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German Pages 167 Year 1994
THOMAS BENEDIKT SCHMIDT
Das Günstigkeitsprinzip im Tarifvertragsund Betriebsverfassungsrecht
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 132
Das Günstigkeitsprinzip im Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsrecht Zugleich ein Beitrag zum Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung
Von
Thomas Benedikt Schmidt
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Schmidt, Thomas Benedikt: Das Günstigkeitsprinzip im Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsrecht : zugleich ein Beitrag zum Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung / von Thomas Benedikt Schmidt. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd. 132) Zug\.: Trier, Univ., Diss., 1993/94 ISBN 3-428-08165-X NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-08165-X
Für Bettina
Vorwort Die vorliegende Schrift wurde im Wintersemester 1993 /94 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum sind bis zu diesem Zeitpunkt berücksichtigt. Zu danken habe ich Herrn Prof. Dr. Rolf Birk, der die Dissertation als Zweitberichterstatter begutachtet hat. Weiterer Dank gilt Frau Maria Donner für die Betreuung des Manuskripts. Vor allen anderen aber bin ich meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Horst Ehmann zu Dank verpflichtet, der diese Arbeit angeregt und durch seine fortwährende Bereitschaft zur kritischen Diskussion der Sachfragen in jeder nur wünschenswerten Weise gefördert hat. Leiwen, im Arpril1994
Thomas Benedikt Schmidt
Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung .............................................. .
...... 17
I. Das wirtschaftliche Problem ......................................................... ..
...... 17
n. Das rechtliche Problem .......................................................... .
.............................................. 20
1. Begriff und Geltungsbereich des Günstigkeitsprinzips
...... 20
2. Offene Fragen ........................................................................ ..
...... 22
§ 2 Die historischen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips .
....... 25
I. Die tarifvertragliche Geschichte des Günstigkeitsprinzips ...
....... 25
1. Die Entwicklung bis zur Tarifvertragsverordnung von 1918 .. 2. Die Tarifvertragsverordnung .....
...... 25
....................... . .. .............. ........................................... 30
n. Die betriebsverfassungsrechtliche Geschichte des Günstigkeitsprinzips. ..
...... 32
1. Die Entwicklung bis zum Betriebsrätegesetz von 1920 ....................................................... 32 a) Die vorgesetzliche Phase .............................
.. ................................................... 32
b) Die gesetzlichen Markierungspunlete ..
....... 35
c) Das Arbeiterschutzgesetz ................................... ..
...... 36
2. Das Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920 ...... ................... .
....... 40
lll. Zwischenbilanz .............. ..................... ................ ... .. ....................................... ................ 42 IV. Das Günstigkeitsprinzip als zwingender Rechtssatz ..
l. Die ideologischen Vorgaben ab 1933 2. Die gesetzlichen Vorgaben des AOG .......................................................... .. 3. Nipperdeys dogmatische Begründung des Günstigkeitsprinzips ..
V. Das Verhältnis der Gesamtvereinbarungen zueinander .. 1. Vor Erlaß der TVVO ................................................. .
. ... 44 ....... 44 .. ............................. 45 ...... 46
....... 48 ....... 48
10
Inhaltsverzeichnis
2. Nach Erlaß der TVVO .......................................................................................................................................... 48 3. Nach Erlaß des AOG .............................................................................................................................................. 51 VI. Ergebnis .................................................................................................................................................................................... 52
§ 3 Die rechtlichen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips............................................................ 54 I. Die einfachgesetzliche Lösung (§ 4 m TVG) .......................................................................................... 54 ll. Der verfassungsrechtliche Ralunen (Art. 9 m Satz 1 00) ........................................................... 55
m. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips ....................................... 60 1. Verankerung in Art. 9 m Satz 1 00 ........................................................................................................ 61 a) Der Meinungsstand ........................................................................................................................................ 61 b) Das Günstigkeitsprinzip als Einrichtungsgarantie? .......................................................... 62 c) Das Günstigkeitsprinzip als "immanente Schranke"? ..................................................... 66 2. Privatautonornie und Kollektivrnacht ...................................................................................................... 67 3. Das Subsidiaritätsprinzip ................................................................................................................................... 70 IV. Das Günstigkeitsprinzip im Betriebsverfassungsrecht .................................................................. 75 V. Ergebnis ................................................................................................................................................................................... 77
§ 4 Das Günstigkeitsprinzip als Kollisionsregel ..................................................................................... 79 I. Kollektivnorm und Einzelarbeitsvertrag ....................................................................................................... 79 1. Einschränkungen des Günstigkeitsprinzips im Betriebsverfassungsrecht .............. 79 a) Betriebsnormen ................................................................................................................................................. 79 b) Die Ablösung allgemeiner Arbeitsbedingungen .................................................................. 85 2. Negative Inhaltsnormen ....................................................................................................................................... 90
ll. Die Kollision von Kollektivnormen .................................................................................................................. 93 1. Lex posterior derogat legi priori .................................................................................................................. 93 2. Tarifkonkurrenzen .................................................................................................................................................... 94 3. Die Kollision von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung ................................................... 96 a) Die grundsätzliche Geltung des Günstigkeitsprinzips ................................................. 96
Inhaltsverzeichnis
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b) Betriebsnonnen ................................................................................................................................................. 98 c) Die Reichweite des Tarifvorbehalts (§ 77 mBetrVG) .................................................. 99 (1) Problemstellung ......................................................................................................................................... 99 (2) Derogation des § 77 mBetrVG? ............................................................................................ 100 (3) Die Vorrangtheorie .............................................................................................................................. 102 (4) Beschränkung aufInhaltsnonnen ........................................................................................... 105 (5) Ergebnis ........................................................................................................................................................ 106 d) Das Verhältnis von § 4 mTVG und § 77 mBetrVG ................................................. 106 (I) Problemstellung ..................................................................................................................................... 106 (2) Das historische Verhältnis ............................................................................................................ 107 (3) Das systematische Verhältnis .................................................................................................... 109 (4) Gefllhrden begünstigende Betriebsvereinbarungen die Tarifautonomie? .................................................................................................................................................... 113 e) Ergebnis ............................................................................................................................................................... 115
m. Der Günstigkeitsvergleich ...................................................................................................................................... 115 1. Der Bezugspunkt ..................................................................................................................................................... 116 a) Der einzelne Arbeitnehmer ................................................................................................................. 116 b) Der "kollektive Günstigkeitsvergleich" ................................................................................... 117 2. Die Vergleichsgegenstände ........................................................................................................................... 118 a) Der Gruppenvergleich .............................................................................................................................. 118 (1) Der Meinungsstand ............................................................................................................................. 118 (2) Kompensation untertariflicher Arbeitsbedingungen? ........................................... 121 (3) Der Tarifvertrag als Handelsobjekt? ................................................................................... 122 (4) Das Fehlen sicherer Maßstäbe .................................................................................................. 123 (5) Ergebnis ........................................................................................................................................................ 123 b) Der Gesamtvergleich ................................................................................................................................ 123 3. Bewertungsmaßstab und berücksichtigungsfähige Umstände ........................................ 124 a) Der Maßstab ..................................................................................................................................................... 124
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Inhaltsverzeichnis
b) Berilcksichtigungsfliliige Umstände ............................................................................................ 125 (1) Persönliche Einzelfallwnstände ............................................................................................... 125 (2) Der Arbeitsplatz ..................................................................................................................................... 126 (3) Die Betriebsexistenz .......................................................................................................................... 128 4. Besonderheiten im Verhältnis von Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag .... 129 a) Der Bezugspunkt bei Betriebsnonnen ..................................................................................... 129 b) Die Zweifelsregel ..................................................................................................................................... 130 IV. Die existenzsichernde Betriebsvereinbarung .................................................................................... 131
§ 5 Günstigkeitsprinzip und Arbeitszeit ......................................................................................... 134 I. Problemstellung ....................................................................................................................................................... 134
11. Tarifmacht für Arbeitszeitregelungen ............................................................................................... 135 lll. Der Sachzusammenhang zwischen Arbeitszeit und Arbeitsentgelt ................... 136 IV. Arbeitszeitregelungen als verbindliche Mindestnormen ............................................ 138 V. Arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen .................................. ..
.. ....................................... 139
VI. Das Wahlrecht des Arbeitnehmers ................................................................................................ 140 Vll. Die Tarifregelung als negative Inhaltsnorm oder als Betriebsnorm .............. 142 Vlll. Ergebnis ................................................................................................................................................................ 144
§ 6 Zusammenfassung der wesentlichsten Ergebnisse Literaturverzeichnis ..................................................................... .
.................................. 146 ................................................................ 149
Abkürzungsverzeichnis aA a.a.O. AcP
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AK Arun. AOG AöR AP ArbG ArbGG AR-BI. ARS AT Aufl. AuR AZO BAG BAGE BayGVBI BayVBI BB Bd. Beil. BeschFG Beschl. BetrVG BGB BGBl BRG
anderer Ansicht am angegebenen Ort Archiv ftlr civilistische Praxis Archiv ftlr Kommunalwissenschaft Arbeitsrecht im Betrieb Alternativkommentar Arunerkung Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrechtsblattei Arbeitsrechtssammlung, Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte (Bensheimer Sammlung) Allgemeiner Teil Auflage Arbeit und Recht Arbeitszeitordnung Bundesarbeitsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des BAG Gesetz- und Verordnungs-Blatt für das Königreich Bayern Bayerische Verwaltungsblätter Der Betriebs-Berater Band Beilage Beschäftigungsförderungsgesetz Beschluß Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Betriebsrätegesetz
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BT-Drucksache BVerfG BVerfGE BVerwG DAG DB ders. Diss. DJT DKKS DMG
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DRdA E.d.Verf. EG EuZW EzA FAKH
FamRZ
FAZ
Fn. FS G GBl. GewGer GewKfmG GewO GG GK GKSB HbdSt Hd.Verf. HGB HilfsdienstG HKZZ
h.M. Hrsg.
AbkQrzungsverzeichnis
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AbkOrzungsverzeichnis
hrsg. HSG i.d.R. IG i.S. JR JW JZ KAB LAG LAGE Lb. LdR
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m.w.N. NJW Nr. NZA NZfA PrGS
RABl RAG RdA RG RGBI RGStr RGZ RhPf RM Rn. Rspr.
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SchlichtVO SchliW SGB Sp. SprAuG TO TreuhG TVG
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TVVO
VerroH
VerwArchiv VO Vorb.
WM
WRV ZfA ZifI zit. zust.
AbkOrzungsverzeichnis
Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten Verfassungsgerichtshof Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verordnung Vorbemerkung Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift) Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift fur Arbeitsrecht Ziffer zitiert zustimmend
§ 1 Einleitung I. Das wirtschaftliche Problem 1. In Zeiten globalisierter Märkte und hoher unternehmerischer Mobilität hängt die wirtschaftliche Attraktivität eines Industriestandortes wesentlich auch von den rechtlichen Rahmenbedingungen der Produktion ab. Neben Steuern, Sozialabgaben, Umweltschutzauflagen und staatlichen Genehmigungsverfahren ist hierbei gerade die konkrete Gestaltbarkeit der Arbeitsverhältnisse, also der Vertragsbeziehungen1 zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ein besonders gewichtiger Faktor. Der immer härter werdende Wettbewerb auf dem Weltmarkt und die von Handelsschranken befreite offene Konkurrenz auf dem europäischen Binnenmarkt machen eine möglichst hohe Flexibilität2 bei der Gestaltung von Lohn und Arbeitszeit zu einer zentralen Kategorie betrieblicher Überlebensstrategien. Mit ganz besonderer Schärfe zeigt dieses sich derzeit fur die Betriebe in den Bundesländern auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, deren Fortexistenz häufig nur bei maßgeschneiderten Arbeitsverhältnissen möglich scheint. Hierbei repräsentiert die Krise in den neuen Bundesländern aber nur die allgemeine Schwierigkeit, auf strukturellen Wandel flexibel genug zu reagieren, um erforderliche Umstrukturierungen arbeitsmarktverträglich bewältigen zu können. 3 Ist es heute der historische Schritt aus der sozialistischen Abschottungswirtschaft in den freien Wettbewerb des Marktes, der das Problem fokusartig ins Blickfeld zwingt, so hatten die Industriekrisen in den siebziger und frühen achtziger 1 In die Volkswirtschaftslehre hat diese Erkenntnis als "Vertragstheorie" Eingang gefunden. So sieht etwa Barbara Krog ("Die Entzauberung der Samurai", FAZ v. 10. 4. 1993, S.13) gerade auch in den besonderen Arbeitsvertragsgestaltungen einen Erklärungsansatz filr die Überlegenheit der japanischen Wirtschaft. 2 Donges, Deregulierung am Arbeitsmarkt, S.37 ff; Donges et. al. (Kronberger Kreis), Wirtschaftspolitik fUr das geeinte Deutschland, S.19 f, 53 ff; Engels et. al. (Kronberger Kreis), Mehr Markt im Arbeitsrecht, S.16 ff; Fels, in: FS fUr Giersch, S.211 ff; Soltwedel et. al., Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt, S.184 ff; Woll, in: Aufderheide (Hrsg.), Deregulierung und Privatisierung, S.106 ff; Deregulierongskommission der Bundesregierung, Vorschläge 86 und 87 (=Nr.597 ft); UNICE (Europäische Industrie- und Arbeitgebervereinigung), Pressemitteilung vom 4. 1. 1993, Punkt 5: "Make labour laws and practices more flexible". 3 Paque, Kie1er Arbeitspapiere, Nr. 489, S.69. 2 Th. B. Schmidt
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§ 1 Einleitung
Jahren doch grundsätzlich ähnliche Ursachen und auch ähnliche Konsequenzen. Die Kostensteigerungen bei Rohstoffen und anderen Produktionsfaktoren, begleitet von veränderten Nachfragestrukturen auf dem Weltmarkt und erhöhtem Konkurrenzdruck aus Billiglohnländern, erzwangen in den betroffenen Branchen einen Strukturwandel, der vornehmlich zu Veränderungen der Produktpalette und zur Erhöhung der Produktivität durch Rationalisierung fuhrte. Heute fehlt es wie damals an der notwendigen Flexibilität bei Lohn und Arbeitszeit, um die erforderlichen Anpassungen ohne massenhafte Freisetzung von Arbeitskräften zu bewältigen. 4 Dies wiegt um so schwerer, als die Erfahrung aus den beiden letzten großen Industriekrisen (1974-75 und 1981-83)5 gelehrt hat, daß sich Massenarbeitslosigkeit nach dem erfolgten Strukturwandel nicht wieder vollständig abbaut, sondern einen festen Sockel von Beschäftigungslosen hinterläßt. Die Langzeitarbeitslosigkeit in den großen Städten des Ruhrgebietes ist dafur beredtes Beispiel. Eine neue Dimension hat diese Problematik mit dem Zusammenbruch Osteuropas bekommen. Die zentralistische Steuerung der Arbeitsbedingungen in der Bundesrepublik durch langkettige Flächentarifvertäge6 beginnt sich langsam zu einem "Fluch" zu wandeln, seit die Gefahr real geworden ist, daß die einstürzenden Grenzmauern auch das große Lohnkartell zerschlagen werden. Bedingt durch eine ständige Abnahme der Fertigungstiefe und die scheinbar problemlose Auslagerungsmöglichkeit von Produktionsteilen in "Billiglohnländer", exportiert die Bundesrepublik neben Industriegütern heute in zunehmendem Maße auch Arbeitsplätze ins Ausland. Die Höhe der Löhne und die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit mögen auf die Wahl des Produktionsstandortes solange keine gravierenden Auswirkungen gehabt haben, wie die Alternativstandorte im wesentlichen gleiche Bedingungen aufwiesen (Kartellwirkung des Tarifvertrages). Für denjenigen, der heute entscheiden muß, wo er produzieren läßt, besitzen diese Daten aber eine ganz entscheidende Relevanz, denn seine Alternativen außerhalb des Tarifraumes liegen vor der "Haustür". Der Unternehmer wird zum "Weltbürger". Dem Automobilhersteller Daimler-Benz kommt hier sicher nur eine Vorreiterrolle zu, wenn er seine Produkte künftig nicht mehr unter dem Zeichen "made in Germany", sondern unter "made by Mercedes" vertreiben wird. Der veränderte Stellenwert, den die konkreten Arbeitsbedingungen fur den 4 Giersch, "Wenn die Arbeit zu teuer wird", FAZ v. 31. 12. 1993, S.13; Paque, Kieler Arbeitspapiere, Nr. 489, S.3 ff; vg1. auch ders., Kieler Arbeitspapiere, Nr. 407. 5 Paque, in: Neubourg (Hrsg.), The Art ofFull Employment, S.506. 6 Nahezu 90 % aller Arbeitsverhältnisse werden inhaltlich direkt oder indirekt (über individual vertragliche Verweisung) durch Tarifverträge bestimmt (Schwedes, Übersicht, S.281).
I. Das wirtschaftliche Problem
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Standort des einzelnen Unternehmens gewonnen haben, verlangt fiir die Festlegung dieser Bedingungen einen neuen, betriebsbezogeneren Mechanismus. Will man verhindern, daß einheimische Arbeitsplätze in großem Stil vernichtet werden, so darf man sich nicht darauf verlassen, daß branchenoder gar bundesweit getroffene Tarifvereinbarungen "zufallig" auch den konkreten Erfordernissen des Einzelunternehmens gerecht werden. Nur wer die realen Entwicklungen ausblendet und seine Sicht auf die (noch) Arbeitsplatzbesitzer verengt, wird sich der Einsicht verstellen, daß die Zeit der großflächigen Tarifverträge zugunsten betriebsbezogener flexiblerer Regelungen abläuft. Karl Jaspers hat den Satz geprägt, daß neue Techniken auch neues Recht hervorbringen. So wie Dampfmaschine und Transmissionsriemen maßgeblich an der Konstitution des Tarifvertragswesen beteiligt waren7, indem sie große Menschenmassen vom Land in die Städte zogen und dort zur Arbeiterklasse formten, so werden unter den konkreten Gegebenheiten des Marktes auch die "neuen Technologien" letztlich einen Wandel von der Tarif- zu mehr Betriebsautonomie8 erzwingen. 2. Den rechtlichen Ausgangspunkt des Problems mangelnder Flexibilität bildet die Struktur unseres Tarifvertragsrechts. Da der Tarifvertrag regelmäßig eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen erfaßt und für Betriebe unterschiedlichster Wirtschaftskraft gilt, kann er naturgemäß nur sehr allgemeine Regelungen auf volkswirtschaftlicher oder allenfalls branchenspezifischer Grundlage treffen und deshalb weder den Besonderheiten des Einzelbetriebes noch denen des Einzelarbeitsplatzes vollkommen gerecht werden. Zum Problem wird dieser Umstand dadurch, daß der Gesetzgeber den Tarifvertrag mit Vorrang9 gegenüber den anderen arbeitsrechtlichen Gestaltungsmitteln Vgl. Ehmann, NZA 1991, S.5. In. diesem Sinne: Z6llner, ZfA 1988, S.278 f; Albeck / Barbier / Fels / Loritz / Rüthers / Watrin / Sievert, "Den Platz im Korridor suchen", FAZ v. 5. 6. 1993, S.13; Ehmann, in: Bittburger Gespräche, Jahrbuch 1985, S.34; ders., in: Mohler (Hrsg.), Wirklichkeit als Tabu, S.74 f; ders., in: Giger I Lindner (Hrsg.), Sozialismus - Ende einer lllusion, 8.599 f; ders., RdA 1990, S.77 ff; ders., NZA 1991, 8.1 ff; ders., Die neue Ordnung 1992, S.255 f; Buchner, RdA 90, 8.17 f; Reuter, ZfA 1993, 8.224 ff; ders., RdA 1991, S.193 ff; ders., in: Soltwedel et. al., Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt, 8.195 ff; Adomeit, Das Arbeitsrecht und unsere wirtschaftliche Zukunft, 8.35 ff; Konzen, ZfA 1991, S.396 ff; Engels et. al. (Kronberger Kreis), Mehr Markt im Arbeitsrecht, S.21 f; ders., Mehr Mut zum Markt, S.15; Woll, in: Aufderheide (Hrsg.), Deregulierung und Privatisierung, S.108; Paque, "Ein Test f1.lr die Tarifautonomie", FAZ v. 30.1.1993, S.13. Ablehnend: Hanau, RdA 1993, S.l ff; Kissel, NZA 1986, S.78 ff; Zachert, AuR 1993, S.97 ff. 9 Vgl. § 77 m , § 87 lEingangssatz BetrVG und § 4 I 8atz 1 TVG. 7
8
20
§ 1 Einleitung
ausgestattet und somit einzelfallorientierte Anpassungen beträchtlich erschwert hat. Die Gefahr, daß der Tarifvertrag als stählernes Korsett jedwede Flexibilität erstickt, wird jedoch mittels einer Durchbrechungsmöglichkeit eben jenes Vorrangs, die ebenfalls im Tarifrecht (§ 4 III TVG) verankert ist, etwas gemildert. Danach sind "abweichende Abmachungen" vom Tarifvertrag dann erlaubt, wenn sie den Arbeitnehmer begünstigen (Günstigkeitsprinzip). AIs einzige vom Willen der Tarifpartner unabhängige lO Durchbrechungsmöglichkeit des Tarifvorrangs ll hat das Günstigkeitsprinzip in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt. Die einen 12 hoffen, mit seiner Hilfe zumindest im Bereich der Wochen arbeitszeit einen Weg zur flexibleren Gestaltung der Arbeitsbedingungen zu fmden. Andere 13 wollen Standortsicherung betreiben, indem sie untertariflichen Lohn als "begünstigend" bewerten, wenn dadurch der betroffene Betrieb vor dem Konkurs bewahrt werden könnte. Wer nun im Günstigkeitsprinzip einen möglichen Flexibilisierungsmechanismus zu sehen glaubt, hat ernüchternd zur Kenntnis zu nehmen, daß der Große Senat des BAGl4, ebenfalls mit Berufung auf dieses Prinzip, eine flexible Anpassung betrieblicher Sozialleistungen an sich verschlechternde Wirtschaftsbedingungen verhindert hat. Die Wirkungen des Günstigkeitsprinzips scheinen also durchaus zweischneidig. Aufgabe dieser Untersuchung wird es nun sein, dieser scheinbaren Zwei schneidigkeit nachzugehen und die Grundlagen und Gren-zen des Günstigkeitsprinzips herauszuarbeiten. Neben den gerade angesprochenen Fällen gilt es hierbei insbesondere zu klären, ob der Anwendungsbereich des Günstigkeitsprinzips auf den Einzelarbeitsvertrag beschränkt ist oder ob auch günstigere Betriebsvereinbarungen, unbeschadet des in § 77 III BetrVG verordneten Tarifvorrangs, dem Tarifvertrag vorgehen und damit zu einer sachnäheren Gestaltung der Arbeitsbedingungen beitragen können.
11. Das rechtliche Problem 1. Begriff und Geltungsbereich des Günstigkeitsprinzips
a) Nach einer gängigen Defmition wirkt das arbeitsrechtliche Günstigkeitsprinzip (vornehmlich) als eine Kollisionsregel, nach welcher von mehre10 Es ist den Tarifvertragsparteien auch möglich, freiwillig auf den Vorrang ihrer Vereinbarung zu verzichten (§ 4 III Alt. 1 TVG - sog. "Öffuungsklauseln"). 11 Der Begriff ist hier in einem untechnischen Sinne gebraucht. 12 Z6llner, DB 1989, S.2124 ff. \3 Adomeit, NJW 1984, S.26 f. 14 BAG (GS) AP Nr.17 zu § 77 BetrVG 1972.
II. Das rechtliche Problem
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ren dasselbe Rechtsverhältnis gestaltenden Normen verschiedenen Ranges detjenigen der Vorzug gebührt, die fiir den Arbeitnehmer günstiger ist. 15 In § 4 III TVG16 ist dies für das Verhältnis von Tarifvertrag und Arbeitsvertrag zwingend 17 angeordnet. Soweit der Arbeitsvertrag günstigere Bedingungen enthält als der Tarifvertrag, durchbricht er dessen zwingende Wirkung 18 und verdrängt die Tarifnorm. Die durch §§ 4 I Satz 1, 4 III TVG angeordnete "Unabdingbarkeit"19 wirkt somit nur als Schutz vor Verschlechterungen. Man spricht daher auch von "einseitig zwingenden" oder "halbzwingenden" Normen des Tarifvertrages, die fur Verbesserungen zur Disposition stehen. In Rspr. und Literatur herrscht Einigkeit darüber, daß § 4 III TVG als Kollisionsregel zumindest zwischen Tarifvertrag und Individualarbeitsvertrag wirkt und daß er über seinen Wortlaut hinaus die Vereinbarung von Höchstnormen verbietet. Den Tarifvertragsparteien ist es demnach verwehrt, Maximalarbeitsbedingungen im normativen Teil 20 des Tarifvertrages festzuNikisch, Arbeitsrecht II, S.418. § 4 III TVG: "Abweichende Abmachungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelung zugunsten des Arbeitnehmers enthalten." 17 BAG AP Nr. 2 und 3 zu § 4 TVG Angleichungsrecht; Nikisch, Arbeitsrecht II, S.420 ff; W/otzke, GÜllstigkeitsprinzip, S.24; Richardi, Kollektivgewalt, S.365. 18 § 4 I Satz 1 TVG: "Die Rechtsnormen des Tarifvertrages, die den Inhalt oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. " 19 Mit "Unabdingbarkeit" wird gemeinhin die unmittelbare und zwingende Wirkung des Tarifvertrages bezeichnet (Krommel, GÜßstigkeitsprinzip, S.2). Der Begriff "Unabdingbarkeit" ist allerdings etwas verwirrend. Die Besonderheit des Tarifvertrages ist seine unmittelbare Wirkung. Als Rechtsquelle bindet er nicht nur die vertragsschließenden Parteien (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände), sondern er wirkt auch auf die Rechtsverhältnisse solcher Personen ein, die nicht am Abschluß des Tarifvertrages beteiligt waren (Arbeitnehmer und Arbeitgeber). Hierin liegt seine Nonnativität. Diese Nonnativität ist nun in einer besonderen Weise ausgestaltet. Sie ist nur einseitig zwingend, also "gÜllstigkeitsdispositiv". Daraus folgt, daß der Tarifvertrag in seinen Wirkungen gerade nicht unabdingbar ist. Die Terminologie von der "Unabdingbarkeit" ist ein Relikt des Weimarer Tarifrechts. Dort wurde dieser Begriff geboren und dort traf er auch tatsächlich zu (vgl. Kahn-Freund, Umfang der normativen Wirkung des Tarifvertrages und Wiedereinstellungsklausel, S.6 ff; zum Weimarer Tarifrecht vgl. unten S.30 fl). 20 Nach § 1 I TVG enthält jeder Tarifvertrag einen "normativen" und einen "schuldrechtlichen" Teil. Der normative Teil enthält Regelungen ("Rechtsnormen") des Arbeitsverhältnisses (z.B. Inhaltsnormen über Lohn; Arbeitszeit), während der schuldrechtliehe Teil Rechte und Pflichten der Koalitionen als Tarifvertragsparteien (Friedenspflicht; Tarifdurchfuhrungspflicht) statuiert (Gamillscheg, Arbeitsrecht II, S.75 f). 15
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22
§ 1 Einleitung
schreiben oder eine diesbezügliche Vereinbarung im schuldrechtlichen Teil zu treffen. 21 b) Im BetrVG fehlt eine § 4 III TVG entsprechende Regelung, obwohl die Betriebsvereinbarung nach § 77 N BetrVG ebenso wie der Tarifvertrag normativ auf das Arbeitsverhältnis einwirkt. Hieraus wird vereinzelt22 der Schluß gezogen, das GÜDstigkeitsprinzip sollte im BetrVG bewußt ausgeschlossen werden. Die ganz herrschende Meinung in Rspr. 23 und Lehre24 unterstellt dagegen ein Versehen des Gesetzgebers und betrachtet das BetrVG insoweit als "lückenhaft" und ergänzungsbedürftig. In Wahrheit ist die Frage sehr schwierig und - wie noch zu zeigen sein wird - nur sehr differenziert zu lösen25 , so daß der Gesetzgeber gut daran getan hat, die Lösung der Rechtswissenschaft und Rspr. zu überlassen. Unbenommen notwendiger Differenzierungen läßt sich aber festhalten, daß auch zwischen Betriebsvereinbarung und Individualarbeitsvertrag die Anwendung des Günstigkeitsprinzips grundsätzlich beftirwortet wird. 2. Offene Fragen
a) Stimmt man nach dem zuvor Gesagten weitgehend darin überein, daß das Günstigkeitsprinzip grundsätzlich im TVG und im BetrVG gilt und daß es (meist) als Kollisionsregel wirkt, so dürfte die Frage, was das Günstigkeitsprinzip seinem Wesen nach eigentlich ist, noch nicht endgültig beantwortet sein. Zu klären gilt es, ob "nur" eine tarif- und betriebsverfassungsrechtliche Kollisionsregel in Rede steht, die der Verfugungsmacht des einfachen Gesetzgebers unterliegt26 , oder ob sich eine verfassungsrechtlich verbürgte allgemeine Schranke der Kollektivrnacht27 hinter diesem Prinzip verbirgt. Methodisch wird hiermit die Frage nach den Grundlagen des GÜDstigkeitsprinzip gestellt. 28 21 BAG (GS) AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; Buchner, DB 1990, S.1723; Gamillscheg, ArbeitsrechtII, S.114; Wiedemann/Stumpf, TVG, § 4 Rn. 219 f. Hiervon zu Wlterscheiden ist die strittige Frage, ob das Gilnstigkeitsprinzip auch der Wirksamkeit von internen Höchstnonnbeschlüssen eines Arbeitgeberverbandes entgegensteht (darm die wohl h.M: vgI. Belling, Gilnstigkeitsprinzip, S.91, 104 m.w.N.). 22 Leinemann, DB 1990, S.732 ff. 23 BAG (GS), AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 72. 24 laUner / Loritz, Arbeitsrecht, S.79; FAKH, BetrVG, § 77 Rn. 44 (m.w.N.). 25 VgI. S.75 fWld insbesondere S.79 ff. 26 So etwa Nikisch, DB 1963, S.1255. 27 Heime, NZA 1991, S.332. 28 VgI. hierzu Wlter § 3.
II. Das rechtliche Problem
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Die Grundlagenbestimmung ist fiir die gesamte Günstigkeitsdiskussion von zentraler Bedeutung, da das hier gefundene Ergebnis nicht nur die Modalitäten des konkreten Günstigkeitsvergleichs 01ergleichsgegenstände29 ; Vergieichsmaßstab30 und Bezugspunkt3}) indiziert, sondern insbesondere auch diejenigen allgemeinen Prinzipien erkennbar machen muß, mit deren Hilfe die Grenzen des Günstigkeitsprinzips festgelegt werden. Ähnlich den Grundlagen sind auch diese Grenzen letztlich ungeklärt. TImen soll auf zwei Ebenen nachgegangen werden. b) Auf der ersten Ebene32 geht es um die Frage, ob das Günstigkeitsprinzip in bestimmten Konstellationen überhaupt zur Anwendung kommen kann. Dies wird beispielsweise im Fall der sogenannten "negativen Inhaltsnormen"33 und für "Betriebsnormen"34 bestritten. Kollektivnormen solcher Art sollen keine Durchbrechung ihrer zwingenden Wirkung erlauben. Auch in der Beziehung von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung bestehen Unsicherheiten bezüglich der Geltung des Günstigkeitsprinzips. Sie resultieren im wesentlichen aus dem problematischen Verhältnis von § 4 III TVG und § 77 III BetrVG. Während § 4 III TVG begünstigende Regelungen generell ("abweichende Abmachungen") zuzulassen scheint, soll § 77 III BetrVG nach verbreiteter Ansicht als lex specialis 3s eine absolute Sperre rur die Betriebspartner aufrichten36 und damit in dem von ihm erfaßten Regelungsbe29 Sollen sich die Regelungen in ihrer Gesamtheit (etwa: Tarifvertrag und Einzelarbeitsvertrag) gegenübergestellt werden (sog. "Gesamtvergleich"; daftlr: Heinze, NZA 1991, S.335) oder ist der Vergleich nur zwischen einzelnen Vertragselementen (Tariflohn und Vertragslohn) bzw. zusammengehörigen Regelungsgruppen (Grundlohn und Zulagen in beiden Verträgen) durchzufuhren (sog. "Gruppenvergleich"; h.M.)? 30 Beurteilt der betroffene Arbeitnehmer selbst, was ftlr ihn günstig ist oder wird das Urteil aus einer objektiven Perspektive und unabhängig von seinen individuellen Lebensumständen getallt? 31 Wen muß der Günstigkeitsvergleich begünstigen: den einzelnen Arbeitnehmer, die Belegschaft des Betriebes oder die gesamte Arbeitnehmerschaft? 32 Vgl. dazu unten § 4 I, II. 33 Mit einer "negativen Inhaltsnorm" verbietet der Tarifvertrag, bestimmte Regelungen zum Inhalt des Vertrages zu machen. Beispiel: "Es ist unzulässig, Akkordlohn zu vereinbaren." Vgl. S.90 ff. 34 Nach § 1 I TVG kann ein Tarifvertrag Rechtsnormen über den "Inhalt" von Arbeitsverhältnissen enthalten, sowie "betriebliche" und "betriebsverfassungsrechtliche" Fragen ordnen. Daran anschließend unterscheidet man Inhaltsnormen, Betriebsnormen und betriebsverfassungsrechtliche Normen. Betriebsnormen regeln etwa die Ordnung des Betriebes: "Das Rauchen im Betrieb ist verboten". Vgl. S.79 ff. 35 Herrmann, ZfA 1989, S.589. 36 Die These gipfelt in der Behauptung, die Sperre sei von Verfassungs wegen geboten; vgl. Hanau, RdA 1993, S.l ff; ähnlich Kissel, NZA 1986, S.79.
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§ 1 Einleitung
reich auch günstigere Betriebsvereinbarungen ausschließen. Eine andere Anwendungsfrage betrifft die Lösung von Tarifkonkurrenzen. Ist von zwei Tarifverträgen, die räumlich und sachlich denselben Betrieb erfassen, der speziellere37 oder der günstigere38 anzuwenden? Schließlich bereitet auch die Kollision einer Betriebsvereinbarung mit "Allgemeinen Arbeitsbedingungen"39 Schwierigkeiten. Lange Zeit schloß man mit Berufung auf das "Ordnungsprinzip"40 die Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips in diesem Bereich aus und hielt die Verschlechterung Allgemeiner Arbeitsbedingungen durch eine Betriebsvereinbarung :für zulässig. Soll nunmehr - wie eine neuere Rspr. 41 meint - nur deshalb das Gegenteil richtig sein, weil Allgemeine Arbeitsbedingungen nach herrschender Dogmatik auf individualvertraglichen Ursprung zwiickzufuhren sind? c) Die zweite Ebene betrifft den konkreten GÜnstigkeitsvergleich. 42 Hier steht nicht die Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips in Frage, sondern ob es Umstände (z.B. den Arbeitsplatz) gibt, die in diesem Vergleich grundsätzlich nicht berücksichtigt werden dürfen. Angesprochen ist damit das äußerst schwierige Problem einer möglichen Günstigkeit "untertariflicher" Arbeitsbedingungen. Muß man nicht einräumen, daß ein individualvertraglich vereinbarter oder im Wege der Betriebsvereinbarung beschlossener Lohnverzicht die Arbeitnehmer dann "begünstigt", wenn er zum Erhalt des Arbeitsplatzes oder zur Rettung des Betriebes beitragen würde?
Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz. 38 Dtiubler. Tarifvertragsrecht, Rn. 1493 ff. 39 Unter "Allgemeinen Arbeitsbedingungen" versteht man gemeinhin betriebseinheitliche Regelungen, die durch vertragliche Einheitsregelung, Gesamtzusage oder betriebliche Übung begründet wurden (HAG G8, DB 1987,8.384). 40 BAG AP Nr.l zu § 4 TVG Ordnungsprinzip; Siebert. in: F8 filr Nipperdey, 1955, 8.126. Zum Begriff "Ordnungsprinzip" vgl. 8.47 und 8.85 ff. 41 BAG (G8) AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972. 42 Vgl. dazu unten § 4 llI. 31 BAG AP
§ 2 Die historischen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips Um dem "Wesen" des Günstigkeitsprinzips näher zu kommen, soll zunächst dessen historische Entwicklung betrachtet werden. Wegen der besonderen Verwobenheit des Günstigkeitsprinzips mit den Rechtsinstituten des kollektiven Arbeitsrechts ist eine solche Betrachtung jedoch nur möglich, wenn gleichzeitig auch Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag in ihrer jeweiligen Entstehungsgeschichte kurz skizziert werden. 1
I. Die tarifvertragliche Geschichte des Günstigkeitsprinzips 1. Die Entwicklung bis zur Tarifvertragsverordnung von 1918
Die Geschichte des Günstigkeitsprinzips ist in ihren Anlangen zugleich die Geschichte des tariflich geregelten Arbeitsrechts. Soweit sich erste kollektivrechtliche Vereinbarungen auch bis in das Spätmittelalter2 zurückverfolgen lassen und es Mitte des 19. Jahrhunderts bereits eine beträchtliche Anzahl von regionalen Tarifverträgen gab3 , so wird der Tarifvertrag als 1 Die tarifvertragliche Geschichte gewirmt im Rahmen des Art. 9 III Satz 1 GG eine zusätzliche Bedeutung als historisches Auslegungskriteriwn zur Bestimmung des Inhalts der Tarifautonomie (vgl. BVerfGE 4,96,106; E 50, 290, 371; Seiter, AöR 1984, S.88 ft). 2 So die Lohnvereinbarung der Weberknechte von Speyer und ihren Meistern aus dem Jahr 1351, abgedruckt in: Ehel, Quellen, S.29. Gossmann (in: Kaskel [Hrsg.], Hauptfragen 11, S.2) stuft bereits die hofrechtlichen Vereinbarungen der fränkischen Hofgenossen mit ihrem Grundherren als Vorläufer des heutigen Tarifrechts ein. Diese Vereinbarungen (Weistümer) lassen sich bis in die Karolingerzeit zurückverfolgen und dienten zur Festlegung des Hofrechts. Beamte des Hofherren befragten hierzu alljährlich an bestimmten Tagen beeidigte Hofgenossen nach dem geltenden Hofrecht, schrieben dies nieder und ließen die verlesene Niederschrift von der Hofgemeinde bestätigen (Planitz / Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S.147 f). 3 Um 1848 wurden insbesondere im Buchdruckereigewerbe eine Reihe von Tarifverträgen (z.B.: in Breslau, Halle, Leipzig, München und Wien) geschlossen (Imle, Gewerbliche Friedensdokwnente, S.lO). Willi Krahl (Der Verband der Deutschen Buchdrucker Bd. 1, S.206 f), der Verbandschronist des Buchdruckergewerbes, sah in dem Tarifvertrag der Breslauer Buchdrucker aus dem Jahre 1848 die erste Verkündung der Tarifgemeinschaft. Das Scheitern der Revolution 1848 /49 flihrte jedoch dazu, daß ei-
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§ 2 Die historischen Gnmdlagen des GUnstigkeitsprinzips
rechtlich bedeutsames Gestaltungsmittel der Arbeitsverhältnisse erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts relevant. 4 Da es bis zur Tarifvertragsordnung vom 23. 12. 1918 5 keine generelle6 gesetzliche Regelung gab, blieb die juristische Behandlung des sozialen Phänomens "Tarifvertrag" Literatur7 und Rechtsprechung vorbehalten. 8 Ein erstes Hindernis fiir den Tarifvertrag war hier die anfängliche Rspr. des Reichsgerichts, das ihn in einer frühen Entscheidung (1904)9 als Koalition i.S. des § 152 II Gewü 10 eingestuft und ihm damit jede Rechtsverbindlichkeit verweigert hatte. ll Nachdem das RG diese Rspr. 1910 aufgegeben hatte 12 , bemühte man sich, die rechtliche Natur des Tarifvertrages und seine Wirkungen auf den Arbeitsvertrag zu klären. Die zur dogmatischen Einordnung des neuen Instituts gemachten Vorschläge orientierten sich ganz überwiegend an überkommenen Figuren des Bürgerlichen Rechts, wie Arbeitsvertrag, Vergleich, Vorvertrag, Gesellschaftsvertrag oder Vertrag zugunsten Dritter. 13 Auch die begriflliche Verbindung von ne kontinuierliche Entwicklung des Tarifwesens erst mit Aufhebung des Koalitionsverbotes durch § 152 Reichsgewerbeordnung im Jahre 1869 einsetzen konnte (vgl. Krummei, Geschichte, S.13). 4 1873 trat der erste Reichstarifvertrag der Buchdrucker in Kraft (VI/mann, Tarifverträge, S.40). SRGBI1918 S. 1456. 6 Vereinzelt fand der Tarifvertrag gesetzliche Anerkennung. Vgl. § 16 Kaligesetz (RGBl191O, S.775, 779 f), der Teile des Kaligesetzes filr tarifdispositiv erklärte. 7 Als der "Entdecker" des Tarifvertrages filr die Rechtswissenschaft kann wohl Philipp Lotmar angesehen werden. Mit seinem Aufsatz "Die Tarifverträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern" (in: Brauns Archiv filr soziale Gesetzgebung und Statistik 1900, S.I) leitete er zur Jahrhundertwende die juristische Diskussion ein. 8 Obwohl sich der Reichstag 1905, 1908, 1910 und 1911 mit der Frage einer gesetzlichen Normierung auseinandergesetzt hatte und eine solche vom deutschen Juristentag 1908 ausdrücklich empfohlen worden war, kam es dennoch nicht einmal zu einer Gesetzesvorlage, weil der Widerstand im Reichstag zu groß war (Gossmann, in: Kaske1 [Hrsg.], Hauptfragen n, S.7). 9 RGStr 36, 136, 237 f; ebenso Schmelzer, Tarifgemeinschaften, S.120 ff. 10 § 152 n GewO: "Jedem Teilnehmer steht der Rücktritt von solchen Vereinigungen und Verabredungen frei, und es fmdet aus letzteren weder Klage noch Einrede statt." 11 So jedenfalls die Interpretation des Urteils in der zeitgenössischen Literatur. Vgl. etwa Nipperdey, NZfA 1926, Sp. 193, Fn. 1; Simson, in: Kaske1 (Hrsg.), Hauptfragen n, S.16; oder auch die grundsätzliche Kritik an jenem Urteil durch v. Schulz, Archiv filr Sozialpolitik und Sozialwissenschaft 1905, S.363 ff. 12 RGZ 73,92 ff griff den Ansatz Lotmars (Arbeitsvertrag, Bd. I, S.767 und S.771) aufund stufte nunmehr allein die Tarifvertragsparteien als Koalitionen ein. 13 Eine gute Übersicht zu den verschiedenen Ansätzen fmdet sich bei Simson, in: Kaske1 (Hrsg.): Hauptfragen n, S.15 ff.
I. Die tarifvertragliche Geschichte des Günstigkeitsprinzips
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"Norm" und "Vertrag" in dem neuen Terminus "Arbeitsnormenvertrag", der den Vertragstypus nach einem Vorschlag Rugo Sinzheimers 14 schließlich charakterisieren sollte, änderte nichts an der Einordnung des Tarifvertrages als Vertrag im Sinne des BGB, der hauptsächlich nach §§ 320 ffBGB zu beurteilen sei. 1s Sehr umstritten waren die Wirkungen des Tarifvertrages auf den Individualarbeitsvertrag. In der gemeinsamen16 Absicht, die sozialpolitische Errungenschaft17 "Tarifvertrag"18 vor Umgehung 19 durch einzelvertragliche Gestaltung zu schützen, verfolgte man dogmatisch verschiedene Wege. Vereinzelt wurde vorgeschlagen, dem Tarifvertrag verpflichtende und unmittelbar zwingende Wirkung beizumessen ("Kombinationstheorie" 20). Danach sollte der Tarifvertrag nicht nur die Koalitionen verpflichten, sondern fur die Arbeitsverhältnisse "wie von einer öffentlichen Autorität aufgestellte Taxen" derart "ergänzend" und "maßgebend"21 sein, daß er den Inhalt des Einzelarbeitsvertrages unmittelbar bestimmte, "auch wenn eine tarifwidrige Abweichung unternommen worden ist"22. Die von Sinzheimer23 maß14 Vgl. die gleichnamige Schrift Sinzheimers: "Der korporative Arbeitsnonnenvertrag". Sinzheimer begründet seinen tenninologischen Vorschlag mit der Gefahr "wissenschaftlich bedenklicher" Irrtümer durch die Bezeichnung "Tarifvertrag". Es ginge nämlich gerade nicht nur um die Lohnbestimmung (Tarif), sondern um alle Arbeitsbedingungen (a.a.O., S.100). 15 Sinzheimer, a.a.O., S.202. 16 So bezeichnete Sinzheimer (Arbeitstarifgesetz, S.1 04) die Auseinandersetzung als einen Streit "über die Technik", den Einzelwillen zu binden. 17 Man muß bedenken, daß auf einem vom Manchester-Liberalismus, 16-18 Stunden Arbeitstag und schwerster Kinder- / Frauenarbeit geprägten Arbeitsmarkt (vgl. Ehmann, NZA 1991, S.l), der Tarifvertrag erstmals die Chance bot, daß sich zwei annähernd gleichstarke Vertragspartner gegenübertraten und damit "Vertragsfreiheit" nicht länger eine Worthülse oder, wie Sticker (RdA 1969, S.302) es nannte, "staatlich abgesicherte Vogelfreiheit" bleiben mußte. 18 Es galten 1913 bereits 11526 Verträge für 158930 Betriebe mit fast 1,6 Mio. Beschäftigten (UI/mann, Tarifverträge, S.227). 19 Lotmar (Arbeitsvertrag Bd. I, S.787) betont besonders die Gefahr der "Schleuderkonkurrenz" . 20 Lotmar, Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik 1900, S.106 f; ders., Arbeitsvertrag Bd. I, S.781; Rundstein, Die Tarifverträge und die modeme Rechtswissenschaft, S.143; ders., Archiv für Bürgerliches Recht 1911, S.240 ff; GewGer Berlin (11.1.1908), RAB11908, S.707. 21 Lotmar, Arbeitsvertrag Bd. I, S.779. 22 Lotmar, Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik 1900, S.107. 23 Sinzheimer, Arbeitsnonnenvertrag Il, S.65 ff, S.92 ff. Sinzheimer, der anfänglich noch mit Lotmars Ansatz sympathisiert hatte (vgl. GewKfinG Bd.lO, Sp.380), vollzog nach eigenem Bekunden (Arbeitsnonnenvertrag Il, S.69) unter dem Einfluß von Oertmann (Zeitschrift für Sozialwissenschaft 1907, S.21 fl) und Schall (Das Privat-
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§ 2 Die historischen Grundlagen des GÜllStigkeitsprinzips
geblich beeinflußte hM in Literatur und Rspr. 24 folgte dem jedoch nicht, da das Bürgerliche Recht keine Grundlage:fur derartige Vertragswirkungen bot. Der Tarifvertrag sollte vielmehr allein obligatorische Wirkung zwischen den vertragsschließenden Verbänden25 (bzw. einzelnen Arbeitgebern als Tarifvertragspartei26 ) entfalten, also die Verpflichtung begründen, den Inhalt des Tarifvertrages individualrechtlich umzusetzen. Die Wirksamkeit abweichender individualvertraglicher Abreden wurde folglich nicht berührt (Verbandstheorie). Ein Arbeitgeber, der solche abweichenden Abreden traf, machte sich allerdings im Verhältnis zu seinem Tarifpartner schadensersatzpflichtig. 27 Mit dieser Sanktionierung erzielte die hM ähnliche praktische Ergebnisse wie die Kombinationstheorie. 28 Darüber hinaus wurde den Gewerkrecht der Arbeitstarifverträge, S.151 fl) die Wende zu einer rein bürgerlich-rechtlichen Lösung. 24 RGZ 73, 92 ff schloß sich dieser "Verbandstheorie" an; ebenso: RG, Das Recht 1913, Nr.155; GewGerBeriin (24.1.1908), RAB11908, S.707. Die Bedeutung der Gerichte bei der Theoriebildung war allerdings vorläufig noch gering. Erst durch die Reform des Arbeitsgerichtswesens 1927 gewann auch die Rspr. in der dogmatischen Auseinandersetzung allmählich an Bedeutung, da ihrer heillosen Zersplitterung ein Ende gesetzt wurde. Die Tradition einer Sondergerichtsbarkeit fiIr Arbeitsstreitigkeiten begann zwar schon im Spätmittelalter (etwa ab Ende des 13.Jh.) mit den Zunft- und Innungsgerichten. Sie setzte sich im Anschluß an die französische Besatzung des Rheinlandes mit den ab 1846 so benannten "Königlichen Gewerbegerichten" Preußens, die eine Weiterfilhrung der napoleonischen "Conseils de prud' hornrnes" waren, fort und fand ihren vorläufigen Abschluß in dem Gewerbegerichtsund Kaufrnannsgerichtsgesetz aus den Jahren 1890 und 1904. Die danach insgesamt eingerichteten 338 Kaufrnannsgerichte und 585 Gewerbegerichte wurden aber nur als Gemeindegerichte geschaffen, in denen der Gemeindevorsteher das Amt eines vorläufigen Arbeitsgerichts innehatte. Es war also primär eine örtliche Gerichtsbarkeit, die zudem nur fiIr einen Teil der arbeitsrechtlichen Streitigkeiten zuständig war, während der andere Teil vor den ordentlichen Gerichten, Innungsschiedsgerichten und arbeitsrechtlichen Kammern der Schlichtungsausschüsse verhandelt wurde (Kaskel, Arbeitsrecht, S.318; zur Geschichte vgl. auch: Leinemann, NZA 1991, S.961). 25 Auf der Arbeitnehmerseite war hierbei keine Gewerkschaft, sondern eine Koalition erforderlich. Diese durfte auch "ad hoc, behufs Tarifvertragsschließung" (Lotmar, Arbeitsvertrag, S.767) von den Beschäftigten eines Betriebes gebildet werden, so daß der Arbeitgeber mit der Koalition seiner Arbeiter einen Firmentarifvertrag schließen konnte, der gelegentlich auch als "Kollektiv-Arbeitsvertrag" (GewGer Naumburg, bei Warschauer in: Arbeitsrecht 1915, S.333) bezeichnet wurde. Eine ausftlhrlichere Gegenüberstellung von "gelegentlichen" und "ständigen Vereinigungen" fmdet sich bei Schall, Das Privatrecht der Arbeitstarifverträge, S.33 ff. 26 77 % aller Tarifverträge waren 1913 noch Firmentarifverträge (UlImann, Tarifverträge, S.231). 27 RG, Das Recht 1913, Nr.154; Sinzheimer, Arbeitsnormenvertrag TI, S.194 ff. 28 Belling, GÜllstigkeitsprinzip, S.31.
I. Die tarifvertragliche Geschichte des Günstigkeitsprinzips
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schaften zur Durchsetzbarkeit der Tarifvereinbarungen eine Klagemöglichkeit auf Einhaltung des Tarifvertrages gegen die andere Tarifpartei eingeräumt. War der Tarifvertragspartner ein Verband, ging die Klage auf diesbezügliches Einwirken des Verbandes auf sein Mitglied. 29 Für die hM und für die Vertreter der Kombinationstheorie stellte sich nun gleichermaßen, wenn auch mit unterschiedlicher Schärfe, die Frage, wie man individualvertragliche Abreden zu behandeln habe, die zwar vom Tarifvertrag abwichen, aber dem Arbeitnehmer günstigere Arbeitsbedingungen schufen. Der Günstigkeitsgedanke tauchte damit in der Diskussion auf. Hier nun war man sich fast einhellig30 darüber einig, daß günstigere Individualvereinbarungen ohne weiteres zulässig und wirksam seien. 31 Die Einigkeit basierte auf der gemeinsamen Überzeugung, daß Tarifverträge grundsätzlich nur Mindestbedingungen festlegen wollten. Mit dieser Einschätzung entsprach die Rechtswissenschaft dem ausdrücklich erklärten Willen der Tarifvertragsparteien. So war beispielsweise im Tarifvertrag der Breslauer Buchdrucker aus dem Jahre 1848 bereits von einem "Mindestlohn von 5 Talern" die Rede. Ebenso bezeichnete eine Vereinbarung der Hamburger Ofenarbeiter aus dem Jahre 1872 den Lohn als "Minimallohn" und man schrieb in ihr sogar das Erfordernis leistungsbezogener übertariflicher Löhne fest. 32 Wörtlich heißt es auch in einem Tarifvertrag für Buchbindearbeiten aus dem Jahre 1897: "Dieser Tarif ist ein Minimaltarif, daher ist selbstverständlich geschickten Arbeitern und Arbeiterinnen ein höherer Stundenlohn wie der Minimallohn zu zahlen."33 Waren die Tarifvereinbarungen nicht ausdrücklich als Minimalbedingungen bezeichnet, dann sollte die Auslegung des Parteiwillens das gleiche Resultat gewährleisten. Nur wenn die Vertragspartner explizit Gegenteiliges vereinbart hatten34, waren abweichende individualrechtliche AbSinzheimer, Arbeitstarifgesetz, S.145 ff und S.151 ff. wohl nur: Schmelzer, Tarifgemeinschaften, S.l 00 ff; Schwarz, Nützen oder schaden Tarifgemeinschaften dem Gewerbe?, S.39 und S.60 (zit. nach Sinzheimer, Arbeitsnormenvertrag TI., S.62, Fn. 75). 31 Lotmar, Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik 1900, S.10 1 f; Sinzheimer, Arbeitsnormenvertrag TI, S.60 ff (m.w.N. auch zur Rspr., S.62 Anm. 75); Hueck, Das Recht des Tarifvertrages, S.118. 32 Nachweise bei Tech, Günstigkeitsprinzip, S.9 f. 33 Zit. nach Stommel, Günstigkeitsprinzip, S.4. 34 Vereinzelt kam es tatsächlich zur Festschreibung von Höchstarbeitsbedingungen. Ein regionaler Maurer- und Zimmerertarif aus dem Jahre 1904 legte für Zimmerer einen Maximalstundenlohn von 38 Pf fest (Imle, Gewerbliche Friedensdokumente, S.330). Ganz überwiegend waren es natürlich wirklich Mindestbedingungen. So überschritt der Effektivlohn zu Beginn der Weimarer Republik den Tariflohn um durchschnittlich ca. 35 % (Weyand, AuR 1993, S.2). 29
30 Anders
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§ 2 Die historischen Grundlagen des Gtlnstigkeitsprinzips
sprachen unzulässig. Dem Günstigkeitsgedanken kam damit nach allgemeiner Ansicht3S der Charakter einer notwendigen Auslegungsregel zu. Ohne diese von den Tarifparteien selbst installierte Durchbrechungsmöglichkeit wäre der Tarifvertrag wohl nie zu dem überragenden Regelungsinstrument der Arbeitswelt36 geworden. So beruhte die anfänglich unter den Arbeitnehmern verbreitete Skepsis37 gegenüber Tarifverträgen gerade auf der irrigen Meinung, es würden grundsätzlich Maximallöhne festgeschrieben. 2. Die Tarifvertragsverordnung
Das Jahr 1918 brachte mit dem Ausrufen der Republik am 9. November fiir Deutschland nicht nur umwälzende politische Veränderungen, sondern auch einschneidende Neuerungen im Arbeitsrecht. So wurde die Koalitionsfreiheit auf alle Berufsgruppen ausgedehnt38, eine Höchstarbeitszeit von 8 Stunden ohne Lohnkürzung verankert39 , und schließlich kam es zum Inkrafttreten der Tarifvertragsverordnung (TVVO)40 am 23. Dezember. Diese wesentlichen arbeitsrechtlichen Neuerungen, die von der Reichsregierung41 in der Phase zwischen dem Ausrufen der Republik und dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung am 14. August 1919 gesetzlich umgesetzt wurden, verwirklichten einen Sozialpakt, der von Gewerkschaften und Arbeitgebern in der Anfang Oktober 1918 gebildeten Zentralarbeitsgemeinschaft ausgehandelt worden war. 42 Der Pakt, der unter dem Namen des Repräsentanten der deutschen Industrie, Hugo Stinnes, und dem des Gewerkschaftlers, 35 Lotmar, Archiv ftlr soziale GesetzgebWlg und Statistik, S.lO 1, Fn. 2; Hueck, Recht Wld Wirtschaft 1920, S.157; Sinzheimer, Arbeitsnormenvertrag II, S.62 (m.w.N.). 36 1907 betrug der Organisationsgrad der Arbeiterschaft gerade 10 % (Ullmann, Tarifverträge, S.228). Ende 1989 waren dagegen über 50 % der Arbeiter in Westdeutschland Mitglied einer Gewerkschaft (Schwedes, Übersicht, S.278). 37 So zum Ausdruck gebracht in einem Artikel: "Wie wirkt der Tarifvertrag Wlter dem heutigen Recht?", Metallarbeiter-ZeitWlg, 20. 9. 1913, S.303, mit dem der Autor, offenbar ein Gewerkschaftsfunktionär, zum Abbau dieser Skepsis beitragen wollte (zit. nach Belling, Gtlnstigkeitsprinzip, S.29, Anm. 17). 38 Trotz AufhebWlg der StrafbestimmWlg des § 153 GewO im Mai 1918, hatte es Koalitionsfreiheit nur filr die Berufsgruppen der GewerbeordnWlg gegeben (Nörr, ZfA 1986, S.411). 39 Ramm, in: In Memoriam Sir Otto Kahn-FreWld, S.230 f. 40 RGBl1918 S.1456 ff(genau: VerordnWlg über Tarifverträge, Arbeiter- Wld Angestelltenausschüsse Wld SchlichtWlg von Arbeitsstreitigkeiten). 41 Anschatz, JW 1918, S.752;Junck, JW 1919, S.76. 42 Krummei, Geschichte, S.45.
