Internationales Versicherungsvertragsrecht. Das Versicherungsverhältnis im internationalen Vertragsrecht - Zugleich ein Beitrag zum Schutz des schwächeren Vertragspartners im IPR und zur Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Gemeinschaft. 3166449345, 9783161603037, 9783166449340


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Table of contents :
Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhalt
Abkürzungen und Sigel
Erster Teil: Grundlagen
Erster Abschnitt: Bestandsaufnahme
§ 1: Ausländische Rechte
I. Schweiz
1. Parteiautonomie
2. Objektive Anknüpfung
II. England
1. Parteiautonomie
2. Subsidiäre Anknüpfung
III. Frankreich
1. Parteiautonomie
2. Objektive Anknüpfung
IV. Vereinigte Staaten
1. Gesetzliche Kollisionsnormen
2. Kollisionsregeln des Common Law
a) Parteiautonomie
b) Objektive Anknüpfung
V. Überblick über andere Rechtsordnungen – Rechtsvergleichende Zusammenfassung
1. Parteiautonomie
2. Objektive Vertragsanknüpfung
§ 2: Deutsches Recht
I. Die herkömmlichen Anknüpfungen im Überblick
1. Parteiautonomie
2. Subsidiäre Anknüpfungen
3. Zusammenfassung
II. Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
1. Die Grundlagen
2. Versicherungsaufsicht und internationales Versicherungsvertragsrecht
3. Anknüpfungsgrundsätze
4. Ergebnisse
III. Die Entwicklung im 20. Jahrhundert
1. Das materielle Recht
2. Die-Rechtsprechung
a) Aufwertungsprobleme
b) Die Spaltung Deutschlands
c) Die Sachverhalte
3. Ergebnisse und Fragestellung
Zweiter Abschnitt: Sachnormzwecke im Kollisionsrecht
§ 3: Methodenfragen
I. Sachrechtsneutrales Kollisionsrecht
II. Methodische Neuansätze im IPR
1. „Materialisierung“ der kollisionsrechtlichen Entscheidung
2. Sachnormzweckbezogene Ansätze
a) „Politische Schule“ im IPR
b) Moderne amerikanische Strömungen
§ 4: Sachrechtszweck und Kollisionsnorm in der Theorie des 19. Jahrhunderts
I. Savignys Konzeption
1. Privatrechtsverständnis und Kollisionsrecht
a) Privatrecht
b) Kollisionsrechtliche Konsequenzen
c) Ergebnis
2. Zu den Voraussetzungen der Fragestellung vom Rechtsverhältnis her
3. Sachrechtszwecke und Kollisionsrecht
a) Allgemeine Kollisionsnormen und Sachrechtszwecke
b) Gesetzliche Kollisionsnormen
II. Kollisionsrechtstheorie in der Nachfolge Savignys
1. Ludwig v. Bar
2. Franz Kahn
III. Ergebnisse
§ 5: Sachnormzweck-gerechte Anknüpfungen als Aufgabe
I. Funktionswandel des Privatrechts und IPR
II. Sachnormzweck-Analyse bei Currie
III. Sachnormzweck und sachnormübergreifende Gesichtspunkte
IV. Folgerungen für das Recht der Versicherungsverträge
Zweiter Teil: System des deutschen internationalen Versicherungsvertragsrechts
Erster Abschnitt: Versicherungsverträge mit branchenunkundigen Versicherungsnehmern
§ 6: Versicherungsaufsicht als Schutzinstrument
I. Faktische Wirkungen der Versicherungsaufsicht
II. Rollenverteilung zwischen Versicherungsaufsicht und internationalem Versicherungsvertragsrecht
1. Bestandsaufnahme
2. Stellungnahme
a) Der Zusammenhang zwischen Versicherungsaufsicht und Versicherungsvertragsgesetz
b) Vorzüge einer Rollenverteilung zwischen Kollisionsrecht und Fremdenrecht?
c) Einwände gegen eine Rollenverteilung
(1) Faktisches Schutzdefizit der Versicherungsaufsicht
(2) Rechtliches Schutzdefizit der Versicherungsaufsicht: Korrespondenzversicherungen
(3) Gesetzesbindung der Versicherungsaufsicht
III. Gleichlauf zwischen Versicherungsaufsichtsrecht und IPR?
1. Ausdrückliche kollisionsrechtliche Regelung in den §§ 105 ff. VAG?
2. Sinn und Zweck der §§ 105 ff. VAG
a) Rechtsvergleichende Aspekte
b) Zur Auslegung der §§ 105 ff. VAG
c) Stellungnahme
(1) Verklammerung zwischen Versicherungsaufsichtsgesetz und Versicherungsprivatrecht?
(2) Kollisionsrechtliche Wirkungen der Zulassung zum inländischen Geschäftsbetrieb?
(a) Privatrechtswirkungen des Aufsichtsrechts
(b) Geschäftserlaubnis für Unternehmen mit Sitz im Inland
(c) AVB-Kontrolle und Geschäftserlaubnis
(3) Einwände gegen eine kollisionsrechtliche Relevanz des § 105 VAG
§ 7: Sachnorm- und ergebnisorientierte Schutztechniken im IPR
I. Negativer ordre public
1. Zur Terminologie
2. Zur Konkretisierung des negativen ordre public
3. Negativer ordre public und Versicherungsnehmerschutz
II. § 12 AGBG
1. Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes
2. Rechtspolitisches Grundanliegen und rechtsmethodischer Ausgangspunkt
3. „Berücksichtigung“ im Sinne von § 12 AGBG
a) Ausländisches dispositives Vertragsrecht als Wertungsgrundlage
b) Zusammentreffen des § 12 AGBG mit ausländischer AGB-Kontrolle
4. § 12 AGBG und Versicherungsnehmerschutz
III. Positiver ordre public, versteckte Kollisionsnormen, Sonderanknüpfung zwingenden Schuldrechts
1. Bestandsaufnahme
a) Positiver ordre public
b) Versteckte Kollisionsnormen
c) Sonderanknüpfung zwingenden Schuldrechts
2. Analyse
a) Gründe für eine gesonderte Anknüpfung
b) Der Inhalt der Sachnormen
c) Sachnormorientierte Vertrags- oder Sonderanknüpfung im internationalen Versicherungsvertragsrecht
IV. Better-law-approach
1. Bestandsaufnahme
2. Kritik
V. Günstigkeitsprinzip
1. Bestandsaufnahme
2. Günstigkeitsprinzip und internationales Versicherungsvertragsrecht
§ 8: Objektive Anknüpfung (I) – Herkömmliche Ansätze
I. Generalisierende Anknüpfungen
1. Lex loci contractus
a) Begründungen
b) Lex loci contractus und Versicherungsnehmerschutz
2. Erfüllungsort
a) Begründungen
b) Erfüllungsort und Versicherungsnehmerschutz
3. Personalstatut des Schuldners
a) Begründungen
b) Personalstatut und Versicherungsnehmerschutz
II. Individualisierende Anknüpfungsmethode
1. Die Rechtsprechung
2. Begründungen
3. Rechtssicherheit im internationalen Vertragsrecht
a) Rechtssicherheit als Verfassungsgebot
b) Bedingungen der Verwirklichung von Rechtssicherheit
c) Gründe für die Formulierung relativ bestimmter Anknüpfungen im internationalen Vertragsrecht
III. Typisierende Ansätze
1. Vertragstypenansatz und Maßgeblichkeit der vertragstypischen Leistung
2. Das Prinzip der charakteristischen Leistung
a) Begründungen
b) Kritik
(1) Vertragstypisierende Kollisionsnormen?
(2) Zum Wesen des Vertrages
(3) Zur Lokalisierung der charakteristischen Leistung
(a) Grundlagen
(b) Objektive Ausnahmefälle
(c) Die Niederlassung als Anknüpfungspunkt
(4) Charakteristische Leistung und Schutzzwecke des Sachrechts
(5) Ergebnis
3. Typisierende Interessenabwägungen
a) Der Vorrang der massenförmig erbrachten Leistung
b) Die Maßgeblichkeit der berufsmäßig erbrachten Leistung
c) Die Maßgeblichkeit der gewerbsmäßig erbrachten Leistung
d) Die Maßgeblichkeit der schwierigeren Leistung
e) Der Grundsatz der stärkeren Partei
f) Ergebnis
4. Das Betriebsstatut des Versicherers
a) Begründungen
(1) Prinzip der charakteristischen Leistung
(2) Massenvertragscharakter und Gefahrengemeinschaft
(3) Faktische Wirkungen der Versicherungsaufsicht
(a) Bedeutung für die Vertragsanknüpfung
(b) Statut der Niederlassung
(c) Zur Abgrenzung des Statuts der Niederlassung
b) Interessenwertungen
(1) Vernachlässigung der Interessen der Versicherungsnehmer
(2) Massencharakter des Versicherungsvertrages
(3) Gefahrengemeinschaft und Risikoausgleich
(4) Auswirkungen der Versicherungsaufsicht
c) Faktische Wirkungen des Betriebsstatuts
§ 9: Objektive Anknüpfung (II) – Versicherungsnehmerschutz durch eine marktorientierte Vertragsanknüpfung
I. Die relevanten Interessen
1. Die Interessen der Versicherungsnehmer
a) Zur Anwendung des Umweltrechts
b) Uneingeschränkte Anknüpfung an den Wohnort als Maximalschutz
c) Interesse an der Anwendung ausländischen Rechts
2. Die Interessen der Versicherer
3. Allgemeininteressen
a) Funktionsfähigkeit der Versicherung
b) Marktordnung und Wettbewerb
c) Spezifisch internationale Interessen der Gemeinschaft
d) Effektivität
II. Interessenkoordinierung und Interessenabwägung
1. Inländisches Publikum und inlandsbezogenes Versicherungsgeschäft ausländischer Versicherer
a) Die Sachverhalte
b) Das Grundproblem
(1) Internationaler Handel und national-staatliche Entscheidungszuständigkeit
(2) Kollisionsrechtliche Praxis
c) Informationsrisiken bei Massenverträgen
d) Folgerungen
2. Inländisches Publikum und auslandsorientierte Nachfrage
a) Im Ausland vermittelte Verträge
b) Korrespondenzversicherungsverträge
3. Inländische Versicherer und ausländisches Publikum
III. Konkretisierung eines versicherungsnehmerschutz-orientierten Anknüpfungspunktes
1. Belegenheit des Risikos
a) Bestandsaufnahme
b) Analyse
2. Wohnort (gewöhnlicher Aufenthalt) des Versicherungsnehmers
a) Bestandsaufnahme
b) Analyse
3. Der Markt als Anknüpfungspunkt
a) Bestandsaufnahme
(1) Marktorientierte Ansätze im internationalen Vertragsrecht
(2) Internationales Deliktsrecht
(3) Vertriebsorientierte Steuerung zwischenstaatlicher Unternehmenstätigkeit im internationalen Verwaltungsrecht
(4) Marktorientierte Verbraucherschutznormen im IPR
b) Marktanknüpfung und Versicherungsnehmerschutz
c) Konkretisierung des Anknüpfungsmerkmals „Markt“
(1) Markt
(2) Vertriebsbezogene Kriterien
(3) Nachfrageorientierte Kriterien
(4) Zum Zusammenhang zwischen Vertriebspolitik und Nachfrageverhalten
(5) Ergebnis
4. Zur Reichweite der marktorientierten Anknüpfung
a) Personaler Anwendungsbereich
b) Gruppenversicherungsverträge
c) Versicherungsvertragsstatut und Gesellschaftsstatut
(1) Bestandsaufnahme und Problemstellung
(2) Analyse
§ 10: Subjektive Anknüpfung – Die Rolle der Parteiautonomie
I. Begründungen und Schranken der Parteiautonomie
1. Kollisionsrechtliche Zwecke
2. Parteiautonomie und zwingende Normen des Sachrechts
3. Parteiautonomie und Richtigkeitsgewähr
4. Spezielle Schranken der Parteiautonomie im internationalen Versicherungsvertragsrecht?
a) Versicherungstechnische Gesichtspunkte
b) Einwirkung der Versicherungsaufsicht
c) Schutz des Versicherungsnehmers
5. Instrumente der Rechtswahlkontrolle
a) Allgemeine Schranken der Parteiautonomie im deutschen internationalen Vertragsrecht
b) § 10 Nr. 8 AGBG
(1) Wortlaut, systematischer Zusammenhang, Entstehungsgeschichte, Zweck
(2) Einwände gegenüber einer schutzzweckorientierten Auslegung
(a) Widersprüche zur subsidiären Anknüpfung?
(b) Ausreichender Schutz durch § 12 AGBG?
(c) Erfordernisse des internationalen Wirtschaftsverkehrs?
(d) Ausschluß eines verbraucherfreundlichen ausländischen Rechts?
(e) Ergebnis
(3) Zur Konkretisierung des Kriteriums „anerkennenswertes Interesse“
(a) Gesetzesbegründung
(b) Schrifttum
(c) § 10 Nr. 8 und § 12 AGBG
(d) „Anerkennenswertes Interesse“ und objektive Anknüpfung
(aa) AGB-Kontrolle und Prüfungsmaßstab
(bb) Zum Verhältnis von § 10 Nr. 8 AGBG und objektiver Vertragsanknüpfung
(4) Einzelfragen
(a) Teilverweisung und materiellrechtliche Verweisung
(b) Rechtsfolgen bei Unwirksamkeit der Rechtswahlklausel
(c) Zum personalen Anwendungsbereich des § 10 Nr. 8 AGBG
(d) Analoge Anwendung des § 10 Nr. 8 AGBG
(5) Entwurf des IPR-Gesetzes
II. System der Rechtswahlkontrolle im internationalen Versicherungsvertragsrecht
1. Zulässigkeit der Rechtswahl
a) Versicherungsverträge mit nicht-kaufmännisch tätigen Versicherungsnehmern
(1) Rechtswahlklauseln in AVB
(2) Individualvertragliche Rechtswahl
(a) Einschränkungen der Parteiautonomie zum Schutz des Verbrauchers in neueren Gesetzen und Gesetzentwürfen
(b) Beschränkung der Parteiautonomie auch bei individualvertraglicher Rechtswahl?
(3) Rechtswahlergänzende Anknüpfung zwingender Schutznormen
(a) Problemstellung
(b) § 12 AGBG
(c) „Berücksichtigung“ inländischen Versicherungsnehmerschutzrechts
(d) Zur Technik der Berücksichtigung
(aa) Bedingte oder unbedingte Anknüpfung?
(bb) Zur Vergleichsproblematik
(cc) Ergebnisse
(e) Allseitigkeit der rechtswahlergänzenden Anknüpfung zwingender Versicherungsnehmerschutznormen
b) Versicherungsverträge mit Kaufleuten
(1) Rechtswahlklauseln in AVB und Formularverträgen
(a) § 10 Nr. 8 AGBG
(b) § 9 I in Verbindung mit § 24 Satz 2 AGBG
(c) Zulässigkeitsschranken für Rechtswahlklauseln in AGB außerhalb des AGB-Gesetzes
(2) Individual-vertragliche Rechtswahlvereinbarungen
(3) Rechtswahlergänzende Berücksichtigung zwingender Schutznormen
c) Gruppenversicherungsverträge
2. Zustandekommen des Verweisungsvertrages
a) Individualvertragliche Rechtswahl
b) Rechtswahlklauseln in AVB
(1) Einbeziehung der AGB in den Hauptvertrag
(2) Verweisungsvertrag
Zweiter Abschnitt: Versicherungsverträge mit branchenkundigen Versicherungsnehmern
§ 11: Ansätze zur Überwindung der kollisionsrechtlichen Fragestellung bei Verträgen des internationalen Handelsverkehrs
I. Die Lehre von einem „anationalen“, „autonomen“ internationalen Handelsrecht
II. Zur Tragweite der Parteiautonomie im internationalen Handelsverkehr
1. Der „rechtsordnungslose“ Vertrag
2. „Allgemeine Rechtsgrundsätze“ als zuordnungsfähiges Rechtssystem
3. Transnationales Recht
§ 12: Parteiautonomie
I. Schranken der Rechtswahlfreiheit
II. Zur Ermittlung des realen Parteiwillens
1. Ausdrückliche Rechtswahl
2. Stillschweigende Rechtswahl
III. Zustandekommen des Verweisungsvertrages
§ 13: Objektive Vertragsanknüpfung
I. Rückversicherung
1. Bestandsaufnahme
2. Die maßgebenden Anknüpfungen
a) Die akzessorische Anknüpfung
b) Das Statut des Rückversicherers
c) Das Statut des Erstversicherers
II. See-, Gütertransport-, Kreditversicherungen
1. Bestandsaufnahme
2. Betriebsstatut des Versicherers
III. Versicherung für fremde Rechnung; Mitversicherung
Dritter Abschnitt: Pflichtversicherungen
§ 14: Privatrechlicher Drittschutz durch öffentlich-rechtliche Steuerungsinstrumente: Bestandsaufnahme und Analyse
I. Zum Verhältnis von Verwaltungskontrolle und Kollisionsrecht
II. Zwang zur Inlandsdeckung
III. Versicherung des grenzüberschreitenden Transport-, Flug- und Kraftfahrzeugverkehrs
IV. Zusammenfassung
§ 15: Drittschutz und Kollisionsrecht
I. Anknüpfung der Drittschutznormen
II. Zur kollisionsrechtlichen Behandlung einer Versicherungsbescheinigung
1. Materiellrechtliche Bedeutung
2. Kollisionsrechtliche Aspekte
III. Versicherungspflicht und Vertragsstatut
Vierter Abschnitt: Zum Anwendungsbereich des Versicherungsvertrags statuts
§ 16: Zustandekommen, Inhalt und Wirkungen des Vertrages
I. Der Grundsatz der umfassenden Geltung des Vertragsstatuts
1. Allgemeines
2. Einbeziehung der Versicherungsbedingungen
3. Sprachprobleme
II. Auslegung des Vertrages
III. Handelsbrauch
1. Handelsbrauch und Kollisionsrecht
2. Handelsbrauch in der Rückversicherung
IV. Form
§ 17: Einzelfragen
I. Drittberechtigung aus dem Versicherungsvertrag
II. Forderungsübergang
1. Rechtsgeschäftliche Forderungsabtretung
2. Gesetzlicher Forderungsübergang
III. Schuld- und Vertragsübernahme
IV. Doppelversicherung
V. Ansprüche Dritter in der Haftpflichtversicherung
1. Drittschutz im Konkurs
2. Direktanspruch des Dritten außerhalb der Pflichthaftpflichtversicherungen
VI. Rechtsstellung der Realgläubiger in der Immobiliarversicherung
Dritter Teil: Europäisches internationales Versicherungsvertragsrecht
§ 18: Die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit in der EWG
I. Bestandsaufnahme
II. Niederlassungsfreiheit
III. Dienstleistungsfreiheit
1. Zur Auslegung des Art. 59 EWGV
2. Art. 59 EWGV und Versicherungswirtschaft
a) Versicherungsaufsicht
b) Zwang zur Inlandsdeckung
3. Förderung der Dienstleistungsfreiheit durch Rechtsangleichung
a) Rückversicherung
b) Mitversicherung
c) Schadenversicherung
(1) Teilmarkt-Modell als erster Integrationsschritt
(2) Binnenmarkt-Modell
(3) Kompromiß-Modelle
IV. Fragestellung
§ 19: Grundlagen für eine kollisionsrechtliche Lösung
I. EWG-Vertrag und IPR
1. EWG-Vertrag und Privatrecht
2. EWG-Vertrag und nationale Kollisionsnormen
a) Art. 7 EWGV
b) Artt. 30 und 59 EWGV
3. EWG-Vertrag und sekundäres Gemeinschaftsrecht
II. IPR und Harmonisierung des Versicherungsvertragsrechts
1. Der Zusammenhang zwischen Vertragsharmonisierung und internationalem Versicherungsvertragsrecht
2. Massenversicherungen
a) Internationalprivatrechtliche Interessenlage
b) Parallele zum freien Warenverkehr
c) Art. 8 EuGVÜ
d) Ziele des EWG-Vertrages
e) Ergebnis
3. Pflichtversicherungen
4. Transport- und Großrisikenversicherung
5. Zusammenfassung und Folgerungen
III. Kollisionsrecht und Versicherungsaufsicht
1. Aufsichtszuständigkeit und Kollisionsrecht
2. Aufsichtsrecht und Kollisionsrecht
a) Fortbestand divergierender Aufsichtssysteme
b) Harmonisiertes Aufsichtsrecht und Kollisionsrecht
§ 20: Anknüpfungsgrundsätze
I. Versicherungsverträge mit schutzbedürftigen Versicherungsnehmern
1. Zur Abgrenzung des Personenkreises
a) Das Problem
b) Die Vorschläge der EG-Kommission
c) Die Abgrenzungskriterien
(1) Kaufmannseigenschaft des Versicherungsnehmers
(2) Größenkriterien
(3) Vertragstypenabgrenzung
2. Objektive Vertragsanknüpfung
a) Belegenheit des Risikos
(1) Artt. 59 und 7 EWGV
(2) Aufsichtsrechtliche Erwägungen
(3) Kollisionsrechtliche Erwägungen
b) Gewöhnlicher Aufenthalt des Versicherungsnehmers
c) Marktanknüpfung
3. Subjektive Anknüpfung: Parteiautonomie
a) Das Problem
b) Parteidispositive materielle Staatsaufsicht
c) Harmonisierung der Schranken der kollisionsrechtlichen Parteiautonomie?
(1) Zulässigkeit der Parteiautonomie
(2) Schranken der Rechtswahl
(a) Zwingende Versicherungsnehmerschutznormen
(b) Rechtswahlklauseln in Versicherungsbedingungen
(c) Rechtswahlfreiheit und Gruppenversicherung
II. Versicherungsverträge mit typischerweise branchenkundigen Versicherungsnehmern
1. Parteiautonomie
2. Objektive Anknüpfung
III. Pflichtversicherungen
1. Das Problem
a) Herstellung der Dienstleistungsfreiheit
b) Erleichterung des freien Dienstleistungsverkehrs
2. Aufsichtsstatut für Pflichtversicherungen
3. Kollisionsrechtliche Konsequenzen
a) Objektive Vertragsanknüpfung
b) Versicherungsbescheinigung
c) Rechtswahl
IV. Rechte Dritter
V. Anwendungsbereich
Literaturverzeichnis
Sachverzeichnis
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Internationales Versicherungsvertragsrecht. Das Versicherungsverhältnis im internationalen Vertragsrecht - Zugleich ein Beitrag zum Schutz des schwächeren Vertragspartners im IPR und zur Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Gemeinschaft.
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Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht 49 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Professor Dr. Ulrich Drobnig, Professor Dr. Hein Kötz und Professor Dr. Dr. h. c. Ernst-Joachim Mestmäcker

Internationales Versicherungsvertragsrecht Das Versicherungsverhältnis im internationalen Vertragsrecht Zugleich ein Beitrag zum Schutz des schwächeren Vertragspartners im IPR und zur Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Gemeinschaft

von

Wulf-Henning Roth

ART! BUS

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 1985

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Juristischen Fakultät der Universität München gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Roth, U-UlfHenning:

Internationales Versicherungsvertragsrecht: d. Versicherungsverhältnis im internat. Vertragsrecht- zugl. e. Beitr. zum Schutz d. schwächeren Vertragspartners im !PR u. zur Dienstleistungsfreiheit in d. Europ. Gemeinschaft/ von Wulf-Henning Roth. Tübingen: Mohr, 1985. (Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht; 49) ISBN 3-16-644934-5 / eISBN 978-3-16-160303-7 unveränderte eBook-Ausgbe 2022 ISSN 0340-6709 NE:GT

© J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 1985 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz und Druck: Gulde-Druck GmbH, Tübingen; Einband von Großbuchbinderei Heinrich Koch, Tübingen. Printed in Germany.

Vorwort

Die vorliegende Arbeit hat im Sommersemester 1983 als Habilitations­ schrift der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität Mün­ chen vorgelegen. Für die Drucklegung wurde sie auf den Stand von 1984 gebracht. Der deutsche Entwurf eines IPR-Gesetzes wurde ebenso eingear­ beitet wie die neueren Entwicklungen im Recht der Europäischen Gemein­ schaften. Später erschienenes Schrifttum und die Rechtsprechung wurden jedoch ohne Anspruch auf Vollständigkeit - noch berücksichtigt. Mein Dank gilt meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Ernst Stein­ dorff, der mich in meinen Assistentenjahren in vielfältigster Weise gefördert und mir zugleich größte Freiheiten eingeräumt hat. Für vielfältige Anregun­ gen bin ich dem Korreferenten der Arbeit, Herrn Professor Dr. Erik Jayme, sehr verbunden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat mir in großzügiger Weise ein Stipendium gewährt. Dafür und für den Druckkostenzuschuß sage ich herzlichen Dank. Den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und interna­ tionales Privatrecht, Hamburg, danke ich für die Aufnahme in diese Schrif­ tenreihe des Instituts. Meine ehemaligen Bonner Mitarbeiter, Frau Beate Mühlens, Frau Barbara Scholz, Frau Susanne Schäfer und Herr Lothar Boll sowie Frau Hildegard Köbl vom Institut für Wirtschafts- und Arbeitsrecht der Universität ErlangenNürnberg und Herr Carsten Dageförde, München, haben mir wertvolle Hilfe bei den angefallenen Schreib- und Korrekturarbeiten geleistet.

Erlangen, im November 1985

Wulf-Henning Roth

Einleitung...............................................................................................................

1

Erster Teil

Grundlagen Erster Abschnitt: Bestandsaufnahme...................................................................................

4

§ 1: Ausländische Rechte..................................................................................................... § 2: Deutsches Recht...........................................................................................................

4 44

Zweiter Abschnitt: Sachnormzweckeim Kollisionsrecht................................................ § 3: Methodenfragen........................................................................................................... §4: Sachrechtszweck und Kollisionsnorm in der Theorie des 19. Jahrhunderts............. § 5: Sachnormzweck-gerechte Anknüpfungen als Aufgabe.............................................

110 110 125 151

Zweiter Teil

System des deutschen internationalen Versicherungsvertragsrechts Erster Abschnitt: Versicherungsverträge mit branchenunkundigen Versicherungsneh­ mern ......................................................................... § 6: Versicherungsaufsicht als Schutzinstrument............................................................. §7: Sachnorm-und ergebnisorientierte Schutztechniken im IPR................................... § 8: Objektive Anknüpfung (I)-Herkömmliche Ansätze................................................ § 9: Objektive Anknüpfung (II) - Versicherungsnehmerschutz durch eine marktorien­ tierte Vertragsanknüpfung.................................................................................. §10: Subjektive Anknüpfung-Die Rolle der Parteiautonomie.....................................

Zweiter Abschnitt: Versicherungsverträge mit branchenkundigen Versicherungsneh­ mern .................................................................. §11: Ansätze zur Überwindung der kollisionsrechtlichen Fragestellung bei Verträgen des internationalen Handelsverkehrs............................................................. § 12: Parteiautonomie........................................................................................................... § 13: Objektive Vertragsanknüpfung................................................................................

169 169 205 271

357 433 539 539 560 579

Dritter Abschnitt: Pflichtversicherungen........................................................................... § 14: Privatrechtlicher Drittschutz durch öffentlich-rechtliche Steuerungsinstrumente: Bestandsaufnahme und Analyse..................................................................... §15: Drittschutz und Kollisionsrecht................................................................................

598 607

Vierter Abschnitt: Zum Anwendungsbereich des Versicherungsvertragsstatuts........... §16: Zustandekommen, Inhalt und Wirkungen des Vertrages........................................ §17: Einzelfragen................................................................................................................

621 621 637

598

Dritter Teil

Europäisches internationales Versicherungsvertragsrecht § 18: Die Niederlassungs-und Dienstleistungsfreiheit in der EWG................................ §19: Grundlagen für eine kollisionsrechtliche Lösung..................................................... § 20: Anknüpfungsgrundsätze..........................................................................................

650 691 722

Literaturverzeichnis.............................................................................................................

763

Sachverzeichnis.....................................................................................................................

Inhalt Vorwort.................................................................................................................

V

Inhaltsübersicht....................................................................................................

VII

Abkürzungen und Sigel ......................................................................................

XXI

Erster Teil

Grundlagen Erster Abschnitt: Bestandsaufnahme................

§ 1: Ausländische Rechte.............................................................. I.

II.

III.

IV.

V.

Schweiz............................................................................................. 1. Parteiautonomie....................................................................... 2. Objektive Anknüpfung............................................. England................................................................................ 1. Parteiautonomie........................................................ 2. Subsidiäre Anknüpfung............................................. Frankreich................................................................................ 1. Parteiautonomie........................................................ 2. Objektive Anknüpfung............................................. Vereinigte Staaten.................................................................. 1. Gesetzliche Kollisionsnormen.................................. 2. Kollisionsregeln des Common Law........................... a) Parteiautonomie .............................................. b) Objektive Anknüpfung................................... Überblick über andere Rechtsordnungen - Rechts vergleichende Zusammenfassung........................................................................ 1. Parteiautonomie........................................................ 2. Objektive Vertragsanknüpfung................................

§ 2: Deutsches Recht.................................................................... I.

1. 2. 3. II.

1. 2.

Die herkömmlichen Anknüpfungen im Überblick ......... Parteiautonomie........................................................ Subsidiäre Anknüpfungen........................................ Zusammenfassung..................................................... Die Entwicklung im 19. Jahrhundert................................... Die Grundlagen............................................................................ Versicherungsaufsicht und internationales Versicherungsver­ tragsrecht .................................................................................

4 4 4 4 8 15 15 18 19 19 25 26 27 29 31 33

40 40 42 44 44 44 48 57 58 58

Anknüpfungsgrundsätze........................................... Ergebnisse................................................................... III. Die Entwicklung im 20. Jahrhundert..................................... 1. Das materielle Recht................................................... 2. ................................... .................................................... a) Aufwertungsprobleme............................................................ b) Die Spaltung Deutschlands...................................................... c) Die Sachverhalte...................................................................... 3. Ergebnisse und Fragestellung...................................

70 76 77 77 85 86 96 99 106

Zweiter Abschnitt: Sachnormzwecke im Kollisionsrecht.................................

110

3. 4.

§ 3: Methodenfragen.................................................................... I. II.

1. 2. a) b)

110 Sachrechtsneutrales Kollisionsrecht................................... 110 Methodische Neuansätze im IPR......................................... 114 „Materialisierung“ der kollisionsrechtlichen Entscheidung ... Sachnormzweckbezogene Ansätze........................... 117 „Politische Schule“ im IPR.................................................... 117 Moderne amerikanische Strömungen.................................... 118

§ 4: Sachrechtszweck und Kollisionsnorm in der Theorie des 19. Jahrhunderts............................................................. I. 1.

2. 3.

II. 1. 2.

III.

Savignys Konzeption.......................................................... Privatrechtsverständnis und Kollisionsrecht.......... a) Privatrecht............................................................................... b) Kollisionsrechtliche Konsequenzen....................................... c) Ergebnis................................................................................... Zu den Voraussetzungen der Fragestellung vom Rechtsverhält­ nis her......................................................................................... Sachrechtszwecke und Kollisionsrecht....................................... a) Allgemeine Kollisionsnormen und Sachrechtszwecke......... b) Gesetzliche Kollisionsnormen............................................... Kollisionsrechtstheorie in der Nachfolge Savignys........... Ludwig v. Bar.............................................................. Franz Kahn................................................................... Ergebnisse................................................................................

§5: Sachnormzweck-gerechte Anknüpfungen als Aufgabe ... I. II. III. IV.

Funktionswandel des Privatrechts und IPR....................... Sachnormzweck-Analyse bei Currie................................... Sachnormzweck und sachnormübergreifende Gesichtspunkte Folgerungen für das Recht der Versicherungsverträge..........

125 126 126 126 129 132 133 140 140 143 146 146 147 149

151 151 154 ... 160

157

114

Zweiter Teil

System des deutschen internationalen Versicherungsvertragsrechts Erster Abschnitt: Versicherungsverträge mit branchenunkundigen Versiche­ rungsnehmern ....................................... 169

§6: Versicherungsaufsicht als Schutzinstrument...................... Faktische Wirkungen der Versicherungsaufsicht.............. Rollenverteilung zwischen Versicherungsaufsicht und internatio­ nalem Versicherungsvertragsrecht............................................. 1. Bestandsaufnahme..................................................... 2. Stellungnahme........................................................... a) Der Zusammenhang zwischen Versicherungsaufsicht und Versicherungsvertragsgesetz.............................................. b) Vorzüge einer Rollenverteilung zwischen Kollisionsrecht und Fremdenrecht?.............................................................. c) Einwände gegen eine Rollenverteilung................................. (1) Faktisches Schutzdefizit der Versicherungsaufsicht . . . . (2) Rechtliches Schutzdefizit der Versicherungsaufsicht: Kor­ respondenzversicherungen .......................................... (3) Gesetzesbindung der Versicherungsaufsicht.................... III. Gleichlaufzwischen Versicherungsaufsichtsrecht und IPR?........... 1. Ausdrückliche kollisionsrechtliche Regelung in den §§ 105 ff. VAG?......................................................................................... 2. Sinn und Zweck der §§ 105 ff. VAG........................... a) Rechts vergleichende Aspekte ............................................... b) Zur Auslegung der §§ 105 ff. VAG......................................... c) Stellungnahme....................................................................... (1) Verklammerung zwischen Versicherungsaufsichtsgesetz und Versicherungsprivatrecht?.... ................................ (2) Kollisionsrechtliche Wirkungen der Zulassung zum in­ ländischen Geschäftsbetrieb?....................................... (a) Privatrechtswirkungen des Aufsichtsrechts............ (b) Geschäftserlaubnis für Unternehmen mit Sitz im In­ land .......................................................................... (c) A VB-Kontrolle und Geschäftserlaubnis................. (3) Einwände gegen eine kollisionsrechtliche Relevanz des § 105 VAG..................................................................... I. II.

§ 7: Sachnorm- und ergebnisorientierte Schutztechniken im IPR.................................................................................. I. 1. 2. 3. II. 1.

169 169 173 173 176 176

179 180 180 185 186 187 188 188 188 193 196

196

197 197 198 200

201

205 Negativer ordre public...................................................... 205 Zur Terminologie..................................................... 205 Zur Konkretisierung des negativen ordre public..... 208 Negativer ordre public und Versicherungsnehmerschutz211 ........... §12AGBG ........................................................................... 215 Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes.................. 216

2. Rechtspolitisches Grundanliegen und rechtsmethodischer Aus­ gangspunkt .............................................................................. 217 221 3. „Berücksichtigung“ im Sinne von § 12 AGBG........................... a) Ausländisches dispositives Vertragsrecht als Wertungsgrund­ 222 läge .............................. b) Zusammentreffen des § 12 AGBG mit ausländischer AGB­ 231 Kontrolle ................................ 4. § 12 AGBG und Versicherungsnehmerschutz...................... 237 III. Positiver ordre public, versteckte Kollisionsnormen, Sonderan­ knüpfung zwingenden Schuldrechts................................. 238 238 1. Bestandsaufnahme................................................................. 238 a) Positiver ordre public.................................................. 242 b) Versteckte Kollisionsnormen........................................ c) Sonderanknüpfung zwingenden Schuldrechts.......... 244 246 2. Analyse.................................................................................... a) Gründe für eine gesonderte Anknüpfung................................ 247 b) Der Inhalt der Sachnormen....................................................... 248 c) Sachnormorientierte Vertrags- oder Sonderanknüpfung im internationalen Versicherungsvertragsrecht...................... 250 254 IV. Better-law-approach......................................................................... 1. Bestandsaufnahme................................................................. 254 257 2. Kritik....................................................................................... 260 V. Günstigkeitsprinzip........................................................................... 260 1. Bestandsaufnahme......................................................................... 2. Günstigkeitsprinzip und internationales Versicherungsvertrags­ recht ............................................................................................ 264

§8: Objektive Anknüpfung (I) - Herkömmliche Ansätze ...

271 I. Generalisierende Anknüpfungen...................................................... 271 1. Lex loci contractus..................................................... 272 a) Begründungen ....................................................................... 272 b) Lex loci contractus und Versicherungsnehmerschutz......... 276 2. Erfüllungsort............................................................. 277 a) Begründungen....................................................................... 277 b) Erfüllungsort und Versicherungsnehmerschutz.................... 284 3. Personalstatut des Schuldners.................................. 285 a) Begründungen ....................................................................... 286 b) Personalstatut und Versicherungsnehmerschutz................. 292 II. Individualisierende Anknüpfungsmethode........................ 294 1. Die Rechtsprechung................................................... 294 2. Begründungen........................................................... 300 3. Rechtssicherheit im internationalen Vertragsrecht.. 301 a) Rechtssicherheit als Verfassungsgebot................................. 302 b) Bedingungen der Verwirklichung von Rechtssicherheit. . . . 304 c) Gründe für die Formulierung relativ bestimmter Anknüp­ fungen im internationalen Vertragsrecht...........................

III. Typisierende Ansätze............................................ 310 Vertragstypenansatz und Maßgeblichkeit der vertragstypischen Leistung.................................................................................... 310 2. Das Prinzip der charakteristischen Leistung............................... 313 a) Begründungen ................................................. 313 b) Kritik................................................................. 316 (1) Vertrags typisierende Kollisionsnormen?......................... 316 (2) Zum Wesen des Vertrages................................................. 317 (3) Zur Lokalisierung der charakteristischen Leistung......... 320 (a) Grundlagen.................................................................. 320 (b) Objektive Ausnahmefälle.......................................... 322 (c) Die Niederlassung als Anknüpfungspunkt.............. 324 (4) Charakteristische Leistung und Schutzzwecke des Sachrechts..................................................................... 326 (5) Ergebnis............................................................................ 329 3. Typisierende Interessenabwägungen........................ 329 a) Der Vorrang der massenförmig erbrachten Leistung 330.............. b) Die Maßgeblichkeit der berufsmäßig erbrachten Leistung . . 333 c) Die Maßgeblichkeit der gewerbsmäßig erbrachten Lei­ stung .................................................................................... 335 d) Die Maßgeblichkeit der schwierigeren Leistung................... 337 e) Der Grundsatz der stärkeren Partei................. 338 f) Ergebnis........................................................... 340 4. Das Betriebsstatut des Versicherers........................... 340 a) Begründungen ................................................. 340 (1) Prinzip der charakteristischen Leistung............................ 340 (2) Massenvertragscharakter und Gefahrengemeinschaft . . . 341 (3) Faktische Wirkungen der Versicherungsaufsicht............ 344 (a) Bedeutung für die Vertragsanknüpfung.................... 344 (b) Statut der Niederlassung............................................ 344 (c) Zur Abgrenzung des Statuts der Niederlassung . . . . 346 b) Interessenwertungen......................................... 348 (1) Vernachlässigung der Interessen der Versicherungsneh­ mer ................................................................................ 348 (2) Massencharakter des Versicherungsvertrages................. 349 (3) Gefahrengemeinschaft und Risikoausgleich.................... 349 (4) AuswirkungenderVersicherungsaufsicht...................... 351 c) Faktische Wirkungen des Betriebsstatuts........ 354 1.

§ 9: Objektive Anknüpfung (II) - Versicherungsnehmerschutz durch eine marktorientierte Vertragsanknüpfung.....

357 I. Die relevanten Interessen.................................................................... 357 1. Die Interessen der Versicherungsnehmer ................ 357 a) Zur Anwendung des Umweltrechts................. 357 b) Uneingeschränkte Anknüpfung an den Wohnort als Maxi­ malschutz .............................................................................. 359 c) Interesse an der Anwendung ausländischen Rechts. 362

Die Interessen der Versicherer 365 Allgemeininteressen................................................................... 367 a) Funktionsfähigkeit der Versicherung.................................... 367 b) Marktordnung und Wettbewerb............................................ 368 c) Spezifisch internationale Interessen der Gemeinschaft......... 369 370 d) Effektivität............................................................................... 373 II. Interessenkoordinierung und Interessenabwägung........................ 1. Inländisches Publikum und inlandsbezogenes Versicherungsge­ schäft ausländischer Versicherer.............................................. 373 a) Die Sachverhalte.................................................................... 373 b) Das Grundproblem................................................................. 374 (1) Internationaler Handel und national-staatliche Entschei­ dungszuständigkeit ........................................................ 374 (2) Kollisionsrechtliche Praxis............................................... 377 c) Informationsrisiken bei Massenverträgen............................ 383 d) Folgerungen............................................................................ 385 2. Inländisches Publikum und auslandsorientierte Nachfrage . . . . 385 a) Im Ausland vermittelte Verträge............................................ 385 b) Korrespondenzversicherungsverträge................................. 387 3. Inländische Versicherer und ausländisches Publikum............. 388 III. Konkretisierung eines versicherungsnehmerschutz-orientierten Anknüpfungspunktes.................................................................. 388 1. Belegenheit des Risikos............................................................. 388 389 a) Bestandsaufnahme................................................................. b) Analyse.................................................................................... 391 2. Wohnort (gewöhnlicher Aufenthalt) des Versicherungsneh­ mers ............................................................................................ 392 a) Bestandsaufnahme................................................................. 392 b) Analyse.................................................................................... 394 3. Der Markt als Anknüpfungspunkt........................................... 395 a) Bestandsaufnahme................................................................. 395 (1) Marktorientierte Ansätze im internationalen Vertrags­ recht ................................................................................ 396 (2) Internationales Deliktsrecht............................................ 398 (3) Vertriebsorientierte Steuerung zwischenstaatlicher Un­ ternehmenstätigkeit im internationalen Verwaltungs­ recht ................................................................................ 400 (4) Marktorientierte Verbraucherschutznormen im IPR . . . 401 b) Marktanknüpfung und Versicherungsnehmerschutz......... 403 c) Konkretisierung des Anknüpfungsmerkmals „Markt“ .... 404 (1) Markt.................................................................................. 404 (2) Vertriebsbezogene Kriterien............................................ 405 (3) Nachfrageorientierte Kriterien......................................... 408 (4) Zum Zusammenhang zwischen Vertriebspolitik und Nachfrageverhalten..................................................... 414 (5) Ergebnis............................................................................ 416 4. Zur Reichweite der marktorientierten Anknüpfung................ 417 a) Personaler Anwendungsbereich............................................ 417 2. 3.

b) c)

(1) (2)

Gruppenversicherungsverträge...................... 422 Versicherungsvertragsstatut und Gesellschaftsstatut 426.............. Bestandsaufnahme und Problemstellung......................... 426 Analyse............................................................................... 429

§10: Subjektive AnknüpfungDie Rolle der Parteiautonomie

433 I. Begründungen und Schranken der Parteiautonomie...................... 434 1. Kollisionsrechtliche Zwecke...................................... 434 2. Parteiautonomie und zwingende Normen des Sachrechts ....437 3. Parteiautonomie und Richtigkeitsgewähr................ 441 4. Spezielle Schranken der Parteiautonomie im internationalen Versicherungsvertragsrecht?......................................................... 442 a) Versicherungstechnische Gesichtspunkte...... 442 b) Einwirkung der Versicherungsaufsicht........... 444 c) SchutzdesVersicherungsnehmers................... 445 5. Instrumente der Rechts wahlkontrolle..................... 447 a) Allgemeine Schranken der Parteiautonomie im deutschen internationalen Vertragsrecht.............................................. 447 b) §10 Nr. 8 AGBG.................................................................... 450 (1) Wortlaut, systematischer Zusammenhang, Entstehungs­ geschichte, Zweck........................................................ 451 (2) Einwände gegenüber einer schutzzweckorientierten Aus­ legung ............................................................................. 454 (a) Widersprüche zur subsidiären Anknüpfung?............ 454 (b) Ausreichender Schutz durch § 12 AGBG?.............. 458 (c) Erfordernisse des internationalen Wirtschaftsver­ kehrs? ............................................................................ 458 (d) Ausschluß eines verbraucherfreundlichen ausländi­ schen Rechts?.......................................................... 460 (e) Ergebnis....................................................................... 461 (3) Zur Konkretisierung des Kriteriums „anerkennenswertes Interesse“........................................................................ 461 (a) Gesetzesbegründung................................................. 461 (b) Schrifttum................................................................. 462 (c) §10 Nr. 8 und §12 AGBG......................................... 464 (d) „Anerkennenswertes Interesse“ und objektive An­ knüpfung ............................................................... 468 (aa) AGB-Kontrolle und Prüfungsmaßstab...... 468 (bb) Zum Verhältnis von § 10 Nr. 8 AGBG und objektiver Vertragsanknüpfung......... 470 (4) Einzelfragen....................................................................... 473 (a) Teilverweisung und materiellrechtliche Verwei­ sung ........................................................................ 473 (b) Rechtsfolgen bei Unwirksamkeit der Rechtswahl­ klausel ..................................................................... (c) Zum personalen Anwendungsbereich des § 10 Nr. 8 AGBG.....................................................................

(d) Analoge Anwendung des § 10 Nr. 8 AGBG............ 479 (5) Entwurf des IPR-Gesetzes............................................... 481 II. System der Rechts wahlkontrolle im internationalen Versicherungsvertragsrecht.................................. 484 1. Zulässigkeit der Rechtswahl..................................... 484 a) Versicherungsverträge mit nicht-kaufmännisch tätigen Ver­ sicherungsnehmern .............................................................. 484 (1) Rechts Wahlklauseln in AVB............................................ 484 (2) Individualvertragliche Rechtswahl................................. 489 (a) Einschränkungen der Parteiautonomie zum Schutz des Verbrauchers in neueren Gesetzen und Gesetzentwürfen............................................................................ 489 (b) Beschränkung der Parteiautonomie auch bei indivi­ dualvertraglicher Rechtswahl?............................. 491 (3) Rechtswahlergänzende Anknüpfung zwingender Schutz­ normen ........................................................................... 496 (a) Problemstellung.......................................................... 496 (b) §12 AGBG.................................................................. 498 (c) „Berücksichtigung“ inländischen Versicherungsneh­ merschutzrechts ..................................................... 500 (d) Zur Technik der Berücksichtigung............................. 504 (aa) Bedingte oder unbedingte Anknüpfung?........... 504 (bb) Zur Vergleichsproblematik................................. 506 (cc) Ergebnisse............................................................ 515 (e) Allseitigkeit der rechtswahlergänzenden Anknüp­ fung zwingender Versicherungsnehmerschutznor­ men ........................................................................ 515 b) Versicherungsverträge mit Kaufleuten............ 516 (1) Rechtswahlklauseln in AVB und Formularverträgen . . . 516 (a) §10 Nr. 8 AGBG....................................................... 516 (b) § 91 in Verbindung mit § 24 Satz 2 AGBG................. 516 (c) Zulässigkeitsschranken für Rechts Wahlklauseln in AGB außerhalb des AGB-Gesetzes..................... 519 (2) Individual-vertragliche Rechtswahlvereinbarungen .... 522 (3) Rechtswahlergänzende Berücksichtigung zwingender Schutznormen................................................................ 522 c) Gruppenversicherungsverträge...................... 524 2. Zustandekommen des Verweisungsvertrages.......... 526 a) Individualvertragliche Rechtswahl................ 526 b) Rechtswahlklauseln in AVB........................... 529 529 (1) Einbeziehung der AGB in den Hauptvertrag................. (2) Verweisungsvertrag.......................................................... 533

Zweiter Abschnitt: Versicherungsverträge mit branchenkundigen Versiche­ rungsnehmern ................................. 539

§11: Ansätze zur Überwindung der kollisionsrechtlichen Fra­ gestellung bei Verträgen des internationalen Handelsver­ kehrs ............................................................................ 539 Die Lehre von einem „anationalen", „autonomen“ internationalen Handelsrecht.................................................................................. 540 II. Zur Tragweite der Parteiautonomie im internationalen Han­ delsverkehr ................................................................................... 548 1. Der „rechtsordnungslose“ Vertrag........................... 548 2. „Allgemeine Rechtsgrundsätze“ als zuordnungsfähiges Rechts­ system ...................................................................................... 553 3. Transnationales Recht.................................................................. 558

I.

§ 12: Parteiautonomie.................................................................. Schranken der Rechtswahlfreiheit....................................... Zur Ermittlung des realen Parteiwillens.............................. Ausdrückliche Rechtswahl........................................ Stillschweigende Rechtswahl................................... Zustandekommen des VerweisungsVertrages .....................

I. II. 1. 2. III.

§13: Objektive Vertragsanknüpfung ..........................................

560 561 566 566 567 576

Rückversicherung............................................................... Bestandsaufnahme..................................................... Die maßgebenden Anknüpfungen........................... Die akzessorische Anknüpfung ............................................ Das Statut des Rückversicherers............................................ Das Statut des Erstversicherers............................................... See-, Gütertransport-, Kreditversicherungen ...................... Bestandsaufnahme..................................................... Betriebsstatut des Versicherers................................... Versicherung für fremde Rechnung; Mitversicherung.......

579 580 580 584 584 585 587 590 590 592 595

Dritter Abschnitt: Pflichtversicherungen.........................................................

598

I. 1. 2. a) b) c)

II.

1. 2.

III.

§ 14: Privatrechlicher Drittschutz durch öffentlich-rechtliche Steuerungsinstrumente: Bestandsaufnahme und Analyse .................................................................................................................... 598 I. Zum Verhältnis von Verwaltungskontrolle und Kollisionsrecht 598. . II. Zwang zur Inlandsdeckung................................................... 600 III. Versicherung des grenzüberschreitenden Transport-, Flug- und Kraftfahrzeugverkehrs............................................................... 601 IV. Zusammenfassung............................................................................. 605

§ 15: Drittschutz und Kollisionsrecht........................................ I. II.

Anknüpfung der Drittschutznormen................................. Zur kollisionsrechtlichen Behandlung einer Versicherungsbeschei­ nigung ........................................................................................... 1. Materiellrechtliche Bedeutung.................................. 2. Kollisionsrechtliche Aspekte..................................... III. Versicherungspflicht und Vertragsstatut...............................

607 607

612 612 614 618

Vierter Abschnitt: Zum Anwendungsbereich des Versicherungsvertrags Statuts................................................... 621

§ 16: Zustandekommen, Inhalt und Wirkungen des Vertrages . I. 1. 2. 3.

II. III. 1. 2.

IV.

Der Grundsatz der umfassenden Geltung des Vertragsstatuts Allgemeines................................................................ Einbeziehung der Versicherungsbedingungen....... Sprachprobleme........................................................ Auslegung des Vertrages...................................................... Handelsbrauch........................................................................ Handelsbrauch und Kollisionsrecht.......................... Handelsbrauch in der Rückversicherung.................. Form........................................................................................

621 621 . . . . 621 622 623 625 629 629 633 635

§ 17: Einzelfragen......................................................................... I. II. 1. 2. III. IV. V. 1. 2.

VI.

637 Drittberechtigung aus dem Versicherungsvertrag............ 637 Forderungsübergang ........................................................... 638 Rechtsgeschäftliche Forderungsabtretung................ 638 Gesetzlicher Forderungsübergang .......................... 638 Schuld-und Vertragsübernahme.......................................... 641 Doppel Versicherung................................................................ 641 Ansprüche Dritter in der Haftpflichtversicherung............. 643 Drittschutz im Konkurs............................................. 643 Direktanspruch des Dritten außerhalb der Pflichthaftpflichtver­ sicherungen .............................................................................. 643 Rechtsstellung der Realgläubiger in der Immobiliarversicherung647 . .

Dritter Teil

Europäisches internationales Versicherungsvertragsrecht § 18: Die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit in der EWG............................................................................ I. II. III.

1. 2.

Bestandsaufnahme............................................................... Niederlassungsfreiheit........................................................ Dienstleistungsfreiheit.......................................................... Zur Auslegung des Art. 59 EWGV.......................... Art. 59 EWGV und Versicherungs Wirtschaft..........

650 650 653 655 656 666

a) Versicherungsaufsicht...................................... 666 b) Zwang zur Inlandsdeckung.............................. 673 3. Förderung der Dienstleistungsfreiheit durch Rechtsangleichung .................................................................................................. 675 a) Rückversicherung........................................... 675 b) Mitversicherung.............................................. 675 c) Schadenversicherung ...................................... 678 (1 ) Teilmarkt-Modell als erster Integrationsschritt............ 678 (2 ) Binnenmarkt-Modell.................................................... 682 (3 ) Kompromiß-Modelle.................................................... 685 IV. Fragestellung......................................................................... 689

§ 19: Grundlagen für eine kollisionsrechtliche Lösung............. I. 1. 2.

3.

II. 1.

2.

3. 4. 5.

III. 1. 2.

691 EWG-VertragundIPR...................................................... 691 EWG-Vertrag und Privatrecht.................................. 691 EWG-Vertrag und nationale Kollisionsnormen..... 692 a) Art. 7 EWGV................................................... 692 b) Artt. 30und59EWGV...................................... 695 EWG-Vertrag und sekundäres Gemeinschaftsrecht................... 697 IPR und Harmonisierung des Versicherungsvertragsrechts........... 699 Der Zusammenhang zwischen Vertragsharmonisierung und in­ ternationalem Versicherungsvertragsrecht........................... 699 Massenversicherungen............................................................... 702 a) Intemationalprivatrechtliche Interessenlage... 703 b) Parallele zum freien Warenverkehr................... 705 c) Art. 8EuGVÜ................................................... 707 d) Ziele des EWG-Vertrages................................ 708 e) Ergebnis........................................................... 710 Pflichtversicherungen................................................ 710 Transport-und Großrisiken Versicherung................ 711 Zusammenfassung und Folgerungen........................ 713 Kollisionsrecht und Versicherungsaufsicht........................ 715 Aufsichtszuständigkeit und Kollisionsrecht............. 715 Aufsichtsrecht und Kollisionsrecht.......................... 717 a) Fortbestand divergierender Aufsichtssysteme................. b) Harmonisiertes Aufsichtsrecht und Kollisionsrecht..............

§ 20: Anknüpfungsgrundsätze..................................................... I.

722 Versicherungsverträge mit schutzbedürftigen Versicherungsneh­ mern ............................................................................................... 722 1. Zur Abgrenzung des Personenkreises ..................... 722 a) Das Problem...................................................... 722 b) Die Vorschläge der EG-Kommission.............. 724 c) Die Abgrenzungskriterien .............................. 726 (1) KaufmannseigenschaftdesVersicherungsnehmers......... 726 (2) Größenkriterien................................................................. 727 (3) Vertragstypenabgrenzung............................................... 730 2. Objektive Vertragsanknüpfung................................ 732

717 720

Belegenheit des Risikos......................................................... (1) Artt. 59 und 7 EWGV....................................................... (2) Aufsichtsrechtliche Erwägungen.................................... (3) Kollisionsrechtliche Erwägungen.................................... b) Gewöhnlicher Aufenthalt des Versicherungsnehmers......... c) Marktanknüpfung................................................................. 3. Subjektive Anknüpfung: Parteiautonomie.............................. a) Das Problem............................................................................ b) Parteidispositive materielle Staatsaufsicht............................ c) Harmonisierung der Schranken der kollisionsrechtlichen Parteiautonomie?................................................................. (1) Zulässigkeit der Parteiautonomie.................................... (2) Schranken der Rechtswahl............................................... (a) ZwingendeVersicherungsnehmerschutznormen . . . (b) Rechts wahlklauseln in Versicherungsbedingungen . . (c) Rechtswahlfreiheit und Gruppen Versicherung . . . . Versicherungsverträge mit typischerweise branchenkundigen Ver­ sicherungsnehmern ..................................................................... 1. Parteiautonomie......................................................................... 2. Objektive Anknüpfung.............................................................. Pflichtversicherungen..................................................... 1. Das Problem................................................................................. a) Herstellung der Dienstleistungsfreiheit................................. b) Erleichterung des freien Dienstleistungsverkehrs ................. 2. Aufsichtsstatut für Pflichtversicherungen................................ 3. Kollisionsrechtliche Konsequenzen........................................... a) Objektive Vertragsanknüpfung............................................ b) Versicherungsbescheinigung................................................. c) Rechtswahl............................................................................... Rechte Dritter................................................................... Anwendungsbereich .................................................... a)

II.

III.

IV. V.

733 733 734 736 738 739 739 739 741 743 743 744 744 746 748 748 749 750 751 751 752 753 754 757 757 758 758 759 759

Literaturverzeichnis..............................................................................................

763

Sachverzeichnis....................................................................................................

793

Abkürzungen und Sigel A. a. A. a. a. O. Abg. abgedr. ABI. A.C. Acc. AcP ADHGB ADS ADSp ADSV a.F. AG AGB AGBG

AKB

Ala. All E. R. ALR

Alt. Am. J. Comp. L. Anm. Ann. eur. App. App. G. ArchBürgR Arch. öff. R. Art., Artt. AS

Ass. Co. Ass. Corp. Aufl.

Atlantic Reporter anderer Ansicht am angegebenen Ort Abgeordneter abgedruckt Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Appelate Court Accident Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 Allgemeine Deutsche Seeversicherungsbedingungen von 1919 Allgemeine Deutsche Speditionsbedingungen Allgemeine Deutsche Seeversicherungsbedingungen von 1867 alte Fassung Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Ge­ schäftsbedingungen vom 9. 12. 1976 Allgemeine Bedingungen für die Kraftverkehrsversi­ cherung in der Fassung vom 18. 12. 1970 Alabama All England Law Reports Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Alternative The American Journal of Comparative Law Anmerkung Annuaire europeen Appelate Division Appelationsgericht Archiv für bürgerliches Recht Archiv für öffentliches Recht Artikel, Artikel (Plural) Amtliche Sammlung der Bundesgesetze und Verord­ nungen, Sammlung der eidgenössischen Gesetze Assurance Company Assurance Corporation Auflage

XXII AuslInvestmG

AuslPflVG

AVB

Abkürzungen und Sigel Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentan­ teile und über die Besteuerung der Erträge aus auslän­ dischen Investmentanteilen v. 28. 7. 1969 Gesetz über die Haftpflichtversicherung für ausländi­ sche Kraftfahrzeuge und. Kraftfahrzeuganhänger v. 24. 7. 1956 Allgemeine Versicherungsbedingungen

BOHG BOHGE Bull. ass. BVerfG BVerfGE bzw.

Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichtes Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerisches Versicherungsgesetz (schweizerisches) Bundesgesetzblatt Band Bearbeiter Bemerkung Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht betreffend Der Betriebsberater Bundesfinanzhof (schweizerisches) Bundesgericht Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. 7. 1896 Bundesgesetzblatt Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts, Amtliche Sammlung Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsa­ chen Bundesoberhandelsgericht Entscheidungen des Bundesoberhandelsgerichts Bulletin des assurances/De Verzekering Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise

c. C.A. Cah. dr. eur. Can. Bar Rev. Cass. C.c. CDU C.E.A. CEE Cir. Clunet C. M. L. Rev. Co.

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BGH BGHZ

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XXIV

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Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

Kap. K. B. Kfz KG Kgl. Kgl. Geh. Ober. Tribunal KOM Komm. KVO

Kapitel King’s Bench Division Kraftfahrzeug Kommanditgesellschaft Königlich Königliches Geheimes Ober-Tribunal EG-Kommission (Dokumente) Kommentar Kraftverkehrsordnung für den Güterfernverkehr mit Kraftfahrzeugen (Beförderungsbedingungen) in der Fassung vom 23. 12. 1958 Kentucky

Ky. L. La. LArbG L. Contemp. Probl. LG Liefg. lit., litt. L.J. L. Rev. LS Ltd. LuftVZO

LZ

Law Louisiana Landesarbeitsgericht Law and Contemporary Problems Landgericht Lieferung Buchstabe(n) Lawjoumal Law Review Leitsatz Limited Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung in der Fassung vom 13. 3. 1979 Leipziger Zeitschrift für deutsches Recht (für Han­ dels-, Konkurs- und Versicherungsrecht)

m. MDR m. E. Mfg. Mfrs. Mich. Minn. Mio. Mo. Mod. L. Rev. Münch. Komm.

mit Monatsschrift für deutsches Recht meines Erachtens Manufacturing Manufacturers Michigan Minnesota Million Montana Modern Law Review Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetz­ buch

N. N.C. N.D.Ga.

Note (Fußnote) North Carolina Northern District

XXVI

Abkürzungen und Sigel

N.E. N.F. n. E N.H. NiemZ N.J. NJW Nr. N.Y. N.Y.S. N. Y U. L. Rev.

Northeastern Reporter Neue Folge neue Fassung New Hampshire Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht Neuejustiz Neue Juristische Wochenschrift Nummer New York New York Supplement New York University Law Review

OAG OECD

Oberappellationsgericht Organisation for Economic Cooperation and Development Obergericht ohneJahr Oberlandesgericht Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts Schweizerisches Obligationenrecht österreichisches IPR-Gesetz österreichischer Oberster Gerichtshof ohne Verfasser

OG o.J. OLG OLGE OR öst. IPRG österr. OGH o.V.

Prot.

Pennsylvania Personalvertretungsgesetz Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahr­ zeughalter vom 5. 4. 1965 Proceedings of the American Society of International Law at its . . . Annual Meeting Protokoll (e)

Q.B.

Queen’s Bench Division

RabelsZ

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsarbeitsgericht Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts Recht der Arbeit Recueil Dalloz Hebdamodaire Recueil Dalloz Periodique Recueil des Cours de l'Academie de Droit internatio­ nal de La Haye Regierungsentwurf Report, Reporter requete revidierte Fassung

Pa. PersVG PfIVersG Proc. Am. Soc. Int. L.

RAG RAGE RdA Rec. Dalloz Hebd. Rec. Dalloz Period. Rec. des Cours RegE Rep., Repr. req. rev.

Abkürzungen und Sigel Rev. Rev. crit. Rev. dr. int. Rev. gen. ass. terr. Rev. M. C. Rev. trim. dr. com. Rev. trim. dr. eur. RG RGBl. RGRK RGZ RIW/AWD

ROHG ROHGE Rs. Rspr. Rz. S. s. S.C. s. d. S.D. S.D.N. Y. S.E. sec. SeuffA

SJZ Sig. So. sog. Sup. Sup. Ct. SVA

SVZ

XXVII

Review Revue critique de d. i. p. Revue de droit international Revue generale des assurances terrestres Revue du Marche Commun Revue trimestrielle de droit commercial Revue trimestrielle de droit europeen Reichsgericht Reichsgesetzblatt Kommentar herausgegeben von Mitgliedern des Bun­ desgerichtshofes Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft; Außenwirt­ schaftsdienst des Betriebs-Beraters Reichsoberhandelsgericht Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts Rechtssache Rechtsprechung Randziffer

Satz; Seite siehe South Carolina siehe dieses/siehe dort Southern District Southern District of New York Southeastern Reporter section Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Ge­ richte in den deutschen Staaten Schweizerische Juristen-Zeitung Sammlung Southern sogenannt Superior Supreme Court Entscheidungen schweizerischer Gerichte in privaten Versicherungsstreitigkeiten, hrsg. vom Eidgenössi­ schen Versicherungsamt Schweizerische Versicherungs-Zeitschrift/Revue Suisse d’Assurances

Schweiz. Schw.Jb. Int. R.

schweizerisch Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht

St. Stan. L. Rev. StAZ

Sankt Stanford Law Review Das Standesamt, Zeitschrift für Standesamtswesen

XXVIII

Abkürzungen und Sigel

Sten. Prot. StGB StVG

Stenographische Protokolle Strafgesetzbuch in der Fassung vom 2. 1. 1975 Straßenverkehrsgesetz vom 19. 12. 1952

Tenn. Tex. Trav. Com. fr. d. i. p. Trib. civ. Trib. com. Trib. de gr. inst.

Tennessee Texas Travaux du Comite franais de droit international prive Tribunal civile Tribunal commercial Tribunal de grande instance

u. a. UdSSR UNIDROIT u. ö. U.S. USA usw. u.U.

unter anderem Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Institut international pour l’unification du droit prive und öfters United States Supreme Court Reports United States of America und so weiter unter Umständen

V.

versus Virginia Veröffentlichungen des Reichsaufsichtsamtes für Pri­ vatversicherung Gesetz über die Beaufsichtigung der privaten Versi­ cherungsunternehmen in der Fassung vom 6. 6. 1931 Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen Verbindung Verfasser Das Versicherungsarchiv Die Versicherungspraxis Versicherungsrecht Die Versicherungsrundschau Versicherungswirtschaft vergleiche Versicherungsnehmer Vorbemerkung Vermont Versicherungs verein auf Gegenseitigkeit Versicherungsvertragsgesetz vom 30. 5. 1908

Va. VA

VAG VerBAV Verbg. Verf. VersArch. VersPrax. VersR VersRdsch. Vers Wirt. vgl. VN Vorbem. Vt. VVaG VVG

W. WarnRspr.

W.D. West. Res. L. Rev.

West Warneyers Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zi­ vilsachen Western District Western Reserve Law Review

Abkürzungen und Sigel

XXIX

Wise. W.L.R. WM

Wisconsin Weekly Law Reports Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschaftsund Bankrecht

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht zum Beispiel Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Verbraucherpolitik Zeitschrift für Versicherungswesen Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschafts­ recht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Ziffer Zivilprozeßordnung Zeitschrift für schweizerisches Recht Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft

Z. f. ArbR z.B. Z. f. RPol. Z. f. Rvgl. Z. f. Verbraucherpol. ZVersw. ZgesHR

ZGesR ZgesStaatsWiss. Ziff. ZPO ZSR ZVersWiss. ZvglRW

Einleitung Das Kollisionsrecht der Versicherungsverträge fuhrt in der deutschen Rechtsprechung und Wissenschaft ein Schattendasein. Seit 1949 sind nur wenige gerichtliche Entscheidungen ergangen, die sich eingehender mit der Anknüpfung von Versicherungsverträgen beschäftigt haben. Das Schrift­ tum folgt seit langem in den Ergebnissen einer grundlegenden Studie aus der Feder von Bruck aus dem Jahre 19241. Erst in allerjüngster Zeit regt sichvor allem im Zusammenhang mit den Bemühungen um die Schaffung eines europäischen Binnenversicherungsmarktes - ein verstärktes Interesse am internationalen Versicherungsvertragsrecht2. Das Recht der internationalen Versicherungsverträge zu diesem Zeit­ punkt zum Gegenstand einer gesonderten Untersuchung zu machen, emp­ fiehlt sich aus mehreren Gründen. Das Betriebsstatut des Versicherers ist in der deutschen Rechtsprechung und Lehre seit langem anerkannt. Erst in jüngster Zeit ist es - zumindest in seinen Ergebnissen - durch die IPRKodifikationen Österreichs, der Deutschen Demokratischen Republik, Un­ garns und Jugoslawiens bestätigt worden. Darüber hinaus erfährt das Be­ triebsstatut des Versicherers in seiner Begründung eine nachhaltige Absiche­ rung durch die Lehre von der vertragstypischen (charakteristischen) Lei­ stung, der die „Zukunft“ versprochen wird3. In der Rechtsentwicklung des In- und Auslands zeigen sich jedoch auch Tendenzen, die in eine andere Richtung weisen. Im Schrifttum mehren sich die Stimmen, die aus dem Schutz des schwächeren Vertragspartners im materiellen Vertragsrecht Konsequenzen auch für das IPR ziehen wollen. Ein Blick auf ausländische Entwicklungen - hier vor allem § 41 I des öster­ 1 Bruck, Zwischenstaatliches Versicherungsrecht (1924) (im folgenden: Bruck). 2 Reichert-Facilides, Zum internationalen Versicherungsvertragsrecht im Rahmen der EWG, in: FS Donati I (1970) 465; ders., Versicherungsverbraucherschutz und IPR, in: FS R. Schmidt (1976) 1023; Steindorff, Rechtsangleichung in der EG und Versicherungsvertrag: ZgesHR 144 (1980) 447; ders., Europäisches Gemeinschaftsrecht und deutsches IPR: EuropaR 16 (1981) 426 (432); Richter, Internationales Versicherungsvertragsrecht (Diss. Hamburg 1980) (im folgenden: Richter); U. Hübner, Schwerpunkte einer Koordinierung des Versiche­ rungsvertragsrechts in der Europäischen Gemeinschaft: ZVersWiss. 1982, 221 (231 ff); ders., IPR des Versicherungsvertrages und EG-Recht: ZVersWiss. 1983, 21. 3 So Staudinger(-Firsching), Kommentar zum BGB10,11, EGBGB Teil 2a-4 [= Sonderaus­ gabe IPR Ib (1978)] (1977), Internationales Schuldrecht I Rz. 364 (im folgenden: Staudinger [-Firsching], Internationales Schuldrecht I).

reichischen IPR-Gesetzes von 1978, Art. 1171 des schweizerischen Entwurfs eines IPR-Gesetzes von 1982 sowie die §§ 188 ff. des Restatement (Second) der Vereinigten Staaten - erweist, daß der Schutz der schwächeren Vertrags­ partei, zumeist der Schutz des Verbrauchers (Konsumenten), zunehmend als Ordnungs- und Gestaltungsaufgabe des IPR begriffen wird. Von derselben Tendenz getragen sind im deutschen IPR die §§ 10 Nr. 8 und 12 AGB-Gesetz sowie §11 Fernunterrichtsschutzgesetz. Art. 29 des deutschen Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts von 1983 enthält - in Übereinstimmung mit Art. 5 des EGÜbereinkommens vom 19. 6. 1980 über das auf vertragliche Schuldverhält­ nisse anzuwendende Recht, das damit in das deutsche Recht übernommen werden soll - eine gesonderte (objektive) Anknüpfung für Verbraucherver­ träge und eine weitgehende Einschränkung der Parteiautonomie. Wenn auch die Anwendbarkeit des deutschen Entwurfs gemäß seinem Art. 37 Nr. 4 mit Rücksicht auf die europäischen Bemühungen um die Schaffung eines Binnenversicherungsmarktes auf Rückversicherungsvertäge und auf Ver­ träge über Risiken beschränkt sein soll, die außerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gelegen sind, so ist doch zu überprüfen, ob und inwieweit die dem Betriebsstatut des Versicherers zugrundeliegenden Erwä­ gungen und Begründungen auch heute noch für die Gesamtheit der Versi­ cherungsverträge zu überzeugen vermögen. Das zwischenstaatliche Versicherungsgeschäft wird in Deutschland, wie auch in vielen anderen Staaten, von der Versicherungsaufsicht maßgeblich beeinflußt. Stichworte sind hier: Pflicht zur Zulassung für Versicherer mit Sitz im Ausland, die das Versicherungsgeschäft im Inland betreiben wollen; Pflicht zur Gründung einer Niederlassung im Inland; präventive Kontrolle der vom Versicherer verwendeten Versicherungsbedingungen durch die Aufsichtsbehörde; Kontrolle des laufenden Geschäftsbetriebes. Die deut­ sche Versicherungsaufsicht hat durch diese Kanalisierung und Mitgestaltung des zwischenstaatlichen Versicherungsgeschäfts weitgehend zum Schutze des inländischen Publikums beigetragen und dadurch das IPR von einer wichtigen Schutzaufgabe entlastet. Diese-zumindest faktische-Rollenver­ teilung zwischen Versicherungsaufsicht und IPR wird durch die europäische Rechtsentwicklung zunehmend in Frage gestellt. Seit Mitte der sechziger Jahre wird auf der Ebene der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft an der Verwirklichung des europäischen Binnen­ versicherungsmarktes gearbeitet. Das wichtigste, heute noch zu realisieren­ de Ziel ist die Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit: grenzüberschrei­ tende Versicherungsverträge sollen auch ohne Einschaltung einer inländi­ schen Niederlassung abgeschlossen werden können. Damit entfällt aber die Schutzwirkung, die bisher die Versicherungsaufsicht über ausländische Ver­ sicherer zugunsten des inländischen Publikums entfaltet hat.

Geplant ist unter anderem eine Harmonisierung der Kollisionsnormen für Versicherungsverträge wie auch eine Vereinheitlichung des materiellen Ver­ sicherungsvertragsrechts der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemein­ schaften. Diese europäischen Bemühungen lassen es notwendig erscheinen, das internationale Versicherungsvertragsrecht mit seinen tradierten An­ knüpfungen auf die leitenden Wertungen zu befragen, um es so mit den spezifisch europäischen Regelungszielen abstimmen zu können. Diese Auf­ gabe erscheint um so dringlicher, als gerade in den letzten Jahren eine Auffassung an Boden gewonnen hat, die (zumindest) das Niederlassungser­ fordernis für ausländische Versicherer mit Sitz in der EWG mit der in den Artt. 59 ff. EWG-Vertrag verankerten Dienstleistungsfreiheit bereits im gegenwärtigen Integrationsstadium für unvereinbar hält4 - eine Frage, über die in allernächster Zeit (wohl noch 1985) auch der Gerichtshof der Europäi­ schen Gemeinschaften entscheiden wird5.

4 Steindorff, Dienstleistungsfreiheit im EG-Recht: RIW/AWD 1983, 831 (836); ChappatFreedom to Provide Insurance Services in the European Economic Community: Eur. L. Rev. 9 (1984) 3 (22ff.). 5 Die Kommission der EG hat gegen Frankreich, Dänemark, Irland und die Bundesrepublik Deutschland Klage wegen Verstoßes (unter anderem) gegen Artt. 59 ff. EWGV vor dem Gerichtshof erhoben; siehe unten § 18 N. 77.

te,

Erster Teil: Grundlagen Erster Abschnitt: Bestandsaufnahme § 1: Ausländische Rechte I. Schweiz 1. Parteiautonomie Während sich die kollisionsrechtliche Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht der Schweiz in der neueren Rechtsprechung1 und im Schrift­ tum2 breiter Zustimmung erfreut, ist ihre Geltung bei Versicherungsverträ­ gen nicht eindeutig geklärt. Bis zum Jahre 19523 unterschied das Schweizerische Bundesgericht bei der Anknüpfung von Verträgen zwischen Vertragsabschluß und Vertragswir­ kungen (sog. „große Vertragsspaltung“)4. Der Vertragsabschluß wurde un­ abdingbar der lex loci contractus unterstellt5, während für die Vertragswir­ kungen der reale Parteiwille6, hilfsweise der hypothetische Parteiwille, der Erfüllungsort7 bzw. der Schwerpunkt (der engste räumliche Zusammen­

1 BG 31. 8. 1953, BGE 79 II 295 (297, 300); 24. 6. 1955, BGE 81 II 175 (176); 12. 11. 1956, BGE 82II 550 (552); 18. 5. 1965, BGE 91 II248 (249); 30. 3. 1976, BGE 102 II143 (145ff.). 2 Siehe etwa SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch3 V/la: Das Obligationenrecht, Einleitung: IPR (1961) Rz. 191 ff. (im folgenden: Schönenberger/Jäggi); Vischer, IPR in: Schweizerisches Privatrecht, hrsg. von Max Gutzwiller, I (1969) 509 (661 ff, 664) (im folgenden: Vischer, IPR). 3 Grundlegend ist die Entscheidung in der Sache Chevalley ./. Genimportex S.A., BG 12. 2. 1952, BGE 78 II 74. 4 Terminus z. B. bei SCHÖNENBERGER/JÄGGI Rz. 223. 5 Zur Begründung Oser/Schönenberger, Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetz­ buch2 V/l: Das Obligationenrecht, Einleitung: IPR (1929) Rz. 61 ff, 71 (zwingende Normen für Vertragsschluß und Wirksamkeit) (im folgenden: Oser/Schönenberger); vgl. die Über­ sicht bei Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung im materiellen und internationalen Schuldvertragsrecht (1966) 139ff. (im folgenden: Sandrock). 6 Dazu Stauffer, Bundesgericht und Parteiautonomie auf dem Gebiet des internationalen Schuldrechts, in: FS Lewald (1953) 393 (394); Oser/Schönenberger Rz. 79 mit weiteren Nachweisen. 7 „Kleine Vertragsspaltung“; vgl. Schönenberger/Jäggi Rz. 212; Tobler, Der hypotheti­ sche Parteiwille im internationalen Vertragsrecht (1949) 79ff. (im folgenden: Tobler).

hang)8 entscheiden sollte. Seit 1952 werden Vertragsabschluß und Vertrags­ wirkungen einheitlich angeknüpft und, soweit eine Rechtswahl vorliegt, das von den Parteien bestimmte Recht angewendet9. Ob eine Rechtswahl der Parteien auch dazu fuhren kann, die im Schweizerischen Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag vom 2. 4. 1908 (VVG) enthaltenen (halb-)zwingenden Normen zum Schutze des Versicherungsnehmers10 bei starker Ver­ knüpfung des Vertrages mit der Schweiz auszuschalten, ist bis heute nicht entschieden worden.

Eine Gruppe von Entscheidungen, in denen dem Willen der Parteien kollisions­ rechtliche Bedeutung zugemessen worden ist, betrifft (Luft-, See-, Land-)TransportversicherungsVerträge11, bei denen gemäß Art. 98 schweizerisches VVG die Schutznormen ihren zwingenden Charakter gerade deshalb verlieren12, weil hier Versicherungsnehmer typischerweise keines Schutzes bedürfen. Aus der in der Ent­ scheidung des Bundesgerichts vom 13. 12. 1922 gegebenen Begründung, die Wahl fremden Rechts sei zulässig, weil zwingende Vorschriften des schweizerischen Rechts nicht in Frage stünden13, ließe sich zumindest auch folgern, daß bei Verträgen mit schutzbedürftigen Versicherungsnehmern Rechtswahlfreiheit nicht unbe­ schränkt anzuerkennen ist. Eine weitere Gruppe von Entscheidungen betrifft die Geschäftstätigkeit schweize­ rischer Versicherer im Ausland14. Der Entscheid des Bundesgerichts vom 2. 11. 194515 bezieht sich auf einen Lebens Versicherungs vertrag zwischen einem schweize­ rischen Versicherer und einem in Deutschland wohnhaften Versicherungsnehmer, auf den entsprechend einer Bestimmung in den Versicherungsbedingungen deut­ sches Recht angewendet werden sollte16. Das Bundesgericht bestätigt die „Selbst­ 8 Schönenberger/Jäggi Rz. 235; Tobler 81 ff. mit weiteren Nachweisen. 9 Die Rechtswahl erfolgt durch einen eigenständigen Verweisungsvertrag; BG 31. 8. 1953, BGE 79II295 (300); 24. 6.1955, BGE 81II176; 18. 5.1965, BGE 91II248; 30. 3. 1976, BGE 102 II 143 (145 ff). Gewählt werden kann jedes Recht, für dessen Anwendung ein „vernünftiges Interesse“ der Parteien besteht; BG 30. 3. 1976, BGE 102 II 143 (146). Frühere Rechtsprechung hatte auf eine räumliche Beziehung des Vertrages zu dem gewählten Recht abgestellt; BG 23. 3. 1965, BGE 91II 44 (51); 12. 2. 1952, BGE 78 II 74 (86). 10 Das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt 4. 12.1925, SVA 5 (1922-1926) Nr. 209 (S. 445), spricht den halbzwingenden Normen Zweckmäßigkeits-, nicht ordre-public-Charakter zu. 11 BG 13. 12. 1922, SVA 5 (1922-1926) Nr. 360; 7. 3. 1923, BGE 49 II121 = SVA 5 (1922­ 1926) Nr. 155; 22. 9. 1959, BGE 85 II 267 = SVA 11 (1953-1959) Nr. 63; Kantonsgericht St. Gallen 5./6. 1. 1956, SVA 11 (1953-1959) Nr. 61. 12 So der ausdrückliche Hinweis in BG 13. 12. 1922, SVA 5 (1922-1926) Nr. 360 (S. 739 f). 13 BG 13. 12. 1922, SVA 5 (1922-1926) Nr. 360 (S. 739). 14 BG 2. 11. 1945, BGE 71 II 287 (290); 26. 3. 1953, BGE 79 II 193 (196f); 12. 4. 1946, BGE 72 III 52 = SVA 9 (1940-1946) Nr. 204 bestätigt die Maßgeblichkeit einer Parteivereinbarung, jedoch fehlte es im entschiedenen Fall an einer Rechtswahl der Vertragspartner. 15 BG2. 11. 1945, BGE 71 II287 = SVA 9 (1940-1946) Nr. 203 (S. 515). 16 Zu entscheiden war, ob eine Vereinbarung eines Erfüllungsortes in den Versicherungsbe­ dingungen zulässig war (nach deutschem Recht zulässig, nach schweizerischem Recht - Art. 74 OR - allgemein zulässig, im Rahmen des Art. 2 Nr. 4 Satz 4 Schweiz. VAG a. F. [von 1885], Artt. 27, 30 Schweiz. VAG n. F. [von 1979] unzulässig). Das Bundesgericht lehnte es in einem

Herrlichkeit (Autonomie) des Partei willens“ ausdrücklich17. Die Argumentation des Gerichts läßt den maßgebenden Gesichtspunkt erkennen: Ohne Rechtswahl wäre die deutsche Rechtsordnung als die „nächstliegende“ anzuwenden gewesen18. Die Rechtswahl „bestätigt“ also nur die objektive Anknüpfung19. In dem Urteil des Bundesgerichts vom 26. 3. 1953 wird eine in den Versicherungsbedingungen enthal­ tene Rechts wahlklausel unter Hinweis auf den Vertragsabschluß durch einen Haupt­ bevollmächtigten im (deutschen) Ausland befolgt20. Das Bundesgericht hat bis heute außerhalb des Bereichs der Transportversicherung noch in keinem Fall über eine Rechtswahlklausel entschieden, in der ein von der objektiven Anknüpfung abwei­ chendes Recht bestimmt worden ist21. Die - nicht zu bestreitende - Feststellung von Lando22, die schweizerische Judikatur zeige keine Ansätze, die auf eine Einschrän­ kung der kollisionsrechtlichen Verweisungsfreiheit hinausliefen, ist daher nur ein Teil der Wahrheit: Schweizerische Gerichte hatten es nicht mit Sachverhalten zu tun, in denen sich dieses Problem gestellt hätte. Immerhin deutet die Bemerkung in dem Entscheid des Bundesgerichts vom 2.11. 1945, dem Versicherungsnehmer werde durch die Anerkennung der Rechtswahl­ klausel „nichts Ungebührliches zugemutet“, daraufhin, daß eine Rechtswahlklausel unter Umständen auf ihre Angemessenheit überprüft werden kann23. Das Schrifttum steht der Parteiautonomie im Versicherungsrecht ganz überwiegend skeptisch gegenüber24. Wegen der Vielzahl zwingender Nor­ men im Versicherungsvertragsrecht „aller Länder“ lehnt Ryser die kolli­ sionsrechtliche Parteiautonomie ab25. Dies soll, wohl aus Gründen der Ver­ einfachung, auch für Transport-, See- und Rückversicherungsverträge gel­ ten, bei denen sich eine materiellrechtliche Verweisung auf ein bestimmtes

obiter dictum ab, die Anwendung des Art. 2 Nr. 4 Satz 4 Schweiz. VAG a.F. auf den ausländischen Geschäftsbetrieb inländischer Versicherer zu erstrecken. 17 BG 2. 11. 1945, BGE 71 II 287 = SVA 9 (1940-1946) Nr. 203 (S. 517f), mit der Einschränkung, daß es sich um eine „ausdrückliche Willensäußerung“ handeln müsse. Der Verweis auf Roelli/Jaeger, Kommentar zum Schweizerischen Bundesgesetz über den Versi­ cherungsvertrag vom 2. April 1908, IV (1933) Einleitung 88 f. (Rz. 30) geht fehl: Roelli/Jaeger 92 (Rz. 35) stellen klar, daß auch ein stillschweigender, aus den Umständen zu schließender Wille anzuerkennen sei. 18 BG 2. 11. 1945, BGE 71 II 287 = SVA 9 (1940-1946) Nr. 203 (S. 519): „Die vorliegende Rechtsanwendungsklausel entspricht also der Norm“ (Hervorhebung von mir). 19 Dem Bundesgericht folgen: Obergericht Zürich 13. 10. 1950, SVA 11 (1953-1959) Nr. 86 (S. 341); 19. 10. 1951, SVA 11 (1953-1959) Nr. 87 (S. 354). 20 BG 26. 3. 1953, BGE 79II193 = SVA 11 (1953-1959) Nr. 104 (S. 621 f). 21 In AG Luzern-Stadt 24. 5. 1935, SVA 8 (1935-1939) Nr. 286 (S. 508f.) wird durch die Vereinbarung schweizerischen Rechts ebenfalls die objektive Anknüpfung nur bestätigt. 22 Lando, Contracts, in: Int. Enc. Comp. L. III: Private International Law, Kap. 24 (1976) Nr. 273 (S. 148) (im folgenden: Lando, Contracts). 23 BG 2. 11. 1945, BGE 71II287 = SVA 9 (1940-1946) Nr. 203 (S. 518). 24 Einige Autoren bejahen die Parteiautonomie für das internationale Vertragsrecht ganz allgemein, ohne Einschränkungen für das Versicherungsrecht anzudeuten; z. B. Schönenber­ ger/Jäggi Rz. 199. 25 Ryser, Der Versicherungsvertrag im IPR (Diss. Bern 1957) 81 (im folgenden: Ryser).

Recht in ihren Ergebnissen von einer kollisionsrechtlichen Verweisung kaum unterscheidet26. Keller27 argumentiert gegen die Parteiautonomie auf der Grundlage der von ihm vertretenen objektiven Anknüpfung an den Betriebsort des Versicherers, die mit dem Massencharakter des Versiche­ rungsvertrages, dem Gesichtspunkt der Gefahrengemeinschaft, der Einheit des technischen Versicherungsbestandes und den Anforderungen der Versi­ cherungsaufsicht begründet wird28. Die notwendig einheitliche rechtliche Beurteilung des Versicherungsbestandes, mit der die Zuverlässigkeit der Kalkulation stehe und falle29, und der Schutzzweck der (halb-)zwingenden Normen des Versicherungsvertragsgesetzes, der nicht zur Disposition des Versicherers gestellt werden dürfe30, sprächen gegen eine Anerkennung der kollisionsrechtlichen31 Parteiautonomie32. Vischer postuliert als Vorausset­ zung der Parteiautonomie, daß der Vertrag nicht bereits „eindeutig lokali­ siert“ ist33. Im Anschluß an Keller rechnet Vischer Versicherungsverträge, die durch die Anforderungen staatlicher Aufsicht zu einem Versicherungs­ bestand unter staatlicher Kontrolle zusammengefaßt sind, zu den lokalisier­ ten Verträgen34. Nur dann, wenn ein Versicherungsvertrag nicht zum Be­ stand einer Haupt- oder Zweigniederlassung gehöre und nicht den Charak­ ter eines Massenvertrages habe, soll eine Rechtswahl zulässig sein35. 26 Ryser (vorige Note) 85 f. 27 Roelli/Jaeger/Keller, Kommentar zum Schweizerischen Bundesgesetz über den Versi­ cherungsvertrag vom 2. 4. 19082, IV: Das internationale Versicherungsvertragsrecht der Schweiz (1962) 61 ff. (im folgenden: Keller). 28 Keller (vorige Note) 16ff.; ihm folgend Gaugler, Das internationale Versicherungsver­ tragsrecht der Schweiz: SVZ 31 (1963/64) 161 (169f.). 29 Keller 61. 30 Keller 63. Parteiautonomie in Verbindung mit einer rechtswahlergänzenden Anknüpfung der zwingenden Schutznormen lehnt Keller aus Gründen der Rechtssicherheit ab. 31 Der Gesichtspunkt der einheitlichen rechtlichen Beurteilung des Versicherungsbestandes soll auch einer materiellrechtlichen Globalverweisung entgegenstehen; Keller 62 N. 4 und 63 Text bei N. 4. 32 Der Ausschluß der Rechtswahl soll offensichtlich ohne Differenzierung nach Vertrags­ typen auch für die typisch internationalen Versicherungsverträge gelten; Keller 64 f. Eine Rechtswahl soll nur in dem seltenen Ausnahmefall möglich sein, wenn dem Vertrag der Charakter eines Massenvertrages fehlt und er weder zum versicherungstechnischen Bestand einer Haupt- noch einer Zweigniederlassung gehört; vgl. 65. 33 Vischer, Internationales Vertragsrecht (1962) 63 ff; ders., IPR 671. Diese Voraussetzung kollisionsrechtlicher Rechtswahlfreiheit steht im Zusammenhang mit ihrer rechtspolitischen Rechtfertigung: Vischer sieht - im Anschluß an Raape- die Parteien als „Gehilfen des Richters bei der heiklen Aufgabe der Schwerpunktbestimmung“; Vischer, Internationales Vertrags­ recht 25. Daraus folgert Vischer nicht nur die Unzulässigkeit der Wahl eines neutralen Rechts (52) sowie der Teilverweisung durch die Parteien (53ff.), sondern auch die Unwirksamkeit der Rechtswahl bei solchen Verträgen, bei denen der Richter der Parteien als „Gehilfen“ nicht bedarf: den lokalisierten Verträgen. Das Bundesgericht ist für Grundstücksverträge der Ansicht Vischers entgegengetreten; BG 30. 3. 1976, BGE 102 II 143 (145). 34 Vischer, IPR 671. 35 Vischer, IPR 674.

Der mit der Botschaft des Schweizerischen Bundesrates vom 10. 11. 1982 vorgelegte Entwurf zu einem Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz)36 geht in Art. 1131 von der Rechts Wahlfreiheit aus, schließt sie aber für Konsumentenverträge in Art. 117 III ausdrücklich aus. Diese Be­ schränkung der Parteiautonomie, die den weiten Bereich des Massenversi­ cherungsgeschäftes (der sog. „Jedermann-Versicherungen“) betrifft, greift jedoch nur insoweit ein, als die Verträge bei objektiver Vertragsanknüpfung nach Art. 1171 dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Konsumenten unterstehen.

2. Objektive Anknüpfung Mangels einer Rechtswahl der Vertragspartner kommt nach der neueren Rechtsprechung zum internationalen Vertragsrecht das Recht desjenigen Staates zur Anwendung, mit dem das Rechtsverhältnis am engsten zusam­ menhängt37. Der engste Zusammenhang besteht in der Regel zu dem Staat, in dem der Schuldner der vertragstypischen (charakteristischen) Leistung wohnt bzw. seinen Geschäftssitz hat38. Von dieser Regel soll bei außerge­ wöhnlichen Umständen39 eine Ausnahme gemacht werden können40. Beim Versicherungsvertrag fuhrt das Statut des engsten Zusammenhangs41 zum

36 BB1. 1983 I 263-519. Der Gesetzentwurf beruht auf Vorarbeiten der Schweizerischen Vereinigung für internationales Recht, die 1978 einen Vorentwurf veröffentlicht hatte: Bundes­ gesetz über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz), Gesetzentwurf und Begleitbericht (1978). 37 Seit BG 12. 2. 1952, BGE 78II74 (80, 83) unter ausdrücklicher Ablehnung eines hypothe­ tischen Parteiwillens: BG 4. 7. 1953, BGE 79 II 165; 26. 6. 1962, BGE 88 II 195 (199); 16. 11. 1965, BGE 91II356 (358); 11.5. 1966, BGE 92II111 (115); 1. 10. 1968, BGE 94II355 (360); 29. 1. 1970, BGE 96II 79 (89); 25. 2. 1975, BGE 101II 83 (84). Bis zu BG 12. 2. 1952, BGE 78 II74 wurde auf den engsten räumlichen Zusammenhang zur Konkretisierung des hypothetischen Parteiwillens abgestellt; z. B. BG 18. 9. 1934, BGE 60 II294 (300f.). 38 BG 10. 6. 1952, BGE 78II190 (191); 26. 6.1962, BGE 88II195; 16.11.1965, BGE 91II356 (358); 11. 5. 1966, BGE 92II 111 (115); 1. 10. 1968, BGE 94II355 (360); 29. 1. 1970, BGE 96 II 79 (89); 25. 2. 1975, BGE 101II 83 (84). 39 BG 1. 10. 1968, BGE 94II355 (360); vgl. auch BG 10. 6. 1952, BGE 78 II190 (191). 40 „Ausweichklausel“; Terminus bei Schönenberger/Jäggi Rz. 240. Die in Rz. 242 darge­ stellten Fallgruppen sind kaum Beispiele für „außergewöhnliche Umstände“ (so aber Rz. 256); vielmehr stehen sie für die Notwendigkeit einer vom Prinzip der charakteristischen Leistung abweichenden Anknüpfung für bestimmte Sachverhalte! 41 BG 12. 4. 1946, BGE 72III52 = SVA 9 (1940-1946) Nr. 204 (S. 522): „engster räumlicher Zusammenhang“; vgl. auch BG 2. 11. 1945, BGE 71 II 287 = SVA 9 (1940-1946) Nr. 203 (S. 518f.): „nächstliegende“ Rechtsordnung; Obergericht Zürich 13. 10. 1950, SVA 10 (1947­ 1952) Nr. 86 (S. 341): Der „räumliche Zusammenhang [sei] ein so enger...“; Obergericht Zürich 19. 10. 1951, SVA 10 (1947-1952) Nr. 87 (S. 354): „... Der räumliche Zusammenhang des Vertragsverhältnisses mit der deutschen Zweigniederlassung [sei] ein so enger, daß nur deutsches Recht in Betracht kommt“.

Recht am Ort derjenigen Geschäftsniederlassung des Versicherers, zu deren Bestand der Versicherungsvertrag gehört42. Das Kriterium der Bestandszu­ gehörigkeit läßt sich dabei auf einen zweispurigen kollisionsrechtlichen Ansatz zurückfuhren. In einer Reihe von Urteilen hat das Bundesgericht dem 1885 erlassenen schweizeri­ schen Aufsichtsgesetz (VAG)43 unmittelbare kollisionsrechtliche Relevanz zugespro­ chen. Grundlage dafür war Art. 2 Nr. 4 schweizerisches VAG, der für konzessionier­ te ausländische Versicherer die Errichtung eines Domizils in der Schweiz verlangt, an dem sie (aus dem inländischen Geschäft) verklagt werden können, und der einen gesetzlichen Erfüllungsort für die Leistung des Versicherers im Inland am Domizil des Versicherten begründet. In der Entscheidung vom 8. 6. 1889 heißt es dazu: „Wenn auch dort allerdings zunächst nur vom Gerichtsstand die Rede ist, so wird doch angenommen werden müssen, das Gesetz wolle die Versicherungsgesellschaften verpflichten, sich für die in der Schweiz mit schweizerischen Versicherten abgeschlossenen Verträge auch dem schweizerischen materiellen Rechte zu unterwerfen“44. Spätere Entscheidungen schließen sich dem an45. Diese aufsichtsrechtliche Begründung der Anknüpfung des Versicherungs­ vertrages löst das internationale Versicherungsvertragsrecht aus dem inter­ nationalen Vertragsrecht heraus, um den von der Versicherungsaufsicht verfolgten Schutz der inländischen Bevölkerung bei Vertragsabschlüssen mit ausländischen Versicherern auch im Kollisionsrecht durch Anwendung des Umweltrechts der Bevölkerung zu realisieren. Der Sache nach wird eine einseitige Kollisionsnorm formuliert, welche die inländische Geschäftstätig­

42 BG2. 11. 1945 (vorige Note) 518 f.; zuerst AG Luzern 24. 5. 1935, SVA 8 (1935-1939) Nr. 286; Vischer, IPR 671 f.; Keller 15ff. 43 Bundesgesetz betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmen im Gebiete des Versi­ cherungswesens vom 25. 6. 1885, BB1. 18851118 ff, abgedruckt z. B. bei Roelli/Jaeger (oben N. 17) 33 ff. Ein neues Aufsichtsgesetz ist am 1. 1.1979 in Kraft getreten: Bundesgesetz vom 23. 6. 1978 betreffend die Aufsicht über die privaten Versicherungseinrichtungen (Versicherungs­ aufsicht [VAG]), AS 1978, 1836ff. (1856). 44 BG 8. 6. 1889, BGE 15, 412 = SVA 1 (1905) Nr. 8 (S. 2); Kritik an dieser Begründung bei Meili, Das internationale Civil- und Handelsrecht auf Grund der Theorie, Gesetzgebung und Praxis II (1902) 306 (im folgenden: Meili II). 45 BG23.2. 1894, BGE 20, 163 (167f); 12. 7. 1917, SVA 4 (1917-1921) Nr. 281; 17. 4. 1916, BGE 42 II 179 = SVA 3 (1911-1916) Nr. 263 (S. 577): „Die Konzessionierung ausländischer Versicherungsgesellschaften erfolgt in der Schweiz seit dem Inkrafttreten des Versicherungsauf­ sichtsgesetzes vom 25. Juni 1885 von vornherein nur unter der Voraussetzung der ausschließli­ chen Anwendbarkeit des schweizerischen Rechts auf alle von den betreffenden Versicherungs­ gesellschaften in der Schweiz abzuschließenden Versicherungsverträge“. Diese Unterwerfung unter das schweizerische Recht sollte für den Vertrag in seiner Gesamtheit gelten; BG 17. 4. 1916 (diese Note) 577; 12. 7. 1917 (diese Note) 551.

keit46 im Inland konzessionierter46 47 Versicherer dem inländischen Recht unter­ wirft. Dem aufsichtsrechtlichen Lösungsansatz stehen eine Vielzahl von Ent­ scheidungen gegenüber, die im Rahmen des überkommenen internationalen Vertragsrechts verbleiben.

Die Urteile betreffen oftmals Sachverhalte, die außerhalb des Anwendungsan­ spruches des schweizerischen VAG liegen: „Relativ“ internationale Verträge zwi­ schen im Ausland ansässigen Parteien48, Verträge zwischen schweizerischen Versi­ cherern mit im Ausland wohnenden Versicherten, die durch Einschaltung einer ausländischen Niederlassung49 oder auf direktem Wege50 geschlossen worden sind, aber auch Inlandsverträge von in der Schweiz nicht konzessionierten ausländischen Versicherern51. Daneben finden sich Entscheidungen, die - trotz offensichtlicher Anwendbarkeit des VAG - primär im Rahmen der überkommenen Anknüpfungen argumentieren52 oder aber die dogmatische Absicherung der Rechtsanwendungsfra­ ge in der Schwebe halten53. 46 Maßgebend ist, was die aufsichtsrechtlichen Regelungen zum inländischen Bestand des Versicherers rechnen; dabei spielen eine Rolle: der inländische Wohnsitz des Versicherungsneh­ mers, BG 8. 6. 1889, BGE 15, 412 = SVA 1 (1905) Nr. 8; 23. 2. 1894 (vorige Note); 2. 3. 1894, BGE 20, 186; der Vertragsabschluß im Inland, 17. 4. 1916 (vorige Note) 577; 8. 6. 1889, BGE 15, 412 = SVA 1 (1905) Nr. 8 (S. 2); 23. 2.1894, BGE 20,186 (189); 17. 9.1925, BGE 51II406 = SVA 5 (1922-1926) Nr. 197 (S. 403), bzw. der inländische Erfüllungsort, 13. 11. 1931, BGE 57 II 596 = SVA 7 (1931-1934) Nr. 177 (unter Hinweis auf Art. 2 Nr. 1 Kautionsgesetz); 17. 2. 1927, BGE 53 II 76 = SVA 6 (1927-1930) Nr. 172. Ob bei Vertragsschluß tatsächlich die Niederlassung im Inland tätig wurde, soll keine Rolle spielen; 17. 9. 1925 (diese Note) 403. 47 BG23. 2. 1894 (oben N. 45) 167; 12. 7. 1917 (oben N. 45) 551; 2. 3. 1894 (vorige Note) 189; 17. 4. 1916 (oben N. 45) 577; 17. 9. 1925 (vorige Note) 400. Die Inlandstätigkeit ausländischer, nicht konzessionierter Versicherer ist gemäß Art. 3 II Schweiz. VAG a. F., Art. 50 Nr. 1 n. F. verboten. Dazu gehören auch die Korrespondenzversicherung und die bloße Werbung vom Ausland her; Ryser 55. Versicherungsverträge nicht konzessionierter Versicherer unterfallen nicht der aufsichtsrechtlichen Anknüpfung; BG 13. 12. 1922, SVA 5 (1922-1926) Nr. 360 (S. 738 f.). 48 BG 19. 11. 1941, SVA 9 (1940-1946) Nr. 200 (Versicherungsvertrag zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer aus Österreich); 7. 3. 1935, SVA 8 (1935-1939) Nr. 291 (rein holländischer Vertrag); Obergericht Aargau 11. 12. 1936, SVA 8 (1935-1939) Nr. 232 (S. 392). 49 Obergericht Zürich 24. 1. 1912, SVA 3 (1911-1916) Nr. 232; Zivilgericht Basel-Stadt 4. 12. 1925, SVA 5 (1922-1926) Nr. 209; Bezirksgericht Zürich 18. 2. 1926, SVA 5 (1922-1926) Nr. 194; Zivilgericht Basel-Stadt 12. 5. 1927, SVA 6 (1927-1930) Nr. 171; Bezirksgericht Zürich 1. 5. 1928, SVA 6 (1927-1930) Nr. 173; BG 12. 4. 1946, BGE 72III 52 = SVA 9 (1940­ 1946) Nr. 204; 20. 1. 1948, BGE 74 II 81 = SVA 10 (1947-1952) Nr. 85. 50 BG 17. 2. 1927, BGE 53 II 76 = SVA 6 (1927-1930) Nr. 172; Verträge ausländischer Niederlassungen ausländischer Versicherer betreffen die Urteile des Handelsgerichts Bern 3. 4. 1925, SVA 5 (1922-1926) Nr. 359; BG 7. 3. 1923, BGE 43II121 = SVA 5 (1922-1926) Nr. 155; vgl. auchBG4. 11. 1920, BGE 46 II 421 = SVA 4 (1917-1921) Nr. 282. 51 BG 13. 12. 1922, SVA 5 (1922-1926) Nr. 360. 52 BG 27. 9. 1922, SVA 5 (1922-1926) Nr. 184; 1. 3. 1923, BGE 49 II 113 = SVA 5 (1922­ 1926) Nr. 198 (schweizerischer Abschluß- und Erfüllungsort bei in Frankreich belegenem Risiko einer Feuerversicherung). 53 BG 30. 4. 1892, BGE 18, 314 (318f.) (Versicherungsvertrag zwischen schweizerischem

Maßgeblich waren zunächst die lex loci contractus für Fragen des Vertragsab­ schlusses, der hypothetische Parteiwille und der Erfüllungsort für die Vertragswir­ kungen54. Bisweilen wurden die Anknüpfungspunkte auch kombiniert55. Später sollten der Schwerpunkt56 bzw. der engste räumliche Zusammenhang57 den Aus­ schlag geben. Der aufsichtsrechtliche und der internationalprivatrechtliche Ansatz wur­ den schließlich, nachdem sie auch schon nebeneinander zur Begründung der Entscheidungen herangezogen worden waren58, zu einer spezifisch auf den Versicherungsvertrag abgestellten Anknüpfung, dem Betriebsort des Versi­ cherers, zu dessen Bestand der Versicherungsvertrag gehört, verschmol­ zen59. Damit hat die schweizerische Rechtsprechung eine Kollisionsnorm für Versicherungsverträge entwickelt, die den Anwendungsanspruch des schweizerischen VAG berücksichtigt, zugleich aber die Einseitigkeit der aufsichtsrechtlichen Anknüpfung überwindet. Es ist kein Zufall, daß zur Anknüpfung an den Betriebsort des Versicherers in einem Fall gegriffen wurde, in dem es um die Auslandstätigkeit eines inländischen Versicherers gegangen ist60. Zu beachten bleibt, daß die Rechtsprechung für die Inlandstä­ Versicherungsnehmer und französischem Versicherer; „unzweifelhaft“ schweizerisches Recht); BG 16. 12. 1892, BGE 18, 868 verweist auf BGE 18, 314 und BGE 15, 404 (dieses Urteil ist aufsichtsrechtlich begründet). 54 Vgl. die eingehende Übersicht bei Keller 28 ff. 55 Bezirksgericht Zürich 18. 2. 1926 (oben N. 49) (Abschlußort, Erfüllungsort); BG 1. 3. 1923, BGE 49 II 113 (116) = SVA 5 (1922-1926) Nr. 198 (S. 407) (Abschluß- und Erfül­ lungsort). 56 Der Sache nach Zivilgericht Basel-Stadt 4. 12. 1925 (oben N. 49) 443 (beiderseitiger Erfüllungsort, Ort des Risikos, Währung, Vertragsabschlußort, Wohnort des Versicherungs­ nehmers, Agentur des Versicherers). 57 Obergericht Zürich 13. 10. 1950 (oben N. 41) 341; 19. 10. 1951 (oben N. 41) 354; BG 12. 4. 1946 (oben N. 49) 522. 58 Etwa BG 17. 4. 1916 (oben N. 46). 59 Grundlegend BG 2. 11. 1945 (oben N. 41) 518 f. (zugleich unter Hinweis auf die erwünsch­ te einheitliche Beurteilung von Massen Verträgen, „contrats d’adhesion“); vgl. aus der Recht­ sprechung davor: AG Luzern-Stadt 24. 5. 1935, SVA 8 (1935-1939) Nr. 286 (S. 508): „Gesetz des Betriebsortes bzw. der Niederlassung“. Mit demselben Ergebnis, jedoch ohne Bezug auf das Betriebsstatut: BG 12. 4. 1946 (oben N. 41); Zivilgericht Basel-Stadt 16. 7. 1954, SVA 11 (1953-1959) Nr. 106; Obergericht Zürich 13. 10. 1950 (oben N. 41); 19. 10. 1951 (oben N. 41); BG 20. 1. 1948 (oben N. 49); vgl. auch noch BG 26. 3. 1953, BGE 79 II 193 = SVA 11 (1953­ 1959) Nr. 104. 60 Der Sache nach kommt das schweizerische IPR damit zu einer nahezu paritätischen Berücksichtigung des Anwendungsanspruchs ausländischen Versicherungsaufsichtsrechts: Zi­ vilgericht Basel-Stadt 12. 5. 1927 (oben N. 49) 335 (wo auf die Ähnlichkeit des luxemburgi­ schen Rechts mit dem schweizerischen Art. 2 Nr. 4 Schweiz. VAG a. F. verwiesen wird); BG 2. 11. 1945 (obenN. 41)519: „Das Bundesgericht hat... ausgesprochen, daß sich die ausländischen Versicherungsunter­ nehmungen für die in der Schweiz mit deren Einwohnern abgeschlossenen Verträge dem schweizerischen Recht unterwerfen (BGE 51 II 409). Dieser Stellungnahme gegenüber ausländischen Unternehmungen entspricht es andererseits, zuzulassen, daß die schweizeri­

tigkeit ausländischer, im Inland konzessionierter Versicherer den Versiche­ rungsbestand vom schweizerischen Aufsichtsrecht her definiert61. Es spielt also keine Rolle, ob der Versicherer den Vertrag über eine Niederlassung im Inland schließt und ihn seinem ausländischen oder dem schweizerischen Bestand zuordnet. Für die Auslandstätigkeit inländischer Versicherer scheint es dagegen nicht auf die Konzession im Ausland, sondern auf den Umstand anzukommen, ob der Versicherungsvertrag über eine ausländische Nieder­ lassung bzw. einen ausländischen Agenten abgeschlossen worden ist62 und deshalb dem Anwendungsanspruch eines ausländischen Aufsichtsrechts un­ terfällt63. In der Wissenschaft ist die aufsichtsrechtliche Begründung für die Anknüp­ fung von Anfang an auf Ablehnung gestoßen64. Dem Aufsichtsrecht wird allenfalls mittelbar Bedeutung zugemessen, wenn aus der Konzessionierung

sehen Versicherer sich in ihrem ausländischen Geschäftsbereich dem ausländischen Recht unterstellen“. Obergericht Zürich 13. 10. 1950 (oben N. 41) 341 f. (das Bundesgericht verwehre ausländischen Versicherern für den schweizerischen Geschäftsbetrieb die Berufung auf ausländisches Recht; folgerichtig müsse für die Auslandstätigkeit schweizerischer Versicherer ausländisches Recht Anwendung finden); gleichsinnig: Obergericht Zürich 19. 10. 1951 (oben N. 41) 354. 61 BG 17. 9. 1925 (oben N. 46); AG Luzern-Stadt 24. 5. 1935 (oben N. 59); BG 17. 4. 1916 (oben N. 46); 12. 7. 1917 (oben N. 45). Mit Blick auf Art. 2 Nr. 1 Kautionsgesetz vom 4. 2. 1919: BG 13. 11. 1931 (oben N. 46); 17. 2. 1927 (oben N. 46) 340. Anders Cour de justice de civile Geneve 28. 2. 1922, SVA 5 (1922-1926) Nr. 196 (S. 398) (wo auf die Einschaltung eines inländischen Vertreters - zur Abgrenzung gegenüber der Anknüpfung an den Hauptsitz des Versicherers - abgestellt wird). 62 BG 2. 11. 1945, BGE 71 II 287 = SVA 9 (1940-1946) Nr. 203 (S. 519): „Niederlassung“; BG 12. 4. 1946, BGE 72 III 52 = SVA 9 (1940-1946) Nr. 204 (S. 522): „Zweigniederlassung“; 20. 1. 1948, BGE 74 II 81 = SVA 10 (1947-1952) Nr. 85 (S. 337): „Agentur“; Obergericht Zürich 13. 10. 1950 (oben N. 41) 341: „Dabei kommt dem Umstand, daß der Vertrag aus dem Geschäftsbetrieb der Münchner Niederlassung stammt, Bedeutung zu“; Obergericht Zürich 19. 10.1951 (oben N. 41) 354; BG 26. 3. 1953, BGE 79II193 = SVA 11 (1953-1959) Nr. 104 (S. 621 f): „Abschluß des Vertrages durch den dazu ermächtigten Hauptbevollmächtigten für Bayern in München“; vgl. auch Zivilgericht Basel-Stadt 16. 7. 1954 (oben N. 59) 631 (mit Verweis auf BGE 71II291; BGE 79II197); vgl. auch Zivilgericht Basel-Stadt 12. 5. 1927 (oben N. 49) 334: „luxemburgische(r) Generalagent“; Bezirksgericht Zürich 1. 5. 1928 (oben N. 49) 347. Im Ergebnis - jedoch mit anderer Begründung (Abschlußort, Erfüllungsort) - ebenso Bezirksgericht Zürich 18. 2. 1926 (oben N. 49) 390; Zivilgericht Basel-Stadt 4. 12. 1925 (oben N. 49) 443. 63 Vgl. Obergericht Zürich 19. 10. 1951 (oben N. 41) 354: „Wie das Bundesgericht für die von ausländischen [zu ergänzen wäre: konzessionierten] Versicherungsunternehmen in der Schweiz mit deren Einwohnern abgeschlossene Verträge [zu ergänzen wäre: auch ohne Einschaltung der inländischen Niederlassung] die Berufung auf das ausländische Recht ablehnt (BGE 51 II 409), so unterstellt es die mit einer ausländi­ schen Niederlassung abgeschlossenen Versicherungsverträge, selbst wenn es sich nur um eine Vertretung mit Rechtsdomizil nach der dortigen Aufsichtsgesetzgebung handelt, dem Recht des betreffenden Staates (BGE 71 II 291)“. 64 Meili II 304ff.; Ostertag, Das Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (1915) 8; Roelli/Jaeger (oben N. 17) 89f. (Rz. 33); Keller 21 f., 30ff.

für den inländischen Geschäftsbetrieb und der daran geknüpften Pflicht zur Domizilvorzeigung gefolgert wird, daß der Vertrag seinen internationalen Charakter verliere65. Im Schrifttum dominieren seit langem Stimmen, welche die Anknüpfung des Versicherungsvertrages an versicherungsvertragsspezifischen Überle­ gungen ausrichten wollen66. Meili plädierte als einer der ersten für eine den wirtschaftlichen Erfordernissen der Massenverträge und der „einheitlichen Basis“ des assekuranzrechtlichen Apparates entsprechende, einheitliche An­ knüpfung an den Ort des Hauptsitzes des Versicherers, wollte aber das Recht des Tätigkeitslandes zur Anwendung bringen, „wenn die Versicherten in jenen Fällen nicht ausdrücklich auf das Recht, das am Sitze der Gesellschaft besteht, verwiesen werden“67. Der bereits vonjaeger- im Anschluß an Meili und Bruck - für ausschlaggebend angesehene Gesichtspunkt der Gefahren­ gemeinschaft, der eine „gleiche technische und auch rechtliche Behandlung bedingt“68 und eine Anknüpfung an den Geschäftssitz bzw. Betriebsort des Versicherers notwendig macht, wird von Keller nochmals eingehend ge­ prüft und begründet69. Zu denselben Ergebnissen kommen Schnitzer und Vischer, wenn sie auf das für das gesamte internationale Vertragsrecht geltende Prinzip der charakteristischen Leistung abstellen70, die beim Versi­ cherungsvertrag der Versicherer durch die Organisation der Gefahrenge­ meinschaft erbringt71: Anzuknüpfen sei an den Ort der gewerblichen Nie­ derlassung des Versicherers72, bei Einschaltung einer Zweigniederlassung an den Ort der Zweigstelle73. Der Entwurfeines IPR-Gesetzes von 1982 bekennt sich in Art. 11411 für das

65 Ostertag (vorige Note) 8 (für die Versicherungsverträge nicht konzessionierter Unter­ nehmen seien die allgemeinen Grundsätze des IPR anzu wenden); die faktischen Wirkungen der Versicherungsaufsicht betont Gaugler, SVZ 31 (1963/1964) 161 (173). 66 Meili II 304ff.; Keller 7 ff., 15 ff; Gaugler, SVZ 31 (1963/1964) 161 (169ff). 67 Meili II305. 68 Roelli/Jaeger (oben N. 17) 91 Rz. 33. 69 Keller 7ff., 15ff.; zustimmend Gaugler, SVZ 31 (1963/1964) 161 (169ff.); ähnlich auch Ryser 67 f. Die maßgebenden Überlegungen für das Betriebsstatut des Versicherers sind nach Keller: der Massencharakter des Versicherungsvertrages (16); der sich aus der in vielen Staaten verbreiteten Versicherungsaufsicht ergebende Zwang, einen versicherungstechnisch einheitli­ chen Betrieb mit eigenem Versicherungsbestand zu bilden (17 [Text bei N. 3], 18, 19ff, 21 ff); der versicherungstechnische Gesichtspunkt der Gefahrengemeinschaft (einheitlicher Geschäfts­ plan, Einheitlichkeit der Bedingungen und Tarife), der einen Zusammenhang zwischen dem einzelnen Vertrag und der Vielzahl der anderen Verträge schafft (17f., 21 f). 70 Schnitzer, Handbuch des IPR4, II (1958) 639ff. (im folgenden: Schnitzer II); Vischer, Internationales Vertragsrecht 108 ff. 71 Schnitzer II 734; Vischer, Internationales Vertragsrecht 128, will den Gesichtspunkt des Massenvertrages entscheiden lassen; ebenso Schönenberger/Jäggi Rz. 254. 72 Schnitzer II734; Schönenberger/Jäggi Rz. 234. 73 Schnitzer II735; Vischer, IPR 678.

Vertragsrecht zum Anknüpfungsgrundsatz des engsten Zusammenhangs74. Gemäß Art. 114 I 2 wird vermutet, daß der engste Zusammenhang zu demjenigen Staat besteht, in dem die Vertragspartei, die die charakteristische Leistung erbringen soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt (ihre Niederlas­ sung) hat. Art. 114 II bringt eine beispielhafte Bestimmung der charakteri­ stischen Leistung für einige Vertrags typen, erwähnt jedoch den Versiche­ rungsvertrag nicht. Das Kriterium der charakteristischen Leistung, das der Nicht-Geldleistung den Vorrang einräumt, beruht auf der Erwägung, daß bei einer einheitlichen Anknüpfung eines gegenseitigen Vertrages die Lei­ stung derjenigen Partei im Vordergrund der Suche nach einem angemesse­ nen Anknüpfungspunkt stehen muß, der die größere Verantwortung und die risikobeladenere Stellung zukommt75. Die Entscheidung darüber wird nicht für den Einzelfall durch Analyse des konkreten Vertrages und der Situation der Parteien, sondern durch eine Bestimmung der „funktionell“ für den Vertragstyp maßgebenden Leistung getroffen. Beim Versicherungs­ vertrag schuldet der Versicherer zwar auch nur (bedingt) eine Geldleistung; doch besteht seine Aufgabe darüber hinaus in der Organisation der Versiche­ rungsgemeinschaft und in der Absicherung eines den Vertragspartner bela­ stenden wirtschaftlichen Risikos. Die Leistung des Versicherers ist damit die charakteristische76. Anzuknüpfen ist daher grundsätzlich an den Ort der Geschäftsniederlassung des Versicherers. Diese Anknüpfung an die Niederlassung des Versicherers wird jedoch für den Bereich der sog. Jedermann-Versicherungen verdrängt durch die spe­ zielle Anknüpfung der Konsumenten-Verträge, die gemäß Art. 117 I dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Konsumenten unterstehen sollen. Dies gilt unter zwei Voraussetzungen. Die vertraglich geschuldete Leistung muß gemäß Art. 117 I für den persönlichen oder familiären Gebrauch des Konsumenten bestimmt sein. Maßgeblicher Differenzierungsgesichtspunkt wird damit bei Versiche­ rungsverträgen der nicht gewerbliche Verwendungszweck der Versicherung im Haushalt des Versicherungsnehmers. Die in den Artt. 97, 98, 100 und 101 schweizerisches VVG angelegten vertragstypenorientierten Differenzierun­ gen hinsichtlich des Schutzbedürfnisses der Versicherungsnehmer - die (halb-)zwingenden Schutznormen finden keine Anwendung bei See-, Transport- und Rückversicherungsverträgen - werden im IPR-Gesetzentwurf nicht berücksichtigt. 74 Insoweit wird die Rechtsprechung des Bundesgerichts fortgeführt, aber auch korrigiert, weil das Kriterium des engsten „räumlichen“ Zusammenhangs aufgegeben wird. 75 Schlußbericht der Expertenkommission zum Gesetzentwurf - Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (1979) 220; Begleitbericht zum Bundesgesetz über das IPR, hrsg. von Vischer/Volken (1978) 140. 76 Schlußbericht der Expertenkommission (vorige Note) 221.

Nach Art. 117 I ist das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Konsu­ menten aber nur maßgeblich, wenn die Geschäftstätigkeit des Vertragspart­ ners einen konkreten Bezug zum Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Konsumenten aufweist. Ein solcher Bezug ist gegeben, „a) wenn die Gegenpartei die Bestellung in diesem Staat entgegengenommen hat; b) wenn in diesem Staat dem Vertragsabschluß ein Angebot oder eine Werbung vorausgegangen ist und der Konsument in diesem Staat die zum Vertragsab­ schluß erforderlichen Rechtshandlungen vorgenommen hat, oder c) wenn die Gegenpartei den Konsumenten veranlaßt hat, sich ins Ausland zu begeben und seine Bestellung dort abzugeben.“

II. England 1. Parteiautonomie Die englische Rechtsprechung mißt dem Parteiwillen bei der Bestim­ mung des „proper law of a contract“ primäre Bedeutung zu77. Die Rechtswahl kann ausdrücklich, aber auch stillschweigend getroffen werden78. Ob bestimmte Verknüpfungen zwischen dem gewählten Recht und dem Sachverhalt bestehen müssen, ist nicht eindeutig geklärt79. In der berühmten Entscheidung Vita Foods Products Inc. v. Unus Shipping Co., Ltd. aus dem Jahre 1937 hatte Lord Wright einerseits eine Verknüpfung des Vertrages mit dem gewählten Recht als „not as a 77 R. v. International Trustee for the Protection ofBondholders Aktiengesellschaft, [1937] A.C. 500 (529 per Lord Atkins): „The legal principles which are to guide an English Court on the question of the proper law of a contract are now settled. It is the law which the parties intended to apply. Their intention will be ascertained by the intention expressed in the contract, if any, which will be conclusive“; Vita Food Products, Inc. v. Unus Shipping Co., Ltd., [1939] A.C. 277 (289ff. per Lord Wright); vgl. auch Machender v. Feldia A.G., [1967] 2 Q.B. 590 (598 per Lord Denning). Aus dem Schrifttum vgl. Wolff, Private International Law2 (1962) 413ff.; Cheshire/North, Private International Law10 (1979) (im folgenden Cheshire/North) 198 ff.; Dicey/Morris, Conflict of Laws10 (1980) 769 (im folgenden: Dicey/Morris) 769 (Rule 145); F. A. Mann, The Proper Law of the Contract: Int.L.Q. 3 (1950) 60; Prebble, Choice of Law to Determine the Validity and Effect of Contracts - A Comparison of English and American Approaches to the Conflicts of Laws: Cornell L.Rev. 58 (1973) 433 (496); Staudinger(-Firsching), Internationales Schuld­ recht I Rz. 76. 78 Armadora Occidental S.A. v. Horace Mann Insurance Co., [1977] 1 All E.R. 347 (350); Dicey/ Morris 769 f. (Rule 145, Sub-Rule 2): „ When the intention of the parties to a contract with regard to the law governing the contract is not expressed in words, their intention is to be inferred from the terms and nature of the contract, and from the general circumstances of the case, and such inferred intention determines the proper law of the contract... “; Cheshire/North 203 ff. 79 Dazu Wolff, Private International Law 418ff.; Prebble (oben N. 77) 503ff; Cheshire/ North 200 ff; Dicey/Morris 755.

matter of principle essential“ bezeichnet, zugleich aber verlangt, die Rechts wähl müsse „bona fide and legal“ sein80. Die Rechtswahlfreiheit der Parteien findet ihre unbestrittene Grenze in der engli­ schen public policy81; sie wird auch durch Gesetze beschränkt, die in den letzten Jahren zum Schutze des Verbrauchers erlassen worden sind82. Gemäß s. 27(2)(b) Unfair Contract Terms Act 197783 sind bei international verknüpften Verträgen mit Konsumenten mit gewöhnlichem Aufenthalt im Vereinigten Königreich die Vor­ schriften des Gesetzes trotz der Wahl eines ausländischen Rechts zu berücksichtigen, wenn die entscheidenden Schritte zum Vertragsabschluß im Bereich des Vereinigten Königreichs vorgenommen worden sind84. Section 27(2) (b) ändert nichts an der Wirksamkeit der Rechtswahlvereinbarung85, sondern fuhrt zu einer rechtswahler­ gänzenden Anwendung des Unfair Contract Terms Act86, ähnlich wie § 12 des deutschen AGB-Gesetzes87.

Die Parteiautonomie ist für Versicherungsverträge bis heute in England unangefochten geblieben - ein Ergebnis, das nicht verwundern kann, wenn man in Betracht zieht, daß das englische Recht weder eine dem deutschen oder schweizerischen Versicherungsvertragsgesetz vergleichbare Gesetzge­ 80 Vita Foods Products, Inc. v. Unus Shipping Co., Ltd. (oben N. 77) 290. 81 Compagnie dArmement Maritime S.A. v. Compagnie Tunisienne de Navigation S.A., [1971] A.C. 572 (603 per Lord Diplock): „... the English courts will give effect to their choice unless it would be contrary to public policy to do so“. Englische Verbotsnormen setzen sich auch gegenüber ausländischem Vertragsstatut durch; Machender v. Feldia A.G. (oben N. 77) 601 per Lord Diplock: „English courts will not enforce an agreement, whatever be its proper law, if it is contrary to English law, wether Statute law or common law“; vgl. auch Jaffey, Essential Validity of Contracts in the English Conflict of Laws: Int. Comp.L.Q. 23 (1974) 1; Dicey/Morris 801 ff. (Rule 149, Exception 2). 82 Supply of Goods (Implied Terms) Act 1973 (c.13); Consumer Credit Act 1974 (c.39). 83 Unfair Contract Terms Act 1977 (c.50); vgl. dazu die Übersicht bei Borrie, Legislative and Administrative Controls over Standard Forms of Contract in England:}.Bus.L. 1978, 317; Goode, The Consumer Credit Act (1979); Triebel, Das englische Gesetz über unbillige Vertragsklauseln von 1977: RIW/AWD 1978, 353; Johnston, Auswirkung des Verbraucher­ schutzes auf Kaufverträge in England: RIW/AWD 1977, 330; Weick, Unfair Contract Terms Act und AGB-Gesetz: ZgesHR 145 (1981) 68. 84 Section 27(2)(b) Unfair Contract Terms Act 1977 (vorige Note): .. the essential Steps necessary for the making of the contract were taken there... “. 85 Gemäß s.27(2)(a) Unfair Contract Terms Act 1973 (oben N. 83) ist jedoch eine Rechts­ wahlvereinbarung unwirksam, die allein darauf abzielt, die Anwendung des Gesetzes zu umgehen. 86 Vgl. Cheshire/North 234 ff. Section 27(2) (b) Unfair Contract Terms Act 1977 (oben N. 83) verwirklicht für den Bereich der Konsumentenverträge ein Anliegen, das Lord Denning in Boissevain v. Weil, [1949] 1 K.B. 482 = [1949] 1 All E.R. 146 (152f.) anspricht: die Einschrän­ kung der Rechtswahlfreiheit im Hinblick auf bestimmte zwingende Normen der Rechtsord­ nung mit der „most substantial connection“. Kritik übt daran F. A. Mann, The Proposed New Law of Exemption Clauses and the Conflict of Laws: Int.Comp.L.Q. 26 (1977) 903. 87 Für den Consumer Credit Act 1974 (oben N. 82) vertritt Goode (oben N. 83) 363 eine zwingende Berücksichtigung bei entsprechender Inlands Verknüpfung des Vertrages.

bung noch eine aufsichtliche Kontrolle der verwendeten Versicherungsbe­ dingungen kennt88. Rechts Wahlfreiheit ist für See-89 und Rückversicherungs­ verträge90 in der Rechtsprechung ebenso anerkannt wie für Feuer-91, Le­ bens-92 und Vermögensversicherungsverträge93. Ansätze zu einer Beschrän­ kung bei Verträgen mit branchenunkundigen Versicherungsnehmern bzw. Endverbrauchern sind weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum94 auszumachen95. Der Unfair Contract Terms Act 1977 findet auf Versiche­ rungsverträge keine Anwendung96.

88 Das Versicherungsaufsichtsrecht Englands ist durch Erlaß des Insurance Companies Act 1974 (c.49), 1981 (c.31) sowie 1982 (c.50) in Anpassung an die Erste Richtlinie zur Koordinie­ rung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) vom 24. 7. 1973, ABI. 1973 L189/3, sowie die Erste Richtlinie zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungs­ vorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (Lebens­ versicherung) vom 5. 3. 1979, ABI. 1979 L 63/1, grundlegend umgestaltet worden. Zur Rechtslage vor 1974: Ahlenstiehl, Die Staatsaufsicht über Versicherungsunternehmen in Großbritannien (1967). Eine Sammlung der wesentlichen Gesetze betreffend die Versiche­ rungsbranche enthält: Butterworth’s Insurance Law Handbook (1983). 89 Armadora Occidental S.A. v. Horace Mann Insurance Co. (oben N. 78) 350 (wo ausdrücklich auf Dicey/Morris, Rule 145, Sub-Rule 2, Bezug genommen wird). Entscheidungen sind, trotz der großen Bedeutung der englischen Seeversicherer, höchst selten; vgl. Griese, Internationales Seeversicherungsrecht: VersArch. 1959, 129 (131). 90 Royal Exchange Assurance Corporation v. Sjorforsakrings Aktiebolaget Vega, [1901] 2 K.B. 567 (574 per Bingham, J.); Royal Exchange Assurance Corporation v. Sjorforsakrings Aktiebolaget Vega, [1902] 2 K.B. 384 (394); vgl. Monachos, Re-insurance in English Private International Law: J.Bus.L. 1972, 206 (207ff). 91 Spurrier v. LaCloche, [1902] A.C. 446 (450 per Lord Lindley); vgl. dazu Kahn-Freund, General Problems of Private International Law (1976) 198, 446. 92 Anderson v. The Equitable Assurance Society of United States, [1926] All E.R.Repr. 93 (95); vgl. auch Unger, Life Insurance and the Conflict of Laws: Int.Comp.L.Q. 18 (1964) 482 (491). 93 Machender v. Feldia A.G. (oben N. 77) 589 (belgisches Recht vereinbart bei einer Juwelen­ versicherung bei Lloyds). 94 Vgl. Dicey/Morris 862 (Rule 158): „(1) A contract of insurance is govemed by its proper law. (2) If an intention to choose the proper law has not been expressed in the insurance policy and cannot be inferred from the circumstances..." Siehe auch MacGillivray/Parkington, On Insurance Law6 (1975) 503. 95 Vgl. für einen anderen Bereich: Jones v. Oceanic Steam Navigation, [1924] 2 K.B. 730 (Personentransportvertrag zwischen englischem Unternehmen und englischem Passagier, ge­ schlossen in Detroit, mit Haftungsausschlußklauseln, die unstreitig nach dem Recht der betrof­ fenen US-Staaten unwirksam waren; da englisches Recht vereinbart, blieben sie unangewendet [Vgl. 733]). 96 Schedule 1 des Unfair Contract Terms Act 1977 (oben N. 82).

2. Subsidiäre Anknüpfung Bei Fehlen einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Rechtswahl ha­ ben die Gerichte früher auf den mutmaßlichen Parteiwillen („presumed intention“) abgestellt97. In jüngerer Zeit findet dagegen zunehmend das objektive Kriterium der „closest and most real connection“ Verwendung98. Bei beiden Anknüpfungen wird der Vertrag unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Faktoren wie Ort des Vertragsschlusses, Sitz der Parteien, Erfüllungsort der Leistungen, Schiffsflagge und Vertragsgestaltung (Spra­ che, Vertragsformular, technische Ausdrücke, Währung)99 einer Rechtsord­ nung zugewiesen.

Section 27(2) (b) Unfair Contract Terms Act mag sich in Zukunft bei der Konkreti­ sierung des „proper law of the contract“ insoweit auswirken, als die darin genannten tatsächlichen Voraussetzungen einer gesonderten Anknüpfung (Konsument wohnt im Vereinigten Königreich, „the essential Steps necessary for the making of the contract were taken there“) bei Konsumentenverträgen zugleich die „closest and most real connection“ des Vertrages festlegen100. Die Gerichte sind auch bei Versicherungsverträgen der vertragsindividua­ lisierenden Anknüpfungsmethode gefolgt101. Begründungen, die auf kolli­ sionsrechtlichen Versicherungsnehmerschutz zielen, lassen sich nicht fest­ stellen102. Soweit Urteile aus jüngerer Zeit das Recht am (Haupt-)Sitz des Versicherers anwenden103, haben weniger Überlegungen, wie sie dem Be­ triebsstatut zugrunde liegen (Massenvertragscharakter, Gefahrengemein­ schaft, versicherungstechnische Erwägungen), den Ausschlag gegeben als vielmehr die konkreten Umstände des Vertragsschlusses104. Das Schrifttum

97 Rex v. International Trustee for the Protection ofBondholders Act (oben N. 77) 529 per Lord Atkins: „If no intention be expressed, the intention will be presumed by the court from the terms of the contract and the relevant surrounding circumstances“. 98 Dicey/Morris 769ff. (Rule 145, Sub-Rule 3); eingehende Nachweise aus der Rechtspre­ chung bei Sandrock 156 ff. 99 Cheshire/North 211. 100 Cheshire/North 234, aber auch 235 N. 5. 101 Rossano v. Manufacturers' Life Insurance Co., [1963] 2 Q.B. 352 (360ff. per McNair, J.); vgl. auch Kahn-Freund, Contractual Obligation and the Conflict ofLaws- Contract of Insurance: Mod.L.Rev. 22 (1958) 195 zu Pick v. Manufacturers' Life Insurance Co., [1958] 2 Lloyd’s Rep. 93. Ein Überblick über die Rechtsprechung zu Rückversicherungsverträgen findet sich bei Mo­ nachos (oben N. 90) 209ff; zum internationalen Seeversicherungsrecht Griese (oben N. 89) 146 ff. 102 Dicey, Conflict ofLaws7 (1958) 837 N. 38, wollte immerhin eine Tendenz zur Anwen­ dung des Rechts am Wohnort des Versicherungsnehmers erkennen. 103 SieheobenN. 101. 104 Vgl. Rossano v. Manufacturers’ Life Insurance Co. (oben N. 101) 369 (per McNair, J.): where a resident in a territory seeks life insurance from a foreign insurance Company

plädiert - zum Teil unter Hinweis auf den Massencharakter des Versiche­ rungsvertrages105 - für die Maßgeblichkeit des Rechts am Sitz des Versiche­ rers, dies für Seeversicherungen106 ebenso wie für die anderen Versicherungs­ vertragstypen107.

III. Frankreich 1. Parteiautonomie

Seit der grundlegenden Entscheidung der Cour de cassation vom 5. 12. 1910108 ist in der französischen Rechtsprechung - entgegen zunächst starker Kritik im Schrifttum109 - der Parteiwille als primäres Anknüpfungsmoment bei international verknüpften Verträgen110 anerkannt111, wenn auch in den Wirkungen eingeschränkt durch die gesonderte Anknüpfung der „lois de police et de sret" bzw. der „lois d’ordre public“112. Während bei

through its local agent in that territory, it is manifest that, normally, he chooses the foreign Company because he has faith not only in that Company but in the System of law under which it operates“ (für einen Lebensversicherungsvertrag eines kanadischen Versicherers, der über eine Agentur in Kairo mit einem Ägypter geschlossen wurde). Das sowjetrussische Recht der Zweigniederlassung wendet an: Buerger v. New York Life Assurance Co., [1927] All E.R. Repr. 342. 105 Wolff, Private International Law 436; Kahn-Freund (oben N. 101) 198; Unger (oben N. 92) 483; Dicey/Morris 864 f. (unter ausdrücklicher Ablehnung einer versicherungsnehmer­ schutz-orientierten Anknüpfung, wie sie in den Vereinigten Staaten § 192 Restatement [Se­ cond] vorschlägt; dazu unten im Text bei N. 230). 106 Dicey/Morris 862 ff. 107 Dicey/Morris 862 (Rule 158 [2]): „If an intention to choose the proper law has not been expressed..., and if there is nothing to show that the contract is more closely connected with another System of law, the contract is governed by the law of the country in which the insurer carries on his business, and, if he carries on his business in two or more countries, by the law of the country in which his head office is situated“. 108 Cass. 5. 12. 1910, S. 1911.1.129, mit Anm. Ch. Lyon-Caen = Clunet 39 (1912) 1156; dazu Batiffol/Lagarde, D.i.p. II6 (1976) 239 und N. 18 (Nr. 573). 109 Pillet, Traite pratique de d.i.p. II (1924) 261 ff; Niboyet, Traite de d.i.p. fran^ais V (1948) 36ff. Heute ist die Rechtswahlfreiheit weitgehend anerkannt; vgl. Mayer, D.i.p. (1977) 493 ff; Loussouarn/Bourel, D.i.p.2 (1980) 480 (Nr. 375). 110 Zu den Voraussetzungen eines „internationalen“ Vertrages vgl. Cass. 7. 10. 1980, Rev. crit. 70 (1981) 313 mit Anm. Mestre; weitere Nachweise bei Staudinger(-Firsching), Interna­ tionales Schuldrecht I, Rz. 42 b. 111 Zuletzt etwa Cass. 25. 3. 1980, Rev. crit. 69 (1980) 576 (577) mit Anm. Batiffol; vgl. auch 6. 2. 1973, Clunet 102 (1975) 66 mit Anm. Audit; 6. 7. 1959, Rev.crit. 48 (1959) 708 mit Anm. Batiffol; 31. 5. 1932, Clunet 59 (1932) 347. 112 Dazu Toubiana, Le domaine de la loi du contrat en d.i.p. (1972) 210ff. mit Nachweisen (im folgenden: Toubiana); DEBY-GRARD, Le röle de la regle de conflit dans le reglement des rapports internationaux (1973) 18 ff. (im folgenden: DEBY-GRARD).

Rück-113 und Seeversicherungsverträgen114 die Rechts Wahlfreiheit unbestrit­ ten ist115, werden bei den anderen Vertragstypen Vorbehalte vor allem im Schrifttum geltend gemacht116, die sich auf die Regelungs- und Schutzzwecke des französischen Versicherungsaufsichts- und Versicherungsvertragsrechts stützen.

Mit dem Gesetz vom 17. 3. 1905117 wurde 118 in Frankreich erstmals eine Aufsicht über Lebensversicherungsunternehmen eingeführt, welche die Erfüllbarkeit der Verträge zum Schutze der Versicherungsnehmer zu sichern bezweckte. Ausländische Lebens­ versicherer müssen seitdem für ihre Geschäftstätigkeit in Frankreich eine Niederlas­ sung nachweisen und einen in Frankreich wohnenden Repräsentanten benennen. Im Jahre 1917 folgte die Einführung einer - an wirtschaftspolitischen Zielen orientierten - allgemeinen Erlaubnispflicht für ausländische Versicherer („agrement politique")118 bezüglich der Deckung französischer Risiken119. Der Abschluß eines Versicherungs­ vertrages mit einem im Inland nicht zugelassenen Versicherer wurde verboten120, Korrespondenzversicherungsverträge und Abschlüsse im Ausland wurden damit

113 Lyon 17. 3. 1881, S. 1883.2.65; Picard/Besson, Les assurances terrestres en droit franais“ II: Les entreprises d’assurances (1977) 351 (Nr. 736); Remus, Le Statut du contrat de reassurance en d.i.p.: La Reassurance 44 (1961) 353, 417 (422ff.); du Pontavice, Assurances aeriennes, in: Dalloz, Repertoire de droit international I (1968) Nr. 44; Toubiana, Assurances terrestres: ebd. Nr. 61. 114 Picard/Besson, Traite general des assurances en droit fran^ais I (1938) 623 ff. (Nr. 302­ 303); vgl. auch Jambu-Merlin/Lureau, Assurances maritimes et fluviales, in: Dalloz, Reper­ toire de droit international I (1968) Nr. 3. Anders noch Ripert, Droit maritime III2 (1923) Nr. 2377, der grundsätzlich für eine zwingende Anwendung der lex loci contractus eintrat; nur für die Mitversicherung sollte, um die Anwendung verschiedener Rechte zu vermeiden, eine Rechtswahl möglich sein. 115 Dasselbe soll für die Kredit- und Flußschiffahrtversicherung gelten; Picard/Besson (vorige Note) Nr. 302; zur Luftunfall (haftpflicht-) Versicherung siehe du Pontavice (oben N. 113) Nr. 11. 116 Für Rechtswahlfreiheit dagegen Basedow, Le d.i.p. des assurances (1939) 56ff. (im folgenden: Basedow); Batiffol/Lagarde II247. 117 Dazu Picard/Besson (oben N. 114) 610; Sumien, Des conflits de lois relatifs aux assuran­ ces sur la vie contractees irregulierement avec des socits trangres: Rev. crit. 29 (1934) 50 ff. 118 Gesetz vom 15. 2. 1917, J.O. vom 16. 2. 1917 S. 1257, abgedruckt bei Schmidt/ Bühnemann, Europäisches Versicherungsaufsichtsrecht I (1964) 215ff.; heute: Art. L.231.2 Code des assurances (1976), Beilage zum Journal Officiel vom 21. 7. 1976 Nr. 63 NC S. 3443; dazu Picard/Besson (oben N. 113) 177 (Nr. 640); Preuss, Grenzüberschreitender Versiche­ rungsverkehr unter Staatsaufsicht (1972) 118. Für Schadensversicherer mit Sitz in der EWG bedarf es keines „agrement speciale“ mehr: Art. L.321.2 Code des assurances; vgl. LambertFaivre, Droit des assurances2 (1977) Nr. 524 ff. 119 Art. 2 II des Gesetzes vom 15. 2. 1917: „... tout contrat d’assurance souscrit ou xcut par eux en France ou en Algerie, ou tout contrat d’assurance accepte par eux et concernant une personne, un bien ou une responsabilite en ces memes territoires“. . 120 Art. 1 II des Gesetzes vom 15. 2. 1917; dazu eingehend Sumien (oben N. 117) 60 (zur zivilrechtlichen Sanktion der Nichtigkeit).

(im Gegensatz zum deutschen Recht) unterbunden121. Das Gesetz vom 14. 6. 1938122 vereinheitlichte die auf die meisten Versicherungszweige ausgedehnte technische Aufsicht123. Der Abschluß eines Versicherungsvertrages ohne die erforderliche Er­ laubnis zum Betrieb des Versicherungsgeschäfts wurde für in- und ausländische Versicherer verboten124, der Verstoß gegen dieses Verbot mit der Sanktion der Nichtigkeit belegt125.

1930 wurde das Gesetz über Versicherungsverträge erlassen126. Wie seine schweizerischen und deutschen Vorgänger arbeitete es mit zwingenden Normen zum Schutze des Versicherungsnehmers. Die Übereinstimmung der Versicherungsbedingungen mit diesem Gesetz wird bei der Zulassung ausländischer Versicherer zum inländischen Geschäftsbetrieb seit dem De­ kret vom 12. 1. 1937127 geprüft128. Die bei Verträgen über französische Risiken verwendeten Versicherungsbedingungen müssen in französischer Sprache formuliert sein129. Eine das Vertrags- und Aufsichtsrecht umfassen­ de, an die Anforderungen des EG-Rechts angepaßte Kodifikation enthält der Code des assurances von 1976130. Französisches Versicherungsaufsichtsrecht hat die Deckung von Inlands­ risiken im Ausland verhindert, um die Geschäftstätigkeit ausländischer Ver­

121 OECD, Supervision of Private Insurance in France (OECD 1963) 9, 11, 42. Mit Dekret vom 30. 10. 1935, J.O. vom 31. 10. 1935, S. 11.575, abgedruckt bei Schmidt/Bühnemann (oben N. 118) 215, das allein fiskalischen Zwecken diente, Picard/Besson (oben N. 114) 614 (Nr. 298), wurden die Versicherer verpflichtet, Versicherungsverträge über französische Risi­ ken in ein Register einzutragen. Ein Verstoß wurde mit der Sanktion der Nichtigkeit belegt; Art. 2 III des Gesetzes vom 15. 2. 1917 in der Fassung des Dekrets vom 30. 10. 1935; vgl. dazu dann Art. 42 II des Gesetzes vom 14. 6. 1938 (Nichtigkeit des Vertrages kann nicht einem gutgläubigen Versicherungsnehmer entgegengehalten werden). 122 J.O. vom 16. 6. 1938, S. 6.811, abgedruckt bei Schmidt/Bühnemann (oben N. 118) 220 f. 123 Ausgenommen blieben nur die Rück- und Seeversicherung; heute Art. L 31 Off. Code des assurances. 124 Art. 2II in Verbg. mit Art. 36 des Gesetzes vom 14. 6. 1938; heute Art. L 328.15 Codedes assurances. 125 Art. 7 des Gesetzes vom 14. 6. 1938: die Nichtigkeit kann jedoch gutgläubigen Versiche­ rungsnehmern nicht entgegengehalten werden; ebenso Art. L 321.1 III Code des assurances. 126 J.O. vom 18. 7. 1930. Seit 1976 ist der Code des assurances (oben N. 118) in Kraft. 127 Art. 3; abgedruckt bei Picard, L’autonomie de la volonte en matiere de contrats d’assurance, in: Trav.Com.fr.d.i.p. 1937-1938 (1939) 137 (140). Zum heutigen Kontrollverfahren entsprechend Art. R 310.5 und R 310.6 Code des assurances: Picard/Besson (oben N. 113) Nr. 654. 128 Vgl. auch Art. 181 des Dekrets vom 30. 12. 1938, J.O. vom 31. 12. 1938, S. 14.880, abgedruckt bei Schmidt/Bühnemann (oben N. 118) 329 ff. 129 Art. 182 des Dekrets vom 30. 12. 1938; heute Art. R 160.1. al. 1 Code des assurances. Art. 2 Nr. 4 des Dekrets vom 19. 8. 1941, J.O. vom 18. 2. 1942, S. 705, bestimmte, daß die Versicherungsbedingungen in französischer Sprache gehalten, die Versicherer einen Sitz in Frankreich angeben und die Zuständigkeit französischer Gerichte anerkennen mußten. 130 Beilage zum J.O. vom 21. 7. 1976, Nr. 63 NC, S. 3443.

sicherer über die im Inland kontrollierten Niederlassungen zu steuern. Kolli­ sionsrechtliche Probleme sind im Versicherungsbereich deshalb nicht in der gleichen Vielfalt der Sachverhaltsgestaltungen aufgetreten wie bei anderen Vertragstypen131. Diese weitgehende Kanalisierung des zwischenstaatlichen Versicherungsgeschäfts durch die Aufsicht wie auch die - durch die Aufsicht abgesicherte - Schutztendenz des Versicherungsvertragsgesetzes haben Schrifttum wie Rechtsprechung veranlaßt, Konsequenzen auch für das Kol­ lisionsrecht zu ziehen. Auf Picard geht die These zurück132, daß die wesentliche Voraussetzung der Rechtswahlfreiheit, der internationale Charakter des Vertrages, im An­ wendungsbereich der französischen Versicherungsaufsicht entfalle133, weil mit dem Zwang zur Niederlassung und zur Bildung der technischen Reser­ ven sowie mit der Kontrolle der Prämien und der Versicherungsbedingun­ gen die Verträge ausländischer Versicherer über französische Risiken natio­ nalisiert („francise“) würden134. 135

In der französischen Rechtsprechung hat die Unterscheidung zwischen nationalen und internationalen Verträgen ausländischer Versicherer im Bereich der Lebensversi­ cherung eine gewichtige Rolle gespielt133. Gold- und Fremdwährungsklauseln sollten nach einer von den Gerichten entwickelten Differenzierung in nationalen Verträgen unwirksam, in internationalen Verträgen („reglements internationaux") dagegen wirksam sein136. Die Rechtsprechung orientierte sich bei Lebensversicherungsverträ­ gen am Anwendungsanspruch des Aufsichtsgesetzes von 1905, um Verträge, die der französischen Aufsicht unterfielen, für Zwecke der Beurteilung der Gold- und Fremdwährungsklauseln als nationale Verträge einzustufen - nicht zuletzt deshalb, um den ausländischen, auf dem französischen Markt tätigen Versicherern potentielle Wettbewerbsvorteile zu nehmen. Eine über die spezielle Währungsproblematik hin­ ausreichende Bedeutung kommt dieser Rechtsprechung jedoch nicht zu. 131 Batiffol/Lagarde II 265 N. 13-1 stellen fest, „que l’intervention croissante de l’Etat en matiere d’assurances est de nature ä rarefier les conflits de lois en ce domaine par la soumission imperative ä la loi franaise de la plupart des contrats concernant des intrts franais ...“. 132 Picard (oben N. 127) 140ff.; Picard/Besson (oben N. 114) Nr. 294, 302; wohl auch Basedow 45; A(ndre) B(esson), Rev.gen.ass.terr. 31 (1960) 439 [Anmerkung zu Cour d’appel Paris 16. 3. 1960]; Bigot, Rev.crit. 60 (1971) 275 (278) [Anmerkung zu Cass. 20. 5. 1970]; Lerebours-Pigeonniere/Loussouarn, D.i.p.8 (1962) 413, bezeichnen den Spielraum für die Rechts wähl als „negligeable“. 133 Außerhalb des Anwendungsbereichs der Versicherungsaufsicht soll es dagegen bei der Rechtswahlfreiheit verbleiben; Picard/Besson (oben N. 114) 623. 134 Picard/Besson (oben N. 113) I: Le contrat d’assurance (1975) 66; Picard (oben N. 127) 139. 135 Vgl. Picard/Besson (oben N. 114) 608 mit weiteren Nachweisen; z. B. Cass. 30. 6. 1931, Gaz.Pal. 1931.2.378 = Rec. Dalloz Period. 1931.1.137 mit Anm. Savatier = Rec. Dalloz Hebd. 1931, 409; Toubiana (oben N. 113) Nr. 20. 136 Nachweise bei Batiffol/Lagarde II 300 N. 62, 63; Steindorff, Sachnormen im IPR (1958) 25.

