Alternativen im britischen Drama der Gegenwart [Reprint 2022 ed.] 9783112647080


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Table of contents :
Inhalt
Einführung
Wandlungen in der Gesellschaft und im Theater
Neue thematische Akzente
Neue dramaturgische Versuche
Schlußbemerkung
Anmerkungen
Personen- und Werkregister
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Alternativen im britischen Drama der Gegenwart [Reprint 2022 ed.]
 9783112647080

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Günther Klotz

Alternativen im britischen Drama der Gegenwart

Literatur und Gesellschaft Herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften der DDR Zentralinstitut für Literaturgeschichte

Günther Klotz

Alternativen im britischen Drama der Gegenwart

Akademie-Verlag • Berlin 1978

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1978 Lizenznummer: 202 • 100/187/78 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen/DDR • 5094 Bestellnummer: 7534296 (2150/62) • LSV 8056 Printed in GDR DDR 6 , - M

Inhalt

Einführung

7

Wandlungen in der Gesellschaft und im Theater

13

Eine politische Kunst: Mode oder geschichtliche Bewegung?

13

Die Lage der Nation: Widersprüche und Kämpfe . . . .

18

Das andere Theater: Traditionen und Neuerungen . . . .

25

Neue thematische Akzente Leben und Kampf der Arbeiter: McGrath und andere

38 Cheeseman,

Plater, 38

Die Gewalt und die Monopole: Hampton, die Ardens, McGrath und andere

80

Rebellion und Revolution: Griffiths, Gooch, Hare und andere

104

Neue dramaturgische Versuche Darstellen und Verkörpern: McGrath

129 129

Die entzaubernde Parodie: Brenton, Hunt und andere . .

139

Die Verwandlung der Zuschauer: Mitchell und andere . .

155

Schlußbemerkung

163

Anmerkungen

168

Personenregister

182

Einführung

Sechs Jahre, nachdem ich Individuum und Gesellschaft im englischen Drama der Gegenwart. Arnold Wesker und Harold Pinter (Akademie-Verlag, Berlin 1972) untersuchte, hat sich die Szene erheblich gewandelt. In der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus verschob sich das Kräfteverhältnis in der Welt weiter zugunsten des Sozialismus. Die Konferenz von Helsinki über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa bezeugte die Veränderungen, die sich auf dem Kontinent vollzogen haben, und die politischen und sozialen Leistungen der sozialistischen Länder. In das Bewußtsein der noch unter kapitalistischen Verhältnissen lebenden Völker sind besonders der historische Sieg des vietnamesischen Volkes, die Siege der Völker von Laos und Kampuchea, der Sturz der faschistischen Regime in Griechenland und in Portugal und die Erringung der nationalen Unabhängigkeit von Guinea-Bissau, Mocambique und Angola gedrungen. Unter diesem Eindruck und im Zusammenhang mit den innenpolitischen und sozialen Kämpfen formierten sich in Großbritannien antiimperialistische Kräfte eines weiten Spektrums von Anschauungen und Aktivitäten, in dem das gegenwärtige linke, progressive oder sozialistische Drama und die entsprechende Theaterarbeit als kräftige Farben leuchten. Die antiimperialistischen Haltungen haben sich ausgeprägt und zeigen vielfältigere Erscheinungsformen als im „Durchbruch" der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre; die Kritik an den bestehenden Verhältnissen wurde genauer, sinnfälliger; das Verständnis der nationalen und internationalen Entwicklungen schlug sich in komplexeren Darstellungen der Lebensprobleme nieder; die Bewußtheit der gesellschaftlichen Funktion des Dramas, letztlich Veränderungen der Verhältnisse beziehungsweise der Überwindung oder Ablösung des gegenwärtigen Gesellschaftssystems zu dienen, ist, besonders seit 1968, gestiegen und wird oft mit Ungeduld 7

und Leidenschaft bekundet. Während Arnold Wesker, einer der „politischsten" Dramatiker des Durchbruchs, in seinen theoretischen und propagandistischen Äußerungen jener Zeit nicht über allgemein aufklärerische Absichten und über den Wunsch hinausging, die Arbeiterklasse durch Kunst zu bilden, sie durch das spontane Kunsterlebnis klüger und besser zu machen und durch Entmystifizierung der von der Bourgeoisie verschleierten Ausbeutungsverhältnisse zu ermutigen, sprechen heute Dramatiker, Regisseure und Kritiker offen von einem politischen Theater, von einem sozialistischen, revolutionären. Wenn diese Beiwörter auch keineswegs auf sehr viele Verfasser von Stücken mit antiimperialistischen Tendenzen zutreffen, so gilt doch, was Simon Trussler, Theaterkritiker und Mitherausgeber der Zeitschrift Theatre Quarterly, mit Bezug auf den nun nach „Underground" und „Fringe" häufig verwendeten Begriff „alternatives" Theater schreibt: „Alternative wozu? Zu einem Theater oder zu einer Gesellschaft? Die meisten Leute, die jetzt etwas mit dem alternativen Theater zu tun haben, hoffen, daß ihre Arbeit, wie wenig und wie indirekt auch immer, zu dem Bewußtsein beitragen wird, daß gesellschaftliche Veränderungen notwendig sind, ob sie nun allmählich und schrittweise oder radikal und gründlich vorgenommen werden."! Die nachfolgende Untersuchung hat es demzufolge im Vergleich zu der erwähnten älteren nicht nur mit neuen Stücken zu tun, sondern auch mit neuartigen Fragestellungen. Vorab seien in allgemeinster Form jene genannt, die die Ziele der Untersuchung charakterisieren. Obwohl es bei der Fülle der veröffentlichten und der sicher nicht zu unterschätzenden Anzahl ungedruckter Stücke aus zeitlicher Nahdistanz unmöglich ist, diesen Teil des neueren britischen Dramas ganz zu erfassen und überschauend darzustellen, soll doch versucht werden, Stufen seiner Entwicklung und den Beitrag einer Reihe bedeutender Dramatiker und Ensembles zu umreißen. Dabei interessiert, welche Wege sie beschreiten und wie sie ihre von demokratischen, sozialistischen oder revolutionären Ideen getragenen Abbilder, Karikaturen oder Neuentwürfe gesellschaftlicher Verhältnisse und Erscheinungen gestalten, und es interessiert, welche Beziehungen zwischen antiimperialistischer Haltung und künstlerischer Gestaltung herrschen. Mit der Beachtung der Dialektik von geschichtlicher Bewegung und künstlerischer Entwicklung, mit der Anerkennung des Primats des Inhalts und mit der Einbeziehung der gesellschaftlichen Funktion als literarhistorischem Kriterium soll bürgerlichen Darstel8

lungen und Kritiken begegnet werden, welche Formelemente wie Bühnenmetaphorik, Sprache und Stückstruktur verabsolutieren, um apologetische Werke hochzuspielen. Nach T . S. Eliot, Christopher Fry und Harold Pinter haben diese Kritiker nun E d w a r d Bond als Aushängeschild „hoher Kunst", als ihren bedeutendsten Dramatiker der Gegenwart gekürt; das Werk dieses die Grausamkeit fetischisierenden Irrationalisten soll an einer Stelle vergleichsweise herangezogen werden. Ein Augenmerk soll der Tatsache gelten, daß - besonders seit 1968 - in antiimperialistischen Stücken die Kritik am Bestehenden immer deutlicher mit dem Bestreben verknüpft ist, positive Ideale zu bekunden und gesellschaftlich konstruktive Impulse zu geben. Hatten Dramatiker des Durchbruchs wie Wesker, Arden, Delaney und Behan die Klassenverhältnisse zwar zur Schau gestellt, so brachten sie doch nicht die Avantgarde der Arbeiterklasse auf die Bühne. In den letzten acht Jahren entstanden nun Stücke, in denen revolutionäre Führer wie Wat Tyler, James Connolly, William Gallacher und John Maclean sowie eine ganze Reihe fiktiver Revolutionäre und „Revolutionsmacher" auftreten und eine gesellschaftliche Alternative gefordert wird. Damit tritt in dieser Literaturgattung und im Theater eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen der Kultur der Bourgeoisie und den sich unter kapitalistischen Verhältnissen entwikkelnden Elementen einer demokratischen und sozialistischen Kultur zutage, die sich auf die wirksamer werdende Dialektik zwischen nonkonformistischer Gesellschaftskritik und künstlerischer Formierung der Potenzen gründet, welche die geschichtsbildende politische K r a f t kennzeichnen. „So betrachtet nun William Gaskill das alternative Theater als den Hauptstrom." 2 Wenn der bedeutende Regisseur, der das etablierte Theater verließ, um sich der progressiven Joint Stock Theatre Group anzuschließen, recht hat - und es spricht alles dafür, wie die folgende Abhandlung bekräftigen will, daß das antiimperialistische D r a m a die Entwicklung des Genres bestimmt dann wird hier, auf einem Teilgebiet der gesellschaftlichen Entwicklung, jener allgemeine Prozeß markiert, in dem die antiimperialistischen und sozialistischen Kräfte in der Übergangsepoche vom Kapitalismus zum Sozialismus die führende Rolle übernehmen. D i e gegenwärtige Entwicklung des britischen Dramas ist im Augenblick von hier aus nicht in ihrer ganzen Differenziertheit zu überblicken. Im folgenden müssen deshalb viele Momente der Theatergeschichte außer acht bleiben, da ein großer Teil der Zeugnisse nicht 9

beigebracht werden konnte und der eigene Augenschein begrenzt war. Bei der gebotenen Konzentration auf die Dramentexte als sichere Forschungsunterlagen konnten auch einige mit dem Thema unmittelbar zusammenhängende Probleme nicht bzw. nicht gründlich untersucht werden. Es handelt sich hierbei um Fragen wie das Verhältnis von theoretisch-dramaturgischen Vorstellungen (es gibt kaum „Konzeptionen") zur praktischen Theaterarbeit sowie die Beziehungen zwischen dem antiimperialistischen und sozialistischen Drama zur Politik der Kommunistischen Partei Großbritanniens. Im Vergleich zu den Kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens ist die britische relativ schwach und stellt in der Kulturpolitik keine national wirksame oder die vorhandenen Aktivitäten verbindende und konzentrierende Kraft dar. In The Game's a Bogey (1974)3* läßt einer der fähigsten Dramatiker, der Marxist John McGrath, den Schauspieler Bill Paterson aus der Rolle John Macleans heraustreten und die historischen politischen Kämpfe kommentieren; in dieser Rede sagt Bill P.: „Damals, wie heute, wurde dieses radikale Land von einem Haufen ratlos herumstolpernder Reaktionäre in Whitehall regiert. Damals, wie heute, war die schottische Arbeiterklasse der Londoner Führung weit voraus."4 Es erhebt sich die Frage, ob diese Äußerung über das Verhältnis von zentraler politischer Führung zur Führung der praktischen lokalen politischen Kämpfe nicht eine Entsprechung im Verhältnis von zentraler kulturpolitischer Tätigkeit und dem individuellen Wirken des Dramatikers und Ensembleleiters findet. Die Literaturgeschichte bedarf hier der Hilfe der Historiker. Dennoch lohnt es, die literarische Entwicklung mit literaturkritischen und literaturhistorischen Methoden zu erhellen. Angesichts der Tatsache, daß in vielen neuen Stücken gerade die Zusammenhänge individueller und gesellschaftlicher, nationaler und internationaler Vorgänge und die Komplexität der Lebensprobleme herausgestellt werden und daß neue dramaturgische Versuche an das Bestreben geknüpft sind, diese Zusammenhänge und diese Komplexität im Miterleben verständlich zu machen, erscheint es schwierig, den Erfordernissen einer zergliedernden Darstellung gerecht zu werden. Obwohl „alles zusammenhängt", sollen zunächst drei inhaltliche Aspekte im Vordergrund stehen, und zwar das Aufgreifen von (oft lokal begrenzten) Traditionen des Klassenkampfes, die neue Darstellung von * Als Lesehilfe wurden die Ziffern, die auf Sachanmetkungen hinweisen, durch einen Stern gekennzeichnet.

10

Wesenszügen des Imperialismus und die Einbeziehung der Revolutionsthematik. Im zweiten Teil liegt der Akzent auf dem Verhältnis zwischen Wegen der dramaturgischen Distanzierung der Zuschauer oder ihrer Einbeziehung in das Bühnengeschehen und der gesellschaftlichen Funktion der Stücke. Eine solche Anlage der Untersuchung schließt die biographische Behandlung der Autoren als Prinzip aus; sie soll jedoch so elastisch gehandhabt werden, daß Biographisches nicht total entfällt, auch wenn die Werke einzelner Autoren unter thematischen Gesichtspunkten in mehreren Kapiteln betrachtet werden. D a die Kenntnis der neueren Stücke bei den meisten Lesern nicht vorausgesetzt werden kann, soll zugleich über die wichtigsten ausreichend informiert werden. D a ß dies hier möglich ist, verdanke ich vornehmlich der Hilfe Clive Barkers; auch wäre das Buch ohne die Gespräche mit ihm nicht so geworden, wie es ist.

Wandlungen in der Gesellschaft und im Theater

Eine politische Kunst: Mode oder geschichtliche Bewegung? Es ist kaum ein Jahrzehnt her, daß der britische Premierminister Wilson, wie seine Amtskollegen der westlichen Länder, seinem Volk noch in Aussicht stellte, das kapitalistische Gesellschaftssystem könne seine Probleme durch Reformen und durch ein vermeintlich allgemeines Maßhalten lösen. Gegen Ende seiner ersten Amtszeit (Oktober 1964 bis Juni 1970) mußte er wie seine Nachfolger (der Konservative Heath Juni 1970 bis Februar 1974, Wilson Februar 1974 bis April 1976, danach sein Parteifreund Callaghan) öffentlich zugeben, daß „die Welt" (gemeint waren die kapitalistischen Länder) von einer tiefen Krise erschüttert werde. Es sind nur wenige Jahrzehnte her, daß dieser angeblich noch „heilbaren" Welt die führenden bürgerlichen Dramatiker Englands wie T. S. Eliot, Christopher Fry, Noël Coward und ihre Anhänger unter den Kritikern verkündeten, die hohe Kunst des Dramas und Theaters habe mit solch niedrigen Dingen wie Politik nichts zu tun. Heutige britische Dramatiker, die sich im Gegensatz zum etablierten, kommerzialisierten bürgerlichen Theater an die Volksmassen wenden und die, selbst nach Aussagen bürgerlicher Kritiker, das interessanteste, lebensvollste und anregendste Theater auf den Britischen Inseln machen, kommen, sobald sie sich über ihr Schaffen äußern, sehr schnell auf ihre Intentionen als politische zu sprechen. Albert Hunt - Dramatiker, Dozent am Bradford Regional College of Art, Leiter und Regisseur der Bradford Art College Theatre Group - bekennt sich zum politischen Theater 5 und zu der Absicht, die Menschen zu Subjekten der Geschichte zu machen; über die Arbeit mit dem von seiner Theatertruppe kollektiv verfertigten Stück ]ohn Ford's Cuban Missile Crisis (1970) schreibt er: „Wir wollten einen kühlen Blick auf die Absurdität einer Situation werfen, die jedermann als normal hinnimmt. Aber wir wollten das nicht tun, indem wir eine Predigt halten oder das Publikum mit erhobenem Zeigefinger warnen, sondern mit Spaß. Wir 13

wünschten, die Menschen würden nach der Aufführung nicht nur ein bißchen bewußter und besser informiert sein, sondern auch dem Leben gegenüber aufgeschlossener und befähigter, die Welt, die wir gezeigt haben, zu lenken. Mit anderen Worten, wir wollten die Menschen durch das Theater aufrichten und nicht niederdrücken."6 John McGrath differenziert in seiner Vorbemerkung Über die Situation zu seinem Stück The Cheviot, the Stag and the Black, Black Oil (1973) zwischen der in Großbritannien oft sozialdemokratischen (Labour) Verwendung des Begriffs Sozialismus und seinem marxistisch-leninistischen Inhalt bzw. dem realen Sozialismus der Übergangsepoche: „Die Bevölkerung des (schottischen - G. K.) Hochlands ist sich der Tragödie ihrer Vergangenheit höchst bewußt. In wachsendem Maße wird sie sich der heutigen Herausforderungen bewußt. Da sich der Prozeß des Entscheidens unpersönlich und weit entfernt von ihrem Leben abspielt, mögen einige dahin gelangt sein, ihre Zukunft als etwas von ihnen Unbeeinflußbares, etwas Vorherbestimmtes anzusehen. Dieses Stück versucht zu zeigen, warum sich die Tragödien der Vergangenheit ereigneten: weil die Kräfte des Kapitalismus stärker waren als die Organisation des Volkes. Es versucht zu zeigen, daß die Zukunft nicht vorherbestimmt ist, daß es Alternativen gibt und es die moralische Verpflichtung jedes einzelnen ist, für die Alternative zu kämpfen und zu agitieren, die der Bevölkerung des Hochlands nutzen wird und nicht den multinationalen Konzernen, die auf Profit aus sind. Ein passives Hinnehmen bedeutet, die Herrschaft über die Zukunft zu verlieren. Der Sozialismus und die planmäßige Erschließung des Reichtums der Natur zum Wohle der gesamten Menschheit, das ist die Alternative, nach der dieses Stück ruft. Nicht der .Sozialismus', der vom Kapitalismus nur Zugeständnisse erbettelt, sondern jener, der jeden einzelnen in die Gestaltung der Zukunft einbezieht, die er herbeiwünscht, der den Fortschritt am Glück der Menschen und nicht an den Dividenden der Aktionäre mißt, der Sinne und Herzen befreit und nicht versklavt. Einige werden einwenden, daß diese Art von Sozialismus noch nie verwirklicht wurde; das ist nicht wahr, doch selbst wenn das stimmte, wäre es kein Grund, nicht dafür zu kämpfen."7 Weitere Belege für die politische Pointierung des dramatischen Schaffens und für das politische Selbstverständnis der Autoren ließen sich anführen, wobei individuelle Unterschiede sichtbar würden, die jedoch am Wesen ihrer antiimperialistischen Haltung keine Abstriche machen; so bejaht Trevor Griffiths zwar das politische Theater, sagt 14

aber: „An einem propagandistischen Theater bin ich nicht wirklich interessiert"8, während David Edgar sich zu den „Revolutionären im Theater" und „Revolutionären, die sich mit Propaganda befassen" 9 *, zählt. Die für die Erhaltung der bestehenden Gesellschaftsordnung eintretenden bürgerlichen Literaturkritiker und Kunstwissenschaftler sind natürlich nach wie vor bestrebt, die Beziehungen der Kunst zur Wirklichkeit abzustreiten oder verzerrt darzustellen. Da im britischen Drama die gesellschaftliche Funktion der Kunst seit dem Durchbruch wieder offensichtlich wurde und da etwa seit der gleichen Zeit, der Mitte der fünfziger Jahre, die Bedeutung des Dichters Brecht mit seinen der gesellschaflichen Wirklichkeit zugewandten und politischen Stücken für die Literatur- und Theatergeschichte nicht mehr zu leugnen ist, suchen bürgerliche Fachleute andere Formen der Erklärung und Bewertung des Dramas und seiner Beziehungen zur Wirklichkeit. Einer der bekanntesten und (als Chef der Hörspielabteilung der BBC und Mitglied verschiedener einschlägiger Gremien und Herausgeberkollegien) einflußreichsten Kritiker, Martin Esslin, verneint diese Beziehung völlig und behauptet, daß literarische Strömungen in linearen Bewegungen einander ablösen: „Zu jeder beliebigen Zeit tragen die Manuskripte, die Produzenten (oder Regisseuren - G. K.) und Verlegern eingereicht werden, deutlich die Merkmale der herrschenden Mode. Daran ist nichts Schändliches: der Lauf der Mode in der Kunst wie auch in der Bekleidung ist einer der Mechanismen der Gesellschaft, durch die Veränderungen in Grundhaltungen in allen Schichten verbreitet werden."10 Gerade das muß bestritten werden: daß die literarische Entwicklung sich in der bloßen Abfolge von Modeströmungen - wie nach Esslin etwa der des Brechtschen epischen Theaters und der des absurden Theaters - erschöpft und daß jede Mode, was zu ihrer Eigenart als Mode gehört, keine andere neben sich duldend, das Feld beherrscht. Um eine solche Behauptung für das Drama nach 1956 zu untermauern, muß man von der inhaltlichen Substanz und der gesellschaftlichen Funktion der Werke abstrahieren, wie das John Russell Brown in Theatre Language tut. In dieser Analyse der Bühnensprache, worunter Brown „die Beherschung der Bühnenwirklichkeit durch Worte, Handlungen und die Zeit" 11 versteht, werden von formalen Gesichtspunkten her bei Anerkennung individueller Schreibund Denkweisen so unterschiedliche Werke wie die von Arden, Osborne, Pinter und Wesker unter den einen Hut gebracht, den der Einfluß Becketts 12 bildet; daß dabei dann Pinter als der wichtigste und 15

am ausführlichsten zu behandelnde Autor hingestellt wird, 1 3 beweist, daß formalistische Betrachtungsweisen absichtlich oder ohne Bedenken der Konsequenz auf die Apologie irrationalistischer Auffassungen hinauslaufen können. Zunächst einmal muß diese Theorie einsträngiger Entwicklung verworfen werden. Als das existentialistische Versdrama im englischen bürgerlichen Theater Mode war, in den vierziger und beginnenden fünfziger Jahren, da schrieb der bedeutendste Dramatiker der Britischen Inseln dieses Jahrhunderts, Sean O'Casey, The Star Turrts Red (1940), Red Roses for Me (1942) und The Bishop's Bonfire (1955); die extreme Divergenz zwischen Pinter und Wesker wurde in der einführend genannten Studie beleuchtet, die zwischen Bond und David Hare (und anderen) wird aufgezeigt werden. Das Subsumieren der antiimperialistischen und progressiven Werke unter formal determinierte Modeströmungen soll doch nur verschleiern, daß es eine fortschrittliche Theaterliteratur gibt, die gesellschaftlich engagiert und auf eine sozialistische Zukunft gerichtet ist. Ebenso wie bürgerliche Ideologen die Existenz antagonistischer Klassen und des Klassenkampfes bestreiten, wollen sie auch nicht wahrhaben, daß es diese zweite Klasse mit ihrer zweiten Kultur gibt, die sich in ständiger Auseinandersetzung mit der bürgerlichen entwickelt. Die Politisierung im britischen Drama ist also nicht die Frage einer im Augenblick herrschenden Mode. In der sich in vielen neuen Stücken artikulierenden wachsenden Bewußtheit der gesellschaftlichen Vorgänge äußern sich die in einer langen und vielschichtigen proletarischen und Volkstradition stehenden Bemühungen, mit der Entfaltung der Elemente der demokratischen und sozialistischen Kultur gesellschaftliche Veränderungen vorbereiten zu helfen. Die Esslinsche Theorie vom „Lauf der Mode" in der Kunst versucht aber nicht nur den Klassencharakter und die Reflexion der gesellschaftlichen Widersprüche zu leugnen. Sie suggeriert, daß der Fortgang der Kunst in dem unerklärlichen und unbeeinflußbaren Wechsel von Moden, also letztlich aus sich selbst heraus geschieht. Die Mode der „Politisierung" sei also gekommen, und sie werde wieder vergehen, weil die nächste Strömung sie ablösen werde. Nun fallen im Drama, einem Genre der Kunstliteratur und damit einem Medium ideologisch geprägter Erfahrungs- und Vorstellungsinhalte, nicht „Modeströmungen" vom Himmel. Ernstzunehmende Literaturhistoriker negieren heute nicht mehr den Zusammenhang zwischen dem Durchbruch im Drama der späten fünfziger Jahre und der 16

politischen Gärung jener Zeit in Großbritannien, die gekennzeichnet war vom Aufkommen einer heterogenen, aber breiten oppositionellen Volksbewegung; sie äußerte sich in den Streiks von 1955, den machtvollsten seit 1932, in den Protestaktionen gegen den militärischen Überfall auf Ägypten 1956, im Feldzug für atomare Abrüstung, ins Leben gerufen 1957, den Ostermärschen (seit 1958) und vielen anderen Aktivitäten. Die neuen, Ende der sechziger Jahre einsetzenden Tendenzen im britischen Drama werden bereits jetzt von dem englischen Theaterkritiker Peter Ansorge, trotz einiger unhaltbarer Bewertungen, mit dem politischen Geschehen der Zeit in Verbindung gebracht. „Die Ereignisse vom Mai 1968 in Paris werden, wenn es um die englischen Studenten geht, selten erwähnt. In zunehmendem Maße kann das Jahr 1968 jedoch als Wasserscheide in unserer Theatergeschichte, wenn nicht gar in der politischen Geschichte, ausgemacht werden." 14 Wenn dieser Zusammenhang hier auch nur in bezug auf Einzelvorgänge erwähnt wird, so weist Ansorge damit symptomatisch auf die von ihm ausgesparte tiefere Wahrheit, die der geschichtlichen Bewegung der Übergangsepoche, in der das britische antiimperialistische Drama eine wichtige Rolle übernommen hat. Der Zusammenhang der gesellschaftlichen Wirklichkeit mit dem Drama ist also nicht jener zwischen Objekt und Illustration oder zwischen „Hintergrund" und seinem Phantasiegebilde. Er ist vielmehr Teil des geschichtlichen Prozesses, in dem auf den Bühnen der Theater und der Nichttheater Wirklichkeit widergespiegelt und zugleich verändert wird, in dem das Drama selbst zum Medium der gesellschaftlichen Veränderung, zum bewegenden Moment des Prozesses wird. Die Entwicklung des Dramas mit ihren kleinen Sprüngen und Knotenpunkten ist deshalb nur aus dem Bezug zur gesellschaftlichen Entwicklung mit ihren Widersprüchen zu begreifen. Dabei unterliegt das Drama zugleich den spezifischen Traditionen, Konventionen und Entwicklungsmöglichkeiten des Genres, die von ihren spezifischen Existenzbedingungen, den Theaterverhältnissen, abhängen. So schließen die neueren progressiven Dramatiker nicht nur an die volkstümlichen Theatertraditionen, an die Lebenden Zeitungen, die Music Hall, Agitprop und die besten Werke des Durchbruchs an, sondern auch an die Kämpfe der Agitprop, des Theatre Workshop und des Centre 42 gegen die kapitalistischen Theaterverhältnisse. Diese speziellen, teilweise persönlichen Beziehungen der gegenwärtigen Dramatiker zu diesen Traditionen sind bisher kaum belegt und erforscht; sie können 1

Klotz, Alternativen

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auch im folgenden leider nur berührt werden. Der ihr Schaffen bestimmende und in ihrem Wirken angezielte geschichtliche Prozeß der Gegenwart muß freilich in den Wesenszügen charakterisiert werden.

Die Lage der Nation: Widersprüche und Kämpfe In der gegenwärtigen Phase der welthistorischen Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus haben die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder die Politik der friedlichen Koexistenz durchgesetzt. Dieser Wandel schafft günstige Voraussetzungen auch für den von der Arbeiterklasse der kapitalistischen Länder geführten Kampf gegen die Monopolbourgeoisie und das herrschende Gesellschaftssystem; doch die Reaktion sucht verzweifelt Auswege, die sich nur gegen die Interessen des Volkes richten können. Über die Situation in Großbritannien berichtete Jack Ashton, Mitglied des Politischen Komitees und des Exekutivkomitees der Kommunistischen Partei Großbritanniens, in seiner Rede auf dem IX. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands: „Wir in Großbritannien stehen inmitten eines schwierigen und komplizierten politischen Kampfes. Die Labourregierung, beherrscht von. rechten Labourführern, verfolgt eine Politik, die darauf gerichtet ist, die Lasten der ökonomischen Krise auf die Schultern der Werktätigen abzuwälzen, und sie versucht, im Interesse der großen Monopole aus der Krise herauszukommen. Die Labourregierung senkt bewußt den Lebensstandard der Werktätigen und läßt zu, daß bei sinkenden Löhnen die Preise und Profite steigen. Sie hat eine rigorose Kürzung, der öffentlichen Ausgaben vorgenommen, die zu sehr kritischen Entwicklungen im Bildungs- und Gesundheitswesen und im Wohnungsbau führten. Das geht einher mit der Verarmung der Rentner und anderer Schichten der Bevölkerung, die an der oder unter der Armutsgrenze leben müssen. Vor allem aber hat die Politik der Regierung zu einer Arbeitslosigkeit geführt, die heute eineinhalb Millionen Werktätige erfaßt hat und für deren Abbau es keine Anzeichen gibtDen Beitritt Großbritanniens zur E W G ausnutzend, setzen die großen internationalen Monopole und das britische Finanzkapital jene Politik fort, die der britischen Industrie dringend benötigte Investitionen vorenthält, und legen ihr Geld in anderen EWG-Staaten oder anderen Teilen der Welt an, wo sie sich höhere Profite durch größere Ausbeutung ausrechnen. Die gesamte britische Wirtschaft ist 18

mit einer tiefgreifenden Krise konfrontiert, die Kürzungen im Schiffbau, dem Eisenbahnwesen, dem Automobilbau, der Stahl- und Elektroindustrie sowie der Textilindustrie vorsieht. Auf diese Weise, wie schon so oft in unserem Land, haben die Kapitalisten sich als echte Verräter der Interessen des britischen Volkes entlarvt. Wie schon so oft in der Geschichte, versuchen sie von ihrem Verrat mit Hilfe des Antisowjetismus abzulenken. Obgleich es den rechten Gewerkschaftsführern und der Labourregierung zeitweilig gelungen ist, Teile der Arbeiterklasse zu verwirren und irrezuführen hinsichtlich des Charakters der wirtschaftlichen Situation und der Politik, die erforderlich ist, um Großbritannien aus der Krise zu führen, gibt es Anzeichen dafür, daß immer breitere Teile der Arbeiterklasse begreifen, daß sie betrogen wurden. Das findet bereits seinen Ausdruck in Massenaktionen gegen die Arbeitslosigkeit und für das Recht auf Arbeit." 15 Die allgemeine Krise des Kapitalismus hat auch in Großbritannien immer mehr Gebiete des gesellschaftlichen Lebens erfaßt. Währungskrise und Inflation sind nach der letzten zyklischen Wirtschaftskrise, die 1969 von den USA ausging und Anfang der siebziger Jahre auf Westeuropa übergriff, nicht mehr abgeflaut. Da die parlamentarische Gruppe der Labourpartei vom rechten Flügel beherrscht wird und auf Grund der letzten knappen Wahlsiege keine der beiden großen Parteien ohne Hilfe der anderen regieren kann, ist es praktisch auch zu einer Verfassungskrise gekommen. In dem Hin und Her um den Beitritt zur EWG stimmten schließlich die Regierung und einige Labourabgeordnete gemeinsam mit den Torys gegen die Interessen der Arbeiterschaft und vieler Mitglieder der Labourpartei. Einen Brennpunkt der Klassenauseinandersetzungen des letzten Jahrzehnts bildeten die Rechte der Gewerkschaften, insbesondere das Streikrecht. Bereits Wilson versuchte in seiner ersten Amtsperiode, die in hundertfünfzig Jahren harten Kampfes errungenen Rechte der Gewerkschaften und ihrer Betriebsräte zu beschneiden, doch die Arbeiter, die Gewerkschaftsfunktionäre (der Dachorganisationen) und die eigenen Parteifreunde ließen es nicht zu. Gleich nach Übernahme der Regierung übte der Konservative Heath-einen rigorosen Druck auf die Gewerkschaften aus und verabschiedete das Industrial Relations Act. Am 8. Dezember 1970 streikten 700000 Arbeiter, und am 21. Februar 1971 protestierten 200000 Demonstranten im Londoner Hyde Park dagegen. Als im Juli 1972 einige Betriebsräte wegen Widerstands gegen das Antigewerkschaftsgesetz eingekerkert wur2»

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den, war das Trade Union Council im Begriff, den Generalstreik auszurufen. Heath mußte nachgeben; sein Sturz zwei Jahre danach wurde indirekt von Streiks der Bergarbeiter (1972 und 1974) ausgelöst, den ersten nationalen Streiks seit dem Generalstreik von 1926. Die Labourpartei hat nach dem Regierungswechsel im Februar 1974 zwar das Antigewerkschaftsgesetz abgeschafft, ist aber bei der Politik der Bewahrung des staatsmonopolistischen Kapitalismus und der kleinen Reformen stehengeblieben. Selbst in so sekundären Angelegenheiten wie ihrer Untersuchung über die Verteilung der Einkommen und Vermögen offenbart sie ihr Bemühen, die realen Klassenverhältnisse zu vertuschen: Sie formulierte in der Anleitung zur Erfassung des Besitzes einen Vermögensbegriff, der zwischen erarbeitetem und nichterarbeitetem Besitz nicht unterschied. Die positiven Ergebnisse ihrer kleinen Reformen werden jedoch von der sich verschärfenden allgemeinen Krise sofort eingeholt, so daß es schon jahrzehntelang keine effektiven sozialen Verbesserungen oder Erleichterungen gibt. 16 Auf die Verstärkung des Klassenkampfes haben mehr als zuvor internationale Faktoren eingewirkt: der Kampf für den Frieden und gegen die aggressiven Umtriebe des Imperialismus, die Unterstützung der nationalen Befreiungsbewegungen, die Solidarität mit eingekerkerten Patrioten und Revolutionären. Der Krieg in Vietnam öffnete auch in Großbritannien vielen Menschen die Augen über das Wesen imperialistischer Kriege. Die von den USA gesteuerte und finanzierte Unterwerfung des chilenischen Volkes und seiner gewählten Vertreter enthüllte, daß „Freiheit", „Selbstbestimmung der Völker", „Demokratie" und ähnliche Begriffe im Munde der Imperialisten nur das Gewalttätige und Unmenschliche dieser auf den Maximalprofit gerichteten Politik der Kriege, Einmischungen und Ausbeutung überdecken sollen. In Großbritannien haben diese internationalen Faktoren, ähnlich wie in den dreißiger Jahren der antifaschistische Widerstand in Europa, besonders in den letzten acht Jahren eine bedeutende Rolle gespielt. Im März 1968 fand eine große Solidaritätskundgebung mit dem um seine Freiheit ringenden vietnamesischen Volk statt. Im gleichen Jahr, das übrigens den Höhepunkt der Fusionierung von nationalen und internationalen Unternehmen und Konzernen brachte, 17 haben nach englischen Aussagen vor allem auch der Aufstand der Pariser Studenten, das Auftreten der Yippees (Youth International Party) während des Kongresses der Republikanischen Partei in Chicago, die Studentenrevolten in der B R D und 20

die Unterstützung der revolutionären Kräfte in der ÖSSR durch die sozialistischen Bruderländer das Interesse an dem Zusammenhang zwischen nationalem und internationalem Kampf erhöht, 18 auch wenn letztgenannte Aktion von vielen Menschen in Großbritannien unter rein moralischen Gesichtspunkten abgelehnt und nicht politisch verstanden wurde. Auch die britischen Studenten organisierten sich, mit dem Ziel, die Universitäten zu demokratisieren, die sozialen Verhältnisse der Studenten und ihrer Umgebung zu verbessern, am politischen Kampf für gesellschaftliche Veränderungen teilzunehmen und aufklärend zu wirken. Anfänglich wurden dabei viele von den trotzkistischen Ideen angezogen, die Arbeiterklasse sei „unpolitisch" und „konservativ", und die permanente Revolution erfordere sofortige revolutionäre Maßnahmen zum Sturz des kapitalistischen Gesellschaftssystems. Diese sektiererischen Aktivitäten, an denen zeitweilig auch einige der engagierten Dramatiker teilnahmen, wichen bei vielen bald einer besonneneren politischen Haltung. Anders als die Pariser Studenten beteiligten sie sich an Aktionen des Proletariats wie den Bergarbeiterstreiks der Jahre 1972 und 1974. 19 Neben vielen lokalen Initiativen bildeten sich zur gleichen Zeit nationale Bewegungen, die spezielle Interessen sozialer Gruppen vertreten. „Seit 1968 haben wir die Entwicklung einer Frauenbewegung gesehen und an ihr mitgewirkt, die neue und grundlegende Fragen über das Wesen der Unterdrückung der Frauen und danach stellt, wie man sich zur Befreiung der Frauen organisieren soll." 20 D a ß diese gegen das Establishment-gerichteten Bewegungen einen solchen Nährboden finden, liegt daran, daß Labourführer wie Torys alle ihre Versprechungen brachen. Die bisherigen in den Regierungserklärungen verlauteten Theorien vom „Weifare State", von der sicheren Prosperität, von einer krisenfreien Zukunft und vom „Verschwinden" der Arbeiterklasse sind letztlich an der rauhen Wirklichkeit gescheitert, an den inneren Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise, am Widerspruch des Imperialismus zu den erstarkenden sozialistischen Kräften der Welt, im letzten Jahrzehnt auch an den Widersprüchen zwischen den imperialistischen Ländern einerseits und den nationalen Befreiungsbewegungen der dritten Welt andererseits sowie - und das zeigt sich an der hohen Inflationsrate und Arbeitslosenzahl Großbritanniens trotz des Beitritts zur E W G zwischen den einzelnen imperialistischen Ländern. Nicht an einer absoluten Verelendung erfahren die Menschen in den industriell hochentwickelten Ländern den Grad ihrer Ausbeutung und Ent21

mündigung, sondern an der immer offensichtlicher werdenden und sich verbreiternden Kluft zwischen den durch die wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften geschaffenen Möglichkeiten, das Leben schöner, leichter, reicher, gesünder und friedlich zu gestalten, und der tatsächlichen Stagnation allen Fortschritts, dem zugegebenen „Nullwachstum". Kleine und mittlere Unternehmer, die in spontanem Konkurrenzkampf noch für ein Wachstum des Nationalprodukts sorgten, unterliegen immer mehr den von den Monopolen diktierten Marktbedingungen, und die Monopole drosseln kostspielige Neuerungen, regulieren und bremsen Produktionen ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Menschen, verlagern Investitionen unter dem ausschließlichen Prinzip des Höchstprofits und der Machterweiterung. Angehörige der Mittelschichten, der Jugend, der Intelligenz erfahren diesen Widerspruch darin, daß ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten, ihre technischen Fertigkeiten, ihr Erfindungsreichtum und ihre schöpferischen Kräfte nicht entfaltet oder gefördert werden, oft gänzlich ungenutzt bleiben und im besten Falle mechanisch und einseitig verwertet werden für Tätigkeiten, die keine spürbaren Verbesserungen der Lebensverhältnisse zur Folge haben. Obwohl die Monopole und die von ihnen abhängigen Regierungen diese zahlenmäßig wachsenden Mittelschichten, die im Prinzip ihre Arbeitskraft wie Lohnarbeiter verkaufen müssen, aber noch zahlreiche Vorteile genießen (höhere Einkommen) und einen bürgerlichen Lebensstil besitzen, durch Anreize, Privilegien und Zugeständnisse und durch eine antikommunistische Propaganda bei der Stange halten wollen, wächst unter ihnen die Einsicht, daß sich der Kapitalismus als untauglich erweist, die gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Sie fordern, die Konzerne zu kontrollieren und ihre Allmacht zu brechen, und treten auf einzelnen Gebieten und auch allgemein für eine Demokratisierung in Staat und Wirtschaft ein. Immer mehr Menschen verbinden einen Ausweg mit dem Sozialismus. In einem Aufsatz über den Marxismus und die moderne Gesellschaftstheorie stellt Albert Hunt fest: „Die siebziger Jahre bringen eine explosionsartige Steigerung des Interesses am Marxismus." 21 Dieses keineswegs geradlinig und keineswegs allseitig sich steigernde demokratische Aufbegehren formiert sich in Großbritannien im Augenblick zu einer für die gegenwärtige Geschichtsphase kennzeichnenden Bewegung, die beiträgt, den geschichtlich notwendigen Entwicklungsgang der Gesellschaft unumkehrbar zu machen. „Die allgemeindemokratischen Bewegungen richten sich immer mehr gegen 22

die monopolistische Ausbeutung, gegen die Machtusurpation, die ökonomische und politische Herrschaft der internationalen und nationalen Monopololigarchien. Die erhöhte Bedeutung der allgemeindemokratischen Aufgaben im Klassenkampf des Proletariats, eine repräsentative Zusammensetzung der Teilnehmer der allgemeindemokratischen Bewegungen und ihre zunehmende antiimperialistische, antikapitalistische Ausrichtung sind Faktoren, welche die weitere Annäherung des allgemeindemokratischen Stromes an den proletarischen im revolutionären Prozeß bestimmen und dem revolutionären Kampf der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Ländern unter Führung der kommunistischen Parteien um den Sieg des Sozialismus neue Charakterzüge verleihen." 22 Es ist deshalb kein Zufall, daß Fragen der Theorie der Revolution, des Verhältnisses von Evolution und Revolution, von Reform und gewaltsamem Umsturz, von Spontaneität und Organisation im Brennpunkt der Formierung antiimperialistischer Kräfte standen und daß die theoretische Monatsschrift der Kommunistischen Partei Großbritanniens, Marxism Today, vom Januar 1971 bis zum Dezember 1972 eine allgemeine Diskussion über die Strategie der sozialistischen Umgestaltung des Landes führte. The British Road to Socialism, das Programm der Partei, betont, wie notwendig es ist, dieses „breite Bündnis" 23 zu bilden; in seiner Vorlesung an der Kommunistischen Universität London vom Juli 1975 bestätigte John Gollan diese Strategie, 24 und der Generalsekretär der Partei, Gordon McLennan, erklärte im März 1976, daß es jetzt darauf ankomme, mit der demokratischen Massenbewegung die Labourpartei zu einer linken Politik zu zwingen und die Einheit der linken Kräfte zu stärken. 25 In der englischen Arbeiterklasse selbst gibt es freilich noch genügend Illusionen, Irrtümer und Widersprüche. Der Einfluß der bürgerlichen Massenmedien, Neigungen zum Konsumdenken, politische Unaufgeklärtheit und Klischeevorstellungen bieten bürgerlichen Einflüssen immer wieder Eingang. Der Dramatiker David Edgar schreibt: „Das Problem ist ein politisches, aber es ist auch ein psychologisches. Es geht darum, Barrieren des Bewußtseins niederzureißen. Es geht darum, den Widerspruch zu lösen, daß kämpferische Gewerkschafter Rassisten sind. Es geht darum, den Widerspruch zu lösen, daß Arbeiter der Autofabrik streiken, um die IRA (Irish Republican Army - G. K.) zu zerschlagen. Wir alle haben schon Arbeiter kennengelernt, die mit uns in allen Fragen übereinstimmten, nur nicht in der Rassenfrage. Wir alle haben schon Leute kennengelernt, die sehr be23

wüßt das britische Kapital in Britannien bekämpfen, es in Nordirland aber unterstützen. Wir alle haben schon Leute kennengelernt, die jedermanns Befreiung unterstützen, nur nicht die der eigenen Familie. D e r Marxismus ist eine lebendige Wissenschaft, denn er setzt sich mit diesem Konflikt zwischen dem Subjektiven und dem O b jektiven auseinander - in den großen geschichtlichen Bewegungen und gleichzeitig in den Köpfen der einzelnen Menschen." 2 6 Nun kommt gerade dem subjektiven Faktor der gesellschaftlichen Entwicklung eine erhöhte Bedeutung zu, weil die objektiven Voraussetzungen für die sozialistische Revolution bereits gegeben sind. E r besteht in der Tätigkeit der revolutionären Organisationen und in der Fähigkeit, Bereitschaft und Entschlossenheit der Massen zum Kampf für die Umgestaltung der bestehenden Ordnung. „In der D i a lektik von objektiven und subjektiven Faktoren und im Zusammenhang mit der zunehmenden Bedeutung aller subjektiven Momente im antiimperialistischen Kampf spielen Kultur und Kulturpolitik eine entscheidende Rolle, die von keinem anderen Bereich übernommen werden kann. Ihre Unersetzlichkeit in der Strategie des Kampfes gegen den Imperialismus ergibt sich aus der Tatsache, daß Kultur und Kulturpolitik wesentlich an der Ausprägung des subjektiven Faktors in seiner ganzen klassenmäßigen Breite beteiligt sind. D a s betrifft sowohl die Auseinandersetzung mit den Einflüssen der herrschenden Kultur auf das Bewußtsein der Werktätigen als auch die Herausbildung eigenständiger, antiimperialistischer Ideologie und Kultur im Massenumfang." 2 7 D i e revolutionären Potenzen der Arbeiterklasse zu unterdrücken ist inzwischen für die Bourgeoisie zu einer Lebensfrage geworden. Sie setzt alle materiellen und ideologischen M i t t e r ein, die Volksmassen in das Gesellschaftssystem zu integrieren. Während sie selbst nicht mehr imstande ist, den Kulturfortschritt im Sinne der gesamten G e sellschaft zu befördern, versucht sie, durch ihre Kunst und ihr Bildungswesen, durch die Massenmedien und durch die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse wie der Entspannung und Unterhaltung das Verhalten, Denken und Fühlen der Menschen zu manipulieren. Ihre Methoden sind dabei, Idyllen oder eine Traumwelt vorzuspiegeln, die gesellschaftlichen Lebensfaktoren zu leugnen, das Schicksal und das Triebhafte als das Bestimmende hinzustellen und alle Übel der Welt wie Kriege, Kriminalität, Gewalt als unabwendbar auszugeben. D a s ist jedoch nun, wo der Kampf um die antimonopolistische Demokratie immer breitere Schichten umfaßt, nicht mehr so leicht.

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Seit Anfang der sechziger Jahre entfalteten sich in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern antiimperialistische Bewegungen, w a s sich vor allem auch im Bereich der Kultur und Kunst zeigte. Diese Bewegungen gaben der Literatur, dem Theater und dem Film neue Impulse. Eine ihrer ersten Erscheinungen von westeuropäischer Bedeutung war die englische Literatur der „zornigen jungen Männer" mit dem 1956 begonnenen Durchbruch auf dem Theater. Stücke über das wirkliche Leben der Menschen, der Werktätigen, und über die sich aus der Spaltung der Gesellschaft ergebenden Probleme sowie die Versuche, ein neues Publikum für die neuen Stücke zu gewinnen, machten das britische Theater zu einem Hauptfeld der Auseinandersetzungen. Die Werke des Durchbruchs wurden in Westeuropa und in den USA gespielt, doch durch das etablierte Theater und durch einige modernistische Regisseure hinter das Theater des Absurden an die zweite Stelle verwiesen. Zwanzig Jahre nach Beginn diesesAufblühens einer der Wirklichkeit zugewandten Dramatik läßt sich absehen, daß jene Werke für die Entwicklung des britischen Dramas und für den Aufschwung der demokratischen Kultur wichtig geworden sind, die ihrer intendierten und objektiven Funktion nach mit dem Charakter und den Zielen der sich herausbildenden allgemeindemokratischen antiimperialistischen Bewegung übereinstimmen. Dabei wird aber gleichzeitig auch deutlich, d a ß sich, dem Charakter und der Zusammensetzung dieser Bewegung entsprechend,, neben einer sich herausschälenden sozialistischen Avantgarde ein breites Spektrum von Auffassungen und eine Vielfalt von Blickpunkten einer kritischen Sicht der imperialistischen Gesellschaft abzeichnet. Doch selbst das, was man Avantgarde nennen kann, ist keine feste Gruppe von Autoren. Sie durchlaufen einen Entwicklungsprozeß, in dem die kapitalistischen Marktbedingungen und die zur Fluktuation der Ensembles zwingenden Theaterverhältnisse einer Konzentration und Stabilisierung der Kräfte entgegenwirken. Wichtige Breschen sind jedoch geschlagen.

Das andere Theater: Traditionen und Neuerungen Das einflußreichste andere Theater unseres Jahrhunderts war dasjenige Brechts, nicht zuletzt, weil er den Kritikern mit seinen theoretischen Äußerungen und Schriften auch ein Instrumentarium gab, die Andersartigkeit zu erfassen, zu beschreiben und an anderen A u 25

toren zu prüfen. Daß Brechts Abwendung von seinen bürgerlichen Vorläufern ein historischer Vorgang war, haben viele übersehen und statt dessen dramaturgische Unterscheidungskriterien wie aristotelisch - episch, geschlossen - offen, Einfühlung - Verfremdung als primäre Bewertungsmaßstäbe eingesetzt. So modern die entsprechenden Untersuchungsverfahren sind, sie reichen nicht aus, denn von abstrakten Strukturelementen her läßt sich der ästhetische Zugriff auf die gesellschaftliche Entwicklung nicht erforschen. Der Betrachter des heutigen britischen Dramas würde nämlich Steve Goochs Bauernaufstandsbericht Will Wat, If Not, What Will? (1972) mit dem mythologischen Report über das Absterben der Menschen, The 1k (1976), von Denis Cannan und Colin Higgins und das proletarische Stück The Bevellers (1973) von Roddy McMillan mit allen bürgerlichen Boulevardkomödien in einen Topf werfen müssen, weil die beiden erstgenannten Stücke „episch" sind und die letztgenannten die vierte Wand - das heißt, die unsichtbare Trennwand zwischen Bühnengeschehen und Publikum - miteinander gemein haben. Die Vielfalt der im gegenwärtigen Entwicklungsprozeß des britischen Dramas verwendeten Stile und dramaturgischen Methoden erklärt sich nicht nur aus subjektiven Faktoren des Schaffens, sondern vor allem aus den objektiven der Aufnahmebedingungen. Diese haben sich in den letzten zwanzig Jahren in wesentlichen Bereichen erweitert und gewandelt, auch dank dem Wirken der Dramatiker selbst. Der Beginn der neuen Welle ist inzwischen Geschichte geworden, -was erlaubt, Grundzüge zu erkennen. Hauptträger waren die 1956 gegründete English Stage Company am Royal Court Theatre und das Theatre Workshop Joan Littlewoods, 1945 gegründet und von 1953 bis 1964 im Theatre Royal im ostlondoner Arbeiterbezirk Stratford tätig. Das Royal Court führte Stücke von Osborne, Arden, Wesker und Pinter auf, das Theatre Workshop jene von Behan, Delaney •darüber hinaus natürlich noch ausländische Werke, darunter solche Brechts. Nach der erschreckenden Dürre und Belanglosigkeit der Jahre davor waren Zuschauer und Kritiker zuerst von allem Neuen und Unkonventionellen erfreut, geblendet oder schockiert, bis sich Konturen abzeichneten, die zugleich individuelle Positionen und Fronten klärten. Die absurden Züge Pinters, der Individualismus Osbornes, kritiklose Darstellungen von Gewalt und Grausamkeit, des Häßlichen und Zynischen waren in Stücken zu entdecken, die ein Mißbehagen an der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ausdrücken wollten. Daneben aber wurden Bilder vom Leben der Arbeiterklasse, 26

der ärmeren Schichten und Minderheiten entworfen (Wesker, Arden, Behan, Delaney), von der Existenz und vom Kampf von Menschen, derengleichen man seit Jahrzehnten kaum auf Londoner Bühnen gesehen hatte. Hier artikulierten sich Aspekte proletarischer und demokratischer Kultur im Widerstreit mit den Bedingungen der Klassengesellschaft. Das Ringen des ungebildeten Mädchens um soziale Mündigkeit (Wesker, Roots, 1959), die Verzweiflungstat des Arbeiters, die Tretmühle zum Stehen zu bringen (Wesker, The Kiteben, 1959), und der parabolische Versuch des Soldaten, den Krieg mit dem Krieg auszutreiben (Arden, Serjeant Musgrave's Dance, 1959), durchleuchteten die vermeintliche Freiheit, Chancengleichheit und Sozialpartnerschaft und rückten d.ie Erfahrungen grundlegender objektiver Widersprüche wieder ins Bewußtsein, die von bürgerlichen Ideologen, von der etablierten „hohen" Kunst, von den Erzeugnissen der Unterhaltungsindustrie wie von den Werbespots des Fernsehens hinter „allgemeinmenschlichen" Problemen oder einer prinzipiell intakten Scheinwelt versteckt wurden. Die anfangs unerhört erfolgreichen und stimulierenden Anstrengungen des Centre 42 2 8 *, das Theater zum Volke zu bringen, weil das Volk nicht ins (bürgerliche) Theater geht, und neue demokratische und proletarische Aktivitäten auf kulturellem Gebiete zu entwickeln, von den Gewerkschaften getragene Arbeiterfestspiele zu organisieren und im Londoner Roundhouse einen Sammelpunkt aller solcher Bemühungen zu errichten, regten Mitte der sechziger Jahre politisch aufgeschlossene Theaterleute und demokratisch gesinnte Kommunalpolitiker an, die althergebrachten Theatergewohnheiten und das System des exklusiv bourgeoisen Theaterbetriebs zu durchbrechen. Die dezentralisierende Tendenz dieser kommunalen Initiativen und der Regional Arts Associations hat in Orten wie Nottingham, Stokeon-Trent und Newcastle viele neue Zuschauer gewonnen und die soziale Zusammensetzung des Theaterpublikums merklich zugunsten der Werktätigen verändert. Das war nicht das Ergebnis von organisatorischen Maßnahmen und Werbung allein; es muß vielmehr in erster Linie auf das Erscheinen neuartiger Stücke zurückgeführt werden, die, an proletarische Traditionen anknüpfend, die Erfahrungen und Belange der Werktätigen szenisch gestalteten. Ein Hauptmerkmal dieser Stücke, Shows, Revuen oder Musicals ist, daß die Autoren, Regisseure und Schauspieler unmittelbar von den geschichtlichen und gegenwärtigen Lebensbedingungen der Arbeiter und ihren sozialen und politischen Kämpfen ausgehen, sich weitgehend mit ihnen iden-

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tifizieren und ihre kunstvollen Darbietungen „außerkünstlerischen" Zielen widmen bzw. die „außerkünstlerischen" zu ihren künstlerischen Zielen machen. Die Neuentdeckung proletarischer lokaler Traditionen, die anfangs vielleicht hauptsächlich als ein Anreiz für das neue Publikum gedacht war, hat sich bald als ein wesentliches Moment antiimperialistischer Orientierung erwiesen und läßt sich heute aus dem progressiven britischen Drama nicht mehr wegdenken; sie bildete in dieser Phase den wichtigsten Faktor, das geschichtliche, dialektische Verständnis heutiger sozialer und politischer Auseinandersetzungen und der von ihnen determinierten individuellen Konflikte zu erhöhen. Mitte der sechziger Jahre, als die Brandung des Durchbruchs in mehreren kleinen Wellen sich im Sande verlief und abklang, als das Theatre Workshop seine kontinuierliche Londoner Tätigkeit abbrach und die English Stage Company Edward Bond als einen zukünftigen Favoriten entdeckte, mußte Londons Nicht-West-End-Theater seine führende Rolle als Geburtsstätte neuer Ideen, Stücke und theatergeschichtlicher Unternehmungen mit regionalen Theatern, Klubs und Studentenbühnen teilen. Wie viele andere war der bekannteste „junge" Autor dieser Phase, Peter Terson, seiner Herkunft, seinem Werdegang und der Thematik seiner Stücke nach, ein Autor der Provinz, während andere, wie David Storey, Christopher Hampton und Heathcote Williams, sich an das Royal Court Theatre hielten, das sich freilich immer mehr „etablierte" und trotz einer ganzen Reihe verdienstvoller Inszenierungen und Uraufführungen ähnlich der Entwicklung seines Star-Durchbruch-Autors John Osborne an Elan und beflügelndem Geist einbüßte. Ein Teil seiner Energie verwendete es darauf, gegen die Zensur schockierender Stellen in Stücken anzugehen, die alle Arten von sittlichen, sexuellen und kriminellen Übergriffen als zulässig darboten. Die vom jeweiligen Lord Chamberlain ausgeübte Zensur beruhte auf den Prinzipien eines Gesetzes von 1843. Unter Androhung hoher Geldstrafen und des Lizenzentzugs für Theater mußten alle Texte oder Textänderungen eines Stückes sieben Tage vor der ersten Aufführung eingereicht werden. Der Lord Chamberlain entschied dann auf der Basis von Gutachten, ob die Aufführung erlaubt oder verboten sei oder unter der Bedingung von Streichungen und szenischen Änderungen zugelassen würde. Zu den bekanntesten Streitfällen gehörten die um Edwards Bonds Dramen Saved (1965) und Early Morning (1968) 29 . Wenn allerdings schon der damalige Lord Cham28

berlain, Lord Cobbold, gegen das milde, liberale und verschwommene Anti-Vietnam-Stück US (1966) von Denis Cannan einzuwenden hatte, es sei „bestialisch, antiamerikanisch und links"30, und sagte, er würde es so lange verbieten, bis er überzeugt wäre, daß der amerikanische Botschafter das Theater (der Royal Shakespeare Company) nicht verlassen würde, so kann man sich vorstellen, daß die Zensur indirekt erheblich daran beteiligt war, antiimperialistische Tendenzen im Drama zu unterdrücken bzw. nicht zur Entfaltung kommen zu lassen. Am 28. September 1968 wurde die Zensur durch ein Parlamentsgesetz aufgehoben. Es war bezeichnend, daß die English Stage Company sogleich für Februar und März 1969 eine Bond-Saison ansetzte und Martin Esslin in seiner Begeisterung für die Morbidität jener Stücke die Abschaffung der Zensur als eine Möglichkeit pries, mehr Antihumanität ins Rampenlicht zu bringen, die ja die Menschen nicht verderbe. 31 Die Existenz des neuen Gesetzes darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es nach wie vor noch viele juristische Beschränkungen und einschneidende sozialökonomische Zwänge gibt, denen antiimperialistische Stücke, Autoren und Ensembles unterworfen sind. Dennoch konnte nun, 1968 und 1969 - in den Jahren einer weiteren Zuspitzung des Klassenkampfes, in denen das gesellschaftliche und politische Bewußtsein vieler engagierter Theaterleute sich erhöhte - , das antiimperialistische Drama einen merklichen Aufschwung nehmen. Das lag vor allem an dem rapiden Anwachsen der FringeGruppen, das heißt jener Theatergruppen, die außerhalb des bürgerlichen Theatersystems wirkten (fringe = „am Rande" der offiziellen Theaterszenerie) und neue Zuschauer zu erreichen suchten, und an den sich rasch ausbildenden Methoden kollektiver und operativer Theaterarbeit, die nun leichter zu praktizieren waren, da nicht eine Woche vor der Erstaufführung ein endgültiger Text fertiggestellt und eingereicht werden mußte (bereits bestehende Untergrundtheater hatten die Zensur umgangen, indem sie ihre Aufführungen als Klubveranstaltungen tarnten). Ein 1970 von dem Magazin Time Out zusammengestellter Guide to Underground Theatre nennt 32 Positionen; 32 ein Alternative Theatre Handbook von 1976 stellt alle in Großbritannien 1975/76 existierenden „Nichttheater"-Truppen zusammen: es sind 133, von denen die ältesten acht in den Jahren 1957 bis 1967 gegründet wurden, doch von den Truppen, die 1968 und danach enstanden, existieren pro Gründungsjahrgang noch zehn bis dreiundzwanzig.33 Bevor 1968 die Klub- und Studiotheater, Wandertruppen und 29

operativen unbehausten Ensembles wie Pilze aus dem Boden schössen und den nonkonformistischen Dramatikern ein Betätigungsfeld ungeahnter Weite eröffneten, gab es schon Versuche, außerhalb des Theaters Theater für Nichttheatergeher zu machen. Auch in England hat das 1963 theaterlos gewordene amerikanische Living Theatre auf seinen Tourneen für Experimente eine gewisse Vorbildbedeutung erlangt, ebenso wie später (1967) das Neuyorker Theater Café la Mama, und es verwundert nicht, daß man am Beginn der Geschichte des britischen Untergrundtheaters auf die Namen von Amerikanern stößt: Charles Marowitz (1957 In-Stage, 1968 T h e Open Space), J i m Haynes (1963 T h e Traverse Theatre, Edinburgh, und 1968 T h e Arts Lab in Drury Lane, London, in dem die Fringe-Truppen Portable Theatre, The Freehold, Pip Simmons und The People Show ihre Arbeit vorbereiteten) und E d Berman (1968 Inter-Action, T h e Ambiance Lunch Hour Theatre, Dogg's Troupe, 1969 T O C = T h e Other Company, 1971 T h e Almost Free Theatre, 1972 T h e Fun Art Bus). Heute existieren außer Truppen amerikanischen Ursprungs auch chilenische, tunesische und solche von Farbigen, doch die Szene wird beherrscht von englischen Truppen. E s gibt nur wenig, was sie gemeinsam haben; sie unterscheiden sich in so vielem, daß eigentlich jedes Ensemble sein unverwechselbares Gesicht hat - jedenfalls für eine gewisse Zeit. Ihrer aller Ziel, neue Zuschauer zu gewinnen, enthält zumindest insofern eine Kritik am bürgerlichen Theater, als sie die zwei Prozent der bürgerlichen Klasse, die ins Theater geht, für einen zu geringen Anteil der Bevölkerung halten. Viele wenden sich ausgesprochen an die Werktätigen oder die Arbeiterklasse. D i e Thematik und Tendenz der Stücke, die die Fringe- und alternativen Truppen aufführen, ist ebenso heterogen: vom unverbindlichen Unterhaltungsspiel bis zur direkten Agitation, wie sie die R e d Ladder Theatre Company, Leeds, in ihren kurzen Sketchen betreibt, die sie in Abstimmung mit Arbeiterorganisationen oder Bürgerausschüssen bei Demonstrationen und Zusammenkünften zeigen. 3 4 * D i e meisten treten nur in Nichttheatern auf, andere gastieren daneben auch an etablierten Bühnen, während The Open Space, The Almost Free, T h e Half Moon und T h e Bush ein festes Domizil besitzen. E s zeichnet sich die Tendenz ab, daß viele Truppen einen engeren Kontakt zu einem bestimmten, geographisch oder sozial begrenzten Publikum suchen, was den Wirkungsradius zwar beschränkt, ihrer Arbeit jedoch mehr Kontinuität und Intensität verleihen soll. Auch die Zusammensetzung der Truppen ist unterschiedlich, sowohl hinsichtlich

