Interdependenz von Primär- und Kollisionsrecht im europäischen Gesellschaftsrecht: Rechtsrahmen für im Inland ansässige EU-Auslandsgesellschaften [1 ed.] 9783428546695, 9783428146697

Die Mobilität von Gesellschaften ist für einen funktionierenden Binnenmarkt in Europa unabdingbar. Der Europäische Geric

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Interdependenz von Primär- und Kollisionsrecht im europäischen Gesellschaftsrecht: Rechtsrahmen für im Inland ansässige EU-Auslandsgesellschaften [1 ed.]
 9783428546695, 9783428146697

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Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 89

Interdependenz von Primär- und Kollisionsrecht im europäischen Gesellschaftsrecht Rechtsrahmen für im Inland ansässige EU-Auslandsgesellschaften

Von

Olaf Berner

Duncker & Humblot · Berlin

OLAF BERNER

Interdependenz von Primär- und Kollisionsrecht im europäischen Gesellschaftsrecht

Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen

Band 89

Interdependenz von Primär- und Kollisionsrecht im europäischen Gesellschaftsrecht Rechtsrahmen für im Inland ansässige EU-Auslandsgesellschaften

Von

Olaf Berner

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen hat diese Arbeit im Sommersemester 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-7626 ISBN 978-3-428-14669-7 (Print) ISBN 978-3-428-54669-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84669-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2014 von der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur fanden bis Herbst 2014 Berücksichtigung. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Gerald Spindler, der meine juristische Ausbildung wesentlich gefördert und geprägt hat. Während der Erstellung der gesamten Arbeit hat er mich mit zahlreichen Denkanstößen wohlwollend begleitet und mir vertrauensvoll alle akademischen Freiheiten gelassen. Großer Dank gebührt auch Herrn PD Dr. Alexander Thiele für dessen zügige Erstellung des Zweitgutachtens, Herrn PD Dr. Marcus Schladebach für den Vorsitz in der Prüfungskommission sowie Herrn Prof. Dr. Holger Fleischer und Herrn Prof. Dr. Hanno Merkt für die Aufnahme der Arbeit in die vorliegende Schriftenreihe. Danken möchte ich zudem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Lehrstuhl von Prof. Dr. Spindler, insbesondere Frau Ingrid Floerke, Herrn Dr. Guido Brinkel, Herrn Dr. Jörn Heckmann und Herrn Prof. Dr. Lars Klöhn, die stets mit Rat und Tat zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Ebenso bin ich der Sozietät Hengeler Mueller, insbesondere Herrn Dr. Oliver Rieckers, sehr verbunden für den notwendigen Freiraum, um die Arbeit voranzutreiben. Besonders hervorheben möchte ich zudem Herrn Dr. Thilo Fleck und Herrn Dr. Carsten Wettich, die mir mit unschätzbarem Wohlwollen und Großzügigkeit den Rücken für die Fertigstellung dieser Arbeit freigehalten haben. Ihnen schulde ich größten Dank. Mein herzlicher Dank gebührt nicht zuletzt meinen Eltern und meiner Schwester, die mich stets gefördert und auch in schwierigsten Zeiten ermutigt haben. Ohne sie wäre die Erstellung dieser Arbeit nicht möglich gewesen. Schließlich möchte ich meiner Frau für ihre unendliche Geduld, die einfühlsame Motivation und moralische Unterstützung danken. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet. Düsseldorf, im Frühjahr 2015

Olaf Berner

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einführung in die Problemstellung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . 14

1. Teil Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

17

§ 1 Funktion der Grundfreiheiten im Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Der europäische Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1. Ökonomische Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Begrenzung durch nicht-ökonomische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 II. Grundfreiheiten als Instrumente zur Verwirklichung des Binnenmarkts . . . . . . . . 21 1. Das Herkunftslandprinzip als Motor der Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Die begrenzte Funktion des Herkunftslandprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 III. Der unvollkommene Binnenmarkt als Regelungsziel der Grundfreiheiten . . . . . . 30 § 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht . . . . . . 32 I. Kollisionsrecht als grundfreiheitenresistente Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Kollisionsrecht als ergebnisneutrales Verweisungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Besonderheiten im internationalen Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 a) Art. 54 AEUV – Primat des internationalen Gesellschaftsrechts? . . . . . . . . 39 b) Marktzersplitterung als Folge einer Gesamtnormverweisung . . . . . . . . . . . . 42 c) Kein Vorrang des internationalen Gesellschaftsrechts (Überseering) . . . . . . 46 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Grundfreiheiten als versteckte Kollisionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Parallelen zwischen Grundfreiheiten und Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Grenzüberschreitender Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Primärrechtliches Herkunftslandprinzip als Ansatzpunkt der Kollisionsnorm . 53 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Unterschiedliche Zielsetzung von Kollisionsrecht und Grundfreiheiten . . . 56 aa) Beschränkungswirkung von ausländischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 bb) Legitimation unterschiedlicher Rechtsordnungen durch die Struktur des Binnenmarkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

8

Inhaltsverzeichnis b) Primärrechtliches Herkunftslandprinzip als untauglicher Ansatzpunkt für versteckte Kollisionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 aa) Begrenzte Bedeutung des Herkunftslandprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 bb) Systematische Friktionen einer primärrechtlichen Kollisionsnorm . . . . 68 c) Zwischenergebnis: Grundfreiheiten ohne kollisionsrechtliche Aussage . . . . 70 4. Sonderstellung des internationalen Gesellschaftsrechts aufgrund der EuGHRechtsprechung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Die begrenzte Funktion von Art. 54 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Die Überseering-Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 aa) Identifikation des Grundfreiheitenberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 bb) Kollisionsrechtliche Dimension der Vorlagefragen . . . . . . . . . . . . . . . . 80 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 III. Die Grundfreiheiten als Ergebniskontrolle (obligation de résultat) . . . . . . . . . . . 92

§ 3 Rückschlüsse für das internationale Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 I. Vor- und Nachteile von Sitz- und Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Gewährleistung eines austarierten Systems gesellschaftsrechtlicher Rechtssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Rechtssicherheit und -kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3. Unionsrechtliche Absicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Diskriminierende Wirkung der Gründungstheorie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Anerkennung der Identität statt Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 II. Vorzug der Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

2. Teil Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

111

§ 4 Weiter Beschränkungsbegriff als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Primäre und sekundäre Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Der Beschränkungsbegriff des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Keine Begrenzung auf spezielle Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Notwendigkeit der Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 § 5 Ansätze zur Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV . . . . . . . . 122 I. Missbrauch der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Erscheinungsformen des Missbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Missbrauch im Sinne einer Normumgehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Erfordernis eines grenzüberschreitenden Elements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Urteil Leclerc als Musterbeispiel einer künstlichen Grenzüberschreitung . . 130 c) Vergleichbarkeit mit im Inland ansässigen Auslandsgesellschaften . . . . . . . 131 aa) Gesellschaft als solche Träger der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . 132

Inhaltsverzeichnis

9

bb) Zurechnung der Gründer auf Rechtfertigungsebene? . . . . . . . . . . . . . . . 136 (1) Das Urteil TV 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (2) Wahl der Gesellschaftsrechtsordnung als Ausfluss der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Fehlender Rechtswidrigkeitszusammenhang bei Missbrauch nationalen Rechts 143 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 II. Begrenzung auf Gründungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 III. Kollisionsrechtliche Verengung des Gesellschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Die kollisionsrechtliche Qualifikation als Entscheidungskriterium . . . . . . . . . . 154 a) Prominente Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Insolvenzverschleppungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (1) Art. 4 EuInsVO als sicherer Hafen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (2) Bestärkung durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 bb) Existenzvernichtungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Gemeinsamkeiten der Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Die Schwächen einer kollisionsrechtlich vermittelten Einschränkung . . . . . . . 166 a) Alleinige Fokussierung auf das Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Entgegenstehende Rechtsquellenhierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 aa) Mangelnde Relevanz mitgliedstaatlicher Qualifikation . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Keine Legalisierung durch Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 c) Methodische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 aa) Nationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (1) Insolvenzverschleppungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (2) Existenzvernichtungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 bb) Unionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (1) Der Verfahrensbezug des Art. 4 EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (2) Konstruktive Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (3) Die EuGH-Entscheidung Gourdain/Nadler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 d) Unerwünschte Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 IV. Die Keck-Rechtsprechung und das Marktzugangskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Die Keck-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Übertragung auf die Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Indifferenz des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 b) Begriffsjuristische Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 aa) Geringe Aussagekraft der Begriffskategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 bb) Unschärfe der Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 cc) Fehlende dogmatische Rückbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

10

Inhaltsverzeichnis dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3. Das Kriterium des Marktzugangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 a) Übertragbarkeit auf die Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 b) Bedeutung für das Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 aa) Temporales Verständnis des Marktzugangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 bb) Art. 54 AEUV – nationales Gesellschaftsrecht und subjektive Grundfreiheitenberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 V. Mitgliedstaatliches Gesellschaftsrecht: Vorfrage und zugleich Subjekt der Niederlassungfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

3. Teil Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit

242

§ 6 Art. 52 AEUV als Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 § 7 Zwingende Gründe des Allgemeininteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 I. Geeignetheit und Kohärenz der Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 II. Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Informationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2. Vorschriften des Gründungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 III. Zwischenergebnis – wenig Raum für die Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

4. Teil Zusammenfassung der Ergebnisse

263

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

Einleitung „Corporate mobility is the very essence of the internal market.“1

Diese Worte beschreiben prägnant die Bedeutung der grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften in Europa. Für die Verwirklichung des europäischen Binnenmarkts ist es unabdingbar, neben Waren und Produkten auch Gesellschaften einen transnationalen Freiverkehr zu gewährleisten und ihnen mittels einer an ökonomischen Kriterien ausgerichteten freien Standortwahl in der Union2 eine über den Warenimport hinausgehende Durchdringung der mitgliedstaatlichen Märkte und eine regionale Stärkung ihrer Wettbewerbsposition zu ermöglichen.3 Das Unionsrecht trägt diesem Anliegen durch die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV Rechnung, die neben natürlichen Personen über Art. 54 AEUV auch Gesellschaften zugutekommt. Dem Bedürfnis einer freien Standortwahl steht jedoch das Anliegen der Mitgliedstaaten gegenüber, ihre nationalen Märkte mit Hilfe des eigenen, nationalen Rechts zu regulieren und die Marktteilnehmer auf die Einhaltung entsprechender Normativbestimmungen und ordnungspolitischer Wertentscheidungen zu verpflichten. Zu den Adressaten der mitgliedstaatlichen Wirtschaftsregulierung gehören insbesondere auch die aus anderen Mitgliedstaaten zuziehenden Auslandsgesellschaften. Bei der Ausübung grenzüberschreitender Mobilität bewegen sich Gesellschaften daher zwischen zwei Polen: Dem grundfreiheitlich abgesichertem Freiverkehr einerseits und dem nationalen Regelungsanspruch andererseits. In diesem Spannungsfeld stellen sich eine ganze Reihe konfliktträchtiger Fragen, beispielsweise nach der Anerkennung der Gesellschaft im Aufnahmestaat, dem auf die Gesellschaft anzuwendenden Recht oder dem Umfang der Regelungskompetenz des Aufnahmestaats. Die zentralsten dieser Fragen hat der EuGH in seiner Entscheidungskette Centros,4 Überseering5 und Inspire Art6 für die Praxis beantwortet: Gesellschaften sind in jedem Mitgliedstaat als Rechtssubjekt des Gründungsstaats anzuerkennen und 1 Hopt, in: Geens/Hopt (Hrsg.), The European Company Law Action Plan Revisited, 2010, S. 9, 18. 2 Zum Begriff vgl. Art. 1 Abs. 3 EUV („Die Union tritt an die Stelle der Europäischen Gemeinschaft, deren Rechtsnachfolgerin sie ist.“). 3 Zur Bedeutung für den Binnenmarkt auch Behrens, EuZW 2013, 121 f.; Müller-Graff, ZHR 177 (2013), 563, 566. 4 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459. 5 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919. 6 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155.

12

Einleitung

können anlässlich des Zuzugs nicht erneut den im Aufnahmemitgliedstaat für die Gründung einer Gesellschaft geltenden Bestimmungen unterworfen werden. In Cartesio,7 National Grid Indus8 und Vale9 hat der Gerichtshof dem von ihm verfochtenen Niederlassungsmodell weitere Konturen verliehen. Gleichwohl wäre es verfrüht, allein in diesen Urteilen einen adäquaten Rechtsrahmen für die grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften zu erblicken. Ein solcher lässt sich nicht allein auf Grundlage der negativ integrativen Wirksamkeit des Primärrechts schaffen. Die für eine effiziente Ausübung der Mobilitätsgarantie erforderliche Rechtssicherheit kann vielmehr nur durch die Positivintegration des sekundären Unionsrechts erreicht werden.10 Entsprechende Maßnahmen der Legislativorgane der EU lassen jedoch trotz der Bedeutung der grenzüberschreitenden Mobilität auf sich warten. Zwar lag bereits 1968 ein Entwurf zur Anerkennung ausländischer Gesellschaften vor.11 Im Jahr 1997 folgte der Entwurf der 14. Richtlinie zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung.12 Beide sind jedoch nie über das Entwurfsstadium hinausgekommen. Erst nach der Entscheidungstrias Centros, Überseering und Inspire Art wandte sich die Kommission als Initiativorgan mit ihrem Aktionsplan 2003 erneut den Problemen der grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften zu.13 In der Folgezeit waren zwar einige Fortschritte, namentlich die Verschmelzungsrichtlinie14 und die Einführung der Societas Europaea,15 zu verzeichnen. Kernelemente eines europäischen Rechtsrahmens für die grenzüberschreitende Betätigung von Gesellschaften, die zuvor noch als zentrale Themen identifiziert worden waren,16 harren jedoch weiter 7

EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641. EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273. 9 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394. 10 Reflection Group on the Future of EU Company Law, ECFR 2013, 304, 319; ebenso Hopt, EuZW 2013, 481, 482. 11 EWG-Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften vom 29. 2. 1968; abgedruckt bei Staudinger/Großfeld, IntGesR Rn. 138; zum deutschen Zustimmungsgesetz siehe BGBl. II 1972 S. 370; siehe dazu Beitzke, AWD (RIW) 1968, 91; Drobnig, ZHR 129 (1967), 93. 12 Entwurf für eine Vierzehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat mit Wechsel des für die Gesellschaft maßgebenden Rechts, Dok. XV/6002/97, abgedruckt in ZIP 1997, 1721 ff.; diese betrifft jedoch die hier nicht behandelte Verlegung des Satzungssitzes. 13 Siehe Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament vom 21. 5. 2003 – Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, KOM (2003) 284 endg. 14 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlament und des Rates vom 26. 10. 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABl. L 310/1. 15 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. L 294/1. 16 Mit Mitteilung der Kommission vom 10. 6. 2009 hatte die Kommission noch angekündigt, im Rahmen des am 11. 12. 2009 beschlossenen Stockholmer Programms eine „Festlegung 8

Einleitung

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einer Umsetzung. So sucht man im neuen Aktionsplan vom 12. 12. 201217 Maßnahmen zur Vereinheitlichung des Gesellschaftskollisionsrechts ebenso vergeblich wie konkrete Maßnahmen zur Wiederbelebung der Arbeiten an der Sitzverlegungsrichtlinie.18 Die Praxis hat diese langjährige Entwicklung inzwischen überholt. Kühne & Nagel, Air Berlin, Zara Deutschland, H&M, Esprit, ALBA, Oracle Deutschland und das Drogerieunternehmen Müller sind in Deutschland nur einige der prominenten Beispiele dafür, dass die inländischen Märkte längst im Schutz der EuGH-Rechtsprechung von Gesellschaften ausländischer Rechtsform durchdrungen werden. In Abwesenheit einschlägigen Sekundärrechts halten die EuGH-Urteile für sie alle nach wie vor die maßgeblichen Aussagen zum Umfang und zu den Grenzen der Unternehmensmobilität bereit. Ziel dieser Arbeit ist es daher, diesen sich aus der Niederlassungsfreiheit und der EuGH-Rechtsprechung ergebenden rechtlichen Rahmen für im Inland ansässige Auslandsgesellschaften zu konkretisieren. Im Vordergrund steht dabei die Frage, welche Möglichkeiten den Mitgliedstaaten verbleiben, Vorschriften des nationalen Gesellschaftsrecht, insbesondere solche des Gläubigerschutzes, auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften zu erstrecken.

gemeinsamer Kollisionsnormen zur Bestimmung des Rechts, das für Gesellschaften […] maßgebend ist,“ vorzunehmen (Mitteilung der Kommision an das Europäische Parlament und den Rat. Ein Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger, KOM (2009) 262, S. 15). Das Stockholmer Programm selbst nimmt hierauf jedoch keinen Bezug, siehe hierzu Wagner, IPRax 2010, 97, 98; zum Nachfolgeprogramm zu Stockholm siehe Mansel/ Thorn/Wagner, IPRax 2014, 1, 2. 17 Mitteilung der Kommission vom 12. 12. 2012, Aktionsplan: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance – ein moderner Rechtsrahmen für engagierte Aktionäre und besser überlebensfähige Unternehmen, KOM (2012) 740. 18 Der Aktionsplan vom 12. 12. 2012 sieht lediglich eine Konsultation zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung vor (aaO unter 4.1; kritisch hierzu Schön, ZGR 2013, 333; Reflection Group, ECFR 2013, 304, 319 f.; Behrens, EuZW 2013, 121, 122) und spart das Gesellschaftskollisionsrecht aus. Auch der im September 2013 vorgelegte Bericht der Kommission zu den Ergebnissen der Konsultation lässt das weitere Vorgehen offen; hierzu Bayer/ J. Schmidt, BB 2014, 1219, 1225. Das Gesellschaftskollisionsrecht soll hingegen Gegenstand eines für 2014 angekündigten Grünbuchs sein; siehe Mitteilung der Kommission vom 5. 12. 2011, KOM (2011) 777 S. 42.

Einführung in die Problemstellung und Gang der Untersuchung Bis zu den Leitentscheidungen des EuGH zum Zuzug europäischer Auslandsgesellschaften, namentlich Centros, Überseering und Inspire Art, wurden die sich aus der Internationalität eines gesellschaftsrechtlichen Sachverhalts ergebenden Fragestellungen vornehmlich als Fragen des Kollisionsrechts begriffen.1 Ob eine Gesellschaft ihre Tätigkeit und damit ihren Verwaltungssitz innerhalb der Union von einem Mitgliedstaat in den anderen verlagern konnte, wurde anhand des mitgliedstaatlichen internationalen Gesellschaftsrechts bestimmt und aufgrund der Polarität von Gründungs- und Sitztheorie unionsweit sehr unterschiedlich beantwortet.2 In Deutschland konnte sich das Gesellschaftsrecht daher ohne spürbare Gegenkräfte aus dem Unionsrecht auf Basis der tradierten Prinzipien fortentwickeln und beispielsweise durch zahlreiche Regelungen zur Kapitalaufbringung und -erhaltung das System des Kapitalschutzes immer feiner ausdifferenzieren und die Beteiligung der Arbeitnehmer im Wege der unternehmerischen Mitbestimmung sicherstellen.3 Abgesichert wurde dies durch die als „Schutztheorie“4 begriffene und von Rechtsprechung und herrschender Literatur vertretene Sitztheorie.5 Während nämlich die Gründungstheorie das auf eine Gesellschaft anzuwendende Recht unter Rückgriff auf deren Gründungsrechtsordnung ermittelt und im Fall einer Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Staat zu keinem Statutenwechsel führt, erweist sich die Sitztheorie demgegenüber als mobilitätsfeindlich.6 Gesellschaftsstatut ist danach 1 Schon früh auf die Vorgaben der Niederlassungsfreiheit hinweisend etwa Beitzke, ZHR 127 (1964), 1, 2 f.; ders., AWD (RIW) 1968, 91, 93 f.; ferner Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325 ff. 2 Ausführlich zu beiden Theorien etwa Weller, in: MünchKommGmbHG, Einl. Rn. 320 ff., 333 ff.; Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 4 ff., 7 ff.; je m.w.Nachw.; zur Geschichte der Sitztheorie siehe auch Trautrims, ZHR 176 (2012), 435 ff. 3 Teichmann, ZGR 2011, 639, 640. 4 BayOLG JZ 1993, 372, 373. 5 BGHZ 25, 134, 144 = NJW 1957, 1433, 1434; 51, 27, 28 = NJW 1969, 188, 189; 53, 181, 183 = NJW 1970, 998, 999; 53, 383, 385; 78, 318, 334 = NJW 1981, 522, 525; 97, 269, 271 = NJW 1986, 2194, 2195; BGH NZG 2000, 1025; BGH NZG 2009, 68; BayObLG NJW-RR 1993, 43, 44; NZG 1998, 936; DB 2003, 819; OLG Brandenburg NJW-RR 2001, 29, 31; OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 1124; JZ 2000, 203; NZG 2001, 506; OLG Frankfurt IPRax 1986, 373; NJW 1990, 2204; statt vieler auch Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 420 ff.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 173 ff., 291 ff.; je m.w.Nachw. 6 Zur Anknüpfung etwa Weller, in: MünchKommGmbHG, Einl. 333 ff.; Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 4 ff., 7 ff.; je m.w.Nachw.

Einführung in die Problemstellung und Gang der Untersuchung

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das Recht des Staats, in dem die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz7 hat. Verlegt eine Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit und damit regelmäßig ihren Verwaltungssitz in einen Staat der Sitztheorie, kommt es aus dessen Sicht zu einem Statutenwechsel und sein eigenes Gesellschaftsrecht ist zur Entscheidung darüber berufen, „unter welchen Voraussetzungen die juristische Person entsteht, lebt und vergeht.“8 In Deutschland führte dies in Kombination mit dem im Gesellschafts(sach)recht verankerten numerus clausus der Gesellschaftsformen zum Verlust der Rechtsfähigkeit der zuziehenden Auslandsgesellschaft.9 Hierdurch sollte eine Neugründung der Auslandsgesellschaft im Inland erzwungen und so im Interesse der Gläubiger eine Umgehung der Normativbestimmungen des inländischen Gesellschaftsrechts durch die Wahl eines permissiven ausländischen Gesellschaftsstatuts verhindert werden.10 Dieser nationalen Sichtweise hat der EuGH in der Entscheidungstrias Centros, Überseering und Inspire Art11 weitgehend den Boden entzogen und mit dem Beschränkungsverbot der Niederlassungsfreiheit einen neuen Parameter im „europäischen Gesellschaftsrecht“ etabliert. Gesicherte Erkenntnis ist danach, dass Gesellschaften das Recht haben, ihren Verwaltungssitz innerhalb der Union frei zu wählen, und dabei von jedem Mitgliedstaat als solche anzuerkennen sind. Die genauen Konturen des Rechtsrahmens, in dem sich die Gesellschaften bei Sitzverlegung bewegen, sind gleichwohl noch nicht abschließend geklärt. Besonderer Bedeutung kommt insbesondere der Frage zu, welche Schutzkonzepte des Gesellschafts- und Kollisionsrechts des Aufnahmestaats weiterhin auf Auslandsgesellschaften Anwendung finden können. Um die Reichweite aber auch die Grenzen des Gewährleistungsgehalts der Niederlassungsfreiheit und der Aussagen des EuGH ermitteln zu können, soll im Folgenden ersten Teil untersucht werden, ob und wenn ja, welche Vorgaben sich aus der Grundfreiheit der Art. 49, 54 AEUV für das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht ergeben. Zu diesem Zweck werden zunächst Funktion und Bedeutung der Grund7 Verwaltungssitz ist der der Ort, an dem „die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden“; im Anschluss an Sandrock, FS Beitzke, S. 669, 683 grundlegend BGHZ 97, 269, 272; ferner OLG München NJW 1986, 2197, 2198; BayObLG IPRax 1986, 161; OLG Hamm NJW-RR 1995, 469, 470; siehe auch Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 4; Weller, in: MünchKommGmbHG, Einl. Rn. 321; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 17 ff.; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 456; je m.w.Nachw. 8 BGHZ 25, 134, 144. 9 BGHZ 53, 181, 186; 97, 269, 272; BGH NZG 2000, 926 f.; OLG Zweibrücken NJW-RR 2001, 341, 342; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 178; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 487; Weller, in: MünchKommGmbHG, Einl. Rn. 325; Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 6. 10 Weller, in: MünchKommGmbHG, Einl. 320 ff.; Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 5. 11 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459; EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155.

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Einführung in die Problemstellung und Gang der Untersuchung

freiheiten im Binnenmarkt geklärt.12 Anhand der daraus gewonnenen Erkenntnisse wird die Interdependenz von Primär- und Kollisionsrecht dargelegt und insbesondere der Frage nachgegangen, inwieweit sich eine am Herkunftslandprinzip orientierte Kollisionsnorm in Form der Gründungstheorie im Primärrecht verankern lässt. Eine Zusammenfassung der primärrechtlichen Vorgaben für das Kollisionsrecht und deren Konsequenzen für den Stichentscheid zwischen Sitz- und Gründungstheorie schließt diesen Teil ab. Der zweite Teil dieser Untersuchung befasst sich sodann mit dem genauen Umfang des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit. Ausgehend von dem weiten Beschränkungsbegriff des EuGH werden verschiedene Ansätze beleuchtet, die den Gewährleistungsgehalt der Art. 49, 54 AEUV zumindest teilweise eingrenzen und den Mitgliedstaaten Spielräume eröffnen sollen, nationale Regelungsanliegen auch auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften zu erstrecken, ohne mit dem Beschränkungsverbot der Niederlassungsfreiheit in Konflikt zu geraten. Abschließend werden im dritten Teil die Möglichkeiten einer Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit skizziert, die sich aus der Anwendung inländischen Rechts auf Auslandsgesellschaften ergeben. Die wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung werden sodann im vierten Teil in Thesen zusammengefasst.

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Siehe 1. Teil § 1.

1. Teil

Grundfreiheiten und Kollisionsrecht § 1 Funktion der Grundfreiheiten im Binnenmarkt Schlüssel zum Verständnis der Gemengelage zwischen europäischem Primärrecht und mitgliedstaatlichem internationalem Privatrecht (IPR) ist die Funktion, die den Grundfreiheiten im Gesamtgefüge des Europarechts zukommt. Als tragende Säulen dienen sie der Effektuierung des Binnenmarkts, eines zentralen Integrationszieles der EU, wie bereits Art. 26 Abs. 2 AEUV verdeutlicht.1 Sie gehören zu den „Grundprinzipien des Vertrags“,2 weshalb ihnen fundamentale Bedeutung in der Unionsrechtsordnung zukommt.3 Daneben dienen sie auch dem Schutz der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer und stellen somit subjektive Rechte dar.4 Auch für die Grundfreiheiten gilt der allgemein für das Unionsrecht seit der Costa/E.N.E.L.Entscheidung des EuGH5 statuierte Vorrang vor den nationalen Rechten der Mitgliedstaaten. Im Fall konfligierender Wertungen setzt sich das Unionsrecht gegenüber dem nationalen Recht durch. Im Rahmen des deutschen internationalen Privatrechts legt Art. 3 Nr. 1 EGBGB – wenn auch nur ein deklaratorisches6 – Zeugnis von diesem Rangverhältnis der Rechtsquellen ab.7 Das Unionsrecht genießt Anwendungsvorrang, das heißt, dass das nationale Recht zwar gültig bleibt, aber im Fall

1 Statt vieler Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 40 f.; Teichmann, ZGR 2011, 639, 646; ders., Binnemarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 26 ff.; Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1040. 2 So zur Niederlassungsfreiheit EuGH, Urteil vom 21. 6. 1974 – Rs. 2/74 (Reyners), Slg. 1974, 631 Rn. 42; EuGH, Urteil vom 7. 7. 1976 – Rs. 118/75 (Watson), Slg. 1976, 1185 Rn. 16. 3 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 2; Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 40. 4 Siehe grundlegend EuGH, Urteil vom 5. 2. 1963 – Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, 3; ausf. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 9; Streinz, Europarecht, Rn. 848 f.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 57 ff.; je m.w.Nachw. 5 EuGH, Urteil vom 15. 7. 1964 – Rs. 6/64 (Costa/E.N.E.L), Slg. 1964, 1251. 6 Kropholler, IPR, § 10; v. Bar/Mankowski, IPR, § 3 Rn. 37; Palandt/Thorn, Art. 3 EGBGB Rn. 1. 7 Siehe Wagner, IPRax 2008, 314, 317.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

eines Widerspruchs zum Unionsrecht unanwendbar ist.8 Das BVerfG hat diesen Vorrang in den Grenzen der sog. Solange-Rechtsprechung bestätigt.9

I. Der europäische Binnenmarkt Da die Grundfreiheiten Instrumente zur Verwirklichung des Binnenmarkts darstellen,10 ist es unumgänglich, auch das Ziel des Binnenmarkts in den Blick zu nehmen, will man die Funktion und Wirkungsweise der Grundfreiheiten vollumfänglich erfassen. Seit dem Vertrag von Lissabon ist es ausweislich des Art. 3 AEUV das Ziel der Europäischen Union, einen Binnenmarkt zur errichten. Art. 26 Abs. 2 AEUV umschreibt diesen als Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet wird. Er soll nach dem Protokoll Nr. 27 (Protokoll über den Binnenmarkt und den Wettbewerb) ein System umfassen, dass den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt. Die textliche Neufassung durch den Vertrag von Lissabon, die erstmals den Binnenmarkt in den unionalen Zielartikel integriert, hat allerdings keine inhaltliche Änderung des bisherigen binnenmarktrechtlichen Konzepts der Union bewirkt.11 Bereits zuvor war es gemäß Art. 2 EG a.F. Aufgabe der Gemeinschaft, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Markts in der ganzen Gemeinschaft eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens zu fördern. Dies sollte nach dem Textbefund des Art. 3 Abs. 1 lit. c) EG a.F. unter anderem durch die Verwirklichung eines Binnenmarkts erreicht werden, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist.12 Das verfolgte Ziel ist die „Verschmelzung der natio8 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 AEUV Rn. 16 ff., 18; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 61 f. je m.w.Nachw. 9 BVerfGE 37, 271, 280 ff. (Solange I); BVerfGE 73, 339, 375 ff. (Solange II); siehe ferner, insbesondere zu den Vorbehalten hinsichtlich des Verfassungsrechts BVerfGE 89, 155 (Maastricht); BVerfGE 123, 267 ff. (Lissabon); BVerfGE 126, 286 ff. (Honeywell); BVerfG BeckRS 2014, 46922 (OMT) 10 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 3; Hoffmann, Grundfreiheiten, S. 39 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 21 ff.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 3 ff.; Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/ EGV, Vorb. zu Art. 28 – 31 EGV Rn. 8; Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 1 f.; Steindorff, ZHR 158 (1994), 149, 162 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 22; Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorb. zu Art. 28 – 31 EGV Rn. 12. 11 Müller-Graff, ZHR 173 (2009), 443 ff.; ders., in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht, S. 5, 16; ders., FS Hellwig, 2010, S. 251, 252 ff.; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 26; siehe auch Nowak, EuR 2009, Beiheft 1, 129 ff. 12 Zur hier nicht weiter zu vertiefenden Distinktion der Begriffe „Gemeinsamer Markt“ und „Binnenmarkt“ siehe etwa Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 34 ff.; Nowak, EuR 2009, Beiheft 1, 129, 132 ff. Seit dem Vertrag von Lissabon, der den Begriff des Gemeinsamen Markts flä-

§ 1 Funktion der Grundfreiheiten im Binnenmarkt

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nalen Märkte zu einem einheitlichen Markt, dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmarkts möglichst nahe kommen.“13 1. Ökonomische Ausrichtung Der Binnenmarkt als Raum ohne Binnengrenzen (Art. 26 AEUV) bildet das Kernelement der Integration und dient als Garant für Wohlstand in den Mitgliedstaaten.14 Hintergrund ist die historisch bedingte, ökonomische, effizienzorientierte Ausrichtung des Binnenmarkts.15 In Anlehnung an die klassischen Außenhandelslehren16 soll die Wohlfahrt aller durch zunehmende Wirtschaftsaktivitäten und freien Austausch von Produktionsfaktoren zwischen den Mitgliedstaaten gesteigert werden.17 Im Lichte dieser Zielsetzung genießen der Abbau von Hindernissen für den grenzüberschreitenden Handel und die Öffnung der Märkte im Binnenmarkt höchste Priorität und gewährleisten Vorteile zweierlei Art: Zum einen ermöglicht die damit verbundene Ausweitung der Absatzmärkte für die Akteure im Binnenmarkt die Erzielung von Skalenerträgen (economies of scale). Diese ergeben sich aus dem Umstand, dass bei einer durch die Vergrößerung des Absatzmarkts ermöglichten größeren Absatzmenge die Kosten für Gestaltung und Fixkosten in Relation zur

chendeckend durch den des Binnenmarkts ersetzt hat, dürfte die Unterscheidung größtenteils an Gewicht verloren haben, Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 38. 13 EuGH, Urteil vom 5. 5. 1982 – Rs. 15/81 (Gaston Schul), Slg. 1982, 1409 Rn. 33; ferner EuGH, Urteil vom 25. 2. 1988 – Rs. 299/86 (Drexl), Slg. 1988, 1213 Rn. 24; EuGH, Urteil vom 17. 5. 1994 – Rs. C-41/93 (Komm./Frankreich), Slg. 1994, I-1829 Rn. 19; ferner Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorb. zu Art. 28 – 31 EGV Rn. 2 ff. 14 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 22; Pechstein, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 7; Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 26 AEUV Rn. 7, 9 ff.; (deutlich auch Vorauflage: Streinz, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 2 EGV Rn. 30 ff.); Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 3; Terhechte, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 40 ff.; siehe auch Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 1; Teichmann, ZGR 2011, 639, 647. 15 Die Gründung der Europäischen Gemeinschaften in Form von EKGS, EWG und EAG war vornehmlich wirtschaftlich orientiert; siehe dazu näher Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 4 ff.; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 813; ausf. Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 8 ff.; siehe ferner Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 46. 16 Zurückgehend auf A. Smith, An inquiry into the nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776; siehe näher dazu Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 27 ff.; sowie Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 5 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/ AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 205 f. 17 Dazu Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 264 ff.; ferner Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 27 ff.; ders., ZGR 2011, 639, 646 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 11 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 635; Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorb. zu Art. 28 – 31 EGV Rn. 3.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

Stückzahl sinken und infolgedessen eher amortisiert werden können.18 Zum anderen sorgt die Öffnung der mitgliedstaatlichen Märkte für eine effiziente Allokation von Ressourcen, die Art. 120 AEUV (ex Art. 98 EG) bereits zum Grundsatz der unionsrechtlichen Wirtschaftspolitik erhebt.19 Jede Ware kann in dem Mitgliedstaat hergestellt werden, in dem sie am günstigsten produziert werden kann. Anschließend kann sie unionsweit exportiert werden. Mitgliedstaaten, in denen die betreffende Produktion bisher höhere Kosten verursachte, können die Ware importieren und die so frei gewordenen Produktionsfaktoren zur Herstellung anderer Güter benutzen, bei denen der jeweilige Mitgliedstaat seinerseits einen Kostenvorteil genießt. Durch diese effiziente Allokation der Ressourcen werden unnötig hohe Kosten und daraus resultierende Minderproduktion vermieden. Unionsweit nutzt jeder Mitgliedstaat die Ressourcen effizient und trägt so zur allgemeinen Wohlfahrtsteigerung bei.20 Der intensivierte Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts effektuiert zudem eine solche effiziente Ressourcenallokation. 2. Begrenzung durch nicht-ökonomische Erwägungen Diese am reinen Freihandel ausgerichtete Grundzielsetzung des Binnenmarkts findet ihre Grenzen in nicht-wirtschaftlichen, sozialen Erwägungen. Insbesondere die Aufnahme anderer Ziele, wie etwa ein hohes Beschäftigungsniveaus, der Schutz der Umwelt und der kulturellen Vielfalt oder ein hohes Maß an sozialem Schutz, in die Aufgabenvorschrift des Art. 2 EG a.F. durch die Amsterdamer Verträge verdeutlichte bereits, dass die Aufgaben der Gemeinschaft (nun: Union) über die rein ökonomische Dimension hinausweisen.21 Seit den Lissabonner Verträgen verpflichtet die unionale Zielvorschrift des Art. 3 Abs. 3 EUV die Union nunmehr expressis verbis auf eine soziale Marktwirtschaft.22

18 Molle, Economics of European Integration, S. 15 f.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 5; Nicolaysen, Europarecht II, S. 26 f.; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 29 f.; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 37. 19 Siehe dazu etwa Häde, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 120 AEUV Rn. 4. 20 Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 28; Brasche, Europäische Integration, S. 62 ff.; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 813 ff.; Molle, Economics of European Integration, S. 15 f.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 3. 21 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 27 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 9. 22 Hierzu auch Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 47; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 25, 27 ff.; Müller-Graff, in: MüllerGraff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht, S. 5, 13 ff.

§ 1 Funktion der Grundfreiheiten im Binnenmarkt

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II. Grundfreiheiten als Instrumente zur Verwirklichung des Binnenmarkts Zur Verwirklichung des Binnenmarkts und der damit angesprochenen wohlfahrtssteigernden Vorteile eines Systems freier Marktwirtschaft und unverfälschten Wettbewerbs stehen dem Unionsrecht insbesondere zwei Instrumente zur Verfügung:23 Zum einen die Beseitigung von binnenmarktrelevanten Hindernissen durch Rechtsangleichung mittels Sekundärrecht, zum anderen durch Aktivierung der Grundfreiheiten. Während die Rechtsangleichung dieses Ziel mittels aktiv gestaltenden Maßnahmen der Rechtsetzung in Form einer positiven Integration zu erreichen sucht, beschränken sich die Grundfreiheiten auf eine negative Funktion, indem sie lediglich die Anwendung Hemmnisse generierender Regelungen der Mitgliedstaaten untersagen, nicht aber selbst die entstandene Lücke positiv regeln.24 Anders gewendet bilden die Grundfreiheiten einen Kontrollmaßstab für Ergebnisse nationaler Rechtsanwendung, entbehren aber eines positiven Zuweisungsgehalts für den Fall eines negativen Kontrollbefunds. Ihre (negative) integrative Wirksamkeit liegt dabei insbesondere in ihrer Ausgestaltung als subjektiv-öffentliche Rechte, die nicht nur Bindungswirkung erzeugen, sondern dem einzelnen Marktteilnehmer individuell durchsetzbare Rechte an die Hand gibt.25 Als Instrument zur Verwirklichung des Binnenmarkts werden Wirkung und Funktion der Grundfreiheiten maßgeblich von dem soeben dargelegten ökonomischen und integrationspolitischen Verständnis des Binnenmarkts beeinflusst. Dem wirtschaftsbezogenen Grundansatz des Binnenmarkts entsprechen insbesondere die Warenverkehrsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit, indem sie innerhalb des Binnenmarkts einen freien Leistungsaustausch und damit die beschriebenen positiven Wohlfahrtseffekte gewährleisten.26 Die Niederlassungsfreiheit sorgt in diesem Kontext dafür, dass Marktakteure mittels ökonomisch bestimmter Standortwahl ihre Wettbewerbsposition regional stärken können.27 Dabei steht es ihnen frei, welcher Organisationsform sie sich für ihre wirtschaftlichen Aktivitäten

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Daneben sind noch das Wettbewerbs- sowie das Beihilferecht zu nennen. Ausf. dazu Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 2 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 58 ff.; Enriques/Gelter, 81 Tul. L. Rev. (2007), 577, 592 f. 25 Siehe nur Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 8; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 8; Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorb. zu Art. 28 – 31 EGV Rn. 12; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 20 ff. 26 Siehe dazu etwa Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorb. zu Art. 28 – 31 EGV Rn. 8. 27 Teichmann, ZGR 2011, 639, 650; Schön, FS Hommelhoff, 1037, 1040 f.; Troberg/Tiedje, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorb. Art. 43 – 48 EGV Rn. 10 ff.; Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 97 f. 24

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

bedienen.28 Die Art. 49, 54 AEUV gestatten eine weiterreichende Integration in den Markt eines Mitgliedstaats und ermöglichen einen besseren Marktzugang durch den Aufbau einer breiteren Basis im Destinationsstaat für den Absatz von Leistungen in Form von unselbständigen Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften.29 Die Niederlassungsfreiheit erlaubt es so, Geschäftstätigkeiten entsprechend der Ressourcenallokation unionsweit zu verlagern.30 Insbesondere für Gesellschaften, die durch ihre wirtschaftlichen Aktivitäten unter Wahrnehmung der Produktfreiheiten eine zunehmende Integration der mitgliedstaatlichen Märkte bewirken und somit Hauptakteure des Binnenmarkts sind, stellt die Niederlassungsfreiheit eine notwendige Ergänzung zur Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit dar, da sie es ermöglicht, die Beziehungen zu einem Markt über den Warenimport hinaus zu intensivieren.31 Ihrem Wortlaut nach sind die Grundfreiheiten überwiegend als reine Diskriminierungsverbote ausgestaltet.32 Ein Binnenmarkt lässt sich nicht verwirklichen, wenn EU-Ausländer bei grenzüberschreitenden Wirtschaftsaktivitäten schlechter als Inländer dastehen, mithin keine gleichen Wettbewerbsbedingungen vorfinden. Daher stellen die Grundfreiheiten zuvörderst die Marktgleichheit sicher, indem sie verhindern, dass Mitgliedstaaten ausländische Wirtschaftsgüter oder Personen anderen (strengeren) Vorschriften unterwerfen als denen, die für inländische Produkte oder Personen gelten.33 Diese Inländergleichbehandlungsgarantie fokussiert die Grundfreiheiten im Wesentlichen auf die Regeln des Aufnahmemitgliedstaats (Bestimmungsland) und wird daher oft auch als sogenanntes Bestimmungslandprinzip bezeichnet.34 Im Rahmen des internationalen Gesellschaftsrechts war etwa Art. 7 des EWG-Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften vom 29. 2. 196835 deutliches Zeugnis dieses Verständnisses der Grundfreiheiten. Trotz 28 Siehe dazu auch Leible, ZGR 2004, 531, 533; Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1047; ders., ECFR 2006, 122, 129. 29 Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 4; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 16; siehe auch Schön, ECFR 2006, 122, 129. 30 Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 2; Troberg/Tiedje, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorb. Art. 43 – 48 EGV Rn. 10. 31 Siehe auch Schön, ECFR 2006, 122, 129; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 16. 32 Näher dazu Streinz, Europarecht, Rn. 798; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 152 ff.; Steindorff, ZHR 150 (1986), 687, 690. 33 Statt vieler Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 19 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 113 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 798 ff.; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 8; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 35 ff.; Teichmann, ZGR 2011, 639, 647 f.; zur Niederlassungsfreiheit auch Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 98 ff. 34 Siehe etwa Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 825; Frenz, GewArch 2007, 98, 102; ders., Grundfreiheiten, Rn. 175; Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 3. 35 Abgedruckt etwa bei Staudinger/Großfeld, IntGesR Rn. 138; zum dt. Zustimmungsgesetz siehe BGBl. II 1972 S. 370; siehe dazu Beitzke, AWD (RIW) 1968, 91; Drobnig, ZHR 129 (1967), 93.

§ 1 Funktion der Grundfreiheiten im Binnenmarkt

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Anerkennung der Gesellschaft im Bestimmungsland (im Wege einer Gründungsrechtsanknüpfung) kupierte er die vom Heimatrecht gegebenen Rechtspositionen auf jene, die der Bestimmungsstaat seinen Gesellschaften zugestand. Somit folgte er allein dem Diskriminierungsverbot. Indes können auch unterschiedslos anwendbare Vorschriften, die nicht zwischen In- und Ausländern bzw. in- und ausländischen Produkten unterscheiden, den vom Binnenmarkt verfolgten freien Handel zwischen den Mitgliedstaaten behindern.36 Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Vorschriften zwar in- wie ausländische Produkte erfassen, sich jedoch tatsächlich ein Nachteil für ausländische Produkte ergibt, da sie neben den Anforderungen des Herkunftslands auch den Anforderungen des Marktortes gerecht werden müssen.37 Ein Unternehmer, der sein Produkt nach den Anforderungen des Herkunftslands herstellt und insoweit alle erforderlichen Genehmigungen besitzt, muss höhere Kosten tragen, wenn er in den anderen Mitgliedstaaten sein Produkt den dortigen Rechtsvorschriften anpassen oder erneut Genehmigungen einholen muss. Dieser Umstand bedeutet für ihn einen Wettbewerbsnachteil gegenüber den Produkten auf dem Markt des Bestimmungsstaats, die den Anforderungen nur einer Rechtsordnung unterliegen.38 Das Ziel eines durch die Grundfreiheiten gewährleisteten Binnenmarkts wäre in Frage gestellt, da sich ein gegenüber dem Markt des Herkunftsmitgliedstaats vergrößerter Absatzmarkt nur dann ergäbe, wenn und soweit die Produkte jeweils speziell für den grenzüberschreitenden Verkehr angepasst würden. Folglich drohen solche Regeln die Erzielung von Skalenbeträgen im Binnenmarkt weitestgehend zu verhindern. Aus diesem Grund hat der EuGH die Grundfreiheiten schrittweise zu Beschränkungsverboten weiterentwickelt.39 Maßgeblicher Leitgedanke war dabei, dass allein die unterschiedslose Anwendbarkeit einer Regelung nicht dazu führen darf, den Grundfreiheiten ihre praktische und für den Binnenmarkt elementare Wirksamkeit zu nehmen.40 In der insoweit grundlegenden Dassonville-Entscheidung zur Warenverkehrsfreiheit, der „Pionierfreiheit“ im Integrationsprozess,41 führte er daher aus, dass „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den 36 Siehe etwa EuGH, Urteil vom 18. 1. 1979 – verb. Rs. 110 und 111/78 (v. Wesemael), Slg. 1979, 35 Rn. 29 f.; ferner Teichmann, ZGR 2011, 639, 647 f. 37 W.-H. Roth, FS Großfeld, S. 929, 945; Streinz, Europarecht, Rn. 805 ff.; Steindorff, ZHR 150 (1986), 687, 689; Epiney, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 8 Rn. 32; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 159 f.; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 826; Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 24. 38 Teichmann, ZGR 2011, 639, 647 f.; ders., Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 120; W.-H. Roth, FS Großfeld, S. 929, 945 f. 39 EuGH, Urteil vom 11. 7. 1974 – Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, 837; EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979 – Rs. 120/78 (Cassis), Slg. 1979, 649; EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991 – Rs. C-76/ 90 (Säger), Slg. 1991, I-4421 Rn. 12; siehe etwa auch Terhechte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 40 ff. 40 EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991 – Rs. C-76/90 (Säger), Slg. 1991, I-4421 Rn. 12; Leible/ T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 14. 41 Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Vorb. zu Art. 28 – 31 EGV Rn. 8.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern“42 in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten fällt.43 Dieses freiheitsrechtliche Verständnis des Gerichtshofs fand in der Folge auch Eingang in seine Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit. Nach der insoweit maßgeblichen Entscheidung in der Rechtssache Kraus stellen alle mitgliedstaatlichen Vorschriften eine Beschränkung der Grundfreiheiten dar, die geeignet sind, „die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten durch die Gemeinschaftsangehörigen einschließlich der Staatsangehörigen des Mitgliedstaats, der die Regelung erlassen hat, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.“44 In dieser weit reichenden Formulierung, die den Bezug zu den im Bestimmungsland für Inländer geltenden Vorschriften vermissen lässt, kommt die Abkehr von einem rein gleichheitsrechtlichen Verständnis der Grundfreiheiten zum Ausdruck. Vielmehr wohnt ihr auch ein freiheitsrechtlicher Aspekt insoweit inne, als sie für einen Eingriff in die Grundfreiheiten allein eine tatsächliche Behinderung des grenzüberschreitenden Handels genügen lässt.45 Die Wettbewerbsneutralität als Element des Binnenmarkts wird daher neben der Inländergleichbehandlungsgarantie durch das in den Grundfreiheiten enthaltene Beschränkungsverbot verwirklicht, indem es für die Marktakteure im Grundsatz gleiche Marktzutrittsbedingungen (Marktzugangsfreiheit) gewährleistet.46 Ob es hierfür tatsächlich einer Ausweitung des Verständnisses der Grundfreiheiten von Diskriminierungs- auch zu Beschränkungsverboten bedurfte oder die betreffenden Vorschriften nicht bereits als versteckte Diskriminie-

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EuGH, Urteil vom 11. 7. 1974 – Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, 837 Rn. 5. Siehe hierzu Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 28 Rn. 39 ff.; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 59 ff.; Steindorff, ZHR 150 (1986), 687, 691. 44 EuGH, Urteil vom 31. 3. 1993 – Rs. C-1/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663 Rn. 32. 45 Siehe auch Teichmann, ZGR 2011, 639, 647 f. 46 Teichmann, ZGR 2011, 639, 649 ff.; siehe zum Marktzugang als maßgebliches Kriterium W.-H. Roth, GS Knobbe-Keuk, S. 729, 737 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 51 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 220 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 167 f.; Streinz, Europarecht, Rn. 818, 881 ff.; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 83 ff.; W.-H. Roth, CMLRev. 1994, S. 845, 853 f.; Becker, EuR 1994, 172 ff.; Matthies, FS Everling, S. 803, 809 f.; Heermann, WRP 1999, 381, 384; alle m.w.Nachw.; in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften auch Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 13, 15 ff.; ders., RabelsZ 70 (2006), 474, 479; Forsthoff, in: Hirte/ Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 39 f.; Leible, ZGR 2004, 531, 544; Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 108 f.; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 167 f.; das Kriterium des Marktzugangs liegt zudem auch der Rechsprechung des EuGH zugrunde, siehe etwa EuGH, Urteil vom 15. 12. 1995 – Rs. 415/93 (Bosman), Slg. 1995, I-4921 Rn. 103; EuGH, Urteil vom 10. 5. 1995 – Rs. C-384/93 (Alpine Investments), Slg. 1995, I-1141 Rn. 38; EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993 – verb. Rs. C-267 und 268/91 (Keck), Slg. 1993, I-6097 Rn. 17; EuGH, Urteil vom 18. 9. 2003 – Rs. C 416/00 (Morellato), Slg. 2003, I-9343 Rn. 31; siehe zum Ganzen auch unten 2. Teil § 5 IV.3. 43

§ 1 Funktion der Grundfreiheiten im Binnenmarkt

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rungen zu erfassen gewesen wären, ist umstritten.47 Der EuGH hat das Beschränkungsverbot im Anschluss an die Dassonville-Entscheidung jedenfalls auch auf die anderen Grundfreiheiten übertragen.48 Mittlerweile ist daher weitgehend anerkannt, dass neben der Warenverkehrs- auch die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit49 sowie die Arbeitnehmerfreizügigkeit über eine Diskriminierung hinaus auch Beschränkungen verbieten.50 1. Das Herkunftslandprinzip als Motor der Integration Mit der Erweiterung der Grundfreiheiten zu Beschränkungsverboten ist auch das sog. „Herkunftslandprinzip“ verknüpft.51 Legte das Diskriminierungsverbot das Hauptaugenmerk noch auf die Bestimmungen im Aufnahmeland und ließ sich mit dem Bestimmungslandprinzip verbinden, hatte die Erweiterung der Grundfreiheiten zu einem Beschränkungsverbot zur Folge, dass nunmehr (auch) das Recht des Herkunftsstaats in den Fokus der Grundfreiheiten rückte.52 Diese neue Dimension der Grundfreiheiten führte zur Deduktion des Herkunftslandprinzips.53 Fundament 47 So insbesondere Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 115 ff.; ders., in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 57 ff.; siehe dazu auch Streinz, Europarecht, Rn. 805; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 191. 48 Zur Dienstleistungsfreiheit EuGH, Urteil vom 3. 12. 1974 – Rs. 33/74 (van Binsbergen), Slg. 1974, 1299; EuGH, Urteil vom 17. 12. 1981 – Rs. 279/80 (Webb), Slg. 1981, 3305; zur Arbeitnehmerfreizügigkeit EuGH, Urteil vom 15. 12. 1995 – Rs. 415/93 (Bosman), Slg. 1995, I-4921; EuGH, Urteil vom 13. 4. 2000 – Rs. 176/96 (Lehtonen), Slg. 2000, I-2681; zur Niederlassungsfreiheit EuGH, Urteil vom 31. 3. 1993 – Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663; EuGH, Urteil vom 30. 11. 1995 – Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I-4165; EuGH, Urteil vom 12. 7. 1984– Rs. 107/83 (Klopp), Slg. 1984, 2971. 49 Insoweit nicht überzeugend Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 682, wenn er zur Begründung der Grundfreiheitenkonformität auf den Wortlaut von Art. 49 Abs. 2 AEUV (ex Art. 43 Abs. 2 EG) verweist, der nur zu Erwerbstätigkeiten „nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen“ Berechtigt. Dieses Argument, das auf dem gleichheitsrechtlich formulierten Wortlaut des Art. 49 AEUV beruht, kann mit der Erweiterung auf ein Beschränkungsverbot nicht mehr verfangen. 50 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 187 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 159 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 804 ff.; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 826; Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 24; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 83; Epiney, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 8 Rn. 32; Franzen, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 86; W.-H. Roth, FS Großfeld, S. 929, 945 f.; ders., GS Knobbe-Keuk, S. 729 ff.; Streinz/Herrmann, EuZW 2006, 455, 457; Behrens, EuR 1992, 145, 151 ff. 51 Zur Begrifflichkeit siehe Steindorff, ZHR 150 (1986), 687, 689 ff.; siehe auch Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 121; Weller, FS Blaurock, S. 497; 504. 52 Ähnlich Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 3; Deinert, EWS 2006, 445, 452; Weller, FS Blaurock, S. 497; 504; Steindorff, ZHR 150 (1986), 687, 690 f. 53 Siehe dazu Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 140, 147 ff.; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 26; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 132 ff.; Hatje, in: Schwarze, EU, Art. 14 EGV Rn. 8; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 827; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 176 ff.;

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

dieses auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung fußenden Instruments ist der Grundgedanke der bekannten Cassis de Dijon-Entscheidung des EuGH.54 Demnach gebietet der freiheitsrechtliche Aspekt der Grundfreiheiten, dass jede Ware oder Dienstleistung, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurde, im gesamten europäischen Binnenmarkt frei zirkulieren kann.55 Die Erfüllung der Anforderungen des Herkunftsstaats wird folglich zum entscheidenden und grundsätzlich ausreichenden Kriterium erhoben,56 wobei inzident die Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen im Binnenmarkt vorausgesetzt bzw. fingiert wird.57 Es besteht mithin eine widerlegbare Vermutung für die Verkehrsfähigkeit von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital, soweit die Anforderungen des Herkunftsstaats erfüllt sind. Es ist offensichtlich, dass ein solches Prinzip die Integration im Binnenmarkt ungleich stärker fördert als das allein auf die Inländergleichbehandlung abstellende Bestimmungslandprinzip.58 Es öffnet die im Binnenmarkt existierenden Teilmärkte und gewährleistet so freien Marktzutritt. Die Effektivität des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung wurde von der Kommission im Weißbuch59 über die Verwirklichung des Binnenmarkts aus dem Jahr 1985 aufgegriffen und prägt seitdem das gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Binnenmarktkonzept.60 Die darin niedergelegte Harmonisierungsstrategie, die auch im Stockholmer Programm weiterhin Priorität genießt und auch im Nachfolgeprogramm für die Jahre 2015 bis 2019 Berücksichtigung finden soll,61 hat einen Paradigmenwechsel im Unionsrecht eingeläutet, indem sie das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung zum Integrationsinders., GewArch 2007, 98, 102 f.; Teichmann, ZGR 2011, 639, 649; Deinert, EWS 2006, 445, 452; Stünkel, EG-Grundfreiheiten, S. 49. 54 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979 – Rs. 120/78 (Cassis), Slg. 1979, 649. 55 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979 – Rs. 120/78 (Cassis), Slg. 1979, 649 Rn. 14; siehe auch EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987 – Rs. 178/84 (Reinheitsgebot), Slg. 1987, 1227 Rn. 29 ff.; EuGH, Urteil vom 26. 7. 1997 – Rs. C-368/95 (Familiapress), Slg. 1997, I-3689 Rn. 8; EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991 – Rs C-76/90 (Säger), Slg. 1991, I-4221 Rn. 12. 56 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 827; Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 26 AEUV Rn. 26. 57 Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 31 (bei Fn. 55); Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 26; Klinke, Liber amicorum Kegel, S. 1, 23 ff. 58 Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 122; Müller-Graff, FS Hellwig, S. 251, 252 ff. 59 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vollendung des Binnenmarkts, Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat vom 14. 6. 1985, KOM (1985) 310 endg., Rn. 60 ff. 60 So kehrt es etwa im Haager und später im Stockholmer Programm an prominenter Stelle zurück; siehe etwa Kaufhold, EUR 2012, 408, 411, 416. 61 Zur Bedeutung der Anerkennung (mutual recognition) für das Nachfolgeprogramm Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2014, 1, 2, mit Verweis auf Discussion Paper 1: EU Civil Law (Assises de la Justice) Vollendung des europäischen Rechtsraums: Wie geht es weiter? European Commission – IP/13/919 07/10/2013.

§ 1 Funktion der Grundfreiheiten im Binnenmarkt

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strument du jour erklärte und die Rechtsangleichung dahinter zurücktreten ließ.62 Die Rechtsangleichung soll sich danach darauf beschränken, in Bereichen, in denen eine Harmonisierung der Rechtsordnungen unerlässlich ist, wie insbesondere bei Erfordernissen für Produktsicherheit und Verbrauchergesundheit, feste, für alle Mitgliedstaaten verbindliche Standards zu setzen, die die Verkehrsfähigkeit von Produkten im Binnenmarkt ermöglichen.63 In den weniger sensiblen Bereichen könnten die Regelungen der Mitgliedstaaten indes als gleichwertig angesehen werden, so dass eine sofortige und uneingeschränkte Anerkennung der unterschiedlichen Regelungen durch die Mitgliedstaaten zu erfolgen habe.64 Das Herkunftslandprinzip soll somit die Beseitigung von Handelshindernissen vorantreiben, ohne dass dafür eine Rechtsangleichung nötig wird.65 2. Die begrenzte Funktion des Herkunftslandprinzips Insbesondere für das hier interessierende Verhältnis der Grundfreiheiten zum IPR66 ist es entscheidend, sich zu vergegenwärtigen, dass die Funktion der Grundfreiheiten sich nicht in dem Herkunftslandprinzip erschöpft.67 Eine Gleichsetzung von Grundfreiheiten und Herkunftslandprinzip griffe insoweit zu kurz, als letzteres nur einen Teilausschnitt des Regelungskomplexes der Grundfreiheiten darstellt.68 Die Grundfreiheiten geben weder dem Herkunftsland- noch dem Bestimmungslandprinzip den Vorzug, sondern beruhen auf einem Wechselspiel beider.69 Im Rahmen des Diskriminierungsverbots der Grundfreiheiten etwa ist das Herkunftslandprinzip ohne Bedeutung.70 Die Grenzen des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung sind zudem bereits systemimmanent in dem Wesen des Binnenmarkts als Zusammenschluss von Einzelstaaten enthalten.71 Der Binnenmarkt geht von der Fortexistenz der unterschiedlichen Rechtsordnungen aus und überlässt die Wirt62 63

S. 5. 64

Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 31; Kaufhold, EUR 2012, 408, 411 ff. KOM (1985), 310 endg., Rn. 65 ff.; siehe auch Stockholmer Progamm, ABl. EU C 115/1

KOM (85), 310 endg., Rn. 65 ff. Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 665; Steindorff, ZHR 150 (1986), 687, 692; siehe auch EuGH, Urteil vom 9. 12. 1981 – Rs. 193/80 (Komm./Italien), Slg. 1981, 3019 Rn. 17. 66 Siehe unten § 2, insb. 1. Teil § 2 II. 67 So bereits W.-H. Roth, ZHR 159 (1995), 78, 90 ff.; v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 11 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 172 ff., 183 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 26 ff.; Sonnenberger, ZVglRWiss 95 (1996), 3, 12. 68 Zur Unsicherheit bzgl. der genauen Bedeutung dieses Prinzip siehe Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 133 f.; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 94, 136, 142; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 670. 69 Frenz, GewArch 2007, 98, 103 f. 70 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 138; W.-H. Roth, in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 55; ders., IPRax 2006, 338, 340. 71 Siehe Hoffmann, Grundfreiheiten, S. 49 ff. 65

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

schaftsordnung der Gestaltung durch die Mitgliedstaaten.72 Die Grundfreiheiten als Minus zur Rechtsangleichung sind somit kein Mittel, die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten generell zu hinterfragen; vielmehr zielen sie darauf ab, unter Anerkennung der mitgliedstaatlichen Wirtschaftskonzepte lediglich Behinderungen, die sich für den innerunionalen Handel ergeben, zu beseitigen.73 Ein umfassendes, uneingeschränktes Herkunftslandprinzip, das die Grundfreiheiten dergestalt verwirklichte, dass generell nur die Anforderungen des Rechts des Herkunftslands erfüllt sein müssten, um eine unbedingte Zirkulationsfähigkeit in der Union zu garantieren, liefe dem zuwider, würde es doch in Verbindung mit der weitreichenden Dassonville-Formel zu einem umfassenden Import des Rechts des Herkunftslands führen.74 Es ist jedoch nicht das Ziel der Grundfreiheiten, die Mitgliedstaaten weitumfänglich auf die Anwendung jeweils anderer Mitgliedstaaten Rechts zu verpflichten. Resultat wäre anstelle eines teilweise harmonisierten Binnenmarkts mit 28 zur Binnenmarktförderung verpflichteten Rechtsordnungen (unvollkommener Binnenmarkt) eine Durchmischung jeder Rechtsordnung mit denen der anderen Mitgliedstaaten.75 Ziel ist es vielmehr, lediglich die sich spezifisch aus dem Regelungsgefälle zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ergebenden Beschränkungen für eine effizienzorientierte Ressourcenallokation im Binnenmarkt abzubauen. Dazu ist es vonnöten, dass speziell den Markt segmentierende Vorschriften dann nicht zur Anwendung gelangen, wenn das verfolgte Regelungsziel bereits durch Vorschriften des Herkunftsstaats angesprochen wird. Ansonsten bewendet es aber bei der Kompetenz des Aufnahmemitgliedstaats. So führt auch der EuGH bereits in der grundlegenden Cassis-Entscheidung aus, dass es Sache der Mitgliedstaaten sei, „alle die Herstellung und Vermarktung […] betreffenden Vorschriften für ihr Hoheitsgebiet zu erlassen.“76 Dem Bestimmungslandprinzip folgend haben die Mitgliedstaaten daher grundsätzlich die Inländergleichbehandlung sicherzustellen.77 Nur sofern die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats eine spezifische Behinderung für den grenzüberschreitenden Handel darstellen, erfordert der Binnenmarktbezug der Grundfreiheiten die Erfassung solcher Beschränkungen für den Marktzugang und das Herkunftslandprinzip kommt zum Tragen, indem es eine adäquate Berücksichtigung des Rechts des Herkunftsstaats verlangt.78 Das Bestimmungslandprinzip setzt sich dagegen trotz wettbewerbsbehindernder Vor72

Dazu auch Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 120 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 29. 73 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 193 ff., 201 ff.; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 18; Ahrens, FS Georgiades, S. 789, 798; siehe auch Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1280. 74 Darauf hinweisend Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 177. 75 Frenz, GewArch 2007, 98, 102 f. 76 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979 – Rs. 120/78 (Cassis), Slg. 1979, 649 Rn. 8. 77 W.-H. Roth, FS Großfeld, S. 929, 945; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 184, 187. 78 Siehe auch Grabitz, FS Steindorff, S. 1229, 1234 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 183; Hoffmann, Grundfreiheiten, S. 44; Zuleeg, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 3 EGV Rn. 4.

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schriften durch, sofern letztere in verhältnismäßiger Weise zwingende Gründe des Allgemeinwohls verfolgen.79 Die den Mitgliedstaaten verbleibende Regelungshoheit zeigt sich zudem in dem Umstand, dass das Bestimmungslandprinzip unbeschadet der Regelungen des Herkunftslands auch für ausländische Waren oder Güter Geltung beansprucht, sofern der Marktzugang sichergestellt ist.80 Das Beschränkungsverbot der Grundfreiheiten und damit auch das Herkunftslandprinzip sind nämlich durch die Keck-Rechtsprechung des EuGH81 auf solche mitgliedstaatlichen Vorschriften beschränkt, die durch ihre tatsächlichen Auswirkungen spezifisch den Marktzugang betreffende Barrieren errichten, mithin marktsegmentierenden Charakter haben.82 In diesem Spannungsfeld zwischen der Verwirklichung des Binnenmarkts durch europäische Marktfreiheit und dem Respekt vor der Existenz nationaler Regelungskompetenzen liegt die besondere Bedeutung der Grundfreiheiten darin, dass sie mittels des Herkunftslandprinzips die Überwindung von spezifisch marktzugangsbeschränkenden Hürden für das grenzüberschreitende Wirtschaftsleben gewährleisten, gleichwohl aber rein marktregulierende Vorschriften des Bestimmungsstaats unangetastet lassen und lediglich am Inländergleichbehandlungsgebot des Bestimmungslands messen.83 Dogmatisch tritt das Herkunftslandprinzip an zwei Stellen im Aufbau der Grundfreiheiten in Erscheinung. Sofern das Beschränkungsverbot betroffen ist, vermag es mit dem Vergleich zu den Rechtsvorschriften des Herkunftsstaats einen Indikator dafür an die Hand zu geben, ob durch ein etwaiges Regelungsgefälle zwischen Herkunfts- und Aufnahmestaat ein spezifisch den Marktzugang betreffendes Hemmnis für den grenzüberschreitenden Verkehr generiert wird.84 79 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979 – Rs. 120/78 (Cassis), Slg. 1979, 649 Rn. 8; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 183; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 48; Stünkel, EG-Grundfreiheiten, S. 49; zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten siehe unten § 6. 80 Frenz, GewArch 2007, 98, 104; W.-H. Roth, in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 49, 55; Hoffmann, Grundfreiheiten, S. 61 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/ AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 210 f.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 51, 152. 81 EuGH, Urteil vom 42. 11. 1993 – verb. Rs. C-267 und C-268/91 (Keck), Slg. 1993, I-6097. 82 Siehe dazu ausführlich unten bei 2. Teil § 5 IV.3.; ferner Leible/T. Streinz, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 74 ff., 79; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 96 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 51 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 167 ff., 442 ff.; Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 76; Epiney, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 8 Rn. 37 f.; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 41 ff.; Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 28 EGV 239 ff.; W.-H. Roth, FS Großfeld, S. 929 ff. passim; Steindorff, ZHR 158 (1994), 149 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 881 f.; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 873 ff.; alle m.w.Nachw. 83 Siehe Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 185; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 133; siehe auch Classen, EuR 2004, 416, 436. 84 Siehe auch Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 24 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 152.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

Mithin kommt ihm auf Tatbestandsebene Bedeutung für die Feststellung einer Beschränkung zu.85 Zum anderen kann es aber auch auf Rechtfertigungsebene die Verhältnismäßigkeit beschränkender Maßnahmen des Aufnahmestaats beeinflussen, indem es dazu zwingt, im Rahmen der Erforderlichkeit auch die Rechtsvorschriften des Herkunftsstaats mit einzubeziehen.86 Im Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass das Herkunftslandprinzip zwar ein sehr effektives Integrationsinstrument ist, jedoch eben nicht als eigenständiges Ziel in den Grundfreiheiten verankert ist.87 Der EuGH hat daher zu Recht darauf hingewiesen, dass es als solches dem Primärrecht nicht zu entnehmen sei.88 Es stellt nur eine von mehreren Auslegungsregeln für die Grundfreiheiten dar und sucht im Wechselspiel mit dem Bestimmungslandprinzip, die ökonomisch konzipierte Zielsetzung des Binnenmarkts mit den Einschränkungen, die sich aus der Fortexistenz der unterschiedlichen Rechtsordnungen ergeben, zu einem Ausgleich zu bringen.89

III. Der unvollkommene Binnenmarkt als Regelungsziel der Grundfreiheiten Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die Grundfreiheiten nicht allein bei einem Diskriminierungsverbot stehen bleiben können, sondern zudem eine Auslegung als Beschränkungsverbot geboten ist, um die die ökonomischen Vorteile nutzen zu können, die der Binnenmarkt generieren will.90 Das Beschränkungsverbot und das Herkunftslandprinzip können jedoch nicht umfassend gelten, da ansonsten potenziell alle mitgliedstaatlichen Vorschriften einem unionsrechtlichen Rechtfer-

85 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 138, 450; Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 97 f. 86 Siehe dazu noch unten 3. Teil § 7 II.2.; ferner Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 96; Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 26 AEUV Rn. 27; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 75; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 137 ff.; v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 15. 87 v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 11 ff.; W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635, 644 f.; siehe auch ders., in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 55; ders., RabelsZ 55 (1991), 623, 667; Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 34. 88 EuGH, Urteil vom 13. 5. 1997 – Rs. C-233/94 (Deutschland/Parlament und Rat), Slg. 1997, I-2405. 89 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 136 ff., 450; ebenso Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 120 f. 90 Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 159 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 187 ff., 205 f.; Streinz, Europarecht, Rn. 806 ff.; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 826 f.; Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 24; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 79; Epiney, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 8 Rn. 32; Franzen, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 86 f.; W.-H. Roth, FS Großfeld, S. 929, 945 f.; ders., GS Knobbe-Keuk, S. 729 ff.; Behrens, EuR 1992, 145, 151 ff.

§ 1 Funktion der Grundfreiheiten im Binnenmarkt

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tigungszwang unterlägen.91 Insoweit setzt die vom Vertrag vorausgesetzte fortbestehende Staatlichkeit der Mitglieder der Union der Auslegung der Grundfreiheiten Grenzen. Sie sollen keine volle Rechtsharmonisierung herbeiführen, sondern bleiben aufgrund der bestehenden Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten dahinter zurück.92 Daraus folgt auch, dass allein die Existenz verschiedener Rechtsordnungen nicht zu einer Beschränkung führen kann.93 Allein aus dem Umstand, dass eine Person oder Ware bei grenzüberschreitendem Verkehr einer anderen Rechtsordnung unterliegt, mag zwar tatsächlich zusätzliche Kosten – man denke nur an zusätzliche Rechtsinformationskosten94 – verursachen, ist aber insoweit nicht von den Grundfreiheiten erfasst, als dies nur die Struktur des Binnenmarkts als Gebilde aus mehreren Staaten, die ihre Souveränität nur partiell übertragen haben, widerspiegelt.95 Es handelt sich demnach um systemimmanente Behinderungen, die dem Binnenmarkt eigen sind und daher auch von den Grundfreiheiten hingenommen werden. Zusätzliche Kosten, die für den grenzüberschreitenden Verkehr entstehen, können nur dann als Handelsbeschränkung qualifiziert werden, „wenn sie daraus resultieren, dass die nationalen Vorschriften die besondere Situation der eingeführten Erzeugnisse und insbesondere nicht berücksichtigen, dass die Erzeugnisse bereits den Vorschriften des Herkunftsstaats genügen.“96 Der so beschriebene Zielzustand ist treffend als „unvollkommener Binnenmarkt“ bezeichnet worden.97 Vollkommen wäre er nur dann, wenn alle Rechtsunterschiede eingeebnet wären und nur noch eine Rechtsordnung unionsweit Geltung beanspruchen würde. Der AEU-Vertrag nimmt indes aufgrund der Fortexistenz der Mitgliedstaaten gewisse Behinderungen durch Rechtsunterschiede in Kauf.98 Vor dem Hintergrund dieser begrenzten Zielsetzung

91 Siehe dazu die GA Mischo, Schlussanträge vom 7. 7. 1998 – Rs. C-255/97 (Pfeiffer), Slg. 1999, I-2835 Rn. 58: „Es wäre nämlich unerträglich, wenn die Mitgliedstaaten nationale Rechtsvorschriften aller Art […] als zwingende Erfordernisse rechtfertigen müssten, sofern ein Wirtschaftsteilnehmer geltend macht, dass die Niederlassungsfreiheit durch diese Vorschrift weniger attraktiv werde.“ 92 Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 28, 31 f. 93 Siehe auch näher unter 1. Teil § 2 II.3.a)aa) und 1. Teil § 2 II.3.a)bb). 94 Dazu unten 1. Teil § 2 II.3.a)aa). 95 Siehe auch Steindorff, ZHR 158 (1994), 149, 160; Frenz, GewArch 2007, 98, 102 ff.; mit Bezug zum internationalen Gesellschaftsrecht W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 643; ders., 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 847, 864; ders., in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 56 f.; Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 30; Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 96 ff. 96 So GA Maduro zur Konkretisierung der mit der Keck-Rechtsprechung aufgeworfenen Frage der Reichweite des Beschränkungsverbots, GA Maduro, Schlussanträge vom 30. 3. 2006 – Rs. C-158/04 (Alfa Vita Vassilopoulos), Slg. 2006, I-8135 Rn. 42 ff.; dazu auch Kingreen, EWS 2006, 488 ff. 97 Steindorff, ZHR 158 (1994), 149 ff. 98 Steindorff, ZHR 158 (1994), 149, 160; Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1280; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 122.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

sind die Grundfreiheiten und damit auch die hier interessierende Niederlassungsfreiheit auszulegen.

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht In dieses Dogmengebäude der Grundfreiheiten, die den Binnenmarkt mit vielfältigen Interdependenzen von Marktort- und Herkunftslandprinzip zu fördern suchen, gilt es nun, das mitgliedstaatliche IPR einzufügen. Dabei ist zu untersuchen, welche allgemeinen Vorgaben sich aus den Grundfreiheiten für das mitgliedstaatlich IPR, insbesondere das internationale Gesellschaftsrecht, ableiten lassen. Beinhalten nämlich die Grundfreiheiten, namentlich die Niederlassungsfreiheit, bereits die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Art der Anknüpfung im internationalen Gesellschaftsrecht, so ist jede weitere Überlegung an der so gewonnenen Kollisionsnorm entlang auszurichten. Die Frage der Europarechtskonformität ließe sich dann bereits auf der Ebene des Kollisionsrechts beantworten: Jedwede Abweichung von der vorgegebenen Kollisionsnorm stellte eine Beschränkung der garantierten Freiheiten dar und stünde mithin unter einem europarechtlichen Rechtfertigungsdruck. Magna quaestio wäre dann allein die Reichweite99 des primärrechtlich verankerten Anwendungsbefehls. Optiert das Primärrecht hingegen nicht für eine bestimmte Kollisionsregel, bilden das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht einerseits und die Niederlassungsfreiheit andererseits zwei voneinander zu trennende Materien. Feste Vorgaben ließen sich dann nicht ableiten: Die Grundfreiheiten würden keine bestimmte Anknüpfung gebieten, allenfalls das zu erreichende Ergebnis vorgeben und es den Mitgliedstaaten überlassen, auf welchem Weg sie zu diesem gelangen. Noch viel weniger könnte das mitgliedstaatliche IPR Einfluss auf das Primärrecht ausüben.100 Ausgangspunkt der Überlegungen sind in diesem Zusammenhang die soeben dargestellte Funktion der Grundfreiheiten wie auch die speziell im Rahmen der Niederlassungsfreiheit ergangenen Leitentscheidungen des EuGH, insbesondere die Urteile Daily Mail101, Überseering102, Cartesio103 und zuletzt Vale.104 99

Dazu unten 2. Teil und insbesondere § 5. Zu entsprechenden Versuchen, den Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit mittels Kollisionsrecht zu begrenzen, unten 2. Teil § 5 III. 101 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988 – Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483. 102 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919; die Urteile EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 und EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459, betrafen demgegenüber Beschränkungen, die eher auf materiellrechtlicher Ebene zu verorten sind. 103 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641; dazu etwa Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 ff.; Weller, IPRax 2009, 202 ff.; Kindler, IPRax 2009, 189 ff.; ders., NZG 2009, 130 ff.; Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 ff.; Franz, BB 2009, 1250 ff.; Mörsdorf, EuZW 2009, 97 ff.; Mansel/Thorn/R. Wagner, IPRax 2009, 1 ff.; Knof/Mock, ZIP 2009, 30. 100

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht

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Das Verhältnis der Grundfreiheiten zum IPR wurde wesentlich durch ihre oben gezeigte Entwicklung von reinen Diskriminierungs- auch zu Beschränkungsverboten105 geprägt. Der Einfluss des Europarechts ist zwar seit längerem Bestandteil der kollisionsrechtlichen Diskussion, insbesondere im internationalen Gesellschaftsrecht,106 doch entwickelte sich ein Spannungsfeld zwischen beiden Materien in größerem Maße erst mit dem gewandelten Verständnis der Grundfreiheiten und der damit einhergehenden Verlagerung des europäischen Fokusses vom Bestimmungsland- (auch) zum Herkunftslandprinzip.107 Zuvor ergaben sich trotz einiger früher Hinweise auf etwaige Konflikte108 nur selten Komplikationen zwischen beiden Materien. Ausgehend von der ursprünglichen Funktion der Grundfreiheiten als spezielle Diskriminierungsverbote, die das Bestimmungslandprinzip in den Mittelpunkt europarechtlicher Überlegung stellte, vertrug sich dieses Verständnis gut mit den Vorstellungen der Mitgliedstaaten von einem autonomen Kollisionsrecht.109 Europarechtlichen Schwierigkeiten begegnete man nur dort, wo man gerade nicht die eigene Rechtsanwendung anderen Marktteilnehmern zugutekommen lassen wollte,

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EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394; siehe hierzu auch OLG Nürnberg ZIP 2014, 128 ff.; ferner Teichmann, DB 2012, 2085 ff.; Schön, ZGR 2013, 333 ff.; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 ff.; Kindler, EuZW 2012, 888 ff.; G. H. Roth, ZIP 2012, 1744; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, S. 965 ff.; Weller, FS Blaurock, S. 497 ff.; ders., IPRax 2013, 530 ff.; Drygala, EuZW 2013, 569 ff. 105 Siehe oben 1. Teil § 1 II. 106 Ausführlich zum Verhältnis von Primär- und Kollisionsrecht siehe allgemein: Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 135 ff.; Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 432 ff.; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 ff.; Klinke, in: Liber amicorum Kegel, S. 1 ff.; Joerges, FS Heldrich, S. 205, 210 ff.; Kühne, FS Heldrich, S. 815 ff.; W.-H. Roth, FS Heldrich, S. 973 ff.; Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071 ff.; dies., in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, § 7 Rn. 58 ff.; Mankowski, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, S. 235, 244 f.; ders., in: Basedow (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, S. 595 ff. Speziell zur Niederlassungsfreiheit und internationalem Gesellschaftsrecht siehe u. a.: Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 98 ff.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 169 ff.; Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369 ff.; Ebke, FS Thode, S. 593; ders., in: Basedow (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, S. 197 ff.; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 34 ff.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 1 ff.; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 66 ff. 107 So auch W.-H. Roth, in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47; ders., GS Lüderitz, S. 635 f.; siehe auch Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 165 f.; Joerges, FS Heldrich, S. 205, 210; Gounalakis/Radke, ZVglRWiss 98 (1999), 1 ff.; siehe zum Herkunftslandprinzip oben 1. Teil § 1 II.1. 108 Etwa Drobnig, Am. J.Comp.Law 15 (1967), 204 ff. 109 Siehe Kohler, FS Jayme, S. 445: „Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR haben sich lange auf getrennten Umlaufbahnen bewegt“. Ähnlich Michaels, 2 J. Priv. Int. L. (2006), 195, 196 f.: „For a long time, scholars of both areas worked in splendid isolation from each other.“ Joerges, FS Heldrich, S. 205, 210: „Europarecht und IPR haben lange ein Eigenleben geführt.“ Brödermann, NJW 2010, 807, 812.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

sie somit diskriminierte.110 Da also die Anwendung einheimischen Rechts auch auf ausländische Marktteilnehmer lediglich einer Diskriminierungsprüfung standhalten musste, war das Konfliktpotential (scheinbar) gering.111

I. Kollisionsrecht als grundfreiheitenresistente Materie Vor diesem Hintergrund nimmt es dann auch nicht wunder, dass sich zu der Frage, inwieweit das Unionsrecht das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht beeinflusst, eine Meinung in Literatur112 und Rechtsprechung113 etabliert hat, die von der strikten Trennung beider Materien ausgeht. Sie sieht im Kollisionsrecht eine grundfreiheitenresistente Materie. Anders gewendet stellt das nationale Kollisionsrecht eine Bereichsausnahme der Niederlassungsfreiheit dar.114 Das Unionsrecht sei – so wird plastisch formuliert – am Kollisionsrecht desinteressiert.115 1. Kollisionsrecht als ergebnisneutrales Verweisungsrecht Begründet wird diese Ansicht damit, dass das Kollisionsrecht bloßes Rechtsanwendungsrecht sei, ihm also lediglich die Funktion der Verweisung auf das Sachrecht zukomme.116 Dabei agiere das IPR ergebnisneutral und gehe von der 110

Dazu sogleich im Text 1. Teil § 2 I.1. Siehe auch Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 164: „das vorrangige Verständnis der Grundfreiheiten als Diskriminierungsverbote [hat] lange Zeit eine Problematisierung ihres Verhältnisses zum IPR blockiert.“ 112 Kindler, IPRax 2009, 189 ff.; ders., NJW 1999, 1993, 1997; ders., in: MünchKommBGB, 3. Aufl., IntGesR Rn. 366, wohl ebenso ders., NJW 2003, 1073, 1074; ders., IPRax 2003, 41, 43; ders., RIW 2000, 649, 651 f.; deutlich auch ders., NJW 2007, 1785 f.; dagegen zurückhaltender ders., in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 136 ff.; 427 ff.; ebenso Klinke, ZGR 1993, 1, 7; Ebenroth, JZ 1988, 18, 24; Ebenroth/Eyles, DB-Beilage 2/88, 13 f.; Kohler, Travaux du Comité francais de droit international privé, S. 71, 76; ders., IPRax 2003, 401, 409 (tendenziell anders, ders., FS Jayme, S. 445, 446); Rohe, RabelsZ 61 (1997), 1, 58 f.; Frenz/Grande, GewArch 2003, 177, 178; allgemein auch Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 145 f.; so auch Schurig, Liber amicorum Kegel, S. 199, 210, der allerdings selbst an dem Bestand dieser Ansicht zweifelt, S. 211 ff.; im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in der Rs. Daily Mail auch Jayme/Kohler, IPRax 1992, 346, 348; wohl sympathisierend Lüer, Liber amicorum Kegel, S. 83, 93 ff.; ähnlich auch Drobnig, RabelsZ 34 (1970), 636 f.; allerdings auf der damals vertretenen Ansicht aufbauend, derzufolge die Grundfreiheiten gegenüber Art. 12 EG a.F. lediglich fremdenrechtliche Vorschriften erfassten. 113 Siehe etwa BayObLG NJW-RR 1993, 43 (2. Leitsatz); ferner BayObLG, NJW 1986, 61, 73; BayObLG RIW 1987, 52, 54; LG Frankenthal, NJW 2003, 762. 114 Vgl. Ebenroth, JZ 1988, 18, 24; plastisch auch der Titel bei Kindler, NJW 2007, 1785: „Die Begrenzung der Niederlassungsfreiheit durch das Gesellschaftsstatut“; ferner Ebert, BB 2003, 1854, 1858. 115 Kohler, Travaux du Comité francais de droit international privé, S. 71, 76: „… le droit communitaire s’en désintéresse.“ 116 Rohe, RabelsZ 61 (1997), 1, 58 ff. 111

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht

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Gleichwertigkeit der Sachrechtsordnungen aus. Da die Grundfreiheiten indes allein darauf ausgerichtet sind, tatsächliche handelsbehindernde Wirkungen mitgliedstaatlicher Maßnahmen zu unterbinden, wird daraus gefolgert, dass das IPR nicht mit dieser Ergebnisbezogenheit konfligieren könne. Entscheidend sei vielmehr das Sachrecht. Erst dieses führe zu einem materiellen Ergebnis und generiere somit den Prüfungsgegenstand für die Grundfreiheitenkontrolle. Mithin sei zuerst das Kollisionsrecht danach zu befragen, welche Sachnorm auf den konkreten Sachverhalt Anwendung finde, bevor dann das so ermittelte Ergebnis der Sachnormanwendung einer Prüfung an den Grundfreiheiten zugänglich sei. Das IPR sei den Grundfreiheiten gewissermaßen vorgelagert. Schlusssatz dieser Ansicht ist der Dispens des Kollisionsrechts von einer Primärrechtskontrolle.117 Diese Argumentation erinnert an die Diskussion um das Verhältnis von Verfassung und IPR in Deutschland.118 Bis zu dem berühmten Spanier-Beschluss des BVerfG,119 in dem das Gericht das IPR der Kontrolle der Grundrechte unterstellte, wurde der Topos der Ergebnisneutralität des Kollisionsrechts auch als Argument gegen den Einfluss der Grundrechte auf das internationale Privatrecht ins Feld geführt.120 Zunächst ist diesem Argument, das auf der Phänotypik des Kollisionsrechts als reinem Verweisungsrecht fußt, entgegenzuhalten, dass das internationale Privatrecht Savigny’scher Prägung zwar in der Tat ergebnisneutral einen Ausgleich aller beteiligter Interessen zu erreichen sucht. Gleichwohl vermag allein diese Ergebnisneutralität dem Kollisionsrecht keine Unbedenklichkeitsbestätigung hinsichtlich des Primärrechts zu geben.121 Insbesondere dort, wo das Recht des Aufnahmestaats Privilegien bereit hält, kann das Kollisionsrecht Konflikte mit den Grundfreiheiten zeitigen, wenn es diese Begünstigungen mittels allseitiger Kollisionsnormen grundsätzlich neutral zur Anwendung beruft, aber aufgrund entsprechender Anknüpfungsmomente, wie z. B. der Staatsangehörigkeit, de facto nur Inländern zu117 Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 164 f.; speziell zum internationalen Gesellschaftsrecht auch Kindler, NJW 1999, 1993, 1997; ders., NJW 2003, 1073, 1074; ders., IPRax 2003, 41, 43; ders., RIW 2000, 649, 651 f.; Frenz/Grande, GewArch 2003, 177, 178; Ebert, BB 2003, 1854, 1858; krit. W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635, 638. 118 Diesen Vergleich ziehen auch W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635 f.; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 652 ff.; Furrer, Zivilrecht im gemeinschaftsrechtlichen Kontext, S. 285. 119 BVerfGE 31, 58 = NJW 1971, 1509, in dem es in concreto um die Vereinbarkeit von Art. 13 Abs. 1 EGBGB a.F. mit der Eheschließungsfreiheit gemäß Art. 6 Abs. 1 GG ging. Siehe ferner BVerfGE 63, 181 zur Verfassungswidrigkeit des Art. 15 EGBGB a.F. 120 Siehe ausf. etwa Wengler, FS Maridakis, S. 323 ff.; Makarov, RabelsZ 17 (1952), 382 ff.; ders., FS Maridakis, S. 231; ferner die Beitragsreihe in RabelsZ 36 (1972): Henrich, RabelsZ 36 (1972), 2 ff.; Jayme, RabelsZ 36 (1972), 19 ff.; Kegel, RabelsZ 36 (1972), 27 ff.; Lüderitz, RabelsZ 36 (1972), 35 ff.; Siehr, RabelsZ 36 (1972), 93 ff.; Neuhaus, RabelsZ 36 (1972), 127 ff.; zusammenfassend Sonnenberger, in: MünchKommBGB, IPR, Einl. Rn. 322 ff.; Kegel/Schurig, IPR, S. 530 ff., 792 ff.; Kropholler, IPR, § 5 III. 121 W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635, 638 ff.; ders., RabelsZ 55 (1991), 623, 647 f.; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 154 ff., insb. 157; Kropholler, IPR, § 10 I 2; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 435 und passim; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 144.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

gutekommen lässt.122 Noch deutlicher treten die Friktionen mit dem Primärrecht zutage, wenn gezielt Inländer zu den einzig Berechtigten eines begünstigenden Rechts erhoben werden, wie es das deutsche IPR in Form des Art. 38 EGBGB a.F.,123 dem sog. privilegium germanicum, kannte. Dieser inzwischen aufgehobenen Norm zufolge konnten gegen einen deutschen Staatsbürger aus einer im Ausland begangenen unerlaubten Handlung keine weitergehenden Ansprüche geltend gemacht werden, als nach den deutschen Vorschriften begründet waren. Indem diese Vorschrift allein Deutschen zugutekam, benachteiligte sie EU-Ausländer gegenüber diesen und verstieß somit gegen das primärrechtliche Diskriminierungsverbot.124 Ein weiteres Beispiel bietet die sog. Wermutwein-Entscheidung des EuGH.125 In dem Verfahren ging es um eine Vorschrift des deutschen Lebensmittelrechts, die die Einfuhr von Wermutweinerzeugnissen davon abhängig machte, dass diese den Mindestalkoholgehalt enthielten, der für den Vertrieb der Ware im Herkunftsland vorgeschrieben ist. Das deutsche Recht hingegen sah keine entsprechende Vorschrift für den Alkoholgehalt von Wermutwein vor. Mithin konnte ausländischer Wermutwein im Importland nur in den Verkehr gebracht werden, wenn er die Anforderungen des Herkunftslands erfüllte, obgleich der Importstaat selbst solche nicht voraussetzte. Der EuGH sah in dieser Vorschrift eine gegen Art. 34 AEUV (ex Art. 28 EG, damals Art. 30 EG) verstoßende Diskriminierung.126 Aus Sicht des Importstaats lag der Verstoß somit in dem Verweis auf das Recht des Herkunftsstaats.127 Diese Beispiele zeigen bereits, dass es zu kurz gegriffen erscheint, dem Kollisionsrecht als reinem Verweisungsrecht jeglichen Anteil an einem Verstoß gegen die Grundfreiheiten abzusprechen und sie eo ipso als primärrechtskompatibel zu verstehen. Auch können die gelegentlich geäußerten Bedenken hinsichtlich einer fehlenden Kompetenz der Union für Eingriffe in das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht

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Ähnlich auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 475 f. Inzwischen aufgehoben durch die Neufassung des internationalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse, Gesetz vom 21. 5. 1999, BGBl. 1999 I-1026. 124 So die h.M.: Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 161; Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 25 (bei Fn. 24); Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 639 f.; Kropholler, IPR, § 10 I. 1; Kegel/Schurig, IPR, S. 224; Jayme, in: Müller-Graff (Hrsg.), Perspektiven des Rechts in der EU, S. 1, 8 f.; Gounalakis/Radke, ZVglRWiss 98 (1999) 1, 12 ff.; K. Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 182; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 463; je m.w.Nachw.; Martiny, in: v. Bar (Hrsg.) Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht, S. 211, 236 f.; siehe zu einem ähnlichen Sachverhalt EuGH, Urteil vom 2. 2. 1989 – Rs. 186/87 (Cowan), Slg 1989, 195. 125 EuGH, Urteil vom 20. 4. 1983 – Rs. 59/82 (Weinvertriebs-GmbH), Slg. 1983, 1217. 126 EuGH, Urteil vom 20. 4. 1983 – Rs. 59/82 (Weinvertriebs-GmbH), Slg. 1983, 1217 Rn. 9. 127 W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635, 651; v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 14; implizit auch Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 259; zurückhaltender Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 468 f. 123

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht

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seit der Einführung des Art. 65 EG a.F. durch den Vertrag von Amsterdam128 (nun Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV) nicht mehr verfangen,129 zumal es einer Kompetenz nur insoweit bedürfte, als man den Grundfreiheiten eine positiv geregelte Kollisionsnorm entnehmen wollte.130 Das größte Konfliktpotenzial des internationalen Privatrechts besteht, wie die genannten Beispiele zeigen, sicherlich mit dem in den Grundfreiheiten als besonderer Ausprägung des in Art. 18 AEUV enthaltenen Diskriminierungsverbots. Darüber hinaus können Kollisionsnormen aber auch an Beschränkungen der Grundfreiheiten partizipieren. Sie erteilen nämlich den räumlichen Anwendungsbefehl für die in Rede stehende Sachnorm. So hat der EuGH auch in der Rechtssache Alpine Investments131 in der Anwendung einer ansonsten nicht zu beanstandenden Norm eines Mitgliedstaats allein deshalb eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit gesehen, weil sie kraft kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls ihre Wirkung auch im Bestimmungsland entfaltete.132 Erst das Zusammenspiel aus Sachrecht und der dieses zur Anwendung berufenden Kollisionsnorm zeitigt das freiheitsbeschränkende, tatsächliche Ergebnis.133 Eine Korrektur ist folglich sowohl auf sach- als auch auf kollisionsrechtlicher Ebene möglich.134 128 Siehe zu den Auswirkung der Verträge von Amsterdam, Nizza und Lissabon auf das Kollisionsrecht Mansel, in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, 1 ff.; W.-H. Roth, EWS 2011, 314, 317; Brödermann, NJW 2010, 807 ff.; Dutta, EuZW 2010, 530; Basedow, in: Bauer/ Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, 19 ff.; Jayme, in: Mansell (Hrsg.), Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts, S. 31, 35. 129 So auch Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071, 1083; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 139. 130 Zur Frage, ob den Grundfreiheiten eine versteckte Kollisionsnorm zu entnehmen ist, siehe unten 1. Teil § 2 II. Dass hingegen Grundfreiheiten auch in Bereiche eingreifen können, die nicht der Regelungskompetenz der Union zugewiesen sind, ist evident, entfalten sie doch erst im nichtharmonisierten Bereich ihre volle Wirksamkeit. Exemplarisch sei nur das Steuerrecht, bei dem die Mitgliedstaaten trotz unbestrittener Steuerhoheit (zumindest für direkte Steuern) von den Grundfreiheiten in ihren Gestaltungsmöglichkeiten beschränkt werden, dazu etwa EuGH, Urteil vom 29. 4. 1999 – Rs. C-311/97 (Royal Bank of Scotland), Slg. 1999, I-2651 Rn. 19; EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 40. 131 EuGH, Urteil vom 10. 5. 1995 – Rs. C-384/93 (Alpine Investments), Slg. 1995, I-1141, insb. Rn. 38. 132 Dazu auch W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635, 655; ders., IPRax 2006, 338, 341; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 443. 133 W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635, 646; ders., IPRax 2006, 338, 340 f.; ders., 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 847, 863; ders., in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 52 f.; Leible, in: Michalski, GmbHG Syst. Darst. 2 Rn. 37; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl IPR Rn. 157; ders., ZVglRWiss 95 (1996), 3, 8 ff.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 15; Kropholler, IPR, § 10 I 2; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/ AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 144 f.; Wendehorst, in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, § 7 Rn. 59; Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 23; Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 195 f.; Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 41 f.; i.E. auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 442 ff. 134 Teichmann, ZGR 2011, 639, 678 f.; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl IPR Rn. 157; W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 341; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 561.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

2. Besonderheiten im internationalen Gesellschaftsrecht In dem hier interessierenden Bereich des internationalen Gesellschaftsrechts erhält die Auffassung einer Grundfreiheitenneutralität des IPR indes eine spezielle Ausprägung, die es näher zu betrachten gilt. Kristallisationspunkt ist dabei das Wesen der Gesellschaft. Im Gegensatz zu natürlichen Personen oder Waren, die klare Bezugspunkte für die Grundfreiheiten bilden, sind Gesellschaften in ihrer Existenz von dem sie umgebenden Rechtsrahmen abhängig; oder wie es der EuGH formuliert hat: „In that regard it should be borne in mind that, unlike natural persons, companies are creatures of the law and, in the present state of Community law, creatures of national law. They exist only by virtue of the varying national legislation which determines their incorporation and functioning.“135

Gesellschaften stellen somit Produkte des sie erschaffenden Rechts dar.136 Dieses mitgliedstaatliche Recht ist für sie vital.137 Um also überhaupt in die Rechtsträgerschaft der Niederlassungsfreiheit wachsen zu können, bedarf eine Gesellschaft zuvor des Rechts eines Mitgliedstaats, das sie als Gesellschaft konstituiert.138 Aufgrund dessen muss sich das Unionsrecht mangels eigener autonomer Kriterien139 zur Bestimmung des Subjekts der Niederlassungsfreiheit des Rechts der Mitgliedstaaten bedienen.140 Insoweit kommt in der Tat – in Parallelität mit der Argumentationslinie 135

EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988 – Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483 Rn. 19 („Im Gegensatz zu natürlichen Personen werden Gesellschaften aufgrund einer Rechtsordnung, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts aufgrund einer nationalen Rechtsordnung, gegründet. Jenseits der jeweiligen nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und ihre Existenz regelt, haben sie keine Realität.“); ebenso EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 27; EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 104 f. 136 Weller, FS Blaurock, S. 497, 518; Teichmann, DB 2012, 2085, 2088; Lutter, ZGR Sonderband 12/1994, S. 121, 124; siehe auch Ebenroth/Eyles, DB-Beilage 2/1988, 14. 137 Siehe auch BGHZ 25, 134, 144: „Dieses Recht bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die juristische Person entsteht, lebt und vergeht.“ 138 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 109; Teichmann, ZGR 2011, 639, 661; ders., Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 161 f.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 18; Leible/Hoffmann, BB 2009, 58, 59. 139 Eine Ausnahme bilden insoweit zT die europäischen Gesellschaftsformen; siehe etwa Art. 15 ff. SE-VO, ABl 2001 L 294/1; dazu etwa Teichmann, ZGR 2002, 383, 409 ff.; zum gescheiterten VO-Vorschlag für die Europäische Privatgesellschaft und den Kommissionsvorschlag für eine Societas Unius Personae (SUP) vom 9. 4. 2014 siehe Bayer/J. Schmidt, BB 2014, 1219 f. 140 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 28; EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 26; EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 109; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 542 f.; Teichmann, DB 2012, 2085, 2090; ähnlich auch W.–H. Roth, FS Hoffmann-Becking, S. 965, 972 ff., 974; ferner Müller-Graff, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 8 f.; GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht

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zur Grundfreiheitenresistenz des Kollisionsrechts – mitgliedstaatliches Recht gewissermaßen „vor“ der Niederlassungsfreiheit zur Anwendung. Dieser Umstand kommt in Art. 54 AEUV zum Ausdruck. Zur Bestimmung, ob es sich um eine Gesellschaft handelt und ob diese zur Union gehört, verweist die Vorschrift insoweit auf das Recht der Mitgliedstaaten, als sie hinsichtlich der in Art. 49 AEUV gewährten Niederlassungsfreiheit die Gleichstellung mit natürlichen Personen nur für solche Gesellschaften anordnet, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet sind und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in der Union haben. Mithin konkretisiert diese Vorschrift zunächst den personellen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit mit Blick auf Gesellschaften unter Rekurs auf das Recht der Mitgliedstaaten.141 Es ist insoweit den Mitgliedstaaten überlassen, unter welchen Bedingungen sie eine Gesellschaft als eine solche ihrer Rechtsordnung anerkennen und sie damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit kommen lassen.142 a) Art. 54 AEUV – Primat des internationalen Gesellschaftsrechts? Daraus wird nun von der Ansicht, die dem Unionsrecht keinen Einfluss auf das Kollisionsrecht zugesteht, gefolgert, dass Art. 54 AEUV einen Vorbehalt zugunsten des mitgliedstaatlichen internationalen Gesellschaftsrechts statuiere, es also im Einklang mit der oben aufgezeigten Argumentationslinie dem Primärrecht vorschalte.143 Die Frage, ob eine Gesellschaft rechtmäßig errichtet und damit Träger der Niederlassungsfreiheit sei, ergäbe sich nicht aus dem Unionsrecht, sondern aus dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten.144 Welche mitgliedstaatliche Gesellschaftsrechtsordnung hingegen zur Beurteilung dieser Frage berufen sei, bestimme – und hier liegt die entscheidende Weichenstellung – das Kollisionsrecht des mit der

(Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 39 f.; Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 112 f.; Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn. 112. 141 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 1; MüllerGraff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 1 f.; Troberg/Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), § 10 V Rn. 61 ff.; Drobnig, in: v. Bar (Hrsg.), Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht, S. 185, 192; Schön, ZGR 2013, 333, 343; Forsthoff, EuR 2000, 167, 173; ders., DB 2002, 2471, 2473; Weller, IPRax 2009, 202, 205 f. 142 Schön, ZGR 2013, 333, 343; Teichmann, ZGR 2011, 639, 663; Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn. 112; siehe auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 542; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 10; Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 112 f.; so auch EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 109 f. 143 Kindler, IPRax 2009, 189, 191 f.; ders., NJW 1999, 1993, 1996 f.; ders., NJW 2003, 1073, 1074; ders., RIW 2000, 649, 651; ähnlich auch ders., NJW 2007, 1785, 1788; ferner Ebenroth, JZ 1988, 18, 24; Klinke, ZGR 1993, 1, 6 f.; siehe auch Schurig, Liber amicorum Gerhard Kegel, S. 199, 204 ff., 207; Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 137. 144 BayObLG DB 1989, 2318, 2319; Kindler, NJW 2003, 1073, 1074.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

Sache befassten (Aufnahme-)Mitgliedstaats.145 Dieser sei in der Wahl der Anknüpfungsregel frei. Das zeige schon die gleichwertige Auflistung der Anknüpfungsmomente in Art. 54 AEUV. Folge ein Staat etwa der Sitztheorie, so sei bei der Verlegung des Verwaltungssitzes einer ausländischen Gesellschaft in diesen Mitgliedstaat sein Gesellschaftsrecht zur Anwendung berufen. Dieses bestimme, ob die Gesellschaft rechtmäßig im Sinne des Art. 54 AEUV errichtet wurde. Art. 54 AEUV ordne demgemäß nicht die Anerkennung der Gesellschaft an, sondern setze sie dergestalt voraus, dass die Ausübung der in Art. 49, 54 AEUV garantierten Niederlassungsfreiheit einer Gesellschaft deren Existenz (Anerkennung) nach dem internationalen Gesellschaftsrecht des jeweiligen Aufnahmestaats verlange.146 Anders gewendet überlasse Art. 54 AEUV die Bestimmung des personellen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit dem Kollisionsrecht des Aufnahmemitgliedstaats.147 Zudem belege Art. 293 EG a.F.,148 dass der EG-Vertrag bzw. der AEUVertrag gesellschaftskollisionsrechtliche Aspekte der gegenseitigen Anerkennung von Gesellschaften nicht regle, sondern einem Abkommen unter den Mitgliedstaaten vorbehalte.149 Danach gelte: „Das internationale Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten und in der Folge auch die Sitztheorie sind niederlassungsfreiheitsresistent. Internationales Gesellschaftsrecht geht vor Niederlassungsfreiheit.“150 Dogmatisch liegt dem ein Verständnis zugrunde, das in der ersten Voraussetzung des Art. 54 AEUV eine Gesamtnormverweisung auf das Recht des jeweiligen Aufnahmemitgliedstaats sieht. Dem Wortlaut „nach den Rechtsvorschriften eines Mit145 BayObLG NJW-RR 1993, 43 (2. Leitsatz); Kindler, NJW 2003, 1073, 1074; Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 137; Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721, 724 ff. 146 Siehe Kindler, NJW 1999, 1993, 1997; ders., RIW 2000, 649, 651; Ebenroth, JZ 1988, 18, 24; Klinke, ZGR 1993, 1, 6 f.; so auch das Vorbringen der deutschen, spanischen und italienischen Regierung im Überseering-Verfahren, siehe EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 29 ff. 147 Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 137 f.; Bungert, DB 1999, 1841, 1842; Ebenroth/Eyles, DB 1989, 363, 372; ähnlich auch die deutsche, spanische und die italienischen Regierung im Überseering-Verfahren, siehe EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 26 ff., 30 ff. 148 Nach Art. 293 EG a.F. leiten die Mitgliedstaaten, soweit erforderlich, untereinander Verhandlungen ein, um zugunsten ihrer Staatsangehörigen u. a. die gegenseitige Anerkennung der Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 2 EG a.F. (nun Art. 54 AEUV), die Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit bei Verlegung des Sitzes von einem Staat in einen anderen und die Möglichkeit der Verschmelzung von Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten sicherzustellen. Art. 293 EG a.F. wurde durch den Vertrag von Lissabon ersatzlos gestrichen; siehe dazu Müller-Graff, FS Hellwig, S. 251, 252 ff.; ferner Schön, ZGR 2013, 333, 335. 149 In diesem Sinne etwa G. H. Roth, Vorgaben der Niederlassungsfreiheit, S. 26 f.; ferner OLG Hamm RIW 1997, 874, 875; Großfeld, IPRax 1986, 351, 352; Kindler, NJW 2003, 1073, 1074; so auch das Vorbringen der deutschen, spanischen und italienischen Regierung im Überseering-Verfahren, siehe EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 26 ff. 150 So prägnant Klinke, ZGR 1993, 1, 7; ferner BayObLGZ 1992, 118 f.; ähnlich auch Kindler, NJW 1999, 1993, 1997; ders., NJW 2007, 1785, 1788: „Die Niederlassungsfreiheit besteht sonach nur im Rahmen des kollisionsrechtlich abzugrenzenden Gesellschaftsstatuts.“

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht

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gliedstaats gegründeten Gesellschaften“ wird kollisionsrechtlicher Gehalt dergestalt beigemessen, dass er nicht lediglich auf das Sachrecht der Mitgliedstaaten verweist, sondern auch deren internationales Gesellschaftsrecht umfasst.151 Indem somit das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht dieser Auffassung zufolge erst den personellen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit bestimmt, ist es seinerseits von einer Prüfung an der Niederlassungsfreiheit freigestellt. Veranschaulichen lässt sich dies an folgendem Beispiel: Verlegt eine Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in einen Mitgliedstaat, der der traditionellen Sitztheorie einschließlich der mit ihr assozierten materiell-rechtlichen Rechtsfolgen152 folgt, so wäre nach einem derartigen Verständnis von Art. 54 AEUV das Gesellschaftskollisionsrecht jenes (Aufnahme-) Staats zur Bestimmung des Subjekts der Grundfreiheit berufen. Da das Kollisionsrecht des Aufnahmestaats auf den im Inland belegenen Verwaltungssitz abstellt, käme zugleich auch das Gesellschaftssachrecht dieses Staats bei der Beantwortung der Frage zur Anwendung, ob die Gesellschaft wirksam gegründet und damit taugliches Subjekt der Niederlassungsfreiheit ist. Weil nun aber die Gesellschaft nicht nach den inländischen Gründungsvorschriften, sondern nach denen des Gründungsstaats errichtet wurde, wird sie von dem Aufnahmestaat nicht anerkannt. Folglich wäre sie kein tauglicher Rechtsträger der Niederlassungsfreiheit und könnte sich somit (zumindest gegenüber dem Aufnahmestaat) nicht auf die Art. 49, 54 AEUV berufen. Im Ergebnis wird damit nicht nur die rein kollisionsrechtliche Anknüpfungsmethode, sondern auch die sich daran anschließenden materiellrechtlichen Rechtsfolgen, wie etwa die Versagung der Rechts- und Parteifähigkeit dem Anwendungsbereich des Art. 49 AEUV entzogen. Als Ansatzpunkt dienen dieser Ansicht die Aussagen des EuGH im Daily MailUrteil.153 Darin führten die Luxemburger Richter aus, dass ausgehend von dem Wesen von Gesellschaften als „Geschöpfe“ des Rechts (creatures of law)154 die Art. 49, 54 AEUV155 diesen nicht das Recht gewähren, den Sitz ihrer Geschäfts151 Dazu auch Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 76 ff.; Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn. 207 – 259; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 12 f.; allgemein zur Gesamtnormverweisung Kropholler, IPR, § 24 I 2; Kegel/Schurig, IPR § 10 II; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 471. 152 Materiellrechtliche Rechtsfolge der Sitztheorie ist aufgrund fehlender Substitution und numerus clausus der Gesellschaftsformen regelmäßig die Aberkennung der Rechts- und Parteifähigkeit der zuziehenden Gesellschaft; siehe statt vieler Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 6 m.w.Nachw. Dies ist gleichwohl nur ein im Sach-, nicht im Kollisionsrecht verankertes Ergebnis, siehe unten 1. Teil § 2 II.4.b)aa). 153 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988 – Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483; siehe aus dem Schrifttum dazu etwa Drobnig, in: v. Bar (Hrsg.) Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, S. 185; Meilicke, RIW 1990, 449; Ebenroth/Eyles, DB 1989, 363; Großfeld/Luttermann, JZ 1989, 386 f. Auf dieses Urteil und die diesem (vermeintlich) zu entnehmende Grundfreiheitenresistenz des IPR beriefen sich zudem auch die deutsche, spanische und die italienischen Regierung im Überseering-Verfahren, siehe EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 26 ff., 30 ff. 154 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988 – Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483 Rn. 19. 155 Ehemals, nach alter noch im Urteil zitierter Zählung Art. 52, 58 EGV.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

leitung unter Bewahrung ihrer Eigenschaft als Gesellschaft des betreffenden Mitgliedstaats in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.156 Die Unterschiede in den nationalen Gesellschaftskollisionsrechten, denen in Art. 54 AEUV Rechnung getragen werde, würden vom AEU-Vertrag als Probleme erachtet, die durch die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nicht gelöst seien, sondern einer Lösung im Wege der Rechtsetzung oder des Vertragsschlusses bedürfen,157 was auch in Art. 293 EG a.F.158 zum Ausdruck komme.159 Diese Aussagen werden von den Verfechtern einer Primärrechtsresistenz des Kollisionsrechts nach wie vor in dem oben dargelegten Sinn interpretiert160 und zur Bestärkung ihrer Ansicht herangezogen.161 b) Marktzersplitterung als Folge einer Gesamtnormverweisung Einem solchen Verständnis des Art. 54 AEUV ist gleichwohl zu entgegnen, dass bereits der Wortlaut des Art. 54 AEUV eine Interpretation als Gesamtnormverweisung auf das Recht des Zuzugsstaats (Aufnahmestaat) nicht trägt. Spricht diese Norm nämlich davon, dass eine Gesellschaft nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet ist, so ist hervorzuheben, dass eine Gründung sich allein nach sachrechtlichen Vorschriften des in Rede stehenden Gründungsstaats vollzieht.162 Die sich daran anschließende und hier interessierende Frage einer Anerkennung dieses Gründungsakts über die Grenzen jenes Mitgliedstaats hinaus ist dann eine andere Frage, nämlich gerade eine solche des Unionsrechts. Aus unionsrechtlicher Sicht dient Art. 54 AEUV lediglich der Bestimmung des Rechtsträgers der Niederlassungsfreiheit, den zu bestimmen, das Unionsrecht selbst nicht in der Lage ist.163 Sofern ein Mitgliedstaat einen Verband als nach seinem Gesellschaftsrecht wirksam 156

EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988 – Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483 Rn. 24; ebenso EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 27 f.; EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 104 ff., 110. 157 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988 – Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483 Rn. 23. 158 Ehemals, nach alter noch im Urteil zitierter Zählung Art. 220 EGV, nunmehr seit dem Vertrag von Lissabon entfallen. 159 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988 – Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483 Rn. 21. 160 Ähnlich Schurig, Liber amicorum Gerhard Kegel, S. 199, 204 ff. 161 So insbesondere Kindler, IPRax 2009, 189, 191 f.; ders., NJW 2003, 1073, 1074; ders., NJW 1999, 1993, 1996 f.; sowie Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 137 f.; siehe ferner auch Staudinger/Großfeld, IntGesR Rn. 124; Ebenroth/Auer, JZ 1993, 374 f.; Ebenroth/Eyles, DB 1989, 363, 372; siehe dazu auch Ebke, Aufbruch nach Europa, S. 197, 198; W.-H. Roth, in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S, 47, 62; bereits nach Daily Mail a.A. Meilicke, RIW 1990, 449; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325 ff. passim; Steindorff, JZ 1999, 1140, 1141; Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 205 ff. 162 So ausf. Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn. 126 ff.; ferner Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 83; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 14. 163 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 109 f.; EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 28; EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 26.

