen. 68 Paulus macht damit Geschichte zum Thema seiner Theologie. Freilich sind es nicht ‚historische‘ Linien, die er zieht, sondern Linien glaubender Erkenntnis, die in der Erfahrung Israels in seiner Geschichte mit Gott wurzeln, aber es bleiben doch, modern gesprochen, theologische Reflexionen von Geschichte. Festzuhalten ist freilich in Anbetracht überaus problematischer theologischer Deutungen von Geschichte in der älteren und jüngeren Vergangenheit: Es ist allein die Geschichte Israels, die für ‚Geschichte‘ im paulinischen Sinn steht, nicht die Geschichte irgendeiner Nation oder Kirche, und es ist die Geschichte Israels im biblischen Sinn, von der hier die Rede ist, nicht etwa die des modernen Staates dieses Namens. 69 Keine andere Geschichte, weder eine ‚völkische‘, noch eine politische oder irgendeine ‚Geistesgeschichte‘, auch nicht die von Aufklärung und Moderne, kann an der Stelle dieser einzigartigen biblischen Geschichte Israels stehen. Eine geglaubte Geschichte ist es, aber eine in Raum und Zeit geglaubte, Raum und Zeit erfassende und ein für alle Mal verändernde, letztlich an ihr Ziel führende Geschichte. 3.2 Rechtfertigungslehre und Ekklesiologie – ihr Zusammenhang im Römerbrief Für Paulus ist die biblische Geschichte Israels Endzeitgeschichte geworden – darin stimmt er mit allen übrigen neutestamentlichen Zeugen überein –, aber für Paulus ist sie zugleich noch in einem ganz besonderen, nur ihm eigenen Sinn auch ‚Kirchengeschichte‘ geworden, und hierin ist er, soweit wir sehen können, ganz neue theologische Wege gegangen. Paulus will im Römerbrief
68 Röm 11,13f. Den Zusammenhang zwischen dem Selbstverständnis des Paulus als Heidenapostel und der Ausrichtung seines Dienstes auf Israel habe ich in meiner Habilitationsschrift aufzuzeigen versucht: NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (Anm. 50), 171–175. Vgl. dazu auch LIONEL J. WINDSOR, Paul and the Vocation of Israel. How Paul’s Jewish Identity Informs his Apostolic Ministry, with Special Reference to Romans, BZNW 205, Berlin/New York 2014, 96–139.195–247. 69 Hierin ist Conzelmann bei seiner Polemik gegen eine politische Vereinnahmung der aktuellen Geschichte des Staates Israel recht zu geben, vgl. CONZELMANN, Heiden (Anm. 31), 4: „Erklärt man das politische Israel zum heiligen Staat bzw. Volk, dann macht man jeden Krieg um oder mit Israel zum Religionskrieg und potenziert ihn dadurch“. Freilich muss das m.E. nicht bedeuten, dass im Blick auf die „Herstellung eines menschlichen Verhältnisses zwischen Christen und Juden […] Israel als profanpolitische Größe genommen wird“. Auch Conzelmann kann ja sagen, dass Israel „ein geschichtlich einzigartiges“ Volk ist (ebd.). Wenn er in diesem Zusammenhang feststellt, „die Geschichte Israels bleibt im Bereich der Weltgeschichte“, dann gilt dies ebenso für die Geschichte der Kirche.
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Der Römerbrief in ökumenischer Perspektive
darlegen, wie Gott selbst aus seiner Geschichte mit dem Volk Israel durch Jesus Christus eine Geschichte mit Israel und den Völkern, den Völkern und Israel gemacht hat. Dazu dient ihm die Rechtfertigungslehre. Ich gehe mit den Vertretern der New Perspective on Paul davon aus, dass Paulus erst in den Auseinandersetzungen um die Einbeziehung von Nichtjuden in die Christus-Gemeinschaft die Begriffe und Argumentationsgänge seiner Rechtfertigungslehre ausformuliert hat. 70 Anders als viele Vertreter dieser Forschungsrichtung und vor allem anders als deren Vorväter zu Beginn des 20. Jh. bin ich allerdings nicht der Meinung, dass die Rechtfertigungslehre auf die Rolle einer ‚Kampfeslehre‘ herabgestuft oder gar in einen ‚Nebenkrater‘ paulinischer Theologie abgeschoben werden könnte. 71 Vielmehr lassen sich die theologischen Grundentscheidungen, die den paulinischen Argumentationen im Galater- und Römerbrief zugrunde liegen, schon auf die Berufung des Paulus zum Apostel zurückführen, dass nämlich in dem Geschehen von Tod und Auferweckung Jesu Gott selbst endzeitlich-entscheidend in den Gang von Zeit und Welt eingegriffen hat und dass aufgrund dieses Geschehens Gott selbst endzeitlich-neu definiert hat, wer zum eschatologischen Gottesvolk gehört, nämlich alle, die ihren Glauben und ihre Hoffnung auf dieses Geschehen setzen. 72 Und anders als manche Kritiker der New Perspective on Paul bin ich der Meinung, dass die Einordnung der Rechtfertigungslehre in den Konflikt um Juden und Nichtjuden nicht lediglich eine ‚soziologische‘ Frage ist, sondern eine dezidiert theologische und ekklesiologische. 73 Das hängt damit zusammen, dass sie zugleich eine geschichtliche Frage ist – wohlgemerkt im oben beschriebenen paulinischen Sinn. Schon der Aufbau der Argumentation im Römerbrief lässt keinen Zweifel daran, dass für Paulus Rechtfertigungstheologie und Israel-Theologie zusammengehören. Wir haben schon kurz den Bogen verfolgt, der von Adam über
Das ist auch die Ansicht derer, die eine Entwicklung oder gar Wandlungen im paulinischen Denken annehmen und von daher die Situationsbezogenheit der Rechtfertigungsaussagen im Galater- und im Römerbrief betonen, vgl. etwa UDO SCHNELLE, Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 2007, 268–284; DERS., Paulus. Leben und Denken, Berlin/New York 2003, 287–397.585–591. Vgl. zur (behutsamen) Auseinandersetzung mit dieser Position EDUARD LOHSE, Die Theologie des Apostels Paulus – aufs Neue betrachtet. Zu einigen jüngst vorgelegten gelehrten Abhandlungen, GGA 256, 2004, 23–38: 27–30 (= in: DERS., Rechenschaft vom Evangelium [Anm. 9], 194–212). 71 Zur Kritik an dieser auf Albert Schweitzer zurückgehenden und in der neueren Paulusforschung von Georg Strecker wieder aufgenommenen Position vgl. EDUARD LOHSE, Das Evangelium für Juden und Griechen. Erwägungen zur Theologie des Römerbriefes, ZNW 92, 2001, 168–184: 174f. (= in: DERS., Rechenschaft vom Evangelium [Anm. 9], 1–19). 72 Gal 1,16f.; dazu NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel (Anm. 50), 66–78. 73 Vgl. zur Auseinandersetzung Lohses mit der New Perspective on Paul EDUARD LOHSE, Christus, des Gesetzes Ende? Die Theologie des Apostels Paulus in kritischer Perspektive, ZNW 99, 2008, 18–32. 70
3. Israel als ökumenischer Horizont der Kirche
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Abraham und Mose zu Christus und dann über ihn hinaus, aber mit ihm zusammen, bis zur geheimnisvollen Rettung ganz Israels führt. 74 In den Israel-Kapiteln 9–11 verbindet Paulus im Römerbrief ausdrücklich das geschichtliche und das eschatologische Geschick Israels mit der Rettung der Völker im Glauben an Jesus Christus. Israel galten und gelten die Verheißungen Gottes, auch wenn „nicht alle aus Israel“ (jetzt schon) „Israel“ sind (9,6). Für Paulus als Israelit ist diese Spannung kaum auszuhalten, stellt sie doch seine eigene Christusgemeinschaft in Frage (9,3). Er kann es bei dieser Spannung aber auch nicht bewenden lassen, und schon gar nicht kann er Israel vom Heil ausschließen. Offenbar kann er zum Zeitpunkt, als er den Römerbrief schreibt, aber nicht mehr damit rechnen, dass in absehbarer Zeit alle übrigen Israeliten seinen Weg gehen werden, den des Glaubens an Jesus Christus vor dem Ende der Zeit, also in der Geschichte. Damit reicht sein bisher verfolgtes Konzept, alle Menschen, Juden wie Heiden, durch Mission und Glauben zum Heil zu führen, nicht mehr aus. 75 Mission geschieht in Raum und Zeit, also in der Geschichte. Die Rettung ganz Israels aber übersteigt Raum und Zeit. 76 Die theologische Leistung des Paulus besteht darin, dass er am Nachdenken über Christus und Israel zu einer neuen Konzeption von Zeit und Geschichte gelangt ist. Mit Blick auf Christus und Israel hat seiner Überzeugung nach Gott S.o., 389f. Ich stimme SÄNGER, „Er wird die Gottlosigkeit von Jakob entfernen“ (Anm. 66), 144f., darin zu, dass „in Bezug auf das paulinische Israelverständnis von einer Konstante zu sprechen (ist), in der sich eine Entwicklung verbirgt“, insofern als der „in Röm 9–11 entfaltete universale Erlösungsgedanke […] die soteriologisch entschränkte Variante der ausschließlich auf die ἔθνη konzentrierten Heilsperspektive von 1Thess 2,14–16“ ist. Eine Wandlung im Sinne einer grundsätzlichen Veränderung von Grundeinsichten und daraus folgenden Revisionen zuvor vertretener Positionen würde ich das aber nicht nennen. Eine ähnliche Interpretation hatte in der Festschrift für Eduard Lohse aus dem Jahr 1989 bereits TRAUGOTT HOLTZ, Das Gericht über die Juden und die Rettung ganz Israels (1Thess 2,15f. und Röm 11,25f.), in: ALAND/MEURER, Wissenschaft und Kirche (Anm. 9), 119–131, vorgelegt: Die beiden Stellen „befinden sich […], soweit sie über den gleichen Gegenstand reden, durchaus in sachlicher Übereinstimmung. […] Die Gewißheit, dass ganz Israel schließlich tatsächlich zum Heil gelangen wird […], liegt […] durchaus in der Konsequenz des theologischen Denkens, das Paulus in seiner apostolischen Verkündigung von Anfang an bestimmt. Denn Gott steht zu seinen Verheißungen.“ (a.a.O., 130f.). 76 Der Zusammenhang von Gottes Verheißungen an Israel und der endzeitlichen Verwirklichung dieser Verheißungen im Christusgeschehen bestimmt auch stark die Interpretation der paulinischen Theologie bei NICHOLAS T. WRIGHT, Paul and the Faithfulness of God, Minneapolis 2013 (bes. Kapitel 10: The People of God, Freshly Reworked, a.a.O., 774– 1042). Auf diesen wichtigen Ansatz näher einzugehen, fehlt hier der Platz. Vgl. zur aktuellen Diskussion dazu SIGURD GRINDHEIM, Election and the Role of Israel, in: CHRISTOPH HEILIG/J. THOMAS HEWITT/MICHAEL F. BIRD (Hg.), God and the Faithfulness of Paul. A Critical Examination of the Pauline Theology of NICHOLAS T. WRIGHT, WUNT II/413, Tübingen 2016, 329–346; ANNE MCGOWAN, Ecclesiology as Ethnology. The Church in NICHOLAS T. WRIGHTS Paul and the Faithfulness of God, a.a.O., 583–601. 74 75
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Der Römerbrief in ökumenischer Perspektive
selbst Geschichte neu definiert. Geschichte – im theologischen Sinn! – ist nicht mehr allein der Weg, den Gott sein Volk Israel durch Raum und Zeit geführt hat und bis ans Ende der Zeit führen wird. Durch Christus sind in diese Geschichte Gottes mit Israel die Völker endzeitlich integriert worden. Weil aber die Völker und Israel im Glauben an Christus endzeitlich ‚ver-einigt‘ worden sind (Röm 9,24), ist auch Israel nicht geblieben, was es vor Christus war. Weil es für Israel nur einen Gott geben kann, kann es für Paulus auch nur ein endzeitliches Gottesvolk geben, das aus Juden und Heiden besteht und in Christus ‚ver-einigt‘ ist. 77 In diesem Sinne ist für Paulus Geschichte nicht mehr – wie vor Christus – allein Israel-Geschichte, sondern auch ‚Kirchengeschichte‘ und bleibt es bis zum Ende der Zeit. Nicht übersehen werden darf allerdings, dass Paulus dort, wo er von der endzeitlichen Vereinigung ganz Israels mit den Geretteten aus den Völkern spricht, nicht sagt, dass dann endlich auch alle Juden an Christus glauben werden, also Christen werden müssen. Vielmehr stellt er es sich offenbar so vor, wie er es auch schon in der vorangehenden Argumentation gedacht hatte: Gott ist und bleibt Subjekt des Geschehens. Der Retter wird vom Zion her kommen und alle Gottlosigkeit von Jakob wegnehmen. 78 „Ganz Israel“ wird am Ende nach Paulus also nicht auf dem Weg der Mission und des Glaubens gerettet werden (was für Paulus eine Mission gegenüber Heiden wie Juden vor dem Ende zu keiner Zeit ausgeschlossen hat 79), aber ebenso wenig auf einem ‚Sonderweg‘ ohne Christus oder an Christus vorbei, sondern allein durch den Gott, der sich im Christusgeschehen gegenüber seinen Verheißungen an sein erwähltes Volk treu erwiesen hat. Eduard Lohse hat sich von der These eines ‚Sonderweges‘ für Israel ausdrücklich distanziert. Im Römerbriefkommentar schreibt er: Eine Theologie, die Juden aus der werdenden Kirche ausgrenzen wollte – aus welchen Gründen auch immer –, kann sich mitnichten auf Paulus berufen, der mit aller Klarheit und eindeutiger Entschiedenheit daran festhält, daß zur Kirche Jesu Christi gleicherweise „Juden und Heiden“ gehören. 80
So wird es am Ende nicht davon abhängen, ob und dass ganz Israel glaubt, sondern allein davon, dass Gott ganz Israel retten wird. Nicht was Menschen tun, ob Juden oder Heiden, sondern allein was Gott in Jesus Christus getan hat, führt zum Heil. Wenn das nicht die Quintessenz der Rechtfertigungslehre wäre! Die ihr zugrundeliegende Einsicht in das Evangelium, die Paulus bei seiner
Vgl. dazu NIEBUHR, „Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Anm. 65), 434f. Röm 11,26. 79 Vgl. dazu BIRD, An Anomalous Jew (Anm. 48), 69–107. 80 Vgl. LOHSE, Röm (Anm. 10), 321f. (Zitat Anm. 24). 77 78
3. Israel als ökumenischer Horizont der Kirche
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Berufung gewonnen, als Heidenmissionar vertreten und im Römerbrief reflektiert hat, stellt auch gegenwärtige Theologie im Angesicht Israels und gegenüber Israel vor schwere, aber unumgängliche Denkaufgaben. 3.3 Israel und die Kirche im Horizont paulinischer Theologie Und die Kirche? Das ekklesiologische und ökumenische Potential der Rechtfertigungslehre liegt m.E. genau dort, wo Paulus sie mit seiner Israel-Theologie verknüpft. Wir haben gesehen, dass Paulus da, wo er mit seiner theologischen Reflexion über Glauben und Unglauben in Israel nicht mehr weiterkommt, auf Gott als den allein Wirksamen im Geschehen der Rechtfertigung verweist. Am Ende steht die Vereinigung aller, Juden wie Heiden, und ihre Rettung, denn unteilbar sind die Gnadengaben und ist das Rufen Gottes. 81 Das ist der endzeitliche Horizont, in dem bei Paulus alle Reflexionen zu Israel und den Völkern im Christusgeschehen stehen und in den sie letztlich führen. Es ist aber nicht der geschichtliche Horizont und damit auch nicht der ökumenische Horizont, in dem wir als evangelische und katholische Theologen heute miteinander im Gespräch sind. Beides muss klar auseinandergehalten werden, zum einen, um nicht Israel zum Gegenstand innerkirchlicher Interessen zu machen, zum andern, um nicht unversehens die Grenze zwischen dem Handeln der Kirche in ihrer Geschichte und dem Handeln Gottes in der Geschichte zu verwischen. Israel kann nur ökumenischer Horizont der Ekklesiologie sein, nicht ihr Gegenstand. Aber als ökumenischer Horizont kann Israel für die christlichen Konfessionen Maßstab und Impuls sein, nach theologischer Verständigung und sichtbarer Einheit untereinander zu suchen. 82 Für die Kirche – nicht für Israel! – kann solche Verständigung und Einheit nur dort gesucht und gefunden werden, wo sie im Glauben an Jesus Christus Gott rettend am Werk sieht, und zwar an allen Menschen, Juden wie Nichtjuden. Das war der theologische Ort, an dem Paulus seine Rechtfertigungstheologie entwickelt hat. Das muss auch der Ort sein, an dem Theologie heute ihre Denkarbeit ansiedelt, wenn sie verstehen will, wie – vielleicht sogar: ob – Gott wirkt. Theologie kann heute nicht anders als geschichtlich denken, und zwar geschichtlich im Sinne eines in der Neuzeit entwickelten Geschichtsverständnisses, das sich von antiken Geschichtsverständnissen kategorial unterscheidet. Das bedeutet aber weder, dass ihr ein antikes Geschichtsverständnis nichts Röm 11,29–31. Vgl. zu der hier vorausgesetzten Konzeption von „sichtbarer Einheit“ der Kirche die Studie des Ökumenischen Studienausschusses der VELKD: Sichtbare Einheit der Kirche in lutherischer Perspektive, TVELKD 176, Hannover 2016, 6–12. – Eduard Lohse hat den Zusammenhang von Rechtfertigungslehre und Ekklesiologie und die ökumenischen Konsequenzen daraus in einem Beitrag aus Anlass des 70. Geburtstages des katholischen Neutestamentlers Karl Kertelge reflektiert: EDUARD LOHSE, Rechtfertigung und Kirche, KuD 43, 1997, 111–123, geht aber dort auf die Israel-Thematik nicht ein. 81 82
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Der Römerbrief in ökumenischer Perspektive
mehr zu sagen hätte, noch, dass die Frage nach Gottes Wirken in der Geschichte heute nicht mehr denkbar oder gar gegenstandslos wäre. Vielmehr regt Israel, wie von ihm in der Bibel, insbesondere bei Paulus, die Rede ist, Theologie und Kirche dazu an, zwingt sie geradezu, von Gott in der Geschichte zu reden. Dass dieses Reden von Gott in der Geschichte ekklesiologische Konsequenzen hat, kann an der paulinischen Rechtfertigungslehre exemplarisch abgelesen werden. Insofern haben die Reformatoren wie ihre Gegner Paulus grundsätzlich ganz richtig verstanden, wenn sie ihren Streit um den Weg der Kirche an der paulinischen Rechtfertigungslehre ausgetragen haben, wenn auch – wie könnte es anders sein – mit Denkvoraussetzungen und argumentativen Mitteln ihrer Zeit, die nicht die des Paulus waren. 83 Der Blick zurück auf die Argumentation des Paulus im Römerbrief kann heute ein Blick nach vorn für die Ökumene werden. Wenn sie Israel als Horizont ihrer eigenen Existenz in der Geschichte erkennt, kann die Kirche ihre Hoffnung ebenso wie ihre ganze theologische Anstrengung darauf richten, Gottes Wirken an ihr und in ihr und auch außerhalb ihrer, aber jedenfalls in der Geschichte wahrzunehmen. Von Israel lernen heißt hoffen lernen! Das gilt auch für Theologie und Kirche.