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der Qualifikation der Mitglieder (Laien oder Berufsschauspieler und -musiker) als auch hinsichtlich ihres Engagements für eine demokratische oder sozialistische Kultur und Gesellschaftsform. In der Regel sind die Truppen sehr klein, und jedes Mitglied muß mehrere Aufgaben übernehmen, als Schauspieler, Musiker, Bühnenbildner, Beleuchter, Kassierer, Buchhalter, Kraftfahrer, Quartiermacher, Werbefachmann usw. 35 * Das Aufblühen der Fringe-Truppen hält bis heute an und beweist, daß sie - jedenfalls die meisten von ihnen - einem objektiven Bedürfnis nach einer breiteren Basis für das Theater und nach der Gestaltung von Themen nachkommen, die den Erfahrungen und Interessen der unteren Volksschichten entsprechen. Dieser Tatsache mußte auch die Regierung Rechnung tragen. Durch das Arts Council, einer öffentlichen Körperschaft, die im Auftrage und mit Mitteln der Regierung die Künste unterstützen soll, ließ sie zum ersten Male 1968/69 den Fringe-Truppen Subventionen zukommen. In der Saison 1971/72 erhielten 45 Gruppen insgesamt £ 91 00 - das Royal Opera House dagegen empfing £ 1640000, die Sadler's Wells Opera £ 1118153, das National Theatre £ 415 720 und die Royal Shakespeare Company £ 295 030. 36 In den letzten Jahren sind die Subventionen erhöht worden, so daß das Arts Council fast die Rolle eines gewaltigen Arbeitgebers spielt. Im Jahre 1967, als das Arts Council eine neue Satzung erhielt, sagte zwar der damalige Vorsitzende, Lord Goodman: „Unser Schwergewicht liegt auf der Pflege eines neuen Publikums für die Künste",37 was den Worten nach als eine Erklärung für das neue alternative Theater aufgefaßt werden könnte. Vor dem Parlament sprach er aber davon, daß es den jungen Leuten an Werten, Gewißheiten und Führung mangele, daß sie gefährlich seien und sich destruktiv verhielten, 38 womit er nur unterstrich, was in Großbritannien ohnehin alle Betroffenen wissen: daß das Arts Council trotz seiner konzilianten Gesten am Status quo interessiert ist. „Das Arts Council verteilt Geld, welches die Regierung den Steuerzahlern wegnahm, und wenn es etwas davon den Fringe-Gruppen gibt, die offen für den gewaltsamen Umsturz der Gesellschaft und des Staates arbeiten, so kann dies - je nachdem, welchen Standpunkt man bezieht - wie eine übergescheite Strategie des Establishments oder Selbstzerstörung im Stile der Hauptgestalt von Max Frischs Stück Herr Biedermann und die Brandstifter sein, eines bürgerlichen Wirrkopfs, der zwei Brandstiftern gegenüber, die einen Anschlag auf sein Haus planen, höflich bleibt und ihnen hilft. Wenn das Council 31

die radikalen Gruppen boykottieren würde, griffe man es als reaktionär an." 39 Immerhin haben diese im Verhältnis zu den Subventionen der •etablierten Repertoiretheater minimalen Zuwendungen, die dem Arts Council und damit der Regierung unter dem Druck des landweiten Interesses an einem volksverbundenen, antiimperialistischen Theater und unter dem Druck seiner Resonanz abgezwungen wurden, einer Reihe von Truppen geholfen, sich am Leben zu erhalten und die künstlerische Qualität ihrer Arbeit zu sichern. Aus diesen Truppen stammen die neuen Dramatiker, die dem antiimperialistischen britischen Drama das Gesicht geben, diese Truppen formten junge Autoren und ihre Werke in der harten Praxis ihres alternativen Theateralltags, sie ziehen bereits ausgewiesene Dramatiker an, die sich eine Zeitlang dem Kollektiv einfügen. David Hare gründete 1968 mit Tony Bicat das Portable Theatre und war 1973 Mitbegründer der Joint Stock Theatre Group; Howard Brenton, der seit 1966 mit der Brighton Combination arbeitete, schloß sich 1969 dem Portable Theatre an. John McGrath gehörte einst zur Kernmannschaft des Centre 42, bis er wegen Weskers Hang, Kunst den Arbeitern als „Bildung" darzubieten, ausstieg; er ist Initiator (1971), Direktor, Regisseur und Autor der 7:84 Theatre Company. Albert Hunt organisiert seit 1965 die Bradford Art College Theatre Group, David Edgar schrieb für die am gleichen Ort tätige Gruppe General Will. Trevor Griffiths arbeitete zusammen mit dem Stables Theatre Club in Manchester, mit Quipu, der 7:84 Theatre Company und dem Open Space, Steve Gooch mit dem Half Moon. Zwischen einigen Gruppen, darunter auch den hier genannten, und an neuen Stücken interessierten Theatern wie dem Royal Court Theatre und dem Nottingham Playhouse hat sich in den letzten Jahren eine gewisse Kommunikation gebildet. Dramatiker schreiben für mehrere Gruppen oder schließen sich zu gemeinsamer Autorschaft zusammen, Stücke oder Inszenierungen werden weitergereicht und übernommen, und es kommt zu Solidaritätsaktionen wie der Hilfe der 7:84 Theatre Company für das Unity Theatre, dessen Gebäude im November 1975 durch einen Brand stark beschädigt wurde. 40 Dies ist nur möglich, weil diese (und andere) Autoren und Truppen eine breite antiimperialistische Basis miteinander verbindet, die unterschiedlichen politischen und ästhetischen Auffassungen Raum läßt. Ihre Suche nach gesellschaftlichen Alternativen führt sie als „Propagandisten" und Künstler näher an sozialistische Ideen und Konzeptionen heran, die 32

bei McGrath, Hare, Edgar, Gooch und dem „älteren" John Arden, der in jüngster Zeit mit der 7 : 8 4 Theatre Company und dem Almost Free Theatre zusammenarbeitet, am deutlichsten ausgeprägt sind. E s sind diese ideologisch sich immer mehr auf marxistische Auffassungen orientierenden Autoren und Ensembleleiter, die, obwohl immer noch vorwiegend separat arbeitend, eine Avantgarde bilden. Sie gingen aus dem Fringe hervor, dessen ideologisch breit gefächerte Funktionen, außerhalb des kommerzialisierten Theatersystems ein volkstümliches, ein un- oder antibürgerliches, ein demokratisches bis antiimperialistisches Theater zu machen und neue Zuschauer zu gewinnen, ihnen nicht mehr genügen. In ihren Augen muß sich der Beitrag des Theaters zur Entwicklung des subjektiven Faktors für eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft auf Stücke und Inszenierungen gründen, die, dialektisch und materialistisch fundiert, keinen Zweifel daran lassen, daß die Grundfragen ihres Lebens politische, also Machtfragen sind, und daß sie nur von einem Bündnis unter Führung der organisierten Arbeiterklasse gelöst werden können. In einer mehr als zufälligen oder ornamentalen Weise wird diese sich besonders seit 1968 abzeichnende Tendenz von der Tatsache bekräftigt, daß der Mann, der den Imperialismus als ein geschichtliches Phänomen zum erstenmal analysierte, ihn in seinen Wesenszügen als höchstes und letztes Stadium des Kapitalismus erforschte und in seinem Lande den Kapitalismus zu überwinden half - daß dieser Mann, der meines Wissens im englischen Drama kaum zuvor erwähnt wurde, nun auf britischen Bühnen erscheint: als Illustration, als Metapher und sogar als Gestalt. Sein erstes Auftreten hatte Lenin in der von Albert Hunt und den Ardens organisierten Russian Revolution at Bradford (1967), die allerdings kein Theaterstück, sondern ein über Tage gehendes kommunales Happening war. In David Cautes The Demonstration (1969), Weskers The Friends (1970) und Trevor Griffiths' The Party (1973) werden Bilder Lenins gezeigt; der Kommunist Tom Browne in Brassneck (1973) von Howard Brenton und David Hare wird „Lenin" genannt; in The Demonstration und in Griffiths' Occupations (1970), in dem auf der Bühne die Internationale und Bandiera Rossa gesungen werden, wird Lenin zitiert; in Brentons und Hares Stück über Maxim Gorki, A Sky Blue Life (1970) und in Tom Stoppards Travesties (1974) tritt Lenin auf, und in The Ballygombeen Bequest (1972) von John Arden und dessen Frau Margaretta D ' A r c y beabsichtigt der Held, eine Parteigruppe ins Leben zu rufen, und setzt, wie er sagt, dabei auf das „Rezept Lenins" 4 1 . 3

K l o t z , Alternativen

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Obwohl sich der zeitgenössische Betrachter davor hüten soll, die im Laufe dieses Prozesses auftretenden Neuerungen, die seine Aufmerksamkeit mehr beanspruchen als die Elemente der Kontinuität, zu verabsolutieren, verdienen sie doch große Beachtung, weil sie symptomatisch die Bewegungsrichtung markieren. Nun hebt der bislang einzige englische Literaturkritiker, der eine Bestandsaufnahme des Fringe-Theaters unternahm, Peter Ansorge, unter den Momenten der Diskontinuität gegenüber dem Durchbruch hervor: „Während die in dem frühen Werk Weskers und sogar Osbornes am Royal Court in den fünfziger Jahren liegenden radikalen Impulse, wie lose auch immer, an den Glauben an einen Fortschritt des Sozialismus und der Labourpartei geknüpft waren, durchzieht Plugged in (von McGrath - G. K.) und das Anliegen der 7:84 Company, radikales Theater zu machen, kein solcher Optimismus. Tatsächlich neigt McGrath wie viele seiner Zeitgenossen im Fringe-Theater dazu, die Politik der Labourpartei als nur minimal weniger schlecht als jene zu betrachten, welche die seit 1970 amtierende Konservative Regierung betrieb." 42 * Hierzu ist zweierlei zu bemerken. Zunächst sind die „Politik der Labourpartei" und der „Fortschritt zum Sozialismus" zwei verschiedene Dinge, was auf dem Gebiete des Theaters in Großbritannien spätestens dann klar wurde, als Wesker und seine Freunde vom Centre 42 für ihre Aktionen von der Regierung Wilson keine substantielle Unterstützung erhielten; es ist das Verdienst der jungen Dramatiker, daß sie diese Differenzierung herausarbeiten, wobei sie sich gerade auf die Traditionen des Durchbruchs berufen können, etwa auf Weskers Their Very Own and Golden City (1965) oder Ardens The Workhouse Donkey (1963). Was zum anderen die Frage des Optimismus oder Pessimismus betrifft, so hält Ansorges Meinung wohl keiner Prüfung stand. Mit der einen Ausnahme von Roots sind Weskers Bilder der Gesellschaft nicht sehr optimistisch: Weder Peters Einzelaktion destruktiver Revolte in The Kitchen noch die Geschichte der Familie Kahn in den anderen beiden Stücken der Chicken-Soup-Trilogie eröffnen glückliche Perspektiven einer sozialistischen Zukunft. Welche menschliche Festigkeit und Vitalität und welchen Geist der Solidarität Wesker Sarah Kahn auch verlieh, er schuf in dieser Gestalt keine Persönlichkeit geschichtsbildenden Profils. Und Osborne hat keinerlei fortschrittliche Hauptgestalten hervorgebracht. Seine Hoffnungen - falls er welche besaß - konzentrierten sich auf das Individuum, das, wie Osborne glauben machen will, seine Menschlichkeit am besten dadurch be34

wahrt, indem es sich von den öffentlichen und allgemeinen Angelegenheiten der Gesellschaft fernhält; nach Osborne vermag der Mensch offenbar nur aufzuschreien und, wie sein jüngstes Werk über das Problem des Überlebens bürgerlicher Individuen besagt, zuzuschauen, wie alles zusammenstürzt (Watch 1t Come Down, 1976). Im Gegensatz dazu wird in den Werken McGrath' und in seinen Inszenierungen mit der 7:84 Company die Gewißheit eines sich lohnenden und schließlich erfolgreichen Kampfes spürbar. In Yobbo Nowt (1975) und Little Red Hen (1975) bringt John McGrath die Erkenntnis zum Ausdruck - die selbst durch die von den bürgerlichen Massenmedien verbreiteten, die Wirklichkeit verfälschenden Darstellungen des Lebens und Denkens der Arbeiter nicht gänzlich im Volke unterdrückt werden kann - , daß nämlich jene, die unter den augenblicklichen Verhältnissen am meisten ertragen müssen, aufgebrochen sind zu ihrem langen und beschwerlichen Weg, sich vom Objekt der Geschichte zu ihrem Subjekt zu erheben. Um die wirklichen Aspekte der graduellen Diskontinuität in der dialektischen Entwicklung des britischen Dramas genauer zu fassen, sei noch ein weiteres Beispiel gegen Ansorges Argument gestellt: das genannte Stück der Ardens, The Ballygombeen Bequest. In diesem „anglo-irischen Melodrama" über das Privateigentum, die angestammten Rechte des irischen Volkes, die nationale Freiheit und den Klassenkampf siegen die Herrschenden. Das entspricht der realen Lage der Gegenwart. Doch das Stück endet in einem anderen Ton. Der kommunistische Sohn der unterlegenen irischen Kätner, Padraic O'Leary, der von den vereinten Interessen der Kapitalisten und der politischen und militärischen Unterdrücker des irischen Volkes umgebracht wird und tot auf der Bühne liegt, erhebt sich plötzlich in komischer Verwandlung (in der Tradition der englischen Pantomime), verprügelt die noch mächtigen Feinde und tanzt mit seiner Schwester (wie Harlekin und Kolombine) zu einem Lied, dessen letzte Zeile lautet: „Es gibt mehr von uns als von ihnen . . ," 43 * Da das gesamte Stück eine ausgeprägte historische Dimension besitzt - die Handlung umgreift die Ereignisse von 1945 bis 1971 und ist in einen durch Erinnerungen, Lieder und Assoziationen gebildeten weiteren historischen Rahmen gestellt von den ersten Raubzügen der Engländer bis zum Osteraufstand von 1916 - , erhält das Schlußbild, das die tatsächlichen Verhältnisse auf den Kopf stellende lustige Tableau der Hoffnung, den Charakter der Antizipation. In einem naturalistischen Stück, welches das Leben der Gegenwart vom Stand3*

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punkt der Gegenwart beschreibt, wäre dieser Schluß falsch. Doch in einem Werk, das individuelle Konflikte erhellt, indem es sie auf die Grundwidersprüche der Gesellschaft und auf die geschichtlichen Prozesse der Übergangsepoche bezieht und damit auch den Standpunkt der Zukunft umgreift, mag der Schluß von The Ballygombeen Betauest ein überraschender Bühneneffekt sein, der in bezug auf die Geschehnisse des Stücks und in Anbetracht der tatsächlichen historischen Tendenz allerdings auch seine Folgerichtigkeit besitzt. Damit ist paradigmatisch ein auffallendes Merkmal vieler Stücke der letzten acht Jahre bezeichnet: der Drang nach stärkerer dialektischer und historischer Objektivierung gestalteter Erfahrungen. Im Lichte der neueren Stücke haben jene des Durchbruchs mehr gemeinsam, als ihre Unterschiedlichkeit zunächst durchblicken ließ. Denkt man an den Osborne, den Wesker, Pinter und Arden von damals, besonders aber auch an die „Sittenkomödien" aus dem Leben der Arbeiterklasse, nämlich die Stücke von Delaney, Waterhouse und Hall, Lewis, Kops und anderen, so bemerkt man heute erst, in welchem Maße es sich hier um persönliche Mitteilungen handelte. Und obgleich jene Autoren passende poetische und Bühnenmetaphern für ihre Themen fanden, erscheinen heute doch viele ihrer Stücke als zu naturalistisch - nicht von einem Milieu- und Tatsachennaturalismus des späten 19. Jahrhunderts, sondern von einem neuen psychologischen und sozialen. Den Stempel des Subjektiven, Individualistischen tragen selbst die Historien jener Zeit wie Robert Bolts A Man for All Seasons (1960), Osbornes Luther (1961) und Ardens Armstrongs Last Good Night (1964). Vielleicht hing das auch damit zusammen, daß die Autoren von der Arbeiterklasse als Publikum abgeschnitten waren. Nur wenige Stücke waren keine „Standfotos", bemühten sich um objektivere Einsichten, die über das Erkenntnisvermögen der Gestalten hinausgingen und durch die im Stück vermittelten objektiven Wahrheiten im Publikum selbst ausgelöst würden. Solche Objektivierungen streben die britischen Dramatiker von heute an, und zwar auf verschiedenen Wegen, und sie schließen neben der Frage, was zu ändern sei, auch die in ihre Thematik ein, w i e zu ändern sei. Ihr im Prinzip spontanes Verhalten der gesellschaftlichen Wirklichkeit gegenüber hat sich bei den namhaftesten von ihnen antiimperialistisch profiliert. Sie rücken von blinder Radikalisierung ab, prüfen, was für die allgemeindemokratische Bewegung und die Entwicklung eines sozialistischen Bewußtseins möglich ist und ihr nutzen kann. Diese größere Bewußtheit der realen Kräfte36

Verhältnisse und der historischen Notwendigkeit hat sie auch rasch von der These abrücken lassen, die 1968 aktuell war, daß die Studenten die Vorhut des Kampfes seien. Dieser Prozeß der Besinnung, der sich im dramatischen Schaffen und in der Theaterpraxis widerspiegelt, verlief durchaus nicht geradlinig und war, obwohl von vielen guten Traditionen des Klassenkampfes und der volksverbundenen und revolutionären Theaterarbeit getragen, auch von einer negativen Tradition begleitet: dem Hang zur Empirie, zum Pragmatismus, dem eine gewisse Theoriefeindlichkeit anhaftet. Als Brecht Mitte der fünfziger Jahre in Großbritannien bekannt wurde, interessierte vor allem der Theaterpraktiker, der Regisseur, der Autor. Nun, wo viele auch mit seinen (in englischer Sprache nur zum Teil publizierten) Schriften vertraut sind, sucht man dramaturgische Mittel, die dem britischen Publikum, den neuen Nichttheater-Zuschauern, den eigenen Theatettraditionen und -erwartungen sowie dem jeweiligen Entwicklungsstand der antiimperialistischen Sammlung und sozialistischen Orientierung genauer entsprechen. Sie schließen eher an eigene Traditionen an, suchen lieber eigene Wege, sollten sie sich auch in Extremen verlieren. Ihr Kampf gegen den eigenen Trieb zur Spontaneität wird dadurch erschwert, daß sie im Prinzip einzeln, punktuell und unkoordiniert vorgehen. Es gibt kein zentrales Festival antiimperialistischen Theaters, keine zentralisierenden Bindungen, und es wird auch kein Versuch der Kommunistischen Partei Großbritanniens spürbar, die national spezifischen Möglichkeiten des alternativen Theaters zu unterstützen, seinen Standort als eine kulturelle Bewegung zu festigen und weiterzuentwickeln und es, seiner gesellschaftlichen Funktion entsprechend, zielgerichtet und konzentriert in die sozialen und politischen Auseinandersetzungen der Zeit zu integrieren. Das theoretische Organ der Partei, Marxism Today, hat in den letzten vier Jahren einige Artikel über Fragen der „Jugendkultur" und nur wenige zu allgemeinen Fragen der Kulturpolitik in Großbritannien veröffentlicht. Das alternative Theater wird nur in einem erwähnt, und selbst dort kann nicht auf eine eigene kulturpolitische Leitlinie verwiesen werden, sondern der Verfasser bezieht sich dabei auf den in der Monatsschrift erschienenen, aus dem Französischen übersetzten Aufsatz von George Marchais und Roland Leroy For the Advancement of Culture,44 So ist jeder der engagiert Beteiligten mehr oder weniger gezwungen, die für ihn bestehenden und für die gesamte Gesellschaft zu lösenden Probleme nach seinem Vermögen allein bzw. mit seinem Kollektiv anzufassen. 37

Neue thematische Akzente

Leben und Kampf der Arbeiter: Cheeseman, P/ater, McGratb und andere Mit der Hinwendung der Dramatiker des Umbruchs zur gesellschaftlichen Wirklichkeit Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre waren „wirkliche" Erscheinungsformen des Lebens in der kapitalistischen Gesellschaft in ihren Widersprüchen auf die Bühnen in Großbritannien gekommen. Die heutigen Dramatiker mußten keine grundsätzlichen Aspekte neu entdecken: sie waren schon behandelt oder berührt worden. Doch wie sich die permanente Krise verschärfte und das politische Bewußtsein junger Autoren und Regisseure sich mit der antiimperialistischen Pointierung sozialer Forderungen erhöhte, setzten diese im Theater neue thematische Akzente. Die szenischen Gesellschaftsbilder wurden so angelegt, daß komplexere Einsichten gewonnen werden konnten und daß das Publikum auf die demokratischen Rechte der Volksmassen orientiert wurde. Die neue Qualität antiimperialistischer Dramen soll zunächst von den drei impulsstärksten inhaltlichen Komplexen her betrachtet werden. Leben und Kampf der Arbeiter hatten Wesker, Behan und Delaney im Durchbruch als neue Themen angepackt und waren dafür von der bürgerlichen Kritik als Initiatoren einer „Spülbeckenschule" bezeichnet worden - ein Prädikat mit dem Beigeschmack, daß dem bürgerlichen Theaterpublikum nun ein unerfreuliches Milieu und Stoffe vorgesetzt würden, die sich für die Unterhaltung wie für die „eigentliche Kunst" wenig eigneten. Es ist schwierig, diesen Schritt der Autoren in seiner die gesamte Theaterszenerie umwälzenden Bedeutung zu würdigen, da die Stücke ihrer Nachfolger kühner, unmittelbarer, offener ihre gesellschaftsverändernde Stoßrichtung offenbaren. Wenn Arnold Wesker im ersten Akt von Chicken Soup witb Barley (1958) den antifaschistischen Kampf der Arbeiter der dreißiger Jahre als zum Leben der Familie Kahn gehörend zeigt, geht es ihm doch in erster Linie um Individualitäten, um Biographisches, um den poetischen subjektiven Ausdruck von Erfahrungen, in denen 38

die Verhältnisse die Individuen formen, verformen und gegeneinander kehren und der ethische Auftrag und der Appell die letzte Perspektive ausmachen. Heute werden Stücke geschrieben und gespielt, in denen Individuen sich aufmachen, die Verhältnisse zu formen, in denen die aktive Beteiligung an den geschichtsbildenden Bewegungen und diese Bewegungen selbst den Angelpunkt der Stücke und den Angelpunkt eines realistischen Verhältnisses zu den objektiven Auseinandersetzungen der Gegenwart bilden. D e r Anstoß dazu ging nicht von Weskers Stücken aus, sondern von bestimmten Möglichkeiten und Bedürfnissen im regionalen Theater. E r ist mit dem Namen Peter Cheesemans verbunden, dessen Wirken in die Phase nach dem Höhepunkt des Durchbruchs fiel und auf Stücke, Inszenierungen und Autoren der Zeit nach 1968 einen bedeutenden Einfluß ausübte. Cheesemans Tätigkeit war von dem Gedanken getragen, in dieser betreffenden Region, in seiner Stadtgemeinde (community) die Kultur der Volksmassen und der Arbeiter durch ihr natürliches Interesse an den sozialen Entwicklungen der Vergangenheit und Gegenwart zu beleben. „Ein kommunales Theater hat besonders in einer Gegend, wo es (wie in den meisten britischen Städten) nur eins gibt, den Zahlern von Steuern und Gemeindeabgaben gegenüber die Verpflichtung, die Vergangenheit u n d die Gegenwart widerzuspiegeln: das Beste der Vergangenheit zu erhalten, unsere alten Rituale vorzuführen, wenn Sie so wollen, und die Gegenwart zu reflektieren, zu betrachten und zu feiern: ,der Tugend ihre eignen Züge, der Schmach ihr eignes Bild, dem Jahrhundert und Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen.'" 4 5 * D a ß Cheeseman Hamlets Rede an die Schauspieler zitiert und sich zu Shakespeares humanistischer, volksverbundener Realismusformel mit dem Zentralbegriff der Widerspiegelung bekennt, stellt ihn schon außerhalb des kommerzialisierten bürgerlichen Theaterbetriebs. Im weiteren spricht er von dem geschichtlich entstandenen Gegensatz „zwischen der sogenannten ,Kultur', die einige kultivierte und gebildete Leute verstehen und schätzen, und der .Unterhaltung', Hie jeder versteht, die aber die kultivierten Leute nicht schätzen zu können meinen . . . Nur der Künstler kann diesen toten Punkt überwinden - wenn man ihm die Freiheit dazu läßt - , denn er kann nur mit neuen Konzeptionen, neuen Stücken überwunden werden, die wirklich die Verständigungskluft überbrücken und beweisen, daß es zwischen dem ernsthaften schöpferischen Akt und der Masse des Volkes keine notwendige Spaltung gibt." 4 6

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Das schrieb Peter Cheeseman, als seine Unternehmungen bereits (junge) Theatergeschichte in Großbritannien waren und als er, da seine spezielle Show-Form vielfach aufgegriffen worden war, den formalen Aspekt überbetonte: „Auch wollte ich, daß wir die kulturelle Kluft zu überbrücken begannen, die den Künstler von der Mehrheit der Bevölkerung seiner Gemeinderegion trennt, eine Kluft, die, glaube ich, vom Stil geschaffen wurde und nicht vom Inhalt. Ich wollte eine volkstümliche Sprache, einen eigenen Stil entwickeln, der das Theater lebendiger und attraktiver macht als die Form der gängigen konventionellen Stücke."47 Ausgangspunkte waren Stephen Joseph und die 1955 gegründete Wandertruppe Studio Theatre Company, die von London und später von Scarborough aus mit neuen Stücken vor allem von James Saunders, David Campton und Alan Ayckbourn durch das Land zog und dabei die Möglichkeiten eines „theatre in the round" ausprobierte, des Spiels auf einer offenen, von allen vier Seiten mit Zuschauern umgebenen Fläche. Im Jahre 1960 eröffnete sich die Aussicht, in Newcastle-under-Lyme in North Staffordshire ein neues Theater zu erhalten, in dem man festeren Kontakt zu einem bestimmten Publikum hätte finden können. Der Plan zerschlug sich jedoch. Da aber dieses dichtbesiedelte Industrierevier mit seinen Bergwerken und seiner berühmten Ton- und Keramikindustrie kein Theater besaß das Theatre Royal in Hanley, einer der sechs Städte des „Töpfereibezirks" (the Potteries), war in eine Halle für das in England verbreitete Lottospiel Bingo umgewandelt worden - , suchte man nach einem anderen Objekt, das man im Victoria Theatre am Rande von Stoke-on-Trent fand, dem Mittelpunkt des Bezirks. Neugestaltet mit der Spielfläche mitten im Saal, wurde es im Oktober 1962 mit The Birds and the Wellwisbers von William Norfolk eröffnet. Der seit 1960 zur Truppe gehörende Regisseur Peter Cheeseman war ihr künstlerischer Leiter; Stephen Joseph war als Dozent an die Universität Manchester gegangen, saß jedoch noch im kommunalen Aufsichtsrat des Theaters. Cheeseman konnte mit der kleinen Truppe von sechs, später zwölf Schauspielern bis zu vierzehn Inszenierungen im Jahr herausbringen, die er nicht blockweise, sondern im Wechsel als Repertoire in den Spielplan nahm. Alan Ayckbourn blieb bis 1964 in Stoke, ging dann aber anläßlich der Londoner Inszenierung seines Stücks Mr. Whatnot in die Hauptstadt. Cheeseman verwirklichte nun den Plan, mit seiner Truppe aus dem reichen Material lokaler Geschichte eigene Auf40

führungen zu entwickeln. Sie verwendeten dabei ausschließlich authentisches Material aus Dokumenten, Chroniken, Memoiren, Briefen, Zeitungen und, wo der Gegenstand nicht so weit zurücklag, Tonbandinterviews. Gemeinsam mit dem Dramatiker Peter Terson, einem Lehrer, der seit 1964 mit dem Victoria Theatre (und mit dem National Youth Theatre in London) verbunden ist und 1966/67 fester Hausautor war, erarbeiteten Cheeseman und die Mitglieder des Ensembles neben den Inszenierungen von sieben Werken des Erbes und sieben der Gegenwartsliteratur jedes Jahr ein dokumentarisches Musical. Eröffnet wurde diese Serie 1964 mit The Jolly Potters, einer Schaustellung der elenden Arbeitsbedingungen der „fröhlichen Töpfer" (Titel) im 19. Jahrhundert und des Aufstands der Chartisten von 1842. 1965 folgte The Staffordshire Rebeis über Ereignisse der englischen bürgerlichen Revolution des 17. Jahrhunderts und die Hinrichtung König Charles' II., Vorgänge, die in der Gegend spielten oder an denen Menschen aus Staffordshire beteiligt waren. Das Musical The Knotty (1966) soll im folgenden detaillierter beschrieben werden. Der Zusammenschluß der Städte des Töpfereibezirks bildet den Stoff zu Six Into One (1968). Nach der Neuinszenierung des erfolgreichen The Knotty 1969 illustrierte The Burning Mountain 1970 die Geschichte des Stellmachers und Predigers der primitiven Methodisten Hugh Bourne. Die Serie wurde erst 1974 mit The Fight for Shelton Bar fortgesetzt, einem Dokumentarspiel um die aktuelle Frage der - „Rationalisierung" genannten - Entlassungen in einer Stahlgießerei, die 1967 durch Fusion in die Hände der monopolistischen British Steel Corporation übergegangen war. In einer Besprechung der Inszenierung heißt es: „Denn hier ist das Theater fast reines Instrument. Das Ensemble hat sich zum Werkzeug der Sache der Arbeiter gemacht und eine klar definierte tendenziöse gesellschaftliche Rolle erfüllt: ,Wir sind das Theater von North Staffordshire', sagt Cheeseman, ,und ich halte es für meine Pflicht, die Interessen dieses Bezirkes zu vertreten.'"48 Das war schon zu einer Zeit, als Cheesemans ursprünglicher Impuls längst aufgenommen und in der neuen, um 1968 einsetzenden Welle antiimperialistischer Dramatik vielfältig weiterentwickelt worden war. Anläßlich der Uraufführung von The Old Wives' Tale, einer von Cheesemans Frau Joyce vorgenommenen Dramatisierung des in England sehr bekannten (und in der D D R unter dem Titel Konstanze und Sophie 1971 erschienenen) Romans von Arnold Bennett (1867-1931), dem Heimatdichter des Töpfereibezirks, schrieb ein Kritiker bereits 1971: 41

„. . . Vorstellungen, die Stephen Joseph und Peter Cheeseman in den frühen sechziger Jahren als erste vertraten - die rundum offene Bühne und ein ansässiges Ensemble mit ihm verbundenen Autoren, •die sich mit der örtlichen Gemeinschaft identifizieren - werden auch achtbar. Und es ist der Ansturm der Achtbarkeit, der mir Peter Cheeseman zu bedrohen scheint. Erstens, weil das Victoria Theatre seinen missionarischen Antrieb zu verlieren scheint, sowie die von ihm zuerst verbreiteten Ideen angenommen und kopiert werden. Zweitens, weil es ausmanövriert wird von einer neuen Avantgarde •experimentierender Theatergruppen."49 Dazu später mehr. Das „musical documentary" The Knotty wurde, wie es in der Buchausgabe von 1970 heißt, „geschaffen nach Forschungsarbeit von Peter Terson und Peter Cheeseman von dem folgenden Ensemble von Schauspielern und Schauspielerinnen, geleitet von Peter Cheeseman",-^0 und es werden die Namen von elf Künstlern angeführt. Am 12. Juli 1966 fand die Uraufführung statt. „The Knotty" bedeutet •soviel wie „die Knotige" (ihr Symbol und Firmenzeichen war der Knoten Staffordshires, ein Teil des Grafschaftswappens); das war die volkstümliche Bezeichnung der am 17. April 1848 eröffneten Eisenbahn des Töpfereibezirks. Das dokumentarische Musical erzählt ihre Geschichte und die der Menschen, die mit ihr zu tun hatten, bis zum Jahre 1921, in dem das Parlament ein Gesetz über die Übernahme der North Staffordshire Railway durch die London Midland .and Scottish Railway erließ. Zu den Interviewten, deren Stimmen in dem Stück über Lautsprecher zu vernehmen sind, zählte auch ein ehemaliger Lokführer, der die letzte Zeit der Knotty noch erlebt hatte und nun zum Theaterpersonal gehörte. Dies sind einige Stationen der insgesamt dreiundfünfzig ineinander übergehenden kurzen Szenen: Nach Lautsprecheransagen und den Geräuschen der Dieselloks von heute (1966) wird in einem Eröffnungslied mitgeteilt, was die Zuschauer erwartet. Danach beginnt eine Abfolge von Szenen, Bildern, Liedern, Dialogen, Erinnerungen, Tänzen, Reden, Erklärungen und Mischformen dieser Struktureinheiten, wobei kaum Requisiten, keine Projektionen, doch eine reiche Geräuschkulisse und Beleuchtungseffekte verwendet werden. Die Szenen sind chronologisch angeordnet. Ein Raubüberfall auf eine Postkutsche 1810; 1835 Sitzung der Manufakturisten, Gewerbetreibenden und Kaufleute des Eisenbahnkomitees unter Vorsitz des Grubenbesitzers R. E. Heathcote, Unterhausabgeordneter für Newcastle-under-Lyme; das Loblied auf den Chefprojektanten George Stephenson, der Plan und Kostenvor42

anschlag unterbreitet und der Ansicht ist, daß die Menschen annähernd gleich seien; 5 1 das Lied „Städte auf dem Hügel" beklagt, daß die Eisenbahn das grüne Land schwarz färben wird; ein Schuster geht zur Eisenbahn, und da er lesen und schreiben kann, bringt er es später bis zum Stationsvorsteher; die Bodenspekulation zu Lasten der armen Landbevölkerung wird vorgeführt, und ein Junge in weißem Hemd mit roter Rose weint in einem Lied um England, das sich der Maschine und dem Fortschritt beugen muß, von dem niemand weiß, wohin er führt; 5 2 ein Stangentanz der Landvermesser symbolisiert die Versuche bereits existierender Eisenbahngesellschaften, sich die geplanten Strecken von North Staffordshire unter den Nagel zu reißen; ein Großgrundbesitzer stellt sich, pochend auf altes Bodenrecht, gegen die Entwicklung, aber das Parlament läßt den Aktionären der Eisenbahn freie Hand; beim ersten Spatenstich 1845 bricht der Spaten entzwei; zweitausend Arbeiter, von den Einwohnern als Trunkenbolde und Banditen angesehen, bauen die Strecke, Brücken und Tunnel, stolz, von harter Anstrengung gebeugt; der Lautsprecher berichtet von Unfällen, von Toten und Krüppeln; während die Reichen auf einem Bankett die Eröffnung der Linie feiern, erhalten die Armen der Stadt eine Suppe als Spende der Eisenbahngesellschaft; ein Chartist mit Trikolore ruft zur Versammlung auf: die Eisenbahn sollte das Leben der einfachen Menschen erleichtern, doch nur die Reichen haben einen Nutzen davon, weshalb dieses Land von den Arbeitern regiert werden sollte. D e r zweite Teil beginnt ebenfalls mit einem auf das folgende Geschehen hinweisenden L i e d : der Arbeitskampf steht im Vordergrund. Ein zeitlicher Sprung bringt uns in die Jahre um 1900, als die Karriere des legendären Generaldirektors W . D . Phillips - höflich, umsichtig und streng - begann; zwischen 1904 und 1909 formierte sich die Eisenbahnergewerkschaft und muß von der Eisenbahngesellschaft anerkannt werden; die Rolls-Royce aus Derby und die Rennpferdbesitzerin Lady Torrington geben Schaffnern Goldtaler als Trinkgeld; in Liverpool streiken viertausend; ein Streiklied wird gesungen; ein Rangierer hat keine Klagen, er wird Streikbrecher in den Kämpfen von 1911; das Lied vom Lokführer und vom Heizer schreibt dem Lokführer den besseren Beruf zu, doch er erhält keine Pension, sondern kommt wie die ausgedienten Loks zum alten Eisen; im ersten Weltkrieg bringt Lokführer Sharratt Truppen an die Front und Verwundete zurück; im Lied vom Siegerball verfluchen die Kriegerwitwe und der Heimkehrer die feiernden Kriegsgewinnler;

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im Streik von 1919 spricht ein Gewerkschaftssekretär; es sind, wie alle Texte, authentische Worte, und zwar solche des Vorsitzenden der Eisenbahnergewerkschaft N. U. R., J . H. Thomas, eines der ersten Unterhausabgeordneten aus der Arbeiterklasse (und späteren unrühmlichen Chancellors der ersten Labourregierung): „Zweitens ist es sowohl boshaft als auch absurd, zu behaupten, unser Eisenbahnsystem sei eine öffentliche Dienstleistung. Es ist eine private Spekulation und ist von den Eigentümern schon immer mit ebenso geringer Sorge um das Wohlergehen der Nation wie um die Arbeitsbedingungen seiner Beschäftigten geführt worden. Seht, wir haben von privater Spekulation genug. Der Krieg war eine private Spekulation. Was hatten wir damit zu tun, außer daß wir hinauszogen, um niedergemäht zu werden? Der Versuch, die Öffentlichkeit glauben zu machen, daß wir, wenn wir uns dieser skrupellosen privaten Vorteilssucht widersetzen, das Leben der Nation angreifen und gegen den Staat rebellieren, unsere Pflicht als öffentlich Bedienstete verletzen und uns an einer anarchistischen Verschwörung beteiligen, bedeutet doch, die Nation für leichtgläubig und dumm zu verkaufen. Der Streit über diese sehr bescheidene Forderung endet nun damit, daß es die Nation ganz unfreiwillig ausprobieren muß, eine Weile ohne uns auszukommen und schließlich auch ohne die Privatunternehmen. Unserer Ansicht nach wird die Nation uns für den größeren Verlust halten." 53 In der letzten Szene wird die Einverleibung der North Staffordshire Railway in eine der mächtigen Vier Großbritanniens verkündet; Phillips wird Stellvertreter des Generalsekretärs F. A. L. Barnwell; ein Lokführer sagt, sie verlören damit ihre Identität; der Heizer meint, andere nähmen ihnen nun die Stellen weg; der Gewerkschaftssekretär hält die Fusion für einen Fehler, denn die neuen Loks entgleisten oft in den alten engen Kurven und blieben stecken, bis die Knotty sie abschleppte. Mit diesem Typus des „musical documentary" betraten Cheeseman und seine Mitarbeiter einen Weg abseits der Hauptrichtung des Durchbruchs mit seinen sozialen Stücken (Wesker, Behan, Arden) und griffen Traditionen auf, die in geschichtlichen Phasen verstärkten Klassenkampfes unseres Jahrhunderts eine bedeutende Rolle gespielt haben: nach der Oktoberrevolution in der Sowjetunion, im Deutschland der Weimarer Republik und allenthalben in den kapitalistischen Ländern während und nach der großen Wirtschaftskrise, das heißt, in den dreißiger Jahren. Es waren die Erfahrungen der „Lebenden Zeitungen" und des Agitproptheaters. Cheeseman bezieht sich selbst 44

darauf: „Es ergab sich naturgemäß, daß die Lösung, die in jenem verstaubten alten Kirchensaal, in dem wir probten . . ., mir seltsamerweise in den Sinn kam, eine sein sollte, die sich vom dialektischen linken Theater herleitete, das Joan Littlewood aus den deutschen und amerikanischen dokumentaristischen Traditionen so hervorragend weitergeführt hatte." 54 Und er verweist auf das erste Dokumentarspiel, das er gesehen hatte - eine „Lebende Zeitung" über den amerikanischen Dichter und Gewerkschaftsorganisator Joe Hill (1915 ermordet) - , und auf den Erfolg der Theatre-Workshop-Produktion Ob What a Lovely War (1963), die ihm klarmachten, welche große Rolle die Musik dabei spielte. 53 Es war die Tradition von Genres und Bühnenformen, die in sozialen und politischen Auseinandersetzungen gereift waren und erprobt wurden und die Cheeseman für die Gewinnung eines neuen Publikums für geeignet hielt, weil durch sie artikuliert und sinnfällig gemacht werden konnte, wie die Mehrheit des Volkes lebte und um ihre soziale Befreiung rang. Die Mitteilung von Tatsachen, die direkte Ansprache des Publikums, Volks- und Kampflieder, eine nur geringe Charakterprofilierung, die über soziale Kennzeichen und gesellschaftlich bedingte Verhaltensweisen wenig hinausgeht, unterhaltende Elemente, grobe Zuspitzungen, die sich aus der notwendigen Verkürzung der Sachverhalte ergeben, sind Darbietungsformen, die Werke dieses Typus charakterisieren, und Cheeseman war sich der Zufälligkeit der Mischung bewußt: „Stilistisch war das Ergebnis so heterogen wie das Quellenmaterial. Die Inszenierungen waren episodisch und der Struktur und dem Inhalt nach zusammenhanglos."56 Ein Zusammenhang mittels durchgehender Personen ist nicht gegeben, doch es gibt einen anderen, den der Geschichte. In dem Grad, wie Cheeseman das tut, ist das neu. Die Agitpropstücke der zwanziger und dreißiger Jahre verwiesen zwar auch auf geschichtliche Ereignisse und Abläufe, doch lag ihr Akzent auf einem aktuellen Aspekt des Klassenkampfes oder sogar auf einer konkreten Klassenkampfsituation. Oh What a Lovely War war in dem Sinne mehr ein aktuelles Stück, das während des kalten Krieges wie die britische Massenbewegung des CND (Campaign for Nuclear Disarmament) gegen Atomversuche, atomare Aufrüstung und gegen die Stationierung amerikanischer Atomstreitkräfte auf den Britischen Inseln stritt, denn ein historisches über den ersten Weltkrieg, der freilich den Stoff dazu lieferte. Beim Theatre Workshop wird Gegenwart warnend bezeichnet, in The Knotty führt das Geschichtliche zu gegenwärtigen Lebensverhältnissen hin. 45

Doch was bedeutet „Geschichte" in The Knotty und für Peter Cheeseman? Sein Beharren auf ausschließlich authentischem Material ließ ihn auf die eigentliche Gestaltung der Geschichte verzichten und an ihre Stelle so etwas wie eine künstlerische Auswahl und aufgelockerte Darbietungsform setzen. In seinen eigenen Worten klingt diese Absicht so: „ . . . die Geschichte dieses Gemeinwesens aus dem eigenen, aus der Erforschung der Zeugnisse gewonnenen Material formen . . . , alle unsere darstellerischen Erfahrungen nutzen, um eine lebensvolle und volkstümliche Show zu gestalten, in lockerer Form, die zukünftige Entwicklungen offenläßt." 57 Deutlicher wird dieses spontane Herangehen in Cheesemans „Anweisung an die Schauspieler" anläßlich der Vorbereitung seines zweiten dokumentarischen Musicals, The Staffordshire Rebeis: „Wenn wir mit dem Material arbeiten, müssen wir erkennen, was von Wert ist, was interessant, erregend, wichtig und was von rein unterhaltendem Wert ist, so daß das Auswählen kein akademischer Prozeß wird, sondern ein theatergemäßer. Meine Damen und Herren, untersuchen Sie alles als Schauspieler, nicht als Universitätsgelehrte. Glauben Sie nicht, Sie müßten sich einen anderen Hut aufsetzen, wenn Sie diese Show machen. Der Hut, den Sie tragen, ist ein Schauspielerhut. Die Elle zum Messen Ihres auszuwählenden Materials ist: Kann ich daraus etwas machen, kann ich auf die Bühne treten und das zur Wirkung bringen, kann ich daraus eine Show machen? Wenn Sie denselben Wahrheitssinn walten lassen, der Sie bei Ihrer anderen Arbeit leitet, dann wird das, was wir über den Bürgerkrieg (die englische bürgerliche Revolution — G. K.) sagen werden, Gültigkeit haben und relevant, erregend und unterhaltend sein. Das ist das Verfahren, das wir anwenden werden." 58 * Die Abgrenzung gegen die akademische Gelehrsamkeit ist als Zurückweisung bürgerlicher Geschichtsdarstellungen zu verstehen, doch außer seiner Volksverbundenheit hat Cheeseman ihr nur den Instinkt des Theatermannes entgegenzusetzen. Über die Fragen, welche Kräfte die geschichtliche Bewegung vorantreiben, wo die Wurzeln widersprüchlicher Erscheinungen liegen und wie sie zum Ausdruck zu bringen seien, findet sich in den theoretischen Äußerungen nichts; es scheint, als habe die „britische Feindseligkeit gegenüber Ideen" 59 , die Stuart Hall in dem Hang zum Naturalismus und dem Unvermögen, Wörter und Situationen in dramatische Beziehungen zueinander zu setzen, bei den Autoren des Durchbruchs 1961 feststellte, sich hier unselig erhalten. Unvermittelt werden in The Knotty mit positivisti46

schem „Objektivitäts'-Fanatismus Meinungen und Begebnisse unterschiedlicher sozialer Wertigkeit parallelisiert. Der Begriff „Fortschritt" erhält dabei einen dubiosen Inhalt; gemeint wird damit der technische Fortschritt, der die alten gemütlichen, patriarchalischen, noch übersichtlichen Zustände durch die technisch entwickelteren, menschlich ärmeren, anonymeren, kälteren, die Umwelt verschmutzenden ablöst. Das Für und das Gegen den Fortschritt, den die örtliche Eisenbahn und später das nationale Eisenbahnsystem mit den wenigen großen Eisenbahngesellschaften bringen, rückt so, gewollt oder nicht, als Streitfrage in den Mittelpunkt. Dieser Konflikt des Stücks korrespondiert aber nicht mit dem objektiven Grundwiderspruch der Gesellschaft, er durchbricht und verzerrt die realen Fronten. Wenn Cheeseman dennoch durchgehend Sympathie mit den Arbeitern, mit den Erbauern, aber nicht Nutznießern der schöpferischen Tätigkeit ausdrückt und erweckt, die von den klaren Forderungen der Gewerkschaften flankiert wird, so entsteht eben jene von den guten alten revolutionären Sprüchen begleitete sentimentale Atmosphäre des Wehklagens um die vergleichsweise gute alte Zeit, die ebenso von den ungeschliffenen, aber tapferen Bauarbeitern wie von dem patriarchalisch gezeichneten, für die lokale Unabhängigkeit und territoriale Identität eintretenden W. D. Phillipps personifiziert werden. Unter der falschen Alternative, Fortschritt oder nicht, blüht eine nostalgische Sehnsucht; sie verspricht einen Ort der Ruhe oder der Zuflucht vor den von Unbekannt gesteuerten, anonymen Veränderungen, vor Eingriffen in das Leben des Gemeinwesens, die über das im Territorium einst scheinbar organisch gewachsene Verständnis der Neuerungen hinausgehen. Der sentimentale Zug desorientiert von den objektiven Interessen der Arbeiter. Diese werden zwar auch spürbar, jedoch nur als Bemühungen, jeweils im Nachhinein das Beste aus der von den Bourgeois veränderten Situation zu machen. Dieses Bild der Arbeiter als Objekt der Geschichte wird in Tbe Knotty kaum in Frage gestellt; die Aufrufe der Gewerkschaftsführer eröffnen Zielvorstellungen, doch Cheeseman veranschaulicht nicht die Kraft der Arbeiterklasse, im Kampf um die Bedingungen des technischen Fortschritts und um den Ausbau demokratischer Lebensverhältnisse sich zu einem geschichtsbildenden Faktor zu formieren. D a ß es unvermeidlich sei, nur darum ringen zu können, wie man am besten mit den unbeeinflußbaren Zuständen zurechtkomme, scheint die Nostalgie nach den überschaubaren Verhältnissen von einst zu rechtfertigen und damit trotz der Erinnerungen an die Streiks von 47

1909, 1911 und 1919 den Gedanken an mehr als nur ökonomische Kämpfe der Arbeiterklasse aus dem Assoziationsfeld des Stückes fernzuhalten. Da die Verabsolutierung des dokumentarischen Verfahrens eine textliche Bewertung der vorgeführten oder genannten Ereignisse unmöglich macht und eine gestalterische erheblich erschwert, treten die Veränderbarkeit und die Notwendigkeit, konstruktiv auf die schrittweise Demokratisierung und die schließliche Revolution der Gesellschaft hinzuwirken, kaum hervor. Die Darstellungsweise läßt im Gegenteil zu, daß Kritiker Peter Cheeseman deshalb loben, weil er im historischen Einzelfall Erscheinungen der Klassengesellschaft als unveränderliche Wahrheiten erschloß, die „archetypischen, abstrakten Konflikte", die „größeren Kernfragen" 60 *. Obwohl das Stück dadurch doch recht zwiespältig bleibt und es sich nicht sagen läßt, wer sein „Held" sei oder wo ein die Aufmerksamkeit der Zuschauer bindender Brennpunkt liege, muß man The Knotty wie auch die anderen dokumentarischen Musicals des Victoria Theatre für die Entwicklung des progressiven Dramas sehr hoch schätzen. Aus ihnen spricht das Volksempfinden, das den Kapitalismus für alles Häßliche im Leben verantwortlich macht. Gerade solche Szenen, die der Show ihren Rhythmus geben und dadurch besonders akzentuiert sind - zum Beispiel in den Kontrasten von Suppenverteilung und Bankett gegen Ende des ersten Teils und von Soldaten- und Kriegerwitwenschicksal und Siegesball gegen Ende des zweiten Teils veranschaulichen den unversöhnlichen Klassenwiderspruch am besten. Peter Cheeseman wies damit in zweierlei Hinsicht auf neue Möglichkeiten, nämlich thematisch über die lokale Geschichte und lokale Traditionen neue Zuschauerschichten zu erreichen und eine im Klassenkampf entstandene Theaterform wiederzubeleben und weiterzuentwickeln. Im Laufe von drei Jahren brachte es The Knotty auf vierundachtzig Vorstellungen. Von anfänglich 28 % stieg die durchschnittliche Besucherzahl des Theaters auf 65 % i m Jahre 1970, und 6 5 % der Zuschauer sind jünger als fünfundzwanzig Jahre. 61 Für die Geschichte des britischen Theaters und Dramas war dabei nicht nur bedeutsam, daß die Lebensweise und die Anschauungen der Werktätigen unmittelbar in einem von den unteren Volksschichten - besonders in der Provinz - als bürgerlich gemiedenen Theater zur Sprache kamen, sondern daß hier eine Bresche in die bislang als selbstverständlich geltende Gewohnheit geschlagen wurde, daß neue Stücke von London kommen (bisher wurden sie in London vorbe48

reitet, in der Provinz auf einer Tournee ausprobiert, um dann in London ihre Hauptspielzeit zu haben, bevor sie ins Repertoire von Provinzbühnen aufgenommen wurden). Durch das Abflauen des Durchbruchs in London, das Anfang der sechziger Jahre auch die Aktivitäten des Centre 42 auf die Provinz gelenkt hatte (Festivals in Wellingborough 1961, danach in Nottingham, Birmingham, Bristol, wieder Wellingborough, Hayes und Southall), verschob sich der Schwerpunkt konstruktiver Ansätze eines demokratischen Dramas in die „regions", die, wie der Pionier Cheeseman mit seinem Ensemble, junge Dramatiker hervorbrachten oder anzogen und besonders das mit den historischen Traditionen lokaler Klassenkämpfe verknüpfte Drama als einen Hauptstrang antiimperialistischen Wirkens im britischen Theater begründeten. Dieser Neuansatz wurde sofort an anderen Orten mit anderem lokalgeschichtlichen Hintergrund aufgegriffen. Die Suche nach der territorialen Identität eröffnete einen breiten Zugang zu Konfliktstoffen, die Wesenszüge der Klassengesellschaft bloßlegten und selbst bei einer Darstellung, die sich „nicht unzweideutig auf der einen oder der anderen Seite des Zauns niederläßt" 62 , doch der volksverbundenen Kritik an den durch die Herrschaft der Minderheit verursachten Mißständen und Ungerechtigkeiten eine starke Wirkung einräumten. Es entstanden einfache Nachahmungen, aber es wurden auch Versuche unternommen, dramaturgisch neue Formen zu entwickeln. Die in der älteren Geschichte angesiedelten Stücke in der Nachfolge von The Staffordsbire Rebeis blieben in der Minderheit, wandten sich aber ebenso den historischen Knotenpunkten zu, so Jack Emerys Drama The Bastard, King (1968) über den Aufstand des Herzogs von Monmouth, unterstützt von Kleinbauern, Landarbeitern, Webern, gegen das reaktionäre katholische Regime des Stuartkönigs James II. im Jahre 1685. In neuer Qualität dringt aber erst Steve Gooch 1972 mit seinem Stück über den Bauernkrieg in die Dialektik revolutionärer Prozesse ein, das später erörtert werden soll. Das andere Thema, das des Arbeitskampfes im Industrie- und Monopolkapitalismus und das des Streiks, zu dem Cheesemans The Figbt for Shelton Bar gehört, genießt für die unmittelbare Wirkung im antiimperialistischen Kampf zwei Vorteile: Es reicht in die Lebenserfahrungen aller Arbeiter hinein und kann direkt auf die heutigen Auseinandersetzungen bezogen werden, ob es sich dabei um das Ringen der Arbeiter um Versammlungs- und Streikrecht und um die Anerkennung ihrer Gewerkschaften im 19. Jahrhundert oder die 4

Klotz, Alternativen

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Massenstreiks von 1972 handelt. Allerdings besagt die Themenwahl noch nicht, inwieweit historische Vorgänge parteilich gestaltet sind. Das Lauffeuer des dokumentarischen Musicals, das von Stoke-onTrent durch fast alle Regionen Englands, Wales' und Schottlands ging, übernahm als erster das Playhouse, Sheffield, mit The Sttrrings in Sheffield on Saturday Night (1966) von Alan Cullen. In den Einführungen zur Buchausgabe von 1974 bekennen sich John Hodgson, der Autor Cullen und der Regisseur Colin George zu den gleichen Anregern wie die Kollegen des Victoria Theatrc: zu den „Lebenden Zeitungen", zu Piscator, Brecht und zu Joan Littlewoods Ob What a Lovely War, doch sie zollen vor allem Peter Cheeseman Tribut, der im professionellen Theater dieses Genre einbürgerte und eine unterhaltende Art, Wichtiges für ein breites Publikum zu sagen, weiterentwickelte. 63 Cullen verwendete auch den Sketch und Nummern aus der Tradition der englischen Music Hall, der volkstümlichen VarieteKunst. Sein widerspruchsvoller Held ist ein Sägenschleifer, Arbeiterführer und unbarmherziger Fanatiker, der in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit Gewalttätigkeiten und frechen Übergriffen die Anerkennung der Gewerkschaften durchsetzen wollte. Diese zwielichtige Gestalt, William Broadhead, ist als Vorfahre heutiger Anarchisten und vielleicht sogar der Terroristen „interessant" und eignete sich sicher für eine psychologische Studie, wie Cullen an gleicher Stelle einräumt. Sein Profil und seine Methoden des Klassenkampfes verzerren die einander gegenüberstehenden Fronten, so daß sich mit den moralisch negativen Zügen und den damit verknüpften politisch fragwürdigen Praktiken eine „ausgleichende" negative Zeichnung des Arbeiterführers ergibt, die im Stück und durch das Stück selbst nicht bewertet wird: „Stirrings versucht nicht, Partei zu ergreifen oder eine bestimmte gesellschaftliche Aussage zu machen, sondern nur die Haltung einiger Menschen jener Zeit gegenüber den Ereignissen zu zeigen, in die sie verwickelt wurden. . . William Broadhead und seine Verbündeten werden im wesentlichen objektiv dargestellt und nicht, so hoffe ich, in irgendeiner Weise bewertet." 64 Eine ähnliche unparteiliche Haltung bescheinigt der Kritiker der bürgerlichen Theäterzeitschrift Plays and Players dem dokumentarischen Musical Down the Arches (1970) von Ewan Hooper. Es stellt die Fragen, was der Bau der Eisenbahn London-Greenwich in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts sozial und menschlich kostete, wieso statt besserer Wohnbedingungen „entlang den Bögen" (Titel) der Eisenbahn Slums entstanden, warum Menschen aus ihren Behau50

sungen vertrieben wurden - Fragen, die auch heute beim Bau von Flugplätzen, Autobahnen und Industrieanlagen akut sind. Doch ohne gesellschaftliche Alternativen sichtbar zu machen, verharrt der Autor im Patt zwischen Fortschritt und angeblich notwendigen Opfern: „Mr. Hooper bleibt hartnäckig neutral." 63 Die vermeintliche Neutralität der Historie kommt allerdings nur insofern zum Tragen, als Schlußfolgerungen aus dem Geschehen nicht auf der Bühne gezogen, sondern dem Zuschauer überlassen werden, als die direkt mobilisierende Agitation vermieden oder durch andere Elemente der Show relativiert wird und als den Zuschauern nicht ein Appell zur Veränderung der Gesellschaft, zum Kampf gegen den Kapitalismus und zum revolutionären Umsturz entgegenschlägt; die historischen Fakten allein - meist Wahrheiten, die von der herrschenden Klasse verschwiegen, entstellt, verharmlost oder ihrer gesellschaftlichen Qualität entkleidet werden - sprechen in diesen Stücken meist eine eindeutige Sprache: Sie klagen diejenigen an, die sich an der technischen und ökonomischen Entwicklung bereichern, ihren Nutzen nicht dem Volke zukommen lassen, die, wie C. G. Bond in Under New Management (1975) darstellt, diesen Fortschritt sogar bremsen, indem sie kostbare Werte verschwenden, im Ausland investieren, wo sie billigere Arbeitskräfte finden, und die Zahl der Arbeitslosen in Großbritannien erhöhen. C. G. Bond hält hier mit seiner Parteilichkeit nicht hinterm Berge, ebensowenig wie David Holman in You Must Be Joking (1971), einer bis in die Gegenwart und die Kämpfe gegen das Industrial Relations Act geführten Geschichte der Arbeiter von Coventry. In Close the Coalhouse Door (1968) verbindet Alan Plater die Erinnerungen an vergangene Kämpfe und Erfahrungen der Bergarbeiter im Kohlenpott von Newcastle-upon-Tyne mit einer in der Gegenwart angesiedelten Handlung um eine fiktive Bergmannsfamilie. Über das Ziel dieses Stücks, zu dem Alex Glasgow Lieder und Musik schrieb, sagt der Autor: „Wir begannen mit fertigen Meinungen über den Gegenstand und mit dem erklärten Ziel, ,ein uneingeschränktes Loblied auf die Bergleute' zu singen, ,die eine revolutionäre Waffe schmiedeten, ohne revolutionäre Absichten zu haben'. Wir suchten die Abschnitte der Geschichte aus, die unsere Meinungen bestätigten obwohl tatsächlich viele zur Auswahl standen. Es hat uns Freude gemacht, daß es in dem Prozeß möglich war, wirkliche historische Gestalten wie Thomas Hepburn zu feiern und die bequeme, dürftige, aus dem Kinderlexikon stammende Auffassung zu korrigieren, das 4*

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Los der Bergleute habe sich bloß auf einen Wink von Lord Shaftesbury mit dem Zauberstab verbessert."66* Auch Plater bekennt sich zur Tradition Joan Littlcwoods und Peter Cheesemans. Ihn und seine Arbeit kannte er gut, hatte Cheeseman doch 1964 in Stoke Platers Stück Ted's Cathedral inszeniert. Vielleicht hatte Plater dafür Cheeseman angeregt, Werke der regionalen Erzählkunst zu adaptieren, stützte er sich doch auf Erzählungen von Sid Chaplin (geb. 1916), der aus dem Kohlenrevier stammt und Bergarbeiter war (Cheeseman inszenierte drei Adaptionen nach epischen Werken Arnold Bennetts und die Bearbeitung des Romans Tess of the D'Urbervilles von Thomas Hardy, alle nach 1969). Alan Plater wurde 1935 in Jarrow geboren, das zum Industriegebiet am nordenglischen Fluß Tyne gehört. Am King's College in Newcastle studierte er Architektur, gab aber im Jahre 1961 seinen Beruf auf, als sein Hörspiel Smoke Zone angenommen wurde. Er lebt nun in der Hafenstadt Hull. Einen Namen machte er sich als Mitglied des Autorenteams der in England erfolgreichen Fernsehkrimiserien Z Cars und S o f t l y , Softly. Seinem Fernsehspiel A Smashing Day (1962) über einen ruhelosen jungen Burschen, der unversehens in eine trostlose Ehe schlittert, folgte das Musical Charlie Came to Our Town (1966), das auf sein Fernsehspiel The Nutter (1965) zurückgeht. In dieser satirischen Revue über eine Industriestadt in Yorkshire, zu der Alex Glasgow die Musik schrieb, versucht der Bilderstürmer Charlie als Geste des Protests die Straßen der Stadt weiß zu streichen. Alle sind dafür, doch alle lassen ihn im Stich, bis auf einen eingewanderten Farbigen. Neben weiteren Fernsehspielen entstanden Close the Coalhouse Door und die dokumentarischen Musicals Don't Build a Bridge, Drain the River (1970), verfaßt zur Eröffnung des Arts Centre in Hull, und Simon Says... (1970); Don't Build a Bridge war ein Versuch, achthundert Jahre Geschichte zur Huldigung der Stadt zusammenzufassen, Simon Says . . . eine Satire auf Privilegien, die Ausbeutung und auf die zynische Manipulation der öffentlichen Meinung. Am Everyman Theatre, Liverpool, das die Verdienste Cheesemans und den Einfluß Joan Littlewoods ebenfalls hervorhebt, brachte Plater sein Stück When the Reds (1973) heraus. Es trägt den Untertitel „Dreißig Jahre im Leben eines Anhängers des FC Liverpool", in die Plater die sozialen und wirtschaftlichen Probleme seiner Klasse verwebt.67 Im gleichen Jahr kam in Hull And a Little Love Besides heraus, in dem Plater die Kirche als Säule der bestehenden Ordnung verspottet. The Tigers 52