Im übrigen ist der Versicherungsaufsicht in der Judikatur für die kolli­ sionsrechtliche Fragestellung - vielleicht mit der Ausnahme einer einzigen Entscheidung137 - keine Bedeutung beigemessen worden138. Auch im Schrift­ tum hat sich die These von der „Nationalisierung“ des Versicherungsvertra­ ges kraft Aufsichtsrechts nicht durchsetzen können139. Man verweist darauf, daß Versicherungsaufsicht und Kollisionsrecht unterschiedliche Rege­ lungssysteme mit verschiedenen Zwecken seien140: Soweit aufsichtsrechtli­ che Bestimmungen aufgrund ihres Verbotscharakters privatrechtliche Wir­ kung (Nichtigkeit) entfalten, gelte für diese Normen im Rahmen ihres Anwendungsanspruchs zwar französisches Recht, sie präjudizierten aber nicht die kollisionsrechtliche Behandlung des Vertrages im übrigen, insbe­ sondere nicht die Rechts Wahlfreiheit141. Die Kontrolle der Versicherungsbe­ dingungen sei Verwaltungskontrolle, die allein mit der Sanktion der Rück­ nahme der Zulassung arbeite142. Unmittelbare kollisionsrechtliche Folgerun­ gen143 könnten daraus nicht gezogen werden. Eine Einschränkung der Parteiautonomie hat man im Schrifttum auch mit der das Vertragsrecht kennzeichnenden Begrenzung der Vertragsfreiheit durch zwingende Normen zum Schutze des Versicherungsnehmers begründet144. Während vereinzelte Stimmen im Hinblick auf das Gesetz vom 13. 7. 1930 für einen völligen Ausschluß der Rechtswahlfreiheit bei Verträgen über

137 Trib. de gr. inst, de Paris 16. 6. 1969, Rev.crit. 60 (1971) 67 mit Anm. Gaudemet-Tallon (Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrag, der in Frankreich geschlossen worden war; Unfall in der Bundesrepublik; Zulässigkeit der action directe wird, abweichend von der sonstigen Rechtsprechung, auf die lex contractus gestützt. Der von einem ausländischen Versicherer geschlossene Vertrag „se trouve par l-mme et en raison des dispositions imperati­ ves du controle franais, soumis ä la loi franaise. ..“). 138 Cass. 12. 12. 1927, Rec. Dalloz Hebd. 1928, 3 = Clunet 55 (1928) 723 mit Anm. Nast, hatte für einen interprovinziellen Versicherungsvertrag (französischer Versicherer mit Geschäft in Elsaß-Lothringen, wo weiterhin das deutsche Versicherungsvertragsgesetz galt) eine Einwir­ kung des französischen Versicherungsaufsichtsrechts auf das Kollisionsrecht ausdrücklich ab­ gelehnt. 139 Ablehnend etwa Batiffol/Lagarde II 247: „Dans l’assurance l’exclusion de la loi d’autonomie n’est qu’indirecte et non integrale“, 265 N. 13—1; Toubiana (oben N. 113) Nr. 15ff.; du Pontavice (oben N. 113) Nr. 12ff; vgl. auch Monette/de VILL/ANDR, Traite des assurances terrestres II (1955) 519 f. (im folgenden: Monette/de VILL/ANDR) II (zum belgischen Recht). 140 Monette/de VILL/ANDR II 520; Toubiana (oben N. 113) Nr. 17; du Pontavice) oben N. 113) Nr. 13. 141 Batiffol/Lagarde II265 N. 13-1. 142 Batiffol/Lagarde II265 N. 13-1; Toubiana (oben N. 113) Nr. 19. 143 Das Dekret vom 12. 1. 1937 bestimmte in Art. 3, daß die AVB die Vorschriften des Gesetzes vom 13. 7. 1930 respektieren sollten .. en tant que les dispositions de ces textes sont applicables... “. Der Wortlaut ließ damit die Anwendbarkeit des Versicherungsvertragsgesetzes gerade offen; Toubiana (oben N. 113) Nr. 19. 144 Vgl. allgemein zur zunehmenden Gestaltung der Vertragsbeziehungen durch zwingende Schutznormen: Batiffol, Aspects philosophiques du d.i.p. (1956) 82; Toubiana 149ff.

französische Risiken eingetreten sind145, zielen neuere Tendenzen im Schrift­ tum auf eine vom Vertragsstatut abgelöste, zumeist territorial orientierte Anknüpfung146 zwingender Normen147. Die Rechtswahlfreiheit soll im übri­ gen erhalten bleiben148. Die Rechtsprechung hat dem Gesetz vom 13. 7.1930 eine die Rechtswahl­ freiheit einschränkende Wirkung beigelegt. Während die Cour d’appel de Paris in der Entscheidung vom 16. 1. 1960 (obiter dictum) einer zwingenden objektiven Anknüpfung des Versicherungsvertrages zuzuneigen scheint149, läßt das Urteil der Cour de cassation vom 18.1. 1967 eher den Schluß zu, daß es allein darum geht, bei entsprechender territorialer Verknüpfung des Ver­ trages die zwingenden Normen des Versicherungsvertragsgesetzes (gegen eine evtl, abweichende Rechtswahl) durchzusetzen150. Die französische Judi­ katur hat auf dem Gebiet des internationalen Arbeitsrechts in den letzten Jahren wiederholt die Rechts wähl der Parteien als Anknüpfungspunkt bestä­ tigt151. Dies läßt vermuten, daß auch auf dem Gebiet des internationalen Versicherungsrechts die Rechtswahlfreiheit nicht völlig ausgeschlossen, sondern nur durch eine gesonderte Anknüpfung zwingender Normen ein­ geschränkt sein soll.

145 Picard (oben N. 127) 141; Niboyet, Cours de d.i.p.2 (1949) 592; ders., Traite de d.i.p. franais V (1948) Nr. 1398. 146 Toubiana 206ff.; dies, (oben N. 113) Nr. 23. 147 Batiffol/Lagarde II 247 lehnen für die zwingenden Schutznormen des Versicherungs­ vertragsrechts eine gesonderte Anknüpfung ab, um ihre Durchsetzung offenbar allein der Versicherungsaufsicht zu überlassen. Die von Batiffol/Lagarde II 265 N. 13-1 gegebenen Nachweise beziehen sich - entgegen Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 42b (S. 100) - nicht auf territoriale Einschränkungen der Parteiautonomie, sondern allein auf die von Batiffol/Lagarde verneinte Frage, ob Versicherungsaufsicht unmittelbare kolli­ sionsrechtliche Wirkungen zeitigt. 148 In diesem Sinne wird man du Pontavice (oben N. 113) Nr. 17 und Toubiana (oben N. 113) Nr. 23 verstehen müssen. 149 Cour d’appel de Paris 16. 3. 1960, Rev.gen.ass.terr. 31 (1960) 438 (440) mit Anm. A.B. = Rev.crit. 50 (1961) 347 mit Anm. Deprez. 150 Cass. 18. 1. 1967, Rev.gen.ass.terr. 38 (1967) 338 (339): „...le contrat d’assurance se trouvait obligatoirement soumis aux regles imperatives de la loi du 13 juillet 1930.. 151 Cass. 1. 7. 1964, Rev.crit 55 (1966) 47 mit Anm. Simon-Depitre = Rev.trim.dr.com. 1966, 463 mit Anm. Loussouarn; Cass. 5. 3.1969, Rev.crit. 59 (1970) 279 mit Anm. Batiffol; Cass. 21. 11. 1973, Clunet 101 (1974) 583; Cass. 31. 3. 1978, Rev.crit. 67 (1978) 703 mit Anm. A. Lyon-Caen (Rechtswahl insoweit wirksam, als das gewählte - französische - Recht für den Arbeitgeber günstiger ist als das Recht des Arbeitsortes); vgl. auch Cass. 31. 5. 1972, Rev.crit. 62 (1973) 683 mit Anm. Lagarde; vgl. dagegen Cass. 9. 11. 1959, Rev. crit. 49 (1960) 566 mit Anm. Simon-Depitre = Rev.trim.dr.com. 1961, 213 mit Anm. Loussouarn (Arbeitsvertrag unterliegt dem Recht des Arbeitsortes „oü il s’execute et le travailleur effectuant en groupe son travail ä l’etranger est soumis ä la loi territoriale“).

2. Objektive Anknüpfung

Während bei Fehlen einer Rechtswahlvereinbarung die französische Rechtsprechung im allgemeinen auf den präsumptiven Parteiwillen (l’intention presumee) unter Berücksichtigung der „economie de la Convention et les circonstances de la cause“152 abstellt und der Vertragsabschlußort nur als subsidiärer Anknüpfungspunkt Bedeutung gewinnt153, dominiert im inter­ nationalen Versicherungsrecht die lex loci contractus154. Batiffol/Lagarde155 sehen als wesentlichen Grund dafür, daß mit dieser Anknüpfung in aller Regel das Recht am Wohnort des Versicherungsnehmers zur Anwendung gelange. Hinter dem Anknüpfungspunkt des Vertragsabschlußortes stehe eine - allerdings unabhängig von der im Einzelfall zu entscheidenden Rechtsfrage ansetzende - versicherungsnehmerschützende Tendenz156. Das französische Schrifttum plädiert dagegen fast einhellig157 für die An­ knüpfung an den Sitz158 bzw. die Niederlassung159 des Versicherers, wobeizum Teil unter Berufung auf Bruck160 - der Charakter des Massen Vertrages,

152 Cass. 6. 7. 1959, Rev.crit. 48 (1959) 708 mit Anm. Batiffol. 153 Vgl. Batiffol/Lagarde II Nr. 580. 154 Cass. 22. 5. 1970, Rev.crit. 60 (1971) 274mit Anm. Bigot (Kraftfahrzeug-Haftpflichtver­ sicherung); Cass. (req.) 28. 12. 1936, Rec. Dalloz Hebd. 1937, 114 (Seeversicherung) = Clunet 55 (1937) 281; Cass. (req.) 12. 12. 1927, Rec. Dalloz Hebd. 1928, 3 = Clunet 55 (1928) 723 (Feuerversicherung); umfangreiche Nachweise aus der Rechtsprechung bei Batiffol/Lagarde II 264 N. 13; Batiffol, Conflits de lois en matiere de contrats (1934) 314ff. (Nr. 351 f.) (im folgenden: Batiffol, Contrats). 155 Batiffol/Lagarde II264. 156 Diese Tendenz findet, wie im Schrifttum mehrfach herausgestellt worden ist (Batiffol [oben N. 154] 316; Lando, Contracts, Nr. 273), in der Rechtsprechung zu interlokalen Versicherungsverträgen ihre Bestätigung; Cour de Colmar 2. 5. 1933, Clunet 61 (1934) 424; 30. 1. 1934, Clunet 61 (1934) 951 (952); 13. 3. 1934, Clunet 61 (1934) 951 (954); Cour de Colmar/ Metz 13. 3. 1934, Clunet 61 (1934) 951 (959) mit Anm. Nast; zur Rechtsprechung vgl. im einzelnen (kritisch) Picard/Besson (oben N. 114) Nr. 315. 157 Anders etwa Bartin, Principes de d.i.p. selon la loi et la jurisprudence franaise 111(1935) 45, der die Maßgeblichkeit der lex loci contractus verficht. Für Autoren, die der französischen Versicherungsaufsicht eine die kollisionsrechtliche Entscheidung unmittelbar beeinflussende Wirkung beilegen, hat diese am Anwendungsanspruch des Versicherungsaufsichtsrechts orien­ tierte Anwendung französischen Rechts auch Vorrang vor dem objektiv bestimmten Vertrags­ statut; vgl. Picard/Besson (oben N. 114) 623f.; dies, (oben N. 113) 66. 158 Basedow 26ff. (siege), 35ff. (succursale); Arminjon, Precis de d.i.p. commerical (1948) 471, 487ff.; Batiffol/Lagarde II 264; Pillet (oben N. 109) 198ff.; Picard/Besson (oben N. 114) 624; Toubiana (oben N. 113) Nr. 32-33 (Recht des Sitzes bzw. der Niederlassung des Versicherers); du Pontavice (oben N. 113) Nr. 25-31; Berlioz, Le contrat d’adhesion (1976) 159ff. (im folgenden: Berlioz). Aus der Rechtsprechung: Trib.civ. Seine 13. 6. 1939, Rev.crit. 34 (1939) 459; Cass. 30. 6. 1931, Rec. Dalloz Hebd. 1931, 409. 159 Toubiana (oben N. 113) Nr. 33; Basedow 35ff. 160 Bruck, Zwischenstaatliches Versicherungsrecht (1924).

der auf dem Recht am Sitz des Versicherers aufbaue161, der Gesichtspunkt der Gefahrengemeinschaft der Versicherten, der eine rechtliche Gleichbehand­ lung der Risiken nahelege162, und die Erleichterung der Geschäftstätigkeit des Versicherers - Rechtssicherheit163 und Entlastung von Kosten, die mit der Anwendung einer Vielzahl von Rechten verbunden sind164 - die kollisions­ rechtlichen Wertungen bestimmen. Der Gedanke eines kollisionsrechtlichen Schutzes des Versicherungsnehmers (durch Anknüpfung an den Wohnort des Versicherungsnehmers165) wird den Interessen des Versicherers geop­ fert166, zumal keineswegs feststehe, daß in jedem Fall der vom Recht am Sitz des Versicherers gewährte sachrechtliche Schutz des Versicherungsnehmers hinter dem Schutzniveau des Wohnsitzrechts des Versicherungsnehmers zurückbleibt167.

IV. Vereinigte Staaten In der amerikanischen Praxis spielen kollisionsrechtliche Fragen im Versi­ cherungsrecht im Vergleich zu den europäischen Rechten eine ungleich größere Rolle168. Etwa neunzig Prozent der Versicherungsverträge sollen zwischenstaatliche Bezüge aufweisen169. Entsprechend umfangreich ist die Judikatur auf diesem Gebiet. Das internationale Versicherungsvertragsrecht der amerikanischen Bundesstaaten170 ruht auf zwei Säulen: den von den Gerichten entwickelten allgemeinen Kollisionsnormen des internationalen Vertragsrechts und den gesetzlichen Regelungen, die in zahlreichen Bundes­ staaten in Form einseitiger Kollisionsnormen den Anwendungsbereich der Versicherungsgesetze bestimmen.

161 Basedow 29ff.; Berlioz 161; du Pontavice (oben N. 113) Nr. 28; Toubiana (oben N. 113) Nr. 32; Batiffol/Lagarde II264. 162 Berlioz 159; Basedow 27 ff; Picard/Besson (oben N. 114) 624. Auf die Homogenität des Portefeuille eines ausländischen, im Inland über eine Niederlassung arbeitenden Versiche­ rers hat die - währungsrechtlich orientierte - Entscheidung Cass. 30. 6. 1931, Rec. Dalloz Period. 1931, 137 = Rec. Dalloz Hebd. 1931, 409, abgestellt. 163 Toubiana (oben N. 113) Nr. 27. 164 Du Pontavice (oben N. 113) Nr. 28. 165 Dafür ausdrücklich (zum belgischen Recht) Monette/de VILL/ANDR II 547 ff. 166 Toubiana (oben N. 113) Nr. 27. 167 Darauf weisen Picard/Besson (oben N. 114) 624 und Toubiana (oben N. 113) Nr. 27, hin; vgl. auch Batiffol/Lagarde II 264. 168 Vgl. die Zusammenstellung der Rechtsprechung in: American Jurisprudence 2d, 43 (1969) - Insurance §§ 17-50. 169 Lenhoff, Conflict Avoidance in Insurance: L.Contemp.Probl. 21 (1956) 549; Paul/Pain, Choice of Law in Life Insurance Litigation: The Forum 6 (1970) 1. 170 Das IPR fällt in die Kompetenz der Bundesstaaten. Seit Klaxon Co. v. Stentor Electric Mfg. Co., Inc., 313 U.S. 487, 496 (1941) ist klargestellt, daß amerikanische Bundesgerichte das IPR ihres Sitzstaates anzuwenden haben.

1. Gesetzliche Kollisionsnormen Die meisten Bundesstaaten unterwerfen die Geschäftstätigkeit der Versi­ cherungen einer intensiven Staatsaufsicht171, die sich insbesondere auch auf die inlandsbezogene Tätigkeit von Versicherern mit Sitz in einem anderen Staat erstreckt. Die Aufsicht umfaßt dabei nicht nur die finanzielle Seite des Versicherungsgeschäftes - Prämien, Vermögensanlagen, Kalkulationen usw. -, sondern auch die Gestaltung der Versicherungsbedingungen172. Auf­ sichtsvorschriften und Versicherungsvertragsnormen finden sich zumeist in einem einzigen Gesetz zusammengefaßt. Die Bestimmungen über den inter­ nationalen Anwendungsbereich der Gesetze dienen nicht nur als Grenznor­ men des internationalen Aufsichtsrechts, sondern zugleich als einseitige, räumlich bedingte Kollisionsnormen173, die den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Regeln des IPR vorgehen.

Bei der Abgrenzung ihres internationalen Anwendungsbereiches zeigen diese Gesetze keine einheitliche Linie174. Einige Staaten stellen allein auf das versicherte Risiko im Inland ab (inländisches Vermögen, inländischer Wohnort des Versiche­ rungsnehmers) und beanspruchen damit die Anwendung ihres Versicherungsrechts unabhängig davon, unter welchen konkreten Umständen der Vertrag abgeschlossen worden ist175. Andere Staaten erreichen dasselbe Ergebnis durch eine gesetzliche 171 Dazu Kimball, The American Experience in State Regulation of a National Insurance Business, in: Insurance Law in Europe and the United States, hrsg. vom British Institute of International and Comparative Law (1964) 43ff; Insurance, Government and Social Policy, hrsg. von Kimball/Denenberg (1969); Pfennigstorf, Entwicklungstendenzen des amerikani­ schen Aufsichtsrechts: ZVersWiss. 1970, 709; Kimball/Pfennigstorf, The Regulation of Insu­ rance Companies in the United States and the European Communities: A Comparative Study (1981) 21 ff. 172 Dazu Kimball/Pfennigstorf, Allgemeine Versicherungsbedingungen unter Staatsauf­ sicht (1968) 95 ff. 173 Vgl. Nussbaum, Grundzüge des IPR unter besonderer Berücksichtigung des amerikani­ schen Rechts (1952) 70; in den Vereinigen Staaten spricht man von „localizing Statutes“; Lenhoff, Die spezifischen grenzrechtlichen Probleme im neueren amerikanischen Versiche­ rungsrecht, in: FS Ehrenzweig (1955) 153 (162). 174 Vgl. dazu Lenhoff (oben N. 169) 560; Rabel, Conflict of Laws III2 (1964) 326; Leflar, American Conflicts Law3 (1977) 200 f. (§ 101) mit weiteren Nachweisen (im folgenden: Leflar). 175 Zum Beispiel South Carolina Insurance Code, sec. 37-141: „All contracts of insurance on property, lives or interests in this State shall be deemed to be made therein and all contracts of insurance the applications for which are taken within the State shall be deemed to have been made within this State and are subject to the laws thereof"; dazu Johnston v. Commercial Travelers Mutual Accident Association ofAmerica, 131 S.E. 2d 91, 93, 94 (Sup. Ct. S.C. 1963). Weitere Nachweise bei Lenhoff (oben N. 169) 561. Zur Verfassungs­ mäßigkeit solcher Gesetze siehe die Übersicht bei Leflar 108ff, 111 ff. Nach der früheren Rechtsprechung des Supreme Court zur due process clause des 14. Amendment - vgl. Allgeyer v. Louisiana, 165 U.S. 578, 587, 590ff. (1897); New York Life Insurance Co. v. Dodge, 246 U.S. 357, 376 (1918); Mutual Life Insurance Co. v. Liebing, 259 U.S. 209, 213 (1922); Hartford Accident & Indemnity Co. v. Delta & Pine Land Co. 292 U.S. 143, 149 (1934) - war die Reichweite der

Definition des für die kollisionsrechtliche Beurteilung als maßgeblich erachteten Vertragsabschlußortes. Eine typische Formulierung lautet: „All contracts of insur­ ance on property, lives, and interests in this state shall be deemed to be made therein“176. Wieder andere Staaten grenzen den gesetzlich definierten Vertragsab­ schlußort auf solche Fälle ein, in denen der Versicherungsantrag vom Versicherungs­ nehmer im Inland abgegeben177, die Versicherungspolice dem Versicherungsnehmer innerhalb des Staates ausgestellt oder ausgehändigt worden ist178, oder in denen ein Vertreter eines Versicherers mit Sitz in einem anderen Staat im Inland tätig geworden ist179. Schließlich wird auch die Vereinbarung ausländischen Rechts für die inländi­ sche Geschäftstätigkeit im Inland zugelassener Versicherer ausdrücklich untersagt180 bzw. die Zulassung eines Versicherers zum Geschäftsbetrieb als Unterwerfung unter das inländische Recht angesehen181. Regelungsgewalt der Staaten begrenzt: Verträge, die außerhalb des Staatsgebietes geschlossen wurden, durften nicht dem innerstaatlichen (Privat-)Recht unterworfen werden; vgl. auch Currie, Selected Essays on the Conflict of Laws (1963) 214ff. (im folgenden: Currie); Wein­ traub, Commentary on the Conflict of Laws (1971) 379ff.; Lenhoff, Probleme des zwischen­ staatlichen Versicherungsrechts in amerikanischer Sicht: VersArch. 1955, 267 (273ff). Der Supreme Court ist von dieser strengen Kontrolle staatlicher Kollisionsnormen längst wieder abgegangen; Clay v. Sun Insurance Ojfice Ltd., 377 U.S. 179, 181 ff. (1964); zuletzt Allstate Insurance Co. v. Hague, 449 U.S. 302 (1981); dazu Juenger, IPRax 1982, 206; ders., Conflict of Laws, A Critique ofInterest Analysis: Am.J.Comp.L. 32 (1984) 1 (24ff). 176 North Carolina General Statutes 58-28, abgedruckt in: Insurance L. J. 1978, 288; dazu Rosstnan v. New York Life Insurance Co., 199 S.E. 2d 681 (C. A. N.C. 1973); vgl. auch Lenhoff (oben N. 169) 562. 177 Section 37-141 South Carolina Insurance Code (oben N. 175); North Carolina General Statutes 58-28 (vorige Note); weitere Nachweise bei Carnahan, Conflict of Laws and Life Insurance Contracts2 (1958) 125 N. 34 (im folgenden: Carnahan). Auf den Abschluß des Vertrages im Rahmen der innerstaatlichen Geschäftstätigkeit stellt sec. 21.42 Texas Insurance Code ab: „Any contract of insurance payable to any Citizen or inhabitant of this State by any insurance Company or Corporation doing business within this State shall be held to be a contract made and entered into under and by virtue of the laws of this State relating to insurance, and governed thereby.. dazu Butler v. Mutual Life Assurance Co. of Canada, 600 F.2d 532, 534 (5th Cir. 1979); Howell v. American Life Stock Insurance Co., 483 F.2d 1354, 1359 (5th Cir. 1973); Austin Buildung Co. v. National Union Fire Insurance Co., 432 S.W. 2d 697, 701 (Tex. 1968). 178 Section 167 (a) New York Insurance Law von 1974 spricht von einem „contract of insurance issued or issued for delivery in this State, on a risk located or resident in this State... “; vgl. auch Ohio Revised Code, § 3.917.01 (c), abgedruckt in: Insurance L.J. 1975, 234; weitere Nachweise bei Rabel (oben N. 174) 326; Carnahan 125 N. 35; vgl. auch Davis v. Insurance Co. ofNorth America, 268 F.Supp. 496, 499 (La. 1967); Prudential Insurance Co. ofAmerica v. Williams, 139 F.Supp. 202, 204 (La. 1956). 179 Siehe Lenhoff (oben N. 169) 561. 180 Vgl. bei Leflar 201: „No insurance Company transacting business in this state shall hereafter make, issue or deliver herein, any policy or contract of insurance containing any condition, Stipulation or agreement requiring such contract of insurance to be construed according to the laws of any other state or country“. 181 Vgl. Sharpstown State Bank v. Great American Insurance Co., 441 S.W.2d 548, 566 (Tex. 1969); Schroeder v.John Hancock Mutual Life Insurance Co., 227 F.Supp. 622 (S.D. Tex. 1964), affirmed 349 F.2d 406 (5th Cir. 1965).

Diese Beispiele machen deutlich: das sozialpolitisch geprägte Interesse182 der Staaten am Schutz der eigenen Bevölkerung, das sich in den Versiche­ rungsgesetzen mit ihren Schutzvorschriften gegenüber mißbräuchlichen bzw. die Rechte der Versicherungsnehmer unangemessen beschränkenden Klauseln niederschlägt, wird nicht nur durch eine Verwaltungskontrolle der Versicherungsbedingungen, sondern auch mit den Mitteln des Kollisions­ rechts abgesichert und durchgesetzt.

2. Kollisionsregeln des Common Law Die von den Gerichten entwickelten Anknüpfungen für Versicherungs­ verträge lassen bis in die fünfziger Jahre keine mit den gesetzlichen Kolli­ sionsnormen vergleichbare Ausrichtung am Schutz des Versicherungneh­ mers erkennen: Die Gerichte behandelten Versicherungsverträge wie andere Verträge und wandten die allgemeinen Grundsätze des internationalen Ver­ tragsrechts an. Drei Anknüpfungspunkte standen in der amerikanischen Praxis zum internationalen Vertragsrecht lange Zeit im Vordergrund183: die lex loci con­ tractus, der Erfiillungsort und der Parteiwille im Sinne einer materiellrechtli­ chen Verweisungsfreiheit184. Das erste Restatement von 1934 hat unter völli­ ger Verdrängung des Parteiwillens als Anknüpfungsmoment die lex loci contractus zur dominierenden Anknüpfungsregel erhoben, die für Fragen des Vertragsschlusses, der Vertragswirksamkeit und der Vertragswirkungen gelten sollte185. Für Fragen der Vertragserfüllung wurde das Recht des Erfül­ lungsortes berufen186.

In den letzten zwei Jahrzehnten ist das internationale Vertragsrecht der Bundes­ staaten von einem nachdrücklichen Wandel gekennzeichnet. Die Parteiautonomie wird in Rechtsprechung187, Gesetzgebung188 und Wissenschaft189 zunehmend als pri­ 182 Vgl. dazu allgemein Kimball, Insurance and Public Policy (1960). 183 Dazu Leflar §§ 145-147; Weintraub (oben N. 175) 263 ff. 184 Weintraub (oben N. 175) 292. 185 Restatement of the Law of Conflict of Laws 1934, §§ 332. 186 § 332(f) in Verbg. mit § 358. 187 Lauritzen v. Larsen, 345 U.S. 571, 588f. (1953); vgl. auch die grundlegende Entscheidung zur Vereinbarung eines ausschließlichen internationalen Gerichtsstandes: Bremen v. Zapata Off­ Shore Co., 407 U.S. 1, 9, 11 ff. (1972): „There are compelling reasons why a freely negotiated private international agreement, unaffected by fraud, undue influence, or overweening bargaining power, ... should be given full effect“ (12 f.). 188 §1.-105 Uniform Commercial Code, den alle US-Staaten mit Ausnahme Louisianas eingeführt haben. 189 Vgl. den Überblick bei Prebble, Cornell L.Rev. 58 (1973) 433 (498ff); Reese, General Course on Private International Law: Rec. des Cours 150 (1976-11) 3 (128f.).

märer Anknüpfungspunkt anerkannt190. 191 Die starre lex-loci-contractus-Regel tritt zugunsten flexibler Anknüpfungsansätze zurück, die auf den Schwerpunkt des Ver­ trages („grouping of contacts"191, „center of gravity“192), die engste Verknüpfung des Vertrages (bezüglich der zu entscheidenden Rechtsfrage) mit einer Rechtsordnung („most significant relationship“193) abstellen oder die Entscheidung in einer Analyse der „governmental interests“ der berührten Staaten194, 195 insbesondere der Regelungsund Steuerungszwecke der Sachnormen, suchen193. Das Restatement (Second) schlägt vor, das Recht desjenigen Staates anzuwenden, der im Hinblick auf die zu entscheidende Rechtsfrage196 die engste Verbindung zum Vertrag und zu den Parteien aufweist. Für einzelne Vertragstypen, insbesondere für Versicherungsverträge, werden bezüglich des Zustandekommens, der Wirksamkeit und des Inhalts des Vertrages feste Anknüpfungen empfohlen (§§ 189 ff.).

190 Restatement (Second) of Conflict of Laws (1971). Das Restatement (Second) räumt den Parteien materiellrechtliche Verweisungsfreiheit in vollem Umfang ein, § 187 (1). Die kolli­ sionsrechtliche Verweisungsfreiheit, § 187 (2), kennt zwei Schranken: - Die Rechtswahl ist unwirksam, wenn das gewählte Recht keine substantielle Beziehung zu den Parteien oder dem Geschäft aufweist und kein anderer vernünftiger Grund für das gewählte Recht erkennbar ist, oder - wenn die Anwendung des gewählten Rechts einem fundamentalen Regelungsinteresse einer Rechtsnorm zuwiderläuft, die ansonsten aufgrund objektiver Anknüpfung (§ 188) des Ver­ trages bzw. der konkreten Rechtsfrage („issue“) zur Anwendung gekommen wäre. Reese, Choice of Law in the United States - The Past, the Present and Some Prophecies for the Future, in: Law in the United States of America in Social and Technological Revolution, hrsg. von Hazard/Wagner (1974) 195 (204 f.) räumt ein, daß § 187 keine Absicherung in der Rechtsprechung findet: „... it was found necessary to write upon what was essentially a clean state;... an attempt to enter virgin territory“. 191 Grundlegend ist Auten v. Auten, 124 N.E.2d 99 (C. A.N. Y. 1954). 192 Nachweise bei Leflar § 149. 193 Insbesondere unter dem Einfluß des Restatement (Second). 194 Zum „governmental interest approach“ siehe Currie; kritisch Jayme, Zur Krise des „Governmental-Interest-Approach“,in: FS Kegel (1977) 359; zuletzt Juenger, Am.J.Comp.L. 32 (1984) 1. 195 Intercontinental Planning, Ltd. v. Dayström, Inc., 248 N.E.2d 576, 581, 582f. (C.A. N.Y. 1969). 196 Die Übersetzung bei Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 138, ist insofern irreführend: Es geht nicht um das „Vertragsstatut“, sondern um die jeweilige Rechts­ frage („issue“).

a) Parteiautonomie

Der Wille der Vertragsparteien als Anknüpfungsmoment hat seit langem Anerkennung im Bereich des See- und Rückversicherungsrechts gefunden197 - also auf Gebieten, in denen sich typischerweise geschäftserfahrene Ver­ tragspartner gegenüberstehen und daher zwingende sachrechtliche Normen zugunsten der Versicherungsnehmer fehlen198. Bei den Binnenversicherun­ gen sind Rechtswahlklauseln, in denen das Recht am Sitz des Versicherers vereinbart wurde, häufig auf Ablehnung der Gerichte gestoßen, vor allem dann, wenn die lex fori eine gesetzliche Kollisionsnorm kannte199, von der lex loci contractus abgewichen200 oder eine zwingende Versicherungsneh­ mer-Schutznorm der lex fori oder der lex loci contractus abgewählt wurde201. Carnahan hat in seiner Untersuchung zum IPR der Lebensversicherungsverträge nachgewiesen, daß die Gerichte dazu tendierten, die Wirksamkeit einer Rechtswahl­ klausel davon abhängen zu lassen, ob das gewählte Recht bei der zu entscheidenden Rechtsfrage für den Versicherungsnehmer ungünstiger202 oder günstiger203 als die lex loci contractus war. Diese Rechtsprechung mag auch erklären, warum Rechtswahl­ klauseln in den Versicherungsbedingungen und Policen der amerikanischen Versi­ cherer kaum noch Verwendung finden204.

Im Schrifttum hat man den maßgebenden Grund für die Beschränkung der Rechtwahlfreiheit weniger in der Abweichung der Rechtswahl von der lex loci contractus als im Charakter des Versicherungsvertrages als eines Formularvertrages („adhesion contract“) gesehen: Die Rechtswahlklausel 197 Lenhoff, L. Contemp. Probl. 21 (1956) 549 (558); Nachweise aus der Rechtsprechung insbesondere bei Griese, VersArch. 1959, 129 (131 ff.); Ehrenzweig, A Treatise on the Conflict of Laws (1962) 512, insbesondere N. 6 (im folgenden: Ehrenzweig, Treatise). 198 Griese (vorige Note) 169 weist daraufhin, daß die Gerichte einer Rechts wähl auch dann gefolgt sind, wenn sie zur Anwendung eines Rechtes führte, das dem Versicherungsnehmer ungünstig war. 199 Johnston v. Commercial Travelers Mutual Accident Association (oben N. 175) 95. 200 Great Southern Life Insurance Co. v. Burwell, 12 F. 2d 244, 245 (5th Cir. 1926). 201 New York Life Insurance Co. v. Cravens, 178 U.S. 389, 398 (1900); Mutual Life Insurance Co. v. Hill, 193 U.S. 551, 554 (1904); Mutual Life Insurance Co. v. Cohen, 179 U.S. 262, 265 (1900). 202 Carnahan 290, 292; ähnlich Ehrenzweig, Treatise 514 N. 2. 203 Carnahan 287ff.; Ehrenzweig, Treatise 514 N. 4. 204 Carnahan 286ff.; Ehrenzweig, Treatise 514 N. 2. Versicherer formulieren Rechtswahlklauseln, die sich an der Vertriebspolitik des Unterneh­ mens orientieren: „This contract, unless issued and delivered to a resident of Canada, shall for all purposes be deemed to be executed, issued and delivered within, and to be construed in accordance only with the laws of the State of New York. If issued and delivered to a resident of Canada it shall be deemed to be made in dollars of Canadian currency and shall be subject to the laws of the Province where issued, and any provision herein inconsistent with such laws is hereby amended to conform thereto.“

sei nicht Ausdruck eines gemeinsamen, frei gebildeten Willens beider Ver­ tragspartner, sondern Folge des Machtungleichgewichtes zwischen Versi­ cherer und Versicherungsnehmer und der einseitigen Bestimmungsmacht des Versicherers205.

Rechtswahlvereinbarungen können in zwei Fällen mit Anerkennung rechnen. Bei Gruppen-(Lebens-)versicherungsverträgen wird vermutet, daß der Versicherungs­ nehmer, dank seines ökonomischen Gewichts als Gruppe, auf den Vertragsinhalt Einfluß nehmen kann. Rechtswahlklauseln im Vertrag sind dann typischerweise nicht einseitig oktroyiert, sondern eher das Ergebnis von Verhandlungen und damit vom beiderseitigen Willen getragen. Die Rechtsprechung206 folgt hier - ebenso wie das Restatement (Second)207 - dem tatsächlichen Parteiwillen208, soweit nicht einer gesetzlichen, einseitig formulierten Kollisionsnorm der Vorrang zukommt209. Eine Rechtswahlvereinbarung zwischen einem Versicherer und einem Versiche­ 205 Carnahan 252; Ehrenzweig, Adhesion Contracts in the Conflict of Laws: Col. L. Rev. 53 (1953) 1072; Ehrenzweig, Treatise 514; Leflar 302; Paul/Pain, The Forum 6 (1970) 1 (3); Scanlan v. Mutual Benefit Life Insurance Co., 371 So. 2d 356, 359 (La. App. 1979), hält eine Rechtswahlklausel in einer Versicherungspolice für unbeachtlich, wenn der Versicherer nicht die positive Kenntnis des Versicherungsnehmers von der Klausel bei Vertragsschluß nachwei­ sen kann. 206 Grundlegend Bosemann v. Connecticut General Life Insurance Co., 301 U.S. 196, 202, 206 (1937); Detroit Greyhound Employees Federal Credit Union v. Aetna Life Insurance Co., 151 N.W. 2d 852 (C.A. Mich. 1967) (bei Wahl des Rechtes des Ortes, wo Gruppen-Police zugestellt werden sollte); Kahn v. Great-West Life Assurance Co., 307 N.Y.S. 2d 238, 243 (Sup.Ct. 1970); Woelfling v. Great- West Life Assurance Co., 285 N.E. 2d 61, 66f. (C.A. Ohio 1972): the group insurance policy has few of the elements of a typical adhesion contract... The substantial bargaining position of the American Dental Association and the resultant power to negotiate terms favorable to the individual subscribers precludes the notion that the group policy is a typical adhesion contract“; Insurance Co. of North America v. English, 395 F. 2d 854, 857 (5th Cir. 1968) (bei Wahl des Wohnortrechtes des einzelnen Gruppenmitglieds); Thieme v. Union Labor Life Insurance Co., 138 N.E. 2d 857, 859 (A.C. 111. 1956) (obiter dictum); Swanberg v. Mutual Benefit Life Insurance Co., 398 N.E. 2d 299 (A.C. 111. 1979); Hofeld v. Nationwide Life Insurance Co., 322 N.E. 2d 454, 460 (S.C. 111. 1975); Oakley v. National Western Life Insurance Co., 294 F.Supp. 504, 510 (S.D.N.Y. 1968) (obiter dictum); Reger n. National Association ofBedding Mfis. etc., 372 N. Y.S. 2d 97,114 ff. (S.C. 1975; a. A. Nelson v. Aetna Life Insurance Co., 359 F.Supp. 271, 294 (W.D. D.C. Mo. 1973): „... We believe that the „take-it-or-leave-it" Situation, is, as a practical matter, more acute in regard to beneficiaries of group insurance policies than other types of insurance where only two parties are involved“. 207 Comment h) zu § 192. 208 Ehrenzweig, Colum.L.Rev. 53 (1953) 1072 (1076); ders., Contracts in the Conflict of Laws: Colum.L.Rev. 59 (1959) 973 (976); ders., Treatise 454ff, 512; Ehrenzweig/Jayme, Private International Law III (1977) 29: „new autonomy“. 209 Casey v. Prudential Insurance Co., 360 So. 2d 1386 (La. App. 1978); vgl. etwa Ohio Revised Code, § 3.917.01 (c), abgedruckt in: Insurance L.J. 1975, 234. Soweit die Gerichte Rechtswahl­ freiheit befürworten, steht diese immer unter dem Vorbehalt einer - einseitigen - gesetzlichen Kollisionsnorm des jeweiligen Staates; vgl. Woelfling v. Great-West Life Assurance Co. (oben N. 206) 66; Kahn v. Great-West Life Assurance Co. (oben N. 206) 243; Reger v. National Association of Bedding Mfis. etc. (oben N. 206) 116.

rungsnehmer mag - abgesehen von den Fällen, in denen das gewählte Recht bei der zu entscheidenden Rechtsfrage für den Versicherungsnehmer günstiger ist als das bei einer objektiven Anknüpfung anzu wendende Recht - auch dann als wirksam angese­ hen werden, wenn sie auf einem effektiv nachweisbaren Willen des Versicherungs­ nehmers beruht210.

b) Objektive Anknüpfung Die vorherrschende Anknüpfung für Versicherungsverträge war lange Zeit die lex loci contractus gewesen211. Auch heute ist sie noch in einigen Gliedstaaten die maßgebende Kollisionsnorm212, wenn auch die Gerichte der meisten Staaten den neueren Anknüpfungsgrundsätzen folgen213. Was auf den ersten Blick als eine parteineutrale und sachrechtsindifferente Kolli­ sionsnorm erscheint, erweist sich bei einer Analyse der Praxis als ein Instru­ ment der Gerichte, mit verschiedensten Techniken kollisionsrechtlichen Versicherungsnehmerschutz zu betreiben.

Für die Bestimmung des Vertragsabschlußortes gilt als allgemeine Regel, daß der Vertrag an dem Ort geschlossen ist, an dem die letzte für das Zustandekommen notwendige Handlung vorgenommen wird214. Diese wegen ihrer zumeist zufälligen Ergebnisse215 bei Distanzverträgen im Schrifttum zu Recht kritisierte Regel216 läßt bei Versicherungsverträgen erwarten, daß der Vertragsabschlußort am Sitz des Versiche­

210 Leflar 302. Auf eine „effective choice of law by the insured in his application" stellt § 192 Restatement (Second) für Lebens Versicherungs vertrage ab; dazu Comment e) zu § 192. 211 Hinrichsen, Die lex loci contractus im amerikanischen IPR (1933) 54; Batiffol, Contrats 295ff.; Rabel (oben N. 174) 319ff.; Leflar 314. 212 Vgl. Pound v. Insurance Co. of North America, 439 F. 2d 1059 (lOth Cir. 1971); weitere Nachweise in American Jurisprudence 2d, 43 (1969) - Insurance § 29. Der lex-loci-contractusRegel kam - zum Zwecke der Kontrolle der „localizing Statutes“ der Bundesstaaten - zeitweise Verfassungsrang zu; Mutual Life Insurance Co. v. Liebing (oben N. 175) 214, Holmes, J.: the Constitution and the first principles of legal thinking allow the law of the place where a contract is made to determine the validity and the consequences of the act“; Hartford Acc. & Indemnity Co. v. Delta & Pine Land Co. (oben N. 175) 150. 213 Die Anknüpfung an den Erfüllungsort hat im amerikanischen IPR der Versicherungsver­ träge eine vergleichsweise bescheidene Rolle gespielt; vgl. die Nachweise in Americanjurisprudence 2d, 43 (1969) - Insurance § 30; Carnahan 281 ff; Leflar 297 N. 3, 314 N. 1; Weitnauer, Der Vertragsschwerpunkt (1981) 119 N. 504, 505 (im folgenden: Weitnauer); Paul/Pain, The Forum 6 (1970) 1 (2 N. 8). 214 Restatement of Conflict of Laws 1934, §§312-331; Leflar 317, 314; American Juris­ prudence 2d, 43 (1969) - Insurance § 19. 215 So soll es für die Rechtsanwendungsfrage eine Rolle spielen, ob der Versicherungsnehmer mit dem Versicherungsantrag bereits seine erste Prämie bezahlt hat: Atlas Insurance Co. v. Ciccone, 156 N.Y.S. 2d 122 (Sup. Ct. 1956). 216 Patterson, Essentials of Insurance Law2 (1957) 56; Leflar 299; Paul/Pain, The Forum 6 (1970) 1 (2); grundlegend die Kritik an der lex-loci-contractus-Regel bei Cook, The Logical and Legal Bases ofthe Conflict of Laws (1942) 347 ff.

rers liegt217: Der Versicherungsnehmer gibt in den allermeisten Fällen auf einem (vom Versicherer bzw. seinem Agenten bereitgestellten) Antragsformular das Angebot zum Abschluß des Vertrages ab, das dann vom Versicherer am Sitz des Unterneh­ mens angenommen wird. Wie Carnahan nachgewiesen hat, ist die Rechtsprechung von zwei auf den Schutz des Versicherungsnehmers abzielenden Tendenzen gekenn­ zeichnet. In den allermeisten Entscheidungen kommen die Gerichte durch Manipulation des Abschlußortes zum Recht am Wohnsitz des Versicherungsnehmers als derjenigen Rechtsordnung, die für seinen Schutz die sachnächste ist218. Ein solches Ergebnis läßt sich vor allem dadurch erreichen, daß der letzte für den Vertragsschluß notwendige Akt im Hinblick auf den Vertragsinhalt bestimmt wird: Sehen (wie meist) die Vertragsbedingungen vor, daß der Versicherungsschutz erst mit Zustellung („deliv­ ery“) der Police beginnt, soll die Art der Zustellung über den Vertragsabschlußort entscheiden219. Wird die Police per Post dem Versicherungsnehmer zugesendet, läßt sich die letzte notwendige Handlung in der Aufgabe der Police bei der Post220, aber auch und vor allem im Empfang der Police durch den Versicherungsnehmer sehen221. Ist die Police durch einen Agenten dem Versicherungsnehmer übergeben worden, wird die entscheidende Handlung aufjeden Fall am Wohnort des Versicherungsneh­ mers vorgenommen222. Der Vertrag wird unabhängig von der Art der Zustellung ebenfalls am Wohnort des Versicherten geschlossen, wenn der Deckungsschutz der Versicherung erst bei Erhalt der Police und Zahlung der ersten Versicherungsprämie durch den Versiche­ rungsnehmer beginnt223 oder aber das Risiko vom Versicherer nur übernommen wird, wenn der Versicherungsnehmer bei Erhalt der Police bei guter Gesundheit ist224.

Den Schutz des Versicherungsnehmers haben die Gerichte aber auch ergebnisbezogen verwirklicht, wenn sie sich unter der Herrschaft der lex-

217 Eine solche Tendenz will Hinrichsen (oben N. 211) 57 erkannt haben. 218 Carnahan 205, 249 ff. 219 Lenhoff, L. Contemp. Probl. 21 (1956) 549ff ; American Jurisprudence 2d, 43 (1969)Insurance § 22; zum „delivery“-Konzept eingehend Carnahan 198 ff. 220 § 317 Restatement; Carnahan 230 ff. (mit Hinweis, die Zahl der Entscheidungen sei nicht bedeutend); z. B. Atlas Insurance Co. v. Ciccone (oben N. 215). 221 Equitable Life Assurance Society v. Clements, 140 U.S. 226, 232 (1891); Mutual Life Insurance Co. v. Cohen (oben N. 201); Mutual Life Insurance Co. v. Johnson, 293 U.S. 335, 339 (1934); Faron v. Penn Mutual Life Insurance Co., 176 F. 2d 290, 292 (3rd Cir. 1949) (Vermutung, daß delivery am Wohnsitz des Versicherungsnehmers erfolgt sei); Carnahan 235 N. 66. 222 §318 Restatement; American Jurisprudence 2d, 43 (1969) - Insurance §23; Carnahan 236f. N. 67. 223 Metropolitan Life Insurance Co. v. Cohen, 106 F.2d 921 (3rd Cir. 1939); Carnahan 21 Off, 216 mit weiteren Nachweisen; American Jurisprudence 2d, 43 (1969) - Insurance § 24. Andere Erwägungen haben bei der kollisionsrechtlichen Behandlung des vorläufigen Deckungsschut­ zes eine Rolle gespielt; siehe Lenhoff, L. Contemp. Probl. 21 (1956) 549 (550ff); Carnahan 217ff, 222ff. (Tendenz zur Anwendung des Rechts am Sitz des Versicherers, um einen frühzeitigen Schutz des Versicherungsnehmers zu erreichen). 224 „Delivery-in-good-health“-Klausel; dazu Leflar 298; Carnahan 238 ff.

loci-contractus-Regel auf das Recht am Sitz des Versicherers in Fällen beru­ fen haben, in denen die Anwendung dieses Rechts bei der zu entscheidenden Frage dem Versicherungsnehmer vorteilhaft gewesen ist225. In den letzten beiden Jahrzehnten ist auch die Rechtsprechung zu Versiche­ rungsverträgen zunehmend von der Aufgabe der mechanischen Anknüp­ fungsregel der lex loci contractus geprägt. Unterschiedliche Anknüpfi/ngstnethoden konkurrieren miteinander. Die maßgebliche Rechtsordnung wird durch eine Gruppierung der Anknüpfungsmomente bzw. eine Schwer­ punktanalyse, bei der eine Vielzahl von Vertragsumständen berücksichtigt werden, bestimmt226. Es wird nach der wichtigsten Verknüpfung des Vertrages mit einer Rechtsordnung gesucht und dieser dann der Vorrang eingeräumt („most significant relationship“)227. 228 Gerichte haben auch auf Leflars „choice-influencing considerations"228 abgestellt oder versucht, ihre Entscheidung durch Analyse und Abwägung der Anwendungsinteressen der berührten Rechte zu begründen229.

225 Vgl. Briggs v. United Services Life Insurance Co., 117 N.W. 2d 804, 807 (Sup.Ct. S.D. 1962) (Annahme des Versicherungsantrages durch Versicherer als „last necessary act“). Auf das Recht am Sitz des Versicherers haben sich die Gerichte vielfach berufen, wenn es darum ging, dem Versicherungsnehmer möglichst frühzeitig Versicherungsschutz zu gewähren (Tod des Versi­ cherungsnehmers nach Absendung der Police, aber vor ihrer Zustellung); vgl. Carnahan 209 mit weiteren Nachweisen. 226 Eine frühe Entscheidung ist Jones v. Metropolitan Life Insurance Co., 286 N.Y.S. 478 (Sup.Ct. 1936); Urhammerv. Olson, 159N.W. 2d688(Wise. 1968); Tormey v. TravelersInsurance Co., 174 N.Y.S. 2d 496 (Sup.Ct. 1958); weitere Nachweise aus der Rechtsprechung in Ameri­ can Jurisprudence 2d, 43 (1969) - Insurance § 33 sowie bei Weitnauer 119 N. 506, 121 N. 511. 227 Lowe’s North Willesboro Hardware Inc. v. Fidelity Mutual Life Insurance Co., 319 F.2d 469, 473 (4th Cir. 1963); vgl. Allstate Insurance Co. v. Clendening, 289 So. 2d 704 (Fla. 1974). 228 Haines v. Mid-Century Insurance Co., 177 N.W. 2d 328, 333 (Sup. Ct. Wis. 1970); Hague v. Allstate Insurance Co., 289 N.W. 2d 43, 49 (Minn. 1978). 229 Breslin v. Liberty Mutual Insurance Co., 321 A.2d 342, 244 (Sup. Ct. NJ. 1975); Strassberg v. New England Mutual Life Insurance Co., 575 F.2d 1262, 1263f. (9th Cir. 1978): „Before a California court makes a choice of law, it will first consider the actual stäke that the potentially concerned States have in the litigation. The court will examine the decisional rule of the sister state and will determine whether the state interests the rule is designed to protect will be significantly furthered by its application to the case at hand...“; vgl. auch Allstate Insurance Co. v. Sullatn, 349 N.Y.S. 2d 550, 558 (1973); Lester v. Aetna Life Insurance Co., 433 F.2d 884, 889 (4th Cir. 1970); Oakley v. National Western Life Insurance Co. (oben N. 206) 508, 511; Johnston v. Commercial Travelers Mutual Accident Association (oben N. 175) 92: „Under the above facts the contract will be treated as being made in South Carolina as South Carolina has a manifest governmental interest in protecting the rights ofits citizens.“ Auf das Regelungs- und Schutzinteresse der Bundesstaaten will, zur Beschränkung der Rechts­ wahlfreiheit, Rücksicht nehmen: New York Life Insurance Co. v. Cravens (oben N. 201) 398: “But the interests of the State must be deemed to be expressed in its laws... Against them no intention will be inferred or permitted to be enforced. “

Das Restatement (Second) schlägt für bestimmte Versicherungsvertragstypen ge­ neralisierende, für den Vertrag insgesamt geltende Anknüpfungen vor: Lebensversi­ cherungsverträge sollen dem Domizilrecht des Versicherungsnehmers zur Zeit der Antragstellung230 unterstehen (§ 192), unabhängig von den Umständen des Vertrags­ schlusses im einzelnen. Damit wird der im Sachrecht des Domizilstaates verfolgte Schutz des Versicherungsnehmers gegenüber Versicherern mit Sitz in anderen Staa­ ten abgesichert231. Die Maßgeblichkeit des Rechts am Wohnsitz des Versicherungs­ nehmers bei Versicherungsverträgen kann nicht nur im Schrifttum mit Zustimmung rechnen232, sie entspricht auch weitgehend den Ergebnissen der Rechtsprechung unter dem Einfluß der neuen Anknüpfungsansätze: Eine Vielzahl von Entscheidun­ gen bringt - zumeist im Rahmen einer Schwerpunktanalyse des Falles unter Beach­ tung der das Sachrecht beherrschenden Interessenwertungen - im Ergebnis das Domizilrecht des Versicherungsnehmers zur Anwendung233; dies auch in Fällen, in denen der Versicherungsnehmer den Vertragsantrag in einem anderen Staat als seinem Wohnortstaat abgegeben hat234. Weitgehend uneinig ist sich die Rechtspre­ chung hingegen bei der kollisionsrechtlichen Behandlung der Gruppenlebensversi­ cherungsverträge235. In einer Reihe von Entscheidungen werden die Ansprüche der Versicherten236 dem Recht des Rahmenvertrages zwischen Versicherer und Versiche­ rungsnehmer („master policy“) unterstellt237 und im Ergebnis das Recht am Sitz des Versicherungsnehmers (= Arbeitgebers) angewendet238. Verwirklicht wird damit eine einheitliche Behandlung der Rechte aller Versicherten unabhängig von ihrem Wohnsitz und Arbeitsort239. Dem stehen Urteile gegenüber, welche die Rechte der 230 Ein Statutenwechsel bei Änderung des Domizils soll nicht ausgeschlossen sein (Vorbehalt der „most significant relationship“ eines anderen Staates in § 192); vgl. comment zu §§ 192, 193 und Clay v. Sun Insurance Office Ltd. (oben N. 175) 182; ablehnend demgegenüber Ehrenzweig, Treatise 517; Patterson (oben N. 216) 58. 231 Comment c) zu § 192 Restatement (Second). 232 Ehrenzweig, Treatise 516; Patterson (oben N. 216) 57. 233 Strubbe v. Sonnenschein, 299 F.2d 185, 189 (2d Cir. 1962) (Domizil des Versicherungsneh­ mers und Abgabe des Versicherungsantrags im selben Staat); Brown v. Inter-Ocean Insurance Co., 438 F.Supp. 951 (D.C. Ga. 1977); Wickhatn v. Prudential Insurance Co., 366 So.2d 951, 954 (La. App. 1978); Melville v. American Home Ass. Co., 584 F.2d 1306, 1313f. (3rd Cir. 1978); Ratliff v. Coastal Plain Life Insurance Co., 242 S.E.2d 424 (Sup.Ct. S.C. 1978); vgl. die Rechtsprechungsanalyse bei Paul/Pain, The Forum 6 (1970) 1 sowie die Nachweise bei Weitnauer 119 N. 506. 234 Fleet Messenger Service, Inc. v. Life Insurance Co., 315 F.2d 593, 596 (2d Cir. 1963); Zogg v. Penn Mutual Life Ins. Co., 276 F.2d 861 (2d Cir. 1960) (Antrag und Annahme außerhalb des Wohnsitzstaates); Strassberg v. New Engi, and Mutual Life Insurance Co. (oben N. 229) (zum Nachteil des Versicherungsnehmers). 235 Nachweise in American Jurisprudence 2d, 43 (1969) - Insurance § 39. 236 Die Rechtsstellung des Bezugsberechtigten eines Individualversicherungsvertrages fällt in den Anwendungsbereich des Vertragsstatuts; American Jurisprudence 2d, 43 (19637) Insurance § 46; Ratliffv. Coastal Plain Life Insurance Co. (oben N. 233). 237 Lindstrom v. Aetna Life Insurance Co., 203 N.W.2d 623 (Sup. Ct. Iowa 1973); Pound v. Insurance Co. of North America (oben N. 212) 1062; so bereits auch früher: Bynum v. Prudential Insurance Co., 77 F.Supp. 56, 61 (E.D.S.C. 1948). 238 Connecticut General Life Insurance Co. v. Hickmann, 150 S.W. 2d 121 (Tex. App. 1941). 239 Comment h) zu § 192 Restatement (Second) will die Rechte der Versicherten „gewöhn-

Versicherten unabhängig vom Recht der „master policy“ dem Domizilrecht des Versicherten unterstellen240. Für Feuer-, Bürgschafts- und Unfall-(Haftpflicht-)Versicherungsverträge sieht §193 Restatement (Second) unter Ausschluß jeder Rechts Wahlmöglichkeit241 eine An­ knüpfung an den Schwerpunkt des Risikos vor242, soweit nicht eine noch engere Beziehung des Vertrages bzw. der zu entscheidenden Rechtsfrage zu einem anderen Recht gegeben ist. Bei Feuerversicherungsverträgen kann sich das Restatement (Second) für diese Anknüpfung indessen weniger auf eine vorherrschende Rechtsprechung als vielmehr nur auf Äußerungen im Schrifttum243 und auf die gesetzlichen Kollisionsnormen der Gliedstaaten berufen, welche die Anwendung des inländischen Rechts bei der Versi­ cherung inländischer Risiken vorsehen244. Frühere Rechtsprechung245 hatte bei der Versicherung unbeweglichen Vermögens wiederholt auf die Unmaßgeblichkeit des Lageorts des Risikos für die Bestimmung des Vertragsstatuts hingewiesen246. Erst in jüngerer Zeit tendiert die Rechtsprechung - durch Bezugnahme auf den Erfüllungs­ ort im Sinne des „operative effect“ des Vertrages247 bzw. durch Bestimmung des Vertragsschwerpunktes248 - zu einer Anknüpfung an den Risikoort. Deckt die Police Risiken in mehreren Staaten, soll der Vertrag kollisionsrechtlich in entsprechend viele Verträge aufgespalten werden249. lieh“ dem Statut der „master policy“ unterstellen: „This is because it is desirable that each individual insured should enjoy the same Privileges and protection“; siehe auch Boseman v. Connecticut General Life Insurance Co. (oben N. 206) 206. 240 Handly v. Lyons, 475 S.W.2d 451 (Mo. App. 1971); Nelson v. Aetna Life Insurance Co. (oben N. 206); Oakley v. National Western Life Insurance Co. (oben N. 206) 508; Harrison v. Insurance Co. of North America, 318 So.2d 253, 257 (Ala. 1975); Coleman v. Aetna Life Insurance Co., 261 F.2d 296, 299 (7th Cir. 1958); Antinora v. Nationwide Life Insurance Co., 350 N.Y.S. 2d 863, 870f. (1974); Schroeder v. John Insurance Co., Hancock Mutual Life Insurance Co. 227 F.Supp. 622, 624 (S.D. Tex. 1964); John Hancock Mutual Life Insurance Co., v. Schroeder, 349 F.2d 406, 408 (5th Cir. 1965) (Anwendung einer gesetzlichen-einseitigen - Kollisionsnorm). 241 Vgl. Comment e) zu § 193 Restatement (Second). 242 So schon Patterson (oben N. 216) 57f. 243 Für die Maßgeblichkeit der lex rei sitae bei der Versicherung unbeweglichen Vermögens: Rabel (oben N. 174) 351; Patterson (oben N. 216) 57; Ehrenzweig, Treatise 517; ders., Conflicts in a Nutshell3 (1974) 195 (im folgenden: Ehrenzweig, Nutshell) (mit der Begrün­ dung, daß aus den Verträgen in aller Regel im Risikostaat geklagt werde). 244 Dazu oben unter 1. 245 Eingehende Nachweise bei Batiffol, Contrats 300 ff. 246 Coffin v. London & Edinburgh Insurance Co., 27 F.2d 616, 617 (N.D. Ga. 1928); Vermont Mutual Fire Insurance Co. v. Van Dyke, 165 A. 906, 907 (Sup.Ct. Vt. 1933); in Wootton Hotel Corp. v. North Assurance Co., 155 F.2d 988 (C.A.Pa. 1945) und Brookville Electric Co. v. Utilities Insurance Co., 142 S.W.2d 803 (Mo. App. 1940), fielen der Ort des versicherten Vermögens und der Wohnort des Versicherungsnehmers zusammen. 247 Westchester Fire Insurance Co. v. Tantalo, 273 F.Supp. 7, 16f. (D.C. Conn. 1957) (Haft­ pflichtversicherung, Vertragsabschluß, Erfüllungsort und „operative effect“ des Vertrages beziehen sich auf einen Staat). 248 Consolidated Mutual Insurance Co. v. Radio Foods Corp., 240 A.2d 47 (Sup.Ct. N.H. 1968) (Feuerversicherung). 249 So Consolidated Mutual Insurance Co. v. Radio Foods Corp. (vorige Note) 49 für einen

Für Unfall- und (Kraftfahrzeug-)Hafipflichtversicherungen läßt sich zunächst eine negative Feststellung treffen: Die Rechtsprechung erkennt - unter Zustimmung im Schrifttum250 - dem Ort des Unfalls als Ort der Risikoverwirklichung keine aus­ schlaggebende Bedeutung zu251. Im übrigen ist keine einheitliche Linie zu erkennen. Zum Teil stellen die Gerichte auf den Vertragsabschlußort (Ort der Zustellung der Police)252, zum Teil auf die lex loci solutionis ab, die zum Schwerpunkt des versicher­ ten Risikos fuhrt253. Gerichte, welche die maßgebliche Rechtsordnung nach dem Vertragsschwerpunkt ermitteln, messen sowohl dem hauptsächlichen Lageort des versicherten Risikos (Ort der Registrierung)254 wie auch dem Wohnsitz des Versiche­ rungsnehmers255 große Bedeutung zu256. Eine kollisionsrechtlich besondere Beurteilung haben die Rechtsbeziehungen zwiVersicherungsvertrag, der als Konsequenz der Anforderungen des Versicherungsaufsichts­ rechts von New Hampshire zusätzlich von einem Versicherungsagenten mit Wohnsitz in New Hampshire unterzeichnet worden war; vgl. auch Comment f) zu § 193 Restatement (Second). 250 Ehrenzweig, Treatise 518. 251 Government Employees Insurance Co. v. Sheerin, 410 N.Y.S.2d 641, 643 (Sup.Ct. N.Y. 1978) (Unfallort New York, das Gericht hält Recht von New Jersey für anwendbar); Great American Insurance Co. v. Hartford Acc. & Indemnity Co., 519 S.W.2d 579, 580 (Sup.Ct. Tenn. 1975); Colonial Penn. Insurance Co. v. Minkoff, 338 N.Y.S. 2d 444, 445 (Sup.Ct. N.Y. 1972) (mail-order-Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrag, Versicherer mit Sitz in Massachu­ setts, Versicherungsnehmer in New York wohnhaft; Unfall in New Jersey; Recht von New York angewendet); State Automobile Mutual Insurance Co. v. Spray, 547 F.2d 397, 400 (7th Cir. 1977); Blue Bird Body Co. v. Ryder Truck Rental Inc., 583 F.2d 717, 723 (5thCir. 1978) (center-ofgravity approach, Unfall in Mississippi, Versicherungsvertrag zwischen Parteien mit Sitz in Georgia; da der Versicherer seine Leistung bereits ausgeworfen hatte, habe Mississippi „no real concern“); Ohio Casualty Insurance Co. v. Travelers Indemnity Co., 493 S.W.2d 465, 466 (Sup.Ct. Tenn. 1973); Aetna Casualty & Surety Co. v. Enright, 258 So.2d 472 (Fla. App. 1972) (Unfall in Florida; New Yorker Recht auf Vertrag angewendet); Seguros Tepeyac S.A. v. Bostrum, 347 F.2d 168, 172 (5th Cir. 1965) (Touristen-Haftpflichtversicherungsvertrag mit Laufzeit von 3 Tagen zur Deckung von Risiken in Mexiko, Vertragsabschluß hinter der Grenze in Mexiko, Versiche­ rer war auch in Texas zum Geschäft zugelassen; mexikanisches Recht angewendet); Louisville Gas & Electric Co. v. Employers Mutual Liäbility Insurance Co., 548 S. W.2d 843 (Ky. App. 1977); Chase v. Safeco Insurance Co., 345 So.2d 969 (La. App. 1977); Allstate Insurance Co. v. Napier, 505 S.W. 2d 169, 171 (Ky. App. 1974). 252 Float-Away Door Co. v. Continental Casualty Co., 372 F.2d 701, 704 (5th Cir. 1966) („delivery“, nicht „execution" des Vertrages sei für den Abschlußort des Vertrages entschei­ dend); Great American Insurance Co. v. Hartford Acc. & Indemnity Co. (vorige Note); Daburlos v. Commercial Insurance Co., 521 F.2d 18 (3rd Cir. 1975) (Ausstellung und Zustellung der Police in ein und demselben Staat); Employers9 Liäbility Association Corp. v. Aresty, 205 N.Y.S. 2d 711 (1960), affirmed 225 N.Y.S. 2d 764 (Vertragsabschlußort und Erfüllungsort in demselben Staat). 253 Heavner v. State Automobile Mutual Insurance Co., 350 F.Sup. 859, 862 (D.C.Va. 1972); Whitfield v. Empire Mutual Insurance Co., 356 A.2d 139 (Sup.Ct. Conn. 1975) (Kraftfahrzeug­ versicherung, das Kraftfahrzeug „principally garaged“ in Connecticut; „operative effect“ in Connecticut hat Vorrang vor Vertragsabschlußort). 254 Colonial Penn Insurance Co. v. Minkoff (oben N. 251), affirmed 301 N.E.2d 424 (C.A. 1973) (mail-order-Kraftfahrzeug-Versicherungs vertrag, Ort des Risikos und Wohnort des Versicherungsnehmers in New York, Police am Wohnort zugestellt; Versicherer betrieb Wer­ bung in New York und war dort zum Geschäftsbetrieb zugelassen; Recht von New York anwendbar); Government Employees Insurance Co. v. Sheerin (oben N. 251) 643.

sehen den „Fraternal Benefit Associations(< - genossenschaftlich organisierten Bruder­ schaften- und ihren Mitgliedern erfahren. Die Gerichte haben hier sowohl auf die lex loci contractus257 255als256 auch auf das Recht am Sitz der Bruderschaft abgestellt, um eine Gleichbehandlung der Genossen zu erreichen258. Damit werden die versicherungs­ rechtlichen Beziehungen gesellschaftsrechtlich qualifiziert259. Dieses Ergebnis über­ rascht nur auf den ersten Blick. Denn alle Staaten haben die „Fraternal Benefit Associations“ vom Anwendungsbereich ihrer Versicherungsgesetze - und damit gerade auch von den zwingenden Normen zum Schutze des Versicherungsnehmers ausgeschlossen260. Es bedarf mithin auch keines kollisionsrechtlichen Versicherungs­ nehmerschutzes261 . Dieser - notwendig kursorische - Überblick über die Rechtslage in den Vereinigten Staaten erlaubt die folgenden Feststellungen. Sowohl im Gesetzesrecht der Bundesstaaten wie in der Rechtsprechung zeigt sich im Bereich der Massenversicherungsverträge eine ausgeprägte Tendenz zur Anwendung des Rechts am Wohnort des Versicherungsneh­ mers bzw. am Lageort des Risikos. Das sozialpolitische Interesse des Staates am Schutz seiner Bevölkerung, das sich in den zwingenden vertragsrechtli­ chen Normen zum Schutze des Versicherungsnehmers manifestiert, wird für zwischenstaatliche Verträge im Kollisionsrecht berücksichtigt und abge­ sichert262. Eine solche Anknüpfung an den Ort des Tätigkeitslandes nimmt im Ergebnis die ökonomischen Kosten263 in Kauf, die einem auf nationaler

255 State Automobile Insurance v. Spray (oben N. 251) (Wohnsitz des Versicherungsnehmers und Vertragsabschlußort); Chase v. Safeco Insurance Co. (oben N. 251). 256 Zur kollisionsrechtlichen Behandlung der Direktklage (direct action): Ehrenzweig, Nut­ shell 198ff ; ders., Treatise 519ff ; Note, Direct Action Statutes - Their Operational and Conflict-of-Law Problems: Harv.L.Rev. 74 (1960) 357; Lenhoff, FS Ehrenzweig 153 (166ff.); Smith, Direct Actions by Claimants Against Liäbility Insurers: Federation of Insurance Coun­ sel Quaterly 27 (1976) 33. Zur Verfassungsmäßigkeit der Anwendung eines direct-actionstatute des Forums trotz fremden Vertragsstatuts: Watson v. Employers Liäbility Association Corp. Ltd., 348 U.S. 66 (1954). 257 Supreme Lodge, Knights ofPythias v. Meyer, 198 U.S. 508, 518 (1905). 258 Supreme Council ofthe Royal Arcanum v. Green, 237 U.S. 531, 542 (1915); Modern Wbodmen of America v. Mixter, 267 U.S. 544, 551 (1925): „indivisible unity“; Sovereign Camp of the Woodmen v. Bolin, 305 U.S. 66, 75 (1938); vgl. dazu Currie243ff.; Lenhoff, FS Ehrenzweig 153 (164). 259 Zur Parallele Leflar 112, 114, 316, 509ff. 260 Currie 245. 261 Da die „Fraternals" zum Teil große Unternehmen mit einem umfangreichen Versiche­ rungsgeschäft geworden sind, ist ihre kollisionsrechtliche Sonderstellung in Zweifel gezogen worden; Rabel (oben N. 174) 332; Leflar 114. 262 Zogg v. Penn Mutual Life Insurance Co. (oben N. 234) 864f. 263 Vgl. Peel, Regulatory Developments in Minimum Standards for Health Insurance Poli­ cies: The Forum 13 (1978) 680 (698), der die Unterschiedlichkeit der einzelstaatlichen Regelun­ gen im Bereich der Krankenversicherung als „extremely expensive“ bezeichnet.

Ebene tätigen Versicherer264 durch die Beachtung von fünfzig Rechtsord­ nungen erwachsen. Die dem Betriebsstatut zugrundeliegenden Wertungen haben in den Vereinigten Staaten offenbar keinen Einfluß gewinnen kön­ nen265. Das kollisionsrechtliche Destinationslandprinzip opfert das Unifor­ mitätsinteresse national tätiger Versicherer zugunsten einer effektiven Absi­ cherung einzelstaatlicher Politiken und vermeidet zugleich Wettbewerbs­ verzerrungen zum Nachteil lokal arbeitender Versicherer in Staaten mit intensiverem Sozialschutz. Die Rechtswahlfreiheit spielt bei den Massenversicherungen nur eine sehr beschränkte Rolle.

V. Überblick über andere Rechtsordnungen Rechtsvergleichende Zusammenfassung Die kollisionsrechtlichen Lösungen der hier untersuchten Rechte vermit­ teln sowohl in den maßgebenden Anknüpfungen wie den ihnen zugrunde­ liegenden Interessenwertungen kein einheitliches Bild. Ein Blick auf das Recht anderer Staaten bestätigt diese Wertungsvielfalt.

1. Parteiautonomie Rechtswahlfreiheit ist nur bei den international geprägten Versicherungs­ zweigen, insbesondere den Rück- und Seeversicherungen uneingeschränkt anerkannt. Dies gilt heute etwa auch für das Recht der Ostblockstaaten266. In den übrigen Versicherungszweigen ist die Parteiautonomie zum Teil einge­ schränkt, ihre Reichweite in der Praxis zudem wenig geklärt. Rechtsord­ nungen, die, wie viele Bundesstaaten in den Vereinigten Staaten, materiell­ rechtlichen Versicherungsnehmerschutz betreiben, tendieren dazu, wegen des intellektuellen und ökonomischen Ungleichgewichts der Parteien die

264 Zur Intensität der grenzüberschreitenden Tätigkeit der amerikanischen Versicherer vgl. Kimball (oben N. 182) 44 ff.; ders. (oben N. 171) 57. 265 Vgl. auch Watson v. Etnployer's Liäbility Ass. Co., Ltd. (oben N. 256) 72. 266 DDR: § 12 I Rechtsanwendungsgesetz vom 5. 12. 1975; CSSR: § 9 I IPR-Gesetz vom 4. 12. 1963; Polen: Art. 25 § 1 IPR-Gesetz vom 12. 11. 1965; Jugoslawien: Art. 19 IPR-Gesetz vom 15. 7. 1982; Ungarn: § 25 Satz 1 der Verordnung Nr. 13/1979 vom 31. 5. 1979. Der IPR-GesetzEntwurf des kanadischen Bundesstaates Quebec von 1978, Civil Code Revision Office, Report on the Quebec Civil Code (1978), schränkt hingegen die in Teil I Buch 9 Art. 21 gewährte Parteiautonomie in Art. 27 (4) in Verbg. mit (1) für Verträge mit in Quebec domizilierten Versicherungsnehmern ein, wenn sie den Antrag zum Abschluß eines Vertrages von Quebec aus gestellt haben. Dies soll generell für alle Versicherungsverträge gelten.

Rechtswahlfreiheit zu beschränken oder auszuschließen. In Quebec ist jede Abbedingung Quebecer Rechts unwirksam, wenn der Versicherungsneh­ mer in Quebec wohnt und von dort den Antrag zum Abschluß des Vertrages gestellt hat267. 268 Das österreichische IPR-Gesetz vom 15. 6. 1978 (öst. IPRG)268 räumt in § 35 I den Parteien eines Versicherungsvertrages zwar Rechtswahl­ freiheit ein, sieht aber in § 41II zugunsten der Verbraucher269 eine Einschrän­ kung in der Weise vor, daß die zwingenden Bestimmungen des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers nicht zu seinem Nachteil abbe­ dungen werden können, wenn der Vertrag im Zusammenhang mit einer Geschäftstätigkeit des Unternehmens im Lande des Verbrauchers geschlos­ sen worden ist270. Dem stehen Staaten wie England, Belgien und die Nieder­ lande gegenüber, die Rechtswahlfreiheit auch im Bereich der Massenversi­ cherungsverträge weitgehend anerkennen271. Fehlender Versicherungsneh­ merschutz im Sachrecht korrespondiert mit Parteiautonomie im Kollisions­ recht. In einigen Rechtsordnungen, wie z. B. der Schweiz und Frankreich, ist die kollisionsrechtliche Parteiautonomie zwar auch für Versicherungsverträge anerkannt, doch zeigt eine Analyse der Rechtsprechung, daß Rechtswahl­ freiheit in Fallkonstellationen, in denen inländischer Versicherungsnehmer­ schutz berührt gewesen wäre (inländische Geschäftstätigkeit ausländischer Versicherer), zumindest keine positive Bestätigung gefunden hat. Soweit Ostblockstaaten, wie die Deutsche Demokratische Republik, Polen, die CSSR, Ungarn und Jugoslawien272, die Rechts Wahlfreiheit anerkennen, gilt es sich vor Augen zu fuhren, daß westliche Versicherer vom Massengeschäft in den jeweiligen Staaten ausgeschlossen sind.

267 Art. 2296 C.c.; dazu Abrell, Der Quebecer Entwurf einer Kodifikation des IPR (1978) 149; ebenso Art. 27 Draft Civil Code I Buch 9 - Civil Code Revision Office, Report on The Quebec Civil Code (1978). 268 Öst. BGBl. 1978 Nr. 304. 269 Versicherungsnehmer werden als „Verbraucher“ über § 41 öst. IPRG nur geschützt, wenn sie mit dem Versicherungsschutz nicht unternehmerische Bedürfnisse befriedigen; siehe Schwimann, Das gesetzliche Schuldvertragsstatut im neuen österreichischen IPR: RIW/AWD 1983, 404 (405); Reichert-Facilides, Beobachtungen zum österreichischen internationalen Versicherungsrecht, in: 25 Jahre Karlsruher Forum (1983) 57 (59). Das österreichische Versiche­ rungsvertragsgesetz sieht dagegen auch unternehmerisch tätige Versicherungsnehmer als schutzbedürftig an (§§ 186, 187 öst. VVG). 270 Zur früheren Rechtslage Raape/Sturm, IPR61 (1977) 223 (im folgenden: Raape/Sturm). 271 Zu den Niederlanden van der Feltz, in: L’harmonisation du droit des assurances dans la C.E.E., Colloque de Grenoble 1973 (o.J.) 151 ff.; zu Belgien Monette/de VILL/ANDR II 546. 272 Siehe oben N. 266.

2. Objektive Vertragsanknüpfung Bei der objektiven Anknüpfung der Versicherungsverträge konkurrieren verschiedene Anknüpfungsmomente. Während das Betriebsstatut des Versicherers sich in den Vereinigten Staaten und in Frankreich bisher nicht durchsetzen konnte, findet man diese An­ knüpfung in den Rechten der Ostblockstaaten273, der Schweiz274 und, bei einigen Vertragstypen (Lebens-, Seeversicherungen), auch in Südamerika275. § 38 II öst. IPRG sieht für Versicherungsverträge zwar ebenfalls eine An­ knüpfung an die Niederlassung vor, doch hat bei Verträgen mit Verbrau­ chern § 411 öst. IPRG Vorrang: Danach kommt das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers zur Anwendung, wenn der Versicherer im Staate des Verbrauchers tätig geworden ist276. Auf die Anwendung des Wohnsitzrechts der Versicherungsnehmer zielen unmittelbar die gesetzlichen Kollisionsnormen und die Rechtsprechung in zahlreichen amerikanischen Bundesstaaten, die Artt. 2294 ff. des Code civile von Quebec277 sowie der allseitig formulierte § 41 I öst. IPRG. Unterschiede ergeben sich bezüglich der Umstände, unter denen das Wohnortrecht des Versicherungsnehmers berufen wird: Einige Gesetze der amerikanischen Bundesstaaten arbeiten mit dem Wohnort des Versicherungsnehmers als starrem Anknüpfungspunkt und erfassen damit auch Verträge, die im Aus­ land (etwa auf einer Geschäftsreise) mit Versicherern zustande kommen, die im Inland keine Geschäftstätigkeit entfalten278. Art. 2294 Code civile Quebec verlangt zusätzlich zum Wohnort des Versicherungsnehmers in Quebec, daß der Versicherungsantrag von dort gestellt wird. Damit werden Auslands­ verträge, bei denen der Versicherungsnehmer auf einem anderen Markt nachfragt, von der Anwendung Quebecer Rechts ausgeschlossen. Eine noch weitergehende Einschränkung der Anknüpfung an den Wohn­ ort (gewöhnlichen Aufenthalt) des Versicherungsnehmers verwirklicht § 41 273 DDR: § 121 lit. n) Rechtsanwendungsgesetz vom 5.12.1975; Polen: Art. 27 § 1 Nr. 3 IPRGesetz vom 12. 11. 1965; CSSR: § 10 II lit. d) IPR-Gesetz vom 4. 12. 1963; Ungarn: § 25 lit. k Verordnung Nr. 13/1979 vom 31. 5. 1979; Jugoslawien: Art. 19 IPR-Gesetz vom 15. 7. 1982. 274 Siehe oben unter I 2. 275 Art. 9 des Vertrages über internationales Handelsrecht vom 12. 12. 1889 (Montevideo): See- und Lebensversicherungen (Sitz bzw. Niederlassung); Art. 12 des Vertrages über das internationale Handelsrecht vom 19. 3. 1940 (Montevideo): Lebensversicherungen (Sitz bzw. Niederlassung). 276 Schwimann, RIW/AWD 1983, 404 (407). Die Erläuterungen zu § 38II öst. IPRG, 784 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XIV. GP (1978) 54, sind allein auf die Interessen des Versicherers ausgerichtet und stellen keinen Zusammenhang mit § 41 IPR-Gesetz her. 277 Dazu Abrell (oben N. 267) 149 f.; ebenso der Entwurf eines neuen Civil Code I Buch 9 Art. 27(1). 278 Dazu oben IV 1.

I öst. IPRG, wonach das Wohnortrecht nur dann zur Anwendung gelangen soll, wenn der Versicherer in diesem Staat seine Geschäftstätigkeit entfaltet hat. Zum selben Ergebnis, wenn auch mit einer partei- und schutzneutralen Kollisionsnorm, kommt die französische Judikatur wie auch die Rechtspre­ chung in einigen amerikanischen Gliedstaaten mit der lex-loci-contractusRegel. Während in Frankreich Versicherungsaufsicht bewirkt, daß der Ver­ tragsabschluß immer dann im Inland liegt, wenn das französische Publikum am nationalen Markt nachfragt, erreichen amerikanische Gerichte dasselbe Ergebnis durch eine entsprechende schutzzweckorientierte Konkretisierung des Abschlußortes. Einige Verbreitung hat schließlich auch - zumindest für die Versicherung unbeweglichen Vermögens - die Anknüpfung an den Ort des versicherten Risikos gefunden279.

279 Art. 2294 C.c. Quebec (für Immobiliarversicherungen); § 193 Restatement (Second); Art. 8 des Vertrages über internationales Handelsrecht vom 12. 12. 1889 (Montevideo) für Land-, Fluß-, Binnen Wassertransportversicherungen; Art. 12 des Vertrages über das internationale Handelsrecht vom 19. 3. 1940 (Montevideo) für Landversicherungen. Ablehnend insoweit ausdrücklich § 10 II lit. d) IPR-Gesetz der CSSR vom 4. 12. 1963. Die Belegenheit des Risikos spielt keine Rolle im schweizerischen und englischen Recht. Für eine Anwendung des Rechts am Ort des Risikos bei Immobiliarversicherungen plädieren im Schrifttum Ehrenzweig, Treatise 517; Rabel (oben N. 174) 351 (jedoch nur als Vermutung, 347; keine „rule... with ironclad necessity"); Monette/de VILL/ANDR II 549.

§2: Deutsches Recht I. Die herkömmlichen Anknüpfungen im Überblick 1. Parteiautonomie Der Parteiwille als Anknüpfungspunkt einer Kollisionsnorm des deut­ schen internationalen Vertragsrechts hat sich in der Rechtsprechung1 wie auch im Schrifttum2 in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts endgültig durchgesetzt. Bis zu dieser Zeit wurde dem Willen der Parteien Bedeutung allein im Rahmen und auf der Ebene der materiellrechtlichen Vertragsfrei­ heit zugemessen: Die Verweisung der Parteien auf eine Rechtsordnung bestimmte nicht das Vertragsstatut, sondern den Vertragsinhalt, mit der Folge, daß die Parteien die Anwendung zwingender Normen nicht durch ihre Vereinbarung beeinflussen konnten („materiellrechtliche Verweisungs­ freiheit“). Die Rechtsprechung hatte den materiellrechtlichen Charakter der Parteiverweisung immer wieder deutlich gemacht, wenn sie den Parteien allein die Möglichkeit zugestehen wollte, „im Rahmen der Vertragsfrei­ heit ... durch Vereinbarung ihre Beziehung einem bestimmten Recht zu unterwerfen“3.

Während im 19. Jahrhundert Schrifttum4 und Praxis5 die (materiellrechtliche) Verweisungsfreiheit zunächst durch die „streng positiven“, zwingenden Vorschrif­ ten der lex fori begrenzt sahen, wurden später - zumindest seit der Entscheidung des 1 Nachweise bei Lewald, Das deutsche IPR auf der Grundlage der Rechtsprechung (1931) 203 (im folgenden: Lewald); Melchior, Die Grundlagen des IPR (1932) 501 (im folgenden: Melchior); Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 312. 2 Grundlegend Haudek, Die Bedeutung des Parteiwillens im IPR (1931). 3 RG 21. 9. 1899, RGZ 44, 300 (301): „... die Befugnis der Beteiligten, das für ihr Vertrags­ verhältnis maßgebende Recht selbst zu bestimmen, findet daher ihre Schranken in denjenigen Gesetzen, welche der Vertragsfreiheit überhaupt gezogen sind.“ In diesem Sinne zuletzt RG 17. 9. 1926, IPRspr. 1926-27 Nr. 3. 4 Siehe von Waechter, Über die Kollision der Privatrechtsgesetze verschiedener Staaten: AcP 25 (1842) 361 (399); von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts VIII (1849) 32 ff. und 248 (im folgenden: Savigny VIII) (zwingendes Recht des Forums soll sich auch gegenüber der auf den ausdrücklichen oder vermuteten Willen der Parteien gestützten Anknüp­ fung an den Erfüllungsort durchsetzen). 5 OAG Lübeck 30. 1. 1850, Sig. Bd. 2 (1856) (Frankfurter Rechtssachen) 228 (235) (obiter); OAG Rostock 17. 12. 1857, SeuffA 19 (1866) Nr. 107; OAG Celle 16. 9. 1852, SeuffA 8 (1855) Nr. 1; RG 12. 7. 1881, RGZ 5, 124. Anders OAG München 21. 10. 1834, SeuffA 1 (1847) Nr. 35 (Maßgeblichkeit des Rechts am Wohnort des Schuldners mit Rücksicht auf den Schutzcharakter des Gesetzes).

Reichsgerichts vom 13. 11. 18856 und seit von Bar6 7 - die zwingenden, die Vertrags­ freiheit beschränkenden Normen dem „an sich“ anwendbaren8, „nach allgemeinen Grundsätzen“ des IPR9 zu bestimmenden Recht entnommen. Dem Parteiwillen wurde immerhin mittelbar kollisionsrechtliche Bedeutung zuerkannt10, wenn ein vertraglich von den Parteien vereinbarter, gemeinsamer Erfüllungsort bei der objek­ tiven Anknüpfung des Vertrages das anzuwendende Recht bestimmte („unechte Parteiverweisung“)11. Die kollisionsrechtliche Verweisungsfreiheit der Parteien ist heute in der Rechtsprechung „fest verankert“12 und im Schrifttum weithin - bis zur Behauptung ihrer gewohnheitsrechtlichen Geltung13 - anerkannt14. Jedoch besteht zunehmend die Tendenz, Normen von wirtschaftspolitischem15 und sozialpolitischem Gehalt16 einer gesonderten Anknüpfung zu unterwerfen17.

6 RG 13. 11. 1885, RGZ 14, 235 (239): Anwendung der lex Anastasiana nur im Rahmen des Vertragsstatuts (gegen Savigny VIII 248). 7 von Bar, Theorie und Praxis des IPR2 I/II (1889) (im folgenden: Bar I bzw. II) II 4ff; Frankenstein, IPR (Grenzrecht) I (1926) 66, 159, II (1929) 178 (im folgenden: Frankenstein I bzw. II); weitere Nachweise bei Kreuzer, Das IPR des Warenkaufs in der deutschen Rechtspre­ chung (1964) 49 N. 13 (im folgenden: Kreuzer); Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 331. 8 Vgl. ROHG 28. 4. 1879, ROHGE 25, 55; RG 5. 7. 1910, RGZ 74, 171 (173). 9 RG 21. 9. 1899, RGZ 44, 300 (301). 10 Bar II 5; RG 10. 5. 1884, RGZ 12, 34; 3. 10. 1923, RGZ 108, 241. 11 Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 307. 12 Gamillscheg, Neue Entwicklungen im englischen und europäischen internationalen Ar­ beitsrecht: RIW/AWD 1979, 225; vgl. BGH 30. 1. 1961, NJW 1961, 1061(1062) = IPRspr. 1960-61 Nr. 39b); 4. 7. 1969, BGHZ 52, 239 (241) = IPRspr. 1968-69 Nr. 24; 15. 11. 1976, NJW 1977, 1011 mit Anm. Jochem = IPRspr. 1976 Nr. 9; BAG 20. 7. 1967, IPRspr. 1966-67 Nr. 50b); BAG 29. 6. 1978, NJW 1979, 1119. 13 Wolff, Das IPR Deutschlands3 (1954) 137 N. 2 (im folgenden: Wolff, IPR). 14 Raape, IPR3 (1961) 455 ff. (im folgenden: Raape); Kegel, IPR4 (1977) 289 ff. (im folgen­ den: Kegel); Neuhaus, Die Grundbegriffe des IPR2 (1976) (im folgenden: Neuhaus) 255ff, 259; Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 330; Simitis, Aufgaben und Grenzen der Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht: JuS 1966, 209; Gamillscheg, RIW/AWD 1979, 225; ders., Rechtswahl, Schwerpunkt und mutmaßlicher Parteiwille im internationalen Vertragsrecht: AcP 157 (1958/59) 303; Münchener Komm.(-MARTINY), Kom­ mentar zum BGB VII: EGBGB, IPR (1983) Vor Art. 12 EGBGB Rz. 6ff. 15 §98 II GWB; dazu BGH 29. 5. 1979, NJW 1979, 2613; Neuhaus 32ff., 259ff.; Soergel (-Kegel), Kommentar zum BGB11 VIII (1984) Vor Art. 7 EGBGB Rz. 394ff.; Staudinger (-Firsching), Internationales Schuldrecht I, Rz. 382. 16 § 12 AGBG; § 6 FernunterrichtsschutzG; zu §§ 99 ff. BetriebsverfassungsG siehe BAG 9. 11. 1977, NJW 1978, 1124 = IPRspr. 1977 Nr. 47; Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 366 ff., 382; von Hoffmann, Über den Schutz des Schwächeren bei interna­ tionalen Schuldverträgen: RabelsZ 38 (1974) 396. 17 Diese Tendenz beginnt in der Rechtsprechung Hand in Hand mit der Anerkennung der kollisionsrechtlichen Parteiautonomie: RG16. 1. 1926, IPRspr. 1926-27 Nr. 12 (Devisenrecht); 7. 7. 1926, IPRspr. 1926-27 Nr. 13 (Devisenrecht); LG Frankfurt/M. 8. 2. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 50 (deutsche Devisenvorschriften); RG 28. 3. 1930, JW 1932, 591 = IPRspr. 1930 Nr. 7 (Abzahlungskauf).

Für das Versicherungsvertragsrecht ergeben sich keine abweichenden Er­ gebnisse. Materiellrechtliche Verweisungsfreiheit hat - ohne daß der Unterschied zur kolli­ sionsrechtlichen Rechts Wahlfreiheit überhaupt relevant geworden ist - eine bis in das 19. Jahrhundert zurückreichende Tradition im Bereich der Seeversicherung18, wo mit der Vereinbarung der Hamburger, Bremer oder der Allgemeinen Deutschen Seever­ sicherungsbedingungen deutsches Recht als vereinbart galt19. In den anderen Versi­ cherungssparten war die Maßgeblichkeit des so verstandenen Parteiwillens ebenfalls anerkannt20. Der Übergang zur kollisionsrechtlichen Verweisungsfreiheit in den zwanziger Jahren läßt sich auch an der Rechtsprechung zu internationalen Versicherungsverträ­ gen verfolgen21, ohne daß dabei das Verhältnis zur inländischen oder ausländischen Versicherungsaufsicht oder zu den zwingenden Versicherungsnehmerschutznormen problematisiert worden wäre22. Diese Anerkennung der Parteiautonomie als Kollisionsnorm wird nach 1945 durch die Judikatur bestätigt. In einem grundlegenden Urteil vom 11. 2. 195323 verweist der Bundesgerichtshof auf die „allgemein anerkannten Grundsätze des internationalen Privatrechts... bei internationalen Schuldverträgen“, nach denen „in erster Linie“ der Wille der Vertragsschließenden entscheide24. Dies ist auch die Position der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum25: Der im materiellen Recht 18 OAG Lübeck 19. 4. 1828, Sig. Bd. 1 (1858) (Lübecker Rechtssachen) 239; RG 13. 4. 1898, JW1898, 371. 19 HansOLG Hamburg 11.6. 1892, HansGZ 1892, 179; ROHG 1.11. 1872, ROHGE7, 394 (400). 20 KG 22. 4. 1922, HansRZ 1922, 457; 23. 2. 1924, HansRZ 1924, 453; RG 6. 4. 1927, RGZ 117, 5; OLG München 29. 10. 1936, HansRGZ 1937/A/l 11 (112). 21 OLG Düsseldorf 10. 1. 1929, HansRGZ 1929/A/213 = IPRspr. 1929 Nr. 48 (kollisions­ rechtliche Teil Verweisung); RG 27. 1. 1928, RGZ 120, 70; OLG Stettin 22. 2. 1932, IPRspr. 1932 Nr. 35; RG 4. 12. 1926, JW 1927, 693 = IPRspr. 1926-27 Nr. 53 (unter Aufhebung der Entscheidung des HansOLG Hamburg 13. 10. 1925, HansRZ 1926, 57, das die Frage des durch zwingende Normen geregelten Vertragsschlusses trotz einer Rechtswahl der lex loci contractus unterstellen wollte); vgl. auch OLG Köln 30. 3. 1927, HansRZ 1927, 453 = IPRspr. 1926-27 Nr. 57; KG 20. 2. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 44; OLG München 15. 4. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 118. 22 RG 11. 4. 1933, IPRspr. 1933 Nr. 21 = JW 1933, 1957; HansOLG Hamburg 16. 1. 1929, HansRGZ 1929/A/178 (179ff.); RG 27. 1. 1928, RGZ 120, 70; KG 17. 12. 1930, IPRspr. 1931 Nr. 114; vgl. auch LG I Berlin 2. 7. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 14 (S. 29) (da deutsches Recht aufgrund von § 126 I ADS gewählt war, sei für Anwendung eines türkischen Verbotsgesetzes kein Raum); KG 10. 10. 1928, IPRspr. 1928 Nr. 21 (Unanwendbarkeit des schweizerischen privatrechtsgestaltenden Aufsichtsrechts bei Vereinbarung deutschen Rechts). 23 BGH 21. 2. 1953, BGHZ 9, 34 (37) = IPRspr. 1952-53 Nr. 37 (Lebensversicherung). 24 OLG Frankfurt/M. 1. 2. 1972, IPRspr. 1972 Nr. 28 (S. 59) (Lufttransportversicherung); OLG Hamburg 5. 3. 1957, IPRspr. 1956-57 Nr. 50a) (Seeversicherung - obiter dictum); OLG Stuttgart 12. 11. 1959, VersR 1960, 722 = IPRspr. 1958-59 Nr. 69 (Kfz-Haftpflichtversiche­ rung, Rechts wähl im Prozeß - obiter dictum); LG Nürnberg-Fürth 16. 2. 1966, VersR 1966, 1046 (Kfz-Haftpflichtversicherung-obiter dictum); OLG Köln22. 10. 1974, IPRspr. 1974Nr. 29 (S. 90) (Luftunfallversicherung- obiter dictum). 25 von Gierke, Versicherungsrecht (1947) 73 (im folgenden: Gierke); Ehrenzweig, Deut­ sches (österreichisches) Versicherungsvertragsrecht (1952) 29 f ; Prölss/Martin, Versiehe-

verwirklichte Versicherungsnehmerschutz durch zwingende Normen kann interna­ tionalprivatrechtlich durch eine Rechtswahl überwunden werden26. Eine Absiche­ rung der Versicherungsnehmerschutznormen über Art. 30 EGBGB trifft allgemein auf Ablehnung27.

Ausdrückliche Vereinbarungen über die anzuwendende Rechtsordnung finden sich in Versicherungsverträgen nur selten28. Die Rechtsprechung läßt eine stillschweigende, konkludente Rechtswahl ausreichen. In der Bezug­ nahme der allgemeinen Versicherungsbedingungen (A VB) auf ausländische oder inländische Gesetze29 oder ihrer Abstimmung im Wortlaut30, in der Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes31 wie auch eines ge­

rungsvertragsgesetz23 (1984) Vorbem. V Bem. 1 (im folgenden: Prölss/Martin); Bruck/ Möller, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz81 (1961) Einl. Bem. 90 (im folgenden: Bruck/Möller); Durst, Fragen des deutschen internationalen Privatversicherungsrechtes: SVZ 18 (1950/51) 332 (333); Adam, Prinzipien des internationalen Versicherungsvertrags­ rechts: ZVersw. 1962, 405 f.; Rothe, Über deutsches internationales Privatversicherungsrecht (Diss. Leipzig 1934) 19 ff. (im folgenden: Rothe); Karcher, Kollisionsrechtliche Fragen bei der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (1973) 19 (im folgenden: Karcher); Reichert-Facilides, Zum internationalen Versicherungsvertragsrecht im Rahmen der EWG, in: FS Donati I (1970) 465 (476); ders., Rechtsfragen des Wettbewerbs zwischen inländischen und ausländi­ schen Versicherern, in: FS Klingmüller (1974) 375 (381); ders., Auswirkungen des AGB­ Gesetzes auf das deutsche internationale Versicherungsvertragsrecht: VersR 1978, 481 (482); Münchener Komm.(-MARTiNY) VII Vor Art. 12 EGBGB Rz. 265. Anderer Ansicht aus der Zeit vor Anerkennung der kollisionsrechtlichen Parteiautonomie: Hagen, Das Versicherungsrecht, in: Handbuch des gesamten Handelsrechts, hrsg. von Ehren­ berg, VIII/1 (1922) 1 (58) (im folgenden: Hagen) (nur materiellrechtliche Verweisungsfreiheit; im Anschluß an RGZ 44, 301); Wörner, Kollisionsnormen zum Versicherungsvertrag: NiemZ 13 (1903) 366 (371 f.); Schneider, Über das Verhältnis zwischen deutschem und außerdeut­ schem Versicherungsrecht: Z Vers Wiss. 1907, 413 (417) (in der Tradition der Lehre von den „absolut zwingenden“ Prohibitivnormen); von Bar, Internationales Handelsrecht, in: Hand­ buch des gesamten Handelsrechts, hrsg. von Ehrenberg, I (1913) 327 (417); Niemeyer, Feuer­ versicherungsverträge in Shanghai: NiemZ 23 (1913) 258 (263, 266). Für eine Einschränkung der Parteiautonomie in jüngster Zeit: Steindorff, Autonomy of Contracting Parties in Interstate Commerce- An Economic Evaluation, in: New Directions in International Trade, hrsg. vom UNIDROIT, I (1977) 87 (97 ff.); ders., ZGesHR 144 (1980) 447 (450ff.); Richter 85 (im Anschluß an Keller). 26 So ausdrücklich Reichert-Facilides, FS Klingmüller 375 (381). 27 Bruck 39ff. (mit der Begründung, die Normen dienten bloß der „Zweckmäßigkeit“); Durst, SVZ 18 (1950/51) 332 (337); Bruck/Möller I Einl. Bem. 96 (jedoch ohne RG 28. 3. 1931, JW 1932, 591 zu diskutieren). Nur einigen absolut zwingenden Normen des Versiche­ rungsvertragsgesetzes (zur Vermeidung der betrügerischen Über- oder Unterversicherung, §§51 II, 59 III; das Erfordernis einer schriftlichen Einwilligung des Versicherten in der Lebensund Unfallversicherung, §§ 159 II, III, 179 III) wird ordre-public-Charakter zuerkannt. 28 Bruck/Möller I Einl. Bem. 90a). § 126 I ADS von 1919 enthält eine ausdrückliche Bestimmung deutschen Rechts. 29 BGH 21. 2. 1953, BGHZ 9, 34 = IPRspr. 1952-53 Nr. 37 (Verweis auf das VVG). 30 HansOLG Hamburg 21. 2. 1930, HansRGZ 1930/B/425 (Marine Insurance Act von 1906). 31 OLG Königsberg 9. 12. 1930, IPRspr. 1931 Nr. 37.

meinsamen Erfüllungsortes32 sind wichtige Indizien für einen Parteiwillen gesehen worden. In keinem Fall hat sich die Judikatur der Frage gestellt, ob bei Rechtswahlklauseln bzw. rechtswahlindizierenden Klauseln in den AVB, die von den Versicherern einseitig gestellt werden und bei Vertrags­ schluß dem Versicherungsnehmer gar nicht vorliegen mögen, von einem realen Rechtswahlwillen des Versicherungsnehmers ausgegangen werden kann33. Seit dem Inkrafttreten des AGB-Gesetzes (AGBG) am 1. 4. 197734 sind Rechtswahlklauseln in AVB bei Verträgen mit Nichtkaufleuten anhand von § 10 Nr. 8 AGBG zu überprüfen. Danach ist „die Vereinbarung der Geltung ausländischen Rechts oder des Rechts der Deutschen Demokratischen Repu­ blik in Fällen, in denen hierfür kein anerkennenswertes Interesse besteht“, unwirksam. Die Bedeutung dieser Norm ist im Schrifttum weitgehend umstritten35, ihre Tragweite für das internationale Versicherungsvertrags­ recht wird als unerheblich eingeschätzt36. Der 1983 vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Interna­ tionalen Privatrechts37 will § 10 Nr. 8 AGBG wieder aufheben38. Parteiauto­ nomie wird zwar als primärer Anknüpfungspunkt bestätigt (Art. 27 I RegE), bei Verträgen mit Verbrauchern jedoch dahingehend eingeschränkt, daß die zwingenden Schutznormen des Rechts des Staates nicht abbedungen werden können, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 29 I RegE). Der IPR-Gesetz-Entwurf beansprucht gemäß Art. 37 Nr. 4 RegE Geltung nur für Versicherungsverträge über Risiken, die nicht in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft belegen sind39.

2. Subsidiäre Anknüpfungen

Das Reichsgericht stellte subsidiär zum ausdrücklichen oder stillschwei­ genden Parteiwillen in Abwendung von der Maßgeblichkeit der lex loci 32 RG 5. 7. 1935, RGZ 148, 42 (43). 33 RG 28. 1. 1905, RGZ 60, 56; KG 22. 4. 1922, HansRZ 1922, 457; 23. 2. 1924, HansRZ 1924, 453; RG 6. 4. 1927, RGZ 117, 5; KG 10. 10. 1928, IPRspr. 1928 Nr. 21; 17. 12. 1930, IPRspr. 1933 Nr. 21 (S. 42); BGH 21. 2. 1953 (oben N. 29). 34 Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom 9. 12. 1976, BGBl 13317. 35 Dazu unten § 101 5 b). 36 Reichert-Facilides, VersR 1978, 481 (482); Richter 61 f. 37 Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts, Bundesrat, Drucksache 222/83 vom 20. 5. 1983. 38 Artikel 6 § 2 des IPR-Gesetz-Entwurfs (vorige Note). 39 Dies mit Rücksicht auf die Arbeiten im Rahmen der EWG, die auf eine Vereinheitlichung der Kollisionsnormen für Versicherungsverträge über EWG-Risiken abzielen; siehe dazu unten §§ 18-20.

contractus40 für lange Zeit ausschließlich auf den - in der Nachfolge Savignys41 mit dem vermuteten Parteiwillen begründeten42 - Erfüllungsort der Vertragsobligation ab43. 44 Dieser Anknüpfung wurde in der Zeit nach 190044 zunächst vereinzelt45, nach 1920 jedoch in zunehmendem Maße46 die Beru­ fung auf einen mutmaßlichen Parteiwillen vorgeschaltet. Die Maßgeblichkeit des mutmaßlichen Parteiwillens vermeidet nicht nur die bei gegenseitigen Verträgen mit der Anknüpfung an den Erfüllungsort verbundene „Spaltung“ des Vertrages47, sondern ist auch und gerade eine Konsequenz der Ein­ sicht, daß den Bedürfnissen des Handels48, der Vielfalt der sich oft neu stellenden Probleme49 wie auch der Individualität der einzelnen Vertragsbeziehung50 nicht durch 40 Ablehnend gegenüber der lex-loci-contractus-Regel auch OAG Rostock 3. 11. 1862, SeuffA 19 (1866) Nr. 5 (implizit); OAG Lübeck 11. 12. 1846, Sig. Bd. 4 (1861) (Frankfurter Rechtssachen) 445. Das Argument lautete, der Vertragsabschlußort sei „zufällig“, „rein äußer­ lich“: Obertribunal Berlin 13. 11. 1868, SeuffA 24 (1871) Nr. 102 (S. 162); Appellationsgericht Celle 16. 2. 1869, SeuffA 23 (1870) Nr. 102; ROHG 25. 1. 1873, ROHGE 9, 7 (9); RG 12. 10. 1905, RGZ 61, 343 (345); vgl. auch RG 3. 2. 1933, IPRspr. 1933 Nr. 10. Die lex loci contractus war - ebenso wie der Erfüllungsort - mit den Erwartungen der Parteien, ihrer „präsumtiven Absicht“, begründet worden; z. B. Obertribunal Berlin 1. 3. 1866, ZgesHR 17 (1872) 226; OAG Lübeck 11.9. 1849, Sig. Bd. 2 (1856) (Frankfurter Rechtssachen) 155 (158). 41 Savigny VIII204, 208, 215, 248. 42 RG1.3. 1882, RGZ 6, 125. 43 Siehe die Nachweise bei Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 314. 44 RG 4. 10. 1882, RGZ 9, 3 (9) (erwägt eine Anknüpfung an einen „mutmaßlichen“ Willen, um die Anknüpfung an den Erfüllungsort auf die Modalitäten der Erfüllung zu beschränken); RG 13. 11. 1885, RGZ 14, 235 (239) (spricht ebenfalls schon von der Ermittlung des „mutmaß­ lichen“ Willens, um demgegenüber erst subsidiär auf den Erfüllungsort abzustellen). 45 RG 4. 4. 1908, RGZ 68, 203 (207); 19. 4. 1910, RGZ 73, 379 (383); 5. 7. 1910, RGZ 74, 171 (173); 4. 2. 1913, RGZ 81, 273 (274) (mit der Einschränkung, der Vertrag müsse einen eindeutigen Schwerpunkt haben). Es handelt sich durchweg um Entscheidungen des I. und des II. Zivilsenats des Reichsgerichts. Die anderen Senate blieben beim Erfüllungsort. 46 Ab RG 19. 9. 1923, RGZ 107, 121 (123); Nachweise bei Staudinger(-Firsching), Interna­ tionales Schuldrecht I Rz. 315. 47 RG 4. 4. 1908 (oben N. 45) 206 f. (wiederum unter Berufung auf den vermutlichen Partei willen). 48 RG 4. 4. 1908 (oben N. 45) (Bedürfnis, auf dem Londoner Frachtmarkt geschlossene Verträge einheitlich anzuknüpfen); 14. 11. 1929, RGZ 126, 196 (200) (einheitliche Behandlung der Anleihegläubiger bei international vertriebenen Anleihen - Begründungsakt und Ausle­ gung des Inhalts richten sich nach dem Recht am Sitz des Ausstellers). 49 RG 14. 11. 1929, RGZ 126, 196 (209): „Die Fälle, denen die Verträge nicht ausdrücklich Rechnung tragen und an die nicht gedacht ist, sind es gerade, die Raum lassen für die Ermittlung des mutmaßlichen vernünftigen Parteiwillens“. Zwei Fallgruppen stehen im Vor­ dergrund: Probleme der Gebietsabspaltung; RG 19. 9. 1923, RGZ 107, 121 (123); 3. 6. 1924, RGZ 108, 298 (303); 8. 12. 1930, RGZ 131, 41 (48); 30. 4. 1931, IPRspr. 1931 Nr. 31; und Aufwertungsprobleme; z. B. RG 22. 10. 1929, RGZ 126, 58; 2. 6. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 40. 50 RG 14. 12. 1927, RGZ 119, 259 (262) (Anknüpfungswechsel bei langfristigem Vertrag). Die Rechtsprechung war bisweilen mit Sachverhalten konfrontiert, in denen die Anknüpfung an einen von den Parteien vereinbarten Erfüllungsort nicht den Parteiinteressen entsprechen konnte: ROHG10. 12. 1873, ROHGE 12, 55;RG8.7. 1882, RGZ 9, 225 (227); 8. 3.1884, RGZ 14, 111 (114ff); 17. 6. 1939, RGZ 161, 296 (299).

eine einzige starre, das gesamte internationale Vertragsrecht erfassende Kollisions­ norm in angemessener Weise Rechnung getragen werden kann51. 52 An die Stelle einer Kollisionsnorm mit festem Anknüpfungspunkt tritt eine Generalklausel, eine An­ knüpfungsmethode, die es dem Richter aufgibt, nach einem den Parteiinteressen angemessenen Ergebnis zu suchen. Die Ermittlung dessen, „was die Parteien bei vernünftiger und billiger Berücksichtigung aller Umstände... wäre ihnen die Frage entgegengetreten, mutmaßlich über das anzuwendende Recht bestimmt haben wür­ den. . ."52, erlaubt es, die verschiedenen, in Schrifttum und Rechtsprechung entwikkelten Anknüpfungsmomente wie Erfüllungsort, Vertragsabschlußort, Wohnsitz und Staatsangehörigkeit des Schuldners53 in ihrer Ausschließlichkeit zu überwinden und sie gemeinsam als Indizien für einen „mutmaßlichen“ Partei willen im Hinblick auf den konkreten Vertrag54 und die geschäftlichen Beziehungen der Parteien zu gewichten und zu werten. Der Bundesgerichtshof hat diese vom Reichsgericht entwickelte Anknüp­ fungsmethode übernommen und in seiner Rechtsprechung zum „hypotheti­ schen“ Parteiwillen ins Objektive gewendet. Nurmehr in Ausnahmefällen soll noch auf den Erfüllungsort zurückgegriffen werden55. Bei der Anknüpfung an den hypothetischen Parteiwillen kommt es nicht auf die subjektiven Vorstellungen der Parteien an56. Es geht um eine Abwägung der Interes­ sen der Beteiligten auf objektiver Grundlage57, unter Berücksichtigung der Eigenart des zu entscheidenden Falles58, 59 wobei der Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses auf die Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung auf das ganze Vertragsverhältnis hinweisen kann39. 51 Vergleiche MITTEIS [Diskussionsbeitrag] in: Verhandlungen des 24. Deutschenjuristenta­ ges IV (1898) 91 (100); von Seeler, Nach welchem örtlichen Rechte sind auf Grund internatio­ nalen Privatrechts die Vertragsobligationen zu beurteilen?, ebd. II (1897) 33 (35, 51 f). 52 RG4. 4. 1908 (oben N. 45) 205; 20. 3. 1936, RGZ 151,193 (199); 17. 6. 1939, RGZ 161, 296 (298). 53 Dazu Bar II13 ff; kurzzeitig auch das Reichsgericht: RG 12. 10. 1905, RGZ 61, 343; 12. 2. 1906, RGZ 62, 379. 54 Das Reichsgericht hat die Ermittlung des „mutmaßlichen Partei willens“ wiederholt als Frage der ergänzenden Vertragsauslegung angesehen, wobei eine Grenze zum stillschweigen­ den Parteiwillen nicht erkennbar wurde; vgl. RG27. 1. 1928, RGZ 120, 70; 11. 4. 1933, IPRspr. 1933 Nr. 21. 55 Siehe BGH 14. 4. 1953, BGHZ 9, 221 (222) = IPRspr. 1952-53 Nr. 40; 19. 9.1973, BGHZ 61, 221 (224f.) = IPRspr. 1973 Nr. 11 (lehnt unter Hinweis auf die mit der Spaltung des Vertrages verbundenen Nachteile und Schwierigkeiten eine Anknüpfung an den Erfüllungsort bei einem stark international verknüpften Vertrag ab); Nachweise bei Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 356. 56 BGH 19. 9.1973 (vorige Note) 223; ebenso bereits RG 14.11.1929 (oben N. 48) 206; BGH 19. 10. 1960, JZ 1961, 261 = IPRspr. 1960-61 Nr. 28. 57 BGH 14. 4. 1953 (oben N. 55) 223; 30. 9. 1952, BGHZ 7, 231 (235); 19. 10. 1960 (vorige Note) 261; 19. 9. 1973 (oben N. 55) 223. 5» BGH 14. 4. 1953 (oben N. 55) 223. 59 BGH 19. 9. 1973 (oben N. 55) 223; 22. 11. 1955, BGHZ 19, 110 (113) = IPRspr. 1954-55 Nr. 22.

Für das Gebiet des internationalen Versicherungsvertragsrechts bedarf dieses - hier notwendig kursorisch gezeichnete - Bild der Rechtsprechung der Konkretisierung und Ergänzung. Auf die Maßgeblichkeit des Erßillungsortes der Obligation stellte das Reichsgericht in seiner Entscheidung vom 13. 11. 188560ab. Diese Anknüp­ fung wurde in der Folgezeit in einer Vielzahl von Entscheidungen bestätigt60 61. Für Leistungsverpflichtungen des Versicherers, um die es sich bei Rechts­ streitigkeiten zwischen den Vertragspartnern in aller Regel drehte, kam damit das Recht am Sitz des Unternehmens62 oder seiner Niederlassung, bei der die Leistung zu erbringen ist63, zur Anwendung. Zum selben Ergebnis führten Entscheidungen, die auf einen vertraglich (in den Versicherungsbe­ dingungen) vereinbarten Erfüllungsort abstellen64. In den zwanziger und dreißiger Jahren gewann der - vereinbarte - Erfül­ lungsort Indizcharakter bei der Bestimmung des mutmaßlichen Parteiwil­ lens65, um dann im Betriebsstatut des Versicherers, der Anknüpfung des gesamten Vertrages an den Sitz bzw. die Niederlassung des Versicherers aufzugehen. Die Anknüpfung an den Erfüllungsort war jedoch keineswegs unangefochten. Von Anfang an finden sich - auch in der Judikatur des Reichsgerichts - Entscheidungen, die diesen Anknüpfungspunkt entweder überhaupt nicht erwähnen oder ausdrücklich verwerfen.

In der (einen interlokalen Fall betreffenden) Entscheidung vom 13. 2. 189166, in der sich das Reichsgericht mit der Frage des wirksamen Zustandekommens eines Versi­ cherungsvertrages konfrontiert sah, lehnte es die Anknüpfung an den Erfüllungsort ausdrücklich ab: „Da die Gültigkeit des Versicherungsvertrages im ganzen wegen Irrtums des Versicherungsnehmers in Frage steht, können die Schuldverhältnisse der Kontrahenten nicht getrennt behandelt, die gegenseitigen Verpflichtungen nicht 60 RG 13. 11. 1885, RGZ 14, 235 (239). 61 RG 5. 12. 1902, RGZ 53, 138; HansOLG Hamburg 28. 3. 1899, HansGZ 1900/B/265; RG 15. 12. 1922, RGZ 106, 58 (61); 10. 7. 1929, RGZ 125, 230 (232); OLG Köln 28. 9. 1934, HansRGZ 1934/A/540 = IPRspr. 1934 Nr. 94; OLG Danzig 20. 5. 1938, JW 1938, 2156; KG 23. 10. 1920, HansRZ 1921, 63 (64); OLG Düsseldorf 10. 1.1929, HansRGZ 1929/A/213 (214); KG 23. 2. 1924, HansRZ 1924, 453; OLG Hamm 17. 9. 1934, IPRspr. 1934 Nr. 93; HansOLG Hamburg 16. 1. 1929, HansRGZ 1929/A/178 (179) = IPRspr. 1929 Nr. 115; 22. 7. 1927, HansRZ 1927, 942; KG 20. 2. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 45; 31. 10. 1934, HansRZ 1936/A/185 (187) = IPRspr. 1935—44 Nr. 111. 62 HansOLG Hamburg 22. 7. 1927, HansRZ 1927, 942 = IPRspr. 1926-27 Nr. 58; RG 5. 12. 1902 (vorige Note). 63 RGB. 11. 1885, RGZ 14, 235 (239); KG 23. 10. 1920 (oben N. 61); RG 20. 11. 1925, RGZ 112, 119(123). 64 RG 15. 12. 1922, RGZ 106, 58 (61); 10. 7. 1929, RGZ 125, 230; 5. 7. 1935, RGZ 148, 62; HansOLG Hamburg 16. 1. 1929 (oben N. 61); KG 20. 2. 1929 (oben N. 61); 23. 2. 1924 (oben N. 61). 65 OLG München 29. 10. 1936, HansRGZ 1937/A/l 11 (112); KG 22. 4. 1922, HansRZ 1922, 723; 20. 2. 1929 (oben N. 61); OLG Köln 28. 9. 1934 (oben N. 61). 66 RG13.2. 1891, SeuffA 47 (1892) Nr. 2= JW 1891, 224.

verschiedenen Gebieten unterworfen werden“. Die Anwendung einer einzigen Rechtsordnung sei geboten. In seiner Entscheidung vom 23. 5. 1907 setzte sich das HansOLG Hamburg über eine Erfüllungsort- (und Gerichtsstands-)Vereinbarung Hamburg hinweg, um einen in Braunschweig vermittelten und dort abgeschlosse­ nen Vertrag dem Braunschweiger Recht zu unterwerfen67. Häufiger sind Entschei­ dungen, die, vor allem im 19. Jahrhundert, den Vertrag durch seinen Schwerpunkt, seine Verknüpfungen mit einer bestimmten Rechtsordnung zu lokalisieren ver­ suchten68. Die lex loci contractus hat als starre Kollisionsnorm in der Rechtsprechung zum internationalen Versicherungsvertragsrecht - mit einer Ausnahme69 - keine Aner­ kennung gefunden70. Dagegen lassen sich seit 1870 zahlreiche Entscheidungen nach­ weisen, in denen dem Ort der Vertragsanbahnung in der Begründung durchaus einige Bedeutung für die Bestimmung des Vertragsschwerpunktes beigemessen wurde. Der Ort der Vertragsverhandlungen, der Wohnort des Versicherungsneh­ mers und der Erfüllungsort der Verpflichtungen führten dabei zu ein und derselben Rechtsordnung71. Es sind zumeist Fälle, in denen der Versicherungsagent eines ausländischen Versicherers zum Versicherungsnehmer gekommen ist, um Versiche­ rungsschutz zu verkaufen. In der Entscheidung des Reichsgerichts vom 13. 2. 1891 wird denn auch maßgeblich auf das Zusammentreffen des Wohnorts des Versiche­ rungsnehmers mit der Vermittlungstätigkeit des Agenten am Wohnort und die damit verknüpfte Abgabe der Offerte durch den Versicherungsnehmer - neben anderen lokalisierenden Faktoren - abgestellt72. Weitere Entscheidungen fügen sich in dieses Bild73. Wo der Ort der Vertragsanbahnung dagegen isoliert - also ohne Zusammen­ 67 HansOLG Hamburg 23. 5. 1907, LZ 1908, 249 (Prämienklage eines Versicherers, bei der die Nichtigkeitssanktion Braunschweiger Aufsichtsrechts in Frage stand). 68 Siehe RG 3. 10. 1896, RGZ 38, 1 (3) (Seeversicherung); 13. 2. 1891 (oben N. 66); sowie die unten N. 71 zitierten Urteile. 69 Vgl. HansOLG Hamburg 13. 10. 1925, IPRspr. 1926-27 Nr. 52 (für die Frage des Zustandekommens eines Versicherungsvertrages), aufgehoben durch RG 4. 12. 1926,JW 1927, 693 = IPRspr. 1926-27 Nr. 53 (maßgebend sei der mutmaßliche Wille); vgl. auch RG 23. 12. 1931, IPRspr. 1931 Nr. 30. 70 Für die Unmaßgeblichkeit der lex loci contractus: RG 5. 12. 1902 (oben N. 61) (Vertrags­ schluß zwischen zwei Parteien mit Sitz in verschiedenen deutschen Staaten über Vertreter in Japan); LG I Berlin 14. 10. 1930, IPRspr. 1931 Nr. 40 (implizit); KG 10. 10. 1928, HansRGZ 1928/A/730; HansOLG Hamburg 11.1. 1916, SeuffA 73 (1918) Nr. 38. 71 ROHG11.3. 1873, ROHGE 9, 370 (374); OAG Lübeck 21. 4. 1866, SeuffA 21 (1868) Nr. 76; RG 12. 4. 1882, HansGZ 1883/B/183; 28. 1. 1905, RGZ 60, 56 (63) (in Deutschland geschlossene und dort zu erfüllende Verträge); 22. 6. 1909, JW 1909, 467; 20. 11. 1925, RGZ 112, 119 (123); 7. 11. 1928, RGZ 122, 233 (234f.). 72 RG 13. 2. 1891 (oben N. 66) (Erwähnung fanden als Anknüpfungsfaktoren die Lage des versicherten Risikos, die Tatsache, daß die Police zum Wohnort des Versicherungsnehmers geschickt wurde und dieser dort seine Prämie zu zahlen hatte). 73 RG 3. 10. 1896, RGZ 38, 1 (3) (Flußschiffahrtsversicherungsvertrag zwischen holländi­ schem Versicherungsnehmer und deutschem Versicherer, über Makler in Holland geschlossen, Policen in Holland und in holländischer Sprache ausgefertigt, Börsenbedingungen von Rotter­ dam zugrundegelegt, Verweis auf holländischen Gesetzestext); HansOLG Hamburg 23. 5. 1907 (oben N. 67) 250 (Vermittlung des Vertrages eines Hamburger Versicherers am Wohnort des Versicherungsnehmers in Braunschweig, Braunschweiger Recht anwendbar); OLG Frankfurt/

hang mit dem Sitz eines der Vertragspartner - erscheint, wird er für Zwecke der Vertragslokalisierung vernachlässigt74.

Anknüpfung an den Erfüllungsort der Vertragsobligation und Schwer­ punkt-Anknüpfung des Vertrages stehen bei aller Unterschiedlichkeit im Ausgangspunkt keineswegs in einem unüberbrückbaren Gegensatz, was die Entscheidungsergebnisse anlangt. Eine Schwerpunkt-Anknüpfung des Versicherungsvertrages, die auf die Vermittlung des Vertrages am Wohn­ sitz des Versicherungsnehmers abstellt, nimmt darauf Rücksicht, daß Ver­ sicherungsverträge im Bereich der Massenversicherungen typischerweise über Agenten und Vertreter dem Versicherungsnehmer „verkauft“ wer­ den. Der Ort der Vertragsanbahnung ist der Markt, den sich der - auslän­ dische - Versicherer erschließen will und dessen Recht er sich unterwerfen muß. Die Anknüpfung an den Erfüllungsort der Leistungsverpflichtung des Versicherers führt praktisch zum gleichen Ergebnis, wenn der Versicherer sich den Markt über eine - eventuell durch Versicherungsaufsicht vorge­ schriebene - Niederlassung erschließt und die Erfüllung der Verpflichtung am Ort der Niederlassung geschuldet ist75: Das Recht der Niederlassung ist dann zugleich das Umweltrecht des Versicherungspublikums76. Die Anknüpfung an das Heimatrecht (Staatsangehörigkeit, Wohnsitz) des Schuldners hat sich in der deutschen Rechtsprechung zum internationalen Ver­ tragsrecht nicht gegenüber dem Erfüllungsort durchsetzen können77. Nichts ande­ res gilt für die Rechtsprechung zu Versicherungsverträgen. Das gemeinsame Hei­ matrecht der Vertragspartner hat in einer vereinzelt gebliebenen, vom Problem M. 11. 11. 1910, LZ 1911, 796 (797) (Vermittlung des Vertrages am Wohnort des Versicherungs­ nehmers, Lage der versicherten Gegenstände, Erfüllungsort für Verpflichtung des Versiche­ rungsnehmers); wohl auch RG 22. 4. 1892, RGZ 29, 321 (322) (amerikanischer Versicherer mit „Hauptbüro“ in Berlin und Generalagentur im Rheinland); 12. 4. 1882 (oben N. 71); vgl. auch HansOLG Hamburg 10. 7.1896, HansGZ 1897/B/12; 1. 2. 1893, SeuffA 47 (1892) Nr. 115; KG 26. 5. 1926, IPRspr. 1926-27 Nr. 55; OLG Stettin 22. 2. 1932, IPRspr. 1932 Nr. 35. 74 HansOLG Hamburg 22. 7. 1927 (oben N. 62) (Versicherungsnehmer mit Wohnsitz in Hongkong schließt auf Durchreise in Deutschland Vertrag mit englischem Versicherer über eine Agentur in Hamburg; das OLG sichert seine Entscheidung auch mit Überlegungen zum Vertragsabschlußort bei Distanzverträgen ab); RG 5. 12. 1902 (oben N. 61) (Vertragsschluß durch Vertreter anläßlich einer Risikobesichtigung in der Rückversicherung); HansOLG Ham­ burg 11. 1. 1916 (oben N. 70). 75 So bereits RG 13. 11. 1885 (oben N. 63). 76 HansOLG Hamburg 16. 1. 1929 (oben N. 61); OLG Köln 28. 9. 1934 (oben N. 61); RG 12. 3. 1934, JW 1934, 1409 (mit der Vermutung, der Vertrag sei über die inländische Niederlassung abgeschlossen worden); 5. 7. 1935, RGZ 148, 42; vgl. auch OLG Karlsruhe 12. 4. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 45; BayObLG 24. 6. 1931, JW 1931, 3222 = IPRspr. 1931 Nr. 5; OLG Köln 30. 3. 1927, HansRZ 1927, 453 = IPRspr. 1926-27 Nr. 57. 77 Vgl. die singulär gebliebenen Urteile RG 12. 10. 1905, RGZ 61, 343 (344ff.); 12. 2. 1906, RGZ 62, 379 (jeweils VL Senat); ablehnend RG 26. 4. 1907, RGZ 66, 73 (75f); RGZ 73, 379 (387); 11.3. 1919, RGZ 95, 164 (165) (ausdrücklich gegen Zitelmann, IPR II [1912] 373).

der Aufwertung der Versicherungsforderung geprägten Entscheidung des Reichsge­ richts bei der Konkretisierung des „mutmaßlichen“ Parteiwillens eine Rolle ge­ spielt78. Die Belegenheit des Risikos bzw. der Ort der Risikoverwirklichung haben keine Bedeutung als eigenständiger Anknüpfungspunkt gewinnen können. Zum Teil wird die Maßgeblichkeit dieses Faktors für Zwecke der Anknüpfung des Vertrages aus­ drücklich negiert79, zum Teil wird er im Rahmen einer Schwerpunkt-Anknüpfung unterstützend herangezogen, ohne daß jedoch seine Bedeutung und sein Gewicht erkennbar wären80. Der mutmaßliche Parteiwille ist in der Rechtsprechung zur Begründung von Entscheidungen herangezogen worden, die durchaus divergierende kolli­ sionsrechtliche Zielsetzungen erkennen lassen.

Das Urteil des OLG Karlsruhe vom 12. 4. 193081 setzt die Liniejener Entscheidun­ gen fort, die bei Versicherungsverträgen, die am Wohnort des Versicherungsnehmers vermittelt worden sind, das dort geltende Recht angewendet haben. Das Oberlan­ desgericht begründet ein solches Ergebnis - nach einer Analyse und Gewichtung der für den Vertrag wesentlichen Umstände wie gemeinsame Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien, Verwendung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die auf das Recht am Sitz des Versicherers zugeschnitten waren, Wohnsitz des Versiche­ rungsnehmers, Vermittlung des Vertrages am Wohnsitz des Versicherungsnehmers, von ausländischer Aufsicht zwingend vorgeschriebene Niederlassung des Versiche­ rers, zwingender Erfüllungsort am Wohnsitz des Versicherungsnehmers - maßgeb­ lich mit den Anforderungen der (ausländischen) Aufsicht über Versicherer82 und stellt damit auf ein Anknüpfungsmoment ab, das eine typisierende Anknüpfung der Versicherungsverträge erlaubt („Betriebsstatut“). Damit im Einklang steht ein Ur­

78 RG 27. 1. 1928, RGZ 120, 70. Ablehnend gegenüber der Maßgeblichkeit der Staatsange­ hörigkeit des Versicherungsnehmers: BayObLG 24. 6. 1931 (oben N. 76); OLG Karlsruhe 12. 4. 1930 (oben N. 76). 79 RG 13. 6. 1886, HansGZ 1886, 246; 5. 12. 1902 (oben N. 61) (Rückversicherungsvertrag, Erstversicherungsvertrag über japanisches Risiko); KG 19. 12. 1928, IPRspr. 1929 Nr. 12 (Feuerversicherungsvertrag zwischen deutschen Vertragspartnern über ein in Polen belegenes Gebäude); LG Hamburg 6. 11. 1949, IzRspr. 1945-53 Nr. 159. 80 RG 13. 2. 1891 (oben N. 66); HansOLG Hamburg 23. 5. 1907 (oben N. 67); OLG Frankfurt/M. 11. 11. 1910 (oben N. 73) 796: „.. .bei einem Versicherungsvertrag ist aber das Recht desjenigen Ortes maßgebend, wo sich die versicherten Gegenstände befinden, wo eben die Versicherung ihre Wirksamkeit äußern soll, zumal wenn an diesem Orte der Versicherte seinen Wohnsitz hat, für ihn dieser Ort auch Erfüllungsort für seine Verpflichtungen aus dem Versicherungsverträge ist, auch dort der Versicherungsvertrag vermittelt und zum Abschluß gelangt ist“; OAG Lübeck 21. 4. 1866, SeuffA 21 (1868) Nr. 76; RG 22. 4. 1882, HansGZ 1883/ B/183 (wendet das Recht am Ort des Risikos an, ohne das IPR-Problem zu erwähnen). In allen Fällen treffen Belegenheit des Risikos und Wohnort des Versicherungsnehmers zusammen. 81 OLG Karlsruhe 12. 4. 1930 (oben N. 76). Ebenso OLG Köln 30. 3. 1927 (oben N. 76); HansOLG Hamburg 16. 1. 1929 (oben N. 61). 82 Ebenso im Ergebnis LG Hamburg 28. 3. 1934, IPRspr. 1935-44 Nr. 110 (S. 209); contra: RG27. 1. 1928 (oben N. 78); 11.4. 1933, IPRspr. 1935-44 Nr. 112.

teil des Kammergerichts vom 31. 10. 193483, in dem für einen Juwelenversicherungs­ vertrag zwischen Lloyds, London, und einem Berliner Juwelier eine Berufung auf einen mutmaßlichen Parteiwillen, deutsches Recht anzuwenden, abgelehnt wird. Da Lloyds in Deutschland nicht konzessioniert, der nachgefragte Versicherungsschutz auf dem deutschen Markt nicht erhältlich und der Versicherungsvertrag aufInitiative des Versicherungsnehmers geschlossen worden war, fehlte es an einer überwiegen­ den Verknüpfung des Vertrages mit dem deutschen Recht84. Der mutmaßliche Parteiwille ist auch der Aufhänger für eine der typisierenden Vertragsanknüpfung entgegengesetzte, vertragsindividualisierende Entscheidungs­ praxis in Aufwertungsfragen. Während bei Verträgen ausländischer Versicherer mit Niederlassung im Inland immer inländisches Aufwertungsrecht angewendet wur­ de85, eröffnete umgekehrt bei Abschlüssen inländischer Versicherer über Niederlas­ sungen im Ausland der mutmaßliche Parteiwille den Weg, um im Einzelfall die Anwendung aufwertungsfeindlichen ausländischen Rechts zu vermeiden86. Schließlich hat die Rechtsprechung unter Berufung auf einen mutmaßlichen Par­ teiwillen das Zustandekommen eines Versicherungsvertrages - trotz einer abwei­ chenden Rechts wähl der Parteien-dem (deutschen) Recht des Vertragsabschlußortes unterstellt87, um für die Auslegung der an einer inländischen Börse von deutschen Maklern bzw. Agenten abgegebenen Erklärungen deutsches Recht berücksichtigen zu können. Ende der zwanziger Jahre setzt sich - nach Vorarbeit88 und unter Beifall89 des Schrifttums - in der Rechtsprechung schließlich eine vertragstypisierende Anknüpfung an den Sitz des Versicherungsunternehmens90 bzw. seine Nie­ derlassung91 durch („Betriebsstatut). 83 KG 31. 10. 1934 (oben N. 61) 187. 84 Das Kammergericht stellt darauf ab, daß die Anwendung deutschen Rechts nicht im beiderseitigen Interesse der Vertragsparteien läge, und kommt zur Maßgeblichkeit des Rechts des Erfüllungsortes: KG 31. 10. 1934 (oben N. 61) 186. 85 Siehe KG 21. 5. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 114; OLG München 15. 4. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 118; RG 21. 2. 1930, RGZ 127, 360. 86 RG27. 1. 1928 (oben N. 78); 11. 4.1933 (oben N. 82); OLG Dresden 21. 12. 1934, IPRspr. 1935-44 Nr. 112; vgl. auch KG 21. 2.1929, IPRspr. 1929 Nr. 45 (Berufung auf Erfüllungsort im Inland); anders OLG Karlsruhe 12. 4. 1930 (oben N. 76). 87 RG 4. 12. 1926 (oben N. 69); RG 23. 12. 1931 (oben N. 69). 88 Von großem Einfluß ist insbesondere die Studie von Bruck, Zwischenstaatliches Versi­ cherungsrecht (1924) gewesen. Ähnlich schon vorher Wörner, NiemZ 13 (1903) 366 (370); Bar (oben N. 25) 414. 89 Nussbaum, Deutsches IPR (1932) 231; Brändl, Internationales Börsenprivatrecht (1925) 17f. (im folgenden: Brändl). 90 OLG Königsberg 9. 12. 1930, JW 1931, 751 = IPRspr. 1931 Nr. 37. 91 BayObLG 24. 6. 1931 (oben N. 76); OLG Karlsruhe 12. 4. 1930 (oben N. 76); HansOLG Hamburg 16. 10. 1929 (oben N. 61); OLG Köln 30. 3. 1927 (oben N. 76); OLG München 15. 4. 1929 (oben N. 85); KG 27. 3. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 46; 26. 5. 1926, HansRZ 1926, 669; LG Hamburg 28. 3. 1934, IPRspr. 1935-44 Nr. 110; KG 5. 2. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 110; OLG Köln 28. 9. 1934 (oben N. 61); abweichend RG 27. 1. 1928 (oben N. 78); 11. 4. 1933 (oben N. 82); 9. 5. 1930, WarnRspr. 1930, 258; OLG Dresden 21.12.1934 (oben N. 86); OLG Danzig 20. 5. 1938, JW 1938, 2156 (2157) (gegen Bruck; begründet mit der speziellen Situation Danzigs,

Das Oberlandesgericht Königsberg hält es für „naturgemäß“, daß sich ein Versi­ cherungsnehmer dem Recht am Sitz des Versicherers unterwirft92. Hier wird - ohne daß dies ausdrücklich ausgesprochen wird - die auf der vertragsrechtlichen Ebene damals anerkannte „Unterwerfung“ des Versicherungsnehmers unter die vom Versi­ cherer gestellten Versicherungsbedingungen93 in das Kollisionsrecht fortgedacht und als Unterwerfung unter das Sitzrecht verstanden94. Das Bayerische Oberste Landesgericht95 folgert aus dem Charakter des Versiche­ rungsvertrages als eines typischen Massenvertrages, daß es bei seiner Anknüpfung gerade nicht auf individuelle Umstände des Einzelfalles, sondern auf eine internatio­ nalprivatrechtlich gleichförmige Behandlung ankommen müsse, die durch eine einheitliche Anknüpfung aller Verträge an den Sitz des Versicherers durchzusetzen sei. Wird der Vertrag über eine Niederlassung des Versicherers in einem anderen Staat als seinem Sitzstaat abgeschlossen, kommt dagegen das Recht am Ort der Niederlas­ sung zur Anwendung96. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß die Errichtung der Niederlassung auf die Anforderungen inländischer wie ausländischer Versicherungsaufsicht zurückzufuhren ist, denen sich der Versicherer jeweils unter­ werfen muß97. Das Betriebsstatut des Versicherers setzt sich - nach anfänglichem Schwanken bei interzonalen Sachverhalten98 - in der Rechtsprechung nach 1949 endgültig durch99. Es entspricht zugleich einer im Schrifttum nahezu einhellig vertretenen Lehre100. Erst in jüngster Zeit wird das Betriebsstatut in wonach deutsches Recht den Versicherungsnehmern nicht als fremdes Recht erscheine und der Abschluß bei deutschen Versicherern als bewußte Entscheidung des Versicherungsnehmers zu verstehen sei). 92 OLG Königsberg 9. 12. 1930 (oben N. 90) 752. 93 Siehe Ehrenzweig, Versicherungsvertragsrecht II (1935) 24 f. 94 Siehe auch Nussbaum, Deutsches IPR 232; Wolff, IPR 144, hebt unmittelbar auf die Machtlosigkeit des Versicherungsnehmers ab. 95 BayObLG 24. 6. 1931 (oben N. 76) 14; ebenso LG Hamburg 28. 3. 1934, IPRspr. 1935-44 Nr. 110(209). 96 BayObLG 24. 6. 1931 (oben N. 76) 14; OLG Köln 30. 3. 1927, HansRZ 1927, 453; OLG Karlsruhe 12. 4. 1930 (oben N. 76); RG 12. 3. 1934, JW 1934, 1409. 97 OLG Karlsruhe 12. 4. 1930 (oben N. 76); LG Hamburg 28. 3. 1934, IPRspr. 1935-44 Nr. 110; contra: RG 27. 1. 1928 (oben N. 78); 11. 4. 1933 (oben N. 82). 98 Dazu unten unter § 2III2 b). 99 BGH 11. 2.1953, BGHZ 9, 34 (41) = IPRspr. 1952-53 Nr. 37 (Lebensversicherung); 24. 3. 1955, BGHZ 17, 74 (76f.) = IPRspr. 1954-55 Nr. 32 (Lebensversicherung); HansOLG Ham­ burg 1. 7. 1957, IPRspr. 1956-57 Nr. 50 (Seeversicherung); 5. 3. 1957, IPRspr. 1956-57 Nr. 50a) (Seeversicherung); OLG Stuttgart 12. 11. 1959, IPRspr. 1958-59 Nr. 69 (Kraftfahrzeug­ Haftpflichtversicherung); OLG Hamm 10. 12. 1969, VersR 1970, 315 (316) (Kraftfahrzeug­ Haftpflichtversicherung mit Ausländern); OLG Hamburg 28. 5. 1973, IPRspr. 1974 Nr. 11 A) (S. 48) (obiter dictum); OLG Köln 22. 10. 1974, IPRspr. 1974 Nr. 29 (Luftunfallversicherung). 100 Siehe Staudinger (-Firsching), Internationales Schuldrecht 1 Rz. 587; Raape 479 N. 35; Bruck/Möller I Einl. Bem. 91; Prölss, Das Statut der Zweigniederlassung im internationalen Versicherungsrecht: RabelsZ 16 (1951) 203 (204); Gierke 73f; Durst, SVZ 18 (1950/51) 332; Wolff, IPR 144; Karcher 21 f.; Reichert-Facilides, FS Donati 1465; ders., VersR 1978, 481 f.; Reithmann(-Martiny), Internationales Vertragsrecht3 (1980) Rz. 69 (im folgenden: Reith­

seinen Begründungen wie in seinen Ergebnissen, vor allem im Hinblick auf die in der Europäischen Gemeinschaft zu verwirklichende Dienstleistungs­ freiheit in Frage gestellt101. Art. 29 II des 1983 vorgelegten Gesetzentwurfs zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts102 enthält für Verbraucherverträge eine An­ knüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers, soweit der Vertrag auf Vertriebsanstrengungen des Vertragspartners (Unternehmers) beruht, die auf den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers bezogen sind (Art. 29 II, I Nr. 1, 2, 3 RegE). Mit Rücksicht auf die europäischen Bemühungen um eine Harmonisierung der Kollisionsnormen für Versicherungsverträge über europäische Risiken soll Art. 29 II jedoch nur für Verträge über Risiken gelten, die nicht in der Europäischen Wirt­ schaftsgemeinschaft belegen sind (Art. 37 Nr. 4 RegE).

3. Zusammenfassung Der Überblick über die deutsche Rechtsprechung zum internationalen Versicherungsvertragsrecht läßt mehrere Feststellungen zu. Die Anknüpfung des Versicherungsvertrages ist zu keiner Zeit unmittel­ bar am materiellrechtlichen, im Versicherungsvertragsgesetz von 1908 ent­ wickelten Schutz des Versicherungsnehmers ausgerichtet worden. Die Rechtsprechung hat sich lange Zeit im Rahmen der für das internationale Vertragsrecht allgemein üblichen Anknüpfungen bewegt, wobei Abwei­ chungen in zwei Richtungen zu erkennen sind. Ende des 19. Jahrhunderts tendierten die Gerichte mit einer Schwerpunkt-Anknüpfung zur Anwen­ dung des Umweltrechts des Versicherungsnehmers. Mit dem Betriebsstatut des Versicherers hat sich später eine Anknüpfung durchgesetzt, welche die kollisionsrechtliche Wertung maßgeblich an den Interessen der Versicherer und den durch die Versicherungsaufsicht gesetzten faktischen Zwängen orientiert. Das so gezeichnete Bild von der Entwicklung des deutschen internationa­ len Versicherungsvertragsrechts ist jedoch in zweierlei Hinsicht unvoll­ ständig. Richter 69 f., 71 ff ; Möller, Zur Problematik der Dienstleistungsfreiheit im Bereich der Versicherungswirtschaft, in: Dienstleistungsfreiheit und Versicherungsaufsicht im Gemein­ samen Markt, hrsg. von Lagrange u. a. (1971) 15 (17ff.). Münchener Komm.(-Martiny) VII Vor Art. 12 EGBGB Rz. 265. 101 So vor allem Steindorff, Das Akkreditiv im IPR der Schuldverträge, in: FS von Caemmerer (1978) 761 (778); ders., ZgesHR 144 (1980) 450; ders., EuropaR 16 (1981) 426 (431); Kropholler, Das kollisionsrechtliche System des Schutzes der schwächeren Vertragspartei: RabelsZ 42 (1978) 634 (644). 102 Bundesrat, Drucksache 222/83 vom 20. 5. 1983 (oben N. 37). mann);

Eine Bewertung der kollisionsrechtlichen Lösungen ohne eine Kenntnis davon, welche Rechtsfragen in welchen Sachverhaltskonstellationen ent­ schieden worden sind, bleibt an der Oberfläche. Dies gilt vorab für die kollisionsrechtliche Parteiautonomie, deren Geltung und Tragweite mit dem Erlaß des § 10 Nr. 8 AGBG zu bestätigen bzw. in Frage zu stellen ist. Versicherungsaufsicht hat seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts den grenzüberschreitenden Abschluß von Versicherungsverträgen in nachhalti­ ger Weise kanalisiert und auf den Inhalt der Versicherungsverträge Einfluß genommen. Nur aus der Zusammenschau von IPR und internationalem Aufsichtsrecht läßt sich ein zutreffendes - und zugleich differenziertes - Bild von den die deutsche Rechtsordnung beherrschenden Wertungen gewinnen.

II. Die Entwicklung im 19. Jahrhundert 1. Die Grundlagen

Während die Anfänge der Versicherung bis in das Mittelalter zurückrei­ chen103, nahm das privatwirtschaftlich organisierte104 Versicherungswesen in Deutschland erst im 19. Jahrhundert seinen großen Aufschwung. Die zu­ nehmende Industrialisierung, der Durchbruch des wirtschaftlichen Libera­ lismus mit seinen Grundpfeilern Vertrags- und Gewerbefreiheit und die Verwissenschaftlichung der Versicherungstechnik schufen die wesentlichen Vorausetzungen für diese Entwicklung105. Gesetzliche Normierungen des Versicherungsvertragsrechts waren rar. Die Ham­ burger Assekuranz- und Havarie-Ordnung vom 31. 3. 1731 enthielt eine erste, stark von den „Antwerpener Coutumes“ geprägte Kodifikation des Gewohnheitsrechts 103 Zur Geschichte des Versicherungswesens: Goldschmidt, Universalgeschichte des Han­ delsrechts (1891) 354ff.; Müller-Erzbach, Deutsches Handelsrecht273 (1928) 707ff; Gierke 8ff; Hagen 2ff, 27ff, 31 ff; Helmer, Grundlinien der Geschichte der Versicherung, in: FS Ehrenzweig (1955) 57. Das Seeversicherungsgeschäfi wird - in Fortentwicklung des Seedarlehens - in der Zeit des Mittelalters vor allem in den italienischen Seestädten betrieben, aber auch in Spanien und Portugal, um später über die Niederlande kommend in Frankreich, England und in den deutschen Seestädten des 16. und 17. Jahrhunderts Fuß zu fassen; vgl. Hagen 3; Lütge, Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte3 (1966) 393 (im folgenden: Lütge); Ehrenberg, Versicherungsrecht I (1893) 26 ff ; Maurer, Über die historische Entwicklung der Versiche­ rungs-Aufsicht in Deutschland (Diss. Straßburg 1911) 41. Die zweite Wurzel des deutschen Versicherungswesens findet sich im germanischen Genossenschaftsgedanken. Brandgilden sind bis in das 15. Jahrhundert nachweisbar; Hagen 5f.; Lütge 393. 104 Zur Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Versicherungswesens im 17. und 18. Jahr­ hundert: Hagen 7; Lütge 321 ff. In zahlreichen deutschen Staaten erhielten die öffentlich­ rechtlichen Anstalten eine Monopolstellung auf dem Gebiet der Immobiliarversicherung; Maurer (vorige Note) 8. 105 Ehrenzweig (oben N. 25) 2 ff, 7 ff.

auf dem Gebiet der Seeversicherung106, die über das preußische Allgemeine Land­ recht auf die Regelungen der §§ 788-900 des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetz­ buches von 1861 (ADHGB) eingewirkt hat. Das Recht der Binnenversicherung fand, mit Ausnahme des preußischen Allgemeinen Landrechts, das jedoch bald als veraltet galt107, keine nennenswerte gesetzgeberische Gestaltung. Die Verfasser des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches von 1811, die dem Versi­ cherungsvertrag ganze vier Paragraphen widmeten, verneinten ein gesetzgeberisches Regelungsbedürfnis, weil der Versicherungsvertrag unter allen Verträgen am selten­ sten abgeschlossen werde108. Die Geschichte des Versicherungsvertragsrechts in den deutschen Staaten ist eine Geschichte der fehlgeschlagenen Kodifikationsversuche. In Würt­ temberg (1839), Preußen (1857), Bayern (1860/61) und Sachsen (1866) er­ reichten alle Bemühungen nur das Entwurfsstadium109. Auf dem dritten Deutschenjuristentag von 1862 wurde ein Vorschlag zur Schaffung eines deutschen einheitlichen Versicherungsvertragsgesetzes eingebracht110, doch hatte die Diskussion auf dem ersten Preußischen Handelstag von 1860 gezeigt111, daß einer Kodifikation die liberale Grundströmung der Zeit ent­ gegenstand: Hier wurde Vertragsfreiheit gefordert, um den Versicherern die Ausgestaltung ihrer Vertragsbedingungen zu überlassen, während den damals bereits erkannten - Mißbräuchen nicht zwingende Gesetzgebung, sondern eine Intensivierung des Wettbewerbs, insbesondere durch die Ab­ schaffung der restriktiven Zulassungspraxis der Staaten112 gegenüber auslän­ dischen Versicherern, entgegensteuern sollte113. 106 Maurer (oben N. 103) 43. 107 Entwurf eines Gesetzes über den Versicherungsvertrag, aufgestellt im Reichs-Justizamte, Amtliche Ausgabe (1903), Begründung 46; Bruck, Das Privatversicherungsrecht (1930) 8f; Ehrenzweig (oben N. 25) 8. Das Allgemeine Landrecht enthielt keine Bestimmungen über die Zulässigkeit und Grenzen von vertraglich vereinbarten „Strafgedingen“; ROHG 23. 9. 1873, ROHGE 11, 132(133). 108 Ehrenzweig (oben N. 93) 15. 109 Dazu Hagen 28; Bruck (oben N. 107) 9 ff.; Behrend, Der Entwurf eines Reichsgesetzes über den Versicherungsvertrag: ZgesHR 55 (1904) 1 (3 ff). 110 Zwanzig Jahre später wurde Otto Bähr mit dem Entwurf eines Reichsgesetzes über den Versicherungsvertrag beauftragt: Behrend (vorige Note) 7; Hagen 28; Bruck, Reichsgesetz über den Versicherungsvertrag7 (1932) Vorbem. Rz. 2 (im folgenden: Bruck, VVG). Der Entwurf wurde veröff. in: ArchBürgR 7 (1893) 1. 1,1 Goldschmidt, Der erste Preußische Handelstag: ZgesHR 3 (1860) 520 (532). 112 Vgl. die Entschließung des Kongresses deutscher Volkswirte von 1861, zitiert bei Arps, Auf sicheren Pfeilern (1965) 37: „1. Die Beibehaltung des Konzessionssystems im Versicherungswesen läßt sich volkswirt­ schaftlich nicht rechtfertigen, es ist vielmehr 2. im öffentlichen Interesse geboten, daß die Zulassung von Versicherungsinstituten zum Geschäftsbetriebe gesetzlich reguliert werde, und daß diese gesetzliche Regulierung auf dem Prinzip der freien Konkurrenz beruhe“. 113 Ebenso Endemann, Das Wesen des Versicherungsgeschäftes: ZgesHR 10 (1866) 242 (314).

Die Versicherungs Wirtschaft konnte sich damit im 19. Jahrhundert in einem privatrechtlichen Freiraum114 entwickeln, der von den Allgemeinen Versicherungsbedingungen als dem wahrlich „selbst geschaffenen Recht der Wirtschaft“ ausgefüllt wurde. DieJudikatur, die vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sich zunehmend mit Versicherungsverträgen beschäftigen mußte, trug zur Fort­ bildung des Versicherungsvertragsrechts in zwei Richtungen bei.