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gegründete Gesellschaft qualifiziert, ist dieser Funktion bereits vollumfänglich genüge getan und das Subjekt der Niederlassungsfreiheit bestimmt.164 Gerade ab diesem Zeitpunkt wollen die Art. 49, 54 AEUV sicherstellen, dass neben natürlichen Personen auch Gesellschaften ein Recht auf freie Niederlassung genießen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats rechtmäßig gegründet sind.165 Dabei dienen nach Wahl dieses (Gründungs-)Mitgliedstaats166 alternativ der Satzungssitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung ähnlich der Staatsangehörigkeit einer natürlichen Person lediglich dazu, die Zugehörigkeit einer Gesellschaft zur Rechtsordnung eines Mitgliedstaats zu bestimmen.167 Das Bestehen eines dieser Anknüpfungsmomente irgendwo in der Union reicht für die Gewährleistung der Freizügigkeit aus.168 Sobald also ein Mitgliedstaat eine Gesellschaft als Gesellschaft seines Rechts anerkennt, erhält diese mittels Art. 54 AEUVals subjektiv Berechtigte den Schutz der Niederlassungsfreiheit.169 Ein darüber hinaus gehender Verweis auf das mitgliedstaatliche Kollisions- und Sachrecht jedes Mitgliedstaats zur Bestimmung des Grundfreiheitenträgers kann mit Blick auf diese begrenzte Funktion Art. 54 AEUV nicht entnommen werden.170 Über die Wirksamkeit der Gründung und damit über die subjektive Niederlassungsfreiheitsberechtigung entscheidet mithin allein das Recht des Staats, der die Gesellschaft als nach seinem Recht gegründet anerkennt.171 Eine wiederholte Überprüfung dieses 164

Schön, ZGR 2013, 333, 351 f.; Drygala, EuZW 2013, 569, 573; Teichmann, ZGR 2011, 639, 678 f.; ders., DB 2012, 2085, 2088 ff.; ders., Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 99; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 9 ff.; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 79 f.; Grundmann/Möslein, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Band II, S. 31, 39. 165 EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 26 ff., 32; EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 29; siehe dazu auch GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9941 Rn. 39 f., 69. 166 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 110. 167 EuGH, Urteil vom 10. 7. 1986 – Rs. 79/85 (Segers), Slg. 1986, 2375, 2387 Rn. 13; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 7 ff.; Teichmann, DB 2012, 2085, 2088. 168 Teichmann, ZGR 2011, 639, 661 ff.; Schön, ZGR 2013, 333, 351 f.; Deville, RIW 1986, 298, 299; siehe auch EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 74 ff. 169 EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 26 ff., 32; EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 109; EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 28. 170 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 12; siehe auch Spezialkommission für das internationale Gesellschaftsrecht, Vorschlag des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht für eine Regelung des Internationalen Gesellschaftsrechts auf europäischer/nationaler Ebene, bei: Sonnenberger/Bauer, RIW Beilage 1 zu Heft 4/2006, 1, 5. 171 EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 26 ff.; EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 108 ff.; siehe auch EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394

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Ergebnisses durch jeden anderen Mitgliedstaat, der – etwa durch die Aufnahme jener Gesellschaft – mit der Frage des subjektiven Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit konfrontiert ist, findet nicht statt.172 Darüber hinaus käme es bei einer Deutung des Art. 54 AEUV als Gesamtverweisung auf das Recht des Aufnahmestaats zu der misslichen Konsequenz, dass auch Gesellschaften aus einem Staat außerhalb der EU erfasst werden könnten.173 Verlegt nämlich eine in einem Drittstaat gegründete Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in einen Mitgliedstaat, der der Gründungstheorie folgt, so wäre diese nach dessen Gesellschaftskollisionsrecht rechtmäßig gegründet und fiele somit in den personellen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit. Vor dem Hintergrund, dass Art. 49 AEUV allein Personen aus den EU-Mitgliedstaaten die freie Niederlassung gewähren will, käme es hier zu einem Wertungsbruch.174 Noch schwerwiegender wirkt jedoch der Umstand, dass die einheitliche Anwendung des Unionsrechts, einer der elementaren Grundsätze im Europarecht,175 als solche nicht mehr gewährleistet wäre.176 Die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften fiele bei einem solchen Verständnis vollständig dem Ermessen der Mitgliedstaaten anheim.177 Sowohl der Inhalt als auch die Gewährleistung der Grundfreiheit als solche hinge davon ab, wie der jeweilige Mitgliedstaat sein Gesellschaftskollisionsrecht ausgestaltet hat. Der Spielraum der Mitgliedstaaten erlaubte es sogar, die Niederlassungsfreiheit vollumfänglich zu negieren. So könnte ein und dieselbe Gesellschaft sich in einem Mitgliedstaat auf Art. 49, 54 AEUV berufen, während ihr dieses in einem anderen verwehrt würde. Folgte ein Mitgliedstaat der Sitztheorie deutschen Zuschnitts, so gäbe es für Gesellschaften, die ihren Verwaltungssitz in diesen Staat verlegen wollen, schlechterdings kein unionsrechtliches Recht auf freie Niederlassung, auf das sich eine Gesellschaft gegenüber diesem Staat berufen könnte, da ihr von diesem bereits die Fähigkeit abgesprochen würde, Rechtssubjekt der Art. 49, 54 AEUV zu sein.178 Dies mag man zwar mit dem Hinweis Rn. 27 ff.; so auch Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 743; Teichmann, ZGR 2011, 639, 663. 172 Siehe dazu EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 52 ff., 62 ff., 73; Teichmann, ZGR 2011, 639, 679. 173 Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrrecht und IPR, Rn. 144 ff.; Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 V Rn. 66. 174 Siehe auch Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 7; Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 V Rn. 66. 175 Siehe dazu EuGH, Urteil vom 13. 12. 1979 – Rs. 44/79 (Hauer), Slg. 1979, 3727; sowie EuGH, Urteil vom 12. 5. 1998 – Rs. C-367/96 (Kefalas), Slg. 1998, I-2843 Rn. 23. 176 Grundmann, RabelsZ 64 (2000), 457, 461; Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 V Rn. 66; ferner Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 2. 177 So auch Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 164; ähnlich Hellwig, ZGR 2013, 216, 230. 178 Eine andere Frage, die hier nicht weiter verfolgt werden soll, ist freilich, inwieweit sich Gesellschaften gegenüber ihrem Gründungsstaat auf die Niederlassungsfreiheit berufen können, sofern dieser ihnen die Rechtsfähigkeit bei einem Wegzug entziehen würde. In der Rechtsache Überseering distinguiert der Gerichtshof seine Aussagen zu denen des Daily-Mail-

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darauf zu relativieren suchen, dass Art. 293 EG a.F. die Möglichkeit eines Abkommens und Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV (ex Art. 44 Abs. 2 lit. g EG) die Rechtsgrundlage für weitere Harmonisierungsmaßnahmen bereithalten. Gleichwohl kann daraus kein Rechtssetzungsvorbehalt deduziert werden, zumal Art. 293 EG a.F. durch den Lissabonner Vertrag ersatzlos gestrichen wurde.179 Auch wenn der EUVertrag und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union davon ausgehen, dass die Probleme, die aus den Unterschieden der nationalen Gesellschaftskollisionsrechte entstehen, nicht gelöst sind, so geht dennoch keiner der Verträge so weit, die in Art. 49, 54 AEUV verbürgte Grundfreiheit als Ganzes zur Disposition zu stellen, wenn Art. 54 AEUV – in welcher Form auch immer – Gesellschaften hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit mit natürlichen Personen gleichstellt. Dieser Bestimmung hätte es nicht bedurft, sofern die darin enthaltene Garantie auf freie Niederlassung Maßnahmen nach Art. 293 EG a.F. oder Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV (ex Art. 44 Abs. 2 lit. g EG) voraussetzte.180 Letzteren BeUrteils, wonach Gesellschaften Produkte des Rechts seien und sich daher nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen können, mit dem Hinweis darauf, dass Überseering lediglich die Beschränkungen durch den Aufnahmestaat betreffen. Zu Beschränkungen durch das Gründungsrecht führt der EuGH in den Entscheidungen Vale, National Grid Indus und Cartesio unter Rekurs auf die in Daily Mail statuierte Geschöpftheorie (creatures of law) aus, dass ein Mitgliedstaat die Bedingungen bestimmen könne, „die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen werden und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen zu können, als auch die Anknüpfung, die erforderlich ist, damit diese Eigenschaft später erhalten bleibt.“ (EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 20; EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 107, 110; EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 28; siehe hierzu auch BGH NJW 2011, 3372, 3373 (Rn. 18)). Insoweit ist Daily Mail nach wie vor good law und mit dem Hinweis auf das Wesen der Gesellschaft als creature of law in sich konsistent, da die Gesellschaft nur mit dem Manko der Ortsgebundenheit in die Rechtsträgerschaft der Niederlassungsfreiheit wächst (siehe unten 2. Teil § 5 IV.3.b)bb)). Ob die Art. 49, 54 AEUV gleichwohl ein anderes Ergebnis verlangen, ist umstritten, siehe dazu statt vieler W.-H. Roth, FS Heldrich, S. 973, 985 ff.; ders., FS Hoffmann-Becking, S. 965, 972 ff.; Teichmann, DB 2012, 2085, 2090; Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, § 6 Rn. 16; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009) 735, 742; dies., ZIP 2012, 1481; Schön, ZGR 2013, 333, 350 ff.; je m.w.Nachw.; gegen eine unterschiedliche Behandlung von Zuzugs- und Wegzugskonstellationen bereits Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 354; ferner Eidenmüller, JZ 2004, 24, 29; Mankowski, RIW 2005, 481, 486; Knof/Mock, GPR 2008, 134, 137; Wilhelmi, DB 2008, 1611, 1614; Zimmer, in: Schmidt/Lutter, AktG, IntGesR Rn. 46; Ringe, ZIP 2008, 1072, 1073; Lutter, BB 2003, 7, 10; Schall, FS Meilicke, S. 651, 660; Mörsdorf, EuZW 2009, 97 ff.; Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 43 f.; Ebke, JZ 2003, 927, 932; ders., in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht im Wettbewerb, 101, 106; ebenso GA Tizzano, Schlussanträge vom 7. 7. 2005 – Rs. C-411/03 (SEVIC Systems), Slg. 2005, I-10805 Rn. 45; sowie GA Maduro, Schlussanträge vom 22. 5. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio) Slg. 2008, I-9641 Rn. 27 ff., 46; zum Ganzen auch unten 2. Teil § 5 IV.3.b)bb). 179 Teichmann, ZGR 2011, 639, 652 f.; siehe auch Schön, ZGR 2013, 333, 335; MüllerGraff, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht, S. 5, 21; ders., FS Hellwig, S. 251, 252 ff. 180 Siehe dazu EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 56 ff., 59 f.

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stimmungen ist bzw. war mithin nur ergänzende Funktion zu der ohnehin gewährten Niederlassungsfreiheit beizumessen.181 Schließlich wäre die Grundfreiheit inhaltsleer, könnte sie mittels mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts gleichsam ausgehebelt werden.182 Der Schutz von Gesellschaften wäre allein auf den Schutz vor (diskriminierenden) fremdenrechtlichen Vorschriften beschränkt und zudem nur in Gründungstheoriestaaten gewährleistet. Art. 54 AEUV würde dieser Leseart zufolge einer Marktzersplitterung und mitgliedstaatlichem Protektionismus Vorschub leisten, indem er eine Marktabschottung gegen ausländische Unternehmen mittels einer Kombination aus Sitztheorie und rigidem Sachrecht ermöglichte. Gesellschaften hätten nur Zugang zu den Märkten der Mitgliedstaaten, die ihr Kollisionsrecht zuzugsfreundlich i.S.d. Gründungstheorie gestaltet haben. Damit liefen Art. 49, 54 AEUV aber gerade dem oben dargelegten183 Ziel der Förderung des Binnenmarkts durch den Abbau handelsbehindernder Vorschriften und der weitestgehenden Simulierung eines einheitlichen Binnenmarkts, dem die Grundfreiheiten verpflichtet sind, diametral zuwider.184 Die Niederlassungsfreiheit wäre nicht viel mehr als eine Hohlformel ohne Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten. Dieser Widerspruch verhindert es, in Art. 54 AEUV eine Gesamtnormverweisung auf das Recht des Aufnahmestaats zu erblicken.185 c) Kein Vorrang des internationalen Gesellschaftsrechts (Überseering) Angesichts dieser Konsequenzen ist es dann auch nicht verwunderlich, dass der EuGH in der Überseering-Entscheidung186 ein solches Verständnis von Art. 54 181 In diesem Sinn etwa; Teichmann, ZGR 2011, 639, 652 f.; Schön, ZGR 2013, 333, 335; Müller-Graff, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht, S. 5, 20 f.; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV (3. Aufl.), Art. 293 Rn. 2 ff.; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 927; GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9941 Rn. 42. 182 So auch Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 81. 183 Siehe oben unter § 1. 184 Ähnlich auch Kühne, FS Heldrich, S. 205, 217; Wymeersch, in: Liber amicorum Buxbaum, S. 629, 632; siehe auch Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 206 f. 185 Siehe Zimmer, ZHR 164 (2000), 23, 35; Schön, FS Lutter, 2000, S. 685, 687; Forsthoff, EuR 2000, 167, 179; Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 V Rn. 66 f.; siehe auch Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 205 ff.; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 83; Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 376; ders.; DStR 2003, 159, 164; dezidiert Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrrecht und IPR Rn. 207-259; ferner Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 ff.; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 123 f.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 12 f.; siehe auch Spezialkommission für das internationale Gesellschaftsrecht, Vorschlag des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht für eine Regelung des Internationalen Gesellschaftsrechts auf europäischer/nationaler Ebene, bei: Sonnenberger/Bauer, RIW Beilage 1 zu Heft 4/2006, 1, 5. 186 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919.

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AEUV folgerichtig verwarf.187 Zu dem Verständnis von Art. 54 AEUV als Gesamtnormverweisung auf das Recht des Aufnahmestaats, das von der deutschen, italienischen und spanischen Regierung als Argument ins Felde geführt wurde,188 führt der Gerichtshof aus, „dass im Fall einer Gesellschaft, die wirksam in einem ersten Mitgliedstaat gegründet worden ist, dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat und von der nach dem Recht eines zweiten Mitgliedstaats angenommen wird, dass sie […] ihren tatsächlichen Verwaltungssitz dorthin verlegt hat, die Regeln, die der zweite Mitgliedstaat auf diese Gesellschaft anwendet, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht aus dem Anwendungsbereich der Gemeinschaftsvorschriften über die Niederlassungsfreiheit fallen.“189

Auch das Daily Mail-Urteil könne kein anderes Ergebnis rechtfertigen. Der Gerichtshof wollte darin den Mitgliedstaaten nicht das Recht einräumen, die tatsächliche Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit durch Gesellschaften, die in einem anderen Mitgliedstaat wirksam gegründet wurden, von der Beachtung ihres nationalen Gesellschaftsrechts abhängig zu machen.190 Damit redet der EuGH – wie er in National Grid Indus191 und Vale192 nochmals ausdrücklich bestätigte – der begrenzten Funktion des Art. 54 AEUV das Wort. Sobald eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats wirksam gegründet ist und ihren Verwaltungssitz, Satzungssitz oder ihre Hauptniederlassung in der Union hat, kommt sie in den Genuss der Niederlassungsfreiheit.193 Macht sie danach von den Art. 49, 54 AEUV Gebrauch, „so ist die Frage der Anerkennung ihrer Rechts- und Parteifähigkeit im Mitgliedstaat der Niederlassung nicht den Bestimmungen des EG-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit [entzogen]“.194

187 So auch die h.M. siehe statt vieler Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 18, 205; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 15; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 28 ff.; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 68 ff.; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 8; a.A. Kindler, NJW 2003, 1073 ff.; ders., NZG 2003, 1086 ff.; wohl auch Frenz, Grundfreiheiten (1. Aufl.), Rn. 2095, der allein in der Fiktion der Verlagerung des Verwaltungsrechts das die Freiheit beschränkende Merkmal erblickt, die daraus resultierenden Folgen aber gleichwohl als unbedenklich erachtet. 188 Siehe dazu die Ausführungen bei EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 26 ff., 30 ff. 189 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 52. 190 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 73. 191 EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273. 192 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 28 ff. 193 EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 26 ff., insb. Rn. 32. 194 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 74.

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Infolgedessen konnte sich die Überseering B.V. zweifelsohne auf die Niederlassungsfreiheit berufen, ohne dass das deutsche Recht darauf Einfluss nehmen konnte. Die dadurch manifestierte Auslegung des Art. 54 AEUV brachte der BGH in der Anschlussentscheidung prägnant zum Ausdruck: Eine Gesellschaft, die nach der Rechtsordnung des Staats rechtsfähig ist, in dem sie gegründet worden ist und in dem sie nach einer etwaigen Verwaltungssitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat weiterhin ihren satzungsmäßigen Sitz hat, sei auch in jedem anderen Mitgliedstaat rechtsfähig.195 Aber auch der noch in Daily Mail angedeutete Rechtssetzungsvorbehalt des inzwischen durch den Vertrag von Lissabon aufgehobenen Art. 293 EG a.F.196 vermochte auf dem Prüfstand des EuGH nicht zu bestehen. Zwar könnten die in Art. 293 EG a.F. angesprochenen Übereinkünfte, ebenso wie Harmonisierungsrichtlinien gemäß Art. 44 EG a.F., die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit erleichtern; Letztere sei aber gerade nicht davon abhängig.197 Die Art. 49, 54 AEUV gäben einer Gesellschaft bereits unmittelbar das Recht, ihre Tätigkeit in jedem anderen Mitgliedstaat auszuüben. Eine so verstandene Niederlassungsfreiheit setze aber bereits die Anerkennung der Gesellschaft in jedem Mitgliedstaat voraus, in dem sie sich niederlassen wolle, weshalb es auf den Abschluss eines Übereinkommens nach Art. 293 EG a.F. diesbezüglich nicht ankomme.198 3. Zwischenergebnis Danach bleibt zu konstatieren, dass auch aus dem spezifischen Wesen einer Gesellschaft als Geschöpf mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechts und dem diesem Umstand Rechnung tragenden Art. 54 AEUV keine Bereichsausnahme für das internationale Gesellschaftsrecht zu gewinnen ist.199 Zwar ist eine Regelungsmaterie betroffen, die zunächst von den Mitgliedstaaten geregelt wird. Gleichwohl gilt auch hier der Grundsatz, dass das Unionsrecht dabei zu berücksichtigen ist und der Rechtsanwendung der Mitgliedstaaten Grenzen setzt.200 Auf die dogmatische Pro195 BGHZ 154, 185; dazu Forsthoff, DB 2003, 979; Merkt, RIW 2003, 458; Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925; Eidenmüller, JZ 2003, 526. 196 Hierzu etwa Müller-Graff, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht, S. 5, 20 f.; ders., FS Hellwig, 2010, S. 251, 252 ff.; ferner Schön, ZGR 2013, 333, 335; Teichmann, ZGR 2011, 639, 652 f. 197 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 55. 198 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 56 – 60. 199 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 15; siehe dazu auch Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 206. 200 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 52 ff.; GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 39; Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 V Rn. 67; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 2, 12 f.; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 93; vgl. auch Joerges, FS Heldrich, S. 205, 216.

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht

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venienz einer die Grundfreiheiten verkürzenden Rechtsanwendung kommt es dabei nicht an; allein die praktischen Auswirkungen des Zusammenspiels von Kollisionsund Sachrecht sind Prüfungsgegenstand.201 Infolgedessen ist auch das Kollisionsrecht von dem Einfluss des Unionsrechts betroffen und kann sich nicht auf eine Grundfreiheitenresistenz berufen.202

II. Grundfreiheiten als versteckte Kollisionsnormen Ist somit ein Einfluss der Grundfreiheiten auf das Kollisionsrecht und damit auch ein Einfluss der Niederlassungsfreiheit auf das internationale Gesellschaftsrecht nicht zu verkennen, erhellt sich die Frage danach, welche Gestalt dieser Einfluss annimmt. Auf der entgegengesetzten Seite der Diskussion um das Verhältnis von Unionsrecht und mitgliedstaatlichem internationalem Privatrecht findet sich eine Auffassung, die in den Grundfreiheiten selbst eine Kollisionsnorm sieht.203 Sie bildet 201 Teichmann, ZGR 2011, 639, 678 f.; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 9; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 111; GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 43; Weller, Europäische Rechtswahlfreiheit, S. 41; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 259; ähnlich auch Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 166; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 98; siehe ferner EuGH, Urteil vom 1. 7. 1993 – Rs. C-20/92 (Hubbard), Slg. 1993, I-3777 Rn. 19, demzufolge „die Geltung des Gemeinschaftsrechts […] nicht davon abhängen kann, auf welchem Gebiet des innerstaatlichen Rechts es seine Wirkungen zeitigt.“ Ähnlich auch EuGH, Urteil vom 21. 3. 1972 – Rs. 82/71 (Sail), Slg. 1972, 119 Rn. 5. 202 W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635, 646; ders., IPRax 2006, 338, 340 f.; ders., 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 847, 863; ders., in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 52 f.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 15; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl IPR Rn. 157; ders., ZVglRWiss 95 (1996), 3, 8 ff.; Kropholler, IPR, § 10 I 2; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 144; Wendehorst, in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, § 7 Rn. 59; Koch/Magnus/ Winkler von Mohrenfels, IPR, S. 7 f.; Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 23; Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 195 f.; Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 41 f.; Deinert, EWS 2006, 445, 452; Spindler, RabelsZ 66 (2002), 633, 649 f.; i.E. auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 442 ff. 203 Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 1; ders., RabelsZ 70 (2006), 474, 479; ders., NJW 2005, 1618, 1618 f.; ders., JZ 2003, 526, 528; ders., JZ 2004, 24, 25 f.; ders., ZIP 2002, 2233, 2241; zurückhaltender ders., FS Heldrich, S. 581, 583 und ders./Rehm, ZGR 2004, 159, 164 ff.; ferner Weller, FS Blaurock, 2013, S. 497, 518; ders., FS Hommelhoff, 1275, 1281 f.; ders., ZGR 2010, 679, 696; ders., IPRax 2009, 202, 205; ders., FS Goette, S. 583, 587 f.; ders., Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 53 ff.; ders., in: MünchKommGmbHG, Einl Rn. 355; Thomale, NZG 2011, 1290 ff.; Grundmann, RabelsZ 2003, 246, 255 ff.; ders., Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 770; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 930 f.; dies., NZG 2003, 259, 260; dies., BB 2003, 543; zurückhaltender dies., BB 2009, 59, 62 (etwas relativierend auch Leible, ZGR 2004, 531, 534); Bayer, in: Lutter/ Hommelhoff (Hrsg.), GmbHG, § 4a Rn. 11; zurückhaltender ders./J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 739 („de facto“ Geltung der Gründungstheorie); Mörsdorf, EuZW 2009, 97, 101; Hoffmann, in: AnwK-BGB, Anh zu Art. 12 EGBGB Rn. 73; Paefgen, ZIP 2004, 2253, 2254; ders., WM 2003, 561, 563 ff.; ders., DB 2003, 487; Brödermann/Iversen, Europäisches Gemein-

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

die Gegenposition zu den Verfechtern einer Grundfreiheitenresistenz des Kollisionsrechts.204 Die Vorgaben der Grundfreiheiten seien danach so zu verstehen, dass eine Umsetzung im Kollisionsrecht nur mit einer direkt aus den Grundfreiheiten gewonnenen Kollisionsnorm erfolgen könne.205 Im Rahmen des internationalen Gesellschaftsrecht erfordere die Niederlassungsfreiheit daher, zwingend die Gründungstheorie anzuwenden.206 Diese Auffassung hat auch teilweise Rezeption in der Rechtsprechung gefunden.207 schaftsrecht und IPR, Rn. 266; wohl auch Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117 ff.; ferner Radtke/ Hoffmann, EuZW 2009, 404 f.; von Halen, WM 2003, 571, 575; Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1, 12 ff.; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B 7, 39; ders., IPRax 2004, 20, 24 f.; ders., IPRax 2003, 193, 204 f.; Grundmann/Möslein, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 31, 40 f.; Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 137 ff.; Sandrock, in: Sandrock/ Wetzler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht im Wettbewerb, S. 36; (anders hingegen ders., EWS 2005, 529); Palandt/Thorn, Art. 12 EGBGB Anh. Rn. 6; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, IPR, Einl. Rn. 140, 165 ff., der zwar generell den Grundfreiheiten einen kollisionsrechtlichen Ansatz abspricht (Rn. 142 ff., 145), jedoch für die Niederlassungsfreiheit eine Ausnahme macht und aufgrund der Aussagen des EuGH diesen kollisionsrechtlichen Gehalt konzediert; ähnlich Mankowski, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, S. 235, 244, 260 f.; ders., IPRax 2004, 385, 391 (bei Fn. 92); ders., in: Basedow (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, S. 595, 600; der zwar aus den Grundfreiheiten grundsätzlich keine Kollisionsnorm entnehmen will, für das internationale Gesellschaftsrecht jedoch eine Ausnahme dergestalt macht, dass hier die Gründungstheorie vorgegeben sei; gleichsinnig Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 242 f., die die Gründungstheorie als zwingend ansieht, ansonsten aber den Grundfreiheiten keine Verweisungsnorm entnehmen will (S. 249 f.); auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 545 entnimmt der Überseering-Entscheidung eine sonst für die Grundfreiheiten abgelehnte (S. 432 ff.) Kollisionnorm; ebenso auf die Überseering-Entscheidung als Ausnahme zur übrigen Grundfreiheitendogmatik abstellend Dohrn, Kompetenzen, S. 44 ff., 47; wohl auch Zimmer, NJW 2003, 3585, 3591; dem wohl auch zuneigend Jayme, in: Mansell (Hrsg.), Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts, S. 31, 37 f., wenn er davon ausgeht, dass die Anwendung der lex fori im Bestimmungsland grundsätzlich einer besonderen Rechtfertigung bedarf; Ebke, JZ 2003, 927, 932; siehe auch Spezialkommission für das internationale Gesellschaftsrecht, bei: Sonnenberger/Bauer, RIW Beilage 1 zu Heft 4/2006, 1, 5 f., 8 (Mitglieder der Kommission: Basedow, Behrens, Eidenmüller, Kieninger, Kindler, Sandrock, Schlechtriem, Sonnenberger, Zimmer). 204 Dazu oben 1. Teil § 2 I. 205 So etwa Weller, FS Goette, S. 583, 587 f.; Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1, 12 ff.; Grundmann, RabelsZ 67 (2003), 246, 255 ff.; ders., RabelsZ 64 (2000), 457, 460; Brödermann/ Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn. 266 ff.; Behrens, IPRax 1999, 323 ff.; Furrer, Zivilrecht im gemeinschaftsrechtlichen Kontext, S. 203; Drasch, Herkunftslandprinzip, S. 244 ff., 309 ff. 206 Statt vieler Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 39; ders., IPRax 2004, 20, 25; ders., IPRax 1999, 323, 329; Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 479; ders., in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 1; ders., ZIP 2002, 2233, 2241; ders., JZ 2003, 526 ff.; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 930 f.; Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 137 f.; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3591; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 140; Paefgen, EWiR 2003, 571 f.; ders., DZWiR 2003, 441, 445; wohl auch Weller, DStR 2003, 1800 f. 207 BayObLG ZIP 2003, 398; OLG Zweibrücken BB 2003, 864; LG Hannover NZG 2003, 1072; missverständlich OLG Düsseldorf DB 2004, 128; hingegen wendet der BGH zwar die Gründungstheorie als kollisionsrechtliches Instrument an, lässt jedoch offen, ob er diese als von

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht

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Dem Wortlaut der Grundfreiheiten ist eine solche Verweisungsnorm nicht zu entnehmen. Es entspricht allerdings in der kollisionsrechtlichen Lehre gesicherter Erkenntnis, dass auch in Anerkennungsgeboten Verweisungsnormen enthalten sein können.208 Mangels ausdrücklicher Regelung im AEU-Vertrag kann es sich daher bei der hier in Rede stehenden Verweisungsnorm nur um eine sog. versteckte Kollisionsnorm handeln.209 1. Parallelen zwischen Grundfreiheiten und Kollisionsrecht Die Ableitung einer Kollisionsnorm aus den Grundfreiheiten hat dabei prima facie den Vorteil einer einfachen Umsetzung primärrechtlicher Vorgaben für sich.210 Sieht man sich die Entwicklung der Grundfreiheiten hin zum Beschränkungsverbot an, so ist nicht zu leugnen, dass sich unweigerlich Parallelen zum Kollisionsrecht aufdrängen. Die Leitgedanken des Herkunftsland- und Bestimmungslandprinzips als Ausfluss von Beschränkungs- und Diskriminierungsverbots ließen sich bestechend einfach in das Kollisionsrecht überführen.211 Es ist offensichtlich, dass das Herkunftslandprinzip – sobald man ihm auch kollisionsrechtlichen Gehalt zumisst – im Bereich des Gesellschaftsrechts der Gründungstheorie entspricht, wohingegen das Bestimmungslandprinzip mit der Sitztheorie in Kongruenz läuft. Daher liegt der Gedanke nahe, das durch die Cassis-Rechtsprechung212 etablierte Herkunftslandprinzip auch kollisionsrechtlich zu verstehen.213 a) Grenzüberschreitender Sachverhalt Die Parallelen zwischen Grundfreiheiten und Kollisionsrecht, die eine Überführung der primärrechtlichen Vorgaben in das Kollisionsrecht aufzudrängen scheinen, liegen zunächst darin begründet, dass beide Rechtsmaterien grenzüberschreitende Sachverhalte regeln.214 Die Grundfreiheiten setzen für ihre Geltung einen der Niederlassungsfreiheit vorgegeben oder als lediglich vorzugswürdigere Umsetzung der EuGH-Vorgaben ansieht, BGHZ 154, 185 ff.; BGHZ 164, 148; siehe ebenfalls zurückhaltend bzgl. der dogmatischen Umsetzung BGH NVwZ-RR 2006, 28, 29. 208 Siehe etwa Wendehorst, in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, § 7 Rn. 6. 209 W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 339; dazu auch Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 484 ff.; Kropholler, IPR, § 13 IV; Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071, 1076; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), GmbHG, § 4a Rn. 11. 210 So Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 480. 211 Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 139; ders., ZVglRWiss 95 (1996), 3, 10; dazu auch Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 184. 212 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979 – Rs. 120/78 (Cassis), Slg. 1979, 649. 213 So Weller, Rechtformwahlfreiheit, S. 29 fff, 51 ff.; ders., FS Goette, S. 583, 587; G. H. Roth, Vorgaben der Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften, S. 6 ff. 214 Ausf. Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 447 ff.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

zumindest mittelbar grenzüberschreitenden Sachverhalt voraus.215 Auf reine Inlandsfälle entfalten sie hingegen keine Wirkung. Ähnliches gilt für das internationale Privatrecht. Dieses kommt nur dann zur Anwendung und ist auch nur dann erforderlich, wenn ein Sachverhalt einen Bezug zu mindestens einer weiteren Rechtsordnung aufweist. So definiert Art. 3 EGBGB auch die Aufgabe des deutschen Kollisionsrechts: Dieses soll bei Sachverhalten mit Verbindung zum Recht eines ausländischen Staats bestimmen, welcher Rechtsordnung der betreffende Sachverhalt zu unterstellen ist. Es geht darum, die Rechtsordnung in Ansatz zu bringen, der das Rechtsverhältnis seiner eigentümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist.216 Sowohl Grundfreiheiten als auch Kollisionsrecht setzen mithin voraus, dass der zu regelnde Sachverhalt einen Bezug zu mehr als einer Rechtsordnung aufweist.217 b) Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen Eine in den Grundfreiheiten versteckte Kollisionsnorm könnte zudem für sich in Anspruch nehmen, von einem gleich gelagerten Verständnis von den beteiligten Rechtsordnungen auszugehen.218 Fragt nämlich das Kollisionsrecht zur Ermittlung der anzuwenden „richtigen“ Rechtsordnung danach, welche dem zu regelnden Sachverhalt am nächsten steht, so kommt darin ein elementarer Grundgedanke des internationalen Privatrechts zum Ausdruck: In- wie ausländisches Recht wird grundsätzlich als gleichwertig angesehen. Allen in Betracht kommenden Regelungen wird mithin die Gleichwertigkeit unterstellt.219 Damit korreliert die Wertung des Kollisionsrechts mit der des europäischen Primärrechts.220 Denn auch den Grundfreiheiten hat der EuGH seit der Cassis-Entscheidung221 eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten entnommen, die Rechtsvorschriften der anderen Mitgliedstaaten als gleichwertig anzuerkennen und bei der Anwendung des eigenen Rechts adäquat zu berücksichtigen.222 Dieses im Weißbuch der Kommission von 1985 weiter ausgearbeitete Prinzip der gegenseitigen Anerkennung impliziert folglich auch eine Gleichwertigkeit der unterschiedlichen nationalen Bestimmungen im Binnen-

215 Ausf. dazu etwa Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 273 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 54 ff. 216 v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, S. 28, 108. 217 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 447; Furrer, Zivilrecht im gemeinschaftsrechtlichen Kontext, S. 206. 218 Siehe auch Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1, 13 f. 219 Weller, IPRax 2011, 429, 430; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 19 ff.; Kropholler, IPR, § 4 II 1; v. Bar/Mankowski, IPR I, S. 198; Gounalakis/Radke, ZVglRWiss 98 (1999), 1, 5; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 416. 220 Siehe auch Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 566. 221 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979 – Rs. 120/78 (Cassis), Slg. 1979, 649. 222 Dazu schon oben 1. Teil § 1 II.1.

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht

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markt.223 Diese Parallelen zwischen Grundfreiheiten einerseits und internationalem Privatrecht andererseits sind es, die zu der Folgerung verleiten, beide Materien dergestalt gleichzusetzen, dass man aus den Grundfreiheiten eine versteckte Kollisionsnorm extrahiert.224 2. Primärrechtliches Herkunftslandprinzip als Ansatzpunkt der Kollisionsnorm Mit der Cassis-Entscheidung ist auch der dogmatische Ansatzpunkt für die Deduktion einer versteckten Kollisionsnorm benannt. Vertreter dieser Ansicht entnehmen der dort entwickelten unionsrechtlichen Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung auf der Grundlage der Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen im Binnenmarkt auch eine kollisionsrechtliche Perspektive. So sei diese vom EuGH geforderte Pflicht bei Licht besehen nichts anderes als eine unpräzis umschriebene Kollisionsnorm.225 Die kollisionsrechtliche Kehrseite der Anerkennung ausländischer Rechtsordnungen sei nämlich eine Verweisung in dieses ausländische Recht. Das nationale IPR kenne keine Anerkennung in diesem Sinne. Ob und inwieweit ausländisches Recht anerkannt werden müsse, ließe sich nur durch dessen Anwendung ermitteln.226 Die Rechtsanwendung ist dann gleichzeitig die Anerkennung der angewandten Regeln. Unionsrechtliche Anerkennungsregel und kollisionsrechtlicher Verweis auf das Recht des Herkunftslands bildeten folglich zwei Seiten derselben Medaille.227 De facto wird damit das aus der Entwicklung der Grundfreiheiten zu Beschränkungsverboten abgeleitete Herkunftslandprinzip228 kollisionsrechtlich ausgestaltet.229 Dieses kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip verlange bei binnenmarktrelevanten Sachverhalten zwingend eine Anknüpfung an das Recht des Herkunftslands. Wenn die Grundfreiheiten es erforderten, ein Produkt deshalb als verkehrsfähig zu erachten, weil die Vorschriften des Herkunftslands dieses Ergebnis vorgäben, so sei die notwendige Konsequenz, diese Vorschriften auch kollisionsrechtlich zur Anwendung zu berufen. Übertragen auf das internationale Gesellschaftsrecht bedeute die Anerkennung von ausländischen Gesellschaften daher, deren Gründungsrecht anzuwenden. Als Folge dieses kollisionsrechtlich verstan223

Siehe auch Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 31; mit Vergleich zum IPR etwa Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 448; siehe auch Grundmann, RabelsZ 64 (2000), 457, 460. 224 Ähnlich W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 339 f.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 447. 225 Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1, 13 ff.; Drasch, Herkunftslandprinzip, S. 244 ff., 309 ff.; krit. Mansel, in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, 1, 10; Roth, IPRax 2006, 338, 339 f. 226 Furrer, Zivilrecht im gemeinschaftsrechtlichen Kontext S. 207. 227 Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1, 14: „Mit anderen Worten verbirgt sich hinter dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der wechselseitigen Anerkennung in Wirklichkeit eine Verweisung auf das Recht des Herkunftslands.“ 228 Dazu oben 1. Teil § 1 II.1. 229 Dazu krit. auch Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 419 f.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

denen Herkunftslandprinzips sei die Gründungstheorie geboten.230 Diese aus dem Beschränkungsverbot der Grundfreiheiten abgeleitete unionsrechtliche Gründungstheorie überlagere aufgrund ihres Vorrangs als Unionsrecht schließlich die nationalen Kollisionsnormen.231 Vorteil einer solchen Lösung wäre zweifelsohne, dass sie den Binnenmarkt durch eine einheitliche unionsweite Anwendung des Kollisionsrechts fördern würde. Eine unionsrechtlich verankerte Kollisionsnorm böte eine unmittelbar in allen Mitgliedstaaten geltende Verweisungsnorm, die sicherstellte, dass unionsweit für ein und denselben Fall auch stets dieselbe Rechtsordnung zur Anwendung berufen würde.232 Diese auf dem Topoi der Rechtssicherheit basierende integrative Wirkung macht sich der AEU-Vertrag auch an anderer Stelle zunutze. Wenn Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV(ex Art. 65 lit. b) EG) dem Unionsgesetzgeber die Kompetenz an die Hand gibt, die nationalen Kollisionsrechte zum Zwecke der Förderung des Binnenmarkts zu harmonisieren, so ist dies Ausdruck der Erkenntnis, dass auch einer einheitlichen Anwendung des Kollisionsrechts positive Effekte für den Binnenmarkt zukommen.233 Insbesondere in Bereichen, in denen keine weitere Rechtsangleichung angestrebt wird, könnte ein solchermaßen ausgestaltetes, integratives Kollisionsrecht die Nachteile, die sich aus den fortbestehenden Rechtsunterschieden für den grenzüberschreitenden Verkehr ergeben, teilweise nivellieren. Es überrascht daher nicht, dass die Diskussion um ein auch kollisionsrechtliches Herkunftslandprinzip nicht nur auf die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften begrenzt ist. Weitere bekannte Beispiele sind die Diskussionen bezüglich des Wettbewerbsrechts234 und der E-Commerce-Richtlinie.235 Aber auch die 230 So etwa Weller, FS Goette, S. 583, 587 f.; ders., FS Blaurock, 2013, S. 497, 518; ders., FS Hommelhoff, 1275, 1281; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2241; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 936, die die Überseering-Entscheidung als Ausdruck des Herkunftslandprinzips sehen; siehe ferner Eidenmüller, JZ 2003, 526, 528; Kersting, NZG 2003, 9 ff.; Zimmer, BB 2003, 1, 4; ders., RabelsZ 67 (2003), 298, 307 f.; Ebke, EBLR 2005, 9, 26 ff.; Lutter, BB 2003, 7, 9; Binz/ Mayer, GmbHR 2003, 249, 254 f. 231 Grundmann, RabelsZ 64 (2000), 457, 460; Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1, 13. 232 Sonnenberger, in: MünchkommBGB, Einl. IPR Rn. 139; Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 184. 233 Ähnlich auch Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 144; siehe auch Leible, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 29; Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 22. 234 Statt vieler ausf. Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 539 m.w.Nachw.; Chrocziel, EWS 1991, 173, 177 f.; Dethloff, JZ 2000, 179 ff. 235 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. 6. 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl. EG 2000 L 187, 1; die in Art. 3 das Herkunftslandprinzip statuiert, wobei dessen kollisionsrechtlicher Gehalt jedoch umstritten ist: für ein kollisionsrechtliches Verständnis etwa Mankowski, IPRax 2002, 257, 258 ff.; ders., ZVerglRWiss 100 (2001), 137, 138 ff.; ders., in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, S. 235, 258 ff.; Thünken, IPRax 2001, 15, 19 f.; dagegen auf das Sachrecht abstellend Ahrens, CR 2000, 835, 837; Sonnenberger, ZVerglRWiss 100 (2001), 107, 125 ff.; Glöckner, ZVglRWiss 99 (2000), 278, 305; maßgeblich aber nicht ausschließlich auf das Sachrecht abstellend („hybrides“ Verständnis) Spindler, ZHR 165 (2001), 324, 337 ff.; ders., IPRax 2001,

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ursprünglichen Vorschläge236 der Kommission für die Rom II-Verordnung (Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht)237 und die Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG)238, die beide eine kollisionsrechtliche Ausgestaltung in Form eines Herkunftslandprinzips vorsahen, waren Gegenstand entsprechender Kontroversen.239 3. Stellungnahme Mag auch der Gedanke, das primärrechtliche mit einem kollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzip zu verknüpfen, zunächst bestechend erscheinen, so erweist sich das Konzept einer solchen, aus den Grundfreiheiten abgeleiteten Kollisionsnorm bei genauerer Betrachtung als nicht tragfähig. Zutreffend ist zwar, dass das Postulat der Cassis-Rechtsprechung des EuGH, wonach rechtmäßig hergestellte Waren unionsweit zirkulationsfähig sind, auch eine kollisionsrechtliche Komponente besitzt. Die Frage, ob die Ware im Herkunftsland rechtmäßig hergestellt worden ist, lässt sich nämlich nur unter Anwendung der entsprechenden Vorschriften des Herkunftslands ermitteln. Gleichwohl betrifft sie nur die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten. Denn das Beschränkungsverbot der Grundfreiheiten gilt bei nichtdiskriminierenden Vorschriften des Bestimmungsstaats nur für solche Güter (Waren, Dienstleistungen, etc.), die für sich in Anspruch nehmen können, nach den Vorschriften ihres Herkunftslands rechtmäßig in den Vertrieb gekommen zu sein. Der von der Cassis-Rechtsprechung ausgesprochene Verweis auf das Recht des Herkunftsstaats erschöpft sich aber in einer im Rahmen der Anwendbarkeit des Be-

400, 401 f.; ders., RIW 2002, 183, 185; ausf. ders., RabelsZ 66 (2002), 633, 649 ff.; ders., in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 107, 110 ff., 112; siehe zum Ganzen auch BGH EuZW 2010, 313; hierzu Sack, EWS 2010, 70 ff. 236 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II), KOM (2003), 427 endg.; geändert durch: Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II), KOM (2006), 83 endg.; dazu etwa Junker, in: MünchKommBGB, Art. 42 EGBGB Anh. Rn. 1 ff.; Deinert, EWS 2006, 445 ff.; Benneke, RIW 2003, 830 ff. 237 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), Abl. Nr. L 199 S. 40; dazu etwa Wagner, IPRax 2008, 377 ff.; Junker, NJW 2007, 3675 ff. 238 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, KOM (2004), 2 endg.; geändert durch: Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, KOM (2006), 160 endg.; hierzu etwa Sonnenberger, RIW 2004, 321 ff.; Reim, NJW 2005, 1553 f.; Mankowski, IPRax 2004, 385 ff. 239 Im Rahmen der Dienstleistungrichtlinie führten diese dazu, dass das ursprünglich implementierte kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip (Art. 16 RL-E a.F.) durch den geänderten Vorschlag (vorh. Fn.) wieder aus dem Vorschlag herausgenommen wurde. Zum ganzen siehe auch Deinert, EWS 2006, 445 ff.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

schränkungsverbots zu beantwortenden Vorfrage.240 Eine kollisionsrechtliche Rechtsfolge ist damit nicht ausgesprochen.241 a) Unterschiedliche Zielsetzung von Kollisionsrecht und Grundfreiheiten Fußt die These einer kollisionsrechtlichen Bedeutung der Grundfreiheiten im Sinne einer versteckten Kollisionsnorm auch auf bestehenden Parallelen zwischen beiden Rechtsmaterien, so können die aufgezeigten Gemeinsamkeiten allein die Ableitung einer Kollisionsnorm nicht begründen. Zwar ist ein gewisser Gleichlauf der Materien nicht von der Hand zu weisen, Zweifel an der Tragfähigkeit der Argumentation ergeben sich aber bereits daraus, dass es neben bestehenden Parallelen auch elementare Unterschiede zwischen Grundfreiheiten und Kollisionsrecht gibt.242 Der in diesem Zusammenhang wohl bedeutendste Unterschied zwischen den Grundfreiheiten und den Lehren des IPR ist deren Zielsetzung:243 Kollisionsnormen sind Verweisungsnormen, die sich nach räumlichen Zweckmäßigkeitserwägungen ausrichten, nicht aber an sachlichen Regelungsinteressen orientieren.244 Es soll das Recht zur Anwendung berufen werden, das zu dem zu regelnden Sachverhalt die größte Nähe aufweist. Auf das materielle Ergebnis kommt es nicht an; anders gewendet entscheidet das IPR ohne Blick auf das Anwendungsergebnis.245 Der Verweis erfolgt auf das Recht, das etwa als das sachnähere erscheint oder das ein größeres Regelungsinteresse an dem entsprechenden Typus von Sachverhalten hat.246 Aus Sicht des internationalen Privatrechts ist der zu erzielende gerechte Fallentscheid nicht eine Frage einer bestimmten sachlichen Lösung, sondern der Anwendung der richtigen Rechtsordnung.247 Der Verweis auf das ausländische Recht erfolgt mit 240 W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 340; zur ähnlich gelagerten (Vor-)Frage, ob eine Gesellschaft iRd Art. 54 AEUV wirksam gegründet wurde, EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 109; EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 28. 241 Teichmann, ZGR 2011, 639, 677 ff.; ders., Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 419; W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 667; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 97 f.; a.A. Hoffmann, Grundfreiheiten, S. 60 ff. 242 Zum Folgenden auch Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 561 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 448 f. 243 Dazu auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 449; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 416 ff; Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 557 ff. 244 Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 561. 245 Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 561; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 416; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 19 f.; Die Grenze bildet insofern der ordre public; siehe dazu Kegel/Schurig, IPR, § 2 II, S. 145 ff. 246 Kropholler, IPR, § 4 II 1; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 19 ff.; zu den das IPR beeinflussenden Interessen siehe auch Kegel/Schurig, IPR, § 2, S. 131 ff. 247 Kropholler, IPR, § 4 II 1; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 19 ff.; Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 561.

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anderen Worten nicht deshalb, weil aus Sicht des verweisenden Rechts das Ergebnis der ausländischen Rechtsordnung für sachgerechter gehalten wird, sondern weil das verweisende Recht sich weniger nahe am zu regelnden Sachverhalt sieht.248 Das Kollisionsrecht legt also den Schwerpunkt auf das Interesse an der Anwendung eines Rechts, nicht auf dessen materiellen Inhalt.249 Nahezu umgekehrt verhält es sich mit den Grundfreiheiten. Ihnen ist nicht an der Anwendung eines bestimmten mitgliedstaatlichen Rechts gelegen.250 Die Existenz unterschiedlicher Rechtsordnungen im Binnenmarkt wird hingenommen; das gleichberechtigte Nebeneinander der Rechtsordnungen ist sogar prägend für den „unvollkommenen Binnenmarkt“.251 Zweck und Ziel der Grundfreiheiten ist die Beseitigung von tatsächlichen Marktzutrittsbeschränkungen.252 Entscheidend ist aus primärrechtlicher Sicht allein das Ergebnis.253 Gegenstand der Grundfreiheitenprüfung sind somit – wie es Generalanwalt (GA) Maduro in der Rechtssache Cartesio formulierte – allein die Wirkungen, die nationale Vorschriften oder Praktiken auf die Niederlassungsfreiheit haben können.254 Die Grundfreiheiten statuieren den Oktroy, das Anwendungsergebnis so auszugestalten, dass es sich nicht beschränkend auf den zwischenstaatlichen Verkehr auswirkt.255 Unter Anwendung welchen Rechts dieses Ziel erreicht wird, tangiert die Grundfreiheiten dagegen grundsätzlich nicht.256 Die Grundfreiheiten sind vielmehr wirkungsbezogen und ergebnisorientiert.257 248

Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 561; Kegel/Schurig, IPR, § 2 I, S. 133. 249 Etwa Kegel/Schurig, IPR, § 2 I, S. 133; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 19 ff. 250 Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 566; ähnlich auch Teichmann, ZGR 2011, 639, 678 f. 251 Plastisch Steindorff, ZHR 158 (1994), 149 ff., insb. 160. 252 W.-H. Roth, GS Knobbe-Keuk, S. 729, 737 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 51 f.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 220 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 167 f.; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 83 ff.; W.-H. Roth, CMLRev. 1994, S. 845, 853 f.; Becker, EuR 1994, 172 ff.; Matthies, FS Everling, S. 803, 809 f.; Heermann, WRP 1999, 381, 384. 253 Siehe bereits oben 1. Teil § 1 II.; ferner Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, S. 392 ff.; W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 341; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 33; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 98; Mankowski, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, S. 235, 244; ders., IPRax 2004, 385, 392. 254 GA Maduro, Schlussanträge vom 22. 5. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 30; ebenso Teichmann, ZGR 2014, 45, 63; ders., ZGR 2011, 639, 678. 255 Teichmann, ZGR 2011, 639, 678; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36. 256 Siehe dazu auch GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 46 und 68, der zur Begründung einer Beschränkung allein auf das tatsächliche Ergebnis, im Fall Überseering die fehlende Klagemöglichkeit, abstellt. Der Beurteilung, wie es zu einer Beschränkung komme, solle sich das Unionssrecht enthalten. So stellt der GA auch nicht auf die infolge der Anwendung der Sitztheorie fehlenden Rechts- und

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

Will man aber eine versteckte Kollisionsnorm aus den Grundfreiheiten deduzieren, so müsste diese Verweisungsnorm im Sinne der Grundfreiheiten eine Wertung im Hinblick auf das tatsächliche Ergebnis der Rechtsanwendung vornehmen.258 Die ratio legis der Marktfreiheiten, ergebnisorientiert spezifisch marktzugangsbehindernden Vorschriften die Anwendung zu versagen, erforderte es dann, dass eine aus den Grundfreiheiten abgeleitete Verweisungsnorm diese Wertung widerspiegelt.259 Dies ist aber eine Aufgabe, die zu erfüllen das Kollisionsrecht eo ispo nicht in der Lage ist. Sieht man in der Niederlassungsfreiheit zwingend die Gründungstheorie vorgeschrieben, so wird eine Norm bereits wegen ihrer Zugehörigkeit zu dem zu regelnden Rechtsgebiet dem Verweis unterstellt, ohne dass es nochmals zu einer Kontrolle des von ihr bewirkten materiellen Ergebnisses kommt.260 aa) Beschränkungswirkung von ausländischem Recht Diese Wertunterscheide treten beispielsweise dann offen zu Tage, wenn der Bestimmungsstaat faktisch die günstigere Rechtsvorschrift bereithält. Dann nämlich könnte die Wertung der ergebnisorientierten Grundfreiheiten und die des rechtsanwendungsbezogenen internationalen Privatrechts auseinanderfallen. Die Frage, inwieweit es die Grundfreiheiten in der Form von Diskriminierungsverboten in diesem Fall sogar zwingend erfordern, dass die Rechtsvorschriften des Bestimmungsstaats anstelle der des Herkunftsstaats in Ansatz gebracht werden, soll hier zunächst außen vor bleiben (dazu sogleich bei b)aa)). Es geht vielmehr darum, inwieweit sich ein kollisionsrechtlich überformtes Herkunftslandprinzip in diesem Fall noch aus dem Beschränkungsverbot der Grundfreiheiten heraus legitimieren könnte. Wie bereits ausgeführt,261 erschöpfen sich die Grundfreiheiten in einer negativen Funktion. Sie haben allein anwendungshindernde Wirkung ohne selbst positive Regelungen zu treffen. Eine positiv gestaltende Funktion ist dem Sekundärrecht vorbehalten. Dies ist das Medium, in dem sich die Ausformulierung und Konturierung der primärrechtlichen Garantien in konkrete Rechte und somit die positive Integration vollzieht.262 Die Grundfreiheiten hingegen suspendieren die mitgliedParteifähigkeit ab, sondern macht einzig die tatsächliche Auswirkung – die fehlende Klagemöglichkeit – zum Gegenstand seiner Untersuchung; siehe auch Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 165 f.; Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573, 2580; ferner Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 419; ders., ZGR 2014, 45, 63. 257 W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 341; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 33; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 98; Mankowski, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, S. 235, 244; ders., IPRax 2004, 385, 392. 258 Siehe auch Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 563. 259 Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 564. 260 Siehe dazu auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 449; Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 564. 261 Siehe oben unter 1. Teil § 1 II. 262 Siehe auch Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 2, 18.

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht

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staatliche Rechtsanwendung nur, wenn und soweit diese eine Beschränkung für den grenzüberschreitenden Verkehr zeitigt. Daraus folgt, dass die Niederlassungsfreiheit mangels positiven Inhalts etwa einer niederländischen Gesellschaft nicht unmittelbar das Recht einräumen kann, dass grundsätzlich nur niederländisches Recht auf alle sie betreffenden Rechtsverhältnisse Anwendung findet.263 Die zwingende Anwendung niederländischen Rechts könnte allenfalls mittelbare Konsequenz der Art. 49, 54 AEUV sein. Dies wäre dann der Fall, wenn die Anwendung einer anderen Rechtsordnung, beispielsweise die des Aufnahmemitgliedstaats bei einer Verwaltungssitzverlegung, in ihrer tatsächlichen Auswirkung zu einer Beschränkung der Grundfreiheit führte. Da die Niederlassungsfreiheit diese Beschränkung nicht hinnähme, folgte daraus reflexartig die Anwendung des Rechts der Niederlande.264 Voraussetzung dafür wäre aber jedenfalls, dass die Anwendung des Bestimmungslandrechts eine Beschränkung der betroffenen Grundfreiheit darstellt. Die These, dass im internationalen Gesellschaftsrecht die Gründungstheorie (als Form eines kollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzips) europarechtlich vorgegeben sei,265 ließe sich daher nur aufrechterhalten, sofern sich die Anwendung sämtlicher dem Anwendungsbereich der Art. 49, 54 AEUV unterliegender Rechtsvorschriften des Bestimmungslands als (unzulässige) Beschränkung der Niederlassungsfreiheit erwiesen.266 Ist die Annahme einer solchen Beschränkung grundsätzlich unproblematisch, wenn das Bestimmungsland strengere Vorschriften als die des Herkunftslandrechts in Ansatz bringen will, so ist der umgekehrte Fall virulent, in dem das Recht des Bestimmungslands faktisch das günstigere ist.267 Die Legitimierung eines zwingend ausgestalteten kollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzips gerät an diesem Punkt in Bedrängnis, ist doch die Frage aufgeworfen, woran eine Beschränkung der Grundfreiheit, die dem unabdingbaren Verweis auf das Herkunftslandprinzip erst seine unionsrechtliche Rückbegründung geben könnte, anknüpfte. Verdeutlichen lässt sich dies an dem folgendem Beispiel: Angenommen sei zunächst, dass Staat A eine Vorschrift in seinem Gesellschaftsrecht implementiert hat, die – stark vereinfacht – eine sog. Ausplünderungshaftung von Geschäftsführern bei Zahlungen an die Gesellschafter, ähnlich § 64 S. 3 GmbHG in Form des

263 Ähnlich Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 228 ff. 264 Ähnlich auch Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 539 f. 265 Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 39; ders., IPRax 2004, 20, 25; ders., IPRax 1999, 323, 329; Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 479; ders., in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 1; ders., ZIP 2002, 2233, 2241; ders., JZ 2003, 526 ff.; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 930 f.; Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 137 f.; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3591; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 140; Paefgen, EWiR 2003, 571 f.; ders., DZWiR 2003, 441, 445; Weller, FS Blaurock, 2013, S. 497, 518; ders., FS Hommelhoff, 1275, 1281; ders., DStR 2003, 1800 f. 266 So auch Bitter, Jb.J.ZivRWiss 2004, S. 299, 313; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 228 ff. 267 Siehe Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 8; Ahrens, FS Georgiades, S. 789, 798.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

MoMiG,268 statuiert. Diese greift Platz, sofern die Zahlung an die Gesellschafter die Gesellschaft in die Zahlungsunfähigkeit führt, es sei denn, dass dies auch bei Beachtung der nötigen Sorgfalt nicht zu erkennen gewesen wäre.269 Staat B – so sei weiter unterstellt – kennt eine identische Vorschrift, die eine Haftung der Geschäftsführer unter exakt den gleichen Voraussetzungen annimmt. Der einzige Unterschied besteht darin, dass das Fehlen der nötigen Sorgfalt nicht vermutet wird, mithin keine Beweislastumkehr wie in Staat A vorgesehen ist. Verlegt nun eine Gesellschaft des Staats A ihren Verwaltungssitz in Staat B, wäre letzterer der These einer versteckten Kollisionsnorm folgend gezwungen, die Vorschrift des Staats A anzuwenden. Vor dem Hintergrund der Ergebnisbezogenheit der Grundfreiheiten müsste sich dieser zwingende Verweis auf das Recht des Herkunftslands indes auf eine anderenfalls drohende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zurückführen lassen. Aufgrund des materiellen Rechts lässt sich eine solche nicht begründen. Die Vorschriften von Staat A und Staat B sind soweit identisch. Durch die unterschiedlichen Beweislastregeln ist sogar das Recht des Staats B günstiger, so dass kein beschränkendes Regelungsgefälle zwischen den Rechtsordnungen der beiden Staaten zu erkennen ist, das den Marktzugang weniger attraktiv erscheinen ließe. Wer dennoch aus den Grundfreiheiten eine versteckte Kollisionsnorm im Sinne eines Herkunftslandprinzips ableitet, kann in einem solchen Fall kein die Freiheiten beschränkendes Regelungsgefälle zur Begründung fruchtbar machen. Die Erforderlichkeit eines Verweises auf das Herkunftslandrecht, der eben nicht positiv den Grundfreiheiten entspringendes Recht ist, sondern lediglich reflexartig aus dem Zwang resultierte, Beschränkungen für den grenzüberschreitenden Verkehr zu vermeiden, könnte und müsste dann allein darin begründet sein, dass die Anwendung ausländischen Rechts als solchem beschränkende Wirkung zukäme. Anders gewendet müsste unabhängig von ihrem konkreten Inhalt allein die „Fremdartigkeit“ einer Rechtsnorm für einen die Grenze überschreitenden Marktteilnehmer eine Verkürzung seiner durch die Grundfreiheiten geschützten Rechte bewirken.270 Eine solche Schlussfolgerung scheint etwa dem Referentenentwurf vom 23. 1. 2008 für ein Gesetz zum internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen (RefE)271 zugrunde zu liegen.272 Folge eines solchen Verständnisses 268 Siehe Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. 10. 2008, BGBl. I S. 2614; zuvor Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG); Regierungsentwurf (Std. 23. 5. 2007); siehe auch Weller, DStR 2007, 1166; Poertzgen, NZI 2007, 15; Goette, Einführung in das neue GmbH-Recht, 2008, S. 1 ff. 269 Zur Entlastungsmöglichkeit der Geschäftsführer siehe Begründung RegE MoMiG, BTDrcks. 16/6140 S 47; ferner Roth/Altmeppen, GmbHG, § 64 Rn. 55. 270 In diesem Sinne etwa Drasch, Herkunftslandprinzip, S. 244 ff., 328 f.; siehe auch Behrens, IPRax 2004, 20, 24 f. 271 Referentenentwurf vom 23. 1. 2008 für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen. 272 Siehe – wenn auch zurückhaltend – Begründung RefE S. 5, 6 a.E.; deutlich indes die die Vorarbeit für den RefE leistende Spezialkommission für das internationale Gesellschaftsrecht,

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wäre in der Tat ein kollisionsrechtliches Herkunftslandprinzip.273 Die Grundfreiheiten würden unbeschadet der Rechtfertigungsmöglichkeiten die Mitgliedstaaten zur Beseitigung einer Beschränkung durch die Anwendung fremden Rechts auf eine kollisionsrechtliche Anknüpfung an das Herkunftsland verpflichten. Der Inhalt der Grundfreiheiten wäre damit auch kollisionsrechtlicher Natur und die mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielräume auf den schmalen Grad der Rechtfertigung aufgrund von zwingendem Allgemeininteresse begrenzt. Ein oben aufgezeigter Wertungswiderspruch zwischen der Zielsetzung von Kollisionsrecht und der der Grundfreiheiten ergäbe sich nicht, da die Anwendung einer Rechtsordnung als Zielsetzung des internationalen Privatrechts sich zugleich auch als ergebnisbezogen im Sinne der Grundfreiheitendogmatik darstellte. Bereits die Anwendung einer anderen Rechtsordnung als der des Herkunftslands zeitigte nämlich zugleich ein grundfreiheitenrelevantes Ergebnis, ohne dass es auf das materielle Ergebnis der Rechtsanwendung ankäme. Auf den ersten Blick scheint eine beschränkende Wirkung, hervorgerufen durch die Fremdartigkeit einer Norm, nicht von der Hand zu weisen zu sein. Durch die Anwendung einer anderen als der dem Marktteilnehmer bekannten Rechtsordnung

Vorschlag des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht für eine Regelung des Internationalen Gesellschaftsrechts auf europäischer/nationaler Ebene, bei: Sonnenberger/Bauer, RIW Beilage 1 zu Heft 4/2006, 1, 5 (Mitglieder der Kommission: Basedow, Behrens, Eidenmüller, Kieninger, Kindler, Sandrock, Schlechtriem, Sonnenberger, Zimmer): „Es sprechen gute Gründe dafür, dass der EuGH die bloße Anwendung einer anderen als der Gründungsrechtsordnung auf eine Gesellschaft unabhängig von deren sachrechtlichen Ausgestaltung, die selbstverständlich ihrerseits europarechtskonform sein muss, als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ansieht.“ I. E. dürfte eine solche Sichtweise sich dann auch in dem auf den Vorschlägen dieser Kommission aufbauenden Referentenentwurf vom 23. 1. 2008 für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, fortgesetzt haben. Ähnlich auch Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 108, der zwar dem allgemein dem Primärrecht keine Kollisionsnorm entnehmen will, aber folgert, dass „dogmatisch […] sich das die Niederlassungsfreiheit negierende Element aus dem Statutenwechsel selbst und nicht erst aus den materiell-rechtlichen Rechtsfolgen“ ergibt, mithin die Anwendung einer anderen EURechtsordnung als solche bereits den Ausschlag gibt. Siehe auch Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 481: „Gleichzeitig liegt in jeder Nichtanwendung […] eine Durchbrechung der versteckten Kollisionsnorm und damit prima facie eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit.“ Ferner auch Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. B 31, B 121, der ebenfalls bereits im Statutenwechsel eine Beschränkung der Grundfreiheiten sieht, ohne dass es auf die Ausgestaltung des Sachrechts ankomme; ähnlich Weller, ZGR 2010, 679, 697. 273 In diesem Sinne Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. 55; ders., IPRax 2004, 20, 25; ders., IPRax 1999, 323, 329; Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 479; ders., in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 1; ders., ZIP 2002, 2233, 2241; ders., JZ 2003, 526 ff.; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 930 f.; Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 137 f.; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3591; Paefgen, EWiR 2003, 571 f.; ders., DZWiR 2003, 441, 445.

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werden diesem zusätzliche Kosten auferlegt.274 Zu den Kosten, die dadurch entstehen, dass sich der Marktteilnehmer über Inhalt und Art der anderen Rechtsordnung informieren muss, tritt zusätzlich das Risiko, die fremde Rechtsordnung nicht vollständig zu ermitteln und eigene Verhaltenspflichten zu überdehnen oder zu unterschätzen.275 Fehlvorstellungen dieser Art erzeugen bei ihrer Umsetzung in wirtschaftliche Entscheidungen weitere Kosten, indem bestehende Handlungsspielräume nicht effizient genutzt werden oder aber eine nachträgliche Korrektur aufgrund rechtlicher Hindernisse erforderlich wird. Insgesamt treffen den Marktteilnehmer also bei der Anwendung des Bestimmungslandrechts höhere Informationskosten/-lasten, als die Anwendung des ihm vertrauten Herkunftslandrechts erzeugte. Diese Mehrbelastung entsteht auch unabhängig von der materiell-rechtlichen Ausgestaltung der Rechtsordnungen. Rechtsinformationen muss der Marktteilnehmer jedenfalls einholen, unabhängig davon, ob das Bestimmungslandrecht strenger oder günstiger ist.276 Diese Rechtsinformationskosten werden durch das Kollisionsrecht verteilt, indem es die eine oder die andere Rechtsordnung zur Anwendung beruft.277 Unter diesem Gesichtspunkt entbände ein kollisionsrechtliches Herkunftslandprinzip folglich den Marktakteur von zusätzlichen Kosten und es läge nahe, ihm die Gunst der Grundfreiheiten zuzusprechen,278 wobei sich allerdings bereits die hier nicht näher zu untersuchende Frage aufdrängte, inwieweit damit eine einseitige Bevorzugung von mobilen Anbietern gegenüber stationären Nachfragern einher ginge.279 bb) Legitimation unterschiedlicher Rechtsordnungen durch die Struktur des Binnenmarkts Dieser Schlusssatz kann indes nur überzeugen, wenn und soweit die aufgezeigten Mehrbelastungen von den Grundfreiheiten erfasst würden. Zweifel ergeben sich daraus, dass diese Kosten sich bereits allein aus der Existenz unterschiedlicher Rechtsordnungen im Binnenmarkt ergeben. Sie sind unvermeidbare Konsequenz der föderalen Struktur des europäischen Binnenmarkts und des Umstands, dass die Mitgliedstaaten überhaupt einen Sachverhalt regeln. Eine vollkommene Beseitigung

274 W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635, 639; ders., in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 51 ff.; Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 118 ff.; siehe auch Deinert, EWS 2006, 445, 452. 275 Siehe Deinert, EWS 2006, 445, 452. 276 Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 119. 277 W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635, 639; siehe auch Höpping, Warenverkehrsfreiheit, S. 114 ff.; Langner, RabelsZ 65 (2001), 222, 226 f. 278 So Klinke, Liber amicorum Kegel, S. 1, 18 f.; Höpping, Warenverkehrsfreiheit, S. 116 ff. 279 Dazu Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 142; Jayme, in: Mansell (Hrsg.), Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts, S. 31, 38: „Wenn das Herkunftslandprinzip immer das anwendbare Recht präjudiziert, verlieren diejenigen, die sich nicht bewegen, sondern im Lande bleiben.“

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solcher Belastungen könnte nur mit einer Vollharmonisierung erreicht werden.280 Das ist aber gerade nicht das Ziel der Grundfreiheiten. Sie streben vielmehr die Verwirklichung eines Binnenmarkts an, der durch die Fortexistenz der unterschiedlichen Rechtsordnungen gekennzeichnet ist.281 Aufgrund dessen können sie nicht allein die Anwendung einer Rechtsordnung als solcher als ihren Zielen zuwider laufend einstufen. Sofern sich daher Mehrbelastungen lediglich als Spiegelbild der Struktur des Binnenmarkts als Gebilde aus mehreren Staaten, die ihre Souveränität nur partiell übertragen haben, darstellen, sind sie dem Binnenmarkt immanent und werden als solche von den Grundfreiheiten hingenommen.282 Die Folgerung, dass die mit der Anwendung einer Rechtsordnung als solcher verbundenen Rechtsinformationskosten aufgrund der Struktur des Binnenmarkts als „freiheitenirrelevant“283 zu betrachten sind, lässt sich zudem durch den Umstand bestätigen, dass solche Informationslasten oder andere Kosten, die allein in der Anwendung fremden Rechts als solchem begründet sind, bisher in keinem Fall Prüfungsgegenstand der Grundfreiheitenkontrolle des EuGH gewesen sind.284 Gegenstand der Grundfreiheitenkontrolle war immer das Rechtsanwendungsergebnis von Vorschriften, die über Rechtsinformationskosten hinaus weitere Beschränkungen des grenzüberschreitenden Verkehrs verursachten.285 Festzuhalten bleibt damit, dass ein kollisionsrechtliches Herkunftslandprinzip nicht in der Lage ist, die Wertungen der Grundfreiheiten adäquat umzusetzen. Durch den pauschalen Verweis auf das Herkunftslandrecht wird eine Vorschrift dem Herkunftsland zugewiesen, ohne dass im Sinne einer Rückkopplung mit den Grundfreiheiten das Ergebnis der Rechtsanwendung nochmals überprüft werden kann. Der Verweis erfolgt damit allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Rechtsmaterie und schießt etwa dort über die (ergebnisbezogenen) Vorgaben der Grundfreiheiten hinaus, wo das Bestimmungslandrecht die faktisch günstige Regelung bereit hält. In diesem Fall aber kann eine solche Kollisionsnorm nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, dass das Unionsrecht ihre Anwendung erfordere.286 280 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 220; Brunier, Einluss der Grundfeiheiten, S. 119 f. 281 Siehe 1. Teil § 1 II.2. und 1. Teil § 1 III. 282 Siehe auch Steindorff, ZHR 158 (1994), 149, 160; Frenz, GewArch 2007, 98, 102 ff.; Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 30; Riesenhuber, System und Prinzipien, S. 96 ff.; Deinert, EWS 2006, 445, 452; mit Bezug zum internationalen Gesellschaftsrecht W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 643; ders., 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 847, 864; ders., in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 56 f.; im Ergebnis auch Teichmann, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 427. 283 W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635, 640. 284 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 210; W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635, 640; ders., in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 57; Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 120. 285 Siehe auch Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 229. 286 Siehe auch Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 8; insoweit auch Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 228 ff.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

b) Primärrechtliches Herkunftslandprinzip als untauglicher Ansatzpunkt für versteckte Kollisionsnorm Zudem stößt auch die Ableitung eines kollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzips insofern auf Bedenken, als der Ansatzpunkt der Deduktion das der CassisRechtsprechung entnommene primärrechtliche Herkunftslandprinzip ist.287 Dem liegt nämlich der Gedanke zugrunde, mit dem Herkunftslandprinzip die Wirkungsweise der Grundfreiheiten erfassen zu können. Diese Vorstellung wird dann mittels der These einer versteckten Kollisionsnorm auch in das internationale Privatrecht überführt. Dass eine solche Sichtweise indes nicht überzeugt, ist bereits dargelegt worden.288 Das Herkunftslandprinzip ist kein eigenständiges Ziel der Grundfreiheiten, sondern kommt neben dem Bestimmungslandprinzip lediglich in einem Teilausschnitt des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten dergestalt zum Tragen, dass es eine Auslegungsregel bietet, die einerseits auf Tatbestandsebene durch Einbeziehung des Herkunftslandrechts deren Reichweite als Beschränkungsverbot konkretisiert und andererseits auf der Ebene der Rechtfertigung zur Ermittlung der Erforderlichkeit die Berücksichtigung des Rechts des Herkunftslands verlangt.289 Mithin wäre es verfehlt, die Grundfreiheiten einzig auf das Herkunftslandprinzip zu reduzieren.290 Denn als solches lässt es sich – wie der EuGH exemplifiziert hat – dem Primärrecht nicht entnehmen.291 Die sich aus einer derartigen Gleichsetzung der Grundfreiheiten mit dem Herkunftslandprinzip ergebenden Friktionen lassen sich auch bei einer versteckten Kollisionsnorm aufzeigen. Eine solche Verweisregel könnte nämlich dort keine zufriedenstellenden Ergebnisse vermitteln, wo bereits das primärrechtliche Herkunftslandprinzip an seine Grenzen stößt. So ist die Anwendung der Normen des Herkunftslands einerseits nicht durchgängig erforderlich, um den Vorgaben der Grundfreiheiten nachzukommen, andererseits kann sie aber auch hinter diesen zurückbleiben, so dass trotz Anwendung des Herkunftslandrechts ein grundfreiheitenwidriges Ergebnis generiert wird. 287 Siehe auch W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 340; v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 11 ff.; Deinert, EWS 2006, 445, 452; Mankowski, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, S. 235, 244. 288 Siehe oben 1. Teil § 2 II.2. 289 W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635, 644 ff.; ders, in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 54; Frenz, GewArch 2007, 98, 103 f.; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 77 f.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 450, 137 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 96, 152; Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 97 f.; Mankowski, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, S. 235, 244. 290 Frenz, GewArch 2007, 98, 102 ff.; deutlich auch v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 11 f.; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 142. 291 EuGH, Urteil vom 13. 5. 1997 – Rs. C-233/94 (Deutschland/Parlament und Rat), Slg. 1997, I-2405; siehe dazu etwa W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 340; ders., GS Lüderitz, S. 635, 645; ders., in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 54; Mankowski, in: Leible/ Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, S. 235, 244; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 144; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 365.

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Mit anderen Worten ist ein kollisionsrechtliches Herkunftslandprinzip zur Umsetzung der Grundfreiheiten gleichzeitig zu weit als auch zu eng: aa) Begrenzte Bedeutung des Herkunftslandprinzips Zu weitreichend wäre ein kollisionsrechtliches Herkunftslandprinzip dort, wo auch das primärrechtliche Herkunftslandprinzip als Auslegungsregel der Grundfreiheiten keine Anwendung findet. Zwar ist unbenommen, dass insbesondere in virulenten Fällen einer Beschränkung des Marktzuganges oftmals das Herkunftslandprinzip zum Tragen kommt. Dies darf jedoch nicht den Blick dafür verstellen, dass es in anderen Situationen ein untaugliches Instrument ist.292 Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und damit das Herkunftslandprinzip stehen überhaupt nur dann in Rede, wenn die Grundfreiheiten in ihrer Funktion als Beschränkungsverbot betroffen sind.293 Im Rahmen des Diskriminierungsverbots kann es hingegen keine Anwendung beanspruchen.294 Hier ist zwar zweifelsohne ebenfalls der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten eröffnet, doch erfordern sie in diesem Zusammenhang die Inländergleichbehandlung. Das Herkunftslandprinzip als kollisionsrechtliche Verweisungsregel ist indes mit der Inländergleichbehandlung kaum in Einklang zu bringen. Der zwingende Verweis auf das Recht des Herkunftslands als Umsetzung der primärrechtlichen Vorgaben könnte sich vielmehr in das Gegenteil verkehren, indem er nicht mehr der Verwirklichung des Binnenmarkts dient, sondern seinerseits eine im Raume stehende Diskriminierung mit dem Verweis auf ein anderes als das Marktortrecht erst hervorruft bzw. intensiviert.295 Die Verknüpfung von Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot als Inhalt der Grundfreiheiten zeigt dann auch, dass es zu kurz gegriffen erscheint, eine Kollisionsnorm im Sinne eines Herkunftslandprinzips in jene hineinlesen zu wollen. Denn dieselbe Grundfreiheit kann es zum einen erfordern, die milderen Regeln des Herkunftslands zu beachten, wie auch anders herum EU-ausländischen Marktteilnehmern mildere Vorschriften des Destinationsstaats nicht zu verweigern. Allenfalls ein kollisionsrechtliches Günstigkeitsprinzip wäre noch in der Lage, diese Vorgaben umzusetzen.296 Verdeutlichen lässt sich diese Unverträglichkeit eines kollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzips auch an der bereits erwähnten Wermutwein-Entscheidung des 292

Frenz, GewArch 2007, 98, 102 ff. Dazu schon 1. Teil § 1 II.1. 294 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 138, 451; W.-H. Roth, in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 55; ders., IPRax 2006, 338, 340; Frenz, GewArch 2007, 98, 102 ff. 295 So auch Roth, IPRax 2006, 338, 340; ders., in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 55; siehe auch Spindler, RabelsZ 66 (2002), 633, 702 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 467 ff.; v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 13 ff.; Wilderspin, in: Bauer/ Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 77, 86; Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 257 ff., 259; Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 568. 296 In diesem Sinne Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1, 16 f. 293

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

EuGH.297 Soweit nämlich eine versteckte Kollisionsnorm den Grundfreiheiten zu entnehmen wäre, müsste diese die Marktfreiheiten ideal verwirklichen und mit diesen im Einklang laufen.298 Das war aber nicht der Fall. Verfahrensgegenstand war eine Vorschrift des deutschen Weingesetzes, die die Einfuhr von Wermutwein untersagte, dessen Mindestalkoholgehalt unter dem lag, der in dem jeweiligen Herkunftsland für entsprechende Produkte galt. Ganz im Sinne der Cassis-Rechtsprechung war demnach der Wermutwein nach deutschem Recht nur verkehrsfähig, sofern er den Bestimmungen des Herkunftslands entsprach. Mithin verkörperte diese Bestimmung ein kollisionsrechtliches Herkunftslandprinzip in nahezu idealer Form.299 Da ein Mindestalkoholgehalt für deutsche Weine indes nicht vorgeschrieben war, traf die Regelung faktisch nur ausländische Erzeugnisse, indem sie im Ergebnis für diese Anforderungen vorsah, die für deutsche Produkte nicht galten. Der EuGH sah dann auch darin eine Benachteiligung ausländischer gegenüber deutschen Anbietern und infolgedessen eine gegen Art. 34 AEUV verstoßende Diskriminierung.300 Der Umstand, dass die deutsche Rechtsvorschrift die Umsetzung des Herkunftslandprinzips vorbildhaft exemplifizierte, konnte sie dabei nicht vor dem Verdikt der Europarechtswidrigkeit retten.301 Zudem ergäbe eine kollisionsrechtliche Herkunftslandanknüpfung dort problematische Ergebnisse, wo primärrechtlich der Eingriff in die Grundfreiheiten zu rechtfertigen ist.302 Um nämlich überhaupt ermitteln zu können, ob eine Bestimmungslandvorschrift trotz beschränkender Wirkung einer Rechtfertigung zugänglich ist, bedürfte dies zunächst ihrer Anwendung.303 Ein zwingender Verweis ins Herkunftslandrecht führte indes dazu, dass von vornherein lediglich das Recht des Ursprungsstaats angewandt würde, Vorschriften des Bestimmungslands blieben ungeachtet, obgleich ihre Anwendung in den Augen des europäischen Primärrechts gerechtfertigt und daher problemlos wäre.304 In diesem Fall wäre dem kollisions297

EuGH, Urteil vom 20. 4. 1983 – Rs. 59/82 (Weinvertriebs-GmbH), Slg. 1983, 1217. Gleichsinnig Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 259; v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 13 f.; siehe ferner Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 468 f. 299 v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 14; siehe auch W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635, 651; Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 259. 300 EuGH, Urteil vom 20. 4. 1983 – Rs. 59/82 (Weinvertriebs-GmbH), Slg. 1983, 1217 Rn. 8. 301 So auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 469; v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 14; siehe dazu auch Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 146. 302 Siehe auch W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 340; Wilderspin, in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 77, 86; Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071, 1085; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 454; Ahrens, FS Georgiades, S. 798, 799; Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 542. 303 v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 17. 304 Ahrens, FS Georgiades, S. 789, 799; Wilderspin, in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 77, 86; v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 17; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 454; ähnlich auch Sack, WRP 1994, 281, 289. 298

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rechtlichen Verweis – ebenso wie im Fall günstigeren Bestimmungslandrechts305 – sein unionsrechtliches Fundament entzogen, da er sich nicht als zwingend erforderlich darstellte, um ein unionsrechtskonformes Ergebnis zu garantieren. Es wäre schließlich widersprüchlich, wenn der EuGH in der Cassis-Entscheidung den Mitgliedstaaten einerseits die Kompetenz zugesteht, die maßgeblichen Bestimmungen für ihr Hoheitsgebiet festzulegen, solange sie damit zwingende Erfordernisse des Allgemeinwohls verfolgen,306 sie andererseits aber zugleich auf ein kollisionsrechtliches Herkunftslandprinzip verpflichten würde.307 Wie wenig auch der EuGH den Grundfreiheiten kollisionsrechtlichen Gehalt in Form eines Herkunftslandprinzips beimisst, wird in den folgenden Aussagen deutlich: „Auch wenn Artikel 30 EG [Art. 34 AEUV] die Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen verpflichtet, den freien Verkehr von Waren zu fördern, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt […] worden sind, indem sie insbesondere die von den zuständigen Behörden dieser Mitgliedstaaten ausgestellten Bescheinigungen berücksichtigen, so kann diese Verpflichtung doch nicht so weit gehen, dass die Mitgliedstaaten gezwungen wären, Kontrollen nach den in den Rechtsvorschriften der anderen Mitgliedstaaten vorgesehenen Methoden vorzunehmen.“308

Bedenkt man außerdem, dass das Beschränkungsverbot nicht jedwede Behinderung des grenzüberschreitenden Verkehrs erfasst, sondern im Rahmen der KeckRechtsprechung309 auf spezifisch den Marktzutritt behindernde Vorschriften des Bestimmungsstaats begrenzt ist, erhellt sich einmal mehr, dass das mit dem Beschränkungsverbot assoziierte unionsrechtliche Herkunftslandprinzip nur einen Teilbereich des insgesamt weiterreichenden Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten reflektiert.310 Ist aber bereits das unionsrechtliche Herkunftslandprinzip nicht in den Grundfreiheiten verankert bzw. nicht geeignet, deren Ziele gänzlich zu verkörpern, kann umso weniger eine aus diesem Prinzip abgeleitete Kollisionsnorm die Wirkung der Grundfreiheiten vollumfänglich erfassen.311 Im Ergebnis erweisen sich daher Funktion und Ziele der Grundfreiheiten als zu heterogen, als dass sie sich mit einer einzigen bestimmten Verweisungsregel abbilden ließen.312 305

Oben 1. Teil § 2 II.3.a)aa). EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979 – Rs. 120/78 (Cassis), Slg. 1979, 649 Rn. 8. 307 Vgl dazu auch Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071, 1085; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 450, 454; siehe auch Wilderspin, in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 77, 86. 308 EuGH, Urteil vom 21. 2. 1984 – Rs. 202/82 (Komm./Frankreich), Slg. 1984, 933 Rn. 5 (Herv. durch den Verf.); auf dieses Urteil verweisend Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 451. 309 EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993 – verb. Rs. C-267 und 268/91 (Keck), Slg. 1993, I-6097. 310 Frenz, GewArch 2007, 98, 104. 311 Siehe auch Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 142, 143; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 365. 312 Ähnlich auch W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 340; Teichmann, ZGR 2011, 639, 678 f.; v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 11 ff.; Ahrens, FS Georgiades, S. 789, 798 f.; Forsthoff, in: 306

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

bb) Systematische Friktionen einer primärrechtlichen Kollisionsnorm Auch aus anderen systematischen Gründen kann die Deduktion eines kollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzips aus den Grundfreiheiten nicht überzeugen. Ein zwingend vorgegebener Verweis auf das Recht des Herkunftslands implizierte nämlich widersprüchliche Vorgaben der Grundfreiheiten. So wäre insbesondere der Fall von unionsrechtswidrigem (Sach-)Recht des Herkunftslands virulent.313 Liest man die kollisionsrechtliche Verpflichtung in die Grundfreiheiten, an das Recht des Herkunftslands anzuknüpfen, so hat der Aufnahmestaat in diesem Fall die Wahl zwischen Scylla und Charybdis: Er kann zum einen die unionswidrige Sachrechtsnorm des Herkunftslands nicht anwenden, indem er mittels nationalem IPR anderweitig anknüpft. Dann aber sieht er sich dem Vorwurf ausgesetzt, aufgrund des Verstoßes gegen den (vermeintlich) im Primärrecht verankerten Anwendungsbefehl unionsrechtswidrig zu handeln.314 Zum anderen könnte er aber auch den kollisionsrechtlichen Vorgaben Folge leisten und die Sachrechtsnorm des Herkunftslands zur Anwendung berufen. Da diese jedoch selbst gegen das Primärrecht verstößt, wäre das Ergebnis der Rechtsanwendung des Aufnahmestaats auch in diesem Fall nicht mit den Grundfreiheiten in Einklang zu bringen. In beiden Fällen könnte sich der Destinationsstaat nicht gegen das Verdikt der Europarechtswidrigkeit zur Wehr setzen. Im ersten Fall wäre bereits die anderweitige Anknüpfung per se unionswidrig, im zweiten fehlte dem Destinationsstaat die Legitimation, die Sachrechtsvorschrift eines anderen Hoheitsträgers zu korrigieren. Das Dilemma ist offensichtlich: Sowohl Anwendung als auch Nichtanwendung der betreffenden Norm wäre unionsrechtswidrig. Zuzugeben ist insoweit, dass ähnlich gelagerte Probleme auch im Sekundärrecht Platz greifen können. So ist ein kollisionsrechtliches Herkunftslandprinzip unbestritten in Teilen des sekundären Unionsrechts verankert, wie beispielweise Art. 2 der Richtlinie 2010/13/EU315 (zuvor Art. 2a der sog. Fernseh-Richtlinie 97/36/EG316) zeigt. Auch hier könnte der unionsrechtliche Anwendungsbefehl dazu führen, dass Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 146 f.; siehe auch Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 142; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 365. 313 Siehe ebenso Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 454; ferner Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 564 ff. 314 So etwa Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 481: „Gleichzeitig liegt in jeder Nichtanwendung […] eine Durchbrechung der versteckten Kollisionsnorm und damit prima facie eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit“; gleichsinnig Weller, FS Blaurock, 2013, S. 497, 518; ders., FS Hommelhoff, 1275, 1281 f. 315 Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste), ABl EU 2010 L 95/1. 316 Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. EG 1997 L 202/60.

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eine Vorschrift zur Anwendung kommt, die ihrerseits mit dem Unionsrecht konfligiert. Systematischer und hier entscheidender Unterschied ist indes, dass für ein im Sekundärrecht verwirklichtes, kollisionsrechtliches Herkunftslandprinzip mit dem Primärrecht noch eine Metaebene zur Korrektur zur Verfügung steht. Die Grundfreiheiten geben den Mitgliedstaaten in diesem Fall noch eine Möglichkeit an die Hand, die betroffene Verweisungsregel aufgrund ihrer Primärrechtswidrigkeit zu suspendieren, wenn und soweit der sekundärrechtlich angeordnete Anwendungsbefehl primärrechtswidrige Ergebnisse nach sich zöge.317 Ein solches Korrektiv fehlt aber, sofern die Kollisionsnorm bereits selbst im Primärrecht verankert ist. Die Grundfreiheiten selbst würden als Kollisionsregel eine Vorschrift zur Anwendung berufen, deren Nichtanwendung sie als Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot verlangen.318 Diesem Widerspruch lässt sich auch nicht mit einem Verweis auf die im Rahmen der Grundfreiheitendogmatik bestehende Rechtfertigungsmöglichkeit als Korrektiv entgegentreten. Verzichtete der Mitgliedstaat im obigen Beispiel auf den (vermeintlich) primärrechtlich vorgegebenen Verweis auf das Recht des Herkunftslands und umgeht durch Anwendung des eigenen Sachrechts die Anwendung des primärrechtswidrigen Sachrechts des Herkunftslands, so könnte man versucht sein, diese Vorgehensweise mittels der ungeschriebenen Rechtfertigungsmöglichkeit einer Grundfreiheitenbeschränkung zu legitimieren. Legitimationsgrund im Sinne eines zwingenden Grunds des Allgemeinwohls wäre dann allein die Verhinderung eines primärrechtswidrigen Zustands durch die Anwendung des Herkunftslandrechts. Genau damit ist dann aber auch die Schwachstelle eines solchen Ansatzes benannt. Die Grundfreiheit würde in diesem Fall durch die in Ansatz gebrachte Norm des Destinationsstaats nicht zur Verfolgung eines außerhalb der Grundfreiheit liegenden Ziels des Allgemeinwohls, wie etwa der Volksgesundheit oder Lauterbarkeit des Handelsverkehrs, beschränkt. Auf den Telos der angewandten Norm des Herkunftslands käme es überhaupt nicht an. Zweck der Anwendung wäre es allein, einen durch den primärrechtlichen Verweis auf das Recht des Herkunftsstaats und dessen Sachrecht bewirkten primärrechtswidrigen Zustand zu verhindern. Die Grundfreiheit würde folglich um ihrer selbst willen suspendiert. Der Verweis auf eine Rechtfertigungsmöglichkeit ist damit zirkulär und kein taugliches Korrektiv für das Problem primärrechtswidrigen Herkunftslandrechts. Die gegen eine aus den Grundfreiheiten abgeleitete Kollisionsnorm bestehenden Bedenken kann er nicht entkräften. 317

Zur nach h.M zu bejahenden Frage, ob der Unionsrechtsgeber bei der Sekundärrechtsetzung an die Grundfreiheiten gebunden ist, siehe EuGH, Urteil vom 5. 10. 2000 – Rs. C-376/ 98 (Tabakwerbung), Slg. 2000, I-8419 Rn. 84; deutlicher noch EuGH, Urteil vom 23. 9. 2004 – verb. Rs. C-435/02 und C-103/03 (Axel Springer), Slg. 2004, I-8663 Rn. 47 ff.; EuGH, Urteil vom 17. 5. 1984 – Rs. 15/83 (Denkavit Nederland), Slg. 1984, 2171 Rn. 15 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 131 ff.; Teichmann, FS Scheuing, S. 735 ff., insb. 744 ff.; ders., BB 2012, 13, 14; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 29; Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 36 AUEV Rn. 101 f.; Haratsch/ Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 822; a.A. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 109 ff.; je m.w.Nachw. 318 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 454.

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c) Zwischenergebnis: Grundfreiheiten ohne kollisionsrechtliche Aussage Die aufgezeigten Friktionen verdeutlichen bereits, dass den Grundfreiheiten keine zwingende Kollisionsnorm zu entnehmen ist.319 Die These, dass sich ein unionsrechtliches Herkunftslandprinzip auch in das internationale Privatrecht überführen lasse und so als Umsetzung der primärrechtlichen Vorgaben dienen könne, erweist sich als nicht tragfähig.320 Dies ist zum einen bereits in der verfehlten Gleichsetzung von Grundfreiheiten und Herkunftslandprinzip begründet. Zum anderen ist das Kollisionsrecht aber auch nicht in der Lage, die Wertungen der Grundfreiheiten, die ergebnisorientiert Beschränkungen zu vermeiden suchen, mit einer versteckten Kollisionsnorm widerzuspiegeln. Der einer Verweisungsnorm immanente, pauschale und ergebnisneutrale Verweis auf eine Rechtsordnung ist zu undifferenziert, um den heterogenen Ziele der Grundfreiheiten vollumfänglich in all ihren Ausgestaltungen gerecht werden zu können.321 Darüber hinaus erschiene die mit den Verträgen von Amsterdam konstituierte und mit den Lissabonner Verträgen erweiterte Kompetenz der Union für das Kollisionsrecht322 zur Förderung des Binnenmarkts zumindest teilweise redundant. Soweit die Grundfreiheiten bereits selbst Kollisionsnormen beinhalteten, käme dem nur deklaratorische Bedeutung zu.323 4. Sonderstellung des internationalen Gesellschaftsrechts aufgrund der EuGH-Rechtsprechung? Damit stellt sich die hier zuvörderst interessierende Frage, inwieweit die generell zu den Grundfreiheiten dargelegte Situation mutatis mutandis auch auf die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften zu übertragen ist. Konkret geht es darum, ob im internationalen Gesellschaftsrecht europarechtlich zwingend die Gründungstheorie vorgegeben oder diese nur eine von mehreren Reaktionsmöglichkeiten ist. Zwar ist bereits oben teilweise ein Bezug zum Gesellschaftskollisionsrecht hergestellt worden, doch gilt es an dieser Stelle, die speziell zu diesem Themenkomplex ergangene EuGH-Rechtsprechung zu beleuchten und zu hinterfragen, inwieweit diese eine von den bisher dargestellten Ansätzen divergierende Lösung erfordert. 319 So etwa auch W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635, 646; ders., IPRax 2006, 338, 340; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 419; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 15; Spindler, RabelsZ 66 (2002), 633, 649; siehe auch v. Hoffmann, in: Staudinger, BGB, Art. 40 EGBGB; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 68 ff.; Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 59 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 447 ff. 320 Siehe insoweit auch Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 365. 321 Siehe auch W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 340 f.; Teichmann, ZGR 2011, 639, 678 f.; ders., Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 447; Deinert, EWS 2006, 445, 452. 322 Siehe Art. 81 AEUV, hierzu etwa Weller, FS Blaurock, 2013 S. 497, 503; W.-H. Roth, EWS 2011, 314, 316 ff. 323 So auch Thünken, Herkunftslandprinzip, S. 99; Deinert, EWS 2006, 445, 452; Mankowski, IPRax 2004, 385, 391.

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht

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Die Erforderlichkeit einer solchen Untersuchung ergibt sich daraus, dass in der Rechtsprechung der Luxemburger Richter von Teilen der Literatur ein europarechtliches Requiem auf die Sitztheorie unter gleichzeitiger Vorgabe der Gründungstheorie gesehen wird.324 Insbesondere das Überseering-Urteil325 soll dahingehend zu verstehen sein, dass der kollisionsrechtliche Ermessenspielraum der Mitgliedstaaten gegen null strebt. Somit stellt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs neben dem Herkunftslandprinzip und propagierter Funktionsäquivalenz von Grundfreiheiten und IPR eine dritte Stütze für die These einer versteckten Kollisionsnorm dar. Selbst Stimmen, die eine generelle kollisionsrechtliche Aussage der Grundfreiheiten ablehnen, reden unter Rekurs auf das Überseering-Urteil einer europarechtlich gebotenen Gründungstheorie das Wort.326 a) Die begrenzte Funktion von Art. 54 AEUV Vorwegzuschicken bleibt, dass Art. 54 AEUV entgegen anders lautender Stimmen327 als Ansatzpunkt für die Annahme einer versteckten Kollisionsnorm aus324 So plakativ Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2241; siehe ferner ders., in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 1; ders., RabelsZ 70 (2006), 474, 479; ders., NJW 2005, 1618, 1618 f.; ders., JZ 2003, 526, 528; ders., 24, 25 f. (zurückhaltender ders., FS Heldrich, S. 581, 583 und ders./Rehm, ZGR 2004, 159, 164 ff.); Weller, in: MünchKommGmbHG, Einl Rn. 352, 355; ders., FS Blaurock, 2013, S. 497, 518; ders., FS Hommelhoff, 1275, 1281 f.; ders., ZGR 2010, 679, 696 Grundmann, RabelsZ 2003, 246, 255 ff.; ders., Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 770; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 930 f.; dies., NZG 2003, 259, 260; dies., BB 2003, 543 (etwas relativierend Leible, ZGR 2004, 531, 534); Hoffmann, in: AnwK-BGB, Anh zu Art. 12 EGBGB Rn. 73; Paefgen, ZIP 2004, 2253, 2254; ders., WM 2003, 561, 563 ff.; ders., DB 2003, 487; v. Halen, WM 2003, 571, 575; Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 69; Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 137 ff.; Sandrock, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht im Wettbewerb, S. 36 (anders hingegen ders., EWS 2005, 529); wohl auch G. H. Roth, Vorgaben der Niederlassungsfreiheit, S. 21 ff., 26. 325 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919. 326 Sonnenberger, in: MünchKommBGB, IPR, Einl. Rn. 140, der zwar generell den Grundfreiheiten einen kollisionsrechtlichen Ansatz abspricht (Rn. 142 ff., 145), jedoch für die Niederlassungsfreiheit eine Ausnahme macht und aufgrund der Aussagen des EuGH dieser kollisionsrechtlichen Gehalt konzediert; ähnlich Mankowski, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, S. 235, 244, 260 f.; ders., IPRax 2004, 385, 391 (bei Fn. 92); ders., in: Basedow (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, S. 595, 600; der zwar den Grundfreiheiten grundsätzlich keine Kollisionsnorm entnehmen will, für das internationale Gesellschaftsrecht jedoch eine Ausnahme dergestalt macht, dass hier die Gründungstheorie vorgegeben sei; gleichsinnig Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 242 f., die die Gründungstheorie als zwingend ansieht, ansonsten aber den Grundfreiheiten keine Verweisungsnorm entnehmen will (S. 249 f.); auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 545 entnimmt der Überseering-Entscheidung eine sonst für die Grundfreiheiten abgelehnte (S. 432 ff.) Kollisionnorm; ebenso auf die Überseering-Entscheidung als Ausnahme zur übrigen Grundfreiheitendogmatik abstellend Dohrn, Kompetenzen, S. 44 ff., 47. 327 Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. 39; ders., IPRax 1999, 323 ff.; Drobnig, in: v. Bar (Hrsg.), Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht, S. 185, 192 ff.; Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn. 96 ff., 270 ff.; Adensa-

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

scheidet. Diese Vorschrift dient, wie bereits dargelegt, für sich genommen allein der Identifizierung des Trägers der Niederlassungsfreiheit.328 Der Umstand, dass sich diese europarechtliche Aufgabe mangels autonomer Kriterien des Unionsrecht nur unter Rekurs auf die Gründungsvorschriften der Mitgliedstaaten realisieren lässt, bedeutet für sich noch nicht, dass Art. 54 AEUVeine das nationale IPR verdrängende Kollisionsnorm zu entnehmen ist. Der Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten erfolgt – wie der EuGH darlegt – einzig zu dem Zweck, den persönlichen Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit zu definieren.329 Rechtsfolge ist dann gemäß Art. 54 AEUV auch lediglich die Gleichstellung der so bestimmten Gesellschaften mit natürlichen Personen im Hinblick auf die in Art. 49 AEUV garantierte Niederlassungsfreiheit.330 Ein kollisionsrechtlicher Stichentscheid für eine bestimmte Kollisionsregel ist Art. 54 AEUV mit Blick auf diese begrenzte Funktion und den Umstand, dass er die einzelnen Anknüpfungsmomente in Ansehung der unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Regelungen gerade gleichrangig nebeneinander stellt,331 ebenso wenig zu entnehmen, wie die bereits oben abgelehnte332 Grundfreiheitenresistenz des Kollisionsrechts.333 b) Die Überseering-Rechtsprechung des EuGH Hingegen könnte die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV, die mittels Art. 54 AEUV auch auf Gesellschaften Anwendung findet, erheblichen Einfluss auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts ausüben. Sedes materiae sind die Aussagen des EuGH in den Urteilen Überseering334 und Inspire Art335. Von hervorgehobener Bedeutung ist mer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 112 ff.; Gounalakis/Radke, ZVglRWiss 98 (1999) 1, 22 ff.; siehe auch Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 85 ff. 328 Oben 1. Teil § 2 I.2.b). 329 EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 26 ff.; EuGH, Urteil vom 17. 6. 1997 – Rs. C-70/95 (Sodemare), Slg. 1997, I-3395 Rn. 25; EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 109; siehe auch Stork, Sitzverlegung, S. 119 f. 330 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 543; dazu auch EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 26. 331 Dazu etwa Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 69: „Wenn im Vertrag keinem dieser Anknüpfungspunkte Vorrang eingeräumt wurde, so ist es nicht Sache des Gerichtshofes, dies zu tun.“ Siehe auch Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 140 ff.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 10 ff.; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 674; sowie EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988 – Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483 Rn. 21. 332 Oben 1. Teil § 2 I.2.a). 333 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 2, 20, 40 f.; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 88; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 543; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 10 ff., 15; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 674; insoweit zutreffend auch Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 140 ff. 334 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919.

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht

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insbesondere die erstgenannte Entscheidung, standen doch die Rechtsfolgen der bis dahin im deutschen Rechtskreis herrschenden Sitztheorie auf dem Prüfstand der Niederlassungsfreiheit. Ob der EuGH indes auch zur Anknüpfung als solcher judizierte, ist in den zahlreichen Stellungnahmen336 umstritten und bedarf einer genaueren Untersuchung. Als Ausgangspunkt derer, die den Urteilen des EuGH eine Kollisionsnorm beschriebenen Inhalts entnehmen wollen,337 lassen sich zum einen einige Passagen der Urteile Überseering und Inspire Art identifizieren.338 Darüber hinaus wird für die kollisionsrechtliche Relevanz der Umstand ins Felde geführt, dass der EuGH im Verfahren Überseering die zweite Vorlagefrage des BGH beantwortete, obwohl der

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EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155. Siehe etwa Behrens, IPRax 2003, 193; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925; dies., ZIP 2003, 925; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233; ders., JZ 2003, 526; Schanze/Jüttner, AG 2003, 30; Forsthoff, DB 2002, 2471; Lutter, BB 2003, 7; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117; Schulz/Sester, EWS 2002, 545; Zimmer, BB 2003, 1; ders., RabelsZ 67 (2003), 298; Wagner, GmbHR 2003, 684; Weller, IPRax 2003, 207; ders., IPRax 2003, 324; Ebke, JZ 2003, 927; Hirte, EWS 2002, 573; Heidenhain, NZG 2002, 1141; Schulz, NJW 2003, 2705; Kindler, IPRax 2003, 41; ders., NJW 2003, 1073; Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447; Meilicke, GmbHR 2003, 793; Wernicke, EuZW 2002, 758; Großerichter, DStR 2003, 159; ders., FS Sonnenberger, S. 369; Kallmeyer, DB 2002, 2521; Kersting, NZG 2003, 9; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 51 ff.; Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 57 ff.; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 121 ff.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 204 ff.; Martin-Ehlers, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, S. 1, 6 ff.; Hirte, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 1 Rn. 5 ff.; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; Weller, in: MünchKommGmbHG, Einl Rn. 352; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 68 ff.; G. H. Roth, Vorgaben der Niederlassungsfreiheit, S. 21 ff.; alle m.w.Nachw. 337 Siehe etwa Sonnenberger, in: MünchKommBGB, IPR, Einl. Rn. 140; deutlich auch Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 125 f., insb. 137 ff.; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 22 Rn. 768, nach dessen Ansicht „der EuGH […] die Sitztheorie selbst und nicht nur das Ergebnis, zu dem diese im Verbund mit dem Sachrecht im Einzelfall führt“, verworfen hat; wohl auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 542, 545 demzufolge der EuGH „nicht nur das materielle Ergebnis, sonder auch den kollisionsrechtlichen Weg“ vorgab, indem er sich über den Warnung des GA Colomer hinwegsetzte und die zweite Vorlagefrage beantwortete, missverständlich dann S. 562; des weiteren Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 242 f., die zwar zutreffend erkennt, dass ggf. auch eine Anpassung des Sachrechts hätte erfolgen können, diese Anpassung aber allein auf die Jersey-Lösung des II. Senates begrenzt und daher – insoweit konsequent – die Gründungstheorie als einzig taugliche Lösung als vom EuGH vorgeben ansieht. 338 Darauf rekurrierend etwa Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 479 f.; ders., ZIP 2002, 2233, 2241; Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 37; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 928; dies., NZG 2003, 259, 260; Ziemons, ZIP 2003, 1913, 1916; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 140; wohl auch Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 112 ff.; sowie Lutter, BB 2003, 7, 9. 336

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

Generalanwalt aufgrund der mit einer solchen Antwort implizierten kollisionsrechtlichen Bedeutung empfahl, die Frage unbeantwortet zu lassen.339 aa) Identifikation des Grundfreiheitenberechtigten Ein Hinweis darauf, dass der EuGH seine Aussagen auch mit Blick auf das internationale Privatrecht formulierte und so den Mitgliedstaaten die Gründungstheorie oktroyierte, wird in concreto der Feststellung des Gerichtshofs entnommen, dass die Niederlassungsfreiheit es erfordere, dass eine nach den Kriterien des Art. 54 AEUV gegründete Gesellschaft in allen Mitgliedstaaten zwingend anzuerkennen sei.340 Daher genieße die Überseering B.V. „aufgrund der Artikel 43 EG und 48 EG341 das Recht, als Gesellschaft niederländischen Rechts in Deutschland von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen.“342

Soweit dann die Rechts- und Parteifähigkeit einer solchen Gesellschaft in Rede stehe, hätten die Mitgliedstaaten „die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaats besitzt.“343

Aus dieser Inbezugnahme des Rechts des Gründungsstaats soll nicht nur eine Zielvorgabe im materiell-rechtlichen Sinne, sondern ein kollisionsrechtliches Gebot abzuleiten sein, zumindest die Rechts- und Parteifähigkeit an das Gründungsrecht anzuknüpfen.344 Es genüge nicht, die konkreten Auswirkungen der Sitztheorie zu beseitigen. Der Gesellschaft sei vielmehr die Rechts- und Parteifähigkeit zuzugestehen, die sie nach ihrem Gründungsrecht besitzt, und nicht lediglich eine vom Sitzstaat ausgestaltete Rechts- und Parteifähigkeit.345 Dieser Schlussfolgerung ist indes nicht beizutreten. Aus den Aussagen des Gerichtshofs kann nicht zwingend auf die Gebotenheit der Gründungstheorie geschlossen werden. Sofern der EuGH davon spricht, dass die Überseering B.V. als 339

In diesem Sinne etwa Leible/Hoffmann, NZG 2003, 259, 260; Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 125 f.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 542, 545. 340 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 59. 341 Nunmehr Art. 49, 54 AEUV. 342 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 80 (Herv. d. Verf.). 343 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 95 (Herv. d. Verf.). 344 So etwa Leible/Hoffmann, NZG 2003, 259, 260; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 545; wohl auch Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 69; Behrens, IPRax 2003, 193, 204; Ebke, JZ 2003, 927, 929; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2238; Geyrhalter/Gänßler, NZG 2003, 409, 410; v. Halen, WM 2003, 571, 575. 345 Weller, ZGR 2010, 679, 696 f.; Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 37; Lutter, BB 2003, 7, 9; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2241; Leible/Hoffmann, NZG 2003, 259, 260; ähnlich auch Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 69.

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht

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niederländische Gesellschaft das Recht genieße, von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen, dient dies zuvörderst der Bestimmung, welcher Rechtsordnung die Gesellschaft zuzuordnen ist, und somit der Feststellung, dass die Überseering B.V. Rechtssubjekt der Niederlassungsfreiheit ist.346 Diese Eigenschaft i.S.v. Art. 54 AEUV erhält sie ja erst dadurch, dass das niederländische Recht sie als wirksam gegründete Gesellschaft der niederländischen Rechtsordnung anerkennt. Das deutsche Recht versagte ihr diesen Status. Könnte man die Gesellschaft nicht dem niederländischen Recht zuordnen (da dieses ihr etwa die einmal verliehen Existenz ob der Verwaltungssitzverlegung wieder entzöge,347 oder – wie z. B. das englische Recht – aufgrund von Verstößen gegen Offenlegungspflichten die Löschung der Gesellschaft bewirkte348), so könnte sie sich erst gar nicht auf die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49, 54 AEUV berufen.349 Folglich hat die Bezeichnung Überseerings als niederländische Gesellschaft zum einen die Funktion, sie als 346

Wie hier Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 424 f.; Großerichter, DStR 2003, 159, 166; siehe auch EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 109; EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 28; EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 26 f. 347 Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 110. 348 Siehe zur Löschung einer englischen Limited aufgrund Verstoßes gegen Publizitätspflichten gemäß Sec. 1000 CA 2006 (eh. Sec. 652 I CA 1985) OLG Celle NZG 2012, 738; KG NZG 2010, 310; OLG Jena NZG 2007, 877; ferner LG Duisburg ZIP 2007, 926 = NZI 2007, 475; aus diesem Grund geht auch das Vorabentscheidungsersuchen des AG Berlin-Charlottenburg (GmbHR 2009, 321) fehl, in dem das Gericht die Vereinbarkeit der englischen Heimfallvorschriften bzgl. einer im Gesellschaftsregister gelöschten Ltd. mit der Niederlassungsfreiheit jener Gesellschaft in Frage stellt. Abgesehen von der territorial auf das Vereinigte Königreich begrenzten Anordnung des Vermögensheimfalls (dazu ausführlich Mansel/Thorn/ Wagner, IPRax 2010, 1, 2 f.) übersieht das Gericht die Auswirkung der Löschung der Ltd. mit Blick auf die Grundfreiheit: Mit Löschung aus dem Gesellschaftsregister geht nicht nur die Ltd., sondern eben auch das Rechtssubjekt der Grundfreiheit unter (vgl. EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 109), so dass letztere keinen Anwendungsbereich mehr findet. Allg. zu den Folgeproblemen bei Löschung einer Ltd. siehe Schwarz, DB 2013, 799; Zimmer/Naendrup, ZGR 2007, 789, 803 ff.; Mock, NZI 2008, 262 f.; J. Schmidt, ZIP 2008, 2400 ff.; Lamprecht, ZEuP 2008, 288 ff. 349 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 109: „In Ermangelung einer einheitlichen gemeinschaftsrechtlichen Definition der Gesellschaften, denen die Niederlassungsfreiheit zugute kommt, anhand einer einheitlichen Anknüpfung, nach der sich das auf eine Gesellschaft anwendbare Recht bestimmt, ist die Frage, ob Art. 43 EG [Art. 49 AUEV] auf eine Gesellschaft anwendbar ist, die sich auf die dort verankerte Niederlassungsfreiheit beruft, ebenso wie im Übrigen die Frage, ob eine natürliche Person ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist und sich aus diesem Grund auf diese Freiheit berufen kann, daher gem. Art. 48 EG [Art. 54 AUEV] eine Vorfrage, die beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nur nach dem geltenden nationalem Recht beantwortet werden kann. Nur wenn die Prüfung ergibt, dass dieser Gesellschaft in Anbetracht der in Art. 48 EG genannten Voraussetzungen tatsächlich die Niederlassungsfreiheit zugute kommt, stellt sich die Frage, ob sich die Gesellschaft einer Beschränkung dieser Freiheit i.S. des Art. 43 EG gegenübersieht.“ Ebenso EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 28 ff.; ferner Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 1, 3; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 743.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

Trägerin der Grundfreiheit zu identifizieren und – da sie eben vom niederländischen Recht als wirksam gegründet und weiter fortbestehend angesehen wird – das Erfordernis zu begründen, dass das deutsche Recht sie als grundfreiheitenberechtigte Gesellschaft anerkennen muss.350 Zum anderen wird mit der Benennung des niederländischen Rechts als Gründungsrecht der Gesellschaft der Vergleichsmaßstab bestimmt, an dem das Vorliegen einer Beschränkung zu messen ist.351 Aufgrund des wirkungsbezogenen Ansatzes der Grundfreiheiten bedarf es nämlich – wie bereits dargelegt – zur Feststellung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit eines Regelungsgefälles zwischen den Rechtsordnungen.352 Anders gewendet wird die Niederlassungsfreiheit einer Gesellschaft nur dann beschränkt, sofern sie sich bei Gelegenheit des Grenzübertritts zusätzlichen Anforderungen ausgesetzt sieht. Diese können zum einen in strengeren Vorschriften des Aufnahmestaats, die eine zusätzliche Anpassung erforderlich machen, oder insbesondere im Wirtschaftsverwaltungsrecht in zusätzlichen (doppelten) Genehmigungsvorbehalten begründet sein. Zwangsläufig bedarf es dann aber zur Bestimmung einer Beschränkung eines Bezugspunkts für den Vergleich des Rechts des Sitzstaats. Dieser ist mit dem Recht des Herkunftsstaats benannt und bildet somit den erforderlichen Vergleichsmaßstab. Letztlich ist dies nichts anderes als Ausdruck des unionsrechtlichen Herkunftslandprinzips, das hier zur Feststellung einer Beschränkung in Ansatz gebracht wird. Wenn also Überseering in den Augen des EuGH gerade als niederländische Gesellschaft von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch macht, wird mit der Benennung des niederländischen Rechts nur der Maßstab für die aus Sicht der Grundfreiheiten zulässigen rechtlichen Regelungen des Aufnahmestaats definiert.353 Eine Beschränkung liegt demnach vor, sofern der Aufnahmemitgliedstaat ihre von der niederländischen Rechtsordnung gegebenen Rechte verkürzt. Allein mit der Identifizierung des Herkunftslandrechts als Maßstab zur Bestimmung einer Beschränkung i.S.d. unionsrechtlichen Herkunftslandprinzips ist indes kein kollisionsrechtlicher Verweis ausgesprochen. Darüber hinaus ergeben sich auch aus Art. 267 AEUV (Art. 234 EG a.F.) Bedenken gegen eine kollisionsrechtliche Deutung der Aussagen des EuGH. Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens sind danach lediglich Fragen bezüglich der Auslegung und Gültigkeit von Unionsrecht.354 Eine Auslegung mitgliedstaatlichen 350 Ebenso Großerichter, DStR 2003, 159, 166; ders., FS Sonnenberger, S. 369, 379; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 425; insoweit zutreffend auch Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 107, der im Folgenden dann aber bereits im Statutenwechsel eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sieht. 351 Siehe auch Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 8 f. 352 Siehe oben 1. Teil § 1 II.2. und 1. Teil § 2 II.3.b)aa). 353 So schon Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 8. 354 EuGH, Urteil vom 7. 2. 1984 – Rs. 237/82 (Jongeneel Kaas), Slg. 1984, 483 Rn. 6; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 5; Ehricke, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 13 f.; Streinz, Europarecht, Rn. 682; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 137.