Are Coming OK ist die Geschichte zweier Brüder aus Hull, von denen der eine, Ray, dem tristen Leben entfliehen möchte und sich für den Aufstieg des örtlichen Fußballklubs engagiert; es wurde 1974 vom Unity Theatre und in einer Bearbeitung auch von dem sozialistischen Ideen verbreitenden Half Moon Theatre gespielt. Den Rahmen der drei Akte des hier näher zu betrachtenden Musicals Close the Coalhouse Door bildet die goldene Hochzeit des Bergmanns Thomas Milburn und seiner Frau Mary. Die Feier gibt Gelegenheit zu Liedern und zu Erinnerungen, die im Dialog wach werden oder von den Feiernden ohne Kulissenwechsel, unter Verwendung nur weniger Requisiten, als Szene improvisiert werden. Am Schluß rücken die vierzehn chronologisch angeordneten Rückblenden immer näher an die Gegenwart heran, so daß sich die Grenzen fast verwischen. Die Rückblenden des ersten Akts beginnen mit den Arbeitskämpfen von 1831 und 1832, in denen die Begrenzung der Arbeit sechsjähriger Kinder auf täglich zwölf Stunden durchgesetzt und die erste überregionale Bergarbeitergewerkschaft gegründet wurde, die Solidaritätsstreiks ermöglichte. 1844 ließ Lord Londonderry die Streikenden von der Polizei aus ihren Wohnungen treiben und irische Arbeiter anwerben. Die schlimmsten Übel konnten erst 1872 abgestellt werden, doch Lord Londonderry blieb. Im zweiten Akt erinnern sich die Milburns und ihre Freunde an ein Grubenunglück, an die Reprivatisierung der Gruben durch den Premier der Koalitionsregierung Lloyd George im Jahre 1918, was zu sofortigen Lohnsenkungen führte, an den Generalstreik von 1926, als Thomas Milburn die Streikposten organisierte, an die Entlassungen. Der Enkelsohn Frank, Student, singt das Lied vom beschissenen Leben der Bergleute. Der dritte Akt blickt auf die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg zurück, auf die 1946 erfolgte Nationalisierung der Gruben, auf das baldige Zechensterben, besonders nach dem Wahlsieg der Labourpartei 1964: Obwohl die Gruben Gewinne abwerfen, werden sie im Zuge von „Strukturverbesserungen" stillgelegt, weil andere Energiequellen höhere Profite abwerfen; statt dessen soll eine Parfümfabrik gebaut werden. Ein Gast, Jackie, fordert eine „verdammte Revolution", und sie singen das ironische Lied „Bei uns nicht": Bei uns gibt es keine Ausbeutung, also braucht sich nichts zu ändern. Plater verzichtete darauf, die Gegenwartsebene mit einer kräftigen Handlung auszustatten. Es gibt Eifersüchteleien zwischen Frank und dem älteren Bruder John, weil der Student mehr vom Schacht und seiner Geschichte weiß als der vor Ort arbeitende John, auch echte 53

Eifersucht um Franks Freundin Ruth, und einen Streit, ob es Sinn hat, alte Sachen aufzuwärmen und der alten Zeit nachzuhängen. Doch dadurch wird die Atmosphäre der Feier, der episch-dramatischen Huldigung des Arbeiters nicht durchbrochen. Dennoch entläßt uns Plater nicht ohne offene Fragen. Der Widerspruch, daß die Bergleute ihren Beruf lieben, obwohl sie in der Arbeit ihre Wesenskräfte einem Produkt übertragen, das sich die Eigentümer, die Aktienbesitzer oder der kapitalistische Staat aneignen, greift tief in ihr individuelles Leben ein. Wenn sie in andere Berufe abwandern müssen, scheinen für sie die kampfreichen Traditionen des Gewerks zu erlöschen, die ihnen bis zur Gegenwart eine wichtige Basis ihrer Solidarität gewesen sind; die britischen Bergleute haben tatsächlich in den jüngsten Klassenkämpfen eine höhere Solidarität bewiesen als etwa Arbeiter jüngerer Industriezweige, zum Beispiel die der Motor- und Autoindustrie. 68 In seinem Aufsatz The Playwright and His People (Der Stückeschreiber und sein Volk, 1971) geht Plater darauf ein, daß die Art und Weise, wie sich das Verhältnis des Arbeiters zum Beruf, zu seinem Handwerk, auf den Klassenkampf und wie sich der Konflikt zwischen den Klassen und die Entfremdung der Arbeit auf des Arbeiters Bindung an den Beruf auswirken, was von vielen Schriftstellern wegen unmittelbarer propagandistischer Ziele oft übersehen wird, und er nennt als eine der großen Ausnahmen den ersten englischen sozialistischen Roman, The Ragged-Trousered Philanthropists (postum 1914, deutsch Berlin 1955) von Robert Tressell, als ein Vorbild. In Close the Coalhouse Door überdeckt Plater die unterschiedlichen Haltungen seiner Figuren in diesem Punkte nicht, doch er spitzt sie auch nicht zu einem Konflikt zu. Er hebt die verschiedenen Profile, Charaktere und Leidenschaften, ihren Humor, Witz und heimlichen Stolz, ihre Schwächen und ihre Herzensstärke in der prinzipiellen Einheit ihrer politischen Auffassungen hervor. In ihrer Erinnerungsfreudigkeit, in ihrem Hang, Geschichte zu spielen, drückt Plater ihre von verhaltenen, doch tiefen Gefühlen begleitete Einsicht aus, daß ihr Leben in einem gesellschaftlichen, historischen Prozeß geformt wurde. Aus dem absoluten Elend, das die Industrialisierung brachte, haben sie durch ihren Zusammenschluß und durch einen über Generationen hinweg geführten Kampf den Unternehmern Rechte und der Regierung Gesetze abgetrotzt, die ihre Arbeits- und Lebensbedingungen verbesserten. Sie bewiesen, daß die Arbeiter ihr Schicksal mitbestimmen können. Die Bedeutung der Traditionen wird in der letzten Episode des Gegenwartsgeschehens von Plater noch einmal sinnfällig unterstrichen: 54

John kann sich bei einem Steineinbruch retten, weil er sich einer Geschichte erinnerte, die sein Großvater von einem früheren Unglück erzählte. Auch wenn das Dorf von allen verlassen werden wird, wenn alle neue Mühen um ihr tägliches Brot und um die ständige Neubildung und Festigung der Einheit ihrer Klasse vor sich sehen, auch wenn das Schließen des Schachttores (Titel) Wehmut wie in The Knotty begleitet, ist es ein unschätzbarer Impuls politischer Bewußtseinsbildung, im Drama die Lebensverhältnisse, Gedanken und Gefühle der Arbeiter wahr darzustellen und die Traditionen einmütigen Widerstands gegen die Besitzenden und Regierenden wachzurufen. Als ein beeindruckendes Mittel dieser Bewußtseinsbildung verwendet Plater die spontan in Kunst umgesetzte Erinnerung. Die Rückblenden werden ja nicht als ein Szenenwechsel vom Regisseur vorgeschrieben, sondern Plater schrieb das Stück so, als seien es die Gestalten selbst, die während der Feier aus eigener Lust die Ereignisse von damals spielen,, denn sie kennen aus eigenen Erfahrungen den Gestus der Arbeiter im Klassenkampf und den der Unternehmer und der mit ihnen paktierenden Parteifunktionäre und Regierungsvertreter, die den Profit und.die Macht verteidigen wollen. Die Gäste verschwinden nie ganz hinter den historischen Personen, sie treten nie ganz aus dem Gegenwartsgeschehen heraus und verbinden die gespielte Erinnerung oft durch ergänzende Berichte oder kritische Kommentare mit der in der Unterhaltung ausgesprochenen. Die Milburns und ihre Gäste werden gerade auch durch dieses Spielvermögen, das historische Kenntnisse und deutliche Parteilichkeit voraussetzt, charakterisiert. Das sonntägliche Genrebild englischer Arbeiter wird so zum Ausdruck proletarischen Klassenbewußtseins und einer demokratischen Kultur, die keinen naturgegebenen Gegensatz zwischen Kunst und Volk kennt. „Das denkwürdigste an dem Stück ist nicht so sehr sein Drama, seine Tragödie und nicht einmal sein Humor, obwohl der zuweilen wunderbar komisch ist, sondern es liegt in dem Nachdruck auf der Menschlichkeit seiner Gestalten." 69 Das Stück war ein großer Erfolg - unter "Arbeitern; Plater schreibt dazu: „Es war interessant und herzerquikkend, daß die Arbeiter zu Tausenden kamen, um sich die Inszenierung in Newcastle anzuschauen, als es sich herumsprach, und es ist gleichermaßen interessant, daß zu der nachfolgenden Inszenierung des Stücks in London die Arbeiter nicht kamen, womit sie darauf hinwiesen, daß sowohl die gesellschaftlichen Barrieren als auch die Eintrittspreise zu hoch waren." 70 55

Plater hatte sich damit von Cheesemans Methode in einer Richtung entfernt, die mit der Einführung fiktiver Gestalten und einer erdichteten Spielebene von der Dokumentation weg und zum sozialen Drama hinzielte, tind er tat dies bewußt: „Es ist offenkundig, daß regionale Shows, verknüpft mit der vergangenen und der gegenwärtigen Geschichte und mit der unmittelbaren Zukunft, ein Publikum anziehen, um das sich sonst Kneipen, Klubs, Bingohallen, Hughie Green oder deren diverse Umsetzungen bemühen. Doch das ist kein narrensicheres Rezept, hauptsächlich wegen eines Mißverständnisses hinsichtlich des Wortes .dokumentarisch'. Man kann nicht einfach jede alte Zeitung, die man unter dem Teppich findet, für die Bühne bearbeiten, um dann darauf zu warten, daß die Besucherzahlen raketenartig in die Höhe schießen. Die Geschichte ergibt erst dann einen Sinn, wenn sie von einem phantasievollen und höchst subjektiven Hirn gefiltert wird." 71 * Diese auf Gestaltung und Individualisierung historischer Erfahrungen gerichtete Intention ist in Close the Coalhouse Door in gewissem Grade realisiert. Allerdings ist die Symbiose zwischen naturalistischem Genrebild und historischer Dokumentation im Stile des Agitprop, bereichert durch die Darbietungsformen der britischen Music Hall, nur bedingt gelungen, denn da eine Gegenwartshandlung kaum ausgebildet ist, kann keine Beziehung der Rückblenden und geschichtlichen Traditionen zu gegenwärtigen Aktionen oder Entscheidungen entstehen, keine dramatische Verknüpfung, sondern nur eine epische, additive, die den Figurenaufbau, die Charakterisierung und die historische Fundierung der Lebensweise qualifiziert. Daß Cheeseman wieder die Geschichte des Volkes, der Arbeiterklasse bzw. der werktätigen Menschen einer Region für ein demokratisches, Wesenszüge des Kapitalismus entlarvendes Theater nutzte, begeisterte fortschrittlich gesinnte und sozialistische Dramatiker, ungeachtet ihrer individuellen Vorstellungen, welche Dramentypen oder welche Dramaturgien sich für die Darstellung des Lebens und des Kampfes der Arbeiter und dafür am besten eignen, neue Einsichten zu vermitteln und die antiimperialistischen Kräfte zu ermuntern. Neben dem meist vorwiegend naturalistischen Drama mit vierter Wand wie z. B. Sparrers Can't Sing (1960) von Stephen Lewis, unter dem Titel The Londoners von Joan Littlewoods reaktiviertem Theatre Workshop 1972 wiederaufgeführt, den Stücken Weskers bis hin zu The Wedding Feast (1974) und David Storeys In Celebration (1969) einerseits und den vom Agitprop, von den „Lebenden Zeitun56

gen" und der Music Hall herkommenden historischen Revuen oder dokumentarischen Musicals von der Art der Inszenierungen Joan Littlewoods und Peter Cheesemans andererseits hatte Plater mit der Verbindung eines individuellen Gegenwartsgeschehens mit Bildern der Geschichte einen Stücktypus ausprobiert, der ausbaufähig ist und tatsächlich in den letzten Werken von John McGrath seine bisher reichste und wirksamste Form gefunden hat. Bevor sie genauer betrachtet werden, ist an Hand von Beispielen aus der Zeit nach 1968 zu untersuchen, welche Entwicklungen sich für die beiden anderen Dramenformen abzeichnen und wie sie durch die Einbeziehung des Klassenkampfes und der gewerkschaftlichen und revolutionären Traditionen zur Erhöhung des antiimperialistischen Bewußtseins beitragen. Während des Streiks in den Upper Clyde Shipyards Anfang 1972 wurde am Royal Lyceum Theatre Edinburgh ein Stück uraufgeführt, das als das seit langem erregendste Ereignis im schottischen Theater gefeiert wurde, Willie Rough. Verfaßt und inszeniert hatte es einer der Direktoren des Theaters, Bill Bryden. Er wurde 1942 in Greenock am Firth of Clyde geboren, dessen Werften den Hauptschauplatz des Stückes bilden. Sein Vater war dort Maschinist oder Schlosser gewesen; sein Großvater, der den Namen Willie Rough trug, hatte als Nieter auf der Werft gearbeitet und an dem großen Streik teilgenommen. Der Titelheld soll im wesentlichen jedoch fiktiv sein.72 Entstanden war das Stück schon Jahre zuvor, als Bryden noch Regieassistent von William Gaskill am Royal Court in London war; Gaskill, der dort unter anderem Werke von N. F. Simpson, von Arden,Wesker, Bond, Wood und Brecht herausgebracht hatte, scherte inzwischen aus dem etablierten Theater aus und schloß sich der 1973 gegründeten progressiven Joint Stock Theatre Group an, für die er das noch zu besprechende Revolutionsstück Fanshen (1975) von David Hare inszenierte. Willie Rough wurde wegen seines Inhalts, des Lebens und Kampfes der Arbeiter, mit dem Schaffen Cheesemans und Platers in Verbindung gebracht; 73 es ist jedoch ein Stück mit vierter Wand, mit einer begrenzten Anzahl von Figuren aus einem sozial begrenzten Sektor. Seine chronologisch angeordneten achtzehn Szenen erstrecken sich vom Februar 1914 bis zum Juni 1916. Der arbeitslose Nieter Willie Rough aus Johnstone, einem Dorf abseits der Straße von Glasgow nach Greenock, findet Arbeit auf der Werft und wird nach einiger Zeit Gewerkschaftsorganisator. Zwar hatten ihn die Reden 57

und die Persönlichkeit des (im Stück nicht auftretenden) sozialistischen Arbeiterführers John Maclean 7 4 * tief beeindruckt, doch ist er kein Revolutionär, sondern einer, der im Grunde seine Ruhe haben will. 7 5 E r setzt sich jedoch aktiv für den Kampf um höhere Löhne ein, und ihm gelingt es, die mächtige Gewerkschaft Association of Scottisch Engineers für ein einheitliches Vorgehen im Streik mit seiner kleineren Gewerkschaft, der Allied Trades, zu gewinnen. Wegen eines „aufrührerischen" Zeitungsartikels wird er ein halbes Jahr eingesperrt. Nach seiner Entlassung will ihn niemand einstellen, nidit einmal der Vorarbeiter J a k e Adams, der ihn trotz relativ exponierter Stellung unterstützte; aber Willie will nicht aufgeben. Willie Rough ist nicht der Typ eines heldenmütigen Kämpfers und Anführers, eher der eines gewöhnlichen britischen Arbeiters. E s sind sein Gerechtigkeitsgefühl und die Integrität seiner Persönlichkeit, die ihn veranlassen, sich ganz und entschlossen für die Ziele einzusetzen, deren Lösung ihm für das Dasein der Arbeitskollegen notwendig erscheint. E s geht hauptsächlich um höhere Löhne, gegen die Einstellung billiger unqualifizierter Kräfte (Frauen, Ausländer) und, wenigstens in einigen Gesprächen, um die Beendigung des Krieges. Was sein Einsatz für den Klassenkampf bedeutet, wird in dem Stück hinter die Frage gerückt, welche Konsequenzen der Einsatz für ihn selbst besitzt. D i e errungenen Lohnerhöhungen werden von der Preissteigerung aufgefressen, Chauvinismus und Klassenbewußtsein durchkreuzen einander in den Köpfen vieler Arbeiter. D a ß alle Anstrengungen letztlich die Lage der Arbeiter nicht verbesserten und die Macht der Bourgeoisie nicht einschränkten, daß letztlich viele von weiteren Aktionen abrücken, nur in die eigene Lohntüte gucken und den alten Streikführer meiden, scheint die Arbeiterklasse als politisch unreif, wankelmütig und schwach auszuweisen. Das Gegengewicht dieses Eindrucks gestaltet Bryden durch die Tatsache, daß Willie Rough nicht, wie er es einmal seiner Frau versprach, weggeht, sondern ungebrochen in seiner Integrität und Würde wieder wie am Anfang des Stücks - sich um einen Job bemühen wird. D i e Perspektive des Stücks schneidet Bryden also ziemlich schmal auf ein individuelles Problem zu, nicht auf ein sich aus dieser Situation ergebendes generelles. Was als Perspektive über die Lebensaussichten des einzelnen Arbeiters Willie Rough hinausgeht, was seine G e schichte in den ersten Kriegsjahren auf der Werft in ein historisches, in ein wertendes Licht rückt, ist freilich ebenso begrenzt und überdies fragmentarisch gehalten. Bryden läßt Maclean, den revolutio-

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nären Sozialisten und Kampfgefährten Lenins, nicht auftreten. Statt dessen verkörpert Bryden die militante Führung des Streiks in dem (fiktiven) Gewerkschaftsorganisator der Association of Scottish Engineers, Charlie McGrath. Er wird charakterisiert als ein junger, aktiver, kluger Mann, der im Gegensatz zu Willie Rough übergreifende Gesichtspunkte in seine Überlegungen einzubeziehen vermag, der „Marx, Engels und Moby Dick immer wieder lesen" 76 will und also dem sehr nahekommt, was sich in Großbritannien viele unter einem Kommunisten vorstellen. Dieser Charlie, der Willie Rough anfangs hilft, entpuppt sich schließlich als Opportunist, als berechnender Karrierist, der Maclean verachtet und die Erfolge im Klassenkampf nur als Basis einer Laufbahn im Gewerkschaftsapparat braucht. Hier gerät die Perspektive schief, so daß die voreiligen Vergleiche dieses Stücks mit Werken O'Caseys 77 sich mit einiger Berechtigung nur auf genrehafte Details oder den Humor in Brydens Bild des Arbeiterlebens beziehen dürften. Obwohl Bryden, wie es scheinen will, die glückliche Anlage von Willie Rough nicht voll ausschöpfte, wird doch hier die Schwierigkeit deutlich, aus dem Gesichtskreis nur weniger Personen des gleichen Lebensbereichs die Zusammenhänge und die geschichtliche Wertigkeit ihrer Konflikte und ihrer Entscheidungen zur Geltung zu bringen. In seinem zweiten Stück, Benny Lynch (1974), tritt dieser Häng, eher Individualgeschichte plus Zeitkolorit zu präsentieren als im individuellen Geschehen die geschichtlichen Kräfte und Bewegungen seiner bewegten Gegenwart vor Augen zu führen, noch deutlicher hervor. Benny Lynch dramatisiert zwölf Jahre (1934-1946) aus der Biographie eines (historischen) Glasgower Berufsboxers. Angeregt von dem Erfolg Willie Roughs schrieb Roddy McMillan, der in der Edinburgher Inszenierung den Vorarbeiter Jake Adams spielte, The Bevellers (1973), ein naturalistisches Stück über den Arbeitsalltag in der Facettschleiferei einer Glasgower Glaserei. Außer traditionellen Geschichten - die es in jedem Handwerk gibt - , was dieser oder jener vollbrachte, was diesem passierte, wie es jenem heute geht, bleibt der Dialog auf den Ablauf eines (zusammengedrängten) Arbeitstages beschränkt. Es ist der Tag, an dem Norry Beaton, der gerade noch die Schulbank drückte, ins Berufsleben eingeführt werden soll. Die historische Dimension ist damit auf fast Null geschrumpft, was andererseits einen Gewinn an Genauigkeit und Detailliertheit der Arbeitsvorgänge und der sich während der Arbeit äußernden menschlichen Beziehungen ermöglicht. Die Ar59

beiter selbst sind differenziert gezeichnet, das Verhältnis zum Vorarbeiter Bob Darnley und zum Manager Leslie Skinner, das sich situationsbedingt ändert, spiegelt sowohl Momente der Solidarität als auch des skrupellosen Egoismus. McMillan enthüllt, wie schwierig es unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen ist, sich sittliche Werte zu bewahren und den von der Wolfsmoral diktierten Bedingungen ein auf Kollektivität gegründetes Verhalten entgegenzusetzen. Neckereien, Eifersucht, Betrug, Feindseligkeiten und Gewalt unter den Glaswerkern sind jedoch wie weggeblasen, wenn im zweiten Akt unter höchster Anspannung bei größtem Risiko für alle eine unerhört schwierige Arbeit gemeinsam gemeistert wird; da darf sogar der Vorarbeiter den Manager zum Teufel schicken und als der beste Fachmann Verantwortung und Führung übernehmen. Der Junge aber hat an diesem Tage zuviel Schlechtes gesehen, die Männer waren zu unverträglich, unaufrichtig und gemein, als daß er das zuweilen aufflackernde Bild der verschworenen Gemeinschaft den Einsatz seiner jungen Person für wert erachten könnte. E r wird kein Spiegelglas schrägen, er wird sich eine andere Arbeit suchen. Gewiß ist es ein Verdienst, den Arbeitsvorgang selbst auf der Bühne darzustellen, vorzuführen, wie geschickt und tüchtig Arbeiter sind, welche Befriedigung ihnen aus dem Gelingen eines Werkstücks erwächst, wie schön der Mensch in seinem Schöpfertum ist. Ebenso wichtig ist es, zu zeigen, wie viele schöpferische, das menschliche Dasein verschönernde Züge ungenutzt bleiben, fehlgeleitet, verzerrt oder korrumpiert werden von der Tretmühle, durch die Entfremdung der Arbeit und durch das Eindringen von Wertvorstellungen und Verhaltensweisen, denen das Jeder-gegen-Jeden der Moral der Bourgeoisie zugrunde liegt. Doch McMillan läßt es mit dieser passiven Haltung seiner Arbeiter bewenden, denn das Genrebild erscheint ihm offenbar als die Hauptursache. Damit freilich entsteht ein Abbild, das sich selbst der gegenwärtigen Wirklichkeit gegenüber nur passiv verhalten und keine historischen und komplexen Einsichten vermitteln kann, als die Werkstatt in ihrem Alltag zu bieten vermag. D a ß Norrs Initiation fehlschlägt oder negativ verläuft, bekräftigt in bedenklicher Weise dieses passive Abbild im wesentlichen passiver Gestalten. The Bevellers wiederholt nur Durchschnittserfahrungen, ohne diese an die Hoffnungen, Möglichkeiten und tatsächlichen Bemühungen zu knüpfen, das Dasein der Glaswerker und der Arbeiter überhaupt menschenwürdiger zu machen. Die Schwäche des naturalistischen Dramentypus wird hier offensichtlich. In dem Ver60

such, an die beiden im britischen Drama vorangegangenen Darstellungen der Arbeit - Weskers The Kitchen und David Storeys The Contractor (1969), in dem auf der Bühne ein großes Festzelt errichtet und wieder abgebaut wird - anzuschließen, blieb McMillan nur in bezug auf die Deftigkeit der Sprache wirkungsvoller; weder Storeys subtile soziale Differenzierungen noch Weskers poetischen Reichtum und sinnbildliche Kraft griff er auf. In vielen Aspekten erscheint dem naturalistischen Stück mit vierter Wand die dokumentarische historische Revue überlegen, weil sie eine Fülle von Informationen, Erkenntnissen und Argumenten anbietet, welche werktätige Zuschauer ohnehin mit den eigenen Erfahrungen assoziieren, so daß diese Zuschauer mit mehr als nur den bereits mitgebrachten Erlebnissen und Vorstellungen entlassen, tatsächlich bereichert und in Grundfragen ihres Lebens und Verhaltens gezielt angesprochen werden. Ein Nachteil besteht natürlich darin, daß es keine vollendeten Charakterporträts gibt, keine Gestalten, deren gesamtes Leben man zu kennen glaubt, keine Bühnenfiguren, zu denen der Zuschauer in eine (für die Aufführung) „dauerhafte" Beziehung treten kann, die also alle oder die wesentlichen Seiten des Konflikts in ihrem Dasein und ihrem Verhalten sichtbar machen. Die Autoren gehen ja gerade davon aus, daß es kaum mehr möglich ist, in einer Figur das Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse so zu veranschaulichen, daß diese Figur die Komplexität der Lebensprobleme in sich vereinigt und glaubhaft ist. Das Wissen um die Zusammenhänge imperialistischer Herrschaft, die Enthüllung ihrer Mechanismen als menschengemachte Auswüchse von Profit- und Machtstreben und die Aufklärung darüber, daß die Ausgebeuteten bislang nur bedingt taugliche oder gar untaugliche Mittel anwandten, ihr Los zu bessern - ja daß sie mit der „Besserung ihres Loses" sogar ein untaugliches Ziel vor Augen hatten, dies liegt den sich immer mehr marxistisch-leninistischen Anschauungen nähernden Dramatikern mehr im Sinn, als Erscheinungsformen der Entfremdung durch detaillierte Milieuschilderung oder durch das minutiöse Registrieren ihrer psychischen Resultate festzuhalten. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür bildet The Motor Show (1974) von Steve Gooch und Paul Thompson (Lieder). Professionelle Theaterleute, die von der Arbeit in politisch weniger engagierten FringeGruppen enttäuscht waren, schlössen sich 1972 zum Community Theatre zusammen78 und erarbeiteten in Dagenham, wo die größte Fabrik Fords in Großbritannien steht, diese Inszenierung, über die 61

der Umschlagtext der Buchausgabe informiert: „The Motor Show berichtet über sechzig Jahre Kampf der Arbeiterklasse und ihrer Gewerkschaften gegen die Ford Motor Company. The Motor Show verwendet Lieder und Music-Hall-Szenen, dokumentarische und realistische, in rascher Folge, um die Geschichte des Ford-Empires darzustellen: vom Modell-T-Wagen und der Einführung der Fließbandproduktion über die Krise der dreißiger Jahre und den Krieg bis zu den Kämpfen um die Rechte der Gewerkschaften in den jüngsten Jahren. The Motor Show wurde zuerst in Dagenham aufgeführt vor Arbeitern der Autofabrik und ihren Familien. Später wurde die Inszenierung vom Half Moon Theatre, London, übernommen."79 Die vierundzwanzig Szenen spielen auf mehreren Ebenen; es sind: die Familie Ford, die Automonopolisten der Welt (Johannes Volkswagen, Dino Fiat, Tommy Toyota, Charles de Renault), Ford und die Politiker (Heath); Ford und sein Management bis zum Vorarbeiter; die Arbeiter in der Fabrik, ihre Familien. Die Show läßt uns teilhaben an der monopolistischen Aufteilung der Welt. Die zunehmende Vergesellschaftung der Produktion zwingt die Konzerne, ihre Machtkämpfe mit Hilfe von Kriegen, unterstützt von den Regierungen, auf einem alle kapitalistischen Staaten und teilweise auch Länder der dritten Welt umfassenden Schlachtfeld auszutragen. Mr. Big (Ford), der an den amerikanischen Traum von den unbegrenzten Möglichkeiten und dem Glück für alle glaubte, muß zum Gangster werden. Er läßt die Maschinengewehre der Polizei auf seine Arbeiter zielen, verbietet die Gewerkschaften in seinem Empire und läßt sie schließlich im zweiten Weltkrieg nur zu, um genügend Arbeitskräfte zu erhalten und mit den Profiten aus der Waffenproduktion den Grundstein für die weltweite Expansion zu legen. Die Arbeitskämpfe während der Weltwirtschaftskrise werden beschrieben, die Manipulation der Arbeiter vorexerziert; letztgenannte geht so weit, daß die Firma Ford selbst die Beiträge für die Gewerkschaften einzog. Die Politik, die sozialen Leistungen und Löhne drastisch zu kürzen, um gelegentlich wieder kleine Zugeständnisse zu machen, die Arbeiter zu entmündigen, die militanten unter ihnen auf die Straße zu setzen und den Kommunismus als ein gefährliches Gespenst an die Wand zu malen, sich in der Öffentlichkeit durch die Big Foundation (FordStiftung) als Hüter und Förderer von Wissenschaft und Kultur zu gebärden, während doch diese Einrichtung nur dazu dient, bei Umgehung der Steuern in anderen Wirkungsbereichen zu investieren und den internationalen Einfluß aufzufächern, die Politik auch des Aus62

Verkaufs der Rechte und Lebenserfordernisse der Werktätigen und der Völker zugunsten der übernationalen Konzerne, des Verschacherns ganzer Industrien, der Festschreibung permanenter Unsicherheit durch Gesetze zum Schutze der Monopole - diese Politik wird hier vorgeführt, damit die zuschauenden Arbeiter ihre Erfahrungen unter neuen Einsichten reflektieren. Sie sollen erkennen, daß ihre vereinte Kraft imstande sein müßte, die bestehenden Besitzverhältnisse und Abhängigkeiten und damit Kriege, Krisen und Unsicherheit, die immer auf ihrem Rücken ausgetragen wurden, abzuschaffen. Die große Kraft, welche von der richtigen Kenntnis der historischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge ausgeht, wird hier in dem Sinne mobilisiert, wie es das Schlußlied ausdrückt (übertragen von Eberhard Kerkow; Originaltext in Anm. 80) : Geschichte von gestern, Vergangenheit, da stand immer Klasse gegen Klasse im Streit. Warum wir das zeigten? Was liegt noch daran? Gehn die Schlachten von gestern uns heut nichts mehr an? Noch immer die gleiche Situation, der gleiche Kampf um Stunden und Lohn, der Kampf wie früher gegen das Joch: Geschichte von heute! Wie lange noch? Und morgen? Was endlich not uns tut: Die Fabriken, unser Leben in die eigenen Hände und zur Hölle die Bosse, die ganze Brut! Wir kämpfen weiter, das ist unser Krieg, wir kämpfen, daß ihre Herrschaft ende. Anders als in The Knotty ist auf Genrehaftes hier nahezu völlig verzichtet. Die Skizze der sechzig Jahre wird weniger vom Kolorit der Vergangenheit geprägt als vom Unbehagen an der Gegenwart und von dem Drang, durch das Vergangenheitsspiel die Gegenwart durchsichtiger zu machen. Das ist zumindest ein deutlicher akzentuiertes Ziel, wenn nicht gar ein anderes als das des dokumentarischen Musicals von Stöke-on-Trent. Hier werden nicht ein Milieu oder ein „Zeitgefühl" geschildert, sondern die charakteristischen Züge und Verhaltensweisen der den Prozeß der Übergangsepoche bestimmenden gesellschaftlichen Kräfte. Hatte Cheeseman aus dem dokumentari63

sehen Material sprechende Details ausgewählt, so setzt Steve Gooch die verkürzte Chronik der Fords in sprechende Bühnenmetaphern um, die sinnfällig, überzeugend, lehrreich und unterhaltsam zusammenfassen, was sich aus den geschichtlichen Tatsachen verallgemeinern läßt. Diese Bühnenmetaphern sind als Spielformen so angelegt, daß Wesensmerkmale des abgebildeten Sachverhalts im Bildsachverhalt einleuchtend charakterisiert und bewertet werden. Diese Art der Entdeckung bereitet wegen der verfremdenden Assoziationen ein besonderes Vergnügen, auch wenn der abgebildete Sachverhalt selbst kein Gegenstand des Vergnügens ist. Solche Metaphern sind das Pool-Spiel der Automagnaten (ein Billardspiel; „pool" bedeutet aber zugleich Kartell, Vereinigung konkurrierender Unternehmen), die Darstellung des Direktors und Aushängeschilds des britischen Ford-Betriebs, Lord Merciful Merry, als Puppe eines Bauchredners, das heißt, als Stummer, dessen Lippen vom großen Zauberer bewegt werden und dessen Worte in Wahrheit die seines Manipulators sind, und schließlich der große Boxkampf zwischen dem Arbeiter Wally und dem Vorarbeiter George, der seine Haut für die Bosse zu Markte tragen muß. In diesem Kampf ist jeder Streik ein Treffer von seiten des Arbeiters, Entlassungen und Strafverfolgungen sind Punkte für die Gegenseite. Als Wally nach den mächtigen Schlägen der neun Wochen Streik von 1971 dem Sieg nahe ist, wird er ungerechterweise disqualifiziert. Der Vorarbeiter erhält den Preis, den Anti-Gewerkschafts-Gesetz-Nachttopf von Heath. Der Reiz dieser Metapher liegt nicht in dem Vergleich des Klassenkampfes mit einem Boxkampf, sondern in dem Vergleich der ungleichen Bedingungen: So wie bei großen Profiboxkämpfen manipuliert wird, der faire Kampf im Grunde ein im voraus festgelegtes Ergebnis hat, ebenso ist der Klassenkampf gegenwärtig noch ein ungleicher, verfügen die Monopolisten über alle Machtmittel des Kapitals, des Staates, der Polizei und der Geheimdienste. Als Erkenntnis resultiert unter anderem die, daß die angeblich „ewigen", „unabänderlichen" und „natürlichen Unterschiede" der Menschen, die zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, eben alles andere als natürlich sind; sie wurden manipuliert, sind also abzuschaffen. Der Motor Show, diesem industriellen Ob Wbat a Lovely War, war im Werk Goochs außer dem noch zu besprechenden Will Wat, If Not, Wbat Will? ein Drama der herkömmlichen Machart vorausgegangen, das hier wenigstens erwähnt sei: Female Transport (1973). Es ist ein Stück über sechs Frauen, die zu Beginn des 19. Jahrhun64

derts zur Deportation nach Australien verurteilt werden und während der Überfahrt in entwürdigenden Auseinandersetzungen erfahren, daß sie als Entrechtete nur dann überleben und sich gegen die Herrschenden verteidigen können, wenn sie sich untereinander verstehen, achten, unterstützen und wenn sie organisiert vorgehen. Eine neue Qualität sowohl der historisch-dialektischen Durchdringung von Erfahrungen des Klassenkampfes als auch der Art ihrer Gestaltung erreichte McGrath. Kritiker loben die Inszenierungen seiner Stücke durch die schottische Schauspielertruppe der 7:84 Theatre Company fast durchweg, selbst in bürgerlichen Publikationen: „Die Gruppe 7:84 ist seit langer, langer Zeit das Beste, was auf dem britischen Theater auftauchte, wobei sie sich dem doppelten Ziel widmet, ein konsequent sozialistisches politisches Bewußtsein zu fördern und schlichtweg reines Vergnügen zu bieten. Ihre Inszenierungen besitzen sehr hohes Niveau professioneller Theaterkunst, und alle ihre Mitglieder scheinen eine stark ausgeprägte künstlerische Phantasie mit politischem Engagement und politischer Hingabe zu verbinden." 81 Gegner fügen hinzu, daß McGrath leider Kommunist sei und leider für die grundlegende sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft werbe. Sein Reifen bis zu dem heutigen hohen Kunstanspruch und der heutigen Funktionssetzung seines Schaffens kann hier nicht nachgezeichnet werden, doch Stationen seien genannt. John McGrath wurde 1935 im westenglischen Industriegebiet Merseyside als Sohn irischer Einwanderer geboren und wuchs in Nordwales auf. Mit sechzehn Jahren ging er zurück in die Grafschaft Cheshire und arbeitete dort in der Landwirtschaft und bei der Eisenbahn. Als Soldat diente er in Ägypten, Jordanien, Malta, Tripolis und Westdeutschland, bei der Artillerie und bei der Flugzeugabwehr. Im Jahre 1955 nahm er ein Stipendium zum Literaturstudium an der Universität Oxford an. Dort verfaßte er Gedichte, Erzählungen und Dramen: A Man Has Two Fathers, The Tertt und Why the Chicken? Von 1961 bis 1965 betätigte er sich hauptsächlich als Regisseur und Autor beim Fernsehen, wo er unter anderem wie Alan Plater auch an der Krimiserie Z Cars mitwirkte. Danach entstanden die ersten bedeutenden Stücke, während er gleichzeitig Drehbücher für Filme schrieb. Obwohl die meisten dieser Filme nie gedreht wurden, konnte er in diesen Jahren so viel Geld verdienen, daß er mit einigen Rücklagen das finanziell riskante, für die neuere Theatergeschichte Großbritanniens wichtige Unternehmen beginnen konnte, dem er den Namen 7:84 Theatre Company gab, einen Namen des Protests dagegen, 5

K l o t z . Alternativen

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daß - wie auf jedem Programm, Plakat und Werbetext mitgeteilt wird - 7 % der Bevölkerung dieses Landes 84 % seines Reichtums besitzen. Die Gruppe wurde im September 1971 von McGrath gegründet82* und spielte Werke von McGrath und Trevor Griffiths sowie McGrath' Bearbeitung Sergeant Musgrave Dances on (1972), die John Ardens Parabelstück in das Nordirland der Gegenwart versetzt. Seit 1973 unterhält die 7:84 Theatre Company zwei Ensembles, eins in Schottland, geleitet von McGrath, und eins in England, geleitet von Gavin Richards; beide spielen vorwiegend Stücke McGrath'. Die Arbeit mit der 7:84 Theatre Company hat das dramatische Schaffen ihres Direktors und Autors John McGrath in den letzten Jahren maßgeblich geformt. Doch schon vorher zeichnete sich eine Entwicklung ab, die vom Interesse an den psychischen Erscheinungen von Entfremdung und Aufbegehren zu deren gesellschaftlichen Wurzeln und zum Leben und Kampf der Arbeiterklasse führt. Events While Guarding the Bofors Gun (1966) spielt während der Besatzungszeit nach dem zweiten Weltkrieg in Westdeutschland. In einem mehr oder weniger persönlichen Konflikt zwischen einem für die Offiziersausbildung vorgesehenen jungen englischen Gefreiten und einem erfahrenen „schwarzen" Iren, dem „Unruhestifter" der Mannschaft, gibt McGrath die Problematik pragmatischer Lösungen der sozialen Widersprüche durch Gewalt von oben oder Gewalt von unten zu bedenken. Zwei Jahre später behandelt'er die gleiche Problematik in ebenso personifizierter Form; in Bakke's Night of Fame (1968) nach dem Roman A Danish Gambit von William Butler ringt der wegen Mordes an einem Mädchen zum Tode verurteilte Bakke mit psychologischen Waffen um die geistige Vorherrschaft im Gefängnis, vor allem gegenüber dem Priester. In diesem Konflikt zeichnen sich Verhaltensmuster der Klassengesellschaft ab, die McGrath in Frage stellt. In jenem Jahr 1968, das für das britische Drama neue Akzente setzte, begann er die Arbeit an Random Happenings in the Hebrides or The Social Democrat and the Stormy Sea; es wurde 1970 uraufgeführt. Wie die Vorgänger ist dies ein Stück mit vierter Wand, mit naturalistischen Zügen, doch von gänzlich anderer Machart. Es umfaßt Erlebnisse eines aus Liverpool stammenden jungen Mannes auf der Hebrideninsel Mora in den Jahren 1964 bis 1970. Aber nicht mehr die im psychischen Prisma des Helden gebrochenen Reflexionen der gesellschaftlichen Widersprüche bilden den Gegenstand, 66

sondern die Zusammenhänge zwischen den individuellen Konflikten und den gesellschaftlichen Veränderungen, welche die bis auf die letzten Inseln vordringende Monopolisierung und der Widerstand dagegen mit sich bringen. Jimmy Litherland, der während des Krieges nach Mora evakuiert worden war, kehrt nach dem Studium dorthin zurück. Der Lehrer Aeneas McPhee, ein Sozialist, will nach dem Tode seiner Frau den Ort verlassen. Jimmy liebt dessen Tochter Catriona. Er nimmt eine Stellung bei Catrionas Bruder, dem Schipper John James McPhee, an. Zwischen beiden kommt es zu einer unüberbrückbaren Feindschaft, weil Jimmy eine Gewerkschaft gründet und weil John James eine inzestuöse Beziehung zu Catriona unterhält. Bei der Wahl 1966 will Jimmy Aeneas als Labourabgeordneten der Insel durchbringen, aber Aeneas ist dem Alkohol verfallen und verliert Beruf und Ansehen. Nach dem Wahlsieg zieht Jimmy selbst nach Westminster. Als er 1968 die Insel mit seiner Frau Rachel besucht, der Tochter eines Drahtziehers der Labourbosse, fordert ihn Aeneas auf, als hoher Beamter im Wirtschaftsministerium nun alle Weichen für die sozialistische Umgestaltung zu stellen, doch Jimmy unterstützt wie der rechte, in der Regierung ausschlaggebende Parteiflügel die Initiativen der Unternehmer. Was das für die Insel bedeutet, erfährt er zwei Jahre danach, als die Torys wieder an der Regierung sind: John James verkaufte die Fischerboote an einen internationalen Fischereikonzern, der mit amerikanischem Geld arbeitet. Die Boote werden unter Polizeischutz von der Insel in einen größeren Festlandshafen geholt, die Männer sind brotlos. Zuerst will sich Jimmy legal, dann mit Gewalt den Unternehmern entgegenstellen, doch seine Einsicht kommt für diesmal zu spät. Am Schluß bleibt er - nach Abenteuern auch mit anderen Mädchen - bei Catriona, mit der Aussicht, aus diesen Erfahrungen gelernt zu haben. In diesem Schauspiel werden die persönlichen Auseinandersetzungen, die Freundschaften, Loyalitäten, die dauerhaften und die flüchtigen Beziehungen, ja selbst der unaufhaltsame moralische Niedergang des Lehrers, der schließlich in schmuddeligem Konkubinat mit der verschrienen irischen Säuferin Rosita als Ausgestoßener sein Dasein fristet, an dem einen Maßstab gemessen, der überpersönlich ist und die „wahllosen Ereignisse" (Titel) ordnet, dem Wohl der Menschen auf der Insel: Was versteht einer darunter, was tut er dafür, was versteht er unter Glück oder zumindest einem sinnvollen Leben. Die gesellschaftlichen Prozesse der Gegenwart rücken das indivi5»

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duelle Geschehen ins rechte Licht und treten darum selbst auch deutlicher hervor. McGrath geht dabei über die bloße Anklage der Monopole und über die Abrechnung mit der britischen Sozialdemokratie hinaus. Sein soziales Drama ist ein Angebot, sich in dem anonymen Kräftespiel der Herrschenden - der Unternehmer, Parteioligarchien, Regierungen und internationalen Monopole - zurechtzufinden und die Erfahrungen und Einsichten konstruktiv zu nutzen. Mit Random Happenings in the Hebrides hat McGrath das Thema seiner nächsten großen Stücke gefunden und dessen historischen Bezugspunkt, noch nicht aber die wirksamsten Formen der Gestaltung. Trees in the Wind (1971), die erste Inszenierung der 7:84 Theatre Company, weist mit seiner kammerspielartigen Struktur und dem bloßen Nachweis der Frustration seiner vier Gestalten (drei Frauen, ein Mann) und der Widersprüche zwischen ihren politischen Ideen und ihrer tatsächlichen Isoliertheit eher auf McGrath* Vorliebe, Partnerbeziehungen zu untersuchen, ohne den gegebenen gesellschaftlichen Zusammenhang unmittelbar darzustellen oder zu konstatieren er wird von den Gestalten subjektiv reflektiert. So verfuhr er auch in seinen Einaktern, von denen die drei unter dem Titel Plugged in (1972) gesammelten am häufigsten gespielt wurden. Ende des gleichen Jahres schrieb er mit Fish in the Sea ein Stück über das Leben von Arbeitern in Liverpool, in dessen Umgebung ja sein Heimatort liegt. Es visiert weitaus umgreifendere Fragen an und bezieht sie, als unmittelbar die Lebensweise und die Bindungen der Gestalten bestimmend, ein. In dem vorausgegangenen Musical über Liverpool, Soft or a Girl (1971), das einen großen Erfolg hatte, waren die Themen schon angeklungen, die er in Fish in the Sea nun anpacken wollte; 1975 sagt er dazu: „Die Hauptelemente, die ich in irgendeine Form dialektischer Bewegung bringen wollte, waren: die Notwendigkeit einer kämpferischen Organisierung durch die Arbeiterklasse; die anarchistische, organisationsfeindliche Gewalt des frustrierten, der Arbeiterklasse entstammenden Individuums; die Rückständigkeit der Arbeiterklasse in einigen Elementen ihrer Lebensweise; Haltungen gegenüber Frauen, der sozialistischen Theorie, der sexuellen Unterdrückung, gegenüber der Dichtung, Mythen usw.; die Verbindungen zwischen Rückständigkeit und Christentum; der hohle Optimismus der demagogischen Linken, der selbsternannten Führer der Arbeiterklasse, und die wesentlichen Tatsachen darüber, wie man in einer Arbeiterfamilie von Merseyside lebt und aufwächst." 83 68

Daß McGrath diese Verallgemeinerung nicht rückwirkend, von einer reiferen Erkenntnis seinen Bemühungen von 1972 unterlegt, beweist ein Interview jenes Jahres, in dem er die gesellschaftliche Rolle und die Wirkungsabsicht der 7:84 Theatre Company umriß; im Vergleich der Äußerungen McGrath' von 1972 bis 1975 spiegelt sich allerdings auch der Prozeß der Präzisierung einer ideologischen Position und einer Kunstauffassung, die sich in der Praxis des Theaterschaffens von Resten eklektischen Denkens befreite: „Wir sind eine sozialistische Gruppe, und eine Menge Leute, die daran beteiligt sind, sind Marxisten der einen oder anderen Art . . . wir sind Teil einer umfassenden Bewegung dieses Landes und der ganzen Welt, die das kapitalistische Gesellschaftssystem verändern will . . ," 84 Doch genauer 1974, nachdem sein schottisches Ensemble, beginnend mit The Cheviot, the Stag and the Black, Black Oil (1973), seinen denkwürdigen Vorstoß sozialistischen Theaters unternommen hatte: „Mit anderen Worten, unsere Aufgabe war es, als Mittler zwischen dem Volk und einem Stück seiner gegenwärtigen Geschichte zu agieren. Mehr noch, es war unsere Aufgabe, den Zuschauern Alternativen vorzustellen, wie man es machen sollte, und, da die meisten von uns Sozialisten waren, ihnen sozialistische Alternativen zu zeigen." 85 „Das Theater kann niemals eine Änderung der Gesellschaft v e r u r s a c h e n . Es kann den Druck in Richtung auf eine solche artikulieren, es kann den Menschen helfen, ihre Stärken festlich zu würdigen und vielleicht ihr Selbstvertrauen zu festigen. Es kann ein öffentliches Sinnbild innerer und äußerer Ereignisse sein und gelegentlich ein Erinnerer, ein Mit-dem-Ellbogen-Stoßer, ein Perspektivenbringer. Vor allem aber kann es der Weg sein, auf dem die Menschen ihre Stimme finden, ihre Solidarität und ihre kollektive Entschlossenheit. Wenn wir irgend etwas davon bewirkt haben, war es genug."86 Im Lichte dieser Zielvorstellungen sind John McGrath' Stücke und Inszenierungen der letzten vier Jahre zu sehen. Mit The Cheviot, the Stag and the Black, Black Oil entdeckte er eine neue Form, die ich vorab als Verbindung des „ceilidh", der traditionellen Gemeinschaftsunterhaltung der schottischen Hochlandbevölkerung, mit den von den „Lebenden Zeitungen" und Peter Cheesemans dokumentarischen Musicals herkommenden Merkmalen bezeichnen möchte und die als eine volksverbundene Show zu einer eigenständigen Gattung der 7:84 Theatre Company wurde. In der Neuinszenierung von Fish in the Sea (1975) und in Yobbo Nowt (1975) überwiegen die an 69

eine durchgehende personale Handlung geknüpften Szenen und Konflikte, während The Game's a Bogey (1974), Boom (1974) und Lay off (1975) näher der erstgenannten Form stehen, wie der Untertitel Boom es ausdrückt: „Eine Konzertgesellschaft im Interesse der Nation." Der Untertitel von The Game's a Bogey kündigt an, daß McGrath die Traditionen, die Kämpfe und die Führer der Arbeiterbewegung zu dem „Stück der gegenwärtigen Geschichte" rechnet, das er dem Publikum vermitteln will: „Die 7:84-John-Madean-Show". Dieses Werk wird also hier zu betrachten sein und Little Red Hen (1975), zu dem es hinführt und das neben The Cheviot, the Stag and the Black, Black Oil einen Höhepunkt seines Schaffens bildet. Beide Stücke sind ohne die von Peter Cheeseman und von Alan Plater aufgenommenen und weiterentwickelten inhaltlichen Akzente und Dramenformen nicht denkbar. Doch ein Unterschied wird schon vorab ersichtlich: McGrath bekennt sich im Untertitel von The Game's a Bogey durch die Nennung des Namens John Maclean programmatisch zur revolutionären Avantgarde der Arbeiterklasse und damit zu dem von der Truppe erstrebten Sozialismus. Hier geht es nicht mehr um unkommentierte Dokumentation und ein Mosaik von subjektiven Erinnerungen; es geht um den geschichtlichen Auftrag der Klasse, der noch zu erfüllen ist. Die Berufung auf die verbindlichen Namen, auf John Maclean, einen Führer des großen Streiks der Schiffsbauer am Clyde von 1915, der ein wesentlicher Ursprung oder Knotenpunkt der Shop-steward-Bewegung war, erlangte gerade in den Jahren erhöhte Bedeutung, da das von Wilson vorbereitete und von Heath durchgedrückte Anti-Gewerkschaftsgesetz die Errungenschaften des gewerkschaftlichen Kampfes wieder zunichte machen sollte und da die in Großbritannien Fuß fassenden, von den USA aus geleiteten Monopole nur Arbeiter einstellten, die nicht organisiert waren (das hatte McGrath schon John James McPhee in Random Happenings in the Hebrides feststellen lassen)87. In The Game's a Bogey bringt McGrath historische und politische Wahrheiten zum Ausdruck, wie es kaum in einem älteren Stück geschah. Drei Darstellungsebenen sind zu unterscheiden, die in der Inszenierung eine Einheit bilden: eine personale Gegenwartsgeschichte um das junge Paar Ina und Geordie, die im Untertitel angekündigte Würdigung John Macleans, seines Kampfes und seiner Ideen und die Ebene einer beides reflektierenden, kommentierenden und über weitere Zusammenhänge informierenden direkten Ansprache 70

des Publikums. Die Schauspieler/Musiker schlüpfen dabei in mehrere Rollen und sprechen auch für die eigene Person. Die Ina-Geordie-Geschichte verläuft geradlinig: Sie lernen sich kennen und lieben, sie heiraten und müssen sehen, wie sie zwischen Arbeitslosigkeit und steigenden Preisen zurechtkommen. Die politische Biographie Macleans wird in mehreren Teilen dargeboten, durch seine Reden und durch Berichte und Wertungen. Den Zusammenhalt garantiert die objektive Wirklichkeit selbst: Im Prinzip haben sich die Verhältnisse nicht gewandelt. Im Stück wird dieser Zusammenhalt auf verschiedene Weise realisiert. Einen dramaturgisch zentralen Punkt bildet dabei ein auf der Ina-Geordie-Ebene liegendes Quiz „Schlagt das System", auf das der Titel des Stücks anspielt: Das Spiel ist ein Betrug. Da der Quizmaster ein Brautpaar sucht, melden sich beide als Kandidaten. Das Spiel verläuft so: Geordie arbeitet, erhält Lohn, Ina gibt das Geld aus, ihnen bleibt nichts. Mr. Big, der unbekannte Millionär, gegen den die beiden spielen, gibt ihnen noch eine Chance. Geordie arbeitet doppelt soviel, erhält aber nur einhalbmal mehr Lohn, und da Steuern und Preise steigen, bleibt ihnen weniger als nichts. Sie können auf diese Weise das System nicht schlagen. Über diesen Geldtrick und die ihm zugrunde liegenden Merkmale der kapitalistischen Produktionsweise sprach zuvor John Maclean zu den Arbeitern, und im zweiten Teil der Show erfahren es die nunmehr Verheirateten, wie es sich damit lebt, entgegen allen Hoffnungen und bescheidenen Glücksvorstellungen. Im Spiel wird auch die Frage aufgeworfen, ob Geordie streiken solle oder nicht, und es wird klar, daß Einzelaktionen vergeblich sind und ihnen individuell noch mehr schaden. Andere Fragen werden berührt: Macleans Einspruch gegen die Bewilligung der Kriegskredite, sein Protest gegen „nationale" Kriege, der ihm 1918 eine Anklage wegen Aufruhrs und eine Haftstrafe einbrachte. Und die geläufigen Mythen des Antikommunismus macht McGrath mit leichter Hand lächerlich: daß, wie Inas Arzt meint, Arbeiter nicht in der Lage seien, ihr eigenes Leben zu meistern, daß Gewerkschaftsorganisatoren den Rowdys glichen, daß Streiks und antikapitalistische Aktionen nur das Werk vereinzelter „Unruhestifter" wären. Der friedliebende, Gewalt hassende Chef der Glasgower Geheimpolizei, der den „roten Unruhestiftern" alle Knochen im Leibe brechen will, beschwert sich sogar beim Publikum, daß Maclean mit seinen „bolschewistischen Ideen" diese „vergnügliche, gesamtschottische Varietevorstellung pervertiert". 88 71

Mit Macleans Worten, der Klassenkampf sei ein internationaler, und: „Wir versichern unseren Genossen, daß wir in Glasgow zuerst, zuletzt und zu jeder Zeit Internationalisten sind" 89 , wird das Bezugsfeld des historischen Verständnisses nationaler Kämpfe der Vergangenheit und der Gegenwart erheblich erweitert, zeichnet sich doch damit die Konstellation der weltgeschichtlichen Epoche genauer ab. Darüber wird im nächsten Abschnitt zu sprechen sein; hier ist hervorzuheben, daß diese Dimension sowohl der Imperialismuskritik als auch der Mobilisierung der demokratischen und sozialistischen Kräfte allen Werken, die McGrath für sein schottisches Ensemble schrieb, eigen ist. Im vorliegenden Stück folgt auf Macleans Worte (vorgetragen im biographischen Bericht, den der Schauspieler Bill Paterson gibt) und auf das Lied des Dichters Hamish Henderson Freedom Come-All-Ye ein Lied Victor Jaras, Als ich noch klein war . . . Anschließend zieht der Schauspieler/Sänger Dave Anderson eine Verbindung von dem 1923 nach Berufsverbot und schwerer Kerkerhaft gestorbenen John Maclean zu dem von der chilenischen Junta 1973 ermordeten Dichter und Sänger Victor Jara. Am Schluß nehmen die Schauspieler Macleans Gedanken zum Sturz des kapitalistischen Systems noch einmal auf und lassen ihn wiederholen: „Der Kapitalismus, das heißt das Recht, die Schöpfer des Reichtums zu berauben, muß ausgerottet werden, und das kann binnen zwölf ganzen Monaten von jedem Zeitpunkt an erreicht werden, wenn die Arbeiter nur bereit dazu sind." 90 Macleans genaue Einschätzung des subjektiven Faktors der sozialistischen Revolution die Entschlossenheit der Massen und ihre Führung durch eine starke Partei - bezeichnet die historische Perspektive des gesellschaftlichen Geschehens und gleichermaßen die gesellschaftliche Funktion des Stücks selbst. Die geschichtliche Konsequenz der vorgeführten Vorgänge bildet das Motiv des Zeigens: diese Bereitschaft zu ermöglichen, zu fundieren, zu fördern. Daß dabei das ökonomische Grundgesetz des Kapitalismus, die Produktion des Mehrwerts, ein zentrales Aufklärungsthema bildet, ist auf einige Besonderheiten in der Geschichte der britischen Arbeiterbewegung zurückzuführen. Die älteste Arbeiterklasse besaß bereits im Zeitalter des Industriekapitalismus eine bessergestellte Oberschicht, ein Produkt der Ausplünderung der reichen Kolonien. Diese Schicht hat immer wieder versucht, den Klassenkampf auf das Ringen um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu begrenzen. Die revisionistischen Tendenzen wurden von der Bourgeoisie gerade über die rechte Führung der Labour72

partei gestärkt. Das Gerede von der Sozialpartnerschaft hat die Tatsachen und die Grundlagen der Klassenspaltung verschleiert. Das in England spielende Ensemble der 7:84 Theatre Company griff deshalb auf den Stoff des ersten britischen proletarischen Romans des sozialistischen Realismus, Robert Tressells The Ragged Trousered Pbilanthropists (postum 1914), zurück, um in The Reign of Terror & The Great Money Trick (1973) darüber agitatorisch Klarheit zu schaffen; die Belt Braces Roadshow Company führt in England Expects (1976) den Betrug vor Augen bis zu der grotesken Forderung von Kapitalisten und Staat, die Arbeiter sollten freiwillig in ihren Ansprüchen, Ausgaben und vor allem in ihren Lohnforderungen „maßhalten". 91 Die Brisanz der von John McGrath in The Game's a Bogey vorgebrachten Wahrheiten, Richtigstellungen und Losungen allein macht noch kein gutes Theater. Der Reichtum von Einfällen, wie verbal und mit schauspielerischen Mitteln Erlebnisse und Erkenntnisse an „einem Abend von Komödie, Liedern, Sketchen" 92 in den unterhaltsamen Ausdruck der Anliegen der Zuschauer umgesetzt werden, läßt nicht übersehen, daß die drei Darstellungsebenen nicht in überzeugender Weise miteinander verflochten sind. Die Geschichte von Ina und Geordie ist ohnehin in sich konfliktfrei und verläuft ohne Spannung. Ihre Schritte oder Entscheidungen spiegeln wohl die sozialen Verhältnisse, aber nicht die antikapitalistischen Aktivitäten ihrer Klasse. Ina und Geordie verbindet ein Sachbezug, ihr für die gegenwärtigen Verhältnisse exemplarischer Charakter, mit den anderen Ebenen, nicht aber ein dramaturgischer Bezug, der sie an der angebotenen Alternative teilnehmen ließe. Die Konsequenz soll sich für den Zuschauer ergeben, gewiß, aber daß beide davon ohne gegebenen Grund befreit werden, ermutigt nicht gerade den Betrachter. Die mangelnde dramaturgische Integration mehrerer Darstellungsebenen bei einer revueartigen Show, die mit Music-Hall-Elementen, Agitpropmethoden und Szenen des sozialen Dramas arbeitet, mag vielleicht ganz natürlich und nicht zu rügen sein. John McGrath muß sie offenbar verbesserungswürdig erschienen sein. In Little Red Hen versuchte er, sie weiterzutreiben, und es gelang ihm. Das Thema wurde auch für dieses Stück von dem allgemeinen Ziel seines Wirkens bestimmt: ein politisches Bewußtsein für heutige Entscheidungen durch den Blick auf das Leben und die Aktionen der Arbeiter zu schärfen, und zwar durch „gutes Theater, daß die Menschen lachen läßt und ihnen einen schönen Abend bereitet" 93 . Den Anlaß bot eine 73

öffentliche Diskussion in Schottland über die Politik und den Charakter der Scottish National Party, die seit ihrer Gründung 1928 das konservative Wesen aller Nationalen besaß, in den sechziger und siebziger Jahren jedoch mit ihrer Parole von der Unabhängigkeit von den englischen Kapitalisten und den internationalen Konzernen Demokraten unterschiedlicher Richtungen anzog. Vielleicht hofften auch einige fortschrittliche Linke und Arbeiter, daß eine sozialistische Umgestaltung Schottlands - angesichts der Stärke der schottischen Arbeiterklasse - in einem relativ selbständigen Schottland leichter herbeizuführen sei als im engen Verbund mit England, wo die Bourgeoisie fest im Sattel sitzt. Der Kommunistischen Partei erscheint dies als eine Spekulation, denn durch die relative Isolierung würde die schottische Arbeiterbewegung natürlich geschwächt; die nationale Frage muß ihrer Meinung nach jedoch sehr ernst genommen werden. Das Problem hat nicht zuletzt auch deshalb an Bedeutung gewonnen, weil im Londoner Unterhaus die Abgeordneten der schotttischen Nationalisten inzwischen nach den beiden großen Parteien die drittgrößte Fraktion stellen und in die Rolle des Züngleins an der Waage geraten. Von diesem Punkte her, der Politik der Scottish National Party, prüft John McGrath in Little Red Hen die wahren Lebenserfordernisse des schottischen Volkes. Die Diskussion um diese Politik eröffnet auf der Gegenwartsebene das Stück um das „kleine rote Mädchen" (Titel): Als das „junge Mädchen", Mitglied der Scottish National Party, in Begeisterung darüber ausbricht, daß Schottland nun in Bewegung geraten sei, sich auf dem Vormarsch befinde, fragt ihre Großmutter, das „alte Mädchen", Vormarsch wohin? Zur Illustration, wie berechtigt die Frage sei, führt das „alte Mädchen" die Enkelin in einer Serie von chronologisch angeordneten Rückblenden durch die Geschichte der schottischen Arbeiterklasse seit dem ersten Weltkrieg. Aber diese Rückblenden sind nicht als Dokumentation historischer Ereignisse angelegt, sondern als das persönliche Erleben, ja als das Mitgestalten dieser Geschichte durch das „alte Mädchen", das damals das „kleine rote Mädchen" war. Diese zweite Ebene wird also von Szenen aus dem Leben einer Arbeiterfamilie, der Mulrines, gebildet. Ihre Tochter, das „kleine rote Mädchen", entwickelt sich von einer relativ unbeteiligten Zuschauerin der politischen Szene zu einer aktiven Helferin, einer stillen, prinzipienfesten, von Enttäuschungen geschlagenen, aber nie resignierenden Sozialistin, die das „alte Mädchen" der Gegenwartsepoche geworden ist: eine, die will, daß aus den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit bessere Einsichten in 74

das Heute möglich werden. In den fließenden Wechseln von Gegenwart und rückblendender, mehr als fünfzig Jahre markierender Szenenfolge übernimmt das „junge Mädchen" von 1975 jeweils die Rolle ihrer damals jugendlichen Großmutter. Neben diesen beiden individuelles Leben abbildenden Ebenen gibt es, ähnlich wie in The Games a Bogey, eine dritte, die mehrere Funktionen ausübt: Sie führt dokumentarisches Material ein, zitiert Arbeiterführer, Politiker, beschreibt Vorgänge; sie gibt ein kritisches Zeitkolorit durch Lieder, Gags, Sketche und kommentiert Geschichte und Szenen der anderen Ebenen. Die Kommentare des „alten Mädchens" beschränken sich strikt auf eigene Erlebnisse. Szenisch wird die dritte Ebene dadurch realisiert, daß, mit Ausnahme des alten und des jungen Mädchens, alle Schauspieler, Sänger und Musiker die zitierten Politiker, Künstler usw. nach geringer Veränderung des Kostüms oder der Requisiten vorstellen (das „alte Mädchen", die Schauspielerin Elizabeth Maclennan, spielt jedoch auch Akkordeon oder Klavichord in der Band, deren Zusammensetzung je nach den Auftritten als Dramatis personae ständig wechselt). Eine solche dreiteilige Struktur ließe sich oberflächlich mit Rahmen, Spiel und Kommentar bezeichnen, doch diese Begriffe treffen hier nicht. Das wird dem Betrachter bewußt, sobald er danach fragt, was beziehungsweise wer denn eigentlich die Mitte des Stücks, die Handlung, der Held sei. John McGrath gibt darauf eine Antwort in dem Stück selbst, und zwar von der dritten Ebene her. Sie rückt den geschichtlichen Prozeß und die Anstrengungen um die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft ins Zentrum. Der Autor/Regisseur instrumentiert diese Antwort so: Zu Beginn der Rückblenden treten vier Unterhausabgeordnete des roten Clyde auf. Sie geben in kurzen, prägnanten Reden ihre Herkunft an und formulieren das Endziel des Kampfes der Arbeiter. Diese vier sind Willie Gallacher, von 1921 bis zu seinem Tode 1965 Mitglied des Zentralkomitees und 1953 bis 1963 Vorsitzender der Kommunistischen Partei Großbritanniens, John Maclean, James Maxton und John Wheatley. Ungeachtet der Tatsache, daß Maxton 1928 Führer der Labourpartei wurde und Wheatley zeitweilig Minister einer Labourregierung war, vertraten sie wie Gallacher und Maclean Anfang der zwanziger Jahre proletarisch-revolutionäre Positionen. Was diese vier schottischen Arbeiterführer sagen, rückt die nachfolgenden Szenen in die historische Perspektive und setzt objektive Maßstäbe des Verständnisses und der Beurteilung. Dies sind ihre wichtigsten Sätze: 75