Schluss
Schluss Eduard Lohse kann im weiteren Sinne zum Ausstrahlungsbereich der Schule Rudolf Bultmanns gerechnet werden. Die theologische Interpretation des Neuen Testaments aus einer dezidiert kirchlichen und zugleich historisch reflektierten Perspektive war ihm von daher ebenso selbstverständlich wie die Dienstfunktion der Exegese für eine gegenwartsbezogene, kirchliche Theologie. Dass Israel in seiner theologischen Bedeutung für die Kirche zu einer solchen Schriftauslegung hinzugehört, war ihm aber aus dieser theologisch-exegetischen Richtung nicht unbedingt mitgegeben. Hier ist eher an seinen akademischen Lehrer Joachim Jeremias zu denken, 84 dessen Anleitung sich in den Qualifikationsschriften Lohses auf dem Schnittfeld von Neuem Testament und Judaistik deutlicher niedergeschlagen hat. 85 Liest man heute im Rückblick auf
Vgl. zur Differenzierung zwischen Luther und Paulus im Blick auf die Rechtfertigungslehre die Studie von VOLKER STOLLE, Luther und Paulus. Die exegetischen und hermeneutischen Grundlagen der lutherischen Rechtfertigungslehre im Paulinismus Luthers, ABIG 10, Leipzig 2002. 84 Vgl. dazu die Würdigung von EDUARD LOHSE, Joachim Jeremias als Ausleger des Römerbriefes, ZNW 93, 2002, 279–287 (= in: DERS., Rechenschaft vom Evangelium [Anm. 9], 147–157). 85 EDUARD LOHSE, Die Ordination im Spätjudentum und im Neuen Testament, Göttingen 1951; DERS., Märtyrer und Gottesknecht. Untersuchungen zur urchristlichen Verkündigung vom Sühntod Jesu Christi, FRLANT 64, Göttingen 1955. Von unschätzbarem Wert ist bis 83
Schluss
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Lohses Werk seinen Römerbriefkommentar und die vielen dazugehörigen Arbeiten, dann wird deutlich, wie sauber exegetisch begründet und wie eigenständig theologisch reflektiert seine Interpretationen sich darstellen. Das IsraelThema findet sich dabei in bemerkenswerter Dichte immer wieder, im Kommentar wie in den einschlägigen Aufsätzen. Auch wenn meine Ausführungen dazu dem kritisch-vorsichtigen Blick und dem sorgfältig abwägenden Urteil Eduard Lohses kaum gerecht werden können, fühle ich mich ihm in der Richtung des exegetischen Arbeitens und theologischen Denkens eng verbunden. Es war bei der Tagung des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen in Würzburg im Jahr 2015, dass ich Eduard Lohse zum letzten Mal begegnet bin. Er verfolgte die Debatten mit gespannter Aufmerksamkeit, ohne sich selbst daran zu beteiligen. Am Rande ging es auch noch einmal um die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ und ihre Bewertung angesichts der ökumenischen Lage heute, wobei ein paar leicht dahingesagte kritische Bemerkungen fielen. Wie sehr ihm dieses Projekt am Herzen lag, machte mir Eduard Lohse bei einem Gespräch in der Mittagspause in wenigen Sätzen deutlich. Für mich ist dies sein persönliches Vermächtnis. 86
heute die zweisprachige Ausgabe der Qumran-Texte (mit punktiertem hebräischen Text): DERS., Die Texte aus Qumran. Hebräisch und Deutsch, Darmstadt 41986. 86 Die soweit mir bekannt letzte ausführlichere gedruckte Stellungnahme zur GER von Eduard Lohse stammt aus dem Jahr 1999: EDUARD LOHSE, Theologie und Rechtfertigung im ökumenischen Dialog, in: Festschrift für Martin Heckel, hg. v. KARL-HERMANN KÄSTNER, Tübingen 1999, 133–149.
IV Ausblick
Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute Wir kommen vom Römerbrief her. 1 Die Teilnehmer der vierstündigen Römerbrief-Vorlesung in diesem Semester, die heute zu Ende geht, haben sich seinen Text nach allen Regeln der exegetischen Kunst erschlossen, textgrammatisch, textsemantisch, textpragmatisch – diese drei Begriffe können sie inzwischen wahrscheinlich nicht mehr hören. Bei den übrigen Hörern setze ich hier einfach einmal voraus, dass sie den Römerbrief im Kopf haben. Das kann ich mit gutem Gewissen, denn irgendwie hat ja doch jeder und jede in unserem Kulturkreis bis heute irgendetwas mit dem Römerbrief zu tun, bewusst oder unbewusst, freiwillig oder widerwillig. Das liegt an seiner Wirkungsgeschichte. 2 Das Jahr 2017 hat es uns noch einmal vor Augen geführt, selbst im unkirchlichen Osten Deutschlands, mit allen Stärken und Schwächen, die die Kirchen dabei an den Tag gelegt haben. Am Römerbrief kommt keiner vorbei, und damit auch nicht an Paulus. Im Römerbrief begegnet uns Paulus von seiner ganz persönlichen Seite her. Das geht gleich los im Präskript, wo Paulus eigentlich viel mehr von sich selbst spricht als vom Evangelium, von den Briefadressaten ganz zu schweigen. Er ist es, den Gott zum Apostel berufen hat vor allen anderen, ausgesondert zur Verkündigung des Evangeliums, ausgestattet mit „Gnade und Apostelamt“, um auch den Römern ein wenig Anteil zu geben an dem, was er hat. Dessen schämt er sich nicht und scheut sich auch nicht, es zu bekennen vor allen, die seinen Brief zu lesen bekommen, ob er sie persönlich kennt oder nicht. Den ganzen Brief hindurch kommt Paulus immer wieder auf sich selbst zu sprechen, 3 seine Aufgaben und Pläne, seine inneren Regungen und Gedanken, seine Gebetspraxis, kurz: auf das, was wir heute Identität nennen. Aber bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass Paulus diese seine Identität immer in Relation sieht. Wir haben 1 Abschiedsvorlesung, gehalten am 11.2.2022 zum Abschluss der vierstündigen Römerbriefvorlesung im Wintersemester 2021/22 an der Theologischen Fakultät der FriedrichSchiller-Universität Jena. Der Vorlesungsstil wurde beibehalten. Die Fußnoten wurden auf ein Minimum beschränkt und lassen sich durch die Hinweise in den übrigen Beiträgen dieses Sammelbandes leicht erweitern. 2 Die Wirkungsgeschichte des Römerbriefes wurde in vorbildlicher Auswahl und Prägnanz erschlossen durch den Kommentar von ULRICH WILCKENS, Der Brief an die Römer, 3 Bde., EKK 6, Zürich u.a./Neukirchen-Vluyn 1978–1982. Ein paar Schlaglichter setze ich in KARL-WILHELM NIEBUHR, Der Römerbrief – ein Christuszeuge stellt sich vor, in: DERS. (Hg.), Grundinformation Neues Testament. Eine bibelkundlich-theologische Einführung, Göttingen 52020, 199–215: 213–215. 3 Vgl. besonders Röm 1,11–17; 7,14–25; 9,1–5; 11,1.13f.; 15,14–28.
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Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute
es im Einzelnen herausgearbeitet: Paulus sieht sich, seinen Auftrag, auch seine ganz persönliche Biographie in einer dreistelligen Relation: zu Gott und Jesus Christus, zum Evangelium, das er zu verkündigen hat, und zu den Briefadressaten, den Christusanhängern in Rom. Sie stehen für alle Menschen, für die das Evangelium bestimmt ist. Zum Abschluss dieser Vorlesung möchte ich nun noch einmal die Frage stellen: Was ist das für ein Mensch, der uns da als Autor im Römerbrief begegnet? Was bestimmte sein Leben und seinen Glauben? Worin hat seine Identität ihre Wurzeln? Ich möchte zeigen: Die religiöse, geistliche Identität des Paulus liegt im Volk Israel (1.), in seiner Bindung an Jesus (2.) und in der Verkündigung des Evangeliums (3.). In den folgenden drei Teilen der Vorlesung gehe ich jeweils vom Römerbrief aus, frage also zuerst, was sich in dessen Text zu Paulus als Israelit, als Sklave Jesu (so nennt er sich selbst!) und als Bote des Evangeliums findet. Dann ordne ich die paulinischen Selbstaussagen im Römerbrief jeweils ein in die religiösen und geistigen Welten des antiken Frühjudentums. Und schließlich frage ich jeweils, was das alles für ein heutiges, gegenwartsbezogenes Paulusverständnis zu besagen hat.
1. Paulus, der Israelit 1.1 Im Römerbrief
1. Paulus, der Israelit
„Jude“ hat sich Paulus nie genannt – das wäre im Sprachgebrauch seiner Zeit auch anachronistisch und unverständlich gewesen. Erst recht, wenn er gesagt hätte: Ich bin Christ. „Jude“ und „Christ“ standen Paulus als Bezeichnungen für seine religiöse Identität nicht zur Verfügung. 4 Aber „Israelit“ hat er sich genannt, und zwar im Blick auf seine Gegenwart als Apostel in Römer 11,1: „Ich bin Israelit aus der Nachkommenschaft Abrahams vom Stamm Benjamin.“ 5 An zwei, drei anderen Stellen in seinen Briefen gebraucht er ähnliche Selbstbezeichnungen, mit denen er jeweils auf seine Zugehörigkeit zum Volk Israel verweist. In Galater 1 nennt er sich einen „hervorragenden Verfechter des Judaismus“, 6 womit nicht Judentum als Religion gemeint ist, sondern eine Lebensweise, die sich streng nach den Regeln der Tora richtet, vor allem in Abgrenzung zu Nicht-Israeliten. Im 2. Korintherbrief nennt sich Paulus einen „Hebräer“ aus der Nachkommenschaft Abrahams, um sich gegen Opponenten 4 Vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, „Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien, ZNW 85, 1994, 218–233 [in diesem Band 133–148], sowie DIETER SÄNGER, Ἰουδαϊσμός –ἰουδαΐζειν –ἰουδαϊκῶς. Sprachliche und semantische Überlegungen im Blick auf Gal 1,13f. und 2,14, ZNW 108, 2017, 150–185. 5 KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel. Die jüdische Identität des Paulus nach ihrer Darstellung in seinen Briefen, WUNT 62, Tübingen 1992, 167–171. 6 Gal 1,13.
1. Paulus, der Israelit
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in der korinthischen Gemeinde durchzusetzen, die ähnliche Ansprüche erhoben hatten. 7 Im Philipperbrief, auch in einem polemischen Kontext, pocht er nicht nur darauf, aus dem Volk Israel zu stammen, genauer: aus dem Stamm Benjamin, und damit „Hebräer von Hebräern“ zu sein (also auf seine – man wagt es kaum zu sagen – ‚rein jüdische‘ Abstammung), sondern darüber hinaus auch darauf, am achten Tag nach der Geburt beschnitten und – man höre und staune: Pharisäer gewesen zu sein. 8 Auffällig an diesen Selbstaussagen des Paulus ist: Sie sind alle auf seine gegenwärtige Identität als Apostel Jesu Christi für die Völker bezogen, nicht etwa auf seine ‚jüdische Vergangenheit‘. Das ist wichtig für das Verständnis des Römerbriefes. Die Selbstaussage in Römer 11,1: „denn ich bin ja selbst Israelit aus der Nachkommenschaft Abrahams vom Stamm Benjamin“, folgt unmittelbar auf eine rhetorische Frage: „Hat denn Gott etwa sein Volk verstoßen?“, die Paulus sofort mit einem emphatischen „Auf keinen Fall!“ zurückweist. Damit wird die ganze Dramatik sichtbar, die seine Aussagen in den Kapiteln 9–11 durchweg bestimmt. Das ist keine ruhige, systematische Argumentation. Paulus setzt vielmehr ein mit dem unerträglichen Schmerz, der ihn beherrscht, seit ihm klargeworden ist, dass „nicht alle aus Israel Israel sind“ (Röm 9,6b), also derzeit noch nicht alle, die zum Gottesvolk gehören, auch an Jesus Christus glauben. Das nimmt zwar dem Gottesvolk nichts von seiner Erwählung, wie Paulus gleich vorweg klarstellt. Den Israeliten, seinen leiblichen Stammverwandten, die er Brüder (und Schwestern) nennt, gehören immer noch alle Verheißungen, die Gott ihnen zugesagt hat, ob sie an Christus glauben oder nicht (9,3–5). Aber das ist eben zugleich auch die Ursache für den unerträglichen Schmerz, der Paulus zu einer geradezu absurden Selbstverfluchung führt, „weg von Christus“, wo er doch unmittelbar vorher gerade behauptet hatte: „Nichts kann uns jemals trennen von der Liebe Gottes in Christus Jesus.“ (8,39) Warum ist das für Paulus so unerträglich? Warum kann er es nicht ertragen, dass auch nur ein einziger Israelit nicht an Jesus Christus glaubt? Weil er auch und gerade als Christusapostel felsenfest davon überzeugt ist, dass Gottes Heilszusagen für ganz Israel gelten, dass sie unverrückbar feststehen und auch durch Unglauben und Gottlosigkeit in Israel nicht aufgehoben werden können. Damit stellt Paulus für die folgende Argumentation in Römer 9–11 9 zweierlei
7
2Kor 11,23. Phil 3,5f. 9 Zu meiner Interpretation von Römer 9–11 im Zusammenhang des Römerbriefes und der übrigen Paulusbriefe vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Paul, the Israelite, on Israel and the Gentiles at the End of Time. Reflections on Romans 9–11, in: FRANTIŠEK ÁBEL (Hg.), Israel and the Nations. Paul’s Gospel in the Context of Jewish Expectation, Lanham 2021, 271–288 [in diesem Band 357–371]; DERS., „Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6b). Römer 9–11 als Zeugnis paulinischer Anthropologie, in: FLORIAN WILK/J. ROSS WAGNER (Hg.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11, 8
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Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute
von vornherein klar. Erstens: Heil für Israel ist erst dann Heil, wenn auch „ganz Israel gerettet“ ist. Und zweitens: Dass es dazu kommt, liegt nicht an Menschen, nicht einmal am Glauben der Menschen, seien es Israeliten oder Heiden, sondern allein an Gott. Wie Gott das hinkriegt, dass am Ende eben doch ganz Israel gerettet wird, das weiß Paulus am Anfang von Römer 9–11 noch ebenso wenig genau wie am Ende, nachdem er sich drei Kapitel lang mit allen Mitteln exegetischer Kunst darum bemüht hat, Gottes Wege zu verstehen. Es ist und bleibt ihm ein Rätsel, ein μυστήριον, wie er sagt (11,25). Aber dass Gott es tun wird, dessen ist sich Paulus gewiss. Deshalb ist er am Ende auch nicht mehr von Schmerz erfüllt, sondern bricht in einen theologischen Lobgesang aus: O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Gotteserkenntnis; wie unerforschlich sind seine Urteile und wie unaufspürbar seine Wege! Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt? Oder wer ist zu seinem Ratgeber geworden? Oder wer hat ihm etwas vorgegeben, so dass es ihm wieder zurückgegeben worden wäre? Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin existiert das All; ihm gebührt Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. (Röm 11,33–36)
1.2 Im Judentum seiner Zeit Dass Israeliten zur Zeit des Paulus – wir heute dürfen sie ruhig weiter ‚Juden‘ nennen – von der Rettung ganz Israels überzeugt waren, ist nicht weiter überraschend. Die Zusagen in den Schriften Israels, dem Tanach, sprechen da eine klare Sprache. Nur ein Beispiel aus dem Propheten Joel genügt: Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen. Auch will ich zur selben Zeit über Knechte und Mägde meinen Geist ausgießen. … Und es soll geschehen: Wer des HERRN Namen anrufen wird, der soll errettet werden. Denn auf dem Berge Zion und zu Jerusalem wird Errettung sein, wie der HERR verheißen hat, und bei den Entronnenen, die der HERR berufen wird. (Joel 3,1–5)
Israeliten sind alle, die den Namen des Herrn anrufen, wen denn sonst? Alle, die den Namen des Herrn anrufen, sollen errettet werden. Also werden alle Israeliten gerettet. So einfach ist die Logik. Genau so sieht es auch Paulus, wenn er in Römer 10,13 den Vers Joel 3,5 zitiert. Wo ist also das Problem? Es sind im Grunde zwei Probleme, die Paulus sieht und die ihn mit dem Judentum seiner Zeit zugleich verbinden und in Konflikte führen. Das erste Problem: Was heißt „alle“? Das ist ja eine bis heute höchst brisante Frage, wenn es darum geht, wer zu Israel gehört. „Who is a Jew?“ Diese Frage wurde WUNT 257, Tübingen 2010, 433–462 [in diesem Band 327–355], sowie DERS., Heidenapostel aus Israel (Anm. 5), 136–178. Vgl. auch DIETER SÄNGER, Paulus und sein Blick auf Israel. Vom 1. Thessalonicherbrief über den Galater- zum Römerbrief, in: ULRICH MELL/MICHAEL TILLY (Hg.), Der 1. Thessalonicherbrief und die frühe Völkermission des Paulus, WUNT 479, Tübingen 2022, 461–490; TOBIAS NICKLAS, Paulus und die Errettung Israels. Röm 11,25–36 in der exegetischen Diskussion und im jüdisch-christlichen Dialog, Early Christianity 2, 2011, 173–197.