I. Die tarifvertragliche Geschichte des Günstigkeitsprinzips
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Karl Legien, als "Stinnes-Legien-Abkommen"43 in die Geschichte eingegangen ist, war durch das nachwirkende funktionale Zusammenrücken von Arbeitgebern und Gewerkschaften im Zuge der Kriegswirtschaft möglich geworden. 44 Dieser "Vorarbeit"4S ist es wohl zuzuschreiben, daß die TVVO noch keinen endgültigen Durchbruch ftir das Günstigkeitsprinzip brachte, sondern dem Willen der vertrags schließenden Verbände weiterhin Vorrang einräumte. Zwar fand das Günstigkeitsprinzip in § 1 I Satz 2 TVV046 eine gesetzliche Verankerung, aber seine Durchsetzungskraft blieb doch begrenzt, weil den Tarifvertragsparteien gleichzeitig erlaubt wurde, die ausgehandelten Tarifnormen, denen nunmehr unmittelbare und zwingende Wirkung47 zukam (vgl. § 1 I Sätze 1, 3 TVVO), zu Höchstbedingungen zu erklären. 48 Daß diese Möglichkeit in der Praxis auch genutzt wurde, zeigt ein Reichstarifvertrag der deutschen Flaschenindustrie aus dem Jahre 192049 , der einen sol43 KrummeI, S.44; abgedruckt ist das Abkommen in: Deutsche Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger, 18. 1l. 1918; ebenso bei: Blanke I Erd I Mückenberger I Stascheit, Quellentexte, Bd. 1, S.181 ff. 44 Böckenförde, in: Bracher / Funke / Jacobsen [Hrsg.], Die Weimarer Republik 1918-1933, S.33. 45 Mit dieser Zuschreibung soll das Abkommen in keiner Weise diskreditiert werden, zwnal seine politische Bedeutung zugunsten einer demokratischen Republik und gegen eine Räterepublik nicht hoch genug eingeschätzt werden kann (vgl. Böckenförde, S.33). 46 § 1 I TVVO: "(1) Sind die Bedingungen fUr den Abschluß von Arbeitsverträgen zwischen Vereinigungen von Arbeitnehmern und einzelnen Arbeitgebern oder Vereinigungen von Arbeitgebern durch schriftlichen Vertrag geregelt (Tarifvertrag), so sind Arbeitsverträge zwischen den beteiligten Personen insoweit unwirksam, als sie von der tariflichen Regelung abweichen. (2) Abweichende Vereinbarungen sind jedoch wirksam, soweit sie im Tarifvertrag grundsätzlich zugelassen sind, oder soweit sie eine Änderung der Arbeitsbedingungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten und im Tarifvertrag nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind. (3) An die Stelle unwirksamer Vereinbarungen treten die entsprechenden Bestimmungen des Tarifvertrages. " 47 Vgl. Kahn-Freund, Umfang der normativen Wirkung des Tarifvertrages und Wiedereinstellungsklausel, S.6 ff. 48 Die TVVO folgte gegen die hM wohl auch deshalb dem Modell Lotrnars (vgl. Fn.20), weil hierdurch die deutlichere Stärkung des KollektivwilIens der Verbände möglich wurde. Diese These läßt sich durch eine Beobachtung bei Schaffung des Betriebsrätegesetzes (BRG) von 1920 erhärten. Hier setzte die SPD gegen den erbitterten Widerstand der USPD (und gegen den Auftrag aus Art. 165 der WRV) mit dem § 37 BRG (heute § 41 BetrVG 1972) ein Umlageverbot durch, das der Betriebsrätebewegung den fmanziellen Boden entzog. Auch hier war es u.a. (es waren gleichzeitig gesellschaftspolitische Überlegungen im Spiel) die Sorge vor einem Machtverlust der Gewerkschaft durch eine konkurrierende starke Betriebsrätebewegung, die maßgeblich wurde (vgl. zu letzterem Ehmann, in: Mohler [Hrsg.], Wirklichkeit als Tabu, S.74). 49 Dort hieß es: "Der Vertrag macht alle Sonderabreden, gleichgültig, ob sie dem Be-
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§ 2 Die historischen Grundlagen des GÜIlstigkeitsprinzips
ehen Ausschluß enthielt. Dem Günstigkeitsgedanken kam damit weiterhin, wie schon im Rechtszustand vor der TVVO, der Charakter einer notwendigen Auslegungsregel zu. so Obwohl die TVVO keinen wesentlichen Fortschritt für das Günstigkeitsprinzip brachte, so ist sie doch ein entscheidender Wendepunkt in der Dogmatik des Tarifvertrages. Der Tarifvertrag war aus dem System des Bürgerlichen Gesetzbuches herausgenommen und Teilen seines Inhalts normative Kraft (§ 1 TVVO) verliehen worden. Hieran anknüpfend führte dann Kaskelsl schon bald die bis heute gültige Unterteilung des Tarifvertrages in einen obligatorischen und einen normativen Bestandteil ein. Offen blieb die Frage, wie man die normative Wirkung des Taifvertrages dogmatisch zu begründen habe. Die eine Seite sah in der TVVO eine staatliche ErmächtigungS2 zur Schaffung objektiven Rechts, die anderen betrachteten die TarifvereinbarungS3 als eigenständige Quelle objektiven Rechts und die TVVO nur als Ausdruck staatlicher Duldung einer autonomen Rechtssetzung. Die baldige Machtübernahme der Nationalsozialisten verhinderte, daß es unter der Geltung der TVVO zu einer endgültigenS4 Klärung dieser Frage kam.
11. Die betriebsverfassungs rechtliche Geschichte des Günstigkeitsprinzips 1. Die Entwicklung bis zum Betriebsrätegesetz von 1920
a) Die vorgesetzliche Phase Anders als im Tarifwesen war es auf dem Felde der betrieblichen Mitbestimmung weniger die "normative Kraft des Faktischen", als vielmehr geteiligten ein Mehr oder Weniger zugestehen, und gleichgültig, wann sie getroffen sind, null und nichtig." Abgedruckt bei Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht, 8.8, Anm. Ilb. 50 Jacobi, Grundlehren, 8.232; Hueck, Das Tarifrecht, 8.60. 51 Kaskel, NZfA 1922, 8p.397. 52 Simson, 8.22 f 53 Vgl. Tecklenburg, der in Anlehnung an eine Tenninologie des Völkerrechts, die "Vereinbarung" als besondere Rechtsquelle dem "Vertrag" gegenüberstellt (NZfA 1924, 8p.437 fl). 54 Die literarische Auseinandersetzung hierüber wurde nach dem Krieg erneut aufgenommen und dauert, wn einige Facetten bereichert, bis in die Gegenwart an. Eine ausfllhrliche Darstellung der verschiedenen "Tarifvertragstheorien" fmdet sich bei Hinz, Tarifhoheit und Verfassungsrecht, 8.33 ff.
ll. Die betriebsverfassungsrechtliche Geschichte des Günstigkeitsprinzips
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setzgeberische Tätigkeit, die die Entwicklung vorantrieb. 55 Dies mag daran gelegen haben, daß die maßgeblichen deutschen Unternehmer den "Herr im Haus"·StandpunktS6, den sie in einem staatlich gewollten Sinne verinnerlicht 55 Es gab allerdings auch hier eine sehr lange vorgesetzliche Entwicklung in Fonn der genossenschaftlichen Unterstützungskassen. Diese Kassen gehen auf zUnftige Sterbe- und Begräbnisladen, Bruderbüchsen, Witwen- und Waisenkassen des Mittelalters zurück, in denen schon bald frei gewählte Kassenvorstände gebildet wurden, die teilweise durchaus der Institution einer Interessenvertretung ähnelten (Teuteberg, Geschichte, S.1l5 fi). Dies spiegelt sich etwa in einer Äußerung des Fabrikanten Rene von Boch-Galhau in einer Enquete des "Vereins filr Sozialpolitik" aus dem Jahr 1890 wider: "Wir können gewissennaßen behaupten, daß unsere Kassenvorstände gleichzeitig auch filr alle sonstigen, die Arbeiter betreffenden Fragen als Arbeitervertretung betrachtet und behandelt werden ... " (zit. nach Teuteberg, S.I64). Bis 1890 gab es ca. 6000 solcher Kassenvorstände (Sternfeld, Betriebsvertretung, S.24). Soweit ersichtlich, wurden 1850 die ersten Arbeiterausschüsse, deren Aufgaben über den Bereich der Unterstützungskasse hinausgingen, von dem Kattundruckereibesitzer earl Degenkolb gemeinsam mit drei anderen Eilenburger Textilfabrikanten eingerichtet (Sternfeld, S.16). Einzelne progressive Unternehmer folgten und räumten den freiwillig geschaffenen Fabrikausschüssen Mitwirkungsmöglichkeiten beim Erlaß von Fabrikordnungen ein (Hueck, G., Betriebsvereinbarung, S.3 fi). Mitbestimmungsrechtlich trat durch solch freiwillige Unternehmungen allerdings keinerlei Verfestigung ein. Vor der gesetzlichen Regelung blieb alles weitgehend vom Wohlwollen des jeweiligen Unternehmers abhängig. In diesem Sinne fehlte der tatsächlichen Entwicklung jede nonnative Kraft. 56 So charakterisiert etwa Gamillscheg (in: FS f\lr Schnitzier, S.105) die Haltung des saarländischen HüttenindustrielIen Freiherr von Stumm, der, gemeinsam mit dem Kruppdirektor Jenke, maßgeblich daran beteiligt war, daß in den Beratungen zur Novellierung der Gewerbeordnung im Frühjahr 1890 ein Antrag des Berliner Fabrikanten Freese abgeschmettert wurde, in dem die obligatorische Errichtung von Arbeiterausschüssen gefordert worden war (Teuteberg, Geschichte, S.375). "Herr im Haus" bedeutete aber nicht nur Despotie, sondern konnte auch vorbildliche Fürsorge sein. Um einen etwaigen Eindruck von derartiger Unternehmennentalität zu vermitteln, sei eine kurze Beschreibung earl Ferdinand Stumms, des "Hausherrn von Hallberg", wiedergegeben, die der Wirtschaftshistoriker L. GrafSchwerin von Krosigk liefert: "Stumm sah sich als Vorgesetzter seiner Arbeiter in einem fast soldatischen Verhältnis. Er nahm seine Fürsorgepflicht ernst. Die Wohlfahrtseinrichtungen in Neunkirchen von der Kleinkinderschule bis zur Sterbekasse waren vorbildlich. Leidenschaftlich wandte er sich gegen die Fiktion des ,vierten Standes'. lhm war es ernst, wenn er sagte: ,Niemals werde ich zugeben, daß der Arbeiter aus einem anderen Stoff bestehe oder weniger Wert habe als ein Kommerzienrat oder Minister.' Aber er forderte unbedingten Gehorsam von allen, die in seinem Betrieb arbeiteten. Es war der gleiche Anspruch, wie ihn der sozial eingestellte ostelbische Junker stellte, der patriarchalisch filr seine Leute sorgte, dafilr aber auch erwartete, daß sie seiner politischen Richtung folgten. Wer es wagte, Sozi zu wählen, war die längste Zeit geblieben. Bei Stumm gab es keine Freiheit politischer Ansichten und Betätigung. Ein Stummscher Arbeiter zu sein, bedeutete Sicherung der Existenz auf Kosten der persönlichen Freiheit. 1877 (Jahre vor dem Bismarckschen) wurde das Sozialistengesetz der Saarindu3 Th. B. Schmidl
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§ 2 Die historischen Grundlagen des GOnstigkeitsprinzips
hattenS6a, trotz intensivster literarischer Überzeugungsarbeit, die sogar einen Gesetzentwurf in der Frankfurter Nationalversammlung 1848 hervorgebracht hatteS7 , nicht aufzugeben bereit waren. strie erlassen. Es verbot den Arbeitern, an sozialdemokratischen Veranstaltungen teilzunehmen. stumm ging bei seinen Werken sogar noch ein Stück weiter und verbot auch, das Neunkirchner Tageblatt zu halten" (zit. nach Kotthoff lOchs, Mitbestimmung an der Saar, S.28). 56a Dieser Standpunkt war von staatlicher Seite stets forciert worden, um im wirtschaftlichen Kampf gegen die englische Konkurrenz den deutschen Unternehmergeist zu stärken (Ramm, in: Freundesgabe für Söllner, S.452). Die Fortschreibung mittelalterlicher Herrschaftsverhältnisse in der Preußischen Gesindeordnung von 1810 ist ein Dokument dieser erzpatriarchalischen Grundhaltung (z.B. Einschränkung des Notwehrrechts in § 79: "Außer dem Falle, wo das Leben oder die Gesundheit des Dienstboten durch Mißhandlungen der Herrschaft in gegenwärtige und unvermeidliche Gefahr gerät, darf es sich der Herrschaft nicht tätig widersetzen" (zit. nach Ramm, S.439). Gleiches zeigt sich in der äußerst zögerlichen Vorgehensweise bei der Durchsetzung von Arbeitsschutzbestimmungen. So lag etwa dem "Preußischen Regulativ aber die Beschtiftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken" vom 9.3. 1839 (Pr.GS 1839, S.156 fl) ein Entwurf des Unterrichtsministeriums zugrunde, der bereits aus dem Jahre 1824 stammte. Und schließlich wurde das Truckverbot, also das Verbot, Arbeiter in Naturalien zu entlohnen, ebenfalls erst 1849 erlassen, obwohl der Entwurf des Handelsministers dies schon im Jahre 1831 gefordert hatte (Ramm, S.450 f) 57 Ein umfangreiches sozialreformerisches Schrifttum gab es bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Zuvorderst muß hier der Spätromantiker Benedikt Franz Xaver v. Baader genannt werden, einer der ausgezeichnetsten Köpfe seiner Zeit, dessen Genialität von Hegel und Goethe bezeugt ist. Fern ab von allem Gedankengut der utopischen Sozialisten, die ihn fllischlich gerne als Vorläufer reklamieren, forderte er, ein Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, als erster ein wirtschaftliches Mitbestimmungsrecht der Arbeiter (Teuteberg, Geschichte, S.1O fl). Neben Baader ist insbesondere Robert von Mohl hervorzuheben, dessen Schriften in der Forderung nach Kapital- und Gewinnbeteiligung der Arbeiter gipfelten (Mohl, Deutsche Vierteljahrs Schrift 1840, Heft 3, S.64 f). Eine auszugsweise Wiedergabe dieser und anderer Vormärzschriften fmdet sich im Sammelband von Jantke I Hilger, "Die Eigentumslosen" . Auch der Gedanke zur Errichtung einer konstitutionellen Fabrik (vgl. die gleichnamige Schrift H. Freeses aus dem Jahre 1909), der gegen Ende des 19. Jahrhunderts äußerst populär war, tauchte bereits in Zeiten des Vormärz' auf. Der Freiburger Seifenfabrikant earl Mez formulierte ihn 1847 vor der Badischen Ständeversammlung folgendermaßen: "Mir scheint es, die höhere Industrie wird Phasen durchlaufen wie die staatlichen Verhältnisse. Jetzt steht sie in einem despotischen Zustande; es wird die Zeit kommen, wo wir für die Industrie einen konstitutionell-monarchischen Zustand erhalten werden, und wer kann wissen, ob nicht auch für sie die republikanischen Zustände kommen" (Verhandlungen der Ständeversammlung des Großherzogtums Baden 1847 /48, Bd.l; zit. nach Teuteberg, Geschichte, S.254 ). In einem Minderheitenentwurf des "Volkswirtschaftlichen Ausschusses" der Frankfurter Nationalversammlung, der sich mit der Schaffung einer Gewerbeordnung für den Deutschen Bund beschäftigte, war die Bildung von Fabrikausschüssen vorgesehen.
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b) Die gesetzlichen Markierungspunkte Als wesentliche gesetzliche Stationen der betrieblichen Mitbestimmung lassen sich festhalten: das Krankenversichenmgsgesetz von 1883, in dem ein frei gewählter VorstandS8 zur Verwaltung der Betriebskrankenkasse vorgesehen war; die Novellen zur Reichsgewerbeordnung 59 von 1891 (Arbeiterschutzgesetz) und zum Preußischen Berggesetz60 von 1892, die beide eine fakultative Errichtung von Arbeiterausschüssen vorsahen; das Bayerische Berggesetz von 190061 und die Novelle zum Preußischen Berggesetz von 1905, die derartige Ausschüsse erstmals obligatorisch im Bergbau einfuhrten62 ; das Gesetz über den vaterländischen Hilftdienst von 1916, das die obligatorische Einrichtung der Ausschüsse für nahezu die gesamte Industrie63 vorschrieb und den Ausschüssen die Möglichkeit gab, einen Schlichter anzurufen64 ; die TVVO von 1918, die das Hilfsdienstgesetz aufgriff und
Dieses Gremium, das aus dem Arbeitgeber und zwei gewählten Vertretern der Belegschaft bestehen sollte, hätte u.a. die Aufgabe gehabt, Fabrikordnungen zu beschließen. Obwohl dieser Entwurf nicht zur Abstimmung gelangte (Gamillscheg, in: FS für Schnitzier, S.101 1), erhielt er dennoch eine gewisse praktische Bedeutung" weil er den Eilenburger Fabrikanten (vgl. oben Fn. 55) als Modellvorlage diente (Sternfeld, Betriebsvertretung, S.16). 58 Diese Vorstände wurden im Arbeiterschutzgesetz von 1891 ausdrücklich als "Fabrikausschüsse" anerkannt (Gamillscheg, S.103). 59 RGBl 1891, S.261 ff. 60PrGS 1892, S.l31 ff. 6\ Bay GVB11900, S.745 ff. 62 PrGS 1905, S.307 ff; die Novelle schrieb in Bergwerken ab 100 Arbeitern Arbeiterausschüsse vor. 63 Das Hi1fsdienstgesetz (RGBI1916, S.l333 fl) schränkte dies allerdings (in § 11) auf Betriebe ein, die im vaterländischen Hilfsdienst tätig waren, mindestens 50 Arbeiter (bzw. Angestellte) beschäftigen und im Anwendungsbereich der Gewerbeordnung lagen. 64 Zwar brauchte der Arbeitgeber den Schlichtungsspruch nicht zu akzeptieren, doch weil er damit die Abkehr seiner Arbeiter riskierte, nahm er ihn in der Praxis an oder suchte durch Einigung mit seinem Arbeiterausschuß die Schlichtung zu vermeiden (vgl. Teuteberg, Geschichte, S.508 fl). Das Hilfsdienstgesetz war zu allererst ein Produkt des Krieges. Es war eine Konzession an die Arbeiterschaft, um kriegsnotwendige Einschränkungen von Vertragsfreiheit und Freizügigkeit auszugleichen. Das "Hindenburgprogramrn" sah ab 1916 z.B. einen Ptlichtarbeitsdienst fllr Männer zwischen 17 und 60 Jahren vor. Des weiteren durften Arbeiter nur noch eingestellt werden, wenn sie ihre vorige Arbeitsstätte zulässigerweise, d.h. mit Zustimmung des Arbeitgebers, aufgegeben hatten und dies durch einen Abkehrschein ihres früheren Arbeitgebers nachwiesen. Bedenkt man den kriegsbedingten Arbeitskräftemangel, so wird verständlich, warum § 13 des HilfsdienstG so mitbe-
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§ 2 Die historischen Grundlagen des GÜllstigkeitsprinzips
wesentlich erweiterte6S ~ schließlich die Weimarer Reichsverfassung von 11. August 1919, die in Art 165 n66 eine verfassungsrechtliche Garantie fiir die Betriebsvenretungenschuf. c) Das Arbeiterschutzgesetz Die Novelle zur Reichsgewerbeordnung (GewO) von 1891, die man durchaus als den ersten behutsamen Schritt67 in Richtung betrieblicher Mitbestimmung werten kann68 , begrundete nicht nur die Möglichkeit, ständige Arbeiterausschüsse einzurichten, sondern, als vielleicht noch wichtigere Neuerung, die Verpflichtung, Arbeitsordnungen zu schaffen. Diese Arbeitsordnungen waren vom Arbeitgeber, nach Anhörung des Arbeiterausschusses69 , einseitig zu erlassen. Sie wurden von der Verwaltungsbehörde konstimmungsfreundliche Wirkungen entfaltete und damit das HilfsdienstG vielleicht als der eigentliche Beginn der betrieblichen Mitbestimmung anzusehen ist. § 13 I Satz 1 HilfsdienstG: "Kommt in einem Betriebe ... bei Streitigkeiten über Lohn oder sonstige Arbeitsbedingungen eine Einigung zwischen Arbeitgeber und dem Arbeiterausschusse nicht zustande, so kann ... von jedem Teile ... (die) Schlichtungsstelle angerufen werden." § 13 III Satz 1 HilfsdienstG: "Unterwirft sich der Arbeitgeber dem Schiedsspruch nicht, so ist den beteiligten Arbeitnehmern auf ihr Verlangen die zum Aufgeben der Arbeit berechtigende Bescheinigung zu erteilen. " 65 Es gab jetzt keine Beschränkungen mehr. Betriebe ab 20 Arbeitern oder Angestellten mußten Arbeiter- bzw. Angestelltenausschüsse wählen, die auch in ihren Mitwirkungsrechten erheblich gestärkt worden waren (§§ 7-14 TVVO). 66 Art. 165 WRV hatte jedoch weit mehr als nur arbeitsrechtliche Bedeutung. Er sollte das Rätesystem in der Reichsverfassung verankern (Nön'. ZfA 1986, S.407 ft). 67 Diese Einschätzung bezieht sich auf Preußen und das Deutsche Reich. Schon vor 1869 hatte es vereinzelt, namentlich in Sachsen, Württemberg und Baden, gesetzliche Vorschriften über den Erlaß von Arbeitsordnungen gegeben. Sie wurden aber nicht in die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869 (BGBI des Norddeutschen Bundes 1869, S.245 ft) übernommen (Kaskel. Arbeitsrecht, S.S?). 68 Wenn auch von Mitbestimmung natürlich noch keine Rede sein konnte. Einen echten Mitbestimmungstatbestand enthielt allein § 134 b III GewO. § 134 b III GewO: "Dem Besitzer der Fabrik bleibt es überlassen, neben den in Absatz I unter 1 bis 5 bezeichneten, noch weitere die Ordnung des Betriebes und das Verhalten der Arbeiter im Betriebe betreffenden Bestimmungen in die Arbeitsordnung aufZunehmen. Mit Zustimmung eines ständigen Arbeiterausschusses können in die Arbeitsordnung Vorschriften über das Verhalten der Arbeiter bei Benutzung der zu ihrem Besten getroffenen mit der Fabrik verbundenen Einrichtungen, sowie Vorschriften über das Verhalten der mindeIjährigen Arbeiter außerhalb des Betriebes aufgenommen werden" [lI.d.Verf.]. 69 Natürlich nur soweit ein solcher bestand. Der Arbeitgeber war zwar nicht verpflichtet, einen Arbeiterausschuß zu errichten, mußte aber vor Erlaß einer Arbeits-
II. Die betriebsverfassWlgsrechtliche Geschichte des GÜllstigkeitsprinzips
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trolliert und waren fiir Arbeitgeber und Arbeitnehmer rechtsverbindlich. 7o Die Arbeitsordnungen enthielten einen notwendigen Teil über Arbeitszeit und Lohn sowie Raum fur freiwillige Regelungen. Da mit der "Arbeitsordnung" eine neue Rechtsquelle geschaffen worden war, die hierarchisch zwischen Individualarbeitsvertrag und Gesetz stand, hätte auch der Günstigkeitsgedanke Relevanz erlangen können. Daß er es nicht tat, lag insbesondere daran, daß der mit den Arbeitsordnungen verfolgte Zweck nicht in der Sicherung von Mindestarbeitsbedingungen, sondern in der Eindämmung unternehmerischer Willkürherrschaft lag71. Diese Vorstellung über den Sinn und Zweck von Arbeitsordnungen war schon in den Motiven zur GewO-Novelle deutlich zum Ausdruck gebracht worden: "Die Arbeits- Wld FabrikordnWlg ... , verfolgt einen doppelten Zweck. Sie stellt ein filr allemal diejenigen BedingWlgen auf, welche der Arbeitgeber den bei ihm BeschäftigWlg suchenden Arbeitern anbietet Wld denen sich daher jeder Arbeiter, der in die BeschäftigWlg eintreten will, unterwerfen [R.d.Verf.] muß. Sie erleichtern damit den Abschluß des Arbeitsvertrages mit jedem einzelnen Arbeiter. Daneben enthält sie die Vorschriften, die zur AufrechterhaltWlg der .. .ordnung [R.d.Verf.] des Betriebes dienen sollen, Wld sichert ihre Befolgung durch StrafbestimmWlgen ... ,,72
Im Erlaß der Arbeitsordnung vollzog sich also eine Art "Selbstbindung des Mächtigen" 73 . Wollte der Arbeitgeber von den Bestimmungen seiner Arbeitsordnung abweichen, so mußte er beweisen, daß mit dem Arbeitnehmer eine abweichende Vereinbarung getroffen worden war. Da an der generellen Zulässigkeit solcher nachträglichen Vereinbarungen ganz überwiegend74 nicht gezweifelt wurde, konnte dem Günstigkeitsgedanken hier keine Bedeutung zukommen. Nicht die Zulässigkeit einzelvertraglicher AbspraordnWlg entweder seine Arbeitnehmer oder den Ausschuß anhören (§ 134 d GewO). Auf diese Weise wollte das Gesetz einen indirekten Druck ausüben. Denn mit dem Ausschuß war sicherlich leichter eine VerständigWlg zu erzielen, als mit der großen Masse der Arbeitnehmer (Bomhak, Annalen des Deutschen Reichs 1892, S.674). 70 § l34c I GewO: "Der Inhalt der ArbeitsordnWlg ist, soweit er den Gesetzen nicht zuwiderläuft, für Arbeitgeber Wld Arbeiter rechtsverbindlich." 71 Ehmann, Die Neue OrdnWlg, 1992, S.248. 72 Stenographische Berichte über die VerhandlWlgen des Reichstages, 8. Legislaturperiode, I. Session 1890/91,1. Anlageband, S.21. 73 Sinzheimer (Arbeitsnormenvertrag I, S.21) spricht, indem er Montesquieu (De l'esprit des lois, Buch 2, Kap. I) zitiert, von dem "Übergang von der Despotie zur Monarchie im Gewerbebetrieb, ,wo ein einziger regiert, aber nach festen, ein filr allemal angeordneten Gesetzen' (Montesquieu)." 74 Nieb/er, BetriebsvereinbaTWlgsautonomie, S.130 ff.
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§ 2 Die historischen Grundlagen des GÜIlstigkeitsprinzips
chen, sondern die Beweislases fur deren Existenz und Inhalt wurden durch den Erlaß einer Arbeitsordnung berührt. Damit blieb als möglicher Anwendungsfall fur den Günstigkeitsgedanken nur die Kollision des Arbeitsvertrages mit einer nachträglich erlassenen, die Arbeitsbedingungen verschlechternden Arbeitsordnung. Nach einem Teil der Literatur76 und Rspr. 77 lag indes überhaupt keine Kollision vor. Die Vertreter dieses Ansatzes sahen in der Arbeitsordnung ein Vertragsangebot des Arbeitgebers, das ausdrücklich oder konkludenes vom Arbeitnehmer angenommen werden mußte. Damit aber war der ursprüngliche Vertrag geändert und eine Kollisionslage nicht mehr möglich. 79 Nach der GegenansichtSO schuf der Arbeitgeber mit Erlaß der Arbeitsordnung objektives RechtS 1, das unabhängig vom Einverständnis der Arbeitnehmer wie Gesetzesrecht gelte. Doch auch die Vertreter dieses Ansatzes lösten die nunmehr zwischen Arbeitsvertrag und Arbeitsordnung eintretende Kollisionslage nicht unter Zuhilfenahme des Günstigkeitsgedankens. Vielmehr sollte die Arbeitsordnung unabhängig davon gelten, ob sie die Arbeitsbedingungen der betroffenen Arbeitnehmer verbesserte oder verschlechterte. Zur Begründung verwies man auf den klaren Wortlaut des § 134c I GewO S2 , der die Rechtsverbindlichkeit der Arbeitsordnung anordnete.
v. Landmann, Gewerbeordnung, S.580. Zom, Staatsrecht, S. 87; JOifl, Arbeiterschutzgesetz, S.I64 f; v. Landmann, Gewerbeordnung, S.580. 77 GewGer Berlin, Urteile vom 1.10.1895 und 18.8.1896, bei Unger, Entscheidungen des Gewerbegerichts zu Berlin, S.169. 78 Robert v. Landmann (a.a.O.) betrachtete die Vertragsannahme als gesetzliche Fiktion fiIr den Fall, daß der Arbeiter nicht sofort kündigte. 79 Vertrat man diesen Standpunkt, so stellte die Arbeitsordnung freilich keine über dem Vertrag angesiedelte neue Rechtsquelle dar. 80 Lotmar, Arbeitsvertrag, 231; v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd.3, S.605 f; Jellinek, System, S.254, Fn. 1; Müller-Erzbach, Das Bergrecht Preußens, S.398; Oertmann, in: Festgabe fiIr Hübler, S.26; ders., Zeitschrift fiIr Socialwissenschaft 1907, S.23; Bomhak, Annalen des Deutschen Reichs 1890, S.658; Rehm, Annalen des Deutschen Reichs 1894, S.134; GewGer Berlin, Urteile vom 14.6.1894,6.11. 1895 und 19. 2. 1896, bei Unger, S.165. Vgl. zu den unterschiedlichen Ansätzen und Begründungen die ausführliche Darstellung bei: Wenzeck, Betriebsvereinbarung, S.37 f1 81 Bomhak leitete die Befugnis des Arbeitgebers zur Schaffung objektiven Rechts aus seiner Herrschaft über die Arbeiter ab (Annalen des Deutschen Reiches 1892, S.673); Oertmann (Festgabe fiIr Hübler, S.26) betrachtete den Arbeitgeber als Repräsentanten in einem Prozeß autonomer Rechtssetzung im engeren gesellschaftlichen Verband. 82 Abgedruckt in Fn. 70. 75
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II. Die betriebsverfassungsrechtliche Geschichte des Gilnstigkeitsprinzips
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Warum mit dem Recht der Arbeitsordnung keine inhaltliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erwarten war, wird auch durch einen Blick auf das damalige Kündigungsrecht erhellt. Kündigungsschutz gab es grundsätzlich nicht, nur ausnahmsweise mußte ein Kündigungsgrund83 vorliegen. Die gesetzliche84 Kündigungsfrist betrug regelmäßig 14 Tage. Ungeachtet aller dogmatischen Überlegungen sah es nun praktisch so aus, daß der Arbeitgeber, wenn er eine Arbeitsordnung erließ, damit neues Recht für den Inhalt der Arbeitsverhältnisse schuf. In Fabriken unter 20 Arbeitern, die vom Arbeiterschutzgesetz nicht erfaßt wurden, sollte die Arbeitsordnung sogar jeden Vertragsgegenstand i.S. von § 105 GewO gestalten dürfen. 85 Indes war "Freie Übereinkunft" i.S. des § 105 GewO nur die Freiheit zu akzeptieren oder zu gehen. Aus diesem Grund bestimmte § 134a IV GewO: "Die Arbeitsordnung und Nachträge zu derselben treten frühestens zwei Wochen nach ihrem Erlaß in Geltung." Diese zwei Wochen entsprachen genau der gesetzlichen Kündigungsfrist. Wem die neuen Arbeitsbedingungen nicht gefielen, der behielt somit die Chance, noch vor deren Inkrafttreten fristgerecht zu kündigen. Modem ausgedrückt wirkte der Erlaß einer Arbeitsordnung so ähnlich wie heute eine Massenänderungskündigung, allerdings mit dem gravierenden Unterschied, daß man sich seinerzeit nur durch Weggang "wehren" konnte. 86 Man sieht sehr deutlich, daß mit den Arbeitsordnungen in erster Linie ein gewisses Maß an Rechtssicherheit geschaffen werden sollte, um Streitigkeiten einzudämmen und möglichen Willkürakten des Arbeitgebers einen Riegel vorzuschieben. Zweck der Arbeitsordnung war es jedenfalls nicht, den Arbeitnehmern irgendwelche Mindestarbeitsbedingungen zu sichern, von denen dann möglicherweise zu ihren Gunsten hätte abgewichen werden können.
Vgl. etwa § 70 HGB. Der Begriff "gesetzliche Kilndigungsfrist" stammt aus § 22 KO. Im Anwendungsbereich der GewO verstand man darunter die 14-tägige Frist nach § 122 GewO, §§ 66, 67 HGB und §§ 621, 623 BGB. 85 Landmann, Gewerbeordnung, S.582; Joel, Arbeiterschutzgesetz, S.163 f. 86 Der fehlende Kilndigungsschutz war auch dafilr ursächlich, daß die Arbeiterausschüsse bis ca. 1900 völlig bedeutungslos blieben. In der Praxis begnügte sich der Arbeitgeber, dem Kassenvorstand, der nach § 134h Ziff. I GewO auch als Arbeiterausschuß i.S. des Gesetzes galt (vgl. auch Fn. 55), den Erlaß der Arbeitsordnung mitzuteilen. Machte ein von der Arbeiterschaft darüber hinaus gewählter Ausschuß irgendwelche Anhörungs- oder Mitspracherechte geltend, so wurde das Begehren mit Rausschmiß beantwortet. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nachdem die Ausschüsse immer mehr zum verlängerten Arm der Gewerkschaften geworden waren, wurden sie von den Arbeitgebern akzeptiert (Stemfeld, Betriebsvertretung, S.30 fl). 83
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§ 2 Die historischen Grundlagen des GÜ11stigkeitsprinzips
2. Das Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920
Nachdem die betriebliche Mitbestimmung durch das Hilfsdienstgesetz und die TVVO bereits wesentlich vorangetrieben worden war, setzte das Betriebsrätegesetz von 192087 (BRG) die Vorgaben der WRV auf Betriebsebene um. Durch das BRG wurde die "Vereinbarung"88 das maßgebliche Institut der betrieblichen Mitbestimmung, mündete die Beteiligung doch bis dato regelmäßig im einseitigen Erlaß der Arbeitsordnung89 durch den Arbeitgeber. Es gab damit eine zweite Gesamtvereinbarung90 neben dem Tarifvertrag. Inhaltlich konnte die Betriebsvereinbarung gem. § 78 BRG91 grundsätzlich alles regeln, was zur "Gesamtheit der Umstände [gehörte], unter denen die Einzelarbeitsleistung erfolgt"92. Die h.M. stellte "die"93 Betriebsvereinbarung dem Tarifvertrag wesensmäßig94 gleich und interpretierte 87RGBl1920, S.147 11 88 Durch die TWO (§§ 25, 26, 29) wurden die Tennini "Einigung" / "Vereinbarung" eingefUhrt und durch das BRG (§ 66 Nr.3, Nr.5; § 75) übernommen. Beide Gesetze grenzten die Tennini begrifflich jedoch nicht ein. 1921 fUhrte Georg Flatow (Betriebsvereinbarung und Arbeitsordnung, S.3 ff, S.17) hierfür den Begriff "Betriebsvereinbarung" ein. Der Begriff setzte sich so rasch durch, daß ihn der Gesetzgeber schon 1923 in § 7 SchwerbeschädigtenG (RGBlI923, S.58 f) aufgriff. 89 Das hatte sich auch unter der Geltung des HilfsdienstG nicht wesentlich geändert. Der Fortschritt, den das HilfsdienstG gebracht hatte, drückte sich vielmehr darin aus, daß der Arbeitgeber beim Erlaß der Arbeitsordnung die Vorschläge des Arbeiterausschusses nun regelmäßig übernahm, wollte er keine Schlichtung riskieren (vgl. oben Fn.64). 90 Eine LegaldefInition des Begriffes "Gesamtvereinbarung" erfolgte 1923 durch § 3 Schlichtungsverordnung (RGBl 1923, S.1043 fI), der darunter Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung zusammenfaßte. Erstmals verwandt wurde der Begriff wohl von Flatow, Grundzüge des Schlichtungswesens, 1923 (zit. nach Kaskel, Arbeitsrecht, S.350). 91 § 78 BRG: ... der Betriebsrat hat die Aufgabe ... Ziff. 2: soweit eine tarifliche Regelung nicht besteht, ... bei der Regelung der Löhne und sonstigen Arbeitsverhältnisse mitzuwirken, ... 92 Flatow, Betriebsrätegesetz, § 78 Ziff. 2 Anm. 4. 93 Es gab verschiedene Arten von Betriebsvereinbarungen. Man unterschied zwischen Arbeitsordnungen, Dienstvorschriften und Vereinbarungen über materielle Arbeitsbedingungen (Wenzeck, Betriebsvereinbarung, S.65 fI). Der Grund fllr diese Aufsplittung war die Fortgeltung der §§ 134a ff GewO. hn Bemühen, ein einheitliches Rechtsinstitut zu schaffen, sollte der Begriff der "Betriebsvereinbarung" auch die dort geregelte Arbeitsordnung umfassen. Die Arbeitsordnung wurde nun natürlich nicht mehr erlassen, sondern gern. §§ 78 Ziff. 3, 80 I BRG vereinbart. Für Inhalt und Wirkungen einer Betriebsvereinbarung konnten damit BRG und GewO maßgeblich sein. 94 So spricht Jacobi von der Betriebsvereinbarung als einem "auf die Stufe des Betriebes projizierten Tarifvertrag" (Grundlagen, S.345).
11. Die betriebsverfassungsrechtliche Geschichte des GÜ11stigkeitsprinzips
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sie als normativ wirkendes Rechtsinstitut. Die normative Wirkung der Betriebsvereinbarung begründete man entweder analog § 134c I Gew0 95 oder durch Hinweis auf § 1 I TVVO (Anordnung der unmittelbaren Wirkung des Tarifvertrages), der Ausdruck einer wesensmäßigen Folge von Gesamtvereinbarungen sei. 96 Die Betriebsvereinbarung schuf somit objektives innerbetriebliches Recht. Umstritten blieb, ob sich diese normative Wirkung darin äußere, daß die Individualarbeitsverträge automatisch (bzw. fmgiert) modifiziert würden97 oder ob die Betriebsvereinbarung, ohne deren Bestandteil zu werden, gleichsam wie ein Gesetz von außen98 auf sie einwirke. Letztlich ungeklärt blieb auch die Frage nach der Geltung des GÜnstigkeitsprinzips. Der Streit hatte sich an der Frage entzündet, welche Folgen eine Betriebsvereinbarung fur bereits bestehende günstigere Absprachen hätte. Insbesondere von Flatow wurde auch hier die Parallele zum Tarifvertrag gezogen, wobei er den besonderen Schutzcharakter der Kollektivnorm betonte. 99 Mit jenem sei es unvereinbar, wenn mittels Betriebsvereinbarung den Beschäftigten günstigere Arbeitsbedingungen entzogen werden könnten. Analog § 1 I TVVO würden die günstigeren Bedingungen des Einzelarbeitsvertrages durch eine Betriebsvereinbarung grundsätzlich nicht abbedungen. 100 In der Rspr. des Reichsarbeitsgerichts 101 fand der Vorrang günstigerer 1ndividualvereinbarungen ebenfalls Anerkennung. 102 Da das Gericht seine 95 § 134c I GewO galt unmittelbar nur ftlr die Betriebsvereinbarung in Gestalt der Arbeitsordnung (vgl. Fn. 70). 96 Flatow, Betriebsvereinbarung und Arbeitsordnung, S 67 fT. 97 So die Rspr: RAG, ARS Bd. 9, S.143 und Teile der Literatur: Koehne, Die Arbeitsordnung in der Land- und Forstwirtschaft, S.45 f; Flatow / Kahn-Freund, Betriebsrätegesetz, § 66 Anm. VlII 2a. Zur Begründung verwies man regelmäßig auf § 1 I Satz 3 TVVO. Nachdem § 1 I Satz 1 die Unwirksamkeit vom Tarifvertrag abweichender Arbeitsverträge angeordnet hatte, bestimmte nämlich Satz 3: "An die Stelle unwirksamer Vereinbarungen treten die Bestimmungen des Tarifvertrages." Hierin wurde der Ausdruck einer prinzipiellen Wirkungsweise von Gesamtvereinbarungen erblickt. Die mißliche Folge dieses Ansatzes zeigte sich insbesondere darin, daß der Arbeitgeber nach der KÜ11digung einer Betriebsvereinbarung auch die Einzelarbeitsverträge kündigen mußte, wenn er die "Nachwirkung" (heißt praktisch: Fortgeltung) der Betriebsvereinbarung vermeiden wollte (vgl. Oerlmann, SchliW 1924, S.181 fl). 98 Hueck / Nipperdey, Lb. Bd. 11, 3. /5. Aufl., S.398 f; Nipperdey, Anmerkung zu RAG, Urt.v. 30.4.1930, in: ARS Bd. 9, S.143 ff; Salfeld, Arbeitsrecht 1926, Sp.709. Das RAG änderte seine Rechtsprechung in diesem Sinne mit dem Urt.v. l. 1l. 1940, ARS Bd.40, S.443 fT. 99 Flatow, Betriebsvereinbarung und Arbeitsordnung, S.68; ders., Betriebsrätegesetz, § 75 Anm. 2; Flatow / Kahn-Freund, Betriebsrätegesetz, § 66 Anm. VlII 2a. 100 Flatow, Betriebsrätegesetz, § 75 Anm. 2.
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§ 2 Die historischen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips
Auffassung hier aber nicht begründete und in anderen Fällen mit Hinweis auf die Unmittelbarkeitswirkung der Betriebsvereinbarung gegenteilig103 entschied, wird man ihm eine eher ablehnende Tendenz zusprechen müssen. Ebenfalls eine ablehnende Haltung gegenüber dem Günstigkeitsgedanken wurde in der Literatur vor allem von Nipperdey l04 eingenommen, der eine Verdrängung der Individualvereinbarung durch nachfolgende Betriebsvereinbarung bejahte. Er argumentierte dabei hauptsächlich mit der unmittelbaren Wirkung der Betriebsvereinbarung und dem Willen der Kollektivvertragsparteien, einen neuen Rechtszustand im Betrieb zu schaffen. Würde man die Wirkungen der Betriebsvereinbarung von individualrechtlichen Tatbeständen abhängig machen, so wäre ihr Vorhaben zum Scheitern verurteilt und die Idee der Betriebsvereinbarung, "eine uniforme Regelung ftir den Betrieb herbeizufuhren"lOS, würde sinnlos. Gesetzlich folge dieses Ergebnis aus § 134a fI GewO, in denen die Verbindlichkeit von Arbeitsordnungen angeordnet werde. Dies müsse im Interesse eines einheitlichen Rechtsinstituts fur alle Betriebsvereinbarungen gelten.
III. Zwischenbilanz Betrachten wir die historische Entwicklung bis hierher, so lassen sich folgende Ergebnisse festhalten. Schon vor jeder gesetzlichen Normierung hat die tarifvertragliche Geschichte den Günstigkeitsgedanken hervorgebracht und ihn zu einer notwendigen Auslegungsregel verfestigt. Daß in diesem Auslegungsgrundsatz bereits die besondere Dialektik von Individuum und Kollektiv zum Ausdruck gebracht werden sollte, bezeugen folgende Ausfuhrungen Sinzheimers aus dem Jahre 1908: "Man wird ihn [lies: den Auslegungsgrundsatz1 deshalb bei der Auslegung der Verträge überall anwenden müssen, wenn nicht, was nur in seltenen Fällen ge-
101 Das nach den §§ 40-45 des ArbGG vom 23. 12. 1926 (vgl. Fn.24) errichtete Reichsarbeitsgericht war kein eigenständiges Gericht, sondern nur ein besonderer Senat des Reichsgerichts. Die drei Berufsrichter (neben 2 Laien als Arbeitnehmer- / Arbeitgebervertreter), die ordentliche Mitglieder des RG waren, wurden dem RAG im Geschäftsverteilungsverfahren zugewiesen (Kaskel, NZfA 1927, SpAlO fl). 102 RAG, ARS Bd. 10, S.164 ff. 103 RAG, ARS Bd. 8, S.124 fI; ARS Bd. 10, S.230 fI; ARS Bd. 10, SA07 fI. 104 Nipperdey, in: Hueck / Nipperdey, Lb. Bd. Ir, 3. /5. Aufl., SAOO, Fn. 15a; ders., Anmerkungen zu den Urteilen des RAG in ARS Bd. 10, S.167 fund SAIO. 105 Nipperdey, Anm. zu RAG, ARS Bd. 10, S.I64.
III. Zwischenbilanz
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schehen dürfte, in dem Vertrag selbst unzweideutig ein entgegenstehender Wille zum Ausdruck gelangt. Indem die beteiligten Parteien von vornherein diese Auffassung betätigen, haben sie in der glücklichsten Weise die beiden Interessen, einerseits der in Frage kommenden Arbeiterschaft ein gewisses Lebensminimum durch eine allgemeine Regel zu sichern, andererseits aber einen Aufstieg des höherwertigen Individuums im Arbeitsvertrag doch nicht zu hindern, aufs Beste versöhnt - ein praktischer Versuch der Verbindung von individualistischer und sozialistischer Lebensregelung [R.d. Verf]. Damit entfallt der Vorwurf, der vom Standpunkt ... der individuellen Freiheit gegen die Arbeitsnormenverträge immer noch erhoben wird, ... "106
Eine ganz andere und vom zuvor Festgestellten unabhängige Frage ist es, welche Durchsetzungskraft dem Günstigkeitsprinzip zukam. Auch wenn man übereinstimmend der Ansicht war, der Zweck des Tarifvertrages liege in der Schaffung von Mindestarbeitsbedingungen, so fehlte doch der Spielraum, dem Günstigkeitsprinzip im Rahmen der herrschenden Tarifvertragsdogmatik (BGB-Vertrag und Verbandstheorie) andere Rechtswirkungen zuzusprechen, als die eines Auslegungsgrundsatzes. Das Bürgerliche Recht bot hier einfach keine Möglichkeiten, sich über den eindeutig erklärten Vertragswillen hinwegzusetzen. Wie hätte man mit dem überkommenen rechtlichen Instrumentarium Ausnahmen zugunsten der Arbeiter begründen sollen, wenn die Vertragspartner keine Ausnahmen zulassen wollten? Als die TVVO dem Günstigkeitsprinzip später eine gesetzliche Grundlage gab, verhinderten mächtige Verbandsinteressen, auf die in der besonderen historischen Situation jedwede Rücksicht zu nehmen war, die Wirkungskraft des Günstigkeitsprinzips zu verstärken. Der betriebsverfassungsrechtlichen Geschichte war der Günstigkeitsgedanke anfanglich weitgehend fremd. Aber es ging hier auch nicht um die Schaffung von Mindestarbeitsbedingungen, sondern man versuchte mittels strenger Ordnungen, den "Herrn im Hause" zu bändigen. Unter der Geltung des BRG änderte sich dieses entscheidend. Nunmehr gab es mit der Betriebsvereinbarung eine zweite Kollektivvereinbarung zur Regelung materieller Arbeitsbedingungen und damit auch Raum flir die Anwendung des GÜnstigkeitsprinzips. Es war zuvorderst Flatow, der die Bedeutung der Schutzfunktion kollektiver Normsetzung hervorhob und konsequent 107 umsetzte. Überzeugend legte er dar, daß aus Schutz nicht Schaden werden 106 Sinzheimer,
Arbeitsnormenvertrag TI, S.62 f Jedenfalls soweit es sich um das Verhältnis zum Einzelarbeitsvertrag handelte. Zu Flatows überraschenderweise entgegengesetzten Position im Verhältnis Betriebsvereinbarung - Tarifvertrag vgl. weiter unten S.49 ff. 107
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§ 2 Die historischen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips
dürfte l08 und gewährte der günstigeren individualvertraglichen Absprache den Vorrang. Als hartnäckiger Gegner des Günstigkeitsprinzips erwies sich währenddessen der Ordnungsgedanke, der auch in Nipperdeys Argumentation immer wieder auftauchte. Es war letztlich die Vorstellung, Kollektivnormen wollten einen neuen Rechtszustand, eine neue Ordnung herbeifiihren und dies dürfte nicht auf individualrechtlicher Ebene vereitelt werden. Dementsprechend schrieb Nipperdey anläßlich der Besprechung eines Reichsgerichtsurteils aus dem Jahre 1925, bei dem es u.a. um die Frage ging, ob eine Begünstigung vorläge: "Zunächst ist immer dann, wenn es zweifelhaft bleibt, ob eine Abänderung zugunsten des Arbeitnehmers erfolgt ist, die Abänderung als unzulässig anzusehen. Denn ... [das Günstigkeitsprinzip / E.d.Verf.] ist die besonders zu begründende Ausnahme von dem allgemeinen Prinzip [lI.d.Verf.], das in erster Linie anzuwenden ist. "I 09
Die machtbändigende Funktion der "Ordnung" war bei Nipperdey um eine machtbegründende Komponente erweitert worden. Sollte sich ursprünglich der bereits Mächtige durch die "Ordnung" selbst beschränken, so verhalf sie nunmehr dem Kollektiv auch zur Macht über den Einzelnen.
IV. Das Günstigkeitsprinzip als zwingender Rechtssatz 1. Die ideologischen Vorgaben ab 1933
Mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde aus dem kollektiven ein staatliches Arbeitsrecht, in dem das überall geltende Führerprinzip auch auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene konsequent durchgesetzt wurde. Arbeitgebervereinigungen und Gewerkschaften, nunmehr als einem "marxistischen Gruppenindividualismus"IIO Vorschub leistende volkszerstörerische Klassenkampforganisationen denunziert, wurden zerschlagen, und an die Stelle der Verbände trat mit der "Deutschen Arbeitsfront" (DAF.) eine Organisation, die bei der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse nahezu keine Rolle mehr spielte. lll Gerechtfertigt wurde dieser völlige Bruch bisheriger kollektivrechtlicher Traditionen mit der Förderung des Gemeinwohls. 1l2 108 Flatow /
Kahn-Freund, Betriebsrätegesetz, § 66 Anm. VIII 2a. 109 Nipperdey, NZfA 1926, Sp.209. 110 Freisler, in: FS filr Lehmann, S.44. Es ist hier nicht der Ort, die tieferen Wurzeln dieses Standpunkts näher darzulegen und kritisch zu bewerten. 111 Zur "DAF." vgl.: Siebert, Die deutsche Arbeitsverfassung, S.49 fT. 112 Vgl. Nipperdey, in: FS filr Lehmann, S.262.