Gallacher: „Ich glaube, es gibt nur einen Weg, wie die Werktätigen dieses Landes die Ausbeutung ihrer Arbeit und ihres Lebens beenden können, und der besteht darin, die Macht im Staate zu ergreifen, sie zu behalten und die Diktatur des Proletariats zu errichten, als ein Mittel des Übergangs zu einer kommunistischen Gesellschaft." Maclean: „Der ungeheuerliche Krieg, den wir durchlebt haben, zeigt, d a ß die Tage des sozialen Flickwerks oder der .Reform' vorüber sind. Der .Sozialreformer' muß zerschmettert werden, denn Intoleranz ihm gegenüber ist nur Gerechtigkeit gegenüber der Menschheit. W i e auch immer Labour die Macht erlangen mag, sie muß es machen wie die Bolschewiki. Sie muß den Boden und alle Produktionsmittel ganz in ihren Besitz bringen, um diese durch das gesamte Gemeinwesen genossenschaftlich zu nutzen, zum Vorteil aller. Ich stehe felsenfest ein für die Beendigung des Kapitalismus - in Schottland wie überall auf der Welt - und für die Errichtung der Schottischen Arbeiterrepublik, in der allein wir in Schottland die wahre Unabhängigkeit erringen können." Wheatley: „Eine Labourmehrheit im Parlament, um den Boden zu übernehmen, die Bergwerke zu übernehmen, den Sozialismus jetzt aufzubauen und die verbrecherische Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beenden - darum geht es in diesem Kampf, und wir werden siegen."9''* Im Unterschied zu dem f o r m a l e n Rahmenbegriff, der sich auf die Gegenwartsebene - die erzählende Großmutter und die hoffnungsfreudig, engagierte, doch unerfahrene Enkelin - anwenden ließ, ist hier ein i n h a l t l i c h e r Rahmen gesetzt. Und Rahmen ist das richtige Wort, denn er kehrt am Schluß mit gleichen Worten, doch in anderer Form wieder. Wenn der Zuschauer erlebt hat, wie die Mulrines von den rechten Labourpolitikern im Stich gelassen wurden, wie George Mulrine sogar als Nutznießer dieses Verrats ein Unternehmer wird, dem die Labourpolitik des staatsmonopolistischen Kapitalismus alle Wege ebnet, ein Ausbeuter zu werden, wenn den werktätigen Zuschauern ihre derzeitige mißliche Lage als Frucht des sozialdemokratischen Reformismus vorgeführt wurde, wenn das „Spiel" gespielt ist, dann treten die Schauspieler William Riddoch, Bill Paterson, John Bett und Dave Anderson aus den Rollen und sprechen in eigener Sache noch einmal die Texte, die sie als Gallacher, Maclean, Maxton und Wheatley am Beginn der Rückblenden als historische Dokumentation sprachen, nämlich daß die Überwindung des Kapi-

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talismus durch den Sozialismus, die Lösung der Machtfrage (nach wie vor) auf der Tagesordnung der Geschichte steht. Was das dramaturgisch bedeutet, welche Auffassung von Aneignung der Wirklichkeit durch das Theater diesem höchst wirkungsvollen Verfahren zugrunde liegt, das wird noch an anderer Stelle unter dem Gesichtspunkt der Dialektik von Objektivierung des szenischen Vorgangs und Einbeziehung der Zuschauer zu erörtern sein. Hier geht es um die Feststellung, daß diese Perspektive, diese die Geschehnisse ordnende und ihre Beurteilung ermöglichende Vorgabe zugleich die personalen Handlungen mit den überpersonalen, den gesellschaftlichen Bewegungen verbindet; untereinander sind die personalen Handlungen durch die Einheit der historischen Figur „kleines rotes Mädchen" „altes Mädchen" und durch die szenische Einheit der Figur „junges Mädchen" - „kleines rotes Mädchen" (dieselbe Schauspielerin) verknüpft. Die Integration der drei Darstellungsebenen gelingt, weil der Autor hier Individualgeschichte und gesellschaftliche Entwicklung unmittelbar aufeinander bezogen und ihre Dialektik zur Geltung gebracht hat. Diese Integration ist für die Aufnahme und für die Wirkung einer Inszenierung deshalb so wichtig, weil auch im Leben der Zuschauer und beim Zuschauen im Theater aus personaler Sicht allein die grundlegenden, determinierenden Tatsachen nicht immer erkenntlich sind, weil selbst unter der Not der Ausbeutung und Entmündigung die wesensbestimmenden Ursachen, die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung sowie die nächsten Ziele der Arbeiterbewegung nicht immer deutlich werden. Little Red Hen leistet jedenfalls einen bemerkenswerten Beitrag, sie zu erkennen.95* Vergleicht man McGrath' Stücke der siebziger Jahre mit den Werken seiner Vorgänger, den Werken des Durchbruchs der späten fünfziger Jahre, so nimmt man den gewaltigen Schritt wahr, den das antiimperialistische Drama gemacht hat in der Orientierung auf die Geschlossenheit aller Unterdrückten und aller demokratisch Gesinnten unter der Führung einer organisierten Avantgarde der Arbeiterklasse und in der Orientierung auf die sozialistische Revolution der bestehenden Verhältnisse. Allein mit der Kritik an der Unmenschlichkeit des Kapitalismus ist es nicht getan; die Besinnung auf die Traditionen, auf die Teilsiege, auf die große Kraft jedes einzelnen Menschen und die Solidarität, auf die sittlichen Werte der Klasse und ihre Kultur vermittelt wichtige Impulse, die Arbeiterbewegung zu stärken. Anfang 1974 schrieb McGrath (und er hatte den folgenden Gedanken schon zuvor angedeutet) 96 mit Bezug auf The Cheviot, 77

the Stag and the Black, Black Oil: „Etwas, worauf ich schon immer bestanden habe, ist, daß wir den Jammerkomplex abstreifen sollten. Seit Culloden97* ist die gälische Kultur immer eine des Jammers gewesen - wegen des Exils, wegen der Toten, wegen der Vergangenheit und sogar wegen der Zukunft. Ein schönes, die Menschen ständig befallendes Jammern. Wenn man die Geschichte des Hochlands seit 1745 erzählt, gibt es viele Niederlagen, viel Trauriges zu berichten. Aber ich beschloß, daß wir in dem Stück für jede Niederlage einen Sieg feiern würden, und jedes traurige Ereignis würden wir mit der bloßen Energie und Lebenskraft des Volkes auslöschen, gegen jeden Akt der Unterdrückung würden wir eine Art zurückzuschlagen setzen. Am Schluß geht das Publikum in der Gewißheit, daß es sich entscheiden muß und daß es ausgerechnet jetzt Vertrauen zu der eigenen Fähigkeit haben muß, sich zusammenzuschließen und zu siegen. Das wollten wir den Menschen immer wieder sagen. Das kann man nicht oft genug sagen."98 Indem McGrath diese Bewußtheit der Elemente demokratischer und sozialistischer Kultur in seinen Stücken, besonders in Little Red Hen, als handlungsbestimmend gestaltet, stärken seine Werke selbst diese Elemente. Ungeachtet ihrer künstlerischen Qualität und des Charakters ihrer politischen Aussage seien hier noch einige andere Werke erwähnt, die Leben und Kampf der Arbeiter darstellen. Die meisten von ihnen wurden nicht veröffentlicht, doch ihre wachsende Anzahl bezeugt, daß die Gegnerschaft zum Imperialismus zunimmt und sich offener darstellt und daß sich die Suche nach gesellschaftlichen Alternativen intensiviert. In You Must Be Joking (1971) stellt David Holman vergangene und gegenwärtige Arbeitskämpfe in der Industriestadt Coventry dar." The Great Northern Welly Boot Show (1972) von Tom Buchan handelt von der Besetzung der Schuhfabrik Wellington in Edinburgh durch Arbeiter.100 Das Shoe String Theatre, York brachte Life in a Chocolate Factory (1973), das „Leben in einer Schokoladenfabrik", auf die Bühne.101 The Rising (1975) von Hector MacMillan beschreibt, wie sich vor hundertfünfzig Jahren in Strathaven, Schottland, die Weber erhoben und mit welchen Mitteln der Aufstand niedergeschlagen wurde. 102 Einige neue Stücke basieren auf dem Leben von Arbeiterführern, andere entstanden 1976 zur Erinnerung an den Generalstreik von 1926: So widmet Arnold Hinchliffe sein Stück Tom Baker of Camden - and the World (1973) einem Pionier und Führer der Gewerkschaftsbewegung, der mit Lenin zusammenarbeitete und in Neuseeland, Australien, Südamerika und London tätig war. 10 * 78

Die Belt Braces Roadshow Company spielte 1975 Weigbt, ein Stück über den Führer eines im Kriege im Kohlenbergwerk von Betteshanger, Kent, durchgeführten Streiks,104 und Phil Woods würdigt in Arthur Horner (1975) das Wirken des Priesters, Boxers, Bergarbeiterführers, Rebellen in Irland und Wales und des Kommunisten, der in Partei und Gewerkschaften hohe Verantwortung trug. 105 1971 dramatisierte der gleiche Autor in dem Stück In Place of Strife das zukünftige, zu erwartende Gerichtsverfahren gegen den Helden Jack Mann, der gewiß des Verbrechens gegen das neue Antigewerkschaftsgesetz angeklagt werden und dabei als Entlastungszeugen die Helden der jüngsten Streiks und politischen Aktionen aufrufen würde. 106 In Out for Nine (1976) gedachte Phil Woods des Beitrags der Arbeiter von Stepney (im Osten Londons) zum Generalstreik von 1926.107* Dieses historische Ereignis wurde von Jon Chadwick und John Hoyland in The Nine Days and Saltley Gates (1976) mit dem Bergarbeiterstreik von 1972 und den Solidaritätsaktionen in Beziehung gesetzt.108 Dieses Stück wie auch Arthur Horner wurde von der 1971 gegründeten Theatertruppe Foco Novo inszeniert, die neben der 7:84 Theatre Company, der Belt Braces Roadshow und dem Londoner Half Moon Theatre zu den gegenwärtig aktivsten Gruppen des „alternativen" Theaters in Großbritannien zählt. Die in diesem Kapitel genannten Stücke verbindet, daß sie Ereignisse und Wahrheiten verlebendigen, die von der herrschenden Kultur, der der Bourgeoisie, verschwiegen oder entstellt werden, und daß sie den Menschen die begründete und berechtigte Hoffnung geben, sie selbst können eine bessere Gesellschaftsordnung herbeiführen und Chaos, Sittenverfall, Gewalt, Unkultur und soziale Ungerechtigkeit beseitigen. Diese Stücke wurden vor den Betroffenen oder ihren Nachkommen, vor den Arbeitern und der Landbevölkerung aufgeführt, in Fabriken oder davor, in Gaststätten, Tanzhallen und den örtlichen Versammlungssälen, in Studios, Kunstzentren, Theatern. Sie erreichten Tausende von Zuschauern, in den großen Städten und kleinen Orten auf dem Lande Tausende von Menschen, die noch keine professionelle Theateraufführung gesehen hatten, und die Resonanz wird von Kritikern und Beteiligten als überwiegend herzlich, oft begeistert oder überwältigend geschildert. Das Vertrauen in die eigene Kultur und in die eigene Kunstfähigkeit der Arbeiterklasse wird durch sie gestärkt, das Mißtrauen gegenüber einer Kunstgattung, die durch bürgerlichen Gebrauch und bürgerliche Theaterverhältnisse über 95 Prozent des Volkes von sich fernhielt, helfen sie abbauen. 79

Die Gewalt und die Monopole: Hampton, die Ardens, McGratb und andere In der kritischen Darstellung imperialistischer Gesellschaftsverhältnisse fällt im britischen Drama, besonders wiederum seit 1968, das Interesse für internationale Erscheinungen der jüngsten Zeit beziehungsweise der Gegenwart und für die internationale, weltweite Verflechtung der Monopole mit den Staats- und Militärapparaten kapitalistischer Länder auf. Die Worte John Macleans in The Games a Bogey von John McGrath, „daß wir in Glasgow zuerst, zuletzt und zu jeder Zeit Internationalisten sind", 109 weil der Klassenkampf ein internationaler sei, sind programmatisch für diesen neuen thematischen Akzent. Bevor er eingehender betrachtet wird, sei zumindest summarisch darauf verwiesen, daß freilich auch andere Aspekte des Lebens unter den heutigen kapitalistischen Verhältnissen in Großbritannien im gegenwärtigen Drama genauer erfaßt, deutlicher herausgearbeitet und stärker in das zunehmende antiimperialistische Bewußtsein integriert worden sind, als das im Durchbruch der Fall war. Nimmt man jene Stücke, die sich mit dem Militarismus, dem Krieg, der Kanonenbootpolitik und der imperialistischen Aggression befassen, so springt das Bemühen ins Auge, den Krieg als dem Imperialismus notwendigerweise eigene Form der Profitjagd und Weltbeherrschung anzuprangern und den Militarismus als Modell einer Gesellschaftsteilung in Herrschende und Beherrschte zu verwenden. Immer mehr hebt die satirische Darstellung von militärischen Aktionen (Korea, Suez, Schweinebucht, Vietnam, Nordirland) im Drama den volksfeindlichen Charakter sogenannter „nationaler" Interessen hervor. Dieses Thema stand seit Henry Livings' Nil Carborundum (1962), Arnold Weskers Chips with Everything (1962), und Oh What a Lovely War (1963) des Theatre Workshop immer auf der Tagesordnung; im Werk von Charles Wood nimmt es einen zentralen Platz ein: Cockade (1963), Dingo (1967), H (1970), Veterans (1972) und Jingo 1975). Das Aufdecken der politischen Zusammenhänge und die Entmythisierung des Krieges prägen Albert Hunts Shows The Destruction of Dresden, Looking Forward to 1942 und John Fords Cuban Missile Crisis (1970). 1 1 0 John Antrobus' Crete and Sergeant Pepper (1972), David Storeys Cromwell (1973) und andere Stücke zeigen, daß Krieg zur Unterdrückung eines anderen Volkes ebenfalls der Unterdrückung des eigenen dient. 80

Ein anderer thematischer Aspekt, unter dem Dramatiker ihre Gegenwart untersuchen und den Imperialismus in seinen Erscheinungen bloßstellen, ist die besondere Situation der Jugend. Sie soll sich in vermeintlich freier Entscheidung dem Establishment anpassen. In den Dramen, die Peter Terson für das National Youth Theatre schrieb, unter anderem Zigger-Zagger (1967), The Apprentices (1968), Spring-Heeled Jack (1970, The Adenventures of Gervase Beckett (1971), versuchen Jugendliche, dem ihnen vor Augen stehenden trostlosen Leben der älteren Generation zu entgehen, oder sie bäumen sich in wütendem Protest auf. Peter Nichols' Forget-Me-Not Lane (1971), Howard Brentons Magnificertce (1973), The Golden Pathway Annual (1973) von John Harding und John Burrows zeigen junge Menschen zwischen Einzelgängertum und Solidarität. Ansatzpunkt der Imperialismuskritik ist die von den Autoren unter den Kriterien von Individualität und Klassenbewußtsein aufgeworfene Frage, inwieweit und mit welchen Mitteln die jugendfeindliche kapitalistische Gesellschaft die keimende Persönlichkeit verformt oder zerbricht. Die Manipulation der öffentlichen Meinung und der individuellen Verhaltensweisen als eine für die monopolistische Phase des Kapitalismus typische Erscheinung ist auch nach 1968 von den Dramatikern ins Blickfeld gerückt worden. Christopher Wilkinsons Play for Rubber Go-go Girls (1969, mehrfach umgeschrieben bzw. neu eingerichtet) verfremdet Ereignisse durch die karikierende Anwendung des Stils der Massenmedien; Heathcote Williams greift in AC/DC (1970) die psychologische Beeinflussung der Menschen durch die meinungsbildenden Monopole an, welche faschistische „Werte" propagieren und den Menschen wichtige Informationen vorenthalten. Das von Howard Brenton, Brian Clark, Trevor Griffiths, David Hare, Steven Poliakoff, Hugh Stoddart und Snoo Wilson gemeinsam verfaßte Lay by (1971) führt die Wirkungsweise der Manipulation durch die Sexwelle vor; John McGrath untersucht in den drei Einaktern von Plugged in das Verhalten von Opfern massenmedialer Verdummung, und Arnold Wesker enthüllt in The Journalists (1972), wie das Manipulieren gemacht wird und welche Auswirkungen es auf die Manipulierenden selbst hat. Daß die für die Interessen der Bourgeoisie arbeitenden Massenmedien mit undemokratischen Haltungen auch entsprechende Leitbilder, Idealfiguren, Heldentypen verbreiten und die kritische Sicht dieser Aushängeschilder von Erfolg, Macht und Luxus zu unterbinden suchen, indem sie die Menschen 6

K l o t z , Alternativen

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irreführen, abstumpfen und an vermeintlich schicksalhafte Gegebenheiten gewöhnen wollen, das haben in dem gleichen fruchtbaren Jahr 1972 James Saunders in Games und After Liverpool und Howard Brenton in Hitler Dances durchschaubar gemacht, indem sie die modernen Helden entheroisieren und den verborgenen Krämergeist, die unmerkliche Ausübung von Gewalt und die in das Gewand technischen Fortschritts gekleidete Inhumanität der Manipulation ans Licht bringen. Da die Dramatiker selbst einen meinungsbildenden Einfluß ausüben, haben sie sich die Frage nach dem Verhältnis von Künstler und Gesellschaft vorgelegt und es in Bühnenwerken gestaltet. Arnold Wesker stellte in Their Very Own and Golden City (1966) einen Künstler in den Brennpunkt gesellschaftlicher Konflikte, in The Bagman (1969) betreibt John Arden Selbsterforschung als Künstler in einer feindlichen Welt, er und seine Frau Margaretta D'Arcy wählen in The Island of the Mighty (1973) den Zauberer Merlin aus der Artussage als die Gestalt, an der sie die Verantwortung des Künstlers gegenüber dem Volk exemplifizieren, während David Storey in Life Class (1974) die Rolle der Kunst in den zwischenmenschlichen Beziehungen veranschaulicht. Die Konflikte um die Verwirklichung oder NichtVerwirklichung des künstlerischen Auftrags, um den Sinn schöpferischer Betätigung unter kapitalistischen Verhältnissen haben Wesker und die Ardens zur Gretchenfrage des künstlerischen Schaffens in der Klassengesellschaft in Beziehung gesetzt: ob die Gesellschaft verändert, umgewandelt werden soll oder nicht. In anderen Stücken wurde die entsprechende Frage für die Tätigkeit der Lehrer und Erzieher gestellt; die Dramatiker Simon Gray und David Caute sind Hochschuldozenten, Peter Nichols, Peter Terson und David Storey waren Lehrer. 1 1 1 So wichtig Stücke dieser Themen sind, so bedeutend ihr Anteil an dem Bewußtwerden ist, welche menschlichen Schäden das kapitalistische Gesellschaftssystem verursacht und mit welchen unblutigen Methoden Menschen vergewaltigt werden, so sollen hier jedoch die Darstellungen übernationaler Erscheinungen monopolistischer Gewaltherrschaft im britischen Drama eingehender behandelt werden. Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste liegt im Stoff selbst, sind doch die immer enger werdende Verflechtung der machtausübenden staatlichen Institutionen mit der Monopolbourgeoisie, die wachsende Abhängigkeit der einst als demokratische Organe geschaffenen Einrichtungen vom nationalen und internationalen Großkapital und 82

der sich verschärfende Gegensatz zwischen den multinationalen Monopolen und den Interessen der Völker, einschließlich der unteren Schichten des Bürgertums, charakteristisch für die gegenwärtige Situation in Großbritannien. Zum anderen kommt gerade deshalb in diesem Punkte die große Kraft der Enthüllungen dem Streben der Menschen entgegen, die Ohnmacht des Staatsapparates, der die demokratischen Rechte der Bürger nicht mehr zu schützen vermag und sie nicht mehr schützen will, zu begreifen, das Chaos der Währungsabhängigkeiten, der Inflation und Arbeitslosigkeit zu durchleuchten und die Zusammenhänge zwischen den ungeheuer großen Reichtümern weniger Familien und Interessengruppen einerseits und dem sozialen Niedergang und den Kriegen um Einflußsphären andererseits aufzudecken. Die Vermittlung solcher Informationen in der Form des Theatererlebnisses hinterläßt nicht nur die Information selbst, sondern auch das Gefühl, daß es möglich ist, Ursachen und Zusammenhänge zu verstehen und dieses Verständnis zur Grundlage gemeinsamer Anstrengungen zu machen, die auf die Besserung der Verhältnisse durch ihre Umgestaltung gerichtet sind. Einen symptomatischen Streitfall unter den Kritikern bildete 1973 Savages von Christopher Hampton, ein Stück, von dem Steve Grant im Morning Star schrieb: „Das ist ganz einfach das beste politische Schauspiel, das ich gesehen habe." 112 Daß die Kritiker der Times (Irving Wardle), des Observer (Robert Brustein), der Sunday Times (Harald Hobson), der Tribüne (Catherine Itzin) und andere sich so ereiferten und sich Martin Esslin genötigt fühlte, deren Besprechungen zu analysieren und seine eigene Meinung als eine unter anderen hinzuzufügen - was den beabsichtigten Effekt der Supermeinung erzielte - , lag wohl vor allem daran, daß Christopher Hampton bis dahin als ein hoffnungsvoller, im Londoner West End erfolgreicher bürgerlicher Autor in der Nachfolge Osbornes angesehen werden konnte. Wenn dieser nun politisch wurde, mußte das mit ästhetischen Kategorien als ein unglücklicher Ausrutscher abgetan oder - wie es Esslin versuchte - durch eine den Inhalt des Stücks verfälschende Interpretation als eine Glanzleistung unparteilicher oder gar prokapitalistischer Theaterkunst hingestellt werden. 113 Christopher Hampton, 1946 auf den Azoren geboren, entstammt den oberen Schichten der bürgerlichen Mittelklasse. Seine Kindheit verbrachte er in Aden und Ägypten, das er nach dem britischen Überfall auf den Suezkanal 1956 verlassen mußte. In Oxford studierte er Deutsch und Französisch, wobei er zwischendurch ein Jahr 6»

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auf dem Kontinent verbrachte, als Volontär am Hamburger Schauspielhaus, in Brüssel, München und Paris. Für eine Aufführung der Oxford University Dramatic Society verfaßte er When Did You Last See My Mother?, das 1966 in einer der Sonntagslesungen neuer Stücke am Royal Court Theatre in London vorgestellt wurde; es lief dann sogar im West End. In diesem konventionellen Stück liebt ein Sohn die Mutter; ein homosexueller Freund will ihn lieben, wird aber von der Mutter verführt; als sie vom Verlangen des Freundes nach ihrem Sohn erfährt, begeht sie Selbstmord. In Total Eclipse (1968) gestaltet Hampton fast dokumentarisch die Beziehungen zwischen Rimbaud und Verlaine. Danach lud ihn William Gaskill ein, erster Resident Dramatist (1969/70) des Royal Court zu werden. Sein erster Erfolg wurde das in freier Umkehrung an Molieres Misantbrope angelehnte Stück The Pbilanthropist (1970); es spielt im Milieu von Universitätsdozenten und Schriftstellern, die von Mißverständnissen und Katastrophen befallen werden. Nach dem jüngsten Werk, Treats (1976), zu urteilen, wechseln im Hamptons Schaffen fiktive Stücke über die sittliche Leere bürgerlichen Lebens mit Dramen, die sich auf Tatsachen gründen.114 Treats ist eine Dreiecksgeschichte, in der ein grober, trinksüchtiger Journalist den soliden Angestellten bei einer jungen Frau verdrängt, deren moralischer Verfall damit beginnt. Savages beruht auf Tatsachen; der Autor hat über sie und über sein Bekanntwerden mit ihnen berichtet.115 Am 23. Februar 1969 schrieb der Romancier Norman Lewis 116 * in der illustrierten Beilage der Sunday Times über den Völkermord in Brasilien unter der mit Hilfe der USA 1964 an die Macht gelangten Militärjunta. Der Stamm der Cintas Largas ist Anfang der sechziger Jahre unter Aufsicht des Generalinspektors einer großen Kautschuk-Firma größtenteils ausgerottet worden. Während des jährlichen Quarup-Festes hat 1963 ein Flugzeug zuerst Zucker und dann Bomben auf die Zusammenlaufenden abgeworfen. In seiner Empörung darüber, daß er keinen Sold erhalten hatte, gestand der Beteiligte Pereira kurz danach das Verbrechen. 1968 erließ die Militärdiktatur ein Gesetz zur Unterdrükkung jeglicher Opposition, zu der auch die Verbreitung von Nachrichten über die Vernichtung von Indianerstämmen zählte. Hampton fuhr mit seiner Frau nach Brasilien, trieb Studien, wurde aus einem Indianerreservat als Schriftsteller durch einen Offizier vertrieben und besuchte als Tourist ein anderes. Die zweiundzwanzig Szenen117* verbinden die Darstellung dieser bestialischen Zeitereignisse mit einer fiktiven Entführungsgeschichte, 84

die immerhin insofern auch der Realität entspricht, als zwischen 1969 und 1970 Diplomaten der USA, Japans, der Schweiz und der B R D von oppositionellen Guerillas gekidnappt wurden. In den Szenen 1, 4, 9, 12 und 15 treten wortlos Indianer auf, die das Quarup vorbereiten und mit den Zeremonien des Festes der Lebenserneuerung beginnen. Dazu spricht der britische Diplomat West indianische L e genden vom Ursprung des Feuers, der Sterne, der Musik, vom K o m men des Todes und vom Leben nach dem Tode. Szene 20 beginnt ähnlich, mit der Legende vom Ursprung der Masken (ein Schutz gegen Teufel: Wer, sieht er das eigene Ebenbild, könnte die eigene Art töten?), doch dann fallen die Bomben. Am Schluß tötet der Pilot nach dem Angriff den Häuptling. D i e West-Geschichte beginnt mit seiner Entführung durch den Untergrundkämpfer Carlos. West wird in ein Versteck gebracht, wo Carlos ihn beruhigt, es werde ihm nichts geschehen. Carlos berichtet ihm, daß die Entführer Mitglieder der Movimento Revolutionario Brasileiro seien, welche die Freilassung von fünfundzwanzig politischen Gefangenen, freien Abzug nach Kuba, die Summe von einer Million Dollar und die Verbreitung einer Erklärung über die Militärdiktatur verlange: daß die G e waltherrscher das Land an den nordamerikanischen Kapitalismus verschacherten. In weiteren Szenen klärt Carlos den Engländer über die politische Situation auf; sie spielen Schach; Carlos teilt mit, daß er als untüchtig nach Kuba beordert wurde. In der vorletzten Szene erschießt er West. Dazwischen liegen die Berichte Pereiras, der an Vernichtungskommandos teilnahm, und Rückblenden auf das Leben des West in Brasilien. Den Kern der Rückblenden bilden Unterhaltungen des Diplomaten, in denen der Zuschauer ihn als europäisch gebildeten Liberalen kennenlernt, der sich nur literarisch und ästhetisch mit den Indianern befaßt und im übrigen ein durchschnittlicher, unpolitischer Engländer ist. Erst nach seiner Entführung, in den G e sprächen mit Carlos, beginnt er, auf das, was ihn umgibt, aufmerksam zu werden, und er versucht, soweit das sein bürgerlicher Humanismus zuläßt, sich Urteile über politische Gegebenheiten zu bilden. Neben den Worten Carlos' und dem Verhör Pereiras bilden die Dialoge der Rückblenden eine dritte Gelegenheit zu Enthüllungen. Auch sie beruhen auf Tatsachen, Zeugenaussagen. Pfarrer Elmer Penn sperrte ein ganzes D o r f hinter Stacheldraht, um den Eingeborenen kapitalistische Arbeitsregeln und die Achtung des Privatbesitzes beizubringen. E r ist stolz darauf, einen Indianer zum gottgefälligen Mörder seiner Geliebten gemacht zu haben. Wichtigster Zeuge und

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Kommentator des Völkermords ist der Anthropologe Miles Crashaw. Er erzählt West, daß Engländern, Nordamerikanern und Westdeutschen Land angeboten wird, das den Stämmen gehört; die Gesellschaften, die das Land anbieten, beschützen die Eingeborenen, indem sie ihnen Krankheiten bringen - zum Beispiel durch Laken, die mit Pocken oder Masern infiziert sind - , sie mit vergiftetem Zucker umbringen oder mit Maschinengewehren oder Fliegerbomben ausrotten. Beweise verbrennen „zufällig". Der aufsichtführende General unterhält enge Kontakte zur US-Botschaft, und der Minister für indianische Angelegenheiten sagt: „Wir müssen das Gesicht Brasiliens von dieser ethnischen Geschwulst befreien." 1 1 8 Die Vernichtung der Beifos de Pau begann mit Arsen und Masern. Der Rest des Stammes wurde mit einem Transportflugzeug, dessen Laderaum keinen Luftdruckausgleich besitzt, weiterbefördert; niemand überlebte. Zwölf Stämme kann Crashaw nennen, nur die Methoden unterscheiden sich. Ein englischer Offiziert erinnert sich, wie er als Angehöriger einer inzwischen aufgelösten Schutztruppe die Mörder verfolgte, sogar zwei von ihnen tötete, doch als der Völkermord industrialisiert wurde, mit Epidemien, Gift, Flugzeugen, da konnten sie nichts mehr machen. Die persönliche Geschichte West-Carlos führt zu keiner Lösung des Indianerproblems, aber sie setzt es in eine Perspektive, aus der Hampton einen Zugang zum Londoner Theaterpublikum des Royal Court und des West Ends finden kann. West hört, beobachtet, lernt, verachtet schließlich die Machenschaften der Militärdiktatur, die internationale Spekulation und die Einmischung der USA, die zu Verbrechen gegen die Menschheit werden um der Macht und des mühelosen Profits willen. Aber Wests moralische Entrüstung endet in passiver Geste. Carlos entwirft auch keinen Plan zur Befriedung, aber er richtet die Aufmerksamkeit Wests und der Zuschauer auf a l l e Armen, Entrechteten, Ausgebeuteten des brasilianischen Volkes und darauf, daß es ein internationales Komplott und deshalb auch ein internationaler Kampf ist. Bei den gegenwärtigen Machtverhältnissen sehen sich die Guerillas gezwungen, selbst zu Entführung und Mord zu greifen. Der Zuschauer erhält so viele Fakten, daß er sich selbst ein Urteil bilden kann. Und dieses Urteil muß über Wests Haltung hinausgehen, denn sie wird in den Gesprächen mit dem Anthropologen als ungenügend apostrophiert. Hier kommt die Verantwortung des Wissenschaftlers zur Sprache, die sich auf die Verantwortung auch des Diplomaten und jedes Verantwortung Tragenden erweitern läßt. West

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schiebt seine Verantwortung aus Gründen des Ressorts von sich, und Grashaw antwortet, daß laut Auflage des Establishments Anthropologen keine politischen Kommentare abgeben sollen. „Wenn ich z. B. eine Dissertation über die Eheschließung bei den Boreros schreibe, und ich bekomme es satt, über exogame Stammeshälften zu schreiben, und sage, daß es ja tatsächlich überhaupt nichts ausmacht, wen sie heiraten, denn wenn das so •weitergeht wie jetzt, sind sie in zehn Jahren sowieso alle tot, da hält man mir entgegen, das sei keine Anthropologie, sondern Journalismus." 119 Dieses mangelnde Interesse an Politik, das Hampton allenthalben feststellt, will er - ohne unmittelbare Wirkungen vom Theater zu erhoffen - mit seinem Stück als eine Gefahr für den einzelnen, für den Unbeteiligten wie für ganze Völker darstellen und damit überwinden helfen. Die Verbrechen der Gewalt, die er als Folgen internationaler Mächtegruppen und Profitinteressen definiert, können aber nicht durch Einzelaktionen verhindert werden, und es wird klar, daß die Lösung keine innerhalb eines kapitalistischen Systems denkbare sein kann, sondern nur die einer alternativen Gesellschaftsordnung. Dieses Ausbrechen aus den (seit 1956 etwas weiter gesteckten) Grenzen der Unverbindlichkeit nahmen bürgerliche Kritiker Hampton am meisten übel. Mit der Methode, strikt nur kunstautonome Kriterien gelten zu lassen, warf ihm Ronald Bryden vor, die Indianergeschichte „war es nicht wert, darüber zu schreiben", er habe die Komödie (!) „mit der Propaganda ruiniert", bringe „viel zuviel Information", und er fügte hinzu: „Nun gut, die meisten von uns hier in Großbritannien können für die Armen in Brasilien, ob sie nun Indianer sind oder nicht, nicht viel tun, außer eine .korrekte' Haltung den Dingen gegenüber an den Tag zu legen." 120 Bryden und andere wollen das Stück gewissermaßen zurücknehmen: Fakten gehörten nicht in die Kunst, und die „korrekte Haltung", die Hampton gerade als unzureichend entlarvte, müsse genügen. Hampton, der von sich sagt: „Ich bin besessen von Tatsachen" 121 , und der den Kritikern nachsagen muß, daß sie das Stück nicht beurteilen können, weil sie nicht wissen, was in der Welt vor sich geht, hat diese Informationen nicht der bloßen Mitteilung wegen in das Stück aufgenommen. Die Verbindung der beiden Handlungen verbürgt die wesentliche Einsicht, die für die bürgerlichen Kritiker unannehmbar ist: Heutzutage kann kein Mensch, auch kein bürgerlicher, sich selbst, seine Situation, was mit ihm geschieht und was er tun kann, abschätzen ohne das Verständnis der größeren Zusammenhänge seines Lebens, ohne das 87

Verständnis der gesellschaftlichen Widersprüche und Entwicklungen nationalen und internationalen Ausmaßes. Diese Erkenntnis enthält zugleich ein Urteil über jene Dramen, die im Privaten und Psychologischen bleiben, deren Seelenkonflikte nur schwach, mehrfach gebrochen und ohne kausale Verknüpfungen die Wesensmerkmale der gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegeln - Dramen, wie sie Hampton selbst auch schreibt, deren Bedeutung damit aber auf eine zweitrangige Ebene verwiesen wird. Die Kritikerin des New Statesman wünscht, Hampton hätte eindeutiger Partei für eine Seite ergriffen und hätte seine Propaganda didaktischer vorgetragen - dann wäre er leichter zu diffamieren gewesen. Esslin unternimmt eine unverblümte Reinwaschung des Kapitalismus; er sagt, da die antikapitalistischen Guerillas auch nichts tun würden, um die Indianer zu retten (doch dafür gibt es im Stück keine Anhaltspunkte), könne der Kapitalismus nicht die Ursache der Übel sein. Es sei vielmehr die Industrialisierung (wobei er sich auf Marx beruft), „mit der die Indianer nicht in friedlicher Koexistenz leben können"; sie „muß in der einen oder anderen Form zum Verschwinden der indianischen Zivilisation und Lebensweise führen". 122 Hier ist dem Kritiker bereits der Völkermord aus dem Blickfeld geschwunden, und das „Verschwinden einer Kultur" - eine Formulierung, der man das dahinter verborgene Verbrechen nicht mehr anmerkt - sei angeblich Schicksal. Der Aufwand, mit dem man die „politische Entgleisung" des jungen bürgerlichen Autors vom „künstlerischen Standpunkt" schmäht und von apologetischen Positionen abfangen will, bezeugt, daß die Hinwendung zu den politischen und internationalen Aspekten des gegenwärtigen Lebens in Großbritannien auch aufs etablierte Theater übergreift. Das gleiche Thema, das Sterben eines Eingeborenenstammes, behandeln Denis Cannan und Colin Higgins in The Ik (1976), das von Peter Brook inszeniert wurde. Das Aussterben wird hier als unabwendbar hingestellt und fand deshalb den Beifall derselben Kritiker. Falls das Schicksal des Ik (in Uganda) als Metapher der Habgier in den westlichen Ländern aufgefaßt werden soll, würde es nur die Illusion nähren, daß der Kapitalismus durch Reue etwas weniger kapitalistisch gemacht werden könnte. Simon Trussler schreibt dazu: „The Ik war von dem Stoff, aus dem erfolgreiche Illustriertengeschichten gemacht werden: augenscheinlich unser Empfindungs- und Aufnahmevermögen herausfordernd, ermutigte es (genau wie Brooks frühere Inszenierung US) genau jene unserer Gefühle bequemer Hilf88

losigkeit, über die es uns belehrte. Wir haben schuld, aber Gott sei Dank können wir überhaupt nichts in der Angelegenheit tun - der Ruf des Polstersesselliberalen zu allen Zeiten." 123 Ein anderer Schauplatz, auf dem Briten beziehungsweise England in die Unterdrückung und Ausbeutung eines Volkes verwickelt sind, liegt vor der Haustür: Irland. In den Werken O'Caseys und Brendan Behans waren England und die britische Bourgeoisie angeklagt worden, das irische Volk seit tausend Jahren zu unterjochen und auszuplündern. Seit in Nordirland wieder geschossen wird und in England irische Bomben explodieren, hat das Thema im Drama stärkere Beachtung gefunden, so in der Produktion des Portable Theatre (zu dem David Hare, Howard Brenton, Snoo Wilson und andere gehörten) England's Ireland. (1972), in John Wilson Haires Within Two Shadows (1972), Brian Friels The Freedom of the City (1973) und Patrick Galvans We Do It for Love (1976), die Ausschnitte aus den Kämpfen und aus dem Leben der Betroffenen darstellen. 124 John McGrath' Arden-Bearbeitung Sergeant Musgrave Dances on wurde schon genannt. Am tiefsten analysierte die Ursachen, am anschaulichsten gestaltete die Folgen The Ballygombeen Bequest (1972) von John Arden und seiner Frau Margaretta D'Arcy. 125 * John Arden ist einer der bedeutendsten Dramatiker des Durchbruchs, sein Name war eng verbunden mit der English Stage Company und dem Royal Court Theatre, doch er wandte sich seit Mitte der sechziger Jahre immer mehr dem Fringe zu. Geboren wurde er 1930 in Barnsley, Yorkshire. In Cambridge und Edinburgh studierte er Architektur und übte seinen Beruf einige Jahre aus, bevor er ihn zugunsten der Literatur aufgab. Schon während der Schuljahre hatte er Stücke verfaßt, jedes mit „öffentlichen Themen". Ins Rampenlicht trat er 1957 in London, wo das Royal Court The Waters of Babylon und Live Like Pigs (1958), Serjeant Musgrave's Dance (1959) und The Happy Haven (1960) herausbrachte. Beim Publikum fanden sie nur mäßigen Anklang, war es doch gewöhnt, Handlungen offeriert zu bekommen, aus denen für die Zuschauer klar hervorging, wer die Guten und wer die Schlechten sind - oder sein sollen. Arden bot keine fertigen Urteile an, sie sollten es selbst herausfinden; er vergleicht seine Dramaturgie mit dem Charakter der Volksballade: „Wenn der Dichter will, daß wir uns ein Urteil über seine Gestalten bilden, so wird das im ganzen Verlauf der Geschichte liegen, nicht in beigegebenen, in Vernunftdenken umgesetzten Kommentaren. Die Geschichte steht und spricht für sich selbst. Wenn es sich um einen 89

•wahrhaftigen Dichter handelt, wird auch die Geschichte wahrhaftig sein." 126 Serjeant Musgrave's Dance wird inzwischen als ein klassisches britisches Drama anerkannt. Diese „unhistorische Parabel" (Untertitel) handelt von dem Versuch Musgraves, das Kriegsmorden durch weitere Morde für immer zu beenden. Der Plan scheitert. Arden unterwirft das fatale Unternehmen Musgraves, als einzelner eine böse Welt mit deren Methoden - die damit bekräftigt werden - zu bekämpfen, einem kritischen Urteil. In dieser Haltung, durch das Drama den Denkprozeß über historisch zu lösende gesellschaftliche Widersprüche in Gang zu setzen, steht Arden Brecht nahe; beide wurden auch von ähnlichen Traditionen angeregt, zum Beispiel von der Commedia deir arte und vom elisabethanischen Drama. Ein umfassendes Gesellschaftsbild entfaltet Arden in The Workhouse Donkey (1963), ein Sittenbild lächerlicher, aber totaler Korruption. In historischen Stücken wie Armstrong's Last Good Night (1964), Left-Handed Liberty (1965), The Hero Rises up (1969) und The Island of the Mighty (1973) macht er das geschichtliche Sujet zum Experimentierfeld für die Behandlung von Themen wie Macht und Unterdrückung, Gewalt als Mittel des Rechts und des Unrechts, das Verhältnis von individuellem Recht und gemeinschaftlicher Notwendigkeit, den Mythos heroischer Siege, unter dem sich Selbstliebe, Sklaverei und Brutalität verbergen. Eine Reihe seiner Dramen verfaßte er gemeinsam mit seiner Frau, der irischen Schauspielerin Margaretta D'Arcy. Die Familie wohnte längere Zeit in Yorkshire, siedelte aber vor wenigen Jahren nach Galway in Irland über. Vorfälle, wie sie sich in dem fiktiven Ballygombeen ereignen, stehen in Irland auf der Tagesordnung, berichteten die Ardens in einem Interview 1973: „Die Regierung Lynch will Irland in eine Costa del Sol umwandeln, ohne, wie sie sagt, die schöne Landschaft zu verunstalten. Ihre Absicht ist es, die Tourismusindustrie zu entwickeln, Hotels, Feriendörfer und Bungalows zu bauen, und das bedeutet, den Preis des Bodens als möglichen Baugrund zu erhöhen und die einheimischen Kleinbauern, Kätner und Viehhalter zu vertreiben. Und da diese Landleute sind, gibt es nur wenige Städte, und es ist ihnen nicht zur Gewohnheit geworden, gemeinschaftlich zu handeln; so fallen sie dem Imperialismus zum Opfer. Und gleichzeitig ist ihr Land schön geblieben, teilweise, weil so viele nach der Hungersnot (von 1846/47 - G. K.) und später ausgewandert sind. Diese Schönheit ist jetzt eine Goldgrube." 127 90

Ihre dialektisch-materialistische Gesellschaftsauffassung betonen die Autoren eingangs dadurch, daß sie The Ballygombeen Bequest ein Motto von James Connolly voranstellen, dem ersten marxistischen Organisator einer irischen revolutionären Bewegung, der nach dem Osteraufstand von 1916 hingerichtet wurde. Es besagt, daß die Briten den Kapitalismus nach Irland brachten. Das Stück geht auf Tatsachen zurück und handelt von den Machenschaften des englischen Immobilienmaklers Perceval Hollidey-Cheype, eines ehemaligen hohen Zahlmeisters der Kriegsmarine, und von dem Schicksal der armen irischen Familie O'Leary. Dabei decken die Autoren die gesellschaftlichen Bedingungen auf, die der scheinbar unentwirrbaren „irischen Frage" zugrunde liegen, und führen den Zuschauer zu Urteilen, die über bloße Anteilnahme und Gewissensappelle hinausgehen. Im Jahre 1945 erbt Hollidey-Cheype den irischen Besitz Ballygombeen bei Galway, zu dem ein Haus und eine Hütte gehören, in der seit je die O'Learys wohnen. In den mageren Nachkriegsjahren will Hollidey-Cheype die Erbschaft nutzen, um damit Geld zu machen, indem er das Haus in der Saison an reiche Amerikaner oder Nordiren vermietet. Den O'Learys versichert er, daß die damit verbundene Mehrarbeit auf dem Besitz durch den Verkauf von Milch und Eiern an die Urlauber mehr als aufgewogen werde. Als später die amerikanische Familie McNamara die Pension nicht bezahlt, weil die Toilette verstopft war, sendet Hollidey-Cheype den O'Learys nicht die übliche Gratifikation. Teresa O'Leary fordert ihren Mann Seamus auf, er solle von dem in England lebenden Grundherrn einen rechtmäßigen Lohn für die Arbeit verlangen, doch Seamus gibt auf Anraten des einstigen Tankstellenwarts und nunmehrigen Bauunternehmers Tim Hagan statt dessen demselben den Auftrag, die ungesunde Hütte zu renovieren und durch einen Anbau zu erweitern. Der auf dem Gewohnheitsrecht basierende Anspruch der O'Learys, in der Hütte mietfrei zu wohnen und als Vertreter des abwesenden Herrn zu fungieren, ist Hollidey-Cheype ein Dorn im Auge. Er macht Seamus betrunken und läßt ihn einen Vertrag unterschreiben, wonach er nur so lange in der Hütte wohnen darf, als er ohne Lohn den Pflichten seiner Arbeit für den Herrn nachkommt. Im Jahre 1968 stirbt Seamus O'Leary. Nach Erlöschen des Vertrages soll Teresa nun ausgewiesen werden. Ihr Sohn Padraic, der als Maurer in England arbeitete, nimmt in Ballygombeen den Kampf um ihr angestammtes Recht auf. Er arbeitet nun in der Firma Ha-

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gans und will die Arbeiter organisieren, um demokratische Verhältnisse herzustellen. Als Hagan durch Freunde in Dublin erfährt, daß Teresas Klage gegen Hollidey-Cheype auf Erstattung der noch von Seamus bezahlten Renovierungskosten auch in letzter Instanz abgewiesen werden würde (das Urteil steht schon vor der Verhandlung fest), verrät er den „Unruhestifter" Padraic dessen Gegnern. Hollidey-Cheype erzählt dem britischen Abwehroffizier Commander Black, einem alten Freund, die im britischen Nordirland tätige Irish Republican Army habe in Ballygombeen einen Stützpunkt, woraufhin in dem irischen Ort britische (Limegrave) und nordirische (McReek) Spitzel auftauchen, die Padraic eine Falle stellen. Sie locken ihn über die Grenze nach Nordirland, wo er von britischen Besatzern ergriffen, gefoltert und umgebracht wird. Hagan sprengt zur gleichen Zeit „im Auftrage" Padraics das Haus und bietet danach HollideyCheype für den gesamten Besitz „einen fairen Preis". Hollidey-Cheype verkauft; er wird künftig in Südafrika oder in dem neuen großen Geschäft investieren: in „Europa", das heißt, in der EWG. Am Schluß lassen die Autoren den toten Padraic wieder auferstehen und Hollidey-Cheype verprügeln. Die Gestalten dieses lustigen, oft karikaturistisch überzeichneten Spiels sind nicht „lebensvolle, abgerundete" Charaktere, sondern Figuren, die von einfachen Grundhaltungen, einfachen Motiven gekennzeichnet sind. Die Heiterkeit, mit der ernste Konflikte dargeboten werden, resultiert zum großen Teil daraus, daß das Verhalten der Menschen so einsichtig und die daraus sich ergebenden Komplikationen so leicht zu begreifen sind: Die einen wollen Geld machen, die anderen verteidigen ihre Rechte und ihre einfachen humanen Lebensansprüche gegen diese mächtigen Geldinteressen. Während die „irische Frage" von bürgerlicher Seite meist als eine ausschließlich nationale und religiöse gesehen wird, heben die Ardens ähnlich O'Casey ihre bestimmenden Aspekte hervor: den imperialistischen Charakter der Unterdrückung des irischen Volkes und den Klassenkampf. Sie veranschaulichen, in welchem Maße das Leben der O'Learys von dem Umstand bedingt wird, daß sich die britischen Bourgeois (Hollidey-Cheype), die nordirischen (Major Baker-Baker, der Architekt McReek) und die irischen (Hagan, Teresas Anwälte) sowie die Dubliner Regierung gegen die einheimischen Arbeiter und Besitzlosen verbünden, um sie zu vertreiben, die Bodenpreise in die Höhe schnellen zu lassen und aus der Grünen Insel ein internationales Ferienparadies zu machen. Das Zusammenwirken ökonomischer In92

teresscn über die Grenzen hinweg, geheimdienstlicher Operationen und militärischen Eingreifens charakterisiert die Aggressivität des Imperialismus, der sich juristisch absichert und philanthropisch tarnt. Daß das irische Volk aus antibritischen Gefühlen der eigenen Bourgeoisie noch vertraut, sich leichtgläubig der Meinung des Klerus anschließt und der antikommunistischen Hetze verfällt, macht es Padraic O'Leary so schwer, auf dem Lande eine nach leninistischen Prinzipien organisierte revolutionäre Gruppe zu gründen. Den Widerspruch zwischen den Erfahrungen eines jahrhundertelangen Ringens der Iren gegen die britische Kolonialherrschaft und der in Ballygombeen waltenden kleinbürgerlichen Beschränktheit verdeutlichen die Autoren auf solche Weise, daß für den Zuschauer die einzig schlüssige Folgerung darin besteht, die doppelte Befreiung des irischen Volkes in nationaler Einheit könne nur im Klassenkampf errungen werden. In einer dichten, wechselvollen Handlung, welche die gesellschaftlichen Zusammenhänge erfaßt und das Publikum im dialektischen Durchdenken komplexer Zusammenhänge übt, geben die Ardens ein Modell des irischen Lebens. Während die Herrschenden und auch einige Labourführer die Existenz von Klassen und des sich verschärfenden Klassenkampfes leugnen, beweist das Stück gerade, d a ß die Erkenntnis des gesellschaftlichen Grundwiderspruchs die speziellen Konflikte (nationale, religiöse, soziale, solche zwischen den Generationen u. ä. m.) erst begreiflich macht. Die individuellen Motivationen lassen eine mehr oder weniger direkte, bewertbare Beziehung zu den gesellschaftlichen Hauptmotivationen erkennen, den Imperialismus zu erhalten oder die Klassenherrschaft zu beseitigen. Die Dialektik und die Typik dieses gestalteten Modells öffnen die Augen, bieten ein übergreifendes Verständnis einer scheinbar hoffnungslosen Situation und überwinden die Hoffnungslosigkeit durch dieses Verständnis, so daß die Autoren im Spiel die augenblicklichen Sieger am Schluß verulken können. Das Stück ist theatralisch angelegt; es betont, daß Künstliches, freilich Bedenkenswertes vorgeführt wird. Es wurzelt thematisch in der Geschichte Irlands und mit seinen Ausdrucksformen ebenso in den Traditionen des Volkstheaters. „Was mich am tiefsten beschäftigt, ist das Problem, das konkrete heutige Leben in Dichtung umzusetzen, die zugleich sowohl dieses Leben veranschaulicht als es auch in die geschichtliche und legendenhafte Tradition unserer Kultur einbe93

zieht." 128 Lieder und Balladen sind eingestreut, die den Kern einer Situation sentenzartig oder im poetischen Bild („der Mann mit dem Dukatensack"; „der Wolf mit dem gierigen Zahn" = die freie Marktwirtschaft) ausdrücken. Alltagssprache steht neben knüttelreimigen Reden, die Szene wechselt rasch ohne Kulissenschieberei, das Publikum wird direkt angesprochen. Ein Erzähler, der gleichzeitig Hagan und einen Offizier spielt, begleitet die Lieder, spricht Übergänge ein, erläutert inzwischen Geschehenes. Die Autoren legten, wie die einführende Regieanweisung hervorhebt, das Stück so an, daß die fünfzehn Figuren von sieben Schauspielern dargestellt werden können. Es soll ohne szenischen Aufwand zügig gespielt werden, in stilisierten Kostümen und Make-up, „stilisiert auf einer Grundlage des sozialen Realismus" 129 . Damit machten die Ardens das Stück für kleine Truppen wie die Fringe-Theater spielbar, die keinen großen Theaterapparat zur Verfügung haben, für Wanderensembles, Laienspielgruppen an Colleges, Schulen, Klubs; es war John McGrath' 7:84 Theatre Company, die es aufführte. Die Struktur des Stücks ist somit nicht nur ein innerliterarisches Phänomen; sie trägt den gegenwärtigen Theaterverhältnissen Rechnung und entspricht der beabsichtigten antiimperialistischen Funktion seines Inhalts. Albert Hunt schreibt in seinem Arden-Buch, Tbe Ballygombeen Bequest mache zum Beispiel jeden Versuch, die Anwesenheit britischer Truppen in Nordirland damit zu erklären, sie sollten die Protestanten vor den Katholiken schützen, sofort lächerlich. „Das war Theater in einer politischen Situation, nicht dazu da, bekannte Propagandaparolen zu wiederholen, sondern die Menschen durch die Unterhaltung zu lehren, wie sie die Zusammenhänge und Widersprüche und die ihrer eigenen Situation zugrunde liegenden wirklichen Verhältnisse besser verstehen können."130 Daß dieses Drama im bürgerlichen Theater kaum aufgeführt werden würde, ist den Autoren offenbar von vornherein klar gewesen, weil die Bourgeoisie an der Verbreitung der historischen und politischen Wahrheiten über Irland und das irische Volk nicht interessiert ist. 1971 berichtet John Arden, daß, als er mit einem Hörspiel über James Connolly eine der zahlreichen Wissenslücken schließen wollte, der Direktor der BBC-Hörspielabteilung Martin Esslin das Angebot zurückwies, wobei er, wie Arden vermutete, im Auftrag von Hintermännern handelte. 131 Die Bourgeoisie fand auch ein Mittel, die Verbreitung von The Ballygombeen Bequest einzuschränken. Ein Privatmann strengte eine Verleumdungsklage an, weil die Autoren ihn in 94

der Gestalt Hollidey-Cheypes verunglimpft hätten. Das Gerichtsverfahren wird jedoch nicht durchgeführt. Da nach englischem Gesetz und Gewohnheitsrecht bei schwebenden Verfahren eine öffentliche Aufführung unzulässig ist und sich kein Verleger zur Publikation entschließt, ist es offensichtlich, daß das Verschleppen des Gerichtsverfahrens dazu dienen soll, das Stück zu unterdrücken. Die Gründe dieser Maßnahme liegen eindeutig in seiner Parteilichkeit und in seiner politischen Brisanz. Die mit den bürgerlichen Freiheiten drapierten Theaterverhältnisse tragen eben doch Klassencharakter. Die Hollidey-Cheypes plündern also nicht nur Irland und Südafrika aus, sondern durch die EWG auch die westeuropäischen Völker, das heißt, sie behandeln auch die eigenen Völker des Vereinigten Königreichs Großbritannien wie die ihrer ehemaligen Kolonien. Das Absinken des Lebensstandards breiter Volksschichten Großbritanniens ging Hand in Hand mit dem Abbröckeln des Empires und mit der Annäherung und dem Beitritt zur westeuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft. In Stücken wie Say No to Europe (1971), einem Dokumentarspiel mit Liedern, zusammengestellt von Marion Reed und inszeniert von der Actors' Cooperative,132 David Edgars Tedderella (1971) über Heath als Europas Aschenbrödel (Teddy + Cinderella = Tedderella) und in A Fart for Europe (1973) von Howard Brenton und David Edgar, einer satirischen Antwort auf die von den Konservativen anläßlich des Beitritts zur EWG veranstalteten „europäischen Kulturfeste", manifestieren sich Sorge und Proteste. Der Ölrausch in der Nordsee, der vor allem das Leben des schottischen Volkes beeinträchtigt, ist eine andere Erscheinung derselben übernationalen Kartellbildung. Er wurde von John McGrath in zwei Stücken behandelt, wobei besonders der übernationale monopolistische Charakter der neuen Ausbeutungsformen und die bis auf die Eröffnung des kapitalistischen Zeitalters im schottischen Hochland zurückgehende Praxis der Vertreibung der Menschen aus ihrer Heimat angeprangert werden. The Cheviot, the Stag and the Black, Black Oil (1973), die erste Inszenierung des schottischen Ensembles der 7:84 Theatre Company, die auf zwei Tourneen in Ortschaften des Hochlands gezeigt wurde, ist eine Show, die aus der Tradition der „Lebenden Zeitungen", von Oh What a Lovely War und den dokumentarischen Musicals Peter Cheesemans erwuchs, aber eine neue Qualität erreicht. Mann kann sie ein „Lebendes Geschichtsbuch" nennen, geschrieben vom Standpunkt des schottischen Volkes und für seinen Gebrauch. Es beschreibt, ver95

allgemeine«: und erklärt. Es ist selbst ein Stück Geschichte, bezeichnet es doch den Punkt, wo sich das Volk die historisch-materialistische Darstellung der Wirklichkeit aneignen kann und muß, und macht es doch diese Aneignung selbst zu einem geschichtsformenden Vorgang. Sein zentrales Thema, die alten und die neuen Clearances das „Lichten der Güter", das Bauernlegen, die Vertreibung der Bevölkerung des Hochlands durch Entzug der Lebensgrundlagen und durch die Bodenspekulation, durch die sogenannte „Entwicklung" oder „Erschließung" des Landes - rücken das Genrebild und den Zivilisationszuwachs, die bei The Knotty noch überwogen, hinter den dialektischen Aspekt der Geschichte als Geschichte gesellschaftlicher Widersprüche und Kämpfe zurück. Das war zugleich eine Auseinandersetzung mit einem falschen Bewußtsein von Schottland und dem falschen Bewußtsein der Schotten. In seinem Bericht The Year of the Cheviot, einem wunderbaren Dokument darüber, was die Erarbeitung und die Darbietung dieser Show für die Hochländer und für das Ensemble selbst bedeutete, schreibt McGrath: „Jahre hindurch war das Hochland für die meisten Menschen in Nebel gehüllt. Entweder in den Nebel des Romantizismus - als das Land einzigartiger Pracht, gälischen Zwielichts und standhafter, unabhängiger, vornehm sprechender kleiner Ackerbauern. Oder in den Nebel unvermeidlicher Zurückgebliebenheit - als das Land, das den Zug verpaßt hat, ohne Reichtümer, mit schwindender Bevölkerung, als ein Land, das von faulen, verschlagenen Träumern bewohnt wird, denen nicht zu helfen ist, in dem sich nichts ändern kann. Das Leben im Hochland und die Menschen im Hochland sind in Wirklichkeit ganz anders. Die Wirklichkeit wurde geformt von einem Feudalsystem, das sich mit einem blutigen Panthersatz in ein imperialistisches kapitalistisches verwandelte und dabei das Volk mit noch mehr Zwang und Gewalt unterdrückte. Eine andere Tatsache der Wirklichkeit ist, daß dies geändert werden k a n n und m u ß ," 133 Der Erfolg der Show kam zustande, „nicht weil wir ,gut' oder .gescheit' waren - sondern weil das, was wir uns zu sagen bemühten, das war, was sie, die Volksmassen in Schottland, gesagt haben wollten. Jetzt." 134 Und McGrath war erstaunt, daß so wenig von den tatsächlichen Ereignissen schottischer Geschichte bekannt war, sowohl außerhalb des Landes als auch in Schottland selbst.135 Zur Vorbereitung der Show studierten die Ensemblemitglieder Archive, Augenzeugenberichte, Statistiken, aber an erster Stelle nennt McGrath „Marxens direkte Analyse der Clearances (vgl. Das Kapi96

tat)"136; sie steht im vierundzwanzigsten Kapitel über Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation. Marx' Beweisführung hat nicht nur die Untersuchungs- und Darstellungsmethoden McGrath' maßgeblich geprägt; die dort geschilderte Abfolge der Verwandlung von Ackerland in Schaftriften und von Schaftriften in Jagdrevier schlug sich auch in der Gliederung des Stücks und im Titel nieder: Das Bergschaf, der Hirsch und das schwarze, schwarze Öl. Im Laufe der Show informieren die Schauspieler in direkter Ansprache des Publikums, in welchen Größenordnungen sich die Vertreibung vollzieht: 1755 beherbergten die ackerbautreibenden Grafschaften zwanzig Prozent der Bevölkerung, heute (1972) nur drei Prozent. Von 1861 bis 1941 wurden 97 Inseln entvölkert. Das Ministerium für industrielle Entwicklung des Hochlands bezieht die Ruinen der verlassenen Dörfer bereits in die Touristenwerbung ein. Es begann damit, daß die Familie der Dukes of Sutherland, die seit Jahrhunderten zu den mächtigsten Grundaristokraten des Hochlands gehört, die Konsequenzen aus der Tatsache zu ziehen begann, daß man an der Schafwolle mehr als das Vierfache dessen verdienen kann, was Pachten und magere Hochlandskühe abwerfen. Das Stück beginnt mit der Feststellung, daß die Engländer nach der Schlacht von Culloden die gälische Sprache und Kultur unterdrückten, daß sich aber gerade in der gälischen Kultur, der Volkskultur, in Liedern, wie sie die Schauspielerin Doli Maclennan während der Show singt, die Erinnerung an diese Unterdrückung und an die Clearances, doch auch an siegreiche Aktionen des Widerstands erhalten hat. Die ersten Szenen stellen beide Seiten vor: Loch und Sellar, zwei Verwalter der riesigen Sutherland-Güter, beabsichtigen, selbst in das große Geschäft einzusteigen, während die Kleinbauern bangen, ob die so wohltätige Gräfin ihre Vertreibung verhindern oder zulassen wird. Das geschieht um 1813 in Strathnaver. Der Geistliche predigt, die Bauern sollten ihre Sünden des Ungehorsams bereuen. Unterstützt von einem Sheriff, zündet Loch eine Hütte sich der Ausweisung widersetzender Bauern an, in der eine alte Frau verbrennt. Der angesehene Verwalter wird vor Gericht gestellt und wegen guter Führung und „ausgesprochener Menschlichkeit" freigesprochen. An dieser Stelle intoniert das Ensemble das englische patriotische Lied Land of Hope and Glory (Land der Hoffnung und des Ruhms, Mutter freier Menschen . . ."). Diese Entgegensetzung der beiden Kulturen - wie hier durch die bitter ironische Kontrastierung des waltenden Unrechts mit dem oft im chauvinisti7