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht

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Rechts durch den EuGH findet nicht statt, sondern wird diesem in Form der Vorlagefragen als Faktum für die Prüfung bereitgestellt.355 Soweit also das Unionsrecht die mitgliedstaatliche Rechtsanwendung auf eine von dieser ausgehenden Beschränkung überprüft, hat der EuGH allein darüber zu entscheiden, ob das konkrete Ergebnis, also die Rechtsfolge der Kombination von Sach- und Kollisionsrecht, gegen die primärrechtlich garantierten Freiheiten verstößt.356 Wie hingegen der Mitgliedstaat eine entsprechende Beschränkung unterbindet, bleibt in der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten.357 Nur dies entspricht der Kompetenzverteilung in der Union.358 Treffend führt GA Colomer aus, dass diese rein unionsrechtliche Prüfung nicht darauf abzielen könne, das zu untersuchende mitgliedstaatliche Recht und insbesondere auch das internationale Privatrecht zu gestalten.359 „Das Gemeinschaftsrecht hat nach wie vor keinen Einfluss auf die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, die entsprechenden Kollisionsregeln nach ihren Vorstellungen zu gestalten, und kann nur die Einhaltung seiner Grundsätze verlangen.“360

Es bewendet somit dabei, dass aus Sicht des Unionsrechts lediglich das konkrete Anwendungsergebnis relevant ist und der EuGH allein darüber entscheidet.361 Folgerichtig stehen dann auch nicht dogmatische Konstruktionen oder Rechtssätze wie etwa die Sitztheorie als solche auf dem Prüfstand des Primärrechts, sondern allein die tatsächlichen Auswirkungen der Rechtsanwendung.362 Diesem Gedanken verleiht 355

EuGH, Urteil vom 12. 7. 1984 – Rs. 107/83 (Klopp), Slg. 1984, 2971; Thiele, Europäisches Prozessrecht, § 9 Rn. 26; Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 13; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 140. 356 Altmeppen/Wilhem, DB 2004, 1083, 1084; Leible, ZGR 2004, 531, 534; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 137; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 98; siehe auch Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 5; MartinEhlers, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Dt. Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, S. 1, 13 f. 357 Statt vieler etwa Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 95; Zimmer, BB 2003, 1, 4; Bitter, Jb.J.ZivRWiss. 2004, S. 299, 310; dies im Grundsatz auch einräumend Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 37. 358 Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 71; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 95. 359 GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 43; siehe auch siehe auch Martin-Ehlers, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Dt. Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, S. 1, 13 f.; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 71. 360 GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 39, 40. 361 Siehe auch Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 5; ferner auch Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 665; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 71; siehe auch Altmeppen, NJW 2005, 1911, 1913. 362 Streinz, Europarecht, Rn. 683; siehe auch Martin-Ehlers, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Dt. Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, S. 1, 14; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 9; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143; ferner Leible, ZGR 2004, 531, 534; Weller,

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

der Generalanwalt Ausdruck, wenn er sich in den Schlussanträgen im ÜberseeringVerfahren expressis verbis einer rechtlichen Bewertung der Sitztheorie enthält und im Einklang mit dem EuGH den Prüfungsgegenstand in den tatsächlichen Auswirkungen, also der Versagung der Rechts- und Parteifähigkeit sieht.363 In Inspire Art364 erblickte der EuGH die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ebenfalls nicht isoliert in dem kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehl, sondern allein in den tatsächlichen Auswirkungen des niederländischen Rechts, nämlich dem die Inspire Art Ltd. treffenden Mindestkapitalerfordernis und zusätzlichen Haftungsvorschriften.365 Daraus lässt sich nun zweierlei ableiten: Zum einen erhellt sich, dass der EuGH im Überseering-Verfahren nicht unmittelbar zur Sitztheorie judizierte.366 Anders lautende Interpretationen lassen sich zum Teil auf ein undifferenziertes Verständnis der Sitztheorie zurückführen.367 In der Diskussion um die Europarechtskonformität der Sitzanknüpfung wird unter dieser Begrifflichkeit oftmals mehr verstanden als nur die kollisionsrechtliche Verweisungsregel.368 Unbestritten ist insoweit, dass das Überseering-Verfahren nahezu beispielhaft die Funktionsweise dessen präsentierte, was man pauschal mit dem Begriff der Sitztheorie beschreibt. Die Schutzfunktion der Sitzanknüpfung liegt ja gerade in dem Zwang, sich einer inländischen Rechtsform zu bedienen, sofern der Mittelpunkt der werbenden Tätigkeit im Inland zu verorten

Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 41 f.; Altmeppen, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit (2. Aufl.), 2. Kap. Rn. 25; Kindler, NJW 2003, 1073, 1076; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 95; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 71; a.A Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 37. 363 GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 46: „Ich halte es allerdings für besser, sich an den objektivsten Ausdruck des vorliegenden Problems zu halten, um sich nicht zu einer Materie zu äußern, deren Auslegung Sache des nationalen Rechts ist: Die deutsche Rechtsordnung verneint die Klagemöglichkeit ausländischer Gesellschaften, deren tatsächlicher Sitz sich nach demselben Recht in Deutschland befindet.“ Siehe auch EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 79. 364 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155. 365 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 2. Leitsatz. Wie hier auch Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 125. 366 So auch BGH GmbHR 2010, 211; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 665; Altmeppen, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit (2. Aufl.), 2. Kap. Rn. 25; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Einl. Rn. 64; siehe auch Martin-Ehlers, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Dt. Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, S. 1, 14 f.; a.A. Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 37. 367 Ähnlich auch Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 382. 368 Dies kritisierenen etwa Lüer, Liber amicorum Kegel, 83, 86; Altmeppen, DStR 2000, 1061, 1062 f.; Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 132 f.; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 119; siehe auch Behrens, ZGR 1994, 1, 8 ff., der zwischen den kollisionsrechtlichen und materiellen Aspekten differenziert; Schurig, Liber amicorum Kegel, S. 199, 210; ferner K. Schmidt, ZGR 1999, 20, 22 f.; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143.

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht

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ist.369 Die Versagung von Rechts- und Parteifähigkeit ist somit die Drohkulisse, die die Ziele der Sitztheorie effektuieren soll, und wird daher als notwendiger Bestandteil der Sitztheorie selbst verstanden.370 Wenn dann der EuGH genau diesen Mechanismus als unionsrechtwidrig einstuft, ist man versucht, dies als Requiem auf die Sitztheorie zu interpretieren.371 Jedoch ist es eine in der Diskussion um die Unionsrechtswidrigkeit der Sitztheorie oftmals fehlende Trennschärfe zwischen Sach- und Kollisionsrecht, die dieser Schlussfolgerung Vorschub leistet.372 Aus Sicht der kollisionsrechtlichen Lehre ist die Sitztheorie eine bloße Verweisungsregel, die allein darüber entscheidet, welche Rechtsordnung zur Anwendung berufen ist. Die Versagung der Rechts- und Parteifähigkeit folgt hingegen nicht bereits allein aus der kollisionsrechtlichen Anknüpfung an den Verwaltungssitz.373 Sie ist nicht auf kollisionsrechtlicher Ebene angesiedelt, sondern ist letztlich Konsequenz des mangelnden bzw. nicht angewandten Sachrechts.374 Beschränkt man die Sitztheorie hingegen auf ihre Aufgabe als Kollisionsnorm, ist mit ihr noch kein Urteil über die Behandlung der zuziehenden Gesellschaft gefällt. Denn auch unter Anknüpfung an den Verwaltungssitz ist – wie auch GA Colomer im Überseering-Verfahren ausführte375 – das materiell-rechtliche Ergebnis in Form der Versagung von Rechts- und Parteifähigkeit vermeidbar, sofern

369

Zur Versagung von Rechts- und Parteifähigkeit als Rechtsfolge der bisher in Deutschland geltenden Sitztheorie siehe BGHZ 53, 181, 184; 97, 269, 272; OLG München NJW-RR 1995, 703, 704; siehe zusammenfassend auch BGH ZIP 2000, 967 (Vorlagebeschluss in der Rs. Überseering); Ebke, 50 Jahre BGH, S. 799 ff.; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 486 ff.; Staudinger/Großfeld, IntGesR Rn. 26 f.; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 21 f. 370 Exemplarisch etwa Frenz, Grundfreiheiten (1. Aufl.), Rn. 2396: „Sobald das IPR eines Mitgliedstaats der Sitztheorie folgt, ist eine Gesellschaft bei einer Sitzverlegung in das Hoheitsgebiet dieses Staats zu einer Neugründung gezwungen.“ Dies ist aber gerade erst Folge des Sachrechts, nämlich des numerus clausus des Gesellschaftsrechts bzw. fehlender umwandlungsrechtlicher Vorschriften. 371 In diesem Sinne etwa Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 122 f. 372 Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 382; Müller-Graff, EWS 2009, 489, 493; W.-H. Roth, 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 847, 864. 373 Treffend Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573, 2578: „Das Kollisionsrecht beschränkt sich auf Regeln, die bestimmen, nach welcher nationalen Rechtsordnung bestimmte materielle Fragen zu entscheiden sind. […] Die Sitztheorie bietet keinen Beitrag zu der Frage, ob die Gesellschaft ihre Identität verliert.“ Ebenso Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 132 f.; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 119. 374 Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 6; Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573, 2578; Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 382; W.-H. Roth, 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 847, 864: „Die eigentlichen Probleme liegen im Sachrecht, wenn […] das Inland eine Neugründung verlangt.“ 375 GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 46: „Auf der anderen Seite ist es auch nicht unvorstellbar, dass die Anwendung der Theorie des tatsächlichen Sitzes womöglich nicht unweigerlich die dramatischen Folgen hat, die ihr nach dem deutschen Recht zukommen.“

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

das berufene Sachrecht, wie etwa in der Jersey-Entscheidung376 des BGH, angepasst wird.377 Aufgrund dieser Überlegungen verbietet sich dann auch der Schluss, dass der EuGH damit, dass er die Versagung von Rechts- und Parteifähigkeit als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit bewertet, zugleich die Sitztheorie im Sinne einer kollisionsrechtlichen Verweisungsnorm verworfen habe.378 bb) Kollisionsrechtliche Dimension der Vorlagefragen Zum anderen wird aber auch deutlich, dass der EuGH in seinem ÜberseeringUrteil keine kollisionsrechtliche Aussage getroffen hat. Würde nämlich den Aussagen des EuGH ein Verständnis der Niederlassungsfreiheit zugrunde liegen, das die unbedingte Anwendung der Gründungstheorie erforderte, so wäre der Prüfungsgegenstand des Urteils ein anderer gewesen. Die Ausführungen zur Rechts- und Parteifähigkeit erschienen redundant, wäre doch bereits mit der Anwendung des Rechts des Sitzstaats das Urteil bereits gefällt. Weitere Ausführungen zu der sachrechtlichen Konsequenz der Anwendung des Sitzstaats hätte es dann nicht mehr bedurft. Die Europarechtswidrigkeit wäre durch die Anknüpfung an den Verwaltungssitz indiziert, ohne dass es auf die tatsächlichen Auswirkungen ankäme. Gleichwohl hat der EuGH auf die tatsächlichen Auswirkungen der Rechtsanwendung abgestellt, was nachgerade auch folgerichtig war.379 Wie wenig der EuGH in kollisionsrechtlichen Bahnen denkt, offenbart sich deutlich, wenn man die Antworten des EuGH den Vorlagefragen des BGH gegenüberstellt.380 Der Vorlagebeschluss des BGH war deutlich von der Vorstellung geprägt, dem EuGH auch die kollisionsrechtliche Dimension zu präsentieren: „1. Sind Art. 43 und Art. 48 EG [nunmehr Art. 49, 54 AEUV] dahin auszulegen, dass es im Widerspruch zur Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften steht, wenn die Rechtsfähigkeit 376 BGHZ 151, 204; bestätigend BGH NJW 2009, 289 (Trabrennbahn); hierzu statt vieler Weller, FS Goette, S. 583, 591 ff.; siehe auch OLG Frankfurt NZG 2002, 294; OLG Hamburg DB 2007, 1245. 377 Koch/Magnus/Winkler von Mohrenfels, IPR, § 8 Rn. 28; Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 5 f.; alternative Rechtsfolgen auch unter Geltung der Gründungstheorie aufzeigend Behrens, RIW 1986, 590 f. 378 So auch die Interpretation der EuGH-Aussagen durch GA Alber, Schlussanträge vom 30. 1. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 103, der die Aussagen des Gerichtshofs dahin gehend zusammenfasst, dass der EuGH „die Rechtsfolgen der so genannten Sitztheorie […] für mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbar erklärt [hat]“ (Herv. d. Verf.); ebenso BGH GmbHR 2010, 211 ff.; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Einl. Rn. 64; siehe ferner Martin-Ehlers, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Dt. Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, S. 1, 15; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143; ferner Zimmer, BB 2003, 1, 4; insoweit auch Kindler, NJW 2003, 1073, 1076. 379 So auch Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 665. 380 Ähnlich wie hier auch Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 375 ff., 379; Teichmann, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 423 ff.; ders., ZGR 2011, 639, 642 ff.; a.A. Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 122 ff., der aus der Gegenüberstellung von Vorlagefragen und Antworten den gegenteiligen Schluss zieht.

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und die Parteifähigkeit einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats wirksam gegründet worden ist, nach dem Recht des Staats beurteilt werden, in den die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz verlegt hat, und wenn sich aus dessen Recht ergibt, dass sie vertraglich begründete Ansprüche dort nicht mehr gerichtlich geltend machen kann? 2. Sollte der Gerichtshof diese Frage bejahen: Gebietet es die Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften (Art. 43 und 48 EG), die Rechtsfähigkeit und die Parteifähigkeit nach dem Recht des Gründungsstaats zu beurteilen?“381

Mit diesen Vorlagefragen präsentierte der VII. Zivilsenat den Widerstreit zwischen Sitz- und Gründungstheorie und somit die kollisionsrechtliche Dimension als magna quaestio des Verfahrens.382 Soweit die erste Frage darauf gerichtet war, zu entscheiden, ob es mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist, die Rechts- und Parteifähigkeit nach dem Recht des Sitzstaats zu beurteilen, steht dies stellvertretend für die Sitztheorie, wohingegen mit der zweiten Vorlagefrage die Gründungstheorie umschrieben ist. Kritik hat der Vorlagebeschluss insoweit erfahren, als auch die Vorlagefragen die präzise Trennung von Sach- und Kollisionsrecht vermissen lassen, indem sie die Versagung von Rechts- und Parteifähigkeit zur unausweichlichen Konsequenz der Sitztheorie erheben.383 Ungeachtet dessen ist augenfällig, dass der EuGH die Antworten auf die Vorlagefragen nicht in den vom BGH vorgezeichneten Kategorien von Sitz- und Gründungstheorie sucht, sondern eine Akzentverschiebung dergestalt vornimmt,384 dass er lediglich zu den konkreten Auswirkungen der betreffenden Rechtsanwendung judizierte.385 So antwortete er auf die erste Frage, die eigentlich die Anwendung des Sitzrechts in den Fokus der Prüfung stellt: „Es verstößt gegen die Art. 43 EG und 48 EG, wenn einer Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, gegründet worden ist und von der nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats angenommen wird, dass sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz dorthin verlegt hat, in diesem Mitgliedstaat die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit vor seinen nationalen Gerichten für das Geltendmachen von Ansprüchen aus einem Vertrag mit einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft abgesprochen wird.“386

381

BGH NZG 2000, 926 = ZIP 2000, 967 (Herv. d. Verfasser). Siehe auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 544 f. 383 Siehe Altmeppen, DStR 2000, 1061, 1062 f.; W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597, 1600; siehe auch Zimmer, BB 2000, 1361, 1365; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143; Kindler, RIW 2000, 649, 650 f.; sowie ders., in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 107. 384 Zur Möglichkeit der begrenzten Umdeutung der Vorlagefrage durch den EuGH etwa Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 15. 385 So auch Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 665; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 95; insoweit auch Kindler, NJW 2003, 1073, 1076. 386 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919, 1. Leitsatz (Herv. d. Verf.). 382

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

Der EuGH entzieht sich mithin jeder Stellungnahme zur Anwendung des Rechts eines bestimmten Staates, sondern erklärt vielmehr allein die sich aus dem deutschen Recht ergebende materielle Rechtsfolge als unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit.387 Nicht die Anwendung des Rechts des Sitzstaats als solches wurde als Verstoß gegen die Grundfreiheit gewertet, sondern allein deren tatsächliche Auswirkungen. Gleichsinnig interpretiert dies auch GA Alber in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Inspire Art, wenn er ausführt, dass „der Gerichtshof im Urteil Überseering die Rechtsfolge der so genannten ,Sitztheorie‘, dass eine Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Sitz verlegt, sich erst neu gründen muss, damit ihr eine Rechtspersönlichkeit zuerkannt werden kann, für mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbar erklärt [hat].“388

Aber auch die Antwort auf die zweite Vorlagefrage, die oftmals als Vorgabe der Gründungstheorie gedeutet wird, vermag kein anderes Ergebnis zu begründen. Der Generalanwalt hatte in seinen Schlussanträgen noch empfohlen, diese Frage nicht zu beantworten, da es nicht offensichtlich sei, welchen zusätzlichen Nutzen eine Antwort haben solle.389 Es sei unerheblich, auf welchem rechtskonstruktiven Weg das mitgliedstaatliche Recht zu der hier in Rede stehenden Beschränkung in Form der Versagung von Rechts- und Parteifähigkeit komme bzw. diese beseitigen könne. Es sei daher nicht Sache des Gerichthofs, dem nationalen Recht vorbehaltene Untersuchungen anzustellen,390 zumal er anderenfalls Gefahr laufe, sich für eine Anknüpfungsmethode entscheiden zu müssen. Sofern aber der Vertrag keinem Anknüpfungsmoment den Vorrang einräume, dürfe auch der EuGH dies nicht tun.391 Indes folgten die Luxemburger Richter diesem Appell nicht, was angesichts der Warnungen des Generalanwalts teilweise dahingehend gedeutet wird, dass der EuGH dann doch kollisionsrechtlich habe Stellung beziehen wollen.392 Auf die Frage des BGH, ob der Sachverhalt aufgrund der Niederlassungsfreiheit zwingend nach dem Recht des Gründungsstaats zu beurteilen sei, (was offenkundig einer Frage nach einem primärrechtlichen Zwang zur Gründungstheorie gleich-

387 Lanzius, Sonderanknüpfungen, S. 85; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 123; ders., NJW 2003, 1073, 1076; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143. 388 GA Alber, Schlussanträge vom 30. 1. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 103 (Herv. d. Verf.). 389 GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 63. 390 GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 65. 391 GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 69. 392 Leible/Hoffmann, NZG 2003, 259, 260; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2238; Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 125 f.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 542, 545.

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kommt393) antwortete der EuGH jedoch, dass bereits aus der Antwort auf die erste Vorlagefrage folge, „dass in dem Fall, dass eine Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats gegründet worden ist, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, in einem anderen Mitgliedstaat von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch macht, dieser andere Mitgliedstaat nach den Art. 43 EG und 48 EG verpflichtet ist, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungstaats besitzt.“394

Abermals beschränken sich die Luxemburger Richter mithin darauf, lediglich das tatsächliche Ergebnis der Rechtsanwendung in den Fokus ihrer Rechtsprechung zu stellen. Der Umstand, dass sie den Schlussanträgen des Generalanwalts insoweit nicht folgten, als sie sich zur zweiten Vorlagefrage doch äußerten, darf dabei einen wesentlichen Gesichtspunkt nicht aus dem Blick geraten lassen: Der kollisionsrechtliche Aspekt der Frage, ob die Rechts- und Parteifähigkeit nach dem Gründungsrecht zu beurteilen sei, wird vom EuGH gerade nicht beantwortet.395 Vielmehr umgeht er jegliche kollisionsrechtliche Aussage, indem er – ganz im Sinne des unionsrechtlichen Prinzips der gegenseitigen Anerkennung – postuliert, dass jene Rechts- und Parteifähigkeit „zu achten“ sei. Angesichts der Ausführungen des Generalanwalts396 war sich der EuGH der kollisionsrechtlichen Dimension der Vorlagefrage bewusst. Wenn er dann aber gerade nicht der Terminologie des BGH folgt, sondern ergebnisorientiert unter Vermeidung jedweder Termini des IPR davon spricht, dass die Recht- und Parteifähigkeit „zu achten“ sei,397 wird deutlich, dass er 393 Siehe auch GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 63; ähnlich auch Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 423 f. 394 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 95 und 2. Leitsatz. 395 So auch BGH GmbHR 2010, 211 ff.; Lanzius, Sonderanknüpfungen, S. 85; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Einl. Rn. 64; Großerichter, DStR 2003, 159, 166; ders., FS Sonnenberger, S. 369, 375; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 68; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 423; ders., ZGR 2011, 639, 642 ff.; i.E. auch Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 68. 396 GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 69: „Auf der anderen Seite wäre der Gerichtshof, soweit der Mitgliedstaat der Gründung auch der Staat ist, in dem die Gesellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz hat, gezwungen, sich für einen der Anknüpfungspunkte zu entscheiden, die in Ermangelung eines Tätigwerdens des Gesetzgebers auch nach Artikel 48 EG als wirksam anzusehen sind, d. h. für die Anknüpfung an den satzungsmäßigen Sitz der fraglichen Gesellschaft, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung. Wenn im Vertrag keinem dieser Anknüpfungspunkte Vorrang eingeräumt wurde, so ist es nicht Sache des Gerichtshofes, dies zu tun.“ 397 Auch die anderssprachigen Versionen des Urteils, auf die verschiedentlich rekurriert wird, geben keinen Hinweis auf eine kollisionsrechtliche Terminologie: Englische Fassung: „to recognise“, französische Fassung: „de respecter“, spanische Fassung: „a reconocer“. Jedoch ist

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

damit vermeiden wollte, in dem Widerstreit der Theorien zum Gesellschaftskollisionsrecht einer Theorie den Vorzug zu geben.398 Vielmehr gibt er mit der Verwendung der Begrifflichkeit „achten“ unmissverständlich das Ergebnis vor: Die Rechts- und Parteifähigkeit, für die das Recht des Gründungsstaats den Maßstab gibt, muss gewahrt bleiben.399 Allein darauf kommt es der Niederlassungsfreiheit an. Damit ist aber gerade nicht entschieden, dass die Rechts- und Parteifähigkeit einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft in Anwendung des Gründungsrechts zu erfolgen hat.400 Die rechtskonstruktive Umsetzung bleibt den Mitgliedstaaten überlassen.401 Somit folgt der EuGH dem bereits von GA Colomer dargelegten Dogma, nachdem es nicht Angelegenheit des Unionsrechts ist, das nationale Recht zu gestalten.402 Die Frage der Anknüpfung im Gesellschaftskollisionsrecht richte sich weiter nach den Regeln der Mitgliedstaaten, wobei aber das Unionsrecht die Einhaltung seiner materiellen Vorgaben verlange.403 Obgleich Vorstehendes bereits deutlich gemacht hat, dass auch aus der Antwort auf die zweite Vorlagefrage keine kollisionsrechtliche Aussage abgeleitet werden kann, bleibt insoweit allerdings fraglich, weshalb der Gerichtshof der Empfehlung des Generalanwalts, die zweite Vorlagefrage unbeantwortet zu lassen, nicht folgte. Näheren Aufschluss darüber könnte die zwischenzeitliche Rechtsprechungsände-

darauf hinzuweisen, dass Verfahrenssprache deutsch war, so dass die Übersetzungen (wenn überhaupt) nur sehr eingeschränkt Aufschluss geben können. 398 So auch Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 378 f.; Altmeppen, FS Röhricht, S. 3, 14; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 120; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 424; ders., ZGR 2011, 639, 642 ff.; Altmeppen, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit (2. Aufl.), 2. Kap. Rn. 25; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143; Lanzius, Sonderanknüpfungen, S. 85; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; zumindest insoweit auch Kindler, NJW 2003, 1073, 1077; a.A. Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2238 f.; Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 125 f., der in den Aussagen des EuGH eine „ebenso klare wie eindeutige Beantwortung“ der Vorlagefrage des BGH im Sinne einer kollisionsrechtlichen Aussage sieht; hingegen geben selbst Verfechter einer kollisionsrechtlichen Deutung zu, dass die Aussagen des EuGH nicht der klaren Vorlagefrage des BGH entsprechen, etwa Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S 545; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 140. 399 Siehe im Sinne einer Zielvorgabe Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 8; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143; Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 68; Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 379; Teichmann, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 424. 400 So etwa auch Großerichter, DStR 2003, 159, 166; Zimmer, BB 2003, 1, 4; Hirte EWS 2002, 573, 574; Lanzius, Sonderanknüpfungen, S. 85. 401 Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 95; Zimmer, BB 2003, 1, 4; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; siehe auch Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071, 1085 f., die unter Verweis auf Art. 7 EGBGB die weiter bestehende Möglichkeit der Sitzanknüpfung belegt. 402 GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 43. 403 GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 39, 69.

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rung des BGH geben.404 Präsentierte der VII. Zivilsenat in seinen Vorlagefragen noch die Aberkennung von Rechts- und Parteifähigkeit als geltende Rechtsfolge der Sitztheorie,405 vollzog der II. Zivilsenat während des Überseering-Verfahrens einen Paradigmenwechsel dergestalt, dass er sich einem in der Literatur bereits bekannten Vorschlag406 anschloss: In konsequenter Fortführung seiner neuen Rechtsprechung zur GbR (ARGE – Weißes Roß),407 in der dieser (Teil-)Rechtsfähigkeit zuerkannt wurde, überträgt er diesen Gedanken in dem bereits erwähnten Jersey-Urteil408 auch auf ausländische Gesellschaften. Eine zugezogene ausländische Gesellschaft sei in Deutschland jedenfalls eine rechtsfähige Personengesellschaft (§ 14 Abs. 2 BGB) und damit vor deutschen Gerichten aktiv und passiv parteifähig.409 Allerdings war es ziemlich offensichtlich, welcher Gedanke leitendes Motiv für diese Entscheidung war: Ein halbes Jahr zuvor waren die Schlussanträge in der Rechtssache Überseering ergangen und aufgrund deren Radikalität stand zu befürchten, dass die Entscheidung des EuGH einen massiven Einschnitt in die bisherige deutsche Rechtspraxis mit sich bringe würde. Ohne die Ausführungen des Generalanwalts zu erwähnen, adressierte die Entscheidung des II. Senats genau die Bedenken, die Generalanwalt Colomer aufgeworfen hatte.410 Mit den Schlussanträgen waren jedenfalls die mangelnde Rechts- und Parteifähigkeit als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit im Verfahren Überseering identifiziert. Indem nun der BGH einer ausländischen Gesellschaft diese doch zuerkannte, versuchte er, der Kritik des Generalanwalts weitestgehend das Fundament zu entziehen und ein entsprechend harsches Urteil des EuGH zu verhindern.411 Diese von Senatsmitgliedern bestätigte412 Zielsetzung wird 404 In diesem Sinne auch Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 71 f.; siehe auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 546. 405 BGH NZG 2000, 926 = ZIP 2000, 967. 406 Siehe Rehbinder, IPRax 1985, 324 f.; Zimmer, BB 2000, 1361, 1363; W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597, 1600 m.w.Nachw. (bei Fn. 29). 407 BGHZ 146, 341 = ZIP 2001, 330 = NJW 2001, 1056; bestätigend BGH ZIP 2002, 614. 408 BGHZ 151, 204; bestätigend etwa BGH NJW 2009, 289 (Trabrennbahn); zu dieser sog. „Wechselbalgtheorie“ siehe auch Weller, FS Goette, S. 583, 591 ff. 409 BGHZ 151, 204 = NJW 2002, 3539, 3540; dazu etwa Leible/Hoffmann, DB 2002, 2203; Goette, DStR 2002, 1679; Gronstedt, BB 2002, 2033; dieser Rechtsprechung bzgl. nicht EUausländischen Gesellschaften mit einigen Bedenken folgend OLG Hamburg DB 2007, 1245 (bzgl. einer Gesellschaft der Isle of Man); anders hingegen OLG Hamm, BB 2006, 2487, 2488 (bzgl. einer schweizerischen Gesellschaft). 410 Siehe dazu auch Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1142; Hellwig, ZGR 2013, 216, 227 f.; Großerichter, DStR 2003, 159, 165; Paefgen, WM 2003, 561, 563; Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 72; siehe auch Goette, ZIP 2006, 541. 411 So die Interpretation in weiten Teilen des Schrifttums; siehe statt vieler etwa Hellwig, ZGR 2013, 216, 227 f.; Behrens, IPRax 2003, 193, 199 („Entlastungsmanöver […], mit dem die Sitztheorie wohl in letzter Minute vor dem Verdikt ihrer Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht bewahrt werden sollte“); Paefgen, WM 2003, 561, 563 („Griff zum Rettungsanker“); Fleischer/Schmolke, JZ 2008, 233, 236; Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 72; Zum Ganzen auch Ebke, EBLR 2005, 9, 19 (bei Fn. 75); Spindler/Berner, RIW 2003, 949, 950.

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auch im Urteil deutlich, wenn der BGH ausführt, dass mit Gewährung der Rechtsund Parteifähigkeit „die Bedenken [entfallen], dass nach ausländischem Recht wirksam gegründete Gesellschaften, die ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt haben, durch die Weigerung, ihre Rechts- und Parteifähigkeit anzuerkennen, in einem durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls nicht geforderten und damit unverhältnismäßigen Umfang ihres rechtlichen Besitzstands und ihrer Klagemöglichkeiten beraubt werden könnten.“413

Diese auf eine unionsrechtliche Bewertung abzielenden Ausführungen sind insofern Indiz für die mit ihnen verfolgte Intention des II. Senats, als sie im konkreten Verfahren nicht entscheidungserheblich waren. Die in Rede stehende Gesellschaft war eine solche der Kanalinsel Jersey und gemäß Art. 299 Abs. 6 lit. c) EGV a.F. i.V.m. Art. 2 des Protokolls Nr. 3 betreffend die Kanalinseln und die Isle of Man zur Beitrittsakte des Vereinigten Königreichs von 1972414 nicht Berechtigte der Niederlassungsfreiheit, weshalb der Unionsrechtsbezug der Ausführungen keine Verbindung zum zu entscheidenden Fall aufwies.415 Vor diesem Hintergrund ist dann auch die Antwort des EuGH auf die zweite Vorlagefrage zu sehen.416 In Anbetracht der Entscheidung des II. Zivilsenats stand der EuGH vor einer misslichen Lage: Er war an die Vorlagefragen des VII. Senats gebunden, so dass er nicht unmittelbar auf die neue Rechtsprechung eingehen konnte. Genau diese drohte aber wesentliche Aussagen des Überseering-Verfahrens zu verwässern. Denn es ist entgegen heftiger Kritik417 zutreffend, dass die Rechtsprechung des II. Zivilsenats für das Überseering-Verfahren eine hinreichende Lösung geboten hätte.418 Im Hinblick auf den konkreten Streitgegenstand im Über412 Siehe dazu insb. die Aussage des ehem. Senatsmitglieds Henze, DB 2003, 2159, 2164, wonach die Jersey-Entscheidung in Reaktion auf die Vorlageentscheidung und die Schlussanträge des GA Colomer in der Hoffnung erging, die EuGH-Entscheidung noch beeinflussen zu können: „Dem II. Zivilsenat waren die Gefahren, die der VII. Zivilsenat mit seinem Begehren für den Fortbestand der Sitztheorie heraufbeschworen hatte, sofort klar. Er setzte bei der nächst besten Gelegenheit einen im Schrifttum entwickelten Gedanken um, mit dem er hoffte, den EuGH von einer für die Sitztheorie verhängnisvollen Entscheidung noch abbringen zu können.“ Zuvor jedoch noch skeptisch, ders., BB 2000, 2053, 2054; ähnlich auch Goette, DStR 2002, 1679, 1680; vgl auch ders., ZIP 2006, 541 f.; zum Ganzen auch Hellwig, ZGR 2013, 216, 227 f. 413 BGHZ 151, 204, 206. 414 Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, S. 1333 ff., ABl. 1972, L 73; siehe auch OLG Hamburg DB 2007, 1245 (zur Grundfreiheitenberechtigung einer Gesellschaft der Isle of Man). 415 Siehe Hellwig, ZGR 2013, 216, 228; Hirte, in: Hopt/Tzouganatos (Hrsg.), Europäisierung, S. 1, 7. 416 Auf diesen Hintergrund ebenfalls hinweisend Ebke, FS Hellwig, 2010, 117, 132; ders., ZVglRWiss 110 (2011), 2, 19. 417 Siehe Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 69; siehe auch Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 160 f. 418 Siehe Forsthoff, DB 2002, 2471, 2471; ders., BB 2002, 318, 321, der infolge der Rechtsprechung des II. Senates die Vorlage des VII. Senates für obsolet hält, da die Jersey-

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seering-Verfahren ergibt sich nämlich, dass eine Umwandlung ex lege in eine Personengesellschaft ausreichend gewesen wäre.419 Die konkret beanstandete Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der Überseering B.V., die Versagung der Rechts- und Parteifähigkeit, entfiele unter Anwendung der neuen Rechtsprechung des II. Zivilsenats.420 Hätte es der EuGH daher bei der Antwort auf die erste Vorlagefrage bewenden lassen, wie es der Generalanwalt empfohlen hatte, so wäre der Rettungsversuch des BGH erfolgreich gewesen und die Umsetzung des EuGH-Urteils nicht über den Ansatz des II. Zivilsenats hinausgegangen.421 Die Krux dieser Lösung liegt aus unionsrechtlicher Sicht indes an anderer Stelle. Zwar war mit der Umwandlung ex lege in eine Personengesellschaft ein Weg gefunden, europäischen Auslandsgesellschaften Rechts- und Parteifähigkeit zuzuerkennen. Jedoch ließe diese Lösung das Verständnis des EuGH von der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften weitestgehend zur Makulatur werden. Denn es ist offensichtlich, dass die nächste Beschränkung nur einen Schritt weiter läge.422 Mit der Anerkennung als Personengesellschaft verlöre die ausländische Kapitalgesellschaft eine ihrer elementaren Eigenschaften, die Haftungsbeschränkung. Die Gesellschaft würde nach wie vor an der Grenze „erschlagen“423, nur dass sich das Drohpotenzial des deutschen Rechts und damit die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit von der Aberkennung der Rechtsfähigkeit auf die persönliche Haftung der Gesellschafter verlagerten.424 Da aber die Haftungsbegrenzung aus Sicht des Entscheidung die aufgeworfenen Fragen umgeht; gleichsinnig W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 120; Hirte, in: Hopt/Tzouganatos (Hrsg.), Europäisierung, S. 1, 7; Koch/Magnus/Winkler von Mohrenfels, IPR, § 8 Rn. 28; insoweit zutreffend Kindler, NJW 2003, 1073, 1077; ders., in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 109; sofern der VII. Senat die Lösung des II. Senats in der Anschlussentscheidung als nicht europarechtskonform ansieht, bezieht sich dieses Urteil auf die im Anschluss an die Gewährung der Rechts- und Parteifähigkeit eintretende Konsequenz der fehlenden Haftungsbeschränlung, BGH NJW 2003, 1461: „Sie kann nicht auf ihre Möglichkeiten als nach deutschem Recht anerkannte Personengesellschaft verwiesen werden, weil sie damit in eine andere Gesellschaftsform mit besonderen Risiken, wie zum Beispiel Haftungsrisiken, gedrängt wird“. 419 So auch Großerichter, DStR 2003, 159, 166, der die Aussage ebenfalls nur auf den konkreten Streitgegenstand in Form der Rechts- und Parteifähigkeit begrenzt. 420 Siehe auch Zimmer, BB 2003, 1, 4; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1142; a.A. Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 69; siehe auch Hirte, in: Hopt/Tzouganatos (Hrsg.), Europäisierung, S. 1, 7. 421 Siehe etwa W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 120: „Da mit der Entscheidung des II. Zivilsenats klargestellt ist, […] dass vormals begründete vertragliche Ansprüche vor deutschen Gerichten geltend gemacht werden können, genügt das deutsche Recht insoweit den Forderungen des 1. Leitsatzes.“ 422 Gleichsinnig Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 383; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 21. 423 So pointiert Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143; siehe auch Lutter, BB 2003, 7, 10, für den umgekehrten Fall des Wegzugs aus Deutschland. 424 Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1142 f.; Großerichter, DStR 2003, 159, 166; ders., FS Sonnenberger, S. 369, 383; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 21; siehe auch Kieninger, ZGR 1999, 724, 743; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapital-

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EuGH – wie er unlängst bestätigte425 – elementarer Bestandteil der Niederlassungsfreiheit ist, konnte der EuGH – wollte er das Ziel einer umfassenden Niederlassungsfreiheit, das er in Inspire Art weiter verfolgte, nicht gefährden – nicht bei der Beantwortung der ersten Vorlage Halt machen und es erklärt sich, weshalb er am Rande seiner Kompetenz auch den zweiten Leitsatz formulierte. Indem er dort nochmals so deutlich wie möglich das niederländische Recht als Maßstab für die Bestimmung einer Beschränkung betonte, verdeutlichte er, dass dieser Leitsatz auch für die Rechtsfolgen der neue Rechtsprechung des BGH Geltung beanspruchte426 und somit letztere – wie auch der BGH anschließend und später die Inspire Art-Entscheidung427 bestätigte428 – nicht im Stande war, die europarechtliche Bedenken auszuräumen.429 c) Zwischenergebnis Somit bleibt festzuhalten, dass auch die Rechtsprechung des EuGH für das internationale Gesellschaftsrecht keine Änderung gegenüber dem allgemeinen Einfluss der Grundfreiheiten auf das internationale Privatrecht mit sich bringt. Auch die Niederlassungsfreiheit erfordert keine zwingende Anwendung der Gründungsgesellschaften, § 2 Rn. 69; siehe auch Goette, ZIP 2006, 541; eben darauf abstellend auch BGH NJW 2003, 1461 (siehe auch bereits Fn. 418). 425 EuGH, Urteil vom 21. 10. 2010 – C-81/09 (Idryma Typou) NZG 2011, 183; dazu etwa Bayer/J. Schmidt, BB 2012, 3, 9; Möslein, NZG 2011, 174 ff.; zur Haftungsbegrenzung als Element des Binnenmarkts und deren Gewährleistung duch die Grundfreiheiten siehe Schön, FS Hommelhoff, S. 1037 ff. 426 Siehe auch EuGH, Urteil vom 10. 7. 1986 – Rs. 79/85 (Segers), Slg. 1986, 2375, demzufolge auch Vorschriften, die die hinter einer Gesellschaft stehenden Personen treffen, die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft selbst beschränken; dazu auch Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 69. 427 Das dieser Entscheidung zurgrunde liegende niederländische Recht erkannte zwar – ähnlich der modifizierten Sitztheorie – die Gesellschaft an und sprach ihr daher Rechts- und Parteifähigkeit unumwunden zu, jedoch stellte es gewisse zusätzliche Anforderungen etwa in Bezug auf ein Mindestkapital. Wenn der EuGH bereits das zusätzliche Mindestkapitalerfordernis als Beschränkung ansieht, so gilt Gleiches erst recht für eine fehlende Haftungsbeschränkung iRd modifizierten Sitztheorie, siehe dazu auch Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 82 f. 428 BGHZ 154, 186 ff. (VII. Senat); gleichsinnig dann auch der II. Senat BGH ZIP 2005, 805; ZIP 2005, 1869; BGH NJW 2007, 1529 sowie BGH ZIP 2007, 1306. 429 Siehe Großerichter, DStR 2003, 159, 166; Spindler/Berner, RIW 2003, 949, 950 f.; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 69; Lanzius, Sonderanknüpfungen, S. 86; Hirte, in: Hopt/Tzouganatos (Hrsg.), Europäisierung, S. 1, 7; siehe zur Europarechtswidrigkeit der modifizierten Sitztheorie auch BGHZ 154, 186 ff.; Behrens, IPRax 2003, 193, 200; Lutter, BB 2003, 7, 9; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 94; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2242; ders., JZ 2003, 526, 527; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 928; dies., ZIP 2003, 925, 926; Forsthoff, DB 2003, 979, 979; Kallmeyer, DB 2002, 2521; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 122 f.; Ebke, JZ 2003, 927, 929; Zimmer, BB 2003, 1, 5 f.; a.A. Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 109; ders., NJW 2003, 1073, 1077; ders., BB 2003, 812; ders., IPRax 2003, 41, 44; wohl auch Neye, EWiR 2002, 1003, 1004; Wernicke, EuZW 2002, 758, 760.

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theorie.430 Vielmehr gibt sie den Mitgliedstaaten ein Ergebnis vor, dass jene unter Anwendung ihres Kollisions- und Sachrechts zu erreichen haben.431 Die Richtigkeit dieses Befunds lässt sich anhand folgender Kontrollüberlegung belegen: Ist das Recht des Aufnahmemitgliedstaats günstiger für die zuziehende Gesellschaft als das ihres Gründungsmitgliedstaats, so fehlt es selbst bei entsprechendem Statutenwechsel an jeglicher grenzübertrittsspezifischer Belastung.432 Der zuziehenden Gesellschaft würde zwar mit dem Statutenwechsel ein anderes Rechtskleid gegeben, doch entfällt aufgrund der günstigeren in Rede stehenden Rechtsvorschrift eine

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BGH GmbHR 2010, 211 ff.; Generalanwalt Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 63 ff.; ausf. Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071 ff.; Teichmann, ZGR 2014, 45, 63; ders., ZGR 2011, 639, 677 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 2, 20, 40 f.; ders., in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; ders., DB 2002, 2471, 2474; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 671 ff., insb. 673; Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 381 ff.; ders., DStR 2003, 159, 166; Hirte, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 1 Rn. 20; ders., in: Hopt/Tzouganatos (Hrsg.), Europäisierung, S. 1, 13; ders., EWS 2003, 521, 522; W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 340 f.; ders., IPRax 2003, 117; 120 f.; ders., FS Lüderitz, S. 635, 638 ff.; insb. 646; ders., in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 52 ff., 56; ders., RabelsZ 55 (1991), 623, 643 ff.; ders.; 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 847, 863, 864; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 8; dies., RIW 2003, 949, 954 f.; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 66 ff.; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 94 f.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 15; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Einl. Rn. 64; K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 493, 496; Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 66 ff.; Deinert, EWS 2006, 445, 451 ff., 452; Scholz/H. P. Westermann, GmbHG, Einl. Rn. 100; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143; Bitter, Jb.J.ZivRWiss. 2004, S. 299, 310; ders., WM 2004, 2190, 2192; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 665; Schanze, NZG 2007, 533, 534 f.; Bicker, Gläubigerschutz in der Konzerngesellschaft, S. 45 f.; Kegel/Schurig, IPR, S. 218 ff. (missverständlich dann S. 575 f.); insoweit zutr. Kindler, in: MünchKomm BGB, IntGesR Rn. 136 ff.; Martin-Ehlers, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht im Wettbewerb, S. 13 ff.; Sandrock, EWS 2005, 529 (anders hingegen ders., in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht im Wettbewerb, S. 36); Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 225, 231; Altmeppen, NJW 2004, 97, 98 f.; ders., FS Röhricht, S. 3, 14; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083, 1084 f.; Thünken, S. 98 ff.; Ahrens, FS Georgiades, S. 789, 795 ff., 798; Wilderspin, in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 77, 83 ff.; Lipstein, FS Jayme, S. 527, 529; Lorenz, in: Bamberger/Roth, BGB, Einl. IPR Rn. 25; Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 561 ff. (zum internationalen Wettbewerbsrecht); Joerges, FS Heldrich, S. 205, 210; Wackerbarth, FS Horn, S. 605, 612 f.; Schäfer, NZG 2004, 785, 789; generell auch Kropholler, IPR, § 10 I 2; wohl auch Palandt/Thorn, Art. 3 EGBGB Rn. 6, nicht eindeutig aber Anh. zu Art. 12 EGBGB Rn. 6, da nicht erkennbar wird, ob Gründungstheorie nur im Anschluss an den BGH oder als zwingendes Ergebnis der Art. 49, 54 AEUV gesehen wird. 431 Teichmann, ZGR 2014, 45, 63; ders., ZGR 2011, 639, 677 ff.; zu einer möglichen Umsetzung auf Basis der Sitzanknüpfung siehe Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071, 1085 f. 432 Siehe bereits oben 1. Teil § 2 II.3.a)aa); sowie Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 8; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 427; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 226 f.; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 125.

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Beschränkung der Niederlassungsfreiheit.433 Denn kommt etwa der deutsche Richter unter Anwendung des deutschen Rechts zu einem günstigeren Ergebnis, so wäre unter Rekurs auf die Art. 49, 54 AEUV nicht erklärlich, weshalb er dennoch verpflichtet sein sollte, das Gründungsrecht der Gesellschaft anzuwenden. Aus Sicht des Unionsrechts ist das so gewonnene Ergebnis nicht zu beanstanden. Unter Anwendung welchen Rechts ein Mitgliedstaat dies erreicht, ist für das Primärrecht unerheblich.434 Freilich ist diese Aussage begrenzt auf die jeweils betroffene Regelung und kann nicht unter Verweis auf eine allgemein günstigere Rechtsordnung die Anwendung des Rechts des Aufnahmestaats in toto von einer Kontrolle an den Grundfreiheiten suspendieren. Ist aber das Recht des Aufnahmemitgliedstaats für den konkret in Frage stehenden Sachverhalt günstiger oder generiert das gleiche Ergebnis wie das des Gründungsstaats, so bleibt es dabei, dass es auch vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit anwendbar bleibt.435 Es wäre mithin im Fall Überseering nicht zu beanstanden gewesen, hätte das deutsche Recht die Überseering B.V. für die Frage der Rechts- und Parteifähigkeit als Personengesellschaft qualifiziert. Das von der Niederlassungsfreiheit geforderte Ergebnis der Anerkennung von Recht- und Parteifähigkeit bliebe gewährleistet.436 Gleichwohl versagte diese Lösung, sobald der Haftungsbeschränkung Bedeutung zukommt. Aber auch dann könnte das deutsche Recht anstatt an den Satzungssitz anzuknüpfen auch dergestalt reagieren, dass es nun für die Frage der Haftungsbeschränkung eine weitere Umqualifizierung vornimmt und die ausländische Gesellschaft einer GmbH gleichstellt. Wieder bliebe das vorgegebene Ergebnis gewahrt. Ob eine solch fragmentarische Einzelfalllösung auf der Ebene des Sachrechts sinnvoll erscheint, sei an dieser Stelle dahingestellt.437 Gleichwohl ist dies lediglich eine rechtspolitische Frage der Mitgliedstaaten. Solange das Ergebnis erreicht wird, wären auf Art. 49, 54 AEUV gestützte Bedenken verfehlt.438 Anderes könnte nur behaupten, wer den Statutenwechsel als solches inkriminierte439. Sofern davon ausgegangen wird, dass es für die Anerkennung der Rechts433 So auch Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071, 1085; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 427. 434 Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 226 ff. 435 So schon Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 8; Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071, 1085. 436 Siehe auch Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071, 1085, mit Vergleich zu Art. 7 EGBGB. 437 Siehe dazu sogleich unter 1. Teil § 3. 438 Altmeppen, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit (2. Aufl.), 2. Kap. Rn. 29; ähnlich auch Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 226 ff. 439 So etwa Spezialkommission für das internationale Gesellschaftsrecht, Vorschlag des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht für eine Regelung des Internationalen Gesellschaftsrechts auf europäischer/nationaler Ebene, bei: Sonnenberger/Bauer, RIW Beilage 1 zu Heft 4/2006, 1, 5; Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 481; wohl auch Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 69 f.; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 37;

§ 2 Interdependenz von Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht

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und Parteifähigkeit einer Gesellschaft der Anwendung ihres Gründungsrechts bedarf, so kommt darin einmal mehr zum Ausdruck, dass das Problem aus einer kollisionsrechtlichen Sichtweise erfasst wird. Vom Kollisionsrecht her gedacht wäre die Schlussfolgerung nicht zu bestreiten. Das deutsche IPR ist von einem verweisungsrechtlichen Denken geprägt.440 Die Anerkennung einer ausländischen Rechtsnorm erfolgt daher ipso jure durch ihre Anwendung.441 Daher mag sich in der vorliegenden Problematik der Gedanke aufdrängen, dass die geforderte Anerkennung lediglich mit einem Verweis auf das Gründungsrecht umzusetzen sei. Allein von diesem Standpunkt ist es dann verständlich, weshalb in der Gewährung der Rechts- und Parteifähigkeit durch Normen des Zuzugsstaats keine Anerkennung der ausländischen Gesellschaft begründet sein soll. Denn aus kollisionsrechtlicher Sicht heißt Anerkennung Anwendung. Darin liegt jedoch auch die Schwäche einer solchen Sichtweise. Es geht eben gerade nicht darum, wie das nationale Kollisionsrecht eine „Anerkennung“ interpretiert; ob etwa dies mit einem kollisionsrechtlichen Verweis assoziiert wird oder wie im romanischen Rechtskreis ein separates Anerkennungsstatut bekannt ist.442 Die Vorgabe der Anerkennung i.S.d. Cassis-Rechtsprechung443 ist ein unionsrechtliches Gebot, dass als solches autonom auszulegen ist.444 Diese in den Grundfreiheiten enthaltene Vorgabe erhebt daher weder den Anspruch, mit den kollisionsrechtlichen Dogmen des mitgliedstaatlichen IPR im Einklang zu laufen; zumal diese unionsweit geltende Vorgabe schlechterdings nicht in der Lage wäre, allen unterschiedlichen dogmatischen Eigenheiten der Mitgliedstaaten gerecht zu werden.445 Noch tritt sie an die Stelle des Kollisionsrechts und verdrängt dieses oder installiert durch den Zwang zur Anerkennung bestimmte kollisionsrechtliche Instrumentarien, wie etwa die vested rights theory.446 Anerkennung im unionsrecht-

siehe auch Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 108, der zwar dem Primärrecht allgemein keine Kollisionsnorm entnehmen will, aber folgert, dass „dogmatisch […] sich das die Niederlassungsfreiheit negierende Element aus dem Statutenwechsel selbst und nicht erst aus den materiell-rechtlichen Rechtsfolgen“ ergibt, mithin die Anwendung einer anderen EURechtsordnung als solche bereits den Ausschlag gibt; siehe zum Ganzen bereits oben 1. Teil § 2 II.3.a)aa). 440 Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 675. 441 Dazu etwa Mankowski, in: Basedow (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, S. 595, 602 f.; ders., in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, S. 235, 244 f.; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 125, 9 ff., 15 f. (s.a. ders., in: MünchKommBGB (4. Aufl.), Einl. IPR Rn. 147); Kindler, in: KünchKommBGB, IntGesR Rn. 316 ff. 442 Siehe auch W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 342 f.; zu verschiedenen möglichen Alternativen kollisionsrechtlicher Umsetzung Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 675 f. 443 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979 – Rs. 120/78 (Cassis), Slg. 1979, 649. 444 W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 343; Mankowski, in: Basedow (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, S. 595, 603. 445 So auch W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 342 f.; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 677. 446 So aber etwa Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501, 502 ff.; dies., IPRax 2004, 481, 484; Michaels, 2 J. Priv. Int. L. (2006), 195 ff.; siehe auch Mankowski, in: Basedow (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, S. 595, 602 f.; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 125,

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

lichen Sinne bedeutet entsprechend der ergebnisbezogenen Wirkungsweise der Grundfreiheiten vielmehr eine Zielvorgabe, die sich jeder Aussage zur dogmatischen Umsetzung enthält.447 Im internationalen Gesellschaftsrecht ist die primärrechtliche Anerkennung einer ausländischen Gesellschaft die Anerkennung des Gründungsrechts als Maßstab für die Rechtsanwendung des Aufnahmestaats. Das Ergebnis darf in Ansehung der Rechtsvorschriften des Herkunftsstaats nicht zu einer Beschränkung der Art. 49, 54 AEUV führen oder muss durch zwingende Allgemeininteressen gerechtfertigt sein. Reagiert das deutsche Recht mit einer kollisionsrechtlichen Lösung in Form einer Gründungsanknüpfung, ist dies legitim, aber nicht zwingend, sondern nur eine von mehreren Möglichkeiten. Denn dass die Anwendung deutschen Rechts als solches und damit der bloße Statutenwechsel für eine ausländische Gesellschaft nicht im Stande ist, eine Verkürzung grundfreiheitlicher Rechte zu bewirken, ist, wie bereits dargelegt,448 in der Wirkungsbezogenheit der Grundfreiheiten und dem Wesen des Binnenmarkts als einem aus mehreren Rechtsordnungen bestehenden Konstrukt begründet.449 .

III. Die Grundfreiheiten als Ergebniskontrolle (obligation de résultat)450 Als Ergebnis lässt sich damit festhalten, dass die Untersuchung des Einflusses der Grundfreiheiten auf das mitgliedstaatliche IPR zweierlei ergeben hat. Zum einen stellt das Kollisionsrecht keinen primärrechtsfreien Raum dar.451 Es unterliegt wie jede andere Rechtsmaterie den Schranken, die durch die Grundfreiheiten gesetzt sind, und muss sich diesen unterordnen. Ein direkter Verstoß von Kollisionsnormen gegen das primäre Unionsrecht wird gleichwohl selten zu konstatieren sein. Da die Grundfreiheiten allein wirkungsbezogen die mitgliedstaatliche Rechtsanwendung überprüfen und von der Fortexistenz unterschiedlicher Rechtsordnungen im Binnenmarkt ausgehen, wird in den wenigsten Fällen allein durch den Anwendungsbefehl bereits eine Freiheitsverkürzung bewirkt; ist aber etwa bei Überdehnung des räumlichen Anwendungsbereichs einer Norm – wie in der Rechtssache Alpine In-

9 ff., 15 f. (s. a. ders., in: MünchKommBGB (4. Aufl.), Einl. IPR Rn. 147); siehe auch CoesterWaltjen, IPRax 2006, 392, 399 f. 447 Siehe auch Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 671 ff., 674; Deinert, EWS 2006, 445, 452; W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 342 f.; Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392, 399. 448 Siehe 1. Teil § 2 II.3.a)bb). 449 Siehe zum Statutenwechsel als grundfreiheitenneutral auch W.-H. Roth, FS 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 847, 864; Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 381; vgl auch KnobbeKeuk, ZHR 154 (1990), 325, 335. 450 Begrifflichkeit nach Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 94. 451 Siehe oben 1. Teil § 2 I.

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vestment452– oder im Rahmen von Diskriminierungen – wie in der WermutweinEntscheidung453 – nicht ausgeschlossen.454 Dennoch partizipieren auch die Verweisungsregeln zumindest mittelbar an Beschränkungen der Grundfreiheiten, wenn und soweit sie beschränkendes mitgliedstaatliches Sachrecht berufen. Dann zeitigt nämlich erst die Kombination aus Kollisions- und Sachrecht die Beschränkung unionsrechtlich garantierter Freiheiten, so dass sie nicht unter Rekurs auf ihre Phänotypik als bloßes Verweisungsrecht dem Zugriff der Grundfreiheiten entzogen sind.455 Dementsprechend ist dann auch das internationale Gesellschaftsrecht nicht vollumfänglich in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt. Ist eine Gesellschaft nach den Vorschriften eines Mitgliedstaats gegründet, so erhält sie die Subjektseigenschaft der Niederlassungsfreiheit, welche ihr durch das Kollisionsrecht anderer Mitgliedstaaten nicht wieder abgesprochen werden kann.456 Zum anderen geht das Primärrecht aber auch nicht soweit, selbst Kollisionsnormen zu konstituieren.457 Sowohl eine gewisse Funktionsäquivalenz458 von Grundfreiheiten und Kollisionsrecht wie auch der schillernde Begriff des Herkunftslandprinzips459 haben sich als nicht tragfähiges Konzept für die Deduktion einer versteckten Kollisionsnorm erwiesen. Die Ziele und Funktionen der Grundfreiheiten sind zu vielschichtig, als dass sie sich systemkonform mit einer Kollisionsnorm erfassen ließen. Auch die Rechtsprechung des EuGH zum internationalen Gesellschaftsrecht, insbesondere die Überseering-Entscheidung,460 begründet kein divergierendes Ergebnis. Weder ist den Mitgliedstaaten eine Anknüpfungsmethode zwingend vorgegeben, noch wird das tradierte Kollisionsrecht von einem unionsrechtlichen Instrument der Anerkennung verdrängt. Die den Grundfreiheiten entnommene Anerkennungspflicht lässt sich vielmehr als eine Zielvorgabe, eine obligation de résultat, begreifen.461 Die Grundfreiheiten 452

EuGH, Urteil vom 10. 5. 1995 – Rs. C-384/93 (Alpine Investments), Slg. 1995, I-1141. EuGH, Urteil vom 20. 4. 1983 – Rs. 59/82 (Weinvertriebs-GmbH), Slg. 1983, 1217. 454 Siehe oben 1. Teil § 2 I.1. 455 So auch Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 15; siehe auch Teichmann, ZGR 2014, 45, 63; ders., ZGR 2011, 639, 678. 456 Siehe oben 1. Teil § 2 I.2. 457 Siehe oben 1. Teil § 2 II.3.c) und 1. Teil § 2 II.4.c). 458 Siehe oben 1. Teil § 2 II.1. 459 Siehe oben 1. Teil § 2 II.2. 460 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919. 461 In diesem Sinne auch Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 671 ff., insb. 673; Teichmann, ZGR 2014, 45, 63; ders., ZGR 2011, 639, 677 ff.; ausf. Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071 ff.; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 66 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 2, 20, 40 f.; ders., in: Hirte/ Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; ders., DB 2002, 2471, 2474; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 15; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 8; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 94 f.; W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 340 f.; ders., IPRax 2003, 117; 120 f.; ders., FS Lüderitz, S. 635, 638 ff.; insb. 646; ders., in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 52 ff., 56; 453

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

überprüfen das mitgliedstaatliche Rechtsanwendungsergebnis, das sich aus dem Zusammenspiel von Kollisions- und Sachrecht ergibt, und fordern bei einem primärrechtswidrigen Ergebnis eine Korrektur.462 Sie geben aber gerade nicht vor, auf welcher Ebene diese zu erfolgen hat. Es bleibt daher bei der mitgliedstaatlichen Kompetenz zu entscheiden, ob ein unionsrechtkonformes Ergebnis durch die Korrektur des Sachrechts oder des Kollisionsrechts vorgenommen wird.463 Für ein solches Verständnis streitet letztlich auch der unionsrechtliche Grundsatz der Subsidiarität. Denn der Ansatz des europäischen Rechtsraums beruht auf dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität. Es ist nicht Ziel der Entwicklung des europäischen Rechtsraums, die Rechts- und Gerichtsysteme der Mitgliedstaaten in Frage zu stellen.464 Vielmehr sollen – wie auch das Haager465 und das Stockholmer Programm466 zeigen – die einzelnen Rechtsordnungen geachtet und mit dem Prinzip

ders., RabelsZ 55 (1991), 623, 643 ff.; ders., 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 847, 863, 864; (tendenziell abweichend ders., FS Heldrich, S. 973, 976); Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Einl. Rn. 64; Martin-Ehlers, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht im Wettbewerb, S. 13 ff.; siehe auch Generalanwalt Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 63 ff.; Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 381 ff.; ders., DStR 2003, 159, 166; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 225 ff.; ders., NJW 2004, 97, 98 f.; ders., FS Röhricht, S. 3, 14; Hirte, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 1 Rn. 20; ders., in: Hopt/Tzouganatos (Hrsg.), Europäisierung, S. 1, 13; ders., EWS 2003, 521, 522; K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 493, 496; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 432 ff.; siehe aber auch bzgl. der Überseering-Entscheidung S. 545 mit abweichendem Ergebnis; Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 66 ff.; Deinert, EWS 2006, 445, 451 ff., 452; Koch/Magnus/Winkler von Mohrenfels, IPR (3. Aufl.), S. 226 f. (zurückhaltender nun dies., IPR, § 8 Rn. 25 ff.); Scholz/H. P. Westermann, GmbHG, Einl. Rn. 100; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143; Bitter, WM 2004, 2190, 2192; ders., Jb.J.ZivRWiss. 2004, S. 299, 310; Schanze, NZG 2007, 533, 534 f.; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083, 1084 f.; Thünken, S. 98 ff.; Ahrens, FS Georgiades, S. 789, 795 ff., 798; Wilderspin, in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 77, 83 ff.; Lipstein, FS Jayme, S. 527, 529; Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 561 ff.; Joerges, FS Heldrich, S. 205, 210; Wackerbarth, FS Horn, S. 605, 612 f.; Schäfer, NZG 2004, 785, 789; generell auch Kropholler, IPR, § 10 I 2. 462 Teichmann, ZGR 2014, 45, 63; ders., ZGR 2011, 639, 678. 463 Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 677; Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 381 ff.; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 447 f. 464 So auch die Kommission in ihrer Mitteilung bzgl. der Bilanz des Tampere-Programs, Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Bilanz des Tampere-Programs und Perspektiven, KOM (2004), 401 endg. S. 10 f. 465 Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union, ABl. C 53/1. 466 Siehe Mitteilung der Kommision an das Europäische Parlament und den Rat. Ein Raum der Freiheit, Sichereheit und des Rechts im Dienste der Bürger, KOM (2009) 262 endg.; dazu etwa Wagner, IPRax 2010, 97 f.

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der gegenseitigen Anerkennung den Mitgliedstaaten lediglich eine Zielvorgabe anheimgestellt werden.467 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Grundfreiheiten es den Mitgliedstaaten überlassen, wie sie den unionsrechtlichen Anforderungen nachkommen. Aus europarechtlicher Sicht ist allein das Ergebnis der jeweiligen rechtstechnischen Ausgestaltung durch die Mitgliedstaaten entscheidend.468 Im Bereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften erfordert es die Grundfreiheit, dass Gesellschaften, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet sind, von allen Mitgliedstaaten anzuerkennen sind. Ob Mitgliedstaaten, die bisher der Sitztheorie folgten, das Ergebnis durch einen Paradigmenwechsel zur Gründungstheorie oder aber durch Anpassung des jeweiligen Sachrechts zu erreichen suchen, tangiert das Unionsrecht nicht und ist daher Sache des nationalen Rechts.469 Sowohl Kollisions- wie auch Sachrecht sind aus unionsrechtlicher Perspektive lediglich Instrumente, derer sich die Mitgliedstaaten zur Erreichung der Zielvorgabe bedienen können. Inwieweit sich diese Instrumente in ihrer bisherigen Ausgestaltung als geeignet erweisen, die an sie gestellte Aufgabe zu erfüllen, ist primärrechtlich irrelevant. Überspitzt formuliert obläge es den Mitgliedstaaten, sollten sich nationale Rechtsinstrumente, wie etwa die Verweisungstechnik des IPR, als untauglich erweisen, neue Mittel und Wege zu finden, um die unionsrechtlichen Vorgaben sicherzustellen; sei es dass das Sachrecht angepasst wird oder dass anderweitige Rechtstechniken – wie etwa die vested rights theory oder ein eigenes Anerkennungsstatut470 – in das Kollisionsrecht implementiert werden.471 Dass gleichwohl in der deutschen Diskussion zuvörderst versucht wird, mit einer Kollisionsnorm auf die Anforderungen zu reagieren und so primärrechtskonforme Zustände herzustellen, ist folgerichtig, ist das deutsche Kollisionsrecht doch von einem verweisungsrechtlichen Ansatz geprägt und hat sich in dieser Form bewährt.472 Gleichwohl darf aber nicht übersehen werden, dass dies eben nur eine Möglichkeit zur Umsetzung der primärrechtlichen Vorgaben ist, jedoch keine zwingende. Aus dem Stufenverhältnis zwischen höherrangiger primärrechtlicher Ergebnisvorgabe und der Umsetzung durch untergeordnetes mitgliedstaatliches Kollisions- und Sachrecht ergibt sich das Bild eines autonomen Unionsrechts, das die Grenzen eigenständig absteckt. Ein kollisionsrechtliches Herkunftsland467 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Bilanz des Tampere-Programs und Perspektiven, KOM (2004), 401 endg. S. 10. 468 Ausf. Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 677; Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071, 1085 f.; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 125, 136. 469 W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 342. 470 Siehe etwa Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392, 399 f.; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 675; ferner Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501, 502 ff.; dies., IPRax 2004, 481, 484; Michaels, 2 J. Priv. Int. L. (2006), 195 ff.; siehe auch Mankowski, in: Basedow (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, S. 595, 602 f. 471 Ähnlich W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 342 f. 472 Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 675.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

prinzip, eine Gründungsanknüpfung oder eine Sitzanknüpfung sind Instrumentarien des Kollisionsrechts und somit lediglich Mittel zur Umsetzung der primärrechtlichen Vorgaben auf einer gegenüber der unionsrechtlichen Zielvorgabe nachrangigen Ebene. Auswirkungen auf das zu erreichende Ergebnis vermögen sie indes nicht zu entfalten. So wenig die Grundfreiheiten, in concreto die Niederlassungsfreiheit, Vorgaben für die Anknüpfung im internationale Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten bereithält, so wenig lassen sie sich umgekehrt von der konkreten Ausgestaltung mitgliedstaatlicher Rechtsanwendung beeinflussen.

§ 3 Rückschlüsse für das internationale Gesellschaftsrecht I. Vor- und Nachteile von Sitz- und Gründungstheorie Ist nun die konkrete Ausgestaltung den Mitgliedstaaten überlassen, so stellt sich die Frage, auf welchem Weg ein europarechtskonformes Ergebnis anzustreben ist. Dies kann zum einen in einem kollisionsrechtlichen Verweis auf das Gründungsrecht liegen. Zum anderen bleibt aber auch der Weg gangbar, kollisionsrechtlich an das Recht des Bestimmungsstaats anzuknüpfen und im Fall eines Konflikts mit der Niederlassungsfreiheit eine Korrektur auf der Ebene des Sachrechts vorzunehmen.473 Der VII. Zivilsenat des BGH hat sich insoweit auf den ersten Lösungsansatz festgelegt und im Anschluss an das Überseering-Verfahren die Gründungstheorie als maßgebliche Verweisungsregel für das deutsche internationale Gesellschaftsrecht in Bezug auf EU-Auslandsgesellschaften statuiert.474 Dem hat sich in der Folge nicht nur der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Senat,475 sondern auch der Referentenentwurf vom 23. 1. 2008 für ein Gesetz zum internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen (RefE)476 angeschlossen. Ob Letzterer noch Chancen auf eine Umsetzung hat, ist jedoch angesichts des andau-

473 Zu derartigen Alternativen etwa Mansel, RabelsZ 70 (2006) 651, 675; Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071, 1081 ff.; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 70; Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 31 (bei Fn. 63); Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 144 f. 474 BGHZ 154, 186 ff. (VII. Senat); zum Ganzen auch Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 146 f. 475 BGH ZIP 2005, 805; ZIP 2005, 1869; BGH NJW 2011, 1114; NJW 2007, 1529 sowie ZIP 2007, 1306; zuvor schon in einem obiter dictum BGH NJW-RR 2004, 1618; hinsichtlich nicht europäischer (EU/EWR) Gesellschaften verbleibt es dagegen bei der Sitztheorie BGH NJW 2009, 289 (Trabrennbahn) = DStR 2009, 59 m. Anm. Goette; anders zuvor OLG Hamm ZIP 2006, 1822, siehe auch Weller, FS Goette, S. 583, 591 ff. 476 Referentenentwurf vom 23. 1. 2008 für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, abrufbar unter www.bmj.bund.de; Art. 10 EGBGB-RefE soll demnach die Gründungstheorie in Form der Registeranknüpfung in das deutsche Internationale Privatrecht implementieren.

§ 3 Rückschlüsse für das internationale Gesellschaftsrecht

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ernden Widerstands, insbesondere auf Seiten der Gewerkschaften,477 und angekündigter Maßnahmen auf europäischer Ebene478 zweifelhaft. Vor dem Hintergrund der europarechtlichen Anforderungen erscheint der Übergang zur Gründungstheorie vorteilhaft und folgerichtig. Denn es ist fraglich, welche Gründe noch für die Beibehaltung der Verwaltungssitzanknüpfung streiten. Ihrer wesentlichen Funktion als Schutztheorie, die durch die Nichtanerkennung von Rechts- und Parteifähigkeit bzw. durch Nichtanerkennung des Haftungsprivilegs bei der modifizierten Sitztheorie479 i.S.d. Jersey-Entscheidung des BGH einen Zwang zur Neugründung nach nationalem Recht generieren sollte, ist sie aufgrund der Europarechtswidrigkeit dieser Auswirkungen beraubt. Infolge der Rechtsprechung des EuGH ist es nicht mehr möglich, strengere Vorschriften des deutschen Gesellschaftsrechts auf nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaften zu projizieren, ohne zugleich unter europarechtlichen Rechtfertigungsdruck zu geraten. War aber bereits vor den Leitentscheidungen des EuGH fraglich, ob die Sitztheorie mit ihren konkreten Rechtsfolgen wirklich für sich in Anspruch nehmen konnte, den Schutz inländischer Gläubiger zu verwirklichen,480 so läuft dieses Argument nunmehr vollends leer, da sich der Gläubigerschutz auch nach inländischen Vorschriften am maßgeblichen Recht des Gründungsstaats zu orientieren hat und – vorbehaltlich einer etwaigen Rechtfertigung – kein höheres Niveau an Schutz zu bieten vermag. Verschiedentlich wird für die Sitztheorie vorgebracht, dass es dem nationalen Richter nicht zugemutet werden könne, sämtliche EU-ausländischen Gesellschaftsrechte zu kennen und gegebenenfalls zur Entscheidung heranziehen zu 477

Siehe etwa DGB-Justitiarin Seyboth, AuR 2008, 132 ff. Mit Mitteilung vom 10. 6. 2009 kündigte die Kommision zunächst an, dass im Rahmen des am 11. 12. 2009 beschlossenen Stockholmer Programms u. a. auch eine „Festlegung gemeinsamer Kollisionsnormen zur Bestimmung des Rechts, das für Gesellschaften […] maßgebend ist“, erfolgen soll; Mitteilung der Kommision an das Europäische Parlament und den Rat: Ein Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger, KOM (2009) 262, S. 15. Das Stockholmer Programm selbst nahm indes hierauf keinen Bezug mehr; siehe etwa Wagner, IPRax 2010, 97, 98. Auch der neue Aktionsplan vom 12. 12. 2012, Mitteilung der Kommission vom 12. 12. 2012, Aktionsplan: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance – ein moderner Rechtrahmen für engagierte Aktionäre und besser überlebensfähige Unternehmen, KOM (2012) 740, spart das Gesellschaftskollisionsrecht aus. Dieses soll nunmehr Gegenstand eines für 2014 angekündigten Grünbuchs sein, Mitteilung der Kommission vom 5. 12. 2011, KOM (2011) 777 S. 42. 479 Zur modifizierten Sitztheorie siehe auch Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 22, 27. 480 Insoweit war Überseering ein Beispiel dafür, dass die dem Gläubigerschutz verpflichtete Sitztheorie durchaus gegenteilige Ergebnisse nach sich ziehen kann. Es ist schlechterdings kaum mit dem Gläubigerschutz zu vereinbaren, einer Gesellschaft durch Aberkennung der Rechts- und Parteifähigkeit die Möglichkeit zu nehmen, fällige Forderungen durchzusetzen. Der Ausfall solcher berechtigter Forderungen entzieht vielmehr weitere Mittel, die sonst für die Befriedigung von Gläubigern zur Verfügung gestanden hätten; siehe ausf. Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 27; ferner mit bemerkenswertem Weitblick bereits Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 335 ff.; Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 ff.; siehe auch Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 87 ff.; hierzu auch unten 3. Teil § 7 I. 478

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

müssen.481 Dem wird man zugestehen können, dass grundsätzlich die Anwendung der lex fori insoweit einen Vorteil mit sich bringt, als sie die vertraute Rechtsordnung darstellt und von der Notwendigkeit, Erkundigungen über fremdes Recht einzuholen und ggf. darzulegen (vgl. § 293 ZPO)482, enthebt. Unter diesem Gesichtspunkt kann die Verwaltungssitzanknüpfung unter gewissen Gesichtspunkten zu geringeren Transaktionskosten führen. Jedoch ist dagegen zu erinnern, dass der Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht aufgrund der verschiedenen Bestimmungen über die besonderen und ausschließlichen Gerichtsstände der EuGVVO483 sowohl unter Anwendung der Sitz- als auch der Gründungstheorie nicht durchgängig gewährleistet ist.484 Schwerwiegender ist jedoch der Einwand, dass selbst bei Anwendung der Sitztheorie der deutsche Richter nur scheinbar von der Pflicht entbunden ist, das jeweilige ausländische Gesellschaftsstatut zu berücksichtigen. Zum einen kommt auch die Sitztheorie zu der Anwendung ausländischen Rechts, sofern der Verwaltungssitz einer Gesellschaft im Ausland zu verorten ist, so dass der Einwand der Unzumutbarkeit allenfalls bei Scheinauslandsgesellschaften verfangen kann.485 Hat die betreffende Gesellschaft ihren Sitz im Ausland, wäre der deutsche Richter auch nach der Sitztheorie gezwungen, ausländisches Gesellschaftsrecht anzuwenden.486 Aber auch bei Scheinauslandsgesellschaften käme es nicht zu der erstrebten Entlastung deutscher Gerichte durch die ausschließliche Anwendung deutschen Rechts. Zwar führte die Anknüpfung an den Verwaltungssitz zur Anwendung des deutschen Gesellschaftsrechts für den konkret in Frage stehenden Sachverhalt. Gleichwohl wäre das Gründungsrecht im Rahmen der Vorfrage zu berücksichtigen, ob die konkreten Rechtsfolgen des deutschen Rechts gegenüber denjenigen des Gründungsstatuts eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der EU-ausländischen Gesellschaft zeitigten.487 Mithin entbände auch die Sitztheorie nicht von der Verpflichtung, die Rechtsvorschriften des Gründungsstaats zu ermitteln. Vor diesem Hintergrund vermag das Argument, dass die Sitztheorie der Prozessökonomie zuträglich sei, nicht zu überzeugen. 481

Eindringlich Altmeppen, NJW 2004, 97, 98; dem folgend Walterscheid, DZWIR 2006, 95, 98; siehe ferner auch Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083 ff.; tendenziell auch LG Kiel, ZIP 2006, 1248, 1249. 482 Hierzu etwa BGH DB 2014, 418 f. 483 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2001 Nr. L 12 S. 1, ber. ABl. 2001 Nr. L 307 S. 28. 484 Siehe dazu auch Wagner, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 223, 241 ff. 485 Siehe auch Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 429 f.; Forsthoff/ Schulz, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 15 Rn. 23. 486 So etwa BGH DB 2014, 418; NJW 1995, 1032, wonach das Gericht dann in den Grenzen des § 293 ZPO verpflichtet ist, das ausländische Recht zu ermitteln, ähnlich BGH NJW 1996, 54, 55; siehe weiterhin auch BGH NJW 1994, 939, 940; DB 2002, 1822; BayObLG NJW 1986, 3029, 3031; Forsthoff/Schulz, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 15 Rn. 23; ferner Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 420. 487 W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 340.

§ 3 Rückschlüsse für das internationale Gesellschaftsrecht

99

1. Gewährleistung eines austarierten Systems gesellschaftsrechtlicher Rechtssätze Gegen die Sitztheorie sprechen zudem systematische Gründe. Führt man sich die von den Grundfreiheiten, insbesondere der Niederlassungsfreiheit, gesetzten Grenzen mitgliedstaatlicher Rechtsanwendung vor Augen, so wird deutlich, dass die Sitzanknüpfung nur dann unproblematisch das nationale Gesellschaftsrecht zur Anwendung berufen kann, wenn letzteres zur Beurteilung des konkreten Sachverhalts gleichlautende oder günstigere Vorschriften bereithält.488 Dieser Umstand lässt die Anwendung der Sitztheorie insoweit virulent werden, als sich das Gesellschaftsrecht als ein System kommunizierender Röhren darstellt, dessen einzelne Regelungen auf das gesamte Gesellschaftsrechtssystem abgestimmt sind.489 Regelungsanliegen des Gesellschaftsrechts, wie etwa der Gläubigerschutz, werden mit einer Vielzahl von Einzelvorschriften verwirklicht, die nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern sich gegenseitig ergänzen und zum Teil bedingen.490 So sind etwa Vorschriften über die Finanzverfassung eines bestimmten Gesellschaftstyps mit denen zur Haftungsverfassung verbunden und lassen sich nur schwerlich isoliert betrachten.491 Sanktionsbewehrte Pflichten von Geschäftsleitern zum Erhalt eines garantierten Haftungsfonds stehen daher zum Beispiel im unmittelbaren Kontext zu solchen Vorschriften, die für den fraglichen Gesellschaftstyp ein Mindestkapital als Instrument des Gläubigerschutzes erst konstituieren. Beide Regelungskomplexe für sich genommen könnten das Regelungsziel nicht verwirklichen, sondern entfalten erst im Zusammenspiel die erstrebte Wirkung. Es gilt daher, zusammengehörige Regelungskomplexe und -mechanismen in ihrem untrennbaren Funktionszusammenhang zu erfassen.492 Die unterschiedlichen Gesellschaftsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten verfolgen die dem Gesellschaftsrecht zuzuschlagenden Regelungsanliegen auf unterschiedliche Weise.493 Während etwa das kontinentaleuropäische Leitbild des Gläubigerschutzes – zumindest bisher – weitestgehend durch das Konzept eines Mindestkapitals geprägt ist, setzt das englische System demgegenüber den Fokus auf strenge Register- und Publizitätspflichten sowie Geschäfts488 Siehe oben 1. Teil § 2 III.; sowie etwa Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 8; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 665. 489 Dazu bereits Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 14; siehe auch Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 107 f.; Eidenmüller/Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4 Rn. 37. 490 Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 107; Eidenmüller/Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4 Rn. 37. 491 Siehe dazu auch Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 485. 492 Eidenmüller/Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4 Rn. 37; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 543 ff.; Weller, DStR 2003, 1800, 1803; Scholz/H. P. Westermann, GmbHG, Einl. Rn. 86 ff. 493 Ein Überblick bieten etwa Hansmann/Kraakman, in: Kraakman/Davies/Hansmann u. a. (Hrsg.), The Anatomy of Corporate Law, S. 21 ff.; Hertig/Kanda, in: Kraakman/Davies/ Hansmann u. a. (Hrsg.), The Anatomy of Corporate Law, S. 71 ff.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

leiterpflichten in Insolvenznähe.494 Es bedarf daher der Anwendung des gesamten Systems, um die mit ihm verfolgten Ziele zu erreichen. Die Anwendung nur einzelner Rechtsfiguren birgt dagegen die Gefahr, dass wesentliche flankierende Bestimmungen außer Acht bleiben. Genau darin liegt aber das Problem der Sitztheorie begründet. Ein in sich stimmiger, stringenter Gläubigerschutz wird durch die nur fragmentarisch mögliche Durchsetzung zusammenhängender Schutzmechanismen korrumpiert. Denn es können nur solche Bestimmungen des deutschen Gesellschaftsrechts in Ansatz gebracht werden, die hinter denen des Gründungsrechts zurückbleiben bzw. nicht über diese hinausgehen.495 Strengeren Rechtsfiguren, die aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung der Gesellschaftsrechtsordnungen an anderer Stelle die laxeren Vorschriften des Bestimmungsstaats kompensieren, ist indes die Anwendung – vorbehaltlich einer etwaigen Rechtfertigung – versagt. Vor diesem Hintergrund ist die Gründungstheorie die vorzugswürdigere Lösung.496 Sie berücksichtigt zwar nicht das Inlandsrecht und führt daher gegebenenfalls dazu, dass gesellschaftsrechtliche Anliegen mit anderen Instrumenten als im deutschen Recht verfolgt werden. Die Anknüpfung an den Satzungssitz in Form der Registereintragung497 ermöglicht es jedoch, ein komplettes System aufeinander abgestimmter gesellschaftsrechtlicher Vorschriften zur Anwendung zu bringen und das System kommunizierender Röhren zu beachten. Mithin streiten für sie alle Gründe, die auch bisher im Rahmen des Gesellschaftskollisionsrechts die Lehre des Einheitsstatuts getragen haben.498 Auch entbindet sie von der im Rahmen einer Rechtsvergleichung diffizilen Bestimmung dessen, was im Vergleich zum Gründungsrecht als gleiche oder mildere Vorschrift anzusehen ist, indem sie von vorn494

Eine ausführliche Gegenüberstellung findet sich etwa in bei Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 56 ff.; Hertig/Kanda, in: Kraakman/Davies/ Hansmann u. a. (Hrsg.), The Anatomy of Corporate Law, S. 71 ff., 97 ff.; siehe auch Hirte, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 1 Rn. 91 f.; Rickford, EBLR 2004, 919 ff.; Bachner, ZGR Sonderband: Das Kapital der AG in Europa, S. 526 ff. 495 Siehe oben 1. Teil § 1 II.2. und 1. Teil § 2 II.3.b)aa); sowie 1. Teil § 2 II.4.b)aa). 496 Siehe auch Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 675 f.; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 87 ff.; Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 383; Eidenmüller/Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4 Rn. 37 ff.; so dann auch (mit teilweise divergierender Begründung) Spezialkommission für das internationale Gesellschaftsrecht, Vorschlag des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht für eine Regelung des Internationalen Gesellschaftsrechts auf europäischer/nationaler Ebene, bei: Sonnenberger/Bauer, RIW Beilage 1 zu Heft 4/2006, S. 1 ff., die den Übergang zur Gründungstheorie empfiehlt. 497 Siehe Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 88; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 675; ausf. zur konkreten Bestimmung des Anknüpfungsmoments Hoffmann, in: Anw.Komm. BGB, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rn. 76; ders., ZVglRWiss 101 (2002), 283 ff. 498 Dazu BGHZ 25, 134, 144; 78, 318, 334; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 543 ff.; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 58; Großfeld, in: Staudinger, BGB, IntGesR Rn. 16; Soergel/Lüderitz, BGB, Art. 10 EGBGB Anh. Rn. 16 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 14 IV; Beitzke, ZHR 127 (1964), 1, 10; alle m.w.Nachw.

§ 3 Rückschlüsse für das internationale Gesellschaftsrecht

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herein das insoweit maßgebliche Gründungsrecht zur Anwendung beruft.499 Da zudem die für die Bestimmung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit maßgebliche Rechtsordnung mit der anzuwendenden Rechtsordnung identisch ist, erreicht die Gründungsanknüpfung stets den maximalen, europarechtlich unbedenklich anwendbaren Schutz. 2. Rechtssicherheit und -kosten Ein weiteres Argument für die Gründungstheorie ist die mit ihr gewonnene Rechtssicherheit. Diese lässt sich an zwei Stellen verorten. Zum einen hat die Gründungstheorie den Vorteil des bestimmteren Anknüpfungsmoments für sich. Die Sitztheorie sieht sich seit jeher dem Vorwurf ausgesetzt, mit dem Verwaltungssitz kein verlässliches Kriterium bieten zu können. Zwar hat sich zur Bestimmung des Verwaltungssitzes in Anschluss an Sandrock500 eine herrschende Definition durchsetzen können,501 doch bleibt diese insbesondere mit Blick auf international tätige Unternehmen mit flachen Hierarchiestrukturen ambiguitiv und trägt mithin zur Rechtsunsicherheit bei.502 Demgegenüber bietet die Gründungstheorie mit der Anknüpfung an den Ort der Registereintragung ein eindeutiges und somit verlässliches Anknüpfungsmoment zur Bestimmung des anwendbaren Rechts. Wenn dem entgegengehalten wird, dass die Sitztheorie die Unschärfe des Anknüpfungsgegenstandes damit kompensiert, dass ihre Rechtsfolgen gegenüber der Gründungstheorie größere Rechtssicherheit bietet,503 ist diesem Argument angesichts der europarechtlichen Implikationen der Boden entzogen. Blendete man den Einfluss der Grundfreiheiten aus, so ließe sich argumentieren, dass die Sitztheorie hinsichtlich der Rechtsfolgen mehr Rechtsicherheit böte, da sie zur Anwendung des Rechts des Sitzstaats käme und somit sowohl für das Gesellschaftsstatut als auch für angrenzende, den Markt regulierende Rechtsmaterien ein und dieselbe Rechtsordnung Anwendung fände. Anders gewendet käme es für Marktakteure nicht darauf an, ob die entsprechende Regelung noch dem Gesellschaftsstatut unterfiele oder nicht, da sich in beiden Fällen die Rechtsfolgen regelmäßig aus dem Recht des Sitzstaats

499

Zu den Problemen eines solchen Vergleichs Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 480. Sandrock, FS Beitzke, S. 669, 683 f. 501 Grundlegend BGHZ 97, 269, 272; ferner OLG München NJW 1986, 2197, 2198; BayObLG IPRax 1986, 161; OLG Hamm NJW-RR 1995, 469, 470; siehe auch Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 17 ff.; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 456; Soergel/Lüderitz, BGB, Art. 10 EGBGB Anh. Rn. 8 f.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 173; je m.w.Nachw. 502 Exemplarisch OLG Frankfurt NZG 1999, 1097; siehe statt vieler auch Zimmer, IntGesR, S. 234 f.; ders., FS Lutter, S. 231, 236 ff.; Scholz/H. P. Westermann, GmbHG, Einl. Rn. 96; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 23; je m.w.Nachw.; siehe auch Wymeersch, EBOR 2007, 161, 167 f. 503 So etwa Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 445 f. 500

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

ergäben.504 Gleichwohl wird dabei übersehen, dass die Sitztheorie diesen Vorteil durch den Einfluss der Niederlassungsfreiheit eingebüßt hat. Denn wie soeben dargelegt wurde, ist sie nicht (mehr) in der Lage, sämtliche Vorschriften des deutschen Gesellschaftsrechts und deren Rechtsfolgen gegenüber einer EU-ausländischen Gesellschaft in Ansatz zu bringen, so dass sich diesbezüglich weitere Rechtsunsicherheit ergibt.505 Im Ergebnis ist damit der Gründungstheorie neben dem verlässlicheren Anknüpfungsmoment auch größere Rechtsicherheit hinsichtlich der Rechtsfolgen zu konzedieren, unterstellt sie doch zumindest das gesamte Gesellschaftsstatut vollumfänglich einer Rechtsordnung, auch wenn sich an den Grenzbereichen sicher Unschärfen zeigen.506 Neben der Gesellschaft selbst kommt dies auch den Gläubigern zugute. Durch die Anknüpfung an das Inkorporationsrecht wird eine Rechtssicherheit dergestalt generiert, dass das Haftungsregime ab dem Zeitpunkt der Gründung der juristischen Person bestimmt ist. Dies versetzt nun Gläubiger in die Lage, bereits bei Aufnahme der Geschäftsbeziehungen zur Gesellschaft den ihnen zur Verfügung stehenden Haftungskanon zu ermitteln507 und etwaige Risiken zu kalkulieren, ohne dass zu befürchten steht, dass sich das Haftungsregime bei einem etwaigen Grenzübertritt der Gesellschaft verändert oder wesentliche Schutzinstrumente des jeweiligen Sitzstaats wegen ihrer beschränkenden Wirkung nicht zur Anwendung kommen.508 In einer Art Rückkopplung profitiert davon dann auch wieder die Gesellschaft, da beispielsweise die Kosten für Kredite sich an den tat-

504

Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 445. Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 383. 506 Ähnlich auch Eidenmüller/Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4 Rn. 37; Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 383. 507 Zum Problem der unfreiwilligen Gläubiger unten 3. Teil § 7 II.1. 508 Dazu etwa auch Enriques/Gelter, 81 Tul. L. Rev. (2007) 577, 614 f.; siehe auch Altmeppen, FS Röhricht, S. 1, 16 f.; ders., in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit (2. Aufl.), 2. Kap. Rn. 97 ff.; der jedoch von einer alternativen Anknüpfung ausgeht, so dass die Gläubiger für das Gründungs- oder Aufnahmestaatsrecht optieren können. Allerdings verkennt diese Ansicht, dass strengere Inlandsvorschriften vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit präkludiert sind. Überdies führte die Anwendung beider Rechtsordnungen – die Unionsrechtskonformität sei hier unterstellt – zu einer Überkompensation des Gläubigerschutzes durch Verdopplung der Schutzmechanismen. Die Gesellschaft müsste den Anforderungen zweier Rechtsordnungen nachkommen und stünde mithin sogar schlechter als bei alleiniger Geltung des Aufnahmestaatsrechts. Folge wäre die Ineffizienz des Wirtschaftslebens durch Überbetonung der Gläubigersicht in der Abwägung der an einem Unternehmen beteiligten Interessen. Dies lässt neben die zwingenden europarechtlichen Argumente auch ökonomische Gründe gegen eine solche Alternativanknüpfung treten. Krit. zu einer Überbetonung der Gläubigerperspektive auch Eidenmüller, ZGR 2007, 168, 187 f. (mit Rekurs auf den Vorschlag eines Nebeneinander von Mindestkapital und verhaltensbezogener Haftung durch den RegE MoMiG). 505

§ 3 Rückschlüsse für das internationale Gesellschaftsrecht

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sächlichen Risiken bemessen und keinen Aufschlag für bestehende Rechtsunsicherheit beinhalten würden.509 In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Gründungstheorie harmonischer in das vom EuGH verfochtene Modell des europäischen Gläubigerschutzes einfügt. Sowohl in Centros510 wie auch in Inspire Art511 verweist der EuGH im Rahmen des sogenannten Informationsmodells auf den Eigenschutz der Gläubiger. Danach sind jene aufgrund der ausländischen Rechtsform hinreichend darüber unterrichtet, dass die Gesellschaft anderen als den Regelungen des Destinationsstaats unterliegt und können daher selbst Vorkehrungen zu ihrem Schutz treffen.512 Will man diesem Informationsmodell im vollen Umfang zur Anwendung verhelfen und den Gläubigern den Selbstschutz ermöglichen, sollten dann auch die Vorschriften des Herkunftsstaats zur Anwendung gelangen und nicht durch schwächere nationale Vorschriften ersetzt werden. Nur so können Gläubiger bereits bei Aufnahme der Geschäftsbeziehungen ihre Risiken kalkulieren. 3. Unionsrechtliche Absicherung Nach alledem spricht die Mehrzahl der Argumente gegen die Sitztheorie und lässt die Gründungstheorie vorzugswürdig erscheinen. Dieses Ergebnis beruht maßgeblich auf der Überlegung, dass die Sitztheorie nicht in der Lage ist, ein in sich abgeschlossenes System gesellschaftsrechtlicher Regelungen zur Anwendung zu berufen. Schneidige Vorschriften des inländischen Gesellschaftsrechts blieben wegen ihrer aus unionsrechtlicher Sicht beschränkenden Wirkung unangewendet, ohne dass vergleichbare Vorschriften des Gründungsstaats dies kompensieren könnten. Dieses Argument gegen die Sitztheorie wäre allerdings nur stichhaltig, soweit die Gründungstheorie diese missliche Konsequenz vermeiden könnte und ihr kein vergleichbarer Mangel anhaftete. Der Vorteil der Gründungstheorie liegt darin, dass die durch sie berufenen Vorschriften der Gründungsrechtsordnung nicht in Konflikt mit 509

So lässt sich etwa ein vergleichbarer Zusammenhang zwischen Insolvenzrecht und Kreditvergabe der Banken nachweisen, die bei schwächerer Gläubigerstellung mit teueren Konditionen, sprich höheren Sicherheitsleistungen und Zinsen, entgegensteuern, siehe Davydenko/Franks, Do Bankruptcy Codes Matter, Journal of Finance 63 (2008), 565 ff., 601 f. 510 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 36. 511 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 135. 512 Siehe ausf. unten 3. Teil § 7 II.1.; zum Informationsmodell siehe ferner Spindler/ Berner, RIW 2003, 949, 953 ff.; dies., RIW 2004, 7, 13 f.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 33 ff.; ders., JZ 2004, 24, 27; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 171; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 663; siehe auch Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 450 f.; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 13; zum darin zum Ausdruck kommenden Bild des mündigen Verbrauchers ausf. Martin-Ehlers, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, S. 1, 23 ff.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

dem Beschränkungsverbot der Niederlassungsfreiheit geraten. Bedenken dahingehend, dass sie gleichwohl mit der Niederlassungsfreiheit konfligieren und so ebenfalls nicht die Anwendung des gesamten, in sich stimmigen Gesellschaftsrechtskonzepts des Gründungsstaats gewährleisten könnte, ergeben sich indes aus dem Umstand, dass der Niederlassungsfreiheit neben dem bisher besprochenen Beschränkungs- auch ein Diskriminierungsverbot innewohnt. a) Diskriminierende Wirkung der Gründungstheorie? Eine Diskriminierung könnte in diesem Zusammenhang darin zu erblicken sein, dass mittels der Anknüpfung an das Heimatrecht der Gesellschaft ggf. strengeres Sachrecht des Gründungsstaats zur Anwendung berufen wird.513 In diesem Fall läge eine Ungleichbehandlung gegenüber inländischen Gesellschaften vor, für die die günstigeren Vorschriften des Aufnahmestaats gälten. Parallel zu der bereits mehrfach erwähnten514 Wermutwein-Entscheidung515 ist also die Frage aufgeworfen, ob die Gründungstheorie bei Verweis auf strengeres Herkunftslandrecht eine Diskriminierung der ausländischen Gesellschaft bewirkt und dieses schließlich doch nicht zur Anwendung bringen kann.516 Ging es bei der Frage nach dem Einfluss der Grundfreiheiten auf das Gesellschaftskollisionsrecht bisher darum, ob die Gründungstheorie vor dem Hintergrund des Beschränkungsverbots angewandt werden muss, erscheint angesichts des Diskriminierungsverbots zweifelhaft, ob sie angewandt werden darf. Das Ergebnis scheint zunächst offensichtlich zu sein. Konsequenz der Annahme, dass sich eine Gesellschaft gegen strengere Regeln des Herkunftslandrechts mittels des Diskriminierungsverbots wehren könnte, wäre ein Günstigkeitsprinzip.517 Mit dem Beschränkungsverbot könnten alle als strenger empfundenen Vorschriften des 513 So zum Bereich des E-Commerce ausf. Spindler, RabelsZ 66 (2002), 633, 702 ff.; zum Personenrecht etwa Birk, in: MünchKommBGB, Art. 7 EGBGB Rn. 85; siehe ferner Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 467 ff.; dies im Rahmen des Gesellschaftskollisionsrechts andeutend Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 232 ff. 514 Siehe oben 1. Teil § 2 I.1. und 1. Teil § 2 II.3.b)aa). 515 EuGH, Urteil vom 20. 4. 1983 – Rs. 59/82 (Wermutwein), Slg. 1983, 1217; dazu auch W.-H. Roth, GS Lüderitz, S. 635, 651; v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 14; Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 174 f.; Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 259; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 468 f. 516 Zu dem Problem einer Diskriminierung durch strengeres Herkunftslandrecht siehe ausf. Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 165 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 467 ff.; ferner auch Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1, 37 ff.; Drasch, Herkunftslandprinzip, S. 331 f.; W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 645 ff.; ders., in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 53; ders., GS Lüderitz, S. 637, 651 ff.; v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1, 13 ff.; Sonnenberger, ZVglRWiss 95 (1996), 3, 17 f.; ders., in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 160; Birk, in: MünchKommBGB, Art. 7 EGBGB Rn. 85. 517 Grundlegend für ein solches Günstigkeitsprinzip im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 ff.

§ 3 Rückschlüsse für das internationale Gesellschaftsrecht

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Destinationsstaats zu Fall gebracht werden, während die rigideren Vorschriften des Herkunftslands mit Hilfe des Diskriminierungsverbots in Frage gestellt werden könnten. Ein so vermitteltes Günstigkeitsprinzip käme daher der im Rahmen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte oftmals befürchteten Erosion des Gläubigerschutzes gleich, da es auf eine Kombination nur der permissivsten Vorschriften von Aufnahme- und Herkunftsstaat hinausliefe. Darüber hinaus wäre auch dem vom EuGH sorgsam aufgebauten Modell des Gesellschaftsrechts eine wesentliche Stütze entzogen. Soweit der EuGH nämlich dem Informationsmodell entscheidende Bedeutung beim Gläubigerschutz zuspricht,518 liefe es bei einem Günstigkeitsprinzip leer, da die Gläubiger eben nicht anhand der Gesellschaftsform erkennen könnten, welchen Regelungen die Gesellschaft unterliegt. Nichtsdestotrotz liegt bei der Anwendung strengeren ausländischen Rechts auf ausländische Gesellschaften eine diskriminierende Wirkung nahe.519 Hiergegen wird verschiedentlich eingewandt, dass die Anknüpfung an das Herkunftslandrecht allgemein nicht zu einer Diskriminierung führen könne.520 Diese Ansicht rekurriert dabei unter anderem521 auf die Allseitigkeit der Kollisionsnorm.522 So wird argumentiert, dass nicht speziell für einen bestimmten ausländischen Marktakteur ausländisches Recht gilt. Vielmehr erfasse die Herkunftslandsanknüpfung (Gründungstheorie) alle Marktakteure im gleichen Maße, indem sie für jeden Marktteilnehmer gleich welcher Nationalität die Geltung seines Herkunftslandrechts vorschreibt.523 Mit anderen Worten findet die gleiche Regel auch auf die inländischen Marktteilnehmer Anwendung, die bei einem Wegzug ebenfalls weiter an ihr Heimatrecht gebunden bleiben. Auf gleicher Linie argumentierte auch der Generalanwalt im Fall Überseering,524 der – bezogen auf die

518 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 135; EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 36; sowie die Nachw. bei Fn. 512. 519 Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 232 ff. 520 Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1, 37 ff.; Drasch, Herkunftslandprinzip, S. 331 f.; Sonnenberger, ZVglRWiss 95 (1996), 3, 17 f.; ders., in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 160. 521 Einen Überblick über die Ansätze, eine Diskriminierung durch den Verweis auf strengeres Herkunftslandrecht zu entkräften, bieten Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 165 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 467 ff. 522 So etwa Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 160; siehe auch die Ausführungen von GA Colomer in der Rs. Überseering, der den ähnlich gelagerten Vorwurf, die Sitztheorie diskriminiere ausländische Gesellschaften, mit dem Verweis auf deren Allseitigkeit kontert, GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 49; indes ging es hier um die Anwendung belastender Normen, die gleichfalls eine Beschränkung zeitigten. 523 So zur Warenverkehrsfreiheit Sonnenberger, ZVglRWiss 95 (1996), 3, 18; Höpping, Auswirkungen der Warenverkehrsfreiheit auf das IPR, S. 109 f.; Taupitz, ZEuP 1997, 986, 1006 f. 524 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

Sitztheorie – eine diskriminierende Wirkung ablehnte, da die Rechtfolgen auch eine inländische Gesellschaft bei einem Wegzug träfen.525 Klingt diese Argumentation auch zunächst einleuchtend, kann sie jedoch nur die Bedenken in Bezug auf eine direkte Diskriminierung526 ausräumen.527 Insoweit ist es richtig, dass die Gründungstheorie zwar an die Herkunft bzw. Nationalität anknüpft und dennoch durch die allseitige Geltung keine ausländische Gesellschaft gegenüber einer anderen bevorzugt oder benachteiligt.528 Vielmehr spiegeln allseitig anknüpfende Kollisionsnormen den Gedanken der Gleichwertigkeit der betroffenen Rechtsordnungen wieder; ein Gedanke, dem gerade auch im Unionsrecht und der Cassis-Rechtsprechung besondere Bedeutung zukommt.529 Nicht zu verkennen ist aber, dass im Zusammenspiel mit strengerem Sachrecht des Herkunftsstaats gleichwohl eine Diskriminierung im Raum steht. Denn für die Grundfreiheiten kommt es nicht darauf an, dass auch inländische Gesellschaften bei einem Wegzug hypothetisch vergleichbaren Rechtsfolgen unterliegen.530 Diese Sichtweise ist zu sehr einem kollisionsrechtlichen Denken verhaftet und blendet aus, dass die Grundfreiheiten eine Vorschrift auf ihr tatsächliches Ergebnis hin untersuchen, mithin wirkungsbezogen agieren.531 Vergleichsmaßstab sind vielmehr die inländischen Marktteilnehmer in ihrer Situation in dem Markt des Destinationsstaats.532 Im Vergleich zu diesen bedeutet die Anwendung von strengeren Vorschriften des Herkunftslandrechts indes eine Benachteiligung.533

525 GA Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 49; zur Sitztheorie als allseitige Kollisionsnorm etwa Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 420 ff.; Scholz/H. P. Westermann, GmbHG, Einl. Rn. 94; Großfeld, in: Staudinger, BGB, IntGesR Rn. 70 ff.; insoweit a.A. Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 70 ff. 526 Dazu etwa Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 22. 527 So auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 475. 528 In diesem Sinne etwa Höpping, Auswirkungen der Warenverkehrsfreiheit auf das IPR, S. 109 f. 529 Siehe bereits oben 1. Teil § 2 II.1.b); sowie Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 475. 530 Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 167. 531 Siehe oben 1. Teil § 2 II.3.a); sowie Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 475 f.; siehe zur Wirkungsbezogenheit auch W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 341; Forsthoff, in: Hirte/ Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 33; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 98; Mankowski, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, S. 235, 244; ders., IPRax 2004, 385, 392; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 259; Leible, ZGR 2004, 531, 534; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 137; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 98; siehe auch Martin-Ehlers, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Dt. Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, S. 1, 13 f. 532 So auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 476; Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 167. 533 Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 232.

§ 3 Rückschlüsse für das internationale Gesellschaftsrecht

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b) Anerkennung der Identität statt Diskriminierung Ohne jedoch auf die intrikate Frage näher einzugehen, ob ein solcher Vergleichsmaßstab im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit eine Diskriminierung ausländischer Erzeugnisse zu begründen vermag,534 gilt es, im vorliegenden Kontext die Besonderheit einer Gesellschaft zu beachten. Wie der EuGH bereits in Daily Mail formulierte, liegt diese darin, dass Gesellschaften Geschöpfe des jeweiligen Rechts (creatures of law) sind, die außerhalb der sie konstituierenden Rechtsordnung keine Realität besitzen.535 Mit anderen Worten gibt erst die Rechtsordnung des Gründungstaats ihnen ihre Identität und – vermittels Art. 54 AEUV – die Fähigkeit, sich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen.536 Dieser Gedanke ist dann auch im Rahmen der Diskriminierung zu beachten, weshalb sich insoweit auch der Vergleich zu natürlichen Personen als nicht hilfreich erweist. Während in- wie ausländische natürliche Personen gleich und infolgedessen aufgrund des Diskriminierungsverbots gleich zu behandeln sind, werden Gesellschaften erst durch das sie kreierende Gesellschaftsrecht in jeweils unterschiedlicher Form existent.537 Eine Gleichbehandlung dieser unterschiedlichen Formen muss daher dort ausscheiden, wo gerade ihre Diversität Grund einer ungleichen Behandlung ist. Betrachtet man die Normen des Gesellschaftsstatutes als die Identität der Gesellschaft und somit als für die Existenz des Subjekts der Niederlassungsfreiheit unerlässliche Vorschriften (hierzu unten 2. Teil § 5 IV.3.b)bb)), so kann in ihrer Anwendung keine Diskriminierung der Gesellschaft liegen, als vielmehr die Anerkennung ihrer Identität. Mithin verkehrt sich das Gebot der Gleichbehandlung in Bezug auf Gesellschaften über das Gebot zur Anerkennung ihrer Identität in das Gebot, die jeweils unterschiedliche Identität zu respektieren und somit die jeweils unterschiedlichen Gesellschaften in Bezug auf das sie konstituierende Recht unterschiedlich zu behandeln.538 Wie bereits in den Ausführungen zu Art. 54 AEUV ausgeführt,539 kreiert das Herkunftslandrecht den Rechtsträger der Niederlassungsfreiheit.540 Erkennt also ein 534

Dazu ausf. Brunier, Einfluss der Grundfreiheiten, S. 165 ff.; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 467 ff.; je m.w.Nachw.; sowie bejahend Birk, in: MünchKommBGB, Art. 7 EGBGB Rn. 85; W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 645 ff.; ders., in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 47, 53; ders., GS Lüderitz, S. 637, 651 ff.; dies verneinen hingegen Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 160; ders., ZVglRWiss 95 (1996), 3, 17 f.; Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1, 37 ff.; Drasch, Herkunftslandprinzip, S. 331 f. 535 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988 – Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483 Rn. 19; ferner EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 104; EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 27. 536 Schön, ZGR 2013, 333, 343 ff.; Teichmann, DB 2012, 2085, 2089; Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 55; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 44 ff.; siehe ausführlich auch unten 2. Teil § 5 IV.3.b)bb) sowie oben 1. Teil § 2 I.2.b) und 1. Teil § 2 II.4.a). 537 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 109. 538 Forsthoff, EWS 2001, 59, 63. 539 Siehe oben 1. Teil § 2 I.2.b) und 1. Teil § 2 II.4.a).

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

Mitgliedstaat einen Verband als eine nach seinen Vorschriften rechtmäßig gegründete Gesellschaft an, so ist diese Gesellschaft in eben dieser durch das Heimatrecht gegebenen Gestalt Subjekt der Grundfreiheit.541 Das bedeutet, dass eben dieser spezielle Phänotyp die Freiheit der Niederlassung besitzt. Diese Verknüpfung zum konstituierenden Heimatrecht ist aber gewissermaßen reziprok. Ebenso wenig wie ein anderer Mitgliedstaat die Niederlassung der Gesellschaft in seinem Hoheitsgebiet davon abhängig machen kann, dass sie sich den Vorschriften anpasst, die in diesem Mitgliedstaat für die Errichtung von Gesellschaften gelten, kann die Gesellschaft selbst Vorschriften des Herkunftslands mit Hilfe der Niederlassungsfreiheit zu Fall bringen, die ihr erst die Subjektsqualität für die Grundfreiheit verleihen.542 Soweit sich die Gesellschaft auf die Niederlassungsfreiheit als ihre Identität schützendes Instrument berufen kann, soweit muss sie sich auch an den Vorschriften des ihr Leben einhauchenden Gesellschaftsrechts festhalten lassen. Dieses Ergebnis lässt sich auch anhand des Binnenmarktzielz verifizieren. Danach soll zwar jeder mitgliedstaatlichen Gesellschaft unionsweit gestattet werden, ihre Niederlassungsfreiheit auszuüben, um entsprechende Vorteile aus dem Binnenmarkt ziehen zu können, ohne dass sie sich den Vorschriften des Aufnahmestaats anpassen muss, die für dessen Gesellschaften Geltung beanspruchen. Es soll aber nicht gewährleistet werden, dass sie ihre Identität nach Belieben anpassen bzw. verändern kann. Mehr als die Mobilität in ihrer derzeitigen Gestalt ist unter Ansehung der Ziele des Binnenmarkts nicht erforderlich. Auch Art. 54 AEUV legt davon Zeugnis ab. Sofern er Gesellschaften zu Rechtsträger der Niederlassungsfreiheit erhebt, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet wurden, so kommt darin zum Ausdruck, dass nur solche Gesellschaften unionsrechtlichen Schutz genießen, die das Rechtskleid einer von den Mitgliedstaaten angebotenen Gesellschaftsform besitzen.543 Könnte eine Gesellschaft indes missliebige Vorschriften des Gründungsrechts mit Hilfe des Diskriminierungsverbots der Anwendung berauben, verließe sie zugleich ihr Rechtskleid, das ihr die Eigenschaft als Träger der Niederlassungsfreiheit verliehen hat. Cum grano salis entstünde eine hybride Gesellschaftsform aus (zumindest) zwei Gesellschaftsrechtsordnungen, die den Anforderungen des Art. 54 AEUV nicht mehr gerecht werden dürfte.544

540 EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 ff. Rn. 26. 541 Drygala, EuZW 2013, 569, 573. 542 Siehe hierzu auch unten 2. Teil § 5 IV.3.b)bb); ähnlich auch Schön, ZGR 2013, 333, 350 ff.; Teichmann, DB 2012, 2085, 2086. 543 Vgl. auch EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 109 f.; EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 28 ff.; Teichmann, ZGR 2014, 45, 66; ders., DB 2012, 2085, 2086 ff.; Schön, ZGR 2013, 333, 348, 350 ff. 544 Siehe ähnlich auch Altmeppen, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit (2. Aufl.), 2. Kap. Rn. 117.

§ 3 Rückschlüsse für das internationale Gesellschaftsrecht

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Ein zweiter Gedanke, der sich an dieser Stelle fruchtbar machen lässt, setzt auf der Ebene der Gesellschafter an. Sofern diese durch strengere Herkunftslandregeln in ihrer Niederlassungsfreiheit beeinträchtigt werden, so kann man ihnen entgegenhalten, dass sie bei Gründung der Gesellschaft für dieses Regelwerk optiert haben.545 So ist seit der Alsthom Atlantique-Entscheidung546 des EuGH anerkannt, dass die Grundfreiheiten nicht jedwede Beeinträchtigung zu verhindern und so jede einzelne Vorschrift eines zusammenhängenden Regelwerks zu kontrollieren suchen. Zwar garantieren die Grundfreiheiten den freien Zugang zu den Märkten, jedoch sind Beschränkungen dann hinzunehmen, wenn und soweit sie auf der freien Rechtswahl eines geschlossenen Regelungskomplexes beruhen.547 Sie sollen nur vor zwingenden Beschränkungen durch die unterschiedlichen Rechtsordnungen schützen, nicht aber dazu instrumentalisiert werden, ein „Rosinenpicken“ in europäischem Maße, also die Zusammenstellung der günstigsten Regelungen aus einzelnen Fragmenten unterschiedlicher mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen zu ermöglichen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Anwendung der Vorschriften der Gründungsrechtsordnung keine Diskriminierung einer ausländischen Gesellschaft bewirkt. Vielmehr stellt sie die Anerkennung der Gesellschaft als ausländische par excellence dar.

II. Vorzug der Gründungstheorie Damit ist schließlich die Gründungstheorie als die vorzugswürdigere Möglichkeit identifiziert, die europarechtlichen Vorgaben im deutschen internationalen Gesellschaftsrecht umzusetzen. Nur sie ist in der Lage, ein in sich stimmiges gesellschaftsrechtliches Gesamtkonzept, namentlich das des Gründungsstaats, zur Anwendung zu berufen. Zudem bietet sie aufgrund des bestimmteren Anknüpfungsmoments eine gegenüber der Sitztheorie größere Rechtssicherheit. Der durch den BGH548 im Anschluss an das Überseering-Verfahren mit Zustimmung der herr545

So etwa Altmeppen, FS Röhricht, S. 3, 16, 17, der jedoch von einer alternativen Anknüpfung ausgeht und den Gläubigern ein Wahlrecht zwischen Gründungsrecht und Recht des Aufnahmestaats zusprechen will. Zur Kritik an diesem Ansatz siehe Fn. 508. 546 EuGH, Urteil vom 21. 1. 1991 – Rs. C-339/89 (Alsthom Atlantique), Slg. 1991, I-107 Rn. 14 f. 547 Dazu auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 338 ff.; Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, S. 192; Jayme, in: Mansel (Hrsg.), Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts, S. 31, 39; Möslein, Grenzen unternehmerischer Leitungsmacht, S. 216; Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1, 28. 548 BGHZ 154, 186 ff.; BGH NJW 2011, 3372, 3373; ZIP 2005, 805; ZIP 2005, 1869; NJW 2003, 2609; NJW 2007, 1529; ZIP 2007, 1306; zuvor schon in einem obiter dictum BGH NJWRR 2004, 1618; siehe ferner BayObLG NZG 2003, 290; OLG Celle IPRax 2003, 245; OLG Zweibrücken GmbHR 2003, 530; OLG Naumburg GmbHR 2003, 533; KG GmbHR 2004, 116; zur Fortgeltung der Sitztheorie außerhalb des EU/EWR-Raums BGH NJW 2009, 289 (Trabrennbahn); hierzu Goette, DStR 2009, 63; Hellgardt/Illmer, NZG 2009, 94, 95 f.; Wachter, GmbHR 2009, 138, 141.