IV. Das Günstigkeitsprinzip als zwingender Rechtssatz
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2. Die gesetzlichen Vorgaben des AOG
Das Gesetz über die Treuhänder der Arbeit vom 19. Mai 1933 113 und das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 114 (AOG) beseitigten das bisherige kollektive Vertragsrecht und übertrugen die Regelungskompetenz :fur Arbeitsbedingungen den "Treuhändern der Arbeit"115 und den "BetriebsjUhrern"116. Die überbetrieblich 117 agierenden Treuhänder legten Richtlinien :fur Betriebsordnungen und Einzelarbeitsverhältnisse fest, und sie erließen Tarifordnungen, die an die Stelle der Tarifverträge traten (§ 32 AOG). Auf betrieblicher Ebene sprach man nun von "Betriebsfuhrer" (Arbeitgeber) und "Gefolgschaft". In Betrieben ab 20 Arbeitnehmern wählte die Gefolgschaft ihre "Vertrauensmänner" in einen gemeinsam mit dem Betriebsfuhrer zu bildenden "Vertrauensrat" . Dieser Vertrauensrat ersetzte fortan den Betriebsrat und wirkte beim Erlaß der Betriebsordnung mit. Die Betriebsordnung, die das Institut der Betriebsvereinbarung ersetzt hatte, wurde aber nicht vereinbart, sondern vom Betriebsfuhrer erlassen. Der Vertrauensrat hatte hierbei nur eine beratende Funktion. Die Regelungsgegenstände der Betriebsordnung blieben im wesentlichen mit denen der Betriebsvereinbarung identisch. 118 Interessant ist nun die der Tarifordnung 1l9 und RGBl1933, S.285. RGBl 1934, S.45 ff; fortfilhrend das Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben vom 23. März 1934 (AOGö), RGBl1934, S.220 ff. 115 Das Treuhändergesetz als vorläufige Regelung wurde durch das AOG wieder aufgehoben. Das Treuhänderamt wurde aber in den §§ 18 ff AOG beibehalten. § 2 I Satz 1 TreuhänderG: "Bis zur Neuordnung der Sozialverfassung regeln die Treuhänder an Stelle der Vereinigungen von Arbeitnehmern, einzelner Arbeitgeber oder der Vereinigung von Arbeitgebern rechtsverbindlich für die beteiligten Personen die Bedingungen für den Abschluß von Arbeitsverträgen. " § 65 AOG hob TVVO, BRG und SchlichtVO, § 69 Il AOG die §§ 134a ff GewO auf. Das AOG machte die Treuhänder zu weisungsgebundenen Reichsbeamten, die dem Reichsarbeitsministerium unterstellt wurden (§ 18 AOG). 116 § 26 AOG: "In jedem Betriebe, in dem in der Regel mindestens zwanzig Angestellte und Arbeiter beschäftigt sind, ist vom Führer des Betriebes eine Betriebsordnung für die Gefolgschaft des Betriebes (§ 1) schriftlich zu erlassen. " 117 Das Reich wurde in 13 Wirtschaftsgebiete unterteilt, die man den Treuhändern als Amtsbezirke zuwies (§§ 18 I, 64 Il AOG iVm. 1. DurchfilhrungsVO zum AOG, RGB11934, S.174). 118 § 27 m AOG: "In die Betriebsordnung können ... auch Bestimmungen über die Höhe des Arbeitsentgelts und über sonstige Arbeitsbedingungen aufgenommen werden, ... " 119 Da es sich um Verwaltungserlasse handelte, waren sie rechtsquellenmäßig als Rechtsverordnungen einzustufen (Hueck / Nipperdey / Dietz, AOG, § 32 Anrn. 118), setzten also staatliches Recht. 113
114
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§ 2 Die historischen Grundlagen des GÜllstigkeitsprinzips
Betriebsordnung 120 zugedachte Wirkung auf das Individualarbeitsverhältnis. Für die Tarifordnung behielt man grundsätzlich die unmittelbare und zwingende Wirkung i.S. der TVVO bei, gestaltete sie aber in einen einseitig wirkenden Zwang um. Nach § 32 II Satz 2 AOG waren die "Bestimmungen der Tarifordnung ... für die von ihr erfaßten Arbeitsverhältnisse als Mindestbedingungen [H.d.Verf.] rechtsverbindlich." Auch die Regelungen der Betriebsordnung wurden durch § 30 AOG121 ausdrücklich zu Mindestarbeitsbedingungen gemacht. In § 29 AOG122 wurde dies fiir den Bereich der Lohngestaltung noch einmal gesondert bekräftigt. Es war somit weder der Treuhänder berechtigt, beidseitig zwingende Tarifnormen zu schaffen, noch konnte der Betriebsfiihrer derartige Betriebsordnungen erlassen. 123 Dem Günstigkeitsgedanken war damit erstmals zwingende Rechtswirkung zuerkannt worden. 124 Nach nunmehr ganz h.M. konnte eine nachfolgende Betriebsordnung oder Tarifordnung günstigere Individualvereinbarungen nicht mehr verdrängen. 12S 3. Nipperdeys dogmatische Begründung des Günstigkeitsprinzips
Den dogmatischen Ansatz fiir die Begründung des Günstigkeitsprinzip glaubte man im "Leistungsgrundsatz" gefunden zu haben. 126 Durch die Be120 Die Betriebsordnung wurde nahezu einhellig als autonome Satzung des Personenverbandes "Betriebsgemeinschaft" , erlassen durch dessen Repräsentanten, qualifiziert (RAG ARS Bd. 40, S.454 f; Hueck, Arbeitsrecht, S.176). Damit war auch der Streit, ob die Betriebsvereinbarung I -ordnung von außen auf den Individualvertrag einwirke oder Vertragsbestandteil werde, endgültig im Sinne der Gesetzestheorie entschieden worden. 121 § 30 AOG: "Die Bestimmungen der Betriebsordnung sind fi1r die Betriebsangehörigen als Mindestbedingungen rechtsverbindlich" [H.d.Verf.]. 122 § 29 AOG: "Soweit in der Betriebsordnung der Arbeitsentgelt ... festgesetzt wird, sind Mindestsätze mit der Maßgabe aufZunehmen, daß für die seinen Leistungen entsprechende Vergütung des einzelnen Betriebsangehörigen Raum bleibt. Auch im übrigen ist auf die Möglichkeit einer angemessenen Belohnung besonderer Leistungen Bedacht zu nehmen" [H.d.Verf]. 123 Hueck / Nipperdey / Dietz, AOG, § 29 Anm. 8. 124 Die Entwicklung ab Mitte 1938 (Lohnstoppgesetzgebung 25.6.1938, RGBl 1938, S.691; Kriegswirtschaftsverordnung 4.9.1939, RGBI 1939 8.1609 und 12.10.1939, RGB11939, S.2028) beendete die Geltung des GÜllstigkeitsprinzips wieder. Die Treuhänder der Arbeit waren nunmehr gehalten, Höchstarbeitsbedingungen festzusetzen. 125 So die ständige Rspr. des RAG, ARS Bd. 28, S.261 ff; ARS Bd. 34, S.136 ff; ARS Bd. 40, S.443 ff. Für die einhellige Kommentarliteratur sei stellvertretend genannt: Mansfeld / Pohl / Steinmann / Krause, AOG, § 30 Anm. 4. 126 Hueck / Nipperdey / Dietz, AOG § 29 Anm. 5a.
IV. Das Günstigkeitsprinzip als zwingender Rechtssatz
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schränkung der Regulierungsmacht auf Mindestbedingungen sollte die Möglichkeit geschaffen werden, im Rahmen des Einzelarbeitsverhältnisses das "Leistungsprinzip"127 zu verwirklichen. 128 Wegbereitend hierbei war ein Beitrag Nipperdeys in der Festschrift für Heinrich Lehmann aus dem Jahre 1937129 . Nipperdey versucht dort, "an den Kern der Dinge" vorzudringen und dem Günstigkeitsprinzip ein dogmatisches Fundament zu geben. Den Ausgangspunkt bildet für ihn die gesetzliche Regelung in den § 29, 30 und 32 AOG. Insbesondere das in § 29 festgeschriebene Leistungsprinzip sei ein Grundgedanke des gesamten neuen Arbeitsrechts. 130 Es solle damit für alle Arbeitsbedingungen l3l sichergestellt werden, daß den tatsächlichen Leistungen des einzelnen Rechnung getragen werden könne. Dieses Leistungsprinzip und damit zugleich das Günstigkeitsprinzip sei nun aber nichts anderes als der Ausdruck eines noch allgemeineren Rechtsprinzips, nämlich des Spezialitätsprinzips: "Die speziellere, individuelle Regelung, sofern sie günstiger ist, geht der allgemeinen im Betrieb oder Beruf vor." 132 Auf der anderen Seite gelte das Ordnungsprinzip. Dies ergebe sich aus der Wirkungsweise der Tarifordnung und Betriebsordnung als "zwingende ergänzende Rechtsnormen"133, die nicht Inhalt der Parteivereinbarungen würden. 134 Wenn eine solche Normenordnung durch eine neue abgelöst werde (Tarifordnung durch Tarifordnung und Betriebsordnung durch Betriebsordnung), dann gelte die neue Ordnung ohne Rücksicht darauf, ob die Arbeitsbedingungen der alten Ordnung günstiger waren oder nicht. Die alte Ordnung werde also völlig verdrängt. Mit "Ordnungsprinzip" bezeichnete Nipperdey somit nichts anderes als den aus der Rechtsquellenlehre bekannten Satz: "lex posterior derogat legi priori"135, der immer dann greift, wenn 127 Der Tenninus wird wohl erstmals 1934 von Mansfeld / Pohl / Steinmann / Krause (AOG, § 30 Anm. 2b) gebraucht. 128 Siebert, Die deutsche Arbeitsverfassung, S.85 tT. 129 Nipperdey, in: FS für Lehmann, S.257 ff. 130 Aa.O., S.263. 131 So auch Mansfeld / Pohl / Steinmann / Krause, AOG, § 30 Anm. 2b. 132 Nipperdey, S.264. 133 Aa.O., S.260. 134 In der arbeitsrechtlichen Praxis wird dieses prinzip salopp als "Sonnenscheintheorie" bezeichnet: Der Inhalt der tariflichen Normen wird nicht Inhalt des Individualvertrages, sondern "bescheint" ihn nur. Mit einem neuen Tarifvertrag "scheint eine neue Sonne", d.h., es gilt das Recht des neuen Tarifvertrages auch insoweit, als er ungünstigere Regelungen enthält. 135 Sticker, Gruppenautonomie, S.284. Ernst Forsthoff (Rechtsstaat im Wandel, S.150, Fn. 5) kennzeichnet dieses Prinzip als normimmanente Logik.
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§ 2 Die historischen Grundlagen des GÜllstigkeitsprinzips
zwei Rechtsquellen gleichen Ranges und gleichen Geltungsgrundes zeitlich aufeinanderfolgen.
V. Das Verhältnis der Gesamtvereinbarungen zueinander 1. Vor Erlaß der TVVO
Bis zum Inkrafttreten von TVVO und BRG stand dem Tarifvertrag nur die Arbeitsordnung gegenüber, bei der es sich aber, wie gezeigt wurde, noch nicht um eine Gesamtvereinbarung handelte, sondern um ein einseitiges Gestaltungsinstrument des Arbeitgebers. Überwiegend wurde der nur obligatorisch wirkende Tarifvertrag als das schwächere Institut eingestuft136, das sich gegen eine Arbeitsordnung nicht durchzusetzen vermochte. Selbst Lotmar 137, der ja von einer unmittelbaren und zwingenden Wirkung des Tarifvertrages ausging, kapitulierte vor dem klaren Wortlaut des § 134c I GewO (Anordnung der Rechtsverbindlichkeit der Arbeitsordnung)138. 2. Nach Erlaß der TVVO
a) Mit Erlaß der TVVO begann sich die Lage entscheidend zu ändern. Zum einen verwandelte der Gesetzgeber den obligatorisch wirkenden Tarifvertrag in ein normativ zwingend wirkendes Rechtsinstitut (§ 1 I Satz 1 TVVO). Zum anderen wurde in § 13 I Satz 3 TVV0139 der Vorrang des Tarifvertrages gesetzlich festgeschrieben. Dieses Rangverhältnis wiederholten 140 später die § 66 Ziff. 5, § 75 I Satz 1 und § 78 Ziff. 2, 3 BRG; sie machten eine Regelung mittels Betriebsvereinbarung davon abhängig, daß insoweit "eine tarifliche Regelung nicht besteht. "141 Der klare gesetzliche Wortlaut fuhrte dazu, daß nunmehr der grundsätzliche Vorrang des Tarifvertrages gegenüber der Betriebsvereinbarung nicht mehr ernsthaft in Frage ge136 Lotmar, Arbeitsvertrag, S.787 f; Sinzheimer, GewKfinG Bd. 10, Sp.378; Schuldt, Betriebsvereinbarung, S.77. Für die Rspr. vgl. GewGer Naumburg, Urt. v. 7. 5. 1912, GewKfinG Bd. 18, Sp.2 (zit. nach Warschauer, Arbeitsrecht 1915, S.332). 137 Lotmar (a.a.O.) gab aber zugleich seinem Wunsch nach einer gesetzlichen Neuregelung Ausdruck, die den Vorrang zugunsten des Tarifvertrages korrigieren möge. 138 Abgedruckt in Fn. 70. 139 § 13 I Satz 3 TVVO: "Soweit [II.d.Verf.] eine tarifliche Regelung nicht besteht, haben die Ausschüsse ... bei der Regelung der Löhne und sonstigen Arbeitsverhältnisse mitzuwirken. " 140 Der ll. Abschnitt der TVVO, in den auch § 13 fiel, wurde durch die Regelungen des BRG ersetzt (vgl. Fassung der TVVO vom 23. 1. 1923, RGBl 1923, S.67). 141 § 78 ZifI 2 BRG (abgedruckt in Fn. 91).
V. Das Verhältnis der Gesamtvereinbarungen zueinander
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stellt wurde. 142 Strittig blieb aber, ob dieser Vorrang ausnahmslos (absolut) gelte oder ob eine Betriebsvereinbarung dann wirksam geschlossen werden könnte, wenn sie Abweichungen zugunsten der Arbeitnehmer enthielt. Eine verbreitete Literaturmeinung lehnte eine solche Ausnahme zunächst ab. Insbesondere von Flatow143 wurde dieser Standpunkt mit Nachdruck verfochten und mit dem Hinweis auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut der §§ 66, 75 und 78 BRG begründet. Wo eine tarifliche Regelung bestehe, dort sei eine Betriebsvereinbarung nun einmal unzulässig und nichtig. Schon die Fragestellung, ob eine Betriebsvereinbarung günstiger oder ungünstiger sei, wäre daher falsch. 144 Dem schloß sich anfanglich auch das RAG14S an und entschied in mehreren Urteilen gegen eine Wirksamkeit begünstigender Betriebsvereinbarungen, wobei der Wortlaut von § 78 Ziff. 2 BRG regelmäßig zur Begründung herangezogen wurde. b) Bis Ende der zwanziger Jahre hatte sich im Schrifttum massiver Widerstand gegen diese Position geregt. 146 Vornehmlich Alfred Hueck, der die Gegenentwicklung ab 1921 in mehreren Aufsätzen 147 vorantrieb, argumentierte hierbei ausdrücklich mit dem Schutzgedanken. Es sei der grundsätzliche Charakter der Tarifnorm, "nur ein bestimmtes Minimum zu sichern, aber sie wolle nicht Verbesserungen in der Lage des Arbeitnehmers ausschließen. Welchen Unterschied es dann machen sollte, ob derartige Verbesserungen durch Einzelarbeitsvertrag oder aber durch Betriebsvereinbarung geschaffen werden, ist nicht einzusehen."148 Deshalb sei § 1 I Satz 2 TVVO, der günstigere "Vereinbarungen" im Verhältnis zum· Tarifvertrag zulasse, ohne weiteres auch auf Betriebsvereinbarungen anwendbar. Hueck bezeichnete Hueck, NZfA 1923, Sp.96. Flatow, Betriebsvereinbarung und Arbeitsordnung, S.54 ff; ders., Betriebsrätegesetz, § 75 Arun. 3; ebenso: Dersch, SchliVO, S.168 f 144 Flatow, Betriebsvereinbarung und Arbeitsordnung, S.55; in diesem Sinne auch: Mansfeld, Betriebsrätegesetz, 1. Bd., § 78Arun. 3b; Groh, JW 1928, S.1325. 145 RAG, ARS Bd. 1, S.132 ff; ARS Bd. 2, S.15 ff. 146 PotthojJ, Arbeitsrecht 1924, Sp.7; Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S.240; Jacobi, Grundlagen, S.356 ff; Kaskel, Arbeitsrecht, S.44; Joerges, SchliW 1926, S.83; Erdel, SchliW 1926, S.82; Kahn-Freund, Umfang der normativen Wirkung des Tarifvertrages und Wiedereinstellungsklausel, S.69; Kieschke / Syrup / Krause, Betriebsrätegesetz, § 66 Rn. 22; Martin, Das Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung, S.39; Schuldt, Betriebsvereinbarung, S.86 ff; Kronenberg, Ausnahmen, S.24; vorsichtig in diesem Sinne äußert sich auch Nipperdey in seiner Arunerkung zu RAG (Urt. v. 20.10.1927), in: ARS Bd.l, S.137. 141 Hueck, GewKfinG 1921 (Bd. 26), Sp.86; ders., NZfA 1923, Sp.96 ff; ders., NZfA 1926, Sp.403 ff. 148 Hueck, NZfA 1926, Sp.404. 142 143
4 Th. B. Schmidl
§ 2 Die historischen Grundlagen des GÜllstigkeitsprinzips
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dies ausdrücklich als einen Anwendungsfall des "Günstigkeitsprinzips".149 Dem Einwand Flatows lSO , der Gesetzgeber habe bei der Schaffung von § 1 I Satz 2 TVVO nur an die Einzelabrede gedacht, da ihm das Institut der Betriebsvereinbarung noch unbekannt gewesen sei, begegnete er mit dem Hinweis, daß dann auch die Unabdingbarkeitswirkung der Tarifnormen, die ebenfalls in § 1 TVVO angeordnet werde, nur flir Einzelverträge gelten dürfte. lSI Im übrigen hätte er, Hueck, keine Bedenken gehabt, § 1 I Satz 2 TVVO auf die damals geläufigen Arbeitsordnungen anzuwenden, sofern sie für die Arbeiter günstiger gewesen seien. 152 Auch die Rspr. gab ihre ablehnende Haltung schließlich auf. In einer Entscheidung des RAG153 aus dem Jahr 1930 heißt es, die Festsetzung einer Zulage durch Betriebsvereinbarung sei "nicht tarifwidrig und nichtig, da es sich um eine übertarifliche Zulage handelt, also um eine Begünstigung der Arbeitnehmer gegenüber dem TV"IS4 [H.d.Verf.]. c) Es zeigt sich, daß viele Autoren und auch das RAG zu dieser Zeit zum "Kern der Dinge" (Nipperdey) des Günstigkeitsgedankens noch nicht hinreichend vorgedrungen waren und ihn in seinem "Wesen" noch nicht klar und eindeutig erkannt hatten. Während z.B. Flatow im Spannungsfeld Betriebsvereinbarung - Einzelarbeitsvertrag nachdrücklich für dessen Anwendung eintrat, lehnte er dies mit der gleichen Entschiedenheit im Verhältnis Betriebsvereinbarung - Tarifvertrag ab. Umgekehrt tendierte Nipperdey, der dem Günstigkeitsgedanken im ersten Fall wenig wohlgesonnen war, letzterenfalls eher zu Huecks PositioniSS. Begründen lassen sich diese wechselnden Positionen wohl am ehesten mit zwei Erwägungen. Zum einen hatte der Günstigkeitsgedanke noch kein ausreichendes dogmatisches Fundament erhalten, und so suchte man die Entscheidung aus der jeweils konkreten Norm heraus zu treffen. Hier aber bot sich eine scheinbar widersprüchliche Gesetzeslage dar. So versagten die §§ 66, 75, 78 BRG den Abschluß von Betriebsvereinbarungen, soweit ein Tarifvertrag existierte. Andererseits ließ aber § 1 I Satz 2 TVVO günstigere Vereinbarungen zu. Dieser "Grundwiderspruch" war schon in der ursprünglichen Fassung der TVVO angelegt, denn bereits § 13 I Satz 3 TVV0156 schloß die Mitwirkung des ArbeiterausNZfA 1926, Sp.403. Betriebsvereinbarung und Arbeitsordnung, S.56. 151 Hueck, NZfA 1923, Sp.96 f. 152 Hueck, NZfA 1923, Sp.97, Fn. 12. 153 RAG Urt.v. 30. 4.1930, ARS Bd. 9, S.140 ff. 154 A.a.O., S.140 (Leitsatz). 155 So in seiner Anmerkung zu RAG, ARS Bd.l, S.137. 156 Abgedruckt in Fn. 139. 149 Hueck,
150 Flatow,
V. Das Verhältnis der Gesamtvereinbarungen zueinander
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schusses bei der Festlegung von Lohn und Arbeitszeit aus, soweit eine tarifliche Regelung bestehe. Das problematische Verhältnis dieser beiden Normen setzte sich im Konflikt von TVVO und BRG fort. Das BRG, das den 11. Abschnitt der TVVO und damit auch § 13 ersetzt hatte, enthielt nämlich mit § 78 Ziff. 2 eine Norm, die mit § 13 I Satz 3 TVVO nahezu identisch war. In der aktuellen Diskussion fmden wir dieses Spannungsfeld in § 4 III TVG und § 77 III Satz 1 BetrVG 1972 wieder. Der andere Grund muß wohl in den Besonderheiten gesucht werden, die aus der Möglichkeit einer Zwangsschlichtung resultierten, mit der das Verhältnis Betriebsvereinbarung - Tarifvertrag von Anfang an belastet war. 157 So bildete etwa für Flatow158 gerade der Konflikt von tariflicher Friedenspflicht und mittels Schiedsspruch erzwingbarer übertariflicher Lohnbetriebsvereinbarung ein gewichtiges Argument gegen die Anwendbarkeit des Günstigkeitsgedankens. 159 3. Nach Erlaß des AOG
Mit Inkrafttreten des AOG setzte sich Huecks Ansicht endgültig durch. 160 Das RAG entschied nunmehr in ständiger Rechtsprechung, daß die günstigere Betriebsordnung der Tarifordnung vorgehe 161 , und Nipperdey 162 beton157 Nach der TVVO und dem BRG erlangte ein Schiedsspruch grundsätzlich nur dann Wirksamkeit, wenn die Parteien sich ihm freiwillig unterwarfen. Eine Zwangsschlichtung war nicht vorgesehen. Nur flir den Bereich formeller Arbeitsbedingungen gab es nach §§ 75, 80 BRG eine Ausnahme (Flataw, Betriebsrätegesetz, § 66 ZifT. 3 Anm. 31. b). Die Zwangsschlichtung ftlr materielle Arbeitsbedingungen wurde jedoch durch §§ 25, 28 der Verordnung vom 12.2. 1920 (RGBl. 1920, S.218) ermöglicht. Danach konnte der Demobilmachungskommissar in gewissen Fällen einen Schiedsspruch filr verbindlich erklären. Diese Bestimmungen hob erst Art. III § 3 I Nr.4 SchlichtVO (RGBl. 1923, S.1043) auf. Gleichzeitig wurde aber mit Art. I §§ 1-9 der SchlichtVO die generelle Zwangsschlichtung eingeführt, die sogar von Amts wegen (§ 5 I) eingeleitet werden konnte. 158 Flataw, Betriebsvereinbarung und Arbeitsordnung, S.57. 159 Hueck (GewKfrnG, Bd.26 Sp.83) versuchte dieses Problem dahingehend zu lösen, daß er den Bereich der erzwungenen Betriebsvereinbarung ausklammerte und die Geltung des GÜIlstigkeitsprinzips (zwischen Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag) auf freiwillige Betriebsvereinbarungen beschränkte. Ebenso: Schuldt, Betriebsvereinbarung, S.89. 160 Mansfeld / Pahl / Steinmann / Krause, AOG, § 32 Anm. 12; Hueck / Nipperdey / Dietz, AOG, § 32 Anm. 239. 161 RAG ARS Bd. 29, S.168; ARS Bd. 31, S.44 fT; ARS Bd.31, S.347 fT; ARS Bd.40, S.443 fT. 162 Nipperdey, in: FS ftlr Lehmann, S.264.
§ 2 Die historischen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips
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te nachdrücklich, daß die Anwendbarkeit des Spezialitätsprinzips natürlich auch für das Verhältnis zwischen Tarifordnung und Betriebsordnung ohne Einschränkung bejaht werden müßte: "Ganz von dieser Prägung als Spezialitätsprinzip beherrscht ist das Verhältnis von BO. zur TO. Die TO. enthält auch im Verhältnis zur BO. Mindestbedingungen. Günstigere Bedingungen in der BO. können getroffen werden oder bleiben bestehen. Dies ist kein Widerspruch zum Leistungsprinzip. Denn im Verhältnis zu den Mindestbedingungen der einen ganzen Beruf erfassenden TO. beruhen die fllr den einzelnen Betrieb in der BO. festgelegten günstigeren Mindestbedingungen auf den besonderen Verhältnissen und Leistungen innerhalb des Betriebes."
VI. Ergebnis Die historische Betrachtung hat gezeigt, daß die Wurzeln des Günstigkeitsprinzips in der besonderen Dialektik von notwendigem kollektiven Schutz und individueller Freiheit liegen. Lange vor jeder gesetzlichen Regelung hatte diese Beziehung in einem zwingenden Auslegungsgrundsatz ihre erste rechtliche Ausformung erhalten. Wenn Rugo Sinzheimer das Günstigkeitsprinzip als einen "Versuch der Verbindung von individualistischer und sozialistischer Lebensregelung"163 charakterisierte und Georg Flatow 164 vor der Gefahr warnte, daß Schutz in Schaden umschlagen könnte, dann sprechen beide genau diese Dialektik an. Der nachfolgenden Entwicklung gelang es jedoch nicht, diesen Gedanken systematisch aufzubereiten und daraus ein tragfähiges dogmatisches Gerüst zu entwickeln. Vielmehr war die juristische Diskussion durch das ständige Bemühen gekennzeichnet, dem Günstigkeitsprinzip im Rahmen der herrschenden Tarifvertragsdogmatik zu praktischer Wirksamkeit zu verhelfen. Die hierbei unternommenen Anstrengungen, Durchsetzungskraft und Geltungsbereich des Günstigkeitsprinzips in der Auseinandersetzung mit den jeweils betroffenen Normen (§ 134c GewO, § 1 TVVO, § 78 BRG) zu ermitteln, fUhrten denn auch zu keiner letztendlich befriedigenden Gesamtlösung. Erst in dem Augenblick, als die besondere Funktion der "Kollektivnormen" im AOG gesetzlichen Ausdruck gefunden hatte ("Mindestarbeitsbedingung"), gelang es Nipperdey, dem Günstigkeitsprinzip auch eine dogmatische Grundlage zu geben, indem er es als Spezialitätsprinzip16S einstufte. Unbeschadet der möglichen Richtigkeit des ErgebSinzheimer, Arbeitsnormenvertrag n, S.63. Kahn-Freund, Betriebsrätegesetz, § 66 Anm. 165 Nipperdey, in: FS fllr Lehmann, S.264.
163
164 Flatow /
vm 2a.
VI. Ergebnis
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nisses ist seine Argumentation auf das heutige Recht jedoch nicht unmittelbar übertragbar. Denn einerseits lehnte sich Nipperdey sehr eng an das im AOG verankerte Leistungsprinzip an und andererseits entwickelte er diese Dogmatik zu einer Zeit, in der es weder Tarif- noch Betriebsautonomie gab und somit "Kollektivvereinbarungen" überhaupt nicht existierten. Dennoch läßt sich für die weitere Untersuchung festhalten, daß eine grundlegende dogmatische Aufarbeitung des Günstigkeitsprinzips wohl nur gelingen kann, wenn auf die besondere Funktion der Kollektivnorm im Spannungsfeld von kollektiver Schutzgewährung und individueller Freiheitsverbürgung zurückgegangen wird.
§ 3 Die rechtlichen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips I. Die einfachgesetzliche Lösung (§ 4 III TVG) In der Diskussion um die rechtlichen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips stehen sich zwei grundsätzliche Positionen gegenüber. Nach einer Ansicht soll das Günstigkeitsprinzip ein verfassungsrechtlich 1 gewährleistetes Rechtsprinzip sein, das sich nicht in dem Gehalt einer Kollisionsregel erschöpft. Die andere, scheinbar unproblematischere Meinung, begnügt sich mit dem Verweis auf § 4 III TVG und versteht in einem engeren Sinne nur die hier getroffene Regelung als "Günstigkeitsprinzip". Dem Gesetzgeber hätte es auch freigestanden, eine § 1 I Satz 2 TVV02 entsprechende Regelung zu schaffen und dem Günstigkeitsprinzip erneut die Wirkung einer AuslegungsregeP zuzuweisen. Dies ist im Kern die Aussage derjenigen, die sich gegen eine verfassungsrechtliche Gewährleistung des Günstigkeitsprinzips aussprechen. 4 Für diese Position mag eine betont historische Auslegung Argumente bereithalten. So läßt sich nicht leugnen, daß in der Weimarer Epoche der Günstigkeitsgedanke nur das Gewicht einer Auslegungsregel besaß, daß sich die Entwürfe im Gesetzgebungsverfahren zum TVG ausnahmslos an § 1 I Satz 2 TVVO orientierten5 und daß der Gesetzgeber des 1 Die verfassungsrechtliche Diskussion zwn Günstigkeitsprinzip wurde durch zwei Entscheidungen des BAG aus dem Jahre 1960 ausgelöst, in denen Besoldungsvorschriften des öffentlichen Dienstes wegen Verstoßes gegen das Günstigkeitsprinzip flir nichtig erklärt wurden (BAG AP Nr. 2 und 3 zu § 4 TVG Angleichungsrecht). 2 Vgl. Fn. 46 (§2). 3 Vgl. zu dieser QualifIkation S.30. 4 BVerwG, AP Nr.4 zu § 4 TVG Angleichungsrecht, mit zustimmender Anmerkung von Stahlhacke; Nikisch, DB 1963, S.1255; Dietz, DB 1965, S.593; Schulze, Günstigkeitsprinzip, S.48 f; Weismann, Spannungsfeld, S.266 f; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 197;HKZZ, TVG, § 4 Rn. 139. 5 Alle Entwürfe enthielten die Formulierung aus § I I Satz 2 TVVO, daß Abweichungen von den zwingenden Normen des Tarifvertrages auch zugunsten der Arbeitnehmer nur dann zulässig seien, wenn sie "durch den Tarifvertrag nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind". So etwa der Entwurf des Gewerkschaftsrates der Vereinigten Zonen vom 7. September 1948 (§ 5 I Satz 2), der Entwurf des Arbeitsrechtsausschusses des Länderrates vom Juli 1948 ("Stuttgarter Entwurf" in § 3 n Satz 2), der Referentenentwurf des Zentralamtes flir Arbeit vom Juli 1948 ("Lemgoer Entwurf" in § 4 I Satz 2) und der Initiativ-
ll. Der verfassungsrechtliche Rahmen
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TVG erst in "letzter Minute" zur heutigen Fassung des § 4 III TVG wechselte, ohne dabei von einem Verfassungsprinzip motiviert worden zu sein6 , zumal es die Verfassung noch gar nicht gab? Heute ist es dagegen unumgänglich, verfassungsrechtliche Implikationen zu erwägen, wenn Fragen mit tarifrechtlicher Relevanz entschieden werden, da durch die Verankerung der Koalitionsfreiheit in Art. 9 III Satz I GG auch die Tarifautonomie8 besonderen Grundrechtsschutz genießt. Die nachfolgende kurze Zusammenfassung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen soll zeigen, ob das Günstigkeitsprinzip in diesem Kontext überhaupt als einfachgesetzlicher Grundsatz gedacht werden kann.
11. Der verfassungsrechtliche Rahmen (Art. 9 III Satz 1 GG) 1. Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit schützt neben dem Individuum auch die Koalitionen selbst als Grundrechtsträger, obwohl das Grundgesetz sie, im Gegensatz zu Art. 165 I Satz 2 WRV, nicht ausdrücklich erwähnt. 9 2. Art. 9 III Satz 1 GG garantiert nicht nur die Gründung und den Bestand der Koalition, sondern auch die koalitions spezifische Betätigung. Als Teil dieser Betätigung wird das Recht gewährt, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch den freien und autonomen Abschluß von Tarifverträgen zu regeln (Tarifautonomie).l0 Die Tarifautonomie ist hierbei keineswegs nur in antrag der SPD-Fraktion vom September 1948 (in § 5 I Satz 2). Alle Entwürfe mit Begründung sind abgedruckt in ZfA 1973, S.l29 ff. 6 Zur Entstehungsgeschichte und den Materialien des TVG vgl.: Herschel, ZfA 1973,183 ffundMagis, GÜIlstigkeitsprinzip, S.19 ff. 7 § 4 m TVG erhielt seine heutige Fassung bereits am 26.10.1948 durch den Entwurf des Redaktionsausschusses des Ausschusses fiir Arbeit (Protokoll Nr. 17 der Sitzung des Ausschusses ftlr Arbeit in Frankfurt vom 26.10.1948, S.3 [zit. nach Sticker, Guppenautonomie, S.49, Fn. 15]; auch mitgeteilt im Protokoll der Sitzung des Ausschusses ftlr Arbeit am 3.11.1948, abgedruckt in: ZfA 1973, S.154 ft). Das TVG trat vor dem Grundgesetz am 22. 4. 1949 in Kraft (GBL des Vereinigten Wirtschaftsrates Nr.ll vom 22.4. 1949, S.55). 8 Zum Begriff "Tarifautonomie" sogleich unter ll. 9 Ganz h.M. und st. Rspr. seit BVerfGE 4,96, 101 f. Vgl. nur beispielhaft: BAG AP Nr.lO zu Art. 9 GG; Sticker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, S.37; Richardi, Kollektivgewalt, S.77; Rathers, in: Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 83; Biedenkopf, Tarifautonomie, S.88; v. Manch, in: Bonner Kommentar, Art. 9 Anm. 114,141; a.A.: Scholz, Koalitionsfreiheit, S.135 ff; Zöllner, AöR 98 (1973), S.77 ff. 10 Der Terminus "Tarifautonomie" ist die durch den Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts geprägte Umschreibung fiir das Recht der Koalitionen, die Arbeits- und
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§ 3 Die rechtlichen Grundlagen des GÜfistigkeitsprinzips
einem Kembereich geschützt, wie häufig ungenau formuliert worden ist, sondern, so hat das BVerfG nunmehr endgültig klargestellt, als solche. Die Frage nach dem Kembereich bezieht sich allein auf die Ermittlung des unantastbaren Wesensgehalts.1 1 Zur Bestimmung des Schutzbereichs von Art. 9 Wirtschaftsbedingungen "durch Tarifverträge sinnvoll zu ordnen" (BVerfGE 18, 18, 28). Dieses Recht zur koalitionsspezijischen Bettitigung sieht das BVerfG in ständiger Rspr. (seit: BVerfGE 4, 96, 106) ebenfalls durch Art. 9 ßI Satz 1 00 garantiert. Seither gehört die Verankerung der Tarifautonomie in Art. 9 ßI 00 zu "den anerkannten Grundsätzen des kollektiven Arbeitsrechts" (Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S.33). Zu Recht spricht man deshalb bei Art. 9 ßI Satz 1 00 auch von einem "doppelten Doppelgrundrecht", das fUr Individuum und Kollektiv die Gründungs- und Betätigungsfreiheit schützt (Richter / Schuppert, Verfassungsrecht, S.224). 11 Die "Verwirrungen" um die Kernbereichslehre gehen wohl insbesondere auf BVerfGE 17,319,333 fund BVerfGE 38, 281, 305 zurück. Hier hat das BVerfG die unsägliche Formel von der "Unerläßlichkeit" geprägt. Danach sollten nur solche Tätigkeiten der Koalitionen verfassungsrechtlich garantiert sein, die filr "die Erhaltung und Sicherung ihrer Existenz als unerläßlich betrachtet werden müssen." In BVerfGE 57, 220, 246 f wurde den Gewerkschaften dann mit dieser Formel ein Zutrittsrecht zu kirchlichen Einrichtungen abgesprochen. Das BAG hat daraus ein "Recht zur koalitionsmäßigen BeUttigung nur innerhalb dieses Kembereiches"(AP Nr.35 zu Art. 9 00) gemacht. Man muß diese Entwicklung als äußerst unglücklich werten. Als das BVerfG erstmals den Begriff des "Kernbereichs" verwandte, wollte es damit eine Grenze fUr den Gesetzgeber ziehen. Das Ermessen des Gesetzgebers bei der Normierung finde seine Grenzen im unantastbaren Kernbreich (BVerfGE 4, 96, 108 t). Hier also dürfe er überhaupt nicht regeln. Aber auch im übrigen Bereich der koalitionsspezifischen Betätigung sollte er nicht frei sein. Normierungen wären hier nur erlaubt, soweit sie "von der Sache selbst, also von der im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens" (BVerfGE 18,18,27; E 19,303,322) gefordert seien. In BVerfGE 28, 295, 303 und E 28, 310, 313 hat der Zweite Senat diese Regelungskompetenz des Gesetzgebers ausgedehnt und Regelungen im Bereich der Tarifautonomie "zum Schutz anderer Rechtsgüter" zugelassen. Beide Beschlüsse datieren vom 26. Mai 1970. Am selben Tag begründete der Erste Senat die Lehre von den veifassungsimmanenten Schranken (BVerfGE 28, 243, 261). Dazu führte er aus, daß "nur kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte ... ausnahmsweise imstande (seien), auch uneinschränkbare Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen". Vielleicht wären einige Fehlentwicklungen unterblieben, wenn diese Entscheidung, die dogmatisch dasselbe Ziel verfolgt wie die Kernbereichslehre, früher gefallen wäre. So war die ursprüngliche Intention der Kernbereichslehre unzweifelhaft richtig. Auch wenn Art. 9 ßI Satz 1 GG keinen Schrankenvorbehalt enthält, so darf dies doch nicht dazu filhren, daß die Koalitionen ihre Rechte ohne Rücksicht auf die Rechte Dritter ausüben können, namentlich etwa die Gewerkschaften überall und jederzeit Mitgliederwerbung betreiben. Niemandes Rechte sind grenzenlos. Dies dogmatisch zu begründen, war der eigentliche Hintergrund. Vorzuhalten ist dem BVerfG nun allerdings, daß es trotz E 28, 243 ff unverändert an der alten Kernbereichsterminologie festhielt (vgl.
II. Der verfassWlgsrechtliche Rahmen
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III Satz 1 GG ist der Begriff "Kernbereich" dagegen völlig irrelevant. Hier kommt es allein auf die Auslegung des tatbestandlichen Begriffspaars "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" an, wobei die hierin enthaltene Tarifautonomie unter besonderer Berücksichtigung der historischen Entwicklung zu bestimmen ist. 12 Läßt man die Jahre des nationalsozialistischen Arbeitsrechts, in denen es ohnehin keine Tarifautonomie gab 13 , außer acht, so hatten die Koalitionen stets die Möglichkeit, bei der tariflichen Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auch Höchstarbeitsbedingungen festzuschreiben. 14 Diese Handlungsmöglichkeit Iällt damit als Teil der Tarifautonomie eindeutig in den Schutzbereich des Art. 9 III Satz 1 GG. Es ist wenig überzeugend und mit der historischen Auslegung unvereinbar, wenn man tarifliche Normen über Höchstarbeitsbedingungen aus dem Schutzbereich des Art. 9 III Satz 1 GG dadurch hinausdeftnieren will, daß man sie als den BVerfGE 38, 281, 305; E 44, 322, 340 f; E 50, 290, 368 f; E 57, 220, 245 f; E 58, 233, 247 f; E 77, 1,62). Nachdem diese Terminologie das BAG aber zu oben zitierter Extremposition geftlhrt hatte Wld auch die Kritik in der Literatur deutlicher geworden ist (Herschel, AuR 1981, S.268; ders.: Anm. zu BAG v. 26.1.1982, AuR 1982, S.294 ff; Hanau, AuR 83, S.257 ff; Otto, Die verfassWlgsrechtliche Gewähr1eistWlg der koalitionsspezifischen BetätigWlg, S.40 ff; Gester I Wohlgemuth, FS für Herschel, S.1l8), hat sich das BVerfG endlich zu einer KlarstellWlg durchgefWlgen. Im Beschluß des Ersten Senats vom 26. JWli 1991 (WM 1991, S.1439) heißt es nunmehr: " Das GrWldrecht der Koalitionsfreiheit ist zwar vorbehaltlos gewährleistet. Damit ist aber nicht jede Einschränkung von vornherein ausgeschlossen. Sie kann durch Grundrechte Dritter Wld andere mit Veifassungsrang ausgestattete Rechte gerechtfertigt sein. Darüber hinaus bedarf die Koalitionsfreiheit der AusgestaltWlg durch die RechtsordnWlg, soweit das Verhältnis der Tarifvertragsparteien zueinander berührt wird, die beide den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG genießen. Ob der Gesetzgeber weitergehende RegeIWlgsbefugnisse zum Schutz sonstiger Rechtsgüter hat, braucht nicht vertieft zu werden . ... Der Fall gibt keinen Anlaß, die Grenze eines unantastbaren "Kernbereichs" näher zu bestimmen." [R.d.Verf.] Besonders begrüßenswert an dieser EntscheidWlg ist die Tatsache, daß das BVerfG den Begriff "Kernbereich" nur noch im Sinne von Wesensgehaltsgarantie benutzt hat Wld damit alle Zweideutigkeiten zugWlsten einer Dogmatik beseitigt, die der eigenen Rspr. im Kontext anderer GfWldrechte längst entspricht (vgl. auch die UrteilsbesprechWlg durch Däubler, AuR 1992, S.3). 12 So schon BVerfGE 4, 96, 106: "Wenn also die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit nicht ihres historisch gewordenen Sinnes beraubt werden soll, ... " BVerfGE 19, 303, 314: "Bei der BestimmWlg der Tragweite des Art. 9 Abs. 3 GG ist jedoch die historische Entwicklung zu berücksichtigen." Ebenso: BAG AP Nr. 56 zu Art. 9 GG. 13 Vgl. im historischen Überblick S.44 ff. 14 Vgl. hierzu die Nachweise S.29 (Fn. 34) Wld S.31 (Fn. 49).
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§ 3 Die rechtlichen Grundlagen des GÜIlstigkeitsprinzips
Zwecken des Tarifvertrages "wesensfremd"lS einstuft. Wenn § 4 III TVG Höchstarbeitsbedingungen heute ausschließt, so stellt dies vielmehr einen "Bruch mit dem Tarifrecht der Vergangenheit"16 dar. Gerade daraus folgt aber, daß die Möglichkeit, Höchstbedingungen zu vereinbaren, unter historischer Perspektive zur Tarifautonomie gehört und ihr Ausschluß zu rechtfertigen ist. 3. Trotz des Wortlauts von Art. 9 III GG, ist die Koalitionsfreiheit nicht schrankenlos gewährleistet. Wie jedes andere Grundrecht, unterliegt auch dieses Freiheitsrecht17 den ungeschriebenen verfassungsimmanenten Beschränkungen. Es ist zugunsten anderer Grundrechte (etwa der durch Art. 12 I und Art. 14 I GG gewährleisteten unternehmerischen Entscheidungsfreiheit) oder mit Verfassungsrang ausgestatteter Güter einschränkbar. 18 Die Rechtmäßigkeit der Einschränkbarkeit ist mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und dem Gebot der Herstellung praktischer Konkordanz zu bestimmen. 4. Auch fur die Ermittlung des unantastbaren Kernbereichs ist allein das Verhältnismäßigkeitsprinzip ausschlaggebend. Das BVerfG, das sich in dieser Frage bisher nicht endgültig festlegen mußte, hat diesen Weg angedeutet. 19 Der Wesensgehalt eines Grundrechts ist danach in der jeweiligen konNikisch, Arbeitsrecht TI, S.420. Nikisch, DB 1963, S.1255. 17 Nach anderer Akzentuierung handelt es sich bei Art. 9 rn GG im SchwerpWlkt um ein "soziales Grundrecht" und gerade nicht "nur" um ein Freiheitsrecht (Daum, RdA 1968, S.81;Badura, RdA 1974, S.132). 18 Früher gelegentlich anzutreffende Auffassungen, die Art. 9 rn GG durch die Übertragung des Vorbehalts der allgemeinen Gesetze aus Art. 5 TI GG (Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S.26 fl) oder der Schrankentrias des Art 2 I GG (von Mangold / Klein, Bonner Grundgesetz, [2A], Art. 9 Anm. VI 1 - 3) einzuschränken suchten, dürften als überholt gelten. Seit den grundsätzlichen Ausführungen des BVerfG in E 28, 243, 261 kann nicht mehr zweifelhaft sein, daß Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt ausschließlich verfassungsimmanenten Schranken unterliegen. Dem hat sich auch das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen (BVerwGE 49, 202, 208 f). Ein Überblick zum Meinungsstand fmdet sich bei Wipfelder, BayVB11981, S.417 ff, 457 ff. Nunmehr auch filr Art. 9 rn Satz 1 GG ausdrücklich formuliert in BVerfG WM 1991, S.1439 (vgl. Fn. 11). 19 BVerfGE 22,180,219 f; E 58, 233, 247 f; Urteilsinterpretationen in diesem Sinne fmden sich auch bei: Alexy, Grundrechte, S.269 (zu E 22) und Richter / Schuppert, Verfassungsrecht, S.235 (zu E 58). 15
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II. Der verfassungsrechtliche Rahmen
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kreten Abwägung widerstreitender Verfassungswerte unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu ermittein (relative Kernbereichstheorie).20 Inhaltlich sind die Wesensgehaltsgarantie und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Übermaßverbot) deckungsgleich. 21 Demzufolge verletzt ein Gesetz den Kernbereich der Tarifautonomie dann nicht, wenn es als Ausdruck verfassungsimmanenter Schranken verhältnismäßig22 ist. Die entgegengesetzte Rechtsauffassung, die von einem objektivermittelbaren, feststehenden Kernbereich eines Grundrechts ausgeht (absolute Kernbereichstheorie23 ), wird weder den dynamischen Entwicklungen einer modernen Verfassung gerecht, noch kann sie dogmatisch nachhaltig überzeugen. 24 5. Wer aber die verfassungsrechtliche Verankerung des Günstigkeitsprinzips ablehnt, kommt in die Schwierigkeit, begründen zu müssen, wie mittels eines einfachen Gesetzes, das sich nicht als Ausdruck verfassungsimmanenter Schranken begreifen läßt, die durch Art. 9 III Satz 1 GG "schrankenlos" gewährleistete Koalitionsfreiheit begrenzbar ist. Denn § 4 III TVG ist eine Schranke. Das in § 4 III TVG niedergelegte Günstigkeitsprinzip greift in den Schutzbereich von Art. 9 III Satz 1 GG ein, da es die Tarifautonomie in ihrer 20 Für eine relative Kernbereichs- / Wesensgehaltstheorie u.a.: BGHSt 4, 375, 377; Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S.58 ff; v. Hippel, Grenzen und Wesensgehalt der Grundrechte, S.47 ff; Alexy, Grundrechte, S.272; Badura, RdA 1974, S.132; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 332 f; Krebs, Rn. 22 ff zu Art. 19 00, in: v. Münch / Kunig, OO-Kommentar. 21 Alexy, Grundrechte, S.272. 22 Badura, RdA 1974, S.132. 23 Müller, Elemente einer schweizerischen Grundrechtstheorie, S.152 ff; Huber, DÖV 1956, 142; Krüger, DÖV 1955, S.598 ff. 24 Die sich möglicherweise anfänglich einstellende Neigung, einer objektiven Kernbereichslehre zu folgen, rührt von unserer intuitiven Überzeugung her, daß gewisse Rechtspositionen, wie z.B. Freiheit und Leben, in einem Kern nicht zur Disposition stünden. Dabei wird aber nur allzu leicht übersehen, daß der Umfang dieses Kerns letztlich immer aus der Relation unterschiedlicher Rechtsprinzipien / -güter ermittelt wird. Hierbei sind keine Rechte denkbar, die nicht unter extremsten Situationen doch einmal völlig weichen müßten. So steht selbst das Recht auf Leben zur Disposition, wenn eine Notwehrlage die Tötung des Angreifers erfordert (fmaler Rettungsschuß). Das einzig adäquate Mittel, diese Relationen sachgerecht zu gestalten, ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Er stellt einerseits sicher, daß der Rechtfertigungsdruck exponentiell steigt, je mehr der Grundrechtsschutz gegen Null tendiert und erzeugt damit faktisch einen "quasi-absoluten Kern". Andererseits liefert er aber auch das dogmatische Rüstzeug, um in Extremsituationen ein Vordingen gegen Null zu legitimieren (vgl. Alexy, Grundrechte, S.269 fl).
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§ 3 Die rechtlichen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips
historisch gewachsenen Ausformung begrenzt. Es verhindert, daß die Koalitionspartner in ihren Tarifverträgen wirksam Höchstnormen festschreiben und damit die Wirksamkeit des GÜDstigkeitsprinzips völlig ausschalten, wie es ihnen bis 1933 25 möglich war. Die Verfassungsmäßigkeit dieses Eingriffs kann entsprechend dem zuvor Gesagten nur dann gegeben sein, wenn das GÜDstigkeitsprinzip Ausfluß eines Grundrechts oder eines anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Gutes wäre. Es zeigt sich somit, daß eine einfachgesetzliche Lösung die Geltung des Günstigkeitsprinzips vor dem Hintergrund des Art. 9 III Satz 1 GG nicht erklären kann. III. Die verfassungs rechtlichen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips Die Lehre vom Ursprung des GÜDstigkeitsprinzips im Verfassungsrecht geht wohl im wesentlichen aufNipperdey26 zurück. In Auslegung einer Entscheidung des BVerfG27 ordnete er das GÜDstigkeitsprinzip dem Kembereich der Tarifautonomie zu, weil es integraler Bestandteil eines modemen Arbeitsrechts sei. Die Rspr. 28 und große Teile der Literatur29 sind Nipperdey 25 Erst das AOG entzog das Günstigkeitsprinzip der Dispositionsmacht der Tarifpartner. Da das AOG (bzw. das TreuhG 1933) aber gleichzeitig die Tarifautonomie faktisch abschaffie, kann man zu Recht behaupten, daß die Befugnis, Höchstnormen aufzustellen, stets Bestandteil der Tarifautonomie war (vgl. oben S.29 und S. 31). 26 Nipperdey, in: Hueck / Nipperdey, Lb. Bd. Ir, 6.Aufl., S.174 und S.406; Grundriß des Arbeitsrechts, S.194 und S.241; ausfllhrlicher: Lb. Bd. Ir /1, S.232 ffund S.573. 27 BVerfGE 4, 96, 106. 28 BAG AP Nr. 2 und 3 zu § 4 TVG Angleichungsrecht mit zust. Anm. Küchenhoff. Diese Rspr. wurde jüngst bestätigt durch die Entscheidung des Großen Senats des BAG (B. v. 16.9.1986) DB 1987, S.383, 386. Zwar referiert das BAG in diesem Beschluß diejenigen Positionen nur, die eine verfassungsrechtliche Garantie befilrworten, ohne sich ihnen ausdrücklich anzuschließen. Jedoch qualifIziert es das Günstigkeitsprinzip gleichzeitig als einen "umfassenden Grundsatz, der ... auch außerhalb des Tarifvertragsgesetzes Geltung beansprucht". Einen solchen "umfassenden Grundsatz" wird man dogmatisch am ehesten dann als Rechtsquelle akzeptieren können, wenn er als konkretisiertes Verfassungsrecht verstanden wird. In diesem Sinne interpretiert auch die verwaltungsrechtliche Literatur das Parallelphänomen der "allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts" als eine Ableitung aus Verfassungsnormen und Verfassungsprinzipien (Maurer, Verwaltungsrecht, S.20). 29 Zöllner, DB 1989, S.2124; Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht, S.388; Säcker, Gruppenautonomie, S.52, Fn. 26; ders., AuR 1994, S.9; Gamillscheg, Arbeitsrecht Ir, S.1l4; ders., Das Arbeitsrecht der Gegenwart, 1988, S.59; Löwisch, DB 1989, S.1l86; ders.,
ill. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips
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gefolgt, wenn auch die dogmatische Begründung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung im einzelnen variiert. In der gemeinsamen Absicht, die Begrenzung der in Art. 9 III Satz 1 GG verankerten Kollektivmacht zu begründen, werden hierbei insbesondere zwei Wege beschritten. Danach ist das Günstigkeitsprinzip entweder in Art. 9 III Satz 1 GG selbst niedergelegt oder es bildet als Ausfluß anderer Verfassungswerte eine Außenschranke der Koalitionsfreiheit. 1. Verankerung in Art. 9 III Satz 1 GG
a) Der Meinungsstand (1) Soweit das Günstigkeitsprinzip in Art. 9 III Satz 1 GG verortet wird, sind zwei Argumentationsmuster erkennbar. Zum einen deutet man das Günstigkeitsprinzip als Innenschranke der kollektiven Koalitionsfreiheit, die von der individuellen Koalitionsfreiheit her zu ziehen sei. 30 Die kollektive Koalitionsfreiheit erfahre eine Grenze in ihrem innewohnenden Zweck, die individuelle Koalitionsfreiheit zu verwirklichen. 31 Da die Koalitionsfreiheit vornehmlich der Herstellung eines realen Gleichgewichts auf dem Gebiet der Vertragsfreiheit32 diene, erreiche man die zweckimmanente Grenze des KolArbeitsrecht, Rn. llO und 285; Buchner, DB 1989, S.2029; ders., DB 1990, S.1719; Heinze, NZA 1991, S.332; Reuter, RdA 1991, S.198; Richardi, ZfA 1992, S.324; ders., in: FS fUr Merz, S.494; Blomeyer, DB 1987, S.637; Belling, Günstigkeitsprinzip, S.86; ders., DB 1982, S.2514; ders., DB 1987, S.1890; Martens, RdA 1983, S.222; Küchenhoff, Verbandsnachrichten der Deutschen Orchestervereinigung in der DAG 1962, Heft 7 /8, S.8; ders., Verbandsnachrichten der Deutschen Orchestervereinigung in der DAG 1962, Heft 12, S.2 tf; ders., AuR 1963, S.323; ders., DB 1963, S.766; ders., FS fi.Ir Nipperdey, Bd. II, 1965, S.343; ders., AuR 1966, S.322; Müller, G., DB 1967, S.905 f; Scholz, in: FS fi.Ir Rittner, S.641 f; Schnorr, JR 1966, S.333 f; Ramm, JZ 1966, S.218; Reuss, AuR 1958, S.326; Kreis, RdA 1961, S.99; Schelp, DB 1962, S.1242; Mengle, in: FS fi.Ir Gaul, S.419; Karakatsanis, Gestaltung, S.lll; Courth, Günstigkeitsprinzip, S.2; Papn'tz, Günstigkeitsprinzip, S.96; Schuhmann, Die Grenzen der Regelungsbefugnis, S.93; Bengelsdorf, ZfA 1990, S.590; Veit, in: Scholz (Hrsg.), Wandel der Arbeitswelt, S.137; Niebier, Betriebsvereinbarungsautonomie, S.103; L6wisch / Rieble, TVG, § 1 Rn. 173; GK-Kreuz, BetrVG, Rn. 204; FAKH, BetrVG, § 77 Rn. 44; HSG, BetrVG, § 77 Rn. 89. 30 Belling (Günstigkeitsprinzip, S.70) sieht in dem GÜfistigkeitsprinzip den Ausdruck des Übennaßverbotes, das beiden Grundrechtsaspekten zu optimaler Verwirklichung (i.S. praktischer Konkordanz) verhilft. 31 Belling, Günstigkeitsprinzip, S.69 f; Scholz, in: HbdStBd. VI, § 151 Rn. 75. 32 Belling, Günstigkeitsprinzip, S.70; Papritz, Günstigkeitsprinzip, S.5I.