Klotz, Alternativen

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sehen Sinn gebrauchten Lied - durchzieht die Show: Wenn Doli Maclennan das gälische Lied „Vernichtung dem Schaf" singt und Harriet Beecher Stowe, Verfasserin von Uncle Toms Cabin, nach einem Schottlandbesuch in ihren Sunny Memories of a Stay in Scotland die Sutherlands und ihre Paläste preist, oder wenn eine riesige Statue George Granvilles, des Duke of Sutherland, auf der Bühne erscheint, wobei eine romantische Lobeshymne in Versen des Lord Francis Egerton rezitiert wird und anschließend Doli Maclennan ein gälisches Gedicht über denselben Mann übersetzt, in kräftigen Worten und Bildern ihn mit Haß und Verachtung überschüttend. Unmittelbar nach der Vertreibungsszene, in der die Hütte mit der alten Frau niedergebrannt wird, setzen sich die Schauspieler hin und lesen Kurzberichte von Gewalttaten und Übergriffen, vom Leiden und vom Sterben der Menschen. Der veröffentlichte Text enthält eine größere Reihe solcher Berichte, aus denen je nach dem Aufführungsort ausgewählt werden soll. Ein Beispiel sei angeführt: „Ceal na Coille, Strathnaver. Die Menschen wurden immer weiter hinunter an die Küste gedrängt. Sie litten sehr unter dem Mangel an Behausung und warfen Erdwälle auf, über die sie Decken spannten. Vier oder fünf Familien durchlebten so den Winter, während ihr letztes Vieh starb. Vier- oder fünfmal wurden sie vertrieben, bis sie nicht mehr weiter konnten, es sei denn, sie nahmen ein Schiff nach den Kolonien."137 In Kanada wurden - und das illustrieren einige Szenen - die Auswanderer dazu eingesetzt, für die britische Hudson Bay Company einen Handelskrieg gegen die französische Northwest Company und gegen die Indianer zu führen, in dessen Verlauf sie zum Werkzeug der Zerstörung einer anderen, der indianischen, Kultur wurden. Der Schauspieler Bill Paterson erinnert dabei an die Vernichtung der Eingeborenen Tasmaniens, an die systematische Versklavung und Vertreibung der Eingeborenen Australiens, Afrikas und der nordamerikanischen Indianer - was natürlich zu dem Schluß führt, das schottische Volk ist nicht besser behandelt worden als sie. In Szenen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erleben wir die andere Form der profitträchtigen Nutzung des Hochlands: Jagdgesellschaften der Reichen, die Aktien fast jeder Branche besitzen. Damit sie sich standesgemäß vergnügen konnten, wurden ganze Täler und Landstriche von Menschen „gesäubert". Dafür weigerten sich die Schotten, für die englische Krone und für die Kapitalisten in den Krimkrieg zu ziehen, einen Raubkrieg um Bodenschätze für die britische Industrie; viele sagten: Beruft Schafe ein, die sollen für euch 98

Krieg führen, denn ihnen gabt ihr unser Land. Und wieder werden Kurzberichte verlesen vom Widerstand, wie die verdrängten Bauern zurückkamen und den Boden wieder umbrachen oder wie 1887 in Lewis eintausend Bauern in dem eingehegten W a l d zweihundert Stück Hochwild töteten und ein Wildbretfest abhielten. Die jüngste Phase der Vertreibung begann 1962, als die Regierung Erdgas suchte und in der Nordsee Öl fand. Sie erklärte, sie habe kein Geld, es zu fördern, und überließ die Schätze nordamerikanischen Firmen, die es in Texas raffinieren und dann zum vierfachen Preis auf den Markt bringen. Mit Hilfe schottischer Gesellschaften kauften die amerikanischen Ölgesellschaften schottischen Boden. Auf ihren Bohrinseln und Landstationen stellen sie nur Arbeiter ein, die keiner Gewerkschaft angehören, sie bezahlen keinen Urlaub und kein Krankengeld und geben den Arbeitern weder Kündigungsschutz noch eine Kündigungsfrist. Texas Jim (ein gebürtiger Schotte) und Whitehall schütteln sich die Hände, die schottischen Bosse halten wortreiche Reden vom Wohle der Nation. Der einstige Bauer, der auf der Bohrinsel arbeitete und sich verletzte, sitzt nun ohne Arbeit und ohne Entschädigung zu Hause. Er vermietet an Touristen, aber inzwischen ist das Leben in Schottland so teuer geworden, daß es sich die Schotten nicht mehr leisten können; deshalb will er nach Yorkshire ziehen, dorthin, wo der Tourist herkommt. Der schottische Unterhausabgeordnete spricht: „Es besteht die große Gefahr, daß die Einheimischen von der Mafia aus Edinburgh und Texas ausgetrickst und ausgeschaltet werden" 1 3 8 , und die Schauspielerin Liz Maclennan sagt: „Nationalismus ist nicht genug. Der Feind des schottischen Volkes ist das schottische Kapital genauso wie der ausländische Ausbeuter." 139 Am Ende wendet sich das Ensemble an die Zuschauer mit schlußfolgernden Feststellungen. Als die Menschen wegen des Bergschafs und wegen des Hirsches aus dem Hochland vertrieben wurden, kam das Kapital von den Grundbesitzern und von den Kapitalisten des Südens. Heute kommt es von den multinationalen Gesellschaften, die schon anderen Ländern der Welt - Bolivien, Panama, Guatemala, Venezuela, Brasilien, Angola, Mocambique, Nigeria, Biafra, Muscat, Oman und vielen mehr - die Bodenschätze entrissen. Es sind immer dieselben, die darunter leiden: das Volk. Das Öl sollte allen zugute kommen. Wir müssen nicht nur zusammenstehen, sondern uns organisieren und dafür kämpfen. Daß John McGrath für dieses Stück wie auch für Boom die Form des „ceilidh" wählte, ist in zweierlei Hinsicht bedeutungsvoll. Den 7»

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einen Grund nennt er in der Einleitung: „Um die Geschichte der Hochländer d e n Hochländern zu erzählen, schien es naheliegend, eine volkstümliche, traditionelle Form zu wählen." 140 Das „ceilidh" ist eine Form gemeinschaftlicher Unterhaltung, bei der die Anwesenden singen, musizieren, erzählen, rezitieren, Dialoge oder Szenen spielen, improvisieren, Altes oder Eigenes vortragen. The Cheviot, the Stag and the Black, Black Oil verbindet die in der demokratischen Theatertradition der letzten fünfzig Jahre entwickelten Methoden operativer Darstellungsweisen mit dieser alten Form kultureller Selbstbetätigung, die, wie die ganze schottische Kultur, seit Culloden bedroht ist. Das Stück soll aber nicht nur Wiederbelebung sein, sondern diesen historischen Sachverhalt selbst darstellen und erklären. Es verleiht den alten gälischen Liedern und Gedichten den kulturund gesellschaftsgeschichtlichen Kontext und begründet ihr Weiterleben im Volk damit, daß diese Volkskultur immer auch ein Ausdruck der Selbstbehauptung des Volkes gegen die ihm feindliche Macht des Kapitals war und nun auch ein solcher im Kampf gegen die Monopole ist. John McGrath betont diesen Zusammenhang, indem er nicht in nationaler Beschränkung nur von der schottischen Kultur sprechen läßt, sondern von den bedrohten und zum Teil schon vernichteten Kulturen vieler Völker der Welt, die der Geldsucht und dem Imperialismus zum Opfer fielen. Liz Maclennan spricht: „Wenn die ökonomische Macht nicht in der Hand des Volkes liegt, wird seine Kultur, die gälische und die englische, zerstört werden." 141 Die Kultur, so erfahren die Leute, ist eine Machtfrage, eine Frage des Besitzes der Produktionsmittel. Die Illusion, Schottland habe seit seiner Vereinigung mit England 1708 an den Vorteilen des britischen Kolonialismus sonderlich partizipiert, hat in Schottland selbst nie bestanden. Die Hochländer wurden nach der Auflösung der Sippenverbände kaum besser behandelt als die Iren, die vornehmlich seit den Raubzügen und Strafexpeditionen Cromwells, des Oberhaupts der nach der bürgerlichen Revolution errichteten Republik, geknechtet und ausgeplündert wurden. Doch heute, wo England mit dem Beitritt zur EWG sich der wichtigsten Vorteile des Rest-Empires begeben hat und ohne das Polster der kolonialistischen Beute auskommen muß, wirkt sich die permanente Krise des Kapitalismus verheerend aus. Schottland indes wurde den Multinationalen einfach überlassen und vegetiert nun nicht anders dahin als eine Kolonie. Diese Erkenntnis schockiert und ist um so bitterer, als sich auf dem Höhepunkt des britischen Kolonialreiches 100

auch viele Werktätige, denen es im Mutterland relativ gut ging, blenden ließen und die Gesellschaftsordnung stützten. Die Show verweist auf den Krimkrieg und koloniale Völker nicht allein als Parallelen. Der internationale Blickwinkel soll gerade den inneren Zwang zur Expansion und zur internationalen Ausplünderung, den Systemcharakter des Imperialismus betonen. Die schottischen Grundaristokraten, die in den Kolonien zur Schicht der höchsten Beamten gehörten, haben, wie McGrath in einer Szene illustriert, die Menschen des eigenen Volkes, die Hochländer, nicht anders als ihre Unterworfenen in den Kolonien betrachtet: Lord Vat spricht von ihnen als treuen, würdevollen Hochländern, als ausgezeichneten Dienern, und dabei verplappert er sich, indem ihm für „Hochländer" und „Jagdgehilfen" die Wörter „Bantu" und „Sherpa" entwischen. 142 Zu beachten, was in der Welt geschieht, das hilft, die eigene Situation zu verstehen; Unrecht an anderen Völkern ist letztlich Unrecht am eigenen. Die Zuschauer sollen nun, da sich Ausländer in ihrem Land breitmachen, ohne daß sie zu fassen wären, über die Grenzen hinwegblicken. Eine Show zur Unterhaltung und doch didaktisch? Ausgesprochen so, denn am Schluß fragt Liz Maclennan: „Haben wir irgend etwas aus den Clearances gelernt?" 143 Und Bill Paterson antwortet: Die Lösung heißt, sich mit der Arbeiterklasse in den Städten zusammenzuschließen zu einer kämpferischen Organisation, für einen politischen Kampf. 144 Das „ceilidh" erhält so eine neue Dimension, eine in die Praxis weisende Perspektive. Auf den Tourneen sprachen und lebten die Mitglieder des Ensembles mit den Menschen, für die sie spielten. Die offene Form des Beginns der Show, bei dem Allan Ross, während die Leute den Saal betraten, Geige spielte, Bill Paterson mit ihnen sang und zwanglos die Musiker und Schauspieler vorstellte, leitete ein zu einem Gemeinschaftserlebnis: gemeinsames Singen, gemeinsames Sich-Erinnern, gemeinsames Schildern der Gegenwart und gemeinsame Schlußfolgerungen, Lehren, Ausblicke. Das ist mehr als eine dramatisierte Meinungsäußerung des Autors. Vor der ersten Aufführung waren die Texte auf einer Konferenz in Edinburgh vorgelesen worden, auf der über die Zukunft des Landes diskutiert wurde und die unter der Überschrift Welche Art von Schottland? stand. Ebensowenig, wie die ältere gälisch-schottische Kultur nur von der Wirklichkeit losgelöste Leistungen hervorbrachte, will McGrath die Kunst ihren außerkünstlerischen Zwecken entfremden. Aus seinem erwähnten Bericht spricht seine Genugtuung, daß die beabsichtigte Wirkung und die tatsächliche in hohem Maße übereinstimmten. 101

In Boom (1974), das ähnlich The Game's a Bogey ein junges Paar als durchgehende Figuren einführt, wird die Öl-Phase der Ausplünderung Schottlands, also die Gegenwart, noch einmal genauer durchleuchtet. Wie der Untertitel besagt, ist auch diesem Stück die Grundstruktur des „ceilidh" unterlegt, „Eine Konzertgesellschaft im nationalen Interesse". Es soll hier nicht der Inhalt wiedergegeben, sondern nur jene Züge herausgegriffen werden, welche den Zuschauern durch die Erweiterung ihres Gesichtskreises auf die weltumspannenden Geheimaktivitäten und Gewaltakte der Monopolisten das Bewußtsein vermitteln, daß der antiimperialistische Kampf in aller Welt auch der ihre ist. Stärker als in The Cheviot, the Stag and the Black, Black Oil werden hier reale gesellschaftliche Alternativen in die Darstellung einbezogen. Dem Stück sind in der gedruckten Ausgabe fünf Texte vorangestellt: Die gälische Legende, die schönste Musik sei die Musik davon, was in der Welt geschieht; Nyereres Pläne des Sozialismus in Tansania von 1967; eine Aufstellung, wem das Hochland gehört (in der Grafschaft Ross and Cromarty zum Beispiel besitzen 0,1 Prozent der Bevölkerung 97 Prozent des Bodens), und je ein Ausspruch von Ramsay MacDonald (1909) und dem Wirtschaftswissenschaftler Professor Atkinson (1972). MacDonald sagte: „Zeigt den Menschen, daß unser alter Adel nicht edel ist, daß sein Land gestohlenes Land ist gestohlen durch Gewalt oder Betrug; zeigt den Menschen, daß die Eigentumsurkunden Raub, Mord, Massaker, Betrug oder Hurerei bei Hofe sind, und ihr zerschlagt die romantische Schwärmerei, die die Nation betäubt und bezaubert, während ihr das Privileg die Taschen leert."145 Im Stück machen Angie auf dem Land und Janet in der Stadt die gleichen Erfahrungen: Ausbeutung, Unrecht, sinkender Lebensstandard. Angie kontrastiert das Schicksal seines Volkes mit dem Tansanias, das eine klassenlose, gerechte Gesellschaftsordnung errichten will, und mit dem Kubas, das eine sozialistische Bodenreform durchführte, die eine Grundlage für die Besserung der Lebensverhältnisse und für den Aufschwung des Landes bildete. Und er fügt hinzu: „ - und das hat mit uns nichts zu tun. Oder?" 146 Während der Amerikaner Hiram N. Firam (deutsch: Stelle sie ein und wirf sie wieder hinaus) stolz ist auf seine Verbindungen zu dem amerikanischen Geheimdienst und zu den marktbeherrschenden Banken, den Militärs, Diplomaten, Ministern und auf die entschlossene Art, wie man in mehreren Ländern mit offener oder verdeckter Einmischung die Ziele 102

der Monopole durchsetzte, stellt Angie klar, daß Schottland nun genauso wie eins dieser Länder in Afrika, Südamerika oder Südostasien ausgeraubt werden soll. Kurzberichte schließen sich an das Zitat des amerikanischen Journalisten an: „Das amerikanische Außenminsterium hat die Richtlinien seiner Politik oft direkt aus den Direktionsetagen der Ölgesellschaften bezogen. Wenn das Große ö l im Ausland nicht bekommt, was es haben will, dann versucht das Außenministerium, das zu erreichen." 147 Die Kurzberichte deuten die Verbindungen zwischen Monopolinteressen und politischen Ereignissen an, zum Beispiel 1973 in Chile. Eine aktuelle Meldung von 1974 aus Schottland wird verlesen: „Neuer amerikanischer Konsul ernannt. Er war früher bei ölgesellschaften beschäftigt und war ein sehr erfahrener Mitarbeiter des amerikanischen Außenministeriums; er heißt Funkhauser. 1970 führte er in Vietnam eine Befriedungstruppe von 3000 Mann. In Henry Kissingers Gruppe für politische Strategie war er Ölberater."«8 Angie wird am Schluß der Gegenspieler - oder genauer: Gegensprecher - von Arthur Bellamy von der Lake Eyrie Oil and Pumpers U. K. Inc. (ein grotesker Name, der das Vereinigte Königreich Großbritannien als Teil eines amerikanischen Konzerns deklariert). Diesem wirft er vor, daß die Amerikaner eineinhalb Jahre lang dreitausend Leute beschäftigen und sie dann entlassen wollen, um den laufenden Betrieb der Einrichtungen danach mit fünfundzwanzig ausländischen Technikern zu bewältigen; Jobs für ein paar Monate, aber Profite auf Jahrzehnte hinaus. Als Alternative entwirft Angie das Bild eines fortschrittlichen Schottlands, das Bodenschätze und wissenschaftlichtechnische Errungenschaften für das Volk nutzt und seine Kultur wieder erblühen läßt. Und in dieser Kernfrage: Worin liegt das nationale Interesse? werden die vorher in das Stück eingebrachten Verweise auf den realen Sozialismus Kubas und (tentativ) Tansanias als die demokratische, die notwendige und einzig mögliche Perspektive assoziiert. Der Macht und der physischen Gewalt der internationalen Monopole wird die ebenso international wirksame, vorwärtsweisende Kraft dieser Übergangsepoche entgegengesetzt. In diesem Sinne, die historische Tendenz der geschichtlichen Entwicklung umgreifend, ist die schönste Musik die Musik davon, was in der Welt geschieht.

Rebellion und Revolution: Griffiths, Goocb, Hare und andere Eine der auffälligsten neuen Erscheinungen im gegenwärtigen britischen Drama bildet die Tatsache, daß mehrere Stücke von den Methoden gesellschaftlicher Veränderungen handeln. Mit Ausnahme einiger Werke O'Caseys haben progressive Autoren vor 1968, also auch während des Durchbruchs, mobilisierende Impulse oder "Perspektiven darauf gerichtet, d a ß die Gesellschaft zu revolutionieren sei, aber nicht w i e. Nach den Ereignissen des Mai 1968 in Paris befaßten sich britische Dramatiker mit den theoretischen Voraussetzungen und praktischen Erfordernissen einer revolutionären Veränderung, mit ihren moralischen Folgerungen und mit der Dialektik der objektiven Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung und den subjektiven Faktoren ihrer Triebkräfte. Bei der schwachen Ausbildung des subjektiven Faktors in Großbritannien, besonders der revolutionären Organisationen, breiteten sich anarchistische Ideen unmittelbar nach dem Pariser Mai rasch aus; auch Ideen von der Führungskraft der Intelligenz und der Studenten, maoistische und trotzkistische Parolen wurden aufgegriffen zu einer Zeit, wo viele besonders junge - Menschen sich mehr oder weniger spontan im Kampf gegen den Imperialismus engagierten und unmittelbare Erfolge erzwingen wollten, für welche die subjektiven Voraussetzungen noch nicht herangereift sind. Das Aufgreifen dieser Thematik konnte und sollte nicht dazu dienen, fremde oder historisch ferne Modelle auf Großbritannien zu übertragen, Patentlösungen anzubieten oder den sofortigen Umsturz zu propagieren. Es geht den Autoren vielmehr darum, die Bewußtheit dieser Problematik zu erhöhen, Niederlagen und Fehlverhalten in ihren Ursachen aufzuzeigen und ein dialektisches Gesellschafts- und Geschichtsverständnis zu fördern. Eine solche Funktion ihrer Stücke kann beitragen, ebendiesen subjektiven Faktor zu stärken. Der neue thematische Akzent muß von jenen Diskussionen und Monologen etwa in den Dramen David Mercers unterschieden werden, in denen auch Fragen der gesellschaftlichen Veränderung und des Kommunismus zur Sprache kommen, aber letztlich auf einen kleinbürgerlichen Individualismus hinauslaufen. Mercer geht es nicht um diese Veränderung, sondern um den der Arbeiterklasse entstammenden Künstler oder Intellektuellen, um dessen Dilemma, das offenbar auch ein autobiographisches ist: Wie soll dieser Exproletarier und 104

Neubürger mit seinem angelesenen Marxismus (der ein oberflächlicher, auf Phrasen und selbstgemachten Spekulationen beruhender Radikalismus ist) die eigene Isolation und Ziellosigkeit überwinden, die ihm seine Verachtung der Bourgeoisie und der noch größere Ekel vor der Arbeiterklasse beschert haben? Diese Stücke sind auf Probleme des kleinbürgerlichen Individuums gerichtet, nicht auf die Lösung gesellschaftlicher Fragen. Selbst dort, wo in den Werken von David Caute und Trevor Griffiths dieselben Probleme berührt werden, sind sie doch umgreifenderen Themen untergeordnet. The Demonstration (1969, ein Jahr später auch am Londoner Unity Theatre inszeniert) 149 von David Caute war eine der ersten dramatischen Reaktionen auf die Studentenunruhen. Es stellt ein solche „Unruhe" dar, ohne daß Caute klare politische Theorien verficht. Eine Gruppe von radikalen Studenten weigert sich, zum Jahresabschluß' das Stück Pentagon 67 ihres altlinken Professors Bright aufzuführen. Sie wollen sich mit dem eigenen Werk, The Demonstration, vorstellen^ in dem sie ihren Protest gegen das Establishment zum Ausdruck bringen ; die Aufführung selbst soll eine Demonstration gegen die Autoritäten der Universität und des Staates werden. In der Auseinandersetzung darum, welches Stück gespielt wird und wie den Repressalien der Universität zu begegnen ist, kommt es zur Besetzung der Universität durch die Studenten. Allerdings ist es ab Szene sieben des ersten Teils bei einigen Bühnenhandlungen schwierig zu sagen, ob sie sich tatsächlich an der Universität in Cautes Stück ereignen oder ob es sich um Probenausschnitte aus dem Spiel der Studenten handelt. Im zweiten Teil wird das Universitätstheater von Bright nichtradikalen Außenseitern (Hippies) unter den Studenten überlassen, denn Bright will die Universität vor dem Chaos bewahren, will den Anarchisten klarmachen, daß sie mit ihren Methoden nichts erreichen. Da er aber selbst keine Lösung initiieren kann, setzt er sich zwischen zwei Stühle, findet er keine Bündnispartner, und die Universität serviert ihn ab. Der 1936 geborene Hochschullehrer für Geschichte und Soziologie David Caute hat in The Demonstration die Vielfalt von oppositionellen und pseudooppositionellen Haltungen der Studentenbewegung charakterisiert und vor allem die sogenannte „alte Linke", verkörpert durch Professor Bright, und die trotzkistischen Anarchisten miteinander konfrontiert, deren Hauptsprecher der Student Max und dessen Veteran eine Leon Tirade genannte Figur ist. „Alte Linke"' bedeutet dabei soviel wie linksintellektueller „Sozialismus" konser105

vativer Prägung, auf der Linie der antirevolutionären Fabier liegend, denen heute die Rechten in der Labourpartei entsprechen. Daß Bright scheitern muß, gerade auch bei seiner Kunstauffassung, die das Abbildhafte der Kunst negieren und ihre mobilisierende Funktion ausschließen will, liegt letztlich an seinem kompromißlerischen Reformismus, und Caute läßt diesen klar hervortreten. Die Taten der anarchistischen Studenten und die eigene Analyse ihres Scheiterns (Max: die Arbeiterklasse vermochte nicht, unsere Initiative aufzugreifen...") 1 5 0 stempeln sie als Anhänger der Spontaneität, die keine mit den geschichtlichen Entwicklungstendenzen übereinstimmende, langfristige und konstruktive Politik zu verfolgen imstande sind. Dem alten Kommunisten Sam Dott legt Caute angemessene Urteile in den Mund: daß es sich bei den Unternehmungen der Studenten nicht um eine Revolution, sondern um ein kinderhaftes Durcheinander handelt, dessen Akteure die Besonnenheit und Vorsicht der Arbeiterorganisationen lächerlich machen wollen. 151 Caute verreißt nicht, er prüft die Argumente am Wert der ihnen entsprechenden Handlungen. Die Nutzlosigkeit anarchistischer Aktivitäten bedauert er als Verschwendung von Kraft, Willen und gerechtem, aber fehlgeleitetem Eifer. Deshalb will er diese Nutzlosigkeit dadurch nutzen, daß er sie zergliedert, aufbereitet und zum Gegenstand von Überlegungen macht, die fruchtbarer sein sollten. Immerhin nimmt er die Frage, wie die Gesellschaft zu verändern sei, ernst und will sie ins Gespräch bringen, weil sie immer mehr Menschen bewegt oder bewegen sollte. Er gibt keine Antworten, aber er führt den Zuschauern Szenen vor, die sie veranlassen sollen, die Suche nach den Antworten selbst aufzunehmen. Daß auch er als Autor weiter sucht, bezeugt The Fourth World. (1973), ein Stück über einen engagierten Schriftsteller, der, zwischen einer ehrgeizigen Frau und einem opportunistischen Verleger stehend, sich den Prüfungen dieser Wahrheitssuche aussetzt.152 Der Aufstand vom Mai 1968 in Paris hinterließ auch eine nachhaltige Wirkung im Werk Trevor Griffiths'. Er begann in jenem Jahr, sein erstes Theaterstück zu schreiben, verfaßte danach ein Stück über die revolutionären Kämpfe von 1920 in Italien und übernahm 1973 einen Auftrag des National Theatre, dessen Resultat ein im Mai 1968 spielendes Drama ist. Trevor Griffiths wurde 1935 als Sohn eines Chemiearbeiters in Manchester geboren. An der dortigen Universität studierte er englische Sprache und Literatur. Bis 1965 unterrichtete er als Lehrer an einer Schule und an einem Technikum, 106

dann arbeitete er bei der BBC in Leeds auf dem Gebiete der Erwachsenenbildung. Seit 1972 ist er als freiberuflicher Schriftsteller tätig und schreibt hauptsächlich und am liebsten für das Fernsehen, weil er dadurch Zuschauer aller Gesellschaftsschichten und natürlich ein viel größeres Publikum erreicht. 153 Er ist in Großbritannien deshalb auch in erster Linie als Autor des Fernsehspiels All Good Men (1974) und der elfteiligen Folge Bill Brand (1976) bekannt; das erstgenannte Werk stellt das Leben eines Labourabgeordneten dar, der am Ende geadelt werden soll, während Bill Brand, ebenfalls Labourabgeordneter, in seinen Erlebnissen des (zukünftigen) Jahres 1976/77 die persönlichen Widersprüche und die politischen seiner Partei preisgibt. Das zuerst entstandene Stück Sam, Sam (1968/69) wurde erst 1972 uraufgeführt (einige dramaturgische Aspekte dieses Werks werden im nächsten Kapitel erläutert). Es hat wie der Einakter The Wages of Thin (1969) nichts mit der Revolutionsthematik zu tun. Ihm folgten Occupations (1970), das wie die beiden Einakter Apricots (1971) und Thermidor (1971) auch von John McGrath' 7:84 Theatre Company gespielt wurde, und The Party (1973) ; beide sind hier zu besprechen. Das 1975 herausgekommene Stück Comedians gehört zu den Werken der Selbsterforschung: An Hand der Ausbildung, den Proben und dem Vorspiel einer Gruppe von angehenden Komikern, die bei einem ernst gewordenen Conférencier oder Unterhaltungskünstler lernen, unterwirft Griffiths unterschiedliche Auffassungen von der gesellschaftlichen Funktion des Komischen und des Komikers dem Test des Arguments und der Praxis. Es sei vorweggenommen, daß sich die britischen Kritiker mit Occupations und The Party ziemlich schwer getan haben, vor allem deshalb, weil es ihnen nicht möglich war, den Autor selbst auf eine genaue politische Linie festzulegen. Es wäre ihnen lieber gewesen, sie hätten in seinen Stücken leichter das „Sprachrohr" des Autors ausfindig machen und dann seine Linie als einseitige Propaganda abtun können. Ein anderer Grund ihrer Schwierigkeit liegt ganz klar darin, daß die Theaterkritiker der großen Zeitungen bürgerliche Kritiker sind, die nicht nur kein Interesse an einer Diskussion um die anstehenden politischen Probleme oder gar um revolutionäre Veränderungen haben, sondern auch gar nicht in der Lage sind, sich sachkundig an ihr zu beteiligen. Diese Misere haben eine ganze Reihe von Autoren beklagt, darunter in letzter Zeit Arnold Wesker, David Hare und gerade auch Griffiths. 154 Die Reaktionen der Kritiker be107

stätigen, wie wichtig Griffiths' Versuch ist, diese von den Massenmedien weitestgehend umgangene Problematik von der Bühne aus ins Gespräch zu bringen. Befragt, worin er die Aufgaben des politischen Theaters sehe, antwortete er: „Ich denke, es sollte analytisch u n d beschreibend sein. Ich denke, da gibt es im Journalismus, in Büchern, an den Hochschulen, im Theater eine furchtbar wichtige Arbeit zu leisten, die darin besteht, gewissenhafte Beschreibungen anzubieten, zu sagen: ,Nein, wir haben uns die Gesellschaft, in der wir leben, noch nicht vollständig angesehen, wir haben sie noch nicht vollständig untersucht.' Analytisch heißt, einen Schritt weiterzugehen, heißt zu sagen: ,Was halten wir davon? Wie bewerten wir das? Wie beurteilen wir das? Was wird aus uns, wenn wir sagen, so sollten wir leben und so nicht?' " 155 Und er fügte hinzu, daß er sich für Propaganda im Theater nicht wirklich interessiere. Griffiths' Engagement ist unbestritten; es richtet sich gegen das Establishment, und er hält jeglichen Reformismus für schädlich und gefährlich. Darüber hinaus wirft er mehr Fragen auf, als er beantwortet, wobei in seiner prinzipiell antiimperialistischen Haltung und im Aufwerfen dieser Fragen positive Impulse der Entwicklung des britischen Dramas zu sehen sind. Occupations ist im Turin des Jahres 1920 angesiedelt, als die Arbeiter nach einem elftägigen Generalstreik die Fiat-Werke besetzten, Arbeiterräte bildeten und die Leitung des Betriebes übernahmen. Zwei Szenen spielen in der Fabrik, die übrigen in einem Hotelzimmer, das der bulgarische Kommunist Kabak bewohnt, ein Vertreter der Kommunistischen Internationale. In diesem Zimmer liegt Kabaks Geliebte, die aus Kiew stammende Gräfin Angelica, krank zu Bett; sie hat Krebs. Den Hotelier, der über Kabaks Identität und Auftrag seinen Verdacht hat, besticht der Bulgare. Bei seiner ersten Begegnung mit Gramsci, dem intellektuellen Revolutionär, Herausgeber der kommunistischen Zeitung und Mitarbeiter Togliattis, kommt es zu einer Aussprache über die Situation. Kabak verliest einen Brief von Sinowjew, Bucharin und Lenin. Gramsci ist verärgert, weil die Sozialistische Partei Italiens, die der Komintern angehört, nichts unternimmt, nicht den revolutionären Kampf führt und zu Ende bringt. Kabak muß einen Offizier der Präfektur bestechen. Als er glaubt, Angelica schlafe, will er ihre Zofe verführen; die Gräfin war jedoch wach und befiehlt der Zofe, sich ihm hinzugeben, doch nun läßt Kabak davon ab. Gramsci spricht zu den Arbeitern: Bereitet euch auf die Erhebung im ganzen Land vor. Bei einer zwei108

ten Rede sind die Würfel gefallen: Die Gewerkschaften einigten sich mit den Unternehmern nach einem „demokratischen" Referendum. Gramsci sagt, die Volksbefragung habe in dieser Situation die formlose Masse gestärkt und die Vorhut der Klasse zerschmettert; eine revolutionäre Bewegung könne nur von einer revolutionären Avantgarde geführt werden. Er zitiert Trotzki, ermahnt die Arbeiter, die Lehren aus diesem Verrat der Opportunisten zu ziehen, und läßt Lenin hochleben. Kabak verhandelt danach mit einem Vertreter der Fiat-Bosse über eine Anleihe für die Sowjetunion, woraufhin ihm jener von zahlreichen bevorstehenden Sozialmaßnahmen bei Fiat und von der großen Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus erzählt. Ein weiterer Brief aus Moskau, in dem zum bewaffneten Aufstand und zur Vertreibung der Reformisten aufgerufen wird, trifft zu spät ein. Angelica nimmt eine Überdosis Kokain und monologisiert im Trancezustand über die guten alten Zeiten in Kiew und Petersburg. Zum Schluß sehen die Zuschauer Fotos: Der Marsch der Faschisten auf Rom, Mussolini und Hitler umarmen sich, Molotow und Ribbentrop unterzeichnen den Vertrag, die Fiat-Fabrik. Occupations enthält so viel Unvereinbares, historisch Verkürztes, Pseudoobjektives, daß man über die unerfreulichen Seiten des Stücks die erfreulicheren fast unterzubewerten geneigt ist. Ein Schauspiel über ein Stück geschichtlicher Bewegung, aber im wesentlichen gesehen von einem Hotelzimmer aus mit einer kranken Frau im Bett, von der Position eines nur mittelbar Beteiligten, dessen Rolle in bezug auf den Kampf der Arbeiter fragwürdig bleibt. Ein Knotenpunkt nationaler und internationaler Geschichte, an dem das objektive Interesse der Mehrheit, der Werktätigen, durch ihre subjektive Unreife und durch die opportunistische Einstellung ihrer Parteiführung (Buozzi und D'Aragona) verraten wird. In der abschließenden Fotomontage wird dieser historische Knotenpunkt von späteren Ereignissen akzentuiert, die wohl als Folgen oder als vermeintlich parallele Erscheinungen aufgefaßt werden sollen. Im Bild und im Zitat Trotzki neben Lenin, was sachlich für 1920 noch „richtig" ist, was aber im Widerspruch zum Urteil der Geschichte deren Tendenz unhistorisch relativiert, als offen hinstellt und damit verfälscht. Überhaupt kommen die Komintern und die junge Sowjetunion schlecht weg, wenn man Kabak als deren Repräsentanten und Unterhändler hinnimmt. Er ist der gescheite, aber lieb- und seelenlose Pragmatiker, durch die Emigrantin halb mit der Vergangenheit verkettet, in seinen Verhandlungen mit dem Feind, dem Vertreter der Großindustrie, halb in 109

dessen Sphäre internationaler Geschäfte einbezogen. Die Frage ist eben, ob Kabak als dieser Repräsentant, als Sprecher aufzufassen ist, als eine Gestalt, die das, wofür sie steht, auch in ihrem persönlichen Wesen und Charakter gültig bezeichnet. Dies zu bezweifeln gebietet die Anlage des Stücks. In Occupations kommt es Griffiths nicht nur auf die historische Bewegung an, sondern ebenso auf deren Reflexion im individuellen Verhalten, auf das, was Zeitgeschehen im Innern der Individuen bewirkt, inwieweit die individuelle Eigentümlichkeit, die charakterbedingte Eigengesetzlichkeit des Privatmenschen durch seinen gesellschaftlichen Charakter betroffen oder verändert wird. Der Blickwinkel Hotelzimmer eröffnet diese Sicht auf Kabak. Allerdings scheint er für dieses Verfahren kein besonders geeignetes Objekt zu sein, ist doch sein Charakter von Anfang an festgelegt, ohne sich zu wandeln, und läßt doch seine Sprödigkeit feinere Ausschläge von Sensibilität nicht zu. Um das problematische Verhältnis von privater und gesellschaftlicher Natur des Menschen herauszuarbeiten, baut Griffiths die Gestalt Kabaks so auf, daß beide Elemente als höchst widersprüchlich auffallen. Der Mann mit den Aufgaben, für mehr Menschlichkeit zu sorgen, betrügt, besticht, treibt ein Doppelspiel und interessiert sich für die Menschen sehr wenig. Einerseits wird dadurch die Komintern verunglimpft; andererseits hebt Griffiths sie durch die parteilich richtig wertende Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der Arbeiter positiv von dieser miesen Figur ab - dieser Gegensatz bleibt im Stück ungelöst. Kabaks Widersprüchlichkeit tritt besonders hervor, wenn ihm Gramsci gegenübergestellt wird. Gramsci gehört der Struktur des Stücks nach in die Sphäre der unmittelbaren Darstellung des Klassenkampfes, der revolutionären Bewegung. Hier verkörpert er die positive geschichtliche Kraft, überhaupt die Tendenz der Epoche, und Griffiths macht seine beiden Reden zu Höhepunkten des Stücks. Das Scheitern des Aufstands wird von Griffiths allein aus den Divergenzen innerhalb der Linken erklärt: Der Gegensatz zwischen militanter organisierter Avantgarde einerseits und reformistischer Parteiführung und ängstlichen, politisch unreifen Massen andererseits wird in der revolutionären Situation entscheidend. Kabak, der objektiv auf Gramscis Seite steht, übernimmt im Stück jedoch fast die Rolle eines Gegenspielers, zumindest aber bildet er einen Gegenpol. In diesem Punkte fällt das Stück der Halbheit der Griffithsschen Methode zum Opfer: Gramsci, die Personifi110

zierung des historischen Hauptgewichts, beläßt der Autor ganz in der gesellschaftlichen Sphäre, ohne bei ihm die Beziehungen zwischen den privaten, individuellen Problemen zu den politischen, geschichtlichen zu erhellen. Die doppelte Perspektive wendet Griffiths nur bei Kabak an, so daß Gramsci mehr Repräsentant und Sprecher denn ein Charakter wird. Gramsci ist Geschichte, Kabak ist Geschichte plus deren Resonanz im Persönlichen. So rückt dieser Kabak in den Mittelpunkt, Gramsci tritt zur Seite - ein dramaturgischer Kniff, der den Widersprüchen zwischen Individuum und Gesellschaft mehr Raum gibt, doch das historische Zentrum für die Konfliktbildung an den Rand schiebt. Bedenkt man allerdings, daß Occupations nicht der historischen Wahrheitsfindung über die Besetzung der Fiat-Werke von 1920 dienen sollte, sondern dazu, im England von 1969 zu der Diskussion um den Charakter und die Führung gesellschaftlicher Umwälzungen und die Bedeutung individueller Haltungen in solch einer Bewegung beizutragen, sie überhaupt in der Öffentlichkeit in Gang zu setzen oder auf den richtigen Weg zu bringen, so muß man doch anerkennen, wie ernsthaft und kühn Griffiths seine Aufgabe als Dramatiker anpackte. In seinem späteren Aufsatz Eine marxistische Siebt der Literatur, veröffentlicht in Marxism Today 1974, bestätigt er sein Interesse an der Tatsache, daß, wie er meint, „der Mensch nicht nur ein gesellschaftliches Wesen, sondern auch ein vereinsamtes Tier" 156 sei und daß ein schöpferisches Werk uns unserer selbst bewußt machen und eine Therapie bereithalten solle, für das Individuum wie für die Gesellschaft als Ganzes. 157 Als er zum zweiten Male das Thema der gewaltsamen Veränderung der Gesellschaft aufgriff, in The Party, ließ er die auslösenden Ereignisse außerhalb der Szene und verselbständigte die Ebene der Resonanz. Das Stück spielt im Hause des erfolgreichen Fernsehproduzenten Joe Shawcross im vornehmen Westen Londons am 10. und 11. Mai 1968. Shawcross hat Freunde zu einer Party geladen, um festzustellen, ob sich eine gemeinsame revolutionäre Plattform finden ließe. Ein Prolog wird von dem gealterten amerikanischen Komödianten und Filmschauspieler Groucho Marx gesprochen; er enthält Zitate aus dem Kommunistischen Manifest, dem Kapital (dazu die Stimme Laurence Oliviers als Timon von Athen, der das Geld verflucht) und von Lenin, der zur Attacke gegen revolutionäre Phrasen ruft. Darauf folgt als Balletteinlage eine Bettszene zwischen Joe und seiner Frau Angie, in der Joe versagt. Bevor die Gäste eintreffen,

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bittet Eddie, Joes Bruder, diesen um Geld, damit er sich selbständig machen kann. Der betrunkene Dramatiker Malcolm Sloman ist bereits im Haus; er parodiert Harold Pinter in seiner Vorliebe für raffinierte Doppeldeutigkeit, Sex und das Böse. An der Party nehmen weitere neun Personen teil: John Tagg aus Glasgow, Mitglied der Exekutive der neugebildeten IV. Internationale (die „links" neben •der Kommunistischen Internationale wirken sollte) und Landesorganisator der Revolutionären Sozialistischen Partei - ein Trotzkist also (in der Urinszenierung des National Theatre gespielt von Laurence Olivier); Andrew Ford, einer von der „neuen Linken", Herausgeber, Dozent an der London School of Economics; Kara Massingham, Joes erste Frau, Journalistin, die für den Guardian arbeitet; Jeremy Hayes, Slomans Agent und Begleiter Karas; ferner zwei junge Damen, die den Internationalen Sozialisten angehören, ein Student der London School of Economics, ein farbiger US-Amerikaner und ein Anarchist, der bei einem Straßentheater tätig ist. Das Stück besitzt keine Handlung. Die Diskussion erhält ihren Rhythmus durch drei Reden, von Ford und Tagg im ersten Teil (am ersten Tag) und von Sloman im zweiten (nach Mitternacht). Ford hält fast eine Vorlesung, holt historisch weit aus, um schließlich bei den von Marcuse her bekannten Thesen zu landen, die Absorptionskraft des Kapitalismus habe dafür gesorgt, daß 1968 die Arbeiterklasse keine revolutionäre Kraft mehr darstelle. Die repressive Toleranz der Bourgeoisie habe ihr das Feindbild genommen, revolutionäre Bewegungen gebe es heute nur noch in der dritten Welt, in China, Kuba, Vietnam. John Tagg setzt seine trotzkistischen Ideen dagegen. Er kritisiert die Intellektuellen, weil sie keine Verbindung zur Arbeiterklasse haben. Das Proletariat der Industrieländer sei nicht impotent geworden, es sei nur enttäuscht von den Kommunisten. Eine neue revolutionäre Partei sei zu bilden, mit strenger Disziplin, die mit der Theorie von der Errichtung des Sozialismus in e i n e m Lande Schluß mache. Dazu sei es jedoch erforderlich, daß jeder seine privaten Beziehungen abbreche, sich von seinen moralischen Verpflichtungen löse, auch von der Karriere, dem Prestige, dem Namen, den sich einer gemacht habe. - Über das Telefon erfahren sie das Neueste aus Paris. Wer wird die Führung des Aufstands übernehmen, das ist die offene Frage. Sloman wendet sich mit dem Aufruf an sie, nur solches zu leisten oder zu schaffen, was nicht von der Bourgeoisie absorbiert werden kann. Dann kritisiert er Tagg. Er, Sloman, sei ein Jahr lang Mitglied von Taggs Revolutionärer 112

Sozialistischer Partei gewesen (nach seiner Mitgliedschaft in der K o m munistischen Partei) und wisse, daß diese Partei dogmatisch und doktrinär sei. Ebenso sei auch Tagg ein „wandelnder Fetisch" 1 5 8 , der nur Phrasen dresche, revolutionäre, und zwar immer, ohne die konkreten objektiven Bedingungen einer Situation zu erkunden. Sloman meint, die Massen werden sich solcher Führer entledigen und die Sache selbst in die Hand nehmen. - Joe Shawcross hat die Diskussion satt. Als sein Bruder wieder vorspricht, schreibt er ihm einen Scheck über £ 300 aus. Mit seiner Frau kommt J o e nach wie vor nicht zurecht. D i e meisten bürgerlichen Kritiker lehnten das Stück a b ; auch Jack Sutherland vom Morning Star erhob Einwände: The Party behandele die Probleme nicht überzeugend, das Stück ende nirgends. 159 John Hammond, der das progressive britische D r a m a gut kennt und es zu propagieren hilft, wollte etwas für seine Ehrenrettung tun und schrieb, es sei eins der bedeutendsten Dramen der letzten zehn Jahre. 1 6 0 Den Kritikerkollegen wirft er „politisches Analphabetentum" vor, doch im gleichen Artikel nennt er John Tagg einen Trotzkisten und ein paar Zeilen davor einen Vertreter des „klassischen Marxismus-Leninismus", womit er sich der gleichen Ignoranz schuldig erweist. Damit ist natürlich die Frage aufgeworfen, in welchem Maße britische Zuschauer imstande sind, sich in diesem Gestrüpp linker Positionen zurechtzufinden, und ob man das W e r k nicht einfach als deprimierendes Bild der Hilflosigkeit linker Intellektueller angesichts der sich zuspitzenden permanenten Krise des Kapitalismus und als Akt der Resignation seines Autors beiseite schieben solle. The Party selbst enthält Antworten darauf, wenn auch eben nicht die von vielen erwartete „Lösung" des diskutierten Problems. Zunächst fällt auf, daß diese Intellektuellen ins Abseits gerückt sind, daß ihre Realität, ihre individuelle Lebensweise, ihr Beruf, ihre nähere Umgebung sie von den geschichtlichen Bewegungen weit entfernt halten. Griffiths betont diesen eklatanten Widerspruch: Sie reden von den größten Handlungen, von der radikalen Umwandlung aller menschlichen Beziehungen, von einem Epochenumbruch, von heftigen Aktionen, die zur Verwandlung der Menschen durch die Revolution der gesellschaftlichen Verhältnisse führen sollen - und sie sitzen da und tun auf der Bühne nichts, nicht einmal den Geschlechtsakt vollbringen sie. Dieser Widerspruch soll den Zuschauer darauf aufmerksam machen, daß auch die Debatten der nichthandelnden Akteure in sich unstimmig sind. Alle sind Einzelgänger, Für-sichS

K l o t z , Alternativen

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Redner, Monologhalter, doch hier trifft der Autor feine Unterschiede. Der Monolog Fords und der Gegenmonolog Taggs werden im ersten Teil wie eine zentrale Alternative der Diskussion aufgebaut. Im zweiten Teil aber nimmt Sloman in seiner Rede - die eher einem Dialog als einem Monolog gleicht - die Argumente Taggs, des in der ersten Debatte überlegen Erscheinenden, auseinander. Er stützt sich dabei auf vernünftige, dialektische Einsichten, vor allem auf die, daß man in jeder Situation die konkreten historischen Bedingungen genau untersuchen muß. Diese Lehre materialistischer historischer Dialektik hatte Lenin Anfang 1918 in der Auseinandersetzung mit Trotzki angewendet, den er gerade dort auch deshalb angriff, weil Trotzki revolutionäre Phrasen dresche, Phrasen vom revolutionären Krieg. 161 Mit diesem Argument Slomans schlägt Griffiths eine Brücke zum Prolog, in dem, den Inhalt des Stücks vorwegnehmend und ihn kritisch in eine leninistische Perspektive setzend, ebendiese Worte Lenins zitiert werden: „Die revolutionäre Phrase tritt als Krankheit revolutionärer Parteien dann auf, wenn der Gang der revolutionären Ereignisse große und rasche Wendungen nimmt. Die revolutionäre Phrase besteht in der Wiederholung revolutionärer Losungen ohne Berücksichtigung der objektiven Umstände bei der jeweiligen Wende der Ereignisse und beim gegebenen Stand der Dinge, wie sie gerade zu verzeichnen sind. Wenn Menschen vom Juckreiz der revolutionären Phrase gepackt werden, verursacht der bloße Anblick dieser Krankheit schon unsägliches Leid." 1 6 2 * In dieser in das Stück eingebauten Perspektive (nicht im Sinne eines historischen Ausblicks, sondern eines das Geschehen durchleuchtenden ideologischen Problemfeldes) nimmt The Party eine selbstkritische Qualität an, nämlich die des Versuchs, den 1968 in Großbritannien aufflackernden Trotzkismus zu bewältigen, sein Wesen darzustellen und ihn als autoritäres kleinbürgerliches Revoluzzertum zu bewerten - selbstkritisch, weil seine Kritiker zu dem Zeitpunkt selbst keine konstruktive Orientierung zu geben vermochten. Griffiths wußte, daß er mit diesem Auftragswerk für das National Theatre nicht die Arbeiterklasse ansprechen konnte. Unter diesen Bedingungen tat er, was möglich war: Er gab Denkanstöße, erhob durch die Darstellung der widerspruchsvollen Existenz einer differenziert gezeichneten Gruppe von Intellektuellen Fragen. Diese Fragen gehen von der Position aus, daß es eine historische Notwendigkeit ist, die gegenwärtige imperialistische Gesellschaft auf dem Wege der Revolution in eine sozialistische umzuwandeln, und sie beziehen 114

sich auf den Charakter und die Rolle der führenden Kraft, der Partei, auf das Verhältnis der Intellektuellen zum Proletariat, auf die Überwindung der Spontaneität und des theoretischen Pluralismus. Damit stößt Griffiths die Zuschauer auf Probleme, die vom etablierten bürgerlichen Theater geflissentlich gemieden werden. Im Gegensatz zu Griffiths' reflektierender, durch die Gemüter seiner zuschauenden Gestalten gebrochenen Darstellung, für die sich (siehe auch Cautes Demonstration) Dramenformen mit vierter Wand eignen, bei der die Umwelt in den Reaktionen der Figuren gezeigt wird, bevorzugen die Ardens, Steve Gooch und David Hare epische Gestaltungsmethoden, welche die „Umwelt" direkt darstellen. In ihren Geschichtsdramen gingen sie über die im Durchbruch noch vorherrschende Auffassung hinaus, daß man die sittliche Unverletzbarkeit des Individuums gegen unmenschliche gesellschaftliche Verhältnisse und gegen die Gewalt der Herrschenden auf der Bühne behaupten müsse. Sie gestalten die revolutionären Prozesse selbst, um die Drehpunkte gesellschaftlicher Veränderungen aufzudecken und auf diese Weise ihre Ideen über das Zusammenleben der Menschen zum Ausdruck zu bringen. Ihre Ideen sind die einer materialistischen, dialektischen Geschichtsauffassung. „Lesungen mit Musik und Liedern" nennen Margaretta D'Arcy und John Arden ihre Non-Stop Connolly Show, die dem Andenken des ersten revolutionären sozialistischen Arbeiterführers Irlands gewidmet ist; er wurde nach dem Osteraufstand 1916 in Dublin hingerichtet. Das zwischen 1969 und 1974 entstandene Werk wurde zu Ostern 1975 in der Liberty Hall von Dublin unter der Schirmherrschaft der Irish Transport and General Workers' Union, der Gewerkschaft Connollys, aufgeführt. Im Mai und Juni 1976 inszenierten die Ardens die Show als einen vierzehnteiligen Zyklus für Inter-Action am Almost Free Theatre in London (jeden Tag ein Teil, zwei Durchgänge des Zyklus). Die Lesungen, von Musik untermalten Rezitationen, die Zitate aus Reden, Artikeln, Briefen und die Lieder schildern das Leben Connollys von der Knabenzeit in Edinburgh bis zu seinem Tode. Der Aufbau der Episoden leitet sich in der Grundstruktur von den traditionellen irischen Heldenerzählungen und Sagen her. Die Konventionen der alten volksverbundenen Genres werden so weit genutzt, als sie dazu dienen, Connolly in dieser Vorlesechronik als einen Volkshelden zu verherrlichen: Er war es. Die sparsam eingesetzten dramatischen Mittel machen freilich daraus noch kein Drama, auch kein episches Drama, wie es Arden in Serjeant Mus8*

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grave's Dance geschaffen hatte; er galt ja als bester Kenner Brechts unter den britischen Dramatikern und in den Augen mancher Kritiker als der am meisten von Brecht „beeinflußte". Es geht hier nicht darum, den Einfluß Brechts zu taxieren; er ist auf jeden Fall bei den drei genannten Autoren handgreiflich, hat doch Steve Gooch auch Die Mutter für eine Inszenierung im Londoner Roundhouse 163 und Mann ist Mann für die Royal Shakespeare Company 164 übersetzt. Sein Stück über den englischen Bauernaufstand unter Führung Wat Tylers, Will Wat, If Not, Wbat Will? (1972), möchte Gooch gar nicht ein Stück im herkömmlichen Sinne nennen; „. . . es war eher so, daß diese zehn Schauspieler dem Publikum erzählen und zeigen, was 1381 den Bauern und Handwerkern geschah." 165 Zusammen mit dem Ensemble des Londoner Half Moon Theatre wollte er „zeigen, was die Geschichtsbücher gewöhnlich weglassen" 166 . Die ersten neun Szenen schildern die Vorgeschichte von 1340 bis 1380, die folgenden siebzehn den Verlauf des Aufstandes im Mai und Juni 1381. Die Stationen dieses Bilderbogens beleuchten schlagartig die Hauptinteressen der einzelnen Gesellschaftsschichten wie auch die Widersprüche innerhalb des Bürgertums. Vor allem werden die ökonomischen, die juristischen und politischen Faktoren als ausschlaggebend für den Gang der Ereignisse herausgestellt. König Edward III. sieht sich gezwungen, die profitreiche Wollproduktion zu erhöhen und flämische Tuchmacher nach England zu holen, die ihm das Geld für seine Kriege erwirtschaften. Damit verärgert er allerdings die englischen Bürger, Handwerker und Kaufleute, deren Gilden aus dem Wirtschaftsbereich Ernährung die Stadt London beherrschen. Das drei Jahre nach der Pest (1348), die einen Mangel an Arbeitskräften verursachte, erlassene Statute of Labourers soll den Grundbesitzern und Lehensherren wieder die Gewalt über ihre Untertanen sichern, von denen sich viele durch Flucht aus der Leibeigenschaft befreiten, im Lande umherziehen und für die Gleichheit der Menschen und die gleichmäßige Verteilung der Güter agitieren; das Statute of Labourers fror die Löhne auf dem Stand von 1346 ein und bestimmte, daß kein Arbeitender die Grafschaft verlassen dürfe; Leibeigene seien erst dann frei, wenn sie ein Jahr lang in einer Stadt gearbeitet hätten. Unter der Regentschaft von John of Gaunt, der während der letzten Lebensjahre Edwards III. und zu Beginn der Amtszeit dessen Nachfolgers, König Richard II., unter den Zeichen von Krieg und Wolle die Macht ausübt, wird eine Kopfsteuer ein116

geführt und bald drastisch erhöht; sie trifft vor allem die neuen Lohnarbeiter und die Handwerker und Bauern. Überdies zwingen die Grundherren viele Freie zurück in die Leibeigenschaft, rauben Gemeindebesitz und die Äcker der Bauern. Gegen Mord, Vertreibung, Gefangennahme und die hohe Kopfsteuer wehren sich die Bauern; sie erschlagen Steuereintreiber, befreien den Prediger John Ball aus dem Gefängnis von Maidstone und wählen Wat Tyler zu ihrem Anführer. Ihre Verbündeten in London öffnen ihnen die Tore der Stadt. Der König rettet sich mit seinem Anhang in den Tower. Zweimal trotzen ihm die Aufständischen das Versprechen ab, alle Leibeigenen freizulassen, alle Dienste in eine Steuer von vier Pennys pro Acre umzuwandeln, das Statute of Labourers aufzuheben und die am Aufstand Beteiligten nicht gerichtlich zu verfolgen. Doch die Anführer werden meuchlings ermordet oder später hingerichtet, die Versprechen widerrufen, obwohl in den Grafschaften um London die Leibeigenen freigesetzt werden. Am Schluß spricht Richard II.: „Ihr wart und ihr seid Leibeigene, und ihr werdet in Knechtschaft bleiben, nicht wie vorher, sondern in einer unvergleichlich niedrigeren." 167 Genau, detailliert, an einer Fülle von Einzelfällen werden hier die konkreten sozialen und politischen Bedingungen und die Motivationen der gesellschaftlichen Kräfte sichtbar gemacht. Der Aufstand scheitert nicht an der „Naivität" der Bauern, also etwa daran, daß sie ihrem Souverän leichtgläubig vertrauen. Gooch legt stichhaltigere Gründe dar, und zwar sind das solche, die auch in den gegenwärtigen Klassenkämpfen zu beachten sind und deren öffentliches Zur-SchauStellen den Unterdrückten helfen soll, den Vorgang der aktiven Veränderung der Gesellschaftsverhältnisse besser zu meistern. Ein solcher Hauptgrund ist die Uneinigkeit der Bauern. Selbst bei gleicher Interessenlage schließen sich die Bewohner von Gravesend, für die die Aufständischen den frei gewordenen Robert Belling vor dem Verfolger Sir Simon Burley retteten, nicht dem Marsch nach Maidstone an, wo John Ball, der Theoretiker ihres frühen Kommunismus, befreit werden soll. Schwerwiegender aber noch wirkt sich aus, daß sie sich nicht über den Charakter und die Ziele ihrer Verbündeten klarwerden. Die Mittelschichten - Kaufleute, kleine Grundbesitzer, der Klerus - schließen sich den Bauern nur zeitweilig an, unterstützen nur gewisse Forderungen. Sie lösen sich wieder aus dem Bündnis, sobald es ihnen gelegen erscheint, und gehen bis auf die Tatsache, daß der Ruf einiger von ihnen ein wenig lädiert wird, am Ende ungeschoren aus dem Aufstand und seinem Nachspiel hervor. In Lon117

don kommt es sogar zu Kämpfen zwischen den Aufständischen, denn die Armen der Stadt plündern nicht nur die Reichen und die Häuser der Adligen, sondern ermorden auch die Flamen, die ihnen die gutbezahlte Arbeit und das gute Geschäft wegnahmen; an diesem Brudermord haben die Bauern kein Interesse. 168 Ein dritter Grund besteht in dem von Gooch betonten Widerspruch, daß überall in den Grafschaften Erhebungen stattfinden und daß die Bauern fast das ganze Land auf die Beine bringen, sich jedoch kein Instrumentarium schaffen können, das ihnen die Macht sichert und dafür sorgt, daß die Zusagen erfüllt werden; die Verwaltung bleibt in den Händen der Aristokratie, und die Bauern müssen wieder zurück auf die Äcker. Gewiß sind das nicht lückenlos alle Ursachen des Scheiterns, aber es sind die, auf die es Gooch in seinem dramatisierten Bericht über diese fehlgeschlagene Revolution ankam, weil die Einsicht ebendieser Ursachen von aktuellem Wert für die Führung einer antiimperialistischen, demokratischen Bewegung ist, die eine gesellschaftliche Alternative anstrebt. Gerade an der Revolutionsthematik beweist es sich, daß die Sichtung der Geschichte vom Standpunkt der werktätigen Massen aus das komplexe Wirken der Klasseninteressen bloßlegt. In einem Interview unterstrich Steve Gooch diesen Zusammenhang zwischen Klassenbewußtsein, Erkenntnis der Gesellschaft und dem Wirken einer darauf basierenden Kunst: „Kein Mensch vom Half Moon Theatre würde sagen, arm sein ist gut für dich, aber es macht einem doch die einfachsten und grundlegendsten Tatsachen bewußt, sowohl was die Angelegenheiten des Theaters betrifft als auch das, was es widerspiegelt." 169 Man könnte den Schritt vom Drama des Durchbruchs zu dem von 1968 und danach fast mit dem Verhältnis von John Osbornes Luther zu Steve Goochs Wat-TylerStück charakterisieren. Natürlich gibt es auch gegenteilige Geschichtsauffassungen in britischen Dramen der Gegenwart, etwa in The Great Society (1974) von Beverley Cross, einem Stück über das gleiche Thema. Cross schmückt vor allem die „Greuel der Revolution" aus und plädiert für eine Harmonie zwischen dem König und dem Volk. 1 7 0 * Der Goochschen Aussage diametral entgegengesetzt ist die von Edward Bonds Lear (1971). Bonds Drama dreht sich um die Gewalt: Staatsgewalt, Kriegsgewalt, die Gewalttätigkeit des einzelnen. Zu Beginn verfügt Lear über die Gewalt, und er übt sie aus. Im Laufe der Ereignisse verliert 118

