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German Pages 393 [394] Year 2016
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 358 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Sarah Nietner
Internationaler Entscheidungseinklang im europäischen Kollisionsrecht
Mohr Siebeck
Sarah Nietner, geboren 1987; Studium der Rechtswissenschaft, Bucerius Law School Hamburg sowie Stanford Law School (USA); wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privat- und Handelsrecht und Rechtsvergleichung, Bucerius Law School Hamburg; seit 2014 Referendarin am Hanseatischen OLG.
ISBN 978-3-16-154341-8 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio graphie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abr ufbar. © 2016 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwert ung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elekt ronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit hat im Wintersemester 2014/2015 der Bucerius Law School Hamburg als Dissertation vorgelegen. Die mündliche Prüfung fand am 17. November 2015 in Hamburg statt. Die Arbeit ist auf dem Stand von September 2015. Danken möchte ich meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Karsten Thorn, LL.M. (Georgetown) für die Anregung des Themas dieser Arbeit sowie für die wertvollen Erfahrungen, die ich während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl an der Bucerius Law School sammeln durfte. Mein Dank gilt ferner Frau Professor Dr. Anne Röthel für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und ihre unterstützenden Ratschläge. Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Jürgen Basedow, LL.M. (Harvard) danke ich für die Aufnahme in diese Schriftenreihe, der Studienstiftung ius vivum und Herrn Professor Dr. Haimo Schack, LL.M. (Berkeley) für den Druckkostenzuschuss und der Studienstiftung des deutschen Volkes für die Förderung dieser Arbeit. Herrn Aljosha Barath, Frau Johanna Büstgens und Herrn Dr. Paul Hauser, LL.M. (King’s College) danke ich für wertvolle Anregungen und Diskussionen sowie die Lektüre des Manuskripts, Herrn J. Amadeus Waltz für die technische Unterstützung. Danken möchte ich schließlich meinen Eltern. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Hamburg, im März 2016
Sarah Nietner
Inhaltsübersicht Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Einführung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs 7 A. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 B. Geschichtliche Entwicklung des Prinzips . . . . . . . . . . . . . . 11 C. Entscheidungseinklang als „Prinzip“ . . . . . . . . . . . . . . . . 14 D. Internationaler Entscheidungseinklang: Leitprinzip auf europäischer Ebene? . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 E. Möglichkeiten der Erzielung von Entscheidungseinklang . . . . . . 25 F. Spannungsverhältnis zu anderen Prinzipien . . . . . . . . . . . . . 30 G. Bedeutung des Entscheidungseinklangs im Vermögensrecht und Statusrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 H. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
2. Kapitel: Renvoi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 A. Begriff und Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 B. Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 C. Relevanz für Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 D. Grundsätzliche Argumente in der renvoi-Frage . . . . . . . . . . . 82 E. Behandlung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht . . . . . . 86 F. Entwurf einer verordnungsübergreifenden Regelung . . . . . . . . 134
3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 A. Begriff und Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 B. Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 C. Relevanz für Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 D. Wertungszusammenhang zum renvoi auf internationaler Ebene . . 148
X
Inhaltsübersicht
E. Behandlung im europäischen Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . 153 F. Entwurf einer verordnungsübergreifenden Regelung . . . . . . . . 185
4. Kapitel: Vorfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 A. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 B. Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 C. Relevanz für den internationalen Entscheidungseinklang . . . . . . 199 D. Wertungszusammenhang zum renvoi . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 E. Behandlung im europäischen Verordnungsrecht . . . . . . . . . . . 208 F. Entwurf einer europäischen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . 216
5. Kapitel: Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 A. Begriff und geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 239 B. Relevanz für Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 C. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 D. Behandlung im Verordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 E. Entwurf einer verordnungsübergreifenden Lösung . . . . . . . . . 298
6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut . . . . . 300 A. Problemstellung am Beispiel des Art. 3a Abs. 2 EGBGB B. Relevanz für Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . C. Behandlung im europäischen Verordnungsrecht . . . . D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . 301 . . . . . . . 304 . . . . . . . 305 . . . . . . . 329
Abschließende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . 331 B. Normvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
Inhaltsverzeichnis Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Einführung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs 7 A. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 I. II. III. IV.
Internationaler Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . 7 Interner Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Europäischer Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . . 9 Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
B. Geschichtliche Entwicklung des Prinzips . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Grundlagen und „Entdeckung“ durch Savigny . . . . . . . . . . 11 II. Kritik am Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs . . 12
C. Entscheidungseinklang als „Prinzip“ . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Charakteristika eines Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Prinzipien in Abgrenzung zu Regeln . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Prinzipien als Optimierungsgebote . . . . . . . . . . . . . . . 16 3. Prinzipien als systembildende Faktoren . . . . . . . . . . . . 16 II. Bedeutung für den internationalen Entscheidungseinklang . . . . 17 I.
D. Internationaler Entscheidungseinklang: Leitprinzip auf europäischer Ebene? . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I.
Gründe für Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1. Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Gleichheit und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3. Vermeidung von forum shopping . . . . . . . . . . . . . . . . 21 4. Durchsetzbarkeit gerichtlicher Entscheidungen . . . . . . . . 22
XII
Inhaltsverzeichnis
II. Preisgabe eigener Wertungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
E. Möglichkeiten der Erzielung von Entscheidungseinklang . . . . . . 25 I. II. III. IV. V. VI.
Vereinheitlichung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Kollisionsrechtliche Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Verwendung international gebräuchlicher Anknüpfungen . . . . . 27 Reduzierung konkurrierender Zuständigkeiten . . . . . . . . . . 28 Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Beachtung ausländischen Kollisionsrechts . . . . . . . . . . . . 30
F. Spannungsverhältnis zu anderen Prinzipien . . . . . . . . . . . . . 30 I. II. III. IV.
Interner Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Heimwärtsstreben und Praktikabilität . . . . . . . . . . . . . . . 32 Rechtssicherheit und Einfachheit der Rechtsanwendung . . . . . . 32 Besondere materiell-rechtliche Interessen . . . . . . . . . . . . . 33 1. Schwächerenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Favor-Gedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3. Öffentliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
G. Bedeutung des Entscheidungseinklangs im Vermögensrecht und Statusrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I. Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Statusrechtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Traditioneller Statusbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Erweiterung des traditionellen Begriffs auf „statusnahe“ Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 c) Charakteristika eines Statusverhältnisses und seiner statusnahen Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 aa) Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 bb) Publizität und Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . 42 cc) Absolutheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 dd) Zentralität und Stabilität für den Einzelnen . . . . . . . 42 ee) Höchstpersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 ff) Ordnungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Vermögensrechtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Einordnung der bestehenden EU-Verordnungen . . . . . . . . . . 45 1. Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Statusrechtliche Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Verordnungsspezifische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) Statusrechtliche Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Verordnungsspezifische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Rom III-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Statusrechtliche Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
Inhaltsverzeichnis
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b) Verordnungsspezifische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . 48 4. EuUntVO i. V. m. HUntProt 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Statusrechtliche Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Statusnähe des Unterhaltsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 51 c) Verordnungsspezifische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . 52 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 5. EhegüterVO-E und EPartVO-E . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Statusrechtliche Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Statusnähe des Güterrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 c) Verordnungsspezifische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . 56 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 6. EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Statusrechtliche Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Statusnähe des Erbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 c) Verordnungsspezifische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . 59 aa) Vermeidung von Konflikten mit dem Sachenrechtsstatut 59 bb) Abstimmungsprobleme beim Europäischen Nachlasszeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Namensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3. Sachenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
H. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
2. Kapitel: Renvoi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 A. Begriff und Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 I. Sachnormverweisung und Gesamtverweisung . . . . . . . . . . 70 II. Rück- und Weiterverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 III. Regelung im deutschen Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . 72
B. Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Unterschiedliche Anknüpfungsmomente und -zeitpunkte . . . . . 73 II. Unterschiedliche Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 III. Unterschiedliche Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 IV. Qualifikationsverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 V. Versteckter renvoi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
C. Relevanz für Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I.
Relevante Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Rückverweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
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Inhaltsverzeichnis
2. Weiterverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a) Akzeptierte Weiterverweisung . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Nicht akzeptierte Weiterverweisung . . . . . . . . . . . . 80 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II. Bewertung: der renvoi als generell geeignetes Instrument . . . . 81
D. Grundsätzliche Argumente in der renvoi-Frage . . . . . . . . . . . 82 E. Behandlung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht . . . . . . 86 Vermögensrechtliche Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 a) Regelungen des Versicherungsrechts (Art. 7 Abs. 3, 4 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Rechtswahl durch die Parteien . . . . . . . . . . . . . . . 87 c) Sonderfall: materielle Wirksamkeit von Gerichtsstands vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3. Bewertung für die vermögensrechtlichen Verordnungen . . . . 91 II. Statusrechtliche Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Fälle des Art. 34 Abs. 1 EuErbVO: Gesamtverweisung . . . 95 aa) Art. 34 Abs. 1 lit. a: Rückverweisung . . . . . . . . . . 95 (1) Verweisungsschleifen . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (2) Befolgung der Rückverweisung . . . . . . . . . . . 97 (3) Rückverweisung auf das Recht „eines“ Mitgliedstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 bb) Art. 34 Abs. 1 lit. b: Weiterverweisung . . . . . . . . . 99 cc) Zusammenfassende Bewertung: Gesamtverweisung durch Art. 34 Abs. 1 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . 100 b) Nicht von Art. 34 Abs. 1 EuErbVO erfasste Fälle: Sachnormverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) Parameter der zu untersuchenden Weiterverweisung konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (1) Weiterverweisung kombiniert mit Rückverweisung durch C auf A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 (a) Sachnorm-Rückverweisung durch C auf A . . . 104 (b) Gesamt-Rückverweisung durch C auf A . . . . 105 (c) Sachnorm-Rückverweisung durch C auf A 2 . . . 106 (d) Gesamt-Rückverweisung durch C auf A 2 . . . . 108 (e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (2) Weiterverweisung kombiniert mit Rückverweisung durch C auf B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (a) Sachnorm-Rückverweisung durch C auf B . . . 110 I.
Inhaltsverzeichnis
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(b) Gesamt-Rückverweisung durch C auf B . . . . 111 (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . 113 bb) Weitere mögliche Konstellationen und zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 c) Ausnahmen in Art. 34 Abs. 2 EuErbVO . . . . . . . . . . . 115 aa) Ausweichklausel (Art. 21 Abs. 2 EuErbVO) . . . . . . . 116 (1) Renvoi-Feindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (2) Renvoi-Freundlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (3) Differenzierung nach dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (4) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 bb) Rechtswahl (Art. 22 EuErbVO) . . . . . . . . . . . . . 120 cc) Alternative Anknüpfung beim Formstatut (Art. 27, 28 lit. b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (1) Telos der Art. 27, 28 lit. b EuErbVO . . . . . . . . . 121 (2) Renvoi-Feindlichkeit der alternativen Anknüpfung . 122 (3) Renvoi-Freundlichkeit der alternativen Anknüpfung 123 (4) Beachtung des „renvoi in favorem“ . . . . . . . . . 123 (5) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 dd) Nachlassspaltung (Art. 30 EuErbVO) . . . . . . . . . . 125 (1) Reichweite des Art. 30 EuErbVO . . . . . . . . . . 125 (2) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 d) Entwurf einer allgemeinen Regelung für die EuErbVO . . . 126 2. Rom III-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Sachnormverweisung im Ehescheidungsrecht . . . . . . . . 127 b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3. EuUntVO i. V. m. HUntProt 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Sachnormverweisung im Unterhaltsrecht . . . . . . . . . . 129 b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4. EhegüterVO-E und EPartVO-E . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Sachnormverweisungen im Güterrecht . . . . . . . . . . . 131 b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5. Zusammenfassende Bewertung für die statusrechtlichen Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
F. Entwurf einer verordnungsübergreifenden Regelung . . . . . . . . 134 I. Vermögensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 II. Statusverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Absätze 1 bis 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Absatz 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Rom III-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 aa) Rechtswahl (Art. 5 Rom III-VO) . . . . . . . . . . . . 136 bb) Alternative Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . 136 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
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Inhaltsverzeichnis
b) EuUntVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Rechtswahl (Art. 15 EuUntVO i. V. m. Art. 8 HUntProt) . 137 bb) Ausweichklausel (Art. 15 EuUntVO i. V. m. Art. 5 HUntProt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) EhegüterVO-E und EPartVO-E . . . . . . . . . . . . . . . 138 aa) Rechtswahl (Art. 16 EhegüterVO-E) . . . . . . . . . . 138 bb) Alternative Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . 138 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 A. Begriff und Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 I. Räumliche Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 II. Personale Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 III. Zeitliche Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
B. Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 I. Verweisung auf das Kollisionsrecht des Mehrrechtsstaates . . . . 143 II. Direkte Verweisung auf Sachnormen der Teilrechtsordnung . . . 144
C. Relevanz für Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Verweisung auf das Kollisionsrecht des Mehrrechtsstaates . . . . 145 1. Einheitliches interlokales bzw. interpersonales Privatrecht . . . 145 2. Gespaltenes interlokales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . 146 II. Direkte Verweisung auf Sachnormen der Teilrechtsordnung . . . 147 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I.
D. Wertungszusammenhang zum renvoi auf internationaler Ebene . . 148 Gesamtverweisung auf internationaler Ebene . . . . . . . . . . . 148 1. Identität von internationaler und interlokaler Verweisung . . . 148 2. Kollisionsrechtliche Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 II. Sachnormverweisung auf internationaler Ebene . . . . . . . . . . 151 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 I.
E. Behandlung im europäischen Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . 153 I.
Möglichkeit einer Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Freie Rechtswahlmöglichkeit ohne Bezug zu einer Teilrechtsordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Sachnormverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3. Vorrang der Rechtswahl vor dem interlokalen Privatrecht . . . 155 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
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II. Räumliche Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Vermögensrechtliche Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Ortsbezogene Anknüpfungen . . . . . . . . . . . . . . 157 (1) Objektive Anknüpfung nach Art. 4 –8 Rom I-VO . . 157 (2) Ausweichklauseln bzw. Anknüpfung an die engste Verbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (3) Akzessorische Anknüpfungen . . . . . . . . . . . . 159 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 bb) Nicht eindeutig ortsbezogene Anknüpfungen . . . . . . 159 (1) Mehrdeutige Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . 159 (a) Berücksichtigung des interlokalen Privatrechts . 160 (b) Ermittlung der engsten Verbindung nach der Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (c) Unwirksamkeit der Rechtswahl . . . . . . . . . 161 (d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (2) Staatsbezogene Anknüpfung . . . . . . . . . . . . 163 b) Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Ortsbezogene Anknüpfungen . . . . . . . . . . . . . . 165 (1) Objektive Anknüpfungen . . . . . . . . . . . . . . 165 (2) Ausweichklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (3) Akzessorische Anknüpfungen . . . . . . . . . . . . 166 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 bb) Nicht eindeutig ortsbezogene Anknüpfungen . . . . . . 166 (1) Mehrdeutige Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . 166 (2) Staatsbezogenes Anknüpfungskriterium . . . . . . 167 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 c) Bewertung für die vermögensrechtlichen Verordnungen . . 168 2. Statusrechtliche Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Rom III-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) Grundsatz: direkte Verweisung auf das Sachrecht des Teilgebietes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Ausnahme: Verweisung auf das interlokale Privatrecht . 171 cc) Problem: mehrdeutige Rechtswahl . . . . . . . . . . . 171 dd) Zusammenhang zum renvoi . . . . . . . . . . . . . . . 172 ee) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) EhegüterVO-E und EPartVO-E . . . . . . . . . . . . . . . 175 c) EuUntVO i. V. m. HUntProt 2007 . . . . . . . . . . . . . . 176 aa) Grundsatz: Verweisung auf das interlokale Privatrecht . 177 bb) Ausnahme: direkte Verweisung auf das Sachrecht des Teilgebietes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 cc) Problem: mehrdeutige Rechtswahl . . . . . . . . . . . 177 dd) Zusammenhang zum renvoi . . . . . . . . . . . . . . . 178 ee) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
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d) EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 aa) Grundsatz: Verweisung auf das interlokale Privatrecht . 180 bb) Ausnahme: direkte Verweisung auf das Sachrecht des Teilgebietes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 cc) Problem: mehrdeutige Rechtswahl . . . . . . . . . . . 181 dd) Zusammenhang zum renvoi . . . . . . . . . . . . . . . 181 ee) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 e) Zusammenfassende Bewertung für die statusrechtlichen Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 III. Personale Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Vermögensrechtliche Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Statusrechtliche Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
F. Entwurf einer verordnungsübergreifenden Regelung . . . . . . . . 185 Räumliche Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Vermögensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Statusrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 II. Personale Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Vermögensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Statusrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 I.
4. Kapitel: Vorfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 A. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 I. Vorfrage im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 II. Vorfrage im engeren Sinne und Erstfrage . . . . . . . . . . . . . 190 III. Teilfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Begriffliche Abgrenzung zur Vorfrage . . . . . . . . . . . . . 191 2. Anknüpfung im deutschen Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . 192 3. Anknüpfung im europäischen Kollisionsrecht . . . . . . . . . 192 a) Grundsatz: Unterwerfung unter die lex causae . . . . . . . 193 b) Ausnahme: explizite Sonderanknüpfung . . . . . . . . . . 193 c) Ausnahme: Anknüpfung nach dem Kollisionsrecht der lex fori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
B. Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 I. II. III. IV.
Selbstständige Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Unselbstständige Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Differenzierende Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Eindeutige Lösung für Erstfragen? . . . . . . . . . . . . . . . . 197
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C. Relevanz für den internationalen Entscheidungseinklang . . . . . . 199 I. Kein zwingender Entscheidungseinklang mit der lex causae . . . 199 II. Kein Entscheidungseinklang mit weiteren Staaten . . . . . . . . 200 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
D. Wertungszusammenhang zum renvoi . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 I. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 II. Zwingender Gleichlauf? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Gesamtverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Rechtstechnisch zwingende Parallelität . . . . . . . . . . . 203 b) Rechtspolitisch zwingende Parallelität . . . . . . . . . . . 203 2. Sachnormverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Rechtstechnisch zwingende Parallelität . . . . . . . . . . . 205 b) Rechtspolitisch zwingende Parallelität . . . . . . . . . . . 205 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
E. Behandlung im europäischen Verordnungsrecht . . . . . . . . . . . 208 Vermögensrechtliche Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 a) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 II. Statusrechtliche Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Rom III-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. EhegüterVO-E und EPartVO-E . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3. EuUntVO i. V. m. HUntProt 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . 213 a) Anhaltspunkte in der EuUntVO . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Anhaltspunkte im HUntProt 2007 . . . . . . . . . . . . . 214 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 4. EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 I.
F. Entwurf einer europäischen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . 216 I. Bedürfnis für eine europäische Regelung . . . . . . . . . . . . . 216 II. Ausgestaltung der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Rechtstechnische Argumente im Rahmen der Vorfragenproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2. Teleologische Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3. Rechtspolitisches Argument: Entscheidungseinklang . . . . . 221 a) Kein pauschales Vorrangverhältnis . . . . . . . . . . . . . 221 b) Selbstständige Anknüpfung in einer europäischen Norm . . 222 aa) Vereinheitlichtes Kollisionsrecht für die Vorfrage . . . 222
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bb) Nicht vereinheitlichtes Kollisionsrecht für die Vorfrage . 223 c) Unselbstständige Anknüpfung in einer europäischen Norm . 223 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 aa) Grundsatz der unselbstständigen Anknüpfung . . . . . 225 bb) Geltung für alle Verordnungen? . . . . . . . . . . . . . 230 (1) Statusrechtliche Verordnungen . . . . . . . . . . . 230 (a) EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (b) Güterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (c) Rom III-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (d) EuUntVO i. V. m. HUntProt 2007 . . . . . . . . 232 (e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . 234 (2) Vermögensrechtliche Verordnungen . . . . . . . . . 234 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 III. Vorschlag für eine Norm auf europäischer Ebene . . . . . . . . . 235
5. Kapitel: Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 A. Begriff und geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 239 B. Relevanz für Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 C. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 D. Behandlung im Verordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 I.
Vermögensrechtliche Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 246 1. Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Problemkreis 1: Definition der Eingriffsnorm . . . . . . . . 246 aa) Internationaler Geltungsanspruch . . . . . . . . . . . . 247 bb) Überindividuelle Zielrichtung . . . . . . . . . . . . . 248 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 b) Problemkreis 2: Behandlung ausländischer Eingriffsnormen 252 aa) Jetzige Fassung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO . . . . . . 254 (1) Gesetzgebungsgeschichte des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO 254 (2) Erfüllungsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 (3) Unrechtmäßigkeit des Vertrages . . . . . . . . . . . 256 (4) Rechtsfolge:„Wirkungsverleihung“ . . . . . . . . . 257 (a) Schuldstatutstheorie . . . . . . . . . . . . . . 258 (b) Materiell-rechtliche Berücksichtigung . . . . . 259 (c) Kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung . . . . . 259 (d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (5) Eingriffsnormen der lex causae . . . . . . . . . . . 265 (6) Ermessen und Ermessenskonkretisierung . . . . . . 266 (7) Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO? . . . . . 267 (8) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
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bb) Lex ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (1) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (a) Ausgestaltung der Nähebeziehung zum Erlassstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (aa) Untauglichkeit des Kriteriums des Erfüllungsortes . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (bb) Vorzüge des Kriteriums der engen Verbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 (b) Eingriffsnormen der lex causae . . . . . . . . . 275 (2) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 c) Normvorschlag für Art. 9 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . 277 2. Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 a) Problemkreis 1: Definition der Eingriffsnorm . . . . . . . . 279 b) Problemkreis 2: Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 aa) Grundsätzliches Bedürfnis für eine Berücksichtigung . 280 (1) Derzeitige Rechtslage nach Art. 16 Rom II-VO . . . 280 (2) Bedürfnis de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . 281 bb) Art und Weise der Berücksichtigung de lege ferenda . . 282 (1) Analoge Anwendung des Art. 7 Abs. 1 EVÜ . . . . 282 (2) Analoge Anwendung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO . . 283 (3) Lehre von der Einheitsanknüpfung . . . . . . . . . 283 (4) Materiell-rechtliche Berücksichtigung . . . . . . . . 285 (5) „Freihändige Angemessenheitsprüfung“ . . . . . . 285 (6) Kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung . . . . . . . 286 (7) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 c) Normvorschlag für Art. 16 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . 286 II. Statusrechtliche Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 1. Grundsätzliches Bedürfnis einer Regelung im Statusrecht . . . 288 2. Rom III-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 3. EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 4. EuUntVO i. V. m. HUntProt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 5. EhegüterVO-E und EPartVO-E . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
E. Entwurf einer verordnungsübergreifenden Lösung . . . . . . . . . 298
6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut . . . . . 300 A. Problemstellung am Beispiel des Art. 3a Abs. 2 EGBGB . . . . . . 301 I. Funktion und Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 II. Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
B. Relevanz für Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
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C. Behandlung im europäischen Verordnungsrecht . . . . . . . . . . . 305 Art. 30 EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 1. Enger Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 2. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 a) Internationaler Entscheidungseinklang . . . . . . . . . . . 308 aa) Erster Vorwurf: kein Entscheidungseinklang mit dem Gesamtstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 bb) Zweiter Vorwurf: kein Zurückweichen vor fremdem Gesamtstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Durchsetzbarkeit und Praktikabilität . . . . . . . . . . . . 316 c) Sachnähe des Belegenheitsstaates . . . . . . . . . . . . . . 319 d) Wertungszusammenhang zu anderen Rechtsinstituten . . . 320 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 II. EhegüterVO-E und EPartVO-E . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 III. Weitere Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 1. Rom I- und Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 2. Rom III-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 3. EuUntVO i. V. m. HUntProt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 IV. Sonderproblem: Geltung auch bei Rechtswahl? . . . . . . . . . . 328
I.
D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
Abschließende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . 331 B. Normvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Renvoi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 1. Vermögensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 2. Statusrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 II. Mehrrechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 1. Vermögensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 2. Statusrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 III. Vorfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 IV. Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 V. Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut . . . . . . . . . 338 I.