1. Paulus, der Israelit
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und wird immer wieder äußerst kontrovers diskutiert. Auch schon zur Zeit des Paulus war sie kontrovers, und ob sie jemals zu Zeiten des biblischen Israel vor und nach dem babylonischen Exil nicht kontrovers war, kann man mit guten Gründen fragen. Wir können das hier auf sich beruhen lassen. Im Frühjudentum jedenfalls war diese Frage spätestens seit den Auseinandersetzungen der Makkabäerzeit äußerst kontrovers und führte nicht selten auch zu gewaltsamen Konflikten. 10 Die Frage, wer zu Israel gehört, und die mit ihr verbundenen Konflikte hatten sich im Rahmen der sogenannten Apokalyptik noch massiv verschärft. Jetzt ging es nicht mehr allein darum, wer eine entsprechende Ahnenreihe israelitischer Vorfahren aufweisen konnte, wie es Paulus exemplarisch kann und wie es die Evangelien auch für Jesus tun. 11 Jetzt ging es vielmehr darum, ob und wie man sich als Israelit bewährt in einer Gegenwart, die als Zeit der Entscheidung, als Endzeit erlebt wird. Jetzt ging es nicht mehr um Herkunft und Geschichte, sondern um Leben und Tod im Blick auf Zukunft und Ewigkeit! Es gibt eine ganze Reihe von frühjüdischen Texten, die von solchen Vorstellungen von der Endzeit als Zeit der Entscheidung zwischen Tod und Leben bestimmt sind, und zwar endgültigem Tod und ewigem Leben. Die allermeisten neutestamentlichen Texte gehören übrigens dazu. Die Frage, wer unter endzeitlichem Horizont zu Israel gehört, wer also, mit Paulus gesprochen, „gerettet wird“, wurde immer schärfer gestellt und immer weniger universal beantwortet, will sagen: Es werden immer weniger, denen nach diesem Maßstab zugestanden wird, noch zu Israel zu gehören und damit auch gerettet zu werden, so wie es den biblischen Verheißungen entspricht. 12 Angefangen bei Daniel, wo erstmals klar eine Scheidung zwischen den geretteten Gerechten und den vernichteten Gottlosen vorgenommen wird, 13 über verschiedene Texte der Makkabäer-Tradition bis hin zu den kurz nach den neutestamentlichen Schriften entstandenen Apokalypsen unter den Namen der Seher Baruch und Esra, gibt es eine starke Strömung solcher ‚apokalyptischer‘ Texte. Einige der Qumran-
10
Vgl. dazu SHAYE J. D. COHEN, From the Maccabees to the Mishnah, LEC 7, Philadelphia 1987. 11 Vgl. die Stammbäume Jesu in Mt 1,2–17 und Lk 3,23–38. 12 Im Blick auf Paulus hat diesen Gedanken zum Ausgangspunkt seiner Interpretation der paulinischen Rechtfertigungsaussagen gemacht N. T. WRIGHT, Paul and the Faithfulness of God, Christian Origins and the Question of God, Bd. 4, Minneapolis 2013; vgl. dazu ausführlicher KARL-WILHELM NIEBUHR, Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit. Der Heidenapostel aus Israel in neuer Sicht. Mit einem Nachtrag zur ‚New Perspective on Paul‘ seit 2010 [in diesem Band 1–40], 16–25. 13 Vgl. Dan 12,1–3.
406
Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute
Texte stehen mitten drin in diesem Milieu frühjüdischer, endzeitlich ausgerichteter Schriften, 14 auch wenn es der Forschung bisher nicht gelungen ist, eine literarische Gattung ‚Apokalypse‘ zu definieren oder eine ‚apokalyptische Bewegung‘ historisch zu identifizieren. 15 Wo steht Paulus, verglichen mit solchen frühjüdischen apokalyptischen Schriften? Irgendwie schon auch mittendrin, und bestimmt nicht an dem Rand, wo die Grenzen Israels besonders eng gezogen wurden. 16 Auch Paulus war überzeugt, dass seine Gegenwart Endzeit ist, dass es also jetzt nicht mehr entscheidend um Herkunft geht, sondern um Zukunft, um eine Zukunft über die Grenzen individuellen menschlichen Lebens, also über den Tod hinaus. 17 Paulus sieht allerdings diese Zukunft bestimmt durch das, was Gott an dem Menschen Jesus aus Nazaret getan hat, der in Jerusalem gekreuzigt worden war: Er hat ihn von den Toten auferweckt. Damit ist für Paulus die Endzeit Gegenwart geworden, denn Auferweckung der Toten war für ihn wie für viele fromme Juden seiner Zeit Hoffnungsgut für die Zukunft, eben für die Endzeit. Zeichen der Endzeit aber war für Paulus, wie es gutem jüdischem Glauben seiner Zeit ebenfalls entsprach, die Gegenwart des Geistes Gottes bei den Menschen. Joel hatte es ja angekündigt, wie wir sahen, und nun war es Gegenwart, erfahrbar, nachweisbar, wie Paulus seinen Briefadressaten immer wieder schreibt. Die Galater erinnert er daran, wie er bei ihnen das Evangelium von Jesus, dem Gekreuzigten verkündigt hatte. Damals schon hatten sie „den Geist empfangen“, und zwar nicht „aus Gesetzeswerken“, sondern „aus Glaubensgehorsam“. 18 Den Thessalonichern hatte er seinerzeit das Evangelium gebracht „nicht im Wort allein, sondern auch in Machttaten und im heiligen Geist, und zwar im Übermaß (des Geistes)“. 19 Und 14
Vgl. dazu JÖRG FREY, Die Bedeutung der Qumrantexte für das Verständnis der Apokalyptik im Frühjudentum und im Urchristentum, in: DERS./MICHAEL BECKER (Hg.), Apokalyptik und Qumran, Paderborn 2007, 11–62. 15 Vgl. zur Diskussion bis heute grundlegend DAVID HELLHOLM (Hg.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East. Proceedings of the International Colloquium on Apocalypticism, Uppsala, August 12–17, 1979, Tübingen 1983, sowie exemplarisch für die jüngere Forschung JOHN J. COLLINS, Apocalypse, Prophecy, and Pseudepigraphy. On Jewish Apocalyptic Literature, Grand Rapids/Cambridge 2015. 16 Das Label ‚the apocalyptic Paul‘ wird für einen bestimmten Strang aktueller (vorwiegend englischsprachiger) Paulusforschung verwendet, die sich oft auf das Paulusverständnis von Ernst Käsemann zurückbezieht, repräsentiert etwa durch DOUGLAS A. CAMPBELL, The Deliverance of God. An Apocalyptic Rereading of Justification in Paul, Grand Rapids/Cambridge 2009. Ob dieses Label zur Klärung der genauen Position des Paulus im Judentum seiner Zeit beiträgt, ist allerdings stark umstritten. 17 Vgl. dazu MATTHIAS KONRADT, Gericht und Gemeinde. Eine Studie zur Bedeutung und Funktion von Gerichtsaussagen im Rahmen der paulinischen Ekklesiologie und Ethik im 1 Thess und 1 Kor, BZNW 117, Berlin 2003. 18 Gal 3,1–5. 19 1Thess 1,4f.
1. Paulus, der Israelit
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die Korinther sollen sich daran erinnern, dass es die Kraft des Geistes war, die sie bei der Gemeindegründung weggerissen hatte von den Götzen und hingerissen zum Bekenntnis: „Jesus ist der Kyrios!“ 20 Das Besondere an den Gemeinden, die da angeblich den Geist Gottes als gegenwärtig wirksam erfahren hatten, man könnte auch sagen: das Problem, ist nun aber, dass diese Gemeinden zu erheblichen Teilen aus Nichtjuden bestanden, ‚Heiden‘, und eben nicht nur aus Israeliten. Und damit sind wir bei der zweiten Frage, die sich für Paulus stellt und die im Judentum seiner Zeit ebenfalls durchaus kontrovers war: Was ist mit den Heiden in der Endzeit? 21 Manche Antworten lagen nahe: Sie sind verworfen, wenn Israel gerettet wird. Sie werden vernichtet, so wie sie früher versucht hatten, Israel zu vernichten. Das ist aber nicht die Antwort des Paulus. Es ist auch nicht die einzig mögliche Antwort für einen Juden seiner Zeit. Es gab durchaus frühjüdische Stimmen, die den Heidenvölkern in der Endzeit eine Chance ließen. Sie konnten sich etwa auf entsprechende Aussagen bei den Propheten oder im Psalter berufen, ja, sogar in der Tora, wonach auch die Heidenvölker in den endzeitlichen Jubel Israels über die Rettung durch Gott einstimmen werden, wonach sie sogar am endzeitlichen Gottesdienst auf dem Tempelberg in Jerusalem teilnehmen, nicht als Zaungäste, sondern als solche, die mit Israel gemeinsam den Herrn anrufen und ihn preisen. 22 Auch solche Texte zitiert Paulus im Römerbrief. 23 Offenbar hat Paulus gezielt solche Stellen in den Schriften Israels gesucht und sich bewusst dort innerhalb der vielfältigen jüdischen Strömungen seiner Zeit eingeordnet, wo Platz in Israel war auch für die Völker, wenn sie denn den Gott Israels anerkannten, und „keine andern Götter neben ihm“, und wenn sie ihre Hoffnung auf diesen einen Gott zu setzen bereit waren und nicht auf ihre bisherige ‚heidnische‘ religiöse Praxis und die zu deren Rechtfertigung dienenden philosophischen Überzeugungen oder mythischen Überlieferungen. Mit solchen Ansichten über die Völker hörte Paulus nicht auf, Israelit zu sein, auch wenn sie für manche Juden seiner Zeit nur schwer nachvollziehbar erschienen oder gar zu bekämpfen waren, ebenso wenig wie mit seiner Überzeugung, dass die Gegenwart Endzeit ist, weil Gottes Geist in ihr gegenwärtig ist. Umgekehrt: Gerade Paulus ist ein Beleg, ist Zeuge für eine von vielen jüdischen Möglichkeiten seiner Zeit, die Grenzen Israels neu zu ziehen, man könnte auch sagen, neu zu verhandeln, zur Debatte zu stellen. Und er hatte seine Gründe dafür, wie wir noch sehen werden. Aber zuvor fragen wir: 20
1Kor 12,2f. Vgl. dazu TERENCE L. DONALDSON, Paul and the Gentiles. Remapping the Apostle’s Convictional World, Minneapolis 1997, 51–78. 22 Diese biblisch-jüdischen Überlieferungen spielen eine wichtige Rolle für die so genannte ‚Paul within Judaism‘-Perspektive; vgl. dazu ausführlicher Niebuhr, NIEBUHR, Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit (Anm. 12), 25–36. 23 Vgl. Röm 15,9–12. 21
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Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute
1.3 Und heute? „Who is a Jew?“, das war und ist eine kontrovers diskutierte Frage zunächst einmal unter Juden. Aber die Frage „Was ist mit Israel?“ geht auch Christen, geht auch die Kirche etwas an. Die Kirche, die Christen können nicht von Israel lassen, wenn sie dem Neuen Testament und ihrem Glauben an Jesus Christus treu bleiben wollen. Aber sie können und müssen – theologisch geurteilt – aus der Perspektive ihres christlichen Glaubens von Israel reden, nicht bloß in historischer und auch nicht nur in politischer Perspektive. Das müssen sie auch, sowohl angesichts der Fachgeschichte der Theologie, speziell der Bibelwissenschaften, als auch in politischer Verantwortung angesichts immer wieder aktueller antisemitischer Tendenzen. Dass dies gerade an einer Theologischen Fakultät wie der in Jena unvermeidlich ist, sollte jedem Theologiestudenten hier irgendwann einmal im Laufe seines Studiums begegnen. 24 Aber theologisch mindestens ebenso wichtig, meines Erachtens noch wichtiger ist die Einsicht, dass er oder sie ein Israel-Bewusstsein für den christlichen Glauben entwickelt. Und das können wir von Paulus lernen. Wenn er sagt: „Ich bin Israelit“, dann redet er nicht von seiner jüdischen Geburt – das könnten wir nicht mit ihm mitsprechen, sondern von seiner Identität als einer, der an Jesus Christus glaubt und der das Evangelium von Jesus Christus verkündigen will, und das tun und wollen wir heute als Christen doch auch. Paulus, der antike Jude seiner Zeit, wird so zum Apostel Jesu Christi, des Messias Israels, für alle Zeit und auch für unsere Zeit. Und er hört damit eben nicht auf, Israelit zu sein. So ist er in bester Gesellschaft nicht nur mit allen Jüngern Jesu – übrigens auch mit so gut wie allen Gegnern Jesu, abgesehen von Pilatus – sondern ebenso mit so gut wie allen Autoren des Neuen Testaments. Das ganze Neue Testament ist voll von solchen Israeliten wie Paulus, und ohne alle diese Israeliten gäbe es gar kein Neues Testament und auch keine Kirche!
24
Vgl. zu dem durch den Neutestamentler Walter Grundmann von Jena aus gegründeten „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ CHRISTOPHER SPEHR /HARRY OELKE (Hg.), Das Eisenacher ‚Entjudungsinstitut‘. Kirche und Antisemitismus in der NS-Zeit, AZKG 82, Göttingen 2021; ROLAND DEINES/VOLKER LEPPIN/KARL-WILHELM NIEBUHR (Hg.), Walter Grundmann. Ein Neutestamentler im Dritten Reich, AKThG 21, Leipzig 2007, sowie KARL-WILHELM NIEBUHR, Walter Grundmann: Neutestamentler und Deutscher Christ, in: HANS-JOACHIM DÖRING/MICHAEL HASPEL (Hg.), Lothar Kreyssig und Walter Grundmann. Zwei kirchenpolitische Protagonisten des 20. Jahrhunderts in Mitteldeutschland, scripturae 4, Weimar 2014, 28– 46.117–121; DERS., Das Eisenacher „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ und das Wirken Walter Grundmanns nach 1945, Konferenzbeitrag zur Tagung „Evangelische Kirchen und Politik in Deutschland – Konstellationen im 20. Jahrhundert“, Wittenberg 25.–27. August 2021 (im Druck).
2. Paulus, der Sklave Jesu
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2. Paulus, der Sklave Jesu
2. Paulus, der Sklave Jesu Als Israelit nennt sich Paulus nun im Römerbrief „Sklave Jesu Christi“. So stellt er sich mit seinen ersten Worten den Briefadressaten vor, von denen die meisten ihn persönlich noch nicht kannten, die aber alle ein klares Bild davon hatten, was ein Sklave ist, ein δοῦλος. Was bedeutet das im Römerbrief, im Judentum seiner Zeit und heute? Kann man als Israelit zugleich „Sklave Jesu“ sein, und zwar im Judentum zur Zeit des Paulus? Er offenbar schon. Aber was bedeutet das für uns? Sehen wir zunächst wieder im Römerbrief nach. 2.1 Im Römerbrief Die Eingangspassage des Römerbriefes, das Präskript, haben wir in dieser Vorlesung von Anfang an und immer wieder beleuchtet: Paulus, Sklave des Messias Jesus, berufener Apostel, ausgesondert für das Evangelium Gottes, das er (Gott) vorherverheißen hat durch seine Propheten in heiligen Schriften seinen Sohn betreffend, der aus der Nachkommenschaft Davids entstanden ist dem Fleisch nach, und der eingesetzt wurde zum Sohn Gottes in Kraft dem Geist der Heiligung nach von der Auferweckung der Toten her, Jesus Christus, unseren Herrn (betreffend), durch welchen wir empfangen haben Begabung und Sendungsauftrag, um Glaubensgehorsam unter allen Völkern für seinen Namen zu schaffen, zu denen auch ihr als Berufene Jesu Christi gehört, an alle, die in Rom sind, die Geliebten Gottes, die berufenen Heiligen, Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. (Röm 1,1–7)
Das ist einer dieser typischen Ich-Texte im Römerbrief, die für seine Wirkungsgeschichte so entscheidend waren, auch wenn Paulus in der Wir-Form spricht. Auch im Philipperbrief nennt er sich im Präskript Sklave Christi, dort zusammen mit Timotheus, und auch einmal im Galaterbrief. 25 Aber im Römerbrief ist seine Selbstvorstellung am ausführlichsten, und nur hier zeigt sich auch ein Zusammenhang mit seiner Identität als Israelit. Die Struktur des Römerbrief-Präskripts ist gut erkennbar: Der Briefautor nennt sich selbst im Nominativ, die Adressaten im Dativ, und er schließt mit einem Gruß. Eingeklammert und im Zentrum zusammengehalten sind die sieben Verse durch ein dreifach wiederholtes Christusbekenntnis. Das Bekenntnis zum „Herrn“ (κύριος) Jesus in der Mitte und am Schluss bildet den Kontrapunkt zum „Sklaven (δοῦλος) Jesu Christi“ am Anfang.
25
Gal 1,10.
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Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute
Παῦλος,
δοῦλος Χριστοῦ Ἰησοῦ, κλητὸς ἀπόστολος, ἀφωρισμένος εἰς εὐαγγέλιον θεοῦ, ὃ προεπηγγείλατο διὰ τῶν προφητῶν αὐτοῦ ἐν γραφαῖς ἁγίαις περὶ τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ τοῦ γενομένου ἐκ σπέρματος Δαυὶδ κατὰ σάρκα, τοῦ ὁρισθέντος υἱοῦ θεοῦ ἐν δυνάμει κατὰ πνεῦμα ἁγιωσύνης ἐξ ἀναστάσεως νεκρῶν
Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ κυρίου ἡμῶν, διʼ οὗ ἐλάβομεν χάριν καὶ ἀποστολὴν εἰς ὑπακοὴν πίστεως ἐν πᾶσιν τοῖς ἔθνεσιν …, ἐν οἷς ἐστε καὶ ὑμεῖς κλητοὶ Ἰησοῦ Χριστοῦ,
πᾶσιν τοῖς οὖσιν ἐν Ῥώμῃ, ἀγαπητοῖς θεοῦ, κλητοῖς ἁγίοις, χάρις ὑμῖν καὶ εἰρήνη ἀπὸ θεοῦ πατρὸς ἡμῶν καὶ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ. Paulus, Sklave des Messias Jesus, berufener Apostel, ausgesondert für das Evangelium Gottes, das er (Gott) vorherverheißen hat durch seine Propheten in heiligen Schriften seinen Sohn betreffend, der aus der Nachkommenschaft Davids entstanden ist dem Fleisch nach, und der eingesetzt wurde zum Sohn Gottes in Kraft dem Geist der Heili gung nach von der Auferweckung der Toten her,
Jesus Christus, unsern Herrn (betreffend), durch welchen wir empfangen haben Begabung und Sendungsauftrag, um Glaubensgehorsam unter allen Völkern für seinen Namen zu schaffen, zu denen auch ihr als Berufene Jesu Christi gehört,
an alle, die in Rom sind, die Geliebten Gottes, die berufenen Heiligen, Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Die Eigenart, die Identität dieses speziellen Sklaven Paulus, ergibt sich also, stärker noch als aus sozialgeschichtlichen Rahmenbedingungen, aus der Eigenart seines Herrn, des κύριος Jesus, dem er sich unterordnet. Es ist nämlich der, von dem jeder weiß (jedenfalls bei den Adressaten in Rom), dass er erst vor kurzem von den Römern in Jerusalem gekreuzigt wurde, als Provinziale geringen Standes, ein potentieller Unruhestifter, wahrscheinlich aus religiösen Motiven – wer kann das schon so genau unterscheiden am Rande des Imperium Romanum. Das soll also der Herr sein, dem sich der römische Bürger Paulus als Sklave unterordnet. Eine Zumutung für die Briefempfänger in Rom!