er sie an seine Töchter Bodice und Fontanelle, ohne daß dabei Gegenpositionen aufgebaut würden oder Bond dem Volke eine Meinung zur Frage von Macht und Recht zugestünde. Der Herrscher wird von der Konkurrenz abgelöst, die Diktatur bleibt. Auch als die aus dem Volke stammende Cordelia, bei Bond eine mit Lear nicht verwandte Rebellenanführerin, schließlich die Macht übernimmt, setzt sie das Werk der Gewalt - symbolisiert durch den schon von Lear begonnenen Bau einer Befestigungsmauer - fort. Lear wird als ihr Gefangener gefoltert. Für ihn, das Opfer der neuen Gewalt, der Machthaber der alten Gewalt war, wirbt Bond um Mitleid, denn nach Bond ist nicht nur das Volk versklavt, sondern der König war es auch als Herrschender, ausgeliefert dem Automatismus der Gewalt. Daß Cordelia das gleiche Klassenregime errichtet, ist mehr als eine bloße „Korrektur" Shakespeares; Bond hält ja Shakespeares Cordelia für „eine absolute Bedrohung" und „einen sehr gefährlichen Menschen", während seiner Meinung nach ihre Schwestern von Shakespeare „sehr unfair behandelt und mißverstanden"171 wurden. Die moralische Umwertung Cordelias soll suggerieren, daß demokratische Revolutionen mit autoritärer Klassenherrschaft gleichzusetzen seien, daß niemand an der ewigen Gewalt etwas ändern könne und Mitleid sie erträglicher mache. Nicht also die Gewalt könne abgeschafft werden, nur die Fähigkeit des Menschen lasse sich steigern, sich ihr anzupassen. Würde und Schönheit des Menschen erlöschen in dieser Weltsicht ganz. Sie ist zutiefst reaktionär, da sie es als nutzlos und „gegen die Natur" des Menschen erscheinen läßt, gegen Hunger und Kriege, gegen Elend, Sklaverei und Ausbeutung zu kämpfen. Es ist gewiß kein Zufall, daß ein Vertreter einer irrationalistischen Geschichtsauffassung in dem Moment die Privatlebenthematik verläßt und großes „Welttheater" macht, als sich die permanente Krise des Kapitalismus zuspitzt und Alternativen gesucht werden. Was Bond übrigens dem Shakespeare-Adapteur Brecht vorwirft, ist: „Brechts Menschen entscheiden sich zu sehr danach, was die Zukunft sein solle."172 Genau das tun die Gestalten eines anderen Stücks über die Revolution, über eine historische, erfolgreiche: die Bewohner des chinesischen Dorfes Long Bow in Fanshen (1975) von David Hare. Von diesem epischen Stück über die sozialistische Revolution in China, das in den Jahren 1945 bis 1949 spielt, sagt der Kritiker Michael Coveney, daß es von allen zeitgenössischen britischen Dramen, die mit Brecht wetteifern, ihm am nächsten komme.173 Tatsächlich geht Hare von Ansichten aus, die denen Brechts ähnlich 119

sind: „Es hat schon etwas auf sich mit diesem Ritual eines Stücks, bei dem dieser Kerl da mitten auf der Bühne steht, der die besten Zeilen hat, der auf jedermanns Kosten seine Witze macht und dessen einmalig subtile Psychologie wir im Laufe des Abends ergründen werden, was einengend ist, was tot ist. Denn es hindert das Publikum daran, nachzudenken - oder es ist eher so, daß sie sich einbilden, sie seien da, um herauszufinden, was der Mann auf der Bühne denkt. Das stimmt nicht: Sie sind da, um herauszufinden, was s i e denken."174 Aber Hare hat sich dem epischen Stil, den er in Fanshett praktiziert, durchaus nicht verschrieben; für ihn gibt es nicht nur die eine Dramaturgie: „Aus diesem Grunde glaube ich auch nicht, daß Howard (Brenton - G. K.) oder ich als Dramatiker je technische Neuerungen gebracht haben. Wir verfügen jetzt über die Maßstäbe, die wir brauchen, über die Darstellungsweisen, die wir brauchen; es gibt keinerlei Streit darüber, wie die Stücke inszeniert werden sollen, wo es vor fünf oder sechs Jahren noch welchen gegeben hätte. Es ist immer der Inhalt des Werks, der alles bestimmt - was ich immer wieder sage, und ich weiß, Sie glauben mir nicht, aber es ist wahr." 175 David Hare wurde 1947 als Sohn eines Seemanns in Bexhill, Sussex, geboren. Er besuchte eine jener vornehmen Privatschulen für Söhne der Mittelklasse, die sich Public schools nennen, und studierte dann in Cambridge englische Literatur. Nach kurzer Tätigkeit für eine Filmgesellschaft gründete er 1968 zusammen mit Tony Bicat das Portable Theatre, das „tragbare" Theater, mit dem die Truppe durch das Land zog und in Dörfern, Colleges und Kasernen spielte. Im nächsten Jahr inszenierte er Christie in Love von Howard Brenton und wurde dann Chefdramaturg des Royal Court Theatre in London. Zu dieser Zeit ging sein erstes Stück über die Bretter, der Einakter How Brophy Made Good (1969), in dem Hare darstellt, wie ein Linksintellektueller sich vom Medium Fernsehen korrumpieren läßt. Im gleichen Jahr entstand auch Slag, das 1970 uraufgeführt wurde. Dieses Dreipersonenstück - drei Lehrerinnen einer Internatsschule für Mädchen - parodiert Verhaltensweisen pseudomilitanter Feministinnen. Als Nachfolger Christopher Hamptons wurde Hare 1971 für ein Jahr festangestellter Hausautor des Royal Court. Während dieser Zeit schrieb er The Great Exhibition (1972), in dem er seine Enttäuschung über die Politik der Labourpartei, die 1964 an die Regierung kam, ausdrückte. Die Desilluisionierung gestaltet er in dem Weg eines Parlamentsabgeordneten und Karrieristen, der 120

gern Sozialist sein möchte, aber immer passiver wird und sich schließlich nur noch damit beschäftigt, seine gegen ihn kandidierende Frau beschnüffeln zu lassen. Sein Versuch, durch Exhibition in einem Park Aufmerksamkeit zu erregen, schlägt fehl. Ein Jahr danach machte das Portable Theatre bankrott. Zusammen mit Max Stafford-Clark und William Gaskill bildete Hare 1973 die Joint Stock Theatre Group, für die er auch Fanshen verfaßte. Zuvor kam noch KnuckLe (1974) heraus, das ins Londoner West End übernommen wurde und einigen Erfolg hatte. Auch in diesem Stück versucht Hare, eine allgemeine gesellschaftliche Problematik auf privater Ebene in der konventionellen Form eines Stücks mit vierter Wand und wenigen Personen zu veranschaulichen - was er 1976 nicht mehr für eine geeignete Methode hält. 176 In Knuckle verwendet er den Stil des herkömmlichen Krimis, um die Zuschauer durch ihn einige dem Genre fremde Entdeckungen machen zu lassen. Ein Revolverheld und Waffenschieber versucht, das Verschwinden seiner Schwester aufzuklären, und stößt auf einen Sumpf von Unmoral und Egoismus: Der Kapitalismus ist korrupt, und er korrumpiert. 177 Das jüngste Werk Hares lief auch im West End, Teeth V Smiles (1975). Es ist gedacht als ein Epilog auf die inzwischen Vergangenheit gewordene Phase, in der junge Leute glaubten, sie könnten mit Popmusik und unkonventionellem Verhalten dagegen wirksam protestieren, daß auch unter der Labourregierung sich nichts änderte, dieselben Institutionen dieselben Verhältnisse reproduzierten und dieselben Leute privilegiert, dieselben benachteiligt blieben. Das Stück berichtet vom letzten Auftreten einer Rock-Gruppe, die an den Verhältnissen und den Widersprüchen ihrer Existenz zerbricht. Zu erwähnen ist noch die Mitautorschaft Hares an den bereits genannten Stücken Lay by (1971) und England's lreland (1972), an denen außer ihm und Howard Brenton jeweils fünf weitere Dramatiker mitarbeiteten, und das von Hare und Brenton verfaßte Brassneck (1973), die Geschichte vom Aufstieg und Fall einer kapitalistischen Magnatenfamilie durch drei Generationen, mit dem Ausblick, daß die Zeit rachsüchtiger Konkurrenz von der des monopolitischen Polizeistaats abgelöst wird. Mit der dramatischen Gestaltung des Themas der gesellschaftlichen Veränderung, nicht nur der Kritik am Bestehenden, befaßte sich Hare als Regisseur von Griffiths' The Party für die Tournee des National Theatre (1974), freilich nur in der prismatisch gebrochenen Form. Das Theater bietet aber nicht nur Gelegenheit, Ideen von 121

der Zukunft zu besprechen, sondern sie in Formen des Lebens zu präsentieren. „Ideen werden nur in realen Situationen wirksam. Aus diesem Grunde bildet das Theater den besten Gerichtshof, den die Gesellschaft besitzt", sagt Hare. 178 Von diesem Standpunkt aus nahm er den Vorschlag seiner Kollegen der Joint Stock Theatre Company an, William Hintons 1966 erschienenes Buch Fatisheti für die Bühne zu adaptieren. Es entstand ein episches Stück von außerordentlicher Bedeutung für die jüngste Geschichte des britischen Dramas, nicht nur deshalb, weil hier eine siegreiche Revolution vorgeführt wird. Schon die Erarbeitung von Grundhaltungen, die den Regisseuren und Schauspielern neu waren, veränderte das gewohnte Verhältnis der Beteiligten zum Gegenstand, was auch in einer das Verhältnis der Zuschauer zum Stück verändernden Wirkung resultieren mußte. William Gaskill berichtet: „Wir waren kein politisches Ensemble, und wir sind keins, aber im Laufe der Arbeit an einem politischen Thema muß man politische Haltungen gewinnen und insbesondere politische Haltungen verstehen. Am Anfang war das nicht so wichtig, aber als wir näher an die Aufführung herankamen, wurde es uns klar, daß das Stück keine objektive Dokumentation bleiben konnte - obwohl es so etwas ja ohnehin nicht gibt - , sondern eine politische Stellungnahme abgeben m u ß t e . Wir mußten uns bewußt werden, was wir, indem wir das Stück aufführten, sagen wollten. Diese Erkenntnis hat in der späteren Phase der Proben eine ganz neue Gangart ausgelöst. Wir mußten uns schließlich überlegen, ob das, was wir machten, genügend positiv war." Und der Schauspieler Roderic Leigh fügt hinzu: „Von nun an fragten wir nach der politischen Funktion jeder Szene im Gesamtaufbau des Stücks, und wir untersuchten die Szenen daraufhin, welches die beste Art war, sie positiv zu spielen."179 In einer Dramenliteratur, deren Hauptanliegen es ist, die imperialistische gesellschaftliche Wirklichkeit zu kritisieren und die herrschenden Wertvorstellungen zu verwerfen, und deren Gefahr darin besteht, daß positive Vorstellungen einen utopistischen Anstrich und positive Gestalten die Glorie von propagandistischen Bilderbuchhelden erhalten, war dieser erste Versuch, den Beginn einer positiven Gesellschaftsentwicklung, einer sozialistischen, einen wesentlichen Schritt also in der Menschwerdung des Menschen zu zeichnen, ein unerhörtes Wagnis. Es gelang. Fanshen beschreibt Ereignisse aus der dritten revolutionären Etappe des Bürgerkriegs vor der Gründung der Volksrepublik China (1949). Nach der Zerschlagung der japanischen Invasoren, der Kwantung122

armee, durch die Sowjetunion 1945 griffen die Kuomintang wieder befreite chinesische Gebiete an. Unter diesen Bedingungen ging die Bevölkerung daran, eine Bodenreform durchzuführen. Sie stützte sich dabei auf den Entwurf (1947) eines Bodenreformgesetzes, das erst 1950 in Kraft treten konnte. Die zwölf Abschnitte - die meisten aus mehreren Szenen bestehend - konzentrieren sich auf die inneren Kämpfe und Wandlungen von etwa vierzig Menschen aus dem Dorf Long Bow; das chinesische Wort „fanshen" bedeutet soviel wie sich umwenden, den Körper drehen, und im übertragenen Sinne sich wandeln, sich aus eigener Kraft erneuern, das Joch der Unterdrücker abwerfen. Der neue Bürgermeister Tien-Ming erklärt, das Dorf sei befreit. Die Armen klagen den alten Bürgermeister an; Man-Hsi, einer von ihnen, erschießt zwei Verräter, woraufhin sich die Leute von ihm abwenden. Sekretär Liu weist drei Parteikader ein: die Armen TienMing und Man-Hsi und den einstigen Banditen Yu-lai. Der Bauernverband wird gegründet. Dabei wird darüber diskutiert, ob man die Grundbesitzer enteignen oder nur den Zins herabsetzen solle; einige sagen, ohne Grundherren würden sie verhungern. Die Kader geben die Losung aus: Fanshen, werdet anders, baut ein neues Leben auf. Mit den Grundherren wird abgerechnet. Bei einem findet man Korn, das er den Bauern weggenommen hatte; es war inzwischen verschimmelt. Nach dem Vorbringen von achtundfünfzig Anklagen werden einige Grundherren zu Tode geprügelt, zwei verhungern, einer wird an einem anderen Ort als Lehrer eingesetzt. Ihre Habe wird unter die Bevölkerung aufgeteilt, unter Berücksichtigung der Anzahl der Familienmitglieder, des Besitzes und der erlittenen Leiden der Empfänger. Yu-lai übernimmt das Gasthaus. Die Arme Hu Hsueh-Chen tritt der Partei bei; sie wird Sekretär des Frauenbundes. Der Krieg gegen die Kuomintang flammt wieder auf, die Bauernbefreiung stockt, und in vielen Gegenden besteht die feudalistische Ausbeutung weiter. - 1948 wird in Long Bow ein Aktiv eingesetzt, dessen Mitglieder sich vorher nicht kannten: Hou (Leiter), Little Li, Chi-Yun und Chang Chuer, der schon am nächsten Tag erdrosselt aufgefunden wird. Auf eine Belohnung in Form von Hirsemarken spekulierend, sagt Lai-Tzu aus, den Mord habe Yu-lai begangen. Hou setzt die Anführer im Dorf ab, beschlagnahmt Waffen und stellt sich das Ziel, das Herumkommandieren, die Genußsucht und den Opportunismus auszurotten. Yu-lai und sein Sohn, der Polizeichef Wen-te, werden inhaftiert. Nach Maßgabe des Entwurfs für ein Bodenreformgesetz 123

werden diese Losungen ausgegeben: „Stützt euch auf die armen Bauern, verbündet euch mit den Mittelbauern, zerschlagt das Feudalsystem." 180 Damit beginnt ein rigoroser Prozeß öffentlicher Einstufung in die drei Kategorien arme Bauern, Mittelbauern, Grundherren, der von den Ärmsten geleitet wird. Aber von 174 Familien haben sich nur 72 „geändert", es gibt keinen Besitz mehr zum Aufteilen, viele hungern; manche sagen, die Kader eigneten sich zuviel an, doch Hou findet dafür keine Beweise. Die Delegierten der Bewohner fordern, daß die Partei gesäubert werde. Cheng-Kuan, der Vorsitzender des Bauernverbandes war, übt öffentlich Selbstkritik: Er habe andere geschlagen, Befehle erteilt, Geld genommen, sich nicht mit den Menschen beraten. Er wird beurlaubt. Bei dieser Aktion kommen zweiundzwanzig Genossen durch, vier scheitern. - Auf der Parteikonferenz in der Bezirksstadt Lucheng erhebt der Sekretär Ch'en schwere Vorwürfe gegenüber Hou und der Einsatzgruppe: sie hätten zugelassen, daß die Einwohner die Genossen beschimpfen und erniedrigen, hätten Gheng-Kuan zu Unrecht suspendiert (er nahm kein Geld) und Genossen wie Feinde behandelt, damit aber die Meinung der Armen zur Parteilinie erhoben - das sei Linksextremismus. Er habe die Mittelbauern verschreckt. Deshalb sei die Einstufung neu vorzunehmen, bei präzisierter Trennung der Mittelschichten von den Reichen. Das Aktiv übt Selbstkritik, und Hou will zurücktreten; er soll statt dessen seine Selbstkritik konkretisieren. Gegen die inzwischen nach Long Bow zurückgekehrten Yu-lai und Wen-te, die das Dorf bei der zweiten Einstufung und Säuberungsaktion tyrannisieren, erhebt Hsien-E, Wen-tes Braut, Anklage. Sekretär Liu sagt: Die Leute hassen, was sie getan haben, aber sie hassen nicht diese beiden Menschen; ihre guten Eigenschaften (Klugheit) sollen genutzt werden; man wird sie schulen, nicht ins Gefängnis werfen. Auf der zweiten Konferenz in Lucheng wendet sich Ch'en gegen Überspitzungen bei der Bodenreform; Land, was schon aufgeteilt wurde, dürfe nicht noch einmal aufgeteilt werden; die ehemaligen Reichen besäßen nun viel weniger als die Armen und die Mittelbauern; das Aktiv habe nach nicht vorhandenen Schätzen gesucht und die Mittelbauern verärgert, die nie Ausbeuter gewesen wären und nun Verbündete seien. Auf den Einwand Little Lis, die Partei ändere ihre Politik nach Belieben, beweist Ch'en, daß die Partei an ihren Prinzipien festgehalten habe, der Sozialismus aber ein mit den Widersprüchen der Veränderung befrachteter Prozeß sei. Das Aktiv wird wieder nach Long Bow geschickt, wo es den Bauern die Fehler erklären soll; die Bauern 124

würden ihm dafür die Wahrheit sagen. In Long Bow wird wieder eine Versammlung einberufen. Dieses Stück ist frei von Ironie, von Sarkasmus, von Anspielungen, Über- und Untertreibungen, Unterstellungen und Doppeldeutigkeiten, die in irgendeiner Form sich in fast allen anderen britischen Dramen der Gegenwart finden. Hare bekennt: „Das Aufregende bei Fanshert war, über eine Gesellschaft und eine Zeitspanne zu schreiben, in der, wie man merkte, sich das materielle und geistige Leben der Menschen verbesserte, in einer Kultur, die sich von allem, was wir kennen, vollkommen unterscheidet." 181 Sich darauf einzustellen war Hare möglich, weil er sich selbst einer progressiven Kultur zugehörig fühlt: „Die Tatsache, daß man sich mit einer in Bewegung befindlichen Kultur der Arbeiterklasse identifiziert, muß die Haltung zum Theater formen." 182 Die Behauptung, in der Revolution erhöhe sich das materielle und kulturelle Lebensniveau der Menschen sprungartig, ist genau das Gegenteil dessen, was die Apologeten der Bourgeoisie dem Volk einreden wollen. Ihre den Sozialismus diffamierenden Parolen von der Vermassung, von der Auslöschung der Individualität, von der Gleichmacherei des von Natur aus Ungleichen und von der Diktatur der Unmenschlichkeit werden in Fanshert anschaulich widerlegt. Diese vierzig Charaktere und ihre Schicksale sind so unterschiedlich und so konkret in den schwierigen Diskussionen und Aktionen, daß sich selbst die zeitweilig im Dorf betriebene Gleichmacherei als ein Fehler erweist. Ihre unterschiedlichen Erfahrungen und Fähigkeiten werden, auch nach bösen Irrtümern, für das Gemeinwohl genutzt. Diese Individuen verfallen nicht dem Individualismus; sie überwinden unter vielfachen Schmerzen ihre Widersprüche, behalten aber das eigene Profil, die eigenen Schwächen. Und doch hätte wohl keiner sich selbst so gut erkannt, wenn er sich nicht den Anforderungen der gesellschaftlichen Veränderungen gestellt hätte, und zwar gemeinsam mit den anderen. Die Differenzierung der Gestalten hebt sie nicht heraus aus dem allgemeinen Gang der Geschichte, sondern zeigt diesen als das Ergebnis von Vorstößen und Rückschlägen, erzeugt und verursacht von einzelnen, die besser leben wollen als im Feudalismus und deshalb die sozialistische Alternative wählen. So wichtig die Charaktere in Fanshen sind, geht es doch nicht in erster Linie um die Gestaltung von Einzelwesen. Eine Identifizierung der Zuschauer mit einem Helden wird nicht beabsichtigt, Weil das nur dazu führen würde, die Zuschauer auf die Höhe einer Gestalt 125

in den einzelnen Phasen der Revolution zu heben. Sie wird auch dadurch vermieden, daß keine Gestalt im Zentrum steht und daß sich keine durch die intensive Verbindung mit dem vermittelnden Schauspieler auszeichnet, wurden doch die etwa vierzig Rollen von neun Mitgliedern der Joint Stock Theatre Company gespielt. Obwohl die Figuren insofern faszinierend ungewöhnlich sind, weil sie nicht die selbstquälerischen Züge der spätkapitalistischen, entfremdeten Individuen tragen, sondern auf der Suche nach dem Besten im Menschen sind, das ihre objektiven Interessen mit ihren subjektiven Wünschen in Einklang bringen kann, wiegt doch ihr gesellschaftliches Wesen schwerer als ihr privates; es kommt darin zum Ausdruck, daß sie sich diese Entwicklungsmöglichkeit durch die Umgestaltung ihrer Beziehungen in der Produktion der materiellen Güter selbst schaffen durch den Aufbau eines neuen gesellschaftlichen Lebens. Das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft wird von Hare nicht einfach nach Maßgabe der Antinomie von Konformismus und Nonkonformismus als das Gegenteil dessen charakterisiert, wie es in seiner britischen Gegenwart ist; er veranschaulicht, daß es anderer Art ist: ein Verhältnis sich im Prozeß gesellschaftlicher Veränderungen wandelnder Menschen zu der Gesellschaft, deren Entwicklung sie weitertreiben. Die Verpflichtung des Individuums der Gesellschaft gegenüber besteht darin, ihr in dieser Entwicklung und damit sich selbst durch diesen Vorgang des Fanshen voranzuhelfen. Die Geburt der neuen Gesellschaft ist auch für den einzelnen ein schwieriger Prozeß, und Hare glättet nichts, sondern er enthüllt die ganze Härte der Konflikte. Statt eines vordergründigen Optimismus nährt er die absolute Gewißheit, daß die Menschen - gemeinschaftlich, organisiert und besonnen geführt - in der Lage sind, diesen zu ihrem Wohle notwendigen Schritt zu gehen, und daß es nicht „der Mensch" sein wird, der das vollbringt, sondern die Werktätigen unter Führung ihrer Partei. In keinem anderen Stück der britischen Gegenwartsdramatik wird die Frage nach der Zukunft so eindringlich gestellt. Generell und zugleich in jeder konkreten Situation heißt es: „Wie geht es weiter?" In die Handlung sind zwei Verhaltensprinzipien eingebaut, die erklären, wie diese einfachen Leute eine so komplizierte und konfliktreiche Sache wie die Revolution der Gesellschaft bewältigen können. Es sind Prinzipien, die nicht nur in den abgebildeten gesellschaftlichen Bewegungen eine Rolle spielen; sie machen das Abgebildete 126

selbstverständlich, trainieren dialektisches Denken und legen den Zuschauern nahe, zu prüfen, ob diese Denkweise nicht überhaupt Vorteile besitzt und sich im Vorfeld anstehender gesellschaftlicher Veränderungen nützlich anwenden läßt. Das eine Prinzip ist das der materialistisch-dialektischen Analyse der Gesellschaft, der Klassen und Schichten, der Widersprüche in einer gegebenen Situation. Sie bildet in Long Bow immer die Voraussetzung für die nächsten Schritte, sie macht erst die Zukunft erkennbar, verwandelt Hoffnungen und Idealbilder in konkrete Ziele, von denen sich konkrete Aufgaben herleiten lassen. Das zweite Prinzip ist mit dem ersten verknüpft: Es ist das der Rechenschaftslegung nach jedem getanen Schritt. Dabei wird untersucht, ob und wie Analyse und auf sie gegründete Maßnahme in der Praxis näher an das Ziel heranführen. Individuelle Selbstkritik, Versammlungen, Parteikonferenzen und andere Formen verbinden sich mit den nächsten Analysen zu einem System von Methoden, mit dem die Menschen in Long Bow trotz Fehlern, Entgleisungen oder Änderungen der Taktik die geschichtliche Bewegung in den Griff bekommen. Hare demonstriert, daß sich die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung nicht umgehen, nicht ignorieren und nicht übertölpeln lassen; dadurch macht er es glaubhaft, daß die Revolution siegen wird. Über die Rezeption berichtet Hare selbst: „Was für mich das bemerkenswerteste an den Zuschauern war, die das Stück sahen, war die Intensität des Nachdenkens. Ich erinnere mich besonders an Sheffield, wo die Phasen der Stille die tiefste Stille waren, die ich in einem Theater gehört habe . . . Jeder dachte nach . . ." 183 Dieses Nachdenken über eine Alternative, die machbar ist, die bereits in vielen Ländern existiert, ein Nachdenken also über alternative Realitäten (so wie McGrath über Kuba nachdenken ließ) und über Methoden und Wege, die zu solchen Realitäten führen, wird maßgeblich durch die neuen thematischen Akzente bewirkt: „ . . . die Hauptattraktion war der Gegenstand" 184 . Zur Erfüllung ihrer selbstgestellten Aufgabe, ein Theater für die Veränderung der britischen Gesellschaft zu machen, indem sie Dramen und Inszenierungen als die Widersprüche des Imperialismus aufdeckende und ein proletarisches Klassenbewußtsein bildende Kunstwerke anlegen, tragen Hare, Gooch, McGrath, die Ardens und andere vor allem dadurch bei, daß sie im Theater den Erlebnisbereich und die Erkenntnismöglichkeiten ihrer Zeitgenossen durch das Erschließen neuer Gegenstände und 127

neuer Sehweisen erweitern. Das Thema der Revolution, der Revolutionäre und der gescheiterten und der siegreichen Kämpfe erobert sich einen Platz auf der Bühne, nicht nur als Gegenstand von Diskussionen, sondern in der Fabel von vorgestellten Handlungen, die entsprechende reale Handlungen als geschichtlich notwendig erscheinen lassen.

Neue dramaturgische Versuche

Darstellen und Verkörpern: McGratb Unter thematischen Gesichtspunkten wurden Stücke nebeneinandergestellt, die sich in ihrer Machart sehr unterscheiden. Konventionell strukturierte, vorwiegend naturalistische Schauspiele wie Random Happenings in tbe Hebrid.es waren darunter, dokumentarische Musicals oder chronikartige Shows wie The Knotty, Mischformen wie Close the Coalhouse Door und epische Dramen wie Will Wat, If Not, What Will? Vielleicht erlaubt die zeitliche Nahdistanz noch nicht, neue, die Entwicklung des britischen Dramas gegenwärtig und in naher Zukunft bestimmende Dramaturgien als solche zu erkennen, zumal auch keine neuen, geschlossenen dramaturgischen Theorien gebildet worden sind. Es scheint eher, als gäbe es im Augenblick keine neue Dramaturgie, die sich als führende durchsetzte, als besonders gut geeignete, dem antiimperialistischen Protest und einer demokratischen bis sozialistischen Sammlung Ausdruck zu verleihen. Es läßt sich vielmehr von neuen dramaturgischen Versuchen sprechen, geradezu von einem Eifer, neue Formen zu entdecken, auszuprobieren und weiterzuentwickeln. „Neu" soll in diesem Zusammenhang nicht heißen, daß diese oder ähnliche Formen, Techniken und Verfahren noch nie dagewesen wären und daß das von ihnen angestrebte oder erzeugte Verhältnis des Abbilds zum Abgebildeten und des Dargebotenen zu den Zuschauern keine Parallelen, Vorbilder oder Vorläufer in der Geschichte besäße. „Neu" soll vielmehr einen relativen Vergleich zum Drama des Durchbruchs bezeichnen, das heißt zur ersten, 1956 einsetzenden Welle des der gesellschaftlichen Wirklichkeit mehr oder weniger engagiert zugewandten britischen Dramas. Es wird sich zeigen, daß das so verstandene Neue gerade in mimetischen Traditionen wurzelt, die weit in die Geschichte des Dramas und bis an ihren Beginn zurückreichen. Die Genesis dieser dramaturgischen Strukturen kann hier nicht beschrieben, die im Laufe ihrer Entwicklungen und Metamorphosen aufgetretenen Beziehungen und 9

Klotz, Alternativen

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Einflüsse können nicht nachgezeichnet werden. In erster Linie ist ihr Wesen zu untersuchen und ihre Funktionstüchtigkeit in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation zu charakterisieren. Einige neue Haltungen von Autoren lassen sich in der Dramatik nach dem Durchbruch generell feststellen. Unter dem thematischen Aspekt wurde schon darauf hingewiesen, daß viele Dramatiker heute Gegenstände wählen und Erkenntnisse gewinnen und darbieten wollen, die den persönlichen Lebensbereich und die individuellen Erfahrungen überschreiten. Oft in Verbindung damit, aber in einigen Fällen auch unabhängig davon suchen sie dramaturgische Mittel, die die menschlichen Erlebnisse im Bühnengeschehen vom Zuschauer distanzieren und den objektiven Charakter dieser zur Schau gestellten Lebensausschnitte hervorkehren. So werden diese Ausschnitte der Beurteilung der Zuschauer unterworfen, denen durch die Objektivierung Möglichkeiten, parteilich zu urteilen, angeboten werden. Dies sind zugleich Mittel, die die gegenwärtigen Gesellschaftsverhältnisse entzaubern. Andererseits werden dramaturgische Verfahren angewendet, die Zuschauer in das Bühnengeschehen einzubeziehen. Beide vermeintlich gegensätzlichen Bemühungen aber, die Objektivierung des Bühnengeschehens und die Einbeziehung der Zuschauer, steigern die Vorstellungskraft des Publikums durch die spannungsvolle dialektische Einheit, die sie in der Aufführung eingehen. Obwohl dieser Vorgang eigentlich nicht mehr literarisch faßbar ist, läßt er sich doch auch in der Textgestaltung nachweisen. Denn auch das charakterisiert viele neue Stücke, insbesondere jene in oder mit den außerhalb des etablierten Theaters spielenden Ensembles entstandenen, daß sie als Inszenierung gezeugt werden, von denen später eine Textform abgenommen wird, und nicht als Dichtung, die später in Szene gesetzt wird. Von diesen neuen dramaturgischen Ansätzen sollen im folgenden drei erörtert werden, wobei unter dem Gesichtspunkt von Darstellen und Verkörpern noch einmal Werke John McGrath' zu betrachten sind, die unter thematischen Aspekten bereits vorgestellt wurden. Bei der Untersuchung der anderen beiden dramaturgischen Verfahren sollen auch bisher noch nicht behandelte Stücke zur Sprache kommen. John McGrath ist sich der Tatsache bewußt, daß er Werke unterschiedlicher Strukturen verfaßt hat. Über Werke wie Random Happenings in the Hebrides, Soft or a Girl und Fish in tbe Sea sagt er: ". . . d a gibt es eine Handlung, eine Geschichte, die Situation in einer Familie oder einer Gruppe, die sich entwickelt und Wendungen 130

nimmt, und Begebenheiten persönlicher Natur, die zu der Bedeutung des Ganzen in Beziehung stehen." Von diesen Stücken setzt er The Cheviot, the Stag and the Black, Black Oil, Boom und Lay o f f ab und in gewisser Hinsicht gehören auch The Game's a Bogey und Little Red Heti dazu: „Die Handlung wird von der Historie gebildet, von den Ereignissen . . . und es wird eine Folge von Ereignissen mehr oder weniger direkt miteinander verknüpft, ohne daß ein Kunstmittel der Fiktion dazwischentritt."185 Diese Art der Darbietung verband McGrath mit dem „ceilidh", einer Form der Unterhaltung, wo jeder mitmacht, mitsingt, etwas spielt. Im 19. Jahrhundert hatte das „ceilidh" schon zwei Aufgaben erhalten, die McGrath aufgriff: die gälische Kultur zu kräftigen und die Menschen zu einer politischen Zusammenkunft zu vereinen.186 Dies in mimetischer Form zu tun, in einer Show, die mit den Begriffen ceilidh, Konzertgesellschaft, Historiendrama oder „lebendes Geschichtsbuch" zu bezeichnen ist, war McGrath nur möglich, indem er die lange im britischen Theater verschüttete Spannung von Darstellen und Verkörpern neu belebte und unter der beabsichtigten gesellschaftlichen Funktion der Aufführungen weiterentwickelte. Im griechischen Dionysoskult und im agrarischen Ritual der germanischen Stämme - bei Gesellschaften geringer Arbeitsteilung also beruhte die mimetische Gestaltung im Dienste der Fruchtbarkeit auf der Einheit von Spielenden und Schauenden, von „Wissenschaft" und Magie. Die Akteure ahmten Vorgänge aus der Sphäre des natürlichen Lebensunterhalts nach, drückten dabei sich selbst und die Gemeinschaft aus. Die Anwesenden nahmen teil und waren selbst potentielle Akteure, nicht Zuschauer im heutigen Sinne. Die uralte kommunale kultische Einheit der Akteure mit den Anwesenden zerfiel, als mit zunehmender Naturerkenntnis und Arbeitsteilung sich die Mimesis aus dem mythischen Kontext löste, das Ritual zur Konvention erstarrte und die konsequente Nachahmung des Lebens (zum Beispiel im griechischen Mimus) die Götterwelt entzauberte. Das Ritual wurde nicht mehr verkörpert, sondern gespielt. Damit ging aber auch jener auf der Einheit von kultischer Verkörperung und empirischer Nachahmung beruhende Impuls verloren, der aus der Spannung von Ekstase und Erkenntnis, von Ritual und Realistik die Vorstellungskraft und die lebenserneuernde Energie der Gemeinschaft erweckte, deren Erzeugung ja das produktive Ziel der mimetischen Gestaltung war. Obwohl in der weiteren Entwicklung des Dramas immer wieder Versuche unternommen wurden, die Perspektive 9*

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der Zuschauer, des Volkes, wieder in die Gestaltung einzubeziehen und die Trennung zwischen Akteuren und Zuschauern zu überspielen - vor allem im englischen Drama bis zur Shakespeare-Zeit und in der Commedia dell' arte - , ist das kultisch-kommunale Element, das Verkörpern, immer mehr hinter der mimischen Illusion, dem Darstellen, zurückgeblieben. 18 ' Zu diesen Versuchen muß man unter anderem die direkte Ansprache des Publikums durch „publikumsnahe" Vorderbühnenfiguren rechnen, bei denen der Schauspieler nicht ganz in der Rolle aufgeht, sondern sich „bekannt" macht (so wie die Akteure des kommunalen Kults den Anwesenden bekannt waren), und die Benutzung eines publikumsnahen Platzes neben einer erhöhten Bühne, einer realen Lokalität neben der fiktiven, in e i n e m Spiel, so daß zwischen Spiel und Wirklichkeit vielfältige, zum Teil unmittelbare Beziehungen hergestellt werden können. Auch ist ein Rundtheater belegt, 188 das Spielen auf einer von den Zuschauern umsäumten Fläche, wie sie heute Peter Cheeseman benutzt, um das kommunale Gemeinschaftserlebnis zu erneuern (ihre Spielbedingungen verändern freilich auch die Darstellungsweise in den Inszenierungen von naturalistischen Stücken, von Stücken, geschrieben für die illusionistische Guckkastenbühne) 189 . Die Aufführungen des schottischen Ensembles der 7:84 Theatre Company in den Dörfern und Städten des Hochlands tragen deutlich Gestaltungsmerkmale, die den mimischen Vorgang als Darstellung der Wirklichkeit und zugleich als kultische Verkörperung der gemeinschaftlichen Existenz und des gemeinschaftlichen Erneuerungswillens kennzeichnen. Schon der Ort der Aufführung erleichtert diesen Akt der Verkörperung. Gespielt wird in einem Tanz- oder Versammlungssaal, im hinteren oder oberen Saal (Zimmer) eines Gasthauses oder in einem anderen Gemeinschaftsraum, an einem Ort also des wirklichen Lebens, der den Anwensenden vertraut ist, an dem sich ein Teil ihres Lebens abspielt, an dem sie sich zur Unterhaltung oder zum Besprechen öffentlicher Angelegenheiten treffen - und nicht in einem Theater (es gibt dort keine), nicht an einem ihnen entrückten, erhöhten Ort, der das Darzubietende in eine fiktive Realität versetzt. Das Publikum geht nicht ins Theater, sondern die Show findet in ihrem Lebensbereich statt. Auch in der Zeit des dargebotenen Geschehens überlagern sich Fiktives und Reales. Wo der Stoff die Zuschauer in die Vergangenheit führt, machen McGrath' Stücke durch den Wechsel von szenischer Darstellung und Bericht über die Vergangenheit und durch das Kommentieren der 132

historischen Geschehnisse die reale Gegenwart als Standpunkt der agierenden, betrachtenden und sich selbst äußernden Schauspieler wirksam. Der Blick auf Vergangenes und Zeitgenössisches, das als Geschichte von gesellschaftlichen Widersprüchen und Veränderungen gestaltet wird, bringt deshalb die Gegenwart auch als möglichen Ausgangspunkt künftiger Veränderungen ein. Die Akteure nun, die Schauspieler des Ensembles, sind für die Zuschauer nicht anonyme Rollenträger. McGrath berichtet, wie sie vor (und nach) der Veranstaltung die Bekanntschaft der Menschen suchten, Freundschaft schlössen, wie sie aufgefordert wurden wiederzukommen und wie sie bei späteren Gastspielen begrüßt wurden als Angehörige der jeweiligen Gemeinschaft. In der Show selbst werden einleitend nicht die Rollen, die Figuren eingeführt, sondern die Akteure stellen sich mit ihrem bürgerlichen Namen vor. In The Cheviot, the Stag and the Black, Black Oil spielt der Schauspieler Allan Ross im Zuschauerraum, im Foyer usw. Geige, spricht dabei mit den Leuten, unterhält sich mit Freunden. Weiter gibt die Regieanweisung an, daß der Schauspieler Bill Paterson sich als solcher (nicht als eine Figur) vorstellt und auch Liz Maclennan einführt, die ein gemeinsames Lied auf dem Akkordeon begleitet. Auch zu Beginn von The Game's a Bogey und Little Red Heti macht Bill Paterson die Schauspieler und die Musiker dem Publikum bekannt, wobei er improvisierend bei jedem Ensemblemitglied eine charakterisierende Bemerkung hinzufügt. In der Textausgabe von Boom nimmt McGrath in der Einleitung die Vorstellung der Ensemblemitglieder vor, wobei er nicht nur sagt, welche Aufgaben sie in der Truppe erfüllen, sondern auch ihre Herkunft erläutert und Einschätzungen ihrer ideologischen und politischen Entwicklung gibt. 190 In den Verzeichnissen der Mitwirkenden (in Programmheften und Textausgaben) werden alle Mitglieder in alphabetischer Reihenfolge genannt, und h i n t e r jedem Namen stehen die Rollen oder/und die Instrumente; zum Beispiel heißt es in The Cheviot, the Stag and the Black, Black Oil bei Elizabeth Maclennan: „Alte Frau ,/ Lady Phosphate / Harriet Beecher Stowe / Akkordeon usw." 191 Daselbst wird auch John McGrath der ja gar nicht auftritt - genannt als Autor und Regisseur. Damit wird angedeutet, daß die Schauspieler sich verkleiden, mehrmals die Rollen wechseln, was sie laut Regieanweisung auch dadurch kundtun, daß sie zum Beispiel in dem letztgenannten Stück bei dem Eröffnungslied mit ihren Requisiten nebeneinander auf der Bühne sitzen. Im Text verfährt McGrath so, daß er in diesen Werken bei sze133

nisch gestaltetem Text als Sprecher den Namen der Gestalt angibt, an kommentierenden Stellen den Namen des Schauspielers; meist fügt er aber im ersten Falle den Namen des Schauspielers hinzu: „Zweite Frau (Doli)", oder er zeigt die Verkleidung durch die Regieanweisung an: „John tritt auf als Patrick Sellar", oder: „Geigen spielen Der Herr ist mein Hirte. Das Ensemble summt leise mit, während John sich als Pfarrer kleidet und Alex die Kanzel in Position bringt." 192 Das Wechseln der Rollen und das Wechseln der Ebenen im Zusammenprall von Darstellen der Vergangenheit oder der Gegenwart und Verkörpern der realen Gemeinschaft des Volkes - kann man nicht mit dem Begriff „aus der Rolle heraustreten" erfassen. Schon der Beginn der Stücke stellt den Zuschauern vor Augen, daß hier - umgekehrt - Akteure i n die Rolle treten, daß sie auf der Basis ihrer prinzipiellen Einheit mit den Anwesenden in dargestellten Handlungen und in einem spielerischen Wechsel, der die dramatische Handlung mit direkten Äußerungen über den Stoff unterbricht, zugleich Angehörige der Gemeinschaft, sie verkörpernde Akteure und das Leben nachahmende, darstellende Schauspieler sind. Die gesamte Show, die Konzertgesellschaft, das „lebende Geschichtsbuch" erhält dadurch eine schärfere Optik, nämlich die der Gemeinschaft, da sich die Schauspieler als politisch engagierte Menschen der Gegenwart in den Gegenstand der vorgespielten Handlung, die Geschiche der Anwesenden, einbeziehen: Es ist auch ihre Geschichte, es sind ihre Anliegen, es ist auch ihre Meinung, daß sich die Verhältnisse grundlegend ändern müssen. Der Effekt liegt dann darin, daß sie als Mitglieder der Gemeinschaft, nicht als Gestalten, am Ende der Show die alle bewegenden Forderungen formulieren - in Little Red Hen mit den Worten der progressivsten historischen Personen, die sie in der Show darstellten - oder mit dem Publikum einen altbekannten oder neugemachten Kehrreim anstimmen, der diese Forderungen im rituellen Gesang impliziert. Nach der Show spielen dann die Musiker des Ensembles zum Tanz auf, so daß der Abend ebenso ausklingt wie die kultischen Feiern oder Volksfeste aus der Frühzeit mimischritueller Vorformen des Dramas. „Der Tanz nach der Show war, wie gesagt, ein wesentlicher Teil des Abends." 193 McGrath wußte, daß er dazu einen neuen Typ von Schauspieler und eine neue Art der Proben brauchte. Die Schauspieler fand er. Vor dem ersten Auftritt sagte er zu ihnen, sie seien keine tschechowschen Schauspieler, sondern Unterhalter. Da sich alle an den Studien der historischen Materialien beteiligten, konnten alle an der Fassung 134

der Texte mitarbeiten, und „jeder wußte genau, weshalb jedes Wort -da war" 194 . In der Einleitung zu The Cheviot, the Stag and the Black, Black Oil schreibt der Autor, daß es unmöglich geworden ist, Schauspieler wie Liz und Doli Maclennan von dem zu trennen, was sie sagen. „Wenn andere Schauspieler sich entscheiden, das Stück aufzuführen, sollten sie dieselbe Identifizierung mit dem zu erreichen suchen, was sie sagen und tun - etwas ganz anderes, als wenn normale Schauspieler ihre Zeilen lernen." 195 Das Erlernen dieser lange verschütteten Fähigkeit, die Dialektik von Darstellen und Verkörpern zu einem kraftvollen Impuls kollektiver Erkenntnis und Emotionalität werden zu lassen, brachte beim schottischen Ensemble der 7:84 Theatre Company eine hohe professionelle mimische Kunst und ein ebenso hohes Engagement für die Interessen und die Kultur des schottischen Volkes hervor. Der Charakter der Feier des Volkes in Platers Close the Coalhouse Door kommt wahrscheinlich dem des ursprünglichen kultischen Volksfestes noch näher, da Plater in seinem durch historische Rückblenden aufgelockerten Genrebild mehr die Existenz der Bergarbeiter, ihre Lebensweise und Lebensprobleme im Blick hat als den notwendigen, bevorstehenden Sprung in der gesellschaftlichen Entwicklung. Die goldene Hochzeit bedingt schon als Sujet ein statischeres Moment. Eben darin gleicht das Verhältnis zur Wirklichkeit in diesem Stück eher dem des alten Rituals: Beide bestätigen die natürlichen und sozialen Umstände, wie sie sind oder - soweit es Plater betrifft genauer: so häßlich die sozialen auch sind, sosehr sie auch des ständigen Ringens um die Sicherung des Lebens bedürfen. Bei McGrath umfaßt die Perspektive der Gemeinschaft mehr als das Sittenbild; auch bezieht sich der mimische Vorgang nicht nur auf die Reproduktion des Lebens und die Unterwerfung der dargestellten Dinge. In der Gegenwart ist die Reproduktion des Lebens des Volkes nicht von Naturereignissen gefährdet, sondern von den kapitalistischen Produktionsverhältnissen und der aus ihnen resultierenden Klassenherrschaft. Die rituell beschwörende Show zielt deshalb darauf ab, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu entzaubern, sie sich in der Darstellung zu unterwerfen und die Anwesenden in der Gewißheit zu bekräftigen, daß sie der Beherrschung dieser Verhältnisse fähig sind und die Kraft, sie zu verändern, besitzen. In dieser bewußten Orientierung auf die objektive geschichtliche Bewegung liegt der neue Akzent der Selbstgestaltung des Volkes. Er fußt auf der Tatsache, daß •die urspüngliche Gemeinschaft aller Angehörigen eines Volkes oder 135

Stammes nicht mehr gegeben ist, daß in der heutigen Klassengesellschaft vielmehr die kommunale Identität des Volkes die Herrschenden ausschließen muß. Nach einer jahrhundertelangen theatergeschichtlichen Tendenz, die vom rituellen Vorgang wegführte zur stärkeren Ausprägung der mimischen Illusion und die dem Darstellen gegenüber dem Verkörpern ein extremes Übergewicht verlieh, findet John McGrath zu dieser Gefühle wie Erkenntnisfähigkeit anregenden Spannung von Darstellen und Verkörpern, einem uralten Prinzip, das er auf der Grundlage eines materialistischen, dialektischen Geschichtsverständnisses weiterentwickelt. Die Vorführung dramatischer Geschehnisse bei Publikumsbewußtheit ist möglich, obwohl zur gleichen Zeit die gemeinsame Perspektive der Akteure und der Zuschauer die Gestaltungen des Lebens in das von der Show ebenso gesteigerte Realitätsbewußtsein der Anwesenden integriert. Den Auftrag und künstlerischen Antrieb dieser Art von gemeinschaftlichem Erlebnis schöpfen McGrath und die Mitglieder seines schottischen Ensembles aus dem Bedürfnis, die Potenzen der Volkskultur zu nutzen, neu zu entdecken oder wiederzubeleben, um das politische Bewußtsein der breiten Gemeinschaft der Werktätigen zu bilden, ihre Solidarität zu festigen und sie in ihren sozialistischen Zielsetzungen zu bestärken. Elemente dieser Dramaturgie waren in den „lebenden Zeitungen" und im Theater Piscators vorgebildet (von dem die Akademie der Künste der D D R 1971 in mehreren Städten Großbritanniens eine Ausstellung zeigte). Während Piscator aber den Kunstwert des Theaters unterschlug, den unterhaltenden Charakter außer acht ließ und Bühnentechnik und Architektur überbetonte, kommt es McGrath gerade auf ein höchst kunstvolles, höchst unterhaltendes, mit geringen Hilfsmitteln zu bewerkstelligendes Theater an, an dem potentiell alle Anwesenden beteiligt sind, auf ein Theater also, das als ein für alle Herstellbares, alle Umfassendes die Gemeinschaft selbst verkörpert und auch Ausdruck ihrer Kultur ist. Obwohl McGrath eine Reihe verfremdender Stilmittel einsetzt, die Brecht ebenfalls verwendete, genügt ihm in seiner konkreten historischen Situation das für die Brechtsche Spielweise charakteristische Darstellen nicht. Dessen belehrender Charakter, das Betonen der Künstlichkeit des Gezeigten und die prinzipielle Vorzeige-Haltung lassen nicht die unmittelbare Integration von Vorgestelltem und Realem, von Betrachten und Nacherleben, von individueller Erkenntnis und gemeinschaftlicher Willensbildung zu, die McGrath in seinen schottischen poli136

tischen Unterhaltungsspielen gelingt. Für viele, die nur dort vom Drama und von Theaterkunst sprechen, wo geschlossene Handlungen illusionistisch oder episch dargestellt werden, mag hier vielleicht die Grenze der Gattung überschritten sein; ihr Einwand - zuwenig personale Fabel, zuviel Information und zuviel die dramatische Handlung unterbrechendes Beiwerk - bekräftigt letztlich nur die während des bürgerlichen Zeitalters und noch heute geltende Priorität des Darstellens. Mag aber nicht gerade ein die Unterdrückten verkörperndes, weil sich mit ihnen eins wissendes Theater, Anregungen für das Theater in der sozialistischen Gesellschaft geben, wo die Einheit der Akteure mit den Zuschauern vorausgesetzt werden kann? Die Tatsache, daß, anders als im frühen kommunalen Ritus oder Kult, bei McGrath nicht die gesamte Volks- oder Stammesgemeinschaft angesprochen wird, sondern nur das „Volk" im engeren Sinne, die Volksmassen, die Träger der gesellschaftlichen Produktion, hat Konsequenzen für die Rezeption und für das außerdramatische Verhältnis der Schauspielertruppe zu der Bevölkerung. Die parteinehmende Identifizierung mit den aus den Volksmassen stammenden Zuschauern, auf der auch die Ardens in The Non-Stop Connolly Show aufbauen, wird sowohl als ein ästhetisches wie auch als ein politisches Problem bewußt. In The Demonstration läßt Caute die Studenten gegen Professor Bright opponieren, der diese Identifizierung verwirft: „Warum müßt ihr die Zuschauer völlig in die Handlung einbeziehen? Warum wollt ihr, daß sie vergessen, daß sie ein Schauspiel sehen? Warum sollen sie glauben, es ist alles wirklich?" Bright will ihnen vorwerfen, sie hätten eine naturalistische Inszenierung vor, im Sinne des Naturalismus des späten 19. Jahrhunderts. Doch den Studenten schwebt ein anderes Wirklichkeitsverhältnis vor, nämlich eins, aus dem die Zuschauer die Relevanz des Dargestellten für die gesellschaftliche Realität erfahren, in dem ihre Bedürfnisse die Gestaltung prägen, sie selbst also verkörpert sind. Der Student Frank antwortet deshalb: „Die Gesellschaft, in der wir leben, ist wirklich. Das autoritäre Regime dieser Universität ist wirklich. Wir sind wirklich." 196 Später fügt bei einer Probe der Darsteller (Student) des Guerilla hinzu: „Schauspieler sind keine gehorsamen Puppen mehr; Studenten auch nicht. Für Sie zweifellos eine doppelte Bedrohung." 197 Auch Caute läßt diese junge Tendenz spürbar werden, daß die Schauspieler zugleich als die Menschen auftreten, die sie außerhab der Aufführung sind, daß sie nicht mehr auswechselbar sind, sondern 137

ihre ganze Persönlichkeit in der Dialektik von Darstellen und Verkörpern einbringen. Eine auf das Darstellen und unterhaltende Belehren gerichtete Dramaturgie macht ihre Inszenierungen im Prinzip allen Klassen und Gessllschaftsschichten zugänglich; eine stärker auf die Spannung von Darstellen und Verkörpern und auf die Organisierung bereits vorhandener Erkenntnisse orientierte, eine auf die Bekräftigung der Bereitschaft zum Klassenkampf und auf die kollektive Mobilisierung aller Lebenskräfte gerichtete kann die beabsichtigte Wirkung nur bei den diese Erfahrungen und Erneuerungswünsche Teilenden erzielen. Bei ihnen aber erfüllt das gesellschaftlich engagierte Theater seine Aufgabe in höchstem Grade. McGrath berichtet: „Und wenn der Kontakt zwischen den Erfahrungen des Publikums und dem, was man sagt, real ist, dann zündet das Stück. Aber wenn man eine Show über die Industrie macht und darüber, daß Menschen überflüssig gemacht werden, über das Wachstum großer Konzerne, die die Arbeiter spalten, indem sie teilen und herrschen, und wenn man das vor einem Publikum aufführt, das von all dem nicht richtig betroffen ist, dann kann man erleben, daß die Zuschauer sagen: ,Oh, was ist denn aus Fish in the Sea geworden, dieser netten Familiengeschichte?' Aber wenn man das vor Zuschauern spielt, die in der Industrie gearbeitet haben, die noch in der Industrie arbeiten, dann entsteht ein wirklicher Kontakt, und die Dynamik des Stücks wirkt durch die Beziehung zwischen seiner Bedeutung und dem Publikum. Dann gehen die Zuschauer die ganze Zeit m i t . . . Bei der direkten Darstellungsweise erlebt man es, daß Leute, die nichts wirklich mit dem, was das Stück beinhaltet, zu tun haben, Wörter wie .didaktisch' dafür gebrauchen. Diejenigen, die wirklich mit dem zu tun haben, was das Stück beinhaltet, halten es nicht für didaktisch. Sie halten es für klar einsichtig - Wahrheiten, die öffentlich erklärt werden, gesellig, auf unterhaltsame Weise, und das ist genau das, worum es im Theater geht, zu entdecken und dem Ausdruck zu verleihen, was da ist, der Wirklichkeit des Lebens der Menschen." 198 Dieses gemeinschaftliche Verhältnis zum Publikum wirkte auf sie, die mit ihren Shows das Publikum auch verkörperten, bestätigend, anregend und bekräftigend zurück. Die Resonanz ging dabei, wie McGrath berichtet, über die Veranstaltung selbst hinaus, hinterließ aber auch in der unmittelbaren Reaktion einen tiefen Eindruck beim Ensemble: „Es war eine Gegend, in der man durchaus gälisch spricht, und selbst die wenigen, die die Sprache nicht kannten, stimmten mit 138

ein, als Dolina sang. In dem Teil über die Gegenwart gibt es mehrere Lieder, denen wir fast jeden Tag neue Strophen hinzufügten, entweder um auf lokale Ereignisse anzuspielen oder um mit den Ereignissen, die gerade vorfallen, Schritt zu halten. Es gab keine verwirrten Blicke - jeder wußte, was vor sich ging. Jenen Abend in Kinlochbervie, zweihundertfünfzig Meilen nördlich von Glasgow, in den sogenannten zurückgebliebenen Gebieten, brachten uns die Menschen bei, worum es im Theater gehen müsse. Und diese Lehre erhielten wir immer wieder, in fünfzig oder sechzig Sälen im ganzen Norden, von Stornoway und Lochmaddy auf den Äußeren Hebriden bis Aberdeen im Osten und Orphir auf den Orkney-Inseln. Sie standen nicht auf oder applaudierten jubelnd - es war das, was es sein sollte, und das war eben gut." 1 9 9

Die entzaubernde Parodie: Brenton, Hunt und andere Der Ansatzpunkt einer zweiten nach 1968 häufiger verwendeten dramaturgischen Methode gründet sich darauf, daß vom Standpunkt der Arbeiter und aller Werktätigen das Verhalten der Bourgeoisie als ein spezifisches und dem der Volksmassen entgegengesetztes erscheint. Es täuscht in genormten Gesten, einheitlicher Ausdrucksweise und stereotypen Reaktionen, in einer zur Schau getragenen Respektabilität und in Leitbildern, die sowohl der Wirklichkeit als auch der Menschenwürde widersprechen, eine gesunde Homogenität der bürgerlichen Klasse oder sogar des gesamten Volkes vor, die nicht gegeben ist. Im Gegenteil gibt es außer dem gemeinsamen Interesse, die Volksmassen kapitalistisch auszubeuten, nur zersplitternde Antriebe, vor allem den der unerbittlichen Konkurrenz untereinander. D a diese Klasse nur den gegenwärtigen Gesellschaftszustand konservieren will und weder objektiv noch subjektiv die Aussicht auf eine bessere Zukunft besitzt, fehlt ihrem gepflegten, mit materiellen und geistigen Schätzen angereicherten Dasein eine über ihre Unterhaltungssucht hinausgehende Substanz, die ihr das Leben lebenswert machen könnte. So gesehen tritt das Verhalten der Bourgeoisie und aller die kapitalistische Gesellschaftsordnung Stützenden den Volksmassen als ein leeres Ritual entgegen, dessen sich die Bourgeoisie bedient, um ihre Macht aufrechtzuerhalten und zu sichern. Es ist ein Ausdruck ihrer ökonomischen und sozialen Privilegien. In der Afterkultur der Massenmedien läßt die Bourgeoisie dieses Ritual hochstilisieren und als 139

Form einer erstrebenswerten Lebensweise hinstellen. Auch die durchschnittliche Boulevardkomödie der Londoner Westendtheater pflegt dieses Image. Meist sind diese Darstellungen entweder mit der Leugnung der gesellschaftlichen Widersprüche oder mit der implizierten Behauptung verbunden, mit diesen Widersprüchen und dieser G e walt müsse der Mensch unweigerlich und ewig leben - wofür Begründungen religiöser, anthropologischer oder psychoanalytischer Natur gegeben werden. E s werde also stets eine Minderheit zum Herrschen berufen oder „verdammt" sein, die unangreifbar sei und niemandem Rechenschaft schulde und die allmächtig und allwissend sei. D e r Mythos der neuen Götter wird nun von einigen Dramatikern durch bestimmte Arten der Verfremdung entgöttert, und zwar durch die burleske oder parodistische Darstellung dieses leeren Rituals. D i e direkte Verspottung in burlesken Formen und die das Ritual nachahmende Übertreibung in parodistischen Formen sind dabei schwer zu trennen, denn das Bloßstellen bourgeoiser oder von der Bourgeoisie als respektabel oder ideal hingestellter Verhaltensweisen trifft ja auch deren ernstgemeinte Abbilder in der Literatur, im Theater, im Fernsehen und Film und ist also zugleich auch Parodie. D e n noch haben auch spezielle stilparodierende Verfahren in den letzten Jahren an Boden gewonnen. D i e burlesken wie parodistischen E l e mente im gegenwärtigen Drama gehen ebenfalls auf eine weitgespannte Tradition zurück. Seit im griechischen Mimus die idealistischen Werte des Mythos umgewertet und die Götter verspottet wurden, haben sie sich eine erstaunliche Kontinuität bewahrt. 2 0 0 Auf die frühe heidnische Burleske, auf die Parodie auf das feierliche Kirchenzeremoniell und die antichristliche Umkehrung vorgegebener Glaubensmuster waren - besonders reich entwickelt im Werk Shakespeares - Verfremdungen der Herrschaft weltlicher Götter gefolgt, vor allem durch spiegelnde Nebenhandlungen, durch Narren und „publikumsnahe" Gestalten. D i e spätere bürgerliche Dramatik begnügte sich im wesentlichen damit, „menschliche Schwächen" der Charaktere zu verspotten oder sich an Literaturparodien zu vergnügen, die nicht bis zur Negation der den verspotteten Erscheinungen zugrunde liegenden objektiven Gesellschaftsverhältnisse schritten. Im Gefolge des Durchbruchs im britischen D r a m a der Gegenwart haben zwei Autoren, anknüpfend an die Komiker der Music Hall, des Stummfilms und des Tonfilms, ihre dummen oder sich dumm stellenden Helden mit den Absurditäten des „normalen" Lebens konfrontiert und damit Wesenszüge dieser vermeintlichen „Normalität" des