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1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

schenden Literatur549 vollzogene Übergang von der Sitz- zur Gründungstheorie ist daher folgerichtig.

549 Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 671 ff., insb. 673; ausf. Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071 ff.; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 66 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 2, 20, 40 f.; ders., in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; ders., DB 2002, 2471, 2474; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 8; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 94 f.; W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 340 f.; ders., IPRax 2003, 117; 120 f.; ders., 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 847, 863, 864 (tendenziell abweichend ders., FS Heldrich, S. 973, 976); Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 15; Martin-Ehlers, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht im Wettbewerb, S. 13 ff.; siehe auch Generalanwalt Colomer, Schlussanträge vom 4. 12. 2001 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 63 ff.; Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369, 381 ff.; ders., DStR 2003, 159, 166; Hirte, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 1 Rn. 20; ders., in: Hopt/Tzouganatos (Hrsg.), Europäisierung, S. 1, 13; ders., EWS 2003, 521, 522; K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 493, 496; Deinert, EWS 2006, 445, 451 ff.; Scholz/H. P. Westermann, GmbHG, Einl. Rn. 100; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1143; Bitter, Jb.J.ZivRWiss. 2004, S. 299, 310; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 665; Schanze, NZG 2007, 533, 534 f.; Bicker, Gläubigerschutz in der Konzerngesellschaft, S. 45 f.; Sandrock, EWS 2005, 529 (anders hingegen ders., in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht im Wettbewerb, S. 36); Bitter, WM 2004, 2190, 2192; Lorenz, in: Bamberger/Roth, BGB, Einl. IPR Rn. 25; Wackerbarth, FS Horn, S. 605, 612 f.; Schäfer, NZG 2004, 785, 789. Ebenfalls für die Gründungstheorie votierend, dies aber als Zwang der Niederlassungsfreiheit interpretierend Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2241; siehe ferner ders., in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 1; ders., RabelsZ 70 (2006), 474, 479; ders., NJW 2005, 1618, 1618 f.; ders., JZ 2003, 526, 528; ders., 24, 25 f.; (zurückhaltender ders., FS Heldrich, S. 581, 583 und ders./Rehm, ZGR 2004, 159, 164 ff.) Grundmann, RabelsZ 2003, 246, 255 ff.; ders., Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 770; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 930 f.; dies., NZG 2003, 259, 260; dies., BB 2003, 543 (etwas relativierend Leible, ZGR 2004, 531, 534); Hoffmann, in: AnwK-BGB, Anh zu Art. 12 EGBGB Rn. 73; Paefgen, ZIP 2004, 2253, 2254; ders., WM 2003, 561, 563 ff.; ders., DB 2003, 487; von Halen, WM 2003, 571, 575; Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 69; Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 137 ff.; Sandrock, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht im Wettbewerb, S. 36.

2. Teil

Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit Nachdem das Verhältnis zwischen Kollisionsrecht und Grundfreiheiten, insbesondere der Niederlassungsfreiheit, dargelegt wurde, stellt sich nunmehr die Frage nach dem konkreten Inhalt und Umfang der Niederlassungsfreiheit. Diese bestimmen nämlich die den Mitgliedstaaten verbleibenden Möglichkeiten, gesellschaftsrechtliche Regelungsanliegen und Gläubigerschutzkonzepte auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften zu erstrecken. Soweit die im Vergleich zum Gründungsrecht strengeren Normen des Aufnahmestaats in den Anwendungsbereich der Art. 49, 54 AEUV fallen, stellt ihre Anwendung auf Auslandsgesellschaften – vorbehaltlich einer Rechtfertigung1 – grundsätzlich eine unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Außerhalb des Gewährleistungsgehalts der Grundfreiheit bleibt das nationale Recht hingegen von den primärrechtlichen Vorgaben freigestellt und kann autonom über die Anwendung bestimmter Vorschriften entscheiden.

§ 4 Weiter Beschränkungsbegriff als Ausgangspunkt Ausgangspunkt der Untersuchung ist dabei Art. 49 AEUV. Danach umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für dessen Angehörigen Mittels Art. 54 AEUV sind Gesellschaften natürlichen Personen hinsichtlich des Gewährleistungsgehalts gleichgestellt. Ungerechtfertigte Beschränkungen dieses Rechts auf freie Niederlassung sind verboten.2

I. Primäre und sekundäre Niederlassungsfreiheit En detail unterscheidet Art. 49 AEUV weiter nach dem Recht der freien Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat, der sogenannten primären Niederlassungsfreiheit (Art. 49 Abs. 1 S. 1 AEUV) und der sekundären Niederlassungsfrei1

Dazu unten 3. Teil. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 30 ff.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 39, 57 ff.; Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, S. 358 ff.; Everling, GS Knobbe-Keuk, S. 607, 618 ff.; W.-H. Roth, GS Knobbe-Keuk, S. 729, 731 ff.; Eberhartinger, EWS 1997, 43, 46 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 480 ff. 2

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

heit, die das Recht umfasst, Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat zu gründen (Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV).3 Wurde gerade zu Beginn der Entwicklungen im europäischen Gesellschaftsrecht der genauen Spielart der Niederlassungsfreiheit noch besonderer Wert beigemessen,4 um zwischen den einzelnen Urteilsaussagen des EuGH, insbesondere der CentrosEntscheidung, zu distinguieren, zeigt sich nunmehr, dass es bezüglich der hier interessierenden Problematik keine relevanten Unterschiede zeitigt, welche Form der Niederlassungsfreiheit betroffen ist.5 So führte der EuGH bereits in der Rechtsache Segers aus, dass hinsichtlich des Gewährleistungsinhalts der Niederlassungsfreiheit „der Umstand, dass die Gesellschaft ihre Tätigkeit ausschließlich durch eine Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaate ausübt, ohne Belang [ist].“6

Die Irrelevanz der konkreten Niederlassungsform lässt sich ferner aus der Neigung des EuGH ablesen, Scheinauslandsgesellschaften als Zweigniederlassungen (mit fiktiver Hauptniederlassung am Satzungssitz) zu qualifizieren.7 So ordnete er etwa die in den Niederlanden werbend tätige Inspire Art Ltd. als Zweigniederlassung ein, obgleich es faktisch die einzige Niederlassung und somit die Hauptniederlassung darstellte;8 ebenso verhielt es sich im Centros-Urteil.9 Gleichwohl liegt diese Ein3 Siehe Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 8; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 7; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 17 f.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 52; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 3; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 34. 4 So wurde teilweise für die Gründung einer Zweigniederlassung gefordert, dass bereits eine Hauptniederlassung im Gründungsstaat existiere, siehe Kindler, NZG 2003, 1086, 1088; Mülbert/Schmolke, ZVglRWiss 100 (2001), 233, 241 ff.; auf eine, iRd Centros-Urteils vermisste Unterscheidung hinweisend auch Kieninger, ZGR 1999, 724, 728 ff.; Leible, NZG 1999, 300, 301; Freitag, EuZW 1999, 267, 268; Zimmer, ZHR 164 (2000), 23, 39 ff.; kritisch dazu Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 53. 5 Einziger Unterschied ist insoweit das Ansässigkeitserfordernis des Trägers der Niederlassungsfreiheit iRd. sekundären Niederlassungsfreiheit, siehe Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 54; zur sonstigen Irrelevanz der Unterscheidung auch Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 18; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, S. 965, 990; Schön, ECFR 2006, 122, 130; ders., FS Heldrich, S. 391, 393; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 149; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 29; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 164; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 27; a.A. Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 132. 6 EuGH, Urteil vom 10. 7. 1986 – Rs. 79/85 (Segers), Slg. 1986, 2375 Rn. 16. 7 Dazu auch Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 53; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 42; siehe auch K. Schmidt, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 15, 18; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 27; Lutter, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 1, 2 ff. 8 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 95 ff.; siehe bereits EuGH, Urteil vom 10. 7. 1986 – Rs. 79/85 (Segers), Slg. 1986, 2375 Rn. 16.

§ 4 Weiter Beschränkungsbegriff als Ausgangspunkt

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ordnung nicht in den unterschiedlichen Formen der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV oder einem darauf beruhenden Inhaltsunterschied begründet. Tragender Gedanke ist vielmehr, Scheinauslandsgesellschaften durch die Qualifikation als Zweigniederlassung der Anwendung bestimmter sekundärrechtlicher Vorschriften, namentlich der Zweigniederlassungsrichtlinie10 und somit harmonisierten Publizitätsvorschriften zu unterstellen.11 Angesichts der Rechtsprechung des EuGH ist es mithin im vorliegenden Zusammenhang unerheblich, welcher der beiden Aspekte der Niederlassungsfreiheit betroffen ist: Beide Varianten bieten die gleiche Schutzwürdigkeit und unterliegen dem gleichen Beschränkungsverbot.12

II. Der Beschränkungsbegriff des EuGH Zur Bestimmung einer Beschränkung der Grundfreiheiten ist sodann ein Rückgriff auf die stete Rechtsprechung des EuGH angezeigt. Im Zuge der Erweiterung der Grundfreiheiten zu einem Beschränkungsverbot hat der EuGH seine auf die Dassonville-Entscheidung13 zurückgehende Definition auch auf die Niederlassungsfreiheit übertragen,14 so dass es mittlerweile als gesicherte Erkenntnis gilt, dass auch 9 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 19 f.; ebenso auch KG BB 2003, 2644; OLG Celle, GmbHR 2003, 532; OLG Naumburg GmbHR 2003, 533; siehe auch K. Schmidt, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 15, 18; Lutter, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 1, 7 ff.; Altmeppen/ Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 42. 10 Elfte Richtlinie (89/666/EWG) des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staats unterliegen, ABl Nr. L 395 S. 36. 11 So auch Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 29; Lutter, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 1, 4 ff.; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 53. 12 GA Alber, Schlussanträge vom 30. 1. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 103 („Was für die ungewollte Verlegung der Hauptniederlassung in der Rechtssache Überseering entschieden worden ist, muss auch für die Gründung einer Zweigniederlassung gelten“); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, S. 965, 990; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 53; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 18; Schön, ECFR 2006, 122, 130; ders., FS Heldrich, S. 391, 393; ders., FS Lutter, S. 685, 696 f.; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 149; Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 34; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 29; Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677, 679; siehe auch Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 55; tendenziell a.A. Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 132; Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 135. 13 EuGH, Urteil vom 11. 7. 1974 – Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974 Rn. 5; zum sich daraus entwickelnden Beschränkungsbegriff Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 72 f.; Streinz, Europarecht, Rn. 804 ff. 14 EuGH, Urteil vom 31. 3. 1993 – Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663 Rn. 32; EuGH, Urteil vom 30. 11. 1995 – Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I-4165 Rn. 37 ff.; EuGH, Urteil vom 20. 6. 2013 – Rs. C-186/12 (Impacto Azul), EuZW 2013, 664, 665 Rn. 33; EuGH, Urteil

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

die Niederlassungsfreiheit neben dem Diskriminierungs- ein Beschränkungsverbot enthält.15 Demzufolge sind alle Maßnahmen eines Mitgliedstaats als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit anzusehen, die zwar in gleichem Maße auf In- wie auch auf Ausländer anwendbar, aber dennoch geeignet sind, „die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Freiheiten zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.“16 vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 35; siehe EuGH, Urteil vom 19. 5. 2009 – Rs. C-171/07 (Apothekerkammer des Saarlands u. a./Saarland), Slg. 2009, I-4171 Rn. 22; EuGH, Urteil vom 10. 3. 2009 – Rs. C-169/07 (Hartlauer), Slg. 2009, I-1721 Rn. 33; EuGH, Urteil vom 5. 10. 2004 – C-42/02 (CaixaBank), Slg. 2004, I-8961 Rn. 11; EuGH, Urteil vom 6. 12. 2007 – C-298/05 (Columbus Container Services), Slg. 2007, I-10451 Rn. 34; EuGH, Urteil vom 23. 10. 2008 – C-157/07 (Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt), Slg. 2008, I-8061 Rn. 30; EuGH, Urteil vom 15. 4. 2010 – C-96/08 (CIBA), Slg. 2010, I-2911 Rn. 19; EuGH, Urteil vom 15. 1. 2002 – Rs. C-439/99 (Kommission/Italien), Slg. 2002, I-305 Rn. 22; EuGH, Urteil vom 21. 4. 2005 – Rs. C-140/03 (Kommission/Griechenland), Slg. 2005, I-3177 Rn. 27; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 133; EuGH, Urteil vom 17. 10. 2002 – Rs. C-79/01 (Payroll), Slg. 2001, I-8923 Rn. 26 f.; siehe zum Aspekt des Beschränkungsverbots auch EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 95; EuGH, Urteil vom 12. 7. 1984 – Rs. C-107/83 (Klopp), Slg. 1984, I-2971; EuGH, Urteil vom 15. 5. 1997 – Rs. C-250/95 (Futura Participations), Slg. 1997, I-2471. 15 So die ganz h.M., siehe Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 30 ff.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV 39, 57 ff.; ders., EWS 2009, 489, 491 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 88 ff.; je m.w.Nachw.; sowie Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 24 f.; Streinz, Europarecht, Rn. 804; Schall, FS Meilicke, S. 651, 653; Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, S. 358 ff.; Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 52; Everling, GS Knobbe-Keuk, S. 607, 618 ff.; W.-H. Roth, GS Knobbe-Keuk, S. 729, 731 ff.; Eberhartinger, EWS 1997, 43, 46 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 480 ff., 2130 ff.; Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573 ff.; Steindorff, ZHR 150 (1986), 687, 693; im vorliegenden Kontext etwa Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 4; Spindler/Berner, RIW 2003, 949, 953; Forsthoff, in: Hirte/ Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 96 ff., 108; Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 33 ff.; a.A. (auf ein Diskriminierungsverbot begrenzend) noch Ebenroth/Eyles, DB 1989, 363, 369 ff.; Jarass, RIW 1993, 1, 5; Nicolaysen, Europarecht II, S. 186; einen zwar auf dem Diskriminierungsverbot aufbauenden Ansatz verfolgend, Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 66 ff., der das Verständnis der Grundfreiheiten als Beschränkungsverbot insgesamt ablehnt, jedoch im Ergebnis den Schutzbereich ähnlich dem Beschränkungsverbot sehr weit definiert. 16 So zur Niederlassungsfreiheit EuGH, Urteil vom 31. 3. 1993 – Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663 Rn. 32; EuGH, Urteil vom 30. 11. 1995 – Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I-4165 Rn. 37 ff.; EuGH, Urteil vom 11. 7. 2002 – C-294/00 (Deutsche Paracelsus Schulen), Slg. 2002, I-6515 Rn. 40 f.; seitdem stete Rspr.; siehe ferner EuGH, Urteil vom 20. 6. 2013 – Rs. C-186/12 (Impacto Azul), EuZW 2013, 664, 665 Rn. 33; EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 35; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 133; EuGH, Urteil vom 5. 10. 2004 – C-42/02 (CaixaBank), Slg. 2004, I-8961 Rn. 11; EuGH, Urteil vom 6. 12. 2007 – C-298/05 (Columbus Container Services), Slg. 2007, I-10451 Rn. 34; EuGH, Urteil vom 23. 10. 2008 – C-157/07 (Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt), Slg. 2008, I-8061 Rn. 30; EuGH, Urteil vom 15. 4. 2010 – C-96/08 (CIBA), Slg. 2010, I-2911 Rn. 19; EuGH, Urteil vom 24. 3. 2011 – Rs. C-400/08 (Kommission/Spanien), Slg. 2011, I-1915 Rn. 63 f.; EuGH, Urteil vom 10. 3. 2009 – Rs. C-169/07 (Hartlauer); Slg. 2009, I-1721 Rn. 43; dazu auch Bröhmer, in:

§ 4 Weiter Beschränkungsbegriff als Ausgangspunkt

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Eine nähere Eingrenzung hat der EuGH bisher nicht vorgenommen, sondern arbeitet mit diesem überaus weiten und unbestimmten Beschränkungsbegriff. Die Niederlassungsfreiheit erfasst damit neben direkten und indirekten Diskriminierungen auch grundsätzlich jede Art von Behinderungen, die den Grundfreiheitenträger in der Ausübung seines Rechts auf freie Niederlassung beeinträchtigen.17 Aus der Formulierung des Art. 49 Abs. 2 AEUV, der die Niederlassungsfreiheit „nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine Angehörigen“ gewährleistet, lässt sich nichts anderes ableiten.18 Dieser Textbefund verdeutlicht lediglich die Inländergleichbehandlung und damit das Diskriminierungsverbot als ein Wesensmerkmal der Grundfreiheit, das infolge der Rechtsprechung des EuGH19 durch das Beschränkungsverbot ergänzt wird.20 Eine Begrenzung des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit kann dieser Norm daher nicht entnommen werden.21 1. Keine Begrenzung auf spezielle Rechtsgebiete Damit bewendet es bei der Definition des EuGH zur Bestimmung einer Beschränkung. Angesichts der Weite des vom Gerichtshof verwendeten Beschränkungsbegriffs erhellt sich, dass allein aufgrund dieser Definition kein Bereich des mitgliedstaatlichen Rechts von der Überprüfung an der Niederlassungsfreiheit suspendiert ist.22 Sofern eine mitgliedstaatliche Maßnahme die Ausübung der Niederlassungsfreiheit behindert oder weniger attraktiv macht, stellt sie eine BeCalliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 23 ff.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 4 ff.; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 38 ff. 17 Schall, FS Meilicke, S. 651, 653; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 4. 18 So aber Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 682, der die Anwendung deutschen Delikts- und Insolvenzrechts vor dem Hintergrund dieses Textbefunds für jedenfalls europarechtkonform hält. 19 Siehe die Nachw. bei Fn. 14. 20 EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 35; EuGH, Urteil vom 6. 9. 2012 – Rs. C-380/11 (DI. VI. Finanziaria di Diego della Valle & C. SapA), NZG 2013, 198 ff. Rn. 32; EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 42; EuGH, Urteil vom 16. 7. 1998 – C-264/96 (ICI), Slg. 1998, I-4695 Rn. 21; ferner Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 59; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 8; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 88. 21 In diesem Sinne EuGH, Urteil vom 25. 4. 2013 – Rs. C-64/11 (Kommission/Spanien), BeckRS 2013, 80877 Rn. 25; EuGH, Urteil vom 6. 9. 2012 – Rs. C-380/11 (DI. VI. Finanziaria di Diego della Valle & C. SapA), NZG 2013, 198 ff. Rn. 32; EuGH, Urteil vom 6. 9. 2012 – Rs. C-38/10 (Kommission/Portugal), BeckRS 2012, 81869 Rn. 23 ff.; EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 42; so auch Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 8. 22 Ähnlich Schall, FS Meilicke, 2010, S. 651, 652 ff.; zur Notwendigkeit einer Reduktion des Schutzbereichs sogleich im Text.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

schränkung der Grundfreiheit dar, gleich welchem Rechtsgebiet die betreffende Vorschrift auch zuzuordnen sein mag.23 Insbesondere mit Blick auf die hier interessierende Niederlassungsfreiheit ausländischer Gesellschaften gilt es, sich zunächst zu vergegenwärtigen, dass eine vorschnelle Fokussierung allein auf gesellschaftsrechtliche Vorschriften die Gefahr birgt, wesentliche Aspekte außer Acht zu lassen.24 Zwar ist das Gesellschaftsrecht die Rechtsmaterie, die im Zusammenhang mit korporativen Marktteilnehmern die dringlichsten Fragen und Probleme bereithält, doch lässt sich die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften nicht allein auf diesen Teilaspekt reduzieren.25 Gesellschaften genießen die gleiche Niederlassungsfreiheit wie natürliche Personen.26 Bereits dieser Umstand schließt es aus, allein im Umfeld des Gesellschaftsrechts zu lokalisierende Maßnahmen der Mitgliedstaaten in den Schutzbereich der Art. 49, 54 AEUV zu rubrizieren.27 Denn selbstverständlich können Vorschriften, die die Niederlassung natürlicher Personen beschränken, in gleichem Maße eine Beschränkung der Grundfreiheit von Gesellschaften zeitigen. Es liegt auf der Hand, dass es sich dabei nicht lediglich um gesellschaftsrechtliche Normen handeln kann. So können auch Vorschriften fernab des gesellschaftsrechtlichen Regelungskontexts mit der Niederlassungsfreiheit konfligieren.28 An dieser Stelle sei beispielsweise nur an die Probleme rund um das Fremd- und Mehrbesitzverbot im deutschen Apothekengesetz und den diesen Themenkomplex betreffenden DocMorris-Fall,29 sowie die Rechtsprechung zu vergleichbaren Verboten in

23

Vgl. etwa Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 52 ff.; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 168 f. 24 Ähnlich auch Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 71 f., der insbesondere auf die im Kollisionsrecht liegenden Gefahren hinweist; siehe auch Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 166. 25 So auch Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 8; ders., RabelsZ 70 (2006), 474, 481; Schall, FS Meilicke, S. 651, 654 ff.; Spindler/ Berner, RIW 2004, 7, 10; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 168 f. 26 Ausf. Teichmann, FS Hommelhoff, S. 1213 ff.; ferner Müller-Graff, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 13; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 19; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 898. 27 So aber Kindler, IPRax 2009, 189, 192 f.; ders., in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 390, und insb. Rn. 430 ff., 434; ders., NJW 2007 1785, 1788; Vallender, ZGR 2006, 425, 453, 454 f.; Weller, DStR 2003, 1800, 1804; ders., IPRax 2003, 207, 209 f.; Meilicke, GmbHR 2003, 1271, 1272; Vallender, ZGR 2006, 425, 453, 454 f.; Schumann, DB 2004, 743, 745 f.; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207 f.; Wilhelm, ZHR 167 (2003), 520, 540. 28 Siehe etwa EuGH, Urteil vom 18. 7. 2007 – Rs. C-134/05 (Kommission/Italien), Slg. 2007, I-6225 Rn. 64, 90 (zu einer italienischen Regelung bzgl. der außergerichtlichen Forderungseinziehung). 29 Siehe EuGH, Urteil vom 19. 5. 2009 – Rs. C-171/07 (Apothekerkammer des Saarlands u. a./Saarland), Slg. 2009, I-4171; sowie EuGH, Urteil vom 13. 2. 2014 – Rs. C-367/12 (Susanne Sekoll-Seebacher), EuZW 2014, 307 ff.; EuGH, Urteil vom 10. 3. 2009 – Rs. C-169/07 (Hartlauer), Slg. 2009, I-1721; EuGH, Urteil vom 1. 6. 2010 – verb. Rs. C-570/07 u. a. (Blanco Peres und Chao Gomez), Slg. 2010, I-4629; ferner Streinz/Herrmann, EuZW 2006, 455; Kruis, EuZW 2007, 175; Martini, DVBl 2007, 10; Koenig/Schreiber, EWS 2007, 385.

§ 4 Weiter Beschränkungsbegriff als Ausgangspunkt

117

Österreich und Spanien erinnert.30 Ein anderes Beispiel sind die diversen Urteile des EuGH zum Glücksspiel- und Lotteriewesen, in denen eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sowohl von natürlichen wie auch juristischen Personen im Raum stand.31 Aus Vorstehendem ergibt sich bereits, dass mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit von EU-ausländischen Gesellschaften eine Begrenzung des Beschränkungsbereichs der Art. 49, 54 AEUV auf gesellschaftsrechtliche Vorschriften eine zu stark verkürzte Sichtweise darstellt: Auch „nicht-gesellschaftsrechtliche“ Vorschriften vermögen eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu bewirken und können daher nicht prinzipiell als niederlassungsfreiheitskonform deklariert werden.32 Daher verbietet sich auch die Annahme, man hätte mit der Zuordnung einer Vorschrift zu einer Rechtsmaterie den Rubikon in die eine oder andere Richtung überschritten.33 Das gilt gleichen Teils für die tatsächliche, materiell-rechtliche Zugehörigkeit einer Vorschrift zu einem bestimmten Rechtsgebiet, also dem Umstand, dass es sich um eine Vorschrift des Gesundheitswesens oder etwa des Gesellschaftsoder Steuerrechts handelt, wie auch für die international-privatrechtliche Qualifikation, also der Frage, welchem Statut im kollisionsrechtlichen Sinne die entsprechende Vorschrift zuzuschlagen ist (siehe dazu auch unten 2. Teil § 5 III.2.b)aa)). Promi30

EuGH, Urteil vom 10. 3. 2009 – Rs. C-169/07 (Hartlauer), Slg. 2009, I-1721; jüngst EuGH, Urteil vom 13. 2. 2014 – Rs. C-367/12 (Susanne Sekoll-Seebacher), EuZW 2014, 307 ff.; sowie EuGH, Urteil vom 1. 6. 2010 – verb. Rs. C-570/07 u. a. (Blanco Peres und Chao Gomez), Slg. 2010, I-4629. 31 Siehe dazu etwa EuGH, Urteil vom 6. 11. 2003 – Rs. 243/01 (Gambelli), Slg. 2003, I-13031; EuGH, Urteil vom 6. 3. 2007 – C-338/04, C-359/04 und C-360/04 (Placanica), Slg. 2007, I-1891; ferner EuGH, Urteil vom 15. 9. 2011 – C-347/09 (Jochen Dickinger), Slg. 2011, I-8185; EuGH, Urteil vom 30. 6. 2011 – Rs. C-212/08 (Zeturf Ltd), Slg. 2011, I-5633; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – Rs. C-46/08 (Carmen Media), Slg. 2010, I-8149; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – verb. Rs. C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07 (Stoß, u. a.), Slg. 2010, I-8069; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – Rs. C-409/06 (Winner Wetten), Slg. 2010, I-8015; EuGH, Urteil vom 3. 6. 2010 – Rs. C-258/08 (Ladbrokes Betting), Slg. 2010, I-4757; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2009 – Rs. C-42/07 (Bwin), Slg. 2009, I-7633 Rn. 61; dazu auch Dederer, EuZW 2010, 771 ff.; Klöck/Klein, NVwZ 2011, 22 ff.; Reich, EuZW 2011, 454 ff.; Pagenkopf, NVwZ 2011, 513, 515 ff.; Korte, NVwZ 2004, 1449; Spindler, GRUR 2004, 724; Bahr, MMR 2004, 94; Reichert/Winkelmüller, EuZW 2007, 214. 32 So aber etwa Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 390, 434; ders., IPRax 2009, 189, 192; ders., NZG 2003, 1086, 1089 f.; Franz, BB 2009, 1250, 1253; Vallender, ZGR 2006, 425, 453, 454 f.; Weller, DStR 2003, 1800, 1804; ders., IPRax 2003, 207, 209 f.; Meilicke, GmbHR 2003, 1271, 1272; Schumann, DB 2004, 743, 745 f.; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207 f.; Wilhelm, ZHR 167 (2003), 520, 540; Bayer, BB 2003, 2357, 2365. 33 Auf die Möglichkeit einer Beschränkung auch von nicht-gesellschaftsrechtlichen Vorschriften hinweisend: Spindler/Berner, RIW 2003, 949, 955; dies., RIW 2004, 7, 10; Eidenmüller, JZ 2004, 24, 25; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 198; ferner auch Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 8; a.A. Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 434; ders., NJW 2007 1785, 1788, dessen Ansicht maßgeblich auf seinem Verständniss vom Verhältnis von Niederlassungsfreiheit und IPR („Die Niederlassungsfreiheit besteht sonach nur im Rahmen des kollisionsrechtlich abzugrenzenden Gesellschaftsstatuts“) beruht.

118

2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

nentes Beispiel für diese Problematik ist die Diskussion zur diffizilen Abgrenzung von Gesellschafts- und Insolvenzrecht. Gerade vor dem Hintergrund der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO)34 wird bisweilen vertreten, dass Normen außerhalb des Gesellschaftsrechts unproblematisch zur Anwendung gebracht werden könnten und etwa die Erstreckung der Insolvenzverschleppungshaftung gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 15a InsO auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften europarechtlich unbedenklich sei.35 Dieses Beispiel zeigt bereits, dass eine solche Betrachtungsweise den Urteilen Überseering und Inspire Art die Kernaussage zu entnehmen scheint, die Niederlassungsfreiheit eines inkorporierten Grundfreiheitenträgers erfasse lediglich das (wie auch immer definierte) Gesellschaftsrecht und ließe im Umkehrschluss andere Rechtsmaterien unberührt.36 Genau diese Aussage lässt sich aber weder den Aussagen des EuGH noch der Niederlassungsfreiheit selbst entnehmen. Die mitgliedstaatliche Verortung einer Norm in einer bestimmten Rechtsmaterie ist in den Augen der Niederlassungsfreiheit nicht mehr als ein Glasperlenspiel. Ihr Konfliktpotenzial ist allein daran zu messen, ob sie geeignet ist, die Niederlassung zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.37 2. Notwendigkeit der Eingrenzung Die Weite des vom EuGH angewendeten Beschränkungsbegriffs ist gleichwohl kritikwürdig und hat zu Recht vermehrt Stimmen aufkommen lassen, die eine Begrenzung des nahezu uferlosen Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit zu begründen suchen. Triebfeder dieses Anliegens ist der Umstand, dass bei einem wörtlichen Verständnis der EuGH-Formel prinzipiell jede mitgliedstaatliche Rege34

Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren vom 29. 5. 2006, ABl. L 160, S. 1; zur Reform der EuInsVO siehe den Änderungsvorschlag der Kommission vom 12. 12. 2012 (Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlament und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, DOK (2012) 744). 35 Ausf. unten 2. Teil § 5 III.1.a)aa); zum Ganzen auch Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106 ff. m.w.Nachw. 36 Deutlich i.d.S. etwa Radtke/Hoffmann, EuZW 2009, 404, 407: „Wer die Insolvenzantragspflicht gesellschaftsrechtlich qualifiziert, muss nach den Grundsätzen des Inspire ArtUrteils des EuGH davon ausgehen, dass sie eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit enthält und aus diesem Grund rechtfertigungsbedürftig ist. Bei einer insolvenzrechtlichen Einordnung bedürfte es dagegen keiner gemeinschaftsrechtlichen Rechtfertigung der Auferlegung der Antragspflicht.“ Siehe auch Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 433 Rn. 2; diese Sichtweise ablehnend bereits Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106 ff. m.w.Nachw.; Goette, ZinsO 2007, 1177, 1183; ders., ZIP 2006, 541, 545; Bittmann, NStZ 2009, 113, 114; wohl auch Gehrlein, WM 2008, 761, 769; iE zwar abw. aber bzgl der Irrelevanz der Qualifikation gleichsinnig auch Roth/Altmeppen, GmbHG, Vorb. § 64 Rn. 14. 37 So auch Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 88; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 198 (unklar dann aber S. 203); Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 144 f.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 9; ders., RabelsZ 70 (2006), 474, 481.

§ 4 Weiter Beschränkungsbegriff als Ausgangspunkt

119

lung in den Anwendungsbereich der Art. 49, 54 AEUV fällt, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie die Niederlassungsfreiheit eines Marktakteurs potenziell weniger attraktiv erscheinen lassen könnte.38 Zwar steht dem weiten Beschränkungsbegriff nach der Cassis-Rechtsprechung39 und der Übertragung dieses Grundsatzes auf die Niederlassungsfreiheit40 die Möglichkeit gegenüber, eine mitgliedstaatliche Maßnahme nicht nur mit den geschrieben Rechtfertigungsgründen, sondern auch aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls zu rechtfertigen,41 doch bedarf es einer Begrenzung bereits auf Ebene des Schutzbereichs.42 Andernfalls könnte eine Gesellschaft theoretisch rügen, dass jeder Zwang zur Beachtung mitgliedstaatlicher Vorschriften eine Verkürzung der durch Art. 49, 54 AEUV garantierten Rechte begründet. Konsequenz wäre, dass die gesamte Rechtsordnung eines Mitgliedstaats mittels der Niederlassungsfreiheit überprüft werden könnte. Selbst Vorschriften, die die Niederlassung des Grundfreiheitenträgers als solche gar nicht oder allenfalls akzidentiell betreffen, stünden unter unionsrechtlichem Rechtfertigungsdruck. Das Rechtsfahrgebot bildet hier ein plastisches und öfters zitiertes Beispiel.43 Auch wenn der Niederlassungsfreiheit unzweifelhaft eine zentrale Bedeutung44 im Unionsrecht zukommt,45 überdehnte ein solch weitreichendes Verständnis indes

38

Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 10; Schall, FS Meilicke, 2010, S. 651, 652 ff.; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 178 f.; Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 89 f. 39 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979 – Rs. 120/78 (Cassis), Slg. 1979, 649. 40 EuGH, Urteil vom 31. 3. 1993 – Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663 Rn. 32. 41 Sieher hierzu unten § 7; ferner etwa EuGH, Urteil vom 30. 11. 1995 – Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I-4165 Rn. 37 ff.; EuGH, Urteil vom 31. 3. 1993 – Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663 Rn. 32; statt vieler auch Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 82. 42 Die Notwendigkeit der Begrenzung bejahend: Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 60 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 191 ff.; Art. 49 AEUV Rn. 88 ff.; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 31 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 815, 818; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 178 f.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 168; Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573, 2577; Haratsch/Koenig/ Pechstein, Europarecht, Rn. 975; zurückhaltender Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 54; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 9. 43 Es ließe sich argumentieren, die Niederlassungsfreiheit einer englischen Limited werde bereits dadurch weniger attraktiv und mithin beschränkt, dass der aus England zuziehende Geschäftsführer oder Gesellschafter in Deutschland das Rechtsfahrgebot im Straßenverkehr zu beachten habe und sich ggf. auf längere Sicht sogar einen neuen Pkw mit Linkslenkung zulegen müsste; so plakativ Altmeppen, NJW 2004, 97, 98 ff.; sowie Bitter, Jb.J.ZivRWiss 2004, S. 299, 317. 44 Die Niederlassungsfreiheit zählt zu den „Grundprinzipien“ des AEUV, so etwa EuGH, Urteil vom 21. 6. 1974 – Rs. 2/74 (Reyners), Slg. 1974, 631 Rn. 42 ff.; EuGH, Urteil vom 7. 7. 1976 – Rs. 118/75 (Watson), Slg. 1976, 1185 Rn. 16; EuGH, Urteil vom 31. 3. 1993 – Rs. C-19/ 92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663 Rn. 29; ferner Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 4.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

den Schutzbereich der Grundfreiheit. In der Rechtssache Pfeiffer formulierte der Generalanwalt diese Erkenntnis einprägsam: „Es wäre nämlich unerträglich, wenn die Mitgliedstaaten nationale Rechtsvorschriften aller Art […] als ,zwingende Erfordernisse‘ rechtfertigen müssten, sofern ein Wirtschaftsteilnehmer geltend macht, dass die Niederlassungsfreiheit durch diese Vorschrift weniger attraktiv werde.“46

Problematisch erscheint ein uferloser Beschränkungsbegriff zudem vor dem Schutzzweck der Niederlassungsfreiheit. Zwar soll sie die freie Niederlassung im Sinne einer freien Standortwahl im Binnenmarkt garantieren und fördern, doch ist ihr auch ein Element der Eingliederung in die Rechtsordnung des Aufnahmestaats eigen.47 Eine Niederlassung ist zugleich auch stets eine freiwillige Entscheidung für eine dauerhafte, wirtschaftliche Integration in die Gesellschaft und Wirtschaft des Aufnahmestaats.48 Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, den Marktteilnehmern im Binnenmarkt einen gleichberechtigten Zugang zu den Märkten zu gewährleisten. Dies soll ihnen indes nicht dazu verhelfen, gegenüber anderen eine bessere Stellung dadurch zu erreichen, dass jede allgemein gültige Norm mit Hilfe des Unionsrechts zu Fall gebracht werden kann.49 Es geht mithin darum, die Mobilität sicherzustellen, nicht jedoch die Modifikation von Standortbedingungen zu ermöglichen.50

45

Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 106 ff.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 10; siehe auch Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 38. 46 GA Mischo, Schlussanträge vom 7. 7. 1998 – Rs. C-255/97 (Peiffer), Slg. 1999, I-2835 Rn. 58; siehe auch GA Fenelly, Schlussanträge vom 16. 9. 1999 – Rs. C-190/98 (Graf), Slg. 2000, I-493 Rn. 31 ff.; Teichmann, ZGR 2011, 639, 653; W.-H. Roth, GS Knobbe-Keuk, S. 729, 735 ff.; Everling, GS Knobbe-Keuk, S. 607, 620 f.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 10 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 193 ff. 47 Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 31; Tiedje, in: Ehlers Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 54; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2202; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 38; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 5; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 209 ff. 48 EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 53 f.; Teichmann, ZGR 2011, 639, 666; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2202; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 210; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 16; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 202. 49 Schön, ZGR 2013, 333, 342 ff.; Teichmann, ZGR 2011, 639, 653 f., 666; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 38; siehe auch Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 88. 50 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 210; MüllerGraff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 5, 60 f.; W.-H. Roth, GS Knobbe-Keuk, S. 729, 737 f.; Streinz, Europarecht, Rn. 815; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 38.

§ 4 Weiter Beschränkungsbegriff als Ausgangspunkt

121

Dies entspricht letztlich auch der Stellung der Niederlassungsfreiheit im Kontext des Binnenmarkts. Ein zu weit reichendes Verständnis schösse über das Ziel der Grundfreiheiten hinaus, da diese lediglich dann mitgliedstaatliche Maßnahmen verbieten, wenn und soweit dies zur Verwirklichung des Binnenmarkts erforderlich ist.51 Es wurde aber bereits oben dargelegt, dass letzterer durch das Fortbestehen der einzelnen Rechtsordnungen gekennzeichnet ist.52 Dieser Konzeption des Binnenmarkts liefe es zuwider, wenn die Grundfreiheiten zu einer vollständigen Einebnung sämtlicher nationaler Rechtsunterschiede führten, indem ein Marktakteur bei Grenzübertritt sämtliche Bestimmungen des Heimatrechts importierte.53 Resultat wäre eine Durchmischung jedes nationalen Markts mit den Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten. Überspitzt formuliert ergäben sich im Binnenmarkt 28 Teilmärkte, in denen nicht mehr eine auf die Binnenmarktförderung verpflichtete Rechtsordnung zur Regulierung des Marktverhaltens berufen ist, sondern jeweils 28 Rechtsordnungen unterschiedlicher Couleur für die verschiedenen Marktteilnehmer Geltung beanspruchen würden.54 Ein solches Verständnis der Grundfreiheiten konterkariert freilich die Zielsetzung des Binnenmarkts. Denn ist der Binnenmarkt vornehmlich aus ökonomischer Perspektive darauf ausgerichtet, eine effiziente Allokation von Ressourcen innerhalb der Union zu ermöglichen und zu fördern, so bewirkte die Vermengung der Rechtsordnungen das Gegenteil. Rechtsunsicherheit, Rechtsinformationskosten und letztlich auch wieder die eigentlich nicht erwünschte Anpassung an unterschiedliche Rechtsvorschriften führten zu Hindernissen, die das Konzept des Binnenmarkts gerade zu verhindern sucht. Im Ergebnis muss die Niederlassungsfreiheit daher im Spannungsfeld zwischen zwei Polen gesehen werden: dem Recht auf beschränkungsfreie Niederlassung einerseits und dem Fortbestand der mitgliedstaatlichen Regelungskompetenz und Rechtsordnungen andererseits.55 Es geht, anders gewendet, darum, sich aus dem Regelungsgefälle zwischen den Rechtsordnungen ergebende Beschränkungen für eine effizienzorientierte Standortwahl im Binnenmarkt abzubauen, ohne zugleich sämtliche Vorschriften der Rechtsordnung des Aufnahmestaats dem Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit zu unterwerfen.56 Dazu ist es vonnöten, lediglich die 51 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 194, 204; siehe auch Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 118 ff. 52 Siehe oben 1. Teil § 1 II.2. sowie 1. Teil § 2 II.3.a)bb). 53 Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1280; Frenz, GewArch 2007, 98, 102 f.; Adensamer, Kollisionsrecht für Gesellschaften, S. 106 f.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/ AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 194, 201 ff.; ferner Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 123 ff., 128; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 178 f. 54 Frenz, GewArch 2007, 98, 102 ff. 55 Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 128 ff.; ders., ZGR 2011, 639, 653 ff.; siehe auch Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 201. 56 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 60; Streinz, Europarecht, Rn. 815.

122

2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

spezifisch den Grenzübertritt benachteiligenden Regelungen über das Diskriminierungsverbot hinaus an einem Beschränkungsverbot zu messen.57

§ 5 Ansätze zur Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV Besteht daher im Grundsatz Einigkeit darüber, dass es einer Einschränkung des weiten Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit bedarf,58 sind die dogmatischen Ansätze, die zur Begründung eines insoweit modifizierten Beschränkungsbegriffs im Sinne der Art. 49, 54 AEUV vertreten werden, sehr unterschiedlicher Natur. Insbesondere die Entwicklungen im europäischen Gesellschaftsrecht im Anschluss an die Entscheidungen Überseering und Inspire Art haben eine Vielzahl neuer Erwägungen zur Reduzierung des Gewährleistungsgehalts der Niederlassungsfreiheit hervorgebracht. Im Folgenden soll daher untersucht werden, inwieweit diese Ansätze geeignet sind, gesellschaftsrechtliche Regelungsanliegen und insbesondere Gläubigerschutzkonzepte auch auf EU-ausländische Gesellschaften zu erstrecken.

I. Missbrauch der Niederlassungsfreiheit Eine nach der Inspire Art-Entscheidung59 mehrfach in Erwägung gezogene Möglichkeit, den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit zu verengen und so Vorschriften des Bestimmungsstaats auch gegen im Inland ansässige Auslandsgesellschaften in Ansatz zu bringen, ist die Einordnung des Sachverhalts als Missbrauch der Grundfreiheiten.60 Der diesem Ansatz zugrunde liegende Gedankengang

57 Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 456 f.; 2424; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 62 f.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 10 ff. 58 W.-H. Roth, GS Knobbe-Keuk, S. 729, 735 ff.; Everling, GS Knobbe-Keuk, S. 607, 620; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 60; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 96 je m.w.Nachw. 59 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155. 60 Zum Missbrauch Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 302 ff., Art. 54 AEUV Rn. 49 ff.; jüngst auch GA Mengozzi, Schlussanträge vom 1. 4. 2014 – Rs. C-83/13 (Fonnship A/S), BeckRs 2014, 80653 Rn. 60 ff.; ferner Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004 159, 178 ff.; Eidenmüller, ECFR 2009, 1 ff.; allgemein zum Missbrauch der Grundfreiheiten Ottersbach, Rechtsmissbrauch bei den Grundfreiheiten; Schön, FS Wiedemann, S. 1271 ff.; Fleischer, JZ 2003, 865, 868 ff.; Zimmermann, Das Rechtsmissbrauchsverbot, S. 1 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 461, 2418 ff. m.w.Nachw.; Ranieri, ZEuP 2001, 165, 169 ff.; zum Missbrauch im Zusammenhang mit formal ausländischen Gesellschaften siehe z. B. Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 156 ff.; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 8 f.; Rehberg, EuLF 2004, 1 ff.; zur ähnlichen Problematik im

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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knüpft dabei an die ständige Rechtsprechung des EuGH an, derzufolge eine missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf das Unionsrecht nicht gestattet ist.61 Anders gewendet, kann eine zugezogene (Schein-)Auslandsgesellschaft dann keinen Schutz der Niederlassungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen, wenn und soweit ihr ein Missbrauch der selbigen entgegengehalten werden kann. Konsequenz wäre sodann, dass mangels Primärrechtsschutzes Mitgliedstaaten ihr Recht unbesehen in Ansatz bringen könnten. Die betroffene nationale Vorschrift könnte mithin Anwendung finden, ohne dass diese dem Beschränkungsverbot der Niederlassungsfreiheit und damit dem Vergleichsmaßstab des Gründungsrechts unterläge.62 Fundament dieses Ansatzes sind in dem hier relevanten Kontext die Ausführungen des EuGH in Centros63 und Inspire Art64. Die luxemburgischen Richter führten in diesen Urteilen aus, dass „bezüglich der Bekämpfung der missbräuchlichen Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit daran zu erinnern ist, dass ein Mitgliedstaat berechtigt ist, Maßnahmen zu treffen, die verhindern sollen, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Ausnutzung der durch den Vertrag geschaffenen Möglichkeiten in missbräuchlicher Weise der Anwendung des nationalen Rechts entziehen; die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht ist nicht gestattet.“65

In einem solchen Fall könne das missbräuchliche Verhalten der Betroffenen ihrem Berufen auf die Niederlassungsfreiheit entgegen gehalten werden.66 Auf Basis dieser Aussagen soll es auch gegenüber im Inland domizilierender Auslandsgesellschaften möglich sein, inländischen Schutzmaßnahmen in unionsrechtskonformer Weise Geltung zu verschaffen. Unter dem zunehmenden Eindruck, dass sich Vorschriften über das Mindestkapital und Kapitalerhaltungsvorschriften nicht gegen formal ausländische Gesellschaften werden durchsetzen lassen, wird in diesem Zusammenhang seit Inspire Art insbesondere die Anwendung der richterrechtlichen

Rahmen der E-Commerce-Richtlinie siehe etwa Mankowski, ZVglRWiss 100 (2001), 137, 159 ff.; Bodewig, GRURInt 2000, 475, 481 f. 61 Siehe EuGH, Urteil vom 12. 9. 2013 – Rs. C-434/12 (Slancheva sila), BeckRS 2013, 81707 Rn. 27; EuGH, Urteil vom 1. 4. 2014 – Rs. C-80/12 (Felixstowe Dock and Railway Company), DStR 2014, 784 ff. Rn. 31; EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 24; EuGH, Urteil vom 3. 10. 1990 – Rs. C-61/89 (Bouchoucha), Slg. 1990, I-3351 Rn. 14; EuGH, Urteil vom 7. 2. 1979 – Rs. 115/78 (Knoors), Slg. 1979, 399 Rn. 24; siehe auch Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 302; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 930 je m.w.Nachw. 62 Siehe etwa Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 461. 63 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459. 64 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155. 65 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 136; unter Rekurs auf EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 24. 66 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 25.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

Existenzvernichtungshaftung des BGH67 in Erwägung gezogen.68 Aber auch Fälle der materiellen Unterkapitalisierung69 und der Betriebsaufspaltung (AschenputtelGesellschaften)70 sollen einer uneingeschränkten Beurteilung anhand nationaler Rechtsfiguren zugänglich sein. Zur europarechtlichen Legitimation vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit wird dabei eben der Gedanke des Missbrauchs der Grundfreiheiten herangezogen.71 So könne etwa die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs als Missbrauch der Art. 49, 54 AEUV erscheinen und daher unionsrechtskonform das ausländische Gesellschaftsstatut überlagern.72 67

Grundlegend BGHZ 173, 246 (Trihotel); bestätigt in BGHZ 176, 204 (Gamma); BGHZ 179, 344 (Sanitary); zuvor bereits einer teilweise anderen Konzeption folgend BGHZ 149, 10 (Bremer Vulkan); bestätigt in BGHZ 151, 181 (KBV); BGHZ 150, 61; BGH NZG 2004, 1107; BGH NZG 2005, 177 (Vertragshändler); BGH DStR 2005, 340; BGH NJW 2005, 3137; siehe zum Ganzen ausf. zum Ganzen Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rn. 57 ff.; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13 Rn. 72 ff.; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rn. 394 ff.; Liebscher, in: MünchKommGmbHG, Anh. § 13 Rn. 469 ff.; Staudinger/Oechsler, § 826 Rn. 324 ff.; Wagner, in: MünchKommBGB, § 826 Rn. 124 ff.; Wiedemann, FS Lüer, S. 337 ff.; Habersack, ZGR 2008, 533 ff.; je m.w.Nachw.; siehe zum Trihotel-Urteil etwa Goette, DStR 2007, 1593; Altmeppen, NJW 2007, 2657; Vetter, BB 2007, 1965; Paefgen, DB 2007, 1907; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274; Schröder; GmbHR 2007, 934; Weller, ZIP 2007, 1681; siehe auch bereits ders., DStR 2007, 1166; zur Existenzvernichtung vor der Trihotel-Entscheidung etwa Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 410 ff.; Emmerich, AG 2004, 423 ff.; Henze, AG 2004, 405, 410 ff.; Wiedemann, ZGR 2003, 283, 290 f.; Raiser, FS Ulmer, 2003, S. 493, 504 f.; Drygala, GmbHR 2003, 729, 731 f.; Vetter, ZIP 2003, 601, 602; speziell im Zusammenhang mit Inspire Art siehe Bayer, BB 2003, 2357, 2365; Schön, ZHR 168 (2004), 268 ff.; ausf. in diesem Zusammenhang Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 95 ff.; Lanzius, Sonderanknüpfungen, S. 265 ff.; siehe auch OLG Rostock, ZIP 2004, 118; dazu etwa Bruns, NZG 2004, 409 ff. 68 So etwa Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 433; Staudinger/Oechsler, § 826 Rn. 326; Drygala, ZEuP 2004, 337, 347; ders., EWiR 2003, 1029, 1030; Borges, ZIP 2004, 733, 742; Roth, NZG 2003, 1081, 1085; Horn, NJW 2004, 893, 898; wohl auch Weller, IPRax 2003, 207, 209; ders., IPRax 2003, 520, 524; Schulz, NJW 2003, 2705, 2708; Zimmer, in: Schmidt/ Lutter (Hrsg.), AktG, Int. GesR Rn. 50; zweifelnd Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 929 f.; siehe dazu auch, jedoch noch vor Überseering LG Stuttgart NJW-RR 2002, 463, 465 ff. 69 Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 433; ders., NZG 2003, 1086, 1090; Borges, ZIP 2004, 733, 742; Altmeppen, NJW 2004, 97, 100. 70 AG Hamburg, NJW 2003, 2385, 2386; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 433; Weller, DStR 2003, 1800, 1803; Bayer, BB 2003, 2357, 2364 f. 71 Zusammenfassend Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 433; Zimmer, in: Schmidt/Lutter (Hrsg.), AktG, Int. GesR Rn. 50; je m.w.Nachw. 72 Roth, NZG 2003, 1081, 1085; Borges, ZIP 2004, 733, 742, der eine Anwendung sowohl über den Missbrauchsgedanken als auch über eine allgemeine europarechtliche Rechtfertigung für möglich hält; Drygala, ZEuP 2004, 337, 347; ebenso wohl auch Zimmer, NJW 2003, 3585, 3589, wenn er ausführt: „Die einen Durchgriff begründenden Verhaltensweisen können dann als ein Missbrauch im Einzelfall erscheinen“ (Herv. d. Verf.); ders., in: Schmidt/Lutter (Hrsg.), AktG, Int. GesR Rn. 50; ebenso, aber über die Existenzvernichtungshaftung hinaus noch für jede Durchgriffshaftung erwägend, Horn, NJW 2004, 893, 898; gleichsinnig Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 433; noch vor Inspire Art etwa Weller, IPRax 2003, 207, 209; Schulz, NJW 2003, 2705, 2708; siehe auch Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2242; Ulmer, JZ 1999, 662, 665 (allg. eine Durchgriffshaftung betreffend), die aber beide nach Inspire Art diese

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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Ohne näher darauf einzugehen, ob nach dem Trihotel-Urteil des BGH73 und der in diesem Urteil neu geschaffenen dogmatischen Anknüpfung der Existenzvernichtungshaftung der Missbrauchsgedanke überhaupt noch als Argument dienen kann,74 nötigt bereits die Strenge des EuGH, mit welcher er sowohl in Inspire Art als auch zuvor in Centros das Vorliegen eines Missbrauchs negiert, zu einer genaueren Untersuchung des mit der Kategorie des Missbrauchs erfassten Bereichs. Insbesondere ist die Frage aufgeworfen, welche Umstände einen Missbrauch der Grundfreiheiten darstellen und inwieweit nationale Instrumente, wie eben die Existenzvernichtungshaftung, dieser Rechtsfigur zugeordnet werden können. 1. Erscheinungsformen des Missbrauchs Der Missbrauch der Grundfreiheiten wurde von den Mitgliedstaaten in einer Vielzahl von Verfahren vor dem EuGH angeführt, um Verhaltensweisen, die als unerwünscht erschienen, verhindern und sanktionieren zu können. Dennoch sind bis heute dessen genauen Konturen nicht eindeutig geklärt, zumal der EuGH den Missbrauchsgedanken sowohl auf Tatbestandsebene als Begrenzung des Schutzbereichs75 wie auch auf Rechtfertigungsebene als allgemeinen Rechtfertigungsgrund76 Lösung nunmehr verworfen haben: Eidenmüller, JZ 2004, 24, 26; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1203 f.; ebenfalls die Anwendung der Existenzvernichtungshaftung erwägend Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 663 f., der im Ergebnis jedoch deren unionsrechtliche Legitimation versagt, sofern das Gründungsstatut „ebenbürtigen Schutz“ gewährt, aaO 484 ff. Zu beachten ist aber, dass die Vertreter einer solchen Anwendung der Existenzvernichtungshaftung diese Lösung vornehmlich im Bereich des Kollisionsrechts suchen und daher zu dem Ergebnis gelangen, dass in diesem Fall ausnahmsweise eine Überlagerung der ansonsten zwingenden Anknüpfung an das Gründungsstatut mittels der Sandrock’schen Überlagerungstheorie (Sandrock, RabelsZ 42 (1978), 227 ff.) möglich sei. Dies betrifft jedoch nach den bisherigen Ausführungen (siehe oben 1. Teil § 2 III.) nur den den Mitgliedstaaten freigestellten Weg zur Erreichung des unionsrechtskonformen Ergebnisses. Nach der hier vertretenen Ansicht, nach der die Niederlassungsfreiheit allenfalls mittelbar auf das internationale Gesellschaftsrecht einwirkt, läge bei Bejahung eines Missbrauchs der Niederlassungsfreiheit die entscheidende Folge nicht darin, dass die Gründungstheorie einer Überlagerung durch Vorschriften des Sitzstatuts zugänglich wäre, sondern dass die betreffende inländische Vorschrift dem Vergleichsmaßstab der durch das Herkunftsland statuierten Rechtsordnung entzogen wäre. Die damit verbundenen kollisionsrechtlichen Konsequenzen sind dann gewissermaßen erst auf einer nachrangigen Ebene zu verorten; ähnlich Schön, ZHR 168 (2004), 268, 293. 73 BGHZ 173, 246 (Trihotel); bestätigt in BGHZ 176, 204 (Gamma); BGHZ 179, 344 (Sanitary). 74 Zur neuen Grundlage dieser Haftung siehe etwa Wiedemann, FS Lüer, S. 337 ff.; Habersack, ZGR 2008, 533 ff.; Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34 ff.; Paefgen, DB 2007, 1907 ff.; Vetter, BB 2007, 1965 ff.; Weller, ZIP 2007, 1681 ff.; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274 ff.; sowie ausf. Liebscher, in: MünchKommGmbHG, Anh. § 13 Rn. 469 ff.; Wagner, in: MünchKommBGB, § 826 Rn. 116 ff.; (zuvor bereits ders., FS Canaris, S. 473 ff.); Michalski/ Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rn. 394 ff.; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rn. 57 ff.; je m.w.Nachw. 75 So etwa jüngst EuGH, Urteil vom 12. 9. 2013 – Rs. C-434/12 (Slancheva sila), BeckRS 2013, 81707 Rn. 27; EuGH, Urteil vom 21. 2. 2006 – Rs. C-255/02 (Halifax u. a), Slg. 2006,

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

aktiviert.77 Festzustellen ist hingegen, dass der Gerichtshof sich zwar häufiger mit dem Missbrauchseinwand beschäftigt, diesen aber nur sehr zurückhaltend gelten lässt. Diese restriktive Sichtweise erklärt sich durch den Umstand, dass mit der durch Missbrauchsgedanken bewirkten Verkürzung des Schutzbereichs der Grundfreiheit eine gegenüber dem Wortlaut geringere Geltung der unionsrechtlichen Vorschrift verbunden ist.78 Dass daher aus Sicht des EuGH dem Missbrauch gleichzeitig die Gefahr immanent ist, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts bedenklich weit in die Hand der Mitgliedstaaten bzw. in deren Auslegung79 zu überantworten, ist offensichtlich. In seinen Augen ist der Missbrauchsgedanke „gleichsam der natürliche Feind des vom EuGH stets hervorgehobenen effet utile-Gedankens.“80 Unterscheiden lassen sich zunächst die Spielarten des Missbrauchs, in denen ein Missbrauch des Primärrechts, insbesondere der Grundfreiheiten in Rede steht,81 von I-1609 Rn. 69; sowie EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 18; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 95 ff.; EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 34 ff. 76 So etwa jüngst EuGH, Urteil vom 1. 4. 2014 – Rs. C-80/12 (Felixstowe Dock and Railway Company), DStR 2014, 784 ff. Rn. 31; EuGH, Urteil vom 11. 3. 2004 – Rs. C-9/02 (Lasteyrie du Saillant), Slg. 2004, I-2409 Rn. 50 f.; EuGH, Urteil vom 6. 11. 2003 – C-413/01 (Ninni-Orasche), Slg. 2003, I-13187 Rn. 31. 77 Ausführlich hierzu jüngst GA Mengozzi, Schlussanträge vom 1. 4. 2014 – Rs. C-83/13 (Fonnship A/S), BeckRs 2014, 80653 Rn. 60 ff., der im Ergebnis für eine Verankerung auf Rechtfertigungsebene votiert (Rn. 67 ff.); siehe zum Ganzen auch Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 306 f.; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 8 f.; Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1289 ff.; Eidenmüller, ECFR 2009, 1, 8; Bitter, Jb.J.ZivRWiss 2004, S. 299, 314 ff., 320 ff.; Goette, ZIP 2006, 541, 542; Fleischer, JZ 2003, 865, 871 f.; Klinke, ZGR 2002, 163, 169; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 178; Kjellgren, EBLR 2000, 179, 180; Rehberg, EuLF 2004, 1, 2; Dammann, 8 Fordham J. Corp. & Fin. L. (2003), 607, 633 ff. Siehe hierzu auch den vergeblichen Einwand der Vertreter der deutschen Regierung in der Rs. Inspire Art, der Gerichtshof möge Wege für die Anwendung des Missbrauchs aufzuzeigen, abgedruckt bei GA Alber, Schlussanträge vom 30. 1. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 = DB 2003, 377 Rn. 122. Dies ist jedoch – wie auch die klare Antwort von GA Alber, Schlussanträge vom 30. 1. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 = DB 2003, 377 Rn. 123 zeigt – nicht Aufgabe des EuGH. 78 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 302. 79 Siehe dazu EuGH, Urteil vom 14. 11. 1985 – Rs. 299/84 (Neumann), Slg. 1985, 3663, 3688 Rn. 25, wonach das nationale Gericht nicht aufgrund seiner Auffassung des Sachverhalts, als nicht vom Verordnungsgeber gewollt, der betreffenden Bestimmung des Unionsrechts die Anwendung verwehren durfte. 80 Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 178 f. 81 Grundlegend EuGH, Urteil vom 3. 12. 1974 – Rs. 33/74 (Van Binsbergen), Slg. 1974, 1299; Rn. 13; siehe auch EuGH; Urteil vom 3. 2. 1993 – Rs. C-148/91 (Veronica Omroep Organisatie), Slg. 1993, I-487 Rn. 12; EuGH, Urteil vom 5. 10. 1994 – Rs. C-23/93 (TV 10), Slg. 1994, I-4795 Rn. 21; EuGH, Urteil vom 10. 1. 1985 – Rs. 229/83 (Leclerc), Slg. 1985, 1 Rn. 27; EuGH, Urteil vom 3. 3. 1993 – Rs. C-8/92 (General Milk Products), Slg. 1993, I-779 Rn. 21; in dem hier relevanten Zusammenhang der Niederlassungsfreiheit etwa EuGH, Urteil vom 10. 7. 1986 – Rs. 79/85 (Segers), Slg. 1986, 2375; Rn. 15; EuGH, Urteil vom 7. 2. 1979 –

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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denen, die die rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme von Sekundärrecht82 betreffen.83 Da im Zusammenhang mit Scheinauslandsgesellschaften jedoch regelmäßig die Frage nach der missbräuchlichen Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit aufgeworfen ist und auch die Spruchpraxis des EuGH keine relevanten Differenzen zwischen beiden Fallgruppen aufweist,84 verspricht diese Distinktion im vorliegenden Fall keine Hilfe. Größere Relevanz kommt hingegen einer anderen Unterscheidung zu. Befasst man sich eingehender mit der Missbrauchsrechtsprechung des Gerichtshofs, so wird augenfällig, dass der EuGH unter dem Begriff des Missbrauchs zwei verschiedenen Konstellationen zusammenfasst: Zum einen fallen die Fälle unter den Missbrauchseinwand, in denen mit Hilfe des Unionsrechts versucht wird, nationale Vorschriften zu verdrängen oder zu umgehen.85 Von diesen Normumgehungsfällen86 sind dann zum anderen die Fälle eines Betrugs oder einer Täuschung87 zu trennen.88 Mit Blick auf Gesellschaften ausländischer Rechtsform sind es insbesondere die Fälle der Normumgehung, die näherer Betrachtung bedürfen, wohingegen die von Betrug und Täuschung regelmäßig keine Beschränkung des Schutzbereichs der Grundfreiheiten bewirken, sondern nur eine besondere Ausge-

Rs. 115/78 (Knoors), Slg. 1979, 399 Rn. 25; EuGH, Urteil vom 3. 10. 1990 – Rs. C-61/89 (Bouchoucha), Slg. 1990, I-3551 Rn. 14; EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-145 Rn. 24; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 136; EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 34 ff.; zu weiteren Fällen siehe Ottersbach, Rechtsmissbrauch bei den Grundfreiheiten, S. 70 ff. 82 So etwa EuGH, Urteil vom 3. 6. 1992 – Rs. C-45/90 (Paletta I), Slg. 1992, I-3423; EuGH, Urteil vom 2. 5. 1996 – Rs. C-206/94 (Paletta II), Slg. 1996, I-2357; EuGH, Urteil 7. 2. 1979 – Rs. 115/78 (Knoors), Slg. 1979, 399; EuGH, Urteil vom 6. 11. 2003 – Rs. C-413/01 (NinniOrasche), Slg. 2003, I-13187. 83 Zu dieser Unterscheidung Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1272 f.; Fleischer, JZ 2003, 865, 869; Stork, Sitzverlegung, S. 243 und 247; Klinke ZGR 2002, 163, 186. 84 Siehe etwa EuGH, Urteil vom 12. 5. 1998 – Rs. C-367 – 96 (Kefalas), Slg. 1998, I-2843 Rn. 20; in dem der Gerichtshof in seinen Urteil zum Sekundärrecht auch auf seine Rechtsprechung zum Missbrauch von Grundfreiheiten verweist; siehe auch Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1273. 85 So etwa zur Warenverkehrsfreiheit EuGH, Urteil vom 10. 1. 1985 – Rs. 229/83 (Leclerc), Slg. 1985, 1; ebenso EuGH, Urteil vom 11. 7. 1985 – Rs. 299/83 (Leclerc/Syndicat de librairies), Slg. 1985, 2515; EuGH, Urteil vom 10. 7. 1986 – Rs. 95/84 (Boriello), Slg. 1986, 2253; zur Dientsleistungsfreiheit etwa EuGH, Urteil vom 3. 12. 1974 – Rs. 33/74 (Van Binsbergen), Slg. 1974, 1299; zur Arbeitnehmerfreizügigkeit EuGH, Urteil vom 21. 6. 1986 – Rs. 39/86 (Lair), Slg. 1988, 3161; zur Niederlassungsfreiheit EuGH, Urteil vom 7. 2. 1979 – Rs. 115/78 (Knoors), Slg. 1979, 399. 86 Siehe ausführlich zur „Umgehungsrechtsprechung“ Schlussanträge GA Lenz vom 16. 6. 1994 – Rs. C-23/93 (TV 10), Slg. 1994, I-4795 Rn. 50 ff. m.w.Nachw. 87 Instruktiv EuGH, Urteil vom 2. 5. 1996 – Rs. C-206/94 (Paletta II), Slg. 1996, I-2357. 88 Ebenso Rehberg, EuLF 2004, 1, 2; Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1277 f.; Eidenmüller, ECFR 2009, 1, 8 f.; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 178; ähnlich Fleischer, JZ 2003, 865, 870.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

staltung der allgemeinen Rechtfertigungsgründe im Rahmen der Grundfreiheitendogmatik darstellen89 und daher hier nicht weiter verfolgt werden.90 2. Missbrauch im Sinne einer Normumgehung Als Missbrauch im Sinne einer oben erwähnten Normumgehung lassen sich Konstellationen bezeichnen, die dadurch geprägt sind, dass der Sachverhalt derart gestaltet wird, dass entweder bestimmte günstige Normen und ihre Rechtsfolgen Geltung beanspruchen oder als missliebig empfundene Vorschriften vermieden werden.91 Die Grundfreiheiten können in diesen Fällen Mittel der Normumgehung bzw. -erschleichung sein, indem sie den Marktakteuren die Möglichkeit geben, die Anwendung bestimmter Normen in beschriebener Weise zu beeinflussen und so die bestehenden Regelungsgefälle zwischen den einzelnen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auszunutzen. Der Vorwurf eines Missbrauchs hat dabei allerdings die Zielsetzung der Grundfreiheiten insoweit in den Blick zu nehmen, als ein Missbrauch nur dort gegeben sein kann, wo das durch die konkrete Handlungsweise bewirkte Ergebnis nicht mehr mit diesen Zielvorgaben in Deckung zu bringen ist.92 Im Kontext der Grundfreiheiten sind die auf eine Normumgehung abzielenden Verhaltensweisen regelmäßig durch eine Zweistufigkeit gekennzeichnet: In einem ersten Schritt begibt sich ein Marktteilnehmer in einen anderen Mitgliedstaat, um dort in den Genuss günstigerer Vorschriften zu kommen. In einem zweiten Schritt kehrt dieser sodann in den Herkunftsstaat zurück und macht gegenüber den in diesem Staat geltenden strengeren Vorschriften eine Beschränkung der Grundfreiheiten geltend. Ist dabei zunächst allein die Wahl anderer Vorschriften als denen des Heimatstaats für wirtschaftliche Aktivitäten nicht geeignet einen Missbrauch zu

89 Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 49; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 116; siehe auch Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 101 f. 90 Ausf. zu Betrug und Täuschung Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 107 ff. m.w.Nachw. 91 Die Terminologie ist indes in der Literatur nicht eindeutig. Je nach Betrachtungsweise wird diese Art als Normumgehung oder Normerschleichung bezeichnet. Sieht man den Wesenskern in der Umgehung oder Erschleichung nationaler Normen, wird auf die Auswirkung auf das nationale Recht abgestellt und dementsprechend von Normumgehung oder -erschleichung gesprochen, so etwa Ottersbach, Rechtsmissbrauch bei den Grundfreiheiten, S. 19 ff.; Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1278; Zimmermann, Das Rechtsmissbrauchsverbot, S. 3; Fleischer, JZ 2003, 865, 869. Wird indes diese Sachverhaltskonstellationen als ein primär durch die Anwendung der entsprechenden Grundfreiheiten geprägter Sachverhalt begriffen, so wird dies allgemein als Normerschleichung (Erschleichung der Grundfreiheit) verstanden, so Rehberg, EuLF 2004, 1, 2 (insb Fn. 17). 92 Siehe Ottersbach, Rechtsmissbrauch bei den Grundfreiheiten, S. 19 ff.; Zimmermann, Das Rechtsmissbrauchsverbot, S. 3; Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1289 f.; ähnlich Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 461.

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begründen,93 so erhärtet sich aber der Verdacht des Rechtsmissbrauchs, wenn mit der Wahl einem Regelungssystem im Herkunftsland ausgewichen werden soll, gleichzeitig aber die wirtschaftlichen Aktivitäten nicht in den Mitgliedstaat verlegt werden, dessen Rechtsordnung gewählt wurde. Virulent wird ein solches Vorgehen somit, wenn und soweit der Marktteilnehmer nach erfolgter ausländischen Rechtswahl seine Aktivitäten mit den günstigeren Vorschriften in den ursprünglichen Mitgliedstaat gleichsam „reimportiert“ und aufgrund der Grenzüberschreitung in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten fällt. Diese Verhaltensweisen lassen sich plastisch auch als „U-turn“-Konstellationen94 bezeichnen. a) Erfordernis eines grenzüberschreitenden Elements Kernpunkt dieser Kategorie des Missbrauchs ist die künstliche Schaffung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts. Ein an sich rein nationaler Sachverhalt wird durch einen nur formalen oder künstlichen Grenzübertritt in einen Auslandssachverhalt gewandelt. Das grenzüberschreitende Element ist dabei Voraussetzung für die Anwendung sämtlicher Grundfreiheiten. Diese zielen darauf ab, dem grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten zu gewährleisten, wie sie im Binnenmarkt innerhalb eines Mitgliedstaats vorhanden sind.95 Auf rein interne Verhältnisse eines Mitgliedstaats finden die Grundfreiheiten keine Anwendung.96 Die Erfordernisse des Binnenmarkts erfordern daher auch nicht, Sachverhalte mit einem nur formal geschaffenen grenzüberschreitenden Element unter den Schutz des Unionsrechts zu stellen. In Konstellationen, denen die „wirtschaftliche Substanz eines grenzüberschreitenden Vorgangs“97 fehlt – er also nur 93 Deutlich EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 36 ff. 94 Diesen Begriff prägend Kjellgren, EBLR 2000, 179, 183: „U-turn-constructions“; so auch Fleischer, JZ 2003, 865, 869; Rehberg, EuLF 2004, 1, 2; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 313 („Pseudo-Rückkehrkonstellationen“). 95 Siehe etwa Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 1 ff.; Gebauer, Die Grundfreiheiten des EGV, S. 79. 96 Siehe EuGH, Urteil vom 16. 1. 1997 – Rs. C-134/95 (USSL No. 47 di Biella); Slg. 1997, I-195 Rn. 12 f.; EuGH, Urteil 7. 2. 1979 – Rs. 115/78 (Knoors), Slg. 1979, 399 Rn. 24; Streinz, Europarecht, Rn. 797; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 820; Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 37; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 54 ff.; Weyer, EuR 1998, 435 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 276 ff.; Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten, S. 16 f.; Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 50; ausf. Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, S. 55 ff.; Gebauer, Die Grundfreiheiten des EGV, S. 79 f. 97 Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1291; ebenfalls auf die Entfaltung wirtschaftlicher Aktivitäten abstellend EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394; EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 51 ff.; zum Erfordernis einer realen Niederlassung im Aufnahmestaat im Anschluss an die Vale-Entscheidung auch Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1, 4 f.; Kindler, EuZW 2012, 888 ff.; König/Bormann, NZG 2012, 1241, 1242 ff.; Behme, NZG 2012, 936, 939; je m.w.Nachw.

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künstlich geschaffen wurde, um sich auf das Unionsrecht berufen und dieses als Mittel zur Umgehung des nationalen Rechts einsetzen zu können, ist der Anwendungsbereich des Missbrauchs eröffnet. Denn es lässt sich mit Sinn und Zweck der Grundfreiheiten nicht vereinbaren, „sich auf den einheitlichen Markt zu berufen und sich gleichzeitig in missbräuchlicher Weise die Existenz von Grenzen zunutze zu machen.“98

So hat auch der EuGH in der grundlegenden Entscheidung Van Binsbergen festgehalten, dass einem Mitgliedstaat nicht das Recht abgesprochen werden könne, Vorschriften zu erlassen, die verhindern sollen, dass sich Staatsangehörige die unionsrechtlich garantierten Freiheiten zunutze machen, um sich bestimmten inländischen Berufsregelungen zu entziehen.99 b) Urteil Leclerc als Musterbeispiel einer künstlichen Grenzüberschreitung Eine deutliche Fallanschauung für diesen Grundsatz vermittelt der Fall Leclerc100. Streitgegenstand dieses Verfahrens war die französische Buchpreisbindung. Die französischen Bestimmungen sahen vor, dass alle Verleger und Importeure von Büchern auf dem nationalen Buchmarkt den Endverkaufspreis für die von ihnen vertriebenen Bücher festzusetzen haben. Den Einzelhändlern verblieb dann eine Rabattspanne von 5 % vom festgelegten Endpreis. Der Buchhändler Leclerc versuchte diese Preisbindung dadurch zu umgehen, dass er Bücher zuerst aus Frankreich ausführte und unmittelbar im Anschluss daran wieder importierte. Seiner Ansicht nach beschränkte die Buchpreisbindung der reimportierten Bücher die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV (Art. 28 EG a.F.). Mittels dieses U-turns sollte also eine Überprüfung der französischen Regelung anhand der Warenverkehrsfreiheit erreicht werden, die ohne diesen Grenzbezug als rein innerstaatlicher Vorgang nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Grundfreiheiten gefallen wäre. Die französische Regierung berief sich dann auch darauf, dass der grenzüberschreitende Handelsvorgang nur ein Vorwand sei und lediglich zur Umgehung der nationalen Vorschriften diene. Nachdem bereits der Generalanwalt in dem Vorgehen der Firma Leclerc ein „künstliches Handelsgeschäft“ erblickt hatte, das lediglich der Umgehung nationaler Vorschriften diene und dem daher im Gegensatz zu „normalen Wirtschaftsgeschäften“ kein Schutz des Unionsrechts zugutekommen könne,101 schloss sich der Gerichtshof dieser Ansicht im Wesentlichen an: Zwar stelle die französische Buchpreisbindung als verbotene Maßnahme gleicher Wirkung eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV dar, da sie verhindere, dass Im98

Schlussanträge GA Darmon vom 3. 10. 1984 – Rs. 229/83 (Leclerc), Slg. 1985, 1 Rn. 13. EuGH, Urteil vom 3. 12. 1974 – Rs. 33/74 (Van Binsbergen), Slg. 1974, 1299 Rn. 13. 100 EuGH, Urteil vom 10. 1. 1985 – Rs. 229/83 (Leclerc), Slg. 1985, 1. 101 Schlussanträge GA Darmon vom 3. 10. 1984 – Rs. 229/83 (Leclerc), Slg. 1984, 1 Rn. 17.

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porteure durch günstigere Preise einen Wettbewerbsvorteil auf dem französischen Buchmarkt erzielen könnten. Jedoch könne dieses Ergebnis nicht gelten, „wenn sich aus objektiven Umständen ergibt, dass die Bücher allein zum Zwecke ihrer Wiedereinfuhr ausgeführt worden sind, um eine gesetzliche Regelung […] zu umgehen.“102

Dieses Urteil zeigt, dass künstliche Geschäfte, Scheingeschäfte103 oder sonstige künstliche Konstruktionen104 keinen unionsrechtlichen Schutz für sich in Anspruch nehmen können. Vielmehr ist dies allein „normalen“ Handelstätigkeiten vorbehalten.105 Erweist sich demnach der grenzüberschreitende Charakter eines Marktverhaltens als lediglich formal bzw. künstlich begründet und ist der dahinter stehende Zweck allein die Umgehung nationaler Vorschriften, so wird der Schutz durch die betroffene Grundfreiheit versagt. Dabei kann es hier dahinstehen, ob das Unionsrecht zwar grundsätzlich anwendbar, aber lediglich für den konkreten Fall suspendiert ist,106 oder ob mittels einer teleologischen Auslegung bereits der Tatbestand der Grundfreiheit von vornherein als nicht betroffen betrachtet wird.107 Ein solches Verhalten kann jedenfalls de facto als rein nationaler Sachverhalt nicht das Unionsrecht für sich in Anspruch nehmen. Demzufolge ist dann auch ein Mitgliedstaat berechtigt, nationale Vorschriften anzuwenden, ohne dass diese zugleich auf den Prüfstand der Grundfreiheiten gehoben werden. c) Vergleichbarkeit mit im Inland ansässigen Auslandsgesellschaften Die Problematik der Normumgehung in dem hier relevanten Kontext weist indes in Zusammenhang mit juristischen Personen besondere Merkmale auf, die hier nähere Beachtung finden sollen. Namentlich die Urteile Centros108 und Inspire Art109 hatten dieses Problemfeld zum Gegenstand. In beiden Fällen war eine Konstellation gegeben, bei der eine Gesellschaft im Ausland gegründet wurde, die anschließend 102 EuGH, Urteil vom 10. 1. 1985 – Rs. 229/83 (Leclerc), Slg. 1985, 1, 5. Leitsatz und Rn. 27; ähnlich EuGH, Urteil vom 11. 7. 1985 – Rs. 299/83 (Leclerc/Syndicat de librairies), Slg. 1985, 2515; EuGH, Urteil vom 10. 7. 1986 – Rs. 95/84 (Boriello), Slg. 1986, 2253; EuGH, Urteil vom 3. 3. 1993 – Rs. C-8/92 (General Milk Products), Slg. 1993, I-779 Rn. 21. 103 Schlussanträge GA Darmon vom 19. 1. 1993 – Rs. C-8/92 (General Milk Products), Slg. 1993, I-779 Rn. 46 f. 104 EuGH, Urteil vom 16. 7. 1998 – Rs. C-264/96 (ICI), Slg. 1998, I-4695 Rn. 26. 105 Siehe dazu EuGH, Urteil vom 3. 3. 1993 – Rs. C-8/92 (General Milk Products), Slg. 1993, I-779 Rn. 21; Schlussanträge GA Darmon vom 3. 10. 1984 – Rs. 229/83 (Leclerc), Slg. 1984, 1 Rn. 17; EuGH, Urteil vom 14. 12. 2000 – Rs. 110/99 (Emsland-Stärke), Slg. 2000, I-11569 Rn. 50 f. 106 So EuGH, Urteil vom 10. 1. 1985 – Rs. 229/83 (Leclerc), Slg. 1985, 1. 107 Dafür Ottersbach, Rechtsmissbrauch bei den Grundfreiheiten, S. 184 f.; Fleischer, JZ 2003, 865, 870; in diese Richtung auch EuGH, Urteil vom 12. 9. 2013 – Rs. C-434/12 (Slancheva sila), BeckRS 2013, 81707 Rn. 27; EuGH, Urteil vom 21. 2. 2006 – Rs. C-255/02 (Halifax u. a), Slg. 2006, I-1609 Rn. 69. 108 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459. 109 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

ihre Geschäftstätigkeit mittels einer Zweigniederlassung in dem Mitgliedstaat ausübte, aus dem die Gesellschaftsgründer stammten. Zweck der Auslandsgründung war in beiden Fällen – wie auch unbestritten von den Parteien eingeräumt wurde110 – die bewusste Umgehung der als strenger empfundenen inländischen Gründungsvorschriften. Insbesondere mit Blick auf das Urteil Leclerc hätte man prima vista erwarten können, dass der EuGH den Sachverhalt, welchen er in Centros und Inspire Art zu beurteilen hatte, nicht anders entscheiden und auch hier einen Missbrauch im Sinne einer Normumgehung judizieren würde.111 Indes fiel die Entscheidung bekanntermaßen entgegengesetzt aus. Die Umgehung inländischer Normen durch die Wahl einer anderen EU-ausländischen Gesellschaftsrechtsordnung stellt keinen Missbrauch dar, sondern verkörpert geradezu die vom Unionsrecht garantierte Ausübung der Niederlassungsfreiheit.112 Vordergründig scheint dies zu überraschen, könnte man doch argumentieren, dass der Sachverhalt der Leclerc-Entscheidung sich nicht von dem unterscheide, in dem die Gesellschafter nach einer akzidentiellen Auslandsberührung (Gesellschaftsgründung) in einer Kehrtwende sogleich auf den heimischen Markt zurückstreben,113 und somit ebenfalls eine U-turn-Konstellation vorläge.114 aa) Gesellschaft als solche Träger der Niederlassungsfreiheit Dabei sind aber zwei Ebenen zu trennen: Zunächst gilt es, sich zu vergegenwärtigen, dass die Gesellschaft selbst Subjekt der Niederlassungsfreiheit ist.115 Diese setzt nach Art. 54 AEUV lediglich voraus, dass die juristische Person nach den Vorschriften eines Mitgliedstaats gegründet ist und ihren Satzungssitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptverwaltung innerhalb der Union hat.116 Ein Rückgriff auf 110 Siehe die Ausführungen der Parteien in EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 18; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 91. 111 Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 94; Dammann, 8 Fordham J. Corp. & Fin. L. (2003), 607, 635. 112 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 18; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 95 ff. 113 So etwa Kindler, NZG 2003, 1086, 1088. 114 Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1292; mit Verweis auf Everling, FS Lutter, S. 31, 42 (Fn. 40): „Wann anders […] könnte der vom Gerichtshof theoretisch anerkannte Rechtsmissbrauch in der Praxis bejaht werden?“; siehe auch das Vorbringen der dänischen Regierung in EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 16; ebenfalls u. a. in diese Richtung argumentierend AG Hamburg NZG 2003, 732, 734. 115 Schlussanträge GA La Pergola vom 16. 7. 1998 – Rs. C 212/97 (Centros), Slg 1999, I-1459 Rn. 18; Schön, ZGR 2013, 333, 349 ff.; ders., FS Wiedemann, S. 1271, 1292; ähnlich auch Teichmann, ZGR 2011, 639, 662 ff., 669 ff.; Dammann, 8 Fordham J. Corp. & Fin. L. (2003), 607, 641 f. 116 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 27; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 97; siehe auch

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die Nationalität der Gesellschafter oder Geschäftsführer ist nicht angezeigt.117 Vor diesem Hintergrund ist dann auch die Frage einer Umgehung nationaler Normen anders zu beurteilen als im Fall Leclerc. Der Gesellschaft selbst kann der Vorwurf der Normumgehung nicht gemacht werden. Sie entsteht mit ihrer Gründung erstmals, ohne dass zuvor bereits ein Bezug zum späteren Bestimmungsstaat vorhanden ist. Demgemäß ist die Verlegung wirtschaftlicher Aktivitäten in einen anderen Mitgliedstaat als erstmalige Grenzüberschreitung kein U-turn.118 Auch kann dies nicht aufgrund eines künstlichen Charakters der Grenzüberschreitung als rein nationaler Sachverhalt des Bestimmungsstaats beurteilt werden. Denn der Grenzübertritt ist aus Sicht der Gesellschaft nicht künstlich geschaffen, sondern unabdingbare Voraussetzung, um überhaupt in einem anderen Mitgliedstaat werbend tätig werden zu können.119 Mithin gelangt sie in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten.120 Anders läge der Fall etwa, wenn eine Gesellschaft ihren Verwaltungssitz zuerst in einen anderen Mitgliedstaat und gleich wieder zurück in den Herkunftsstaat verlegt, um bestimmte Vorschriften des letzteren an der Niederlassungsfreiheit messen zu lassen.121 Ebenso hat der EuGH im Fall Cadbury Schweppes122 die wirtschaftliche Substanz eines Grenzübertritts in Abrede gestellt, weil dieser nur formal ohne Aufnahme einer werbenden Tätigkeit im Aufnahmestaat erfolgte, um hierdurch in

EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 74 ff.; ferner Teichmann, ZGR 2011, 639, 661 ff.; Schön, ZGR 2013, 333, 351 f.; ders., FS Lutter, S. 685, 694; Deville, RIW 1986, 298, 299; Rehberg, EuLF 2004, 1, 4; siehe auch Schlussanträge GA La Pergola vom 16. 7. 1998 – Rs. C 212/97 (Centros), Slg 1999, I-1459 Rn. 18. 117 Schlussanträge GA La Pergola vom 16. 7. 1998 – Rs. C 212/97 (Centros), Slg 1999, I-1459 Rn. 18; Troberg/Tiedje, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 48 EGV Rn. 6; so auch EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 18: „Die Frage der Anwendung der Artikel 43 und 48 EG-Vertrag ist nämlich eine andere als die, ob ein Mitgliedstaat Maßnahmen ergreifen kann, um zu verhindern, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Mißbrauch der durch den EG-Vertrag geschaffenen Erleichterungen der Anwendung des nationalen Rechts entziehen.“ 118 So auch Rehberg, EuLF 2004, 1, 4; siehe auch Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1292. 119 Wie hier Schön, ZGR 2013, 333, 349 ff.; ders., FS Wiedemann, S. 1271, 1292; ähnlich auch Teichmann, ZGR 2011, 639, 662 ff., 669 ff.; ders., Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 136. 120 Siehe EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 18; für die Dienstleistungsfreiheit EuGH, Urteil vom 5. 10. 1994 – Rs. 23/93 (TV 10), Slg. 1994, 4795 Rn. 14 f.; wonach die Umgehungsabsicht der Gesellschaftsgründer den grenzüberschreitenden Charakter der Tätigkeit der Gesellschaft nicht als künstliche Konstruktion entfallen lässt; siehe auch Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1293; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S. 129. 121 Rehberg, EuLF 2004, 1, 4. 122 EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995; dazu Wassermeyer/Schönfeld, GmbHR 2006, 1065 ff.; Sedemund, BB 2006, 2781; Kindler, IPRax 2010, 272 ff.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

den Genuss steuerlicher Vergünstigungen zu gelangen.123 Aus dieser Entscheidung lässt sich jedoch entgegen anders lautender Stimmen keine Einschränkung der Centros- und Inspire Art-Rechtsprechungslinie ableiten.124 Denn stützte der EuGH sein Verdikt einer „rein künstlichen, jeder wirtschaftlichen Realität baren Gestaltung“ auf die fehlende Tätigkeit im Aufnahmestaat,125 verfängt dieses Argument – wie auch der BGH bestätigte126 – gegenüber den in Centros und Inspire Art betroffenen Konstellation gerade nicht.127 Im Fall einer im Inland ansässigen Auslandsgesellschaft ist der Grenzübertritt keinesfalls jeglicher wirtschaftlicher Substanz beraubt. Vielmehr ist – umgekehrt – die werbende Tätigkeit im Destinationsstaat gerade Sinn und Zweck des Grenzübertritts.128 Daher hat der EuGH mit Recht das Vorliegen eines Missbrauchs der Grundfreiheiten durch die Gesellschaft verneint, soweit es die Umgehung nationalen Gesellschaftsrechts betrifft. Einziger Anknüpfungspunkt für ein missbräuchliches Verhalten der Gesellschaft könnte allenfalls noch die fehlende Geschäftstätigkeit im Herkunftsstaat der Gesellschaft sein. So hat etwa die dänische Verwaltung im Fall Centros argumentiert, dass mangels Geschäftstätigkeit im Herkunftsland der Gesellschaft der Sachverhalt keinen unionsrechtlich relevanten Aspekt darstelle und daher nach nationalem Recht beurteilt werden könne129. Auf der gleichen Linie lag die Argumentation zur Rechtfertigung der niederländischen Bestimmungen im Fall Inspire Art, derzufolge die Zusammenschau von fehlender Geschäftstätigkeit im Herkunftsland und dem dahinter stehenden Zweck der Normumgehung das Verhalten als missbräuchlich erscheinen lasse.130 Diesem Einwand ist der EuGH jedoch entgegen getreten. Die Umgehung nationaler Vorschriften stelle keinen Missbrauch der Grundfreiheiten dar und zwar 123

EuGH, Urteil vom 1. 4. 2014 – Rs. C-80/12 (Felixstowe Dock and Railway Company), DStR 2014, 784 ff. Rn. 32 f.; EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 51 ff. 124 So aber G. H. Roth, Vorgaben der Niederlassungsfreiheit, S. 48 f. und passim; ders., ZIP 2011, 1744 ff.; ders., EuZW 2010, 607 ff.; Kindler, IPRax 2010, 272 ff.; ders., NZG 2010, 576, 578; tendentiell auch Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Einl. Rn. 65; wie hier kritisch dagegen Teichmann, ZGR 2011, 639, 671 ff.; ders., ZHR 175 (2011), 855, 859; Habersack/ Verse, EuGesR, § 3 Rn. 18; ebenso Armour/Ringe, CMLR 48 (2011), 125, 138. 125 EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 54 f. 126 BGH NJW 2011, 3372, 3372. 127 Teichmann, ZGR 2011, 639, 671 ff.; ders., ZHR 175 (2011), 855, 859; ebenso Armour/ Ringe, CMLR 48 (2011), 125, 138; Habersack/Verse, EuGesR, § 3 Rn. 18. 128 Schön, ZGR 2013, 333, 349 ff.; ders., FS Wiedemann, S. 1271, 1292. 129 Siehe Nachweis bei EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 16; ähnlich Eyles, Das Niederlassungsrecht, S. 101 f.; Ebenroth/Eyles, DB 1989, 363, 413 f.; Timmermanns, in: Buxbaum/Hertig/Hirsch/Hopt (Hrsg.), European Business Law, S. 129, 136 f.; siehe auch Zimmer, ZHR 164 (2000), 23, 40, der aufgrund der fehlenden Tätigkeit im Herkunftsland auf die Gesellschaftsgründer abstellt. 130 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 39 (1.Vorlagefrage) und Rn. 87 f.

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„auch dann nicht, wenn die betreffende Gesellschaft ihre Tätigkeit hauptsächlich oder ausschließlich in diesem zweiten Staat ausübt.“131

Einzig entscheidend ist, dass die Gesellschaft die in Art. 54 AEUV aufgeführten Merkmale erfüllt. Dieser setzt lediglich voraus, dass sie nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet wurde und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der EU hat. Der Umstand, dass die Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit ausschließlich über Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, ist ohne Bedeutung.132 Mit anderen Worten kann sich auch eine Gesellschaft auf die Niederlassungsfreiheit berufen, die zu dem Gründungsstaat außer dem Gründungsakt keinen weiteren Bezugspunkt aufweist.133 Etwas anderes ist auch der ValeEntscheidung134 nicht zu entnehmen.135 Letztlich entspricht dies nur der konsequenten Anwendung des Art. 54 AEUV, der eine wirtschaftliche Tätigkeit im Gründungsstaat gerade nicht voraussetzt.136 Akzeptiert der Gründungsstaat eine Gründung ohne wirtschaftliche Substanz in seinem Staatsgebiet und erkennt die Gesellschaft als eine Gesellschaft seiner Rechtsordnung an, ist Art. 54 AEUV genüge getan und die Gesellschaft berechtigt, sich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen.137 Der Aufnahmemitgliedstaat kann dann keine über den Registereintrag hinausgehende Verbindung zum Gründungsstaat fordern.138 Zwar bedarf es zur 131 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 96; EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 17 und 29; EuGH, Urteil vom 10. 7. 1986 – Rs. 79/85 (Segers), Slg. 1986, 2375 Rn. 16. 132 EuGH, Urteil vom 10. 7. 1986 – Rs. 79/85 (Segers), Slg. 1986, 2375 Rn. 16; siehe auch Schlussanträge GA La Pergola vom 16. 7. 1998 – Rs. C 212/97 (Centros), Slg 1999, I-1459 Rn. 18, wonach es allein auf die Tatbestandsmerkmale des Art. 48 EG [Art. 54 AEUV] ankomme und kein weiteres Merkmal einer Geschäftstätigkeit im Herkunftsland hineingelesen werden dürfe. Für eine Beachtung von Natur oder Inhalt der Tätigkeit sei kein Raum; ebenso statt vieler Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 179; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S. 129; a.A. wohl Troberg/Tiedje, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/ EGV, Art. 48 EGV Rn. 31. 133 BGH NJW 2011, 3372, 3373; Drygala, EuZW 2013, 569, 572 ff.; Schön, ZGR 2013, 333, 351 f.; Goette, ZIP 2006, 541, 542. 134 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 34 ff. 135 So aber Kindler, EuZW 2012, 888, 891 f.; G. H. Roth, ZIP 2012, 1744 f.; die in der ValeEntscheidung eine Abkehr von Centros und Inspire Art sehen; wie hier eine solche Interpretation ablehnend Drygala, EuZW 2013, 569, 572 ff.; Schön, ZGR 2013, 333, 351 f.; Teichmann, DB 2012, 2085, 2088; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1, 4 f.; König/Bormann, NZG 2012 1241, 1242 ff.; Behme, NZG 2012, 936, 939; einen genuin link bereits zuvor ablehnend BGH NJW 2011, 3372, 3373; siehe in diesem Zusammenhang auch GA Mengozzi, Schlussanträge vom 1. 4. 2014 – Rs. C-83/13 (Fonnship A/S), BeckRs 2014, 80653 Rn. 60 ff., der einen genuin link auch bei der Ausflaggung von Schiffen für nicht erforderlich hält. 136 Schön, ZGR 2013, 333, 351 f.; Teichmann, FS Hommelhoff, S. 1213, 1224; ders., DB 2012, 2085, 2088. 137 Siehe hierzu bereits oben 1. Teil § 2 I.2.b) sowie ausf. unten 2. Teil § 5 IV.3.b)bb). 138 Drygala, EuZW 2013, 569, 572 ff.; Schön, ZGR 2013, 333, 351 f.; Teichmann, ZGR 2011, 639, 669 ff.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit noch einer tatsächlichen Teilnahme am Wirtschaftsleben des Aufnahmestaats, da ansonsten der Grenzüberschritt wirtschaftlicher Substanz entbehrte. Doch kann daran, wie bereits dargelegt, bei im Inland ansässigen Auslandsgesellschaften naturgemäß kein Zweifel bestehen. Im Ergebnis bleibt damit festzuhalten, dass die Gesellschaft als solche die subjektive Berechtigung zur Ausübung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV besitzt.139 In den hier interessierenden Konstellationen ist die Gesellschaft selbst der Träger der Grundfreiheiten. Eine Verkürzung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit – wie im Fall Leclerc – käme der Gesellschaft gegenüber nur dann in Betracht, wenn sie selbst die Grundfreiheit in missbräuchlicher Weise, wie etwa einer U-Turn-Konstruktion ausnutzen würde. Bei der hier in Rede stehenden Problematik bezüglich der Scheinauslandsgesellschaften ist dies aber gerade nicht der Fall. Die Gesellschaft ausländischer Rechtsform überschreitet regelmäßig nur einmal die Grenze, um im Aufnahmestaat werbender Tätigkeit nachzugehen. Für einen Missbrauch seitens der Gesellschaft bleibt daher regelmäßig kein Raum.140 bb) Zurechnung der Gründer auf Rechtfertigungsebene? Allein das Abstellen auf die Gesellschaft als Trägerin der Grundfreiheiten und somit die Aufspaltung in zwei unterschiedliche Vorgänge – die Gründung durch die Gesellschaftsgründer einerseits und die Gesellschaftsniederlassung andererseits – vermag zwar nach den bisherigen Ausführungen der Gesellschaft das Recht zu geben, sich auf die Niederlassungsfreiheit grundsätzlich berufen zu können. Jedoch birgt diese formale Betrachtungsweise für sich genommen die Gefahr, zusammenhängende Vorgänge nicht als Ganzes beurteilen zu können. Käme es demzufolge ausschließlich darauf an, dass – unter Ausblendung der Verhaltensweisen der Gesellschaftsgründer – der juristischen Person als solcher kein Missbrauchseinwand entgegengehalten werden könnte, wäre durch die Gründung der ausländischen Gesellschaft somit eine Barriere gegenüber der Beachtlichkeit des Gründerverhaltens errichtet.141 Ist aber bereits die Gründung der ausländischen Gesellschaft Bestandteil eines Missbrauchsverdachts, so wird man auch das Verhalten der Gründer mit in die Beurteilung einbeziehen müssen. Dass indes auch der EuGH keine rigide Lösung vertritt, die einen Missbrauch allein mit dem formalen Argument verneint, dass der Gesellschaft als solcher kein Missbrauch entgegen gehalten werden kann, belegen seine Ausführungen, wonach auch das Verhalten der Gründergesellschafter be139 Siehe zur Differenzierung zwischen Gesellschaft und Gründergesellschafter auch Rehberg, EuLF 2004, 1, 4; Mülbert/Schmolke, ZVglRWiss 100 (2001), 233, 250 f. 140 So auch Ottersbach, Rechtsmissbrauch bei den Grundfreiheiten, S. 164; Schlussanträge GA La Pergola vom 16. 7. 1998 – Rs. C 212/97 (Centros), Slg 1999, I-1459 Rn. 13. 141 Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1291, der anschaulich von einer „Sperrwirkung“ durch die Gründung der juristischen Person spricht.

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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achtlich sein könne. Zwar könne die Gesellschaft selbst sich auf die Niederlassungsfreiheit berufen, jedoch sei „die Frage der Anwendung der Artikel 43 und 48 EG-Vertrag142 eine andere als die, ob ein Mitgliedstaat Maßnahmen ergreifen kann, um zu verhindern, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch den EG-Vertrag geschaffenen Erleichterungen der Anwendung des nationalen Rechts entziehen.“143

Mit dieser Aussage ist die Frage eines Missbrauchs durch die Gesellschaftsgründer angesprochen. Es wird aber auch deutlich, dass der Gerichtshof dabei dogmatisch einen anderen Weg beschreitet. Auch wenn die Dogmatik des Missbrauchs der Grundfreiheiten in der Rechtsprechung nach wie vor einer eindeutigen Klärung harrt,144 wird in jüngeren Urteilen doch offensichtlich, dass der EuGH mit der Beachtlichkeit des Verhaltens der Gesellschaftsgründer den Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit einräumen will, die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft selbst mittels des Missbrauchseinwands zu suspendieren, da die Motive der Gesellschaftsgründung für die Anwendung der Art. 49, 54 AEUV irrelevant seien.145 So betont er stets, dass die Mitgliedstaaten zwar das Recht haben, durch nationale Maßnahmen zu verhindern, dass sich Staatsangehörige in unzulässiger Weise den mitgliedstaatlichen Vorschriften entziehen.146 Soweit dies aber ein mitgliedstaatliches Eingreifen begründet, kann es gleichwohl nicht dazu führen, dass der Gesellschaft selbst das Berufen auf die Niederlassungsfreiheit versagt wird.147 Die Art. 49, 54 AEUV bleiben anwendbar. Damit verlagert der Gerichtshof letztlich die Pro-

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Nun Art. 49, 54 AEUV. EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 26; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 135. 144 Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 74 f.; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 8 f.; Schön, FS Wiedemann, 1271, 1289 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 306; Bitter, Jb.J.ZivRWiss 2004, S. 299, 314 ff., 320 ff.; Fleischer, JZ 2003, 865, 871 f.; siehe auch Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 461; Klinke, ZGR 2002, 163, 169; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 178; Kjellgren, EBLR 2000, 179, 180; Rehberg, EuLF 2004, 1, 2; Dammann, 8 Fordham J. Corp. & Fin. L. (2003), 607, 633 ff. Siehe dazu auch den vergeblichen Einwand der Vertreter der deutschen Regierung in der Rs. Inspire Art, der Gerichtshof möge Wege für die Anwendung des Missbrauchs aufzeigen, abgedruckt bei GA Alber, Schlussanträge vom 30. 1. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 122. Dies ist jedoch – wie auch die klare Antwort von GA Alber, Schlussanträge vom 30. 1. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 123 zeigt – nicht Aufgabe des EuGH. 145 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 27; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 96 f.; EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 37. 146 EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 35; EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 24. 147 Ähnlich Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 58. 143

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

blematik auf die Rechtfertigungsebene:148 Solange der Gesellschaft selbst kein Missbrauch anzulasten ist, kann sie sich auf die Niederlassungsfreiheit berufen. Die den Mitgliedstaaten verbleibende Kompetenz, Missbräuche eigener Staatsangehörigen zu bekämpfen, ist dann im Rahmen der allgemeinen Rechtfertigungsgründe gegebenenfalls in der Lage, eine durch die Maßnahme bewirkte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu rechtfertigen.149 (1) Das Urteil TV 10 Eine solche Zurechnung hat der EuGH bereits in der Rechtsache TV 10 exemplifiziert.150 So sah der Gerichtshof es als mit den Grundfreiheiten vereinbar an, eine in Luxemburg gegründete Gesellschaft, deren Gründung die Umgehung niederländischer Vorschriften zum Ziel hatte, einer inländischen Gesellschaft gleichzustellen und den niederländischen Vorschriften zur Wahrung eines pluralistischen Fernsehens zu unterwerfen. Dieses Ergebnis begründete er in zwei Schritten. Zunächst seien die Grundfreiheiten einschlägig. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Gesellschaft allein zum Zweck der Umgehung gegründet wurde. Dem in der Vorlagefrage dagegen vorgebrachten Argument, dass es aufgrund der Umgehungsabsicht an einem unionsrechtlich relevanten grenzüberschreitenden Sachverhalt mangele,151 hielt der EuGH wie auch in Centros und Inspire Art seine formale Sichtweise entgegen: Die Gesellschaft sei in Luxemburg gegründet und habe die Absicht, für die Niederlande bestimmte Sendungen auszustrahlen. Damit läge ein Sachverhalt vor, auf den die Grundfreiheiten Anwendung fänden.152 Wiederum kann sich eine Ge148 So hat der EuGH den Missbrauchsgedanken, der sich aus dem Umstand ergab, dass mit der Gründung der Gesellschaft missbräuchliche Umgehungsabsichten der Gesellschaftsgründer verfolgt wurden, stets erst auf Ebene der Rechtfertigung geprüft, nachdem er bereits die Legitimation der Gesellschaft bestätigt hatte, sich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen: siehe EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 38 und 51 ff.; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 95 ff. und 136 ff.; siehe auch EuGH, Urteil vom 13. 3. 2007 – Rs. C-524/04 (Test Claimants in the Thin Litigation Group), Slg 2007, I-2107 Rn. 71 ff.; tendenziell anders EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 ff. Rn. 34. 149 Ebenso dies auf der Rechtfertigungsebene verortend Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 58; Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1293 f.; Fleischer, JZ 2003, 865, 872; siehe auch Ottersbach, Rechtsmissbrauch bei den Grundfreiheiten, S. 60 ff.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 91; Art. 56 AEUV Rn. 121 ff.; generell den Missbrauchsgedanken als Tatbestandsverkürzung ablehnend Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 461 f.; a.A Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 431; die Verortung auch auf Tatbestandebene erwägend, letztlich aber auf eine Rechtfertigung abstellend, BGH NZG 2007, 592, 593. 150 EuGH, Urteil vom 5. 10. 1994 – Rs. 23/93 (TV 10), Slg. 1994, 4795. Ebenso prüft der EuGH in Centros und Inspire Art (EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 und EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155) zunächst die Berechtigung der Gesellschaft, sich auf die Niederlassungsfreiheit berufen zu können. In einem zweiten Schritt geht er bei der Frage nach einer Rechtfertigung auf die Motive der Gesellschaftsgründer ein. 151 EuGH, Urteil vom 5. 10. 1994 – Rs. 23/93 (TV 10), Slg. 1994, 4795 Rn. 11. 152 EuGH, Urteil vom 5. 10. 1994 – Rs. 23/93 (TV 10), Slg. 1994, 4795 Rn. 14 f.

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sellschaft also auf die Niederlassungsfreiheit berufen, ohne dass eine Verkürzung des Schutzbereichs angezeigt wäre. Jedoch könne – und hierin liegt der zweite, zu Centros und Inspire Art parallele Gedankenschritt des Gerichtshofs – ein Mitgliedstaat Vorkehrungen treffen, um zu verhindern, dass mittels der Ausübung der im Vertrag garantierten Freiheiten in missbräuchlicher Weise die Verpflichtungen umgangen werden könnten, die sich aus den inländischen Rechtsvorschriften ergäben.153 Aufgrund dessen sei eine Anwendung der Vorschriften des Medienrechts auch auf die luxemburgische Gesellschaft mit den Grundfreiheiten vereinbar. Damit stellte der Gerichtshof letztlich auf die missbräuchliche Umgehung der niederländischen Gesellschaftsgründer ab. Da nämlich auch in diesem Fall die Gesellschaft erst in Luxemburg ins Leben gerufen wurde und daher per se keinen Uturn durch die Ausstrahlung der Sendungen in die Niederlande vollzog, konnte der Normumgehungsvorwurf nicht der Gesellschaft angelastet werden. Wenn der EuGH aber in der Umgehung der niederländischen Vorschriften einen Missbrauch des Unionsrechts erblickt, kann die Umgehung mithin nur auf der Ebene der natürlichen Personen, den Gesellschaftsgründern, angesiedelt sein. Folgerichtig vermag die Gründung einer Gesellschaft daher keine absolute Barriere gegenüber dem Verhalten der hinter der Gesellschaft stehenden Personen zu begründen. Allerdings bleibt der Missbrauchseinwand auf die Ebene der Rechtfertigung beschränkt und vermag nicht, bereits den Schutzbereich der Grundfreiheit zu negieren.154 (2) Wahl der Gesellschaftsrechtsordnung als Ausfluss der Niederlassungsfreiheit Indes führte selbst die Beachtlichkeit des Gründerverhaltens nicht dazu, dass der Gerichtshof in Centros und Inspire Art den Mitgliedstaaten aufgrund eines Missbrauchs der Grundfreiheiten zugestand, die Niederlassungsfreiheit durch die Anwendung bestimmter nationaler Normen zu beschränken, beziehungsweise deren Anwendung für den konkreten Fall zu beschränken. Voraussetzung wäre nämlich, dass zumindest das Verhalten der Gesellschaftsgründer nicht mehr mit Sinn und Zweck der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist. Nur dann könnte ein Missbrauch im Raume stehen. Dazu formulierte bereits der Generalanwalt im Centros-Verfahren, dass „die Prüfung, ob die konkrete Ausübung eines Rechts missbräuchlich ist oder nicht“, nichts anderes bedeute, „als die inhaltliche Tragweite des Rechts selbst zu ermitteln.“155 Gleichwohl führte der EuGH in den genannten Urteilen zur inhaltlichen Tragweite der Niederlassungsfreiheit aus, dass zwar mit der Gründung einer Gesellschaft nach dem Gesellschaftsrecht eines Mitgliedstaats der Zweck verfolgt werden könne, der Anwendung der als strenger empfundenen Vorschriften eines 153

EuGH, Urteil vom 5. 10. 1994 – Rs. 23/93 (TV 10), Slg. 1994, 4795 Rn. 21. Gleichsinnig Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 56 AEUV Rn. 123. 155 Schlussanträge GA La Pergola vom 16. 7. 1998 – Rs. C 212/97 (Centros), Slg 1999, I-1459 Rn. 20; siehe auch Goette, ZIP 2006, 541, 542; Schön, FS Priester, S. 737 ff. 154

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anderen Mitgliedstaats zu entgehen, doch sei es gerade das Ziel der Niederlassungsfreiheit, solchen Gesellschaften zu erlauben, in dem erstgenannten und zugleich in jedem anderen Mitgliedstaat tätig zu werden.156 Bezug nehmend auf einen in Rede stehenden Missbrauch der Grundfreiheiten durch die Gesellschaftsgründer legte der EuGH weiter dar, dass ein Staatsangehöriger, der eine Gesellschaft nach den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des Mitgliedstaats gründet, dessen Gesellschaftsrechtsordnung ihm die größte Freiheit lässt, auch dann nicht missbräuchlich handelt, wenn er anschließend mit der Gesellschaft in den Herkunftsstaat zurückkehrt. Vielmehr stelle dies die Ausübung der unionsrechtlich garantierten Niederlassungsfreiheit dar.157 Mit dieser Aussage hat der Gerichtshof jedwedem Missbrauchsvorwurf, der an die Umgehung nationalen Gesellschaftsrechts durch die Gesellschaftsgründer anknüpft, den Boden entzogen. Indem er die Gesellschaftsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten zur Disposition der Gründer stellt, misst er der Umgehung nationalen Gesellschaftsrecht die Legitimation durch die Niederlassungsfreiheit bei, da auch dann die Grundfreiheit entsprechend ihrer Funktion und Zielsetzung genutzt wird.158 Beinhalten also die Art. 49, 54 AEUV die Freiheit, sich die Gesellschaftsrechtsordnung auszusuchen, die einem am günstigsten erscheint, so mangelt es angesichts dieser Gesellschaftsrechtswahlfreiheit an zwingenden Normen des nationalen Gesellschaftsrechts, die in den betreffenden Konstellationen Geltung beanspruchen können und deren Umgehung daher missbräuchlich wäre.159 Die Wahl der passenden und damit die Umgehung nationaler gesellschaftsrechtlicher Vorschriften ist mithin Ausfluss der Niederlassungsfreiheit und daher per se kein Missbrauch.160 156 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 137; EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 26; siehe auch Schlussanträge GA La Pergola vom 16. 7. 1998 – Rs. C 212/97 (Centros), Slg 1999, I-1459 Rn. 20. 157 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 138; EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 27. 158 So auch Schön, ZGR 2013, 333, 353 ff.; ders., FS Priester, S. 125 ff.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 56 AEUV Rn. 122; Jestädt, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 97; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 51 f.; Goette, ZIP 2006, 541, 542; zur Rechtswahlfreiheit als Konsequenz der EuGHJudikatur siehe Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2244; ders., JZ 2004, 24 f.; Weller, Rechtsformwahlfreiheit, passim; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 56; Behrens, IPRax 2004, 20, 24; Kieninger, ZEuP 2004, 685, 699. 159 Vgl. Schlussanträge GA La Pergola vom 16. 7. 1998 – Rs. C 212/97 (Centros), Slg 1999, I-1459 Rn. 20, der für eine Gesetzesumgehung als notwendige Voraussetzung fordert, dass die umgangene Norm auch für die streitige Rechtlage Geltung beansprucht. Gerade diese Geltung ist aber aufgrund der vom EuGH postulierten Rechtswahlfreiheit für nationales Gesellschaftsrecht nicht mehr gegeben. Im Ergebnis ebenso Paefgen, DB 2003, 487, 488, der aber unzutreffend auf das kollisionsrechtliche Institut der Gesetzesumgehung abstellt; Schön, FS Lutter, S. 685, 695; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S. 135 f. 160 Ausführlich Schön, FS Priester, S. 125 ff.; ders., ZGR 2013, 333, 353 ff.; Drygala, EuZW 2013, 569, 572 f.; Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 462; ders., AG 2004, 57, 65; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 100 f.