2. Paulus, der Sklave Jesu
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Der Grund dafür liegt für Paulus darin, dass er genau in diesem Jesus seinen Lebensinhalt gefunden hat, seinen Auftrag und sein Schicksal. Jesus Christus ist der Inhalt ‚seines‘ Evangeliums, der Botschaft, die zu verkündigen er sein ganzes Leben gewidmet hat – das schwingt auch im Römerbrief-Präskript mit („ausgesondert für das Evangelium Gottes“). Aber wichtiger noch für seine Identität als Israelit: Dieses Christus-Evangelium hat Gott „vorherverheißen durch seine Propheten in heiligen Schriften“. Es steht also sozusagen im Sprechakt der Verheißung im Alten Testament, und es betrifft den Sohn aus der Nachkommenschaft Davids, den Gott als endzeitlichen Herrscher über Israel einsetzen will. In Römer 9–11 knüpft Paulus an diese Verheißungen an und buchstabiert sie noch einmal durch, weil er es nicht dabei belassen kann, dass „nicht alle aus Israel Israel sind“, da ja doch von Israel „der Christus seiner leiblichen Herkunft nach abstammt, der über alles gepriesen sei als Gott in Ewigkeit“. 26 Dass Paulus im ganzen Römerbrief immer wieder so eindringlich von sich selbst spricht, hängt also mit beidem zusammen, mit seiner Identität als Israelit wie mit seiner Berufung zum Apostel des Evangeliums von Jesus Christus. Dass er dieses Evangelium gerade den Nicht-Israeliten, den ‚Heiden‘, zu verkündigen hat, bestimmt nicht nur seine Wege als Missionar durch weite Teile der antiken Mittelmeerwelt, sondern auch den aktuellen Moment und die konkreten Absichten, die er im Römerbrief verfolgt. 27 Auch dies haben wir in der Vorlesung ausführlich herausgearbeitet – Stichwort Textpragmatik – und es zeigt sich auch schon im Präskript. Denen in Rom tritt Paulus als den „Berufenen Jesu Christi“ entgegen. Mit ihnen möchte er in geistlichen Austausch treten, um sie an seinen missionarischen Projekten bis nach Spanien hin zu beteiligen, mit Geld und Gebet. 28 Die ganze Ökumene will er so erreichen und mit dem Evangelium bekannt machen – für einen Sklaven ein ziemlich ambitioniertes Projekt, für einen jüdischen Sklaven allemal. 2.2 Im Judentum seiner Zeit Dass der Messias Israels Sklaven halten würde, war in den Zukunftserwartungen Israels, soweit wir sehen, nicht vorgesehen. Aber so manches, was die frühen Christen von ‚ihrem‘ Messias Jesus glaubten und wussten, war da nicht vorgesehen, etwa, dass er Kranke heilen würde oder Gleichnisse erzählen, sich mit „Zöllnern und Sündern“ abgeben oder gar mit Prostituierten, und schon gar 26
Röm 9,5. Vgl. zu den Abfassungsbedingungen und -zielen des Römerbriefes TRAUGOTT HOLTZ, Die historischen und theologischen Bedingungen des Römerbriefes, in: DERS., Exegetische und theologische Studien. Gesammelte Aufsätze II, hg. v. KARL-WILHELM NIEBUHR, ABIG 34, Leipzig 2010, 127–148; ALEXANDER J. M. WEDDERBURN, The Reasons for Romans, Edinburgh 1991. 28 Vgl. den brieflichen Rahmen, Röm 1,8–15; 15,14–33. 27
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Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute
nicht, dass er von den Römern in Jerusalem ans Kreuz geschlagen und von seinen Anhängern wenig später als Auferstandener verehrt werden würde. Es gab also mancherlei Gründe, warum jüdische Zeitgenossen dem Paulus bestreiten konnten, dass er wirklich den Messias Israels meint, wenn er sich zum Sklaven Jesu macht. Und trotzdem hat Paulus immer daran festgehalten, dass er gerade als Sklave Jesu Christi keinem anderen Gott dient als dem Gott Israels. Die christologischen, ekklesiologischen und eschatologischen Voraussetzungen und Konsequenzen der Vorstellungen des Paulus von Jesus als Messias Israels wären jetzt im Einzelnen zu diskutieren und in den Zusammenhang zeitgenössischer, also frühjüdischer Texte zu stellen. Das ist hier nicht möglich. 29 Die Konturen des Gesamtbildes, die sich dabei abzeichnen, dürften darauf hinauslaufen, dass der Messias des Paulus zwar neu und anders aussieht als alle anderen Messiasse seiner Zeit, aber dass er damit noch lange nicht ‚unjüdisch‘ ist. 30 Vielmehr trägt Paulus mit seinem ganz speziellen Messias-Bild, das von seinem Wissen um Jesus, dessen Wirken, Weg und Geschick, bestimmt ist, einen neuen Zug in das jüdische Messias-Bild seiner Zeit ein, besser: in die zahlreichen jüdischen Messias-Bilder seiner Zeit. Wie der Messias Israels auszusehen hat, lässt sich nicht aus den ‚messianischen Texten‘ der Schriften Israels ableiten, sondern ergibt sich erst im und aus dem Glauben derer, die in einem Menschen ihrer Zeit den Messias erkennen und bekennen. Das ist gut jüdisch gedacht, und genauso gut jüdisch hat auch Paulus gedacht, als er denen, die vor ihm zum Glauben gekommen waren, folgte und in Jesus, dem kürzlich von den Römern Gekreuzigten, den Messias Israels erkannte. Paulus lässt sich also nicht irgendwo im breiten Spektrum bekannter frühjüdischer Messiaserwartungen mehr oder weniger passend einordnen, er bereichert, ja, verändert als Israelit unser Bild vom Judentum seiner Zeit. 2.3 Und heute? Aus theologischen Gründen darf es nach meiner Überzeugung auch heute keinen ‚christologischen Besitzverzicht‘ zugunsten Israels geben. 31 Dieser Begriff 29 Vgl. zur Einführung MARTIN KARRER, Jesus Christus im Neuen Testament, GNT 11, Göttingen 1998, 36–40; REINHARD FELDMEIER/HERMANN SPIECKERMANN, Menschwerdung, Tübingen 2018, 219–236. 30 Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Jesus, der Israelit. Die Menschlichkeit Jesu im Zusammenhang der paulinischen Christologie, in: JENS HERZER/ANNE KÄFER/JÖRG FREY (Hg.), Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage. Der zweite Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Gespräch zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik, UTB 4903, Tübingen 2018, 85–101; DERS., Jesus Christus und die vielfältigen messianischen Erwartungen Israels. Ein Forschungsbericht, JBTh 8, 1993, 337–345. 31 Der Begriff wird in der Regel auf den systematisch-theologischen Ansatz von Friedrich-Wilhelm Marquardt bezogen, findet sich aber, soweit ich sehe, nicht in dessen Christologie, vgl. FRIEDRICH-WILHELM MARQUARDT, Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem
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spielte einmal eine gewisse Rolle in der Frühzeit des christlich-jüdischen Dialogs, als es darum ging, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Kirchen in ihrer Geschichte Schuld gegenüber dem Judentum auf sich geladen haben. Um überhaupt mit Juden wieder in ein theologisch relevantes Gespräch zu kommen, hatten manche seinerzeit vorgeschlagen, das Christusbekenntnis der Kirche erst einmal zurückzustellen und stattdessen über die geschichtliche Verwurzelung Jesu und des Urchristentums im Judentum zu sprechen. In der neutestamentlichen Wissenschaft entzündete sich später eine scharfe Debatte an einem Beschluss der Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“ (1980). 32 So verständlich manche dieser Bemühungen seinerzeit auch waren und so richtig es ist, dass Jesus Christus weder der Kirche noch den Christen gehört – aber wenn er ihnen nicht gehört, dann können sie auch nicht auf ihn verzichten! Jedenfalls darf das Christusbekenntnis nicht zur Verhandlungsmasse im christlich-jüdischen Dialog werden, auch nicht im interreligiösen Dialog oder im Gespräch mit konfessionslosen Zeitgenossen. 33 Wenn einer die theologische Last verspürt hat, die mit dem Christusbekenntnis verbunden sein kann, wenn es Juden oder Nichtjuden gegenüber zu vertreten ist, dann wohl Paulus. Insofern ist die Sklaven-Metapher, die er für sich verwendet, auch in ihrem sozialgeschichtlichen Sinn nicht ganz unpassend. Dass Paulus darüber nicht zum Verächter Israels geworden ist, zeigt der Römerbrief. Paulus hat hier Jesus Christus gerade nicht verschwiegen, weder seinen jüdischen noch seinen nichtjüdischen Gesprächspartnern, sondern hat ihn in die Mitte gestellt. Er hat in dem auferstandenen Gekreuzigten den in den Schriften Israels bezeugten Messias gesehen, 34 der andern Lasten abnimmt, sie Juden. Eine Christologie, Bd. 1, München 1990 (dort auch „Ein Gang durch den Römerbrief“, der mehr als ein Drittel des ganzen Buches umfasst, a.a.O., 180–297). 32 Sie ist dokumentiert bei EDNA BROCKE/JÜRGEN SEIM (Hg.), Gottes Augapfel. Beiträge zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden, Neukirchen-Vluyn 1986. Mit besonderer Schärfe hatte sich dazu geäußert ERICH GRÄSSER, Christen und Juden. Neutestamentliche Erwägungen zu einem aktuellen Thema, in: DERS., Der Alte Bund im Neuen. Exegetische Studien zur Israelfrage im Neuen Testament, WUNT 35, Tübingen 1985, 271– 289. 33 Eine differenzierte Position zur Bedeutung der Christologie im christlich-jüdischen Gespräch hat entwickelt PETER VON DER OSTEN-SACKEN, „Durch Jesus Christus“. Ansätze eines Christusverständnisses, das Israel achtet und bejaht, in: DERS., Der Gott der Hoffnung. Gesammelte Aufsätze zur Theologie des Paulus, SKI.NF 3, Leipzig 2014, 539–553. Aus systematisch-theologischer Perspektive vgl. dazu jetzt CHRISTIAN DANZ, Jesus von Nazareth zwischen Judentum und Christentum. Eine christologische und religionstheologische Skizze, Tübingen 2020; DERS./KATHY EHRENSPERGER/WALTER HOMOLKA (Hg.), Christologie zwischen Judentum und Christentum. Jesus, der Jude aus Galiläa, und der christliche Erlöser, Tübingen 2020. 34 Anders hatte mein Vorgänger auf dem Lehrstuhl für Neues Testament in Jena, NIKOLAUS WALTER, Zur theologischen Problematik des christologischen ‚Schriftbeweises‘ im
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Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute
sich selbst auflädt und sie trägt, für uns, für die Heiden, für Israel. Am Ende seiner Nachzeichnung der verschlungenen Wege Gottes durch die Geschichte und Gegenwart Israels im Licht des Christusgeschehens schreibt er: Deshalb nehmt einander an, wie auch Christus euch angenommen hat zur Herrlichkeit Gottes. Ich behaupte nämlich, dass Christus zum Diener der ‚Beschneidung‘ geworden ist aufgrund der göttlichen Wahrheit, um die Verheißungen an die Väter festzumachen, während die Völker Gott für sein Erbarmen preisen sollen. (Röm 15,7–9)
3. Paulus, der Verkündiger des Evangeliums
3. Paulus, der Verkündiger des Evangeliums Damit sind wir wieder bei Paulus, dem Verkündiger des Evangeliums. Im Römerbrief mehr als in anderen seiner Briefe verbindet er seinen Missionsauftrag mit seiner persönlichen Identität als Israelit und mit dem Inhalt seiner Botschaft, dem Evangelium von Jesus Christus. Deshalb können wir uns im dritten und letzten Teil dieser Vorlesung kurzfassen. Vieles wurde schon gesagt. Aber was diese Verbindung für die Verwurzelung des Paulus im Judentum seiner Zeit und für heute bedeutet, wollen wir nun noch einmal kurz zusammenfassen. 3.1 Im Römerbrief Ziemlich ausführlich geht Paulus im Briefeingang und im Briefschluss auf seine Missions- und Reisepläne ein. Die geographischen Räume, die er dabei berührt, sind atemberaubend. Sie reichen von Jerusalem bis nach Spanien, umfassen also den gesamten Mittelmeerraum, und zwar nicht als fiktive Konstruktion, sondern als konkrete Reiseplanung im Blick auf die vergangenen und die kommenden Jahre, die Paulus noch vor sich liegen sieht. All diese riesigen Räume im Römischen Reich rechnet er zu seinem Missionsgebiet, und mit der Hälfte, so behauptet er, sei er schon fertig. „Von Jerusalem aus und Umgebung bis nach Illyrien“ habe er „das Christus-Evangelium erfüllt“, so dass er „nun keinen Platz mehr in diesen Gegenden“ habe und deshalb demnächst nach Rom kommen und von da aus weiter nach Spanien reisen wolle. 35 Aber zuvor muss Neuen Testament, NTS 41, 1995, 338–357, akzentuiert, der an bestimmten Stellen des Neuen Testaments einen „schrifttheologischen ‚Besitzverzicht‘“ (a.a.O., 344) einforderte. Allerdings sollte damit die christologische Interpretation alttestamentlicher Texte im frühen Christentum nicht „pauschal als illegitim gebrandmarkt werden“, sondern „der kritische Punkt ist … da erreicht, wo die christliche Kirche bzw. christliche Leser des Alten Testaments für sich selbst – und das heißt: für den Glauben an Jesus Christus – das Alte Testament in einer Weise in Anspruch nehmen, die für Israel als den eigentlichen, ursprünglichen ‚Besitzer‘ der ‚Schriften‘ nichts mehr übrig läßt, so daß also Israel vom eigenen Gebrauch seiner ‚Schriften‘ ausgeschlossen würde“ (a.a.O., 354). Abgesehen von der Wendung, wonach Israel ‚Besitzer‘ seiner Schriften sei, kann ich mich dieser Intention gut anschließen. 35 Röm 15,19–24.
3. Paulus, der Verkündiger des Evangeliums
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er noch schnell nach Jerusalem, so schreibt er aus Korinth nach Rom, um dort die Geldsammlung abzuliefern, die er im Rahmen seiner zahlreichen Reisen durch Kleinasien, Mazedonien und Achaia organisiert hat. Da sage noch einer, Mobilität oder Globalisierung seien etwas Neues! 36 Für uns entscheidend ist, dass alle diese Reisen für Paulus ein einziges Ziel haben, nämlich, das Christus-Evangelium zu verkündigen, „Glaubensgehorsam unter allen Völkern für seinen Namen zu schaffen“, wie er im Briefeingang sagt. 37 Deshalb will er unbedingt nach Rom, nicht, weil das die Hauptstadt des Imperium Romanum ist, sondern weil er die Unterstützung der römischen Gemeinden braucht, um in Spanien weiter zu missionieren. Denn ich bin Schuldner bei Griechen wie bei Barbaren, bei Weisen wie bei Toren, so wie es mein Vorhaben ist, auch euch, denen in Rom, das Evangelium zu verkündigen. (Röm 1,14f.)
Die römische Hauptstadt als Zwischenstation, als Mittel zum Zweck, das mag manchen in Rom etwas hoch gegriffen erschienen sein. Vielleicht gibt sich Paulus auch deshalb im Römerbrief so viel Mühe, seine Anliegen theologisch zu begründen. Theologie und Mission, Konfliktbearbeitung und Exegese, Geist und Geld gehören für den Christus-Verkündiger Paulus zusammen. Das kann man nirgendwo so deutlich sehen wie im Römerbrief. Und dass er sich dafür nicht schämt, sagt er gleich am Anfang. 38 3.2 Im Judentum seiner Zeit Die geopolitischen Dimensionen, die Paulus in Römer 15 anklingen lässt, decken sich weitgehend mit denen der griechischsprachigen jüdischen Diaspora in römischer Zeit, jedenfalls, wenn man Ägypten und die Cyrenaika abzieht und dafür den lateinischsprachigen Westen mit Spanien hinzurechnet. Sehr viele weitere Kennzeichen im Römerbrief und in der paulinischen Mission insgesamt unterstreichen diesen weitgehend deckungsgleichen politischen und kulturellen Kontext, etwa die Konzentration auf größere Städte und Zentren mit spezifisch römisch geprägter Zivilisation, die souveräne Benutzung der griechischen Koine, die Integration hellenistischer Gattungen und Bildungsinhalte, die Benutzung der Schriften Israels in griechischer Übersetzung, die Anpassung der Weisungen und Grundsätze der Tora an die Herausforderungen der hellenistisch-römischen Welt. In all diesen Hinsichten ist Paulus ein durchaus typischer Diasporajude. Ist er es auch als Verkündiger des Christus-Evangeliums an „Griechen und Barbaren“ in Rom und sonst wo in der römischen Welt? Ja und nein. Er ist ein 36
Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Der Römerbrief in ökumenischer Perspektive. Zum theologischen Werk von Eduard Lohse, ZThK 115, 2018, 1–26: 12–17 [in diesem Band 373–397]. 37 Röm 1,5. 38 Röm 1,16f.