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§ 3 Die rechtlichen Grundlagen des G1lnstigkeitsprinzips
lektivrechts dort, wo das Individuum durch die Vereinbarung günstigerer33 Bedingungen das Gleichgewicht selbst herzustellen vermag. (2) Den anderen Ausgangspunkt bildet die Lehre von der Tarifautonomie als einer Einrichtungsgaranne. 34 Wenn Art. 9 III Satz 1 GG vom Gesetzgeber die Schaffung eines funktionsfahigen Tarifvertragssystems im Sinne eines modernen Arbeitsrechts3S fordere, so müsse hierin auch das Günstigkeitsprinzip enthalten sein, weil es zum "historisch überkommenen und durchgesetzten Tarifvertragsbegrifl"36, also zu dem heute "maßgebenden Tarifbegrifl"37 gehöre. Zum gleichen Ergebnis führt dieser Ansatz auch diejenigen, die das Günstigkeitsprinzip und den "Unabdingbarkeitsgrundsatz" als untrennbare Einheit38 begreifen wollen, da gerade die zwingende Wirkung der Tarifnormen ("Unabdingbarkeit") den unverzichtbaren Kern der Einrichtungsgarantie bilden soll.39 Von diesem zweiten Ansatz her, müßte die verfassungsrechtliche Garantie des Günstigkeitsprinzips also deshalb bejaht werden, weil es als ein notwendiges Element des Tarifvertragssystems Bestandteil einer Einrichtungsgarantie des Grundgesetzes wäre. b) Das Günstigkeitsprinzip als Einrichtungsgarantie? Der Versuch einer verfassungsrechtlichen Verankerung des Günstigkeitsprinzips über den Umweg "Einrichtungsgarantie"40 kann nicht überzeugen. G1lnstiger im Vergleich zwn Verhandlungsergebnis der Koalitionen. 8eit den Ausfilhrungen des Bundesverfassungsgerichts in E 4, 96, 106 ( "... , so muß im Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG ein verfassungsrechtlich geschützter Kernbereich auch in der Richtung liegen, daß ein Tarifvertragssystem im 8inne des modernen Arbeitsrechts staatlicherseits überhaupt bereitzustellen ist ... ") wird die Ansicht vertreten, Art. 9 III 8atz 1 GG garantiere ein gesetzlich geregeltes und geschütztes Tarifvertragssystem, dessen Partner frei gebildete und autonom handelnde Koalitionen sein müssen als Einrichtungsgarantie (Nipperdey, Lb. 11/1, 8.232 f; Nikisch, Arbeitsrecht 11, 8.61; Lieb, Arbeitsrecht, 8.129; Badura, RdA 1974, 8.132; Krummei, Geschichte, 8.202). 35 Hueck / Nipperdey, Lb.ll /1,8.573, Fn. 2b. 36 Hueck / Nipperdey, Lb. 11, 8.174. 37 Hueck / Nipperdey, Lb. 11 / 1, 8.232 f. 38 Schelp (DB 1962, 8.1242) spricht von der "Einheit" beider Prinzipien; Wlotzke (G1lnstigkeitsprinzip, 8.15) nennt das G1lnstigkeitsprinzip die "Kehrseite" der Unabdingbarkeit; Vassilikakis (Konkurrenz, 8.124) betrachtet sie als "komplementäre Grundsätze"; ähnlich auch Herschel (RdA 1969, 8. 214). 39 Hueck / Nipperdey, Lb.ll /1,8.232; Krummei, Geschichte, 8.202. 40 Im Anschluß an earl Schmitt (Aufsätze, 8.149 fIund 8.211 fi) wird der Terminus 33
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III. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips
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Er scheitert schon daran, daß die Voraussetzungen rur die Anerkennung einer Einrichtungsgarantie fehlen. 41 Erforderlich wäre nämlich, daß die Koalitionäre existentie1l42 auf ein staatlich eingerichtetes Rechtsinstitut angewiesen wären, um ihre Freiheitsrechte (Koalitionsbildung und Koalitionsbetätigung mittels Tarifvertrages) auszuüben. 43 Dieses ist aber nachweisbar nicht der Fall. "Einrichtungsgarantie" als der Oberbegriff ftir "Instituts-" und "institutionelle Garantien" gebraucht. Gemeinsam ist beiden, daß sie einen "Komplex von Rechtssätzen" (Abe/, Einrichtungsgarantien, S.46 und S.70) darstellen, die zur Verwirklichung verfassungsrechtlicher Zielsetzungen unabdingbar sind. Von einer "institutionellen Garantie" spricht man dabei gemeinhin dann, wenn dieser Normenkomplex öffentlich-rechtlicher Natur ist, von einer "Institutsgarantie", wenn er privatrechtlich einzuordnen ist. Anerkannte "institutionelle Garantien" sind beispielsweise die kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 il GG: vgl. BVerfGE 79, 127, 143) oder das Berufsbeamtentum (Art. 33 IV / V GG: vgl. BVerfGE 3, 58, 137) Als "Institutsgarantien" gelten etwa das Eigentum (Art. 14 I GG; vgl. BVerfGE 31, 229, 240) und die Ehe (Art. 6 I GG; vgl. BVerfGE 15, 328, 332). Eine ausführlichere Auflistung fmdet sich bei SchmidtJOrlzig, Einrichtungsgarantien, S.32. 41 Scho/z, Koalitionsfreiheit, S.222 ff; ders., HbdSt, S.1157; Löwer, Rn. 55 zu Art. 9 GG, in: v. Münch / Kunig, GG-Kommentar. Man muß hier sorgflHtig den rechtstechnischen Begriff "Institutsgarantie" von der untechnischen Formulierung "Rechtsinstitut" trennen. Wie oben (il.) ausführlich dargelegt, ist das Rechtsinstitut "Tarifautonomie" unbestritten durch Art. 9 III GG gewährleistet. Damit ist aber noch nicht entschieden, daß über die Freiheitsverbürgung (als bloßem Dürfen) auch ein besonderes Können (Institutsgarantie) institutionalisiert worden ist (vgl. dazu auch die folgende Fußnote). 42 Die existentielle Notwendigkeit eines komplementierenden Normenkomplexes ist jedenfalls immer dann anzunehmen, wenn das fragliche Freiheitsrecht seiner Natur nach nicht durch ein bloßes "Dürfen" zu verwirklichen ist, sondern konstitutiver Rechtssätze bedarf, die ftir den Grundrechtsträger "Kompetenzen" (A/eX)', Grundrechte, S.212 tl) begründen. Je/linek (System, S.47) spricht davon, daß "der Handlungsfähigkeit des Individuums etwas hinzuzufügen (ist), was es von Natur aus nicht besitzt". Er illustriert dies am Beispiel des Eheinstituts. Hier können die Grundrechtsträger nur dann Gebrauch von ihrem Freiheitsrecht auf Eheschließung machen, wenn der Staat einen Normenkomplex zur Verfilgung stellt, der die Rechtsfigur "Ehe" begründet und das Verfahren der Eheschließung regelt. Ohne einen solchen Normenbestand wäre die Freiheit, eine Ehe zu schließen, wertlos. "Das Individuum mag welche Geschlechtsverbindung auch immer eingehen, zur Ehe wird sie nur unter den vom objektiven Recht festgesetzten Bedingungen ... Denn alle Bestimmungen, welche die Gültigkeit von Rechtshandlungen betreffen, statuieren ein von der Rechtsordnung ausdrücklich verliehenes rechtliches Können. Dieses Können steht in scharfem Gegensatz zum Dürfen" (a.a.O.). Ganz ähnlich verhält es sich auch beim Institut "Eigentum". Erst die entsprechenden sachenrechtlichen Normen qualifizieren eine Beziehung zwischen Person und Sache rechtlich als Eigentum. 43 Löwer, Rdnr. 55 zu Art. 9 GG, in: v. Münch / Kunig, GG-Kommentar.
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§ 3 Die rechtlichen Gnmdlagen des Günstigkeitsprinzips
Der historische Befund44 zum Zeitraum vor Inkrafttreten der TVVO hat gezeigt, daß die Existenz eines funktionierenden Tarifvertragssystems nicht vom Vorhandensein einer besonderen45 rechtlichen Ausgestaltung, insbesondere vom Vorhandensein einer normativen Regelungsmacht4 6 der Tarifvertragsparteien abhängt. Dieses Ergebnis wird durch einen rechtsvergleichenden Blick nach Großbritannien47 bestätigt, wo eine Normierung des Tarifwesens bis heute fehlt4 8, ohne daß deshalb dessen Funktionsunfähigkeit behauptet werden könnte. Ganz im Gegenteil zählte in Großbritannien, dem Mutterland der europäischen Arbeiterbewegung49, das "free collective bargaining" stets zum obersten Prinzip gewerkschaftlichen Selbstverständnisses. 50 Aber auch wenn man unterstellt, daß jedenfalls die Tarifautonomie als Einrichtungsgarantie anzuerkennen wäre, so käme man dadurch nicht zu einer Verankerung des Günstigkeitsprinzips. Die Einrichtungsgarantie, namentlich die hier wohl allenfalls einschlägige Institutsgarantie 51 , verpflichtet Vgl. oben S.25 - 30. Soweit es um die Möglichkeit geht, überhaupt rechtliche Verbindungen einzugehen (Koalitionsbildung und Tarifvertragsschluß), bietet das BGB bereits ausreichende Möglichkeiten, so daß es jedenfalls hierfilr keiner speziellen Einrichtungsgarantie im Rahmen des Art. 9 III Satz 1 GG bedarf. 46 Zu Recht setzt etwa Kemper (Koalitionsfreiheit, S.96 f), wenn er fi1r die Lehre von der Tarifautonomie als einer Institutsgarantie eintritt, ausschließlich beim Phänomen der normativen Regelungsmacht an. Weil es keine hinreichende dogmatische Begründung fi1r die Normativität des Tarifvertrages (als einer privatrechtlichen Vereinbarung) gebe, seien die Koalitionen auf einen grundrechtserg!l.nzenden Normenkomplex (Institutsgarantie) angewiesen, der ihren Vereinbarungen diese Normativität (vgl. § 1 I und 4 I Satz 1 TVG) verleiht. 41 Hector, Regulierungen am Arbeitsmarkt, S.44 tT. 48 Dem Tarifvertrag fehlt in Großbritannien jede Rechtsverbindlichkeit. Er genießt nur eine "binding on honour", so daß seine Einhaltung nicht mit rechtlichen Mitteln, sondern nur durch Androhung von Streik erzwungen werden kann. Um Wirkungen fu.r das einzelne Arbeitsverhältnis zu entfalten, muß er stets individual vertraglich umgesetzt werden (vgl. Hector, S.45 mit umfangreichen Nachweisen). 49 Abendroth, Sozialgeschichte der europäischen Arbeiterbewegung, S.32. 50 Degen, in: Berger (Hrsg.), Beiträge zur Soziologie der Gewerkschaften, S.394. Dieses Selbstverständnis spiegelt sich auch bei uns dort wider, wo die Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien auf eine vorkonstitutionelle originäre Autonomie zurückgefilhrt wird (sog. Integrationstheorie; vgl. hierzu die Übersicht bei Belling, Günstigkeitsprinzip, S.60 f). 51 Richardi, AöR 1968, S.263 fT; Kemper, Koalitionsfreiheit, S.97; a.A. Schnorr, in: FS fi1r Molitor, S.234 ff. 44 45
III. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des GÜIlstigkeitsprinzips
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den Staat, einen grundrechtsergänzenden Normenkomplex bereitzustellen (bzw. einen bestehenden Normenkomplex nicht zu beseitigen), um dem Grundrechtsträger die notwendigen Kompetenzen (hier: normative Wirkung des Tarifvertrages) zur Grundrechtsverwirklichung zu verleihen. Derartige notwendige Kompetenzen stellen sich indes als eine Rechtsrnacht dar, als ein rechtliches Können, das über ein bloßes Dürfen hinausgeht, während das Günstigkeitsprinzip für die Koalitionen gerade im Gegenteil rechtsmachtbegrenzend wirkt. Dieses Ergebnis läßt sich nicht dadurch korrigieren, daß Normativität und Günstigkeitsprinzip als Einheit gedacht werden. Mit einer solchen Konstruktion würde nichts anderes getan, als das machtbegrenzende Prinzip begrifflich in das Freiheitsrecht zu integrieren. Ein solches Zusammendenken scheint bei einem Freiheitsrecht unter dogmatischen Gesichtspunkten jedoch nur dann sinnvoll, wenn sich die Begrenzung denknotwendig ergibt, wie etwa im Fall der sogenannten "negativen Freiheiten"52. Aus einer begriffiichen Analyse der "äußeren Freiheit" folgt nämlich, daß die Freiheit zu etwas auch die Freiheit von etwas impliziert. "Handlungsfreiheit" heißt ja gerade, nach eigener Willkür tun oder nicht tun. 53 Aus den hiernach anerkannten Garantien der "negativen Koalitionsfreiheit"54 oder der "negativen Bekenntnisfreiheit" läßt sich aber kein Argument für die Garantie des Günstigkeitsprinzips als einer Art "negativen (lies: günstigkeitsdispositiven) Normativität" gewinnen, denn der Begriff der "Normativität" gebietet dies analytisch gerade nicht. 55 Wenn nun das begrenzende Prinzip nicht analytisch im Freiheits52 Hierbei handelt es sich jedoch strenggenommen gar nicht um Begrenzungen, sondern um den anderen Aspekt derselben Freiheit. Die Begrenzungswirkung der "negativen Freiheit" kann jedoch praktisch werden, wenn die Ausübung der positiven Freiheit notwendig in Konflikt mit der negativen tritt (vgl. die Schulgebetsentscheidung, BVerfGE 52, 223 fl). 53 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, S.317 (AB 5). 54 AA Gamillscheg, der die negative Koalitionsfreiheit nicht als notwendige Kehrseite der positiven Koalitionsfreiheit anerkennt, sondern sie auf Art. 2 GG stützen will (Die Grundrechte im Arbeitsrecht, S.l 0 I f). 55 Man darf den Begriff "Normativität" nicht mit dem Phänomen der "Unabdingbarkeit" gleichsetzen. Letzteres beinhaltet nämlich eine zusätzliche Feststellung zur Dispositivität der Tarifhormen. Dogmatisch wird damit über deren Wirkung hinaus eine Aussage zur Geltungskraft der Normen gemacht. Ob nun aber der Inhalt eines Tarifvertrages zwingend gilt oder ob er abbedungen werden kann (nach dem GÜIlstigkeitsprinzip oder durch Oflhungsklauseln), ist logisch vollkommen unabhängig von der Frage, wie der Tarifvertrag auf das Einzelarbeitsverhältnis einwirkt (normativ oder nur als schuldrechtliche Verpflichtung der Tarifvertragsparteien). Wer nun eine gewisse Dis5 Th. B. Schmidt
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§ 3 Die rechtlichen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips
recht enthalten ist, dann kann es nur einer (möglicherweise legitimen) Wertung entspringen, die, von außen kommend, der Freiheit Grenzen zieht. Eine solche Schranke gehört aber systematisch nicht zur Garantie des Freiheitsrechts selbst. c) Das Günstigkeitsprinzip als "immanente Schranke"? Im Ergebnis richtig S6 ist der zweite Ansatz, der die verfassungsrechtliche Garantie des Günstigkeitsprinzips mit dem Zweck der Tarifautonomie verknüpft. Unzutreffend, weil Fehlvorstellungen, die auch das Ergebnis in Frage stellen könnten, begünstigend, ist jedoch die Begründung, die das Günstigkeitsprinzip im Ausgleich individueller und kollektiver Koalitionsfreiheit sucht. Auch wenn zu Recht behauptet wird, das kollektive Grundrecht trage zur Verwirklichung des Individualgrundrechts bei und der Zweck der Koalitionsfreiheit sei auf die Wiederherstellung individueller Vertragsparität ausgerichtet, so läßt sich aus diesen Prämissen doch nicht ableiten, daß mit dem Vorliegen von Vertragsparität unmittelbar der Zweck individueller Koalitionsfreiheit erreicht sei. Eine solche Ableitung würde voraussetzen, daß der Zweck von individueller und kollektiver Koalitionsbetätigungsfreiheit vollständig getrennt zu denken wäre. Das Ziel individueller Koalitionsfreiheit (auf Arbeitnehmerseite) liegt aber gerade nicht in der Herstellung von Vertragsparität durch das Individuum als Individuum, sondern in der Bildung einer Koalition, um dann als Koalition die Interessen aller Koalitionsmitglieder gegenüber dem sozialen Gegenspieler zu vertreten. Im Bereich der tariflichen Koalitionsbetätigungsfreiheit bilden individuelles und kollektives Grundrecht somit eine Art Stufenfolge und sind, abgesehen von Fragen des praktischen Rechtsschutzes (Klagebefugnis) und des Aufeinandertreffens von positiver und negativer Koalitionsfreiheit, grundsätzlich überschneidungsfrei. Die positive individuelle Koalitionsbetätigungsfreiheit errichtet somit grundsätzlich keine Schranke für das Kollektiv.
Ähnlichen Bedenken (in der Begründung) begegnet die Interpretation des Günstigkeitsprinzips als zweckimmanente Grenze der kollektiven Koalitionsfreiheit (Tarifautonomie) selbst. Diese Formulierung von der "Zweckimpositivität (DurchbrechWlgen nach dem Günstigkeitsprinzip) der Tarifnormen filr zwingend geboten erachtet, der kann diese jedenfalls nicht analytisch dem Begriff der "Normativität" entnehmen. 56 Vgl. S.67 ff.
III. Die verfassWlgsrechtlichen Grundlagen des GÜllstigkeitsprinzips
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manenz" legt das Günstigkeitsprinzip zwar sprachlich in den Art. 9 III Satz 1 GG hinein. Grundrechtsdogmatisch triffi man damit jedoch eine Schutzbereichsbestimmung, die sich nicht ohne Rückgriff auf solche Wertungen begründen läßt, die außerhalb des Art. 9 GG ansetzen und die deshalb auch nicht in den Begriff "Tarifautonomie" zurückverlagert werden sollten. 2. Privatautonomie und KoUektivmacht
Nach zutreffender Ansicht ist das Günstigkeitsprinzip eine Außenschranke der Kollektivmacht, die im Spannungsfeld von Koaltionsfreiheit (Art. 9 III Satz 1 GG), Privatautonomie 57 (Art. 2 I; Art. 12 I GG58 / Leistungsprinzip59) und gerechter Ordnung (Sozialstaatsprinzip 6o - Art. 20 I, Art. 28 I GG) zu suchen ist. Dort, wo diese Prinzipien zu einem Ausgleich gebracht werden, ist auch das Günstigkeitsprinzip seinem Wesen nach angesiedelt. Von einigen Autoren ist es deshalb auch als Ausdruck des Verhältnismäßig57 Kachenhoff. DB 63, S.766;Mengle, FS filr Gaul, S.419; Schuhmann, Die Grenzen der RegelWlgsbefugnis, S.97. 58 Wer hier auf Art. 12 I GG als der spezielleren VerbürgWlg der Privatautonomie auf dem Gebiet der ArbeitsvertragsbeziehWlgen zurückgreift (so etwa Scholz, in: FS fUr Rittner, S.641 f), hat zu bedenken, daß Art. 12 I GG (im Gegensatz zu Art. 9 III GG) nur ein "DeutschengrWldrecht" ist Wld die BeschäftigWlgsverhältnisse der ca. 1,8 Mio. (Halbach, in: Übersicht, S.51) ausländischen Arbeitnehmern nicht erfaßt. Da aber kaum zweifelhaft sein kann, daß das GÜllstigkeitsprinzip auch fUr diese Beschäftigten gilt, kann eine umfassende LÖSWlg nicht ohne Rückgriff auf Art. 2 I GG stattfmden. 59 Hueck / Nipperdey, Lb TI / 1, S.572; Belling, Günstigkeitsprinzip, S.81 ff; Karakotsanis, GestaltWlg, S.111 f. Das LeistWlgsprinzip wird als AnwendWlgsfall des Gleichheitssatzes (Art. 3 I GG) verstanden, der ja nicht nur vorschreibe, daß Gleiches gleich, sondern auch, daß "Ungleiches (entsprechend) seiner Eigenart verschieden" (BVerfGE 3, 58, 135) zu behandeln sei. Die Kollektivnorm dürfe demzufolge keine Gleichmacherei betreiben Wld müsse zulassen, daß mehr LeistWlg auch besser entIohnt werde. Jedoch das LeistWlgsprinzip erfaßt nur einen Ausschnitt der ArbeitsbedingWlgen und ist deshalb nicht geeignet, das GÜllstigkeitsprinzip vollständig - etwa im Bereich formeller ArbeitsbedingWlgen (zum Begriff vgl. Fn. 103 [§ 4]) - zu erklären. Soweit mit dem Begriff "LeistWlgsprinzip" dagegen ganz allgemein ein der LeistWlg angemessenes (gerechtes) Entgelt eingefordert werden soll, ist dies kein primärer AnwendWlgsfall des Art. 3 I GG mehr. Ein solches "LeistWlgsprinzip" hätte nämlich auch dann zu gelten, wenn alle Arbeitnehmer unzureichend entlohnt würden Wld damit kein AnknüpfungspWlkt filr Art. 3 I GG bliebe. Die Frage der Lohngerechtigkeit wird im folgenden nicht Wlter den Begriff "LeistWlgsprinzip" gefaßt, sondern in das SpannWlgsfe1d von Privatautonomie Wld Sozialstaatsprinzip eingeordnet. 60 Adomeit, Das Arbeitsrecht Wld Wlsere wirtschaftliche Zukunft, S.3; MaUer, G., DB 1967, S.906; Ramm, JZ 1966, S.218; Papritz, GÜllstigkeitsprinzip, S.70 f.
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§ 3 Die rechtlichen Grundlagen des GÜIlStigkeitsprinzips
keitsprinzips61 oder als ein Mechanismus zur Herstellung "praktischer Konkordanz"62 bezeichnet worden. Um nun die Stellung des Günstigkeitsprinzips in diesem Spannungsverhältnis richtig verstehen zu können, ist es nötig, sich auf die Bedeutung der Privatautonomie zu besinnen. Den Ausgangspunkt bildet hierbei die Vorstellung unseres Grundgesetzes vom Menschen als einem autonomen Wesen63 , das in freier Selbstbestimmung64 die fur ihn adäquaten Lebensbedingungen herzustellen vermag. Da wir in einer stark arbeitsteiligen Gesellschaft leben, vollzieht sich diese Gestaltung nicht in isolierten Handlungen, sondern regelmäßig im Austausch mit anderen, durch Verträge. In dem Vertrag als rechtlichem Institut soll aber nicht schlechthin irgendein Wille der Parteien zur Durchführung gebracht werden, sondern es soll menschliches Zusammenleben richtig6s geordnet werden. Soweit man nicht zugestehen will, daß dieses Richtigkeitspostulat bereits eine wesensimmanente Voraussetzung dafur ist, das Vereinbarte überhaupt als rechtlich verbindlich - als Vertrag - anzuerkennen66 , so folgt es jedenfalls aus dem Sozialstaatsprinzip67, das als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung (Art. 2 I GG) der individuellen Freiheit eine unmittelbare Grenze 68 zieht. Das Sozialstaatsprinzip verlangt "die Verwirklichung einer sozial gerechten Ordnung fur alle"69 und damit auch ein Mindestmaß an zu verwirklichender Vertragsgerechtigkeit. 7o Wo diese "Richtigkeit"71 offensichtlich fehlt, versagt die Löwisch, BB 1991, S.60. 62 Löwisch, BB 1991, S.60 f; Belling, Günstigkeitsprinzip, S.69 f. 63 BVerfGE 45, 187,227 f: " ... die Vorstellung vom Menschen als einem geistigsittlichen Wesen, das darauf angelegt ist, in Freiheit sich selbst zu bestimmen ... " 64 BVerfGE 65, 1,41: "Im Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ordnung stehen Wert und Würde der Person, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft wirkt. " 65 Schmidt-Rimpler, in: FS filr Nipperdey, S.5. 66 So Schmidt-Rimpler, in: FS filrNipperdey, S.lO; ders., AcP 147 (1941), S.161. 61 Heinze, NU 1991, S.331. 68 Nipperdey, Marktwirtschaft, S.56 f; Isele, JR 1960, S.289; Stern, Staatsrecht, Bd. I, S.925. 69 BVerfGE 59, 231, 266; vgl. auch: Richardi, Kollektivrnacht, S.91; Isele, a.a.O.; Stern, Staatsrecht, Bd. I, S.911; Benda, Industrielle Herrschaft und sozialer Staat, S.75. 10 BVerfGE 5, 85, 206; Richardi, Kollektivgewalt, S.49;Heinze, NU 1991, 331. 11 "Richtigkeit" i.S. Schmidt-Rimplers ist gleichbedeutend mit "Gerechtigkeit" (vgl. AcP 1941, S.132 t). 61
llI. Die verfassungsrechtlichen Gnmdlagen des Günstigkeitsprinzips
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Rechtsordnung dem Willen der Parteien die Anerkennung (§ 138 I BGB). Wenn es dennoch ein Vertrauen in die grundsätzliche "Richtigkeitsgewähr" vertraglicher Vereinbarungen gibt, so beruht es darauf, daß beide Parteien dem Vertrags schluß zustimmen müssen und in der Regel freiwillig keine in ihren Augen unrichtige Rechtsfolge auf sich nehmen werden. 72 Dieses Element der freiwilligen Zustimmung, das nach dem eben Gesagten eine entscheidende Voraussetzung privatautonomer Rechtsgestaltung konstituiert1 3 , setzt aber wenigstens einigermaßen gleichstarke Verhandlungspartner voraus.1 4 "Stat pro ratione voluntas" erfordert "freie" voluntas auf beiden Seiten. 75 Die traurigen Auswüchse eines von § 105 GewO begünstigten Manchesterliberalismus76 haben gezeigt, daß dieses Verhandlungs gleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer typischerweise fehlt. Wo nun die wirtschaftliche Übermacht des Arbeitgebers das natürliche Gleichgewicht der Vertragspartner und damit die Voraussetzung freier Selbstbestimmung derart stark verschiebt, daß der grundlegende Zweck des Arbeitsvertrages, nämlich die Bestimmung des gerechten Lohnes77 , nachhaltig gefahrdet ist, braucht der einzelne Arbeitnehmer den Schutz des Kollektivs, und es ist legitim, die individuelle Privatautonornie, die ja materiell ohnehin nicht mehr besteht, auch formell zugunsten einer Gruppenautonornie insoweit "aufzuheben" (im doppelten Sinne Hegels).78 Auf einfachgesetzlicher Ebene ist dieses durch die Anordnung der normativen Wirkung von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung in § 4 I TVG und § 77 N BetrVG geschehen. Dem einzelnen Arbeitnehmer werden durch diese Vorschriften Mindestarbeitsbedingungen garantiert, hinter die er auch dann nicht zurückgedrängt werden kann, wenn er darin einwilligt, also "um den Groschen eins" (Matthäus 20, 13) werden will. Unterhalb des Mindeststandards wird
72 Alfred Hueck (in: Heckel [Hrsg.], Der gerechte Lohn, S.28) spricht von einer "tatsächlichen Vermutung ... , daß das Ergebnis, wenn auch nicht absolut gerecht, so doch vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus filr beide Teile tragbar" sei. 73 Flume. in: FS zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages. S.147. 74 Hueck. in: Heckel (Hrsg.), Der gerechte Lohn, S.28. 75 Gamillscheg. AcP 1964, S.413; Raiser JZ 1958, S.4. 76 Ehmann. NZA 1991, S.l. 77 "Bist Du nicht mit mir eins geworden um einen Groschen?", vgl. Matthäus 20, 13. 78 Entsprechend sieht auch das BVerfG (DB 1991, S.1678) die Tarifautonomie darauf angelegt, "die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluß von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen ... "
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§ 3 Die rechtlichen Grundlagen des GÜ11stigkeitsprinzips
der Privatautonomie die Anerkennung versagt. Nun wird aber das Kollektiv typischerweise, etwa beim Abschluß eines Verbandstarifvertrages, immer nur für eine größere Anzahl von Arbeitnehmern zugleich tätig und kann weder die Besonderheiten des einzelnen Betriebes noch die des Einzelarbeitsverhältnisses berücksichtigen. Das Kollektiv ist somit prinzipiell außerstande, wirklich gerechte (i.S. des suum cuique) Arbeitsbedingungen zu schaffen. Denn wenn Gerechtigkeit bedeutet, "jedem das Seine zu geben"79, dann müssen gerade die individuellen Umstände, wie Leistungsfahigkeit (des Arbeitnehmers und des Betriebes) und Leistungsbereitschaft einbezogen werden. Zweck der Gruppenautonomie ist danach nicht die Herstellung von Vertragsgerechtigkeit, sondern die Absicherung80 deren Voraussetzungen. Sobald der Schutz des Kollektivs überflüssig wird, weil der einzelne selbst ein gerechtes Verhandlungs ergebnis erzielen kann, muß auch die Macht des Kollektivs enden. 81 Genau diesen Ausgleich von notwendigem Schutz und privatautonom realisierbarer Vertragsgerechtigkeit ermöglicht nun das GÜnstigkeitsprinzip.82 Im Bereich derjenigen Arbeitsbedingungen, die günstiger (gerechter) sind als der in Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung vorgegebene Mindeststandard, müssen sich die Inhalte durchsetzen, die in der kleineren Einheit ausgehandelt wurden und deshalb wegen ihrer größeren Sachnähe ein höheres Maß an Vertragsgerechtigkeit garantieren. 3. Das Subsidiaritätsprinzip
a) Das erzielte Ergebnis entspricht gänzlich einem Prinzip, das zwar als Rechtsprinzip lange um seine Anerkennung ringen mußte83 , das aber von so 79 Aristoteles,
Rhetorik, 1366, b 9 - 10. Richardi, in: F8 für Merz, 8.495; Rüthers, in: Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 12. 81 Diese besondere Dialektik von Privat- und Gruppenautonomie vor dem Hintergrund gerechter Vertragsgestaltung übersehenHKZZ (TVG, Rn. 139), wenn sie aus der Freiwilligkeit des Gewerkschaftsbeitritts ableiten, daß die Tarifautonomie "deshalb nicht als Konkurrenz oder gar Einschränkung der Individualvertragsfreiheit gesehen werden" kann. In Wahrheit ist der freiwillige Beitritt genauso ein Akt zur Absicherung der Privatautonomie und nicht zu deren Preisgabe, wie der Tarifautonomie selbst eine dienende und keine ersetzende Funktion zukommt. 82 Bereits Sinzheimer sah im GÜ11stigkeitsprinzip den "praktischen Versuch der Verbindung von individualistischer und sozialistischer Lebensregelung" (Arbeitsnormenvertrag TI, S.63; bereits ausfilhrlicher zitiert oben S.42 f). 80
ill. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des GÜllstigkeitsprinzips
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fundamentaler8 4 Bedeutung ist, daß es letztlich jeder8S gerechten staatlichen Ordnung zugrunde liegt: dem Subsidiaritätsprinzip. Nach diesem Verfassungsprinzip86 ist es der Gesellschaft (Staat) oder dem größeren gesellschaftlichen Verband verwehrt (negativer Gehalt des Subsidiaritätsprinzips87), dasjenige an sich zu ziehen, das der einzelne oder der kleinere Lebenskreis (Familie, Betrieb) jeweils aus eigener Kraft ebenso gut oder gar besser leisten könnte. 88
83 Schon früh filr eine Anerkennung u.a.: VerfGH RhPf, DVBI 1958, S.359, 360; DUrig, JZ 1953, S.198; Maunz, VerwArchiv 1959, S.322; Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S.313 ff; KUchenhoff, RdA 1959, 201 ff; ders., DB 1963, S.766; Huber, DÖV 1956, S.205; SUsterhenn, in: FS fllrNawiasky, S.151; Kipp, DÖV 1956, S.561. Der Streit um die Anerkennung als Rechtsprinzip ist mit der Einfugung des neuen Art. 23 GG endgültig zugunsten des Subsidiaritätsprinzips entschieden worden. fu Art. 23 I Satz 1 GG wird dem Subsidiaritätsprinzip nunmehr der gleiche Rang eingeräumt, wie Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat und Föderalismus. Damit sind zugleich diejenigen (Richardi, Kollektivgewalt, S.57, m.w.N.) widerlegt, die das Subsidiaritätsprinzip untrennbar an eine religiöse Glaubensentscheidung gekoppelt sehen wollten und es deshalb als Verfassungsprinzip ablehnten. 84 Isensee (Subsidiaritätsprinzip, S.316 f) läßt das Subsidiaritätsprinzip auf seiner "höchsten Abstraktionsstufe" an der Unabänderlichkeitsgarantie des Art. 79 ill GG teilhaben; vgl. auch Utz, in: ders. (Hrsg.), Subsidiaritätsprinzip, S.17. 85 Schmitt, Das Subsidiaritätsprinzip, S.87; Stadler, Subsidiaritätsprinzip und Föderalismus, S.77. 86 fu diesem Sinne neben den in Fn. 83 genannten Autoren auch: VerfGH NW, DÖV 1980, S.691 ff; Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft, S.22 ff; Enneccerus / Nipperdey, BGB AT, S.89; Ehmann, NZA 1991, S.7; ders., Die neue Ordnung, 1992, S.256; Peters, AfK 1967, S.lO, 18 ff; Geiger, Grundgesetzliche Schranken fllr eine Kartellgesetzgebung, S.21; Menger, DVBI 1960, S.299; v. Manch, JZ 1960, S.305; Darig, in: MD, Art. 1, Rn. 54; Korte, VerwArchiv 1970, S.16; Hamann, Die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips im geltenden Verwaltungsrecht, S.67 ff; Bemzen, Das Subsidiaritätsprinzip als Prinzip des deutschen Staatsrechts, S.67; Hinz, Tarifnormen, S.112; ders., Tarifhoheit und Verfassungsrecht, S.119; Misera, Tarifinacht, S.15 f, S.40; Papritz, Günstigkeitsprinzip, S.74; Millgramm, DVBI 1990, S.745; Soell / Martin, BayVBI, 1978, S.651; Stewig, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, S.36 ff; ders., DVB11992, S.1517. 87 Glaser, Subsidiaritätsprinzip, S.21. 88 fu der klassischen Formulierung der Enzyklika "Quadragesimo Anno" aus dem Jahre 1931 heißt es: "... wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende fUhren können, fllr die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus
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§ 3 Die rechtlichen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips
nachteilig \Uld verwirrt die ganze Gesellschaftsordn\Ulg. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ihrem Wesen \Uld Begriff nach subsiditJr; sie soll die Glieder des Sozialkörpers \Ulterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen" ("Quadragesimo anno", Nr. 79, abgedruckt in: KAB [Hrsg.], Texte zur katholischen Soziallehre, S.91). Eine ausfilhrliche Begründung des Subsidiaritätsprinzips aus Sicht der katholischen Soziallehre enthält: Schuster, Die Soziallehre nach Leo XllI. \Uld Pius XII. Nicht weniger deutlich formulierte der Sozialreformer Ketteler schon 1848 diesen Gedanken. In einem Vorabdruck seiner Rede in der Frankfurter Nationalversammlung vom 18. 9. 1848 (tags zuvor als "offener BrieC' erschienen) heißt es: "Der Staat ist mir keine Maschine, sondern ein lebendiger Organismus mit lebendigen Gliedern, in dem jedes Glied sein eigenes Recht, seine eigene Funktion hat, sein eigenes freies Leben gestaltet. Solche Glieder sind mir das Individuum, die Familie, die Gemeinde usw. Jedes niedere Glied bewegt sich frei in seiner Sphäre \Uld genießt das Recht der freien Selbstbestimm\Ulg \Uld Selbstregierung. Erst wo das niedere Glied dieses Organismus nicht mehr imstande ist, seine Zwecke selbst zu erreichen oder die seiner Entwicklung drohende Gefahr selbst abzuwenden, tritt das höhere Glied filr es in Wirksamkeit, dem es dann von seiner Freiheit \Uld Selbstbestimmung das abgeben muß, was dieses, das höhere Glied, zur Erreich\Ulg seines Zweckes bedarf. Was daher die Familie, die Gemeinde zur Erreichung ihres natürlichen Zweckes sich selbst gewähren kann, muß ihr zur freien Selbstregierung überlassen bleiben" (zit. nach Rauscher, Ordo Bd. XII, S.435; die am 18. 9. 1848 gehaltene Rede enthält diese Passage jedoch nicht mehr, vgl. Stenographische Berichte, Bd. 3, S.2182 fi). Das Subsidiaritätsprinzip ist geistesgeschichtlieh indes kein originäres Produkt der katholischen Soziallehre, sondern, wie Isensee nachgewiesen hat, ein ebenso "ursprunghaftes Gut der deutschen Staatslehre" (Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S.71). Haben Robert von Mohl \Uld Lorenz von Stein die verschiedenen Aspekte des Subsidiaritätsprinzips (Freiheitsverbürgung \Uld Solidarität) noch eher \Ulverbunden nebeneinander gestellt, so fmdet sich bei Georg Jellinek in komprimiertester Form beinahe die vollständige gedankliche Vorwegnahme des päpstlichen R\Uldschreibens. Lorenz von Stein: "Der Staat soll durch seine Verwaltung niemals \Uld \Ulter keinen Umständen etwas anderes leisten, als die Herstellung der Bedingungen der persönlichen, wirtschaftlichen \Uld gesellschaftlichen Entwicklung, welche der Einzelne sich nicht selber zu schaffen vermag, \Uld es dann dem Einzelnen \Uld seiner freien selbständigen Tat überlassen, aus der BenutzlUlg dieser Beding\Ulgen sein eigenes Leben zu bilden \Uld zu entwickeln" (Verwaltungslehre, S.59; zit. nach Isensee, S.63). Robert von Mahl: Die Pflicht der Polizei sei es, "immer dann helfend einzuschreiten, wenn die Hindernisse, welche die Ausfilhrung einer vernunftgemäßen, rechtlich er1aubten \Uld allgemein nützlichen Unternehmung im Wege stehen, von den Einzelnen oder den beteiligten natürlichen Genossenschaften gar nicht, nicht auf genügende Weise oder nicht ohne VerletzlUlg des Rechts oder des Gemeinwohls weggeräumt werden können, ... " (Polizei-Wissenschaft, S.28; zit. nach Isensee a.a.O.). Georg Jellinek: "Nur soweit die freie individuelle oder genossenschaftliche Tat \Ulvermögend ist, den vorgesetzten Zweck zu erreichen, kann \Uld muß ilm der Staat übernehmen" (Allgemeine Staatslehre, S.259). Eine rechtliche Defmition hat das Subsidiaritätsprinzip jüngst (Vertrag über die europäische Union v. 7. 2. 92) in Art. 3b 11 EG-Vcrtrag gefunden, wo es nunmehr heißt: "... , wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit
III. Die verfassWlgsrechtlichen Grundlagen des GÜllStigkeitsprinzips
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Juristisch statuiert das Subsidiaritätsprinzip ein "Vorrangprinzip"89, das die Zuständigkeit der kleineren sozialen Einheit jedenfalls dann begründet, wenn grundgesetzlieh verankerte Regelungszuständigkeiten verschiedener Lebenskreise (Individuum, Familie, Gemeinde, Koalition, etc.) miteinander konkurrieren, ohne daß der Verfassung eine abschließende Kompetenzzuweisung entnommen werden könnte. Die jeweils größere Einheit ist erst dann hilfsweise (subsidiär) zuständig, wenn ohne ihre "Hilfe" die betreffende Aufgabe nicht in befriedigender Weise zu lösen wäre. 90 Wenn aber "die Verwirklichung des Gemeinwohls nach dem Prinzip der Freiheit nicht mehr möglich ist oder nicht mehr garantiert wird"91, dann legt das Subsidiaritätsprinzip der übergeordneten Macht die Pflicht92 auf (positiver Gehalt93 ), entscheidend einzugreifen. Letztendlich ist das Subsidiaritätsprinzip damit der Ausdruck eines verfassungsrechtlichen Wertsystems94 , das vom Primat des Menschen ausgeht. Der Staat, seine Institutionen und die im Staat agierenden mächtigen Verbände sind im Interesse der Menschen geschaffen worden nicht umgekehrt. 95 Dieses Menschenbild, das unsere Verfassung in Art. 1 I und Art. 2 I positiv formuliert und in Art. 79 III mit Ewigkeitsgarantie ausgestattet hat, verlangt, daß dem Menschen "um seiner Würde willen ... eine möglichst weitgehende Entfaltung seiner Persönlichkeit gesichert" wird und "daß es nicht genügt, wenn eine Obrigkeit sich bemüht, noch so gut lür das
die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können Wld daher wegen ihres Umfangs oder ihrer WirkWlg besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können. "[R.d. Verf.]. 89 DUrig, JZ 1953, S.198. 90 KUchenhoff, in: Utz (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S.79; Korte, VerwArehiv, 1970, S.18 f. 9\ Utz, in: ders. (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S.17. 92 KUchenhoff, DB 1963, S.766. 93 Glaser, Subsidiaritätsprinzip, S.21. Vgl. auch den interessanten Versuch Stadlers (Subsidiaritätsprinzip Wld Föderalismus, S.57 f) die einzelnen Aspekte des Subsidiaritätsprinzips mit der Statuslehre Georg Jellineks zu verknüpfen. 94 Entsprechend formulierte auch Abraham Lincoln 1854: "The legitimate object of government is to do for a community of people whatever they need to have done but cannot do at aIl, or cannot so weIl do for themselves in their separate and individual capacities. In all that people can do individually as weIl for themselves, government ougt not [R.d.Verf.] to interfere" (zit. nachMillgramm, DVB11990, S.744). 95 Rathers, in: Rüthers / Boldt, Zwei arbeitsrechtliche Vorträge, S.24. Mit einem beliebten Satz Leos XIII. könnte man auch pointiert sagen: "Der Mensch ist älter als der Staat" ("Rerum novarum", Nr.6, KAB, Texte zur katholischen Soziallehre, S.5).
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§ 3 Die rechtlichen Gnmdlagen des GÜIlStigkeitsprinzips
Wohl von ,Untertanen' zu sorgen"96. "Person sein heißt, bis zur Grenze der eigenen Kräfte mit Selbstbestimmung und Selbstverantwortung für die Erfüllung der eigenen Zwecke ausgestattet zu sein. "97 Nach richtiger Ansicht98 ist das Subsidiaritätsprinzip deshalb als unmittelbarer Ausfluß der Menschenwürde in Art. 1 I GG niedergelegt. Die Auflösung des Spannungsverhältnisses von Solidarität und Freiheit, von gemeinwohlorientierter, fürsorgender Bevormundung und autonomer Selbstbestimmung, die sich im Subsidiaritätsprinzip vollzieht, spiegelt nun exakt die verfassungsrechtlich gebotene Zuordnung wider, die Kollektivmacht, Sozialstaatsprinzip und Privatautonomie im Günstigkeitsprinzip gefunden haben. Die Rückbesinnung auf das Subsidiaritätsprinzip ermöglicht eine besonders überzeugende dogmatische Erfassung des Günstigkeitsprinzips, weil sie die widerspruchsfreie systematische Einbindung aller arbeitsrechtlichen Gestaltungsmittel und damit auch der Betriebsvereinbarung erlaubt. Ohne daß der Status der "Betriebsautonomie"99 endgültig geklärt werden müßte, zieht die günstigere Betriebsvereinbarung im Verhältnis zum Tarifvertrag dem größeren Kollektiv schon deshalb eine verfassungsrechtlich gebotene Schranke, weil sie oberhalb der Mindestarbeitsbedingungen eine dem Individuum nähere und damit gerechtere Regelung 100 trifft. b) Auch Nipperdey, der in dem Günstigkeitsprinzip ein "Spezialitätsprinzip"lOl gesehen hat, spricht mit dieser Bezeichnung inhaltlich das Subsidiaritätsprinzip an. Würde man seinen "Spezialitätsbegriff' nicht derart "materiell", sondern nur in einem formalen rechtstechnischen Sinne 102 aufIasBVerfGE 5, 85, 204 f. Das Naturrecht, S.199. 98 Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S.316; Peters, AfK 1967, S.10 ff; v. Münch, JZ 1960, S.305; Korte, VerwArchiv 1970, S.16; Bemzen, Das Subsidiaritätsprinzip als Prinzip des deutschen Staatsrechts, S.58; Papritz, Gllnstigkeitsprinzip, S.74. 99 Von einer verfassungsrechtlichen Ableitbarkeit der Betriebsautonomie wird ausgegangen. Offen kann jedoch bleiben, ob die Betriebsautonomie eine besondere Realisierungsforrn der Privatautonomie (Gast, Tarifautonomie, S.ll), ein Ausfluß des Sozialstaatsprinzips (vgl. Jahnke, Tarifautonomie, S.40 fm.w.N.) oder eine Garantie des Art. 9 III Satz 1 GG (so wohl BVerfGE 50, 290, 371) ist. 100 Ehmann, Die neue Ordnung 1992, S.256; Küchenhoff, DB 1963, S.766, Fn. 4. 101 Nipperdey, in: FS fUr Lehmann, S.264. 102 "Technische" Spezialität liegt vor, wenn eine Rechtsnorm dieselben Tatbestandsmerkmale wie eine andere Norm und mindestens noch ein weiteres Merkmal enthält. Dann gilt die speziellere Norm fUr den engeren von ihr erfaßten Bereich von Fällen ausschließlich, ist "lex specialis" (vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S.465). 96
97 Messner,
IV. Das Günstigkeitsprinzip im BetriebsverfassWlgsrecht
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sen 103 , dann wäre nicht erklärbar, worin die "Spezialität" einer vom Tarifvertrag abweichenden, isolierten Lohnabsprache zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer läge. Denn diese Absprache enthielte im Vergleich zur Tarifnorm kein zusätzliches, sondern nur ein quantitativ verändertes Tatbestandsmerkmal. Aus diesem Grund hat auch Siebert das "Nipperdeysche" Spezialitätsprinzip nicht auf eine logische Regel, sondern auf eine inhaltliche Wertung zurückgefiihrt. Danach beruhe das Spezialitätsprinzip auf dem Grundgedanken, "daß jedes nach seinem Wirkungsbereich engere Gestaltungsmittel zugunsten des Arbeitnehmers die Arbeitsbedingungen an individuelle Verhältnisse (des einzelnen Betriebs und der einzelnen Arbeitnehmer) anpassen kann. "104
IV. Das Günstigkeitsprinzip im Betriebsverfassungsrecht l. Eine Regelung, die § 4 III TVG entspräche, fehlt im Betriebsverfassungsrecht, obwohl die Betriebsvereinbarung nach § 77 N Satz 1 BetrVG ebenso wie der Tarifvertrag normativ auf das Arbeitsverhältnis einwirkt. 105 Entgegen vereinzelten Literaturstimmen106 sollte nach dem bisher Gesagten jedoch nicht mehr zweifelhaft sein, daß das Günstigkeitsprinzip im VerhältSo wohl Nikisch, Arbeitsrecht II, S.427. 104 Siebert, in: FS filr Nipperdey, S.126, Fn. 3. In diesem Sinn auch Gast (Tarifautonomie, S.14), wenn er der Betriebsvereinbarung als "engerer RegelWlg" rechtsquellenmäßige Spezialität zuspricht, Wld Fette (Der Günstigkeitsvergleich im Urlaubsrecht, S.5), der durch Nipperdeys Spezialitätsprinzip gerade den Vorrang der "gerechteren RegelWlg" gewahrt sehen will. 105 Lediglich in § 28 II Satz 2 SprAuG fmdet sich eine gesetzliche Normierung des Günstigkeitsprinzips. Das Sprecherausschußgesetz ist zum 1.1.1989 als Art.2 des Gesetzes zur Änderung des BetrVG über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten Wld zur Sicherung der Montan-MitbestimmWlg in Kraft getreten. Da jedoch die praktische Bedeutung des noch jWlgen Sprecherausschußgesetzes vergleichsweise gering ist, taucht § 28 II Satz 2 SprAuG in der Diskussion um das Günstigkeitsprinzip bisher kaum auf (etwa bei Löwisch, BB 1991, S.60 f). Das BAG (GS, DB 1990, S.I725) betrachtet § 28 II Satz 2 SprAuG allerdings als eine BestätigWlg seiner Rspr. durch den Gesetzgeber. § 28 I SprAuG: "Arbeitgeber Wld Sprecherausschuß können Richtlinien über den inhalt, den Abschluß oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen der leitenden Angestellten schriftlich vereinbaren." § 28 II: "Der Inhalt der Richtlinie gilt filr die Arbeitsverhältnisse Wlmittelbar Wld zwingend, soweit dies zwischen Arbeitgeber Wld Sprecherausschuß vereinbart ist. Abweichende RegelWlgen zugunsten leitender Angestellter sind zulässig .... " 106 Leinemann, DB 1990, S.732 fI 103
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§ 3 Die rechtlichen Grundlagen des GÜIlstigkeitsprinzips
nis von Betriebsvereinbarung und Einzelarbeitsvertrag grundsätzlich Anwendung fmden muß. 107 Soweit sich das oben beschriebene108 Spannungsverhältnis von Individuum und Kollektivmacht auch auf betrieblicher Ebene wiederfmdet109, kann die normative Wirkung der Betriebsvereinbarung (§ 77 IV BetrVG) sich der zu verwirklichenden Vertragsgerechtigkeit nicht mit stärkerer Kraft widersetzen als der Tarifvertrag. Dies gilt erst recht dann, wenn man eine verfassungsrechtliche Absicherung betrieblicher Regelungsmacht vemeint llO . 2. In scheinbarem Widerspruch zu diesem Ergebnis sieht sich die h.M.lll aber nicht gehindert, einer über die Einfiihrung von Kurzarbeit geschlossenen Betriebsvereinbarung (§ 87 I Nr. 3 BetrVG) die Macht zuzuerkennen, die individuelle Arbeitszeit zu verkürzen, ohne daß es einer Änderungskündigung der Einzelarbeitsverträge bedarf. 112 Gerade bei der Einfiihrung von Kurzarbeit, die notwendig mit einer Lohnminderung einhergeht, müßte doch das Günstigkeitsprinzip dazu führen, daß sich die betroffenen Arbeitnehmer auf ihre einzelvertraglich vereinbarte längere Arbeitszeit und den damit verbundenen höheren Lohnanspruch berufen könnten. Im Bereich der betrieblichen Ordnung treten ähnliche Widersprüche zutage. Wenn eine Betriebsvereinbarung (§ 87 I Nr. 1 BetrVG) ein generelles Rauchverbot auf dem Betriebsgelände anordnet, dann würde über das Günstigkeitsprinzip (dem Ar107 Ganz h.M. vgl.: BAG, DB 1993, S.991; BAG (GS), AP Nr.17 zu § 77 BetrVG. Nach Zöllner / Loritz (Arbeitsrecht, S.481) ist dies "allgemeine Meinung"; Buchner (DB 1985, S.921) spricht von "einhelliger Meinung"; FAKH, BetrVG, § 77 Rn. 44 (m.w.N.). 108 Vgl. S.68 fI 109 Das BAG (BB 1987, S.1247) bringt dieses Spannungsverhältnis sehr deutlich zum Ausdruck, wenn es den Zweck der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten wie folgt defIniert: "Zweck der in § 87 BetrVG normierten Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates ist es - je nach dem Mitbestimmungstatbestand - ... einzelvertragliche Vereinbarungen, ... wegen der dabei gestörten Vertragsparität zurückzudrängen ... " lID Leinemann, DB 1990, S.732. III BAG, NZA 1991, S.607 f; Ehmann, LdR, Kurzarbeit, B. V. 2; Richardi, ZfA 1992, S.314 f; Dietz / Richardi, BetrVG, § 87 Rn. 269; HSG, BetrVG, § 87 Rn. 205; FAKH, BetrVG, § 87 Rn. 52. 112 Diese Möglichkeit unterstellt auch der Große Senat (BAG, AuR 1993, S.29), wenn er, offensichtlich ohne die GÜIlstigkeitsproblematik zu bedenken, ausführt: "Man denke an eine Regelung zur Einfilhrung von Kurzarbeit. ... ohne eine Betriebsvereinbarung abschließen zu können, müßte der Arbeitgeber eine Änderungskündigung aussprechen, ... wenn ... die von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer verlangen würden, voll beschäftigt zu werden."
V. Ergebnis
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beitnehmer sei es einzelvertraglich freigestellt zu rauchen) letztendlich der Begriff der "Ordnung" aufgehoben und das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Schaffung dieser "Ordnung" entwertet. Dementsprechend betont auch das BAG, daß das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nicht durch einzelvertragliche Abmachungen unterlaufen werden dürfte l13 . Diese Feststellung würde wenig Sinn machen Il 4, wenn abweichende Vereinbarungen unter Berufung auf das Günstigkeitsprinzip möglich blieben. 3. Die angedeuteten Widersprüchlichkeiten stellen die grundsätzliche Geltung des Günstigkeitsprinzips im Betriebsverfassungsrecht nicht in Frage. Sie weisen aber auf notwendige Differenzierungen (Beschränkungen) bei dessen Anwendung hin, die sich angesichts des besonderen Charakters bestimmter betrieblicher Vereinbarungen ergeben. Eine ausführliche Darstellung dieser Beschränkungen, die nichts anderes als wesens immanente Anwendungsgrenzen des Günstigkeitsprinzips selbst aktualisieren, erfolgt unter § 4 11.
V. Ergebnis Seinem Wesen nach ist das Günstigkeitsprinzip als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips auf dem Gebiet der Arbeitsbeziehungen l15 ein allgemeines Strukturprinzip des kollektiven Arbeitsrechts. Es verteilt die Regelungszuständigkeit zwischen Individuum und Kollektiv nach dem Grundsatz: solange die jeweils kleine Einheit selbst gerechte Vertragsbedingungen erreichen kann, bleibt sie allein zuständig. Il6 Die Kollektivmacht fmdet ihre Schranke Il7 folglich dort, wo Vertragsgerechtigkeit nach dem "Prinzip der Frei113 BAG,
NZA 1990, S.236. DB 1989, S,2537. 115 Ebenso im Ergebnis: Küchenhoff, RdA 1959, S.203; ders., DB 1963, S.766; Papritz, Günstigkeitsprinzip, S.75; Bender, BB 1987, S.1119; Hablitzel, DB 1971, S.2159. 116 Radikaler fonnuliert Heinze (NZA 1991, S.332): "... jede individuelle Vertragsgestaltung, die der privatautonomen Selbstbestimmung des Arbeitnehmers entspricht und zugleich dem sozialstaatlichen Schutzprinzip ... gerecht wird, jede so herbeigefilhrte ... Änderung tariflicher Regelungen ist ... stets eine Abweichung »zugunsten« des Arbeitnehmers. " 117 Heinze (a.a.O.) hat darauf hingewiesen, daß der Begriff "Günstigkeitsprinzip" in einem gewissen Sinne irrefilhrend ist, weil er den Blick fur den Umstand, daß es der Sache nach um die Ermittlung einer Schranke der Kollektivrnacht geht, eher verstellt. 114 Ähnlich Däubler,
§ 3 Die rechtlichen Grundlagen des Güustigkeitsprinzips
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heit"1l8 möglich ist. Rechtstechnisch liefert das Günstigkeitsprinzip einen flexiblen Mechanismus, der zur Verwirklichung des sozialen Rechtsstaates beiträgt, indem er Privat- und Gruppenautonomie in das Verhältnis praktischer Konkordanz setzt, also beiden Gütern Grenzen zieht, damit beide entsprechend ihrem jeweiligen Zweck - zu optimaler Wirksamkeit1l9 gel angen können. Die Einsicht in das Wesen des Günstigkeitsprinzips erlaubt es nunmehr, auch die Frage nach seinen Grenzen zu beantworten. Danach steht jede Anwendung des Günstigkeitsprinzips unter zwei ganz allgemeinen Vorbehalten. Einerseits darf nicht von vornherein feststehen, daß die Regelung in der kleineren Einheit zur Verwirklichung eines gerechteren Zustandes untauglich ist. Und andererseits darf die Anwendung des Günstigkeitsprinzips unter keinen Umständen zu einer Aushöhlung der Kollektivmacht führen, da letztlich die Privatautonomie im Arbeitsrecht erst "auf den Schultern" des Kollektivschutzes eine feste Grundlage zurückgewinnt. Dem Erfordernis praktischer Konkordanz wird dadurch Rechnung getragen, daß gegebenenfalls auch im Verhältnis zu Regelungen, die in einem speziellen Sinne "günstiger" für die Betroffenen sind, entsprechend einem allgemeineren Interesse der Betroffenen die vorrangige Wirkung der Kollektivnorm und damit die Aufhebung der Privatautonomie durch die Gruppenautonomie aufrechterhalten werden kann. 120
Utz, in: ders. (Hrsg.), Subsidiaritätsprinzip, S.17. Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72. 120 Beispiele zur Konkretisierung dieser beiden Vorbehalte vgl. unter § 4. 118
119 Hesse,
§ 4 Das Günstigkeitsprinzip als Kollisionsregel I. Kollektivnorm und Einzelarbeitsvertrag Nachdem im vorangegangenen Abschnitt die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Günstigkeitsprinzips im Verhältnis von Individualarbeitsvertrag und Kollektivnorm nachgewiesen und damit auch dessen Geltung im Betriebsverfassungsrecht bestätigt l worden ist, soll nunmehr einigen Problemkonstellationen nachgegangen werden, die geeignet erscheinen, ein Licht auf die Grenzen des Günstigkeitsprinzips zu werfen. 1. Einschränkungen des Günstigkeitsprinzips im Betriebsverfassungsrecht
a) Betriebsnormen (1) Für das Tarifvertragsrecht wird überwiegend2 davon ausgegangen, daß das Günstigkeitsprinzip nur im Verhältnis zu "Individualnormen" gelte, also zu solchen tariflichen Regelungen, die typischerweise auch Gegenstand einzelvertraglicher Vereinbarung werden können. "Betriebsnormen" 3 dagegen, denen dieser Bezug zum Einzelarbeitsverhältnis fehle, würden vom Günstigkeitsprinzip nicht erfaßt. Hierbei verstand man unter Betriebsnormen4 1ange Zeit nur Solidar- s, Zulassungs- und Ordnungsnormen6 . Nach der I Ganz h.M.: BAG (GS) AP Nr.17 zu § 77 BetrVG 1972; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S.481;FAKH, BetrVG, § 77 Rn. 44 (m.w.N.). VgJ. oben S.75 ff.