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. a. E. a. F. ABl. EG ABl. EU Abs. AcP AEUV
anderer Ansicht am angegebenen Ort am Ende alte Fassung Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Amtsblatt der Europäischen Union Absatz, Absätze Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung der Bekanntmachung vom 9.5.2008, ABl. EU 2008 Nr. C 115, S. 47 ff. Alt. Alternative AmJCompL The American Journal of Comparative Law Anh. Anhang Art. Artikel BayOLG Bayerisches Oberlandesgericht BB Betriebs-Berater Begr. Begründer BG Schweizerisches Bundesgericht BGB Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896 in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.1.2002, BGBl. I, S. 42, berichtigt S. 2909 und BGBl. 2003 I, S. 738 BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Brüssel I-VO Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2001 Nr. L 12/1 Brüssel I-VO-neu Verordnung (EU) Nr. 1251/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.12 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU 2012 Nr. L 351/1 Brüssel IIa-VO Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, ABl. EG 2000 Nr. L 338/1 BT-Drucks. Drucksachen des Deutschen Bundestages
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BuffLRev The Buffalo Law Review BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bzw. beziehungsweise ca. circa CanBarRev The Canadian Bar Review CLJ The Cambridge Law Journal CMLR Common Market Law Review d. h. das heißt D.S.Jur. Recueil Dalloz Sirey, Jurisprudence ders. derselbe dies. dieselbe, dieselben DIP Droit International Privé DNotZ Deutsche Notarzeitschrift EG Europäische Gemeinschaft EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18.8.1896 in der Fassung der Bekanntmachung vom 21.9.1994, BGBl. I, S. 2494, berichtigt 1997 I, S. 1061 EhegüterVO-E Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts vom 16.03.2011, KOM (2011) 126 endg. EPartVO-E Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften vom 16.03.2011, KOM (2011) 127 endg. ErbR Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis EU Europäische Union EuErbVO Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.07.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. EU 2012 Nr. L 201/107 EuGH Gerichtshof der Europäischen Union EuGHE Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften EurLForum The European Legal Forum EuUntVO Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. EU 2009 Nr. L 7/1 EUV Vertrag über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon vom 13.12.2007, ABl. Nr. C 306, S. 1, berichtigt ABl. EU 2008 Nr. C 111, S. 56, ABl. EU 2009 Nr. C 290, S. 1, ABl. EU 2011 Nr. C 378, S. 3. EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
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EVÜ
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Römisches EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980, BGBl. 1986 II, S. 810, in der Fassung des 3. Beitrittsübereinkommens vom 29.11.1996, BGBl. 1999 II, S. 7 f. folgende/folgender FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht. Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht ff. folgende Fn. Fußnote FPR Familie, Partnerschaft, Recht franz. französisch FS Festschrift gem. gemäß GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949, BGBl. S. 1 ggf. gegebenenfalls GPR Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht GS Gedächtnisschrift HeimG Heimgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5.11.2011, BGBl. I S. 2970 Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz HUntProt Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007, ABl. EU 2009 Nr. L 331/19 i. S. d. im Sinne des i. V. m. in Verbindung mit ICLQ The International and Comparative Law Quarterly IHR Internationales Handelsrecht IPR Internationales Privatrecht IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts IPRspr. Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts IZVR Internationales Zivilverfahrensrecht JBl. Juristische Blätter JherJb Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts JPrivIntL Journal of Private International Law Jura Juristische Ausbildung JuS Juristische Schulung JW Juristische Wochenschrift JZ Juristenzeitung lit. litera LQR The Law Quarterly Review m. w. N. mit weiteren Nachweisen MPI Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privat recht MüKo Münchener Kommentar n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift
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NJW-RR NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht NK Nomos Kommentar zum BGB notar Monatsschrift für die gesamte notarielle Praxis Nr. Nummer NZFam Neue Zeitschrift für Familienrecht ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung OLG Oberlandesgericht PIL Private International Law RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RCDIP Revue critique de droit international privé Rec. des Cours Recueil des Cours de l’Académie de Droit international de la Haye RG Reichsgericht RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RIW Recht der internationalen Wirtschaft, Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Rn. Randnummer RNotZ Rheinische Notar-Zeitschrift Rom I-VO Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU 2008 Nr. L 177/6 Rom II-VO Verordnung (EG) Nr. 874/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU 2007 Nr. L 199/40 Rom III-VO Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20.12.2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, ABl. EU 2010 Nr. L 343/10 Rs. Rechtssache S. Satz/Seite s. siehe sog. sogenannte StAZ Das Standesamt. Zeitschrift für Standesamtswesen, Ehe- und Kindschaftsrecht, Staatsangehörigkeitsrecht StPO Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7.4.1987, BGBl. I S. 1074, ber. S. 131 Tz. Textziffer u. a. unter anderem UAbs. Unterabsatz v. vom/versus Var. Variante Verf. Verfasser vgl. vergleiche VO Verordnung YbPrivIntL Yearbook of Private International Law z. B. zum Beispiel ZErb Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis
Abkürzungsverzeichnis
ZEuP ZEV ZfRV ZöffR ZVglRWiss
Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft
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Einleitung A. Einführung in die Problematik Wenige Begriffe im internationalen Privatrecht sind so schillernd wie der des internationalen Entscheidungseinklangs. Der Versuch, internationalen Entscheidungseinklang zu erreichen, wird sogar mit der Suche nach dem Heiligen Gral verglichen.1 An der Frage, ob es sich hierbei um ein Leitprinzip des deutschen Kollisionsrechts oder lediglich um einen Nebenzweck handelt, scheiden sich die Geister. Die verwendeten Bilder reichen von „romantischer Utopie“2 oder „Phantom“3 bis zu einem „Gerechtigkeitsprinzip des IPR“,4 das an „Leuchtkraft“5 nicht eingebüßt habe. Lässt man die bildhaften Beschreibungen beiseite, versteht man unter internationalem Entscheidungseinklang die Unabhängigkeit des Ergebnisses eines Rechtsstreits vom Ort des Forums.6 Carl Friedrich von Savigny, der als Begründer der Idee gilt,7 beschrieb im Jahre 1849 das Erzielen von Entscheidungseinklang als eine Situation, in der „Rechtsverhältnisse, in Fällen einer Collision der Gesetze, dieselbe Beurtheilung zu erwarten haben, ohne Unterschied, ob in diesem oder jenem Staate das Urtheil gesprochen werde“8. Trotz der Abstraktheit des Begriffs steht hinter dem Prinzip das grundlegende Bedürfnis nach der Funktionsfähigkeit des internationalen Rechtsverkehrs:9 Aus fehlendem Entscheidungseinklang resultieren hinkende Rechtsverhältnisse, mithin Rechtsverhältnisse, die in einem Staat als bestehend und in einem anderen als nicht bestehend behandelt werden.10 Dies führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit für den Einzelnen und erschwert die Durchsetzung seiner Rechte. Entscheidungseinklang
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Juenger, FS Voskuil, S. 137, 138: „Holy Grail of decisional harmony“. Hay, Rec. des Cours 226 (1991-I), 281, 338: „romantic utopia“; ebenso Müller-Freienfels, FS Vischer, S. 223, 229. 3 Müller-Freiensfels, FS Vischer, S. 223, 229 Fn. 36; Sturm, Ius Commune, S. 92, 108. 4 Braga, RabelsZ 23 (1958), 421, 423. 5 Neuhaus, RabelsZ 15 (1949/50), 364, 380. 6 Neuhaus, Grundbegriffe, S. 50. 7 S. zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung des Prinzips S. 11 ff. 8 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts VIII, S. 27. 9 So auch Roth, Versicherungsvertragsrecht, S. 140. 10 Dorenberg, Hinkende Rechtsverhältnisse, S. 16–18; Sonnentag, Renvoi, S. 116. 2
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Einleitung
erleichtert also die Transportfähigkeit eines Rechts bzw. eines Status11 und dient damit unter anderem dem Schutz bereits erworbener Rechte.12 Das Bedürfnis nach erhöhter Transportfähigkeit von Rechten und dem Erzielen von internationalem Entscheidungseinklang sah Savigny schon im Jahre 1849 in der Zunahme des internationalen Rechtsverkehrs begründet: „Der Verkehr der Völker mußte erst den ungeheuren Schwung erhalten haben, den wir in neueren Zeiten wahrnehmen, damit das Bedürfniß solche Grundsätze zur Anerkennung und Ausbildung bringen konnte.“13 Durch diese grenzüberschreitende Aktivität wurde die nationalstaatliche Perspektive um einen internationalen Blickwinkel erweitert und das Anliegen erkannt, ein nationales Recht bzw. einen nationalen Status über die nationalen Grenzen hinweg aufrechtzuerhalten. Vor dem Hintergrund des weltweit zunehmenden grenzüberschreitenden Handels- und Personenverkehrs erscheint dieses Bedürfnis nach internationalem Entscheidungseinklang heute noch viel dringlicher als zu Savignys Zeit. Um auf diese tatsächliche Entwicklung innerhalb der Europäischen Union zu reagieren und den Binnenmarkt weiter zu fördern, ist der europäische Gesetzgeber insbesondere auf dem Gebiet des Kollisionsrechts aktiv geworden. Nach der Vereinheitlichung des Kollisionsrechts zur Bestimmung des auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbaren Rechts durch die Rom I-Verordnung14 und die Rom II-Verordnung15 beginnt der europäische Gesetzgeber nunmehr, weitere Rechtsgebiete zu kodifizieren: Mit der Rom III-Verordnung16 wird das anwendbare Recht in Scheidungssachen geregelt, das anwendbare Recht in Unterhalts sachen wird durch eine entsprechende Verordnung (EuUntVO)17 in Verbindung mit dem Haager Unterhaltsprotokoll (HUntProt)18 normiert. Des Weiteren ist jüngst die Erbrechtsverordnung (EuErbVO)19 in Kraft getreten, die auf Erbfälle ab dem 11
Thorn, Koordinierung, S. 9; Jayme, Rec. des Cours 251 (1995), 9, 89 f. Kegel, FS Lewald, S. 259, 277. 13 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts VIII, S. 29. 14 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU 2008 Nr. L 177/6. 15 Verordnung (EG) Nr. 874/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU 2007 Nr. L 199/40. 16 Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20.12.2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, ABl. EU 2010 Nr. L 343/10. 17 Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. EU 2009 Nr. L 7/1. 18 Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007, ABl. EU 2009 Nr. L 331/19. 19 Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.07.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. EU 2012 Nr. L 201/107. 12
A. Einführung in die Problematik
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17.08.2015 Anwendung findet. Im Verfahrensgang befinden sich weiterhin Verordnungen über das anwendbare Recht im Ehegüterrecht (EhegüterVO-E)20 sowie im Güterrecht eingetragener Partnerschaften (EPartVO-E).21 Durch das vereinheitlichte europäische Kollisionsrecht22 wird Entscheidungseinklang jedenfalls zwischen den Mitgliedstaaten erzielt, indem jeder Mitgliedstaat, unabhängig vom Gerichtsort, dasselbe Kollisionsrecht und damit letztlich dasselbe materielle Recht anwendet.23 Jedoch ist der zunehmend grenzüberschreitende Rechtsverkehr innerhalb der EU nicht die einzige Entwicklung, auf die das geltende Kollisionsrecht eine Antwort finden muss. Auch auf globaler Ebene hat der Rechtsverkehr, um es mit den Worten Savignys zu sagen, „ungeheuren Schwung erhalten“.24 Parallel zur Europäisierung findet eine Globalisierung statt, auf die das Recht reagieren muss. Diese Aufgabe kann gerade das Kollisionsrecht leisten, indem es die Koordination von mehreren miteinander konkurrierenden Rechtsordnungen übernimmt und für einen internationalen Sachverhalt eine einzige Rechtsordnung zur Anwendung beruft.25 Idealerweise führt diese Koordination durch das IPR dazu, dass – im Sinne von Savignys Idee des internationalen Entscheidungseinklangs – jeweils dieselbe Rechtsordnung berufen wird, unabhängig davon, in welchem Staat geklagt wird.26 In der dadurch erreichten Ermöglichung grenzüberschreitenden Lebens sieht Jayme die „wichtigste Leistung eines ‚internationalen‘ Privatrechts“.27 Den Blick bei der Kodifzierung des europäischen IPR auf Europa zu beschränken und Drittstaaten zu diskriminieren, käme der Schaffung einer „Festung Europa“28 gleich,29 was die tatsächliche Entwicklung und das daraus resultierende Bedürfnis nach der Einbeziehung auch drittstaatlicher Sachverhalte verkennen würde. Gegenstand dieser Arbeit ist die Behandlung dieser drittstaatlichen Sachverhalte durch das europäische Kollisionsrecht, wobei sich vor allem folgende Fragen stellen: Welchen Stellenwert nimmt das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs im europäischen Kollisionsrecht ein? Sollte es auf der europäischen Bühne 20 Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts vom 16.03.2011, KOM (2011) 126 endg. 21 Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften vom 16.03.2011, KOM (2011) 127 endg. 22 In dieser Arbeit wird als Ausschnitt des europäischen Kollisionsrechts nur das soeben genannte Verordnungs-Kollisionsrecht untersucht, s. zu weiteren Bereichen Roth, IPRax 2006, 338. 23 Zu Ausnahmen S. 9 f. 24 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts VIII, S. 29. 25 Behrens, FS MPI, S. 381, 388 spricht insofern von „Transaktionskollisionsrecht“. 26 Behrens, FS MPI, S. 381, 389 f. 27 Jayme, FS Bosch, S. 459, 460. 28 Mankowski, IHR 2008, 133, 144; Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 412 spricht insofern von „europäischem Autismus“. 29 S. auch Schurig, FS Spellenberg, S. 343, 348: „Den Blick auf ‚Europa‘ fixiert, verliert man die Welt aus den Augen.“.
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Einleitung
eine Haupt- oder bloß eine Nebenrolle spielen? Welche Mittel stehen dem europäischen Gesetzgeber zur Verfügung, um internationalen Entscheidungseinklang zu erzielen? Da im Verhältnis zu Drittstaaten derzeit kaum vereinheitlichtes Kollisionsrecht besteht, wird sich die Arbeit auf ein anderes Mittel zum Erzielen von Entscheidungseinklang konzentrieren, nämlich auf die Berücksichtigung ausländischen Kollisionsrechts. Im Interesse des internationalen Entscheidungseinklangs kann ausländisches Kollisionsrecht insbesondere in drei Fällen berücksichtigt werden: bei der Beachtung eines renvoi, also einer Rück- oder Weiterverweisung, bei der Ermittlung des anwendbaren Rechts im Falle von Mehrrechtsordnungen sowie bei der Vorfragenanknüpfung. In zwei weiteren Fällen wird ausländisches Kollisionsrecht nicht in seiner Gänze berücksichtigt, sondern lediglich punktuell angewendet. Es handelt sich dabei um die Themenkomplexe der Eingriffsnormen sowie der Durchbrechung des Gesamtstatuts durch ein vorrangiges Einzelstatut. Die Haltung des europäischen Kollisionsrechts in diesen Fragen kann Aufschluss darüber geben, welchen Stellenwert der europäische Gesetzgeber dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs de lege lata einräumt. In allen ausgewählten Problemkreisen spielt das Prinzip des Entscheidungseinklangs eine mehr oder minder gewichtige Rolle. Es liegt daher nahe, dass es sich um eine die einzelnen Rechtsfiguren verbindende Wertung handelt und dass weitere Wertungszusammenhänge bestehen. Diese Arbeit wird sich daher im Wesentlichen darauf konzentrieren, den Wertungszusammenhang aufzudecken, daraus Rückschlüsse für die Behandlung der einzelnen Rechtsfiguren zu ziehen und eine kohärente Lösung für das europäische IPR zu finden.30 Die genannten Rechtsfiguren haben außerdem gemein, dass sie allesamt Fragen darstellen, die unter dem Stichwort „Allgemeine Lehren“ oder „Allgemeiner Teil“ des Kollisionsrechts geführt werden. Während die allgemeinen Lehren im nationalen Kollisionsrecht aus der Dogmatik der IPR nicht hinwegzudenken sind, fehlt eine solche Verklammerung der einzelnen Instrumente auf europäischer Ebene noch. Angesichts der immer schneller voranschreitenden europäischen Gesetzgebung und der drohenden Inkohärenz bzw. Unübersichtlichkeit ist in der Literatur die Forderung nach einem solchen allgemeinen Teil in letzter Zeit immer lauter geworden.31 Diese Arbeit soll auch zu dieser Diskussion einen Beitrag leisten. Jedoch bleibt die Frage, ob ein allgemeiner Teil des europäischen Kollisionsrechts rechtspolitisch durchsetzbar ist sowie in welcher Form – etwa in Form einer Rom 0-Verordnung – dieser erlassen werden sollte,32 außer Betracht. Stattdessen liegt der Schwerpunkt
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Zu dieser Fragestellung auch Thorn, Koordinierung, S. 10 f. S. dazu Heinze, FS Kropholler, S. 105–127; Jayme/ Kohler, IPRax 2006, 537–550; Kreuzer in Jud/Rechberger, S. 1–76; Siehr in Reichelt/Rechberger (2007), S. 77–95; Sonnenberger, FS Krop holler, S. 227–246. 32 Zum rechtspolitischen Umfeld und der Form einer Rom 0-Verordnung eingehend Wagner in 31
B. Gang der Darstellung
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auf dem Wertungszusammenhang33 zwischen den einzelnen allgemeinen Rechts figuren,34 insbesondere im Hinblick auf das Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs als leitendes Gesetzgebungsziel. Eine Kodifikation durch den europäischen Gesetzgeber sollte nämlich jedenfalls nur erfolgen, wenn zuvor die den einzelnen Kollisionsnormen zugrundeliegenden Wertungen widerspruchsfrei herausgearbeitet wurden.35
B. Gang der Darstellung Die Arbeit gliedert sich in einen allgemeinen und einen besonderen Teil. Im allgemeinen Teil werden die Hintergründe des Prinzips des Entscheidungseinklangs erläutert. Insbesondere werden die Gründe für die Forderung nach internationalem Entscheidungseinklang betrachtet, um beurteilen zu können, ob er auf europäischer Ebene erforderlich ist. Weiterhin werden abstrakt Interessen und Wertungen dargestellt, mit denen der internationale Entscheidungseinklang häufig im Spannungsverhältnis steht. Der Schwerpunkt des allgemeinen Teils liegt schließlich auf der praktischen Bedeutung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs. These dieser Arbeit ist, dass das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs in Statusverhältnissen bzw. statusnahen Beziehungen eine bedeutendere Rolle spielt als in rein vermögensrechtlichen Verhältnissen.36 Diese These wird anhand der unterschiedlichen Interessen, die den Rechtsgebieten zugrunde liegen, überprüft und im Anschluss eine Zuordnung der einzelnen europäischen Verordnungen vorgenommen. Der besondere Teil ist in mehrere Kapitel untergliedert, von denen jedes eine der genannten kollisionsrechtlichen Rechtsfiguren behandelt. Innerhalb jedes Kapitels werden die Grundlagen der jeweiligen Rechtsfigur sowie die Relevanz, die der internationale Entscheidungseinklang für sie hat, erläutert. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt stets auf dem europäischen Kollisionsrecht und den Lösungen der verschiedenen Verordnungen für die Rechtsfigur. Am Ende jedes Kapitels steht ein möglichst verordnungsübergreifender Vorschlag, der die Wertungskohärenz und Stimmigkeit zwischen den Verordnungen fördern und der Bedeutung des interna Leible/Unberath, S. 51–79; Leible, FS Martiny, S. 429–435; s. auch Mac Eleavy Fiorini in Fallon/ Lagarde/Poillot-Peruzzetto, S. 27, 41–48. 33 Vgl. auch Kahn, Abhandlungen I, S. 326, der insofern eine „unablässige[…] Beobachtung unseres Kompasses der Gesetzesharmonie“ durch die Wissenschaft für erforderlich hält. 34 S. auch Schurig, RabelsZ 59 (1995), 229, 237, der die Rechtsfiguren des allgemeinen Teils als „Teil [der] interessenjuristische[n] Methode im IPR“ sieht, da sie „vorweggedachte Programme der Interessenabwägung und -bewertung [enthalten]“. 35 Vgl. auch Meeusen in Fallon/Lagarde/Poillot-Peruzzetto, S. 69, 88 „Cette réponse […] doit être basée sur des prémisses bien réfléchies. En d’autres termes, le législateur pourrait bien s’inspirer dans ce domaine de l’ancien adage bien connu: festina lente!“. 36 Vgl. auch Dorenberg, Hinkende Rechtsverhältnisse, S. 17.
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Einleitung
tionalen Entscheidungseinklangs im jeweiligen Bereich gerecht werden soll. Wie bereits erwähnt, bietet sich hierzu im Rahmen der Untersuchung eine Differen zierung zwischen den rein vermögensrechtlichen Verordnungen und den statusrechtlichen Verordnungen an, da diese bereits von vornherein auf unterschiedlichen Interessen beruhen und die Bedeutung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs daher unterschiedlich hoch ist.
1. Kapitel:
Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs A. Begriff Traditionell wird differenziert zwischen dem internationalen bzw. externen Entscheidungseinklang, der Gegenstand dieser Arbeit sein soll, und dem internen bzw. inneren Entscheidungseinklang. I. Internationaler Entscheidungseinklang Internationaler Entscheidungseinklang, auch internationale Entscheidungsharmonie,1 internationale Entscheidungsgleichheit2 oder Grundsatz des Konfliktsminimums3 genannt, wird realisiert, wenn dasselbe Rechtsverhältnis in allen Staaten, unabhängig vom Ort der Entscheidung, gleich beurteilt wird.4 Diese Idee geht, wie bereits erwähnt, auf Savigny zurück.5 Noch heute wird in der Literatur zum deutschen Kollisionsrecht der Grundsatz des internationalen Entscheidungseinklangs als eines der Leitprinzipien und sogar als „Endziel“6 des internationalen Privatrechts bezeichnet.7 Abzugrenzen ist der Begriff von der internationalen Gesetzesharmonie.8 Bei dieser handelt es sich um das dahinterstehende Prinzip, das eine übergeordnete, allgemeinere Ebene betrifft:9 Die Idee der Gesetzesharmonie besagt, dass das anwendbare Recht so bestimmt werden sollte, dass nur ein Minimum an Anwendungskon1 Vischer, FS Germann, S. 287, 288; Jayme, FS Bosch, S. 459; kritisch aufgrund des „musikalisch wunderliche[n] Bild[es]“ Wolff, IPR, S. 9 mit Fn. 3. 2 Wengler, ZöffR 23 (1943/44), 473, 501. 3 Wengler, ZöffR 23 (1943/44), 473, 499, 501 mit Fn. 4 4. 4 Neuhaus, Grundbegriffe, S. 50. 5 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts VIII, S. 27. 6 Zweigert, FS Raape, S. 35. 7 Vgl. Jayme, FS Bosch, S. 459; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1 Rn. 13; Wengler, RabelsZ 8 (1934), 198 f.; Wolff, IPR, S. 77; Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 16: „angestrebtes Ziel“ des IPR; s. auch Müller-Freienfels, FS Vischer, S. 223, 225 f.; Vischer, FS Germann, S. 287, 301; Kegel, FS Lewald, S. 259, 262. 8 A. A. Kropholler, IPR, S. 36, der in dem Begriff eine frühere, ungenaue Bezeichnung des Prinzips des Entscheidungseinklangs sieht; auch Braga, RabelsZ 23 (1958), 421, 438 benutzt die Begriffe als Synonyme. 9 So auch Francescakis, Renvoi, S. 213: „C’est une idée plus générale à la fois et plus vague […]“; Thorn, Koordinierung, S. 8.
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
flikten mit anderen Staaten entsteht.10 Die Formulierung zeigt bereits, dass auch die vollkommene Gesetzesharmonie zwischen allen Staaten ein unerreichbarer Idealzustand bleibt; deshalb beschränkt sich das Ziel darauf, die Anwendungskonflikte möglichst zu minimieren. Wird das anwendbare Recht auf diese Weise bestimmt, ist Folge der internationalen Gesetzesharmonie die Herstellung von Entscheidungs einklang, da auf konkreter Ebene die Entscheidung des Richters nicht vom Ort des Forums abhängt. Hauptanliegen des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs ist die Vermeidung international hinkender Rechtsverhältnisse, also solcher Rechtsverhältnisse, deren Existenz in verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich beurteilt wird.11 Der Begriff des hinkenden Rechtsverhältnisses stammt von Endemann, der die Figur der hinkenden Ehe, der „matrimonium claudicans“, entwickelt hat.12 Dieser Begriff ist insofern passend, als eine Ehe, die nur in einem Staat anerkannt wird, nur in diesem Staat „stehen“ kann, in anderen Staaten hingegen nicht, sodass die Ehe – bildlich gesprochen – hinkt.13 Eine hinkende Ehe hat für den Einzelnen missliche Konsequenzen, auf die noch einzugehen sein wird.14 Hinkende Rechtsverhältnisse können nicht nur in familien- und erbrechtlichen Verhältnissen auftreten. Auch in vermögensrechtlichen Verhältnissen ist etwa das Entstehen einer hinkenden Forderung denkbar.15 Ob das Bedürfnis, hinkende Rechtsverhältnisse zu vermeiden und internationalen Entscheidungseinklang zu erzielen, in allen Bereichen ähnlich dringlich ist, wird ebenfalls noch Gegenstand der Untersuchung sein.16 II. Interner Entscheidungseinklang Interner oder innerer Entscheidungseinklang, auch materielle Harmonie17 genannt, meint die Gleichbehandlung von Rechtsverhältnissen innerhalb einer Rechtsordnung, unabhängig davon, in welchem Kontext das Bestehen dieses Rechtsverhältnisses beurteilt wird.18 Dies dient letztlich der Widerspruchsfreiheit der eigenen inländischen Rechtsordnung.19 Es soll vermieden werden, dass innerhalb einer Rechtsordnung eine Frage uneinheitlich beantwortet wird.
10 Kahn, Abhandlungen I, S. 326; Wengler, ZöffR 23 (1943/44), 473, 483; Wengler, RCDIP 41 (1952), 595, 610 f.; Francescakis, Renvoi, S. 213; Thorn, Koordinierung, S. 8. 11 Dorenberg, Hinkende Rechtsverhältnisse, S. 16–18; Sonnentag, Renvoi, S. 116. 12 Endemann, JW 1914, 113–121. 13 Dorenberg, Hinkende Rechtsverhältnisse, S. 16, der insofern von einem „pathologischen Fall der Rechtsanwendung“ spricht. 14 Dazu unten, S. 36 f. 15 Dorenberg, Hinkende Rechtsverhältnisse, S. 17. 16 Dazu unten, S. 37 ff. 17 Wengler, ZöffR 23 (1943/44), 473, 500; Kropholler, IPR, S. 36. 18 Kegel/Schurig, IPR, S. 141 f. 19 Kropholler, IPR, S. 226.
A. Begriff
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Prominentes Beispiel ist die Gültigkeit einer Ehe, die sich häufig als Vorfrage20 stellt: Hält ein Gericht in einem Unterhaltsprozess die Ehe für gültig, ein anderes Gericht bei der Beurteilung der Erbenstellung hingegen nicht, führt dies zu Widersprüchen:21 Eine Person gilt innerhalb der eigenen Rechtsordnung in einem bestimmten Zusammenhang als verheiratet, in einem anderen jedoch nicht. Dadurch werden hinkende Rechtsverhältnisse in ein und derselben Rechtsordnung geschaffen.22 Dies führt zu Rechtsunsicherheit23 und beeinträchtigt das Vertrauen des Einzelnen in die eigene Rechtsordnung.24 Das Interesse an internem Entscheidungseinklang beschränkt sich – ebenso wie das Interesse an internationalem Entscheidungseinklang – nicht auf familienrechtliche Verhältnisse. Es besteht vielmehr auch in vermögensrechtlichen Verhältnissen, wenn beispielsweise ein Gericht das Bestehen einer durch eine Bürgschaft gesicherten Forderung nach dem Forderungsstatut bejaht, ein anderes Gericht des selben Staates das Bestehen der Forderung nach dem Bürgschaftsstatut hingegen verneint.25 III. Europäischer Entscheidungseinklang Durch die stetige Weiterentwicklung eines Kollisionsrechts durch die Europäische Union stellt sich die Frage, ob der traditionellen Unterscheidung eine dritte Kategorie des Entscheidungseinklangs in Gestalt des europäischen Entscheidungseinklangs hinzuzufügen ist.26 Dabei handelt es sich letztlich jedoch nur um internen Entscheidungseinklang innerhalb der Europäischen Union. Dieser wird in erheblichem Maße bereits durch die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts erreicht.27 Als zweite Methode wird derzeit im europäischen IPR die kollisionsrechtliche Anerkennung von Rechtslagen diskutiert, die ebenfalls geeignet ist, europäischen Entscheidungseinklang zu erzielen.28 Trotz des in vielen Bereichen vereinheitlichten Kollisionsrechts können Störungen des europäischen Entscheidungseinklangs auftreten, beispielsweise im Hinblick auf in den Verordnungen nicht geregelte Vorfragen.29 Auch einzelne Anwendungsfälle des nationalen ordre public führen dazu, dass dieselbe Frage innerhalb Europas unterschiedlich behandelt wird. Probleme entstehen außerdem, wenn das europäische Kollisionsrecht einen Vorbehalt zugunsten bestimmter Übereinkom20
Dazu noch im 4. Kapitel, S. 189 ff. Kropholler, IPR, S. 226; Bernitt, Vorfragen, S. 61. 22 Bamberger/Roth-Lorenz, Einleitung IPR Rn. 72. 23 Bernitt, Vorfragen, S. 61. 24 Kegel/Schurig, IPR, S. 381. 25 Beispiel nach Kegel/Schurig, IPR, S. 381. 26 So Gössl, ZfRV 2011, 65, 70, die von einem „dritten, EG-internen Einklang“ spricht. 27 Vgl. zu den Methoden zur Erzielung von Entscheidungseinklang Neuhaus, Grundbegriffe, S. 53–63; Sonnentag, Renvoi, S. 132–136. 28 Dazu noch unten, S. 26 f. 29 Dazu unten, S. 216 ff. 21 Vgl.
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
men vorsieht (z. B. Art. 28 Rom II-VO), durch das nicht alle EU-Mitgliedstaaten gebunden werden. Es handelt sich hierbei jedoch nur um vereinzelte Störungen des europäischen Entscheidungseinklangs, während in drittstaatlichen Fällen mangels vereinheitlichter Kollisionsregeln – mit Ausnahme einiger Haager Übereinkommen – Entscheidungsdisharmonien wesentlich häufiger auftreten. Im Verhältnis der Europäischen Union zu Drittstaaten besteht damit noch derselbe Handlungsbedarf, der vor der Vereinheitlichung des europäischen Kollisionsrechts zwischen Deutschland und den anderen europäischen Staaten bestand. Wenn sich die EU auf die Vereinheitlichung des europäischen Kollisionsrechts konzentriert, läuft sie Gefahr, lediglich den EU-internen Entscheidungseinklang zu realisieren, während der internationale Entscheidungseinklang gegenüber Drittstaaten vernachlässigt wird. In diesem Zusammenhang fallen bereits Begriffe wie „europäische Abschottungsmentalität“,30 „Euro-Chauvinismus“31, „europäischer Autismus“32 oder „Brüsseler Alleingang.“33 Die Kritiker verkennen, dass sich die EU auch auf globaler Ebene um ein einheitliches Kollisionsrecht bemüht, indem sie beispielsweise an der Haager Konferenz für IPR mitwirkt.34 Dennoch sollte die Europäische Union auch bei der europäischen Rechtsetzung drittstaatliche Interessen berücksichtigen und bewusst in die gesetzgeberische Abwägung einfließen lassen. Eine Verengung des Blicks auf Europa würde einen Rückschritt darstellen, da letztlich – im nationalstaatlichen Sinne – der Fokus wieder auf den internen Entscheidungseinklang gerückt und auf europäischer Ebene ein wesentliches Leitprinzip des deutschen Kollisionsrechts aufgegeben oder zumindest in seiner Bedeutung herabgestuft würde. IV. Gegenstand der Untersuchung Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die Frage nach dem internationalen Entscheidungseinklang und versteht diesen als Entscheidungseinklang im Verhältnis zu Drittstaaten. Der interne sowie der europäische, also EU-interne, Entscheidungseinklang sollen hingegen nicht Gegenstand der Untersuchung sein, sondern spielen lediglich bei der Betrachtung der konkreten Rechtsfiguren im Rahmen der Abwägung eine Rolle.
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MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 45. Kühne, FS Heldrich, S. 815, 826. 32 Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 412. 33 Lehmann, FS Spellenberg, S. 245, 259. 34 S. den Beschluss des Rates 2006/719/EG vom 5.10.2006 über den Beitritt der europäischen Gemeinschaft zur Haager Konferenz für internationales Privatrecht., ABl. EU 2006 Nr. L 297/1. 31
B. Geschichtliche Entwicklung des Prinzips
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B. Geschichtliche Entwicklung des Prinzips I. Grundlagen und „Entdeckung“ durch Savigny Die Geschichte des internationalen Privatrechts lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen, wobei sich in dieser Zeit nur erste Ansätze zeigten und diese Epoche insgesamt noch dadurch geprägt war, dass jeder Staat stets das eigene Recht anwendete.35 Weiterhin herrschte bis ins frühe Mittelalter der Grundsatz, dass jede Person nach der lex originis beurteilt wurde (Personalitätsprinzip).36 Im Hochmittelalter entwickelte sich langsam das moderne IPR. Seine Geschichte begann in Oberitalien, wo die Städte ihr eigenes Recht entwickelten und dieses in Satzungen (sog. statuta) kodifizierten.37 Durch den zunehmenden Handel und Verkehr zwischen den Städten entstanden notwendigerweise Fragen im Hinblick auf das jeweils anwendbare Recht im Falle eines Konflikts zwischen den Statuten.38 Angesichts dieser Konflikte entwickelten die Postglossatoren die sogenannte Statutenlehre, wonach es drei Arten von Statuten gab, für die unterschiedliche Kolli sionsregeln galten: die statuta personalia für Normen, die die Person selbst betreffen, die stets der lex originis unterlagen. Die statuta realia für unbewegliche Sachen waren entsprechend dem Territorialitätsprinzip auf die jeweilige Rechtsordnung beschränkt, in deren Staat sie belegen waren, und damit diesem Recht unterworfen. Die statuta mixta schließlich dienten als Auffangtatbestand für sonstige Normen, auf die das Recht des Handlungsortes anwendbar war.39 Zwar wurde die Statutentheorie über die folgenden Jahrhunderte weiterentwickelt und konkretisiert, jedoch ist sie – an wohl prominentester Stelle von Carl Georg von Wächter40 – dafür kritisiert worden, mit den drei Statuten eine zu grobe Einteilung bereitzustellen, was zum einen zu Abgrenzungsproblemen und zum anderen nicht stets zu zufriedenstellenden Ergebnissen führen könne.41 Angesichts des stetig zunehmenden internationalen Rechtsverkehrs bestand ein Bedürfnis für ein differenzierteres System. Dieses Bedürfnis sah auch Savigny in seinem wegweisenden Band 8 des „Systems des heutigen Römischen Rechts“: „Je mannichfaltiger und lebhafter der Verkehr unter den verschiedenen Völkern wird, desto mehr wird man sich überzeugen müssen, dass es räthlich ist, jenen strengen Grundsatz nicht festzuhalten, sondern vielmehr mit einem gegensätzlichen Grundsatz zu vertauschen. Dahin führt die wünschenswerthe Gegenseitigkeit in der Behandlung der Rechtsverhältnisse, und die daraus hervorgehende Gleichheit in der Beurtheilung der Einheimischen und 35 Dazu
Gutzwiller, Geschichte des IPR, S. 1–6; Kegel/Schurig, IPR, S. 162 f. von Hoffmann/Thorn, IPR, § 2 Rn. 2–8. 37 Kegel/Schurig, IPR, S. 166. 38 Kegel/Schurig, IPR, S. 166; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 2 Rn. 9. 39 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 2 Rn. 9 –15. 40 Dazu von Wächter, AcP 24 (1841), 230–311; AcP 25 (1842), 1–60, 161–200, 361–419. 41 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 2 Rn. 23–25; Kegel/Schurig, IPR, S. 182 f. 36 S.