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typischer Diasporajude, wenn er die realen und ideellen Transportwege kultureller und religiöser Güter von Ost nach West nutzt, um seine Botschaft an den Mann und (im religiösen Bereich besonders erfolgreich) an die Frau zu bringen. Er ist es auch, wenn er Anknüpfungspunkte zwischen ethischen Werten der Tora in ihrer hellenistischen Rezeption und den zunehmend ethisch zugespitzten Grundzügen antik-römischer Philosophie sucht. Er ist es ebenso, wenn er die religiösen Tendenzen griechischer Philosophie, die in der Stoa und im Platonismus seiner Zeit dominieren, aufnimmt und weiterführt, wie es ganz ähnlich hellenistisch-jüdische Autoren seiner Zeit getan haben. 39 Er ist es weniger dort, wo er die endzeitliche Relevanz seiner Verkündigung dezidiert in den Mittelpunkt stellt. Das taten zwar bestimmte jüdische Gruppen seiner Zeit auch, aber nicht so sehr solche in der Diaspora (Ausnahmen wie die Sibyllinischen Orakel bestätigen die Regel). Und er ist es am wenigsten, wenn er unter Berufung auf Jesus Christus und den Glauben an ihn die Grenzen zwischen Juden und Nichtjuden in seinen Gemeinden programmatisch einreißt, ohne die Unterschiede zwischen beiden zu verwischen. Eine ‚Mission‘ von Nichtjuden mit dem Ziel ihrer vollen Integration in eine neue religiöse Gemeinschaft gab es im Diasporajudentum wohl nicht. Sie aber war für Paulus Antrieb und Leitbild für alle missionarischen und gemeindeorganisatorischen Aktivitäten und auch für die theologischen Argumentationen in seinen Briefen. 3.3 Und heute? „Ich schäme mich nicht für das Evangelium.“ Das stellt Paulus seiner Selbstvorstellung mit der Verkündigung von Jesus Christus im Römerbrief voran. „Ich schäme mich nicht für das Evangelium, denn es ist Gottes Kraft zur Rettung für jeden, der glaubt.“ Ich glaube, diese Haltung des Paulus, die ihn im Römerbrief zu unbestritten großen theologischen Leistungen befähigt hat, kann auch Leitbild sein für die theologische Ausbildung von Studentinnen und Studenten in Deutschland im 21. Jh. Damit solche Ausbildung aber mehr vermittelt als lediglich eine Haltung, braucht sie nach meiner Überzeugung nach wie vor akademisches Niveau. Die intellektuellen Anforderungen, denen Pfarrerinnen und Religionslehrer heute begegnen, in Schulen, Kirchengemeinden, Kommunen, öffentlichen Institutionen, Unternehmen, lassen sich nicht mit Haltungen allein bewältigen, seien sie religiös, politisch oder gesellschaftlich noch so nachvollziehbar. Der Maßstab, den Paulus setzt für die geistige Bearbeitung und Bewältigung dessen, was seiner Überzeugung und seinem Glauben nach mit Jesus Christus in die Welt gekommen ist, darf nicht unterboten werden, 39
Vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Biblische Weisheit und griechische Philosophie in der frühjüdischen Literatur, in: DERS., Tora und Weisheit. Studien zur frühjüdischen Literatur, WUNT 466, Tübingen 2021, 101–148; DERS., Jakobus und Paulus über das Innere des Menschen und den Ursprung seiner ethischen Entscheidungen, NTS 62, 2016, 1–30: 27– 30.
3. Paulus, der Verkündiger des Evangeliums
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wenn die Theologie weiter einen Platz an der Universität in Anspruch nehmen will und wenn die Kirchen auch heute noch eine Stimme in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit beanspruchen wollen. Martin Luther hat unter Berufung auf Paulus das Evangelium von Jesus Christus in die Mitte von Theologie und kirchlichem Leben gestellt, zu seiner Zeit auch in die Mitte des gesellschaftlichen Lebens. Die Folgen sind bis heute unübersehbar, nicht nur im Jahr 2017. Die Predella des Cranach-Altars in der Stadtkirche St. Marien in Wittenberg macht sichtbar, was Verkündigung des Evangeliums nach dem Maßstab des Paulus heute bedeuten kann: Christus in der Mitte. Die eine Hand des Predigers – er trägt unverkennbar die Züge Martin Luthers – weist auf die Schrift, die andere auf den Gekreuzigten. Die Hörer, Frauen, Männer, Kinder, Babys, ebenso wie der Prediger, verharren aber mit ihren Blicken nicht bei dem Gekreuzigten. Der Prediger schaut auf uns, die Hörer schauen nach oben. Der Blick auf den gekreuzigten Christus ist kein Blick zurück, für Paulus nicht, für Luther nicht. Es ist ein Blick nach vorn, ins volle Leben, das vor uns liegt, so wie es vor Paulus lag, als er den Römerbrief schrieb. Der Römerbrief, wie alle Texte der Bibel, ist ein offener Text, der uns als Leser braucht, wenn er sinnvoll werden soll, der seine Adressaten sucht von Anfang an, durch alle Zeiten seiner Auslegungsgeschichte hindurch bis heute.
Predella des Cranach-Altars in der Stadtkirche St. Marien in Wittenberg
Nachweis der Erstveröffentlichungen 1. Einführung: Paulus im Judentum seiner Zeit. Der Heidenapostel aus Israel in neuer Sicht unveröffentlicht
2. Das jüdische Gesetz bei Paulus im Kontext des Neuen Testaments unveröffentlicht
3. Offene Fragen zur Gesetzespraxis bei Paulus und seinen Gemeinden. Sabbat, Speisegebote, Beschneidung in: BThZ 25, 2008, 16–51 (Wichern-Verlag).
4. The Pre-Christian Paul and God’s Righteousness. Paul’s Jewish Identity and the Roots of His Doctrine of Justification in: Ondrej Prostredník (Hg.), Justification according to Paul. Exegetical and Theological Perspectives, Bratislava 2012, 89–103 (Comenius University Press).
5. „Judentum“ und „Christentum“ bei Paulus und Ignatius von Antiochien in: ZNW 85, 1994, 218–233 (Walter de Gruyter & Co.).
6. Identität und Interaktion. Zur Situation paulinischer Gemeinden im Ausstrahlungsfeld des Diasporajudentums in: Joachim Mehlhausen (Hg.), Pluralismus und Identität, VWGTh 8, Gütersloh 1995, 339–359 (Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus).
7. Jesus, Paul and the Pharisees. Observations on their Commonalities and their Understanding of Torah in: František Ábel (Hg.), The Message of Paul the Apostle within Second Temple Judaism, Lanham 2020, 109–141 (Lexington Books/Fortress Academic).
8. Jesus Christus und der eine Gott Israels. Zum christologischen Gottesglauben in den Paulusbriefen in: Glauben Christen und Muslime an denselben Gott?, FuH 34, 1995, 10–29 (Lutherisches Verlagshaus GmbH Hannover).
9. Christ of Paul’s Story. Jesus Christ – Son of David and Son of God in: Predrag Dragutinović/Tobias Nicklas/Kelsie G. Rodenbiker/Vladan Tatalović (Hg.), Christ of the Sacred Stories, WUNT II/453, Tübingen 2017, 141–154 (Mohr Siebeck GmbH & Co. KG).
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Nachweis der Erstveröffentlichungen
10. Die paulinische Rechtfertigungslehre in der gegenwärtigen exegetischen Diskussion in: Thomas Söding (Hg.), Worum geht es in der Rechtfertigungslehre? Das biblische Fundament der „Gemeinsamen Erklärung“ von katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund, QD 180, Freiburg u.a. 1999, 106–130 (Verlag Herder Freiburg im Breisgau).
11. Das Neue Testament im Kontext jüdisch-hellenistischer Literatur. Röm 1,19–23 als Testfall in: György Benyik (Hg.), The Hellenistic and Judaic Background to the New Testament. 29th International Biblical Conference Szeged 27–29 August, 2018, Szeged 2019, 327– 342 (JATEPress).
12. Menschenbild, Gottesverständnis und Ethik. Zwei paulinische Argumentationen (Röm 1,18–2,29; 8,1–30) in: Matthias Konradt/Esther Schläpfer (Hg.), Anthropologie und Ethik im Frühjudentum und im Neuen Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. Internationales Symposium in Verbindung mit dem Projekt Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (CJHNT) 17.–20. Mai 2012, Heidelberg, WUNT 322, Tübingen 2014, 139–161 (Mohr Siebeck GmbH & Co. KG).
13. Adam’s Sin and the Origin of Death. Paul’s Argument in Rom 5:12–14 in the Light of Jewish Texts from the Second Temple Period in: Studies in Philo in Honor of Gregory Sterling (FS Gregory E. Sterling), hg. v. David T. Runia/Michael B. Cover, SPhiloA 32, Atlanta 2020, 205–225 (SBL Press).
14. „Nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6b). Römer 9–11 als Zeugnis paulinischer Anthropologie in: Florian Wilk/J. Ross Wagner (Hg.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11, WUNT 257, Tübingen 2010, 433–462 (Mohr Siebeck GmbH & Co. KG).
15. Paul, the Israelite, on Israel and the Gentiles at the End of Time. Reflections on Romans 9–11 in: František Ábel (Hg.), Israel and the Nations. Paul’s Gospel in the Context of Jewish Expectation, Lanham 2021, 271–288 (Lexington Books/Fortress Academic).
16. Der Römerbrief in ökumenischer Perspektive. Zum theologischen Werk von Eduard Lohse in: ZThK 115, 2018, 1–26 (Mohr Siebeck GmbH & Co. KG).
17. Paulus im Judentum seiner Zeit – und heute unveröffentlicht
Literaturverzeichnis Aufgenommen wurde nur die im Band zitierte Sekundärliteratur. Abkürzungen richten sich nach Siegfried M. Schwertner, IATG3. Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/Boston 32014. ÁBEL, FRANTIŠEK (Hg.), Israel and the Nations. Paul’s Gospel in the Context of Jewish Expectation, Lanham 2021. – The Message of Paul the Apostle within Second Temple Judaism, Lanham 2020. ADAM, JENS, Paulus und die Versöhnung aller. Eine Studie zum paulinischen Heilsuniversalismus, Neukirchen-Vluyn 2009. ALAND, KURT/MEURER, SIEGFRIED (Hg.), Wissenschaft und Kirche (FS E. Lohse), Bielefeld 1989. AMERSFOORT, JAN/VAN OORT, JAN VAN (Hg.), Juden und Christen in der Antike, Kampen 1990. APPLEBAUM, SHIMON, Jews and Greeks in Ancient Cyrene, SJLA 28, Leiden 1979. – The Legal Status of the Jewish Communities in the Diaspora, in: SHMUEL SAFRAI/ MENAHEM STERN (Hg.), The Jewish People in the First Century. Historical Geography, Political History, Social, Cultural and Religious Life and Institutions, Bd. 1, CRINT 1,1, Assen/Philadelphia 1974, 420–463. – The Organization of the Jewish Communities in the Diaspora, in: SHMUEL SAFRAI/ MENAHEM STERN (Hg.), The Jewish People in the First Century. Historical Geography, Political History, Social, Cultural and Religious Life and Institutions, Bd. 1, CRINT 1,1, Assen/Philadelphia 1974, 464–503. – The Social and Economic Status of the Jews in the Diaspora, in: SHMUEL SAFRAI/ MENAHEM STERN (Hg.), The Jewish People in the First Century. Historical Geography, Political History, Social, Cultural and Religious Life and Institutions, Bd. 2, CRINT 1,2, Assen u.a. 1987, 701–727. AVEMARIE, FRIEDRICH, The Apostolic Decree and the Jewishness of Luke’s Paul. On the Narrative Function of Acts 15:23-29, in: KLAUS-PETER ADAM/FRIEDRICH AVEMARIE/NILI WAZANA (Hg.), Law and Narrative in the Bible and in Neighbouring Cultures, FAT II/54, Tübingen 2012, 373–392. – Heilsgeschichte und Lebensgeschichte bei Paulus, in: JÖRG FREY/STEFAN KRAUTER/ HERMANN LICHTENBERGER (Hg.), Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte in der biblischen Tradition und in der theologischen Deutung, WUNT 248, Tübingen 2009, 357–383. – Israels rätselhafter Ungehorsam. Römer 10 als Anomalie eines von Gott provozierten Unglaubens, in: FLORIAN WILK/J. ROSS WAGNER (Hg.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11, WUNT 257, Tübingen 2010, 299– 320. – Josua. Jesu Namenspatron in antik-jüdischer Rezeption, in: Fragmentarisches Wörterbuch. Beiträge zur biblischen Exegese und christlichen Theologie (FS H. Balz), hg. v. KERSTIN SCHIFFNER/KLAUS WENGST/WERNER ZAGER, Stuttgart 2007, 246–257.
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Stellenregister (Auswahl) Altes Testament (einschließlich Apokryphen) Genesis 1,2–4 1,3 1,27 2,7 2,9 2,17 3,16 3,19 5,3 6,1–4 6,38–54 6,54 11,27–12,4 12,1–3 14,18–20 15,6 17,5 17,9–14 17,12f. 17,12 17,27 18,33 22,3f. 22,17 24,27 34, 13–24 34,14
271 229 309 305, 309 265 304, 318 304 304 281 304 314 314 265, 272 287 60 131 232 107 107, 108 107 165 265 265 232 249 108 108
Exodus 12,3 12,44 12,47 12,48 20,8–11 20,10 20,22 22,27 23,12
83 108 83 108 89, 190 83 83 84 83, 89, 190
25,1 27,19 29,1 29,10 33.13 33,17 33,18–23 34,6 34,10–17 34,13–24 34,15 34,26 34,29–35
83 310 305 305 265 212 212 206 84 108 85 97 212
Levitikus 1,1 3,17 7,22–25 11–15 11 11,1 12,3 12,28–34 16,29–31 17–20 17,8f. 17,10–16 18,6–30 18,19–24 19,18 20,2–7 20,2–6 24,16 24,17–22 27,30
83 97 97 86 97 83 107 188 83 83 83 83, 97, 100 83 87 49, 75, 188 84 83 83 83 86
Numeri 15 15,13–16
83 83
468
Stellenregister
15,22–26 18 18,21 19 19,10b–22 35,30–34
83 97 86 83, 86 83 87
Deuteronomium 1,16 4,19 5,12–15 5,14 6,4 7,3f. 10,16 12 13,2–19 14 15 16,11 16,14 21,22f. 26,11 30,6 32,1–20 32,4 32,5 33,21
83 84 89, 190 83 48f., 188, 204 85 108 79 84 97 97 83 83 214 83 108 206 128 304 249
Josua 5,2–9
108
Richter 5,11
249
1. Samuel 21,2–7
186
2. Samuel 7,12–14 7,14f.
213 206
1. Könige 22,19
211
1. Chronik 29,19
310
Nehemia 9,5–37 9,6 10,32ff. 10,34 13,15-22
350 350 89 86 89
Ester 4,17x 8,17
98 108
Judit 5,6–9 8,6 9,2–4 10,5 12,13 14,10
265 89, 92 108 98 98 108
Tobit 1,10f.
98
1. Makkabäerbuch 1,39 1,43 1,60f. 2,46 3,47 15,16–24 10,34
90 90 108 108 92 152 90
2. Makkabäerbuch 1,24–27 2,17f. 2,23 4,11 4,13f. 4,16f. 5,17–20 6,1–11 6,6 6,10 6,11 6,12 6,16 8,1 8,2f. 8,5 8,27
354 354 136 352 352 352 353 353 90 108 90 353 353 136, 353 353 353 89
469
Stellenregister 13,12 14,37 15,2f.
92 136 90
4. Makkabäerbuch 4,25 108 4,26 136 5,2 98 Psalter (masoretische Zählung) 36,7 249 89,15 128 97,2 128 110 213 110,4 60 130, 8 221 Proverbien 3,34 18,17
141 141
Weisheit Salomos 1,1 1,12–15 1,13 1,14 1,15 1,16–3,10 1,16 2,1–5 2,10f. 2,19f. 2,22 2,23f. 2,23 2,24 3,1–8 3,4 3,13–15 3,16–19 4,1f. 4,1 4,3–5,16 4,3–6 4,7–15 5,1 5,9–13 5,14f. 6,1–8
306, 346 304, 306f. 307 308 306, 308 346 306 306 306 306 306 304, 306f. 308 306–308 306 308 306 306 306 308 346 306 306 306 306 306 346
6,18 6,19 7,1–8,21 7,1 7,5 7,7 7,22 8,2–20 8,13 8,19f. 8,21 9,12f. 9,14f. 9,17 9,18 10,1–5 11,5 12,1 13–15 15,1–3 18,4 19,22
308 308 346 346 346 346 267 346 308 267 346 345 346 345 346 287 345 308 84 345 308 345
Sirach 1–22 14,17 24 24,23 25,24 49,16–18 49,16
247 304 247 247 304 287 304
Joel 3,1–5
404
Micha 6,5
249
Habakuk 2,4
131
Sacharja 7,3–5 8,19 14,16
92 92 165, 232
Jesaja 6,1–7 8,8
211 221
470
Stellenregister
8,10 11,10–16 45,21 45,24f. 49,1–6 52,5 56,1–8 56,6–8 58,13 59,20 66,18–21 66,23
221 232 128 249 211 141 90 232 89 40 232 90
Jeremia 4,4 6,10 9,25
108 108 108
17,19–27
89
Baruch 4,1
304
Ezechiel 1f. 10f. 43,1–5
211 342 342
Daniel 1,8–16 7,9–14 9,16–18 12,1–3
98 211 130, 249 405
Frühjüdische Literatur Qumran Damaskusschrift X 14–12,6 XI 3f.
Loblieder (1QH) XII 35ff. 4,29–37
89 89
250 130
Habakuk-Kommentar (1QpHab) VIII 1–3 129
Pesher Nahum (4QpNah) II 1,9 181
Gemeinderegel (1QS) 11,11–15 130, 250
4Q394–399 (4QMMT) 4Q398, 14 II 129
Genesis-Apokryphon (1QGenAp) 287
Philon von Alexandrien Abr 5 52 60–88 275f. Conf 41 62f.
277 286 269, 286f. 277
305 305
94–98 146f.
265 305
Decal 1 50f. 97f. 106f
277 86 90 86
471
Stellenregister Deus 134
305
Ebr 107–110
265
Fug 12
265
Gig 3
305
Her 97–99
269, 287
18 30–35 69–88 129 134f. 136–139 140f. 142–150 151–172 165 169 170–172
270 271 309 309 305, 309, 323 309 309 309 309 311 304 309
Post 16–21
265
Hyp 7,10–14,20 7,12ff. 7,14
90 156 156
LegAll 1,31f. 1,35 1,60f. 3,97–101
Somn 1,65–67 1,70 2,127
265 265 156
305 311 265 265
LegGai 155–158 156 245 281 311f. 311 312f. 315 316
90 156 152 152 154 153 153 153 153
SpecLeg 1,52 1,170 2,41 2,61–64 2,62 2,260
108 90 90 90 156, 159, 190 90
Virt 212–215 217
269, 287 164
VitCont 34–37 73f.