Die Gerichte waren dazu aufgerufen, in den Allgemeinen Versicherungsbedingun­ gen nicht geregelte Fragen wie etwa die Rechtsposition des Bezugsberechtigten in der Lebensversicherung114 115, der Legitimationscharakter der Police116, die Stellung des Versicherungsagenten bei Vertragsschluß117, die Wirksamkeit der Doppelversiche­ rung118, die Rechte des Versicherten in der Versicherung für fremde Rechnung119 zu konkretisieren - eine Aufgabe, die unter deutlicher Abgrenzung zum Seeversiche­ rungsrecht und den dort vorherrschenden Wertungen120, unter Rückgriff auf das Handelsgewohnheitsrecht121, die rechtliche „Natur“ des Versicherungsgeschäfts122 114 Ehrenzweig (oben N. 93) 14. 115 ROHG 3. 1. 1873, ROHGE 8, 304 (306). 116 RG 11. 4. 1896, SeuffA 52 (1897) Nr. 42. 117 Diejudikatur ist umfänglich; vgl. etwa OAG Dresden 6. 12. 1866, Annalen N.F. 3 (1868) 212; ROHG 21. 6. 1872, ROHGE 6, 422 (423f.); 5. 11. 1872, ROHGE 7, 423 (424); 23. 10. 1872, ROHGE 7, 370 (371 f.); 19. 11. 1872, ROHGE 8, 55 (57). Es geht unter anderem um die Folgen unrichtiger Angaben, wenn der Agent den Versicherungsantrag ausgefüllt hat, sowie um die Zurechnung seines Wissens dem Versicherer gegenüber. 118 RG 17. 12. 1881, RGZ 6, 177; 6. 10. 1894, RGZ 35, 48 (60). 1,9 Für einen unmittelbaren Anspruch des Versicherten gegenüber dem Versicherungsneh­ mer nach Auszahlung der Versicherungssumme: ROHG 7. 1. 1878, ROHGE 23, 158 (162) (mit der Begründung, nur bei Annahme eines solchen Forderungsrechts fehle der Versicherung auf fremde Rechnung der Wettcharakter); zur Rechtsstellung des Versicherten vgl. auch RG 3. 3. 1880, RGZ 1, 378; 22. 2. 1883, RGZ 9, 314 (315); 1. 7. 1884, RGZ 12, 317. 120 ROHG 3. 1. 1873 (oben N. 115) (versichertes Interesse); RG 17. 12. 1881 (oben N. 118) (Doppelversicherung). Zur vorvertraglichen Obliegenheit des Versicherungsnehmers, alle gefahrerheblichen Umstände, die auf die Schätzung der Gefahr von Einfluß sind, anzuzeigen: einerseits OAG Lübeck 21. 12. 1844, SeuffA 1 (1847) Nr. 219 („allgemeiner Grundsatz des Assekuranzrechts“, daß eine solche Obliegenheit bestehe); OAG Lübeck 30. 5. 1849, SeuffA 6 (1853) Nr. 248; OAG Lübeck 30. 3. 1850, SeuffA 6 (1853) Nr. 249; andererseits RG 5. 2. 1902 (oben N. 61) 145 f; vgl. auch Hagen 31 f. Die Rechtsprechung tendierte deutlich dazu, eine Beschränkung der Rechtsposition des Versicherungsnehmers durch Postulierung „allgemei­ ner“ Rechtssätze zu vermeiden, um dies der ausdrücklichen Regelung durch die Versicherer in denAVB zu überlassen; ROHG3. 1. 1873 (obenN. 115) 308f.;RG5.2.1902 (oben N. 61) 145. Eine solche Rechtsprechung förderte Versicherungsnehmerschutz, indem sie den Weg zu einer Auslegungskontrolle durch die Gerichte öffnete, für eine Informationsmöglichkeit der Versi­ cherungsnehmer über ihre vertraglichen Obliegenheiten sorgte und - von besonderer Bedeu­ tung - es den staatlichen Verwaltungsbehörden ermöglichte, unerwünschte Klauseln bei Vorla­ ge der AVB nicht zu genehmigen. 121 Vgl. ROHG 23. 9. 1873, ROHGE 11, 133 (135); 20. 10. 1871, ROHGE 3, 339 (349). 122 RG 17. 12. 1881, RGZ 6, 177; ROHG 3. 1. 1873 (oben N. 115) 309; „allgemeine Grundsätze“ des Versicherungsrechts: ROHG 13. 2. 1872, ROHGE 5, 110 (120); 21. 6. 1872, (oben N. 117) 425, 427; RG 22. 10. 1895, RGZ 37, 149 (150).

wie auch auf die „allgemeinen Prinzipien des bürgerlichen Rechts“123 bewältigt worden ist124.

Der Schwerpunkt der Rechtsprechung lag bei der Auslegung der Allge­ meinen Versicherungsbedingungen. Das Fehlen gesetzlicher Regelungen über den Versicherungsvertrag prägte dabei den Ausgangspunkt der Judika­ tur: Es ging nicht um eine Kontrolle der AVB anhand zwingender Gesetzes­ normen, sondern allein um die Auslegung des Willens der Vertragspartner selbst125, wie er sich in den AVB manifestiert. Die Gerichte waren sich der Problematik einseitig formulierter Versicherungsbedingungen durchaus be­ wußt126, 127 sahen sich aber zu einer offenen Inhaltskontrolle nicht legitimiert. Mit den Worten des Oberhandelsgerichts Stuttgart: Enthalten die AVB für den Versicherungsnehmer nachteilige Bestimmungen, so könne dies für ihn „nur dahin führen, einen Vertrag unter so ungünstigen Bedingungen nicht einzugehen, nicht aber dahin, dessen Bestimmungen, nachdem aufgrund derselben contrahirt worden, eine andere Deutung zu geben.. ."127. Nicht einer „allgemeinen Rechtstheorie", sondern den vereinbarten Vertragsbe­ dingungen habe der Richter seine Entscheidung zu entnehmen128, wobei er „nicht befugt (sei), aus Billigkeitsgründen von der Anwendung des Vertra­ ges abzusehen, denselben einer Correctur zu unterwerfen, vielmehr ist es seine Pflicht, das Vertragsgesetz, welches sich die Contrahenten gegeben, mag es auch hart sein, soweit es nichts Unerlaubtes bestimmt, streng zum Vollzug zu bringen“129. Eine solche von der Rechtsprechung bezogene Posi­ 123 ROHG 3. 1. 1873 (oben N. 115) 306. 124 Der rechtsschöpferische Charakter dieser Rechtsprechung wird im zeitgenössischen Schrifttum ausdrücklich hervorgehoben; vgl. Malss, Übersicht der neueren Rechtsprechung in nicht maritimen Versicherungssachen: ZgesHR 13 (1869) 45. 125 Ehrenberg (oben N. 103) 24; Behrend (oben N. 109) 8ff.; grundlegend ROHG 30. 10. 1873, ROHGE 11, 271. 126 Siehe Frankfurter Stadtgericht (o. J. [1867/68?]), ZgesHR 12 (1868) 200 (202): Der Richter sei „der Natur der Sache nach und im Interesse der Billigkeit gehalten...“, den Versicherungs­ nehmer zu schützen, der den im voraus festgestellten Bedingungen der Assekuranzgesellschaf­ ten preisgegeben sei, während die Gesellschaften sich in der Lage befänden, ihr faktisches Monopol willkürlich auszubeuten; OAG Dresden 6. 12. 1866 (oben N. 117): die Versicherer würden in den von ihnen gestellten AVB „ihren Vortheil hinreichend wahren und gegen etwaige Widerrechtlichkeiten der (Versicherungsnehmer) sich genugsam sicherstellen... “. Aus dem Schrifttum vgl. Hinrichs, Die Lebensversicherung, ihre wirthschaftliche und rechtliche Natur: ZgesHR 20 (1873) 339 (389) und später eindringlich Ehrenberg (oben N. 103) 79 ff. 127 OHG Stuttgart 26. 1. 1869, SeuffA 24 (1871) Nr. 273II (S. 420). 128 OAG Dresden 6. 12. 1866 (oben N. 117) 217; vgl. auch LG Hamburg 10. 2. 1885, HansGZ 1885, 105. 129 So die grundlegende Entscheidung des 1. Senats des Reichs-Oberhandelsgerichts: 30. 10. 1873, ROHGE 11, 271. Der Senat trat damit einer Rechtsprechung des 2. Senats entgegen, dieunter Berufung auf einen „vernünftigen Parteiwillen“ und „den Zweck des Versicherungsinsti­ tuts“, ROHG 25. 11. 1871, ROHGE 4, 63 (64), also objektiver Kriterien - zu einer verdeckten Inhaltskontrolle tendierte; vgl. auchBOHG24.11.1870, BOHGE 1,108 (111,112); BOHG4.

tion wird verständlich, wenn man sich vor Augen führt, daß die liberalen Strömungen der Zeit ein künftiges reichseinheitliches Versicherungsgesetz nur auf dispositive, die Vertragsfreiheit nicht beschränkende Bestimmungen begrenzt sehen wollten130. Daß die Gerichte trotzdem den Versicherungsneh­ mer in der Binnenversicherung, anders als in der Seeversicherung131 132 als schutzbedürftig eingeschätzt haben, zeigen die zahlreichen Beispiele, in denen die Gerichte, unter Berufung auf einen „vernünftigen Willen redlicher Paciscenten"132, die „bona fides“133 und den Zweck der Versicherung134, bei der Auslegung der AVB Zweifel zu Lasten des Versicherers gelöst haben135 und dabei bis an die Grenze des Wortlauts gegangen sind, um die Versiche­ rungsnehmer vor rigoristischen Klauseln zu schützen. Im Mittelpunkt der Judikatur standen die Strafgedinge, wonach der Versiche­ rungsnehmer bei Verletzung seiner vertraglichen Obliegenheiten und Pflichten bei Vertragsschluß (vorvertragliche Anzeigeobliegenheiten), bei Vertragsdurchführung (Gefahrerhöhung, Prämienverzug) und im Schadensfall (Herbeiführung des Versi­ cherungsfalles, Versäumung von Anzeigeobliegenheiten) seines Anspruches auf die 4. 1871, BOHGE 2, 183; ROHG 18. 1. 1873, ROHGE 8, 408. Der 1. Senat hatte bereits in ROHG 21. 11. 1871, ROHGE 54, 59 (60) allein eine Wortlaut-Interpretation der AVB vorge­ nommen, ohne auf den „Zweck“ der Versicherung abzustellen. Die Versicherer hatten es damit letztlich in der Hand, durch eine unzweideutige Neuformulierung ihrer AVB die Rechte der Versicherungsnehmer zu beschneiden und verschuldensunabhängig zu gestalten; vgl. Appell.Gericht Celle 3. 11. 1874, SeuffA 35 (1880) Nr. 249 (S. 356); RG5.11. 1881, RGZ 3,104; 26. 11. 1887, RGZ 22, 51 (54); 22. 1. 1892, RGZ 28, 389 (391 f.); 25.10.1895, JW 1895, 540 (Nr. 21); 29. 6. 1897, RGZ 39, 177(179). 130 Arps (oben N. 112) 38 ff. 131 RG 5. 2. 1902 (oben N. 61); 17. 12. 1881, RGZ 6, 177; 3. 10. 1882, RGZ 10, 158 (159): „Daß die Gültigkeit des Versicherungsvertrages schlechtweg von der Richtigkeit der von dem Versicherungsnehmer vor Abschluß desselben gemachten Anzeigen abhängt, ist eine Singulari­ tät der Seeversicherung. Bei den anderen Arten der Versicherung, insbesondere auch bei der Feuerversicherung, wird nach der richtigen Ansicht der Anspruch des Versicherten nur ver­ wirkt durch solche falschen Antworten, die er schuldvoller Weise auf die ihm vorgelegten Fragen giebt“. Anders ausdrücklich HansOLG Hamburg 15. 11. 1895, SeuffA 52 (1897) Nr. 185. 132 BOHG24. 1. 1870 (oben N. 129) 111, 112; ROHG 25. 11. 1871, ROHGE 4, 63 (64). 133 Appell.-Gericht Celle 3. 11. 1874 (oben N. 129) 357; vgl. auch RG 18. 9. 1883, SeuffA 39 (1884) Nr. 45; Obertribunal Stuttgart 7. 2. 1872, SeuffA 28 (1873) Nr. 161: „Treu und Glauben“ (die AVB dienten nur einer Konkretisierung der allgemeinen Sorgfaltspflicht des Versiche­ rungsnehmers); OAG Celle 3. 3. 1897, SeuffA 53 (1898) Nr. 45: „allgemeine Rechtsgrundsät­ ze“; „Bedürfnisse des Verkehrs“. 134 ROHG 25. 11. 1871 (oben N. 132) 64. 135 OAG Dresden 12. 5. 1870, Annalen N.F. 8 (1871) 150 (152) (läßt eine Bestimmung mehrere Auslegungen zu, so sei die versicherungsnehmerfreundlichste Auslegung zu wählen); RG 4. 5. 1887, RGZ 18, 142 = JW 1887, 275 Nr. 20; 29. 1. 1887, JW 1887, 417 (Nr. 13); Behrend, ZgesHR 55 (1904) 1 (9 N. 23); Ehrenberg (oben N. 103) 86. Zur Auslegung einseitig gestellter Verträge allgemein ROHG 25. 6. 1872, ROHGE 7, 1 (14): „... Interpretationsgrund­ satz, daß im Zweifel gegen den Verkäufer auszulegen sei, vorausgesetzt, ... daß die Fassung des Vertrages von demselben ausgangen ist“.

Versicherungsleistung verlustig gehen sollte. Solche Verwirkungsklauseln wurden, wenn nicht der eindeutige Wortlaut entgegenstand, in aller Regel so verstanden, daß sie ein Verschulden des Versicherungsnehmers voraussetzten136: Eine Verwirkung des Versicherungsanspruches bei falschen Angaben des Versicherungsnehmers bei Ver­ tragsschluß soll - anders als im Seeversicherungsrecht137 - im Zweifel nur bei fahrläs­ sig138 oder gar wissentlich139 unrichtigen Angaben eingreifen. Die Verwirkung des Anspruchs auf die Versicherungsleistung bei Prämienverzug140, Gefahrerhöhung141 und Versäumurg von Fristen142 nach dem Schadenseintritt setzt im Zweifel ein Verschulden des Versicherungsnehmers voraus143. Bei der Herbeiführung des Versi­ cherungsfalles durch den Versicherungsnehmer soll in der Feuerversicherung nicht schon leichte Fahrlässigkeit ausreichen, um den Versicherer von seiner Leistungs­ pflicht freizustellen144. Die Grenze zwischen einer bloßen Auslegung der AVB zum Schutze der Versicherungsnehmer und einer inhaltlichen Kontrolle erscheint in einzelnen Fällen überschritten, so etwa wenn das Bundes-Oberhandelsgericht zu einer Klausel, die dem Bezugsberechtigten einer Lebensversicherung Nachweise über die Todesursache zu erbringen auferlegt, in einem obiter dictum feststellt: „... ihm diese Pflicht aufbürden, hieße ihm seine vertragsmäßige Stellung als Gläubi­ ger des Versicherers entziehen“145. Trotz des interlokalen Charakters vieler Versicherungsverträge haben sich die Gerichte dabei nur relativ selten mit kollisionsrechtlichen Problemen beschäftigt. Der Grund dafür liegt vor allem darin, daß es zwischen den deutschen Staaten, in denen das Gemeine Recht galt, keine Regelungskon­ flikte entstehen konnten. Die Gerichte arbeiteten hier die „allgemeinen

136 Siehe OAG Darmstadt 30. 6. 1853, SeuffA 24 (1871) Nr. 273 I. 137 RG3. 10. 1882, RGZ 10, 158 (159). 138 RG 3. 10. 1882 (vorige Note); OHG Stuttgart 26. 1. 1869, SeuffA 24 Nr. 273 II (keine Verwirkung des Anspruchs bei mangelhafter Kausalität der falschen Angabe); OAG Dresden 6. 12. 1866 (oben N. 117); 15. 4. 1869, Annalen N.F. 6 (1870) 188 (189); anders dann OAG Dresden 19. 4. 1874, Annalen 2. Folge 3 (1876) 248 (249) (wissentlich unwahre Angaben); RG 19. 10. 1881, SeuffA 38 (1883) Nr. 58; OLG Jena 13. 4. 1882, SeuffA 38 (1883) Nr. 59 („dolose Absicht“); 4. 6. 1887, SeuffA 44 (1889) Nr. 46. 139 ROHG 21. 11. 1871 (oben N. 129) 60 („falsche“ Angaben in den AVB heiße „wissentlich unwahr“, nicht bloß „unrichtig“); OAG Berlin 2. 9. 1870, SeuffA 25 (1872) Nr. 73. 140 ROHG 11. 3. 1873, ROHGE 9, 370 (376); vgl. dagegen RG 22. 1. 1892, RGZ 28, 289 (291 f). 141 Siehe ROHG 13. 2. 1872, ROHGE 5, 110 (120f). 142 ROHG 18. 1. 1873, ROHGE 8, 408 (410); ROHG 25. 11. 1871, ROHGE 4, 63 (64); Obertribunal Stuttgart 7. 2. 1872 (oben N. 133). 143 SieheBOHG24. 11. 1870(obenN. 129) 111;BOHG4. 4. 1871 (obenN. 129)184;ROHG 30. 10. 1873 (oben N. 129) 273. 144 OAG Lübeck 21. 4. 1866, SeuffA 21 (1868) Nr. 76; RG 20. 10. 1882, RGZ 7, 306 (307); vgl. auchRG 14. 5. 1884, RGZ 14, 119(121). 143 BOHG 6. 1. 1871, BOHGE 1, 192 (193); vgl. weiter RGZ 18. 9. 1883, SeuffA 39 (1884) Nr. 45; Ober-Tribunal Berlin 6. 2. 1866, SeuffA 23 (1870) Nr. 133 (niemand dürfe in eigener Sache Richter sein); OLG Stuttgart 8. 6. 1894, SeuffA 51 (1896) Nr. 53; vgl.auch OLG Celle 3. 3. 1897, SeuffA 53 (1898) Nr. 45; HansOLG Hamburg 10. 7. 1896, HansGZ 1897/B/l2.

Grundsätze“ des Versicherungsrechts heraus, die dann über Art. 271 Nr. 3 ADHGB, der den Versicherungsvertrag gegen Prämie zu den Handelsge­ schäften zählte, zu Bundes- bzw. Reichs-(Gewohnheits-)recht wurden146. Die Versicherungs Wirtschaft entfaltete sich im 19. Jahrhundert unter zum Teil weitgehender Beaufsichtigung in zahlreichen147 deutschen Staaten148.

Versicherungsaufsicht verfolgte dabei vor allem zwei Regelungsziele. Im Bereich der Feuerversicherung149 ging es um das staatliche Interesse am Schutz der Bevölkerung und der Erhaltung ökonomischer Werte gegenüber einem Miß­ brauch der Versicherung durch mutwillige Brandstiftungen. Die Über- und Doppel­ versicherung eines Objekts wurde unter Strafe gestellt, die Wirksamkeit eines Feuer­ versicherungsvertrages wie auch die Auszahlung der Versicherungssumme von einer Genehmigung der Ortspolizeibehörden abhängig gemacht. Versicherern bzw. ihren Agenten oblagen eingehende Buchführungspflichten, die eine Kontrolle durch staat­ liche Behörden erleichtern sollten. AVB und Tarife unterlagen einer staatlichen Kontrolle bei Konzessionierung des Versicherers. Der Abschluß eines Versiche­ rungsvertrages unter Abweichung von der genehmigten Fassung der AVB wurde unter Strafe gestellt150. Versicherungsaufsicht zielte in den anderen Sparten, aber auch im Bereich der Feuerversicherung, auf einen Schutz der geschäftlich unerfahrenen Versicherungs­ nehmer vor unsolide agierenden Versicherern. Instrument zur Verwirklichung des Versicherungsnehmerschutzes war die Konzessionspflichtigkeit des Versicherungs­ gewerbes, die der staatlichen Verwaltung eine intensive und umfassende Kontrolle des Versicherungsunternehmens vor der Aufnahme der Geschäftstätigkeit ermögli­ chen sollte: Eine Überprüfung der Zuverlässigkeit der Gründer bzw. Leiter der Unternehmen, der finanziellen Ausstattung, der Buchführung und Rechnungsle­

146 ROHG 20. 10. 1871 (obenN. 121). Soweit die Rechtsprechung „allgemeine Grundsätze“ des Versicherungsrechts - etwa über die Doppelversicherung ; RG 17. 12. 1881, RGZ 6, 177 herausgearbeitet hat, sollten entgegenstehende Polizeiverordnungen der Staaten unwirksam sein: KG 1. 5. 1884, SeuffA 41 (1886) Nr. 217. 147 Keine Versicherungsaufsicht kannten etwa die Stadtstaaten Lübeck und Hamburg sowie Oldenburg. Manche Staaten beschränkten die Aufsicht auf einzelne Versicherungszweige, insbe­ sondere die Immobiliarversicherung, so Bremen, Mecklenburg und Sachsen-Coburg-Gotha. 148 Material zur Gesetzgebung findet sich in: Archiv für das Versicherungswesen II/l, 2 (1865), hrgs. von Elsener (im folgenden: Elsener II/l, 2) und Kummer, Die Gesetzgebung der europäischen Staaten betreffend die staatliche Beaufsichtigung der privaten Versicherungsan­ stalten: Zeitschrift für schweizerische Statistik 19 (1883) 1 (40ff.) (im folgenden: Kummer). 149 Für Feuerversicherungen nahmen die Staaten zum Teil ein Versicherungsmonopol in Anspruch; Hamburg: Elsener II/l 7ff.; Bayern: Elsener II/2 62ff. 150 Etwa durch das preußische Gesetz über das Mobiliar-Feuerversicherungswesen vom 8. 5. 1837: Kummer 48; Sachsen-Gesetz vom 23. 8.1862 in Verbg. mit Verordnung vom 20.10. 1862 und Verordnung vom 28. 3. 1863: Elsener II/l 81 f., 85f.; Bayern-Kgl. Verordnung vom 10. 2. 1865: Elsener II/2 97 f; Kgl. Verordnung vom 11.9. 1872 betreffend die Mobiliar-Feuerversi­ cherungen: Kummer 52; Württemberg - Gesetz vom 19. 5. 1852: Kummer 55 f.; Baden - Gesetz vom 30. 7. 1840: Kummer 56-57; Mecklenburg - Verordnung vom 15. 5. 1847: Kummer 58; Sachsen-Meinigen-Hildburghausen - Gesetz vom 2. 3. 1853: Elsener II/l 145 f., 148 f.

gung, der Anlage der Reserven wie auch der verwendeten Statistiken151. Versiche­ rungsaufsicht der Staaten nahm auch auf die vertraglichen Beziehungen zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer Einfluß. Einige Staaten verlangten für den Erwerb der Konzession die Vorlage der AVB, die im Geschäftsverkehr Verwendung finden sollten und machten eine Änderung der AVB von einer vorhergehenden Genehmigung des zuständigen Ministeriums abhängig: die Verwaltung als „Zivil­ rechtspolizei“152. Zum Teil wurde den Versicherern vorgeschrieben, daß ihre, vom Versicherungsnehmer auszufüllenden Antragsformulare bereits einen vollständigen Abdruck der AVB enthielten153, 154 „so daß der Versicherungsnehmer vor Abschluß der Versicherung sich von den Bedingungen, die er einzugehen hat, genau zu unterrich­ ten imstande ist... "154. In den sächsischen Konzessionsbedingungen findet sich sogar eine den AVB-Inhalt betreffende Regelung: In den Versicherungsbedingungen der Feuerversicherer durften keine Klauseln enthalten sein, die den Versicherer berechti­ gen, wegen einer einzelnen Unrichtigkeit der Deklaration bei Vertragsschluß „die Schadensvergütung ganz und im allgemeinen zu verweigern“155.

Die Versicherungsaufsicht vieler Staaten erstreckte sich auch auf den inländischen Geschäftsbetrieb ausländischer Versicherungen, d. h. in anderen deutschen wie nicht-deutschen Staaten domizilierter Unternehmen156. Aus­ ländische Versicherer bedurften, soweit sie im Inland über Agenten arbeiten wollten157, einer Konzession. Über die an die inländischen Unternehmen gestellten Anforderungen hinaus wurde die Erteilung einer Erlaubnis von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht, die eine effektive Aufsicht erleichtern und einen Schutz des inländischen Versicherungspublikums vor den spezifischen, bei Vertragsschuß mit ausländischen Versicherern drohen­ den Gefahren bezweckten: Die Versicherer mußten einen im Inland woh­

151 Ehrenberg (oben N. 103) 161 ff.; Preußen - Gesetz betreffend den Geschäftsverkehr der Versicherungsanstalten vom 17. 5. 1853: Kummer 49; Schwarzburg-Sondershausen: Elsener II/2 137; Bayern - Verordnung vom 4.1.1872: Kummer 51; Hessen- Verordnung von 1855: Kummer 57; Sachsen - Verordnung vom 16. 9. 1856 über den Geschäftsbetrieb ausländischer Versiche­ rungsanstalten im Königreich Sachsen: Elsener II/l 78 f. 152 Ehrenzweig (oben N. 25) 10; Sachsen - Ausführungsverordnung vom 20. 10. 1876: Kummer 54; Württemberg - Gesetz vom 19. 5. 1852: Kummer 55 f ; Baden - Gesetz vom 30. 7. 1840: Kummer 56 f.; Schwarzburg-Sondershausen: Elsener II/2 138. 153 Sachsen- § 35 der Ausführungs- Verordnung vom 20. 10. 1862, Ges.-VO-Blatt 1862, 608. 154 OAG Dresden 6. 12. 1866, Annalen N.F. 3 (1868) 212 (die strenge Beobachtung dieser Vorschrift sei „gleich dem Gesetze“ selbst „Bedingung der Concession“). 155 Sachsen- § 44 der Ausführungs-Verordnung vom 20. 10.1862 in der Interpretation des § 4 der Verordnung vom 28. 3. 1863; Elsener II/l 104 ff, 119. 156 Sachsen - Verordnung vom 16. 9. 1856 über den Geschäftsbetrieb ausländischer Versiche­ rungsanstalten im Königreich Sachsen, Ges.-VO-Blatt 1856, 400: Elsener II/l 78. Einige Staaten hatten eine Konzessionspflicht nur für ausländische Gesellschaften eingeführt, etwa Sachsen-Altenburg: Kummer 60; Elsener II/2 20 ff.; Sachsen-Coburg-Gotha: Kummer 60; Elsener II/2 6 ff.; Schaumburg-Lippe: Kummer 62. 157 Preußen - § 2 des Gesetzes betreffend den Geschäftsverkehr der Versicherungsanstalten vom 17. 5. 1853 (obenN. 151).

nenden Generalagenten benennen158, einen inländischen Ort als Domizil bezeichnen159, sich für Rechtsstreitigkeiten aus dem Inlandsgeschäft der Zu­ ständigkeit der inländischen Gerichte unterwerfen160 und unter Umständen zur Sicherung der Ansprüche der Versicherungsnehmer eine Kaution stel­ len161. Während die Unterwerfung der ausländischen Versicherer unter die Staatsaufsicht des Inlands dem Versicherungsnehmer noch die Möglichkeit offenließ, aus eigenem Antrieb, etwa im Korrespondenzwege, Versiche­ rungsschutz bei ausländischen, im Inland nicht konzessionierten Unterneh­ men zu erwerben, wurde bei Feuerversicherungen auch ein solcher Ab­ schluß bei ausländischen Versicherern ohne Einschaltung eines inländischen Agenten verboten, um eine Umgehung inländischer Kontrollen bezüglich der Doppel- und Überversicherung zu verhindern162. Versicherungsaufsicht über im Inland tätige ausländische Versicherer bedeutet: Die Staaten setzen, soweit sie auf der Vorlage von AVB zur Erlangung einer Konzession beste­ hen, ihre Vorstellungen über einen angemessenen Schutz der Versicherungs­ nehmer vor mißbräuchlichen Klauseln zugunsten ihrer Bevölkerung gegen­ über inländischen wie ausländischen Versicherern in gleichem Ausmaß durch. Das „Umweltrecht“ des Versicherungspublikums entscheidet über seinen Schutz auch bei international verknüpften, im Inland vermittelten Versicherungsverträgen. Eine gleichlaufende Wertung verwirklichen die aufsichtsrechtlichen Regelungen über den inländischen Gerichtsstand: Der Versicherungsnehmer soll bei einer inländischen Geschäftstätigkeit auslän­ discher Versicherer keine Nachteile bei der Durchsetzung seiner Ansprüche haben. Nicht der Versicherungsnehmer, sondern der Versicherer hat die mit dem Abschluß solcher Verträge verbundenen Belastungen zu tragen.

158 Sachsen - § 4 der Verordnung vom 16. 9. 1856 (oben N. 156); Bayern - § 1 Ziff. 1 der Kgl. bayerischen Bekanntmachung vom 3. 10. 1872: ZgesHGR 18 (1872) 475; Württemberg: Kummer 55; Hessen: Kummer 55; Sachsen-Weimar: Kummer 55. 159 Sachsen - § 1 der Verordnung vom 16. 9. 1856 (oben N. 156): Elsener II/l 78f.; Sachsen­ Altenburg - § 1 der Verordnung vom 14. 2. 1863: Elsener II/2 31; Sachsen-Coburg-Gotha: Kummer 60. 160 Sachsen: § 1 der Verordnung vom 16. 9. 1856 (oben N. 156); Württemberg: Kummer 55; Hessen: Kummer 56f.; Sachsen-Weimar: Kummer 58; Sachsen-Altenburg: § 1 der Verordnung vom 14. 2. 1863: Elsener II/2 31; Braunschweig: Kummer 59; Sachsen-Coburg-Gotha: Elsener II/2 6; Reuss ältere Linie: Kummer 61; Reuss jüngere Linie: Kummer 62, Elsener II/2 152; Schaumburg­ Lippe: Kummer 62; Lippe: Kummer 63; Schwarzburg-Sondershausen: Elsener II/2 138. 161 Württemberg: Kummer 55 f. 162 Etwa in Preußen - § 3 des Gesetzes über das Mobiliar-Feuer-Versicherungs wesen vom 8. 5. 1837: Kummer 48; Schwarzburg-Sondershausen 2 der Verordnung vom 16. 1. 1835: Elsener II/2 148; Reuss jüngere Linie-^ 3 des Mandats vom 3. 1. 1835: Elsener II/2 164; Reuss ältere Linie - § 3 der Verordnung vom 20. 2. 1852: Elsener II/2 185.

2.

Versicherungsaufsicht und internationales Versicherungsvertragsrecht

Der Schutz des Versicherungsnehmers gegenüber der ökonomischen und intellektuellen Überlegenheit der Versicherer ist im Deutschland des 19. Jahrhunderts als ein soziales Regelungsproblem erkannt. Seine Lösung wird nicht über das Privatrecht gesucht, sondern bleibt der staatlichen Verwal­ tung überlassen. Diese Ausgangslage prägt auch das zwischenstaatliche Versicherungsgeschäft: Der Schutz des Versicherungsnehmers in internatio­ nalen Versicherungsverträgen wird nicht in Form „streng zwingender“, „absoluter“ Prohibitivnormen durch das Kollisionsrecht, sondern über das Aufsichtsrecht der Staaten abgesichert. Versicherungsaufsicht kann dabei Versicherungsnehmerschutz in doppelter Richtung verwirklichen. Die Verwaltung kann unmittelbar darauf Einfluß nehmen, daß die AVB in der Ausgestaltung der vertraglichen Rechte und Obliegenheiten der Ver­ tragspartner den Erfordernissen der „Billigkeit“ und „bona fides“ entspre­ chen. Durch Festlegung der Anknüpfungsmomente in den AVB kann die Versi­ cherungsaufsicht aber auch mittelbar die kollisionsrechtliche Beurteilung eines Vertrages beeinflussen163 und das heimische Versicherungspublikum vor einer Anwendung eines unbekannten ausländischen Rechts schützen. An einigen Beispielen soll gezeigt werden, daß die Gerichte diese im Versicherungsaufsichtsrecht der Staaten erkennbare Schutztendenz akzep­ tiert und bei den von ihnen zu entscheidenden Rechtsfragen berücksichtigt haben.

Die in den Aufsichtsrechten vieler Staaten enthaltene Regelung, wonach ein aus­ ländischer Versicherer sich für das inländische Versicherungsgeschäft der Zuständig­ keit inländischer Gerichte zu unterwerfen hatte, diente dem Ziel eines effektiven Rechtsschutzes der Versicherungsnehmer gegenüber ausländischen Versicherern: „... Dem Inländer soll so leicht und bequem als möglich zu seiner Forderungverhol­ fen werden“164. Diese Zielsetzung determiniert auch die Auslegung einer Gerichts­ standsklausel durch das Mittelrheinische Hofgericht Bruchsal: Aus der Bestim­ mung, wonach der Versicherer in Streitigkeiten über die Erfüllung des Versiche­ rungsvertrages vor dem Gericht des Wohnorts ihres Agenten gegenüber Ausländern Recht nehmen werde, wird der Wille des Versicherers gefolgert, sich diesem Ge­ richtsstand auch für Klagen des Versicherungsnehmers gegen das Unternehmen zu unterwerfen165. 163 Etwa durch Festlegung eines inländischen Erfüllungsortes für das inländische Geschäft; vgl. RG 13. 11. 1881, RGZ 14, 235 (239). Die Verwaltung hat zum Teil auch darauf bestanden, daß der inländische Gerichtsstand für das inländische Versicherungsgeschäft in die AVB aufge­ nommen wurde; vgl. für Reuss ältere Linie: Kummer 61. 164 OAG Dresden 18. 2. 1869, Annalen N.F. 6 (1870) 167 (183). 165 Mittelrheinisches Hofgericht Bruchsal 19. 7. 1858, ZgesHR 2 (1859) 427 (das Gericht begründet den Willen des Versicherers mit seinem Interesse, den Kreis seiner Versicherten

Auf anderem Wege wird dieses Ergebnis erreicht, wenn aus der Pflicht des auslän­ dischen Versicherers, einen Generalagenten im Inland zu benennen, gefolgert wird, daß der ausländische Versicherer hinsichtlich seines inländischen Geschäftsbetriebes so angesehen werden müsse, als habe er seinen Hauptsitz im Inland166 oder zumindest einen inländischen Nebensitz167, 168 an dem er verklagt werden könne.

Die Begründung eines Gerichtsstandes im Inland ist nicht nur eine we­ sentliche Voraussetzung dafür gewesen, daß die Gerichte bei der Auslegung der AVB die von ihnen verfolgte Schutztendenz zugunsten der Versiche­ rungsnehmer auch gegenüber ausländischen Versicherern verfolgen konn­ ten, sondern hat zugleich auch die Möglichkeit eröffnet, den inländischen Konzessionsbedingungen Privatrechtswirkung zuzuerkennen und diese zum Schutze der inländischen Bevölkerung auch gegenüber ausländischen Versicherern durchzusetzen. Ein Beispiel für die mittelbare Einwirkung der Konzessionsbedingungen durch eine konzessionsbedingungs-konforme Interpretation der AVB liefert die Entschei­ dung des Reichs-Oberhandelsgerichts vom 21. 6. 1872168, in der es um die Rechtsfol­ gen unrichtiger Angaben des Versicherungsnehmers über Bauart und Lage des versicherten Gebäudes bei einem Feuerversicherungsvertrag mit einem italienischen, in Sachsen konzessionierten169 Versicherer ging. Die AVB schlossen jeden Anspruch auf eine Versicherungsleistung bei bewußt wahrheitswidrigen Angaben aus; § 44 der Ausführungsverordnung vom 20. 10. 1862 des Königreichs Sachsen170 in Verbin­ dung mit § 134 des Gesetzes vom 23. 8. 1862171 untersagte es den Versicherern, aufgrund ihrer AVB nach Eintritt des Versicherungsfalles wegen einzelner Unrich­ tigkeiten im Versicherungsantrag die gesamte Versicherungsleistung zu verwei­ gern172. Aus der „verbindenden Kraft“ dieser „direkt verbietenden“173 Vorschriften für den Versicherer und der Pflicht zur Vorlage der AVB bei der Kontrollbehörde, deren „Verabsäumung“ nicht vermutet werden könne, entwickelte das Reichs­ Oberhandelsgericht eine Auslegung der AVB, die sich nicht in Widerspruch zu den Konzessionsbedingungen setzte. Einen Schritt weiter ging das Reichs-Oberhandelsgericht in seiner Entscheidung

möglichst auszudehnen); Staudinger, Bemerkungen über den Gerichtsstand der Versiche­ rungsgesellschaften: ZgesHR 4 (1861) 82 (89 f.) (bringt Beispiele für eine solche Unterwerfung unter den Gerichtsstand des Agenten in AVB-Klauseln). 166 Cassationshof Darmstadt 18. 1. 1858, ZgesHR 2 (1859) 147. 167 Cassationshof Darmstadt 5. 5. 1858, ZgesHR 2 (1859) 425. 168 ROHG 21. 6. 1872, ROHGE 6, 422. 169 Vgl. Elsener II/l 102 N. *. 170 Bei Elsener II/l 119. 171 Bei Elsener II/l 100. 172 „Allgemeine Grundsätze“ des Feuerversicherungsrechts, die als Reichsrecht das sächsi­ sche Recht hätten verdrängen können, standen nach Auffassung des Reichs-Oberhandelsge­ richts nicht entgegen; ROHG 21. 6. 1872 (oben N. 168) 425, 427. 173 ROHG 21. 6. 1872 (oben N. 168) 427.

vom 27. 6. 1874174. Den Konzessionsbedingungen wurde, da von den Ministe­ rien erlassen, der Rechtssatz-Charakter zwar abgesprochen175, ihre Privat­ rechtswirkung trotzdem bejaht: Die Konzession begründe nicht nur ein (öffent­ lich-rechtliches) Vertragsverhältnis zwischen Staat und Versicherer, mit einer blo­ ßen Verpflichtung des Versicherers, sich im Verhältnis zu den Versicherungsneh­ mern „vertragsgemäß“ zu verhalten. Ein Staat, der den inländischen und auslän­ dischen Versicherern vorschreibe, im Inlandsgeschäft („die innerhalb des Staats­ gebietes mit den Versicherungsanstalten eingegangenen Rechtsverhältnisse“) ge­ wisse Vertragsbestimmungen zu verwenden, wolle auf die abzuschließenden Ver­ träge auch in „direkter“ Weise einwirken. Mit der Konzessionierung des Versi­ cherers, die eine Voraussetzung rechtmäßiger Geschäftstätigkeit darstelle, seien „die bei der Concessionierung gegebenen Bestimmungen über die Versiche­ rungsverträge als in die lex contractus jedes einzelnen Vertrages aufgenommen anzusehen“176. Die sich in der Konzessionierung des Versicherers manifestierende „Fürsorge“ des Staates „für das Wohl seiner Angehörigen“177 gewann pri­ vatrechtsgestaltenden Charakter und wurde auch bei Verträgen mit aus­ ländischen Versicherern durchgesetzt. Konzessionsbedingungen konnten auf diese Weise auch eine die Rechtswahlfreiheit der Vertragsparteien einschränkende Wirkung ent­ falten.

Die AVB eines preußischen Lebensversicherers mit Sitz in Stettin, der zum Geschäftsbetrieb in Sachsen konzessioniert war, enthielten eine Klausel, wonach sich die Gültigkeit der Versicherung sowie die beiderseitigen Rechte und Pflich­ ten der Vertragspartner nach dem Recht am Sitz der Gesellschaft richten sollten. Dieser Verweisung auf preußisches Recht versagten sowohl das Oberappella­ tions-Gericht Dresden178 wie auch das Reichs-Oberhandelsgericht179 mit Rück­ sicht auf das sächsische Aufsichtsrecht die Anerkennung. § 1 der Verordnung vom 16. 9. 1856 über den Geschäftsbetrieb ausländischer Versicherungsanstalten im Königreich Sachsen bestimmte, daß ausländische Versicherer, „welche ihren Geschäftsbetrieb auch über das Königreich Sachsen erstrecken wollen“, gehalten seien, „einen innerhalb des Landes gelegenen Ort als ihren Sitz hinsichtlich aller der Geschäfte zu wählen, welche sie mit Inländern oder über inländische Versi­ cherungsobjecte abschließen“180. Das Reichs-Oberhandelsgericht folgte der Sitz­ 174 ROHG 27. 6. 1874, ROHGE 14, 36. 175 ROHG 27. 6. 1874 (vorige Note) 37. 176 ROHG27. 6. 1874(obenN. 174)38. DasOAGDresden8. 4. 1869, AnnalenN.F. 6(1870) 205, hatte die Konzessionsbedingungen als „Normativbestimmungen für die Zulässigkeit und Anwendung der... von dem Versicherungsinstitute zu stellenden Bedingungen und Clausein...“ bezeichnet. 177 OAG Dresden 8. 4. 1869 (vorige Note) 206. 178 OAG Dresden 18. 2. 1869, Annalen N.F. 6 (1870) 167. 179 ROHG 20. 10. 1871, ROHGE 3, 339 (350). 180 Ges.-VO.-Blatt 1856, 400; Elsener II/l 78f.

Bestimmung des Aufsichtsrechts auch für Zwecke des Kollisionsrechts und kam entgegen der Intention der Rechtswahlklausel181 zu einer Anwendung sächsischen Rechts. Im Ergebnis lassen die Urteile des Reichs-Oberhandelsgerichts zwei Fest­ stellungen zu: Das Fehlen eines Versicherungsnehmerschutzes im Versicherungsprivat­ recht wird von der Rechtsprechung durch eine Privatrechtswirkung der öffentlich-rechtlichen Bestimmungen über die Konzessionierung jedenfalls teilweise kompensiert. Privatrechtsgestaltender Versicherungsnehmerschutz wird auch und ge­ rade bei international verknüpften Versicherungsverträgen realisiert: Zwin­ gende Normen über den Inhalt der AVB werden im Wege der Auslegung bzw. unmittelbar als lex contractus durchgesetzt. Eine Abwahl inländischen Rechts für solche Geschäfte, für welche die inländische Versicherungsauf­ sicht die Vorweisung eines inländischen Domizils verlangt, ist unwirksam. Die Anwendung des inländischen Privatrechts gegenüber ausländischen Versicherern folgt dabei dem vom einzelstaatlichen Aufsichtsrecht erhobe­ nen Anwendungsanspruch. Inländisches Privatrecht kommt bei Verträgen mit dem inländischen Versicherungspublikum dann zur Anwendung, wenn der Vertrag dem inländischen Geschäftsbetrieb des Versicherers zuzurech­ nen ist182.

3. Anknüpfungsgrundsätze Obwohl die Maßgeblichkeit des Partei willens zumindest im Sinne mate­ riellrechtlicher Verweisungsfreiheit schon im frühen 19. Jahrhundert im Seeversicherungsrecht seine Bestätigung gefunden hat183, sind Rechtswahl­ klauseln in den AVB der Binnenversicherungsverträge anscheinend nur selten verwendet worden184. Die Gerichte waren in aller Regel dazu aufgerufen, Versicherungsverträge nach objektiven Kriterien anzuknüpfen. Für eine Erklärung der dabei in der Rechtsprechung erzielten Ergebnisse muß man sich vergegenwärtigen, daß die stark expandierende Versiche­ rungswirtschaft im 19. Jahrhundert über Versicherungsagenten und -ver181 Das ROHG 20. 10. 1871 (oben N. 179) 350 geht ausdrücklich davon aus, daß „abwei­ chend“ von der in den AVB enthaltenen Bestimmung nicht preußisches, sondern sächsisches Recht zur Anwendung komme. 182 Vgl. auch RG 13. 11.1881, RGZ 14, 235 (239), wo für die Anknüpfung der Obligation des Versicherers an den Erfüllungsort auf den in den Konzessionsbedingungen zwingend vorge­ schriebenen Erfüllungsort am inländischen Sitz der Agentur hingewiesen wird. 183 Vgl. OAG Lübeck 19. 4. 1828, Sig. Bd. 1 (1858) (Lübecker Rechtssachen) 239; ROHG 1. 11. 1872, ROHGE 7, 394 (400). 184 Ein Beispiel aus der Rechtsprechung ist etwa ROHG 20. 10. 1871, ROHGE 3, 339.

mittler die ausländischen Versicherungsmärkte zu erschließen suchte185: Der Versicherungsagent schuf - etwa durch Hausbesuche - erst die Nachfrage nach Versicherungsschutz186, führte am Wohnort des Versicherungsnehmers die Vermittlungsgespräche und holte dort auch lange Zeit die fälligen Prä­ mien ab187. Die Initiative zum Abschluß eines international verknüpften Versicherungsvertrages ging in aller Regel vom Versicherer, nicht vom Versicherungsnehmer aus. Für interlokale wie internationale Verträge ergibt sich damit als wiederkehrender Sachverhaltstyp: Versicherer mit Sitz in X, Versicherungsnehmer mit Wohnsitz in Y, Versicherungsvertrag vermittelt durch Versicherungsagent in Y188. Dem entspricht es, wenn die Staaten die Verwaltungskontrolle über ausländische Versicherer nicht schon bei jeder inlandsbezogenen Geschäftstätigkeit, sondern erst - wie etwa § 2 des Preußi­ schen Gesetzes vom 17. 5. 1853189 - dann beansprucht haben, wenn die Versicherer im Inlande über Agenten tätig werden wollten. Der Abschluß von Versicherungsverträgen im Korrespondenzwege - und das heißt in aller Regel: auf Initiative des Versicherungsnehmers - blieb dann aufsichtsfrei190. Die Gerichte haben bei Versicherungsverträgen, die am Wohnort des Versicherungsnehmers vermittelt worden sind, zumeist das Umweltrecht des Versicherungsnehmers angewendet191, wenn auch die Begründungen schwanken: Zum Teil gilt die Anknüpfung an den Erfüllungsort192, zum Teil wird eine Schwerpunkt-Anknüpfung durch Addierung der Anknüpfungs­ 185 Ehrenzweig (oben N. 25) 8f. 186 Vgl. Ehrenberg (oben N. 103) 31: bei den „BinnenVersicherungen... mußte und muß vielfach noch heute das Publikum erst für den Versicherungsgedanken gewonnen und erzogen, die Versicherten müssen aufgesucht, angespornt und festgehalten werden. Daher wurde es notwendig, daß die Versicherer das ganze territoriale Gebiet, welches sie gewerblich auszubeu­ ten gedachten, gleichsam mit einem Netze von Mittelspersonen (Agenten) überzogen“. 187 Versicherungsprämien wurden nicht als Bringschuld des Versicherungsnehmers, sondern als Holschuld des Versicherers gedeutet; ROHG 30. 10. 1873, ROHGE 11, 272. 188 Versicherungsaufsicht in Schaumburg-Lippe (dazu: Kummer 62) schrieb vor, daß alle Verträge mit Bewohnern des Fürstentums an dem Wohnorte des Vertreters der Gesellschaft im Fürstentum - und nicht am Sitz der Gesellschaft - abzuschließen seien. 189 Kummer 49. 190 Manche Konzessionsbestimmungen gingen darüber hinaus und erhoben - etwa bei Feuerversicherungsverträgen - einen Anwendungsanspruch für alle Geschäfte mit Inländern bzw. über inländische Versicherungsobjekte; z. B. Sachsen - § 1 der Verordnung vom 16. 9. 1856 (oben N. 156); Sachsen-Altenburg - § 1 der Verordnung vom 14. 2. 1863: Elsener II/2 31. 191 Siehe oben N. 66-73. 192 RG 13. 11. 1881, RGZ 14, 235 ; 28. 1. 1905, RGZ 60, 56; vgl. aber auch OLG Darmstadt 16. 1. 1903, NiemZ 13 (1901) 598 (VVaG mit Sitz in Gotha [Gemeines Recht], Urkunde ausgestellt in Offenbach [Gemeines Recht], dort auch Erfüllungsort, Versicherungsnehmer wohnhaft in Worms, Risiko in Worms belegen [Code civil] - maßgebend sei Recht des Erfüllungsortes); HansOLG Hamburg 28. 3. 1899, HansGZ 1900/B/265 = SeuffA 54 (1899) Nr. 211 (schweizerischer Versicherer, deutscher Versicherungssnehmer - das Gericht neigt zur Anwendung schweizerischen Rechts aufgrund schweizerischen Erfüllungsortes für Versiche­ rungsleistung - obiter dictum).

momente praktiziert193. Zum Teil wird die Vermittlung am Wohnort des Versicherungsnehmers unmittelbar angesprochen194. Über das Ergebnis be­ steht kein Zweifel195; um das Oberappellationsgericht Lübeck zu zitieren: Ein Versicherungsunternehmen, das das Versicherungsgeschäft in Hamburg (ei­ nem Staat ohne Versicherungsaufsicht!) mit dort ansässigen Versicherungs­ nehmern betreiben wolle, „unterwerfe“ sich den in Hamburg geltenden Gesetzen und Gebräuchen196. Im Ergebnis praktizierten die Gerichte damit eine am internationalen Vertrieb des Versicherungsschutzes ausgerichtete Rechtsanwendung. Nicht das Recht am Sitz des Versicherers, sondern das Recht des Vertriebsortes, an dem die Nachfrage geweckt worden ist, gelangt zur Anwendung. Die hier für die Anknüpfung der Versicherungsverträge getroffenen Fest­ stellungen werden zumindest indirekt bestätigt durch die Entscheidungs­ praxis der Gerichte zur Auslegung der AVB bei international verknüpften Verträgen. Bei der Auslegung der AVB geht es zunächst um die Feststellung des von den Parteien Gewollten197. Zur Klärung des Wortsinns kann der lokale Sprachgebrauch etwa am Marktort oder am Wohnsitz der Parteien dienen. Bei der Verwendung von Rechtsbegriffen und Rechtsfiguren kann dasjenige Recht, dem sie entstammen, als Tatsache (Auslegungshilfe) herangezogen werden198. Weichen der Sprachgebrauch in verschiedenen Teilen desselben Sprachgebietes voneinander ab, muß das materielle Recht entscheiden, welche Rechtsfolgen - Dissens oder normative Auslegung angemessen sind. Dazu bedarf es dann kollisionsrechtlicher Vorüberlegungen. Die für die Auslegung von AVB bei Zweifeln über den Wortsinn entwickelten Grundsät­ ze haben gleichfalls materiellrechtlichen Gehalt und bedürfen daher ebenso einer kollisionsrechtlichen Vorentscheidung. Bei der Auslegung von Verwirkungsklauseln in den deutschsprachigen AVB ausländischer Versicherer haben die Gerichte die von der Rechtsprechung entwickel­ ten Grundsätze unmittelbar angewendet, ohne eigens nach dem Vertragsstatut zu fragen199. Die Sachverhalte entsprechen dabei dem Grundtypus des am Wohnort des 193 RG 22. 4. 1892, RGZ 29, 321 (322); ROHG 11.3. 1873, ROHGE 9, 370 (374). 194 RG 13. 2. 1891, SeuffA 47 (1892) Nr. 2; 4. 6. 1890, NiemZ 2 (1890) 370; HansOLG Hamburg 23. 5. 1907, LZ 1908, 249; OLG Frankfurt/M. 11.11. 1910, LZ 1911, 796. 195 ROHG 29. 10. 1872, SeuffA 28 (1873) Nr. 158; vgl. RG 25. 2. 1880, RGZ 1, 188; 22. 4. 1882, HansGZ 1883/B/183; 29. 12. 1891, RGZ 28, 389 (Versicherer mit Sitz in Brüssel, Versicherungsnehmer wohnhaft in Kolmar); 26. 11. 1901, RGZ 50, 325 (326); HansOLG Hamburg 15. 11.1895, SeuffA 52 (1897) 52 Nr. 185; vgl. aber auch RG 8. 2. 1889, RGZ 22, 215 (217) (englischer Versicherer, deutscher Versicherungsnehmer, englischsprachige Police, das Gericht neigt zur Maßgeblichkeit englischen Rechts). 196 OAG Lübeck 21. 4. 1866, SeuffA 21 (1868) Nr. 76. 197 Vgl. bereits Bar II33 ff. und Savigny VIII264. 198 In diesem Sinne mag man auch RG 8. 2. 1889 (oben N. 195) 217 deuten, wenn dort für die Frage, ob die Police eines englischen Versicherers eine Inhaberklausel enthalte, auf englisches Recht verwiesen wird. 199 OAG Berlin 2. 9. 1870, SeuffA 25 (1872) Nr. 73 (schweizerischer Versicherer, Versiehe-

Versicherungsnehmers vermittelten Versicherungsvertrages. Dasselbe gilt für den vom Reichs-Oberhandelsgericht am 3. 1.1873 entschiedenen Fall, in dem ein Londo­ ner Versicherer das Leben eines in Karlsruhe wohnenden Versicherungsnehmers versichert hatte (mit AVB in französischer Sprache). Das Gericht läßt ausdrücklich dahinstehen, ob badisches oder englisches Recht zur Anwendung komme200, um für die Auslegung einer Risikoausschlußklausel (Eintritt in das Militär) zwar den Sprachgebrauch der badischen, preußischen und deutschen Reichsgesetze zu prüfen, dann aber der Klausel eine den Versicherungsnehmer schützende, restriktive Bedeu­ tung zuzumessen201. Während das Schrifttum bei divergierendem Sprachgebrauch auf den Wortsinn am Sitze des Versicherers abstellen wollte202, konnte sich ein solcher Grundsatz in der Rechtsprechung weder zum interlokalen noch zum internationalen Versicherungs­ vertragsrecht durchsetzen. Die Gerichte haben de facto auf das Sprachverständnis am Wohnort des Versicherungsnehmers abgestellt. Auch hier handelte es sich immer um Verträge von im Lande des Versicherungsnehmers konzessionierten Unter­ nehmen203. 204 Die deutsche Seeversicherungspraxis arbeitete im 19. Jahrhundert mit von Hafenstadt zu Hafenstadt in unterschiedlicher Weise vereinheitlichten Allge­ meinen Seeversicherungsbedingungen. Erst 1867 einigten sich die deut­ schen Seestädte, mit Ausnahme Bremens, auf die „Allgemeinen Seeversi­ cherungsbedingungen“ (ADSV)204. Daneben traten 1875 die revidierten Bre­ mer Seeversicherungsbedingungen. Beide Bedingungs werke zielten auf ei­ ne vollständige Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen den Vertrags­ partnern205. Sie nahmen die im ADHGB von 1861 enthaltenden Normen über den Versicherungsvertrag in sich auf und machten einen Rückgriff auf den Gesetzestext weitgehend überflüssig206. Die Bedeutsamkeit des Parteiwillens für die Rechtsanwendung läßt sich bis

rungsnehmer mit Wohnort in Hessen); 21. 10. 1870, SeuffA 25 (1872) Nr. 72; OAG Lübeck 18. 5. 1857, Sig. Bd. 3 (Frankfurter Sachen) 424; vgl. auch BOHG 5. 5. 1871, BOHGE 2, 261; RG 4. 6. 1890, NiemZ 2 (1890) 370; 23. 10. 1906, RGZ 64, 208. 200 ROHG 3. 1. 1873, ROHGE 8, 304 (309). 201 ROHG 3. 1. 1873 (vorige Note) 313f. 202 von Waechter, Ueber Auslegung der unter Abwesenden geschlossenen Verträge: AcP 19 (1836) 114 (121) (für einen gesetzlich definierten Begriff sei das Recht am Sitz des Versicherers entscheidend); beifällig Savigny VIII265 N. d). 203 OAG Berlin 2. 9. 1870, SeuffA 25 (1872) Nr. 73 (schweizerischer Lebens versicheret); RG 4. 6. 1890, NiemZ 2 (1890) 370 (amerikanischer Lebens versicheret); RG25. 10. 1907, RGZ 66, 407 (schweizerischer Unfallversicherer); 29. 5. 1908, RGZ 69, 17 (schweizerischer Unfallversi­ cherer); 5. 2. 1909, RGZ 70, 257 (259). 204 Hagen 31. 205 ROHG 2. 9. 1871, ROHGE 3, 85 (88f); ROHG 1. 11. 1872, ROHGE 7, 394 (401). 206 Soweit die ADSV den Gesetzestext des ADHGB/HGB nur wiederholten, hatte die Rechtsprechung zur Auslegung der ADSV auf das Gesetzesverständnis zurückgegriffen; ROHG2. 9. 1871 (vorige Note) 88f.;l. 11. 1872 (vorige Note) 400; RG11.2. 1882, RGZ 7,27 (28).

in das frühe 19. Jahrhundert nach weisen207. Klauseln in Seeversicherungs­ policen, die auf das Handelsgesetzbuch208 209 bzw. den Code de commerce209 verwiesen, wurden als Rechtswahlvereinbarungen anerkannt. Für die Auslegung von Versicherungsbedingungen bildete sich der Grundsatz heraus, daß das Geschäftsstatut über die Auslegungsgrundsät­ ze entscheidet210. Trotzdem haben sich die Gerichte in einer Vielzahl von Entscheidungen zu international verknüpften Seeversicherungsverträgen unmittelbar der Auslegung der ADSV von 1867 und der Bremer Seever­ sicherungsbedingungen zugewendet, ohne zuvor die Frage des anwend­ baren Rechts aufzuwerfen211. Die Vereinbarung dieser Seeversicherungs­ bedingungen kam damit in der Praxis einer Vereinbarung deutschen Rechts gleich - eine Konsequenz, die § 126 I ADS 1919 ausdrücklich vorsieht. Der internationalen Ausrichtung des Seeversicherungsgeschäfts ent­ spricht die auffallend internationale Orientierung der Gerichte bei der Auslegung der Bedingungen: War eine rechtsvergleichende Argumenta­ tion im frühen 19. Jahrhundert geradezu selbstverständlich212, so erhielt sich diese, der internationalen Rechtseinheit forderliche Einstellung der Gerichte auch nach Inkrafttreten des Allgemeinen Deutschen Handelsge­

207 OAG Lübeck 19. 4. 1828, Sig. Bd. 1 (1858) (Lübecker Rechtssachen) 259. 208 ROHG 1.11. 1872 (oben N. 205) 400. 209 Hans OLG Hamburg 1881/1882(?), HansGZ 1883, 267 (268); vgl. RG 13. 4. 1898, JW 1898, 371 (holländisches Formular). 210 RG 30. 9. 1908, RGZ 69, 238 (240f.); 6. 4. 1911, JW 1911, 532; vgl. auch OAG Lübeck 15. 2. 1858, ZgesHR 2 (1859) 140 (bei einer Police eines englischen Versicherers in englischer Sprache unterliege es „keinem Zweifel, daß etwaige Dunkelheiten oder Lücken des Contracts so aufgeklärt und ergänzt werden müßten, wie das englische Verständnis desselben dies erfordert“). 211 RG 16. 11. 1881, RGZ 7, 14 (schweizerischer Versicherer, ADSV); 11. 2. 1882, RGZ 7, 27 (schweizerischer Versicherer, ADSV); HansOLG Hamburg 12. 12. 1883, HansGZ 1884, 137; 6. 2. 1886, HansGZ 1886/B/124 (interlokal); 8. 2. 1890, HansGZ 1890, 100 (österreichischer Versicherer, eigene Bedingungen); 11. 6. 1892, HansGZ 1892, 179 (inter­ lokal, ADSV); 17. 10. 1892, HansGZ 1892, 283 (italienischer Versicherer, ADSV); 26. 6. 1882, Hans GZ 1882, 131 (interlokal); RG 23. 6. 1894, HansGZ 1895, 19 (englische Bedin­ gungen); HansOLG Hamburg 9. 1. 1897, HansGZ 1897, 129, 130 (dänischer Versiche­ rungsnehmer); LG Hamburg 16. 3. 1898, HansGZ 1898, 289; HansOLG Hamburg 24. 9. 1898, HansGZ 1898, 290; RG 11. 1. 1896, RGZ 36, 130 (englischer Versicherer, ADSV); LG Hamburg 15. 1. 1901, HansGZ 1901, 165; HansOLG Hamburg 10. 4. 1901, HansGZ 1901, 166; 1. 11. 1901, HansGZ 1902, 35 (italienischer Versicherer, ADSV); 3. 2. 1902, HansGZ 1902, 160 (deutscher Versicherer, englischer Versicherungsnehmer, Bremer See­ versicherungsbedingungen); 14. 7. 1902, HansGZ 1902, 237; 3. 12. 1901, HansGZ 1902, 53; RG 5. 7. 1902, HansGZ 1902, 309; HansOLG Hamburg 3. 11. 1905, HansGZ 1906, 9 (dänischer Reeder, englischer Versicherer, ADSV mit englischen Zusatzklauseln). 212 OAG Lübeck 22. 9. 1846, SeuffA 2 (1849) Nr. 289; 20. 3. 1847, SeuffA 3 (1851) Nr. 96; 30. 5. 1849, SeuffA 6 (1853) Nr. 248; 30. 11. 1849, SeuffA 11 (1857) Nr. 170, 171; ROHG 29. 1. 1875, ROHGE 16, 75 (78).

setzbuchs bei der Auslegung der ADSV von 1867213 und des ihnen zugrunde­ liegenden Handelsgesetzbuchs214. Die Internationalität des Rückversicherungsgeschäfts und das Fehlen gesetzli­ cher, den Vertragstyp normierender Regeln (mit Ausnahme der Seerückver­ sicherung)215 prägen die Judikatur im 19. Jahrhundert. Während für Pro­ bleme des allgemeinen Vertragsrechts - Vertragsabschluß, Irrtum und Dis­ sens - die kollisionsrechtliche Frage vorgeschaltet wurde216, fiel es den Ge­ richten zu, im Wege richterlicher Rechtsschöpfung dispositives Rückversi­ cherungsrecht zu entwickeln. In der Entscheidung des Reichsgerichts vom 15. 6. 1881217 ging es bei einem deutsch-englischen Rückversicherungs ver­ trag um die Höhe der Leistungsverpflichtung des Rückversicherers bei Konkurs des Erstversicherers. Das Hanseatische OLG Hamburg als Vorin­ stanz gründete seine Lösung (Leistungspflichten in voller Höhe) nicht auf „Besonderheiten des englischen Rechts“ als dem Recht am Sitz des Rückver­ sicherers, sondern auf „die nach allgemeiner Übung bei der Rückversiche­ rung überhaupt anwendbaren Grundsätze“218. Ähnlich verfuhr das Reichs­ gericht: Mangels konkreter vertraglicher Regelung galt es, die allgemeine Frage zu entscheiden, was als Inhalt der Verpflichtung des Rückversicherers anzusehen sei. Diese Frage wurde in rechtsvergleichender Umschau geprüft, bei der preußisches Recht (der Seerückversicherung) sowie die übereinstim­ mende Theorie und Praxis in Kanada, den Vereinigten Staaten von Amerika, England, Frankreich und Norwegen herangezogen wurde und unter Bezug auf die „Natur der Sache“ und das „Wesen der Rückversicherung“ beant­ wortet, wobei ein „allgemeiner Rechtsgrundsatz über die Rückversiche­ rung“ festgestellt wurde219. Der Formulierung eines auf internationale Über­ einstimmung zielenden Rechtssatzes, nicht der kollisionsrechtlichen Vorfra­ ge, ob überhaupt deutsches Recht zur Anwendung berufen war, galt das Interesse des Gerichts220.

213 RG3. 5. 1884, RGZ 13, 107 (111); 14. 5. 1884, RGZ 14, 119 (121 f.). 214 RG 23. 3. 1881, RGZ 4, 37 (44); 16. 11. 1881, RGZ 7, 14 (17); 26. 4.1884, RGZ 12, 28 (31f.). . 215 Für die Seerückversicherung galten die ADSV und das HGB; vgl. HansOLG Hamburg 12. 7. 1892, HansGZ 1892, 220; 1. 6. 1906, HansGZ 1906, 193. 216 RG5. 12. 1902, RGZ 53, 138. 217 RG15. 6. 1881, RGZ 5, 115. 218 So die Wiedergabe der Entscheidungsgründe in RG 15. 6. 1881 (vorige Note) 116. 219 RG 15. 6. 1881 (oben N. 217) 117ff. 220 Ähnlich HansOLG Hamburg 18. 5. 1892, HansGZ 1892, 306 (307) („üblicher Geschäfts­ gang“); LG Hamburg 29. 5. 1894, HansGZ 1895, 165 (166) („Natur der Sache“); HansOLG Hamburg 19. 12. 1902, HansGZ 1903, 64 („typische Bedürfnisse“ des Verkehrs); RG 13. 1. 1897, RGZ 38, 206 (208, 210) (entscheidet nur nach „Wortlaut und Sinn“ des RetrozessionsVer­ trages, ohne die kollisionsrechtliche Frage aufzu werfen).

4. Ergebnisse Das vorliegende Entscheidungsmaterial zum internationalen Versiche­ rungsvertragsrecht im 19. Jahrhundert läßt die folgenden Feststellungen zu. Die im Sachrecht stark betonte Unterschiedlichkeit zwischen dem Seever­ sicherungsrecht und dem Binnenversicherungsrecht221 strahlte auch auf das IPR aus: Während in der international geprägten Seeversicherung die (mate­ riellrechtliche) Verweisungsfreiheit der Parteien uneingeschränkt anerkannt war, wurden bei den Binnenversicherungen der Rechtswahlfreiheit vom Aufsichtsrecht her Grenzen gesetzt. Die Rechtsprechung zum See- und Rückversicherungsrecht zeigte auf der Ebene des materiellen Rechts eine stark internationale Ausrichtung. Die Frage der Anknüpfung des Vertrages trat dahinter oft zurück. Für die Binnenversicherung ergab sich - entgegen den Interessen der Versicherer an einer international einheitlichen Behandlung des Geschäftsbetriebs222 - eine starke Tendenz zur „Nationalisierung“ der Vertragsbeziehungen durch die weitgehenden Anforderungen der Versicherungsaufsicht. Der Schutz der Versicherungsnehmer vor mißbräuchlichen Klauseln in AVB - im 19. Jahrhundert als Regelungsproblem weithin erkannt - wurde mit verteilten Rollen in Form der Auslegungskontrolle der Gerichte und der Inhaltskontrolle im Konzessionsverfahren der Aufsichtsbehörden realisiert. Für zwischenstaatliche Versicherungsverträge ergaben sich Konsequenzen in zwei Richtungen: Soweit den Konzessionsbedingungen Privatrechtswirkung zugesprochen wurde, kam es im Ergebnis zu einer am Anwendungsanspruch des jeweili­ gen Aufsichtsrechts orientierten Anknüpfung zwingenden Versicherungs­ nehmerschutzrechts. Soweit die Staaten Rechtsverfolgung gegenüber ausländischen Versiche­ rern durch einen zwingenden Gerichtsstand im Inland zu erleichtern such­ ten, ermöglichten sie es den Gerichten, die Auslegungskontrolle zugunsten ihrer Bevölkerung gegenüber ausländischen Versicherern zu praktizieren.

221 ROHG 3. 1. 1873, ROHGE 8, 304 (306); RG 17. 12. 1881, RGZ 6, 177; 9. 10. 1882, RGZ 10, 158 (159); 14. 5. 1884, RGZ 14, 119 (121 f.); 6. 10. 1894, RGZ 35, 48 (54, 60); 5. 12. 1902, RGZ 53, 138 (145); anderer Ansicht ausdrücklich HansOLG Hamburg 15. 11. 1895, SeuffA 52 (1897) Nr. 185 gegen RGZ 10, 158. 222 Daß die Gerichte ein solches Interesse durchaus gesehen haben, zeigt etwa ROHG 10. 1. 1874, ROHGE 12, 204 (205): „... die Erwägung, daß die Versicherungsanstalten, deren Geschäftsbetrieb sich regelmäßig über verschiedene Rechtsgebiete erstreckt, durch die allgemeine Aufstellung der s. g. Police­ bedingungen die Absicht zu erkennen geben, in alle von ihnen abzuschließenden Versiche­ rungsvertragsrechtsverträge eine Reihe gleichmäßiger, das Rechtsverhältnis möglichst nach allen Seiten regelnder Bestimmungen aufzunehmen und, soweit diese lex contractus reicht, die Anwendung allgemeiner Normen auszuschließen. “

Die durch das Aufsichtsrecht einer Reihe deutscher Staaten bewirkte Lokalisierung des inländischen Versicherungsgeschäfts (inländischer Ge­ richtsstand, Niederlassung, Generalbevollmächtigter bzw. Sitznahme im Inland, Vermittlung der Verträge durch inländische Agenten) zielte auf eine weitgehende Unterwerfung ausländischer Versicherer unter inländisches Recht223. Mit ihr korrespondiert eine Entscheidungspraxis der Gerichte, die im Ergebnis das Recht des Vertriebsstaates zur Anwendung brachte.

III. Die Entwicklung im 20. Jahrhundert 1. Das materielle Recht

Mit dem Versicherungsvertragsgesetz von 1908 (VVG) und dem Versi­ cherungsaufsichtsgesetz von 1901 (VAG)224 wurde, dreißig Jahre nach Grün­ dung des Deutschen Reiches, die nationale Rechtseinheit auch für die Versi­ cherungswirtschaft, die längst die Grenzen der deutschen Staaten über­ sprungen hatte, verwirklicht: Deutschland als ein rechtlich und wirtschaft­ lich einheitlicher Versicherungsmarkt. Von beiden Gesetzen läßt sich sagen, daß es ihnen mehr um die Vereinheitlichung des tradierten Versicherungs­ rechtes auf der Grundlage und in Fortbildung des bisher Erreichten als um einen völlig neuen Anfang gegangen ist225. Das Versicherungsvertragsgesetz vom 30. Mai 1908 verfolgte vor allem zwei Zielsetzungen. Es sollte die in der Rechtsprechung und Rechtslehre „aus dem Wesen und dem wirtschaftlichen Zwecke der Versicherung“ entwickelten „leitenden Rechtssätze“ des (Binnen-) Versicherungsrechts226 im Interesse der Rechts­ klarheit und der Rechtssicherheit kodifizieren227. Dabei verzichtete der Ge­ setzgeber bewußt auf eine zu weitgehende und zu detaillierte Regelung, insbesondere bezüglich der einzelnen Versicherungsvertragstypen. Das Vor­ bild der rasch als veraltet angesehenen Regelung des preußischen Allgemei­

223 Vgl. Reuss jüngere Linie: Gewerbeordnung vom 11.4. 1863, wonach bei ausländischen Versicherungsanstalten die Konzessionierung von einer unbedingten Unterwerfung unter die Gesetze und die Ortsstatuten des Landes abhängig war; vgl. bei Kummer 62. 224 Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 30. 5. 1908, RGBl. 263; Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmen vom 12. 5. 1901, RGBl. 139. Zu den Gründen, warum es nicht zu einem einheitlichen Gesetzeswerk gekommen ist: Kraus, Versicherungsaufsichtsrecht (1971) 42. 225 Dies betont vor allem Gärtner, Privat versicherungsrecht2 (1980) 22 ff, 32 ff. 226 Begründung zum Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 30. 5. 1908, abgedr. in: Motive zum Versicherungsvertragsgesetz, hrsg. vom Bundesaufsichtsamt für das Versiche­ rungs- und Bausparwesen (1963) 62 (im folgenden: Gesetzesbegründung zum VVG). 227 Zum Gesichtspunkt der Sicherheit des Rechtsverkehrs: Gesetzesbegründung zum VVG (vorige Note) 63.

nen Landrechts als warnendes Beispiel vor Augen, sah sich der Gesetzgeber in einer - historisch gewachsenen - Rollenverteilung mit der Versicherungs­ wirtschaft, der das Primat zugesprochen wurde, das von ihr am Markt angebotene Produkt Versicherungsschutz zu definieren228, um dabei „in stätigem Fortschritt“ ihre Technik zu vervollkommnen, ihre Formen zu vermehren und auszubilden, ihr Anwendungsgebiet zu erweitern229 und sich stets den neuen Versicherungsbedürfnissen anzupassen230. Das Versicherungsvertragsgesetz ist zugleich ein Gesetz zur Kontrolle der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und betritt damit weitgehend Neuland231. Es kodifiziert vieles von dem, was in der Rechtsprechung im Wege der Auslegung der AVB entwickelt worden war232 und geht nur in einigen Fragen darüber hinaus233. Im Vordergrund des Regelungsinteresses des Gesetzgebers standen die Verwirkungsklauseln bei einer Obliegenheits­ verletzung des Versicherungsnehmers. Auf eigenständige, gegenüber der vorherrschenden Vertragspraxis unabhängige Lösungen wurde weitgehend verzichtet234.

228 Dazu Farny, AVB unter dem Gesichtspunkt der „Produktbeschreibung“: Z Vers Wiss 1975, 169. 229 Gesetzesbegründung zum VVG (oben N. 226) 63 f.: „Die Gesetzgebung muß hier jede Maßnahme vermeiden, die hier hemmend und störend eingreifen könnte“. 230 Dies gilt vor allem für die risikobeschreibenden und -beschränkenden Klauseln in AVB. Bezüglich der Regelung der Risikodeckung wird auch heute dem Gesetzgeber Zurückhaltung empfohlen; z. B. Hellner, Rechtlicher Konsumentenschutz in der Privatversicherung, in: FS Möller (1972) 283 (287). 231 Die Schweiz ist mit ihrem Versicherungsvertragsgesetz vom 2. 4. 1908 vorausgegangen. 232 Vgl. etwa die §§ 16, 18 II VVG, mit RG 5. 12. 1902, RGZ 53, 138 (146); ROHG 21. 11. 1871, ROHGE 4, 59; ROHG 26. 9. 1873, ROHGE 11, 134, sowie die Nachweise bei Bruck, VVG§16Rz. 26, 32. 233 Etwa in § 61 VVG: Der für die Feuerversicherung in OAG Lübeck 21. 4. 1866, SeuffA 21 (1868) Nr. 76 (S. 141) = ZgesHR 19 (1873) 271, entwickelte Satz, daß leichte Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles den Versicherer von seiner Leistungspflicht nicht befreien könne (anders für die anderen Versicherungsverträge: RGZ 14, 119), wird zu einer allgemeinen, wenn auch dispositiven Regel erhoben. § 21 VVG: Rücktritt des Versicherers bei Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegen­ heit des Versicherungsnehmers entbindet nicht von der Leistungsverpflichtung, wenn der anzuzeigende Umstand keinen Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalles gehabt hat; anders früher OAG Lübeck 21. 12. 1844, SeuffA 1 (1847) Nr. 219 (S. 227); ROHG 26. 4. 1873, ROHGE 9, 284; vgl. auch Ehrenberg (oben N. 103) 347ff.; sehr kritisch dann Bruck, VVG § 21 Rz. 3. § 25 III in Verbindung mit § 23 VVG: Kausalität der Gefahrerhöhung; anders OAG Lübeck 15. 6. 1835, SeuffA 5 (1852) Nr. 2. § 18 VVG: Es kann nicht vereinbart werden, daß jeder Umstand, nach dem gefragt wird, gefahrerheblich im Sinne von § 18 VVG ist; anders ROHG 29. 10. 1872, SeuffA 28 (1873) Nr. 158; OAG Lübeck 20. 9. 1862, ZgesHR 12 (1868) 546 (547f). 234 Dies betont insbesondere Gärtner (oben N. 225) 30 ff. Der Entwurf eines Gesetzes über den Versicherungsvertrag von 1903 (oben N. 107) hatte in §§ 8 und 9 vorgesehen, daß eine Verwirkung des Versicherungsanspruchs bei Verletzung der nach Eintritt des Versicherungsfal­

Das Versicherungsvertragsgesetz steht auf der Grundlage eines gewandelten Ver­ tragsmodells. Zwar ist Ausgangspunkt auch weiterhin die Vertragsfreiheit235, doch wird den wirtschaftlichen und sozialen Realitäten, der einseitigen Formulierung der AVB durch den Versicherer und der schwächeren Stellung des Versicherungsneh­ mers, insbesondere aufgrund seiner geringeren oder fehlenden Geschäftserfah­ rung236, Rechnung getragen. Der mangelnde Einfluß des Versicherungsnehmers auf den Vertragsinhalt237 wird durch (halb-)zwingende Normen zu seinem Schutze-und durch Einflußnahme der Versicherungsaufsicht-jedenfalls teilweise kompensiert. In dem Instrument der (halb-)zwingenden Normen238, von denen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht zu Lasten, wohl aber zugunsten der Versicherungs­ nehmer abweichen können239, wird die Konzeption des Gesetzgebers erkennbar: Während der Staat für ein Mindestmaß an vertraglicher Gerechtigkeit sorgt, bleibt es dem Wettbewerb unter den Versicherern überlassen, eine Verbesserung der AVB zugunsten der Versicherungsnehmer zu bewirken240. Das Versicherungsvertragsgesetz grenzt die Reichweite der halbzwingen­ den Normen nach dem Schutzbedürfnis der Versicherungsnehmer ab. Das Gesetz ist unanwendbar auf die Seeversicherung, die im Handelsgesetzbuch ihre gesetzliche und in den ADSV von 1867 bzw. den ADS von 1919 ihre vertragliche Regelung gefunden hat, und auf die Rückversicherung, bei der beide Teile Versicherungsunternehmen sind und daher kein Bedürfnis für zwingende Schutznormen besteht (§ 186 VVG)241. § 187 VVG bestimmt les zu erfüllenden Obliegenheiten nur bei arglistiger Verletzung eintreten könne, um den Versicherer für die sonstigen Fälle auf die Vereinbarung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5% des Leistungsanspruchs zu verweisen. Dieser vom „Alles-oder-Nichts“-Prinzip abweichende Vor­ schlag ist nicht Gesetz geworden. Ein Beispiel für eine gegenüber der AVB-Praxis eigenständi­ ge Lösung des Gesetzgebers ist § 12 II VVG, wonach die Ausschluß frist für eine Klage gegen den Versicherer erst zu laufen beginnt, wenn der Versicherer den Anspruch „unter Aufgabe der mit dem Ablaufe der Frist verbundenen Rechtsfolge schriftlich abgelehnt hat“. Eine gleicharti­ ge, auf Aufklärung des Versicherungsnehmers zielende Obliegenheit wurde später durch Verordnung vom 19. 12. 1939 für den Verzug bei der Folgeprämie Gesetz, § 391 VVG; vgl. auch § 39 III3 VVG. 235 Gesetzesbegründung zum VVG (oben N. 226) 63. 236 Gesetzesbegründung zum VVG (oben N. 226) 63; so auch schon im Schrifttum Ehren­ berg (oben N. 103) 79; von Gierke, Wie weit ist bei Versicherungsverträgen die Vertragsfreiheit durch zwingende Rechtssätze zugunsten des Versicherten einzuschränken?, in: Verhandlungen des 27. Deutschenjuristentags II (1904) 57 (61 ff, 67 N. 18 mit weiteren Nachweisen über den Diskussionsstand). 237 Mit aller Deutlichkeit Ehrenberg (oben N. 103) 79: „Von einer wirklichen Zustimmung des Versicherungsinteressenten, von einem freien „Sich-Vertragen“ der Parteien... ist meist keine Rede“. 238 Übersicht bei Bruck, VVG, Vorbem. Rz. 26. 239 Insoweit kommt dem VVG eine eindeutig den Schutz des schwächeren Vertragspartners sichernde Tendenz zu. Zum VVG als einem „Verbraucherschutzgesetz“: von Hippel, Verbrau­ cherschutz2 (1979) 186 ff; Möller, Versicherungswissenschaft und Versicherungspraxis in den zurückliegenden 75Jahren: ZVersWiss. 1974, 9 (19). 240 Gesetzesbegründung zum VVG (oben N. 226) 64. 241 Gesetzesbegründung zum VVG (oben N. 226) 64.

darüber hinaus, daß bei der Gütertransportversicherung, der Kredit- und Kursverlustversicherung242 sowie bei der laufenden Versicherung die zwin­ genden Normen des Gesetzes außer Anwendung bleiben. Dem liegt die Einschätzung des Gesetzgebers zugrunde, daß der Versicherungsnehmer bei Abschluß solcher Verträge typischerweise über hinreichende Geschäftskun­ de verfugt, um seine Interessen selbst wahrnehmen und gegenüber dem Versicherer durchsetzen zu können243. Das Versicherungsvertragsgesetz hat sich auf ein Minimum zwingender Normen zum Schutze der Versicherungsnehmer auch und gerade deshalb beschränken können, weil es durch das Versicherungsaufsichtsgesetz vom 12. 5. 1901 eine effektive und flexible Kontrolle der Allgemeinen Versiche­ rungsbedingungen im Interesse des Versicherten gewährleistet sah244. Das Versicherungsaufsichtsgesetz beseitigte die Bundscheckigkeit der in den deutschen Bundesstaaten bestehenden Bestimmungen und Aufsichtssy­ steme245 und die mit ihnen verbundenen Hemmnisse für die Versicherer, verwirklichte mit der Abschaffung der Bedürfnisprüfung die Gewerbefrei­ heit246, führte zur Errichtung einer Reichsaufsichtsbehörde und erreichte damit ein Ziel, wie es ähnlich heute auf europäischer Ebene angestrebt wird: die Herstellung eines Binnenmarktes für Versicherungen. Das Aufsichtsgesetz realisiert ein System materieller Staatsaufsicht247: Es begnügt sich nicht mit bloßen Publizitätspflichten248 oder der Errichtung eines Systems von Normativbestimmungen, in dem sich die Versicherungsaufsicht auf eine Kontrolle

242 Ebenso die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit: § 187 VVG in der Fassung des Gesetzes von 1908. 243 Gesetzesbegründung zum VVG (oben N. 226) 64. § 188 VVG sieht vor, daß in Versiche­ rungssparten, die im VVG nicht geregelt sind, sowie in der Binnenschiffahrtsversicherung durch Verordnung die Beschränkungen der Vertragsfreiheit außer Kraft gesetzt werden kön­ nen; zu den Gründen vgl. die Gesetzesbegründung zum VVG (oben N. 226) 65, sowie die noch andere Wertung in der Begründung zum Entwurf von 1903 (oben N. 107) 51. 244 Gesetzesbegründung zum VVG (oben N. 226) 64; vgl. auch Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmen (14. 11. 1900), Stenograph. Be­ richte über die Verhandlungen des Reichstages, 10. Legislaturperiode, II. Session, 1900/1901, Erster Anlagenband Nr. 5 S. 32 f, abgedr. in: Motive zum Versicherungsaufsichtsgesetz, hrsg. vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen (1963) 22 f. [im folgenden: Gesetzesbegründung zum VAG, in: Motive zum VAG], wo der AVB-Kontrolle durch die Aufsicht ausdrücklich die Aufgabe zugewiesen wird, die „Gesetzgebung auf dem Gebiete des Privatrechts“ davon zu entlasten, „die Vertragsfreiheit der Parteien durch Vorschriften zwin­ genden Rechts einzuengen“. 245 Gesetzesbegründung zum VAG 29, in: Motive zum VAG (vorige Note) 21. 246 § 5 VAG alte Fassung: „Die Erteilung der Erlaubnis erfolgt unabhängig von dem Nach­ weis eines Bedürfnisses...“. 247 Vgl. zu den verschiedenen Aufsichtssystemen etwa Boss, Systeme der Staatsaufsicht über Versicherungsunternehmen (1955) 31 ff.; Kraus (oben N. 224) 22ff. 248 „Publizitätssystem“; dazu Boss (vorige Note) 33ff.

der Gesetzmäßigkeit des Verhaltens der Versicherer beschränkt249, sondern sorgt auch für eine laufende Überwachung des gesamten Geschäftsbetriebes des Versiche­ rers, um eine dauernde Erfüllbarkeit der Verträge zu gewährleisten. Konzessions­ zwang, Rechnungslegungspflichten, Anlagevorschriften, Publizitätspflichten, Überwachung und die Möglichkeit zu Eingriffen in den Geschäftsbetrieb kennzeich­ nen das Gesetz, das bei seinem Erlaß deshalb auch keineswegs einhellige Zustim­ mung gefunden hat250. Die bereits aus dem Aufsichtsrecht einiger deutscher Staaten bekannte „Zivil­ rechtspolizei“ in Form der Kontrolle der AVB wurde übernommen: Die AVB sind als Bestandteile des Geschäftsplans einzureichen (§ 5 III Nr. 2 VAG) und können, wenn sie die „Belange der Versicherten“ nicht ausreichend wahren (§ 8 Nr. 2 VAG)251, eine Versagung der Erlaubnis rechtfertigen252. Jede Änderung der AVB gilt als Änderung des Geschäftsplans und bedarf einer Genehmigung (§131 VAG)253. Der Schutz des Versicherungsnehmers vor „listigen Vertragsklauseln“254 gilt als „recht eigentlich Aufgabe der staatlichen Aufsicht“255. Bei der Aufsicht über Versicherer mit Sitz im Ausland übernimmt das neue Aufsichtsgesetz die aus dem Aufsichtsrecht der deutschen Staaten256 bekannten Regelungen: Ausländische Versicherer unterliegen der Konzes­ sionspflicht (§ 85 I VAG alte Fassung, § 105 I VAG neue Fassung); Unter­ nehmen, die eine Zulassung erlangen wollen, müssen im Geltungsbereich des Versicherungsaufsichtsgesetzes eine Niederlassung errichten (§ 86II Nr. 3 VAG a. F., § 106 II VAG n. F.) und einen Hauptbevollmächtigten mit Wohnsitz und ständigem Aufenthalt im Inland bestellen (§ 86 II Nr. 3 VAG a. F., §106 III VAG n. F.). Für Klagen gegen den Versicherer aus dem inländischen Geschäftsbetrieb ist ein zwingender Gerichtsstand am Ort der Niederlassung bestimmt (§ 89 VAG a. F., § 109 I VAG n. F.). Im übrigen 249 „Normativsystem“; dazu Kraus (oben N. 224) 22; Boss (oben N. 247) 45ff 250 Der Abgeordnete Dr. Müller-Meiningen bezeichnete es bei der Gesetzesberatung im Reichstag als „Zuchthaus-Gesetz“; 10. Sitzung vom 29. 11. 1900, in: Motive zum VAG (oben N. 244) 79. 251 Dazu zuletzt BVerwG 14. 10. 1980, VersR 1981, 221 (223) (es gehe um die Verhinderung mißbräuchlicher AVB-Klauseln, nicht aber um eine optimale Wahrung der Belange des Versi­ cherten). 252 Gesetzesbegründung zum VAG 58, in: Motive zum VAG (oben N. 244) 35. 253 Abweichungen von den AVB im Einzelfall zu Ungunsten des Versicherten sind nur aus besonderen Gründen und nur dann zulässig, wenn der Versicherungsnehmer vor Vertragsab­ schluß darauf hingewiesen und sich schriftlich damit einverstanden erklärt hat (§ 10III VAG). 254 Gesetzesbegründung zum VAG 36, in: Motive zum VAG (oben N. 244) 24; vgl. auch den Diskussionsbeitrag des Abgeordneten Rettich in der Reichstagsdebatte vom 29. 11. 1900, wonach unkonzessionierte Versicherer in der Vergangenheit „mit ihren schlecht eingerichteten Versicherungsbedingungen von ihrem Domizil aus geradezu Raubzüge in das übrige Deutsch­ land unternommen“ hätten (in: Motive zum VAG [oben N. 244] 76). 255 Gesetzesbegründung zum VAG 58, in: Motive zum VAG (oben N. 244) 35; zur Kontrolle der AVB durch das Versicherungsaufsichtsamt bei Konsumentenversicherungen zuletzt Vo­ gel, Staatliche Beeinflussung von Konsumentenversicherungsverträgen (1980). 256 Siehe oben den Text bei N. 156-162.

unterstehen ausländische Versicherer bei der Zulassung wie auch bei der laufenden Aufsicht denselben Bestimmungen wie Unternehmen mit Sitz im Inland (§ 85 II VAG a. F., § 105 II VAG n. F.). Insbesondere sind als Teil des Geschäftsplans auch die AVB vorzulegen, die in ihrem Inhalt und in ihrer Gestaltung den an deutsche Versicherer gestellten Anforderungen entspre­ chen müssen257. Die AVB sind in deutscher Sprache zu formulieren258, dürfen nicht gegen das Gesetz - insbesondere das Versicherungsvertragsgesetz und die guten Sitten verstoßen259 und müssen im übrigen den von der Aufsichtsbehörde entwickelten Genehmigungsgrundsätzen - Übersicht­ lichkeit, Vollständigkeit, Einheitlichkeit (Markttransparenz260) - genügen. Das Aufsichtsgesetz erstreckt - und begrenzt - die Erlaubnispflicht in § 85 I a. F., §105 I n. F. auf ausländische Versicherungsunternehmen, die „im Inland durch Vertreter, Bevollmächtigte, Agenten oder andere Vermittler das (Direkt-) Versiche­ rungsgeschäft betreiben wollen“. Der so erhobene internationale Kontrollanspruch, der streng von den an eine Zulassung und die Errichtung einer Niederlassung im Inland geknüpften rechtlichen Konsequenzen zu unterscheiden ist261, verlangt eine Verknüpfung der geschäftlichen Tätigkeit des ausländischen Versicherers mit dem Inland in zwei Richtungen: 257 Einige Versicherungssparten, in denen von den Versicherungsnehmern genügende Bran­ chenkenntnis erwartet werden kann (vgl. Gesetzesbegründung zum VAG 48 f., in: Motive zum VAG [oben N. 244] 30f), sind von Anfang an von jeder Versicherungsaufsicht - und damit auch von einer Kontrolle der AVB - freigestellt worden: Rück- und Transportversicherung, §116 VAG a. F., § 148 VAG a. F. Die Bedingungsgenehmigung entfällt für die Rückversiche­ rung (§ 1 II VAG) und für die Transportgüter- und einige weitere Versicherungssparten (§ 5 VI VAG). Während das VVG den Kreis der geschützten Personen in relativ starrer Weise abgrenzt, wobei es, um alle Bereiche sozialer Schutzbedürftigkeit abzudecken, in Kauf nimmt, daß dadurch auch geschäftsgewandte Versicherungsnehmer den Schutz der zwingenden Normen genießen, ermöglicht das Versicherungsaufsichtsrecht eine nach der Geschäftsgewandtheit der Versicherungsnehmer (Industrieunternehmen!) differenzierende „Eindringtiefe“ bei der Beur­ teilung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen; Preuss, Grenzüberschreitender Versiche­ rungsverkehr unter Staatsaufsicht (1972) 48 mit weiteren Nachweisen (im folgenden: Preuss); Kraus (oben N. 224) 36f; Prölss/Schmidt/Frey, Versicherungsaufsichtsgesetz8 (1983) Vor­ bem. Rz. 45 (im folgenden: Prölss/Schmidt/Frey). 258 Prölss/Schmidt/Frey § 106b Rz. 8. 259 Goldberg/Müller, Gesetz über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunter­ nehmen - Versicherungsaufsichtsgesetz (1980) §8 Rz. 12ff. (im folgenden: Goldberg/Mül­ ler); Prölss/Schmidt/Frey § 8 Rz. 27ff., 41 ff. 260 Prölss/Schmidt/Frey § 10 Rz. 7 ff; Vogel (oben N. 255) 22 ff. 261 Der internationale Anwendungsanspruch des Versicherungsaufsichtsgesetzes ist, wie der anderer Verwaltungsnormen auch, aus dem Zweck der einzelnen Vorschrift zu entnehmen; vgl. grundlegend zur Bestimmung des internationalen Anwendungsbereichs von Verwaltungsnor­ men Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm (1965) 395 ff. § 105 I VAG bestimmt, welche Art inlandsbezogener Tätigkeit zulassungspflichtig ist, und ist damit von anderen Überlegungen geprägt als die §§ 106, 107 VAG, die beide die Existenz einer inländischen Niederlassung voraussetzen; vgl. Preuss 61, K. Neumeyer, Internationales Ver­ waltungsrecht II (1922) 322. Bei Prölss/Schmidt/Frey § 105 Rz. 3 und Goldberg/Müller § 105 Rz. 6 fehlt es an der notwendigen Unterscheidung; dazu auch unten N. 266.

Ansatzpunkt für die Zulassungspflicht des Versicherers ist weder die Lage des Risikos noch der Wohnort des Versicherungsnehmers262, sondern allein die inlandsbe­ zogene Tätigkeit, der Betrieb des Versicherers. Der Betrieb setzt eine gewisse Planmä­ ßigkeit im Sinne einer Absicht voraus, künftig Risiken in unbestimmter Anzahl zu übernehmen, so daß ein einmaliger oder bloß gelegentlicher Vertragsschluß nicht ausreicht263. „Betrieb“ ist jede Art einer Tätigkeit des Versicherers, die auf den Abschluß von Verträgen gerichtet ist264 oder ihrer Durchführung dient265, insbeson­ dere Werbung per Post, Rundfunk, Fernsehen oder Telefon, ebenso wie die Aktivitä­ ten der im Auftrag von Versicherern tätigen Agenten in Form von Hausbesuchen, Risikobesichtigungen usw. Betrieb „im Inland“ ist jede planmäßige, in das Inland hineinreichende, auf Vertragsabschluß oder Vertragsdurchführung gerichtete Tätig­ keit des Versicherers266. Das Aufsichtsgesetz begrenzt seinen Anwendungsanspruch auf einen „inländi­ schen Betrieb“, der personell durch Bevollmächtigte und Agenten entfaltet wird. Damit bleiben inlandsbezogene Aktivitäten, die über Zeitungsannoncen, im mail­ order-Geschäft oder durch telefonische Werbung entfaltet werden und zu Vertrags­ abschlüssen auf dem Postwege, also ohne Einschaltung eines Vermittlers, fuhren („Korrespondenzversicherung“)267 ebenso außerhalb seines Anwendungsan­ spruchs268 wie Auslandsabschlüsse im Inland wohnender Versicherungsnehmer. 262 Diese Anknüpfungspunkte spielen allein bei der Umgrenzung des aufsichtsrechtlichen Bestandes der inländischen Niederlassung im Sinne von §§ 106, 107 VAG eine Rolle. 263 Goldberg/Müller § 105 Rz. 6; Preuss 12; Koenige/Petersen, Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmen3 (1927) § 85 Rz. 3 (im folgenden: Koenige/Petersen); Prölss/ Schmidt/Frey § 105 Rz. 4, § 144a Rz. 5; vgl. auch zu § 11 VAG: Prölss/Schmidt/Frey § 1 Rz. 17. 264 Prölss/Schmidt/Frey § 140 Rz 2. 265 Goldberg/Müller § 105 Rz. 5; Preuss 13 f. 266 Das VAG verwendet für die Konkretisierung des Inlandsbezuges verschiedene Formulie­ rungen (§§ 6, 105 II: „... für den Geltungsbereich dieses Gesetzes...; § 101 II 3: „im Inland abgeschlossene Versicherungen“; § 106 III 3: Versicherungsverträge „mit Versicherungsneh­ mern im Geltungsbereich dieses Gesetzes“ bzw. „über inländische Grundstücke“; sowie §§ 107, 1091, 1101, 1401, 144a I Nr. 1), ohne daß deutlich wird, ob die unterschiedlichen Formulierun­ gen auf einen verschiedenen Anwendungsbereich der Normen zielen. Ausdrücklich ablehnend K. Neumeyer (oben N. 261) 343f.; Preuss 16. Im Schrifttum hat man den Inlandsbezug bei § 105 I - unter Hinweis auf § 107 und § 106III3 (§ 108 a. F.) - bei allen Versicherungsgeschäften mit Versicherungsnehmern mit inländischem Wohnsitz bzw. über inländische Risiken (Grund­ stücke, Versicherte mit Wohnsitz im Inland) bejaht; Prölss, Zur Tätigkeit ausländischer, im Inland nicht zugelassener Versicherer in Deutschland, in: FS Alex Möller (1968) 219 (220); Goldberg/Müller § 105 Rz. 6; Prölss/Schmidt/Frey § 105 Rz. 3. Damit werden jedoch wohl zu Unrecht - Kriterien, welche die Existenz einer Niederlassung im Inland voraussetzen und dazu dienen sollen, den dieser Niederlassung zuzurechnenden aufsichtsrechtlichen Bestand zu umreißen, auf die davon zu trennende Frage übertragen, ob überhaupt eine die Erlaubnis­ pflicht begründende Tätigkeit vorliegt. Für Zwecke des § 105 I kommt es allein auf den Bezug der unternehmerischen Tätigkeit (Akquisition, Vertragsdurchführung) zum Inland an; vgl. auch oben N. 261. 267 Dazu Prölss/Schmidt/Frey § 105 Rz. 5; Berliner/Fromm, Gesetz über die Beaufsichti­ gung der privaten Versicherungsunternehmungen und Bausparkassen4 (1932) § 105 Bem. 2a) (im folgenden: Berliner/Fromm); Preuss 17 ff, 25 ff. 268 Anderer Ansicht Vassel, Die wenig bekannte Strafbestimmung § 140 Abs. 2 des Versi­

Die deutsche Versicherungsaufsicht steuert mit den §§85 ff. VAG a. F., §§ 105 ff. VAG n. F. das inlandsbezogene Versicherungsgeschäft ausländi­ scher Versicherer über im Inland gelegene Niederlassungen und stellt auf verwaltungsrechtlichem Wege den im Versicherungsvertragsgesetz inten­ dierten Privatrechtsschutz für die inländische Bevölkerung sicher269. Für den Abschluß und die Beurteilung zwischenstaatlich verknüpfter Versiche­ rungsverträge ausländischer Versicherer ergeben sich faktische Auswirkun­ gen, die sich in dem von den Gerichten entschiedenen Fallmaterial wider­ spiegeln. Der Verkauf des Produktes Versicherung ist vor allem im Bereich der Massenversicherungen von jeher durch den Außendienst der Versicherun­ gen geleistet worden. Ausländische Versicherer, die sich den deutschen Markt erschließen wollen, müssen daher die Zulassung zum Inlandsgeschäft erwerben und ihre Verträge über die inländische Niederlassung schließen. Versicherungsverträge mit der inländischen Bevölkerung entsprechen in aller Regel dem Sachverhaltstypus: Versicherer mit Sitz in Y und Niederlas­ sung in Deutschland, Versicherungsnehmer mit Wohnsitz in Deutschland. Versicherungsverträge im Bereich der Massenversicherungen, die auf dem Korrespondenzwege oder bei einem Auslandsaufenthalt des Versicherungs­ nehmers geschlossen werden, sind selten270. cherungsaufsichtsgesetzes (VAG): VersR 1961, 289 (292), der damit die in §105 I VAG vorgenommene Einschränkung auf bestimmte Formen der Geschäftsvermittlung negiert. 269 Der Betrieb des Versicherungsgeschäfts ohne die nach § 105 I erforderliche Erlaubnis ist entsprechend § 1401 strafbar. Adressaten des § 140 I sind Geschäftsinhaber und Geschäftsleiter der ausländischen Unternehmen. Das Verbot ist insoweit „praktisch wirkungslos“: Prölss/ Schmidt/Frey § 105 Rz. 7. § 1401 kann jedoch auch die Grundlage dafür sein, den unerlaubten Versicherungsbetrieb durch unmittelbaren polizeilichen Zwang (auf Ersuchen der Aufsichtsbe­ hörde, der selbst keine Zwangsmittel zustehen; Koenige/Petersen § 108 Rz. 1) zu unterbinden; Prölss/Schmidt/Frey § 140 Rz. 13. Die Vermittlung von Versicherungsverträgen für nicht zugelassene Unternehmen wird als Ordnungswidrigkeit geahndet; § 144a I Nr. 1. Soweit § 144a I reicht, dürfte aufgrund der Gesetzgebungsgeschichte eine Bestrafung des Vermittlers wegen Beihilfe zu einem Vergehen nach § 140 I ausgeschlossen sein; so mit überzeugender Begründung Goldberg/Müller § 140 Rz. 11 gegen Prölss/Schmidt/Frey § 140 Rz. 6. § 144a I Nr. 1 erfaßt neben der geschäftsmäßigen Vermittlung auch den Abschluß eines einzigen Versicherungsvertrages im Inland; Berliner/Fromm § 140 Bem. 3b; Koenige/Petersen § 108 Rz. 4; Goldberg/Müller § 144a Rz. 8; Prölss/Schmidt/Frey § 144 Rz. 1. Preuss 20 zieht daraus - vom Wortlaut des Gesetzes (§ 140II a. F.) angeblich geboten- die Konsequenz, daß die Strafdrohung des § 144a I Nr. 1 über § 105 I hinausreiche. Dem ist entgegenzutreten: Nach § 144a I Nr. 1 muß es sich um einen Vertragsabschluß für ein zum Geschäfts„betrieb“ im Inland nicht befugtes Unternehmen handeln. Insoweit setzt § 144a I Nr. 1 den § 105 I voraus. Handelt es sich auch für die Versicherung um einen Einzelvertrag - ohne Absicht zu weiterer planmäßi­ ger Tätigkeit im Inland -, liegt kein „Betrieb“ im Sinne von § 105 I und damit keine erlaubnis­ pflichtige Tätigkeit des Versicherers vor; vgl. Goldberg/Müller § 105 Rz. 5. 270 Der deutsche Steuergesetzgeber diskriminiert den Abschluß von Versicherungsverträgen mit im Inland nicht zur Geschäftstätigkeit zugelassenen Versicherern dadurch, daß die Prämien nicht als Sonderausgaben abzugsfähig sind; vgl. § 10 II Nr. 3 EStG (dazu BFH 22. 4. 1966,

Die von ausländischen Versicherern bei Vertragsabschluß verwendeten Versicherungsbedingungen sind in Sprache, Gestaltung und Inhalt derart auf das inländische Recht eingestellt, daß von einem konkludenten oder mut­ maßlichen Willen der Vertragspartner, ausländisches Recht zu bestimmen, nicht ausgegangen werden kann. Rechtswahlklauseln in AVB, in denen auf ausländisches Recht verwiesen wird, sind von der Aufsichtsbehörde offen­ sichtlich nicht genehmigt worden. Inländischer Versicherungsnehmerschutz wird gegenüber inländischen wie ausländischen, im Inland konzessionierten Unternehmen durch eine präventiv wirkende Versicherungskontrolle realisiert. Konflikte zwischen Allgemeinen Versicherungsbedingungen und inländischen Schutznormen zugunsten der Versicherungsnehmer, die den Gerichten eine Gelegenheit geben könnten, die kollisionsrechtliche Ausstrahlung des materiellrechtli­ chen Versicherungsnehmerschutzes auszuloten, werden durch die Versiche­ rungsaufsicht von vornherein eliminiert.

2. Die Rechtsprechung

Wer erwartet, daß sich der Abschied vom liberalen Vertragsmodell im Versicherungsvertragsgesetz auch im IPR widerspiegelt, sieht sich, zumin­ dest auf den ersten Blick, enttäuscht. Die Entwicklung verläuft eher gegen­ läufig: Die materiellrechtliche Verweisungsfreiheit der Parteien wird auch und gerade im Bereich der Massenversicherungen anerkannt und zur kolli­ sionsrechtlichen Verweisungsfreiheit fortentwickelt271, trotz der intellektuel­ len und ökonomischen Unterlegenheit des geschäftlich unerfahrenen Versi­ cherungsnehmers und trotz der Einsicht, daß bei der „Unterwerfung“ des Versicherungsnehmers unter die AVB und ihre Rechtswahlklauseln bzw. rechtswahlindizierenden Faktoren von einer wirklichen Zustimmung des Versicherungsnehmers nicht gesprochen werden kann272. Die für das Massengeschäft im 19. Jahrhundert charakteristische Tendenz zur vertriebsbezogenen Schwerpunkt-Anknüpfung wird zunehmend von einer Anknüpfung an den Sitz bzw. an die Niederlassung des Versicherers verdrängt, die ihre kollisionsrechtliche Begründung weitgehend auf die Einflußlosigkeit des Versicherungsnehmers und die Interessen des Versiche­ rers stützt. Die das materielle Versicherungsrecht prägende Entscheidung für den

VersR 1967, 94). § 10II Nr. 3 EStg verstößtjedoch aufgrund seiner diskriminierenden Wirkung gegen Art. 59 EWGV und ist daher, soweit es um Verträge mit Versicherern mit Sitz in der EWG geht, unwirksam. 271 RG27. 1. 1928, RGZ 120, 70. 272 So mit Nachdruck bereits Ehrenberg (oben N. 103) 79.

Schutz des schwächeren Vertragsteils findet damit auf kollisonsrechtlicher Ebene keine Entsprechung. Versucht man eine Erklärung für diesen Befund zu geben, erscheint es unerläßlich, das Fallmaterial daraufhin zu befragen, zu welchen Sachfragen und zu welchen Sachverhaltskonstellationen die Ge­ richte judiziert haben. Ausgeklammert bleiben dabei im folgenden diejeni­ gen Versicherungsvertragstypen, für die der deutsche Gesetzgeber die realen Grundlagen der Vertragsfreiheit weiterhin für gegeben angesehen hat: die Rück-, See- und Gütertransportversicherung.

a) Aufwertungsprobleme

Aufgrund der fortschreitenden Geldentwertung der deutschen Währung in den Jahren nach 1920 gab das Reichsgericht 1923 den Grundsatz „Mark = Mark“ auf, um auf der Grundlage des § 242 BGB eine Verpflichtung des Geldschuldners anzuerken­ nen, die Geldschuld unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalles aufzu­ werten273. Dieser Durchbruch der „freien Aufwertung“ brachte den Gesetzgeber in Zugzwang: Da es um Millionen von Verträgen ging, die von dieser Rechtsprechung betroffen waren, bedurfte es einer gesetzlichen Regelung, um ein Mindestmaß an Rechtssicherheit zu erreichen und in einem geeigneten Verfahren die Aufwertung durchzuführen. Nach einer ersten Regelung in der dritten und vierten Steuer­ Notverordnung zur Aufwertung von Vermögensanlagen274, zu denen auch die Le­ bensversicherung rechnete, wurde ein Jahr nach der Währungsumstellung vom 30. 8. 1924 das Aufwertungsgesetz vom 16. 7. 1925 erlassen275, durch das ein im einzel­ nen abgegrenzter Bereich von Rechtsverhältnissen276 der „freien“ Aufwertung im Zivilverfahren entzogen und besonderen Aufwertungsstellen (Amtsgerichten) zuge­ wiesen wurde277. Dazu rechneten neben der Lebensversicherung die Kranken-, Un­ fall- und Haftpflichtversicherung, wenn für sie vor dem 14. 2. 1924 ein Prämienreser­ vefonds im Sinne von § 56 VAG a. F. (§ 65 VAG n. F.) gebildet werden mußte. Da nicht nur die Leistungsansprüche der Versicherungsnehmer, sondern auch die Ver­ mögensanlagen der Versicherer, soweit sie in inländischen Papieren bestanden, weit­ gehend entwertet waren, bedurfte es besonderer Verfahren: Die Versicherungen hatten ihr entsprechend den §§ 1 ff. Aufwertungsgesetz aufgewertetes Vermögen aus dem Prämienreservefonds als Aufwertungsstock einem Treuhänder zu übergeben,

273 RG 28. 11. 1923, RGZ 107, 78. Bereits vorher hatte das Reichsgericht den Kaufkraftver­ lust der deutschen Währung als Verzugsschaden berücksichtigt: RG 25. 9. 1919, RGZ 96, 262 (264); 8. 4. 1921, RGZ 102, 60; 6. 8. 1923, RGZ 106, 422. 274 Verordnung vom 14. 2. 1924, RGBl I 74 und Verordnung vom 28. 8. 1924, RGBl I 694. 275 Gesetz über die Aufwertung von Hypotheken und anderen Ansprüchen vom 16. 7. 1925, RGBl 1117. 276 Geregelt wurden neben den Versicherungsansprüchen unter anderem Hypotheken und persönliche Forderungen, Grundschulden, Rentenschulden, Reallasten, Industrieobligationen, Pfandbriefe, Forderungen gegen die öffentliche Hand und Sparkassenguthaben. 277 Art. 117 I Durchführungs- Verordnung vom 29. 11. 1925, RGBl I 392 in Verbg. mit §§69 ff. Aufwertungsgesetz.

der einen der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde bedürftigen Teilungsplan aufstellte278. Der Rechtsweg war ausgeschaltet279. Die Verordnung über die Aufwer­ tung von Versicherungsansprüchen vom 22. 5.1926280 traf für die restlichen Versiche­ rungssparten eine differenzierende Regelung: Teilweise wurde ein bestimmter Auf­ wertungsatz festgelegt, teilweise, wie in der Hagel- und Viehversicherung, wurde jede Aufwertung ausgeschlossen. Im ganzen zielte die gesetzliche Regelung der Aufwertung von Versicherungsan­ sprüchen auf eine vertragsdifferenzierende Absicherung der Aufwertungspflichten, wobei der Umfang der Aufwertungsbelastung an den finanziellen Möglichkeiten der inländischen281 Versicherer ausgerichtet und insbesondere verhindert werden sollte, daß die Versicherungswirtschaft unter den Aufwertungslasten zusammenbrechen würde282. Ausländische Lebensversicherer, die der Reichsaufsicht unterstanden und damit einen inländischen Versicherungsbestand mit Vermögensanlagen im Inland gebildet hatten, fielen unter das Aufwertungsgesetz283, während gegenüber den nicht konzes­ sionierten Versicherern der Weg zur „freien“ Aufwertung nach § 242 BGB ebenso offenstand284 wie für alle Versicherungsansprüche in einer ausländischen, ebenfalls entwerteten Währung285. Das Aufwertungsgesetz unterschied nicht zwischen inländischen und ausländi­ schen Gläubigern286. Soweit deutsche Versicherer jedoch für ihr Auslandsgeschäft Sicherheiten im Ausland zu stellen hatten, wurden diese nicht zum Aufwertungs­ stock gerechnet, die ihnen zuzurechnenden Versicherungsverträge am Teilungsplan

278 Einzelheiten wurden in Art. 95 ff. Durchführungs-Verordnung zum Aufwertungsgesetz vom 29. 11. 1925, RGBl 1392, geregelt. 279 Art. 107 Durchführungs-Verordnung (vorige Note). 280 Verordnung vom 22. 5. 1926, RGBl I 249. 281 Vgl. etwa RG20. 9. 1929, WarnRspr. 1930 Nr. 1 IPRspr. 1929 Nr. 116 (gegen HansOLG Hamburg 16. 1. 1929, HansRZ 1929/A/178 =IPRspr. 1929 Nr. = 115), wo bei einem Aufwer­ tungsanspruch gegen einen ausländischen Versicherer eine analoge Anwendung der Grundsätze der §§ 59 ff. AufwertungsG (im Rahmen des § 242 BGB) unter Hinweis auf die völlig andere wirtschaftliche Lage der Versicherer mit Sitz im Ausland (und ohne Niederlassung im Inland) abgelehnt wird; vgl. auch RG 28. 6. 1932, IPRspr. 1932 Nr. 117. 282 KG 20. 2. 1929,IPRspr. 1929 Nr. 45 (S. 66), hält es für einen wesentlichen Grundsatz des gesetzlichen Aufwertungsrechts, die Versicherungsunternehmen lebensfähig zu erhalten; vgl. auch Ernst, Die Bedeutung des Gesetzeszweckes im internationalen Währungs- und Devisen­ recht (1963) 24ff., der von einem „Schutzcharakter“ der §§ 59ff. Aufwertungsgesetz, Art. 95ff. Durchführungs-Verordnung zugunsten der Versicherer spricht. 283 Eine über das Aufwertungsgesetz hinausgehende „freie“ Aufwertung war damit ausge­ schlossen; RG 6. 7. 1934, RGZ 144, 306 (310ff.) mit weiteren Nachweisen aus der Rechtspre­ chung. 284 Dazu zählten etwa Versicherer, die seit dem Erlaß des Versicherungsaufsichtsgesetzes auf ein Neugeschäft verzichtet (z.B. RG 28. 6. 1932, IPRspr. 1932 Nr. 117) oder ihren Versiche­ rungsbestand - ohne privatrechtliche Wirkung für den Versicherungsnehmer - auf einen anderen Versicherer übertragen hatten (z. B. KG 20. 2. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 44). 285 RG27. 1. 1928, RGZ 120, 70. 286 Dies folgt aus § 86 Aufwertungsgesetz, worin die Reichsregierung nur zu diskriminieren­ den Maßnahmen ermächtigt wurde.

und am inländischen Aufwertungsverfahren nicht beteiligt287. Auch hier konnte die „freie“ Aufwertung zum Zuge kommen. Die kollisionsrechtliche Behandlung des Aufwertungsrechts - dazu gehören die Gesetzgebung ebenso wie die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze - war im deutschen Schrifttum wie in der Rechtsprechung der zwanziger und dreißiger Jahre umstritten288. Vertreter der schuldrechtlichen Qualifikation des Aufwertungsrechts stellten darauf ab, daß die Aufwertung einer Forderung als Reaktion auf den Kaufkraftverlust einer Währung im Sinne eines billigen Interessenausgleichs zwischen den Vertragspartnern sich nicht von anderen im Vertragsrecht entwickelten Instrumenten der Korrektur von Leistungsverpflichtungen bei inhaltlicher Unangemessenheit unterscheidet und daher privatrechtlicher Natur sei289. Vertreter der währungsrechtlichen Qualifikation, die das Auf­ wertungsrecht dem Recht der Währung unterstellen wollten, hoben auf den engen Zusammenhang zwischen Währungs- und Aufwertungsrecht ab: Die wirtschaftlichen Ursachen für die Aufwertung lagen nicht im privatrechtli­ chen, sondern im währungsrechtlichen Bereich. Die Reaktionen der Gesetz­ geber auf die Entwertung der Kaufkraft waren zumindest auch währungs­ politisch orientiert290. Die Rechtsprechung291 folgte überwiegend der Schuldrechtstheorie292, zum Teil auch der Währungstheorie293, um in Einzelfällen mit dem ordre public294 zu helfen. Eine Analyse der Entscheidungsergebnisse läßt vermu­ ten, daß die Qualifkation des Aufwertungsrechts auch von den Vorzügen und Nachteilen der einen oder anderen Lösung beeinflußt worden ist. Die währungsrechtliche Qualifikation fuhrt zwar zu derjenigen Rechtsordnung, von der am ehesten Regeln über die Folgen des Kaufkraftschwundes der betreffenden Währung zu erwarten sind, jedoch erfaßt sie auch Vertragsver­ 287 Art. 103 II 4 in Verbg. mit Art. 97 III Durchführungs-Verordnung. 288 Die herrschende Lehre plädiert heute für eine schuldrechtliche Qualifikation des Aufwer­ tungsrechts; vgl. etwa Melchior 295 ff.; Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 411; Kegel 51; F. A. Mann, The Legal Aspect of Money3 (1971) 277; weitere Nachweise bei Ernst (oben N. 282) 15. Für eine alternative Anknüpfung nach dem Schuld- und Währungs­ statut neuerdings G. H. Roth, Aufwertung und Abwertung im IPR, in: BerDGesVR 20 (1979) 87 (113, 124ff); dazu kritisch die Diskussionsbeiträge von Lüderitz, ebd. 152f.; F. A. Mann ebd. 154. 289 Vgl. Frankenstein II 222ff; Melchior, IPR oder Währungsrecht bei der Aufwertung von Markforderungen: JW 1926, 2345 (2346). 290 K. Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht III/2 (1930) 356 ff. („Währungsreflex­ theorie“) mit Nachweisen über die Gegenmeinung. 291 Nachweise bei Melchior 300 N. 1, 301 N. 1; Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I, Rz. 406 ff.; Ernst (oben N. 282) 11 ff. 292 RG 14. 12. 1927, RGZ 119, 259. 293 RG 5. 3. 1928, RGZ 120, 277. 294 HansOLG Hamburg 22. 7. 1927, HansRGZ 1927, 942 = IPRspr. 1926-27 Nr. 58.

hältnisse, die mit der Sozial- und Wirtschaftsordnung des betreffenden Staates ansonsten in keiner Beziehung stehen, ein Ergebnis, das die Schuld­ rechtstheorie vermeidet295. Die schuldrechtliche Qualifikation bietet über­ dies die Möglichkeit, bei deutschem Vertragsstatut über § 242 BGB Fremd­ währungsschulden auch dann aufzuwerten, wenn die lex monetae eine Aufwertung versagt296, hat aber bei Geltung eines ausländischen Vertragssta­ tuts den Nachteil, daß ausländisches Recht (weil die eigene Währung von einer Entwertung nicht betroffen ist) eventuell keine speziellen Regeln über die Aufwertung einer Fremdwährung bereithält297. Wenn eine Tendenz in der Rechtsprechung der zwanziger und dreißiger Jahre auszumachen ist, dann die, daß die in Deutschland lebenden Gläubiger in den Genuß des deutschen Aufwertungsrechts kommen sollten - ein Ergebnis, das sich in vielen Fällen mit einer schuldrechtlichen Qualifikation, zum Teil gekoppelt mit einer „Verschiebung“ des Vertrages in das deutsche Recht298 erreichen ließ. Wo den Gerichten bei der Vertragsanknüpfung die Hände gebunden waren, wurde bei Mark-Schulden zugunsten deutscher Gläubiger299 auf die währungs­ rechtliche Qualifikation aus gewichen300, zum Teil auch auf den ordre pu­ blic301. Die in der Rechtsprechung erkennbare Tendenz, dem deutschen Gläubi­ ger einer inflationsentwerteten Forderung zu einer Aufwertung zu verhel­ fen, charakterisiert auch das internationale Versicherungsvertragsrecht. Sie kann insbesondere zur Erklärung von Entscheidungen dienen, in denen die Ge­ richte, anstatt auf den ordre public auszuweichen oder währungsrechtlich zu qualifizieren, zum deutschen Aufwertungsrecht über eine „flexible“ An­ knüpfung des Versicherungsvertrages gekommen sind. Für das inländische Geschäft ausländischer Versicherer gibt es kaum Entschei­ dungsmaterial, weil Mark-Forderungen gegen im Inland konzessionierte Unternehmen in einem besonderen Verwaltungsverfahren aufgewertet wurden und insoweit die Versicherer die Passivlegitimation verloren hat­

295 RG (14. 12. 1927 (oben N. 292); RG 13. 12. 1929, IPRspr. 1930 Nr. 8; OLG Kiel 10. 5. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 10. 296 RG 27. 1. 1928, RGZ 120, 70. 297 Ernst (oben N. 282) 18. 298 RG 23. 6. 1927, RGZ 118, 370 (Maßgeblichkeit der Zahlstelle für Zahlungsverpflichtun­ gen neben mutmaßlichem Partei willen für Inhalt der Obligation bei internationalen Anleihen); RG21. 2. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 36. 299 Nicht zugunsten ausländischer Gläubiger: OLG Dresden 28. 3. 1927, IPRspr. 1926-27 Nr. 9(S. 15). 300 RG 5. 3. 1928, RGZ 120, 277; HansOLG Hamburg 30. 11. 1928, HansRGZ 1929/B/476, 477; KG 24. 9. 1931, IPRspr. 1931 Nr. 36. 301 RG 25. 6. 1926, RGZ 114, 171 (Anwendung des ordre public im Rahmen des § 3281 Nr. 4 ZPO); OLG München 19. 5. 1927, IPRspr. 1926-27 Nr. 8.

ten302. Nur bei Versicherungsverträgen, die von der Aufwertungsgesetzge­ bung nicht erfaßt waren (Verträge in Deutschland nicht mehr konzessionier­ ter Versicherer; Verträge in ausländischer, entwerteter Währung), ließ sich eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erheben. In diesen Fällen kamen die Gerichte in aller Regel zur Maßgeblichkeit des deutschen Vertragsstatuts, ganz gleich, ob der Versicherer über eine Niederlassung303 oder im Korre­ spondenzwege abgeschlossen hatte304.

Bei der Bewertung dieser Rechtsprechung muß die grundlegende Bedeutung berücksichtigt werden, welche die Gerichte der Aufwertbarkeit von Versicherungs­ ansprüchen zugunsten in Deutschland wohnender Gläubiger beigemessen haben. Eine Entscheidung wie etwa diejenige des OLG München vom 29. 10. 1936305, die auf einen international verknüpften Versicherungsvertrag deutsches Recht an wendet und über eine schuldrechtliche Qualifikation des Aufwertungsrechts zu deutschem Aufwertungsrecht kommt, ist für das internationale Versicherungsvertragsrecht daher wenig aussagekräftig, wenn die Alternative in der Anwendung eines aufwer­ tungsfeindlichen Rechts bestand, das dann mit dem ordre public hätte korrigiert werden müssen306.

302 Vgl. RG 27. 5. 1930, RGZ 129, 134 (143) (wo der Anwendungsbereich des Aufwer­ tungsG unabhängig vom Vertragsstatut bestimmt wird); KG 5. 2. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 110. 303 RG 28. 6. 1932, JW 1933, 768 = IPRspr. 1932 Nr. 117 = WarnRspr. 1932 Nr. 157 (Anspruch gegen ausländischen Versicherer, der seinen Versicherungsbestand - ohne Privat­ rechtswirkung - auf einen anderen Versicherer übertragen hatte); OLGJena 8. 2. 1928, IPRspr. 1928 Nr. 80; vgl. auch HansOLG Hamburg 16. 1. 1929, HansRGZ 1929/A/153 = IPRspr. 1929 Nr. 115; RG20. 9. 1929, HansRGZ 1929/B/795 = IPRspr. 1929 Nr. 116 = WarnRspr. 1930 Nr. 1 (Gebietswechsel ohne Einfluß auf Versicherungsvertrag; Schwerpunkt [und Parteiwille] fuhren zum Recht der Niederlassung und des Wohnorts des Versicherungsnehmers bei Ab­ schluß des Vertrages); 21. 2. 1930, RGZ 127, 360 (361) = IPRspr. 1930 Nr. 109; 27. 5. 1930, RGZ 129, 134 (implizit); 10. 3. 1931, RGZ 131, 359 = IPRspr. 1931 Nr. 115; KG 12. 3. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 113; 21. 5. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 114. 304 HansOLG Hamburg 12. 2. 1929, HansRGZ 1929/A/153 = IPRspr. 1929 Nr. 117;RG15. 12. 1929, HansRGZ 1930/A/218 = IPRspr. 1930 Nr. 108. 305 OLG München 29. 10. 1936, HansRGZ 1937/A/l 11 (Lebensversicherung auf österreichi­ sche Kronen, gemeinsamer Erfüllungsort an der inländischen Niederlassung des ausländischen Versicherers. Vgl. auch HansOLG Hamburg 16. 1. 1929 (oben N. 303); Revisionsurteil: RG 20. 9. 1929 (oben N. 303) (Lebens Versicherungs vertrag in deutscher Währung zwischen dänischem Versi­ cherer und deutschem Versicherungsnehmer, über einen im Inland domizilierten Bevollmäch­ tigten; nach Abschluß des Vertrages kam das Gebiet, in dem der Versicherungsnehmer lebte, an Dänemark, das keine Aufwertung von Fremdwährungsschulden kannte). Das HansOLG Hamburg entnahm aus dem inländischen Schwerpunkt des Vertrages bei Vertragsabschluß einen entsprechenden Rechtswahlwillen der Parteien. 306 Siehe etwa HansOLG Hamburg 22. 7. 1927, HansRZ 1927, 942 = IPRspr. 1926-27 Nr. 58 (Lebensversicherungsvertrag, in Hamburg geschlossen, vor 1900, zwischen englischem Versi­ cherer und Versicherungsnehmer aus Hongkong auf Durchreise, vermittelt von einem deut­ schen Agenten, in deutscher Währung; Versicherungsnehmer lebte nach 1918 in Deutschland).

Eine größere Aussagekraft wird man dagegen solchen Entscheidungen zusprechen können, in denen dem Versicherungsnehmer bei Versicherungs­ ansprüchen in deutscher Währung mit der Anwendung deutschen Rechts eine Berufung auf ausländisches, vermeintlich günstigeres Aufwertungs­ recht versagt worden ist. Das gilt etwa für das Urteil des OLG München vom 15. 4. 1929307, 308 in dem aus den Vertragsumständen (Abschluß des Vertrages mit einem schweizerischen Versicherer über den inländischen Hauptbevollmächtigten, Versicherungsnehmer im Inland wohnhaft, Versicherungssumme in München zu bezahlen) die Anwendung deut­ schen Vertrags- und Aufwertungsrechts gefolgert wurde. Dasselbe gilt für die Urtei­ le des Hanseatischen OLG Hamburg vom 12. 2. 1929 und des Reichsgerichts vom 15. 12. 1929308, in denen es um einen im Jahre 1901 im Korrespondenzwege geschlos­ senen Lebensversicherungsvertrag zwischen einem schweizerischen Versicherer und einem in Deutschland wohnhaften Versicherungsnehmer ging. Das Hans. OLG Hamburg sah auch bei einer solchen Fallgestaltung den Schwerpunkt des Vertrages in Deutschland, wenn der Antrag des Versicherungsnehmers in Deutschland ausge­ stellt und die Versicherungsprämie in deutscher Währung zu bezahlen war und der Versicherer sich im Prospekt dem (jeweiligen) deutschen (Landes-)Recht unterwor­ fen hatte309, während das Reichsgericht sogar von einer Vereinbarung deutschen Rechts ausgehen wollte310. Auslandsbezogene Versicherungsverträge deutscher Versicherer, die in auslän­ discher Währung oder in Staaten abgeschlossen worden waren, die Sicher­ heiten für die Erfüllung der Versicherungsansprüche verlangten, unterfielen nicht dem Aufwertungsgesetz und waren damit einer „freien“ Aufwertung im Zivilverfahren zugänglich. Mit der Anknüpfung des Versicherungsver­ trages war in solchen Fallgestaltungen zugleich die Frage aufgeworfen, ob der Versicherungsnehmer auf ausländisches Aufwertungsrecht - und gege­ benenfalls spezielle Verfahren - zu verweisen war oder ob über § 242 BGB eine „freie“ Aufwertung durchgeführt werden sollte. Daß die Bestimmung des Vertragsstatuts von der Aufwertungsproblema­ tik mit beeinflußt worden ist, läßt sich durch eine Gegenüberstellung von Entscheidungen zu Verträgen in Schweizer Franken und Österreichischen Kronen zeigen.

Der Schweizer Franken hatte in den Jahren nach 1920 kaum an Kaufkraft verloren. Einer Aufwertung bedurfte es nicht. Um die Erfüllung der Verträge deutscher Versicherer mit Niederlassung in der Schweiz, deren Vermögensanlagen in Mark­ 307 OLG München 15. 4. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 118; Revisionsurteil: RG 21. 2. 1930, RGZ 127, 360 = IPRspr. 1930 Nr. 109. 308 HansOLG Hamburg 12. 2. 1929 (oben N. 304); RG 15. 12. 1929 (oben N. 304). 309 HansOLG Hamburg 12. 2. 1929 (oben N. 304) 153. 310 RG 15. 12. 1929 (oben N. 304) 219 (dies auch dann, wenn der Versicherungsnehmer von dem Prospekt keine Kenntnis hatte!).

Werten entwertet waren, zu sichern, griff die Schweiz zu privatrechtsgestaltender Gesetzgebung, um an die Stelle des Anspruchs gegen die deutsche Gesellschaft einen Anspruch auf und gegen das Deckungskapital, das von einem schweizerischen Versicherer übernommen werden sollte, treten zu lassen311. Versicherungsverträge, die deutsche Versicherer über ihre Niederlassungen in der Schweiz abgeschlossen hatten, wurden von deutschen Gerichten dem schweizerischen Recht unterstellt312, wobei auch der schweizerischen privatrechtsgestaltenden Eingriffsgesetzgebung zu uneingeschränkter Anwendung verhülfen wurde313. Die österreichische Währung war von einer starken Entwertung getroffen wor­ den, ohne daß dies im Wege der Rechtsprechung oder Gesetzgebung durch eine Aufwertung der Geldforderungen korrigiert worden wäre. Vor diesem Hintergrund ist die viel diskutierte und gescholtene314 Entscheidung des Reichsgerichts vom 27.1. 1928 zu sehen315: Ein deutscher Lebens versicheret hatte 1909 über seine Generalver­ tretung in Wien einen Vertrag mit einem in Österreich lebenden deutschen Staatsan­ gehörigen in österreichischer Währung, die Prämien zahlbar in Wien oder Stuttgart, Gerichtsstand Wien, abgeschlossen. Der Versicherungsnehmer, der zwischenzeitlich seinen Wohnsitz wohl nach Deutschland verlegt hatte, verlangte Aufwertung nach deutschem Recht. Das Reichsgericht bestätigte die Entscheidung des Instanzge­ richts, wonach bei Verträgen zwischen deutschen Staatsangehörigen der Parteiwille auf Anwendung des deutschen Rechts gehe, obwohl die Allgemeinen Versiche­ rungsbedingungen Bestimmungen enthielten, deren Aufnahme von der österreichi­ schen Aufsichtsbehörde als Voraussetzung für die Zulassung zum Geschäftsbetrieb in Österreich verlangt worden waren. Man wird in der Annahme nicht fehlgehen, daß die Berufung auf den (mutmaßlichen) Parteiwillen hier weder aus „Sentimentali­ tät“316 geschehen ist noch auf einer zwingenden Indizwirkung der gemeinsamen Staatsangehörigkeit beruht317, sondern vielmehr allein dazu dienen sollte, den Versi­ cherungsanspruch in fremder Währung dem aufwertungsfeindlichen österreichi­ schen Recht zu entziehen, um ihn - aufgrund seiner Binnenbeziehungen318 - dem deutschen Aufwertungsrecht (§ 242 BGB) zu unterstellen.

In einer Reihe weiterer Entscheidungen führte die Berufung auf einen durch Auslegung der AVB ermittelten Parteiwillen dazu, den Versiche­

311 Gesetz vom 8. 4. 1924; vgl. dazu OLG Karlsruhe 12. 4. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 45. 312 OLG Karlsruhe 12. 4. 1930 (vorige Note); OLG Köln 30. 3. 1927, HansRZ 1927, 453 = IPRspr. 1926-27 Nr. 57. 313 Anders etwa RG 27. 1. 1928 (oben N. 296), wo eine Bestandsübertragung negiert wurde. 314 Nussbaum, Deutsches IPR 230 N. 5, bezeichnet das Urteil als „unhaltbar“. 315 RG 27. 1. 1928 (oben N. 296); ebenso hatte als Instanzgericht das OLG Stuttgart entschie­ den; ebenso KG 20. 12. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 45; 17. 12. 1930, IPRspr. 1931 Nr. 114; OLG Stettin 22. 2. 1932, IPRspr. 1932 Nr. 35; RG 11. 4. 1933, IPRspr. 1933 Nr. 21 (deutsche Währung); OLG Dresden 21. 12. 1934, IPRspr. 1935-44 Nr. 112. 316 Prölss, RabelsZ 16 (1951) 203 (206), spricht von dem „ein wenig sentimentale(n)“ Moment gleicher Nationalität. 317 So aber Rothe 34 f. 318 Deutsche Staatsangehörigkeit des Versicherungsnehmers, Wohnort (wohl) in Deutsch­ land.

rungsvertrag dem ausländischen, aufwertungsfeindlichen Recht zu entzie­ hen und dem aufwertungsfreundlichen Recht zu unterstellen319. Für diese Fälle ist charakteristisch, daß die deutschen Versicherer sich jeweils auf das ihnen günstigere ausländische Recht beriefen, während die Gerichte dazu neigten, aus individualvertraglich vereinbarten Klauseln320 oder aber den einseitig von den Versicherern formulierten AVB ein für den Versicherungs­ nehmer günstigeres Ergebnis abzuleiten. Dem im Schrifttum von Bruck herausgearbeiteten internationalprivatrechtlichen Interesse der Versicherer, ihr internationales Versicherungsgeschäft möglichst nur nach einer einzigen Rechtsordnung zu organisieren321, wurde von den Gerichten durch Annah­ me eines entsprechenden Parteiwillens in Fällen entsprochen, in denen dies zum Vorteil der Versicherungsnehmer ausschlug322. Anders als die Judikatur zum Versicherungsgeschäft in der Schweiz, in denen den Anforderungen der Versicherungsaufsicht maßgebende Bedeutung für einen mutmaßlichen Willen der Parteien, sich dem schweizerischen Recht zu unterwerfen, beige­ messen wurde, ging das Reichsgericht in seinem Urteil vom 11.4. 1933 geradezu von einem Willen des Versicherers aus, sich nicht mehr als notwen­ dig den Anforderungen des ausländischen (Aufsichts-)Rechts zu unter­ werfen323. Die in der Judikatur erkennbare Tendenz, die Vertragsanknüpfung am zu entscheidenden Sachproblem - der Aufwertungsfrage - zu orientieren, fin­ det seine Bestätigung in Fällen, in denen deutsche Staatsangehörige, die 319 OLG Stettin 22. 2. 1932, IPRspr. 1932 Nr. 35 (AVB enthielten Gerichtsstandsklausel Stettin sowie Hinweis auf subsidiäre Anwendung des deutschen Rechts); KG 17. 12. 1930, IPRspr. 1931 Nr. 114 (Lebensversicherungsvertrag, geschlossen um 1900, zwischen einem in Wien lebenden Deutschen und der Wiener Generalrepräsentanz einer deutschen Versicherung in österreichischer Währung; Gerichtsstand (auch) in Berlin; Vereinbarung der Geltung deutschen Rechts in AVB); KG 20. 2. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 45 (Lebens Versicherungs vertrag eines in Ungarn wohnenden Versicherungsnehmers in (ungarischen) Kronen, vermittelt durch die ungarische Niederlassung eines deutschen Versicherers; handschriftliche Vereinbarung des Erfüllungsortes Berlin; Versicherungsnehmer wollte der Anwendung der ungarischen Stem­ pelgebühr entkommen); RG 11. 4. 1933, IPRspr. 1933 Nr. 21 (Lebensversicherungsvertrag zwischen deutschem Versicherer mit Niederlassung in Österreich und österreichischem Versi­ cherungsnehmer mit Wohnsitz in Österreich, in deutscher Währung; das RG gebraucht das bemerkenswerte Argument, es sei nicht „anzunehmen“, daß der Versicherer „als eine der angesehensten deutschen Versicherungsgesellschaften“ sich habe österreichischem Recht unter­ werfen wollen, 42; Vereinbarung deutscher Währung als Indiz für Parteiwillen, 43); RG 9. 5. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 100 = WarnRspr. 1930 Nr. 130 (deutscher Versicherungsnehmer, wohnhaft in Ägypten, Vertragsschluß über Geschäftsstelle eines deutschen Versicherers in Kairo). 320 Etwa der offensichtlich individualvertraglichen Vereinbarung eines Erfüllungsortes in KG 20. 2. 1929 (vorige Note). 321 Bruck 9 ff. 322 Bruck 15 ff. kommt für Verträge, die von Niederlassungen (unter Staatsaufsicht) ge­ schlossen werden, zur Maßgeblichkeit des Rechts am Ort der Niederlassung. 323 RG 11. 4. 1933 (oben N. 319) 42.

offenbar in den Jahren nach 1918 nach Deutschland zurückgekehrt waren, die Aufwertung von Ansprüchen aus Verträgen verlangten, die sie im Aus­ land - in Guatemala324, Spanien325, Bulgarien326, Rußland327, Shanghai328 geschlossen hatten. Das Auslandsgeschäft ausländischer Versicherer wurde - mangels individuel­ ler Abreden der Parteien oder eindeutiger Rechtswahlbestimmungen in den AVB - grundsätzlich dem Recht am Ort der Niederlassung unterstellt, wenn die Versicherungsnehmer ausländische Staatsangehörige waren329. Diese Anknüpfung wurde bei Verträgen mit deutschen Staatsangehörigen bestätigt, wenn das Recht der Niederlassung - wie etwa das der Schweiz eine Aufwertung der Versicherungsansprüche kannte330. Sah das Recht am Sitz der Niederlassung keine Aufwertung vor, versuchten die Gerichte auf verschiedenen Wegen, zugunsten der nach Deutschland zurückgekehrten deutschen Staatsangehörigen eine Aufwertung auch gegenüber Versicherern mit Sitz im Ausland zu erreichen.

Zwei Entscheidungen des Landgerichts Berlin können diese aufwertungsfreundli­ che Strategie der Gerichte verdeutlichen. Ein deutscher, bei Abschluß des Vertrages in Guatemala lebender Versicherungs­ nehmer hatte 1899 mit einem amerikanischen Versicherer einen Lebensversiche­ rungsvertrag in deutscher Währung abgeschlossen, Erfüllungsort New York, Versi­ cherungssumme zahlbar in New York. Die in Deutschland lebenden Erben verlang­ ten die Aufwertung. Das Landgericht hielt aufgrund des vereinbarten Erfüllungsor­ tes auf den Vertrag das Recht von New York für anwendbar (das keine speziellen Regeln für die Aufwertung von Mark-Forderungen kannte), um dann jedoch den Anspruch auf Aufwertung währungsrechtlich zu qualifizieren331. In einer zweiten Entscheidung ging es um einen vor 1914 in deutscher Währung von einem in Peking wohnenden Deutschen abgeschlossenen Lebensversicherungs­ 324 LG I Berlin 28. 3. 1929, IPRspr. 1932 Nr. 118. 325 KG 15. 4. 1931, IPRspr. 1931 Nr. 116. 326 KG 12. 3. 1930, JW 1930, 1876. 327 KG 5. 3. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 44. 328 LG I Berlin 14. 10. 1930, IPRspr. 1931 Nr. 40. 329 OLG Stettin 22. 2. 1932, IPRspr. 1932 Nr. 35; KG 19. 6. 1926, HansRZ 1926, 735. 330 OLG Karlsruhe 10. 4. 1930, IPRspr. 1930Nr. 45; BayObLG24. 6. 1931, JW 1931, 3222 = IPRspr. 1931 Nr. 5 (Renten-Lebensversicherungsvertrag eines Deutschen, der zur Zeit des Vertragsabschlusses in der Schweiz wohnte, mit einem schweizerischen Versicherer, in schwei­ zerischer Währung; nach Rückkehr des Versicherungsnehmers nach Deutschland wurde der Vertrag auf deutsche Währung umgestellt, Erfüllungsort für die beiderseitigen Leistungen in Deutschland vereinbart. Der Versicherungsnehmer berief sich auf schweizerisches Recht, das eine Aufwertung von Forderungen in deutscher Währung kannte [dazu BG 17. 2. 1927, JW 1927, 2349], der Versicherer auf die Anwendbarkeit der deutschen Aufsichtsgesetzgebung [und damit: fehlende Passivlegitimation]. Das Bayerische Oberste Landesgericht qualifizierte [zu­ gunsten des Versicherungsnehmers] den Aufwertungsanspruch schuldrechtlich und wendete schweizerisches Recht an). 331 LG I Berlin 28. 3. 1929 (oben N. 324) 227.

vertrag mit einem amerikanischen Versicherer mit Niederlassung in Shanghai; der Erfüllungsort für den Todesfall war Shanghai, für den Fall des Erlebens war er umstritten. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland leistete der Versicherungsneh­ mer die Prämienzahlungen an die deutsche Niederlassung des Versicherers in Berlin. Das Landgericht qualifizierte die Aufwertung schuldrechtlich332. Der Vertrag wurde aber nicht amerikanischem, sondern deutschem Recht unterstellt mit der Begrün­ dung, Streitfälle zwischen deutschen Staatsangehörigen in China seien in der Zeit vor 1918 vom deutschen Konsulargericht unter Anwendung deutschen Rechts entschie­ den worden. Eine Unterwerfung unter fremdes Recht sei vom deutschen Versiche­ rungsnehmer nicht gewollt; da ein gegenteiliger Wille des Versicherers nicht „er­ kennbar“ gewesen sei, fand deutsches Recht Anwendung. Zum selben Ergebnis kamen andere Urteile, in dem sie die Anwendung deutschen Rechts entweder auf Umstände nach dem Vertragsschluß - Ver­ gleichsverhandlungen vor einem deutschen Gericht333 - oder auf einen mut­ maßlichen Willen der Parteien - durch eine Auslegung der AVB334-stützten. Als Ergebnis läßt sich festhalten: Blendet man die Aufwertungsproblema­ tik als zu entscheidende Rechtsfrage aus der Analyse der Rechtsprechung zu internationalen Versicherungsverträgen aus, besteht nur allzu leicht die Ge­ fahr, die den Entscheidungen zugrundeliegenden Überlegungen der Gerich­ te zu verfehlen335. Der (mutmaßliche) Parteiwille erweist sich bei näherem Zusehen als ein flexibles Anknüpfungsmoment, mit dem sich durchaus gegenläufige Gesichtspunkte verbinden und eine stark sachrechtlich, an den Zwecken des Aufwertungsrechts orientierte Ausrichtung der Entscheidun­ gen verschleiern ließ: Der „mutmaßliche Parteiwille“ ist ein im subjektiv­ individuellen wurzelnder Vorläufer des „Betriebsstatuts“ und zugleich ein Instrument, um den Zwängen einer objektiven Anknüpfung an den Ort der Niederlassung des Versicherers zu entkommen, wenn die zu entscheidende Aufwertungsfrage eine andere Anknüpfung wünschenswert erscheinen ließ336. Die Bestätigung des Parteiwillens im internationalen Versicherungsver­ tragsrecht steht unter einem doppelten Vorbehalt: Der (mutmaßliche) Par­ teiwille führte in jedem Fall zur Anwendung deutschen Rechts, nicht aber zu seiner Abbedingung. Der (mutmaßliche) Parteiwille als Anknüpfungsmo­ 332 LG I Berlin 14. 10. 1930 (oben N. 328) 92. 333 KG 5. 3. 1930 (oben N. 327). 334 KG 12. 3. 1930 (oben N. 326). Im Ergebnis ebenso, jedoch ohne Begründung: KG 15. 4. 1931 (oben N. 325). 335 Wenig aussagekräftig daher die Zusammenstellung der Entscheidungen bei Prölss/Mar­ tin Vorbem. V. 336 Die Berufung auf den (mutmaßlichen) Parteiwillen mag auch auf die Erwartungen Rücksicht nehmen wollen, die Versicherungsnehmer bei Abschluß eines Vertrages mit einem deutschen Versicherer in einer Zeit gehabt haben, als die Aufsicht über Versicherungen in den europäischen Staaten erst nach und nach eingeführt wurde.

ment wurde in Fällen bestätigt, in denen die Anwendung des gewählten Rechts für den Versicherungsnehmer günstig gewesen ist. Für die künftige Entwicklung von Bedeutung sind vor allem jene Ent­ scheidungen, in denen alle zur Auswahl stehenden Rechtsordnungen eine Aufwertung des Versicherungsanspruchs kannten, also kein eigentlicher Regelungskonflikt bei der zu entscheidenden Sachfrage bestand. Die hier einsetzende Neuorientierung in der kollisionsrechtlichen Interessenwertung durch Betonung des Massencharakters des Versicherungsvertrages337 und der Anforderungen der - ausländischen - Staatsaufsicht338 fuhrt unmittelbar zum „Betriebsstatut“ des Versicherers.

b) Die Spaltung Deutschlands

Die Spaltung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg schuf neuartige, interzonale Rechtsprobleme, welche die Gerichte unter Berufung auf ein „deutsches internationales Versicherungsrecht“339 zu 340bewältigen versuchten. Die Entwicklung in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ)340 war gekennzeichnet durch die Verstaatlichung des Versicherungswesens. Die Versiche­ rungsbestände der dort domizilierten Unternehmen wurden auf regional organisier­ te Versicherungsanstalten mit Monopolcharakter übertragen. Für alle Versiche­ rungsverträge galt ein Leistungsverbot, wonach Entschädigungen für Versiche­ rungsfälle aus der Zeit vor dem 8. 5. 1945 nicht geltend gemacht werden konnten341. Versicherer mit Sitz in den westlichen Besatzungszonen mußten jede Tätigkeit in der Sowjetischen Besatzungszone einstellen, ihre Geschäftsstellen wurden geschlossen, ihr Vermögen enteignet. In der britischen Besatzungszone wurde wegen der unüber­ sichtlichen Lage in der Lebensversicherung zum Schutze der Versicherer am 9. 10. 1945 die Unklagbarkeit der Ansprüche angeordnet342. In Berlin verfügten die Besat­ zungsmächte ein generelles Zahlungsverbot, während in der französischen und amerikanischen Zone die Versicherer weiter aus ihren Verträgen in Anspruch ge­ nommen werden konnten. Versicherungsnehmer aus den Westzonen machten Ansprüche gegen in der SBZ bzw. Berlin domizilierte Versicherer vor Gerichten am Ort der Zweigniederlassung

337 BayObLG 24. 6. 1931 (oben N. 330) 3222, unter Hinweis auf Bruck 10, Frankenstein 173. 338 OLG Karlsruhe 12. 4. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 45. 339 LG Köln 29. 6 1949, IzRspr. 1945-53 Nr. 162 (S. 294). 340 Dazu Roesch, Zur Verstaatlichung des Versicherungswesens in der Ostzone: NJW 1947/ 48, 290; Prölss, Interzonale Probleme des Versicherungsvertragsrechts: AcP 150 (1949) 28; Roesch, Interzonale Probleme des Versicherungsvertragsrechts: AcP 150 (1949) 48; Prölss, Zum interzonalen Versicherungsvertragsrecht: AcP 150 (1949) 260. 341 Roesch (vorige Note) 291. 342 Finke, Aufhebung des Klageschutzes für Lebensversicherungs-Gesellschaften in der briti­ schen Zone: NJW 1947/48, 292.

in einer Westzone geltend. Versicherungsnehmer aus der SBZ klagten, im Osten wie im Westen, aus ihren Verträgen gegen die in den Westzonen domizilierten Unterneh­ men. Westversicherer sahen sich Ansprüchen von West- und Ostversicherten gegen­ über, obwohl sie ihr im Osten belegenes Vermögen vollständig verloren hatten.

Interzonales Versicherungsvertragsrecht ist von dieser besonderen Problemla­ ge geprägt. Da in allen Besatzungszonen das deutsche Vertragsrecht unver­ ändert galt, hatten die Gerichte nicht über zonale Regelungsdivergenzen auf dem Gebiet des Vertragsrechts, sondern über die privatrechtlichen Auswir­ kungen der öffentlich-rechtlichen Eingriffe in das Versicherungswesen zu entscheiden. Wenn und soweit die Gerichte versucht haben, ihre Entschei­ dungen durch Rückgriff auf die tradierten Anknüpfungen, vor allem den Erfüllungsort343 und das Betriebsstatut des Versicherers344, abzusichern345, ist doch zu erwarten, daß die gewählte Anknüpfung maßgeblich von den zur Entscheidung stehenden Sachfragen - etwa der Anwendbarkeit eines in der anderen Zone erlassenen Zahlungsverbotes - beeinflußt worden ist. Das OLG Düsseldorf346 berief sich bei einem Lebensversicherungsvertrag zwi­ schen einem in Berlin domizilierten Versicherer und einem in der britischen Zone ansässigen Versicherungsnehmer auf die Maßgeblichkeit des Berliner Rechts als „Betriebsstatut“347, um das in Berlin geltende Zahlungsverbot in seinem Anwen­ dungsbereich auf Berlin zu beschränken und dem in der Westzone lebenden Versiche­ rungsnehmer mit der Klage am Sitz der Zweigniederlassung den Zugriff auf das Westzonen-Vermögen zu eröffnen. Anders das Landgericht Köln348: Es wandte bei einer Klage eines in den Westzonen lebenden Versicherungsnehmers das Zahlungs­ verbot am Sitz des Versicherers unter Berufung auf die Maßgeblichkeit des Erfül­ lungsortes und des Rechts am Sitz des Versicherers an, ohne eine Anknüpfung an das Recht am Ort der Zweigniederlassung zu erwägen. Der Grund: „praktisches Bedürf­ nis“ und „Billigkeit“ forderten Berücksichtigung der Tatsache, daß das aus den Prämien gebildete Deckungskapital durch Beschlagnahme der sowjetischen Militär­ regierung festgelegt war349. Mit der Anknüpfung an den Sitz zielte das LG Köln auf eine Aufteilung des Versicherungsgeschäfts aus der Zeit vor dem 8. 5. 1945 in zonale

343 OLG Köln 11. 9. 1947, IzRspr. 1945-53 Nr. 155; LG Köln 19. 4. 1948, IzRspr. 1945-53 Nr. 157. 344 LG Köln 29. 6. 1949, IzRspr. 1945-53 Nr. 162; OLG Düsseldorf 19. 7. 1949, IzRspr. 1945-53 Nr. 163; für eine Anknüpfung an den Sitz des Versicherers: LG Köln 19. 4. 1948, (vorige Note); LG Hamburg 6. 1. 1949, IzRspr. 1945-53 Nr. 159; OLG Celle 11.4. 1949, IzRspr. 1945-53 Nr. 161. 345 Da die Parteien bei Vertragsschluß eine Rechtsspaltung nicht vorausgesehen hatten, mußte eine Anknüpfung an den Parteiwillen ausscheiden; vgl. OLG Celle 11.4. 1949 (vorige Note); LG Köln 29. 6. 1949 (vorige Note). 346 OLG Düsseldorf 19. 7. 1949, IzRspr. 1945-53 Nr. 163. 347 OLG Düsseldorf 19. 7. 1949 (vorige Note) 296. 348 LG Köln 19. 4. 1948, IzRspr. 1945-53 Nr. 157 (S. 286). 349 LG Köln 19. 4. 1948 (vorige Note) 285.