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
Fremden, die im Ganzen und Großen durch den gemeinsamen Vortheil der Völker und des Einzelnen geboten wird.“42 Savigny betonte damit den Grundsatz der Gegenseitigkeit und entwickelte gleichzeitig den Grundsatz des Entscheidungseinklangs:43 „Denn diese Gleichheit muss in vollständiger Ausführung dazu führen, daß nicht bloß in jedem einzelnen Staate der Fremde gegen den Einheimischen nicht zurückgesetzt werde […], sondern daß auch die Rechtsverhältnisse, in Fällen einer Collision der Gesetze, dieselbe Beur theilung zu erwarten haben, ohne Unterschied, ob in diesem oder jenem Staate das Urtheil gesprochen werde.“44 Savigny leitete damit eine neue Epoche des IPR ein, die sogar als „kopernikanische Wende“45 bezeichnet wird und der zwei Hauptgedanken zugrunde liegen:46 zum einen das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs, dessen Verwirklichung die gleichberechtigte und gegenseitige Anwendung ausländischen Rechts voraussetzt, die er wiederum mit dem völkerrechtlichen Prinzip der comitas begründete.47 Letztlich handelt es sich dabei um eine frühe Beschreibung der Grundlagen der Globalisierung.48 Zum anderen rückte er zur Bestimmung des anwendbaren Rechts den Sitz des Rechtsverhältnisses in den Vordergrund, um auf diese Weise das Rechtsgebiet aufzusuchen, „welchem dieses Rechtsverhältniß seiner eigenthümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist.“49 Damit war die enge Dreiteilung der Statutenlehre aufgegeben und der Weg frei für ein Anknüpfungssystem, dessen Anknüpfungsmomente nach Rechtsverhältnissen differenzierten.50 II. Kritik am Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs Dieser Wandel hatte allerdings zur Folge, dass die Zahl der Konflikte zwischen verschiedenen Rechtsordnungen zunahm, da nunmehr zahlreiche verschiedene Anknüpfungsmomente für bestimmte Rechtsverhältnisse miteinander konkurrierten. Damit traten auch vermehrt – entgegen Savignys Ziel – Entscheidungsdisharmonien auf. Diese Diskrepanz zwischen Savignys Ziel des Systemwechsels einerseits und dessen faktischen Folgen andererseits führte dazu, dass im Laufe des 20. Jahrhun42
Savigny, System des heutigen Römischen Rechts VIII, S. 26 f. Thorn, Koordinierung, S. 3 spricht von der „Geburtsstunde des internationalen Entscheidungseinklangs“. 44 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts VIII, S. 27; dazu schon oben, S. 1 f. 45 Neuhaus, RabelsZ 15 (1949/50), 364, 366. 46 Dazu von Hoffmann/Thorn, IPR, § 2 Rn. 29–32. 47 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts VIII, S. 27: „Der Standpunkt, auf den wir durch diese Erwägung geführt werden, ist der einer völkerrechtlichen Gemeinschaft der mit einander verkehrenden Nationen, und dieser Standpunkt hat im Fortschritt der Zeit immer allgemeinere Anerkennung gefunden, unter dem Einfluß theils der gemeinsamen christlichen Gesittung, theils des wahren Vortheils, der daraus für alle Theile hervorgeht.“; a. a. O., S. 28: „freundliche Zulassung unter souveränen Staaten“. 48 Dazu Behrens, FS MPI, S. 381, 389 f. 49 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts VIII, S. 28. 50 S. zur Entwicklung Kegel/Schurig, IPR, S. 184–191. 43
B. Geschichtliche Entwicklung des Prinzips
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derts vermehrt die Eignung des internationalen Entscheidungseinklangs als Ziel des internationalen Privatrechts hinterfragt wurde.51 Savignys Idee der Gleichwertigkeit und des Entscheidungseinklangs wurde unter anderem als etwas „Weltfernes und -fremdes“,52 als „romantische Utopie“53, als „fool’s gold“54, als „persistant shibboleth“,55 als „kaum mehr als ein Schlagwort“56 oder als „nicht mehr […] als ein formales Ziel“57 bezeichnet. Es sei bei der Kodifikation des nationalen IPR wichtiger, Entscheidungsharmonie innerhalb der eigenen Rechtsordnung zu erzielen als im Verhältnis zu anderen Staaten.58 Man solle lieber materiell gerechte Lösungen suchen und nicht andere rechtliche Interessen außer Acht lassen, um Entscheidungseinklang zu erzielen.59 Vollständiger Entscheidungseinklang sei ohnehin unerreichbar und man jage insofern einem „Phantom“ hinterher.60 Andere hingegen sehen im Prinzip der internationalen Entscheidungsharmonie – im Einklang mit Savigny – noch immer ein Leitprinzip des modernen IPR.61 So formuliert etwa Franz Kahn: „Erstrebt werden diejenigen Kollisionsnormen, bei welchen unter Aufgabe des Minimums von nationalen Rechtszwecken ein Maximum von internationaler Gesetzesharmonie erreicht wird.“62 Neuhaus attestiert der Idee des internationalen Entscheidungseinklangs eine noch immer währende „Leuchtkraft“.63 Nach Wiethölter sollte das Interesse an „die Spitze aller Interessen“64 gestellt werden. Zweigert bezeichnet es als einziges „echtes Prinzip“65 des internationalen Privatrechts, das auf einer „höheren Ebene“ als andere Ziele liege und die Verkörperung der eigenen Gerechtigkeit des IPR darstelle.66 Auch an anderer Stelle wird das Prinzip des Entscheidungseinklangs als „rechtspolitische[s] Gerechtigkeitsprinzip[…] des IPR“67 angesehen. 51 Dazu eingehend Thorn, Koordinierung, S. 4 –7; s. auch Juenger, Rec. des Cours 193 (1985IV), 119, 190 f.; Müller-Freienfels, FS Vischer, S. 223, 233. 52 Müller-Freienfels, FS Vischer, S. 223, 228. 53 Hay, Rec. des Cours 226 (1991-I), 281, 338: „romantic utopia“; ebenso Müller-Freienfels, FS Vischer, S. 223, 229. 54 Juenger, Selected Essays, S. 205, 209. 55 Ehrenzweig, PIL, S. 60 Rn. 23. 56 Jochem, Erbrecht, S. 145. 57 Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 574; s. auch Jayme, Rec. des Cours 251 (1995), 9, 89. 58 Müller-Freienfels, FS Vischer, S. 223, 229 f., der meint, man solle sich lieber bescheiden darauf beschränken, im „eigenen Hause Ordnung zu machen“; von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 194: „Zuerst löst man seine Probleme zuhause“. 59 Juenger, Selected Essays, S. 205, 210 f. 60 Müller-Freiensfels, FS Vischer, S. 223, 229 Fn. 36; Sturm, Ius Commune, S. 92, 108. 61 Pagenstecher, NJW 1952, 801, 802: das „letzte Ziel des IPR“. 62 Kahn, Abhandlungen I, S. 326. 63 Neuhaus, RabelsZ 15 (1949/50), 364, 380. 64 Wiethölter, Einseitige Kollisionsnormen, S. 120. 65 Zweigert, FS Raape, S. 35, 50. 66 Zweigert, FS Raape, S. 35, 51. 67 Braga, RabelsZ 23 (1958), 421, 423.
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
Die Kritik und Skepsis fußen vor allem darauf, dass kein kollisionsrechtliches Instrument in der Lage ist, vollkommenen internationalen Entscheidungseinklang herzustellen, und es sich daher um einen faktisch unerreichbaren Zustand handelt.68 Auch das Bundesverfassungsgericht hat das Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs in seiner sogenannten Spanierentscheidung als „weithin unerfülltes Ideal“ herabgewürdigt.69 Die Bezeichnung als „Ideal“ hat zwar einerseits eine positive Konnotation, da der Zustand als den besten und höchsten Vorstellungen entsprechend umschrieben wird.70 Damit wird Entscheidungseinklang als erstrebenswert deklariert. Andererseits bezeichnet das Wort „Ideal“ aber gerade einen faktisch unerreichbaren Zustand. In dieser Unerreichbarkeit sehen einige die Schwäche des internationalen Entscheidungseinklangs und stellen daher den Grundsatz als leitendes kollisionsrechtliches Gesetzgebungsziel generell in Frage.71
C. Entscheidungseinklang als „Prinzip“ In der Forderung nach der vollkommenen Herstellung von Entscheidungseinklang und der damit einhergehenden Verabsolutierung dieses Prinzips liegt aber gerade das Problem: Sieht man im Grundsatz des Entscheidungseinklangs stattdessen einen relativen Faktor, der im Rahmen der Gesetzgebung in unterschiedlich hohem Maße berücksichtigt werden und durchaus zu Gunsten anderer Interessen und Grundsätze zurücktreten kann, besteht keine Notwendigkeit, den internationalen Entscheidungseinklang von vornherein als wesentliches Gesetzgebungsziel zu verwerfen. Die Notwendigkeit, im Prinzip des Entscheidungseinklangs einen relativen und nicht einen absoluten Grundsatz zu sehen, folgt schon aus dem Begriff des „Prinzips“, der für den internationalen Entscheidungseinklang häufig verwendet wird. Eine kurze Untersuchung des Begriffs „Prinzip“ kann Aufschluss über die Charakteristika von Prinzipien im Allgemeinen und damit auch über die Handhabung des Grundsatzes des internationalen Entscheidungseinklangs geben.
68 Juenger, Rec. des Cours 193 (1985-IV), 119, 190 f.; Rauscher, IPR, Rn. 59; Pagenstecher, Entscheidungseinklang, S. 8; Neuhaus, Grundbegriffe, S. 49: „formales Ideal des IPR“; Juenger, FS Voskuil, S. 137, 138: „the Holy Grail of decisional harmony“. 69 BVerfG v. 4.5.1971, BVerfGE 31, 58, 83. 70 Der Duden, Die deutsche Rechtschreibung, Stichwort „Ideal“: „dem Geiste vorschwebendes Muster der Vollkommenheit; als ein höchster Wert anerkanntes Ziel“. 71 Kritisch gegenüber der Bedeutung des Prinzips des Entscheidungseinklangs vor allem Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 132; s. auch Juenger, FS Voskuil, S. 137, 142: “[…] Savigny and his followers may have overrated the benefits of decisional harmony […]. Dull uniformity is not to everyone’s taste.”; Müller-Freienfels, FS Vischer, S. 223, 229; Beitzke, FS Smend, S. 1, 18, der meint, es handele sich nicht um ein tragendes Prinzip des IPR, sondern lediglich um ein „Hilfsprinzip“.
C. Entscheidungseinklang als „Prinzip“
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I. Charakteristika eines Prinzips 1. Prinzipien in Abgrenzung zu Regeln In der deutschen Rechtstheorie geht die Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien im Wesentlichen auf Robert Alexy72 und Josef Esser 73 zurück. Die Prinzipientheorie von Alexy basiert wiederum auf den Arbeiten von Ronald Dworkin.74 Danach sind Regeln Normen, die definitive Ge- oder Verbote enthalten und damit entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden können.75 Es handelt sich also um konkret formulierte Anordnungen. Unter Prinzipien versteht man demgegenüber normative Aussagen, Leitgedanken und abstrakte Wertungen, die einem konkreten Regelwerk zugrunde liegen und unter die nicht ohne Weiteres subsumiert werden kann, da sie im Einzelfall konkretisierungsbedürftig sind.76 Prinzipien unterscheiden sich von Regeln also primär dadurch, dass sie keine definitiven Gebote aufstellen, sondern Optimierungsgebote darstellen.77 Demnach können Regeln entweder erfüllt oder nicht erfüllt sein, wohingegen Prinzipien in unterschiedlichem Maße erfüllt sein können und das gebotene Maß der Erfüllung von den Gegebenheiten des Einzel falles abhängt.78 Diese aus dem nationalen Recht stammende Abgrenzung zwischen Regeln und Prinzipien ist auf das europäische Kollisionsrecht übertragbar.79 Zwar bezieht sich die normtheoretische Unterscheidung auf eine einzelne nationale Rechtsordnung, während das europäische Kollisionsrecht gerade nicht auf einer nationalen Rechtsordnung basiert, sondern aus einzelnen EU-Verordnungen besteht. Da diese mittlerweile aber das europäische Kollisionsrecht nahezu lückenlos regeln, verbleibt kaum noch ein Anwendungsbereich für das nationale Kollisionsrecht. Dementsprechend kann mittlerweile von einem europäischen IPR als Rechtsmasse gesprochen werden, die von einem einzelnen Gesetzgeber stammt, verbindliches Recht darstellt und fast lückenlos alle kollisionsrechtlichen Fragestellungen regelt. Somit unterscheidet sich das europäische Kollisionsrecht kaum noch von einer nationalen Rechtsordnung. Auch das europäische IPR beruht mittlerweile auf eigenen Wertungen, und aufgrund der Fülle der Regeln besteht ebenfalls das Bedürfnis, allgemeine Grundsätze herauszuarbeiten. Die Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien kann daher auch für das europäische Kollisionsrecht herangezogen werden. 72
Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71–104. Esser, Grundsatz und Norm, S. 87–106. 74 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 22–28. 75 Alexy, GS Sonnenschein, S. 771; nicht damit zu verwechseln ist der neuere Begriff des Prinzips, der vor allem nichtstaatliches Recht bezeichnet, wie beispielsweise die UNIDROIT Principles oder ähnliche Regelwerke, s. Schack, FS Kegel (2002), S. 179, 185 f. 76 Vgl. Rüthers/Fischer, Rechtstheorie, Rn. 756–758d.; Larenz, Methodenlehre, S. 302 f. 77 Alexy, GS Sonnenschein, S. 771; ders., Konstruktion der Grundrechte, S. 9. 78 Alexy, GS Sonnenschein, S. 771. 79 Zu dieser Frage der Übertragbarkeit für das Völkerrecht: Zoellner, Transparenzprinzip, S. 92–102. 73
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
2. Prinzipien als Optimierungsgebote Wenn man Prinzipien mit Alexy als Optimierungsgebote einordnet, bedeutet dies wiederum, dass Prinzipien nicht absolut und vollständig erfüllbar sind.80 Vielmehr hängt das gebotene Maß der Erfüllung vom Einzelfall ab. Im Falle einer Kollision mit anderen Prinzipien muss eine Abwägung getroffen werden, deren Ausgang abhängig von den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten ist.81 Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs ist daher nicht als starrer, absoluter Grundsatz anzusehen. Im Gegensatz zu Regeln darf nicht in „Schwarz-oder-weiß“ bzw. „Alles-oder-nichts“82- Kategorien gedacht werden. Vielmehr ist das Prinzip im Einzelfall für jede Situation bzw. Rechtsfigur relativ zu anderen Prinzipien zu sehen. Erst wenn die Prinzipien und die dahinterstehenden abstrakten Wertungen im Einzelfall identifiziert und anhand der konkreten Umstände zueinander ins Verhältnis gesetzt sind, kann eine Aussage dahingehend getroffen werden, wie eine konkrete Rechtsregel auszusehen hat. 3. Prinzipien als systembildende Faktoren Aus der Eigenschaft eines Grundsatzes als Prinzip kann nicht nur gefolgert werden, dass es sich um ein relatives Optimierungsgebot handelt. Die Suche nach Prinzipien innerhalb des europäischen Kollisionsrechts erfüllt auch eine methodisch bedeut same Aufgabe für die zukünftige Gesetzgebung auf diesem Gebiet. Prinzipien leisten nämlich einen erheblichen Beitrag zur Systembildung innerhalb einer Rechtsordnung.83 Als allgemeine Wertungsgrundsätze bilden Prinzipien einen „Baustein“84 des inneren Systems85 der Rechtsordnung. Durch die Betrachtung einzelner Normen kann induktiv auf die Rolle einzelner Prinzipien und Wertungen geschlossen werden. Anhand dieser Ergebnisse können wiederum deduktiv aus allgemeinen Prinzipien neue konkrete Regeln entwickelt werden. Larenz beschreibt diesen Systembildungsprozess als „Prozess wechselseitiger Erhellung“.86 Die Schaffung einer Dogmatik, so Larenz, habe eine „heuristische Funktion“87 und bilde den Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung des Rechts. Durch dieses Vorgehen wird idealerweise ein widerspruchsfreies System geschaffen, aus dem auf die dahinterstehenden Prinzipien und Wertungen geschlossen werden kann. Im Anschluss daran ist es für den Gesetzgeber möglich, bei Schaffung 80 Vgl.
Esser, Grundsatz und Norm, S. 161. Alexy, GS Sonnenschein, S. 772; ders., Theorie der Grundrechte, S. 78 f. 82 Dworkin, Taking Rights Seriously, S. 24. 83 Heinold, Prinzipientheorie, S. 38 spricht insofern von Prinzipien als „gedankliche[n] Klammern“; Zoellner, Transparenzprinzip, S. 91 spricht von Prinzipien als „Skelett des Rechtssystems“. 84 Larenz, Methodenlehre, S. 303. 85 Aufgabe des inneren Systems ist es, „die wertungsmäßige Folgerichtigkeit und innere Einheit der Rechtsordnung darzustellen und zu verwirklichen“, s. Canaris, Systemdenken, S. 18. 86 Larenz, Methodenlehre, S. 304. 87 Alexy, Juristische Argumentation, S. 332. 81
C. Entscheidungseinklang als „Prinzip“
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neuer konkreter Rechtsnormen auf die von der Wissenschaft herausgearbeiteten Prinzipien und deren Verhältnis zueinander zurückzugreifen. So können neue Regeln widerspruchsfrei in das bestehende System eingefügt werden, wenn die Wechselwirkung zu den Prinzipien bedacht wird. Insofern erfüllen die Herausarbeitung allgemeiner Prinzipien und die Schaffung einer Dogmatik eine „Kontrollfunktion“,88 da konkrete Regeln immer auf allgemeine Prinzipien zurückgeführt werden können und so die Kohärenz der einzelnen Normen und damit des ganzen Systems überprüfbar ist. Die Schaffung einer solchen Dogmatik erfüllt zudem insofern eine „Fortschrittsfunktion“,89 als Rechtswissenschaft und Gesetzgeber die herausgearbeiteten Prinzipien von Zeit zu Zeit auf ihre Gültigkeit überprüfen und so bestehende Regeln optimieren und neue Regeln schaffen können. Außerdem stellen Prinzipien bei der Auslegung von Normen für den Rechtsanwender, insbesondere für die Rechtsprechung, interpretative Hilfs mittel dar.90 II. Bedeutung für den internationalen Entscheidungseinklang Der Grundsatz des internationalen Entscheidungseinklangs ist keine konkrete Regel, unter die subsumiert werden kann. Vielmehr stellt die Idee der Unabhängigkeit des Ergebnisses des Rechtsstreits vom Forum einen Grundsatz dar, der wiederum auf anderen Erwägungen beruht.91 Es handelt sich also letztlich um eine allgemeine Wertung, die dem Kollisionsrecht zugrunde liegt, und damit um einen abstrakten „Rechtfertigungsgrund“92 für konkrete Regeln. Nach dieser Definition lässt sich der internationale Entscheidungseinklang normtheoretisch also als Prinzip in Abgrenzung zu einer konkreten Regel einordnen. Aus der rechtstheoretischen Einordnung des internationalen Entscheidungseinklangs als Prinzip folgt für die Rechtsanwendung wie für diese Arbeit zweierlei: Erstens ist das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs mit Alexy als Optimierungsgebot einzuordnen. Daraus folgt, dass der Grad der Verwirklichung stets von der Bedeutung der widerstreitenden Prinzipien abhängt. Der Grundsatz des internationalen Entscheidungseinklangs stellt kein absolut zu verwirklichendes Ziel, sondern lediglich einen relativen Faktor im Rahmen der Abwägung dar. Diese Relativität gilt schon deshalb, weil das Prinzip des Entscheidungseinklangs ein rein „formales“93 Ziel ist, das sachrechtsneutral und „blind“ gegenüber dem konkreten Ergebnis und den anderen Interessen, die einer Sachentscheidung zugrunde liegen 88
Alexy, Juristische Argumentation, S. 331 f. Alexy, Juristische Argumentation, S. 328. 90 Dazu Heinold, Prinzipientheorie, S. 40, 42. 91 Zu diesen Erwägungen s. unten, S. 18 ff. 92 Larenz, Methodenlehre, S. 48 beschreibt Rechtsprinzipien als „Rechtfertigungsgründe“ für konkrete Rechtsregeln. 93 Kropholler, IPR, S. 36; von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 194; Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 574. 89
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
können, bleibt.94 Es muss daher stets eine Kontrolle stattfinden, in der die einzelnen Interessen identifiziert und gegeneinander abgewogen werden. Aus der Einordnung als Optimierungsgebot folgt außerdem, dass die Unerreichbarkeit des Optimums gerade nicht dazu führen sollte, das Ziel aufzugeben.95 Vielmehr können Stellenwert und Bedeutung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs je nach Rechtsgebiet variieren, was sich im Einzelfall im Rahmen einer Abwägung insofern auswirken kann, als einer anderen Wertung der Vorzug gegeben werden kann. Zweitens folgt aus der methodischen Bedeutung von Prinzipien für die Systembildung, dass das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs als grundlegende Wertung eine wesentliche Rolle in der EU-Gesetzgebung spielen sollte. Nur wenn bei der Schaffung konkreter Normen im europäischen Kollisionsrecht die zugrundeliegenden widerstreitenden Prinzipien und Wertungen identifiziert werden, kann ein widerspruchsfreies System geschaffen werden. Zur Schaffung eines solchen Systems und Herausbildung einer Dogmatik im europäischen Kollisionsrecht durch die Wechselwirkung zwischen der Betrachtung von Regeln und Prinzipien soll diese Arbeit einen Beitrag leisten.
D. Internationaler Entscheidungseinklang: Leitprinzip auf europäischer Ebene? Es wurde bereits erwähnt, dass das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs seit seiner Entdeckung durch Savigny jedenfalls im deutschen Kollisionsrecht als Leitprinzip und wesentliches Ziel bezeichnet wird. Bislang wurde für die europäische Ebene lediglich festgestellt, dass sich der internationale Entscheidungseinklang normtheoretisch als Prinzip einordnen lässt, woraus folgt, dass allein die Unerreichbarkeit vollständigen Entscheidungseinklangs nicht gegen die Einstufung als wesentliches Gesetzgebungsziel spricht. Ob der internationale Entscheidungseinklang jedoch auch ein Leitprinzip in der EU-Gesetzgebung bilden oder bloß eine Nebenrolle spielen sollte, wird nun Gegenstand der Untersuchung sein. Um zu beurteilen, ob sich der europäische Gesetzgeber bei der Schaffung des Kollisionsrechts vom Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs leiten lassen sollte, ist ein Blick auf die Gründe notwendig, die hinter diesem Prinzip stehen. I. Gründe für Entscheidungseinklang Die Folge von Entscheidungsdisharmonien ist, wie bereits erwähnt, die Entstehung hinkender Rechtsverhältnisse. Es bestehen mehrere Gründe, warum hinkende Rechtsverhältnisse vermieden werden sollen und internationaler Entscheidungsein94
Thorn, Koordinierung, S. 12; vgl. auch Joerges, Funktionswandel, S. 10. Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 132.
95 Anders
D. Internationaler Entscheidungseinklang: Leitprinzip auf europäischer Ebene?
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klang als erstrebenswert und als grundlegendes Prinzip des internationalen Privatrechts angesehen wird. Oftmals werden diese Gründe in Privat- bzw. Partei- und Ordnungsinteressen eingeteilt.96 Einige erachten die einzelnen Gründe eher als im Ordnungsinteresse liegend,97 während andere das Privatinteresse98 besonders betonen. Diese Einordnung ist jedoch nicht sehr aussagekräftig, da z. B. das Interesse an Rechtssicherheit sowohl im Ordnungsinteresse als auch im Privatinteresse liegt. Letztlich liegt eine kohärente Ordnung im Interesse jedes einzelnen Rechtssubjektes, das im Rahmen dieser Rechtsordnung agiert, sodass nahezu jedes Ordnungsinteresse mittelbar auch ein Privatinteresse darstellt.99 Aus der Einteilung der Interessen in Kategorien folgt kein Erkenntnisgewinn, weshalb die Interessen im Folgenden einzeln ohne Kategorisierung dargestellt und auf ihre Bedeutung untersucht werden. 1. Rechtssicherheit Rechtssicherheit ist ein Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 1, Abs. 3 GG und damit eine tragende Säule unserer Rechtsordnung.100 Auch in der Rechtsprechung des EuGH ist die Rechtssicherheit seit langem als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt und hat zahlreiche einzelne Ausprägungen erfahren.101 Der Einzelne kann sein Verhalten nur am geltenden Recht ausrichten, wenn dieses sicher und verlässlich102 ist und seine Handhabung und Anwendung durch die Gerichte vorhersehbar sind.103 Ohne Rechtssicherheit würden Rechts- und Geschäftsverkehr stark beeinträchtigt, was den Einzelnen nicht nur im Privaten träfe, sondern auch gesamtgesellschaftliche Auswirkungen hätte.104 Die gravierenden Folgen fehlender Rechtssicherheit betreffen auch internationale Sachverhalte.105 Wie bereits dargestellt, führt fehlender internationaler Entscheidungseinklang zu hinkenden Rechtsverhältnissen. Für den Einzelnen ist damit nicht vorhersehbar, ob sein jeweiliges persönliches Rechtsverhältnis in einem anderen Staat ebenfalls als existent angesehen würde. Damit entsteht Rechtsunsicherheit, die den Einzelnen sogar dazu bewegen kann, von grenzüberschreitenden Tätigkeiten Abstand zu nehmen. Diese Entwicklung liegt nicht im Interesse einer modernen 96 Vgl.
Sonnentag, Renvoi, S. 122; Grasmann, StAZ 1989, 126. Kegel/Schurig, IPR, S. 139. 98 MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 89. 99 So letztlich auch Kegel/Schurig, IPR, S. 139; a. A. MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 89. 100 Maunz/Dürig-Grzeszick, Art. 20 GG VII. Rn. 50. 101 Dazu ausführlich von Arnauld, Rechtssicherheit, S. 497–534 m. w. N.; s. auch Lecheler, Rechtsgrundsätze, S. 11; Basedow, ZEuP 1996, 570, 578–580. 102 Maunz/Dürig-Grzeszick, Art. 20 GG VII. Rn. 50. 103 Näher dazu von Arnauld, Rechtssicherheit, S. 109–114. 104 Näher von Arnauld, Rechtssicherheit, S. 112–114, der ohne Rechtssicherheit die „Rückkehr zur archaischen Vorzeit“ für wahrscheinlich hält. 105 Bernitt, Vorfragen, S. 37. 97
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
Weltwirtschaft und der Globalisierung. Hinzu kommt, dass ein grenzüberschreitendes Tätigwerden angesichts der Vielzahl der Möglichkeiten, die sich beispielsweise durch das Internet ergeben, kaum noch zuverlässig vermieden werden kann. Zwischen den einzelnen EU-Mitgliedstaaten besteht zwar nicht die Gefahr der Beeinträchtigung des Binnenmarktziels, da die Beziehungen zwischen ihnen keine Frage des internationalen, sondern des europäischen Entscheidungseinklangs sind. Jedoch besteht auch gegenüber Drittstaaten ein Interesse daran, Freizügigkeit zu gewährleisten und den internationalen Handel zu fördern. In Art. 3 Abs. 5 EUV bekennt sich die Union dazu, im Verhältnis zu Drittstaaten einen freien und gerechten Handel zu gewährleisten. Gerade dieser wird durch fehlende Rechtssicherheit beeinträchtigt. Auch die Verlässlichkeit einer Rechtsordnung leidet, wenn hinkende Rechtsverhältnisse entstehen, da der Einzelne das Vertrauen in die eigene Rechtsordnung verliert106 und das Recht seine Orientierungsfunktion nicht mehr erfüllen kann. In Anbetracht der Tatsache, dass die EU und der Rechtsraum Europa noch im Entstehen begriffen sind, ist ein Vertrauensverlust des Einzelnen in das europäische Recht nicht wünschenswert. Die Herstellung internationalen Entscheidungseinklangs fördert damit die Rechtssicherheit durch Vorhersehbarkeit und Verlässlichkeit der Rechtsordnung und daran besteht ein erhebliches Interesse sowohl der Rechtsgemeinschaft als auch des Einzelnen.107 2. Gleichheit und Gerechtigkeit Die Verwirklichung internationalen Entscheidungseinklangs gebietet außerdem der allgemeine Gleichheitssatz.108 Dieser ist ebenso wie das Gebot der Rechtssicherheit ein Strukturprinzip der deutschen Rechtsordnung.109 Auch das europäische Primärrecht kennt geschriebene Diskriminierungsverbote (Art. 18 AEUV), und der EuGH erkennt darüber hinaus auch einen allgemeinen Gleichheitssatz als ungeschriebenen Grundsatz des Unionsrechts an.110 Der allgemeine Gleichheitssatz kann zwar nicht direkt auf die Gleichbehandlung mit drittstaatlichen Sachverhalten angewendet werden, da ein Anspruch auf Gleichbehandlung jeweils nur im Verhältnis zum eigenen konkret zuständigen Hoheits träger besteht.111 Die Forderung nach Gleichheit ist aber letztlich Ausprägung der 106
Bernitt, Vorfragen, S. 37. S. auch Jayme, Rec. des Cours 251 (1995), 9, 90; Joerges, Funktionswandel, S. 12. 108 Kropholler, IPR, S. 37; Heinz, Vollmachtsstatut, S. 121; andeutungsweise Sonnentag, Renvoi, S. 123; vgl. auch Zweigert, FS Raape, S. 35, 49. 109 BVerfG v. 23.1.1957, BVerfGE 6, 84, 91; näher dazu Bleckmann, Gleichheitssatz, S. 22–43. 110 EuGH v. 7.9.2006, Rs. C-81/05, Slg. 2006, I-7569 – Anacleto Cordero Alonso/Fondo de Garantía Salarial; Schwarze-Holoubek, Art. 18 AEUV Rn. 55 m. w. N.; Mohn, Gleichheitssatz, S. 30–33. 111 BVerfG v. 21.12.1966, BVerfGE 21, 54, 68; BVerfG v. 12.5.1987, BVerfGE 76, 1, 73. 107
D. Internationaler Entscheidungseinklang: Leitprinzip auf europäischer Ebene?
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materiellen Gerechtigkeit112 und geht auf die aristotelische Gerechtigkeit zurück, nach der Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist.113 Es besteht ein Interesse des Einzelnen und der Rechtsgemeinschaft daran, dass das Recht materielle Gerechtigkeit herstellt und damit gleichartige Sachverhalte nicht willkürlich ungleich behandelt. Wenn dies schon für gleichartige Sachverhalte zutrifft, muss es erst recht gelten, wenn derselbe Sachverhalt in verschiedenen Staaten beurteilt wird.114 Wird nämlich derselbe Sachverhalt ungleich behandelt und damit der allgemeine Gleichheitssatz verletzt, sinkt das Vertrauen des Einzelnen in die Rechtsordnung erheblich.115 Diese Ausprägung der Gerechtigkeit als Teil des Gleichheitssatzes gilt auch für das europäische Kollisionsrecht. Internationaler Entscheidungseinklang dient durch die Gleichbehandlung der Sachverhalte der Wahrung der Gerechtigkeit und stärkt auf diese Weise das Vertrauen des Einzelnen in eine materiell gerechte Rechtsordnung. Weiterhin dient die Herstellung materieller Gerechtigkeit dem Rechtsfrieden innerhalb einer Gesellschaft. In diesem Sinne wird das Prinzip des Entscheidungseinklangs auch als ein Gerechtigkeitsprinzip des IPR bezeichnet.116 3. Vermeidung von forum shopping Ein konkreterer Grund für den Wunsch nach internationalem Entscheidungseinklang ist die Vermeidung von forum shopping.117 Davon spricht man, wenn der Kläger das Forum unter mehreren international zuständigen Gerichten allein danach auswählt, welches Forum für ihn voraussichtlich am günstigsten ist.118 Ausschlaggebend können dafür mehrere Gründe sein:119 In verfahrensrechtlicher Hinsicht können die Besetzung des Gerichts, die Schnelligkeit und Kosten des Verfahrens sowie ein günstiges Beweisrecht und die Vollstreckbarkeit entscheidend sein. Materiell-rechtlich kann ein Forum insofern vorzugswürdig sein, als dessen Kollisionsrecht eine für den Kläger günstigere Rechtsordnung beruft als das Kollisionsrecht eines anderen Staates.