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Auf Basis dieser Argumentation erklärt sich dann auch das Verhältnis zwischen Centros und Inspire Art einerseits, wonach die Umgehung nationaler Normen durch die Gesellschaftsgründer keinen Missbrauch der Grundfreiheiten implizierte, und der vermeintlich gegenteiligen Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache TV 10 andererseits.161 Denn während es in TV 10 noch um die Niederlassungsfreiheit akzidentiell betreffende Vorschriften ging, die die effektive Gewährleistung der Grundfreiheit selbst nicht infrage stellten, standen in den Fällen Inspire Art und Centros mit den Vorschriften über die Gründung von Gesellschaften Normen auf dem Prüfstand, die elementarer Bestandteil des Gesellschaftsrechts sind und infolgedessen nach Ansicht des EuGH dem durch die Niederlassungsfreiheit gewährten Wahlrecht unterfallen.162 Die Substituierung nationaler, gesellschaftsrechtlicher Vorschriften durch eine als günstiger erachtete EU-ausländische Gesellschaftsrechtsordnung und damit das Ausnutzen von Regelungsgefällen zwischen den Mitgliedstaaten ist Ausfluss der Niederlassungsfreiheit und kann somit – da sie lediglich die Ausübung einer unionsrechtlich gewährten Rechtsposition darstellt – keinesfalls einen Missbrauch begründen.163 d) Zwischenergebnis Im Ergebnis erweist sich daher der Missbrauchsgedanke als untaugliches Instrument, um im Zusammenhang mit Scheinauslandsgesellschaften eine relevante Verkürzung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit zu begründen.164 Entscheidender Umstand ist, dass die Gesellschaft selbst Trägerin der Niederlassungsfreiheit ist und eine Verlegung ihrer werbenden Tätigkeit in den Aufnahmemitgliedstaat nach der Gründung in einem anderen Mitgliedstaat keinen Ansatzpunkt dafür bietet, eine Normumgehungskonstellation im Sinne eines U-Turn zu begründen. Im Inland domizilierende Auslandsgesellschaften können sich daher 161 So wird die Entscheidung TV 10 oftmals als Widerspruch zur Rechtsprechungslinie des EuGH in Centros und Inspire Art gesehen, so Brand, JR 2004, 89, 92, mit Verweis auf die ähnlich gelagerte Agostini-Entscheidung; krit auch Rehberg, EuLF 2004, 1, 5. Jedoch hat sich der EuGH bereits zum Teil von seinen Aussagen in TV 10 distanziert und in einem vergleichbaren Fall in der Umgehung nationaler Vorschriften durch die Gesellschaftsgründer keinen Rechtmissbrauch mehr gesehen, EuGH, Urteil vom 5. 6. 1997 – Rs. 56/96 (VT 4), Slg. 1997, I-3143. 162 Siehe Rehberg, EuLF 2004, 1, 5; Schön, FS Lutter, S. 685, 694. 163 Siehe dazu auch Schön, FS Lutter, S. 685, 695; siehe ferner Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 56 AEUV Rn. 122. 164 So auch Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 9; Bitter, Jb.J.ZivRWiss 2004, S. 299, 321 ff.; Kieninger, 6 GLJ (2005), 741, 752; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 50 ff.; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 101; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1203; Ungan, ZVglRWiss 104 (2005), 355, 359 f.; Goette, ZIP 2006, 541, 542; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 99; Brand, JR 2004, 89, 92; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 135; Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 461 ff.; Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677, 681; Greulich/Rau, NZG 2008, 565, 568.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

regelmäßig auf die Niederlassungsfreiheit berufen, ohne dass deren Schutzbereich aufgrund eines Missbrauchs entfällt. Sofern man zusätzlich noch das Verhalten der Gesellschaftsgründer mit in die Bewertung einfließen lässt, ist zweierlei zu beachten. Zum einen kann missbräuchliches Verhalten der hinter der Gesellschaft stehenden Personen nicht auf die Tatbestandsebene durchschlagen und eine Anwendbarkeit der Art. 49, 54 AEUV mit Blick auf die Gesellschaft verhindern. Lediglich im Rahmen der Rechtfertigung kann ein solches Verhalten dergestalt Beachtung finden, dass es zur Rechtfertigung beschränkender Vorschriften des Aufnahmestaats, die eine Unterbindung missbräuchlichen Verhaltens intendieren, herangezogen werden kann. Zum anderen wird diese Rechtfertigungsmöglichkeit dadurch weiter begrenzt, dass der EuGH im Bereich des Gesellschaftsrechts eine Wahlfreiheit etabliert hat,165 die es ausschließt, allein in der Wahl eines als günstiger erachteten Rechts einen Missbrauch zu erblicken.166 Dieses Ergebnis lässt sich auch anhand folgenden, vom BGH entschiedenen Falls167 exemplifizieren. Ein deutscher Staatsangehöriger, gegen den zuvor ein Gewerbeverbot gemäß § 35 GewO ergangen war, versuchte durch Gründung einer britischen Limited dieses Verbot zu umgehen, indem er sich als alleiniger Director einsetzte und die Eintragung einer Zweigniederlassung der britischen Gesellschaft in Deutschland beantragte. Die Eintragung der Zweigniederlassung wurde indes unter Verweis auf das Gewerbeverbot verweigert. Der BGH bestätigte dieses Ergebnis. In Bezug auf die hier interessanten europarechtlichen Aspekte erwog der II. Zivilsenat zwar, ob sich die Gesellschaft angesichts des missbräuchlichen Verhaltens überhaupt auf die Niederlassungsfreiheit berufen könne.168 Doch ist dies nach den bisherigen Ausführungen und den insoweit eindeutigen Aussagen des EuGH nicht zweifelhaft: Denn „die Frage der Anwendung der Artikel 43 und 48 EG-Vertrag [nun Art. 49, 54 AEUV] ist eine andere als die, ob ein Mitgliedstaat Maßnahmen ergreifen kann, um zu verhindern, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch den EG-Vertrag geschaffenen Erleichterungen der Anwendung des nationalen Rechts entziehen.“169

Allerdings scheint auch der BGH nicht von einer gegenteiliger Auffassung überzeugt zu sein, suchte er doch trotz seiner skizzierten Ansätze zum Missbrauch im Ergebnis die Lösung auf der Ebene der Rechtfertigung.170 Unabhängig davon, ob die 165 Dazu Drygala EuZW 2013, 569, 572; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2244; ders., JZ 2004, 24 f.; Weller, Rechtsformwahlfreiheit, passim; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 56; Behrens, IPRax 2004, 20, 24; Kieninger, ZEuP 2004, 685, 699. 166 So auch Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 662. 167 BGH NZG 2007, 592. 168 BGH NZG 2007, 592, 593; dazu Römermann, GmbHR 2007, 873. 169 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 26; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 135. 170 BGH NZG 2007, 592, 594.

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Versagung der Registereintragung in diesem Fall letztlich ein verhältnismäßiges Mittel zur Begegnung der Umgehungsabsicht des Directors ist,171 ist jedenfalls die Möglichkeit eröffnet, durch das Verhalten des Directors Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit zu rechtfertigen. An diesem Fall lassen sich mithin nochmals die Aussagen des EuGH verdeutlichen. Die Gesellschaft kann sich auf die Niederlassungsfreiheit berufen, da ihr selbst als Subjekt der Grundfreiheit kein Missbrauch entgegengehalten werden kann. Gleichwohl können die Mitgliedstaaten den Missbrauchsgedanken im Rahmen der allgemeinen Rechtfertigungsgründe aktivieren, um zu verhindern, dass sich ihre Staatsangehörigen den nationalen Vorschriften in missbräuchlicher Weise entziehen. 3. Fehlender Rechtswidrigkeitszusammenhang bei Missbrauch nationalen Rechts Mit Blick auf die eingangs erwähnten Stimmen der Literatur, die eine Anwendung deutscher Gläubigerschutzinstrumente, wie etwa der Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs, auch gegenüber Scheinauslandsgesellschaften den Missbrauchsgedankens befürworten,172 erscheint dieser Weg nach alledem nicht gangbar. Es stellt sich nämlich die Frage, woran der Missbrauchsvorwurf anknüpfen könnte. Die Verwendung einer ausländischen Gesellschaft als solche scheidet dafür nach der eindeutigen Rechtsprechung des EuGH aus.173 Ebenso wenig kann die Anwendung der Vorschriften des Aufnahmestaats nach den bisherigen Ausführungen mit der Umgehung nationalen Gesellschaftsrechts durch die Gesellschaftsgründer begründet werden. Diese haben das Recht, sich derjenigen Rechtsordnung zu bedienen, die Ihnen die größten Freiheiten gewährt. Zum Teil wird dagegen eingewandt, dass zwar eine Normumgehung nicht in Betracht komme, sich aber aus Centros und Inspire Art folgern ließe, dass der Gerichtshof den Missbrauch als europäisches Rechtsinstitut und zugleich als mitgliedstaatliches Recht anerkannt habe.174 Daher verwehre es das Unionsrecht den Mitgliedstaaten nicht, rechtsmissbräuchliches Verhalten zu sanktionieren und dieses auch nach den Normen des nationalen Rechts festzustellen, ohne dass es durch den Zusammenhang mit der Wahrnehmung der Grundfreiheiten der Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten entzogen sei.175 Folgerichtig könne etwa der 171

Ausf. BGH NZG 2007, 592, 594; siehe auch Römermann, GmbHR 2007, 873 f.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 101; a.A. Mankowski, BB 2006, 1173 ff., der die Durchsetzung des Gewerbeverbots bzw. ein weiteres, gegen die Gesellschaft gerichtetes Gewerbeverbot als milderes Mittel sieht; zum Ganzen auch Lanzius, Anwendbares Recht und Sonderanknüpfungen unter der Gründungstheorie, S. 199 ff. 172 Statt vieler Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 433; ders., FS Säcker, 2011, 393, 401; Zimmer, in: Schmidt/Lutter (Hrsg.), AktG, Int. GesR Rn. 50; jeweils m.w.Nachw. 173 Kersting/Schindler, RdW 2003, 621, 624. 174 Borges, ZIP 2004, 733, 742; wohl auch Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 433. 175 Borges, ZIP 2004, 733, 742; so auch Kindler, NZG 2003, 1086, 1089 f., der jedoch noch generell die Anwendung deutschen Gesellschaftsrechts aufgrund der bisher geltenden Sitz-

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

existenzvernichtende Eingriff, dessen Grundlage eine mit dem Vermögensabzug verbundene rechtsmissbräuchliche Gläubigerschädigung sei, nach deutschem Recht geahndet und auch gegenüber auf Europarecht basierenden Normen angewandt werden.176 Diese Argumentation erscheint jedoch nicht angängig. Sie vermengt in unzulässiger Weise die nach mitgliedstaatlichen Maßstäben als rechtsmissbräuchlich zu beurteilenden Verhaltensweisen mit einem Missbrauch des Unionsrechts. Zwar hat der EuGH den Mitgliedstaaten das Recht zugestanden, anhand nationaler Regelungen zu beurteilen, ob ein sich aus einer Bestimmung des Unionsrechts ergebendes Recht missbräuchlich ausgeübt wird177, jedoch betont der Gerichtshof gleichzeitig, dass auch hier die Mitgliedstaaten an das Unionsrecht gebunden sind. So dürfen die nationalen Missbrauchsregeln nicht dazu führen, dass der Vorrang, die volle Wirksamkeit oder die einheitliche Anwendung einer Norm des Unionsrechts in Frage gestellt wird.178 Insbesondere dürfen weder die Tragweite der betreffenden Bestimmung verändert noch die mit ihr verfolgten Zwecke oder Ziele vereitelt werden.179 Entscheidendes Moment für das Vorliegen eines Missbrauchs der Grundfreiheiten ist der Bezug zum Unionsrecht. Es muss gerade die Niederlassungsfreiheit missbraucht werden.180 Mit anderen Worten muss sich die erlangte Rechtsposition, die den Verdacht begründet, nicht mehr von Sinn und Zweck der Norm umfasst zu sein, aus dem Unionsrecht selbst ergeben.181 Könnte dagegen ein Missbrauch natheorie für möglich hält und daher nur „hilfsweise“ zusätzlich einen Missbrauch als gegeben ansieht. Ebenfalls die Anwendung der Existenzvernichtungshaftung erwägend Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 663 f., der diese Haftung jedoch über zwingende Gründe des Allgemeinwohls einer europarechtlichen Rechtfertigung zuführen will, im Ergebnis jedoch deren unionsrechtliche Legitimation versagt, sofern das Gründungsstatut „ebenbürtigen Schutz“ gewährt, aaO 484 ff. 176 Borges, ZIP 2004, 733, 742 f.; Kindler, FS Säcker, 2011, 393, 401; ders., NZG 2003, 1086, 1089 f. (insb. Fn. 47); Drygala, ZEuP 2004, 337, 347; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3589; so auch Horn, NJW 2004, 893, 899 („Ein Missbrauch in diesem Sinne dürfte nach deutschem Recht beispielsweise im Sonderfall der so genannten Existenzvernichtungshaftung vorliegen. Der Haftungstatbestand ist als ein […] missbräuchliches Verhalten der Gesellschafter im Sinne der EuGH-Rechtsprechung […] anzuerkennen“). 177 EuGH, Urteil vom 12. 5. 1998 – Rs C-367/96 (Kefalas), Slg. 1998, 2843 Rn. 21. 178 EuGH, Urteil vom 12. 3. 1996 – Rs. C-441/93 (Pafitis), Slg. 1996, I-1347 Rn. 68; EuGH, Urteil vom 23. 3. 2000 – Rs. C-373/97 (Diamantis), Slg. 2000, I-1723 Rn. 34; EuGH, Urteil vom 12. 5. 1998 – Rs C-367/96 (Kefalas), Slg. 1998, 2843 Rn. 22; EuGH, Urteil vom 11. 9. 2003 – Rs. C-201/01 (Walcher), Slg. 2003, I-8827 Rn. 37; siehe auch Schön, FS Wiedemann, S. 1271, 1280; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 302; Ottersbach, Rechtsmissbrauch bei den Grundfreiheiten, S. 49 ff. 179 EuGH, Urteil vom 12. 5. 1998 – Rs C-367/96 (Kefalas), Slg. 1998, 2843 Rn. 22; siehe auch EuGH, Urteil vom 2. 5. 1996 – Rs. C-206/94 (Paletta II), Slg. 1996, I-2357 Rn. 25. 180 Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 10; ähnlich auch Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 664. 181 Ähnlich Zimmermann, Das Rechtsmissbrauchsverbot, S. 12; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1203; siehe auch Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 179: „Lediglich wenn ein Marktteilnehmer […] sich einen Vorteil verschaffen will, der nicht durch den Zweck der ihm gemein-

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tionaler Vorschriften die Grundfreiheiten ausschließen oder einschränken, so würde der Anwendungsbereich der betreffenden Grundfreiheit unzulässig verkürzt werden, und der seit der Costa/E.N.E.L.-Entscheidung182 elementare Vorrang des Unionsrechts wäre infrage gestellt.183 Allein das aus nationaler Sicht getroffene Missbrauchsurteil könnte den Geltungsanspruch der Grundfreiheiten zurückzudrängen. Zwar ist richtig, dass der EuGH die Beurteilung eines Missbrauchs in die Hand der Mitgliedstaaten und deren Vorschriften gegeben hat, aber bei dem ggf. anhand nationaler Rechtsinstitute festzustellenden Missbrauch muss es sich weiterhin um einen solchen des Unionsrechts handeln. Ein Mitgliedstaat ist nicht befugt, durch die Feststellung, dass nationales Recht – mag es auch ein in den Mitgliedstaaten verbreitetes Recht sein – missbräuchlich ausgenutzt wurde, die Grundfreiheiten und deren einheitliche Anwendung zu unterlaufen.184 Daher ist ein Missbrauch der Grundfreiheiten sorgsam von einem solchem des nationalen Rechts zu trennen. Eben diese Differenzierung wird bei der Diskussion um die Anwendung der Existenzvernichtungshaftung bisweilen vernachlässigt.185 Soweit argumentiert wird, dass mit der durch die Existenzvernichtungshaftung sanktionierten, gezielten Gläubigerschädigung zugleich auch immer die immanenten Schranken der Niederlassungsfreiheit in Form des Missbrauchs überschritten seien,186 wird der Missbrauch nationalen Rechts mit einem Missbrauch der Grundfreiheiten gleichgesetzt. So stellt zwar der existenzvernichtende Eingriff nach der Bremer Vulkan-Konzeption einen zu einem Verlust des Haftungsprivilegs führenden Missbrauch der Rechtsform der GmbH187 und seit der Trihotel-Entscheidung eine Innenhaftung begründende rechtsmissbräuchliche Schädigung der Gläubigerinteressen dar.188 Die Grundfreiheiten, namentlich die Niederlassungsfreiheit, sind dagegen nicht betroffen. Weder geben die Art. 49, 54 AEUV das Recht zur Existenzvernichtung, noch wird ein solches Verhalten durch ihre Anwendung ermöglicht oder gefördert. Ein Missbrauch der Grundfreiheit liegt daher nicht vor.189 Dieser wäre nur dann gegeben, wenn in dem konkreten Sachverhalt durch die Niederlassungsfreiheit ein relevanter Vorteil

schaftsrechtlich eingeräumten Rechtsposition gedeckt ist“, könne ein Missbrauch gegeben sein (Herv. d. Verf.). 182 EuGH, Urteil vom 15. 7. 1964 – Rs. 6/64 (Costa/E.N.E.L), Slg. 1964, 1251. 183 Siehe auch Kieninger, 6 GLJ (2005), 741, 751 f. 184 So auch Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 10. 185 So auch Kieninger, 6 GLJ (2005), 741, 751; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 105; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 10, 94. 186 So etwa Kindler, FS Säcker, 2011, 393, 401; ders., in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 433; ders., FS Säcker, 2011, 393, 401; ders., NZG 2003, 1086, 1089; Horn, NJW 2004, 893, 899; Drygala, ZEuP 2004, 337, 347; Borges, ZIP 2004, 733, 742; G. H. Roth, NZG 2003, 1081, 1085; Zimmer, in: Schmidt/Lutter (Hrsg.), AktG, Int. GesR Rn. 50. 187 BGHZ 149, 10; 151, 181. 188 BGHZ 173, 246 ff. (Trihotel). 189 Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 94.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

eingeräumt würde, der nicht mehr durch deren Sinn und Zweck gedeckt wäre.190 Bezugspunkt des Missbrauchsvorwurfs ist im Fall des existenzvernichtenden Eingriffs der Abzug des zur Existenz der Gesellschaft erforderlichen Vermögens durch die Gesellschafter, der mit der durch das nationale Recht, nicht durch das Unionsrecht, gewährten Vermögenstrennung nicht in Einklang zu bringen ist.191 Die einzige Veränderung widerfährt der Beurteilung des Sachverhalts im Fall einer Auslandsgesellschaft durch die Beachtlichkeit des Gründungsrechts. Darin den einen Missbrauch begründenden Vorteil zu erblicken, der in missbräuchlicher Anwendung der Niederlassungsfreiheit genutzt wird, hieße nichts anderes, als die elementaren Aussagen des EuGH in Centros und Inspire Art zu missachten und letztlich doch den Missbrauch an die Wahl eines anderen als des deutschen Gesellschaftsrechts zu knüpfen.192 Ist also dieselbe Verhaltensweise in gleicher Weise im Zusammenhang mit einer deutschen Gesellschaftsform möglich, wie bei einem Einsatz einer ausländischen Gesellschaftsform, dann kann kein Missbrauch der Grundfreiheiten in Rede stehen. Denn in diesem Fall wird nicht die Niederlassungsfreiheit missbraucht, sondern das nationale Recht.193 Es fehlt mithin an einem „Rechtswidrigkeitszusammenhang“ zum Unionsrecht.194 Gleiches gilt mutatis mutandis für die ebenfalls unter den Missbrauch rubrizierten Fälle der materiellen Unterkapitalisierung195 oder Vermögensvermischung.196 Exemplarisch kann hier auch ein ähnlich gelagerter konkreter Fall herangezogen werden. Das AG Hamburg hatte einen Sachverhalt zu beurteilen, in dem ebenfalls ein Missbrauch der Grundfreiheiten Gegenstand der Untersuchung war.197 Ein Unter-

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Eidenmüller, JZ 2004, 24, 26; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 179. Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 105; Weller, Rechtsformwahlfreiheit, S. 284 f.; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 94. 192 Ebenso Kersting/Schindler, RdW 2003, 621, 624 f.; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 9; Eidenmüller, JZ 2004, 24, 26; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1203; ähnlich wohl Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677, 681; Sandrock, AG 2004, 57, 65; Kieninger, 6 GLJ (2005), 741, 752; Bayer, BB 2003, 2357, 2364; Behrens, IPRax 2004, 20, 25. 193 Weller, Rechtsformwahlfreiheit, S. 284 f.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 105; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 664; Ulmer/ Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 10. 194 Dieses ebenfalls erwägend Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 180, die diese Erwägung für den Fall der Verwendung einer ausländischen Gesellschaft als sog. „Aschenputtel“-Gesellschaft in Betracht ziehen; deutlich Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 102; vgl. auch Ulmer, NJW 2004, 1201, 1203, wonach ein Missbrauch nicht aus nationaler Sicht, sondern aus derjenigen des EU-Rechts zu beurteilen sei. 195 Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 94; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 104; a.A. Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 433. 196 Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 103; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 94. 197 AG Hamburg NZG 2003, 732; dazu etwa Mock/Schildt, NZI 2003, 444; Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 463; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 180; Weller, IPrax 2003; 191

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nehmer hatte eine Ltd. in England gegründet, die in England keinerlei Geschäftstätigkeit entfaltete.198 Daneben hatte er in Hamburg eine Parallel-GmbH errichtet. Das Geschäftsmodell sah dabei vor, dass sämtliche Verbindlichkeiten zu Lasten der Ltd. begründet wurden, wohingegen im Namen und zugunsten der GmbH gehandelt wurde, sofern es um den Erwerb von Forderungen ging.199 Folglich wurden der Ltd. nur sämtliche Passiva der Geschäftstätigkeit übertragen, was dazu führte, dass diese für die Gläubiger uneinbringlich wurden, da die Aktiva allein bei der GmbH verblieben. Im Rahmen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hatte das AG Hamburg sich dann mit der Frage der Ansprüche gegen die Gesellschafter200 zu beschäftigen. Da das Insolvenzverfahren eine zur Deckung der Verfahrenskosten ausreichende, verwertbare Insolvenzmasse voraussetzt,201 die Ltd. diese jedoch nicht zu bieten in der Lage war, wurde die Frage nach daneben bestehenden Ansprüchen aus persönlicher Haftung der Gesellschafter entscheidungserheblich.202 Zur Begründung der Ansprüche gegen die Gesellschafter rekurrierte das AG Hamburg auf die Rechtsprechungsänderung des II. Zivilsenats des BGH zum internationalen Gesellschaftsrecht.203 Danach seien ausländische Gesellschaften mit im Inland zu lokalisierendem Verwaltungssitz zwar nicht mehr als rechtliches Nullum, sondern als inländische Personengesellschaft zu behandeln.204 Dementsprechend werde die Haftungsbeschränkung der Ltd nicht anerkannt. Neben den wenig überzeugenden Ausführungen zur Relevanz des Überseering-Urteils des EuGH und der Anschlussentscheidung des BGH,205 die an dieser Stelle nicht weiter von Interesse 520 ff.; Lürken, DStR 2003, 1764; Kindler, FS Jayme, S. 409, 413 f. siehe dazu auch, jedoch noch vor Überseering LG Stuttgart NJW-RR 2002, 463, 465 ff. 198 Das AG bezeichnete die Ltd als „reinen Briefkasten“, AG Hamburg NZG 2003, 732, 733. 199 Zu diesen sog. „Aschenputtel“-Konstellationen und den Rechtsfolgen nach deutschem Recht ausf. Hennrichs, FS Schneider, S. 489 ff. 200 In diesem Fall ebenfalls zwei englische Limiteds. 201 Uhlenbruck, InsO, § 26 Rn. 4, m.w.Nachw.; Foerste, Insolvenzrecht, Rn. 120. 202 Im Ergebnis wies das AG den Antrag auf Insolvenzeröffnung gleichwohl mangels Masse ab, da auch die Ansprüche gegen die Gesellschafter keine ausreichende Masse begründeten. 203 BGHZ 151, 204; dazu etwa Forsthoff, DB 2002, 2471; Goette, DStR 2002, 1678; Gronstedt, BB 2002, 2033; Zimmer, BB 2003, 1, 5; Lutter, BB 2003, 7, 9; Wernicke, EuZW 2002, 758; Heidenhain, NZG 2002, 1141, 1142. 204 AG Hamburg NZG 2003, 732, 733. 205 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919; ferner BGH NJW 2003, 1461; Das AG Hamburg geht zwar auf beide Entscheidungen ein, beschränkt deren Bedeutung jedoch lediglich auf die Frage der Rechts- und Parteifähigkeit zur Führung eines Aktivprozesses. Auf Grundlage dieser Sichtweise schließt das Gericht dann die Bedeutung der Überseering-Urteile für das vorliegende Verfahren aus und sieht daher in der modifizierten Sitztheorie keinen Verstoß gegen Art. 43 und 48 EG [nun Art. 49, 54 AEUV]. Aus den Aussagen des EuGH könne nicht auf eine Pflicht zur Anerkennung der Haftungsbeschränkung geschlossen werden, weshalb die Ltd. auch als Personengesellschaft behandelt werden könne, AG Hamburg NZG 2003, 732, 733. Indes steht diese Aussage im Widerspruch zu den Urteilen Überseering und Inspire Art; wonach eine ausländische Kapitalgesellschaft als eben solche anzuerkennen ist; ebenso krit. Drygala, ZEuP 2004, 337, 347 (Fn. 58); Geyrhalter/Gänßler,

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

sind,206 bediente sich das AG zur Begründung seines Ergebnisses vor dem Hintergrund der Art. 49, 54 AEUV des Missbrauchseinwands.207 Unter Verweis auf die durch Centros konzedierte Möglichkeit, das missbräuchliche Verhalten der Betroffenen in Rechnung stellen zu können, wertete das Gericht das Geschäftsmodell, mittels einer Betriebsaufspaltung Forderungen und Verbindlichkeiten zu trennen, als missbräuchlich.208 Infolgedessen könne eine persönliche Haftung der Gesellschafter nach deutschem Recht auch vor der Niederlassungsfreiheit Bestand haben, da diese aufgrund des Missbrauchsgedankens keine Wirkung entfalte. Genau hierin offenbart sich indes die mangelnde Differenzierung zwischen einem Missbrauch der Niederlassungsfreiheit und dem Missbrauch gesellschaftsrechtlicher Rechtsformen. Denn das gleiche missbräuchliche Ergebnis wäre auch bei Verwendung einer GmbH zu realisieren gewesen.209 Mithin verschaffte die durch die Niederlassungsfreiheit ermöglichte Wahl einer ausländischen Rechtsform keinen Vorteil, der angesichts der Handlungsweise nun missbräuchlich erschiene. Es ist daher mangels Rechtswidrigkeitszusammenhangs nicht ersichtlich, weshalb in diesem Fall

DStR 2003, 2167, 2171 (Fn. 48); Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 463; Mock/Schildt, NZI 2003, 444; Weller, IPrax 2003; 520, 521; Lürken, DStR 2003, 1764; siehe auch Spindler/ Berner, RIW 2004, 7, 8; dies., RIW 2003, 949, 950 f.; Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677, 681; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3586; Ebke, JZ 2003, 927, 929; Bayer, BB 2003, 2357, 2361 f.; Drygala, EWiR 2003, 1029, 1030; ebenso Behrens, IPRax 2004, 20, 22 ff.; a.A. Kindler, NZG 2003, 1086, 1089. 206 Siehe zur Unvereinbarkeit der modifizierten Sitztheorie des II. Zivilsenats bereits oben 1. Teil § 2 II.4.b)bb). 207 AG Hamburg NZG 2003, 732, 733; freilich zeigen sich an dieser Stelle Friktionen im argumentativen Gerüst des AG Hamburg. Soweit es darauf abstellt, dass die modifizierte Sitztheorie mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sei und daher keine Pflicht zur Anerkennung der Haftungsbeschränkung bestehe, so ist es widersprüchlich, dass es dennoch eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit aufgrund der persönlichen Haftung nicht ausschließt und sich daher genötigt sieht, diese der modifizierten Sitztheorie immanente Folge einer gesonderten Rechtfertigung über den Missbrauch der Grundfreiheiten zuzuführen. 208 AG Hamburg NZG 2003, 732, 734; darüber hinaus führte das Gericht in einem obiter dictum aus, dass „bereits die alleinige Tatsache der fehlenden tatsächlichen Kapitalausstattung einer Gesellschaft bei gleichzeitiger Haftungsbeschränkung eines ausschließlich in Deutschland operierenden, nach ausländischem Recht gegründeten Unternehmens als Indiz für eine Rechtsmissbräuchlichkeit“ gewertet werden könne. Dem ist zu widersprechen, werden doch damit die Aussagen des EuGH zum Missbrauch der Grundfreiheiten konterkariert, wonach es eben kein Missbrauch darstellt, eine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat zu gründen, dessen Vorschriften die größten Freiheiten gewähren, auch wenn die Geschäftstätigkeit ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt wird. Dazu bereits oben 2. Teil § 5 I.2.c)bb)(2); ferner EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 27; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 138; wie hier Drygala, ZEuP 2004, 337, 347 (Fn. 58); Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 463 (Fn. 50); Lürken, DStR 2003, 1764; Weller, IPRax 2003, 520, 523 f. 209 Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 664; so auch Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 102; zuvor noch offen lassend ders., JZ 2004, 24, 26; zurückhaltender Bitter, Jb.J.ZivRWiss 2004, S. 299, 320 f.

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die Niederlassungsfreiheit suspendiert sein sollte.210 Die vorliegende Konstruktion stellt vielmehr eine allgemein missbräuchliche, gesellschaftsrechtliche Gestaltung dar, für deren Verhinderung oder Sanktionierung jede Gesellschaftsrechtsordnung geeignete Instrumente bereithält. Infolgedessen wäre es überzeugender gewesen, dass englische Gesellschaftsrecht – etwa die wrongful trading- Haftung211 oder die im common law verankerte Durchgriffshaftung (veil piercing) – heranzuziehen. Die Anwendung deutschen Rechts kann jedenfalls nicht mit Hilfe des Missbrauchsgedankens von der Überprüfung durch die Niederlassungsfreiheit freigestellt werden.212 4. Zusammenfassung Nach alledem stellt der Missbrauchsgedanke keinen adäquaten Filter dar, um den weiten Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit mit Blick auf die Problematik der Scheinauslandsgesellschaften zu begrenzen. In den in Rede stehenden Sachverhalten wird der Gedanke des Missbrauchs gegenüber den Gesellschaften regelmäßig nicht fruchtbar gemacht werden können. Zwar ist nicht völlig auszuschließen, dass es Konstellationen geben mag, die einen Rückgriff auf dieses unionsrechtliche Instrument ermöglichen, doch bietet es kein Einfallstor dafür, generell gesellschaftsrechtliche Regelungsanliegen des Aufnahmestaats auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften projizieren zu können.

II. Begrenzung auf Gründungsvorschriften Ein anderer in der Literatur erwogener Ansatz zur Reduzierung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit von im Inland ansässigen Auslandsgesellschaften versucht die Maßgeblichkeit des ausländischen Gesellschaftsrechts auf unmittelbar die Gründung einer Gesellschaft betreffende Vorschriften zu reduzieren.213 Dieser Ansicht zufolge seien die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats zum großen Teil anwendbar, sofern die Auslandsgesellschaft faktisch ihren Sitz im Inland hat.214 Nur die Materien, die auf das Engste mit der Gründung einer Kapitalgesellschaft im Sinne ihrer Entstehung und ihres Bestands verbunden 210 Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 102; Bayer, BB 2003, 2357, 2364; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 664. 211 Dazu etwa Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174 ff. 212 Siehe auch Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 9; Bayer, BB 2003, 2357, 2364; Ulmer/ Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 10. 213 So namentlich Altmeppen, NJW 2004, 97, 99 ff.; ders., FS Röhricht, S. 3, 15 f.; ders./ Wilhelm, DB 2004, 1083 ff.; dem folgend auch Walterscheid, DZWiR 2006, 95, 98; ähnlich auch Weller, DStR 2003, 1800, 1804; Vallender, ZGR 2006, 425, 454; diesen Ansatz auch heranziehend KG NZG 2010, 71, 72; LG Kiel ZIP 2006, 1248, 1249. 214 Altmeppen, NJW 2004, 97, 99; siehe auch ders., NJW 2005, 1911; 1913 f.; ähnlich auch Ego, Gläubigerschutzrecht, S. 138 ff., 198 ff.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

sind, unterlägen dem Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit.215 Dies seien insbesondere die im Zusammenhang mit der Gründung stehenden Fragen der Entstehung, Verfassung, Auflösung und Umwandlung.216 Aus der Grundfreiheit könne indes nicht gefolgert werden, dass sich über die Anerkennung der Gründung hinaus auch alle weiteren gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des Aufnahmestaats den Anforderungen der Art. 49, 54 AEUV stellen müssten.217 Insbesondere sei die Frage des Gläubigerschutzes originäre Angelegenheit des Sitzstaats, weshalb dieser sich keinesfalls nach dem Recht des Gründungsstaats richten könne.218 Demzufolge könne das Inlandsrecht ohne europarechtliche Implikationen für Kapitalerhaltung, -aufbringung und -ersatz sowie für die Existenzvernichtungs- und Insolvenzverschleppungshaftung in Ansatz gebracht werden.219 Die Begründung dieser Ansicht bleibt indes teilweise unklar, scheint sich jedoch zumindest auch auf pragmatische Gründe zu stützen. So wird unter anderem dargelegt, dass es zum einen dem inländischen Richter schlechterdings nicht zumutbar sei, ausländisches Gesellschaftsrecht zu kennen und anzuwenden.220 Zudem könne das ausländische Recht dann nicht beachtlich sein, sofern es öffentlich-rechtlich ausgestaltet sei und somit territorial begrenzte Wirkung habe. Diese Argumente mögen zwar einem pragmatischen Lösungsansatz verpflichtet sein, der durch die weitgehende Konservierung deutschen Gesellschaftsrechts größere Verwerfung für die Rechtspraxis zu vermeiden sucht. Vor der Niederlassungsfreiheit haben sie indes keinen Bestand.221 Es ist nämlich nicht ersichtlich, wie sich eine solche Begrenzung in der Struktur der Niederlassungsfreiheit verankern ließe. Soweit darauf rekurriert wird, dass der EuGH die Mitgliedstaaten lediglich zur Anerkennung der Gründung einer Kapitalgesellschaft verpflichtet hat, so scheint dies ausschließlich die Aussagen des Überseering-Urteils in den Fokus zu rücken. Es ist jedoch zum einen nicht überzeugend, aus den apodiktischen, allein auf den konkreten Streitgegenstand bezogenen Aussagen des EuGH neben der Pflicht zur Anerkennung zugleich auch die äußere Grenze der Niederlassungsfreiheit ableiten zu wollen.222 Im ÜberseeringVerfahren war der Gerichtshof lediglich mit der Frage der Anerkennung einer im 215 Altmeppen, NJW 2004, 97, 99 f.; Vallender, ZGR 2006, 425, 454; Walterscheid, DZWiR 2006, 95, 98; ähnliche Erwägungen anstellend auch KG NZG 2010, 71, 72. 216 Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1084, 1085 ff. 217 Altmeppen, NJW 2004, 97, 100; Vallender, ZGR 2006, 425, 454; Ego, Gläubigerschutzrecht, S. 138 ff., 198 ff.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 245. 218 Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 242 ff.; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1084, 1086 f.; Walterscheid, DZWiR 2006, 95, 98; Altmeppen, NJW 2004, 97, 100 f.; Ego, Gläubigerschutzrecht, S. 138 ff., 198 ff. 219 LG Kiel ZIP 2006, 1248, 1249; Altmeppen, NJW 2004, 97, 100 ff. 220 Altmeppen, NJW 2004, 97, 99; eine ähnliche Argumentation findet sich bei G. H. Roth, Vorgaben der Niederlassungsfreiheit, S. 35 f. 221 Goette, ZIP 2006, 541, 544 f.; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 60. 222 Siehe auch Ulmer, NJW 2004, 1201, 1205.

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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Ausland gegründeten Gesellschaft befasst. Weitergehende Aussagen, namentlich zur äußeren Grenze des Gewährleistungsgehalts der Art. 49, 54 AEUV, waren daher nicht zu erwarten und können dem Urteil auch nicht entnommen werden. Zum anderen verdeutlichen die Aussagen des EuGH in der Inspire Art-Entscheidung, dass der durch die Niederlassungsfreiheit gewährte Schutz nicht bei der Anerkennung der Gründung einer Kapitalgesellschaft stehen bleibt, sondern darüber hinaus auch Beschränkungen erfasst, die durch Vorschriften „sowohl zum Zeitpunkt der Gründung als auch während des Bestehens der Gesellschaft“223

bewirkt werden.224 In Vale und Cartesio sprach der Gerichtshof von Rechtsvorschriften, die für die Gründung und Funktionsweise der Gesellschaft maßgeblich seien.225 Dass er denn auch nicht gewillt ist, gesellschaftsrechtliche Vorschriften jenseits der Gründungsvorschriften von der Niederlassungsfreiheit freizustellen, zeigt sich letztlich unverkennbar in der Idryma Typou-Entscheidung, in der der EuGH eben auch gläubigerschützende Vorschriften, namentlich eine Durchgriffshaftung, als nicht gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ansah.226 Gegen eine solche Begrenzung spricht schließlich auch der Wortlaut des Art. 49 Abs. 2 AEUV, der die Niederlassungsfreiheit nicht auf die Errichtung von Gesellschaften begrenzt, sondern auch auf die Ausübung geschäftlicher Tätigkeit erstreckt. Nach alledem ist eine Begrenzung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit auf die die Gründung betreffenden Normen nicht mit den Aussagen des EuGH in Einklang zu bringen.227 Eine Aufspaltung des gesellschaftsrechtlichen Regelungskomplexes in Vorschriften über die Gründung einerseits und die übrigen gesellschaftsrechtlichen Anliegen andererseits würde zudem durch das Nebeneinander 223

EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 104. Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 96; Riegger, ZGR 2004, 510, 525. 225 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 27; EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 104. Zwar betraf diese Formulierung zunächst nur den Umfang des Verweises von Art. 54 AEUV auf das Gründungsrecht und die den Mitgliedstaaten hierdurch eingeräumte Definitionsautonomie für Gesellschaften ihrer Rechtsordnung. Spiegelbildlich hat aber der Aufnahmestaat eben diese Regelungsautonomie des Gründungsstaats anzuerkennen und kann vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit nicht seinereits in den dem Gründungsrecht zugewiesenen Bereich eingreifen, siehe ausf. unten 2. Teil § 5 IV.3.b)bb). 226 EuGH, Urteil vom 21. 10. 2010 – Rs. C-81/09 (Idryma Typou), Slg. 2010, I-1016. 227 So bereits Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 12 (Fn. 56); ferner auch Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112; Behrens, IPrax 2004, 20, 24; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 43; Bicker, Gläubigerschutz in der Konzerngesellschaft, S. 46 f.; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1205 f.; Ungan, ZVglRWiss 104, 355, 365; Goette, ZIP 2006, 541, 544 f.; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 59 f.; Riegger, ZGR 2004, 510, 524; Leible, ZGR 2004, 531, 534; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 96; Grundmann/Möslein, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 31, 43; ebenso LG Duisburg, NZG 2007, 637, 638. 224

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zweier Rechtsordnungen zahlreiche Friktionen nicht ausschließen können.228 Da der Gründung nachfolgende Verhaltensregeln oftmals nicht isoliert von der durch die Gründung statuierten Organisationsverfassung betrachtet werden können,229 wären Wertungswidersprüche und Anpassungsschwierigkeiten unvermeidbar.230 Folgerichtig hat denn auch der BGH in einem Urteil nach Inspire Art das Herkunftslandrecht nicht allein auf auf die Gründung der Kapitalgesellschaft bezogene Vorschriften begrenzt, sondern es auch für weitere Fragen, wie etwa der Haftungsverfassung, für maßgeblich erklärt.231

III. Kollisionsrechtliche Verengung des Gesellschaftsrechts Neben den Ansätzen, die eine Begrenzung des weiten Beschränkungsbegriffs mit Hilfe des Missbrauchsgedankens oder durch eine Einschränkung auf Gründungsvorschriften anstreben, lassen sich des Weiteren eine Vielzahl an Stimmen finden, die eine Lösung im Bereich des Kollisionsrechts suchen.232 Kristallisationspunkt ist für diese Diskussionslinie – wenn auch zum Teil aus sehr unterschiedlichen dogmatischen Gründen – der Umfang des Gesellschaftsstatuts. Soweit dies auf die bereits dargelegte Annahme zurückzuführen ist, die Niederlassungsfreiheit beinhalte eine versteckte Kollisionsnorm, die zur Anwendung der Gründungstheorie zwingt,233 ist dies letztlich folgerichtig, wenn auch aus den oben 228 Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 59; Bicker, Gläubigerschutz in der Konzerngesellschaft, S. 46; krit. bzgl. einer Aufspaltung auch Beitzke, Kollisionsrecht, in: Lauterbach (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen Internationalen Personen- und Sachenrechts, S. 94, 131; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 14 II 1, S. 788 f.; Großfeld, in: Staudinger, BGB, IntGesR Rn. 66, 249; siehe auch Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 46. 229 Siehe dazu bereits oben 1. Teil § 3 I.1. sowie die dortigen Nachweise. 230 Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 43; Bicker, Gläubigerschutz in der Konzerngesellschaft, S. 46; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 59; siehe auch Ulmer, NJW 2004, 1201, 1206. 231 BGH ZIP 2005, 805; siehe dazu etwa Eidenmüller, NJW 2005, 1618; Goette, ZIP 2006, 541; so auch LG Duisburg, NZG 2007, 637, 638. 232 Bayer, BB 2003, 2357, 2364 f.; Radtke/Hoffmann, EuZW 2009, 404 f.; Vallender, ZGR 2006, 425, 451; Franz, BB 2009, 1250, 1253 ff.; Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 433 Rn. 2; Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117 ff.; Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 830; Brand/Reschke, NJW 2009, 2343, 2345; wohl auch Poertzgen, NZI 2008, 9, 10; ders., NZI 2007, 15, 17; Römermann, NZI 2008, 641, 645; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3588 ff.; Weller, DStR 2003, 1800, 1804; ders., Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 247 ff.; Weller, IPRax 2003, 207, 210; ders., IPRax 2003, 520, 524; ders., IPRax 2004, 412, 414 (tendenziell anders jedoch ders., IPRax 2009, 202, 203 f.); Kersting/Schindler, 4 GLJ (2003), 1277, 1290; Borges, RIW 2000, 167, 178; Horn, NJW 2004, 893, 899; Kindler, IPRax 2009, 189, 192 ff.; ders., in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 617, 606 und passim; Huber, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 131, 165 ff.; Fischer, ZIP 2004, 1477, 1479. 233 Siehe oben 1. Teil § 2 II.

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genannten Gründen unzutreffend.234 Denn begreift man die Gründungstheorie als im Primärrecht verankerte Kollisionsnorm, so ist die Frage nach der Reichweite der Niederlassungsfreiheit zugleich die Frage nach dem Umfang des aus ihr deduzierten Verweises auf das Gründungsrecht.235 Sofern die Anwendung inländischen Rechts auf eine im Inland ansässige Auslandsgesellschaft eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit bewirkte, wäre demnach nicht nur der Schutzbereich der Grundfreiheit betroffen, sondern die betroffene Materie eben auch dem Anwendungsbefehl der primärrechtlichen Kollisionsnorm zu unterstellen. Damit würde der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit auf europarechtlicher Ebene bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Art. 49, 54 AEUV aber eben auch auf kollisionsrechtlicher Ebene bei der Bestimmung des Umfangs des Verweises auf das Gründungsrecht relevant werden. Unter Zugrundelegung dieses Ansatzes fände eine Begrenzung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit dann auch auf kollisionsrechtlicher Ebene Berücksichtigung, wobei die kollisionsrechtliche Dimension lediglich die Kehrseite der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten nach primärrechtlichen Maßstäben darstellte und damit allein europarechtlichen Dogmen folgte. Ergebnis wäre jedenfalls ein Gleichlauf von europarechtlicher und kollisionsrechtlicher Ebene. Aber auch jenseits derer, die den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit mit der Reichweite der aus ihr gewonnenen Kollisionsnorm gleichsetzen, gibt es Stimmen, die mit Hilfe des Kollisionsrechts eine Begrenzung des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit zu erreichen suchen.236 Diese sind dabei oftmals durch die Intention gekennzeichnet, als wesentlich erachtete Normen des deutschen Gesellschaftsrechts, insbesondere des Gläubigerschutzes, vor dem Zugriff der Niederlassungsfreiheit zu bewahren und deren Erstreckung auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften über andere Kollisionsnormen als die des internationalen Gesellschaftsrechts zu ermöglichen.237 So wird das deutsche Gesellschaftsrecht seit den 234

Siehe oben 1. Teil § 2 II.3. Dass eine einzige Verweisungsregel indes nicht in der Lage ist, sämtliche Vorgaben der Grundfreiheit umzusetzen, wurde bereist ausführlich dargelegt, siehe 1. Teil § 2 II.3.b)bb). 236 Innerhalb der Verfechter einer primärrechtlich verankerten Kollisionsnorm etwa Bayer, BB 2003, 2357, 2364 f.; Radtke/Hoffmann, EuZW 2009, 404 f.; Vallender, ZGR 2006, 425, 451; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3588 ff.; Weller, DStR 2003, 1800, 1804; ders., Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 247 ff. (tendenziell anders jedoch ders., IPRax 2009, 202, 203 f.); Horn, NJW 2004, 893, 899; eine versteckte Kollisionsnorm ablehnend, aber dennoch eine kollisionsrechtliche Begrenzung befürwortend: Kindler, IPRax 2009, 189, 192 ff.; ders., FS Säcker, 393, 400 f.; ders., in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 617, 606; Huber, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 131, 165 ff.; ebenfalls die Lösung im Kollisionsrecht suchend Fischer, ZIP 2004, 1477, 1479. 237 Beispielhaft Horn, NJW 2004, 893, 899 („In Deutschland sollte man den Begriff des Gesellschaftsstatuts künftig enger fassen, so dass zum Beispiel die Durchgriffshaftung des Niederlassungsstaats angewendet werden kann.“); siehe auch Kindler, IPRax 2009, 189, 192 ff.; ders., FS Säcker, 393, 400 f.; kritisch zu dieser Tendenz bereits Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 9 f.; ebenso Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 97 f.; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 141; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 198 ff. 235

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Leitentscheidungen des EuGH auf solche Rechtssätze durchsucht, die bis dato zwar dem Gesellschaftsrecht zugewiesen wurden, gleichzeitig aber auch Bezüge zu benachbarten Rechtsgebieten aufweisen. Aufgrund der zunehmenden Erkenntnis, gesellschaftsrechtliche Normen nicht mehr auf Auslandsgesellschaften erstrecken zu können, sollen diese Nachbargebiete, insbesondere das Delikts- und das Insolvenzrecht, die Möglichkeit bieten, die Regelungsanliegen, die vormals im Gesellschaftsrecht verfolgt wurden, nunmehr im Insolvenzrecht oder Deliktsrecht umzusetzen.238 Leitidee ist dabei die Verengung des Gesellschaftsstatuts zugunsten anderer Statute.239 Durch eine Verlagerung beispielsweise des Gläubigerschutzes in das Insolvenzrecht könne – so wird nicht erst seit der Aufwertung des Insolvenzrechts durch das MoMiG argumentiert240 – dessen Anwendbarkeit auch im Lichte der Niederlassungsfreiheit sichergestellt werden.241 1. Die kollisionsrechtliche Qualifikation als Entscheidungskriterium Als rechtstechnisches Mittel dient diesen Auffassungen die kollisionsrechtliche Qualifikation. Sie wird von Vertretern dieser Strömung zum entscheidenden Kriterium erhoben.242 So ist oftmals zu lesen, dass die Qualifikation einer Norm als insolvenz-, delikts- oder gesellschaftsrechtlich die entscheidende Weichenstellung für deren Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit sei.243 Während die Niederlassungsfreiheit die Anwendung von gesellschaftsrechtlich zu qualifizierenden Normen auf im Inland domizilierende Auslandsgesellschaften sperre, folgten Vorschriften, 238 Radtke/Hoffmann, EuZW 2009, 404, 407; Borges, RIW 2000, 167, 178; Horn, NJW 2004, 893, 899; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 929; Kindler, IPRax 2009, 189, 192 ff.; ders., FS Säcker, 393, 400 f. 239 Siehe Beispiel bei Fn. 237; ferner Vallender, ZGR 2006, 425, 453 f.; Weller, IPRax 2003, 207, 210; ders., IPRax 2003, 520, 524; siehe zu dieser Thematik auch Haas, Gutachten E zum 66. DJT, 2006, der sich in Ansehung der EuGH-Rechtsprechung für eine Ausdehnung der §§ 129 ff. InsO ausspricht; dazu etwa Spindler, JZ 2006, 839; Wagner, EBOR 2006, 217 ff. 240 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008, BGBl I, S. 2026 (2008); siehe ausf hierzu etwa Goette, MoMiG, S. 1 ff. und passim. 241 Besonders deutlich Horn, NJW 2004, 893, 899; programmatisch auch der Titel bei Fischer, ZIP 2004, 1477; ferner Weller, IPRax 2003, 207, 210; ders., IPRax 2003, 520, 524; ders., IPRax 2004, 412, 414; Kersting/Schindler, 4 GLJ (2003), 1277, 1290; Borges, RIW 2000, 167, 178. 242 Statt vieler Weller, DStR 2003, 1800, 1804; ders., IPRax 2003, 207, 210; Radtke/ Hoffmann, EuZW 2009, 404, 407. 243 Franz, BB 2009, 1250, 1253 ff.; Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 433 Rn. 2; Kühnle/ Otto, IPRax 2009, 117 ff.; Wagner, FS Canaris, S. 473, 498; Wiedemann, FS Lüer, S. 337, 341; so auch Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 642 ff., 644, der auch bei Mehrfachqualifikation bereits den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit verneint; ders., IPRax 2009, 189, 192 ff.; Radtke/Hoffmann, EuZW 2009, 404, 407; Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 830; Fischer, ZIP 2004, 1477 ff.; Horn, NJW 2004, 893, 899; Brand/Reschke, NJW 2009, 2343, 2345; wohl auch Poertzgen, NZI 2008, 9, 10; ders., NZI 2007, 15, 17; Römermann, NZI 2008, 641, 645.

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die kollisionsrechtlich dem Delikts- oder Insolvenzrecht zuzuschlagen seien, anderen Verweisungsregeln und wären daher auch mit Blick auf diese Gesellschaften anwendbar.244 a) Prominente Beispiele Als Folge dieses Gedankengangs ist eine heftige Diskussion über die Qualifikation verschiedener Instrumente des Gläubigerschutzes entbrannt. Prominente Beispiele hierfür sind die Existenzvernichtungshaftung und die Insolvenzantragspflicht bzw. die daran anknüpfende Haftung.245 Anhand beider soll im Folgenden kurz die Argumentationslinie nachgezeichnet werden. aa) Insolvenzverschleppungshaftung Exemplarisch sind zunächst die Insolvenzantragspflicht und deren Sanktion in Form der Insolvenzverschleppungshaftung.246 Insbesondere Letztere stellt einen wesentlicher Pfeiler des Gläubigerschutzes dar, der sich aufgrund der spezifischen 244 Deutlich etwa Radtke/Hoffmann, EuZW 2009, 404, 407, nach denen der Qualifikation „erhebliche Bedeutung zu[kommt]. Wer die Insolvenzantragspflicht gesellschaftsrechtlich qualifiziert, muss […] davon ausgehen, dass sie eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit enthält und aus diesem Grunde rechtfertigungsbedürftig ist. Bei insolvenzrechtlicher Einordnung bedürfte es dagegen keiner gemeinschaftsrechtlichen Rechtfertigung“; ebenso Kindler, FS Jayme, S. 409, 418 („Mehrfachqualifikationen im Schnittfeld des internationalen Gesellschafts-, Delikts- und Insolvenzrechts bieten vielfache Möglichkeiten, gläubigerschädigende Verhaltensweisen unter Einsatz von Scheinauslandsgesellschaften zu begegnen, selbst wenn man das Gesellschaftsstatut in Anwendung der Gründungstheorie dem Recht des Staats des Satzungssitzes entnimmt.“); Pannen, in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 101 („Die insolvenzrechtliche Qualifikation der Insolvenzantragspflicht hat zur Folge, dass diese Pflicht auch für Scheinauslandsgesellschaften, die in Deutschland tätig sind, anwendbar ist.“); Römermann, NZI 2010, 241, 242 („Handelte es sich nämlich um eine gesellschaftsrechtliche Norm, so schied eine Anwendung auf die Limited aus, da jene in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht lediglich dem englischen Companies Act unterworfen war und ist. Geht es hingegen um Insolvenzrecht, dann war die Antragspflicht schon immer auf die Limited anwendbar.“); Merkt, 15 EBLR (2004), 1045, 1057 („[A] tort law based solution would, as a general legal principle, be immune to findings that it violates the principle of freedom of establishment.“); ebenso Wiedemann, FS Lüer, S. 337, 341; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; Kersting/Schindler, 4 GLJ (2003), 1277, 1290; Borges, RIW 2000, 167, 178; ders., ZIP 2004, 733, 740 f.; wohl auch Franz, BB 2009, 1250, 1253; siehe ferner auch AG Hamburg NZI 2009, 131, 132. 245 Beide Institute bilden den Gegenstand umfassender Diskussionen, die jeweils exemplarisch den Streitstand im Bereich der Niederlassungsfreiheit und des internationalen Gesellschaftsrecht abbilden; siehe auch Weller, in: MünchKommGmbHG, Einl Rn. 400. 246 Grundlegend BGHZ 126, 181; allgemein zur Insolvenzverschleppungshaftung unter Berücksichtigung des MoMiG Wagner, FS K. Schmidt, S. 1665 ff. m.w.Nachw.; zu den europarechtlichen Implikationen siehe Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106 ff.; sowie Mock/Schildt, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 17 Rn. 66 ff.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9 Rn. 26 ff.; monographisch Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften; ferner Lach, Europ. Insolvenzverordnung.

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Gefahren in Insolvenznähe247 in allen Rechtssystemen, wenn auch in unterschiedlicher Gestalt, wieder findet248 und im Anschluss an eine Empfehlung der Hochrangigen Expertengruppe249 auch zeitweise auf der Agenda des europäischen Gesetzgebers stand.250 Gerade wegen ihrer Bedeutung für den Gläubigerschutz befindet sie sich im Fokus der Versuche, über kollisionsrechtliche Lösungswege eine Er247 Dazu etwa Bainbridge, Corporation Law and Economics, 2002, S. 431; Cheffins, Company Law: Theory, Structure and Operation, 1997, 75 – 8; Spindler, EBOR 2006, 339, 340 ff.; ders., JZ 2006, 839, 846; Fleischer, ZGR 2004, 437, 446 instruktiv auch Credit Lyonnais Bank Nederland v. Pathe Communication Corp, 1991 Del. Ch. Lexis 215, at 109 n. 55 (Del. Ch. Dec. 30, 1991). 248 Siehe Hertig/Kanda, in: Kraakman/Davies/Hansmann u. a. (Hrsg.), The Anatomy of Corporate Law, S. 71, 73; ferner Spindler, JZ 2006, 839, 846; Davies, EBOR 2006, 301, 306 ff.; so begegnen etwa Deutschland (§ 15a InsO, zuvor § 64 GmbHG a.F.), die Schweiz (Art. 817 Obligationenrecht) und Österreich (§ 69 KO) dem mit der Pflicht der Geschäftsleiter, einen Insolvenzantrag zu stellen, während im anglo-amerikanischen Rechtssystem die director duties es erfordern, in Insolvenznähe auch die Belange der Gläubiger zu berücksichtigen; siehe etwa für das US-Recht, Credit Lyonnais Bank Nederland v. Pathe Communication Corp, 1991 Del. Ch. Lexis 215 (Del. Ch. Dec. 30, 1991); Geyer v. Ingersoll Publications, 1992 Del. Ch. Lexis 132 (Del. Ch. June 18, 1992); dies jedoch jetzt ablehnend und allein auf das Interesse der Gesellschaft abstellend N. Am. Catholic Educ. Programming Found, Inc. v. Gheewalla, 930 A.2d 92, 99 (Del. 2007); dazu etwa Klöhn, ZGR 2008, 110, 126; für das englische (u. neuseeländische) Recht neben Art. 214 Insolvency Act 1986; etwa West Marcia Safetywear Ltd. v. Dodd, [1998] BCLC 250, 252. 249 Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über morderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa vom 4. 12. 2002, Kapitel III, unter 4.4 (S. 73), die eine unionsrechtliche Regelung in Anlehnung an die wrongful tradingHaftung empfahl. 250 Siehe Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament vom 21. 5. 2003 – Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, KOM (2003) 284 endg. (unter 3.1.3.); gleichwohl sind diese Pläne nach einer öffentlichen Konsultation im Dezember 2005, deren Ergebnis sich gegen eine unionsweite Regelung richtete, fallen gelassen worden. Mit Entschließung vom 15. 11. 2011 empfahl das Europäische Parlament zumindest eine teilweise Harmonisierung des obligatorischen Insolvenzantrags (Anlage zur Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. 11. 2011 mit Empfehlungen an die Kommission zu Insolvenzverfahren im Rahmen des EUGesellschaftsrechts, P7_TA (2011)0484, Teil 1, unter 1.1). Die Kommission hat diese Anregung in ihrem Änderungsvorschlag zur EuInsVO (siehe nachfolgende Fn.) zwar nicht aufgegriffen, jedoch mit Mitteilung vom 12. 12. 2012 anlässlich des Änderungsvorschlags einen Aktionsplan für das europäische Unternehmertum angekündigt und die Insolvenzantragspflicht als einen Bereich identifiziert, in dem Harmonisierungsmaßnahmen sinnvoll sein könnten (Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, Ein neuer europäischer Ansatz zur Verfahrensweise bei Firmenpleiten und Unternehmensinsolvenzen, KOM (2012) 742, S. 7, 9); hierzu etwa Bayer/ J. Schmidt, BB 2012, 1, 9; der neue Aktionsplan für das Gesellschaftsrecht vom 12. 12. 2012 hingegen erwähnt eine auf die Antragspflicht aufbauende Haftung nicht mehr (Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Aktionsplan: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance – ein moderner Rechtsrahmen für engagiertere Aktionäre und besser überlebensfähige Unternehmen, KOM (2012) 740), hierzu etwa Verse, EuZW 2013, 336, 343; Hopt, EuZW 2013, 581, 582.

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streckung inländischer Schutzvorschriften auf zuziehende Auslandsgesellschaften sicherzustellen. (1) Art. 4 EuInsVO als sicherer Hafen? Dreh- und Angelpunkt der Diskussion ist dabei die Frage, ob die Insolvenzantragspflicht respektive die Insolvenzverschleppungshaftung von dem Anwendungsbereich der EuInsVO251 erfasst wird.252 Als zentrale Kollisionsnorm verweist Art. 4 EuInsVO auf die lex fori concursus, also auf das Recht des Staats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Im Zusammenspiel mit der Zuständigkeitsregelung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist damit regelmäßig253 das Recht des Staats berufen, in dem der Mittelpunkt der Interessen des Schuldners liegt (Centre of Main Interest = CoMI).254 Während dies bei Identität von Satzungssitz und CoMI, der im Groben dem Verwaltungssitz entspricht, zu einem Gleichlauf von Gesellschafts- und Insolvenzrecht führt, kommt bei Scheinauslandsgesellschaften regelmäßig nicht das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats in dem diese registriert sind, sondern das des Aufnahmemitgliedstaats zur Anwendung.255 Folglich würde Art. 4 EuInsVO die Anwendung deutschen Insolvenzrechts im Falle einer im Inland ansässigen Auslandsgesellschaft begründen. Vor diesem Hintergrund wird seit Inspire Art zunehmend einer insolvenzrechtlichen Qualifikation256 der Insolvenzverschleppungshaftung das Wort geredet.257 Zur 251

Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren vom 29. 5. 2006, ABl. L 160, S. 1; flankiert wird sie von den Richtlinien Nr. 2001/24 vom 4. 4. 2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten, ABl. EG L 125, S. 15 sowie Nr. 2001/17 vom 19. 3. 2001 über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen, ABl. EG L 110, S. 28; zur Reform der EuInsVO siehe den Änderungsvorschlag der Kommission vom 12. 12. 2012 (Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlament und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, DOK (2012) 744). 252 Ausf. dazu Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106 ff.; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 111 ff.; Mock/Schildt, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 17 Rn. 66 ff., 80 ff.; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. B 104 ff.; je m.w.Nachw. 253 Art. 4 EuInsVO knüpft lediglich an die Verfahrenseröffnung an. Hat ein Gericht das Verfahren eröffnet, kommt daher dessen lex fori concursus zur Anwendung, auch wenn der CoMI in einem anderen Mitgliedstaat liegt, vgl. EuGH, Urteil vom 2. 5. 2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood/Parmalat), Slg. 2006, I-3813. 254 Aufgrund der widerlegbaren Vermutung des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO ergibt sich daher für Scheinauslandsgesellschaften regelmäßig die Zuständigkeit deutscher Gerichte. 255 Ausführlich Weller, FS Blaurock, 2013, S. 497 ff. m.w.Nachw. 256 Vereinzelt wird auch eine deliktsrechtliche Qualifikation erwogen, siehe OLG Karlsruhe, NZG 2010, 509; ferner Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 670; Pannen, in: Smid/Zeuner/ Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 101, der allerdings die Antragspflicht selbst insolvenzrechtlich qualifiziert. 257 KG Berlin NZG 2010, 71 (zu § 64 S. 1 GmbHG in der Fassung des MoMiG); LG Kiel ZIP 2006, 1248; siehe auch OLG Jena NZI 2013, 807 (zu § 64 Abs. 2 GmbHG a.F.); aus dem Schrifttum Weller, FS Blaurock, 2013, S. 497, 508; ders., IPRax 2003, 207, 210; ders., IPRax

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Begründung wird darauf verwiesen, dass die Haftung den Zweck verfolge, das Vermögen der Gesellschaft für den Insolvenzfall zu sichern. Dem Leitungsorgan der Gesellschaft werde im Interesse der Allgemeinheit die Pflicht auferlegt, „bei Meidung eigener Ersatzpflicht das Vermögen der Gesellschaft zusammenzuhalten, damit es nach der Eröffnung des Verfahrens ungeschmälert zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft zur Verfügung steht.“258 Gemeinsam mit den von ihr flankierten Insolvenzauslösetatbeständen wolle die haftungsbewehrte Insolvenzantragspflicht den besonderen Gefahren für die Gläubigergesamtheit in Insolvenznähe durch einen haftungsrechtlich vermittelten Verhaltensanreiz zu Lasten der Geschäftsleiter Rechnung tragen.259 Die Vorschrift sichere bei überschuldeten Gesellschaften mit beschränkter Haftung die Einleitung des Insolvenzverfahrens zu einem möglichst frühen Zeitpunkt und beuge damit der Verringerung der Haftungsmasse vor.260 Sie bewirke mithin eine gewisse Vorverlagerung der Wirkungen des Insolvenzverfahrens261 und damit eine Effektuierung der kollektiven Haftungsverwirklichung. Diese Sicherung der Haftungsmasse im Interesse der Gläubigergesamtheit (par conditio creditorum) sei eine originär insol-

2003, 520, 524; ders., IPRax 2004, 412, 414; Römermann, NZI 2010, 241, 242; ders., NZI 2008, 641, 645; Poertzgen, NZI 2013, 809 f.; ders., NZI 2008, 9, 10; ders., NZI 2007, 15, 17; Kindler/ Nachmann, Hdb Insolvenzrecht in Europa, § 1 Rn. 30; Haas, NZG 2010, 495, 496; Radtke/ Hoffmann, EuZW 2009, 404, 408; Röhricht, ZIP 2005, 505, 508; Franz, BB 2009, 1250, 1253; Bittmann, ZGR 2009, 931, 952; Vallender, ZGR 2006, 425, 441; Riedemann, GmbHR 2004, 345, 348; Müller, NZG 2003, 414, 416; Kamps, Sonderanknüpfungen, S. 141 f.; Borges, ZIP 2004, 733, 739 f.; G. H. Roth, NZG 2003, 1081, 1085; Wachter, GmbHR 2003, 1254, 1257; ders., GmbHR 2004, 88, 101; Pannen, in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 100 f. (bezogen auf die Antragspflicht); ebenfalls für eine insolvenzrechtliche Qualifikation, jedoch auf die europarechtlichen Implikationen hinweisend Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9 Rn. 26, 32; ders., RabelsZ 70 (2006), 474, 481 ff.; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 21 ff.; Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174, 207; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. B 105 f., 107. Für eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation hingegen siehe unten 2. Teil § 5 III.2.c)aa)(1); sowie Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 11 f.; Goette, ZIP 2006, 541, 545 f.; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 108 ff.; K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 493, 498; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 399 ff.; Mock/Schildt, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 17 Rn. 64 ff.; je m.w.Nachw. 258 KG Berlin NZG 2010, 71, 72; ähnlich auch Müller, NZG 2003, 414, 416; ferner Pannen, in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 100 f. 259 Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 21; ferner Vallender, ZGR 2006, 425, 441. 260 Zimmer, NJW 2003, 3585, 2589; Kindler/Nachmann, Hdb Insolvenzrecht in Europa, § 1 Rn. 30; ders., in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 639; Zerres, DZWIR 2006, 356, 359; Müller, NZG 2003, 414, 416; Riedemann, GmbHR 2004, 345, 348; Kamps, Sonderanknüpfungen, S. 141. 261 KG NZG 2010, 71, 72; zu dieser Entscheidung siehe auch Ringe/Willemer, NZG 2010, 56.

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venzrechtliche Zielsetzung.262 Als weiterer Beleg für ihre insolvenzrechtliche Prägung wird das Ziel der Insolvenzantragspflicht angeführt, den Rechtsverkehr vor mittelosen Gesellschaften zu schützen.263 Neugläubiger sollten davor bewahrt werden, mit der insolventen Gesellschaft in Geschäftsbeziehungen zu treten, Altgläubiger davor, eine weitere Verringerung der Haftungsquote zu erleiden.264 Dies gelte seit jeher als ein typisches Anliegen des Insolvenzrechts, dem durch die persönliche Haftung in Form der Insolvenzverschleppungshaftung Nachdruck verliehen werde.265 Schließlich könne eine insolvenzrechtliche Qualifikation auch für sich in Anspruch nehmen, den EuGH auf ihrer Seite zu haben. Dieser habe in der Rechtssache Gourdain/Nadler266 die der deutschen Insolvenzverschleppungshaftung vergleichbare action en comblement du passif des französischen Code de Civil dem Insolvenzrecht zugeordnet.267 Folge und Ziel der so begründeten insolvenzrechtlichen Qualifikation ist letztlich, die Insolvenzantragspflicht und mit ihr die daran anknüpfende Haftungen gem. § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB der europarechtlichen Kollisionsnorm des Art. 4 EuInsVO zu unterstellen und sie so dem Zugriff der Niederlassungsfreiheit zu entziehen.268 Dahinter steht der Gedanke, dass sie als insolvenzrechtliche Materie bereits nicht den vom EuGH in Centros, Überseering und Inspire Art formulierten Vorgaben der Niederlassungsfreiheit unterfalle, und ihre Anwendung zudem auf dem

262 Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 663; Kuntz, NZI 2005, 424, 426 f.; so auch Eidenmüller, NJW 2005, 1618 ff., der jedoch ausdrücklich keine Subsumtion unter die EuInsVO vornimmt. 263 Vallender, ZGR 2006, 425, 441; siehe auch Borges, ZIP 2004, 733, 739; Leutner/ Langner, ZInsO 2005, 575, 577; Kuntz, NZI 2005, 424, 426 f.; Lieder, DZWIR 2005, 399, 405; kritisch Wagner, in: MünchKommBGB, § 823 Rn. 396. 264 Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 662; Radtke/Hoffmann, EuZW 2009, 404, 407 f.; Kamps, Sonderanknüpfungen, S. 141. 265 Röhricht, ZIP 2005, 505, 507; Vallender ZGR 2006, 425, 441; Radtke/Hoffmann, EuZW 2009, 404, 408; ähnlich auch Kindler/Nachmann, Hdb Insolvenzrecht in Europa, § 1 Rn. 30; Kamps, Sonderanknüpfungen, S. 141. 266 EuGH, Urteil vom 22. 2. 1979 – Rs. C-133/78 (Henri Gourdain./.Franz Nadler), Slg. 1979, 733. 267 Darauf abstellend KG Berlin NZG 2010, 71, 72; ferner Radtke/Hoffmann, EuZW 2009, 404, 408; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 681; Röhricht ZIP 2005, 505, 507; Kuntz, NZI 2005, 424, 428; Ungan, ZVglRWiss 104 (2005), 355, 368; Zerres, DZWIR 2006, 356, 360; Gräfe, DZWIR 2005, 410, 412; Schilling, Insolvenz einer englichen Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland, 2006, S. 196; Weller, Europäische Rechtswahlfreiheit, 2004, S. 258; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9 Rn. 32. 268 Poertzgen, NZI 2008, 9, 10; ders., NZI 2007, 15, 17; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207 f.; Müller, NZG 2003, 414, 416; Vallender, ZGR 2006, 425, 441; Kamps, Sonderanknüpfungen, S. 141 f.; Borges, ZIP 2004, 733, 739 f.; Kindler/Nachmann, Hdb Insolvenzrecht in Europa, § 1 Rn. 30, 64; G. H. Roth, NZG 2003, 1081, 1085; Wachter, GmbHR 2003, 1254, 1257; ders., GmbHR 2004, 88, 101; Pannen, in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 100 f. (bezogen auf die Antragspflicht); Römermann, NZI 2008, 641, 645.

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Europarecht selbst, namentlich die EuInsVO, beruhe.269 Art. 4 EuInsVO stelle daher einen „sicheren Hafen“ für inländische Gläubigerschutzvorschriften dar.270 (2) Bestärkung durch den Gesetzgeber Zusätzlichen Rückenwind erhält die insolvenzrechtliche Qualifikation durch den deutschen Gesetzgeber. So war es ausweislich der Gesetzesbegründung ein explizites Ziel des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG),271 ausländische Gesellschaftsformen bzw. deren geschäftsleitende Organe der Insolvenzantragspflicht und damit schließlich auch der Insolvenzverschleppungshaftung zu unterwerfen.272 Aus diesem Grund wurde die ehemals in den Spezialgesetzen, etwa in § 64 Abs. 1 GmbHG a.F.,273 kodifizierte Insolvenzantragspflicht rechtsformneutral ausgestaltet274 und aus den einzelnen Spezialgesetzen heraus in die Insolvenzordnung verschoben, ohne jedoch den materiell-rechtlichen Gehalt zu verändern.275 Zentrale Norm für alle Gesellschaftsformen ist nun § 15a InsO. Durch die Überführung in eine einheitliche Norm der Insolvenzordnung soll der insolvenzrechtliche Charakter der Vorschrift, der zuvor

269 So etwa Pannen, in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 101 („Die insolvenzrechtliche Qualifikation der Insolvenzantragspflicht hat zur Folge, dass diese Pflicht auch für Scheinauslandsgesellschaften, die in Deutschland tätig sind, anwendbar ist.“); Radtke/Hoffmann, EuZW 2009, 404, 407 („Wer die Insolvenzantragspflicht gesellschaftsrechtlich qualifiziert, muss […] davon ausgehen, dass sie eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit enthält und aus diesem Grunde rechtfertigungsbedürftig ist. Bei insolvenzrechtlicher Einordnung bedürfte es dagegen keiner gemeinschaftsrechtlicher Rechtfertigung“); Lutter, NJW 2004, 1201, 1207; Horn, NJW 2003, 893, 899; Lach, EuInsVO, S. 162 ff. 270 Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; ders., KTS 2004, 291, 296; ebenso Knop, Gesellschaftsstatut und Niederlassungsfreiheit, S. 153, 258 f. und insb. 285 ff.; ähnlich auch BGH BB 2012, 14, 17; krit. hierzu Teichmann, BB 2012, 18, 19. 271 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008, BGBl I, S. 2026 (2008); siehe ausf hierzu etwa Goette, MoMiG, S. 1 ff. und passim. 272 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 47, 55, 134; so auch schon Begr. RefE MoMiG (Stand 29. 5. 2006) S. 64 abrufbar unter www.bmj.bund.de; ferner Hirte, ZinsO 2008, 689, 698; Pannen, in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 100; Weller, ZIP 2009, 2029, 2030; Römermann, NZI 2010, 241 f.; Kindler/Nachmann, Hdb Insolvenzrecht in Europa, § 1 Rn. 30. 273 Weitere Beispiele waren u. a. § 92 Abs. 2 AktG a.F. und §§ 98, 99 Abs. 1 GenG a.F. 274 So stellt § 15a InsO inzwischen auf das Vorliegen eines Insolvenzgrunds bei einer „juristischen Person“ ab, wohingegen die Einzelregelungen noch die konkrete deutsche Rechtsform spezifizierten. Zudem sind nicht mehr Geschäftsführer oder Vorstand die Adressaten der Antragspflicht, sondern ebenfalls rechtsformneutral die „Mitglieder des Vertretungsorgans“. 275 K. Schmidt, GmbHR 2007, 1072, 1078; Ulmer/Casper, GmbHG, § 64 Rn. 118; Wagner, in: MünchKommBGB, § 823 Rn. 396; ders., FS K. Schmidt, S. 1665 ff.; Kindler, NJW 2008, 3249, 3254 f.; Gehrlein, BB 2008, 846, 847; a.A. Wübbelsmann, GmbHR 2008, 1303, 1304.

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durch die historisch bedingte276 Verankerung in den gesellschaftsrechtlichen Spezialgesetzen nicht hinreichend zum Ausdruck kam, zusätzlich betont277 und eine Qualifikation unter den Anwendungsbefehl des Art. 4 EuInsVO sichergestellt werden.278 Konsequent flankiert wird die neue Beheimatung der Insolvenzantragspflicht dann auch durch den Referentenentwurf (RefE) vom 23. 1. 2008 für ein Gesetz zum internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen.279 Der Entwurf, der es unternimmt, die gewohnheitsrechtliche Ausgestaltung des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts einer Kodifizierung zuzuführen, sieht in Art. 10 Abs. 1 RefE-EGBGB mit der Anknüpfung an das Register, in dem die Gesellschaft eingetragen ist, eine Spielart der Gründungstheorie als maßgebliche Kollisionsnorm vor. Der Erstreckung der Insolvenzverschleppungshaftung auch auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften trägt er dergestalt Rechnung, dass zwar das Gesellschaftsstatut für alle Fragen der Haftung wegen Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten berufen (Art. 10 Abs. 2 Nr. 8 EGBGB-RefE), die Insolvenzverschleppungshaftung jedoch ausweislich der Begründung von der zentralen Verweisungsnorm des Art. 10 Abs. 1 RefE-EGBGB expressis verbis ausgenommen wird. Nach Vorstellung des Referentenentwurfs ist diese – und insoweit zeigt sich die Parallele zum MoMiG – insolvenzrechtlicher Natur. Sie folge daher den für dieses Rechtsgebiet maßgeblichen Regeln des Kollisionsrechts.280 Auch wenn der RefE weiterhin einer Umsetzung harrt, wird in der Zusammenschau von MoMiG und RefE deutlich, dass die Insolvenzverschleppungshaftung einer insolvenzrechtlichen Qualifikation zugeführt werden soll und auch der deutsche Gesetzgeber die Hoffnung hat, eigene Regelungsanliegen mit kollisionsrechtlichen Mitteln gegenüber Scheinauslandsgesellschaften durchsetzen zu können. Beide Legislativakte legen Zeugnis von dem Bestreben ab, die Vorgaben der Niederlassungsfreiheit auf kollisionsrechtlicher Ebene zu begrenzen. Angesichts dieser eindeutigen Stellungnahme des Gesetzgebers nimmt es nicht wunder, dass die Befürworter einer insolvenzrechtlichen Qualifikation in den Gesetzesinitiativen eine zusätzliche, wenn nicht entscheidende Stärkung ihrer Position 276

Dazu Borges, ZIP 2004, 733 ff. Franz, BB 2009, 1250, 1253; Kindler/Nachmann, Hdb Insolvenzrecht in Europa, § 1 Rn. 30, 64. 278 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 47, 55, 134; dem folgend Balthasar, RIW 2009, 221, 226; Poertzgen, NZI 2008, 9, 10; Gehrlein, BB 2008, 846, 847; Römermann, NZI 2008, 641, 645. 279 Referentenentwurf (RefE) vom 23. 1. 2008 für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, abrufbar unter www.bmj.bund.de; hierzu etwa Wagner/Timm, IPRax 2008, 81 ff.; Clausnitzer, NZG 2008, 321 ff.; Bollacher, RIW 2008, 200 ff.; Rotheimer, NZG 2008, 181 ff. 280 Siehe Begründung zum Referentenentwurf (RefE) vom 23. 1. 2008 für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, abrufbar unter www.bmj.bund.de, S. 12. 277

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

erkennen. So ist zu lesen, dass der Gesetzgeber die Diskussion um die kollisionsrechtliche Einordnung der Insolvenzverschleppungshaftung zugunsten der insolvenzrechtlichen Qualifikation entschieden habe.281 bb) Existenzvernichtungshaftung Ein ähnliches Beispiel bietet zum anderen die richterrechtliche Existenzvernichtungshaftung. Auch sie ist frühzeitig als Mittel, aber auch als Gegenstand der Bemühungen identifiziert worden, inländischen Regelungsanliegen auch gegenüber Auslandsgesellschaften mit inländischem Verwaltungssitz Rechnung tragen zu können.282 Neben dem bereits dargelegten Ansatz,283 diese Haftungsfigur über den Missbrauchsgedanken zur Anwendung zu bringen, wird auch bei der Existenzvernichtungshaftung die kollisionsrechtliche Qualifikation als Mittel für eine Begrenzung der Niederlassungsfreiheit fruchtbar gemacht. Auch hier ist die kollisionsrechtliche Verortung des Haftungsinstruments im System des deutschen Wirtschaftsrechts heftig umstritten. Die Demarkationslinie verläuft zwischen gesellschaftsrechtlicher,284 insolvenzrechtlicher285 und – bestärkt durch die Neuaus-

281 Schwab, DStR 2010, 333, 335 f.; Poertzgen, NZI 2008, 9, 10; ders., NZI 2007, 15, 17; Franz, BB 2009, 1250, 1253; Römermann, NZI 2008, 641, 645 (etwas zurückhaltender ders., NZI 2010, 241, 242); Kindler/Nachmann, Hdb Insolvenzrecht in Europa, § 1 Rn. 30, 64; Pannen, in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 100, der zunächst zwar die Irrelevanz des Standorts einer Norm für deren Qualifikation betont, dann aber doch der Verlagerung in die InsO entscheidende Bedeutung beimisst; Gehrlein, BB 2008, 846, 848; wohl auch diesen Schluss ziehend Weller, ZIP 2009, 2029, 2030; ebenso Wagner, in: MünchKommBGB, § 823 Rn. 396; Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117; Wachter, BB 2006, 1463, 1465; siehe auch AG Hamburg NZI 2009, 131, 132 (zu § 135 InsO n.F.); a.A. Hirte, NZG 2008, 761, 765. 282 Siehe etwa Weller, IPRax 2003, 207, 210; ders., Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 266 f.; Röhricht, ZIP 2005, 505, 514 f.; Haas, ZIP 2006, 1373, 1381 f.; Ulmer/Casper, GmbHG, Anh. § 77 Rn. 171; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 17; Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117, 120; Lieder, DZWiR 2005, 399, 406. 283 Siehe oben 2. Teil § 5 I. 284 So etwa Goette, ZinsO 2007, 1177, 1183; Gehrlein, WM 2008, 761, 769; ähnlich Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 303; Staudinger/Oechsler, § 826 Rn. 326; Greulich/Rau, NZG 2008, 565, 568; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 11; Schön, ZHR 168 (2004), 268, 292; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 80 ff. u. 128; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rn. 448; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 429 ff., 267 ff. (abw. jedoch Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13 Rn. 117); Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. B 91 ff.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4 Rn. 21 ff.; Forsthoff/Schulz, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16 Rn. 69. 285 Kindler, IPRax 2009, 189, 193; Röhricht, ZIP 2005, 505, 514 f.; Schwab, ZIP 2008, 341, 344; Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 266 f.; ders., FS Blaurock, 2013, 497, 508; ders., IPRax 2003, 207, 210; (zurückhaltend ders., in: MünchKommGmbHG, Einl Rn. 415 ff.); Haas, ZIP 2006, 1373, 1381 f.; Ulmer/Casper, GmbHG, Anh. § 77 Rn. 171; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 17; Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117, 120; Lieder, DZWiR 2005,

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richtung des dogmatischen Ansatzes der Haftung durch die Trihotel-Entscheidung des BGH286 – deliktsrechtlicher Qualifikation.287 Als Argument für eine insolvenzrechtliche Prägung der Existenzvernichtungshaftung wird zuvörderst deren Funktion als Insolvenzverursachungshaftung ins Feld geführt.288 Der Tatbestand der Haftung setze voraus, dass die Vermögensentziehung zur Insolvenz geführt bzw. die ohnehin bestehende Zahlungsunfähigkeit weiter verschärft habe. Darin zeige sich der unmittelbare Sachzusammenhang zwischen der Existenzvernichtungshaftung und der Insolvenz.289 Dieser Umstand werde auch vom BGH hervorgehoben, wenn er betone, dass der existenzvernichtende Eingriff einen haftungsrechtlichen Ausgleich für die insolvenzverursachende oder -vertiefende Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen darstelle.290 Ihre gesellschaftsrechtlichen Züge habe die Existenzvernichtungshaftung mit der Aufgabe der Durchgriffskonzeption durch den BGH jedenfalls abgestreift.291 Aufgrund ihrer dogmatischen Neuausrichtung sei sie zudem dem Zweck der par conditio creditorum verbunden, führe sie doch über die Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter zur Sicherung der zur Befriedigung der Gläubigergesamtheit bereitstehenden Insolvenzmasse.292 Durch die Ausgestaltung als Binnenhaftung komme der Existenzver399, 406; ders., DZWiR 2005, 309, 319; ders., DZWiR 2008, 145, 148; Fischer, ZIP 2004, 1477, 1480; dahin tendierend auch Zimmer, NJW 2003, 3585, 3589. 286 BGHZ 173, 246 (Trihotel); fortgesetzt in BGHZ 176, 204 (Gamma); BGHZ 179, 344 (Sanitary); siehe dazu Wiedemann, FS Lüer, S. 337 ff.; Habersack, ZGR 2008, 533 ff.; Paefgen, DB 2007, 1907 ff.; Vetter, BB 2007, 1965 ff.; Wagner, in: MünchKommBGB, § 826 Rn. 116 ff.; (zuvor bereits ders., FS Canaris, S. 473 ff.); Weller, ZIP 2007, 1681 ff.; OsterlohKonrad, ZHR 172 (2008), 274 ff. 287 Vor Trihotel bereits Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 665; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3588; ferner Bayer, BB 2003, 2357, 2364; Wachter, GmbHR 2003, 1254, 1257; siehe auch Huber, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 326, nach der TrihotelEntscheidung LG Berlin ZinsO 2009, 157, 158; Wiedemann, FS Lüer, S. 337, 341; Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13 Rn. 117; Pannen, in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 103; Sester, RIW 2007, 787, 788 f.; Heitsch, ZinsO 2007, 961, 973; Paefgen, DB 2007, 1907, 1912; Wagner, in: MünchKommBGB, § 826 Rn. 118; ders., FS Canaris, S. 473, 497 ff.; Weller, ZIP 2007, 1681, 1688; Brand, GPR 2008, 298, 299; dem zuneigend auch Junker, in: MünchKommBGB, Art. 1 Rom II-VO Rn. 39 und wohl auch Habersack, ZGR 2008, 533, 546; in diesem Sinne auch Wilhelmi, in: BeckOK GmbHG, § 13 Rn. 133, dessen Verweis auf EuGH, Urteil vom 18. 7. 2013 – Rs. C-147/12 (ÖFAB), NZG 2013, 1073 ff. allerdings nicht als Begründung herhalten kann, da es dort gerade um Schadensersatzansprüche im Außenverhältnis ging. 288 Lieder, DZWiR 2005, 399, 406; ders., DZWiR 2005, 309, 319; Röhricht, ZIP 2005, 505, 514 f.; Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 266 f. 289 Röhricht, ZIP 2005, 505, 514 f.; Kindler, IPRax 2009, 189, 193; Lieder, DZWiR 2005, 399, 406; ders., DZWiR 2005, 309, 319. 290 So, unter Bezugnahme auf BGHZ 173, 246, 256 (Trihotel), Kindler, IPRax 2009, 189, 193; Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117, 120. 291 Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117, 120. 292 Ähnlich Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 265; Kindler, IPRax 2009, 189, 193.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

nichtungshaftung mithin die gleiche Kanalisierungsfunktion wie dem Institut des Gesamtschadens gemäß § 93 InsO zu.293 Für die insolvenzrechtliche Qualifikation spreche auch ein Blick auf die strukturell vergleichbare Insolvenzanfechtung.294 Beide Institute bezweckten die Rückabwicklung des zu Lasten der Gläubigergesamtheit erfolgten Vermögensabflusses.295 Als insolvenzrechtliche Vorschriften hätten die §§ 129 ff. InsO Eingang in den Beispielskatalog des Art. 4 Abs. 2 EuInsVO gefunden (Art. 4 Abs. 2 lit. m) EuInsVO) und seien daher zweifelsfrei der Verordnung zuzurechnen.296 Für die vergleichbare Existenzvernichtungshaftung könne dann aber nichts anderes gelten.297 Auch der EuGH habe in dem Gourdain/ Nadler-Urteil eine insolvenzrechtliche Einordnung präferiert.298 Im Ergebnis falle die Existenzvernichtungshaftung daher aufgrund ihrer insolvenzrechtlichen Prägung ebenfalls in den Anwendungsbereich der EuInsVO. Als Teil der lex fori concursus sei die Existenzvernichtungshaftung daher auch gegenüber im Inland beheimateten Auslandsgesellschaften gemäß Art. 4 EuInsVO anwendbar. Einen anderen Weg beschreiten indes die Verfechter einer deliktischen Qualifikation.299 Geleitet von der Prämisse, dass das allgemeine Verkehrsrecht der Mitgliedstaaten keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit bewirken könne,300 wird eine Zuordnung der Existenzvernichtungshaftung zum Deliktsrecht und damit zum allgemeinen Verkehrsrecht befürwortet. Argumente, die die deliktsrechtliche Qualifikation tragen sollen, bilden insbesondere die Zielsetzungen der Existenzvernichtungshaftung sowie die Trihotel-Entscheidung des BGH.301 Die Ziele seien zum einen genuin deliktsrechtlich, da die Haftung eine mit dem insolvenzverursachenden Vermögensabzug verbundene finale Schädigung der Gläubiger sanktioniere.302 Sie 293

Kindler, IPRax 2009, 189, 193. So Weller, IPRax 2003, 207, 210; ders., Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 267 ff.; Kindler, IPRax 2009, 189, 193. 295 Kindler, IPRax 2009, 189, 193; Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 267 ff.; zur Ähnlichkeit zur Insolvenzanfechtung siehe auch Eidenmüller/Engert, FS K. Schmidt, S. 305, 315 f. 296 Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117, 120. 297 Kindler, IPRax 2009, 189, 193; Weller, IPRax 2003, 207, 210; Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117, 120. 298 Kindler, IPRax 2009, 189, 193; wohl auch Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117, 120 (bei Fn. 36); ebenso Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 266. 299 LG Berlin ZinsO 2009, 157, 158; Wiedemann, FS Lüer, S. 337, 341; Pannen, in: Smid/ Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 103; Wagner, in: MünchKommBGB, § 826 Rn. 118; ders., FS Canaris, S. 473, 497 ff.; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 665; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3588; ferner Bayer, BB 2003, 2357, 2364; Heitsch, ZinsO 2007, 961, 973; Paefgen, DB 2007, 1907, 1912; Weller, ZIP 2007, 1681, 1688; dem zuneigend auch Junker, in: MünchKommBGB, Art. 1 Rom II-VO Rn. 39. 300 Hierzu etwa BGH NZG 2007, 426 (Anwendung des deutschen Deliktsrechts bei Weglassen des Rechtsformzusatzes), dazu etwa Schanze, NZG 2007, 533 ff. 301 BGHZ 173, 246 (Trihotel). 302 Haas, WM 2003, 1929, 1940 f.; Kindler, FS Jayme, S. 409, 416 f. 294

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gewähre den Gläubigern Schutz vor Schädigungen, die ihnen von Dritten durch Einsatz einer Gesellschaft zugefügt werden.303 Zudem zeige insbesondere die Trihotel-Entscheidung des BGH, in der die Existenzvernichtungshaftung ihre Subsidiarität zu §§ 30, 31 GmbHG verloren und mit § 826 BGB eine neue eigenständige dogmatische Grundlage erhalten hat,304 dass sie von ihren durchgriffsrechtlichen Bezügen entkleidet wurde und somit zwingend deliktsrechtlich zu qualifizieren sei.305 Eine gesellschaftsrechtliche oder insolvenzrechtliche Qualifikation müsse hingegen ausscheiden.306 Als Teil der lex loci delicti komme die Existenzvernichtungshaftung gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO307 (zuvor Art. 40 EGBGB)308 auch gegenüber Scheinauslandsgesellschaften zur Anwendung.309 b) Gemeinsamkeiten der Ansätze Beide Beispiele, Insolvenzverschleppungs- und Existenzvernichtungshaftung, zeigen anschaulich, wie das Kollisionsrecht dazu benutzt wird, dem durch den weiten Beschränkungsbegriff des EuGH umrissenen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit auszuweichen. Ausgehend von der Annahme, der EuGH habe in seinen 303

Wagner, FS Canaris, S. 473, 501. BGHZ 173, 246, 255 ff. (Trihotel). 305 Pannen, in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 103 („Im Hinblick auf die Qualifikation bedeutet diese Rechtsprechungsänderung, dass das Rechtsinstitut der Existenzvernichtungshaftung jetzt als deliktsrechtlich qualifiziert werden muss.“); ebenso LG Berlin ZinsO 2009, 157, 158; ferner Franz, BB 2009, 1250, 1253; Weller, ZIP 2007, 1681, 1688; Wiedemann, FS Lüer, S. 337, 341; ebenso Paefgen, DB 2007, 1907, 1912; Wagner, in: MünchKommBGB, § 823 Rn. 118; ders., FS Canaris, S. 473, 500 f.; siehe auch Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 298. 306 So Pannen, in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 103. 307 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), Abl. Nr. L 199 S. 40; dazu etwa Wagner, IPRax 2008, 377 ff.; Junker, NJW 2007, 3675 ff. 308 Siehe etwa Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 613 f.; Junker, in: MünchKommBGB, Art. 1 Rom II-VO Rn. 39. 309 LG Berlin ZinsO 2009, 157 f.; Wagner, in: MünchKommBGB, § 826 Rn. 118; ders., FS Canaris, S. 473, 497 ff.; 117, 11; Wiedemann, FS Lüer, S. 337, 341; Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117, 119; Paefgen, DB 2007, 1907, 1912; Pannen, in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 103; Sester, RIW 2007, 787, 788 f.; Heitsch, ZinsO 2007, 961, 973; Brand, GPR 2008, 298, 299; dem zuneigend auch Junker, in: MünchKommBGB, Art. 1 Rom II-VO Rn. 39 und wohl auch Habersack, ZGR 2008, 533, 546; ebenso Weller, ZIP 2007, 1681, 1688, der dies aber aufgrund des spezifisch auf die Insuffizienz des Gläubigerschutzes nach §§ 30, 31 GmbHG abgestimmten Konzepts der Existenzvernichtungshaftung nur dann befürwortet, wenn das Gesellschaftsstatut der ausländischen Gesellschaft, das im Rahmen einer Vorfrage zu begutachten sei, vergleichbare Schutzlücken offenbare. Darin offenbart sich indes die Annahme, dass allein die deliktsrechtliche Qualifikation zur Unionsrechtskonformität der Existenzvernichtungshaftung führe. Anderenfalls wäre aus europarechtlicher Sicht das Gründungsrecht im Rahmen der Rechtfertigung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und nicht als Vorfrage zu beachten. 304

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

Leitentscheidungen Centros, Überseering und Inspire Art die Mitgliedstaaten auf die Beachtung des ausländischen Gesellschaftsstatuts verpflichtet, wird versucht, gläubigerschützende Vorschriften anderen Statuten zuzuschreiben.310 Als tragende Überlegung dient diesem Ansatz die Folgerung, man habe bereits mit der Qualifikation den Rubikon überschritten und den Anwendungsbereich der Grundfreiheit verlassen.311 Dies wird alternativ wie auch kumulativ in den Annahmen rückbegründet, dass zum einen allein die nicht-gesellschaftsrechtliche Qualifikation (dazu sogleich unter 2.a) und 2.b)aa)) das betroffene Rechtsinstitut bereits dem Zugriff der Niederlassungsfreiheit entziehe und zum anderen die Zuordnung zu einer unionsrechtlichen Kollisionsnorm zusätzlichen Schutz vor den Grundfreiheiten gewähre (dazu 2.b)bb)). 2. Die Schwächen einer kollisionsrechtlich vermittelten Einschränkung Der Versuch, eine Begrenzung der Niederlassungsfreiheit auf kollisionsrechtlicher Ebene zu erreichen, vermag jedoch nicht zu überzeugen.312 Sei es die Annahme, allein mit der Qualifikation einer Norm als nicht-gesellschaftsrechtlich dem Verdikt der Primärrechtswidrigkeit entgehen zu können, oder sei es die Vorstellung, mittels sekundärrechtlicher Kollisionsnormen dem in Rede stehenden inländischen Rechtsinstitut den Mantel der Europarechtsverträglichkeit überstreifen zu können; sie alle greifen aufgrund eines kollisionsrechtlich vermittelten Verständnisses der Niederlassungsfreiheit in mehrfacher Hinsicht zu kurz. a) Alleinige Fokussierung auf das Gesellschaftsrecht So trifft bereits der Ausgangspunkt, der diesen kollisionsrechtlich geprägten Ansätzen zugrunde liegt, auf erhebliche Zweifel. Als solcher lässt sich nämlich die These identifizieren, dass eine gesellschaftsrechtliche Norm das Verdikt der Primärrechtswidrigkeit treffe, eine insolvenz- oder deliktsrechtliche hingegen in 310

Siehe Ulmer, NJW 2004, 1201, 207. Dieser Ansatz umfasst freilich nicht alle Ansichten, die eine insolvenz- und/oder deliktsrechtliche Qualifikation befürworten. So gehen auch Teile von deren Verfechtern von der Notwendigkeit aus, das Anwendungsergebnis gleichwohl an der Niederlassungsfreiheit zu messen: statt vieler etwa Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9 Rn. 26 ff.; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. B 107 (beide mit Bezug auf die Insolvenzverschleppungshaftung). 312 Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 111 f.; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 9 f.; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 97 f.; ders./Schmolke, JZ 2008, 233, 235; Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 614; K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 493, 496 ff.; Goette, ZIP 2006, 541, 543; Greulich/Rau, NZG 2008, 565, 568; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit, 2. Kap. Rn. 259 ff., 265; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36 f.; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 71 ff.; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 167 f. 311

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friedlicher Koexistenz zu den Art. 49, 54 AEUV stehe.313 Allein dem Gesellschaftsrecht wird Konfliktpotenzial mit den Grundfreiheiten zugesprochen.314 Nur aus diesem Gedankengang heraus erklärt sich, weshalb mittels der internationalprivatrechtlichen Qualifikation das Gesellschaftsrecht gemieden und die Zuordnung zu einem anderen Statut gesucht wird. Der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit wäre danach auf das Gesellschaftsrecht begrenzt. Diese Sichtweise mag teilweise dem Gedanken geschuldet sein, die Niederlassungsfreiheit beinhalte eine versteckte Kollisionsnorm und oktroyiere den Mitgliedstaaten die Gründungsanknüpfung.315 Daraus wird dann zugleich gefolgert, dass sie sich auch im Zwang zur Gründungstheorie erschöpfe. Dementsprechend sei eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nur dort möglich, wo die Gründungstheorie überhaupt Geltung beanspruche. Nach tradiertem Verständnis erfasst die Kollisionsnorm alles, was bis dato dem Gesellschaftsrecht zugeschrieben wurde. Also könne, so wohl die Schlussfolgerung, eine Beschränkung auch nur im Rahmen des Gesellschaftsstatuts in Betracht kommen.316 Zum anderen wird eine solche Vorstellung von der Erkenntnis befördert, dass der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit nicht in sämtliche Bereiche mitgliedstaatlichen Rechts reichen kann.317 Wie oben dargelegt,318 führt die Struktur des unvollkommenen Binnen313 OLG Köln ZIP 2010, 2016; OLG Jena NZI 2013, 807, 808 (zu § 64 Abs. 2 GmbHG a.F.); Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 390, 434; Pannen, FS Fischer, S. 403, 408 ff.; ders., in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 101 („Die insolvenzrechtliche Qualifikation der Insolvenzantragspflicht hat zur Folge, dass diese Pflicht auch für Scheinauslandsgesellschaften, die in Deutschland tätig sind, anwendbar ist.“). 314 Exemplarisch Römermann, NZI 2010, 241, 242 („Handelte es sich nämlich um eine gesellschaftsrechtliche Norm, so schied eine Anwendung auf die Limited aus, da jene in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht lediglich dem englischen Companies Act unterworfen war und ist. Geht es hingegen um Insolvenzrecht, dann war die Antragspflicht schon immer auf die Limited anwendbar.“); Merkt, 15 EBLR (2004), 1045, 1057 („[A] tort law based solution would, as a general legal principle, be immune to findings that it violates the principle of freedom of establishment.“); Kindler, IPRax 2009, 189, 192 f.; ders., in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 390, und insb. Rn. 430 ff., 434; ders., NJW 2007 1785, 1788; Vallender, ZGR 2006, 425, 453, 454 f.; Weller, DStR 2003, 1800, 1804; ders., IPRax 2003, 207, 209 f.; Meilicke, GmbHR 2003, 1271, 1272; Vallender, ZGR 2006, 425, 453, 454 f.; Schumann, DB 2004, 743, 745 f.; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207 f.; Wilhelm, ZHR 167 (2003), 520, 540. 315 Dazu bereits oben 1. Teil § 2 II. 316 Beispielhaft Radtke/Hoffmann, EuZW 2009, 704, 707 f.; Kindler, NJW 2007, 1785, 1788 („Die Niederlassungsfreiheit besteht sonach nur im Rahmen des kollisionsrechtlich abzugrenzenden Gesellschaftsstatuts“); ähnlich auch Pannen, in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 98 ff.; wohl auch OLG Jena NZI 2013, 807, 808. 317 Statt vieler etwa Goette, ZIP 2006, 541, 545: „[…] man wird nicht ernsthaft darüber streiten dürfen, dass die Gesellschafter oder Geschäftsführer einer EU-Gesellschaft im Inland Betrugshandlungen begehen oder sonst allgemeine Deliktstatbestände verwirklichen und dann unter Hinweis auf die Niederlassungsfreiheit mit Erfolg geltend machen dürfen, sie könnten nicht zum Schadensersatz herangezogen werden.“ 318 Siehe oben 2. Teil § 4 I.2.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

markts und folglich die Ziele der Grundfreiheiten dazu, dass etwa das gesamte allgemeine Verkehrsrecht eines Mitgliedstaats nicht anhand der Grundfreiheiten überprüfbar ist. Dieser allgemeine Befund319 verleitet dann aber leicht zu der Annahme, dass das Deliktsrechts, welches zweifellos zumindest im Grundsatz dem Bereich des Verkehrsrechts zuzuordnen ist, generell eine Bereichsausnahme der Niederlassungsfreiheit bildet.320 Ergebnis ist die den kollisionsrechtlichen Ansätzen zugrunde liegende Polarität zwischen Gesellschaftsrecht und „Nicht-Gesellschaftsrecht“, insbesondere Delikts- und Insolvenzrecht.321 Dagegen ist nun aber zu erinnern,322 dass eine solche Begrenzung der Niederlassungsfreiheit auf den Bereich des Gesellschaftsrechts weder von den Luxemburger Richtern vorgenommen worden ist, noch sich aus Art. 49, 54 AEUV ableiten lässt. Richtig ist, dass sich die Urteile des EuGH mit der Frage der Vereinbarkeit gesellschaftsrechtlicher Regelungen (bzw. solchen des internationalen Gesellschaftsrechts) befassten und infolgedessen für das gesellschaftsrechtliche Schrifttum die Frage aufgeworfen war, welche Regelungen des Gesellschaftsrechts mit den Vorgaben der Grundfreiheit konfligieren könnten.323 Aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive sind daher zuvörderst die Auswirkungen der Niederlassungsfreiheit auf das gesellschaftsrechtliche Regelwerk von Interesse. Diese interessengeleitete Fokussierung allein auf den Ausschnitt des Gesellschaftsrechts darf indes nicht zu der Annahme führen, dass sich auch die Vorgaben der Art. 49, 54 AEUV in der durch den EuGH interpretierten Form ausschließlich auf den Ausschnitt „Gesellschaftsrecht“ kaprizieren. Allein aus dem Oktroy, eine Gesellschaft als eine solche ihres Gründungsrechts anzusehen324 und ihre Rechts- und Parteifähigkeit325 sowie die Haftungsund Finanzverfassung326 unter Berücksichtigung ihres Heimatrechts zu beurteilen, kann nicht gefolgert werden, dass sich darin bereits sämtliche Anforderungen der

319 Goette, ZIP 2006, 541, 545 will denn auch die bei Fn. 317 zitierte Aussage nicht pauschal auf sämtliche Normen des Deliktsrecht bezogen verstanden wissen („ganz anders verhält es sich dagegen […] mit offenen Deliktstatbeständen, wie § 826 oder § 823 Abs. 2 BGB. Hier ist Vorsicht geboten, weil auch auf dem Umweg über das Deliktsrecht die Niederlassungsfreiheit nicht ausgehebelt werden darf.“). 320 Etwa Horn, NJW 2004, 893, 899. 321 So etwa Kindler, IPRax 2009, 189, 192 f.; ders., in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 434 ff.; Franz, BB 2009, 1250, 1253; eine Beschränkung durch nicht-gesellschaftsrechtliche Vorschriften ebenfalls nicht erwägend Bayer, BB 2003, 2357, 2364 f.; Weller, DStR 2003, 1800, 1804; Kersting/Schindler, RdW 2003, 621, 625; Meilicke, GmbHR 2003, 1271, 1272; Schumann, DB 2004, 743, 745 f.; Ziemons, ZIP 2003, 1913, 1917 Fn. 35; Horn, NJW 2004, 893, 899; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1205, 1207 f.; Wilhelm, ZHR 167 (2003), 520, 540. 322 Siehe bereits oben 2. Teil § 4 II.1. 323 Insoweit zutreffend Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 390. 324 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 80. 325 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 95. 326 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 143.

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Niederlassungsfreiheit widerspiegeln.327 Er stellt lediglich eine Zusammenschau der in Centros, Überseering und Inspire Art konkret betroffenen, streitgegenständlichen Fragen und mithin nur einzelne Aspekte des Gewährleistungsgehalts der Niederlassungsfreiheit dar. Dass der Umfang des Gesellschaftsstatuts nicht zugleich auch die äußeren Grenzen der Art. 49, 54 AEUVabgesteckt, zeigen – wie dargelegt328 – die Urteile des EuGH zum Internetglücksspiel, in denen nicht nur Normen des Deliktsrechts, sondern sogar solche des Strafrechts als mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbar erklärt wurden.329 Auch die beredten Urteile Doc Morris330 und Hartlauer331 zum Gesundheitswesen belegen anschaulich, dass das Recht von Gesellschaften auf freie Niederlassung nicht lediglich durch gesellschaftsrechtliche Normen beschränkt werden kann.332 Führt man sich zudem vor Augen, dass die Art. 49, 54 AEUV das Recht auf freie Niederlassung Gesellschaften im gleichen Umfang wie natürlichen Personen gewähren, erhellt sich, dass der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit über das Gesellschaftsrecht hinaus reichen muss, da anderenfalls Art. 49 AEUV natürliche Personen schutzlos ließe. Dies offenbart bereits, dass die Annahme, allein gesellschaftsrechtliche Vorschriften stünden im Spannungsfeld zur Niederlassungsfreiheit,333 eine verkürzte, das Problemfeld nicht vollständig erfassende Sichtweise darstellt.334 Das Gesell327 Ähnlich Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 740; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 8 f.; a.A. Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 390. 328 So bereits oben 2. Teil § 4 II.1. 329 So etwa EuGH, Urteil vom 15. 9. 2011 – C-347/09 (Jochen Dickinger), Slg. 2011, I-8185; EuGH, Urteil vom 6. 11. 2003 – Rs. C-243/01 (Gambelli), Slg. 2003, I-13031; EuGH, Urteil vom 6. 3. 2007 – C-338/04, C-359/04 und C-360/04 (Placanica), Slg. 2007, I-1891. 330 EuGH, Urteil vom 19. 5. 2009 – Rs. C-171/07 (Apothekerkammer des Saarlands u. a./ Saarland), Slg. 2009, I-4171. 331 EuGH, Urteil vom 10. 3. 2009 – Rs. C-169/07 (Hartlauer), Slg. 2009, I-1721. 332 Im Fall Doc Morris standen die Vorschriften des deutschen Apothekengesetzes zum Mehr- und Fremdbesitzverbot auf dem Prüfstand der Niederlassungsfreiheit, welche nach Aussage des EuGH eine (obgleich gerechtfertigte) Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen, EuGH, Urteil vom 19. 5. 2009 – Rs. C-171/07 (Apothekerkammer des Saarlands u. a./Saarland), Slg. 2009, I-4171 Rn. 25; Gegenstand des Verfahrens Hartlauer waren österreicherische Vorschriften, die für die Zu- und Niederlassung von Zahnkliniken eine Bedarfsprüfung durch die Behörden vorsahen. Auch hierin sahen die Luxemburger Richter eine (diesmal nicht gerechtfertigte) Beschränkung der Art. 49, 54 AEUV, EuGH, Urteil vom 10. 3. 2009 – Rs. C-169/07 (Hartlauer), Slg. 2009, I-1721 Rn. 35. 333 Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 434; ders., NZG 2003, 1086, 1090; ähnlich auch Weller, DStR 2003, 1800, 1804; Kersting/Schindler, RdW 2003, 621, 625; Meilicke, GmbHR 2003, 1271, 1272; Schumann, DB 2004, 743, 745 f.; Ziemons, ZIP 2003, 1913, 1917 Fn. 35; Horn, NJW 2004, 893, 899; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1205, 1207 f.; Wilhelm, ZHR 167 (2003), 520, 540. 334 Spindler/Berner, RIW 2003, 949, 955; dies., RIW 2004, 7, 10; Teichmann, BB 2012, 18, 19; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 198; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Aus-

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

schaftsrecht bildet vielmehr nur einen Teilbereich des ungleich größeren Gewährleistungsgehalts der Art. 49, 54 AEUV.335 Auch nicht-gesellschaftsrechtliche Vorschriften können die Niederlassungsfreiheit beschränken.336 Eine Argumentationslinie, die den Stichentscheid in der Unterscheidung zwischen Gesellschaftsrecht auf der einen und Delikts- und/oder Insolvenzrecht auf der anderen Seite sieht,337 erscheint daher auf Sand gebaut und nicht zielführend.338 Bereits dieser Ausgangspunkt der kollisionsrechtlichen Lösungsansätze entbehrt einer gesicherten Verankerung in der Struktur der Niederlassungsfreiheit und ist folglich abzulehnen. b) Entgegenstehende Rechtsquellenhierarchie Der entscheidende Kritikpunkt an den kollisionsrechtlichen vermittelten Lösungsansätzen setzt indes an der Rechtsquellenhierarchie der betroffenen Materien an. aa) Mangelnde Relevanz mitgliedstaatlicher Qualifikation Ausgehend von der soeben dargelegten Prämisse, die Niederlassungsfreiheit könne allein mit gesellschaftsrechtlichen Normen konfligieren,339 wird auf kollisionsrechtlicher Ebene mittels der international-privatrechtlichen Qualifikation versucht, eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation zu meiden und mitgliedstaatliche Rechtsnormen, wie etwa die Insolvenzverschleppungs- oder Existenzvernichländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 8; ders., JZ 2004, 24, 25; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 72. 335 So bereits Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 9 f. 336 Schall, NJW 2011, 3745, 3747; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 111; Behme, ZIP 2008, 351, 352 f.; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 97 f.; Spindler/Berner, RIW 2003, 949, 955; dies., RIW 2004, 7, 10; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 8; ders., RabelsZ 70 (2006), 474, 481 ff.; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 72. 337 So etwa Kindler, IPRax 2009, 189, 192 ff.; Radtke/Hoffmann, EuZW 2009, 404, 407; Franz, BB 2009, 1250, 1253 ff.; Grunewald, Gesellschaftsrecht, S. 433 Rn. 2; Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117 ff.; Wagner, FS Canaris, S. 473, 498; Wiedemann, FS Lüer, S. 337, 341; Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 830; Fischer, ZIP 2004, 1477 ff.; Horn, NJW 2004, 893, 899; Brand/Reschke, NJW 2009, 2343, 2345; Poertzgen, NZI 2008, 9, 10; ders., NZI 2007, 15, 17; Römermann, NZI 2008, 641, 645. 338 Berner/Klöhn, ZIP 2007, 111; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 10 f.; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 743; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 19 und 26; ders., GmbHR 2010, 1, 4; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 97 f.; Fleischer/Schmolke, JZ 2008, 233, 235; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 299 f.; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 167 f.; Ego, Gläubigerschutzrecht, S. 171 ff.; Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 614; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 9; Wagner, FS Canaris, S. 473, 503; Forsthoff/Schulz, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16 Rn. 8; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 72; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. B 9. 339 Statt vieler Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 390, 434 m.w.Nachw.

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tungshaftung, dem Delikts- oder Insolvenzrecht zuzuweisen.340 Bei genauerer Betrachtung liegt diesem Vorgehen neben der nicht überzeugenden Begrenzung des Gewährleistungsgehalts der Art. 49, 54 AEUV auf das Gesellschaftsrecht die Annahme zugrunde, mit Hilfe der (nationalen) Qualifikation Einfluss auf das Ergebnis der Grundfreiheitenkontrolle nehmen zu können. Soweit nämlich einer Umqualifizierung mitgliedstaatlicher Normen Erfolg bescheinigt werden soll, muss diese imstande sein, eine unzulässige (weil durch gesellschaftsrechtliche Normen bewirkte) Grundfreiheitenbeschränkung in eine europarechtlich unbedenkliche Vorgabe des allgemeinen Verkehrsrechts zu überführen. Eine solche Fähigkeit könnte der kollisionsrechtlichen Qualifikation jedoch nur zukommen, wenn sie von den Grundfreiheiten zu beachten wäre. Die mitgliedstaatliche Qualifikation müsste zudem im Fall einer insolvenz- oder deliktsrechtlichen Qualifikation andere Vorgaben für die Grundfreiheitenkontrolle bereithalten als bei einer gesellschaftsrechtlichen Qualifikation. Genau das ist aber nicht der Fall. Ein so verstandener Einfluss des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts auf die primärrechtliche Grundfreiheit würde der Rechtsquellenhierarchie zwischen beiden nicht gerecht.341 Als elementare Norm des europäischen Primärrechts kann die Niederlassungsfreiheit den Anwendungsvorrang des Unionsrechts für sich beanspruchen. Sie geht damit widersprechendem nationalen Recht vor. Für das internationale Privatrecht existiert – wie bereits dargelegt342 – keine Bereichsausnahme. Es ist nicht grundfreiheitenresistent, sondern muss sich wie jede andere nationale Norm an den Grundfreiheiten messen lassen. Diese Systematik zwingt dann aber zu dem Schluss, dass die Grundfreiheitenkontrolle losgelöst von jeglichen kollisionsrechtlichen Vorgaben erfolgt. Könnte das Kollisionsrecht nämlich seinerseits die Grundfreiheiten beeinflussen, könnte es aufgrund der zirkulären Struktur schlechterdings keiner wirksamen Kontrolle unterzogen werden. Ein solcher Einfluss verkehrte letztlich den seit der Costa/ E.N.E.L.-Entscheidung343 unumstößlichen Vorrang des Unionsrechts ins Gegenteil. In concreto eröffnete ein derartiges Verständnis den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, sich den rigiden Vorgaben der Grundfreiheiten zu entziehen.344 Sie könnten sogar die Reichweite der Niederlassungsfreiheit durch das nationale Kollisionsrecht selbst definieren. Der Schutzbereich umfasste nur die Materien, die die Mitgliedstaaten selbst aufgrund gesellschaftsrechtlicher Qualifikation der Kontrolle durch das Pri-

340 Hierzu kritisch Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 98 („Ausflaggung gesellschaftsrechtlicher Institute“); ähnlich auch Zessel, Durchgriffshaftung, S. 166 f. 341 Hierzu Weller, IPRax 2009, 202 ff. 342 Siehe oben 1. Teil § 2 I. 343 EuGH, Urteil vom 15. 7. 1964 – Rs. 6/64 (Costa/E.N.E.L), Slg. 1964, 1251. 344 Wagner, FS Canaris, S. 473, 503; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 9; Forsthoff, in: Hirte/ Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; Bitter, Jb.J.ZivRWiss. 2004, S. 299, 311.