Bestände350, um die Haftung des in den Westzonen belegenen Vermögens für Ver­ träge sicherzustellen, die über Zweigniederlassungen in den Westzonen abgeschlos­ sen worden waren. Dies war bei dem streitgegenständlichen Vertrag nicht der Fall gewesen. Da die regionalen Versicherungsanstalten der Sowjetischen Besatzungszone An­ sprüche aus Versicherungsverträgen vor dem 8. 5. 1945 nicht übernommen hatten, versuchten Versicherte aus der SBZ ihre Ansprüche gegen die im Westen domizi­ lierten Versicherer durchzusetzen. Das (ostzonale) LG Meiningen351 bezeichnete es als „streitig“, ob für einen Versicherungsvertrag das Recht am Sitz des Versicherers (im Westen) oder das Recht des Erfüllungsortes der Obligation (in der SBZ) anzu­ wenden sei, und stellte stattdessen auf die Lage des versicherten Objekts (Feuerver­ sicherung), den Wohnort des Versicherungsnehmers und den Erfüllungsort am Sitz der Agentur ab, um auf diesem Wege die öffentlich-rechtliche Gesetzgebung der Ostzone (Zwangsübertragung des Versicherungsbestandes, der sich auf das Land Thüringen erstreckte; damit verbunden: Wechsel in der Person des Versicherers) anzuwenden352. Internationalprivatrechtliche Überlegungen wurden vorgeschaltet, um den Anwendungsanspruch des öffentlichen Rechtes am Sitz des Gerichts durch­ zusetzen. Zu einem anderen Ergebnis kam das OLG Gera für einen Lebensversicherungs­ vertrag353. Da die Lebensversicherungen von der Verstaatlichung durch Überfüh­ rung der Versicherungsbestände auf die regionalen Anstalten ausgenommen waren, ging es nicht um eine Durchsetzung ostzonaler Eingriffsnormen. Das Gericht hielt das Privatrecht - und das privatrechtsgestaltende öffentliche Recht - am Sitz des Versicherers der Westzone für anwendbar354. Die Ausrichtung der Vertragsanknüpfung am Anwendungsanspruch der Ein­ griffsgesetzgebung zeigt auch eine Gegenüberstellung zweier weiterer Urteile. Das OLG Celle355 entschied über den Anspruch (aus einem Feuerversicherungsvertrag) eines Versicherten in Berlin gegen einen Versicherer, der bei Vertragsschluß seinen Sitz im Gebiet der späteren SBZ gehabt, 1946 aber, nach Beschlagnahme seines Vermögens, seinen Sitz in die britische Zone verlegt hatte. Das Versicherungsunter­ nehmen berief sich auf die Eingriffsgesetzgebung an seinem vormaligen Sitz. Das OLG Celle nahm die Anknüpfung des Versicherungsvertrages an den Sitz des Unternehmens (begründet mit der „Rücksicht auf den besonderen Charakter der Versicherungsverträge als typische Massenverträge mit möglichst geringem indivi­ duellen Einschlag“356) zum Ausgangspunkt, um ostzonales privatrechtsgestaltendes Eingriffsrecht zwar zu prüfen, aber in seinen Wirkungen auf Sachverhalte innerhalb des Territoriums zu begrenzen und in einem zweiten Schritt - unabhängig vom kollisionsrechtlichen Ausgangspunkt durch Auslegung westzonaler Gesetzgebung 35° Vgl auch ag Berlin-Charlottenburg 11.7. 1947, IzRspr. 1945-53 Nr. 154a); LG Berlin 15. 3. 1948, IzRspr. 1945-53 Nr. 154b). 351 LG Meiningen 9. 1. 1948, IzRspr. 1945-53 Nr. 156. 352 LG Meiningen 9. 1. 1948 (vorige Note) 283 f. 353 OLG Gera 22. 6. 1948, IzRspr. 1945-53 Nr. 158. 354 OLG Gera 22. 6. 1948 (vorige Note) 288. 355 OLG Celle 11.4. 1949, IzRspr. 1945-53 Nr. 161. 356 OLG Celle 11. 4. 1949 (vorige Note) 291.

- eine Haftungsbeschränkung des „Westvermögens" für „Westverbindlichkeiten“ zu postulieren357. Das LG Köln358 wählte dagegen - ebenfalls bei einem Fall der Sitzverlegung des Versicherers in den Westen - den Umweg über das Vertragsstatut, um privat­ rechtsgestaltende Eingriffsnormen der lex fori anzuwenden: Das Gericht hielt zwar grundsätzlich das Recht am Hauptsitz des Unternehmens für maßgebend, stellte aber, um Eingriffsnormen der lex fori anwenden zu können, auf den Sitz des Versicherers im Zeitpunkt der Geltendmachung des Versicherungsanspruchs ab. Die Judikatur zum interzonalen Versicherungsvertragsrecht greift zwar auf die überkommenen Anknüpfungen zurück, doch zeigt ein Blick auf die zur Entscheidung stehenden Rechtsfragen wie auch auf die Ergebnisse der Urteile, daß die durch die Eingriffsgesetzgebung der verschiedenen Zonen sowie die Verstaatlichung der Versicherungen in der Sowjetischen Besat­ zungszone aufgeworfenen Probleme die Anknüpfung des Versicherungs­ vertrages in einem weitgehenden Ausmaße mitbestimmt haben359.

c) Die Sachverhalte

Läßt sich von der Judikatur zum Aufwertungsrecht und zu den mit der Spaltung Deutschlands verbundenen Problemen mit gutem Grund behaup­ ten, daß die entschiedenen Rechtsfragen die Anknüpfung des Versiche­ rungsvertrages zumindest mitbeeinflußt haben, so kann für die Rechtspre­ chung im übrigen zumindest eine negative Feststellung getroffen werden: in keiner Entscheidung ging es um eine Kontrolle der AVB anhand der zwin­ genden Normen des Vertragsstatuts360, sondern immer nur um die Ausle­ gung bestimmter AVB-Klauseln (die Vereinbarung einer Währung als „ech­ te“ oder „unechte“ Valutaschuld361, Goldmark-auf-Dollar-Basis-Versiche­ rungen362) und um Rechtsfragen, die dem Versicherungsvertragsstatut zuge­ 357 OLG Celle 11.4. 1949 (oben N. 355) 292. 358 LG Köln 29. 6. 1949, IzRspr. 1945-53 Nr. 162. 359 Diese Abhängigkeit des interzonalen Versicherungsvertragsrechts vom öffentlichen Recht wird bestätigt in OLG Braunschweig 29. 3.1960, VersR 1960, 793 = IzRspr. 1960-61 Nr. 85, wo das Recht am Ort der Aufsichtsbehörde, dem das Versicherungsunternehmen unter­ steht, als maßgebend angesehen wird („Aufsichtsstatut“). 360 LG Nürnberg-Fürth 16. 2. 1966, VersR 1966, 1046, geht von der Vereinbarkeit der streitigen AVB-Klausel mit deutschem Recht aus und wendet sie zum Nachteil des Versiche­ rungsnehmers an. 361 KG 22. 4. 1922, HansRZ 1922, 457; dazu das Revisionsurteil RG 6. 7. 1923, RGZ107,111; 25. 3. 1924, HansRZ 1924, 379 = JW 1924, 1364; 17. 6. 1924, JW 1924, 1366; KG 22. 4. 1922, HansRZ 1922, 723; 23. 2. 1924, HansRZ 1924, 453; 21. 4. 1934, HansRGZ 1934/A/490; HansOLG Hamburg 4. 1. 1935, HansRGZ 1935/A/261; RG 30. 10. 1936, RGZ 152, 268; dazu Melchior §§ 186 ff; Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 391 ff.; Neu­ meyer (oben N. 290) 169 ff. 362 RG 5. 7. 1935, RGZ 148, 42; OLG Köln 28. 9. 1934, HansRGZ 1934/A/540 = IPRspr.

ordnet werden (Bezugsberechtigung bei der Lebensversicherung363, Ab­ grenzung zum Erbstatut364, Übergang des Haftpflichtanspruchs des Versi­ cherungsnehmers auf den Versicherer365), aber keine Probleme des materiell­ rechtlichen Versicherungsnehmerschutzes berühren. AufVersicherungsgeschäfte, die ausländische Versicherer über ihre Nieder­ lassungen im Inland getätigt haben, ist ausnahmslos deutsches Recht ange­ wendet worden. Dabei ist der Parteiwille als primärer Anknüpfungspunkt anerkannt366 worden, doch hat - wie in der Aufwertungsrechtsprechung auch367 - die Berufung auf die Verweisungsfreiheit der Parteien immer nur zur Anwendung des deutschen Rechts auf das Inlandsgeschäft ausländischer Versicherer geführt. Gewiß gibt es in der deutschen Rechtsprechung bisher keine positiven Ansätze dafür, die Rechtswahlfreiheit der Parteien bei Versi­ cherungsverträgen zu beschränken368. Doch ist diese Beobachtung nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, daß bis heute die Parteiautono­ mie noch in keiner Entscheidung dahin gehend Anerkennung gefunden hat, daß beim Inlandsgeschäft ausländischer Versicherer ausländisches Recht vereinbart und dadurch die materiellrechtlichen Schranken der Vertragsfrei­ heit durch eine Rechtswahlklausel überwunden werden können369 - eine Feststellung, die es auch und gerade im Hinblick auf § 10 Nr. 8 AGBG im Auge zu behalten gilt. Bei Fehlen einer Parteiverweisung haben die Gerichte die Anwendung deutschen Rechts in unterschiedlicher Weise370, in jüngerer Zeit zumeist mit dem Betriebsstatut371 begründet, ohne daß dies zu divergierenden Ergebnis­ sen geführt hätte372. 1934 Nr. 94; OLG Hamm 17. 9. 1934, IPRspr. 1934 Nr. 93; LG Berlin 13. 2. 1934, IPRspr. 1934 Nr. 95; 27. 9. 1934, IPRspr. 1934 Nr. 96; KG 21. 4. 1934, IPRspr. 1934 Nr. 91. 363 Siehe etwa RG 12. 3. 1934, JW 1934, 1409; zur Rechtsposition der Versicherten in der Luftunfallversicherung LG Köln 1. 2. 1979, VersR 1979, 462; OLG Köln 22. 10. 1974, VersR 1975, 221 = IPRspr. 1974 Nr. 29. 364 OLG Köln 22. 10. 1974 (vorige Note). 365 HansOLG Hamburg 6. 12.1966, VersR 1967, 1205 = IPRspr. 1966-67 Nr. 34; Schleswig­ Holsteinisches OLG 21. 12. 1950, IPRspr. 1950-51 Nr. 25; OLG Stuttgart 12. 11. 1959, VersR 1960, 722 = IPRspr. 1958-59 Nr. 69; BGH 24. 4. 1974, IPRspr. 1974 Nr. 28. 366 RGH 11.2. 1953, BGHZ 9, 34 = IPRspr. 1952-53 Nr. 37; vgl. auch RG 5. 7. 1935, RGZ 148, 42 = IPRspr. 1935—44 Nr. 67 (stillschweigende Rechts wähl). 367 OLG München 15. 4. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 118; KG 20. 2. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 44. 368 So die Feststellung von Lando, Contracts Nr. 273. 369 Dies gegen Reichert-Facilides, FS Klingmüller 375 (381); ders., FS Donati 1465 (477). 370 Vgl. die Übersicht oben bei N. 60ff. 371 RG 12. 3. 1934, JW 1934, 1409 = IPRspr. 1935-44 Nr. 109; LG Hamburg 28. 3. 1934, IPRspr. 1935-44 Nr. 110; BGH 11.2. 1953 (oben N. 366); 24. 3.1955, BGHZ 17, 74 = IPRspr. 1954-55 Nr. 32; OLG Stuttgart 12. 11. 1959 (oben N. 365). 372 Ebenso im Ergebnis: OLG Köln 28. 9. 1934, HansRGZ 1934/A/540 = IPRspr. 1934 Nr. 94; KG 21. 4. 1934, HansRGZ 1934/A/490, = IPRspr. 1934 Nr. 91; HansOLG Hamburg 4. 1. 1935, HansRGZ 1935/A/261.

Der mit der Zulassung zum Inlandsgeschäft verbundene Zwang, eine Niederlassung im Inland zu errichten, hat bewirkt, daß in beaufsichtigten Versicherungszweigen Versicherungsgeschäfte mit Inlandsbezug weitge­ hend über inländische Niederlassungen getätigt worden sind. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß ausländische Versicherer auf dem Korrespondenz­ wege oder aber durch unzulässige Vermittlung373 auf breiter Basis im Inland aktiv geworden sind374. Das Entscheidungsmaterial dazu ist sehr spärlich375 und in seinen Ergebnissen nicht einheitlich. Während das Hanseatische OLG Hamburg in einer (die Aufwertung betreffenden) Entscheidung vom 12. 2. 1929 für einen im Korrespondenzwege geschlossenen Versicherungsvertrag eines schweizerischen Versicherers den Schwerpunkt des Vertragsverhält­ nisses in Deutschland annehmen will376, kommen das Kammergericht und das Landgericht Hamburg wenig später für bei Lloyds, London, genomme­ nen Versicherungsschutz unter Hinweis auf den Erfüllungsort (für die Lei­ stungsverpflichtung des Versicherers377) bzw. das Betriebsstatut zur Anwen­ dung des ausländischen Rechts am Sitz des Versicherers378. Die Entschei­ dungsdivergenz, die in den Urteilen selbst nicht problematisiert wird, mag eine Erklärung vor allem in der Unterschiedlichkeit der Vertriebspolitik der jeweiligen Versicherer finden: Während im Falle des Hanseatischen OLG Hamburg der schweizerische Versicherer in der Zeit vor 1914 mit Prospek­ ten gearbeitet hatte, die auf den deutschen Markt zugeschnitten waren, ging es in den vom Kammergericht und Landgericht Hamburg entschiedenen Fällen um Sachverhalte, bei denen keine Anhaltspunkte für eine inlandsbe­ zogene Vertriebspolitik des ausländischen Versicherers vorlagen, die Verträ­ 373 Aufsichtsrechtlich in unzulässiger Weise abgeschlossene Verträge sind nach deutschem Recht wirksam; Prölss/Schmidt/Frey § 109 Rz. 5. 374 Ein weiterer Grund für das spärliche Material liegt in der zumeist fehlenden internationa­ len Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Versicherungsverträgen mit ausländischen Versiche­ rern ohne Einschaltung einer Niederlassung oder Vereinbarung eines inländischen Gerichts­ standes. § 109 VAG setzt die Existenz einer Niederlassung voraus; § 48 VVG verlangt, daß der Vertrag durch einen Vermittler abgeschlossen worden ist; § 23 ZPO setzt inländisches Vermö­ gen des Versicherers voraus. Anders jetzt Art. 7 ff. EuGVÜ im Verhältnis zu Versicherern mit Sitz in einem der sechs ursprünglichen EWG-Staaten. 375 Vgl. etwa HansOLG Hamburg 12. 2. 1929, HansRGZ 1929/A/153 = IPRspr. 1929 Nr. 117; RG 15. 12. 1929, HansRGZ 1930/A/218 = IPRspr. 1930 Nr. 118 (Lebensversicherung im Korrespondenzwege); LG München 19. 9. 1932, IPRspr. 1932 Nr. 176 (Aufruhrversicherung); KG 31. 10. 1934, HansRGZ 1936/A/185 = IPRspr. 1935-44 Nr. 111 (JuwelenVersicherung); LG Hamburg 28. 3. 1934, IPRspr. 1935-44 Nr. 110; zuletzt OLG Hamm 21. 5. 1976, VersR 1977, 1093 (Haftpflichtversicherung eines deutschen Unternehmens mit einem englischen Versicherer, vermittelt in Zürich; das OLG geht von deutschem Recht aus, ohne die kollisions­ rechtliche Frage aufzuwerfen; die Versicherungsbedingungen waren in deutscher Sprache for­ muliert, wichen aber von den Allgemeinen Haftpflichtbedingungen ab). 376 HansOLG Hamburg 12. 2. 1929 (vorige Note). 377 KG 31. 10. 1934 (oben N. 375). 378 LG Hamburg 28. 3. 1934 (oben N. 375) 211.

ge vielmehr auf Initiative des Versicherungsnehmers zustande gekommen waren. Die deutsche Judikatur begann in den zwanziger Jahren der Niederlassung des Versicherers in zunehmendem Maße kollisionsrechtliches Gewicht zu­ zumessen, sei es mit Rücksicht auf die Anforderungen der inländischen379 wie ausländischen380 Staatsaufsicht, sei es, weil am Ort der Niederlassung der Schwerpunkt des Vertrags Verhältnisses gesehen wurde381. Während vom inländischen Recht der Niederlassung in keinem einzigen Fall durch eine auf den individuellen Vertrag abgestellten Anknüpfung abgewichen wurde, zeigt die Aufwertungsrechtsprechung, wie gezeigt, für Auslandsverträge ein anderes Bild382: Trotz des Abschlusses des Vertrages über eine der Aufsicht unterliegenden Niederlassung im Ausland haben die Gerichte vielfach deut­ sches Recht angewendet383.

Eine ähnliche Tendenz zeigt sich für das Auslandsgeschäft deutscher Versicherer in jenen Staaten, die keine dem deutschen Recht vergleichbare Aufsicht über ausländi­ sche Versicherer praktizierten384. Einige Entscheidungen betreffen auf dem holländi­ schen bzw. belgischen Markt vermittelte Versicherungsverträge, bei denen die recht­ liche Bedeutung der Vereinbarung einer bestimmten ausländischen Währung streitig war: Sollte der Versicherer zur Zahlung in Geldzeichen dieser Währung verpflichtet sein („echte“ Valutaschuld), oder war die fremde Valuta von den Parteien nur als Maßstab für die Berechnung der in deutscher Währung zu zahlenden Versicherungs­ leistung vereinbart („unechte“ Valutaschuld)? Die Frage gewann angesichts der Wertverschlechterung der deutschen Währung vor allem dann an Bedeutung, wenn sich die Auszahlung der Versicherungsleistung verzögerte385. War die Versicherungs­ leistung in der nicht entwerteten ausländischen Währung geschuldet, traf den Versi­ cherungsnehmer als Gläubiger bei Verzögerung der Auszahlung kein Entwertungs­ risiko. Anders aber, wenn der Versicherer Auszahlung in deutscher Währung zum Tageskurs schuldete386. Die Versicherer, die nach deutschem Aufsichtsrecht ihre 379 OLG München 15. 4. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 118. 380 OLG Karlsruhe 12. 4. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 45; vgl. auch OLG Köln 30. 3. 1927, IPRspr. 1926-27 Nr. 57. 381 Vgl. etwa KG 26. 5. 1926, HansRGZ 1926, 669 = IPRspr. 1926-27 Nr. 55; KG 23. 10. 1920, HansRZ 1921, 63. 382 Siehe oben Text bei N. 291 ff. 383 Ebenso KG 23. 2. 1924, HansRZ 1924, 453 (Abschluß eines Lebensversicherungsvertra­ ges eines deutschen Versicherers mit Agentur in Dänemark; vereinbarter Erfüllungsort Berlin). 384 Dies galt etwa für Holland und Belgien; vgl. Schmidt/Bühnemann, Europäisches Versi­ cherungsaufsichtsrecht II (1966) 803ff, 925ff. 385 RG6. 7. 1923, RGZ 107, 111; KG 22. 4. 1922, HansRZ 1922, 457. 386 Vgl. RG 6. 7. 1923 (vorige Note) 115. Das Reichsgericht half vor dem endgültigen Durchbruch der auf § 242 BGB gestützten Aufwertung der Geldforderung in Fällen des Verzugs (RG 24. 5. 1921, JW 1921, 1311), wenn es dem im Ausland wohnenden Gläubiger gestattete, die Entwertung der deutschen Währung als Verzugsschaden zu berechnen, wenn er nachweisen konnte, daß die deutsche Währung sofort in ausländische, nicht entwertete Valuta umgetauscht worden wäre.

Prämienreserven auch bei Versicherungen in fremder Währung in Mark-Werten anlegen mußten387, versuchten den Konsequenzen der Disparität zwischen Versiche­ rungsansprüchen und entwerteten Vermögensanlagen teilweise dadurch zu entge­ hen, daß sie bei Fremdwährungsversicherungen den Charakter als echte Valuta­ schuld bestritten388. Die Klärung der Bedeutung der Währungsvereinbarung ist eine Frage der Ausle­ gung des Vertrages, die, vom Vertragsstatut beherrscht389, von den Gerichten durch Anknüpfung an den (mutmaßlichen) Parteiwillen und den Erfüllungsort des Versi­ cherungsanspruchs zumeist dem deutschen Recht unterstellt wurde. Der Wohnort des Versicherungsnehmers als der Ort, an dem der Versicherungsvertrag durch Auslandsvertreter des Versicherers vermittelt worden war, spielte keine Rolle390. Die kollisionsrechtliche Bedeutung dieser Entscheidungen erscheint durch besondere Umstände geprägt: Die Versicherer selbst plädierten anders als in den Aufwertungsentscheidungen - für die Maßgeblichkeit deutschen Rechts, um so die Richter zu einer Auslegung der AVB-Klauseln bewegen zu können, die die Zwänge des § 59 I 1 VAG a. F. (Anlage der Prämienreserven in Mark-Werten) mitberücksichtigen sollte. Für die An­ wendung deutschen Rechts mag darüber hinaus von Einfluß gewesen sein, daß in den vom Reichsgericht entschiedenen Fällen die Versicherungsneh­ mer jeweils deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz im Ausland gewesen waren. Die Vermutung liegt nahe, daß deutsche Versicherer bei ihrem Auslandsgeschäft sich auch und gerade - mit AVB und Formularen in deutscher Sprache - an deutsche Staatsangehörige gewendet hatten, um Versicherungsschutz zu verkaufen. Deutsche Staatsangehörige mögen vor 1914 bei der Wahl eines deutschen Versicherers nicht nur auf die deutsche Aufsichtsgesetzgebung und Währung vertraut391, sondern auch an eine künf­ tige Rückkehr nach Deutschland gedacht und insoweit auch einen „deut­ schen“ Vertrag gewollt haben. Die Anwendung inländischen Rechts auf das Auslandsgeschäft deutscher Versicherer mag im Einzelfall auch mit dem Bestreben erklärt werden

387 § 59 VAG a. F. Der Gesetzgeber reagierte mit den Novellen vom 30. 12. 1921, RGBl 1922 I 42 und vom 19. 7. 1923, RGBl 11684, die für die Zukunft einen Gleichlauf von Vertragswäh­ rung und -deckung ermöglichen sollten. 388 Vgl. zur Problematik die Übersicht bei KOENIGE/PETERSEN § 59 Rz. 16. 389 Siehe etwa KG 22. 4. 1922, HansRZ 1922, 457. 390 RG 6. 7. 1923, RGZ 107, 111 (Instanzgericht: KG 22. 4. 1922, HansRZ 1922, 457); 25. 3. 1924, HansRZ 1924, 379 = JW 1924,1364; 17. 6.1924, JW 1924, 1366; KG 22. 4. 1922, HansRZ 1922, 723. 391 Siehe die Andeutungen in RG 6. 7. 1923, RGZ 107, 111 (115); 25. 3. 1924, JW 1924, 1364; 17. 6. 1924, JW 1924, 1366; OLG Dresden 21. 12. 1934, IPRspr. 1935-44 Nr. 112; RG 11. 4. 1933, IPRspr. 1933 Nr. 21; vgl. auch OG Danzig 20. 5. 1938, IPRspr. 1935-44 Nr. 116 = JW 1938, 2156 (2157).

können, einer Anwendung ausländischer öffentlichrechtlich geprägter Rechtsnormen392 auszuweichen393. Dem Urteil des OLG Königsberg vom 9. 12. 1930394 lag ein im Jahre 1927 geschlossener Feuerversicherungsvertrag zwischen einem Versicherer mit Sitz in Deutschland und einem Versicherungsnehmer mit Wohnsitz im Memelland (Risiko im Memelland belegen) zugrunde. Der Versicherungsvertrag enthielt eine Klausel, wonach die erste Hälfte der Versicherungssumme nach Erteilung des Unverdächtig­ keitszeugnisses, die zweite nach Wiederaufbau des abgebrannten Gebäudes gezahlt werden sollte. Durch Verordnung vom 8. 10. 1925 des Memellandes war der bis zu diesem Zeitpunkt im Memelgebiet fortgeltende § 97 VVG395 dahin gehend geändert worden, daß eine Brandentschädigung nur zur Wiederherstellung des versicherten Gebäudes verwendet werden durfte, auch wenn der Vertrag dies nicht bestimmte. Ausnahmegenehmigungen konnten, nach Prüfung durch das zuständige Direkto­ rium, erteilt werden. Entgegenstehende Vertragsabreden waren unwirksam. Der Versicherungsnehmer, zum Wiederaufbau seines Gebäudes außerstande, erlangte die behördliche Genehmigung zur Auszahlung der zweiten Hälfte und berief sich gegen­ über dem Versicherer auf die Unwirksamkeit der der Auszahlung entgegenstehen­ den AVB-Klausel. Das OLG Königsberg knüpfte an den Parteiwillen an, den es aus dem Sitz des Versicherers und der Vereinbarung eines Gerichtsstands folgerte. Die Anwendung deutschen Rechts wurde hilfsweise mit der Überlegung abgesichert, daß „naturgemäß... ein Versicherungsnehmer sich dem Rechte am Ort des Sitzes des Versicherers“ unterwerfe396, während es als irrelevant angesehen wurde, daß Versicherer für ihre Tätigkeit im Memelland einer Zulassung bedurften397. Die Frage, ob ein solches Zulassungserfordernis auch darauf abzielt, die Kontrolle der AVB der Versicherer am Maßstab des memelländischen Rechts zu ermöglichen und durchzu­ setzen, wurde nicht erörtert. 392 Zur Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts im Rahmen der lex causae: RG 14. 10. 1882, RGZ 9, 3 (9f.); ROHG 28. 6. 1878, ROHGE 24, 168 (173f., 189, 191 ff.); aus dem Schrifttum Melchior 266 ff. 393 Nachweise für eine solche „Vertragsverschiebung“ bei Schulze, Das öffentliche Recht im IPR (1972) 69ff. (klassisches Beispiel ist RGZ 108, 241). Fremdes Währungsrecht wird - über das Vertragsstatut - zu Lasten eines im Ausland wohnenden Versicherungsnehmers angewen­ det von OLG Danzig 15. 12. 1922, RabelsZ 3 (1929) 893, zugunsten eines im Inland wohnenden Versicherungsnehmers abgewehrt von OLG Danzig 15. 5. 1923, RabelsZ 3 (1929) 892. 394 OLG Königsberg 9. 12. 1930, JW 1931, 751 = IPRspr. 1931 Nr. 37. 395 Zur Rechtslage im Memelland nach seiner Abspaltung von Deutschland: Hesse, Die Entwicklung des Privatrechts im Memelgebiet: RabelsZ 1 (1927) 678. 396 OLG Königsberg 9. 12. 1930 (oben N. 394) 752. 397 OLG Königsberg 9. 12. 1930 (oben N. 394) 752. Im gleichen Sinne: OLG Dresden 21. 12. 1934, IPRspr. 1935-44 Nr. 112; RG 11. 4. 1933, IPRspr. 1933 Nr. 21; LG Danzig 10. 11. 1936, IPRspr. 1935-44 Nr. 114. Den vom ausländischen Versicherungsaufsichtsrecht erhobenen Anwendungsanspruch und die im Unterschied zum deutschen Recht daran geknüpften privat­ rechtsgestaltenden Wirkungen (Unwirksamkeit) haben die deutschen Gerichte in der Regel nicht beachtet; vgl. KG 10. 10. 1928, HansRGZ 1928/A/730 = IPRspr. 1928 Nr. 21; 19. 12. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 12; LG Berlin 2. 9. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 14; KG 8. 2. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 16; anders nur HansOLG Hamburg 23. 5. 1907, LZ 1908, 249 (für einen interlokalen Sachverhalt).

Im Ausland geschlossene Versicherungsverträge ausländischer Versicherer sind von deutschen Gerichten, wenn man einmal von den Aufwertungsentschei­ dungen in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg absieht398, vor allem in Fällen beurteilt worden, in denen ein ausländischer Versicherer den vertraglich oder kraft Gesetzes auf ihn übergegangenen Anspruch des Versicherungs­ nehmers gegen den Schädiger399 oder ein im Inland wohnender Versicherter Rechte aus einem (Unfall-) Versicherungsvertrag zwischen Vertragspartnern mit Sitz im Ausland geltend machen wollte400. Bei Geltendmachung des Haftpflichtanspruches gegenüber dem Schädiger stellt sich die Frage nach der Anspruchsberechtigung des Versicherers als Kläger. Macht der Versicherer den Anspruch aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Abtretung gel­ tend, entscheidet nach herrschender Lehre allein das Forderungsstatut über den wirksamen Übergang der Forderung auf den Versicherer401. Über die Anknüpfung des gesetzlichen Forderungsübergangs besteht dagegen keine Einigkeit402. Überwie­ gend tendiert man dazu, die Frage durch ein Zusammenwirken des Zessionsgrund­ statuts und des Forderungsstatuts zu lösen, wobei über den Einfluß des Forderungs­ statuts (vollständige Kumulation403 oder nur Berücksichtigung der Schuldnerschutz­ vorschriften404) die Meinungen auseinandergehen.

Soweit die Rechtsprechung die cessio legis dem Zessionsgrundstatut un­ terstellt405, ist bei eindeutiger Lokalisierung des Versicherungsvertrages bei Vertragsschluß (Versicherer und Versicherungsnehmer mit Sitz in einem Staat X) immer ausländisches Recht angewendet worden406. Nichts anderes soll gelten, wenn ein Versicherter407 Ansprüche aus einem Unfallversiche­

398 LG Berlin 128. 3. 1929, IPRspr. 1932 Nr. 118; 14. 10. 1930, IPRspr. 1931 Nr. 40; KG 5. 3. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 44; 12. 3. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 113; 19. 6. 1926, HansRZ 1926, 735. 399 Siehe Schleswig-Holsteinisches OLG 21. 12. 1950, IPRspr. 1950-51 Nr. 25; OLG Olden­ burg 16. 12. 1965, IPRspr. 1964-65 Nr. 55. 400 Siehe OLG Köln 22. 10. 1974, IPRspr. 1974 Nr. 29; LG Köln 1. 2. 1979, VersR 1979, 462. 401 HansOLG Hamburg 19. 3. 1971, IPRspr. 1971 Nr. 23; Kegel 324; Raape 506; STAUDINger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 597. 402 Vgl. Kegel 324 mit weiteren Nachweisen; Birk, Schadensersatz und sonstige Restitu­ tionsformen im IPR (1969) 67 ff.; BEEMELMANS, Das Statut der cessio legis, der action directe und der action oblique: RabelsZ 29 (1965), 511 (513ff); Karcher 67ff. 403 So zuletzt Bernstein, Gesetzlicher Forderungsübergang und Prozeßführungsbefugnis im IPR unter besonderer Berücksichtigung versicherungsrechtlicher Aspekte, in: FS Sieg (1976) 49; Raape 509 ff. 404 Kegel 325; Karcher 70; Beemelmans, RabelsZ 29 (1965) 511 (519). 405 Siehe etwa Schleswig-Holsteinisches OLG 21. 12. 1950, IPRspr. 1950-51 Nr. 25; Hans­ OLG Hamburg 6. 12. 1966, IPRspr. 1966-67 Nr. 34; OLG Bremen 30. 6. 1966, IPRspr. 1966­ 67 Nr. 32; OLG Oldenburg 16. 12. 1965, IPRspr. 1964-65 Nr. 55. 406 HansOLG Hamburg 6. 12. 1966, IPRspr. 1966-67 Nr. 34; OLG Oldenburg 16. 12. 1965, IPRspr. 1964—65 Nr. 55 (S. 9) (unter Berufung auf das Betriebsstatut). 407 Die Rechtsstellung des Versicherten richtet sich ebenso nach dem Vertragsstatut wie die Position des Bezugsberechtigten; vgl. OLG Köln 22. 10. 1974, IPRspr. 1974 Nr. 29; HansOLG

rungsvertrag geltend macht, der zwischen Parteien mit Sitz in einem auslän­ dischen Staat abgeschlossen worden ist408. Bei Versicherungsverträgen mit internationaler Verknüpfung bei Ver­ tragsschluß haben die Gerichte die für inlandsbezogene Versicherungsver­ träge geltenden Grundsätze - Maßgeblichkeit des Partei willens409, Anknüp­ fung an den Sitz der Niederlassung410 - praktiziert.

3. Ergebnisse und Fragestellung Obwohl das deutsche Recht seit Anfang dieses Jahrhunderts bei den typischen Massenversicherungsverträgen von der ökonomischen und intel­ lektuellen Unterlegenheit des Versicherungsnehmers ausgeht und zu seinem Schutz mit zwingendem Vertragsrecht und einer aufsichtsrechtlichen Kon­ trolle der AVB arbeitet, hat sich das internationale Versicherungsvertrags­ recht in weitgehender Abhängigkeit zu den tradierten Anknüpfungen des internationalen Vertragsrechts entwickelt. Die deutsche Rechtsprechung hat weder eine am Schutz des Versicherungsnehmers orientierte Anknüpfung für Versicherungsverträge erwogen noch die aus dem internationalen Ver­ tragsrecht übernommenen Anknüpfungen an einer solchen Zielsetzung ge­ messen und gerechtfertigt. Mit dem Betriebsstatut ist zwar eine versiche­ rungsvertragsspezifische Kollisionsnorm entwickelt worden. Sie beruht in­ des auf versicherungstechnischen Überlegungen und den Auswirkungen der Staatsaufsicht auf den Versicherungsbetrieb, nicht auf dem Schutz des Versicherungsnehmers. Den Schutz des inländischen Versicherungspublikums verfolgt unmittel­ bar das deutsche Aufsichtsrecht, wenn es die inlandsmarktorientierte Ge­ schäftstätigkeit ausländischer Versicherer über Niederlassungen im Inland kanalisiert und durch eine Kontrolle der AVB dafür sorgt, daß den Anforde­

Hamburg 24. 3. 1893, HansGZ 1894/B/154; HansOLG Hamburg, HansGZ 1896/B/273; vgl. auch RG 8. 2. 1889, RGZ 22, 215. 408 OLG Köln 22. 10. 1974, IPRspr. 1974 Nr. 29 (S. 90f.) (Luftunfallversicherungsvertrag zwischen einem schweizerischen Versicherer und einem schweizerischen Luftfrachtführer): Das Gericht beruft sich auf die „Regel..., daß das Recht des Versicherungsunternehmens, bei juristischen Personen das Recht des Hauptverwaltungssitzes, maßgibt“. Andere Erwägungen greifen Platz, wenn der eindeutig lokalisierte, ausländische Versicherungsvertrag zur Erfüllung der von einem anderen Staat angeordneten Versicherungspflicht dient: LG Köln 1. 2. 1979, VersR 1979, 462 (463), wo von einem „vernünftigen Partei willen beider Vertragspartner“ ausgegangen wird, den Vertrag dem (deutschen) Recht, das die Versicherungspflicht anordnet, zu unterstellen; dazu unten § 15. 409 KG 12. 3. 1930, JW 1930, 1876 = IPRspr. 1930, Nr. 113. 410 KG 19. 6. 1926, HansRZ 1926, 735 (738) (Vertrag zwischen amerikanischem Lebensversi­ cherer mit Niederlassung in Rußland und einem in Rußland lebenden Schweizer); gleichsinnig: KG 5. 3. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 44; 2. 11. 1927, IPRspr. 1928 Nr. 36.

rungen des inländischen Privatrechts genügt ist. Versicherungsaufsicht be­ einflußt das internationale Versicherungsvertragsrecht in zwei Richtungen: Soweit die im inländischen Geschäftsverkehr verwendeten AVB an das deutsche Recht angepaßt werden, erhalten die Gerichte keine Gelegenheit, die kollisionsrechtliche Relevanz des im Sachrecht verwirklichten Versiche­ rungsnehmerschutzes zu erörtern: Aufsichtsrecht entlastet damit faktisch das Kollisionsrecht von der Aufgabe, versicherungsnehmerschutz-orientierte Anknüpfungen zu entwickeln. Mit dem Zwang zur Errichtung einer Niederlassung im Inland wird die Grundlage für eine an den Interessen des Versicherers orientierte Anknüp­ fung („Betriebsstatut“) geschaffen. Soweit die Niederlassung eines Versi­ cherers sich auf eine lokale bzw. nationale Geschäftstätigkeit beschränkt, fuhrt die Anwendung des Rechts am Ort der Niederlassung zugleich zur Anwendung des Umweltrechts des Versicherungspublikums, ohne daß die­ se Anknüpfung vom Schutz des Publikums her begründet werden müßte. Ein Blick auf die deutsche Rechtsprechung zu den Massenversicherungs­ verträgen läßt die folgenden Feststellungen zu. Bei inländischer Geschäftstätigkeit ausländischer Versicherer über Nie­ derlassungen im Inland ist generell deutsches Recht zur Anwendung ge­ kommen. Rechtswahlklauseln sind anerkannt worden, jedoch immer nur in Fällen, in denen inländisches Recht vereinbart worden war. Bei Verträgen mit ausländischen, im Inland nicht konzessionierten Versi­ cherern, die auf Initiative des Versicherungsnehmers abgeschlossen worden sind, ist das Recht am Sitz des Versicherers zur Anwendung gekommen. Die Rechtsprechung zum Auslandsgeschäft inländischer Versicherer zeigt keine einheitliche Linie. Die Rechtswahlfreiheit der Vertragsparteien hat wiederholt Anerkennung gefunden, doch lag in allen entschiedenen Fällen kein erkennbarer Konflikt mit ausländischem Versicherungsnehmerschutz­ recht vor. Mit der Berufung auf den Parteiwillen - auch dem sogenannten mutmaßlichen Parteiwillen - haben die Gerichte im Einzelfall eine dem Versicherungsnehmer günstige Entscheidung erreicht. Sie findet sich aber auch in Sachverhalten, in denen dem Versicherungsnehmer bereits bei Ab­ schluß des Vertrages an der Anwendung deutschen Rechts gelegen sein mochte. Jenseits einer solchen vertragsindividualisierenden Anknüpfung ist bei Abschluß des Vertrages über eine ausländische Niederlassung das Recht am Ort der Niederlassung, ansonsten das Recht am Sitz des Versicherers zur Anwendung gekommen. Diese Bestandsaufnahme zum deutschen Recht erweist, daß weder die maßgebenden Anknüpfungen noch die sie tragenden Begründungen die das materielle Versicherungsrecht beherrschenden, nach Vertagstypen differen­ zierenden Regelungszwecke berücksichtigen: Versicherungsnehmerschutz wird mit den Instrumenten des Aufsichtsrechts, nicht des Kollisionsrechts

betrieben. Dieses Ergebnis fordert aus mehreren Gründen zu einer Überprü­ fung und zu einer anderen Fragestellung heraus. Die neueren Entwicklungen zum kollisionsrechtlichen Schutz des Ver­ brauchers signalisieren eine zunehmende Tendenz, das internationale Ver­ tragsrecht den Regelungszwecken des Sachrechts zu öffnen. Das österreichi­ sche IPR-Gesetz vom 15. 6. 1978411, der schweizerische IPR-Gesetz-Entwurf vom 10. 11. 1982412 und das zur Ratifizierung aufliegende, jetzt in den deutschen IPR-Gesetz-EntwurP13 414 übernommene EG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. 6. 1980414 enthalten spezielle Anknüpfungen für Verbraucher Verträge. Für das Recht der Bundesrepublik Deutschland sind § 11 Fernunterrichtsschutz­ gesetz vom 24. 8. 1976415 und insbesondere das AGB-Gesetz vom 9. 12. 1976416 mit seinen § 12 und § 10 Nr. 8 Beispiele einer sich an den Schutzzwekken des Sachrechts orientierenden kollisionsrechtlichen Regelung. Die im Schrifttum geführte Diskussion um die kollisionsrechtliche Be­ rücksichtigung der Sachnormzwecke (Stichwort: „Schutz des schwächeren Vertragspartners“)417, welche die Beratungen des EG-Übereinkommens be­ gleitet hat418 und auch die Bewertung und Auslegung des § 10 Nr. 8 AGBG nachhaltig zu beeinflussen scheint419, rührt an ein kollisionsrechtspolitisches Grundproblem: Es geht um die Frage, ob Kollisionsrecht prinzipiell - mit Ausnahme des ordre public - von den Zwecken und Wertungen der Sach­ 411 Siehe oben § 1 bei N. 268-270; die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (784 der Beila­ gen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrats XIV. GP) 54 f. beziehen sich auf § 12 AGBG als Vorbild. 412 Siehe oben § 1 N. 36 und im Text nach N. 76. 413 Siehe oben N. 37, 102. 414 ABI. 1980 L 266/1 (Art. 5111). 415 BGBl 12525. 416 BGBl 13317. 417 Vgl. etwa Palandt(-Heldrich), BGB43 (1984) Vor Art. 12 EGBGB Bem. 2 a) cc) einerseits und Kropholler, RabelsZ 42 (1978) 634 andererseits. Zum Arbeitsrecht FIKENTscher, Arbeitsstatut, Prorogation und die zugehörigen Grenzen der Parteiautonomie: RdA 1969, 204 (207) („Grundsatz des kollisionsrechtlichen Einzelschutzprinzips“) einerseits und Kegel 291 (an der Abdingbarkeit zwingender Normen durch Rechtswahl „stoßen sich manche und man kann’s nachfühlen") andererseits; vgl. auch Simitis, Internationales Arbeitsrecht Standort und Perspektiven, in: FS Kegel (1977) 153ff.; Gamillscheg RIW/AWD 1979, 225; ders., Intereuropäisches Arbeitsrecht: RabelsZ 37 (1973) 284 (291); ders., Ein Gesetz über das internationale Arbeitsrecht: ZArbR 14 (1983) 307. 418 Siehe etwa Siehr, Zum Vorentwurf eines EWG-Übereinkommens über das Internationa­ le Schuldrecht: RIW/AWD 1973, 569 (573); von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974) 396; Krophol­ ler, RabelsZ 42 (1978) 634; König, Vereinheitlichung des internationalen Schuldrechts in der Europäischen Gemeinschaft: EuropaR 10 (1975) 289 (299ff.); Lando, The EC Draft Conven­ tion on the Law Applicable to Contractual and Non-Contractual Obligations: RabelsZ 38 (1974) 6 (15ff, 35ff.); Uebersax, Der Schutz der schwächeren Partei im internationalen Vertragsrecht (Diss. Basel 1976) 206 ff. 419 Dazu unten § 101 5 b).

normen unbeeinflußt bleiben soll oder aber umgekehrt dem Kollisionsrecht die Aufgabe zukommt, Sachrechtszwecke bei der Bestimmung des An­ knüpfungspunktes einer Kollisionsnorm zumindest mit zu berücksichtigen. Die damit aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von Sachrecht und Kollisionsrecht - genauer: dem Einfluß des Sachrechts auf die Anknüpfungist auch für das internationale Versicherungsvertragsrecht nicht nur von theoretischer Bedeutung. Betreiben ausländische Versicherer im Inland Versicherungsgeschäfte, oh­ ne sich der inländischen Aufsicht zu unterwerfen (sei es in aufsichtsrechtlich unzulässiger Weise über im Inland tätige Vertreter, sei es im mail-order­ Wege), entfällt der von der Aufsicht entfaltete Schutz des Versicherungsneh­ mers durch Zwang zur Niederlassung und präventiver AVB-Kontrolle. Kollisionsrecht hat in solchen Fällen zu entscheiden, ob Versicherungsneh­ merschutz allein Sache des Aufsichtsrechts ist oder aber auch durch eine entsprechende Anknüpfung des Vertrages sichergestellt werden kann. Seit Erlaß des AGB-Gesetzes sind Rechtswahlklauseln in AVB, in denen die Geltung ausländischen Rechts bestimmt ist, in Fällen, in denen dafür kein „anerkennenenswertes Interesse“ besteht, unwirksam (§ 10 Nr. 8 AGBG). Die Prüfung des „anerkennenswerten Interesses“ erfordert Klarheit über die maßgebenden Wertungen bei der objektiven Anknüpfung des Versiche­ rungsvertrages. Die Bestrebungen zur Erleichterung der Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zielen darauf ab, grenzüberschrei­ tendes Versicherungsgeschäft auch ohne Einschaltung einer Niederlassung im Tätigkeitsstaat zu ermöglichen420. Dem Betriebsstatut in Form der An­ knüpfung an das Recht der Niederlassung wird damit die entscheidende Grundlage entzogen. Dies und die dabei zugleich in Aussicht genommene Harmonisierung der Kollisionsnormen für Versicherungsverträge fordert zu einer Analyse und kritischen Überprüfung der das internationale Versi­ cherungsvertragsrecht beherrschenden Interessen und Wertungen heraus421.

420 Dazu unten § 18. 421 Zur Diskussion im Schrifttum: Möller (oben N. 100) 29ff.; Reichert-Facilides, FS Donati 1465ff.; ders, FS R. Schmidt 1023ff.; R. Schmidt, Das Problem der freien Rechtswahl: Z Versw. 1973, 3; Steindorff, ZgesHR 144 (1980) 447; Richter 54ff.

Zweiter Abschnitt: Sachnormzwecke im Kollisionsrecht § 3: Methodenfragen I. Sachrechtsneutrales Kollisionsrecht „Die Anknüpfung ist“, so schreibt Neuhaus, „die praktisch wichtigste Frage des ganzen IPR“1. Mit der Anknüpfung entscheidet der Gesetzgeber bzw. Richter über die maßgeblichen Wertungsgrundsätze, über Ziel und Aufgabe des IPR. Bei der Anknüpfung verläuft die „Frontlinie rechtspoliti­ scher Entscheidungen“2. Nach traditionellem Verständnis hat das IPR eine wertneutrale Ordnungsfiinktion3. Seine Aufgabe ist es nicht, internationale Sachverhalte unmit­ telbar zu regeln, sondern allein die zur sachrechtlichen Entscheidung berufe­ ne Rechtsordnung zu bestimmen. Das IPR ist Verweisungsrecht, nicht Entscheidungsrecht: Die Verweisungsnormen dienen nicht der unmittelba­ ren Verwirklichung der materiellprivatrechtlichen Gerechtigkeit, sondern allein der Bestimmung des „richtigen“ Rechts unter dem Aspekt internatio­ nalprivatrechtlicher Gerechtigkeit4. In Kegels knapper Formulierung5: Es geht nicht um das sachlich, sondern um das räumlich beste Recht6. Die Bestimmung des „richtigen“ Rechts, die Konkretisierung der engsten Beziehung zwischen Sach verhalt und Rechtsordnung erfolgt in Neutralität gegenüber den konkurrierenden und in ihren Wertungen divergierenden Rechtsordnungen nach den Maßstäben einer spezifischen, an der Internatio­ 1 Neuhaus 160. 2 Wiethölter, [Buchbesprechung]: RabelsZ 23 (1958) 184 (186). 3 Siehe Goerke, Bemerkungen zum Methodenstreit im IPR: NJW 1975, 1587; Heldrich, Anmerkung zu KG 19. 4. 1979: NJW 1979, 2479; F. A. Mann, Sonderanknüpfung und zwingendes Recht im IPR, in: FS Beitzke (1979) 607 (620). 4 Kegel 54ff.; Beitzke, Grundgesetz und IPR (1961) 16; Keller, Verhältnis zwischen mate­ riellen Privatrecht und IPR: SJZ 68 (1972) 65 (68); Firsching, Entwicklungstendenzen im deutschen IPR: Z.f.Rvgl. 16 (1975) 99 (104); Staudinger(-Firsching), Internationales Schuld­ recht I Rz. 290. 5 Kegel 55; ders., Vaterhaus und Traumhaus, in: FS Beitzke (1979) 551 (552). Bei Kegel, Die selbstgerechte Sachnorm, in: FS Ehrenzweig (1976) 51 (86 N. 4, 5), wird deutlich, daß es ihm dabei nur um die Ablehnung eines „better law approach“ geht. 6 Kritisch gegenüber der Betonung des „räumlichen“ Elements: Neuhaus 165, im Anschluß an Rene Schmid, SJZ 53 (1957) 232 (234); Staudinger(-Firsching), Internationales Schuld­ recht I Rz. 290.

nalität des Sachverhalts ausgerichteten Gerechtigkeit. Auf der Grundlage der prinzipiellen Gleichheit7 der Privatrechtsnormen ist es die Aufgabe des IPR, das Rechtsverhältnis derjenigen Rechtsordnung zuzuweisen, deren Anwendung den Parteiinteressen (ohne Berücksichtigung des Inhalts der Sachnormen) am ehesten entspricht8. Auf diese Weise läßt sich das „Ideal“9 des IPR, der internationale Entscheidungseinklang10 - oder bescheidener formuliert: ein Konfliktminimum11 - am ehesten realisieren. Das IPR fragt - vorbehaltlich des ordre public12 - prinzipiell nicht nach dem Inhalt des materiellen Rechts und seinen Rechtszwecken: „Den Zweck der Sachnormen kann man streichen“13. Dem entspricht die IPR-spezifische Fragestellung: Nicht vom Gesetz, sondern vom Sachverhalt (dem Rechts­ verhältnis, den Parteien) her ist zu entscheiden, welche Rechtsordnung angewendet werden soll14. Nur so läßt sich vermeiden, daß eine Rechtsord­ nung einen unangemessen weiten Anwendungsanspruch erhebt15. Nur so wird verhindert, daß unterschiedliche Regelungszwecke der Sachnormen auf die Anknüpfung Einfluß nehmen und damit das Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs in Frage stellen16. 7 Zu diesem Grundsatz vor allem Wengler, Das Gleichheitsprinzip im Kollisionsrecht, in: FS Maridakis III (1964) 323; ders., Die Gestaltung des IPR der Schuldverträge unter allgemei­ nen Leitprinzipien: RabelsZ 47 (1983) 215 (216f.); Lipstein, Private International Law with a Social Content - A Super Law?, in: FS Zweigert (1981) 179 (181): „The equality of legal Systems... both in terms of hierarchy and quality is the reason for the existence of Private International Law“; Kegel, FS Beitzke 551 (570); Neuhaus 30. Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht im IPR (1979) 115 (im folgenden: Spellenberg), spricht-miß verständlich-von „Gleichwertigkeit“; m. E. geht es um Gleichheit im Sinne von „Gleichrangigkeit“; so auch Münchener Komm. (-Sonnenberger) VII Einl. IPR Rz. 6. Von der Gleichbehandlung der Rechtsordnungen ist zu unterscheiden der Gleichheitssatz als kollisionsrechtsmethodische Ver­ pflichtung, internationale Sachverhalte anders zu behandeln als nationale Sachverhalte; dazu E. Lorenz, Zur Struktur des IPR (1977) 64ff. (im folgenden: E. Lorenz). Zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung bei der Wahl des Anknüpfungspunktes: Ubertazzi, Regles de nondiscrimination et droit international prive: Rec. des Cours 157 (1977-1V) 333 (367). 8 Siehe Spellenberg 120; Kegel 56ff. (neben Verkehrs- und Ordnungsinteressen). 9 Kahn, Über Inhalt, Natur und Methode des internationalen Privatrechts, in: Abhandlun­ gen zum IPR I (1928) 255 (310, 316, 326); Wengler, RabelsZ 47 (1983) 215 (216), spricht vom „unangefochtenen Ideal“ der internationalen Entscheidungsgleichheit; BGH 8. 3. 1983, RIW/ AWD 1983, 456. 10 Zweigert, Die dritte Schule im IPR, in: FS Raape (1948) 35 (50); skeptisch: Kegel 60; Nussbaum, Deutsches IPR 8 („Fata Morgana“). 11 Zweigert (vorige Note) 35 (50); vgl. auch Kahn (oben N. 9) 326 (zu erstreben sei ein „Maximum an Gesetzesharmonie“). 12 - der aber als „Fremdkörper“ gilt: Keller, SJZ 68 (1972) 65 (67). 13 Kegel, Begriffs- und Interessenjurisprudenz im IPR, in: FS Lewald (1953) 259 (268); ders. , The Crisis of Conflict of Laws: Rec. des Cours 112 (1964-11) 91 (198). 14 Spellenberg 115, wo es heißt, daß die von den Staaten anzuerkennende Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen die Fragestellung vom Gesetz her (im Sinne Curries) verbiete. 15 Spellenberg 115; Kahn (oben N. 9) 310f. (Richtschnur der „Ausdehnungsgleichheit“ der Gesetze). 16 Siehe Neuhaus 32 f.

Dieser von den Regelungszwecken des materiellen Rechts abgehobene Ansatz des IPR basiert auf einem spezifischen Privatrechtsverständnis: Pri­ vatrecht zielt auf die Förderung der Gerechtigkeit zwischen den Individuen; der Staat verfolgt keine eigenen Ziele, „sondern handelt wie ein Mäzen“17. Diese Distanz des Staates gegenüber seinem eigenen Privatrecht läßt Unter­ schiede in den Privatrechtsordnungen für Zwecke des IPR als irrelevant erscheinen18 und ermöglicht damit eine Fragestellung im IPR, die vom Sachverhalt („Rechtsverhältnis“) und nicht vom Gesetz und seinen Rege­ lungszwecken ihren Ausgang nimmt19. Ein Blick auf das deutsche Kollisionsrecht erweist jedoch, daß die These von der wertneutralen Ordnungsfunktion des IPR zumindest insoweit einer Einschränkung bedarf, als materiellrechtliche Zwecke durchaus auch mit kollisionsrechtlichen Mitteln, etwa durch alternative Anknüpfungen, ver­ folgt werden20.

Art. 1112 EGBGB fordert die Wirksamkeit internationaler Verträge, wenn für die Formgültigkeit neben der lex causae die Beobachtung der Ortsform ausreichen soll21. Die Wirksamkeit letztwilliger Verfügungen erleichtert das Haager Testamentsab­ kommen, wenn es für die Formgültigkeit des Testaments eine ganze Serie von Anknüpfungen zur Verfügung stellt22. Im Deliktsrecht gilt zum Schutze des Opfers eine alternative Anknüpfung an den Handlungsort bzw. den Erfolgsort23. Vorschriften wie Art. 7III EGBGB oder Art. 16II EGBGB signalisieren ebenfalls eine Ausrichtung an einem materiellrechtlichen Ergebnis: Die von der Hauptan­ knüpfung abweichende Ausnahmeregelung zielt auf den Schutz des inländischen Rechtsverkehrs bei international verknüpften Sachverhalten24. Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht ist ein weiteres, eindrucksvolles Beispiel dafür, in welcher Weise Kollisionsrecht auf die ökonomischen Bedürfnisse des internationalen Handelsverkehrs - der Erleichterung der Planung und der Durchführung grenzüber­ schreitender Transaktionen - Rücksicht nehmen kann25. Allen diesen Erscheinungen 17 Kegel, FS Beitzke 551 (570); ders., Rec. des Cours 112 (1964-11) 91 (198); vgl. Zweigert, IPR und öffentliches Recht in: 50 Jahre Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel (1965) 124 (137): „unabhängiger Schiedsrichter“. 18 Siehe zuletzt Heini, Ausländische Staatsinteressen und IPR: ZSR N.F. 100 (1981-1) 65 (77) (funktionale Austauschbarkeit der materiellen Privatrechtsordnungen). 19 Neuhaus 32 hält die Frage „vom Gesetz her“ nach seinem Anwendungsbereich für sinnvoll, „wenn nicht der Mensch und die sachgemäße Regelung seiner Verhältnisse im Blickpunkt der Gesetzgebung stehen..., sondern ein bestimmtes rechtspolitisches Interesse des gesetzgebenden Staates“. 20 Beitzke, Alternative Anknüpfungen, in: FS Ferid (1977) 39. 21 Zur Begründung siehe schon Savigny VIII349 ff. 22 Art. 1 des Haager Testamentsabkommens vom 5. 10. 1961, BGBl. 1965 II1145. 23 Palandt(-Heldrich) Art. 12 EGBGB Bem. 2. 24 Beitzke, FS Ferid 39 (47); Kegel 58 spricht insoweit vom Verkehrsinteresse; ders., FS Lewald 259 (272). 25 So bereits Heilman, Judicial Method and Economic Objectives in Conflict of Laws: Yale LJ. 43 (1934) 1082 (1097); Steindorff (oben § 2 N. 25) 87ff.

ist gemeinsam, daß Kollisionsrecht hier nicht die Regelungszwecke einer Sachnorm unmittelbar instrumentiert, sondern darum bemüht ist, für die spezifischen Schwie­ rigkeiten und Probleme des internationalen Rechtsverkehrs angemessene kollisions­ rechtliche Lösungen bereit zu stellen26. Die strikte Trennung zwischen Sachrecht und Kollisionsrecht erscheint jedoch insoweit aufgehoben, als zumindest allgemeine Regelungsziele und Wertungen des materiellen Rechts - Vertrauensschutz, Vertragsfreiheit, Te­ stierfreiheit etc. - die kollisionsrechtlichen Lösungen beeinflussen und mit­ bestimmen. Diese seit langem beobachtete „Wechselwirkung“ zwischen materiellem Recht und Kollisionsrecht27 stellt nicht nur die These von der wertneutralen Ordnungsfunktion des IPR in Frage; sie erlaubt zudem die Feststellung, daß methodische Ansätze, die auf der strikten Trennung von Sachrecht und Kollisionsrecht beharren, der Realität des heutigen Kolli­ sionsrechts kaum noch gerecht werden können28. Die Trennung von Kollisionsrecht und Sachrecht versagt schließlich völ­ lig zur Erklärung solcher Kollisionsnormen, in denen die Regelungs- und Schutzzwecke der Sachnormen unmittelbar durch eine den Schutzzwecken des Sachrechts entsprechende Bestimmung des Anwendungsbereichs der Nor­ men instrumentiert werden. § 11 FernunterrichtsschutzG und § 12 AGBG sind Beispiele für kollisionsrechtliche Lösungen, die ihren internationalen Anwendungsbereich unmittelbar am Schutzzweck der Sachnormen orien­ tieren29. 26 So mit Nachdruck Kegel, FS Lewald 259 (271 f). Die These von Zweigert, Die Armut des IPR an sozialen Werten: RabelsZ 37 (1973) 435 (443), von der schwachen „sozialen Dimension“ des IPR (im Sinne des Einflusses „gesellschaftlicher Tatsachen und Wertungen auf die Entwicklung, Anwendung und Wirkung rechtlicher Regelungen“) bedarf insoweit einer Korrektur; vgl. auch van Hecke, Principes et methodes de solution des conflits de lois en d.i.p.: Rec. des Cours 126 (1969-1) 401 (481). 27 Siehr, Wechselwirkungen zwischen Kollisionsrecht und Sachrecht: RabelsZ 37 (1973) 466; Keller, SJZ 68 (1972) 65ff., 85ff.; Neuhaus 43ff., 166ff.; Spellenberg 96, 120ff.; vgl. schon Neuner, Policy Considerations in the Conflict of Laws: Can.Bar Rev. 20 (1942) 479 (500): „...the relations between the policy of the conflict of law rules and that of the rules of substantive law must be cleared up“. 28 In der „genauen Bestimmung des Verhältnisses von materiellem und internationalem Privatrecht, zwischen Sachnormen und Kollisionsnormen..." sieht Kegel, Wandel auf dün­ nem Eis, in: Juenger, Zum Wandel des IPR (1974) 35 (38), „die heute schwierigste Aufgabe des IPR“; vgl. auch schon ders., [Buchbesprechung]: RabelsZ 32 (1968) 183 (185). Siehe jetzt auch eingehend die Arbeit von Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht (1981) (im folgenden: Schurig). 29 Siehe oben § 2 N. 415, 416. Dasselbe gilt, wenn etwa „versteckte“ Kollisionsnormen anerkannt werden; dazu Siehr, RabelsZ 37 (1973) 466 (470); Kegel, FS Ehrenzweig 53 ff. (der allein den formalen Unterschied zwischen Kollisionsrecht [Rechtssatz, der über die Anwen­ dung eines anderen Rechtssatzes bestimmt] und Sachrecht [Rechtssatz, der den Sachverhalt selbst regelt] betont, nicht aber den Einfluß der Sachnormzwecke auf die Rechtsanwendungs­ entscheidung leugnet (70 f, 86 [unter 4.]); anders jedoch ders., Rec. des Cours 112 (1964-11) 91 (198).

II. Methodische Neuansätze im IPR Traditionelles Kollisionsrechtsverständnis, das internationalprivatrecht­ liche Gerechtigkeit auf der Grundlage der Gleichheit der Rechtsordnungen durch allseitige Kollisionsnormen zu verwirklichen sucht, sieht sich heute unter maßgeblichem Einfluß amerikanischer Strömungen - der Kritik vor allem in zwei Richtungen ausgesetzt: Zum einen wird eine wesentlich stär­ kere Berücksichtigung materiellrechtlicher Gesichtspunkte bei der kolli­ sionsrechtlichen Entscheidung gefordert, zum anderen geht es um eine Neuorientierung des Kollisionsrechts an den Regelungs- und Steue­ rungszwecken der Sachnormen.

1. „Materialisierung“ der kollisionsrechtlichen Entscheidung Mit der Verwirklichung einer bloß internationalprivatrechtlichen Gerech­ tigkeit wollen sich jene Kritiker des herkömmlichen Kollisionsrechts nicht zufrieden geben, die bei der kollisionsrechtlichen Entscheidung den Gerech­ tigkeitsgehalt der zur Auswahl stehenden Rechtsordnungen mitberücksich­ tigen und das zur Regelung des Falles „bessere“ Recht zur Anwendung bringen wollen30. Auch ein solcher Ansatz arbeitet mit Anknüpfungsmo­ menten, die auf Beziehungen zwischen Sachverhalt und berührten Rechts­ ordnungen abstellen, doch kommt ihnen eine andere Bedeutung als bei allseitig formulierten Kollisionsnormen zu: Das Anknüpfungsmoment ent­ scheidet nicht abschließend über das anzuwendende Recht, sondern will vielmehr dem Richter eine Auswahl zwischen den Rechtsnormen der mit dem Sachverhalt verbundenen Rechtsordnungen eröffnen. Ein solcher Ansatz trifft aus mehreren Gründen auf Bedenken. Gewiß ist es auf den ersten Blick verlockend, auch international verknüpfte Sachver­ halte unter unmittelbarem Zugriff auf materiellrechtliche Gesichtspunkte zu entscheiden. Denn die Internationalität des Sachverhalts entbindet nicht von der Verpflichtung zur Verwirklichung der materiellen Gerechtigkeit31. Indes 30 Leflar 212; Ehrenzweig, Specific Principles of Private Transnational Law: Rec. des Cours 124 (1968-11) 167 (210 ff.); ders., Private International Law I3 (1974) 97, 100; Hancock, Policy Controlled State Interest Analysis in Choice of Law, Measure of Damages, Tort Cases: Int. Comp. L.Q. 26 (1977) 799 (823); Juenger, Möglichkeiten einer Neuorientierung des IPR: NJW 1973, 1521 (1525); ders., Zum Wandel des IPR (1974) 21 ff; P. M. Gutzwiller, Von Ziel und Methode des IPR: Schw. Jb.Int.R. 25 (1968) 161 (169ff); Zweigert, RabelsZ 37 (1973) 435 (447 f.); kritisch etwa E. Lorenz 80 ff, 99 ff.; Spellenberg 118 f.; Cavers, The Choice-of-Law Process (1965) 84,122 (im folgenden: Cavers); Currie 153; umfassend zuletzt Mühl, Die Lehre vom „besseren“ und „günstigeren“ Recht im IPR (1982) (im folgenden: Mühl). 31 Von Schwind, Zweigerts System und das österreichische IPR-Gesetz, in: FS Zweigert (1981) 321 (322); vgl. auch Vischer, Das Problem der Kodifikation des schweizerischen IPR: ZSR N.F. 90 (1971-11) 1 (22).

fehlt es für die Bewertung der Sachnormen an einem überzeugenden Wert­ maßstab32. Die Unterschiedlichkeit der nationalen Sachrechte beruht nicht nur auf verschiedenen kulturellen Traditionen, sondern auch auf unter­ schiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen sowie auf divergie­ renden Vorstellungen und Wertungen bei der Bewältigung sozialer und wirtschaftlicher Konflikte. Eine Bewertung von Rechtsnormen läßt sich daher sinnvollerweise nur auf der Grundlage der wirtschaftlichen und gesell­ schaftlichen Verhältnisse, deren Regelung und Steuerung sie dienen sollen, vornehmen, - eine Aufgabe, die vom Richter nicht geleistet werden kann33. Amerikanisches Arbeitsrecht läßt sich - im Vergleich zum deutschen Recht-nicht schon deshalb als „schlechteres“ Recht bezeichnen, weil es keinen dem deutschen Arbeitsrecht vergleichbaren Kündigungsschutz kennt34. Es beruht auf unterschiedli­ chen Vorstellungen über die Vor- und Nachteile steuernder Eingriffe des Staates in den Arbeitsmarkt, die auf divergierende gesellschaftspolitische Traditionen und Wertungen zurückzufuhren sind. Bei deutsch-amerikanischen Arbeitsverhältnissen ist daher nicht nach dem „besseren“ Recht Ausschau zu halten, sondern vielmehr danach zu fragen, in welchen Sachverhalten und unter welchen Umständen es angemessen erscheint, ein ArbeitsVerhältnis dem deutschen bzw. amerikanischen Kündigungsschutzrecht zu unterstellen35.

Fehlt es für den Richter an einem überzeugenden Wertmaßstab beim Vergleich der Rechtsnormen, läuft der „better-law-approach" schlicht auf eine Anwendung der lex fori hinaus36: „Heimwärtsstreben auf anderen We­ gen“. Soweit der Richter den „better-law-approach“ dazu benutzt, um einer rechtspolitisch unerwünschten Norm des eigenen Rechts auszu weichen37, wird den Parteien in einem internationalen Sachverhalt ein „besseres“ Recht zur Verfügung gestellt als in einem nationalen Sachverhalt, ohne daß sich für diese Ungleichbehandlung eine überzeugende Begründung findet38. Ist eine Sachnorm rechtspolitisch fragwürdig, sollte sie, da sie sich in einem nationa­ len wie internationalen Sachverhalt gleichermaßen auswirkt, durch eine offene rechts schöpfens ehe Fortbildung der Sachnorm und nicht mit kolli­ sionsrechtlichen Mitteln korrigiert werden39. 32 E. Lorenz 81; skeptisch auch von Mehren, Recent Trends in Choice-of-Law Methodology: Cornell L. Rev. 60 (1975) 927 (952f.). 33 Cavers 84; a. A. Zweigert, RabelsZ 37 (1973) 435 (447) (unter Betonung eines „fort­ schrittlichen“ Rechtsdenkens). 34 Siehe etwa BAG 20. 7. 1967, IPRspr. 1966-67 Nr. 50b (S. 166 ff). 35 In diesem Sinne auch Cavers, Addendum 1972, in: Internationales Privatrecht, hrsg. von Picone/Wengler (1974) 166 (172); ders. (oben N. 30) 86, 122. 36 Simitis, Über die Entscheidungsfindung im IPR: StAZ 1976, 6 (12). 37 So Kenison, C. J., in der viel zitierten Entscheidung Clark v. Clark, 222 A.2d 205, 209 (Sup. Ct. N.H. 1966). 38 E. Lorenz 82. 39 Ist die Sachnorm des Forums allein für nationale Sachverhalte passend, sollte der Richter im Rahmen der lex fori eine Sachnorm für internationale Sach verhalte formulieren.

In eine andere Richtung zielen Ansätze, die das traditionelle, auf eine „Nationalisierung“ der Entscheidung zielende Kollisionsrecht durch interna­ tionale Sachnormen ergänzen wollen40. Es geht dabei um solche international geprägten Sachverhalte41, in denen die Zuweisung zu einer einzigen oderbei gesonderter Anknüpfung von Teilfragen - zu mehreren Rechtsord­ nungen keine der Eigenart des internationalen Sachverhalts angemessene Lösung verspricht42. Der kollisionsrechtliche Ansatz soll hier deswegen durch eine materiellrechtliche, am Inhalt der berührten Rechtsordnungen orientierte Entscheidung ergänzt werden. Da die Bildung von internationa­ len Sachnormen auf solche Einzelfälle beschränkt bleiben soll43, in denen die kollisionsrechtlichen Mittel nicht befriedigen, wird zugleich positiv bestä­ tigt, daß es im Regelfall bei einer rein kollisionsrechtlichen Lösung, also einer Nationalisierung der Entscheidung durch Zuweisung eines internatio­ nal verknüpften Sachverhaltes an eine einzige Rechtsordnung verbleiben soll. Der tradierte kollisionsrechtliche Ansatz wird damit nicht grundsätz­ lich in Frage gestellt, sondern allein auf seine Anwendungsgrenzen hin befragt. Abgelehnt wird freilich das Verständnis des IPR als eines bloß wertneutra­ len Ordnungssystems, das die Verantwortung für die angemessene Rege­ lung internationaler Sachverhalte ganz dem auf nationale Sachverhalte bezo­ genen Sachrecht überlassen will: Sachnormen im IPR wie auch tradierte kollisionsrechtliche Lösungen sind am gemeinsamen Ziel zu orientieren, auf die Internationalität der Sachverhalte in gebührender Weise Rücksicht zu nehmen44. 40 Steindorff, Sachnormen im IPR (1958) (im folgenden: Steindorff); Wengler, [Buchbe­ sprechung]: AcP 158 (1960) 545 (548ff.) (für Fälle der Pflichtenkollision); ders., The General Principles of Private International Law: Rec. des Cours 104 (1961-III) 273 (451 f.); vgl. auch Kegel, Rec. des Cours 112 (1964-11) 91 (238ff). Eine Übersicht gibt Schwander, Lois d’application immediate, Sonderanknüpfung, IPR-Sachnormen und andere Ausnahmen von der gewöhnlichen Anknüpfung im IPR (1975) 217ff. (im folgenden: Schwander). 41 Zu den Schwierigkeiten einer Eingrenzung Steindorff 23 f., 275. 42 Siehe RGRK(-Wengler), Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar12 VI/1 (1981) 66, 227 (im folgenden: RGRK(-WENGLER) VI/1,2) (für besonders „buntverknüpfte“ Situationen). 43 So ausdrücklich Steindorff 23. 44 Dazu Braga, Intemationalprivatrecht, Kollisionsrecht, Normengrenzrecht, in: FS Schnorr von Carolsfeld (1972) 89 (95) (die Primärfunktion des IPR, eine den „internationalen Tatbeständen angemessene Behandlung“ als „vornehmste soziale Aufgabe des IPR“ zu gewähr­ leisten, sei unabhängig davon, ob unmittelbar durch internationale Sachnormen oder durch Verweisungsnormen entschieden werde). Zur Bildung einer Sachnorm im internationalen Adoptionsrecht: Jayme, Zur Entscheidungs­ harmonie im Internationalen Kindschaftsrecht, in: Festschrift für Bosch (1976) 459 (465 f.) (der deutsche Vormundschaftsrichter habe im Rahmen des kollisionsrechtlich zur Anwendung berufenen deutschen Sachrechts die Adoptionserfordernisse [Zustimmungserfordernisse] „be­ rührter“ ausländischer Rechtsordnungen zu beachten. Das aber heißt: Angesichts der Uner­ reichbarkeit international einheitlicher Kollisionsnormen wird hier im Rahmen des Sachrechts das „kollisionsrechtliche" Ziel der internationalen Stabilität der Adoption angestrebt. Sachrecht

2. Sachnormzweckbezogene Ansätze

a) „Politische Schule“ im IPR

In radikaler Weise in Frage gestellt wird die Konzeption des herkömmli­ chen IPR durch eine mit dem Namen Wiethölter und Joerges verbundene Lehre45, die, auf der Grundlage der Untersuchungen von Steindorf?6 und Vogel47, 48 die Savignysche Fragestellung „vom Sachverhalt her“ und die damit einhergehende Bildung allseitiger Kollisionsnormen als einen zeitbedingten Ansatz begreift, der unmittelbar auf der Trennung von Staat und Gesell­ schaft und einem entstaatlichten4, seiner sozialen Funktionen entkleideten Privatrechtsverständnis beruhe49. Der bereits im ausgehenden 19. Jahrhun­ dert einsetzende „Funktionswandel“ des Privatrechts50 von einer die Frei­ heitsspielräume des einzelnen abgrenzenden hin zu einer wirtschafts- und sozialgestaltenden, der materialen Gerechtigkeit verpflichteten Privat­ rechtsordnung soll auch auf das IPR ausstrahlen: Dem IPR wird die Aufgabe zugewiesen, „die Kollision der Interessen zweier oder mehrerer Staaten an der Durchsetzung ihrer Sozialordnung gegenüber Sachverhalten mit Aus­ landsberührung zu lösen“51. Daraus wird die Forderung abgeleitet, den Ansatz beim privaten Rechtsverhältnis aufzugeben und stattdessen den statutistischen Ansatz beim Gesetz neu aufzunehmen52. Für das IPR soll dies bedeuten: Verzicht auf generelle Regeln mit universal verwendbaren An­

übernimmt eine, die Nationalisierung durch Kollisionsrecht korrigierende Funktion). Zur Bildung einer internationalen Sachnorm als notwendige Ergänzung einer bestimmten kollisions­ rechtlichen Lösung bereits Savigny VIII357. 45 Man spricht von einer „politischen Schule“ (so etwa Rehbinder, Zur Politisierung des IPR: JZ 1973, 151), zu der vor allem Kronstein, Wiethölter undjoerges gerechnet werden; vgl. Kronstein, Crisis of Conflict ofLaws (1949), in: ders. , Recht und wirtschaftliche Macht (1962) 289 (311, 313ff.); Wiethölter, Zur Frage des internationalen ordre public: BerDGesVR 7 (1967) 133 (135ff.); ders., [Buchbesprechung]: DVB1. 1967, 465; Joerges, Zum Funktions­ wandel des Kollisionsrechts (1971) (im folgenden: Joerges); ders., Die klassische Konzeption des IPR und das Recht des unlauteren Wettbewerbs: RabelsZ 36 (1972) 421; ders. , [Buchbespre­ chung]: AcP 178 (1978) 572. 46 Steindorff41 ff., 262f. 47 Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm (1965) 91 ff., 205 ff., 215 ff. (im folgenden: Vogel) . 48 Vögel 217. 49 Steindorff 41 ff, 262 f. 50 Joerges 16; ders., RabelsZ 36 (1972) 421 (467). 51 Rehbinder, JZ 1973,151. 52 Joerges, RabelsZ 36 (1972) 421 (467 f.); so im Ergebnis bereits auch Steindorff 263. Vogel 225 räumt der Savignyschen Konzeption ein „geschichtliches Recht“ ein, ohne in seiner dem internationalen Verwaltungsrecht gewidmeten Arbeit Konsequenzen für das heutige IPR zu ziehen; seine Ausführungen S. 263 N. 114 deuten an, daß er zu einer Dreiteilung von „Kembereichen“ des „Privaten“, des „Staatlichen“, mit einer Zwischenzone des „öffentlichen“, neigt.

knüpfungen53. Entscheidungsharmonie als Ideal des IPR wird verworfen54. Kollisionsrechtliche Lösungen sind, um der sozialgestaltenden Aufgabe des Privatrechts gerecht zu werden, an den regulativen Zwecken der Sach­ rechtsnormen auszurichten55.

b) Moderne amerikanische Strömungen

Wer heute einen Blick auf die amerikanischen Kollisionsrechtslehren wirft56, sieht sich einer solchen Vielzahl von methodischen Ansätzen und Begründungen gegenüber57, daß generelle Aussagen nur begrenzt und um den Preis einer Verkürzung und Verfälschung der maßgebenden, zum Teil sehr vielschichtigen Überlegungen möglich sind. Während man sich in der Ablehnung der als mechanisch empfundenen Kollisionsnormen des ersten Restatement von 193458 einig zu sein scheint, herrscht weitgehender Dissens darüber, was an ihre Stelle treten soll59. Zum einen gehen die Meinungen darüber auseinander, ob nach Möglichkeit Kollisionsregeln, wenn auch möglichst auf einzelne Rechtsfragen (issues) beschränkt, formuliert werden sollen60, oder aber ein „approach“ vorzuziehen ist, der es dem Richter 53 Joerges 151 ff; ders., RabelsZ 36 (1972) 421 (470). 54 Joerges, RabelsZ 36 (1972) 421 (470). 55 Zur - unterschiedlichen - Reaktion auf die Thesen der „politischen“ Schule vgl. etwa Neuhaus, Neue Wege im Europäischen IPR?: RabelsZ 35 (1971) 401 (403, 414ff); Rehbinder, JZ 1973, 151; Steindorff, Entwicklungen des deutschen IPR, in: Deutsche zivil- und kolli­ sionsrechtliche Beiträge zum IX. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Teheran 1974 (1974) 155 (157); Krenn, Anknüpfung von Exportkartellen im deutschen und österreichi­ schen IPR: RIW/AWD 1976, 487; E. Lorenz22ff.; Firsching, Z.f.Rvgl. 16 (1975) 99; Bucher, Grundfragen der Anknüpfungsgerechtigkeit im IPR (aus kontinentaleuropäischer Sicht) (1975) 4ff, 9ff, 42ff, 49ff. (im folgenden: Bucher); Spellenberg 105ff; Münchener Komm. (-Sonnenberger) VII Einl. IPR Rz. 9 ff. 56 Zur Einführung aus deutscher Feder: Joerges; Weitnauer 35 ff; Kegel, Rec. des Cours 112 (1964-11) 91 (zu Currie und Ehrenzweig) zuletzt Münchener Komm. (-Sonnenberger) VII Einl. IPR Rz. 15ff; Überblicke aus amerikanischer Sicht bei Leflar §§86-109; Cramton/ Currie/Kay, Conflict ofLaws2 (1975) 206 ff., 301 ff; Reese/Rosenberg, Cases and Materials on Conflict ofLaws7 (1978) 458ff, 478ff; Ehrenzweig, Private International Law I3 (1974) 62f.; Cavers, Contemporary Conflicts Law in American Perspective: Rec. des Cours 131 (1970-III) 75; von Mehren, Cornell L.Rev. 60 (1975) 927; Weintraub (oben § 1 N. 175) 1 ff. 57 Dasselbe Bild ergibt aber auch ein Blick auf „kontinentales“ IPR von jenseits des Ozeans: von Mehren, Comment: Am.J.Comp.L. 27 (1979) 605: „Generalizations respecting the methodology of Continental European private international law are probably even more difficult to make and less accurate than other generalizations respecting thinking on these matters in the United States“. 58 American Law Institute, Restatement ofthe Law of Conflict ofLaws 1934. 59 Reese (oben § 1 N. 190) 195. 60 Reese, Choice of Law: Rules or Approach?: Cornell L.Rev. 57 (1972) 315; von Mehren/ Trautman, The Law of Multistate Problems (1965) 551 (im folgenden: von Mehren/Trautman); Cavers 130 („principles of preference“); ders., Rec. des Cours 131 (1970-III) 75 (129f); auch das Restatement (Second) strebt, soweit als möglich, Kollisionsnormen mit festen An­

überläßt, im jeweiligen Einzelfall die vielfältigen Interessen zu benennen und ihre Wertigkeit im Hinblick auf den Sachverhalt zu bestimmen61. Zum anderen besteht keine Einigkeit über Aufgaben und Ziele des Kollisions­ rechts62. Bei aller Verschiedenheit läßt sich jedoch ein einigendes Band in der gegenüber dem herkömmlichen IPR gewandelten Auffassung der Bedeu­ tung des materiellen Rechts für das Kollisionsrecht erkennen63: Praktisch alle Kollisionsrechtstheoretiker wollen bei der Rechtsanwendung in internatio­ nalen Sachverhalten die Wertungen und regulativen Zwecke der Privat­ rechtsnormen zumindest mitberücksichtigen, wenn auch in unterschiedli­ chem Ausmaß64. Am radikalsten wird die Verknüpfung von Sachrecht und Kollisionsrecht von jenen Autoren betont, die kollisionsrechtliche Lösungen allein auf eine Auslegung der Sachnormen zu verkürzen versuchen. Für Brainard Currie65, dem Begründer der „governmental interest"-Lehre, verfehlen die überkom­ menen Kollisionsnormen im Sinne des ersten Restatement die in den Sach­ normen der berührten Rechtsordnungen verfolgten Rechtszwecke (policies)66, ohne dabei die angestrebten Ziele - Rechtssicherheit, Klarheit und internationalen Entscheidungseinklang - zu erreichen67. Currie selbst will knüpfungen an; Reese (oben § 1 N. 190) 201. Vgl. auch Reese/Rosenberg (oben N. 56) 549; Cramton/Currie/Kay (oben N. 56) 352. 61 Gegen Kollisionsnormen vor allem Currie 52: „A choice-of-law rule is an empty and bloodless thing“; ebd. 180 N. 11 (wo Currie jedoch einräumt, daß sachnormadäquate Kolli­ sionsnormen viele Einwände gegen das herkömmliche Kollisionsrecht beseitigen könnten); ebd. 183: „We would be better off without choice of law rules“. 62 Insbesondere über die Bedeutung des internationalen Entscheidungseinklangs, der Vor­ aussehbarkeit der Entscheidung sowie über die Entwicklung und Formulierung in den Sach­ normen nicht enthaltener „multistate policies“; vgl. zu den letzteren von Mehren/Trautman 226 sowie von Mehren, Cornell L.Rev. 60 (1975) 927 (936, 938). 63 Kegel, FS Beitzke 551 (552); vgl. auch Cramton/Currie/Kay (oben N. 56) 378: „American courts and commentators, almost without exception, concede the relevance of the interests and policies of the concerned States; the quarreling is about the relative weight to be given to those interests, how they should be analyzed, and the other considerations which should be brought to bear“. 64 Etwa Harper, Policy Bases of the Conflict ofLaws: Reflections on Rereading Professor Lorenzen’s Essays: Yale LJ. 56(1947) 1155 (1161); Cheatham/Reese, Choice of the Applicable Law: Col.L.Rev. 52 (1952) 959 (965); Cavers 96; ders., Rec. des Cours 131 (1970-III) 75 (122, 148); Weintraub (oben § 1 N. 175) 29, 203, 255, 258f; ders., Beyond Dpeage- A „New Rule“ Approach to Choice of Law in Consumer Credit Transactions and a Critique of the Territorial Application of the Consumer Credit Code: Case West.Res.L.Rev. 25 (1974) 16 (25); von Mehren/Trautmann 76; Leflar § 106, § 108 (zurückhaltender); Ehrenzweig, Rec. des Cours 124 (1968-11) 167 (186, 259) (einzige Aufgabe der Gerichte sei es, „to analyze the reach of their own law“; dies habe durch Rückgriff auf die policy der Sachnorm zu erfolgen, ebd. 183; unter policy versteht Ehrenzweig die „Erforschung des sozialen und wirtschaftlichen Zwecks der Sachnorm“, ebd. 183 N. 1 unter Hinweis auf Schnell); ders., Wirklichkeit einer „Lex-ForiTheorie“, in: FS Wengler II (1973) 251 (258); ders. (oben N. 56) 96. 65 Zu Currie insbesondereJOERGES 43 ff; zuletzt JUENGER, Am.J.Comp.L. 32 (1984) 1 (lOff). 66 Currie 180: „The rules do operate to nullify state interests“. 67 Currie 179f.

auf die herkömmlichen Kollisionsnormen verzichten. Ein Gericht soll, so­ fern es nicht durch gesetzliche Kollisionsnormen der lex fori gebunden ist, den Ausgangspunkt für die Entscheidung eines international verknüpften Falles bei den Sachnormen der in Frage kommenden Rechtsordnungen suchen und hierbei die Rechtszwecke der Normen („governmental poli­ cy“)68 ermitteln. In einem zweiten Schritt sind dann die Umstände (Ver­ knüpfungen) zu bestimmen, unter denen die Staaten an der Anwendung ihrer Normen im Hinblick auf die verfolgten Rechtszwecke interessiert sind („governmental interests“, Rechtsanwendungsinteressen)69. Für Currie han­ delt es sich dabei im wesentlichen um ein Problem der Auslegung des Sachrechts70: Der Richter prüft, welche international verknüpften Sachver­ halte von der Sachnorm erfaßt werden müssen, damit der Regelungszweck der Norm gefördert bzw. durchgesetzt wird. Nur wenn im konkret zu entscheidenden Fall ein Konflikt der Rechtsanwendungsinteressen der be­ rührten Rechtsordnungen besteht, sind weitere Überlegungen geboten71. Ehrenzweig geht grundsätzlich von der Existenz klar formulierter, aber auch „versteckter“ Kollisionsnormen aus72. Sind keine Kollisionsnormen nachweisbar, hat der Richter nicht etwa nach allgemeinen kollisionsrechtli­ chen Grundsätzen zu entscheiden (kein „Überrecht“)73 oder Kollisionsregeln zu entwickeln, sondern eine Entscheidung durch Auslegung der Sachnormen der lex fori zu treffen74. Inländische Sachnormen sind daraufhin zu überprü­ fen, ob die von ihnen verfolgten wirtschaftlichen und sozialen Zwecke75 eine 68 Zum Begriff der governmental policy: Joerges 43 f. Mit governmental policy meint Currie nicht etwa eine spezifisch öffentlich-rechtliche Zwecksetzurig, sondern vielmehr die Rechtszwecke der Sachnorm; Currie 54,189. Dazu auch Trutmann, Das IPR der Deliktsobli­ gationen (1973) 19ff (22) (im folgenden: Trutmann); Spellenberg 112. 69 Currie 189, 621. 70 Currie 184f. 71 Siehe dazu Currie, Comment on Babcock v. Jackson: Col.L.Rev. 63 (1963) 1233 (1242); ders., in: Reese/Rosenberg (oben N. 56) 470 (in einem ersten Schritt der Konfliktlösung soll eine „more moderate and restrained interpretation of the policy or interest of one state or the other“ versucht werden; sind die Rechtsanwendungsinteressen der Staaten dann immer noch im Konflikt, soll das Gericht das Recht des Forums anwenden). Frühere Stellungnahmen waren weniger differenziert; vgl. Currie 183, 189. 72 Ehrenzweig, A Proper Law in a Proper Forum: A „Restatement“ of the „Lex Fori Approach“: Oklahoma L.Rev. 18 (1965) 340, abgedruckt in: Internationales Privatrecht, hrsg. von Picone/Wengler (1974) 324 (330). In diesem Bereich positiv nachweisbarer Kollisionsnor­ men wird die Aufgabe der Kollisionsrechtswissenschaft darin gesehen, „to systemize true rules of choice“. Rechtspolitischen Argumenten steht Ehrenzweig insoweit reserviert gegenüber, ebd., 331 und N. 22. 73 Ehrenzweig, FS Wengler II251 (253ff.); ders., Rec. des Cours 124 (1968-11) 167 (226ff., 256). 74 Ehrenzweig, FS Wengler II251 (258f., 261); ders. (oben N. 72) 336; ders., Rec. des Cours 124 (1968-11) 167 (209). 75 Ehrenzweig, Rec. des Cours 124 (1968-11) 167 (183 N. 1); vgl. ders., FS Wengler II 251 (258): „Rechtszweck“.

Anwendung auf einen international verknüpften Sachverhalt rechtfertigen bzw. erforderlich machen. Ausländische Regelungsinteressen spielen dabei keine Rolle. Erheben die Sachnormen der lex fori keinen Anwendungsan­ spruch bei einem Sachverhalt mit internationalen Verknüpfungen, kann ausländisches Recht zur Anwendung kommen, wenn dies dem Sinn der inländischen Sachnorm entspricht76.

Die weitgehende Reduzierung der Rechtsanwendungsproblematik auf eine bloße Auslegung von Sachnormen ist - auch in den Vereinigten Staaten - auf verbreitete Ablehnung gestoßen. Denn die Rechtszwecke der Sachnormen sind keineswegs immer eindeutig erkennbar77. Zum Teil sind Sachnormen von mehreren Rechtszwekken getragen, die in internationalen Sachverhalten zu verschiedenen Lösungen fuhren können78. Sachnormbezogene kollisionsrechtliche Lösungen negieren die kollisions­ rechtliche Relevanz allgemeiner Rechtszwecke und Rechtsgrundsätze, die sich nicht unmittelbar in den Sachnormen selbst niederschlagen, sondern ein Rechtsgebiet oder aber die Rechtsordnung als ganze prägen79. Sachnormen sind für eine Ordnung nationaler Sachverhalte konzipiert; die Regelung zwischenstaatlicher Rechtsverhält­ nisse wirft hingegen neuartige Probleme auf, für die es erst der Formulierung eigenständiger Politiken bedarf80. „Kollisionsrecht“ als Auslegung des Sachrechts wird nur allzu leicht den Richter dazu verleiten, diese die Entscheidung beeinflussen­ den Politiken und Wertungen hinter einer Auslegung der Sachnormen zu verstecken, anstatt sie offen - und damit nachprüfbar - zur Begründung heranzuziehen81. 82 Bei aller Skepsis gegenüber einem strikt sachnorm-bezogenen Lösungsansatz bleibt aber auch für die Kritiker von Currie und Ehrenzweig der Rechtszweck der Sachnorm ein wichtiges, die Rechtsanwendungsentscheidung beeinflussendes Element. Von Mehren und Trautman92 geht es vor allem darum, für die Lösung internationaler Fälle die Rechtszweck-Analyse der nationalen Sachnormen durch die Formulierung spezifisch auf internationale Sachverhalte bezoge­ ner nationaler Politiken („multi-state policies") zu ergänzen und dadurch zu internationalen Sachnormen vorzustoßen. Cavers, der, anders als Currie und Ehrenzweig, die Bildung von Kollisionsregeln befürwortet („principles of 76 Ehrenzweig (oben N. 72) 336; ders., FS Wengler II251 (260E); ders., Rec. des Cours 124 (1968-11) 167 (209f.). 77 Cavers 108; ders., Rec. des Cours 131 (1970-III) 75 (131): „mystiqueofinterpretation"; Reese, Cornell L.Rev. 57 (1972) 315 (317); von Mehren, Cornell L.Rev. 60 (1975) 927 (942). Currie scheint durchweg davon auszugehen, daß sich eindeutige Rechtszwecke durch Ausle­ gung bestimmen lassen. 78 Reese, Cornell L.Rev. 57 (1972) 315 (318); Cavers 108. 79 Cavers 74, 98. 80 Mit Nachdruck von Mehren, Cornell L.Rev. 60 (1975) 927 (928 u. ö.); Cavers 108f; Leflar 203fF. (§ 102); vgl. auch Currie 186f. 81 Siehe Leflar 189ff. (§94). 82 von Mehren/Trautmann 76, 240fF., 257fE; von Mehren, Special Substantive Rules For Multistate Problems - Their Role and Significance in Contemporary Choice oFLaw Methodology: Harv.L.Rev. 88 (1974) 347.

preference“)83, sieht den entscheidenden Unterschied zu Kollisionsnormen herkömmlicher Prägung gerade darin, daß die neu zu entwickelnden Nor­ men nicht sachrechtsneutral, sondern sachzweckbezogen formuliert werden müssen84. Für Autoren wie Leflar85 und Reese86, die bei der Rechtsanwen­ dungsentscheidung in besonderem Ausmaß auf spezifisch internationalpri­ vatrechtliche Interessen und Maximen Rücksicht nehmen wollen - Voraus­ sehbarkeit der Entscheidung, Aufrechterhaltung der zwischenstaatlichen und internationalen Ordnung, Vereinfachung des richterlichen Entschei­ dungsprozesses (auch durch Bildung von Kollisionsnormen)87 -, ist der Rechtszweck der Sachnormen zumindest ein wichtiger, die Rechtsanwen­ dung mitbestimmender Faktor88. § 6 (2) Restatement (Second) entspricht im wesentlichen den Gedankengängen von Reese und Leflar: Die Rechtsan­ wendungsentscheidung soll unter anderem die „relevant policies of the forum“, „the relevant policies of other interested States and the relative interests of those States in the determination of the particular issue“ und „the basic policies underlying the particular field of law“89 ins Auge fassen90.

Die Ursprünge der „Kopernikanischen Revolution“91 im amerikanischen IPR lie­ gen in den Zwanziger und Dreißiger Jahren, als in den Vereinigten Staaten „sociolo-

83 Cavers 139ff.; ders., Rec. des Cours 131 (1970-III) 75 (153). 84 Cavers, Rec. des Cours 131 (1970-III) 75 (151); ders. (oben N. 35) 172 (die folgende Frage sei entscheidend: „in choosing between laws, under what circumstances should we prefer the more protective law?“); vgl. auch Cavers, The Proper Law of Producer’s Liability: Int. Comp.L.Q. 26 (1977) 703 (718, 719). 85 Leflar §§ 102-108. 86 Cheatham/Reese, Col.L.Rev. 52 (1952) 959; Reese, Conflict of Laws and the Restatement Second: L. Contemp. Probl. 28 (1963) 679; Reese, Cornell L.Rev. 57 (1972) 315; Reese, Rec. des Cours 150 (1976-11) 1. 87 Reese, Cornell L.Rev. 57 (1972) 315 (316, 319, 322); Leflar 208, 216. 88 Leflar 210ff; Reese, Cornell L.Rev. 57 (1972) 315 (320, 322). 89 § 6 (2) lautet: „... the factors relevant to the choice of the applicable rule of law include (a) the needs of the interstate and international Systems, (b) the relevant policies of the forum, (c) the relevant policies of other interested States and the relative interests of those States in the determination of the particular issue, (d) the protection ofjustified expectations, (e) the basic policies underlying the particular field of law, (f) certainty, predictability and uniformity of result, and (g) ease in the determination and application of the law to be applied“. 90 Die Nähe der „choice-of-law principles“ zu den „allgemeinen Rechtsgrundsätzen“ im Sinne von Wengler, Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des IPR und ihre Kollisionen: Arch. öff.R. 23 (1944) 473ff, sowie den Anknüpfungsmaximen im Sinne von Neuhaus 160ff, ist unverkennbar. 91 von Mehren, Cornell L.Rev. 60 (1975) 927 (933).

gicaljurisprudence" und „legal realism"92 tradiertes Rechtsverständnis in Frage stell­ ten und grundlegend veränderten92 93. Rechtsrealismus als eine „Rechtslehre, die nicht den Rechtsbegriff, sondern das wirkliche... Verhalten der Personen in den Mittelpunkt stellt“94, 95 forderte die Skepsis gegenüber der determinierenden Funktion von Rechtsregeln („rule skepticism")95, die allein aus vorgegebenen Axiomen, wie dem Territorialitätsprinzip und den „vested rights“ bei Beale96, abgeleitet wurden, und öffnete den Blick für die tragen­ den, von den Gerichten zumeist verschleierten97 Wertungen98. 99 In noch weitgehenderer Weise sah sich Beale’s IPR durch das sich wandelnde Privatrechtsverständnis in Frage gestellt: Die sociologicaljurisprudence" begreift das Recht nicht mehr als System abstrakter, in den precedents verkörperter Prinzipien, sondern als eine Antwort auf die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realitäten. Recht läßt sich verstehen als ein Mittel zur Erreichung bestimmter Zwecke100. Recht gewinnt damit instrumentale Bedeutung: Der Richter als Schöpfer des Common Law hat die Aufgabe, das Recht an die sozialen Verhältnisse und den gesellschaftli­ chen Wandel anzupassen101. Die Konsequenzen der sociologicaljurisprudence für das tradierte Kolli­ 92 Dazu Rumble, American Legal Realism (1968); White, Patterns of American Legal Thought (1978) 99; Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung II: Anglo-amerikanischer Rechtskreis (1975) 223 ff 93 Vischer, Die Kritik an der herkömmlichen Methode des IPR, in: FS Germann (1969) 287 (293ff); Cavers, Rec. des Cours 131 (1970-III) 75 (100); Yntema, The Objectives of Private International Law: Can.B.Rev. 35 (1957) 721 (730). 94 Fikentscher (oben N. 92) 283. 95 Rumble (oben N. 92) 48. 96 Zu Beale vgl. Joerges 26 ff. Während die Territorialität des Rechts die Begründung liefert, warum das Sachrecht des Forums nicht universal anwendbar ist, wird mit der vested-rightsTheorie die Anwendung fremden Rechts durch die Gerichte möglich und notwendig. Zur vested-rights-Theorie im 19. Jahrhundert Hurst, Law and the Conditions of Freedom in the Nineteenth-Century United States (1956) 23 ff. 97 Friedmann, A History of American Law (1973) 334: „formalism as a protective device“. 98 Siehe etwa die Studie von Carnahan, Conflict of Laws and Life Insurance Contracts (1942); Cook, The Logical and Legal Basis ofthe Conflict ofLaws: Yale LJ. 33 (1924) 457 (460); Ehrenzweig, Treatise 353. 99 Grundlegend Pound, The Scope and Purpose of Sociologicaljurisprudence: Harv.L.Rev. 24 (1911) 591, ebd. 25 (1911/1912) 140, 489. 100 Pound, Harv.L.Rev. 25 (1911) 140 (146). 101 Cardozo, The Nature of thejudicial Process (1921) 135, 136ff., 142ff. [hier zitiert nach 197113]; Hurst, The Growth of American Law (1950) 185; Rumble (oben N. 92) 27 f. Sociologi­ caljurisprudence weist dem Recht eine Steuerungsfunktion zu, die in den Vereinigten Staaten an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert bereits deutlich artikuliert worden war; vgl. Horwitz, The Transformation of American Law, 1780-1860 (1977) 30; Nelson, Americanization of the Common Law (1975) 145, 165; Gilmore, The Ages of American Law (1977) 19; Nelson, The Impact of the Antislavery Movement upon Styles of Judical Reasoning in Nineteenth Century America: Harv.L.Rev. 87 (1974) 513 (514, 519). Erst der Übergang zu einem stärker begrifflichen, mit feststehenden Prinzipien (und damit: Wertungen) arbeitenden Denken in den Jahren nach 1850 leitete den Rückzug der Rechtsprechung aus ihrer Verantwor­ tung für die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Rechts ein; vgl. Hor­ witz 253; Gilmore 41; Nelson (diese Note) 538, 547; Friedman (oben N. 97) 332.

sionsrechtsdenken liegen auf der Hand. Nicht mehr „vested rights“ und Territorialität als vorgegebene Axiome102 sind für die kollisionsrechtliche Entscheidung maßgebend, sondern - wenn auch nicht notwendig aus­ schließlich - die Regelungszwecke der Sachnormen. Currie’s „governmen­ tal policy analysis", mit der der Anwendungsanspruch der Sachnormen auf internationale Sachverhalte bestimmt werden soll, basiert auf dem gewan­ delten Privatrechtsverständnis: Für Currie ist Recht ein „Instrument ofsocial control“103, Rechtsnormen sind Antworten des Gemeinwesens auf die sozia­ len, wirtschaftlichen und ideellen Konflikte in der Gesellschaft104, die auch nach einer rechtszweckorientierten Durchsetzung in international verknüpf­ ten Sachverhalten verlangen105. In dieser Position liegt der entscheidende Beitrag der modernen amerikanischen Strömungen zur Theorie des IPR106 und zugleich eine Herausforderung gegenüber allen kollisionsrechtlichen Ansätzen, die auf einer strikten Trennung von Sachrecht und Kollisionsrecht beharren wollen.

102 Die vested-rights-Theorie läßt sich auch als eine Übertragung materiellrechtlicher Grundwertungen auf das IPR deuten. Die vested-rights-Doktrin in ihrer verfassungsrechtli­ chen Ausprägung durch die „contract clause" - und „due process clause“-Rechtsprechung des Supreme Court (dazu Ehmke, Wirtschaft und Verfassung [1961] 219ff., 306ff.), half die Grundlage der amerikanischen Wirtschaftsgesellschaft des 19. Jahrhunderts - Vertrag und Eigentum - gegenüber zu weitgehenden Eingriffen der einzelstaatlichen Parlamente absichern. Ihre Aktualisierung im IPR ist im Ergebnis der Versuch, die die liberale Privatrechtsordnung prägenden Grundwertungen für das IPR fruchtbar zu machen. Die Feststellung von JOERGES 31, Beales IPR sei ein Fremdkörper in der Rechtstradition der USA gewesen, bedarf der Überprü­ fung. 103 Currie 64; vgl. von Mehren, Cornell L.Rev. 60 (1975) 927 (941). 104 Siehe Vischer, Das neue Restatement „Conflict ofLaws“: RabelsZ 38 (1974) 128 (133). 105 Currie 106, 184; insoweit übereinstimmend Cavers 99ff.; ders., Rec. des Cours 131 (1970-III) 75 (148). 106 Den Einfluß der amerikanischen IPR-Lehren auf das europäische Kollisionsrecht disku­ tieren die Beiträge von Vitta, Lando, Siehr, Hanotiau, Lowenfeld und Juenger in: Am.J. Comp.L. 30 (1982) 19, 37, 73, 99, 117.

§ 4: Sachrechtszweck und Kollisionsnorm in der Theorie des 19. Jahrhunderts In der Sachnormneutralität des herkömmlichen, auf Savigny zurückge­ henden Kollisionsrechtsverständnisses sieht man einen der wesentlichen Unterschiede zu den modernen amerikanischen Strömungen1. Savignys als „kopernikanisch" bezeichnete2 Wende in der kollisionsrechtlichen Fragestel­ lung, sein Ansatz beim Sitz des Rechtsverhältnisses anstelle des Blicks vom Gesetz3 und die damit einhergehende Bildung allseitiger, auf internationale Entscheidungsharmonie abzielender Kollisionsnormen4 5gilt Befürwortern wie Kritikern des IPR Savignyscher Prägung als der Ausdruck einer „entpo­ litisierten“ bzw. „entstaatlichten"5 Fragestellung im IPR. Wenn Vogel diese Fragestellung als Konsequenz eines Verständnisses zu erklären sucht, das das Privatrecht nicht als staatliche, sondern als eine dem Staat bereits vorgegebe­ ne rechtliche Ordnung6 deutet, wird für Savigny eine Distanz des Staates zu seinem Privatrecht behauptet, in der die Sachnormneutralität der kollisions­ rechtlichen Fragestellung ihre natürliche Entsprechung finden soll. Die fol­ genden Untersuchungen zum Verhältnis von Sachrechtszwecken und Kolli­ sionsrecht bei Savigny, Bar und Kahn werden jedoch deutlich machen, daß bei den maßgeblichen Kollisionsrechtstheoretikern, die an den Fundamen­ ten des heutigen IPR mitgebaut haben, die kollisionsrechtlichen Wertungen 1 Cavers, Int.Comp.L.Q. 26 (1977) 703 (718); Vischer, RabelsZ 38 (1974) 128 (137); vgl. auch Zweigert, RabelsZ 37 (1973) 435 (443); Kegel, Rec. des Cours 112 (1964-11) 91 (198); ders., FS Beitzke 551 (553, 558). 2 Neuhaus, Savigny und die Rechtsfindung aus der Natur der Sache: RabelsZ 15 (1949/50) 364 (366). Zur Frage, ob Savignys Ansatz beim Rechtsverhältnis und sein Ideal der Entscheidungshar­ monie eine grundlegend neue Fragestellung in der historischen Entwicklung darstellt, vgl. einerseits Vogel 205, 215ff. und andererseits E. Lorenz 26ff.; Schurig 115ff.; Sandmann, Grundlagen und Einfluß der internationalprivatrechtlichen Lehre Carl Georg von Waechters (1797-1880), (Diss. Münster 1979) 226, 232. Zuletzt Neuhaus, Abschied von Savigny?: RabelsZ 46 (1982) 4 (5ff). 3 Savigny VIII 3 hält beide Blickrichtungen für gleichwertig: „beide Arten, die Frage aufzufassen, sind nur im Ausgangspunkte verschieden. Die Frage selbst ist hier und dort dieselbe, und die Entscheidung kann in beiden Fällen nicht verschieden ausfallen“. 4 Dazu von Mehren, Am.J.Comp.L. 27 (1979) 605 (607). Cavers’ Plädoyer für „principles of preference“ zeigt indes, daß sachnormbezogene, allseitige Kollisionsnormen durchaus for­ mulierbar sind; vgl. Cavers, Rec. des Cours 131 (1970-III) 75 (153). 5 Neuhaus, RabelsZ 15 (1949-50) 364 (372, 376); Vogel 217. 6 Vogel 217. Vogel spricht von „vorstaatlichem“ Privatrecht (223).

und Lösungen in einem nicht unerheblichen Maße auf die Rechtszwecke der Sachnormen abgestimmt sind.

Man wird Savigny nicht gerecht, wenn man sein IPR allein auf die Suche nach dem Sitz des Rechtsverhältnisses, die Formulierung allseitiger Kollisionsnormen und die Verwirklichung internationalen Entscheidungseinklangs reduziert7; ebensowenig wird man der Gleichsetzung von allseitigen Kollisionsnormen im Sinne Savignys und sachzweckneutralem Kollisionsrecht8 vorbehaltlos zustimmen können.

I. Savignys Konzeption 1. Privatrechtsverständnis und Kollisionsrecht

a) Privatrecht Privatrecht umfaßt bei Savigny - unter Abgrenzung gegenüber dem öffentlichen Recht9 - die „Gesamtheit der Rechtsverhältnisse, welche den einzelnen Menschen umgeben“10. Savigny gliedert den Privatrechtsstoff in zwei Bereiche: das „reine Rechtsgebiet“ und das „anomalische Recht“. Das „reine Rechtsgebiet“11, zu dem vor allem das Vermögensrecht zählen soll12, definierte Savigny als den Bereich der „Herrschaft des Willens“13, in dem die Rechtsregeln keine materialen, sozial- oder wirtschaftsgestaltenden Ziele verfolgen, sondern sich darauf beschränken, die Freiheitssphären der Personen formal abzugrenzen, um Klarheit und Rechtssicherheit zu ge­ währleisten14.

Auf der Kantschen Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität aufbauend,15 bestimmt Savigny die Aufgabe des Rechts: Recht ist nicht mit Sittlichkeit identisch, noch soll es Sittlichkeit verwirklichen16. Recht soll vielmehr dem Individuum die Möglichkeit zu sittlichem Handeln geben und dadurch die „sittliche Bestimmung 7 Dies gegen von Mehren, Am.J.Comp.L. 27 (1979) 605, der die bedeutende Rolle der „streng positiven, zwingenden“ Prohibitivnormen in Savignys IPR unberücksichtigt läßt. 8 So Joerges 10 ff. 9 Zur Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht bei Kant und Savigny: Bullin­ ger, Öffentliches Recht und Privatrecht (1968) 38 ff, 41 ff. 10 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts I (1840) 22, 27 (im folgenden: Savigny I). 11 Savigny 161, 56: „Rechtsgebiet für sich“. 12 Savigny 1331 ff. 13 Savigny 1334. 14 Savigny I 217 f. Zur großen Bedeutung der Rechtssicherheit aus vernunftsrechtlicher Sicht: J. A. Feuerbach, Über Philosophie und Empirie in ihrem Verhältnisse zur positiven Rechtswissenschaft (1804) [Neudruck 1969] 13f, 23 ff. 15 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung, in: Kant - Studienausgabe, hrsg. von Weischedel IV (1968) 318 („juridisch“ - „ethisch“), 324. 16 Savigny 1332: „das Recht dient der Sittlichkeit, aber nicht indem es ihr Gebot vollzieht“.

der menschlichen Natur“ sichern17. Zentralbegriff des Savignysehen Privat­ rechtsdenkens ist damit die Freiheit des einzelnen18: Im Gebrauch der Freiheit ver­ wirklicht der Mensch seine sittliche Natur19. Privatrechtsdogmatisch wird die Frei­ heit des Individuums auf den Begriff des „subjektiven Rechts“ gebracht als „die der einzelnen Person zustehende Macht: ein Gebiet, worin ihr Wille herrscht, und mit unserer Einstimmung herrscht“20. Funktion der Rechtsregeln ist es, für eine Abgren­ zung der Freiheitsräume zu sorgen21: denn die Entfaltung freiheitlichen Handelns bedingt die „Anerkennung einer unsichtbaren Gränze, innerhalb welcher das Daseyn, und die Wirksamkeit jedes Einzelnen einen sicheren, freyen Raum gewinne“22. Savigny hat damit - unter Ablehnung naturrechtlicher Begründungsversuche23 seine Prämissen zur philosophisch-systematischen Erfassung und Entfaltung des Rechts (im Bereich des „reinen Rechtsgebietes“) in enger Anlehnung an die formale Freiheits- und Pflichtenethik Kants entwickelt24. Mit dem subjektiven Recht als der dem einzelnen eingeräumten Willensmacht und der Privatautonomie - in den Aus­ prägungen der Vertrags-, Testier- und Verfügungsfreiheit - als Befugnis zur eigen­ verantwortlichen Gestaltung der eigenen Rechtssphäre hat er zugleich, ohne dies unmittelbar anzusprechen25, die „ethischen und sozialen Wertvorstellungen der mo­ dernen, liberalen Wirtschaftsgesellschaft getroffen“26. Zu Recht und Sittlichkeit bei Savigny neuestens Rückert, Idealismus jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny (1984) 364 ff. 17 Savigny 153. 18 Coing, Savigny und die deutsche Privatrechtswissenschaft: NJW 1979, 2019 (2020); vgl. Wieacker, Pandektenwissenschaften und industrielle Revolution, in: ders., Industriegesell­ schaft und Privatrechtsordnung (1974) 55 (59); zum Freiheitsbegriff bei Savigny zuletzt RÜKkert (oben N. 16) 367 ff. 19 Siehe Kant (oben N. 15) 326. 20 Savigny 17; vgl. auch Savigny 1333; VIII10, 12 ff. 21 Savigny I 333: „(Die) Bestimmung durch eine Rechtsregel besteht aber darin, daß dem individuellen Willen ein Gebiet angewiesen wird, in welchem er unabhängig von jedem fremden Willen zu herrschen hat“; vgl. Kant (oben N. 15) 336: „Das Recht ist... der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“. 22 Savigny I 331 f: „Die Regel, wodurch jene Gränze und durch sie dieser freye Raum bestimmt wird, ist das Recht“. 23 Savigny 152. 24 Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwick­ lung der modernen Gesellschaft, in: ders., Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung (1974) 7 (11); ders. (oben N. 18) 59; vgl. Kiefner, Der Einfluß Kants auf Theorie und Praxis des Zivilrechts im 19. Jahrhundert, in: Philosophie und Rechtswissenschaft, hrsg. von Blühdorn/ Ritter (1969) 3 ff. 25 Savigny I S. XXI bezeichnet denjenigen als einen „vollendeten Theoretiker“, „dessen Theorie durch die vollständige, durchgeführte Anschauung des gesamten Rechtsverkehrs belebt würde; alle sittlichen, religiösen, politischen, staatswirthschaftlichen Bedingungen des wirklichen Lebens müßten ihm dabei vor Augen stehen“; vgl. auch S. 90: Die Aufgabe der praktischen Wissenschaft bestehe darin, das historisch überlieferte, quellenmäßige Recht in Verhältnis zum „lebendigen Rechtszustand zu bringen“, wobei das „Bedürfnis der neueren Zeit ins Auge zu fassen ist“. Das im Schrifttum konstatierte Zusammentreffen „ethischer und sozial­ philosophischer Prämissen“ im Privatrechtssystem Savignys „mit den praktischen, wirt­ schaftspolitischen Erfordernissen der Zeit“ (so Coing, Rechtsentwicklung und Wirtschaftsent­

Von dem so verstandenen reinen Rechtsgebiet unterscheidet Savigny einen Bereich des Privatrechts, in dem die Rechtsregeln sich nicht darauf beschränken, Freiheitsphären abzugrenzen, sondern in gestaltender Weise26 27 materielle Ziele und Zwecke verfolgen28 - einen Bereich, in dem sich das „allgemeine Rechtselement“ wie es sich im „reinen Rechtsgebiet am voll­ kommensten verwirklicht“, mit anderen Prinzipien mischt29: „1) Als Beach­ tung sittlicher Zwecke außer dem Rechtsgebiet..., 2) als Beachtung des Staatsinteresses..3) als väterliche Vorsorge für das Wohl des Einzelnen (ratio utilitatis), z. B. Beförderung des Verkehrs, Schutz einiger Klassen, wie Frauen und Minderjährige, gegen besondere Gefahren“30. Savigny nennt solches sozial- und wirtschaftsgestaltendes Zweckrecht „anomalisches Recht“31, weil hier dem „allgemeinen Rechtselement“ „fremde Elemente“ „in das Recht eingreifen und... dessen reine Grundsätze modifizieren“32. Ist für Savigny das Vermögensrecht der Inbegriff des „reinen Rechts gebietes“33, ohne anomalische Rechtsnormen auszuschließen34, so ist der andere Hauptteil des Privatrechts, das Familienrecht35 von „gemischter“ Natur: Die Familie schließt ein sittliches Element ein36. Die Rechtsnormen sind von der „sittlichen Natur“ der Rechtsverhältnisse geprägt37. Für Savigny verfolgen „reines Recht“ und „gemischtes Recht“ ein gemeinsames Ziel, sind aber in ihrer Herkunft verschieden. Die verschiedene „Herkunft“38 liegt in

wicklung im 19. Jahrhundert als Fragestellung für die Rechtsgeschichte, in: FS Böhm [1975] 101 [108]; Bullinger [oben N. 9] 43) indiziert, daß Savigny seinen an die Wissenschaft gesetzten Ansprüchen voll entsprochen hat. 26 Wieacker (oben N. 18) 59; vgl. auch Dilcher, Die Auseinanderentwicklung von Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz (1815-1848), in: Sozialwissenschaften im Studium des Rechts IV - Rechtsgeschichte, hrsg. von Dilcher/Horn (1978) 67 (74). 27 Savigny I 218: „Bey dem anomalischen Recht (lus singulare) ist dagegen vorherrschend die Beziehung auf das, was in der Zukunft erreicht werden soll“. 28 Savigny 164, 217 mit Konsequenzen für die Auslegung. 29 Savigny 155 spricht von einer „gemischten“ Natur des Rechts. 30 Savigny 156. 31 Savigny I 61, 218; ders., System des heutigen Römischen Rechts II (1840) 90ff. (im folgenden: Savigny II). 32 Savigny 161: Insofern gehen sie „contra rationemjuris“. 33 Savigny 1331 ff, 370 (grundlegend für das Verhältnis Recht-Sittlichkeit), 371. 34 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts III (1840) 28 (im folgenden: Savigny III), qualifiziert Regeln über die beschränkte Geschäftsfähigkeit als ius singulare, weil sie - im Vergleich zur völligen Geschäftsunfähigkeit - eine „zur Erleichterung des Rechtsverkehrs getroffene Einrichtung sei(en) “. 35 Dazu im einzelnen Müller-Freienfels, Zur Diskussion um die systematische Einordnung des Familienrechts, Teil II: RabelsZ 38 (1974) 533 (548 ff). 36 SavingyI370. 37 Savigny VIII324. 38 Savigny 161.

der Ableitung aus verschiedenen Prämissen: „Anomalisches Recht“ hat seinen Ent­ stehungsgrund nicht, wie das „reine Recht“, in der Freiheit des Individuums, son­ dern in der Sitte, der utilitas und necessitas3’. Gemeinsam ist beiden Rechtsbereichen das Ziel39 40: Die „Anerkennung der überall gleichen sittlichen Würde des Menschen“41 - ohne daß dem ein zweites, davon zu unterscheidendes Ziel, unter dem Namen „öffentlicher Wohlstand“ gegenüber gestellt werden müßte42. Anomalisches Recht überläßt die Verwirklichung der Sittlichkeit nicht dem eigenverantwortlich, willkür­ lich handelnden Individuum, sondern verwirklicht die sittlichen, sozialen oder staatspolitischen Zwecke selbst.

b) Kollisionsrechtliche Konsequenzen Savignys Wende in der kollisionsrechtlichen Fragestellung, sein nach­ drücklich betonter und praktizierter Ansatz beim Rechtsverhältnis erweist sich auf dem Hintergrund seines Verständnisses vom „reinen Rechtsgebiet“ nicht als eine Ablösung von den das materielle Recht beherrschenden Wer­ tungen43, sondern als ihre konsequente Fortschreibung für die Lösung interna­ tional verknüpfter Rechtsfälle. Reduziert sich die Bedeutung der Rechtsregeln auf dem reinen Rechtsge­ biet auf eine formale Ordnungsfunktion, weil „in der Natur vieler Bestim­ mungen eine relative Gleichgültigkeit“44 liegt, muß die Bestimmung des Anwendungsbereiches vom Gesetz her, von seinem Sinn, Geist und Zweck45, wenig sinnvoll erscheinen. Der den Regeln des reinen Rechtsge­ biets zugeschriebene formale Ordnungszweck - die Absicherung von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit - enthält zugleich aber eine wichtige Wertung für die Ordnung des internationalen Rechtsverkehrs: Rechtsklar­ heit und Rechtssicherheit, die in nationalen Sachverhalten durch die Rechts­ regel bereits garantiert sind, müssen in internationalen Sachverhalten erst verwirklicht werden: Es muß deshalb dafür Sorge getragen werden, daß international verknüpfte Rechtsverhältnisse „dieselbe Beurtheilung zu er­ warten haben, ohne Unterschied, ob in diesem oder jenem Staate das Urtheil

39 Savigny 161. 40 Savigny 156. 41 Savigny 153, 55. 42 Savigny I 54 (Denn ein solches Ziel könne, indem es „auf die Erweiterung unserer Herrschaft über die Natur hinstrebt..., nur die Mittel vermehren und veredeln wollen, wodurch die sittlichen Zwecke der menschlichen Natur zu erreichen sind. Ein neues Ziel aber ist darin nicht enthalten“). 43 So aber Vogel 215; Joerges 10. 44 Savigny 136. 45 In diesem Sinne Waechter, AcP 24 (1841) 230 (261 ff).

gesprochen werde“46. Entscheidungsharmonie als Ziel des internationalen Privatrechts47 überträgt das das reine Rechtsgebiet beherrschende formale Ordnungsziel auf das Kollisionsrecht48. Darüber hinaus wird die das reine Rechtsgebiet konstituierende Freiheit des einzelnen auch für die Anknüp­ fung aktiviert, wenn der Wille des Individuums (oder seine Erwartungen) zu einem maßgeblichen Anknüpfungsmoment auf dem Gebiet des internatio­ nalen Vertragsrechts erhoben wird49. Eine enge Verknüpjung der kollisionsrechtlichen Lösung mit den den Sach­ normen zugrundeliegenden Regelungszwecken zeigt sich in der Behand­ lung der „anomalischen“ Rechtssätze von „streng positiver, zwingender Natur“50, also jenen Rechtssätzen, die Rechtszwecke sozial-, wirtschaftsund staatspolitischer Natur verwirklichen. Die Regelungszwecke der Sach­ normen gewinnen bei Savigny für das Kollisionsrecht eine zweifache Be­ deutung: Zunächst müsse durch eine Interpretation51 der Sachnormen festgestellt werden, ob sie dem „reinen Rechtsgebiet“ angehören oder ob sie anomalischer Natur sind. In dieser am Rechtszweck der Sachnormen orientierten, auf eine differenzierende kollisionsrechtliche Behandlung zielende Abgren­ zung der Normen sieht Savigny „die schwierigste Aufgabe in dieser ganzen Lehre“52. Für anomalische Normen gilt, daß sie einer „freien Behandlung“ der Rechtsgemeinschaft widerstreben. Ausländisches anomalisches Recht habe der Richter unangewendet zu lassen53. Den internationalen Anwendungsbe­ reich der anomalischen Normen des Forums habe der Richter aus dem 46 Savigny VIII 27, 128. Es gilt, Willkür durch unterschiedliche Behandlung zu vermeiden (129, vgl. auch 86f.). 47 Dieses Ziel hatte vor Savigny bereits Schaeffner, Entwicklung des internationalen Privat­ rechts (1841) 29, formuliert: Würden alle Richter nur das Sachrecht ihres Staates an wenden, so habe dies die „seltsame Consequenz, daß möglicher Weise ein und dasselbe Rechtsverhältnis zu gleicher Zeit nach den Rechten aller Länder zu beurtheilen wäre, quod absurdum foret(< (Hervor­ hebung von Schaeffner). 48 Waechter, AcP 24 (1841) 230 (270 ff), hatte in seiner Kritik der Statutenlehre den Zustand der Verwirrung bloß gelegt, in dem sich die Theorie zum damaligen Zeitpunkt befand. Mit dieser Kritik war zugleich festgestellt, daß mit der Statutenlehre Rechtsklarheit und Rechtssi­ cherheit in internationalen Fällen nicht zu erreichen waren. Die Neuformulierung der kolli­ sionsrechtlichen Fragestellung bei Savigny ist die Konsequenz dieser Einsicht. 49 Savigny VIII 248 und 203 f, 206, 210, 211, 215, 222. Zur Ausrichtung kollisionsrechtli­ cher Lösungen an den Parteiinteressen: Savigny VIII 116; dazu Lüderitz, Anknüpfung im Parteiinteresse, in: FS Kegel (1978) 31 (32 f.). 50 Savigny 156, 61 f.; vgl. auch Waechter, AcP 25 (1842) 57. 51 Während dispositive Normen immer dem reinen Rechtsgebiet angehören sollen, sei bei den zwingenden Normen zu differenzieren, ob die „feste“ Regel nur der Rechtssicherheit oder aber darüber hinausgehenden Zwecken diene: Savigny I 34 f, 35 N. c). 52 Savigny VIII32. 53 Savigny VIII32.

Regelungszweck zu entnehmen. Dieser Interpretationsschritt wird von Sa­ vigny nicht abstrakt problematisiert54, sondern bei der Diskussion der ein­ zelnen Sachnormen vollzogen: Bei den Gesetzen, die die Juden zum Erwerb von Grundeigentum für unfähig erklären55 und dem Adel besondere Vor­ rechte einräumen56, den Gesetzen über die Nachfolge in Lehen und Fideicommisse57 und über die Erbfolge in Bauerngüter58. Der Anwendungsbe­ reich güterrechtlicher Normen ist von der Regelungsabsicht des Gesetzge­ bers her ebenso zu bestimmen59 wie die Reichweite von Schenkungsverbo­ ten zwischen Ehegatten60.

Dem anomalischen Recht, bei dem das Ziel der internationalen Entscheidungshar­ monie in den Hintergrund tritt, kommt bei Savigny eine große Bedeutung zu61. Das Recht der Handlungs- und Rechtsfähigkeit62 kennt viele anomalische Gesetze63, ebenso das Erbrecht64, das in vielen Staaten in „politischer“ Absicht gestaltet ist (Adel, Bauerngüter, Lehen, Fideicommisse). Im Familienrecht haben „theils sittlich religiöse, theils politische Rücksichten großen Einfluß“65, „weshalb vorzugsweise in diesem Gebiete Gesetze von einem zwingenden, streng positiven Charakter vor­ kommen66. Schließlich rechnet Savigny, abweichend von der Rechtsprechung67 wie

54 Savigny VIII127 f. 55 Savigny VIII 161 f. (solche Gesetze galten nur für den Erwerb von Grundstücken im Inland; der Wohnsitz des Erwerbers spiele keine Rolle). 56 Savigny VIII 163f. (diese Privilegien bezögen sich nur auf den Erwerb inländischer Grundstücke; ob sie nur zugunsten des heimischen Adels oder auch des auswärtigen bestünden, hinge „von dem Inhalt der das Privilegium begründenden Rechtsnormen ab“). 57 Savigny VIII306: „Jeder Gesetzgeber... will Etwas bestimmen über die in seinem Lande liegenden Güter..., nicht über die auswärtigen Güter.. 58 Savigny VIII 307: Diese Regelungen hätten einen „politischen... Zweck“; sie erfaßten „alle im Lande liegenden Bauerngüter, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des gegenwärtigen Eigenthümers. Es bezieht sich aber gar nicht auf die Bauerngüter, die etwa ein Einwohner des Landes im Ausland besitzen möchte“. 59 Savigny VIII 332 f.: „Ganz gewiß denkt der Gesetzgeber an alle Ehen, die in seinem Bereich gegründet werden, und für diese will er Das vorschreiben, welches er theils an sich für das Zuträglichste hält, theils der bisherigen Sitte des Landes entsprechend findet. Will er aber diese Regel auch den anderwärts begründeten, bei ihm neu einwandernden Ehen aufdrängen? Dazu ist ein hinreichender Grund nicht vorhanden, ...“. 60 Savigny VIII 335 f.: Zweck der Schenkungsverbote sei die Erhaltung der sittlichen Rein­ heit der Ehe, nicht eine Regelung des Gegenstands der Schenkung: „Der Gesetzgeber redet also zu den in seinem Bereich lebenden Ehegatten, ohne Rücksicht auf die Lage ihres Vermögens“. 61 Siehe den Überblick bei Schwander 132ff; dieser Aspekt kommt zu kurz etwa bei U. Hübner, Die methodische Entwicklung des internationalen Wirtschaftsrechts (1980) 18 ff. 62 Savigny VIII 134ff. 63 Savigny VIII148f., 160ff. 64 Savigny VIII306 ff. 65 Savigny VIII324. 66 Savigny VIII 325. Wenig überzeugend daher Rehbinder, JZ 1973, 151 (154), wenn er das Familienrecht zu den Bereichen zählt, in denen das auf Savigny zurückgehende, tradierte Kollisionsrecht noch seinen Platz habe. Die Entwicklung im Familienrecht verläuft viel eher

auch der zeitgenössischen und älteren Doktrin67 68, das gesamte Deliktsrecht aufgrund seines, durch die Nähe zum Strafrecht69 begründeten, anomalischen Charakters zu den streng positiven, zwingenden Normen, zu Lasten der Verwirklichung des inter­ nationalen Entscheidungseinklangs70.

c) Ergebnis

Savignys kollisionsrechtliche Lösungen erweisen sich damit in einem weitgehenden Ausmaß abhängig vom Inhalt und den Rechtszwecken des materiellen Rechts. Wo, wie auf dem „reinen Rechtsgebiet“, die Normen von „relativer Gleichgültigkeit“71 sind und eine bloß formale Ord­ nungsfunktion erfüllen, läßt sich internationaler Entscheidungseinklang verwirklichen72. Wo Rechtsnormen (der lex fori) über diese Ordnungsfunk­ tion hinausgreifend rechtsgestaltend wirken sollen, wird die kollisionsrecht­ liche Entscheidung unmittelbar am Rechtszweck der Sachnorm orientiert73. Angesichts der großen Bedeutung, die Savigny dem anomalischen Recht zuerkennt, läßt sich sein Privatrechtsverständnis nicht auf ein Sozialmodell reduzieren, das, auf der Trennung von Staat und Gesellschaft aufbauend, das Privatrecht als entstaatlichte bzw. vorstaatliche Ordnung begreift74. Savi­ gnys Privatrechtskonzeption kennt zwei Säulen: das „reine Rechtsgebiet“ von einem „staatlich“ geprägten zu einem „privatisierten“ Familienrecht; vgl. auch Schwind, FS Zweigert 321 (323). 67 Vgl. Savigny VIII280 N. bb). 68 Siehe Schaeffner, (oben N. 47) 124 mit weiteren Nachweisen (lex loci delicti commissi). 69 Savigny VIII278, 280. 70 Savigny VIII280 will die Gefahr des forum-shopping dabei ausdrücklich in Kauf nehmen: „dieses ist indessen die unvermeidliche Folge der besonderen Natur dieser Klasse von Geset­ zen“. Der Ausbau (bzw. die Rückkehr) zu einer allseitigen Kollisionsnorm (mit Vorbehalts­ klausel) erfolgt in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts unter Betonung des nur begrenzten Anwendungswillens der deliktischen Normen; Bar II 114ff.; aus der Rechtspre­ chung einerseits Obertribunal Stuttgart 3. 1. 1871, SeuffA 25 (1871) Nr. 115 (lex fori) und andererseits ROHG19.1. 1878, ROHGE23,174 (lex loci delicti); RG21. 6.1897, RGZ39, 304 (305): lex loci delicti und Schutz des im Inland wohnhaften Schädigers durch Begrenzung des Schadenersatzanspruches nach der lex fori. 71 Nicht: „Gleichwertigkeit“; anders etwa Spellenberg 107ff., 115; Rehbinder, JZ 1973,151 (154): „Äquivalenz“. 72 Savigny 1116 betont das Interesse der Parteien an einer möglichst gleichförmigen Behand­ lung ihrer Verhältnisse. 73 Die Bedeutung der „streng positiven, zwingenden Normen“ läßt sich bei Savigny dabei keinesfalls auf einen negativ verstandenen ordre public reduzieren; so aber Vögel 215. Die oben angeführten - und leicht zu vermehrenden - Beispiele zeigen, daß es Savigny nicht um die Ausschließung als ordre-public-widrig empfundenen ausländischen Rechts ging (so nur bei unbekannten Rechtsinstituten), sondern um die Durchsetzung der sozialgestaltenden Rechts­ normen des Forums im Sinne eines positiven ordre public; vgl. dazu auch Fikentscher, RdA 1969, 204 (206f); Sturm, Savigny und das IPR seiner Zeit: Jus Commune 8 (1980) 92 (101 ff). 74 So aber Rehbinder, JZ 1973, 151 (153); Vogel 217ff.; wie hier Schurig 274.

mit seinen von der sozialen und wirtschaftlichen Wirklichkeit abgehobenen Prämissen - Freiheit und Eigentum - sowie das gemischte Recht als ein die soziale und wirtschaftliche Ordnung zweckhaft gestaltender Normbereich. Auf diesen beiden Säulen ruht sein kollisionsrechtliches System: allseitige Kollisionsnormen und streng positive, zwingende Gesetze75.

2.

Zu den Voraussetzungen der Fragestellung vom Rechtsverhältnis her

Vogel hat in seinen eingehenden Untersuchungen zu den Grundlagen des „modernen“, sich auf Savigny stützenden Kollisionsrechts die These ent­ wickelt, daß die den Savignyschen kollisionsrechtlichen Ansatz kennzeich­ nende Zweiseitigkeit des IPR76 nicht (allein) pragmatisch, etwa mit der Erleichterung des internationalen Verkehrs oder dem Schutz wohlerworbe­ ner Rechte erklärt werden könne77. Die eigentliche Rechtfertigung liege in einer bestimmten, von Savigny vorausgesetzten Anschauung über das Ver­ hältnis des Staates zu seiner Privatrechtsordnung78: Savigny begreife Privat­ recht nicht „als ein vom Staat abgeleitetes Recht, sondern als einen dem Staate selbständig gegenüberstehenden rechtlichen Kosmos“79; es sei in er­ ster Linie nicht „als staatliches Recht, sondern als eine dem Staat vorgegebe­ ne rechtliche Ordnung“ zu verstehen80, womit Savigny an eine philo­ sophische, auf Locke und Kant zurückgehende Tradition anknüpfe81. Nur dieses „entstaatlichte“ Privatrechtsverständnis ermögliche es, die Fragestel­ lung im IPR zu entstaatlichen und in- und ausländisches Privatrecht als prinzipiell gleichwertig zu behandeln82. Die (von Vogel allerdings nicht 75 Dies wird verkannt bei von Mehren, Am.J.Comp.L. 27 (1979) 605, der Savignys Kolli­ sionsrecht auf ein System allseitig formulierter, am Ideal des internationalen Entscheidungsein­ klangs orientierter Normen reduzieren will. 76 Mit der Folge, daß die Anwendung ausländischen Rechts nicht nur Ausnahme, sondern die Regel ist; Vogel 205. 77 Vogel 205 f, 213. Die von Vogel vorgebrachte Begründung, diese Ziele wären nicht nur auf kollisionsrechtlichem Wege, sondern auch über eine sinnvolle Beschränkung der internatio­ nalen Zuständigkeit erreichbar gewesen, vermag nicht zu überzeugen. Die Begrenzung der internationalen Zuständigkeit konnte für Savigny kein taugliches Mittel zur Erreichung der Entscheidungsharmonie sein: Zum einen hätte sie die praktische Rechtsdurchsetzung im inter­ nationalen Verkehr erheblich erschwert, während es Savigny gerade um eine Förderung und Erleichterung des internationalen Rechtsverkehrs gegangen ist; Savigny VIII27. Zum anderen sieht Savigny bereits die Notwendigkeit, ein Lebensverhältnis in einzelne Rechtsfragen aufzu­ spalten und diese unterschiedlich anzuknüpfen (Vertragsobligation-Geschäftsfähigkeit). Ein „Gleichlauf* von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht mußte schon deshalb von vornherein ausscheiden. 78 Vogel 206. 79 Vogel 218. 80 Vogel 217. 81 Vogel 218ff, 220. 82 Vogel 217, 206.

gezogene) Folgerung liegt nahe: Allseitige, paritätisch formulierte, die prinzipielle Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen respektierende Kolli­ sionsnormen sind im Bereich eines „durchstaatlichten“ Privatrechts mit Savignys Ansatz nicht mehr zu begründen83. Es erscheint jedoch sehr zweifelhaft, ob Savignys Privatrechtsver­ ständnis auf die Vorstellung eines „vorstaatlichen“ Privatrechts zurückgefuhrt werden kann84. Denn ihm geht es nicht darum, die Staatlichkeit des objektiven Rechts in Frage zu stellen, sondern seine Geschichtlichkeit zu erschließen85.

In seiner - fast romantisch anmutenden - Volksgeist-Lehre definiert Savigny das Volk als Träger des Rechts, den Volksgeist als Motor der Rechtsentwick­ lung86. Nicht Zufall oder individuelle Willkür, sondern „innere Kraft und Not­ wendigkeit“87 gestalten das Recht und seine nationale Vielfalt88: Der in den Indi­ viduen lebende Volksgeist ist der Schöpfer des Rechtes, der Rechtsinstitute und der Rechtsregeln, die die Rechtsverhältnisse prägen. Die naturrechtlichen Be­ gründungen89 ersetzt Savigny durch die historische Dimension im Sinne einer notwendigen, vom Volksgeist getragenen Rechtsentwicklung. Volk und Staat stehen dabei in keinem Gegensatz: Die „leibliche Gestalt der geistigen Volksge­ meinschaft ist der Staat“90, „..in ihm erhält das Volk wahre Persönlichkeit, also die Fähigkeit, zu handeln“91. Savigny verwahrt sich ausdrücklich gegen die Idee eines vorstaatlichen Privatrechts: Einen „Naturzustand“92 in einer Zeit vor der Erfindung des Staates gibt es für ihn nicht. Savigny steht auf der Seite Dahl­ manns93, nicht Lockes94. Volk und Staat sind bei der Rechtsentstehung untrennbar

83 Joerges 151 ff.; ders., RabelsZ (1972) 421 (470). Eine solche Folgerung ließe sich indes viel einfacher aus Savignys kollisionsrechtlicher Behandlung „anomalischer" Rechtssätze ableiten. 84 Kritisch dazu Bucher 7 ff., 11. 85 Savigny 116f.; vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit2 (1967) 358 ff. 86 Savigny 114, 19. 87 Savigny 117. 88 Savigny 153. 89 Ausdrücklich ablehnend Savigny 152. 90 Savigny I 22 (der Staat als „organische Erscheinung des Volkes“); vgl. auch VIII 14. Eingehend zum Staatsbegriff bei Savigny: Rückert (oben N. 16) 312 ff. 91 Savigny 123. 92 Savigny 123. 93 F. Ch. Dahlmann, ebenfalls ein Anhänger der Historischen Rechtsschule, formuliert in seiner Einleitung zur „Politik“ Positionen, mit denen Savigny weitgehend übereinstimmt: „1. Dem Staate geht kein Naturzustand voran, der von blinden Trieben und vernunftlosen Menschen handelt... 2. Der Staat ist also keine Erfindung..., er ist eine ursprüngliche Ordnung, ein notwendi­ ger Zustand... 3. Der Staat ist uranfänglich..." (Dahlmann, Die Politik [1835] [Neudruck 1968] 37). 94 Locke, The Second Treatise of Government II Nr. 4 ff. (deutsche Übersetzung: Über die Regierung [Hamburg, rororo-Klassiker] (1966) 9ff: „Im Naturzustand herrscht ein natürliches Gesetz, das für alle verbindlich ist“, ebd. 10).

verbunden95: Der „Ursprung“, die „Quelle“ des Rechts liege in den „übereinstim­ menden Gefühlen, Gedanken und Sitten“96, im Staat erhalten diese „durch Aufstel­ lung des Richteramtes, Leben und Wirklichkeit“97. Privatrecht erscheint bei Savigny auch nicht mittelbar dadurch „entstaatlicht", daß - liberalen Vorstellungen entsprechend - die Zwecke des Staates seine Gestaltungs- und Einwirkungsmöglichkeiten auf das Privatrecht be­ grenzen: „Ich will nicht den Staat auf die Zwecke des Rechts beschränken, ja die Theorie soll sich überhaupt nicht anmaßen, die Freyheit individueller Entwicklung durch Aufstellung ausschließender Zwecke der Thätigkeit des Staates begränzen zu wollen“98. Charakteristisch für Savignys Privatrechtsverständnis ist die bereits heraus­ gearbeitete Unterscheidung des „reinen Rechtsgebiets“ und des anomalichen Rechtes, die er, auf der Grundlage seiner Rechtsentstehungslehre, mit einem spezifischen Rollenverständnis von Wissenschaft und Gesetzgebung bei der Entwicklung des Rechts verknüpft und die nicht ohne Auswirkungen für seine kollisionsrechtlichen Lösungen bleibt.

Die Wissenschaft ist für Savigny neben dem Gesetzgeber ein gleichberechtigtes Organ des Volksrechts99. Während Recht in frühen Zeiten „Gemeingut des gesamten Volkes“ gewesen sei, habe sich mit der zunehmenden Komplexität der modernen Gesellschaft im Zuge der Spezialisierung und Arbeitsteilung „ein besonderer Stand der Rechtskundigen..., der besondere Beruf des Juristenstandes“ herausgebildet, der „selbst Bestandteil des Volkes, ... die Gesamtheit vertritt“100 und dadurch beru­ fen ist, Rechte zu interpretieren und fortzubilden101. Savigny konzipiert für beide Organe des Volksrechts eine Rollenverteilung102. Wissenschaft als „Organ des Gewohnheitsrechts“103 hat eine doppelte Aufgabe. Als theoretische Wissenschaft geht es ihr um die Erforschung der Rechtsquellen104, ihre systematische Erfassung und ihr richtiges Verständnis105. Der praktischen Wissen­

95 Savigny 123: „Vielmehr wird jedes Volk, sobald es als solches erscheint, zugleich als Staat erscheinen, wie auch dieser gestaltet sein möge“. 96 Savigny 123. 97 Savigny 123. 98 Savigny 125. 99 Savigny 150, 90; vgl. dazu auch Schröder, Savignys Spezialistendogma und die „soziolo­ gische“ Jurisprudenz: Rechtstheorie 7 (1976) 23 (24). 100 Savigny 145. 101 Savigny 146. 102 Vgl. Savigny 150. 103 Savigny 190. 104 Savigny 146, 87; vgl. auch Savigny I S. XIV f. 105 Savigny I S. XV: Nur wer den „lebendige(n) Zusammenhang“ erkennt, „welcher die Gegenwart an die Vergangenheit knüpft, und ohne dessen Kenntnis wir von dem Rechtszu­ stand der Gegenwart nur die äußere Erscheinung wahrnehmen, nicht das innere Wesen begrei­ fen“, der sei davor geschützt, von der Vergangenheit „bewußtlos... beherrscht (zu) werden“.

schäft kommt es zu, das quellenmäßig erforschte, historisch überlieferte Recht im Verhältnis zum lebendigen Rechtszustand zu bringen106, wobei die Bedürfnisse der neueren Zeit ins Auge zu fassen sind107. Der Gesetzgebung als dem anderen Organ des Volksrechts wird eine ergänzende, auf die Klarstellung noch unbestimmten Gewohnheitsrechts abzielende108, sowie eine die Rechtsfortbildung unterstützende Aufgabe zugewiesen: Wo veränderte Sit­ ten, Ansichten und Bedürfnisse eine schnelle Anpassung des Rechts erforderlich machen, ist Gesetzgebung „äußerst heilsam, ja selbst unentbehrlich“109. Grundsätz­ lich aber solle der Gesetzgeber Zurückhaltung üben110. Diese von Savigny entworfene Rollenverteilung zwischen Wissenschaft (der sich der Richter unterordnen soll111) und Gesetzgebung basiert auf einer - unausgesprochenen - unterschiedlichen (politischen) Verantwortung bei­ der Organe: Wissenschaft arbeitet primär an der Konkretisierung und Fort­ bildung des überkommenen „reinen Rechtsgebietes“, unter Rücksichtnah­ me auf „praktische Bedürfnisse“, der Gesetzgeber leistet die wirtschaftliche und soziale Folgenkontrolle und wirkt dort, wo utilitas und necessitas dies gebieten, durch anomalisches Recht gestaltend und steuernd auf die gesell­ schaftliche und wirtschaftliche Realität ein. Dieses Verständnis von der Aufgabe der Wissenschaft wie auch von der Rollenverteilung zwischen Gesetzgebung und Wissenschaft prägen Savi­ gnys IPR. Das anomalische Recht als Domäne des Gesetzgebers wird übersetzt in die Lehre von den streng zwingenden, positiven Gesetzen: Die Aufgabe der Wissenschaft (und damit auch der Gerichte) ist hier ganz der Gesetzgebung untergeordnet. Geht es in nationalen Sachverhalten um die Entfaltung des Zweckes bzw. der Absicht des Gesetzes112, so muß in international verknüpf­ ten Sachverhalten der Anwendungsbereich der Sachnormen allein nach der Absicht des Gesetzgebers und den Regelungszwecken des Gesetzes be­ stimmt werden113.

106 Savigny 190, 92 f. 107 Vgl. auch Savigny I S. XXL Savigny hat die dafür maßgebenden Gesichtspunkte und Überlegungen jedoch nicht näher diskutiert; vgl. Fikentscher, Methoden des Rechts III: Mitteleuropäischer Rechtskreis (1976) 37 ff. 108 Savigny 140 f. 109 Savigny 141. 110 Savigny 151, 56 f. Zu leicht entstehe durch das Gesetz ein „Mißverhältnis“ zum Rechtsin­ stitut, „dessen organische Natur in jener abstrakten Form unmöglich erschöpft werden kann“, ebd. 44, zu schnell veralte bestehendes Gesetzesrecht und verhindere durch die „widerstrebende Kraft des geschriebenen Buchstabens“ eine „allmälig wirkende innere Fortbildung“, ebd. 42. 111 Savigny 186. 112 Savigny 1217 f. 113 Savigny VIII34 f.

Auf dem reinen Rechtsgebiet kann, soweit keine gesetzlichen Kollisions­ normen bestehen, Wissenschaft als Organ des Gewohnheitsrechts tätig wer­ den und ihre „praktische“ Aufgabe erfüllen, das Recht im Verhältnis „zu dem lebenden Rechtszustand“ zu setzen und dabei „den Zustand und das Bedürfnis der neueren Zeit ins Auge“ zu fassen114.

In dieser von Savigny der Wissenschaft zugesprochenen aktiven, rechtsschöpferi­ schen Rolle liegt auch der wesentliche Unterschied zur IPR-Lehre Waechters: Waech­ ter hat seinen - auf die richterliche Entscheidungsfindung bezogenen - Ansatz bei der lex fori ausdrücklich mit den unterschiedlichen Funktionen richterlicher und legisla­ tiver Tätigkeit begründet115. Für ihn ist der Richter kein „Organ“ des Gewohnheits­ rechts, sondern „lediglich das Organ“ des „gesetzgeberischen Willens“116. Kolli­ sionsnormen des Gesetzgebers sieht Waechter als das Resultat zweier Determinanten: Dem Interesse an der Verwirklichung des eigenen Rechts, dem „Ausschließen stö­ render Elemente“, der Verwirklichung des „Gebotenen“ ... „aus höheren Rücksich­ ten“, „aus den Forderungen des sicheren Verkehrs“ und „der Würde und Selbstän­ digkeit der Gesetzgebung“117 und der Rücksicht auf die „völkerrechtlichen Beziehun­ gen“, die zu einer Beschränkung des Rechtsanwendungsanspruchs der lex fori, verbunden mit der Anwendung fremden Rechts führen: „Rücksichten der Nützlich­ keit, der Billigkeit, der Freundlichkeit, der Connivenz, des natürlichen Rechts“, die den „Gesetzgeber leiten können, und bis zu einem gewissen Grad leiten sollen“118. Diese letzteren, vom Regelungszweck der Sachnormen abgehobenen, internatio­ nalen Politiken wertet Waechter, ähnlich wie in unserer Zeit Currie, als politisch und ordnet sie allein der Legislative zu: Es sind „dieß... nicht Rücksichten, welche der Richter zu nehmen hat“119, sondern „Prinzipien, welche nur den Gesetzgeber leiten können“120. Ihre Berücksichtigung durch den Richter - wie auch den Wissenschaftler als den „positiven Juristen“121 - sei eine Vermischung des „Standpunkt(es) des Gesetz­ gebers mit dem des Richters und positiven Juristen“122. Der Wissenschaft ist es verwehrt, Kollisionsrecht in rechtspolitischer Absicht zu gestalten123. Internationaler Entscheidungseinklang kann daher nicht das Ziel richterlicher oder wissenschaftli-

114 Savigny I S. XXI, 90. 115 Waechter, AcP 24 (1841) 230 (239ff); AcP 25 (1842) 1 (12ff). 116 Waechter, AcP 24 (1841) 230 (239); vgl. auch Sandmann (oben N. 2) 105f. 117 Waechter, AcP 24 (1841) 230 (240). 118 Waechter, AcP 24 (1841) 230 (240). 119 Waechter, AcP 24 (1841) 230 (240). 120 Waechter, AcP 25 (1842) 1 (12). Zur Auffassung des Richteramtes im frühen 19. Jahrhundert vgl. Coing, Das Verhältnis der positiven Rechtswissenschaft zur Ethik im 19. Jahrhundert, in: Recht und Ethik, hrsg. von Blühdorn/Ritter (1970) 11 (15); Simon, Die Unabhängigkeit des Richters (1975) 21 ff; Mohnhaupt, Richter und Rechtsprechung im Werk Savignys, in: Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, hrsg. von Wilhelm (1972) 243 (244). Zu Waechters Auffassung von der Gesetzesbindung vgl. Sandmann (oben N. 2) 105 f. 121 Waechter, AcP 24 (1841) 267; AcP 25 (1842) 1 (12). 122 Waechter, AcP 25 (1842) 1 (12); AcP 24 (1841) 230 (240 N. 14). 123 Waechter, AcP 25 (1842) 1 (13) (keine Berücksichtigung der „Nützlichkeit, des Staatsin­ teresses, der Sicherheit des Verkehrs u. dergl.“).

eher Bemühung, sondern allein legislativer Tätigkeit - durch Abschluß von Staats­ verträgen124 - sein.