112 Vgl. Maunz/Dürig-Dürig/Scholz, Art. 3 Abs. 1 GG Rn. 4, 20 f.; Martini, Gleichheit, S. 232– 239; Leibholz, Gleichheit, S. 72–88. 113 Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 127. 114 Kropholler, IPR, S. 37. 115 Kropholler, IPR, S. 37; s. auch Schurig, RabelsZ 59 (1995), 229, 242, der die Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen als „Grundaxiom des IPR“ ansieht und daraus auf ein erhebliches Ordnungsinteresse an Gleichbehandlung schließt. 116 Vgl. Zweigert, FS Raape, S. 35, 51; s. auch Braga, RabelsZ 23 (1958), 421, 439, der ebenfalls meint, es handele sich bei der Erzielung internationalen Entscheidungseinklangs um eine „Gerechtigkeitsfrage“, und dies mit dem Rechtsgedanken des Grundsatzes „ne bis in idem“ begründet. 117 Vgl. Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 297; Briggs, ICLQ 47 (1998), 877, 881. 118 Juenger, RabelsZ 46 (1982), 708. 119 Zum Folgenden Kropholler, FS Firsching, S. 165; Siehr, ZfRV 1984, 124, 126–131; Schwartze, FS von Hoffmann, S. 415.
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
Der Begriff des forum shopping wird meist abwertend gebraucht und umschreibt letztlich eine anwaltliche Taktik, die zwar nicht illegal oder standeswidrig ist,120 jedoch zumindest häufig als unerwünscht angesehen wird, da sie den Kläger einseitig begünstigt.121 Andere Stimmen hingegen halten forum shopping nicht für per se unerwünscht, sondern für eine legitime Ausübung der eigenen Interessen.122 Diese Arbeit soll nicht das Für und Wider von forum shopping diskutieren, da dies bereits ausführlich an anderer Stelle geschehen ist.123 Es ist jedoch festzustellen, dass jedenfalls ausuferndes forum shopping einem ausgewogenen Zuständigkeitssystem, das die Interessen beider Parteien in einen angemessenen Ausgleich bringt, schadet.124 Daher sollten dem forum shopping möglichst Grenzen gezogen werden, um für beide Parteien „Waffengleichheit“125 im Prozess zu schaffen. Dies gilt nicht nur innerhalb der Europäischen Union, wo das forum shopping bereits durch die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts weitestgehend verhindert wird,126 sondern auch gegenüber Drittstaaten. Wenn feststeht, dass jedes Gericht dasselbe Recht anwendet und damit das Ergebnis des Rechtsstreits unabhängig vom Forum ist, würde ein entscheidender Faktor des forum shopping beseitigt. Somit dient internationaler Entscheidungseinklangs der Eindämmung von forum shopping, unabhängig davon, ob man Letzteres für in gewissen Grenzen legitim hält. 4. Durchsetzbarkeit gerichtlicher Entscheidungen Schließlich dient der internationale Entscheidungseinklang auch der Durchsetzbarkeit gerichtlicher Entscheidungen.127 Wenn es zum Beispiel um die Erbfolge in ein Grundstück in Staat A geht und Staat B, dessen Recht auf die Erbfolge anwendbar ist, auch die Erbfolge in das Grundstück seinem eigenen Recht anstatt der lex rei sitae unterwirft, entstehen dem Erben in Staat A möglicherweise Schwierigkeiten im Rahmen der Durchsetzung seiner Rechte. Insbesondere ist in solchen Konstellationen denkbar, dass Staat A ein Anerkennungshindernis aus zuständigkeitsrechtlichen Gründen vorsieht.128 Wenn hingegen Staat B dasselbe materielle Recht auf die Erbfolge in das Grundstück – 120 Näher
Siehr, ZfRV 1984, 124, 139–142; Kropholler, IPR, S. 636. Juenger, RabelsZ 46 (1982), 708; Neuhaus, RabelsZ 46 (1982), 4, 24; Vitta, AmJCompL 30 (1982), 1, 6; Kropholler, Internationale Zuständigkeit, S. 261; Droz, Compétence judiciaire, S. 480 f.; Bernitt, Vorfragen, S. 38 spricht von einer unerwünschten „shopping tour“ für verschiedene Gerichte. 122 Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 132; Siehr, IPR, S. 258 f.; Schack, IZVR, Rn. 251–261; Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 296. 123 S. 22 Fn. 121 f. 124 Schack, IZVR, Rn. 258. 125 Dazu Kropholler, FS Firsching, S. 165, 166. 126 Dazu Schwartze, FS von Hoffmann, S. 415, 420–422. 127 Bernitt, Vorfragen, S. 39 f. 128 Dazu noch unten, S. 316 f. 121
D. Internationaler Entscheidungseinklang: Leitprinzip auf europäischer Ebene?
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nämlich die lex rei sitae – anwendet, ist Entscheidungseinklang hergestellt und die Durchsetzung der Rechte des Erben am Grundstück im Belegenheitsstaat nicht weiter gefährdet. Daher besteht ein durchaus praktisches Interesse des Einzelnen an der Erzielung von Entscheidungseinklang.129 Die Vermeidung des Entstehens undurchsetzbarer Rechtslagen liegt außerdem im Interesse der Allgemeinheit.130 Grundsätzlich sprechen also gewichtige Gründe für die Herstellung internationalen Entscheidungseinklangs. Es liegt daher nahe, das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs auch auf europäischer Ebene als Leitprinzip des IPR anzuerkennen. II. Preisgabe eigener Wertungen? Bedenken bestehen allein, wenn man die Herstellung von internationalem Entscheidungseinklang als Preisgabe eigener europäischer Wertungen begreift.131 Letztlich ist jede Kollisionsnorm Ausdruck der eigenen Wertungen einer Rechtsordnung. Ändert man das durch eine Kollisionsnorm ermittelte Ergebnis, indem man ausländisches Recht respektiert und die eigene Lösung durch dieses korrigiert, besteht die Gefahr, die eigenen Wertungen zugunsten der ausländischen aufzugeben. Die partielle Aufgabe eigener Wertungen erscheint indes nicht mehr per se als unerwünschte Entwicklung, wenn man die Alternative betrachtet: Die Schaffung einer „Festung Europa“132 , die keine Rücksicht auf drittstaatliche Wertungen nimmt und lediglich ihre eigenen Interessen durchsetzt, mag zwar für den Schutz der EU-Bürger sinnvoll sein. Jedoch würde die vollständige Negierung drittstaatlicher Interessen in einer globalisierten Welt einen Rückschritt statt eines Fortschritts darstellen. Vor der Entstehung der EU waren die einzelnen Nationalstaaten ebenfalls bemüht, internationalen Entscheidungseinklang herzustellen – sowohl mit späteren EU-Mitgliedstaaten als auch Drittstaaten. Dieses Ziel ist durch die Schaffung eines vereinheitlichten Kollisionsrechts gegenüber den EU-Mitgliedstaaten weitgehend verwirklicht. Dementsprechend sollte man sich nicht zurückentwickeln, indem man die EU als einzelnen Staat sieht und sich mit der Erreichung von Entscheidungseinklang innerhalb dieses Raumes zufriedengibt. Die Globalisierung133 und die Fort129
Bernitt, Vorfragen, S. 39; Lindenau, Renvoi, S. 39. Schurig, RabelsZ 59 (1995), 229, 242. 131 Vgl. Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 290, der die Gefahr sieht, dass durch die Beachtung eines renvoi die eigenen rechtlichen Wertungen „empfindlich durchkreuzt“ werden; vgl. auch von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 238 in Bezug auf den renvoi; Gottschalk, Allgemeine Lehren, S. 141 spricht vom „Anknüpfungsinteresse“, worunter er das Interesse versteht, die eigenen kollisionsrechtlichen Gerechtigkeitsmaßstäbe durchzusetzen. 132 Mankowski, IHR 2008, 133, 144; Schurig, FS von Hoffmann, 405, 412 spricht insofern von „europäischem Autismus“. 133 S. zur Rolle des Kollisionsrechts im Rahmen der Globalisierung Behrens, FS MPI, S. 381– 398. 130
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
entwicklung des internationalen Handels machen es vielmehr erforderlich, auch gegenüber Drittstaaten weiter voranzuschreiten. Dies beruht natürlich in gewissem Maße auf Gegenseitigkeit, weil das System nur funktionieren kann, wenn auch Drittstaaten an internationalem Entscheidungseinklang gelegen ist und diese Staaten im umgekehrten Fall die unionsrechtlichen Interessen respektieren würden. Allein das Argument, dass einige Drittstaaten sich derzeit noch nicht ähnlich liberal verhalten, sollte jedoch kein Grund sein, es ihnen gleichzutun und sich ebenfalls abzuschotten. Wagt niemand den ersten Schritt, kommt es niemals zum Fortschritt, sondern zum Stillstand. Das europäische Kollisionsrecht sollte sich daher fortschrittlich verhalten und hoffen, insofern eine globale Vorbildfunktion134 zu erfüllen. Extremfälle, die mit den europäischen Wertungen unvereinbar sind, können immer noch durch Korrektive wie beispielsweise eine ordre public-Kontrolle oder den Einsatz von Eingriffsnormen gelöst werden. Außerdem bleibt es aufgrund des Prinzipiencharakters des internationalen Entscheidungseinklangs möglich, diesen nur relativ gegenüber einzelnen Drittstaaten durchzusetzen. Zudem sollte man sich, wenn man die vollkommene Preisgabe eigener Wertungen befürchtet, nochmals vergegenwärtigen, dass neben dem internationalen Entscheidungseinklang auch andere kollisionsrechtliche Ziele Prinzipien im oben erläuterten Sinne darstellen. Es handelt sich bei den kollisionsrechtlichen Wertungen, auf denen die Verweisungen des eigenen Kollisionsrechts beruhen, daher stets um „Annäherungswerte“135, die sowohl dem zeitlichen als auch dem gesellschaftlichen Wandel unterliegen und nur Ausdruck relativer Gerechtigkeit sind.136 Selbst wenn die eigene Wertung noch zeitgemäß ist, kann im Falle einer Kollision die ausländische Wertung für den Einzelfall überzeugender sein.137 Man muss im Einzelfall also durchaus bereit sein zu überdenken, ob eine Wertung absolut oder nur relativ durchgesetzt werden sollte. Vermeidet man schon durch die eigenen Kollisionsnormen einen Konflikt mit drittstaatlichem Recht, unterbleibt diese Entscheidung, was die Weiterentwicklung auch des eigenen Kollisionsrechts gefährden kann. Es bleibt somit festzuhalten, dass eine Abschottung der EU nicht im Interesse einer globalisierten Welt liegt und die Verwirklichung internationalen Entscheidungseinklangs grundsätzlich wünschenswert ist, wenn sie nicht zu Lasten anderer Prinzipien erfolgt, die im Einzelfall schwerer wiegen. III. Ergebnis Angesichts der gewichtigen Gründe, die hinter dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs stehen, sollte dieses auch auf der Ebene des europäischen Kol134
Vgl. auch Wengler, ZöffR 23 (1943/44), 473, 483, 485; Kegel, FS Lewald, S. 259, 263. MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 4 EGBGB Rn. 21. 136 MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 4 EGBGB Rn. 3. 137 MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 4 EGBGB Rn. 21. 135
E. Möglichkeiten der Erzielung von Entscheidungseinklang
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lisionsrechts als Leitprinzip des Kollisionsrechtsgesetzgebers anerkannt werden.138 Nur dies entspricht einer modernen globalisierten Welt, in der Drittstaaten nicht diskriminiert werden. Dennoch kann im Einzelfall in einer gesetzgeberischen Abwägungsentscheidung anderen Prinzipien und Wertungen der Vorrang eingeräumt werden. Dies sollte auf europäischer Ebene jedoch stets im Bewusstsein der grundsätzlichen Bedeutung des internationalen Entscheidungseinklangs geschehen. Die Abwägung wird im besonderen Teil der Arbeit im Rahmen jeder einzelnen Rechtsfigur vorgenommen, um hier einen allgemeinen Teil des europäischen IPR zu schaffen, der der Bedeutung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs gerecht wird und andererseits konfligierende Interessen nicht vernachlässigt.
E. Möglichkeiten der Erzielung von Entscheidungseinklang Es gibt mehrere Möglichkeiten, internationalen Entscheidungseinklang zu erreichen bzw. zu fördern. I. Vereinheitlichung des Rechts Der „Königsweg“139 zur Erzielung von Entscheidungseinklang besteht in der Vereinheitlichung des Sachrechts oder des Kollisionsrechts,140 da auf diese Weise Gesetzesharmonie entsteht, deren Folge Entscheidungseinklang ist. Die Schaffung eines weltweit vereinheitlichten Sachrechts ist jedoch angesichts der nationalen Unterschiede nicht nur unwahrscheinlich, sondern utopisch.141 Es ist grundsätzlich einfacher, ein einheitliches Kollisionsrecht zu schaffen als ein vereinheitlichtes Sachrecht, da bei einer Vereinheitlichung des Sachrechts jeg liche Unterschiede beseitigt werden müssen, während ein vereinheitlichtes Kollisionsrecht die Verschiedenheit der Rechtsordnungen im materiellen Recht anerkennt.142 Besteht ein universales Kollisionsrecht, kommt jedes Gericht zur Anwendung desselben materiellen Rechts. So hängt das Ergebnis des Rechtsstreits nicht mehr vom Ort des Forums ab und internationaler Entscheidungseinklang wird erzielt. Damit würde auch das Bedürfnis nach der Vereinheitlichung des Sachrechts erheblich sinken. Aber selbst das Kollisionsrecht ist noch weit davon entfernt, weltweit vereinheitlicht zu sein.143 Innerhalb der Europäischen Union besteht mittlerweile zwar in vielen Bereichen vereinheitlichtes Kollisionsrecht. Im Verhältnis zu Drittstaaten ist dies jedoch – mit Ausnahme einiger kollisionsrechtlicher Haager 138
So auch Weller in Fallon/Lagarde/Poillot-Peruzzetto, S. 327, 332 f. Buschbaum, GPR 2014, 4. 140 Neuhaus, Grundbegriffe, S. 57; Kegel/Schurig, IPR, S. 140; Rauscher, IPR, Rn. 59 f.; Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 298; Schack, IZVR, Rn. 258. 141 Kahn, JherJb 30 (1891), 1, 143: „schöner Traum“. 142 Kropholler, Internationale Zuständigkeit, S. 262; ders., Einheitsrecht, S. 179 f. 143 S. auch Schack, FS Kegel (2002), S. 179, 185. 139
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
Übereinkommen, die wiederum jedoch meist nur gegenüber ausgewählten Drittstaaten gelten – nicht der Fall und auch derzeit für die Zukunft keine realistische Erwartung. Hier zeigt sich auch deutlich, dass das Prinzip des Entscheidungseinklangs ein nicht vollkommen zu erreichendes Ideal darstellt.144 Selbst wenn es nämlich gelänge, das Kollisionsrecht weltweit zu vereinheitlichen, könnte unterschiedliches Prozessrecht zu unterschiedlichen Ergebnissen je nach Ort des Forums führen.145 Würde zusätzlich zum Kollisionsrecht auch das Prozessrecht vereinheitlicht, bestünde mangels eines obersten Gerichts trotzdem die Gefahr der unterschiedlichen Aus legung und Anwendung des Kollisionsrechts sowie des berufenen Sachrechts. Dies wiederum stünde der Erreichung vollständigen internationalen Entscheidungseinklangs entgegen. II. Kollisionsrechtliche Anerkennung Ein zweiter Weg, der neben der Vereinheitlichung des IPR auf europäischer Ebene diskutiert wird, ist die kollisionsrechtliche Anerkennung von Rechtslagen. Diese ist nicht mit der verfahrensrechtlichen Anerkennung einer mitgliedstaatlichen Entscheidung zu verwechseln. Stattdessen wird eine Rechtslage, die in einem anderen Mitgliedstaat geschaffen wurde, anerkannt, ohne dass insofern das eigene Kollisionsrecht befragt wird.146 In einzelnen Rechtsgebieten findet durch die Rechtsprechung des EuGH faktisch bereits eine Anerkennung von Rechtslagen statt.147 So verpflichtet der EuGH die Mitgliedstaaten durch die Gründungstheorie im internationalen Gesellschaftsrecht dazu, eine in einem anderen Mitgliedstaat wirksam gegründete Gesellschaft in dieser Rechtsform anzuerkennen.148 Auch im internationalen Namensrecht hat der EuGH im Entstehen eines hinkenden Namensrechtsverhältnisses eine Behinderung der Freizügigkeit aus Art. 21 AEUV (damals Art. 18 EGV) gesehen und damit den deutschen Standesbeamten gezwungen, den in einem anderen Mitgliedstaat wirksam eingetragenen Nachnamen in Deutschland anzuerkennen.149
144
Dazu oben, S. 14 ff. Schack, IZVR, Rn. 16. 146 S. zum Begriff Coester-Waltjen, FS Jayme, S. 121, 122; Grünberger in Leible/Unberath, S. 82, 86 f.; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 663 f. 147 Zum Folgenden Grünberger in Leible/Unberath, S. 82, 83–86. 148 Insbesondere EuGH v. 9.3.1999, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459 – Centros; EuGH v. 5.11.2002, Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919 – Überseering; EuGH v. 30.9.2003, Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155 – Inspire Art; s. zu einem Überblick über die EuGH-Rechtsprechung zum internationalen Gesellschaftsrecht Palandt-Thorn, Anhang zu Art. 12 EGBGB Rn. 5 –9 sowie MüKo-Kindler, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 111–137; dazu noch unten, S. 62 ff. 149 EuGH v. 14.10.2008, Rs. C-353/06, Slg. 2008, I-7665 – Grunkin & Paul, s. zum Namensrecht unten, S. 61 f. 145
E. Möglichkeiten der Erzielung von Entscheidungseinklang
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Da diese Rechtsprechung zum Primärrecht erging, lässt sich daraus keine allgemeine kollisionsrechtliche Anerkennungsmethode herleiten.150 Dies gilt umso mehr, als der EuGH nicht entschieden hat, auf welche Weise eine Anerkennung stattfinden soll; keinesfalls hat er sich auf einen kollisionsrechtlichen Weg festgelegt.151 Zwar finden sich im europäischen IPR noch immer Bestrebungen, eine Rechtsvereinheitlichung durch Anerkennung zu erreichen. Die Kommission hat beispielsweise im Jahr 2010 ein Grünbuch vorgelegt, in dem sie die Anerkennung von in Personenstandsurkunden dokumentierten Rechtslagen vorschlägt.152 Der vor einiger Zeit in der Literatur prognostizierte „Methodenwechsel“153 und die Ablösung des klassischen IPR durch das Anerkennungsprinzip154 sind bislang jedoch ausgeblieben. Hinzu kommt, dass das Anerkennungsprinzip das klassische Kollisionsrecht nur ergänzen kann, da Letzteres jedenfalls für drittstaatliche Sachverhalte benötigt würde.155 Die für die Zwecke dieser Arbeit besonders interessierenden drittstaatlichen Sachverhalte blieben von einem europäischen Anerkennungskonzept also unberührt. Da bislang noch nicht einmal auf europäischer Ebene eine allgemeine Anerkennungsmethode etabliert wurde, ist die Entwicklung einer solchen für drittstaatliche Fälle utopisch. Diese Arbeit wird sich im Folgenden daher auf Mittel und Wege des klassischen Kollisionsrechts konzentrieren. III. Verwendung international gebräuchlicher Anknüpfungen Entscheidungseinklang lässt sich außerdem erzielen, indem man international gebräuchliche Anknüpfungen verwendet. So ist etwa für dingliche Rechte die Anknüpfung an das Recht des Lageortes gebräuchlich.156 Schwachstelle dieser Methode ist aber, dass sich nur mit denjenigen Staaten Entscheidungseinklang erzielen lässt, die ebenfalls dieses Anknüpfungsmoment verwenden. Solange das Kollisionsrecht nicht weltweit vereinheitlicht ist, wird es deshalb weiter Anwendungskonflikte geben, die durch die Wahl gebräuchlicher Anknüpfungen lediglich bis zu einem gewissen Grad minimiert werden können. Hinzu kommt, dass es bei der Bestimmung der „gebräuchlichsten“ Anknüpfung nicht immer möglich ist, ein quantitatives Übergewicht zugunsten eines bestimmten Anknüpfungsmoments zu ermitteln. Insbesondere im Familien- und Erbrecht wird es – gerade im Hinblick auf drittstaatliche Sachverhalte – kaum gelingen, die ewige Streitfrage, ob an den gewöhnlichen Aufenthalt oder die Staatsangehörigkeit anzu150 S. auch Funken, Anerkennungsprinzip, S. 45; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 677–682; s. zum Namensrecht Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1, 3. 151 Funken, Anerkennungsprinzip, S. 45; Grünberger in Leible/Unberath, S. 82, 90. 152 Dazu Wagner, NZFam 2014, 121 f. 153 S. Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501. 154 S. zur Diskussion: Mansel, RabelsZ (70) 2006, 651–731; Coester-Waltjen, FS Jame, S. 121– 129; Funken, Anerkennungsprinzip; Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501–514. 155 Wagner, NZFam 2014, 121; so auch Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 731. 156 Kegel/Schurig, IPR, S. 140.
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
knüpfen ist, aufzulösen und eines dieser Anknüpfungsmomente als gebräuchlicher als das andere zu identifizieren. IV. Reduzierung konkurrierender Zuständigkeiten Die Frage nach der Herstellung internationalen Entscheidungseinklangs würde sich nicht stellen, wenn keine konkurrierenden Zuständigkeiten in verschiedenen Staaten bestünden und stattdessen nur jeweils ein Gericht für den Rechtsstreit ausschließlich zuständig wäre.157 Vor diesem Hintergrund wird zur Vermeidung von internationalen Entscheidungsdisharmonien und forum shopping auch vorgeschlagen, konkurrierende Zuständigkeiten zu reduzieren.158 Die Einschränkung konkurrierender Zuständig keiten mag zwar teilweise erstrebenswert sein.159 Dies gilt insbesondere für die Abschaffung exorbitanter Gerichtsstände, da diese oftmals auf sachwidrigen Er wägungen beruhen.160 Jedoch würde durch einen ausschließlichen Gerichtsstand in einem Staat die internationale Rechtsverfolgung erschwert.161 Zudem würde der Justizgewährungsanspruch der Parteien stark beeinträchtigt,162 was außer Verhältnis zum Ziel steht, wenn die Herstellung internationalen Entscheidungseinklangs auch auf andere Weise möglich ist. Außerdem ginge die Herstellung internationalen Entscheidungseinklangs durch die Abschaffung konkurrierender Zuständigkeiten zu Lasten vorrangiger Ziele des Prozessrechts.163 Während das Kollisionsrecht im Idealfall die angemessenste und damit passendste Rechtsordnung bestimmen will, sprechen die besonderen Interessen, auf denen das internationale Zivilverfahrensrecht beruht,164 nämlich häufig gerade für mehrere konkurrierende Zuständigkeiten.165 Durch eine Mehrzahl an Gerichtsständen wird meist jeder der Parteien der Zugang zu einem nahe gelegenen Gericht ermöglicht und die internationale Rechtsverfolgung vereinfacht, sodass international konkurrierende Zuständigkeiten ebenso sinnvoll und im Parteiinteresse sind wie konkurrierende örtliche Zuständigkeiten innerhalb einer Rechtsordnung.166 Hinzu kommt, dass weitere spezifische Zuständigkeitsinteressen in demselben Rechtsstreit auf verschiedene Foren hinweisen können. So spricht beispielsweise der Beklagtenschutz für einen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten (s. Art. 4 157
Sonnentag, Renvoi, S. 133. Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 298; Kropholler, IPR, S. 636. 159 Kropholler, Internationale Zuständigkeit, S. 261. 160 Kropholler, IPR, S. 636 f.; Heldrich, Internationale Zuständigkeit, S. 161. 161 Kropholler, Internationale Zuständigkeit, S. 261. 162 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1 Rn. 49; vgl. auch Schack, IZVR, Rn. 259. 163 So auch Schack, IZVR, Rn. 248. 164 Zu den spezifischen Interessen Heldrich, Internationale Zuständigkeit, S. 102–131; Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 201, 253–256. 165 Schack, IZVR, Rn. 248; Heldrich, Internationale Zuständigkeit, S. 63. 166 Heldrich, Internationale Zuständigkeit, S. 161. 158
E. Möglichkeiten der Erzielung von Entscheidungseinklang
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Abs. 1 Brüssel Ia-VO167), während die Beweisnähe und Vorhersehbarkeit für die Zuständigkeit des Gerichts am Erfüllungsort des Vertrages (s. Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO) auf einen anderen Staat hinweisen können. Diese kollidierenden Interessen werden durch Negierung eines Interesses nicht in Einklang gebracht, sondern am besten durch konkurrierende Zuständigkeiten verwirklicht. Im Ergebnis würden internationale Entscheidungsdisharmonien zwar durch Abschaffung konkurrierender Zuständigkeiten eingeschränkt bzw. vermieden. Jedoch würde dies die prozessrechtlichen Interessen negieren und das Gleichgewicht des Zuständigkeitssystems erheblich stören. Idealerweise sollte internationaler Entscheidungseinklang daher durch andere Mittel hergestellt werden. Hinzu kommt, dass auch im Zuständigkeitsrecht eine weltweite Vereinheitlichung derzeit nicht absehbar ist.168 V. Anerkennung und Vollstreckung Weiterhin ließe sich einwenden, internationaler Entscheidungseinklang sei im Verfahrensrecht durch eine großzügige Anerkennungs- und Vollstreckungspraxis erreichbar. Jedoch setzt das Instrument der Anerkennung und Vollstreckung zu spät an, da zu diesem Zeitpunkt bereits eine Entscheidung ergangen ist.169 Schon die Entscheidung lässt ein hinkendes Rechtsverhältnis entstehen, was die dahinter stehenden Interessen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit, der Gleichheit und Gerechtigkeit sowie das Anliegen der Vermeidung von forum shopping beeinträchtigt. Eine großzügige Anerkennung und Vollstreckung in einem anderen Staat kann lediglich die Konsequenzen aus der Entscheidungsdisharmonie und dem hinkenden Rechtsverhältnis abmildern, indem die Durchsetzbarkeit gesichert und damit zumindest ein Aspekt des internationalen Entscheidungseinklangs gewahrt wird. Jedoch hängt diese Folgenmilderung davon ab, in welchem Staat Anerkennung und Vollstreckung begehrt wird. Es lässt sich keineswegs im Vorwege sicher sagen, welcher Staat dies sein wird und ob er tatsächlich liberal anerkennen und vollstrecken wird oder stattdessen weitreichende Anerkennungshindernisse vorsieht. Die Rechtssicherheit bleibt daher beeinträchtigt. Anstatt lediglich die Konsequenzen abzumildern, besteht somit vielmehr ein starkes Interesse daran, bereits das Entstehen hinkender Rechtsverhältnisse und damit widersprechende Entscheidungen zu verhindern. Eine großzügige Anerkennungs- und Vollstreckungspraxis kann dies nicht leisten.
167 Verordnung (EU) Nr. 1251/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU 2012 Nr. L 351/1. 168 Das einst angestrebte weltweite Haager Zuständigkeitsübereinkommen gilt als gescheitert, s. zu den Bemühungen der Haager Konferenz auf diesem Gebiet Wagner, IPRax 2001, 533–547. 169 So auch Sonnentag, Renvoi, S. 134 f.; a. A. wohl Schack, FS Kegel (2002), S. 179, 194.
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
VI. Beachtung ausländischen Kollisionsrechts Die bereits aufgezeigten Instrumente stellen die „drastischsten“ Mittel dar, um Entscheidungseinklang zu erzielen. Aus diesem Grunde sind sie auch schwer realisierbar. In dem Streben nach Entscheidungseinklang sollte daher nicht stets der Wunsch nach einem weltweit vereinheitlichten Sach- oder Kollisionsrecht und damit vollkommener Gesetzesharmonie gesehen werden, da es durchaus andere geeignete Instrumente gibt, bis zu einem gewissen Grad Entscheidungseinklang zu erreichen. Eine möglichst einheitliche Rechtsanwendung durch die Gerichte kann nämlich auch erzielt werden, indem nicht die unterschiedlichen Kollisionsrechte aneinander angepasst werden, sondern lediglich ausländisches Kollisionsrecht im Rahmen der Anknüpfung berücksichtigt wird. Zur Beachtung ausländischen Kollisionsrechts bestehen mehrere kollisionsrechtliche Instrumente, die als „kleinere Stellschrauben“ Entscheidungseinklang fördern können. Die prominenteste Rolle kommt dabei dem renvoi zu, der gar als Gradmesser dafür dienen kann, den Stellenwert des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs zu ermitteln. Aber auch im Rahmen der Diskussion um die geeignete Anknüpfung im Falle von Mehrrechtsstaaten oder um die richtige Anknüpfung der Vorfrage spielt das Prinzip des Entscheidungseinklangs eine wichtige Rolle. Inwieweit die einzelnen Instrumente zur Berücksichtigung ausländischen Kollisionsrechts konkret dazu geeignet sind, Entscheidungseinklang herzustellen wird Gegenstand der Untersuchung im besonderen Teil sein. Grundsätzlich gilt dabei, dass die Herstellung internationalen Entscheidungseinklangs mit Hilfe der Beachtung ausländischen Rechts nur gelingt, wenn eine möglichst „reale“170 Entscheidung erfolgt, d. h. der inländische Richter tatsächlich so entscheidet, wie ein Gericht im ausländischen Staat entscheiden würde, und das ausländische Recht daher „real“ angewendet wird. An dieser Stelle wird das Kollisionsrecht durch das internationale Zivilverfahrensrecht unterstützt, das Instrumente bereithält, die die Ermittlung ausländischen Rechts ermöglichen.171
F. Spannungsverhältnis zu anderen Prinzipien Die bisherige Untersuchung hat ergeben, dass das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs ein grundlegendes Gesetzgebungsziel des internationalen Privatrechts darstellt bzw. auf europäischer Ebene darstellen sollte. Dennoch steht dieses Ziel im Einzelfall im Spannungsverhältnis mit anderen elementaren Prinzipien, Interessen und Wertungen. Diese können sowohl kollisionsrechtlicher als auch materiell-rechtlicher Natur sein. Bei einer Prinzipien- oder Interessenkollision kann 170
Statt vieler Kegel/Schurig, IPR, S. 144, 397. etwa das Europäische Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht vom 7.6.1968 (Londoner Übereinkommen), BGBl. 1974 II, S. 937. 171 S.