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Kapitalismus bloßgestellt: Charles Wood in seinen satirischen AntiKriegsstücken und Henry Livings in seinen Burlesken des Alltags der Arbeiter oder Kleinbürger. Howard Brenton und Albert Hunt fügen nun insofern neue Formen der Entzauberung dieser Tradition hinzu, als sie die von ihnen abgelehnten gesellschaftlichen Erscheinungen oder Verhaltensweisen direkt verzerren oder direkt denunzieren, als sie dieses leere Ritual zu einer dramaturgischen Komponente ihrer Enthüllung des Widerspruchs von Schein und Wesen, von Anspruch und Niedrigkeit machen. Es sind ihre spezifischen Mittel, den Zuschauer auf Distanz zu halten und den objektiven gesellschaftlichen Charakter der vorgeführten Gestalten und Geschehnisse hervortreten zu lassen; sie führen viele Zuschauer über die objektivierende Darstellung zu einer intensiveren Bewußtheit und inneren Beteiligung an der realen Problematik. Howard Brenton wurde 1942 in Portsmouth als Sohn eines Polizisten und späteren Methodistenpredigers geboren. Er besuchte eine höhere Schule und wurde Lehrer in Yorkshire. Danach studierte er Englisch in Cambridge, wo in seinem Abschlußjahr 1965 sein erster Einakter aufgeführt wurde, Ladder of Fools. In den nächsten beiden Jahren arbeitete er als Verwaltungsangestellter und als Inspizient an verschiedenen Provinzbühnen. Während dieser Zeit gehörte er auch der Brighton Combination als Schauspieler und Autor an. 1969 trat er dem Portable Theatre bei, mit dessen Autoren er später gemeinsam Lay by und England's lreland verfaßte. Nach Hampton, Hare und E. A. Whitehead wurde er 1972/73 festangestellter Hausautor des Royal Court Theatre, an dem mehrere seiner Stücke herauskamen. Er schrieb einen Spielfilm, zwei Fernsehspiele, adaptierte Gargantua und Measure for Measure und veröffentlichte Gedichte.201 Brentons ideologische und künstlerische Entwicklung ist widersprüchlich und trägt dennoch viele schöpferische Impulse in die Kunst, Abbilder der Wirklichkeit so zu gestalten, daß von ihnen aktivierende Bewußtseinsvorgänge und Willensbildungen ausgelöst werden. Seine Absage an das imperialistische Gesellschaftssystem ist klar, seine Abscheu vor diesem humanistisch sich gebärdenden Gewaltregime, dieser „obszönen Parade" 202 , wie er Jed in Magnificence (1973) sagen läßt. Das leere Ritual der Bourgeoisie, ihre Verhaltensklischees, nennt er irreführend „Humanismus", wo Pseudohumanismus treffender gewesen wäre, wie aus seiner Erläuterung zu ersehen ist: „Das ist typisch für den englischen oder westeuropäischen Humanismus - das 141

ist wie ein Dunst, das ist leicht zu sagen - jeder stimmt zu, jeder hält es für tiefgründig, aber es ist wertloses Zeug. Stumpfe Aphorismen für ein bürgerliches Publikum, die ihm versichern, daß es trotz allem nichts zu unternehmen brauche. Daß die Menschen unglücklich sind, sich aber nichts ändern kann. Es ist eine geheuchelte Ehrfurcht, oft eingehüllt in elegische Verzweiflung, dieser westliche Humanismus. Samuel Beckett ist sein Hoherpriester. Er wirkt auf jeden Funken Hoffnung auf Veränderung, der in unserem Theater glühen sollte, wie ein nasses Handtuch. Aber die Menschen sind doch nicht so, verstehen Sie. Sie sind unzufrieden, sie legen sich nicht nieder, sie feiern nicht das Leiden. Sie tun alles, um es zu beenden. Und wenn sie unterdrückt werden, sagen sie nicht: ,So ist nun mal die Welt, so sind wir nun mal geboren' - sie versuchen, das zu ändern. Unsere Stücke sollten ihnen helfen, indem sie ihnen in ihrem instinktiven Drängen auf eine Veränderung beistehen." 203 Die Funktionsbestimmung der Kunst hängt mit diesem Verständnis des Humanismus als einer ausgehöhlten und zugrunde gerichteten Form der Kultur zusammen, deren Niedergang das Werk der Bourgeoisie ist: humanistische Ideen wurden total korrumpiert, und ihr Wert wird von den Leuten zerstört, die alles in der Hand haben." 2 0 4 Auch für Brenton wurde das Jahr 1968, wie er in einem Interview von 1975 bekennt, zu einem entscheidenden Erlebnis, das sein Schaffen und seine Vorstellungen von der Rolle der Kunst in der Geselle schaft mitformte. Scheute er sich 1973 nicht zu sagen, daß ihm oft wie dem Anarchisten Jed zumute sei, der in seinem ohnmächtigen Zorn gewisse Mitglieder des Establishments umbringen könnte, 205 so ist er sich dieser Reaktion als einer spontanen durchaus bewußt (er stellte Jed deshalb in Magtiificence den besonnenen Cliff gegenüber). Auf die Frage, welche Gedanken ihn 1975 bewegen, antwortet er: „Gedanken des revolutionären Sozialismus." Obwohl die Zustände und Ereignisse, die den Mai 1968 heraufbeschworen, für ihn die offizielle Kultur diskreditierten, habe der Pariser Aufstand ihn, so sagt er an gleicher Stelle, auch von den „anarchistischen Ideen einer spontanen Freiheit und von anarchistischer politischer Aktion" 2 0 6 befreit. Vielleicht hat ihn auch das gebrochene Verhältnis zur „offiziellen Kultur" dazu bewogen, sich als ausgemachten Anti-Brechtianer zu deklarieren, und zwar als einen linken. Ob seine Brecht-Kritik berechtigt ist, mag dahingestellt bleiben, aber gerade in dem Punkte, der hier interessiert, ist sie sachlich falsch und beruht eindeutig auf 142

der Kenntnis solcher britischer Inszenierungen, die offenbar illusionistisch, zumindest aber einfühlend waren; das wird ersichtlich, wenn er, den Schluß von Magnificence zitierend, sagt: .„Verschwendung. Nichts anderes, glatte Verschwendung.' Das ist das Schluß-von-Mutter-Courage-Syndrom, in dem die Sympathien der Zuschauer wie herabstürzendes Wasser der Person zufließen, die das meiste spricht und von der sie annehmen, sie habe recht."20' Es soll sich nämlich zeigen, daß er verfremdende Verfahren ähnlich denen Brechts anwendet, was er mit dem zuletzt zitierten Vorwurf gerade bestätigt, und daß er anders als der Neuerer McGrath im Prinzip ein rein darstellendes Theater macht. Von Brentons etwa zehn Einaktern und kurzen Stücken darf hier abgesehen werden. Von den dreizehn Dramen und den Stücken seiner Mitautorschaft sollen nur jene herausgegriffen werden, die das Charakteristische seiner parodistischen Methoden am einsichtigsten preisgeben. Revenge (1969) beginnt mit einer Szene, deren Muster der Anfang von Shakespeares King Lear bildet: Der Gangster-Held Hepple teilt sein Unterweltreich auf und geht ins Gefängnis. Dieses phantastische Stück über die Rache eines Verbrechers an einem Polizisten im zukünftigen England der achtziger Jahre unseres Jahrhunderts endet damit, daß in dem von absoluter Gewalt und organisiertem Verbrechen beherrschten Land der alte Typ des Ganoven und der alte Typ des Polizisten überflüssig sind. Brenton richtet die Fabel so her, daß er außerdem die Rachetragödie der nachelisabethanischen Zeit, das Melodrama des 19. Jahrhunderts und den Kriminalfilm parodiert. Wenn er hier diese alten bzw. vorgegebenen Formen benutzt und sich zugleich von ihnen abstößt, so nicht, um diese Formen und die von ihnen repräsentierte Kunst lächerlich zu machen, sondern um den für ihn schlimmen Zustand seines Landes in Bühnenmetaphern zu gestalten, die diesen Zustand durch unerwartete, inkongruente oder widerspruchsvolle Assoziationen zu bekannten Denkund Verhaltensstrukturen auffällig machen. Eine Verfremdung also, das Herunterholen der großen Gegenstände - das Befinden der Nation - von der Königsebene auf die moderne Rüpelebene des Gaunertums, gleichzeitig aber suggerierend, daß heutige, den Zustand der Nation betreffende und ihn bezeichnende Aktionen mit den Denkmustern von Verbrechern und verbrecherischen Verbrecherjägern durchaus zu begreifen sind. Die Art der Verfremdung sagt schon aus, welche Kritik und welche Warnung Brenton aussprechen möchte. 143

Seine typische Methode, das stereotypisierte Verhalten der Bourgeoisie zu parodieren, begann er in Christie in Love (1969) zu entfalten. Dieses Stück über Englands berüchtigtsten Mörder der fünfziger Jahre enthält Motive des Horrorfilms (wie in den Dracula- und Frankenstein-Filmen stehen Tote oder Scheintote wieder auf) und des Krimis, doch wichtiger sind das bewußte Nebeneinandersetzen zweier Stile und die Umkehrung aller Werte und aller Ordnung, die schon das volkstümliche mittelalterliche Drama kannte. Zwei Polizisten suchen nach Opfern des Mörders; da steigt dieser plötzlich aus dem Boden. Der Inspektor verhört ihn und veranlaßt ihn, an einer Frauenpuppe sein Verbrechen zu demonstrieren. Als die Polizisten spüren, daß der berüchtigte Sadist, die legendär gewordene „Bestie", ein schüchterner Mensch ist, hängen sie ihn und begraben ihn wieder. Christie wird dabei von Brenton „naturalistisch" behandelt, eine lebenswahre, abgerundete Gestalt: ein ängstlich gewordener Mann, doch voller Wärme. Seine Morde geschahen aus Liebe, er suchte immer ein Objekt seiner Leidenschaft. Der Inspektor und der Wachtmeister hingegen wirken nur wie Pappfiguren und gleichen eher organisierten Räubern, die sich als Polizisten ausgeben, Clowns in Rollen, die mit einer gefährlichen Machtbefugnis ausgestattet sind. Die Umkehrung der Werte und der Ordnung besteht in der beschämenden Tatsache, daß der ursprünglich geradlinig ein menschliches Ziel verfolgende Christie durch die Verhältnisse, die keinen geraden Weg mehr kennen, zum Kriminellen wurde, während die Ordnungshüter in dem vergeblichen Bemühen, Christie zu „verstehen" oder Erklärungen zu finden, ihre Unfähigkeit und mit wachsendem Zorn auch ihre faschistoide Brutalität enthüllen. Der bürgerliche Sittenkodex hält für derlei Verhalten keine Kriterien bereit, die Gesellschaft befindet sich bereits jenseits aller vorstellbaren sozialethischen Merkmale. Genau das will Brenton sagen, 208 doch er gestaltet diesen Zustand Englands nicht durch ein kausal strukturiertes Geschehen, sondern durch eine Abfolge von Bildern, die aneinanderhängen wie die Bilder der Comic-Hefte oder Karikaturgeschichten.209 Die Folie der von den Massenmedien verbreiteten Krimis, in denen die Polizei und die Detektive mit dem Nimbus der letztlichen Unfehlbarkeit, die Verbrecher mit dem von vorbildlichen Pionieren, tatkräftigen Abenteurern, die den kürzesten Weg zum Erfolg suchen, und dem von kaltblütigen Strategen, die nichts von ihrem Ziel abbringt, umgeben werden, kontrastiert Schein und Wesen, den humanistischen Anspruch 144

und die autoritäre Gewalt, für die eine unkontrollierbare Liebe zur Staatsgefahr wird. Damit wird aber die Folie und der von ihr beglaubigte Mythos der neuen Götter in Frage gestellt, sein Wesen als ein göttlicher Mythos entzaubert und als ein menschlich häßlicher und schädlicher Tarnungsversuch diskreditiert. Diese Dramaturgie spiegelt in den unterschiedlichen Darstellungsweisen die unterschiedlichen Existenzformen: die herrschende Gewalt in Gestalt gefährlicher Pappfiguren („wie ein Kodak-Reklamemädchen, aufgestellt vor einer Drogerie" 210 ) und der unter den waltenden Umständen irregeleitete Held als ein Mensch, dem nur die äußerste Verneinung dieses Lebens geblieben ist. Diese parodierende Methode belächelt nicht, sie negiert. Allerdings verlegt sie die Kraft der Negation in die aufeinander montierten Attraktionen 211 *, in die einzelnen von sozialem oder psychologischem Kausalitätsdenken her nicht unmittelbar erklärbaren „Bilder" oder Bühnenmetaphern, wie zum Beispiel das Durchspielen des Mordes mit einer lebensgroßen Frauenpuppe, bei dem Christie sich unsensationell und nüchtern verhält. Das ist ein entzaubernder Protest, der in der Parodie auf Machwerke, die das leere Ritual der neuen Götter als eine gültige Lebensform darstellen, auch den bei vielen Menschen bereits eingefleischten Neid auf diese Pseudokultur, auf den Heroismus und die Unfehlbarkeit dieser Götter abtöten soll. Brenton versteht sein Schaffen in diesem Kontext: „Ich meine, was ,Entwicklung' genannt wird, kann niemand aufhalten - z. B., daß man in seinen Reaktionen sich immer mehr politisch engagiert. Ich glaube, das geht allen Autoren so, auch denen von der Rechten. Sogar William Douglas-Home ist als einfacher Verfasser leichter Komödien immer politischer geworden, nach der Rechten hin. Sein jüngstes Stück, Lloyd George Knew My Father, besitzt einen letzten Akt, der kaum irgendwelche Gags enthält; er verherrlicht direkt die wertvolle Würde von Aristokraten . . . Das Theater ist eine bürgerliche Einrichtung: Man muß dagegen arbeiten und dagegen leben." 212 In zwei seiner Stücke nimmt sich Brenton historischer Helden an. Wesley (1970) widerlegt in grandioser Parodie den eigenen Bericht des Begründers der methodistischen Lehre und ersten Führers der in England verbreiteten Sekte darüber, wie er zu seinem Glauben kam. Scott of the Antarctic (1971) trägt den Untertitel: „Was Gott nicht sah"; in diesem Stück, das in Bradford auf einer Eisbahn aufgeführt wurde, verdeutlicht Brenton, daß Scott um der Ehre (der public school, der anglikanischen Kirche und des gesamten britischen Em10

K l o t z , Alternativen

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pires) willen zum Südpol getrieben wurde, das Unternehmen aber aus vielen nichtigen, doch realen Gründen (im Stück kann Scott nicht einmal Schlittschuh laufen) zum Scheitern verurteilt war. Das Heldentum par excellence, das kriegerische, nahm er in Hitlers Dances (1972) unter die Lupe, wobei er auch hier feststellte, daß die Wahrheit - der Krieg ist grausam und sinnlos - verschwiegen wird. Auf dem falschen Heroismus werden Mythen aufgebaut, die das Volk blenden, einschüchtern und verdummen sollen. Auch in diesem Stück gehen die Impulse eines antiimperialistischen Protests weniger von eiher durchgehenden Handlung als von den Szenen, den „Spielen" und Verfremdungen aus, die die im englischen und amerikanischen213 Kriegsfilm angewandten Heroisierungsmethoden aufdecken und parodieren. Kinder wecken einen gefallenen Nazisoldaten auf. Ihre Spiele verfremden Erinnerungen an den Krieg, die mit Bildern und Filmausschnitten bekräftigt werden. Dann rückt die britische Spionin Violette Szabo in den Brennpunkt, deren Geschichte im patriotischen Geiste in dem Heldenfilm Carve Her Name with Pride geschildert worden war: Sie wird - im Film - von den Nazis gefoltert und langsam getötet. Brenton überträgt in der Parodie den faschistischen Ungeist auf die Briten, die Violette ausbilden, verderben und in eine Mörderin verwandeln. Ihr Tod aber - so klärt es das Stück - war kein Heldentod, sondern das Ergebnis eines zufälligen Fehlers in der Bürokratie des zusammenbrechenden Nazireiches; er war überhaupt nicht kausal mit ihrer Tätigkeit verbunden, nur sinnlos wie das Sterben der Soldaten. Brenton versucht hier keine geschichtliche Bestimmung des zweiten Weltkriegs. Ihm liegt in erster Linie daran, bildhaft eindrücklich Legenden zu zerstören, die eine Erkenntnis der realen Verhältnisse und Machtstrukturen und der Manipulation des Wissens und Gewissens verstellen. Die verbreitetste Legende und seiner Meinung nach dickste Lüge, Winston Churchills „Rettung der Freiheit vor der Barbarei", bringt er in The Churchill Play (1974) unmittelbar in Zusammenhang mit einem Polizeistaat Großbritannien von 1984, in dem sich jeder, der anders denkt, als es das bis zum Faschismus brutalisierte Establishment vorschreibt, in einem KZ wiederfindet. Diese über die ganze Insel verstreuten Lager gleichen denen der Faschisten ebensosehr wie dem von Long Kesh in Ulster, in dem irische Freiheitskämpfer Anfang der siebziger Jahre gefoltert wurden, wie offiziell zugegeben werden mußte. Die Insassen des Churchill Camp wollen anläßlich der Besichtigung des Lagers durch eine Delegation 146

von britischen Parlamentariern ein Stück über Churchill aufführen. Bei den Proben kommt es zu heftiger Kritik dieses Stücks seitens der Offiziere der Lagerleitung und zu Auseinandersetzungen mit den brutalen Soldaten und Unteroffizieren der Wachmannschaft, die, wie es heißt, auch zur Niederwerfung der Bergleute von Ulster eingesetzt waren. Den Widerspruch zwischen vorgetäuschter Kultur und Gewissenlosigkeit der Vertreter des Establishments, der zu einem solchen Zwangsregime führen muß, offenbart Brenton, indem er die geläufigen Klischees, mit denen sich die Bourgeoisie umgibt und tarnt, in vielfältiger Weise entlarvt, indem er, sie nachäffend, mit Realitäten konfrontiert. Einen solchen ersten bloßstellenden Gegensatz baut Brenton durch die Existenz der Lager und durch den Versuch der Offiziere auf, so zu tun, als sei England 1984 ein friedliches, blühendes Land. Die reale Komponente dieses Kontrasts, den totalitären monopolistischen Polizeistaat, macht Brenton dadurch glaubhaft, daß er unmittelbar an die reale Gegenwart von 1974 anschließt, mit Assoziationen an die brutale Militärherrschaft in Nordirland und mit der Nennung von Gesetzen des Notstands und des permanenten Ausnahmezustands, zu denen auch ein Antigewerkschaftsgesetz (nach dem Muster Wilson - Heath) von 1981 gehört. 214 Dieses Land, das, seiner liebsten modernen Legende nach, von Churchill vor der Barbarei bewahrt wurde, steuert immer tiefer in ebendiese Barbarei. Im falschen Bewußtsein der Kommandierenden aber gaukelt es sich und anderen eine Idylle vor, die Mrs. Thompson, die Frau des Offiziers für Freizeit und Erholung im Lager, in ihrem Wunsch nach einem Häuschen im schönen Süden der Insel Gestalt annehmen läßt. Ein anderer Gegensatz ist der sprachliche. Den Häftlingen George, Jack und Ted fällt er auf als Merkmal des Bildungs- und Herrschaftsprivilegs. Ted sagt, Captain Thompson spreche, als esse er einen Pfirsich - auch in Gesprächen, in denen es um das Leben von Menschen geht. Die Sprache der Offiziere und Parlamentarier kennzeichnen kühle Subtilität, distanzierende Understatements und eine spielerische, selbstironische Künstlichkeit, die Brenton den bitteren Tatsachen gegenüberstellt. Der Genuß, mit dem Brenton die Oberen das Privileg der Sprache, die Artikulationsfähigkeit, gebrauchen und mißbrauchen läßt, erhält seinen Gipfel in Zitaten, die Krieg und Vernichtung ästhetisieren: „Der Himmel über London war herrlich . . . Überall glitzerten Bomben wie Weihnachtstand." 215 Diese Worte stammen von dem katholischen Schriftsteller Evelyn Waugh, einer 10*

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Galionsfigur des literarischen Establishments (er verfaßte unter anderem eine Romantrilogie über den zweiten Weltkrieg). Dieselbe ästhetisierende Tendenz in bezug auf das Sterben weist der Autor auch bei Churchill nach. Im Spiel der Häftlinge erhebt sich Sir Winston mit der obligatorischen Zigarre aus dem Katafalk - wie Dracula, sagen sie und treiben den makabren Ulk weiter: „Vampire. Stellt euch die in der Herrentoilette der UNO vor, wie sie einander das Blut aus dem Hals saugen." 216 Dann zieht dieser von Häftlingen gemachte Churchill seine Show ab, von seiner Rede in Glasgow im Juni 1945, bei der er sich so tief beeindruckt fühlte von den Menschen der Stadt. Der am Katafalk wachende Soldat des Spiels hält ihm entgegen, wie es der Bevölkerung Glasgows, insbesondere den Armen, während der ersten Bombenangriffe im März 1941 wirklich ging. Danach wird die legendäre Version von Churchills Besuch ausgebombter Londoner Familien durch die wahrheitsgemäße widerlegt. Angeblich habe eine alte Frau gesagt: „Das ertragen wir, Chef. Zahlt es ihnen zurück." Diese Worte wurden als Anbetung Churchills und als Durchhaltelosung kolportiert. In Wahrheit aber sagte ein Mann zu Churchill: „Haben wir uns gedacht, daß Sie uns besuchen kommen . . . Das ertragen wir. Aber eines Tages werden wir es Ihnen vielleicht heimzahlen." 217 Und die Häftlinge fügen hinzu, nicht er habe den Krieg gewonnen, sondern das Volk. Was viele wußten und wissen, was aber öffentlich niemand ausspricht, das wird für Brenton zur Metapher der gefährlichen Obszönität der Herrschenden, und er läßt es die Häftlinge den Bewachern vorspielen: Churchill war von ererbter Syphilis befallen, von dunklen Ängsten, gezeichnet von den Merkmalen körperlicher und sittlicher Degeneration - ein Urteil, das in der dramatischen Kunst Brentons damit über die gesamte Klasse gesprochen wird. In der parodierenden Nachahmung zeigen die Häftlinge, wie unwürdig und erbärmlich die mächtigen Götter sind. Am Schluß versuchen sie, ihre Bewacher zu überrumpeln, aber als politisch unreife und unorganisierte Gruppe scheitern sie. Über diese Lage Englands, die Brenton schon in Revenge und in Brassneck (1973) vorausahnt, sagt er in bezug auf The Churchill Play: „Das ist die Situation, und sie besitzt eine unbarmherzige Logik. Um aus ihr auszubrechen, bedarf es nichts weniger als der revolutionären Aktion um diese Situation zu beenden, um sie zu verändern." 218 Den sichtbarsten Ausdruck fand die das gesamte Schaffen Brentons prägende Auffassung, daß die Herrschenden ihre Macht durch stereotypisierte Gewohnheiten und Bindungen zu stabilisieren ver148

suchen, denen weder eine echte Gemeinschaft noch die im Kult ihrer pseudohumanistischen Kultur vorgespiegelte Menschlichkeit zugrunde liegt, in dem mit Hare geschriebenen „Familiendrama" Brassneck. Mit Ardens The Workbouse Donkey hat es das Thema gemeinsam: die politischen und persönlichen Machenschaften um die Erringung der Macht einer Stadt. Korruption und Vendetta sind die Leitmotive. Im ersten der drei Teile erleben wir die Initiation des Kriegsveteranen und einstigen Tuchhändlers Alfred Bagley in den engen Kreis der einflußreichen Unternehmer, Finanziers und Politiker in Stanton. In der zweiten Generation kommen die Bagleys finanziell in die Bredouille, und am Schluß sehen sie in einer Art „Götterdämmerung" 219 , die das Familienoberhaupt der dritten Generation mit einem an den Titel von Bulwer-Lyttons Pompeji-Roman anklingenden Toast, „Die letzten Tage des Kapitalismus" 220 , selbstironisch beklagt, einen Ausweg nur noch im Rauschgifthandel. Der Ruin der im Imperialismus anachronistisch gewordenen Sippenherrschaft, das Ende der „großen Männer" und des „fairen" Kampfes vollzieht sich indes nicht als Akt simpler Selbstauflösung, sondern in dem heimtückischen Vorhaben, durch die Verseuchung von Kindern mit Heroin gewissermaßen die gesamte Welt in den Untergang zu stürzen. Die Existenz- und Wirkungsbedingungen der die ganze Stadt manipulierenden, wenn auch tödlich zerstrittenen Oligarchie versinnbildlichen Brenton und Hare in einer diesem Ritual angemessenen Bühnenmetapher. Sie wirkt sowohl als realistisches Element der Handlung wie als Symbol der Selbstblendung. Bagley kann nur Zugang zum großen Geld und zu den wichtigen Leuten erhalten, wenn er Freimaurer wird. Die Aufnahmezeremonie und seine baldige Wahl zum Meister der Loge spiegeln die Widersprüche zwischen einst bürgerlich-demokratisch funktionierenden Riten und den kapitalistischen Einzelinteressen der Mitglieder. Bagley, der sich von den politischen Parteien zunächst ferngehalten hat, wird von den Machtgruppen eben deshalb in führende Positionen gebracht, weil beide Parteien - die in der Loge, ihrem jeweiligen Kräfteverhältnis entsprechend, durch Geheimabsprachen die Stadt und ihre Pfründe untereinander aufteilen - mißtrauisch sind und Machtkonzentrationen verhindern wollen. Doch die Konzentration läßt sich nicht aufhalten. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere erscheint der neue Meister der Loge als Papst Callistus III. aus dem Hause der Borgia: der höchste Grad von Pseudoritualisierung und der höchste Machtrausch. Brenton und Hare verwandeln in ihrer Dramaturgie entzaubernden 149

Parodierens das Pseudoritual der kanonisierten und kanonisierenden spätbürgerlichen Respektabilität, das die unheilvolle und unheilbare Brüchigkeit des Daseins dieser Klasse bemänteln soll, in ein verräterisches, die Wahrheit ans Tageslicht bringendes Mittel: Die inthronisierten Herrscher und Amtsträger fallen, indem sie sich erheben, sie entblößen sich in ihrer Investitur. Die Parodie des Machtrituals wird in Brassneck von dem aus anderen Stücken Brentons bekannten Verfahren flankiert, das gesamte Auftreten, die sittlichen Maßstäbe und die Sprache der Träger des Rituals als elitär, eitel und häßlich zu geißeln. Das Objektivieren, das Distanzieren zum Zwecke des genaueren Anschauens verhindert beispielsweise, daß die Konvenienzehen der Lucy Bagley (eine Hochzeit wird mit der Krönung Elisabeths II. assoziiert) nicht als erschütterndes Schicksal der Beteiligten rezipiert werden. Die Autoren erschüttern die Zuschauer statt dessen mit der Tatsache, daß diejenigen, die sich in ihrer Degeneration bereichern und verlustieren, sich auch noch die Gewalt anmaßen. Sie zerschmettern Tabus, rütteln auf, den schönen Gesten zu mißtrauen und auch den eigenen eingefahrenen Gewohnheiten, die das Hinnehmen der ritualisierten Gewalt leicht machen. Brenton insbesondere verlegt sich weniger aufs Erklären, auf die künstlerische Nachbildung von komplizierten gesellschaftlichen Zusammenhängen. Er will eher anstoßen, fast schokkieren, ein produktives Entsetzen bewirken wie „ein Buschfeuer, das ins öffentliche Bewußtsein schwelt" 221 . Die karikierende Parodie, die gar nicht vorgibt, wahrheitsgetreue Nachahmungen der Wirklichkeit zu schaffen, verwendet Albert Hunt in der gleichen Wirkungsabsicht. „Dieser karikierende Darstellungsstil war nicht bloß ein technischer Kunstgriff, der einige Lacher einbringen sollte. Er war ein Wesenszug des p o l i t i s c h e n Inhalts unserer Arbeit. Denn wir luden genau deshalb die Leute ein, die Mystifizierungen der Theaterillusion zu durchschauen, weil wir sie auch einluden, die Mystifizierungen der gegenwärtigen Machtpolitik zu durchschauen. ,Er sieht vielleicht aus wie ein Idiot und redet wie ein Idiot, aber laßt euch nichts vormachen - er ist wirklich ein Idiot', sagte Groucho Marx einmal. Wir versuchten zu zeigen (in John Ford's Cuban Missile Crisis, 1970 - G. K.), daß sich niemand etwas vormachen lassen sollte, wenn während der Raketenkrise die Kennedy-Bande wie Cowboys redete und handelte: Sie w a r e n wirklich Cowboys - genauso wie Nixon und Kissinger mordende Gangster sind." 222 150

Albert Hunt hat bisher hauptsächlich als Hochschuldozent gewirkt und seine Aufgabe darin erblickt, in der Erarbeitung von mimischen Gestaltungen oder von Stückinszenierungen junge Menschen eine materialistisch-dialektische Erkenntnis gesellschaftlicher Erscheinungen zu lehren und die künstlerische Umsetzung dieser Erkenntnis zu üben. Sein Bemühen hat er in Hopes for Great Happenings. Alternatives in Education and Theatre (1976), als von Brechtschen Standards und von der Kunst der Marx Brothers bestimmt, dargelegt. 223 * Hunt wurde 1928 in Burnley als Sohn eines Arbeiters geboren. In Oxford studierte er Sprachen, wurde Lehrer an einer Oberschule in Norfolk, wo er auch in der Erwachsenenbildung der Arbeiter unterrichtete. In Shropshire nahm er die Fächer Film und Theater in seinen Unterricht auf. Als Regieassistent wirkte er an Peter Brooks Inszenierung von US mit. Er ist Mitglied des Drama-Ausschusses des Arts Council und schreibt regelmäßig für The Times Educational Supplement und New Society. Als er im Mai 1965 als Dozent an das Regional College of Art in Bradford kam, begann eine schwierige, doch höchst fruchtbare Erziehungs- und Theaterarbeit. Sie fand ihr Ende, als sich nach dem Zusammenschluß seines Kunst-College mit einem technischen College die Verwaltungen nur noch für Examensergebnisse, für schnelle Ausbildung und nicht mehr für eine gesellschaftlich wichtige Erziehung zu schöpferischem Denken und Handeln interessierten, wie er schreibt. 224 Auch Hunt handhabt die entzaubernde Parodie. Seine spezifische Form der Verfremdung ist die, daß er seine Themen in themenfremden Stilen darstellt. Er versetzt also nicht die Fabel in eine andere Umgebung, wie es etwa Brecht tat, indem er den Aufstieg Hitlers in das Gangstermilieu verlegte, sondern er erzählt sie in einem Stil, in dem gewöhnlich andere Geschichten erzählt werden. Dadurch parodiert er den fremden Stil; das heißt, er enthüllt, daß mit diesem fremden Stil meist Tatbestände verzerrt und Klischeevorstellungen erzeugt werden, die den Realitäten nicht entsprechen, sondern die kapitalistische Wirklichkeit verbrämen und falsche Wertmaßstäbe produzieren, solche nämlich, die das kapitalistische Gesellschaftssystem stützen helfen. Zugleich aber gewinnt die Fabel einige Aspekte, die bei ihrer Darstellung in der zu erwartenden Form nicht zu beobachten wären; sie rühren daher, daß der fremde Stil die Handlung mit verblüffenden Assoziationen überlagert, die direkt oder kontrastierend die Wahrheit vergnüglich erhellen. Die ersten mimischen Übungen mit Studenten trugen den Cha151

rakter von politischen Happenings. The Vietnam War Game (1966) und The Russian Revolution at Bradford (1967) machten die Stadt auf anstehende nationale und internationale Probleme aufmerksam. Da für Hunt der Krieg, seine Zerstörungen und das Sterben von Millionen Menschen rational nicht faßbar sind, setzte er sie in Bilder um, wobei er dokumentarisches Material und Augenzeugenberichte verwendete, beispielsweise in The Survivors (1968) Kollagen über den ersten Weltkrieg. Im gleichen Jahr probierte er bei der Umsetzung in Bilder die Wirkung, die davon ausgeht, wenn er vorgefertigte Bilder, bereits bekannte Bildfolgen, das heißt, sinnlich greifbare Abläufe anderer Erlebnisbereiche als verfremdenden Zugang zu den sonst nur in Abstraktionen zur Kenntnis genommenen Realitäten wählt. The Destruction of Dresden: A Carnival for St. Valentine's Eve wandelte die für Hunts Happenings übliche Spielsituation ab, indem sie das „echte" Spiel von Kindern abbildete, die eine Stadt, aus Pappe gebastelt, einreißen. Als Text werden dazu gesprochen der Auftrag zur Zerstörung Dresdens, Befehle zum Bombenangriff, Erfolgsmeldungen, Berichte von anderen Bombardements, Rechtfertigungsversuche der Beteiligten, Erklärungen, Kommentare. Guernica und Vietnam 225 bilden den gedanklichen Rahmen, das Kinderspiel die Bildfolie; am Schluß werden beide mit dem Hinweis verbunden, daß am 13. Februar 1945 in Dresden Kinder gerade Karneval feierten. Den Schritt vom mimischen Happening zum Theaterstück vollzogen Albert Hunt und die Bradford Art College Theatre Group mit Looking Forward to 1942? The Second World War Hot Gospel Show (1969). Den Erweckungsgottesdienst einer Gemeinde der Pfingstbewegung nimmt Hunt als Vorwurf und Rahmen für den Bericht über den zweiten Weltkrieg. Chamberlain und Churchill, die bürgerlichen Heiligen dieser Phase der britischen Geschichte, und ihre Wunder werden entschleiert, und diese Entschleierung wird von dem christlichen Glauben an Wunder wie diese parodierend gestützt: „Ich bin Mrs. Williams. Beim Einkaufen verlor ich meinen Ehering. Ich wußte, ich hatte gesündigt, und flehte Jesus deshalb um Hilfe an. Er aber sprach, ich solle hingehen zur vierten Toilette rechts auf dem Bahnhof. Also ging ich hin und fand meinen Ehering. Ich danke Dir, Jesus, für Deine Hilfe." 226 Wenn am Schluß Schuld, Zweck und Elend des Krieges dargelegt und die Gewissenlosigkeit der heutigen Götter und Heiligen bewiesen sind und jedermann erkennt, daß das Unheil vom Glauben an sie rührt, fordert der Prediger die Anwesen152

den (die Zuschauer) auf: „Tretet vor und gebt euch Jesus hin. Er wartet darauf, euch zu erretten, Brüder und Schwestern . . . Wer von euch vermag zu sagen: ,Ich werde morgen noch leben'? . . . Ihr mögt glauben, ihr seid sicher, wie die Menschen von Hiroshima, fünf Minuten bevor das eine Flugzeug ihre Stadt in Asche legte . . . Zögert nicht . . . Ihr werdet verbrennen . . . Glaubt, glaubt, glaubt. . ," 227 In ähnlicher Weise verfuhr Hunt in ]ames Harold Wilson Sinks the Bismarck (1971); unter parodistischem Bezug auf britische Kriegsfilme schildert dieses Stück mit realistischen und surrealistischen Mitteln den „glorreichen Rückzug Wilsons vom Sozialismus nach Dünkirchen, einen Rückzug, von dem er behauptete, es wäre ein Vormarsch, und eine Niederlage, von der er behauptete, es wäre ein Sieg" 228 . Die direkte parodistische Entlarvung imperialistischer Mythen durch verfremdende Überlagerung mit einer „echten" mimischen Gestaltungsform von Mythen gelang ihm in seinem „Leidensweg", The Passion of Adolf Hitler, or, The Oberammergau Passion Play as Performed by Adolf Hitler. Hunt läßt Hitler darin dessen Leben in der Rolle des Messias vorspielen. In einer „Mischung aus Passionsspiel, Hollywood, Pantomime und nordenglischer Music Hall" 2 2 9 verwendet Hunt auch solche Bilder wie Leonardos Abendmahl als szenisches Arrangement. Auch läßt der Text die Deutung zu - da die Schauspieler auf offener Bühne in andere Rollen schlüpfen - , daß die Nazis nicht durchgehend die Jünger Jesu spielen, sondern gelegentlich umgekehrt die Jünger Jesu die Nazis darstellen (Johannes der Täufer übernimmt zum Beispiel die Rolle Röhms). Die entzaubernde Qualität der Parodie trifft jedenfalls beide Mythen. Ein besonders kunstvolles Produkt dieser parodistischen Art gelang Hunt und seiner Gruppe mit John Ford's Cuban Missile Crisis (1970). Dieses Stück entstand anläßlich des hundertsten Geburtstages Lenins. Es behandelt die Vorgänge in und um Kuba im Oktober 1962, als Chrustschow die sowjetischen Raketen und Spezialisten von der Insel abzog, um eine blutige Auseinandersetzung, vielleicht sogar einen dritten Weltkrieg zu vermeiden, und damit die weitere sozialistische Entwicklung Kubas sicherte. Hunt verwendet hier eine parodistische Brechung zweiten Grades unter der Folie des amerikanischen Western: John F. Kennedy agiert nicht als Western-Held, sondern er wird so gezeigt, als spiele Henry Fonda ihn in einem Western, der unter der Regie John Fords gedreht wird. Lee Marvin in der Rolle des Chrustschow und Groucho 153

Marx als Präsident Batista und so weiter werden von den Zuschauern in typischen Szenen und Haltungen erkannt, die Hunt bestimmten Filmszenen nachbildete. 230 Durch Filmstop, das plötzliche Erstarren aller Bewegungen auf der Bühne, und das Einsprechen von Kommentaren werden Effekte der amerikanischen „Seifenoper", des von Firmen finanzierten und an spannenden Stellen für die Reklame ihrer Erzeugnisse unterbrochenen Fernsehfilms, erzielt. Chrustschow als Gegenspieler wird hauptsächlich durch die Kunst des taktischen Bluffs charakterisiert und im zweiten Teil aus dem parodistischen Rahmen herausgelöst; diese abweichende stilistische Behandlung mag die Geschlossenheit der Dramaturgie sprengen, ist jedoch historisch und politisch berechtigt. Die eigentliche Kritik richtet sich gegen die Kennedy-Brüder, die beinahe die ganze Welt in Flammen gesetzt hätten. Die Berechtigung, Western und Seifenoper als Folie zu benutzen, leitet Hunt nicht von kunstimmanenten Faktoren, sondern von der im kalten Krieg zunehmenden Brutalisierung des öffentlichen Lebens und des Unterhaltungsangebots der Massenmedien sowie von dem gleichzeitig steigenden Show-Wert der Politiker ab, die seit Kennedy zu den Stars der Medien wurden und sogar den Filmstars die Schau stahlen. Natürlich stehen die Kennedys für das kapitalistische Regime, nicht nur für das US-amerikanische. Sie stehlen Vieh „zum Schutze der Bestohlenen", brennen Farmen nieder und beschuldigen andere der Tat. Szenische Bilder, John Fords Regiehinweise und das •eingestreute Faktenmaterial lassen die Kennedys tatsächlich als die den Leuten etwas vorgaukelnden Betrüger, Diebe, Spieler und Brandstifter erscheinen, die sie nach Hunt tatsächlich auch sind und die es trotzdem verstanden haben, Bewunderung zu erwecken. In der distanzierten Optik der Parodie wird diese Bewunderung negiert. Das Verfahren, die Klischees des Western auf politische Vorgänge zu übertragen und gleichzeitig die politischen Akteure durch die Klischees zu karikieren, soll neugierig darauf machen, was sich hinter Karikatur und Klischee verbirgt, soll die vom Klischee implizierten Wertungen der Helden der Kritik aussetzen. Der Spaß daran ist, daß man als Zuschauer in die Rolle des Spähers gelangt, der sowohl das parodistische Abbild wie auch das parodierte Vorbild ausspioniert, der auskundschaftet, wie in diesen Klischees demokratische und volksverbundene Wertmaßstäbe der Ethik und der Politik verzerrt werden, und dessen Erkenntnislust ungeheuer gesteigert wird. Darin liegt die Qualität produktiver Wirklichkeitsaneignung 154

der Stücke dieser Art: Sie vermitteln künstlerische Erlebnisse, die das Verhältnis der Zuschauer zur Gesellschaft ändern helfen; aus passiv Gläubigen machen sie Erkennende und Mehr-wissen-Wollende, die sich mit nichts Geringerem als der Wahrheit begnügen und die Lust an ihr verbreiten werden. Für diesen demaskierenden Impuls der Dramatiker war Watergate natürlich ein höchst brauchbares, das System paradigmatisch kennzeichnendes Ereignis. Unter dem an Brechts Furcht und Elend, des Dritten Reiches anklingenden Titel The Fears and Miseries of Nixon's Reich (1974) gestaltete Hunt die Watergate-Affäre im Stile von Billy Wilders Film Sotne Like It Hot, in dem sich zwei Gangsterbanden bekriegen, während David Edgar in Dick Deterred (1974) den Watergate-Helden in das Gewand des skrupellosen Richard III. Shakespeares steckt.231 In der Geschichte des britischen Dramas hat es noch nie eine solche Fülle parodistischer Stücke gegeben. In ihr drückt sich das Vergnügen aus, sich vom Überlebten zu trennen. Es ist ein politisches Vergnügen.

Die Verwandlung der Zuschauer: Mitchell und andere Schließt McGrath' Dialektik von Darstellen und Verkörpern die Wechselwirkung der konträren Vorgänge ein, daß das abgebildete Geschehen objektiviert und die Zuschauer gleichermaßen einbezogen werden, so hat die primär distanzierende Aufgabe der parodistischen Verfremdung letztlich auch eine die Zuschauer einbeziehende Komponente, da sie auf Grund der besseren Erkenntnis des objektiven Wesens der parodistisch abgebildeten Wirklichkeit besser ins Bild dieser Wirklichkeit gesetzt werden. Einige Autoren versuchen, die Zuschauer am Bühnengeschehen direkt zu beteiligen und sie dadurch zu aktivieren. Von diesen Experimenten sind jene in unserem Zusammenhang interessant, die die Zuschauer in dem Verfahren, sie mitwirken zu lassen, zugleich in einen für sie neuartigen Abstand von der Realität bringen, so daß sie diese aus ungewohntem Blickwinkel betrachten und vielleicht mehr sehen können als von der gewohnten Position aus. Besonders reiche Wirkungen werden dort erzielt, wo die Zuschauer in diesem Spiel verwandelt werden, und zwar solchermaßen, daß ihnen ihr bisheriges Bewußtsein bestimmter gesellschaftlicher Erscheinungen als ein falsches bewußt wird. Die Beteiligung von Zuschauern an Kunstereignissen war mit den Happenings der sechziger Jahre Mode geworden. Oft wurden die 155

Anwesenden dabei aufgefordert, höchst absurde Dinge zu tun. Anstatt die Kunst des bürgerlichen Kunstbetriebs damit wiederzubeleben, haben Happenings dieser Art eher bestätigt, daß es zwischen diesem Kunstbetrieb und den Volksmassen eine tiefe Kluft gibt. Im volksverbundenen Drama hat es, wie bereits dargelegt, von je enge Beziehungen zu den Zuschauern gegeben. Theorien, welche die Misere des bürgerlichen Lebens im Spätkapitalismus auf Schwierigkeiten der Kommunikation zurückführen und diesen Kontaktverlust psychologisch und anthropologisch verabsolutieren, haben dazu geführt, daß manche Autoren und Regisseure die Barriere zwischen Zuschauern und Schauspielern mit Gewalt niederreißen wollen. Nach Auskunft von Peter Ansorge 2 3 2 haben The People Show und The Weifare State Vorstöße in dieser Richtung unternommen. Ed Berman gab seinen Theaterunternehmungen den Namen Inter-Action, was programmatisch auf die Absicht verweist, die Zuschauer an den Aktionen teilnehmen zu lassen beziehungsweise Aktionen - physische oder geistige - zwischen Schauspielern oder Zuschauern in Gang zu setzen. Diese Art der Einbeziehung des Publikums ist von jener, die zum Beispiel in den Inszenierungen der 7:84 Theatre Company zum Tragen kommt, zu unterscheiden, weil sie nicht primär von der Übereinstimmung historischer, politischer Erfahrungen und kultureller Traditionen ausgeht, sondern unabhängig vom Charakter des Publikums in der Aufführung Kontakte schafft, die auf körperlichen Aktionen oder psychologisch bestimmten Situationen beruhen und keine primär gesellschaftliche oder sozialethische Wertigkeit besitzen. So werden Zuschauer beschimpft, bespuckt, zum Entkleiden veranlaßt, an Spielen beteiligt. Das Theater übernimmt damit Aufgaben einer psychologischen Gruppentherapie, die allerdings kaum bis zu den Wurzeln von Verdrängungen und Entfremdungen vordringt. Im Gegenteil: Die Auffassung, das Leben sei ein Spiel und jeder einzelne sei darin gefangen und dazu verurteilt, eine ihm aufgezwungene Rolle zu spielen - was für das Theater Pirandello zum erstenmal dramaturgisch verarbeitete - , weist den Zuschauern ebensolche Rollen zu, in der Absicht, sie ihr Rollenspiel im wirklichen Leben wahrnehmen zu lassen. Die Grenzen der Therapie liegen in einer Persönlichkeitstheorie, die nahezu behaviouristisch von den psychischen Konstellationen entfremdeter Individuen in Situationen ausgeht, die aus dem Ensemble gesellschaftlicher Beziehungen herauspräpariert wurden, denen also wesentliche, prägende Elemente des Lebens mangeln. 156

Erst dort, wo in der Beteiligung des Publikums an mimischen Nachahmungen der Freiheiten oder Restriktionen individuellen Lebens determinierende sozialethische Grundlagen, die Widersprüche der Klassengesellschaft und das von ihr erzeugte oder bedingte Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft „ins Spiel" gebracht werden, kann diese Interaktion gesellschaftlich fruchtbar werden. Das war zum Beispiel der Fall, als The Other Company, ein Ensemble von Inter-Action, im Almost Free von James Saunders Games und After Liverpool (1971) aufführte. Im zweiten Teil dieses Stücks, einer „Pirandelloschen Untersuchung von Wirklichkeit und Wahrheit als Theaterfaktoren" 233 , versuchen vier Schauspieler, ein Stück über Vietnam aufzuführen. Dabei werden die Zuschauer aufgefordert, ihr Urteil über die von amerikanischen Soldaten verübten Grausamkeiten und Morde von My Lai zu fällen. Wenn es auch hier in erster Linie um das Verhältnis von mimischem Agieren und außertheatralischer Aktion geht, überschreitet dieses Moment Fragen des individuellen Verhaltens in der Privatsphäre. Das Publikum sollte entscheiden über ein geschichtliches Ereignis, über ethische Normen und ihre Gültigkeit für Situationen, die im wesentlichen von gesellschaftlichen, politischen Faktoren bestimmt sind. Ihr Verdikt sollten die Zuschauer als britische Theaterbesucher sprechen; das heißt, in der ihnen zugewiesenen Rolle spielten sie sich selbst, nämlich die von Außenstehenden, von Zeitgenossen der Aufführung eher denn von Zeitgenossen der zur Debatte stehenden Vorfälle. Es gibt nun auch Stücke, in denen die Zuschauer einbezogen oder angesprochen werden, als seien sie andere als eben britische iheaterbesucher der Gegenwart. Ihnen werden also andere Rollen zugewiesen, indem auf der Bühne vorgegeben wird, sie seien andere. Der Akt der Verfremdung spielt sich nicht auf der Bühne ab, sondern wird in den Zuschauerraum verlegt: Die Anwesenden sollen durch das Spiel andere werden, um in der Reflexion das Vorgeführte, aber auch ihre eigene, ihnen gewohnte Existenz als fremd zu betrachten, mit anderen Augen. John Osborne wandte diesen dramaturgischen Kunstgriff in Luther (1961) an. In der dritten Szene des zweiten Akts hält Luther seine Predigt vom 31. Oktober 1517; er spricht von der Kanzel in den Zuschauerraum, verwandelt also das Theaterpublikum von 1961 für diese Szene in Wittenberger Kirchgänger von damals. Allerdings ist die Verwandlung ziemlich unvollkommen, denn die Predigt ist einerseits zu persönlich und andererseits zu zeitlos, als daß die Einbeziehung der Zuschauer in dieser Szene es erforderlich machte, 157

daß sie sich ganz in eine andere geschichtliche Situation versetzen. Vor allem aber zieht diese Predigt Grundvoraussetzungen der gegenwärtigen britischen Gesellschaft nicht in Zweifel, so daß sie auch ohne Verwandlung in Luthers Zeitgenossen von Osbornes Zeitgenossen zu rezipieren ist.234 Eine radikalere Verwandlung des Publikums durch die direkte Aufforderung, es solle ein Urteil fällen, wird in Judgement (1974) von Barry Collins erzielt. Der junge Autor, ein Reporter aus Yorkshire, hatte sein erstes Stück 1972 in Leeds herausgebracht, And Was Jerusalem Builded Here? In einer an Arden erinnernden Sprachgebung behandelt er darin einen Ausschnitt der regionalen Geschichte der Arbeiterklasse, den Kampf der Maschinenstürmer - ein gewissermaßen noch aktuelles Thema, da heute Arbeitsplätze durch die Automatisierung gefährdet werden. 235 Nach einem Begebnis, das George Steiner in Tbe Death of Tragedy berichtet, läßt Collins in dem Monolog Judgement einen Fall von Kannibalismus durch einen Überlebenden schildern. Das Publikum wird mit der Aufgabe entlassen, ein Urteil darüber zu fällen, ob die in Not Geratenen hätten gemeinsam sterben sollen oder ob es zulässig war, wie geschehen, das Los zu werfen, um einigen oder dem letzten von ihnen die Rückkehr ins Leben zu ermöglichen.236 Collins schockiert die Zuschauer, um sie in ihrem Eingebunden-Sein in anerkannte sittliche Maßstäbe zu erschüttern und, zumindest, während das Spiel und die Pflicht zu urteilen auf sie wirken, sie in Konflikt zu den sittlichen Voraussetzungen ihres Daseins zu versetzen. Es ist zu bedauern, daß Collins für die Verlegung der Verfremdung in den Zuschauerraum ausgerechnet eine Vorlage benutzte, die von Kannibalismus unter sowjetischen Offizieren berichtet; hier kommen antikommunistische Ideen mit zum Tragen, auch wenn die moralischen Wertvorstellungen der Hauptgestalt gesellschaftsgeschichtlich unbestimmt bleiben und nicht an die sozialistische Ordnung gebunden werden. In Adrian Mitchells Man Friday (1973) wird die Beteiligung der Zuschauer an einer Urteilsfindung intensiver und genauer auf alternative gesellschaftliche Verhältnisse orientiert. Das ursprünglich als Hörspiel (1972) entstandene Werk wurde vom englischen Ensemble der 7:84 Theatre Company für das Theater eingerichtet. Adrian Mitchell wurde 1932 in London geboren. In Oxford begann er zu schreiben. Dort gab er auch die Zeitschrift Isis heraus und spielte Theater. Inzwischen liegen drei Romane und drei Gedichtbände von ihm vor. Er verfaßte eine Reihe von Fernsehspielen. Für das Theater war er 158

als Dramaturg und Autor tätig und wirkte an kollektiv erarbeiteten Inszenierungen in Bradford (bei Albert Hunt) und Lancaster mit. Er adaptierte das Marat-de-Sade-Stück von Peter Weiss für die Royal Shakespeare Company und schuf englische Fassungen der Zauberflöte und des Revisors. Für US schrieb er Liedertexte. 1971 wurde das erste seiner Stücke, Tyger, vom National Theatre aufgeführt, das im Untertitel bezeichnet wird als eine „Huldigung Blakes, gegründet auf sein Leben und Werk"; gemeint ist der revolutionär gesinnte englische Dichter der Romantik William Blake. Auf Man Friday folgte das Musical Mind Your Head (1973), eine laute und lustige Show, die in einem Londoner Linienbus spielt. Auf der Fahrt durch die Stadt steigen allerlei Leute ein und aus, was Gelegenheit zu burlesken Dialogen, Szenen und Liedern gibt, die Bürgerlichkeit verlachen und verachten. Man Friday hat die Geschichte von Robinson und Freitag zum Vorwurf. Das Stück parodiert weniger Daniel Defoes Buch (1719), als es die Vorstellungen entmythisiert, die sich in der späteren Rezeption des Buches mit der Entwicklung des Kapitalismus gebildet haben: den Glauben an die Vorherrschaft der weißen Kolonialherren in der Welt und den, daß alle von den Briten (und anderen Europäern) „zivilisierten" Eingeborenen unterwürfige, dankbare und minderwertige Kreaturen seien, wenn auch im Einzelfall erstaunlich menschlich. Mitchell beschränkt die Kritik allerdings nicht auf Robinson und den Kapitalismus und Kolonialismus des frühen 18. Jahrhunderts. Durch das dramaturgische Mittel, die Zuschauer zu verwandeln, bezieht er deren gegenwärtige, immer noch kapitalistische Gesellschaftsverhältnisse in die Kritik ein. Mitchell baut für das szenische Geschehen folgende Situation auf: Bei einer Stammesversammlung erzählt Friday von dem Verhalten des anwesenden Crusoe, damit der Stamm entscheide, ob Crusoe aufgenommen oder in seine Heimat zurückgeschickt werden solle. Vor Beginn des Spiels werden die den Saal betretenden Zuschauer von den Schauspielern über diese Situation unterrichtet und gebeten, dem Stamm für anderthalb Stunden beizutreten und dies dadurch sichtbar zu machen, daß sie ein Stück der Stammeskleidung anlegen, auf einem der einfachen Musikinstrumente mitspielen oder Lieder mitsummen. Am Schluß sollen sie sich an der Diskussion und an der Abstimmung über Crusoes weiteres Schicksal beteiligen.237 Damit wird das Publikum total in das Geschehen einbezogen, nicht aber auf der Grundlage seiner realen Existenz und seiner Übereinstimmung 159

mit den Ansichten und Absichten des Ensembles, sondern auf der Grundlage der Übereinstimmung seiner fiktiven Existenz als Stamm mit der jener drei oder vier Schauspieler in ihrer Rolle als Stammesangehörige (Friday ist der Geschichtenerzähler oder Barde des Stammes, der „Doktor" eine Art Medizinmann). Während Friday in der Beweisaufnahme die Vorfälle berichtet, werden ebendiese Vorfälle ohne Übergang oder Einschnitt sogleich von Friday, Crusoe und den von Schauspielern dargestellten Stammesangehörigen vorgespielt, wobei diese Szenen als Rückblenden beziehungsweise als nachgestellte Demonstrationen aufzufassen sind. Die erste Begegnung mit Crusoe fand am Strand der Insel statt, wohin es fünf Eingeborene verschlagen hatte. Einer war ertrunken; um seine Seele zu ehren, aßen die anderen ihn auf. Da kam Crusoe und tötete alle bis auf Friday, zu dem er dann sagte, er (Crusoe) habe Friday das Leben gerettet und ihn vor weiterem Kannibalismus bewahrt. Er nahm darauf Friday in seine Hütte und versuchte, ihm bestimmte Errungenschaften der Zivilisation beizubringen, als da sind die englische Sprache, die Friday nicht so lebensvoll wie die eigene erscheint, eine auf dem Prinzip der Bestrafung aufgebaute Erziehung und Moral, den Glauben an den allmächtigen Gott der Christen - der nach Fridays Auffassung unfähig ist, die von ihm geschaffenen Teufel unter Kontrolle zu bringen - , bürgerliche Haltungen in Liebe und Sex und den Geist sportlicher . Fairneß, vor allem aber das Prinzip des Privatbesitzes und der damit verbundenen Arbeit für Geld, wobei der Eigentümer den Lohn festsetzt. In der Tat wird ersichtlich, daß die anderen Errungenschaften mit den letztgenannten Prinzipien zusammenhängen, wenn nicht gar durch sie bedingt sind. Für Friday ist dies alles befremdlich, unnatürlich und unbequem, obwohl er auf das Prinzip von Arbeit und Lohn eingeht, um seine derzeitigen Lebensverhältnisse in der Abhängigkeit von dem mit einem Gewehr bewaffneten und auch anderweitig überlegen ausgestatteten Crusoe wenigstens aufzubessern. Dann überrumpelt er allerdings den Fremden und bringt ihn auf einem Floß zu seinem Stamm. Im Grunde genommen verhält sich Crusoe recht normal, und niemand, der in einem kapitalistischen Lande lebt, könnte eigentlich Anstoß nehmen an dem, was er tut. Fridays Reaktionen und die Lebensweise seines Stammes lassen Crusoes Verhalten jedoch in einem anderen Licht erscheinen. Friday gehört einer Gemeinschaft an, die sich auf einer vorkapitalistischen Gesellschaftsstufe befindet. 160

Alles besitzen sie gemeinsam, sie arbeiten gemeinsam und teilen alles. Gelegentlich gibt es Kämpfe, doch nichts gefährdet ernstlich ihren Frieden. Auch in der Verhandlung erweisen sie sich als freundlich und gerecht, absolut frei von einem Denken, das auf den Vorteil des einzelnen gerichtet wäre. Schon bei der Ermittlung der Fakten stellen sie alles, was dem Wohl der Gemeinschaft schadet, als staunenswert und fragwürdig hin. Das Verfahren begründet damit zugleich die Voraussetzungen, von denen aus zu urteilen ist. Wenn die Zuschauer zu Beginn nur mit äußeren Merkmalen des Stammes versehen wurden, so erhalten sie im Laufe der Beweisaufnahme auch Einblicke in die Denk- und Empfindungsweise der Eingeborenen. Sie können aber das, was Crusoe tat und was er will, nur verstehen und beurteilen, wenn sie sich diese Denk- und Empfindungsweise, diesen Maßstab des Wohls der Gemeinschaft zu eigen machen. Sie müssen sich also in die Lage eines freien und glücklichen, klassenlosen Stammes versetzen, in dem Arbeit und alle Güter im Kollektiv geteilt werden. Wenn am Schluß das Für und Wider zusammengefaßt wird - die Morde und die Versuche, Privateigentum, Lohnabhängigkeit und eine Tugendlehre des persönlichen Vorteils einzuführen - , sollen diese „Wohltaten der Zivilisation" gegen ihre möglichen Kosten abgewogen werden. Vor dem Schlußlied heißt es dazu lapidar in einer Regieanweisung: „Das Publikum entscheidet. Falls Crusoe ausgestoßen wird, geht er ab. Falls aufgenommen, setzt er sich still in die Ecke, den Kopf gebeugt, dankbar, beschämt." 238 Das ist, in der Terminologie des klassischen Dramas, die Katastrophe. Die Fabel besitzt also zwei mögliche Ausgänge, doch welcher auch immer vom Publikum realisiert wird, es scheint weniger wichtig zu sein, was mit Crusoe geschieht, als was zu diesem Zeitpunkt mit dem Publikum bereits geschehen ist: seine Verwandlung. Das Wesentliche an dieser Verwandlung ist die Tatsache, daß sie keine echte, keine vollständige Transformation darstellt. Die Zuschauer behalten ihre Staatsangehörigkeit, ihren Anzug, ihren Beruf, ihre Freunde, Feinde und Probleme. Auch während der den Ausgang der Fabel entscheidenden Diskussion wissen sie, daß sie einer Inszenierung beiwohnen und auf Wunsch des Ensembles mitwirken, freilich mit ihren eigenen Gedanken und Meinungen, die der Autor und das Ensemble nicht kennen, jedenfalls nicht im einzelnen. Das Spiel mag sie auch dazu reizen und verführen, für diese anderthalb Stunden an einem Ritual teilzunehmen, dessen Bedingungen zu akzeptieren 11 Klotz, Alternativen

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von ihnen verlangt, die Voraussetzungen ihrer realen Existenz für das Spiel auszuschalten. Aber das können sie nicht völlig, und zwar ausdem bereits genannten Grunde, daß sie das Bewußtsein ihrer realen Existenz doch gleichzeitig beibehalten, und aus dem weiteren Grunde,, daß Crusoe sie ja ständig an ihre reale Existenz gemahnt. Sie urteilen auch nicht darüber, was Crusoe den Eingeborenen im Falle seiner Aufnahme e v e n t u e l l bringen würde - denn sie wissen, was die Geschichte seit der Crusoe-Zeit, dem Aufschwung der bürgerlichen Klasse und des Kapitalismus, t a t s ä c h l i c h gebracht hat. Die Dramaturgie von Man Friday erfordert nämlich von ihnen nichts weniger, als daß sie, die Angehörigen einer kapitalistischen Klassengesellschaft, indem sie sich in das Spiel einbeziehen lassen, ganz vor* ihren realen Gesellschaftsverhältnissen und Wertvorstellungen Abstand nehmen und ebendiese Verhältnisse und ihr reales Bewußtsein, davon aus der Position einer - freilich vorkapitalistischen - klassenlosen Gesellschaft beurteilen. Das ist etwas, das sie unter dem Eindruck von Propaganda, von Argumenten oder sonstwie an sie herangetragenen Ideen oder Theorien wahrscheinlich weniger leicht zu tun bereit wären als in diesem Spiel, von dem sie wissen, daß es ein Spiel ist. Die spezifisch künstlerische, unterhaltende Form, der Spielcharakter der Inszenierung, wird hier äußerst produktiv. Diese Dramaturgie geht über das Anschauen verfremdeter Gesellschaftsverhältnisse und ihrer Erscheinungen und über das Rationalisieren eines Theatererlebnisses hinaus. Die Beteiligung an dem fiktivem Ritual löst für die Zuschauer einen komplexen, über die Aufführung hinaus wirkenden Prozeß aus, in dem neue Ansichten und neue Einsichten gewonnen, neue Erfahrungen gemacht und neue Motivierungen geweckt werden. Die auf der Bühne modellierte Welt erscheint als etwas, mit dem man etwas anfangen kann, auf das einzuwirken ist, und die reale Welt kann offenbar nicht nur abgebildet, sondern auch neu verstanden und neu gebildet werden. Die Theateraufführung wird zum Prüffeld und zum Übungsplatz, wo die Menschen ihre Kraft und Fähigkeit ausprobieren können, gemeinschaftlich zu handeln. In diesen unterhaltsamen Übungen kann man die Kunst erlernen, Alternativen zu suchen - besonders in einem Spiel, in dem die von der Geschichte genommene Alternative ihrer Negation und konstruktiven Überwindung bedarf.