Savigny lehnt Waechters Position aufgrund seines abweichenden Ver­ ständnisses von der rechtsschöpferiseben Aufgabe wissenschaftlicher Tätig­ keit ab. Was Waechter zum legislativen Standpunkt rechnet, „fällt gewiß großen Theils in den richterlichen, bei einem Gegenstand, den die Gesetzge­ bung ohnehin der wissenschaftlichen Entwicklung größtentheils überlassen hat“125. 126 Internationale Entscheidungsharmonie als eine den praktischen Be­ dürfnissen des internationalen Rechtsverkehrs dienende Zielsetzung kann daher für Savigny Gegenstand wissenschaftlicher Bemühungen werden. Bereits Mittermaier hatte das praktische Interesse eines Staates hervorge­ hoben, auf die strikte Anwendung der lex fori zu verzichten, um fremdes Recht anzuwenden: „... seine Unterthanen (kommen) in so viele Berührun­ gen mit Unterthanen anderer Staaten..., daß sein eigenes Interesse ihn dazu fuhrt, auch im Auslande geschlossene Verträge anzuerkennen und der frem­ den Gesetzgebung einen Einfluß zu gestatten... "126. Dieses Interesse an einer Förderung und Erleichterung des internationalen Verkehrs findet bei Savi­ gny volle Unterstützung: „Je mannigfaltiger und lebhafter der Verkehr unter den Völkern wird, desto mehr wird man sich überzeugen müssen, daß es räthlich ist, jenen strengen Grundsatz (der strikten Anwendung der lex fori) nicht festzuhalten, sondern vielmehr mit einem entgegengesetzten Grund­ satz zu vertauschen“127. Angesichts der am Anfang des 19. Jahrhunderts einsetzenden Ablösung merkantilistischer Außenhandelspolitik128 durch das liberale Ideal des Freihandels129 sowie der nachdrücklich erhobenen Forde­ rung nach einer wirtschaftlichen Einigung der deutschen Staaten130, die in der Gründung der Zollvereine Realität wurde131, lagen die „praktischen Bedürf­

124 Waechter, AcP 24 (1841) 230 (240f.). 125 Savigny VIII28 N. g). 126 Mittermaier, Heidelberger kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft des Auslands XI 267 (268), zitiert bei Schaeffner (oben N. 47) 37 N. 3. 127 Savigny VIII26. 128 Zum Konzept der aktiven Wirtschaftspolitik des Merkantilismus: Lütge (oben § 2 N. 103) 321 ff., 326ff, 344ff., 400ff.; zu den Konsequenzen für den zwischenstaatlichen Han­ delsverkehr: Lütge (oben § 2 N. 103) 331 f., 368ff., 403ff., 463ff. 129 Lütge (oben § 2 N. 103) 475ff.; zur Freihandelsschule vgl. Winkel, Die deutsche Natio­ nalökonomie im 19. Jahrhundert (1977) 38 ff. 130 Dazu Henderson, Mitteleuropäische Zollvereinspläne 1840-1940: ZgesStaatsWiss. 122 (1966) 130 (136). 131 1828: preußisch-hessischer Zollverein; bayerisch-württembergischer Zollverein; mittel­ deutscher Zollverein; 1834: deutscher Zollverein; vgl. Christiansen, Vom deutschen Zollver­ ein zur Europäischen Zollunion (1978) 8 ff.; Lütge (oben § 2 N. 103) 467 f.; Treue, Gesellschaft, Wirtschaft und Technik Deutschlands im 19. Jahrhundert, in: Handbuch der deutschen Ge­ schichte, hrsg. von Gebhardt, dtv-Ausgabe XVII (1975) 68ff.; Nipperdey, Deutsche Ge­

nisse der neueren Zeit“, die der (auch praktisch denkende) Wissenschaftler im Auge zu behalten hatte, auf der Hand: Die „scharfe Absonderung der einzelnen Staaten gegeneinander“ gehörte der Vergangenheit an; an ihre Stelle war „im Laufe der Zeit eine stets wachsende Annäherung getreten“132. Der zunehmende zwischenstaatliche Handel133 mußte durch eine rechtliche Koordination der Rechtsordnungen134 gefordert und abgesichert werden, die - anders als bei Waechter - an die Stelle eines prinzipiellen Vorrangs der lex fori bei der richterlichen Entscheidung die Gleichstellung der Rechtsord­ nungen und die Gleichbehandlung der Einheimischen und Fremden135 treten läßt. Die von Savigny postulierte „völkerrechtliche Gemeinschaft unter unab­ hängigen Staaten“136, die eine Gleichstellung der Rechtsordnungen begrün­ den soll, eignet fast schon völkerrechtliche Qualität. Ihre Bedeutung wird deutlich, wenn man sich die zeitgenössische Diskussion um die Berücksich­ tigung der Bedürfnisse des internationalen Handels vor Augen fuhrt. Wie Waechter, so wertete auch Schaeffner - in Auseinandersetzung mit Mitter­ maier - die Erleichterung des internationalen Handels als eine politische Erwägung, deren Berücksichtigung den Juristen zum „Dichter“ mache137. Savignys Postulat einer „Rechtsgemeinschaft“ hat demgegenüber strategi­ schen Charakter: Sie übersetzt ein von den Zeitgenossen allgemein aner­ kanntes, aber als „politisch“ gewertetes, praktisches Bedürfnis in ein rechtli­ ches Prinzip138 und eröffnet damit der (praktisch tätigen) Wissenschaft die Möglichkeit, die sich in der Praxis der Staatsverträge manifestierende Koor­ dination der Rechtsordnungen139 als Aufgabe wissenschaftlicher - und damit

schichte 1800-1866 (1983) 358ff.; Nachweise dafür, daß Savigny den Zollverein begrüßt hat, bei Rückert (oben N. 16) 185 N. 182. 132 Savigny VIII114. 133 Savigny VIII 29 spricht von einem „ungeheuren Schwung“, den der Verkehr zwischen den Völkern in neueren Zeiten erhalten habe. 134 Savigny VIII127, 128: „Förderung einer wahren Rechtsgemeinschaft“; ebd. 27: „völker­ rechtliche Gemeinschaft der miteinander verkehrenden Nationen“. 135 Savigny VIII27. 136 Savigny VIII29. 137 Schaeffner (oben N. 47) 37: „...man spielte da, wo es gerade auf eine rechtliche Entgegenhaltung ankam, mehr den Politiker als den Juristen, in dem man auf die vielen commerciellen und anderen Nachtheile hin wies, welche aus der Nichtbeobachtung der Gesetze des Auslands im Inlande für die Unterthanen des letzteren entstehen könnten“. 138 Savigny VIII 28: „eigenthümliche und fortschreitende Rechtsentwicklung“; Schaeffner (oben N. 47) 37 hatte eine rechtliche, nicht rechtspolitische Begründung für die Anwendung ausländischen Rechts gefordert. 139 Savigny VIII 31. Savigny betont, daß in der Gleichstellung der Rechtsordnungen durch Staatsverträge nicht „etwas ganz Neues positiv festgestellt“ werde, sondern die Entwicklung zu einer „allgemeinen Rechtsgemeinschaft“ als „mögliche(s), wünschens werthe(s) zu erwartende(s)“ Ziel zum Ausdruck komme, ebd. 30. Anders Waechter, AcP 24 (1841) 230 (241).

richterlicher - Tätigkeit zu begreifen und die Gleichstellung der Rechtsord­ nungen durch paritätisch formulierte Kollisionsnormen zu verwirklichen140.

3. Sachrechtszwecke und Kollisionsrecht Savignys Ziel der internationalen Entscheidungsharmonie ist nicht die Konsequenz eines „entstaatlichten" Privatrechts. Es instrumentiert viel­ mehr das - auch von der Wissenschaft zu beachtende - Bedürfnis nach einer Erleichterung und Förderung des internationalen Rechtsverkehrs. Diese Feststellung wird bestätigt durch Einzellösungen in Savignys IPR: Allseitige Kollisionsnormen werden von Savigny zum Teil auch dort vorgeschlagen, wo sich die Rechtsnormen nicht auf eine bloße Ordnungsfunktion beschrän­ ken, sondern regulativen Charakter haben. Dabei läßt sich zeigen, daß die Sachnormzwecke bei der Anknüpfungsentscheidung durchaus mitberück­ sichtigt werden. Darüber hinaus wird dem Gesetzgeber, der die Verantwor­ tung für die Bewältigung konkreter sozialer und wirtschaftlicher Probleme trägt, in einem viel weitergehenden Maße als der Wissenschaft, die der Ausarbeitung „allgemeiner Grundsätze“ verpflichtet ist, die Möglichkeit zugebilligt, an den Schutzzwecken der Sachnormen orientierte Lösungen zu entwerfen.

a) Allgemeine Kollisionsnormen und Sachrechtszwecke

Für Savigny ist die Grenzlinie zwischen „reinem Rechtsgebiet“ und ano­ malischem Recht - mit den sich daraus ergebenden unterschiedlichen kolli­ sionsrechtlichen Konsequenzen - nicht identisch mit der Unterscheidung zwischen zwingendem und dispositivem Recht141. Die Gesetze über die Beschränkung der Handlungsfähigkeit wegen des Alters, Geschlechts usw.142 zählt er zu einer Gruppe „absoluter Gesetze“, die keinen anderen Grund und Zweck haben als die „Handhabung des Rechts durch feste Regeln zu sichern, so daß sie erlassen werden lediglich um der Person willen, welche die Träger der Rechte sind“143. Kollisionsrechtliche Konsequenz: Es gebe keinen Grund, diese Rechtsnormen „unter die Ausnahmefälle zu rech­ nen“144. Savignys Erörterungen zur Anknüpfung der Handlungsfähigkeit an 140 141 142 143 144

Savigny VIII114 f. Savigny VIII34. Savigny VIII35. Savigny VIII35. Savigny VIII34.

den Wohnort der Person für Zwecke der Wirksamkeit des Vertrages (anstelle der Anknüpfung an den Vertragsabschlußort)145 erweisen jedoch, daß diesen Rechtsnormen auch für ihn ein über den formalen Ordnungscharakter hin­ ausreichender Schutzzweck zukommt, der auf das Kollisionsrecht durch­ schlagen soll: Schließt ein nach seinem Wohnsitzrecht Handlungsfähiger einen Vertrag in einem Staat, nach dessem Recht er (noch) nicht handlungsfähig ist, entspreche die Anwendung der lex loci contractus nicht dem Parteiwillen146. 147 Bei umgekehrtem „law-fact-pattern"147 - der Vertragspartner ist nach dem Recht des Vertragsabschlußortes handlungsfähig, nicht aber nach seinem Wohnortrecht - „würde es inconsequent sein, wenn das heimathliche Gesetz den Vertrag an sich verhindern, aber mit Hülfe einer kleinen Reise zulassen wollte; vielmehr wird ihm jenes Gesetz eben sowohl an der Unterwerfung unter das fremde Recht, als an dem Vertrag selbst, verhindern“148. Die Anknüpfung an den Wohnort des Handelnden wird gegenüber der Anknüpfung an den Vertragsabschlußort bevorzugt, weil sie den sachrecht­ lichen Schutzzweck besser instrumentiert. Während im ersten Fall die lex loci contractus die Gültigkeit des Vertrages unnötig in Frage stellt, besteht im zweiten Fall die Gefahr, daß der Schutzzweck der Sachnormen über die Handlungsfähigkeit unterlaufen wird149. Savignys kollisionsrechtliche Behandlung der Rechts- und Handlungsfä­ higkeit verdient darüber hinaus Beachtung in zwei Richtungen. Die Berücksichtigung der Regelungszwecke der Sachnormen fuhrt bei Savigny nicht notwendig zu einem lex fori-Ansatz. Der Richter kann daher - über eine allseitige Kollisionsnorm - auch ausländische Normen mit Schutzcharakter anwenden. Die Begründung ist einfach: „Alle“ (gemeint sind die zeitgenössische Kollisionsrechtstheorie und die Praxis150) seien sich darin einig, daß ein Gesetz über die Handlungsfähigkeit „außer den Grenzen des Staates, worin es gegeben ist, unbedenklich wirken kann“151.

145 Savigny VIII138; zum damaligen Diskussionstand vgl. Waechter, AcP 25 (1842) 161 ff.; Schaeffner (oben N. 47) 44 N. 1. 146 Savigny VIII139. 147 Vgl. zu dieser Technik der Analyse kollisionsrechtlicher Probleme Cavers 9 N. 24, 81 ff. Die geäußerte Vermutung „that a jurisdiction - selecting rule may be the product of two decisions choosing on policy grounds between compating rules in cases in which the law - fact patterns are reversed“, ebd. 9 N. 24, bestätigt sich für Savignys Analyse. Ähnlich denn auch Savigny VIII 330 für das Ehegüterrecht. 148 Savigny VIII139. 149 Diese Wertung setzt voraus, daß die Rechtsnormen eines Staates über die Handlungsfä­ higkeit auf die Regelung der Verhältnisse seiner Einwohner zielen; eine solche Personalisierung im Schutzzweck der Sachnormen ist Savigny nicht fremd; vgl. Savigny VIII159. 150 Savigny VIII34 mit Verweis auf § 362 (S. 134 ff). 151 Savigny VIII34.

Die mit der Maßgeblichkeit des Personalstatuts entstehenden potentiellen „Schwierigkeiten“ für den inländischen Geschäftsverkehr152 werden gese­ hen, ihre Beseitigung aber als Aufgabe der Gesetzgebung, nicht der Wissen­ schaft bezeichnet153. Damit wird die Rollenverteilung zwischen Gesetzgebung und Wissenschaft erkennbar: Während die Wissenschaft - unter Beachtung der Regelungszwecke der Sachnormen - an der Gleichstellung der Rechts­ ordnungen und der Überwindung der Entscheidungsdisharmonien arbei­ tet154, wird die Kontrolle der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konse­ quenzen der „wissenschaftlichen“ Kollisionsnormen - hier der Schutz des inländischen Rechtsverkehrs - dem Gesetzgeber überantwortet. Savignys positive Wertung155 der im preußischen Allgemeinen Landrecht getroffenen Regelung, wonach das für die Wirksamkeit des Vertrages günstigere Recht zur Anwendung gelangen soll, erweist zugleich, daß internationale Ent­ scheidungsharmonie kein vom Gesetzgeber unbedingt zu verwirklichendes Ziel sein muß. Wo „praktische Schwierigkeiten“ und konkrete Schutzanlie­ gen156 durch den Gesetzgeber mit den Mitteln des Kollisionsrechts bewältigt werden, reduziert Savigny das Ideal des Entscheidungseinkhngs auf eine internationale Gesetzesharmonie: „Eine gleichartige Bestimmung ließe sich in den Gesetzen jedes Staates denken, und die wünschenswerthe Rechtsge­ meinschaft in der Beurtheilung der Collisionen würde dadurch nicht beein­ trächtigt werden“157.

Das Familienrecht ist für Savigny in besonderem Maße durch sittliche, religiös­ kirchliche und politische Anschauungen geprägt158 und damit ein Rechtsgebiet, für das die für sein IPR als grundlegend erachtete Distanz des Staates zu seinem Privat­ recht wohl kaum behauptet werden kann. Wenn Savigny hier trotzdem - zumindest auch - mit einer allseitigen Kollisionsnorm arbeitet, zeigt sich, daß zwischen Allsei­ tigkeit der Kollisionsnorm und Desinteresse des Staates an seinem Privatrecht keine zwingende Verknüpfung besteht159. 152 Savigny VIII140. 153 Savigny VIII 141: „Wer aber etwa noch mehr Erleichterung und Sicherheit auf diesem Gebiete verlangen möchte, der kann dieselbe nur auf dem Wege positiver Gesetzgebung erwarten“. 154 SavignyVIII26ff, 128ff. 155 Savigny VIII141 ff. 156 Die preußische Kollisionsnorm sei „gegeben in der Absicht, die Inländer gegen die Folgen eines unverschuldeten Irrtums, vielleicht selbst der Unredlichkeit ihres Gegners zu schützen“; Savigny VIII144. 157 Savigny VIII 144; vgl. auch ebd. 115. Der Grundsatz der Anwendung des für das Bestehen des Vertrages günstigsten Gesetzes bei Inlandsgeschäften von Ausländern führt nur zu internationalem Entscheidungseinklang, wenn gleichzeitig das Wohnsitzrecht des Ausländers den Schutz des Handlungsunfähigen bei Auslandsgeschäften dem Recht des Vertragsschlußor­ tes überläßt; dagegen aber Savigny VIII139. 158 Savigny 156, 333 f., 370; VIII324 f. 159 So aber Joerges 9 ff.

Savigny postuliert für das Recht der Ehe eine allgemeine Anknüpfung: „Über den wahren Sitz des ehelichen Verhältnisses ist kein Zweifel; es ist anzunehmen an dem Wohnsitz des Ehemannes...“160. Der kollisionsrechtliche Vorrang des Ehemannes wird unmittelbar mit einer materiell-rechtlichen Wertung begründet: Er wird „nach den Rechten aller Völker und aller Zeiten als das Haupt der Familie anerkannt“161. Daß die Bestimmung des „wahren Sitzes“, also der Ansatz beim Rechtsverhältnis, bei Savigny keine Distanzierung des Staates von seinem Privatrecht beinhaltet, machen seine Erörterungen zum Güterrecht der Ehegatten deutlich. Zur Klärung der Frage, ob ein Wechsel des Wohnsitzes der Familie einen Statutenwechsel bewirkt, greift Savigny auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers zurück. Die in der An­ knüpfung an den Wohnsitz des Ehemannes liegende Beschränkung des Anwen­ dungsbereiches des Sachrechts wird aus dem Gestaltungswillen des Gesetzgebers abgeleitet: „Ganz gewiß denkt der Gesetzgeber an alle Ehen, die in seinem Bereich gegründet werden, und für diese will er Das vorschreiben, welches er theils an sich für das Zuträglichste hält, theils der bisherigen Sitte des Landes entsprechend findet“162. Diese allseitige Kollisionsnorm führt vorbehaltlich der streng zwingenden positi­ ven Gesetze163 zu einer prinzipiellen Gleichbehandlung der Rechtsordnungen auch auf einem von sittlichen und politischen Anschauungen geprägten Rechtsgebiet. Zwei Gründe dürften es vor allem sein, die Savigny dazu bewogen haben, auch für dieses Rechtsgebiet von „gemischter Natur“ allseitige Kollisionsnormen zu formu­ lieren. Zeitgenössische Kollisionsrechtstheorie164 und die Praxis165 gingen davon aus, daß der Richter auch ausländisches Familienrecht zu beachten habe; trotz der sittli­ chen Prägung des Rechtsgebietes handelte es sich daher nicht um Normen, die der „freien Behandlung der Rechtsgemeinschaft unter verschiedenen Staaten“ wider­ strebten. Savigny sieht das Familienrecht zudem in großer Ähnlichkeit „mit dem Zustand der Person an sich (Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit)“166, also einem Rechtsgebiet, in dem trotz des regulativen Charakters der Sachnormen die Anwen­ dung ausländischen Rechts für ihn außer Zweifel steht167.

b) Gesetzliche Kollisionsnormen

Sachnormzwecke werden von Savigny primär in seiner Lehre von den streng zwingenden absoluten Prohibitivnormen, bis zu einem gewissen

160 Savigny VIII 325; ebenso bereits Waechter, AcP 25 (1842) 47, der sich hier ebenfalls der Sitz-Terminologie bedient. 161 Savigny VIII325. 162 Savigny VIII332 f. 163 Savigny VIII326 ff. 164 Schaeffner (oben N. 47) 126ff.; Waechter, AcP 25 (1842) 54ff. 165 Vgl. die preußische Cabinettsordre vom 28. 4. 1841, wonach jeder Ausländer, der in Preußen mit einer Inländerin getraut werden wollte, ein Ehefähigkeitszeugnis der zuständigen Ortsbehörde seines Heimatstaates beibringen mußte, Schaeffner (oben N. 47) 129 N. 1. 166 Savigny VIII324. 167 Savigny VIII34.

Grad aber auch bei der Bildung allseitiger Kollisionsnormen berücksich­ tigt. Daß die Absicherung sachrechtlicher Schutzzwecke mit dem Mitteln des Kollisionsrechts eine legitime, ja notwendige Aufgabe des Gesetzgebers darstellen kann, macht Savignys Besprechung der preußischen Kollisions­ normen über die Wechselgeschäftsfähigkeit deutlich168. Bis zur Vereinheitlichung des Wechselrechts durch die deutsche Wechselord­ nung vom 27. 11. 1848 waren nach preußischem Recht, abweichend von den allgemeinen Regeln über die Geschäftsfähigkeit, nur bestimmte, im Handelsver­ kehr erfahrene Klassen von Personen - Domänenpächter, Rittergutsbesitzer, Kaufleute - wechselgeschäftsfähig („wechselfähig“)169. Dem Großteil der Bevölke­ rung fehlte die Wechselgeschäftsfähigkeit. Für im Ausland abgeschlossene Wech­ selgeschäfte sollte sich die Wechselfähigkeit der preußischen Einwohner nach Ortsrecht bestimmen170, mit Ausnahme von Wechselgeschäften, bei denen beide Partner Preußen waren171.

Savigny machte diese, nach Sachverhalten und Schutzzwecken differen­ zierende gesetzliche Regelung zum Gegenstand einer kollisionsrechtlichen Interessenanalyse, in der sich Sachnormzwecke und internationale Politi­ ken verschränken. Den Schutzzweck der Regelungen über die Wechselge­ schäftsfähigkeit sieht Savigny in der „vormundschaftlichen Fürsorge“172 des Staates für seine Einwohner, die wegen der besonderen Gefährlichkeit des Wechselgeschäfts vor Leichtsinn im Umgang mit Wechseln bewahrt werden sollen. In rein nationalen Sachverhalten (Wechselgeschäfte zwi­ schen Inländern, im Inland vorgenommen) setzt sich der Sachnormzweck absolut durch173. Die differenzierenden Kollisionsnormen bei Sachverhal­ ten mit internationaler Verknüpfung analysiert Savigny als ein Zusam­ menspiel durchaus unterschiedlicher Interessen. Die Maßgeblichkeit des Rechts am ausländischen Geschäftsort für die Beurteilung der Wechselfähigkeit preußischer Einwohner schränkt den von der preußischen Gesetzgebung verfolgten Sozialschutz für Auslandsge­ schäfte ein, erscheint aber „räthlich, ja fast notwendig“174, um den „Wechsel­ kredit der im Ausland befindlichen Preußen“ nicht zu „untergraben“175: Der

168 Savigny VIII149 ff. 169 Savigny VIII153. 170 ALR II8 § 936. 171 ALR II8 § 839; vgl. Savigny VIII154 N. 1 m); dazu Kgl. Geh. Ober-Tribunal 21.11.1840, Sig. Bd. 6 (1841) 288 (297f). 172 Savigny VIII153. Der Terminus findet sich in der Rechtsprechung allgemein für Gesetze mit Schutzcharakter; vgl. etwa OAG Lübeck 30. 12. 1839, SeuffA 8 (1855) Nr. 32 (S. 43). 173 Savigny VIII154. 174 Savigny VIII155. 175 Savigny VIII 155. Savigny hält es für unbillig, einem Ausländer bei Auslandsgeschäften

internationale Anwendungsanspruch preußischer Sozialschutzpolitik wird im Interesse der preußischen, am internationalen Handelsverkehr beteiligten Kaufleute begrenzt. Der „Wechselkredit“ preußischer Kaufleute steht dagegen nicht auf dem Spiel, wenn bei Wechselgeschäften im Ausland nur Preußen beteiligt sind. Daher ist es konsequent, wenn sich in diesen Fällen der im preußischen Recht verankerte Sozialschutz über die Maßgeblichkeit des Personalstatuts durchsetzt; preußisches Recht soll nicht durch „eine Reise über die Gränze allzu leicht umgangen werden“ können176. Ausländer waren bei Wechselgeschäften in Preußen nicht den preußischen Bestimmungen über die Wechselfähigkeit unterworfen. Ihre Wechselfähig­ keit bestimmte sich nach den „allgemeinen Grundsätzen“, also nach dem Recht ihres Wohnsitzes bzw. des preußischen Geschäftsorts, je nach dem, welches Gesetz für die Wirksamkeit des Wechselgeschäftes günstiger war177, während für preußische Einwohner die preußischen Bestimmungen zur Anwendung kommen sollten. Die Anknüpfung der Wechselfähigkeit an den Wohnort des jeweiligen Geschäftspartners rechtfertigt Savigny aus dem begrenzten Schutzzweck jeder staatlichen Fürsorge, die sich allein auf die jeweils eigene Bevölkerung beziehe178. Während Preußens Einwohner unter dem „vormundschaftlichen Schutz“179 der preußischen Gesetzgebung stün­ den, könne der Schutz der Ausländer dem Recht an ihrem eigenen Wohnsitz überlassen bleiben. Gewiß geht es Savigny bei seiner Diskussion der preußischen Vorschriften über die Wechselfähigkeit nur um eine - an die Regelungszwecke der Kolli­ sionsnormen gebundene - Auslegung. Ihre positive Würdigung läßt jedoch erkennen, daß die materiellrechtlichen Schutzpolitiken, aber auch allgemei­ ne, volkswirtschaftliche Interessen, wie die Kreditfähigkeit der preußischen Kaufleute im Ausland, die internationalprivatrechtlichen Entscheidungen des Gesetzgebers beeinflussen können und sollen.

die Informationslast darüber aufzuerlegen, ob der preußische Geschäftspartner zum Kreis der wechselfähigen Personen gehört. 176 Savigny VIII156. 177 Dazu im einzelnen Savigny VIII141 ff., 143ff. Daß damit potentiell ausländischer Sozial­ schutz gefährdet sein konnte (wenn ausländische Normen noch schärfere Beschränkungen der Wechselfähigkeit enthielten), wurde von Savigny gesehen, aber mit einer rechts vergleichenden Argumentation entkräftet: Die Kollisionsnorm sei „ohne besondere Gefahr..., weil man im Voraus gewiß seyn konnte, daß kein fremdes Gesetz in der Beschränkung der persönlichen Wechselfähigkeit so weit gehen würde, wie das Preußische“, ebd. 158. Savigny überprüft also die Kollisionsnorm im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Sachrechtspolitiken anderer Staaten und billigt sie auf der Grundlage des tatsächlichen existierenden Schutzgefälles in den nationalen Rechtsordnungen. 178 Savigny VIII159. 179 Savigny VIII158.

II. Kollisionsrechtstheorie in der Nachfolge Savignys Während Savigny die Regelungs- und Steuerungszwecke der Sachnor­ men am unmittelbarsten durch seine Lehre von den positiven, streng zwin­ genden Prohibitivnormen instrumentiert, versuchen Bar und Kahn den Savignyschen Dualismus von „reinem Rechtsgebiet“ und „anomalischem Recht“, von allseitigen Kollisionsnormen und Prohibitivnormen zu über­ winden. Dabei wird die Sachnormorientierung des Kollisionsrechts nicht etwa aufgegeben, sondern nachdrücklich betont.

1. Ludwig v. Bar Bar distanziert sich von Savignys Unterscheidung zwischen dem reinen Rechtsgebiet und dem Zweckrecht180: „In der That haben alle Rechtssätze einen Zweck, der außerhalb des reinen181 182 Rechtsgebiets liegt.. ."182. Privat­ rechtsnormen dienen nicht nur der Interessenabgrenzung zwischen Indivi­ duen, sondern auch „dem Wohle der überwiegenden Mehrzahl derselben und damit dem Wohle des ganzen Gemeinwesens“183. Der Gemeinwohlbe­ zug jeder privatrechtlichen Regelung184 muß Bar zwangsläufig zu einer Kritik des Savignyschen lex-fori-Ansatzes bei Zwecknormen fuhren: Da „so ziemlich alle und jede Rechtssätze“ zumindest auch von nationalökono­ mischen Zwecken getragen seien185, würde die konsequente Durchführung der Lehre von den Prohibitivgesetzen der internationalen Rechtsgemein­ schaft ein Ende bereiten186. Bar überwindet Savignys Lehre von den Prohibi­ tivnormen in doppelter Weise: Soweit es Savigny um die Ablehnung ausländischer Zwecknormen we­ gen ihres für das Forum unterträglichen Inhalts gegangen ist187, plädiert Bar für einen negativ wirkenden ordre-public-Vorbehalt188. Die Gemeinwohlorientierung der Privatrechtsnormen soll der Bildung allseitig formulierter Kollisionsnormen nicht entgegenstehen. Ausgangs­ punkt für die Bestimmung der maßgeblichen Anknüpfung kann aber nicht

180 BarI 89 f. 181 Der Neudruck der 2. Aufl. 1889 von 1966 enthält im Band I 90 an dieser Stelle einen sinnentstellenden Druckfehler. 182 Bar 190. 183 Bar 190. 184 Bar 191, 98. 185 BarI90f. 186 Bar 191. 187 Savigny VIII36 f. 188 Bar 190, 130.

Savignys Formel vom Sitz des Rechtsverhältnisses, sondern nur der Zweck der Privatrechtsnormen sein189: „Streng genommen“ muß „die Untersu­ chung über die Interpretation eines Rechtssatzes in internationaler Bezie­ hung... für jeden einzelnen Rechtssatz erfolgen“190. Gleiche Sachzwecke erlauben es dann, einzelne Rechtsregeln zu Gruppen zusammenzufassen191 und für sie Kollisionsnormen zu formulieren192. Die von Savigny vorausgesetzte Rollenverteilung zwischen Wissenschaft und Gesetzgebung wird von Bar nicht übernommen: Gibt es nur zweckhaftes Privatrecht, kann sich die Wissenschaft nicht auf einen lex-fori-Ansatz zurückziehen. Ihr kommt es zu, Kollisionsnormen zu entwickeln, die sich einerseits an den Regelungszwecken der Sachnormen orientieren und ande­ rerseits einem „geordneten Verkehr mit dem Auslande“ dienlich sind193 und dabei zu einem „harmonischen Ineinandergreifen“ der Rechtsordnungen fuhren194.

2. Franz Kahn Noch stärker als bei Bar steht bei Kahn der Zusammenhang von Sach­ normzwecken und Kollisionsrecht im Zentrum der kollisionsrechts-methodischen Überlegungen195. Kahn verwirft Savignys Einteilung der Privat­ rechtsnormen in solche des reinen Rechtsgebietes und solche gemischer Natur: „Unseres Erachtens ist der ganze Gegensatz überhaupt schief*196. Privatrecht ist, gleichgültig, ob die einzelne Person oder Gruppen, Körper­ schaften oder Vermögenskomplexe den Regelungsgegenstand darstellen197, an der Verwirklichung der öffentlichen Wohlfahrt ausgerichtet: Zustim­

189 BARlll6ff. 190 Bar 1116:,,... eine Aufgabe, welche wegen der unendlichen Zahl der Rechtssätze und der stetigen Veränderung des Rechts selbst nie erschöpfend gelöst sein würde“. 191 Für das internationale Vertragsrecht sollte das Recht am Wohnort des Schuldners der Vertragsobligation maßgebend sein. Diese Anknüpfung sei „principiell schon deshalb die richtige, weil die absoluten Rechtssätze des Obligationenrechts, welcher der Privatwillkür nicht nachgeben, regelmäßig im Interesse des Schuldners bestehen; Bar II13; 1117 f. 192 Bar I 116. Insoweit trifft die Charakterisierung der „internationalistischen Schule“ bei Kahn (oben § 3 N. 9) 299, daß der Inhalt des materiellen Rechts mit der Kollisionsfrage nichts zu tun habe, auf Bar nicht zu. Bar versuchte vielmehr, Sachrechtsnähe und völkerrechtliche Einbettung des IPR zu verbinden, Bar 14 f., 105 ff. 193 Bar 173 f., in Auseinandersetzung mit Waechter. 194 Bar I 78. Die „Natur der Sache“ und die „Bedürfnisse des Verkehrs“, ebd. 106, als supranationale Grundsätze sind ihm Gewähr, daß die Anwendungsgrenzen nationaler Sachnor­ men verallgemeinernd diskutiert und in ähnlicher Weise in den Rechtsordnungen der „civilisierten Kulturstaaten“ festgelegt werden können. 195 Zu Kahn neuestens Schurig 125 ff. 196 Kahn, Die Lehre vom ordre public, in: Abhandlungen zum IPR I (1928) 161 (212). 197 Kahn (vorige Note) 212.

mend zitiert Kahn aus den Gebhardschen Motiven zum Bürgerlichen Ge­ setzbuch, wo die Ausgestaltung der subjektiven Rechte und Befugnisse der Personen im Grundstücksrecht als „in hohem Grade“ „vom öffentlichen Interesse“ und „der allgemeinen Wohlfahrt“ geprägt bezeichnet wird198. Die Regelung der familienrechtlichen Beziehungen, der väterlichen Gewalt und der Vormundschaft, berühre die Rechtsstellung der einzelnen Person und die öffentliche Ordnung zugleich199. Da für Kahn alle Privatrechtsnormen als zweckbezogen an der Verwirklichung des öffentlichen Wohls ausgerichtet zu begreifen sind, lehnt er Savignys Differenzierung zwischen allseitigen Kollisionsnormen und absoluten, streng zwingenden Prohibitivnormen ab200. Da zweckgerichtete, das Gesellschafts- und Wirtschaftsleben gestalten­ de Rechtsregeln keinen universalen Anwendungsanspruch erheben201, müsse es darum gehen, die maßgebende(n) Anknüpfung(en) zu ermitteln202, eine Aufgabe, die sich nur durch eine Analyse der mit den Sachnormen verfolg­ ten Zwecke, der Schutz- und Ordnungsziele erreichen lasse203. Zwischen Sach- und Kollisionsrecht bestehe daher ein „Zusammenhang von höchster Intimität“204: „Aus der Sachnorm heraus hat man jede Kollisionsnorm ent­ wickelt und entwickelt man sie täglich neu. Ohne diese materielle Grundla­ ge ein internationales Privatrecht konstruieren zu wollen, hieße einen Kirch­ turm in die leere Luft zu stellen“205. Die Ausrichtung der Kollisionsnorm an den Sachnormzwecken bedeutet für Kahn nicht, daß der Inhalt der Sachnorm ihren örtlichen Anwendungs­ bereich bereits determiniert206, der örtliche Anwendungsbereich daher aus einer bloßen Auslegung der Sachnorm erschlossen werden kann. Aber der Inhalt der Sachnorm, das darin zum Ausdruck kommende „gesellschaftliche Interesse“207, ist bei der Wahl des Anknüpfungspunktes zu berücksichtigen.

198 Kahn (oben N. 196) 192. 199 Kahn (oben N. 196) 217, 212. 200 Kahn (oben N. 196) 167ff., 21 lf, 251 ff.: „Es ist falsch anzunehmen, daß Gesetze, die von besonders hervorragender Bedeutung für die Gesellschaft sind, als solche zu einer besonde­ ren Klasse von Kollisionsnormen fuhren“. 201 Kahn (oben N. 196) 183, 189. 202 Kahn (oben N. 196) 246 ff. 203 Kahn (oben N. 196) 252f.; Kahn (oben § 3 N. 9) 320ff. 204 Kahn (oben § 3 N. 9) 298. 205 Kahn (oben § 3 N. 9) 300. 206 Kahn (oben § 3 N. 9) 307 f. (die Kollisionsnorm „ist wohl mit der Sachnorm in einem präjudiziellen Zusammenhang, aber sie ist durchaus nicht gerade der Ausdruck dessen, was die Sachnorm an und für sich will und was sie nicht will“); vgl. auch Kahn (oben N. 196) 82f. (gegen die romanische Lehre der ordre public-Normen), 89 („Verwirrung von Sachnorm und Ortsnorm“), ebenso 231; Kahn, Gesetzeskollisionen, in: Abhandlungen zum IPR I (1928) 1 (26). 207 Kahn (oben N. 196) 253.

Verschiedene Sachrechtszwecke können daher unterschiedliche Anknüp­ fungen nahelegen208. Mit der Sachnormorientierung der Anknüpfungsentscheidung stellt Kahn das von Savigny verfolgte Ziel des internationalen Entscheidungsein­ klangs keineswegs in Frage: Jede Kollisionsnorm ist für ihn vielmehr eine „Resultante“ aus „Zielen und Tendenzen des materiellen Privatrechts“ und „des Strebens nach internationaler Gesetzesharmonie“209. Internationale Rechtssicherheit210 wird als ein „Interesse des internationalen Verkehrs“ ge­ sehen211. Eine „international gleichmäßige Behandlung des Falles“ als wich­ tiges Regelungsziel des IPR wird durch „eine nach gleichem Maß abge­ grenzte Gesetzesherrschaft der verschiedenen Staaten“212, die „Ausdeh­ nungsgleichheit“ der Gesetze213, also durch allseitig formulierte Kollisions­ normen instrumentiert. Entscheidungseinklang wird sich allerdings nur einstellen können, wenn die Sachnormen der nationalen Rechte „in näherer Verwandtschaft“ stehen, „wenn sie in ihren wesentlichsten Grundlagen eine übereinstimmende Richtung zeigen“214. Wo die Rechtszwecke der Sachnor­ men dagegen stark divergieren, muß der internationale Entscheidungsein­ klang auf der Strecke bleiben215.

III. Ergebnisse Der Rückblick auf die Grundlegung des „klassischen“ IPR im 19. Jahr­ hundert erlaubt zwei Feststellungen: Weder Savigny noch Bar oder Kahn haben das Kollisionsrecht als ein „wertneutrales“ Ordnungssystem aufgefaßt, das sich von den Rege­ lungszwecken und Wertungen des Sachrechts distanzieren und sich allein an spezifisch internationalen Zielsetzungen orientieren soll. Der Zweck der Sachnormen ist bei Savigny Grundlage und Ausgangspunkt der kollisions­ rechtlichen Lösungen. Der auf eine inhaltliche Gestaltung der Rechtsver­ hältnisse abzielende Regelungszweck der Sachnormen wird unmittelbar durch die Bindung des Richters an das Gesetz und seinen Regelungswillen

208 Kahn (oben N. 196) 253. 209 Kahn, Bedeutung der Rechtsvergleichung mit Bezug auf das IPR, in: Abhandlungen zum IPR I (1928) 491 (503; auch 494). 210 Kahn (oben § 3 N. 9) 309. 211 Kahn (oben § 3 N. 9)318. 212 Kahn (oben § 3 N. 9) 310. 213 Kahn (oben § 3 N. 9) 311. 214 Kahn (oben § 3 N. 9) 317. 215 Kahn (oben § 3 N. 9) 318 spricht von einer „Quadratur des Zirkels“, die verschiedenen Rechtsordnungen miteinander in Harmonie zu bringen.

bei den sogenannten absoluten, streng zwingenden Prohibitivnormen in­ strumentiert. Wo Sachrecht die inhaltliche Ausformung der Rechtsverhältnisse dagegen der individuellen Gestaltungsfreiheit überläßt, rückt das Parteiinteresse im internationalen Rechtsverkehr in den Vordergrund. In Savignys System zeitigen Veränderungen im Privatrecht unmittelbare Konsequenzen im Kollisionsrecht: Eine „Entstaatlichung“ des Privatrechts durch Abbau anomalischen Rechts oder seine Integration in das reine Rechtsgebiet216 fuhrt zu einem Rückzug der absoluten, streng zwingenden Prohibitivnormen zugunsten allseitiger Kollisionsnormen217, während um­ gekehrt die Verwandlung des reinen Rechtsgebietes in anomalisches Recht durch sozial- und wirtschaftsgestaltende Eingriffe des Gesetzgebers zwangs­ läufig den Bereich der Prohibitivnormen ausdehnen muß. Savignys Be­ handlung der Prohibitivnormen ist der „unfertige Teil“218 seines IPR. Berücksichtigung der Sachnormzwecke und Bildung paritätisch formu­ lierter Kollisionsnormen schließen sich nicht notwendig aus. Savignys Lö­ sungsvorschläge für die Anknüpfung der Handlungsfähigkeit zeigen, daß Sachnormzweck und Allseitigkeit der Kollisionsnorm zur Deckung ge­ bracht werden können. Bei Bar und insbesondere Kahn wird - von einem gewandelten Verständnis des Privatrechts ausgehend - die dem Kollisions­ recht gestellte Aufgabe umrissen: sachnormzweck-gerechte Kollisionsnor­ men zu formulieren, die nach Möglichkeit einer Internationalisierung zu­ gänglich sind219.

216 Vgl. Savigny 164. 217 Eine solche Entwicklung wurde von Savigny erwartet: Savigny VIII38. 218 Vgl. Kahn (oben N. 196) 251 (die Gesetze der öffentlichen Ordnung als „der noch unerkannte und der noch unfertige Teil des internationalen Privatrechts“). 219 Vgl. Kahn (oben §3 N. 9) 326: „Erstrebt werden diejenigen Kollisionsnormen, bei welchen unter Aufgabe des Minimums von nationalen Rechtszwecken ein Maximum von internationaler Gesetzesharmonie erreicht wird“.

§ 5: Sachnormzweck-gerechte Anknüpfungen als Aufgabe I. Funktionswandel des Privatrechts und IPR Was uns heute von Savigny trennt, ist ein tiefgreifender Wandel des Privatrechts und seines Verständnisses1. Mit der Unterscheidung zwischen „reinem Rechtsgebiet“ und „anomalischem Recht“ wählte Savigny einen systematischen Ansatz, der nicht nur auf eine Rollenverteilung zwischen rechtsschöpferisch tätiger Wissenschaft und Gesetzgebung zielte, sondern zugleich den der Wissenschaft zugeordneten Rechtsstoff als einen von der Sittlichkeit und Staatswissenschaft unbeeinflußten definierte2. Privatrecht ließ sich so von den sozialen und wirtschaftlichen Fakten isolieren und auf leitende Prinzipien - Freiheit, Gleichheit, Eigentum - und abstrakte Rechts­ institute zurückfuhren3, während die politische Verantwortung für die so­ ziale und wirtschaftliche Angemessenheit und Zweckmäßigkeit des Rechts dem Gesetzgeber überlassen blieb4. Eine solche Privatrechtskonzeption konnte sich in einer Zeit entfalten, in der der Staat sich darauf zurückzog, die Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Leben zu garantieren, um an­ sonsten den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Raum der individuellen Gestaltung durch die wirtschaftenden Bürger und dem Steuerungsmecha­ nismus des Marktes zu überlassen. Diese Trennung von Staat und Gesellschaft wurde durch eine am Ende des 19. Jahrhunderts einsetzende und sich bis heute verstärkende Entwicklung abgelöst, in der der Staat zunehmend ehemals gesellschaftliche Aufgaben und Funktionen mit übernimmt5: Die Trennung von Staat und Gesellschaft ist einer Verschränkung gewichen, in der der Staat als Verwalter des Ge­ meinwohls das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben gestaltet und

1 Vgl. dazu Wieacker (oben § 4 N. 24) 23ff.; ders. (oben § 4 N. 85) 514, 619ff.; Raiser, Die Zukunft des Privatrechts, in: ders., Die Aufgabe des Privatrechts (1977) 208 (209ff, 220ff.); Rehbinder, JZ 1973, 151 (153ff.); Bucher 45ff. 2 Steindorff 46; Wieacker (oben § 4 N. 18) 61. 3 Steindorff 47. 4 Vgl. auch Windscheid, Die Aufgaben der Rechtswissenschaft, in: Gesammelte Reden und Abhandlungen (1904) 101 (112): „Die Gesetzgebung steht auf hoher Warte; sie beruht in zahlreichen Fällen auf ethischen, politischen und volkswirtschaftlichen Erwägungen oder auf einer Kombination dieser Erwä­ gungen, welche nicht die Sache des Juristen als solche sind“. 5 Rehbinder, JZ 1973, 151 (153).

ordnet. Diese Entwicklung ist nicht ohne Rückwirkung auf das Privatrecht geblieben. Zum einen haben staatliche Einwirkungs- und Kontrollmecha­ nismen zu einem Funktionsverlust des klassischen Privatrechts geführt6. Zum anderen ist ein vor allem von Wieacker7 und Raiser8 analysierter Funktionswandel des Privatrechts eingetreten. Privatrecht läßt sich nicht als ein formales Ordnungssystem ohne eigene Wertung und Verantwortung gegenüber der sozialen und wirtschaftlichen Realität begreifen9, sondern ist ein Mittel der Freiheitsverwirklichung und des Interessenausgleichs, das auf die Verwirklichung materialer Gerechtigkeit abzielt und dabei die Ziele und Wertungen des Sozialstaats in sich aufnimmt10. Freiheit, Gleichheit, Eigen­ tum lassen sich nicht mehr axiomatisch voraussetzen, sondern sind im Hinblick auf die sozialen und wirtschaftlichen Realitäten zu kontrollieren und gemeinwohlbezogen zu gestalten. Privatrecht kommt es zu, die Folgen faktischer Ungleichheit zu steuern und die daraus erwachsende Unfreiheit zu begrenzen und zu neutralisieren: Das Abzahlungsgesetz11 und das Versi­ cherungsvertragsgesetz markieren auf dem Gebiet des Vertragsrechts bereits um die Jahrhundertwende eine Abkehr von einem individualistischen Pri­ vatrechtsverständnis, wie es noch das Bürgerliche Gesetzbuch als ein „spät­ geborenes Kind“ des Liberalismus12 bei seinem Erlaß geprägt hat13. Privatrecht ist heute nicht mehr als ein unpolitischer, vom Gemeinwohl 6 Raiser (oben N. 1) 210. 7 Wieacker (oben § 4 N. 24) 23: „Umwälzung des Sozialbildes, das dem heutigen Privat­ recht zugrundeliegt“ (vgl. 24ff.). 8 Raiser (oben N. 1) 209ff. 9 Vgl. den Ansatz bei Steindorff, Wirtschaftsordnung und -Steuerung durch Privatrecht?, in: FS Raiser (1974) 621 ff. 10 Zum Vertragsrecht Raiser, Vertragsfreiheit heute, in: ders., Die Aufgabe des Privatrechts (1977) 38 (43, 51); Krause, Allgemeine Geschäftsbedingungen und das Prinzip des sozialen Rechtsstaates: Betr. Ber. 1955, 265 (269); Hillermeier, Freiheit und soziale Verantwortung im Vertragsrecht: Betr. Ber. 1976, 725 (726). 11 Dazu vor allem Benöhr, Konsumentenschutz vor 80Jahren: ZgesHR 138 (1974) 492. 12 Zu den Grundlagen des BGB vgl. Wieacker (oben § 4 N. 85) 479 f; ders. (oben § 4 N. 24) 22 (mit deutlichen Einschränkungen hinsichtlich konservativ-patriarchalischer Züge im Fami­ lienrecht und einiger sozialer Elemente im Schuldrecht); Rebe, Privatrecht und Wirtschaftsord­ nung (1978) 88; Kübler, Privatrecht und Demokratie, in: FS Raiser (1974) 697 (705); Benöhr, Wirtschaftsliberalismus und Gesetzgebung am Ende des 19. Jahrhunderts: ZArbR 8 (1977) 187 (216, 218); E. Schmidt, Von der Privat- zur Sozialautonomie: JZ 1980, 153 (154). 13 Den wesentlichen Grund für die rechtspolitisch unterschiedliche Ausrichtung von BGB einerseits und Abzahlungsgesetz sowie Versicherungsvertragsgesetz andererseits wird man vor allem darin sehen müssen, daß bei der Schaffung des BGB primär die Verwirklichung der nationalen Rechtseinheit durch Kodifizierung des überkommenen, vom Geist der Pandekten­ wissenschaft geformten Rechtsstoffes angestrebt worden ist; vgl. Staudinger(-Coing), BGB12 I (1978) Einleitung Rz. 19 ff, 24, 30, 69; Benöhr, Die Grundlage des BGB-Das Gutachten der Vorkommission von 1874: JuS 1977, 79 (80). Das BGB ist das Produkt außerparlamentarischer, wissenschaftlicher Arbeit, während das Abzahlungsgesetz im parlamentarischen Raum ent­ standen ist; vgl. Benöhr, ZgesHR 138 (1974) 492 (502).

isolierter, allein der individuellen Gestaltungsfreiheit überlassener Rechtsbe­ reich zu begreifen. Es ist eingebunden ist eine staatlich verantwortete und gestaltete Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der Individualinteres­ sen und Gemeinwohlverwirklichung nicht getrennten Sphären angehören, sondern unmittelbar aufeinander bezogen sind. Eine solche Sicht des Privat­ rechts ermöglicht es, individuelle Gestaltungsfreiheit - Vertragsfreiheit, Testierfreiheit - nicht nur als Gegensatz zu „staatlicher“ Regulierung, son­ dern vielmehr auch als ein wichtiges Instrument zur Verwirklichung des Gemeinwohls aufzufassen: Für eine marktwirtschaftlich organisierte Wirt­ schaftsgesellschaft ist Vertragsfreiheit unverzichtbar, um die Planungs- und Entscheidungsfreiheit der einzelnen Marktteilnehmer zu verwirklichen14. Diese Sicht des Privatrechts kann im Kollisionsrecht nicht unberücksich­ tigt bleiben. Denn die im Privatrecht für eine konkrete Gesellschaftsord­ nung verfolgten Zwecke werden nicht etwa deshalb irrelevant, weil der Sachverhalt internationale Bezüge aufweist15. Im Gegenteil: Der grenzüber­ schreitende Verkehr zeitigt vielfältige Wirkungen und Rückwirkungen auf den nationalen Bereich und die für ihn verfolgten Politiken. Kollisionsrecht kann diese Wirkungen - und die damit verbundene Gefährdung der nationa­ len Rechtszwecke - nicht einfach ignorieren, sondern muß sie bei der Festle­ gung des internationalen Anwendungsbereichs der Sachnormen mit be­ rücksichtigen16. Ein Versicherungsnehmer, der im nationalen Kontext wegen seiner intel­ lektuellen und ökonomischen Unterlegenheit privatrechtlichen Schutz ge­ genüber der einseitigen Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit durch den Versicherer genießt, ist nicht schon deshalb weniger schutzwür­ dig und -bedürftig, weil der Versicherungsvertrag mit einem ausländischen Versicherer abgeschlossen wird.

14 Vgl. etwa Steindorff 229 f. 15 Rehbinder, JZ 1973, 151 (155); vgl. Currie 52. Übereinstimmend Vischer, Die Wand­ lung des Gesellschaftsrechts zu einem Unternehmensrecht und die Konsequenzen für das IPR, in: FS F. A. Mann (1977) 639: „... die kollisionsrechtliche Lösung (ist) oft für das Funktionieren oder Scheitern tragender sozialpolitischer Postulate entscheidend..Koppensteiner, Enteignungs- oder Nationalisierungsmaßnahmen gegen ausländische Kapitalgesellschaften: BerD GesVR 13 (1974) 67 (kollisionsrechtliche Lösungsvorschläge können nicht ohne Blick auf ihre materiellrechtlichen Konsequenzen überzeugend formuliert und beurteilt werden). 16 Bucher 49ff; Rehbinder, JZ 1973, 151 (155); vgl. auch RGRK(-Wengler) VI/1 74, 90, 226 (für den positiven ordre public). Der sich in der Gesetzgebung und im Schrifttum immer stärker abzeichnende Trend zum Schutz des Verbrauchers als der schwächeren Vertragspartei ist Konsequenz dieser Einsicht. Zur neueren Gesetzgebung vgl. die Übersicht bei von Overbeck, Les questions generales du d.i.p. ä la lumiere des codifications et projets recents: Rec. des Cours 176 (1982-III) 9 (73 f, 76 ff.); aus dem Schrifttum: Imhoff-Scheier, Protection du consommateur et contrats internationaux (1981); Keller, Schutz des Schwächeren im Internationalen Vertragsrecht, in: FS Vischer (1983) 175.

Begreift man Privatrecht als ein Instrument staatlicher Sozialordnung, ergibt sich zugleich, daß den Sachnormen kein universaler Anwendungsan­ spruch zugesprochen werden kann. Der Ordnungs- und Gestaltungszweck der Sachnormen bezieht und beschränkt sich auf Sachverhalte mit Verknüp­ fung zur Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung des rechtsetzenden Staates. Hieraus ergibt sich nicht nur die Begrenzung des Anwendungsanspruchs der inländischen Sachnormen, sondern zugleich auch eine Begründung für die Anwendung ausländischen Rechts17.

II. Sachnormzweck-Analyse bei Currie Die hier formulierte Aufgabe des IPR, den internationalen Anwendungs­ bereich des Sachrechts im Lichte der Sachnormzwecke zu bestimmen18, stimmt in manchem mit dem überein, was Currie als Ausgangspunkt der kollisionsrechtlichen Fragestellung gesehen hat, ohne daß zugleich seine Folgerungen - Verzicht auf Kollisionsnormen, keine Berücksichtigung „multinationaler“ Politiken durch den Richter - übernommen werden müßten. Die von Currie verwendete Terminologie - „governmental policy“ und „governmental interests" - liefert seine Lehre auf den ersten Blick dem Verdacht aus, es gehe ihm bei der Lösung internationalprivatrechtlicher Fälle primär um die Interessen von Staaten bzw. Regierungen. Kritik ist in dieser Richtung immer wieder erhoben worden19, scheint aber eher an Curries Lehre vorbeizuzielen20. 17 Vgl. BGH 9. 5. 1980, NJW 1980, 2018 (2019), wonach sich „...die an den Schutz der Arbeitnehmer zu stellenden Anforderungen an der jeweiligen historischen, kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Entwicklung des Ge­ meinwesens orientieren und deshalb in den einzelnen staatlichen Ordnungen eine vom inländischen Rechtszustand abweichende Regelung erfahren dürfen“. 18 In diesem Sinne etwa Kahn (oben § 4 N. 196) 253; Wengler, Arch.öff.R. 23 (1944) 473 (474ff); Stoll, Anknüpfungsgrundsätze bei der Haftung für Straßenverkehrsunfälle und der Produktenhaftung nach der neueren Entwicklung des internationalen Deliktsrechts, in: FS Kegel (1977) 113 (130); Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 294, 366; Trutmann 83; Vischer, RabelsZ 38 (1974) 128 (150); Fikentscher, RdA 1969, 204 (208 N. 46); Reese, The Influence of Substantive Policies on Choice of Law, in: FS Vischer (1983) 287 (zum schweizerischen IPR-Gesetz-Entwurf); vgl. auch Schurig 173 ff. Zum internationalen Ver­ tragsrecht siehe oben N. 16. 19 Vgl. Yntema, Basic Issues in Conflicts Law: Am.J.Comp.L. 12 (1963) 474 (482); Rhein­ stein, Am.J.Comp.L. 11 (1962) 632 (664): „never in a private law case is there a conflict between States in the sense in which States clash on questions ofboundary..Kegel, Rec. des Cours 112 (1964-11) 91 (180ff, 205); Ehrenzweig (oben § 3 N. 56) 63: „... governments are, outside the law of admiralty, interested in the solution of conflicts problems only in such exceptional cases as tax or currency matters“; Siehr, [Buchbesprechung]: RabelsZ 42 (1978) 760 (765 f.) spricht von einer „unamerikanischen Übertreibung staatlicher Interessen, Schutzpflich­ ten und Interventionszwänge“. 20 Vgl. Cavers 100; ders., Rec. des Cours 131 (1970-III) 75 (148f.); Hancock, Three

Governmental policy bedeutet bei Currie, der Privatrecht als „Instrument of social control“21 begreift22, die Zwecksetzung einer Privatrechtsnorm, die „social, economic, and administrative policy“23, die ein Gericht auch in einem rein nationalen Sachverhalt im Wege der Auslegung der Norm zu entfalten hat. Die Bestimmung des „governmental interest" zielt auf nichts anderes als den aus den Gestaltungs-, Ordnungs- und Steuerungszwecken der Sachnorm zu entwickelnden Anwendungsanspruch auf Sachverhalte mit internationaler Verknüpfung24. Es geht - entgegen der Terminologie nicht um die Interessen von Regierungen oder aber um ein von den Gestal­ tungszwecken des Privatrechts abgehobenes Staatsinteresse25, sondern um den durch die Auslegung des Sachnormzwecks zu bestimmenden Verwirkli­ chungsbereich26 der Norm in international verknüpften Sachverhalten. Man wird nicht fehlgehen, wenn man der „government“-Terminologie Curries strategische Bedeutung beimißt: Die von ihm vertretene Beschränkung des richterli­ chen Wertungsspielraums in international verknüpften Sachverhalten soll auch in der Nomenklatur zum Ausdruck kommen. Currie ist es primär darum gegangen, das sachnormneutrale Kollisionsrecht im Sinne des Restatement von 1934 durch einen Lösungsansatz zu ersetzen, der die Sachrechtszwecke zum Ausgangspunkt richterli­ cher Entscheidungsfindung macht27. Um zu verhindern, daß dieser Neuansatz in der kollisionsrechtlichen Fragestellung durch Überlegungen und Wertungen, wie sie dem „klassischen“ Kollisionsrecht zugrundeliegen, abgeschwächt und verdrängt

Approaches to the Choice-of-Law Problem, The Classificatory, the Functional and the ResultSelective, in: FS Yntema (1961) 365 (367 N. 2); vgl. auch Schurig 297f. 21 Currie 64. 22 Currie 65: „We realize now... that the common law itself is an instrument of social and economic policy“. 23 Currie 189; vgl. auch Currie 225, 613f.; Hancock (oben N. 20) 367 N. 2; Trutmann 19ff., 22; Spellenberg 112. 24 Currie 621. 25 Currie spricht an verschiedenen Stellen von „state interests“: Currie 183, 186, 190f, 193. Diese Terminologie entstammt dem amerikanischen Verfassungsrecht, wo der Supreme Court zur Bestimmung der Grenzen der Regelungskomptenz der Bundesstaaten für internationale Sachverhalte unter der due-process- und der full-faith- and-credit clause auf die „state interests“ abgestellt hat; Yarborough v. Yarborough, 290 U.S.200, 227 (1933), Stone, J.; dazu zuletzt Juenger, Am.J.Comp.L. 32 (1984) 1 (4ff.). Siehe auch Leflar 118: „Comparable language undertaking to identify social, political, economic and even cultural interests attributable to a state because of the incidence of local factors in a litigated case has been employed hundreds of times“. Für die verfassungsrechtliche Legitimität der Anwendung der lex fori auf einen bestimmten Sachverhalt wurden auch die Regelungszwecke der Sachnormen herangezogen: Watson v. Employer’s Liability Ass. Corp., 348 U.S. 66, 72 (1954), Black, J. 26 Trutmann 83 N. 43. 27 Zugleich ging es ihm um die Erleichterung richterlicher Entscheidungstätigkeit, wenn und soweit dem Forum-Recht Präferenz eingeräumt werden sollte; Currie 185, 476, 580 N. 213, 614, 700; kritisch dazu Leflar 194; von Mehren, Cornell L.Rev. 60 (1975) 927 (937).

wird28, postuliert Currie eine mit den Gestaltungszwecken des Sachrechts begründe­ te, an Waechter erinnernde Rollenverteilung zwischen Judikative und Legislative: Der Richter habe die Aufgabe, die im Sachrecht verfolgten Rechtszwecke festzustellen und in international verknüpften Sachverhalten durchzusetzen29. Es solle ihm ver­ wehrt sein, ein potentielles Rechtsanwendungsinteresse des Forums zugunsten glei­ chartiger Anwendungsinteressen anderer berührter Rechtsordnungen zurückzustel­ len oder zur Erreichung des - in der Realität höchst zweifelhaften - internationalen Entscheidungseinklangs aufzugeben30. Currie wertet die Abwägung der Rechtsan­ wendungsinteressen als eine Entscheidung von politischer Dimension, die in einem demokratischen System nicht von den Gerichten, sondern nur von der Legislative getroffen werden solle31. Im Ergebnis wird so der Richter an die lex fori gebunden, ohne spezifische internationale Gesichtspunkte und Wertungen in die kollisions­ rechtliche Entscheidungsfindung einbringen zu können. Dieser in Frontstellung gegenüber tradiertem Kollisionsrecht formulierte Neuansatz, dem Currie in späterer Zeit selbst nicht mehr ganz treu geblieben ist32, verkürzt und verfälscht die vorzunehmende kollisionsrechtliche Inter­ essenanalyse vor allem in zwei Richtungen33: Aus den Sachnormzwecken lassen sich keine eindeutigen Aussagen über den internationalen Anwendungsbereich einer Sachnorm deduzieren34. Die Fixierung des Anwendungsbereichs beruht vielmehr auf einer rechtsschöp­ ferischen Entscheidung des Richters (Gesetzgebers), die von anderen Ge­ sichtspunkten mit beeinflußt ist. Die Ordnung des internationalen Rechtsverkehrs wirft mit der potentiel­ len Anwendbarkeit mehrerer Rechtsordnungen auf einen Sachverhalt Pro­

28 Den strategischen Charakter seiner Argumentation räumt Currie selbst ein: Currie 592. 29 Currie will für den Gesetzgeber keine Aussagen machen: Currie 190. 30 Currie 119. 31 Currie 124, 182; vgl. auch ebd. 106, 124, 153, 181, 190, 603 N. 59. Soweit Currie die Koordination der Regelungsinteressen der Bundesstaaten letztlich dem Kongress zuweisen will (ebd. 272, 602 und öfters), weil nur dieses Organ ein neutrales Forum für die Schlichtung zwischenstaatlicher Regelungskonflikte darstelle, handelt es sich um einen spezifisch auf ameri­ kanische, interlokale Fälle zugeschnittenen Lösungsansatz. 32 Currie 186: „... there is room for restraint and enlightenment in the determination of what state policy is and where state interests lie“; ebd. 592, 600, 604ff., 616. Currie war bereit einzuräumen, daß die Bestimmung des Anwendungsbereiches der Sachnorm nicht nur von den Rechtszwecken der Normen determiniert wird, sondern auch auf andere Überlegungen ge­ stützt werden kann (ebd. 592). Zur Entfaltung dieses - komplexeren - Ansatzes ist Currie nicht mehr gekommen; vgl. Budenheimer, The Need for a Reorientation in American Conflicts Law, in: FS F. A. Mann (1977) 123 (127); von Mehren, Cornell L.Rev. 60 (1975) 927 (938); Cavers, Rec. des Cours 131 (1970-III) 75 (147). 33 Kritik von amerikanischer Seite kommt von Cavers 113; von Mehren/Trautman 78; von Mehren, Cornell L.Rev. 60 (1975) 927 (935) ;Juenger, Am.J.Comp.L. 32 (1984) 1 (25 ff, 33ff.). 34 Neuner, Can.B.Rev. 20 (1942) 479 (500); Juenger (vorige Note) 33 ff. sowie Text oben § 3 beiN. 77 ff.

bleme für die betroffenen Parteien auf, deren Lösung nicht den - auf rein nationale Sachverhalte bezogenen - Sachnormen entnommen werden kann.

III. Sachnormzweck und sachnormübergreifende Gesichtspunkte Die regulativen Zwecke der Privatrechtsnormen bei der kollisionsrecht­ lichen Entscheidungsfindung zu berücksichtigen heißt keineswegs, den in­ ternationalen Anwendungsbereich durch eine bloße Auslegung der Sach­ normen zu ermitteln35. Sachnormen sind Regelungen, die für einen In­ landssachverhalt eine sachlich richtige Lösung zu verwirklichen suchen. Während sich die Anwendung der Sachnorm - unabhängig von ihrem konkreten Regelungszweck - auf einen Inlandssachverhalt von selbst ver­ steht, stellt sich für Tatbestände mit internationaler Verknüpfung die spezi­ fisch kollisionsrechtliche Aufgabe, drüber zu entscheiden, unter welchen konkreten Umständen ein Lebenssachverhalt durch das inländische Recht ge­ regelt oder aber einem ausländischen Recht überlassen werden soll. Vom Regelungszweck der inländischen Sachnorm her gedacht geht es um die Prüfung, welche Sach verhalte mit internationaler Verknüpfung der inlän­ dischen Regelung unterfallen müssen36, damit die im nationalen Bereich verfolgten Rechtszwecke nicht gefährdet werden37. Für die Bestimmung des internationalen Anwendungsbereiches bedarf es damit einer eigenständig-wertenden Entscheidung über die notwendige Intensität der Verknüp­ fung des Sachverhalts mit der nationalen Sozialordnung, eine Entschei­ dung, die am Rechtszweck der Sachnorm zu orientieren, aber nicht aus ihr zu deduzieren ist38. Wo Sachnormen keinen eindeutigen Regelungszweck verfolgen oder aber ihnen mehrere und durchaus widersprechende Zwecke39 entnommen werden können, wird die Bedeutung des Sachnormzwecks für die kolli­ sionsrechtliche Entscheidung dagegen unter Umständen zurücktreten oder sogar weitgehend gleichgültig sein40.

35 So mit Nachdruck Kegel, FS Ehrenzweig 51 (78). 36 Vgl. Cavers (oben § 3 N. 35) 166 (172); von Mehren, Cornell L.Rev. 60 (1975) 927 (939); vgl. auch Hancock, Int. Comp.L.Q. 26 (1977) 809 (821); Trutmann 49. 37 Bucher 50, 54. 38 Siehe dazu Schurig 298: „In Wahrheit gewinnt man... nicht eine Kollisionsnorm aus einer Sachnorm, sondern anhand einer Sachnorm und fir sie. “ 39 Dazu Cavers 108; Reese, Cornell L.Rev. 52 (1972) 315 (318). 40 Zuletzt Juenger, Am.J.Comp.L. 32 (1984) 1 (33 ff); siehe auch Cavers, Rec. des Cours 131 (1970-III) 75 (131): „mystiqueofinterpretation“; Leflar 189,191; Reese, Cornell L.Rev. 57 (1972) 315 (371); Spellenberg 113.

In die kollisionsrechtliche Entscheidung können - und müssen - Überle­ gungen und Wertungen einfließen, die nicht aus einer konkreten Sachnorm zu entnehmen sind. Zu denken ist etwa an solche Politiken, die sachnormübergreifend ein größeres Rechtsgebiet, dem die Sachnorm zuzurechnen ist, charakterisie­ ren41. Rechtsnormen stehen in einem umfassenderen Wertungs- und Ord­ nungszusammenhang, der in die kollisionsrechtliche Wertung einfließen kann. Es geht des weiteren um die Berücksichtigung allgemeiner Rechtswerte, von denen die Rechtsordnung geprägt ist, ohne daß sie sich auch in der Formulierung der einzelnen Sachnormen niederschlagen: Das Prinzip des Vertrauensschutzes sowie der allgemeine Gleichheitssatz42, der es nahe legt, Sachverhalte mit internationaler Verknüpfung in ihrer, von rein nationalen Sachverhalten abweichenden Besonderheit zu würdigen und unter Umstän­ den aufgrund ihrer Ungleichheit der Regelung einer engen verknüpften, ausländischen Rechtsordnung zuzuweisen43. Sachnormen sind vom Gesetzgeber bzw. Richter oftmals nur mit Blick auf die Regelung rein lokaler Sachverhalte formuliert44 und stellen im Ergeb­ nis eine Abwägung von Rechtswerten und Regelungszwecken allein für nationale Sachverhalte dar45. Für die Ordnung des internationalen Rechts­ verkehrs können zusätzliche Überlegungen ins Spiel kommen46: Rechts­ zwecke, die bei nationalen Sachverhalten in befriedigender Weise abge­ stimmt sind - etwa Rechtsgeschäftsfreiheit und Rechtsformzwang - mögen im Bereich des internationalen Verkehrs entweder an Bedeutung verlieren oder aber durch das Interesse an der Erleichterung und Förderung zwischen­ staatlichen Handelns modifiziert bzw. überlagert werden47. Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sind grundlegende Ziele, die jede nationale Rechtsordnung jedenfalls in einem gewissen Mindestmaß zu ver­ wirklichen sucht. Diese Ziele verlieren für international verknüpfte Sach­ verhalte nichts an Bedeutung, wenn auch ihrer Realisierung wesentlich

41 Vgl. § 6 (2) e) Restatement (Second): „The basic policies underlying the particular field of law“. 42 Zum Vertrauensschutz etwa Leflar § 103; zum Gleichheitssatz E. Lorenz 62ff.; ders., Z.f.RPol. 1982, 148 (149f). 43 Braga, FS Schnorr von Carolsfeld 89 (94); vgl. auch von Mehren, L.Contemp.Probl. 41 (1977) 27 (30, 32). 44 Currie 82, 384, 592. 45 Cavers 108. 46 Hierzu vor allem von Mehren, Cornell L.Rev. 60 (1975) 927. 47 Zum Ziel der Förderung des zwischenstaatlichen Handelsverkehrs: Leflar 208; Traynor, Is this Conflict Really Necessary?: Texas L.Rev. 37 (1959) 657 (674); vgl. auch schon Heilmann, Judicial Method and Economic Objectives in Conflict of Laws: Yale L.J. 43 (1934) 1082 (1088, 1097 ff, 1107).

größere Hemmnisse entgegenstehen als in nationalen Sachverhalten. Die Erleichterung der Planung zwischenstaatlicher Transaktionen läßt daher die international einheitliche Beurteilung der Rechtsverhältnisse als anstrebens­ wertes Ziel erscheinen48. Sie hilft, Pflichtenkollisionen der Parteien in inter­ nationalen Sachverhalten zu vermeiden49 - ein Ergebnis, das im nationalen Bereich geradezu als selbstverständlich erscheint. Die Wünschbarkeit einer international einheitlichen Beurteilung von Rechtsverhältnissen mit internationaler Verknüpfung, die sich auch in den zahlreichen IPR-Abkommen der Staaten manifestiert, sollte Rückwirkun­ gen auf das Kollisionsrecht insofern zeitigen, als solche Lösungen nach Möglichkeit zu vermeiden sind, die zwangsläufig eine international einheit­ liche Beurteilung ausschließen. Dazu gehören unparitätisch formulierte Kollisionsnormen, die der lex fori einen im Vergleich zum ausländischen Recht weiteren Anwendungsbereich eröffnen50. Die Regelung des internationalen Rechtsverkehrs berührt nicht nur die inländische Sozialordnung, sondern wirkt ebenso auf die Sozialordnungen der ausländischen, mit dem jeweiligen Sachverhalt verbundenen Staaten ein. Mit der Entscheidung über die Anwendung oder Nichtanwendung inländi­ schen Rechts wird zugleich immer über die Beachtung und Durchsetzung ausländischer Sozialgestaltung mit entschieden. Kollisionsrecht kommt in­ soweit die Aufgabe zu, die den internationalen Rechtsverkehr betreffenden Regelungs- und Ordnungsansprüche des inländischen Rechts mit denen der ausländischen Rechtsordnungen zu koordinieren und auszugleichen. Kollisionsrechtliche Lösungen sollten sich dabei grundsätzlich am Prinzip der Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen orientieren: In Verwirklichung der Idee der Gleichheit51 gilt es, die dem inländischen Recht zugewiesenen Einwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten prinzipiell im gleichen Um­ fang auch den betroffenen ausländischen Rechten zuzugestehen52. Gleich­ rang der Rechtsordnungen meint hier nicht ihre Gleichwertigkeit53. Die nationalen Rechte sind vielmehr als Antworten auf die historische, kultu­ relle, soziale und wirtschaftliche Entwicklung des jeweiligen Gemeinwesens zu begreifen und zu respektieren54; Kollisionsrecht sollte zwischen den 48 Leflar 208; Bucher 55; BGH 8. 3. 1983, RIW/AWD 1983, 456. 49 Dazu Wengler, Rec. des Cours 104 (1961-III) 273 (364ff., 375); RGRK(-WENGLER) VI/1 63. 50 Wengler, FS Maridakis III323 (331). 51 Dazu Wengler, FS Maridakis III323; Kegel, FS Ehrenzweig 51 (74). 52 Cavers, Rec. des Cours 131 (1970-III) 75 (130), spricht von einer „fair allocation of rulemaking responsibility“; vgl. auch Cavers (oben § 3 N. 35) 172. 53 Spellenberg 114f. sieht die „Grundlagen eines richtigen, gerechten internationalen Privat­ rechts in der Annahme einer prinzipiellen Gleichwertigkeit der nationalen Sachrechte“. Damit wird auf die Prüfung einer tatsächlichen Gleichwertigkeit verzichtet. 54 Vgl. BGH 9. 5. 1980, NJW 1980, 2018 (2019); siehe oben N. 17.

Rechtsordnungen der Staaten mit unterschiedlicher wirtschaftlicher Ent­ wicklungsstufe und verschiedener Rechtskultur vermitteln, ohne eine Be­ wertung vorzunehmen. Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Anknüpfungsentscheidung läßt sich nicht - wie dies auch heute noch versucht wird55 - auf die Alternative der Fragestellung „vom Sachverhalt“ bzw. „vom Gesetz her“ reduzieren56. Viel­ mehr muß es darum gehen, Lösungen zu entwickeln, die sowohl die Rege­ lungs- und Gestaltungzwecke der Sachnormen mit Bezug auf eine konkrete Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung hinreichend berücksichtigen, als auch die im Sachrecht nicht formulierten Grundsätze und Politiken für eine angemessene Ordnung und Gestaltung des internationalen Rechtsverkehrs verwirklichen57. In diesem Sinne gilt es, nach „sachnormzweck-gerechten“ Anknüpfungen im Kollisionsrecht zu suchen58.

IV. Folgerungen für das Recht der Versicherungsverträge Das deutsche Versicherungsvertragsgesetz vom 30. 5. 1908 (VVG) mar­ kiert, wie schon zuvor das Abzahlungsgesetz von 1896, eine Distanzierung des Gesetzgebers vom liberalen Vertragsmodell, wie es noch weitgehend dem Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 zugrunde gelegt wurde. Privatrecht öffnet sich der Einsicht in die Realitäten eines von vorformulierten Versiche­ rungsbedingungen beherrschten Vertragsabschlusses. Leitbild des Versiche­ rungsvertragsgesetzes ist nicht mehr das selbstbestimmungsfähige, autono­ me Individuum, das zur „Selbstverwirklichung in gleicher Freiheit fähig und berufen ist“59, sondern ein Versicherungsnehmer, der in vielen Versiche­ rungszweigen der intellektuell und ökonomisch unterlegene Vertragsteil ist und daher privatrechtlichen Schutzes bedarf. Wenn Kessler zum amerikani­ schen Recht vom Versicherungsvertragsrecht als einem „continuum“60 ver­ schiedener, ineinander fließender und sich vermischender Wertungen ge­ sprochen hat, so wird man für das deutsche Recht, aber auch für zahlreiche ausländische Rechtsordnungen, drei Schwerpunkte setzen können: 55 Neuhaus 29 f 56 Savigny hatte die Fragestellung vom Sachverhalt her primär in strategischer Absicht formuliert: es galt den als unfruchtbar erkannten Ansatz der Statutentheorie beim Wortlaut des Gesetzes und die mit der Klassifizierung der Gesetze in statuta personalia, realia und mixta verbundene Starrheit zu überwinden. 57 Der Eigenart internationaler Sachverhalte angemessene Lösungen können auch unmittel­ bar durch materielle Normen angestrebt werden; Braga, FS Schnorr von Carolsfeld 89 (95); Steindorff 30 f., 261 ff.. 58 Vgl. RGRK(-Wengler) VI/1 226: „sachnormgerechte“ Anknüpfungen. 59 Kübler, FS Raiser 705. 60 Kessler, Der Versicherungsvertrag im nordamerikanischen Recht, in: FS Ehrenzweig (1955) 113(114).

In der Gewährleistung der Vertragsfreiheit wird, erstens, Selbstbestimmung des einzelnen als Wert anerkannt61 und damit ein Stück gesellschaftlicher Freiheit realisiert62. Vertragsfreiheit ist das wesentliche Instrument für eine dezentrale Abstimmung des Angebots und der Nachfrage und damit für eine auf der Entscheidungsfreiheit des einzelnen beruhende, marktwirtschaftlich organisierte Wirtschaft63. Diese gesamtgesellschaftliche Bedeutung des In­ stituts der Vertragsfreiheit hat den Gesetzgeber des Versicherungsvertrags­ gesetzes dazu bewogen, selbst im Bereich der Versicherungsverträge mit schutzbedürftigen Versicherungsnehmern die Regelungen durch zwingende Normen auf ein Mindestmaß zu reduzieren, um die wirtschaftliche Ent­ wicklung des Versicherungswesens nicht unnötig zu erschweren64. Der Gesetzgeber sieht die realen Voraussetzungen der Vertragsfreiheit jedoch nur dort gegeben an, wo der Versicherungsnehmer typischerweise über genügend Geschäftserfahrung in der Versicherungsbranche verfügt, um die mit dem Abschluß von Versicherungsverträgen verbundenen Risi­ ken hinreichend beurteilen zu können65. Die Kaufmannseigenschaft des Versicherungsnehmers gewinnt keine Indizfunktion für Geschäftserfah­ rung: Vielmehr arbeitet das Versicherungsvertragsgesetz mit einem nach Versicherungsvertragstypen differenzierenden Ansatz. Dabei bleibt das See(rück-) versicherungsrecht bereits mit Rücksicht auf die Regelung im Han­ 61 Dazu Flume, Rechtsgeschäft und Privatautonomie, in: Festschrift zum 100-jährigen Be­ stehen des Deutschenjuristentages I (1960) 135 (143); H. P. Westermann, Sonderprivatrechtli­ che Sozialmodelle und das allgemeine Privatrecht: AcP 178 (1978) 150 (169); vgl. dazu auch Rebe (oben N. 12) 51 ff. 62 Münchener Komm. (-Reuter), Kommentar zum BGB I: Allgemeiner Teil (1978) Vor § 21 Rz. 55. 63 Dazu Rebe (oben N. 12) 208. 64 Gesetzesbegründung zum VVG (oben § 2 N. 226) 64: „Die Versicherung hat in stetigem Fortschritt ihre Technik vervollkommnet, ihre Formen vermehrt und ausgebildet, ihr Anwendungsgebiet erweitert; sie hat damit eine hohe Bedeu­ tung für das gesamte Wirtschaftsleben gewonnen, und diese Entwicklung ist noch gegen­ wärtig in vollem Flusse. Die Gesetzgebung muß jede Maßnahme vermeiden, die hier hemmend und störend eingreifen könne; der Versuch, auf die Gestaltung des Rechtsverhält­ nisses zwischen Versicherungsnehmer und dem Versicherer durch eine Häufung zwingender Vorschriften einzu wirken, würde aber diese Gefahr mit sich bringen“. 65 Die Gesetzesbegründung zu § 188 VVG und ihre Vorgeschichte zeigen dabei deutlich, daß es der Gesetzgeber nicht als ausreichend angesehen hat, wenn nur ein Teil der Versicherungs­ nehmer die nötige Geschäftserfahrung hatte. Der Vorentwurf des VVG von 1903 (oben § 2 N. 107) hatte in § 178 Nr. 3 für die Binnenschiffahrtsversicherung vorgesehen, daß die zwingenden Vorschriften des VVG außer Anwendung bleiben sollten. § 188 VVG entscheidet umgekehrt: Die Begründung: „In diesem Versicherungszweige bedarf zwar ein großer Teil der Versicherungsnehmer eines besonderen gesetzlichen Schutzes durch zwingende Vorschriften nicht, für einen anderen Teil trifft dies aber nicht zu, namentlich kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Eigner kleinerer Binnenfahrzeuge den Versicherer an Geschäftsgewandtheit regelmäßig nicht ge­ wachsen sein werden“; Gesetzesbegründung zum VVG (oben § 2 N. 226) 65.

deisgesetzbuch vom Anwendungsbereich des Versicherungsvertragsgeset­ zes ausgeschlossen (§ 186). Dasselbe gilt von der Rückversicherung. Der Grund dafür ist nicht allein, daß zahlreiche Vorschriften des Versicherungs­ vertragsgesetzes für den Rückversicherungsvertrag nicht passen66, sondern ausweislich der Gesetzesbegründung das fehlende Schutzbedürfnis des Ver­ sicherungsnehmers: „Da es sich nicht um das Verhältnis der Versicherungs­ anstalten zu Dritten, sondern nur um rechtliche Beziehungen der Versiche­ rer untereinander handelt, (kommen) andere Gesichtspunkte in Betracht, als für die übrigen Versicherungszweige. Ein Bedürfnis, diese Beziehungen einer besonderen gesetzlichen Regelung zu unterziehen, liegt aber schon mit Rücksicht auf die Person der Beteiligten nicht vor; es kann diesen überlassen bleiben, ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten im Vertragswege angemes­ sen und erschöpfend zu ordnen“67. „Hinreichende Geschäftskunde“ der Versicherungsnehmer, „um selbst für die Wahrung ihrer Interessen zu sor­ gen“68, erwartet der Gesetzgeber bei der Gütertransport-69, der Kredit-, der Kurs vertust- sowie bei der laufenden Versicherung (§ 1871, IV), um für diese Vertragstypen die halbzwingenden Normen des Versicherungsvertragsge­ setzes als dispositive Regelungen zu behandeln. Diese das materielle Vertragsrecht beherrschenden Wertungen des Gesetz­ gebers können nicht ohne Auswirkungen für das Kollisionsrecht bleiben: Wenn es den Vertragsparteien überlassen werden kann, den Vertragsinhalt weitestgehend eigenständig zu bestimmen, um dadurch einen angemesse­ nen Interessenausgleich zu erzielen, besteht Grund für die Annahme, daß eine Rechtswahl der Parteien ihren internationalprivatrechtlichen Interessen entspricht und damit auch „kollisionsrechtliche Richtigkeitsgewähr“ ver­ wirklicht. Der Parteiautonomie muß bei Versicherungsverträgen mit typi­ scherweise branchenkundigen Versicherungsnehmern daher zentrale Be­ deutung zukommen. Und bei der objektiven Vertragsanknüpfung wird es darum gehen müssen, Lösungen zu finden, die auf die internationalprivat­ rechtlichen Interessen der Parteien abgestellt sind (dazu: 2. Teil, 2. Ab­ schnitt). Vertragsfreiheit gewährleistet, zweitens, die ihr zugeschriebenen Funk­ tionen der Selbstbestimmung der Vertragspartner und der Erreichung ge-

66 Gesetzesbegründung zum VVG (oben § 2 N. 226) 245, 246. 67 Gesetzesbegründung zum VVG (oben § 2 N. 226) 246. 68 Gesetzesbegründung zum VVG (oben § 2 N. 226) 64. 69 Die Gesetzesbegründung arbeitet für die Gütertransportversicherung mit der zusätzlichen Erwägung, die Freistellung von den zwingenden Normen des VVG sei angesichts der Interna­ tionalität der Branche auch deshalb wünschenswert, damit „der Versicherer, soweit möglich, in der Lage bleibt, seine Versicherungsbedingungen den Gesetzen und Verhältnissen des Auslands anzupassen“; Gesetzesbegründung zum VVG (oben § 2 N. 226) 64.

rechter Vertragsergebnisse70 dort nicht, wo ungleiche Machtlagen aufgrund wirtschaftlicher, sozialer oder intellektueller Unterlegenheit eines Vertrags­ partners den Inhalt des Vertrages beeinflussen können71. Das Versicherungs­ vertragsgesetz schränkt Vertragsfreiheit ein, um, in zunächst fürsorglichobrigkeitsstaatlicher72, heute sozialstaatlicher Verantwortung des Staates für das Gemeinwesen73, in Versicherungszweigen, in denen der Versicherungs­ nehmer die schwächere Vertragspartei ist74, das Machtungleichgewicht der Vertragsparteien mit dem Instrument halbzwingender Normen zu kompen­ sieren75. Versicherungsnehmerschutz wird dabei vor allem in zwei Richtun­ gen entfaltet. Das Versicherungsvertragsgesetz ist ein Gesetz zur Kontrolle der Allge­

70 Dazu H. P. Westermann, Kautelarjurisprudenz, Rechtsprechung und Gesetzgebung im Spannungsfeld zwischen Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht: AcP 175 (1975) 375 (386); Schmit-Rimpler, Zum Vertragsproblem, in: FS Raiser (1974) 3 (6ff): „Richtigkeitsgewähr“. 71 Darüber besteht Einigkeit; Flume (oben N. 61) 143, 147; Schmidt-Rimpler (vorige Note) 21 ff; Raiser (oben N. 1) 226; ders., Vertragsfunktion und Vertragsfreiheit, in: ders., Die Aufgabe des Privatrechts (1977) 88; zuletzt Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität (1982). 72 Die Gesetzesbegründung zum VAG betont eine Pflicht des Staates zu „besonderer Fürsor­ ge auf diesem Gebiet“ - eine Pflicht, die sich auch auf eine inhaltliche Kontrolle der AVB bezieht; Gesetzesbegründung zum VAG 35 f, 58, in: Motive zum VAG (oben § 2 N. 244) 24, 35. 73 Zum Sozialstaatsprinzip im Sinne einer Staatszielbestimmung: Weber, Die Versicherungs­ aufsicht in der gegenwärtigen Rechtsentwicklung: ZVersWiss. 1961, 333 (348); Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz2 (1977) 163 f. Zur Einwirkung des Sozialstaatsprinzips auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung vgl. Liesegang, Die verfassungsrechtli­ che Ordnung der Wirtschaft (1977) 42 f.; Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz (1983) Art. 20 (Bearb. 1980) VIII Rz. 18 ff. Eine über den Schutz des Schwächeren hinausweisende Bedeutung gewinnt das Sozialstaatsprinzip insoweit, als der Privatversicherung in einigen Bereichen eine Surrogat- bzw. Komplementärfunktion zu den Systemen öffentlich-rechtlicher Sozialfürsorge und -vorsorge zukommt; vgl. Baumann, Versicherungswirtschaft, Kartellrecht und Gesamtrechtsordnung: ZgesHR 139 (1975) 291 (303); Weber, ZVersWiss. 1961, 333 (348); Scholz, Öffentliche und Privatversicherung unter der grundgesetzlichen Wirtschafts- und Sozialverfassung, in: FS Sieg (1976) 507 (508): „...gemeinsame... Sozialverantwortung“; Sieg, Grenzfälle der aufsichtspflichtigen Versicherungsunternehmen: ZVersWiss. 1969, 495 (513ff., 515). Private Lebens-, Kranken- und Unfallversicherung dienen der Absicherung des Lebensstandards und des Zukunftsrisikos in gleicher Weise wie die öffentlich-rechtliche Sozial­ versicherung. Zum Verhältnis von Sozial- zur Privatversicherung, vgl. die Beiträge von Farny, Müller und Zacher, in: ZVersWiss. 1973, 101, 119, 135. 74 Vgl. dazu schon Gierke (oben § 2 N. 236) 61 ff; zum Versicherungsnehmer als schwäche­ ren Vertragspartei von Hippel (oben § 2 N. 239) 186f. 75 Die Gestaltung des Vertragsinhalts durch zwingende Normen fordert auch das Vertrauen des Publikums in den Versicherungsvertrag als einem geeigneten und verläßlichen Instrument der Zukunftsplanung; vgl. zu diesem Aspekt bereits: Gesetzesbegründung zum VAG 35, 57, in: Motive zum VAG (oben § 2 N. 244) 24, 35. Die Funktion des Krankenversicherungs Vertrags als Instrument individueller Risikovorsorge rechtfertigt eine Einschränkung des Kündigungs­ rechts des Versicherers: BGH 6. 7. 1983, VersR 83, 848; vgl. auch BGH 13.11. 1980, BGHZ 79, 6.

meinen Versicherungsbedingungen76: In Reaktion auf die Vertragspraxis des 19. Jahrhunderts richten sich zahlreiche Vorschriften gegen Vertragsklau­ seln, die die Rechtsstellung des Versicherungsnehmers, insbesondere seinen Anspruch auf die Leistung des Versicherers, in unangemessener Weise ver­ kürzen77. Über eine bloße Einschränkung unbilliger Vertragsklauseln hinaus greift das Versicherungsvertragsgesetz, wenn es zum Schutze des Versiche­ rungsnehmers das Vertragsverhältnis mit Aufklärungsobliegenheiten des Versicherers anreichert78 und die Ausgestaltung der Obliegenheiten des Ver­ sicherungsnehmers an der unterschiedlichen Geschäftserfahrung der Ver­ tragsparteien orientiert79. Für das Kollisionsrecht gewinnt dieser im materiellen Versicherungsver­ tragsrecht verwirklichte Schutz des typischerweise branchenunkundigen Versicherungsnehmers in zweifacher Hinsicht Bedeutung. Die Anwendung ausländischen Rechts auf einen internationalverknüpften Versicherungsvertrag birgt die Gefahr, daß der vom deutschen Recht ver­ wirklichte Schutz des Versicherungsnehmers unterschritten wird. Soll der Schutz des inländischen Publikums bei Verträgen mit ausländischen Versi­ cherern nicht unnötig preisgegeben werden, müssen im Kollisionsrecht Anknüpfungen entwickelt werden, die den Schutzzweck der Sachnormen in einem international angemessenen Umfang durchsetzen („materiellrechtlicher Versicherungsnehmerschutza). Dabei gilt es, die Beziehungen und Umstände zu konkretisieren, die zwischen Versicherungsnehmer, Versicherer, Vertrag und Rechtsordnung bestehen müssen, um die Anwendung des deutschen Rechts auf einen konkreten Sachverhalt zu begründen. International verknüpfte Versicherungsverträge werfen, unabhängig vom konkreten Schutzniveau des möglicherweise zur Anwendung berufenen 76 Die Gesetzesbegründung zum VVG stellt die Berechtigung der Verwendung Allgemeiner Versicherungsbedingungen an keiner Stelle in Frage, geht vielmehr von ihrer wirtschaftlichen Notwendigkeit (Produktgestaltungsfunktion, Massenvertragscharakter) aus, um die mit den AVB verbundenen Gefahren einseitiger Gestaltungsfreiheit des Versicherers durch das VVG und durch die präventive AVB-Kontrolle mittels Versicherungsaufsicht zu steuern, Gesetzes­ begründung zum VVG (oben § 2 N. 226) 63f. 77 Grundlegend ist die Abhängigkeit der Leistungsfreiheit des Versicherers bzw. der zu einer Leistungsfreiheit führenden Gestaltungsrechte (Rücktritt, Kündigung) von einer verschuldeten Verletzung einer Obliegenheit, §§ 6, 16 III, 17II, 20 VVG etc. 78 § 39II a. F., § 391, II n. F. in der Fassung der Verordnung vom 19. 12. 1939; § 12III2 n. F. 79 Vgl. etwa die Regelung der §§ 16 I, III i.V.m. 18 VVG, wonach bei Verwendung eines Fragebogens durch den Versicherer die unterbliebene Anzeige eines gefahrerheblichen Um­ stands, nach dem nicht gefragt ist, nur im Falle arglistiger Verschweigung den Versicherer zum Rücktritt berechtigt. „Bei der vervollkommneten Technik des Versicherungsbetriebs und den reichen Erfahrungen, die den Unternehmen zu Gebote stehen, darf davon ausgegangen wer­ den, daß die Versicherer in der Lage sind, die dem Versicherungsnehmer vorzulegenden Fragen so einzurichten, daß darin alle für sie erheblichen Gefahrumstände genügende Berücksichti­ gung finden“; Gesetzesbegründung zum VVG (oben § 2 N. 226) 92; vgl. bereits RG 5.12.1902, RGZ 53, 138 (145f.).

Rechtes, Ordnungs- und Schutzprobleme auf, die mit der Eigenart interna­ tionaler Sachverhalte Zusammenhängen. Das für die Partner eines Versicherungsvertrages (mit branchenunkundi­ gen Versicherungsnehmern) bestehende Ungleichgewicht an Geschäftser­ fahrung droht bei international verknüpften Verträgen noch größer zu wer­ den, wenn eine dem Versicherungsnehmer unbekannte Rechtsordnung zur Anwendung berufen wird. Läßt sich schon für nationale Sachverhalte davon ausgehen, daß der Versicherungsnehmer keine detaillierten Rechtskennt­ nisse besitzt, so sind Erfahrungen und Kenntnisse ausländischer Rechte vom Versicherungsnehmer überhaupt nicht zu erwarten. Selbst die vielleicht mit nationalen Versicherungsunternehmen gemachten Erfahrungen sind bei der Anwendung fremden Rechts ohne Wert. Den Versicherungsnehmer auf den Rechtsrat von Anwälten zu verweisen, erscheint doppelt problematisch: Im Inland seßhafte, am - vielleicht ländli­ chen - Wohnort des Versicherungsnehmers tätige Anwälte werden zumeist nicht in der Lage sein, kundige Auskunft über ausländisches Recht zu geben. Da der Gang zum Anwalt zunächst mit Kosten verbunden ist, mag im übrigen der Versicherungsnehmer davon abgehalten werden, seine vertrag­ lichen Rechte in anwaltlicher Vertretung mit dem nötigen Nachdruck wahr­ nehmen zu lassen. Besteht schon bei nationalen Versicherungsverträgen die Gefahr, daß Versicherungsnehmer die ihnen aus dem Versicherungsvertrag zustehenden Ansprüche nicht - zumindest nicht in vollem Umfang - realisieren, weil sie vom Versicherer zu Unrecht verweigert werden, so vergrößert sich diese Gefahr in internationalen Situationen, wenn sich der Versicherer auf ein dem Versicherungsnehmer unvertrautes Recht berufen kann: Versicherer mögen einen (vielleicht) ungerechtfertigen Vertrauensvorschuß für die korrekte Auslegung dieses dem Versicherungsnehmer unbekannten Rechts in An­ spruch nehmen und erhalten (nach dem Motto: Der Versicherer kenne „sein“ Recht). Die Anwendung einer potentiell unbekannten Rechtsordnung kann für den Versicherungsnehmer mit gravierenden Konsequenzen verbunden sein. Versicherungsvertragsrecht und Allgemeine Versicherungsbedingungen, deren Auslegung dem Vertragsstatut untersteht, normieren Verhaltensob­ liegenheiten für den Versicherungsnehmer, von deren Kenntnis und Ver­ ständnis die Geltendmachung des Versicherungsanspruchs abhängt. Die Maßgeblichkeit eines dem Versicherungsnehmer unvertrauten Rechts birgt die Gefahr, daß der Versicherungsnehmer aus schlichter Unkenntnis seinen Obliegenheiten nicht genügt oder aber Rechtsschutzmöglichkeiten (Fristen) versäumt. Kollisionsrecht verteilt Informationsrisiken und Informationskosten, die mit der Anwendung einer potentiell fremden Rechtsordnung für die Ver­

tragspartner entstehen. Bei der Verteilung dieser Risiken und Lasten können die im materiellen Versicherungsrecht dominierenden Wertungen nicht un­ berücksichtigt bleiben: Kollisionsrecht hat dafür Sorge zu tragen, daß bei der Anknüpfungsentscheidung dem spezifischen Schutzbedürfnis der Versiche­ rungsnehmer in international verknüpften Sachverhalten in angemessener Weise Rechnung getragen wird („internationalprivatrechtlicher Versicherungsnehmerschutza)S0 (dazu: 2. Teil, 1. Abschnitt). Drittens greift in zunehmendem Maße der Staat dort, wo die finanzielle Absicherung von Schäden wegen ihrer wirtschaftlichen und sozialen Aus­ wirkungen auf die Gesellschaft nicht der eigenständigen Entscheidung des einzelnen überlassen werden kann, zum Instrument der Versicherungspfilicht, um private Risikovorsorge zwingend vorzuschreiben. In der Bundesrepu­ blik Deutschland80 81 wie auch im Ausland82 setzt Versicherungspflicht punk­ tuell bei den einzelnen risikoreichen Tätigkeiten oder einem spezifisch sozia­ len bzw. wirtschaftlichen Bedürfnis an, ohne daß ein leitender Grundgedan­ ke zu erkennen ist. Die Versicherungspflicht bezieht sich auf Risiken von durchaus unterschiedlicher Tragweite für die Bevölkerung. In der Bundes­ republik reicht sie von der Haftpflichtversicherung für Träger von Heb­ ammenschulen zugunsten der Hebammenschülerinnen bis hin zur Deckung von Atomrisiken. Versicherungszwang verfolgt soziale und wirtschaftliche Allgemeininter­ essen mit den Mitteln des Privatrechts83: Pflichtversicherungen sind Instru­ 80 Diese spezifisch internationalprivatrechtliche Schutzdimension wird von denjenigen über­ sehen, die bei Verbraucherverträgen dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes nur auf materiellrechtlicher Ebene Rechnung tragen wollen; z. B. Palandt(-Heldrich) Vor Art. 12 EGBGB, Bem. 2 b )cc). 81 Versicherungspflicht besteht für die Haftpflichtrisiken der Autohalter, Luftverkehrsunter­ nehmer, der pharmazeutischen Unternehmer (Produzenten und Importeure), der Inhaber von Atomanlagen, der Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, der Steuerbera­ ter, Steuerbevollmächtigten und Steuerberatungsgesellschaften, der Unternehmen des Güter­ kraftverkehrs, der Notare, Jäger und des Bewachungsgewerbes sowie der Schausteller, der Träger der Entwicklungshilfe und der Krankenpflege - (Hebammen-) Schulen. Eine VetrauensSchadensversicherung müssen Makler und Bauträger abschließen. Eine Unfallversicherungs­ pflicht besteht für Luftverkehrsunterhmer (zugunsten der Flugpassagiere), für Nießbraucher sowie für die klinische Prüfung eines Arzneimittels (zugunsten der Patienten). Eine Feuerversi­ cherungspflicht besteht für Lagerhalter, Pfandleiher und Eigentümer von Gebäuden, die mit Abgeltungslasten beschwert sind. Zugunsten der Entwicklungshelfer müssen die Träger der Entwicklungshilfe eine Krankenversicherung abschließen; vgl. die Übersicht über die bundes­ gesetzlichen Regelungen bei Prölss/Martin Vorbem. IV 1. Die Bundesländer arbeiten mit der Versicherungspflicht vor allem im Bereich der Feuerversicherung. 82 Frankreich kennt, insbesondere im Berufs- und Sportbereich, eine über das deutsche Recht hinausgehende Pflicht zum Abschluß von Haftpflicht- und Unfallversicherungen; eine umfas­ sende Übersicht auf dem Stand vom 1. 7. 1976 findet sich bei Lambert-Faivre, Droit des assurances2 (1977) 14ff. Zu Belgien vgl. die Nachweise bei Fontaine, Droit des assurances (1975)31. 83 Vgl. Möller, Rechtsgestalt und Rechtsgestaltung der Kraftverkehrsversicherung: ZVers

mente staatlich verordneter Daseinsvorsorge, die den Staat davon entlasten, durch eigene Vorsorgesysteme tätig zu werden und damit den Bereich des „privaten Sektors“ zugunsten des „öffentlichen Sektors“ weiter einzu­ schränken. Die Versicherungspflicht trifft Vorsorge für den Versicherungs­ nehmer, der, wie etwa bei den Haftpflichtversicherungen, vor den weitrei­ chenden wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen von Haftpflichtan­ sprüchen geschützt werden soll, die seine finanziellen Möglichkeiten über­ steigen. Versicherungszwang bezweckt vor allem aber den Schutz Dritter. Bei Pflichthaftpflichtversicherungen wird der Drittgeschädigte vom Risiko der Vermögenslosigkeit bzw. der beschränkten Vermögensmittel des Schä­ digers entlastet84, wenn die Aufnahme der gefahrträchtigen, risikoreichen Tätigkeit zwingend mit der Bereitstellung einer finanziellen Sicherheit85 in Form einer Versicherung verknüpft wird86. Versicherungszwang wird durch Regelungen unterstützt, die den Schutzund Sicherungszweck des Versicherungsvertrages zugunsten des Dritten verstärken und ausbauen: An den Inhalt des Versicherungsvertrages werden spezifische Anforderungen, etwa hinsichtlich der Mindestdeckungssum­ men87 bzw. des Umfangs des Versicherungsschutzes88, gestellt. Die Stellung des Dritten wird dadurch verstärkt, daß die Leistungspflicht des Versiche­ rers im Rahmen der übernommenen Gefahr zugunsten des Dritten - Ver­ kehrsunfallopfer bei Pflichthaftpflichtversicherungen - auch dann bestehen Wiss. 1972, 219 (225); Deiters, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch privatrechtliche Pflichtversicherungen, in: FS R. Schmidt (1976) 379; Weber, ZVersWiss. 1961, 333 (347ff.); ihm folgt BGH 24. 1. 1972, VersR 1972, 361 (362): „Bewältigung einer sozialstaatlichen Aufgabe“. 84 BGH 27. 5. 1981, VersR 1981, 971 (972); 18. 12. 1979, NJW 1980, 1623 (1624). 85 Dieser Charakter der Versicherung als finanzieller Garantie wird deutlich, soweit der Abschluß einer Haftpflichtversicherung durch andere Mittel der Deckungsvorsorge (Bankga­ rantien, Freistellungs- und Gewährleistungsverpflichtung eines Dritten, Bürgschaft) ersetzt werden kann; vgl. etwa §§1,3 Verordnung über die Deckungsvorsorge nach dem Atomgesetz vom 25. 1. 1977, BGBl 1220; § 941 Nr. 2, III ArzneimittelG vom 24. 8. 1976, BGBl 12445; § 21 und II Makler- und Bauträgerverordnung vom 11.6. 1975, BGBl 11351. 86 Zur Ausstrahlung des Versicherungszwangs und der mit ihm korrespondierenden Rege­ lungen auf das materielle Haftpflichtrecht: BGH 18. 12. 1979 (oben N. 84) 1624; Marschall von Bieberstein, Zum Einfluß von Versicherungsschutz auf die Haftpflicht: Betr. Ber. 1983, 467 (469) mit weiteren Nachweisen. 87 Verordnung vom 23. 7. 1971, BGBl I 1109, zu § 4 II PflichtversicherungsG; § 50 Satz 2 LuftverkehrsG; §§ 40 III, 88 ArzneimittelG; § 103 II Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung in der Fassung vom 13. 3. 1979, BGBl 1308 in Verbg. mit § 43 LuftverkehrsG in der Fassung vom 14. 1.1981, BGBl I 61. § 2 II Verordnung über die Berufshaftpflichtversicherung der Wirtschafts­ prüfer und vereidigten Buchprüfer vom 8. 12. 1967, BGBl 11212. 88 §38 Satz 1 in Verbg. mit §§29-37 Kraftverkehrsordnung (KVO) für den Güterfernver­ kehr mit Kraftfahrzeugen (Beförderungsbedingungen) vom 30. 3. 1936 in der Fassung vom 15. 10. 1970, Bundesanzeiger Nr. 192 vom 15. 10. 1970. § 2 III Nr. 2 Makler- und Bauträgerver­ ordnung vom 11. 6. 1975, BGBl 11351; § 2 11 Verordnung über die Berufshaftpflichtversiche­ rung der Wirtschaftsprüfer und vereidigten Buchprüfer vom 8. 12. 1967, BGBl 11212.

bleibt, wenn der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer berech­ tigte Einwendungen erheben kann, etwa bei Unwirksamkeit des Vertrags­ schlusses, bei wirksamer Vertragsbeendigung oder Verletzung von Oblie­ genheiten89. Dem Dritten wird zum Teil zusätzlich das Recht eingeräumt, einen Anspruch unmittelbar gegen den Versicherer geltend zu machen (Di­ rektklage)90. Dieser das Pflichtversicherungsrecht prägende und mit eigenständigen Instrumenten der Verwaltungskontrolle (Versicherungsbescheinigungen) abgestützte Regelungszweck verlangt nach einer Umsetzung in das Kolli­ sionsrecht, die den Drittschutznormen und -Instrumenten zu einer ange­ messenen Anwendung in internationalverknüpften Sachverhalten verhilft (dazu: 2. Teil, 3. Abschnitt).

89 § 158e I, II VVG; § 3 Nr. 4, 5 PflichtversicherungsG; §§ 102, 103 VVG. 90 § 3 I PflichtversicherungsG; vgl. auch § 106II LuftVZO für die Luftunfallversicherung.

Zweiter Teil: System des deutschen internationalen Versicherungsvertragsrechts Erster Abschnitt: Versicherungsverträge mit branchen­ unkundigen Versicherungsnehmern § 6: Versicherungsaufsicht als Schutzinstrument

I. Faktische Wirkungen der Versicherungsaufsicht Deutsches Versicherungsaufsichtsrecht kanalisiert - wie bereits gezeigt zum Schutze des inländischen Publikums das zwischenstaatliche Versiche­ rungsgeschäft ausländischer Versicherer in nachhaltiger Weise: Die Ge­ schäftstätigkeit im Inland ist, soweit Agenten und Vertreter eingesetzt wer­ den, erlaubnispflichtig (§105 I VAG). Die Erlaubniserteilung ist mit der Errichtung einer Niederlassung, der Ernennung eines Hauptbevollmächtig­ ten mit gesetzlicher Vollmacht und insbesondere der Kontrolle der Allge­ meinen Versicherungsbedingungen, die im inländischen Geschäftsverkehr Verwendung finden sollen, verknüpft1. Die faktischen Wirkungen der Versicherungsaufsicht sind weitreichend. Da das Produkt „Versicherung“ im Bereich der Massenversicherungen typi­ scherweise über den Außendienst des Versicherers verkauft wird2, fällt den Agenten, Vermittlern bzw. Vertretern die Aufgabe zu, den Kontakt zum potentiellen Kunden herzustellen, den Versicherungsbedarf zu wecken, den Versicherungsnehmer zu beraten und im Schadensfall Hilfestellung zu ge­ ben. Anders als auf dem Markt der Vereinigten Staaten3 hat das mail-order­ Geschäft im europäischen Raum bisher noch keine größere Bedeutung

1 Dazu oben § 2III1. Ob sich das Zulassungs- und Niederlassungserfordernis für Versicherer mit Sitz in anderen EWG-Staaten mit der Dienstleistungsfreiheit des EWG-Vertrages (Artt. 59 ff. EWGV) vereinbaren läßt, ist heute nicht mehr zweifelsfrei; dazu im einzelnen unten § 18 III. 2 Dazu etwa Stadler, Steuerung und Kontrolle des Außendienstes im Unternehmen der Versicherungswirtschaft (1981) 14ff. 3 Dazu Hoff, Vertriebswege in der US-amerikanischen Lebensversicherung: VersWirt. 1981, 53.

erlangt4. Auch wenn § 105 I VAG die im Korrespondenzwege abgeschlosse­ nen Verträge von der Aufsicht freistellt, ändert dies nichts daran, daß auslän­ dische Versicherer bisher davon ausgegangen sind, daß sie den inländischen Markt nur dann wirksam erschließen und bearbeiten können, wenn sie sich der inländischen Aufsicht unterstellen. Versicherungsverträge des inländi­ schen Publikums mit ausländischen Versicherern sind daher bis heute in aller Regel über eine inländische Niederlassung abgeschlossen worden5. Entspre­ chendes gilt für das Auslandsgeschäft inländischer Versicherer, soweit aus­ ländische Aufsicht6 die zwischenstaatlichen Versicherungsverträge über im Ausland belegene Niederlassungen steuert und unter Umständen den Kor­ respondenzabschluß mit zivilrechtlichen Nichtigkeitssanktionen zu verhin­ dern sucht7.

4 Dies mag sich in Zukunft-jedenfalls in beschränktem Ausmaß - ändern; vgl. Hoffmann, Direktverkauf per Post - auch für Versicherungen?: VersWirt. 1981, 607; Kimball, Versiche­ rungsaufsicht in föderativen Staatensystemen - insbesondere im Hinblick auf Allgemeine Versicherungsbedingungen: ZVersWiss. 1964, 233 (251 f). 5 Der Zwang zur Unterstellung der inlandsbezogenen Geschäftstätigkeit unter inländische Aufsicht wird durch eine extensive Auslegung des § 105 I VAG verstärkt, wenn zum Betrieb des Versicherungsgeschäfts auch die Durchführung des Vertrages, insbesondere auch die Scha­ densregulierung gerechnet wird; vgl. GOLDBERG/MÜLLER § 105 Rz. 8. Ob eine solche Ausle­ gung mit den Anforderungen des Art. 59 EWG-Vertrag zu vereinbaren ist, erscheint allerdings sehr fraglich; dazu unten unter § 18 III 2 a). 6 Zu Frankreich: siehe oben im Text bei § 1 III. Zu Österreich: § 1 II, § 41, § 6 I des Bundesgesetzes über den Betrieb und die Beaufsichtigung der Vertrags Versicherung vom 18. 10. 1978, BGBl 569 (Konzessionszwang für ausländische Versicherer, wenn Versicherungsverträge im Inland abgeschlossen werden oder für sie im Inland geworben wird); § 5 I (Errichtung einer Niederlassung im Inland; Bestellung eines Hauptbevollmächtigten mit Wohnsitz im Inland); § 6II (Abschluß von Verträgen mit Versiche­ rungsnehmern mit Wohnort im Inland bzw. über inländische Grundstücke nur über die inländische Niederlassung); § 91, II i.V.m. §811 Nr. 3, § 10 (Genehmigung der AVB). Die reine Korrespondenzversicherung wie auch der Auslandsabschluß ist ohne Konzession zulässig; vgl. Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage zum VAG, Nr. 764/1978 der Beilagen zu den Sten. Prot. des Nationalrats XIV GP 31. Schweiz: Artt. 2, 3 VAG vom 25. 6. 1885, Artt. 3 I, 7 VAG vom 23. 6. 1978: Konzessionspflichtigkeit jeder Geschäftstätigkeit „in der Schweiz“ (auch einer bloß werbenden Tätigkeit; vgl. Geschäftsbericht des eidgenössischen Versicherungsamtes von 1913, zitiert bei Ryser 55: „Unbefugt ist nicht nur der Abschluß von Versicherungsverträgen auf Schweizer Boden durch nichtkonzessionierte Gesellschaften, sondern auch die Anwerbung von Versiche­ rungskandidaten. Nach Sinn und Geist des Aufsichtsgesetzes ist jede Propaganda ausländi­ scher, zum Geschäftsbetrieb in der Schweiz nicht ermächtigter Versicherungsunternehmen strafbar“; siehe dazu auch Christinger, Zum Begriff der Vornahme von Versicherungsgeschäften in der Schweiz, in: FS R. Schmidt [1976] 607 [610, 614ff.]). Die Erteilung einer Konzession verpflich­ tet zur Begründung einer Geschäftsstelle in der Schweiz und zur Ernennung eines Generalbe­ vollmächtigten, Art. 2 Nr. 3 b VAG a. F.; Art. 14II VAG n. F. Die Korrespondenzversicherung mit Einwohnern der Schweiz ist eine konzessionspflichtige Tätigkeit: Christinger 615. 7 So das französische Recht; siehe oben im Text § 1 III bei N. 120, 121, 125. Anders das schweizerische Recht: unerlaubte Geschäftstätigkeit im Inland ist mit Strafe bedroht, Art. 11

Aus der Kontrolle der AVB durch die Versicherungsaufsicht ergeben sich für die rechtliche Beurteilung von Versicherungsverträgen faktische Aus­ wirkungen vor allem in zwei Richtungen. Versicherer sind verpflichtet, im Rahmen ihres inländischen Geschäftsbe­ triebes nur solche AVB zu verwenden, die von der Aufsichtsbehörde als Teil des Geschäftsplans genehmigt und damit inhaltlich auf das deutsche Recht eingestellt worden sind. Soweit ausländische Versicherer die in § 105 I VAG umschriebene Erlaubnispflicht respektieren und im Rahmen ihres inländi­ schen Geschäftsbetriebes die von der Aufsichtsbehörde genehmigten AVB verwenden bzw. nicht von ihnen abweichen, wird der deutsche materiell­ rechtliche Versicherungsnehmerschutz bei international verknüpften Ver­ trägen durch Versicherungsaufsicht sichergestellt. Versicherungsaufsicht kann mit der AVB-Kontrolle auch die kollisions­ rechtliche Beurteilung des Vertrages beeinflussen, wenn und soweit sie auf die Ausgestaltung anknüpfungsrelevanter Momente in den AVB einwirkt. Dies ist offensichtlich, wenn etwa Rechtswahlklauseln, in denen die Anwen­ dung ausländischen Rechts bestimmt ist, nicht genehmigt werden. Muß der inländische Gerichtsstand im Sinne von § 109 I VAG in den AVB genannt oder ein beiderseitiger Erfüllungsort im Inland festgelegt werden, kann dies die Beurteilung eines Vertrages beeinflussen, wenn Gerichtsstand und Erfül­ lungsort als Indizien für einen (stillschweigenden) Parteiwillen gewertet werden8. Die hier angedeuteten faktischen Wirkungen der Versicherungsaufsicht für die Beurteilung international verknüpfter Versicherungsverträge legen die Frage nahe, ob im Hinblick auf den Schutz des Versicherungsnehmers im grenzüberschreitenden Versicherungsgeschäft über das rein Faktische hin­ ausgehende rechtliche Wechselbeziehungen zwischen Versicherungsauf­ sichtsrecht und Kollisionsrecht bestehen. Versicherungsaufsichtsrecht als Fremden-(gewerbe-) recht und Kolli-

VAG a. F.; Art. 50 Nr. 1 VAG n. F.; dazu Roelli/Jaeger (oben § 1 N. 17) Rz. 65; einschränkend Christinger (vorige Note) 610. Die aufsichtsrechtlich unerlaubt geschlossenen Verträge sind jedoch zivilrechtlich wirksam: BG 23. 6. 1934, SVA 7 (1931-1934) Nr. 18 (22); Cour d’appel Bern 15. 2. 1935, SVA 8 (1935-1939) Nr. 353 (S. 671); Cour de cassation de l’Etat de Fribourg 23. 6. 1948, SVA 10 (1947-1952) Nr. 90; Roelli/Jaeger (oben § 1 N. 17) 108 (Rz. 65); Maurer, Einführung in das schweizerische Privatversicherungsrecht (1976) 73 f. Koenig, Schweizeri­ sches Privatversicherungsrecht2 (1960) 48 f.; Roelli/Keller, Kommentar zum Schweizerischen Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag vom 2. April 1908, I: Die allgemeinen Bestim­ mungen2 (1968) 27 mit weiteren Nachweisen in N. 1. Zur Privatrechtswirkung der englischen Aufsichtsnormen (s. 6ff. Insurance Companies Act 1982) siehe jetzt: The Bedford Insurance Company Ltd. v. Instituto de Ressaguros do Brasil, Queen’s Bench - 10. 11. 1983 (noch unveröf­ fentlicht). 8 Zum Beispiel KG 20. 2. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 45; 17. 12. 1930, IPRspr. 1931 Nr. 114; OLG Stettin 22. 2. 1932, IPRspr. 1932 Nr. 35.

sionsrecht lassen sich, trotz ihrer rechtssystematischen Verschiedenheit9, als Regelungsinstrumente begreifen, die gemeinsam zu einer angemessenen Gestaltung von Sachverhalten mit grenzüberschreitendem Bezug beitragen können. Für das internationale Gesellschaftsrecht ist das - mögliche - Zusammenspiel von Kollisionsrecht und Fremdenrecht bei der Anerkennung ausländischer Gesellschaf­ ten eine bekannte Erscheinung10: Fremdenrecht, wie etwa § 12 GewO, kann, weil es im Vergleich zum Kollisionsrecht die geeigneteren Instrumente bietet11, die Verfol­ gung bestimmter Rechtszwecke übernehmen, damit Kollisionsrecht davon entlastet an der Förderung anderer Ziele12 ausgerichtet werden kann.

Versicherungsaufsichtsrecht und Kollisionsrecht können einander in ver­ schiedener Weise zugeordnet werden: Versicherungsaufsicht und Kollisionsrecht können den Schutz des versi­ cherungsnehmenden Publikums im Wege einer Rollenverteilung wahrneh­ men. Kollisionsrecht überläßt dabei den Schutz der Versicherungsnehmer allein der Versicherungsaufsicht und ihren spezifischen Regelungs- und Schutztechniken. Die Anknüpfung des Versicherungsvertrages erfolgt, un­ ter Außerachtlassung aller materiellrechtlichen Schutzzwecke, allein an sachrechtsneutralen, spezifisch internationalprivatrechtlichen Gesichts­ punkten13 (unter II.). Versicherungsaufsicht und Kollisionsrecht lassen sich umgekehrt als gleichgerichtete, sich in ihrer Wirkung ergänzende und verstärkende Instru­ mente des Versicherungsnehmerschutzes begreifen, mit der Folge, daß der vom Versicherungsaufsichtsrecht erhobene internationale Anwendungsan­ spruch auch für die kollisionsrechtliche Entscheidung Bedeutung erlangen kann (unter III.). 9 Dazu etwa Kegel 50ff.; Raape 11; Nussbaum, Deutsches IPR 4f.; Kahn (oben § 3 N. 9) 263f. 10 Vgl. Koppensteiner, Internationale Unternehmen im deutschen Gesellschaftsrecht (1971) 131 und N. 144; Wiedemann, Internationales Gesellschaftsrecht, in: FS Kegel (1977) 187 (191 ff.); Drobnig, Skizzen zur international-privatrechtlichen Anerkennung, in: FS von Caemmerer (1978) 687 (692); Beitzke, [Diskussionsbeitrag]: BerDGesVR 18 (1978) 438f. (zu § 12 GewO); kritisch dazu Ebenroth, Die verdeckten Vermögenszuwendungen im transnatio­ nalen Unternehmen (1979) 343, insbesondere N. 40: „...Aufweichung der international­ privatrechtlichen Systematik“ (vgl. auch 360). Zum Zusammenhang von Fremden- und Kolli­ sionsrecht im Recht der gewerblichen Schutzrechte: Ulmer, Gewerbliche Schutzrechte und Urheberrechte im internationalen Privatrecht: RabelsZ 41 (1977) 479 (487). 11 Drobnig (vorige Note) 692. 12 Etwa: die Aktionsfähigkeit juristischer Personen im internationalen Wirtschaftsverkehr; Ebenroth/Sura, Das Problem der Anerkennung im internationalen Gesellschaftsrecht: Ra­ belsZ 43 (1979) 315 (343). 13 Die Begründung der Sachzweckneutralität der Anknüpfung folgt hier nicht aus einer allgemeinen Anschauung über Aufgabe und Ziel des IPR, sondern allein aus der konkreten Rollenverteilung auf dem Gebiet des Versicherungsrechts.

II. Rollenverteilung zwischen Versicherungsaufsicht und inter­ nationalem Versicherungsvertragsrecht 1. Bestandsaufnahme In der deutschen Rechtsprechung lassen sich nur wenige Entscheidungen finden, die das Verhältnis des Aufsichtsrechts zum Kollisionsrecht im Sinne einer Rollenverteilung deuten.

In diese Richtung zielend mag etwa ein obiter dictum des Landgerichts Danzig verstanden werden, wonach die „den inländischen Versicherungsnehmer schützen­ den Konzessionsvorschriften... die Frage des für den Versicherungsvertrag maßge­ benden Rechts unberührt“14 lassen. Das Obergericht Danzig15 betont - in Auseinan­ dersetzung mit der von Bruck vertretenen These16, die Konzessionierung ausländi­ scher Versicherer erfolge nur unter der Voraussetzung, daß die Versicherungsverträ­ ge nach dem Recht am Ort der Niederlassung abgeschlossen werden - die prinzipiel­ le Trennung von Versicherungsaufsichtsrecht und Kollisionsrecht17: Versicherungs­ verträge seien, wie „sonstige“ schuldrechtliche Verträge nach den „allgemeinen Grundsätzen“ des internationalen Vertragsrechts18 anzuknüpfen (hier: Recht des

14 LG Danzig 10. 11. 1936, IPRspr. 1935-44 Nr. 114 (S. 219f.) (Lebensversicherungsvertrag zwischen einem Versicherer mit Sitz in Leipzig und einem in Danzig wohnhaften Deutschen; Erfüllungsort [laut AVB] war Leipzig, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses war die Versiche­ rung in Danzig noch nicht konzessioniert). Der Verweis des LG Danzig auf RGZ 150, 153 geht fehl. In dieser Entscheidung des Reichsgerichts ging es um die Frage, ob die Vorschriften des Versicherungsaufsichtsrechts über die Deckungsrücklage (Grundsatz der sog. „kongruenten Deckung“) bei Entwertung der Währung, in der der Versicherungsvertrag abgeschlossen ist, eine Herabsetzung der Versicherungsleistung (Abwertung) nach § 242 BGB rechtfertigen; RGZ 150, 160. Das Reichsgericht hielt privatrechtliche Konsequenzen - entgegen dem LG Danzig - für möglich, im konkreten Fall aber nicht für angemessen (160,163); kollisionsrechtli­ che Fragen wurden aber nicht angesprochen. Zum Einfluß ausländischer versicherungsauf­ sichtsrechtlicher Vorschriften über Prämienreserve und Deckungsrücklage auf den Anspruch auf Aufwertung nach § 242 BGB: RG 11. 4. 1933, IPRspr. 1933 Nr. 21. 15 OG Danzig 20. 5. 1938, IPRspr. 1935-44 Nr. 116 (S. 225). 16 Bruck 10f., 29 f. 17 Vgl. aber auch OG Danzig 20. 5. 1938 (oben N. 15) 232, wo die in der deutschen Literatur - z. B. bei Koenige/Petersen § 88 Bem. 1 - aus der Existenz der deutschen Versicherungsauf­ sicht (§§85 ff. a. F. VAG) gezogene Folgerung, aus der Stellung des Hauptbevollmächtigten und dem Abschluß des Vertrages im Inland könne auf den Parteiwillen geschlossen werden, den Vertrag dem deutschen Recht zu unterwerfen, mit dem offensichtlichen Bestreben erklärt wird, „den deutschen Versicherungsnehmer vor den Gefahren der Anwendbarkeit ausländischer, ihn und dem deutschen Rechtsdenken überhaupt fremder Rechtssysteme zu schützen..Diese kollisionsrechtspolitische Wertung treffe „aber nicht zu auf das Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und Danzig. Dem Danziger Versicherungsnehmer wird in aller Regel das deutsche Recht nicht als ein ihm fremdes und gefahrenbringendes erschienen sein. Weit näher liegt sogar der umgekehrte Gedanke, daß der Danziger Versicherungsnehmer... annahm, daß das Recht des großen Deutschen Reiches ihm größere Sicherheit bot als das Recht des kleinen Freistaates Danzig...“. 18 OG Danzig 20. 5. 1938 (oben N. 15) 231.

gemeinsamen Erfüllungsortes). Ein Grund für eine andere Anknüpfung sei nicht gegeben19. Ausdrücklich wird darauf verwiesen, daß Versicherungsaufsicht mittel­ baren Einfluß auf die kollisionsrechtliche Entscheidung dadurch nehmen könne, daß sie in ihren Konzessionsbedingungen die Unterwerfung unter das inländische Recht vorschreibe20 bzw. bei der Kontrolle der Allgemeinen Versicherungsbedingungen die kollisionsrechtlich maßgeblichen Anknüpfungspunkte nur in der Weise akzeptie­ re21, daß (nach den Grundsätzen des inländischen Kollisionsrechts) inländisches materielles Recht zur Anwendung kommen müsse. Damit argumentiert das Obergericht Danzig im Ergebnis auf dem Boden einer Konzeption, die allein dem Versicherungsaufsichtsrecht die Aufgabe zuweist, den Schutz des Versicherungsnehmers in grenzüberschreitenden Sachverhalten abzusi­ chern22, 23 während die Anknüpfung des Versicherungsvertrages sich an den „allgemei­ nen Grundsätzen“ des internationalen Vertragsrechts orientieren soll. Die Eigenständigkeit des Kollisionsrechts gegenüber dem Versicherungsaufsichts­ recht wird in Urteilen unterstrichen, die die Tätigkeit deutscher Versicherer im Ausland unter ausländischer Versicherungsaufsicht betreffen. Das Urteil des Reichs­ gerichts vom 11.4. 193323 ist ein beredtes Beispiel. Es betrifft einen im Jahr 1904 über eine Wiener Generalvertretung abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag zwi­ schen einem deutschen Versicherer und einem Versicherungsnehmer mit Wohnsitz in Österreich (und österreichischer Staatsangehörigkeit)24. Die AVB des deutschen Versicherers waren für den Geschäftsbetrieb in Österreich den zwingenden Vor­ schriften der österreichischen Versicherungsgesetzgebung angepaßt worden25. Die­ se, von der österreichischen Aufsicht durchgesetzte Vertragsinhaltskontrolle soll aber die kollisionsrechtliche Entscheidung unberührt lassen. Das Reichsgericht argu­ mentiert: „Wenn sich die (Versicherung), um ihre Tätigkeit in Österreich ausüben zu können, den betreffenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften unterwarf und ent­

19 OG Danzig 20. 5 1938 (oben N. 15) 231: „Es ist... kein wesentlicher Grund... vorhanden, weshalb Versicherungsverträge anders als sonstige schuldrechtliche Verträge... behandelt werden sollten“. 20 OG Danzig 20. 5. 1938 (oben N. 15) 231 unten; solche Vorschriften würden dann von den Versicherern „naturgemäß... befolgt werden“. 21 OG Danzig 20. 5. 1938 (oben N. 15) 233. Der deutsche Versicherer hatte für eine Anwendung Danziger Rechts plädiert und die in den AVB enthaltene Bestimmung eines Erfüllungsortes in Stuttgart als nach Danziger Aufsichtsrecht ungültig angesehen. 22 OG Danzig 20. 5. 1938 (oben N. 15) 233; vgl. auch den ausdrücklichen Hinweis auf die Aufgabe der Aufsicht, die Versicherungsnehmer vor unzulässigen und sie unbillig belastenden Versicherungsbedingungen zu bewahren. Die Vereinbarung eines, aus Danziger Sicht ausländi­ schen Erfüllungsortes und die Zulassung eines solchen Erfüllungsortes durch die Danziger Aufsicht wird mit dem Hinweis gerechtfertigt, der Zweck, den inländischen Versicherungs­ nehmer vor den Gefahren eines ausländischen Erfüllungsortes zu schützen, treffe im Verhältnis zwischen Danzig und dem deutschen Reich nicht zu. 23 RG 11. 4. 1933, IPRspr. 1933 Nr. 21; ebenso im Ergebnis 27. 1. 1928, RGZ 120, 70; OLG Dresden 21. 12. 1934, IPRspr. 1935-44 Nr. 112; OLG Stettin 22. 2. 1932, IPRspr. 1932 Nr. 35; KG 20. 2. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 45. 24 Zu den aufwertungsrechtlichen Implikationen dieser Entscheidung siehe oben § 2 III 2 a) bei N. 314f. 25 RG 11. 4. 1933 (oben N. 23) 42.

sprechende Bestimmungen in die vertragliche Formulierung aufnahm, so folgt daraus noch nicht, daß es sich auch im übrigen österreichischem Recht unterwerfen wollte“26. Der Schutz des (hier: ausländischen) Versicherungsnehmers bleibt der (ausländi­ schen) Versicherungsaufsicht und ihren Möglichkeiten zur Vertragsinhaltskontrolle überlassen. Die Entscheidung orientiert sich an den „allgemeinen Grundsätzen“ des internationalen Vertragsrechts27. In dieser wie in anderen Entscheidungen geht die Rechtssprechung von der Annahme aus, daß sich „eine der angesehendsten deutschen Versicherungsgesellschaften“ in ihrem ausländischen Geschäft nicht dem ausländi­ schen Recht unterwerfen wolle28. Eine Anpassung des Vertrages an das ausländische Recht erfolge nur insoweit, als das ausländische öffentliche Recht sich - ohne Konsequenz für die kollisionsrechtliche Frage - zwingend durchsetze29. Die Rechtsprechung deutet Versicherungsaufsichtsrecht und IPR damit als getrennte, voneinander unabhängige Regelungsbereiche. Eine ausdrückliche Rollenverteilung in dem Sinne, daß Kollisionsrecht von seiner Aufgabe, den Schutz des Versicherungsnehmers in international verknüpften Sachverhal­ ten zu realisieren, durch die Versicherungsaufsicht entlastet werde, findet sich an keiner Stelle angedeutet. Im Schrifttum ist ein Zusammenhang von Kollisions- und Aufsichtsrecht im Sinne einer Rollenverteilung nicht problematisiert worden. Den entschei­ denden Grund dafür wird man im kollisionsrechtlichen Vorverständnis der Autoren suchen müssen: Wenn und soweit das Kollisionsrecht als wertneu­ trales Ordnungssystem begriffen wird, das nicht die materiellrechtlichen Zwecke der Sachnormen berücksichtigt30, sondern allenfalls Gesichtspunkte wie den Massenvertragscharakter31 oder auch versicherungstechnische Über­

26 RG 11.4.1933 (oben N. 23) 42 f.; Ehrenzweig (oben § 2 N. 93) 48 N. 5: „Das ist unhaltbar“. 27 Am „ mutmaßlichen Partei willen“, der hier in der allein zu entscheidenden Aufwertungsfra­ ge zu einem dem Versicherungsnehmer günstigen Ergebnis fuhrt. 28 RG 11.4.1933 (oben N. 23) 42. Ähnlich auch schon das erstinstanzliche Gericht mit Verweis auf die „Stellung“ des Versicherers; zitiert in RG 11.4. 1933 (oben N. 23) 41. Die Gerichte haben bisweilen aus der Wahl eines deutschen Versicherers durch den Versicherungsnehmer auf seinen Willen geschlossen, einen „deutschen“ Versicherungsvertrag abzuschließen, weil die deutschen Versicherer und die deutsche Rechtsordnung als besonders vertrauenswürdig galten; vgl. oben N. 17; OLG Dresden 21.12.1934, IPRspr. 1935-44Nr. 112 (S. 215 f.); ebenso das erstinstanzliche Gericht im Verfahren RG 11.4. 1933, IPRspr. 1933 Nr. 21 (S. 41). 29 Soweit ausländische Versicherungsaufsicht auf kollisionsrechtlich maßgebliche Anknüp­ fungspunkte bzw. Indizien Einfluß nimmt, kommt ausländisches Recht zur Anwendung; vgl. OLG Stettin 22. 2. 1932, IPRspr. 1932 Nr. 35 (Gerichtsstand Stettin: deutsches Recht; Gerichts­ stand Wien: österreichisches Recht); vgl. auch RG 13. 11. 1885, RGZ 14, 235 (239). 30 Anders noch Autoren, die, in der Tradition der „absoluten“, „streng zwingenden Prohibitivnormen“ argumentierend, die zwingenden Normen des Versicherungsvertragsrechts der lex fori getrennt anknüpfen wollten: Schneider, ZVersWiss. 1907, 413 (418) (der sich insoweit auch auf Art. 30 EGBGB im Sinne eines positiven ordre public beruft); im Ergebnis ähnlich Wörner, NiemZ 13 (1903) 366 (372); Niemeyer, NiemZ 23 (1913) 258 (263, 266). 31 Frankenstein II173; Meili II305; Ehrenzweig (oben § 2 N. 93) 48; Raape479; Schnitzer II 734; Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 587.

legungen (Gefahrengemeinschaft)32, kann das Verhältnis von Aufsichtsrecht und IPR als zweier - bedingt austauschbarer - Instrumente des Versiche­ rungsnehmerschutzes in internationalen Sachverhalten nicht in den Blick kommen33. Versicherungsaufsicht und Kollisionsrecht werden als Rechtsge­ biete mit jeweils verschiedenen Regelungsaufgaben und -zielen verstan­ den34. Der Schutz des Versicherungsnehmers im internationalen Verkehr bleibt allein der Aufsicht zugeordnet, ohne daß dies im Sinne einer Entla­ stung des Kollisionsrechts gedeutet würde35.

2. Stellungnahme

a) Der Zusammenhang zwischen Versicherungsaufsichtsgesetz und Versicherungsvertragsgesetz

Wirft man einen ersten Blick auf die Regelungsinstrumente des deutschen Versicherungsrechts, dominiert der Eindruck, daß Privatrecht und Auf­ sichtsrecht, Versicherungsvertragsgesetz und Versicherungsaufsichtsgesetz, einander ergänzend und verstärkend auf dasselbe Regelungsziel - den Schutz des Versicherungsnehmers vor dem intellektuellen und ökonomischen Übergewicht des Versicherers - verpflichtet sind. Für eine Rollenverteilung zwischen Kollisionsrecht und Aufsichtsrecht im Hinblick auf den Schutz des Versicherungsnehmers in internationalen Sachverhalten scheint das nationa­ le Recht keine Anhaltspunkte zu liefern. Ein Blick in die Gesetzesmaterialien zum Versicherungsaufsichts- und Versicherungsvertragsgesetz zeigt jedoch, daß der Gesetzgeber von Überlegungen ausgegangen ist, die eine - wenn auch beschränkte - Rollenverteilung zwischen Privatrecht und Aufsichts­ recht erkennen lassen.

32 Bruck 10. 33 Vgl. etwa Gierke 73f.; Ehrenzweig (oben §2 N. 25) 29f.; ders. (oben § 2 N. 93) 47f.; Bruck/Möller I Einl., Bem. 90f. Ehrenberg (oben §2 N. 103) 417 deutet - ohne weitere Vertiefung - eine Rollenverteilung zwischen Kollisionsrecht und Versicherungsaufsichtsrecht an, wenn er für das internationale Versicherungsvertragsrecht eine Parteiverweisung generell für maßgeblich erachten will, dies aber mit dem ausdrücklichen Hinweis einschränkt, daß das „positive Recht“ (gemeint ist: das Aufsichtsrecht) eine solche Verweisung als unwirksam betrachten könne. 34 Nach Reichert-Facilides, FS Klingmüller 375 (380, 381 N. 20), hat „unbeschadet der an sich gegebenen international-privatrechtlichen Parteiautonomie“ die Aufsichtsbehörde die Be­ fugnis, das inländische Versicherungsgeschäft voll dem deutschen Privatrecht zu unterstellen; siehe auch Reichert-Facilides, FS R. Schmidt 1023 (1031) („Sonderschutz“ vom Versiche­ rungsaufsichtsrecht her). 35 Bei Reichert-Facilides, FS R. Schmidt 1023 (1037), ist immerhin von einem „Zusam­ menspiel“ von Versicherungskollisionsrecht und Versicherungsaufsichtsrecht die Rede.

Der Gesetzgeber des Versicherungsaufsichtsgesetzes36 versteht die öffentlich­ rechtliche Beeinflussung der privatrechtlichen Beziehungen zwischen den Vertrags­ partnern, so paradox dies zunächst erscheint, nicht nur als eine Einschränkung der Vertragsfreiheit, sondern zugleich als einen Weg, der im Vergleich zu den zwingen­ den Normen des Vertragsrechts die Vertragsfreiheit (und das heißt: die Gestaltungs­ freiheit der Versicherer) in einem größeren Ausmaß aufrechterhalten kann. Versiche­ rungsaufsicht und privatrechtliche Normen werden als austauschbare Instrumente des Versicherungsnehmerschutzes begriffen. Da sich eine - privatrechtliche - Durch­ normierung des Versicherungsvertragsrechts nur „hemmend und störend“ auf die Entwicklung des Versicherungswesens auswirke37, soll die flexiblere Versicherungs­ aufsicht das Privatrecht von der Aufgabe des Versicherungsnehmerschutzes entla­ sten: „Je mehr bereits durch das Verwaltungsrecht und die Thätigkeit der Aufsichts­ behörden die Wirkung erzielt wird, daß die Rechte und Pflichten der Versicherer und der Versicherten durch die Vertragsbedingungen und deren praktischer Handhabung klar und verständlich hingestellt, daß ausbeutende, chikanöse, betrügerische oder irreführende Vertragsbestimmungen hintangehalten werden, um so weniger wird die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Privatrechts veranlaßt sein, die Vertragsfrei­ heit der Parteien durch Vorschriften zwingenden Rechts einzuengen“38. Die hier in den Gesetzesmaterialien angedeutete Rollenverteilung zwischen Aufsichtsrecht und Privatrecht im Sinne einer Entlastung des Privatrechts von der Aufgabe des Versiche­ rungsnehmerschutzes ist von Anfang an jedoch nur partieller Natur gewesen: Ein privatrechtlicher Mindestschutz „besonders wichtiger Interessen des Versicherten“39 durch zwingende (anstelle dispositiver) Normen erschien unentbehrlich. Denn: „Alles läßt sich freilich für die Interessen, die lediglich in das Gebiet des Privatrechts fallen, von der Tätigkeit der Aufsichtsbehörde nicht erwarten“40. Damit werden einerseits einer zu weitherzigen Kontrolle der AVB durch die Aufsichtsbehörde Grenzen gezogen41, andererseits wird für Versicherungsnehmerschutz auch in den Fällen gesorgt, in denen Versicherer nicht genehmigte oder von den genehmigten AVB abweichende Versicherungsbedingungen verwenden.

Die Rolle des Privatrechts hat sich seit Erlaß des Versicherungsaufsichts­ gesetzes und des Versicherungsvertragsgesetzes dadurch weitgehend geän­ dert, daß die Rechtsprechung im Wege einer Inhaltskontrolle der AVB den Schutz des Versicherungsnehmers ausgebaut42 und grundsätzlich auch solche 36 Gesetzesbegründung zum VAG 32 f, in: Motive zum VAG (oben § 2 N. 244) 22f. 37 So ausdrücklich Gesetzesbegründung zum VVG (oben § 2 N. 226) 64. 38 Gesetzesbegründung zum VAG 32f, in: Motive zum VAG (oben § 2 N. 244) 22f. 39 Gesetzesbegründung zum VVG (oben § 2 N. 226) 63. 40 Gesetzesbegründung zum VVG (oben § 2 N. 226) 64. 41 Gesetzesbegründung zum VVG (oben § 2 N. 226) 64: Die Gesetzesbegründung zum VVG sieht die Gefahr, daß die Versicherungsaufsichtsbehörde (auf Druck von außen?) unter Umstän­ den Abweichungen in AVB von bloß dispositiven Normen des VVG nicht genügend entgegen­ treten werde. 42 Zur Entwicklung vgl. etwa Raiser, Entwicklungslinien im Recht des Versicherungsver­ trages: ZVersWiss. 1978, 375; Bukow, Das Versicherungsrecht in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: FS 25 Jahre Bundesgerichtshof (1975) 65.

AVB einer Inhaltskontrolle unterworfen hat, die von der Versicherungsauf­ sichtsbehörde genehmigt worden sind43. Von einer Entlastung des Privat­ rechts durch die Versicherungsaufsicht kann insoweit schon lange keine Rede mehr sein. Mit der im Schrifttum hart bekämpften44 Einbeziehung der AVB in den Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes vom 9. 12. 197645 hat der privat­ rechtliche Versicherungsnehmerschutz eine zusätzliche Dimension erhalten. Nach § 91AGBG sind AVB von den Gerichten daraufhin zu überprüfen, ob sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben „unangemessen“ benachteiligen46. Damit wird ein Prüfungsmaß­ stab aufgestellt, der kaum von dem abweicht, was nach § 8 I Nr. 2 VAG die Versagung der Genehmigung der AVB durch die Aufsichtsbehörde recht­ fertigen kann47. Trotz der Verschiedenheit ihrer Instrumente (präventive-repressive AVBKontrolle) haben Versicherungsaufsicht und Privatrecht dasselbe Ziel: den angemessenen Schutz des Versicherungsnehmers. Für Zwecke des grenz­ überschreitenden Versicherungsverkehrs bedeutet diese doppelte Instru­ mentierung des Versicherungsnehmerschutzes durch Privatrecht und Auf­ sichtsrecht, daß ein Zusammenhang zwischen beiden Rechtsbereichen eher im Sinne eines Regelungsgleichlaufs als im Sinne einer Rollenverteilung zu suchen ist.