92 92
VitMos 1,162 2,8–11 2,21f. 2,21 2,22 2,23f. 2,41–44 2,41f. 2,41 2,48 2,211f.
278 278 90 90, 190 89 93, 156 164 156 159 277 89
Migr 91 92
89 158, 191
Mos 2,147
305
Opif 3 4f. 8–10 10
277 271 265 271
472 2,214 2,216 2,263
Stellenregister 89 90, 156 90
QuaestGen 1,51 3,62
305 108, 165
QuaestEx 2,2
158, 191
Flavius Josephus Antiquitates 1,1–26 1,33 1,40–51 1,82 1,154–157 1,155f. 1,159 1,166–168 1,337-341 8,62 11,285 12,47–153 12,119–124 12,119f. 12,120–124 12,125 12,254 12,259 13,171–173 13,257f. 13,288–298 13,288 13,294 13,297 13,318f. 13,400–432 14,185–267 14,213–216 14,216 14,226 14,235 14,242 14,245 14,258 14,263f. 15,3ff. 15,370 16,43
278 90 305 305 286 268 268 84 108 305 108 152 143 98 143 154 108 90 175 108 176 176 176, 179 176 108 176 153 154 156 90 154 90 90 90 90 176 176 90, 156
16,160–178 16,163f. 16,164 16,167f. 16,168 16,172f. 17,41–45 17,41 17,286–294 18,4 18,11–25 18,13–17 18,297 18,408 20,17–53 20,17–48 20,41 20,42ff. 20,139 20,145f.
153 90 156 153 90 153 176 122, 176 116 176 175 198 122 122 195 108 158, 191 181 109 109
Ap 2,20–27 2,39 2,55 2,175 2,282
90 154 156 90, 156 90, 93, 190
De Bello Judaico 1,107–114 1,110 1,571 2,66–71 2,117–166 2,147 2,162–165 2,162 2,166 2,411
176 122, 176 176 116 175 89 198 122 122 176
473
Stellenregister 2,591f. 3,354 5,367 5,375–419 5,412 7,44f. 7,46–62 7,100–111 7,359
98 342, 366 342, 367 342 342, 367 90, 190, 159 143 143 342, 367
Vita 1–6 10–12 12 13f. 20–23 74ff. 189–198 191
176 121 176 98 176 98 176 122
Weitere frühjüdische Schriften Apokalypse Abrahams 1,1.4 267, 285 2,7 267, 285 3,2 267, 285 4,1 267, 285 5,1 267, 285 6,1–4 267 6,2 286 6,3 267, 285 7,6 286 23 304 Aristeasbrief 128f. 139 143–171 180–186 202 235 247 261 294
98 104 98 98, 159 98 98 98 98 98
Artapanos (Historiker) Frg. 3,4 84 Frg. 3,12 84 2. Baruch 13,1 14,10–19 16,1 17,1–3 23,3–5 24,1 48–54
316 316 316 316 317 304, 316 317
55,1–74,4 56,5f.
317 316
4. Esra 3,5–7 3,5 3,7–19 3,20–27 3,21f. 3,25 4,30 6,54–59 7,1–8,3 7,10f. 7,15f. 7,26–44 7,33f. 7,46–48 7,46 7,48 7,60f. 7,63f. 7,68 7,70–87 7,98 7,102–126 8,1.3 8,7–16 8,26 8,31 8,34–36 8,35 8,37–39 8,44 8,45
314 313 313 313 314 313 313 315, 347 315 313, 347 347 347 347 348 131 313, 315 348 315 131 315 315 315 348 348 348 348 249 131, 313 348 348 348
474
Stellenregister
8,55–57 8,61 10,25–27 10,44 11,1–12,34
348 348 348 348 348
1. Henoch 5,9 6,2–10,12 69,6 81,3 104,7
304 304 304 304 304
2. Henoch 30,10 30,17f. 33,10 42,6–14 58,1f.
312 304, 312 304 248 304
Jubiläenbuch 1,1–5 1,14 1,15–18 1,22–25 2 2,21 2,29f. 2,31 2,33 3–11 4,22 5,1–14 6,34–38 7,21–25 11,16f. 12,2–7 24,11 30 30,19–23 50,6–12
247 90 129, 247 129, 248 90 89 89 89 304 287 304 304 90 304 285 266 304 108 304 89
Leben Adam und Evas 7,2 320 9,2 319 10,2 320 13,3–5 320 14,2 319 15,1–26,4 320
28,4 31,1–4 32,1–2 32,2 32,3–42,2 33,2–37,6 38,2–42,2 38,3f. 39,1–3 41,2 42,3–43,3 43,2 43,4
320 318 318 319 318 319 319 319 305, 318, 323 320 318 320 318
Liber Antiquitatum Biblicarum 1–7 287 8,7 108 11,8 89f. 13,8 305 23,5a 265 44,6f. 90 Pseudo-Eupolemos (Historiker) Frg. 1,3f. 265, 268 Frg. 1,3 84 Frg. 1,8 84 Frg. 2 268 Pseudo-Phokylides 105–108 267 Sibyllinische Orakel 3,167–195 340, 365 3,194f. 365 3,218–247 265 3,266–294 340, 365 3,282–294 341, 365 3,545–549 84 3,573–600 341, 365 3,580–583 341, 365 3,601–607 84 3,702f. 341, 365 3,711–713 341, 366 3,715–726 341, 366 3,757 304 3,767–780 366
475
Stellenregister Testamente der zwölf Patriarchen TestAss 2,8 92 4,3 92 TestIss 6,2
351
TestJos 9,2
92
TestJud 23,3
351
TestLev 5,3f. 6,3–7,3
108 108
Neues Testament Matthäus 1,2–17 1,21–23 3,7 4,10 5,17–20 5,18f. 5,21–48 5,27–32 5,32 5,33–37 5,48 6,1–18 6,1–4 7,1–5 7,12 7,24-27 8,19–22 11,2–19 11,12f. 12,1–14 12,7 12,11f. 12,22 12,34 16,1 16,5 16,6 16,11–13 19,1–12 22,36 22,40 23,1–36 23,5–7
405 221 177 49 51f. 45, 52 51f., 183, 188 186 45, 53 53 52 53 186 53 51, 53 46 46 50 45, 50f. 53, 187 51 47 177 177 177 177 177 177 53 48, 51 51 53 46
23,15 23,16–22 23,23–28 23,23 23,25–28 27,62–66 Markus 1,21 1,44 2,13–3,6 2,16 2,18 2,23–3,6 2,23–28 2,23 2,27f. 3,1–6 3,1–5 3,1 6,2 7,1–23 7,1–5 7,2–13 7,3f. 7,8–13 7,8 7,15 7,19 8,11 8,15 10,2–12
181, 195 53 121, 177 46, 51, 53 46 177
55, 223 55 121, 177 177, 181 92 126, 177 47, 49, 186, 229 186 186f. 47, 49 55 55 54, 121, 177 181 177 64, 122 48, 49, 186 122 47, 55, 126, 181, 187 55 121, 177 121, 177 48f., 55, 121, 177, 183, 186, 188
476 10,17–22 10,18f. 11,15–17 12,13–40 12,18–27 12,18 12,26 12,28–34 13,1f. 14,58 Lukas 1f. 1,59 2,1 2,21 2,37 3,23–38 4,5 4,8 6,47–49 7,36 9,57–60 10,26 10,29–37 11,37–44
Stellenregister 48f., 186, 188 55 126 177 177 198 55 48–51, 55, 177, 183, 188 126 126
13,10–17 13,31 14,1–6 14,1 14,5 16,14–18 18,9–14 18,12 21,26 24,13–32 24,44–49
56, 223 191 384 191 92 405 384 49 46 121, 178 46 56 186 46, 64, 121f., 177f., 181 47, 187 121, 178 187 121, 178 47 45f., 50, 55f., 178 178 92 384 56 56
Johannes 1,3 1,24 3,1 4,1 7,22–24 7,32 11,45–57 12,19–42
229 178 178 178 191 178 178 178
18,3
178
Apostelgeschichte 2,36 2,39 5,30 5,34 6f. 6,1–6 6,11 6,13f. 7,56f. 8,1–3 8,26–39 9,1f. 9,11 9,30 10,1–11,18 10,39f. 11,19–26 11,19–21 11,25 11,26 11,28 13,1 13,14–16 13,16–41 13,44–52 13,50 14,2 15,1–35 15,1 15,5 15,29 16,1–3 17,2 17,5–9 17,6 17,11 17,13 17,17 17,31 18,2 18,3 18,4 18,5–7 18,8 18,12–17 18,17
214 143 214 122, 178 56 123 126 126 126 123 56 123 115, 62 115 56 214 142 65 115 142 384 142 156 56 150 242 242 56, 106, 142 111 111, 121, 178 100 107, 159 156 168, 242 384 156 242 156 384 168 9 156 150 168 242 168
Stellenregister 18,19 18,26 19,8 19,27 20,6 20,16 20,19–21 21,25 21,39 22,3–5 22,25–29 23,6–10 23,6 23,8 23,16–22 23,16 24,5 24,15 24,21 26,4–11 26,4f. 26,4 26,5 28,25–28 Römer 1f. 1,1f. 1,3–5 1,3f. 1,3 1,4 1,5 1,6f. 1,8–15 1,8 1,10–17 1,13f. 1,14f. 1,15 1,16f. 1,16 1,17f. 1,17 1,18–3,31
156 156 156 384 156 156 150 100 9, 62, 115 9, 62, 115f., 122f. 9, 116 178, 198 9, 63, 120f., 178 198 115 9 384 198 198 9, 123, 198 116 62 63, 120–122, 178 150
282 43, 215, 255, 335, 388 250 228 72, 224 209, 219, 225, 378 71, 252, 415 388 411 388 71, 401 252 415 388 215, 230, 281, 334f., 358, 387, 415 151, 263, 273, 283, 378 263 131, 249f. 72, 252, 333, 335
1,18–2,29 1,18–32 1,18 1,19–23 1,19f. 1,23 1,25 1,28 1,31 2,1–16 2,7–9 2,14f. 2,17–24 2,25–29 3,1–8 3,1 3,2–4 3,7f. 3,20–31 3,21–26 3,21 3,25f. 3,27–31 3,28 3,29–31 3,30 4,1–25 4,1–12 4,1 4,3 4,9–12 4,9 4,13–25 4,17 4,24 4,25 5,6 5,10 5,12–21 5,12–14 5,14 5,20 6,4 6,15 7,5f.
477 275, 281–283, 334, 390 273, 283f., 334 264, 283, 334 259, 264, 273 72 288f., 294 289 289 301 164, 288, 334 164 72 72, 288 145, 164, 263, 283, 333 253 273, 284, 333, 336 333 233 72, 390 249 43, 72, 127, 215, 255, 378 127, 215 215, 230 6, 245 204, 215, 233, 390 145, 164 73 390 273 127, 131 145, 164f. 131 232, 332 214 332 215 164 224 298, 300–302, 321f. 297f., 300, 320f., 323 307 72 206 164 73, 335
478 7,7–25 7,7–12 7,13–25 7,24 8,1–39 8,1–30 8,1–4 8,1 8,2–17 8,2 8,3–5 8,3f. 8,15f. 8,15 8,17 8,18–25 8,28–30 8,31–39 8,34 8,39 9–11
9,1–5 9,1–3 9,3–5 9,3 9,4f. 9,4 9,5 9,6–29 9,6 9,7–10 9,9–18 9,10–13 9,11–18 9,16 9,19–21 9,20 9,22–29 9,24 9,25–29 9,30–10,21 9,30–10,8 9,30f.
Stellenregister 332 73, 321 73, 401 290, 292 74 275, 281, 290 215 290, 335 291 290 74 214, 224 229 206, 291 291 291 290–292 360 209 360, 403 19, 40, 80, 120, 193, 215, 253, 327– 330, 332, 357, 389, 393 62, 77, 120, 327, 358, 360, 401 327, 362 403 40, 360, 393 368 205 39, 209, 225, 232, 411 330, 360, 368 40, 333, 393, 327, 369, 403 330, 368 369 330 368 331 368 331 359, 368f. 329, 331, 368f., 394 329 329, 331 6, 77, 245 361
9,32 10,1 10,3 10,9–13 10,9 10,13 10,18–21 11,1–32 11,1 11,2–10 11,4 11,5 11,7–15 11,7–10 11,7 11,11–32 11,11 11,12 11,13f. 11,13 11,14 11,15 11,16–24 11,25–32 11,25–27 11,25 11,26f. 11,28 11,29–31 11,29 11,30–36 11,30f. 11,32–36 12,3f. 12,6f. 12,19 13,8–10 13,9 14,1–15,13 14,2 14,5–7 14,15 14,21 15,7–13 15,7–9 15,7
74 358, 361 74, 249 250, 329 209 209, 330, 404 329 331 1, 62, 77, 120, 358, 360, 362, 401–403 369 120 361 362 327 369 359, 369 360 369 391, 401 40, 77, 120, 358, 362 40, 62 369 370 40, 75, 362, 390 254, 370 40, 404 19, 40, 77, 327, 330, 358, 378 40, 232 395 360 330, 368 40 216, 363, 390, 404 285 285 285 75, 183 188 97, 103, 231, 378 97 88, 91f., 190 104 97 19 414 231
479
Stellenregister 15,8f. 15,9–13 15,12 15,14–33 15,19f. 15,22–26 15,25–32 15,25 16,1–3 16,1 16,3 16,21 1. Korinther 1,1 1,7f. 1,10–2,5 1,14 1,18 1,23f. 1,31 2,1–5 2,6–16 5,6–8 7,17–21 7,19 8–10 8,1–3 8,1 8,4 8,6 8,7–13 8,7 8,10 9,1 9,5 9,8–10 9,20f. 10,1–22 10,1–4 10,3 10,16f. 10,25–30 10,31f. 11,21–26 11,23f.
40, 231, 387 232, 407 233 71, 233, 401, 411, 414 233, 388 388 71, 233 233 105 388 168 168
168 209 170 168 216, 228 151, 167, 216, 228 209 163 211, 209, 216 145, 168 105, 107, 164f. 145 96, 101, 168f., 193, 204 204 101, 169, 204 168, 169, 204 169, 204–207., 209, 213, 225, 170 102, 169 96, 101 211 228 168 151 170 168 145 170 96, 102, 170 170 228 127
12,2f. 15,3–5 15,3 15,5–8 15,5 15,7 15,8 15,9 15,10 15,20–28 15,24 15,27 15,28 16,2 16,8 16,19 16,22
163, 204, 209f., 407 127, 219 215 212 228 228 211 30, 43, 63, 125, 228 212 209, 214, 219 206 209 21 88, 168 156 168 209f.
2. Korinther 1,3 1,5 3,1–4,6 3,5f. 3,16 3,18 4,1–6 4,6–10 5,10 5,19 5,21 6,18 11,22f. 11,24–26 11,27 11,31 11,32 12,1–5 12,8 13,4
206 216 168, 211 211f. 211 211 209, 211 216 209 215 249 206 1, 62, 119, 403 151, 161, 164, 242 92 206 124 211 210 216
Galater 1f. 1,2 1,4 1,6–9 1,8 1,10–2,21 1,10
8, 242 138 206 34, 106 162 63, 133f., 137 409
480 1,13f.
1,15–24 1,15f. 1,16f. 1,17 1,18 1,19 1,21 1,22f. 2,1–10 2,2 2,3 2,4f. 2,7 2,9 2,11–14 2,11 2,14 2,15 2,16–21 2,16 2,17 2,20 2,21 3,1–5 3,1 3,6–9 3,6 3,8 3,10–13 3,11 3,20 3,27–29 4,4–7 4,4 4,5 4,6 4,8–20 4,8–10 5,1–12 5,2–6 5,2 5,4
Stellenregister 8, 30, 43, 62f., 123– 125, 133f., 138f., 146 134 138, 211, 214, 242, 251, 279 137, 209, 211, 233, 392 124 124, 228 228 115 30, 116f., 125, 138 34, 106, 135 137 106 111 106, 145 106, 228 33, 95, 135, 142, 192 138 270 233 69 6, 245 233 138, 224 231 70, 111, 162, 406 162, 228 69 131 233 127, 215 131 204 70 209, 214, 219 224, 227–230, 387 230 111, 206 70 88, 93f., 163, 190, 204 94 70, 134, 136 134, 231 145
5,5 5,6 5,9 5,11
6,15 6,16
111 145, 164 145 107, 135, 145, 167, 242 75, 183, 188 111 163 111 134 134, 136 34, 70, 106, 135, 167 145, 164 39
Epheser 2,11 2,16 2,18 3,14 4,6
145 141 206 206 206
5,14 5,16 5,21 5,25 6,11 6,12–16 6,12f.
Philipper 1,27 2,5–11 2,6 2,8 2,9f. 2,11 3,2–11 3,2 3,3 3,5f.
3,8 3,9 3,10 3,18 3,20f. 4,20
111 210 209 167 209 206 175 106, 166 111, 167 1, 9, 30, 62f., 105, 119f., 123, 125, 166, 230, 403 211 6, 245, 249 167, 216 106, 167 167, 209, 216 206
Kolosser 1,12 1,15–20 2,13 2,16f.
206 210 145 190
481
Stellenregister 1. Thessalonicher 1,3 1,4–10 1,4f. 1,9f. 1,10 2,13f. 2,14f. 2,16 3,11 3,13 4,3–8 4,11 4,16f. 1,9
206 161 406 162, 204 164, 209 162 242 164 206 206 162 89 209 176
2. Thessalonicher 2,16
206
Hebräer 7,1–28
8,1–13 9,1–11 9,10f. 9,12–28 10,1 10,16f.
60 60f. 61 61 61 60
Jakobus 1,1 1,16–25 2,1 2,8 2,10–13 2,14–26 4,11f. 5,12
57 58f. 58 58, 188 58 58f. 58 53
Offenbarung 12,10
319
60
Frühchristliche Literatur Eusebius von Cäsarea HistEccl 1,1f. 149 Clemens von Alexandria Stromata V 113 268 Didache 8,1 Ignatiusbriefe Eph 1,2 5,3 9,2 11,2 12,2 18,2 21,2 Magn 4
7 8–10 8,1 8,2 9,2 10,1-3 12 13,2 14
147 145 140 140, 145, 147 140 140, 145f. 141 147 144
Phld 4 5,1f. 6,1 7,1 8,1f. 9,1f. 10,1
147 140, 145 140, 145f. 145 140, 145–147 140, 145, 147 144
Pol 1,2f. 3,2 4,2f.