F. Spannungsverhältnis zu anderen Prinzipien
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nicht stets die Lösung durchgesetzt werden, die internationalen Entscheidungs einklang absolut und auf Kosten anderer Wertungen verwirklicht. Vielmehr muss anhand der Wertungen im Einzelfall eine Abwägung vorgenommen werden, wobei einzelne Prinzipien keine absolute Geltung beanspruchen können, sondern ins Verhältnis zueinander gesetzt und so relativ bewertet werden müssen.172 Diese Ab wägung muss für jede Rechtsfigur, die potentiell internationalen Entscheidungs einklang herstellen kann, neu getroffen werden, da die Wertungen bei verschiedenen Rechtsfragen unterschiedlich ausfallen können. Es lassen sich jedoch schon an dieser Stelle einige allgemeine Aussagen dazu treffen, mit welchen anderen Prinzipien und Wertungen der internationale Entscheidungseinklang grundsätzlich kollidieren kann. I. Interner Entscheidungseinklang Zum einen ist eine Kollision mit dem internen Entscheidungseinklang denkbar. Wie bereits dargestellt, meint interner Entscheidungseinklang die Widerspruchsfreiheit der nationalen Rechtsordnung.173 Demgegenüber zielt der internationale Entscheidungseinklang darauf ab, das gleiche Ergebnis wie die ausländische Rechtsordnung zu erreichen. Aufgrund dieser unterschiedlichen Stoßrichtungen können diese beiden Prinzipien miteinander kollidieren.174 Der interne Entscheidungseinklang wird gefährdet, wenn ein inländisches Gericht eine ausländische Kollisionsnorm anwendet, da dies im Einzelfall zu Widersprüchen mit der inländischen Rechtsordnung führen kann.175 Stellt sich nämlich dieselbe Rechtsfrage, etwa das Bestehen einer Ehe, in einem rein inländischen Prozess in einem anderen Kontext, z. B. für die Frage der Erbenstellung, entscheidet der Richter nach nationalem Kollisionsrecht. Es besteht dabei durchaus die Möglichkeit, dass er für die Wirksamkeit der Ehe im Rahmen der Erbenstellung zu einem anderen Ergebnis kommt als in dem grenzüberschreitendem Scheidungsverfahren, in dem er eine ausländische Kollisionsnorm angewendet hat. Demgegenüber kann die Bevorzugung des internen Entscheidungseinklangs zu international hinkenden Rechtsverhältnissen führen. Das Spannungsverhältnis zwischen beiden Prinzipien wird besonders am Instrument der Vorfrage deutlich, die Gegenstand der späteren Untersuchung sein wird.176 An dieser Stelle sei bereits angemerkt, dass auch der interne Entscheidungseinklang ein nicht absolut zu verwirklichendes Optimierungsgebot darstellt. Dementspre172 Dazu schon oben S. 15 f.; vgl. auch MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 545; Sonnentag, Renvoi, S. 125. 173 S. oben, S. 8. 174 Juenger, Rec. des Cours 193 (1985-IV), 118, 195: „a choice between two evils […]. Either choice is equally unpalatable“; Mansel, FS Kropholler, S. 353, 362: „Wahl zwischen Scylla und Charybdis” 175 Sonnentag, Renvoi, S. 125. 176 Dazu das 4. Kapitel, S. 189 ff.
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
chend fanden bereits auf der Ebene des deutschen Kollisionsrechts seit jeher Durchbrechungen des internen Entscheidungseinklangs statt, indem hinsichtlich des Bestehens des Rechtsverhältnisses zwischen einzelnen Rechtsfolgen differenziert wurde. So entschied beispielsweise das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1983, dass einer Witwe Hinterbliebenenrente zustehen könne, obwohl die Ehe nur im Ausland, nicht aber in Deutschland wirksam geschlossen worden war.177 Für die sozialversicherungsrechtliche Frage wurde die Ehe in Deutschland damit faktisch als wirksam behandelt, für alle anderen Rechtsfragen hingegen nicht, obwohl dadurch der interne Entscheidungseinklang beeinträchtigt wird. Diese Durchbrechungen sind aussagekräftig für den Stellenwert des internen Entscheidungseinklangs und daher in einer Abwägung mit anderen Gesetzgebungszielen zu berücksichtigen. Folglich lässt sich insbesondere kein pauschaler prima facie-Vorrang des internen Entscheidungseinklangs vor dem internationalen rechtfertigen.178 II. Heimwärtsstreben und Praktikabilität Ein weiteres Phänomen, das im Spannungsverhältnis zum Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs stehen kann, ist das sogenannte Heimwärtsstreben.179 Dieser von Nussbaum180 begründete Begriff beschreibt die Neigung, so häufig wie möglich zur Anwendung der lex fori zu gelangen. Es handelt sich dabei nicht um ein offenes Ziel des internationalen Privatrechts, sondern um ein verstecktes, aber durchaus legitimes Motiv, das hinter einigen kollisionsrechtlichen – gesetzgeberischen oder richterlichen – Entscheidungen steht. Im Zweifel kennt sich der Richter im eigenen Recht besser aus, die Wahrscheinlichkeit einer schnelleren und kostengünstigeren Entscheidung steigt.181 Auch für die Parteien ist die leichtere Feststellbarkeit des Rechts im Vorhinein von Vorteil, da sie ihre Rechtsbeziehungen vorhersehbarer gestalten können. Diese Tendenz der möglichst häufigen Anwendung der lex fori kann allerdings dazu führen, dass das Gericht des Forums anders entscheidet, als es ein ausländisches Gericht tun würde. Auch das Phänomen des Heimwärtsstrebens und die dahinterstehenden Praktikabilitätsinteressen sind daher mit dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs in Ausgleich zu bringen. III. Rechtssicherheit und Einfachheit der Rechtsanwendung Das Prinzip der Rechtssicherheit spricht zwar grundsätzlich für die Erzielung von internationalem Entscheidungseinklang, da hinkende Rechtsverhältnisse die Rechts
177 BVerfG v. 30.11.1982, BVerfGE 62, 323 = IPRax 1984, 88 mit Anmerkung Wengler, IPRax 1984, 68–72. 178 Dazu unten, S. 221 f. 179 Dazu Kropholler, IPR, S. 42. 180 Nussbaum, IPR, S. 43. 181 Kegel/Schurig, IPR, S. 143.
F. Spannungsverhältnis zu anderen Prinzipien
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sicherheit beeinträchtigen.182 Jedoch kann die Rechtssicherheit mitunter auch im Spannungsverhältnis mit dem Prinzip des Entscheidungseinklangs stehen. Dies gilt insbesondere, wenn versucht wird, Entscheidungseinklang durch die Beachtung ausländischen Kollisionsrechts zu erzielen. Dies setzt nämlich stets voraus, dass der inländische Richter die Haltung des ausländischen Kollisionsrechts überprüft, wozu gegebenenfalls umfangreiche, komplexe und kostenaufwendige Ermittlungen zum ausländischen Kollisionsrecht nötig sind. Spricht beispielsweise das inländische Kollisionsrecht einen renvoi aus, muss der inländische Richter das ausländische Kollisionsrecht prüfen, das möglicherweise sogar auf eine weitere Rechtsordnung verweisen kann, sodass im Ergebnis das Sachrecht eines dritten Staates angewendet werden muss.183 Für die Parteien birgt die Beachtung ausländischen Kollisionsrechts daher stets Gefahren für die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit. Andererseits liegt es gerade im Interesse der Parteien, dass das Ergebnis des Rechtsstreits in allen beteiligten Staaten gilt und kein hinkendes Rechtsverhältnis entsteht. IV. Besondere materiell-rechtliche Interessen Mitunter versucht der Gesetzgeber, besondere materiell-rechtliche Interessen auch auf kollisionsrechtlicher Ebene durchzusetzen: Das klassische, „apolitische“184 Kollisionsrecht Savigny’scher Prägung hat sich mittlerweile weiterentwickelt und ist, insbesondere auf europäischer Ebene, durchsetzt von wirtschafts- und sozialpolitischen Erwägungen.185 Insofern wird auch von „fürsorgliche[m] Kollisionsrecht“186 oder von der „Materialisierung“187 des Kollisionsrechts gesprochen. Diese Entwicklung zeigt sich insbesondere in den vermögensrechtlichen Verordnungen. 1. Schwächerenschutz Ein bedeutsames unionsrechtliches sozialpolitisches Interesse ist der Schutz der strukturell unterlegenen Partei; es wird in der Rom I-VO sowohl auf objektiver als auch auf subjektiver Anknüpfungsebene durchgesetzt.188 Der europäische Gesetzgeber hat zum einen besondere objektive Anknüpfungsregeln für Verbraucher-, Arbeits-, bestimmte Versicherungsverträge sowie Verträge über die Beförderung von Personen gewählt. Das objektive Anknüpfungskriterium gewährleistet diesen Schutz, indem jeweils an den gewöhnlichen Aufenthalt der strukturell unterlegenen Partei angeknüpft wird (Art. 5 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 3, Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO). Auch der Schutz der wirtschaftlich schwächeren 182
Dazu oben, S. 19 f. Dazu noch unten, S. 70 ff. 184 Statt vieler MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 23. 185 S. Lehmann, FS Spellenberg, S. 245, 252. 186 Junker, IPRax 1998, 65, 67. 187 Weller, IPRax 2011, 429, 435 f.; Kühne, FS Schurig, S. 129, 138. 188 Weller, IPRax 2011, 429 f., 434; ders. in Fallon/Lagarde/Poillot-Peruzzetto, S. 327, 332; Lehmann, FS Spellenberg, S. 245, 250 f.; Staudinger-Magnus, Einleitung zur Rom I-VO Rn. 71. 183
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
Franchisenehmer und Vertriebshändler durch eine besondere objektive Anknüpfung (Art. 4 Abs. 1 lit. e und f Rom I-VO) gehört hierher. Zum anderen ist in diesen Vertragsverhältnissen, mit Ausnahme des Franchiseund Vertriebshändlervertrages, die Rechtswahlmöglichkeit eingeschränkt, wobei entweder nur ein bestimmter Kreis von Rechtsordnungen wählbar ist (Art. 5 Abs. 2, Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO) oder die Rechtswahl nicht dazu führen darf, der unterlegenen Partei den zwingenden Schutz des objektiv anwendbaren Statuts zu entziehen (Art. 6 Abs. 2 S. 2, Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO). Der europäische Gesetzgeber misst diesen materiell-rechtlichen Schutzinteressen eine derart hohe Bedeutung zu, dass er ein weiteres kollisionsrechtliches Instrument nutzt, um diese auch gegenüber abweichendem ausländischen Recht durchzusetzen: Er spricht im Rahmen der Rom I-VO stets Sachnormverweisungen (Art. 20 Rom I-VO) aus. Der europäische Gesetzgeber betreibt insofern bewusst Sozialpolitik mit Hilfe des IPR. Sind diese besonderen rechtspolitischen Interessen berührt, konkurriert die internationale Durchsetzung der materiell-rechtlichen Ziele mit dem kollisionsrechtlichen, ergebnisblinden189 Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs.190 Angesichts der Häufung dieser sozialpolitischen Interessen in der Rom I-VO ist hier ein deutliches Spannungsverhältnis zum klassischen IPR-Ziel des Entscheidungseinklangs entstanden.191 2. Favor-Gedanke Der europäische Gesetzgeber verfolgt nicht nur materielle Interessen zu Gunsten bestimmter Personengruppen. Vielmehr versucht er vereinzelt, mittels des IPR ein bestimmtes materielles Ergebnis zu erreichen. Zu diesem Zweck arbeitet er unter anderem mit alternativen Anknüpfungen.192 Beispielsweise soll als materielles Ergebnis durch Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO die Formgültigkeit eines Vertrages erzielt werden, indem für die Einhaltung der Form alternativ auf die Formerfordernisse des Wirkungsstatuts oder die des Ortes, an dem das Rechtsgeschäft vorgenommen wird, verwiesen wird. Ergänzt wird dieses Günstigkeitsprinzip193 durch Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO, der für Distanzgeschäfte weitere Formstatute zur Verfügung stellt. Diese alternativen Anknüpfungen dienen dem favor negotii, sollen ausgleichen, dass die Parteien üblicherweise nicht mit ausländischen Formvorschriften vertraut sind, und so die Zahl der formunwirksamen internationalen Rechtsgeschäfte reduzieren.194 189 Vgl.
Wengler, ZöffR 23 (1943/44), 473, 483. Junker, IPRax 1998, 65, 67. 191 S. dazu allgemein Joerges, Funktionswandel, S. 164. 192 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 113 zur entsprechenden Regelung des Art. 11 EGBGB. 193 Neuhaus, Grundbegriffe, S. 174 verwendet den Begriff „Günstigkeitsprinzip“ im Zusammenhang mit dem favor negotii. Der Begriff wird außerdem gebraucht, um die Wirkweise etwa von Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO zu erklären. 194 Kropholler, IPR, S. 28, 310; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 113, § 7 Rn. 40. 190 Vgl.
F. Spannungsverhältnis zu anderen Prinzipien
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Auch dieser favor-Gedanke kann mit dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs kollidieren, wenn beispielsweise das Vertragsstatut den Vertrag für formunwirksam erachtet, weil es keine alternative Anknüpfung an das Recht des Vornahmeortes kennt. Der europäische Gesetzgeber muss sich in solchen Fällen die Frage stellen, ob das durch das Günstigkeitsprinzip erreichte materielle Ergebnis der Formwirksamkeit vorgehen soll oder ob ihm die Erzielung internationalen Entscheidungseinklangs mit dem Vertragsstatut, das den Vertrag als formunwirksam einstuft, wichtiger ist. Im Verordnungsrecht existieren weitere Beispiele für die Verwirklichung des Günstigkeitsprinzips durch alternative Anknüpfungen, etwa in Art. 27, 28 lit. b EuErbVO zur Verwirklichung des favor testamenti. Auch hier muss eine Abwägung zwischen dem materiellen Ziel und dem Prinzip des Entscheidungseinklangs getroffen werden, worauf noch einzugehen sein wird.195 3. Öffentliche Interessen Möglich ist schließlich auch, dass ein besonderes öffentliches Interesse eines Staates daran besteht, bestimmte Normen international durchzusetzen. Ein typisches Instrument hierfür sind Eingriffsnormen, die unter anderem eine Regelung in Art. 9 Rom I-VO erfahren haben. Zwar werden über Eingriffsnormen teilweise auch besondere Schutzinteressen zugunsten strukturell unterlegener Parteien durchgesetzt, jedoch muss es sich nach dem Wortlaut und Telos der Norm um besondere, im allgemeinen öffentlichen Interesse liegende Vorschriften handeln.196 Will ein Staat solche materiell-rechtlichen öffentlichen Interessen international durchsetzen, besteht die Gefahr des Auftretens von Entscheidungsdisharmonien, wenn die ausländische lex causae keine vergleichbaren Interessen verfolgt bzw. die Interessen des Erlassstaates nicht anerkennt und daher nicht bei deren Durchsetzung behilflich ist.197 Auch in diesem Fall besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs und der zwingenden Durchsetzung der öffentlichen Interessen des Erlassstaates der Eingriffsnorm. Eine weitere kollisionsrechtliche Möglichkeit der Durchsetzung öffentlicher Interessen besteht in der Anwendung des ordre public-Vorbehalts, der der ergebnisorientieren Abwehr ausländischer Wertvorstellungen dient.198 An die Stelle des unerwünschten Ergebnisses des ausländischen Rechts tritt das inländische Recht. Insbesondere im Familienrecht wird der ordre public-Vorbehalt genutzt, um beispielsweise ausländisches Recht nicht anzuwenden, das einem Ehegatten aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit keinen gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung gewährt (s. Art. 10 Rom III-VO). Auf diese Weise werden öffentliche Interes195
Dazu unten, S. 121 ff. Dazu unten, S. 248 ff. 197 S. insbesondere zur Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen noch unten, S. 252 ff. 198 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 142. 196
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
sen des Forumstaates durchgesetzt, was zu Entscheidungsdisharmonien mit der lex causae führt, da diese die Scheidung gerade für unwirksam erachten würde. Insofern beansprucht das materielle Ergebnis jedoch Vorrang vor dem ergebnisblinden Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs.
G. Bedeutung des Entscheidungseinklangs im Vermögensrecht und Statusrecht Da das Ideal des Entscheidungseinklangs ein Prinzip und damit ein nicht absolut zu erfüllendes Optimierungsgebot darstellt, kann in verschiedenen Bereichen ein unterschiedlich starkes Interesse an der Erzielung von Entscheidungseinklang bestehen. Eine abstrakte Herausarbeitung dieser Bereiche kann dem europäischen Gesetzgeber die Normsetzung in den verschiedenen Rechtsgebieten erleichtern. Die europäischen kollisionsrechtlichen Verordnungen erfassen mittlerweile nicht mehr nur vermögensrechtliche Verhältnisse, sondern auch die persönlichen Verhältnisse der Individuen, insbesondere das Familien- und Erbrecht. Da diesen Rechtsgebieten unterschiedliche kollisions- und materiell-rechtliche Wertungen zugrunde liegen, bietet sich zunächst eine Differenzierung zwischen vermögensrechtlichen Verhältnissen einerseits und statusrechtlichen Beziehungen andererseits an.199 Zu erwarten ist insofern, dass in statusrechtlichen Verhältnissen ein stärkeres Interesse an der Erzielung von Entscheidungseinklang besteht. Im Folgenden sollen zunächst die Begriffe „statusrechtlich“ und „vermögensrechtlich“ für die Zwecke dieser Arbeit definiert werden (I.), um darauf aufbauend die einzelnen EU-Verordnungen den Gebieten zuordnen zu können (II.). Schließlich erfolgt ein kurzer Ausblick auf noch nicht harmonisierte Bereiche des Kollisionsrechts (III.). I. Begriffsklärung 1. Statusrechtlich a) Traditioneller Statusbegriff Das lateinische Wort „status“ bedeutet als Substantiv Zustand bzw. Stellung, wobei in den Geistes- und Sozialwissenschaften vorwiegend die gesellschaftliche Stellung bzw. Position des Einzelnen in einem sozialen System gemeint ist.200 Im römischen Recht war „status“ ein zentraler Oberbegriff und gliederte sich in den status libertatis, den status civitati und den status familiae.201 Diese Konzeption des Status 199 Ähnlich Sonnentag, Renvoi, S. 263–266, der zwischen persönlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten differenziert. 200 Ritter/Gründer-Abels, Historisches Wörterbuch der Philosophie, Artikel Status. 201 Hausmaninger/Selb, S. 121–124.
G. Bedeutung des Entscheidungseinklangs im Vermögensrecht und Statusrecht
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stellte den Vorgänger der Rechtsfähigkeit dar.202 Die Entwicklung des Statusbegriffs wurde in neuerer Zeit durch die Statuslehre von Jellinek im öffentlichen Recht beeinflusst.203 Heute ist die Bedeutung des Begriffs des Status nicht unumstritten,204 und er taucht weniger in Gesetzestexten als in der wissenschaftlichen Diskussion auf.205 Mittlerweile bestehen in der allgemeinen Rechtslehre drei grundlegende Statusmodelle, die sich im Ansatzpunkt insofern unterscheiden, als entweder das Kollektiv (kollektivistisches Modell), das Individuum (individualistisches Modell) oder einzelne Beziehungen innerhalb eines Gesamtsystems (relationales Modell) in den Mittelpunkt gestellt werden.206 Die einzelnen Statuskonzepte variieren damit in ihrer rechtstheoretischen Begründung sowie im Einzelnen in ihrer Reichweite. Im Zivilrecht wird der Begriff „Status“ herkömmlich verstanden als der „Inbegriff familien- und individualpersonenrechtlicher Eigenschaften einer Person von gewisser Dauer […], die nach außen erkennbar sind und Rechte und Pflichten begründen“.207 Diese auf Dauer angelegten familien- und individualpersonenrecht lichen Eigenschaften werden vor allem im Familienrecht geregelt, weshalb das Familienrecht als Ganzes zum Teil auch als Statusrecht bezeichnet wird.208 Dieser traditionelle Statusbegriff umfasst dementsprechend überwiegend familienrecht liche Institute, nämlich die Ehe, Lebenspartnerschaft, Abstammung, Adoption sowie den Namen, der ebenfalls durch die familienrechtlichen Beziehungen bestimmt wird.209 b) Erweiterung des traditionellen Begriffs auf „statusnahe“ Rechtsfolgen Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, im Folgenden allein die familienrechtlichen Statusverhältnisse als „statusrechtlich“ zu bezeichnen. Da es das Ziel dieser Arbeit ist, die Bedeutung des internationalen Entscheidungseinklangs in bestimmten Rechtsgebieten herauszuarbeiten, muss der Statusbegriff hier an den Zwecken des Prinzips des Entscheidungseinklangs orientiert sein. Vor diesem Hintergrund ist es zunächst notwendig, sich erneut210 die Gründe für das Streben nach internationalem Entscheidungseinklang zu vergegenwärtigen: Entscheidungsdisharmonien führen 202 Windel in Lipp/Röthel/Windel, S. 1, 9 mit Fn. 62; ausführlich zur Geschichte des Begriffs „Status“: Rehbinder, FS Hirsch, S. 141, 143–149. 203 Jellinek, System, S. 94–193. 204 Funken, Anerkennungsprinzip, S. 7. 205 Muscheler, StAZ 2006, 189, 197; Röthel, StAZ 2006, 34, 40. 206 Eingehend dazu Funken, Anerkennungsprinzip, S. 10–14; Windel in Lipp/Röthel/Windel, S. 1, 6–8. 207 Funken, Anerkennungsprinzip, S. 14; so auch Wagner, StAZ 2012, 133; vgl. auch Muscheler, Familienrecht, § 6 Rn. 95. 208 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 1 Rn. 40; Windel in Lipp/Röthel/Windel, S. 1, 6. 209 Funken, Anerkennungsprinzip, S. 14. 210 Dazu oben, S. 18 ff.
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
zu hinkenden Rechtsverhältnissen, sodass die Rechtssicherheit beeinträchtigt wird. Zudem sind Gleichheits- und Gerechtigkeitsinteressen betroffen; der Einzelne verliert das Vertrauen in die Rechtsordnung und versucht, internationale Sachverhalte zu vermeiden. Besonders misslich ist das Entstehen eines hinkenden Rechtsverhältnisses, wenn an dieses Verhältnis weitreichende Rechtsfolgen geknüpft sind. Die Reichweite der Rechtsfolgen kennzeichnet Statusverhältnisse im Vergleich zu rein vermögensrechtlichen Verhältnissen. Ein anschauliches Beispiel ist das familienrechtliche Statusverhältnis der Ehe. Entsteht eine Entscheidungsdisharmonie und damit eine hinkende Ehe, die in Staat A als wirksam und in Staat B als unwirksam angesehen wird, kann dies für den Einzelnen gravierende Folgen haben. Dieser „Fluch der bösen Tat“211 kann sich über viele Generationen auf namens-, unterhalts-, sorge- und erbrechtliche Fragestellungen auswirken und führt letztlich dazu, dass Familien nicht ungestört international leben und agieren können.212 Damit sind für eine natürliche Person nebem dem Status selbst auch die Rechtsfolgen, die mit dem Status verknüpft sind, von entscheidender Bedeutung. Es handelt sich dabei einerseits, wie erwähnt, um zivilrechtliche Rechtsfolgen. Andererseits führt eine Ehe auch zu Rechtsfolgen außerhalb des Zivilrechts, namentlich im Staatsangehörigkeitsrecht, im Sozialrecht213, im Aufenthaltsrecht oder im Steuerrecht. Auch im Strafprozessrecht führt das Bestehen eines Status beispielsweise zur Entstehung von Zeugnisverweigerungsrechten (s. im deutschen Recht § 52 StPO). In vermögensrechtlichen Verhältnissen hingegen führt zwar beispielsweise die Nichtigkeit eines Vertrages zur Rückabwicklung. Dies hat jedoch nur finanzielle Konsequenzen. Im Gegensatz zum hinkenden Statusverhältnis entstehen keine weitreichenden Rechtsfolgen, die den Einzelnen auch in anderen Bereichen und Rechtsgebieten beeinträchtigen. Aus der Besonderheit, dass an ein Statusverhältis derart weitreichende Rechtsfolgen geknüpft sind, folgt eine besondere Empfindlichkeit dieser Rechtsfolgen. Entscheidungsdisharmonien hinsichtlich einzelner Rechtsfolgen, die aus dem Statusverhältnis erwachsen, können für den Einzelnen nämlich ebenso gravierend sein wie ein hinkender Status selbst. Der Einzelne entscheidet sich mit der Eingehung eines Statusverhältnisses für die Verrechtlichung einer tatsächlichen Beziehung und damit in der Regel bewusst für bestimmte Rechtsfolgen, die nach seiner Anschauung das Statusverhältnis auszeichnen und zu einem Rechtsinstitut ausformen. Wird beispielsweise eine Ehe geschlossen, geschieht dies zumindest in Kenntnis der Tatsache, dass damit güterrechtliche und unterhaltsrechtliche Folgen einhergehen. Ohne seine prägenden Rechtsfolgen ist das Statusverhältnis lediglich eine leere Hülle. Mit Leben wird es erst durch die rechtliche Ausformung erfüllt, sodass aus 211
Neuhaus, Grundbegriffe, S. 53. Sonnentag, Renvoi, S. 124. 213 Darauf hinweisend auch Wagner, StAZ 2012, 133. 212
G. Bedeutung des Entscheidungseinklangs im Vermögensrecht und Statusrecht
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Sicht des Einzelnen der Status untrennbar mit seinen Rechtsfolgen verbunden ist. Aus dieser engen Verknüpfung ergibt sich ein Bedürfnis, Rechtssicherheit und Gleichheit – und damit internationalen Entscheidungseinklang – nicht nur für das Statusverhältnis selbst, sondern auch für die den Status prägenden Rechtsfolgen zu erreichen. Es bleibt die Frage, welche Rechtsfolgen ein Statusverhältnis dergestalt prägen, dass sie als besonders empfindlich gegenüber Entscheidungsdisharmonien anzusehen sind. Dies lässt sich letztlich nur anhand des Einzelfalles beurteilen, da die Rechtsfolgen eines Statusverhältnisses, wie gezeigt, vielfältig und nicht auf das Zivilrecht beschränkt sind. Jedenfalls sollten aber diejenigen Rechtsfolgen, die ihre materielle Legitimation im Statusverhältnis selbst haben und denen dabei bestimmte Wertvorstellungen der Gesellschaft zugrunde liegen, als besonders bedeutsam und sensibel eingestuft werden. Gerade diese Rechtsfolgen wird der Einzelne aufgrund der durch sie verkörperten Werte nämlich als besonders mit dem Statusverhältnis verbunden erachten. Würde der Einzelne diese Wertvorstellungen nicht teilen, hätte er sich nicht für die Eingehung des Statusverhältnisses entschieden. Wenn eine solche Rechtsfolge „hinkt“, leidet das Vertrauen des Einzelnen in den Status selbst. Aufgrund der engen Rückbindung an das Statusverhältnis sollen diese Rechtsfolgen im Folgenden als „statusnah“ bezeichnet werden. Welche Rechts folgen im europäischen Verordnungsrecht als statusnah einzuordnen sind, wird noch Gegenstand der Untersuchung sein.214 Daneben sei bereits an dieser Stelle angemerkt, dass eine Beschränkung des Begriffs „statusrechtlich“ auf familienrechtliche Verhältnisse der vom europäischen Gesetzgeber angestrebten umfassenden Harmonisierung des Kollisionsrechts nicht gerecht würde. Auch wenn derzeit Bereiche wie das Sachenrecht oder das Gesellschaftsrecht noch nicht Gegenstand des Verordnungsrechts sind, sollte die hier entwickelte Abgrenzung auch auf die noch nicht harmonisierten Bereiche übertragbar sein. Ziel ist es daher, mit der nun herauszuarbeitenden Abgrenzung eine Aussage über die grundsätzliche Bedeutung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs auch in den noch nicht harmonisierten Bereichen treffen zu können.215 c) Charakteristika eines Statusverhältnisses und seiner statusnahen Rechtsfolgen Im Folgenden sollen abstrakte Kriterien herausgearbeitet werden, die Statusverhältnisse – neben der Reichweite der Rechtsfolgen – im Vergleich zu rein vermögensrechtlichen Verhältnissen kennzeichnen und die zu einer erhöhten Bedeutung des internationalen Entscheidungseinklangs in statusrechtlichen Rechtsgebieten führen. Im Anschluss findet unter Berücksichtigung der Kriterien eine konkrete Einordnung der EU-Verordnungen statt. 214
215
Dazu unten im Rahmen der jeweiligen Verordnungen, S. 51 ff., 54 f., 57 ff. Dazu unten, S. 61 ff.