43 BGH 30. 4. 1969, VersR 1969, 494 (495) (mit der Einschränkung, daß behördlich geneh­ migte AVB „nur aus sehr gewichtigen Gründen die rechtliche Anerkennung versagt werden könne“); vgl. Bruck/Möller I Einl. Bem. 23a). 44 Vgl. insbesondere die Kurzreferate (von Sieg, Farny, Hansmeyer, Angerer und Junge) und die Diskussionsbeiträge zum Thema: „Zur Zuordnung der Allgemeinen Versicherungsbe­ dingungen zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ in ZVersWiss. 1975, 161 ff., 219ff.; Sieg, Allgemeine Versicherungsbedingungen im Lichte der AGB-Gesetzesplanung: BB 1975, 845. 45 Vgl. dazu im einzelnen Bruck/Möller/Wagner, VVG8 VI/1: Unfallversicherung (1978) Bem. A 44ff.; Staudinger(-Schlosser), Kommentar zum BGB12 - Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1980) § 9 Rz. 176f. (im folgenden: Staudin­ ger [-Schlosser]); Wagner, Zur Bedeutung des AGB-Gesetzes für die Gefahrbeschreibung in den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen: ZVersWiss. 1977, 119; Sieg, Auswirkun­ gen des AGB-Gesetzes auf Justiz und Verwaltung im Bereich der Privat Versicherung: VersR 1977, 489; Helm, AGB-Gesetz und Allgemeine Versicherungsbedingungen: NJW 1978, 129; Helm, Auswirkungen des AGB-Gesetzes auf die Leistungspflicht des Versicherers: VersR 1978, 1; Bauer, Das AGB-Gesetz und seine Auswirkungen auf das Recht der Allgemeinen Versiche­ rungsbedingungen: BB 1978, 476; Schaefer, Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen?: VersR 1978, 4. 46 Aus der Rechtsprechung vergleiche etwa BGH 6. 7. 1983, NJW 1983, 2632; 3. 3. 1982, NJW 1982, 139; 21. 12. 1981, NJW 1982, 824. 47 Vgl. BVerwG 14. 10. 1980, VersR 1981, 221 (223), wo die Übereinstimmung im Prü­ fungsmaßstab angedeutet ist; dazu Rittner, Die Versicherungsaufsicht nach dem DAS-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts: VersR 1982, 205 (206).

b) Vorzüge einer Rollenverteilung zwischen Kollisionsrecht und Fremdenrecht? Für eine Rollenverteilung zwischen Versicherungsaufsicht und Kolli­ sionsrecht zum Schutze des Versicherungsnehmers in grenzüberschreiten­ den Versicherungsverträgen können eine Reihe von Gründen geltend ge­ macht werden. Jede Orientierung des Kollisionsrechts an den Schutzzwecken des Sach­ rechts fuhrt zu kollisionsrechtlichen Differenzierungen, die mit Unsicher­ heiten belastet sind: Versicherungsverträge müssen nicht nur anders ange­ knüpft werden als andere Verträge, sondern folgen selbst - wegen der unterschiedlichen Schutzrichtung des Versicherungsvertragsrechts - unter­ schiedlichen Anknüpfungen. Weichen die nationalen Rechte in ihrer Schutz­ tendenz voneinander ab, werden international übereinstimmende Lösungen erschwert. Versicherungsaufsicht kann mit der Kontrolle der AVB darauf hin wirken, daß durch die Aufnahme gebräuchlicher Anknüpfungspunkte in die AVB Versicherungsnehmerschutz realisiert wird, ohne daß es insoweit schutz­ zweckorientierter Kollisionsnormen überhaupt bedarf, so etwa durch Ein­ fügung einer Rechtswahlklausel, in der für den deutschen Geschäftsbetrieb deutsches Recht bestimmt wird. Eine solche Einflußnahme auf die in den AVB bestimmten Anknüpfungspunkte vermag darüber hinaus auch eine international einheitliche Beurteilung von Versicherungsverträgen zu for­ dern, wenn die Aufsichtsbehörde zugleich das Kollisionsrecht am ausländi­ schen Sitz des Versicherungsunternehmens bei seiner „Anknüpfungskon­ trolle“ mitberücksichtigt und damit eine Anwendung etwa des inländischen Rechts auch für den Fall sicherstellt, daß der Versicherungsnehmer vor einem Gericht am Sitz des Versicherers Klage erhebt. Durch eine am Maßstab des inländischen Rechts erfolgende Kontrolle des Inhalts der AVB läßt sich der inländische Versicherungsnehmerschutz weit­ gehend unabhängig davon verwirklichen, ob aus dem Vertrag später im Inland oder im Ausland geklagt wird. Je detaillierter und genauer die AVB die vertraglichen Rechte und Obliegenheiten der Versicherungsnehmer re­ geln, desto geringeren Einfluß wird die Anknüpfung des Vertrages auf das Ergebnis der Entscheidung haben können: Auch wenn ausländische Gerich­ te auf einen Vertrag ausländisches Recht anwenden, ist über die präventive AVB-Kontrolle durch die inländische Versicherungsaufsicht sichergestellt, daß den Anforderungen des inländischen Versicherungsnehmerschutzes ge­ nügt ist und zugleich ein international einheitliches Entscheidungsergebnis trotz abweichender Anknüpfungen erreicht wird. Während nationales Kol­ lisionsrecht allein die Judikatur der Gerichte im Inland steuert, wirkt die Versicherungsaufsicht mit ihrer Einflußnahme auf den Inhalt der AVB

darüber hinaus: Von der Versicherungsaufsicht mitgestalteter Versiche­ rungsnehmerschutz wird im Ergebnis auch von ausländischen Gerichten durchgesetzt. Versicherungsaufsicht vermag bei der Anknüpfungs- und Inhaltskontrol­ le der AVB auf die unterschiedlich ausgeprägten Schutzbedürfnisse der Versicherungsnehmer in flexiblerer Weise Rücksicht zu nehmen als dies dem Kollisionsrecht möglich ist. Während das Kollisionsrecht bei der Abgren­ zung des Kreises schutzbedürftiger Versicherungsnehmer weitgehend auf schematische Abgrenzungen, wie sie im materiellen Recht vorgegeben sind, verwiesen ist48, kann die Aufsichtspraxis in der Aufsichtsintensität49 differen­ zieren.

c) Einwände gegen eine Rollenverteilung Gegenüber einer Entlastung des Kollisionsrechts von seiner Aufgabe, den Schutz des Versicherungsnehmers in international verknüpften Verträgen zu gewährleisten, sind mehrere Einwände zu erheben. (1) Faktisches Schutzdefizit der Versicherungsaufsicht. - Versicherungsauf­ sicht kann Versicherungsnehmerschutz nur sicherstellen, soweit sich auslän­ dische Versicherer der inländischen Aufsicht unterwerfen und die von der Aufsicht genehmigten AVB im Inlandsgeschäft tatsächlich verwenden. Si­ cher ist es für das inländische Massengeschäft unerläßlich, eine Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb zu erlangen, zumal das Versicherungsaufsichtsgesetz seinen Anwendungsanspruch mit Sanktionen absichert50. Trotzdem zeigt ein Blick auf die Praxis der Gerichte51, aber auch ein Blick in die Zeitungen52, 48 Das Problem schematischer Lösungen ist indes nicht kollisionsrechtsspezifisch, sondern bereits im materiellen Recht gegeben; siehe dazu die Diskussion um den persönlichen Schutzbe­ reich der „Verbraucherschutzgesetze“: Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht am Beispiel der Verbraucherverschuldung (1978) 403ff., 412ff.; Reich/Tonner/Wegener, Verbraucher und Recht (1976) 13 ff.; Stauder, Vom Abzahlungskauf zum Konsumentenkredit: Z.f.RPol. 1980, 217 (219); speziell zum Versicherungsvertragsrecht Bernstein, Abwege des Verbraucherschut­ zes im Versicherungsrecht: Z.f. Verbraucherpol. 5 (1981) 140. 49 Vgl. Prölss/Schmidt/Frey Vorbem. Rz. 45. 50 §§ 1401, 144, 144a VAG. 51 Aus der Rechtsprechung für die Zeit vor dem Inkrafttreten des VAG vgl. RG 18. 11. 1879, RGZ1, 115 =JW 1880, 5; 19. 1. 1881, JW 1881, 35; HansOLG Hamburg 23. 5. 1907, LZ 1908, 249. Aus der Zeit nach Inkrafttreten des VAG vgl. RG 17. 3. 1919, RGZ 95, 156; LG Elberfeld 22. 3. 1928, IPRspr. 1928 Nr. 152; LG München 119. 9.1932, IPRspr. 1932 Nr. 176; Hans OLG Hamburg 17. 2. 1917, HansGZ 1917/B/141; RG 1. 6. 1937, RGZ 155, 138 (145). 52 Siehe Süddeutsche Zeitung Nr. 92 vom 19./20. 4. 1980, S. 151: Dort finden sich drei Annoncen, in denen unter einer bayerischen Telefonnummer für den Abschluß eines Lebens­ versicherungsvertrages mit schweizerischen Versicherern in Schweizer Franken geworben wird; vgl. auch NJW 1982, Heft 17, S. XXIV.

daß ausländische Versicherer immer wieder versuchen, im Inland Geschäfte ohne die dafür erforderliche Erlaubnis zu tätigen. Gerade in solchen Fällen, in denen sich der Versicherer der Aufsicht entzieht, ist der Versicherungs­ nehmer auf kollisionsrechtlichen Schutz angewiesen. Ähnliche Probleme stellen sich, wenn ausländische, im Inland zum Geschäftsbetrieb zugelassene Versicherer AVB verwenden, die von der genehmigten Fassung abweichen. Der These einer kollisionsrechtlichen Schutzbedürftigkeit der Versiche­ rungsnehmer in Fällen, in denen der Versicherer den Kontrollanspruch der Versicherungsaufsicht ignoriert, mag man vor allem zwei Überlegungen entgegenhalten. Man mag Versicherungsnehmer, die mit im Inland nicht zugelassenen Unternehmen abschließen, von vornherein für weniger schutzwürdig hal­ ten. Eine solche Wertung findet sich zwar nicht ausdrücklich formuliert. Immerhin schwingt sie aber beiläufig mit, wenn im Schrifttum53 und in der Rechtsprechung „die Gefahr, die in dem Abschlusse mit einem in Inlande nicht zugelassenen Versicherer liegen kann“54, bewußt dem Versicherungs­ nehmer auferlegt wird55. Gewiß muß der Schutz des inländischen Versiche­ rungspublikums gegenüber ausländischen Versicherern Grenzen kennen, so etwa, wenn Versicherungsnehmer Verträge im Ausland abschließen. Für das inländische Geschäft den Schutz der Versicherungsnehmer von der Zulassung der Versicherer abhängen zu lassen, will nicht einleuchten: Der Versicherungsnehmer ist gegenüber zugelassenen wie nicht zugelassenen Unternehmen gleich schutzbedürftig. Diesen Schutz hat Kollisionsrecht sicherzustellen. Versicherungsverträge, die unter Verstoß gegen aufsichtsrechtliche Be­ stimmungen abgeschlossen werden, sind nach der Rechtsprechung56 und der ganz herrschenden Lehre57 zivilrechtlich wirksam. Die Nichtigkeitsfolge des §134 BGB tritt nicht ein. Daraus ließe sich folgern: Wenn schon im nationa­ 53 Etwa bei Bruck 33. 54 LG Hamburg 28. 3. 1934, IPRspr. 1935-44 Nr. 110 (S. 211), mit Verweis auf Bruck. 55 Vgl. auch Abgeordneter Richter, 82. Sitzung des Reichstags vom 25. 4. 1901, Prot.Berichte, S. 2363, in: Motive zum VAG (oben § 2 N. 244) 97: „Wer sich mit einer ausländischen Gesellschaft einläßt, wo so viel Gelegenheit ist, sich bei inländischen Gesellschaften zu versichern, der thut es auf eigene Gefahr“ (im Hinblick auf das Kautionserfordernis). 56 OLG Hamm 21. 5. 1976, VersR 1977, 1093; RG 1. 6. 1937, RGZ 155, 138 (145), 9. 11. 1915, LZ 1916, 609; vgl. auch RG 17. 3. 1919, RGZ 95, 156; 18. 11. 1879, RGZ 1, 115 = JW 1880, 5; 19. 1. 1881, JW 1881, 35; anders zum Aufsichtsrecht des Landes Braunschweig (§ 2 des Gesetzes vom 20. 6.1883): HansOLG Hamburg 23. 5.1907, LZ 1908, 249; zu §§ 10III, 13 VAG: OLG Köln 1. 6. 1966, VersR 67, 247 (248); BGH 21. 1. 1963, VersR 63, 326 (327). Landesrecht bedient sich bisweilen der Nichtigkeitssanktion bei Verstoß gegen Bannmeilengesetze; vgl. z. B. Art. 19 II BayVersG; vgl. auch HansOLG Hamburg 17. 3. 1926, HansGZ 1926, 117. 57 Vassel, Einflußnahme des Staates auf die Ausgestaltung von AVB (1971) 27 f; Prölss/

len Bereich das Privatrecht nicht an einer Durchsetzung der dem Versiche­ rungsnehmerschutz dienenden aufsichtsrechtlichen Normen orientiert ist, kann für internationale Sachverhalte dem Kollisionsrecht keine besondere Schutzfunktion in Fällen zugewiesen werden, in denen die Aufsichtsvor­ schriften für ausländische Versicherer verletzt werden. Im Schrifttum wird die fehlende Unwirksamkeitssanktion bei den auf­ sichtsrechtlichen Genehmigungsvorschriften zumeist auf ihren Charakter als „gewerbepolizeiliche Vorschriften“58 sowie auf die Natur des Aufsichts­ rechts59 gestützt60. Eine solche Begründung greift jedoch zu kurz. § 134 BGB erklärt Rechtsgeschäfte, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, für nichtig, sofern sich aus dem Gesetz nicht etwas anderes ergibt. Ob einer Verbots­ norm der Charakter eines „Verbotsgesetzes“ zuzusprechen ist, kann nicht § 134 BGB, sondern allein dem Sinn und Zweck des Verbots entnommen werden61. Das Reichsgericht hatte zunächst mit relativ formalen Kriterien den Charakter des Ver­ botsgesetzes zu konkretisieren und einzugrenzen versucht: Einseitige Verbotsnor­ men, die sich nur an eine der beiden Vertragsparteien richten62, sollen ebenso wenig Privatrechtswirkung entfalten können wie reine Ordnungsvorschriften, die sich, wie zum Beispiel gewerbepolizeilichen Vorschriften (Polizeistunden-, Ladenschlußrege­ lungen), nur auf äußere Umstände des Vertragsschlusses beziehen und sich nicht gegen den Inhalt oder die Vornahme des Rechtsgeschäfts richten63. Auf der Grundla­ ge dieser Rechtsprechung wird der Standpunkt der herrschenden Lehre und der Schmidt/Frey § 8 Rz. 11, § 10 Rz. 15; Bruck/Möller I Einl. Bem. 23; Kimball/Pfennigstorf, Allgemeine Versicherungsbedingungen unter Staatsaufsicht (1968) 40 N. 4. 58 Siehe etwa Berliner/Fromm § 1 Bem. 5 (S. 81) (das VAG sei „ein verwaltungsrechtliches, ein Polizeigesetz, ... Die einzelnen Bestimmungen haben demnach grundsätzlich bloß öffent­ lich-rechtliche, nicht auch privatrechtliche Wirkungen“); §5 Bem. 6 (S. 120f.) („Verletzung polizeilicher Vorschriften“); § 105 Bem. 3 („gewerbepolizeilicher Charakter“); Koenige/Peter­ sen § 5 Rz. 6. 59 Prölss/Schmidt/Frey § 10 Rz. 19 zu § 10III VAG: „(Absatz) III ist eine rein aufsichtsrechtliche (gewerbepolizeiliche) Bestimmung; ein Verstoß macht daher den von den AVB abweichenden Versicherungsvertrag nicht nach § 134 BGB unwirksam“; OLG Köln 1. 6. 1966, VersR 1967, 247 (248) differenziert zwischen einem „privatrechtlichen“ und einem „verwaltungsrechtlichen“ Verbot. 60 Siehe ebenso im Ergebnis Berliner/Fromm § 10 Bem. 12 (173), mit der in dieser Allge­ meinheit sicher unzutreffenden Behauptung, den Bestimmungen des VAG könne Privat­ rechtswirkung nur beigelegt werden, wenn dies „ausdrücklich“ bestimmt sei; dagegen Soergel(-Hefermehl), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen11 I § 134 Rz. 3 (im folgenden: Soergel [-Hefermehl] I). 61 Soergel(-Hefermehl) I § 134 Rz. 1 (§ 134 BGB komme nur eine „Hilfsfunktion“ bei der Durchsetzung einer Verbotsnorm zu); BGH 1. 6. 1966, BGHZ 46, 24 (25); 22. 9. 1983, NJW 1984, 230 (231); 19. 1. 1984, NJW 1984, 1175. Kritik an der Rechtsprechung - mit zugleich weiterführender Fallgruppenbildung - übt Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft (1983). 62 Grundlegend RG 17. 3. 1905, RGZ 60, 273 (276); vgl. dann auch RG 18. 6. 1920, RGZ 100, 39 (40); 23. 2. 1922, RGZ 104, 105 (107); 2. 11. 1942, RGZ 170, 155 (156). 63 RG 9. 12. 1921, RGZ 103, 263 (264f); vgl. Soergel(-Hefermehl) I § 134 Rz. 20.

Praxis zu den aufsichtsrechtlichen Genehmigungsvorschriften verständlich: Die Zu­ lassungsvorschriften sind einseitige Verbotsnormen64. Versicherungsaufsicht ist seit jeher als Gewerbepolizei verstanden worden65. Das Reichsgericht hat indessen von Anfang an betont, daß diese formalen Krite­ rien keine abschließende Abgrenzung erlauben, vielmehr Sinn und Zweck der Ver­ botsnormen selbst den Ausschlag geben müssen66. Der Bundesgerichtshof hat denn auch sowohl einseitigen Verbotsnormen wie auch rein gewerbepolizeilichen Vor­ schriften NichtigkeitsWirkung im Sinne von § 134 BGB zuerkannt67: Prominente Beispiele sind das (gegen Vermittler gerichtete) Verbot der privaten Arbeitsvermitt­ lung68, das Verbot unzulässiger Rechtsberatung69 sowie das Verbot der Vermittlung und des Abschlusses von Darlehensgeschäften im Reisegewerbe70. Ausschlaggebend für die Anwendung des § 134 BGB ist in allen Fällen, daß die gewerberechtlichen bzw. einseitigen Verbotsnormen gerade auch den Schutz der anderen Vertragspartei bezwecken71. Die Nichtigkeitssanktion des § 134 BGB instrumentiert den Schutz­ zweck der Verbotsnorm.

Da der wesentliche Zweck der Versicherungsaufsicht gerade im Schutz des Versicherten besteht72, läßt sich der fehlende Charakter der Erlaubnis­ vorschriften als Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB nicht mit den 64 Josef, Versicherungsverträge nicht konzessionierter Versicherungsunternehmen: ZgesHR 66 (1910) 101 (107) (§ 87 Nr. 1 VAG a. F. richte sich gegen den „Betrieb“ des Versicherers, nicht gegen die Rechtsgeschäfte). 65 Dazu Peters, Zu den Grenzen der staatlichen Versicherungsaufsicht, in: FS Lehmann II (1956) 894 (895ff); Prölss/Schmidt/Frey Vorbem. Rz. 35. 66 RG 17. 3. 1905, RGZ 60, 273 (277); BGH 22. 5. 1978, BGHZ 71, 358 (360f): „Dabei handelt es sich jedoch nur um allgemeine Regeln, die den Rückgriff auf Sinn und Zweck der in Betracht kommenden Verbotsnorm nicht entbehrlich machen... Entscheidend ist, falls eine ausdrückliche Regelung fehlt, stets Sinn und Zweck der einzelnen Verbots­ norm“. 67 Maßgebende Überlegung ist, ob es „mit dem Zweck des Verbotsgesetzes unvereinbar wäre, die durch das Rechtsgeschäft getroffene rechtliche Regelung hinzunehmen oder bestehen zu lassen“: BGH 1. 6. 1966, BGHZ 46, 24 (26). 68 BGH ZI. 6. 1973, WM 1973, 1024 (1026). 69 BGH 25. 6. 1962, BGHZ 37, 258; vgl. auch BGH 18. 4. 1967, BGHZ 47, 364; 6. 11. 1973, BGHZ 61, 317; 9. 10. 1975, NJW 1977, 38; 21. 10. 1976, NJW 1977, 431; weitere Nachweise zur Rechtsprechung bei Palandt(-Heinrichs) § 134 Bem. 3a) - Rechtsberatung. 70 § 56 I Nr. 6 GewO: BGH 17. 5. 1979, NJW 1979, 2092; 8. 2. 1979, NJW 1979, 1593; 8. 2. 1979, NJW 1979, 1597; vgl. auch BGH 6. 7. 1978, WM 1978, 1154; 22. 5. 1978, BGHZ 71, 358; kritisch Ungerbieler, Zur Nichtigkeit von Darlehensverträgen wegen Verstoßes gegen § 56 I Nr. 6 GewO: NJW 1980, 568. 71 BGH 27. 6. 1973 (oben N. 68) 1026 (zum Verbot der privaten Arbeitsvermittlung); BGH 22. 5. 1978 (oben N. 66) 361 (zu § 56 I Nr. 6 GewO): „Der Schutzzweck der Verbotsnorm besteht... darin, den Verbraucher davor zu bewahren, daß seine wirtschaftliche Entschließungsfreiheit in bestimmten Situationen... durch Überei­ lung, durch irreführende mündliche Angaben, durch zudringliches Verhalten des Reisegewerbenden beeinträchtigt wird. Damit geht der Schutzzweck der Norm über den Zweck sonstiger gewerberechtlicher Verbote... hinaus...“; BGH 25. 6. 1962 (oben N. 69) 261 (zum Rechtsberatungsgesetz). 72 RG 17. 3. 1919, RGZ 95, 156 (157); BGH 24. 1. 1972, NJW 1972, 577.

gängigen Begründungen rechtfertigen. Entscheidend ist vielmehr allein, ob Sinn und Zweck der Aufsichtsnormen die Nichtigkeit des Vertrages als ein geeignetes Sanktionsinstrument erscheinen lassen73. Gerade dies trifft nicht zu. Denn die Nichtigkeit des Vertrages verspräche dem zu schützenden Versicherungsnehmer Vorteile allein bei der - relativ seltenen - Prämienkla­ ge des Versicherers74. Im Falle der Verwirklichung des versicherten Risikos schlüge sie dagegen zum Nachteil des Versicherungsnehmers aus: Der Versi­ cherungsschutz ginge verloren75. Nicht der aufsichtsrechtliche oder gewer­ bepolizeiliche Charakter des Versicherungsaufsichtsgesetzes steht daher ei­ ner Anwendung des § 134 BGB im Wege, sondern der Schutzzweck des Versicherungsaufsichtsgesetzes selbst, der es verbietet, die Nichtigkeit des §134 BGB wegen ihrer nachteiligen Wirkungen für den Versicherungsneh­ mer als Sanktionsinstrument einzusetzen76. Die fehlende Privatrechtswirkung der aufsichtsrechtlichen Erlaubnisvor­ schriften ist daher alles andere als ein Indiz für eine mangelnde Schutzwür­ digkeit des Versicherungsnehmers gegenüber unzulässig agierenden Versi­ cherern. Sie ergibt daher auch kein Argument gegen die besondere Schutz­ funktion des Kollisionsrechts in Fällen, in denen ausländische Versicherer in unerlaubter Weise Inlandsgeschäfte tätigen.

73 So schonJosEF, ZgesHR 66 (1910) 101 (108); in BGH 22. 5. 1978 (oben N. 66) 360f. wird zu Recht darauf hingewiesen, daß diese Frage auch einen Blick auf sonstige Sanktionsmöglich­ keiten des Privatrechts, z. B. § 823 II, §§ 119ff. BGB, notwendig macht. 74 Siehe etwa HansOLG Hamburg 23. 5. 1907, LZ 1908, 249. Statt mit § 134 BGB kann dem Versicherungsnehmer insoweit aber auch mit §119 II (und unter Umständen §123) BGB geholfen werden, da die Zulassung des Versicherers zum inländischen Geschäftsbetrieb vom Versicherungsnehmer dem Vertrag zugrundegelegt wird und deshalb als „Verkehrswesentliche Eigenschaft“ anzusehen ist; vgl. Berliner/Fromm § 105 Bem. 3; Koenige/Petersen § 5 Bem. 6, § 85 Bem. 4, § 108 Bem. 8; Goldberg/Müller § 140 Rz. 3. Da der Versicherer den Grund der Anfechtbarkeit des Vertrages kennen muß, wird der Versicherungsnehmer auch nicht nach § 122 I BGB schadensersatzpflichtig. Canaris (oben N. 61) 46 will dem geschützten Vertrags­ partner mit dem Grundsatz halbseitiger Teilnichtigkeit des Vertrags (dazu: ebd. 31 f.) helfen mit der Konsequenz, daß der geschützte Vertragspartner seine vertraglichen Ansprüche behält, während die andere Partei auf Bereicherungsansprüche verwiesen wird. 75 Siehe das in RG 1. 6. 1937, RGZ 155, 138 (143f.) zitierte instanzgerichtliche Urteil des OLG Stuttgart zu § 108 VAG a. F.; vgl. auch die Erwägung bei Berliner/Fromm § 1 Bem. 5a) (S. 82), durch eine Unwirksamkeit des Vertrages werde den beteiligten Dritten mehr geschadet als der Allgemeinheit genützt; Goldberg/Müller § 1 Rz. 52. 76 Die Gesetzgebungsmaterialien zum VAG machen deutlich, daß den Verbotsnormen des VAG - § 9 III a. F. (§ 10 III n. F.), § 87 a. F. (107 n. F.) - keine Privatrechtswirkung zukommen soll; vgl. Gesetzesbegründung zum VAG 52, 94, in: Motive zum VAG (oben § 2 N. 244) 32, 53. Bei § 9 III VAG a. F. war man im Gegenteil darum bemüht klarzustellen, daß es sich nicht um eine Verbotsnorm im Sinne von § 134 BGB handelt; Bericht der VII. Kommission, in: Motive zum VAG (oben §2 N. 244) 183ff; Reichstagsprotokolle, 82. Sitzung vom 25. 4. 1901, Sten.Berichte 2368 ff. (Abg. Schmidt, Geh. ORR Grüner, Abg. Zehnter) in: Motive zum VAG (oben § 2 N. 244) 102 f.

(2) Rechtliches Schutzdefizit der Versicherungsaufsicht: Korrespondenz Versi­ cherungen. - Eine Rollenverteilung zwischen Aufsichtsrecht und Kollisions­ recht, die den Schutz der Versicherungsnehmer in internationalen Vertrags­ verhältnissen dem Aufsichtsrecht zuweist, greift nicht nur in Fällen uner­ laubter inländischer Geschäftstätigkeit ausländischer Versicherer zu kurz, sondern auch dann, wenn ausländische Versicherer im Wege der erlaubnis­ freien77 Korrespondenzversicherung 78 tätig werden. Nach § 105 I VAG wird der Betrieb im Inland erst erlaubnispflichtig, wenn das Geschäft „durch Vertreter, Bevollmächtigte, Agenten oder andere Vermittler“ getätigt wird79. Diese in § 105 I VAG enthaltene Selbstbeschränkung des deutschen Aufsichtsrechts mag vor allem im Hinblick auf die Schwierigkeiten einer effektiven Kontrolle über Unternehmen mit Sitz im Ausland begründet sein. Wendet sich der Versicherer durch Briefwerbung80 an den Versiche­ rungsnehmer, besteht zwischen nationalem und internationalem mail-or­ der-Geschäft kein so wesentlicher Unterschied, daß auf einen kollisions­ rechtlichen Versicherungsnehmerschutz verzichtet werden sollte81. Dies

77 OLG Hamm 21. 5. 1976, VersR 1977, 1093 (1094); Goldberg/Müller §105 Rz. 14; Prölss/Schmidt/Frey § 105 Rz. 5. 78 Zu den verschiedenen Definitionen der Korrespondenzversicherung: Hartung, Korre­ spondenzversicherung und Auslandsvermittlung nach geltendem Aufsichtsrecht: ZVersw. 1961, 321; Definition des Bundeswirtschaftsministeriums und Bundesaufsichtsamtes, wieder­ gegeben bei Prölss/Schmidt/Frey § 105 Rz. 5; kritisch: Goldberg/Müller § 105 Rz. 14. 79 Zur Frage, ob § 105 I VAG eine Inlandstätigkeit des Vermittlers erfordert: Goldberg/ Müller § 105 Rz. 14; dazu auch Gesetzesbegründung zum VAG 93, in: Motive zum VAG (oben§2N. 244) 53: „Nach §85 [a. F.] erstreckt sich jedoch diese Genehmigungspflicht..., nur auf den durch inländische Vertreter oder Vermittler gethätigten Geschäftsbetrieb ausländischer Unter­ nehmen“. Zum Zusammenhang zwischen §§ 140 I, II und 105 I VAG: Preuss 96ff.; Hartung, ZVersw. 1961, 321; Fleischmann, Korrespondenzvertrag und § 140 VAG: VersR 1961, 769; Vassel, Die wenig bekannte Strafbestimmung § 140 II des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG): VersR 1961, 289; Aschauer, Versicherungsschutz durch ausländische, in der Bundesrepublik wirken­ de, hier jedoch nicht zugelassene Versicherer: VersR 1967, 835; Prölss, FS A. Möller 223. 80 Siehe den Werbeprospekt eines (deutschen) Lebens versichereres im Jahre 1978: „Unsere Kosten liegen weit unter dem Branchendurchschnitt. Weil wir eigene Wege gehen: Wir schließen Lebensversicherungen auf dem direkten Weg vom Betrieb zum Kunden ab, per Post“; zur Briefwerbung: Hattemar, Zur Effizienz von Prospekten für Versicherungen und Bauspar­ kassen: Vers Wirt. 1979, 555; W. Hoffmann, Vers Wirt. 1981, 607. 81 Das grenzüberschreitende mail-order-Geschäft scheint im europäischen Raum bisher keine praktische Bedeutung gehabt zu haben; vgl. aus der Praxis aber immerhin den Fall HansOLG Hamburg 11.2. 1929, HansRGZ 1929/A/153; RG 15. 12. 1929, HansRGZ 1930/A/ 218. In den Vereinigten Staaten ist das mail-order-Geschäft hingegen in einigen Sparten durchaus verbreitet: Hoff, VersWirt. 1981, 53; Symon, Legal Problems of Mass-Merchandi­ sing and Direct-Response Insurance: The Forum 12 (1977) 739; Haase, The Special Problem of Mail-Order-Insurance: The Wisconsin Experience in Historical Perspective, in: Insurance, Government, and Social Policy, hrsg. von Kimball/Denenberg (1969) 311; Note, Reaching

wird durch § 12 AGBG bestätigt, der auch auf Versicherungsverträge An­ wendung findet: Der in dieser Norm formulierte internationale Anwen­ dungsbereich zielt nach den in § 12 Nr. 1 und Nr. 2 AGBG genannten räumlichen Beziehungen zum Inland gerade auch auf die Erfassung von Korrespondenzverträgen. (3) Gesetzesbindung der Versicherungsaufsicht. - Die Versicherungsauf­ sichtsbehörde hat die Versicherungsbedingungen inländischer wie ausländi­ scher Versicherer daraufhin zu überprüfen, ob die „Belange der Versicherten nicht ausreichend gewahrt“ sind (§§ 8 I Nr. 2, 105 II in Verbg. mit § 81 Nr. 2 VAG). Diese Kontrollbefugnis ist im wesentlichen negativer, nicht positiver Natur82: Die Behörde hat nicht für eine besonders gute Berücksichtigung der Interessen der Versicherten zu sorgen, sondern allein eine unangemessene Beeinträchtigung der Belange der Versicherten zu verhüten83. § 8 I Nr. 2 VAG ermächtigt die Behörde nicht zu einer autonomen Gestaltung des Versicherungsnehmerschutzes84. Für die Feststellung, ob die Belange der Versicherten in den AVB ausreichend gewahrt sind, sind das Versicherungs­ vertragsgesetz und das AGB-Gesetz wichtige Prüfungsmaßstäbe. Bei der Kontrolle anknüpfungsrelevanter Faktoren, insbesondere der Rechtswahlklauseln wird die Aufsichtsbehörde im Rahmen des § 8 I Nr. 2 VAG ihre Entscheidung nicht ohne Blick auf die Wertungen des deutschen Kollisionsrechts treffen können. Rechtswahlklauseln in AVB, die eine An­ wendung ausländischen Rechts bestimmen, sind gemäß § 10 Nr. 8 AGBG unwirksam, wenn an der Vereinbarung „kein anerkennenswertes“ Interesse besteht. Die Aufsichtsbehörde wird im Rahmen des § 8 I Nr. 2 VAG Rechtswahlklauseln nur schwerlich die Anerkennung versagen können, die im Rahmen des § 10 Nr. 8 AGBG von den Gerichten als wirksam behandelt werden. § 10 Nr. 8 AGBG ist für die Behörde Prüfungsmaßstab85: Nur dann, wenn das Kollisionsrecht den Schutz des Versicherungsnehmers in sich aufnimmt und in § 10 Nr. 8 AGBG berücksichtigt, wird die Aufsichtsbehörde im Rahmen ihrer präventiven AVB-Kontrolle Rechtswahlklauseln, die das in­ ländische Versicherungspublikum mit ausländischem Recht konfrontie­ the Out-of-State Mail-Order-Insurer: Harv.L.Rev. 64 (1951) 482; Kimball, ZVersWiss. 1964, 233 (249ff.). 82 BVerwG 14. 10. 1980, VersR 1981, 221 (223); ebenso Rittner, VersR 1982, 205. 83 BVerwG 14. 10. 1980 (vorige Note) 223. 84 Rittner, VersR 1982, 205 (der Wirtschaftsaufsicht obliege eine vorbeugende Gefahrenab­ wehr, nicht aber die eigentliche Gestaltung der Sozialbeziehungen). 85 Diese Bedeutung des § 10 Nr. 8 AGBG wird nicht hinreichend deutlich bei ReichertFacilides, VersR 1978, 481 (482), der § 10 Nr. 8 AGBG für das internationale Versicherungs­ vertragsrecht aufgrund der Kontrollpraxis als praktisch bedeutungslos ansieht. Das Gegenteil ist der Fall!

ren, die Genehmigung versagen dürfen86. Eine Rollenverteilung zwischen Versicherungsaufsicht und Kollisionsrecht beim Schutz des Versicherungs­ nehmers scheitert deshalb zwingend an der Gesetzesbindung der Aufsichts­ behörde, die sich im Rahmen des § 81 Nr. 2 VAG nicht über die Wertungen des § 10 Nr. 8 AGBG87 hinwegsetzen kann.

III. Gleichlauf zwischen Versicherungsaufsichtsrecht und IPR? Eine Beziehung ganz anderer Art zwischen Aufsichtsrecht und Kolli­ sionsrecht wird behauptet, wenn und soweit den §§ 105 ff. VAG Einfluß auf die Anknüpfung des Versicherungsvertrages zugesprochen wird. Dabei sind im wesentlichen zwei Begründungen zu unterscheiden. Kollisionsrecht wird von den faktischen Auswirkungen einer effektiv durchgesetzten Aufsicht beeinflußt. Die Lokalisierung des inländischen Ge­ schäftsbetriebes durch Einschaltung einer im Inland belegenen Niederlas­ sung und die Ausrichtung der AVB am inländischen Privatrecht sind von der Aufsicht mittelbar beeinflußte und gesteuerte Faktoren, die bei der Vertragsanknüpfung zu einer Anwendung inländischen Rechtes fuhren, ohne daß dieses Ergebnis unmittelbar aus dem Versicherungsaufsichtsgesetz und dem von diesem Gesetz erhobenen Anwendungsanspruch in internatio­ nal verknüpften Sachverhalten abgeleitet wird. Dieser Begründung ist an dieser Stelle nicht weiter nachzugehen88. Eine über die faktischen Auswirkungen hinausgehende Bedeutung für die kollisionsrechtliche Entscheidung gewinnt das Aufsichtsrecht, wenn die §§105 ff. VAG als Normen mit kollisionsrechtlichem Gehalt gedeutet werden89.

86 Wenn die deutsche Aufsichtsbehörde in der Vergangenheit Rechtswahlklauseln, die die Anwendung ausländischen Rechts vorgesehen haben, die Genehmigung versagt hat, ist sie-bei grundsätzlicher Anerkennung der Rechtswahlfreiheit der Parteien - von einem ungeschriebenen Satz des deutschen IPR ausgegangen, wonach die klauselmäßige Abbedingung deutschen Rechts bei im inländischen Geschäftsverkehr abgeschlossenen Verträgen unzulässig ist. 87 Diese Implikationen der Gesetzesbindung der Versicherungsaufsicht werden m.E. zu wenig betont bei Reichert-Facilides, FS Klingmüller 375 (381); ders., FS R. Schmidt 1023 (1031, 1037). 88 Dazu unten unter § 8 III 4a (3). 89 In diesem Sinne scheint Kegel, FS Ehrenzweig 51 (72 N. 89), die Ausführungen bei von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974) 396 (403), und König, EuropaR 1975, 289 (308), zu verstehen; vgl. auch Neumeyer, Internationales Privatrecht (1923) 30 (wonach § 86 VAG a. F. als „positi­ ves deutsches Recht“ die generelle Anknüpfung an den Sitz des Versicherers modifiziere). Unklar ist die Bemerkung in Münchener Komm.(-MARTINY) VII Vor Art. 12 EGBGB Rz. 65, das Versicherungsaufsichtsrecht sei nicht „dispositiv“.

1.

Ausdrückliche kollisionsrechtliche Regelung in den §§ 105 ff. VAG?

Die §§ 105 ff. VAG bestimmen die Voraussetzungen, unter denen auslän­ dische Versicherer einer Erlaubnis für den Geschäftsbetrieb im Inland bedür­ fen, und die Rechtsfolgen, die an die Erteilung einer Erlaubnis geknüpft sind. Während § 109 I VAG einen unabdingbaren Gerichtsstand für den inländischen Geschäftsbetrieb vorsieht und § 106 III VAG die gesetzliche Vertretungsmacht des Hauptbevollmächtigten regelt, fehlt es an einer ent­ sprechenden ausdrücklichen Regelung über das auf inländische Versiche­ rungsverträge anwendbare Recht. Insoweit unterscheidet sich das deutsche Recht von dem Recht einiger amerikanischer Bundesstaaten, in deren Versi­ cherungsgesetzen (die die Vertrags- und aufsichtsrechtlichen Aspekte ge­ meinsam regeln) sich ausdrückliche Bestimmungen von kollisionsrechtli­ cher Bedeutung finden90, so etwa, wenn es für Zwecke der Anwendung inländischen Privatrechts wie auch Aufsichtsrechts heißt: „All contracts of insurance, the application for which is taken the state shall be deemed to have been made within the state, and subject to laws thereof‘91. Andere amerika­ nische Bundesstaaten arbeiten mit Klauseln, die die inländischen Versiche­ rungsgesetze auf das inländische Geschäft heimischer wie fremder Versiche­ rungsunternehmen für anwendbar erklären92.

2. Sinn und Zweck der §§ 105 ff. VAG Den §§ 105 ff. VAG mag man, trotz ihres insoweit unergiebigen Wort­ lauts, kollisionsrechtliche Relevanz im Wege der Auslegung zusprechen wollen. Eine solche Auslegung wird man vor allem dann wählen, wenn Sinn und Zweck der §§105 ff. VAG eine unmittelbare Einwirkung auf die Rechtsanwendungsentscheidung als notwendig erscheinen lassen.

a) Rechtsvergleichende Aspekte

Vorbilder für einen solchen Ansatz finden sich vor allem im schweizeri­ schen und im französischen Recht. Das schweizerische Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG a.F.) vom 25. 6. 1885 wie auch das neue Gesetz vom 23. 6. 197893 verpflichten ausländische Versi­ cherer, die in der Schweiz das Versicherungsgeschäft betreiben wollen, eine Bewilligung zu erlangen (Art. 31 VAG a. F., Art. 7 VAG n. F.). Dabei haben 90 91 92 93

Siehe dazu oben § 1IV 1. Nachweise bei Leflar 200 f. (Alabama, Minnesota, Mississippi, Tennessee, Texas, Utah) Rabel, Conflict of Laws III326 N. 21. Siehe oben § 1 N. 43.

sie in der Schweiz ein Hauptdomizil zu errichten94, an dem sie verklagt werden können95 und das als unabdingbarer Erfüllungsort der aus dem schweizerischen Versicherungsgeschäft resultierenden Verpflichtungen dient96. Bestimmungen in den Versicherungsbedingungen, die mit diesen Vorschriften im Widerspruch stehen, sind ungültig (Art. 2 Nr. 4 Satz 4 VAG a. F.; Art. 30 VAG n. F.). Eine ausdrückliche kollisionsrechtliche Regelung ist damit im schweizerischen Versicherungsaufsichtsrecht nicht enthalten. Gleichwohl hat das Bundesgericht - wie gezeigt - den in Art. 2 Nr. 4 schweizer. VAG a. F. enthaltenen öffentlich-rechtlichen Bedingungen und Pflichten kollisionsrechtliche Bedeutung zugesprochen. Im insoweit grund­ legenden Entscheid vom 8. 6. 1889 wird über den Wortlaut des Art. 2 Nr. 4 schweizer. VAG a. F. hinausgehend die Verpflichtung für ausländische Ver­ sicherer formuliert, sich für das schweizerische Geschäft nicht nur dem schweizerischen Gerichtsstand, sondern auch dem schweizerischen Privat­ recht zu unterwerfen97. Zugleich wird dieser öffentlich-rechtlichen Ver­ pflichtung in einem Urteil vom 17. 4. 1916 unmittelbare Privatrechts- und Kollisionsrechtswirkung mit der Begründung zuerkannt98, die Konzessio­ nierung ausländischer Versicherer erfolge „von vornherein nur unter der Voraussetzung der ausschließlichen Anwendbarkeit des schweizerischen Rechts auf alle von den betreffenden Versicherungsgesellschaften in der Schweiz abzuschließenden Versicherungsverträge“99. 94 Art. 2 Nr. 4 VAG a. F., Art. 14II VAGn. F. (Geschäftsstelle). Gemäß Art. 13II KautionsG gilt als Hauptdomizil die Stadt Bem, solange der Versicherer mit dieser Verpflichtung säumig ist. 95 Dazu Cour de Justice Civile de Geneve 26. 12. 1903, SVA 1 (1905) Nr. 11 (S. 5). 96 Art. 2 Nr. 4 VAG a. F.; Art. 27 VAG n. F. 97 BG 8. 6. 1889, BGE 15, 412 = SVA 1 (1905) Nr. 8 (S. 2). Ebenso BG 2. 3. 1894, BGE 20, 186 (189): „II faut en conclure, ... que la loi a voulu astreindre les Compagnies d’assurance ä se soumettre aussi au droit materiel suisse pour les contrats conclus en Suisse avec des assures Suisses“. BG 12. 7. 1917, SVA 4 (1917-1921) Nr. 281 (S. 551): „(Les) contrats sont, tant pour leur contenu que pour leurs effets, soumis en droit suisse en vertu de la concession accordee par le Conseil federal aux Compagnies etrangeres en application.. vgl. auch BG 23. 2. 1894, BGE 20, 163 (167f). Dagegen erwähnen die - vorhergehenden Entscheide BG 26. 4. 1890, BGE 16, 366; 30. 4. 1892, BGE 18, 314; 16. 12. 1892, BGE 18, 368 die aufsichtsrechtlichen Normen nicht. 98 Privatrechtswirkung legte sich das Aufsichtsgesetz von 1885 in Art. 2 Nr. 4 Satz 5 ausdrücklich insoweit zu, als AVB-Bestimmungen, die gegen die in Nr. 4 enthaltenen Ver­ pflichtungen verstoßen, ungültig waren; ebenso Art. 30 VAG n. F. Dem entspricht dann die kollisionsrechtliche Wirkung der Verpflichtung, sich dem schweizerischen Recht zu unter­ werfen. 99 BG 17. 4. 1916, BGE 42 II179 = SVA 3 (1911-1916) Nr. 263 (S. 577). Das Gericht weist ergänzend auf Art. 1 der Allgemeinen Konzessionsbedingungen des Eidgenössischen Versiche­ rungsamtes hin, wonach Bestimmungen in den AVB, welche mit den zwingenden Normen der

Bemerkenswert erscheint diese, durch den Entscheid vom 8. 6. 1889 eingeleitete Entwicklung in der schweizerischen Judikatur vor allem, wenn man sie vor dem Hintergrund einer nur vier Jahre früher ergangenen Entscheidung sieht, in der das Bundesgericht Verträge generell jenem Recht unterstellen wollte, „welches die Par­ teien beim Geschäftsabschluß als maßgebend entweder wirklich betrachteten oder dessen Anwendung sie doch vernünftiger- und billigerweise erwarten konnten und mußten“100. Der in Art. 2 Nr. 4 schweizer. VAG verwirklichte Schutz des Versiche­ rungsnehmers bei der Durchsetzung seiner Ansprüche gegenüber ausländischen Versicherern (inländischer Erfüllungsort, inländischer Gerichtsstand) wird, ohne daß es hier um die Durchsetzung zwingender, den Versicherungsnehmer schützen­ der Normen gegangen wäre101, auch für die Rechtsanwendungsfrage fortgedacht: Kollisionsrechtlich wird der Versicherungsnehmer davor bewahrt, im Anwen­ dungsbereich des schweizerischen Versicherungsaufsichtsgesetzes mit einer fremden Rechtsordnung konfrontiert zu werden. Man wird in der Annahme nicht fehlgehen, wenn man die Rechtsprechung des Bundesgerichts als eine Antwort auf ein Dilemma begreift: Weil die „allgemeinen Grundsätze“ des schweizerischen internationalen Vertragsrechts keinen Ansatzpunkt geboten haben, um den inländischen Geschäfts­ betrieb im Inland konzessionierter102 Versicherer zwingend dem inländischen Recht zu unterstellen, wurde von der Rechtsprechung der Weg über das Aufsichtsrecht eingeschlagen, um die Anwendung inländischen Rechts durchzusetzen103. Für das französische Recht haben einige Stimmen im Schrifttum104 aus dem Anwendungsanspruch des französischen Versicherungsaufsichtsrechts kol­ lisionsrechtliche Folgerungen abzuleiten versucht, ohne daß dem die Recht­ sprechung gefolgt wäre105. 106 Kollisionsrechtliche Bedeutung hat man vor­ nehmlich zwei in den dreißiger Jahren erlassenen Bestimmungen beizumes­ sen versucht.

Mit dem Dekret vom 30. 10. 1935 wurde das Aufsichtsgesetz vom 15.2. 1917106in seinem Art. 2 dahingehend ergänzt, daß ausländische Versicherer zusätzlich zur Bundesgesetzgebung (Artt. 97, 98 VVG) in Widerspruch stehen, keine Gültigkeit haben; Berichte des Eidgenössischen Versicherungsamtes (1913) 187. Damit werde-so das Bundesge­ richt - stillschweigend vorausgesetzt, daß im Rahmen des Anwendungsbereichs des VAG schweizerisches Privatrecht gelte. 100 BG 18. 7. 1885, BGE 11, 357 (364). 101 Erst BG 17. 4. 1916, BGE 42II179 = SVA 3 (1911-1916) Nr. 263 (S. 577) konnte auf die zwingende Natur vieler Bestimmungen des 1908 erlassenen schweizerischen VVG hin weisen. 102 Nur auf konzessionierte Versicherer bezieht sich der kollisionsrechtliche Anwendungsan­ spruch des schweizerischen Aufsichtsrechts: BG 17. 4. 1916, BGE 42 II 179 = SVA 3 (1911­ 1916) Nr. 263 (S. 577); 12. 7. 1917, SVA 4 (1917-1921) Nr. 281 (S. 551); 17. 9. 1925, BGE 51II 406 = SVA 5 (1922-1926) Nr. 197 (S. 400). 103 Kritik vor allem bei Meili II305. 104 Picard (oben § 1 N. 127) 137; Picard/Besson (oben § 1 N. 114) 619ff. (Nr. 293f., 301 f.); Picard/Besson (oben § 1 N. 134) 66 (Nr. 40). 105 Darauf weisen hin: Toubiana (oben § 1 N. 113) Nr. 20 (vorsichtig abwägend); du Pontavice (oben § 1 N. 113) Nr. 13; Monette/de VILI/ANDR II 519 (Nr. 790). 106 J.O., 16. 2. 1917, S. 1257; Text des Art. 2II oben § 1 N. 119.

Erlangung einer Bewilligung für den Geschäftsbetrieb in Frankreich ein Versiche­ rungsvertragsregister (repertoire) anzulegen haben, in das jeder Versicherungsver­ trag „souscrit ou excut par eux en France ou en Algerie, ou tout contrat d’assurance accepte par eux et concernant une personne, un bien ou une responsabilite en ces memes territoires" eingetragen werden muß107. Die fehlende Eintragung sollte die zivilrechtliche Nichtigkeit des Vertrages bewirken108, eine Folge, die dann durch Art. 42II des Gesetzes vom 14. Juni 1938 dahingehend abgeschwächt worden ist, daß die Nichtigkeit nicht Versicherungsnehmern, Versicherten bzw. Bezugsberechtigten „de bonne foi“ entgegengesetzt werden kann109. Das Dekret vom 12. 1. 1937 bestimmte in seinem Art. 3:110 „Les conditions generales des polices d’assurances directes de risques concernant une personne, un bien ou une responsabilite en France (ou en Algerie) doivent respecter les dispositions des articles 29 et 32 du decret du 8 mars 1922 et celles de la loi du 13juillet 1930, en tant que les dispositions de ces textes sont applicables aux risques garanties, stipuler election de domicile en France (ou en Algerie) et attribution de jurisdiction aux tribunaux franais".

Aus beiden Dekreten hat man gefolgert, daß französisches Versicherungs­ privatrecht zwingend auf Versicherungsverträge in Frankreich konzessio­ nierter ausländischer Versicherer anzuwenden sei, die vom Versicherungs­ aufsichtsrecht erfaßt, also entweder in Frankreich abgeschlossen oder erfüllt werden, oder aber sich auf ein in Frankreich belegenes Risiko beziehen111. Außerhalb des so umrissenen zwingenden (Mindest-) Anwendungsbereichs sollten die „allgemeinen Grundsätze“ des internationalen Vertragsrechts zur Anwendung gelangen. Beide Dekrete sprechen die kollisionsrechtliche Frage offensichtlich nicht unmit­ telbar an112. Wenn das - unbestritten113 - fiskalischen Zwecken dienende Dekret vom 30. 10. 1935 die zivilrechtliche Sanktion der Nichtigkeit vorsah114, greift der interna­ tionale Anwendungsanspruch des Aufsichtsrechts zwingend insoweit in das Privat­ recht ein, als - unabhängig davon, welcher Rechtsordnung der Versicherungsvertrag „an sich“ untersteht - eine zivilrechtliche Teilfrage - die Gültigkeit des Vertrages 107 Art. 2II,J.O., 31. 10. 1935, S. 11575. 108 Art. 2IV: „Est nul tout contrat d’assurance non inscrit dans le mois ä compter de sa date au repertoire prevu au present article". 109 J.O., 16. 6. 1938, S. 6811, abgedruckt bei SCHMIDT/BÜHNEMANN (oben § 1 N. 118) 236. 110 Text abgedruckt bei Picard (oben § 1 N. 127) 140. 111 Picard (oben § 1 N. 127) 137; Basedow 40, 58; Picard/Besson (oben § 1 N. 114) Nr. 301; Picard/Besson (oben § 1 N. 134) 65 f. (Nr. 40). 112 Batiffol/Lagarde II Nr. 587 N. 13-1 (die Unterwerfung unter das französische Recht sei nur „indirekt“, mittelbar). 113 Toubiana (oben § 1 N. 113) Nr. 17; Basedow 58; Picard (oben § 1 N. 127) 140; Berr, Le contrat d’assurance dans la C.E.E. (1975) 319. 114 Vgl. auch Art. 2 I 2 in Verbg. mit Art. 7 des Gesetzes vom 14. 6. 1938: Nichtigkeit der Verträge, die von nichtkonzessionierten Versicherern in Frankreich geschlossen werden; jedoch Schutz für Versicherungsnehmer „de bonne foi“.

zumindest auch nach französischem Recht zu beurteilen ist. Folgert man, wie etwa Picard es tut115, aus der Anwendbarkeit französischen Rechts für diese Teilfrage, daß damit auch der ganze Vertrag dem französischen Privatrecht zu unterstehen hat, so wird nichts anderes als der allgemeine Grundsatz postuliert, daß die allgemeinen Regeln des internationalen Vertragsrechts im Rahmen des Anwendungsbereichs öffentlich-rechtlicher Eingriffsnormen verdrängt werden, wenn die Eingriffsnor­ men mit zivilrechtlichen Sanktionen arbeiten. Eine solche Folgerung erscheint je­ doch wenig überzeugend116. Die zivilrechtliche Wirksamkeit eines Vertrages läßt sich ohne Not durch eine gesonderte Anknüpfung öffentlich-rechtlicher Eingriffsnor­ men, die eine zivilrechtliche Durchsetzung beanspruchen, beurteilen, ohne daß dies auf die Bestimmung des Vertragsstatuts ausstrahlen müßte. Soweit das Dekret vom 12. 1. 1937 den (ausländischen) Versicherern vor schrieb, bei der Formulierung und Verwendung der Versicherungsbedingungen die zwingen­ den Normen des französischen Versicherungsprivatrechts zu beachten117, stellte sich hier das allgemeine Problem, ob und in welcher Weise öffentlich-rechtliche Normen, die ein bestimmtes zivilrechtliches Verhalten der Versicherer vorschreiben, ihre Durchsetzung instrumentieren. Das Gesetz mag sich dabei durchaus mit der rein öffentlich-rechtlichen Sanktion des Widerrufs der Konzession begnügen wollen118, um die Beachtung und Durchsetzung des französischen Privatrechts den „allgemei­ nen Regeln“ des französischen IPR zu überlassen. Für rein nationale Sachverhalte erscheint eine solche öffentlich-rechtliche Sanktion auch durchaus ausreichend, wenn und soweit das Privatrecht mit zwingenden Nor­ men arbeitet. Die Durchsetzung dieser Normen ist, unabhängig von der Formulie­ rung der Versicherungsbedingungen, garantiert. Die öffentlich-rechtliche Sanktion des Widerrufs der Konzession ist allein ein zusätzliches Druckmittel, um eine den zwingenden Normen angepaßte Formulierung der Versicherungsbedingungen zu erreichen. Bei internationalen Sachverhalten ist die Situation insofern anders, als über die Anwendbarkeit des zwingenden Versicherungsprivatrechts erst die „allgemeinen Regeln“ des IPR entscheiden und damit bei Disharmonien im Anwendungsanspruch des Aufsichts- und des Vertragsrechts der Versicherungsnehmer unter Umständen ohne Schutz der zwingenden Privatrechtsnormen bleibt. Die auf das öffentlich­ rechtliche Instrument des Konzessionswiderrufs beschränkte Durchsetzung des Auf­ sichtsrechts erscheint jedenfalls dann unbefriedigend, wenn das Kollisionsrecht sich nicht am Schutzanspruch des materiellen Rechts orientiert. Die von Picard119 vertretene These der unmittelbaren kollisionsrechtlichen Rele­

1,5 Picard (oben § 1 N. 127) 140. 116 Kritik bei Toubiana (oben § 1 N. 113) Nr. 16; Berr (oben N. 113) 319. 117 SieheobenbeiN.110. 118 So insbesondere Batiffol/Lagarde II Nr. 587 N. 13-1; Toubiana (oben § 1 N. 113) Nr. 19. 119 Picard (oben § 1 N. 127) 140; ihm folgt Basedow 58; anders aber ebd. 46, wo Basedow eine unmittelbar kollisionsrechtliche Relevanz der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen ablehnt, um im Rahmen der Vertragsanknüpfung den faktischen Einfluß zu berücksichtigen, den Versicherungsaufsicht auf den Versicherungsvertrag ausübt.

vanz des Dekrets vom 12. 1. 1937120 versucht dem durch eine - im übrigen durchaus fragwürdige121 122 - Interpretation des Dekrets abzuhelfen. Die Argumente, mit denen er seine Interpretation im einzelnen begründet, machen jedoch klar, daß es ihm allein darum geht, aus dem weitgehenden Schutz des Versicherungsnehmers durch zwin­ gende Normen, den sozial- und gesellschaftspolitischen Charakter des Gesetzes („loi de police et de suret")122 und dem damit verbundenen öffentlichen Interesse123 kollisionsrechtliche Konsequenzen zu ziehen, deren Geltung de lege lata (statt eines bloß rechtspolitischen Vorschlags) am Dekret vom 12. 1. 1937 festgemacht werden soll.

b) Zur Auslegung der §§ 105 ff. VAG Der Gesetzgeber des Versicherungsaufsichtsgesetzes hat den §§105 ff. (§§ 85 ff. a. F.) keine kollisionsrechtliche Bedeutung zugemessen. Weder die Gesetzesbegründung noch die sonstigen Materialien zur Entstehungsge­ schichte lassen auch nur den geringsten Hinweis auf eine kollisionsrechtliche Relevanz einzelner Normen erkennen. Im Gegenteil: Die Gesetzesbegrün­ dung hebt gegenüber der zu erwartenden Kritik, daß das Vertragsrecht nicht mitgeregelt worden ist124, ausdrücklich hervor, daß das Versicherungsauf­ sichtsgesetz sich auf die „Regelung der öffentlich-rechtlichen Seite des Versi­ cherungswesens“ beschränke, während die Ordnung des Vertragsrechts und damit auch das Kollisionsrecht125 - einem besonderen Gesetz Vorbehal­ ten bleiben solle126. 120 Picard/Besson (oben § 1 N. 134) 66 (Nr. 40) gehen von einem (zwingenden) Anwen­ dungsanspruch des Versicherungsvertragsgesetzes von 1930 für alle „contrats souscrits ou executes en France“ aus: „A cet egard, un risque est considere comme situe en France lorsque l’assurance porte sur une personne, un bien ou une responsabilite en France, ...“. 121 Immerhin besagt der Wortlaut des Art. 3 des Dekrets vom 12. 1. 1937 nur, daß die AVB die zwingenden Normen des Gesetzes vom 13. 7. 1930 zu beachten haben, soweit diese Normen anwendbar sind („.. .en tant que les dispositions de ces textes sont applicables aux risques garantis“). Die kollisionsrechtliche Frage will das Dekret offensichtlich nicht selbst entscheiden, sondern den „allgemeinen Regeln“ des Kollisionsrechts überlassen. 122 Picard (oben § 1 N. 127) 141. 123 Picard (oben § 1 N. 127) 137: „Disons simplement que le contrat d’assurance est soumis a une reglementation qui interesse l’ordre public ..." 124 Kritik daran wurde in den Beratungen des Reichstags, 10. Sitzung vom 29. 11. 1900, geübt zum Beispiel von den Abgeordneten Dr. Lehr, abgedruckt in: Motive zum VAG (oben § 2 N. 244) 71 f; Dr. Rettich, ebd. 76, Dr. Opfergelt, ebd. 69; Dr. Müller-Meiningen, ebd. 77, Schrader, ebd. 81 („zunächst sind ausgelassen alle Bestimmungen über das Privatrecht. Dar­ über ist man einig, daß diese Bestimmungen hätten mitaufgenommen werden müssen...“); abweichend Staatsminister Dr. Graf Posadowsky-Wehner, ebd. 85. 125 Das VVG brachte dann mit § 59 II 2 für die Doppelversicherung nur eine vereinzelte Regelung mit kollisionsrechtlicher Bedeutung. 126 Gesetzesbegründung zum VAG 32, in: Motive zum VAG (oben § 2 N. 244) 22. Der wesentliche Grund hierfür lag nicht etwa in der rechtssystematischen Trennung des öffentlichen

Daß der Gesetzgeber mit den §§ 105 ff. VAG keine kollisionsrechtliche Regelung treffen wollte, erhellt zudem folgende Überlegung: Die Judikatur des 19. Jahrhun­ derts hatte sich mit der Frage beschäftigt, ob und welche Privatrechtswirkungen den behördlichen Konzessionsbedingungen zukommen konnte. Das Reichs-Oberhan­ delsgericht hatte in seinem Urteil vom 27. 6. 1874 zwar eine unmittelbare Privat­ rechtswirkung solcher behördlichen Bedingungen verneint127, um sie dann jedoch „als in die lex contractus jedes einzelnen Vertrags aufgenommen“ anzusehen128. Mit dem Versicherungsaufsichtsgesetz wurde die für notwendig gehaltene gesetzliche Rege­ lung geschaffen; die §§85ff. VAG a.F. brachten zwar eine Regelung über einen unabdingbaren inländischen Gerichtsstand, nicht aber über eine zwingende Unter­ werfung unter inländisches Privatrecht, wie es die Konzessionsbedingungen einiger deutscher Staaten im 19. Jahrhundert vorgesehen hatten129.

Die deutsche Rechtsprechung hat den §§ 105 ff. VAG, wenn überhaupt, nur mittelbare kollisionsrechtliche Bedeutung zuerkannt, etwa bei der Konkre­ tisierung des mutmaßlichen Willens der Parteien oder bei der Formulierung des Betriebsstatuts im Sinne einer Anknüpfung an den Ort der Niederlas­ sung des Versicherers. Seltenheitswert hat eine Entscheidung wie die des Landgerichts Hamburg vom 28. 3. 1934, in der die Anwendung des Rechts am Ort der Niederlassung auf einen Vertrag aus dem Anwendungsanspruch des Aufsichtsrechts gefolgert wird: Die Zulassung eines ausländischen Ver­ sicherers zum inländischen Geschäftsbetrieb habe „auch beim Fehlen aus­ drücklicher gesetzlicher Vorschriften nach der ausnahmslosen Gepflogen­ heit in allen Ländern zur Folge, daß die Versicherungsverträge nicht nach dem Statute des Betriebsorts, sondern nach dem Statute der Niederlassung abgeschlossen werden. Den durch die Zulassung erworbenen Rechten ent­ sprechen die Pflichten, die auch den inländischen Versicherungsunterneh­ men obliegen“130. Das Schrifttum hat dem Versicherungsaufsichtsgesetz ganz überwiegend jede unmittelbar kollisionsrechtliche Bedeutung abgesprochen131. Versiche-

vom privaten Recht, die sich auch in einer formalen Trennung der Gesetze äußern sollte, sondern vor allem darin, daß das Versicherungsaufsichtsgesetz nicht die öffentlichen Anstalten erfassen, das Vertragsrecht aber auch für diese gelten sollte. 127 ROHG 27. 6. 1874, ROHGE 14, 36 (37): „Der Staat, welcher bei der Concessionierung des Geschäftsbetriebes einer Versicherungsan­ stalt im Interesse seiner Angehörigen gewisse Bestimmungen, insbesondere über die gericht­ liche Geltendmachung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag aufstellt, schafft aller­ dings keine Rechtssätze. Dazu bedürfte er anderer Organe, als der zur Concessionierung berufenen Verwaltungsbehörden“. 128 ROHG 27. 6. 1874 (vorige Note) 38 mit der Begründung, daß der Versicherer „nur aufgrund der erhaltenen Concessionen kontrahieren darf*. 129 Dazu Meili II305. 130 LG Hamburg 28. 3. 1934, IPRspr. 1935-44 Nr. 110 (S. 209). 131 Bar (oben §2 N. 25) 414 N. 6 (ausdrücklich gegen die Judikatur des schweizerischen Bundesgerichts), 417f.; Hagen 59; Rothe 29; Gierke 74 mit N. 8 gegen Bruck; Ehrenzweig

rungsaufsicht über ausländische Versicherer wird - wenn überhaupt - nur im Rahmen der Formulierung der Kollisionsnorm, also bei der Bestimmung des maßgeblichen Anknüpfungspunktes, berücksichtigt. Eine Gegenposition hat vor allem Bruck entwickelt132: Versicherungsver­ träge sollen grundsätzlich nach dem Recht des Betriebsortes (dem Recht am Sitz des Versicherungsunternehmens) beurteilt werden, eine Anknüpfung, die im wesentlichen mit wirtschaftlichen und versicherungstechnischen Überlegungen begründet wird133. Für den inländischen Geschäftsbetrieb aus­ ländischer, im Inland konzessionierter Versicherer soll jedoch deutsches Recht gelten, weil die „Zulassung zum inländischen Geschäftsbetrieb... unter der Voraussetzung“ erfolge, „daß die Versicherungsverträge nicht nach dem Statut des Betriebsortes, sondern nach dem Recht, das an dem Ort der Niederlassung gilt, abgeschlossen werden“134. Bruck bezieht sich dabei ausdrücklich auf die oben näher analysierte Rechtsprechung des schweizeri­ schen Bundesgerichts135, die dem schweizerischen Versicherungsaufsichts­ gesetz kollisionsrechtlichen Gestaltungswillen zugesprochen hat. Bruck orientiert den kollisionsrechtlichen Anwendungsanspruch des Versiche­ rungsaufsichtsgesetzes dabei nicht am Anwendungsbereich des § 105 I (§ 85 I a. F.) VAG, sondern macht ihn von der Konzessionierung des ausländischen Versicherers abhängig. Damit kommt er zu weitgehend ähnlichen Ergebnissen wie die herrschen­ de Lehre. Der aufsichtsrechtliche Ansatz wird jedoch entscheidend, wenn ein Vertrag unter Ausschaltung der inländischen Niederlassung geschlossen wird: Die für den inländischen Geschäftsbetrieb erteilte Konzession bewirkt dann, daß ein Versiche­ rungsvertrag, der nach §§ 106 und 107 VAG zum deutschen aufsichtsrechtlichen Bestand zu zählen ist, zwingend dem deutschen Privatrecht untersteht136.

(oben § 2 N. 25) 30; Prölss, RabelsZ 16 (1951) 203 (204); Bruck/Möller I Einl. Bem. 89ff.; Prölss/Martin Vorbem. V 1, 2; Preuss 9 N. 30. 132 Bruck 29ff.; Bruck (oben §2 N. 107) 44f. Vgl. auch Josef, Internationales Recht im Versicherungsverkehr: NiemZ 25 (1915) 492 (501), wonach bei der inländischen Geschäftstätig­ keit ausländischer, im Inland konzessionierter Versicherer die „Absicht des Gesetzes“ dahinge­ he, daß lediglich das deutsche Recht anzu wenden sei. Josef stützt dieses Ergebnis zugleich auch auf die Absicht des „Hauptbevollmächtigten und der mit ihnen abschließenden Versicherungs­ nehmer“. 133 Bruck 10 ff; ders. (oben § 2 N. 107) 39 f. 134 Bruck 29 ff; ders. (oben § 2 N. 107) 45: „Ein ausdrücklicher Ausspruch hierüber findet sich zwar nicht in der deutschen Gesetzge­ bung, aber die Anwendung des inländischen materiellen Versicherungsrechts entspricht dem Zwecke der Konzession, die nicht nur Rechte verleiht, sondern auch Pflichten auferlegt. Die Konzession zwingt der Niederlassung das materielle deutsche Recht auf". 135 Bruck (oben § 2 N. 107) 45 N. 30. 136 Bruck (oben § 2 N. 107) 45, 47. Ein kollisionsrechtliches Regelungsinteresse für die inländische Geschäftstätigkeit nichtkonzessionierter Versicherer wird damit verneint, obwohl das VAG dafür eine Konzession verlangt (46 f), - ein wenig einleuchtendes Ergebnis.

c) Stellungnahme

Die von Bruck behauptete kollisionsrechtliche Maßgeblichkeit der Konzessionierung ausländischer Versicherer bedarf, da es an einem ausdrückli­ chen Ausspruch des Gesetzgebers fehlt137, einer eingehenderen Prüfung als Bruck sie liefert. Seine These, die Erteilung der Erlaubnis zum inländischen Geschäftsbetrieb erfolge unter der Voraussetzung, daß die Versicherungs­ verträge dem Recht am Ort der Niederlassung unterstehen, bleibt eine Behauptung138. Der Verweis auf die schweizerischen Konzessionsbedingun­ gen, wonach Bestimmungen in Versicherungsbedingungen, welche mit den zwingenden Vorschriften der schweizerischen Bundesgesetzgebung im Wi­ derspruch stehen, für das schweizerische Gebiet keine Gültigkeit haben139, ist für das deutsche Recht wenig ergiebig, da das Versicherungsaufsichtsgesetz keine entsprechende Bestimmung kennt. (1) Verklammerung zwischen Versicherungsaufsichtsgesetz und Versicherungspriuatrecht? - Eine kollisionsrechtliche Relevanz der §§ 105 ff. VAG mag man auf die im Versicherungsvertragsgesetz und AGB-Gesetz verwirklichte Ver­ klammerung zwischen Privatrecht und Aufsichtsrecht zu stützen versuchen - eine Verklammerung, die immer nur dann zu greifen vermag, wenn die Geschäftstätigkeit des ausländischen Versicherers vom deutschen Aufsichts­ recht erfaßt wird. Das Versicherungsvertragsgesetz nimmt in einer Reihe von Bestimmungen-§§40II3, 8911, 159IV, 174IV2, 176IV, 178II2, 189II-ausdrücklich auf die Versicherungsaufsicht Bezug, wenn Abweichungen vom Gesetz nur mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde zugelassen werden. § 23 III AGBG bestimmt, daß aufsichtsbehördlich genehmigte Versiche­ rungsbedingungen auch dann Vertragsbestandteil werden können, wenn die in § 21 Nr. 1 und Nr. 2 AGBG bezeichneten Erfordernisse, die Hinweis-und Kenntnisverschaffungsobliegenheiten des Versicherers, nicht erfüllt worden sind140. Diese im deutschen Privatrecht vorgesehene Privilegierung der geneh­ migten AVB läßt indes keinen zwingenden Schluß auf einen kollisionsrecht­ lichen Gestaltungswillen der §§ 105 ff. VAG zu. Die im Versicherungsver­ tragsgesetz und AGB-Gesetz geregelte Berücksichtigung der aufsichtsrecht­ lichen Genehmigung der AVB bedeutet zunächst nur eine Modifizierung ansonsten anzu wendender Normen zum Zwecke der Erleichterung des 137 So ausdrücklich Bruck (oben § 2 N. 107) 45. 138 Dasselbe gilt von der These, das Statut der Niederlassung sei eine „natürliche Folge der Konzession“; Bruck 30 N. 84; ders. (oben § 2 N. 107) 45 N. 30. 139 Bruck 29. 140 § 21 AGBG ist insoweit eine lex imperfecta.

Versicherungsgeschäftes und seiner größeren Flexibilität. Richterliche Kontrolle der AVB soll bei manchen Fragen - etwa der Angemessenheit einer Gebühr - in den Hintergrund treten können, wenn die in den AVB enthaltene Regelung von der Aufsichtsbehörde genehmigt worden ist. Da­ bei ist es durchaus denkbar, auf inlandsverknüpfte Sachverhalte deutsches Recht anzuwenden, obwohl deutsches Aufsichtsrecht keine Erlaubnis ver­ langt: Die in § 105 I VAG enthaltene Begrenzung des internationalen An­ wendungsbereiches mag Gründe haben, die für die kollisionsrechtliche Entscheidung ohne Bedeutung sind. (2) Kollisionsrechtliche Wirkungen der Zulassung zum inländischen Geschäfts­ betrieb? - Bruck hat die Anwendung deutschen Rechts auf Versicherungs­ verträge, die zum inländischen Bestand rechnen, als eine mit der Konzes­ sionserteilung notwendig verknüpfte Rechtsfolge gedeutet.

(a) Privatrechtswirkungen des Aufsichtsrechts. - Deutsches Versicherungs­ aufsichtsrecht beansprucht von sich aus in einer Reihe von Fällen Privat­ rechtswirkung. Die Verordnung vom 29. 11. 1940 ermächtigt das Auf­ sichtsamt ausdrücklich zur Änderung der AVB aller in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherer mit Wirkung für bestehende Vertrags Verhältnisse141. §§ 81a, 89 I 3 und 89 II VAG ermöglichen der Auf­ sichtsbehörde Eingriffe in bestehende Verträge (Stundung von Forderun­ gen, Herabsetzung der Verpflichtungen aus Lebensversicherungsverträgen) mit unmittelbar privatrechtsgestaltender Wirkung. § 14 I 4 VAG knüpft an die aufsichtsbehördliche Genehmigung einer Bestandsübertragung den Übergang der Rechte und Pflichten aus einem Versicherungsvertrag auch ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers142. § 14 I VAG gilt - ebenso wie die §§ 81a, 89 I 3, 89 II VAG - auch für den inländischen Bestand ausländischer, im Inland zum Geschäftsbetrieb zugelassener Unternehmen (§105 II VAG). Die Beispiele machen deutlich, daß Versicherungsaufsichtsrecht und Pri­ vatrecht als Regelungsbereiche anzusehen sind, die nicht vollkommen un­ verbunden nebeneinander stehen. Die Durchsetzung der vom Versiche­ rungsaufsichtsgesetz verfolgten Ziele wird nicht nur durch Anordnungen gegenüber den Unternehmen, zu deren Beachtung und Durchführung die­ se verpflichtet sind, verfolgt, sondern auch durch privatrechtsgestaltende Eingriffe selbst. Zugleich wird aber deutlich, daß eine solche privat­ 141 Verordnung über die Anwendung Allgemeiner Versicherungsbedingungen vom 29. 11. 1940, RGBl I 398, abgedruckt auch bei Prölss/Schmidt/Frey § 81a, nach Rz. 12. 142 Zu den weiteren privatrechtlichen Wirkungen einer Bestandsübertragung: Prölss/ Schmidt/Frey § 14 Rz. 26; die privatrechtsgestaltende Wirkung der Genehmigung der Auf­ sichtsbehörde leugnet OLG Zweibrücken 30. 5. 1979, VersR 1980, 57.

rechtsgestaltende Wirkung behördlicher Maßnahmen nur dort angenom­ men werden kann, wo sie vom Gesetz ausdrücklich angeordnet wird. Die dem ausländischen Versicherer erteilte Erlaubnis zum inländischen Geschäftsbetrieb begründet die öffentlich-rechtliche Verpflichtung, den von ihnen abgeschlossenen Versicherungsverträgen die von der Aufsichtsbehör­ de genehmigten AVB zugrundezulegen (§ 105 II in Verbg. mit § 10 III VAG). Diese Verpflichtung sanktioniert das Versicherungsaufsichtsgesetz mit der Zwangsvorschrift des § 81 III (in Verbg. mit § 81 I, II 2) VAG, in schweren Fällen mit dem Widerruf der Geschäftserlaubnis (§ 87 I Nr. 2 VAG). Eine darüber hinausreichende unmittelbare Wirkung auf die Ver­ tragsverhältnisse in dem Sinne, daß die von der Aufsicht genehmigten AVB automatisch Vertragsinhalt werden, kommt der Konzessionierung und der mit ihr verbundenen Genehmigung der AVB nicht zu. Der Versicherer muß seine öffentlich-rechtlichen Pflichten erfüllen, also die genehmigten AVB verwenden, um die Vorteile des § 23 III AGBG zu realisieren. Sind mit der Erlaubniserteilung keine, die Rechtsbeziehungen zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer unmittelbar gestaltenden Wirkungen verbunden, wird man ihr auch keine unmittelbare kollisionsrechtliche Wir­ kung zusprechen können.

(b) Geschäftserlaubnis für Unternehmen mit Sitz im Inland. - Sollen aus der Konzessionierung ausländischer Versicherer unmittelbare Folgen für die kol­ lisionsrechtliche Entscheidung abgeleitet werden, bedarf auch die Frage einer Klärung, welche Rechtsfolgen für das Kollisionsrecht mit der Ertei­ lung einer Konzession für Versicherer mit Sitz im Inland verbunden sind, wenn und soweit sich diese Erlaubnis auch auf das Auslandsgeschäft bezieht. Deutsches Versicherungsaufsichtsrecht erfaßt alle geschäftlichen Tätig­ keiten der Versicherer mit Sitz im Inland. Die in § 6 I VAG vorgesehene Begrenzung der Erlaubnis „für den Geltungsbereich dieses Gesetzes“ steht ausdrücklich unter dem Vorbehalt einer anderweitigen Bestimmung im Geschäftsplan des Versicherers. Will ein Versicherer im Ausland tätig wer­ den, bedarf er dazu der Erlaubnis, die sich aus der Genehmigungsurkunde ergeben muß143. Bezieht sich die Erlaubnis der Aufsichtsbehörde nur auf das Inland, ist die Aufnahme des Auslandsgeschäfts als Geschäftsplanänderung im Sinne von § 13 I in Verbg. mit § 5 II VAG erlaubnispflichtig144. Trotz dieser Erlaubnispflicht für das Auslandsgeschäft hat Bruck der einem inländischen Versicherer erteilten Geschäftserlaubnis keine kollisions­ 143 Goldberg/Müller § 6 Rz. 3. Nach Koenige/Petersen § 5 Rz. 3 darfeine Zulassung nicht auf eine ausländische Tätigkeit beschränkt erteilt werden; anderer Ansicht: BERLINER/FROMM § 3 Bem. 3, wonach ein Versicherer, der laut Geschäftsplan nur im Ausland tätig werden will, nicht unter das VAG fällt. 144 Prölss/Schmidt/Frey § 13 Rz. 3; Goldberg/Müller § 13 Rz. 6.

rechtliche Bedeutung beigemessen, ohne jedoch hierfür eine Begründung zu geben.

Versicherungsverträge inländischer Versicherer sollen aufgrund anderer Überle­ gungen - Massencharakter des Versicherungsvertrages, versicherungstechnische Gesichtspunkte145 - grundsätzlich dem Recht am Sitz des Versicherers auch dann unterstehen, wenn der Versicherer ein Geschäft „über die ganze Welt ausdehnt“146. Erst wenn im Ausland eine Niederlassung eingeschaltet wird, soll das Statut der Niederlassung147 an die Stelle der Anknüpfung an den Sitz des Versicherers treten.

Eine Erklärung für die fehlende kollisionsrechtliche Bedeutung einer einem Versicherer mit Sitz im Inland erteilten Erlaubnis, die Bruck nicht liefert, wird man vor allem in zwei Richtungen suchen müssen. Wollte man der Konzession für Versicherer mit Sitz im Inland kollisions­ rechtliche Konsequenzen zusprechen, würde dies dazu führen, daß das gesamte Auslandsgeschäft deutscher Versicherer dem inländischen Recht unterstünde. Denn anders als die §§ 105 ff. VAG lassen sich den §§1,6 VAG keine für das internationale Vertragsrecht tauglichen Kriterien einer Selbst­ beschränkung des Anwendungsanspruchs entnehmen. Deutsches internationales Versicherungsaufsichtsrecht erhebt einen um­ fassenden Regelungs- und Kontrollanspruch über das Auslandsgeschäft im Inland zum Geschäftsbetrieb zugelassener Versicherer, um die Solvenz der Unternehmen und damit die Erfüllbarkeit der dem inländischen Geschäft zuzurechnenden Verträge zu sichern. Dieser weitreichende Anwendungsan­ spruch, der die Gefahr einer vielfachen Kumulierung der Aufsichtszustän­ digkeiten und -maßnahmen heraufbeschwört, wird durch spezielle Sach­ normen und vor allem in der Aufsichtspraxis148 den Bedürfnissen der inter­ national tätigen Versicherer in flexibler Weise angepaßt: § 66 IV VAG149 und § 54c VAG signalisieren Rücksichtnahme auf die Anforderungen, die aus­ ländisches Aufsichtsrecht stellen mag. Diese auf der Ebene des materiellen Aufsichtsrechts erfolgenden Anpassungen an die Internationalität des Versi­ cherungsgeschäfts ergeben keine brauchbaren Lösungen für das Kollisions­ recht. 145 Bruck lOf. 146 Bruck (oben § 2 N. 107) 40f. 147 In Brucks Terminologie: Das „Statut der Niederlassung“ trete an die Stelle des „Status des Betriebsorts“; exakter wäre es, vom „Statut des Hauptsitzes“ zu sprechen, da an beiden OrtenNiederlassung wie auch Hauptsitz - die Versicherung „betrieben“ im Sinne von „organisiert“ wird, vgl. Bruck 11, im Anschluß an Meili II 305 und Rolin, Des conflits de lois en matiere d’obligations et des deliberations de l’Institut de droit international sur cette question - Projet: Rev.dr.int. (Paris) 10 (1908) 573. 148 Prölss/Schmidt/Frey Vor § 105 Rz. 3: „Grundsatz der größeren Nähe“. 149 Eine Zuführung an den inländischen Deckungsstock darf insoweit unterbleiben, als im Ausland bezüglich bestimmter Versicherungsverträge eine besondere Sicherheit aus den Versi­ cherungsprämien zu stellen ist.

Inländische Aufsicht über ausländische Versicherer verwirklicht eine Kontrolle der Erfüllbarkeit der Verträge und des Inhalts der AVB zugun­ sten des im inländischen Geschäftsverkehr angesprochenen Versicherungs­ publikums. Dieser vertragsrechtliche Schutz der Versicherungsnehmer wird durch eine Auslegung der §§ 105 ff. VAG gefordert, die der Ge­ schäftserlaubnis unmittelbar kollisionsrechtliche Bedeutung beimißt. So­ weit Versicherungsaufsicht auch den Geschäftsverkehr inländischer Versi­ cherer im Ausland erfaßt, geht es immer nur um die Kontrolle möglicher Rückwirkungen auf den inländischen Versicherungsbetrieb150, nicht aber um den Schutz des ausländischen Versicherungspublikums. Dieser an der Ab­ wehr von Gefahren für die inländische Sozialordnung orientierte Schutz­ zweck begrenzt die internationale Reichweite der von §§ 5 I, 10 III, 13 VAG statuierten öffentlich-rechtlichen Verpflichtung, die von der Auf­ sichtsbehörde genehmigten AVB zu verwenden, auf den Geschäftsbetrieb im Inland. Ein vertragsrechtlicher Schutz des ausländischen Versiche­ rungspublikums liegt außerhalb des Anwendungsbereichs der §§10 III, 13 VAG.

(c) AVB-Kontrolle und Geschäjiserlaubnis. - Wer versuchen will, die kol­ lisionsrechtlichen Wirkungen der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb aus den Schutzzwecken der AVB-Kontrolle zu entwickeln, setzt sich vor allem zwei Einwänden aus. Nach deutschem Aufsichtsrecht ist die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb keineswegs in jedem Fall zugleich mit einer Kontrolle der AVB verbun­ den. Während sich dies heute unmittelbar aus der den Anforderungen der Ersten Koordinierungsrichtlinie vom 24. 7. 1973 angepaßten Regelung des § 5 VI VAG ergibt151, war dies auch bereits früher bei der Anwendung des § 148 a. F. VAG anerkannt: Soweit Versicherungen neben der Rückund Transportversicherung aufsichtspflichtige Zweige betrieben, fielen sie mit ihrem gesamten Versicherungsgeschäft unter die Aufsicht. Die Kon­ trolle beschränkte sich aber auf die technischen Grundlagen und den Ver­ lauf des Rück- und Transportversicherungsgeschäfts, ohne daß § 10 VAG Anwendung fand152. Da somit die Erlaubniserteilung für den inländischen Geschäftsbetrieb nicht in allen Fällen auf den privatrechtlichen Schutz des inländischen Publikums zielt, wird man die ihr zugeschriebenen kolli­ sionsrechtlichen Wirkungen von vornherein auf jene Bereiche begrenzen müssen, in denen die Versicherungsaufsicht von einem privatrechtlichen 150 Prölss, Umrisse des deutschen internationalen Versicherungsaufsichtsrechts, in: FS Ehrenzweig (1955) 207 (209). 151 In der Fassung des Gesetzes vom 18. 12. 1975, BGBl 13139. 152 Vgl. etwa Prölss/Schmidt/Sasse, VAG7 (1974) § 148 Bem. 5d); Berliner/Fromm § 148 Bem. 2a); Koenige/Petersen § 116 Rz. 1.

Schutzbedürfnis des inländischen Publikums ausgeht und die Erteilung einer Erlaubnis von einer Prüfung der AVB abhängig macht. Läßt man die Anwendung inländischen Vertragsrechts von der Ertei­ lung einer Zulassung für das inländische Versicherungsgeschäft abhängen, ergeben sich Schutzdefizite für das inländische Publikum, die mit dem in § 105 I VAG umschriebenen Regelungsanspruch in Widerspruch stehen. Werden ausländische Versicherer im Inland über Agenten, Vertreter oder Vermittler tätig, ohne vorher eine Zulassung zu erwerben, bedarf das in­ ländische Publikum zumindest desselben materiellrechtlichen und inter­ nationalprivatrechtlichen Schutzes wie im Verhältnis zu Versicherern, die dem § 105 I VAG Folge leisten. Eine auf den kollisionsrechtlichen Schutz des Publikums abzielende Regelung sollte ihre Entscheidung nach Qualität und Intensität der Be­ ziehungen zwischen Vertrag und inländischer Sozialordnung treffen, nicht aber danach, ob der ausländische Versicherer den Regelungsansprü­ chen des Aufsichtsrechts Folge leistet. Es besteht darüber hinaus kein Anlaß, ausländischen Unternehmen eine aufsichtsrechtlich unzulässige Tätigkeit im Inland dadurch zu erleichtern, daß durch Anknüpfung des Vertrages an den Sitz des Versicherers im Ausland dieser von den poten­ tiellen Belastungen durch inländische Schutznormen befreit und von den Lasten und Risiken der Anwendung einer fremden Rechtsordnung ent­ bunden wird. (3) Einwände gegen eine kollisionsrechtliche Relevanz des §105 VAG. Wollte man dem Aufsichtsrecht kollisionsrechtliche Bedeutung zuspre­ chen, müßte - entgegen Bruck - der maßgebende Ansatz nicht bei der erteilten Geschäftserlaubnis und ihren Rechtsfolgen153, sondern bei § 105 I VAG gesucht werden. Der in den §§105 I und 106 III 3 VAG umrissene Anwendungsanspruch des deutschen Aufsichtsrechts stellt auf Verknüpfun­ gen des Versicherungsgeschäftes zum Inland ab, die - wie noch zu zei­ gen sein wird - im wesentlichen den Anforderungen eines kollisions­ rechtlichen Versicherungsnehmerschutzes genügen. Wenn es hier trotz­ 153 Insbesondere §107 VAG; dazu Bruck 31 f.; ihm folgend das LG Hamburg 28. 3. 1934, IPRspr. 1935-44 Nr. 110 (S. 209f.). Bruck (oben §2 N. 107) 46 rechnet entgegen dem Verbot des § 107 VAG geschlossene Versicherungsverträge zum aufsichtsrechtlichen Bestand der Niederlassung und unterwirft sie daher auch dem vertragsrechtlichen Statut der Niederlassung. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Zum aufsichtsrechtlichen (Ist-)Bestand der Zweigniederlassung, der von der Aufsichtsbehörde auf seine technischen Grundlagen überprüft wird und für den die §§ 106 II, 109 und 105 I in Verbg. mit 10 VAG gelten, zählen nur solche Versicherungsverträge, die tatsächlich über die inländische Niederlassung (mit Versicherungsnehmern im Geltungsbereich des VAG bzw. über ein inländisches Grundstück, § 106 III 3 VAG) abgeschlossen werden, nicht auch solche, die über sie abge­ schlossen werden sollten (Sollbestand); Prölss/Schmidt/Frey § 107 Rz. 4.

dem abgelehnt wird, den §§ 1051, 106III3 VAG kollisionsrechtliche Bedeu­ tung beizumessen, dann aus den folgenden Überlegungen: Die §§ 105 I, 106 III 3 VAG als einseitige, die Anknüpfung von Versiche­ rungsverträgen mit Bezug zum Inland regelnde Kollisionsnormen auszule­ gen, macht nur Sinn, wenn die objektive Anknüpfung des Versicherungs­ vertrages das Regelungsziel des kollisionsrechtlichen Versicherungsnehmer­ schutzes nicht in sich aufnimmt, sondern sich an anderen Zwecken und Interessen orientiert. Eine solche Rollenverteilung zwischen den §§ 105 I, 106 III 3 VAG und einer allgemeinen Kollisionsnorm des internationalen Vertragsrechts bedeutet aber zugleich, daß potentielle Schutzbedürfnisse ausländischer Rechtsordnungen, die beim Auslandsgeschäft inländischer Versicherer tangiert werden, bei der Anknüpfungsentscheidung unberück­ sichtigt gelassen werden. Kollisionsrechtlicher Versicherungsnehmerschutz wird nur zugunsten des inländischen, nicht auch zugunsten des ausländi­ schen Publikums realisiert. Für eine solche Negierung ausländischer Sozial­ schutzinteressen besteht kein einleuchtender Grund. Werden die §§ 105 I, 106III3 VAG als einseitige Kollisionsnormen ausge­ legt, hat dies zur Folge, daß eine zwingende Anknüpfung des Versicherungs­ vertrages vorgenommen wird. Parteiautonomie würde nicht nur durch § 10 Nr. 8 AGBG begrenzt, sondern völlig ausgeschaltet. Dies ist aus zwei Gründen abzulehnen. Rechtswahlfreiheit ist bei Verträgen mit branchenunkundigen Versiche­ rungsnehmern gewiß problematisch und - wie noch zu zeigen sein wird weitgehenden Schranken unterworfen. Trotzdem besteht für einen völligen Ausschluß der Parteiautonomie kein Grund. Es lassen sich im Gegenteil Sachverhalte denken, in denen die Abwahl deutschen Rechts auch und gerade im Interesse der Versicherungsnehmer liegen kann. Die Erlaubnispflicht der §§ 105 I, 106 VAG ergreift auch Versicherungs­ zweige, in denen das Versicherungsaufsichtsgesetz selbst den Versicherungs­ nehmer nicht durch eine Kontrolle der AVB schützen will (§ 5 VI VAG). In diesen Zweigen besteht erst recht kein Anlaß, mit einer zwingenden An­ knüpfung des Versicherungsvertrages Parteiautonomie auszuschließen. § 105 I VAG läßt die Korrespondenzversicherung, in welcher Form auch immer sie betrieben wird, aufsichtsfrei. Die Gesetzesbegründung zum Ver­ sicherungsaufsichtsgesetz sieht kein „praktisches Bedürfnis“ dafür, die Kor­ respondenzversicherung aufsichtsrechtlich zu erfassen und verweist auf die „erheblichen Schwierigkeiten“, die einer effektiven Aufsicht über im Korre­ spondenzwege tätige Versicherer entgegenstehen154. Beide für die Aufsichts­ freiheit der Korrespondenzversicherung sprechenden Gesichtspunkte haben für die kollisionsrechtliche Problematik nicht dasselbe Gewicht. 154 Gesetzesbegründung zum VAG 93, in: Motive zum VAG (oben § 2 N. 244) 53.

Die Negierung eines „praktischen Bedürfnisses“ einer Kontrolle der Kor­ respondenzversicherung enthält eine Wertung, die sich an der typischen, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten Vertriebsform der Versicherung, der Akquisition durch Agenten, Vertreter und Vermittler, orientiert. Marktbearbeitungs- und -erschließ ungsstrategien im mail-order­ Wege, Rundfunk- und Fernseh-Werbung wurden erst im Verlaufe des 20. Jahrhunderts ermöglicht und erprobt. Der Gesetzgeber des Versicherungs­ aufsichtsgesetzes mochte noch davon ausgehen, daß ein im Korrespondenz­ wege geschlossener Vertrag typischerweise auf Initiative des Versicherungs­ nehmers zurückgeht, der Vertrag mit dem ausländischen Versicherer daher auf einer wohlabgewogenen Entscheidung des Versicherungsnehmers be­ ruht, die auch die mit einem zwischenstaatlichen Vertrag verbundenen Risiken, von Versichererseite her unbeeinflußt, kalkuliert und daher den Versicherungsnehmer als aufsichtsrechtlich nicht so schutzbedürftig erschei­ nen läßt155. Der Gesichtspunkt der Normeffektivität rechtfertigt für die kollisions­ rechtliche Lösung nicht notwendig dieselben Folgerungen wie für das Auf­ sichtsrecht. Während die Aufsicht die inländische Tätigkeit von Vermittlern und Agenten für nicht zugelassene Versicherer mit den Mitteln des Verwal­ tungszwangs156 bzw. des Strafrechts157 verhindern und sanktionieren kann, sind sinnvolle Instrumente, den reinen Korrespondenzabschluß zu kontrol­ lieren und zu verhindern, nicht zur Hand. Einer kollisionsrechtlichen Rege­ lung, die den Korrespondenzabschluß dem inländischen Recht unterwirft, eignet kein vergleichbares Durchsetzungsdefizit. Eine Klage vor inländi­ schen Gerichten ist nicht nur bei der Prämienklage des Versicherers, sondern auch bei Klagen des Versicherungsnehmers auf Leistung der Versicherungs­ summe zu erwarten, wenn die Voraussetzungen des Art. 8 EuGVÜ oder des § 23 ZPO erfüllt sind. Als Ergebnis ist festzuhalten: Die Anknüpfung grenzüberschreitender Ver­ sicherungsverträge mit ausländischen Unternehmen wird in den §§ 105 ff. VAG nicht unmittelbar entschieden. Wenn und soweit die Behauptung einer kollisionsrechtlichen Relevanz der §§ 105 ff. VAG dazu dienen soll, den materiellrechtlichen und internationalprivatrechtlichen Schutz des bran­

155 Ist der Versicherer im Inland dagegen zur Geschäftstätigkeit zugelassen, sind nach § 107 VAG Korrespondenzverträge verboten. Dies widerspricht keineswegs der Wertung des § 105 I VAG, da im Falle des § 107 VAG nicht ohne weiteres mehr vermutet werden kann, daß der Korrespondenzabschluß auf alleinige Initiative des Versicherungsnehmers zurückgeht. Viel­ mehr ist es wahrscheinlich, daß die Nachfrage nach Versicherungsschutz durch den Außen­ dienst des Versicherers (über die Niederlassung) erst geweckt worden ist. 156 Prölss/Schmidt/Frey § 140 Rz. 13. 157 §§ 144a, 145a VAG gegen den Vertreter etc. (Ordnungs Widrigkeit); § 140 I VAG gegen den Geschäftsleiter des Versicherers (jedoch praktisch wirkungslos).

chenunkundigen Versicherungsnehmers zu sichern158, ist dieses Ziel durch eine eigenständig zu entwickelnde Anknüpfung des Versicherungsvertrages zu verwirklichen, die auf die Schutzbedürfnisse des inländischen wie des ausländischen Publikums gleichermaßen Rücksicht nimmt.

158 Bruck 37 betont zwar, daß das „moderne Versicherungsrecht... eine seiner charakteristi­ schen Noten durch die in weitem Umfange vorgenommene Beschränkung der Vertragsfrei­ heit“ erhält, zieht daraus aber für das internationale Versicherungsvertragsrecht keine Konse­ quenzen. Seiner Ansicht nach beruhen die halbzwingenden Normen auf Zweckmäßigkeitser­ wägungen und sind deshalb nicht einmal durch Art. 30 EGBGB abgesichert; ebd. 40.

§ 7: Sachnorm- und ergebnisorientierte Schutztechniken im IPR Das IPR kennt unterschiedliche Wege, auf denen Sachnormzwecke be­ rücksichtigt und durchgesetzt werden können: Neben eine schutzzweck­ orientierte Vertragsanknüpfung (unter § 9) treten sachnorm- und ergebnis­ orientierte Schutztechniken von unterschiedlicher Tragweite und Intensität: Negativer und positiver ordre public, versteckte, sachnormbezogene Kolli­ sionsnormen, Sonderanknüpfung zwingenden Schuldrechts, better-lawapproach und Günstigkeitsmaxime. Im folgenden ist der Frage nachzuge­ hen, ob diese Techniken geeignet sind, die objektive Vertragsanknüpfung von der Aufgabe zu entlasten, den Schutz des Versicherungsnehmers im zwi­ schenstaatlichen Rechtsverkehr in angemessener Weise sicherzustellen.

I. Negativer ordre public 1. Zur Terminologie Der Vorbehalt des ordre public ist eine allen Rechtsordnungen bekannte Generalklausel, die den Verweisungsbefehl der Kollisionsnorm auf das aus­ ländische Recht einschränkt1, um inländischem Recht Beachtung zu sichern. Ein Blick auf Schrifttum und Praxis zeigt, daß der Generalklausel unter­ schiedliche Funktionen zugesprochen werden, die gemeinsam unter der Flagge des ordre public segeln2. Der ordre public in seiner negativen Funktion3 ist das vom Gesetzgeber für

1 Raape/Sturm I 200: Das „Netz der gewöhnlichen Kollisionsnormen“ werde durchbro­ chen. 2 Siehe etwa Frankenstein 1179ff.; Staudinger(-Raape), Kommentar zum BGB und dem Einführungsgesetz? VI/2 (1931) 799ff. (im folgenden: Staudinger(-Raape); Neuhaus 363 ff; RGRK-(Wengler) VI/1 73ff, 83, 86ff. Undiskutiert bleibt hier der ordre public als ein Instrument, eine als rechtspolitisch verfehlt angesehene Anknüpjung im Wege verdeckter richterrechtlicher Rechtsfortbildung zu korrigie­ ren; vgl. dazu die Hinweise bei Neuhaus 368, Wiethölter (oben § 3 N. 45) 136, 140. Dieser Aspekt der ordre-public-Klausel kann für Zwecke dieser Arbeit, in der es um die Bestimmung einer kollisionsrechtlich richtigen Anknüpfung von Versicherungsverträgen geht, außer Be­ tracht bleiben. 3 Dazu RGRK-(Wengler) VI/1 73 ff; Kegel 235 ff.; Raape/Sturm 1199 f; aus der französi­ schen Literatur vgl. Mayer 161; Loussouarn/Bourel 340 ff; Batiffol/Lagarde I Nr. 354 ff.

den Richter gespannte Netz für den von der Kollisionsnorm angeordneten „Sprung ins Dunkle“4 unbekannter Rechtsordnungen. Es geht nicht um die Korrektur einer kollisionsrechtspolitisch „richtigen“ Verweisung auf aus­ ländisches Recht, sondern allein um die inhaltliche Kontrolle des im Rahmen des anzu wendenden ausländischen Rechts erzielten Ergebnisses. Soll die Verweisung auf ausländisches Recht ihren Zweck erfüllen, darf inländisches Recht als Kontrollmaßstab keinesfalls in seiner konkreten Ausgestaltung, sondern nur in seinen Grundwertungen herangezogen werden5. Vom negativen ordre public ist der positive ordre public zu unterscheiden6, dessen Stellung und Tragweite im deutschen Recht - insbesondere seine Verankerung in Art. 30 EGBGB - nicht abschließend geklärt erscheint7. Der positive ordre public ist als eine Generalklausel8 zu begreifen, die den Richter dazu ermächtigt, aus den Regelungszwecken einzelner Sachnormen der lex fori einen von der allgemeinen Kollisionsnorm abweichenden An­ wendungsbereich zu entwickeln9 und damit eine spezielle, einseitige Kolli­ sionsnorm zu bilden10: Der ordre public als der „noch unerkannte und der

4 Raape 90. 5 Treffend Kegel 236: . Wenn schon jede Abweichung ausländischen Rechts vom deutschen genügte, wären die Art. 7-29 und mit ihnen das ungeschriebene deutsche IPR überflüssig“. 6 Eingehend Wengler, Sonderanknüpfung, positiver und negativer ordre public: JZ 1979, 175 (176); RGRK(-Wengler) VI/1 86ff. Der schweizerische IPR-Gesetz-Entwurfunterscheidet ausdrücklich zwischen negativem und positivem ordre public: Art. 16: „Die Anwendung des ausländischen Rechts ist ausgeschlossen, wenn sie zu einem Ergebnis fuhren würde, das mit dem schweizerischen Ordre public offensichtlich unverein­ bar ist.“ Art. 17: „Gleiches gilt, wenn eine Bestimmung des schweizerischen Rechts im Hinblick auf ihren besonderen Zweck ausschließliche Geltung beansprucht“. 7 Neuhaus 364ff.; Dölle, IPR (1968) 82ff. (im folgenden: Dölle); Raape/Sturm I 200f., 212ff.; Staudinger(-Raape) 799ff.; Münchener Komm.(-Kreuzer) VII Art. 30 EGBGB Rz. 5, 9 ff. 8 RGRK-(Wengler) VI/1 89. 9 Im Schrifttum wird bisweilen - mißverständlich - davon gesprochen, daß es sich um Gesetze handeln müsse, die „über den Bereich des inländischen Rechts hinaus Geltung erhei­ schen“; so Raape/Sturm I 212. Eine solche Formulierung steht in der Tradition der Lehre von den „Prohibitivnormen“ im Sinne Savignys und Waechters. Frankenstein I 192 sieht in der „unbedingten Anwendung“, die das Sachrecht des Forums verlange, das entscheidende Krite­ rium, differenziert dann aber nach der territorialen Beschränkung (195). Aus der Rechtspre­ chung: RG 21. 3. 1905, RGZ 60, 296 (299), mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte des Art. 30 EGBGB. Seit dem grundlegenden Aufsatz von Kahn, Die Lehre vom ordre public (oben § 4 N. 196) 161 ff., ist aber erkannt, daß es nicht um eine absolute Durchsetzung bestimmter inländischer Normen, sondern allein um die Formulierung einer normspezifischen, von der allgemeinen Kollisionsnorm abweichenden Anknüpfung geht, ebd. 182ff., 183, 189ff., 246ff., 253 ff. 10 Seit Zitelmann, IPR I (1897) 372 (im folgenden: Zitelmann I) wird von „versteckten“ Kollisionsnormen gesprochen. Staudinger(-Raape) 814 formuliert als Testfrage: „Welche deutsche Sachnorm ist so stark, daß sie die deutsche Kollisionsnorm überwindet?“

noch unfertige Teil des internationalen Privatrechts“11. Es geht dabei - im Unterschied zum negativen ordre public-nicht um eine Kontrolle unerträg­ licher Ergebnisse einer richtigen Verweisung auf das ausländische Recht, sondern um eine Verfeinerung des Kollisionsrechts selbst12. Die Anwendung des Sachrechts der lex fori ist, im Rahmen der speziellen Anknüpfung, die Regel und nicht, wie beim negativen ordre public, die Ausnahme. Das Schrifttum spricht auch von Sonderanknüpfungen, versteckten, einseitigen Kollisionsnormen und - in Anlehnung an die französische Wissenschaft von lois d’application immediate13, während die Rechtsprechung, um eine Legitimation ihrer rechtsschöpferischen Korrektur des Kollisionsrechts be­ müht, sich - zumindest im Anfangsstadium der Entwicklung einer neuen einseitigen Kollisionsnorm - oftmals auf Art. 30 EGBGB gestützt hat14.

Sind negativer und positiver ordre public damit in ihrer Funktion etwas völlig verschiedenes, so ist doch zugleich seit langem erkannt, daß der Gegensatz kein absoluter, unüberbrückbarer ist15. Denn in beiden Varianten wird Sachrecht der lex fori, wenn auch in unterschiedlicher Intensität und auf unterschiedlichen Wegen, gegenüber ausländischem Recht abgesichert und durchgesetzt16. Positives deutsches Kollisionsrecht kennt im übrigen zahlreiche Zwischenstufen17, die zwischen einem negativen und einem positiven ordre public angesiedelt sind. Während „versteckte“, einseitige, aus den Regelungszwecken der Sachnormen

11 Kahn (oben § 4 N. 196) 251; Wiethölter (oben § 3 N. 45) 140ff. Ablehnend Münchener Komm. (-Kreuzer) VII Art. 30 Rz. 9 (wo jedoch zugleich eine ungeschriebene Berichtigungs­ klausel anerkannt wird, Rz. 11). 12 Siehe BGH 12. 6. 1978, NJW 1979, 488 (489): Die Anwendung des Art. 30 EGBGB solle nicht davon abhängen, „ob die Anerkennung des Ausschlusses [des Differenzeinwandes durch das ausländische Recht] vom Standpunkt deutscher Gerechtigkeit aus als untragbar anzusehen wäre“; es gehe vielmehr „um die Durchsetzung von Wertvorstellungen des Gesetzgebers über die innerstaatliche Sozialordnung, die die Beachtung der heimischen Norm verlangt“, also um eine Verfeinerung der kollisionsrechtlichen Anknüpfung; vgl. auch Wengler, JZ 1979, 175. 13 Wengler, JZ 1979, 175 (176); SCHWANDER 184 ff, 199ff. 14 Die Funktion des Art. 30 EGBGB als Legitimationsgrundlage für die Entwicklung neuer Kollisionsnormen spricht ausdrücklich RG 21. 3. 1905 (oben N. 9) 299 an (mit Hinweis auf RGZ 21, 136). Die Rechtsprechung hat vielfach die gesonderte Anknüpfung öffentlich-rechtli­ cher Normen des Forums mit Art. 30 EGBGB begründet; vgl. etwa RG 16. 1. 1926, IPRspr. 1926-27 Nr. 12; 18. 12. 1920, RGZ 101, 141 (143) (obiter dictum); LG Flensburg 16. 1. 1962, IPRspr. 1962-63 Nr. 45; KG-West 6. 12. 1955, IPRspr. 1954-55 Nr. 186; OLG Hamm 7. 2. 1977, NJW 1977, 1594. Eine gegenüber dem Vertragsstatut gesonderte Anknüpfung einzelner Sachnormen des Forums ohne Berufung auf Art. 30 EGBGB findet sich in BAG 9. 11. 1977, NJW 1978, 1124 = IPRspr. 1977 Nr. 47; BGH 27. 6. 1973, IPRspr. 1973 Nr. 30; LG Aurich 11.7. 1973, IPRspr. 1973 Nr. 10. 15 So bereits Zitelmann I 326; kritisch Frankenstein I 192; vgl. auch Staudinger(-Raape) 799 f.; Raape/Sturm 1200; Siehr, Grundrecht der Eheschließungsfreiheit und IPR: RabelsZ 36 (1972) 93 (112ff). 16 Neuhaus 368. 17 Dazu allgemein auch RGRK(-Wengler) VI/1 83.

entwickelte Kollisionsnormen zu einer unbedingten Anwendung des Inlandsrechts fuhren, enthält das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) eine Reihe sogenannter besonderer Vorbehaltsklauseln - Artt. 12, 13 III, 17 IV, 21 2. Halbsatz EGBGB18 -, die es zwar einerseits bei der Verweisung auf ausländisches Recht belassen, das Ergebnis der Rechtsanwendung aber andererseits bei Vorliegen bestimmter Binnenbeziehungen an den konkreten deutschen Sachnormen kontrol­ lieren. Ausländischem Recht wird grundsätzlich der Vortritt gelassen, doch der Spielraum für Abweichungen vom deutschen Recht wird - verglichen mit dem negativen ordre public - geringer oder nur in ganz bestimmter Richtung zugelassen. § 12 AGBG und § 11 FernunterrichtsschutzG sind Beispiele einer Anknüpfungstech­ nik, die - am Zweck der deutschen Sachnormen orientiert - schutzintensiveres, von der allgemeinen Kollisionsnorm berufenes Recht uneingeschränkt zur Anwendung kommen läßt, während sich die deutschen Sachnormen - bei Vorliegen bestimmter Binnenbeziehungen - gegenüber schutzschwächeren ausländischen Rechten durch­ setzen19.

2. Zur Konkretisierung des negativen ordre public Weist eine Kollisionsnorm die Regelung eines Sachverhaltes einem aus­ ländischen Recht zu, ist das ausländische Recht das „richtige“, weil sachnä­ here Recht. Soll diese Wertung nicht durch den ordre public konterkariert werden, ist eine weitgehende Toleranz gegenüber ausländischen Rechten 18 Kegel 243 und Staudinger(-Raape) 799 zählen auch Art. 7 III EGBGB dazu. 19 In eine ähnliche, zwischen einer unmittelbaren Anwendung der inländischen Normen und einer bloßen Absicherung der Rechtsgrundsätze vermittelnden Richtung gehen Vorschläge im Schrifttum, die - auf der Grundlage einer in Art. 30 EGBGB enthaltenen Generalklausel des positiven ordre public - zur Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals „Verstoß gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes“ darauf abzielen, den Zweck eines deutschen Gesetzes nicht mittels einer Ergebniskontrolle im Einzelfall, sondern durch eine Äquivalenzkontrolle abzusi­ chern; in diesem Sinne vor allem Staudinger(-Raape) 816; in ähnliche Richtung zielend, aber zurückhaltender Dölle 82 f; zuletzt wieder Steindorff, IPRax 1982, 49 (50), als Konsequenz der Anforderungen des Art. 59 EWGV an staatliches Kollisionsrecht. Ist das ausländische Recht von denselben rechtspolitischen Wertungen wie das deutsche Sachrecht geprägt, setzt es aber andere Techniken ein (etwa wenn ausländisches Recht die Anfechtbarkeit eines Vertrages zum Schutze einer Vertragspartei anstelle seiner Nichtigkeit vorsieht, Staudinger[-Raape] 816, so daß im Einzelfall, nicht aber im Regelfall, vom deutschen Recht abweichende Ergebnisse entstehen), mag dies den Regelungszwecken der deutschen Normen genügen. Dem Gesetzge­ ber des AGB-Gesetzes mag bei der Formulierung des § 12 AGBG („berücksichtigen“) eine solche Äquivalenzkontrolle des ausländischen Rechts am Maßstab des AGB-Gesetzes vorge­ schwebt haben; siehe Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, Bundesrat, Drucksache 360/75, S. 40 (Anwendung der Regelungen des AGB-Gesetzes, „mindestens aber den ihnen innewohnenden Grundgedanken...“), 41: „Bietet das anwendbare Recht einen äquivalenten Schutz, ist dem Anliegen des § 10 (jetzt § 12) Genüge getan“. § 11 FernunterrichtsschutzG ordnet die Anwendung deutschen Rechts an, wenn ausländisches Recht „einen vergleichbaren Schutz... nicht kennt“; vgl. Bericht und Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft, Bundestag, Drucksache 7/4965, S. 9.

geboten. Rechtsprechung und Wissenschaft haben deshalb zurecht den in der Vorbehaltsklausel des Art. 30 EGBGB enthaltenen negativen ordre public konsequent in einengender Weise zu konkretisieren versucht. Art. 30 EGBGB schließt die Anwendung eines ausländischen Gesetzes aus, wenn sie gegen die „guten Sitten“ oder gegen den „Zweck eines deutschen Gesetzes“ verstößt. Während das Tatbestandsmerkmal „gute Sit­ ten“ auf die inländischen Standards des § 138 BGB verweist20, kommt die negative Funktion des ordre public im Sinne einer Ausnahmeregel bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Zweck eines deutschen Gesetzes“ zum Tragen, wenn die Vorbehaltsklausel nicht schon bei einer bloßen inhalt­ lichen Verschiedenheit des ausländischen Rechts eingreifen soll, sondern erst dann, wenn „das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts... zu dem Grundgedanken des deutschen Rechts und der ihm zugrundeliegenden GerechtigkeitsVorstellungen in so starkem Widerspruch (steht), daß es aus deutscher Sicht untragbar erscheint“21. Eine solche restriktive Auslegung der Vorbehaltsklausel respektiert die von der Kollisionsnorm angeordnete Verweisung auf ausländisches Recht in mehrfacher Hinsicht. Als Prüfungsmaßstab für das zur Anwendung berufene ausländische Recht dient nicht das deutsche materielle Recht in seiner konkreten Ausgestaltung, seiner Inter­ essenwertung und seinen Regelungstechniken. Die Vorbehaltsklausel verteidigt viel­ mehr allein - und insoweit kommt ihr immer auch eine positive Funktion zu22 - die hinter den einzelnen Normen stehenden Rechtsgrundsätze und GerechtigkeitsVor­ stellungen23. 20 Kegel 235. Wie bei der Anwendung des § 138 BGB ist dabei auf Auslandsanschauungen Rücksicht zu nehmen; Staudinger(-Raape) 813; BGH 15. 11. 1956, BGHZ 22, 162 (163). 21 BGH 20. 6. 1979, NJW 1979, 1776 (1778); 17. 9. 1968, BGHZ 50, 370 (375); 18. 6. 1970, BGHZ 54, 123 (130); 18. 6. 1970, BGHZ 54, 132 (140); 12. 5. 1971, BGHZ 56, 180 (191). Die frühere Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs hatte einen Verstoß gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes angenommen, „wenn der Unterschied zwischen den staatspolitischen oder sozialen Anschauungen“, auf welchen das nach den Regeln des IPR an sich maßgebende ausländische Recht und das deutsche Recht beruhen, „so erheblich ist, daß die Anwendung des ausländischen Rechts direkt die Grundlagen des deutschen staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens angreifen würde“; RG 21. 3. 1905, RGZ 60, 296 (300) und ständig; BGH 15. 11. 1956 (vorige Note) 167; 30. 1. 1961, NJW 1961, 1061 (1062); 30. 6. 1961, BGHZ 35, 329 (337); 9. 1. 1969, BGHZ 51, 290 (292). Gegen diese Formel Kegel 237 mit dem zutreffenden Einwand, die Entscheidung eines Einzelfalles erschüttere nie „die Grundlagen des deutschen staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens“. 22 So zu Recht Siehr, RabelsZ 36 (1972) 93 (103); vgl. auch Zitelmann 1326. 23 K. H. Neumayer, Zur positiven Funktion der kollisionsrechtlichen Vorbehaltsklausel, in: FS Dölle II (1963) 179 (198ff.); Neuhaus 369 sowie N. 1005; G. H. Roth, Der Vorbehalt des ordre public im IPR: NJW 1967, 134 (136f.); vgl. jetzt auch § 6 öst. IPRG („GrundWertungen“ des österreichischen Rechts); BGH 20. 6. 1979 (oben N. 21) 1779: „fundamentale Gerechtig­ keitsvorstellungen“ . Die Gerechtigkeitsvorstellungen und Rechtsgrundsätze lassen sich nur aus einer Analyse der Normfelder sowie der ungeschriebenen, das Rechtsgebiet beherrschenden Wertungen - unter

Prüfungsobjekt ist bei der Anwendung der Vorbehaltsklausel nicht etwa die anzu­ wendende ausländische Rechtsnorm als solche, sondern allein das Ergebnis, die Folgen ihrer Anwendung im Einzelfall24. Dem Richter obliegt keine abstrakte Nor­ menkontrolle25, sondern eine Ergebniskontrolle. Das damit formulierte Prinzip möglichst schonender Abweichung von dem in der Kollisionsnorm liegenden Rechtsanwendungsbefehl wird durch das weitere, von der Rechtsprechung immer wieder herausgestellte Erfordernis abgesichert, daß das Er­ gebnis der Anwendung ausländischen Rechts - gemessen an dem Grundgedanken des deutschen Rechts und der ihm zugrundeliegenden Gerechtigkeits Vorstellungenuntragbar erscheinen muß26. Dies wird um so eher angenommen werden können, je krasser das ausländische Recht vom inländischen Recht abweicht27. Der Anwendung der Vorbehaltsklausel eignet eine bestimmte Relativität28: Dem Grundsatz möglichst geringer, schonender Abweichung von dem in der Kollisions­ norm verankerten Rechtsanwendungsbefehl entspricht es, wenn fremdartige, von den inländischen Anschauungen abweichende Ergebnisse um so eher - und in so größerem Ausmaß - toleriert werden, je schwächer die Verknüpfung des Sachver­ halts zum Inland („Binnenbeziehung“) ist29. Der Ausnahmecharakter des negativen ordre public, seine bloße Korrekturfunk­ Berücksichtigung ihrer historischen Entwicklung - ermitteln; dabei kann auch eine Rolle spielen, ob eine Norm rechtspolitisch umstritten ist: BGH 17. 1. 1966, IPRspr. 1966-67 Nr. 5 (S. 12) (zu § 817 Satz 2 BGB) oder wie konsequent das inländische Recht ein bestimmtes Ziel verwirklicht: BAG 20. 7. 1967, IPRspr. 1966-67 Nr. 50b) (S. 168). 24 BGH 17. 1. 1966, IPRspr. 1966-67 Nr. 5 (S. 12); BAG 10. 4. 1975, IPRspr. 1975 Nr. 30b) (S. 61): „keine abstrakte Wertung..., vielmehr Umstände des Einzelfalles“. Vgl. aus dem Schrifttum Neuhaus 367; Kegel 235; Dölle 80. 25 Vgl. auch BGH 20. 12. 1972, BGHZ 60, 68 (78), wonach die Vorbehaltsklausel in ihrer negativen Funktion nicht schon eingreife, wenn der die Einzelentscheidung tragende Maßstab anstößig sei; vgl. auch Raape/Sturm I 213: „die Anwendung eines anstößigen Rechtssatzes braucht nicht notwendig anstößig zu sein“; Sp. Simitis, Zur Kodifikation der Vorbehaltsklau­ sel, in: Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Personen-, Fami­ lien- und Erbrechts, hrsg. von Beitzke (1981) 267 (278). 26 BGH 12. 5. 1971, FamRZ 1971, 366 (368); 20. 6. 1979, NJW 1979,1776 (1778); BAG 10. 4. 1975, IPRspr. 1975 Nr. 30b) (S. 61). Neuhaus 367 spricht von einem erheblichen Grad der Ablehnung des mit der fremden Norm erzielten Ergebnisses; Raape/Sturm I 213; G. H. Roth (oben N. 23) 135; Simitis (vorige Note) 277f. 27 Im Schrifttum wird bisweilen vorgeschlagen, mit der Anwendung des ordre public nicht „zimperlich“ zu sein; vgl. Gamillscheg, RIW/AWD 1979, 225 (226) (ähnlich auch Raape/ Sturm 1199 [der die „viel zu große Vorsicht und Ängstlichkeit“ der deutschen Gerichte bei der Anwendung des Art. 30 EGBGB beklagt]). Diese Stellungnahme bezieht sich auf eine von der hier besprochenen, primär negativen Funktion abweichende Stoßrichtung des ordre public. Gamillscheg diskutiert Art. 30 EGBGB speziell im Zusammenhang mit der Parteiautonomie und weist Art. 30 EGBGB eine spezifische Aufgabe zu: Die kollisionsrechtspolitische Grundla­ ge der Kollisionsnorm Parteiautonomie - die Gleichwertigkeit (und nicht bloß: Gleichheit) der Rechtsordnungen und ihrer Konfliktlösungen im Einzelfall - zu kontrollieren. 28 Kegel 239; Neuhaus 367; RGRK(-Wengler) VI/1 79 f. 29 Kahn (oben § 4 N. 196) 222; Ferid, IPR (1975) Nr. 3-32, 3-34; Dölle 81; Simitis (oben N. 25) 276, 278; Batiffol/Lagarde I Nr. 357-1; anderer Ansicht: Raape/Sturm I 217: „Magie, nicht... Jurisprudenz“. Aus der Rechtsprechung: BGH 20. 12. 1972 (oben N. 25) 79, 82; BayObLG28. 1. 1970, IPRspr. 1970 Nr. 61a) (S. 185); LG Tübingen 19. 1. 1965, IPRspr. 1964-

tion am Maßstab und zur Verteidigung wesentlicher Rechtsgrundsätze der lex fori, findet schließlich seine konsequente Bestätigung in der Forderung, daß die durch die Anwendung des ordre public entstehende Lücke im ausländischen Recht primär im Rahmen der lex causae30 oder durch Bildung einer internationalen Sachnorm (der lex fori)31 in der Weise geschlossen werden soll, daß einerseits die Rechtsgrund­ sätze der lex fori noch hinreichend gewahrt sind, andererseits aber die Wertungen des ausländischen Rechts, so weitgehend als dies nur möglich erscheint, durchge­ setzt werden32.

3. Negativer ordre public und Versicherungsnehmerschutz Der negative ordre public ist kein geeignetes Instrument, um die objekti­ ve Vertragsanknüpfung von der Aufgabe eines angemessenen Versiche­ rungsnehmerschutzes zu entlasten. Versicherungsverträge sind Massenverträge. Die im zwischenstaatlichen Versicherungsgeschäft aufgeworfenen Schutzprobleme entstehen in typi­ sierbaren Konfliktlagen. Soll Art. 30 EGBGB seinen Ausnahmecharakter als Korrekturinstrument für eine kollisionsrechtlich richtige Verweisung bewahren, ist die Vorbehaltsklausel für den „Masseneinsatz“33 der falsche Weg. Nicht die richterliche Einzelfallprüfung und -entscheidung, sondern eine, gegebenenfalls differenzierende Kollisionsregel ist das dem Massen­ vertrag adäquate Steuerungsinstrument. Das Eingreifen des negativen ordre public hängt ab von Voraussetzun­ gen mit hohem Schwellenwert: Es wird eine Wertungsdivergenz zwischen inländischem und ausländischem Recht von grundsätzlicher Art vorausge­

65, Nr. 155, OLG Bremen 21. 8. 1959, IPRspr. 1958-59 Nr. 7 A) (S. 761); vgl. aus der früheren Rechtsprechung etwa RG 14. 12. 1927, RGZ 119, 259 (264). 30 RG 19. 12. 1922, RGZ 106, 82 (85); 6. 7. 1934, RGZ 145, 121 (129f.); BGH 21. 11. 1958, BGHZ 28, 375 (387); Staudinger(-Raape) 817; Melchior 365; K. H. Neumayer, FS Dölle II 179 (207); Niederer, Einführung in die allgemeinen Lehren des IPR2 (1956) 292 (im folgenden: Niederer); Simitis (oben N. 25) 274; kritisch Raape/Sturm I 219. Ausländische Rechtsord­ nungen lösen das Lückenproblem zumeist durch Anwendung der lex fori; zum französischen Recht Mayer 218; Batiffol/Lagarde I Nr. 364. § 6 Satz 2 öst. IPRG bestimmt, daß anstelle der ausländischen Norm „erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechts anzuwenden“ ist. 31 Vgl. Kegel 243; RGRK(-Wengler) VI/1 81. 32 BGH 18. (28.) 10. 1965, BGHZ 44,183 = IPRspr. 1964-65 Nr. 49 (Reduzierung eines nach ausländischem Recht zulässigen Erfolgshonorars in Höhe von 35% auf 20%). Grundsätzlich kritisch gegenüber solchen Kompromißlösungen, die zwischen ausländischem und inländi­ schem Recht zu vermitteln suchen: Raape/Sturm 1219 f. Der Verweis auf die Rechtssicherheitwohl im Sinne der Prognostizierbarkeit der richterlichen Entscheidung - leidet aber schon daran, daß der „negative“ ordre public als Generalklausel ein hohes Maß an Unbestimmtheit in die Rechtsanwendung trägt. 33 Formulierung bei Juenger, Möglichkeiten einer Neuorientierung des IPR: NJW 1973, 1521 (1524).

setzt, die bei Anwendung ausländischen Versicherungsvertragsrechts nur unter besonderen Voraussetzungen angenommen werden kann. Das Versicherungsvertragsgesetz verwirklicht mit seinen halbzwingen­ den Normen einen Ausgleich zwischen den Vorteilen einer weitestgehenden Freiheit der Ausgestaltung der AVB für die Versicherer34 und den Schutzbe­ dürfnissen der Versicherungsnehmer. Die Freiheit der Vertragsgestaltung als grundlegendes Ordnungsinstrument des deutschen Vertragsrechts wird kei­ neswegs aufgegeben, sondern nur mit Schranken versehen. Ausländische Rechtsordnungen, die dem Versicherungsnehmerschutz einen geringeren und der (vom Versicherer einseitig ausgeübten) Vertragsgestaltungsfreiheit einen höheren Wert beimessen, setzen sich damit nicht notwendig in Wider­ spruch zu den Grundanschauungen des deutschen Rechts35. Einen unerträgli­ chen Widerspruch zu den deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen wird man daher wohl erst in Fällen annehmen können, in denen die ausländische Rechtsordnung die Aufnahme in hohem Maße ungerechter Klauseln in Versicherungsbedingungen toleriert, etwa solche Klauseln billigt, die eine Leistungsfreiheit des Versicherers prinzipiell auch bei unverschuldeter Ob­ liegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers vorsehen. Dagegen wird man kaum die im deutschen Recht fein abgestuften Voraussetzungen der Leistungsfreiheit des Versicherers im einzelnen36 als Ausdruck der Grundan­ schauungen der „deutschen Gerechtigkeit“ werten können, ebenso wenig wie die auf die Vermeidung nachteiliger Rechtsfolgen abzielenden Informa­ tionsobliegenheiten der §§ 5 II, 12 III, 39III VVG. Daher greift der negative ordre public als Instrument des Versicherungsnehmerschutzes zu kurz37. Sind bei Anwendung des negativen ordre public entstehende Lücken im Rahmen der lex causae (oder im Wege der Formulierung einer Sachnorm im

34 Und für die Entwicklung der Versicherungswirtschaft als ganzer; vgl. Gesetzesbegrün­ dung zum VAG 35 f, in: Motive zum VAG (oben § 2 N. 244) 24. 35 Das Schrifttum sieht die halbzwingenden Normen nicht durch den ordre public abgesi­ chert; vgl. Bruck/Möller I Einl. Bem. 96: „die relativ zwingenden Normen beruhen nur auf Zweckmäßigkeitserwägungen, berühren keine grundlegenden staatlichen oder sonstigen Interessen, so daß eine Abweichung von ihnen Art. 30 EGBGB niemals eingreifen läßt“; ebenso Rothe45; Bruck 39ff.; Durst, SVZ 18 (1950/51) 332 (337); Roelli/Jaeger (oben 1 N. 17) Rz. 37; Ryser 130f. Davon abweichend jetzt U. Hübner, ZVersWiss. 1983, 21 (35 f.): „in der Sache beachtliche Einbruchstelle“. Das frühere Schrifttum hatte in der Tradition der gesonderten Anknüpfung „streng zwingender“ Prohibitivnormen stehend für eine Durchset­ zung der zwingenden Versicherungsvertragsnormen der lex fori plädiert: Schneider, ZVers­ Wiss. 1907, 413 (417); Wörner, NiemZ 13 (1903) 366 (372); Bar (oben §2 N. 25) 415; Niemeyer, NiemZ 23 (1913) 258 (263, 266). 36 § 6 VVG für vertraglich vereinbarte Verfallklauseln; Verletzung der Anzeigeobliegenheit bei Vertragsschluß (§§ 16ff. VVG), bei nachträglicher Gefahrerhöhung (§§23ff. VVG) bzw. nach Eintritt des Versicherungsfalls (§ 33 VVG). 37 Anderer Ansicht U. Hübner, ZVersWiss. 1983, 21 (35f.).

deutschen IPR) in schonendster Abweichung von den ausländischen Sach­ normen zu schließen, wird zwar ein im Einzelfall unerträgliches Ergebnis vermieden, aber das deutsche Versicherungsnehmerschutzniveau nicht in effektiver Weise abgesichert: Ausländische Versicherer, die auf dem deut­ schen Markt tätig werden, können den deutschen Versicherungsnehmer­ schutz unterschreiten. Die Feststellung, daß der im Versicherungsvertragsgesetz verwirklichte Versicherungsnehmerschutz durch den negativen ordre public nur unzurei­ chend abgesichert ist, erfährt eine Bestätigung durch die - wenn auch im ganzen spärliche - Rechtsprechung zum internationalen Vertragsrecht. Zum Abzahlungsgesetz, das, dem Versicherungsvertragsgesetz durchaus ver­ gleichbar, das typische Machtgefälle bei Abzahlungskäufen mit zwingenden Nor­ men zum Schutze des Käufers zu kompensieren sucht, hat das Reichsgericht in einer neuerdings viel zitierten38 Entscheidung festgestellt, daß der „Sinn und Zweck dieses Gesetzes... auf einer in Deutschland herrschenden sozialen Anschauung von grund­ legender Art“ beruhe39, um damit eine Anwendung des holländischen Rechts, das keine spezifischen Schutzvorschriften zugunsten des Abzahlungskäufers kannte, für die zu entscheidende Frage - es ging um die Rückgewähransprüche des Käufers nach Rücktritt des Verkäufers vom Vertrag - auszuschalten. Aus heutiger Sicht des negativen ordre public läßt sich nicht schon bei einem Fehlen von Normen zum Schutze des Abzahlungskäufers in einem ausländischen Recht, sondern erst bei der Bewertung einer spezifischen, vom ausländischen Recht gebilligten AGB-Klausel ein „unerträglicher Widerspruch“ zu den deutschen Ge­ rechtigkeitsvorstellungen feststellen. Aber auch dann, wenn man die für den negati­ ven ordre public vom Reichsgericht wiederholt gebrauchte Formel zugrundelegt, daß „der Unterschied zwischen den staatspolitischen oder sozialen Anschauungen, auf welchen... (das ausländische) Recht und auf welchen das konkurrierende deut­ sche Recht beruht, so erheblich ist, daß die Anwendung des ausländischen Rechts direkt die Grundlagen des deutschen staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens angrei­ fen würde“40, läßt sich wohl kaum behaupten, daß die Anwendung des holländischen Kaufrechts im konkreten Fall eine solche Folge gezeitigt hätte. Vielmehr liegt es nahe, in der Entscheidung einen ersten Schritt zur Formulierung einer aus dem Schutzzweck des Abzahlungsgesetzes entwickelten, „versteckten“ Kollisionsnorm zu sehen, die den Schutz der deutschen Abzahlungskäufer in interna­ tional verknüpften Vertragsbeziehungen gegenüber den sachrechtsneutralen An­ knüpfungen des internationalen Vertragsrechts (Parteiautonomie, Erfüllungsort) ab­ sichern hilft. Die Feststellung, daß das Abzahlungsgesetz „auf einer in Deutschland herrschenden sozialen Anschauung von grundlegender Art“ beruhe, hat in diesem 38 von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974) 396 (404); Kropholler, RabelsZ 42 (1978) 634 (635); U. Hübner, Allgemeine Geschäftsbedingungen und IPR: NJW 1980, 2601 (2603); Raape/ Sturm I 213; Imhoff-Scheier, Protection du consommateur et contrats internationaux (1981) 56 (im folgenden: Imhoff-Scheier). 39 RG28. 3. 1931, JW 1932, 591 m. Anm. Stulz = IPRspr. 1931 Nr. 7. 40 RG 21. 3. 1905, RGZ 60, 296 (300).

Zusammenhang primär strategischen Charakter: Sie weist den Prozeß sachnorm­ orientierter, richterlicher Rechtsfortbildung im Rahmen des Art. 30 EGBGB als eine Konsequenz der Wertungen des Gesetzgebers aus, benennt das äußerst zweifelhafte, von Kahn bereits hinlänglich widerlegte Kriterium41, von dem die sachnorm-orientierte Verfeinerung des Systems bilateraler Kollisionsnormen abhängen soll und lenkt damit von der eigentlichen, kollisionsrechtlich entscheidenden, aber anhand eines Einzelfalles kaum zu beantwortenden Fragestellung ab, welche von der allge­ meinen Kollisionsnorm abweichende Anknüpfungen für die Normen des Abzah­ lungsgesetzes gelten sollen42. Zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89b HGB hat der Bundesge­ richtshof in seiner Entscheidung vom 30. 1. 1961 klargestellt, daß die internrechtlich zwingende Natur der den Handelsvertreter schützenden Normen des Handelsge­ setzbuches die Anwendung des Art. 30 EGBGB nicht schon dann rechtfertigt, wenn das anwendbare ausländische Recht von den zwingenden deutschen Schutzvor­ schriften abweicht43. Das Bundesarbeitsgericht hat es in zwei Entscheidungen abgelehnt, die Unterschreitung der im Kündigungsschutzgesetz gesetzten Schutzstandards durch das aus­ ländische, von den Parteien vereinbarte Recht durch Art. 30 EGBGB zu korrigieren: „Der Sinn und Zweck des Art. 30 EGBGB ist nicht darin zu sehen, die deutsche Ansicht über das Verhältnis von der Freiheit im wirtschaftlichen Handeln zur Siche­ rung des Arbeitsplatzes Dritten, die die Geltung ihres Heimatrechts für das Arbeits­ verhältnis vereinbaren und damit das deutsche Kündigungsschutzrecht ausschließen, aufzuzwingen“44. Beide Entscheidungen betreffen jedoch nicht einen typischen Mas­ sensachverhalt mit starker Ein- bzw. Rückwirkung auf den deutschen Arbeitsmarkt, sondern weitgehend individualisierte Vertragsbeziehungen mit starkem internatio­ nalem Einschlag. Die Anwendung des negativen ordre public ist notwendig mit großer Unsicherheit verbunden45: Die Kriterien des „unerträglichen Widerspruchs“ zu inländischen Rechtsgrundsätzen und der hinreichenden Inlandsbezie­ hung46 öffnen für den Richter einen weitgehenden Argumentations- und Wertungsspielraum, der für die Einzelfallkorrektur ausländischen Rechts

41 Kahn (oben § 4 N. 196) 161 ff. 42 Kahn (oben § 4 N. 196) 182f, 251 ff. 43 BGH 30. 1. 1961, NJW 1961, 1061 (1062) = IPRspr. 1960-61 Nr. 39b). Der BGH begründet dies mit der Reichsgerichts-Formel, wonach der deutsche Rechtssatz „von so grundlegender und weittragender Bedeutung sein (müsse), daß er abweichende ausländische Regelungen ausschließen (wolle)“. 44 BAG 20. 7. 1967, IPRspr. 1966-67 Nr. 50b) (S. 168); vgl. auch BAG 10. 4. 1975, IPRspr. 1975 Nr. 30b) (S. 62). 45 Kropholler, RabelsZ 42 (1978) 634 (635); U. Hübner, ZVersWiss. 1983, 21 (36). 46 Warum die Voraussetzung einer gewissen Inlandsbeziehung an sich ein Nachteil der Vorbehaltsklausel sein soll, wie Kropholler, RabelsZ 42 (1978) 634 (635) meint, ist nicht einzusehen. Auch die von ihm konkretisierte Anknüpfung des Vertrages an die Vertragssphäre des Schwächeren (645 ff.) weist den inländischen Schutznormen einen bestimmten, auf Sach­ verhalte mit Inlandsbeziehungen konkretisierten Anwendungsbereich zu.

wünschenswert erscheint, die Vorbehaltsklausel aber als ein weitgehend untaugliches Instrument zur Durchsetzung des inländischen Versicherungs­ nehmerschutzes erscheinen läßt. Klar gefaßte Kollisionsregeln, die für den international tätigen Versicherer deutlich machen, unter welchen konkreten Umständen mit der Anwendung und Durchsetzung der inländischen Schutznormen gerechnet werden muß, lassen eine effektivere Verhaltenssteue­ rung erwarten als eine Generalklausel, die auf Einzelfallentscheidungen ange­ legt ist. Wenn eine Kollisionsnorm Klarheit über die Anwendung des inlän­ dischen Rechts schafft, wird der ausländische Versicherer seine Versiche­ rungsbedingungen von vornherein auf das Inlandsrecht einstellen. Bleibt dagegen die Durchsetzung inländischen Versicherungsnehmerschutzes Sa­ che der gerichtlichen Einzelfallentscheidung, mag der Versicherer darauf spekulieren, daß er im gerichtlichen Verfahren eine ihm günstige Entschei­ dung erreicht. Dem Versicherungsnehmer wird damit letztlich ein Bären­ dienst erwiesen. Ist der negative ordre public damit kein geeignetes Instrument, um den materiellrechtlichen Schutz des Versicherungsnehmers zu gewährleisten, so ist er darüber hinaus völlig ungeeignet, um die aus der potentiellen Anwen­ dung einer fremden Rechtsordnung erwachsenden Schutzbedürfnisse des Versicherungsnehmers („internationalprivatrechtlicher Versicherungsneh­ merschutz“47) zu steuern: Der negative ordre public setzt die Anwendbarkeit fremden Rechts und damit eine den Bedürfnissen der Versicherungsnehmer angepaßte Verteilung der Informationsrisiken und -lasten bereits voraus. Die Vorbehaltsklausel greift schließlich auch insoweit zu kurz, als sie nur die materiellrechtlichen Grundwertungen des inländischen Rechts sichert, nicht aber bei Maßgeblichkeit deutschen Rechts umgekehrt auch die Schutz­ ansprüche ausländischer Staaten berücksichtigt. Im Interesse einer harmoni­ schen Koordination der Rechtsordnungen sind kollisionsrechtliche Instru­ mente zu bevorzugen, die inländische wie ausländische Versicherungsneh­ merschutznormen in angemessenem Umfang zur Anwendung verhelfen.

II. §12 AGB-Gesetz In § 12 AGBG wird bestimmt, daß bei einem Vertrag, der ausländischem Recht untersteht, die Vorschriften des AGB-Gesetzes „zu berücksichtigen“ sind, wenn der Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf dem Inlandsmarkt mittels Werbung etc. aktiv geworden und dadurch zu einem Vertragsabschluß mit einem nicht-kaufmännisch tätigen48 Inlandskunden

47 Dazu oben § 5 im Text vor und bei N. 80. 48 § 24 AGB-Gesetz:

gekommen ist49. Tragweite und Bedeutung dieser unter kollisionsrechtspo­ litischen50 wie kollisionsrechtstechnischen51 Gesichtspunkten heftig kritisier­ ten Regelung ist im folgenden vornehmlich im Hinblick darauf zu entfalten, welchen Beitrag § 12 AGBG zu einem angemessenen Schutz der Versiche­ rungsnehmerbei international verknüpften Verträgen zu leisten vermag.

1. Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes

Das AGB-Gesetz erfaßt auch Versicherungsverträge, obwohl AVB schon dem Versicherungsvertragsgesetz als einem AVB-Kontroll-Gesetz unterlie­ gen und zusätzlich durch die Versicherungsaufsicht in ihrem Inhalt beein­ flußt werden. Das AGB-Gesetz findet auch Anwendung auf die Rechtsbeziehungen der Versicherungs vereine auf Gegenseitigkeit zu den Versicherten.

Zwar schließt § 23 I AGBG die Anwendung des Gesetzes auf das Gesellschaftsund damit auch das Vereinsrecht aus, doch gilt dies nur für die spezifisch,körper­ schaftsrechtlichen, die Mitgliedschaftstellung betreffenden Vorschriften der Sat­ zung. Verträge zwischen Vereinen und Versicherungsnehmern, die nicht Mitglied „Die Vorschriften der §§ 2, 10, 11 und 12 finden keine Anwendung auf Allgemeine Ge­ schäftsbedingungen, 1. die gegenüber einem Kaufmann verwendet werden, wenn der Vertrag zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehört;

49 Gemäß § 12 AGBG sind die Vorschriften des AGB-Gesetzes zu berücksichtigen, „wenn 1. der Vertrag aufgrund eines öffentlichen Angebots, einer öffentlichen Werbung oder einer ähnlichen im Geltungsbereich dieses Gesetzes entfalteten geschäftlichen Tätigkeit des Ver­ wenders zustandekommt und 2. der andere Vertragsteil bei Abgabe seiner auf den Vertragsschluß gerichteten Erklärung seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat und seine Willenserklärung im Geltungsbereich dieses Gesetzes abgibt. “ 50 Schlosser/Coester-Waltjen/Graba, Kommentar zum Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (1977) § 12 Rz. 6: „Normenanwendungsimperia­ lismus“ (im folgenden: Schlosser/Coester-Waltjen/Graba); vorsichtiger Staudinger (-Schlosser) § 12 AGBG Rz. 7: „Fremdkörper im IPR“; Koch/Stübing, Allgemeine Ge­ schäftsbedingungen (1977) § 12 Rz. 1: „Nationalismustendenz“ (im folgenden: Koch/Stü­ bing). Ausdrücklich in der Tendenz befürwortend dagegen Ulmer/Brandner/Hensen, AGB­ Gesetz, Kommentar zum Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingun­ gen4 (1982) § 12 Rz. 2 (im folgenden: Ulmer/Brandner/Hensen); Löwe/von Westphalen/ Trinkner, Großkommentar zum AGB-Gesetz2 II (1983) § 12 Rz. 3 (im folgenden: Löwe/von Westphalen/Trinkner II); wohl auch Münchener Komm. (-Kötz), Kommentar zum BGB, I: Allgemeiner Teil, AGB-Gesetz (1978) § 12 AGBG Rz. 1 (im folgenden: Müchenener Komm. [-Kötz] I); ab wägend Sonnenberger, Bemerkungen zum IPR im AGB-Gesetz, in: FS Ferid (1978) 377 (387 ff, 389 unten); Lüderitz, FS Kegel 31 (49). 51 Sonnenberger (vorige Note) 384 ff, 395 (der den Gesetzgeber zur Zurückhaltung [395] und zu erneutem Tätigwerden [396 letzter Satz] gleichermaßen aufruft); Jayme, JZ 1977, 415: „der Gesetzgeber unserer Tage dilletiert... “.

des Vereins sind52, werden von § 23 I AGBG nicht erfaßt, auch wenn die AVB in die Satzung aufgenommen sind53. Ebenso wird man auch für die Rechtsbeziehungen der „großen“54 Vereine auf Gegenseitigkeit zu ihren Mitgliedern entscheiden müssen55. Aus § 10 II VAG, der den Vereinen die Möglichkeit gibt, die AVB in die Satzung aufzunehmen, läßt sich entnehmen, daß grundsätzlich zwischen AVB und Satzungder Regelung des Austauschverhältnisses zwischen Versicherer und Versicherungs­ nehmer einerseits und den spezifisch körperschaftsrechtlichen, die Mitgliedschaft­ stellung betreffenden Vorschriften andererseits - unterschieden werden kann. Da bei großen, das Massengeschäft betreibenden Vereinen keine faktische Einfluß möglich­ keit des einzelnen Mitglieds auf die Gestaltung der Vertragsbeziehungen gegeben ist, besteht kein Grund, die Versicherungsverträge der Vereine von der Anwendung des AGB-Gesetzes auszunehmen56. Allenfalls für die „kleinen“ Vereine im Sinne des § 53 VAG mag man aufgrund der beschränkten Zahl der Mitglieder und der stärker körperschaftlichen Prägung der Rechtsbeziehungen annehmen, daß das AGB-Gesetz im Hinblick auf § 23 I AGBG unanwendbar ist.

2. Rechtspolitisches Grundanliegen und rechtsmethodischer Ausgangspunkt

Das rechtspolitische Anliegen von § 12 AGBG ist es, den in nationalen Vertragsbeziehungen durch das AGB-Gesetz verwirklichten Schutz des in­ ländischen Publikums auch im zwischenstaatlichen Verkehr gegenüber Klauselverwendern mit Sitz im Ausland sicherzustellen57. Denn das Schutz­ bedürfnis der inländischen Klausel-Gegner ist grundsätzlich unabhängig davon, ob die AGB von einem inländischen oder ausländischen Unterneh­ men gestellt sind58.

52 Daß solche Vertragsbeziehungen möglich sind, ergibt sich aus § 21 II VAG. 53 Dies ermöglicht § 10II VAG. 54 Zur Abgrenzung vgl. § 53 VAG. 55 Die Frage ist im Schrifttum streitig. Für eine Anwendung des AGB-Gesetzes z. B. Sieg, VersR 1977, 490; Helm, NJW 1978, 129; Münchener Komm. (-Kötz) I §§ 23, 24 AGBG Rz. 6; Bauer, BB 1978, 476; dagegen Prölss/Schmidt/Frey § 17 Rz. 5; Löwe/von Westphalen/ Trinkner II §§ 23, 24 Rz. 5. Die Gegenmeinung im Schrifttum muß die Satzungen der VVaG der richterlichen Inhaltskontrolle gemäß §§ 242, 315 BGB unterwerfen, wie dies die Rechtspre­ chung in entsprechender Weise für Formularbestimmungen der Publikums-KG seit BGH 14. 4. 1975, BGHZ 64, 238 praktiziert; Palandt(-Heinrichs) §25 AGBG Bem. 4c); vgl. auch Schneider, Die Inhaltskontrolle von Gesellschaftsverträgen: ZGesR 7 (1978) 1. 56 Die grundsätzliche Anwendbarkeit des AGB-Gesetzes schließt nicht aus, daß einzelne Regelungen nicht oder nur modifiziert anzu wenden sind. Da § 10II VAG den Vereinen erlaubt, die AVB in die Satzung aufzunehmen, wird man erwägen können, ob nicht auf § 2 I AGB­ Gesetz völlig verzichtet werden kann. 57 Dazu Ulmer/Brandner/Hensen § 12 Rz. 2; Löwe/von Westphalen/Trinkner II § 12 Rz. 1. Wenig Verständnis für diese Regelungsintention des Gesetzgebers bei Staudinger(-Schlosser) § 12 AGBG Rz. 1 und Koch/Stübing § 12 Rz. 2 ff. 58 Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf, Bundesrat, Drucksache 360/75, Seite 40:

Zur rechtspolitischen Beurteilung des § 12 AGBG sind zwei Bemerkun­ gen geboten. Mit § 12 AGBG zieht der Gesetzgeber Konsequenzen aus den Wandlun­ gen des materiellen Vertragsrechts. Kollisionsrecht wird in die Verantwor­ tung genommen, um die im Sachrecht verwirklichten Schutzzwecke auch in international verknüpften Sachverhalten abzusichern. Damit geht der Ge­ setzgeber von einer Position aus, die hier eingehend begründet und befür­ wortet worden ist59. § 12 AGBG ist daher weder ein „Fremdkörper im IPR“, noch gibt die Vorschrift Anlaß zur Anwendung des „Grundsatzes der einen­ genden Auslegung“60. § 12 AGBG ist als ein Versuch des Gesetzgebers zu verstehen, in Erfüllung der Forderung Kahns61, dem „positiven“ ordre public62 im Hinblick auf das AGB-Gesetz konkrete Gestalt zu verleihen63. Zugleich besteht kein Anlaß, dem Gesetzgeber des § 12 AGBG „Nationa­ lismustendenz“64 vorzuwerfen65: In § 12 Nr. 1 und 2 AGBG sind Anwen­ dungsvoraussetzungen formuliert, die keinesfalls überzogen sind: Sie kön­ nen sowohl den Weg zu einer allseitigen Kollisionsnorm für AGB-Schutz­ normen öffnen66, als auch zum Ausgangspunkt einer objektiven Anknüp­ fung der Massenverträge mit Endverbrauchern genommen werden67. Der inländische Kunde dürfe bei Verträgen mit ausländischen Unternehmen „grundsätzlich nicht schlechter stehen... als bei reinen Inlandsgeschäften“. 59 Oben in § 5; zum Wandel des Kollisionsrechts als Folge eines Wandels des Sachrechts: Schurig 210 f. 60 So aber Staudinger(-Schlosser) § 12 AGBG Rz. 7. 61 Kahn (oben § 4 N. 196) 251 f. 62 Die terminologische Erfassung des § 12 AGBG bereitet Schwierigkeiten: Staudinger (-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz 382, sieht in § 12 AGBG „wesensmäßig“ eine Sonderanknüpfung zwingenden Rechts, die sich „wie eine ordre-public-Klausel“ auswirkt; ähnlich Palandt(-Heldrich) BGB37 (1978) § 12 AGBG Bem. 1 und 3 (Sonderanknüpfung und ordre public) - anders ab der 40. Auflage (1981); ebenso Müller-Graff, Das Recht zur Regelung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen: JZ 1977, 245 (248): „Sonderan­ knüpfung“; Münchener Komm. (-Kötz) I § 12 AGBG Rz. 1; Löwe/von Westphalen/Trink­ ner II § 12 Rz. 3 (Sonderanknüpfung), Rz. 13 (ordre-public-Vorbehalt). Die Verwendung des Terminus Sonderanknüpfung wird abgelehnt von Reithmann(-Martiny) Rz. 28 (keine „ech­ te“ Sonderanknüpfung, sondern „spezielle“ Vorbehaltsklausel, weil das AGB-Gesetz keine unbedingte Geltung verlange und einen Vergleich mit dem Vertragsstatut anordne); Krophol­ ler, RabelsZ 42 (1978) 634 (651 und N. 69); Sonnenberger, FS Ferid 377 (384ff, 393) (konkretisierte positive ordre-public-Norm); zuletzt M. Mühl, Zum Problem der kollisions­ rechtlichen Beachtung zwingender Vorschriften gemäß § 12 AGBG und Art. 7 des europäi­ schen Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, in: FS Mühl (1981)449 (463f.). 63 Sonnenberger, FS Ferid 377 (393). 64 So Koch/Stübing § 12 Rz. 1; vgl. auch Schlosser/Coester-Waltjen/Graba § 12 Rz. 6. 65 So zu Recht Ulmer/Brandner/Hensen § 12 Rz. 2. 66 Dies betont U. Hübner, NJW 1980, 2601 (2605). 67 Vgl. Stoll, Internationalprivatrechtliche Probleme bei Verwendung Allgemeiner Ge­ schäftsbedingungen, in: FS Beitzke (1979) 759 (779); Art. 5 III Übereinkommen 1980 der EG; § 411 öst. IPRG; Art. 29 II, I deutscher IPR-Gesetz-Entwurf 1983; siehe unten § 9 III3 c).

Die rechtspolitische Kritik an § 12 AGBG läßt darüber hinaus zumeist den engen Bezug dieser Norm68 zum 1972 fertiggestellten „Vorentwurf eines Übereinkommens über das auf vertragliche und außervertragliche Schuld­ verhältnisse anwendbare Recht“69 (im folgenden: „EG-Vorentwurf 1972“) unberücksichtigt.

Art. 7 EG-Vorentwurf 1972 sah bereits vor, daß unter gewissen Voraussetzungen neben dem Vertragsstatut auch die zwingenden Vorschriften einer anderen Rechts­ ordnung berücksichtigt werden können, zu der der Vertrag enge Beziehungen hat; Art. 7 sollte dabei nicht nur den Weg zu einer gesonderten Anknüpfung bzw. Berücksichtigung der zwingenden und anwendungswilligen Normen der lex fori öffnen, sondern zugleich dem Richter die Möglichkeit geben, anwendungswillige Normen dritter Rechtsordnungen neben der lex causae durchzusetzen. § 12 AGBG baut auf Art. 7 EG-Vorentwurf1972 auf. Er stellt für den deutschen Richter klar, daß die Normen des AGB-Gesetzes als zwingende Vorschriften im Sinne von Art. 7 EGVorentwurf 1972 unter den Voraussetzungen des § 12 Nr. 1 und 2 AGBG zu berück­ sichtigen sind und klärt für den ausländischen, aufgrund des Art. 7 EG-Vorentwurf 1972 judizierenden Richter die AnwendungsWilligkeit der AGB-Normen und ihre Grenzen70. Vergegenwärtigt man sich diesen Zusammenhang, erscheint die kollisionsrechts­ politische Kritik wenig gerechtfertigt: Die Tatsache, daß § 12 AGBG nur eine einsei­ tige, die Anwendung deutschen Rechts betreffende Regel formuliert, erklärt sich zwanglos daraus, daß der Gesetzgeber die Formulierung einer Kollisionsnorm, die auch zu einer Sonderanknüpfung ausländischer zwingender Normen neben dem Vertragsstatut fuhrt, dem EG-Vorentwurf 1972 überlassen konnte. Und der Vor­ wurf eines „Normanwendungsimperialismus“71 erscheint wenig überzeugend, wenn der deutsche Gesetzgeber - im Vorgriff auf künftige Rechtsentwicklungen im europäischen Bereich - bestrebt gewesen ist, die vor dem Inkrafttreten des EGVorentwurfs 1972 erlassenen Gesetze auf dasjenige einzustellen, worauf europäisches Recht abzielt72: Die der Generalklausel des positiven ordre public unterfallenden 68 Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf (oben N. 58) 41. Dieser Zusammenhang wird im Schrifttum allgemein gesehen; Landfermann, AGB-Gesetz und Auslandsgeschäfte: RIW/AWD 1977, 445 (449); Löwe/von Westphalen/Trinkner II § 12 Rz. 2; Ulmer/Brand­ ner/Hensen § 12 Rz. 2; Münchener Komm. (-Kötz) I § 12 AGBG Rz. 1; Palandt(-Heldrich) § 12 AGBG Bem. 1 (in 37. Aufl. 1978, dagegen nicht mehr ab der 40. Auflage 1981). 69 Kommission Dok. Nr. XIV/398/72 Rev.: 1, abgedruckt auch in: RabelsZ 38 (1974) 211. 70 Siehe auch Landfermann, RIW/AWD 1977, 445 (449). Geht es § 12 AGBG auch darum, dem ausländischen Richter Informationen über die Anwendungswilligkeit deutschen Rechts zu vermitteln, ist dies für die rechtstechnische Einordnung des § 12 AGBG von Bedeutung. Die Bezeichnung als „spezielle Vorbehaltsklausel“ - in Abgrenzung zu einer strikten Sonderan­ knüpfung - versucht die rechtstechnische Koordination zwischen Vertragsstatut und AGB­ Gesetz zu umreißen (vgl. Kropholler, RabelsZ 42 [1978] 634 [651]), rückt aber § 12 AGBG in die Nähe traditioneller ordre-public-Vorstellungen und mag damit ausländische Richter - unter Berufung auf die Nichtbeachtung des ordre public des Auslands - dazu verleiten, § 12 AGBG keine Beachtung zu schenken. 71 Schlosser/Coester-Waltjen/Graba § 12 Rz. 6. 72 Dazu Landfermann, RIW/AWD 1977, 445 (449 N. 42); Ulmer/Brandner/Hensen § 12

Normen zu bestimmen und ihren internationalen Anwendungsanspruch zu konkre­ tisieren. Der EG-Vorentwurf 1972 wirft darüber hinaus ein erhellendes Licht auf die Gründe, die für den Gesetzgeber maßgebend gewesen sind, den Schutz der Verbrau­ cher über eine Norm wie § 12 AGBG abzusichern. Der EG-Vorentwurf1972 basierte auf der weitgehenden Anerkennung der Parteiautonomie (Art. 2). Hilfsweise sollte die Rechtsordnung desjenigen Staates zur Anwendung kommen, mit dem der Ver­ trag den engsten Zusammenhang aufweist (Art. 4 I), wobei diese Generalklausel durch die Maßgeblichkeit des Sitzes (bzw. der Niederlassung) des die charakteristi­ sche Leistung erbringenden Vertragspartners konkretisiert wurde (Art. 4II). Anders als die endgültige, zur Unterzeichnung aufliegende Fassung von 1980, kannte der Vorentwurf1972 keine vom „Gesetz“ der charakteristischen Leistung abweichendeund die Parteiautonomie einschränkende - Anknüpfung für Massenverträge mit Endverbrauchern73. Die Absicherung des im materiellen Vertragsrecht verwirklich­ ten Verbraucherschutzes sollte gerade über Art. 7 EG-Vorentwurf 1972 erreicht werden74.