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märrecht unterstellten.345 Letztlich fiele die primärrechtliche Garantie auf freie Niederlassung mitgliedstaatlichem Ermessen anheim und verlöre den unionsweiten Anwendungsgleichklang. Diese Friktionen offenbaren, dass das Kollisionsrecht – und damit auch die kollisionsrechtliche Qualifikation – untaugliche Instrumente sind, um die Reichweite bzw. den Schutzbereich der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit zu konkretisieren und den weiten Beschränkungsbegriff des EuGH einzugrenzen.346 So wenig die Niederlassungsfreiheit selbst eine bestimmte Kollisionsnorm vorgibt,347 so wenig lässt sie sich auf der anderen Seite ihrerseits vom Kollisionsrecht in ihrem Anwendungsbereich beeinflussen. Aus diesem Grund gehen auch Versuche fehl, die Anwendung nationalen beschränkenden Rechts mithilfe des mitgliedstaatlichen ordre public-Vorbehalts (Art. 6 EGBGB) gegenüber dem Unionsrecht durchzusetzen.348 Ohne hier näher auf die intrikate Frage einzugehen, ob Gläubigerschutzinstrumente mangels positiver Funktion des deutschen ordre public überhaupt über diesen Weg in Ansatz gebracht werden könnten,349 bleibt hervorzuheben, dass diese Ansicht ebenfalls auf der Annahme fußt, mit nationalen kollisionsrechtlichen Mitteln das Ergebnis einer europarechtlichen Überprüfung beeinflussen zu können.350 Die kollisionsrechtlichen Wertungen einschließlich des 345 Auf diese Konsequenz hinweisend auch Fleischer/Schmolke, JZ 2008, 233, 235; siehe auch Meilicke, DStR 2007, 225, 232; Bicker, Gläubigerschutz in der Konzerngesellschaft, S. 52; dies aber gleichwohl befürwortend Kindler, NJW 2007, 1785, 1788 („Die Niederlassungsfreiheit besteht sonach nur im Rahmen des kollisionsrechtlich abzugrenzenden Gesellschaftsstatuts“). 346 So auch Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 97 f.; Thole, Gläubigerschutz, S. 881 f.; Wagner, FS Canaris, S. 473, 503; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 299; Goette, ZIP 2006, 541, 544 f.; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; K. Schmidt, ZHR 164 (2004), 493, 499; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 9; Bitter, Jb.J.ZivRWiss. 2004, S. 299, 312. 347 Siehe oben 1. Teil § 2 II.3. 348 So etwa Paefgen, DB 2003, 487, 489 ff.; ders., DZWiR 2003, 441, 447; wohl auch Lang/ Ottmann, in: BeckOK, GmbHG, Int.GesR Rn. 95 f.; Burg, GmbHR 2004, 1379, 1380; von Halen, WM 2003, 571, 577; dagegen bereits schon Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 9 ff.; so auch Riegger, ZGR 2004, 510, 519 f.; Bitter, Jb.J.ZivRWiss. 2004, S. 299, 312; siehe auch Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 60 f. 349 Nach h.M. besitzt der ordre public – wie auch die negative Formulierung in Art. 6 EGBGB zeigt – eine ausschließlich abwehrende Funktion; siehe ausf. etwa Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Art. 6 EGBGB Rn. 9 ff.; Palandt/Thorn, Art. 6 EGBGB Rn. 3; Lorenz, in: Bamberger/Roth, Art. 6 EGBGB Rn. 3; ferner mit Bezug zum internationalen Gesellschaftsrecht Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 488 f.; ders., BB 2004, 897, 898; a.A. Paefgen, DB 2003, 487, 489; Veit/Wichert, AG 2004, 14, 16. Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob sich der ordre public kollisionsrechtlich dazu eignet, für international zwingend erachtete Normen des deutschen Gesellschaftsrechts kollisionsrechtlich zur Anwendung zu verhelfen, ausf. zum Ganzen Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 286 f. m.w.Nachw. 350 Bereits die Grundlage dieser Auffassung scheint nicht frei von Widersprüchen: Ausgehend von der Annahme, die Niederlassungsfreiheit oktroyiere den Mitgliedstaaten, das Gesellschaftsstatut i.S.d. Gründungstheorie anzuknüpfen, werden für unerlässlich erachtete Bestimmungen des deutschen Gesellschaftsrechts mit Hilfe des ordre public auf ausländische Gesellschaften projiziert. Wenn aber der Grundfreiheit insoweit Einfluss auf das Kollisions-

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ordre public sind jedoch aus den genannten Gründen für die Grundfreiheiten irrelevant,351 weshalb der EuGH auch international zwingende Bestimmungen an dem Beschränkungsverbot der Grundfreiheiten misst.352 Gegen eine im Kollisionsrecht wurzelnde Beschränkung des Gewährleistungsgehalts der Art. 49, 54 AEUV kann aber auch erneut die wirkungsbezogene Funktionsweise der Grundfreiheiten in Ansatz gebracht werden.353 Die abstrakte kollisionsrechtliche Unterscheidung zwischen den einzelnen Rechtsmaterien kann nämlich schlechterdings nicht mit ihr in Kongruenz gebracht werden. Die Grundfreiheiten sind wirkungs-, nicht normbezogen.354 Sie kontrollieren tatsächliche Ergebnisse.355 Das tatsächliche Anwendungsergebnis eines Rechtsinstituts bleibt indes unverändert, gleich welcher Anknüpfung die betreffenden Normen folgen.356 Für den Prüfungsmaßstab der Grundfreiheiten ist es – wie der Gerichtshof in der Rechtssache

recht zugesprochen wird, als sie die Gründungstheorie vorzuschreiben vermag, ist es dann nicht ersichtlich, weshalb das kollisionsrechtliche Instrument des ordre public von diesem Einfluss freigestellt sein soll; ähnlich auch Bitter, Jb.J.ZivRWiss. 2004, S. 299, 312. 351 Deutlich in Bezug auf den nationalen ordre public auch Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 206, demzufolge der ordre public „nicht dem EG-Recht selbst entgegen gehalten werden kann. EG-Recht ist unmittelbar vorrangiges Recht und kraft des Vorrangprinzips anwendbar.“ Ferner Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 489 f.; so auch Riegger, ZGR 2004, 510, 519 f.; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 288; Mülbert/Brunier, WM 2005, 105, 112; Schnyder, in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 89, 94; allgemein zum Verhältnis von Art. 6 EGBGB zum Unionsrecht auch Palandt/Thorn, BGB, Art. 6 EGBG Rn. 8; siehe auch GA Reischl, Schlussanträge zu EuGH, 24. 10. 1978 – Rs. 15/78 (Koestler), Slg. 1978, 1971, 1978 f.; Martiny, in: v. Bar (Hrsg.), Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht, S. 211, 219 ff.; Körber, S. 536 f. 352 EuGH, Urteil vom 23. 11. 1999 – Rs. C-369/96 (Arblade), Slg. 1999 I-8498; dazu etwa Jayme, in: Mansel (Hrsg.), Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts, S. 31 ff.; Schnyder, in: Bauer/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel, S. 89, 92 ff.; wie hier auch Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 98. 353 Dazu bereits oben 1. Teil § 2 II.3.a). 354 Siehe oben 1. Teil § 2 II.3.a); ferner ausführlich Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, S. 392 ff.; W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 341; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 33; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 98; Mankowski, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, S. 235, 244; ders., IPRax 2004, 385, 392; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 259; Leible, ZGR 2004, 531, 534; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 98; Martin-Ehlers, in: Sandrock/ Wetzler (Hrsg.), Dt. Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, S. 1, 13 f. 355 Umfassend Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, S. 392 ff.; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 98; W.-H. Roth, IPRax 2006, 338, 341; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 36; Schaub, RabelsZ 66 (2002), 18, 33; Mankowski, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, S. 235, 244; ders., IPRax 2004, 385, 392. 356 Fleischer/Schmolke, JZ 2008, 233, 235; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 111; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 98; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 167.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

Hubbard exemplifizierte357 – unerheblich, welchem Recht oder welcher Rechtsmaterie eine Norm angehört; allein die von ihr bewirkten Auswirkungen sind Gegenstand der Grundfreiheitenkontrolle.358 Die kollisionsrechtliche Einordnung einer Vorschrift ist mit Blick auf die Art. 49, 54 AEUV daher ohne Aussagekraft.359 Folglich ist mit einer insolvenz- oder deliktsrechtlichen Qualifikation gläubigerschützender Rechtsinstitute nichts gewonnen.360 bb) Keine Legalisierung durch Sekundärrecht An diesem Befund vermögen auch sekundärrechtliche Normen nichts zu ändern. Angesprochen ist im Wesentlichen Art. 4 EuInsVO, dessen Aktivierung der zur Anwendung gebrachten Norm eine Primärrechtskonformität bescheinigen soll. Gleiches gilt aber mutatits mutandis auch für Art. 4 Rom II-VO, soweit dieser unionsrechtlichen Kollisionsnorm bei deliktsrechtlicher Qualifikation ebenfalls legalisierende Wirkung zugeschrieben wird. Sedes materiae ist mit Blick auf die Insolvenzverschleppungs- und Existenzvernichtungshaftung der Umstand, dass das Unionsrecht selbst die Anknüpfung an das Recht des Aufnahmemitgliedstaats vorgibt, sei es durch die Widerlegung der Vermutungsregel des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO im Zusammenspiel mit Art. 4 EuInsVO oder aber durch die Anknüpfung an den Erfolgsort gem. Art. 4 Rom II-VO. Dies verleitet dann zu der Schlussfolgerung, das so berufene Anwendungsergebnis

357 EuGH, Urteil vom 1. 7. 1993 – Rs. C-20/92 (Hubbard), Slg. 1993, I-3777 Rn. 19 f.; dazu auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 439 f. 358 Siehe dazu auch GA Maduro, Schlussanträge vom 22. 5. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 30; Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 151; W.-H. Roth, GS Knobbe-Keuk, S. 729, 737 ff.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit, 2. Kap. Rn. 259; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 40, 47; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 167 f.; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 71; W.-H. Roth, CMLRev. 1994, S. 845, 853 f.; Becker, EuR 1994, 172 ff.; Matthies, FS Everling, S. 803, 809 f.; Heermann, WRP 1999, 381, 384. 359 Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 740; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit, 2. Kap. Rn. 259; Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, § 6 Rn. 51; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 19 und 26; ders., GmbHR 2010, 1, 4; Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 614; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 111; Bitter, WM 2004, 2190, 2191; ders., Jb.J.ZivRWiss. 2004, S. 299, 312; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 8 f.; K. Schmidt, ZHR 164 (2004), 493, 499; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 10 f.; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 97 f.; ders./Schmolke, JZ 2008, 233, 235; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 299 f.; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 167 f.; Ego, Gläubigerschutzrecht, S. 171 ff.; Wagner, FS Canaris, S. 473, 497 u. 503; Forsthoff/Schulz, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16 Rn. 8; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. B 9; Roth/Altmeppen, GmbHG, Vorb. § 64 Rn. 14. 360 Habersack/Verse, EuGesR, § 3 Rn. 25; Teichmann, BB 2012, 18, 19; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 8 f.

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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sei eo ipso unionsrechtskonform.361 Es sei schließlich, so wird argumentiert, ja das Unionsrecht selbst, das die Anwendung nationalen Rechts durch die sekundärrechtliche Kollisionsnorm anordne. Vor diesem Hintergrund könne dessen Anwendung folglich nicht unionsrechtswidrig sein. Der europarechtliche Anwendungsbefehl trage gleichsam eine Legalisierungswirkung in sich.362 Ein solches Verständnis des Sekundärrechts, insbesondere der EuInsVO und der Rom II-VO, erscheint indes nicht angängig.363 Zum einen sind Art. 4 EuInsVO und Art. 4 Rom II-VO abermals (wenn auch unionsrechtliche) Instrumente des Kollisionsrechts, gegen die die bereits genannten Argumente in gleichem Maße Platz greifen.364 Zum anderen sind sowohl die EuInsVO als auch die Rom II-VO der Niederlassungsfreiheit in der Normenhierarchie nachrangig. Das Sekundärrecht ist nicht von den Vorgaben der Grundfreiheiten freigestellt.365 Auch der Unionsgesetzgeber unterliegt insoweit der Bindung an die Grundfreiheiten.366 Zwar ist unbenommen, dass allein in dem Verweis auf das Recht des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung als solchem keine Beschränkung der Art. 49, 54 AEUV liegen 361 Siehe etwa OLG Köln ZIP 2010, 2016, 2018; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 390; ders., FS Säcker, S. 393, 400 ff.; tendentiell auch Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; ders., KTS 2004, 291, 294; zwar ein Konfliktpotential mit den Grundfreiheiten erwägend, im Ergebnis aber verneinend BGH BB 2012, 14, 17 (Rn. 39); kritisch hierzu Teichmann, BB 2012, 18, 19; Schall, NJW 2011, 3745, 3747. 362 So OLG Köln ZIP 2010, 2016, 2018; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 390, 683; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; ders., KTS 2004, 291, 294; ähnlich Lach, Europ. Insolvenzordnung, S. 163 ff.; Ego, Gläubigerschutzrecht, S. 174; ähnlich auch Radtke/Hoffmann, EuZW 2009, 404, 407 f.; Kuntz, NZI 2005, 424, 427; Weller, IPRax 2004, 412, 414 (anders wohl ders., IPRax 2009); Lieder, DZWiR 2005, 399, 404; wohl auch Spahlinger/Wegen, IntGesR Rn. 757; Eisner, ZinsO 2005, 20, 22. 363 Teichmann, BB 2012, 18, 19; ders., FS Scheuing, S. 735 ff., insb. 744 ff.; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 111 f.; Wilms, KTS 2007, 337, 348; ebenso Thole, Gläubigerschutz, S. 889 f. 364 Siehe oben 2. Teil § 5 III.a) und 2. Teil § 5 III.b)aa). 365 Teichmann, BB 2012, 13, 14; ders., FS Scheuing, S. 735, 744 ff.; Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 614; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 111; Brinkmann, IPRax 2008, 30, 34; Bitter, WM 2004, 2190, 2199; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 107; Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 486; Meilicke, DStR 2007, 225, 232; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 289; im Grundsatz auch Bicker, Gläubigerschutz in der Konzerngesellschaft, S. 58 f. 366 EuGH, Urteil vom 5. 10. 2000 – Rs. C-376/98 (Tabakwerbung), Slg. 2000, I-8419 Rn. 84; deutlich auch EuGH, Urteil vom 23. 9. 2004 – verb. Rs. C-435/02 und C-103/03 (Axel Springer), Slg. 2004, I-8663 Rn. 47 ff.; EuGH, Urteil vom 17. 5. 1984 – Rs. 15/83 (Denkavit Nederland), Slg. 1984, 2171 Rn. 15 ff.; Teichmann, FS Scheuing, S. 735 ff., insb. 744 ff.; ders., BB 2012, 13, 14; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 131 ff.; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 29; Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 28 EGV Rn. 101 f.; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 822; Haß/Herweg, in: Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EuInsVO, Art. 4 Rn. 14; Hess, IPRax 2006, 348, 350 f.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 333; Enriques/Gelter, EBOR 2006, 417, 449; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 111 f.; Schall, ZIP 2005, 965, 974; Meilicke DStR 2007, 225, 232; a.A. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 109 f.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

kann, da allein die Nationalität einer Norm noch keinen Ausschlag auf dem Prüfstand der Grundfreiheiten generiert.367 Allerdings partizipiert die sekundärrechtliche Verweisungsregel dann an einer Beschränkung, wenn und soweit sie Sachrecht beruft, dessen Anwendung auf den Niederlassungsberechtigten eine Verkürzung seiner Rechte darstellt.368 Der Schluss, eine Materie der EuInsVO respektive der Rom II-VO zuzuweisen, entzieht diese Materie folglich nicht dem Anwendungsbereich der Grundfreiheit und begründet daher nicht bereits deren Unionsrechtsverträglichkeit.369 Vielmehr führt er lediglich zu der dann auf die nächste Ebene verlagerten Frage, ob ein solches Verständnis von Art. 4 EuInsVO mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist.370 Dabei kann es an dieser Stelle dahinstehen, ob in einem solchen Fall das Sekundärrecht dem Verdikt der Primärrechtswidrigkeit anheimfällt und damit nichtig ist371 oder die beschränkende mitgliedstaatliche Norm dem Anwendungsbereich der sekundärrechtlichen Kollisionsnorm im Wege einer primärrechtskonformen Auslegung372 zu entziehen ist. In beiden Fällen gibt das Sekundärrecht der nationalen Vorschrift keine Legitimation. Im Ergebnis kann jedenfalls weder Art. 4 EuInsVO noch Art. 4 Rom II-VO den Prüfungsmaßstab der Niederlassungsfreiheit beeinflussen, da diese sekundärrechtlichen Kollisionsnormen in ihrem eigenen Anwendungsbereich selbst durch die Niederlassungsfreiheit begrenzt werden.373 Für die Grundfreiheitenkontrolle ist es folglich unerheblich, ob der Anwendungsbereich von EuInsVO oder Rom II-VO

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Siehe oben 1. Teil § 2 II.3.a)aa). Dazu bereits oben 1. Teil § 2 I.1.; ebenso Teichmann, BB 2012, 18, 19; ders., ZGR 2011, 639, 677 ff.; Thole, Gläubigerschutz, S. 890. 369 Teichmann, BB 2012, 18, 19; Schall, NJW 2011, 3745, 3747; deutlich auch Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 614, „Even if the law of the real seat may be applicable according to a correct interpretation of private international law, including European secondary law, application of a Member State’s law may still violate Arts. 43, 48 EC-Treaty“; ähnlich Enrique/ Gelter, 81 Tul. L. Rev. 577, 641 (2004), „secondary EC law (like the EIR) can hardly mend a violation of primary law by a Member State“; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 288 f.; a.A. Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 301. 370 Dazu Ringe/Willemer, NZG 2010, 56, 57; zu diesem Gedanken auch Lach, EuInsVO, S. 162 ff.; Bicker, Gläubigerschutz in der Konzerngesellschaft, S. 53 f., 58 f.; diese Frage aufwerfend, aber nicht weiter vertiefend BGH GmbHR 2011, 1087, 1090. 371 Siehe dazu EuGH, Urteil vom 5. 10. 2000 – Rs. C-376/98 (Tabakwerbung), Slg. 2000, I-8419; ferner, Oppermann, Europarecht, Rn. 474. 372 Zur primärrechtskonformen Auslegung siehe EuGH, Urteil vom 13. 12. 1983 – Rs. 218/ 82 (Kommision/Rat), Slg. 1983, 4063; ausführlich auch Leible/Domröse, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 9 Rn. 1 ff.; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 8 f. 373 Teichmann, BB 2012, 18, 19; Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 614; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 111; Bitter, WM 2004, 2190, 2199; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 107; Meilicke, DStR 2007, 225, 232; ähnlich auch Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 111 f.; Enriques/Gelter, EBOR 2006, 417, 449. 368

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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eröffnet ist oder nicht.374 Die Kollisionsnormen des Art. 4 EuInsVO und Art. 4 Rom II-VO können ihrerseits überhaupt nur zur Anwendung kommen, wenn das durch sie bewirkte tatsächliche Rechtsanwendungsergebnis mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist. Etwas anderes lässt sich auch nicht mit dem Argument begründen, die EuInsVO und Rom II-VO seien als solche niederlassungsfreiheitskonform. So wird mit Blick auf die EuInsVO zum Teil vertreten, dass diese zwar grundsätzlich, ebenso wie das mitgliedstaatliche Recht, dem Einfluss der Niederlassungsfreiheit unterliege. Die mit ihr verfolgten Ziele und ihre konkrete Ausgestaltung durch den Unionsgesetzgeber offenbarten jedoch, dass die EuInsVO nicht im Widerspruch zur Niederlassungsfreiheit stehe, sie mithin primärrechtskonform sei.375 Daher könne dann auch eine solchermaßen berufene mitgliedstaatliche Norm nicht mit den Art. 49, 54 AEUV in Konflikt stehen.376 Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass das Begründungsmuster gewissermaßen rückwärts läuft. Wenn es zuerst die EuInsVO pauschal von den Vorgaben der Niederlassungsfreiheit freistellt und dann erst im Nachhinein die konkrete Norm unter die EuInsVO subsumiert, um dieser dann aufgrund der zuvor festgestellten Primärrechtskonformität ebenfalls das Placit der Niederlassungsfreiheit zuzuschreiben,377 ist die Vereinbarkeit mit den Art. 49, 54 AEUV eine petitio principii.378 Nicht die EuInsVO als abstraktes Regelwerk ist Gegenstand der grundfreiheitlichen Kontrolle. Allein ihre Vorschriften zur Zuständigkeit und die Kollisionsnorm des Art. 4 EuInsVO vermögen schlechterdings kein Ergebnis zu zeitigen, das anhand des Beschränkungsverbots der Niederlassungsfreiheit überprüfbar wäre. Anderes ergäbe sich nur, soweit bereits in der Anwendung des Rechts eines bestimmten Mitglied374 Mit Blick auf die EuInsVO Enrique/Gelter, 81 Tul. L. Rev. 577, 641 (2004); Habersack/ Verse, EuGesR, § 3 Rn. 28; siehe Zessel, Durchgriffshaftung, S. 166 ff.; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 111. 375 Radtke/Hoffmann, EuZW 2009, 404, 407 f.; Blöse, GmbHR 2011, 1093, 1094; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 31, zur Insolvenzverschleppungshaftung Rn. 153; der zwar grundsätzlich das Primat der Niederlassungsfreiheit anerkennt (Rn. 29), die EuInsVO aber mittels entsprechender Übertragung der Keck-Rechtsprechung (dazu ausführlich unten 2. Teil § 5 IV.) aus dem Tatbestand der Niederlassungsfreiheit herausnimmt („In Anwendung der ,Keck‘-Rspr. stellt [die] kollisionsrechtliche Verweisung der EuInsVO auf [das] Recht des Eröffnungsstaats allenfalls eine bloße ,Verkaufsmodalität‘ dar; denn die von der EuInsVO erfassten Fragestellungen regeln in erster Linie den geordneten Marktaustritt einer Ges[ellschaft], nicht aber den Marktzugang von Ges[ellschaften]. Sie behindern daher die Niederlassungsfreiheit nicht per se, sondern haben vielmehr als solche eine marktöffnende Funktion.“); ähnlich auch Ego, Gläubigerschutzrecht, S. 174; Knop, Gesellschaftsstatut und Niederlassungsfreiheit, S. 284 f.; Lach, EuInsVO, S. 162 ff.; Kindler/Nachmann, Hdb Insolvenzrecht in Europa, § 1 Rn. 27 f.; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; ders., KTS 2004, 291, 294. 376 So wohl BGH BB 2012, 14, 17 f.; Kindler/Nachmann, Hdb Insolvenzrecht in Europa, § 1 Rn. 27; für die Insolvenzverschleppungshaftung Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 153; ähnlich Knop, Gesellschaftsstatut und Niederlassungsfreiheit, S. 284; ähnlich Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207. 377 So etwa Ego, Gläubigerschutzrecht, S. 174; Kindler/Nachmann, Hdb Insolvenzrecht in Europa, § 1 Rn. 27, 30. 378 Ähnlich Thole, Gläubigerschutz, S. 889 f.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

staats ein das Recht auf freie Niederlassung verkürzender Eingriff läge, was aber – wie dargelegt379 – dem Konzept des unvollkommenen Binnenmarkts zuwider liefe und daher nicht den Grundfreiheiten entnommen werden kann. Prüfungsgegenstand der Niederlassungsfreiheit ist aufgrund der Wirkungsbezogenheit der Grundfreiheiten380 vielmehr das konkrete Anwendungsergebnis.381 Überprüft wird also das durch die in Rede stehende Norm und den sie berufenden Anwendungsbefehl bewirkte Resultat. Konkrete Folge der propagierten Anwendung von Insolvenz- oder Existenzvernichtungshaftung über Art. 4 EuInsVO ist die tatsächliche Haftungserstreckung auf Organe der ausländischen Gesellschaft. Sie ist es dann auch, die auf dem Prüfstand der Art. 49, 54 AEUV steht, nicht ein abstraktes Regelwerk wie die EuInsVO. Aufgrund der Rechtquellenhierarchie kann der Schlusssatz daher nicht lauten, dass das Anwendungsergebnis primärrechtskonform ist, weil Art. 4 EuInsVO zur Anwendung kommt. Richtig wäre vielmehr, dass Art. 4 EuInsVO gemeinsam mit der berufenen mitgliedstaatlichen Insolvenznorm zur Anwendung kommen kann, weil das tatsächliche Anwendungsergebnis im Einklang mit den Grundfreiheiten steht. Die kollisionsrechtlichen Versuche, inländische Rechtsnormen dem Anwendungsbefehl des Art. 4 EuInsVO zuzuschreiben und so den Vorgaben der Niederlassungsfreiheit zu entgehen, haben daher keine Aussicht auf Erfolg. Die Erstreckung mitgliedstaatlicher Normen auf Scheinauslandsgesellschaften muss sich auch bei Anwendung der sekundärrechtlichen Kollisionsnorm an der Niederlassungsfreiheit messen. Dies gilt zu gleichen Teilen auch für Art. 4 Rom II-VO. Im Ergebnis bleibt damit festzuhalten, dass weder EuInsVO noch Rom II-VO in der Lage sind, eo ipso europarechtlich unbedenkliche Ergebnisse herbeizuführen. Sie können einer unionswidrigen Beschränkung der Niederlassungsfreiheit keine Legitimation geben. cc) Zwischenergebnis Zurückkommend zu den kollisionsrechtlich vermittelten Lösungsansätzen zeigt sich, dass weder die mitgliedstaatliche Qualifikation einer Vorschrift noch die Zuordnung zu einer Kollisionsnorm des Sekundärrechts die betreffende Norm von den Vorgaben der Niederlassungsfreiheit freistellen kann. Im ersten Fall steht dem die Rechtsquellenhierarchie zwischen mitgliedstaatlichem und europäischem Recht, im zweiten Fall die zwischen Primär- und Sekundärrecht entgegen. Diese Erwägungen ziehen zudem noch eine weitere Konsequenz nach sich. Soweit für die Begründung einer Einordnung der Insolvenzverschleppungshaftung unter Art. 4 EuInsVO bestärkend auf die Verlagerung der Insolvenzantragspflicht durch das MoMiG und den beredten Willen des Gesetzesgebers, die Diskussion zugunsten einer insolvenzrechtlichen Qualifikation zu entscheiden, rekurriert 379

Siehe oben 1. Teil § 2 II.3.a)aa). Siehe oben 1. Teil § 2 II.3.a) ebenso Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 98. 381 So auch Teichmann, BB 2012, 18, 19; Schall, NJW 2011, 3745, 3747. 380

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wird,382 zeigen die obigen Ausführungen zur Rechtsquellenhierarchie nämlich die Schwächen dieses Ansatzes.383 Bereits im autonomen deutschen internationalen Privatrecht vermag die Verortung einer Norm in einem bestimmten Gesetz ihre Qualifikation nicht zu beeinflussen.384 Maßgebend ist vielmehr der im Wege einer teleologisch-funktionellen Betrachtungsweise ermittelte Sinn und Zweck der Norm.385 Dass der Gesetzgeber allein durch die Veränderung des systematischen Standorts einer Norm deren kollisionsrechtliche Einordnung beeinflussen kann, erscheint daher allein schon mit Blick auf das deutsche Kollisionsrecht nicht überzeugend, ist doch der Wille des Gesetzgebers für die Qualifikation nicht ausschlaggebend.386 Vor dem Hintergrund der EuInsVO wird dieser Gedanke indes vollends zur Makulatur. Der Anwendungsbereich der Verordnung ist (verordnungs-) autonom aus europäischer Sicht zu bestimmen.387 Die Entscheidung darüber, ob eine Norm in den Anwendungsbereich der sekundärrechtlichen Insolvenzverordnung fällt, ist dem nationalen Gesetzgeber entzogen.388 Anderweitige Vorstellungen, die dem MoMiG zugrunde gelegen und Eingang in dessen Begründung gefunden haben, sind daher nicht überzeugend. Sie basieren letztlich auf einem unzutreffenden Verständnis von Kollisions- und europäischem Primärrecht.389 Denn ebenso wenig 382 Schwab, DStR 2010, 333, 335 f.; Poertzgen, NZI 2008, 9, 10; ders., NZI 2007, 15, 17; Römermann, NZI 2008, 641, 645; Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117; Brand/Reschke, NJW 2009, 2343, 2345; Gehrlein, BB 2008, 846, 848; wohl auch diesen Schluss ziehend Weller, ZIP 2009, 2029, 2030; ebenso Wagner, in: MünchKommBGB, § 823 Rn. 396. 383 Siehe oben 2. Teil § 5 III.2.b). 384 BGH BB 2012, 14, 17 (Rn. 34); Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 501, 505 ff., 509; Kegel/Schurig, IPR, § 7 III, S. 343 f.; Mock/Schildt, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 17 Rn. 21; Spahlinger/Wegen, in: Spahlinger/ Wegen (Hrsg.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 754. 385 Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 501 ff.; Kropholler, IPR, § 17 I, S. 126; Kegel/Schurig, IPR, § 7 III, S. 346 ff. 386 So auch Hirte, FS Lüer, S. 387, 390 ff.; Leithaus/Riewe, NZI 2008, 598, 600; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 170. 387 EuGH, Urteil vom 2. 5. 2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood/Parmalat), Slg. 2006, I-3813 Rn. 31; GA Colomer, Schlussanträge 6. 9. 2005 – Rs. C-1/04 (Staubitz-Schreiber), Slg. 2006, I-701 Rn. 60; ebens BGH BB 2012, 14, 15 (Rn. 16); Hess, IPRax 2006, 348, 351 ff.; Haß/ Herweg, in: Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EuInsVO, Art. 4 Rn. 14; Duursma-Kepplinger/ Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Vorb. Rn. 20; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 109 f.; Mankowski, EWiR 2006, 397, 398; Ehricke, ZInsO 2004, 633, 634; Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 482; Weller, in: MünchKommGmbHG, Einl Rn. 393; wohl auch Schall, ZIP 2005, 965, 972; Paulus, RabelsZ 70 (2006), 458, 467; siehe zur ständigen Rechtsprechung i.R.d. EuGVVO EuGH, Urteil vom 13. 7. 2006 – Rs. C-103/05 (Reisch), Slg. 2006, I-6827 Rn. 29 f.; sowie EuGH, Urteil vom 28. 9. 1999 – Rs. C-440/97 (GIE Group Concorde), Slg 1999 I-6307 Rn. 11; Urteil vom 22. 2. 1979 – Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), Slg. 1979, 733 Rn. 3; zur ZustVO EuGH, Urteil vom 8. 11. 2005 – Rs. C-443/03 (Leffler/Berlin Chemie AG), Slg. 2005, I-9611 Rn. 45. 388 Bittmann, ZGR 2009, 931, 951; Haas, GmbHR 2010, 1, 4; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 170; ähnlich Hirte, FS Lüer, S. 387, 390 ff. 389 Siehe dazu bereits 1. Teil § 2 III.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

wie der nationale Gesetzgeber Inhalt und Umfang der Niederlassungsfreiheit bestimmen kann, kann er Einfluss auf den Anwendungsbereich des sekundären Unionsrechts nehmen.390 Selbst wenn man dem mit dem MoMiG verfolgten Ziel einer insolvenzrechtlichen Qualifikation der Insolvenzverschleppungshaftung und einer entsprechenden Anwendung der EuInsVO einmal Erfolg unterstellt, so führte dies nach wie vor nicht zum Dispens von den Vorgaben der Niederlassungsfreiheit, da auch die EuInsvO – wie dargestellt – dem durch sie berufenen Sachrecht keine unionsrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen kann. Die Verlagerung der Insolvenzantragspflichten in die Insolvenzordnung war daher aus Sicht des Unionsrechts ohne Wirkung. Dies zeigt sich zudem einmal mehr in der Funktionsweise der Grundfreiheiten. Diese sind ergebnisbezogen und überprüfen daher allein die tatsächliche Auswirkung der Rechtsanwendung der Mitgliedstaaten. Auf die Rückbegründung der angewandten Normen im Rechtssystem des Mitgliedstaats kommt es nicht an. Da aber die Insolvenzantragspflicht und die daran anknüpfende Haftung materiell unverändert geblieben sind und nach wie vor das gleiche Rechtsanwendungsergebnis bewirken, war deren Verlagerung durch das MoMiG unionsrechtlich bedeutungslos. Ähnlich verhält es sich mit der dogmatischen Neuausrichtung der Existenzvernichtungshaftung durch die Trihotel-Entscheidung des BGH. Auch sie kann entgegen anders lautender Stimmen in Rechtsprechung391 und Literatur392 nicht dafür in Anspruch genommen werden, mittels einer nunmehr deliktsrechtlichen Qualifikation Einfluss auf die Vereinbarkeit des Rechtsinstituts mit der Niederlassungsfreiheit zu nehmen und es über Art. 4 Rom II-VO auch gegenüber Scheinauslandsgesellschaften in Ansatz zu bringen.393 Zum einen kann allein der Urteilsspruch des BGH ein zuvor primärrechtswidriges Haftungsinstitut nicht durch den Austausch der Haftungsgrundlage in eine europarechtlich unbedenkliche Vorschrift des allgemeinen Verkehrsrechts überführen.394 Trotz der Umgestaltung zur Binnenhaftung ist die Existenzvernichtungshaftung im Kern das gleiche Rechtsinstitut geblieben, mit dem nach wie vor der im deutschen Gesellschaftsrecht identifizierten Insuffizienz der

390 Hirte, FS Lüer, S. 387, 390 ff.; Bittmann, NStZ 2009, 113, 114; ders., ZGR 2009, 931, 951; ähnlich auch Haas, GmbHR 2010, 1, 4. 391 LG Berlin ZinsO 2009, 157, 158. 392 Etwa Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117, 119; Paefgen, DB 2007, 1907, 1912; Wiedemann, FS Lüer, S. 337, 341; Pannen, in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 103; Sester, RIW 2007, 787, 788 f.; Heitsch, ZinsO 2007, 961, 973; Wagner, in: MünchKommBGB, § 826 Rn. 118; ders., FS Canaris, S. 473, 497 ff.; Palandt/ Sprau, BGB, § 826 Rn. 35; Weller, ZIP 2007, 1681, 1688; Brand, GPR 2008, 298, 299; dem zuneigend auch Junker, in: MünchKommBGB, Art. 1 Rom II-VO Rn. 39 und wohl auch Habersack, ZGR 2008, 533, 546. 393 So auch Goette, ZinsO 2007, 1177, 1183; Staudinger/Oechsler, § 826 Rn. 326; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 299; wohl auch Vetter, BB 2007, 1965, 1969. 394 Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 299.

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§§ 30, 31 GmbHG begegnet werden soll.395 Eine allgemeine, jedermann treffende deliktische Verantwortlichkeit stellt sie aufgrund der spezifischen Anknüpfung an die Organstellung des Gesellschafters auch nach der Trihotel-Entscheidung nicht dar.396 Infolgedessen muss sie den Vorgaben der Niederlassungsfreiheit genügen, gleichviel ob bei delikts-, insolvenz- oder gesellschaftsrechtlicher Qualifikation. Zum anderen war es – entgegen einiger Stimmen in der Literatur – aber auch gar nicht das Ziel der Karlsruher Richter, mit der dogmatischen Neubegründung der Existenzvernichtungshaftung deren Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit auf ein sichereres Fundament zu stellen. Die Motivation war vielmehr, mit der Einordnung der Haftung in das Deliktsrecht lediglich die Unschärfen des bisherigen Konzepts zu korrigieren und dadurch zu verhindern, dass jeder fahrlässige, zur Insolvenz führende Verstoß gegen kapitalschutzrechtlich ansetzende Gesellschafterpflichten die Aufhebung des Haftungsprivilegs des § 13 Abs. 2 GmbHG nach sich zieht.397 Die Existenzvernichtungshaftung führte zuvor aufgrund ihres wenig präzisen Tatbestands dazu, dass Gesellschaftern der Schutz des § 13 Abs. 2 GmbHG in einem zunehmend weiteren Maß entzogen wurde, wovon der Autohändler-Fall des BGH prominentes Zeugnis ablegt.398 Ähnlich dem TBB-Urteil,399 das seinerzeit die Aussagen des Video-Urteils400 einschränkte und die Figur des qualifiziert faktischen Konzerns wieder auf ein ihr ehemals zugedachtes Maß reduzierte,401 sollte nach Aussage des damaligen Senatsvorsitzenden die Trihotel-Entscheidung die Existenzvernichtungshaftung auf eine berechenbarere Grundlage stellen und die zu weite Ausuferung beenden.402 Dies allein war Hintergrund der Verortung im Deliktsrecht. Eine Erstreckung der Haftung auf EU-ausländische Gesellschaften sollte nicht erreicht werden. Dieser steht der BGH vielmehr kritisch gegenüber.403

395

So der Senatsvorsitzende Goette, ZinsO 2007, 1177, 1183; Gehrlein, WM 2008, 761, 769; ausf. Liebscher, in: MünchKommGmbHG, Anh. § 13 Rn. 472 ff., 516 ff. 396 Weller, in: MünchKommGmbHG, Einl. Rn. 418; Staudinger/Oechsler (2009), § 826 Rn. 326; ferner bereits Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 10 f. 397 So Goette, ZinsO 2007, 1177, 1183; siehe auch ders., DStR 2007, 1593, 1594 f.; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rn. 58 ff.; gegen diese Haftungsbegründung noch Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83, 97, 115. 398 Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rn. 58 ff.; Goette, ZinsO 2007, 1177, 1182 f.; Liebscher, in: MünchKommGmbH, Anh. § 13 Rn. 524 f. 399 BGHZ 122, 123; dazu Kübler, NJW 1993, 1204; Mülbert, DStR 2001, 1937; Lutter, DB 1994, 129; Krieger, ZGR 1994, 375; Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83 ff. 400 BGHZ 115, 187; siehe auch Krieger, ZGR 1994, 375; Winter, ZGR 1994, 570; Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83 ff.; Mülbert, DStR 2001, 1937; Lutter, DB 1994, 129. 401 Mülbert, DStR 2001, 1937; Goette, DStR 2000, 1065, 1066 f.; zum ganzen auch Liebscher, in: MünchKommGmbH, Anh. § 13 Rn. 496 ff. 402 Goette, ZinsO 2007, 1177, 1182 f. 403 Goette, ZinsO 2007, 1177, 1183; Gehrlein, WM 2008, 761, 769.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

c) Methodische Kritik Als dritter Einwand gegen im Kollisionsrecht wurzelnde Ansätze zur Beschränkung des Gewährleistungsgehalts der Art. 49, 54 AEUV kann geltend gemacht werden, dass die intendierte Qualifikation oftmals nicht mit der Methodik des internationalen Privatrechts in Einklang zu bringen ist. Dies gilt sowohl für die nationale wie auch für die unionale Ebene. aa) Nationale Ebene Auf nationaler Ebene stößt insbesondere eine zielorientierte Ausflaggung ehemals gesellschaftsrechtlich qualifizierter Vorschriften auf Bedenken.404 Vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit wird teilweise eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation bewusst vermieden und die in Rede stehenden Normen ergebnisorientiert einer insolvenzrechtlichen Anknüpfung zugeführt, um eine Erstreckung auf Auslandsgesellschaften zu ermöglichen.405 Die insolvenzrechtliche Prägung der betreffenden Sachnormen ist damit weniger der Grund als vielmehr das Ziel der kollisionsrechtlichen Qualifikation.406 Eine solche Vorgehensweise steht jedoch im Konflikt zur Methodik des deutschen internationalen Privatrechts. Die Qualifikation einer Norm erfolgt anhand einer funktionellen teleologischen Betrachtung, ohne Rücksicht auf Konstruktion oder systematische Zuordnung.407 Die Funktion und der Zweck des betreffenden Rechtsinstituts wird denen des in Rede stehenden Verweisungsbegriffs gegenübergestellt.408 Erwägungen, die darauf abzielen, Normen nur um ihrer Anwendung willen einer entsprechenden Qualifikation zuzuführen, müssen dabei zurücktreten. Das deutsche IPR bestimmt – wie bereits ausgeführt409 – das anzuwendende Recht im Sinne Savignys apolitisch allein aufgrund der Nähe zum zu regelnden Sachverhalt.410 Kollisionsnormen sind demnach Verweisungsnormen, die sich nach räumlichen Zweckmäßigkeitserwägungen ausrichten, nicht aber an 404

Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit, 2. Kap. Rn. 265. Deutlich etwa Horn, NJW 2004, 893, 899 („In Deutschland sollte man den Begriff des Gesellschaftsstatuts künftig enger fassen, so dass zum Beispiel die Durchgriffshaftung des Niederlassungsstaats angewendet werden kann.“); Fischer, ZIP 2004, 1477 ff. („Die Verlagerung des Gläubigerschutzes vom Gesellschafts- in das Insolvenzrecht nach ,Inspire Art‘“); ebenso Vallender, ZGR 2006, 425, 453 f.; Radtke/Hoffmann, EuZW 2009, 404, 407; Borges, RIW 2000, 167, 178; ähnlich auch Weller, IPRax 2003, 207, 210; ders., IPRax 2003, 520, 524. 406 Ähnlich Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 98; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 141; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit, 2. Kap. Rn. 265. 407 Statt vieler Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 499 ff., 505 ff. m.w.Nachw.; Kropholler, IPR, § 17 I; Haas, GmbHR 2010, 1, 4. 408 Kropholler, IPR, § 17 I. 409 Siehe oben 1. Teil § 2 II.3.a). 410 Siehe BT-Drucks 10/504 S. 22, wonach der Reform 1986 – Savigny folgend – das Prinzip der engsten Beziehung zugrunde liegt. 405

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sachlichen Regelungsinteressen orientieren.411 Es soll das Recht zur Anwendung berufen werden, das zu dem zu regelnden Sachverhalt die größte Nähe aufweist. Auf das materielle Ergebnis kommt es nicht an.412 Mit diesen Vorgaben aber lassen sich ergebnisorientierte Qualifikationsvorgänge nur schwer vereinbaren. Aber auch in der Sache scheint es überzeugender, sowohl die Insolvenzverschleppungshaftung als auch die Existenzvernichtungshaftung gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren. Aufgrund der bereits aufgezeigten Irrelevanz der Qualifikation413 nationaler Rechtsinstitute für die Frage nach deren Primärrechtskonformität soll an dieser Stelle jedoch auf eine umfassende Untersuchung der kollisionsrechtlichen Einordnung beider Haftungsfiguren verzichtet werden und es bei einigen Stichpunkten hierzu bewenden:414 (1) Insolvenzverschleppungshaftung Gegen die oben415 aufgezeigten Argumente für eine insolvenzrechtliche Qualifikation der Insolvenzverschleppungshaftung ist zunächst zu erinnern, dass die Insolvenzverschleppungshaftung nicht mit der im Insolvenzverfahren geltenden Maxime der par conditio creditorum im Einklang steht. Denn anders als die Insolvenzanfechtung, die von Verfechtern einer insolvenzrechtlichen Einordnung zur Bestärkung vergleichend herangezogen wird416 und in der beredten Saegon-Entscheidung des EuGH417 dem Anwendungsbereich der EuInsVO zugeordnet wurde, stellt § 15a InsO i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB kein originäres Instrument der Massesicherung dar, sondern findet auch und gerade im Fall der Masselosigkeit, wenn also gar kein Insolvenzverfahren eröffnet wird, Anwendung.418 Damit ermöglicht die Insolvenzverschleppungshaftung für Neugläubiger generell und für Altgläubiger bei Abstinenz eines Insolvenzverfahrens (etwa bei Ablehnung mangels Masse) die in-

411

Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 561. Fezer/Koos, in: Staudinger, BGB, IntWirtschR Rn. 561; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 416; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 19 f.; die Grenze bildet insofern der ordre public; siehe dazu Kegel/Schurig, IPR, § 2 II, S. 145 ff. 413 Siehe oben 2. Teil § 5 III.2.a) und 2. Teil § 5 III.2.b). 414 Zu einer ausführlichen Untersuchung Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 389 ff., 413 ff.; Weller, in: MünchKommGmbHG, Einl. Rn. 415 ff., 424 f.; Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 146 ff., 151 ff.; je m.w.Nachw. 415 Siehe oben 2. Teil § 5 III.1.a)aa). 416 J. Schmidt, ZInsO 2006, 737, 739; Schilling, Insolvenz einer englischen Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland, 2006, S. 207. 417 EuGH, Urteil vom 12. 2. 2009 – Rs. C-339/07 (Christopher Seagon./.Deko Marty Belgium NV), Slg. 2009, I-767; siehe ferner Vorlagebeschluss BGH ZIP 2007, 1415, m.Anm. Klöhn/Berner; Wolfer, GWR 2009, 152; Mörsdorf-Schulte, ZIP 2009, 1456 ff.; Fehrenbach, IPRax 2009, 492; Mock, ZinsO 2008, 1381. 418 Statt vieler BGH NZG 2000, 1222, auf diesen Punkt abstellend auch OLG Karlsruhe NZG 2010, 509 f.; OLG Düsseldorf GmbHR 2010, 591 ff. 412

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dividuelle Durchsetzung der Ansprüche. Sie ist dann Element einer Einzelvollstreckung und gewährleistet gerade keine par conditio.419 Die Insolvenzverschleppungshaftung intendiert zudem weniger den Schutz der Gläubiger im Insolvenzfall als bereits zuvor die Verhaltenssteuerung und Lenkung der Geschäftsleiter.420 Es geht anders gewendet nicht darum, eine Effektuierung des Insolvenzverfahrens durch eine nachträgliche Korrektur der Haftungsmasse einer insolventen Gesellschaft zu bewirken. Mit der Verantwortung der Geschäftsleiter wird vielmehr eine Steuerung des Geschäftsleiterverhaltens ex ante erreicht.421 Damit präsentiert sich die Insolvenzverschleppungshaftung als zentrales Element der Unternehmensführung und -kontrolle.422 Sie ist mithin der Corporate Governance zuzuordnen.423 Wer zudem – wie der BGH424 – in der Insolvenzantragspflicht und der mit dieser korrespondierenden Haftung zutreffend die Ergänzung der Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften und schließlich das Korrelat zur Haftungsbeschränkung erblickt, kann die Augen vor den gesellschaftsrechtlichen Banden dieses Rechtsinstituts nicht verschließen.425 Ob diese letztlich ausreichend sind, um jegliche Zweifel an einer gesellschaftsrechtlichen Qualifikation auszuräumen, muss an dieser Stelle mangels Relevanz für die hier interessierende Frage der Primärrechtswidrigkeit einer Erstreckung der Insolvenzantragsplicht und -verschleppungshaftung auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften nicht abschließend erörtert werden. Die besseren Argumente und erste obergerichtliche Entscheidungen sprechen jedenfalls dafür.426

419 Knop, Gesellschaftsstatut und Niederlassungsfreiheit, S. 239; Ringe/Willemer, NZG 2010, 56, 57; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 108; ähnlich Mock/Schild, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 17 Rn. 67 ff. 420 K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 493, 498; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112; Kamps, Sonderanknüpfungen, S. 144; Ringe/Willemer, NZG 2010, 56, 57. 421 Siehe auch Mock/Schild, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 17 Rn. 67 ff.; Hirte, FS Lüer, S. 387, 388 ff.; ders., VGR 12 (2007), S. 147, 183 ff. 422 Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa vom 4. 12. 2002, Kapitel III, unter 4.4 (S. 73). 423 So auch Ringe/Willemer, NZG 2010, 56, 57; Knop, Gesellschaftsstatut und Niederlassungsfreiheit, S. 238. 424 BGHZ 126, 181, 197: „Die Konkursantragspflicht ergänzt damit den mit den Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften bewirkten Gläubigerschutz; zusammen mit diesen stellt sie die Rechtfertigung für das Haftungsprivileg der Gesellschafter dar.“ 425 Fleischer, ZGR 2004, 437, 451 f.; Meilicke, DStR 2007, 225, 232; Lanzius, Sonderanknüpfung, S. 244. 426 OLG Karlsruhe NZG 2010, 509 f.; OLG Düsseldorf GmbHR 2010, 591; hingegen § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. insolvenzrechtlich qualifizierend OLG Jena NZI 2013, 807, 808; siehe auch EuGH, Urteil vom 18. 7. 2013 – Rs. C-147/12 (ÖFAB), NZG 2013, 1073 ff.; demzufolge eine Haftung für Insolvenzverschleppung nicht unter die EuInsVO fällt; hierzu etwa Freitag, ZIP 2014, 302 ff.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2014, 1, 13 f.; Haas, NZG 2013, 1161.

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(2) Existenzvernichtungshaftung Noch deutlicher überwiegen die gesellschaftsrechtlichen Bezugspunkte bei der Existenzvernichtungshaftung. Diese traten insbesondere bei der Existenzvernichtungshaftung in ihrer Ausformung der Bremer Vulkan- und KBV-Ära427 zu Tage, in der sie als Fallgruppe der Durchgriffshaftung aus Sinn und Zweck des Trennungsprinzips hergeleitet wurde. Diese Verbindung zur äußeren Grenze des § 13 Abs. 2 GmbHG war deutlicher Beleg für die gesellschaftsrechtliche Verortung der Existenzvernichtungshaftung.428 Aber auch nach der dogmatischen Neuausrichtung in der Trihotel-Entscheidung hat dieses Haftungsinstrument seine gesellschaftsrechtlichen Charakterzüge trotz der neuen deliktsrechtlichen Einbettung nicht abgelegt. Denn auch wenn sich die dogmatischen Bezugspunkte über die Figur des faktisch qualifizierten Konzern und der Parallele zu § 302 AktG, der Entkoppelung von der Konzernlage429 und einer durchgriffsrechtlichen Ausgestaltung in der Bremer Vulkan-Entscheidung430 hin zum an § 826 BGB anknüpfenden Haftungskonzept der Trihotel-Rechtsprechung geändert haben,431 war stets die Kompensation der durch die im Rahmen der §§ 30, 31 GmbHG verwandte bilanzielle Betrachtungsweise verursachten Schutzlücken im Kapitalschutzsystem der GmbH Ziel dieses Haftungsinstruments.432 Treffend bezeichnet der BGH die Existenzvernichtungshaftung in der Trihotel-Entscheidung daher auch als Verlängerung des Schutzsystems der §§ 30, 31 GmbHG auf der Ebene des Deliktsrechts.433 Die Haftung soll ähnlich einer das Kapitalerhaltungssystem ergänzenden, aber deutlich darüber hinausgehenden Entnahmesperre wirken, indem sie die Selbstbedienung des Gesellschafters durch die Schadensersatzpflicht mit Blick auf

427 Siehe BGHZ 149, 10 (Bremer Vulkan); BGHZ 151, 181 (KBV); BGHZ 150, 61; BGH NZG 2004, 1107; BGH NZG 2005, 177 (Vertragshändler); BGH DStR 2005, 340; BGH NJW 2005, 3137; zum Bremer Vulkan-Konzept der Existenzvernichtung siehe auch Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 410 ff.; Emmerich, AG 2004, 423 ff.; Henze, AG 2004, 405, 410 ff.; Wiedemann, ZGR 2003, 283, 290 f.; Raiser, FS Ulmer, 2003, S. 493, 504 f.; Drygala, GmbHR 2003, 729, 731 f.; Vetter, ZIP 2003, 601, 602; speziell im Zusammenhang mit Inspire Art etwa Bayer, BB 2003, 2357, 2365; Schön, ZHR 168 (2004), 268 ff.; ausf. in diesem Zusammenhang Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 95 ff.; Lanzius, Sonderanknüpfungen, S. 265 ff.; Zessel, Durchgriffshaftung, passim. 428 Siehe nur BGHZ 151, 181 ff. (KBV); Forsthoff/Schulz, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16 Rn. 69 f. 429 BGHZ 149, 10, 16 f. (Bremer Vulkan); BGH NJW 2002, 3024, 3025 – KBV; siehe ausf. auch Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83, 118 ff. 430 BGHZ 149, 10 (Bremer Vulkan); BGHZ 151, 181 (KBV). 431 Einen Überblick über die historische Entwicklung der Haftungfigur bieten etwa Wagner, FS Canaris, S. 473 ff.; ders., in: MünchKommBGB, § 826 Rn. 117 f.; Staudinger/Oechsler, § 826 Rn. 324 ff.; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274 ff.; je m.w.Nachw. 432 BGHZ 173, 246 (Trihotel) und passim; ferner Goette, ZInsO 2007, 1177, 1183; Vetter, BB 2007, 1965, 1969 f.; Greulich/Rau, NZG 2008, 565; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. B 91. 433 BGHZ 173, 246, 260 (Trihotel).

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das Gesellschaftsvermögen kompensiert.434 Mit der Ausgestaltung als Innenhaftung fügt sich das Rechtsinstitut zudem nahtlos in das Innenhaftungsprinzip des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts ein.435 Diese Zusammenschau verdeutlicht die gesellschaftsrechtlichen Bezüge, die die Existenzvernichtungshaftung nach wie vor aufweist. Sie zeigt aber auch, dass dieses Haftungsinstrument eben nicht rechtsformübergreifende Regelungsanliegen verfolgt, sondern spezifisch im Recht der deutschen GmbH identifizierte Schwachstellen, namentlich die Insuffizienz der §§ 30, 31 GmbHG, kompensieren soll.436 Eine unbesehene Übertragung dieser im inländischen Gesellschaftsrecht wurzelnden Überlegungen auf andere (ausländische) Gesellschaftsformen mit eigenem Personalstatut ist daher nicht nur angesichts der Niederlassungsfreiheit zweifelhaft.437 Im Ergebnis streiten die besseren Gründe für eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation.438 Für die Frage der Europarechtskonformität der Erstreckung der Existenzvernichtungshaftung auf EU-ausländische Gesellschaften hat die konkrete Qualifikation gleichwohl keine Relevanz: Eine Erstreckung der Existenzvernichtung auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften ist an der Niederlassungsfreiheit der Art. 49, 54 AEUV zu messen, gleichviel bei gesellschaftsrechtlicher, insolvenzrechtlicher wie auch bei deliktischer Qualifikation.439 bb) Unionsrechtliche Ebene Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass die kollisionsrechtlich vermittelten Lösungsansätze bereits auf der Ebene des autonomen mitgliedstaatlichen internationalen Privatrechts nicht durchweg überzeugen können. Noch deutlicher treten die Friktionen jedoch auf Ebene des Unionsrechts zu Tage, soweit die Insolvenzverschleppungs- oder Existenzvernichtungshaftung dem Anwendungsbereich einer sekundärrechtlichen Kollisionsnorm, insbesondere Art. 4 EuInsVO, zugeordnet werden.440

434 BGHZ 173, 246, 258 f. (Trihotel); siehe auch Eidenmüller/Engert, FS K. Schmidt, S. 305, 315 f. 435 Weller, in: MünchKommGmbH, Einl. Rn. 418. 436 So auch Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 303; Goette, ZInsO 2007, 1177, 1183; siehe auch Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207. 437 Gleichsinnig Gehrlein, WM 2008, 761, 769; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 303. 438 So auch Gehrlein, WM 2008, 761, 769, ähnlich Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 303; Staudinger/Oechsler, § 826 Rn. 326; Vetter, BB 2007, 1965, 1969 f.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 265; 267, 277, 429 ff. 439 Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 740; so bereits auch Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 9; ferner Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. B 94. 440 Ausführlich zum Folgenden bereits Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106 ff.; monographisch Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, insb. S. 155 ff.

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Auf Kritik stoßen muss zunächst, dass die Qualifikation anhand nationaler Kriterien und Wertungen aus deutscher Sicht erfolgt und die Vorgaben und Verweisungsbegriffe des unionsrechtlichen Art. 4 EuInsVO nicht hinreichend Berücksichtigung finden.441 Auch wenn im Rahmen der Qualifikation grundsätzlich die lex fori maßgeblich ist,442 ist der Inhalt einer unionsrechtlichen Kollisionsnorm autonom allein aus der Sicht des Unionsrechts zu ermitteln.443 Nur eine autonome Auslegung gewährleistet den unionsweiten Anwendungsgleichklang und wird den Zielen und der Natur der Verordnung als supranationales Unionsrecht gerecht.444 Art. 4 EuInsVO stellt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen lediglich eine Sachnormverweisung auf die lex fori concursus dar. Inhalt und Umfang des Verweises und damit die Frage der Qualifikation sind dagegen verordnungsautonom, also losgelöst von den Anschauungen und Kriterien der lex fori zu bestimmen.445 Daher können einerseits Vorschriften von der EuInsVO erfasst sein, die nach nationalem Recht einem anderen Rechtsgebiet zuzuordnen sind, und andererseits Vorschriften nicht 441 Siehe nur LG Kiel ZIP 2006, 1248, 1249 m. Anm. Just; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 661 ff., 667 ff.; Wachter, BB 2006, 1463, 1464 f.; Schilling, EWiR 2006; 429; Vallender, ZGR 2006, 425, 455; Leutner/Langner, GmbHR 2006, 713, 714; Walterscheid, DZWIR 2006, 95, 98; Kuntz, NZI 2005, 424, 426; Müller, NZG 2003, 414, 416; Riedemann GmbHR 2004, 345, 348; Ungan, ZVglRWiss 104 (2005), 355, 366 ff.; Kuntz, NZI 2005, 424, 426 f.; Zerres, DZWIR 2006, 356 ff.; Pannen, in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 101. 442 BGHZ 29, 137, 139; 47, 324, 322; statt vieler siehe Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 495 ff.; Kropholler, IPR, § 17 I, je m.w.Nachw. 443 EuGH, Urteil vom 29. 10. 2009 – Rs. C-174/08 (NCC Construction Denmark), Slg. 2009, I-10567 Rn. 24; im Zusammenhang mit der EuInsVO etwa EuGH, Urteil vom 20. 10. 2011 – Rs. C-396/09 (Interedil), Slg. 2011, I-9915 Rn. 42 f.; Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, § 16 Rn. 34; siehe auch Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 263; generell auch Thiele, Europäisches Prozessrecht, § 3 Rn. 2 ff.. 444 Bayer/J. Schmidt, BB 2012, 3, 12; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 109; Haß/Herweg, in: Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EuInsVO, Art. 4 Rn. 14; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 112; Weller, in: MünchKommGmbHG, Einl Rn. 393; sowie die st. Rspr. des EuGH, etwa EuGH, Urteil vom 20. 10. 2011 – Rs. C-396/09 (Interedil), Slg. 2011, I-9915 Rn. 43; EuGH, Urteil vom 22. 2. 1979 – Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), Slg. 1979, 733 Rn. 3; Urteil vom 13. 7. 2006 – Rs. C-103/05 (Reisch), Slg. 2006, I-6827 Rn. 29 f.; Urteil vom 8. 11. 2005 – Rs. C-443/03 (Leffler/Berlin Chemie AG), Slg. 2005, I-9611 Rn. 45. 445 EuGH, Urteil vom 2. 5. 2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood/Parmalat), Slg. 2006, I-3813 Rn. 31; so auch BGH BB 2012, 14, 15; ferner GA Colomer, Schlussanträge 6. 9. 2005 – Rs. C-1/ 04 (Staubitz-Schreiber), Slg. 2006, I-701 Rn. 60; Hess, IPRax 2006, 348, 351 ff.; Haß/Herweg, in: Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EuInsVO, Art. 4 Rn. 14; Duursma-Kepplinger/Duursma/ Chalupsky, EuInsVO, Vorb. Rn. 20; Mankowski, EWiR 2006, 397, 398; Ehricke, ZInsO 2004, 633, 634; Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 482; Weller, in: MünchKommGmbHG, Einl Rn. 393; wohl auch Schall, ZIP 2005, 965, 972; Paulus, RabelsZ 70 (2006), 458, 467; siehe zur ständigen Rechtsprechung i.R.d. EuGVVO EuGH, Urteil vom 13. 7. 2006 – Rs. C-103/05 (Reisch), Slg. 2006, I-6827 Rn. 29 f.; sowie EuGH, Urteil vom 28. 9. 1999 – Rs. C-440/97 (GIE Group Concorde), Slg 1999 I-6307 Rn. 11; Urteil vom 22. 2. 1979 – Rs. 133/78 (Gourdain/ Nadler), Slg. 1979, 733 Rn. 3; zur ZustVO EuGH, Urteil vom 8. 11. 2005 – Rs. C-443/03 (Leffler/Berlin Chemie AG), Slg. 2005, I-9611 Rn. 45.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

unter Art. 4 EuInsVO fallen, die nach mitgliedstaatlichem Recht insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind.446 Es ist daher auch unerheblich, ob die deutsche Insolvenzverschleppungshaftung eng mit den Insolvenzauslösetatbeständen deutschen Zuschnitts verbunden ist, oder ob das mit ihr verfolgte Ziel, Neugläubiger vor der Geschäftsaufnahme und Altgläubiger vor der Verringerung der Quote zu schützen, nach deutschem Verständnis seit jeher im deutschen Recht als insolvenzrechtliches Anliegen gilt.447 Für die Qualifikation unter Art. 4 EuInsVO gibt die Verordnung selbst die Maßstäbe. Einzig entscheidend ist daher, ob die betreffende Norm aus europäischer Sicht gemäß Art. 4 EuInsVO dem Insolvenzverfahren und seinen Wirkungen zuzuordnen ist.448 (1) Der Verfahrensbezug des Art. 4 EuInsVO Wendet man sich daher zunächst dem Wortlaut des Art. 4 EuInsVO zu, so bringt dieser keinen unmittelbaren Aufschluss. Auch der Beispielskatalog des Art. 4 Abs. 2 lit. a-m EuInsVO kann mit Blick auf Existenzvernichtungs- oder Insolvenzverschleppungshaftung keine Hilfe bieten, sucht man dort deren Erwähnung doch vergeblich. Indes wird der diese Norm durchziehende Verfahrensbezug evident.449 Die lex fori concursus soll für das „Verfahren und seine Wirkungen“ Geltung beanspruchen. Sie regelt unter anderem, unter welchen Voraussetzungen das Verfahren eröffnet, durchgeführt und beendet wird. Es sollen damit all diejenigen Wirkungen erfasst sein, die notwendig sind, damit das Insolvenzverfahren seinen Zweck erfüllt.450 Das korrespondiert auch mit Art. 1 der Verordnung, der den Anwendungsbereich der EuInsVO auf das Insolvenzverfahren als Gesamtvollstreckungsverfahren fokussiert, und dem dahinter stehenden Ordnungsziel der par conditio creditorum.451 Diese Konzentration auf das Insolvenzverfahren weckt aber zugleich Zweifel an der Erfassung der diskutierten Haftungsinstrumente: Die Existenzvernichtungshaftung, die nach Auffassung der Befürworter einer insolvenzrechtlichen Qualifikation dem Schutz der Gläubigergesamtheit vor irregulärer Liquidation diene und aufgrund dessen und ihrer Funktionsäquivalenz zur Insolvenzanfechtung Art. 4 EuInsVO zuzuordnen sei,452 soll den Ausfall von gesellschaftsrechtlichen und insolvenzrechtlichen Sicherungen kompensieren und beansprucht daher gänzlich

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BGH BB 2012, 14, 15. Siehe oben 2. Teil § 5 III.1.a)aa)(1). 448 Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106 f.; Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 482. 449 Ähnlich Hirte/Mock, ZIP 2005, 474, 476. 450 Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht zum EuInsÜ, abgedruckt bei Stoll (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht, 1997, S. 32, 67 Rn. 90. 451 Siehe dazu auch Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 484 f. 452 Siehe oben 2. Teil § 5 III.1.a)bb); ferner Kindler, IPRax 2009, 189, 193; Pannen, in: Smid/Zeuner/Schmidt (Hrsg.), Aktuelle Probleme des dt. Insolvenzrechts, S. 89, 101. 447

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unabhängig von einem Insolvenzverfahren Anwendung.453 Sie entwickelt ihren Schutz vielmehr auch in den Fällen, in denen kein Insolvenzverfahren eröffnet wurde.454 Das schließt es bereits aus, die Existenzvernichtungshaftung unter die Verweisungsnorm des Art. 4 EuInsVO zu rubrizieren.455 Gleiches gilt mutatis mutandis für die Insolvenzverschleppungshaftung.456 Voraussetzung des Insolvenzverfahrens ist allein das Antragsrecht, die Antragspflicht hingegen nicht.457 Die aus einer Nichtbefolgung dieser Pflicht resultierende Insolvenzverschleppungshaftung soll gerade auch ohne Verfahrenseröffnung zur Anwendung kommen.458 Damit ermöglicht sie für Neugläubiger generell und für Altgläubiger bei Abstinenz eines Insolvenzverfahrens (etwa bei Ablehnung mangels Masse) die individuelle Durchsetzung der Ansprüche, gewährleistet also – wie bereits dargelegt – keine par conditio. Genau diese Umstände nahm der EuGH in der Rechtssache ÖFAB zum Anlass, eine nach schwedischem Aktienrecht bestehende Haftung wegen verspäteten Insolvenzantrags nicht unter die EuInsVO zu subsumieren.459 Für die deutsche Insolvenzverschleppungshaftung kann nicht anderes gelten.460 (2) Konstruktive Schwierigkeiten Darüber hinaus führte eine Subsumtion von Insolvenzverschleppungs- und Existenzvernichtungshaftung unter Art. 4 EuInsVO zu einigen rechtssystematischen 453

Hierzu auch Ego, Gläubigerschutzrecht, S. 175 ff. Wegen der Ausgestaltung als Binnenhaftung bedürfte es jedoch einer Pfändung der der Gesellschaft zustehenden Ersatzansprüche; kritisch und die dadurch geschaffenen kontraproduktiven Anreize bemängelnd Wagner, FS Canaris, S. 473, 487; ders., in: MünchKomm BGB, § 826 Rn. 120; Weller, DStR 2007, 1166, 1167; Staudinger/Oechsler, § 826 Rn. 324b. 455 So auch Wagner, FS Canaris, S. 473, 501; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 272 ff., 433; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 154 ff., 168. 456 So auch OLG Karlsruhe NZG 2010, 509 f.; OLG Düsseldorf GmbHR 2010, 591; krit. Haas, NZG 2010, 495, 496. 457 Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; Huber, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 325; Mock, NZI 2006, 484, 485; insoweit auch Schulze-Osterloh, in: Baumbach/Hueck, GmbHG (18. Aufl.), § 64 Rn. 3; auch Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht zum EuInsÜ, abgedruckt bei Stoll (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EUÜbereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht, 1997, S. 32, 66 Rn. 90 sprechen insoweit nur von dem Antragsrecht. 458 Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 155 f.; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 108, hierauf abstellend auch OLG Karlsruhe NZG 2010, 509 f.; OLG Düsseldorf GmbHR 2010, 591. 459 EuGH, Urteil vom 18. 7. 2013 – Rs. C-147/12 (ÖFAB), NZG 2013, 1073 ff. Rn. 24 ff.; hierzu etwa Freitag, ZIP 2014, 302 ff.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2014, 1, 13 f.; Haas, NZG 2013, 1161; siehe ferner auch EuGH, Urteil vom 2. 7. 2009 – C-111/08 (Alpenblume), Slg. Rn. 28; hierzu etwa Mankowski, NZI 2009, 571, 572. 460 OLG Karlsruhe NZG 2010, 509 f.; OLG Düsseldorf GmbHR 2010, 591; wohl auch Haas, NZG 2013, 1161, 1165; siehe auch den Vorlagebeschluss LG Darmstadt EuZW 2013, 560. 454

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

und konstruktiven Schwierigkeiten. Archimedischer Punkt des Art. 4 EuInsVO ist allein die Verfahrenseröffnung. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Bestimmung des maßgeblichen Rechts ist also, dass das Insolvenzverfahren eröffnet wird, dass es also ein forum concursus gibt.461 Da aber weder die Insolvenzantragspflicht und die darauf basierende Haftung noch die Existenzvernichtungshaftung ein Insolvenzverfahren voraussetzen, sondern erstere gerade davon ausgehen, dass noch keinerlei Antrag gestellt worden ist, zeigen sich bereits hier Friktionen.462 Das wird insbesondere in Fällen virulent, in denen es mangels Masse zu keiner Verfahrenseröffnung kommt.463 Hier kann die Regelung des Art. 4 EuInsVO nicht greifen; ihr einziges Tatbestandsmerkmal liegt nicht vor. Wenn dagegen eingewandt wird, dass es für die Insolvenzverschleppungshaftung und die Existenzvernichtungshaftung nicht auf die Verfahrenseröffnung, ankommen könne,464 dann wird damit keine planwidrige Regelungslücke identifiziert, die eine Analogie oder eine extensive Auslegung der EuInsVO rechtfertigt, sondern letztlich eingeräumt, dass Art. 4 EuInsVO als Anknüpfungspunkt nicht in Betracht kommt.465 (3) Die EuGH-Entscheidung Gourdain/Nadler Schließlich führt auch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Gourdain/ Nadler466 zu keinem anderen Ergebnis. Die Entscheidung wird zwar oft als gewichtiges Argument dafür angeführt, dass die EuInsVO infolge einer gebotenen extensiven Auslegung auch Fragen der Geschäftsleiter- und Gesellschafterhaftung und somit auch die hier in Rede stehenden Rechtsinstitute der Insolvenzverschleppungs- und Existenzvernichtungshaftung erfasse. Einem solchen Verständnis steht jedoch zum einen bereits die ÖFAB-Entscheidung entgegen, in der der EuGH eine der Insolvenzverschleppungshaftung vergleichbare Vorschrift unter ausdrücklichem Rekurs auf Gourdain/Nadler vom Anwendungsbereich der EuInsVO ausgenommen hat.467 Zum anderen trägt aber auch das Gourdain/Nadler-Urteil eine solche Interpretation nicht. In dem Verfahren hatte der Gerichtshof eine Klage

461 Ausf. Huber, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 325 f.; siehe auch Ringe/Willemer, EuZW 2006, 621, 623. 462 So auch Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 108; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 155; Mock/Schildt, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 17 Rn. 68 ff.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 400; je m. w. Nachw. 463 Das Urteil des LG Kiel ZIP 2006, 1248 ist beredtes Beispiel. 464 LG Kiel ZIP 2006, 1248; ähnlich auch KG NZG 2010, 71, 72. 465 So auch OLG Karlsruhe NZG 2010, 509 f.; OLG Düsseldorf GmbHR 2010, 591 f.; ähnlich Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 155, 157 f. 466 EuGH, Urteil vom 22. 2. 1979 – Rs. 133/78 (Gourdain/Nadler), Slg. 1979, 733. 467 EuGH, Urteil vom 18. 7. 2013 – Rs. C-147/12 (ÖFAB), NZG 2013, 1073 ff. Rn. 24 ff.; Haas, NZG 2013, 1161, 1162.

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aufgrund der französischen action en comblement du passif468 unter die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit b EuGVÜ (jetzt Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO) rubriziert und sie somit als sog. Annexverfahren dem in Planung befindlichen EGKonkursübereinkommen zugewiesen. Von Befürwortern einer insolvenzrechtlichen Qualifikation von Insolvenzverschleppungshaftung und Existenzvernichtungshaftung wird diese Entscheidung auf die EuInsVO übertragen und daraus der Schluss gezogen, dass die deutschen Haftungstatbestände als der action en comblement du passif vergleichbaren Vorschriften in den Anwendungsbereich der EuInsVO fallen und folglich ebenfalls der lex fori concursus gemäß Art. 4 EuInsVO unterliegen.469 Hiergegen sollte man indes den Kontext der Entscheidung berücksichtigen:470 Sie war maßgeblich von dem Gedanken geprägt, den vor dem Abschluss stehenden Verhandlungen über ein EG-Konkursübereinkommen nicht vorzugreifen471 und Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVÜ daher bereits mit Blick auf das zu erwartende Übereinkommen auszulegen. Der damalige Entwurf eines Konkursübereinkommens konstituierte aber im Gegensatz zur EuInsVO noch eine vis attractiva concursus,472 die ausweislich des Art. 11 auch Verfahren gegen Geschäftsleiter und Gesellschafter umfasste. Eben diese Attraktivitätszuständigkeit ließ man in den Folgejahren aufgrund massiver Kritik, unter anderem aus Deutschland,473 wieder fallen, nachdem zuvor bereits die Fragen der Geschäftsleiterhaftung expressis verbis dem EuGVÜ zugewiesen wurden.474 Daher spricht heute vieles dafür, die Aussagen des EuGH mit Blick auf den gegenüber dem damaligen Entwurf geringeren Regelungsumfang der EuInsVO nur vorsichtig zu übertragen. Es ist zumindest fraglich, ob die damals vor dem Hintergrund einer erwarteten vis attractiva concursus weit ausgelegte Zuwei468

Zu dieser Geschäftsleiterhaftung des französichen Rechts siehe in der deutschen Literatur Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 511 ff.; Willemer, Vis attractiva concursus, S. 275 ff.; je m.w.Nachw. 469 KG NZG 2010, 71, 72; Weller, in: MünchKommGmbHG, Einl. Rn. 425; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 681; Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenz, S. 866 f.; Röhricht ZIP 2005, 505, 507; Kuntz, NZI 2005, 424, 428; Ungan, ZVglRWiss 104 (2005), 355, 368; Zerres, DZWIR 2006, 356, 360; Gräfe, DZWIR 2005, 410, 412; Schilling, Insolvenz einer englichen Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland, 2006, S. 196; Weller, Rechtsformwahlfreiheit, S. 258. 470 Zum Folgenden bereits Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 110. 471 Siehe dazu die Schlussanträge von GA Reischl, vom 7. 2. 1979 – Rs. 133/78 (Gourdain/ Nadler), Slg. 1979, 733, 746 ff. (insb. 751); Taupitz, ZZP 105 (1992), 218, 220. 472 Siehe Art. 11, 15 Entwurf von 1980; abgedruckt in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten zum Entwurf eines EG-Konkursübereinkommens; hierzu und insb. zu Art. 15 des damaligen Entwurfs Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten zum Entwurf eines EG-Konkursübereinkommens, S. 94, 129 Rn. 50. 473 Dazu etwa Jahr, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten zum Entwurf eines EGKonkursübereinkommens, S. 305 ff.; siehe auch Wagner, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 223, 284 ff. 474 Siehe dazu Art. 10a des halboffiziellen Revidierten Entwurfs des Übereinkommens von 1984 (Arbeitstext BMJ), abgedruckt in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten zum Entwurf eines EG-Konkursübereinkommens, S. 415, 420.

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sung zum Konkursübereinkommen in gleicher Form auch auf die EuInsVO angewandt werden kann.475 Entscheidender ist aber, dass das Urteil für die Frage des anwendbaren Rechts gar keine Aussagen bereit hielt und daher schon aus diesem Grund für die hier in Rede stehende Problematik keinen weiteren Aufschluss zu bieten vermag. Streitgegenstand vor dem EuGH war die verfahrensrechtliche Frage der Zuständigkeit für Annexverfahren. Erst in einem weiteren Schritt könnte man daraus auch Folgerungen für das Kollisionsrecht ableiten, indem man von der Zuständigkeit auf die Geltung der lex fori concursus schließt. Ist dieser Schlusssatz auch grundsätzlich in der EuInsVO (Art. 4 EuInsVO) verankert und lag auch dem damaligen Entwurf eines EG-Konkursübereinkommens hinsichtlich der in Art. 15 erwähnten Annexverfahren zugrunde,476 ist dieser Weg indes für die hier interessierenden Verfahren bezüglich Klagen gegen die Geschäftsleiter nicht gangbar. Denn Art. 11 des damals maßgeblichen Entwurfs eines EG-Konkursübereinkommens sah insoweit eine Ausnahme vor, als er die Zuständigkeit für Ansprüche gegen Geschäftsleiter im Sinne einer vis attractiva regelte, die Frage des anwendbaren Rechts aber gerade nicht dem lex fori concursus unterstellte, sondern expressis verbis unberührt ließ.477 Daher ist die Aussagekraft des Gourdain/Nadler-Urteils auf die Zuständigkeit begrenzt. Die Frage nach dem anwendbaren Recht für Klagen gegen die Geschäftsleiter wurde in Übereinstimmung mit dem Entwurf des Konkursübereinkommens nicht erfasst.478 d) Unerwünschte Konsequenzen Schließlich lässt sich noch einwenden, dass eine Verlagerung gläubigerschützender Rechtsvorschriften in das Insolvenzrecht das mit ihr verfolgte Ziel, inländische Gläubiger durch Anwendung der inländischen Vorschriften zu schützen, auch in sein Gegenteil verkehren kann. Soweit versucht wird, die Anwendung etwa der Existenzvernichtungs- oder Insolvenzverschleppungshaftung durch insolvenzrechtliche Qualifikation auch gegenüber im Inland domizilierenden Gesellschaften durchzusetzen, bildet eine andere eklatante Schutzlücke die Kehrseite dieses kollisionsrechtlichen Konzepts. Unterstellt man nämlich dem kollisionsrechtlichen Ge475 So auch Smid, DZWIR 2006, 325, 329; Reinhart, in: MünchKommInsO, Art. 25 EuInsVO Rn. 6 f.; ausf. m.w.Nachw. Haß/Herweg, in: Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EuInsVO, Art. 3 Rn. 18 ff.; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, 2002, Art. 25 Rn. 18 ff.; siehe dazu auch BGH ZIP 2003, 1419; allerdings scheint der EuGH die Entscheidung zumindest in Teilen als noch maßgeblich zu erachten, wenn er auf sie rekurriert, siehe EuGH, Urteil vom 12. 2. 2009 – Rs. C-339/07 (Christopher Seagon./.Deko Marty Belgium NV), Slg. 2009, I-767; dazu auch Vorlagebeschluss BGH ZIP 2007, 1415, m. Anm. Klöhn/Berner; zweifelnd auch LG Essen GWR 2011, 172. 476 Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten zum Entwurf eines EG-Konkursübereinkommens, S. 94, 129 Rn. 50. 477 Lemontey, in: Kegel/Thieme, Vorschläge und Gutachten zum Entwurf eines EG-Konkursübereinkommens, S. 94, 123 und 125 Rn. 41 und 43, 478 Ähnlich auch OLG Düsseldorf, GmbHR 2010, 591, 592 f.

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dankengang einmal eine Europarechtsverträglichkeit und weist die Haftungsinstrumente dem Anwendungsbefehl der EuInsVO oder Rom-II VO zu, so scheitert deren Anwendung, sobald eine inländische GmbH ihre Tätigkeit ins Ausland verlegt.479 In diesem Fall könnten die inländischen Gläubiger nicht den Schutz dieser Haftungsinstrumente in Anspruch nehmen, da die Anknüpfung an den CoMI bzw. das Tatortprinzip regelmäßig zur Anwendung des ausländischen Rechts führte. Die (deutschen) Gläubiger stünden somit erneut schutzlos dar. Im Ergebnis würde der Schutz inländischer Gläubiger bei Auslandsgesellschaften mit korrespondierenden Einbußen bei Gesellschaften inländischer Rechtsform erkauft werden. Gegen diesen Einwand könnte man allenfalls noch anführen, dass es – etwa bei deliktischer Qualifikation der Existenzvernichtungshaftung – in der Natur des Deliktsrechts liege, seine Wirkung nur am Tatort und erst zum Zeitpunkt der Schädigung zu entfalten. Da die Existenzvernichtungshaftung nun aber diesem allgemein gültigen Prinzip des Schädigungsverbots entspräche, seien die Gläubiger auf das jeweilige Tatortrecht verwiesen. Führt man sich aber erneut vor Augen, dass mit der Existenzvernichtungshaftung speziell die als unzureichend erkannten Kapitalschutzvorschriften des deutschen GmbH-Rechts flankiert werden sollen, erscheint es widersprüchlich, dieses Rechtsinstitut nicht an eben jene Gesellschaftsform zu binden, sondern den als notwendig erachteten Schutz von dem Standort des Unternehmens abhängig zu machen. Tragender Gedanke der Existenzvernichtungshaftung ist es, die als unzureichend empfundenen Kapitalschutzvorschriften der §§ 30, 31 GmbHG zu flankieren und zu ergänzen.480 Erst die Zusammenschau der gesetzlichen Vorschriften und der richterrechtlichen Existenzvernichtungshaftung bilden ein angemessenes Korrelat zur Haftungsbeschränkung. Die Haftung für existenzvernichtende Eingriffe setzt somit tief in den Strukturen des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts an und ist mit der Rechtsform der GmbH eng verwoben. Sie dann aber durch eine delikts- oder insolvenzrechtliche Anknüpfung von dieser zu entkoppeln, korrumpierte einen angemessenen Gläubigerschutz im Falle des Wegzugs. Gläubigern wäre der Schutz unvorhersehbar entzogen. Zudem brächte eine Verlagerung des Gläubigerschutzes in den Anwendungsbereich der EuInsVO auch die missliche Konsequenz mit sich, den Wirtschaftsteilnehmer größere Manipulationsmöglichkeiten an die Hand zu geben.481 Denn dass der Anknüpfungspunkt der EuInsVO, der Center of Main Interest (CoMI), entgegen der mit ihm verfolgten Intention alles andere als ein zuverlässig bestimmbares Kriterium und damit auch zumindest in gewissem Maße manipulierbar ist,482 zeigen bereits die 479 Ähnlich auch Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 343. 480 Statt vieler Goette, ZInsO 2007, 1177, 1181 ff. 481 Weller, FS Blaurock, S. 497; 505 ff.; Enrique/Gelter, 81 Tul.L. Rev. 577, 64 ff. (2004); Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 159 ff.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 343. 482 Dazu Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 108; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 159 f.

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beredten Beispiele zu Art. 3 EuInsVO, Eurofood,483 Staubitz-Schreiber484 und Interedil.485 Es nimmt daher nicht wunder, dass das Europäische Parlament anlässlich der Revision der EuInsVO (Art. 46 EuInsVO) in seiner Entschließung vom 15. 11. 2011 konkrete Änderungsvorschläge zur Bestimmung des CoMI unterbreitet und eine präzisere Definition gefordert486 und auch die Kommission hier Handlungsbedarf erkannt hat.487 Spricht man nun aber dem europäischen Insolvenzrecht eine noch größere Regelungsmaterie zu, indem man ehemals gesellschaftsrechtliche Figuren insolvenzrechtlich qualifiziert, unterliegen auch diese dem unscharfen Anknüpfungspunkt des CoMI. Damit stellen sich dann aber nicht nur höchst schwierige Abgrenzungsfragen.488 Die der EuInsVO auf diesem Weg zugewiesenen Normen können dann eben auch über etwaige CoMI-Verlagerungen umgangen werden, was in Kombination mit der vom EuGH strikt interpretierten universalen Geltung des Insolvenzverfahrens489 zu einem noch größeren Anreiz zu Manipulationen führt.490

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EuGH, Urteil vom 2. 5. 2006 – Rs. C-341/04 (Eurofood/Parmalat), Slg. 2006, I-3813. EuGH, Urteil vom 17. 1. 2006 – Rs. C-1/04 (Staubitz-Schreiber), Slg. 2006, I-701. 485 EuGH, Urteil vom 20. 10. 2011 – Rs. C-396/09 (Interedil), Slg. 2011, I-9915, dazu etwa Paulus, EWiR 2011, 745 f.; Bayer/J. Schmidt, BB 2012, 3, 12 f.; siehe auch BGH ZIP 2012, 139 ff.; zum Ganzen auch Weller, FS Blaurock, S. 497; 505 ff. 486 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. 11. 2011 mit Empfehlungen an die Kommission zu Insolvenzverfahren im Rahmen des EU-Gesellschaftsrechts, P7_TA (2011) 0484. 487 Siehe hierzu den Bericht der Kommission zur Anwendung der EuInsVO (Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, KOM (2012) 743, S. 10 f.) sowie den darauf aufbauenden Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der EuInsVO, der in Art. 3 und 3a nunmehr eine etwas präzisere, an die Eurofood und Interedil-Rspr. Angelehnte Definition des CoMI kodifizieren soll (Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlament und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, DOK (2012) 744, S. 7); hierzu etwa Bayer/J. Schmidt, BB 2012, 1, 8 f. 488 Siehe Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 108: „Wie gering müssen die Aktivitäten im Gründungsstaat sein, damit die Vermutungsregel des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO als widerlegt gilt? Kann sie widerlegt werden, wenn die Gesellschaft ihr Geschäft ohne Abwicklung einstellt? In welchem von zwei Mitgliedstaaten, zu denen Geschäftsbeziehungen etwa gleicher Intensität bestehen, ist der CoMI bei keiner weiteren Verbindung zum Mitgliedstaat des Satzungssitzes belegen? Wo liegt er, wenn eine Gesellschaft im Inland tätig gewesen ist und die Abwicklung aus einem anderen Mitgliedstaat betreibt?“; zustimmend auch Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 159. 489 EuGH, Urteil vom 21. 1. 2010 – Rs. C-444/07 (MG Probud), Slg. 2010, I-417 Rn. 24 ff. 490 Hirte, NZG 2008, 761, 765; Weller, ZIP 2009, 2029; ausführlich Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 153, 158 ff.; Enrique/Gelter, 81 Tul.L. Rev. 577, 641 (2004); zu den Motiven der Sitzverlegung siehe Weller, FS Blaurock, S. 497; 507 ff.; zu den Bestrebungen gerade dieses forum shopping zu begrenzen siehe Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. 11. 2011 mit Empfehlungen an die Kommission zu Insolvenzverfahren im Rahmen des EU-Gesellschaftsrechts, P7_TA (2011) 0484. 484

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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3. Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine Beschränkung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit nicht mit kollisionsrechtlichen Mitteln zu erreichen ist.491 Denn so wenig die Niederlassungsfreiheit bestimmte Kollisionsnormen zwingend vorgibt,492 so wenig lässt sich ihr Anwendungsbereich durch nationales Kollisionsrecht bestimmen oder gar dergestalt verengen, dass ein Mitgliedstaat tradierte Rechtsnormen durch gezielte Um- oder Mehrfachqualifikation ihrem Anwendungsbereich entziehen könnte.493 Aufgrund der Unterschiede in Rechtshierarchie und Zwecksetzung zwischen Grundfreiheiten494 und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht ist letzteres nicht in der Lage, den Prüfungsmaßstab der Niederlassungsfreiheit zu beeinflussen. Die Erstreckung mitgliedstaatlicher Schutzvorschriften wie der Insolvenzverschleppungs- oder Existenzvernichtungshaftung muss sich am Maßstab der Art. 49, 54 AEUV messen lassen und zwar unabhängig davon, ob sie gesellschafts-, insolvenz- oder deliktsrechtlich qualifiziert werden. Die Qualifikation einer mitgliedstaatlichen Norm ist aus Sicht der Grundfreiheiten schlechthin irrelevant.495 Gleiches gilt mutatis mutandis für die Zuordnung zu sekundärrechtlichen Kollisionsnormen wie Art. 4 EuInsVO oder Art. 4 Rom-II VO. Allein die Zugehörigkeit der Kollisionsnormen zum Unionsrecht vermag die Rechtsquellenhierarchie nicht aufzuheben, so dass die sekundärrechtlichen Kolli-

491 Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 740; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 19 und 26; ders., GmbHR 2010, 1, 4; Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 614; Berner/ Klöhn, ZIP 2007, 106, 111; Bitter, WM 2004, 2190, 2191; ders., Jb.J.ZivRWiss. 2004, S. 299, 312; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 8 f.; K. Schmidt, ZHR 164 (2004), 493, 499; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 10 f.; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 97 f.; Fleischer/Schmolke, JZ 2008, 233, 235; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 299 f.; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 167 f.; Ego, Gläubigerschutzrecht, S. 171 ff.; Wagner, FS Canaris, S. 473, 497 u. 503; Forsthoff/ Schulz, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 16 Rn. 8; Ulmer/ Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. B 9. 492 Siehe oben 1. Teil § 2 III. 493 EuGH, Urteil vom 1. 7. 1993 – Rs. C-20/92 (Hubbard), Slg. 1993, I-3777 Rn. 19; siehe auch EuGH, Urteil vom 21. 3. 1972 – Rs. 82/71 (Sail), Slg. 1972, 119 Rn. 5; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 439 ff. 494 Dazu oben2. Teil § 5 III.2.b). 495 So auch Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, § 6 Rn. 51; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 740; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 111; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 168; Zöllner, GmbHR 2006, 1, 8; Haas, GmbHR 2010, 1, 4; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 299 f.; Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 614; Bitter, WM 2004, 2190, 2191; ders., Jb.J.ZivRWiss. 2004, S. 299, 312; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 8 f.; K. Schmidt, ZHR 164 (2004), 493, 499; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 10 f.; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 97 f.; Ego, Gläubigerschutzrecht, S. 171 ff.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

sionsnormen eine Verletzung der primärrechtlichen Niederlassungsfreiheit nicht verhindern können.496

IV. Die Keck-Rechtsprechung und das Marktzugangskriterium Sind somit weder der Missbrauchsgedanke, eine dem Pragmatismus geschuldete Begrenzung auf Gründungsvorschriften noch das Kollisionsrecht im Stande, dem weiten Beschränkungsbegriff des EuGH nähere Konturen zu verleihen und damit eine Begrenzung des Gewährleistungsgehalts der Niederlassungsfreiheit zu erreichen, verbleibt noch die Möglichkeit, die Art. 49, 54 AEUV anhand einer teleologisch-funktionellen Reduktion auf ihren Wesensgehalt zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund lohnt ein Blick auf eine andere Grundfreiheit, namentlich die Warenverkehrsfreiheit, deren Anwendungsbereich infolge der Erweiterung zum Beschränkungsverbot durch die Dassonville-Rechtsprechung497 ebenfalls drohte, uferlos zu werden, und daher ebenso einer am teleologischen Konzept orientierten Rückführung zum originären Aussagegehalt der Grundfreiheit bedurfte. 1. Die Keck-Entscheidung Angesprochen ist damit die beredte Keck-Entscheidung des EuGH.498 Im Anschluss an die Dassonville-Entscheidung bewirkte das neue Verständnis von Art. 34 AEUV (ex Art. 28 EG) als Absatzbeschränkungsverbot, dass sich Marktteilnehmer immer häufiger auf die Warenverkehrsfreiheit beriefen und nahezu sämtliche Vorschriften des Wirtschaftslebens auf den Prüfstand der Warenverkehrsfreiheit gerieten.499 Neben klassischen Beschränkungen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs sah sich der EuGH zunehmend auch mit Fällen konfrontiert, in denen als lästig empfundene Vorschriften wirtschafts-, verbraucher- oder sozialpolitischer Provenienz unter Rekurs auf Art. 34 AEUV beanstandet wurden, auch wenn diese keinen oder einen nur akzidentiellen Bezug zum Warenverkehr im Binnenmarkt aufwie496

Treffend Enrique/Gelter, 81 Tul. L. Rev. 577, 641 (2004) „secondary EC law (like the EIR) can hardly mend a violation of primary law by a Member State“; ähnlich Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 614. 497 EuGH, Urteil vom 11. 7. 1974 – Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, 837. 498 EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993 – Rs. C-267/91 und 268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6131; dazu etwa Petschke, EuZW 1994, 107; Weatherill, 33 CMLRev (1996), 885 ff.; Basedow, EuZW 1994, 225; Möschel, NJW 1994, 429; Steindorff, ZHR 158 (1994), 149, 166; ausf. Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 72 ff.; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 Rn. 41 ff.; Kingreen, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 49 ff., 169 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 167 ff., 906 ff.; Feiden, Bedeutung der Keck-Rechtsprechung, S. 1 ff. 499 EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993 – Rs. C-267/91 und 268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6131 Rn. 14; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 73; Epiney, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 8 Rn. 38 ff.

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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sen.500 Nach einigen bisweilen widersprüchlichen Versuchen,501 dem Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung und damit dem Schutzbereich des Art. 34 AEUV schärfere Konturen zu verleihen, nutzte der EuGH die Rechtsache Keck und Mithouard nach eigenem Bekunden, um die Dassonville-Grundsätze zu präzisieren und eine Begrenzung des Gewährleistungsgehalts der Warenverkehrsfreiheit herbeizuführen. Gegenstand des Urteils war das französische Verbot, Waren unter dem Einkaufspreis weiterzuverkaufen. Dieses Verbot war nach Ansicht der Luxemburger Richter nicht als verbotene Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34 AEUV anzusehen, denn „die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten [ist] nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Urteils Dassonville unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren.“502

Demgegenüber stellen Vorschriften, denen Waren aus anderen Mitgliedstaaten „entsprechen müssen (wie etwa hinsichtlich ihrer Bezeichnung, ihrer Form, ihrer Abmessungen, ihres Gewichts, ihrer Zusammensetzung, ihrer Aufmachung, ihrer Etikettierung und ihrer Verpackung), selbst dann, wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten, nach Artikel 30 [Art. 34 AEUV] verbotene Maßnahmen gleicher Wirkung dar.“503

Im Ergebnis differenziert der EuGH damit zwischen produkt- und vertriebsbezogenen Vorschriften und bildet so zwei formale Kategorien, die eine Selektion bereits auf der Eingriffs- bzw. Beschränkungsebene ermöglichen sollen:504 Produktbezogene Vorschriften stellen grundsätzlich Hemmnisse für den Warenverkehr und somit rechtfertigungsbedürftige Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit dar. Unterschiedslos geltende Regelungen über bestimmte Verkaufsmodalitäten (vertriebsbezogene Vorschriften) sind hingegen nicht geeignet, den Marktzugang für ausländische Waren stärker zu beeinträchtigen als für inländische.505 Sie stellen daher 500 EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993 – Rs. C-267/91 und 268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6131 Rn. 14; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 Rn. 41. 501 Siehe hierzu GA Tesauro, Schlussanträge vom 27. 10. 1993 – C-292/92 (Hünermund), Slg. 1993, I-6787 Rn. 20 ff. 502 EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993 – Rs. C-267/91 und 268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6131 Rn. 16. 503 EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993 – Rs. C-267/91 und 268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6131 Rn. 15. 504 Siehe auch Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 49; Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 86. 505 Siehe etwa unlängst EuGH, Urteil vom 2. 12. 2010 – Rs. C-108/09 (Ker-Optika), MMR 2011, 160 Rn. 51; EuGH, Urteil vom 10. 2. 2009 – C-110/05 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-519 Rn. 36; ferner auch EuGH, Urteil vom 2. 2. 1994 – Rs. C-315/92 (Clinique), Slg. 1994, I-317 Rn. 19; EuGH, Urteil vom 6. 7. 1995 – Rs. C-470/93 (Mars), Slg. 1995, I-1923 Rn. 13.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

von vornherein keine Maßnahmen gleicher Wirkung dar und unterliegen nicht dem Beschränkungsverbot des Art. 34 AEUV, sondern sind allein am Diskriminierungsverbot zu messen.506 Mit dieser Differenzierung hat der Gerichtshof eine ungeschriebene Begrenzung des Beschränkungsbegriffs begründet und Art. 34 AEUV bei vertriebsbezogenen Beschränkungen auf ein Diskriminierungsverbot teleologisch reduziert. Die belastende Wirkung einer Maßnahme, die aus rechtlichen Rahmenbedingungen für den Vertrieb der Ware herrührt, wird dabei zwar nicht in Frage gestellt, jedoch aus dem Eingriffsbereich der Warenverkehrsfreiheit ausgeschieden.507 Diese teleologische Reduktion des bis dahin weit ausufernden Gewährleitungsgehalts des Art. 34 AEUV findet ihre Begründung in dem Gedanken, dass solche vertriebsbezogenen Maßnahmen, die in- wie ausländische Produkte gleichermaßen betreffen, nicht spezifisch den grenzüberschreitenden Warenverkehr beeinträchtigen und daher kein nennenswertes Konfliktpotential mit dem als Marktzugangsrecht konzipierten Beschränkungsverbot der Grundfreiheiten aufweisen.508 Sie sind vielmehr Ausdruck des (unvollkommenen) Binnenmarkts, der durch das Fortbestehen unterschiedlicher Rechtsordnungen gekennzeichnet ist. 2. Übertragung auf die Niederlassungsfreiheit Angesichts der Parallelen, die diese Entwicklungen im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit zu denen bei der Niederlassungsfreiheit aufweisen, stellt sich die Frage, inwieweit sich die durch die Keck-Rechtsprechung gewonnenen Erkenntnisse auch auf die Art. 49, 54 AEUV übertragen lassen.509 Daran anschließend ist sodann zu untersuchen, ob eine solche analoge Anwendung der Keck-Kriterien den Mitgliedstaaten einen Spielraum eröffnet, um Regelungsanliegen, die die an einer Gesellschaft beteiligten Interessen betreffen, auch auf ausländische Gesellschaften zu projizieren.510 a) Indifferenz des EuGH Der EuGH hat bisher – anders als bei den Grundsatzentscheidungen Dassonville und Cassis – eine Übertragung der Keck-Grundsätze auf die Niederlassungsfreiheit weder vorgenommen noch ausdrücklich abgelehnt.511 In einigen Entscheidungen

506 Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 43; Epiney, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 8 Rn. 39 ff.; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 873 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 443; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 49 f. 507 Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 443; Thole, Gläubigerschutz, S. 885. 508 Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 44; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 180. 509 Dazu sogleich unter 2. Teil § 5 IV.2.a) und b). 510 Dazu 2. Teil § 5 IV.3.b). 511 Statt vieler Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 50; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2423 ff.; Steinke, Die Übertragbarkeit der Keck-Rechtsprechung,

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lassen sich jedoch Ansätze finden, die zumindest darauf hindeuten, dass der Gerichtshof auch im Rahmen der Niederlassungsfreiheit bisweilen dazu tendiert, Regelungen, die die Niederlassungsfreiheit nur akzidentiell betreffen, aus dem Schutzbereich der Grundfreiheiten auszunehmen. In der Rechtssache Semeraro judizierte er etwa, dass Regelungen zu Ladenöffnungszeiten, die in nicht diskriminierender Weise Anwendung fänden, nicht geeignet seien, die Niederlassungsfreiheit zu beschränken.512 Auf den ersten Blick hätte die Anwendung des weiten Beschränkungsbegriffs auch zu dem Ergebnis führen können, dass solche Vorschriften die Tätigkeit im Aufnahmestaat einschränken und damit durchaus die Niederlassungsfreiheit weniger attraktiv erscheinen lassen können. Gleichwohl stellte der EuGH fest, dass die in Rede stehende italienische Vorschrift „nicht die Regelung der Bedingungen für die Niederlassung der betreffenden Unternehmen bezweckt und dass schließlich die beschränkenden Wirkungen, die sie für die Niederlassungsfreiheit haben könnte, zu ungewiss und zu mittelbar sind, als dass die in ihr aufgestellte Verpflichtung als geeignet angesehen werden könnte, diese Freiheit zu behindern.“513

Eines ähnlichen Argumentationsmusters zur Reduzierung des Beschränkungsverbots bediente sich der Gerichtshof auch in dem Urteilen innoventif514. Die Verpflichtung zur Zahlung eines Vorschusses auf die Verwaltungskosten bei der Eintragung einer Zweigniederlassung kann diesem Urteil zufolge keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen, weil sie die Ausübung dieser Freiheit weder verbiete noch behindere, noch weniger attraktiv mache.515 Da zudem „Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten weder tatsächlich noch rechtlich gegenüber Gesellschaften des Niederlassungsmitgliedstaats“516 benachteiligt werden, sieht der EuGH in der Pflicht der innoventif Ltd. zur Zahlung des Verwaltungskostenvorschusses „keine Beschränkung der Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat“.517 Als inländische Standortbedingung wird der Pflichtvorschuss vom EuGH nicht dem Beschränkungsverbot der Niederlassungsfreiheit unterworfen.518

S. 259; mit Blick auf die Idryma Typou-Entscheidung auch Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1046. 512 EuGH, Urteil vom 20. 6. 1996 – Rs. C-418/93 u. a. (Semeraro), Slg. 1996, I-2975. 513 EuGH, Urteil vom 20. 6. 1996 – Rs. C-418/93 u. a. (Semeraro), Slg. 1996, I-2975 Rn. 32; siehe hierzu auch Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 14; Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 63; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 182. 514 EuGH, Urteil vom 1. 6. 2006 – Rs. C-453/04 (innoventif), Slg. 2006, I-4929; siehe hierzu J. Schmidt, NZG 2006, 899. 515 EuGH, Urteil vom 1. 6. 2006 – Rs. C-453/04 (innoventif), Slg. 2006, I-4929 Rn. 38. 516 EuGH, Urteil vom 1. 6. 2006 – Rs. C-453/04 (innoventif), Slg. 2006, I-4929 Rn. 39. 517 EuGH, Urteil vom 1. 6. 2006 – Rs. C-453/04 (innoventif), Slg. 2006, I-4929 Rn. 40. 518 Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 65.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

Die in diesen Urteilen vom EuGH gewählten Formulierungen legen zwar zunächst eine Übertragung der Keck-Rechtsprechung auf die Art. 49, 54 AEUV nahe.519 Insbesondere in der Rechtssache Semeraro rekurriert der EuGH bei der Prüfung der niederlassungsrechtlichen Relevanz der Ladenöffnungszeiten mit den Kriterien der unterschiedslosen faktischen und rechtlichen Geltung der Vorschriften und deren niederlassungsneutralen Zielsetzung auf dieselben Eigenschaften, die er auch in der Keck-Entscheidung als maßgeblich ansah. Aus diesem Grund wird die Entscheidung oftmals auch als erster Ansatzpunkt für eine Übertragung der Keck-Formel auf die Niederlassungsfreiheit gedeutet.520 Gleichwohl begegnet der Wille des EuGH zur Übertragung der Keck-Kriterien nicht unerheblichen Zweifeln. Denn in dem genannten Urteil wandte der Gerichtshof bei der Prüfung einer Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit noch die Keck-Formel an.521 Er unterließ es aber, diese auch für die Niederlassungsfreiheit explizit heranzuziehen, und wich stattdessen auf die bereits vor Keck verwandte522 Formulierung der zu ungewissen und zu mittelbaren Beeinträchtigung aus.523 Ebenso ist der Gerichtshof im Urteil Pfeiffer dem auf eine teleologische Reduzierung des Beschränkungsverbots zielenden Argument GA Mischos, nach dem der weite Beschränkungsbegriff nicht zu einer Rechtfertigungsbedürftigkeit jedweder als lästig empfundener Regelungen des Aufnahmestaats führen dürfe,524 nicht gefolgt. Die Luxemburger Richter sahen stattdessen die in Rede stehende Maßnahme, namentlich die Anwendung des österreichischen UWG, als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit an, ohne eine Begrenzung des Beschränkungsverbots zu erwägen.525 In gleicher Manier ließ der EuGH die erneuten, gleichsinnigen Ausführungen des Generalanwalts526 in der Rechtssache Deutsche Paracelsus Schulen 519 Zessel, Durchgriffshaftung, S. 182; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 14. 520 So Thole, Gläubigerschutz, S. 885; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 14; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 182; Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 63 f. 521 EuGH, Urteil vom 20. 6. 1996 – Rs. C-418/93 u. a. (Semeraro), Slg. 1996, I-2975 Rn. 9 ff., 14. 522 So etwa EuGH, Urteil vom 7. 3. 1990 – Rs. C-69/88 (Krantz), Slg. 1990, I-583 Rn. 11; EuGH, Urteil vom 13. 10. 1993 – Rs. C-93/92 (CMC Motorradcenter), Slg. 1993, I-5009 Rn. 12. 523 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 17. 524 GA Mischo, Schlussanträge vom 7. 7. 1998 – Rs. C-255/97 (Peiffer), Slg. 1999, I-2835 Rn. 58; siehe auch GA Fenelly, Schlussanträge vom 16. 9. 1999 – Rs. C-190/98 (Graf), Slg. 2000, I-493 Rn. 31 ff.; W.-H. Roth, GS Knobbe-Keuk, S. 729, 735 ff.; Everling, GS Knobbe-Keuk, S. 607, 620 f.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 10 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 193. 525 EuGH, Urteil vom 11. 5. 1999 – C-255/97 (Pfeiffer), Slg. 1999, I-2853 Rn. 20 ff.; zustimmend Tietje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 55. 526 GA Mischo, Schlussanträge vom 13. 12. 2001 – C-294/00 (Deutsche Paracelsus Schulen), Slg. 2002, I-6518 Rn. 55 ff.; Tietje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 55.

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unbeachtet.527 Selbst die dezidierte Aufforderung von GA Trstenjak in der Sache Idryma Typou, die in Keck entwickelte Begrenzung des Beschränkungsverbots auf die Art. 49, 54 AEUV zu übertragen,528 verhallte ungehört. Die Generalanwältin hatte explizit angeregt, den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit durch Übertragung der Keck-Rechtsprechung teleologisch zu reduzieren. Die in Rede stehenden griechischen Vorschriften zur Regulierung privater Fernsehsender, nach denen u. a. Bußgelder auch gegen die Aktionäre der Betreibergesellschaften festgesetzt werden konnten, seien danach als Standortvorschriften analog zu den Verkaufsmodalitäten der Keck-Formel aus dem Anwendungsbereich des Beschränkungsverbots der Grundfreiheiten auszunehmen.529 Der EuGH stellte – ohne auf die Ausführungen der Generalanwältin einzugehen – indes fest, dass die fragliche griechische Haftungsvorschrift eine Niederlassung weniger attraktiv mache, und qualifizierte sie somit als Beschränkung jener Grundfreiheit.530 Vor diesem Hintergrund kann eine Übertragung der Keck-Grundsätze auf die Niederlassungsfreiheit nicht die Judikatur des EuGH als Stütze für sich in Anspruch nehmen.531 b) Begriffsjuristische Übertragung Ungeachtet der Indifferenz des EuGH wird in der Literatur532 und der deutschen Rechtsprechung533 eine Übertragung der Keck-Formel auf die Niederlassungsfreiheit 527

EuGH, Urteil vom 11. 7. 2002 – C-294/00 (Deutsche Paracelsus Schulen), Slg. 2002, I-6515 Rn. 43. 528 GA Trstenjak, Schlussanträge vom 2. 6. 2010 – Rs. C-81/09 (Idryma Typou), BeckRS 2010, 90679 Rn. 74 ff.; dazu auch Möslein, NZG 2011, 174, 175. 529 GA Trstenjak, Schlussanträge vom 2. 6. 2010 – Rs. C-81/09 (Idryma Typou), BeckRS 2010, 90679 Rn. 77. 530 EuGH, Urteil vom 21. 10. 2010 – Rs. C-81/09 (Idryma Typou), Slg. 2010, I-1016 Rn. 54; Bayer/J. Schmidt, BB 2012, 3, 9 f.; Möslein, NZG 2011, 174, 175. 531 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 217 ff.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 14; Leible/ T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 80; Habersack/Verse, EuGesR, § 3 Rn. 6; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 180; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 120; Steinke, Die Übertragbarkeit der Keck-Rechtsprechung, S. 259. 532 Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 391, 439 f.; Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 87; Habersack/Verse, EuGesR, § 3 Rn. 7; W.-H. Roth, GS Knobbe-Keuk, S. 729, 735 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2423 ff.; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 975 ff.; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 99 f.; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 205 ff.; Everling, GS Knobbe-Keuk, S. 607, 620 f.; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 31; Schall, FS Meilicke, S. 651, 655 ff.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 14 ff.; ders., RabelsZ 70 (2006), 474, 480; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 167 f.; Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1046 f.; Thole, Gläubigerschutz, S. 884 ff.; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 666 f.; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 116 ff.; ferner Spindler/ Berner, RIW 2003, 949, 955; dies., RIW 2004, 7, 10 f.; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 666 f.; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 38 f.; Rehberg,

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

im Einklang mit den Generalanwälten Mischo534 und Trstenjak535 überwiegend befürwortet. Die Entwicklung im europäischen Gesellschaftsrecht hat dabei maßgeblich dazu beigetragen, diese Diskussion nochmals zu intensivieren. So wurde insbesondere infolge von Überseering und Inspire Art versucht, eine Begrenzung des weiten Beschränkungsbegriffs durch Übertragung der in dem Keck-Urteil statuierten Unterscheidung zwischen produkt- und vertriebsbezogenen Vorschriften zu erreichen.536 Durch die analoge Anwendung dieser beiden Kategorien von Vorschriften soll auch im Rahmen der Niederlassungsfreiheit eine vergleichbare Unterscheidung und damit die Identifizierung von solchen Vorschriften ermöglicht werden, die als den Verkaufsmodalitäten entsprechende Regelungen nicht dem strengen Beschränkungsverbot der Art. 49, 54 AEUV unterliegen. Die konkrete Adaption des Keck’schen Begriffspaars im Rahmen der Niederlassungsfreiheit hat dabei unterschiedliche Gestalt angenommen.537 So wird von einigen Stimmen in der Literatur eine Unterscheidung zwischen gesellschaftsrechtlichen und nicht-gesellschaftsrechtlichen Vorschriften vorgenommen.538 Während gesellschaftsrechtliche Vorschriften den produktbezogenen Vorschriften gleichzustellen seien und deren Anwendung auf Auslandsgesellschaften damit grundsätzlich einen Eingriff in den Schutzbereich des Beschränkungsverbots der Niederlassungsfreiheit darstellten, seien nicht-gesellschaftsrechtliche Vorschriften, analog zu Verkaufsmodalitäten bei der Warenverkehrsfreiheit, grundsätzlich unbeEuLF 2004, 1, 7; Eberhartinger, EWS 1997, 43, 49; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 38 ff.; zurückhaltender ders., in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 217 ff., Art. 49 AEUV Rn. 112; zurückhaltend auch Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 120 ff.; dagegen Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 62; Tietje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 55; Tiedje/Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 43 EG Rn. 102 f.; Willemer/Ringe, NZG 2010, 56, 57. 533 KG NZG 2010, 71, 72 f., jedoch ohne nähere Begründung; dazu Willemer/Ringe, NZG 2010, 56 f. 534 GA Mischo, Schlussanträge vom 7. 7. 1998 – Rs. C-255/97 (Peiffer), Slg. 1999, I-2835 Rn. 58; GA Mischo, Schlussanträge vom 13. 12. 2001 – C-294/00 (Deutsche Paracelsus Schulen), Slg. 2002, I-6518 Rn. 55 ff. 535 GA Trstenjak, Schlussanträge vom 2. 6. 2010 – Rs. C-81/09 (Idryma Typou), BeckRS 2010, 90679 Rn. 74 ff. 536 Siehe KG NZG 2011, 71 ff.; ausf. Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 38 ff.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 10 ff.; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 116 f.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 118 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 456 ff., 2423 ff.; monographisch Steinke, Die Übertragbarkeit der Keck-Rechtsprechung, passim; je m.w.Nachw.; ferner Schall, FS Meilicke, S. 651, 655 ff. 537 Ausf. zum Ganzen Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 321 ff.; Steinke, Die Übertragbarkeit der Keck-Rechtsprechung, S. 260 ff.; siehe auch Thole, Gläubigerschutzrecht, S. 885 f.; Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 63 ff. 538 Weller, DStR 2003, 1800, 1803 f.; Behrens, IPRax 2004, 20, 24; ähnlich auch Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 434.