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
Zu betonen ist bereits an dieser Stelle, dass starre Kriterien dem Prinzipiencharakter des internationalen Entscheidungseinklangs nicht gerecht würden. Wie bereits erläutert, darf nicht in „Schwarz-oder-weiß“ bzw. „Alles-oder-nichts“216 - Kategorien gedacht werden. Selbst innerhalb des Statusrechts können die Kriterien in einzelnen Statusverhältnissen stärker ausgeprägt sein als in anderen. Umgekehrt sind einzelne Kriterien auch in ausgewählten vermögensrechtlichen Verhältnissen verwirklicht; die Grenzen zwischen Status- und Vermögensrecht können fließend sein. Diese graduellen Abstufungen lassen Raum für eine Abwägung im Einzelfall und werden auf diese Weise dem Charakter des internationalen Entscheidungseinklangs als Optimierungsgebot gerecht. Die zu entwickelnden Kriterien sollen eine erste Orientierung hinsichtlich der Bedeutung des internationalen Entscheidungseinklangs leisten, die jedoch abwägungsoffen bleibt. Vor diesem Hintergrund ist ein Rechtsgebiet jedenfalls dann als „statusrechtlich“ einzuordnen, wenn eine Mehrzahl der Kriterien erfüllt ist. Für die Beantwortung dieser Frage ist stets eine wertende Betrachtung notwendig. Sind beispielsweise in einem Rechtsgebiet zwei der Kriterien nicht verwirklicht, kann diese Tatsache dadurch kompensiert werden, dass ein anderes Kriterium besonders stark verwirklicht ist. Ist nach einer Subsumtion unter die Kriterien verbunden mit einer wertenden Gewichtung eine Mehrzahl der Kriterien erfüllt, führt dies zu einer Vermutung für den Vorrang des internationalen Entscheidungseinklangs gegenüber anderen Gesetzgebungszielen. Unterschiede im Verwirklichungsgrad oder in der Anzahl der erfüllten Kriterien lassen sich im Rahmen der konkreten Abwägung innerhalb eines Rechtsgebiets lösen. Auf diese Weise können in den Bereichen des Statusrechts, die sehr nahe an der Grenze zu vermögensrechtlichen Verhältnissen liegen, niedrigere Anforderungen an die Widerlegung der Vorrangvermutung gestellt werden. Umgekehrt kann die Vermutung bestätigt werden, wenn neben der Grobeinteilung als „statusrechtlich“ weitere rechtsgebietsspezifische Gesichtspunkte für ein erhöhtes Bedürfnis nach internationalem Entscheidungseinklang sprechen. aa) Dauer Neben der Reichweite der Rechtsfolgen ist für statusrechtliche Verhältnisse kennzeichnend, dass sie – und damit auch ihre Rechtsfolgen – auf längere Dauer ausgerichtet sind. Sofern kein statuslösendes Ereignis stattfindet,217 ist ein Status meist auf Lebenszeit angelegt. Das Statusverhältnis der Abstammung ist sogar ein Leben lang unauflösbar. Auf diese Weise wird die Stabilität eines Statusverhältnisses erreicht.218 216 217
S. oben S. 16 Fn. 82. Näher zu den einzelnen statuslösenden Ereignissen Muscheler, Familienrecht, § 6 Rn. 113–
218
Lipp in Lipp/Röthel/Windel, S. 1, 12.
130.
G. Bedeutung des Entscheidungseinklangs im Vermögensrecht und Statusrecht
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Aufgrund der lebenslangen Dauer ist bei Begründung des Status meist nicht absehbar, zu welchen Rechtsordnungen das Verhältnis in Zukunft Berührungen aufweisen wird. Außerdem ist zu diesem Zeitpunkt nicht vorhersehbar, welche Rechtsfolgen überhaupt auftreten werden. Wird beispielsweise eine Ehe geschlossen, ist nicht absehbar, ob aus ihr Kinder hervorgehen werden. Ist dies der Fall, kann eine hinkende Ehe Folgen für das neu begründete Statusverhältnis der Abstammung haben. Es kann also aus einem hinkenden Statusverhältnis – der Ehe – ein neues hinkendes Statusverhältnis – die Abstammung – entstehen. Daraus ergeben sich wiederum unterhalts- und sorgerechtliche Probleme. Es ist daher auch nicht vorherzusehen, wie viele neue hinkende Rechtsverhältnisse aus einem einzigen hinkenden Statusverhältnis entstehen und welche Rechtsfolgen diese neuen hinkenden Statusverhältnisses ihrerseits nach sich ziehen. Aus einem einzigen hinkenden Statusverhältnis als Wurzel können beliebig viele neue hinkende Verhältnisse resultieren. Diese Unvorhersehbarkeit, die aus der Dauer des Statusverhältnisses resultiert, schafft einen gesteigerten Bedarf an Rechtssicherheit und damit auch ein dring licheres Bedürfnis nach Entscheidungseinklang. Hingegen werden Rechtsgeschäfte, die rein vermögensrechtliche Bereiche betreffen, meist einmalig durchgeführt und abgewickelt und sind nicht auf längere Dauer angelegt. Dies führt erstens dazu, dass Verbindungen zu verschiedenen Staaten schon früh vorhersehbar sind und somit ein erhöhtes Maß an Rechtssicherheit zur Zeit der Begründung des Verhältnisses besteht. Zweitens gestalten sich wegen der kurzen Dauer die Rechtsfolgen eines hinkenden Rechtsverhältnisses nicht so gravierend wie im Statusrecht.219 Im Vertragsrecht beispielsweise, für das in der Rom I-VO in der Regel auf den gewöhnlichen Aufenthalt einer Vertragspartei abgestellt wird,220 ist bereits bei Vertragsschluss vorhersehbar, wo die Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sodass auch das anwendbare Recht bei Begründung des Vertragsverhältnisses feststeht. Zwar besteht immer noch die Möglichkeit, den gewöhnlichen Aufenthalt zu wechseln. Aufgrund der kurzen Dauer eines Vertragsverhältnisses ist dies in den meisten Fällen indes wenig wahrscheinlich. Das Interesse an internationalem Entscheidungseinklang mag an Bedeutung gewinnen, sobald es sich um ein Dauerschuldverhältnis handelt, da in diesem Fall ein größeres Interesse an langfristiger Rechtssicherheit besteht.221 Dennoch gilt auch für Dauerschuldverhältnisse, dass die Dauer häufig zu Beginn des Rechtsverhältnisses absehbar ist. Zudem hat ein hinkender Vertrag, selbst wenn es sich um ein unbefristetes Dauerschuldverhältnis handelt, in der Regel lediglich vermögensrechtliche Konsequenzen, während die persönlichen Beziehungen einer Person nicht betroffen sind.222 219
Sonnentag, Renvoi, S. 123 f., 166 f. S. Art. 4 Rom I-VO. 221 Vgl. Sonnentag, Renvoi, S. 124. 222 S. zum Sonderfall des Mietvertrages noch unten, S. 45 f. 220
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
bb) Publizität und Transparenz Ein gesteigertes Maß an Rechtssicherheit ergibt sich in Statusverhältnissen auch aus der Publizität und Transparenz223 statusrechtlicher Verhältnisse. Wird das Bestehen eines Status für den Rechtsverkehr öffentlich gemacht, entsteht Vertrauen des Verkehrs auf die Richtigkeit dieser Tatsache und nicht nur der Einzelne, sondern auch der Rechtsverkehr hat insofern ein Kontinuitätsinteresse (s. etwa das deutsche Güterrechtsregister und dessen Publizitätswirkung, § 1412 BGB). Durch das Schaffen eines solchen Vertrauenstatbestandes steigt auch das Bedürfnis nach Rechtssicherheit. Vertrauen und Rechtssicherheit würden nämlich gefährdet, wenn der Status nur in einem Staat als wirksam angesehen und nicht über territoriale Grenzen hinaus gelten würde. Das Element der Publizität fehlt hingegen in vermögensrecht lichen Rechtsverhältnissen, da es nach außen nicht erkennbar ist, ob eine Person beispielsweise Partei eines Vertrages ist. Auch aus diesem Merkmal folgt daher die Notwendigkeit, dem internationalen Entscheidungseinklang in statusrechtlichen Verhältnissen einen höheren Stellenwert einzuräumen. cc) Absolutheit Eine weitere Eigenschaft statusrechtlicher Verhältnisse stellt deren Absolutheit dar, also die Wirkung für und gegen alle.224 Diese Eigenschaft hängt eng mit der Publizität zusammen. Aus beiden gemeinsam resultiert das Vertrauen des Rechtsverkehrs in das Bestehen der Eigenschaft, was ebenfalls zu dem erhöhten Bedarf an Rechtssicherheit und damit auch Entscheidungseinklang führt. Charakteristisch für Schuldverhältnisse ist hingegen deren Relativität, also die Wirkung nur zwischen den Parteien. Insbesondere an den Kriterien der Publizität und Absolutheit zeigt sich bereits deutlich, dass diese Gesichtspunkte auch in anderen Bereichen als im Familienrecht und damit dem traditionellen Statusrecht eine Rolle spielen, z. B. in gesellschaftsrechtlichen oder sachenrechtlichen Sachverhalten. Auf die Folgerungen für die Bedeutung des internationalen Entscheidungseinklangs in diesen noch nicht harmonisierten Bereichen wird noch einzugehen sein.225 dd) Zentralität226 und Stabilität für den Einzelnen Kennzeichen jedenfalls familienrechtlicher Statusverhältnisse ist auch, dass es sich um intime und sensible Verhältnisse handelt. Nicht selten identifiziert und definiert 223
Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 1 Rn. 40. Muscheler, Familienrecht, § 6 Rn. 130 sowie Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 3 Rn. 21. 225 Dazu unten, S. 61 ff. 226 Begriff von Muscheler, Familienrecht, § 6 Rn. 99. 224 Vgl.
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sich ein Mensch zumindest zum Teil über seine familiären Beziehungen und seinen daraus resultierenden Status. Der Status hat damit psychologische Auswirkungen auf die Persönlichkeit und das Selbstverständnis227 einer natürlichen Person. Diese sozialpsychologische Funktion des Status erkennt man insbesondere an den rituellen Zeremonien, beispielsweise einer kirchlichen Trauung, mit denen die Statusbegründung vollzogen wird.228 Es handelt sich um ein zentrales Element der eigenen Persönlichkeit. Der Status hat für den Betroffenen eine stabilisierende Funktion, indem seine sozialen Verhältnisse nach außen sichtbar festgeschrieben werden.229 Im Falle der Ehe wird für den Einzelnen so ein psychologischer Vertrauenstat bestand geschaffen, der darauf gerichtet ist, dass eine gemeinsame Lebensplanung vorgenommen wird, die dauerhaft Bestand hat.230 Es handelt sich hierbei zwar nicht um rechtliches Vertrauen, das der Gesetzgeber zu schützen imstande wäre. Dennoch folgt aus dieser Sensibilität und Zentralität ein erhöhtes Schutzbedürfnis dahingehend, dass der Status, solange beide Beteiligten ihn aufrechterhalten wollen, auch territorial unbegrenzt aufrechterhalten wird. Der Status „verstetigt die fließenden Sozialverhältnisse zu Dauerrechtsverhältnissen besonderer Art“.231 Diese Stabilierungsfunktion des Status gilt nicht nur für die Ehe, sondern etwa auch für den Status der Abstammung oder den Namen. Auch diesem sozialpsychologischen Umstand und dem hohen Kontinuitätsinteresse232 ist die signifikante Bedeutung der Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse in diesem Bereich im Vergleich zu rein vermögensrechtlichen Verhältnissen geschuldet. ee) Höchstpersönlichkeit Ein weiteres Kriterium, das statusrechtliche Verhältnisse im Gegensatz zu rein vermögensrechtlichen Beziehungen kennzeichnet, ist deren höchstpersönlicher Charakter.233 Zwar mögen gewisse vermögensrechtliche Ansprüche, die aus einem Status erwachsen, im Einzelfall übertragbar sein. Der Status selbst, also die Ehe oder Abstammung, ist jedoch gerade aufgrund der engen Verbundenheit mit der Person nicht auf andere Personen übertragbar. Will man sich des Statusverhältnisses entledigen, muss ein statuslösender Akt vorgenommen werden. In vermögensrechtlichen Verhältnissen hingegen sind Ansprüche meist frei abtretbar bzw. es können gesetzliche Forderungsübergänge stattfinden (s. etwa Art. Art. 14, 15 Rom I-VO; Art. 19 Rom II-VO). Auch die privatautonome Auswechslung einer Vertragspartei durch 227
So auch Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 1 Rn. 40. Windel in Lipp/Röthel/Windel, S. 1, 12; ders., StAZ 2006, 125, 129. 229 Muscheler, Familienrecht, § 6 Rn. 95; Windel in Lipp/Röthel/Windel, S. 1, 11. 230 Windel in Lipp/Röthel/Windel, S. 1, 37. 231 Windel in Lipp/Röthel/Windel, S. 1, 12. 232 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 1 Rn. 45. 233 Vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 3 Rn. 24 allerdings in Bezug auf „die Familienrechte im subjektiven Sinn“. 228
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
einen Dritten ist den Parteien grundsätzlich möglich. Aus dieser Höchstpersönlichkeit statusrechtlicher Verhältnisse folgt eine stärkere Bindung für den Einzelnen, was wiederum ein Bedürfnis nach Stabilität, Rechtssicherheit, Vertrauensschutz und damit auch nach internationalem Entscheidungseinklang entstehen lässt. ff) Ordnungsaufgabe Indem natürlichen Personen ein Status zugeordnet wird, findet eine Einteilung statt, die eine Ordnungsfunktion erfüllt.234 Persönliche Ereignisse im Leben eines Menschen wie die Geburt eines Kindes oder die Heirat werden auf diese Weise „verrechtlicht“ und mit einer zwingenden Rechtsstellung des Einzelnen verbunden. Röthel nennt diese Ordnungsaufgabe der Bildung von Statusverhältnissen innerhalb der Rechtsordnung „personale Binnenkoordination“.235 Dadurch, dass für den Einzelnen seine Verhältnisse rechtlich geordnet und mit zwingenden Rechtsfolgen verknüpft werden und auch die Gesellschaft eine Strukturierung erfährt, besteht wiederum ein Bedürfnis nach Stabilität dieser Verhältnisse. Ansonsten vermag der Status seine Ordnungs- und Strukturierungsfunktion nicht zu erfüllen. Rein vermögensrechtliche Verhältnisse wie Verträge erfüllen hingegen weder für den Einzelnen noch innerhalb der Gesellschaft eine vergleichbare Ordnungsaufgabe. Auch aus dieser Tatsache ergibt sich damit ein gesteigertes Bedürfnis nach Rechtssicherheit und internationalem Entscheidungseinklang in Statusverhältnissen. d) Zwischenergebnis Kennzeichnend für Statusverhältnisse ist somit, dass wegen der weitreichenden Rechtsfolgen und der Sensibilität des Gebietes ein erhöhtes Bedürfnis nach Stabilität und Rechtssicherheit besteht.236 Deshalb erfordern Statusverhältnisse ihrer Natur nach, dass der Status unabhängig von territorialen Grenzen besteht; es handelt sich um sogenannte universale Rechtsverhältnisse.237 Diese universelle Geltung kann nur erzielt werden, wenn Entscheidungsdisharmonien vermieden werden. Folglich spielt die Herstellung von Entscheidungseinklang eine erhebliche Rolle in Statusverhältnissen. 2. Vermögensrechtlich Der Begriff „vermögensrechtlich“ wird im Folgenden als Gegenbegriff zum Terminus „statusrechtlich“ gebraucht. Unter „vermögensrechtlich“ sind im Umkehrschluss daher alle Verhältnisse zu verstehen, die nicht eine Mehrzahl der soeben 234
Lipp/Röthel/Windel in Lipp/Röthel/Windel, S. V: „unverzichtbares Ordnungskriterium“. Röthel, StAZ 2006, 34, 41. 236 Vgl. Muscheler, Familienrecht, § 6 Rn. 95. 237 Dorenberg, Hinkende Rechtsverhältnisse, S. 17; s. auch Jayme, Rec. des Cours 251 (1995), 9, 89. 235
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entwickelten Kriterien erfüllen. Die Folge ist, dass kein erhöhtes Bedürfnis nach der Herstellung internationalen Entscheidungseinklangs besteht, sondern dieses Gesetzgebungsziel im Vergleich zu statusrechtlichen Beziehungen eine geringere Rolle spielt.238 II. Einordnung der bestehenden EU-Verordnungen Eine Zuordnung der EU-Verordnungen zu den Obergruppen „statusrechtlich“ und „vermögensrechtlich“ vermittelt einen ersten Eindruck, welche Rolle das Prinzip des Entscheidungseinklangs in den einzelnen Bereichen spielt. Zudem soll herausgearbeitet werden, ob in den jeweiligen Verordnungen noch andere rechtsgebietsspezifische Aspekte dem Grundsatz des Entscheidungseinklangs Gewicht verleihen oder dessen Bedeutung einschränken. 1. Rom I-VO a) Statusrechtliche Kriterien Die Rom I-VO regelt die vertraglichen Schuldverhältnisse. Wie bereits erläutert, hat ein Vertrag für den Betroffenen keine weitreichenden persönlichen Rechtsfolgen, sondern lediglich vermögensrechtliche Konsequenzen. Es handelt sich weder um ein sensibles Verhältnis noch hat ein Vertrag für eine natürliche Person eine stabilisierende Funktion. Da ein Vertragsverhältnis auch keines der genannten typischen statusrechtlichen Elemente aufweist, die für ein gesteigertes Bedürfnis nach Rechtssicherheit sprechen – namentlich unbestimmte Dauer, Publizität, Absolutheit und der ordnende Charakter –, ist die Rom I-VO als vermögensrechtlich einzuordnen. Folglich spielt die Erzielung von Entscheidungseinklang in der Rom I-VO eine geringere Rolle. Einwenden ließe sich lediglich im Falle von Mietverträgen, dass diese auf längere Dauer angelegt sind und für den Einzelnen jedenfalls die Wohnraummiete existentielle Bedeutung haben kann. Zudem ist das Mietverhältnis in Deutschland eigentumsähnlich ausgestaltet. So durchbricht beispielsweise § 566 BGB die Relativität der Schuldverhältnisse. Auch die Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters bei Wohnraummietverhältnissen sind sehr stark eingeschränkt, sodass das Mietverhältnis eine gewisse Stabilisierung für den Mieter zur Folge hat. Diese Besonderheiten könnten ein erhöhtes Bedürfnis nach internationalem Entscheidungseinklang rechtfertigen. Jedoch ist zu beachten, dass die eigentumsähnliche Ausgestaltung des Mietverhältnisses eine Besonderheit des deutschen Rechts ist. Für die Zwecke der Rom I-VO kann folglich nicht von diesem Leitbild ausgegangen werden. Damit bleiben lediglich die Kriterien der Dauer und der Zentralität für den Einzelnen verwirklicht, sodass eine Mehrzahl der statusrechtlichen Charakteristika nicht erfüllt ist. 238 So auch MüKo-Martiny, Art. 20 Rom I-VO Rn. 2; Lorenz, IPRax 1995, 329, 330; Staudinger-Hausmann, Art. 20 Rom I-VO Rn. 5.
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
Zudem ergibt sich bei Mietverträgen eine geringere praktische Bedeutung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs daraus, dass nach Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO die Grundstücksmiete dem Recht des Belegenheitsstaates unterliegt. Flankiert wird die Kollisionsnorm durch einen ausschließlichen Gerichtsstand am Belegenheitsort nach Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO. Rechtsstreitigkeiten werden daher ohnehin meist nach Belegenheitsrecht abgewickelt, das Entstehen eines hinkenden Rechtsverhältnisses ist somit weniger wahrscheinlich. Allein die mietvertraglichen Besonderheiten ändern daher nichts am vermögensrechtlichen Charakter der Rom I-VO. b) Verordnungsspezifische Aspekte Die geringere Bedeutung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs ist nicht allein auf die fehlenden Elemente eines Statusverhältnisses zurückzuführen. Vielmehr sprechen auch verordnungsspezifische Aspekte für einen Vorrang anderer Gesetzgebungsziele. In der Rom I-VO werden klassische Prinzipien des Kollisionsrechts, insbesondere das Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs, durch typische unionsrecht liche Prinzipien verdrängt. Zwar bekennt sich auch die Rom I-VO zum Prinzip der Rechtssicherheit,239 die unter anderem hinter dem Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs steht. Jedoch besteht noch immer ein geringeres Bedürfnis danach als in statusrechtlichen Beziehungen. Zudem stellt die Rom I-VO Rechtssicherheit auf andere Art und Weise, nämlich durch die typisierten und starren Anknüpfungsregeln der Art. 4 ff. Rom I-VO, her. Ein die Rom I-VO stark prägender Grundsatz ist stattdessen der bereits genannte sozialpolitisch motivierte Schwächerenschutz (s. Art. 4 Abs. 1 lit. e und f, Art. 5 –8 Rom I-VO).240 Das Spannungsverhältnis zwischen diesem materiell-rechtlichen Ziel und dem Prinzip des Entscheidungseinklangs wurde in der Rom I-VO vom Gesetzgeber zugunsten des Ersteren aufgelöst.241 Hingegen spielen sozial- und wirtschaftspolitische Ziele dieser Art im Statusrecht keine Rolle. Weiterhin stellt das ökonomische Effizienzprinzip ein Leitbild der geltenden vermögensrechtlichen Verordnungen dar, was vor allem durch privatautonome Entscheidungen gewährleistet werden soll.242 Daraus erklärt sich auch die Rechtswahlfreiheit als „Eckstein“243 der Rom I-VO, während die Rechtswahlmöglichkeiten in den statusrechtlichen Verordnungen beschränkt ausgestaltet sind. Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass diese Ziele des Unionsrechts im Rahmen der Rom I-VO eine größere Rolle spielen als der internationale Entscheidungseinklang. 239
S. etwa KOM (2005) 650 endg., S. 4, 6; Erwägungsgrund 16 der Rom I-VO. Dazu schon oben, S. 33 f. 241 So auch Weller, IPRax 2011, 429, 430 f.; Junker, IPRax 1998, 65, 67. 242 Näher Weller, IPRax 2011, 429, 433; Rühl, RabelsZ 71 (2007), 559–564 f. 243 S. Erwägungsgrund 11 der Rom I-VO. 240
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2. Rom II-VO a) Statusrechtliche Kriterien Der Anwendungsbereich der Rom II-VO umfasst die außervertraglichen Schuldverhältnisse, namentlich die Rechtsfolgen einer unerlaubten Handlung, einer ungerechtfertigten Bereicherung, einer Geschäftsführung ohne Auftrag und eines Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO). Die Haftung aus einem außervertraglichen Schuldverhältnis weist ebenso wie ein vertragliches Schuldverhältnis keinerlei Elemente auf, die charakteristisch für ein statusrechtliches Verhältnis sind. Die Folgen eines hinkenden außervertraglichen Schuldverhältnisses sind nicht weitreichend, denn der Einzelne wird lediglich punktuell in seinem Vermögen berührt. Angesichts der einmaligen Abwicklung eines außervertraglichen Schuldverhältnisses besteht auch kein besonderes Bedürfnis nach Rechtssicherheit oder Stabilität. Dem außervertraglichen Schuldrecht fehlen neben dem Element der Dauer auch besondere Publizitätserfordernisse oder absolut wirkende Elemente. Zudem übernehmen außervertragliche Schuldverhältnisse keine Ordnungsaufgabe im Sinne der oben dargestellten Binnenkoordination. Sie dienen vielmehr dem Ausgleich eines zufälligen Schadensereignisses bzw. einer ungerechtfertigten Vermögensverschiebung. b) Verordnungsspezifische Aspekte Zudem hat der europäische Gesetzgeber auch im Rahmen der Rom II-VO andere rechtspolitische Interessen durchgesetzt und diesen den Vorrang vor dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs eingeräumt. Oftmals wird die Haftung in der Rom II-VO akzessorisch an ein bestehendes vertragliches Schuldverhältnis angeknüpft (s. Art. 4 Abs. 3, Art. 5 Abs. 2, Art. 10 Abs. 1, Art. 11 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO). Dies zeigt die enge Verwandtschaft zwischen der Rom I- und der Rom II-VO sowie die Übertragbarkeit der vertraglichen Wertungen auf ein außervertragliches Schuldverhältnis. Auf diese Weise werden nämlich unter anderem die sozialpolitischen Erwägungen, auf denen das Anknüpfungssystem der Art. 5 –8 Rom I-VO beruht, übertragen. Diese materiell-rechtlichen Zwecke sieht der Gesetzgeber damit auch im Rahmen der Rom II-VO als vorrangig gegenüber anderen kollisionsrechtlichen Interessen an. Ein weiteres Leitprinzip, das die Rom II-VO bzw. insbesondere das Deliktskollisionsrecht beherrscht, ist der Gedanke des Opferschutzes. Sowohl die Erfolgsort anknüpfung in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO als auch die Anknüpfungsleiter in Art. 5 Rom II-VO für Fälle der Produkthaftung dienen primär den Interessen und dem Rechtsgüterschutz des Geschädigten.244 Die Rom II-VO sieht außerdem ebenso wie die Rom I-VO eine weite Rechtswahlmöglichkeit in Art. 14 Rom II-VO vor, was die Beobachtung stützt, dass die Partei244 S.
Weller, IPRax 2011, 429, 435; MüKo-Junker, Art. 4 Rom II-VO Rn. 18 m. w. N.