2 Wlotzke, Günstigkeitsprinzip, S.29; Schulz, Umfang und Wirkung tariflicher Betriebsnormen, S.145; Müller, G., Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, S.218; Zachert, DB 1990, S.988 f; Linnenkohl / Rauschenberg / Reh, BB 1990, S.630; Bengelsdoif, ZfÄ 1990, S.582; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rn. 223; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 204 VI. l.b; Fimhaber, Günstigkeitsprinzip, S.43; HKZZ, TVG, § 4 Rn. 142. AA: Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 176; Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S.43. 3 Die Unterscheidung geht letztlich auf die von Hugo Sinzheimer (Arbeitsnormenvertrag I, S.5) herausgearbeitete Trennung des Arbeitsverhältnisses in ein "Individual-" und ein "Solidarverhältnis" zurück. 4 Löwisch / Rieble (TVG, § 1 Rn. 24 f) fassen die betriebsverfassungsrechtlichen Normen ebenfalls unter den Betriebsnormenbegriff. 5 Solidamonnen legen dem Arbeitgeber Verpflichtungen gegenüber dem Kollektiv seiner Arbeitnehmer auf, die dem einzelnen nur als Glied der Belegschaft zugute kom-
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§ 4 Das Günstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
neuen Rspr. des BAG7 bestimmen sich Betriebsnormen nunmehr dadurch, daß sie "in der sozialen Wirklichkeit aus tatstichlichen oder rechtlichen Gründen nur einheitlich gelten können". Darunter fallen auch solche Normen, die zwar theoretisch Inhalt des Arbeitsvertrages sein könnten (materielle Arbeitsbedingungen8 ), bei denen aber "eine individualvertragliche Regelung wegen evident sachlogischer Unzweckmäßigkeit ausscheidet"9. (2) Diese im Tarifvertragsrecht anerkannte Einschränkung markiert in zutreffender Weise eine Grenze fiir den Anwendungsbereich des Günstigkeitsprinzips. Seinem Wesen nach kann das Günstigkeitsprinzip nur dort gelten, wo die Regelung in der kleineren Einheit imstande ist, zur Verwirklichung eines gerechteren Zustandes beizutragen. Wenn aber die kollektive Regelung überhaupt nicht auf das Individualarbeitsverhältnis zugeschnitten ist, sondern von diesem abstrahiert lO und nur Tatbestände mit besonderem kollektiven Bezug ll enthält, dann würde das Günstigkeitsprinzip, wollte man es auch hier anwenden, seinem eigenen Schutzzweck zuwiderlaufen. Regelungen, die notwendig fiir alle Betroffenen, also fiir den gesamten Betrieb oder fUr Teile l2 der Belegschaft, einheitlich gelten müssen, können nicht durch abweichende Einzelabsprachen verbessert werden. Stellt beispielsweise der Tarifvertrag ein Punkteschema fiir die Sozialauswahl bei betriebsbe-
men (z.B. Schaffung von Waschräwnen, Kantine, etc.) und auf die der Arbeitnehmer folglich keinen individuellen Erfullungsanspruch hat (Wlotzke, GÜIlstigkeitsprinzip, S.29). 6 Die Erweiterung des ursprünglich auf Solidarnormen beschränkten Betriebsnormenbegriffs wn die Kategorien "Ordnungs- und Zulassungsnormen" geht wohl auf Nikisch (BB 1950, S.539) zurück. Danach wird in Zulassungsnonnen die Abweichung von tarifdispositiv ausgestalteten Arbeitnehmerschutzgesetzen (vgl. §§ 3, 7 AZO) gestattet und in Ordnungsnonnen das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb und andere Fragen der betrieblichen Ordnung (z.B. Torkontrollen, Rauchverbot, etc.) geregelt (Richardi, Kollektivmacht, S.239 fi). 7 BAG, Urt. v. 21.1.1987, AP Nr.47 zu Art. 9 GG; BAG AP Nr.4 zu § I BeschFG 1985; jüngst bestätigt durch BAG, Beschl. v. 26.4.1990, AP Nr.57 zu Art. 9 GG. 8 Zu den materiellen Arbeitsbedingungen (Lohn, Arbeitszeit, Urlaub, etc.) zählt man gewöhnlich diejenigen Gegenstände, die unmittelbar das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung betreffen (v. Hoyningen-Huene / Meier-Krenz, NZA 1987, S.794). 9 BAG AP Nr. 57 zu Art. 9 GG. 10 Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S.l40. 11 Schulz, Umfang und Wirkung tariflicher Betriebsnormen, S.67 ff; Dieterich, Die betrieblichen Normen nach dem Tarifvertragsgesetz, S.34. 12 Hueck / Nipperdey / Stahlhacke, TVG, § 1 Ar1m. 65; Säcker / Oetker, Tarifautonomie, S.142; BAG APNr. 47 zu Art. 9 GG.
I. Kollektivnonn und Einzelarbeitsvertrag
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dingten Kündigungen auf (u.a. 1 Punkt pro Jahr Betriebszugehörigkeit), so muß dieses Schema aus rechtlichen Gründen (§ 1 III KSchG) für alle jeweils betroffenen Betriebsangehörigen gelten, um den notwendig einheitlichen Auswahlvorgang zu ermöglichen. 13 Es ist evident, daß ein Arbeitnehmer sich nicht erfolgreich auf eine "günstigere" Einzelvereinbarung berufen kann, wonach ihm pro Betriebsjahr 3 Punkte anzurechnen seien. Die Betriebsnorm ist fur das Kollektiv konzipiert. Eine abweichende Regelung kann deshalb auch nur dann sachgerechter und damit "günstiger" i.S. von § 4 III TVG sein, wenn sie eine Verbesserung fur das Kollektiv bewirkt. Aus diesem Grund läßt sich mit dem Günstigkeitsprinzip die einzelvertragliche Durchbrechung der normativen Wirkung einer Betriebsnorm niemals rechtfertigen. (3) Die Unterscheidung kollektiver Regelungstatbestände nach Individualund Betriebsnormen ist in gleicher Weise auch im Betriebsverfassungsrecht möglich 14 und erforderlich. Da hier zudem diejenigen Bedenken ohne Bedeutung sind, die aus dem Spannungsfeld von Betriebsnorm und negativer Koalitionsfreiheit herrühren 15 und die der Ausweitung der Betriebsnormen im Tarifrecht eine verfassungsrechtliche Grenze ziehen, erweist sich die neue Definition des BAG gerade im Betriebsverfassungsrecht als eine sachgerechte Bestimmung des Betriebsnormenbegriffs. Denn ist eine individualvertragliche Regelung aus sachlogischen Gründen unzweckmäßig, so bewahrt eine einheitliche Regelung auf betrieblicher Ebene, die diesen Anforderungen entspricht, insbesondere die durch Art. 14 GG als Eigentum 16 geschützte Funk-
J3 L6wisch / Rieble, TVG, § 1 Rn. 89.
Z611ner / Loritz, Arbeitsrecht, S.483; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S.188; Dietz / Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 93; FAKH, BetrVG, § 77 Rn. 30 ff. Daß es Betriebsvereinbarungen gibt, die inhaltlich dem tariflichen Betriebsnonnenbegriff entsprechen, folgt mittelbar bereits aus §87 lEingangssatz BetrVG. Wenn der Tarifvertrag ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 I BetrVG verdrängen will, dann muß er die betreffende Materie abschließend (BAG GS, DB 1992, S.1581) nonnieren, d.h. "die sachliche Substanz im wesentlichen selbst" (BAG AP Nr.4 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung; Etzel, Betriebsverfassungsrecht, Rn. 516) regeln. Dies ist etwa im Bereich der betrieblichen Ordnung (§ 87 I Nr. 1 BetrVG) nur dadurch möglich, daß die Tarifnonn, weil sie die Voraussetzungen einer Betriebsnonn erfüllt, alle Betriebsangehörigen, also auch die nichttarifgebundenen (vgl. § 3 II, § 4 I Satz 2 TVG), der normierten Ordnung unterstellt. Warum nun einer inhaltsgleichen Regelung, die mittels Betriebsvereinbarung getroffen wurde, diese Qualität (Betriebsnonn) nicht zukommen sollte, wäre kaum begründbar. 15 Vgl. Lon·tz, SAE 1991, S.249 f. Der Konflikt von Betriebsnonn und negativer Koalitionsfreiheit wird durch die Erstreckung der nonnativen Wirkung von Betriebsnonnen auf Außenseiter (§ 3 II, § 4 I Satz 2 TVG) begründet. 16 BVerfGE 50, 290, 352. 14
6 Th. B. Schmidt
§ 4 Das GÜllstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
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tionsfähigkeit des Unternehmens. 17 Soweit sich also die betreffende Sachmaterie wegen evidenter Unzweckmäßigkeit individualvertraglicher Regelung entzieht oder aus rechtlichen Gründen einheitlich geregelt werden muß, sind auch die Normen einer Betriebsvereinbarung als Betriebsnormen einzustufen, und das Günstigkeitsprinzip ist unanwendbar. Derartige Betriebsvereinbarungen dürften regelmäßig im Bereich der erzwingbaren18 Mitbestimmung vorkommen (z.B. betreffend Torkontrollen, Kurzarbeit, Überstunden, Personaldatenverarbeitung etc. 19); sie sind aber ebenso als freiwillige Betriebsvereinbarungen (§§ 88,95 I BetrVG) denkbar. Im Bereich der "notwendigen Einheitlichkeit aus rechtlichen Gründen" ist der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 I BetrVG) von besonderer Relevanz. Er bewirkt, daß alle Betriebsvereinbarungen, deren Regelungszweck auf die Wahrung relativer Lohngerechtigkeit ausgerichtet ist (§ 87 I Nr. 8, 10 BetrVG20) und die deshalb systemgebundene Normierungen verlangen, Betriebsnormen enthalten. 21 Natürlich führt § 75 I BetrVG nicht dazu, daß der Inhalt jeder Betriebsvereinbarung aus rechtlichen Gründen zur Betriebsnorm wird. 22 Überall dort, wo es an der besonderen Systembindung fehlt und die Regelung nicht aus anderen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen notwendig einheitlich erfolgen muß, ist es im Gegenteil geradezu die Forderung eines richtig verstandenen GleichbeVgl. BAG AP Nr.57 zu Art. 9 GG; Säcker I Oetker, Tarifautonomie, S.145. Vom Tarifrecht her wird schon seit längerem eine Kongruenz von tariflicher Betriebsnorm und der erzwingbaren Betriebsvereinbarung behauptet; vgl. Säcker I Oetker, Tarifautonomie, S.150; Farthmann, RdA 1974, S. 71; Simitis I Weiss, DB 1973, S.1250. 19 SäckerlOetker, Tarifautonomie, S.145;Heinze, NZA 1989, S.46;FAKH, BetrVG, § 77 Rn. 32. 20 Hi/ger I Stumpf, in: FS für Müller, S.215; Reuter, ZfA 1993, S.244 ff. 21 Auch dem jÜllgst von Reuter (ZfA 1993, S.244 fl) unternommenen Versuch, den Ausschluß des GÜllstigkeitsprinzips im Betriebsverfassungsrecht zu rechtfertigen, liegt letztlich dieser Gedanke zugrunde. Reuter stützt seine Argumentation auf die These, daß Betriebsvereinbarungen, die betriebliche Lohruysteme normieren, zur Verwirklichung relativer Lohngerechtigkeit (§ 87 I Nr. 10 BetrVG) abgeschlossen würden und gerade deshalb Abweichungen zugunsten einzelner Arbeitnehmer nicht zuließen. Der von Reuter filr diesen Fall zu Recht angenommene Ausschluß des Günstigkeitsprinzips beruht jedoch nicht auf der Tatsache, daß das GÜllstigkeitsprinzip im Betriebsverfassungsrecht grundsätzlich keine Geltung beanspruchen könnte, sondern allein auf dem Umstand, daß eine derartige Betriebsvereinbarung notwendig einheitlich gelten muß und deshalb Betriebsnormen enthält. 17
18
22 Auf dieses Ergebnis läuft der von Reuter (a.a.O.) verfolgte Ansatz, wenn auch in anderer Terminologie, letztendlich wohl hinaus.
I. Kollektivnonn und Einzelarbeitsvertrag
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handlungsgrundsatzes 23 , daß auch die Normen einer Betriebsvereinbarung nur als Mindestnormen24 Rechtswirkung entfalten. Daß der Betriebsnormenbegriff fur die Betriebsvereinbarung bisher kaum fruchtbar gemacht wurde, dürfte sich nur daraus erklären, daß die Bedeutung dieser Normenkategorie :fur das Betriebsverfassungsrecht noch nicht hinreichend beachtet worden ist. Dabei wird erst vor dem Hintergrund dieses Ansatzes einsichtig, warum eine über die Einfuhrung von Kurzarbeit geschlossene Betriebsvereinbarung (§ 87 I Nr. 3 BetrVG) imstande ist, die individuelle Arbeitszeit zu verkürzen, ohne daß es einer Änderungskündigung der Einzelarbeitsverträge bedarf, und warum im Bereich der betrieblichen Ordnung einzelvertraglich vereinbarte Abweichungen auch dann unzulässig sind, wenn sie den betroffenen Arbeitnehmer "begünstigen".25 Ähnliche Überlegungen haben den 6. Senat des BAG26 zu dem Vorschlag veranlaßt, über die Anwendung des Günstigkeitsprinzips nach den Kriterien "freiwillige" oder "erzwingbare Mitbestimmung" zu entscheiden. Danach sollte das Günstigkeitsprinzip nur noch im Bereich der freiwilligen Mitbestimmung (§ 88 BetrVG) gelten und bei erzwingbarer Mitbestimmung (§ 87 I BetrVG) ausgeschlossen sein. Der 6. Senat begründet seine Auffassung mit dem überwiegenden Ordnungscharakter der Mitbestimmungstatbestände des § 87 I BetrVG.27 Hier bestünde ein "gesteigertes betriebliches Interesse an 23 Gleichheitsgrundsatz und sich verwirklichende Vertragsgerechtigkeit stehen rechtlich in keinem Spannungsverhältnis. Dementsprechend wird das "Leistungsprinzip" gerade aus Art. 3 I GG hergeleitet (vgl. oben S.67, Fn. 59). Das im Gleichbehandlungsgrundsatz enthaltene Gebot, "Ungleiches (entsprechend) seiner Eigenart verschieden" (BVerfGE 3, 58, 135) zu behandeln, belegt nachdrücklich, daß § 75 I BetrVG nicht entgegensteht, wenn individual vertraglich zu Gunsten einzelner Arbeitnehmer von einer Betriebsvereinbarung abgewichen werden soll. Vgl. auch BAG, NZA 1993, S.I72: "Allerdings ist der Gleichbehandlungsgrundsatz im Bereich der Vergütung nur beschränkt anwendbar ... Wenn der Arbeitgeber ... einzelne Arbeitnehmer besserstellt, können daraus andere Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Gleichbehandlung herleiten. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist jedoch anwendbar, wenn der Arbeitgeber die Leistungen nach einem bestimmten und erkennbaren generalisierenden Prinzip gewährt ... "[R.d.Verf.]. Vgl. aber auch Matthäus 20, 15: "Habe ich nicht Macht, zu tun, was ich will ... Siehest du darum scheel, daß ich so gütig bin?" 24 Zu denken ist etwa an eine Betriebsvereinbarung, die festlegt, daß jedem neu in den Betrieb eintretenden Arbeitnehmer ein bestimmter (Mindest-) Lohn zu zahlen ist. 25 Vgl. S.75 ff. 26 BAGE 39, 295. 27 Ähnlich betont auch Jobs (DB 1986, S.1122 fi), daß die Schutz- und Ordnungsfunktion der Mitbestimmungstatbestände hier gegen eine Anwendung des Günstigkeitsprinzips spreche.
§ 4 Das Günstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
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einer einheitlichen Regelung"28, das dem Einzelinteresse vorginge. Zudem zielten die Mitbestimmungstatbestände ins Leere, wenn "regelungsbedürftige Tatbestände wegen entgegenstehender einzelvertraglicher (günstigeren) Abmachungen nicht einheitlich geregelt werden könnten. "29 Die vom 6. Senat formulierten Bedenken beschreiben exakt die praktischen Folgen, die sich aus einer undifferenzierten Anwendung des Günstigkeitsprinzips ergeben können. Schon im Ansatz verfehlt und damit zu Recht auf einhellige Ablehnung gestoßen30 ist jedoch der von ihm vorgeschlagene Lösungsansatz, da er das Wesen und die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Günstigkeitsprinzips in keiner Weise berücksichtigt. Und selbst aus einer isoliert betriebsverfassungsrechtlichen Perspektive klingt es wenig überzeugend, daß Betriebsrat und Arbeitgeber gerade deshalb die Macht zukommen soll, individuell ausgehandelte Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer zu verschlechtern, weil der Betriebsrat zum Schutz des Arbeitnehmers zwingend zu beteiligen ist. 31 Unzutreffend ist auch das Ergebnis, das der 6. Senat erzielt, wenn er die unbeschränkte Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips im Bereich der freiwilligen Mitbestimmung annimmt. 32 Soweit eine bestimmte Materie notwendig betriebs einheitlich geregelt werden muß, kann auch der Umstand, daß die Regelung auf freiwilliger Basis erfolgt, nicht die Geltung des seinem Wesen nach hier unanwendbaren Günstigkeitsprinzips erzwingen. Es ist nicht die Unterscheidung nach freiwilliger und erzwingbarer Mitbestimmung, sondern allein die Zuordnung des Inhalts der Betriebsvereinbarung zur Kategorie der Individual- oder Betriebsnormen, die den Ausschluß des Günstigkeitsprinzips reguliert. Selbstverständlich eröffnet der Ausschluß des Günstigkeitsprinzips den Betriebspartnern keine unbeschränkte Regelungsmacht. Wie jede Betriebsvereinbarung, steht auch die "Betriebsnormen-Betriebsvereinbarung" unter dem Korrektiv der allgemein anerkannten inhaltlichen Schranken der Kollektivmacht (Übermaßverbot und Gleichbehandlungsgebot33 ; Schutz wohl28
BAGE 39, 295, 304.
29 Aa.O. 30 Buchner, Anrn. zu BAG EzA § 77 BetrVG 1972, Nr.9; Richardi, RdA 1983, S.278; Lieb, SAE 1983, S.130 fT; Löwisch, DB 1983, S.1710 f; Joost, RdA 1989, S.16; Martens, RdA 1983, S.217;Belling, DB 1982, S.2513. Das BAG ist von dieser Rspr. zwischenzeitlich ausdrücklich abgerückt (BAG GS, DB 1987, S.386); in BAG, DB 1993, S.990 schimmert sie jedoch wieder durch. 31 So auch Belling, DB 1982, S.2516. 32 BAGE 39, 295,302. 33 Reuter, ZfA 1993, S.240.
I. Kollektivnorm und Einzelarbeitsvertrag
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erworbener Rechte und Billigkeit34). Hierbei wird im Rahmen der Billigkeit insbesondere darauf zu achten sein, daß ein Modus fiir die abweichende Regelung begründeter Ausnahmefälle geschaffen wird. 35 b) Die Ablösung allgemeiner Arbeitsbedingungen (1) Seit langer Zeit ist umstritten36 , ob allgemeine Arbeitsbedingungen (arbeitsvertragliehe Einheitsregelung, Gesamtzusage, betriebliche Übung37), also generelle Regelungen, die dogmatisch auf individualrechtliche38 Grundlagen zurückgeführt werden, durch eine Betriebsvereinbarung verschlechtert werden können. Nach einer von Nipperdey39 entwickelten Ansicht, deren 34 BAG (GS), DB 1987, S.388; Sticker, SAE 1970, S.273. Ausfilhrlicher zu den von der Rspr. entwickelten Grenzen: Ahrend / Förster / Rühmann, DB 1982, S.227 tI 35 So könnte eine Betriebsvereinbarung, die Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit ändert (§ 87 I Nr.2 BetrVG), beispielsweise bestimmen, daß in begründeten Ausnahmefällen (Beispiel: ein alleinerziehender Vater muß sein Kind morgens zur Schule bringen und möchte deshalb 30 Min. später mit der Arbeit beginnen) der Arbeitgeber mit Zustimmung des Betriebsrates eine von der Betriebsvereinbarung abweichende Vereinbarung mit einem Arbeitnehmer treffen kann. 36 Vgl. zur ausfilhrlicheren Darstellung der Problemgeschichte: Sticker, Gruppenautonomie, S.294 ffund S.355 ff; Richardi, Kollektivgewalt, S.397 ff; Belling, Günstigkeitsprinzip, S.128 ff; Vassilakakis, Konkurrenz, S.34 ff. 37 Von arbeitsvertraglicher Einheitsregelung spricht man, wenn Arbeitsbedingungen durch den Abschluß inhaltlich gleichlautender Arbeitsverträge (i.d.R. Formularverträge) für die gesamte Belegschaft oder einzelne Gruppen einheitlich gestaltet werden (vgl. Hueck, G., in: FS flir Molitor, S.207). Mit der Gesamtzusage gibt der Arbeitgeber eine einseitige Verpflichtungserklärung (Anschlag am Schwarzen Brett, Rundschreiben etc.) gegenüber seiner Belegschaft ab, die rechtlich als Vertragsangebot eingestuft wird. Durch konkludente Annahme wird der Inhalt der Gesamtzusage Bestandteil der Einzelarbeitsverträge (vgl. Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S.66). Die betn"ebliche Übung bezeichnet ein bestimmtes, gleichförmiges, über längere Zeit zu beobachtendes Verhalten des Arbeitgebers, das bei seinen Arbeitnehmern das Vertrauen auf die Beibehaltung dieses Verhaltens hervorgerufen hat und dem (mittlerweile wohl gewohnheitsrechtlich anerkannt) anspruchserzeugende Wirkung beigemessen wird. Zu den divergierenden Ansätzen, die (im Ergebnis unstreitige) Anspruchsentstehung als stillschweigende Annahme eines Vertragsangebots (BAG, DB 1983, S.997) oder als Vertrauenshaftung (Birk, Leitungsmacht, S.235) zu begründen, vgl. Lieb, Arbeitsrecht, S.47 ff. 38 Dies ist filr Gesamtzusage und betriebliche Übung zwar nicht unbestritten (vgl. Moll, NZA 1988 [Beil. 1], S.20; Gamillscheg, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, 1988, S.54), aber doch ganz h.M. 39 Nipperdey, in: FS filr Lehmann, S.257 ff; ders., in: Hueck I Nipperdey, Lb III 1, S.591 ff.
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§ 4 Das Günstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
Ergebnis - mit teilweise erheblichen ModifIkationen in der Begrundung - auf breite Zustimmung in der Literatur gestoßen ist4° und der auch die Rspr. des BAG41lange Zeit folgte, muß diese Frage bejaht werden, da durch den kollektiven Charakter der allgemeinen Arbeitsbedingungen eine betriebliche Ordnung geschaffen werde, die sich nach Inhalt und Geltungsbereich von einer durch kollektive Normsetzung42 errichteten Ordnung nicht unterscheide. Wenn nun dem Betrieb eine neue Ordnung gegeben werden soll, dann müsse es möglich sein, die alte Ordnung zu verdrängen, und zwar unabhängig davon, ob sie für die Arbeitnehmer günstiger war oder nicht. Nur so sei dem "unabweisbaren praktischen Bedürfnis" Rechnung zu tragen, daß eine einmal festgelegte Regelung nicht "versteinere" und den geänderten wirtschaftlichen und betrieblichen Erfordernissen angepaßt werden könne. 43 Demzufolge gelte nicht das Günstigkeitsprinzip, sondern das "Ordnungs-li bzw. das "Ablösungsprinzip"44 (kollektiver Ansatz4S ). (2) Große Teile der Lehre haben sich von Anfang an gegen diese an das konkrete Ordnungsdenken (Carl Schmitt46) angelehnte Auffassung und damit auch gegen die Zulässigkeit der verschlechternden Betriebsvereinba40 Siebert, in: FS ftlr Nipperdey, 1955, S.127; Hilger, Das betriebliche Ruhegeld, S.230; dies., BB 1958, S.418; Hilger / Stumpf, in: FS filr Müller, S.212 f; Sticker, Gruppenautonomie, S.235 ff; ders., SAE 1970, S.269 ff; L6wisch, DB 1983, S.I710; Reuter, SAE 1983, S.202; ders., RdA 1991, S.198; Hromadka, NZA 1987, Beil. 3, S.14; B/omeyer, DB 1987, S.638; Joost, RdA 1989, S.17 f; Schulin, DB 1984, Beil 10, S.ll; Herrmann, ZfA 1989, S.633; Ahrend / F6rster / Rühmann, DB 1985, S.226; Karakatsanis, Gestaltung, S.45; Ga/perin / Siebert, BetrVG, Vorb. 90 zu § 49; Fitting / AuJJarth / Kaiser, BetrVG, § 77 Rn. 41. 41 BAGE 3, 274, 277; BAG AP Nr.1 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip; BAG AP Nr.142 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG, DB 1980, S.1399; BAG, DB 1982, S.46. 42 Reuter (SAE 1983, S.202) qualifIziert die vertragliche Einheitsregelung selbst als betriebliche "Normsetzung". Nach Herrmann (ZfA 1989, S.633) stehen Betriebsvereinbarung und Einheitsregelung als Rechtsquellen "auf einer Ebene". 43 BAG AP Nr.142 zu § 242 BGB Ruhegehalt. 44 Das BAG hat mit seiner Entscheidung vom 30. I. 1970 (AP Nr.142 zu § 242 BGB Ruhegehalt = SAE 1970, S.262) das "Ordnungsprinzip" als dogmatische Grundlage zur Ablösung betrieblicher Einheitsregelungen (terminologisch) aufgegeben und im Wege richterlicher Rechtsfortbildung an seine Stelle das "Ablöseprinzip" bzw. die "ablösende Betriebsvereinbarung" gesetzt. An der Ablösbarkeit günstigerer früherer Einheitsregelungen haUe sich damit aber nichts geändert. 45 Unter diesem Begriff werden, in Anlehnung an eine von B/omeyer (NZA 1985, S.642) vorgeschlagene Terminologie, diejenigen Autoren zusammengefaßt, die sich gegen eine Anwendung des GÜllstigkeitsprinzips bei der Ablösung allgemeiner Arbeitsbedingungen aussprechen. 46 Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S.13 ff.
1. Kollektivnonn Wld Einzelarbeitsvertrag
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rung ausgesprochen. 47 Nicht eine irgendwie entstandene Ordnung sei maßgeblich, sondern vielmehr die einzelvertragliche Begründung der Arbeitnehmeransprüche. Für den Charakter des Einzelvertrages könne es aber gleichgültig sein, "ob und wieviel gleichlautende Verträge mit anderen"48 vorlägen (individualrechtlicher Ansatz). Auch das BAG49 ist von seiner alten Rspr. inzwischen abgerückt und hat das Günstigkeitsprinzip zur maßgeblichen Kollisionsnorm im Betriebsverfassungsrecht erklärt. Entscheidend soll nunmehr allein die "Tatsache" sein, daß durch allgemeine Arbeitsbedingungen die Ansprüche des Arbeitnehmers individualrechtlieh begründet werden und daß für die Kollision von Individualvertrag und Betriebsvereinbarung grundsätzlich das Günstigkeitsprinzip zu gelten habe. Die anderen in Schrifttum und Rspr. diskutierten Kollisionsregeln (Ordnungsprinzip / Ablösungsprinzip) fänden im Recht keine Grundlage und könnten an diesem Ergebnis nichts ändern. so Allenfalls bei der Umstrukturierung freiwilliger sozialer Leistungen mit besonderem kollektiven Bezug, die auf eine vom Arbeitgeber gesetzte Einheitsregelung oder eine Gesamtzusage zurückgingen, sei die Verschlechterung von Einzelrechtspositionen denkbar. Wenn die Neuregelung insgesamt bei kollektiver Betrachtung (kollektiver Günstigkeitsvergleich) keine Nachteile rur die Belegschaft zur Folge habe, die Sozialleistung des Arbeitgebers also im Volumen zumindest konstant bleibe, dann stehe das Günstigkeitsprinzip einer Neuregelung (Umstrukturierung) nicht entgegen, selbst wenn einzelne Arbeitnehmer dadurch schlechter gestellt würden. Sl 47 Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. TI, S.429 f; Z6/lner I Loritz, Arbeitsrecht, S.79 (filr die vertragliche EinheitsregelWlg); Z611ner, RdA 1969, S.253; Wlotzke, GÜI1stigkeitsprinzip, S.47 f; Richardi, Kollektivmacht, S.403; ders., RdA 1983, S.287 f; Gramm, AuR 1961, S.356; Isele, JZ 1964, S.1l9; Neumann-Duesberg, JZ 1960, S.526 f; ders., BetriebsverfassWlgsrecht, S.397 ff; Belling, GÜI1stigkeitsprinzip, S.156; ders., DB 1987, S.l890 ff; Knigge, Die Einschränkbarkeit des GÜI1stigkeitsprinzips, S.175; Papritz, GÜI1stigkeitsprinzip, S.35; Wenzeck, BetriebsvereinbarWlg, S.195; Vassilikakis, Konkurrenz, S.131; Niebier, BetriebsvereinbarWlgsautonomie, S.107. 48 Richardi, RdA 1983, S.212. 49 BAG (GS) APNr.17 zu § 77 BetrVG 1972 = DB 1987, S.383. 50 BAG (GS), DB 1987, S.388 f. 51 Dieser Versuch des BAG, sein Ergebnis durch die Einführung eines "kollektiven GÜI1stigkeitsvergleichs" abzumildern, ist dogmatisch kaum begründbar Wld hat weder im individualrechtlichen Lager, noch bei Vertretern des kollektiven Ansatzes Zuspruch gefunden (vgl. die ablehnenden StellWlgnahrnen bei: Z6/lner I Loritz, Arbeitsrecht, S.79 f; Richardi, NZA 1987, S.188; Blomeyer, DB 1987, S.636; Hromadka, NZA 1987, Bei1.3, S.5; Belling, DB 1987, S.1894). Zu einer ausführlicheren Kritik des "kollektiven GÜI1stigkeitsvergleichs" vgl. unten S.1l7 f.
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§ 4 Das Gilnstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
(3) Soweit sich das BAG für die unbedingte Geltung des Günstigkeitsprinzips im Betriebsverfassungsrecht ausspricht52 , kann der Entscheidung nur beigepflichtet werden. Nicht ausreichend ist es dagegen, schematisch auf den Geltungsgrund der Ansprüche (vertraglichen Ursprungs) abzustellen, um die Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips zu bejahen. 53 Denn auch wenn Betriebsnormen mit einzelvertraglichen Ansprüchen kollidieren, gilt das Günstigkeitsprinzip nach richtiger Ansicht nicht. Der besondere Charakter der ablösenden Norm muß deshalb immer mit berücksichtigt werden, sobald über die Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips zu entscheiden ist. Führt beispielsweise ein Arbeitgeber eine vertragliche Einheitsregelung herbei, die das Ausscheiden der Arbeitnehmer bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze regelt54, dann hat er die Form "vertragliche Einheitsregelung" vermutlich nur gewählt, um bürokratischen Aufwand zu vermindern. Er hätte dasselbe aber auch mit jedem Arbeitnehmer einzeln vereinbaren und sich hierbei ohne Not auf unterschiedliche Altersgrenzen einlassen können. Die einheitliche betriebliche Regelung ist somit nur eine faktische und keine notwendige. Eine Neuregelung der Altersgrenze mittels Betriebsvereinbarung enthält also Individualnormen, die mit den vorhandenen einzelvertraglichen Ansprüchen verglichen werden können. In diesen Fällen gilt selbstverständlich das GÜnstigkeitsprinzip. Der Große Senat55 , der einen entsprechenden Fall jüngst zu entscheiden hatte (eine durch vertragliche Einheitsregelung festgelegte Altersgrenze sollte mittels Betriebsvereinbarung verschlechtert werden), ist dem kollektiven Ansatz hier im Ergebnis zu Recht entgegengetreten. Der Arbeitgeber kann die Form "vertragliche Einheitsregelung" aber auch deshalb wählen, weil die Regelungsgegenstände in einem wechselseitigen System stehen und einen solchen kollektiven Bezug aufweisen, daß sie individuell überhaupt nicht regelbar wären. Bei der Zusage freiwilliger sozialer Leistungen (z.B. betriebliche Altersversorgung) ist dies typischerweise der Fall. Hier müssen zwei Grundentscheidungen getroffen werden, die ein geschlossenes Regelungssystem voraussetzen: die Entscheidung über das Volumen der einzusetzenden Mittel und eine an den Vorgaben relativer Verteilungsgerechtigkeit (§ 75 I BetrVG) orientierte56 Bestimmung der Vertei52 Das BAG spricht in seinem Beschluß nur von der Geltung des Gilnstigkeitsprinzips im Verhältnis zu den Inhaltsnonnen einer Betriebsvereinbarung (DB 1987, S.384). 53 Vgl. Joost. RdA 1989, S.15. 54 Für das Beispiel wird unterstellt, daß § 41 IV Satz 3 SGB VI nicht einschlägig ist. Vgl. zu den wnstrittenen Auswirkungen dieser Norm: Worzalla. DB 1993, S.834 ff. 55 BAG (GS), BB 1990, S.l841. 56 BAG (GS), DB 1990, S.1726.
I. Kollektivnonn und Einzelarbeitsvertrag
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lungsgrundsätze. Wenn nun in Zeiten allgemeiner Rezession der Gesamtumfang einer solchen Leistung zurückgenommen werden muß und dies nicht auf dem völlig unpraktikablens7 individualrechtlichen Weg massenhafter Änderungskündigung, sondern durch Betriebsvereinbarung geschehen soll, dann steht das GÜDstigkeitsprinzip dem nicht entgegen, denn die ablösende Betriebsvereinbarung enthält keine Individualnormen, sondern, weil aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen notwendig einheitlich geregelt werden muß, Betriebsnormen. Wird eine vertragliche Einheitsregelung durch Betriebsvereinbarung abgelöst, so kommt es fiir deren Zulässigkeit folglich nicht auf den Geltungsgrund der Anspruche, sondern allein auf den Charakter der ablösenden Norm an. Um die Ablösung rechtlich zu begrunden, ist auch der Rückgriff auf ein "Ordnungs-" oder "Ablöseprinzip" völlig überflüssig. Sobald den Betriebspartnern die Kompetenz zukommt, einen Gegenstand durch Betriebsvereinbarung zu regeln, verdrängt die von ihnen geschlossene Betriebsvereinbarung gern. § 77 N Satz I BetrVG jede entgegenstehende vertragliche Absprache ("in den Grenzen von Recht und Billigkeit" S8), solange das GÜDstigkeitsprinzip nicht eingreift. Wenn aber dieses seinem WesenS9 nach nicht anwendbar ist (so bei Betriebsnormen), dann wird auch die Einheitsregelung nicht aufgrund irgendwelcher Prinzipien6o, sondern allein durch die normative Wirkung61 der Betriebsvereinbarung beseitigt. Ein gutes Beispiel fur die unglücklichen Konsequenzen der neuen Rspr. bietet ein Urteil des 1. Senates vom 23.6.199262 . Zu entscheiden war, ob die 51 BAG,
SAE 1970, S.266; BAG, DB 1982, S.47. BAG (GS), DB 1990, S.I725. 59 Wenn Pfarr (BB 1983, S.2006) die Zulässiglceit verschlechternder Betriebsvereinbarungen methodisch von einer "teleologischen Reduktion des GÜllstiglceitsprinzips" abhängig machen will, so vernachlässigt sie die aus dem Wesen des GÜllstigkeitsprinzips selbst folgenden Grenzprinzipien. 60 Als Nipperdey das Ordnungsprinzip entwickelte, war eine solche Argumentation noch unvenneidlich. Die damals (1937) h.M. nahm an, daß die Nonnen der Tarifordnung in die Einzelarbeitsverhältnisse eingingen (zur heute geltenden Auffassung vgl. Fn. 134 [§ 2]) und, soweit sie günstiger waren, auch einer nachfolgenden Tarifordnung standhielten (st. Rspr. bis RAG ARS 40, 433). Das Ordnungsprinzip sollte also, gestützt auf die "lex posterior-Regel", in erster Linie begründen, warum der Inhalt einer Kollektivnonn deren temporären Charakter uneingeschränkt teile und nicht über das GÜllstiglceitsprinzip gegen die ablösende Kollektivnonn fortwirke (so Nipperdey selbst, Lb. II / 1, S.587, Fn. 38). 61 Der Umstand, daß heute nicht die in § 77 IV Satz 1 BetrVG angeordnete nonnative Wirkung der Betriebsvereinbarung, sondern der Rückgriff auf allerlei Prinzipien und auf den "Kollektivcharakter" von Einheitsregelungen den Ausgangspunkt der Problem1ösung bildet, wird auch von Herrmann (ZfAI989, S.633 f) beklagt. 62 BAG, DB 1993, S.788. 58
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§ 4 Das GÜllstigkeitsprinzip als Kollisionsrege1
Lage einer seit 7 Jahren unverändert bestehenden betriebsüblichen Arbeitszeit (7 - 16 Uhr) ohne individualrechtliche Maßnahmen des Arbeitgebers allein durch Betriebsvereinbarung (§ 87 I Nr.2 BetrVG) für alle Arbeitnehmer wirksam geändert werden konnte. Wohl von dem Bedenken geleitet, daß die ursprüngliche Lage der Arbeitszeit für den Kläger tatsächlich günstiger gewesen sein könnte (die Urteilsgründe deuten dies an), vermeidet das BAG eine Anwendung des Günstigkeitsprinzips durch die Behauptung, daß auch der Arbeitsvertrag desjenigen, der "7 - 16 Uhr" vereinbart, nicht "7 - 16 Uhr", sondern nur die jeweils "betriebsübliche Arbeitszeit" zum Inhalt habe, so daß überhaupt kein Eingriff in individualrechtliche Positionen vorliege. Die Entscheidung offenbart die Unzulänglichkeiten eines Ansatzes, der die Geltung des Günstigkeitsprinzips allein vom formalen Entstehungsgrund (Individualvertrag) der abzuändernden Arbeitsbedingung abhängig machen will. Richtiger Ausgangspunkt wäre auch in diesem Fall der Charakter der Betriebsvereinbarung gewesen. Die Lage der betriebsüblichen Arbeitszeit muß aus tatsächlichen Gründen fur alle Arbeitnehmer notwendig einheitlich gelten (so auch das BAG63). Niemand kann arbeiten, wenn der Betrieb geschlossen ist. Wird die Lage der betriebsüblichen Arbeitszeit durch eine zulässige (Billigkeit etc.) Betriebsvereinbarung geändert, so enthält diese Betriebsvereinbarung folglich Betriebsnormen und die neue Lage der Arbeitszeit gilt zwingend (§ 77 IV Satz 1 BetrVG) für alle Arbeitnehmer. 2. Negative InhaItsnormen
a) Durch die Inhaltsnormen eines Tarifvertrages wird i.d.R. positiv festgelegt, welchen Inhalt die Arbeitsverhältnisse haben sollen. Tarifnormen können aber auch verbieten, daß gewisse Regelungen zum Inhalt des Arbeitsvertrages gemacht werden ("negative Inhaltsnormen"64). Derartige Verbote richten sich entweder gegen die vertragliche Vereinbarung bestimmter Arbeitsbedingungen (z.B.: "Es ist verboten, Akkordlohn zu vereinbaren"), oder sie untersagen bestimmte Weisungen des Arbeitgebers ("Arbeitnehmer über 50 Jahren dürfen nicht zum Nachtdienst eingeteilt werden"), die dieser im Rahmen seines Direktionsrechts sonst erteilen könnte. 65 Die Frage ist, ob solche negativen Inhaltsnormen, die eine Art Regelungssperre aufrichten, das Günstigkeitsprinzip zulässigerweise begrenzen können. In Übereinstimmung Aa.O. Die UnterscheidlUlg von positiven lUld negativen Inhaltsnonnen geht wohl auf 000 Kahn-Freund (Umfang der nonnativen Wirkung des Tarifvertrages und WiedereinstelllUlgsldause1, S.49 fl) zurück. 6S B6tticher, RdA 1968, S.418. 63
64
I. Kollektivnonn lUld Einzelarbeitsvertrag
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mit der wohl überwiegenden Ansicht in Literatur66 und Rspr. 67 wird man dies dem Grunde nach bejahen müssen. Dieses Ergebnis läßt sich indes nicht durch logische Ableitungen aus dem Begriff der "negativen Inhaltsnorm"68 erzielen, sondern es entspringt der Konkretisierung einer im Günstigkeitsprinzip selbst angelegten Beschränkung. Es widerspräche dem Erfordernis praktischer Konkordanz und damit dem Wesen des Günstigkeitsprinzips, wenn seine Anwendung zu einer Aushöhlung der Kollektivmacht fUhren würde. Eine solche Aushöhlung steht zu befürchten, sobald die Koalitionen durch das Günstigkeitsprinzip daran gehindert werden, eine ihnen verfassungsmäßig zugedachte Aufgabe zu erfüllen. Wenn nun in der Errichtung und Bewahrung einer sinnvollen "Ordnung des Arbeitslebens" ein wesentlicher Zweck des Tarifvertragssystems liegt69 , dann muß es den Tarifvertragsparteien auch möglich sein, gewisse Arbeitsbedingungen, die nach der Verkehrsanschauung und den Grundsätzen unserer Arbeitsrechtsordnung als prinzipiell unerwünscht einzustufen sind7o , schlicht zu verbieten. 71 Diese Möglichkeit wäre nachhaltig gefährdet, wenn mit Hilfe des Günstigkeitsprinzip die wünschenswerte "Ausmerzung" (Bötticher)72 fraglicher Arbeitsbedingungen ständig unterlaufen werden könnte. Mag dieser Aspekt der "Ausmerzung" seine Bedeutung in einer humanisierten Arbeitswelt auch weitest66 Nikisch, Arbeitsrecht Bd. II, S.423; B6Uicher, RdA 1968, S.419; Z611ner / Loritz, Arbeitsrecht, S.64; Wlotzke, Gtlnstigkeitsprinzip, S.28; Richardi, Kollektivgewalt, S.382 f; ders., AR-BI. [D] "Tarifvertrag VI A", IV. 2.; Hueck / Nipperdey, Lb II / I, S.572, Fn. 2; Wiedemann / Stumpf, TVG § 4 Rn. 224; Maus, TVG, § 4 Anm. 112; Fimhaber, Gtlnstigkeitsprinzip, S.33; HKZZ, TVG § 4 Rn. 141; Däubler, DB 1989, S.2537. A.A.: Joost, ZfA 1984, S.190; L6wisch / Rieble, TVG § 4 Rn. 173; Mayer, Absprachen, S.162; Weismann, SpannlUlgsfeld, S.233. 67 BAG AP Nr.1 zu § 817 BGB; LAG DüsseldorfEzA § 4 TVG Nr.4l. 68 So etwa Nikisch (Arbeitsrecht Bd. II, S. 423), wenn er betont, daß sich die Frage der Gtlnstigkeit bei negativen Inhaltsnonnen schon deshalb nicht stelle, weil sie als Verbotsnonnen "durch jede Abweichung verletzt" würden. Ähnlich auch Fimhaber, Gtlnstigkeitsprinzip, S.33. Gegen eine solch fonnale Sichtweise ist einzuwenden, daß bei wertender Betrachtung (vgI. Joost, ZfA 1984, S.189 f) auch die Vereinbar\Ulg verbotener Vertragsinhalte durchaus begtlnstigende Wirkungen für einzelne Arbeitnehmer haben kann. 69 So das BVerfG in ständiger Rechtsprechung. VgI. BVerfGE 4, 97, 107; E 18, 18, 27; E 50, 290,371; E 58, 233, 248. 70 VgI. Richardi, Kollektivrnacht, S.383.
71 Ähnlich fonnuliert Gamillscheg: " ... sollen die Tarifpartner die ihnen von der VerfasslUlg gestellte Aufgabe der OrdnlUlg lUld BefriedlUlg des Arbeitslebens erfllllen, so ist es zwingend [H.d.Verf], daß sie auch einmal lUlter Umständen in RechtsstelllUlgen eingreifen, ... "(FS für Fechner, S.147). 72
B6Uicher, RdA 1968, S.419.
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§ 4 Das GÜllstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
gehend verloren haben, er belegt jedenfalls, daß die Begrenzung des Günstigkeitsprinzips durch negative Inhaltsnormen grundsätzlich gerechtfertigt ist. Wäre etwa das "Truckverbot" 73 nicht schon in der Gew0 74 enthalten, so hätte man sicher keine Bedenken, ein entsprechendes Verbot durch den Tarifvertrag ausnahmslos zu akzeptieren und Warenleistungen als Arbeitsentgelt (anstatt Lohn) auch dann zu verbieten, wenn sie ausnahmsweise für einen Arbeitnehmer günstiger sind (z.B. Mercedes-Jahreswagen). b) Andererseits dürfen aber keinesfalls allein durch die Formulierung von "negativen Inhaltsnormen" offensichtlich unzulässige Höchstarbeitsbedingungen aufgestellt werden ("Monatslöhne über 5000,- DM sind verboten"). Die eigentliche Schwierigkeit besteht also darin, zulässige von unzulässigen negativen Inhaltsnormen abzugrenzen. Hierbei hilft die Art der Formulierung für sich allein kaum weiter. Ohne den Charakter einer negativen Inhaltsnorm zu verlieren, könnte ein Tarifvertrag statt: "Jede Art von Akkordlohn ist verboten", auch die inhaltsgleiche, aber positiv gefaßte Bestimmung enthalten: "Die Lohnbestimmung erfolgt ausschließlich nach dem Prinzip des Zeitlohns". Es kommt also nicht darauf an, ob der Satz positiv oder negativ formuliert ist. 7s Richtiger dürfte es vielmehr sein, wenn man mit Bötticher76 auf einer ersten Stufe feststellt, daß jedenfalls dann keine zulässige negative Inhaltsnorm vorliegt, wenn eine bestimmte Arbeitsbedingung, anstatt ersatzlos "ausgemerzt" zu werden ("Akkord ist verboten"), lediglich eine Umfangsbeschränkung erfahrt ("Verboten sind mehr als 5 Überstunden pro Monat"). Denn einzig die "Ausmerzung" rechtfertigt die Annahme, daß die Tarifvertragsparteien beabsichtigen, Arbeitsbedingungen, die den Grundsätzen unserer Arbeitsrechtsordnung widersprechen, zu verbieten. Würde man dagegen auch die bloße Umfangsbeschränkung als zulässige negative Inhaltsnorm anerkennen, dann läge es in der Hand des Kollektivs, jede materielle Arbeitsbedingung durch negative Formulierung zur Höchstarbeitsbedingung zu machen und das Günstigkeitsprinzip völlig auszuschalten. Ohne konkrete Antwort muß an dieser Stelle die Frage bleiben, an Hand welcher Kriterien auf einer zweiten Stuft gegebenenfalls endgültig über die Zulässigkeit derjenigen "negativen Inhaltsnormen" , die dem Merkmal "Ausmerzung" genügen, entschieden werden kann. Eine solche Entscheidung ist erforderlich, weil allein die Tatsache, daß eine Arbeitsbedingung (z.B. AkVgl. zum Truckverbot auch Fn. 56 (§ 2). §§ 115 - 118 GewO. 1S Wlotzke, GÜllstigkeitsprinzip, 8.27.
13
14 Vgl.
16 Bötticher, RdA 1968, 8.419; im Anschluß an Bötticher ebenso Joost, ZfA 1984, 8.189.
ll. Die Kollision von Kollektivnormen
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kordarbeit) vollständig "ausgemerzt" werden soll, deren QualifIkation als "nach den Grundsätzen unserer Arbeitsrechtsordnung prinzipiell unerwünscht" noch nicht beinhaltet. 77 Im Ergebnis ist mit der Forderung nach vollständiger "Ausmerzung" somit ein Merkmal gefunden, das zwar eine notwendige, aber (leider) noch keine hinreichende Bedingung für die Anerkennung einer zulässigen "negativen Inhaltsnorm" aufstellt. c) Soweit nach dieser Formel ("vollständige Ausmerzung" bestimmter Bedingungen) eine umfangsbeschränkende Tarifbestimmung als "unzulässige" negative Inhaltsnorm einzustufen ist, folgt daraus lediglich, daß sie keiner Normenkategorie angehört, die das Günstigkeitsprinzip generell auszuschließen vermag. Die Norm ist deshalb aber keineswegs zwangsläufig unwirksam78 . Vielmehr ist sie als positive Inhaltsnorm zu behandeln und erst in einem zweiten Schritt sorgfältig zu prüfen, ob eine unzulässige und damit nichtige Höchstnorm vorliegt. Besonderer Sorgfalt bedarf es deshalb, weil Umfangs beschränkungen häufig den Arbeitnehmerschutz bezwecken und somit "Höchstarbeitsbedingungen" als Mindestbedingungen zu lesen sind. Bestimmt ein Tarifvertrag: "Verboten ist eine Arbeitszeit über 60 Wochenstunden", so liegt zwar keine zulässige negative Inhaltsnorm vor, und das Günstigkeitsprinzip ist anwendbar. Weil aber das Verbot, 60 Stunden zu überschreiten, eindeutig dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer dient, darf diese Bestimmung nicht als unwirksame Höchstnorm verworfen werden. Vielmehr lautet ihr positiver Inhalt, wenn man ihn als Mindestarbeitsbedingung i.S. des Günstigkeitsprinzips formuliert: "Es sind 60 Wochenstunden oder weniger zu arbeiten."
11. Die Kollision von Kollektivnormen 1. Lex posterior derogat legi priori
Seit den grundsätzlichen Ausführungen Nipperdeys aus dem Jahre 193779 kann nicht mehr zweifelhaft sein, daß bei der zeitlichen Aufeinanderfolge zweier Kollektivregelungen gleichen Ranges und gleichen Geltungsgrundes (Betriebsvereinbarung - Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag - Tarifvertrag) nicht das Günstigkeitsprinzip, sondern der allgemeine Rechtsgrundsatz n Das "Truckverbot" erscheint gnmdsätzlich zulässig; ein gänzliches Verbot von Leistungslohn oder Überstunden hingegen unzulässig. Die Kriterien filr diese Bewertung der richtigen Ordnung des Arbeitslebens sind aber schwer zu konkretisieren. 78 So wohl Wlotzke. Günstigkeitsprinzip, S.28. 79 Nipperdey. in: FS filr Lehmann, S.259 f Vgl. auch oben S.47 und S.89, Fn. 60.
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§ 4 Das Günstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
"lex posterior derogat legi priori" anzuwenden ist. Wird eine Betriebsvereinbarung von einer anderen Betriebsvereinbarung (oder Tarifvertrag durch Tarifvertrag) abgelöst, so gilt die nachfolgende Betriebsvereinbarung unabhängig davon, ob sie die Arbeitsbedingungen verbessert oder verschlechtert. Ihre Rechtfertigung erfährt die Anwendung der "lex posterior-Regel" in dem Umstand, daß die Normen der Kollektivvereinbarungen wie Gesetze im materiellen Sinne auf das Arbeitsverhältnis einwirken (vgl. § I I und § 4 I TVG; § 77 IV Satz 1 BetrVG) und deshalb auch als solche behandelt werden müssen. 80 2. Taritkonkurrenzen
Beanspruchen die Normen zweier verschiedener Tarifverträge fur dasselbe Rechtsverhältnis - entweder das Arbeitsverhältnis 81 bei Individualnormen oder das betriebliche Rechtsverhältnis 82 bei Betriebsnormen - gleichzeitig Geltung, so ist die "lex posterior-Regel" zur Lösung dieser Normenkollision (Tarifkonkurrenz83 ) unbrauchbar. Im Anschluß an eine in der Weimarer 80 Soweit ersichtlich unbestritten. Vgl. etwa Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rn. 149; FAKH, BetrVG, § 77 Rn. 41; vgl. auch Fn. 134 (§ 2). 81 Beispiel (1): Inhaltsnonnen eines fiir allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages (§ 5 TVG) treffen mit den Nonnen eines Verbandstarifvertrages (Finnentarifvertrages), dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Mitglieder unterworfen sind, zusammen. 82 Beispiel (2): Die Belegschaft eines Betriebes ist je zur Hälfte in der DGB-Gewerkschaft HBV und in der DAG organisiert. Der Arbeitgeber (oder der Verband, dem der Arbeitgeber angehört) schließt mit beiden Gewerkschaften Tarifverträge, die jeweils auch betriebliche Nonnen enthalten und insoweit fiir alle Arbeitnehmer (§ 3 TI TVG) Geltung beanspruchen. 83 BAG, NZA 91, S.740; Kraft, RdA 92, S.163;Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 274. Angesprochen sind hiermit Fälle echter Tarifkonkurrenz. Bei Konstellationen, die üblicherweise unter den Begriff "Tarifpluralität" gefaßt werden, fehlt es nach richtiger Ansicht (h.L.; vgl. ausführlich Kraft, RdA 1992, S.I64 fl) an einer Nonnenkollision. So konkurrieren die Inhaltsnonnen der Tarifverträge im zweiten Beispiel (Fn. 82) nicht miteinander, da sie jeweils nur die Arbeitsverhältnisse ihrer Mitglieder erfassen (§ 4 I Satz 1, § 3 I TVG). Es liegt Tarifpluralität vor, bei der die Tarifverträge nebeneinander anzuwenden sind. Soweit nun das BAG (NZA 1991, S.202) auch diese Fälle als Konkurrenzen behandelt (dagegen Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S.379) und nach dem Prinzip der "Tari/einheit" ("Ein Betrieb, eine Gewerkschaft!") löst, gelten die nachfolgenden Ausfllhrungen zur Tarifkonkurrenz fUr die Tarifeinheit entsprechend. Nicht mehr hinnehmbar ist allerdings eine Tendenz der Rspr., auch Tarifverträge, die kraft schuldrechtlicher Bezugna1une gelten, den Regeln der Tarifkonkurrenz zu unterstellen (so nunmehr ausdrücklich BAG, SAE 1993, S.79: "Ob die jeweilige Geltung des TV auf Organisationszugehörigkeit, Allgemeinverbindlichkeit oder schuldrechtli-
11. Die Kollision von Kollektivnonnen
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Epoche verbreitete Ansicht84 ist dementsprechend in der Literatur8s die Forderung aufgetaucht, das Günstigkeitsprinzip als maßgebliche Kollisionsregel fiir Tarifkonkurrenzen anzuerkennen. Entgegen der h.M.86 gebühre nicht dem spezielleren Tarifvertrag (der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht) der Vorzug, sondern demjenigen, dessen Normen fiir den Arbeitnehmer am günstigsten seien. Selbst wenn man bezweifelt87, daß das von der h.M. favorisierte "Spezialitätsprinzip" dogmatisch zwingend ist; richtig ist jedenfalls die Nichtanwendung des Günstigkeitsprinzips im Bereich der Tarifkonkurrenzen. 88 Das Günstigkeitsprinzip ist Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips auf dem Gebiet der Arbeitsbeziehungen. 89 Es läßt die Regelungszuständigkeit vertikal an die kleinere Einheit zurückfallen, wenn "auf den Schultern" des größeren Kollektivs, d.h. oberhalb garantierter Mindestarbeitsbedingungen, Vertragsgerechtigkeit nach dem "Prinzip der Freiheit"90 wieder möglich wird. Das Günstigkeitsprinzip, das auf diese Weise zur Herstellung praktischer Konkordanz im Verhältnis von Gruppen- und Privatautonomie beiträgt, ist seinem Wesen nach folglich unanwendbar, soweit es um das horizontale Verhältnis gleichrangiger Regelungen91 der Kollektivmächte selbst geht. Man eher Vereinbarung [H.d.Verf.] beruht, hat insoweit keine Bedeutung."). In diesen Fällen muß das Günstigkeitsprinzip, jedenfalls soweit es Inhaltsnonnen betrifft, die maßgebliche Kollisionsregel bleiben. Beispiel: Ein nichttarifgebundener Arbeitnehmer ist im Ge1tungsbereich eines filr allgemeinverbindlich erklärten Lohntarifvertrages des niedersächsischen Einzelhandels beschäftigt. Vereinbart dieser Arbei~ehmer nun, die Höhe seines Gehalts solle sich nach der um ca. 15 % höheren Lohngruppe III der jeweils geltenden Fassung des Tarifvertrages der bayrischen Bekleidungsindustrie bestimmen, so liegt eine begünstigende einzelvertragliche Abweichung vom Tarifvertrag vor, die gern. § 4 III TVG wirksam ist. Der Umstand, daß die in Bezug genommene Größe ein weniger spezieller Tarifvertrag ist, vennag daran nichts zu ändern (ebenso Salje, SAE 1993, S.82; Löwiseh / Rieble, TVG, § 4 Rn. 283). 84 RAG, ARS Bd.9, S.60l; Hueek, NZfA 1926, Sp.393 f; Beeker, Die TarifuonnenKollision, S.35 ff. Weitere Nachweise vgI. bei Gramm, AR-BI. [D], "Tarifvertrag XII", Tarifkonkurrenz. 85 Kaskei / Derseh, Arbeitsrecht, S.70; HKZZ, TVG, § 4 Rn. 114; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1493 ff;MUller, B., NZA 1989, S.452 (bei Doppelmitgliedschaften). 86 BAG, SAE 1993,78 (m.w.N. zur Rspr.); Kraft, RdA 1992, S.l64 m.w.N. 87 VgI. die mit beachtlichen Argumenten vorgetragene Kritik von Löwiseh / Rieble, TVG, § 4 Rn. 296. 88 BAG, SAE 1993, S.79; Löwiseh / Rieble, TVG, § 4 Rn. 294. 89 VgI. oben S.70 ff. 90 Utz, in: ders. (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip, S.17. 91 Hierunter tallt auch der fllr allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag. Die Tatsa-
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§ 4 Das GÜflstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
mag sich dafur einsetzen (und begründen), daß bei einer Kollision mehrerer Tarifverträge der fii.r den Arbeitnehmer "günstigste" Tarifvertrag vorzuziehen ist. Mit dem GÜDstigkeitsprinzip hat diese Forderung jedenfalls nichts zu tun. Es dürfte jedoch auch im Ergebnis richtiger sein, mit der h.M. weiterhin das "Spezialitätsprinzip" anzuwenden, da der sachlich und räumlich nähere Tarifvertrag wohl am ehesten den Erfordernissen einer "betriebsnahen Tarifpolitik"92 entspricht. 3. Die Kollision von Tarifvertrag und Betriebsvereinbanmg
a) Die grundsätzliche Geltung des Günstigkeitsprinzips (1) Das Verhältnis zwischen Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag unterscheidet sich gänzlich von dem gerade erörterten Zusammentreffen zweier Tarifverträge. Wenn eine Betriebsvereinbarung sich in das Spannungsfeld von Einzelarbeitsvertrag und Tarifvertrag schiebt und oberhalb des tariflichen Mindeststandards eine im Betrieb (der kleineren Einheit) ausgehandelte und somit dem Arbeitnehmer nähere Regelung scham, dann erfüllt sie alle Voraussetzungen, die das Subsidiaritätsprinzip fUr das Vorliegen einer sachgerechteren Vereinbarung aufstellt. 93 Weicht eine Betriebsvereinbarung zuche, daß der Geltungsbereich dieses Tarifvertrages durch staatlichen Akt (Allgemeinverbindlichkeitserklärung gern. § 5 I TVG) erweitert worden ist, verleiht ihm im Konkurrenzverhältnis zu anderen Tarifverträgen keine Sonderstellung (vgl. BAG EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz, Nr.S). Anderes scheint auf den ersten Blick fUr das Verhältnis eines allgemeinverbindlichen Verbandstarifvertrages zu einem Firmentarifvertrag zu gelten. Man könnte meinen, der begünstigende Firmentarifvertrag sei schon nach dem GÜflstigkeitsprinzip vorzugswürdig, weil er in der kleineren Einheit geschlossen wurde und deshalb die sachgerechtere Regelung i.S. des Subsidiaritätsprinzips enthalte. Richtig ist das Gegenteil. Der Firmentarifvertrag ist keine Vereinbarung, die von den Vertragspartnern auf der sicheren Grundlage von Mindestarbeitsbedingungen geschlossen wird und die deshalb nach dem Prinzip der Freiheit zur Verwirklichung gerechterer Arbeitsbedingungen beiträgt. Vielmehr spricht i.d.R. alles dafUr, daß die den Arbeitnehmern "günstigeren" Regelungen des Firmentarifvertrages allein Resultat einer hoffnungslosen Unterlegenheit sind, in der sich der einzelne Arbeitgeber gegenüber der Gewerkschaft befmdet. Wenn selbst einem Automobilriesen wie der Ford-AG die Stärke fehlt, mit der mächtigen IG-Metall allein zu verhandeln, dann wird man mit Recht sagen dürfen, daß wohl kein einzelner Arbeitgeber je die Chance hat, sich den Forderungen einer Gewerkschaft erfolgreich zu widersetzen (vgl. Ehmann, NZA 1991, S.6). Die Vermutung "voluntas stat pro ratione" gilt nicht. Kommt somit dem Firmentarifvertrag, wenn auch unter umgekehrtem Vorzeichen, keine größere Richtigkeitsgewähr zu wie der "freien" Vereinbarung nach § lOS GewO, so wäre es beinahe zynisch, ihn als sachgerechtere Vereinbarung i.S. des Subsidiaritätsprinzips anzusehen. 92 Z611ner / Loritz, Arbeitsrecht, S.379. 93 Ehmann, NZA 1991, S.7;Bender, BB 1987, S.1l19;Hablitzel, DB 1971,8.2159.