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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denklich. Nach anderer Auffassung ist der Stichentscheid zwischen tätigkeitsbezogenen und korporativ wirkenden Regelungen zu treffen, wobei nur letzteren Konfliktpotenzial mit dem Beschränkungsverbot der Art. 49, 54 AEUV zukomme.539 In die gleiche Richtung zielen schließlich Ansätze, die zwischen Bestimmungen, die die Existenz der Gesellschaft sowie deren Subjekteigenschaften betreffen, und solchen, die als allgemeines Verkehrsrecht von außen an die Gesellschaft herangetragen werden,540 beziehungsweise zwischen quasi-gesellschaftsakzessorischen und jedermann treffenden Vorschriften unterscheiden.541 Bei einer Zusammenschau dieser zunächst unterschiedlichen erscheinenden Ansätze zeigt sich, dass allen ein Gedankengang gemein zu sein scheint: Ausgehend von den zur Warenverkehrsfreiheit entwickelten Maßstäben wird zunächst das für Art. 34 AEUV maßgebliche grenzüberschreitende Element durch das der Niederlassungsfreiheit substituiert. Während die Warenverkehrsfreiheit die Zirkulationsfähigkeit des Produkts garantiert, sind es im Kontext der Niederlassungsfreiheit Gesellschaften, denen ungehinderter Zugang zum Markt im Destinationsstaat gewährt wird. Aus dieser Erwägung erfolgt zuerst eine Gleichsetzung von Produkt und Gesellschaft.542 In einem zweiten Schritt wird sodann die Kategorie der produktbezogenen Vorschriften an das grenzüberschreitende Element „Gesellschaft“ angepasst. Die Kategorie der produktbezogenen Vorschriften umfasst im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit alle Bestimmungen, die auf die Manipulation der wesensimmanenten Eigenschaften der Waren, die diese tatsächlich oder rechtlich im Herkunftsstaat zu ihrer Verkehrsfähigkeit erhalten haben, gerichtet sind. Hierzu zählen unter anderem die Herstellung, Abmessung, Form, Zusammensetzung, Bezeichnung, Zulassung und Verpackung.543 Dementsprechend werden bei der Niederlassungsfreiheit alle jene Vorschriften, die gesellschaftsrechtliche Regelungsanliegen verfolgen und somit auf die Gesellschaft als solche zielen, als auf das Produkt „Gesellschaft“

539

Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 16; ders., RabelsZ 70 (2006), 474, 480; ders., NJW 2005, 1618 ff.; ders., JZ 2004, 24, 26 f.; wohl auch Zessel, Durchgriffshaftung, S. 186 f. 540 Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 666 ff.; Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 89 ff. 541 So noch Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 10 f. (allerdings mit der Einschränkung, dass auch jedermann treffende Vorschriften dem Beschränkungsverbot unterliegen, soweit sie extrem überhöhte Anforderungen stellen und mithin ausländische Gesellschaften schlechter stellen); dies., RIW 2003, 949, 955; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1205; Kamps, Sonderanknüpfungen, S. 54 f.; ähnlich auch Paefgen, ZIP 2004, 2253, 2255, der Regeln mit „verbandsrechtlicher Relevanz“ dem Beschränkungsverbot unterstellt. 542 So etwa Kamps, Sonderanknüpfungen, S. 69 f. 543 EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993 – Rs. C-267/91 und 268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6131 Rn. 15; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 51; Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 86.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

bezogen angesehen.544 Sie stellen demnach keine den Markt moderierenden Vorschriften dar, sondern modifizieren die grenzüberschreitende Gesellschaft.545 Das allgemeine Verkehrsrecht546 hingegen, gleich ob als nicht-gesellschaftsrechtliche, jedermann treffende oder tätigkeitsbezogene Vorschriften bezeichnet, steht der Gesellschaft als solcher zunächst indifferent gegenüber, trägt also nur Rechte und Pflichten an die Gesellschaft von außen heran.547 Da es somit keinen zielund zweckgerichteten Regelungswillen mit Blick auf die Gesellschaft besitzt, wird es von diesen Auffassungen in Anlehnung an die Verkaufsmodalitäten, die ebenfalls keinen solchen auf das Produkt zielenden Regelungswillen aufweisen, von dem Beschränkungsverbot der Grundfreiheit freigestellt und allein einem Diskriminierungsvorbehalt unterstellt. Als Beispiele für das Verkehrsrecht werden unter anderem das allgemeine Deliktsrecht, das Insolvenz- oder auch das Wirtschaftsverwaltungsrecht angeführt.548 Auch wenn eine solche analoge Anwendung der in Keck statuierten Begriffskategorien auf den ersten Blick nachvollziehbar erscheint und die vorgenommene Differenzierung zwischen gesellschaftsbezogenen Vorschriften und dem allgemeinen Verkehrsrecht eine aus der Rechtsprechung des EuGH gewonnene Einschränkung des Beschränkungsverbots der Niederlassungsfreiheit zu bieten verspricht, erweist sie sich bei näherer Betrachtung aus mehreren Gründen als nur eingeschränkt handhabbar und nicht durchweg überzeugend. aa) Geringe Aussagekraft der Begriffskategorien Zunächst ist hervorzuheben, dass der mit der Anwendung der Begrifflichkeiten gewonnene Erkenntnisgewinn eher gering ausfällt. Dies gilt jedenfalls für die hier zu untersuchende Frage, welche Möglichkeiten den Mitgliedstaaten verbleiben, gesellschaftsrechtliche Regelungsanliegen betreffende Vorschriften auch gegen zuziehende EU-Auslandsgesellschaften in Ansatz zu bringen. Soweit nämlich die mittels eines Keck-Filters gewonnene Unterscheidung zwischen den die Gesellschaft betreffenden Vorschriften und dem allgemeinen Verkehrsrecht dergestalt verstanden wird, dass erstere sämtliche an die Struktur einer Gesellschaft anknüpfende Normen im materiell-rechtlichen Sinne, wie etwa die klassischen kapitalgesellschaftsrechtlichen Themenkomplexe der Mitgliedschaft,

544

Kamps, Sonderanknüpfungen, S. 70. Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112. 546 Zum Begriff Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 667. 547 Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 439 ff. 548 Teichmann, ZHR 175 (2011), 855, 859; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 440; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 206 f.; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 186 f.; Rehberg, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 7 Rn. 7; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 16. 545

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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der Kapitalverfassung, der Binnenverfassung und des Gläubigerschutzes erfassen,549 wird die eingangs gestellte Frage nach den verbleibenden Möglichkeiten zur Anwendung solcher Normen zwar beantwortet: Die Anwendung dieser Normen stellt grundsätzlich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Allerdings begegnen die Zuweisung allein des Gesellschaftsrechts bzw. der an die Struktur einer Gesellschaft anknüpfenden Vorschriften zum Beschränkungsverbot und damit die Validität der Unterscheidungskriterien einigen Zweifeln. Führt man sich vor Augen, dass die Niederlassungsfreiheit ein und dasselbe Recht auf freie Niederlassung sowohl Gesellschaften wie auch natürlichen Personen gewährt,550 so müsste eine als teleologische Reduktion begründete Begrenzung des Beschränkungsverbots den Gewährleistungsgehalt für beide Grundfreiheitenberechtigte in gleichem Maß beschneiden.551 Die Unterscheidung zwischen gesellschaftsrechtlichen552 und nichtgesellschaftsrechtlichen Vorschriften kann dies naturgemäß nicht leisten, ließe sie doch mit der Fokussierung des Gewährleistungsgehalts des Beschränkungsverbots auf gesellschaftsrechtliche Normen bei der Anwendung auf natürliche Personen jedweden Schutz durch die Art. 49, 54 AEUV entfallen. Eine solche lediglich auf einen Teilausschnitt zielende Reduktion des Beschränkungsbegriffs erscheint daher aus systematischer Sicht auf schwachem Fundament gebaut. Problematisch ist auf der entgegengesetzten Seite aber auch die pauschale Aussonderung des allgemeinen Verkehrsrechts aus dem Beschränkungsverbot der Niederlassungsfreiheit. Dass jene „nicht-gesellschaftsrechtlichen“ Regeln größtenteils unbedenklich sind (und sein müssen), ergibt sich aus der bereits dargestellten Funktion der Grundfreiheiten im Binnenmarkt,553 die eben nicht darauf abzielen, die gesamte mitgliedstaatliche Rechtsordnung zu überprüfen. Gleichwohl kann das Verkehrsrecht nicht pauschal dem Anwendungsbereich des Beschränkungsverbots der Niederlassungsfreiheit entzogen werden, da auch nicht-gesellschaftsrechtliche Normen eine Beschränkung der Grundfreiheit bewirken können.554 An dieser Stelle

549 In diesem Sinne Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 42; Kamps, Sonderanknüpfungen, S. 71; Knop, Gesellschaftsstatut, S. 131; so auch noch Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 10 f.; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112. 550 Siehe nur Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 1, 13; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 19 ff. 551 In diese Richtung auch Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 43. 552 Zum Zwecke der Vereinfachung wird der Begriff „gesellschaftsrechtliche Vorschriften“ hier als Synonym für die unterschiedlichen Begrifflichkeiten, wie etwa „gesellschaftsakzessorische“ oder die „Subjekteigenschaft betreffende“ Vorschriften verwendet, ohne dass damit einer spezifischen Bezeichnung der Vorrang eingeräumt werden soll. 553 Siehe oben 1. Teil § 1 und 2. Teil § 4 II.2. 554 Siehe oben 2. Teil § 4 II.1. sowie 2. Teil § 5 III.2.a); a.A. Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 390.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

sei nur erneut an die Rechtssache Doc Morris oder die diversen Urteile zum Glücksspielverbot erinnert.555 Als einziger Aussagegehalt einer solchen analogen Anwendung der Keck-Kriterien verbliebe danach die Erkenntnis, dass das Gesellschaftsrecht Konfliktpotential mit dem Beschränkungsverbot der Art. 49 AEUV aufweist und sich die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, gesellschaftsrechtliche Regelungsanliegen verfolgende Vorschriften ohne den zusätzlichen Druck einer europarechtlichen Rechtfertigung auch auf Auslandsgesellschaften anzuwenden, auf null reduziert.556 Dieser Erkenntnisgewinn wird auf der anderen Seite jedoch dadurch entwertet, dass die Begriffskategorie der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften sich nur auf einen Teilausschnitt aus dem weiter gefassten Beschränkungsverbot der Niederlassungsfreiheit kapriziert und nicht zugleich dessen äußere Grenzen beschreibt. Spiegelbildlich versagt nämlich die zweite Begriffskategorie des Verkehrsrechts bei dem Versuch, einen „safe harbor“ für unter sie zu rubrizierenden Bestimmungen zu umschreiben. Mit der Zuordnung einer Norm zum allgemeinen Verkehrsrecht ist deren niederlassungsrechtliche Verträglichkeit noch nicht festgestellt.557 Das eigentliche Ziel der Übertragung der Keck-schen Begriffskategorien, anhand der Kategorisierung einen Stichentscheid zwischen den die Niederlassungsfreiheit beschränkenden Vorschriften einerseits und unbedenklichen Regelungen andererseits treffen zu können, wird daher verfehlt,558 so dass die Zweckmäßigkeit und Sinnhaftigkeit der begrifflichen Unterscheidung fraglich erscheint.559

555

Siehe EuGH, Urteil vom 19. 5. 2009 – verb. Rs. C-171/07 und C-172/07 (Apothekerkammer des Saarlandes ./. Doc Morris), Slg. 2009, I-4171; EuGH, Urteil vom 6. 11. 2003 – Rs. 243/01 (Gambelli), Slg. 2003, I-13031; EuGH, Urteil vom 6. 3. 2007 – C-338/04, C-359/04 und C-360/04 (Placanica), Slg. 2007, I-1891; ferner (tw. zu Art. 49 EG a.F.) EuGH, Urteil vom 15. 9. 2011 – C-347/09 (Dickinger), Slg. 2011, I-8185; EuGH, Urteil vom 30. 6. 2011 – C-212/ 08 (Zeturf Ltd), Slg. 2011, I-5633; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – verb. Rs. C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07 (Stoß, u. a.), Slg. 2010, I-8069; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – C-46/08 (Carmen Media Group Ltd), Slg. 2010, I-8149; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – Rs. C-409/06 (Winner Wetten), Slg. 2010, I-8015. 556 Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 10 ff.; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 42. 557 So auch Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112. 558 Dies bildet freilich auch einen zentralen Kritikpunkt an der Keck-Rechtsprechung im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit, siehe statt vieler Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 30 EG Rn. 247 ff.; ders., EWS 2009, 489, 495; GA Bot, Schlussanträge vom 8. 7. 2008 – Rs. C-110/05 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-519 Rn. 77 ff.; GA Maduro, Schlussanträge vom 30. 3. 2006 – Rs. C-158/04 (Alfa Vita Vassilopoulos), Slg. 2006, I-8135 Rn. 24 ff.; Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 36 AEUV Rn. 48. 559 Ähnlich Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 319.

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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bb) Unschärfe der Begrifflichkeiten In noch weitere Ferne rückt das Ziel, durch Übertragung der Keck-Kategorien eine normativ sichere, subsumtionsfähige Formel zu kreieren, soweit von einigen Stimmen in der Literatur auch innerhalb der Kategorie der gesellschaftsrechtlichen Regeln weiter differenziert wird. Im Gegensatz zu dem soeben aufgezeigten Verständnis, nach dem sämtliche materiell gesellschaftsrechtlichen Vorschriften dieser Kategorie zuzuordnen, mithin in der Terminologie der Warenverkehrsfreiheit als produktbezogen anzusehen seien, wird bisweilen zwar die beschränkende Wirkung gesellschaftsrechtlicher bzw. korporativ wirkender Normen in Analogie zu den produktbezogenen Vorschriften bei der Warenverkehrsfreiheit im Grundsatz eingeräumt. Regelungen, denen auch insolvenzrechtlicher oder deliktischer Charakter zugesprochen werden kann, oder die lediglich Anforderungen an die Tätigkeitsausübung der Gesellschaft stellen, seien hingegen nicht vom Beschränkungsverbot erfasst.560 So könne etwa die Existenzvernichtungshaftung ob ihrer (auch) deliktsrechtlichen Wurzeln als Vorschrift des allgemeinen Verkehrsrechts angesehen werden.561 Ebenso könne die Insolvenzverschleppungshaftung als „Verkaufsmodalität“ begriffen und dem Anwendungsbereich des Beschränkungsverbots entzogen werden.562 Abgesehen von dem Umstand, dass diese Differenzierung teilweise ihren Ursprung in dem oben bereits dargelegten und abgelehnten563 Verständnis von der Bedeutung der kollisionsrechtlichen Qualifikation zu haben scheint,564 zeigt sich an dieser Stelle eine weitere Schwäche der begriffsjuristischen Übertragung der KeckKriterien. Soweit nämlich Rechtsinstitute wie die Existenzvernichtungshaftung oder eine Handelndenhaftung analog § 11 Abs. 2 GmbHG dem allgemeinen Verkehrsrecht zugeschlagen werden,565 erhellt sich die Unschärfe der mit den Begriffskategorien zu erreichenden Abgrenzung. Die Einordnung der Existenzvernichtungshaftung unter den Terminus „allgemeines Verkehrsrecht“ beispielsweise lässt sich nicht anhand der verwendeten Begrifflichkeiten erschließen, gleich ob zwischen gesellschaftsrechtlichen und nicht-gesellschaftsrechtlichen Vorschriften oder zwischen Subjekteigenschaften und allgemeinem Verkehrsrecht unterschieden wird. Da damit letztlich aber jede Anwendung einer Norm, die zunächst scheinbar einer 560 KG NZG 2010, 71, 72; so insbesondere auch Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 390 f., 434, 439 ff., 694; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207 ff.; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 31 in diesem Punkt ähnlich auch Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 669, 670, soweit diese etwa auch deliktisch begründbare Haftungsvorschriften wie etwa die Existenzvernichtungshaftung nicht den Subjekteigenschaften zurechnen. 561 Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 670; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 434 i.V.m. 694. 562 KG NZG 2010, 71, 72; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 31; Schanze/ Jüttner, AG 2003, 661, 670. 563 Siehe 2. Teil § 5 III.2.b). 564 So etwa Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 434 ff. 565 Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 439 f.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

Begriffskategorie zugehörig erscheint, einer weiteren Rückversicherung anhand weiterer materieller Kriterien bedarf, sind die im Rahmen der Niederlassungsfreiheit gebildeten Begriffskategorien ihrer Funktion als Abgrenzungskriterium beraubt. Sie erweisen sich eher als Hohlformeln denn als trennscharfe Abgrenzungsmerkmale und es bereitet größte Schwierigkeiten, diese mit Leben zu füllen und für die Praxis handhabbar zu machen.566 cc) Fehlende dogmatische Rückbegründung Hinterfragt man zudem die Verankerung der formalen Dichotomie des Begriffspaars im System der Niederlassungsfreiheit, wird deutlich, dass die Unterscheidung zwischen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften und allgemeinem Verkehrsrecht keine stringente dogmatische Absicherung vorweisen kann. Aus den Grundprinzipien der Grundfreiheit lässt sie sich nicht schlüssig herleiten.567 Das ist freilich weniger ein Mangel der Adaption an die Niederlassungsfreiheit als vielmehr dem Pragmatismus des EuGH bei Schaffung der originären Keck-Kriterien geschuldet. Denn bereits das Merkmal der Verkaufsmodalitäten (vertriebsbezogene Vorschriften) im Sinne der Keck-Rechtsprechung ist kein aus dogmatischen Erwägungen abgeleitetes Eingrenzungskriterium. Es ist lediglich Ausdruck der aus der tatsächlichen Erfahrung geschöpften Vermutung des EuGH, dass bestimmten Arten von Regelungen keine negativen Auswirkungen auf die Verwirklichung eines von der Warenverkehrsfreiheit geschützten Binnenmarkts, zu dem Erzeugnisse aus den verschiedenen Mitgliedstaaten gleichen und freien Zugang haben, zukommen.568 Daher wird auch gegen die Keck-Formel eingewandt, dass sie eher als Erleichterung der Begründungslast für den EuGH denn als normativ sichere, subsumtionsfähige Formel fungiere.569 Ist aber die Unterscheidung zwischen produkt- und vertriebsbezogenen Vorschriften lediglich eine allein auf die spezifischen Erfahrungen des Gerichtshofs im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit gestützte Vermutung, eignet sie sich nicht zu

566 Siehe auch Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 204 f.; Müller-Graff, EWS 2009, 489, 495; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 319. 567 Ähnlich Müller-Graff, EWS 2009, 489, 495. 568 GA Fenelly, Schlussanträge vom 16. 9. 1999 – Rs. C-190/98 (Graf), Slg. 2000, I-493 Rn. 19; ebenso GA Bot, Schlussanträge vom 8. 7. 2008 – Rs. C-110/05 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-519 Rn. 80; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 124; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 219; Knop, Gesellschaftsstatut und Niederlassungsfreiheit, S. 128; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 302; siehe auch Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 30 EG Rn. 244 ff.; ders., EWS 2009, 489, 495. 569 Müller-Graff, EWS 2009, 489, 495; ders., in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 62; ders., in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 30 EG Rn. 247.

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Übertragung auf andere Grundfreiheiten.570 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Zurückhaltung des EuGH, die Keck-Formel im Rahmen anderer Grundfreiheiten fruchtbar zu machen.571 Sie stellt kein allgemeingültiges Instrument zur Eingrenzung des Schutzbereichs dar, das ohne weiteres auch für andere Grundfreiheiten Geltung beanspruchen könnte.572 Insbesondere eine Übertragung dieser Erfahrungssätze von der auf Produktmobilität fokussierten Warenverkehrsfreiheit auf die volkswirtschaftlich als Faktorfreiheit einzuordnende Niederlassungsfreiheit erscheint problematisch, da die Regelungsgegenstände beider Grundfreiheiten wesentlich differieren.573 Die Niederlassungsfreiheit beschränkt sich im Gegensatz zur Warenverkehrsfreiheit nicht auf die Gewährleistung der Produktmobilität, also den freien Marktzugang für bestimmte Erzeugnisse im Einfuhrmitgliedstaat, sondern umfasst den ungleich komplexeren gesamten Niederlassungsvorgang.574 Dies zeigt sich bereits im Wortlaut des Art. 49 AEUV, der sowohl die Aufnahme wie auch Ausübung selbständiger Tätigkeit im Destinationsstaat erfasst und damit über den Gewährleistungsgehalt der Warenverkehrsfreiheit hinaus reicht.575 Einer vergleichbaren Unterscheidung zwischen Produktions- und Vermarktungsstufen steht die Niederlassungsfreiheit nicht offen.576 Diese Erwägungen hat GA Fenelly bei seinen Erwägungen zur Frage nach der Übertragung der Keck-Kriterien auf die strukturell mit Art. 49 AEUV vergleichbare Arbeitnehmerfreizügigkeit prägnant zum Ausdruck gebracht. Die „starreren und formalistischeren Unterscheidungen – zwischen die Produkte betreffenden Vorschriften und bestimmten Verkaufsmodalitäten –, die den Prozess der Herstellung und des Vertriebs von Waren kennzeichnen“, seien nicht übertragbar:577 570

Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 217; MüllerGraff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 62; Eberhartinger, EWS 1997, 43, 49; Classen, EuR 2009, 555, 561; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 302; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 204. 571 Ähnlich Willemer/Ringe, NZG 2010, 56, 57. 572 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 219; GA Fenelly, Schlussanträge vom 16. 9. 1999 – Rs. C-190/98 (Graf), Slg. 2000, I-493 Rn. 18. 573 Tiedje/Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 43 EG Rn. 102 f.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 217; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 62; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/ AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 80. 574 Willemer/Ringe, NZG 2010, 56, 57; Schilling, IPRax 2005, 208, 210; siehe auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 311. 575 Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 55; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 457, 2427; Tiedje/Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 43 EG Rn. 103; Willemer/Ringe, NZG 2010, 56, 57 f. 576 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 219; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 302; ähnlich zur Dienstleistungsfreiheit Classen, EuR 2009, 555, 561. 577 GA Fenelly, Schlussanträge vom 16. 9. 1999 – Rs. C-190/98 (Graf), Slg. 2000, I-493 Rn. 18.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

„Menschen [bzw. Gesellschaften] sind keine Waren, und der Prozess der Abwanderung zum Zweck der Beschäftigung oder Niederlassung im Ausland einschließlich der Vorbereitung dafür kann nicht so klar in (Massen-)Produktion und Vermarktungsstufen eingeteilt werden.“578

dd) Zwischenergebnis Angesichts der aufgezeigten Defizite ist eine lediglich an Begrifflichkeiten orientierte Übertragung der Keck-Rechtsprechung auf die Niederlassungsfreiheit nicht zielführend. Mit der analogen Anwendung der Begriffskategorien lässt sich keine sinnvolle Einteilung mitgliedstaatlicher Vorschriften in die Grundfreiheit beschränkende und vom Beschränkungsverbot freigestellte Normen erreichen.579 Dies liegt – wie gesehen – zum einen an dem Umstand, dass die vorgeschlagenen, auf das Gesellschaftsrecht fokussierenden Begriffskategorien nicht zuverlässig solche Vorschriften identifizieren können, die als „allgemeines Verkehrsrecht“ grundsätzlich unbedenklich sind. Zum anderen ist bereits die konkrete Zuordnung einzelner Vorschriften zu den Begriffen aufgrund deren mangelnder Trennschärfe nicht rechtssicher möglich. Schließlich lässt sich eine anhand der Begriffskategorien gewonnene Begrenzung des Beschränkungsbergiffs der Art. 49, 54 AEUV nicht in der dogmatischen Struktur der Grundfreiheit verankern. Der anhand der Begriffskategorien vorgenommenen Unterscheidung mag man daher vielleicht Indizwirkung zusprechen, subsumtionsleitendes Entscheidungskriterium ist sie aber nicht, sondern bedarf stets der Rückversicherung anhand materieller Kriterien.580 Die Praktikabilität der Begriffskategorien erschöpft sich somit im Wesentlichen in der Bezeichnung eines anhand anderer Kriterien gefunden Ergebnisses.581 Mit diesen Einwänden sind freilich die systemimmanenten Schwächen der begriffsjuristischen Methode angesprochen, die auch bei der Warenverkehrsfreiheit Kritik an der Keck-Formel hat aufkommen lassen.582 So wird dem EuGH seit dem 578 GA Fenelly, Schlussanträge vom 16. 9. 1999 – Rs. C-190/98 (Graf), Slg. 2000, I-493 Rn. 18. 579 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 217; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 302. 580 GA Fenelly, Schlussanträge vom 16. 9. 1999 – Rs. C-190/98 (Graf), Slg. 2000, I-493 Rn. 18; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 219; Leible/ T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 80; Willemer/Ringe, NZG 2010, 56, 57; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 302; Knop, Gesellschaftsstatut und Niederlassungsfreiheit, S. 136. 581 Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 30 EG Rn. 247; ähnlich Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 319. 582 GA Bot, Schlussanträge vom 8. 7. 2008 – Rs. C-110/05 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-519 Rn. 77 ff.; GA Maduro, Schlussanträge vom 30. 3. 2006 – Rs. C-158/04 (Alfa Vita Vassilopoulos), Slg. 2006, I-8135 Rn. 24 ff.; Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 36 AEUV Rn. 48; Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 30 EG Rn. 247 ff.; ders., EWS 2009, 489, 495; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 80 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 49 ff., 169 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 167 ff.

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Keck-Urteil vorgeworfen, mit der Unterscheidung zwischen produkt- und vertriebsbezogenen mehr Verwirrung als Klarheit geschaffen zu haben.583 Kristallisationspunkt der Kritik sind dabei eben jene Schwächen, die auch vorliegend zur Ablehnung einer vergleichbaren begrifflichen Unterscheidung im Rahmen der Niederlassungsfreiheit geführt haben. Denn auch im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit hat sich gezeigt, dass die formale Unterscheidung zwischen produkt- und vertriebsbezogenen Vorschriften nicht immer sachgerechte Ergebnisse liefert und bisweilen künstlich wirkt.584 So sah sich der EuGH in der Folgerechtsprechung mitunter gezwungen, Vorschriften, die zur Kategorie der Verkaufsmodalitäten zu gehören schienen, aufgrund weiterer Erwägungen gleichwohl dem Beschränkungsverbot der Warenverkehrsfreiheit zu unterstellen.585 Anders herum hat er auf die Verpackung bezogene und damit das Produkt betreffende Normen im Einzelfall entgegen der Keck-Formel nicht als Beschränkung der Grundfreiheiten angesehen.586 Dies zeigt letztlich deutlich, dass die mittels der Keck-Kriterien bewirkte Zweiteilung selbst im Bereich der Warenverkehrsfreiheit nicht für alle Sachverhalte passend oder handhabbar ist,587 was sich etwa bei Vorschriften über Nutzungsbeschränkungen offenbart.588 Prägnant lassen sich diese Kritikpunkte mit den Worten von GA Maduro zusammenfassen, der die Defizite in ähnlicher Weise aufzeigt: 583 Siehe etwa GA Maduro, Schlussanträge vom 30. 3. 2006 – Rs. C-158/04 (Alfa Vita Vassilopoulos), Slg. 2006, I-8135 Rn. 24 ff., 34; GA Bot, Schlussanträge vom 8. 7. 2008 – Rs. C-110/05 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-519 Rn. 77, 84; Weatherill, 33 CMLRev (1996), 885 ff.; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 82; Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 36 AEUV Rn. 48; Schwintowski, RabelsZ 64 (2000), 38, 47. 584 GA Bot, Schlussanträge vom 8. 7. 2008 – Rs. C-110/05 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-519 Rn. 80 f., 90; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 82; Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 86; Reich, EuZW 2007, 715, 716; Kingreen, EWS 2006, 488, 489; Knop, Gesellschaftsstatut und Niederlassungsfreiheit, S. 127. 585 EuGH, Urteil vom 14. 9. 2006 – verb. Rs. C-158/04 (Alfa Vita Vassilopoulos), Slg. 2006, I-8135 Rn. 19; EuGH, Urteil vom 6. 7. 1995 – Rs. C-470/93 (Mars), Slg. 1995, I-1923 Rn. 13; EuGH, Urteil vom 23. 10. 1997 – Rs. C-189/95 (Franzen), Slg. 1997, I-5909 Rn. 69 ff.; EuGH, Urteil vom 11. 5. 1999 – C-255/97 (Peiffer), Slg. 1999, I-2853. 586 EuGH, Urteil vom 18. 9. 2003 – Rs. C-416/00 (Morellato), Slg. 2003, I-9343 Rn. 30 ff. 587 GA Fenelly, Schlussanträge vom 16. 9. 1999 – Rs. C-190/98 (Graf), Slg. 2000, I-493 Rn. 18 („die Zweiteilung zwischen Vorschriften, die die Produkte, und solchen, die den Vertrieb betreffen, [ermöglicht] selbst im Bereich des Warenhandels nicht die vollständige Beschreibung aller denkbaren Beschränkungen“); ebenso GA Bot, Schlussanträge vom 8. 7. 2008 – Rs. C-110/05 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-519 Rn. 79 ff.; Schwintowski, RabelsZ 64 (2000), 38, 47 ff.; Reich, EuZW 2007, 715, 716. 588 Hierzu etwa GA Kokott, Schlussanträge vom 14. 12. 2006 – Rs. C-142/05 (Mickelsson), Slg. 2009, I-4273 Rn. 52 ff.; GA Bot, Schlussanträge vom 8. 7. 2008 – Rs. C-110/05 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-519 Rn. 86 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 53 f.; der EuGH vermeidet eine Einordnung in die Keck-Kategorien, EuGH, Urteil vom 10. 4. 2008 – Rs. C-265/06 (Kommission/Portugal), Slg. 2008, I-2245; EuGH, Urteil vom 4. 6. 2009 – Rs. C-142/05 (Mickelsson), Slg. 2009, I-4273.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

„Erstens hat sich die in diesem Urteil getroffene Unterscheidung, die vorgenommen wurde, um das aus dem Grundsatz des freien Warenverkehrs folgende Verbot in seinem Wesen zu klären, in Wirklichkeit als Quelle der Unsicherheit für die Wirtschaftsteilnehmer, die Organe der Europäischen Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten erwiesen. In bestimmten Fällen lässt sich kaum auseinanderhalten, was zu den Verkaufsmodalitäten und was zu den Regelungen über die Merkmale der Erzeugnisse gehört, da das Vorliegen einer Handelsbeschränkung erheblich von der Art der Anwendung einer Regelung und ihren konkreten Folgen abhängt. In anderen Fällen kann eine Maßnahme weder in die eine noch in die andere dieser Kategorien eingeordnet werden, denn die Mannigfaltigkeit der Regelungen, die in Frage gestellt werden können, eignet sich schlecht für einen so engen Rahmen.“589 „Zweitens: Obwohl diese Rechtsprechung zum Ziel hatte, die Anwendung des Grundsatzes des freien Warenverkehrs zu vereinfachen, hat sich ihre Umsetzung als sehr komplex herausgestellt. Diese Komplexität zeigt sich u. a. darin, dass der Gerichtshof die Aufgabe, Wesen und Bedeutung der in Rede stehenden Regelung zu bestimmen, häufig dem nationalen Gericht zuweist. Diese Aufgabe kann ein Gericht, das für die Entscheidung einer Rechtssache um die Hilfe des Gerichtshofs gebeten hat, vor erhebliche Probleme stellen.“590 „Drittens hat sich herausgestellt, dass sich die Rechtsprechung Keck und Mithouard nicht einfach auf die anderen Verkehrsfreiheiten übertragen lässt.“591

Im Ergebnis bleibt damit festzuhalten, dass die begriffsjuristische Unterscheidung zwischen gesellschaftsrechtliche Regelungsanliegen verfolgenden Vorschriften und dem allgemeinen Verkehrsrecht ebenso wenig wie die Keck-Kriterien bei der Warenverkehrsfreiheit in der Lage ist, handhabbare Parameter zur Begrenzung des Beschränkungsbegriffs der Niederlassungsfreiheit zur Verfügung zu stellen. 3. Das Kriterium des Marktzugangs Anstatt sich auf die in der Keck-Rechtsprechung herausgearbeiteten Begriffskategorien zu fokussieren, erscheint es daher erfolgversprechender, bei der Suche nach einer Möglichkeit, den ausufernden Anwendungsbereich des Beschränkungsverbots der Niederlassungsfreiheit einzuschränken, auf die ratio der Keck-Entscheidung abzustellen. In den Mittelpunkt der Untersuchung ist daher nicht die Frage zu stellen, ob sich die Keck-Formel als solche sinnfällig auf die Niederlassungsfreiheit übertragen lässt. Es geht vielmehr darum, ob sich die Erwägungen, von denen sich der EuGH bei der Etablierung der Keck’schen Begriffskategorien hat leiten lassen, auch im Rahmen der Niederlassungsfreiheit herangezogen werden können.592 589 GA Maduro, Schlussanträge vom 30. 3. 2006 – Rs. C-158/04 (Alfa Vita Vassilopoulos), Slg. 2006, I-8135 Rn. 31. 590 GA Maduro, Schlussanträge vom 30. 3. 2006 – Rs. C-158/04 (Alfa Vita Vassilopoulos), Slg. 2006, I-8135 Rn. 32. 591 GA Maduro, Schlussanträge vom 30. 3. 2006 – Rs. C-158/04 (Alfa Vita Vassilopoulos), Slg. 2006, I-8135 Rn. 33. 592 So auch Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 302; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 124; siehe auch Forsthoff,

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Als der Keck-Formel zugrunde liegender Leitgedanke wird ganz überwiegend die Begrenzung des Beschränkungsbegriffs auf Vorschriften gesehen, die den Zugang zum Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindern.593 Er klingt bereits in der Keck-Entscheidung des EuGH an, wenn die Ausnahme der Verkaufsmodalitäten vom Beschränkungsverbot des Art. 34 AEUV mit der Feststellung begründet wird, dass solche Vorschriften nicht geeignet seien, den Marktzugang für ausländische Produkte zu versperren oder stärker zu behindern als für inländische.594 Seinen Ausgang nimmt dieser Gedanke bei dem bereits dargelegten Verständnis der Grundfreiheiten als Marktzugangsrechte, die eine effiziente Allokation von Ressourcen innerhalb der Union zu erreichen und fördern suchen, ohne zugleich eine umfassende Handlungsfreiheit für die Marktteilnehmer zu gewähren.595 Dieser Funktion folgend stehen sie Maßnahmen der Mitgliedstaaten entgegen, die dem Ziel des gemeinsamen Binnenmarkts zuwiderlaufen, Hindernisse für den grenzüberschreitenden Verkehr abzubauen.596 Das in den Grundfreiheiten enthaltene Beschränkungsverbot sichert daher den freien grenzüberschreitenden Zugang zu den mitgliedstaatlichen Märkten, dient auf der anderen Seite aber nicht dem Abbau von Beschränkungen, die sich nach erfolgtem Zugang auf diesen Märkten ergeben.597 Konfliktpotential mit den Grundfreiheiten bergen somit in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 217, demzufolge die Abgrenzung anhand von Begriffen wenig vielversprechend seien. 593 GA Bot, Schlussanträge vom 8. 7. 2008 – Rs. C-110/05 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-519 Rn. 83; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 82 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 220 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 51 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 925 ff.; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 Rn. 44; Brigola, EuZW 2012, 248, 252 ff.; Teichmann, ZGR 2011, 639, 649 ff.; W.-H. Roth, GS Knobbe-Keuk, S. 729, 737 ff.; ders., CMLRev. 1994, S. 845, 853 f.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 13 ff., 16; ders., RabelsZ 70 (2006), 474, 479; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 183; wohl auch Tiedje/Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 43 EG Rn. 102; ebenso auf den Marktzugang abstellend Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112 f.; Habersack/Verse, EuGesR, § 3 Rn. 7; Thole, Gläubigerschutz, S. 885 ff.; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 439 ff.; Leible, ZGR 2004, 531, 541 f.; Ungan, ZVglRWiss 104 (2005), 355, 364; Weller, DStR 2003, 1800, 1803; Streinz, Europarecht, Rn. 818, 881 ff.; Becker, EuR 1994, 172 ff.; Matthies, FS Everling, S. 803, 809 f.; Heermann, WRP 1999, 381, 384. 594 EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993 – Rs. C-267/91 und 268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6131 Rn. 17 (Herv. d. Verf.). 595 Siehe oben § 1; sowie Teichmann, ZGR 2011, 639, 646 ff.; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 18; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 5, 59; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 Rn. 44; Forsthoff, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 221; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 159 ff. 596 Siehe Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 Rn. 41; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 65. 597 Teichmann, BB 2012, 13, 19; ders., ZGR 2011, 639, 646 ff., insb. 653 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 65; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 49 Rn. 58 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 220 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2423 ff., 2429 f.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

marktsegmentierende Vorschriften, also solche, die den Marktzugang verhindern oder erschweren. Die Regulierung des Marktgeschehens nach erfolgtem Marktzugang zeitigt hingegen grundsätzlich keine Grundfreiheitenrelevanz. Vor diesem Hintergrund bildet die Sicherung des Marktzugangs, wie der EuGH in der Rechtssache Morellato bestätigt,598 die dogmatische Grundlage für die KeckEntscheidung.599 Der Entscheidung lag der Gedanke zugrunde, dass produktbezogene Vorschriften typischerweise den Marktzugang für die durch sie betroffenen Erzeugnisse behindern, während bloße Verkaufsmodalitäten den Zugang zum Markt im Grundsatz unberührt lassen.600 Die Unterscheidung zwischen produkt- und vertriebsbezogenen Vorschriften lässt sich daher als eine durch den EuGH vertypte, wenngleich nicht durchweg überzeugende Einteilung in marktsegmentierende und marktregulierende Normen begreifen, die dem Versuch geschuldet ist, den transnationalen Charakter der Grundfreiheit zu profilieren.601 In der Folgezeit hat das Marktzugangskriterium, nicht zuletzt aufgrund der Schwächen der Keck-Formel und entsprechender Aufforderungen mehrere Generalanwälte,602 an Gewicht beim EuGH gewonnen und steht nunmehr bei der Prüfung einer Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit zunehmend im Mittelpunkt.603

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EuGH, Urteil vom 18. 9. 2003 – Rs. C-416/00 (Morellato), Slg. 2003, I-9343 Rn. 31. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 Rn. 54; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 299, 302; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 82 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 220 ff.; ähnlich Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 55; Teichmann, ZGR 2011, 639, 654 ff. 600 Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 86. 601 Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 124. 602 Für das Abstellen auf den Marktzugang als maßgebliches Merkmal für die Prüfung einer Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit etwa GA Bot, Schlussanträge vom 8. 7. 2008 – Rs. C-110/05 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-519 Rn. 83; GA Maduro, Schlussanträge vom 30. 3. 2006 – Rs. C-158/04 (Alfa Vita Vassilopoulos), Slg. 2006, I-8135 Rn. 24 ff., 45; GA Fenelly, Schlussanträge vom 16. 6. 1998 – Rs. C-67/97 (Bluhme), Slg. 1998, I-8033 Rn. 20; hierzu auch Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 53b; Brigola, EuZW 2012, 248 ff. 603 EuGH, Urteil vom 4. 6. 2009 – Rs. C-142/05 (Mickelsson), Slg. 2009, I-4273 Rn. 24; EuGH, Urteil vom 10. 2. 2009 – C-110/05 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-519 Rn. 36; EuGH, Urteil vom 18. 9. 2003 – Rs. C-416/00 (Morellato), Slg. 2003, I-9343 Rn. 31 ff.; EuGH, Urteil vom 20. 6. 1996 – Rs. C-418/93 u. a. (Semeraro), Slg. 1996, I-2975 Rn. 13; siehe zum Ganzen auch Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 83; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 58; Brigola, EuZW 2012, 248 ff. 599

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a) Übertragbarkeit auf die Niederlassungsfreiheit Gerade in der jüngeren Rechtsprechung zeigt sich, dass der EuGH auch im Rahmen der Art. 49, 54 AEUV dem Marktzugang besondere Bedeutung beimisst.604 So stellt er fest, dass „der Begriff der Beschränkung die von einem Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen [umfasst], die, obwohl sie unterschiedslos anwendbar sind, den Marktzugang von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten betreffen und somit den innergemeinschaftlichen Handel behindern.“605

In der Literatur wird eine Begrenzung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit anhand des Marktzugangskriteriums ebenfalls weitgehend befürwortet.606 Für das Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sei entscheidend, ob die in Rede stehende mitgliedstaatliche Vorschrift spezifisch den Marktzugang eines Niederlassungswilligen berühre.607 604

EuGH, Urteil vom 29. 3. 2011 – Rs. C-565/08 (Kommission/Italien), Slg. 2011, I-2101 Rn. 46; EuGH, Urteil vom 24. 3. 2011 – Rs. C-400/08 (Kommission/Spanien), Slg. 2011, I-1915 Rn. 63 f.; EuGH, Urteil vom 21. 10. 2010 – Rs. C-81/09 (Idryma Typou), Slg. 2010, I-1016 Rn. 56 ff.; EuGH, Urteil vom 11. 11. 2010 – Rs. C-543/08 (Kommission/Portugal), Slg. 2010, I-11241 Rn. 68; EuGH, Urteil vom 10. 2. 2009 – C-110/05 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-519 Rn. 36; EuGH, Urteil vom 28. 4. 2009 – C-518/06 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-3491 Rn. 65. 605 EuGH, Urteil vom 28. 4. 2009 – C-518/06 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-3491 Rn. 65; ähnlich EuGH, Urteil vom 29. 3. 2011 – Rs. C-565/08 (Kommission/Italien), Slg. 2011, I-2101 Rn. 46. 606 Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 83; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 58 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 220 ff.; ders., in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 38 ff.; Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 86; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2423 ff.; Classen, EuR 2009, 555 ff.; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 391; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 13 ff., 16; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B Rn. 9; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 98 ff.; Habersack/Verse, EuGesR, § 3 Rn. 6 ff.; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 183; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 310; Knop, Gesellschaftsstatut und Niederlassungsfreiheit, S. 136; Schall, FS Meilicke, S. 651, 656 f.; Teichmann, BB 2012, 13, 19; ders., ZGR 2011, 639, 646 ff.; ders., DB 2012, 2085 f.; ders., FS Hommelhoff, 1213, 1225; Willemer/Ringe, NZG 2010, 56, 57; Balthasar, RIW 2009, 221, 225 ff.; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112 f.; Thole, Gläubigerschutz, S. 885 ff.; Epiney, NVwZ 2010, 1065 ff.; Everling, GS Knobbe-Keuk, S. 607, 618 ff.; W.-H. Roth, GS Knobbe-Keuk, S. 729, 739 ff.; Leible, ZGR 2004, 531, 541 f.; Ungan, ZVglRWiss 104 (2005), 355, 364; Weller, DStR 2003, 1800, 1803; wohl auch Tiedje/Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 43 EG Rn. 102; a.A. Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 55, der eine Einschränkung anhand des Marktzugangskriteriums ablehnt und alle mitgliedstaatlichen Vorschriften am Beschränkungsverbot messen will; dezidiert anders wiederum Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 134, die auch Marktzugangsregeln aus dem Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit herausnehmen wollen und damit letztlich das Beschränkungsverbot als solches in Frage stellen. 607 Statt vieler Teichmann, ZGR 2011, 639, 654 ff.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 16; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

In der Tat spricht vieles dafür, auch im Rahmen der Niederlassungsfreiheit auf die Beschränkung des Marktzugangs abzustellen. Denn zum einen stellt sich das Marktzugangskriterium anders als die Keck-Formel nicht als bloßes aus den spezifischen Erfahrungen des EuGH im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit geschöpftes Abgrenzungsmerkmal dar. Es lässt sich vielmehr unmittelbar aus der allen Grundfreiheiten innewohnenden Funktion als Marktzugangsrechte ableiten und ist daher von seinem Anwendungsbereich her nicht per se auf eine spezielle Grundfreiheit beschränkt.608 Zum anderen ist das Marktzugangskriterium aber auch geeignet, die Niederlassungsfreiheit auf ihren teleologischen Kerngehalt als den Binnenmarkt fördernde Marktzugangsfreiheit zurückzuführen. Ebenso wie die Warenverkehrsfreiheit beinhaltet auch die Niederlassungsfreiheit kein allgemeines Freiheitsrecht; sie wird in ihrer Struktur vom Fortbestand unterschiedlicher Rechtsordnungen im Binnenmarkt geprägt und zielt daher nicht auf eine vollumfängliche Überprüfung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen.609 Wie bereits eingehend dargelegt, soll sie zum Zwecke einer effizienten Allokation von Ressourcen im Binnenmarkt die Faktormobilität garantieren.610 Dafür ist erforderlich, den Marktteilnehmern durch das Beschränkungsverbot einen gleichberechtigten, freien Zugang zu den Märkten zu gewährleisten. Ihnen soll aber nicht die Möglichkeit an die Hand geben werden, die nach der Niederlassung vorgefundenen Standortbedingungen gegenüber anderen Marktteilnehmern zu modifizieren.611 Ist nämlich der Marktzugang einmal eröffnet, kommt es aus Sicht der Niederlassungsfreiheit nur noch darauf an, gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen den Marktteilnehmern sicherzustellen.612 Dieses Ziel würde konterkariert, könnten die ausländischen Marktteilnehmer mittels der Art. 49, 54 AEUV eine Privilegierung

AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 221; ders., in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 39 ff.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 62. 608 GA Bot, Schlussanträge vom 8. 7. 2008 – Rs. C-110/05 (Kommission/Italien), Slg. 2009, I-519 Rn. 83. 609 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 209; Barthel, Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften, S. 313; Teichmann, ZGR 2011, 639, 653 f.; Habersack/Verse, EuGesR, § 3 Rn. 7; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 16; Thole, Gläubigerschutz, S. 887. 610 Siehe oben 1. Teil § 1 II. 611 W.-H. Roth, GS Knobbe-Keuk, S. 729, 737 f.; Nettesheim, NVwZ 1996, 342, 344; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 112; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 60 f.; Kainer, ZHR 168 (2004), 542, 555 f.; Streinz, Europarecht, Rn. 815; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 38; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 16; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 202. 612 Ähnlich Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2428; Thole Gläubigerschutz, S. 886 f.; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 123 f.

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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durch Freistellung von als lästig empfundenen marktregulierenden Vorschriften des Aufnahmestaats erreichen.613 Eine zusätzliche Betonung erfährt dieser Gedanke durch Art. 49 Abs. 2 AEUV, der den sich Niederlassenden explizit auf die Beachtung der im Aufnahmestaat geltenden Regeln verpflichtet und damit bereits eine Reduzierung des Gewährleistungsgehalts der Niederlassungsfreiheit nach erfolgtem Marktzugang auf ein Diskriminierungsverbot andeutet.614 Zwar wird man hinsichtlich des Wortlauts dieser Vorschrift die Genese der Grundfreiheit als ursprünglich reines Diskriminierungsverbot berücksichtigen müssen, so dass sich – wie dargelegt615 – allein aus dem Textbefund keine originäre Begrenzung des Beschränkungsverbots ableiten lässt.616 Jedoch verdeutlicht Art. 49 Abs. 2 AEUV, dass der Niederlassungsfreiheit neben der Garantie einer freien Standortwahl im Binnenmarkt auch ein Element der Eingliederung in die Rechtsordnung des Aufnahmestaats eigen ist.617 Eine Niederlassung ist stets auch eine freiwillige Entscheidung für eine dauerhafte, wirtschaftliche Integration in die Gesellschaft und Wirtschaft des Aufnahmestaats.618 Hauptanliegen der Niederlassungsfreiheit ist es, einen freien Zugang zu den Märkten im Binnenmarkt zu gewährleisten. Nichtdiskriminierende Einschränkungen nach erfolgtem Marktzutritt weisen daher ein deutlich geringeres Konfliktpotential auf.619 Allerdings ist nicht zu verkennen, dass auch der Begriff des Marktzugangs als solcher keine trennscharfe Unterteilung zulässt.620 Ob eine Norm den Zugang zum Markt des Destinationsstaats erschwert, hängt nämlich ganz wesentlich von dem Verständnis des Marktzugangsbegriffs ab. Je weiter dieses gefasst ist, desto mehr Vorschriften fallen unter den Beschränkungsbegriff der Art. 49, 54 AEUV. Unproblematisch können sicher solche Vorschriften als Beschränkung der Niederlas613 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 210; ders., in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 38; siehe auch Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 88. 614 Ähnlich Teichmann, ZGR 2011, 639, 673; Thole, Gläubigerschutz, S. 886 f. 615 Siehe oben 2. Teil § 5 II. 616 So auch Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 59; Willemer/Ringe, NZG 2010, 56 zurückhaltender Thole, Gläubigerschutz, S. 886. 617 Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 31; Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 54; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2427; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 38; Müller-Graff, in: Streinz: EUV/ AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 60; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 209 ff. 618 EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006 – Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I-7995 Rn. 53 f.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 210; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 16; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 202. 619 Thole, Gläubigerschutz, S. 886; Teichmann, ZGR 2011, 639, 672 f. 620 Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, S. 427; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/ AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 225 ff.; Knop, Gesellschaftsstatut und Niederlassungsfreiheit, S. 136; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 58 Fn. 214.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

sungsfreiheit identifiziert werden, die final auf die Negierung des Zugangs oder der anschließenden Tätigkeitsausübung gerichtet sind oder diese zumindest faktisch bewirken. Hierzu lassen sich beispielsweise das in der Doc Morris-Entscheidung streitgegenständliche Fremd- und Mehrbesitzverbot des deutschen Gesetzes über das Apothekenwesen621 oder die österreichischen Vorschriften zählen, die die Ansiedlung von Krankenanstalten einem regionalen Bedarfsvorbehalt unterstellten.622 Ebenso fallen nach Überseering solche Vorschriften darunter, die einer Gesellschaft einer ausländischen Rechtsform den Marktzugang als eben solcher verwehren. Darüber hinaus fällt es aber schwer, dem Marktzugangskriterium stets präzise Konturen zu verleihen, da nahezu jede Maßnahme des Aufnahmestaats, wie etwa rigide steuerrechtliche Vorschriften, einen irgendwie gearteten Einfluss (chilling effect) auf die Attraktivität des Zugangs haben könnten.623 Auch Vorschriften, die primär nur darauf abzielen, den betreffenden Markt des Aufnahmestaats zu regulieren, könnten in Ausnahmefällen eine abschreckende Wirkung entfalten und somit letztlich doch auf den Marktzugang ausstrahlen. Daher bietet auch das Marktzugangskriterium in Grenzfällen nicht immer eine eindeutige Zuordnung mitgliedstaatlicher Vorschriften. Anders als die Keck-Formel ermöglicht es aber aufgrund seiner dogmatischen Verankerung eine Konkretisierung im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung des mit den Grundfreiheiten verfolgten Zwecks.624 Im Ergebnis ist daher eine Übertragung des Marktzugangskriteriums auf die Niederlassungsfreiheit im Grundsatz zu befürworten. Ob darin eine Übertragung der Keck-Rechtsprechung oder die Entwicklung eines eigenständigen, aus dem Telos der Grundfreiheiten gewonnenen Abgrenzungsmerkmals zu sehen ist, kann letztlich dahinstehen.625 Bei der Prüfung einer Beschränkung ist jedenfalls auch bei der Niederlassungsfreiheit darauf abzustellen, ob eine mitgliedstaatliche Maßnahme den Marktzugang behindert oder erschwert.626 b) Bedeutung für das Gesellschaftsrecht Mit der Übertragung des Marktzugangskriteriums auf die Niederlassungsfreiheit ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, ob sich den Mitgliedstaaten mit Hilfe dieses Kriteriums ein Spielraum eröffnet, nationale gesellschaftsrechtliche Rege-

621 Siehe EuGH, Urteil vom 19. 5. 2009 – Rs. C-171/07 (Apothekerkammer des Saarlands u. a./Saarland), Slg. 2009, I-4171. 622 EuGH, Urteil vom 10. 3. 2009 – Rs. C-169/07 (Hartlauer), Slg. 2009, I-1721. 623 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 226. 624 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 222, 225 ff. 625 Zum Verhältnis von Marktzugangskriterium und Keck-Rechtsprechung siehe Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 51 ff.; siehe auch Brigola, EuZW 2012, 248 ff. 626 Thole, Gläubigerschutz, S. 887; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 39.

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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lungsanliegen auch auf EU-ausländische Gesellschaften zu erstrecken, ohne zugleich deren Niederlassungsfreiheit zu beschränken. Dem Marktzugangskriterium kann mit Blick auf das mitgliedstaatliche Gesellschaftsrecht nur dann Bedeutung zukommen, wenn sich die gesellschaftsrechtliche Regelungsanliegen verfolgenden Vorschriften anhand dieses Kriteriums weiter unterteilen und sich solche Vorschriften identifizieren lassen, die zwar gesellschaftsrechtliche bzw. korporative Regelungsanliegen627 verfolgen, sich zugleich aber als lediglich marktregulierende, nicht den Marktzugang betreffende Maßnahmen des Aufnahmestaats darstellen.628 Nur diese könnten anhand des Marktzugangskriteriums dem Anwendungsbereich des Beschränkungsverbots entzogen werden. Erweist sich hingegen jede korporative Regelungsanliegen verfolgende Maßnahme als Beschränkung des Marktzugangs, so bildet das Marktzugangskriterium zwar weiterhin einen tauglichen Filter für das in Art. 49 AEUV verankerte Beschränkungsverbot, bliebe für den Bereich des Gesellschaftsrechts jedoch ohne Bedeutung. aa) Temporales Verständnis des Marktzugangs Eine in der Literatur629 und der instanzgerichtlichen Rechtsprechung630 vertretene Auffassung, nach der einige gesellschaftsrechtliche Anliegen verfolgende Vorschriften tatsächlich mit Hilfe des Marktzugangskriteriums aus dem Anwendungsbereich des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV ausgegrenzt werden können, beruht auf einem temporalen Verständnis des Marktzugangs.631 Nach dieser Auffassung stellen mitgliedstaatliche Maßnahmen nur dann ein für das Beschränkungsverbot der Art. 49, 54 AEUV relevantes Marktzugangshindernis dar, wenn sie anlässlich des Grenzübertritts eine behindernde Wirkung auf ausländische Gesellschaften entfalten, indem sie bereits im Zeitpunkt des Marktzugangs beispielsweise Änderungen der Satzung oder der Finanzverfassung erzwingen.632 Später, nach erfolgtem Marktzutritt eingreifende Vorschriften des Zuzugsstaats seien 627

Verstanden als gesellschaftsrechtliche Vorschriften im untechnischen Sinne; also Vorschriften, die an das Subjekt „Gesellschaft“ anknüpfen, unabhängig von deren kollisionsrechtlicher Qualifikation. 628 Ähnlich auch Thole, Gläubigerschutz, S. 888 f. 629 Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 496; ders., in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9 Rn. 29 ff.; ders.; NJW 2005, 1618, 1621; Teichmann, ZGR 2011, 639, 672 ff.; ders., BB 2012, 14, 19 f.; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 391, 440, 441; Bitter, Jb.J.ZivRWiss 2004, S. 299, 316 ff.; Leutner/Langner, GmbHR 2006, 713, 714; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; ähnlich Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 151; ferner auch Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit, S. 205 ff., der Marktrückzugsregeln zwar einen möglichen Beschränkungscharakter zuschreibt, sie aber jedenfalls geringeren Rechtfertigungserfordernissen unterstellen will. 630 KG NZG 2010, 71 f. 631 Alternativ könnte man auch von einem Verständnis sprechen, das zwischen unmittelbarem und mittelbarem Marktzugang unterscheidet. 632 Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 391.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

hingegen als reine Tätigkeitsausübungsregeln oder bloße Marktrückzugsregeln anzusehen, die den Marktzugang als solchen nicht behindern.633 Sie knüpften vielmehr an das tatsächliche und rechtliche Handeln der Gesellschaft und ihrer Organe nach erfolgtem Marktzugang an und unterfielen daher nicht dem strengen Beschränkungsverbot.634 Dies gelte unabhängig davon, welchem Rechtsgebiet die betreffenden mitgliedstaatlichen Vorschriften zugewiesen seien.635 Vor diesem Hintergrund seien insbesondere mitgliedstaatliche Vorschriften, die in Insolvenznähe Platz greifen und daher regelmäßig erst lange Zeit nach erfolgtem Marktzugang und nach Integration der Auslandsgesellschaft in die Volkswirtschaft des Destinationsstaats zum Tragen kommen, mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar.636 Gläubigerschützende Instrumente, wie etwa die Insolvenzverschleppungs- oder die Existenzvernichtungshaftung, könnten daher auf Auslandsgesellschaften erstreckt werden, ohne dass deren Anwendung einer europarechtlichen Rechtfertigung bedürfte.637 Beide Haftungstatbestände seien tätigkeitsbezogene Beschränkungen, die nicht den Marktzugang erschwerten, sondern lediglich an individuelles Fehlverhalten nach Marktzugang anknüpften und den geordneten Marktaustritt einer Gesellschaft diskriminierungsfrei sicherstellten.638 Als Begründung für diesen Ansatz wird oftmals auf Art. 49 Abs. 2 AEUV verwiesen: Indem diese Vorschrift eine Auslandsgesellschaft zur Einhaltung der auf dem Markt des Aufnahmestaats geltenden Vorschriften verpflichtet, zeige sie, dass die Niederlassungsfreiheit nach erfolgtem Marktzutritt nur noch einen begrenzten Schutzbereich aufweise und sich auf ein Diskriminierungsverbot reduziere.639 633 Bitter, Jb.J.ZivRWiss 2004, S. 299, 316 ff.; Teichmann, ZGR 2011, 639, 673; ders., BB 2012, 14, 19 f.; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 391, 440, 441; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 31. 634 KG NZG 2010, 71, 72 f.; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 440. 635 Teichmann, ZGR 2011, 639, 673. 636 Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 496; Teichmann, ZGR 2011, 639, 673; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 31; ebenso mit Blick auf die Insolvenzverschleppungshaftung Habersack/Verse, EuGesR, § 3 Rn. 29; Weller, FS Blaurock, S. 497, 507 f. 637 KG NZG 2010, 71, 72; Teichmann, ZGR 2011, 639, 673; Thole, Gläubigerschutz, S. 896 ff.; Eidenmüller, NJW 2005, 1618, 1621; ders., in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9 Rn. 29 ff.; Weller, FS Blaurock, S. 497, 507 f.; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; Huber, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 307, 348; mit Blick auf die Insolvenzverschleppungshaftung auch Habersack/Verse, EuGesR, § 3 Rn. 29; Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 31; ferner Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 440, der den gesamten Gläubigerschutz als Tätigkeitsausübungsregeln aus dem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit herausnehmen will. 638 Eidenmüller, NJW 2005, 1618, 1621; ders., in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 9 Rn. 29 ff., 33; ähnlich auch Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rn. 31. 639 Teichmann, ZGR 2011, 639, 673; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 440; Ego, Europäische Niederlassungsfreiheit, S. 188 ff.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 134, die jedoch auch Marktzugangsregelungen vom Beschränkungsverbot ausnehmen; zurückhaltender Thole, Gläubigerschutz, S. 886.

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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Maßnahmen des Aufnahmemitgliedstaats nach Marktzutritt seien daher nur zu beanstanden, wenn sie nicht inländische wie ausländische Gesellschaften gleichermaßen beträfen. Konsequenz eines solchen temporalen Verständnisses des Marktzugangs wäre, dass dem Zeitpunkt einer durch mitgliedstaatliche Vorschriften veranlassten negativen Rechtsfolge entscheidende Bedeutung bei der Grundfreiheitenprüfung zukäme. Das Beschränkungsverbot der Art. 49, 54 AEUV erfasste danach nur solche Vorschriften, die bereits im Zeitpunkt des Markeintritts für die Gesellschaft nachteilige Auswirkungen zeitigen – sei es, dass bereits mit Grenzübertritt strukturelle Anpassungen, wie etwa das Aufbringen eines Mindestkapitals oder die Änderung der Organstruktur, erforderlich werden, oder sei es, dass zu diesem Zeitpunkt Genehmigungsvorbehalte in Ansatz gebracht werden. Später zur Anwendung gelangende Vorschriften des Zuzugsstaats, die im Zeitpunkt des Marktzugangs noch keine negative Rechtsfolge auslösen, wären hingegen als Tätigkeitsausübungs- oder Marktrückzugsregeln vom strengen Beschränkungsverbot suspendiert. Allein deren latente Anwendbarkeit reichte diesem Verständnis zufolge nicht aus, um eine Behinderung des Marktzugangs zu bewirken. Auf den ersten Blick entbehrt dieser Ansatz nicht eines gewissen Charmes. Er erreicht eine Begrenzung des weiten Beschränkungsverbots der Niederlassungsfreiheit und bietet zudem mit einem temporal verstandenen Marktzugang ein handhabbares Abgrenzungskriterium. Soweit nämlich allein der Zeitpunkt einer negativen Rechtsfolge für das Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit maßgeblich ist, lässt sich das Konfliktpotential mitgliedstaatlicher Maßnahmen mit hoher Sicherheit bestimmen und der Anwendungsbereich des Beschränkungsverbots daher gut skizzieren. Zudem scheint die dem Ansatz zugrunde liegende Unterscheidung zwischen unmittelbar die Struktur einer Gesellschaft betreffenden Vorschriften und später eingreifenden Tätigkeitsausübungsregeln auch in der Centros-Entscheidung anzuklingen, wenn der EuGH zwischen den Vorschriften über die Errichtung einer Gesellschaft und jenen über die Ausübung bestimmter Tätigkeiten unterscheidet.640 Bei näherer Betrachtung verbleiben jedoch Zweifel daran, den Marktzugang mit dem temporalen Moment des Grenzübertritts gleichzusetzen. Gegen ein so verstandenes Marktzugangskriterium spricht zunächst, dass die damit gewonnene Unterscheidung zwischen den Marktzugang behindernden Vorschriften und bloßen Tätigkeitsausübungsregeln nicht durchweg überzeugend ist und bisweilen eher zufällig wirkt. Soweit nämlich bei der Unterteilung allein darauf abgestellt wird, zu welchem Zeitpunkt eine mitgliedstaatliche Vorschrift tatbestandlich eingreift, wird 640

EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 26; in diesem Sinne Thole, Gläubigerschutz, S. 886. Die Aussagen des EuGH erfolgen allerdings nicht auf Schutzbereichsebene sondern im Rahmen der Rechtfertigung bei der Prüfung des Missbrauchseinwands, so dass sie sich nicht unbedingt für eine Begrenzung des Schutzbereichs heranziehen lassen.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

nicht hinreichend berücksichtigt, dass für die Attraktivität des Marktzugangs nicht nur der Zeitpunkt des unmittelbaren Grenzübertritts ausschlaggebend ist. Auch Vorschriften, die erst nach erfolgtem Marktzugang Anwendung finden, können eine abschreckende Wirkung auf potentiell niederlassungswillige Gesellschaften oder Personen entfalten und so bereits auf den Marktzugang ausstrahlen.641 Dies kommt beispielsweise bei Vorschriften zur Haftung in Insolvenznähe in Betracht. Der Frage, wann und unter Androhung welcher Sanktionen die werbende Tätigkeit einer Gesellschaft im Aufnahmestaat gegebenenfalls wieder einzustellen ist, kommt nämlich bereits bei der Entscheidung elementare Bedeutung zu, ob der Zugang zum betreffenden Markt von der ausländischen Gesellschaft überhaupt gesucht wird.642 Sind die betreffenden Vorschriften des Aufnahmestaats strenger als die des Herkunftsstaats, könnten erstere durchaus in der Lage sein, bereits den Marktzugang weniger attraktiv erscheinen zu lassen. Gleiches gilt mutatis mutandis für andere Haftungsnormen, denen sich die Gesellschaft und ihre Organe nach Grenzübertritt gegenübersehen.643 Sie stellen ebenfalls wesentliche Parameter für die generelle Entscheidung über ein Engagement oder Investment in einem Mitgliedstaat dar. Zudem erschöpft sich die Wirkung solcher haftungsbegründender Normen nicht allein in der Anordnung einer Schadensersatzpflicht. Sie entfalten vielmehr auch eine weit vorher einsetzende verhaltenslenkende Wirkung, indem sie das an den Normadressaten gerichtete Gebot effektuieren, Maßnahmen zu ergreifen, um den durch die Haftung sanktionierten Schadenseintritt zu verhindern. So hält beispielsweise § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB zugleich dazu an, die finanzielle Situation der Gesellschaft und die prognostische Geschäftsentwicklung mit Aufnahme der werbenden Tätigkeit stetig zu überprüfen, gegebenenfalls Maßnahmen einzuleiten, um einer drohenden Insolvenz zu begegnen, und notfalls rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen.644 Diese Wirkung der Norm trifft den sich Niederlassenden somit nicht lediglich im Falle des Marktrückzugs, sondern bereits mit Markteintritt. Vor diesem Hintergrund erscheint es zweifelhaft, Haftungstatbestände wie die Insolvenzverschleppungshaftung allein deshalb aus dem Anwendungsbereich des Beschränkungsverbots herauszunehmen, weil sie (tatbestandsmäßig) erst nach er-

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Siehe etwa EuGH, Urteil vom 21. 10. 2010 – Rs. C-81/09 (Idryma Typou), Slg. 2010, I-1016 Rn. 56 ff.; der in einer Vorschrift des griechischen Presserechts, die für bestimmte, an Handlungen im Aufnahmestaat anknüpfende Fälle eine gesamtschuldnerische Haftung der Aktionäre vorsieht, eine abschreckende, den Marktzugang behindernde Wirkung erblickt; ferner Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1046; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112; ähnlich auch Schall, FS Meilicke, S. 651, 656; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 Rn. 46. 642 Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112; ähnlich auch Müller-Graff, EWS 2009, 489, 497; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 188 f. 643 Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1047. 644 So Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112; siehe ferner Schmidt, ZHR 168 (2004), 493, 498.

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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folgtem Marktzugang zur Anwendung kommen.645 Mit Blick auf das hier interessierende Gesellschaftsrecht kommt als weiteres Argument gegen ein rein zeitliches Verständnis des Marktzugangskriteriums der innere Zusammenhang gesellschaftsrechtlicher Schutzsysteme hinzu.646 Wie bereits ausgeführt,647 wird der Minderheiten- und Gläubigerschutz im Gesellschaftsrecht durch eine Vielzahl von Vorschriften gewährleistet, die nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern aufeinander abgestimmt sind. In ihrer Gesamtheit stellen sie ein System kommunizierender Röhren dar, innerhalb dessen Zurückhaltung an der einen Stelle durch Rigidität an der anderen ausgeglichen wird.648 Es bedarf daher der Anwendung des vollständigen Systems, um die mit ihm verfolgten Ziele zu erreichen.649 Ein auf einer zeitlichen Komponente basierendes Marktzugangskriterium führte jedoch dazu, dass das austarierte System auseinandergerissen und der damit verfolgte Schutz korrumpiert würde. Vorschriften zur Kapitalaufbringung etwa, die bereits bei Grenzübertritt Geltung beanspruchen, bliebe die Anwendung verwehrt, während die mit diesen in Verbindung stehenden, nachgelagerten Kapitalerhaltungsregeln von einer Grundfreiheitenprüfung freigestellt wären. Zu Recht wird mit Blick auf eine rein zeitliche Klassifizierung mitgliedstaatlicher Regelungen auch darauf hingewiesen, dass es nicht überzeugend sei, wenn beispielsweise eine obligatorische Gründungsprüfung sich am Beschränkungsverbot messen lassen müsste, eine funktionsäquivalente nachlaufende Prüfungspflicht im Rahmen des Jahresabschlusses hingegen nicht.650 In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die unterschiedlichen Gesellschaftsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten die dem Gesellschaftsrecht zuzuschlagenden Regelungsanliegen auf unterschiedliche Weise verfolgen.651 Während das kontinentaleuropäische Leitbild des Gläubigerschutzes – zumindest bisher – weitestgehend durch das Konzept eines Mindestkapitals und einer strengen Gründungskontrolle geprägt war, setzt das angelsächsische System demgegenüber den 645 So auch Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 Rn. 46; Schall, FS Meilicke, S. 651, 656; Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1047 f. 646 Schall, FS Meilicke, S. 651, 656; Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006), 474, 485 f. 647 Siehe oben 1. Teil § 3 I.1. 648 Dazu bereits Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 14; siehe auch Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 107 f.; Eidenmüller/Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4 Rn. 37; insoweit auch Teichmann, ZGR 2011, 639, 682. 649 Schall, FS Meilicke, S. 651, 656; Eidenmüller/Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4 Rn. 37; Weller, DStR 2003, 1800, 1803; H. P. Westermann, in: Scholz, GmbHG, Einl. Rn. 86 ff.; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 14; Forsthoff, in: Hirte/ Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 43; ders., in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 Rn. 46; Bicker, Gläubigerschutz in der Konzerngesellschaft, S. 46; Ulmer/Behrens, GmbHG, Einl. B. Rn. 59; siehe auch Ulmer, NJW 2004, 1201, 1206. 650 Schall, FS Meilicke, S. 651, 656. 651 Ein Überblick bieten etwa Hansmann/Kraakman, in: Kraakman/Davies/Hansmann u. a. (Hrsg.), The Anatomy of Corporate Law, S. 21 ff.; Hertig/Kanda, in: Kraakman/Davies/ Hansmann u. a. (Hrsg.), The Anatomy of Corporate Law, S. 71 ff.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

Fokus auf strenge nachlaufende Register- und Publizitätspflichten sowie Geschäftsleiterpflichten in Insolvenznähe.652 Ein rein zeitlich verstandenes Marktzugangskriterium gäbe implizit einem Gläubigerschutzkonzept mit nachlaufendem Schutz den Vorzug, da es nur den zeitlich vorgelagerten Schutz durch Mindestkapital und Gründungsprüfung dem Beschränkungsverbot der Art. 49, 54 AEUV unterstellte. Dass sich die Niederlassungsfreiheit hierzu verhalten will, erscheint angesichts des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung und der Gleichwertigkeit der nationalen Rechtsysteme, der eine der Grundlagen des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i.S.d. Art. 3 Abs. 2 EUV bildet,653 eher zweifelhaft. Aus Vorstehenden ergibt sich, dass auch Art. 49 Abs. 2 AEUV nicht als Argument für ein solches Verständnis herangezogen werden kann. Denn selbst wenn man in dieser Norm einen Beleg für die Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV auf Marktzugangshindernisse erblicken mag,654 erschöpft sich der daraus ableitbare Erkenntnisgewinn eben darin, dass den Marktzugang behindernde Maßnahmen die Niederlassungsfreiheit unzulässig beschränken. Die hier entscheidende Frage, welche Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats Auswirkungen auf den Marktzugang und somit Konfliktpotential haben, ist aber eine sich daran erst anschließende Frage, für die Art. 49 Abs. 2 AEUV keinerlei Hilfestellung bietet. Neben den dargelegten Bedenken sind es aber vor allem auch die Urteile des EuGH, die einem Marktzugangskriterium, das mitgliedstaatliche Regelungen allein anhand ihres zeitlichen Eingreifens bemisst, entgegenstehen. So ist bereits das in Überseering formulierte Postulat, nach dem Gesellschaften aufgrund der Niederlassungsfreiheit das Recht haben, sich als Gesellschaften ihres jeweiligen Gründungsrechts in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen,655 nur schwer mit einem zeitlichen Verständnis des Marktzugangs in Einklang zu bringen. Bei konsequenter Anwendung eines zeitlichen Marktzugangskriteriums fänden neben den bereits diskutierten Instrumenten der Insolvenzverschleppungs- und Existenzvernichtungshaftung sowie etwaigen Regelungen zur Kapitalerhaltung auch Vorschriften zur Innenhaftung, wie beispielsweise § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG, ohne weitere Prüfung auf zuziehende Auslandsgesellschaft Anwendung. Denn auch sie greifen nicht bereits im Zeitpunkt des Marktzugangs ein, sondern knüpfen an ein 652 Ausführlich hierzu Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 56 ff.; Hertig/Kanda, in: Kraakman/Davies/Hansmann u. a. (Hrsg.), The Anatomy of Corporate Law, S. 71 ff., 97 ff.; siehe auch Davies, in: Gower and Davies, Modern Company Law, S. 51; der betont, dass das englische Recht die fehlende Gründungskontrolle durch rigidere ex-post Mechanismen ausgleicht; darauf hinweisend auch Teichmann, ZGR 2011, 639, 682; ferner auch Hirte, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 1 Rn. 91 f.; Rickford, EBLR 2004, 919 ff.; Bachner, ZGR Sonderband: Das Kapital der AG in Europa, S. 526 ff. 653 Siehe etwa Erwägungsgründe 16 und 17 EuGVO; dazu auch Weller, FS Blaurock, S. 497, 503. 654 Dazu bereits oben bei Fn. 617; siehe auch Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 59. 655 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 83.

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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individuelles Fehlverhalten der Organmitglieder in der Tätigkeitsphase im Aufnahmestaat. Wenn aber selbst eine Gesellschaft so prägende Normen wie die Haftung ihrer Organe sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis vom Aufnahmestaat nicht beachtet werden müssen, sondern beliebig durch dessen eigene nationale Vorschriften ersetzt werden können, wäre die in Überseering statuierte Pflicht der Mitgliedstaaten, die ausländische Gesellschaft als eben solche ausländischen Rechts anzuerkennen,656 weitestgehend inhaltsleer.657 Noch deutlicher tritt dieser Widerspruch in der Inspire Art-Entscheidung zu Tage: Dort führte der EuGH aus, dass die Anwendung der niederländischen Bestimmungen „über das Mindestkapital (sowohl zum Zeitpunkt der Gründung als auch während des Bestehens der Gesellschaft) und über die Haftung der Geschäftsführer“658

eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der ausländischen Gesellschaft darstellt. In dieser Aussage zeigt sich, dass der Gerichtshof das Beschränkungsverbot der Art. 49, 53 AEUV weiter fasst und dessen Schutzbereich nicht allein mit dem Zeitpunkt des unmittelbaren Grenzübertritts gleichsetzt.659 Dementsprechend hat er auch in anderen Entscheidungen zur Niederlassungsfreiheit mitgliedstaatliche Normen als Beschränkungen der Art. 49, 54 AEUV angesehen, obwohl diese unterschiedslos anwendbar waren und lediglich die Tätigkeitsausübung nach erfolgtem Marktzugang regulierten.660 In der Rechtssache Idryma Typou ordneten die Luxemburger Richter beispielsweise bestimmte Vorschriften des griechischen Presserechts, nach denen Aktionäre von Rundfunkgesellschaften für bestimmte Verstöße während des Programmbetriebs gesamtschuldnerisch neben der Gesellschaft haften, als unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit ein.661 Unter Anwendung eines auf den Zeitpunkt des Grenzübertritts abzielenden Marktzugangskriteriums hätten diese Vorschriften jedoch als Tätigkeitsausübungsregeln erst gar nicht in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fallen können,662 knüpften sie doch ausdrücklich nur an Verstöße an, die erst im Rahmen der werbenden Tätigkeit erfol-

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EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 80. Ähnlich Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 96; Riegger, ZGR 2004, 510, 525; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 14; insoweit auch Habersack/ Verse, EuGesR, § 3 Rn. 8, 29, die jedoch die Anwendung der Insolvenzverschleppungshaftung für unbedenklich halten. 658 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 104. 659 Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 96; ferner Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 61; Tiedje/Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 43 EG Rn. 102 f. 660 Thole, Gläubigerschutz, S. 887 ff.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 61 mit weiteren Nachweisen. 661 EuGH, Urteil vom 21. 10. 2010 – Rs. C-81/09 (Idryma Typou), Slg. 2010, I-1016 Rn. 54; Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1047; Bayer/J. Schmidt, BB 2012, 3, 9 f.; Möslein, NZG 2011, 174, 175. 662 So etwa Teichmann, ZGR 2011, 639, 681. 657

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

gen.663 Im Urteil Pfeiffer war es das österreichische Verbot, eine bestimmte Geschäftsbezeichnung bei Verwechslungsgefahr anzunehmen, das nach Ansicht des EuGH eine – wenn auch gerechtfertigte – Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellte.664 Und auch die französischen Vorschriften, die es Kreditinstituten untersagten, bestimmte Sichteinlagen zu verzinsen, scheiterten in Caixa Bank am Beschränkungsverbot der Art. 49, 54 AEUV, obwohl sie lediglich rechtliche Grenzen für Tätigkeitsübung nach erfolgtem Marktzugang statuierten.665 Diese Urteile zeigen letztlich sehr deutlich, dass auch Vorschriften des Aufnahmestaats, die nicht unmittelbar bei Grenzübertritt Anwendung finden oder spezifisch den Marktzugang behindern, mit der Niederlassungsfreiheit konfligieren können.666 Mit diesem Befund steht zwar der Marktzugang nicht generell als Kriterium für eine an Sinn und Zweck orientierte Begrenzung des weiten Beschränkungsverbots der Niederlassungsfreiheit in Frage. Die eingangs dargelegten Gründe streiten nach wie vor für dessen Beachtlichkeit auch im Rahmen der Art. 49, 54 AEUV.667 Es wird aber deutlich, dass sich das Marktzugangskriterium nicht allein durch eine zeitliche Komponente erfassen lässt und lediglich die Normen dem Anwendungsbereich der Grundfreiheit zuweist, die spezifisch den Marktzugang beschränken oder bereits im Zeitpunkt des Marktzugangs negative Rechtsfolgen bewirken.668 Auch später zur Anwendung gelangende Regeln des Aufnahmestaats können durch eine abschreckende Wirkung auf den Niederlassungswilligen auf den Marktzugang ausstrahlen und diesen weniger attraktiv machen. Dies gilt auch für Normen des Gesellschaftsoder Insolvenzrechts, allen voran etwaige Haftungstatbestände.669 Zutreffend hat daher auch der BGH das Gründungsstatut nicht auf unmittelbar bei Grenzübertritt geltende Normen begrenzt. Es ist vielmehr maßgeblich für die 663 Zwar stand in dem Verfahren Idryma Typou die Niederlassungsfreiheit der Gesellschafter im Vordergrund der Prüfung des EuGH; doch zeigt die Entscheidung, dass jene auch durch Haftungsnormen beschränkt werden kann, die erst nach Marktzugang Anwendung findend und prima facie eher tätigkeitsbezogen sind. Für die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften kann insoweit nichts anderes gelten. 664 EuGH, Urteil vom 11. 5. 1999 – C-255/97 (Pfeiffer), Slg. 1999, I-2853 Rn. 20 ff.; zustimmend Tietje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 55; Thole, Gläubigerschutz, S. 888. 665 EuGH, Urteil vom 5. 10. 2010 – Rs. C-442/02 (Caixa Bank), Slg. 2004, I-8961 Rn. 13 ff., wonach das streitgegenständliche Verbot für Kreditinstitute, Sichteinlagen zu verzinsen, eine Beschränkung der Art. 49, 54 AEUV darstellt. 666 So auch Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1046 f.; Schall, FS Meilicke, S. 651, 656 f.; Thole, Gläubigerschutz, S. 888; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 61; Tiedje/Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 43 EG Rn. 102 f.; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 96; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 43; ders., in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 Rn. 46; Bicker, Gläubigerschutz in der Konzerngesellschaft, S. 46; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 114; im Ergebnis auch Tietje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 55. 667 Siehe oben 2. Teil § 5 IV.3.a). 668 Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 43; ders., in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 Rn. 46. 669 Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1046 ff., 1048; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112 ff.

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„Haftung für im Namen der Gesellschaft begründete rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten einschließlich der Frage nach der persönlichen Haftung ihrer Gesellschafter oder Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftsgläubigern.“670

bb) Art. 54 AEUV – nationales Gesellschaftsrecht und subjektive Grundfreiheitenberechtigung Die soeben erwähnten Urteile des EuGH stehen jedoch nicht nur einer teleologischen Reduzierung des Beschränkungsverbots der Niederlassungsfreiheit auf den zeitlichen Moment des Grenzübertritts entgegen. Insbesondere die Zuzugsfälle betreffenden Urteile Centros, Überseering und Inspire Art lassen darüber hinaus auch Zweifel daran aufkommen, ob sich für den Bereich des Gesellschaftsrechts überhaupt eine Begrenzung des Beschränkungsverbots er Niederlassungsfreiheit begründen lässt, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, gesellschaftsrechtliche Regelungsanliegen verfolgende Vorschriften auf zuziehende Auslandsgesellschaften zu projizieren. Wenn der EuGH in der Überseering-Entscheidung den Mitgliedstaaten aufgibt, eine in den Niederlanden gegründete Gesellschaft „als Gesellschaft niederländischen Rechts“671 anzuerkennen, klingt darin ein Gedanke an, der einer Reduzierung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV für den Bereich des Gesellschaftsrechts generell entgegensteht: Gesellschaften genießen danach das Recht, in ihrer Identität als Gesellschaft ausländischen Rechts von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen.672 Inspire Art hat zudem gezeigt, dass sich dieses Recht nicht bloß in der Gewährleistung einer Kontinuität der Rechts- und Vermögensträgerschaft einschließlich der Firmierung erschöpft. Die Pflicht des Zuzugsstaats, Gesellschaften als solche ihres Gründungsrechts anzuerkennen, umfasst jedenfalls auch das Gebot, die eigenen Vorschriften „über das Mindestkapital (sowohl zum Zeitpunkt der Gründung als auch während des Bestehens der Gesellschaft) und über die Haftung der Geschäftsführer“673 gegenüber der zuziehenden Gesellschaft unangewendet zu lassen.674 Mit anderen Worten muss der Zuzugsstaat auch die Finanz- und Haf670 BGH ZIP 2005, 805, 806; ZIP 2004, 1549, 1550; dazu auch Goette, ZinsO 2007, 1177 ff.; ders., ZIP 2006, 541 ff.; siehe ferner OLG Karlsruhe NZG 2010, 509; OLG Düsseldorf GmbHR 2010, 591 (zur Maßgeblichkeit des Gründungsrechts bei der Insolvenzverschleppungshaftung); OLG Frankfurt NZG 2011, 158 (zur Maßgeblichkeit des Gründungsrechts bei Löschung der Gesellschaft). 671 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 80, 95 f. 672 Eidenmüller, JZ 2004, 24, 25; Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1049 f.; Zessel, Durchgriffshaftung S. 187; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 666 f.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 Rn. 44 f.; ders., in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 41; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 10 f. 673 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 104. 674 Dies gilt natürlich nur insoweit, als die Anwendung der Vorschriften des Zuzugsstaats eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt, etwa weil sie gegenüber den Normen

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

tungsverfassung der zuziehenden Gesellschaft respektieren.675 Zu Recht ist aus der Zusammenschau dieser Urteilaussagen gefolgert worden, dass der Zuzugsstaat – will er seiner Anerkennungspflicht gegenüber der zuziehenden Gesellschaft in vollem Maße nachkommen – die zuziehende Gesellschaft vollumfänglich als eine solche ausländischen Rechts, also genau in der vom jeweiligen Gründungsrechts gewährten Rechtsform und deren konkreten Ausgestaltung, anzuerkennen hat.676 Dieser oftmals auch als „Identitätsschutz„677 beschriebene Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit ist indes weniger eine in den Urteilen Centros, Überseering und Inspire Art vorgenommene konkrete Ausgestaltung des Beschränkungsbegriffs durch den EuGH. Er folgt vielmehr aus der konsequenten Anwendung des AEUV selbst, namentlich Art. 54 AEUV. Träger der Niederlassungsfreiheit sind nach dieser, oben bereits näher dargelegten Norm678 Gesellschaften, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet wurden. Der AEUV trägt damit dem speziellen Charakter von Gesellschaften, der sich zwischen rechtlicher Fiktion und realem Verband bewegt,679 Rechnung, indem er zutreffend davon ausgeht, dass eine Gesellschaft nur kraft eines konstituierenden Rechtsrahmens existiert.680 Da das Unionsrecht selbst einen solchen Rechtsrahmen nicht bietet, verweist Art. 54 AEUV des Gründungsstaats strenger sind. Sind die Vorschriften des Zuzugsstaats hingegen für die zuziehende Gesellschaft günstiger, können sie ohne Weiteres Anwendung finden. Allein die Anwendung eines anderen Rechts als das des Gründungsstaats stellt – wie im ersten Teil der Arbeit gezeigt wurde – keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. 675 Statt vieler Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 Rn. 44 f.; ders., in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 43; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2522; Habersack/Verse, EuGesR, § 3 Rn. 8, 26; Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1055 f.; Zessel, Durchgriffshaftung S. 187 f.; Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 70 f.; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 10 f.; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 96. 676 Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1049 f.; Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, § 6 Rn. 49; Hennrichs/Pöschke/v.d.Laage/Klavona, WM 2009, 2009, 2010 f.; Zessel, Durchgriffshaftung S. 187; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 666 f.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 Rn. 44 f.; ders., in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 41; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 10 f.; Eidenmüller, JZ 2004, 24, 25; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 166; wohl auch MüllerGraff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 21. 677 So etwa Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 167 f.; Eidenmüller, JZ 2004, 24, 25; Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 70 f.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 Rn. 44 f.; ders., in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 41; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 166; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 203 f.; Knop, Gesellschaftsstatut, S. 131 f.; Schanze/Jüttner, AG 2004, 661, 666, die von „Subjekteigenschaften“ sprechen; ebenso Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, S. 88 f.; ferner Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 10 f., die auf die Gesamtheit der „gesellschaftsakzessorischen“ Normen abstellen. 678 Siehe oben 1. Teil § 2 I.2.b), 1. Teil § 2 II.4.a) sowie 1. Teil § 3 I.3.b). 679 Dazu auch Weller, FS Blaurock, S. 497, 518 m.w.Nachw. 680 Ähnlich Schön, ZGR 2013, 333, 343 ff.; Teichmann, DB 2012, 2085, 2089; Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 55.

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auf die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Nur wenn und solange ein Mitgliedstaat eine Gesellschaft als eine nach seiner Gesellschaftsrechtsordnung wirksam gegründete Gesellschaft anerkennt, wird der Gesellschaft in eben ihrer durch jene Gesellschaftsrechtsordnung gegebenen Gestalt die subjektive Grundfreiheitenberechtigung verliehen.681 Damit ist es letztlich die Aufgabe der nationalen Gesellschaftsrechtsordnungen, den Träger der Niederlassungsfreiheit überhaupt erst zu kreieren und dessen Fortbestand zu sichern.682 Art. 54 AEUV räumt ihnen insoweit die Definitionsautonomie im Hinblick auf die subjektive Grundfreiheitenberechtigung, also den persönlichen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit, ein.683 Indem aber die mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechte eine Gesellschaft als Grundfreiheitenträger konstituieren und durch die Ausgestaltung der jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Normen deren Identität formen und prägen, wird die Gesamtheit der der Gesellschaft Leben einhauchenden Normen in gewisser Weise als Substrat des Trägers der Niederlassungsfreiheit selbst Subjekt dieser Grundfreiheit. Begreift man Gesellschaften wie der EuGH als Fiktion bzw. Produkte des mitgliedstaatlichen Rechts, die „nur vermittels der nationalen Rechtsvorschriften [existieren], die für ihre Gründung und ihre Funktionsweise maßgebend sind,“684

folgt aus der in Art. 54 AEUVangelegten Regelungsautonomie des Gründungsstaats, dass die Pflicht des Zuzugsstaats, Gesellschaften als solche des jeweiligen Gründungsrechts anzuerkennen, nichts anderes ist als die Pflicht, eben jene Vorschriften des Gründungsstaats zu respektieren, die der Gesellschaft ihre Identität und damit die Fähigkeit geben, sich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen. Bringt der Zuzugsstaat hingegen andere gesellschaftsrechtliche Normen als die des Gründungsrechts zur Anwendung, bedeutet dies stets einen Eingriff in die durch das Gründungsrecht geprägte Identität der Gesellschaft und damit in den Träger der Nie-

681 Siehe EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 109; EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 28; ferner Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 10; Hennrichs/ Pöschke/v.d.Laage/Klavona, WM 2009, 2009, 2011; Müller-Graff, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, S. 5, 18; ders., in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 8; Schön, ZGR 2013, 333, 350; siehe auch oben 1. Teil § 2 I.2.b), 1. Teil § 2 II.4.a) sowie 1. Teil § 3 I.3.b). 682 Siehe dazu auch bereits oben 1. Teil § 2 I.2.b) und 1. Teil § 2 II.4.a); sowie EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 110; EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 28; EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 27; ebenso W.-H. Roth, FS HoffmannBecking, S. 965, 972 f. 683 Siehe dazu EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 28; EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 26. 684 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 27; EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 104.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

derlassungsfreiheit selbst.685 Durch die Anwendung der eigenen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften modifiziert der Aufnahmestaat nämlich zugleich die Gestalt des Berechtigten der Art. 49, 54 AEUV. Dies hat streng genommen zur Folge, dass der Gesellschaft der Zugang zum Markt des Aufnahmestaats nicht nur erschwert, sondern ihr in ihrer Identität als Gesellschaft des Gründungsrechts vollständig verwehrt wird. Folglich liegt darin – eine belastende Wirkung der Vorschriften des Aufnahmestaats vorausgesetzt686 – auch stets eine Beschränkung ihrer Niederlassungsfreiheit.687 Diese durch Art. 54 AEUV bewirkte Verquickung von mitgliedstaatlichem Gesellschaftsrecht und subjektiver Grundfreiheitenberechtigung lässt sich auch anhand der EuGH-Entscheidungen zu den sogenannten Wegzugsfällen veranschaulichen und validieren: Bereits in Daily Mail führte der EuGH aus, dass Gesellschaften Geschöpfe des jeweiligen mitgliedstaatlichen Rechts seien, die außerhalb der sie konstituierenden Rechtsordnung keine Realität besäßen.688 Vor diesem Hintergrund gewährten die Art. 49, 54 AEUV „den Gesellschaften nationalen Rechts kein Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung unter Bewahrung ihrer Eigenschaft als Gesellschaften des Mitgliedstaats ihrer Gründung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.“689

Entgegen anderen Erwartungen, die eine Ungleichbehandlung von Zuzugs- und Wegzugsfreiheit als inkonsistent kritisierten und aufgrund der liberalen Zuzugs685

Ähnlich Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 Rn. 44; ders., in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 43; Hennrichs/Pöschke/ v.d.Laage/Klavona, WM 2009, 2009, 2010 f. 686 Soweit die Vorschriften des Aufnahmestaats günstiger sind, wird zwar ebenfalls in die Identität der Gesellschaft eingegriffen. Mangels belastender Wirkung fehlt es aber an einer Beschränkung der rein wirkungsbezogenen Grundfreiheiten; siehe hierzu bereits oben 1. Teil § 2 II.3.a)aa) sowie EuGH, Urteil vom 20. 6. 2013 – Rs. C-186/12 (Impacto Azul), EuZW 2013, 664 ff. 687 So im Ergebnis auch Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1049 f.; Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, § 6 Rn. 49; Hennrichs/Pöschke/v.d.Laage/Klavona, WM 2009, 2009, 2010 f.; Zessel, Durchgriffshaftung S. 187; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 666 f.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 Rn. 44 f.; ders., in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 41; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 21; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 166; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 203 f.; Knop, Gesellschaftsstatut, S. 131 f.; Schanze/Jüttner, AG 2004, 661, 666; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 10 f.; Eidenmüller, JZ 2004, 24, 25; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 166. 688 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988 – Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483 Rn. 19, sowie die engl. Fassung: „In that regard it should be borne in mind that, unlike natural persons, companies are creatures of the law and, in the present state of Community law, creatures of national law. They exist only by virtue of the varying national legislation which determines their incorporation and functioning“; ebenso EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 104; EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 27. 689 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988 – Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483 Rn. 24.

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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Entscheidungen Überseering und Inspire Art mit der Aufgabe der Daily MailRechtsprechung rechneten,690 bestätigte der EuGH in Cartesio691 wie auch in Vale692 erneut seine bereits in Daily Mail formulierten Aussagen.693 Unter Rekurs auf das in Daily Mail dargelegte Verständnis der Gesellschaften als Geschöpfe der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, jenseits derer sie keine Realität haben,694 führt der Gerichtshof aus, dass in Ermangelung einer unionsrechtlichen Definition der grundfreiheitenberechtigten Gesellschaften die Frage, ob sich eine Gesellschaft auf die Art. 49, 54 AEUV berufen kann, gemäß Art. 54 AEUV eine Vorfrage sei, die nur nach nationalem Recht beantwortet werden könne.695 Nur wenn eine mitgliedstaatliche Gesellschaftsrechtsordnung eine Gesellschaft als ihren Anforderungen genügend anerkenne, sei der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit überhaupt eröffnet.696 Der EuGH hat daraus den Schluss gezogen, dass die Mitgliedstaaten selbst festlegen könnten, welchen Anforderungen und Anknüpfungstatsachen eine Gesellschaft genügen muss, um als Gesellschaft des jeweiligen Mit-

690 So etwa Lutter, BB 2003, 7, 10; Mankowski, RIW 2004, 481, 484 ff.; Schall, FS Meilicke, S. 651, 660; Behrens, IPRax 2003, 193, 205; Mörsdorf, EuZW 2009, 97 ff.; Schön, ECFR 2006, 122, 138; W.-H. Roth, FS Heldrich, S. 973, 985 ff.; ders., IPRax 2003, 117, 121 f.; Wilhelmi, DB 2008, 1611, 1614; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 22; Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 43 f.; Ebke, JZ 2003, 927, 932; ders., in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht im Wettbewerb, 101, 106; Eidenmüller, JZ 2004, 24, 29; Knof/Mock, GPR 2008, 134, 137; Zimmer, in: Schmidt/Lutter, AktG, IntGesR Rn. 46; ders., NJW 2003, 3585, 3592; Bayer, BB 2003, 2357, 2363; Ringe, ZIP 2008, 1072, 1073; Meilicke, GmbHR 2003, 793, 803; ebenso GA Tizzano, Schlussanträge vom 7. 7. 2005 – Rs. C-411/03 (SEVIC Systems), Slg. 2005, I-10805 Rn. 45; sowie GA Maduro, Schlussanträge vom 22. 5. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio) Slg. 2008, I-9641 Rn. 27 ff.; gegen eine unterschiedliche Behandlung von Zuzugs- und Wegzugskonstellationen zuvor bereits Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 354; siehe zum Ganzen auch Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, § 6 Rn. 37 ff.; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 57 ff. 691 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641; hierzu etwa Leible/Hoffmann, BB 2009, 150 ff.; Mörsdorf, EuZW 2009, 97 ff.; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 ff.; Paefgen, WM 2009, 529 ff.; Bollacher, RIW 2009, 150 ff.; Hennrichs/Pöschke/ v.d.Laage/Klavona, WM 2009, 2009 ff.; Barthel, EWS, 2010, 316, 330. 692 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 ff.; hierzu etwa OLG Nürnberg ZIP 2014, 128 ff.; ferner Teichmann, DB 2012, 2085 ff.; Schön, ZGR 2013, 333 ff.; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 ff.; Kindler, EuZW 2012, 888 ff.; G. H. Roth, ZIP 2012, 1744; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, S. 965 ff.; Weller, FS Blaurock, S. 497 ff.; ders., IPRax 2013, 530 ff.; Drygala, EuZW 2013, 569 ff. 693 Bereits zuvor die Daily Mail-Aussagen bestätigend EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 61 ff. 694 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 104 unter Bezug auf EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988 – Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483 Rn. 19. 695 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 109; EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 28. 696 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 109.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

gliedstaats zu gelten und damit als Subjekt der Niederlassungsfreiheit anerkannt zu werden.697 Ein Mitgliedstaat sei daher auch berechtigt, „einer nach seiner Rechtsordnung gegründeten Gesellschaft Beschränkungen hinsichtlich der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes aus seinem Hoheitsgebiet aufzuerlegen.“698

Diese Freiheit der Mitgliedstaaten, über die Entstehung und Funktionsweise und die weitere Existenz ihrer „Geschöpfe“ zu entscheiden, mag man als „Geschöpftheorie„ bezeichnen,699 sie stellt aber eigentlich nur die Anwendung und Auslegung des Art. 54 AEUV durch den EuGH dar.700 Dieser verweist als Vorfrage zur Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit auf das nationale Recht. Wenn aber Gesellschaften nur aufgrund der mitgliedstaatlichen Vorschriften, die für ihre Gründung und Funktionsweise maßgebend sind, existieren und überhaupt erst in den Genuss der Niederlassungsfreiheit kommen, können sie sich nicht gegen diese, ihre Identität prägenden Vorschriften mit Hilfe der Niederlassungsfreiheit zur Wehr setzen.701 Sie verlören anderenfalls zugleich ihre Berechtigung, sich auf die Art. 49, 54 AEUV zu berufen. Denn soweit die nach den mitgliedstaatlichen Vorschriften zu ermittelnde Existenz einer Gesellschaft Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit ist, sind die von den betreffenden nationalen Normen berührten Fragen solche des Anwendungsbereichs der Art. 49, 54 AEUV, nicht aber des Beschränkungsverbots.702 Entscheidet sich daher ein Mitgliedstaat wie im Fall Cartesio dafür, dass die von ihm angebotenen Gesellschaftsformen stets ihren Verwaltungssitz im Inland haben müssen, so ist dies für die Gesellschaften zwar misslich, aus europarechtlicher Sicht aber nicht zu beanstanden, da die Gesellschaft überhaupt nur mit dem „Makel“ der fehlenden 697

EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 110; EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 29; EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 27. 698 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 107, 110. 699 Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, § 6 Rn. 16; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009) 735, 742; dies., BB 2010, 387, 391; dies., ZIP 2012, 1481; Schön, ZGR 2013, 333, 351; Mörsdorf/ Jopen, ZIP 2012, 1398, 1400; zuvor bereits etwa Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 61; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 86; siehe ferner auch Teichmann, DB 2012, 2085, 2090; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, S. 965, 972 f.; Drygala, EuZW 2013, 569, 573. 700 So auch Teichmann, DB 2012, 2085, 2090; ähnlich auch W.-H. Roth, FS HoffmannBecking, S. 965, 972 ff., 974; ferner Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 8 f. 701 Siehe oben 1. Teil § 3 I.3.b). 702 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 110: „Nur wenn die [nach nationalem Recht zu ermittelnde] Prüfung ergibt, dass dieser Gesellschaft in Anbetracht der in Art. 48 EG genannten Voraussetzungen tatsächlich die Niederlassungsfreiheit zugutekommt, stellt sich die Frage, ob sich die Gesellschaft einer Beschränkung dieser Freiheit im Sinne des Art. 43 EG gegenüber sieht.“; ferner W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, S. 965, 974.

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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Wegzugsmöglichkeit in die Rechtsträgerschaft der Niederlassungsfreiheit hineinwächst.703 Das Erfordernis eines inländischen Verwaltungssitzes stellt daher keine Beschränkung der Art. 49, 54 AEUV dar, sondern ist vielmehr Teil der Identität der Gesellschaft und somit des Trägers der Niederlassungsfreiheit selbst.704 Vor diesem Hintergrund ist die unterschiedliche Behandlung von Zuzugs- und Wegzugsfällen weder inkonsistent, noch auf ein unterschiedliches Verständnis des EuGH von Zuzugs- und Wegzugsfreiheit zurückzuführen.705 Sie ist die logische Konsequenz der in Art. 54 AEUV angelegten Definitionsautonomie der Mitgliedsaaten für die subjektive Grundfreiheitenberechtigung.706 Die Mitgliedstaaten sind frei in der Entscheidung, welchen Verband sie in welcher Rechtsform mittels ihres Gesellschaftsrechts in die Trägerschaft der Niederlassungsfreiheit bringen. Die Vorgaben, die sowohl die nationalen Gesellschaftsrechte wie auch die Kollisionsrechte dabei für die rechtliche Gestalt sowie den Fortbestand der durch sie angebotenen Rechtsformen machen, unterliegen keiner Kontrolle durch die Grundfreiheiten.707 Soweit die mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechtsordnungen ein Ansässigkeitserfordernis oder bestimmte Instrumente für den Gläubiger-, Minderheitenoder Arbeitnehmerschutz für die jeweilige Rechtsform vorsehen, stehen diese den Träger der Niederlassungsfreiheit kreierenden Normen nicht im Konflikt mit dessen Niederlassungsfreiheit.708 Die den Mitgliedstaaten durch Art. 54 AEUV zugesprochene Regelungsautonomie ist jedoch nicht unbegrenzt. Der AEUV räumt diese den Mitgliedstaaten nur 703

Ähnlich Schön, ZGR 2013, 333, 350 ff.; Teichmann, DB 2012, 2085, 2086. Die vorstehenden Überlegungen führen – wie bereits im ersten Teil dieser Arbeit dargelegt wurde – auch zu dem Ergebnis, dass die Anwendung strengerer Vorschriften des Gründungsrechts durch den Aufnahmestaat im Rahmen der Gründungstheorie nicht mit der Niederlassungsfreiheit konfligiert, da sie keine diskriminierende Wirkung entfalten, sondern die Anerkennung der Identität der Gesellschaft als eine solche des Gründungsstaats darstellt; siehe oben 1. Teil § 3 I.3.b). Aus dieser Regelungsautonomie folgt andererseits auch, dass es nicht die Art. 49, 54 AEUV, sondern die Mitgliedstaaten selbst sind, die über die Zulässigkeit und damit die Zirkulationsfähigkeit von Scheinauslandsgesellschaften entscheiden; lässt ein Mitgliedstaat die Gründung als einzigen Bezugspunkt zu seinem Staatsgebiet genügen, entsteht eine durch Art. 49, 54 AEUV geschützte Gesellschaft, siehe auch Teichmann, ZGR 2011, 639, 663. 705 So aber die bei Fn. 690 Genannten; sowie Leible/Hoffmann, BB 2009, 150, 153; Mörsdorf, EuZW 2009, 97, 99 f.; Paefgen, WM 2009, 529, 533 f.; Schall, FS Meilicke, S. 651, 660; kritisch auch Tiedje, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 10 Rn. 74. 706 In diesem Sinne auch Hennrichs/Pöschke/v.d.Laage/Klavona, WM 2009, 2009, 2012; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 743 f.; Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, § 6 Rn. 42; Barthel, EWS, 2010, 316, 330; Bollacher, RIW 2009, 150, 153; ähnlich W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, S. 965, 974; Teichmann, DB 2012, 2085, 2090. 707 Ebenso Hennrichs/Pöschke/v.d.Laage/Klavona, WM 2009, 2009, 2011; Teichmann, DB 2012, 2085, 2086; ders., ZGR 2014, 45, 66; ders., ZGR 2011, 639, 661; Schön, ZGR 2013, 333, 348. 708 Ähnlich, allerdings auf die Situation des grenzüberschreitenden Formwechsels bezogen, Schön, ZGR 2013, 333; 348; ferner Teichmann, DB 2012, 2085, 2088. 704

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

insoweit ein, als er selbst beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nicht in der Lage ist, die betreffende Funktion, namentlich die Definition des persönlichen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit, zu übernehmen.709 Sobald dieser Funktion genüge getan ist, findet die Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten ein Ende und die Grundfreiheit entfaltet ihre volle Wirkung.710 Sobald daher eine Gesellschaft nach den nationalen Regelungen eines Mitgliedstaats, die für ihre Gründung und Funktionsweise maßgeblich sind, entstanden ist, kommt diese in den Genuss der Niederlassungsfreiheit.711 Weitere Beschränkungen der in Art. 49, 54 AEUV verbrieften Grundfreiheit bedürfen dann der Rechtfertigung. Dies gilt für Beschränkungen durch den Aufnahmestaat, aber auch für Beschränkungen des Wegzugs durch den Gründungsstaat.712 Art. 54 AEUV überantwortet den Mitgliedstaaten allein die Bestimmung der subjektiven Grundfreiheitenberechtigung, mithin die Definition der Gesellschaft als Träger der Niederlassungsfreiheit.713 Er stellt aber entgegen anderslautender Kritik714 gerade nicht die Wegzugsfreiheit vollumfänglich zur Disposition der (Gründungs-)Mitgliedstaaten.715 Beide Elemente 709

Siehe hierzu auch EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 28; EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 26. 710 Siehe EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 110; EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 28. 711 Drygala, EuZW 2013, 569, 573, der mit Blick auf die Warenverkehrsfreiheit anschaulich davon spricht, dass die Gesellschaft, sobald ein Mitgliedstaat sie als eine seines Rechts anerkennt, „innerhalb der Gemeinschaft rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurde.“ 712 Siehe etwa EuGH, Urteil vom 4. 7. 2013 – Rs. C-350/11 (Argenta Spaarbank), EuZW 2013, 796 Rn. 20 („Auch wenn die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit ihrem Wortlaut nach die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern sollen, verbieten sie es doch auch, dass der Herkunftsmitgliedstaat die Niederlassung eines seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert“); gleichsinnig EuGH, Urteil vom 13. 3. 2014 – Rs. C-375/12 (Bouanich), BeckRS 2014, 80545 Rn. 57; zuvor bereits EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988 – Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483 Rn. 16. 713 Die Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten ist zudem nur auf Gesellschaften ihres Rechts begrenzt. Sie können daher zwar die Voraussetzungen bestimmen, die eine Gesellschaft erfüllen muss, um als solche des jeweiligen Mitgliedstaats anerkannt zu werden, und daher auch einen Wegzug in der Rechtsform des Gründungsstaats untersagen. Sie können den Wegzug jedoch dann nicht verhindern, wenn die Gesellschaft im Wege eines grenzüberschreitenden Formwechsels eine vom Aufnahmestaat angebotene Rechtsform annimmt, da dann allein das Recht des Aufnahmestaats über die subjektive Grundfreiheitenberechtigung entscheidet, siehe hierzu EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 112; sowie EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 30 ff.; zu diesem Aspekt auch Müller-Graff, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, S. 5, 20 f.; sowie Schön, ZGR 2013, 333 ff.; Teichmann, DB 2012, 2085 ff. 714 Siehe Nachw. bei Fn. 690. 715 Siehe EuGH, Urteil vom 4. 7. 2013 – Rs. C-350/11 (Argenta Spaarbank), EuZW 2013, 796 Rn. 20; EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 112, demzufolge Art. 54 AEUV „keinesfalls irgendeine Immunität des nationalen Rechts“

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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der Niederlassungsfreiheit, Zuzugs- und Wegzugsfreiheit, genießen grundsätzlich den gleichen Schutz der Art. 49, 54 AEUV. Außerhalb der Normen, die für die Bestimmung des Niederlassungsfreiheitsträgers erforderlich sind, muss auch der Gründungsstaat Beschränkungen des Wegzugs und damit der Niederlassungsfreiheit seiner Gesellschaften rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund erklärt es sich, weshalb die Vorschriften des ungarischen Gesetzes über Handelsgesellschaften im Fall Cartesio einen Wegzug durch das Erfordernis eines inländischen Verwaltungssitzes unterbinden konnten,716 die niederländischen Vorschriften in der Rechtssache National Grid Indus, die eine Besteuerung stiller Reserven im Fall des Wegzugs vorsahen, hingegen vom EuGH als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit angesehen wurden.717 Auf den ersten Blick mag dieses Ergebnis überraschen, weil die niederländischen Vorschriften den Wegzug der Gesellschaft nicht verboten, sondern lediglich die Aufdeckung stiller Reserven im Fall des Wegzugs anordneten, und daher als bloßes Minus zur europarechtskonformen vollständigen Untersagung des Wegzugs im Fall Cartesio erschienen.718 Man hätte also annehmen können, dass – wenn schon der Wegzug ganz verhindert werden kann – weniger einschneidende Maßnahmen wie die Besteuerung stiller Reserven erst recht zulässig sein müssten.719 Dem ist aber – wie der EuGH jüngst mehrfach bestätigte720 – nicht so.721 Entscheidender Unterschied ist, dass im

begründe, ebenso EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 30; ferner GA Kokott, Schlussanträge vom 13. 3. 2014 – Rs. C-48/13 (Nordea Bank Danmark), BeckRs 2014, 80556 Rn. 18; dies., Schlussanträge vom 27. 2. 2014 – verb. Rs. C-39/13, C-40/13 und C-41/13 (SCA Group Holding u. a.), BeckRS 2014, 80459 Rn. 21 („[…] nach ständiger Rechtsprechung soll die Niederlassungsfreiheit dabei nicht nur die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern, sondern sie verbietet zugleich, dass der Herkunftsmitgliedstaat die Niederlassung einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert.“). 716 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 124. 717 EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 41; zuvor bereits gleichsinnig, nur die Niederlassungsfreiheit natürlicher Personen betreffend EuGH, Urteil vom 11. 3. 2004 – Rs. C.9/02 (Lasteyrie du Saillant), Slg. 2004, I-2409. 718 So Weller, FS Blaurock, S. 497, 520; zuvor mit Blick auf die vergleichbare Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Lasteyrie du Saillant bereits Leible/Hoffmann, BB 2009, 59, 60; ähnlich auch Müller-Graff, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, S. 5, 22; siehe ferner W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, S. 965, 970, der in den Aussagen des EuGH in National Grid Indus die Abkehr von den Daily Mail-Aussagen erblickt; ähnlich auch Mörsdorf, EuZW 2012, 296, 297 f. 719 So das Vorbringen der niederländischen, deutschen, italienischen, portugiesischen, finnischen, schwedischen und britischen Regierung im Verfahren National Grid Indus, wiedergegeben bei EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 29. 720 EuGH, Urteil vom 6. 9. 2012 – Rs. C-380/11 (DI. VI. Finanziaria di Diego della Valle & C. SapA), NZG 2013, 198 ff. Rn. 32 ff.; EuGH, Urteil vom 6. 9. 2012 – Rs. C-38/10 (Kommission/Portugal), BeckRS 2012, 81869 Rn. 23 ff.; EuGH, Urteil vom 25. 4. 2013 – Rs. C-64/11 (Kommission/Spanien) BeckRS 2013, 80877 Rn. 25.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

Fall Cartesio das Erfordernis eines inländischen Verwaltungssitzes Teil des die Gesellschaft kreierenden Rechts ist und damit gemäß Art. 54 AEUV in die Regelungsautonomie des ungarischen Gründungsstaats fällt.722 Als ungarische Kommanditgesellschaft existierte Cartesio nur mit der Eigenschaft eines inländischen Verwaltungssitzes und war nur in dieser konkreten Gestalt Träger der Niederlassungsfreiheit. Folglich kann sie sich zwar in dieser Ausgestaltung auf die Art. 49, 54 AEUV berufen, aber nicht die für ihre Existenz und Grundfreiheitenberechtigung notwendigen Normen mit Hilfe der Grundfreiheit zu Fall bringen. Anders sieht es hingegen im Fall National Grid Indus aus: Die niederländischen Bestimmungen zur Besteuerung stiller Reserven betrafen gerade „nicht die Bestimmung der Voraussetzungen, deren Erfüllung ein Mitgliedstaat von einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft verlangt, damit diese ihre Eigenschaft als Gesellschaft dieses Mitgliedstaats behalten kann. Die Regelung beschränkt sich vielmehr darauf, für die nach nationalem Recht gegründeten Gesellschaften steuerliche Folgen an eine Sitzverlegung zwischen Mitgliedstaaten zu knüpfen, ohne dass diese Sitzverlegung ihre Eigenschaft als Gesellschaften des fraglichen Mitgliedstaats berührt.“723

Da die niederländischen Regelungen damit nicht gemäß Art. 54 AEUV in die allein auf die Bestimmung des Trägers der Niederlassungsfreiheit begrenzte Regelungsautonomie des Gründungsstaats fielen, waren die niederländischen Steuervorschriften im Gegensatz zu der ungarischen Wegzugsbeschränkung an der Niederlassungsfreiheit zu messen724 und stellten im Ergebnis eine unzulässige Beschränkung der Art. 49, 54 AEUV dar. In der Systematik der Niederlassungsfreiheit waren also zwei unterschiedliche Prüfungsebenen betroffen: Während in Cartesio der persönliche Anwendungsbereich der Art. 49, 54 AEUV und damit die (Vor-) Frage im Vordergrund stand, ob die betroffene Gesellschaft sich überhaupt auf die Grundfreiheit berufen konnte, war der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit in der Entscheidung National Grid Indus zweifellos eröffnet, da die Gesellschaft unstreitig eine solche niederländischen Rechts war. Folglich ging es dort um die Reichweite des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV.725 Zusammenfassend ergibt sich daher folgendes Bild: Art. 54 AEUV verweist – als Vorfrage – für die Bestimmung des Trägers der Niederlassungsfreiheit auf die na721

EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 31 ff. 722 Im Ergebnis auch Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 61. 723 EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 31. 724 EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 32: „Da im Ausgangsverfahren die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes von National Grid Indus in das Vereinigte Königreich ihre Eigenschaft als Gesellschaft nach niederländischem Recht nicht berührt hat, hat diese Verlegung keine Auswirkung auf ihre Möglichkeit, sich auf Art. 49 AEUV zu berufen.“ 725 So auch Teichmann, FS Hommelhoff, S. 1213, 1230.