140 140 140
92
139 141 146 146 144 141 144
146
482
Stellenregister
7 7,2f. 8,1
144 140, 146 140
Röm 2,2 3,2f. 4,3 5,1 7,3 9,1
140 146 144 139 141 144
Sm 1,1f. 5,1 7,2 11
Trall 6,1 8,2 9,1 13,1
146 141 141 144
Hieronymus Ad Philemona 23
116
De Viribus Illustribus 5 116 141 141 141 144
Martyrium des Polykarp 10,1 146
Griechische und römische Literatur Cicero Pro Flacco 28,69 Juvenal Satiren 14,96–106 Martial Epigramme 11,94 Persius Satiren 5,180–184 Petronius Satiren 68,8
154
Platon Theaitetos 182a
310
Timaios 28c
271
Sueton Caes Div Iul 42
154
Tiberius 32,2
90, 190
Tacitus Historien 5,2 5,5
108 10
90, 108, 190f.
191
190f.
191
Autorenregister Ábel, F. 28 Adam, J. 298 Applebaum, S. 150, 152, 154f. Avemarie, F. 56, 74, 81, 221, 361, 388 Avery-Peck, A. J. 5 Bachmann, M. 14, 37, 62, 69, 107, 133, 224, 374 Backhaus, K. 60f. Baltes, G. 77 Bammel, C. P. H. 139f., 143f. Bammel, E. 143, 341, 366 Barclay, J. M. G. 15, 69, 71, 84f., 97f., 103–105, 118, 134, 162, 231, 298, 343, 367, 379 Bates, M. W. 15 Baumbach, G. 175 Baumgarten, A. I. 151 Becker, A. H. 383 Becker, E.-M. 358 Becker, H.-J. 88 Becker, J. 88, 165, 350 Bedenbender, A. 25, 54 Bendemann, R. von 374 Bendik, I. 14, 61 Berger, K. 247, 266, 285 Bergmeier, R. 68f., 71f., 74, 77 Betz, H. D. 53, 95, 228f., 360 Bickerman, E. 142f. Bieringer, R. 233 Billerbeck, P. 260 Bird, M. F. 15, 66, 362, 386, 394 Black, C. C. 301 Blaschke, A. 105, 107, 109–111 Bockmuehl, M. 57, 84, 98, 221, 278 Boer, M. C. de 21, 298 Booth, R. P. 54, 187 Borgen, P. 101, 158, 161–163, 170 Böttger, P. C. 135 Böttrich, C. 66, 248, 275 Bousset, W. 260 Boyarin, D. 5, 25, 63, 384 Brawley, R. L. 55, 150 Breytenbach, C. 85, 388 Brinker, K. 300
Brocke, E. 244, 413 Broer, I. 185 Brown, R. E. 142, 151 Buitenwerf, R. 340, 365 Bultmann, R. 236, 260 Burchard, C. 69, 72, 75 Burtchaell, J. T. 155, 156 Byrskog, S. 188 Campbell, D. A. 15, 280, 406 Campbell, W. S. 27, 280, 358f., 363 Capes, D. B. 209 Carson, D. A. 387 Charlesworth, J. H. 221 Chester, A. 226, 341, 366 Chow, J. K. 170 Chilton, B. 174 Coelfen, H. 300 Cohen, S. J. D. 105, 156-160, 405 Collins, J. J. 105, 157-159, 165f., 222, 340, 365, 406 Colson, F. H. 310 Conzelmann, H. 55, 381-383, 391 Cosgrove, C. H. 134, 162 Cranfield, C. E. B. 209 Croasmun, M. 321 Dabelstein, R. 136, 162 Danz, C. 413 Dautzenberg, G. 45 Davila, J. R. 340 Deines, R. 7, 50–52, 56, 64, 100, 120, 174, 177, 179, 181, 195, 232, 261, 275, 297 Delling, G. 10f., 85, 109, 152f., 155f., 159f., 165, 168, 205 Denis, A.-M. 312, 340, 365 Dietzfelbinger, C. 265 Dillon, J. 277 Dingel, I. 220 Dochhorn, J. 319 Doering, L. 45, 47, 67, 88, 186f., 196 Donahue, P. J. 142
484
Autorenregister
Donaldson, T. L. 15, 27, 29, 32, 64, 69, 109, 165, 232, 239, 264, 279, 363, 386, 407 Donfried, K. P. 103 Driel, E. C. van 229 Dunn, J. D. G. 3, 14, 16, 45, 47, 49, 54, 66, 68, 77, 89, 99, 105, 107, 115, 125, 151, 166, 181, 184, 187, 219, 224, 225, 227f., 232, 237, 239, 298, 300, 374, 383 Eastman, S. G. 73 Ebel, E. 124 Ebner, M. 388 Eck, W. 11 Ego, B. 264 Ehrensperger, K. 5, 25, 413 Elder, N. 304 Elledge, C. D. 175, 198 Elliger, W. 153 Elliott, M. W. 227 Elliott, N. 379 Engberg-Pedersen, T. 281, 289, 292 Engels, D. 153 Eshel, H. 3 Esler, P. F. 95 Feldman, L. H. 85, 109, 157, 158 Feldmeier, R. 104, 311, 412 Fiedler, P. 45 Finn, T. M. 157 Finsterbusch, K. 68, 72, 75, 84 Fitzmyer, J. A. 221 Flury-Schölch, A. 338 Forschner, M. 276 Foster, P. 51 Foster, R. B. 363 Fotopoulos, J. 96 Frankemölle, H. 50, 57 Fredriksen, P. 20, 28–32, 66, 109, 165 Frend, W. H. C. 144 Frerichs, E. S. 149, 151, 221 Frey, J. 8, 10, 12, 14, 15, 20, 28, 36, 62, 69, 105, 107, 110, 115, 117, 375, 385, 406 Fuhrmann, S. 60 Gäbel, G. 59, 61 Gäckle, V. 67, 96f., 102f., 231 Gager, J. G. 29, 157 Gaston, L. 29, 141, 239 Gathercole, S. 15 Gauger, J.-D. 340
Gaventa, B. R. 359 Geffcken, J. 340f., 365 Georgi, D. 233 Gilbert, M. 143 Goldenberg, R. 88, 90 Goodman, M. 84, 149, 158f. Grabbe, L. L. 174f. Grässer, E. 165, 213, 215, 243, 413 Green, W. S. 221 Grindheim, S. 393 Gross, W. 339 Haacker, K. 8, 64, 93, 97, 116, 125, 225, 232, 263, 283, 288, 300 Haag, E. 88 Habicht, C. 352 Hahn, F. 62, 208, 264 Hall, R. 133 Hammann, K. 374 Hansen, G. W. 134, 162 Harb, G. 46 Härle, W. 374 Harnack, A. von 383 Harnisch, W. 313 Harris, M. J. 225 Häusser, D. 228 Hayes, C. 85 Hays, R. B. 232, 244, 363 Heil, C. 45f., 67, 95, 97f., 101, 103 Heither, T. 272 Hellholm, D. 298, 406 Hengel, M. 7f., 10–12, 45f., 49, 53, 62– 66, 85, 100, 105f., 109, 115f., 118, 124f., 137, 142, 150, 154, 173, 183, 185, 187, 208f., 213, 222, 226, 230, 244, 247 Henten, J. W. van 88, 143, 144 Herzer, J. 73, 275 Hester, J. D. 134 Hewitt, T. 223 Hock, R. F. 150 Hoffmann, H. 81 Hofius, O. 69, 73 Holladay, C. R. 84 Hollander, H. W. 350, 351 Hollender, E. 88 Holtz, T. 48, 71, 96, 111, 135, 138f., 161–163, 168f., 183, 211, 213, 225, 228, 282, 331, 337, 393, 411 Holzbrecher, F. 228 Homolka, W. 413 Horbury, W. 152
Autorenregister Horn, F. W. 8, 75f., 99, 105, 109, 111– 113, 224, 228, 233 Horsley, G. H. R. 150 Horsley, R. A. 379 Horst, P. W. van der 84, 152, 157f. Hossfeld, F.-L. 379 Hübner, H. 238, 253, 338, 345 Hulst, A. R. 339 Hultgren, A. J. 300, 360 Hurtado, L. W. 20, 207, 210, 224–226 Huttunen, N. 276 Isaac, B. 3 Jackson-McCabe, M. A. 59 Jacobi, C. 174, 228 Jacobson, H. 305 Jantsch, T. 17 Jewett, R. 263 John, F. 34, 388 Johnson, M. D. 319 Jonge, M. de 350f. Kähler, M. 173 Kaiser, J. 88 Kant, L. H. 152 Karrer, M. 61, 224, 412 Käsemann, K. 238 Kasher, A. 153f. Kasper, W. 376 Kazen, T. 44, Kee, H. C. 155 Kertelge, K. 374 Kim, S. 210, 239 Klaiber, W. 373, 380, 381 Klauck, H.-J. 136, 143, 168f., 276 Klawans, J. 86 Klein, G. 243 Klein, M. 57 Klijn, A. F. 314, 316 Klumbies, P.-G. 203 Knittel, T. 320 Koch, D.-A. 63, 65, 96, 102, 233, 244 Köckert, M. 264 Kollmann, B. 69 Konradt, M. 54, 58, 177, 261, 277, 294, 406 Kooten, G. H. van 276, 280, 292 Körting, C. 88 Kosch, D. 45f. Kraabel, A. T. 137, 152, 153, 155, 157 Kramer, W. 208
485
Kraus, W. 61, 63–65, 110, 126, 232, 244, 253, 327, 329, 331, 336, 338, 363 Krauter, S. 386f. Küchler, M. 276 Laato, T. 15 Labahn, A. 224 Labahn, M. 224 Lambrecht, J. 62, 238 Lampe, P. 150f., 166 Landmesser, C. 19 Lee, A. H. I. 223 Lee, S. M. 281 Lemaire, A. 88 Leppin, H. 408 Levine, L. I. 155f. Levinskaya, I. A. 152, 158 Levison, J. R. 20, 308, 309, 347 Lichtenberger, H. 73, 332, 385 Lieu, J. M. 109, 149, 227 Lim, T. 244 Limbeck, M. 82, 247, 278 Lindemann, A. 65, 144f., 228, 230, 362 Linder, A. 3, 154 Loader, W. R. G. 44f., 50f., 54f., 57 Löhr, H. 95, 100–102, 104, 229 Lohse, E. 92, 97, 260, 263, 375, 378f., 381f., 384, 387, 389, 392, 394–397 Longenecker, B. 15, 313, 347 Longenecker, R. N. 239 Lorenzen, S. 280, 283, 290, 292f. Lübking, H.-M. 253 Lüdemann, G. 150 Lüderitz, G. 152, 156 Ludwig, M. 57 Lull, D. J. 162 Mach, M. 207 MacLennan, R. S. 157 Magda, K. 388 Maier, J. 205, 250 Marquardt, F.-W. 412 Martin, B. L. 71 Martin, T. 94 Martinez, F. G. 250 Martyn, J. L. 21, 98, 135, 151 Maschmeier, J.-C. 14, 62, 280, 374 Mason, S. 121, 175f. Mayer-Haas, A. J. 88, 92–95 Mazzinghi, L. 345 McGowan, A. 393 McKnight, S. 109, 158f., 165
486
Autorenregister
Meeks, W. A. 142f., 149, 151, 153f., 388 Meier, J. P. 49, 142, 151 Meinhold, P. 140, 143f., 146f. Meiser, M. 227, 291 Meissner, S. 7, 243 Merkel, H. 266, 340 Merklein, H. 168, 170 Merz, A. 44, 173 Metzger, B. M. 313f., 316 Mitchell, S. 152 Mittmann-Richert, U. 352 Morgenstern, M. 88 Mowinckel, S. 221 Moyise, S. 19 Mühling, A. 264 Müller, K. 6, 81, 83, 245 Munier, C. 139 Murphy-O’Connor, J. 153, 158 Mussner, F. 88 Najman, H. 277 Nanos, M. D. 27, 29, 33–35, 66, 69, 100, 359 Neusner, J. 5, 105, 149, 151, 174–176, 221 Newman, C. C. 211 Newman, H. 174 Nicklas, T. 3, 383, 404 Niemand, C. 179, 185 Norris, F. W. 142 North, J. 149 Novak, D. 83 Novenson, M. V. 18, 223, Noy, D. 152 O`Brien, P. 387 Oelke, H. 408 Oegema, G. 221, 340, 347 Öhler, M. 63 Omerzu, H. 384 Osswald, E. 206 Osten-Sacken, P. van der 413 Oster, R. E. 155, 168 Otto, E. 88 Overman, J. A. 155, 157 Paget, J. C. 221 Pannenberg, W. 376 Pappert, S. 300 Paulsen, H. 139–141, 144 Perrot, C. 156 Pesch, R. 151
Philonenko-Sayar, B. 267 Philonenko, M. 211, 267 Piper, J. S. 15 Pitta, A. 133 Pollmann, I. 70, 73 Pollmann, K. 227 Pomykala, K. E. 221 Quesnel, M. 233 Rabello, A. M. 154 Rabens, V. 20, 229, 281, 291 Räisänen, H. 238 Rajak, T. 149, 153, 155, 157f. Rathke, H. 144f. Reasoner, M. 92, 97, 231 Reed, A. Y. 264, 383 Reemts, C. 272 Reinmuth, E. 25, 68, 96, 102, 162f., 165, 168, 247 Repschinski, B. 50f., 55 Reynolds, J. 152, 157 Riesner, R. 8, 10, 116 Rivkin, E. 174 Roberts, J. J. M. 339 Roloff, J. 150 Rordorf, W. 88 Rosner, B. S. 68, 102, 169 Rost, B. 55f. Roth, D. T. 47 Rowland, C. 211 Ruether, R. 243 Runia, D. 309–312 Safrai, S. 92, 151f., 155f. Saldarini, A. J. 174 Sampley, J. P. 384 Sanders, E. P. 7, 48f., 64, 81f., 86f., 92, 95, 98f., 135, 151, 155f., 159, 168, 174, 189, 238, 241, 247 Sanders, J. T. 55, 150 Sanders, J. A. 339 Sandnes, K. O. 139, 224, 357 Sänger, D. 48, 69f., 244, 332, 362, 383, 390, 393, 402, 404 Sass, G. 232, 244 Sato, Y. 144 Seim, J. 244, 413 Sievers, J. 174 Schäfer, P. 3, 156, 174 Schäfer, R. 66, 106 Schaller, B. 71, 88 Schaper, J. 174
Autorenregister Schiffman, L. H. 158f. Schimanowski, G. 88f. Schläpfer, E. 261 Schleritt, F. 74 Schliesser, B. 15f., 375 Schmid, H. 128 Schmid, K. 313 Schnabel, E. J. 81 Schneider, G. 221 Schnelle, U. 2, 62f., 71, 75, 95, 100, 105, 110, 113, 224, 227, 233, 241, 392 Schoedel, W. R. 139–141, 145 Schöllgen, G. 140 Schrage, W. 150, 163, 168, 213, 216 Schreckenberg, H. 137 Schreiner, J. 249, 347 Schreiner, T. R. 62 Schröter, J. 44f., 173, 260 Schürer, E. 92, 137, 143, 151–158 Schwankl, O. 197 Schwartz, D. R. 121f., 174, 179, 182 Schwartz, S. 3 Schweitzer, A. 241 Schwemer, A. M. 10, 12, 49, 63, 65f., 85, 95, 100f., 105f., 109, 124, 173, 183, 185, 244 Scott, J. M. 206, 219, 386 Seager, A. R. 153 Segal, A. F. 64, 98, 101, 157, 238, 279 Seifrid, M. A. 128, 239, 280, 387 Siegert, F. 312 Simpson, J., W. 162 Smallwood, E. M. 154 Söding, T. 68, 75, 379 Solin, H. 152 Spehr, C. 408 Speigl, J. 141 Spieckermann, H. 88, 412 Spies, F. 14 Standhartinger, A. 2 Steck, O. H. 349 Stegemann, E. 162 Stegemann, W. 47, 150, 161 Stemberger, G. 12, 120f., 174, 179 Stendahl, K. 237 Sterling, G. E. 150, 278, 297, 305, 312 Stern, M. 151 Stolle, V. 396 Stone, M. E. 347 Stowers, S. K. 29, 150 Strack, H. L. 260 Strecker, C. 237, 388
487
Strecker, G. 53, 124, 241 Strotmann, A. 205 Stuhlmacher, P. 18, 25, 212–215, 250, 374 Svendsen, S. N. 59 Swain, S. R. 219, 228 Tannenbaum, R. 157 Tatum, G. 19, 69 Taylor, N. 66, 95, 106, 135, 164 Thackeray, H. St. J. 366 Theissen, G. 44, 149, 160, 169, 173 Theissen, H. 386 Theobald, M. 71, 220 Thielman, F. 15, 71, 239 Thoma, C. 165, 174 Thorsteinsson, R. M. 276 Thümmel, H. G. 149 Thüsing, W. 213 Tigchelaar, E. J. C. 250 Tiwald, M. 8, 62, 117 Tobin, T. H. 305, 309 Tomson, P. 66f., 99, 101–103, 168f., 192f., 204, 244 Trebilco, P. R. 137, 152, 154, 157f., 388 Tromp, J. 319 Tyson, J. B. 55, 150 Unnik, W. C. van 9f., 117 Vahrenhorst, M. 51f., 54 Vegge, T. 62, 117, 385 Verseput, D. J. 95, 135, 164 Vogel, M. 2, 63 Vollenweider, S. 169, 383 Volp, U. 88 Wagner, J. R. 76, 386 Walter, N. 84, 106, 167, 221, 261, 265 Wasserman, E. 73, 280, 289 Watson, F. 15, 71, 103, 224, 231, 238, 242, 280, 358f., 374 Waubke, H.-G. 122, 174, 181 Weatherly, J. A. 150 Wechsler, A. 66, 95, 135 Wedderburn, A. J. M. 411 Wehnert, J. 57, 66, 95 Wehr, L. 95 Weikert, C. 4 Weiss, H. 88, 92, 95 Weiss, H.-F. 59, 61, 174 Wendebourg, D. 144
488
Autorenregister
Werman, C. 85 Westerholm, S. 15, 62, 64, 361, 374 Wettstein, J. J. 259 Whitaker, G. H. 310 White, J. R. 18 White, M. L. 152, 155 Wiese, C. 6 Wieser, F. E. 264 Wilckens, U. 89, 93, 300, 374, 401 Wilk, F. 14, 56, 70, 73, 121, 128, 174, 177, 224, 232, 244, 338, 363, 374f. Wilken, R. L. 142f., 151, 153 Willis, W. L. 170 Wilson, S. G. 141 Wilson, W. T. 68 Windsor, L. J. 391 Winger, M. 74 Winter, B. W. 169
Wischmeyer, O. 70f., 374 Wiseman, J. 153 Wolff, C. 169, 205 Wolter, M. 55, 68, 70, 225, 263, 300, 360, 361, 383f. Worthington, J. D. 281, 309, 311 Woyke, J. 67, 101 Wrede, W. 241 Wright, N. T. 16–23, 27, 103, 229, 232, 239, 386, 393, 405 Zangenberg, J. K. 260 Zeigan, H. 66 Zeller, D. 223 Zetterholm, M. 27f. Ziegler, J. 307 Zimmermann, J. 222
Sachregister Deutsche und englische Stichwörter werden zusammengeführt.