Insoweit erscheint es dann auch konsequent, wenn der deutsche IPRGesetz-Entwurf von 1983, der in Art. 29II und I eine objektive, am Verbrau­ cherschutz orientierte Anknüpfung von Verbraucherverträgen enthält, den §12 AGBG als überflüssig ansieht und daher wieder abschaffen will75. Ob dies auch für Versicherungsverträge (über Risiken in der EWG) wünschbar erscheint, für die Art. 29II, I keine Anwendung findet, müssen erst noch die folgenden Überlegungen zeigen.

Rz. 2; von Hoffmann, General Report on Contractual Obligations, in: European Private International Law of Obligations, hrsg. von Lando u. a. (1975) 1 (14f.). 73 Das Vorbild des EG-Vorentwurfs von 1972 kann insbesondere erklären, warum die Gesetzesbegründung des Regierungsentwurfs zum AGB-Gesetz (oben N. 58) 40 die besondere Bedeutung des Sitzes des charakteristisch Leistenden für die Vertragsanknüpfung herausgestellt hat, obwohl die deutsche Rechtsprechung der Maßgeblichkeit der vertragstypischen Leistung seit jeher skeptisch gegenübergestanden ist und erst in jüngerer Zeit die Fragwürdigkeit der dahinterstehenden Wertung gerade bei Massenverträgen mit in der BRD wohnhaften Endver­ brauchern bestätigt hat; vgl. BGH 16. 11. 1972, WM 1973, 98 = IPRspr. 1972 Nr. 14. 74 Vgl. von Hoffmann (oben N. 72) 12 ff; Coester, Die Berücksichtigung fremden zwin­ genden Rechts neben dem Vertragsstatut: ZvglRW 82 (1983) 1 (6). 75 Artikel 6 § 2 des Gesetzentwurfs und Gesetzesbegründung, Bundesrat, Drucksache 222/ 83, S. 95. Kritisch demgegenüber die „Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für ausländi­ sches und internationales Privatrecht zum Regierungsentwurf von 1983 - Kodifikation des deutschen IPR“: RabelsZ 47 (1983) 601 (672f). Die dort an der Aufhebung des § 12 AGBG geäußerte Kritik ist jedenfalls insoweit verfehlt, als sie davon ausgeht, daß § 12 AGBG auch für den kaufmännischen Verkehr Geltung beansprucht. Dabei wird § 24 Satz 1 Nr. 1 AGBG (oben N. 48) übersehen. Soweit - unter Berufung aufU. Hübner, ZVersWiss. 1983, 21 (36ff.)-ein Bedürfnis für die Fortgeltung des § 12 AGBG jedenfalls für Versicherungsverträge festgestellt wird, erscheint dies im Hinblick auf die folgenden Untersuchungen zumindest problematisch.

3. „Berücksichtigung“ im Sinne von § 12 AGBG In § 12 AGBG ist bestimmt, daß unter den in Nr. 1 und 2 genannten Voraussetzungen die Vorschriften des AGB-Gesetzes „zu berücksichtigen“ sind. Damit findet, wiederum nach dem Vorbild des Art. 7 EG-Vorentwurf 197276, ein Terminus Verwendung, dessen Bedeutung im einzelnen noch weitgehend ungeklärt ist.

Die Technik der Berücksichtigung sachstatutsfremder Normen ist dem deutschen Recht nicht unbekannt77. Kollisionsnormen klassischer Prägung weisen die Entschei­ dung einer Rechtsfrage oder eines ganzen Komplexes einer einzigen Rechtsordnung zu. Ein international verknüpfter Sachverhalt wird „nationalisiert“78 und kann das Bedürfnis wecken, auf der Ebene des Sachrechts - also im Rahmen der lex causae„nachzusteuern“, um der Internationalität des Sachverhalts in angemessener Weise gerecht zu werden79. Ausländische Verkehrsregeln80, Wettbewerbsnormen und -Sit­ ten81 und Regelungen des Außenwirtschaftsrechts (Import- und Exportvorschrif­ ten)82 können über Generalklauseln wie § 138 BGB oder über Tatbestandsmerkmale einzelner Sachnormen berücksichtigt werden und am Entscheidungsvorgang teil­ nehmen83. Während es in diesen Fällen darum geht, durch die Berücksichtigung sachstatutsfremder Normen im Rahmen der lex causae Lösungen zu entwickeln, die der Internationalität des Sach verhalts angemessen sind84, zielt § 12 AGBG darauf ab,

76 Art. 7 lautet: „Weist der Vertrag auch Verbindungen mit einem anderen als dem Staat auf, dessen Recht... anwendbar ist, und enthält das Recht dieses anderen Staates Vorschriften, die den Sach verhalt zwingend in einer Weise regeln, welche die Anwendung jedes anderen Rechts ausschließt, so werden diese Vorschriften insoweit berücksichtigt, als ihre Art und ihr besonde­ rer Zweck diese Ausschließlichkeit rechtfertigen können.“ 77 Vgl. nur die Hinweise bei Jayme, Allgemeine Geschäftsbedingungen und IPR: ZgesHR 142(1978) 105 (119). 78 Dazu Steindorff 11. 79 Stoll, FS Beitzke 759 (766), sieht in der Anpassung des materiellen Rechts an die Besonderheiten auslandsbezogener Sachverhalte den „notwendigen Ausgleich dafür, daß die kollisionsrechtliche Entscheidung abstrakt und generell sein muß“. 80 OLG Köln 12. 11. 1968, IPRspr. 1968-69 Nr. 36 (S. 68);BGH23.11.1971, BGHZ57, 265 (267 f.) = IPRspr. 1971 Nr. 18. 81 BGH 24. 7. 1957, IzRspr. 1954-57 Nr. 222; HansOLG Hamburg 22. 10. 1923, HansGZ 1923, 22; RG12. 5.1936, SeuffA 90 (1936) Nr. 126 (S. 262); LG Ellwangen 23.12.1958, IPRspr. 1958-59 Nr. 45; BGH 27. 3. 1968, NJW 1968, 1572 = IPRspr. 1968-69 Nr. 170. 82 BGH 22. 6. 1972, BGHZ 59, 82 (85). 83 Vgl. dazu bereits RG 13. 11. 1917, RGZ 91, 260; 28. 6. 1918, RGZ 93, 182 (184); Zweigert, Nichterfüllung aufgrund ausländischer Leistungsverbote: RabelsZ 14 (1942) 283; ausführlich Schulte, Die Anknüpfung von Eingriffsnormen, insbesondere wirtschaftsrechtli­ cher Art, im internationalen Vertragsrecht (1975) 32 ff. mit weiteren Nachweisen aus dem Schrifttum und der Rechtsprechung. Vgl. aus dem amerikanischen Schrifttum: Currie 69ff; Shapira, The Interest Approach to Choice of Law (1970) 56ff.; Ehrenzweig, Private Interna­ tional Law 183 ff., 169 ff. 84 In diese Richtung zielt auch Art. 7 des (von der Bundesrepublik Deutschland noch nicht ratifizierten) Haager Übereinkommens über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende

die mit der Verweisung auf ausländisches Recht erreichten Ergebnisse durch das inländische Recht, das bedingt zur Anwendung berufen wird, zu kontrollieren und gegebenenfalls zu korrigieren.

a) Ausländisches dispositives Vertragsrecht als Wertungsgrundlage

Gemäß § 12 AGBG sind die Normen des AGB-Gesetzes nicht „anzuwenden“85, sondern nur zu „berücksichtigen“. Damit soll zum einen klargestellt werden, daß das AGB-Gesetz nicht in jedem Fall neben ausländischem Vertragsstatut zur Anwendung kommt, sondern nur dann, wenn ausländi­ sches Recht hinter dem Schutzstandard des AGB-Gesetzes zurückbleibt86. Kennt das zur Anwendung berufene ausländische Vertragsstatut eine noch schärfere Kontrolle als sie das AGB-Gesetz verwirklicht, bleibt es bei der alleinigen Anwendung ausländischen Rechts87. Der Terminus „berücksichtigen“ wurde vom Gesetzgeber zum anderen im Hinblick auf die Probleme gewählt, die bei Anwendung der Normen des AGB-Gesetzes auf einen Vertrag, der ausländischem Recht unterliegt, zu erwarten sind88. Keine oder nur geringe Schwierigkeiten wird die Anwen-

Recht vom 4. 5. 1971, abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfah­ rensrecht (1978) Nr. 32. Der (offizielle) englische und französische Text ist abgedruckt in: RabelsZ 33 (1969) 346 ff. Art. 7 lautet: „Unabhängig von dem anzuwendenden Recht sind bei der Bestimmung der Haftung die am Ort und zur Zeit des Unfalls geltenden Verkehrs- und Sicherheitsvorschriften zu berücksich­ tigen“; vgl. auch Art. 9 des Haager Abkommens über das auf die Produktenhaftpflicht anwendbare Recht vom 2. 10. 1973, abgedruckt in: RabelsZ 37 (1973) 594 ff. 85 So etwa noch § 33 des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der CDU/CSU-Fraktion, Bundestag, Drucksache 7/3200; vgl. auch Ulmer/Brandner/Hensen § 12 Rz. 3. 86 Das ist ganz einhellige Meinung: Staudinger(-Schlosser) § 12 AGBG Rz. 7 und 8; Münchener Komm. (-Kötz) I § 12 AGBG Rz. 5; Löwe/von Westphalen/Trinkner II § 12 Rz. 1; Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 382; Reithmann(-Martiny) Rz. 31; U. Hübner, NJW 1980, 2601 (2604); Soergel(-Lüderitz) VIII Vor Art. 7 EGBGB Rz. 291. 87 Vgl. Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf (oben N. 58) 41, wo es heißt: „Bietet das anwendbare Recht einen äquivalenten Schutz, ist dem Anliegen des § 10 Genüge getan“. In diesem Sinne wohl auch Kegel 297 mit der Bemerkung, es bleibe dem Richter überlassen, ob und wieweit er den Vertragsgegner des Verwenders der AGB „über das maßgebende fremde Recht hinaus“ schütze. Kegel schränkt damit keineswegs die Anwendung des maßgeblichen, schutzintensiveren ausländischen Rechts ein, sondern formuliert allein eine Daumenregel für die Anwendung des AGB-Gesetzes gegenüber schutzschwächerem ausländischem Recht. Ke­ gel wird damit im Schrifttum zumeist mißverstanden; z. B. vonJayme, ZgesHR 142 (1978) 105 (119 bei N. 74); Palandt(-Heldrich) § 12 AGBG Bem. 3; U. Hübner, NJW 1980, 2601 (2604 N. 54); von Westphalen, International-privatrechtliche Probleme und AGB-Gesetz: WM 1978, 1310. 88 Siehe Gesetzesbegründung (oben N. 58) 41; Landfermann, RIW/AWD 1977, 445 (449); Ulmer/Brandner/Hensen § 12 Rz. 12.

düng der §§ 2-5 AGBG89 - wirksame Einbeziehung der AGB in den Vertrag, Unwirksamkeit überraschender Klauseln, Vorrang individueller Abreden, Unklarheitenregel - bereiten90. Spannungen, die bei der Zusammenfügung von Elementen verschiedener Rechtsordnungen entstehen können, sind nicht zu befurchten: Die §§ 2-5 AGBG lassen sich unverändert anwenden, wenn das ausländische Recht keine entsprechenden Normen oder nur weni­ ger strikte Regeln kennt91. Schwierigkeiten stehen jedoch einer unmittelbaren (im Sinne von unver­ änderten) Anwendung der S§ 9-11 AGBG auf einen Vertrag entgegen, der ausländischem Recht unterliegt. Gemäß § 8 AGBG unterliegen der Inhaltskontrolle nur solche Klauseln, „die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelun­ gen“ enthalten. Die §§ 9-11 AGBG finden - anders als die §§ 2-7 AGBG grundsätzlich keine Anwendung auf Klauseln, die allein der Leistungsbe­ schreibung dienen, also erst das Rechtsprodukt „Versicherungsschutz“ kon­ stituieren92. Kontrollfrei bleiben auch alle Klauseln, die mit dem dispositiven

89 § 1 ist über § 12 AGBG unmittelbar anzu wenden, da insoweit der sachliche Anwendungs­ bereich des § 12 AGBG abgesteckt wird. 90 Dazu Ulmer/Brandner/Hensen § 12 Rz. 13; Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz, § 12 Rz. 12 (im folgenden: Wolf/Horn/Lindacher); Landfermann, RIW/AWD 1977, 445 (449). Was als „überraschend“ im Sinne von § 3 AGBG zu gelten hat - man denke hier vor allem an Leistungsbeschreibungen und Risikoausschlußklauseln in den AVB -, bestimmt sich grund­ sätzlich vom Erwartungshorizont des inländischen Rechtsverkehrs her. 91 Landfermann, RIW/AWD 1977, 445 (449); Ulmer/Brandner/Hensen § 12 Rz. 13. Immer ist zunächst nach dem Vertragsstatut zu prüfen, ob die AVB bzw. einzelne Klauseln Vertragsinhalt geworden sind; anderer Ansicht Reichert-Facilides, VersR 1978, 481 (483), der die §§ 1-7 AGBG gesondert anknüpfen will. 92 Dies gilt nach ganz überwiegender Auffassung zumindest für solche Klauseln, die die zentrale Leistungsbestimmung (Brandner, FS Hauß 1 [7]) bzw. die „allgemeinste Beschrei­ bung des versicherten Objekts und der versicherten Gefahr“ (Prölss/Martin Vorbem. 16 C a) liefern. Inwieweit darüber hinaus „sekundäre“ leistungsbestimmende Klauseln, insbesondere die Risikoabgrenzungen und -ausschlüsse sowie die Ausgestaltung der Obliegenheiten des Versicherungsnehmers über § 8 AGBG der Inhaltskontrolle entzogen sind, ist äußerst kontro­ vers; vgl. neben den Kommentaren zum AGB-Gesetz etwa Sieg, VersR 1977, 489; Wagner, AGB-Gesetz und Allgemeine Versicherungsbedingungen: ZVersWiss. 1977, 119; Meyer-Kah­ len, AGB-Gesetz und Allgemeine Versicherungsbedingungen: VersPrax. 1977, 81; Helm, NJW 1978, 129; Schaefer, VersR 1978, 4; Bauer, BB 1978, 476; Frenz, Zur Bedeutung des AGB-Gesetzes für die Gefahrbeschreibung in den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedin ­ gungen: VersR 1979, 394; Brandner, FS Hauß 1. Der Bundesgerichtshof hat die Frage bisher offengelassen: BGH 1. 6. 1983, VersR 1983, 821 (822). Im wesentlichen lassen sich drei Positionen unterscheiden: (1) Eine Reihe von Autoren geht davon aus, daß alle Klauseln, die der Risikobeschreibung, -abgrenzung und -beschränkung dienen, von § 8 AGBG der Inhaltskontrolle jedenfalls immer dann entzogen sind, wenn es keine gesetzlichen Parallelvorschriften gibt; so Staudinger (-Schlosser) § 8 AGBG Rz. 1, § 9 AGBG Rz. 176; Schaefer, VersR 1978, 4 (7ff); Sieg, VersR 1977, 489 (491); Wagner, ZVersWiss. 1977, 119 (142); Löwe/von Westphalen/Trinkner, Kommentar zum Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen1

Recht übereinstimmen oder gar den Klauselgegner bessersteilen93, denn (1977) § 8 Rz. 7 (im folgenden: Löwe/von Westphalen/Trinkner [1977]). Verwiesen wird auf die Gesetzesbegründung (oben N. 58) 22, die Leistungsbeschreibungen ausdrücklich den §§ 9ff. entziehen will, auf die begrenzte „Aufgabe eines liberalen Staates“ (Staudinger [-Schlosser] § 8 AGBG Rz. 1) und auf den fehlenden Kontrollmaßstab bei der Überprüfung der Risikobeschreibungen bzw. -ausschlüsse; Schaefer, VersR 1978, 4 (7). Verhüllte Obliegen­ heiten sollen der Inhaltskontrolle unterfallen; Münchener Komm. (-Kötz) I § 8 AGBG Rz. 8. (2) Eine Gegenposition wird von solchen Autoren vertreten, die grundsätzlich auch und gerade die rechtliche Ausgestaltung der (Haupt-)Leistungspflichten in den AVB der Inhalts­ kontrolle unterwerfen wollen (Koch/Stübing § 8 Rz. 9; Bauer, Betr. Ber. 1978, 476 [480]), da der Wortlaut des § 8 einen Ausschluß der Leistungsbestimmungen von der Inhaltskontrolle nicht rechtfertigen kann, weil gerade im Bereich der Hauptleistungspflichten das Kontrollbe­ dürfnis am größten sei und schließlich, da sich die einseitige Bestimmungsmacht des Klausel­ stellers nicht nur auf die Nebenbedingungen, sondern auch auf die rechtliche Ausformung des Produkts Versicherungsschutz erstreckt; vgl. auch LG München 118. 5. 1983, NJW 1983, 1685. (3) Eine dritte Position will die Schranken des § 8 AGBG nur auf die zentrale Leistungsbe­ stimmung in den AVB beziehen: Brandner, FS Hauß 1 (7); Ulmer/Brandner/Hensen § 8 Rz. 27; übereinstimmend Prölss/Martin Vorbem. I 6 C a): „allgemeinste Beschreibung des versicherten Objekts und der versicherten Gefahr“. Im übrigen werden sowohl primäre wie auch sekundäre Risikoabgrenzungen und -beschränkungen für kontrollfähig angesehen; so wohl auch Helm, NJW 1978, 129 (132); ähnlich im Ergebnis Schlosser/Coester-Waltjen/ Graba § 8 Rz. 20; OLG Celle 12. 6. 1981, VersR 1982, 457 (458). Der zuletzt genannten Ansicht ist m. E. zu folgen. Risikobeschränkungen und -ausschlüsse in den AVB sind mit den auf der einseitigen Bestimmungsmacht des Klauselstellers beruhenden Gefahren verbunden, vor denen eine Inhaltskontrolle nach § 9 II Nr. 2 AGB schützen will (Gefährdung des Vertragszwecks); Schlosser/Coester-Waltjen/Graba § 8 Rz. 20; LG Mün­ chen 118. 5. 1983, NJW 1983, 1685. Da die Unterscheidung zwischen der tertiären, sekundären und primären Risikoabgrenzung (dazu Schaefer, VersR 1978, 4 [5f.]) allein eine Frage der Formulierungstechnik ist (so richtig Staudinger[-Schlosser] § 9 Rz. 176), wird man von einer Inhaltskontrolle die primäre Risikoabgrenzung wenigstens nicht prinzipiell ausschließen dür­ fen. Eine solche restriktive Auslegung des § 8 AGBG ist von seinem Wortlaut gedeckt Risikoabgrenzungen und -beschränkungen sind „Rechtsvorschriften... ergänzende Regelun­ gen“ im Sinne von § 8 AGBG. § 8 AGBG schließt - entgegen der Regierungsbegründung - keineswegs jede Inhaltskontrol­ le leistungsbeschreibender Klauseln aus. Soweit etwa das Versicherungsvertragsgesetz in §§ 149, 150 den Versicherungsschutz umschreibt, ist eine den Versicherungsschutz modifizie­ rende AVB-Klausel nach dem eindeutigen Wortlaut des § 8 AGBG („von Rechtsvorschriften abweichende... Regelungen“) nach §9 zu prüfen; dies ist wohl unstreitig: Staudinger (-Schlosser) § 8 AGBG Rz. 1; Bauer, BB 1978, 476 (479); Schaefer, VersR 1978, 4 (7ff.). Schließlich kommt es für eine Kontrollfähigkeit einer AVB-Bestimmung auch nicht darauf an, ob eine konkrete gesetzliche Parallelvorschrift existiert, die den Kontrollmaßstab abgeben kann; so aber Schaefer, VersR 1978, 4 (7f.), der sich insoweit auf § 9 II Nr. 1 AGBG stützt, dabei aber sowohl § 9 I wie auch § 9 II Nr. 2 AGBG übergeht, die den Richter ausdrücklich zur Inhaltskontrolle gerade auch auf Gebieten legitimieren, die der Gesetzgeber (noch) nicht geregelt hat. Fehlt es an einer konkreten gesetzlichen Bestimmung, sind zumindest immer die §§ 157, 242 BGB als „Rechtsvorschriften“ im Sinne von § 8 AGBG berührt; OLG Celle 12. 6. 1981, VersR 1982, 457 (458). Vgl. zum Problem auch Staudinger (-Schlosser) § 8 AGBG Rz. 4; Löwe/von Westphalen/Trinkner (1977) § 8 Rz. 17; Ulmer/Brandner/Hensen § 8 Rz. 2. 93 Mit normativen Regelungen übereinstimmende AGB sind keine „rechtsändernden“ bzw. „rechtsergänzenden “ AGB im Sinne von § 8 AGBG; Gesetzesbegründung (oben N. 58) 22. Dies ist allgemein anerkannt; vgl. Münchener Komm. (-Kötz) I § 8 AGBG Rz. 2; Löwe/von Westphalen/Trinkner (1977) § 8 Rz. 16; Prölss/Martin Vorbem. 16 C a). Übereinstimmung

Aufgabe des Richters ist es nur, die einseitig bestimmte Abweichung vom gesetzlichen Interessenausgleich auf ihre Angemessenheit zu überprüfen, nicht aber das dispositive Gesetzesrecht selbst zu korrigieren*94. Findet auf einen Vertrag ausländisches Recht Anwendung, bedeutet dies zunächst, daß sich die ausländischen zwingenden Normen durchsetzen. Das dispositive Recht gilt, soweit die Vertragsparteien keine abweichenden Ver­ einbarungen getroffen haben. Die „Berücksichtigung“ der in den §§9-11 AGBG fixierten Grundsätze einer Inhaltskontrolle verlangt, daß das auslän­ dische dispositive Recht gegen ein einseitiges „contracting out“ in demselben Ausmaß geschützt werden soll, wie dies die §§ 9-11 AGBG für das deutsche dispositive Recht vorsehen95. Das ausländische Vertragsstatut ist Ausgangs­ punkt und Wertungsgrundlage für jede AGB-Inhaltskontrolle. Daran knüp­ fen sich zwei - fast selbstverständlich klingende - Folgerungen: Weicht eine AGB-Klausel vom ausländischen dispositiven Recht in einer (am Maßstab der §§9-11 AGBG orientiert) unangemessenen Weise ab, treten grundsätzlich die ausländischen dispositiven Rechtsnormen - und nur diese - an ihre Stelle96. Enthalten die AGB Regelungen, die mit dem dispositiven, zur Anwen­ dung berufenen ausländischen Recht übereinstimmen oder den Klausel­ Gegner günstiger stellen, besteht für eine Inhaltskontrolle kein Anlaß97. Denn die Inhaltskontrolle soll nur vor den Gefahren einseitig vorformulier­ ter Klauseln schützen, nicht aber zu einer Korrektur des zur Anwendung berufenen dispositiven Rechts führen98.

mit dispositivem Gesetzesrecht besteht jedoch nur, wenn über Wort- und Sinngleichheit hinausgehend das Gesetzesrecht funktionsgetreu eingesetzt wird, die AGB also gerade diejeni­ gen Sachverhalte erfassen, für die die Rechtsnormen ex lege Geltung beanspruchen; Palandt (-Heinrichs) § 8 AGBG Bem. 2c); Löwe/von Westphalen/Trinkner (1977) § 8 Rz. 17; STAUdinger(-Schlosser) § 8 AGBG Rz. 9. 94 Vgl. die Gesetzesbegründung (oben N. 58) 22 (Vorrang spezialgesetzlicher Regelungen); Meyer-Kahlen, VersPrax. 1977, 81 (82); Ulmer/Brandner/Hensen § 8 Rz. 21. 95 „Rechtsvorschriften“ im Sinne von § 8 AGBG sind dann die Rechtsnormen des ausländi­ schen Vertragsstatuts: Landfermann, RIW/AWD 1977, 445 (449); Reichert-Facilides, VersR 1978, 481 (483);Jayme, ZgesHR 142 (1978) 105 (120f); Stoll, FS Beitzke 759 (780); Sonnen­ berger, FS Ferid 377 (394); Ulmer/Brandner/Hensen § 12 Rz. 13; SCHLOSSER/COESTERWaltjen/Graba § 12 Rz. 8; Staudinger(-Schlosser) § 12 AGBG Rz. 8. Anders jedoch West­ phalen, WM 1978, 310 (315); U. Hübner, NJW 1980, 2601 (2605 und N. 58); ders., ZVers­ Wiss. 1983, 21 (37); Kropholler, RabelsZ 42 (1978) 634 (651 N. 68); Mühl, FS Mühl 449 (465 f); Wolf/Horn/Lindacher § 12 Rz. 13. 96 Reithmann(-Martiny) Rz. 31 (S. 35); Ulmer/Brandner/Hensen § 12 Rz. 13; Soergel (-Lüderitz) VIII Vor Art. 7 EGBGB Rz. 292; Jayme, ZgesHR 142 (1978) 105 (121); anderer Ansicht: U. Hübner, ZVersWiss. 1983, 21 (37). 97 Staudinger(-Schlosser) § 12 AGBG Rz. 8; anderer Ansicht: U. Hübner, ZVersWiss. 1983, 21 (37). 98 Landfermann, RIW/AWD 1977, 445 (449). Zum „dispositiven Recht“ zählen auch die nicht kodifizierten allgemeinen Rechtsgrundsätze; Koch/Stübing Vorbem. zu §§ 8-11 Rz. 1.

Den Terminus „berücksichtigen^ hat der Gesetzgeber im Hinblick darauf gewählt, daß eine Inhaltskontrolle der AGB nach den Wertungen der §§ 8­ 11 AGBG bei Maßgeblichkeit ausländischen Vertragsrechts nicht durch eine unmittelbare (unveränderte) Anwendung möglich ist". Dies aus zwei Gründen. Die §§10, 11 AGBG beziehen sich auf eine ganz bestimmte Ausgestal­ tung des dispositiven deutschen Rechts. Die in Bezug genommenen gesetz­ lichen Regelungen (etwa in § 11 Nr. 2 lit. a) und Nr. 11), Rechtsbegriffe („Zurückbehaltungsrecht“ in § 11 Nr. 2 lit. b); „Verschulden“ usw.) und Rechtsfiguren bauen auf dem deutschen Privatrecht auf. Die §§10, 11 AGBG berücksichtigen heißt, daß diese im AGB-Gesetz verwendeten „Anschlußbegriffe“ bei Maßgeblichkeit ausländischen Rechts auf das aus­ ländische Recht bezogen werden müssen99 100. Inhaltskontrolle der AGB auf der Grundlage des ausländischen dispositi­ ven Vertragsrechts bedeutet, daß die Unbilligkeits- und Unangemessen­ heitswertungen am Maßstab des ausländischen Rechts und seiner Grundge­ danken zu orientieren ist. Deshalb läßt sich die in §§ 10, 11 AGBG enthalte­ ne Mißbilligung einzelner Klauseln keinesfalls unbesehen übernehmen.

Die in § 11 Nr. 10 lit. f) AGBG statuierte Unwirksamkeit von AGB-Klauseln, die gesetzliche Verjährungsfristen verkürzen, beruht auf der Erwägung, daß die §§ 477, 638 BGB gerade zum Schutze des Verkäufers bzw. Werkunternehmers sehr kurze Fristen kennen. Sieht das ausländische Recht Fristen von zwei Jahren (statt sechs Monaten) bzw. zehn Jahren (statt fünf Jahren) vor, ist der rechtspolitische Grund für die in § 11 Nr. 10 lit. f) AGBG angeordnete Mißbilligung der AGB­ Klausel ohne jeden Wertungsspielraum101 entfallen. Der Richter wird vielmehr ei­ genständig prüfen müssen, ob aus der Sicht der ausländischen dispositiven Verjäh­ rungsregeln, jede Abweichung von den Verjährungsfristen zu Lasten des Klausel­ Gegners als unangemessen erscheint102. Hier wird es naheliegen, dem Richter - nach dem Vorbild etwa des § 10 AGBG - die Möglichkeit einzuräumen, eine in ihrem Ausmaß unangemessene Verkürzung der Verjährungsfristen als unwirksam anzuse­ hen. „Berücksichtigung“ der §§8-11 AGBG im Rahmen eines ausländischen Rechts fordert, wie Sonnenberger anschaulich formuliert, sich „in das Vertragssta­ tut hineinzudenken“ und dem Geist und der Schutzrichtung der §§8-11 AGBG 99 In der Gesetzesbegründung (oben N. 58) 41 heißt es dazu: „Eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschriften wird wegen des dem anwendbaren ausländischen Recht zugrunde liegenden Systems häufig nicht möglich sein... (die) Vor­ schriften des AGB-Gesetzes (sind) in einer dem anwendbaren Recht angepaßten Weise anzuwenden“. 100 Schlosser/Coester-Waltjen/Graba § 12 Rz. 8; Jayme, ZgesHR 142 (1978) 105 (121); Staudinger(-Schlosser) § 12 AGBG Rz. 8. 101 Zu den Gründen der Differenzierung zwischen §§ 10-11 und §9 AGBG: Gesetzesbe­ gründung (oben N. 58) 14. 102 Dabei mag auch eine Rolle spielen, ob die Gewährleistungsrechte nach ausländischem Recht dem Klausel-Gegner günstiger oder ungünstiger sind als das deutsche Recht.

entsprechende Normen auf der Grundlage des ausländischen Rechts zu formu­ lieren103. Ist das von der deutschen Kollisionsnorm berufene ausländische dispositive Ver­ tragsrecht im wesentlichen inhaltsgleich, kann der Richter das auf der Grundlage des deutschen dispositiven Rechts entwickelte Unbilligkeitsurteil bezüglich einer be­ stimmten AGB-Klausel schon eher auch im Rahmen des ausländischen Rechts übernehmen. Jedoch muß sich der Richter immer fragen, ob die Bewertung einer nach deutschem Recht unwirksamen AGB-Klausel nicht deshalb in einem anderen Licht erscheinen kann, weil das zur Anwendung berufene Recht dem Klausel­ Gegner in anderer Hinsicht Rechte einräumt, die das deutsche Recht nicht ge­ währt104. So mag die Verkürzung einer nach ausländischem Kaufrecht bestehenden Verjährungsfrist von sechs Monaten auf drei Monate nicht unbedingt unangemessen sein, wenn die dem Käufer eingeräumten Sachmängelansprüche weiter als im deut­ schen Recht gehen, oder aber das ausländische Recht mit Beweiserleichterungen arbeitet, die das deutsche Recht in dieser Weise nicht kennt. „Berücksichtigung“ der §§ 8-11 AGBG im Rahmen des ausländischen Vertragsstatuts verlangt vom Richter die Formulierung eines auf dem auslän­ dischen dispositiven Recht aufbauenden Urteils über die Unangemessenheit oder Unbilligkeit einer AGB-Klausel. Diese Konsequenz wird im Schrift­ tum nicht immer deutlich ausgesprochen105, bisweilen ausdrücklich be­ stritten106. Die deutlichste Gegenposition wird von denjenigen Autoren vertreten, die es ablehnen, für die Kontrolle der AGB bei Maßgeblichkeit ausländischen Vertragsstatus auf die konkrete Ausgestaltung des ausländischen dispositi­ ven Rechts bzw. seiner Grundanschauungen zurückzugreifen107. Unter Hin­ weis auf die Gesetzesbegründung, wonach die Vorschriften des AGB-Geset­ zes zur Anwendung kommen sollen, wenn im ausländischen Recht ein „äquivalenter Schutz“ fehlt108, wird der Schutzzweck des § 12 AGBG in Verbg. mit den §§ 8-11 AGBG nicht nur darin gesehen, eine im ausländi­ schen Recht fehlende bzw. ungenügend ausgebildete Inhaltskontrolle der 103 Sonnenberger, FS Ferid 377 (394). 104 So mit Nachdruck Münchener Komm. (-Kötz) I § 12 AGBG Rz. 5; Sonnenberger, FS Ferid 377 (394); wohl auch Staudinger(-Schlosser) § 12 AGBG Rz. 8; Reithmann(-Martiny) Rz. 31 (S. 36); ablehnend Soergel(-Lüderitz) VIII Vor Art. 7 EGBGB Rz. 291. 105 Etwa bei Reithmann(-Martiny) Rz. 31. Jayme, ZgesHR 142 (1978) 105 (120f.), betont die Notwendigkeit, die Anschluß begriffe des AGB-Gesetzes auf das ausländische Recht zu beziehen und ausländisches Recht zum Zwecke der Lückenfüllung zu berufen; der eigenständi­ ge Wertungsprozeß des Richters auf der Grundlage des ausländischen dispositiven Rechts wird aber nicht hinreichend deutlich gemacht; vgl. dagegen Reichert-Facilides, VersR 1978, 481 (483); Ulmer/Brandner/Hensen § 12 Rz. 13. 106 von Westphalen, WM 1978, 1310 (1315); Löwe/von Westphalen/Trinkner II § 12 Rz. 15-16. 107 von Westphalen, WM 1978, 1310 (1315); Kropholler, RabelsZ 42 (1978) 634 (651 N. 68); vgl. auchU. Hübner, NJW 1980,2601 (2605undN. 58); ders., ZVersWiss. 1983, 21 (37f.). 108 Gesetzesbegründung (oben N. 58) 41.

AGB zu ersetzen, sondern darüber hinaus die im deutschen Recht über das AGB-Gesetz im Zusammenhang mit den deutschen dispositiven Normen abgesicherte Rechtsposition des Klausel-Gegners gegenüber nachteiligen Normen des ausländischen Rechts abzusichern109. Wird die Wertung der Unangemessenheit einer AGB-Klausel nicht auf der Grundlage des zur Anwendung berufenen ausländischen, sondern des deutschen dispositiven Vertragsrechts entwickelt, ist es auch konsequent, wenn bei der Lückenfüllung die deutschen dispositiven Normen (die beiden §§ 8-11 AGBG den Kontrollmaßstab abgegeben haben) nicht zum Nachteil des Klausel-Gegners unterschritten werden dürfen110. Eine solche Auslegung des § 12 AGBG, die auf ein dem Verbraucher freundliches Günstigkeitsprinzip abzielt, ist jedoch abzulehnen. Sie ver­ kennt den Gesetzeszweck des § 12 AGBG und unterläuft die mit der Verwei­ sung auf das ausländische Recht von der Kollisionsnorm verfolgten Zielset­ zungen. Die Gesetzesbegründung zu § 12 AGBG macht die Berücksichtigung der Vorschriften des AGB-Gesetzes davon abhängig, daß das nach den allgemei­ nen Regeln des IPR zur Anwendung berufene ausländische Recht keinen „äquivalenten Schutz“ bietet. Die Äquivalenz bezieht sich allein auf das Kontrollinstrumentarium des AGB-Gesetzes, dessen gleichwertige Ausbil­ dung im ausländischen Recht zu prüfen ist111. „Fehlt ein äquivalenter Schutz, so sind die Vorschriften des AGB-Gesetzes in einer dem anwendbaren Recht angepaßten Weise anzu wenden“112. Die Gesetzesbegründung macht damit zwar das Eingreifen der Vorschriften des AGB-Gesetzes vom Fehlen ent­ sprechender Instrumente im ausländischen Recht abhängig, fordert aber gerade nicht, daß die Anwendung der AGB-Vorschriften im Rahmen des ausländischen Rechts dem Klausel-Gegner im Einzelfall zu einem ebenso guten oder sogar besseren Ergebnis verhelfen soll wie das deutsche Recht in seiner Gesamtheit. Das Kriterium des „äquivalenten Schutzes“, das die Gesetzesmaterialien nennen, bezieht sich nicht auf die Art und Weise der angepaßten - Anwendung der §§8-11 AGBG113, sondern allein auf die 109 von Westphalen, WM 1978, 1310 (1315) (nicht nur die Kontrollinstrumente des AGB­ Gesetzes, sondern das deutsche Recht in seiner Gesamtheit seien der „Mindeststandard“); U. Hübner, ZVersWiss. 1983, 21 (37f.); ebenso Wolf/Horn/Lindacher § 12 Rz. 13 unter Hin­ weis auf die Gesetzesbegründung (oben N. 58) 40, „daß die Stellung des inländischen Kunden gegenüber mißbräuchlichen Klauseln in AGB, die von ausländischen Unternehmen verwendet werden, grundsätzlich nicht schlechter sein soll als bei reinen Inlandgeschäften“. 110 von Westphalen, WM 1978, 1310 (1315); vgl. auch U. Hübner, NJW 1980, 2601 (2605), der das inländische Recht anwenden will, soweit es verbraucherfreundlicher ist. 111 Dazu unten unter b) (Text bei N. 140ff.). 112 Gesetzesbegründung (oben N. 58) 41. 113 Dies scheint auch Reichert-Facilides, VersR 1978, 481 (482f.) zu übersehen.

Frage, ob es überhaupt zu einer Berücksichtigung der §§ 8-11 AGBG kom­ men soll. Die Interpretation des § 12 AGBG im Sinne einer Ergebniskontrolle am Maßstab des gesamten deutschen Rechts (AGB-Gesetz und deutsches Ver­ tragsrecht) negiert die grundlegende Entscheidung der deutschen Kolli­ sionsnorm, daß grundsätzlich die dispositiven (und zwingenden) Normen des ausländischen Rechts den Vertragsinhalt beherrschen sollen. Sie fuhrt darüber hinaus zu Wertungswidersprüchen, die nicht akzeptiert werden können. Verwendet ein ausländisches Unternehmen im inländischen Geschäfts­ verkehr keine AGB, können die §§ 8-11 AGBG schon deshalb nicht berück­ sichtigt werden, weil es bereits am Tatbestandsmerkmal „AGB“ fehlt. Zur Anwendung kommt allein das von der deutschen Kollisionsnorm berufene ausländische Recht. Diese Rechtslage bedürfte eigentlich keiner besonderen Erwähnung, wenn nicht in der Literatur vom Schutzzweck des AGB­ Gesetzes her bereits erwogen worden wäre, §§10, 11 AGBG auch dann durchzusetzen, wenn vom ausländischen Unternehmen gar keine AGB verwendet werden114. Angesichts des eindeutigen Wortlauts des AGB-Ge­ setzes und seines rechtspolitischen Ziels, die einseitige Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch die Stellung vorformulierter AGB zu kontrollieren, ist für solche Überlegungen kein Raum. Soll den inländischen Vetragspartnern bei Verträgen mit ausländischen Unternehmen zur Wahrung der „allge­ meinen Vertragsgerechtigkeit“115 der Schutz der deutschen Normen erhalten bleiben, kann dies nicht über § 12 AGBG, sondern nur mit den Instrumenten der Sonderanknüpfung einzelner Normen, dem positiven ordre public oder einer schutzorientierten Vertragsanknüpfung geleistet werden. Werden AGB verwendet, die vom anwendbaren ausländischen dispositi­ ven Vertragsrecht nicht abweichen, kann das Ergebnis kein anderes sein. Kennt das ausländische Recht für die Geltendmachung von Gewährlei­ stungsansprüchen eine Frist von drei Monaten, sind AGB-Klauseln, die diese Fristbestimmung wiederholen, wirksam, ohne daß über § 12 in Verbg. mit §§ 8 ff. AGBG eine Korrektur vorgenommen werden könnte116. Der Klauselsteller hat seine Möglichkeiten zu einer einseitigen Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit nicht wahrgenommen117. Als Ergebnis ist damit festzuhalten: Das von der deutschen Kollisionsnorm 114 U. Hübner, NJW 1980, 2601 (2605 N. 58). ”5 u. Hübner, NJW 1980, 2601 (2605 N. 58). 116 So mit aller Klarheit Staudinger (-Schlosser) § 12 AGBG Rz. 8; dies wird auch - trotz des gegensätzlichen Ausgangspunktes - anerkannt von Wolf/Horn/Lindacher § 12 Rz. 13; anderer Ansicht von Westphalen, WM 1978,1310 (1315); U. Hübner, NJW 1980, 2601 (2605); Reithmann(-Martiny) Rz. 31 (S. 37). 117 Zweck des AGB-Gesetzes ist es nicht, von der Verwendung von AGB abzuschrecken und

berufene ausländische dispositive Recht ist über § 12 AGBG keiner Kontrol­ le in dem Sinne unterworfen, daß das AGB-Gesetz im Zusammenspiel mit dem dispositiven deutschen Vertragsrecht den Mindeststandard darstellt118. Die Inhaltskontrolle der AGB-Klausel kann sich immer nur auf die unange­ messene Abweichung der Klausel vom ausländischen dispositiven Recht beziehen. Stellt der deutsche Richter die Unwirksamkeit einer AGB-Klausel fest, ist eine entstandene Lücke im Vertrag grundsätzlich durch das von der Kolli­ sionsnorm berufene ausländische dispositive Recht zu schließen119. Dies gilt auf jeden Fall, soweit das ausländische dispositive Recht dem Klausel­ Gegner ungünstiger ist als die entsprechende deutsche Norm: Beträgt die gesetzliche Gewährleistungsfrist im ausländischen Recht drei Monate, tritt an die Stelle einer AGB-Regelung mit einer Einmonatsfrist die ausländi­ sche gesetzliche Frist, nicht aber § 477 BGB120. Ist die ausländische gesetzli­ che Frist länger als die entsprechende des deutschen Rechts, würde eine unbeschränkte Anwendung des ausländischen Rechts121 zu einem Schutz des Klausel-Gegners fuhren, der über dasjenige hinausgeht, was beide Rechts­ ordnungen dem Klausel-Gegner gewähren wollen122. Ein solches Ergebnis sollte vermieden werden123. Vom Schutzzweck des § 12 AGBG ist der Ein­ griff in das zur Anwendung berufene Schuldstatut auf das erforderliche Mindestmaß zu beschränken124: An die Stelle der nach ausländischem Recht zulässigen AGB-Klausel tritt eine - im Rahmen des ausländischen Rechts liegende - Fristbestimmung, die, wäre sie Inhalt der AGB-Klausel, vom deutschen Richter nicht als unangemessen gewertet werden könnte125. Eine Verkürzung der Verjährungsfrist auf sechs Monate könnte angesichts des § 477 BGB wohl nicht als unangemessen angesehen werden.

eine rechtspolitisch durchaus erwünschte Information des Klausel-Gegners über den Inhalt des anwendbaren ausländischen Rechts zu verhindern. 118 Anderer Ansicht Wolf/Horn/Lindacher § 12 Rz. 13. Der Terminus „Mindeststandard“ taucht in der Literatur zumeist auf, wenn es um die Frage geht, ob ausländische AGB-Kontrolle äquivalenten Schutz gewährt; vgl. etwa Palandt(-Heldrich) § 12 AGBG Bem. 3; Jayme, Rechtsvergleichung im IPR, in: FS Schwind (1978) 103 (110). 1,9 Ulmer/Brandner/Hensen § 12 Rz. 13; Jayme, ZgesHR 142 (1978) 105 (121); Reith­ mann (-Martiny) Rz. 21 (S. 37); Soergel(-Lüderitz) VIII Vor Art. 7 EGBGB Rz. 292. 120 Soergel(-Lüderitz) VIII Vor Art. 7 EGBGB Rz. 292; Wolf/Horn/Lindacher § 12 Rz. 18; anders aber Reithmann(-Martiny) Rz. 31 (S. 37); für ein „arithmetisches Mittel“ (Mühl, FS Mühl 449 [466]) ist kein Raum. 121 Dafür Jamye, ZgesHR 142 (1978) 105 (121). 122 Reithmann(-Martiny) Rz. 31 (S. 37). 123 So zu Recht Reithmann(-Martiny) Rz. 31 (S. 37); Erman(-Arndt) II Vor Art. 12 EGBGB Rz. 17; Wolf/Horn/Lindacher § 12 Rz. 18; in diesem Sinne wohl auch Kegel 297. 124 Ulmer/Brandner/Hensen § 12 Rz. 10; Palandt(-Heldrich) § 12 AGBG Bem. 3. 125 Nur so wird vermieden, daß ausländische AGB mit einer Sechsmonatsfrist wirksam sind, bei Klauseln mit weniger als sechs Monaten aber die Zwölfmonatsfrist gilt.

b) Zusammentreffen des § 12 AGBG mit ausländischer AGB-Kontrolle Eine von der Anwendung der §§ 8-11 AGBG im Rahmen des ausländi­ schen Vertragsstatuts streng zu unterscheidende Frage ist, unter welchen Umständen eine Berücksichtigung der Vorschriften des AGB-Gesetzes überhaupt geboten ist. Mit dem Terminus „berücksichtigen“ in § 12 AGBG hat der Gesetzgeber den inländischen Richter der Notwendigkeit enthoben, in jedem Fall, also auch dann, wenn das zur Anwendung berufene Vertrags­ statut eine dem AGB-Gesetz entsprechende Vertragskontrolle kennt, mit einer „angepaßten“ Anwendung des AGB-Gesetzes „nachzusteuern“. Der Eingriff in das von der deutschen Kollisionsnorm berufene ausländische Recht soll auf das Notwendige beschränkt werden. Als Leitlinie heißt es in der Gesetzesbegründung: „Bietet das anwendbare Recht einen äquivalenten Schutz, ist dem Anliegen des § 10 [jetzt: § 12] Genüge getan“126. Konkrete Hinweise des Gesetzgebers darauf, wie der deutsche Richter die Äquivalenz der ausländischen AGB-Kontrolle feststellen und testen soll, fehlen. Die Vielfalt der Meinungen im Schrifttum127 verrät die Schwierigkeiten, die bei der Konkretisierung der vom Gesetzgeber vorgegebenen Leitlinie entste­ hen. Kollisionsrechtspolitischer Dissens läßt sich vor allem in zwei Richtun­ gen feststellen. Zum einen gehen die Meinungen darüber auseinander, ob der vom Ge­ setzgeber angesprochene „äquivalente Schutz“ durch das zur Anwendung berufene Vertragsstatut auch bei nur „tendenziell ähnlichen Lösungen“ im ausländischen Recht gewahrt ist128 oder ob es auf die Gleichwertigkeit der ausländischen AGB-Kontrolle ankommt129, um von einer - angepaßten Anwendung der Regeln des AGB-Gesetzes abzusehen. Zum anderen besteht keine Einigkeit darüber, wie der Vergleich der Rechtsordnungen - abstrakter Normenvergleich130 oder konkreter Einzel­ fallvergleich131 - geführt werden soll. 126 Gesetzesbegründung (oben N. 58) 41; es heißt dort weiter: „Fehlt ein äquivalenter Schutz, so sind die Vorschriften des AGB-Gesetzes in einer dem anwendbaren Recht angepaßten Weise anzuwenden“. 127 Überblick bei Sonnenberger, FS Ferid 377 (384). 128 So Staudinger(-Schlosser) § 12 AGBG Rz. 8: „Bekämpft das ausländische Recht unangemessene Vertragsbedingungen tendenziell ähnlich wie das deutsche AGBG, so ist dessen zusätzliche Berücksichtigung entbehrlich“; Schlosser/Coester-Waltjen/Graba § 12 Rz. 8. 129 So Palandt(-Heldrich) § 12 AGBG Bem. 3; Löwe/von Westphalen/Trinkner II § 12 Rz. 4;Jamye, FS Schwind 103 (110); ders., ZgesHR 142 (1978) 105 (119f); U. Hübner, NJW 1980, 2601 (2604); Ulmer/Brandner/Hensen § 12 Rz. 11. 130 So ließen sich die Ausführungen bei Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz3 (1978) § 12 Rz. 10, verstehen; jetzt im Sinne einer Einzelfallprüfung verdeutlichend die 4. Auflage, Rz. 11. 131 Reithmann(-Martiny) Rz. 31 (S. 36): „materielles Ergebnis im konkreten Fall“; Pa-

Wer tendenziell ähnliche Lösungen ausreichen läßt, versucht, die zusätzliche Anwen­ dung der Regeln des AGB-Gesetzes neben dem ausländischen Vertragsstatut auf ein Mindestmaß zu beschränken132. Damit wird der Richter tendenziell von den aufge­ zeigten schwierigen Problemen entlastet, die aufihn zukommen, wenn er die §§ 8-11 AGBG in einer dem Vertragsstatut angepaßten Weise anwenden soll. Diese restrikti­ ve Auslegung des § 12 AGBG versucht dem Umstand Rechnung zu tragen, daß angesichts der Vielfalt der Techniken der AGB-Kontrolle - richterliche Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle, AGB-Gesetze, Konsumentenschutzgesetze133, zwin­ gende Regelungen im materiellen Vertragsrecht, behördliche AGB-Kontrolle, Om­ budsman, Verbraucherschutzbehörde134 -, die Feststellung einer „Gleichwertigkeit“ der AGB-Kontrolle dem Richter schwerfallen muß. Verzichtet wird auf einen Vergleich der Lösungen in jedem Einzelfall. Der durch das AGB-Gesetz gewährleistete Schutz des Vertragspartners des Klausel-Verwen­ ders wird - in engem Rahmen - zugunsten „internationaler Courtoisie“ zurückge­ drängt135. Der Position, daß tendenziell ähnliche Lösungen der AGB-Kontrolle im ausländi­ schen Recht für Zwecke des § 12 AGBG ausreichen, sind zumindest zwei Einwände entgegenzusetzen. Der gegen das Kriterium der Gleichwertigkeit bzw. Äquivalenz erhobene Ein­ wand, daß es für den Richter nur schwer zu konkretisieren ist136, richtet sich ebenso gegen das Kriterium der „tendenziell ähnlichen Lösung“137: Reicht eine geringere Schutzintensität als die des AGB-Gesetzes aus, ist einerseits unbestimmt, welcher Schutzgrad tendenzielle Ähnlichkeit begründet, andererseits wird auch hier dem Richter die zweifelhafte Aufgabe gestellt zu prüfen, ob das ausländische Recht tatsächlich diesen Grad tendenzieller Ähnlichkeit erreicht. Der Schutzzweck des § 12 AGBG, dafür zu sorgen, daß die Stellung der inländi­ schen Kunden gegenüber mißbräuchlichen Klauseln in AGB, die von ausländischen Unternehmen verwendet werden, „grundsätzlich nicht schlechter sein soll als bei reinen Inlandsgeschäften“138, wird ohne Not eingeschränkt. § 12 AGBG Bem. 3: „Vergleich der materiellen Lösungen, zu welchen das deutsche Recht und das ausländische Schuldstatut im konkreten Fall gelangen“; Ulmer/Brand­ ner/Hensen § 12 Rz. 11; Münchener Komm. (-Kötz) I § 12 AGBG Rz. 5; Jayme, ZgesHR 142 (1978) 105 (119f); ders., FS Schwind 103 (110); von Westphalen, WM 1978, 1310 (1315); Löwe/von Westphalen/Trinkner II § 12 Rz. 14; U. Hübner, NJW 1980, 2601 (2604). 132 So Staudinger(-Schlosser) § 12 AGBG Rz. 7 (Grundsatz der einengenden Auslegung). 133 Vgl. etwa das (österreichische) Bundesgesetz vom 30. 3. 1979, BGBl. Nr. 140, mit dem Bestimmungen zum Schutz der Verbraucher getroffen werden (Konsumentenschutzgesetz KSchG); zu seinen Auswirkungen auf das Versicherungsrecht vgl. Lorenz-Liburnau, Die Vertragsversicherung und das Konsumentenschutzgesetz: VersRdsch. 34 (1979) 321; Fenyves, Die Auswirkungen des Konsumentenschutzgesetzes auf das Recht der Vertragsversicherung: VersRdsch. 34 (1979) 336. 134 Dazu von Hippel, Verbraucherschutz2 (1979) § 4 N. 7; K. Simitis, Verbraucherschutz, Schlagwort oder Rechtsprinzip? (1976) 294ff. mit weiteren Nachweisen in N. 126. 135 U. Hübner, NJW 1980, 2601 (2604). 136 Staudinger(-Schlosser) § 12 AGBG Rz. 8. 137 So zu Recht U. Hübner, NJW 1980, 2601 (2605). 138 Gesetzesbegründung (oben N. 58) 40. landt(-Heldrich)

Im übrigen handelt es sich bei § 12 AGBG nicht um Sachverhalte, bei denen eine möglichst zurückhaltende Anwendung des Inlandsrechts geboten wäre, um Perso­ nen etwa vor widersprechenden Verhaltensanforderungen verschiedener Rechtsord­ nungen zu bewahren. Ausländische Unternehmen, die sowohl auf Auslandsmärkten wie auch im Inland tätig sind, können ihre AGB unschwer auf die Anforderungen der verschiedenen Marktrechte einstellen. Eine einengende Auslegung des § 12 AGBG dient auch kaum der „internationalen Courtoisie“ (welche relevanten Interessen ausländischer Gesellschaftsordnungen würden gefördert?), sondern allein der Erleichterung der wirtschaftlichen Betäti­ gung ausländischer, auf dem Inlandsmarkt tätiger Unternehmen. Eine am Schutz­ zweck des AGB-Gesetzes orientierte Auslegung des § 12 AGBG muß sich des Umstands bewußt bleiben, daß es in der Sache um die Steuerung von Unterneh­ mensverhalten geht. Da die Anknüpfungskriterien der Nr. 1 und 2 des § 12 AGBG sich auf Sachverhalte beziehen, in denen die Klausel-Verwender planmäßig auf dem Inlandsmarkt tätig werden, trifft sie die Berücksichtigung des AGB-Gesetzes keines­ wegs überraschend. Inländischer AGB-Schutz sollte deshalb gegenüber ausländischen Klau­ sel-Verwendern mit gleicher Intensität wie gegenüber inländischen Unter­ nehmen durchgesetzt werden. Dies legt es nahe, auf die Anwendung der deutschen AGB-Kontrollnormen nur zu verzichten, wenn das ausländische Recht eine gleichwertige Kontrolle realisiert. Damit stellt sich die Frage: Wie soll der Richter die Gleichwertigkeit auslän­ discher AGB-Kontrolle feststellen? Reicht ein abstrakter Vergleich der Rechtsordnungen oder geht es um einen Ergebnisvergleich im Einzelfall?

Bei einem abstrakten Rechtsvergleich wird man sich aufgrund des Rege­ lungszwecks des § 12 AGBG, dem inländischen Verbraucher in internationalen Verträgen gleichwertigen Schutz wie in nationalen Vertragsverhältnissen zu sichern, keinesfalls mit einem bloßen Sachnormenvergleich zufrieden geben können139. Viel­ mehr ist von dem sachlichen Regelungsproblem ausgehend - Schutz des Klausel­ Gegners bei AGB-Verträgen - in einem ersten Schritt zu fragen, mit welchen, möglicherweise rechtstechnisch anders gestalteten Mitteln140 das zur Anwendung berufene Vertragsstatut AGB-Schutz gewährleistet141, um in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob diese Mittel dieselbe oder sogar eine bessere Schutzwirkung entfalten als die Normen des AGB-Gesetzes142. Um das Schutzniveau des AGB-Gesetzes nicht zu verfehlen, wird man von den verschiedenen Schutzrichtungen des AGB-Gesetzes 139 Sonnenberger, FS Ferid 377 (394). 140 Palandt(-Heldrich) § 12 AGBG Bem. 3. 141 Dies ist die Fragestellung der funktionalen Rechtsvergleichung; dazu Rheinstein, Einfüh­ rung in die Rechtsvergleichung (1974) 25 f.; Zweigert/Puttfarken, Zur Vergleichbarkeit analoger Rechtsinstitute in verschiedenen Gesellschaftsordnungen, in: Rechtsvergleichung, hrsg. von Zweigert/Puttfarken (1978) 402; Jayme, FS Schwind 103 (104f, 110f.). 142 Dies als ein Akt wertender Rechtsvergleichung; Zweigert/Puttfarken (vorige Note) 404f; Zweigert, Die kritische Wertung in der Rechtsvergleichung, in: FS Schmitthoff (1973) 403ff;Jayme, FS Schwind 103 (111).

- Einbeziehungskontrolle, Schutz vor überraschenden Klauseln, Inhaltskontrolle auszugehen und zu untersuchen haben, ob und mit welchen Regelungstechniken das ausländische Recht die Schutzzwecke des AGB-Gesetzes verfolgt143. Für eine im Hinblick auf §§ 8-11 AGBG funktional gleichwertige Inhaltskon­ trolle des Vertragsstatuts wird man keinesfalls ein eigenes AGB-Gesetz verlangen müssen: Der Schutz des Vertragspartners des Klausel-Verwenders kann durch ei­ ne, die Kontrollintensität der §§ 8-11 AGBG übertreffende Rechtsprechung ebenso gewährleistet werden wie durch zwingende, den jeweiligen Vertragstypus gestaltende Regeln. Effektive AGB-Kontrolle kann auch durch präventive Ver­ waltungskontrolle nach dem Vorbild des Versicherungsaufsichtsgesetzes, aber auch nach Art des schwedischen und norwegischen Ombudsman-Systems ver­ wirklicht werden144. Für die Einbeziehungskontrolle im Sinne von § 2 AGBG sind die Mechanismen des Vertragsstatutes heranzuziehen, die eine gleichwertige Information des Klau­ sel-Gegners gewährleisten. Eine im Vergleich zu den §§8-11 AGBG schärfere Inhaltskontrolle des Vertragsstatuts kann geringere Anforderungen bei der Einbe­ ziehungskontrolle jedoch ebenso wenig kompensieren, wie umgekehrt eine schär­ fere Einbeziehungskontrolle des ausländischen Rechts eine schwächere Inhaltskon­ trolle nicht auszugleichen vermag145. Während gleichwertiger Schutz der Klausel-Gegner im Hinblick auf die Einbe­ ziehungskontrolle der §§ 2 ff. AGBG wohl nur durch einen Ergebnisvergleich im Einzelfall zu leisten sein wird146, stellt sich für die Inhaltskontrolle die schwierige Frage147, ob der Richter sich mit dem Hinweis auf schärfere Kontrollmaßstäbe des Vertragsstatuts begnügen darf, ohne den Einzelfall nach deutschem ABG-Recht durchzuspielen. Ein vom zu entscheidenden Einzelfall abgehobener, abstrakt getätigter Vergleich der AGB-Kontrollinstrumente hätte den Vorteil, den Richter von der Prüfung des Einzelfalles, insbesondere der Entfaltung der Ange­ messenheitskontrolle im Rahmen des ausländischen dispositiven Rechts 143 Vgl. Schmidt-Salzer, Allgemeine Geschäftsbedingungen2 (1977) 292ff.; Schütze, Allgemeine Geschäftsbedingungen bei Auslandsgeschäften: Betrieb 1978, 2301 (2304). Von einem „Gesamtvergleich“ (vgl. Jayme, JZ 1977, 415) wird man nur in dem Sinne sprechen können, daß die gesamte ausländische Rechtsordnung nach Schutztechniken zu befragen ist. 144 Jayme, FS Schwind 103 (111), bezeichnet dieses System der deutschen AGB-Kontrolle als überlegen. 145 Um ein im Schrifttum viel diskutiertes Beispiel aufzugreifen: Die im italienischen codice civile (Art. 1341, 1342) verlangte gesonderte Unterschrift für lästige Klauseln genügt zwar den Einbeziehungsanforderungen der §§ 2, 3 AGBG; da die Inhaltskontrolle gemäß § 9-11 AGBG auch bei Klauseln eingreift, die nicht (im Sinne von Art. 1341, 1342) als „lästig“ anzusehen sind und darüber hinaus auch Anwendung beansprucht, wenn der Klausel-Gegner auf Hinweis des Klausel-Verwenders von der Klausel positive Kenntnis hat (Palandt[-Heinrichs] § 3 AGBG Bem. 1; vgl. auch Münchener Komm.[-Kötz] I §1 AGBG Rz. 16f., 19), sind die §§9-11 AGBG zu berücksichtigen, weil es an einer Inhaltskontrolle im italienischen Recht fehlt. 146 Ebenso muß entscheiden, wer § 2 als Tatbestandsvoraussetzung für die Anwendung des § 12 AGBG liest; vgl. von Westphalen, WM 1978, 1310 (1316). 147 Jayme, ZgesHR 142 (1978) 105 (120).

zu entlasten. Einem solchen abstrakten Vergleich wird man indessen eine Reihe von Einwänden entgegenhalten müssen148. Funktionelle Rechtsvergleichung öffnet den Blick dafür, daß der Schutz des Vertragspartners des AGB-Verwenders in durchaus vielfältiger Weise realisiert werden kann. Für ein vom konkreten Einzelfall abgehobenes, auf das Kontrollinstrumentarium und die Kontrolldichte der ausländischen AGB-Kontrolle abstellendes Urteil bedarf es einer umfassenden rechts ver­ gleichenden, an der Effektivität der Kontrollinstrumente in einer Vielzahl von Einzelfällen orientierten Untersuchung. Hierzu ist der Richter überfor­ dert149; nur allzu leicht wird die Behauptung einer Gleichwertigkeit an die Stelle ihres tatsächlichen Nachweises treten. Eine vom Einzelfall abgehobene, rechtsvergleichende Untersuchung stellt den Richter - im Vergleich zur Kontrolle der Gleichwertigkeit im Einzelfall - vor erhebliche Arbeit: Nimmt er das Gleichwertigkeitskriterium ernst, wird er vom Einzelfall her abgehobene, rechtsvergleichende Untersu­ chungen anfordern müssen, die viel Zeit und Geld kosten. Der dem Krite­ rium des „äquivalenten Schutzes“ zugeschriebene Entlastungseffekt kehrt sich in sein Gegenteil150. Bei Verträgen, die von § 12 AGBG erfaßt werden, handelt es sich um AGB-Verträge mit Endverbrauchern. Eine Auslegung des § 12 AGBG muß darauf Rücksicht nehmen, daß Endverbraucher durch die anfallenden Ko­ sten für Gutachten davon abgeschreckt werden könnten, sich gegen die AGB ausländischer Vertragspartner zu wehren oder sich auf die fehlende Äquivalenz der ausländischen AGB-Kontrolle zu berufen. Will man den Endverbraucher durch das AGB-Gesetz nicht nur schützen, sondern ihn auch ermuntern, sich gegenüber solchen Klauseln zu wehren, die den deut­ schen AGB-Kontrollstandard unterschreiten, sollte vermieden werden, den Prozeß als Mittel zur Klärung mehr oder weniger abstrakter, rechtsverglei­ chender Fragen einzusetzen. Einzelfall-Kontrolle - anstelle eines abstrakten Vergleichs der Kontrollin­ strumente - realisiert nicht nur optimalen Schutz des Klausel-Gegners bei Verträgen mit ausländischen Unternehmen, sie mag auch eher die ausländi­ schen AGB-Verwender dazu anhalten, für das Inlandsgeschäft von vornher­ 148 Ablehnend insbesondereJayme, ZgesHR 142 (1978) 105 (120); Palandt(-Heldrich) § 12 AGBG Bem. 3. 149 Vgl. BGH 20. 12. 1971, BGHZ 58, 1 (5f.) zu §§ 58, 50 BörsenG, wo eine entsprechende Anwendung des § 50 BörsenG auf ein ausländisches, dem inländischen gleichwertiges Zulas­ sungsverfahren wegen der Schwierigkeit einer zuverlässigen vergleichenden Beurteilung abge­ lehnt wird; vgl. auch RG 14. 6. 1911, RGZ 76, 371 (372 f). Zur Gleichwertigkeit ausländischer notarieller Beurkundungen bei Maßgeblichkeit deutschen Gesellschaftsstatuts: BGH 16. 2. 1981, NJW 1981, 1160. 150 Da ausländische Gesetzgebung gerade im Verbraucherschutzbereich einem steten Wandel unterworfen ist, wird die Gleichwertigkeit immer wieder neu zu prüfen sein.

ein ihre AGB an die inländischen AGB-Kontrollstandards anzupassen und damit Verbraucherschutz zu verwirklichen, anstatt sich darauf zu verlas­ sen, im Streitfall den Richter von einem abstrakt-äquivalenten Schutz durch das Vertragsstatut überzeugen zu können. Sprechen daher gewichtige Gründe gegen einen abstrakten Rechtsord­ nungsvergleich und ßir einen konkreten Einzelfallvergleich151, bleibt zu klä­ ren, welche Ergebnisse miteinander zu vergleichen sind. Anders als bei der Abschlußkontrolle, wo sich das maßgebende Vergleichsergebnis aus der unmittelbaren Anwendung der §§ 2 ff. AGBG gewinnen und sich dem Ergebnis des Vertragsstatuts gegenüberstellen läßt, ergeben sich bei der Inhaltskontrolle Schwierigkeiten. Im Schrifttum wird ein Vergleich der materiellen Lösungen, zu welchen das deutsche Recht und das ausländische Vertragsstatut im konkreten Fall gelangen, verlangt152. Ergebnis nach deutschem Recht soll heißen: An­ wendung nicht nur der §§ 8-11 ABGB, sondern auch und vor allem An­ wendung des deutschen materiellen Vertragsrechts insgesamt153. Ein in dieser Weise entwickelter Ergebnisvergleich negiert jedoch - wie bereits gezeigt - die in § 12 AGBG ausdrücklich vorausgesetzte Maßgeblichkeit des ausländischen Vertragsstatuts und verkennt, daß eine Berücksichti­ gung der §§8-11 AGBG allein in einer Kontrolle der unangemessenen Abweichung von den dispositiven Vorschriften des Vertragsstatuts beste­ hen kann. Ein Ergebnisvergleich für Zwecke der Inhaltskontrolle ist allein im Rahmen des zur Anwendung berufenen Vertragsstatuts vorzunehmen: Zu vergleichen ist das Ergebnis ausländischen Rechts in seiner Gesamtheit mit dem Ergebnis, das eine, dem ausländischen Recht angepaßte, also von den ausländischen dispositiven Normen ausgehende Inhaltskontrolle nach den Grundsätzen der §§8-11 AGBG zeitigen würde. Allein auf diesem Wege wird der Anwendungsbefehl der Kollisionsnorm des deutschen in­ ternationalen Vertragsrechts beachtet und zugleich das Ziel der §§ 12, 8-11 AGBG verwirklicht, die einseitige Inanspruchnahme der Vertrags-

151 Im Ergebnis ebenso Jayme, ZgesHR 142 (1978) 105 (120) (das AGB-Gesetz sei im Einzelfall auch neben einem Vertragsstatut mit „höchstentwickeltem Verbraucherschutz“ an­ zuwenden); anders anscheinend ders., FS Schwind 103 (1 lOf.) (wenn er dem AGB-Gesetz gleichwertige Lösungen des Vertragsstatuts fordert und das skandinavische OmbudsmanSystem dem deutschen Recht als „sogar noch überlegen“ bezeichnet). 152 Palandt(-Heldrich) § 12 AGBG Bem. 3; beifällig Jayme, FS Schwind 103 (110 bei N. 39); ders., ZgesHR 142 (1978) 105 (120); Kritik bei Sonnenberger, FS Ferid 377 (394): „ErgebnisVergleichung... (nicht)... ausreichend“. 153 Löwe/von Westphalen/Trinkner II § 12 Rz. 14-16; von Westphalen, WM 1978, 1310 (1315) (Anwendung des AGB-Gesetzes auf der Basis des deutschen Rechts); siehe oben Text bei N. 107.

Freiheit durch den Klausel-Verwender zu kontrollieren154. Wer darüber hin­ ausgehend für Verbraucherschutz sorgen will, muß dies mit anderen Mitteln tun155.

4. § 12 AGBG und Versicherungsnehmerschutz Geht § 12 AGBG von einer Kontrolle der AGB ausländischer Unterneh­ men auf der Grundlage der dispositiven Normen des ausländischen, zur Anwendung berufenen Vertragsstatuts aus, erweist sich, daß diese Norm, entgegen anderslautenden Stellungnahmen im Schrifttum156, kein taugliches Instrument ist, um den im deutschen Recht verwirklichten Versicherungs­ nehmerschutz bei inlandsbezogener Geschäftstätigkeit ausländischer Versi­ cherer sicherzustellen. § 12 AGBG setzt seinem Wortlaut nach bereits vor­ aus, daß nach deutschem Kollisionsrecht ein ausländisches Recht zur An­ wendung berufen ist und schon von daher die halbzwingenden Normen des deutschen Versicherungsvertragsgesetzes keinen Schutz entfalten können. §12 AGBG ist kein geeignetes Instrument, um die Schutznormen des Versi­ cherungsvertragsgesetzes neben ausländischem Vertragsstatut zur Anwen­ dung zu verhelfen157. Die §§ 12, 8-11 AGBG kontrollieren allein die unange­ messene Abweichung der Versicherungsbedingungen von ausländischem dispositivem Versicherungsvertragsrecht. Die im deutschen IPR-Gesetz-Entwurf geplante Aufhebung des § 12 AGBG verdient daher im Hinblick auf Versicherungsverträge eine differen­ zierte Stellungnahme, als sie das Hamburger Max-Planck-Institut abgege­ ben hat158: Da § 12 AGBG den inländischen materiellrechtlichen Versiche­

154 Abzulehnen ist daher auch der Versuch bei von Westphalen, WM 1978, 310 (315), dem §12 in Verbindung mit §§9-11 AGBG die Bedeutung eines „positiven ordre public“ im Zusammenwirken mit den dispositiven deutschen Vertragsrechtsnormen zu geben; von West­ phalen verkennt, daß die §§ 9-11 AGBG den Richter nicht zu einer Korrektur des anwendbaren dispositiven Rechts ermächtigen; dazu oben der Text bei N. 97 und 105 ff. 155 Dieses Ergebnis findet seine Bestätigung in § 11 FernunterrichtsschutzG vom 24. 8. 1976, BGBl I 2225, und in dem - nicht Gesetz gewordenen - § 6 des Regierungsentwurfes eines Gesetzes über den Reiseveranstaltervertrag, Bundestag, Drucksache 7/5141. Beide Regelun­ gen, die zeitlich parallel zum AGB-Gesetz beraten wurden, sehen bei ausländischem Vertrags­ statut die Berücksichtigung der halbzwingenden Vorschriften des Fernunterrichtsschutz- bzw. Reiseveranstaltervertragsgesetzes vor, sofern der Vertrag den §§ 12 Nr. 1 und Nr. 2 AGB vergleichbar Binnenbeziehungen aufweist, und bestätigen damit die hier vertretene Position, daß § 12 AGBG inländischen zwingenden Schutznormen nicht zur Durchsetzung zu verhelfen vermag. 156 Vor allem U. Hübner, ZVersWiss. 1983, 21 (35f.); ihm folgend auch die Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht zum Regierungsent­ wurf des IPR-Gesetzes 1983 (oben N. 75) 672 f. 157 Ebenso Reichert-Facilides, VersR 1978, 481 (483 f.). 158 Dazu oben N. 75.

rungsnehmerschutz nicht wirksam abzusichern vermag, wäre die Aufhe­ bung dieser Norm einerseits kein so großer Rückschritt wie behauptet. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß § 12 AGBG hinsichtlich der Einbeziehung der Versicherungsbedingungen in den Versicherungsvertrag einigen Versicherungsnehmerschutz zu realisieren vermag. Stichworte sind hier: Unklarheitenregel, Unwirksamkeit überraschender Klauseln. Dieser Schutz kann jedoch - wie noch zu zeigen sein wird - von der objektiven Anknüpfung des Versicherungsvertrages übernommen werden.

III. Positiver ordre public, versteckte Kollisionsnormen, Sonderanknüpfung zwingenden Schuldrechts Positiver ordre public, sachnormbezogene („versteckte“) Kollisionsnor­ men und Sonderanknüpfungen zwingenden Schuldrechts sind - im einzel­ nen durchaus unterschiedlich wirkende159 - Instrumente, mit denen die Schutzzwecke der Sachnormen unabhängig vom Vertragsstatut abgesichert und durchgesetzt werden können. Nach einer Bestandsaufnahme (unter 1.) ist zu untersuchen, ob und mit welchen Gründen eine kollisionsrechtliche Sonderbehandlung einzelner Schutznormen gegenüber dem Vertragsstatut befürwortet werden kann (unter 2.).

1. Bestandsaufnahme a) Positiver ordre public

Die Rechtsprechung160 und ein Teil des Schrifttums161 sehen in Art. 30 EGBGB nicht nur eine Norm zur Verteidigung der grundlegenden Rechts­ gedanken und Gerechtigkeitswertungen des inländischen Rechts gegenüber kraß abweichendem Auslandsrecht (negative Funktion)162, sondern auch eine Generalklausel163, die es ermöglicht, einer inländischen Sachnorm mit 159 Siehe unten bei N. 184 und nach N. 189. 160 Zuletzt BGH 12. 6. 1978, NJW 1979, 488; OLG Hamm 7. 2.1977, NJW 1977,1594 (1595) m. Anm. Dörner 2032. 161 F. A. Mann, FS Beitzke 607 (611); Sonnenberger, FS Ferid 377 (387ff.); Raape/Sturm I 213; vgl. auch Birk, Das internationale Arbeitsrecht der Bundesrepublik Deutschland: RabelsZ 46 (1982) 384 (388) (zur positiven Funktion des ordre public, jedoch ohne Bezug zu Art. 30 EGBGB); ders., Das Arbeitskollisionsrecht der Bundesrepublik Deutschland: RdA 1984, 129 (139). Für eine Beschränkung des Art. 30 EGBGB auf die negative Funktion und die Entwick­ lung von Sonderanknüpfungen: K. H. Neumeyer, FS Dölle II179 (203); ablehnend gegenüber einem positiven ordre public auch Münchener Komm. (-Kreuzer) VII Art. 30 EGBGB Rz. 9. 162 Dazu oben unter § 7 12. 163 So das Verständnis von Art. 30 EGBGB, das in RG 21. 3. 1905, RGZ 60, 296 (299), entfaltet wird und in dem Leitsatz:

Rücksicht auf ihren Regelungszweck einen anderen Anwendungsbereich zuzuweisen, als ihr nach der Hauptanknüpfung zukommt. Art. 30 EGBGB hat in der Vergangenheit als Ausgangspunkt für die gesonderte Anknüpfung insbesondere der wirtschaftsrechtlichen Normen gedient164 - ein Ausgangspunkt, der dem Richter nicht nur eine gesetzliche Legitimationsgrundlage für rechtsschöpferische Tätigkeit vermittelt, son­ dern auch - wegen des flexiblen Anknüpfungsmoments der „Binnenbezie­ hung“ - weitgehend von den Schwierigkeiten entlastet, die mit einer ge­ naueren Fixierung des Anknüpfungsmomentes im Rahmen der Entschei­ dung eines Einzelfalles verbunden sind.

Drei Beispiele eines positiv gehandhabten ordre public mögen der Veranschauli­ chung dienen. Bei einem Abzahlungskauf zwischen einem holländischen Verkäufer und einem deutschen Käufer, der holländischem Recht unterstand, hat das Reichsgericht unter Berufung auf Art. 30 EGBGB die Vorschriften des deutschen Abzahlungsgesetzes angewendet165. Holländisches Recht kannte keine entsprechenden Regelungen. Nicht die Unerträglichkeit des Ergebnisses im Einzelfall war, wie bereits gezeigt166, die tragende Überlegung, sondern das Bestreben, den Schutznormen des Abzah­ lungsgesetzes bei internationalen Vertragsverhältnissen zum Schutze deutscher Ab­ zahlungskäufer neben dem Vertragsstatut zur Berücksichtigung zu verhelfen: Schutzintensiveres ausländisches Recht wird nicht ausgeschlossen, schutzschwäche­ res ausländisches Recht durch das Abzahlungsgesetz als Mindestschutz für den deutschen Käufer ergänzt167. Bei Erfolgshonoraren für Anwälte hat die Rechtsprechung bei Verträgen, die auslän­ dischem Recht unterstanden, unter Berufung auf den ordre public deutsches Recht zur Anwendung gebracht. Die Gebührenforderung des Anwalts untersteht grund­ sätzlich dem Vertragsstatut168. Während ausländische Rechte Erfolgshonorare viel­ „Bildet § 25 I HGB eine Kollisionsnorm i.S.d. Art. 30 Einf.Ges. zum BGB gegenüber dem an sich anzuwendenden ausländischen Recht...?“ zum Ausdruck kommt. Wengler, JZ 1979, 175 (176) scheint den „positiven ordre public“ als eine außerhalb des Art. 30 EGBGB anzusiedelnde Generalklausel für den Richter zur Entwick­ lung von Sonderanknüpfungen zu begreifen. 164 RG7. 7. 1926, IPRspr. 1926-27 Nr. 13; 16. 10. 1926, IPRspr. 1926-27 Nr. 12; 3. 10. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 4; HansOLG Hamburg 8. 11. 1922, HansGZ 1923, 22; BGH 20. 3. 1956, WM 1956, 1265. Dazu Kegel 502ff.; Neuhaus 33ff.; Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 381 ff; Reithmann Rz. 203 ff., insbesondere 206-218; Schulze, Das öffentli­ che Recht im IPR (1972) 41 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung in N. 20. 165 RG28. 3. 1931 (obenN. 39) 591. 166 Siehe oben unter I 3 bei N. 39. 167 Anders, ohne jedoch die Entscheidung des Reichsgerichts (oben N. 39) zu erwähnen: LG Zweibrücken 1. 2. 1982, RIW/AWD 1983, 454 (455 f). 168 BGH 15. 11. 1956, BGHZ 22, 162 = IPRspr. 1956-57 Nr. 3; 9. 1. 1969, BGHZ 51, 290 = IPRspr. 1968-69 Nr. 245; 31. 3. 1969, IPRspr. 1968-69 Nr. 146; vgl. weitere Nachweise bei Reithmann, Rz. 618. Bisweilen wird auf die Maßgeblichkeit der am Berufssitz geltenden Vorschriften abgestellt, so RG 20. 3. 1936, RGZ 151, 193 (199), - dies jedoch primär mit dem Ziel, die Unmaßgeblichkeit der Gebührensätze desjenigen Staates zu betonen, in dem der

fach als zulässig ansehen169, wertet das deutsche Recht gegensätzlich: Die Unwirk­ samkeit von Erfolgshonoraren war früher ausdrücklich in § 93 II 5 RAGebO a. F. festgelegt, während heute dieses Ergebnis aus §§ 138 BGB, 1, 3 BRAGO und den grundlegenden Vorschriften des anwaltschaftlichen Standesrechts gefolgert wird170. Aus dem Regelungszweck des § 93 II 5 RAGebO a.F., das Standesrecht der deut­ schen Anwaltschaft zu konkretisieren, hat die Rechtsprechung seine Anwendung auf Honorarvereinbarungen in Deutschland zugelassener Anwälte beschränkt171. Die Vereinbarung eines Erfolgshonorars wirft im Hinblick auf § 93 II 5 RAGebO a.F., §§ 138 BGB, 1, 3 BRAGO keine Probleme auf, wenn - bei Maßgeblichkeit ausländischen Vertragsrechts - es sich um einen Anwalt handelt, der nur im Ausland zugelassen ist. Art. 30 EGBGB kommt in seiner negativen Funktion ins Spiel, um den Klienten vor ausbeuterischen, nach inländischen Anschauungen in ihrer Höhe sitten­ widrigen Erfolgshonoraren zu schützen172. Ein Verstoß gegen Art. 30 EGBGB fuhrt dann zur Kürzung des Erfolgshonorars, nicht aber zur völligen Unwirksamkeit der Honorarvereinbarung173. Bei Erfolgshonorarvereinbarungen ausländischer, aber zugleich im Inland zugelas­ sener Anwälte hat die Rechtsprechung entgegen der Maßgeblichkeit ausländischen Vertragsstatuts die Unwirksamkeitssanktion des deutschen Rechts in aller Regel174 durchgesetzt175. Während das Kammergericht in einer Entscheidung vom 19. 5.

Rechtsanwalt im Einzelfall in Ausführung des ihm aufgetragenen Geschäftes tätig geworden ist. Da das Vertragsstatut in der Regel nach dem Berufssitz des Anwalts bestimmt wird, kommt es zumindest zu einem kollisionsrechtlichen Gleichlauf. Auf die Rechtsordnung des Zulas­ sungsstaates stellt ab: OLG Köln 23. 10. 1967, IPRspr. 1966-67 Nr. 276. 169 BGH 15. 11. 1956 (vorige Note) (USA); 18. 10 1965, BGHZ 44, 183 = IPRspr. 1964-65 Nr. 49 (USA); 9. 1. 1969 (vorige Note) (Frankreich); 24. 1. 1957, IPRspr. 1956-57 Nr. 4 (Israel); KG 12. 7. 1958, IPRspr. 1958-59 Nr. 40 (Israel). 170 BGH 9. 1. 1969 (oben N. 168) 294. 171 KG 12. 7. 1958 (oben N. 169); OLG Köln 29. 10. 1958, IPRspr. 1958-59 Nr. 42; OLG Düsseldorf 15. 1. 1959, IPRspr. 1958-59 Nr. 48; BGH 15. 11. 1956 (oben N. 169) 165 f. Der Sache nach handelt es sich um eine Norm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal, deren kollisionsrechtliche Behandlung viel diskutiert wird; vgl. F. A. Mann, Kollisionsnorm und Sachnorm mit abgrenzendem Tatbestandsmerkmal, in: FS Raiser (1974) 499; Kelly, Localising Rules and Differing Approaches to the Choice of Law Process: Int.Comp.L.Q. 18 (1969) 249; Lipstein, Inherent Limitations in Statutes and the Conflict of Laws: Int.Comp.L.Q. 26 (1977) 884; Siehr, Normen mit eigener Bestimmung ihres räumlich-persönlichen Anwendungsbe­ reichs im Kollisionsrecht der Bundesrepublik Deutschland: RabelsZ 46 (1982) 357. 172 Siehe etwa BGH 15. 11. 1956 (obenN. 168); 24. 1. 1957 (obenN. 169); 18. 10. 1965 (oben N. 169); KG 12. 7. 1958 (obenN. 169); 11. 7. 1959, IPRspr. 1962-63 Nr. 202; OLG Düsseldorf 15. 1. 1959 (vorige Note); LG München 111.2. 1965, IPRspr. 1964—65 Nr. 43; LG Hildesheim 18. 1. 1962, IPRspr. 1962-63 Nr. 203. 173 Vgl. BGH 18. 10. 1965 (oben N. 169) 189 ff. 174 Anders jedoch OLG München 20. 2. 1958, IPRspr. 1960-61 Nr. 208, wo der Zulassung des Anwalts im Inland keine Bedeutung beigemessen wurde. 175 KG 21. 4. 1961, IPRspr. 1960-61 Nr. 211b), erreicht das Ergebnis durch eine „Verschie­ bung“ des Schuldvertragsstatuts. Entgegen der ständigen Rechtsprechung (vgl. RGZ 149, 121), wonach es für das Vertragsstatut nicht auf den Ort der Ausübung des Auftrags ankomme, wird hier der Tätigkeit vor deutschen Behörden besondere Bedeutung zugewiesen.

1960176 dies ohne jeden Bezug auf Art. 30 EGBGB, also durch eine gesonderte Anknüpfung erreicht176 177, kommt der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 9. 1. 1969 unter Berufung auf Art. 30 EGBGB zum selben Ergebnis178. Entscheidungser­ heblich wird nicht ein - für den negativen ordre public charakteristischer - „untrag­ barer“ Widerspruch zu den Grundanschauungen der deutschen Rechtsordnung und ihren Gerechtigkeitsvorstellungen, sondern der das Verhalten der in der Bundesre­ publik Deutschand zur Tätigkeit zugelassenen Rechtsanwälte steuernde Rege­ lungszweck der Sachnorm179, der nach einer Berücksichtigung über den positiven ordre public drängt. Auf Art. 30 EGBGB hat der Bundesgerichtshof die Anwendung der §§ 762, 764 BGB bei einem Vertrag (mit Differenzcharakter) gestützt, der New Yorker Recht unterstand und nach dieser Rechtsordnung als wirksam anzusehen war180. In der Urteilsbegründung verzichtet der Bundesgerichtshof ausdrücklich darauf, die Wirk­ samkeit des Vertrages nach New Yorker Recht als „vom Standpunkt deutscher Gerechtigkeit aus als untragbar“ anzusehen181 - eine Wertung, die angesichts der grundlegenden Bedeutung der vertraglichen Bindung für das deutsche Vertragsrecht und des rechtspolitisch zumindest zweifelhaften Wertes der §§ 762, 764 BGB schwie­ rig zu begründen gewesen wäre182. Ausschlaggebend wird vielmehr allein die Zwecksetzung der §§ 762, 764 BGB, das inländische Publikum vor den Gefahren aus Differenzgeschäften im In- und Ausland zu schützen183. Da das Vertragsstatut bei der Ausformung seiner maßgebenden Anknüpfungen (Parteiautonomie!) nicht an die­ sem Ziel orientiert ist und das zur Anwendung berufene ausländische Recht abwei­ chend wertet, wird der auf eine vom Vertragsstatut abweichende Anknüpfung drängende Anwendungsanspruch der §§ 762, 764 BGB über Art. 30 EGBGB reali­ siert. Der positive ordre public im Sinne von Art. 30 EGBGB ermächtigt den Richter, trotz des Verweisungsbefehls der allgemeinen Kollisionsnorm auf ausländisches Recht, den Regelungszwecken des inländischen Rechts bei einer entsprechenden Binnenbeziehung zur Beachtung zu verhelfen. Anders als bei einer gesetzes- oder sachnormbezogenen einseitigen Kollisionsnorm

176 KG 19. 5. 1960, IPRspr. 1960-61 Nr. 211a). 177 Ebenso OLG Düsseldorfs. 1. 1959, IPRspr. 1958-59 Nr. 46. Die gesonderte Anknüp­ fung verdrängt nicht das Vertragsstatut (die Unwirksamkeit des Vertrages wird zunächst nach belgischem Recht geprüft), sondern tritt ergänzend hinzu. 178 BGH 9. 1. 1969 (oben N. 168) 294 (unter Gleichstellung eines unter § 183 I BundesentschädigungsG tätigen ausländischen Anwalts mit einem im Inland allgemein zugelassenen Anwalt). 179 BGH 9. 1. 1969 (oben N. 168) 295. 180 BGH 12. 6. 1978, NJW 1979, 488; ebenso, aber ohne Berufung auf Art. 30 EGBGB, BGH 25. 5. 1981, IPRax 1982, 69 = NJW 1981, 1898. 181 BGH 12. 6. 1978 (vorige Note) 489. 182 Siehe dazu F. A. Mann, Börsentermingeschäfte und IPR, in: FS von Caemmerer (1978) 737 (749ff). 183 BGH 12. 6. 1978 (oben N. 180) 489. Dieses Urteil wurde übersehen von OLG München 16. 9. 1981, IPRax 1982, 70.

bleibt die Verweisung auf das ausländische Recht zunächst unangetastet184: Soweit das ausländische Recht die von den inländischen Normen verfolgten Zwecke verwirklicht, verbleibt es bei der alleinigen Anwendung des Ver­ tragsstatuts. Die Anwendung inländischen Rechts ist damit abhängig vom Inhalt des Vertragsstatuts. Kollisionsrechtstechnisch schlägt der Richter ei­ nen Weg ein, wie ihn der Gesetzgeber mit den speziellen Vorbehaltsklauseln des EGBGB sowie den §§ 12 AGBG und 11 FernunterrichtsschutzG betre­ ten hat. Anders als bei diesen Vorbehaltsklauseln, bei denen der Gesetzgeber die maßgebenden Binnenbeziehungen für die subsidiäre Anwendung des inländischen Rechts genau umschrieben hat, ist die Konkretisierung der Binnenbeziehung im Rahmen des Art. 30 EGBGB jedoch für den Richter weitgehend offen.

b) Versteckte Kollisionsnormen Schrifttum185 und Rechtsprechung186 haben seit jeher die Möglichkeit aner­ kannt, daß Sachnormen der lex fori ihren internationalen Anwendungsbe­ reich selbst bestimmen, also als „versteckte“, einseitige Kollisionsnormen aufzufassen sind. Ausschlaggebend soll dabei der in der Sachnorm zum Ausdruck gelangende Regelungszweck sein: Wird dieser Zweck bei interna­ tional verknüpften Rechtsverhältnissen durch die Hauptanknüpfung nicht hinreichend abgesichert, bedarf die Norm einer eigenen, auf ihren Rege­ lungszweck abgestellten Anknüpfung187. Besonders nahe liegt die Formulie­ rung einer solchen speziellen Kollisionsnorm, wenn die Sachnorm ihren Anwendungsbereich in personal-territorialer Hinsicht abgrenzt188 - der Ge­ setzgeber also für seine Regelung einen bestimmten, konkret abgegrenzten Sachverhalt im Auge hat. Aber auch dort, wo solche abgrenzenden Tatbe­ standsmerkmale fehlen, kann der Zweck der Sachnorm die Formulierung einer speziellen Kollisionsnorm rechtfertigen189. In kollisionsrechtstechni­ 184 Bei einer einseitigen, gesetzesbezogenen Kollisionsnorm kommt das inländische Recht immer zur Anwendung, wenn die maßgebende Anknüpfung verwirklicht ist; Dölle 82. 185 Staudinger(-Raape) 814; Raape 95 f.; Wolff, IPR 62; Raape/Sturm I 213; Bucher 70 f.; Kegel, FS Ehrenzweig 51 ff.; Siehr, RabelsZ 36 (1972) 93 (106f.); ders., RabelsZ 37 (1973) 466 (470f.); Kropholler, Batiffol-Klassiker des IPR: RabelsZ 33 (1969) 94 (99); van Hecke, International Contracts and Domestic Legislative Policies, in: FS F. A. Mann (1977) 183 (186). 186 LG Stuttgart 14. 3. 1957, IPRspr. 1956-57 Nr. 29; vgl. Dölle 82. 187 Die bei Staudinger(-Raape) 814 gestellte Testfrage lautet: „Welche Sachnorm ist so stark, daß sie die Kollisionsnorm überwindet?“. 188 Siehe die oben N. 171 zitierten Aufsätze sowie Nussbaum, Deutsches IPR 3f.; Kelly, Reference, Choice, Restriction and Prohibition: Int.Comp.L.Q. 26 (1977) 857 (871); Siehr, RabelsZ 46 (1982) 357 (363ff). 189 Vgl. etwa §11 I-IV des Gesetzes über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile (AuslInvestmG) vom 28. 7. 1969, BGBl I 986, wo dem Käufer unter bestimmten Umständen

scher Sicht ist für solche versteckte, sachnormbezogene Kollisionsnormen charakteristisch, daß sie - anders als der positive ordre public - nicht erst nachträglich das Spiel der allgemeinen, bilateralen Kollisionsnormen kon­ trollieren, sondern als lex specialis gegenüber der allgemeinen Kollisions­ norm fungieren, um dem inländischen Recht einen von der Hauptanknüp­ fung abweichenden Anwendungsbereich zuzuweisen und in diesen Bereich einen Rückgriff auf das ausländische Recht auszuschließen.

In dieselbe Richtung zielt die im romanischen Rechtskreis entwickelte Lehre von den lois d’application immdiate190. Aus der Analyse der Rechtspraxis190 191, wonach Gerichte bei bestimmten Normen der lex fori, die die Regelung des öffentlichen Wohls und des gesellschaftlichen Lebens betreffen192, nicht erst die allgemeinen Kollisionsnormen befragen, sondern einen Sachverhalt unmittelbar der inländischen Sachnorm unterstellen, hat namentlich Francescakis193 die Folgerung geknüpft, daß die herkömmliche IPR-Technik - die Herrschaft der bilateralen Kollisionsnormen insoweit ausgeschaltet sei194. Damit wird ein Ansatz fortgesetzt, der bereits bei Savigny und seiner Lehre von den absoluten, streng positiven Normen, die der Förderung wirtschaftlicher, sozialer und staatlicher Zwecke dienen und daher außer­ halb des „reinen Rechtsgebietes“ stehen, nachweisbar ist195 und der im romanischen Rechtskreis mit der Sonderbehandlung der lois d’ordre public196 eine lange Tradition ein Widerrufsrecht eingeräumt wird. § 11 I setzt voraus, daß der Kauf ausländischer Invest­ mentanteile „durch mündliche Verhandlungen außerhalb der ständigen Geschäftsräume desje­ nigen, der die Anteile verkauft...“, eingeleitet worden ist. Aus dem Gesetzeszusammenhang ergibt sich, daß es sich um Geschäftsräume im Inland und um mündliche Verhandlungen im Inland handeln muß (vgl. § 6 in Verbg. mit § 2 Nr. 1 AuslInvestmG). 190 Francescakis, Quelques precisions sur les „lois d’application immediate“ et leurs rap­ ports avec les regles de conflits de lois: Rev.crit. 55 (1966) 1; ders., Lois d’application immediate et droit du travail: Rev. crit. 63 (1974) 273; Sperduti, Les lois d’application necessaire en tant que lois d’ordre public: Rev.crit. 66 (1977) 257ff. und weitere Nachweisein N. 5, 6; vgl. auch Siehr, RabelsZ 37 (1973) 466 (469 N. 14-20); (kritisch:) Toubiana 218 ff; DEBY-GRARD 28 ff.; SCHWANDER 184ff., 248ff.; Bucher 66ff. 191 Francescakis, Y-a-t-il du nouveau en matiere d’ordre public? in: Trav. Com. fr. d.i.p. 1966-1969(1970) 149 (164). 192 Francescakis, Rev.crit. 63 (1974) 273 (275); ders., Conflits des lois, Nr. 137, in: DallozRepertoire de droit international (1968) (im folgenden: Francescakis, Conflits des lois). Nach dem typischen Regelungsgehalt der Gesetze wird auch von „lois de police“ gesprochen; Francescakis (vorige Note) 179; ders., Conflits des lois, Nr. 136; Mayer 95ff; Batiffol/ Lagarde II Nr. 576; Batiffol, Le pluralisme des methodes en d.i.p.: Rec. des Cours 139 (1973II) 75 (136); vgl. auch Loussouarn, Cours general de d.i.p.: Rec. des Cours 139 (1973-11) 271 (317); Loussouarn/Bourel 145ff. ■ 193 Francescakis, Rev.crit. 55 (1966) 1 (3); ders., Rev.crit. 63 (1974) 273. 194 Lois d’application immediate enthalten keine Verweisung auf fremdes Recht; kritisch zu ihrer einseitigen Struktur und für eine Bilateralisierung: Toubiana 232; dagegen Mayer 99 ff. 195 Savigny VIII 32 f. Francescakis, Rev. crit. 55 (1966) 1 (9), beruft sich ausdrücklich auf Savigny. 196 Dazu K. H. Neumayer, FS Dölle II179 ff.; SCHWANDER 154 ff.; Francescakis, Conflits de lois Nr. 108 f. Diese Lehre kann heute im französischen Schrifttum als überwunden gelten; Lerebours-Pigonni^re/Loussouarn, D.i.p.8 (1962) Nr. 375ff.

hat197. Die wesentliche Bedeutung der Lehre von den lois d’application immedia­ te liegt daher weniger in der Originalität des Gedankengangs, als vielmehr in der erneuerten Sensibilisierung des Kollisionsrechts und seines Instrumentariums für die Regelungs- und Steuerungszwecke des Sachrechts198.

c) Sonderanknüpfung zwingenden Schuldrechts

Wengler hat in einem grundlegenden Aufsatz aus dem Jahre 1941199 an­ geregt, zwingende Normen des Schuldrechts unabhängig vom maßgeb­ lichen Schuldstatut anzuknüpfen. Dies soll für inländische wie ausländi­ sche Normen gleichermaßen gelten. Der internationale Anwendungsan­ spruch zwingender Normen soll aus ihrem rechtspolitischen Zweck er­ mittelt200, die Anwendung ausländischer Normen davon abhängig ge­ macht werden, daß eine genügend enge Beziehung der Norm zum Sach­ verhalt besteht201. Ausgangspunkt dieser Lehre ist die Beobachtung ge­ wesen, daß die Rechtsprechung in verschiedenen Staaten dazu geneigt hat, dem zwingenden Recht der lex fori unabhängig vom Vertragsstatut zur Durchsetzung zu verhelfen202, während ausländisches zwingendes Schuldrecht immer nur im Rahmen der lex causae angewendet worden ist203. Die dadurch hervorgerufenen Entscheidungsdivergenzen204 sollen durch die schuldstatutsunabhängige Anknüpfung der zwingenden Nor­ men sowohl der lex fori wie auch berührter ausländischer Rechtsord­ nungen überwunden werden205. Die Sonderanknüpfung zwingenden Schuldrechts geht dabei über den positiven ordre public, die lois d’application immediate und die einseiti­ gen versteckten Kollisionsnormen in zwei Richtungen hinaus: Sie er­ 197 Loussouarn, Rec. des Cours 139 (1973-11) 271 (318), spricht deshalb von „neuem Wein in alten Schläuchen“. 198 Dabei wird nicht geleugnet, daß den lois d’application immediate kollisionsrechtlicher Gehalt zukommt; Francescakis, Rev. crit. 55 (1966) 1 (9); mit Nachdruck DEBY-GRARD 48. Deutsche Autoren qualifizieren die lois d’application immediate daher als einseitige, gesetzes­ bezogene Kollisionsnormen; Kropholler, RabelsZ 33 (1969) 94 (99); Siehr, RabelsZ 37 (1973) 466 (470); Kegel, FS Ehrenzweig 51 ff. 199 Wengler, Die Anknüpfung des zwingenden Schuldrechts im IPR: ZvglRW 54 (1941) 168. 200 Wengler (vorige Note) 173, 176. 201 Wengler (oben N. 199) 181. Damit wird für zwingendes Schuldrecht die unilaterale Anknüpfungsmethode empfohlen; dazu Gothot, Le renouveau de la tendence unilateraliste en d.i.p.: Rev.crit. 60 (1971) 1, 209, 415; Loussouarn, Rec. des Cours 139 (1973-11) 271 (374). 202 Wengler (oben N. 199) 169. 203 Wengler (oben N. 199) 170; vgl. dagegen aber schon RAG 25. 5. 1932, RAGE 11, 100 = IPRspr. 1932 Nr. 4 =JW 1933, 1092 (deutsches Schuldstatut; Anwendung zwingender Arbeits­ zeitvorschriften der Schweiz). 204 Wengler (oben N. 199) 171. 205 Wengler (oben N. 199) 172.

greift alle zwingenden Normen der lex fori unabhängig von ihrem sachli­ chen Gehalt und reduziert damit das Schuldstatut auf eine bloße „Aushilfs­ rolle“206. Sie fuhrt zu einer schuldstatut-unabhängigen Anwendung auch ausländi­ scher zwingender Normen, deren Zweck eine Anwendung auf einen inter­ national-verknüpften Sachverhalt rechtfertigt und überwindet damit die das Forum-Recht begünstigende Ausrichtung der einseitigen versteckten Kolli­ sionsnormen, der lois d’application immediate bzw. des positiven ordre public. Die deutsche Rechtsprechung ist der Lehre von der prinzipiellen Sonder­ anknüpfung zwingenden inländischen wie ausländischen Schuldrechts nicht gefolgt207. Die zwingenden Schutzvorschriften des Handelsvertreterrechts werden ebenso wie die des Kündigungsschutzgesetzes grundsätzlich nur angewendet, wenn deutsches Recht Vertragsstatut ist208. Sonderanknüpfun­ gen werden in der Rechtsprechung nur dort praktiziert, wo die Rege­ lungszwecke der Gesetze, wie etwa des Betriebsverfassungsgesetzes, eine bestimmte schuldstatut-unabhängige Anknüpfung erforderlich machen209. Im Schrifttum hat man die Lehre Wenglers, soweit sie nicht auf Ableh­ nung gestoßen ist210, zunächst nur für die kollisionsrechtliche Behandlung der wirtschaftspolitisch motivierten, „artfremden“211 Eingriffsgesetze fruchtbar gemacht212. In den letzten Jahren hat sie aufgrund der international zunehmenden Reglementierung des Vertragsinhalts zugunsten des schwä­ cheren Vertragspartners weitere Anhänger gefunden213. 206 Wengler (oben N. 199) 212. 207 Ablehnend zuletzt OLG München 16. 9. 1981, IPRax 1982, 70. 208 BGH 30. 1. 1961, NJW 1961, 1061 (1062) = IPRspr. 1960-61 Nr. 39b); BAG 20. 7. 1967, IPRspr. 1966-67 Nr. 50b) (S. 168); BAG 10. 4. 1975, IPRspr. 1975 Nr. 30b (S. 61). 209 BAG9. 11. 1977,NJW 1978, 1124 = BB 1978, 403 = IPRspr. 1977 Nr. 47, praktiziert eine vertragsstatutsunabhängige, territorial ausgerichtete Anknüpfung des Betriebsverfassungsge­ setzes; vgl. zur Anwendung ausländischen Arbeitsrechts neben deutschem Vertragsstatut be­ reits oben N. 203. Zwingende Normen, die primär öffentliche Interessen verfolgen, entzieht der Bundesge­ richtshof dem IPR, um sie dem (vom Gedanken der Territorialität geprägten) „öffentlichen Kollisionsrecht“ zuzuordnen; BGH 17. 12. 1959, BGHZ 31, 367 (370f.); BGH 16. 4. 1975, BGHZ 64, 183 (189). 210 Vgl. Vischer, Kollisionsrechtliche Parteiautonomie und dirigistische Wirtschaftsgesetz­ gebung, in: FS Gerwig (1960) 167ff; Serick, Die Sonderanknüpfung von Teilfragen im IPR: RabelsZ 18 (1953) 633; van Hecke, FS F. A. Mann 183; F. A. Mann, FS Beitzke 607; zurückhaltend Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 366f., 368. 211 K. H. Neumayer, Die Notgesetzgebung des Wirtschaftsrechts im IPR: BerDtGVR 2 (1958) 35 ff. 212 Neuhaus 40; Habscheid, Territoriale Grenzen der staatlichen Rechtsetzung: BerDtGVR 11 (1973) 47ff. (56, 73); Zweigert (oben § 3 N. 17) 124ff.; vgl. zum Ganzen auch Schulte, Die Anknüpfung von Eingriffsnormen, insbesondere wirtschaftsrechtlicher Art, im internationa­ len Vertragsrecht (1975). 213 Vor allem Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 366, 382 (der

Art. 7 EG-Vorentwurf 1972214 wie auch Art. 7 des zur Ratifikation aufliegenden EG-Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht von 1980214 215 216 (EG-Übereinkommen 1980) eröffnen die Möglichkeit, zwingende Normen, die nicht dem Vertragsstatut angehören, gesondert anzuknüpfen. Der EGVorentwurf 1972 wie auch das EG-Übereinkommen 1980 bestätigen damit die romanische Lehre der lois de police bzw. lois d’application immdiate216 und verbin­ den sie, wenn auch mit Modifikationen217, mit der Wenglerschen Lehre von der gesonderten Anknüpfung zwingenden Schuldrechts. Während das EG-Überein­ kommen 1980 in Art. 5 die objektive Vertragsanknüpfung unmittelbar am Schutz­ charakter der zwingenden Normen zugunsten der Verbraucher ausrichtet und daher Art. 7 EG-Übereinkommen 1980 für eine gesonderte Anknüpfung von Verbrau­ cherschutznormen kaum noch Raum gibt218, basierte Art. 7 EG-Vorentwurf 1972 auf einer völlig anderen Konzeption: Dieser Norm sollte es gerade zukommen, die zwingenden Normen zugunsten der Verbraucher international abzusichern219, wäh­ rend die Vertragsanknüpfung - Parteiautonomie und Anknüpfung an den Sitz der charakteristisch leistenden Partei - an anderen Zielen orientiert werden konnte.

2. Analyse Allen an dieser Stelle vorgeführten kollisionsrechtlichen Instrumenten zur Absicherung materiellrechtlicher Zwecke ist gemein, daß sie es nicht bei einer Kontrolle bloß krasser Abweichungen vom inländischen Recht im Sinne des negativen ordre public belassen, sondern das inländische Recht in

jedoch zwingende Schutznormen eines ausländischen Rechts nicht neben deutschem Vertrags­ statut anwenden will); Reithmann Rz. 192f, 219; von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974) 396 (410); vgl. auch Batiffol/Lagarde II Nr. 576. 214 KOM XIV/398/72/D; der Text findet sich auch abgedruckt in: European Private Interna­ tional Law of Obligations, hrsg. von Lando u. a. (1975) 230 ff. und in RabelsZ 38 (1974) 211. 215 ABI. EG 1980 L 266/1. 216 Siehe Giuliano/Lagarde/van Sasse van Ysselt, Rapport concernant l’avant-projet de Convention sur la loi applicable aux obligations contractuelles et non-contractuelles, in: Euro­ pean Private International Law of Obligations, hrsg. von Lando u. a. (1975) 241 (277); vgl. auch Batiffol, Projet de Convention CEE sur la loi applicable aux obligations contractuelles: Rev.trim.dr.eur. 11 (1975) 181 (184). 217 Art. 7 Vorentwurf 1972 zum Übereinkommen von 1980 geht nicht - wie Wengler - von einer prinzipiell gesonderten Anknüpfung allen zwingenden Schutzrechts aus; vielmehr wer­ den die zwingenden Normen eines Drittrechts neben den zwingenden Normen des Vertragssta­ tuts zur Anwendung berufen. 218 Der Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzu wendende Recht von Giuliano/Lagarde, ABI. 1980 C 282/1 (28) (im folgenden: GIULIAno/Lagarde) hält eine Anwendung zwingender Normen des Verbraucherschutzes des Forums über Art. 7 II Übereinkommen neben fremdem Vertragsstatut für möglich. 219 Giuliano/Lagarde/van Sasse van Ysselt (oben N. 216) 277; von Hoffmann (oben N. 72) 12ff, 15 ff.; zur Kritik: Lando, RabelsZ 34 (1974) 6 (15, 17ff., 35 ff.); König, EuropaR 10 (1975) 289 (299f); Kegel, FS Ehrenzweig 51 (83).

seiner konkreten Ausgestaltung durchsetzen, auch wenn die Techniken dabei im einzelnen differieren. Im folgenden ist der Frage nachzugehen, ob und welche Gründe dafür sprechen, zwingende Normen zum Schutze des schwächeren Vertragspartners durch eine vertragsstatutsunabhängige bzw. -ergänzende Anknüpfung (Berücksichtigung) abzusichern, anstatt den kol­ lisionsrechtlichen Schutz des schwächeren Vertragspartners über die Ver­ tragsanknüpfung zu realisieren.

a) Gründe für eine gesonderte Anknüpfung

Die von Wengler vorgetragene Lehre einer gesonderten Anknüpfung zwingenden Schuldrechts stellt auf ein äußerliches Kriterium220, die zwingen­ de Natur der Sachrechtsnormen, ab. Die kollisionsrechtspolitische Begrün­ dung für dieses Abgrenzungskriterium wird man in drei Richtungen zu suchen haben. Die Beobachtung der Praxis hat gezeigt, daß die Gerichte nur den zwin­ genden Normen der lex fori neben ausländischem Vertragsstatut zur Durch­ setzung verholfen haben. Dispositive Normen blieben immer dem Ver­ tragsstatut unterworfen. Die Regelungszwecke dieser Normen drängen oft nach anderen Anknüp­ fungen als sie das internationale Vertragsrecht bereitstellt. Die von Wengler herangezogenen Beispiele aus dem (Außen-)Wirtschafts- und Währungs­ recht machen dies deutlich: Der internationale Anwendungsbereich der nationalen Wirtschafts- und Währungsgesetze muß im Hinblick auf die Auswirkungen des zwischenstaatlichen Handelsverkehrs auf die innerstaat­ liche Ordnung bestimmt und abgegrenzt werden. Dagegen orientieren sich die herkömmlichen Anknüpfungen im internationalen Vertragsrecht - aus­ drücklicher, mutmaßlicher, hypothetischer Parteiwille, Erfüllungsort - pri­ mär an den Erwartungen der Parteien bezüglich der Anwendung einer bestimmten Rechtsordnung und sind daher ungeeignet, den Anwendungs­ bereich wirtschaftsordnender Gesetze zu umreißen221. Der maßgebliche Grund für die gesonderte Anknüpfung aller zwingenden Schuldrechtsnormen - und damit auch der den Vertragsinhalt prägenden Normen - liegt für Wengler in der von ihm postulierten weitgehenden Bedeutungslosigkeit des Vertragsstatuts222, die sich in Sonderanknüpfungen für Fragen der Rechts- und Geschäftsfähigkeit, der Form und der Vollmacht, sowie in der Abbedingung des dispositiven Rechts in den Vertragswerken

220 So mit Recht Steindorff 228 f. 221 Neuhaus 259 f. 222 Wengler (oben N. 199) 212: „Aushilfsrolle“.

des internationalen Handelsverkehrs manifestieren soll. Da Wengler die Bedürfnisse des internationalen Handelsverkehrs auch dadurch berücksich­ tigen will, daß die Vertragspartner ihre Vertragsbeziehungen ohne jeden Bezug auf ein nationales Recht ausgestalten dürfen223, ist die eigenständige, vertragsstatutsunabhängige Behandlung des zwingenden Rechts eine not­ wendige Konsequenz. Diese an den - vermeintlichen - Bedürfnissen des internationalen Han­ delsverkehrs entwickelte Lehre vermag jedenfalls insoweit nicht zu überzeu­ gen, als sie auf Vertragsverhältnisse erstreckt wird, bei denen das Privatrecht zum Schutze des typischerweise schwächeren Vertragspartners auf den Ver­ tragsinhalt durch zwingende Normen Einfluß nimmt. Hier ist gerade zu erwägen, ob nicht dem Vertragsstatut statt einer bloßen „Aushilfsrolle“ eine zentrale Schutzrolle zukommen muß, die eine prinzipielle Sonderanknüp­ fung zwingenden Schuldrechts nicht nur überflüssig macht, sondern ihr sogar im Wege steht. Soweit heute die gesonderte Anknüpfung zwingender Normen zugunsten der schwächeren Vertragspartner als Ergänzung und Korrektur der Parteiautonomie und des Prinzips der charakteristischen Lei­ stung empfohlen wird224, wirkt Wenglers Lehre, wenn auch in modifizierter Form225, weiter, ohne deshalb an Überzeugungskraft zu gewinnen.

b) Der Inhalt der Sachnormen

Die Durchbrechung des Verweisungsbefehls der allgemeinen Kollisions­ norm durch die gesonderte Anknüpfung einzelner Sachnormen wird zu­ meist mit dem Inhalt der Sachnormen begründet. Savigny hat ein Abweichen von der Herrschaft der allgemeinen Kollisionsregel für Gesetze von streng positiver, zwingender Natur, die „ihren Grund und Zweck außer dem reinen, in seinem abstrakten Dasein aufgefaßten Rechtsgebiet“226 postuliert. Dabei geht es um Gesetze, die auf „sittlichen Gründen“ beruhen oder „auf Gründen des öffentlichen Wohls (publica utilitas), mögen diese nun mehr einen politischen oder einen volkswirtschaftlichen Charakter an sich tra­ gen“227. Die romanische Lehre von den lois d’ordre public begründet den Vorrang bestimmter Rechtsnormen des inländischen Rechts mit dem sozia­

223 Wengler (oben N. 199) 210. 224 Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 364, 366, 381; von Hoff­ mann, RabelsZ 38 (1974) 396. 225 Staudinger (-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 364, geht es um eine zusätzli­ che Berücksichtigung vertragsstatutsfremder Schutznormen (des Forums) neben den zwingen­ den Normen der lex causae. 226 Savigny VIII34. 227 Savigny VIII36.

len Gehalt und Zweck der Normen228, der Regelung des öffentlichen Wohls und gesellschaftlichen Lebens229. Francescakis, einer der Hauptvertreter der Lehre von den lois d’application immediate, will, um Präzisierung dieses weitgehend unscharfen inhaltlichen Kriteriums bemüht, die kollisionsrecht­ liche Sonderstellung jenen Normen zubilligen, die einen Bezug zur „Organi­ sation etatique“230 231 aufweisen, Normen „dont l’observation est necessaire pour la sauvegarde de l’organisation politique, sociale ou economique du pays"21. Auf den Inhalt des deutschen Sachrechts stellt auch der Bundesgerichtshof ab, wenn er - in Konkretisierung des positiven ordre public - die Anwen­ dung des § 764 BGB neben ausländischem Vertragsstatut damit begründet, daß es sich um ein Schutzgesetz handelt, das „der Ordnung des innerstaatli­ chen Soziallebens“ dient und die „WertVorstellungen des Gesetzgebers über die innerstaatliche Sozialordnung“ widerspiegelt232. Seit Kahns233 scharfsinniger Auseinandersetzung mit der deutschen Lehre von den absoluten, streng zwingenden Prohibitivgesetzen und ihrem roma­ nischen Pendant der lois d’ordre public ist jedoch erkannt234, daß der Inhalt bzw. Regelungszweck einer Norm allein eine kollisionsrechtliche Sonder­ behandlung nicht zu rechtfertigen vermag. Nicht die grundlegende Bedeu­ tung einer Norm für Staat und Gesellschaft, das hohe Maß an „sozialem Gehalt“235, ihre besondere Werthaftigkeit236, entscheiden über eine kollisions­ 228 Laurent, Le droit civil international II (1881) 341 ff. Nur auf dieser Grundlage läßt sich Laurents These von der weitgehenden kollisionsrechtlichen Autonomie der Parteien angemes­ sen würdigen. 229 Schwander 154. Die französische Rechtsprechung gebraucht noch heute die Formel von den lois d’ordre public; vgl. die Nachweise bei DEBY-GRARD 18 ff. Das Schrifttum unterschei­ det scharf zwischen der „exception d’ordre public“ und den lois de police: Batiffol/Lagarde I Nr. 251, 354; Mayer Nr. 112ff. (lois de police), Nr. 203 (ordre public); Francescakis, Conflit de lois Nr. 89-149 (lois de police) und Nr. 334-337 (ordre public). 230 Francescakis, Conflit delois Nr. 125; ders., Rev.crit. 55 (1966) 1 (13). 231 Francescakis, Conflit de lois Nr. 137; ders. (oben N. 191) 149; Batiffol/Lagarde I Nr. 251 sprechen von „lois de police“; zu ihnen zählen sie auch die zwingenden Normen zum Schutze des schwächeren Vertragspartners; vgl. Batiffol/Lagarde II Nr. 576 („police du contrat“). 232 BGH 12. 6. 1978, NJW 1979, 488 (489); vgl. auch BGH 25. 5. 1981, NJW 1981, 1898 (1899). 233 Kahn (oben § 4 N. 196) 161. 234 Siehe etwa Neumayer, Internationales Verwaltungsrecht IV (1936) 228 f.; Staudinger (-Raape) 814 (für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Zweck“ in Art. 30 EGBGB); in Auseinandersetzung mit der Lehre von den „lois d’application immediate“: Loussouarn/ Bourel Nr. 132 (wo nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer Abgrenzung und damit die Formulierung von Anknüpfungsmerkmalen - „rattachements" - hingewiesen wird); DebyGRARD 48 ff. 235 Kahn (oben § 4 N. 196) 182; Staudinger(-Raape) 813 f; Loussouarn/Bourel Nr. 132. 236 Schwander 448; beifällig Wengler, JZ 1979, 175 (176 N. 7). Anders aber in der Tendenz BGH 12. 6. 1978, NJW 1979, 488 (489). *

rechtliche Sonderstellung; vielmehr ist es der aus den Regelungszwecken der Sachnorm(en) zu entwickelnde internationale Anwendungsanspruch, der über die Notwendigkeit einer Abweichung von der Hauptanknüpfung ent­ scheidet237. Grenzt die allgemeine Kollisionsnorm - etwa das Statut für den Versicherungsvertrag mit branchenunkundigen Versicherungsnehmern den internationalen Anwendungsbereich der Versicherungsnehmerschutz­ normen in angemessener Weise ab, besteht kein Anlaß, diese Normen einer gesonderten Anknüpfung zu unterstellen. Nur dort, wo die Anknüpfung der allgemeinen Kollisionsnormen und der wünschenswerte internationale Anwendungsbereich der einzelnen Sachnormen differieren, stellt sich das Problem einer gesonderten Anknüpfung einzelner Normen. Wenn auch die deutsche Rechtsprechungs- und Gesetzgebungspraxis zeigt, daß Sozialschutznormen wie das Abzahlungsgesetz238, das AGB-Gesetz239, das Fernunterrichtsschutzgesetz240 und die §§ 762, 764 BGB241 eine gegenüber dem Vertragsstatut abweichende Anknüpfung erforderlich ma­ chen können242, besagt dies doch nichts darüber, ob der Weg einer gesonder­ ten Anknüpfung bzw. Berücksichtigung auch rechtspolitisch in allen Fällen zu befürworten ist. Zu diskutieren bleibt, ob nicht in abgrenzbaren Berei­ chen, wie zum Beispiel dem Versicherungsvertragsrecht, statt einer schutz­ zweckorientierten Sonderanknüpfung eine schutzzweckorientierte Ver­ tragsanknüpfung vorzuziehen ist.

c) Sachnormorientierte Vertrags- oder Sonderanknüpfung im internationalen Versicherungsvertragsrecht

Die sich für das internationale Vertragsrecht stellende Alternative: schutz­ zweckorientierte Bestimmung des Vertragsstatuts oder sachnormbezogene, gesonderte Anknüpfung einzelner Schutznormen wird von der neueren deutschen Gesetzgebung - § 11 FernunterrichtsschutzG und § 12 AGBG auf den ersten Blick zugunsten einer sachnormorientierten Sonderanknüp­ fung der zwingenden Schutznormen entschieden. Obwohl sich die Schutz­ problematik bei Versicherungsverträgen nicht anders stellt als etwa bei Fernunterrichtsverträgen und daher eine Gleichbehandlung beider Schutzla­ gen sich geradezu aufdrängt, kann § 11 FernunterrichtsschutzG keine die kollisionsrechtliche Entscheidung im internationalen Versicherungsver­ 237 Kahn (oben § 4 N. 196) 252£; Staudinger(-Raape) 813f. 238 RG28. 3. 1931, JW 1932, 591. 239 § 12 AGBG. 240 § 11 FernunterrichtsschutzG. 241 BGH 12. 6. 1978, NJW 1979, 488 (489). 242 Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 366, 382; Reithmann Rz. 192ff., 219; von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974) 396 (413).

tragsrecht präjudizierende Bedeutung beigemessen werden. Dies vor allem aus zwei Gründen. § 11 FernunterrichtsschutzG wie auch § 12 AGBG sind als das Ergebnis eines gesetzgebungspolitischen Kompromisses zu begreifen: Dem Gesetz­ geber ist es offensichtlich darum gegangen, aus Anlaß der Verabschiedung dieser Gesetze einerseits so wenig als möglich in das unkodifizierte deutsche internationale Vertragsrecht einzugreifen, andererseits aber den sachrechtli­ chen Schutz der neuen Gesetze zugunsten des schwächeren Vertragspartners bei international verknüpften Verträgen nicht unnötig preiszugeben. Diese Zurückhaltung des Gesetzgebers kann nicht als eine Entscheidung gegen eine sachnormorientierte Bestimmung des Vertragsstatuts begriffen wer­ den, sondern allein als Ausdruck eines begrenzten Regelungswillens. Diese gesetzgebungspolitische Entscheidung wird noch verständlicher, wenn man sich den Zusammenhang von §§11 FernunterrichtsschutzG, 12 AGBG und dem EG-Vorentwurf 1972 vor Augen hält. Das diesem Vorent­ wurf zugrundeliegende Regelungsmodell - Sonderanknüpfung zwingender Schutznormen, Parteiautonomie und Prinzip der charakteristischen Lei­ stung - hat die deutsche Gesetzgebung so nachhaltig beeinflußt243, daß etwa die Gesetzesmaterialien zum AGB-Gesetz darauf verzichten, die gesonderte Anknüpfung zwingender Schutznormen in ihrem rechtspolitischen Für und Wider zu erörtern, sondern sich mit einem Hinweis auf Art. 7 EG-Vorent­ wurf 1972 zu begnügen244. Die Notwendigkeit einer gesonderten Anknüp­ fung zwingender Schutznormen zugunsten der Verbraucher wird im übri­ gen auch und gerade mit der Bedeutsamkeit des Prinzips der charakteristi­ schen Leistung begründet245, die jedoch bisher in der deutschen Rechtspre­ chung noch keine Bestätigung gefunden hat246. Eine gesonderte Anknüpfung (Berücksichtigung) der Schutznormen zu­ gunsten des Versicherungsnehmers mag bei Versicherungsverträgen vor allem aus drei Gründen erwogen werden. Eine gesonderte Anknüpfung entlastet davon, bei der Bestimmung des Vertragsstatuts materiellrechtlichen Versicherungsnehmerschutz in ange­ messenem Umfang sicherzustellen. Die Anknüpfung des Vertrages kann im Wege einer Rollenverteilung an anderen gewichtigen Überlegungen - zu denken ist hier vor allem an das Massenprinzip und die versicherungstechni­ sche Gefahrengemeinschaft - ausgerichtet und damit im Ergebnis kolli­ sionsrechtliche interesscnoptimierung verwirklicht werden. Ein solches Ziel ist jedoch nicht erreichbar. Der Gesichtspunkt des Massenvertragscharak­

243 244 245 246

Landfermann, RIW/AWD 1977, 445 (449). Gesetzesbegründung zum AGB-Gesetz (oben N. 58) 41. Gesetzesbegründung zum AGB-Gesetz (oben N. 58) 40. Siehe nur BGH 16. 11. 1972, WM 1973, 98 = IPRspr. 1972 Nr. 14.

ters zielt darauf ab, dem Versicherer eine internationale Geschäftstätigkeit zu einheitlichen Bedingungen zu ermöglichen. Diese Zielsetzung wird von einer - sich an der Sphäre des Versicherungsnehmers orientierenden - Son­ deranknüpfung durchkreuzt, wenn der Versicherer gezwungen ist, seine AVB an die zwingenden Versicherungsnehmerschutznormen anzupassen. Der Gesichtspunkt der Gefahrengemeinschaft, mit dem die Anknüpfung des Versicherungsvertrages an den Sitz bzw. die Niederlassung begründet wird, geht davon aus, daß ein Risikoausgleich unter möglichst gleichartigen Risiken stattfinden soll. Dieses Ziel wird gefordert, wenn das Vertragsstatut die einheitliche rechtliche Behandlung der Versicherungsverträge eines kon­ kreten Bestandes absichert. Soweit jedoch Sonderanknüpfungen zwingen­ der Versicherungsnehmerschutznormen ins Spiel kommen, muß der Versi­ cherer die Risikogruppen, um rechtlich einheitliche Bestände zu gewährlei­ sten, an den gesondert anzuknüpfenden Normen orientieren. Damit wird die kollisionsrechtspolitische Zielsetzung der Vertragsanknüpfung durch­ kreuzt. Eine gesonderte Anknüpfung zwingender Versicherungsschutznormen macht es möglich, nicht nur das internationale Versicherungsvertragsrecht, sondern das internationale Vertragsrecht in seiner Gesamtheit nach generel­ len, von den jeweiligen Schutzlagen abstrahierenden Kriterien zu ordnen. Damit wird dem Ziel einer einfachen und klaren Rechtsanwendung im internationalen Vertragsrecht gedient. Eine einfache und simple Lösung kann jedoch nur überzeugen, wenn sie sich einer „richtigen“, den typischen wirtschaftlichen Sachverhalten angepaßten Anknüpfung bedient. Eine ein­ heitliche, das gesamte Vertragsrecht erfassende Anknüpfung sollte nicht am Anfang einer Suche nach Lösungen stehen, sondern bestenfalls an ihrem Ende. Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sind zudem nicht gefährdet, wenn für Versicherungsverträge eigenständige Lösungen entwickelt wer­ den: Die Abgrenzung der Versicherungsverträge von anderen Vertragstypen bereitet in der Praxis keine Schwierigkeiten. Nicht alle Rechtsordnungen verwirklichen Versicherungsnehmerschutz. Eine bilaterale Kollisionsnorm, die ihre Anknüpfung am sachrechtlichen Schutz des schwächeren Vertragspartners ausrichtet, kann eine ausländische Rechtsordnung aufgrund einer Wertung berufen, die das ausländische Recht, auf das verwiesen wird, nicht teilt247. Ein solches Ergebnis läßt sich mit einer Sonderanknüpfung zwingender Schutznormen nach dem Vorbild des Art. 7 EG-Vorentwurf 1972 vermeiden. Indessen zeigt das Beispiel des

247 Diese Wertungsdivergenzen der Rechtsordnungen treten noch stärker in den Vorder­ grund, wenn man eine Kollisionsregel formulieren will, die alle Schutzverträge umfassen soll; vgl. von Hoffmann, RabelsZ 38 (1974) 396 (413); ders. (oben N. 72) 13 mit Überblick über die Diskussion.

§41 I öst. IPRG, daß sich auch eine Vertragsanknüpfung in der Weise vornehmen läßt, daß der Schutzgehalt des Rechts, auf das verwiesen werden soll, bei der Anknüpfungsentscheidung mitberücksichtigt wird. Erweisen sich damit die Argumente für eine Sonderanknüpfung der Ver­ sicherungsnehmerschutznormen im Ergebnis als wenig überzeugend, so sprechen gewichtige Gründe fiir eine schützzweckorientierte Anknüpfitng des Versicherungsvertrages als Ganzem. Der branchenunkundige Versicherungsnehmer ist nicht nur bezüglich der Ausgestaltung des Vertragsinhalts, sondern auch im Hinblick auf die mit der Anwendung eines fremden Rechts verbundenen Risiken und Lasten248 eine schutzwürdige und schutzbedürftige Partei („internationalprivatrechtlicher Versicherungsnehmerschutz“)249. Eine Sonderanknüpfung zwingender Schutznormen sichert allein den „materiellrechtlichen Versicherungsneh­ merschutz“. „Internationalprivatrechtlicher Versicherungsnehmerschutz“ ist nur durch eine schutzzweckorientierte Vertragsanknüpfung zu errei­ chen250. Eine schutzzweckorientierte Vertragsanknüpfung hilft die Schwierigkei­ ten vermeiden, die bei der Zusammenfügung von Teilen verschiedener Rechtsordnungen entstehen können und trägt damit den Bedürfnissen des branchenunkundigen Versicherungsnehmers nach einer möglichst einfa­ chen Rechtsberatung und Rechtsanwendung Rechnung. Eine gesondere Anknüpfung (Berücksichtigung) zwingender Schutznor­ men fuhrt unter Umständen zu einer Kumulierung von Schutznormen mehrerer Rechtsordnungen mit der Folge, daß dem Versicherungsnehmer Schutz in einem Ausmaß gewährt wird, wie ihn weder das inländische noch das ausländische Recht für nationale Verträge verwirklichen wollen. Für eine materiellrechtliche Besserstellung des Versicherungsnehmers in internatio­ nal verknüpften Verträgen besteht grundsätzlich kein Anlaß: Kollisionsrecht sollte es allein darum gehen, dem Versicherungspublikum gegenüber aus­ ländischen Versicherern denselben Schutz zukommen zu lassen, wie er bei

248 Dazu schon oben § 5IV. Dieser Aspekt wird im Schrifttum zum internationalen Versiche­ rungsvertragsrecht zumeist nicht hinreichend beachtet; ebenso nicht in den Arbeiten von Uebersax und Imhoff-Scheier. 249 Siehe Lüderitz, FS Kegel 31 (36) („Ermittlungsinteressen“); Spellenberg 212; Stein­ dorff, FS von Caemmerer 761 (764); Shapira (oben N. 83) 79ff.; Gesetzesbegründung zum AGB-Gesetz (oben N. 58) 27. 250 Dieser Aspekt wurde in der Diskussion um Art. 7 EG-Vorentwurf nicht immer hinrei­ chend beachtet; vgl. Sauveplanne, Quelques remarques relatives ä l’avant projet de Convention sur la loi applicable aux obligations contractuelles et non-contractuelles, in: European Private International Law of Obligations, hrsg. von Lando u. a. (1975) 186 (188f.). Dasselbe gilt von jenen Autoren, die die Sonderanknüpfung zwingender Normen und die Vertragsanknüpfung unverbunden nebeneinanderstellen; z. B. Mayer Nr. 692; Toubiana 266 ff.; Batiffol/Lagarde II Nr. 576; Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 363, 366ff.

nationalen Verträgen gewährt wird. Dieses Ziel wird am besten durch eine schutznormorientierte Vertragsanknüpfung verwirklicht251.

IV. Better-law-approach Als Alternative zu einer speziell auf den Schutz des Versicherungsnehmers abzielenden Anknüpfung des Versicherungsvertrages bieten sich kollisions­ rechtliche Techniken an, die die Rechtsanwendungsfrage nicht durch eine vom konkreten Inhalt der jeweiligen Sachnormen unabhängige Verwei­ sung, sondern durch Vergleich und Bewertung des Inhalts der Sachnormen der mit dem Sachverhalt verbundenen Rechtsordnungen oder mit Blick auf ein bestimmtes Regelungsziel zu lösen versuchen: der better-law-approach und die Günstigkeitsmaxime (unter V.). Beide Methoden lassen die endgül­ tige Entscheidung darüber, welche Rechtsnormen auf einen international verknüpften Sachverhalt angewendet werden, von materiellrechtlichen Ge­ sichtspunkten abhängen, setzen dabei aber einen spezifisch kollisionsrechtli­ chen Ansatz voraus: Ehe ein Sachnorm- bzw. ein Ergebnisvergleich vorge­ nommen werden kann, müssen die Rechtsordnungen feststehen (ange­ knüpft werden), deren Normen verglichen werden sollen252. Es sind also alternative Anknüpfungen zu formulieren253, wobei die Anknüpfungspunk­ te relativ einfach gestaltet bleiben können. Im Versicherungsrecht ließe sich etwa mit den Anknüpfungsmomenten des Sitzes des Versicherers und des Wohnorts (gewöhnlichen Aufenthalts) des Versicherungsnehmers arbeiten.

1. Bestandsaufnahme Der better-law-approach hat sich in jüngster Zeit, unter Anregung254,

251 Ebenso im Ergebnis Vischer, FS Gerwig 183ff.; van Hecke, Vertragsautonomie und Wirtschaftsgesetzgebung im IPR: Z.f.Rvgl. 7 (1966) 23 (27); Siehr, RIW/AWD 1973, 569 (573); Uebersax 220ff., 250; Kropholler, RabelsZ 42 (1978) 634 (641) (ohne Auseinanderset­ zung mit der Möglichkeit gesonderter Anknüpfung) 659; Stoll, FS Beitzke 759 (774ff); Hausmann, Zum teilweisen Ausschluß der Einheitlichen Kaufgesetze durch Allgemeine Ge­ schäftsbedingungen: WM 1980, 726 (736); Lando, RabelsZ 38 (1974) 6 (19, 35); ders., Party Autonomy in the EC Convention on the Law Applicable to Contractual Obligations, in: L’influence des Communautes europeennes sur le droit international prive des Etats membres, hrgs. vom Institut Universitaire International Luxemburg (1981) 191 (204); Imhoff-Scheier 184ff; Schurig331 N. 258. 252 Jayme, FS Schwind 103 (113); Juenger, NJW 1973, 1521 (1525); ders., Zum Wandel des IPR (1974) 22. 253 Zur Methode alternativer Anknüpfung zuletzt Beitzke, FS Ferid 39ff.; Neuhaus 176. 254 Grundlegend Leflar, Choice-Influencing Considerations in Conflicts Law: N.Y.U.L. Rev. 41 (1966) 267 (298f.); Leflar § 107.

Beifall255, aber auch Kritik256 der Kommentatoren in der Rechtsprechung einiger amerikanischer Bundesstaaten durchgesetzt257. Aber auch diesseits des Atlantiks haben vereinzelte Stimmen gefordert, dem Gesichtspunkt des „besseren“ Rechts als kollisionsrechtlicher Entscheidungsmaxime Geltung zu verschaffen. Während Zweigert die Anwendung des „besseren“ Rechts als bloß subsidiäre Entscheidungsregel für den Richter für solche Fälle erwägen will, bei denen eine klare Kollisionsnorm nicht zur Hand ist258 und bei denen die mit einer Kollisionsnorm als Regel verbundenen Zielsetzun­ gen - wie der Schutz der vernünftigen Parteierwartungen und die Vermei­ dung potentieller Entscheidungsdivergenzen - sich nicht verwirklichen las­ sen259, will Juenger die Anwendung der „besseren“ Norm zur Entschei­ dungsmaxime schlechthin erheben260. Der amerikanische better-law-approach ist zunächst nichts anderes als ein Versuch, (deskriptive) Aussagen darüber zu machen, wie und aus welchen Gründen amerikanische Gerichte in zwischenstaatlich verknüpften Fällen entschieden haben: Dabei läßt sich zeigen, daß die Gerichte unter der Herr­ schaft der traditionellen Kollisionsnormen die Instrumente des IPR in Ein­ 255 Ehrenzweig, Rec. des Cours 124 (1968-11) 167 (189, 210); ders., Private International Law I 97, 100; vorsichtiger dann Ehrenzweig, Nutshell § 9-8 (47) (der better law approach als Ende allen Konfliktrechts; die „public policy “-Technik als Vorzugs würdige Alternative); Han­ cock, Int.Comp.L.Q. 26 (1977) 799 (803, 823); vgl. insbesondere den Überblick bei Mühl 42 ff. 256 Currie 105f., 153; Cavers 86; von Mehren, Cornell L.Rev. 60 (1975) 927 (952); Note, Comparative Impairment Reformed: Rethinking State Interests in the Conflict of Laws: Harv.L.Rev. 95 (1982) 1079 (1086). 257 Clark v. Clark, 222 A.2d 205, 209 (Sup.Ct.N.H.1966) (unter dem Einfluß Leflars); Conklin v. Horner, 157N.W.2d579, 586 f. (Sup.Ct.Wisc. 1968); Zelingerv. State Land and Gravel Co., 156 N.W.2d 466, 471, 473 (Sup.Ct.Wisc. 1968); Haines v. Mid-Century Ins. Co., 177 N.W.2d 328, 333 (Sup.Ct.Wisc. 1970); Schneider v. Nichols, 158 N.W.2d 254, 259 (Sup.Ct. Minn.1968); Milkovich v. Saari, 203 N.W.2d 408, 413, 415, 417 (Sup.Ct.Minn.1973); Bolgrean v. Stich, 196 N.W.2d 442, 444 (Sup.Ct.Minn.1972). Weitere Nachweise bei Mühl 66ff. §6 Restatement (Second) zählt den „better rule approach“ nicht zu den relevanten „choice of law principles". 258 Zweigert, RabelsZ 37 (1973) 435 (447). 259 Zweigert (vorige Note) 447 will dabei den „better law approach“ offensichtlich schon eingreifen lassen, wenn die Kollisionsnorm keine „klare“ Verweisung auf das ausländische Recht ausspricht. Weder wird eine Begründung dafür gegeben, warum der Richter nicht - wie auch bisher - in rechtsschöpferischer Weise Kollisionsnormen entwickeln soll (die an den materiellrechtlichen Zwecken des Sachrechts zu orientieren wären), noch wird deutlich ge­ macht, warum der derzeitige Stand des deutschen Kollisionsrechts („klare“ Kollisionsnormen einerseits - Unklarheit andererseits) die Grenzlinie für richterliche Entscheidungen abgeben soll, die sich an völlig verschiedenen kollisionsrechtlichen Zwecken orientieren. 260 Juenger, NJW 1973, 1521 (1525); ders., Zum Wandel des IPR 21 ff; kritisch insbesondere Kegel, Wandel auf dünnem Eis, in: Juenger, Zum Wandel des IPR 35 ff; Simitis, St AZ 1976, 6 (11) (unter dem Aspekt der „Abhängigkeit der Gerichte von den Gutachtern“, die durch die Entscheidungsmaxime des besseren Rechts eher noch wachsen würde); Joerges 165ff; E. Lorenz, Z.f RPol. 1982, 148 (154).

zelfällen in einer Weise gehandhabt haben, daß im Ergebnis das „bessere“ Recht zur Anwendung gekommen ist261. Soweit der better-law-approach als Handlungsanweisung für den Richter empfohlen wird, harrt er erst noch einer näheren Begründung und Ausar­ beitung durch Wissenschaft und Judikatur. Immerhin scheint Einigkeit darüber zu bestehen, daß der Gesichtspunkt der „better rule“ keineswegs das einzige und wichtigste Entscheidungskriterium sein soll und zudem in seiner Bedeutung von Sachgebiet zu Sachgebiet variieren kann262.

Zwei mit dem better-law-approach verfolgte Ziele lassen sich unterscheiden: Das erste ist primär strategischer Natur. Der Gesichtspunkt des besseren Rechts wird als Entscheidungsmaxime empfohlen, um die Gerichte zu ermuntern, in ihren Urteilen ihre wahren Gründe bei der Entscheidung international verknüpfter Fälle offenzulegen, um so eine rationale Diskussion über die Entscheidungsfindung zu ermöglichen wie auch die Prognostizierbarkeit künftiger Entscheidungen zu erleich­ tern263. Der better-law-approach soll, wie ein Blick auf die Rechtspraxis264, aber auch auf die im Schrifttum265 gegebenen Anwendungsbeispiele zeigt, dazu dienen, veralte­ tem, „anachronistischem“ Recht die Beachtung zu versagen. Die praktische Tragweite des better-law-approach erweist sich damit im amerikanischen Kollisionsrecht - jedenfalls bisher - als relativ beschränkt. Die Rechtsprechung beherrschen Entscheidungen, in denen fremdes Recht der Anwendung der lex fori weichen mußte266. Der better-law-approach erfüllt hier letztlich die gleichen Funktionen wie der negative ordre public267, wenn dieser „modernes“ inländisches Recht gegen kraß abweichendes aus­ ländisches Recht verteidigen hilft268. Vereinzelt haben sich Gerichte auf den Grundsatz des „besseren“ Rechts auch dann berufen, wenn es ihnen darum gegangen ist, „veraltetem“, „unsinnigem“ oder „anachronistischem“ (Ge­ setzes-) Recht des Forums durch Anwendung einer „moderneren“ ausländi261 Leflar 212. 262 Leflar 215. 263 Leflar 215: „... honesty is the best policy, even in judicial opinions“. 264 Clark v. Clark, 222 A.2d 205, 209 (Sup.Ct.N.H. 1966), Kenison, C.J.: „We prefer to apply the better rule of law in conflicts cases as is done in non-conflicts cases, when the choice is open to us. If the law of some other state is outmoded, an unrepealed remnant of a bygone age, ... we shall try to see our way clear to apply our own law instead. “ 265 Hancock, Int.Comp.L.Q. 26 (1977) 799 (803, 823); Leflar214; ders., N.Y.U.L.Rev. 41 (1966) 267 (299) („anachronistic“, „behind the times“, „a drag on the coat tails of civilization“); CHEATHAM/REESE, Colum.L.Rev. 52 (1952) 959 (980). 266 Vgl. die Nachweise bei Cramton/Currie/Kay (oben § 3 N. 56) 323. 267 Ehrenzweig, Nutshell 47. 268 Siehe die Analyse in BGH 17. 9. 1968, BGHZ 50, 370 (376), wo neue Entwicklungen im französischen Recht und Reformbemühungen in Italien herangezogen werden, um eine Rege­ lung des italienischen Rechts (Verbot der Legitimation von Ehebruchkindern) als veraltet zu qualifizieren.

sehen Rechtsnorm auszuweichen269. Der Grundsatz des „besseren“ Rechts ist hier nichts anderes als ein Instrument des Richters, sich in international verknüpften Sach verhalten aus der Bindung an die lex fori zu lösen: Statt einer Entscheidung contra legem wird der Umweg über das Kollisionsrecht gewählt270.

2. Kritik

Gegenüber den Verheißungen des better-law-approach erscheint Skepsis geboten. Um der Anwendung anachronistischer Rechtsnormen aus dem Wege zu gehen, ist der better-law-approach entbehrlich. Soweit es um ausländi­ sche Rechtsnormen geht, sollte es bei einer Ergebniskorrektur im Rahmen des negativen ordre public verbleiben. Inländisches Recht, das der Richter als rechtspolitisch verfehlt ansieht, sollte, wenn überhaupt, auf der Ebene des Sachrechts und damit für nationa­ le wie für internationale Sachverhalte gleichermaßen korrigiert bzw. fortge­ bildet werden271. Für eine Sonderbehandlung international verknüpfter Sachverhalte gibt es insoweit keinen überzeugenden Grund272. Soweit der Entscheidungsmaxime des „besseren“ Rechts eine allgemeine­ re, über die Korrektur anachronistischer Normen hinausweisende Funktion zugesprochen wird273, sind Einwände grundsätzlicher Art zu erheben.

269 Clark v. Clark, 222 A.2d 205, 209 (Sup.Ct.N.H. 1966) (obiter dictum); vgl. auch Frummer v. Hilton Hotels Int.Inc., 304 N.Y.S.2d 335, 344 (Sup.Ct. 1969); ausdrücklich befürwortend Leflar 214; ders., N.Y.U.L.Rev. 41 (1966) 267 (298); Hancock, Int.Comp.L.Q. 26 (1977) 797 (823); vgl. auch Ehrenzweig, Rec. des Cours 124 (1968-11) 167 (211); ders., Private International Law I 100. Ablehnend für eine non-conflict-Situation Fuerste v. Bemis, 156 N.W.2d 831, 834 (Sup.Ct.Iowa 1968): „It is not for us to consider which is the better law when the policy making body of the state has spoken“ (anders aber fiir den Fall eines „echten“ Konflikts: S. 834). 270 Vergleiche auch Ehrenzweig, Private International Law I 102, wo der richterlichen Entscheidung die Funktion zugewiesen wird, „to prepare the ground for domestic reform by open preference for „better“ foreign Solutions“. 271 Die „Korrektur“ nationalen Sachrechts (durch Nichtanwendung) auf dem Umweg über die Anwendung fremden, „besseren“ Rechts enthält insofern auch ein willkürliches Element, als es bei Sachverhalten mit Verknüpfung zu Rechtsordnungen, die keine „bessere“ Rechtsnorm kennen, bei der Anwendung des nationalen Sachrechts verbleiben muß. 272 Gamillscheg, RIW/AWD 1979, 225 (235); Currie 105, 153: „Conflict-of-laws cases do not provide courts with a license which they do not otherwise have to condemn the law and policy of a state on the ground that it is archaic, or misguided, or socially and economically unwise“. Wird die auf nationale Sachverhalte zugeschnittene Norm der Internationalität des Sachverhalts nicht gerecht, wäre es Aufgabe des Richters, eine angemessene und passende internationale Sachnorm zu formulieren. 273 So insbesondere bei Juenger, NJW 1973, 1521 (1525); ders., Zum Wandel des IPR 21 ff.

Die Entscheidungsmaxime des „besseren“ Rechts läßt erwarten, daß sich der Richter zumeist für sein eigenes Recht schon deswegen entscheiden wird, „weil er es am genauesten kennt und dessen Urteile und Vorurteile in aller Regel teilt“274. Heimwärtsstreben der Gerichte, internationale Entschei­ dungsdivergenzen und „forum shopping“ werden tendenziell begünstigt. Das Kriterium des „besseren“ Rechts verlangt nach einem Wertungsmaß­ stab275, an dem die zu vergleichenden Rechtsnormen gemessen und in ihrer Qualität beurteilt werden können. Rechtsnormen sind Antworten auf die konkreten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedürfnisse einer bestimmten Sozialordnung276. Sie sind geprägt von grundlegenden Wertungen sittlich-religiöser und kultureller Natur. Wertende Rechtsvergleichung277 muß notwendig auf Schranken sto­ ßen, wo es um den Rechtsnormenvergleich zwischen Gesellschaftsordnun­ gen mit unterschiedlicher religiös-sozio-kultureller Prägung278 oder ver­ schiedener wirtschaftlicher Entwicklungsstufen geht279. Auch bei Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen gleicher Entwick­ lungsstufen können die Ordnungsziele divergieren: Am deutlichsten zeigt sich dies im Verhältnis zwischen „kapitalistischen“ und „sozialistischen“ Rechten280, bei denen ein wertender Rechtsnormenvergleich wegen der ver­ schiedenen Zielsetzungen der Systeme schnell an seine Grenzen stößt oder aber in Gefahr steht, zu einer System- bzw. Ideologiekritik umzuschlagen281. Aber auch zwischen den westlich-kapitalistischen Wirtschaftsordnungen können die Ordnungsziele divergieren und einen wertenden Rechtsnormen­ vergleich als problematisch erscheinen lassen: Englisches Versicherungsver­ tragsrecht hat seine Regeln weniger am Bild des schutzbedürftigen als des vernünftigen, eigenverantwortlichen Versicherungsnehmers entwickelt282; englisches Arbeitsrecht vertraut bisher eher auf die Konfrontation zwischen Gewerkschaften und Unternehmen statt den Weg über Mitsprache und

274 Simitis, StAZ 1976, 6 (11); vgl. auch E. Lorenz, Z.f.RPol 1982, 148 (154); Schurig 311. 275 Jayme, FS Schwind 103 (105), spricht von einem „Ordnungsziel“. 276 Siehe dazu oben § 3 II1 bei N. 32ff.; Zweigert, RabelsZ 37(1973) 435 (442). 277 Zur Problematik wertender Rechtsvergleichung allgemein vgl. Radbruch, Über die Methode der Rechtsvergleichung, in: Rechtsvergleichung, hrsg. von Zweigert/Puttfarken (1978) 52 (54); Constantinesco, Rechtsvergleichung II: Die rechtsvergleichende Methode (1972) 43 ff., 88 ff; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechts Vergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts1 I (1971) 29ff, 43ff., 47 (funktionelle Rechtsvergleichung und „kritische Wertung“); Zweigert, FS Schmitthoff403 (405ff). 278 Etwa auf dem Gebiet des Familien- und Erbrechts; Zweigert/Puttfarken (oben N. 141) 405 f. 279 Zweigert/Puttfarken (oben N. 141) 407 ff. 280 Zweigert/Puttfarken (oben N. 141) 409 ff; Zweigert/Kötz (oben N. 288) 37 f. 281 Zweigert, FS Schmitthoff403 (418). 282 Siehe oben § 1II.

Mitbestimmung zu gehen283. Ein Richter, der mit dem Kriterium des „besse­ ren“ Rechts arbeiten soll, ist hier zwangsläufig auf die - politisch verantwor­ teten - Entscheidungen seiner eigenen Rechtsordnung verwiesen284. Nur dort, wo die Ordnungsziele der Rechtsnormen übereinstimmen, kann man anhand von Mittel-Zweck-Relationen versuchen, die Qualität einzelner Regelungen zu bestimmen. Aber auch hier ist vor oberflächlichen und vordergründigen Wertungen zu warnen. Eine vergleichende Bewer­ tung von Rechtsnormen verlangt eine Analyse und Kontrolle der Wirkun­ gen der Normen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben; dys­ funktionale Wirkungen einer bestimmten Regelungstechnik sind dabei ebenso in die Betrachtung einzubeziehen wie ihre (sozialen) Kosten, wie etwa in Form eines Anreizes zum Prozessieren. Konkrete Ordnungsziele, wie zum Beispiel der Schutz des Verbrauchers, stehen immer in einem Spannungsverhältnis zu anderen Rechtsgütern und -werten. Kein Regelungsziel wird vollkommen verwirklicht. Das Ausmaß seiner Verwirklichung ist das Ergebnis eines Koordinations- und Abwä­ gungsprozesses zwischen verschiedenen Rechtszwecken und Interessen, der auch die Wahl der Regelungsmittel beeinflussen kann. Der Vergleich und die Bewertung unterschiedlicher Regelungsmittel zur Erreichung desselben Re­ gelungszweckes erweist sich auch insoweit als ein komplexer Vorgang. Diese wenigen Hinweise auf die Voraussetzungen und Grenzen wertender Rechtsvergleichung müssen genügen, um deutlich zu machen, daß der Grundsatz des „besseren“ Rechts keine geeignete Entscheidungsmaxime für die Lösung international verknüpfter Fälle darstellen kann. Der Grundsatz des „besseren“ Rechts ist von vornherein auf Rege­ lungskonflikte zwischen Rechtsordnungen mit übereinstimmenden Ord­ nungszielen beschränkt. Er ist keine universal anwendbare Entscheidungs­ maxime. Die Klärung der Frage, ob die Rechtsnormen der von einem konkreten Fall berührten Rechtsordnungen einer wertenden, rational nachprüfbaren Rechtsvergleichung zugänglich sind, mag Anlaß zu wissenschaftlicher For­ schung geben. Ein Richter, der bei jedem international verknüpften Fall diese Frage zu klären und zu entscheiden hätte, wäre absolut überfordert285.