II. Die Kollision von Kollektivnormen
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gunsten der Arbeitnehmer von den Regelungen des Tarifvertrages ab, so wird dessen zwingende Wirkung auf das Arbeitsverhältnis (§ 4 I TVG) durch die Betriebsvereinbarung insoweit aufgehoben, und die Regelungskompetenz fallt an die Betriebspartner zurück. 94 Dementsprechend versteht die ganz h.M. unter abweichenden "Abmachungen" i.S. des § 4 III TVG neben Einzelabsprachen auch Betriebsvereinbarungen. 95 (2) Ist man sich also weitgehend einig, daß auch zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung das Günstigkeitsprinzip Anwendung [mdet, so führt die (dogmatisch unzutreffende 96 ) Rückführung dieser Geltung auf § 4 III TVG ("Abmachungen") im Ergebnis doch dazu, daß die praktische Bedeutung dieser Übereinstimmung bisher relativ gering blieb. Denn nicht anders als in den Zeiten vor Inkrafttreten des TVG97 läßt man auch heute die Interpretation des betriebsverfassungsrechtlich normierten Tarifvorbehalts (§ 77 III Satz I BetrVG) und sein Verhältnis zu § 4 III TVG darüber entscheiden, welcher Wirkungskreis dem Günstigkeitsprinzip im Verhältnis der beiden Kollektivnormen verbleibt. Kommt man hier zu dem Ergebnis, jeder bestehende Tarifvertrag entziehe den Betriebspartnem schon die Kompetenz VgI. auch oben 8.70 ff. BAG AP Nr.27 zu § 59 BetrVG 1952; BAG AP Nr. 5 zu § 4 TVG EfIektivk1ausel; Ni/dsch, Arbeitsrecht Bd. II, 8.419; Z6l/ner / Loritz, Arbeitsrecht, 8.64; Säcker, AR-BI. [D] "Tarifvertrag I C" unter VIIl1; Dietz, RdA 1949, 8.l64; Wiese, in: F8 zum 25 jährigen Bestehen des BAG, 8.670; Wlotzke, Günstigkeitsprinzip, 8.119; Richardi, ARBl. [D] "Tarifvertrag VI A" unter III 2; Hueck / Nipperdey, Lb. 11 / 1, 8.588; Hueck, G., Die Betriebsvereinbarung, 8.93; Gast, Tarifautonomie, 8.14; L6wisch, Arbeitsrecht, Rn. 549; S6llner, Grundriß des Arbeitsrechts, 8.141; Müller, G., Die Tarifautonomie in der Bundesrepublik Deutschland, 8.216; ders., AuR 1992, 8.261; Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 822; Schmid, Grundzüge des Arbeitsrechts, 8.40; Dietz / Richardi, BetrVG, § 77 Anm. 173; GK-Thiele, BetrVG (3. Bearbeitung), § 77 Rn. 65; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rn. 227, 303; L6wisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 161; Hueck / Nipperdey / Stahlhacke. TVG, § 4 Rn. 183; Fimhaber. Günstigkeitsprinzip, 8.29; HSG, BetrVG, § 77 Rn. 82;FAKH, BetrVG, § 87 Rn. 8;HKZZ. TVG, § 4 Rn. 150; Däubler. Tarifvertragsrecht, Rn. 199. AA:Belling. Günstigkeitsprinzip, 8.157 fI; Joost. ZfA 1993, 8.268; GK-Kreutz. BetrVG, § 77 Rn. 109; DKKS. BetrVG, § 77 Rn. 35. 80weit in einer Entscheidung des 4. Senates (BAG AP Nr.12 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip) beiläufig vom "unbedenklichen" Vorrang des Tarifvertrages gegenüber einer günstigeren Betriebsvereinbarung gesprochen wurde, kann dieses Urteil als überholt gelten, da der 4. Senat den "unbedenklichen" Vorrang des Tarifvertrages mit dem vom Großen 8enat (BAG (GS), DB 1987, 8.388) zu Recht endgültig verabschiedeten "Ordnungsprinzip" begründet (so auch L6wisch / Rieble. TVG, § 4 Rn. 165). 96 VgI. dazu ausf11hrlich unten 8.109 fI. 97 VgI. oben 8.48 ff. 94
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7 Th. B. Schmidt
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§ 4 Das GÜflstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
zum Abschluß einer Betriebsvereinbarung98 , so löst sich die Feststellung von der Geltung des GÜDStigkeitsprinzips weitgehend ins Nichts auf. Es könnte weder im Bereich der freiwilligen (es greift § 77 III Satz 1 BetrVG), noch im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung (es greift zusätzlich der Tarifvorrang des § 87 IEingangssatz BetrVG) eine begünstigende Betriebsvereinbarung über einen Gegenstand geschlossen werden, der bereits durch Tarifvertrag geregelt ist. Daß eine solche Interpretation des Tarifvorbehalts, die im Ergebnis zu einem nahezu vollständigen Ausschluß des Günstigkeitsprinzips führen würde, geeignet sein soll, das Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung sachgerecht zu bestimmen, ist angesichts der veIfassungsrechtlichen Gewährleistung des Günstigkeitsprinzips und seiner strukturierenden Funktion im Spannungsfeld von Privat- und Gruppenautonomie nicht mehr vertretbar. Bevor nun, um den Anwendungsbereich des Günstigkeitsprinzips zu bestimmen, die Sperrwirkung des Tarifvorbehalts näher untersucht wird, gilt es, die Aufmerksamkeit auf eine davon unabhängige Besonderheit zu richten, die sich für das Günstigkeitsprinzip im Verhältnis zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung ergibt. b) Betriebsnormen Für das Verhältnis von Kollektivnorm und Einzelarbeitsvertrag wurde bereits nachgewiesen99 , daß Betriebsnormen die Anwendung des Günstigkeitsprinzips ausschließen. Die Regelung in der kleineren Einheit (einzelne Arbeitnehmer) ist wegen des besonderen kollektiven Bezugs dieser Normen prinzipiell außerstande, gerechtere Arbeitsbedingungen hervorzubringen. Dieses Ergebnis ist jedoch auf das Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung nicht übertragbar, da die Betriebsvereinbarung als Kollektivnorm befähigt ist, den kollektiven Bezug einer Regelung zu wahren. Treten die Betriebsnormen einer Betriebsvereinbarung den Betriebsnormen eines Tarifvertrages entgegen, so ist es nicht nur möglich, sondern sogar in erhöhtem Maße wahrscheinlich, daß die betriebliche Vereinbarung zur Schaffung sachgerechterer Arbeitsverhältnisse beiträgt. Eine Beschränkung des Günstigkeitsprinzips im Bereich der Betriebsnormen fmdet beim Aufeinandertreffen der beiden Kollektivvereinbarungen folglich nicht statt. 100
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GK-Kreutz, § 77 Rn. 109 und 118 m.w.N. Vgl. oben S.79 fI
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So auch: W1otzke, GÜflstigkeitsprinzip, S.122; Müller, G., Die Tarifautonomie in
ll. Die Kollision von Kollektivnormen
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Setzt beispielsweise ein Tarifvertrag für alle Betriebe seines Geltungsbereiches ein absolutes Rauchverbot fest, so würde mit einer modifizierenden Betriebsvereinbarung (Einrichtung von Raucherecken), die den besonderen Gegebenheiten der kleineren Einheit Rechnung trägt (80 % der Belegschaft sind starke Raucher), sicher die gerechtere und für die Belegschaft günstigere Ordnung aufgestellt. Das Beispiel mag zugleich als plastische Widerlegung lOl der gelegentlich geäußerten Ansicht l02 gelten, formelle 103 Arbeitsbedingungen seien "günstigkeitsneutral". c) Die Reichweite des Tarifvorbehalts (§ 77 III BetrVG)
(1) Problemstellung Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen (Arbeitszeit, Lohnfortzahlung, Urlaub, Kündigung etc. 104) können gem. § 77 III Satz 1 BetrVG nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein, soweit sie durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden. Zweck dieser Vorschrift ist es, die Regelungskompetenz der Betriebspartner zugunsten der Tarifvertragsparteien zurückzudrängen. Die Tarifautonomie (Art. 9 III GG) und damit die "Normsetzungsprärogative" der Koalitionen soll vor den Gefahren geschützt werden, die der Abschluß von "Ersatztarifverträgen" auf Betriebsebene mit sich brächte. lOS Aus diesem Grunde hat die h.M. § 77 III Satz 1 BetrVG lange Zeit sehr extensiv ausgelegt und eine absolute Sperrwirkung in ihn hineingelesen. Im Anwendungsbereich dieser Norm l06 sei der der Bundesrepublik Deutschland, 8.218; Niebier, Betriebsvereinbarungsautonomie, 8.114. 101 80 auch Gast, BB 1987, 8.1252. 102 Richardi, AR-BI. [D] "Tarifvertrag VI A" unter rn 2. 103 Zu formellen Arbeitsbedingungen (Torkontrollen, Betriebsbußen etc.) rechnet man gemeinhin alle Gegenstände, die sich auf die "generelle Ordnung des Betriebes" (Jahnke, Tarifautonomie, 8.147) beziehen. Materielle Arbeitsbedingungen (Lohn, Arbeitszeit, Urlaub etc.) betreffen dagegen unmittelbar das "Verhältnis von Leistung und Gegenleistung" (v. Hoyningen-Huene / Meier-Krenz, NZA 1987, 8.794). 104 Heinze, NZA 1989, 8.42. 105 BAG, DB 1987, S.1246; BAG AP Nr.3 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Richardi, Kollektivgewalt, S.266; Kissel, NZA 1986, S.76; v. Hoyningen-Huene / Meier-Krenz, NZA 1987, S.794; Neumann, RdA 1990, S.259 ff; Eickelberg, Betriebsvereinbarung, 8.131 ff; FAKH, BetrVG, § 77 Rn. 65; Heisig, Arbeitsentgelt- und Arbeitszeitregelungen, 8.186 m.w.N. 106 Nach der herrschenden Literatunneinung (sog. "Zwei-Schranken-Theorie"; vgI. GK-Kreutz, BetrVG, § 77 Rn. 118, mit umfangreichen Nachweisen) umfaßt der Anwendungsbereich des Tarifvorbehalts auch solche Betriebsvereinbarungen, die in Aus-
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§ 4 Das Günstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
Abschluß jeder Betriebsvereinbarung unzulässig. Damit wäre den Betriebspartnern von vornherein auch die Möglichkeit entzogen, durch eine begünstigende Betriebsvereinbarung vom Tarifvertrag abzuweichen. 107
(2) Derogation des § 77 111 BetrVG? Eine solch rigorose Position konnte nicht ohne Widerspruch bleiben. Zum denkbar härtesten Gegenschlag hat jüngst Reuter l08 ausgeholt und § 77 III BetrVG wegen entgegenstehenden Gewohnheitsrechts schlicht für unwirksam erklärt. Nun gibt es zwar in der Tat Gründe, die eine gewohnheitsreehtliehe Derogation l09 dieser Norm nahelegen könnten, "denn keine arbeitsrechtliche Vorschrift wird in der Praxis häufiger außer Betracht gelassen, als der sogenannte Tarifvorrang" 110. Doch läßt sich allein aus der häufigen Mißachtung dieser Vorschrift richtigerweise nicht auf deren Derogation schließen. Soweit überhaupt Klarheit 11l bezüglich der Voraussetzungen für die Entstehung von (derogierendem) Gewohnheitsrecht herrscht, gehört zu diesen Voraussetzungen neben der ständigen Übung ("consuetudo") jedenfalls auch die gemeinsame Überzeugung aller beteiligten Rechtskreise, daß diese Übung rechtmäßig 112 sei ("opinio necessitatis", BVerfGE 32,54, 75). übung eines zwingenden Mitbestimmungsrechts nach § 87 I BetrVG geschlossen werden. Demzufolge seien auch dort Betriebsvereinbarungen über materielle Arbeitsbedingungen (Lohn, Urlaub, Arbeitszeit) schon dann unzulässig, wenn der Gegenstand "üblicherweise" durch Tarifvertrag geregelt wird. 107 LAG Hamm, DB 1988, S.1706; LAG Rheinland-Pfalz, DB 1975, S.1996; LAG Hamm, LAGE § 77,3 BetrVG 1972; ArbG Wetzlar, AuR 1976, S.283; BeJ/ing, Günstigkeitsprinzip, S.158; Hromadka, DB 1987, S.1994; v. Hoyningen-Huene / MeierKrenz, NZA 1987, S.797; Wiedemann / Stumpf. TVG § 4 Rn. 296; Dietz / Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 211; Etzel, Betriebsverfassungsrecht, Rn. 1007; GK-Kreutz, BetrVG, § 77 Rn. 109; HSG, BetrVG, § 77 Rn. 83; FAKH, BetrVG, § 77 Rn. 81; Hoehn, in: Scholz, (Hrsg.), Wandel der Arbeitswelt als Herausforderung des Rechts, S.76. 108 Reuter, RdA 1991, S.199. Soweit ersichtlich, wurde eine ähnlich weitgehende Position bisher nur von Schnorr von Carolsfeld (Nürnberger Abhandlungen zu den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 1961, S.156) eingenommen, der die Verfassungswidrigkeit von § 59 BetrVG 1952 unterstellte. 109 So schon beiläufig Zöllner für § 59 BetrVG 1952 (in: FS fllr Nipperdey, 1965, Bd.II, S.702 1) und ausfllhrlicher Birk (ZfA 1986, S.105), der § 77 IIIBetrVG als einen "Paradefall symbolischer Gesetzgebung" bezeichnet. 110 Ehmann, NZA 1991, S.6; ähnlich auch: Buchner, RdA 1990, S.4; Reuter, RdA 1991, S.199; Birk, ZfA 1986, S.105; Bender, BB 1987, S.1120. Selbst die Rspr. räumt ein: "Daß tatsächlich in der betrieblichen Praxis anders gehandelt wird, ist allgemein bekannt, ... " (LAG Hamm, LAGE § 77, 3 BetrVG 1972). 111 Die bezweifelt etwa Birk, ZfA 1986, S.104. 112
Larenz (AT des deutschen Bürgerlichen Rechts, S.l1) setzt voraus, daß dieser
11. Die Kollision von Kollektivnonnen
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Reuter, der dem Grunde nach zu Recht betont, daß es nicht auf die positive Einstellung der "Interpreten" in Rspr. und Lehre zu dieser Norm ankomme Il3 , sondern auf "ein Minimum an sozialer Akzeptanz durch die Adressaten"1l4, vernachlässigt im vorliegenden Fall den "drittschützenden" Charakter der Vorschrift. Wenn § 77 III BetrVG die Tarifpartner schützen soll und die Rspr. den Gewerkschaften sogar eine Klagebefugnis einräumt, um die Einhaltung dieser Norm zu erzwingen 11 .5, so kommt man nicht umhin, auch jene zu den maßgeblichen Rechtskreisen i.S. der "opinio necessitatis" zu zählen. 116 Es wäre zudem nicht hinnehmbar, daß der "Dritte" den Schutz einer Norm deshalb verliert, weil durch potentielle Störer (Adressaten) die Verhaltens anordnung dieser Norm mißachtet wird. Daß sich nun die Tarifpartner schutzbedürftig "fühlen" und den Tarifvorbehalt auch als ein taugliches Mittel zur Verteidigung der Tarifautonomie (sprich: ihrer Existenzberechtigung 11 7) ansehen, belegt die Praxis der sogenannten "Angstklauseln"118, in denen der Tarifvertrag, quasi zur Verstärkung des gesetzlichen Tarifvorbehalts, ausdrücklich anordnet, daß abweichende betriebliche Vereinbarungen nur mit Zustimmung der Tarifpartner wirksam sein sollen.1 19 Übung die "allgemeine Überzeugung einer rechtsethischen Richtigkeit" zugrunde liegt; Maurer (Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 19), verlangt die Überzeugung, "daß diese Übung rechtlich geboten sei"; Jescheck (Lehrbuch des Strafrechts AT, S.87) schließlich fordert, daß der Inhalt der gewohnheitsrechtlichen Übung "als von Rechts wegen geltend allgemeine Anerkennung gefunden haben" müsse [H.d.Verf.]. 113 So aber GK-Kreutz, BetrVG, § 77 Rn. 67. 114 Reuter, RdA 1991, S.199, mit Berufung auf Kelsen, Reine Rechtslehre, S.215 fI 1IS BAG, SAE 1992, S.151. Die Klagebefugnis wird aus § 23 III BetrVG und Art. 9 III GG hergeleitet. Die Klage richtet sich gegen den Arbeitgeber, um diesen zu verpflichten, die Durchfilhrung der gegen § 77 III BetrVG verstoßenden Betriebsvereinbarung zu unterlassen. 116 Für das LAG Ramm (LAGE § 77, 3 BetrVG 1972) sind die Gewerkschaften "die in erster Linie Beteiligten" . 117 Ehmann, in: Mohler (Hrsg.), Wirklichkeit als Tabu, S.74. 118 Bender, BB 1987, S.1120. 119 Insoweit kann auch Reuters (a.a.O.) zweiter Begrundungsansatz, der die Nichtigkeit des § 77 III BetrVG auf einen Verstoß gegen das Übennaßverbot stützt (Eingriff in die Privatautonomie mit einer Nonn, die ungeeignet ist, ihren angestrebten Zweck zu erreichen), nicht vollständig überzeugen. Es dürfte den hohen Anforderungen, die das BVerfG aufgestellt hat, um einer Nonn die "Eignung" abzusprechen ("objektiv untauglich" BVerfGE 16, 147, 181; "objektiv ungeeignet" BVerfGE 17,306,317; "schlechthin ungeeignet" BVerfGE 19, 119, 127) kaum gerecht werden, wenn man das Mittel, das eine "Schutznonn" zur Zweckerreichung wählt, als "schlechthin ungeeignet" qualifIZiert, obwohl die von der Nonn zu Schützenden gerade dieses Mittel favorisieren und es zu demselben Zweck gleichfalls einsetzen.
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§ 4 Das Günstigkeitsprinzip als KoIJisionsregei
Des weiteren ließen sich das sehr restriktive Verhalten in Bezug auf tarifliche ÖfInungklauseln120 und das gerichtliche Vorgehen gegen tarifwidrige Betriebsvereinbarungen121 ins Feld luhren. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß die betriebliche Praxis nicht zu einer Derogation des § 77 III BetrVG gelührt hat, weil sie ganz offensichtlich nicht von allen beteiligten Rechtskreisen IUr rechtmäßig gehalten wird. (3) Die Vorrangtheorie
Eine einschneidende Beschränkung hat die Sperrwirkung des § 77 III BetrVG nunmehr durch die Rspr. erfahren. Im Anschluß an die in der Literatur schon seit längerem vertretene "Vorrangtheorie"122 wendet sie § 77 III BetrVG nicht mehr auf solche Betriebsvereinbarungen an, die in Ausübung eines dem Betriebsrat nach § 87 I BetrVG zustehenden Mitbestimmungsrechts geschlossen werden. 123 Das BAG begründet seine Entscheidung zutreffend mit den unterschiedlichen Regelungszwecken der beiden Vorschriften. Während § 77 III BetrVG die "Funktionslähigkeit der Tarifautonomie"124 gewährleisten soll, zielt § 87 I BetrVG in erster Linie auf den "Schutz der Arbeitnehmer"125 des Betriebes. Wenn nun § 87 I BetrVG davon ausgeht, daß nur eine bestehende gesetzliche oder tarifliche Regelung (§ 87 lEingangssatz BetrVG) dem Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer genügend Rechnung trägt und ein Mitbestimmungsrecht entbehrlich macht, dann widerspräche es dem Schutzzweck der Norm, wenn die Mitbestimmungsrechte bei der Regelung materieller126 Arbeitsbedingungen schon aufgrund 120 Ein anschauliches Beispiel hierfllr bieten das überaus zähe Zustandekonunen und die gewerkschaftJicherseits extrem restriktive Handhabung der OfTnungskIausein in der ostdeutschen MetaIJindustrie (vgl. hierzu Beuthien / Meik, DB 1993, S.1518 und Lorz, RM v. 6.8.1993, S.9). 121 Vgl. jüngst BAG, SAE 1992, S.151. 122 Sticker, ZfA Sonderheft 1972, S.65 f; ders., BB 1979, S.1202; Gast, Tarifautonomie, S.39; Fabricius, RdA 1973, S.126; Birk, Anm. zu BAG EzA § 87 BetrVG 1972 Initiativrecht - Nr.2; Similis / Weiss, DB 1973, S.1247; Farthmann, RdA 1974, S.72; Weiss, BetrVG, § 77 Rn. 10; GKSB, BetrVG, § 77 Rn. 32. 123 BAG, NZA 1987, S.639; bestätigt durch: BAG AP Nr.6 zu § 87 BetrVG 1972 Auszahlung; BAG, DB 1990, S.2224; BAG (GS), DB 1992, S.1582. Ebenso: LAG Bremen, LAGE § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr.8; LAG Stuttgart, NZA 1988, S.327. 124 BAG, NZA 1987, S.641. 125 BAG, NZA, 1987, S.640; BAG (GS), DB 1992, S.1582. 126 Das AbsteHen auf materielle Arbeitsbedingungen ninunt Bezug auf die von der "Zwei-Schranken-Theorie" aufgestellte These, § 77 rn BetrVG verbiete jede Betriebsvereinbarung über materieHe Arbeitsbedingungen schon bei Tarifilblichkeit. Das BAG ging im Zeitpunkt seiner Entscheidung (1987) mit der ganz h.M. noch davon aus, daß
TI. Die Kollision von Kollektivnonnen
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bloßer "Tarifublichkeit" i.S. des § 77 III BetrVG entfielen. Letztendlich liefen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates, soweit sie materielle Arbeitsbedingungen betreffen, weitgehend leer, wenn sie nur dort zum Tragen kämen, wo eine materielle Arbeitsbedingung nicht einmal üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt ist. Für den Anwendungsbereich des GÜDStigkeitsprinzips hat der ohne Einschränkungen begrüßenswerte Anschluß der Rspr. an die Vorrangtheorie bedeutsame Folgen. Im Gegensatz zu § 77 III BetrVG formuliert § 87 I Eingangssatz BetrVG ausdrücklich, daß der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht nur verliert, also auch Betriebsvereinbarungen unzulässig sind, "soweit" eine tarifliche Regelung besteht. Dementsprechend geht auch der Große Senat des BAG davon aus, daß der Vorrang des § 87 IEingangssatz BetrVG erst eingreift, wenn die tarifliche Regelung "die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit selbst abschließend und zwingend regelt."127 Da aber Tarifnormen als Mindestnormen stets nur einseitig zwingend wirken, besteht eine tarifliche Regelung schon dann nicht mehr, wenn zu Gunsten des Arbeitnehmers vom Tarifvertrag abgewichen wird. Der eindeutige Wortlaut des § 87 IEingangssatz BetrVG ("soweit"), der von § 77 III BetrVG abweichende Schutzzweck dieser Vorschrift (kein Schutz der Tarifautonomie 128) der Tarifvorbehalt fonnelle Arbeitsbedingungen ohnehin nicht erfasse. Diese Ausklammerung der fonnellen Arbeitsbedingungen (Torkontrollen, Arbeitsüberwachung, Betriebsbußen, etc.) geht auf die teleologische Reduktion des § 59 BetrVG 1952 (heute: § 77 m) zurück, die im Interesse einer klaren Trennung von freiwilliger und erzwingbarer Mitbestimmung erfolgte. Da der in § 56 BetrVG 1952 (= heute: § 87) normierte Katalog der zwingenden Mitbestimmungstatbestände nur fonnelle Arbeitsbedingungen enthielt, bewirkte diese Trennung, daß durch bloße Tarifublichkeit i.S. von § 59 BetrVG 1952 das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 56 BetrVG 1952 nicht berührt wurde (Hueck / Nipperdey, Lb. Bd. TI, 6.A., S.835), Die Beschränkung des Tarifvorbehalts (§ 59 BetrVG 1952) auf materielle Arbeitsbedingungen war unter der Geltung des BetrVG 1952 ganz h.M. und ist dies auch nach der gesetzlichen Neuregelung ftlr § 77 m BetrVG 1972 lange Zeit geblieben (vgl. Dietz / Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 185 mit umfangreichen Nachweisen zu Lit. und Rspr.). Seit das BAG sich 1987 der Vorrangtheorie angeschlossen hat, ist die praktische Relevanz dieser Unterscheidung vergleichsweise gering geworden. In einer neueren Entscheidung vertritt der 1. Senat des BAG nunmehr die Ansicht, aus § 77 m BetrVG lasse sich eine Beschränkung des Tarifvorbehalts auf materielle Arbeitsbedingungen nicht entnehmen (BAG AP Nr.l zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt). 121 BAG (GS), DB 1992, S.1584. 128 Die unterschiedlichen Schutzrichtungen von Tarifvorbehalt (§ 77 m BetrVG) und Tarifvorrang (§ 87 IEingangssatz BetrVG) spiegeln sich in den Klagemöglichkeiten wider. Während das BAG den Gewerkschaften bei Verstößen gegen den Tarifvorbehalt ein Klagerecht zubilligt, ist es diesen nicht möglich, gegen eine Betriebsvereinbarung, die den Tarifvorrang mißachtet, erfolgreich vorzugehen (BAG, SAE 1992, S.151).
§ 4 Das Günstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
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und der durch die Rspr. anerkannte Ausschluß der Sperrwirkung des § 77 III BetrVG im Bereich des § 87 I BetrVG (Vorrangtheorie) erzwingen nunmehr die Anerkennung begünstigender Betriebsvereinbarungen im Anwendungsbereich des § 87 I BetrVG.129 Diese Anerkennung kann freilich nicht unabhängig von der Art des Zustandekommens der Betriebsvereinbarung erfolgen. Es wäre mit dem Wesen des Günstigkeitsprinzips als "einem Prinzip der Freiheit"130 nicht vereinbar, wenn begünstigende Betriebsvereinbarungen durch den Spruch der Einigungsstelle (§§ 8711, 76 V Satz 1 BetrVG) erzwungen werden könnten. Das Günstigkeitsprinzip läßt die Regelungszuständigkeit nur deshalb an die kleinere Einheit zurückfallen, weil "auf den Schultern" des größeren Kollektivs eine wirklich autonome Vereinbarung wieder möglich wird und das hierin konstitutiv enthaltene Element der "freiwilligen Zustimmung" als Garant eines zumindest annähernd gerechten Vertrages 131 gelten darf. Wo dieses Element der Freiwilligkeit fehlt, kann auch eine Durchbrechung der normativen Wirkung der Tarifnorm nicht mit Hilfe des Günstigkeitsprinzips legitimiert werden. Für die Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips im Bereich des § 87 I BetrVG ist es somit eine unabdingbare Voraussetzung, daß die Betriebsvereinbarung auf einer Übereinkunft von Arbeitgeber und Betriebsrat beruht. 132 Hinzu kommt, daß eine erzwungene übertarifliche Betriebsvereinbarung mit dem Gebot der tariflichen Friedenspflicht133 jedenfalls mittelbar 134 in Konflikt geriete. Jedem Arbeitgeber muß das Recht verbleiben, sich auf die im Tarifvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen zu berufen, solange er nicht freiwillig über diese hinausgeht. 13S 129 Ebenso: Kreutz, Betriebsautonomie, 8.221; Wiese, in: F8 zum 25 jährigen Bestehen des BAG, 8.669 f; Gast, BB 1987, 8.1252; Niebier, Betriebsvereinbarungsautonomie, 8.114; Müller, G., AuR 1992, 8.261; Herrmann, ZfA 1989, 8.590; HSG, BetrVG, § 77 Rn. 82; FAKH, BetrVG, § 87 Rn. 8. 130 Utz, in: ders. (Hrsg.), Das 8ubsidiaritätsprinzip, 8.17; vgl. auch oben 8.70 fI. \31
Hueck, in: Heckel (Hrsg.), Der gerechte Lohn, 8.28.
\32 HSG,
BetrVG, § 77 Rn. 82.
In diesem 8inne bereits Hueck, GewKfmG Bd. 26, 8p.83 f; Schuldt, Betriebsvereinbarung, 8.89; vgl. auch Joost, ZfA 1993,8.268. 134 Ein unmittelbarer Verstoß scheidet aus, da Betriebsrat und Einigungsstelle nicht durch die tarifliche Friedenspflicht gebunden werden (so schon Flatow, Arbeitsordnung, 8.57). m Im Ergebnis wird damit eine dritte Kategorie von Betriebsvereinbarungen erkennbar. Von der freiwilligen (§ 88 BetrVG) und der erzwingbaren Betriebsvereinbarung (§ 87 II BetrVG) sollte zukünftig die über einen Mitbestirnmungstatbestand des § 87 I BetrVG freiwillig geschlossene Betriebsvereinbarung unterschieden werden. 133
II. Die Kollision von Kollektivnonnen
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(4) Beschränkung aufInhaltsnormen Als Folge ihres Anschlusses an die Vorrangtheorie lehnt es das BAG inzwischen ausdrücklich ab, im Rahmen des § 77 III BetrVG nach formellen und materiellen Arbeitsbedingungen zu differenzieren. 136 Im Gegenzug hat es jedoch die Sperrwirkung des Tarifvorbehalts auf Inhaltsnormen 137 begrenzt. Unter "sonstigen Arbeitsbedingungen" i.S. des § 77 III BetrVG seien "wie in § 1 I TVG Rechtsnormen zu verstehen, die den Inhalt [H.d.Verf.] von ArbVerh. ordnen."138 Es soll an dieser Stelle dahinstehen, ob die Ausdehnung des Tarifvorbehalts auf formelle Arbeitsbedingungen gerechtfertigt ist. Seiner Beschränkung auf Inhaltsnormen kann jedenfalls nachdrücklich beigepflichtet werden. Es wird damit der Begriff "sonstige Arbeitsbedingungen" (§ 77 III BetrVG) in einer dem Normzweck angemessenen Weise ausgelegt und dem Gebot zur Herstellung praktischer Konkordanz im Verhältnis zwischen Tarifautonomie und Eigentumsfreiheit entsprochen. Zum Schutz der Tarifautonomie ist es nicht erforderlich, den Betriebspartnern selbst diejenigen Gegenstände zu entziehen, die notwendig betriebseinheitIich geregelt werden müssen und die regelmäßig nicht eine FestIegung von Mindestarbeitsbedingungen (dem klassischen Bereich der Tarifautonomie 139), sondern den Arbeitnehmerschutz bezwecken. Kann eine regelungsbedürftige Materie wegen evidenter Unzweckmäßigkeit nicht individual vertraglich geregelt werden, so ist eine solche Betriebsvereinbarung zugleich ein notwendiges Instrument zur Erhaltung der "Funktionsfahigkeit des Unternehmens."140 Diese Funktionsfahigkeit, die an der Eigentumsgarantie des Art. 14 I GG teilhat 141 , wäre nachhaltig gefahrdet, wenn die Betriebspartner, obwohl die Tarifvertragsparteien von ihrer Normsetzungsprärogative keinen Gebrauch gemacht haben, ebenfalls an einer Regelung gehindert wären. 142 136
Vgl. oben. Fn. 126.
BAG AP Nr.1 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt. Ebenso: Jahnke, Tarifautonomie, 8.158 ff; Heinze, NZA 1989, S.45; Belling, Günstigkeitsprinzip, 8.158; FAKH, BetrVG, § 77 Rn. 67. 138 BAG AP Nr.l zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt = BB 1991, S.2012. J37
139 Bezeichnenderweise kannte § 1 I TVVO (1918) nur Inhalts- und Abschlußnormen (vgl. Heinze, NZA 1989, S.44).
140 Sticker / 141
Oetker, Tarifautonomie, S.145. BVerfGE 50, 290, 352.
142 Dementsprechend greift der Tarifvorbehalt nicht ein und eine BetriebsnonnenBetriebsvereinbarung, die allgemeine Arbeitsbedingullgen ablöst, bleibt trotz Tarifub-
§ 4 Das GÜllstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
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(5) Ergebnis Als vorläufiges Ergebnis läßt sich festhalten, daß der Tarifvorbehalt des § 77 III BetrVG einer Anwendung des Günstigkeitsprinzips zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbanmg jedenfalls dann nicht entgegensteht, wenn die Betriebsvereinbanmg über einen Mitbestimmungstatbestand des § 87 I BetrVG geschlossen wurde oder ihrem Inhalt nach nur Betriebsnormen enthält. Zu klären bleibt, ob es gerechtfertigt ist, all diejenigen Betriebsvereinbanmgen, die nach h.M. weiterhin vom Tarifvorbehalt erfaßt werden (das sind: freiwillige Betriebsvereinbanmgen über materielle Arbeitsbedingungen, die Individualnormen enthalten und nicht in den Katalog des § 87 I BetrVG fallen), aus dem Geltungsbereich des Günstigkeitsprinzips auszuklammern. d) Das Verhältnis von § 4 III TVG und § 77 III BetrVG
(1) Problemstellung
§ 77 III BetrVG bestimmt, daß "Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden", nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbanmg sein können. Dieser scheinbar143 recht eindeutige Wortlaut genügt für sich allein jedoch nicht, um abschließend über die Zulässigkeit begünstigender Betriebsvereinbanmgen zu entscheiden 144, denn durch das Günstigkeitsprinzip wird eine diesem lichkeit auch dann zulässig, wenn kein Mitbestinunungstatbestand nach § 87 I BetrVG eingreift (im Ergebnis ebenso: Z6l/ner, in: FS für Nipperdey, 1965, Bd.II, S.719 f; Hi/ger / Stumpf, in: FS fllr Müller, S.222; Hanau, gemeinsame Anmerkung zu BAG AP Nr.4 und 6 zu § 77 BetrVG 1972; Galperin / L6wisch, BetrVG, § 77 Rn. 85a). 143 Vgl. etwa die von Gast (Tarifautonomie, S.16 fl) aufgezeigten Alternativen im Bereich der grammatikalischen Auslegung. 144 An dieser Beurteilung vermag auch die Sperrwirkung des Tarifvorbehalts ftlr bloße "TarifUblichkeit" nichts zu ändern. Auch "Tariftlblichkeit" setzt als aktualisierte Tarifautonomie inuner das Vorliegen einer konkreten Regelung voraus, von der eine Abweichung zugunsten der Arbeitneluner festgestellt werden könnte. Das BAG hat die Notwendigkeit einer solchen Regelung folgendermaßen begründet: "Da das Gesetz das Bestehen einer tariflichen Regelung oder wenigstens TarifUblichkeit verlangt, geht es hier um die Sicherung der ausgeübten, aktualisierten Tarifautonomie.... Solange die Tarifvertragsparteien einen Fragenbereich ungeregelt lassen, wird die Tarifautonomie durch entsprechende betriebliche Regelungen nicht berührt. Dies gilt auch dann, wenn die Tarifpartner einen bestinunten Bereich ausdrilcklich nicht tariflich regeln wollen. Der ausdrückliche Verzicht ... kann ... keine Sperrwirkung auslösen. Aber auch wenn ... zugleich der Ausschluß einer kollektivrechtlichen Regelung durch Betriebsvereinbarung beabsichtigt sein sollte, stellt dies keine die Sperrwirkung auslösende Regelung i.S. des § 77 III BetrVG dar. Die Regelungssperre soll ... die ausgeübte Tarifautonomie
Ir. Die Kollision von Kollektivnonnen
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Wortlaut widersprechende Rechtsfolge angeordnet (vgl. § 4 III TVG). Zur Auflösung dieses Widerspruchs stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Entweder ist § 77 III BetrVG durch eine restriktive Interpretation um die Fälle begünstigender Betriebsvereinbarungen zu reduzieren, oder er muß in einer Weise ausgelegt werden, die aus Gründen, die über den bloßen Wortlaut der Norm hinausgehen (historische, systematische oder teleologische Gründe), das Günstigkeitsprinzip auszuschließen vermag. In der Praxis entscheidet über die Geltung des Günstigkeitsprinzips im Verhältnis zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung primär die systematische Auslegung. Indem die h.M. § 77 III BetrVG als lex specialis 145 zu § 4 III TVG einstuft und aus dieser Spezialität eine bewußte Entscheidung gegen die Geltung des Günstigkeitsprinzips ableitet, kommt sie zu dem (etwas sonderbar anmutenden) Ergebnis, daß das Günstigkeitsprinzip zwischen Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag im allgemeinen zwar unbestreitbar gelte, im besonderen aber eben nicht. 146 Die Frage ist nun, ob diese Qualifikation des § 77 III BetrVG als speziellere Norm in systematischer Hinsicht zu überzeugen vermag und ob darüber hinaus historische oder teleologische Gesichtspunkte nachweisbar sind, die für einen Ausschluß des Günstigkeitsprinzips im Anwendungsbereich des Tarifvorbehalts sprechen. Dabei darf auch nicht völlig außer Betracht bleiben, daß die Praxis - auch soweit sie keine gewohnheitsrechtliche Geltung erlangen konnte 147 - die Sperrwirkung des § 77 III BetrVG für solche Regelungen, die Betriebsrat und Arbeitgeber freiwillig und gemeinsam für günstiger erachtet haben, nie akzeptiert hat. Die freiwilligen Regelungen galten auf der Grundlage des Satzes: Wo kein Kläger ist, da ist kein Richter. 148 (2) Das historische Verhältnis Im Kontext der Ausführungen zu den historischen Grundlagen des Günstigkeitsprinzips 149 wurde bereits deutlich, daß der Streit um das Verhältnis sichern. Nicht hingegen ist es Zweck der Sperre ... eine kollektive Gestaltung durch eine Betriebsvereinbarung zu unterbinden" (BAG, NZA 1993, S.614 1). Wenn sich nun erweisen sollte, daß selbst ein geltender Tarifvertrag begünstigenden Betriebsvereinbarungen nicht entgegenstünde, so kann bloße "TarifUblichkeit" (z.B. ein nachwirkender Tarifvertrag; HKZZ, TVG, Ein!. Rn. 217) das Günstigkeitsprinzip wohl "erst recht" (Mal/er, G., AuR 1992, S.261) nicht ausschließen. 145 Belling. Günstigkeitsprinzip, S.158; Herrmann. ZfA 1989, S.589; GK-Kreutz, BetrVG, § 77 Rn. 109; HSG, BetrVG, § 77 Rn. 81 und Rn. 159. 146 Vgl. dazu oben S.96 f 147 Vgl. oben S.100 ff. 148 Vgl. auch S.113 ff.
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§ 4 Das GÜDstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
von Tarifvorbehalt und GÜDStigkeitsprinzip so alt ist, wie das normierte Tarifrecht selbst. In der Tarifvertragsverordnung aus dem Jahre 1918 angelegt (vgl. § 1 I Satz 2 und § 13 I Satz 3 TVVOI50), wurde dieser Konflikt über TVVO und BRG 1920 (§ 78 Ziff. 2, 3) fortgeschrieben und fmdet sich heute im Spannungsfeld von § 77 III BetrVG und § 4 III TVG wieder. Gegen die Kontinuität dieses Konflikts läßt sich nicht einwenden, daß es sich seinerzeit allenfalls um einen Tarifvorrang zur Lösung von Normkollisionen gehandelt habe, heute dagegen ein echter Tarifvorbehalt zugunsten der Tarifautonomie gewollt sei. Die Vorgaben des unter den besonderem historischen Bedingungen des Nachkriegsdeutschland (1918)151 zustandegekommenen "StinnesLegien-Abkommens"(vgl. Nr. 1 und Nr. 7 152 ) und die Protokolle zur Entstehung des BRG 1920153 rechtfertigen die Einschätzung, daß der gesetzliche Vorrang des Tarifvertrages von Anfang an einen Vorbehalt zum Schutz der Gewerkschaftsbewegung (und damit der Tarifautonomie) vor den Betriebsräten beabsichtigte. 154 Unter dieser historischen Perspektive läßt sich nun ein absoluter Tarifvorbehalt zu keiner Zeit feststellen. Ging man vor dem Inkrafttreten der TVVO sogar von einem Vorrang der Arbeitsordnung (als Vorläuferin der Betriebsvereinbarung) gegenüber dem Tarifvertrag aus, so entsprach es unter der Geltung von TVVO, BRG 1920 und AOG der überwiegenden Lehrmeinung und höchstrichterlichen Rspr., daß günstigere Betriebsvereinbarungen stets zulässig blieben. ISS Die geschichtliche Entwicklung der Tarifautonomie in ihrem Verhältnis zu begünstigenden betrieblichen Regelungen bietet demzufolge keinerlei Legitimation für eine "absolute" Wirkung des Tarifvorbehalts.
Vgl. oben S.48 fT. § I I Satz 2 TVVO: "Abweichende Vereinbarungen sind wirksam, soweit sie ... eine Änderung der Arbeitsbedingungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten ... " § 13 I Satz 3 TVVO: "Soweit eine tarifliche RegelWlg nicht besteht, haben die Ausschüsse ... bei der RegelWlg der Löhne Wld sonstigen Arbeitsverhältnisse mitzuwirken." 151 Vgl. dazu oben S.30 f. 152 Vgl. Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger, 18. 11. 1918. 153 Vgl. die VerhandlWlgen der verfassWlggebenden Deutschen NationalversarnrnIWlg, Stenographische Berichte Bd.331, S.4203 fT. In diesem Zusammenhang hat bereits Ehmann (in: Mohler [Hrsg.], Wirklichkeit als Tabu, S. 74) darauf aufinerksam gemacht, daß der Zweck des in § 37 BRG 1920 (= § 41 BetrVG 1972) normierten Umlageverbotes allein die ZerschlagWlg der überbetrieblichen BetriebsrätebewegWlg war. 154 So auch Ehmann, a.a.O. 155 Zu Einzelheiten Wld Nachweisen vgl. oben § 2 V, S.48 fI 149 150
II. Die Kollision von Kollektivnormen
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(3) Das systematische Verhältnis Die systematische Einordnung von § 4 III TVG und § 77 III BetrVG hängt maßgeblich von der Frage ab, in welcher Weise das Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung begründet wird. Geht man davon aus, daß durch den Unabdingbarkeitsgrundsatz (§§ 4 I Satz 1,4 III TVG) dem Tarifvertrag auch im Verhältnis zur Betriebsvereinbarung eine Vorrangstellung geschaffen wird lS6, so liegt es in der Tat nabe lS7, § 77 III BetrVG als lex specialis zu begreifen. Nach diesem Verständnis stellt § 4 I, III TVG die Unabdingbarkeit als Regel auf, § 4 III TVG macht davon eine "Ausnahme"IS8 ftir begünstigende Abmachungen und § 77 III BetrVG nimmt in seinem Anwendungsbereich diese Ausnahme für Betriebsvereinbarungen wieder zurück. Wenn man vor dem Hintergrund dieses Ansatzes § 4 III TVG als die speziellere Norm ansehen wollte und begünstigende Betriebsvereinbarungen zuließe, so würde sich die Bedeutung von § 77 III BetrVG in der bloßen Wiederholung des Unabdingbarkeitsgrundsatzes (§ 4 I TVG) erschöpfen; er wäre überflüssig. IS9 Verfehlt ist indes bereits die Ausgangsthese. Wie Jahnke überzeugend nachgewiesen hat, betrifft § 4 I, III TVG allein das Verhältnis von Tarifvertrag und Einzelarbeitsvertrag. 160 Die Betriebsvereinbarung ist ein mit normativer Kraft ausgestattetes Gestaltungsmittel161 (§ 77 IV Satz 1 BetrVG), das wie der Tarifvertrag von außen auf das Arbeitsverhältnis einwirkt. 162 Sie selbst begründet aber keinerlei Rechtsverhältnis, auf das der Tarifvertrag nun seinerseits in irgendeiner Weise - sei es zwingend oder halbzwingend (§ 4 III TVG) - normativ einzuwirken imstande wäre (§ 4 I TVG). Der Normenhierarchiekonflikt zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung wird 156 Richardi, Kollektivgewalt, S.267; W1otzke, GÜllstigkeitsprinzip, S.119; Belling, Günstigkeitsprinzip, S.158; Dietz I Richardi, BetrVG, § 77 Rn. 173; Löwisch I Rieble, TVG, § 4 Rn. 54; HSG, BetrVG, § 77 Rn. 8I. 157 Wer dagegen § 4 TVG isoliert von § 4 I TVG betrachtet und letzteren nur auf Einzelarbeitsverträge bezieht, kann zu diesem Ergebnis nicht kommen. Der Vorrang des Tarifvertrages müßte in diesem Fall durch § 77 m BetrVG begründet werden und § 4 m TVG als engere Norm (lex specialis; vgl. Fn. 102 [§ 3]) würde hiervon eine Ausnahme filr begünstigende Betriebsvereinbarungen machen. Ein systematisches Argument gegen die Zulässigkeit begünstigender Betriebsvereinbarungen setzt also die Einbeziehung der Betriebsvereinbarung in die Unabdingbarkeitswirkung voraus. 158 Dtiubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 213. 159 Belling, Günstigkeitsprinzip, S.158. 160 Jahnke, Tarifautonomie, S.45. 161 Nikisch, Arbeitsrecht Bd.II, S.398. 162 Vgl. auch oben Fn. 134 (§ 2).
m
§ 4 Das Günstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
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durch § 4 I Satz 1 TVG nicht gelöst, sondern im Zusammenspiel mit § 77 IV Satz 1 BetrVG überhaupt erst begründet. 163 Die Tarifvertragsverordnung von 1918 sprach diese Tatsache noch unmißverständlich aus, indem sie die normative Wirkung des Tarifvertrages ausdrücklich auf die "Arbeitsverträge" (§ 1 I Satz 1 TVVO) bezog. Soweit nun § 4 I und III TVG den Wortlaut von § 1 I TVVO nicht übernommen hat, geschah dies aus Gründen, die nachweisbar nichts mit einer wie auch immer zu denkenden Ausdehnung der normativen Wirkung des Tarifvertrages auf die Betriebsvereinbarung zu tun hatten. 164 Eine in den anfänglichen Entwürfen zum TVG noch vorgesehene "entsprechende" Anwendung der Normwirkung des Tarifvertrages auch auf Betriebsvereinbarungen16S wurde von gewerkschaftlicher Seite u.a. mit folgendem Argument verhindert: "Nach Ansicht der Gewerkschaften bedarf es einer Bestimmung über die Wirkung der Tarifnorm auf die Betriebsvereinbarung ... nicht. Daß der Tarifvertrag der Betriebsvereinbarung vorgeht, ergibt sich ... schon aus richtiger Auslegung des Betriebsrätegesetzes. "166 Wenn nun die heute h.M.167 § 4 I, III TVG auf das Verhältnis Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung erstreckt und unter "abweichenden Abmachungen" i.S. des § 4 III TVG auch Betriebsvereinbarungen verstehen will, so vernachlässigt sie darüber hinaus, daß untrennbar mit dem (offenbar vergessenen) Ursprung ihres dogmatischen Verständnisses ein ganz konkretes Anliegen verknüpft war. Den Ausgangspwtkt der Entwicklung bildet der Gedanke Alfred Huecks 168 , daß es mit dem grundsätzlichen Charakter der Tarifnorm als Mindestnorm nicht vereinbar sei, "Verbesserungen in der Lage des Arbeitnehmers" zu verhindern. Als Konsequenz der sich hieran anschließenden Einsicht, es könne doch keinen Unterschied machen, "ob derartige Verbesserungen durch Einzelarbeitsvertrag oder aber durch Betriebsvereinbarung geschaffen werden", stellte er dann die Forderung auf, § 1 I Satz 2 RdA 1991, S.20l. 164 Die Änderung des Wortlauts erfolgte nur, um den Theorienstreit, ob die Tarifnonn als zwingend ergänzendes Recht aufzufassen sei oder ob sie korrigierend in die Arbeitsverträge einginge, endgültig beizulegen (vgl. H erschel, ZfA 1973, S.192 f). 165 In § 4 rn des Lemgoer Entwurfs hieß es: "Abs. 1 und Abs. 2 (= u.a. nonnative Wirkung; Einf.d.Verf.) gelten entsprechend ft1r das Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung. " Ähnlich § 3 V Satz 2 des Stuttgarter Entwurfs (abgedruckt in: ZfA 1973, S.131, 138). 166 Begründung des Entwurfs eines Tarifvertragsgesetzes, aufgestellt vom Gewerkschaftsrat der Vereinten Zonen, September 1948, Punkt 16. (abgedruckt in: ZfA 1973, S.148). 167 Vgl. Fn. 95. 163 Reuter,
168
Erstmals von Hueck fonnuliert in: GewKfinG 1921 (Bd.26), Sp.84 f.
II. Die Kollision von Kollektivnonnen
111
TVVO, der günstigere "Vereinbarungen" im Verhältnis zum Tarifvertrag erlaube, auch auf Betriebsvereinbarungen anzuwenden. 169 Gegen diese Forderung hatte bereits Fiatow 170 formal überzeugend eingewandt, daß unter dem Begriff der abweichenden "Vereinbarungen" i.S. von § 1 I Satz 2 TVVO schon deshalb ausschließlich die in Satz 1 angesprochenen "Arbeitsverträge" verstanden werden dürften, weil dem Gesetzgeber bei der Schaffung der TVVO (1918) das Institut der Betriebsvereinbarung noch unbekannt gewesen sei. Der Begriff "Vereinbarung" als gesetzliche Formulierung im Kontext betrieblicher Regelungen tauche erstmals in §§ 75, 80 BRG 1920 auf. Demzufolge werde auch das Rangverhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung nur durch die im Betriebsverfassungsrecht ausgesprochenen Vorbehalte zum Ausdruck gebracht. 171 Wenn Hueck sich gegen die formal richtigen Argumente Flatows dennoch durchsetzen konnte l72 , dann wohl deswegen, weil er in der Sache recht hatte und weil man aufgrund einer unzureichenden dogmatischen Durchdringung des Günstigkeitsprinzips 173 keinen anderen Weg sah, die Zulässigkeit begünstigender Betriebsvereinbarungen zu begründen, als durch den Rückgriff auf § 1 I Satz 2 TVVO. Vor diesem Hintergrund erscheint es nun wenig überzeugend, wenn die Vertreter eines "absoluten" Tarifvorbehalts das Ergebnis dieser Auslegung ("Abmachungen" = Betriebsvereinbarungen) verselbständigen und damit die Grundlage fUr ein systematisches Argument schaffen, das in vollständigem Gegensatz zu derjenigen Intention steht, die ihrem eigenen begriffiichen Verständnis zugrunde liegt. Verstanden Hueck und die seinerzeit h.M. unter "abweichenden Vereinbarungen" auch Betriebsvereinbarungen, um ihnen trotz des Tarifvorbehalts (§ 78 Ziff. 2, 3 BRG 1920) zur Wirksamkeit zu verhelfen, so muß diese Auslegung, die ohnehin nur von der Richtigkeit ihres Ergebnisses getragen wurde, jedenfalls dann aufgegeben werden, wenn sie nunmehr dazu führt, daß man die Zulässigkeit begünstigender Betriebsvereinbarungen gerade deshalb ablehnt, weil "abweichende Abmachungen" auch Betriebsvereinbarungen seien und somit der Tarifvorbehalt (§ 77 III BetrVG) als die speziellere Norm in seinem Anwendungsbereich das Günstigkeitsprinzip für sie gerade ausschließe. Bleibt danach festzuhalten, daß sich aus dem Tarifrecht keine Hinweise auf das Rangverhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung gewinnen 169 Hueck,
NZfA 1926, 8p.404.