Abgaben (s.a. Zehntbestimmungen) 4, 49, 86, 97, 122, 177, 180, 192, 195 Abraham 1, 15, 19, 23f., 36, 60, 69f., 73, 84, 131, 134, 140, 147, 159, 162, 164, 232, 259, 264-273, 284-287, 290, 298, 313, 330, 332f., 338, 362f., 368, 390, 393, 402f. Adam 18, 36, 73, 130, 261, 264f., 276, 281, 290, 300-306, 308f., 311-322, 332, 335, 347, 349, 390, 392 Alexandria 118, 142, 153f., 354 Antiochia 8, 10, 12, 33, 39, 56, 63-66f., 95-101, 106, 111, 126, 133, 135, 137, 139, 142-145, 151, 153, 156, 164, 192f., 239, 242, 244 antiochenischer Zwischenfall 39, 66, 95f., 101, 135, 142, 148 Anthropologie (s.a. Mensch, Menschenbild) 15, 22, 26f., 36-39, 49, 70-73., 120, 173, 198f., 230, 236, 263f., 267, 275f., 278-282, 289-295, 298, 301, 308f., 311, 313, 318, 321, 327, 331, 333-335, 349f., 355, 357, 359, 364, 385, 390, 403 Apokalyptik, apokalyptisch 21, 31, 241, 245, 254, 280f., 340, 348, 405f. Apostel 1f., 6, 8, 10, 14, 18, 24f., 30, 36, 40, 43, 56, 61-65, 67f., 74f., 77f., 85, 95f., 106, 111, 116-118, 122, 124f., 133f., 136-139, 142, 144-148, 150, 159-162, 164, 166f., 175, 195, 203f. , 211f., 216, 230, 232f., 237, 241f., 244, 256, 264, 279, 283, 287, 327, 331, 334, 337, 357-362, 368, 377f., 383, 386f., 389-392, 401-403, 405, 408-411 Apostelkonzil 56, 66, 106, 111, 135, 164f.
Auferstehung 16, 17, 19, 21, 23f., 31, 39, 73, 76, 121, 178, 197-199, 204, 213f., 216, 225f., 251-253, 255, 301, 317f., 320, 322, 336, 387, 392, 406, 409f. Berufung (des Paulus) 2, 8, 13, 18, 30, 32, 37, 43, 64f., 75f., 78, 93, 107, 110f., 139, 148, 153, 161f., 164, 211f., 214, 239, 242, 253, 255f., 279, 292f., 330, 386, 390, 392, 395, 411, 416f. Beschneidung 4, 30, 32-34, 37, 63-66., 68-71, 73, 76, 78f., 81, 90f., 93f., 96, 100f., 105-113, 119, 123, 136, 142, 145, 157-159, 164-167, 183, 191-193, 227, 231, 233, 239, 242, 263, 282-284, 288, 333, 414 Bibel s. Schrift Bildung, Unterweisung 62, 79, 90, 116-119,156, 385 Biographie (des Paulus), biographisch, autobiographisch 1, 8-10, 14, 27, 36f., 43, 54, 62-64, 75f., 78, 113, 115-117, 119f., 123, 125, 134, 137f., 146, 185, 221-224, 230, 244, 357f., 371, 375, 385, 387f., 402 Bund 7, 16-19, 23f., 27, 59, 60f., 103, 107, 113, 128, 130f., 165, 188, 213, 239f., 243, 250, 304, 306, 312f., 339, 347f., 413 Bürgerrecht 9, 116, 154, 277, 384, 410 ‚Christentum‘ 2, 5f., 33, 53, 57, 63, 76, 82f., 95f., 99f., 104, 125, 133, 141, 144, 147f., 150, 160, 184, 208, 213, 237, 244, 264, 294, 332, 382f., 402, 413f.
490
Sachregister
Christologie 18, 20, 24, 33, 55f., 60f., 70, 103, 106f., 139, 148, 165, 194, 203f., 206, 208–215, 217, 219-231, 233, 239, 255, 293, 329, 387, 409, 412-414 Dekalog 46, 48-50, 58, 75, 86, 113 Diaspora 7, 10-11, 28, 30-33, 38, 62, 64, 66f., 82, 84-86, 90, 97f., 100-103, 105, 113f., 116-119, 122f., 136f., 148, 150-152, 154-156, 159, 163, 166, 168-170, 181f. , 184, 189f., 192-195, 197, 204, 209, 231, 279, 343, 354, 379, 415f. Ehescheidung 46, 48, 53, 54 Erwählung 7, 19f., 22, 24, 29, 246f., 293, 349 Eschatologie, eschatologisch 19, 21, 23, 29–36, 38-40, 43–47, 49, 51-54, 57f., 60, 63f., 71f., 74, 76f., 79, 82, 84, 90f., 103-105, 109–113, 126, 128f., 131, 134, 138f., 164f., 167, 170f., 186-189, 194, 196-199., 207, 209, 212–217, 220, 222, 225f., 229-233, 240, 242, 250f., 253-256, 263, 273, 282f., 287, 290f., 293f., 298, 303, 306, 308, 312f., 318, 320, 322, 330-332, 338–343, 347, 349-351, 353, 355, 357f., 361–371, 378, 392-395, 403, 405-407. 411f., 416f., 317, 322, 357, 364, 36f., 370 Fasten 53, 89, 92f. Gebot s. Gesetz, Tora Geist 3, 20, 25, 27, 38, 68, 73, 102, 113, 147, 161-164, 168, 216, 247f., 250, 263, 265-268, 280-282, 285-287, 290, 291, 336, 345f., 385, 388, 404, 406f., 409f. 415 Gerechtigkeit 1, 7f., 14f., 18f., 24, 38, 43, 50-52, 62, 68-72, 74, 115, 127-131, 215, 224, 236-238, 240, 245, 247-255, 266, 285, 291, 302, 307, 332, 341, 345, 361, 365, 374, 379-381, 385, 387, 389f.
Gericht Gottes 10, 57, 76f., 84, 161f., 207, 209, 248, 250, 283, 288, 290, 294, 331, 335, 337-339, 342f., 347-349, 354, 387, 393, 406 Gesetz (s.a. Tora) 4, 7, 11, 16, 19, 43-51, 53-62, 65, 67-75, 77-79, 81, 92, 95, 101f., 113, 136, 156f., 162-164, 168, 177, 183, 185, 215, 236-238, 243, 247f., 255f., 276-278, 288, 290, 332, 341, 343, 345, 348-350, 352, 354, 368, 378, 382, 390, 392 Gesetz und Propheten 46, 50f., 56, 215, 255 Gesetzeswerke 6, 14, 70, 76, 224, 240, 245, 252, 374, 378, 385, 496 Gotteserkenntnis, Gottesglaube 203f., 206, 210, 213f., 216f., 225, 264f., 268, 272f., 288-290, 311, 404 Gottesverständnis, Gottesbild 13, 17, 36, 59, 72, 77, 165, 197, 203, 205-207, 213, 215, 220, 222, 225-227, 230f., 240, 248, 251f., 259f., 263, 281, 289, 331f., 359, 361, 363, 366f., 370, 390 Götzendienst 67, 84–86, 93, 97-99, 101, 103, 109, 161, 163, 166, 168-170, 192f., 204, 258f., 265–267, 272, 284, 287, 341, 345, 407 Heiden, Nichtjuden 2f., 6, 9, 15, 29-36, 38, 40, 55-57, 63-67, 69-72, 74-79, 82-86, 90-92, 95-104, 105, 108-113, 120, 126, 131, 134-136, 138, 141-143, 147f., 150f., 157-168, 170, 181, 189-195, 197, 204, 214-216, 223f., 226f., 229-233, 237-240, 242, 244, 251-254, 256, 259, 264f., 272f., 278-280, 283f., 287f., 293f., 315, 322, 329, 331-338, 340, 343, 354, 357-371, 374, 378, 381-383, 385f., 389, 391-395, 403f., 407, 411, 413f., 416 Herkunft (des Paulus) 1, 8-10, 12f., 31, 62, 78, 102, 150, 205, 208, 225, 268, 279, 284f., 405f., 411
Sachregister
491
Identität 1f., 5, 7, 8, 11f., 15, 25, 28f., 32-34, 36, 39, 56, 58, 62, 67, 69, 75, 81f., 85, 90f., 96, 100f., 103, 105f., 109-113, 116, 118-120, 133f., 138f., 146-148, 155f., 158-161, 166f., 170f., 175, 184, 192, 194, 204, 207, 209, 216, 223f., 227, 230, 239f., 244, 246, 254, 264, 266, 278-280, 292f., 321, 327, 329, 336, 343, 349, 357f., 360, 383, 386f. 391, 401-403, 408-411, 414 Israel 1–6, 10f., 16–25, 27, 29, 31, 35, 38–40, 45, 47, 55, 71, 74f., 76, 79f., 82, 84f., 108, 110, 113, 119f., 128f., 131, 138, 165, 170, 181, 183, 188f., 194, 107, 205f., 213f., 220, 227, 231, 240, 243, 246f., 250, 253–256, 264– 266, 292, 294, 313, 315, 327–333, 336–344, 347–352, 354f., 357–371, 403–405, 407f., 411–414 Israelit (Paulus als) 1, 6, 18, 31, 36, 39f., 77, 84, 92, 108, 110, 119f., 183, 226, 230f., 233, 246, 256, 265, 321f., 333, 343, 345, 351, 357f., 360-362, 364, 367f., 370f., 387, 390, 393, 402-405, 407-409, 411f., 414
Jüdischer Krieg 3, 5, 13, 54, 137, 143, 341, 347, 349, 366
Jerusalem 3, 9-13, 34, 56, 63-66, 85, 95, 98, 100, 105f., 109, 111, 115-118, 121, 123-127, 130, 135-137, 142, 164, 166, 177f., 181f., 192, 219, 226, 228, 232f., 242, 249, 279, 312, 314, 342, 352f., 367, 378, 386-388, 404, 406f., 410, 412, 414f. Josephus 13, 118, 120, 175, 278, 342, 366 Judaismos 133, 136, 402 Judentum, jüdisch 1-3, 5f., 8, 10f., 13– 15, 18, 20, 23, 25, 27, 30f., 33-38, 40, 43–45, 49, 54f., 62f., 66, 70–73, 75-79, 84f., 88, 95f., 99, 100, 102f., 104f., 107, 109, 115, 117f., 125, 133, 135, 137, 141–144, 147-153, 157, 159-161, 166, 169, 173f., 177, 183-185, 187, 203, 205, 212f., 236, 238, 240, 243-246, 253, 260, 264f., 281, 298, 318, 336, 342, 347, 353, 380, 382f., 385–387, 389, 402, 404-406, 407, 409, 412-414
Nächstenliebe, Liebesgebot 48, 54, 188, 194, 243 Nichtjuden s. Heiden New Perspective on Paul 1, 14-16, 20, 25-29, 35-38, 61f., 68f., 71, 76, 107, 224, 237, 280, 374, 392, 4 Noachidische Gebote 57, 83
Konflikt 11, 30, 32f., 38f., 44, 50, 66f., 70f., 79, 91, 97, 99-101, 105f., 111, 135, 142, 147f., 160f., 164, 177, 242, 376, 392, 404f. Kult (s.a. Tempel) 61, 83, 85, 96–98, 159, 168, 205, 245 Liebesgebot s. Nächstenliebe Mensch, Menschenbild, Menschheit (s.a. Anthropologie) 21-24, 29, 36, 47, 72-74, 77, 230f., 249, 252, 263f., 269, 272f., 276f., 281–284, 287-295, 330-336, 343, 345f., 359, 382, 388, 390, 402 Messias, messianisch 1, 18f., 21-25, 38-40, 43f., 47, 52, 54, 77, 126, 165, 178, 212f., 215, 219-223, 225f., 230, 233, 253, 255f., 343, 384, 408-413 Mittelplatonismus (s.a. Platonismus) 26, 61, 277 Monotheismus 21, 26, 103, 225, 207, 217
Opferbestimmungen s. Kult Paränese, paränetisch 7, 11, 49f., 52, 59, 75, 92, 102, 136, 157, 162, 168, 247, 265, 267, 276, 278, 287, 289f., 334, 339, 343-346, 345-347, 349f., 352, 368 Paul within Judaism 5, 15, 25, 27-29, 32f., 36-38, 65, 71, 76, 407 Pharisäer 1, 4, 7-10, 12f., 17f., 46f., 49f., 52f., 63-65, 120-122, 173-184, 187, 189f., 195-199, 245, 247, 279, 385, 403
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Sachregister
Platonismus, platonisch (s.a. Mittelplatonismus) 93, 260, 267, 271, 276f., 280, 308, 311f., 321, 416 Privilegien 90f., 143, 153f., 156, 362, 368 Prophet 23, 32, 36, 46, 50f., 56, 72, 80, 127, 138, 140f., 147f., 211, 215, 232, 244f., 252, 255, 313, 339, 341, 350, 357, 364-368, 404, 407, 409-411 Rechtfertigung 6, 8, 14-16, 18, 24, 37f., 47, 53, 62, 69-70, 72, 75-77, 116, 128, 174, 219, 236-241, 243-245, 252, 254f., 279f., 293, 332f, 335, 373-381, 384-387, 389, 392, 394-397, 299-302, 322f., 373, 387, 405f., 407 Reinheitsbestimmungen 4, 47, 57, 59, 64, 66, 86f., 95, 97, 99, 100, 103, 107, 169, 251 Rituale 36, 47, 121f., 126, 177, 179-182, 187, 189, 192, 194f., 298 Rom 3, 9, 11, 13, 35, 40, 56, 67, 71, 77, 96, 139, 142, 152, 166, 237, 337, 341, 377f., 386, 388, 402, 409-411, 414f. Sabbat 4, 47, 49, 53f., 64, 67, 88-95, 105, 109, 112, 114, 121, 123, 126, 140f., 155f., 160, 177f., 183, 186f., 190, 196, 223, 239 Schöpfer, Schöpfung 17, 21f., 24, 29, 47-49, 58, 77, 79, 90, 103, 164, 169, 186, 190, 205-207, 214, 217, 247, 264-268, 270-272, 276-281, 283-294, 304-310, 312-314., 319-321, 331, 338f., 343f., 346f., 359, 364 378, 380 Schrift, Schriften Israels, Bibel 3, 5, 7, 10, 17f., 24, 29, 31f., 39, 43, 45f., 50, 56f., 58f., 61, 77-80, 82, 89, 105, 107, 109, 124, 127f., 131, 134, 137, 140f., 145, 148, 159, 168, 188, 203, 205f., 209, 211f., 215, 222, 227, 232, 235, 342, 244, 246, 252, 255f., 259, 261-263, 265, 267, 270, 278, 294, 304, 308, 322, 329, 338f., 344-347, 350, 355, 357, 363f., 377,
380f., 385, 396, 404-407, 409-413, 415, 417 Speisebestimmungen 4, 49, 64, 67, 87f., 91, 93, 95–115, 123, 136, 159, 168, 178, 183, 192f., 227, 239 Stoa, stoisch 59, 169, 276f., 281, 311, 416 Sühne, Sühnopferkult 59, 65, 83, 252f. Sünde, Sünder 21, 38, 40, 57-59, 68f., 72-75, 77, 133, 162, 247, 249-253, 254, 283, 290f., 332, 333, 335, 347-349, 351, 385, 411 Synagoge 35, 89, 91, 100, 112, 137, 142, 150-156, 158-161, 163, 165-167, 170, 242, 378, 382, 389 Tarsus 9-13, 18, 23f., 115-118, 279, 385 Tempel (s.a. Kult, Opfer) 3-5, 11, 18, 23, 24, 28, 35, 49, 53, 59, 65, 82, 86, 90, 95–97, 99, 101, 109, 120, 126f., 136, 165, 174, 176, 181f., 184, 189, 192, 215, 220, 232, 246, 251, 264, 278, 341f., 309, 312, 341, 351-352, 365-367, 378, 387 Tischgemeinschaft, Mahlgemeinschaft, Gemeinschaftsmahl 33, 66, 96, 98-100, 102f., 111, 122, 135, 142, 180f., 190, 192-194, 196 Tod 17, 19, 21, 23f., 36, 65, 68f., 73, 76f., 121, 123, 126f., 175, 197-199, 220, 222, 226, 228, 251f., 255, 261, 280, 289, 291f., 298, 300-302, 304-309, 311-322, 348, 350, 392, 405f. Tora (s.a. Gesetz) 1, 4, 7f., 12f., 18, 22-24, 27, 29, 30, 32-35, 37f., 43-70, 72-87, 89-92, 95, 97-105, 107, 109f., 112-114, 116, 118-123, 125-129, 131, 136, 138, 141, 143, 147, 156-159, 164f., 168, 170, 173, 176-178, 181-197, 199, 215, 226, 229f., 237-241, 243f., 246, 250f., 256, 264f., 270, 272, 276-278, 283, 287f., 294, 304, 306, 313f., 318–320, 350f., 354, 361, 378, 382, 387, 402, 407, 415f.
Sachregister Toraparänese 46, 49f., 52, 53, 68, 186, 188, 350 Tugend 266, 268-270, 278, 286 Verfolger (Paulus als) 43, 65, 115-118, 123-126, 134, 138, 148, 240, 253, 279 Völker (s.a. Heiden) 6, 22, 29, 31, 38, 40, 50, 55, 71, 75-77, 82-85, 90, 103, 112f., 138f., 165, 239f., 242, 251, 266, 278, 294, 328-331, 334, 336, 338-345, 347, 351, 353-255, 386, 388, 390, 392-395, 403, 407, 410, 414f. Zehntbestimmungen 4, 46, 49, 86, 99 Zukunft (s.a. Eschatologie) 15, 129, 158, 198, 261, 291f., 297, 300, 313, 316, 320f., 340, 343, 349-352, 362, 365-367, 369, 371, 377, 390, 405f., 411
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