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
autonomie und das ökonomische Effizienzprinzip auch im Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse eine wesentliche Rolle einnehmen.245 Der Verordnungsgeber hat damit auch im Rahmen der vermögensrechtlichen Rom II-VO besonderen Interessen den Vorrang vor klassischen kollisionsrechtlichen Zielen, namentlich dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs, eingeräumt. 3. Rom III-VO a) Statusrechtliche Kriterien Die Rom III-VO gilt ausweislich ihres Art. 1 Abs. 1 für die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes. Bei der Ehe handelt es sich um ein typisches universales Statusverhältnis, das alle genannten charakteristischen Elemente enthält: Die Ehe ist auf Lebenszeit angelegt, hat absolute Wirkung, ist nach außen erkennbar, stellt ein zentrales, stabilisierendes Element im Leben des Einzelnen dar und erfüllt eine Ordnungsaufgabe innerhalb der Gesellschaft. Zudem hat eine hinkende Ehe die oben bereits genannten weitreichenden Rechtsfolgen und ist daher besonders dringend zu vermeiden. Zwar fällt die Vorfrage246 nach dem Bestehen oder der Gültigkeit einer Ehe nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung (Art. 1 Abs. 2 lit. b Rom III-VO). Geregelt ist aber das anwendbare Recht für Scheidungen und Trennungen, sodass die Beendigung einer Ehe Gegenstand der Verordnung ist. Die Eigenschaft „geschieden“ ist für sich zwar kein Statusverhältnis im traditionellen Sinne,247 jedoch hat die Scheidung Auswirkungen auf den Status Ehe. Sie führt nämlich zur Beendigung dieses Status. Wird also beispielsweise eine Ehe in einem Staat als geschieden angesehen, in einem anderen hingegen nicht, entsteht eine hinkende Ehe. Daher ist die Rom III-VO als statusrechtlich im oben genannten Sinne einzuordnen. Dementsprechend spielt das Prinzip des Entscheidungseinklangs im Rahmen der Rom III-VO eine bedeutsamere Rolle als in den vermögensrechtlichen Rom I- und Rom II-Verordnungen. b) Verordnungsspezifische Aspekte Auch verordnungsspezifische Gründe sprechen für eine erhöhte Bedeutung des internationalen Entscheidungseinklangs. Insbesondere verfolgt die familienrechtliche Rom III-VO anders als die Rom I-VO keine wirtschafts- und sozialpolitischen Motive. Der Aspekt des Schwächerenschutzes spielt im Scheidungskollisionsrecht keine Rolle. Hinzu kommt, dass der Parteiautonomie als Verkörperung des ökonomischen Effizienzprinzips in der Rom III-VO ein geringerer Stellenwert beigemessen 245
S. auch Erwägungsgrund 31 der Rom II-VO. Hau, FamRZ 2013, 249, 250. 247 Windel in Lipp/Röthel/Windel, S. 1, 24. 246
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wird. Die Rechtswahlmöglichkeit der Parteien wird in Art. 5 Rom III-VO auf einige bestimmte Rechtsordnungen beschränkt, zu denen bereits ein objektiver Bezug besteht. Es sind daher – im Unterschied zur Rom I- und zur Rom II-Verordnung – keine rechtspolitischen Ziele ersichtlich, die das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs in den Hintergrund treten lassen würden. Verstärkt spricht für die Bedeutung des internationalen Entscheidungseinklangs außerdem, dass die Rom III-VO im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit erlassen wurde und die nichtteilnehmenden 14 Mitgliedstaaten daher im Ehescheidungs kollisionsrecht als Drittstaaten angesehen werden müssen. Auf diese Weise bekommt das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs im Rahmen der Rom III-VO eine europäische Dimension, da gleichzeitig der europäische Entscheidungseinklang beeinträchtigt wird.248 4. EuUntVO i. V. m. HUntProt 2007 Die EuUntVO findet ausweislich ihres Art. 1 Abs. 1 Anwendung auf Unterhaltspflichten, die auf einem familien-, verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen. Die Abstammung bzw. die Mutterschaft oder Vaterschaft stellt ein statusrechtliches Verhältnis im traditionellen familienrecht lichen Sinne dar249 und erfüllt daher naturgemäß alle oben genannten statusrecht lichen Kriterien. Das Abstammungsverhältnis ist sogar so stark stabilisiert, dass es sich – anders als die Ehe – nicht einmal durch statuslösenden Akt beenden lässt.250 Jedoch ordnet die Verordnung gemäß Art. 21 der EuUntVO lediglich das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht an, wohingegen die Feststellung eines Familienverhältnisses, das Unterhaltspflichten begründet, vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen ist. Die Wirksamkeit des Familienverhältnisses ist damit wiederum Vorfrage für das Bestehen der Unterhaltspflicht.251 Die Verordnung regelt also – parallel zur Rom III-VO in Bezug auf die Ehe – die Wirksamkeit des Statusverhältnisses selbst nicht. Während die Rom III-VO aber insofern Relevanz bezüglich des Status Ehe entfaltet, als sie das anzuwendende Recht auf die Beendigung bestimmt und somit den Fortbestand des Status zum Gegenstand hat, hat das Bestehen von Unterhaltspflichten keine direkten Auswirkungen auf den Status selbst. Zudem regelt das Unterhaltsrecht finanzielle Ansprüche, wodurch die EuUntVO eher in die Nähe der vermögensrechtlichen Verordnungen gerückt werden könnte. 248
Dazu noch unten, S. 127, 173, 232. Funken, Anerkennungsprinzip, S. 14; Muscheler, Familienrecht, § 6 Rn. 95. 250 Einzige Ausnahme ist die Adoption eines Kindes, die gem. § 1755 BGB das Erlöschen von früheren Verwandtschaftsverhältnissen zur Folge hat. Die Adoption kann jedoch nur durch die Mitwirkung eines Dritten, der gewillt ist, das Kind zu adoptieren, erfolgen. Allein durch Übereinstimmung zwischen Vater bzw. Mutter und Kind lässt sich das Statusverhältnis nicht auflösen. 251 S. Rauscher-Andrae, Art. 1 EuUntVO Rn. 5 und Art. 1 HUntProt Rn. 15. 249
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
Dennoch spricht für eine Einordnung der EuUntVO als statusrechtlich dreierlei: Erstens weist das Unterhaltsrecht selbst, nicht nur der zugrundeliegende Status der Abstammung, einige statusrechtliche Charakteristika auf. Zweitens erfordert die besondere Statusnähe des Unterhaltsrechts, dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs eine höhere Bedeutung beizumessen. Drittens unterstreicht auch ein verordnungsspezifischer Aspekt die Vorrangvermutung. a) Statusrechtliche Kriterien Aus der Unauflösbarkeit des Status Abstammung folgt insbesondere auch für die Unterhaltspflichten ein Element der Dauer. Zwar ist die Höhe des Unterhalts abhängig von der Bedürftigkeit (s. im deutschen Recht § 1602 BGB) und kann daher über einen längeren Zeitraum variieren. Dennoch besteht der Unterhaltsanspruch dem Grunde nach fort. Der Verwandtenunterhalt für Eltern oder Großeltern, den zumindest einige Mitgliedstaaten kennen,252 ist sogar – im Gegensatz zum Kindesunterhalt, dessen Dauer zumindest durch die Volljährigkeit bzw. das Ende der Ausbildung (s. im deutschen Recht §§ 1603 Abs. 2 S. 2, 1610 Abs. 2 BGB) begrenzt ist – zeitlich unbegrenzt. Aber auch der Kindesunterhalt wird über einen erheblich längeren Zeitraum gezahlt werden müssen, als es in einem rein vermögensrechtlichen Verhältnis üblich ist. Eine weitere Dimension erhält das Kriterium der Dauer durch den nachehelichen Unterhalt, den eine Mehrheit der europäischen Mitgliedstaaten kennt.253 Hierbei wirkt die Unterhaltspflicht in Form einer „nachehelichen Solidarität“254 sogar über das Bestehen des Status hinaus fort. Das Element der Dauer wird außerdem dadurch verstärkt, dass der Einzelne sich seinen Unterhaltspflichten nicht entziehen kann. Eine freie Auflösbarkeit bzw. ein Verzicht (s. etwa § 1614 Abs. 1 BGB) würde das Ziel der Daseinsvorsorge vereiteln und die vom Gesetzgeber gewollte Einstandspflicht relativieren. Daraus folgt wiederum ein erhöhtes Bedürfnis, forum shopping zu vermeiden, da dies mitunter für den Unterhaltspflichtigen die einzige Möglichkeit sein kann, seine Pflicht zu umgehen. Neben dem Element der Dauer erfüllt das Unterhaltsrecht auch das Kriterium der Höchstpersönlichkeit. Zum Schutz des Unterhaltsberechtigten sind Unterhaltsansprüche – im Unterschied zu vertraglichen oder außervertraglichen Ansprüchen – nicht pfändbar und grundsätzlich nicht abtretbar (s. im deutschen Recht § 850b Abs. 1 Nr. 2 ZPO, § 400 BGB). Schließlich ergibt sich eine erhöhte Sensibilität des Unterhaltsrechts daraus, dass es der Daseinsvorsorge dient. Für den Einzelnen kann eine hinkende Unterhaltspflicht daher zentrale und existentielle Folgen haben. Im Vergleich dazu sind Verträge nicht derart durch den Grundgedanken der Existenzsicherung gekennzeich252
S. dazu Martiny in Basedow/Hopt/Zimmermann, S. 1576 f. Einen rechtsvergleichenden Überblick gibt Lipp in Lipp/Röthel/Windel, S. 53, 61–63. 254 S. z. B. BT-Drucks. 16/6980, S. 9. 253
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net. Auch die Besonderheit, dass häufig ein Kind diejenige Person ist, die die Konsequenzen aus der hinkenden Unterhaltspflicht spüren muss, hebt das Unterhaltsrecht von rein vermögensrechtlichen Verhältnissen ab und erfordert eine erhöhte Stabilität. b) Statusnähe des Unterhaltsrechts Wie bereits erläutert, besteht auch ein Bedürfnis, Entscheidungsdisharmonien hinsichtlich der das Statusverhältnis prägenden Rechtsfolgen zu vermeiden, da diese den Status rechtlich ausformen und der Einzelne sie untrennbar mit dem Status assoziiert. Die Unterhaltspflichten nach der EuUntVO sind insofern eng mit dem Status verbunden, als die Verordnung nur Anwendung findet, wenn die Unterhaltspflicht ihren Grund in einer Familienbeziehung zwischen den Personen hat.255 So regelt Art. 4 Abs. 1 vor allem die wechselseitigen Unterhaltspflichten im Eltern-Kind-Verhältnis (Art. 4 Abs. 1 lit. a bzw. lit. c HUntProt 2007). In Art. 4 Abs. 1 lit. b HUntProt 2007 ist die Unterhaltspflicht anderer Personen als der Eltern gegenüber Personen, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, geregelt. Gemeint sind damit vor allem Großeltern, Geschwister und Stiefeltern,256 sodass auch in diesem Fall eine Rückbindung an das Statusverhältnis besteht. Das Statusverhältnis der Abstammung ist damit formale Voraussetzung für die Anwendung der EuUntVO. Entscheidend ist jedoch nicht allein die formale Verknüpfung zwischen Status und Rechtsfolge. Vielmehr ist zu fordern, dass die Rechtsfolge ihre materielle Legitimation im Statusverhältnis hat und damit grundlegende Wertvorstellungen der Gesellschaft einhergehen. Erst diese materielle Verbindung führt dazu, dass im Falle einer hinkenden Rechtsfolge das Vertrauen des Einzelnen in den Status selbst leidet und die Rechtssicherheit beeinträchtigt wird.257 Der Anordnung einer Unterhaltspflicht liegen nicht nur vermögensrechtliche Erwägungen, sondern gewichtige Wertvorstellungen der Gesellschaft zugrunde. Materielle Legitimation der Unterhaltspflicht ist nämlich die Verantwortung sowie die Einstandspflicht für eine andere Person aufgrund des familienrechtlichen Status.258 Diese in der Regel ohnehin aufgrund der Abstammung bestehende moralische und tatsächliche Verantwortung verrechtlicht der Gesetzgeber, indem er sie auch auf finanzieller Ebene durchsetzt. Dem liegt die gesellschaftliche Vorstellung einer familiären Solidarität zugrunde,259 deren rechtliche Verwirklichung unter anderem durch Geldzahlungen geschieht. 255 Rauscher-Andrae,
Art. 1 EuUntVO Rn. 29 und Art. 1 HUntProt Rn. 8. Art. 4 HUntProt Rn. 14. 257 Dazu schon oben, S. 37 ff. 258 Vgl. auch Lipp in Lipp/Röthel/Windel, S. 53–55, 64 ff. zum deutschen materiellen Recht, was sich angesichts der Anwendungsvoraussetzungen der EuUntVO auf das europäische Kollisionsrecht übertragen lässt. 259 Dazu eingehend Lipp in Lipp/Röthel/Windel, S. 53–83; ders., NJW 2002, 2201 f. 256 Palandt-Thorn,
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Deutlich zeigt sich dies am Kindesunterhalt, den selbst die skandinavischen Länder kennen, die sich im Übrigen wesentlich restriktiver verhalten und keine Unterhaltspflichten für andere Verwandte vorsehen.260 Der Kindesunterhalt legitimiert sich durch die Wertvorstellung, dass Eltern nicht nur für die moralische Erziehung ihre Kinder verantwortlich sind, sondern die Elternverantwortung sich auch auf die finanzielle Daseinsvorsorge erstreckt.261 Wer sich für die Eingehung eines Abstammungsverhältnisses in Gestalt der Mutter- oder Vaterschaft entscheidet, ist sich in der Regel bewusst, dass damit eine dauernde Verantwortung einhergeht. Der Gesetzgeber kann nicht verhindern, dass ein Elternteil sich der moralischen Verantwortung entzieht. Er hat jedoch durch die Schaffung des Kindesunterhalts ein Mindestmaß an verpflichtender Solidarität geschaffen und dadurch jedenfalls die finanzielle Versorgung des Kindes abgesichert. Auch am Beispiel des nachehelichen Unterhalts zeigt sich, dass das Unterhaltsrecht nicht nur vermögensrechtliche Ansprüche regeln will. Wie bereits erwähnt, ist der nacheheliche Unterhalt durch das Leitbild einer „nachehelichen Solidarität“262 geprägt. Der Gesetzgeber will damit „die gemeinsame Verantwortung für die wirtschaftlichen Konsequenzen aus einer während der Ehe gemeinsam getroffenen Entscheidung über die Arbeitsteilung“263 aufrechterhalten. Der nachehelichen Unterhaltspflicht liegen damit gesellschaftliche Wertvorstellungen über Verantwortung und Familie zugrunde. Aus diesen das Unterhaltsrecht prägenden Wertvorstellungen ergibt sich eine besondere Statusnähe des Unterhaltsrechts mit der Folge, dass Entscheidungsdisharmonien im Unterhaltsrecht mittelbar die Rechtssicherheit des Statusverhältnisses selbst gefährden. c) Verordnungsspezifische Aspekte Schließlich spricht auch ein verordnungsspezifischer Grund für einen höheren Stellenwert des internationalen Entscheidungseinklangs im Unterhaltskollisionsrecht. Die EuUntVO enthält selbst keine Kollisionsregeln, sondern verweist auf das Haager Unterhaltsprotokoll als völkerrechtlichen Vertrag. Dadurch weist das europäische Unterhaltsrecht im Gegensatz zum übrigen Verordnungsrecht die Besonderheit auf, dass ein Beitritt weiteren Drittstaaten offensteht. Sie können auf diese Weise am europäischen Kollisionsrecht teilhaben, ohne selbst Mitglied der Europäischen Union zu sein. Je offener sich das HUntProt gegenüber drittstaatlichen Wertungen zeigt, desto attraktiver wird ein Beitritt auch für andere Staaten. Die Achtung des internationalen Entscheidungseinklangs im Unterhaltsrecht stellt in dieser Hinsicht ein wichtiges Signal dar. 260
Schwenzer, RabelsZ 71 (2007), 705, 726 f. Lipp in Lipp/Röthel/Windel, S. 53, 65; Schwenzer, RabelsZ 71 (2007), 705, 725. 262 S. oben S. 50 Fn. 254. 263 Lipp in Lipp/Röthel/Windel, S. 53, 76 f. 261 Vgl.
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d) Ergebnis Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass dem Unterhaltsrecht selbst drei der statusrechtlichen Charakteristika innewohnen: das typische Element der Dauer, die Höchstpersönlichkeit sowie die Zentralität und Stabilität für den Einzelnen vor dem Hintergrund der Daseinsvorsorge. Damit ist zwar noch keine Mehrzahl der oben entwickelten Kriterien erfüllt. Jedoch muss bei einer wertenden Abwägung berücksichtigt werden, dass das traditionelle Statusverhältnis der Abstammung materiell die Legitimationsgrundlage für das Bestehen einer Unterhaltspflicht darstellt und daraus eine besondere Statusnähe des Unterhaltsrechts folgt. Diese Statusnähe führt wiederum zu einer besonderen Bedeutung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs. Schließlich erscheint es auch im Hinblick auf die Steigerung der Attraktivität des HUntProt gegenüber möglichen drittstaatlichen Beitrittskandidaten sinnvoll, dem Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs einen erhöhten Stellenwert beizumessen. Aus diesen Gründen ist es sachgerecht, die EuUntVO als „statusrechtlich“ im oben beschriebenen Sinne einzuordnen. 5. EhegüterVO-E und EPartVO-E Die Entwürfe der EhegüterVO und der EPartVO regeln das Güterrecht für Ehegatten bzw. für eingetragene Partnerschaften. Erfasst sind die zivilrechtlichen Aspekte der ehelichen Güterstände bzw. der vermögensrechtlichen Wirkungen eingetragener Partnerschaften, wozu insbesondere die Verwaltung des Vermögens der Ehe gatten bzw. Lebenspartner im Alltag sowie die güterrechtliche Auseinandersetzung infolge der Trennung des Paares oder des Todes eines Partners gehören (Erwägungsgrund 11 EhegüterVO-E bzw. EPartVO-E). Bei der Ehe handelt es sich um einen klassischen Status im oben definierten Sinne. Auf die umstrittene Frage, ob rein tatsächliche Nähebeziehungen – sog. „Realbeziehungen“264 oder informelle Lebensgemeinschaften 265 – als Statusverhältnisse anerkannt werden sollten, muss hier nicht näher eingegangen werden.266 Jedenfalls die eingetragene Partnerschaft erfüllt nämlich alle Charakteristika des Statusverhältnisses, denn sie ist auf Dauer angelegt sowie nach außen sichtbar, regelt die persönlichen Verhältnisse der natürlichen Personen und zieht bestimmte Rechte und Pflichten nach sich.267 Sowohl die Ehe als auch die eingetragene Partnerschaft stellen damit Statusverhältnisse dar. Wie bereits in der Rom III-VO ist der Begriff der Ehe bzw. der eingetragenen Partnerschaft jedoch nicht Gegenstand der Verordnungen (Erwägungsgrund 10 264
Schwenzer, Vom Status zur Realbeziehung – Familienrecht im Wandel, Baden-Baden 1987. Windel in Lipp/Röthel/Windel, S. 1, 39; Schwab, DNotZ Sonderheft 2001, 9, 40 f. 266 Dazu Röthel, StAZ 2006, 34, 41–42; Windel in Lipp/Röthel/Windel, S. 1, 39–51; ders., StAZ 2006, 125–128. 267 So auch Funken, Anerkennungsprinzip, S. 14; Windel, StAZ 2006, 125, 130; näher Muscheler, Lebenspartnerschaft, Rn. 332–345. 265
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EhegüterVO-E bzw. EPartVO-E); wiederum ist der Bestand des Statusverhältnisses Vorfrage. Folglich regelt die Verordnung nicht den Status Ehe bzw. eingetragene Lebenspartnerschaft selbst. Da die Verordnungen primär auf vermögensrechtliche Folgen des Statusverhältnisses Anwendung finden, könnte man sie als vermögensrechtlich einordnen. Wie bereits im Rahmen des Unterhaltsrechts ausgeführt, sollte allein die finanzielle Komponente jedoch nicht ausschlaggebend sein. Eine Einordnung der güterrecht lichen Fragen als rein vermögensrechtlich würde vernachlässigen, dass zum einen das Güterrecht selbst einige statusrechtliche Kriterien erfüllt und zum anderen die güterrechtlichen Rechtsfolgen das Statusverhältnis entscheidend prägen und ihm durch die Schaffung einer dauerhaften vermögensrechtlichen Komponente erst Konturen verleihen. a) Statusrechtliche Kriterien Das Güterrecht ist insbesondere durch das für Statusverhältnisse typische Element der Dauer geprägt, da der jeweilige Güterstand für die gesamte Zeit, die der Status Ehe bzw. eingetragene Partnerschaft andauert, gilt. Mangels statuslösenden Akts sind folglich auch die güterrechtlichen Folgen des Status auf Lebenszeit angelegt. Wie bereits angedeutet, erfüllt beispielsweise das deutsche Güterrechtsregister (§ 1412 BGB) auch eine Publizitätsfunktion und führt unter bestimmten Voraussetzungen zu einer absoluten Wirkung von Änderungen des Güterstandes gegenüber Dritten. Des Weiteren stabilisiert das Güterrecht die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten bzw. Lebenspartner auf Dauer, schafft insoweit einen Vertrauenstatbestand für die Parteien und ermöglicht ihnen eine rechtssichere Ausgestaltung des Statusverhältnisses. b) Statusnähe des Güterrechts Daneben partizipiert das Güterrecht durch seine Statusnähe an statusrechtlichen Charakteristika des Status Ehe bzw. eingetragene Lebenspartnerschaft. Ebenso wie im Unterhaltsrecht liegt zum einen eine formale Verknüpfung vor, da die Verordnung nur Anwendung findet, wenn der Status Ehe bzw. eingetragene Partnerschaft besteht. Zum anderen prägen die güterrechtlichen Folgen als wesentliche Rechtsfolgen den Status auch auf materieller Ebene entscheidend mit. Das Güterrecht wird insofern auch als „Kernstück des Eherechts“ bezeichnet.268 Die Parteien gehen das Statusverhältnis in dem Bewusstsein ein, dass dies vor allem vermögensrechtliche Folgen hat. So kann – abhängig vom Güterstand – beispielsweise eine neue, von ihren individuellen Vermögen getrennte Vermögensmasse entstehen, die sie gemeinsam verwalten und die im Falle der Beendigung des Statusverhältnisses nach bestimmten Regeln aufgeteilt wird. 268
Schwenzer, RabelsZ 71 (2007), 706, 715 spricht vom „Kernstück des Eherechts“.
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Die materielle Legitimation des Güterrechts lässt sich schwerlich abstrakt ohne Rücksicht auf den jeweiligen Güterstand beschreiben.269 So ist beispielsweise der Grundgedanke des deutschen gesetzlichen Regelfalles der Zugewinngemeinschaft,270 dass ein Ehegatte im Familieninteresse nicht berufstätig ist und daher nicht denselben Beitrag zum gemeinsamen Vermögen leistet wie der vollumfänglich berufstätige Ehegatte. Andererseits wird Letzterem die Berufstätigkeit nur dadurch ermöglicht, dass der nicht berufstätige Partner sich um die Interessen der Familie kümmert. Dieser soll daher bei Beendigung der Ehe in gleichem Maße an dem erwirtschafteten Erfolg partizipieren. Damit liegt dem Güterrecht ähnlich wie dem nachehelichen Unterhalt die Vorstellung zugrunde, dass die Ehegatten gemeinsame Entscheidungen hinsichtlich der Lebensplanung treffen, die für sie nicht unwesentliche vermögensrechtliche Konsequenzen haben können. Diese gemeinsame Verantwortung spiegelt sich im güterrechtlichen Modell wider, das vor allem die ungestörte Ausgestaltung der familienrechtlichen Beziehungen auf ideeller Ebene, etwa die Kindererziehung, ermöglicht.271 Den einzelnen Güterrechtsmodellen wohnen dabei typische Leitbilder der Ehe bzw. der eingetragenen Partnerschaft inne, von denen der Gesetzgeber aufgrund gesellschaftlicher Erfahrungen und erforderlicher Typisierungen ausgeht.272 Alle europäischen Staaten gehen von einer Solidarität der Ehegatten aus, wenn sie auch im Güterrecht unterschiedlich realisiert wird.273 Damit verkörpert das Güterrecht, unabhängig von der Ausgestaltung des gesetzlichen Regelgüterstandes, naturgemäß auch gesellschaftliche Gerechtigkeitsvorstellungen. Für den Einzelnen entsteht dadurch auf materieller Ebene eine starke Verknüpfung zwischen dem Status und dem Güterrecht. Hinkt eine güterrechtliche Rechtsfolge, werden Gerechtigkeitsvorstellungen, die das eheliche Leben und die während der Ehe getroffenen Entscheidungen maßgeblich geprägt haben, enttäuscht. Es leidet damit auch die Rechtssicherheit des Status selbst, wenn sich der Einzelne nicht darauf verlassen kann, dass die tatsächliche Ausgestaltung der Ehe und das Erbringen von einzelnen Beiträgen – seien sie finanzieller oder ideeller Art – im Güterrecht in angemessener Weise berücksichtigt wird. Daher besteht auch im Güterrecht ein erhöhtes Bedürfnis, internationalen Entscheidungseinklang zu erzielen und hinkende Rechtsverhältnisse zu vermeiden.
269 S. zu einem europäisch-rechtsvergleichenden Überblick über die einzelnen Güterrechts modelle und gesetzlichen Regelfälle Pintens in Basedow/Hopt/Zimmermann, S. 350–354. 270 Zum Folgenden MüKo-Koch, Vorbemerkungen §§ 1363 ff. BGB Rn. 7 f. 271 Staudinger-Thiele, Vorbem. zu § 1371 BGB Rn. 4 sieht in den Instituten des Güterrechts die „Lebens- und Schicksalsgemeinschaft“ der Ehegatten verwirklicht. 272 Vgl. MüKo-Koch, Vorbemerkungen §§ 1363 ff. BGB Rn. 3. 273 S. Pintens in Basedow/Hopt/Zimmermann, S. 353.
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c) Verordnungsspezifische Aspekte Schließlich spricht auch ein verordnungsspezifischer Grund für ein höheres Gewicht des internationalen Entscheidungseinklangs. Zwischen Ehegüterrecht und Scheidungsrecht besteht nämlich ein innerer Zusammenhang, da gerade die Trennung zu einer güterrechtlichen Auseinandersetzung führt. Im Interesse der Kohärenz des europäischen Verordnungsrechts erscheint es daher sinnvoll, kollisionsrechtliche Gesetzgebungsziele in den verwandten Bereichen ähnlich zu gewichten. d) Ergebnis Dass im Güterrecht selbst einige statusrechtliche Kriterien verwirklicht sind und es zusätzlich eine besondere Nähe zum Status Ehe bzw. eingetragene Lebenspartnerschaft aufweist, rechtfertigt eine Einordnung der Verordnungsentwürfe als statusrechtlich. Auf diese Weise wird zudem Wertungskohärenz zur Rom III-VO hergestellt. 6. EuErbVO Die EuErbVO regelt die Rechtsnachfolge von Todes wegen in Art. 3 Abs. 1 lit. a als „jede Form des Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten von Todes wegen, sei es im Wege der gewillkürten Erbfolge durch eine Verfügung von Todes wegen oder im Wege der gesetzlichen Erbfolge“. Dies beinhaltet sowohl für den Erblasser als auch den Erben naturgemäß vermögensrechtliche Konsequenzen, was für eine Einordung als vermögensrechtlich spricht. Hinzu kommt, dass die Eigenschaft als Erbe keinen Status im traditionellen Sinne darstellt, sodass die EuErbVO – anders als die Rom III-VO, die EuUntVO sowie der EhegüterVO-E und der EPartVO-E – nicht einmal das Bestehen eines Statusverhältnisses voraussetzt. Dennoch ist die EuErbVO als statusrechtlich einzuordnen, da das Erbrecht erstens einige statusrechtliche Charakteristika aufweist. Zweitens besteht zwischen dem Erbrecht – ähnlich wie im Unterhalts- und Güterrecht – und dem traditionellen Statusverhältnis der Abstammung eine enge Verknüpfung. Drittens führen im Bereich der EuErbVO gewichtige verordnungsspezifische Gründe zu einer erhöhten Bedeutung des internationalen Entscheidungseinklangs. a) Statusrechtliche Kriterien Betrachtet man die dargestellten Merkmale eines Statusverhältnisses im Unterschied zu einem reinen Vermögensverhältnis, fällt zunächst auf, dass die Einsetzung eines Erben oftmals viele Jahre im Voraus erfolgt und damit auch dem Erbrecht ein Element der Dauer innewohnt. Dem Erblasser ist daran gelegen, dass er seine Angelegenheiten möglichst dauerhaft, rechtssicher und vorhersehbar regeln kann. Insofern entfaltet das Erbrecht für den Erblasser eine stabilisierende Funktion dergestalt, dass er sich zu Lebzeiten sorgenfrei darauf verlassen kann, dass seine
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Angelegenheiten nach dem Tode in seinem Sinne geregelt sein werden. Daneben wohnt dem Erbrecht eine zentrale Bedeutung für den Einzelnen inne: Der Erblasser übt durch die Errichtung eines Testaments seine durch Art. 14 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte Testierfreiheit274 aus, die als Ausprägung der Privatautonomie einen starken Bezug zu den Persönlichkeitsrechten des Erblassers hat.275 Da die Testierfreiheit als höchstpersönliches und unübertragbares Recht angesehen wird,276 verwirklicht das Erbrecht beispielsweise in §§ 2064 f. BGB auch das für Statusverhältnisse typische höchstpersönliche Element. Bei der Testamentsgestaltung besteht schließlich auch ein erhöhtes Bedürfnis nach Rechtssicherheit für die Praxis, insbesondere für Notare.277 Das Entstehen von hinkenden Rechtsverhältnissen beeinträchtigt insofern die Planbarkeit der Gestaltung. b) Statusnähe des Erbrechts Außerdem weist die EuErbVO insofern eine Statusnähe auf, als das materielle Erbrecht zahlreicher Mitgliedstaaten typischerweise in vielen Rechtsfragen auf Statusverhältnisse verweist und daher sehr stark „statusorientiert“278 ist. So knüpft beispielsweise das deutsche Erbrecht im Falle der gesetzlichen Erbfolge in den §§ 1924 ff. BGB an das Statusverhältnis der Abstammung an. Gleiches gilt für das Pflichtteilsrecht in §§ 2303 ff. BGB.279 Daher wird im erbrechtlichen Kontext auch von der „Familiengebundenheit des Vermögens“280 gesprochen. Gemeint ist dabei, dass die Schaffung von Vermögenswerten sowohl ideell (z. B. durch Erziehung) als auch wirtschaftlich (z. B. finanzielle Förderung) durch Familienangehörige ermöglicht wird, woraus die Motivation folgt, diese Verbindung von Familie und Vermögen über den Tod des Erblassers hinaus zu wahren.281 Die materielle Legitimation von Pflichtteilsrecht und der gesetzlichen Erbfolge findet sich damit – wie auch schon im Falle der Unterhaltspflichten und des Güterrechts – im Status selbst.282 Die Anknüpfung der Erbfolge an die Statusbeziehung ist darin begründet, dass ein „gesamtgesellschaftliche[s] Interesse an beständigen und verlässlichen […] Solidar beziehungen“283 besteht. Die europäische Mehrheit der Mitgliedstaaten verfährt
274
Maunz/Dürig-Papier, Art. 14 GG Rn. 303 f. Vgl. MüKo-Leipold, Einleitung zum Erbrecht Rn. 17 f., 32 f.; s. auch Goebel, Testierfreiheit als Persönlichkeitsrecht. 276 MüKo-Leipold, § 2064 BGB Rn. 1. 277 Dazu Dörner/Hertel/Lagarde/Riering, IPRax 2005, 1, 2 f. 278 Begriff von Röthel in Lipp/Röthel/Windel, S. 85, 106. 279 Darauf hinweisend Röthel in Lipp/Röthel/Windel, S. 85, 106. 280 Staudinger-Otte, Einleitung zum Erbrecht Rn. 51–53; der Begriff stammt ursprünglich von von Gierke, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, S. 512, 536. 281 Staudinger-Otte, Einleitung zum Erbrecht Rn. 51, der daher auch von „Familienerbrecht“ spricht. 282 Röthel in Lipp/Röthel/Windel, S. 85, 105 f. 283 Röthel, JZ 2011, 222, 223. 275
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ebenso, indem ihre Rechtsordnungen die gesetzlichen Erbrechte284 und Pflichtteilsansprüche an den Status anknüpfen 285 und nur allmählich und in einigen Staaten eine Öffnung zugunsten von Realbeziehungen, beispielsweise nichtehelichen Lebensgemeinschaften, stattfindet.286 Die EuErbVO bestimmt zwar nicht nur das anwendbare Recht für die gesetzliche, sondern auch für die gewillkürte Erbfolge, die nicht notwendigerweise mit einem familienrechtlichen Statusverhältnis zusammentrifft, sondern vom Willen des Erblassers abhängt. Jedoch entfaltet erstens die gesetzliche Erbfolge eine höhere praktische Relevanz, da in der deutlichen Mehrzahl der Erbfälle die gesetzliche Erbfolge Anwendung findet.287 In der Rechtswirklichkeit hat daher die Statusnähe des Erbrechts eine hohe Bedeutung. Zweitens existieren selbst in Fällen der gewillkürten Erbfolge gewisse Schranken, die die Testierfreiheit des Erblassers begrenzen. Im deutschen Recht dient beispielsweise die Testamentsanfechtung gemäß §§ 2078 f. BGB hauptsächlich dem Schutz der Anfechtungsberechtigten, also in den meisten Fällen der gesetzlichen Erben 288 bzw. in § 2079 BGB dem Schutz des Pflichtteilsberechtigten, zu dem eine besondere Pflichtenbindung aufgrund des familienrecht lichen Statusverhältnisses besteht.289 Auch das bereits angesprochene Gebot der Höchstpersönlichkeit der Erbenbestimmung in §§ 2064, 2065 BGB wird häufig als Ausdruck der besonderen Verbindung des Erblassers zu seinen Familienmitgliedern gesehen, da der Erblasser bei einer Testamentserrichtung im Gegensatz zu einem Dritten die besondere Verantwortung spürt, die er gegenüber seinen Angehörigen trägt, und diese bei der Testierung zumindest berücksichtigen soll, wenn er von der gesetzlichen Erbfolge abweicht.290 Das Beispiel des Pflichtteilsrechts (§§ 2303 ff. BGB) schließlich zeigt am deutlichsten, dass der Testierfreiheit Grenzen gezogen sind, um den Familienangehörigen einen Mindestanteil am Nachlass zu gewähren und so einen gewissen Grad familiärer Solidarität zu verwirklichen.291 Schließlich 284 Überblicksartige Darstellung bei Kroppenberg in Basedow/Hopt/Zimmermann, S. 410–412 zur gesetzlichen Erbfolge bzw. S. 1156 zum Pflichtteilsrecht; s. auch Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 498–502. 285 Ausführliche Einzeldarstellungen in Henrich/Schwab, Familienerbrecht. 286 Näher zu dieser Entwicklung Martiny, FPR 2010, 399–405; Röthel, Stiftungsrecht, S. 119– 137. 287 Röthel in Lipp/Röthel/Windel, S. 85, 97: „rund 80 %“; Kroppenberg, NJW 2010, 2609: etwa zwei Drittel. 288 BGH v. 18.11.1954, BGHZ 15, 199, 200; MüKo-Leipold, § 2078 BGB Rn. 1–2; a. A. Röthel in Lipp/Röthel/Windel, S. 85, 94 f., die den primären Zweck des § 2078 BGB darin sieht, den unverfälschten Willen des Erblassers zu garantieren, wohingegen sie in § 2079 ebenfalls den Ausdruck einer familialen Pflichtenbindung sieht. 289 Röthel in Lipp/Röthel/Windel, S. 85, 95; MüKo-Leipold, § 2079 BGB Rn. 2. 290 Vgl. Staudinger-Otte, § 2065 BGB Rn. 2 m. w. N.; a. A. Röthel in Lipp/Röthel/Windel, S. 85, 96, die den Hauptzweck der Regelung wiederum darin sieht, den wirklichen Willen des Erblassers zu sichern und damit einen legitimen Berufungsgrund zu schaffen. 291 Vgl. MüKo-Lange, § 2303 BGB Rn. 1; Staudinger-Haas, Einleitung zu §§ 2303 ff. BGB Rn. 1; Oechsler, AcP 200 (2000), 603, 610 f.; Röthel in Lipp/Röthel/Windel, S. 85, 89–92, 97.