283 Zum Stand der Diskussion: Report of the Comittee of Inquiry on Industrial Democracy (1977) - „Bullock-Report“; Hadding, Company Law and Capitalism (1972) 427ff. 284 Siehe auch Schurig 311. Die Bereitschaft einiger amerikanischer Gerichte, interlokale Konfliktsfälle anhand des Kriteriums des „besseren“ Rechts zu entscheiden, mag ihre Erklärung zum einen in der gemeinsamen Rechtstradition der amerikanischen Bundesstaaten (mit Aus­ nahme Louisianas), zum anderen in der Mobilität der amerikanischen Bevölkerung (und damit auch ihrer Juristen) und - vor allem - der „überstaatlichen“ Ausbildung der Juristen an den führenden Law Schools finden. 285 Vergleiche Cavers 86.

Der Grundsatz des „besseren“ Rechts blendet aus, daß die gesetzlichen Regelungen der verschiedenen Rechtsordnungen für ein konkretes gesell­ schaftliches Problem zumindest auch das Ergebnis von politischen Entschei­ dungsprozessen darstellen: Die konkreten Lösungen sind oftmals ein Kom­ promiß widerstreitender gesellschaftlicher Kräfte und Interessen. Ein „fort­ schrittliches Rechtsdenken“ zum Maßstab richterlicher Wertung zu erhe­ ben286, würde bedeuten, dem Richter in internationalen Fällen eine Position zuzu weisen, die für ihn die jeweiligen, in bestimmten rechtlichen Lösungen gefundenen Kompromisse weitgehend zur Disposition stellt287. Gerade dar­ um kann es aber im Kollisionsrecht nicht gehen288. Ausgehend von der Einsicht, daß die Staaten auch für dieselben gesell­ schaftlichen und wirtschaftlichen Probleme unterschiedliche Antworten ent­ wickeln, sollte Kollisionsrecht diese Verschiedenheit der Lösungen grund­ sätzlich respektieren und statt dessen sich darauf beschränken, den staatlichen Rechtsnormen einen, an ihren Regelungszwecken orientierten, angemesse­ nen internationalen Anwendungsbereich zuweisen289.

V. Günstigkeitsprinzip 1. Bestandsaufnahme

Anders als der better-law-approach gehört die Entscheidungsmaxime des „günstigeren“ Rechts durchaus zum Arsenal herkömmlicher Regelungstech­ niken des europäischen Kollisionsrechts290. Während der better-law-approach die Wertung im Einzelfall letztlich ganz dem Richter überläßt, ist die richterli­ che Entscheidung bei Maßgeblichkeit des Günstigkeitsprinzips weitgehend gebunden und überprüfbar291, wenn konkrete Anknüpfungsalternativen und ein eindeutig bestimmtes Entscheidungsziel vorgegeben sind. 286 So Zweigert, RabelsZ 37 (1973) 437 (447). 287 Ehrenzweig, Private International Law 1102, räumt zu Recht ein, daß eine gesetzgeberi­ sche Regel, die die Anwendung des besseren Rechts vorschreibe, nicht denkbar sei. 288 Fuerste v. Bemis, 156 N.W. 2d 831, 834 (Sup.Ct.Iowa 1968). 289 Baxter, ChoiceofLaw and the Federal System: Stan. L.Rev. 16(1963) 1 (11 f.) (es gehe-fiir Regelungskonflikte zwischen Bundesstaaten - um die Zuordnung der „respective spheres of lawmaking influence"); zuletzt wieder Note, Harv.L.Rev. 95 (1982) 1079 (1083, 1092) (Aner­ kennung der Verschiedenheit der Lösungen als wichtige policy in einem föderal-strukturierten System). 290 So Jayme, Kollisionsrecht und Bankgeschäfte mit Auslandsberührung (1977) 24. Zum Günstigkeitsprinzip allgemein Kisch, La loi la plus favorable, in: FS Gutzwiller (1959) 373; Neuhaus 174 ff; Raape/Sturm I 9 ff.; Jayme, FS Schwind 103 (108); eingehend Mühl 101 ff; Bucher, Sur les regles de rattachement ä caractere substantiel, in: FS Schnitzer (1979) 37 (39 ff). Zum Arbeitsrecht Däubler, Grundprobleme des internationalen Arbeitsrechts: RIW/AWD 1972, 1 (10); Gamillscheg, RIW/AWD 1979, 225 (234). 291 Siehe auch Beitzke, FS Ferid 39 (60); Schurig 204 ff.

Deutsches Kollisionsrecht greift aus verschiedenen Gründen zum Günstig­ keitsprinzip.

Die Maßgeblichkeit des „günstigeren“ Rechts ist nicht mehr als ein Mittel zur Überwindung eines Anknüpfungsdilemmas, also eine bloße Verlegenheitslösung292, wenn etwa im deutschen internationalen Deliktsrecht als Begehungsort der uner­ laubten Handlung sowohl der Handlungs- wie der Erfolgsort gilt293 und Divergen­ zen zwischen den Rechtsordnungen durch Anwendung desjenigen Rechts überwun­ den werden294, das dem Verletzten zu einem günstigeren Ergebnis verhilft295. Als Ausprägung der „Günstigkeitsmaxime“ lassen sich auch jene Fälle begreifen, in denen Kollisionsrecht einen rechtlichen Erfolg - etwa die Gültigkeit eines Rechts­ geschäfts - gegenüber den aus der Internationalität der Rechtsbeziehungen erwach­ senden Schwierigkeiten und Gefährdungen absichern hilft: Art. 1 des Haager Testa­ ment-Übereinkommens296 fordert die Gültigkeit eines Testaments, indem es für die Beurteilung der Form nicht weniger als acht Anknüpfungspunkte alternativ zur Auswahl stellt297. Genügt das Testament den Formerfordernissen auch nur einer der zur Anwendung berufenen Rechtsordnungen, reicht dies für die Formwirksamkeit aus298. Dieselbe Zielsetzung - Förderung der Wirksamkeit international verknüpfter Rechtsgeschäfte - verfolgt Art. 1112 EGBGB299, der, bei grundsätzlicher Maßgeb­ lichkeit des Wirkungsstatuts auch für Formfragen (Art. 1111 EGBGB), die Einhal­ tung der Ortsform als Recht des Handlungsortes für die Formgültigkeit des Rechts­ geschäfts genügen läßt. Deutsches Kollisionsrecht arbeitet mit dem „Günstigkeitsprinzip“ zum Schutze der Sicherheit des inländischen Geschäftsverkehrs sowie einzelner, als schutzwürdig erachteter Personengruppen. Bei Ehegatten mit Wohnsitz im Inland, deren güterrechtliche Verhältnisse nach ausländischem Recht zu beurteilen sind (entsprechend Art. 15 I EGBGB), ordnet 292 Gamillscheg, RIW/AWD 1979, 225 (234); Neuhaus 178. 293 Die Rechtsprechung beginnt mit RG 20. 11. 1888, RGZ23, 305; 30. 3. 1903, RGZ54, 198 (205) (Schuß über die Grenze); 12. 1. 1932, RGZ 138, 243, 246. Aus der neueren Rechtspre­ chung vgl. BGH 17. 3. 1981, NJW 1981, 1606; 6. 11. 1973, IPRspr. 1973 Nr. 137; 23. 6. 1964, IPRspr. 1964-65 Nr. 51; OLG Karlsruhe 25. 2. 1976, IPRspr. 1976 Nr. 13; 4. 8. 1977, IPRspr. 1977 Nr. 27. 294 Die Feststellung des günstigeren Rechts obliegt dem Richter von Amts wegen: BGH 6. 11. 1973, IPRspr. 1973 Nr. 137; OLG München 18. 9. 1975, IPRspr. 1975 Nr. 23 (S. 38). 295 Eine Begründung dafür ist die Rechtsprechung letztlich schuldig geblieben; kritisch Steindorff 124; Trutmann 6; Schwander 434. Kegel 308 sieht die entscheidende Begründung in der „Sympathie mit dem Opfer“; ebenso OLG Saarbrücken 5. 3. 1963, IPRspr. 1962-63 Nr. 38 (S. 97). 296 Gesetz vom 5. 10. 1961, BGBl 1965 II1145. 297 Art. 1 lit. a) — e) nennt fünf Anknüpfungspunkte; da in lit. b), c) und d) sowohl der Zeitpunkt der Errichtung des Testaments wie auch der Todeszeitpunkt genannt sind, erhöht sich die Zahl der Anknüpfungen auf acht. 298 Das „günstigere“ Recht ist dasjenige, das dem Testament zu seiner Wirksamkeit verhilft. 299 Genauer wird man Art. 1112 EGBGB zwei Ziele zuschreiben können: Die Eingehung international verknüpfter Rechtsgeschäfte zu erleichtern (dazu schon Savigny VIII350) und die Wirksamkeit der Rechtsgeschäfte zu fordern.

Art. 16II EGBGB zum Schutze des inländischen Rechtsverkehrs die Anwendung der deutschen Regeln über die Schlüsselgewalt (§ 1357 BGB), die Eigentumsvermutung (§ 1362 BGB) sowie über den Betrieb eines Erwerbsgeschäfts300 an, soweit sie dem Dritten günstiger sind als die Regeln des ausländischen Rechts. Umgekehrt formu­ liert301: Es verbleibt bei der alleinigen Maßgeblichkeit des ausländischen Güterrechts­ statuts, wenn es dem Dritten günstiger ist als die entsprechenden deutschen Nor­ men302. Verkehrsschutz ist auch der Zweck des Art. 7 III1 EGBGB, wenn für die im Inland vorgenommenen Rechtsgeschäfte eines Ausländers von der Maßgeblichkeit des Heimatrechts für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit gemäß Art. 71 EGBGB für den Fall eine Ausnahme gemacht wird, daß der Ausländer nach deutschem Recht, nicht aber nach seinem Heimatrecht geschäftsfähig ist. Das Zusammenspiel der Art. 7 I und Art. 7 III 1 EGBGB läßt - sofern der Ausländer nach einer der beiden Rechtsordnungen geschäftsfähig ist - das der Wirksamkeit des Vertrages günstigere Recht entscheiden303. Zum Schutze deutscher Schädiger begrenzt Art. 12 EGBGB - mit kollisions­ rechtspolitisch zweifelhafter Zielsetzung304 - die aus einer im Ausland begangenen unerlaubten Handlung erwachsenden und nach dem Tatortrecht zu beurteilenden deliktischen Ansprüche auf das sich aus der Anwendung der deutschen Gesetze305 300 §§ 1431, 1456 BGB sind an die Stelle von § 1405 a. F. BGB getreten; zur Tragweite, vgl. Soergel(-Kegel) VIII Art. 16 EGBGB Rz. 18 f. 301 Staudinger (-Gamillscheg), Kommentar zum BGB10/11, EGBGB-Teil 3 (1973) Art. 16 RGBGB Rz. 63. 302 Zur Problematik des Günstigkeitsvergleichs bei Art. 16 II EGBGB in Verbg. mit § 1357 BGB a.F. eingehend: Staudinger(-Gamillscheg), Art. 16 EGBGB Rz. 64-67; Soergel (-Kegel) VIII Art. 16 EGBGB Rz. 13f.; Staudinger(-Raape) 360ff. 303 Das neue österreichische IPR-Gesetz verzichtet mangels eines nachweisbaren Rege­ lungsbedürfnisses ausdrücklich auf eine dem Art. 7 III 1 EGBGB entsprechende Norm; vgl. §§ 9, 12 öst. IPRG. Art. 11 EG-Übereinkommen 1980 verhilft dem Personalstatut auch bei Inlandsgeschäften zur Durchsetzung, wenn der Vertragspartner die nach ausländischem Recht zu beurteilende Rechts-, Geschäfts- und Handlungsunfähigkeit „kannte oder infolge Fahrläs­ sigkeit nicht kannte“. 304 Zur Entstehungsgeschichte des Art. 12 EGBGB: Kropholler, Ein Anknüpfungssystem für das Deliktsstatut: RabelsZ 33 (1969) 601 (611 f.). Zur Kritik: Soergel(-Lüderitz) VIII Art. 12 EGBGB Rz. 64. Die Rechtsprechung hat stets an Art. 12 EGBGB festgehalten: RG 30. 5. 1919, RGZ 96, 96; BGH 10. 6. 1965, IPRspr. 1964-65 Nr. 50 (S. 178). Der Zweck des Art. 12 EGBGB, den deutschen Schädiger zu Lasten ausländischer Opfer vor höheren Ansprüchen, als sie das deutsche Recht gewährt, zu schützen, erscheint besonders in jenen Fällen problematisch, in denen der deutsche Schädiger sich planmäßig in den ausländischen Rechtskreis begibt und sich daher nicht nur auf lokale Verhaltensnormen - Verkehrsregeln, technische Sicherheits Vor­ schriften etc. -, sondern auf das Deliktsrecht insgesamt - Verschuldens-, Kausalitäts-, Verjährungs-, Beweislastgrundsätze - einstellen kann. Zur Vereinbarkeit des Art. 12 EGBGB mit Art. 7 EWGV vgl. Zweigert, Einige Auswirkungen des Gemeinsamen Marktes auf das IPR der Mitgliedstaaten, in: FS Hallstein (1966) 555 (567); Drobnig, Verstößt das Staatsangehörigkeits­ prinzip gegen das Diskriminierungsverbot des EWG-Vertrages?: RabelsZ 34 (1970) 636 (660) (verneinend); Soergel(-Lüderitz) VIII Art. 12 EGBGB Rz. 65; Kropholler, RabelsZ 33 (1969) 601 (615) (bejahend); siehe dazu auch unten § 1912. 305 Vergleichsmaßstab sind nicht nur die deutschen deliktischen Vorschriften. Entscheidend ist vielmehr der sich aufgrund der deutschen Rechtsordnung insgesamt, also unter Einschluß der Verjährungsfristen, ergebende konkrete Anspruch; Palandt(-Heldrich) Art. 12 EGBGB

ergebende (Höchst-)Maß: Deutsches Recht wird berücksichtigt, wenn es für den deutschen Schuldner günstiger ist als das ausländische Deliktsrecht. Umgekehrt verbleibt es bei der Maßgeblichkeit des Tatortrechts, wenn es den deutschen Schuld­ ner - im Vergleich zum deutschen Recht - besser stellt306. Den Schutz des schwächeren Vertragspartners, den das AGB-Gesetz und das Fernunterrichtsschutzgesetz in nationalen Sachverhalten verwirklichen, erstrecken die §§12 AGBG und 11 FernunterrichtsschutzG zum Schutze des inländischen Publikums auch auf die Inlandsverträge ausländischer Unternehmen. Während § 6 des Entwurfes eines Gesetzes über den Reiseveranstaltervertrag - diese Kollisions­ norm ist nicht Gesetz geworden - den Günstigkeitsgrundsatz ausdrücklich normiert hatte307, ist er für § 12 AGBG und § 11 FernunterrichtsschutzG aus dem Schutzzweck der „Berücksichtigung“ der zwingenden deutschen Normen zu entnehmen. Beide Kollisionsnormen zielen darauf ab, dem deutschen Publikum das für den nationalen Rechtsverkehr verwirklichte Schutzniveau auch beim Inlandsgeschäft ausländischer Unternehmen zu erhalten, wenn ausländisches Recht anwendbar ist. Dem schwä­ cheren Vertragspartner gleichwertige oder günstigere Regelungen des zur Anwen­ dung berufenen ausländischen Rechts bleiben von §§11 FernunterrichtsschutzG, 12 AGBG unberührt.

Auch ausländische Rechtsordnungen greifen zur Entscheidungsmaxime des „günstigeren“ Rechts, um für kollisionsrechtlichen Schutz des schwächeren Vertragspartners zu sorgen308.

§41 II öst. IPRG begrenzt die Wirksamkeit einer Rechts wähl bei Verträgen zwi­ schen Unternehmen und Verbrauchern dadurch, daß zwingende Verbraucherschutz­ normen des über die objektive Anknüpfung zur Anwendung berufenen Rechts nicht zum Nachteil des Verbrauchers durch die Rechtsnormen des gewählten Rechts ersetzt werden können. Die Wahl eines dem Verbraucher günstigeren Rechts ist wirksam309. In gleicher Weise kontrolliert der Günstigkeitsgrundsatz Rechtswahlver­ einbarungen in Arbeitsverträgen (§ 44III in Verbg. mit I und II öst. IPRG). Die französische Rechtsprechung tendiert in dieselbe Richtung, wenn sie eine Rechts wähl Vereinbarung310 bei einem Arbeits vertrag jedenfalls dann für wirksam erachtet, wenn das gewählte - französische - Recht dem Arbeitnehmer günstiger ist

Bem. 4; Soergel(-Lüderitz) VIII Art. 12 EGBGB Rz. 74. Bei der Ermittlung des Anspruchs nach deutschem Recht sind die eine territoriale Geltung beanspruchenden Verhaltensnormen wie Verkehrszeichen, Sicherheitsnormen etc. dem Recht des Handlungsortes zu entnehmen; vgl. Staudinger(-Raape) 213; Soergel(-Lüderitz) VIII Art. 12 EGBGB Rz. 33, 53; BGH 26. 11. 1964, BGHZ 42, 385 (388). 306 Staudinger(-Raape) 799 sprechen von einer „Höchstklausel“. 307 Bundestag, Drucksache 7/5141. 308 Vergleiche etwa auch den Hinweis bei Birk, Auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Arbeitskollisionsrecht: NJW 1978, 1825 (1830 N. 67), auf Art. 50 I des argentini­ schen Entwurfs eines Ley nacional de derecho internacional privado von 1974. 309 Erläuterungen zur Regierungsvorlage (oben § 1 N. 276) 55. 310 Zur Parteiautonomie im französischen IPR: Mayer Nr. 663 ff., 675 ff.; aus der Rechtspre­ chung Cass. 19. 1. 1976, Rev.crit. 66 (1977) 504 mit Anm. Batiffol.

als das nach den Grundsätzen der objektiven Vertragsanknüpfung311 an sich anwend­ bare ausländische Recht312. Die Günstigkeitsmaxime hat schließlich auch Eingang in das EG-Übereinkom­ men über das auf vertragliche Schuld Verhältnisse anzu wendende Recht von 1980 gefunden. Art. 5 II EG-Übereinkommen 1980 bestimmt für Verbraucherverträge, daß, unter bestimmten, an den Umständen des Vertragsabschlusses orientierten Voraussetzungen, dem Verbraucher „der durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts des Staates, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, gewährter Schutz“ durch eine Rechtswahl nicht „entzogen“ werden darf. Demselben Rege­ lungsprinzip folgt Art. 6 I für das Arbeitsvertragsrecht. Der deutsche IPR-GesetzEntwurf von 1983 folgt in seinen Artt. 29II und 301 dem EG-Übereinkommen 1980. Geht es diesen Normen vor allem darum, die bei objektiver Vertagsanknüpfung anzu wendenden zwingenden Normen zugunsten der schwächeren Vertragspartei gegenüber einer Rechtswahl abzusichern, so verfolgt Art. 8 des EG-Vorschlags einer Verordnung über das auf Arbeitsverhältnisse innerhalb der Gemeinschaft anzuwen­ dende Konfliktsrecht in der Fassung vom 28. 4. 1976313 das viel allgemeinere Ziel, eine Koordination des (objektiv wie subjektiv bestimmten) Vertragsstatuts mit den am jeweiligen Arbeitsort geltenden zwingenden arbeitsrechtlichen Vorschriften mit stark sozialpolitischem Einschlag zu erreichen. Art. 8 I lit. a)-j) listet eine Reihe solcher Gesetze auf, die sich gegenüber dem Vertragsstatut durchsetzen können, wobei entsprechend Art. 8 III der Verordnung die gesonderte Anknüpfung dieser Gesetze der Anwendung solcher Normen des Vertragsstatuts, die dem Arbeitneh­ mer einen besseren Schutz verleihen, nicht entgegenstehen soll. Die gesonderte Anknüpfung wird also nicht unbedingt - und damit nicht auch zum Nachteil des Arbeitnehmers - durchgeführt, sondern von einem Inhalts vergleich der Normen abhängig gemacht314.

2.

Günstigkeitsprinzip und internationales Versicherungsvertragsrecht

Die Bestandsaufnahme zeigt, daß das Günstigkeitsprinzip als Entschei­ dungsmaxime durchaus vielfältige Verwendung findet. Für das internatio­ nale Versicherungsvertragsrecht bietet es sich als ein Instrument an, um den im materiellen Recht verwirklichten Schutz des Versicherungsnehmers in international verknüpften Verträgen zu optimaler Durchsetzung zu verhel­

311 Dazu Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 42b); Mayer Nr. 687ff. 312 Cass. 31. 3. 1978, Rev.crit. 67 (1978) 701 mit Anm. A. Lyon-Caen = RIW/AWD 1979, 283 m. Anm. Sonnenberger; vgl. auch schon den Hinweis auf den Gesichtspunkt des dem Arbeitnehmer günstigeren Rechts in Cass. 31. 5. 1972, Rev.crit. 69 (1973) 683 (685) mit Anm. Lagarde; Cass. 29. 1. 1975, Rev.crit. 65 (1976) 338 mit Anm. Batiffol. 313 KOM (75) 653 endg. 314 Die Regelungstechnik des Art. 8 EG-Verordnungs-Entwurfs schließt dabei einen (ab­ strakten oder konkreten Einzelfall-)Vergleich der Rechtsnormen in ihrer Gesamtheit aus. Vielmehr wird sich der Günstigkeitsvergleich auf das jeweilige Rechtsnormenfeld, z. B. die Vorschriften über den „Schutz der Belegschaftsvertreter“, beschränken müssen.

fen. Dabei ist im folgenden das Günstigkeitsprinzip als eine allgemeine, das Vertragsstatut auch bei objektiver Anknüpfiing beeinflussende Entscheidungs­ maxime zu überprüfen. Für diese Fragestellung ist die Aussagekraft des vorgehend zusammengetragenen Materials zur schutzzweckorientierten Anwendung des Günstigkeitsprinzips allerdings nur von beschränkter Be­ deutung. Denn § 41 II und § 44 III öst. IPRG, die französische Rechtspre­ chung zum Arbeitsvertragsrecht und Artt. 5 II, 6 I EG-Übereinkommen 1980 kontrollieren allein die Rechts Wahlfreiheit der Parteien im Hinblick auf eine der schwächeren Vertragspartei ungünstige Abweichung von der „an sich“, nach objektiven Kriterien zur Anwendung berufenen Rechtsord­ nung. Dasselbe gilt für Art. 8III des EG-Entwurfs der Verordnung vom 28. 4. 1976, soweit diese Norm im Hinblick auf Art. 7 (Leitende Angestellte) sowie Artt. 5 und 6 das zwingende Arbeitnehmerschutzrecht am Ort des Arbeitsplatzes gegenüber einer vom Recht des Arbeitsplatzes abweichenden Rechts wähl durchsetzt. Einzig §11 FernunterrichtsschutzG, §12 AGBG und Art. 8 III in Verbindung mit Art. 4 des EG-Entwurfs der Verordnung vom 28. 4. 1976 arbeiten mit dem Günstigkeitsprinzip auch auf der Stufe der objektiven Vertragsanknüpfung. Aber auch diese Beispiele erweisen sich als fragwürdige Vorbilder. Das in Art. 8III des Entwurfs einer Verordnung vom 28. 4. 1976 enthalte­ ne Günstigkeitsprinzip beansprucht keineswegs eine Anwendung auf alle international verknüpften Arbeitsverträge schlechthin, sondern allein für eine spezielle, abgegrenzte Fallgruppe, bei der zwei Rechtsordnungen ne­ beneinander ein berechtigtes Interesse an der Berücksichtigung ihrer Arbeit­ nehmerschutznormen geltend machen können: bei der Entsendung von Arbeitnehmern315. Bei der Entsendung eines Arbeitnehmers bleibt das Ar­ beitsverhältnis in das Wirtschafts- und Sozialleben des Entsendungsstaates integriert. Art. 4 des Verordnungs-Entwurfs stellt daher klar, daß - auch zur Wahrung der Kontinuität bei der Beurteilung des Arbeitsverhältnisses - bei Entsendung kein Statutenwechsel eintreten soll. Die lex loci laboris (Art. 3) bleibt ungeschmälert316. Da die Tätigkeit des entsandten Arbeitnehmers die Arbeitsordnung des Gastlandes in vielfältiger Weise berührt und die die Organisation des Arbeitslebens gestaltenden Vorschriften am Arbeitsort in der Regel nach einer einheitlichen Durchsetzung verlangen, bringt Art. 8 I (in Verbg. mit III) die notwendige Rücksichtnahme auf die Interessen des Gastlandes. Das Günstigkeitsprinzip des Art. 8 I, III des EG-Verordnungs-Entwurfs

315 Art. 8 III in Verbg. mit I in Verbg. mit Art. 4 Verordnungs-Entwurf. 316 Art. 3 I Verordnungs-Entwurf setzt mit der lex loci laboris die Regelungs- und Schutzin­ teressen der Rechtsordnung am Arbeitsplatz durch, ohne daß das Recht des Unternehmenssit­ zes mit seinen den Arbeitnehmern günstigeren Normen zu beachten wäre.

schlichtet daher Regelungskonflikte zwischen Rechtsordnungen, deren Schutzpolitiken bei der konkreten Sachverhaltsgestaltung nachhaltig be­ rührt sind. Für das internationale Versicherungsvertragsrecht kann weniger Art. 8 I, III der Verordnung als Art. 3 (lex loci laboris) als Vorbild dienen: Denn hier geht es typischerweise um Sachverhalte, bei denen nur eine der berührten Rechtsordnungen berechtigte Schutzansprüche erheben kann. Werden aus­ ländische Versicherer auf dem Inlandsmarkt aktiv, sind allein inländische, auf den Schutz des Inlandspublikums gerichtete Schutzzwecke berührt. Daß das Recht am ausländischen Sitz des Versicherers für den Schutz des auslän­ dischen Publikums anders wertet, sollte bei der Beurteilung inlandsver­ knüpfter Verträge keine Rolle spielen. Entsprechendes gilt, wenn Versiche­ rer mit Sitz im Inland auf ausländischen Märkten tätig werden. Die Verant­ wortung für den angemessenen Schutz des ausländischen Publikums kann den ausländischen Rechtsordnungen überlassen bleiben. Die Günstigkeitslösungen der §§12 AGBG und 11 Fernunterrichts­ schutzG regelt einen Konflikt anderer Art als Art. 8 III des EG-Entwurfs einer Verordnung vom 28. 4. 1976. Es geht nicht etwa darum, die als berechtigt gewerteten Regelungs- und Schutzansprüche mehrerer Rechts­ ordnungen miteinander zu koordinieren. Werden ausländische Unterneh­ men auf dem Inlandsmarkt tätig, ist allein der Schutz des inländischen Publikums betroffen. Ausländische Schutzansprüche sind irrelevant. Die §§ 12 AGBG und 11 FernunterrichtsschutzG sind - wie gezeigt - allein als eine Konsequenz des vom EG-Vorentwurf 1972 ins Auge gefaßten Rege­ lungsmodells zu begreifen (Parteiautonomie, Prinzip der charakteristischen Leistung einerseits, gesonderte Anknüpfung [Berücksichtigung] zwingen­ der Schutznormen andererseits). Dieses Regelungsmodell wurde in Art. 5 IV EG-Übereinkommen 1980 für Verbraucherverträge aufgegeben. Das vorliegende Material macht deutlich, daß ein allgemeiner Grundsatz, bei internationalen Verträgen mit typischerweise schwächeren Vertragspart­ nern den Schutz des Schwächeren durch eine Mehrfachanknüpfung, ver­ bunden mit dem Günstigkeitsprinzip, zu fordern, sich nicht nachweisen läßt317. Im folgenden bleibt zu prüfen, ob ein solcher Weg für das internatio­ nale Versicherungsvertragsrecht erwogen werden sollte. Eine Anwendung der Günstigkeitsmaxime mögen hier vor allem zwei Überlegungen nahe­ legen.

317 Die Anwendung des dem Verbraucher günstigeren Rechts hat offensichtlich auch die Experten-Kommission für den schweizerischen IPR-Gesetz-Entwurf erwogen und verworfen; Begleitbericht zum Bundesgesetz über das IPR (oben § 1 N. 75) 141; Schlußbericht der Expertenkommission zum Gesetzentwurf- Bundesgesetz über das IPR (oben § 1 N. 75) 223.

Das deutsche materielle Versicherungsvertragsrecht arbeitet mit dem Günstig­ keitsprinzip, wenn es die dem Schutze des Versicherungsnehmers die­ nenden Normen halbzwingend ausgestaltet: Weichen die Versicherungs­ bedingungen oder Einzelabreden zum Nachteil der Versicherungsnehmer von den halbzwingenden Normen ab, kann sich der Versicherer nicht auf sie berufen318. Den Versicherungsnehmer begünstigende Vereinbarun­ gen sind dagegen voll wirksam319. Es liegt nahe, den das materielle Recht beherrschenden Grundgedanken, dem Versicherungsnehmer einen Min­ destschutz zu garantieren, ihm aber ein „Mehr“ an Schutz nicht unnötig vorzuenthalten, auch für das internationale Versicherungsvertragsrecht fruchtbar zu machen. Eine solche Überlegung vermag jedoch nicht zu überzeugen. Der materiellrechtliche Günstigkeitsgrundsatz, wie er im Versicherungsvertragsgesetz verwirklicht ist, und das kollisionsrechtliche Günstigkeitsprinzip stehen in keinem zwingenden Zusammenhang. Im Versicherungsvertragsgesetz geht es um die am Schutz des Versiche­ rungsnehmers orientierte Kontrolle der Gestaltungsfreiheit der Versiche­ rer. Die halbzwingenden Normen geben die Richtung an, in der der Versicherer die einseitig in Anspruch genommene Vertragsfreiheit reali­ sieren kann. Das vergleichbare Problem stellt sich auf der Ebene des Kollisionsrechts allein bei der Kontrolle der Rechtswahlklauseln in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, nicht aber bei der objektiven Anknüpfung des Versicherungsvertrages. Das materiellrechtliche Günstigkeitsprinzip überläßt es dem Versiche­ rer - und letztlich damit der Steuerung durch den Wettbewerb - ob und in welchem Umfang dem Versicherungsnehmer bessere als die gesetzli­ chen Mindestbedingungen geboten werden. Die Günstigkeitsmaxime des Kollisionsrechts verwirklicht, wenn sie auch in Fällen der objektiven Vertragsanknüpfung Anwendung finden soll, nicht eine - von Wettbe­ werb gesteuerte - Entscheidung des Versicherers, sondern ist ein objek­ tiv-rechtliches Entscheidungsprinzip der Rechtsordnung selbst. Im Schrifttum finden sich, ohne konkreten Bezug zu den Schutztech­ niken des Versicherungsvertragsgesetzes, Stimmen die, unter Hinweis auf den zunehmenden Schutz des Schwächeren in aller Welt, die Gün­ stigkeitsmaxime als adäquates kollisionsrechtliches Schutzinstrument ins Auge fassen: Gerichte brauchen nicht mehr starr das inländische Schutz­ recht durchzusetzen, sondern können in flexibler Weise dem Inländer auch den etwaigen Schutz und die Vorteile des ausländischen Rechts zu­ 318 Vergleiche die Formulierung in §§ 15a, 34a, 42 VVG. Der Versicherungsnehmer kann sich auf eine ihn benachteiligende Vereinbarung berufen; Gierke 33; Prölss/Martin Vorbem. I lb); BGH 10. 1. 1951, VersR 1951, 67 = NJW 1951, 231 (232). 319 Zum Günstigkeitsvergleich im Versicherungsvertragsrecht siehe unten § 10 II la)(3)(d)(bb).

gute kommen lassen320. Auch gegenüber solchen Überlegungen ist Skepsis geboten. Eine prinzipielle Anwendung des dem Versicherungsnehmer günstigeren Rechts bei Verträgen mit internationalem Bezug fuhrt, im Vergleich zu rein nationalen Verträgen, zu einer Besserstellung der Versicherungsnehmer, für die es keine Begründung gibt321. Kollisionsrecht kommt die Aufgabe zu, dem inländischen, schutzbedürftigen Publikum im Verhältnis zu ausländi­ schen Versicherern denjenigen Schutz zuteil werden zu lassen, den es in rein nationalen Sachverhalten genießt. Für eine prinzipielle Besserstellung der Versicherungsnehmer besteht bei international verknüpften Sachverhalten kein Anlaß. Das im inländischen Sachrecht verwirklichte Schutzniveau enthält eine Entscheidung über die den Versicherern zumutbaren Schranken ihrer Regelungs- und Gestaltungsfreiheit. Für eine Korrektur dieser Ent­ scheidung besteht solange kein ausreichender Grund, als nicht aus der Inter­ nationalität des Sachverhalts neue Sach- und Schutzprobleme erwachsen, die bei der Formulierung der Sachnormen nicht berücksichtigt sind. Die zunehmende Tendenz zum Schutz des schwächeren Vertragspartners in vielen Rechtsordnungen kann für das Kollisionsrecht kein Freibrief sein, sich von der vom Gesetzgeber (und der Rechtsprechung) für die eigene Bevölkerung gefundenen konkreten Abwägung zwischen Freiheit und Zwang im Versicherungsvertragsrecht zu lösen, sondern allein eine Ver­ pflichtung, nach Kollisionsnormen zu suchen, die der vom jeweiligen natio­ nalen Gesetzgeber für seine Sozial- und Wirtschaftsordnung entworfenen und politisch zu verantwortenden Regelung eine angemessene internationa­ le Durchsetzung verschafft322. Gegen das Günstigkeitsprinzip als einer allgemeinen Entscheidungsmaxi­

320 Siehe U. Hübner, NJW 1980, 2601 (2605); Jayme, FS Schwind 103 (108); ders. (oben N. 290) 24ff; Däubler, RIW/AWD 1972, 1 (10), diskutiert das Günstigkeitsprinzip nur für den Fall der Rechtswahl. Kritik bei Gamillscheg, Ein Gesetz über das internationale Arbeitsrecht: Z.f.ArbR 14 (1983) 307 (337f); ders., Internationales Arbeitsrecht (1959) 197; Imhoff-Scheier 198 ff. 321 Vergleiche zum Gedanken der Gleichbehandlung im Kollisionsrecht grundlegend Weng­ ler, FS Maridakis III 332 (333ff, 344ff); Bucher 64; Gamillscheg, RIW/AWD 1979, 225 (235); E. Lorenz 60ff; ders., Z.f.RPol. 1982, 148 (149f). 322 Daß es im Kollisionsrecht nicht um das „beste“ bzw. das dem Versicherungsnehmer günstigste Ergebnis gehen kann, schließt nicht aus, Kollisionsnormen an den Regelungs- und Steuerungszwecken des Sachrechts zu orientieren; Bucher 34. Die an das Kollisionsrecht zu stellende Frage lautet: Auf welche international verknüpften Sachverhalte muß das nationale Sachrecht erstreckt werden, um seine Ordnungs- und Steuerungszwecke zu erfüllen? Der im Schrifttum häufiger gegen eine Anknüpfung des Versicherungsvertrages an den Wohnort des Versicherungsnehmers vorgebrachte Einwand, damit würde ein möglicherweise dem Versi­ cherungsnehmer günstigeres Recht von der Anwendung ausgeschlossen (so etwa Batiffol, Contrats 296, 311; Picard/Besson [oben § 1 N. 114] 624 [§ 304]; zustimmend Rabel, Conflict of Laws III339), verfehlt daher die kollisionsrechtlich entscheidende Fragestellung.

me im internationalen Versicherungsvertragsrecht sprechen eine Reihe wei­ terer Überlegungen. Normen zum Schutze des Versicherungsnehmers schlagen sich als Kosten für die Versicherer nieder. Ein kollisionsrechtliches Günstigkeitsprinzip, das ausländische Versicherer ihrem Sitzrecht unterwirft, wirkt wettbewerbsver­ zerrend zu Lasten von Unternehmen mit Sitz in schutzintensiven Staaten. Die objektive Vertragsanknüpfung sollte darauf abzielen, in wettbewerbs­ konformer Weise inländische und ausländische Versicherer denselben Bedin­ gungen zu unterwerfen und es den Unternehmen überlassen, mit günstige­ ren Bedingungen für den Versicherungsnehmer um die Gunst des Publi­ kums zu werben. Der objektiven Anknüpfung kommt es allein zu, dem ausländischen Versicherer die konkreten Umstände zu benennen, von denen die Anwendung des inländischen Rechts abhängen soll. Versicherungsvertragsrecht enthält zahlreiche Normen, die auf das Ver­ halten der Parteien bezogen und die für den Fall der Nichterfüllung mit Nachteilen für die jeweilige Partei bewehrt sind: Den Versicherer treffen etwa Aufklärungsobliegenheiten, den Versicherungsnehmer Anzeigeoblie­ genheiten bezüglich der zu versichernden Gefahr, der Gefahrerhöhung und des Schadensfalls. Diese Verhaltensnormen können nur Beachtung finden, wenn bereits bei Vertragsschluß das auf den Vertrag anwendbare Recht möglichst eindeutig bestimmt werden kann. Das Günstigkeitsprinzip in Form einer Alternativanknüpfung verhindert diese Eindeutigkeit und wirkt damit dem Steuerungszweck der Verhaltensnormen entgegen. Das Günstigkeitsprinzip verspricht nur zweifelhaften Gewinn für den Versicherungsnehmer. Soweit das günstigere Recht das ausländische Recht ist, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer von den ihm günstige­ ren Normen des ausländischen Rechts kaum Kenntnis haben und im Inland erheblichen Informationsschwierigkeiten gegenüberstehen. Die kollisions­ rechtliche Günstigkeitsmaxime setzt - für ihre effektive Verwirklichung einen informierten Versicherungsnehmer voraus, den es nicht gibt. Die Günstigkeitsmaxime ist mit einem erheblichen Maß an Rechtsunsi­ cherheit verbunden323, die bei der objektiven Anknüpfung von Versiche­ rungsverträgen durch keine überzeugende kollisionsrechtliche Zielsetzung gerechtfertigt wird. Soll es für die Feststellung des günstigeren Rechts auf die Lage im konkreten Einzelfall ankommen324, bleibt die Rechtsanwen­ dungsfrage bis zur richterlichen Entscheidung nicht eindeutig klärbar325. Soll 323 Siehe den Schlußbericht der Expertenkommission (oben § 1 N. 75) 223 zum schweizeri­ schen IPR-Gesetz-Entwurf 1978; Imhoff-Scheier 199 f. 324 Zum Günstigkeitsvergleich siehe Jayme, FS Schwind 103 (108) sowie Lagarde (oben N. 312) 689; A. Lyon-Caen (oben N. 312) 708. 325 Der konkrete, auf die Lage des Einzelfalls bezogene Rechtsanwendungsvergleich kann dabei sowohl auf die Anwendung der zur Auswahl stehenden Rechtsordnungen insgesamt, wie

der Günstigkeitsvergleich als abstrakter Rechtsnormenvergleich geführt werden, ergeben sich Schwierigkeiten anderer Art: Wird der Vergleich auf der Ebene der Rechtsordnungen als Gesamtheit angesetzt, entstehen - wie auch beim Vergleich ganzer Normengruppen (Regelung der vorvertragli­ chen Anzeigepflichten etc.) - für den Richter schwierige, ja unüberwindli­ che Bewertungsprobleme. Ein Einzelnormenvergleich mag diesen Schwierigkeiten entgehen, läuft aber auf eine Rosinentheorie hinaus326: Die Vertragsordnung wird aus dem jeweils dem Versicherungsnehmer günstigeren Normen der zur Auswahl stehenden Rechte zusammengesetzt. Dabei sind aber nicht nur Schwierig­ keiten beim Zusammenwirken der Einzelteile verschiedener Rechtsord­ nungen zu erwarten, sondern auch Ergebnisse, die den Versicherungsneh­ mer günstiger stellen als er nach jeder der beteiligten Rechtsordnungen für sich stünde. Ein solches Ergebnis mag gerechtfertigt sein, wenn es darum geht, die Rechtsanwendungsinteressen zweier betroffener Rechtsord­ nungen miteinander zu koordinieren (Beispiel: Art. 8 III des Entwurfs der Verordnung vom 28. 4. 1976). Wo hingegen, wie bei Versicherungsverträ­ gen für die Masse der Rechtsverhältnisse die Verantwortlichkeit privat­ rechtlichen Versicherungsnehmerschutzes einer einzigen Rechtsordnung zugeordnet werden kann, sollte das Kollisionsrecht auf Mischlösungen, die von keinem der nationalen Gesetzgeber verantwortet werden, verzichten327.

auch auf Normgruppen oder auf Einzelnormen bezogen sein; vgl. A. Lyon-Caen (oben N. 312) 708 f. 326 Dazu Gamillscheg, RIW/AWD 1979, 225 (234); ders., Z.f.ArbR 14 (1983) 307 (339). 327 Andere Überlegungen kommen ins Spiel, wenn der Versicherer mit einer Rechtswahlklau­ sel arbeitet, die zu einem anderen als dem mittels objektiver Anknüpfung anwendbaren Recht fuhrt; dazu unten unter § 10.

§ 8: Objektive Anknüpfung (I) - Herkömmliche Ansätze Die folgende Analyse herkömmlicher Anknüpfungen und Anknüpfungs­ techniken im deutschen internationalen Vertragsrecht läßt sich von einer doppelten Fragestellung leiten. Zum einen sind die Grundlagen und Wertun­ gen zu verdeutlichen, auf denen die tradierten Anknüpfungen aufbauen und die unter Umständen auch im Rahmen einer versicherungsnehmerschutz­ orientierten Vertragsanknüpfung zu berücksichtigen sind. Zum anderen ist zu fragen, ob und in welcher Weise traditionelle Anknüpfungen,zwar nicht in ihren Begründungen, wohl aber ihren Ergebnissen einen angemessenen Schutz des Versicherungsnehmers bewirkt haben.

I. Generalisierende Anknüpfungen „Generalisierende“ Anknüpfungen1 zielen darauf ab, mittels eines einzi­ gen, möglichst eindeutigen Anknüpfungsmerkmals2-Vertragsabschlußort, Erfüllungsort der Obligation, Staatsangehörigkeit, Wohnsitz, gewöhnli­ cher Aufenthalt des Schuldners der Obligation - eine das gesamte internatio­ nale Vertragsrecht umfassende Lösung zu verwirklichen. Generalisierenden Anknüpfungen geht es um eine möglichst eindeutige, sicher voraussehbare richterliche Entscheidung. Die Planbarkeit internationaler Transaktionen soll durch ein Optimum an Rechtssicherheit gefördert werden. Eine genera­ lisierende Vertragsanknüpfung vermeidet jede unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Vertragstypen und abstrahiert von der Realität und Kom­ plexität wirtschaftlicher und sozialer Sachverhalte und der Vielfalt des inter­ nationalen Geschäftsverkehrs3, um die Gesamtheit der Verträge nach einem einzigen grundlegenden Wertungsprinzip kollisionsrechtlich erfassen zu können.

1 Zur Terminologie Keller 28; Vischer, Internationales Vertragsrecht 91; Schnitzer, FS Lewald 383, spricht von einer „aprioristischen" Anknüpfung unter Beachtung eines vorbe­ stimmten Anknüpfungspunktes. 2 Dies im Gegensatz zu den generalklauselartigen Anknüpfungsmomenten des „hypotheti­ schen Parteiwillens“, des „engsten Zusammenhangs“, des „Schwerpunkts“ des Vertrages, die alle dem Richter die Anknüpfung des Vertrages unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles überlassen; vgl. Schönenberger/Jäggi Rz. 216. 3 Vergleiche etwa Frankenstein II 124 (gegen jede individualisierende Anknüpfungsme­ thode).

Generalisierende Anknüpfungen haben ihr Ziel - Rechtssicherheit - nicht erreichen können, zum einen, weil keine der bekannten Anknüpfungen eine befriedigende, das gesamte Vertragsrecht umfassende Lösung verspricht, vielmehr ein gewisses Maß an Differenzierung unter Inkaufnahme von Abgrenzungsschwierigkeiten als notwendig erscheint4, zum anderen, weil der Mangel an einer überzeugenden Anknüpfung auf internationaler Ebene zu einer weitgehenden Divergenz der nationalen Kollisionsnormen5 und damit notwendig zu einer unterschiedlichen Beurteilung internationaler Verträge geführt hat6.

1. Lex loci contractus a) Begründungen Die auch heute noch international verbreitete Anknüpfung an den Ver­ tragsabschlußort7 entstammt einer Zeit, in der sich der internationale Han­ delsverkehr weitgehend über Messen, Börsen, Hafenplätze und Märkte abwickelte und Verträge mit internationalem Bezug in aller Regel zwischen Anwesenden geschlossen wurden8. Unter diesen Voraussetzungen sprachen eine Reihe von Gesichtspunkten für die lex loci contractus9.

Die Anwendung des Markt- und Börsenrechts erleichterte den Tauschprozeß: Angebot und Nachfrage unterstanden demselben rechtlichen System. Die Tauschbe­ dingungen waren vergleichbar10. Alle Marktteilnehmer hatten sich nur auf eine einzige Rechtsordnung einzustellen, nicht auf eine Vielzahl von Rechten, wie dies etwa bei Maßgeblichkeit des Heimat- oder Wohnsitzrechts der Vertragspartner der Fall wäre11. Der Geschäftsverkehr an den Börsen, Märkten und Messen wurde von lokalen Usancen und Bräuchen beherrscht12, auf die sich die Vertragspartner einzu­ stellen hatten13. Den Parteien konnte es daher auch zugemutet werden, sich Kenntnis 4 So schon Seeler (oben § 2 N. 51) 35ff.; vgl. Neumann, Nach welchem örtlichen Rechte sind auf Grund internationalen Privatrechts die Vertragsobligationen zu beurteilen [Gutachten], in: Verhandlungen des 24. Deutschenjuristentages I (1897) 169 (186); zum Ganzen: Vischer, Internationales Vertragsrecht 95 ff. 5 Lando, Contracts Nr. 142: „The... Solutions adopted in the various legal Systems discloses a state of confusion“. 6 Lando, Contracts Nr. 147. 7 Lando, Contracts Nr. 107. 8 Schnitzer II 621; Vischer, Internationales Vertragsrecht 97. 9 Vgl. auch Schnitzer I 128; Vischer, Internationales Vertragsrecht 95 f.; Walker, IPR2 (1922) 327 (im folgenden: Walker); C. Schulze, Die Kodifikation des Vertragsstatuts im IPR (1980) 76ff. (im folgenden: C. Schulze). 10 Bar II19. 11 Bar II19. 12 Siehe etwa ROHG 25. 6. 1872, ROHGE 7, 1. 13 Waechter, AcP 25 (1842) 1 (44f); Neumann (oben N. 4) 186; Obertribunal Berlin 1. 3.

vom Recht am Ort des Marktes zu verschaffen, dies um so mehr, als Streitigkeiten aus Markt- und Messegeschäften oftmals an den am Ort existierenden Gerichten ausgetragen wurden. Diese konnten die lokalen Bräuche aus eigener Kenntnis beur­ teilen. Die Anwendung der lex loci contractus - als lex fori - war Voraussetzung dafür, die Rechtsstreitigkeiten ohne großen Aufwand effektiv und sachkundig ent­ scheiden zu können. Diese an den Bedingungen des Platzgeschäftes ausgerichteten Wertungen sind es, die zugleich gegen die lex contractus als einer generellen, die Ge­ samtheit der Verträge erfassenden Anknüpfung sprechen14. Bereits Waechter hatte die Grenzen der lex loci contractus betont, wenn er den Vertragsabschlußort als Anknüpfungsmoment nur für Verträge zwischen Anwesen­ den15 und auch nur dann gelten lassen wollte, wenn der Ort des Vertragsabschlusses für die Vertragsparteien nicht „indifferent“16, zufällig ist17. Die rasante technische Entwicklung im 19. Jahrhundert, die neuen Kommunikationsformen Telefon und Telegraph18, ließen den Vertragsabschlußort unter Abwesenden immer häufiger werden. Neue Transportmittel - die Eisenbahn - und neue Vertriebsmethoden Einsatz von Vertretern - beraubten die generelle Anknüpfung an den Vertragsab­ schlußort immer mehr ihrer rechtstatsächlichen Voraussetzungen19.

Wenn die Erleichterung des internationalen Handels, die Simplizität der Anknüpfung und die Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts die leiten­ den kollisionsrechtspolitischen Ziele gewesen sind, die mit der lex loci contractus verwirklicht werden sollten, so mußte dies Zielsetzung in Zeiten zunehmender Internationalisierung des Vertragsabschlusses den Nieder­ gang der lex loci contractus als einer generellen Kollisionsnorm bewirken: Bei Vertragsabschlüssen inter prcesentes ohne Beziehung zu einem lokalen Markt (wie Messe oder Börse) entfallen die auf die Funktionsfähigkeit des 1866, ZgesHR 17 (1868) 226; OAG Lübeck 11. 9. 1849, Sig. Bd. 2 (1856) (Frankfurter Rechtssachen) 155 (156). 14 Siehe bereits die in den Gesetzgebungsberatungen zum EGBGB vorgebrachten Einwände: Die geheimen Materialien zur Kodifikation des deutschen IPR 1881-1896, hrsg. von HARTwieg/Korkisch (1973) 268 ff, 301, 302 ff. (im folgenden: Hartwieg/Korkisch). 15 Waechter, AcP 25 (1842) 1 (45f.) (für einen Vertrag zwischen Abwesenden soll das Recht am Wohnort des Schuldners Maß geben). 16 Waechter, AcP 25 (1842) 1 (46). 17 Vgl. RG 12. 10. 1905, RGZ 61, 343 (344, 345); 3. 2. 1933, IPRspr. 1933 Nr. 10; ROHG 25. 1. 1873, ROHGE 9, 7 (9); App.-Gericht Celle 16. 2. 1869, SeuffA 23 (1870) Nr. 102. 18 ROHG 25. 6. 1872, ROHGE 7, 1 (telegraphischer Vertragsschluß). 19 Schnitzer 1128 ff; Neuner, Can.B.Rev. 20 (1942) 479 (498). Noch die Kommission für die 2. Lesung des Entwurfs des BGB war davon ausgegangen, daß die lex loci contractus „für den größten Teil der in Betracht kommenden Geschäfte, für alle Geschäfte des täglichen Lebens, für den Verkehr auf den Börsen, Märkten und Messen, in Gasthäusern, eine einfache und sichere, (die) der Billigkeit gemäße Entscheidung in die Hand“ gebe; Protokolle zitiert bei Walker 328 N. 14; Frankenstein II158; Hartwieg/Korkisch 93.

Marktes bezogenen Begründungen der lex loci contractus. Für die Parteien vermittelt der Vertragsabschlußort dann auch keinen Bezugspunkt für Er­ wartungen, daß das am Vertragsabschlußort geltende Recht auf den Vertrag anwendbar ist20. Dazu braucht nicht erst auf die Lehrbuchbeispiele des Vertragsabschlusses im Schiff oder Flugzeug verwiesen zu werden21. Die Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts hatte es bereits mit Fällen zu tun, in denen der Vertragsabschlußort allein von der Bequemlichkeit und den Rei­ semöglichkeiten der Vertragspartner bestimmt war22. Bei Vertragsabschlüssen zwischen Abwesenden entfällt nicht nur meist die Einbindung des Vertrages in ein lokales Marktgeschehen mit den daran geknüpften, gemeinsamen Erwartungen der Vertragspartner über die Maß­ geblichkeit der am Marktort geltenden Bräuche und Rechtsnormen. Ein Vertragsabschlußort läßt sich bei Verträgen zwischen Abwesenden nicht fixieren23. Versuche, ihn anhand des materiellen Vertragsrechts zu konkreti­ sieren, muten willkürlich an24. 25

Denn den Normen über das Zustandekommen eines Vertrages geht es nicht um eine Lokalisierung des Vertrages, die für nationale Sachverhalte völlig irrelevant ist, sondern allein um die Fixierung eines Zeitpunktes23, in dem die Bindung an den Vertrag einsetzt. Zu diesem und nur zu diesem Zweck kommen örtliche Kriterien ins Spiel: Abgabe (Annahme) der Willenserklärung bei Verlassen des Herrschaftsraums des Erklärenden, Aufgabe zur Post, Empfang der Erklärung durch den Vertragspart­ ner in seinem Herrschaftsbereich. Diese auf das Zustandekommen eines Vertrages bezogenen Regeln lassen kein rationales Entscheidungskriterium für die Vertragsan­ knüpfung erkennen. Der Ort der Vertragsannahme besagt weder etwas über die Erwartungen der Parteien bezüglich des anwendbaren Rechts, noch ist es ein Krite­ rium, das irgend einen Bezug zu den Rechtsanwendungsinteressen der Parteien erkennen läßt26. 20 Obertribunal Berlin 13. 11. 1868, SeuffA 24 (1871) Nr. 102. 21 Walker 329; Enneccerus, [Diskussionsbeitrag], in: Verhandlungen des 24. Deutschen Juristentages IV (1898) 77 (82). 22 ROHG 25. 1. 1873, ROHGE 9, 7 (9) (Vertragsschluß zwischen zwei Unternehmen mit Domizil in England und Hongkong über Vertreter in Altona); Obertribunal Berlin 13. 11. 1868, SeuffA 24 (1871) Nr. 102 (Vertrag zwischen zwei Preußen im Ausland); OAG Cassel 1864, SeuffA 19 (1866) Nr. 4 (Vertragspartner aus Bremen und Lippe treffen sich zum Vertragsab­ schluß in Paderborn); vgl. Waechter, AcP 25 (1842) 1 (46); Mitteis (oben § 2 N. 51) 101; Oser/ Schönenberger Rz. 62; Hartwieg/Korkisch 301 (Anträge der Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg zu Buch VI. des Bürgerlichen Gesetzbuchs). 23 Schnitzer, FS Lewald 383 (384); Vischer, IPR 662. 24 Seeler (oben § 2 N. 51) 44 ff; Enneccerus (oben N. 21) 82. 25 Mißverständlich daher Schnitzer 1130: bei Verträgen unter Abwesenden ist es bereits rein privatrechtlich schwierig festzustel­ len, wo sie zustande gekommen sind“. 26 Nicht nur im amerikanischen, sondern auch im deutschen IPR hatte der Gesichtspunkt des Schutzes entstandener Rechte im internationalen Verkehr (dazu allgemein Waechter, AcP 25 [1842] 1 ff.; Bar II 19f.) dazu verfuhrt, die Entstehung eines Rechts (einer Verpflichtung) zu

Darüber hinaus wird das mit einer generellen Anknüpfung verfolgte Ziel einer einfachen und für die Parteien voraussehbaren Entscheidung in sein Gegenteil ver­ kehrt: Der Rückgriff auf die Regeln über den Vertragsschluß läßt Entscheidungsdi­ vergenzen erwarten, wenn die nationalen Sachrechte in ihren Bestimmungen über das Zustandekommen eines Vertrages divergieren und die Gerichte die lex loci contractus unter Rückgriff auf die jeweilige lex fori konkretisieren27. Das Ziel, die Voraussehbarkeit richterlicher Entscheidungen und die Planung und Durchführung geschäftlicher Transaktionen zu gewährleisten, wird vollends für jene Verträge igno­ riert, die durch telefonische28, aber auch briefliche Verhandlungen der Parteien ge­ schlossen werden29. Die Feststellung, welche Partei letztlich die „Offerte“ der ande­ ren Partei „angenommen“ hat, wird in solchen Fallkonstellationen nur unter großen Schwierigkeiten - wenn überhaupt - getroffen werden können30.

Wenn auch der Vertragsabschlußort kein überzeugendes Anknüpfungs­ moment für eine das gesamte internationale Vertragsrecht erfassende Kolli­ sionsnorm darstellt, bleiben doch einige die lex loci contractus tragende Gesichtspunkte für Teilbereiche des internationalen Vertragsrechts von In­ teresse. Die von der lex loci contractus vorausgesetzte Einbindung eines Vertrages in ein Marktgeschehen, das die Rahmenbedingungen für den Tausch­ vorgang stellt, erscheint auch heute noch als ein sinnvolles Zuordnungskri­ terium in solchen Fällen, in denen dem Markt weitgehend lokaler oder nationaler Charakter zugesprochen werden kann31: bei Geschäften des tägli­ chen Lebens, dem Verkauf im Einzelhandel, den lokal angebotenen Dienst­ leistungen etwa der Gaststätten und Hotels32. Da bei lokal oder national abgegrenzten Märkten ein Großteil der Tauschbeziehungen ein nationaler Charakter eignet, dürfen und müssen die Gewerbetreibenden ihre Organisa­ tion und ihre Vertragsformulare auf die Maßgeblichkeit dieses Rechts ein­ stellen. Je stärker der Massencharakter des Geschäfts, je stärker die Anony­ mität der Vertragspartner, je simpler, kürzer, aber auch technisierter der

lokalisieren; vgl. Schaeffner (oben § 4 N. 47) 40: „... jedes Rechtsverhältnis ist nach den Gesetzen desjenigen Ortes zu beurtheilen, wo es existent geworden ist“; gegen ihn Savigny VIII131 f. 27 Frankenstein II 154. Daß sich diese Entscheidungsdisharmonien nicht durch einen Vor­ griff auf das anzuwendende Recht bei der Konkretisierung des Vertragsabschlußortes überwin­ den lassen, hat man seit langem erkannt; Bar II9; Zitelmann II370; Bruck 8; Frankenstein II 154; Walker 329. 28 Hartwieg/Korkisch 302 (Anträge Lübecks, Bremens und Hamburgs zu Buch VI des Bürgerlichen Gesetzbuches). 29 Seeler (oben § 2 N. 51) 45. 30 Enneccerus (oben N. 21) 82. 31 Vischer, Internationales Vertragsrecht 65,116, 136. Vischer spricht von einer „funktionell richtigen Anknüpfung“. 32 Siehe OLG Karlsruhe 10. 11. 1927, IPRspr. 1928 Nr. 32 (das Gericht stellt auf den beiderseitigen Erfüllungsort am Sitz des Hotels ab).

Tauschvorgang, desto mehr spricht dafür, eine Anknüpfung zu bevorzugen, die den Geschäftsverkehr von Problemen entlastet, die mit der Anwendung verschiedener Rechte auf Verträge verbunden sind. Die Erleichterung des lokalen Geschäftsverkehrs streitet etwa gegen eine personal-orientierte An­ knüpfung, die das Wohnort- oder Heimatrecht der Nachfrager ins Spiel bringt33. Anwendung des Marktrechts bedeutet zugleich, daß die Nachfra­ ger nicht mit einer marktfremden Rechtsordnung konfrontiert - und über­ rascht werden, wenn Unternehmen mit Sitz im Ausland am lokalen Markt anbieten. Anwendung des Marktrechts sichert hier die rechtliche Einheit­ lichkeit und damit Vergleichbarkeit der Angebote und entlastet die Nachfra­ geseite von den Problemen und Kosten, die mit der Information über marktfremdes Recht verbunden sind34.

b) Lex loci contractus und Versicherungsnehmerschutz Versicherungsverträge werden im Bereich der Massenversicherungen ty­ pischerweise inter praesentes vorbereitet. Da die Versicherungsvertreter und Agenten jedoch in aller Regel keine Abschluß vollmacht haben, kommt der Vertrag zwischen Abwesenden zustande, wobei im Normalfall der Versi­ cherer das Vertragsabschlußverfahren in der Weise lenken kann, daß der Versicherungsnehmer das - vom Versicherer ausgearbeitete - Angebot zum Vertragsabschluß abgibt, während sich der Versicherer die Annahme des Vertrages vorbehält. Der anhand des materiellen Rechts konkretisierte Vertragsabschlußort bei Verträgen zwischen Abwesenden verwendet nicht nur Kriterien, die keinen Bezug zu einer vernünftigen kollisionsrechtlichen Interessenwertung erken­ nen lassen, sondern tendiert darüber hinaus dazu, den sachrechtlichen und internationalprivatrechtlichen Schutz des Versicherungsnehmers bei Verträ­ gen mit internationalem Bezug zu verfehlen: Da die Versicherer das Ver­ tragsabschlußverfahren beherrschen, können sie es jederzeit auf die Eigen­ heiten des jeweiligen nationalen Vertragsrechts einstellen und damit die kollisionsrechtliche Entscheidung beeinflussen. Dem widerspricht nicht, daß im amerikanischen wie auch im französi­ schen Recht mit der lex-loci-contractus-Regel Ergebnisse erreicht worden sind, die zu einem angemessenen Schutz des Versicherungspublikums durch

33 In diesem Sinne im Ergebnis BGH 28. 10. 1957, IPRspr. 1956-57 Nr. 32 (Ausländer kommt in das Inland, um einen Vertrag mit einer Bank abzuschließen); BayObLG 17. 3. 1928, IPRspr. 1929 Nr. 43 (deutscher Kunde wendet sich an eine schweizerische Bank in der Schweiz). 34 Zur marktbezogenen Anknüpfung im einzelnen unten § 9 III 3.

Anwendung seines Umweltrechts geführt haben35. Im französischen Recht wird eine wichtige Weichenstellung über das Aufsichtsrecht erreicht, das ähnlich wie das deutsche Recht - den Geschäftsverkehr mit dem inländi­ schen Publikum nur über in Frankreich wohnende und zum Vertragsab­ schluß bevollmächtigte Repräsentanten eröffnet. Der Vertragsabschlußort liegt dadurch nicht mehr in der Hand des Versicherers, sondern wird mittel­ bar durch Gesetz determiniert36. Noch aufschlußreicher ist der Blick auf das Kollisionsrecht der amerikanischen Bundesstaaten: Die in den Versiche­ rungsgesetzen zahlreicher Staaten enthaltenen gesetzlichen Fixierungen ei­ nes Vertragsabschlußortes für Versicherungsverträge mit dem inländischen Publikum oder über inländische Risiken resultieren aus der Einsicht, daß die lex-loci-contractus-Regel den als notwendig angesehenen Versicherungs­ nehmerschutz nicht hinreichend gewährleisten kann37. Die in den Versiche­ rungsgesetzen fixierten Anknüpfungsmomente, bei deren Vorliegen für Zwecke des internationalen Versicherungsvertragsrechts ein Vertragsab­ schluß im Inland anzunehmen ist, zielen darauf ab, den staatlichen Versiche­ rungsgesetzen einen schutzzweckorientierten internationalen Anwendungs­ bereich zu sichern. Nicht die Art und Weise des Zustandekommens des Vertrages soll über die Rechtsanwendung entscheiden, sondern die Bezie­ hung des Versicherungsnehmers zum Inland (Wohnort), die inlandsbezoge­ nen Vertriebs- und Absatzmethoden der Versicherer (Vermittlung des Ver­ trages durch im Inland wirkende Agenten) und das Nachfrageverhalten des inländischen Publikums (Antrag auf Abschluß eines Vertrages vom Inland her)38.

2. Erfüllungsort a) Begründungen Der Autorität Savignys wird es zugeschrieben, daß die Anknüpfung an den Erfüllungsort der Obligation die lex loci contractus in der deutschen Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts weitgehend verdrängen konnte39. Die 35 Siehe oben § 1III2, IV 2b). 36 Für Korrespondenzversicherungen wie auch für das inländische Geschäft nicht zugelasse­ ner ausländischer Versicherer hängt dagegen der Schutz des inländischen Publikums in der Luft; vgl. auch Bar (oben § 2 N. 25) 417. 37 Daß die Gerichte in den amerikanischen Bundesstaaten unter der Herrschaft der lex-locicontractus-Regel den Vertragsabschlußort im Einzelfall so manipuliert haben, daß internatio­ nalprivatrechtlicher Versicherungsnehmerschutz durch Anwendung des Umweltrechts des Versicherungsnehmers oder sachrechtlicher Schutz durch Anwendung eines umweltfremden, günstigeren Rechts gewährleistet wurde, steht auf einem anderen Blatt; siehe oben § 1 IV 2b). 38 Dazu oben § 1 IV 1. 39 Vischer, Internationales Vertragsrecht 98; Gutzwiller, Der Einfluß Savignys auf die

Gründe dafür, daß der Erfüllungsort in Schrifttum und Praxis eine so überragende Rolle gewinnen konnte, sind dabei vielfältiger Natur. Während der Vertragsabschlußort in einer Zeit der zunehmenden Internationalisie­ rung des Handels als genereller Anknüpfungspunkt an Überzeugungskraft verlieren mußte40, lieferte der Erfüllungsort der vertraglichen Obligation eine Anknüpfung, die für lokal wie international abgeschlossene Verträge gleichermaßen paßte und zudem - wie auch die lex loci contractus41 - mit den Erwartungen der Parteien über das anzuwendende Recht begründet werden konnte42. Savignys Plädoyer für den Erfüllungsort43 versprach für den inter­ nationalen Handel Rechtssicherheit durch internationalen Entscheidungs­ einklang, ohne daß der Vielfalt der tatsächlichen Verhältnisse Zwang ange­ tan wurde44. Internationaler Entscheidungseinklang wurde angestrebt, wenn der Er­ füllungsort, bei fehlender ausdrücklicher Parteibestimmung45, nicht etwa durch das materielle Vertragsrecht am Sitz des jeweils angegangenen Ge­ richts46, sondern für Zwecke der Anknüpfung autonom47 bestimmt werden sollte. Bei Savigny erhält die generalisierende Anknüpfung an den Erfül­ lungsort zugleich eine gewisse Flexibilität, wenn der Erfüllungsort-abgese­ hen von seiner ausdrücklichen Vereinbarung - dort lokalisiert wird, wo die

Entwicklung des Internationalprivatrechts (1923) 92 ff. Die Anknüpfung an den Erfüllungsort ist von den Gerichten vereinzelt auch schon vor Erscheinen des achten Bandes des Savignyschen „Systems“ (1849) praktiziert worden; vgl. z. B. OAGJena 1832, SeuffA 2 (1849) Nr. 119. 40 Savigny VIII221 ff, 254 ff. 41 OAG Lübeck 11. 12. 1846, Sig. Bd. 4 (1861) (Frankfurter Rechtssachen) 445 (457): „präsumptive Absicht“. 42 Savigny VIII 208, 246; vgl. auch Enneccerus (oben N. 21) 85: „Die Erfüllung ist das Endziel, das die Parteien erwarten und von vorneherein ganz vorwie­ gend im Auge haben“. 43 Die Vertragsanknüpfung gilt bei Savigny nur für das dispositive Recht (Savigny VIII248). Diese Voraussetzung der Anknüpfung an den Erfüllungsort wird vom Reichsgericht später aufgegeben, wenn auch die Anwendung zwingender Normen vom Vertragsstatut abhängen soll und sogar von den Parteien über eine Vereinbarung des Erfüllungsortes beeinflußt werden kann; vgl. RG4. 10. 1882, RGZ 9, 3 (9); 10. 5. 1884, RGZ 12, 34 (37); 13. 11.1885, RGZ 14, 235 (239). 44 Dieser Aspekt wird m. E. im Schrifttum, das sich mit der Anknüpfung an den Erfüllungs­ ort auseinandersetzt, nicht genügend gewürdigt; vgl. Vischer, IPR 662; Schnitzer, FS Lewald 383(384). 45 Zu deren Maßgeblichkeit bereits OAG Lübeck 26. 3. 1861, SeuffA 15 (1862) Nr. 183. 46 Savigny VIII 210 hält dies für „völlig verwerflich“; vgl. ebd. 228. Er betont, daß für die Anknüpfung an den Erfüllungsort und den damit verfolgten Zwecken es gerade darauf ankom­ me, wie der Erfüllungsort jeweils bestimmt werde; ebd. 209. Dies ist in der Rechtsprechung, aber auch im Schrifttum (vgl. etwa Frankenstein II134) später in Vergessenheit geraten. 47 In diese Richtung weiterführend Neuner, Die Beurteilung gegenseitiger Verträge nach dem Rechte des Schuldners: RabelsZ 2 (1928) 108 (130 ff), der für eine einheitliche Anknüpfung der vertraglichen Obligationen an einen an den Bedürfnissen des IPR orientierten, gegenüber den materiellrechtlichen Regeln autonom bestimmten Erfüllungsort eintritt.

geschuldete Leistung nach den Vorstellungen der Parteien tatsächlich er­ bracht werden soll48. Maßgeblichkeit der Parteierwartungen und wirtschaft­ liche Beziehungen einer Vertragsleistung zu einer bestimmten Rechtsord­ nung49 50 sind auf einen Nenner gebracht.

Die Rechtsprechung hat die Anknüpfung an den Erfüllungsort damit zu rechtferti­ gen versucht, daß der Schuldner einer Leistung „sein Verhalten (nicht) nach den Bestimmungen eines ausländischen, ihm vielleicht völlig unbekannten Rechts“ ein­ zurichten brauche30. Diese Wertung mag sich vor allem auf zwei — unausgesproche­ ne- Überlegungen stützen. Bei gegenseitigen Verträgen werden die mit der Internationalität der Vertragsbe­ ziehung notwendig verbundenen Informationskosten und -risiken einseitig verteilt, wenn der Vertrag in seiner Gesamtheit nur einem einzigen, in der Regel nur einem der beiden Vertragspartner vertrauten Recht untersteht. Die Anknüpfung an den Erfüllungsort der Vertragsobligation verwirklicht durch die vertikale Spaltung des Vertrages eine partei-neutrale und jedenfalls insoweit gerechte Verteilung der Infor­ mationslasten und -risiken51. 52 Soweit die Rechtsprechung (bei fehlender ausdrücklicher Vereinbarung eines Er­ füllungsortes) auf den Sitz (Wohnort) des Schuldners der Leistung als gesetzlichem Erfüllungsort abgestellt hat, mag eine solche Anknüpfung den Abschluß und die Durchführung international-verknüpfter Verträge tendenziell erleichtern wollen. Geht man von der durchaus realistischen Annahme aus, daß die Vertragspartner keine Kenntnisse über das am Sitz des jeweils anderen Vertragspartners geltende Recht haben, mögen drei Überlegungen für eine Anwendung des Rechts des Erfül­ lungsortes (= Wohnsitz des Schuldners) auf die jeweiligen Obligationen sprechen. Für den Gläubiger ist es einfacher, die vom Schuldner erbrachte Leistung ex post am Maßstab des ihm unbekannten Rechts am Erfüllungsort zu prüfen oder prüfen zu lassen, als für den Schuldner, sein Verhalten und seine Leistung ex ante auf das ihm unbekannte und ungewohnte Recht am Wohnsitz des Gläubigers der Leistung einzu­ stellen32.

48 Savigny VIII 210ff., 226, 247; gleichsinnig RG 11. 3. 1919, RGZ 95, 164 (166). 49 Siehe RG 1. 3. 1882, RGZ 6, 125 (130) (Bedeutsamkeit des Rechts desjenigen Territo­ riums, in dem die Obligation ihre Wirkungen äußere); 19. 4. 1910, HansGZ 1910, 193 (195) (Erfüllungsort als „wichtigste örtliche Beziehung“). 50 HansOLG Hamburg 2. 5. 1899, SeuffA 55 (1900) Nr. 61 (S. 130); 21. 5. 1889, SeuffA 44 (1889) Nr. 240. 51 Diese Überlegung mag insbesondere jene Rechtsprechung motiviert haben, die es ablehnt, für die Anknüpfung der Vertragsobligationen allein auf die „charakteristische“ Leistung abzu­ stellen; HansOLG Hamburg 21. 5. 1889 (vorige Note); RG 19. 10. 1910, RGZ 73, 379 (388); BGH 26. 6. 1963, IPRspr. 1962-63 Nr. 29; OLG Frankfurt 27. 10. 1966, IPRspr. 1966-67 Nr. 33; OLG Düsseldorf28. 9. 1970, IPRspr. 1970 Nr. 15. 52 Dies mag der wesentliche Grund für die Tatsache sein, daß weder die Rechtslehre noch die Praxis es jemals erwogen haben, das am Wohnsitz des Gläubigers der Obligation geltende Recht als maßgebend zu erklären; vgl. Walker 334; Homberger, Die obligatorischen Verträge im IPR

Die Anknüpfung an den Erfüllungsort der Verpflichtung erleichert eine internatio­ nale Geschäftstätigkeit wesentlich, weil Leistungs- und Verhaltenspflichten damit immer nur einem einzigen und dem Schuldner vertrauten Recht unterstehen. Die Anwendung des Rechts am Erfüllungsort als dem Umweltrecht des Schuld­ ners der Verpflichtung erscheint für die Behandlung solcher internationaler Verträge als angemessen, bei denen sich die Parteien der Internationalität des Sachverhalts und der damit aufgeworfenen Probleme bei Abschluß des Vertrages nicht bewußt sind. In solchen Fallgestaltungen wird der Schuldner seine Leistung immer nur an den Anforderungen seines Wohnsitzrechtes orientiert erbringen. Die Abwicklung sol­ cher Verträge wird tendenziell erleichtert, wenn Kollisionsrecht dafür sorgt, daß sich die Vertragsgemäßheit der Leistung bzw. des Verhaltens des Schuldners am Maß stab derjenigen Rechtsordnung bestimmt, an der sich der Schuldner bei Erbringung der Leistung orientiert hat. Die Rechtsprechung hat es im internationalen Vertragsrecht zumeist mit Fragen des Vertragsinhalts und der Vertragswirkungen zu tun gehabt53. Da die am Erfül­ lungsort geltenden Regelungen (und Gebräuche) über Erfüllungsmodalitäten nicht unberücksichtigt bleiben können54, trägt die Anknüpfung an den Erfüllungsort zu einer Vereinfachung der kollisionsrechtlichen Entscheidung insoweit bei, als für die Beurteilung der Leistungs- und Verhaltenspflichten der beklagten Partei nur ein einziges Recht herangezogen werden muß55. Soweit der Erfüllungsort der Verpflichtung und der Wohnort des Schuldners zusammenfallen, läuft die Anknüpfung an den Erfüllungsort, wenn, wie meist, am Sitz des Schuldners geklagt wird, auf eine Anwendung der lex fori hinaus56. Dieser Gleichlauf von Gerichtsstand und anwendbarem Recht57 entlastet die Gerichte nicht nur von den Schwierigkeiten, die mit der Anwendung fremden Rechts verbunden sind, sondern fordert zugleich das Interesse der Prozeßparteien an einem möglichst schnellen und billigen Streitverfahren. Die mit der Anknüpfung an den Erfüllungsort der Obligation verbunde­ nen Probleme und Nachteile sind seit langem erkannt58. Sie können erklären, warum diese Anknüpfung mehr und mehr in der Rechtsprechung in den Hintergrund getreten ist59. nach der Praxis des schweizerischen Bundesgerichts (1925) 63; RG 12. 10. 1905, RGZ 61, 343 (345 f.). 53 Zum Recht des Kaufvertrages: Kreuzer 133ff., 170ff. 54 RG 1. 3. 1882, RGZ 6, 125 (130ff, 132); Enneccerus (oben N. 21) 86; Staudinger (-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 445, 446; Schwander 359, 366 N. 3; Art. 32II deutscher IPR-Gesetz-Entwurf. 55 Soweit mit der Anknüpfung an den Erfüllungsort die vertikale Vertragsspaltung bei gegenseitigen Verträgen und die mit ihr verbundenen Schwierigkeiten in Kauf genommen werden, mag man dies mit der justizökonomischen Überlegung rechtfertigen, daß jedenfalls bei der weitaus überwiegenden Zahl der Prozesse Fragen der Erfüllung zu entscheiden waren. 56 Neuhaus 174 N. 428; Lando, Contracts Nr. 22. 57 Für einen solchen Gleichlauf auch Savigny VIII246. 58 Siehe etwa bereits Savigny VIII202 N. b, 209ff.; Walker 332ff.; Schnitzer II626. 59 In der deutschen Rechtsprechung wird auf den Erfüllungsort nurmehr „äußerstenfalls“

Der am häufigsten erhobene Einwand gegen den Erfüllungsort zielt auf den circulus-vitiosus-Charakter der Anknüpfung60: Da der Erfüllungsort einer Ver­ pflichtung durch das materielle Vertragsrecht fixiert wird, die Kollisionsnorm aber erst darüber entscheiden soll, welches Recht anzuwenden ist, kann im Stadium der Verweisung der Rechtsbegriff Erfüllungsort (noch) keine Rolle spielen. Dieser Ein­ wand, der nach Erlaß des Bürgerlichen Gesetzbuches auch kurzzeitig die Recht­ sprechung zu beeindrucken schien61, läßt sich jedoch entkräften, wenn man-mit Savigny - den Erfüllungsort als Anknüpfungsbegriff der nationalen Kollisionsnorm für den internationalprivatrechtlichen Zweck eigenständig formuliert oder aber schlicht auf das Vertragsrecht der lex fori verweist62. Eine „Qualifikation“ des Anknüpfungsbegriffes Erfüllungsort unter Rückgriff auf das nationale Vertrags­ recht, wie dies die Rechtsprechung praktiziert hat63, begegnet Bedenken aus zwei Gründen. Die sachrechtlichen Regeln über den Erfüllungsort differenzieren von Rechtsordnung zu Rechtsordnung mit der Folge, daß auf ein- und denselben Ver­ trag unterschiedliches Recht zur Anwendung kommt, je nachdem, in welchem Staat Klage erhoben wird. Damit aber werden die kollisionsrechtspolitischen Ziel­ setzungen der generalisierenden Anknüpfung im internationalen Vertragsrecht weitgehend in Frage gestellt: internationale Entscheidungsharmonie wird aufgege­ ben64. Die Orientierung der Anknüpfungsentscheidung an den Erwartungen der Parteien ist in Frage gestellt.

zurückgegriffen, wenn die Ermittlungen des hypothetischen Parteiwillens (Schwerpunkt der Vertragsbeziehungen, Interessenabwägung zwischen den Parteien) keine eindeutige Zuord­ nung des Vertrages zuläßt: BGH 4. 7.1969, BGHZ 52,239 (241) = IPRspr. 1968-69 Nr. 24; vgl. auch BGH 19. 9. 1973, BGHZ 61, 221 (224) = IPRspr. 1973 Nr. 11 (zur Vorzugswürdigkeit einer einheitlichen Anknüpfung von Leistung und Gegenleistung). Bisher hat die Rechtspre­ chung auf den Erfüllungsort als Notanker jedoch noch nicht ganz verzichtet: BGH 22. 9. 1971, BGHZ 57, 72 (76f.) = IPRspr. 1971, Nr. 133; OLG Koblenz 10. 10. 1972, IPRspr. 1974 Nr. la) (obiter dictum); LG Hamburg 10. 6. 1974, IPRspr. 1974 Nr. 154 (S. 404f); LG Zweibrücken 5. 3. 1974, IPRspr. 1974 Nr. 148 (S. 383); OLG München 9. 5. 1973, IPRspr. 1973 Nr. 24 (S. 61) (obiter dictum); OLG Düsseldorf6. 9. 1973, IPRspr. 1973 Nr. 25 A) (S. 68); OLG Köln 12. 5. 1975, IPRspr. 1975 Nr. 12 (S. 21 f.) (obiter dictum). 60 Zitelmann II 370, 371 mit weiteren Nachweisen; Walker 332 („unlösbarer Zirkel“); Enneccerus (oben N. 21) 121; Mitteis (oben § 2 N. 51) 102; Frankenstein II132ff. 61 RG20. 2. 1913, JW 1913, 552: „Der Erfüllungsort (kann) im vorliegenden Fall für das hier zur Anwendung zu bringende Recht unter keinen Umständen maßgebend sein, weil erst nach dem anzuwendenden Recht bestimmt werden soll, welcher Ort als Erfüllungsort anzusehen ist“; RG17. 3. 1914, LZ 1914, 1106. 62 Qualifikation „ersten Grades“ (als Auslegung der nationalen Kollisionsnorm) im Sinne von Schnitzer I 105. Aus der Rechtsprechung (Maßgeblichkeit der lex fori): RG 11.3. 1919, RGZ 95, 164 (165 f). 63 RG 11. 3. 1919, RGZ95, 164(165.); 13. 6.1934, RGZ 145,16(18f.);6. 7.1934, RGZ 145, 121 (128); BGH 10. 1.1958, IPRspr. 1958-59 Nr. 37 (S. 147); 22. 9. 1971, BGHZ 57, 72 (76f.) = IPRspr. 1971 Nr. 133. 64 Savigny VIII 210 bezeichnet den Rückgriff auf das materielle Recht als „völlig verwerf­ lich“.

Die materiellrechtlichen Normen über den Erfüllungsort regeln, wo der Verpflich­ tete leisten muß, um von seiner Leistungsverpflichtung befreit zu werden. Es geht damit um die Festlegung und Bestimmung jener Umstände, von denen der Über­ gang der Leistungsgefahr vom Leistungsschuldner auf den Gläubiger abhängen soll. Die Bestimmung jenes Ortes enthält damit Wertungen des Gesetzgebers über eine adäquate Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, jedoch keine Ein­ schätzung des Gesetzgebers bezüglich eines mutmaßlichen Parteiwillens über das zur Anwendung kommende Recht in internationalen Sachverhalten. Der Erfüllungsort vermag den von einer generalisierenden Anknüpfungs­ methode erhobenen Anspruch, das gesamte internationale Vertragsrecht durch eine einzige Kollisionsnorm zu ordnen, nicht zu erfüllen: Der Erfül­ lungsort als Anknüpfungspunkt versagt bei Vertragsverhältnissen, bei de­ nen der Erfüllungsort der Obligation von den Vertragsparteien bei Vertrags­ schluß ausdrücklich offen gelassen65 oder zur Wahl des Gläubigers gestellt wird66. Dasselbe gilt bei Verpflichtungen, für die ein alternativer Erfüllungs­ ort vereinbart wird67. Unterlassungsverpflichtungen kennen keinen eigentli­ chen Erfüllungsort68. Gründe der Praktikabilität sprechen gegen die Maß­ geblichkeit des Erfüllungsortes, wo es um vertragliche Verpflichtungen geht, die in mehreren Staaten zu erfüllen sind69. Die Rechtsprechung kennt zahlreiche Beispiele, in denen mit guten Gründen dem gesetzlichen70 oder sogar vertraglich vereinbarten71 Erfüllungsort unter Rückgriff auf die Er­ wartungen der Parteien keine Bedeutung für die Rechtanwendung beige­ messen worden ist; es sind Beispiele dafür, daß der Erfüllungsort keines­ wegs, wie behauptet, mit den (fiktiven) Rechtsanwendungserwartungen der Parteien übereinzustimmen scheint.

Die Anknüpfung an den Erfüllungsort der Verpflichtung führt bei gegenseitigen Verträgen oftmals, soweit kein gemeinsamer Erfüllungsort vereinbart ist und die Vertragspartner in verschiedenen Staaten wohnen, zu einer Rechtsspaltung, das heißt zu einer Beurteilung der vertraglichen Verpflichtungen nach verschiedenen Rechts­ ordnungen. Die damit verknüpfte Problematik - von Savigny noch als unvermeid­

65 Schnitzer II626. 66 RG 23. 1. 1897, RGZ 38, 140; 30. 9.1920, RGZ 100, 79 (81) (das Reichsgericht hatte gegen eine nachträgliche, einseitige Bestimmung des Erfüllungsortes durch eine Vertragspartei auch für kollisionsrechtliche Zwecke nichts einzu wenden). 67 Walker 333; Mitteis (oben § 2 N. 51) 101 ff.; Frankenstein II139; RG 12. 3. 1928, IPRspr. 1928 Nr. 29 (S. 52). 68 Homberger (oben N. 52) 43ff.; Frankenstein II141. 69 Frankenstein II140. 70 RG 17. 6. 1939, RGZ 161, 296 (299); 4. 4. 1908, RGZ 68, 203; 19. 4. 1910, HansGZ 1910, 193 (196); 12. 3. 1928, IPRspr. 1928 Nr. 29. 71 BGH 25. 11. 1957, IPRspr. 1956-57 Nr. 28 (S. 105); RG 8. 3. 1884, RGZ 14, 111 (114f); vgl. auch ROHG 10. 12. 1873, ROHGE 12, 55 (56).

bar dargestellt72 - hat das Reichsgericht in seiner Entscheidung vom 4. 4. 190873 kritisch beleuchtet: Die unterschiedliche Anknüpfung der Leistung und Gegenlei­ stung zerreißt das in den betroffenen Rechtsordnungen verwirklichte Gleichge­ wichtsverhältnis74 zwischen den beiderseitigen, gesetzlich festgelegten Rechten und Pflichten der Vertragsparteien, ohne daß sich bei einer Zusammenfügung zweier Rechtssysteme ein „billiger Ausgleich“ mit Sicherheit von selbst einstellt75. Dies und die mit der Zerlegung eines gegenseitigen Vertrages76 verbundenen, bekannten Qualifikations- und Anpassungsprobleme (Zuordnung der Rechte und Pflichten der Parteien zur Leistungs- und Gegenleistungspflicht; Gewährleistungs- und Schadens­ ersatzansprüche)77 haben zur Abkehr vom Erfüllungsort als einem allgemeinen An­ knüpfungspunkt und dem heute weit verbreiteten Konsens geführt, daß die vertrag­ lichen Verpflichtungen aus gegenseitigen Verträgen nach Möglichkeit einheitlich anzuknüpfen sind78.

72 Savigny VIII202 N. b): „Es soll dabei nicht geleugnet werden, daß in manchen Fällen diese absondernde Behandlung beider Hälften einer zweiseitigen Obligation, namentlich in Beziehung auf das örtliche Recht, Zweifel und Verwicklungen mit sich fuhren kann. Grundsätzlich aber ist sie darum nicht weniger richtig.. Die Gerichte sind Savigny darin gefolgt: OAG Rostock 3. 11. 1862, Sig. Bd. 5 (1865) 264 (267) (mit Verweis auf Savigny); HansOLG Hamburg 11. 11. 1889, SeuffA Bd. 45 (1890) Nr. 161: „. . . nichts zwingt zu dieser Annahme, daß diese verschiedenen, im gegenwärtigen Falle in Bremen und Riga begründeten, Rechtsverhältnisse einem und demselben Recht unterstehen müßten“; OLG Braunschweig 18. 10. 1894, SeuffA 51 (1896) Nr. 86; RG 19. 4. 1910, RGZ 73, 379 (385). 73 RG4. 4. 1908, RGZ 68, 203. 74 Frankenstein II189; MünchenerKomm. (-Spellenberg) VII Vor Art. 11 Rz. 11. 75 RG 4. 4. 1908 (oben N. 73) 206. 76 Wird die Rechtsspaltung auch auf das Zustandekommen eines Vertrages erstreckt, müßte ein Vertrag, um rechtswirksam zu sein, den Wirksamkeitsvoraussetzungen der Rechtsord­ nungen beider Erfüllungsorte entsprechen; so konsequent Enneccerus (oben N. 21) 90. Die Rechtsprechung ist dieser Konsequenz, wenn sie mit ihr unmittelbar konfrontiert wurde, bisweilen ausdrücklich ausgewichen; Obertribunal Berlin 1. 3. 1866, ZgesHR 17 [1868] 226, um nach einem Anknüpfungspunkt zu suchen, der eine einheitliche Anknüpfung des Vertrages ermöglicht; RG 13. 2. 1891, SeuffA 47 (1892) Nr. 2; OAG Lübeck 31. 10. 1859, SeuffA 14 (1861) Nr. 195; vgl. auch ROHG 9. 12. 1875, ROHGE 19, 132 (133). 77 Dazu Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 151. 78 Siehe BGH 19. 9. 1973, BGHZ61, 221 (224) = IPRspr. 1973 Nr. 11. Die aus der Spaltung eines gegenseitigen Vertrages erwachsenden Schwierigkeiten hat man - auf Kosten der kolli­ sionsrechtlichen Neutralität der Anknüpfung - in der Rechtspraxis und im Schrifttum schon früh durch die Maßgeblichkeit der Hauptleistung, der „charakteristischen“ Leistung zu über­ winden versucht; vgl. HansOLG Hamburg 22. 1. 1895, SeuffA 51 (1896) Nr. 16; Enneccerus (oben N. 21) 90: „...in vielen Fällen steht in der Betrachtung der Parteien die eine Leistung in örtlicher Beziehung durchaus im Vordergründe...“; Homberger (oben N. 52) 17, 50; Neuner, RabelsZ 2 (1928) 108 (129ff); Oser/Schönenberger Rz. 56 f.

b) Erfüllungsort und Versicherungsnehmerschutz Die Anknüpfung an den Erfüllungsort der Obligation läßt jeden Bezug auf die Erfordernisse eines materiellrechtlichen wie auch internationalpri­ vatrechtlichen Schutzes branchenunkundiger Versicherungsnehmer vermis­ sen: Sie führt bei Verträgen zwischen dem inländischen Publikum und ausländischen Versicherern für die Leistungspflichten der Versicherer zum Recht am ausländischen Sitz und verfehlt damit die Schutzfunktion des inländischen Versicherungsrechts. Die Leistungspflichten des Versicherers wie auch seine vertraglichen Ge­ staltungsrechte (Kündigung und Rücktritt) stehen in einem engen, nahezu unauflösbaren Zusammenhang: Leistungsverweigerungs-, Kündigungsund Rücktrittsrechte sind vielfach Sanktionen für die Verletzung der den Versicherungsnehmer treffenden Obliegenheiten bei Vertragsschluß und bei Durchführung des Vertrages, wobei die Rechte des Versicherers auf Art und Schwere der Obliegenheitsverletzung abgestimmt sind. Die Anknüpfung der Leistungsverpflichtung des Versicherers an den Erfüllungsort zerreißt, sofern man für die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers überhaupt einen eigenen Erfüllungsort annehmen will, den Regelungszusammenhang zwischen Obliegenheitsverletzung und Sanktion - ein vom Zweck der Regelung wie auch vom Standpunkt des Versicherungsnehmerschutzes völ­ lig unannehmbares Ergebnis. Unterstellt man die Obliegenheiten des Versi­ cherungsnehmers (als „Lasten“ des Versicherungsnehmers zur Erhaltung des Versicherungsanspruchs) dem Erfüllungsort des Versicherungsan­ spruchs, wird das Versicherungspublikum mit einem unbekannten Recht konfrontiert: Die mit den Obliegenheiten bezweckte Verhaltenssteuerung des Versicherungsnehmers geht notwendig - und zu Lasten des Versiche­ rungsnehmers - ins Leere. Das Anknüpfungsmoment Erfüllungsort läßt versicherungsnehmer­ schutzorientierte Ergebnisse nur erwarten, wenn und soweit über Versiche­ rungsaufsicht auf die Bestimmung des Erfüllungsortes Einfluß genommen wird79. Das schweizerische Aufsichtsrecht enthält etwa in Art. 27 VAG n. F. (Art. 2IV 3 VAG a. F.) eine-unabdingbare-Regelung, wonach inländische wie ausländische Versicherer gehalten sind, „ihre Verbindlichkeiten aus Versicherungsverträgen am schweizerischen Wohnsitz des Versicherten zu erfüllen“80. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 11. 2. 1953ohne Bezug auf das Kollisionsrecht - für Versicherungsverträge ausländi­ scher Unternehmen, die zum inländischen Versicherungsbestand zählen, 79 Vergleiche bereits RG 13. 11. 1885, RGZ 14, 235 (239). 80 Diesen durch das schweizerische Aufsichtsgesetz vorgeschriebenen gesetzlichen Erfül­ lungsort berücksichtigen: OLG Köln 30. 3. 1927, HansRZ 1927, 453; OLG Karlsruhe 12. 4. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 45.

„aus der Natur der SchuldVerhältnisses“ gefolgert, daß der Erfüllungsort im Sinne von § 269 BGB für Verpflichtungen des Versicherers am Ort der inländischen Zweigniederlassung anzunehmen sei81. Eine solche, durch das Aufsichtsrecht bewirkte Steuerung der Anknüpfung82 macht deutlich, daß in diesem Fall nicht das Anknüpfungsmoment Erfüllungsort selbst, sondern allein der vom Aufsichtsrecht erhobene internationale Anwendungsan­ spruch die kollisionsrechtliche Entscheidung determiniert: Das Umwelt­ recht des Versicherungspublikums kommt in dem Umfang zur Anwen­ dung, in dem das Aufsichtsrecht Beachtung begehrt - und die ausländischen Versicherer sich der inländischen Aufsicht unterworfen haben83.

3. Personalstatut des Schuldners Die Maßgeblichkeit des Personalstatuts84 des Schuldners der vertraglichen Verpflichtung, vom deutschen Schrifttum vor allem im 19. Jahrhundert mit Nachdruck vertreten85, von der Rechtsprechung als Alternative zum Erfül­ lungsort nur kurzzeitig erwogen86, hat sich als generelle Anknüpfung nicht durchsetzen können87. Die in der neueren internationalen Rechtsentwick­ lung erkennbare Tendenz, an den Sitz (gewöhnlichen Aufenthalt) der ver­ tragstypisch leistenden Partei anzuknüpfen, führt - bei Vermeidung der mit 81 BGH 11.2. 1953, BGHZ 9, 34 (41) = IPRspr. 1952-53 Nr. 37. Bei Lebensversicherungen soll der inländische Erfüllungsort im Sinne von § 269 BGB wegen der territorialen Bindung der Deckungsmittel an das Inland sogar unabdingbar sein; ebd. 42. 82 Eine AVB-Klausel, in der ein Erfüllungsort am ausländischen Sitz des Versicherers be­ stimmt wird, unterliegt § 10 Nr. 8 AGBG, soweit man dem Erfüllungsort rechtswahlindizie­ rende Bedeutung zumessen will. 83 Daß jedoch auf einen eigenständigen kollisionsrechtlichen Versicherungsnehmerschutz nicht verzichtet werden kann, wurde oben in § 6III3 begründet. 84 Zur Terminologie Kegel 194f.; Neuhaus 201. 85 Waechter, AcP 25 (1842) 1 (45); Windscheid(-Kipp), Lehrbuch des Pandektenrechts81 (1900) § 35 (S. 122); Bar II 13ff, 30ff; Neumann (oben N. 4) 187; Mitteis (oben § 2 N. 51) 101; vgl. auch Mommsen, Wie ist in dem bürgerlichen Gesetzbuch für Deutschland das Verhältnis des inländischen Rechts zu dem ausländischen zu normieren?: AcP 61 (1878) 149 (175 f. und § 6 seines IPR-Gesetz-Entwurfs). 86 RG 12. 10. 1905, RGZ 61, 343 (345); 12. 2. 1906, RGZ 62, 379; 19. 3. 1907, RGZ 65, 357; 26. 4. 1907, RGZ 66, 73 (läßt offen); 2. 6. 1923, RGZ 107, 44 (46) (läßt offen); ebenso 10. 12. 1924, RGZ 109, 295 (298); 18. 12. 1920, RGZ 101, 141 (143). Ausdrücklich ablehnend: RG 11. 3. 1919, RGZ 95, 164 (165). 87 Wohnort bzw. Staatsangehörigkeit der Vertragspartner spielen in der gegenwärtigen deutschen Rechtspraxis des internationalen Vertragsrechts eine doppelte Rolle: Der Wohnsitz bzw. die Staatsangehörigkeit sind zum einen Faktoren, die die Internationalität eines Vertrages für Zwecke des Kollisionsrechts begründen können; z. B. LArbG Berlin 16. 1. 1974, IPRspr. 1975 Nr. 30a); BAG 10. 4. 1975, IPRspr. 1975 Nr. 30b) (S. 55); LG Hamburg 15. 10. 1975, IPRspr. 1975 Nr. 25. Wohnsitz und Staatsangehörigkeit der Vertragspartner sind zum anderenin ihrer Bedeutung von Fall zu Fall variierende - Faktoren bei der Anknüpfung des Vertrages im Rahmen des hypothetischen Parteiwillens; dazu im folgenden im Text bei N. 98 f.

dem Personalstatut des Schuldners verbundenen vertikalen Vertragsspal­ tung - zu einer Renaissance der personal gefärbten Vertragsanknüpfung.

a) Begründungen

Das Personalstatut des Schuldners kennt im internationalen Vertragsrecht zwei Ausprägungen: die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit und an den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt. Während im 19. Jahrhundert das Personalstatut in Deutschland vornehm­ lich als Anknüpfung an den Wohnsitz des Schuldners diskutiert wurde88, war es Zitelmann, der die Staatsangehörigkeit zu einem generellen Anknüpfungs­ prinzip im internationalen Vertragsrecht erheben wollte89.

Die kollisionsrechtspolitische Begründung sieht Zitelmann in der von ihm be­ haupteten völkerrechtlichen Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenz der Staa­ ten90. Diese völkerrechtliche Verortung des IPR ermöglicht es, durch Deduktion ein Kollisionsrechtssystem zu entwickeln, in dem immer nur einem einzigen Staat die materielle Regelung und Ordnung eines international-verknüpften Sachverhalts zukommen soll91. Für das internationale Vertragsrecht stellt Zitelmann darauf ab, daß der der vertraglichen Verpflichtung zugrundeliegende Leistungsbefehl nur von demjenigen Staat erteilt werden kann, dem der Schuldner angehört92. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, aber auch nicht nötig, auf die vielschichtigen Beziehungen zwischen Völkerrecht und IPR einzugehen93. Im einzelnen ist hier vieles umstritten und noch ungeklärt. Einigkeit besteht jedoch darüber, daß das Völkerrecht - bis

88 Siehe oben N. 85. 89 Zitelmann 189 ff., 112 ff., 125 ff; II366. 90 Zitelmann I 72 ff. Enneccerus (oben N. 21) 78 f. stellte sich ebenfalls auf den Standpunkt der „internationalisti­ schen Schule“: Existenz eines völkerrechtlichen internationalen Privatrechts (neben dem staatli­ chen IPR, das mit den „völkerrechtlichen Geboten“ - und nicht nur Schranken! - in Einklang zu bringen sei), das sich aber noch in einem wenig entwickelten Stadium befinde: „schwer nachweisbar sind gewohnheitsrechtliche allgemein geltende und als gegenseitige Pflicht befolg­ te Regeln“. Völkerrechtlicher Hauptgrundsatz sei: „.. .jeder Staat (habe) sein internationales Recht so einzurichten, wie es die Verkehrsgemein­ schaft aller Völker erfordert“. Savignys Wegweiser der Maßgeblichkeit des Sitzes des Rechtsverhältnisses findet sich als Satz des Völkerrechts formuliert: Jeder Staat müsse „die Anwendbarkeit seiner Rechtsnormen auf diejenigen Rechtsverhältnisse und Rechtsfra­ gen“ beschränken, „welche mit seinem persönlichen oder räumlichen Herrschaftsbereich stärker Zusammenhängen, als mit dem irgendeines anderen Staates“. 91 Insoweit kann die Argumentation Zitelmanns - ähnlich Frankenstein 12 ff. - als „aprioristisch“ bezeichnet werden; vgl. Schnitzer, FS Lewald 383 (385). 92 Zitelmann I 89f, 104f., 112 ff.; II 366; ablehnend RGRK (-Wengler) VI/1 18. 93 Vergleiche dazu Kahn (oben § 3 N. 9) 268 ff; Raape §3 II; Kegel 4ff. mit weiteren Nachweisen; RGRK(-Wengler) VI/1 13ff; Münchener Komm.(-Sonnenberger) VII Einl. IPR Rz. 71 ff.

heute - keine Rechtssätze kennt, aus denen sich stringent ein völkerrechtliches IPRSystem ableiten ließe94. Allenfalls wird man bestimmte Schranken für die Anwen­ dung einer bestimmten Rechtsordnung auf einen konkreten Sachverhalt feststellen bzw. entwickeln können95. Den von Zitelmann behaupteten völkerrechtlichen Satz, daß es „in jedem Falle nur einen Staat gebe, der die völkerrechtliche Macht zur Erteilung von Gesetzesbefehlen habe, gibt es nicht und hat es nicht gegeben“. Dieser Feststellung von Walker96 ist nichts hinzuzufugen97.

Die völkerrechtliche Grundlage der Lehre Zitelmanns zu verwerfen heißt nicht, die kollisionsrechtspolitische Untauglichkeit der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit für das internationale Vertragsrecht bereits nachgewie­ sen zu haben. Die deutsche Judikatur hat die Staatsangehörigkeit des Schuldners als allgemeinen Anknüpfungspunkt nur kurzzeitig erwogen, niemals aber praktiziert98. Beachtung hat die Staatsangehörigkeit der Vertragspartner im Rahmen der Anknüpfung an den mutmaßlichen oder hypothetischen Partei­ willen nur in ganz speziellen Fallsituationen gefunden, wenn über die ge­ meinsame Staatsangehörigkeit der Vertragspartner das gemeinsame - deut­ sche - Heimatrecht der Parteien angewendet werden konnte99. Die kollisionsrechtspolitische Begründung einer generellen Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Schuldners im internationalen Vertragsrecht ließe sich auf die Annahme stützen, daß die Staatsangehörigkeit die maßgeb94 RG 11. 3. 1919, RGZ 95, 164 (165 ff); Walker 335; Kegel 7 bezeichnet den Zitelmann­ sehen Ansatz als „aus der Luft gegriffen“; Staudinger(-Raape) 52. 95 Neuhaus 73; Wolff, IPR 9; Kahn (oben §3 N. 9) 286ff.; RGRK(-Wengler) VI/1 25f.; Meessen, Kollisionsrecht als Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts: Völkerrechtliches Mi­ nimum und kollisionsrechtliches Optimum, in: FS F. A. Mann (1977) 227 (232); Bühler, Der völkerrechtliche Gehalt des IPR, in: FS Wolff (1952) 177 (191 f., 196). 96 Walker 336. 97 Der Gesetzgeber des EGBGB lehnte die „internationalistische“ Auffassung ausdrücklich ab; vgl. Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, 691. Sitzung vom 9. 9. 1887, Prot. 11477 ff, abgedruckt bei Hartwieg/Korkisch 75 ff. 98 RG 12. 10. 1905, RGZ 61, 343 (345): Personalstatut des Schuldners...“ als „das Recht des Wohnorts, oder das des Heimatstaates...“; ähnlich RG 12. 12. 1906, RGZ 62, 379 (380); 26. 4. 1907, RGZ 66, 73 (76). 99 RG 11. 12. 1897, RGZ 40, 195; 28. 10. 1893, Hans GZ 1894,193; HansOLG Hamburg 1. 7. 1893, HansGZ 1893, 237; RG25. 6. 1919, RGZ 96,161; OLG Kiel 10. 5. 1930, IPRspr. 1930 Nr. 10; BGH 17. 12. 1953, IPRspr. 1952-53 Nr. 20 (S. 48f.) (Gesellschaftstatut); LG Tübingen 16. 2. 1966, IPRspr. 1966-67 Nr. 22 (S. 75); LArbG Berlin 16. 1. 1974, IPRspr. 1975 Nr. 30a) (S. 52); vgl. auch BAG 10. 4. 1975, IPRspr. 1975 Nr. 30b) (S. 56); OLG Frankfurt 4. 4. 1973, IPRspr. 1973 Nr. 6 (S. 17). Ablehnend demgegenüber: OLG München 13. 4. 1929, IPRspr. 1929 Nr. 49; OLG Köln 19. 4. 1963, IPRspr. 1962-63 Nr. 26 (S. 75); BGH 24. 6. 1969, IPRspr. 1968-69 Nr. 43. Die Gerichte haben zum Teil dem gemeinsamen - deutschen - Wohnsitz als „Lebensmittel­ punkt“ der Parteien den Vorrang vor der Anknüpfung an die gemeinsame - ausländische Staatsangehörigkeit gegeben: RG 14. 12. 1927, RGZ 119, 259 (261); LG Hamburg 15. 10. 1975, IPRspr. 1975 Nr. 14 (S. 25); 23. 1. 1973, IPRspr. 1973 Nr. 16 (S. 43); 19. 12. 1972, IPRspr. 1972 Nr. 15 (S. 29).

liehe Beziehung zu derjenigen Rechtsordnung herstellt, die das rechtliche Verständnis und die laienhaften Erwartungen prägt, - der Schuldner sich daher immer nur nach den Bedingungen seines Heimatsrechts binden wolle100. Gegenüber einer solchen Begründung lassen sich jedoch eine Rei­ he von Einwänden erheben.

Die Erwartungen und Vorstellungen der Parteien über die rechtliche Behand­ lung der von ihnen abgeschlossenen Verträge verdienen wie im materiellen Recht so auch im Kollisionsrecht gewiß besondere Beachtung. Angesichts der Differen­ ziertheit wirtschaftlicher Sachverhalte, aber auch der unterschiedlichen Vertraut­ heit der Vertragsparteien mit rechtlichen und internationalprivatrechtlichen Frage­ stellungen, wird man jedoch keinesfalls generell unterstellen können, daß jede Partei nach ihrem Heimatrecht strebt101 oder von dessen Anwendung ausgeht: Ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland niederlassen, um hier ein Gewerbe zu betreiben, wird man kaum die Erwartung unterstellen können, daß sie im Rechtsverkehr nach ihrem Heimatrecht behandelt werden102. Für die Parteierwartungen allein auf das Heimatrecht abzustellen, bedeutet im übrigen eine unzulässige Vereinfachung. Vorstellungen der Parteien über rechtli­ che Fragen werden von der Umwelt geformt, in der der Mensch aufwächst. Dies kann, aber muß nicht der Staat sein, dem er angehört. Maßgeblicher Indikator für die Einbettung in eine Kultur- und Rechtstradition ist der Wohnraum des Men­ schen, der mit der Staatsangehörigkeit oftmals zusammenfällt, aber nicht zusam­ menfallen muß. Es ist bezeichnend, daß, soweit in der Rechtsprechung der Ge­ danke des Heimatrechts angeklungen oder bestimmend geworden ist, es sich um Sachverhalte gehandelt hat, in denen beide Vertragsparteien in ihrem - gemeinsa­ men - Heimatstaat zumindest lange Zeit gewohnt haben.

Fehlt es für die generelle Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit damit bereits an einer überzeugenden Begründung, so ist ein Blick auf die mög­ lichen Auswirkungen, die mit einer solchen Anknüpfung verbunden wä­ ren, vollends geeignet, ihr jede Tauglichkeit als generelle Anknüpfung ab­ zusprechen103. Verkehrsgeschäfte des täglichen Lebens zeichnen sich durch Anonymität der Vertragspartner, insbesondere auf Seiten des Konsumenten, aus. Wollte man die Kaufpreisforderungen der Kaufhäuser nach dem Heimatrecht der Käufer beurtei­ len, wäre dies in hohem Maße unpraktisch. Der lokale Geschäftsverkehr würde man denke an die zahlreichen Gastarbeiter in der Bundesrepbulik Deutschland - in 100 LG Hamburg 21. 1. 1973, IPRspr. 1973 Nr. 16 (S. 43) (jede Partei strebe „im allgemeinen nach ihrem Heimatrecht“); gleichsinnig LG Hamburg 19. 12.1972, IPRspr. 1972 Nr. 15 (S. 29). 101 So aber LG Hamburg 21. 1. 1973 (vorige Note) 43. 102 Vgl. schon Seeler (oben § 2 N. 51) 49. 103 Ablehnend für das internationale Vertragsrecht etwa Oser/Schönenberger Rz. 64; Schnitzer, FS Lewald 383 (385); Seeler (oben §2 N. 51) 49; Kegel 7: „rechtspolitische Verirrung“ Zitelmanns.

einem weitgehenden Ausmaß internationalisiert. Der lokale Handel müßte, um die Anwendung des Ortsrechts abzusichern, zur Vereinbarung von Rechtswahlklauseln und damit letztlich zu schriftlichen Verträgen greifen. Der Geschäftsverkehr würde dadurch ohne Grund behindert und mit Kosten belastet. Die Rechtsverfolgung vor inländischen Gerichten würde den auf das lokale Geschäftsrecht eingestellten Han­ del, aber auch die ausländischen, zumeist im Inland wohnenden Vertragspartner vor weitgehende Informationsprobleme und -kosten bezüglich des Heimatrechts des Ausländers stellen.

Bereits diese Hinweise dürften genügen, um die Ungeeignetheit der Staatsangehörigkeit als ein generelles Anknüpfungsmoment zu erweisen. Weitere Gründe lassen sich unschwer aufzählen104, insbesondere, wenn man an den internationalen Handelsverkehr denkt105. Der Wohnsitz106 des Schuldners wurde als allgemeiner Anknüpfungspunkt des internationalen Vertragsrechts von namhaften Rechtslehrern bereits im 19. Jahrhundert vertreten107, ohne daß sich die Rechtsprechung dem ange­ schlossen hätte108. Kollisionsrechtspolitisch lassen sich für diese Anknüp­ fung, sieht man einmal von der Argumentation aus dem „Wesen“ der Obligation, den Schuldner zu binden109, ab, eine Reihe von Gründen an­ fuhren. Die Vorstellungen und Erwartungen des Schuldners sind von der Rechts­ ordnung an seinem Wohnsitz - modern gesprochen: seinem Umweltrechtgeprägt und an dieser orientiert110. Niemand wird ohne weiteres davon 104 Wie wären Verträge von Vertragspartnern mit doppelter Staatsangehörigkeit, von Staa­ tenlosen zu beurteilen? 105 Unnötige Informationskosten bei Verträgen zwischen natürlichen Personen (im Vergleich zur Anknüpfung etwa an den Wohnsitz). Die „Staatsangehörigkeit“ juristischer Personen wirft darüber hinaus besondere Probleme auf. Vgl. Raape 205 ff; Kegel 262. 106 Zu diesem Anknüpfungspunkt Kegel 211 ff.; Neuhaus 220ff. 107 Siehe oben N. 85. Das Wohnortrecht des Gläubigers ist als allgemeiner Anknüpfungs­ punkt in der Lehre nicht vertreten worden; vgl. oben N. 52; Bar II 7: „die Person des Schuldners ist gewiß inniger mit dem ganzen Schuldverhältnis verknüpft als die des Gläubigers“; wörtlich übereinstimmend Walker 334, 337; vgl. auch Savigny VIII201, 202. Kritisch gegen­ über einer solchen Argumentation Enneccerus (oben N. 21) 84: „...die Obligation ist nicht nur Gebundenheit des Schuldners, sondern auch Recht des Gläubigers... Es ist nicht einzusehen, weshalb die aktive Seite der Obligation, die wirt­ schaftlich und dem Zwecke nach die Grundlage der Obligation ist... gegen die passive Seite zurückstehen soll“; vgl. auch Windscheid (-Kipp) 122 N. 4a). 108 Die Gebhardschen Entwürfe von 1883 und 1887 hatten in § 11 auf den Wohnort des Schuldners abgestellt; vgl. Hartwieg/Korkisch 63. Bei den Gesetzesberatungen zum EGBGB wurde diese Anknüpfung wegen der bei gegenseitigen Verträgen auftretenden Spaltung (zu­ gunsten der lex loci contractus, § 2247 [§ 2227] BGB-Entwurf) fallengelassen; Hartwieg/ Korkisch 92. 109 Mitteis (oben § 2 N. 51) 102. 110 Waechter, AcP 25 (1842) 1 (37); Bar II13 (als Interpretation des Partei willens); Walker

ausgehen, daß sich eine Vertragspartei nach Maßgabe eines anderen als des ihr bekannten Rechts verpflichten will111. Bar112 fugt dem eine kollisionsrechtsmethodisch interessante, weil aus den Schutz­ zwecken des materiellen Rechts entwickelte Begründung hinzu. Soweit das mate­ rielle Vertragsrecht von zwingenden Rechtssätzen beherrscht werde, bestünden diese im Interesse und zum Schutze des Schuldners. Da nicht anzunehmen sei, daß diese „Fürsorge“113 bei Vertragsabschlüssen mit Auslandsverknüpfungen aufhöre, sei eine generelle Anknüpfung an den Wohnort des Schuldners geboten114. Kollisionsrechts­ methodisch heißt dies: Kollisionsrecht öffnet sich den Regelungszwecken des mate­ riellen Rechts und lenkt - über die Bestimmung des maßgeblichen Anknüpfungs­ punktes - die Rechtsanwendung in die Richtung, wo Schutzbedürfnisse vermutet werden115.

Auch Gründe der Praktikabilität sind für eine Anknüpfung an den Wohn­ ort des Schuldners ins Feld geführt worden116: Der Gläubiger einer Forde­ rung werde, um seine Ansprüche durchzusetzen und die mit der Anerken­ nung ausländischer Urteile verbundenen Probleme zu vermeiden, oftmals am Wohnsitz des Schuldners klagen müssen, wo sich zumeist auch das wesentliche Vermögen des Schuldners befinden wird. Anwendung des Wohnsitzrechtes des Schuldners bedeute dann Erleichterung der Rechtsan­ wendung für die Gerichte, die ihr heimisches Recht anwenden können, und damit zugleich effektiver Rechtsschutz für die Vertragsparteien. Der Wohnsitz des Schuldners einer vertraglichen Verpflichtung empfiehlt sich bei gegenseitigen Verträgen auch als eine vertragsparteineutrale An­ knüpfung: Sie verteilt, da beide Vertragspartner Schuldner sind, die aus der Internationalität des Vertrages erwachsenden Informationsrisiken und -ko­ sten gleichmäßig zwischen den Vertragsparteien. Auch dem Wohnsitz des Schuldners stehen als generellem Anknüpfungs­ moment so schwerwiegende Bedenken entgegen, daß er sich im internationa­ len Vertragsrecht nicht durchzusetzen vermochte117. 337; vgl. auch BGH 9. 3. 1977, NJW 1977, 1586 = IPRspr. 1977 Nr. 12 (Interesse des Handelsvertreters an der „Anwendung des ihm vertrauten Heimatrechts“). 111 Vergleiche HansOLG Hamburg 29. 10. 1958, IPRspr. 1958-59 Nr. 43 (S. 176); zu den ökonomischen Gesichtspunkten, die für eine Anknüpfung der Leistungs- und Verhaltenspflich­ ten an den Wohnort des Schuldners sprechen, siehe oben der Text bei N. 52. 112 Bar II13; ihm folgt Walker 337; kritisch Enneccerus (oben N. 21) 84. 113 Bar II13. 1,4 Bar II19 will jedoch speziellere Kollisionsnormen z. B. für Geschäfte an Märkten, Börsen etc. zulassen. 1,5 Bar II 17f. will im übrigen bei der Anwendung zwingender Normen die Regelungsinten­ tionen des Gesetzgebers - etwa den Bezug wirtschaftsordnender Gesetze auf den nationalen Markt - berücksichtigen. 116 Bar II 13ff.; Mitteis (oben § 2 N. 51) 102f. Zum selben Ergebnis wird in vielen Fällen auch die Anknüpfung an den Erfüllungsort fuhren; Enneccerus (oben N. 21) 83. 117 Soweit man im Schrifttum nur für eine gegenüber speziellen Anknüpfungen subsidiäre

Die Anknüpfung an den Wohnort des Schuldners aus dem Gesichtspunkt der unter Umständen laienhaften Parteierwartungen hat einige Plausibilität in Sachverhalten, in denen der Schuldner bei Abschluß des Vertrages nicht aus seinem gewohnten nationalen (lokalen) Geschäfts- und Rechtskreis heraustritt. Die Maßgeblichkeit des Wohnortrechts als Umweltrecht verliert hingegen an Überzeugungskraft, wenn die Vertragspartei grenzüberschreitende Verträge geschäftsmäßig abschließt, über Han­ delsvertreter oder gar über Niederlassungen in fremden Staaten arbeitet118. Aber auch bei solchen Verträgen, bei denen sich die Vertragspartner der Internatio­ nalität der Vertragsbeziehung bei Vertragsschluß nicht bewußt gewesen sind, kann der Rückgriff auf das Rechtsverständnis und die Parteierwartungen nicht begründen, warum es auf die Erwartungen nur des Schuldners einer Verpflichtung, nicht auch die des Gläubigers ankommen soll119. Hierfür bedarf es vielmehr zusätzlicher, auf die Erleichterung der Abwicklung solcher Verträge bezogener Überlegungen120. Bars Begründung der Anknüpfung an den Wohnsitz des Schuldners aus den Regelungszwecken der Schuldnerschutznormen zeigt die Grenzen einer geheralisierenden Wertung im internationalen Vertragsrecht deutlich auf: Die zwingenden Regeln des Versicherungsvertragsgesetzes dienen nicht dem Schutz des Versicherers als Schuldner der Versicherungsleistung, sondern allein dem Schutz des Versiche­ rungsnehmers als Gläubiger des Versicherungsanspruchs. Die Anknüpfung an den Wohnsitz des Schuldners hat bei gegenseitigen Verträgen eine Spaltung des Vertrages mit all den damit verbundenen An­ passungsschwierigkeiten121 zur Folge. Für das internationale Vertragsrecht ergibt sich daraus ein Dilemma: Soll ‘kollisionsrechtliche Neutralität im Sinne einer gleichmäßigen Verteilung der Informationskosten und -risiken zwischen den Vertragsparteien gewährleistet werden, läßt sich eine Spaltung des gegenseitigen Vertrages nicht vermeiden. Wer die damit verbundenen Nachteile nicht in Kauf nehmen will, muß auf kollisionsrechtliche Neutrali­ tät verzichten. Das Dilemma läßt sich nur dadurch entschärfen, daß die Suche nach einem allgemeinen Anknüpfungspunkt zugunsten einer An­ knüpfung nach Fallgruppen oder Vertragstypen aufgegeben wird.

Anwendung des Rechts am Wohnsitz des Schuldners eingetreten ist (z. B. Mitteis [oben § 2 N. 51] 103; Bar II17), hat man das mit einer generalisierenden Anknüpfung verbundene Ziel einer einfachen und voraussehbaren Rechtsanwendung selbst wieder in Frage gestellt. 118 Bar II 20; Jitta, La substance des obligations dans le d.i.p. I (1906) 393 (im folgenden: Jitta I). 1,9 Siehe bereits die Kritik bei Enneccerus (oben N. 21) 83 f. 120 Siehe oben den Text bei N. 52. 121 Vgl. BGH 19. 9. 1973, BGHZ 61, 221 (224) = IPRspr. 1973 Nr. 11;RG4. 4. 1908, RGZ 68, 203 (205 f); Zitelmann II 366 f., 403; Homberger (oben N. 52) 60; Oser/Schönenberger Rz. 65; Schnitzer, FS Lewald 383 (384f.); siehe auch die erste Kommission zur Ausarbeitung eines Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches, Prot. 11503-11504, abgedruckt bei Hartwieg/ Korkisch 92.

b) Personalstatut und Versicherungsnehmerschutz Wie schon bei der Anknüpfung an den Erfüllungsort, so ist auch für das Personalstatut des Schuldners ein bedenkliches Defizit an kollisionsrechtli­ chem Versicherungsnehmerschutz zu konstatieren. Bei Versicherungsver­ trägen ausländischer Versicherer mit dem inländischen Publikum käme für die Beurteilung der Ansprüche der Versicherungsnehmer prinzipiell auslän­ disches Recht zur Anwendung. Damit wäre das inländische Publikum nicht nur generell den Lasten und Risiken der Ermittlung ausländischen Rechtes ausgesetzt, zugleich würde im zwischenstaatlichen Versicherungsgeschäft das Versicherungsnehmerschutzniveau des Rechts am Auslandssitz des Ver­ sicherers über den Schutz des inländischen Publikums entscheiden, - ein Ergebnis, das allen Anforderungen eines vernünftigen Schutzes der Versi­ cherungsnehmer im internationalen Geschäftsverkehr widerspricht. Die die Anknüpfung an den Wohnort des Schuldners tragenden Begrün­ dungen verlieren im Bereich der Massenversicherungen an Überzeugungs­ kraft, wenn damit Versicherer und Versicherungsnehmer kollisionsrechtlich auf dieselbe Stufe gestellt werden. Die Ausrichtung der kollisionsrechtlichen Entscheidung am Verständnishorizont und den Erwartungen des Schuld­ ners - seinem Um weltrecht - hat für den typischen Versicherungsnehmer als juristisch ungeschultem Laien seine Berechtigung. Für einen Versicherer als einer auf das Massengeschäft eingerichteten Organisation wird man entspre­ chend nur werten können, soweit das Versicherungsgeschäft auf einen loka­ len (nationalen) Markt am Sitz des Unternehmens beschränkt bleibt. Wo der Versicherer dagegen das zwischenstaatliche Geschäft betreibt, entfällt die Grundlage für die Anwendung des Sitzrechts als Umweltrecht des Versiche­ rers. Die aus der Internationalität der Vertragssituation entstehenden Rechtsprobleme werden zum täglichen Brot des Unternehmens. Zugleich ist das Versicherungsunternehmen - im Vergleich zum Versicherungsneh­ mer- in einer ungleich günstigeren Position, die aus der potentiellen Fremd­ heit einer Rechtsordnung erwachsenden Risiken und Kosten zu erkennen, zu steuern und organisatorisch zu bewältigen. Der Gesichtspunkt kollisions­ rechtlicher Neutralität kann insofern nicht greifen. Das bei einer generellen Anknüpfung an den Wohnsitz des Schuldners zu konstatierende Defizit an Versicherungsnehmerschutz hat man auf verschie­ denen Wegen zu korrigieren versucht. Bar122 und Ehrenberg123, beide Ver­ fechter einer Anknüpfung an das Domizil des Schuldners, schränken die Maßgeblichkeit des Sitzrechtes des Versicherers bei Vertragsabschlüssen

122 Bar II13, 148. 123 Ehrenberg (oben § 2 N. 103) 416 (im Anschluß an Bar II13).

über Agenten, Niederlassungen und Agenturen ein124; bei diesen gerade im Bereich der Massenversicherungen typischen Formen der Vertragsanbah­ nung soll das Recht am Sitz des Agenten oder der Niederlassung für die Verpflichtungen des Versicherers entscheiden125. Da in der Geschäftspraxis der Versicherungen Agenten, Agenturen und Niederlassungen ein be­ stimmtes Bearbeitungsgebiet zugewiesen wird, in dem die Agenten bzw. Repräsentaten ihren Wohnsitz haben, die Gebietsabgrenzung sich zugleich am - meist - inländischen Wohnsitz des Versicherungsnehmers orientiert, fuhrt diese modifizierte Anknüpfung für die Verpflichtungen des Versiche­ rers zu radikal anderen Ergebnissen: Die aus einem im Wohnsitzstaat des Versicherungsnehmers vermittelten Versicherungsvertrag erwachsenden Verpflichtungen beider Vertragspartner werden unter Vermeidung einer Vertragsspaltung einheitlich dem Umweltrecht des Versicherungsnehmers unterstellt126. Damit wird kollisionsrechtlicher Versicherungsnehmerschutz realisiert. Ähnliche Ergebnisse werden erreicht, wenn Versicherungsaufsichtsrecht für den inländischen Geschäftsbetrieb ausländischer Versicherer - insbesondere für alle Verträge mit im Inland wohnenden Versicherungsnehmern - eine im Inland belegene Agentur oder Niederlassung verlangt und für das Kolli­ sionsrecht daraus die Konsequenz gezogen wird127, daß für das Inlandsge­ schäft als Sitz des Versicherers die inländische Niederlassung anzusehen ist128. Damit werden aber die die kollisionsrechtliche Entscheidung determinie­ renden Abgrenzungen nicht mehr im Rahmen des Kollisionsrechts selbst entwickelt, sondern am Anwendungsanspruch des Versicherungsaufsichts­ rechts und den dahinter stehenden Wertungen ausgerichtet. 124 Ähnlich auch Jitta I 393 (soweit die Versicherung über eine Niederlassung arbeitet); Bruck 12 (jedoch mit aufsichtsrechtlicher Begründung). 125 Ehrenberg (oben § 2 N. 103) 417 macht dies zusätzlich davon abhängig, daß sich die Agenten der Landessprache bedienen; ebenso schon Bar II148. 126 Anders im Ergebnis, wenn der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitzstaat verläßt und in einem Geschäftsgebiet abschließt, das von einer anderen Rechtsordnung geprägt wird. Dann soll nach Bar II 149 N. 2a) die lex loci contractus den Vorrang vor dem Heimatrecht des Versicherungsnehmers haben. 127 So OAG Dresden 18. 2. 1869, Annalen N.F. 6 (1870) 167 (183ff.) (zu § 1 der Verordnung über den Geschäftsbetrieb ausländischer Versicherungsanstalten im Königreich Sachsen vom 16. 9. 1856, Ges.-VO-Blatt 1856, S. 400ff.); ROHG 20. 10. 1871, ROHGE 3, 339 (350); siehe dazu bereits oben § 2 II 2. 128 Bisweilen wird behauptet, mit der Errichtung einer inländischen Niederlassung verliere der ausländische Versicherer für den Umfang des inländischen Geschäftsbetriebes seine Eigen­ schaft als ausländisches Unternehmen; vgl. LG Hamburg 28. 3. 1934, IPRspr. 1935-44 Nr. 110 (S. 209); Bruck 29: „... obwohl die Niederlassung ihr Heimatrecht behält..., muß sie sich in privatrechtlicher Hinsicht für den Umfang ihres inländischen Geschäftsbetriebs ihrer Eigenschaft als Auslän­ der entäußern“. Zu einer ähnlichen Argumentation im französischen Recht siehe oben § 1 III.

Beide Modifikationen des Personalstatuts des Schuldners weisen über das Personalstatut als einer generellen Anknüpfung hinaus und eröffnen dem Kollisionsrecht die Möglichkeit, die Anknüpfung stärker an den im mate­ riellen Recht verwirklichten Schutzzielen, aber auch an den Geschäfts- und Vertriebsmethoden international tätiger Versicherungsunternehmen auszu­ richten. Diesen Ansatz gilt es wieder aufzunehmen.

II. Individualisierende Anknüpfungsmethode In diametralem Gegensatz zur generalisierenden Anknüpfungsmethode, die für das gesamte internationale Vertragsrecht mit einem einzigen, starren Anknüpfungsmoment arbeitet, steht die individualisierende Anknüpfung129, wie sie die deutsche Rechtsprechung mit dem „mutmaßlichen“ oder „hypo­ thetischen“ Parteiwillen seit langem praktiziert130. Die individualisierende Anknüpfung, von Kahn „mehr blendend als treffend“131 als „Prinzip der Prinziplosigkeit“132 charakterisiert, zieht die Konsequenz aus der Einsicht, daß befriedigende Ergebnisse im internationalen Vertragsrecht mit einer einzigen, starren Anknüpfung nicht zu erreichen sind133. Statt deshalb von der Eigenart des individuellen Vertrages und der Differenziertheit der wirt­ schaftlichen Sachverhalte zu abstrahieren, wird die Anknüpfungsentschei­ dung „von unten her“, durch Analyse der Parteiinteressen und der Vertrags­ verknüpfungen gesucht.

1. Die Rechtsprechung Vertragsindividualisierende Tendenzen lassen sich in der deutschen Recht­ sprechung bis in das letzte Jahrhundert zurückverfolgen. Während sich die Gerichte um die Mitte des 19. Jahrhunderts Entscheidungsspielraum da­ 129 Anhänger im Schrifttum sind etwa Nussbaum, Deutsches IPR 222; Wolff, IPR 142; Raape 474, 476; Gamillscheg, AcP 157 (1958/59) 303 (323f). 130 Rechtsvergleichende Hinweise bei Lando, Contracts Nr. 113E, 115f., 125ff. 131 Nussbaum, Deutsches IPR 222. 132 Kahn, Gesetzeskollisionen, in: Abhandlungen zum IPR I (1928) 1 (84). 133 In diesem Sinne bereits Bar II17: „... In gewissem Umfange... haben Diejenigen Recht, welche überhaupt für das Obligatio­ nenrecht keine allgemeine Regel gelten lassen wollen“. Seeler (oben § 2 N. 51) 33, 35; Mitteis (oben § 2 N. 51) 101; Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs des BGB, 14. 9. 1887, abgedruckt bei Hartwieg/Korkisch 91. Die deutsche Praxis zum internationalen Vertragsrecht erweist zugleich, daß die in der IPRMethodendiskussion weithin verbreitete Abgrenzung zu den „modernen“ amerikanischen Strömungen (hier: objektive Entscheidungsregeln [„rule“], dort: freie Einzelfallentscheidung [„approach“]; z. B. Münchener Komm. [-Sonnenberger] VII Einl. IPR Rz. 22) einer differen­ zierteren Stellungnahme bedarf.

durch sicherten, daß sie sich sowohl auf die lex loci contractus wie auch den Erfüllungsort beriefen134, führte das Reichsgericht mit dem mutmaßlichen Parteiwillen eine subjektiv gefärbte, gegenüber dem Erfüllungsort vorran­ gige Anknüpfung ein135, die - unter Berufung auf die vernünftigen Erwar­ tungen der Parteien136 und die Berücksichtigung aller Umstände137 - eine dem einzelnen Vertrag angemessene Rechtsanwendung ermöglichen sollte138. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wie auch der Untergerich­ te reduziert sich die Bedeutung des Erfüllungsortes139 als Anknüpfungsmo­ ment zu einem bloßen Notanker140, während sich die vertragsindividualisie­ rende Methode in Form der Anknüpfung an den sog. „hypothetischen“ Parteiwillen endgültig durchgesetzt hat141. Der hypothetische Parteiwille ist eine eigenständige - gegenüber dem ausdrücklichen und stillschweigenden Parteiwillen subsidiäre - Anknüpfung, die die kollisionsrechtliche Entschei­ dung nicht mehr, wie unter der Herrschaft des mutmaßlichen Partei willens, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung142 auf einen fingierten Partei­ willen, sondern auf eine objektive Interessen Wertung stützt143: „... es handelt

134 Siehe die Nachweise bei Gutzwiller (oben N. 39) 93 N. 38. 135 RG1.3. 1882, RGZ 6, 125 (130f.); 4.10. 1882, RGZ 9, 3 (9) (obiter dictum); 13. 11.1885, RGZ 14, 235 (239); 8. 7. 1882, RGZ 9, 225 (227); 4. 4. 1908, RGZ 68, 203 (205£); 19. 4. 1910, RGZ 73, 379 (383); 8. 6. 1918, RGZ 93, 166 (167); 29. 10. 1927, RGZ 118, 282 (283); 14. 11. 1929, RGZ 126, 196 (206, 209); 20. 3. 1936, RGZ 151, 193 (199); 17. 6. 1939, RGZ 161, 296 (298). 136 RG 1. 3. 1882, RGZ 6, 125 (130f.), spricht von einem „mittels freiester Interpretation“ unter „Ergänzung eines mangelhaften Parteiwillens im Sinne des Vernünftigen und Billigen“ zu ermittelnden Unterwerfungswillen der Parteien. 137 Im Sinne einer reinen Schwerpunktanalyse (ohne Bezug auf den mutmaßlichen Parteiwil­ len): RG 13. 2. 1891, SeuffA 47 (1892) Nr. 2; ebenso 26. 5. 1900, RGZ 46, 112 (113), wo auf die „Summe der wirtschaftlichen und rechtlichen Bezüge“ abgestellt wird. 138 Die Argumentation des Reichsgerichts erscheint paradox (siehe Kreuzer 69, 192): Wäh­ rend der Erfüllungsort von Savigny gerade mit dem vermuteten Willen der Vertragspartner begründet worden ist (Savigny VIII 201 f.), wird die Anknüpfung an den Erfüllungsort unter Berufung auf eben diesen vermuteten Partei willen eingeschränkt. RG 10. 5. 1884, RGZ 12, 34 (37), läßt offen, ob die Anknüpfung an den Erfüllungsort aus dem präsumptiven Unterwer­ fungswillen der Parteien oder (!) einem Rechtssatz folge. 139 Zuletzt maßgeblich in BGH 22. 9. 1971, BGHZ 57, 72 (76ff.) = IPRspr. 1971 Nr. 133; vgl. oben N. 59. 140 BGH 9. 3. 1979, WM 1979, 615 („äußerstenfalls“). 141 Umfangreiche Nachweise über die Rechtsprechung bei Staudinger(-Firsching), Inter­ nationales Schuldrecht I Rz 351 ff., 354. 142 So etwa RG 27. 1. 1928, RGZ 120, 70 (72); von der Ermittlung des „hypothetischen“ Parteiwillens im Wege der „ergänzender Vertragsauslegung“ spricht vereinzelt auch der Bun­ desgerichtshof; z.B. BGH 19. 10. 1960, JZ 1961, 261 = IPRspr. 1960-61 Nr. 28 (S. lllf.); 16. 10. 1958, IPRspr. 1958-59 Nr. 41 (S. 169); 15. 3. 1962, IPRspr. 1962-63 Nr. 41 (S. 108) (Bestimmung des Vertragsschwerpunktes als ergänzende Vertragsauslegung); vgl. auch LG Köln 1. 2. 1979, VersR 1979, 462 (463). 143 So BGH 30. 9. 1952, BGHZ 7, 231 (235); 14. 4. 1953, BGHZ 9, 221 (223) = IPRspr. 1952­ 53 Nr. 40; 22. 11. 1955, BGHZ 19, 110 (112f.) = IPRspr. 1954-55 Nr. 22; Kreuzer 73;

sich vielmehr darum, die Interessen der Beteiligten auf objektiver Grundlage abzuwägen und zu ermitteln, ob der Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses objektiv auf eine bestimmte Rechtsordnung für das ganze Vertrags Verhältnis hin weist“144. Der hypothetische Parteiiville ist damit eine Generalklausel, die den Gerichten bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts ein weitgehendes Ermessen einräumt. Die Struktur einer klassischen Kollisionsnorm bleibt zwar aufrechterhalten145. Mit der weitgehenden Unbestimmtheit (Elastizität)146 des Anknüpfungspunktes ist der Sache nach der entscheidungsleitende Regelcharakter der Kollisionsnorm der Ermächti­ gung an den Richter gewichen, die kollisionsrechtliche Entscheidung in einem „offenen“ Verfahren („approach“) zu gewinnen. Die Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens wird von der Rechtspre­ chung in drei Richtungen, dem Schwerpunkt des Vertrages, der Interessen­ lage der Parteien und der Eigenart des Sachverhalts, entfaltet, wobei in den Urteilsbegründungen diese Gesichtspunkte vielfach ineinanderfließen und sich wechselseitig verstärken. Für die Bestimmung des Schwerpunkts des Vertrages im Sinne einer engsten Beziehung zu einer Rechtsordnung147 werden eine Vielzahl von Umständen herange­ zogen148: Die Beziehungen der Vertragsparteien zu bestimmten Rechtsordnungen, das Um­ weltrecht (Wohnsitz), das Heimatrecht, der Sitz des Gewerbebetriebes, die Bezie­ hungen des Vertragsgegenstandes zu einer Rechtsordnung (Verträge über Grund­ stücke oder mit Bezug zu Grundstücken)149 sowie die Umstände der Vertragsanbah­ nung (Vertragsabschlußort) und der Vertragsdurchführung (Leistungs-, Erfüllungs­

Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz 361. Ablehnend gegenüber einer „Vertragslücke“ HansOLG Hamburg 30. 12. 1953, IPRspr. 1952-53 Nr. 21 (S. 65). Die mutmaßlichen Vorstellungen der Parteien spielen jedoch auch im Rahmen der objektiven Interessenwertung insofern eine Rolle, als es darum gehen muß, die wirtschaftliche Zweckrich­ tung des individuellen Vertrages zu erkennen: BGH 21. 10. 1964, IPRspr. 1964—65 Nr. 180 (S. 545). 144 BGH 19. 9. 1973, BGHZ 61, 221 (223) = IPRspr. 1973 Nr. 11. 145 Lando, Contracts Nr. 153. 146 RGRK(-Wengler) VI/1 237. 147 HansOLG Hamburg 30. 12. 1953, IPRspr. 1952-53 Nr. 21 (S. 65): „engste Beziehungen“; OLG Stuttgart 23. 5. 1960, IPRspr. 1960-61 Nr. 25 (S. 102): „engster räumlicher Zusammen­ hang“. 148 Indizienkataloge enthalten OLG Saarbrücken 3. 8. 1966, IPRspr. 1966-67 Nr. 55a) (S. 190f.); BGH 7. 5. 1969, WM 1969, 772 = IPRspr. 1968-69 Nr. 31; BAG 10. 5. 1975, IPRspr. 1975 Nr. 30b) (S. 56f). 149 Kaufverträge über Grundstücke: BGH 5. 2. 1954, IPRspr. 1954—55 Nr. 197; 16. 10. 1958, IPRspr. 1958-59 Nr. 41; vgl. dagegen BGH 23. 6. 1967, IPRspr. 1966-67 Nr. 28; 4. 7. 1969, BGHZ 52, 239. Werkvertrag: BGH 30. 7. 1954, IPRspr. 1954-55 Nr. 1. Den Lagerungsort bei Verkauf beweglicher Sache berücksichtigen: BGH 19. 9. 1973 (oben N. 144) 225; 7. 5. 1969, WM 1969, 772.

ort)150. Ein starkes Übergewicht der Indizien, die auf eine Rechtsordnung hindeuten, soll den Schwerpunkt des Vertrages bilden und dadurch auf das anzuwendende Recht hinfuhren. Die Abwägung der kollisionsrechtlichen Interessen der Parteien auf objekti­ ver Grundlage ist ein vielschichtiger, von der Rechtsprechung keineswegs immer mit der notwendigen Klarheit offen gelegter Vorgang. Die Maßgeb­ lichkeit des Schwerpunktes für die Vertragsanknüpfung orientiert sich inso­ weit an den Parteiinteressen, als damit der Vertrag einem Recht unterstellt werden soll, mit dessen Anwendung die Parteien rechnen konnten und auf dessen Anwendung sie sich unter den Umständen des Falles auch eingestellt haben. Zugleich fließen Vorstellungen und Wertungen über die Parteiinter­ essen in die Schwerpunktanalyse ein, wenn bestimmten Faktoren in be­ stimmten Sachverhalten nur geringes oder gar kein Gewicht zugemessen wird151, anderen Umständen aber - allein oder in Kombination - große Bedeutung zukommen soll152.

Hinter solchen Bewertungen mögen zum Teil auch allgemeine Vorstellungen über eine zweckmäßige Ordnung bestimmter, als typisch erkannter, wirtschaftlicher Sachverhalte stehen. Solche Vorstellungen sind zum Teil explizit zur Grundlage kollisionsrechtlicher Entscheidungsfindung gemacht worden, wenn für den Rechts­ anwaltsvertrag der Ort der Niederlassung des Anwalts als Anknüpfungspunkt be­ stimmt wird, weil der Vertrag des Anwalts mit dem Klienten demselben Recht unterworfen sein soll, dem der Anwalt für seine Berufsausübung untersteht153. Für den Handelsvertretervertrag hat die Judikatur die Rechtsordnung des Tätigkeitslan­ des des Vertreters für maßgebend bezeichnet154, weil das Interesse des Handelsvertre­ 150 OLG Düsseldorf28. 9. 1970, IPRspr. 1970 Nr. 15; BGH 26. 6.1968, IPRspr. 1968-69Nr. 28; OLG Koblenz 10. 10. 1972, IPRspr. 1974 Nr. la). 151 BAG 10. 4. 1975, IPRspr. 1975 Nr. 30b) (S. 56f.) (unwesentlich seien der Arbeitsort des Arbeitnehmers, da ständig wechselnd, der Wohnort des Arbeitnehmers, der Ort des Vertrags­ schlusses, die Auszahlung des Gehalts in einer bestimmten Währung); BGH 7. 5. 1969, WM 1969, 772ff. = IPRspr. 1968-69 Nr. 31 (Unmaßgeblichkeit vertragsbezogener Indizien); 22. 11. 1955, BGHZ 19, 110 (112 f.) = IPRspr. 1954-55 Nr. 22 (Unmaßgeblichkeit vertragsbezogener Indizien wie Sprache, Währung, Zahlstelle). 152 BGH 19. 9. 1973 (oben N. 144) 224, 225 (Sitz des Verkäufers habe „keine geringe und zusammen mit anderen Umständen sogar die entscheidende Bedeutung“); wirtschaftlicher Schwerpunkt der Tätigkeit des „charakteristisch“ Leistenden: BGH 22. 11. 1955 (vorige Note) (Sitz des Verlegers); vgl. auch BGH 11.7. 1957, BGHZ 25, 127 = IPRspr. 1956-57 Nr. 34 (S. 130); BGH 3. 7. 1959, IPRspr. 1958-59 Nr. 53; BGH 29. 3. 1960, IPRspr. 1960-61 Nr. 153; OLG Düsseldorf 4. 8. 1961, IPRspr. 1960-61 Nr. 152; BGH 19. 11. 1962, IPRspr. 1962-63 Nr. 22. 153 BGH 18./28. 10. 1965, BGHZ 44, 183 = IPRspr. 1964-65 Nr. 49. 154 Sofern der Handelsvertreter dort auch seine Niederlassung hat: BGH 16. 3. 1970, BGHZ 53, 332 = IPRspr. 1970 Nr. 121b); BGH 28. 11. 1980, NJW 1981, 1899 (1900) = IPRspr. 1980 Nr. 29; vgl. auch BGH 15. 3. 1962, IPRspr. 1962-63 Nr. 41; mit gleichem Ergebnis für den Kommissionsvertrag: BGH 23. 11. 1964, IPRspr. 1964—65 Nr. 40. Primär die Interessen eines multinational arbeitenden Unternehmens hatten im Gegensatz dazu Entscheidungen der In­

ters (als der zumeist schwächeren Vertragspartei) an der „Anwendung des ihm vertrauten Heimatrechts“ Vorzugs würdig sei155. Der Erleichterung eines weltweiten Wirtschaftsverkehrs eines Unternehmens dient es, wenn die oftmals standardisierten Verträge durch Anknüpfung an den Sitz dieses Unternehmens einer einheitlichen Beurteilung unterliegen156. . Die Berücksichtigung und Abwägung der Parteiinteressen ermöglicht ande­ rerseits eine stark individualisierende, auf die Besonderheiten des einzelnen Vertrages Rücksicht nehmende Entscheidungsfindung. Diese individualisie­ rende Tendenz wird deutlich, wenn etwa bei der Schwerpunkt-Analyse und der Konkretisierung des engsten Zusammenhangs Momente und Indizien des individuellen Vertrages, wie Sprache, Währung, Vereinbarung eines Gerichtsstands, Verwendung von Formularen157, herangezogen werden, die zugleich für den Nachweis eines stillschweigenden Parteiwillens158 dienen können159. Die Rechtsprechung hat zwar wiederholt klargestellt, daß es sich bei der Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens nicht um eine „Feststel­ lung hypothetischer subjektiver Vorstellungen der Parteien“ im Hinblick auf ein anzuwendendes Recht handele160. Dies schließt aber nicht aus, subjektive, im Sinne von parteibezogene, Momente gebührend zu berücksichtigen.

stanzgerichte im Auge, wenn sie die Anknüpfung an den Sitz des Unternehmens mit den Organisations-, Vertriebs- und Verrechnungsmethoden der Unternehmen begründeten: Hans­ OLG Hamburg 12. 10. 1972, IPRspr. 1972 Nr. 12 (S. 26); OLG Düsseldorf 18. 6. 1974, IPRspr. 1974 Nr. 17. 155 BGH 9. 3. 1977, NJW 1977, 1586 = IPRspr. 1977 Nr. 12. 156 OLG Hamburg 30. 5. 1963, IPRspr. 1962-63 Nr. 28 (BP-London); vgl. auch BGH 9. 10. 1979, VersR 1979, 1141 (1143) = IPRspr. 1979 Nr. 32 (Sitz des Flugunternehmens für einen Luftbeforderungsvertrag); 9. 10. 1979, VersR 1980, 130; anders LG Hamburg 7. 9. 1977, RIW/ AWD 1977, 652 = IPRspr. 1977 Nr. 33 (Luftfrachtvertrag). 157 Siehe etwa OLG Zweibrücken 25. 3. 1965, IPRspr. 1964—65 Nr. 223 (Gerichtsstand); LArbG Berlin 16. 1. 1974, IPRspr. 1975 Nr. 30a) (Sprache des Vertrages); OLG Düsseldorf 28. 9. 1970, IPRspr. 1970 Nr. 15 (Sprache, Währung); OLG Saarbrücken 3. 8. 1966, IPRspr. 1966­ 67 Nr. 55a) (Sprache des Vertrages, Verwendung von Formularen); OLG Köln 12. 5. 1975, IPRspr. 1975 Nr. 12 (Sprache, Währung); BAG 10. 4. 1975, IPRspr. 1975 Nr. 30b) (Sprache, Währung). 158 BGH 30. 4. 1959, IPRspr. 1958-59 Nr. 75 (S. 282f.), trifft keine Unterscheidung zwi­ schen dem „stillschweigenden“ und „mutmaßlichen“ Parteiwillen. 159 Vgl. die Nachweise bei Staudinger(-Firsching), Internationales Schuldrecht I Rz. 355; Soergel(-Kegel) VIII Vor Art. 7 EGBGB Rz. 351 N. 3. 160 BGH 20. 3. 1956, WM 1956, 792 = IPRspr. 1956-57 Nr. 54; BGH 10.1.1958, NJW 1958, 418 = IPRspr. 1958-59 Nr. 37; BGH 10. 10. 1960, JZ 1961, 261 = IPRspr. 1960-61 Nr. 28; HansOLG Hamburg 30. 12. 1953, IPRspr. 1952-53 Nr. 21 (S. 64): Es „gehe nicht um die psychologische Erforschung subjektiver Vorstellungen der Parteien und ihrer Ergänzung im Wege psychologischer Fiktionen... “; LArbG Berlin 16. 1. 1974, IPRspr. 1975 Nr. 30a) (S. 51) (eine Vertragspartei solle nicht mit dem - im Prozeß Stadium leicht erhebbaren - Einwand gehört werden können, der Vertrag wäre nicht abgeschlossen worden, wenn dieser einer anderen als der von ihm subjektiv gewollten Rechtsordnung zugeordnet wird).

Die globale Schwerpunktanalyse wird von der Praxis oftmals mit der Prüfung der Frage eingeleitet bzw. verbunden, welche Rechtsordnung die Vertragsparteien redli­ cher- und vernünftigerweise gewählt hätten, falls sie sich bei Vertragsschluß über die Rechts wähl Gedanken gemacht hätten161. Diese subjektive Wendung wird man primär dahingehend verstehen müssen, daß die kollisionsrechtliche Entscheidung, auch wenn sie auf „objektiver Grundlage“162 erfolgt, zugleich den denkbar vernünfti­ gen - wenn auch typisierten - Erwartungen der konkreten Vertragspartner entspre­ chen soll. Dies reicht sicher nicht aus, um bei internationalen Vertragsverhältnissen eine eindeutige Entscheidung zu treffen, mag aber - in negativer Hinsicht - vermei­ den helfen, eine Rechtsordnung zur Anwendung zu bringen, mit der beide Parteien nicht gerechnet haben163. Subjektive Momente können aber auch insoweit maßgebend werden, als die mit dem Vertrag verfolgten wirtschaftlichen Zwecke164 der 165 Parteien Rückschlüsse auf die Interessenlage ermöglichen163 bzw. dem Vertrag eine besondere Eigenart verleihen, die eine besondere, von anderen typischen Geschäften abgehobene Interessenwer­ tung verlangen kann166. 167

Die Anknüpfung an den hypothetischen Parteiwillen soll mit Rücksicht auf die „Eigenart des Sachverhalts