Arbeitsordnung, 8.56. Flatow, Arbeitsordnung, 8.54 ff. 172 Vgl. oben 8.48 ff. 173 Vgl. oben 8.52 f. 170 Flatow,
171
§ 4 Das GÜDStigkeitsprinzip als Kollisionsregel
112
lassen, so kann der Vorrang des Tarifvertrages nur nach Maßgabe des Betriebsverfassungsrechts (§§ 77 111, 87 IEingangssatz BetrVG) bestimmt werden. 174 Es kann dahingestellt bleiben, ob mittlerweile vielleicht sogar eine gewohnheitsrechtlich verfestigte Normenhierarchie zugunsten des Tarifvertrages eingetreten sein könnte 17S ; entscheidend ist an dieser Stelle allein, daß jedenfalls das Tarifrecht diese Hierarchie nicht begründet und daß § 77 111 BetrVG folglich auch nicht als lex specialis zu § 4 111 TVG angesehen werden kann, weil beide Normen sich ihrem Anwendungsbereich nach nicht überschneiden. Mit diesem Ergebnis ist auch das systematische Argument fiir eine "absolute", das GÜDstigkeitsprinzip ausschaltende Wirkung des Tarifvorbehalts widerlegt. Die grundsätzliche Geltung des GÜDstigkeitsprinzips im Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung wird hingegen durch die Beschränkung des § 4 III TVG auf Einzelarbeitsverträge nicht berührt. Das GÜDstigkeitsprinzip ist ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Strukturprinzip des kollektiven Arbeitsrechts und bedarf zu seiner Geltung einer ausdrücklichen einfachgesetzlichen Normierung nicht 176 . Es wurde bereits mehrfach l77 nachgewiesen, daß auch die Betriebsvereinbarung ein dem Individuum sachnäheres Gestaltungsmittel im Sinne des SubsidiariUitsprinzips sein kann und jedenfalls dann dem auf das Einzelarbeitsverhältnis zwingend einwirkenden Tarifvertrag vorgeht, wenn sie Abweichungen zugunsten der Arbeitnehmer enthält. Das Verhältnis zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung wird mit der gleichen Notwendigkeit vom GÜDstigkeitsprinzip strukturiert wie das Verhältnis von Betriebsvereinbarung und Einzelarbeitsvertrag, in dem eine ausdrückliche Regelung bekanntlich ebenfalls fehlt. Letztendlich war es schon bei Alfred Hueck die Einsicht, daß das GÜDStigkeitsprinzip grundsätzlich auch zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung gelten müsse 178, die ihn zu dem Schluß veranlaßte, daß deshalb unter "abweichenden Vereinbarungen" auch Betriebsvereinbarungen zu verstehen seien, und es war nicht etwa umgekehrt der Wortlaut des § 1 TVVO, der diese Einsicht hervorbrachte.
Tarifautonomie, S.46. FiUing / Kraegeloh / Auffarth, BetrVG, § 56 Rn. 10; a.A. Gast, Tarifautonomie,
174 Jahnke, 175
8.14.
176 BAG
(GS) AP Nr.17 zu § 77 BetrVG 1972.
In Vgl. 8.7l ffund 8.96 ff. 178 Hueck (NZfA 1926, 8p.403) sprach sogar ausdrücklich von einern Anwendungsfall des Gtlnstigkeitsprinzips.
II. Die Kollision von Kollektivnonnen
113
(4) Gefährden begünstigende Betriebsvereinbarungen die Tarifautonomie? Es bleiben allein teleologische Gesichtspunkte, die für ein "absolutes" Verständnis des Tarifvorbehalts sprechen könnten. Nach allgemeiner Überzeugung179 ist der Schutz der Tarifautonomie alleiniger oder doch ganz vorrangiger Zweck des § 77 III BetrVG. Es stünde nun mit den Grenzprinzipien des Günstigkeitsprinzips durchaus im Einklang, wenn es im Geltungsbereich des Tarifvorbehalts zurücktreten müßte, weil nur so die Funktionsfähigkeit des Kollektivs (Tarifautonomie) gewährleistet werden könnte. Denn mit dem "Wesen" des Günstigkeitsprinzip ist es unvereinbar, daß seine Anwendung zu einer Aushöhlung der Kollektivmacht führt; der Inhalt des Günstigkeitsprinzips wäre dann falsch defmiert. 180 Die Frage ist also, ob die Kompetenz der Betriebspartner zum Abschluß begünstigender Betriebsvereinbarungen die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie ernsthaft gefährdet. Einer solch konkreten Fragestellung bedürfte es indes nicht, wenn man mit vereinzelten Stimmen im Schrifttum 181 davon ausgehen müßte, daß die Verfassung in Art. 9 III Satz 1 GG bereits eine abschließende Wertung zugunsten eines "absoluten" Tarifvorbehalts getroffen hätte. Zu dieser Wertung kann jedoch nur detjenige kommen, der den Tarifvertrag zum alleinigen Instrument für die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen i.S. von Art. 9 III Satz 1 GG erklärt und den Betriebspartnern von Verfassungs wegen im Bereich der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie jede Regelungskompetenz abspricht. Eine solche Monopolisierung 182 zugunsten der Tarifpartner läßt sich der Verfassung jedoch nicht entnehmen. Zu Recht hat das BVerfG derartigen Auslegungstendenzen eine klare Absage erteilt: "Art. 9 Abs. 3 GG läßt sich auch nicht dahin auslegen, daß er ein Tarifsystem als ausschließliche Fonn der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gewährleiste.... Als Freiheitsrecht will Art. 9 Abs. 3 GG in dem von staatlicher Regelung freigelassenen Raum gewährleisten, daß die Beteiligten selbst eigenverantwortlich bestimmen können, wie sie die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen fördern wollen. Daß dies nur im Wege von Tarifverträgen möglich sein sollte, ist nicht zu erkennen, zumal eine solche Lösung auf eine Einschränkung 179 GK-Kreutz, BetrVG, § 77 Rn. 66 (m.w.N.), unter Zurückweisung jeder anderen Zwecksetzung. 180 Vgl. oben S.78 und S.91.
181 Sticker, AuR 1994, S.9; Zachert, AuR 1993, S.99; ders., in: ders. (Hrsg.), Wirkung, SAl; Weyand, AuR 1993, S.6. 182 Sticker (AuR 1994, S.9) spricht ausdrücklich vom "Nonnsetzungsmonopol" der Tarifvertragsparteien. 8 Tb. B. Scbmidt
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§ 4 Das Günstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
der gewährleisteten Freiheit hinausliefe. Vielmehr kann die sinnvolle Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens, um die es Art. 9 Abs. 3 GG geht, auf verschiedenen Wegen angestrebt werden.... Das Nebeneinander von Tarifvertragssystem und Mitbestimmung, das sich damit ergibt, kann zu Gewichtsverlagerungen, aber auch zu Konkurrenzen filhren, die einen Ausgleich erforderlich machen .... Das schließt die Zulässigkeit von Beschränkungen der Tarifautonomie ein, wenn diese im Prinzip erhalten und funktionsfliliig bleibt." 183
Es bleibt also dabei, daß der Zweck des § 77 III BetrVG begünstigenden Betriebsvereinbarungen nur dann entgegenstünde, wenn sich aus der Anwendung des Günstigkeitsprinzips eine nachhaltige Gefährdung der Tarifautonomie ergäbe. Daß der Nachweis einer solchen Gefährdung auch nur ansatzweise erbracht worden wäre, ist bisher nicht ersichtlich. Nun läßt sich zwar die These aufs teIlen, daß eine genereIle ZuIässigkeit übertariflicher Betriebsvereinbarungen die Attraktivität der Gewerkschaften schmälern und die Entwicklung der Betriebsräte zu "beitragsfreien Ersatzgewerkschaften"184 begünstigen könnte. Angesichts der Tatsache, daß alle ideologischen Differenzen, die zur Begründung einer echten Konkurrenzlage führen könnten, endgültig überholt sind l8S , dürfte jedoch der Gegenthese, daß die Arbeitnehmer zur Erhaltung garantierter Mindeststandards den Gewerkschaften zweifelsohne die Treue halten werden, ungleich größere Plausibilität zukommen. Gerade weil die begünstigende Betriebsvereinbarung im Anwendungsbereich des Tarifvorbehalts nicht erzwingbar ist, sondern eine freiwillige Übereinkunft von Betriebsrat und Arbeitgeber voraussetzt, kann sie die Notwendigkeit des Tarifvertrages niemals in Frage steIlen, sondern aIlenfaIls als ein ergänzendes Instrument angesehen werden. Die Arbeitnehmer bleiben weiterhin darauf angewiesen, daß mit Hilfe des Tarifvertrages ein sicheres Fundament für aIle Beschäftigten erkämpft wird. Erst auf dessen Grundlage gewinnt der Betriebsrat eine Verhandlungsposition, die es ihm ermöglicht, entsprechend den Voraussetzungen des jeweiligen Unternehmens weitere Verbesserungen für seine Belegschaft zu vereinbaren. Als einen empirischen Beleg für die Richtigkeit dieser "Gegenthese" wird man wohl die aIlerorts gängige Praxis der übertariflichen BetriebsvereinbaBVerfGE 50, 290, 371 fT. NZA 1989, S.42. 185 So kommt dem Antagonismus von Räterepublik und zentralistisch gelenkter Planwirtschaft nur noch historische Bedeutung zu. Mit Recht betont Ehmann (in: Giger / Linder [Hrsg.], Sozialismus, Ende einer lllusion, S.603): "Die Betriebsräte wollen keine Rätedemokratie mehr errichten, und die Gewerkschaften haben ... ihre ... planwirtschaftlichen und sozialistischen Vorstellungen aufgegeben und sich zur sozialen Marktwirtschaft als ihrer Lebensgrundlage bekannt. " 183
184 Heinze,
m. Der GÜllstigkeitsvergleich
115
rung 186 werten dürfen. Es läßt sich kaum mehr bestreiten, daß diese von der Rechtswissenschaft zeitweise gebilligte, zeitweise mißbilligte Praxis, die ebenso alt ist wie der Dualismus tariflicher und betrieblicher Vereinbarungen selbst, die Tarifautonomie bisher ganz offensichtlich in keiner Weise gefährden konnte.
Im Ergebnis läßt sich festhalten, daß auch der Zweck des § 77 III BetrVG keine "absolute" Wirkung des Tarifvorbehalts rechtfertigt, weil nicht ersichtlich ist, wie die Zulässigkeit begünstigender Betriebsvereinbarungen zu einer Aushöhlung der Kollektivmacht fuhren sollte. Es gibt somit weder historische noch systematische oder teleologische Gesichtspunkte, die einen Ausschluß des Günstigkeitsprinzips durch § 77 III BetrVG rechtfertigen könnten. In der Konsequenz bedeutet dieses Ergebnis die Notwendigkeit einer restriktiven Interpretation des Tarifvorbehalts. Soweit Betriebsvereinbarungen zugunsten der Arbeitnehmer von den Bestimmungen des Tarifvertrages abweichen, steht § 77 III BetrVG der Wirksamkeit solcher Betriebsvereinbarungen nicht entgegen. e) Ergebnis Für das Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung können folgende Ergebnisse stichwortartig zusammengefaßt werden. Das Günstigkeitsprinzip gilt als verfassungsrechtlich garantiertes Strukturprinzip des kollektiven Arbeitsrechts auch zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung (vgl. a). Ein Rückgriff auf § 4 III TVG ist zur Begründung dieser Geltung nicht erforderlich und aus dogmatischen Gründen auch nicht möglich, da § 4 I, III TVG nur das Verhältnis von Tarifvertrag und Einzelarbeitsvertrag erfassen sollte (vgl. d 3). Eine Einschränkung des Günstigkeitsprinzips im Bereich der Betriebsnormen fmdet zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung nicht statt, weil die Betriebsvereinbarung den kollektiven Charakter der Betriebsnorm wahrt (vgl. b). Der Tarifvorrang des § 87 IEingangssatz BetrVG (vgl. c 3) und der Tarifvorbehalt des § 77 III BetrVG (vgl. d) schließen eine Anwendung des Günstigkeitsprinzips nicht aus.
III. Der Günstigkeitsvergleich Die zu den Grundlagen und Grenzen des Günstigkeitsprinzips gewonnenen Einsichten sind auch der Durchführung des konkreten Günstigkeitsvergleichs, mit dessen Hilfe die konkurrierenden Regelungen bewertet werden, zugrunde zulegen. Zur Strukturienmg der im Rahmen dieses Bewertungsvor186
Vgl. oben S.100, Fn. 110.
116
§ 4 Das GÜßstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
ganges auftauchenden Probleme sollen die im Günstigkeitsvergleich maßgeblichen Kriterien unter den folgenden drei Fragestellungen angesprochen werden: l. Ist der einzelne Arbeitnehmer, die Belegschaft oder die gesamte Arbeitnehmerschaft Bezugspunkt des jeweiligen Günstigkeitsvergleichs? 2. Welche Gegenstdnde werden im Günstigkeitsvergleich gegenübergestellt? 3. Nach welchem Maßstab und unter Beachtung welcher Umstände fmdet die konkrete Wertung statt? 1. Der Bezugspunkt
a) Der einzelne Arbeitnehmer Der maßgebliche Bezugspunkt des konkreten Günstigkeitsvergleichs kann immer nur die kleinere Einheit sein, die durch die Regelung unmittelbar begünstigt wird, i.d.R. also der einzelne Arbeitnehmer. Dies ergibt sich mit Notwendigkeit aus dem Wesen des Günstigkeitsprinzips, das als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips die Regelungskompetenz nur deshalb zurückgibt, weil die Vereinbarung gerechter Arbeitsbeziehungen nach dem "Prinzip der Freiheit" wieder möglich ist. Dieses Ziel der gerechten Arbeitsbeziehungen (i.S. eines "suum cuique"187) steht nun aber in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem konkreten Arbeitsverhältnis, auf das die abweichende Vereinbarung Bezug nimmt. Eine in der Weimarer Epoche verbreitete Ansicht, die Interessen der gesamten Arbeitnehmerschaft seien zu berücksichtigen l88, scheidet damit von vornherein aus. 189 Zwar steht hinter dieser Position die zutreffende rechtsethische Überlegung, daß das Recht doch nicht als "günstig" anerkennen dürfe, was der Gesamtarbeitnehmerschaft schade. Doch fuhrt diese Überlegung richtigerweise nicht zu einer Änderung des maßgeblichen Bezugspunktes, sondern allenfalls zur Bestimmung einer Grenze des Günstigkeitsprinzips ("Aushöhlung der Kollektivmacht" 190). Soweit der Inhalt eines Einzelarbeitsvertrages einer Kollektivnorm (Inhaltsnorm) entgegentritt, ist also allein die Begünstigung des konkret betroffenen Arbeitnehmers zu prüfen. 191 187
Vgl. dazu oben S.70.
188 RG, JW 1927, S.241, kritisch besprochen von Nipperdey, NZfA 1926, Sp.207 f; GewGer Oberlahnstein, SchliW 1924, S.178; Hueck, A, Das Recht des Tarifvertrages, S.119 f; ders., SchliW 1924, S.I84; Erdei, SchliW 1926, S.83; Joerges, SchliW 1926, S.83. Neuerdings wieder in diese Richtung Buschmann, NZA 1990, S.388. 189 In diesem kollektivistischen Ansatz liegt auch der historische Ursprung der Zweifelsregel (vgl. unten Fn. 242). 190 Vgl. hierzu S.126 tT. 191
Ganz h.M.: Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S.358; Wlotzke, GÜßstigkeitsprinzip,
m. Der Günstigkeitsvergleich
117
b) Der "kollektive Günstigkeitsvergleich" Nach der Rspr. des BAGI92 bildet die Belegschaft "scheinbar" dann den Bezugspunkt des Günstigkeitsvergleichs, wenn eine freiwillige soziale Leistung mit kollektivem Bezug (z.B.: betriebliche Altersversorgung), die durch "vertragliche Einheitsregelung" (oder "Gesamtzusage") gewährt wurde, mit Hilfe einer Betriebsvereinbarung verändert werden soll. Strukturiert diese Betriebsvereinbarung die Leistung des Arbeitgebers lediglich um, ohne sie im Volumen zu vermindern, so ist im Günstigkeitsvergleich allein zu prüfen, ob die Belegschaft insgesamt durch die Neuregelung schlechter gestellt wird (kollektiver Günstigkeitsvergleich). Ist dies nicht der Fall, weil die Gesamtleistung des Arbeitgebers sich erhöht oder zumindest konstant bleibt, dann soll es der Umstrukturierung nicht entgegenstehen, daß einzelne Arbeitnehmer durch sie schlechter gestellt werden. Diese Lehre vom "kollektiven Günstigkeitsvergleich" überzeugt nicht. Ein Günstigkeitsvergleich, der die Belegschaft in dieser Weise als Bezugspunkt ausgibt, ist kein Günstigkeitsvergleich, der dem Günstigkeitsprinzip in der vorangehend dargelegten und im Ergebnis auch von Lit. und Rspr. gebilligten Form gerecht wird. Ausgangspunkt für das BAG ist die Prämisse, daß zwischen Betriebsvereinbarung und Einzelarbeitsvertrag als maßgebliche Kollisionsregel das Günstigkeitsprinzip gilt. Wenn nun beim Vorliegen der vorstehend skizzierten Voraussetzungen vom individuellen zu einem "kollektiven Günstigkeitsvergleich" übergegangen werden soll, dann ist für diesen Übergang die Feststellung notwendig, daß die Leistung in ihrem Volumen zumindest konstant geblieben ist. Verringert sich nämlich das Leistungsvolumen, so bleibt es bei dem "normalen" individuell bezogenen Günstigkeitsvergleich. 193 Weil nun aber auch der sog. "kollektive Günstigkeitsvergleich" mit genau dieser Feststellung (keine Verringerung des Volumens) bereits endgültig entschieden ist, läßt sich kaum ausmachen, wo hier mit Blick auf die Belegschaft noch irgend etwas verglichen wird. Denn bejaht man das Vorliegen der Voraussetzungen flir den Übergang vom individuellen zum "kollektiven Günstigkeitsvergleich" (keine Verminderung des Leistungsvolumens), so impliziert dies bereits mit logischer Notwendigkeit die als Ergebnis eines Wertungsvorganges ausgewiesene Feststellung, die BeS.77; Etzel. NZA 1987, Beil 1, S.24; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rn. 239; L6wisch / Rieble. TVG, § 4 Rn. 188; GK-Kreutz. BetrVG, § 77 Rn. 207. 192 BAG (GS), DB 1987, S.387; BAG (GS), DB 1990, S.I726. Nach der hier vertretenen Ansicht ist das Günstigkeitsprinzip in diesen Fällen überhaupt nicht anwendbar. Vgl. dazu ausfilhrlich oben S.85 fT. 193 BAG GS, DB 1987, S.389.
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§ 4 Das Günstigkeitsprinzip als Kollisionsrege1
triebsvereinbarung sei zulässig, weil sie keine Regelung zuungunsten der Belegschaft enthalte. Das Günstigkeitsprinzip dient dem Individualschutz, der durch die Kollektivnormen verstärkt, aber nicht abgesenkt werden soll. Diese Funktion kann der sogenannte "kollektive Günstigkeitsvergleich" nicht erfüllen; er dient daher auch nicht dem Günstigkeitsprinzip. Die Rspr. überspielt mit ihrer Terminologie vom "kollektiven Günstigkeitsvergleich" die Tatsache, daß es dem Grunde nach nicht um den Bezugspunkt im Günstigkeitsvergleich, sondern um eine Grenze des Günstigkeitsprinzips selbst geht. Das BAG lührt keinen "kollektiven Günstigkeitsvergleich" durch, sondern ermittelt an Hand eines kollektivbezogenen Kriteriums, wann die normative Kraft der Betriebsvereinbarung (§ 77 IV Satz 1 BetrVG) auch den begünstigenden Einzelarbeitsvertrag verdrängt. Findet danach im Ergebnis kein Günstigkeitsvergleich, sondern vielmehr eine Begrenzung des Günstigkeitsprinzips statt, so ist auch die Lehre vom "kollektiven Günstigkeitsvergleich", soweit man ihr überhaupt zu folgen bereit ist 194, jedenfalls IUr die Bestimmung des Bezugspunktes im Günstigkeitsvergleich ohne Bedeutung. 2. Die Vergleichs gegenstände
a) Der Gruppenvergleich
(1) Der Meinungsstand Bezüglich der zu vergleichenden Gegenstände bestätigt das zum Wesen des Günstigkeitsprinzips gefundene Ergebnis die noch ganz herrschende Lehre vom Gruppenvergleich 19S . Die in diesem Zusammenhang regelmäßig gegenübergestellten Begriffe "Einzelvergleich" und "Gruppenvergleich" sind allerdings wenig zur Erhellung der relevanten Überlegungen geeignet, weil sie einen grundsätzlichen Gegensatz suggerieren, der so nicht existent ist. Auszugehen ist von der Erkenntnis, daß sich mit der Hilfe des Günstigkeitsprinzips eine gerechtere Gestaltung der Arbeitsbeziehungen verwirklicht. Mit einer solchen Gestaltung wäre es unvereinbar, wenn einzelne Arbeitsbe194 In der Literatur ist diese Rspr. ganz überwiegend auf Kritik: gestoßen. Vgl. Z611ner / Loritz, Arbeitsrecht, 8.79 f; Richardi, NZA 1987, 8.188; Blomeyer, DB 1987, 8.636; Hromadka, NZA 1987, Bei1.3, 8.5; Bel/ing, DB 1987,8.1894. 195 RAG AR8 Bd.35, 8.11; BAG AP Nr.l zu § 4 TVG 8ozialzulagen; LAG München, LAGE § 4 TVG Günstigkeitsprinzip Nr.3; LAG Hamm, DB 1958,8.519 f; LAG Kiel, BB 1958, 8.449; Z611ner / Loritz, Arbeitsrecht, 8.359; Hueck / Nipperdey, Lb. Bd. 11 / I, 8.611; Etzel, NZA 1987, Beil. I, 8.24; Wiedemann / Stumpf, TVG § 4 Rn. 243 f; L6wisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 199; HKZZ, TVG, § 4 Rn. 164.
ill. Der Günstigkeitsvergleich
119
dingungen, die beim Vertrags schluß in einen sachlichen Zusammenhang196 gestellt wurden, im konkreten Günstigkeitsvergleich isoliert verglichen würden ("Verbot der sog. »Rosinentheorie«"197). Wenn der Hotelangestellte eines Saisonbetriebes nur deshalb einen relativ niedrigen Lohn (1800 DM) akzeptiert, weil die Dauer des Urlaubs weit über dem Durchschnitt (12 Wochen) liegt, so können diese Posten einer tariflichen Regelung (2200 DM und 4 Wochen) nur verbunden (als Gruppe) gegenübergestellt werden. Eine Kumulierung der Vorteile (2200 DM und 12 Wochen) wäre fur den Arbeitnehmer vielleicht die "günstigere", keinesfalls aber, und das ist insoweit allein entscheidend, die gerechtere Vertragsgestaltung. Lassen sich einzelne Vertragsgegenstände dagegen ausnahmsweise isolieren, so sind sie der Kollektivnorm ohne weiteres im "Einzelvergleich"198 gegenüberzustellen. Die Lehre vom "Gruppenvergleich" ist damit kein wirklicher Gegensatz zum "Einzelvergleich", sondern eine Modifikation fur diejenigen Fälle, in denen ein sachlicher Zusammenhang zwischen verschiedenen Einzelregelungen besteht. Durch den "Gruppenvergleich" werden regelmäßig solche Arbeitsbedingungen miteinander verknüpft, die sich teilweise über und teilweise unter dem Niveau der Kollektivnorm bewegen. Überschreiten alle Arbeitsbedingungen der abweichenden Vereinbarung den kollektiven Mindeststandard, so läßt sich deren Wirksamkeit ohne Not im "Einzelvergleich" feststellen. Die Lehre vom "Gruppenvergleich" ist hier überflüssig. 199 Nur soweit eine Absprache sachlich zusammenhängende Bestandteile über- und untertariflicher Art enthält, ist es notwendig, Sachgruppen zu bilden und das Verbot auszusprechen, diese Sachgruppen nach Maßgabe der "Rosinentheorie" auseinanderzureißen, indem man sich fur den übertariflichen Teil der jeweiligen 196 Dieser Zusammenhang kann sich aus der Natur der Sache ("objektiv-innerer Zusammenhang'') ergeben, wenn eine bestimmte Regelung keine eigenständige Existenz fiUut, wie z.B. Urlaubsgeld im Verhältnis zur Urlaubsdauer (Hueck / Nipperdey, Lb Bd. II 11, S.611). ld.R. wird es aber die Vereinbarung der Parteien selbst sein ("subjektiv-innerer Zusammenhang''), die zu einer Verknüpfung mehrerer Vertragsbedingungen fiUut. Hierbei sind die Parteien frei, auch völlig verschiedenartige Bedingungen, wie etwa Lohn und Kündigungsfristen in einen inneren Zusammenhang zu stellen. Die Ermittlung des Parteiwillens erfolgt nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen des bürgerlichen Rechts; vgl. §§ 133, 157 BGB (vgl. Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rn. 244). 197 Hueck / Nipperdey. Lb. Bd. II 1 1, S.6l0. 198 Beispiel: Bei sonst unveränderten Arbeitsbedingungen wird ein übertariflicher Lohnaufschlag vereinbart. 199 DtJubler. Tarifvertragsrecht, Rn. 206.
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§ 4 Das Gtlnstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
Gruppe auf die begünstigende Regelung des Vertrages beruft, bezüglich des untertariflichen Teils hingegen auf die zwingende Wirkung der Tarifnorm verweist (Kumulierung der Vorteile). In jüngerer Zeit mehren sich nun Literaturstimmen, die die Lehre vom "Gruppenvergleich" weitestgehend auf dieses Kumulierungsverbot reduzieren wollen2oo oder den "Einzelvergleich" als grundsätzlich vorzugswürdig201 betrachten. Ein "echter" Günstigkeitsvergleich zwischen der vertraglichen und der tariflichen Gruppe, wie ihn die h.M.202 durchführe, sei abzulehnen, weil er die Kompensation untertariflicher durch übertarifliche Arbeitsbedingungen ermögliche und damit die zwingende Wirkung der Kollektivnorm (§ 4 I TVG, § 77 IV Satz 1 BetrVG) in Frage stelle203 , die Schutzfunktion des Tarifvertrages aushöhle und die einzelne Tarifbestimmung zum "Handelsobjekt"204 der Vertragspartner mache. Zudem bestünden unüberwindbar erscheinende Schwierigkeiten, fiir einen solchen "Gruppenvergleich" einen sicheren Günstigkeitsmaßstab zu fmden. 20 .5 Sobald auch nur eine der in Zusammenhang gestellten Arbeitsbedingungen dem Günstigkeitsvergleich mit der entsprechenden tariflichen Einzelbestimmung nicht standhalte, müßten auch die anderen Arbeitsbedingungen dieser Sachgruppe (die "Rosinen") der zwingenden Wirkung der Kollektivnorm zum Opfer fallen. 206 Überhaupt könne ein "Gruppenvergleich" allenfalls dort stattfmden, wo die Kollektivvereinbarung mehrere Einzelregelungen bewußt zu einer Einheit zusammenfasse207 oder wo die eine Einzelregelung ohne die andere "sinnlos bzw. nicht verständlich"208 wäre.
/ Rieble, TVG, § 4 Rn. 201. Belling, Gtlnstigkeitsprinzip, S.181 ff; Linnenkohl / Rauschenberg / Reh, BB 1990, S.629; Firlei, DRdA 1981, S.8 ff; Tech, Gtlnstigkeitsprinzip, S.118 ff; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 206. 202 RAG ARS Bd. 35, S.l1; RAG ARS Bd. 37, S.437; BAG AP Nr.13 zu § 4 TVG Gtlnstigkeitsprinzip; BAG AP Nr.9 zu § 339 BGB; BAG AP Nr.1 zu § 4 TVG Sozialzulagen; LAG Baden-Württemberg, DB 1989, S.2029; LAG Ramm, DB 1958, S.519 f; LAG Kiel, BB 1958, S.449; LAG Mtlnchen, LAGE § 4 TVG Gtlnstigkeitsprinzip Nr.3; Nikisch, Arbeitsrecht Bd. II, S.433 f; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S.359; Wlotzke, Gtlnstigkeitsprinzip, S.86; Hueck / Nipperdey, Lb. Bd. II I 1, S.61O; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rn. 245; Krummei, Geschichte, S.243; Schulze, GÜIlstigkeitsprinzip, S.217. 203 Firlei, DRdA 1981, S.8 ff; Tech, Gtlnstigkeitsprinzip, S.l11. 204 Dtiubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 206. 205 Belling, Gtlnstigkeitsprinzip, S.183. 206 Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 201. 207 Dtiubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 206. 208 HKZZ, TVG, § 4 Rn. 164. 200 Löwisch
201
ill. Der GÜllstigkeitsvergleich
121
(2) Kompensation untertariflicher Arbeitsbedingungen? Die Frage, ob der Gruppenvergleich zu einer "Kompensation" untertariflicher durch übertarifliche Arbeitsbedingungen führt, entspringt einer formalistisch verkürzten Bestimmung dessen, was als "Arbeitsbedingung" anzusehen ist. Denn im Wege der Gruppenbildung wird der Status einer Arbeitsbedingung als "Einzelarbeitsbedingung" aufgehoben und in einen Gruppenstatus überfuhrt. Als Bestandteil eines neuen Ganzen ist die einzelne Arbeitsbedingung in einem rechtlichen Sinne weder über- noch untertariflich. Diese Attribute sind nunmehr allein der Sachgruppe, je nachdem, ob sie im Vergleich zur entsprechenden Gruppe der Kollektivvertrages günstiger oder ungünstiger ist, vorbehalten. Ob und um wieviel die einzelnen Elemente der "Vertragsgruppe" die Elemente der "Kollektivgruppe" über- bzw. unterschreiten, wird erst wieder bedeutsam, wenn beide Gruppen sich im Günstigkeitsvergleich gegenübertreten. Beispiel: Der Arbeitnehmer eines Gaststättensaisonbetriebes vereinbart einen Monatslohn von 1800,- DM und 12 Wochen Urlaub. Nach dem erklärten Willen der Vertragsparteien stehen beide Arbeitsbedingungen in einem unlösbaren inneren Zusammenhang. Setzt nun der einschlägige Tarifvertrag 2200,- DM Lohn und 4 Wochen Urlaub fest, so liegt in der einzelvertraglichen Absprache rechtlich keine untertarifliche Lohnvereinbarung, sondern allenfalls eine untertarifliche "Lohn-Urlaub-Gruppenvereinbarung", soweit man die vertragliche Vereinbarung für ungünstiger hält. Erst zur Bewertung der Günstigkeit dieser "Lohn-Urlaub-Gruppe" erlangen die einzelnen Elemente als Vergleichsgrößen wieder rechtliche Relevanz. Würde im Beispielsfall das vertraglich vereinbarte Lohnelement nicht 1800,- DM, sondern 2150,- DM betragen, so könnte man sicherlich bereits aus dem sehr geringen Maß der Tarifunterschreitung dieses Elements und der erheblichen Tarifüberschreitung des Urlaubselements (Relation der Abweichungen) auf die Günstigkeit der "Vertragsgruppe" schließen. Sobald man also die Notwendigkeit des "Gruppenvergleichs" (und damit der Gruppenbildung) dem Grunde nach anerkennt, ist weder eine Argumentation möglich, die auf eine Verletzung des Unabdingbarkeitsgrundsatzes hinweist (§ 4 I, III TVG)209, noch läßt sich aus dem Umstand, daß ein Vertragsgruppenelement das entsprechende Tarifgruppenelement unterschreitet, eine Konsequenz für die gesamte Sachgruppe ziehen210 . Die Kritik trägt aber auch dann nicht, wenn man ihre Argumente gegen den Gruppenver209
Tech, GÜllstigkeitsprinzip, S.107 ff.
210
So aber Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 201.
122
§ 4 Das Gfinstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
gleich als solchen richtet. So ist die Befürchtung, daß durch eine Gruppenbildung die Schutzfunktion des Tarifvertrages ausgehöhlt werde211 , völlig unbegründet, da der Tarifvertrag weiterhin einen unverrückbaren Mindeststandard vorgibt. Der Unterschied besteht allein darin, daß der nunmehr maßgebliche "Gruppenmindeststandard" nicht als absolute Größe auf einer Intervallskala abgelesen werden kann, sondern einen Rang auf einer Ordinalskala212 einnimmt. Damit ist zwar keine exakte Messung möglich, um wieviel der "Gruppenmindeststandard" über- bzw. unterschritten wurde. Die fiir den Arbeitnehmerschutz allein maßgebliche Feststellung, daß eine Überschreitung der Mindestarbeitsbedingungen vorliegt, wird durch das Erfordernis eines ordinalen Skalenniveaus hingegen nicht berührt.
(3) Der Tarifvertrag als Handelsobjekt? Was nun die Befürchtung betrifft, die Vertragsparteien könnten die Tarifbestimmungen zum ''Handelsobjekt,t].lJ machen, läßt sich hierin nichts Bedrohliches entdecken. Wenn die Besonderheiten des jeweiligen Arbeitsverhältnisses einen solchen "Handel" erlauben oder gar notwendig machen (z.B. im Saisonbetrieb: weniger Lohn für mehr Urlaub), so fmdet das ausgehandelte Ergebnis doch erst dann rechtliche Anerkennung, wenn es den Arbeitnehmer begünstigt. Da durch diese Art von "Handel" der Charakter der Kollektivnorm als Mindestarbeitsbedingung in gleicher Weise gewahrt wird, wie beim isolierten "Aushandeln" übertariflichen Lohnes, ist weder der Schutz der Arbeitnehmer (vor sich selbst214) in Frage gestellt, noch kommt es durch diese Praxis zu irgendeiner Gefährdung der Kollektivmacht. Es gibt somit auch keinen Grund21S , dem Kollektiv die Gruppenbildung vorzubehalten oder die Sachgruppen auf solche Bestimmungen zu beschränken, die als Einzelregelungen für sich unverständlich oder sinnlos wären.
211 Linnenkohl / Rauschenberg / Reh, BB 1990, S.629; Dliubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 206. 212 Auf einer Intervallskala sind die Abstände zwischen zwei Punkten genau meßbar, weil fllr die Untersuchungsobjekte eine konkrete Maßeinheit (z.B. Urlaub =Tage) existiert. Demgegenüber begnügt sich eine Ordinalskala mit der Aufstellung einer Rangordnung (günstiger / ungünstiger) zwischen zwei Untersuchungsobjekten (vgl. Mayntz / Holm / Hubner, Methoden der empirischen Sozialforschung, S.39). 213 Dliubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 206. 214 Klippler, NZA 1991, S.75l. 215 Eine Stärkung des Kollektivs um seiner selbst willen scheidet als Grund aus. Auch beim Schutz der Kollektivmacht geht es letztendlich immer um "die Sicherung und Besserung der wirtschaftlichen Lage der Arbeitnehmer" (BAG, DB 1964, S.411 f).
ill. Der Günstigkeitsvergleich
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(4) Das Fehlen sicherer Maßstäbe Schließlich erscheinen auch die Schwierigkeiten beim Günstigkeitsvergleich nicht unüberwindlich. Es ist zwar zuzugeben, daß durch das Verwiesensein auf ein ordinales Skalenniveau die Erleichterungen einer rein quantitativen "Meßlatte" nicht zur Verfugung stehen, doch ist dies letztendlich unschädlich, da sich im Günstigkeitsvergleich kein reiner Meßvorgang, sondern die Bildung eines Werturteils vollzieht. Daß hier, wie bei jeder anderen Wertung, Zweifelsfälle auftreten können, rechtfertigt nicht den Schluß (Grenzenlosigkeitssophisma), nunmehr sei jede Wertung unmöglich geworden. Das obige Beispiel (Lohn: 2200/2150 DM - Urlaub: 4/ 12 Wochen) hat verdeutlicht, daß bereits die Relation der Abweichungen einen ersten Anhaltspunkt fiir die Günstigkeitsbewertung liefern kann. Häufig wird man jedoch weitere Umstände, die in den persönlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers wurzeln216, zur Urteilsfmdung heranziehen müssen. Sollte auch dann noch nicht eindeutig feststehen, welche Sachgruppe die günstigeren Arbeitsbedingungen enthält, bleibt eine Entscheidung nach Maßgabe der Zweifelsregeln217 möglich. (5) Ergebnis
Im Ergebnis läßt sich festhalten, daß die vorgetragenen Bedenken zu keiner Aufgabe oder ModifIkation des "Gruppenvergleichs" fUhren müssen, da weder Gründe des Arbeitnehmerschutzes noch Belange des Kollektivs eine solche Abkehr nahelegen. Aus den eingangs (vgl. oben a) genannten Gründen ist an der "Lehre vom Gruppenvergleich" festzuhalten. b) Der Gesamtvergleich Abzulehnen ist der sog. "Gesamtvergleich'fl18, er ist mit dem Inhalt des Günstigkeitsprinzips nicht zu vereinbaren. Er unterstellt fälschlicherweise
216 Wer freilich entgegen der h.M. (vgl. S.125 f) jede Berücksichtigung persönlicher Einze1fallumstände ablehnt (so etwa DtJubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 201), muß erhebliche Schwierigkeiten bei der Urteilsfmdung in Kauf nehmen, weil sich der Vergleich zweier Sachgruppen häufig einer generell-abstrakten Bewertung entzieht. 217 Vgl. unten S.130 f. 218 Die Lehre vom "Gesamtvergleich" wird heute - soweit ersichtlich - nur noch von Heinze (NZA 1991, S.335) vertreten. Ehemals darm ArbG Bremen AP 50, Nr.293; LAG München AP 50 Nr.275. Wenn die Rspr. auch den "Gruppenvergleich" gelegentlich unter dem Begriff "Gesamtvergleich" anspricht (vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 4 TVG Sozialzulagen), so geht diese leicht mißverständliche Terminologie wohl auf Nipperdey zurück, der auch den "Grup-
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§ 4 Das GÜßstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
einen untrennbaren Zusammenhang zwischen allen Arbeitsbedingungen219 und kommt zu der nicht akzeptablen Forderung, daß nur der Tarifvertrag (Betriebsvereinbarung) oder der insgesamt günstigere Einzelarbeitsvertrag den Inhalt des Arbeitsverhältnisses bestimmen sollte. Wird beispielsweise ein abwanderungswilliger Arbeitnehmer bei ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen allein durch die Vereinbarung eines übertariflichen Lohnaufschlages zum Bleiben veranlaßt, so ist diese Absprache völlig unabhängig von den sonstigen Vertragsbedingungen und kann damit isoliert auf ihre Günstigkeit im Vergleich zum Tariflohn geprüft werden. Es wäre nicht erklärbar, warum dieser individuell vereinbarte Lohn erst dann als wirksame Abweichung (§ 4 III TVG) vom Tariflohn anerkannt werden dürfte, wenn er gemeinsam mit den übrigen einzelvertraglichen Absprachen (die 20 Jahre zurückliegen können) eine gegenüber dem Tarifvertrag günstigere Gesamtregelung bildet. 3. Bewertungsmaßstab und berücksichtigungstähige Umstände
Die weitaus größten Schwierigkeiten im Günstigkeitsvergleich macht die sachgerechte DurchfUhrung des konkreten Bewertungsvorgangs. Die hierbei auftretenden Probleme lassen sich zwei Ebenen zuordnen. a) Der Maßstab Auf einer ersten Ebene geht es um die grundsätzliche Frage, ob der subjektive Wille des jeweils betroffenen Arbeitnehmers ("subjektiv-realer Maßstab"220) oder eine verobjektivierte Sichtweise ("objektiv-hypothetischer Maßstab"221) für die Bewertung der Günstigkeit heranzuziehen ist. Nach ganz überwiegender und zutreffender Ansicht222 ist ein objektiv-hypothetischer Maßstab vorzugswürdig. Wollte man den realen Willen des einzelnen Arbeitnehmers über die Günstigkeit entscheiden lassen, so könnte er penvergleich" als einen auf zusammenhängende Regelungen begrenzten "Gesamtvergleich" bezeichnet hatte (Hueck / Nipperdey, Lb. Bd. II, 6.Aufl., 8.433). 219 Heinze, NZA 1991,8.335. 220 Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rn. 240. 221 Wie vorstehende Fn. 222 Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. II, 8.432; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, 8.358; Hueck / Nipperdey, Lb. Bd. II / 1, 8.609; Richardi, Kollektivgewalt, 8.380; W1otzke, GÜßstigkeitsprinzip, 8.79; Etzel, NZA 1987, Beil. 1, 8.24; Belling, GÜßstigkeitsprinzip, 8.175; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rn. 240; GK-Kreutz, BetrVG, § 77 Rn. 210. Kritisch: Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 203; ablehnend: Heinze, NZA 1991,8.333.
III. Der Günstigkeitsvergleich
125
Verträge unterhalb jedes Mindeststandards mit der Behauptung schließen, mögen auch alle anderen zu einem entgegengesetzten Urteil kommen, er selbst halte seinen Vertrag jedenfalls für "äußerst günstig". Diese etwas zugespitzte Formulierung verdeutlicht, daß es keine rechtliche Bewertung der Günstigkeit mehr gäbe, sondern nur noch subjektive, nicht überprüfbare Behauptungen. Eine solche Konsequenz wäre aber mit dem Wesen des GÜßstigkeitsprinzips unvereinbar. Das Günstigkeitsprinzip ist kein Hilfsmittel zur Realisierung subjektiver Vorstellungen oder Begehrlichkeiten. Es ist vielmehr ein Gerechtigkeitsprinzip, das die Regelungszuständigkeiten im kollektiven Arbeitsrecht verteilt, indem es das verfassungsrechtlich angelegte Spannungsfeld von Privat- und Gruppenautonomie nach den Grundsätzen des Subsidiaritätsprinzips strukturiert. Wenn nach diesen Grundsätzen die Kompetenz zur autonomen Regelung an die kleinere Einheit zurückfallen soll, dann ist es unverzichtbar, daß die abweichende Vereinbarung von einem objektiven Standpunkt aus daraufhin überprüfbar bleibt, ob sie den rechtlichen Anforderungen dieser Grundsätze genügt. Hinzu kommt, daß ein subjektiv-realer Maßstab zu ganz erheblicher Rechtsunsicherheit223 führen müßte, da sich die persönlichen Anschauungen tagtäglich ändern können und niemand genau wüßte, welchen Inhalt das Arbeitsverhältnis gerade hätte. Zur Beurteilung der Günstigkeit ist somit von einem verobjektivierten Standpunkt aus zu fragen, wie ein verständiger Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Anschauungen seines Berufsstandes die konkurrierenden Regelungen einschätzen würde. 224 b) Berücksichtigungsfähige Umstände Sehr umstritten ist die nunmehr auf der zweiten Ebene zu stellende Frage, welche Umstände in die Beurteilung der Günstigkeit einbezogen werden dürfen.
(1) Persönliche Einzeljallumstände Uneinigkeit besteht bereits darüber, ob die persönlichen Umstände des konkret betroffenen Arbeitnehmers im Günstigkeitsvergleich zu berücksichtigen sind. 225 An einer Beachtung gerade der individuellen Umstände führt 223 Etzel,
NZA 1987, Beil.!, 8.24. Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rn. 240. 225 Dafür die h.M.: LAG München, LAGE § 4 TVG Günstigkeitsprinzip Nr.3; B8G, FamRZ, 1990,8.739; Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. II, 8.435 f; Wlotzke, Günstigkeitsprinzip, S.98; Heinze, NZA 1991, S.333 ff; Löwisch, NZA 1989, S.960; Etzel, NZA 1987, Beil.1, S.24; Schnorr von Carolsfeld, Nürnberger Abhandlungen zu den Wirtschaftsund Sozialwissenschaften 1961, S.154; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rn. 240; 224
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§ 4 Das GOnstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
jedoch kein Weg vorbei, sobald man den Zweck des Günstigkeitsprinzips, gerechte Arbeitsbedingungen (i.S. des suum cuique) nach dem Prinzip der Freiheit zu ermöglichen, zugrunde legt. Denn mit diesem Zweck ließe sich schwerlich vereinbaren, wenn zur Beurteilung der abweichenden Regelung von den Besonderheiten der konkret betroffenen Vertragsparteien völlig abstrahiert würde. So hängt beispielsweise die Günstigkeit einer längeren oder kürzeren Kündigungsfrist wesentlich von Alter, QualifIkation und Beruf des jeweiligen Arbeitnehmers ab. 226 Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob der am Arbeitsmarkt begehrte, hochqualifIzierte junge Facharbeiter eine tarifliche Kündigungsfrist vertraglich verkürzt, um seinen Arbeitsplatz gegebenenfalls rascher wechseln zu können, oder ob einem Langzeitarbeitslosen bei der Einstellung eine solche Verkürzung "abgehandelt" wird. Diese Einbeziehung der persönlichen Umstände fuhrt im Ergebnis dazu, daß eine von der Kollektivnorm abweichende Vereinbarung, die fiir den einen Arbeitnehmer günstig ist, für einen anderen durchaus ungünstig sein kann. 227 Zur Gewinnung eines angemessenen Urteils wird demzufolge häufIg die konkrete Einzeljallbetrachtung unverzichtbar sein. (2) Der Arbeitsplatz Unmittelbar an die Entscheidung für eine konkrete Einzelfallbetrachtung ist das Problem gekoppelt, ob wirklich alle relevanten Umsttinde des jeweiligen Einzelfalls bei der Wertung zu berücksichtigen sind. Beispiel: Eine BaufIrma stellt im Geltungsbereich eines filr allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages einen Schweißer ein. Da dieser Schweißer, ein langzeitarbeitsloser, mit den neuen Schweißtechniken noch nicht vertraut ist, kommt es nur deshalb zum Vertragsschluß, weil man sich filr eine Einarbeitungszeit von 6 Monaten auf 75% des Tariflohnes einigt. Der langzeitarbeitslose Schweißer sieht in dem vorübergehend niedrigeren Lohn eine nach § 4 III TVG begünstigende Abweichung vom Tarifvertrag, weil er den Arbeitsplatz anderenfalls nicht bekommen hätte.
Es ist anzunehmen, daß auch ein "verständiger Arbeitnehmer" sich diesem "Arbeitsplatzargument" nicht verschließen wird. Angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls, scheint der geringere Lohn den arbeitslosen Löwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 205; Firlei, DRdA 1981, S.13; Krummei, Geschichte, S.243; Schulze, Günstigkeitsprinzip, S.209; in diesem Sinne bereits: Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S.263; Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht, S.14. Dagegen: Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 201. 226 LAG München, LAGE § 4 TVG GOnstigkeitsprinzip Nr.3. 227 Etzel, NZA 1987, Beil.l, S.24.
III. Der GUnstigkeitsvergleich
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Schweißer ausnahmsweise tatsächlich zu "begünstigen". Hiergegen läßt sich nicht vorbringen, daß die tarifliche Regelung nur mit der abweichenden vertraglichen Regelung und nicht "mit der sonst bestehenden Situation des Arbeitnehmers"228 zu vergleichen sei. Ein solcher Einwand verkennt, daß dieser Regelungsvergleich (zwei Lohnvereinbarungen werden verglichen229) durchaus stattfmdet. Es geht vielmehr um die Frage, ob ein im Verhältnis zum Tariflohn quantitativ geringerer Vertragslohn eine begünstigende Qualität erlangen kann, wenn außergewöhnliche Einzelfallumstände eine solche Wertung nahelegen. An dieser Stelle ist nachdrücklich daran zu erinnern, daß es keine logische Verbindung von der Quantität zur Qualität gibt. Es wäre ein Kategorienfehler, allein aus der Tatsache "weniger Lohn" die Wertung "ungünstiger" abzuleiten. Die bloße Gegenüberstellung zweier Zahlen ist für sich ohne jede Aussagekraft Man muß zuvor begründet haben, warum in diesem Fall (Lohn) die größere Zahl, in einem anderen Fall (Arbeitszeit) gegebenenfalls die kleinere Zahl eher für eine Begünstigung spricht. Wenn nun die Behauptung, daß weniger Lohn ungünstiger sei, grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird und uns folglich auch nicht weiter begründungs bedürftig erscheint, so weist dies zwar auf einen tief verwurzelten soziokulturellen Konsens bezüglich dieser Wertung hin, darf aber in der juristischen Deduktion nicht zu einer Vermischung der analytisch trennungsbedürftigen Ebenen von "Sein" und "Wertung" führen. Es ist somit keineswegs von vornherein entschieden, daß die übliche Wertungsbegründung, "im Vergleich zweier Lohnsummen ist die geringere Summe ungünstiger, weil weniger Lohn einen Verzicht auf allgemein angestrebte Ziele wie Konsum, Wohlstandsmehrung etc. bedeutet", nicht eine Modifikation durch das Argument erfahren könnte, "die geringere Summe ist jedoch dann günstiger, wenn sie das einzige Mittel zur Erlangung oder zum Erhalt eines Arbeitsplatzes ist." Warum sollte der Konsumverzicht schwerer wiegen als der Arbeitsplatz?230
261lner / Loritz. Arbeitsrecht, S.358. Es geht auch nicht um das Problem, ob ein zulässiger "Sachgruppenvergleich" stattfindet (so etwa Mayer. Absprachen, S.174 fl). Der Arbeitsplatz ist keine vertragliche "Regelung", die gemeinsam mit dem Lohn eine Sachgruppe bilden könnte. 230 Ein eindrucksvolles Beispiel für die Rangordnung der Argumente "Konsum- / Wohlstandsverzicht" und "Arbeitsplatz" haben jUngst (Dezember 92) die Angestellten der französischen Bank Bordelaise de CIC geliefert. Hier haben sich 93% des Personals mit Lohnkürzungen einverstanden erklärt, um den Abbau von 40 Arbeitsplätzen zu verhindern (vgl. FAZ v. 13.4.1993, S.14). Ein ähnlich eindeutiges Votum zugunsten des Arbeitsplatzes kann einer im Herbst 1993 in Deutschland durchgefilhrten ErnnidUmfrage entnommen werden. Danach würden 73% der Deutschen unter Tarif arbeiten, wenn sie damit Arbeitslosigkeit vermeiden könnten (vgl. F AZ v. 8. 11. 1993, S.17). 228
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§ 4 Das GOnstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
Es bleibt also bei der Frage, ob alle relevanten Umstände des Einzelfalls und damit auch der Arbeitsplatz bei der Urteilsbildung im Günstigkeitsvergleich berücksichtigt werden dürfen. Im Ergebnis muß diese Frage in Übereinstimmung mit der h.M.231 wohl doch verneint werden. Würde man das Arbeitsplatzargument zulassen, so gäbe es keine kollektiven Mindestnormen mehr. Jede nominal untertarifliche Lohnvereinbarung ließe sich mit der kaum aberprüjbaren Behauptung rechtfertigen, andernfalls käme eine Anstellung nicht in Betracht. Zudem wäre jeder Arbeitgeber der Versuchung ausgesetzt, seine Arbeitnehmer vor die Wahl zu stellen, entweder Lohnverzicht zu akzeptieren oder den Arbeitsplatz zu verlieren. Eine solche Praxis würde den Zweck kollektiver Normsetzung, dem Arbeitnehmer Mindestarbeitsbedingungen zu sichern, nachhaltig in Frage stellen und damit letztendlich den Schutz der Tarifautonomie (Gruppenautonomie) teilweise aufheben. In der Zurückweisung des Arbeitsplatzarguments konkretisiert sich in der bislang wohl deutlichsten Weise die schon mehrfach angesprochene232 , im Günstigkeitsprinzip selbst angelegte Begrenzung, daß seine Anwendung grundsätzlich nicht zu einer Aushöhlung der Kollektivmacht führen darf. 233
(3) Die Betriebsexistenz Wenn nun die Aufrechterhaltung der Schutzfunktion kollektiver Normsetzung das maßgebliche Argument bildet, um den hohen Wert "Arbeitsplatz" als berücksichtigungsfahigen Umstand aus dem Günstigkeitsvergleich auszuschließen, so ist damit zugleich gesagt, daß die Begrenzung des Günstigkeitsprinzips dort enden muß, wo eine Gefahrdung dieser Schutzfunktion unter keinen Umständen zu befürchten ist. Zumindest der drohende Konkurs eines Unternehmens erfüllt diese Voraussetzungen. 234 Verzichten die Arbeitnehmer freiwillig (einzelvertraglich oder durch Betriebsvereinbarung23S ) auf einen Teil des Einkommens, um die Existenz ihres Betriebes zu retten, so ist diese nominal (quantitativ) untertarifliche Lohnsumme für die Betroffenen qualitativ dennoch begünstigend, weil sie zur Rettung ihrer Arbeitsplätze 231 Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. II, S.430; Zöllner I Loritz, Arbeitsrecht, S.358; Hueck I Nipperdey, Lb. Bd. II / 1, S.607 f; Belling, GOnstigkeitsprinzip, S.170 f; Klipp/er, NZA 1991, S. 751; Wiedemann I Stumpf, TVG, § 4 Rn. 238; Dliub/er, Tarifvertragsrecht, Rn. 194. 232 Vgl. oben S.91. 233 Die Funktionsilihigkeit der Tarifautonomie rücken insbesondere auch Nikisch (Arbeitsrecht Bd.II, S.431) und Wiedemann I Stumpf (TVG, § 4 Rn. 238) zur Ablehnung des Arbeitsplatzarguments in den Vordergrund. 234 Offenbleiben muß an dieser Stelle die Frage, ob sich gegebenenfalls weitere Fallgruppen bilden lassen, die eine Mißbrauchsgefahr ausschließen. 235 Zum Lohnverzicht durch Betriebsvereinbarung vgl. unten S.13l ff.