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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tionalen Gesellschaftsrechtsordnungen und räumt den Mitgliedstaaten die Verfügungsgewalt über die subjektive Grundfreiheitenberechtigung ein. Da das nationale Recht den Gesellschaften erst ihre Identität und Gestalt als Geschöpfe des jeweiligen mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechts und damit die Fähigkeit gibt, Träger der Niederlassungsfreiheit zu sein, ist es seinerseits in eben diesem Umfang von den Vorgaben der Grundfreiheit freigestellt. Gesellschaften können sich daher nicht gegenüber eben jenen nationalen Vorschriften, die die jeweilige Rechtsform prägen, auf die Niederlassungsfreiheit berufen und sich so ihrer eigenen Identität entledigen. Im gleichen Maße hat aber andererseits auch der Aufnahmestaat die konkrete Ausgestaltung der betreffenden Rechtsform des Gründungsstaats anzuerkennen, da diese durch Art. 54 AEUV zugleich auch die Identität des Grundfreiheitenberechtigten darstellt. Die Anwendung anderer Regelungen als der des Gründungsstaats ist – eine belastende Wirkung vorausgesetzt – somit immer ein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit der betroffenen Gesellschaft. Im Ergebnis sind „Geschöpftheorie„ und „Identitätsschutz damit zwei Seiten derselben Medaille, nämlich der in Art. 54 AEUV angelegte Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten für den persönlichen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit. Fragt man nach dem Umfang des durch den Aufnahmestaat anzuerkennenden Regelungskomplexes, stellt man zugleich die Frage nach dem Umfang der durch Art. 54 AEUV eingeräumten Regelungsautonomie der (Gründungs-)Mitgliedstaaten.726 Der EuGH umschreibt diesen Regelungsbereich als die nationalen Rechtsvorschriften, die für die „Gründung und Funktionsweise“727 einer Gesellschaft einschließlich deren Beendigung maßgebend sind.728 Die für die Existenz und Identität der Gesellschaft maßgeblichen Normen des Gründungsstaats wird man im Großen und Ganzen mit den Vorschriften umreißen können, die nach traditionellem Verständnis dem Gesellschaftsstatut zuzurechnen sind.729 In den Worten des BGH

726 Darüber hinaus ist auch die intrikate, hier nicht weiter zu vertiefenden Frage nach dem Wesen einer Gesellschaft und dem daraus folgenden Umfang des Gesellschaftsrechts aufgeworfen; siehe hierzu etwa Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 3 ff. 727 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 27; EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 104 („Gründung und Existenz“). 728 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008 – Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I-9641 Rn. 110; EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 27; siehe auch W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, S. 965, 973. 729 So auch Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 Rn. 44 f.; ders., in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 41; im Ergebnis ebenso Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1049 f.; ders., ECFR 2006, 122, 130 f.; Hennrichs/Pöschke/ v.d.Laage/Klavona, WM 2009, 2009, 2010 f.; Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, § 6 Rn. 49, 51; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 96; Zessel, Durchgriffshaftung S. 187; Kamps, Sonderanknüpfung, S. 63 ff.; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 666 f.; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 166; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 56; Leible, ZGR 2004, 531, 534; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 203 f.; Knop, Gesellschaftsstatut, S. 131 f.; Schanze/Jüttner,

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

sind dies jene Regelungen, nach denen ein Verband „entsteht, lebt und vergeht“.730 Im Ergebnis umfasst dies im Wesentlichen alle Normen, die dem Ausgleich der an einer Gesellschaft beteiligten Interessen dienen,731 wie etwa die Binnen-, Finanz- und Haftungsverfassung. Für eine teilweise erwogene Ausklammerung des Drittschutzes, also einer Differenzierung nach Innen- und Außenrecht, bleibt hingegen kein Raum.732 Zum einen stehen abermals die Urteilsaussagen des EuGH in Inspire Art, nach denen auch eine nach dem Gründungsrecht nicht vorgesehene Außenhaftung der Gesellschafter eine Beschränkung der Grundfreiheiten darstellt,733 einer solchen Dichotomie entgegen.734 Zum anderen ist der Drittschutz, insbesondere der Gläubigerschutz, ein zentrales Element des die Rechtformen prägenden Gesellschaftsrechts. Mit der Bereitstellung haftungsbeschränkter Rechtsformen geht zugleich der Regelungsauftrag einher, den durch das Institut der Haftungsbegrenzung geschaffenen Risiken, insbesondere der Risikoexternalisierung zuungunsten der Gläubiger, mit einem ausgewogenen (Gläubiger-)Schutzsystem zu begegnen.735 Die konkrete Ausgestaltung dieses Schutzsystems durch die jeweilige mitgliedstaatliche Rechtsordnung ist elementarer Bestandteil der Normen, die der jeweiligen Rechtsform ihre Identität geben und damit den Träger der Niederlassungsfreiheit formen. Hierzu zählen insbesondere auch Haftungsinstrumente wie die bereits mehrfach diskutierte und vom BGH als Eckpfeiler des gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzes anerkannte Insolvenzverschleppungs- und Existenzvernichtungshaftung736 AG 2004, 661, 666; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 10 f.; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1206; Riegger, ZGR 2004, 520, 524; Sonnenberger, in: MünchKommBGB, Einl. IPR Rn. 166. 730 BGHZ 25, 134, 144. 731 Siehe hierzu rechtsvergleichend Hansmann/Kraakman, in: Kraakman/Davies/Hansmann u. a. (Hrsg.), The Anatomy of Corporate Law, S. 1 ff.; sowie in Anlehnung an die neue Institutionsökonomie Schön, ECFR 2006, 122, 125 ff. (mit Verweis auf Posner, Economic Analysis of Law, § 14.3). 732 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 Rn. 45; a.A. Teichmann, DB 2012, 2085, 2086; ders., ZGR 2011, 639, 672; zuvor bereits Altmeppen, NJW 2004, 97, 100 ff.; siehe hierzu auch oben 2. Teil § 5 II. 733 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 104. 734 Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 96; Lutter/ Bayer/J. Schmidt, EuropUR, § 6 Rn. 51. 735 Siehe Hertig/Kanda, in: Kraakman/Davies/Hansmann u. a. (Hrsg.), The Anatomy of Corporate Law, S. 71 ff.; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 474 ff.; hierzu sowie allgemein zu Aufgaben und Umfang des Gesellschaftsrecht auch Hansmann/ Kraakman, in: Kraakman/Davies/Hansmann u. a. (Hrsg.), The Anatomy of Corporate Law, S. 1 ff.; zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der Haftungsbeschränkung und des korrespondierenden Schutzsystems Schön, FS Hommelhoff, S. 1037 f.; Bezzenberger, Das Kapital der Aktiengesellschaft, S. 81 ff.; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 475 ff.; jeweils m.w.Nachw. 736 Zum inneren Zusammenhang zwischen Insolvenzantragspflicht, der darauf aufbauenden Insolvenzverschleppungshaftung und der Haftungsbeschränkung siehe BGHZ 126, 181, 197: „Die Konkursantragspflicht ergänzt damit den mit den Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften bewirkten Gläubigerschutz; zusammen mit diesen stellt sie die Rechtfertigung für das Haftungsprivileg der Gesellschafter dar.“; ebenso Fleischer, ZGR 2004,

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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mit der Folge, dass deren Anwendung auf zuziehende Auslandsgesellschaften stets ein Eingriff in deren Identität und damit eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass sich die Differenzierung zwischen den den Träger der Grundfreiheit konstituierenden Normen des Gesellschaftsrecht und solchen angrenzender Rechtsgebieten, insbesondere dem Insolvenz- und Deliktsrecht, nicht stets trennscharf vornehmen lässt. Als Leitlinie mag man sich zumindest an dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 des Referentenentwurfs (RefE) für eine Kodifikation des Gesellschaftskollisionsrechts orientieren.737 Die in der Begründung des RefE erwogene Ausklammerung der Insolvenzverschleppungshaftung738 verdient indes aus den oben dargelegten Gründen keine Gefolgschaft.739 In den Grenzbereichen bleibt die Unterscheidung allerdings vage und kann nicht mit letzter Sicherheit vorgenommen werden. In der Praxis wird man daher in Zweifelsfällen eher von einer Beschränkung ausgehen müssen, bis diese durch den EuGH entschieden sind und ein präzises europäisches Leitbild der die Identität einer Gesellschaft prägenden Normen vorhanden ist.740

V. Mitgliedstaatliches Gesellschaftsrecht: Vorfrage und zugleich Subjekt der Niederlassungfreiheit Aufgrund vorstehender Erwägungen zeigt sich, dass den Mitgliedstaaten keine Möglichkeit verbleibt, gesellschaftsrechtliche Regelungsanliegen verfolgende Vorschriften ohne das Erfordernis einer Rechtfertigung auf zuziehende EU-Auslandsgesellschaften zu erstrecken. Weder der Missbrauchsgedanke,741 noch eine dem 452 m.w.Nachw; gleichsinnig mit Blick auf die Existenzvernichtungshaftung BGHZ 173, 246, 248 (Trihotel), dem zufolge die Existenzvernichtungshaftung „in Ausfüllung ihrer Funktion als Instrument der Schließung einer durch das Kapitalerhaltungsrecht des GmbHG offen gelassenen Schutzlücke die gebotene folgerichtige „Verlängerung“ jenes Schutzsystems der §§ 30, 31 GmbHG“ darstellt; hierzu auch Eidenmüller/Engert, FS K. Schmidt, S. 305, 315 f.; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 303; ferner Goette, ZInsO 2007, 1177, 1183. 737 Referentenentwurf vom 23. 1. 2008 für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, abrufbar unter www.bmj.bund.de; hierzu etwa Kieninger, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, S. 57, 70 ff., 74; kritisch hierzu und zum Vorschlag des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht für eine Regelung des Internationalen Gesellschaftsrechts auf europäischer/nationaler Ebene durch die Spezialkommission für das internationale Gesellschaftsrecht bereits oben 1. Teil § 2 II.3.a)aa). 738 Begründung Referentenentwurf vom 23. 1. 2008 für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen, abrufbar unter www.bmj.bund.de, S. 12 a.E. 739 Statt vieler Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 Rn. 46; Schall, FS Meilicke, S. 651, 656; Schön, FS Hommelhoff, S. 1037, 1047 f. 740 So auch Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 54 Rn. 47. 741 Siehe oben 2. Teil § 5 I.

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

Pragmatismus geschuldete Begrenzung auf Gründungsvorschriften,742 noch das Kollisionsrecht743 sind in der Lage, den Gewährleistungsgehalt der Art. 49, 54 AEUV dergestalt zu reduzieren, dass eine Anwendung jener nationaler Normen die Niederlassungsfreiheit unberührt ließe. Auch eine an Sinn und Zweck der Grundfreiheiten ausgerichtete Reduktion des Beschränkungsverbots – sei es mittels einer Übertragung der Keck-Rechtsprechung oder mittels des aus dem Binnenmarkt abgeleiteten Kriteriums des Marktzugangs – bleibt für den Bereich des Gesellschaftsrechts bedeutungslos und vermag es nicht, einzelnen Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats zur Anwendung zu verhelfen. Der Aufnahmemitgliedstaat muss im Ergebnis die zuziehende Auslandsgesellschaft in der durch das Gesellschaftsrecht des Gründungsstaats geprägten Gestalt anerkennen. Dies ist letztlich Konsequenz der in Art. 54 AEUV angelegten Verfügungsgewalt der (Gründungs-)Mitgliedstaaten über die subjektive Grundfreiheitenberechtigung. Die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften der Gründungsrechtsordnung kreieren erst den Träger der Grundfreiheiten mit der Folge, dass eine Gesellschaft nur als Kompendium der ihre Identität prägenden nationalen Rechtsvorschriften den Schutz der Niederlassungsfreiheit erhält. Cum grano salis stellen jene gesellschaftsrechtlichen Regelungen somit gleichsam selbst das Subjekt der Art. 49, 54 AEUV dar.744 Die Anwendung anderer belastender Vorschriften durch den Aufnahmestaat greift folglich stets in die Identität des subjektiv Niederlassungsberechtigten ein und bewirkt eine rechtfertigungsbedürftige Verkürzung der durch Art. 49, 54 AEUV gewährten Rechte. Mit diesem Befund ist indes nicht gesagt, dass es im Rahmen der Niederlassungsfreiheit kein „allgemeines Verkehrsrecht“ spiegelbildlich zu den vertriebsbezogenen Regelungen im Sinne der Keck-Rechtsprechung gibt, das – vorbehaltlich einer diskriminierenden Wirkung – dem Anwendungsbereich des Beschränkungsverbots der Grundfreiheit entzogen ist. Die bereits oben angeführten Erwägungen745 sprechen im Gegenteil grundsätzlich dafür, den Schutzbereich der Grundfreiheit mittels des Marktzugangskriteriums zu reduzieren. Mitgliedstaatliche Vorschriften, die den Marktzugang als solchen unberührt lassen und lediglich das Verhalten in- wie ausländischer und korporativer wie individueller Marktakteure746 zu regeln suchen, stehen dann nicht mehr in Konflikt mit den Art. 49, 54 AEUV. Jedoch sind diese niederlassungsfreiheitsresistenten Vorschriften fern des Gesellschaftsrechts zu su742

Siehe oben 2. Teil § 5 II. Siehe oben 2. Teil § 5 III. 744 Sieht man in Anlehnung an die neue Institutionsökonomie eine Gesellschaft als „nexus of contract“ oder mit Richard Posner als Standardvertrag, der die Beziehungen zwischen Eigentümern, Geschäftsleitern und verschiedenen Gläubigergruppen adressiert, ließe sich plastisch davon sprechen, dass eben dieser nexus of contracts bzw. dieser Standardvertrag selbst den Schutz der Grundfreiheit genießt. 745 Siehe 2. Teil § 5 IV.3.a). 746 Zur Notwendigkeit, eine teleologische Reduktion gleichermaßen auf natürliche Personen anwenden zu können, oben 2. Teil § 5 IV.2.b)aa). 743

§ 5 Begrenzung des Beschränkungsverbots der Art. 49, 54 AEUV

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chen. Zu denken wäre beispielsweise an die streitgegenständlichen Normen in den erwähnten Rechtssachen Semeraro747 und innoventif748. Für das Gesellschaftsrecht hingegen bewendet es bei der Notwendigkeit der Rechtfertigung.

747

EuGH, Urteil vom 20. 6. 1996 – Rs. C-418/93 u. a. (Semeraro), Slg. 1996, I-2975; hierzu oben 2. Teil § 5 IV.2.a). 748 EuGH, Urteil vom 1. 6. 2006 – Rs. C-453/04 (innoventif), Slg. 2006, I-4929; siehe hierzu oben 2. Teil § 5 IV.2.a).

3. Teil

Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit Der vorstehend dargelegte Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit und insbesondere die durch Art. 54 AEUV bewirkte Verquickung von nationalem Gesellschaftsrecht und personellem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit führen dazu, dass die Erstreckung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften des Aufnahmestaats auf zuziehende Auslandsgesellschaften regelmäßig eine Beschränkung der in Art. 49, 54 AEUV verbrieften Grundfreiheit darstellt. Allein mit der die Niederlassungsfreiheit beschränkenden Wirkung einer mitgliedstaatlichen Maßnahme ist allerdings noch nicht deren Europarechtswidrigkeit festgestellt. Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit können nach der allgemeinen Systematik der Grundfreiheiten gerechtfertigt und somit gleichwohl zulässig sein.1 Zu unterscheiden ist in dieser Hinsicht zwischen den im AEUV kodifizierten und den vom EuGH entwickelten ungeschrieben Rechtfertigungsgründen, namentlich den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses.2

§ 6 Art. 52 AEUV als Rechtfertigungsgrund Als gesetzlich normierter Rechtfertigungsgrund gestattet Art. 52 AEUV (ex. Art. 46 EG) Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die Sonderreglungen für Ausländer und somit offene Diskriminierungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit statuieren.3 Da die Vorschrift somit ausschließlich auf ausländerpolizeiliche Normen abzielt, die in eng umrissenen Fällen vom Diskriminierungsverbot freigestellt 1

Ausführlich zur Rechtfertigung im System der Grundfreiheiten Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 582 ff.; 2558; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 87 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 324 ff.; Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 90 ff.; speziell mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften etwa Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 18 ff.; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 100 ff.; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 60 ff. 2 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 324; Ehlers, in: Ehlers (Hrsg.), EuGR, § 7 Rn. 90 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2559 ff. 3 Statt vieler Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 52 AEUV Rn. 2 ff.

§ 7 Zwingende Gründe des Allgemeininteresses

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werden sollen,4 kommt diesem Rechtfertigungsgrund für die dem Privatrecht zuzuordnenden gesellschaftsrechtlichen Normen des Aufnahmestaats im Ergebnis keine Bedeutung zu.5 Die von gesellschaftsrechtlichen Vorschriften verfolgten Zwecke unterfallen nach Ansicht des EuGH als Schutz privatwirtschaftlicher Interessen nicht den Begriffen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung,6 weshalb Art. 52 AEUV in Überseering nicht einmal Erwähnung fand. Sie sind in den Worten des EuGH für Art. 52 AEUV „ohne Belang.“7

§ 7 Zwingende Gründe des Allgemeininteresses Als Rechtfertigungsgrund für eine die Niederlassungsfreiheit beschränkende Anwendung inländischen Gesellschaftsrechts verbleiben damit die allgemein anerkannten zwingenden Gründe des Allgemeininteresses. Diese ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe, denen in der Spruchpraxis des EuGH die größte Bedeutung für die den Mitgliedstaaten verbleibenden Gestaltungsmöglichkeiten zukommt, finden ihren Ursprung in der bereits erwähnten Cassis-Entscheidung8 des EuGH im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit. Aufgrund der dort vorgenommenen Ausweitung der Grundfreiheit von einem Diskriminierungs- zu einem Beschränkungsverbot war zugleich das Bedürfnis entstanden, dem erheblich erweiterten Schutzbereich des Art. 34 AEUV eine breitere Auswahl an Rechtfertigungsmöglichkeiten gegenüberzustellen.9 Der EuGH anerkannte daher, dass Beschränkungen des Warenverkehrs

4 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 52 AEUV Rn. 7 ff.; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2569 ff., 2577 f.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 19; Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 82. 5 Schön, FS Lutter, S. 685, 695 f.; Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 458 ff.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 19; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 204 f.; ausführlich Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EUAuslandsgesellschaft, S. 79 ff. 6 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 131: „Zunächst ist festzustellen, dass sich keines der Argumente, die die niederländische Regierung zur Rechtfertigung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung vorgebracht hat, auf Artikel 46 EG [Art. 52 AEUV] bezieht.“ Die niederländische Regierung hatte als Gründe den Gläubigerschutz, die Bekämpfung von Betrügereien, die Gewährleistung der Wirksamkeit von Steuerkontrollen und die Lauterkeit des Handelsverkehrs angeführt, EuGH, aaO Rn. 109; hierzu auch Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 19. 7 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 34. 8 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979 – Rs. 120/78 (Cassis), Slg. 1979, 649. 9 Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 1157, 2597; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 80; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 85; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 371 ff.; Leible/ T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 100 ff.; Trstenjak/

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3. Teil: Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit

nicht nur durch die geschriebenen Rechtfertigungsgründe, sondern auch durch „zwingende Erfordernisse“ des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein können.10 Mit der Übertragung des Beschränkungsverbots auf die anderen Grundfreiheiten hat der EuGH zugleich auch die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses übertragen. Im Rahmen der Niederlassungsfreiheit gelten die Entscheidungen Kraus11 und Gebhard12 als grundlegend, weshalb die Prüfung der Rechtfertigung bisweilen auch als Gebhard-Formel bezeichnet wird.13 Prägnant zusammengefasst hat der EuGH die Voraussetzungen einer solchen Rechtfertigung in der Entscheidung Inspire Art: „Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sind nationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können, gerechtfertigt, wenn vier Voraussetzungen erfüllt sind: Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet sein, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.“14

Die Rechtfertigungsprüfung ist damit im Kern eine Verhältnismäßigkeitsprüfung:15 Die ersten beiden Voraussetzungen dieser Prüfung sind für die hier in Rede stehende Anwendung mitgliedstaatlicher gesellschaftsrechtlicher Regelungen auf zuziehende Auslandsgesellschaften regelmäßig unproblematisch. Zum einen ist eine (direkte) Diskriminierung im Grundsatz ausgeschlossen.16 Die betreffenden VorBeysen, EUR 2012, 265, 275 f.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 153; Lackhoff, Niederlassungsfreiheit, S. 458. 10 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979 – Rs. 120/78 (Cassis), Slg. 1979, 649 Rn. 8. 11 EuGH, Urteil vom 31. 3. 1993 – Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663. 12 EuGH, Urteil vom 30. 11. 1995 – Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I-4165. 13 Etwa Teichmann, ZGR 2011, 649, 655; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 198. 14 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 133, mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 31. 3. 1993 – Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663 Rn. 32; EuGH, Urteil vom 30. 11. 1995 – Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I-4165 Rn. 37; EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459 Rn. 34; ferner etwa EuGH, Urteil vom 21. 10. 2010 – Rs. C-81/09 (Idryma Typou), Slg. 2010, I-1016 Rn. 62; EuGH, Urteil vom 19. 5. 2009 – Rs. C-171/07 (Apothekerkammer des Saarlands u. a./Saarland), Slg. 2009, I-4171 Rn. 25; EuGH, Urteil vom 10. 3. 2009 – Rs. C-169/07 (Hartlauer), Slg. 2009, I-1721 Rn. 44. 15 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 374; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 88 ff.; Teichmann, ZGR 2014, 45, 67; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 116; siehe auch Trstenjak/Beysen, EuR 2012, 265 ff. 16 Vertiefend zu der Frage, ob die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses indirekte Diskriminierungen erfassen, siehe Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 327 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 82 f.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 154 f.; Leible/ T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 99; Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 84 f.; je m.w.Nachw.

§ 7 Zwingende Gründe des Allgemeininteresses

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schriften mitgliedstaatlichen Rechts bilden kein spezifisches Fremdenrecht, sondern sollen gerade auch gegenüber ausländischen Gesellschaften im gleichen Maße wie für inländische Gesellschaften Geltung beanspruchen. Zum anderen hat der EuGH bereits frühzeitig klargestellt, dass die vom Gesellschaftsrecht verfolgten Schutzanliegen, wie etwa der Gläubigerschutz,17 die Lauterkeit des Handelsverkehrs18 oder der Schutz von Minderheitsgesellschaftern19 zwingende Gründe des Allgemeininteresses und damit taugliche Rechtfertigungsgründe darstellen. Ohnehin verfährt der Gerichtshof bei der Auswahl legitimer Rechtfertigungsgründe eher großzügig und verwehrt lediglich rein wirtschaftlichen Interessen eine rechtfertigende Wirkung.20 Der Rechtfertigungsdruck für mitgliedstaatliche Maßnahmen im Bereich des Gesellschaftsrechts wird vielmehr im Rahmen der Geeignetheit und Erforderlichkeit aufgebaut. Hierbei setzen insbesondere die folgenden Erwägungen der Rechtfertigung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften der Mitgliedstaaten enge Grenzen.

I. Geeignetheit und Kohärenz der Rechtsanwendung Im Grundsatz ist zunächst auch das Merkmal der Geeignetheit keine problematische Hürde für grundfreiheitenbeschränkende Maßnahmen der Mitgliedstaaten. Diese sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits dann „geeignet“ im Sinne der Verhältnismäßigkeitsprüfung, wenn sie das konkret verfolgte Allgemeininteresse nach objektiven Maßstäben herbeiführen oder das angestrebte Ziel zumindest fördern können.21 Auf eine vollständige Zielerreichung kommt es dabei 17

EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 39; EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 92; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 132 ff.; EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-145 Rn. 35; EuGH, Urteil vom 29. 4. 2004 – Rs. C-171/02 (Kommission/Portugal), Slg. 2004, I-5645 Rn. 55 (inzident). 18 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 140; EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 39. 19 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012 – Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394 Rn. 39; EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 92; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 132 ff. 20 Statt vieler EuGH, Urteil vom 28. 4. 1998 – Rs. C-120/95 (Decker), Slg. 1998, I-1831 Rn. 39; EuGH, Urteil vom 13. 9. 2007 – Rs. C-260/04 (Kommission/Italien), Slg. 2007, I-7083 Rn. 35; EuGH, Urteil vom 11. 3. 2010 – Rs. C-384/08 (Attanasio Group), Slg. 2010, I-2055 Rn. 55; ferner Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 379 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 91. 21 EuGH, Urteil vom 18. 3. 1980 – Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, 833 Rn. 19; EuGH, Urteil vom 10. 7. 1980 – Rs.152/78 (Kommission/Frankreich), Slg. 1980, 2299 Rn. 15 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 375; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 94; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 92 f.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 160; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 117.

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3. Teil: Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit

nicht an.22 Es ist vielmehr ausreichend, dass die mitgliedstaatliche Maßnahme in die Richtung des verfolgten Ziels weist, selbst wenn besser geeignete Mittel denkbar sind.23 Ungeeignet sind lediglich mitgliedstaatliche Maßnahmen, die offensichtlich untauglich oder kontraproduktiv sind oder keinen Kausalzusammenhang mit dem verfolgten Ziel erkennen lassen.24 In der Rechtsache Idryma Typou25 sprach der EuGH etwa den Vorschriften des griechischen Presserechts, nach denen (Minderheits-)Aktionäre von Rundfunkgesellschaften für bestimmte Persönlichkeitsrechtsverstöße während des Programmbetriebs haften, die Geeignetheit ab, das mit diesen Bestimmungen verfolgte Ziel, den Schutz der Ehre und des Privatlebens von Personen, zu fördern. Es sei nämlich nicht erkennbar, welche Steuerungswirkung von der Haftung von Minderheitsaktionären, die lediglich 2,5 % der Anteile halten, mit Blick auf den Schutz des Persönlichkeitsrechts ausgehe, da es bei einer solchen Beteiligung regelmäßig an einer Einflussmöglichkeit auf den journalistischen Programmbetrieb der Rundfunkgesellschaft und damit auf mögliche Persönlichkeitsrechtsverletzungen fehle.26 Als weiteres Beispiel fehlender Geeignetheit lässt sich auch das Überseering-Urteil anführen. Auch wenn es in der Kürze, mit der der Gerichtshof der Rechtfertigung der Auswirkungen der deutschen Sitztheorie eine Abfuhr erteilt, nicht explizit angesprochen wird, war die Versagung der Rechts- und Parteifähigkeit zur Erreichung der angeführten Ziele des Gläubiger-, Minderheitenund Arbeitnehmerschutzes schlechterdings ungeeignet, sorgte sie doch gerade dafür, dass die niederländische Gesellschaft die ihr materiell-rechtlich zustehenden Ansprüche nicht durchsetzen konnte.27 Dem Schutz der vorgenannten Personengruppen kann dies nur schwerlich dienen.28 Eine Rechtfertigung der deutschen Regelungen scheiterte folgerichtig.

22 EuGH, Urteil vom 18. 3. 1980 – Rs. 52/79 (Debauve), Slg. 1980, 833 Rn. 19; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2661. 23 EuGH, Urteil vom 10. 7. 1980 – Rs.152/78 (Kommission/Frankreich), Slg. 1980, 2299 Rn. 15 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 375; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 208. 24 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979 – Rs. 120/78 (Cassis), Slg. 1979, 649 Rn. 10 f.; EuGH, Urteil vom 14. 7. 1988 – Rs. 298/87 (Smanor), Slg. 1988, 4489 Rn. 17; EuGH, Urteil vom 15. 9. 1994 – Rs. C-293/93 (Houtwipper), Slg. 1994, I-4249 Rn. 22; EuGH, Urteil vom 5. 10. 1994 – Rs. C-280/93 (Bananenmarkverordnung), Slg. 1994, I-4973 Rn. 90 f.; EuGH, Urteil vom 6. 11. 2003 – Rs. C-358/01 (Kommission/Spanien), Slg. 2003, I-13145 Rn. 145; EuGH, Urteil vom 15. 12. 1995 – Rs. C-415/93 (Bosman), Slg. 1995, I-4921 Rn. 109. 25 EuGH, Urteil vom 21. 10. 2010 – Rs. C-81/09 (Idryma Typou), Slg. 2010, I-1016. 26 EuGH, Urteil vom 21. 10. 2010 – Rs. C-81/09 (Idryma Typou), Slg. 2010, I-1016 Rn. 65 ff. 27 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002 – Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 Rn. 92 ff.; zu dem Vorbringen der deutschen Regierung hinsichtlich der Rechtfertigungsgründe siehe Rn. 84 ff. 28 Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 27.

§ 7 Zwingende Gründe des Allgemeininteresses

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Neben dieser originären Geeignetheitsprüfung, die nur in solch seltenen Extremfällen einer mitgliedstaatlichen Maßnahme die Rechtfertigung abspricht,29 ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung des EuGH in jüngerer Zeit jedoch zunehmend durch einen weiteren Ansatz geprägt, der das Korsett der Rechtfertigung deutlich enger schnürt. So fordert der EuGH über die bloße Eignung zur Zielerreichung hinaus auch eine Kohärenz der die Grundfreiheiten verkürzenden nationalen Maßnahmen.30 Eine nationale Regelung kann danach „nur dann als geeignet angesehen werden […], die Erreichung des angestrebten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, dieses Ziel in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen.“31

Durch dieses Kohärenzgebot werden die Mitgliedstaaten – ähnlich wie die Unionsorgane durch Art. 7 AEUV, der die Kohärenz zum allgemeinen Prinzip des Unionsrechts erhebt32 – auf eine widerspruchsfreie Zielverfolgung verpflichtet.33 Will ein Mitgliedstaat zur Wahrung zwingender Gründe des Allgemeininteresses die volle Wirkung der Grundfreiheiten durch nationale Regelungen verkürzen, so hat er

29

Weitere Beispiele bilden etwa EuGH, Urteil vom 1. 6. 1994 – Rs. C-317/92 (Kommission/ Deutschland), Slg. 1994, I-2039 Rn. 16 f.; EuGH, Urteil vom 5. 6. 2007 – Rs-170/04 (Rosengren), Slg. 2007, I-4071 Rn. 46; EuGH, Urteil vom 26. 1. 2006 – Rs. C-514/03 (Kommission/ Spanien), Slg. 2006, I-963 Rn. 32, 36. 30 EuGH, Urteil vom 10. 3. 2009 – Rs. C-169/07 (Hartlauer), Slg. 2009, I-1721 Rn. 55; EuGH, Urteil vom 19. 5. 2009 – Rs. C-171/07 (Apothekerkammer des Saarlands u. a./Saarland), Slg. 2009, I-4171 Rn. 42; EuGH, Urteil vom 1. 6. 2010 – verb. Rs. C-570/07 u. a. (Blanco Peres und Chao Gomez), Slg. 2010, I-4629 Rn. 94; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – Rs. C-46/08 (Carmen Media), Slg. 2010, I-8149 Rn. 55; jüngst etwa EuGH, Urteil vom 13. 2. 2014 – Rs. C-367/12 (Susanne Sekoll-Seebacher), EuZW 2014, 307 ff. Rn. 39; EuGH, Urteil vom 20. 3. 2014 – Rs. C-61/12 (Kommission/Litauen), BeckRs 2014, 80571 Rn. 65 f.; EuGH, Urteil vom 25. 4. 2013 – Rs. C-212/11 (Jykse-Bank Gibraltar), EuZW 2013, 635 ff. Rn. 68; zum Kohärenzgebot ferner Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 94; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 401 ff.; Frenz, EuR 2012, 344 ff.; ders., Grundfreiheiten, Rn. 2662 ff.; Noll-Ehlers, EuZW 2008, 522 ff.; Lippert, EuR 2012, 90 ff.; Trstenjak/Beysen, EuR 2012, 265, 271; Talos/Strass, wbl 2013, 481 ff.; Kirschner, Grundfreiheiten und nationale Gestaltungsspielräume, S. 177 ff.; Dederer, EuZW 2010, 771, 772. 31 EuGH, Urteil vom 13. 2. 2014 – Rs. C-367/12 (Susanne Sekoll-Seebacher), EuZW 2014, 307 ff. Rn. 39; EuGH, Urteil vom 26. 9. 2013 – Rs. C-539/11 (Ottica New Line di Accardi Vincenzo), BeckRS 2013, 81872 Rn. 47; EuGH, Urteil vom 25. 4. 2013 – Rs. C-212/11 (JykseBank Gibraltar), EuZW 2013, 635 ff. Rn. 68; EuGH, Urteil vom 10. 3. 2009 – Rs. C-169/07 (Hartlauer), Slg. 2009, I-1721 Rn. 55; EuGH, Urteil vom 19. 5. 2009 – Rs. C-171/07 (Apothekerkammer des Saarlands u. a./Saarland), Slg. 2009, I-4171 Rn. 42. 32 Art. 7 AEUV: „Die Union achtet auf die Kohärenz zwischen ihrer Politik und ihren Maßnahmen in den verschiedenen Bereichen und trägt dabei unter Einhaltung des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung ihren Zielen in ihrer Gesamtheit Rechnung.“ Siehe auch Art. 3 Abs. 1 EUV a.F./Art. 13 EUV. 33 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 401 ff.; Frenz, EuR 2012, 344 ff.; ders., Grundfreiheiten, Rn. 2662 ff.

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3. Teil: Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit

dies in widerspruchsfreier, konsistenter Weise zu tun.34 Daran fehlt es jedoch, wenn ein Mitgliedstaat eine bestimmte Sachmaterie vor dem Hintergrund seiner Schutzziele beschränkenden Maßnahmen unterwirft, zugleich aber die Effektivität dieser Maßnahmen durch konträre Handlungen, wie etwa das Dulden oder Fördern der eigentlich beschränkten Handlungsweisen oder großzügige Ausnahmeregelungen, unterminiert oder vergleichbare, benachbarte Sachmaterien mit Risiken für das gleiche Schutzziel gar nicht oder in wesentlich geringerem Maße reglementiert.35 Bekannte Beispiele fehlender Kohärenz sind die diversen Urteile zum Glücksspielrecht.36 In diesen Entscheidungen sprach der Gerichtshof den staatlichen Monopolen bzw. Maßnahmen nicht etwa deshalb die Rechtfertigung ab, weil sie nicht ein schützendes Allgemeininteresse verfolgten oder nicht erforderlich waren.37 Im Gegenteil, die Luxemburger Richter anerkannten die besondere Bedeutung der Volksgesundheit und der Suchtprävention und hielten die Eindämmung des Glücksspiels auch für geboten.38 Die staatlichen Monopole scheiterten allein deshalb an der Grundfreiheitenprüfung, weil die Mitgliedstaaten das Ziel der Suchtprävention nicht in konsistenter Weise verfolgten. Wenn der betreffende Mitgliedstaat auf der einen Seite zur Eindämmung des Glücksspiels andere Marktteilnehmer aus diesem Tätigkeitsfeld kraft Monopol heraushält, gleichzeitig aber die Ausdehnung des Glückspiels zur staatlichen Einnahmesteigerung durch Werbung oder sonstige expansionistische Geschäftspolitik des Monopolisten fördert, so mangelt es dem Gesamtkonzept an Kohärenz.39 Ebenso inkonsequent ist es, wenn einerseits Sportwetten einem staatlichen Monopol unterworfen werden, Spielhallen und Pferde34 Talos/Strass, wbl 2013, 481, 482; Kirschner, Grundfreiheiten und nationale Gestaltungsspielräume, S. 178 f. 35 Frenz, EUR 2012, 344, 348 f.; ders., Grundfreiheiten, Rn. 2662; Talos/Strass, wbl 2013, 481, 482; Lippert, EuR 2012, 90, 91; hingegen stellt die im Steuerrecht diskutierte Notwendigkeit einer „Kohärenz des mitgliedstaatlichen Steuerrechts“ einen Rechtfertigungsgrund für die Beschränkung der Grundfreiheit dar (EuGH, Urteil vom 28. 1. 1992 – Rs. C-204/90 (Bachmann). Slg. 1992, I-249 Tz. 28) und ist nicht mit dem hier in Rede stehenden, zusätzliche Anforderungen an die Rechtfertigung stellenden allgemeinen Kohärenzgebot gleichzusetzen. 36 EuGH, Urteil vom 15. 9. 2011 – C-347/09 (Jochen Dickinger), Slg. 2011, I-8185 Rn. 56; EuGH, Urteil vom 30. 6. 2011 – Rs. C-212/08 (Zeturf Ltd), Slg. 2011, I-5633 Rn. 57; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – Rs. C-46/08 (Carmen Media), Slg. 2010, I-8149 Rn. 55; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – verb. Rs. C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07 (Stoß, u. a.), Slg. 2010, I-8069; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – Rs. C-409/06 (Winner Wetten), Slg. 2010, I-8015; EuGH, Urteil vom 3. 6. 2010 – Rs. C-258/08 (Ladbrokes Betting), Slg. 2010, I-4757; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2009 – Rs. C-42/07 (Bwin), Slg. 2009, I-7633 Rn. 61. 37 Hierzu etwa EuGH, Urteil vom 21. 10. 1999 – Rs. C-67/98 (Zenatti), Slg. 1999, I-7289 Rn. 35; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – verb. Rs. C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07 (Stoß, u. a.), Slg. 2010, I-8069 Rn. 79. 38 Siehe etwa EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – verb. Rs. C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07 (Stoß, u. a.), Slg. 2010, I-8069 Rn. 75 f. 39 EuGH, Urteil vom 15. 9. 2011 – C-347/09 (Jochen Dickinger), Slg. 2011, I-8185 Rn. 59 ff.; EuGH, Urteil vom 6. 11. 2003 – Rs. C-243/01 (Gambelli), Slg. 2003, I-13031 Rn. 69; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – Rs. C-46/08 (Carmen Media), Slg. 2010, I-8149 Rn. 66; siehe hierzu auch BGH NJW 2013, 168 ff. sowie Hilf/Salomon, EUR 2013, 549, 553 ff.

§ 7 Zwingende Gründe des Allgemeininteresses

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wetten mit gleichem Suchtpotential hingegen in zunehmenden Maße von privaten Veranstaltern betrieben werden dürfen.40 Durch diese widersprüchlichen, mithin inkohärenten Regelungen wird letztlich die Zielerreichung, nämlich die Suchtprävention, insgesamt in Frage gestellt oder erscheint als nur vorgeschobener Grund für das mitgliedstaatliche Handeln.41 Mit der Berufung auf einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gibt der Mitgliedstaat selbst den Prüfungsmaßstab vor. Er muss sich aber eben auch daran festhalten lassen, wenn die von ihm getroffenen Maßnahmen hierzu im Widerspruch stehen.42 Hierdurch wird letztlich auch sichergestellt, dass der betroffene Mitgliedstaat tatsächlich die von ihm ins Feld geführten Ziele und nicht andere, z. B. protektionistische, wirtschaftliche oder fiskalische Interessen verfolgt.43 Erste Ansätze, das mitgliedstaatliche Vorgehen auf seine innere Stimmigkeit hin zu überprüfen, lassen sich bereits in früheren Urteilen des Gerichtshofs finden. So verwarf der Gerichtshof das deutsche Reinheitsgebot aufgrund der Feststellung, dass es widersprüchlich sei, das Zuführen von Zusatzstoffen bei Bier mit dem Hinweis auf mögliche Gesundheitsgefahren zu unterbinden, das Zuführen der gleichen Zusatzstoffe bei anderen Getränken aber unbeanstandet zu lassen.44 Erstmals benannt und als festes Prüfungskriterium im Rahmen der Geeignetheit45 etabliert hat der Gerichtshof das Kohärenzgebot dann in der Rechtssache Gambelli46 und seiner anschließenden Rechtsprechung im Bereich des Glücksspiels.47 Weitere Konturen

40 EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – Rs. C-46/08 (Carmen Media), Slg. 2010, I-8149 Rn. 67 f.; BGH NJW 2013, 168. 41 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 401; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2662 ff. Der BayVGH spricht insoweit anschaulich von einer „Scheinheiligkeitsgrenze“; BayVGH BeckRS 2012, 45753 Rn. 38. 42 Frenz, EuR 2012, 344, 348 f. 43 Talos/Strass, wbl 2013, 481, 482; Dederer, EuZW 2010, 771, 772; Forsthoff, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 401. 44 EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987 – Rs. 178/84 (dt. Reinheitsgebot), Slg. 1987, 1227 Rn. 49. 45 Die dogmatische Einordnung des Kohärenzgebots ist nicht unumstritten, kann vorliegend jedoch dahinstehen. Zu den unterschiedlichen Ansätzen siehe Lippert, EuR 2012, 90, 91 ff.; Kirschner, Grundfreiheiten und nationale Gestaltungsspielräume, S. 178 ff.; Da es sich im Kern um eine Überprüfung des mitgliedstaatlichen Mittels anhand des konkret ins Felde geführten Rechtfertigungsgrunds im Sinne einer Zweck-Mittel-Korrelation handelt, spricht jedoch einiges dafür, mit dem EuGH darin eine Frage der Geeignetheit zu sehen; siehe etwa EuGH, Urteil vom 25. 4. 2013 – Rs. C-212/11 (Jykse-Bank Gibraltar), EuZW 2013, 635 ff. Rn. 68; EuGH, Urteil vom 10. 3. 2009 – Rs. C-169/07 (Hartlauer), Slg. 2009, I-1721 Rn. 55; EuGH, Urteil vom 1. 6. 2010 – verb. Rs. C-570/07 u. a. (Blanco Peres und Chao Gomez), Slg. 2010, I-4629 Rn. 94; wie hier ferner Frenz, EuR 344, 349; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 94; Talos/Strass, wbl 2013, 481, 482 f.; a.A. Lippert, EuR 2012, 90, 91 f. 46 EuGH, Urteil vom 6. 11. 2003 – Rs. C-243/01 (Gambelli), Slg. 2003, I-13031. 47 Ausf. zur Entwicklung Kirschner, Grundfreiheiten und nationale Gestaltungsspielräume, S. 181 ff.; Lippert, EuR 2012, 90 f.; Frenz, EuR 2012, 343, 346 f.

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3. Teil: Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit

erhielt es zudem in einigen Urteilen zu Vorschriften des Gesundheitswesens.48 Aber auch im Bereich des Straßenverkehrsrechts,49 der Terrorismusbekämpfung50 und des Straf-51 und Steuerrechts52 werden in der jüngeren Zeit mitgliedstaatliche Maßnahmen auf ihre Kohärenz hin überprüft. Wie hoch dabei bisweilen die Kontrolldichte der Luxemburger Richter ist, zeigen eindrucksvoll die Urteile zur Niederlassung von Ärzten und Apotheken in Österreich,53 Deutschland54 und Spanien.55 Die in diesen Urteilen deutlich werdende Prüfungsintensität ließ die Kritik aufkommen, der Gerichtshof überprüfe neben der Widerspruchsfreiheit auch die Sinnhaftigkeit mitgliedstaatlicher Maßnahmen und ignoriere den dem nationalen Gesetzgeber zustehenden Beurteilungsspielraum in bedenklichem Maß.56 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang jedenfalls, dass der EuGH nicht nur isoliert die konkret betroffene Regelung auf Widersprüchlichkeit überprüft, sondern das Gesamtkonzept des betroffenen Mitgliedstaats, in das die streitgegenständlichen Normen eingebettet sind, einer genauen Konsistenzprüfung unterzieht.57 So waren die österreichischen Vorschriften im Urteil Hartlauer, die eine Ansiedlung von Zahnambulatorien zur 48 EuGH, Urteil vom 10. 3. 2009 – Rs. C-169/07 (Hartlauer), Slg. 2009, I-1721 Rn. 55; EuGH, Urteil vom 19. 5. 2009 – Rs. C-171/07 (Apothekerkammer des Saarlands u. a./Saarland), Slg. 2009, I-4171 Rn. 42; EuGH, Urteil vom 1. 6. 2010 – verb. Rs. C-570/07 u. a. (Blanco Peres und Chao Gomez), Slg. 2010, I-4629 Rn. 94; EuGH, Urteil vom 17. 7. 2008 – Rs. C-500/06 (Corporatión Dermoestética), Slg. 2008, I-5785; EuGH, Urteil vom 16. 12. 2010 – C-137/09 (Josemans), Slg. 2010, I-13019 Rn. 70 ff. 49 EuGH, Urteil vom 20. 3. 2014 – Rs. C-61/12 (Kommission/Litauen), BeckRs 2014, 80571 Rn. 65 f. (nicht explizit als Kohärenzprüfung bezeichnet). 50 EuGH, Urteil vom 25. 4. 2013 – Rs. C-212/11 (Jykse-Bank Gibraltar), EuZW 2013, 635 ff. Rn. 68. 51 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2010 – C-137/09 (Josemans), Slg. 2010, I-13019 Rn. 70 ff. 52 GA Kokott, Schlussanträge vom 13. 3. 2014 – Rs. C-48/13 (Nordea Bank Danmark), BeckRs 2014, 80556 Rn. 56. 53 EuGH, Urteil vom 10. 3. 2009 – Rs. C-169/07 (Hartlauer), Slg. 2009, I-1721 Rn. 55 ff. und jüngst EuGH, Urteil vom 13. 2. 2014 – Rs. C-367/12 (Susanne Sekoll-Seebacher), EuZW 2014, 307 ff. Rn. 39 ff. 54 EuGH, Urteil vom 19. 5. 2009 – Rs. C-171/07 (Apothekerkammer des Saarlands u. a./ Saarland), Slg. 2009, I-4171 Rn. 42 ff. 55 EuGH, Urteil vom 1. 6. 2010 – verb. Rs. C-570/07 u. a. (Blanco Peres und Chao Gomez), Slg. 2010, I-4629 Rn. 94 ff. 56 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 401 f. mit Blick auf EuGH, Urteil vom 10. 3. 2009 – Rs. C-169/07 (Hartlauer), Slg. 2009, I-1721 Rn. 55 – 71; ähnlich auch jüngst EuGH, Urteil vom 13. 2. 2014 – Rs. C-367/12 (Susanne Sekoll-Seebacher), EuZW 2014, 307 ff. Rn. 39 – 51; ähnliche, jedoch generelle Kritik am Kohärenzgebot mit Blick auf die Centros-Entscheidung äußernd Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 448. 57 Dederer, EuZW 2010, 771, 772 f.; Lippert, EuR 2012, 90, 92 f.; Frenz, EuR 2012, 344, 349; instruktiv insoweit auch EuGH, Urteil vom 26. 9. 2013 – Rs. C-539/11 (Ottica New Line di Accardi Vincenzo), BeckRS 2013, 81872 Rn. 47: „ Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind eine nationale Regelung insgesamt und die verschiedenen einschlägigen Regeln nämlich nur dann geeignet, die Erreichung des angestrebten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht werden, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen.“ (Herv. d. Verf.).

§ 7 Zwingende Gründe des Allgemeininteresses

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Vermeidung einer Doppelversorgung und damit verbundener Ineffizienzen in der medizinischen Versorgung einem Genehmigungsvorbehalt unterstellten, in den Augen des EuGH deshalb nicht kohärent, weil entsprechende Vorschriften für Gemeinschaftspraxen, die der Gerichtshof in einer umfassenden Analyse als mit Ambulatorien vergleichbar ansah, fehlten bzw. keinen Genehmigungsvorbehalt vorsahen.58 Das so ausgestaltete Kohärenzgebot ist dann auch in dem hier relevanten Kontext bei der Anwendung mitgliedstaatlicher gesellschaftsrechtlicher Regelungen auf zuziehende Auslandsgesellschaften zu beachten.59 Insbesondere das Centros-Urteil beinhaltet Aussagen, die die Möglichkeiten einer Rechtfertigung weiter eingrenzen. Wenn der EuGH nämlich den dänischen Mindestkapitalvorschriften die Eignung für den Gläubigerschutz deshalb abspricht, weil sie nicht gälten, sofern die betroffene Gesellschaft auch im Gründungsstaat tätig sei,60 so spiegelt sich in dieser Argumentation das Kohärenzgebot wider. In den Augen des EuGH ist es widersprüchlich, bei zuziehenden Auslandsgesellschaften ein Mindestkapital zum Schutze der inländischen Gläubiger für zwingend erforderlich zu halten, diesen Schutz aber als entbehrlich anzusehen, sofern die Gesellschaft noch Tätigkeiten im Herkunftsland beibehält, da die Gläubiger in beiden Fällen dem gleichen Risiko ausgesetzt sind.61 Mit diesem Argumentationsmuster liegt Centros auf einer Linie mit den oben genannten Urteilen, in denen jeweils die fehlende Kohärenz der mitgliedstaatlichen Maßnahmen zum Verdikt der Europarechtswidrigkeit führte. Besondere Brisanz bergen die Aussagen des EuGH insoweit, als sie sich nicht nur auf Vorschriften zum Mindestkapital beziehen, sondern auch zwanglos auf alle mitgliedstaatlichen Maßnahmen übertragen lassen, die gegenüber zuziehenden Auslandsgesellschaften Geltung beanspruchen sollen. Nach der Logik der CentrosEntscheidung ist eine Anwendung inländischer (gläubigerschützender) Vorschriften immer dann dem Vorwurf der Inkohärenz ausgesetzt, wenn hiervon nicht alle Auslandsgesellschaften, sondern lediglich solche erfasst werden, die im Ausland keiner werbenden Tätigkeit mehr nachgehen.62 Dahinter steht der Gedanke, dass von einer ausschließlich im Inland ansässigen Auslandsgesellschaft keine größere Gefahr für den inländischen Rechtsverkehr ausgeht als von einer Zweigniederlassung eines

58

EuGH, Urteil vom 10. 3. 2009 – Rs. C-169/07 (Hartlauer), Slg. 2009, I-1721 Rn. 61. Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 113; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 283 f.; insoweit zustimmend auch Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 161; Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 88 f. 60 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-145 Rn. 35. 61 v. Hase, BB 2006, 2141, 2148; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 113; siehe auch Kieninger, ZGR 1999, 724, 741. 62 Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 113; Sandrock, in: Sandrock/Wetzler, Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, S. 33, 61 ff.; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 283 f. 59

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3. Teil: Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit

ausländischen Großunternehmens mit veritablem Inlandsgeschäft.63 Wenn dann aber ein Mitgliedstaat gläubigerschützende Vorschriften nur gegenüber im Inland ansässigen Auslandsgesellschaften in Ansatz bringt, zeigt er dem Gedankengang des Gerichtshofs zufolge zweierlei: Einerseits kann der Gläubigerschutz, der zur Rechtfertigung der Anwendung nationaler Vorschriften ins Feld geführt wird, (doch) nicht so stark gefährdet sein, da anderenfalls eine Erstreckung auch auf „echte“ Auslandsgesellschaften geboten wäre. Andererseits folgt daraus auch, dass die mitgliedstaatlichen Maßnahmen möglicherweise von anderen als den angegebenen, etwa protektionistischen Zielen geleitet waren. Eine kohärente und systematische Zielverfolgung und damit die Geeignetheit der Maßnahmen wären nur noch schwer zu begründen. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Ungleichbehandlung von im Inland und im Ausland ansässigen Auslandsgesellschaften auf Gründen beruht, die auch in Ansehung der verfolgten Ziele schlüssig und plausibel sind. Soweit beispielsweise der Gläubigerschutz betroffen ist, müsste der betroffen Mitgliedstaat daher darlegen, dass die isolierte Anwendung seiner gläubigerschützenden Regelungen auf Scheinauslandsgesellschaften gerade Gefahren begegnen soll, die spezifisch von diesen (und nicht im vergleichbaren Maße von im Ausland ansässigen Gesellschaften) für inländische Gläubiger ausgehen.64 Dieser Darlegungslast wird man allerdings nicht bereits mit dem Argument Genüge leisten, dass der inländische Rechtsverkehr durch die Tätigkeit von Scheinauslandsgesellschaften regelmäßig stärker berührt werde als durch echte Auslandsgesellschaften und sich daraus ein legitimes Regelungsinteresse des Aufnahmestaats ergäbe.65 Eine solche, pauschalierende Betrachtungsweise hätte ansonsten auch im Fall der dänischen Mindestkapitalvorschriften Platz greifen und den EuGH zu einer anderen Centros-Entscheidung veranlassen müssen. Dieser ließ sich jedoch von dieser Argumentation bekanntermaßen nicht überzeugen.66 Betrachtet man zudem die hohe Darlegungslast, die der Gerichtshof den Mitgliedstaaten aufbürdet, erhellt sich weiter, dass es mehr als der Darlegung eines nicht spezifizierten, abstrakten Risikos bedarf, um die Kohärenz mitgliedstaatlicher Maßnahmen auch bei isolierter Anwendung auf Scheinauslandsgesellschaften nicht in Frage zu stellen. Den Mitgliedstaaten obliegt es nämlich, neben der Angabe der Rechtfertigungsgründe auch die Geeignetheit und die Verhältnismäßigkeit der beschränkenden Maßnahmen zu untersuchen und unter Anführung genauer Tatsachen darzulegen.67 Dies bedeutet, dass der betroffene 63 So auch Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 283 f.; a.A. Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 89. 64 Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 113; ähnlich auch v. Hase, BB 2006, 2141, 2148. 65 Dies erwägend Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 448; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 24 und 26, wohl auch SchmidtEhemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 89. 66 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-145 Rn. 35. 67 EuGH, Urteil vom 24. 3. 2011 – Rs. C-400/08 (Kommission/Spanien), Slg. 2011, I-1915 Rn. 83; siehe auch EuGH, Urteil vom 15. 9. 2011 – C-347/09 (Jochen Dickinger), Slg. 2011,

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Mitgliedstaat auch die Kohärenz seiner Maßnahmen dezidiert nachzuweisen hat. Allein der pauschale Verweis auf den quantitativen Anstieg inländischer Gläubiger oder ein auf der gesteigerten Betroffenheit des inländischen Rechtsverkehrs fußendes, abstrakt erhöhtes Regelungsinteresse des Aufnahmemitgliedstaats wird hier nicht reichen, wie sich auch an einem jüngeren Urteil des EuGH zur Sicherheit des Straßenverkehrs veranschaulichen lässt.68 Die streitgegenständlichen Normen des litauischen Straßenverkehrsrechts untersagten die Zulassung rechtslenkender Fahrzeuge für im Inland wohnende Personen. Ziel der Vorschriften war es, die Anzahl solcher Fahrzeuge und damit der Unfälle, die durch diese Fahrzeuge überdurchschnittlich häufig verursacht wurden, zu reduzieren. Aufgrund der Auswirkungen auf den Import rechtslenkender Fahrzeuge sah der EuGH in der fraglichen Regelung eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit. Eine Rechtfertigung der litauischen Vorschriften scheiterte in der weiteren Prüfung durch den Gerichtshof unter anderem deshalb, weil gleichzeitig die Nutzung solcher Fahrzeuge durch im Ausland wohnende Personen, etwa Touristen, toleriert wurde, obwohl die inländische Verkehrssicherheit nach Ansicht des EuGH hierdurch nicht weniger betroffen sei als bei der Nutzung durch im Inland ansässige Personen.69 Ein abstraktes gesteigertes Gefährdungspotential, das sich allein aus der Ansässigkeit im Inland und der damit einhergehenden größeren Nähe zum inländischen Rechtsverkehr ergeben könnte, war demnach auch in diesem Fall, in dem mit der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit für Leib und Leben sogar ein wesentlich gewichtigeres Allgemeininteresse als der Gläubigerschutz betroffen war, nicht ausreichend, um den Vorwurf inkohärenter Zielverfolgung zu entkräften. Im Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass das zunehmend Bedeutung erlangende Kohärenzgebot die argumentative Basis für eine Erstreckung inländischen Gesellschaftsrechts auf zuziehende Auslandsgesellschaften weiter verkleinert. Insbesondere eine Anwendung gläubigerschützender Vorschriften, wie der Insolvenzverschleppungshaftung oder der Existenzvernichtungshaftung, wird regelmäßig nicht zu rechtfertigen sein. Es ließe sich nämlich nur schwer argumentieren, dass sie allein Gefahren begegnen sollen, die sich für inländische Gläubiger gerade aus dem Umstand ergeben, dass die betreffende Gesellschaft über keine Geschäftstätigkeit im Herkunftsstaat verfügt. Sofern sich im Einzelfall nicht überzeugende Gründe für eine isolierte Erstreckung auf Scheinauslandsgesellschaften finden lassen, droht die Anwendung solcher Instrumente daher vor dem Hintergrund des rigiden KohäI-8185 Rn. 55; EuGH, Urteil vom 20. 3. 2014 – Rs. C-61/12 (Kommission/Litauen), BeckRs 2014, 80571 Rn. 60; ferner EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 140; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – verb. Rs. C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07 (Stoß, u. a.), Slg. 2010, I-Rn. 71; so auch Frenz, EuR 2012, 344, 353. 68 EuGH, Urteil vom 20. 3. 2014 – Rs. C-61/12 (Kommission/Litauen), BeckRs 2014, 80571. 69 EuGH, Urteil vom 20. 3. 2014 – Rs. C-61/12 (Kommission/Litauen), BeckRs 2014, 80571 Rn. 65.

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3. Teil: Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit

renzverständnisses des EuGH an der fehlenden Geeignetheit zur Zielerreichung zu scheitern.

II. Erforderlichkeit Weiterhin müsste eine Anwendung inländischer gesellschaftsrechtlicher Normen zum Schutz der Allgemeininteressen nicht nur geeignet, sondern darüber hinaus auch erforderlich sein. Die Erforderlichkeit bildet regelmäßig den Schwerpunkt der europarechtlichen Rechtfertigungsprüfung.70 Sie hinterfragt, ob die betroffenen zwingenden Gründe des Allgemeininteresses nicht durch eine für den Begünstigten weniger belastende, ebenso wirksame Maßnahme geschützt werden können.71 Eine die Niederlassungsfreiheit beschränkende Maßnahme ist daher nicht erforderlich, wenn ein milderes, vergleichbar effektives Mittel zur Verfügung steht.72 Im Rahmen dieser Erforderlichkeit wird insbesondere durch zwei Argumentationsmuster des EuGH weiterer Rechtfertigungsdruck auf die Anwendung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften auf Auslandsgesellschaften aufgebaut. 1. Informationsmodell Die erste dieser Hürden bildet der Topos des sog. Informationsmodells.73 Dieses insbesondere bei der Warenverkehrsfreiheit seit Langem Geltung beanspruchende Prinzip stellt bei der Erforderlichkeitsprüfung beschränkenden Maßnahmen der Mitgliedstaaten den auf ausreichender Information basierenden Selbstschutz gegenüber.74 Ausgehend von dem europäischen Leitbild eines mündigen Verbrau-

70 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 93; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 118; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 449; Koch, Der Grundsatz der Verhälnismäßigkeit, S. 415 ff. 71 Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2665 f.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 95; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 401 f.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 93 ff.; Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 36 AEUV Rn. 67; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 30 ff.; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 161. 72 EuGH, Urteil vom 30. 11. 1995 – Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I-4165 Rn. 37; EuGH, Urteil vom 26. 1. 2006 – Rs. C-514/03 (Kommission/Spanien), Slg. 2006, I-963 Rn. 37, 43, 57; EuGH, Urteil vom 9. 9. 2010 – Rs. C-64/08 (Engelmann), Slg. 2010, I-8219 Rn. 37; EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011 – Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I-12273 Rn. 42 ff., 50 ff.; EuGH, Urteil vom 17. 10. 2002 – Rs. C- 79/01 (Payroll Data), Slg. 2002, I-8923 Rn. 36; EuGH, Urteil vom 15. 12. 1995 – Rs. C-415/93 (Bosman), Slg. 1995, I-4921 Rn. 30. 73 Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 113; Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 44. 74 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 95; Grundmann, DStR 2004, 232 ff.

§ 7 Zwingende Gründe des Allgemeininteresses

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chers75 und umsichtigen Wirtschaftsteilnehmers76 hinterfragt der EuGH hierbei regelmäßig, ob anstelle einer den Warenverkehr belastenden Maßnahme eine angemessene Unterrichtung und Aufklärung die Verbraucher/Marktteilnehmer nicht zu adäquatem Selbstschutz veranlassen und so im gleichen Maße schützen könnte.77 Ist dies der Fall, ist dem die Grundfreiheit weit weniger beschränkenden Schutz durch Information der Vorzug zu geben. Weitere Maßnahmen sind dann nicht erforderlich. Die Entscheidungen Centros und Inspire Art haben den Gedanken des Selbstschutzes durch Information auch im Rahmen der Niederlassungsfreiheit eingeführt und als einen gewichtigen Parameter für die Erforderlichkeitsprüfung etabliert.78 In Centros sah der EuGH die Erstreckung der dänischen Mindestkapitalvorschriften auf die Centros Ltd. Bereits aufgrund ihrer Firmierung als nicht erforderlich für den Gläubigerschutz an: „Da die Gesellschaft als Gesellschaft englischen Rechts, nicht als Gesellschaft dänischen Rechts auftritt, ist den Gläubigern weiter bekannt, daß sie nicht dem dänischen Recht über die Errichtung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung unterliegt.“79

Zur Sicherung des für ein solches caveat creditor-Prinzip erforderlichen Informationszugangs könnten sich die Gläubiger zudem auf bestimmte unionsrechtliche Schutzvorschriften, namentlich die Bilanz-80 und die Zweigniederlassungsrichtli75

Hierzu etwa EuGH, Urteil vom 6. 7. 1995 – Rs. C-470/93 (Mars), Slg. 1995, I-1923 Rn. 24; EuGH, Urteil vom 13. 1. 2000 – Rs. C-220/98 (Esteé Lauder Cosmetics), Slg. 2000, I-117 Rn. 27; EuGH, Urteil vom 16. 7. 1998 – Rs. C-210/96 (Gut Springenheide) Slg. 1998, I-4657 Rn. 31; EuGH, Urteil vom 12. 10. 2000 – Rs. C-3/99 (Ruwet), Slg. 2000, I-8749 Rn. 53; hierzu etwa Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 211 ff. 76 EuGH, Urteil vom 13. 12. 1990 – Rs. C-238/89 (Pall/Dahlhausen), Slg. 1990, I-4827 Rn. 21; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 213. 77 Statt vieler EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979 – Rs. 120/78 (Cassis), Slg. 1979, 649 Rn. 13; EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987 – Rs. 178/84 (dt. Reinheitsgebot), Slg. 1987, 1227 Rn. 53 f.; EuGH, Urteil vom 14. 7. 1988 – Rs. 407/85 (Drei Glocken), Slg. 1988, 4233 Rn. 12 ff.; EuGH, Urteil vom 2. 2. 1994 – Rs. C-315/92 (Verband Sozialer Wettbewerb), Slg. 1994, I-317 Rn. 20 ff.; EuGH, Urteil vom 13. 12. 1990 – Rs. C-238/89 (Pall/Dahlhausen), Slg. 1990, I-4827 Rn. 21. 78 Siehe hierzu ausf. Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 33 ff.; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 81 ff.; ders., in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 410; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 103 f.; Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 92 ff.; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 210 ff.; Ego, Europäische Niederlassungsfreiheit, S. 213 ff.; Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 32; Grundmann/Möslein, in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, S. 31, 104 f.; ferner Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 14; Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677, 682; kritisch Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 450. 79 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-145 Rn. 36. 80 Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 auf Grund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, Abl. Nr. L 222 S. 11; seit dem 19. 7. 2013 abgelöst durch Richtlinie 2013/34/EU

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3. Teil: Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit

nie,81 berufen.82 Noch deutlicher stellte der EuGH das Informationsmodell im Inspire Art-Urteil in den Vordergrund und formulierte: „Erstens ist zum Gläubigerschutz ohne weitere Prüfung, ob die Vorschriften über das Mindestkapital als solche einen geeigneten Schutzmechanismus bilden, festzustellen, dass die Inspire Art als Gesellschaft englischen Rechts und nicht als niederländische Gesellschaft auftritt. Ihre potenziellen Gläubiger sind hinreichend darüber unterrichtet, dass sie anderen Rechtsvorschriften als denen unterliegt, die in den Niederlanden die Gründung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung regeln, u. a., was die Vorschriften über das Mindestkapital und die Haftung der Geschäftsführer betrifft.“83

Diese Aussagen verdeutlichen, dass der Gerichtshof auch im Bereich des Gesellschaftsrechts den Selbstschutz der Gläubiger gegenüber beschränkenden Maßnahmen der Mitgliedstaaten im weiten Umfang favorisiert. Nur soweit Gläubiger mangels Information keine geeigneten Vorkehrungen treffen können, um sich gegen die Risiken aus Geschäftsbeziehungen mit korporativen Geschäftspartnern zu schützen, könnten nationale Maßnahmen danach auch gegenüber im Inland ansässigen Auslandsgesellschaften verfangen. Da nach der Konzeption des EuGH die für den Eigenschutz notwendige Information jedoch durch die sekundärrechtlichen Schutzvorschriften der Bilanz-84 und Zweigniederlassungsrichtlinie – man mag noch die Publizitätsrichtlinie85 ergänzen – sichergestellt ist, sind mitgliedstaatliche Maßnahmen für den Gläubigerschutz regelmäßig nicht erforderlich.86 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl. Nr. L 182 S. 19; hierzu etwa Luttermann, NZG 2013, 1128 ff. 81 Elfte Richtlinie (89/666/EWG) des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staats unterliegen, ABl Nr. L 395 S. 36. 82 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-145 Rn. 36. 83 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 135. 84 Nunmehr Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/ 43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/ EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl. Nr. L 182 S. 19; hierzu etwa Luttermann, NZG 2013, 1128 ff. 85 Richtlinie 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. Nr. L 258 S. 11. 86 Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 103 f.; Merkt, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, S. 81, 97; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht S. 284; Goette, ZIP 2006, 541, 542; Merkt, RIW 2004, 1, 5 ff.

§ 7 Zwingende Gründe des Allgemeininteresses

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Das Informationsmodell des EuGH ist nicht ganz zu Unrecht wiederholt auf Kritik gestoßen.87 Das Prinzip des Selbstschutzes lässt sich nicht ohne weiteres auf alle Gläubigergruppen erstrecken und läuft insbesondere gegenüber deliktischen Gläubigern ins Leere.88 Zutreffend ist hervorgehoben worden, dass vertragliche Kleingläubiger ohne Verhandlungsmacht nur bedingt und gesetzliche Gläubiger gar nicht zu Eigenschutz fähig sind und daher nur eingeschränkt auf entsprechende Information verwiesen werden können.89 Auch kann man das zugrundliegende Leitbild eines „umsichtigen Gläubigers“ als kritikabel betrachten.90 Gleichwohl sollte aus diesen strukturellen Schwächen des Informationsmodells nur mit Bedacht ein Argument für die Erforderlichkeit mitgliedstaatlicher Maßnahmen formuliert werden. Es wäre paradox, den unzulänglichen Schutz deliktischer Gläubiger durch das Informationsmodell zu benutzen, um etwa die Erforderlichkeit der Insolvenzverschleppungshaftung darzulegen; lässt diese doch gesetzliche Neugläubiger ebenfalls schutzlos.91 Sie hat – wie es der BGH plastisch formuliert – nicht den Zweck, „potenzielle Deliktsgläubiger davor zu bewahren, nach Insolvenzreife noch Opfer eines Delikts zu werde.“92 Schutzlücken im Informationsmodell werden hierdurch nicht kompensiert. Erfolgversprechender könnte eine auf die Unzulänglichkeiten des Informationsmodells gestützte Argumentation dort sein, wo speziell auf Deliktsgläubiger zugeschnittenen Schutzinstrumente, wie eine Durchgriffshaftung oder Insolvenzpriorität für Deliktsgläubiger,93 in Rede stehen.94 87

Ausf. etwa Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 38 ff.; Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 95 ff. 88 Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677, 682; Ulmer, NJW 2004, 1201 f.; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 14; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 210 ff.; zum Problem der deliktischen Gläubiger siehe Hertig/Kanda, in: Kraakman/Davies/Hansmann u. a. (Hrsg.), The Anatomy of Corporate Law, S. 71, 76 ff. 89 Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 14; Eidenmüller, KTS 2009, 137, 141; ders., in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 39 ff.; Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 95 ff.; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 211 f.; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 104. Demgegenüber scheint es nicht recht angängig, dem Informationsprinzip auch für den Fall der Innenhaftung jegliche Relevanz abszusprechen, da es Gläubigern bei als unzureichend empfundener Innenhaftung zumindest die Möglichkeit bietet, von Geschäftsbeziehungen ganz abzusehen, wie hier Goette, ZIP 2006, 541, 542; a.A. Kindler, in: MünchKommBGB, IntGesR Rn. 450. 90 Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 40; Weller, DStR 2003, 1800, 1802; Schmidt-Ehemann, Haftung bei Insolvenz einer EU-Auslandsgesellschaft, S. 95. 91 Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 113. 92 BGH NJW 2005, 3137, 3140. 93 Zu solchen, speziell Deliktsgläubiger schützenden Instrumenten siehe Wagner, in: FS Gerhardt, S. 1043 ff.; Mankowski, in: Lutter (Hrsg.), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, S. 488, 489 ff. 94 Siehe auch Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 113; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 103; im Grundsatz auch Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.),

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3. Teil: Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit

2. Vorschriften des Gründungsrechts Während auf der einen Seite das Informationsmodell die Rechtfertigungsmöglichkeit für eine Erstreckung der nationalen Vorschriften auf zuziehende Auslandsgesellschaften in nicht unerheblichem Maße begrenzt, wird auf der anderen Seite die Erforderlichkeit solcher mitgliedstaatlichen Maßnahmen durch bereits nach dem Gründungsrecht bestehende Schutzmechanismen weiter in Frage gestellt. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass beschränkende Maßnahmen des Aufnahmemitgliedstaats insoweit nicht erforderlich sind, als der Schutz des durch den Zuzugsstaat verfolgten Allgemeininteresses bereits durch Vorschriften des Herkunftsstaats gewährleistet wird.95 Da die Anwendung der Vorschriften der Gründungsrechtsordnung keine beschränkende Wirkung für den grenzüberschreitenden Marktzugang entfaltet, stellt sie im Grundsatz eine weniger belastende Maßnahme und damit ein milderes Mittel als die Anwendung beschränkender Vorschriften des Aufnahmestaats dar. Die Relevanz des Gründungsrechts im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung wird indes bisweilen bestritten und eine Beurteilung der Erforderlichkeit allein aus nationaler Sicht befürwortet.96 Für diesen Ansatz wird maßgeblich angeführt, dass der EuGH die Mitgliedstaaten gerade nicht auf die Anerkennung der in anderen Mitgliedstaaten geltenden Schutzstandards und -methoden verpflichtet habe und die Vorschriften des Gründungsrechts daher für die Erforderlichkeit beschränkender Maßnahmen des Aufnahmestaats irrelevant seien.97 Dem ist zuzugeben, dass der EuGH in den referenzierten Entscheidung und in steter Rechtsprechung hervorhebt, dass allein der Umstand, dass ein Mitgliedstaat weniger strenge Vorschriften erlässt als der Aufnahmestaat, nicht eo ipso bedeutet, dass es den Regelungen des AufAusländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 42 a.E.; tendenziell a.A. Zessel, Durchgriffshaftung, S. 212. 95 Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 45, 60; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2665 f.; Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 46; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 62, 77 f. und § 16 Rn. 18 ff.; ders., in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 395 ff.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 21; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112 f.; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 14; Goette, ZIP 2006, 541, 543; Behrens, IPRax 2004, 20, 25; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 108; Vetter, BB 2007 1965, 1970; Weller, FS Hommelhoff, S. 1275, 1293 f.; ders., ZIP 2007, 1681, 1689; so bereits auch Knobbe-Keuck, ZHR 154 (1990), 325, 347; siehe auch Kingreen, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 95. 96 Heitsch, ZinsO 2007, 961, 964; Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 165 ff.; Altmeppen/Wilhelm, DB 2003, 1083, 1088; Altmeppen, NJW 2005, 1911, 1913; Borges, ZIP 2004, 733, 741 f.; ebenfalls nicht auf den durch das Gründungsrecht vermittelten Schutz abstellend Wagner, FS Canaris, S. 473, 503 f.; wohl auch Ulmer, NJW 2004, 1201, 1208 f. 97 So insbesondere Altmeppen/Ego, in: MünchKommAktG, Europ. Niederlassungsfreiheit Rn. 167 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 1. 6. 2010 – verb. Rs. C-570/07 u. a. (Blanco Peres und Chao Gomez), Slg. 2010, I-4629 Rn. 68; siehe auch Borges, ZIP 2004, 733, 741 f.; Heitsch, ZinsO 2007, 961, 964.

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nahmestaats an der Erforderlichkeit mangelt.98 Die Grundfreiheiten verlangen von Mitgliedstaaten nicht, ihre Schutzstandards an das Niveau des Mitgliedstaats mit den geringsten Anforderungen anzupassen.99 Jeder Mitgliedstaat ist vielmehr frei, das Schutzniveau autonom zu bestimmen.100 Aus dieser Feststellung lässt sich jedoch nicht ableiten, dass das Gründungsrecht im Rahmen der Erforderlichkeit schlechterdings irrelevant sei. Denn auch wenn der Aufnahmestaat das Schutzniveau autonom festlegen kann, so ist er gleichwohl verpflichtet zu überprüfen, ob der von ihm festgelegte Standard nicht auch durch Vorschriften des Herkunftsstaats erreicht werden kann.101 Bietet das Recht des Herkunftsstaats Vorschriften, die einen zumindest grob vergleichbaren Schutz gewährleisten, ist die Anwendung der Vorschriften des Aufnahmestaats in den Augen des EuGH regelmäßig unverhältnismäßig.102 So hat der Gerichtshof beispielsweise spanischen Vorschriften, die für Sicherheitsunternehmen bestimmte Gesellschaftsformen, ein Mindestkapital und Sicherheitsleistungen vorsahen, unter anderem deshalb als nicht gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit angesehen, weil diese nicht berücksichtigten, dass das geltend gemachte Allgemeininteresse bereits durch die Vorschriften geschützt wurde, denen die betroffenen Unternehmen in ihrem Herkunftsland unterlagen.103 Neben den eindeutigen Aussagen des EuGH sprechen aber auch weitere Gründe dafür, die Regelungen des Herkunftsstaats mit in die Erforderlichkeitsprüfung ein98

Statt vieler EuGH, Urteil vom 26. 1. 2006 – Rs. C-514/03 (Kommission/Spanien), Slg. 2006, I-963 Rn. 49; EuGH, Urteil vom 1. 6. 2010 – verb. Rs. C-570/07 u. a. (Blanco Peres und Chao Gomez), Slg. 2010, I-4629 Rn. 68; EuGH, Urteil vom 21. 10. 1999 – Rs. C-67/98 (Zenatti), Slg. 1999, I-7289 Rn. 34; EuGH, Urteil vom 10. 5. 1995 – Rs. C-384/93 (Alpine Investments), Slg. 1995, I-1141 Rn. 51; siehe auch Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2677. 99 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 395. 100 EuGH, Urteil vom 13. 2. 2014 – Rs. C-367/12 (Susanne Sekoll-Seebacher), EuZW 2014, 304 ff. Rn. 26; EuGH, Urteil vom 20. 3. 2014 – Rs. C-61/12 (Kommission/Litauen), BeckRs 2014, 80571 Rn. 60 f.; EuGH, Urteil vom 1. 6. 2010 – verb. Rs. C-570/07 u. a. (Blanco Peres und Chao Gomez), Slg. 2010, I-4629 Rn. 106; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2009 – Rs. C-42/07 (Bwin), Slg. 2009, I-7633 Rn. 59. 101 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 397; Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2666; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rn. 95; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 106 f.; Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 113; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 213 ff. 102 EuGH, Urteil vom 26. 1. 2006 – Rs. C-514/03 (Kommission/Spanien), Slg. 2006, I-963 Rn. 43, 57; EuGH, Urteil vom 6. 11. 2003 – Rs. C-243/01 (Gambelli), Slg. 2003, I-13031 Rn. 73; EuGH, Urteil vom 6. 6. 1996 – Rs. C-101/94 (Kommission/Italien), Slg. 1996, I-2691 Rn. 17; EuGH, Urteil vom 7. 5. 1991 – Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I-2357 Rn. 16 ff.; EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991 – Rs. C-76/90 (Säger), Slg. 1991, I-4221 Rn. 15; EuGH, Urteil vom 17. 12. 1981 – Rs. 272/80 (Maatschappij), Slg. 1981, 3277 Rn. 14; EuGH, Urteil vom 11. 5. 1989 – Rs. 25/88 (Wurmser), Slg. 1989, 1105 Rn. 18; EuGH, Urteil vom 27. 6. 1996 – Rs. C-293/94 (Brandsma), Slg. 1996, I-3159 Rn. 12. 103 EuGH, Urteil vom 26. 1. 2006 – Rs. C-514/03 (Kommission/Spanien), Slg. 2006, I-963 Rn. 43, 57; ähnlich auch EuGH, Urteil vom 6. 6. 1996 – Rs. C-101/94 (Kommission/Italien), Slg. 1996, I-2691 Rn. 17.

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3. Teil: Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit

zubeziehen und diese nicht allein aus der Sicht des betroffenen Aufnahmemitgliedstaats zu beurteilen. So bliebe beispielsweise das Postulat des Gerichtshofs, nach dem die Niederlassungsfreiheit es den Marktakteuren ermöglicht, sich das Regelungsgefälle zwischen den Mitgliedstaaten zu Nutze zu machen,104 weitestgehend ein Lippenbekenntnis, wenn dieses Regelungsgefälle durch die Nichtbeachtung des Gründungsrechts im Rahmen der Erforderlichkeit und die damit bewirkte Rechtfertigung beschränkender Maßnahmen des Aufnahmestaats sogleich wieder nivelliert würde.105 Zudem ließe sich eine Ausblendung des Gründungsrechts nur schwer mit dem Prinzip des unvollkommenen, durch die Fortexistenz unterschiedlicher Rechtsordnungen geprägten Binnenmarkts als Zielzustand der Grundfreiheiten106 in Deckung zu bringen. Soweit die Grundfreiheiten nämlich die beschränkungsfreie Zirkulationsfähigkeit von Ressourcen trotz unterschiedlicher Rechtsordnungen im Binnenmarkt gewähren sollen, kann es in Ansehung dieses Ziels bei der Frage nach einer etwaigen Rechtfertigung einer Beschränkung nicht auf die nationale Provenienz eines milderen Mittels ankommen. Bliebe der durch die Vorschriften des Gründungsrechts vermittelte Schutz hingegen unbeachtet, könnte sich die Rechtfertigungsprüfung des Anscheins zirkulärer Argumentation nicht erwehren. Die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats erwiesen sich regelmäßig als erforderlich, das durch sie statuierte Schutzniveau zu erreichen.107 Ein solches Verständnis entkoppelte die Grundfreiheitenkontrolle von ihrem grenzüberschreitenden Bezugspunkt und reduzierte sie letztlich zu einer Dopplung des bereits in den nationalen (Verfassungs-)Rechten verankerten Übermaßverbots. Im Ergebnis schränkt daher der durch die Vorschriften des Gründungsrechts vermittelte Schutz die Rechtfertigungsmöglichkeit für die Anwendung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften des Aufnahmestaats auf zuziehende Auslandsgesellschaften weiter ein. Nur soweit nicht bereits das Recht des Herkunftsstaats einen annähernd vergleichbaren Schutz gewährleistet, können sich beschränkende Vorschriften des Aufnahmestaats als erforderlich erweisen, die identifizierte Schutzlücke zu schließen.108 Bei der Bestimmung des durch das Gründungsrecht gewährten Schutzes wird man zudem berücksichtigen müssen, dass andere Rechtsordnungen Schutzanliegen mit anderen Mitteln verfolgen können. Insbesondere das Gesellschaftsrecht und der darin angelegte Minderheiten- und Gläubigerschutz stellen ein System kommunizierender Röhren dar, innerhalb dessen Zurückhaltung an der einen 104

EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 96; EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999 – Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-145 Rn. 18. 105 Ähnlich Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 106; Zessel, Durchgriffshaftung, S. 213; ähnlich Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2665 f. 106 Siehe hierzu bereits oben unter 1. Teil § 1 III. 107 Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 112 f. 108 Frenz, Grundfreiheiten, Rn. 2665 f.; Leible, in: Michalski, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rn. 46; Forsthoff, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 2 Rn. 77 f.; ders., in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 45 AEUV Rn. 397; MüllerGraff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 21.

§ 7 Zwingende Gründe des Allgemeininteresses

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Stelle durch Rigidität an der anderen ausgeglichen wird.109 Es griffe daher zu kurz, das Gründungsrecht allein nach einer dem Tatbestand der inländischen Norm vergleichbaren Vorschrift zu befragen. Entscheidend ist vielmehr, ob sich im Recht des Gründungsstaats überhaupt Instrumente finden lassen, die – wenn auch auf anderem Weg – die Schutzanliegen im vergleichbaren Maß adressieren.110 Dabei ist – wie auch im Rahmen des § 293 ZPO111 – neben dem geschrieben Recht auch die konkrete Rechtspraxis und Rechtsprechung zu berücksichtigen.112 Der durch das Gründungsrecht gewährte Schutz muss nach Ansicht des EuGH nicht genau den Schutzstandard der Vorschriften des Aufnahmestaats erreichen, sondern kann auch im Einzelfall dahinter zurück bleiben.113 Dahinter lässt sich der bereits angesprochen Gedanke identifizieren, dass die Anwendung des Gründungsrechts im Gegensatz zu Maßnahmen des Aufnahmestaats keine Beschränkung der Grundfreiheit darstellt und daher selbst bei geringfügig schwächerer Schutzfunktion vorzugswürdig erscheint.114

III. Zwischenergebnis – wenig Raum für die Rechtfertigung Insgesamt lässt sich daher festhalten, dass die Rechtfertigung einer Erstreckung inländischer (Gesellschafts-)Rechtsvorschriften auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses nur in einem sehr begrenzten Raum möglich ist. Das Kohärenzgebot, das Informationsmodell und die durch das Gründungsrecht gewährten Schutzmechanismen setzen hier als Argumentationsmuster einer etwaigen Rechtfertigung enge Grenzen. Erhöht auch schon einer dieser Topoi den Rechtfertigungsdruck in beachtlichem Maß, ist es aber gerade die Gesamtheit dieser gegen beschränkende Maßnahmen des Aufnahmestaats vorzubringenden Einwände, die das primärrechtliche Placit nur in Ausnahmefällen erreichbar erscheinen lässt.115 109

Dazu bereits oben 1. Teil § 3 I.1. So auch Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 107 f.; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 50; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 14; wohl auch Goette, DStR 2006, 541, 543. 111 BGH DB 2014, 418 ff., demzufolge der Tatrichter „auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung berücksichtigen“ muss. 112 Hierzu auch Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 14; Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften, S. 49, 108. 113 EuGH, Urteil vom 6. 6. 1996 – Rs. C-101/94 (Kommission/Italien), Slg. 1996, I-2691 Rn. 17; demzufolge eine Rechtfertigung der beschränkenden Maßnahmen scheiterte, weil „die verschiedenen von den Mitgliedstaaten […] verwendeten Methoden allgemein ein gleiches Maß an Sicherheit [garantieren], selbst wenn eine Methode im Einzelfall einen stärkeren Schutz gewähren kann als eine andere.“ 114 Berner/Klöhn, ZIP 2007, 106, 113. 115 So auch Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 70; Jestädt, Gesellschaftskollisionsrecht, S. 262, 297. 110

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3. Teil: Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit

Für eine Rechtfertigung wäre nämlich nicht nur erforderlich, dass die Vorschriften entweder gegenüber sämtlichen Auslandsgesellschaften global Geltung beanspruchen oder lediglich solchen Gefahren begegnen, die sich speziell aus dem inländischen Verwaltungssitz der betreffenden Gesellschaft ergeben. Es bedürfte zudem der mit dem Grundsatz der Gleichwertigkeit der nationalen Rechtsordnung nur schwer in Einklang zu bringenden Feststellung, dass der durch das Gründungsrecht gewährte Schutz nicht nur insgesamt hinter dem des Aufnahmestaats zurückbleibt, sondern qualitativ so viel schlechter ausgestaltet ist, dass über die Information potentieller Gläubiger hinaus, weiterer Schutz durch Vorschriften des Aufnahmestaats zwingend erforderlich ist. Erschwerend kommt hinzu, dass der Aufnahmemitgliedstaat die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt.116 Vor diesem Hintergrund wird eine Erstreckung inländischen Gesellschaftsrechts auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften regelmäßig nicht zu rechtfertigen sein und eine unzulässige Beschränkung der durch die Art. 49, 54 AEUV gewährten Niederlassungsfreiheit darstellen. Die Rigorosität, mit der der EuGH in Centros, Überseering und Inspire Art eine Rechtfertigung verwarf, ist hierfür ein weiterer Beleg.

116 EuGH, Urteil vom 24. 3. 2011 – Rs. C-400/08 (Kommission/Spanien), Slg. 2011, I-1915 Rn. 83; siehe auch EuGH, Urteil vom 15. 9. 2011 – C-347/09 (Jochen Dickinger), Slg. 2011, I-8185 Rn. 55; EuGH, Urteil vom 20. 3. 2014 – Rs. C-61/12 (Kommission/Litauen), BeckRs 2014, 80571 Rn. 60; ferner EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 Rn. 140; EuGH, Urteil vom 8. 9. 2010 – verb. Rs. C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07 (Stoß, u. a.), Slg. 2010, I-Rn. 71; so auch Frenz, EuR 2012, 344, 353.

4. Teil

Zusammenfassung der Ergebnisse Die nachfolgenden 21 Thesen fassen die wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung zusammen: 1. Teil: Grundfreiheiten und Kollisionsrecht

1. Die Grundfreiheiten dienen der Verwirklichung des Binnenmarkts. Sie sichern eine effiziente Allokation von Ressourcen innerhalb der Union, indem sie Hemmnisse für den grenzüberschreitenden Handel abbauen. Ihre (negativ) integrative Wirkung liegt dabei in ihrer Funktion als Kontrollmaßstab für die mitgliedstaatliche Rechtsanwendung. 2. Das internationale Privatrecht ist nicht von der Kontrolle durch die Grundfreiheiten, insbesondere die Niederlassungsfreiheit, freigestellt, sondern kann mit diesen ebenso in Konflikt geraten wie das mitgliedstaatliche Sachrecht. Zwar erweist sich das Kollisionsrecht zunächst als bloßes, ergebnisneutrales Verweisungsrecht, doch kann es beispielsweise dort eine verbotene Diskriminierung begründen, wo es aufgrund des ausgesprochenen Verweises im Sachrecht wurzelnde Vergünstigungen nur inländischen Marktteilnehmern zugutekommen lässt. Darüber hinaus partizipiert das Kollisionsrecht aber auch an Beschränkungen der Grundfreiheiten, soweit es erst den räumlichen Anwendungsbefehl für beschränkendes mitgliedstaatliches Sachrecht erteilt. In diesem Fall bewirkt erst das Zusammenspiel aus Kollisionsrecht und Sachrecht das die Grundfreiheiten beschränkende Ergebnis. 3. Für das internationale Gesellschaftsrecht gilt nichts anderes. Art. 54 AEUV beinhaltet keine Gesamtnormverweisung, die zur Bestimmung der subjektiven Berechtigung der Niederlassungsfreiheit auf das Kollisionsrecht des Aufnahmestaats verweist und dieses so der Niederlassungsfreiheit vorschaltet. Ein solches Verständnis führte im Ergebnis zu einer Marktsegmentierung, die die Grundfreiheiten gerade verhindern wollen, und ist daher folgerichtig vom EuGH im Überseering-Urteil verworfen worden. 4. Den Grundfreiheiten ist andererseits auch keine Kollisionsnorm zu entnehmen. Die Ziele und die Funktionen von Grundfreiheiten und internationalem Privatrecht erweisen sich trotz einiger Gemeinsamkeiten im Ergebnis als zu verschieden, als dass eine Kollisionsnorm die von den Grundfreiheiten ausgehenden Vorgaben systemkonform abbilden könnte. Das ergebnisneutrale Kollisionsrecht

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4. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse

ist insbesondere nicht in der Lage, die auf eine Ergebniskontrolle abzielende Funktion der Grundfreiheiten zu übernehmen. Soweit ein aus der CassisRechtsprechung abgeleitetes primärrechtliches Herkunftslandprinzip zudem als Ansatzpunkt für eine primärrechtliche Verweisungsregel dienen soll, steht dem entgegen, dass die Grundfreiheiten sich nicht auf das Herkunftslandprinzip reduzieren lassen. Sie erfordern vielmehr ein Wechselspiel zwischen Bestimmungs- und Herkunftslandprinzip. Eine allein aus einem dieser Prinzipien deduzierte Kollisionsnorm kann daher die Wirkungsweise der Grundfreiheiten nicht vollumfänglich erfassen. 5. Die Funktion der Grundfreiheiten und damit auch der Niederlassungsfreiheit stellt sich vielmehr als eine Zielvorgabe dar. Die Grundfreiheiten überprüfen das mitgliedstaatliche Rechtsanwendungsergebnis, das sich aus dem Zusammenspiel von Kollisions- und Sachrecht ergibt, und fordern bei einem primärrechtswidrigen Ergebnis eine Korrektur. Sie geben aber nicht vor, auf welcher Ebene diese Korrektur zu erfolgen hat. Es bleibt daher bei der mitgliedstaatlichen Kompetenz zu entscheiden, ob ein unionsrechtkonformes Ergebnis durch die Korrektur des Sachrechts oder des Kollisionsrechts vorgenommen wird. 6. Die Rechtsprechung des EuGH, insbesondere die Überseering-Entscheidung, begründet auch für das internationale Gesellschaftsrecht kein divergierendes Ergebnis. Wenn der Gerichtshof in der Rechtssache Überseering die mit der Sitztheorie assoziierten Rechtsfolgen, die Versagung der Rechts- und Parteifähigkeit, als mit den Art. 49, 54 AEUV unvereinbar erklärt, ist darin entgegen anders lautender Stellungnahmen nicht zugleich die Primärrechtswidrigkeit der Sitztheorie als solcher ausgesprochen. Mit der Versagung der Rechts- und Parteifähigkeit stand nicht die Sitztheorie als bloße Verweisungsregel, sondern das tatsächliche Rechtsanwendungsergebnis, also die Kombination aus Kollisionsund Sachrecht auf dem Prüfstand der Niederlassungsfreiheit. Daher wäre es durchaus möglich gewesen, die in Überseering identifizierte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht nur durch einen Übergang zur Gründungstheorie, sondern auch durch eine Korrektur im (Gesellschafts-)Sachrecht zu beheben. Aus Art. 49, 54 AEUV folgt somit keine Pflicht, das Gesellschaftsstatut nach Maßgabe der Gründungstheorie anzuknüpfen. 7. Gleichwohl entpuppt sich die Gründungstheorie als vorzugswürdigere Wahl zur Umsetzung der Vorgaben der Niederlassungsfreiheit. Im Gegensatz zur Sitztheorie ist sie in der Lage, ein in sich abgeschlossenen, konsistentes gesellschaftsrechtliches Gesamtkonzept, namentlich das des Gründungsstaats, zur Anwendung zu berufen, ohne zugleich selbst in Konflikt mit der Niederlassungsfreiheit zu geraten.

4. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse

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2. Teil: Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

8. Das Beschränkungsverbot der Niederlassungsfreiheit erfasst nach dem weiten Beschränkungsbegriff des EuGH alle Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die zwar in gleichem Maße auf In- wie auch auf Ausländer anwendbar, aber dennoch geeignet sind, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. 9. Dieser überaus weite Beschränkungsbegriff des EuGH bedarf jedoch einer Eingrenzung. Eine Niederlassung ist zugleich auch stets eine freiwillige Entscheidung für eine dauerhafte, wirtschaftliche Integration in die Gesellschaft und Wirtschaft des Aufnahmestaats. Die Niederlassungsfreiheit ist daher im Spannungsfeld zwischen dem Recht auf beschränkungsfreie Niederlassung einerseits und dem Fortbestand der mitgliedstaatlichen Regelungskompetenz andererseits zu sehen. Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, den Marktteilnehmern im Binnenmarkt einen gleichberechtigten Zugang zu den Märkten zu gewährleisten und sich aus dem Regelungsgefälle zwischen den Rechtsordnungen ergebende Beschränkungen für eine effizienzorientierte Standortwahl im Binnenmarkt abzubauen. Dies soll den Marktteilnehmern indes nicht dazu verhelfen, die im Aufnahmestaat vorgefundenen Bedingungen gegenüber anderen Marktteilnehmern dadurch zu verbessern, dass jede allgemeingültige, aber als missliebig empfundene Norm mit Hilfe des Unionsrechts zu Fall gebracht werden kann. Es gilt folglich, die Mobilität sicherzustellen, nicht jedoch die Modifikation von Standortbedingungen zu ermöglichen. 10. Für den Bereich des Gesellschaftsrechts lässt sich eine Begrenzung des Beschränkungsverbots der Niederlassungsfreiheit regelmäßig nicht mit dem vom EuGH etablierten Missbrauchsgedanken begründen. Entscheidend ist zum einen, dass die Gesellschaft selbst Trägerin der Niederlassungsfreiheit ist und eine Verlegung ihrer werbenden Tätigkeit in den Aufnahmemitgliedstaat nach der Gründung in einem anderen Mitgliedstaat keinen Ansatzpunkt dafür bietet, eine den Missbrauch begründende Normumgehung festzustellen. Zum anderen kann grundsätzlich auch den Gründungsgesellschaftern kein Missbrauchsvorwurf entgegengehalten werden. Der EuGH hat im Bereich des Gesellschaftsrechts eine Wahlfreiheit etabliert hat, die es ausschließt, allein in der Wahl eines als günstiger erachteten Rechts einen Missbrauch zu erblicken. 11. Ebensowenig erweist sich der Ansatz als tragfähig, allein die unmittelbar der Gesellschaftsgründung zuzurechnenden Vorschriften den Vorgaben der Niederlassungsfreiheit zu unterwerfen und den übrigen Normen des Gesellschaftsrechts als bloße Standortregeln jegliches Konfliktpotential mit der Grundfreiheit der Art. 49, 54 AEUV abzusprechen. Die Urteile Inspire Art, Cartesio und Idryma Typou zeigen, dass auch gesellschaftsrechtliche Normen jenseits der Gründungsvorschriften unzulässige Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit darstellen können.

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4. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse

12. Eine Begrenzung des Beschränkungsverbots der Niederlassungsfreiheit, die es ermöglicht, gesellschaftsrechtliche Regelungsanliegen auch auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften zu erstrecken, ist schließlich auch mit kollisionsrechtlichen Mitteln nicht zu erreichen. So wenig die Niederlassungsfreiheit bestimmte Kollisionsnormen vorgibt, so wenig lässt sich ihr Anwendungsbereich durch nationales Kollisionsrecht bestimmen oder dergestalt verengen, dass ein Mitgliedstaat tradierte Rechtsnormen durch gezielte Um- oder Mehrfachqualifikation ihrem Anwendungsbereich entziehen könnte. Aufgrund der Unterschiede in Rechtshierarchie und Zwecksetzung zwischen Grundfreiheiten und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht ist letzteres nicht in der Lage, den Prüfungsmaßstab der Niederlassungsfreiheit zu beeinflussen. Die Erstreckung mitgliedstaatlicher Schutzvorschriften wie der Insolvenzverschleppungs- oder Existenzvernichtungshaftung muss sich daher am Maßstab der Art. 49, 54 AEUV messen lassen und zwar unabhängig davon, ob sie gesellschafts-, insolvenz- oder deliktsrechtlich qualifiziert werden. Auch eine etwaige Zuordnung zu sekundärrechtlichen Kollisionsnormen wie Art. 4 EuInsVO oder Art. 4 Rom-II VO entzieht die mitgliedstaatlichen Vorschriften nicht dem Zugriff der Niederlassungsfreiheit. Allein die Zugehörigkeit der Kollisionsnormen zum Unionsrecht vermag die Rechtsquellenhierarchie nicht aufzuheben, so dass die sekundärrechtlichen Kollisionsnormen eine Verletzung der primärrechtlichen Niederlassungsfreiheit nicht verhindern können. 13. Erfolgversprechender erscheint es, die Niederlassungsfreiheit mittels einer teleologischen Reduktion auf ihren Kerngehalt als den Binnenmarkt fördernde Marktzugangsfreiheit zurückzuführen. Prominentes Beispiel einer solchen Begrenzung des Beschränkungsverbots ist die Keck-Entscheidung des EuGH im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit. Die in dieser Entscheidung gewonnene Unterscheidung zwischen vertriebs- und produktbezogenen Vorschriften lässt sich jedoch nicht sinnfällig auf die Niederlassungsfreiheit übertragen. 14. Als hinter der Keck-Rechtsprechung stehender Leitgedanke lässt sich allerdings die Begrenzung des Gewährleistungsgehalts der Grundfreiheiten auf Marktzugangsbeschränkungen identifizieren. Dieser Ansatz, das Kriterium des Marktzugangs in den Mittelpunkt der Grundfreiheitenprüfung zu rücken, kann auch im Rahmen der Niederlassungsfreiheit fruchtbar gemacht werden. Denn ebenso wie die anderen Grundfreiheiten beinhaltet auch die Niederlassungsfreiheit kein allgemeines Freiheitsrecht. Sie wird in ihrer Struktur vom Fortbestand unterschiedlicher Rechtsordnungen im Binnenmarkt geprägt und zielt daher nicht auf eine vollumfängliche Überprüfung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Sie soll zum Zwecke einer effizienten Allokation von Ressourcen im Binnenmarkt die Faktormobilität garantieren. Dafür ist erforderlich, den Marktteilnehmern durch das Beschränkungsverbot einen gleichberechtigten, freien Zugang zu den Märkten zu gewährleisten. Ist aber der Marktzugang erst einmal eröffnet, kommt es aus Sicht der Niederlassungsfreiheit nur noch

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darauf an, gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen den Marktteilnehmern sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund ist das Marktzugangskriterium geeignet, die Niederlassungsfreiheit auf ihren teleologischen Kerngehalt als den Binnenmarkt fördernde Marktzugangsfreiheit zurückzuführen und das Beschränkungsverbot auf zugangsbeschränkende Maßnahmen der Mitgliedstaaten zu beschränken. 15. Für den Bereich des Gesellschaftsrechts bleibt das Marktzugangskriterium jedoch ohne Bedeutung, so dass auch eine anhand dieses Kriteriums erfolgende Reduktion des Gewährleistungsgehalts der Art. 49, 54 AEUV den Mitgliedstaaten keine Möglichkeit einräumt, gesellschaftsrechtliche Normen auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften zu erstrecken. Das Primärrecht selbst verweist in Art. 54 AEUV– als Vorfrage – für die Bestimmung des Trägers der Niederlassungsfreiheit auf die nationalen Gesellschaftsrechtsordnungen. Nur wenn und solange ein Mitgliedstaat eine Gesellschaft als eine nach seiner Gesellschaftsrechtsordnung wirksam gegründete Gesellschaft anerkennt, wird der Gesellschaft in eben ihrer durch diese Gesellschaftsrechtsordnung gegebenen Gestalt die subjektive Grundfreiheitenberechtigung verliehen. Art. 54 AEUV räumt den Mitgliedstaaten somit die Verfügungsgewalt über die subjektive Grundfreiheitenberechtigung ein. Indem aber die mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechte eine Gesellschaft als Grundfreiheitenträger konstituieren und durch die Ausgestaltung der jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Normen deren Identität formen und prägen, wird die Gesamtheit der der Gesellschaft Leben einhauchenden Normen in gewisser Weise als Substrat des Trägers der Niederlassungsfreiheit selbst Subjekt dieser Grundfreiheit. Aus der in Art. 54 AEUVangelegten Regelungsautonomie des Gründungsstaats folgt im Ergebnis, dass die Pflicht des Zuzugsstaats, Gesellschaften als solche des jeweiligen Gründungsrechts anzuerkennen, nichts anderes ist als die Pflicht, eben jene Vorschriften des Gründungsstaats zu respektieren, die der Gesellschaft ihre Identität und damit die Fähigkeit geben, sich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen. Die Anwendung anderer gesellschaftsrechtlicher Regelungen als der des Gründungsstaats führt dazu, dass der Gesellschaft in ihrer durch das Gründungsrecht gegebenen Form kein Zugang zum Markt des Aufnahmestaats gewährt wird, und stellt daher – eine belastende Wirkung vorausgesetzt – stets einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit der betroffenen Gesellschaft dar. 16. Die für die Existenz und Identität der Gesellschaft maßgeblichen und durch Art. 54 AEUV der Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten zugeordneten Normen der Gesellschaftrechtsordnung des Gründungsstaats wird man im Großen und Ganzen mit den Vorschriften umreißen können, die nach traditionellem Verständnis dem Gesellschaftsstatut zuzurechnen sind. Im Wesentlichen umfasst dies alle Normen, die dem Ausgleich der an einer Gesellschaft beteiligten Interessen dienen, wie etwa die Binnen-, Finanz- und Haftungsverfas-

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4. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse

sung. Für eine teilweise erwogene Ausklammerung des Drittschutzes, also einer Differenzierung nach Innen- und Außenrecht, bleibt hingegen kein Raum. 3. Teil: Rechtfertigung von Beschränkungen

17. Die Erstreckung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften des Aufnahmestaats auf zuziehende Auslandsgesellschaften kann trotz ihrer die Niederlassungsfreiheit beschränkenden Wirkung nach der allgemeinen Systematik der Grundfreiheiten gerechtfertigt und somit gleichwohl zulässig sein. Als Rechtfertigungsgrund kommen hierbei insbesondere die auf die Cassis-Entscheidung des EuGH zurückgehenden zwingenden Gründe des Allgemeininteresses in Betracht. Danach sind mitgliedstaatliche Maßnahmen gerechtfertigt, wenn sie zur Erreichung eines im zwingenden Allgemeininteresse liegenden Ziels geeignet sind und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. 18. Im Rahmen der Geeignetheit stellt das Kohärenzerfordernis die erste Hürde für eine Erstreckung mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechts auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften dar. Der EuGH spricht den mitgliedstaatlichen Maßnahmen deren Eignung zur Zielerreichung ab, wenn sie das Ziel nicht in systematischer kohärenter Weise verfolgen. So scheiterte die Rechtfertigung der dänischen Vorschriften in der Rechtssache Centros, weil der EuGH es als widersprüchlich ansah, für im Inland ansässige Auslandsgesellschaften ein Mindestkapital vorzuschrieben, hierauf aber zu verzichten, sofern die Gesellschaft zwar im Inland tätig, aufgrund von Geschäftstätigkeit auch im Herkunftsstaat jedoch im Ausland ansässig ist. Die Gefährdungslage für Gläubiger war nach Ansicht des Gerichtshofs in beiden Fällen die gleiche. Eine Rechtfertigung kann daher nur in Betracht kommen, wenn die mitgliedstaatlichen Vorschriften entweder Auslandsgesellschaften mit inländischem wie auch mit ausländischem Verwaltungssitz gleichermaßen erfassen oder bei isolierter Erstreckung auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften nur solchen Gefahren begegnen, die sich gerade aus der fehlenden Geschäftstätigkeit im Herkunftsstaat ergeben. Im Ergebnis verkleinert das zunehmend Bedeutung erlangende Kohärenzgebot die argumentative Basis für eine Erstreckung inländischen Gesellschaftsrechts auf zuziehende Auslandsgesellschaften beträchtlich. Sofern sich im Einzelfall nicht überzeugende Gründe für eine isolierte Erstreckung auf Scheinauslandsgesellschaften finden lassen, droht die Anwendung nationaler gesellschaftsrechtlicher Schutzkonzepte daher vor dem Hintergrund des rigiden Kohärenzverständnisses des EuGH an der fehlenden Geeignetheit zur Zielerreichung zu scheitern. 19. Zusätzlich zum Kohärenzerfordernis schränkt auch das sog. Informationsmodell des EuGH die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten ein, die Anwendung beschränkender Vorschriften zu rechtfertigen. Ausgehend von dem europäischen Leitbild eines mündigen Verbrauchers und umsichtigen Wirtschaftsteilnehmers hinterfragt der EuGH, ob anstelle einer belastenden Maßnahme eine ange-

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messene Unterrichtung und Aufklärung die Verbraucher bzw. Marktteilnehmer nicht zu adäquatem Selbstschutz veranlassen und so im gleichen Maße schützen könnte. Ist dies der Fall, ist dem die Grundfreiheit weit weniger beschränkenden Schutz durch Information der Vorzug zu geben. Weitere Maßnahmen sind dann nicht erforderlich. Mit Blick auf das Gesellschaftsrecht und insbesondere den Gläubigerschutz bedeutet dies, dass nationale Maßnahmen nur dann auch gegenüber im Inland ansässigen Auslandsgesellschaften zu rechtfertigen sind, soweit Gläubiger mangels Information keine geeigneten Vorkehrungen treffen können, um sich gegen die Risiken aus Geschäftsbeziehungen mit korporativen Geschäftspartnern zu schützen. Da nach der Konzeption des EuGH die für den Eigenschutz notwendige Information jedoch durch die sekundärrechtlichen Schutzvorschriften der Bilanz- und Zweigniederlassungsrichtlinie – man mag noch die Publizitätsrichtlinie ergänzen – sichergestellt ist, sind mitgliedstaatliche Maßnahmen zum Zweck des Gläubigerschutzes regelmäßig nicht erforderlich. 20. Schließlich ist im Rahmen der Erforderlichkeit auch der durch das Gründungsrecht gewährte Schutz zu berücksichtigen. Maßnahmen des Aufnahmemitgliedstaats sind nur erforderlich, soweit der Schutz des betroffenen Allgemeininteresses, etwa der Gläubigerschutz, nicht bereits durch Vorschriften des Gründungsrechts gewährleistet wird. Der durch das Gründungsrecht gewährte Schutz muss dabei nicht genau den Schutzstandard der Vorschriften des Aufnahmestaats erreichen, sondern kann auch im Einzelfall dahinter zurückbleiben. Dahinter steht der Gedanke, dass die Anwendung des Gründungsrechts im Gegensatz zu Maßnahmen des Aufnahmestaats keine Beschränkung der Grundfreiheit darstellt und daher selbst bei geringfügig schwächerer Schutzfunktion vorzugswürdig erscheint. 21. Das Kohärenzgebot, das Informationsmodell und die durch das Gründungsrecht gewährten Schutzmechanismen setzen der Möglichkeit, nationale Vorschriften auf im Inland ansässige Auslandsgesellschaften zu erstrecken, enge Grenzen. Jeder dieser Topoi erhöht bereits für sich den Rechtfertigungsdruck in beachtlichem Maß. In ihrer Gesamtheit lassen diese gegen beschränkende Maßnahmen des Aufnahmestaats vorzubringenden Einwände eine Rechtfertigung jedoch nur in Ausnahmefällen erreichbar erscheinen.

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Stichwortverzeichnis action en comblement du passif siehe Gourdain/Nadler Allgemeininteresse, zwingende Gründe 27, 65, 67, 117, 242, 252 Allgemeinwohl siehe Allgemeininteresse, zwingende Gründe Allokation von Ressourcen 18, 26, 119, 211 Beschränkungsbegriff siehe Niederlassungsfreiheit Beschränkungsverbot siehe Grundfreiheiten Bestimmungslandprinzip 20, 23, 25 f., 31, 49, 62 Binnenmarkt 15 – 17 – unvollkommener 28, 55, 166, 176, 196, 258 Cadbury Schweppes 131 Cartesio 10, 55, 149, 229, 233 f. caveat creditor-Prinzip siehe Informationsmodell Centros 9, 12, 101, 110, 121, 129, 132, 137, 139, 219, 226, 249, 253 creatures of law siehe Geschöpftheorie Daily Mail 39, 45 f., 105, 228 f. deliktische Gläubiger 255 Diskriminierungsverbot siehe Grundfreiheiten existenzvernichtender Eingriff siehe Existenzvernichtungshaftung Existenzvernichtungshaftung 122 f., 141, 143, 148, 160, 163, 181, 193, 205, 218, 222, 236, 251 – deliktische Qualifikation 162, 178 – gesellschaftsrechtliche Qualifikation 178, 183 – insolvenzrechtliche Qualifikation 161, 172 – und EuInsVO 184, 187, 193

Gebhard-Formel (4-Konditionen-Test) 242, 243, 252 gegenseitige Anerkennung 50 f., 63, 81, 89, 93, 222 Geschöpftheorie 36, 39, 105, 228, 230, 235 Gläubigerschutzsystem, austariertes 97 f., 221, 258 Gourdain/Nadler 157, 162, 188, 190 Grundfreiheiten 15, 19, 30, 90, 240 – Beschränkungsverbot 21, 23, 28, 31, 49, 52, 63, 65, 102, 111, 194 – Diskriminierungsverbot 20, 23, 28, 34, 56, 102, 120, 196, 215 – und Binnenmarkt 16, 19, 28 – versteckte Kollisionsnorm 47, 51, 53, 56, 58, 62, 68, 91, 150, 165 – wirkungsbezogener Ansatz 55, 74, 90, 104, 171, 176 Gründungsrecht, Beachtlichkeit 27, 256 Gründungstheorie 12, 42, 44, 56, 72, 95, 98, 100 f., 107 – diskriminierende Wirkung 102, 104 – Überseering 72, 78 – und Grundfreiheiten 48, 52, 57, 93, 150, 165 – und Niederlassungsfreiheit 68, 78, 87 Herkunftslandprinzip 23, 25, 30, 51, 68, 74 – kollisionsrechtliches 49, 51 – 53, 56, 60, 62, 66 Identität der Gesellschaft 105, 225, 227, 230, 235 f., 238 Identitätsschutz 106, 226, 235 siehe auch Geschöpftheorie Idryma Typou 149, 199, 223, 244 Informationsmodell 101, 103, 252 Insolvenzverschleppungshaftung 116, 148, 153, 163, 181, 190, 193, 205, 218, 236, 251, 255

306

Stichwortverzeichnis

– gesellschaftsrechtliche Qualifikation 182 – insolvenzrechtliche Qualifikation 155, 158, 172, 181 – und EuInsVO 155, 176, 184, 187 – und Marktzugang 220, 222 Inspire Art 9, 12, 71, 76, 80, 101, 116, 120 f., 129, 132, 149, 155, 223, 225, 236, 242, 254 Jersey-Entscheidung

78, 83, 95

Keck 27, 65, 194, 196, 199, 205 f., 208 – 210, 212, 238 Kohärenzgebot 245 – 247, 249, 251, 259 Kollisionsrecht 13, 30, 33, 49 – Grundfreiheitenresistenz 32, 34, 37, 40, 47 – und Primärrecht 31 f., 47, 49, 52 Marktzugang 22, 26, 196, 210, 212 f., 216, 218, 222, 238 – Begriff 215 – temporales Verständnis 217, 219, 224 Missbrauch der Grundfreiheiten 120, 123, 126, 137, 141 – künstliche Grenzüberschreitung 128, 131 National Grid Indus 10, 45, 233 f. Niederlassungsfreiheit 9, 19, 22, 30, 32, 38, 47, 56, 70, 78, 84, 86, 93 f., 105 f., 109 – 111, 113, 116, 120 f., 130, 135, 137, 139, 147 f., 150, 165, 194, 196, 199, 203, 208, 213, 216, 224 f., 231, 234, 236, 238, 240, 242 – Begrenzung des Beschränkungsbegriffs 113, 115 f., 120, 150, 160, 194

– Beschränkungsbegriff 109, 111 – Missbrauch siehe Missbrauch der Grundfreiheiten – subjektive Berechtigung 36, 38 f., 41, 70, 73, 105, 130, 134, 226 f., 230 f., 235, 238 ordre public

170 f.

privilegium germanicum

34

Qualifikation 115, 152, 155, 157, 160, 164, 169, 172, 177, 180, 184 – Ausflaggung (auch Etikettierung) 180 – primärrechtliche Relevanz 164, 168, 170, 193, 205 Sitztheorie 13, 38 f., 42, 44, 49, 69, 71 f., 77, 79, 95, 99, 101, 107, 244 – Überseering 76, 80 – und Primärrecht 75, 93 Spanier-Beschluss 33 Überseering 9, 12, 44, 69 f., 76 – 78, 83 f., 91, 116, 120, 148, 216, 222, 225, 244 Umwandlungslösung siehe Jersey-Entscheidung Vale 10, 45, 133, 149, 229 Verwaltungssitz 13, 38, 42, 45, 58, 77 f., 96, 99, 155, 230 Warenverkehrsfreiheit 19, 21, 105, 128, 194 Wechselbalgtherorie siehe Jersey-Entscheidung Wermutwein-Entscheidung 34, 63, 91, 102