Schlußbemerkung

Das britische Drama im antiimperialistischen Kampf stellt sich mithin als äußerst vielfältig und vielschichtig dar. Seine gegen das Establishment und gegen das etablierte Theater gerichteten künstlerischen und politischen Anstrengungen zielen deutlicher und direkter auf eine demokratische und sozialistische Veränderung des gegenwärtigen Gesellschaftssystems als jene des Durchbruchs vor zwanzig Jahren. Wenn heute Autoren wie Hare, Griffiths, McGrath, Hunt und andere von Revolution sprechen und sie als eine mögliche oder als die notwendige Perspektive in ihre Stücke einbringen, dann meinen sie damit nicht jenen ästhetisierenden, von Yeats abgeleiteten Begriff für „Umdrehung" des Rads der Geschichte, die immer wieder das Alte hochbringe, nur in neuer Form - einen Begriff, mit dem Katherine J. Worth (Revolutions in Modern English Drama, London 1.973) die neuen Tendenzen der konservativen Geschichtsauffassung zu subsumieren versucht. Sie meinen vielmehr eine sprungartige Entwicklung der Geschichte, das Ablösen der überlebten ökonomischen Gesellschaftsformation. Die Vielfalt neuer thematischer Akzente und neuer dramaturgischer Versuche, individueller Handschriften und kollektiver Inszenierungsstile läßt Gemeinsames erkenntlich werden: Die Autoren suchen nicht die Vollendung eines Dramentyps, einer Art, Theater zu machen; sie probieren viele Formen und Darstellungsweisen unter dem außerkünstlerischen Gesichtspunkt aus, wie sie die antiimperialistische, demokratische und sozialistische Funktion des Dramas und des Theaters am besten wahrnehmen können. Sie nutzen dabei die Überzeugungskraft ihrer Enthüllungen. Sie entmystifizieren die herrschenden gesellschaftlichen Mächte und deren neue Legenden und Mythen. Wenn sie diesen Mythen die Wahrheit absprechen, setzen sie jene Mächte, insbesondere die Monopolbourgeoisie, in der Achtung des Publikums tief herab. In den letzten Jahren haben die 11«

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Autoren begonnen, den realen Sozialismus unserer Zeit in ihr Schaffen einzubeziehen, stärker als je zuvor. Das Wesen der Gesellschaft erklären sie nicht mehr nur aus Milieustudien, als passives Sondieren von individuellen Problemen und seelischen Zuständen. Sie sind eher darauf aus, individuelle Konflikte als Momente objektiver gesellschaftlicher Bewegungen zu deuten und die Zuschauer zu befähigen, daß sie ihr Klasseninteresse erkennen, sich ein klares soziales und politisches Bild von Freund und Feind machen und die notwendigen Schlüsse aus den eigenen Erfahrungen ziehen. Das Aufdecken überindividueller Zusammenhänge und gesellschaftlicher Entwicklungen führt das Miterleben individualisierter Geschehnisse bis zur Forderung nach einer gesellschaftlichen Alternative. Sie zeigen nicht nur Niederlagen, sondern auch Siege der Arbeiterklasse, und ihre Bilder des Scheiterns enthüllen die gemachten Fehler, das Selbstverschulden, so daß die Zuschauer klüger werden als die Figuren. Dieses „alternative" Theater bildet heute die einzige Potenz, dem britischen Drama neue Impulse zu verleihen. Autoren wie Osborne, Pinter und Bond haben längst ihren Frieden mit dem Establiment geschlossen, auch wenn sie laut oder halblaut die waltende Brutalität nachbilden. Ihr Beitrag zur Entwicklung des britischen Dramas beschränkt sich in den letzten Jahren darauf, daß sie ihre dramatische Sprache und ihre gesellschaftliche Passivität vervollkommnen (Osbornes Sprache ist vielleicht sogar blasser geworden). Der vorwärtsdrängende Hauptstrom hat sie längst schon im Ufergestrüpp hängenlassen und bewegt sich weiter mit dem Anwachsen antiimperialistischer Kräfte in Großbritannien. Das Fringe-Theater bot den Nährboden dafür. Wenn Howard Brenton die Ansicht vertritt, „das FringeTheater sei gescheitert" 239 , weil es davon geträumt habe, die Gesellschaft durch eine „alternative Kultur" zu verändern, so trifft das allerdings nur eine Seite des Prozesses. Gewiß haben manche der außerhalb des kommerzialisierten Theaterbetriebs spielenden Truppen und manche Autoren solche Vorstellungen gehegt, während andere Truppen des Fringe überhaupt keine gesellschaftspolitischen Ziele verfolgten. Doch aus dieser Vielfalt von Intentionen hat sich eine Reihe von Dramatikern im Laufe der letzten Jahre politisch und künstlerisch profiliert. Auf Grund ihrer Fähigkeiten und Erfolge werden einige davon sogar vom bürgerlichen Theater, vom Londoner West End wie vom National Theatre und vom Royal Court umworben, so daß sie an beiden Fronten wirksam werden. Man könnte also eher sagen, das Fringe-Theater habe seine bisherige Funktion erfüllt und - neben

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den weiter wie bisher tätigen Wandertruppen, Kunstlabors und Studiobühnen - eine Anzahl von Autoren, Regisseuren, Schauspielern und Theaterleuten hervorgebracht, die von demokratischen und sozialistischen Positionen aus neue Wege eines gesellschaftsverändernd wirkenden Theaters suchen und beschreiten und die auch auf die Themen, Gewohnheiten, Spiel- und Rezeptionsweisen des offiziellen Theaters einen Einfluß auszuüben beginnen. Einerseits laufen sie dabei Gefahr, absorbiert zu werden, andererseits öffnen sie das offizielle Theater Standpunkten, vor denen es bisher seine Türen weitgehend verschließen konnte. D a ß das Fringe-Theater ein spezielles, ästhetisch und politisch interessiertes Publikum, eine eigene Koterie erzeugen würde, wie D a v i d E d g a r es beschreibt, 240 ließ sich nicht vermeiden, doch wurde diese Begrenzung ständig durchbrochen und der Wirkungskreis erweitert, vor allem dort, wo Stücke über das Leben und den Kampf der Arbeiter die Werktätigen ins kommunale Theater locken, wo Wandertruppen vor einer - meist aus Arbeitern, Bauern oder Fischern bestehenden - Bevölkerung spielen, die kein Theater besitzt, und wo in den vornehmlich von Angehörigen der bürgerlichen Klasse besuchten Theaterhäusern auch die Mittelschichten angesprochen werden. D a s demokratische und sozialistische Theater, das sich am Rande des bürgerlichen entwickelte und an Traditionen des volkstümlichen und politischen Theaters anschloß, hat - mit den Worten Trevor Griffiths' - „sowohl das West End wie auch die subventionierten Theater erschüttert, indem es sie zunehmend äußerst altmodisch aussehen ließ. E s (das Fringe-Theater - G . K.) zeigte, daß Theater erregender, wagemutiger, unmittelbarer ist, als es die Einrichtungen des Establishments in der Vergangenheit andeuteten" 2 4 1 . Der Nebenfluß ist zum Hauptstrom geworden; auf der Suche nach der gesellschaftlichen Alternative unternimmt dieses Theater künstlerische Vorstöße, erobert es Stoffe und Themen, probiert es Darstellungsweisen unter Vorstellungen über die Funktion der Literatur und des Theaters, die wohl kaum aus der künftigen Entwicklung des britischen Dramas wegzudenken sein werden. In diesem Vorgang, in dem die Initiative des Schaffens und der Kommunikation eines Kunstgenres auf Elemente der zweiten, auf Vorläufer der künftigen Kultur übergeht, wird die Funktion des bürgerlichen Theaters, seine Politik der Kompromisse, als unerträglich bewußt. Wenn Autoren des „alternativen" Theaters von sich und vom Theater eine parteiliche Haltung fordern, wollen sie auf diese 165

methodische Mischung von konservativen und langweiligen mit progressiven, sozialkritischen und sozialistischen Stücken als ein Verfahren aufmerksam machen, die bedeutenden Aussagen progressiver Werke durch das Nebeneinander mit der trivialen Unterhaltung der im West End üblichen Theaterkost zu relativieren und den Geschmack zu verwirren. So warnt Trevor Griffiths 1974 in einem Brief davor, daß mit dem neuen National Theatre ein beherrschendes Monopol errichtet wird, das sein Publikum mit solchem Lavieren einlullt. „Für Peter (Peter Hall, Direktor des National Theatre - G. K.) mögen die siebziger Jahre heißen, ,ins National Theatre zu gehen'; für Millionen andere werden sie bedeuten, entweder in einem sichtlich einstürzenden Gebäude des Kapitalismus umzukommen oder als Schöpfer ihres eigenen Schicksals eine neue, Gleichheit sichernde, klassenlose, furchtlose Gesellschaft zu errichten, in der die jetzt massiv Unterdrückten ihre zukünftige Freiheit abstecken und erbauen können. Das neue National Theatre kann das entweder fördern oder behindern; in keiner Weise wird ihm erlaubt werden, bloß zu spekulieren. Mit anderen Worten . . . , das Theater i s t politisch, und die Diktatur des National Theatre zu akzeptieren ist ein politischer Akt." 2 4 2 Dieser Drang, die politischen Fronten im Theater zu klären, ist jung. Als Arnold Wesker 1967 auf den Durchbruch zurückblickte, wandte er sich dagegen, eine Trennungslinie zwischen Osborne und Alun Owen (als Vertreter des gesellschaftlich engagierten, zum Realismus neigenden Dramas) und Beckett und Pinter (als Vertreter des absurden Theaters) zu ziehen; er lobte Waiting for Godot und The Birthday Party und würdigte die Zeitnähe des absurden Dramas. 2 4 3 Heute rechnet Brenton mit Beckett ab, 2 4 4 und Hare sagt: „Es gibt überhaupt keine Rechtfertigung dafür, d a ß Pinter jetzt im subventionierten Theater gespielt wird. Das ist Verschwendung des Geldes der Steuerzahler." 2 4 5 Das Gemeinschaftsgefühl der Kunstgilde, bei Wesker 1967 noch in politischer Naivität unbeschädigt, bricht auf unter dem Druck außerkünstlerischer Prozesse und differenziert sich nach den Positionen von Geschichtsauffassung und Wirkungsabsicht. Dennoch bleibt die Lage der hier betrachteten Dramatiker prekär. Ihr Engagement und ihre Vorstöße haben die gesamte britische Theaterlandschaft verändert. Sie haben die Kunst des Dramas in ihren demokratischen Traditionen neu belebt und ihr eine hoffnungsvolle gesellschaftliche Perspektive eröffnet, die sie neue Themen und Formen für neue Aufgaben suchen läßt. Doch fehlt diesen Autoren und 166

"Ensembles ein Zentrum, eine sie vereinende Kraft. Jeder muß noch, auf sich gestellt, mit den Bedingungen der Konkurrenz fertig werden, die ihnen das bestehende Gesellschaftsgefüge auferlegt; Griffiths beklagt, daß sie im Ringen um die geringe Unterstützung durch das Arts Council, ohne es zu wissen, einander gegenseitig die Chancen mindern.246 Hier liegen noch Reserven, ihre Wirksamkeit zu steigern. Im übrigen sind sie sich darin einig, daß die Befreiung des Theaters der Befreiung der Gesellschaft von der Klassenherrschaft bedarf, und daß, um eben dieses Ziel zu erreichen, alle Arten von Dramen gebraucht werden, die diesem Ziele dienen können, alle Grade von politischer Direktheit. „Was mir sicher erscheint, ist, daß zu einer Zeit, wenn unser handwerkliches Können einen echten Beitrag zur Entwicklung eines revolutionären Bewußtseins leisten kann, kein Ausdruck dieses Könnens leicht zurückgewiesen werden kann."247 Darüber, was nun real erreicht werden kann, äußert sich McGrath sehr vorsichtig, doch seine Worte über die Aufnahme von Boom in Schottland können für das gesamte „alternative" Drama und Theater in Großbritannien gelten: „Inwieweit es politisch wirksam war, kann man nicht messen und kann man nicht außerhalb des Zusammenhangs -einer viel breiteren Bewegung für ein sozialistisches Schottland sehen .zu welcher dieses Stück nur einen kleinen Beitrag leistet."248

Anmerkungen

Abkür^ungsver^ticbnis D MS MT P&P TdZ TF TQ

Drama Morning Star Marxism Today Plays and Players Theater der Zeit TF Theatrefacts Theatre Quarterly

Zitate wurden vom Verfasser übersetzt. 1 Simon Trassier: Alternative Theatre - for What? In: T Q 5 (1975) 19, S. 11. 2 Catherine Itzin: Alternative Theatre in the Mainstream. Ebenda, S. 3. 3 Jahreszahlen nach Dramentiteln beziehen sich auf die Uraufführung, nicht auf die Publikation des Textes. 4 John McGrath: The Game's a Bogey. 7:84's John Maclean Show. Edinburgh 1975, S. 43. 5 Vgl. Albert Hunt: Political Theatre. In: New Edinburgh Review (August 1975) 30, S. 5-6. 6 Bradford Art College Theatre Group: John Ford's Cuban Missile Crisis. Edited with an Introduction by Albert Hunt. London 1972, S. 24. 7 John McGrath: The Cheviot, the Stag and the Black, Black Oil. Breakish, Isle of Skye, 1975 (1. Aufl. 1974), S. 5. 8 A Play Postscript. Trevor Griffiths, Sam, Sam's Author, Talks to Nigel Andrews. In: P&P 19 (1972) 7 (April), S. 83. - Vgl. Trevor Griffiths: A Marxist View of Literature. In: MT 18 (1974) 12, S. 381-384. 9 David Edgar: Return to Base. In: New Edinburgh Review (August 1975) 30, S. 2. - Ähnliche Feststellungen werden auch über andere Kunstbereiche getroffen wie z. B. zum Fernsehspiel, vgl. Stewart Lane: Political Drama Fodder for Cynics? In: MS v. 5. 6. 1976, S. 2. 10 Martin Esslin: The Theatre of the Absurd. Revised and enlarged edition. Harmondsworth 1968, S. 420.

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11 John Russell Brown: Theatre Language. A Study of Arden, Osborne, Pinter and Wesker. London 1972, S. 12. 12 Vgl. ebenda, S. 247. 13 Vgl. ebenda, S. 14. 14 Peter Ansorge: Disrupting the Spectacle. Five Years of Experimental and Fringe Theatre in Britain. London 1975, S. 1; vgl. auch S. 56. 15 Neues Deutschland v. 22./23. 5. 1976, S. 13. 16 Vgl. Document: On the Distribution of Income and Wealth. In: MT 19 (1975) 8, S. 245-250. 17 Vgl. Jack Cohen: Big Business in Britain. In: MT 19 (1975) 7, S. 217. 18 Vgl. Jon Chadwick: Alternative Culture. In: MT 20 (1976) 3, S. 83-84; Peter Ansorge: Disrupting the Spectacle. Five Years of Experimental and Fringe Theatre in Britain. London 1975, S. 1 u. 56. 19 Vgl. Jon Bloomfield: Students, Politics and the Crisis. In: MT 19 (1975) 10, S. 295. 20 Judith Hunt: Women and Liberation. In: MT 19 (1975) 11, S. 326; vgl. auch Sue Slipman: Women in Education and the Student Movement. In: MT 19 (1975) 12, S. 356-366. 21 Alan Hunt: Marxism and Modern Social Theory. In: MT 19 (1975) 12, S. 375. 22 Probleme der kommunistischen Bewegung. Einige Fragen zur Theorie und Methodologie. Moskau 1976, S. 292. 23 The British Road to Socialism. Programme of the Communist Party. London 1968, S. 28; vgl. auch S. 28-30 u. 47-50. 24 John Gollan: Parliament, Anti-Monopoly Alliance and Socialist Revolution. In: MT 19 (1975) 9, S. 260-264. 25 Vgl. Klassenkampf nimmt an Schärfe weiter zu. Aus der Grußansprache von Gordon McLennan, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Großbritanniens. In: Neues Deutschland v. 2. 3. 1976, S. 7. 26 David Edgar: Return to Base. In: New Edinburgh Review (August 1975) 30, S. 2. 27 Autorenkollektiv: Imperialismus und Kultur. Zur kulturellen Entwicklung in der BRD. Berlin 1975, S. 492. 28 Vgl. dazu Günther Klotz: Individuum und Gesellschaft im englischen Drama der Gegenwart. Arnold Wesker und Harold Pinter. Berlin 1972, S. 36 bis 48 (Literatur und Gesellschaft) und die dort angegebene Literatur; ferner Michael Kustow: Wesker at the Half-Way House. A Personal Report. In: P&P 21 (1973) 1 (Oktober), S. 32-35; Frank Coppieters: Arnold Wesker's Centre Fortytwo: a Cultural Revolution Betrayed. In: T Q 5 (1975) 18, S. 37-54. 29 Vgl. Terry Browne: The English Stage Company at the Royal Court Theatre. London 1975, S. 56-71; Richard Findlater: Banned! A Review of Theatrical Censorship in Britain. London 1967, besonders S. 171-174; Sean Day-Lewis: Quarter. In: D (Sommer 1968) 89, S. 37.

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30 David Edgar: Return to Base. In: New Edinburgh Review (August 1975) 30, S. 2. 31 Vgl. Martin Esslin: Bond Unbound. In: P&P 16 (1969) 7 (April), S. 33, 34, 51. 32 Vgl. Guide to Underground Theatre. In: T Q 1 (1971) 1, S. 61-65. 33 Vgl. Catherine Itzin: Alternative Theatre Handbook. A descriptive guide to „theatre" companies who perform primarily in non-theatre places for non-theatre audiences. London - Los Angeles 1976. 34 Red Ladder trat auch bei der erwähnten Massendemonstration vom 21. 2. 1971 im Londoner Hyde Park auf. Vgl. Richard Seyd: The Theatre of Red Ladder. In: New Edinburgh Review (August 1975) 30, S. 36-42. 35 Zum Fringe und alternativen Theater vgl. außer der bereits angeführten Literatur auch Clive Barker: Das „Fringe" Theater in England. In: TdZ 28 (1973) 8, S. 47-49; Jonathan Hammond: A Potted History of the Fringe. In: T Q 3 (1973) 12, S. 37-46; Ronald Hayman: The Set-Up. An Anatomy of the English Theatre Today. London 1973, besonders S. 207-226; Ken Stitt: Touring Theatre Today: From Atrophy to Experiment. In: T Q 3 (1973) 12, S. 10-24; On the Road Again. Tony Coult with the Other National Theatre. In: P&P 23 (1976) 8 (Mai), S. 20-23. 36 Vgl. Ronald Hayman: The Set-Up. An Anatomy of the English Theatre Today. London 1973, S. 238. 37 Ebenda, S. 232. 38 Ebenda, S. 248. 39 Ebenda, S. 236. 40 Vgl. Barry Jones: Back on the Road. In: MS v. 15. 3. 1976, S. 4. 41 John Arden and Margaretta D'Arcy: The Ballygombeen Bequest. An Anglo-Irish Melodrama. In: Scripts (September 1972) 9, S. 36; vgl. auch John Ardcn und Margaretta D'Arcy: Das Erbe von Ballygombeen. Ein anglo-irisches Melodrama. Aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Bansemer. Mit einer Nachbemerkung von Günther Klotz. Berlin 1976, S. 89-90 (Edition Neue Texte). 42 Peter Ansorge: Disrupting the Spectacle. Five Years of Experimental and Fringe Theatre in Britain. London 1975, S. 60. - Plugged in (1972) sind drei Einakter von John McGrath. 43 Quellen vgl. Anmerkung 40: „There are more of us than them. . . " (S. 50). Bansemer übersetzt wegen des Reimes: „Wieviel mehr wir sind als sie . . ." (S. 124). 44 Vgl. Jon Chadwick: Alternative Culture. In: MT 20 (1976) 3, S. 78-85. 45 Peter Cheeseman: A Community Theatre-in-the-Round. In: T Q 1 (1971) 1, S. 77. - Cheeseman zitiert hier William Shakespeare: Hamlet, 3. Akt, 2. Szene, Z. 26-28, hier wiedergegeben nach: William Shakespeare: Sämtliche Werke. Hg. v. Anselm Schlösser. Berlin-Weimar 1964, Bd. 4, S. 320. 46 Ebenda, S. 77-78.

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47 The Knotty. A Musical Documentary. Introduction and Notes by Peter Cheeseman. London 1970, S. X. 48 Barry Russell: Stoke. In: P&P 21 (1974) 6 (März), S. 53. 49 Robin Thornber: Stoke-on-Trent. In: P&P 19 (1971) 11 (Oktober), S. 50. 50 The Knotty. A Musical Documentary. Introduction and Notes by Peter Cheeseman. London 1970, S. V. 51 Vgl. ebenda, S. 10. 52 Vgl. ebenda, S. 16. 53 Ebenda, S. 79 54 Ebenda, S. XI. 55 Vgl. ebenda, S. XII. 56 Peter Cheeseman: A Community Theatre-in-the-Round. In: T Q 1 (1971) 1, S. 79. 57 The Knotty. A Musical Documentary. Introduction and Notes by Peter Cheeseman. London 1970, S. XI. 58 Peter Cheeseman Briefs the Company. In: T Q 1 (1971) 1, S. 88. - Die Erarbeitung dieses Musicals wurde vom BBC-Fernsehen aufgezeichnet und im ersten Production Casebook der Zeitschrift T Q belegt; vgl. ebenda S. 86 bis 102. 59 Stuart Hall: Beyond Naturalism Pure. The First Five Years. In: The Encore Reader. A Chronicle of the New Drama. Edited by Charles Marowitz, Tom Milne, Owen Hale. With a Foreword by Richard Findlater. London 1965, S. 212. 60 Barry Russell: Stoke. In: P&P 21 (1974) 6 (März), S. 53. - Vgl. auch Peter Roberts: Six Into One. Victoria, Stoke. In: P&P 15 (1968) 12 (September), S. 57, der von „universellen Problemen" spricht. 61 Peter Cheeseman: A Community Theatre-in-the-Round. In: T Q 1 (1971) 1, S. 78 u. 80. 62 Peter Roberts: Six Into One. Victoria, Stoke. In: P&P 15 (1968) 12 (September), S. 57. 63 Vgl. Alan Cullen: The Stirrings in Sheffield on Saturday Night. Introductions by Alan Cullen and Colin George. Foreword by John Hodgson. London 1974, S. 5-10. 64 Alan Cullen ebenda, S. 8. 65 Michael Billington: Down the Arches. Greenwich. In: P&P 18 (1970) 3 (Dezember), S. 49. 66 Alan Plater: Close the Coalhouse Door. Based on Stories by Sid Chaplin. Songs by Alex Glasgow. London 1969, S. IX. Vgl. auch Alan Plater: Glory in the Vision of a New Society. In: MS v. 24. 6. 1971, S. 2. - Die Stimme der DDR sendete am 23. 11. 1971 eine Hörspielfassung unter dem Titel „Schwarze Goldene Hochzeit". 67 Vgl. Roy Jones: Football and Its Fans. In: MS v. 2. 4. 1973, S. 2, und ders.: Here Is a Theatre That Goes to the People. In: MS v. 4. 5. 1973, S. 4.

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68 Vgl. Mary Winter: Class Consciousness and the British Working Class. In: MT 18 (1974) 5, S. 154-157. 69 Jack Sutherland: Miners' Celebration Not to Be Missed. In: MS v. 24. 10. 1968, S. 2. 70 Alan Plater: The Playwright and His People. In: T Q 1 (1971) 2, S. 67-68. Vgl. auch Robert Cushman: Close the Coalhouse Door. In: P&P 16 (1969) 4 (Januar), S. 55-56; John Russell Taylor: The Second Wave. British Drama for the Seventies. London 1971, S. 181-186; J. W. Lambert: Plays in Performance. In: D (Winter 1968) 91, S. 28; Eric Shorter: Plays in Performance. Regions. In: D (Sommer 1972) 105, S. 29-30. 71 Ebenda, S. 68. - Hughie Green war Ansager mehrerer Fernsehshows. 72 Vgl. Jack Sutherland: Can the Theatre Ever Be Really Popular? In: MS v. 23.1.1973, S. 4. 73 Vgl. Beth Hayes: Willie Rough. In: P&P 20 (1973) 6 (März), S. 48. 74 John Maclean (1879-1923) war einer der Organisatoren des Streiks von 1915; 1918 wurde er erster Konsul der UdSSSR in Glasgow. 75 Vgl. Bill Bryden: Willie Rough. A Play. Edinburgh 1972, S. 78 u. 79 (15. Szene). 76 Ebenda, S. 83. 77 Vgl. Beth Hayes: Willie Rough. In: P&P 20 (1973) 6 (März), S. 48, und Jack Sutherland: Conflict on Red Clyde. In: MS v. 19. 1. 1973, S. 2. 78 Vgl. Theatre in the Community. Roland Rees, business organiser of Community Theatre, whose production of „The Motor Show" can be seen at the Half Moon Theatre until April 28, discusses this new group with Alan Clarke. In: MS v. 18. 4. 1974, S. 2. 79 Steve Gooch and Paul Thompson: The Motor Show. London 1975, Paperback-Vorderseite. 80 Yesterday's story, all in the past Yesterday's story, class against class Why should we tell it? What's it all for? Do yesterday's battles matter no more? The same situation is happening today The same confrontation over hours and pay The struggle continues just like in the past That's today's story, how long will it last? And what of tomorrow? What do we need? Control of the factories, control of our lives To hell with the bosses and the rest of their breed We'll continue the struggle, that's the war that we wage We'll continue the struggle till the system is changed. Ebenda, S. 71. 81 John Hammond: Fringe. In: P&P 20 (1972) 2 (November), S. 62.

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82 Vgl. Catherine Itzin, ed.: Theatrefacts. In: T Q 2 (1972) 6, S. 99 - Clive Barker schreibt, sie sei 1970 von McGrath und seiner Frau Elizabeth Maclennan gegründet worden. Vgl. Das Ensemble 7:48. Über die Arbeit einet englischen Theatergruppe. In: TdZ 31 (1976) 2, S. 48. 83 John McGrath: Fish in the Sea: Playwright's Note. In: P&P 22 (1975) 7 (April), S. 34. 84 New Directions. John McGrath Talks to Ramona Gibbs. In: P&P 20 (1972) 2 (November), S. XIV. 85 John McGrath: Boom. A Concert Party in the National Interest. Introduction. In: New Edinburgh Review (August 1975) 30, S. 9. 86 John McGrath: The Year of the Cheviot. In: P&P 21 (1974) 5 (Februar), S. 30. 87 Vgl. John McGrath: Random Happenings in the Hebrides, or, The Social Democrat and the Stormy Sea. London 1972, S. 109. 88 Vgl. John McGrath: The Game's a Bogey. 7:84's John Maclean Show. Edinburgh 1975, S. 3 u. 41. 89 Ebenda, S. 43. 90 Ebenda, S. 53. 91 Vgl. Keith Bishop: Capitalism's Con-Trick Exposed. In: MS v. 17. 3. 1976, S. 2. 92 John McGrath: The Game's a Bogey. 7:84's John Maclean Show. Edinburgh 1975, Paperback-Vorderseite. 93 John McGrath: Little Red Hen. Programmheft S. 1. 94 John McGrath: Little Red Hen (Manuskript o. O. o. J.) S. 4-6. 95 Wenn der Kritiker des Morning Star, Colin Chambers, am 2. 6. 1976 (S. 2) unter dem Titel Energetic Debate about Scotland der Inszenierung vorwirft, sie habe mit einer Lücke von fünfundzwanzig Jahren in der Rückblendenfolge wesentliche Geschichtsabschnitte ausgelassen und überdies eine Romantisierung der „linken Politik der zwanziger Jahre" betrieben, so hätte er wohl eine positivistische Vollständigkeit und offenbar auch naturalistische „Richtigkeit" befürwortet; die Angemessenheit der dramatischen Mittel für die Zielsetzung der 7:84 Theatre Company aber kam ihm offenbar nicht zum Bewußtsein. 96 Vgl. New Directions. John McGrath Talks to Ramona Gibbs. In: P&P 20 (1972) 2 (November), S. XIV. 97 In der Schlacht bei Culloden in Schottland besiegten englische Truppen 1745 die schottischen Anhänger der katholischen Dynastie der Stuarts, die Anspruch auf den englischen Thron erhoben. Auf die Niederlage der Hochländer folgte die Zerschlagung des schottischen Clan-Systems (der Sippenverbände), die Einführung kapitalistischer Landbesitzverhältnisse, die Vertreibung der Landbevölkerung und die Unterdrückung der schottischen Kultur und der gälischen Sprache. 98 John McGrath: The Year of the Cheviot. In: P&P 21 (1974) 5 (Februar), S. 30.

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99 Vgl. Ken Graves: You Must Be Joking (Belgrade, Coventry). In: MS v. 9. 9. 1971, S. 2. 100 Vgl. C. E. Sargent: The Golden Boot. In: MS v. 5. 9. 1972, S. 2; Jack Sutherland: Welly Good Show. In: MS v. 9. 11. 1972, S. 2. 101 Vgl. Steve Grant: Hard-Centre Capitalism. In: MS v. 30.3.1973, S. 2 ; Richard Drain: The Chocolate Guerrilla. In: Gambit 6 (1973) 23, S. 42 bis 43. 102 Vgl. Cordelia Oliver: Scotland. In: P&P 20 (1973) 10 (Juli), S. 67; M. G.; Trial of the Weavers. In: MS v. 12. 5. 1975, S. 2. 103 Vgl. Jack Sutherland: Tom Barker's Epic Story. In: MS v. 18. 6. 1973, S. 2. 104 Vgl. Martin Rabstein: Betteshanger Strike. In: MS v. 31. 3. 1975, S. 4. 105 Vgl. Bert Pearce: Dramatic Inspiration of Horner's Life. In: MS v. 17. 3. 1975, S. 4. 106 Vgl. Alan Slingsby: Against the Bill. In: MS v. 5. 7. 1971, S. 2. 107 Vgl. Bob Campbell: And a Stepney-Eye View. In: MS v. 6.5.1976, S. 2. - Zu diesem wie zu dem nächstgenannten Stück vgl. ferner den verärgerten bürgerlichen Kritiker Dave Robins: Daze of Hope. In: P&P 23 (1976) 10 (Juli), S. 18-19. 108 Vgl. Miners' Story Goes to Pits. Roland Rees and Jon Chadwick of the Foco Novo theatre company, which next week starts touring with a play about the General Strike, talk to Jack Sutherland. In: MS v. 31. 1. 1976, S. 4; Jack Sutherland: Class of '26 and '72. In: MS v. 21.2.1976, S. 2 ; Colin Chambers: Socialism and Liberation Are Their Themes. On a group of new plays to be seen at the ICA's Socialist theatre season. In: MS v. 10. 4. 1976, S. 2. 109 John McGrath: The Game's a Bogey. 7:84's John Maclean Show. Edinburgh 1975, S. 43. 110 Vgl. Albert Hunt: Hopes for Great Happenings. Alternatives in Education and Theatre. London 1976. 111 Vgl. John Russell Taylor: Teach and Be Damned. In: P&P 18 (1971) 12 (September), S. 14-18. 112 Steve Grant: Diplomat in a Corner. In: MS v. 14. 4. 1973, S. 2. 113 Vgl. Martin Esslin: In Search of Savages. The Critic in the Theatre No. 3. In: T Q 3 (1973) 12, S. 79-83. 114 Vgl. Christopher Hampton's Savages at the Royal Court. Production Casebook No. 12. In: T Q 3 (1973) 12, S. 78. 115 Vgl. Hampton's Court. W. Stephen Gilbert Talks to the Author of Savages. In: P&P 20 (1973) 8 (Mai), S. 36-38. - Christopher Hampton: Savages. London 1974, Introduction S. 9-12. 116 In der DDR erschienen von Norman Lewis die Romane Das zehnte Jahr des Schiffes (1970) und Flucht vor einem dunklen Äquator (1975). 117 Für die Fassung, die im West End gespielt wurde, waren entgegen Hamptons Meinung drei wichtige Szenen gestrichen worden. Es sind die Szenen

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sieben, vierzehn und siebzehn der genannten Buchausgabe: Das Geständnis Pereiras über eine Expedition zur Vernichtung der Überlebenden des Bombenabwurfs und die US-amerikanische Immobilienangebote, in Brasilien riesige Abenteuergrundstücke zu erwerben und Nachbar Prinz Rainers zu werden. 118 Christopher Hampton: Savages. London 1974, S. 39. 119 Ebenda, S. 34. 120 Ronald Bryden: Savages. In: P&P 20 (1973) 9 (Juni), S. 43. 121 Christopher Hampton's Savages at the Royal Court. Production Casebook No. 12. In: T Q 3 (1973) 12, S. 70. 122 Martin Esslin: In Search of Savages. The Critic in the Theatre No. 3. In T Q 3 (1973) 12, S. 82 u. 83. 123 Simon Trussler: Claims to Be Taken Seriously. Editorial. In: T Q 6 (1976) 21, S. 3. - Vgl. auch Andy Coyle: Harrowing but Not to Be Missed. In: MS v. 17.1.1976, S. 4; J. W. Lambert: Plays in Performance. In: D (Frühling 1976) 120, S. 41; John Lahr: The Ik. In: P&P 23 (1976) 6 (März), S. 24-25. 124 Vgl. auch Ossia Trilling: Stücke zur „irischen Frage". In: TdZ 29 (1974) 2, S. 50-51; Colin Chambers: For the Love of Ireland. In: MS v. 8. 6.1976, S. 2. 125 Vgl. John Arden. Theatre Checklist No. 7. Compiled by Malcolm Page. In: TF 2 (1975) 3 ( = TF 7), S. 2-13. - Zur Rostocker Inszenierung vgl. Ingeborg Pietzsch: Das Erbe von Ballygombeen. In: TdZ 30 (1975) 4, S. 34-35. 126 John Arden: Telling a True Tale. In: The Encore Reader. A Chronicle of the New Drama. Ed. by Charles Marowitz, Tom Milne, Owen Hale. London 1965, S. 128-129 (Mai 1960). 127 The Island of the Ardens. Pam Gems Talks to John Arden. In: P&P 20 (1973) 4 (Januar), S. 16. 128 John Arden: Telling a True Tale. In: The Encore Reader. A Chronicle of the New Drama. Ed. by Charles Marowitz, Tom Milne, Owen Hale. London 1965, S. 125. 129 John Arden and Margaretta D'Arcy: The Ballygombeen Bequest. An Anglo-Irish Melodrama. In: Scripts (September 1972) 9, S. 5. 130 Albert Hunt: Arden. A Study of His Plays. London 1974, S. 155 u. 156. 131 Vgl. John Arden: Radio Drama. In: P&P 19 (1971) 1 (Oktober), S. 59. 132 Vgl. L. S.: Anti-Market Play. In: MS v. 30.11.1971, S. 2. 133 John McGrath: The Year of the Cheviot. In: P&P 21 (1974) 5 (Februar), S. 24. 134 Ebenda. 135 Vgl. ebenda. 136 Ebenda, S. 28. 137 John McGrath: The Cheviot, the Stag and the Black, Black Oil. Breakish, Isle of Skye, 1975, S. 13.

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Ebenda, S. 29. Ebenda, S. 30. Ebenda, S. 4. Ebenda, S. 26. Vgl. ebenda, S. 24. Ebenda, S. 32. Vgl. ebenda, S. 33. John McGrath: Boom. A Concert Party in the National Interest. In: New Edinburgh Review (August 1975) 30, S. 13. 146 Ebenda, S. 21. 147 Ebenda, S. 27. 148 Ebenda. 149 Vgl. Jack Sutherland: Questions Are Not Answered. In: MS v. 14. 9. 1970, S. 2. 150 David Caute: The Demonstration. A Play. London 1973, S. 94. 151 Vgl. ebenda, S. 81. 152 Vgl. Virginia Dignam: Left Intellectual in Trouble. In: MS v. 13. 3. 1973, S. 2. 153 Vgl. A Play Postscript. Trevor Griffiths, Sam, Sam's Author, Talks to Nigel Andrews. In: P&P 19 (1972) 7 (April), S. 83; Current Concerns. Trevor Griffiths and David Hare Outline the Problems of the Contemporary Playwrights in a Interview with Peter Ansorge. In: P&P 21 (1974) 10 (Juli), S. 18; Trevor Griffiths. Theatre Checklist No. 9. Compiled by Malcolm Hay. In: TF 3 (1976) 1 ( = TF 9), S. 2 - 8 u. 36. 154 Vgl. Arnold Wesker: Casual Condemnations. A Brief Study of the Critic as Censor. In: T Q 1 (1971) 2, S. 16-30; ders.: A Cretinue of Critics. An Open Letter to Harold Hobson. In: D (Winter 1972) 107, S. 55-56; Current Concerns. Trevor Griffiths and David Hare Outline the Problems of the Two Contemporary Playwrights in an Interview with Peter Ansorge. In: P&P 21 (1974) 7 (April), S. 18-22. 155 A Play Postscript. Trevor Griffiths, Sam, Sam's Author, Talks to Nigel Andrews. In: P&P 19 (1972) 7 (April), S. 83. 156 Trevor Griffiths: A Marxist View of Literature. In: MT 18 (1974) 12, S. 382. 157 Vgl. ebenda, S. 384. 158 Trevor Griffiths: The Party. London 1974, S. 70. 159 Jack Sutherland: Revolutionary Chat in Kensington. In: MS v. 22. 12. 1973, S. 2. 160 John Hammond: Against the Liberal Grain. Green Room. In: P&P 22 (1974) 2 (November), S. 10-11. 161 Vgl. Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Bd. 3/1. Moskau 1971, S. 591-602. 162 Trevor Griffiths: The Party. London 1974, S. 10. - Mit Ausnahme des letzten Satzes und einer Kürzung des ersten ist dieser Text identisch mit

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dem zweiten Absatz von Lenins in der Prawda vom 21. 2. 1918 und in der Iswestija vom 8. 3. 1918 veröffentlichten Aufsatz Über die Revolutionäre Phrase. In: W. I. Lenin: Werke. Bd. 27. Berlin 1960, S. 1. Vgl. auch Lenins Manuskript Nachwort zu den Thesen über den sofortigen Abschluß eines annexionistischen Separatfriedens, geschrieben zwischen dem 8. und 11. Januar 1918, ebenda, Bd. 26, 1961, S. 451-452. Vgl. Gillian Oxford: Steps Toward a Community Theatre. In: MS v. 27. 2.1974, S. 4. Vgl. David Zaine Mairowitz Reviews Two Versions of Man Is Man and The Good 'Woman of Setzuan. British Brecht: 3. In: P&P 23 (1975 3 (Dezember), S. 18; vgl. auch Goochs Rezension Dialectics of Renewal. Understanding Brecht. By Walter Benjamin. In: Gambit 6 (1973) 23, S. 53-56. Steve Gooch, written in conjunction with Guy Sprung and The Half Moon: Will Wat, If Not, What Will? London 1975, Writer's Note (ohne Seitenangabe). Ebenda. Ebenda, S. 78. Vgl. dazu A. L. Morton: A People's History of England. London 1951, S. 123-129. The Year of the Half Moon. Steve Gooch on the Making of a Theatre. In: P&P 21 (1974) 4 (Januar), S. 43. Vgl. Dorothea Siegmund-Schulze: Remarks on „The Great Society" by Beverley Cross. In: Political Developments on the British Stage in the Sixties and Seventies. Wilhelm-Pieck-Universität Rostock (o. J. = 1977), S. 115-120. - May Hill: Wat Tyler - a Powerful Play. In: MS v. 22. 5. 1974, S. 2, überschätzt dieses Stück offenbar sehr. Edward Bond: Drama and the Dialectics of Violence. In: T Q 2 (1972) 5, S. 8. - Vgl. dazu auch Günther Klotz: Erbezitat und zeitlose Gewalt. Zu Edward Bonds Lear. In: Weimarer Beiträge 19 (1973) 10, S. 54 bis 65. Günther Rühle: „Ich schreibe meine Stücke mit Blut auf das Pflaster." Bericht über ein Gespräch mit Edward Bond vor der Erstaufführung seines Lear. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 29. 9. 1972. Vgl. Michael Coveney: Caucasian Critics' Circle. Green Room. In P&P 23 (1975) 1 (Oktober), S. 10. David Hare: From Portable Theatre to Joint Stock . . . via Shaftesbury Avenue. In: T Q 5 (1976) 20, S. 112. Ebenda, S. 113. - Im übrigen vgl. David Hare. Theatre Checklist No. 8. Compiled by Malcolm Page and Ria Julian. In: TF 2 (1975) 4 ( = TF 8), 5. 2 - 4 u. 10. Ebenda, S. 112. Vgl. Jack Sutherland: How the Corrupters Are Corrupted. In: MS v. 6. 3. 1974, S. 2.

Klotz, Alternativen

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178 David Hare: From Portable Theatre to Joint Stock . . . via Shaftesbury Avenue. In: T Q 5 (1976) 20, S. 114. 179 Turning Over a New Life. P&P Investigates the Background to Fanshen. In: P&P 22 (1975) 9 (Juni), S. 11-12. 180 David Hare. Fanshen. Act 1. In: P&P 22 (1975) 12 (September), S. 49. 181 David Hare: From Portable Theatre to Joint Stock . . . via Shaftesbury Avenue. In: T Q 5 (1976) 20, S. 114. 182 Current Concerns. Trevor Griffiths and David Hare Outline the Problems of Two Contemporary Playwrights in an Interview with Peter Ansorge. In: P&P 21 (1974) 7 (April), S. 20. 183 David Hare: From Portable Theatre to Joint Stock . . . via Shaftesbury Avenue. In: T Q 5 (1976) 20, S. 114. 184 Ebenda, S. 115. 185 John McGrath: Better a Bad Night in Bootle . . . In: T Q 5 (1975) 19, S. 51. 186 Ebenda. 187 Der Verf. stützt sich hier auf Robert Weimann: Shakespeare und die Tradition des Volkstheaters. Soziologie, Dramaturgie, Gestaltung. Berlin 1967. Vgl. besonders S. 33-47 u. 136. 188 Vgl. ebenda, S. 123-125. 189 Vgl. Peter Cheeseman: A Community Theatre-in-the-Round. In: T Q 1 (1971) 1, S. 71-82. 190 Vgl. John McGrath: Boom. A Concert Party in the National Interest. Introduction. In: New Edinburgh Review (August 1975) 30, S. 9 - 1 0 . 191 John McGrath: The Cheviot, the Stag and the Black, Black Oil. Breakish, Isle of Skye, 1975, S. 6. 192 Ebenda, S. 7 u. 11. 193 John McGrath: The Year of the Cheviot. In: P&P 21 (1974) 5 (Februar), S. 26. 194 Ebenda. 195 John McGrath: The Cheviot, the Stag und the Black, Black Oil. Breakish, Isle of Skye, 1975, S. 4. 196 David Caute: The Demonstration. A Play. London 1973, S. 18. 197 Ebenda, S. 39. 198 John McGrath: Better a Bad Night in Bootle . . . In: T Q 5 (1975) 19, S. 51. 199 John McGrath: The Year of the Cheviot. In P&P 21 (1974) 5 (Februar), S. 28. 200 Vgl. Robert Weimann: Shakespeare und die Tradition des Volkstheaters. Soziologie, Dramaturgie, Gestaltung. Berlin 1967, S. 38. 201 Vgl. Howard Brenton. Theatre Checklist No. 5. Compiled by Tony Mitchell. In: TF 2 (1975) 1 ( = T F 5), S. 2 - 9 . 202 Howard Brenton: Magnificence. London 1973, S. 62. 203 Howard Brenton: Petrol Bombs Through the Proscenium Arch. Inter-

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viewed by Catherine Itzin and Simon Trussler. In: TQ 5 (1975) 17, S. 18. Disrupting the Spectacle. Howard Brenton Talks to Peter Ansorge. In: P&P 20 (1973) 10 (Juli), S. 23. Ebenda. Howard Brenton: Petrol Bombs Through the Proscenium Arch. Interviewed by Catherine Itzin and Simon Trussler. In: TQ 5 (1975) 17, S. 20. Ebenda, S. 18; vgl. auch S. 14. Vgl. Underground Explorations. N o . 1: Portable Playwrights. Howard Brenton, David Hare, Malcolm Griffiths and Snoo Wilson Talk to Peter Ansorge. In: P&P 19 (1972) 5 (Februar), S. 16; Howard Brenton: Petrol Bombs Through the Proscenium Arch. Interviewed by Catherine Itzin and Simon Trussler. In: TQ 5 (1975) 17, S. 8-9.

209 Vgl. John Russell Taylor: British Dramatists. New Arrivals. The Dark Fantastic. In: P&P 18 (1971) 5 (Februar), S. 26. 210 Howard Brenton: Petrol Bombs Through the Proscenium Arch. Interviewed by Catherine Itzin and Simon Trussler. In: TQ 5 (1975) 17, S. 8. 211 Vgl. Über „Verfremdung" und anderes in der Kunst. Gespräch Ernst Schumachers mit Viktor B. Sklovskij. In: Weimarer Beiträge 22 (1976) 10, S. 33-42, besonders S. 33. - Sklovskij sagt, die Vermischung von Stilarten in einem Werk wurde schon oft angewandt, und er führt Shakespeare als Beispiel dafür an; vgl. S. 40-41. 212 Howard Brenton: Petrol Bombs Through the Proscenium Arch. Interviewed by Catherine Itzin and Simon Trussler. In: TQ 5 (1975), 17, S. 8. 213 Vgl. Underground Explorations. No. 4 : War Games. Max Stafford-Clark and Members of the Traverse Workshop Company Talk to Peter Ansorge. In: P&P 19 (1972) 8 (Mai), S. 14-17 u. 61. 214 Vgl. Howard Brenton: The Churchill Play. As it will be performed in the winter of 1984 by the internees of Churchill Camp somewhere in England. London 1974, S. 19. 215 Ebenda, S. 78. 216 Ebenda, S. 70. 217 Ebenda, S. 78-80. 218 Howard Brenton: Petrol Bombs Trough the Proscenium Arch. Interviewed by Catherine Itzin and Simon Trussler. In: TQ 5 (1975) 17, S. 15. 219 Vgl. Peter Ansorge: Nottingham. In: P&P 21 (1973) 2 (November), S. 64. 220 Howard Brenton and David Hare: Brassneck. London 1974, S. 102. 221 Howard Brenton: Petrol Bombs Through the Proscenium Arch. Interviewed by Catherine Itzin and Simon Trussler. In: TQ 5 (1975) 17, S. 20. 222 Albert Hunt: Political Theatre. In: New Edinburgh Review (August 1975) 30, S. 5 - 6 . 223 Vgl. Albert Hunt: Hopes for Great Happenings. Alternatives in Education and Theatre. London 1976, S. 147. - Die Brüder Groucho, Chico und 12*

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224 225 226 227 228 229

Harpo Marx waren Komiker des Varietés, die in amerikanischen Tonfilmen, besonders der dreißiger und vierziger Jahre, grotesk-komische Rollen spielten. Vgl. ebenda, S. 161. Vgl. The Destruction of Dresden: A Carnival for St. Valentine's Eve. (Manuskript o. O. o. J.) S. 3 - 4 . Bradford Art College Theatre Group: Looking Forward to 1942. The Second World War Hot Gospel Show. 1969 (Manuskript o. O.), S. 24. Ebenda, S. 37-38. Albert Hunt: Hopes for Great Happenings. Alternatives in Education and Theatre. London 1976, S. 114. Albert Hunt with the Bradford Art College Theatre Group: The Passion of Adolf Hitler, or, The Oberammergau Passion Play as Performed by Adolf Hitler. (Manuskript o. O. o. J.) S. 2.

230 Vgl. Bradford Art College Theatre Group: John Ford's Cuban Missile Crisis. Edited with an Introduction by Albert Hunt. London 1972, Introduction S. 6 - 2 5 . 231 Vgl. Peggy Kessel: Nixon Dons Mantle of Crooked King. In: MS v. 20. 3. 1974, S. 2. 232 Vgl. Peter Ansorge: Disrupting the Spectacle. Five Years of Experimental and Fringe Theatre in Britain. London 1975, S. 39-42. 233 Randall Craig: Experimental and Fringe Theatre. Plays in Performance. In: D (Sommer 1971) 101, S. 39. Vgl. James Saunders: Games and After Liverpool. London 1973. 234 Vgl. John Osborne: Luther. A Play. London 1961, S. 61-63. 235 Vgl. Eric Shorter: Regions. Play in Performance. In: D (Herbst 1972) 106, S. 37-39. 236 Barry Collins: Judgement. London 1974. 237 Vgl. Adrian Mitchell: Man Friday. A Play. Music by Mike Westbrook. Mind Your Head. A Return Trip with Songs. Music by Andy Roberts. London 1974, S. 7. 238 Ebenda, S. 44. 239 Howard Brenton: Petrol Bombs Through the Proscenium Arch. Interviewed by Catherine Itzin and Simon Trussler. In: T Q 5 (1975) 17, S. 10. 240 Vgl. David Edgar: Return to Base. In: New Edinburgh Review (August 1975) 30, S. 2. 241 Current Concerns. Trevor Griffiths and David Hare Outline the Problems of Two Contemporary Playwrigths in an Interview with Peter Ansorge. In: P&P 21 (1974) 10 (Juli), S. 19. 242 Trevor Griffiths: Griffiths Replies. In: P&P 22 (1974) 1 (Oktober), S. 6. 243 Vgl. Arnold Wesker: Fears of Fragmentation. London 1970, S. 9 7 - 9 8 . 244 S. oben S. 142. 245 David Hare: From Portable Theatre to Joint Stock . . . via Shaftesbury Avenue. In: T Q 5 (1975) 20, S. 111.

180

246 Vgl. Cuttent Concerns. Trevor Griffiths and David Hare Outline the Problems of Two Contemporary Playwrights in an Interview with Peter Ansorge. In: P&P 21 (1974) 10 (Juli), S. 19. 247 David Edgar: Return to Base. In: New Edinburgh Review (August 1975) 30, S. 3. 248 John McGrath: Boom. A Concert Party in the National Interest. Introduction. In: New Edinburgh Review (August 1975) 30, S. 31.

Personen- und Werkregister

Anderson, Dave 72 76 Ansorge, Peter 17 34-35 156 Antrobus, John 80 Crete and Sergeant Pepper 80 Arden, John 7 9 15 26-27 32 bis 36 44 57 66 82 89-95 115 127 137 149 152 158 Armstrong's Last Good Nigbt 36 90 The Bagman 82 The Happy Haven 89 The Hero Rises up 90 Left-Handed Liberty 90 Live Like Pigs 89 Serjeant Musgrave's Dance 27 66 89-90 115 The Waters of Babylon 89 The Workhouse Donkey 34 90149 Arden, John, und Margaretta D'Arcy (s. auch Hunt/Arden/D'Arcy) 33 35-36 82 89-95 115 127 137 152 The Ballygombeen Bequest 33 35 bis 36 89 91-95 The Island of the Mighty 82 90 The Non-Stop Conolly Show 115 137 Ashton, Jack 18 Atkinson, Anthony Barnes 102 Ayckbourn, Alan 40 Mr. Whatnot 40 Ball, John 117 Barker, Clive 11

Barnwell, F. A. L. 44 Batista y Zaldívar, Fulgencio 154 Beckett, Samuel 15 142 166 Waiting for Godot 166 Behan, Brendan 9 26-27 38 44 89 The Belt & Braces Roadshow Company England Expects 73 Weight 79 Bennett, Arnold 41 52 The Old Wives' Tale 41 Berman, Ed 30 156 Bett, John 76 134 Bicat, Tony 32 120 Blake, William 159 Bolt, Robert 36 A Man for All Seasons 36 Bond, C. G. 51 Under New Management 51 Bond, Edward 9 16 28-29 57 118 bis 119 164 Early Morning 28 Lear 118-119 Saved 28 Brecht, Bertolt 15 25-26 37 50 57 90 116 119 136 142-143 151 155 Furcht und Elend des Dritten Reiches 155 Mann ist Mann 116 Die Mutter 116 Mutter Courage 143 Brenton, Howard 32-33 81-82 89 95 120 141-150 164 166 182

Christie in Love 120 144 The Churchill Play 146-148 England's Ireland 121 Hitler Dances 82 146 Ladder of Fools 141 Lay by 81 141 Magnificence 81 141-143 Revenge 143 148 Scott of the Antarctic 145 Wesley 145-146 Brenton, Howard, und David Edgar 95 A Fart for Europe 95 Brenton, Howard, und David Hare 33 121 148-150 Brassneck 33 121 148-150 33 A Sky Blue Life Brook, Peter 88 151 Brown, John Russell 15 Brustein, Robert 83 Bryden, Bill 57-59 Benny Lynch 59 Willie Rough 57-59 Bryden, Ronald 87 Buchan, Tom 78 The Great Northern Welly Boot Show 78 Bucharin, Nikolai Iwanowitsch 108 Bulwer-Lytton, Edward George Earle Lytton 149 The Last Days of Pompeji 149 Buozzi, Bruno 109 Burrows, John (s. auch Harding/Burrows) 81 Butler, William 66 A Danish Gambit 66 Callaghan, James 13 Callistus III., Papst 149 Campton, David 40 Cannan, Denis 26 29 88 151 159 US 29 88 151 159 Cannan, Denis, und Colin Higgins 26 88

The Ik

26 88

183

Caute, David 33 82 105-106 115 137 The Demonstration 33 105-106 115 137 The Fourth World 106 Chadwick, Jon, und John Hoyland 79 The Nine Days and Saltley Gates 79 Chamberlain, Sir Arthtir Neville 152 Chaplin, Sid 52 Cheeseman, Joyce 41 The Old Wives' Tale 41 Cheeseman, Peter 39-50 52 55 bis 57 63 6 9 - 7 0 95 129 132 Cheeseman, Peter, und Peter Terson 4 1 - 5 0 52 55 57 63 95 129 The Burning Mountain 41 The Fight for Shelton Bar 41 49 The Jolly Potters 41 The Knotty 4 1 - 4 8 55 63 95 129 Six into One 41 The Staffordshire Rebels 41 46 49 Chrustschow, Nikita Sergejewitsch 153-154 Churchill, Sir Winston 146-148 152 Clark, Brian 81 Lay by 81 Cobbold, Lord 29 Collins, Barry 158 Judgement 158 And Was Jerusalem Builded Here? 158 Conolly, James 9 91 94 115 137 Coveney, Michael 119 Coward, Noel 13 Cromwell, Oliver 100 Cross, Beverley 118 The Great Society 118 Cullen, Alan 50 The Stirrings in Sheffield on Saturday Nigth 50

D'Arcy, Margaretta (s. auch Arden/ D'Arcy) 33 35-36 82 89-95 115 127 137 152 D'Aragona, Ludovico 109 Defoe, Daniel 159-162 Robinson Crusoe 159-162 Delaney, Sheila 9 26-27 36 38 Douglas-Home, William 145 Lloyd George Knew My Father 145 Edgar, David (s. auch Brenton/Edgar) 15 23 32-33 95 155 165 Dick Deterred 155 Tedereüa 95 Edward III, King 116 Egerton, Lord Francis 98 Eliot, T. S. 9 13 Elizabeth II, Queen 150 Emery, Jack 49 The Bastard King 49 Engels, Friedrich (s. auch Marx/ Engels) 59 111 Esslin, Martin 15-16 29 83 88 94 Fonda, Henry 153 Ford, Henry 62-64 Ford, John 13 80 150 153-154 Friel, Brian 89 The Freedom of the City 89 Frisch, Max 31 Herr Biedermann und die Brandstifter 31 Fry, Christopher 9 13 Gallacher, William 9 75-76 Galvan, Patrick 89 We Do It for Love 89 Gaskill, William 9 57 84 121-122 George, Colin 50 George, Lloyd 53 145 Glasgow, Alex 51-52 Gogol, Nikolai Wassilewitsch 159 Der Revisor 159

Gollan, John 23 Gooch, Steve 26 33 49 61-65 115 bis 118 127 129 Female Transport 64-65 Will Wat, If Not, What Will? 26 64 116-118 129 Gooch, Steve 26 33 49 61-65 11'5 61-64 The Motor Show 61-64 Goodman, Lord 31 Gramsci, Antonio 108-111 Grant, Steve 83 Granville, George, Duke of Sutherland 98 Gray, Simon 82 Green, Hughie 56 Griffiths, Trevor 14 32-33 66 81 105-115 121 163 165-167 All Good Men 107 Apricots 107 Bill Brand 107 Comedians 107 Lay by 81 Occupations 33 107-111 The Party 33 107 111-115 121 Sam, Sam 107 Thermidor 107 The Wages of Thin 107 Haire, John Wilson 89 Within Two Shadows 89 Hall, Peter 166 Hall, Stuart 46 Hall, Willis 36 Hammond, John 113 Hampton, Christopher 28 83-88 120 141 The Philanthropist 84 Savages 83-88 Total Eclipse 84 Treats 84 When Did You Last See My Mother? 84 Harding, John, und John Burrows 81 The Golden Pathway Annual 81 184

Hardy, Thomas 52 Tess of the D'UrberviUes 52 Hate, David 16 3 2 - 3 3 57 81 89 107 115 119-127 141 148-150 163 166 England's Ireland, 121 Fanshen 57 119-127 The Great Exhibition 120 How Brophy Made Good 120 Knuckle 121 Layby 81 121 Slag 120 Teeth 'ti Smiles 121 Haynes, Jim 30 Heath, Edward 13 19-20 62 64 70 95 147 Heathcote, R. E. 42 Henderson, Hamish 72 Freedom Come-All-Ye 72 Hepburn, Thomas 51 Higgins, Colin (s. auch Cannan/Higgins) 26 88 Hill, Joe 45 Hinchliffe, Arnold 78 Tom Baker of Camden - and the World 78 Hinton, William 122 Fanshen 122 Hitler, Adolf 82 109 146 151 153 Hobson, Harold 83 Hodgson, John 50 Holman, David 51 78 You Must Be Joking 51 78 Hooper, Ewan 50-51 Down the Arches 50 Hoyland, John (s. auch Chadwick/ Hoyland) 79 Hunt, Albert 13 22 3 2 - 3 3 80 94 141 150-155 159 163 The Destruction of Dresden 80 152 The Fears and Miseries of Nixon's Reich 155 John Ford's Cuban Missile Crisis 13 80 150 153-154

185

Hopes for Great Happenings 151 James Harold Wilson Sinks the Bismarck 153 hooking Forward to 1942 80 152 The Passion of Adolf Hitler 153 The Survivors 152 The Vietnam War Game 152 Hunt, Albert, John Arden und Margaretta D'Arcy 33 152 The Russian Revolution at Bradford 33 152 Itzin, Catherine

83

James II, King 49 Jara, Victor 72 Joseph, Stephen 40 42 Kennedy, John F. 150 153-154 Kerkow, Eberhard 63 Kissinger, Henry 103 150 Kops, Bernard 36 Leigh, Roderic 122 Lenin, Wladimir Iljitsch 33 59 78 108-109 111 114 153 Leonardo da Vinci 153 Leroy, Roland 37 Lewis, Norman 84 Lewis, Stephen 36 56 Sparrers Can't Sing (The Londoners) 56 Littlewood, Joan 26 45 50 52 56 bis 57 Livings, Henry 80 141 Nil Carborundum 80 Londonderry, Lord 53 Luther, Martin 36 118 157-158 Lynch, Jack 90 MacDonald, Ramsay 102 Maclean, John 9 - 1 0 5 8 - 5 9 7 0 - 7 2 75-76 80 Maclennan, Dolina 9 7 - 9 8 134-135 139

Maclennan, Elizabeth 75 99-101 133 135 MacMillan, Hector 78 The Rising 78 Marchais, George 37 Marcuse, Herbert 112 Marowitz, Charles 30 Marvin, Lee 153 The Marx Brothers 151 Marx, Groucho 111 150 153 Marx, Karl 59 88 96-97 111 Das Kapital 97 111 Marx, Karl, und Friedrich Engels 111 Manifest der Kommunistischen Partei 111 Maxton, James 75-76 MacGrath, John 10 14 32-35 57 65-78 80-81 89 94-103 107 127 129-139 143 155 163 166 Bakke's Night of Fame 66 Boom 70 99 102-103 131 133 166

The Cheviot, the Stag and the Black, Black Oil 14 69 77 95-102 131 133-135 Events While Guarding the Bofors Gun 66 Fish in the Sea 68-69 130 137 The Game's a Bogey 10 70-73 75 80 102 131 133 Lay o f f 70 131 Little Red Hen 35 70 73-78 131 133-134 A Man Has Two Fathers 65 Plugged in 34 68 81 Random Happenings in the Hebrides 66-68 70 129-130 Sergeant Musgrave Dances on 66 89 Soft or a Girl 68 130 The Tent 65 Trees in the Wind 68 Why the Chicken 65 yobbo Nowt 35 69

Z Cars 65 McLennan, Gordon 23 McMillan, Roddy 26 59-61 The Bevellers 26 59-61 Melville, Herman 59 Moby Dick 59 Mercer, David 104-105 Mitchell, Adrian 158-162 Man Friday 158-162 Mind Your Head 159 Tyger 159 Molière d. i. Jean-Baptiste Pouquelin 84 Le Misanthrope 84 Molotow, Wjatscheslaw 109 Mozart, Wolfgang Amadeus 159 Die Zauberflóte 159 Mussolini, Benito 109 Nichols, Peter 81-82 Forget-Me-Not Lane 81 Nixon, Richard 150 155 Norfolk, William 40 The Birds and the Wellwisbers Norton, Alex 134 Nyerere, Julius 102

40

O'Casey, Sean 16 59 89 92 104 The Bishop's Bonfire 16 Red Roses for Me 16 The Star Turns Red 16 Olivier, Laurence 111-112 Osborne, John 15 26 28 34-35 83 118 157-158 164 166 Luther 36 118 157-158 Watch It Come Down 35 Owen, Alun 166 Paterson, Bill 10 72 76 98 101 133 Pereira, Ataide 84 Phillips, W. D. 43 47 Pinter, Harold 7 9 15-16 26 36. 112 164 166 The Birthday Party 166 186

Pirandello, Luigi 156 Piscator, Erwin 50 136 Plater, Alan 51-57 65 70 129 135 Charlie Came to Our Town 52 Close The Coalhouse Door 51-56 129 135 Dotit't Build a Bridge. Drain the River 52 And a Little Love Besides 52 The Nutter 52 Simon Says . . . 52 A Smashing Day 52 Smoke Zone 52 Softly, Softly 52 Ted's Cathedral 52 When the Reds 52 Z Cars 52 65 Poliakoff, Steven 81 Lay by 81 Portable Theatre England's Ireland 89 121 141

140-141 143 155 Hamlet 39 King Lear 119 143 King Richard III 155 Measure for Measure 141 Timon of Athens 111 The Shoe String Theatre Life in a Chocolate Factory 78 Simmons, Pip 30 Simpson, N. F. 57 Sinowjew, G. J. 108 Stafford-Clark, Max 121 Steiner, George 158 The Death of Tragedy 158 Stephenson, George 42 Stoddart, Hugh 81 Lay by 81 Stoppard, Tom 33 Travesties 33 Storey, David 28 56 61 80 82 In Celebration 56 The Contractor 61 Cromwell 80 Life Class 82 Stowe, Harriet Beecher 98 Sutherland, the Dukes of 97-98 Sutherland, Jack 113 Szabo, Violette 146

Rabelais, François 141 Gargantua et Pantagruel 141 Reed, Marion 95 Say No to Europe 95 Ribbentrop, Joachim von 109 Richard II, King 116-117 Richards, Gavin 66 Riddoch, William 76 Rimbaud, Jean-Nicolas-Arthur 84 Rôhm, Ernst 153 Ross, Allan 101 133 Saunders, James 40 82 157 Cames and After Liverpool 82 157 Scott, Robert Falcon 145-146 The 7:48 Theatre Company (England) The Reign of Terror & the Great Money Trick 73 Shaftesbury, Lord 52 Shakespeare, William 39 111 119

Terson, Peter (s. auch Cheeseman/Terson) 28 4 1 - 4 9 55 63 81-82 95 129 The Adventures of Gervase Beckett 81 The Apprentices 81 Spring-Heeled Jack 81 Zigger-Zagger 81 Theatre Workshop Oh What a Lovely War 45 50 64 80 95 Thomas, J. H. 44 Thompson, Paul (s. auch Gooch/ Thompson) 61-64 Togliatti, Palmiro 108 Tressell, Robert 54 73

187

The Ragged Trousered Philanthropists 54 73 Trotzki, Lew Davidowitsch 109 114 Trussler, Simon 8 88 Tyler, Wat 9 26 64 116-118 129 Verlaine, Paul

84

Wardle, Irving 83 Waterhouse, Keith 36 Waugh, Evelyn 147 Weiss, Peter 159 Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats . . . 159 Wesker, Arnold 8 - 9 15-16 26-27 33-34 36 38-39 44 56-57 61 80 bis 82 107 166 Chicken Soup with Barley 39 The Chicken Soup Trilogy 34 Chips with Everything 80 The Friends 33 The Journalists 81 The Kitchen 27 34 61 Roots 27 34 Their Very Own and Golden City 34 82

The Wedding Feast 56 Wesley, John 145 Wheatley, John 75-76 Whitehead, E. A. 141 Wilder, Billy 155 Wilkinson, Christopher 81 Play for Rubber Go-go Girls 81 Williams, Heathcote 28 81 AC/DC 81 Wilson, Harold 13 19 34 70 147 153 Wilson, Snoo 81 89 Lay by 81 Wood, Charles 57 80 141 Cockade 80 Dingo 80 H 80 Jingo 80 Veterans 80 Woods, Phil 78 Arthur Horner 78 Out for Nine 78 In Place of Strife 78 Worth, Katherine J. 163 Yeats, William Butler

163