III. Der Günstigkeitsvergleich
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führt. 236 Die Schutzfunktion des Kollektivs wird durch die Zulassung des Arbeitsplatzarguments in diesen Fällen nicht gefährdet, da die Feststellung eines drohenden Konkurses mit ausreichender Sicherheit möglich sein dürfte und ein unkontrollierbares Unterlaufen des kollektiven Mindeststandards damit ausgeschlossen ist. Im übrigen wird wohl niemand ernsthaft befurchten, die Unternehmen ließen sich nunmehr reihenweise vorsätzlich in den Konkurs treiben, um ihre Arbeitnehmer zum Lohnverzicht zu bewegen. 4. Besonderheiten im Verhältnis von Betriebsvereinbanmg und Tarifvertrag
a) Der Bezugspunkt bei Betriebsnormen
(1) Enthalten zwei kollektive Ordnungen (Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung) Betriebsnormen, so bleibt das Günstigkeitsprinzip, anders als im Verhältnis von Kollektivnorm und Individualvereinbarung, grundsätzlich anwendbar. 237 Entsprechend dem besonderen Charakter der Betriebsnormen ergibt sich jedoch eine Modifikation im konkreten GÜnstigkeitsvergleich. Ihre notwendig einheitliche Geltung führt dazu, daß nicht mehr der einzelne Arbeitnehmer238 , sondern nur noch das betroffene Kollektiv selbst als maßgeblicher Bezugspunkt im Günstigkeitsvergleich angesehen werden kann. 239 Es kommt folglich nicht darauf an, ob jeder einzelne Arbeitnehmer in seiner individuell-konkreten Situation durch die vom Tarifvertrag abweichende Betriebsvereinbarung begünstigt wird, sondern ob eine Änderung zugunsten der Belegschaft festgestellt werden kann. 24o (2) Das heißt aber nicht, die Belange der einzelnen Arbeitnehmer wären nunmehr irrelevant. Denn von einer sachgerechteren Regelung für eine Gemeinschaft kann nicht schon deshalb gesprochen werden, weil sie im Vergleich zur Alternativregelung deren Mehrheit einen größeren Nutzen bringt, also das "größtmögliche Glück fur die größtmögliche Anzahl" (Jeremy Bentham) zu verwirklichen verspricht und dabei die berechtigten Interessen der Minderheit vollkommen außer acht läßt. Die Begünstigung der Belegschaft ist etwas anderes, als nur die Begünstigung der Belegschaftsmehrheit. 236 Ebenso im Ergebnis: Albeck / Barbier / Fels / Loritz / Rüthers / Watrin / Sievert, "Den Platz im Korridor suchen", FAZ v. 5. 6. 1993, S.13; Adomeit, Das Arbeitsrecht und unsere wirtschaftliche Zukunft, S.lS; Mayer, Absprachen, S.183. 237 Vgl. oben S.79 ffund S.98 f. 238 Vgl. S.1l6. 239 Wlotzke, Günstigkeitsprinzip, S.l71; Läwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 191; Fimhaber, Günstigkeitsprinzip, S.43;HKZZ, TVG, § 4 Rn. 162. 240 Vgl. S.98 f(mit Beispiel). 9 Th. B. Schmidt
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§ 4 Das Günstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
Ob eine Begünstigung der Belegschaft vorliegt, ist deshalb aus der Perspektive eines "verständigen Arbeitnehmers", der angesichts der konkreten Situation des Betriebes neben den gemeinsamen Interessen aller Belegschaftsmitglieder auch die Interessen der einzelnen Arbeitnehmer berücksichtigt, zu ermitteln. Um hierbei einen angemessenen Ausgleich von Einzel- und Gemeinschaftsinteresse sicherzustellen, ist der "verständige Arbeitnehmer" in einem Gedankenexperiment mit dem Sch/eier des Nichtwissens 241 zu umgeben und danach zu fragen, welche Regelung (Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung) er vorziehen würde, wenn ihm erst nach seiner Wahl die konkrete persönliche und wirtschaftliche Position (Arbeitsplatz) irgendeines im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmers zuge/ost würde. b) Die Zweifelsregel (1) Läßt sich bei der Durchfuhrung des konkreten Günstigkeitsvergleichs nicht eindeutig feststellen, welche der Regelungen die dem Arbeitnehmer günstigeren Arbeitsbedingungen enthält, so soll es im Zweifel bei der normativen Wirkung der Kollektivnorm bleiben ("Zweifels- oder Unklarheitsregel").242 Zur Begründung dieser Regel wird auf die besondere Schutzfunktion243 der Kollektivnorm als Mindestarbeitsbedingung verwiesen. Zu verhindern, daß der Arbeitnehmer hinter die Mindestgewährleistungen der Kollektivvereinbarung zurückgedrängt werde, sei gerade der Sinn der Unabdingbarkeit kollektiver Normen. Bestehe keine Gewißheit, daß die Abweichung den Arbeitnehmer tatsächlich begünstige, so dürfe diese Unabdingbarkeit nicht preisgegeben werden, und es müsse konsequenterweise bei den kollektiv ausgehandelten Arbeitsbedingungen bleiben. 244 241 Das Gedankenexperiment entspricht methodisch einem Vorschlag, den John RawJs im Kontext seiner Theorie der Gerechtigkeit als Faimeß entwickelt hat (Eine Theorie der Gerechtigkeit, S.159 fl). 242 BAG AP Nr.13 zu § 4 TVG Günstigkeitsprinzip; BAG AP Nr.l zu § 4 TVG Sozialzulagen; Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. TI, S.437; Hueck / Nipperdey, Lb. TI / 1, S.613; Wlotzke, Günstigkeitsprinzip, S.102; EtzeJ, NZA 1987, Beil. 1, S.24; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 204 VI. 2. d.; Wiedemann / Stumpf, TVG, § 4 Rn. 251; HKZZ, TVG, § 4 Rn. 166; DtJubler, DB 1989, S.2537. A.A.: Joost, ZfA 1984, S.183; Heinze, NZA 1991, S.333; v. Hoyningen-Huene/Meier-Krenz, ZfA 1988, S.313. Historisch ist die Zweifelsregel das Produkt eines kollektiv bezogenen Günstigkeitsvergleichs (vgl. S.116). Inuner dann, wenn Zweifel darüber bestünden, ob die Abweichung vom Tarifvertrag die Arbeitnehmer begünstige, dann sollte "die Regelung des Tarifvertrages, weil dem maßgebenden Kollektivinteresse der Arbeitnehmerschaft entsprungen, als die günstigere angesehen werden" (Erdei, SchliW 1926, S. 83). 243 Wlotzke, Günstigkeitsprinzip, S.103;Hueck/Nipperdey, Lb. TI/I, S.613. 244 Wlotzke, a.a.O.
IV. Die existenzsichemde Betriebsvereinbarung
131
(2) Die vorgetragenen Argumente überzeugen, soweit das Verhältnis zwischen Einzelarbeitsvertrag und Kollektivnorm in Rede steht. Läßt sich nicht eindeutig belegen, daß der Mindeststandard in Richtung höherer Vertragsgerechtigkeit überschritten wurde, so scheint es durchaus vertretbar, den Satz "voluntas stat pro ratione" aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers außer Kraft zu lassen. Seine real vorhandene Schwäche, gerechte Arbeitsbedingungen allein auszuhandeln, legitimiert auch in Zweifelsfällen die Vermutung, daß der Arbeitnehmer sich durch die abweichende Vereinbarung hat hinter den Mindeststandard zurückdrängen lassen, es also an den Voraussetzungen einer autonomen Entscheidung fehlte. (3) Ganz anders liegen die Dinge hingegen beim Zusammentreffen von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung. Hier ist es der Betriebsrat, der dem Arbeitgeber entgegentritt, und es müßte erst bewiesen werden, daß auch dieser grundsätzlich unterlegen ist. Dies wird zwar behauptet, richtig ist aber eher das Gegenteil. Das BetrVG hat den Betriebsrat zu einem potentiell gleichstarken Verhandlungspartner gemacht, auf dessen Mitarbeit (Zustimmung) der Arbeitgeber in vielen täglichen Angelegenheiten (z.B. bei Einstellung, Versetzung, Überstunden etc.) angewiesen ist. 245 Hinzu kommt, daß die Mitglieder des Betriebsrates individuell durch § 15 I KSchG mit einem besonderen Kündigungsschutz ausgestattet sind. Der Betriebsrat muß also weniger den Arbeitgeber, als vielmehr die Belegschaft fürchten, von der er schließlich wiedergewählt werden möchte. Es ist demzufolge sehr unwahrscheinlich, daß der Betriebsrat Betriebsvereinbarungen abschließen wird, die der Belegschaft nachteilig sind. Angesichts dieser im Vergleich zum Arbeitnehmer weitaus gleichwertigeren Ausgangslage des Betriebsrates, wegen seiner größeren Sachnähe und aufgrund des demokratischen Elements der Betriebsverfassung muß die Zweifelsregel für das Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung eine Vermutung für die Günstigkeit der Betriebsvereinbarung aufstellen. 246 Bei "Günstigkeitszweifeln" setzt sich folglich die Betriebsvereinbarung gegen den Tarifvertrag durch.
IV. Die existenzsichernde Betriebsvereinbarung Ein zur Rettung des Betriebes (sprich: der Arbeitsplätze) zulässiger247 Lohnverzicht kann nicht nur individualvertraglich, sondern ebenso durch den 245 Zu der Macht des "Kuhhandels" (Kopplungsgeschäfte des Betriebsrates), vgl. Eich, ZFA 1988, S.93 ff. 246 Reuter (RdA 1991, S.202) spricht der Betriebsvereinbarung sogar generell eine "Vennutung der Richtigkeit" zu, "die die des ... Tarifvertrages deutlich übertrifft." 247 Zur Begünstigung durch Lohnverzicht vgl. oben S.126 ff.
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§ 4 Das Günstigkeitsprinzip als Kollisionsregel
Abschluß einer existenzsichernden Betriebsvereinbarung geübt werden. Eine solche existenzsichernde Betriebsvereinbarung ist grundsätzlich auch im Geltungsbereich einer tarifliche Lohnregelung möglich, da sie durch den Erhalt der Arbeitsplätze zugunsten der Arbeitnehmer vom Tarifvertrag abweicht. 248 Unabdingbare Voraussetzung einer existenzsichernden Betriebsvereinbarung ist jedoch, daß sie einheitlich gegenüber allen Arbeitnehmern des Betriebes gilt. Denn in der sozialen Wirklichkeit ließe sich kein kollektiv beschlossener Lohnverzicht durchhalten, der nicht alle Betriebsangehörige trifft. Einigen sich beispielsweise Arbeitgeber und Betriebsrat ("in den Grenzen von Recht und Billigkeit"249) auf eine gleichmäßige Lohnkürzung von 10 % für alle Betriebsangehörigen, so liefe die Belegschaft wohl jedes Betriebes "Sturm", sobald bekannt würde, daß einzelne Arbeitnehmer -letztendlich auf Kosten der übrigen Belegschaft - weiterhin ihren alten Lohn beziehen, weil sie einzelvertraglich von der Kürzung freigestellt worden sind. Die existenzsichernde Betriebsvereinbarung ist ein Akt der Solidarität250 , den die Arbeitnehmer zur Rettung ihres Betriebes erbringen, und als solcher verträgt er keine Ausnahmen. Marie Luise Hilger hat diesen Gedanken folgendermaßen formuliert: "Der einzelne ist verpflichtet, Zugeständnisse zu machen, wenn Aussicht besteht, daß dadurch das Unternehmen als Lebensgrundlage für viele über eine Krisenzeit hinweg erhalten bleibt; es ist hier nicht so sehr von der Betriebsgemeinschaft die Rede als Gemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Belegschaft, ... sondern vor allem von der Solidaritlit der Arbeitnehmer ... untereinander. ,,251
Das in der außergewöhnlichen Situation einer betrieblichen Existenzkrise jedem zumutbare Maß an Solidarität läßt es im Interesse dieser notwendigen Einheitlichkeit gerechtfertigt erscheinen, die Regelungen einer existenzsichernden Betriebsvereinbarung auf betrieblicher Ebene wie Betriebsnormen zu behandeln. Infolge dieser Einordnung252 ist es dem einzelnen Arbeitnehmer verwehrt, sich gegenüber einer existenzsichernden Betriebsvereinbarung auf eine zusdtzliche - die Begünstigung der existenzsichernden Betriebsvereinbarung wird ihm als Arbeitnehmer des geretteten Betriebes ohnehin zuteil 248 Zur Zulässigkeit begünstigender Betriebsvereinbarungen trotz § 77 III BetrVG vgl. oben S.106 ff. 249 BAG (GS), DB 1990, S.1725. 250 Zum Begriff der "Solidarität" als Rechtsbegriff vgl. insbesondere Gamillscheg, in: FS für Fechner, S.135 ff; dagegen: Pfarr / Kittner, RdA 1974, S.294 f. 251 Bi/ger, Das betriebliche Ruhegeld, S.263. 252 Zum Ausschluß des Günstigkeitsprinzips im Verhältnis von Betriebsnorm und einzelvertraglicher Absprache vgl. S.79 ff.
IV. Die existenzsichemde Betriebsvereinbarung
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- individualvertraglich vereinbarte "Begünstigung" (völlige oder teilweise Freistellung) zu berufen. Sinn und Zweck des GÜDStigkeitsprinzips253 stützen dieses Ergebnis. Es wäre kaum begründbar, warum eine Absprache, die sich nur auf Kosten der übrigen Belegschaftsmitglieder umsetzen läßt (ohne deren Lohnverzicht gibt es keine Betriebsrettung und damit auch keinen ungekürzten Lohn), als die Vereinbarung gerechterer Arbeitsbedingungen angesehen werden kann, die in der kleineren Einheit nach dem "Prinzip der Freiheit"254 getroffen wird.
253
254
Vgl. hierzu S.67 ff. Vgl. S.70 ff.
§ 5 Günstigkeitsprinzip und Arbeitszeit L Problemstellung
Im Mittelpunkt der Tarifauseinandersetzungen des Jahres 1984 stand die Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Im Gefolge des von den Gewerkschaften erkämpften Einstiegs in die 35-Stunden-Woche wurde auch die arbeitsrechtliche Diskussion im Problemfeld "GÜDstigkeitsprinzip und Arbeitszeit" neu l belebt. Einen zentralen Punkt dieser Diskussion bildet die schlichte Frage, ob es rechtlich zulässig ist, einem Arbeitnehmer durch Einzelarbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung zu ermöglichen, länger als tariflich festgesetzt zu arbeiten, wenn und soweit er dadurch mehr Einkommen erzielt. Beispiele: (1) Der einschlägige Tarifvertrag schreibt eine individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden vor und gestattet jedem Arbeitnehmer maximal 3 Überstunden bei 10% Lohnaufschlag pro Monat. Ist es rechtlich zulässig, daß ein Arbeitnehmer einzelvertraglich eine individuelle regelmäßige Arbeitszeit von wöchentlich 38 Stunden vereinbart oder sich zu 5 Überstunden bei 20% Lohnaufschlag bereit erklärt?
(2) Der Manteltarifvertrag legt ein durchschnittliches betriebliches Arbeitszeitvolumen von wöchentlich 38 Stunden fest (= die Arbeitszeit im Durchschnitt aller vollbeschäftigten Arbeitnehmer des Betriebes2). Können Arbeitgeber und Betriebsrat das betriebliche Arbeitszeitvolumen gegebenenfalls auf 40 Stunden erhöhen, indem sie eine Betriebsvereinbarung schließen, die es jedem Arbeitnehmer bei entsprechender Mehrvergütung gestattet, freiwillig bis zu 40 Stunden wöchentlich zu arbeiten?
Die wohl h.M.3 bejaht die Möglichkeit einer wirksamen Abweichung vom Tarifvertrag. Durch die längere Arbeitszeit werde dem Arbeitnehmer ein hö1 Zur Weimarer Diskussion vgl.: Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht, S.14; Hueck, Das Recht des Tarifvertrages, S.120 f; ders., Das Tarifrecht, S.61 f. 2 Richardi, ZfA 1990, S.214. 3 Z6/lner, Gutachten filr den 52. DJT, 1978, Teil D, S.43; ders., DB 1989, S.2121; Z6/lner / Loritz, Arbeitsrecht, S.360; Buchner, DB 1989, S.2029; ders., RdA 1990, S.8 tT; Reuter, RdA 1991, S.202; Heinze, NZA 1991, S.336; Joost, ZfA 1984, S.173 tT; Schnorr von Carolsfeld, Nürnberger Abhandlungen zu den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 1961, S.154; v. Hoyningen-Huene, NZA 1985, S.14; v. Hoyningen-Huene / Meier-Krenz, ZfA 1988, S.313; Neumann, NZA 1990, S.966; Bengelsdoif, ZfA 1990,
II. Tarifmacht filr Arbeitszeitregelungen
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herer Verdienst ermöglicht, so daß eine begünstigende Absprache vorliege, die gem. § 4 III TVG zulässig sei. 4 Hiergegen werden von zwei Seiten Einwände erhoben. Vereinzelt wird der Rückgriff auf das Günstigkeitsprinzip fiir überflüssig und unzulässig erachtet, weil Art und Umfang der zugesagten Tätigkeit als Kern des rechtsgeschäftlichen Leistungsversprechens der Kollektivregelung vorgegeben seien und den Tarifpartnern somit bereits die Kompetenz fehle, den zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung abschließend zu regeln. 5 Nach anderer Ansichfi ist das Günstigkeitsprinzip zwar anwendbar, jedoch fiihre die h.M. einen unzulässigen Günstigkeitsvergleich durch. Lohn und Arbeitszeit stünden in keinem objektiven Sachzusammenhang7 und dürften demzufolge nicht im Wege des Gruppenvergleichs gegeneinander aufgerechnet werden. 8 Vielmehr fande zwischen den unterschiedlichen Arbeitszeiten ein isolierter Einzelvergleich statt, in welchem mehr Stunden gleichbedeutend mit "ungünstiger" seien, weil mit einer längeren Arbeitszeit immer ein Verlust an Freizeit einherginge. 9 Das Ergebnis der h.M. bewirke zudem, daß den Tarifvertragsparteien in einem zentralen Bereich der Tarifautonomie (Arbeitszeit) die Möglichkeit genommen werde, verbindliche Mindestnormen zu setzen. lO
n. Tarifmacht f"ür Arbeitszeitregelungen Die grundsätzliche Kompetenz der Tarifpartner, auch den Umfang der individuellen Arbeitszeit abschließend verbindlich zu regeln, sollte nicht in Frage gestellt werden 11 , da ein handgreifliches Schutzbedürfiris der Arbeitnehmer gerade in diesem Bereich besteht. Die geschichtliche Realität eines S.581; Mayer, Absprachen, S.118; Weismann, Spannungsfe1d, S.259; Krummel, Geschichte, S.251; Heisig, Arbeitsentgelt- und Arbeitszeitregelungen, S.367 f. 4 Z6llner, DB 1989, S.2121 ff;Joost, ZfA 1984, S.173 ff. 5 Richardi, DB 1990, S.1618; ders., ZfA 1990, S.232 und S.241; Boemke, NZA 1993, S.535. 6 LAG Baden-Württemberg, DB 1989, S.2028 f; Belling, Günstigkeitsprinzip, S.183; Linnenkohl / Rauschenberg / Reh, BB 1990, S.630; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, S.1528; Ddubler, DB 1989, S.2534 ff; ders., Tarifvertragsrecht, Rn. 218; HKZZ, TVG, § 4 Rn. 166a. 7 LAG Baden-Württemberg, DB 1989, S.2028 f. 8 Linnenkohl / Rauschenberg / Reh, BB 1990, S.630. 9 Ddubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 218. 10 Ddubler, a.a.O; ders., DB 1989, S.2538. 11 Vgl. Richardi, DB 1990, S.1618; ders., ZfA 1990, S.241.
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§ 5 Günstigkeitsprinzip und Arbeitszeit
16 - 18 Stunden-Arbeitstages 12 bezeugt, daß in der sozialen Wirklichkeit auch der Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung nicht völlig dem "freien" Willen der Parteien anvertraut werden darf. Selbstverständlich ist es die alleinige Entscheidung eines jeden Arbeitnehmers, einer Voll- oder Teilzeitbeschäftigung nachzugehen, doch muß es zumindest im Interesse eines notwendigen Gesundheitsschutzes möglich sein, den Vertragsparteien, je nach Art der Tätigkeit (Akkordarbeit; schwere körperliche Arbeit; Tätigkeiten mit hohen Gesundheitsrisiken etc.) oder nach Schutzbedürftigkeit des Beschäftigten (Jugendlicher; Schwangere; Behinderter etc.), verbindlich vorzugeben, welchen stundenmäßigen Umfang eine Vollzeitbeschäftigung nicht überschreiten darf. Die Tatsache, daß der Gesetzgeber eine große Zahl von Arbeitszeitregelungen (§ 3 AZO; § 8 MutterschutzG; § 8 JugendarbeitsschutzG etc.) selbst geschaffen hat, bestätigt diese Einschätzung. Zwar ließe sich nunmehr fragen, ob die Tarifpartner infolge dieser Gesetzgebung einen Teil ihrer ursprünglichen Kompetenz eingebüßt haben könnten. Stellt man sich hingegen das Fehlen dieser Schutzgesetze vor, so wird die Notwendigkeit deutlich, eine grundsätzliche Regelungsmacht des Kollektivs auch auf diesem Gebiet anzuerkennen. 13
m. Der Sachzusammenhang zwischen Arbeitszeit und Arbeitsentgelt Die vom LA G Baden- Württemberg gegen die Zulässigkeit eines Gruppenvergleichs aufgestellte These, es fehle "ein objektiver Sachzusammenhang" zwischen Arbeitszeit und Arbeitsentgeltl 4, ist nicht nachvollziehbar. Bereits der Umstand, daß die Arbeitszeit den maßgeblichen Berechnungsfaktor fii.r das Entgelt darstellt (bei einer individuellen regelmäßigen Arbeitszeit von wöchentlich 35 Stunden erhöht jede zusätzlich geleistete Wochenstunde den Bruttolohn um rund 2,86%, selbst wenn ein nur linearer Anstieg der Vergütung zugrunde gelegt wird), begründet diesen Sachzusammenhang zwingend. 1S Problematisch ist demzufolge nicht, ob ein Gruppenvergleich durchzuführen ist, sondern allenfalls die Frage, welche Umstände bei der Bewertung der potentiell gegenläufigen Interessen "Freizeit" und "Einkommen" beVgl. Ehmann, NZA 1991, 8.1. 80 auchUJwisch, BB 1991,8.60; Hromadka, DB 1992,8.1043. 14 LAG Baden-Württemberg, DB 1989,8.2029. 15 Ztillner, DB 1989, 8.2125; Ztillner / Loritz, Arbeitsrecht, 8.359; Buchner, DB 1990, 8.1721; ders., in: Hromadka (Hrsg.), Arbeitszeitrecht im Umbruch, 8.15; Richardi, Kollektivgewalt, 8.378; ders., NZA 1985, 8.174; Reuter, RdA 1991, 8.202; Joost, ZfA 1984,8.177; Hromadka, DB 1992,8.1047; Leinemann, DB 1990, 8.733; Bengelsdoif, ZfA 1990,8.594; Krummel, Geschichte, 8.247. 12 J3
III. Der Sachzusammenhang von Arbeitszeit und Arbeitsentgelt
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rücksichtigt werden dürfen. Folgt man den oben 16 aufgestellten Grundsätzen zur Durchführung des Günstigkeitsvergleichs, so bereitet dieser Bewertungsvorgang indes keine unlösbaren Schwierigkeiten. Zu prüfen ist, ob die Verlängerung der individuellen Wochenarbeitszeit und die damit verbundene Lohnerhöhung unter Berücksichtigung der konkreten EinzelJallumstände als Begünstigung des jeweils betroffenen Arbeitnehmers gewertet werden kann. Die Notwendigkeit der konkreten Einzelfallprüfung ergibt sich aus der Tatsache, daß es - im Gegensatz zur Auffassung des LAG Baden-Württemberg 17 - keinen breiten Konsens darüber gibt, eine Verkürzung der Arbeitszeit wirke stets begünstigend. 18 Nur wer unreflektiert "arbeitsfreie Zeit" und "Freizeit" gleichsetzt, kann durch die zweifellos richtige Prämisse, daß die "Freizeit in zunehmendem Maße für den Arbeitnehmer größere Bedeutung erlangt"19 hat, zu der unrichtigen Schlußfolgerung verleitet werden, daß eine kürzere Arbeitszeit grundsätzlich als Begünstigung zu werten sei. Die umfangreiche sozialwissenschaftliche Studie Gerhard Schulzes belegt eindrucksvoll, daß der quantitativ ausgerichtete Wunsch nach mehr arbeitsfreier Zeit durch die ständig wachsenden Ansprüche an die Qualität der Freizeit20 eine erhebliche Modifikation erfahren hat. In der "Erlebnisgesellschaft" , wie Schulze unsere kulturelle Gegenwart treffend charakterisiert21 , bildet das Realeinkommen neben der arbeitsfreien Zeit eine zweite (qualitative) Dimension des Freizeitbegriffs. Um dem kategorischen Imperativ des homo ludens "Erlebe dein Leben! "22 folgen zu können, braucht man nicht nur Zeit, sondern eben auch das Geld, die ständig teurer werdenden Freizeitaktivitäten wie Sport, Hobby, Reisen, Besuch von kulturellen Veranstaltungen etc. zu finanzieren. Die sich im Zuge dieser Entwicklung bei immer breiter werdenden Schichten der Arbeitnehmerschaft nachweisbar einstellende Überzeugung, daß zusätzliche arbeitsfreie Zeit ohne mehr Geld immer weniger wert sej23, offenbart die Unhaltbarkeit der These vom "i.d.R." anerkannten "hö-
16
Vgl. § 4 III, S.115 tr.
17 LAG Baden-Württemberg,
DB 1989, S.2029. So schon Birk, Leitungsmacht, S.311 f. 19 LAG Baden-Württemberg, a.a.O. 20 Schulze, Die Erlebnisgesellschaft, S.443 ff 2\ Aa.O. S.15. 22 Aa.O. S.59. 23 Eine im Juli 1993 vom Hamburger B.A.T. Freizeitforschungsinstitut unter 2000 Arbeitnehmern durchgeftlhrte Repräsentativbefragung hat ergeben, daß weit über die Hälfte aller bis zu 29 Jahre alten Arbeitnehmer "gerne bereit ist, mehr zu arbeiten, um sich in der Freizeit mehr leisten zu können". In der Altersgruppe der Arbeitnehmer 18
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§ 5 Günstigkeitsprinzip und Arbeitszeit
heren Stellenwert" einer "verlängerten Freizeit"24. In Ermangelung einer generell anerkannten Wertung zugunsten einer verlängerten arbeitsfreien Zeit wird somit erst die genaue Kenntnis der Einzelfallumstände (Alter; gesundheitliche Risiken der Berufstätigkeit; Freizeitgewohnheiten; wirtschaftliche Situation des Arbeitnehmers: z.B. hohe Kreditbelastungen durch Hausbau etc.; Umfang und Relation von Arbeitszeiterhöhung und Lohnsteigerung) ein endgültiges Urteil im Günstigkeitsvergleich erlauben.
IV. Arbeitszeitregelungen als verbindliche Mindestnormen Der Einwand, den Tarifpartnern werde die Möglichkeit genommen, verbindliche Mindestnormen zu setzen, übersieht eine entscheidende Besonderheit im Bereich der Arbeitszeitnormen. Sie besteht darin, daß Arbeitszeitnormen einerseits einen bestimmten Schutzzweck (Gesundheit; Freizeit) verfolgen und hierbei als Mindestnormen fungieren, andererseits aber durch den sachlichen Bezug zum Einkommen auch als Höchstarbeitsbedingungen Wirkung entfalten. Solange die wöchentliche Arbeitszeit die 48 StundenGrenze überschritt, ließen sich tarifliche Normen zur Verkürzung der Arbeitszeit noch recht eindeutig als Mindestnormen interpretieren, da ihre Funktion, ein Minimum an Gesundheitsschutz zu garantieren, die bezüglich des Einkommens eintretende Höchstnormwirkung wertungsmäßig deutlich überwog. Vor diesem Hintergrund war eine Abweichung vom Tarifvertrag dann begünstigend, wenn sie die individuelle Wochenarbeitszeit weiter reduzierte und damit den Gesundheitsschutz verbesserte. Eine solche Interpretation ist im Rahmen der AZO nicht mehr aufrecht zu erhalten. In einem Bereich unterhalb von 48 Stunden2.5 ist der durch die Norm bezweckte Schutz längst gewährleistet und kann durch weitere Verkürzungen der Arbeitszeit nicht nennenswert gesteigert werden. Durch diesen beinahe vollständigen Verlust des Schutznormcharakters tritt nunmehr die Lohnbegrenzungswirkung in den Vordergrund. Eine Tarifnorm, die eine individuelle regelmäßige Wochenarbeitszeit von 35 Stunden festlegt, müßte als unzulässige Höchstarbeitsbedingung verworfen werden26 , wenn sie die Verlängerung dieser Arbeitszeit grundsätzlich unterbinden wollte. zwischen 30 und 49 Jahren entschieden sich inunerhin noch knapp 40% und in der Gruppe über 50 Jahren noch gut 20% in diesem Sinne (vgl. FAZ v. 1. 9.1993, S.14). 24 LAG Baden-Württemberg, DB 1989, S.2029. 25 Nach Einschätzung des Gesetzgebers lassen sich aus arbeitsmedizinischer Sicht keine Einwände gegen eine Wochenarbeitszeit von 48 Stunden erheben (Gesetzentwurf zum Arbeitszeitgesetz, BT-Drucksache 11 / 360, Begründung zu § 1). 26 So etwa Heinze, NZA 1991, S.335 und Hromadka, DB 1992, S.1045.
V. Arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen
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v. Arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen Ohne Bedeutung ist, ob und wie die Verlängerung der individuellen Wo-chenarbeitszeit mit der arbeitsmarktpolitischen Vorstellung der Gewerkschaften, durch eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit die Arbeitslosigkeit bekämpfen zu können27, harmoniert. Im konkreten GÜDstigkeitsvergleich spielt diese Frage schon deshalb keine Rolle, weil hier der einzelne Arbeitnehmer (u.u. die Belegschaft) und nicht der Beschäftigungsstand der gesamten Arbeitnehmerschaft den maßgeblichen Bezugspunkt bildet. Aber auch unter dem Aspekt "Grenzen des GÜDstigkeitsprinzips" kämen diesbezügliche Einwände nicht zum Tragen. Denn um die tatbestandliehe Voraussetzung "Aushöhlung der Kollektivmacht"28 hier zu bejahen, etwa weil durch die Anwendung des GÜDstigkeitsprinzips "beschäftigungspolitische Maßnahmen" der Koalitionen leerliefen, müßte man das Betreiben von Beschäftigungspolitik als einen verfassungsrechtlich zugedachten wesentlichen Zweck der Tarifautonomie anerkennen. Eine solche Anerkennung scheidet jedoch aus. Zöllner29 weist mit Recht darauf hin, daß es zu einer beträchtlichen Verschiebung der "Gewaltenteilung" im modernen Verfassungs staat käme, wenn die Koalitionen ihre Normsetzungsmacht, die ihnen zu ganz anderen Zwecken übertragen worden sei, nunmehr als Instrument für die Umsetzung beschäftigungspolitischer Ideen nutzen könnten. Eine sinnvolle Beschäftigungspolitik, die branchenübergreifend ansetzen und gesamtwirtschaftlich verantwortungsvoll betrieben werden müsse, bleibe eine Aufgabe des Staates, der zudem allein über das hierfur geeignete Instrumentarium verfuge. Mit dieser Kompetenzzuweisung an den Staat kann zwar nicht ausgeschlossen werden, daß auch die Tarifpartner bei der Normsetzung durch beschäftigungspolitische Überlegungen motiviert werden. Entscheidend ist, daß diese "Überlegungen" - ähnlich den Motiven (Beweggründen) bei Abgabe einer Willenserklärung30 - rechtlich unbeachtlich sind und nicht am Telos der Tarifnorm teilhaben. Unbeschadet erheblicher ZweifePi, daß ArDB 1989, 8.2535.Vgl. oben 8.116 Vgl. oben 8.9l. 29 Zöllner, DB 1989,8.2122. 30 Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 8.378. 31 Die Umrechnung des durch Arbeitszeitverkürzung verminderten Arbeitsvolumens in einen Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften entpuppt sich aus verschiedenen Gründen schnell als "Milchmädchenrechnung". Fraglich ist bereits, in welchem Umfang die organisatorischen Möglichkeiten und das notwendige Kapital vorhanden sind, um filr zusätzliche Arbeitskräfte die notwendig zusätzlichen Arbeitsplätze einzurichten. Nur denjenigen Betrieben, die eine zusätzliche 8chicht an vorhandenen Anlagen fahren und deshalb neueingestellte Arbeitnehmer an bereits existierenden Arbeitsplätzen beschäf27 Däubler,
28
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§ 5 Günstigkeitsprinzip Wld Arbeitszeit
beitslosigkeit überhaupt durch Arbeitszeitverkürzung (mit vollem oder teilweisem Lohnausgleich) erfolgreich bekämpft werden kann, ist die Beschäftigungspolitik jedenfalls kein durch Art. 9 III Satz 1 GG verfassungsrechtlich geschütztes Betätigungsfeld der Koalitionen, so daß auch eine Begrenzung des Günstigkeitsprinzips, um die Kollektivmacht auf diesem Gebiet zu erhalten, ausscheidet. 32 VL Das Wahlrecht des Arbeitnehmers Die Schwierigkeit, im Günstigkeitsvergleich den konkreten Einzelfallumständen nachgehen zu müssen, vermeidet ein neuerdings in der Rspr. des BAG33 favorisierter Gedanke, dem Teile des Schrifttums 34 bereits beigetreten sind. Danach begünstigt eine vom Tarifvertrag abweichende Regelung den Arbeitnehmer schon dann, wenn sie ihm ein Wahlrecht zwischen der tariflichen Arbeitsbedingung und einer anderen Absprache eröfThet. Zwar hat der Große Senat des BAG diesen Ansatz im Kontext der Auseinandersetzung um eine betriebliche Altersgrenze entwickelt. In der mündlichen Verhandlung im Revisionsverfahren gegen die oben angesprochene Entscheidung des LAG Baden-Württemberg3S hat der 4. Senat des BAG jedoch antigen könnten, bliebe die kostenintensive EinrichtWlg zusätzlicher Arbeitsplätze (die KapitalausstattWlg eines Arbeitsplatzes liegt bei durchschnittlich ca. 160 000 DM; Wilke, Arbeitslosigkeit Diagnosen Wld Therapien, S.152) erspart. Entscheidend ist jedoch, daß jede Arbeitszeitverkürzung die den Produktionsfaktor Arbeit verteuert, andelWeitig ausgeglichen werden muß, wenn Produktivitätsverluste Wld die damit verbWldene GefllhrdWlg der Konkurrenzfähigkeit am Markt vermieden werden sollen. Aus betriebsorganisatorischen Wld betriebswirtschaftlichen Zwängen reagieren Unternehmen auf derartige Arbeitszeitverkürzungen deshalb, anstatt NeueinstellWlgen vorzunehmen, vornehmlich mit ÜberstWlden, Automation Wld RationalisiefWlg (Posth. in: Mehr Marktwirtschaft filr Arbeit, 2. Symposium / DMG, S.36). Vgl. auch Zöllner, DB 1989, S.2123 m. w.N. zur wirtschaftswissenschaftlichen Literatur. 32 Dieses Ergebnis gilt in gleicher Weise Wld erst recht filr solche Modelle, die eine ArbeitszeitverkÜfZWlg ohne Lohnausgleich anstreben (4-Tage-Woche). Ein Flächentarifvertrag ist demnach gfWldsätzlich nicht imstande, die Wochenarbeitszeit in seinem Ge1tWlgsbereich verbindlich auf 4 Tage herabzusetzen. 33 BAG (GS), BB 1990, S.1841. 34 Buchner, DB 1990, S.I720; ders .• RdA 1990, S.16; Richardi. DB 1990, S.1617; ders.• ZfA 1990, S.242; UJwisch. BB 1991, S.62; ders .• in: Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 3, § 265, Rn. 50 ff; Heinze, NZA 1991, S.335; UJwisch / Rieble, TVG, § 4 Rn. 208; Bengelsdoif, ZfA 1990, S.598. Vgl. auch Birk (EuZW 1993, S.158) zu der Frage, ob eine nationale RegelWlg die Arbeitnehmer dann i.S. des Art. 7 Richtlinie 77 /187/ EWG begünstigt, wenn sie ihnen ein Wahlrecht einräumt. 35 LAG Baden-Württemberg, DB 1989, S.2028.
VI. Das Wahlrecht des Arbeitnehmers
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gedeutet, daß er diese Rspr. auch auf die Wochenarbeitszeit übertragen wolle. Das Gericht hätte nach eigenem Bekunden einer die tarifliche Wochenarbeitszeit verlängernden Vereinbarung, die in Ausübung eines entsprechenden Wahlrechts des Arbeitnehmers zustande gekommen wäre, die rechtliche Anerkennung nicht versagt.36 Angesichts dieses "drohenden" Ausgangs des Verfahrens drängte die IG Metall die Arbeitnehmerseite zum Klageverzicht37, so daß es zu einem Urteil in der Sache nicht mehr kam. Die Reduzierung des Günstigkeitsvergleichs auf das Kriterium des Wahlrechts ist nicht ganz unproblematisch. 38 Es wäre weder mit dem Wesen des GÜDstigkeitsprinzips, noch mit der Schutzfunktion der Tarifautonomie vereinbar, wenn vom Tarifvertrag abweichende Arbeitsbedingungen durch die bloße Behauptung möglich würden, der Arbeitnehmer hätte die "freie Wahl" gehabt. Diese Bedenken kommen indes nicht zum Tragen, sobald man bei der Anwendung des die konkrete Einzelfallprüfung ersetzenden Wahlrechts wie folgt differenziert: (1) Legt der Tarifvertrag eine starre individuelle regelmäßige Wochenarbeitszeit (z.B. 37,5 Stunden) fest und schließen Arbeitgeber und Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung, die dem Arbeitnehmer das Recht einräumt, seine individuelle Wochenarbeitszeit im Rahmen von 37,5 bist 42 Wochenstunden selbst frei zu bestimmen, so ist bereits die Schaffung dieses Wahlrechts die im Verhältnis zum Tarifvertrag begünstigende Regelung. 39 Entscheidet sich ein Arbeitnehmer daraufhin für eine individuelle Wochenarbeitszeit von beispielsweise 40 Stunden, so ist seine Wahl gem. § 71 IV BetrVG wirksam, weil nunmehr nicht der Tarifvertrag, sondern die ihm gegenüber günstigere Betriebsvereinbarung40 den Inhalt der Arbeitsverhältnisse in diesem Punkt regelt. (2) Enthält der Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers eine Bestimmung, die ihm ein Wahlrecht zwischen der tariflichen und einer hiervon abweichenden
individuellen Wochenarbeitszeit einräumt, so liegt ebenfalls bereits in dieser 36 Mitgeteilt
von Buchner, DB 1990, S.I720. Offener Brief der IG Metall vom 6.12.1989 (zit. nach Buchner, DB 1990, S.I720, Fn.39). 38 Grundsätzlich gegen die Anwendung des Freiwilligkeitskriteriums im Bereich der Wochenarbeitszeit: Zachert, DB 1990, S.989; Linnenkohl / Rauschenberg / Reh, BB 1990, S.630; HKZZ, TVG, § 4 Rn. 166a; Ddubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 22l. 39 Löwisch, in: Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 3, § 65, Rn. 50. 40 Zur grundsätzlichen Zulässigkeit begünstigender Betriebsvereinbarungen vgl. ausfilhrlich oben § 411. 3., S.96 ff. 37
142
§ 5 GÜI1stigkeitsprinzip und Arbeitszeit
Dispositionsmöglichkeit eine Begünstigung i.S. § 4 III TVG, so daß sich die Wirksamkeit der anschließenden Wahl unmittelbar aus der zugrundeliegenden vertraglichen Absprache ergibt. (3) Zu einem anderen Ergebnis wird man hingegen kommen müssen, wenn der Arbeitsvertrag keine Wahlregelung enthält und auch eine entsprechende Betriebsvereinbarung fehlt. Stellt es in derart gelagerten Fällen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer lediglich frei, eine gegenüber dem Tarifvertrag verlängerte Arbeitszeit zu vereinbaren, so liegt hierin keine ein begünstigendes Wahlrecht enthaltende "abweichende Abmachung" i.S. des § 4 III TVG, sondern ein Vertragsangebot des Arbeitgebers. Nimmt der Arbeitnehmer das Angebot an, so kann die Wirksamkeit dieser vom Tarifvertrag abweichenden Vereinbarung (Vertragsänderung oder Erstvertrag) erst nach Durchführung eines konkreten Günstigkeitsvergleichs bejaht werden. VII. Die Tarifregelung als negative Inhaltsnonn oder als Betriebsnonn a) Das Günstigkeitsprinzip läßt sich im Bereich der Wochenarbeitszeit nicht dadurch ausschalten, daß die tarifliche Regelung als negative Inhaltsnorm formuliert wird41 . Eine "negative Inhaltsnorm" dieser Art wäre nach den oben getroffenen Feststellungen42 eindeutig unzulässig, weil sie keine "vollständige Ausmerzung" einer grundsätzlich unerwünschten Arbeitsbedingung, sondern eine bloße Umfangsbeschränkung enthielte. Dies gilt in gleicher Weise fiir Tarifuormen zur individuellen regelmäßigen Wochenarbeitszeit, zur Begrenzung von Überstunden und zur Festlegung des betrieblichen Arbeitszeitvolumens. b) Soweit ein Manteltarifvertrag ein bestimmtes Arbeitszeitvolumen vorgibt, ist auch diese Regelung einem Günstigkeitsvergleich nicht entzogen. Selbst wenn man der (unzutreffenden43 ) Ansicht folgt, eine solche tarifliche 80 aber Dtiubler, DB 1989,8.2537. Vgl. 8.92 f. 43 Mit dem "betrieblichen Arbeitszeitvolwnen" haben die Tarifpartner eine Figur geschaffen, die per Definition filr alle Arbeitnehmer des Betriebes und deshalb "notwendig einheitlich" gelten muß. Eine derart (willkürlich) "herbeidefmierte" Einheitlichkeit kann nicht zu einer Anerkennung dieser Regelung als Betriebsnorm fuhren. Das "betriebliche ........ volwnen" ist im Ergebnis eine Umgehung des Verbotes von Höchstarbeitsbedingungen und ein Angriff auf die Arbeitnehmersolidarität. Besonders deutlich wird dies, wenn man sich die Folgen eines tariflich festgesetzten "betrieblichen Lohnvolumens" ausmalt. Nach Ausschöpfung des Lohnvolwnens (z.B. 2500 DM durchschnittlicher Lohn pro Beschäftigten) wäre jeder Arbeitnehmer, der eine ihm angebote41
42
VII. Die Tarifregelung als negative Inhaltsnonn oder Betriebsnonn
143
Regelung sei ihrem Charakter nach eine Betriebsnorm 44 , so wäre damit nur die Anwendung des Günstigkeitsprinzips im Verhältnis von Kollektivnorm und Einzelarbeitsvertrag ausgeschlossen4S . Die Möglichkeit einer begünstigenden Betriebsvereinbarung würde durch diese Charakterisierung hingegen nicht berührt. 46 Der den Betriebspartnern durch das Günstigkeitsprinzip eröffnete Spielraum erweist sich im Gegenteil gerade hier als besonders groß. Eine Erhöhung des betrieblichen Arbeitszeitvolumens durch Betriebsvereinbarung wäre nämlich selbst dann noch möglich, wenn man infolge der (irrigen) Unterstellung, zwischen Arbeitszeit und Lohn bestünde kein innerer Zusammenhang47, den Umstand ausklammert, daß erst eine das betriebliche Arbeitszeitvolumen verlängernde Betriebsvereinbarung allen Arbeitnehmern die Chance eröffnet, ein höheres Einkommen zu erzielen. Da es bei der gerade unterstellten Voraussetzung vor dem Hintergrund eines richtig verstandenen Freizeitbegriffs48 und unterhalb der Gesundheitsschutzgrenze kein verallgemeinerungsfähiges Kriterium mehr gibt, um zu entscheiden, ob das tarifliche oder das in der Betriebsvereinbarung festgelegte abweichende betriebliche Arbeitszeitvolumen rur die betroffenen Arbeitnehmer günstiger ist, besteht nach der oben aufgestellten ZweiJelsregel49 eine Vermutung fur die Günstigkeit der Betriebsvereinbarung. c) Zumindest die Zweifelsregel hätte auch das BAG50 heranziehen können, als es jüngst über die Zulässigkeit einer vom Tarifvertrag abweichenden
ne Lohnerhöhung akzeptiert, dem Verdacht ausgesetzt, sich auf Koskn anderer Belegschaftsmitglieder zu bereichern. Denn um das vorgeschriebene Volumen zu halten, müßte zwangsläufig anderweitig gekürzt werden. Durch die Verknüpfung von Arbeitszeit und Lohn sind die Effekte beim Arbeitszeitvolumen vergleichbar. Hinzu kommt, daß bei einer Anerkennung als Betriebsnonn die volumensmäßige Begrenzung alle Arbeitnehmer des Betriebes träfe (§ 3 n TVG), also auch diejenigen, die nicht tarifgebunden sind. Es ist mit der negativen Koalitionsfreiheit wohl nicht zu vereinbaren, daß der Außenseiter daran gehindert wird, eine individuelle Wochenarbeitszeit von 40 Stunden zu vereinbaren, weil das tariflich festgesetzte betriebliche Arbeitszeitvolumen von 38,5 Wochenstunden bereits ausgeschöpft ist. Vgl. auch Buchner, DB 1985, S.913; v. Hoyningen-Huene, Anm. zu BAG AP Nr.23 zu § 77 BetrVG 1972. 44 Linnenkohll Rauschenberg I Reh, BB 1990, S.630; FAKH, BetrVG, § 87 Rn. lOc. 45 Vgl. oben S.79 ff. 46 Vgl. oben S.98 f. 47 So LAG Baden-Württemberg, DB 1989, S.2028. 48 Vgl. oben S.137. 49 Vgl. oben S.130 f. 50BAG, SAE 1992, S.151 =NZA 1992, S.317.
144
§ 5 Günstiglceitsprinzip und Arbeitszeit
Arbeitszeitregelung zu befmden hatte. Arbeitgeber und Betriebsrat einer Großdruckerei waren im zugrundeliegenden Fall durch (Betriebsnormen-) Betriebsvereinbarung von den Vorgaben eines Manteltarifvertrages abgewichen, um Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage entsprechend den betrieblichen Erfordernissen51 zu regeln. Das BAG hat die Anträge der klagenden Gewerkschaft als unbegründet abgewiesen, weil ein Unterlassungs anspruch gegenüber "tarifwidrigen" Betriebsvereinbarungen nicht bestünde, soweit es sich um eine Betriebsvereinbarung über eine nach § 87 I BetrVG mitbestimmungspflichtige Angelegenheit handele. 52 Das zweifellos richtige Ergebnis dieser Entscheidung folgt indes nicht erst aus dem fehlenden Unterlassungsanspruch der Gewerkschaft. Die Abweisung der Anträge war vielmehr schon deshalb gerechtfertigt, weil die Betriebsvereinbarung in rechtlich zulässiger Weise vom Tarifvertrag abgewichen ist. Selbst wenn man, obwohl die Änderung im Ergebnis einen erhöhten Stundenlohn bewirkt hat, noch Zweifel daran gehabt hätte, daß mit der Betriebsvereinbarung die Arbeitsbedingungen handgreiflich zugunsten der Arbeitnehmer geändert worden seien, so wäre entsprechend der Zweifelsregel - für eine Verschlechterung sprach jedenfalls nichts - eine Begünstigung und damit die Zulässigkeit53 der Betriebsvereinbarung zu unterstellen gewesen.
vm. Ergebnis Zusammenfassend läßt sich die eingangs gestellte Frage, ob es rechtlich zulässig ist, einem Arbeitnehmer zu ermöglichen, länger als tariflich festgesetzt zu arbeiten, wenn und soweit er dadurch mehr Einkommen erzielt, eindeutig bejahen. Hierbei kann sich die Zulässigkeit der Arbeitszeitverlängerung aus einem Günstigkeitsvergleich, der alle maßgeblichen54 Umstände des konkreten Einzelfalls berücksichtigt, oder aus der Wahrnehmung eines einzelvertraglich oder durch Betriebsvereinbarung eingeräumten, fur sich begünstigend wirkenden Wahlrechts ergeben. Wird die Wochenarbeitszeit oder der Umfang möglicher Überstunden in Form eines betrieblichen Arbeitszeitvolumens (oder) als Betriebsnorm vorgegeben, so ist im Rahmen der AZO
So als Ziel in der Betriebsvereinbarung selbst fonnuliert (SAE 1992, S.152). SAE 1992, S.156. 53 Zur grundsätzlichen Zulässigkeit begünstigender (freiwilliger) Betriebsvereinbarungen im Anwendungsbereich von § 87 I BetrVG vgl. S.102 tT. 54 Das Einzelarbeitsplatzargwnent scheidet als nicht berilcksichtigungsflihiger Umstand (vgl. oben S.126 fl) i.d.R. aus. 51
52 BAG,
VIII. Ergebnis
145
(unterhalb 48 Stunden) eine abweichende Betriebsvereinbarung (zumindest infolge der Zweifelsregel) stets möglich. Eine Tarifuorm, die unterhalb der Grenze eines notwendigen Gesundheitsschutzes jede Verlängerung der Arbeitszeit verbieten wollte, wäre zudem als unzulässige Höchstarbeitsbedingung unwirksam.
\0 Th. B. Schmidt
§ 6 Zusammenfassung der wesentlichsten Ergebnisse 1. Das Günstigkeitsprinzip ist keine "Erfmdung" des Gesetzgebers. Lange vor seiner ersten gesetzlichen Normierung in der Tarifvertragsordnung (§ 1 I Satz 2) aus dem Jahre 1918 hatte sich das Günstigkeitsprinzip als ein Grundsatz des kollektiven Arbeitsrechts verfestigt, in welchem die besondere Dialektik von notwendigem kollektivem Schutz und individueller Freiheit zum Ausgleich gebracht werden sollte (§ 2 III; S.42). Vom Tarifrecht ausgehend (§ 2 I; S.25) wurde der Günstigkeitsgedanke bald auf die betriebliche Ebene übertragen (§ 2 II; S.32) und schließlich (gegen Ende der zwanziger Jahre) von herrschender Lehre und höchstrichterlicher Rspr. auch auf das Verhältnis der beiden Kollektivvereinbarungen (Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung) angewandt (§ 2 V; S.48). 2. a) Im geltenden Recht fmdet das Günstigkeitsprinzip seine Grundlage im verfassungsrechtlichen Spannungsfeld von Kollektivmacht (Art. 9 III Satz 1 GG), Privatautonomie (Art. 2 I GG) und gerechter Ordnung (Sozialstaatsprinzip - Art. 20 I, Art. 28 I GG) (§ 3 III 2; S.67). Nach den Grundsätzen des Subsidiaritätsprinzips strukturiert das Günstigkeitsprinzip hier die Regelungszuständigkeiten zwischen Kollektiv und Individuum und setzt damit Privat- und Gruppenautonomie in das Verhältnis praktischer Konkordanz (§ 3 III 3; S.70). Solange Vertragsgerechtigkeit nach dem Prinzip der Freiheit in der jeweils kleineren Einheit (Tarifpartner ~ Betriebspartner ~ Einzelvertragspartner) möglich ist, bleibt deren grundsätzliche Regelungszuständigkeit verfassungsrechtlich garantiert. b) Der wesensmäßige Bezug des Günstigkeitsprinzips auf die Regelung gerechterer Arbeitsbedingung in der kleineren Einheit gibt auch den Rahmen fur den konkreten Günstigkeitsvergleich vor. Maßgeblicher Bezugspunkt im Günstigkeitsvergleich ist der jeweilige einzelne Arbeitnehmer (§ 4 III 1; S.1l6) oder die durch eine Betriebsvereinbarung begünstigte Belegschaft (§ 4 III 4 a; S.129). Zu vergleichen sind die einzelnen Regelungsgegenstände (Einzelvergleich) oder, soweit ein sachlicher Zusammenhang zwischen den Einzelgegenständen besteht, die aus ihnen gebildeten Sachgruppen (Gruppenvergleich) (§ 4 III 2; S.118). Der Günstigkeitsvergleich ist unter Einbeziehung aller relevanten Umstände des konkreten Einzelfalls durchzu-
§ 6 Zusammenfassung der wesentlichsten Ergebnisse
147
:fuhren und von einem verobjektivierten Standpunkt aus zu bewerten (§ 4 III 3; S.124). 3. a) Die Geltung des Günstigkeitsprinzips wird durch zwei Vorbehalte begrenzt. Steht von vornherein fest, daß die Regelung in der kleineren Einheit sich nicht zur Verwirklichung gerechterer Arbeitsbeziehungen eignet, so ist das Günstigkeitsprinzip unanwendbar. Entsprechend diesem Vorbehalt ist die Berufung auf eine "begünstigende" Einzelabsprache ausgeschlossen, soweit die kollektive Regelung (in Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung) Betriebsnormen zum Inhalt hat, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen (z.B.: betriebliche Altersversorgung; Einf"ührung von Kurzarbeit; betriebliche Lohnsysteme) notwendig einheitlich gelten müssen (§ 4 11 a; S.79). Dies gilt insbesondere auch dann, wenn eine Betriebsnormen-Betriebsvereinbarung allgemeine Arbeitsbedingungen ablöst (§ 4 I I b; S.85). Ohne weiteres können hingegen die Betriebsnormen eines Tarifvertrages durch eine begünstigende Betriebsvereinbarung verdrängt werden, weil die Betriebsvereinbarung imstande ist, die notwendige Einheitlichkeit der Betriebsnormen zu wahren (§ 4 U 3 b; S.98). b) Das Günstigkeitsprinzip erfahrt eine zweite Begrenzung dort, wo seine Anwendung zu einer Aushöhlung der Kollektivmacht führen würde. Aus diesem Grund ist der Ausschluß des Günstigkeitsprinzips im Verhältnis zu negativen Inhaltsnormen gerechtfertigt (§ 4 I 2; S.90). Als negative Inhaltsnormen können allerdings nur solche Tarifbestimmungen anerkannt werden, die über eine bloße Umfangs beschränkung hinaus zumindest die ersatzlose "Ausmerzung" einer prinzipiell unerwünschten Arbeitsbedingung beabsichtigen. Eine weitere Aktualisierung erfahrt das Grenzprinzip "keine Aushöhlung der Kollektivmacht" im konkreten Günstigkeitsvergleich. Hier verbietet es grundsätzlich, den drohenden Arbeitsplatzverlust als relevanten Einzelfallumstand in den Vergleich einzufiihren (§ 4 III 3 b [2]; S.126). Der Ausschluß des Arbeitsplatzes wird allerdings nur insoweit gefordert, als der jeweilige Einzelarbeitsplatz in Rede steht. Droht demgegenüber der Konkurs des Unternehmens, so bleibt der Arbeitsplatz berücksichtigungsfähig (§ 4 UI3 b [3]; S.128 und § 4 IV; S.13I). Dies kann dazu führen, daß ein nominal untertariflicher Lohn wertungsmäßig als Begünstigung einzustufen ist. 4. Das Günstigkeitsprinzip gilt als ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Strukturprinzip des kollektiven Arbeitsrechts ohne Einschränkungen auch im Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung (§ 4 II 3; S.96). Ein Rückgriff auf § 4 III TVG ("Abmachungen") ist zur Begründung nicht erforderlich und, da § 4 TVG nur das Verhältnis von Tarifvertrag und Einzelarbeitsvertrag erfaßt (§ 4 II 3 d [3]; S.I09), auch nicht möglich. Die Zu-
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§ 6 Zusammenfassung der wesentlichsten Ergebnisse
lässigkeit begünstigender Betriebsvereinbarungen wird weder durch den Tarifvorbehalt des § 77 III Satz 1 BetrVG (§ 4 II 3 d; S.106) noch durch den Tarifvorrang des § 87 IEingangssatz BetrVG (§ 4 II 3 c [3]; S.102) berührt. Eine Betriebsvereinbarung kann damit trotz bestehenden Tarifvertrages wirksam geschlossen werden, wenn und soweit sie eine Regelung enthält, die zugunsten der Arbeitnehmer vom Tarifvertrag abweicht. Ist nicht entscheidbar, ob die Betriebsvereinbarung oder der Tarifvertrag die günstigere Regelung triffi, so gilt "im Zweifel" die Betriebsvereinbarung als begünstigend (§ 4 III 4 b; S.130). 5. Im Bereich der Arbeitszeit ermöglicht das Günstigkeitsprinzip jedem Arbeitnehmer, länger als tariflich festgesetzt zu arbeiten (§ 5; S.134). Die Zulässigkeit der Arbeitszeitverlängerung kann sich aus einem Günstigkeitsvergleich (Lohn und Arbeitszeit bilden hier regelmäßig eine Sachgruppe), der alle maßgeblichen Umstände des konkreten Einzelfalls berücksichtigt (§ 5 III; S.136), oder aus der Wahrnehmung eines durch Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag eingeräumten, fiir sich begünstigend wirkenden Wahlrechts (§ 5 VI; S.140) ergeben. Ein tariflich vorgegebenes Arbeitszeitvolumen (Wochenarbeitszeit oder Überstunden) kann im Rahmen der AZO (unterhalb 48 Stunden) stets durch Betriebsvereinbarung verlängert werden (§ 5 VII; S.142). Soweit ein Tarifvertrag unterhalb der Gesundheitsschutzgrenze jede Verlängerung der Arbeitszeit verbieten wollte, wäre er als Höchstarbeitsbedingung unzulässig (§ 5 IV; S.138).
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