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werden auch auf kollisionsrechtlicher Ebene die Rechtswahlmöglichkeiten des Erblassers durch Art. 22 EuErbVO eingeschränkt, um die Angehörigen zu schützen.292 Damit zeigt sich im Erbrecht nicht nur im Bereich der gesetzlichen Erbfolge eine enge Rückbindung an Statusverhältnisse. Vielmehr ist dem Erbrecht auch bei der gewillkürten Erbfolge eine Statusnähe zu attestieren, da der Zweck zahlreicher Regelungen darin besteht, das „familienrechtliche Band“293 auch in der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung aufrechtzuerhalten und eine durch das Statusverhältnis vermittelte Solidarität zu verwirklichen. Die genannten Beispiele stammen zwar aus dem deutschen Recht, jedoch gilt auch in vielen anderen europäischen Rechtsordnungen, dass das materielle Erbrecht sowohl in der gesetzlichen als auch in der gewillkürten Erbfolge eine starke Statusnähe aufweist,294 wenn auch im Falle der gewillkürten Erbfolge der europäische Trend dahin geht, die Beschränkungen der Testierfreiheit zugunsten der Familienmitglieder langsam abzubauen.295 Beschränkungen wie das Pflichtteilsrecht bzw. in anderen Ländern das materielle Not erbrecht,296 das dieselbe Funktion erfüllt, bestehen aber noch fort und drücken auch im Bereich der gewillkürten Erbfolge einen gewissen Grad familiärer Solidarität aus.297 Insofern kann durchaus von einem europäischen Konsens dahingehend gesprochen werden, dass eine enge Verbindung zwischen Erbrecht und familienrechtlichen Statusverhältnissen besteht. c) Verordnungsspezifische Aspekte aa) Vermeidung von Konflikten mit dem Sachenrechtsstatut Ein weiterer Grund für ein erhöhtes Bedürfnis nach internationalem Entscheidungseinklang liegt in der notwendigen Abstimmung zwischen internationalem Sachen- und Erbrecht, da beide Bereiche eng verzahnt sind. Typischerweise sind insbesondere Grundstücke eng mit dem Belegenheitsort verbunden, sodass der Belegenheitsstaat diese meist der lex rei sitae unterwirft.298 Im Falle einer Kollision zwischen Erbstatut und Sachenrechtsstatut besteht für den Erben die Gefahr, dass sein Erbrecht an dem Grundstück nach der lex rei sitae kollisionsrechtlich nicht anerkannt wird und er seine Rechte nicht durchsetzen kann.299 Aus dieser empfindlichen Konsequenz folgt ein besonderes Bedürfnis, Entscheidungseinklang mit der lex rei sitae herzustellen, um die Durchsetzbarkeit der Rechte des Erben zu erreichen. Entscheidungseinklang kann insbesondere erzielt werden, indem den beson292 S.
Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 502–505. Röthel in Lipp/Röthel/Windel, S. 85, 90. 294 S. 58 Fn. 284, 285. 295 Vgl. Kroppenberg in Basedow/Hopt/Zimmermann, S. 1483 f. 296 In Belgien, Griechenland, Italien, Spanien und Portugal, s. dazu Kroppenberg in Basedow/ Hopt/Zimmermann, S. 1156. 297 Kroppenberg in Basedow/Hopt/Zimmermann, S. 1156 f. 298 S. Art. 43 Abs. 1 EGBGB im deutschen Kollisionsrecht. 299 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 9 Rn. 61. 293
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deren Verkehrsinteressen des Lageortes der Vorrang eingeräumt wird und ausnahmsweise die Erbfolge der lex rei sitae anstatt dem erbrechtlichen Gesamtstatut unterliegt.300 Auf die einzelnen Instrumente, die in diesen Fällen Entscheidungseinklang erzielen können, wird später noch einzugehen sein. bb) Abstimmungsprobleme beim Europäischen Nachlasszeugnis Schließlich wird ein weiterer Faktor deutlich, der für ein erhöhtes Gewicht des Prinzips des Entscheidungseinklangs spricht, wenn man die Regelungen zum Europäischen Nachlasszeugnis und die drohenden Abstimmungsprobleme betrachtet. Das Nachlasszeugnis soll laut Erwägungsgrund 67 der EuErbVO eine „zügige, unkomplizierte und effiziente Abwicklung einer Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug“ gewährleisten, indem jeder Berechtigte seinen Status in einem anderen Mitgliedstaat, etwa dem Belegenheitsstaat, ohne große Schwierigkeiten durch das Europäische Nachlasszeugnis nachweisen kann. Damit fällt das Erfordernis weg, in verschiedenen Mitgliedstaaten den jeweiligen nationalen Erbnachweis zu beantragen, wodurch Zeit und Kosten erspart werden.301 Dieser europaweite Nachweis kann seine Funktion nur erfüllen, wenn jeder Mitgliedstaat bei der Ausstellung des Nachlasszeugnisses zum selben Ergebnis bezüglich der Stellung als Berechtigter, insbesondere auch im Hinblick auf die Erbteile, gelangt. Entscheidend wird hier wiederum häufig die statusrechtliche Vorfrage sein.302 Insofern kann auch eine „hinkende Erbenstellung“ praktische Konsequenzen haben und die intendierte Funktion des Europäischen Nachlasszeugnisses vereiteln. Es besteht daher ein erhöhtes Bedürfnis, Entscheidungsdisharmonien im Rahmen der EuErbVO zu vermeiden, um das neu eingeführte Instrument des Europäischen Nachlasszeugnisses nicht seiner Effektivität zu berauben.303 d) Ergebnis Da das Erbrecht mehrere statusrechtliche Kriterien erfüllt und darüber hinaus aufgrund der materiellen Statusorientierung eine besondere Statusnähe aufweist, ist die EuErbVO als statusrechtlich einzuordnen. Folglich besteht eine Vermutung für den Vorrang des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs gegenüber anderen Gesetzgebungszielen. Die Vorrangvermutung wird in der EuErbVO durch die drohenden Anwendungskonflikte mit der lex rei sitae und die unerwünschten Abstimmungsprobleme mit dem Europäischen Nachlasszeugnis noch verstärkt.
300
So verfährt etwa Art. 3a Abs. 2 EGBGB; dazu ausführlich im 6. Kapitel, S. 300 ff. Lange, DNotZ 2012, 168 f. 302 Zur Vorfragenanknüpfung im Rahmen der EuErbVO unten, S. 231 f. 303 S. zu diesem Zusammenhang Dörner, ZEV 2012, 505, 512 f.; Dutta, FamRZ 2013, 4, 14 f.; s. auch Henrich, FS Schurig, S. 63, 64 f.; Palandt-Thorn, Art. 1 EuErbVO Rn. 5. 301 Näher
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III. Ausblick Wie bereits angedeutet, sollte für die Zwecke des internationalen Entscheidungseinklangs der Begriff „statusrechtlich“ nicht auf familien- und erbrechtliche Bereiche begrenzt werden. Da der europäische Gesetzgeber langfristig eine Harmonisierung des gesamten Kollisionsrechts anstrebt, bietet sich ein kurzer Ausblick an, welche ausgewählten Rechtsgebiete die entwickelten statusrechtlichen Charakteristika aufweisen. Hier wird sich auch zeigen, dass graduelle Abstufungen hinsichtlich des Verwirklichungsgrades der Kriterien auftreten können, was einer Einordnung als statusrechtlich nicht a priori entgegensteht. Um diese graduellen Unterschiede zu verdeutlichen, wurden für den folgenden Ausblick drei noch unvereinheitlichte Rechtsgebiete ausgewählt: das Namensrecht als traditionelles Statusverhältnis, das Gesellschaftsrecht als eher statusnahe Materie und schließlich das Sachenrecht als eng an der Grenze zum Vermögensrecht liegendes Gebiet. 1. Namensrecht Der Name einer Person ist Status im traditionellen Sinne, der daher auch alle hier entwickelten statusrechtlichen Kriterien erfüllt. Der Name haftet einer Person dauerhaft an, ist offen für jeden erkennbar, wirkt absolut, hat für den Einzelnen eine zentrale und identitätsstiftende Wirkung, ist höchstpersönlich und erfüllt eine Ordnungsaufgabe innerhalb der Gesellschaft. Daraus resultiert ein erhöhtes Bedürfnis nach Stabilität und Rechtssicherheit. Hinkende Namensverhältnisse sind daher dringend zu vermeiden. Bislang fehlt es jedoch an einem vereinheitlichten europäischen Kollisionsrecht hinsichtlich des Namens. Dies ist insofern misslich, als jeder Mitgliedstaat den Namen unterschiedlich anknüpfen kann und auf diese Weise Entscheidungsdisharmonien entstehen können. Beeinträchtigt wird nicht nur der internationale, sondern auch der europäische Entscheidungseinklang. Der EuGH sah sich angesichts der Dringlichkeit der Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse daher bereits mehrfach gezwungen, die Mitgliedstaaten zur Anerkennung des in einem anderen Mitgliedstaat registrierten Namens zu verpflichten.304 Anfang des Jahres 2014 haben einige Wissenschaftler einen privaten Entwurf für eine EU-Verordnung auf dem Gebiet des internationalen Namensrechts vorgelegt.305 Der Vorschlag wird in Zukunft als Diskussionsgrundlage dienen und die Entwicklung allgemeiner namensrechtlicher Grundsätze fördern. Es erscheint derzeit jedoch wenig wahrscheinlich, dass der europäische Gesetzgeber diesen Vorschlag unverändert übernehmen wird. Der private Verordnungsvorschlag soll daher nicht Gegenstand der folgenden Untersuchung sein. Zu erwähnen bleibt für die zukünfti304 305
Dazu schon oben, S. 26 Fn. 149. Dutta/Frank/Freitag/Helms/Krömer/Pintens, StAZ 2014, 33, 43 f.
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ge Debatte nur, dass dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs im statusrechtlichen Gebiet des Namensrechts eine erhöhte Bedeutung beigemessen werden sollte. Ob der private Verordnungsvorschlag dem gerecht wird, erscheint angesichts des gänzlichen Ausschlusses des renvoi (Art. 7 des Vorschlags) und des Grundsatzes der Sachnormverweisung auf interlokaler Ebene (Art. 9 des Vorschlags) zweifelhaft. Die weitere Entwicklung der Gesetzgebung auf europäischer Ebene bleibt abzuwarten. 2. Gesellschaftsrecht Auch das internationale Gesellschaftskollisionsrecht ist auf europäischer Ebene bislang nicht vereinheitlicht. Nach Vorarbeiten durch den Deutschen Rat des IPR 306 hat das Bundesministerium der Justiz am 8.1.2008 einen Referentenentwurf für ein „Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, juristischen Personen und Vereine“ vorgelegt. Der Entwurf konnte sich politisch jedoch nicht durchsetzen.307 Traditionell gibt es im internationalen Gesellschaftsrecht im Wesentlichen zwei Anknüpfungsmöglichkeiten: die Anwendung der Rechtsordnung, nach der die juristische Person bzw. die Gesellschaft gegründet wurde (Gründungstheorie), oder die Anknüpfung an die Rechtsordnung, in deren Geltungsbereich die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat (Sitztheorie).308 Während in Deutschland und zahlreichen anderen europäischen Staaten die Sitztheorie herrschte,309 hat der EuGH durch eine Reihe von Urteilen310 vorgegeben, dass jedenfalls im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 und Art. 54 AEUV das Gründungsrecht der Gesellschaft maßgeblich ist. Die Gründungstheorie gilt in Deutschland mittlerweile außerdem gegenüber Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums311 mit Ausnahme der Schweiz312 sowie gegenüber einer Reihe von Drittstaaten durch Staatsverträge.313 Im Verhältnis zu allen anderen Drittstaaten hält der BGH jedoch an der Sitztheorie fest.314 Vorteil der Gründungstheorie ist vor allem die Steigerung der Verkehrsfähigkeit einer Gesellschaft. Bei einer Sitzverlegung ins Ausland besteht nicht mehr die Gefahr, dass der Sitzstaat eine nach Gründungsrecht rechtsfähige Gesellschaft nicht 306 Dazu
Sonnenberger, Reform des Gesellschaftsrechts. S. Palandt-Thorn, Anhang zu Art. 12 EGBGB Rn. 2. 308 Eingehend zu den Theorien und einzelnen Spielarten MüKo-Kindler, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 359–425. 309 S. dazu von Hein in Basedow/Hopt/Zimmermann, S. 739. 310 S. oben, S. 26 Fn. 148. 311 BGH v. 19.9.2005, NJW 2005, 3351. 312 BGH v. 27.10.2008, IPRax 2009, 259. 313 S. die Übersicht bei MüKo-Kindler, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rn. 328 f.; im Verhältnis zu den USA gilt Art. XXV Abs. 5 des deutsch-amerikanischen Freundschaftsvertrages, s. dazu BGH v. 29.1.2003, BGHZ 153, 353. 314 BGH v. 27.10.2008, IPRax 2009, 259. 307
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anerkennt. Die Gesellschaft überlebt eine grenzüberschreitende Sitzverlegung und existiert im Sitzstaat in der Rechtsform, in der sie gegründet wurde, fort. Das Auftreten von Entscheidungsdisharmonien und hinkenden Gesellschaften wird auf diese Weise vermieden. Der EuGH scheint mit dieser Rechtsprechung im europäischen Gesellschaftsrecht dem internationalen Entscheidungseinklang einen hohen Stellenwert beizumessen. Das Gesellschaftsrecht ist zwar kein Statusrecht im traditionellen Sinne, da es nicht den Status einer natürlichen Person regelt. Wie bereits angedeutet, ist dies für die Zwecke des internationalen Entscheidungseinklangs jedoch nicht erforderlich. Ausreichend wäre vielmehr, wenn eine Mehrzahl der entwickelten statusrechtlichen Kriterien erfüllt wäre. Geprüft werden soll dies im Folgenden lediglich anhand des deutschen materiellen Gesellschaftsrechts, da eine rechtsvergleichende Untersuchung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde und ohnehin noch kein vereinheitlichtes Kollisionsrecht besteht, das europäisch-autonom auszulegen wäre. Das Element der Dauer ist weniger stark ausgeprägt als in den familienrechtlichen Statusverhältnissen. Eine Gesellschaft wird zwar zunächst auf unbeschränkte Dauer errichtet und nur aufgrund eines besonderen Aktes – insbesondere erst nach vollständiger Liquidation – beendet. Einem Gesellschaftsverhältnis liegt aber nicht dieselbe Erwartung einer lebenslangen Dauer zugrunde, die für Ehe, Abstammung und Name charakteristisch ist. Es entspricht vielmehr den Interessen des Wirtschaftsverkehrs, dass täglich eine Vielzahl von Gesellschaften gegründet und auch wieder beendet wird. Sogar stärker als im Familienrecht sind jedoch die Kriterien der Absolutheit und der Publizität verwirklicht. Eine Gesellschaft kann ebenso wie eine natürliche Person am Rechtsverkehr teilnehmen, sie ist rechtsfähig gegenüber jedermann. Publizität und Transparenz werden im deutschen Gesellschaftsrecht durch das Handelsregister vermittelt,315 in das Kaufleute (§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 29 HGB), Handelsgesellschaften (§§ 106, 108 HGB für die oHG, § 162 für die KG)316 und juristische Personen (§ 59 BGB für den Verein, §§ 7 ff. GmbHG für die GmbH, §§ 36 ff. AktG für die AG) einzutragen sind. In das Handelsregister sind dabei nicht nur die Gründung einer Gesellschaft, sondern auch weitere für den Rechtsverkehr bedeutsame Tatsachen wie beispielsweise Satzungsänderungen (§ 54 GmbHG, § 181 AktG) einzutragen. Im GmbH-Recht kann aufgrund der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste (§ 40 GmbHG) sogar ein gutgläubiger Erwerb von Gesellschaftsanteilen stattfinden (§ 16 GmbHG). Lediglich die GbR ist nicht in ein Register einzutragen, für sie wird dennoch eine Publizitätswirkung erreicht, indem Scheingesellschafter nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung haften.317 315 S. zur Handelsregisterpraxis in anderen Mitgliedstaaten Holzborn/Israel, NJW 2003, 3014– 3020. 316 Für Genossenschaften existiert stattdessen das Genossenschaftsregister (§§ 10 ff. GenG), für Partnerschaftsgesellschaften das Partnerschaftsregister (§§ 4 f. PartGG). 317 Dazu MüKo-Ulmer/Schäfer, § 705 BGB Rn. 380.
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
Betrachtet man die Kriterien der Zentralität und Stabilität, lässt sich zunächst feststellen, dass das Gesellschaftsrecht, das eher wirtschaftliche Beziehungen zum Gegenstand hat, keine intimen und identitätsstiftenden Verhältnisse vermittelt und insofern nicht mit den familienrechtlichen Statusverhältnissen vergleichbar ist. Das Gesellschaftsrecht ist aber geprägt von gläubigerschützenden Erwägungen und vermittelt – insbesondere auch über die Publizitätsvorschriften – einen besonderen Verkehrsschutz. Es wird als misslich empfunden, wenn eine Gesellschaft am Rechtsverkehr teilnimmt, Rechtsbeziehungen begründet und insofern Vertrauenstatbestände schafft, und sich später herausstellt, dass die Gesellschaft nicht wirksam gegründet worden und daher keine rechtsfähige Person ist. Um den Rechtsverkehr und die Gesellschafter zu schützen, wurde aus diesem Grund im deutschen Recht die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft entwickelt, wonach ein nichtiges Gesellschaftsverhältnis nur für die Zukunft aufgelöst werden kann, während bereits getätigte Rechtsgeschäfte als wirksam behandelt werden.318 Diese Erwägungen zeigen, dass im Gesellschaftsrecht ebenfalls ein besonderes Bedürfnis nach Stabilität besteht. Der Grund dafür liegt – anders als im Familienrecht – nicht in der sozialpsychologischen Zentralität für den Einzelnen, sondern in der gesteigerten Bedeutung des Verkehrsschutzes. Das Element der Höchstpersönlichkeit ist weniger stark ausgeprägt als in den familienrechtlichen Statusverhältnisen, wobei sich jedoch eine Differenzierung zwischen Körperschaften einerseits und Personengesellschften andererseits anbietet. Insbesondere im Recht der Körperschaften kann frei über Gesellschaftsanteile verfügt werden (z. B. § 15 Abs. 1 GmbHG). Für die GbR als Grundtypus einer Personengesellschaft bestimmt § 719 Abs. 1 BGB zwar, dass ein Gesellschafter nicht frei über seinen Anteil verfügen kann. Mittlerweile ist jedoch anerkannt, dass ein Gesellschafter einer GbR seinen Anteil auf eine andere Person übertragen kann, ohne dass ein Austritt des alten und ein Eintritt des neuen Gesellschafters nötig sind.319 Dennoch bedarf die Verfügung der Zustimmung der übrigen Gesellschafter,320 wodurch eine erhöhte Bindung der Anteile an die Personen der Gesellschafter bewirkt wird. Gesetzliches Leitbild im Personengesellschaftsrecht ist außerdem, dass Entscheidungen der Gesellschafter einstimmig statt mehrheitlich zu ergehen haben (s. etwa § 119 Abs. 1 i. V. m. § 161 Abs. 2 HGB, § 709 Abs. 1 BGB). Diese Vorschriften sind jedoch weitgehend dispositiv, wodurch die persönliche Bindung wiederum eingeschränkt werden kann. Im Recht der Körperschaften sind dagegen schon nach dem gesetzlichen Leitbild Mehrheitsentscheidungen zulässig (s. § 47 Abs. 1 GmbHG, § 133 Abs. 1 AktG). Schließlich gilt im Personengesellschaftsrecht zwingend das Prinzip der Selbstorganschaft,321 wonach eine Gesellschaft nur durch einen persönlich haftenden Gesellschafter vertreten werden kann. Auch hier zeigt 318
S. Staudinger-Habermeier, § 705 BGB Rn. 63–70 m. w. N. Dazu MüKo-Schäfer, § 719 BGB Rn. 21 ff. 320 Eingehend Staudinger-Habermeier, § 719 BGB Rn. 8 –10. 321 S. MüKoHGB-K. Schmidt, § 125 HGB Rn. 6. 319
G. Bedeutung des Entscheidungseinklangs im Vermögensrecht und Statusrecht
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sich die stärkere persönliche Bindung an die Person der Gesellschafter, da diese – anders als im Recht der Körperschaften – grundsätzlich unbeschränkt haften. Jedenfalls im Personengesellschaftsrecht ist damit das Element der Höchstpersönlichkeit verwirklicht, wenn auch – insbesondere durch die weitgehende Disposivität322 der Normen – im Vergleich zu den familienrechtlichen Statusverhältnissen in abgeschwächter Form. Schließlich erfüllt das Gesellschaftsrecht auch eine Ordnungsaufgabe. Es bietet sich hier an, den Begriff der „personalen Binnenkoordination“323 wieder aufzugreifen und ihn nicht auf natürliche Personen zu beschränken. Das Gesellschaftsrecht nimmt eine solche Koordination vor, indem es juristischen Personen unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsfähigkeit verleiht und ihnen die Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglicht. Im Ergebnis zeigt sich, dass auch das Gesellschaftsrecht eine Mehrzahl der entwickelten statusrechtlichen Kriterien erfüllt, wenn auch hinsichtlich der Elemente der Höchstpersönlichkeit und der Dauer im Vergleich zum Familienrecht eine graduelle Abstufung zu beobachten ist. Wie gezeigt, ergibt sich ein gesteigertes Bedürfnis nach Stabilität im Gesellschaftsrecht insbesondere aus Verkehrsschutz erwägungen. Der Verwirklichungsgrad der Kriterien hängt letztlich von der konkreten Gesellschaftsform und ihrer gesetzgeberischen Ausgestaltung ab. Jedenfalls ergibt sich aus der Einordnung als „statusrechtlich“ eine erhöhte Bedeutung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs im Vergleich zu rein vermö gensrechtlichen Beziehungen. Dass die Elemente der Dauer und der Höchstper sönlichkeit in geringerem Maße erfüllt sind, lässt sich berücksichtigen, indem geringere Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung für den Vorrang des internationalen Entscheidungseinklangs gestellt werden. In einer konkreten gesetz geberischen Abwägung sollte es damit mit geringerem Begründungsaufwand möglich sein, anderen Gesetzgebungsinteressen den Vorzug zu geben als im Familienrecht. Angesichts der Einordnung als „statusrechtlich“ besteht jedoch im Vergleich zu rein vermögensrechtlichen Beziehungen eine erhöhte Begründungslast. Folglich ist es sachgerecht, dass der EuGH mit der Gründungstheorie dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs im Gesellschaftsrecht eine erhöhte Bedeutung beimisst. Wünschenswert wäre dennoch eine Harmonisierung des Kollisionsrechts, da gegenüber Drittstaaten ohne staatsvertragliches Verhältnis noch immer die Sitztheorie gilt. Derzeit sind noch weitere Fragen offen, beispielsweise die Frage, wie mit gesellschaftsrechtlichen Eingriffsnormen des Sitzstaates zu verfahren ist.324 Eine Vereinheitlichung des Gesellschaftskollisionsrechts wäre daher der Rechtssicherheit zuträglich und könnte die Kohärenz des Verordnungs322 Es existiert jedenfalls ein zwingender Kern des Prinzips der Selbstorganschaft dahingehend, dass die Vertretungsmacht persönlicher Gesellschafter durch den Gesellschaftsvertrag nicht vollkommen abbedungen werden kann, s. dazu MüKoHGB-K. Schmidt, § 125 HGB Rn. 6. 323 S. oben, S. 4 4 Fn. 235. 324 Vgl. Palandt-Thorn, Anhang zu Art 12 EGBGB Rn. 6.
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
rechts fördern, wenn bei der Kodifizierung der allgemeinen Fragen eine in sich stimmige und vergleichende Abwägung der widerstreitenden Gesetzgebungsziele stattfände. 3. Sachenrecht Auch das internationale Sachenrecht ist derzeit nicht vereinheitlicht und in naher Zukunft ist eine Harmonisierung nicht zu erwarten.325 Üblicherweise wird zum Zwecke des Verkehrsschutzes an den Belegenheitsort der Sache (s. Art. 43 EGBGB) angeknüpft.326 Bei einem Statutenwechsel kann dies dazu führen, dass dem neuen Belegenheitsstaat unbekannte dingliche Rechte – in der Praxis handelt es sich vor allem um Sicherungsrechte – nicht anerkannt werden.327 Auch hinkendes Eigentum kann entstehen, wenn beispielsweise die beteiligten Staaten einen gutgläubigen Erwerb unter unterschiedlichen Voraussetzungen ermöglichen.328 Auf diese Weise entstehen Entscheidungsdisharmonien, die mangels vereinheitlichten Kollisionsrechts nicht nur drittstaatliche, sondern auch europäische Sachverhalte betreffen. Auch das Sachenrecht weist typische statusrechtliche Elemente auf. Insbesondere wirken dingliche Rechte absolut gegenüber jedermann. Zudem ist das Sachenrecht geprägt vom Grundsatz der Publizität, der bei beweglichen Sachen durch den Besitz, bei unbeweglichen Sachen durch das Grundbuch verwirklicht wird. Andererseits fehlt das Element der Dauer und der erschwerten Auflösbarkeit eines dinglichen Rechts, da das Sachenrecht gerade der Steigerung der Verkehrsfähigkeit von Sachen dient und auf dingliche Übertragungsakte ausgerichtet ist. Auch die Aspekte der Höchstpersönlichkeit und der Zentralität für den Einzelnen sind im Sachenrecht nicht verwirklicht, insoweit bleibt das Sachenrecht sogar hinter dem (Personen-)Gesellschaftsrecht zurück. Dennoch besteht im Sachenrecht – ebenso wie im Gesellschaftsrecht – ein erhöhtes Bedürfnis nach Stabilität und Rechtssicherheit, da der Verkehrsschutz eine erhebliche Rolle spielt. Dies zeigt sich insbesondere an den Möglichkeiten, dingliche Rechte gutgläubig (lastenfrei) zu erwerben. Durch diese Verkehrsschutzerwägungen hebt sich das Sachenrecht von rein vermögensrechtlichen Verhältnissen ab und wird eher in die Nähe eines Statusverhältnisses gerückt. Zudem erfüllt das Sachenrecht auch eine Ordnungsfunktion in der Gesellschaft, da es Vermögen in Rechte einteilt und damit einzelnen Personen mit absoluter Wirkung zuteilt.
325
S. Palandt-Thorn, Art. 43 EGBGB Rn. 1. einen rechtsvergleichenden Überblick s. Kieninger in Basedow/Hopt/Zimmermann, S. 1330; s. auch Martiny, IPRax 2012, 119–133. 327 So wurde beispielsweise die deutsche Sicherungsübereignung in Österreich nicht anerkannt, da das österreichische Recht streng dem Faustpfandprinzip folgt, s. OGH v. 14.12.1983, IPRax 1985, 165. 328 In Italien ist es z. B. möglich, an abhandengekommenen Sachen gutgläubig Eigentum zu erwerben, s. dazu Thorn, Mobiliarerwerb vom Nichtberechtigten, S. 160. 326 Für
G. Bedeutung des Entscheidungseinklangs im Vermögensrecht und Statusrecht
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Das Sachenrecht erfüllt nach alledem zwar eine Mehrzahl der statusrechtlichen Kriterien, befindet sich aber hinsichtlich des Verwirklichungsgrades dieser Kriterien noch unterhalb des Gesellschaftsrechts an der Grenze zu vermögensrechtlichen Verhältnissen. Da es sich hierbei aber nicht um den Status einer natürlichen oder juristischen Person, sondern lediglich einer Sache handelt, haben hinkende Rechtsverhältnisse weniger einschneidende Folgen für den Einzelnen als im Familienrecht oder auch im Gesellschaftsrecht. Bei einer wertenden Abwägung sprechen das Element des Verkehrsschutzes und das daraus resultierende Bedürfnis nach Stabilität und Rechtssicherheit dennoch entscheidend dafür, das Sachenrecht als Statusrecht einzuordnen. Sollte der europäische Gesetzgeber in naher Zukunft die Harmonisierung des sachenrechtlichen Kollisionsrechts planen, sollte er daher das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs als leitendes Gesetzgebungsprinzip berücksichtigen. An die Widerlegung der Vorrangvermutung sollten aber noch geringere Anforderungen gestellt werden als im Gesellschaftsrecht. IV. Ergebnis Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich eine Einteilung in die Obergruppen „statusrechtlich“ und „vermögensrechtlich“ anbietet, da aufgrund der Charakteristika von Statusverhältnissen in diesen ein erhöhtes Interesse an der Erzielung von Entscheidungseinklang besteht. Die Auswertung hat ergeben, dass die Rom I- und Rom II-VO als „vermögensrechtlich“ einzustufen sind mit der Folge, dass das Prinzip des Entscheidungseinklangs als Gesetzgebungsziel im Vergleich zu anderen, insbesondere sozialpolitischen, Zielen eine untergeordnete Rolle spielt. Die übrigen Verordnungen, namentlich die Rom III-VO, die EuUntVO, der EhegüterVO-E, der EPartVO-E sowie die EuErbVO, sind als statusrechtlich einzuordnen, sodass die Erzielung von Entscheidungseinklang ein zentrales Gesetzgebungsziel darstellen sollte. Im Bereich der statusnahen Rechtsfolgen sprachen stets noch weitere verordnungsspezifische Erwägungen außer der pauschalen Statusnähe dafür, die Erzielung von internationalem Entscheidungseinklang als zentrales Gesetzgebungsziel anzusehen. Ein Ausblick auf noch nicht harmonisierte kollisionsrechtliche Bereiche hat gezeigt, dass auch Rechtsgebiete außerhalb des Familien- und Erbrechts, insbesondere das Gesellschaftsrecht sowie das Sachenrecht, als statusrechtlich einzuordnen sind. Es sind jedoch graduelle Abstufungen zu beobachten, die durch den Gesetzgeber bei der Normsetzung auf Abwägungsebene zu berücksichtigen sind.
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1. Kapitel: Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs
H. Zusammenfassung Die abstrakte Untersuchung hat ergeben, dass das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs ein Leitprinzip des europäischen Kollisionsrechts darstellen sollte. Durch das Erreichen von Entscheidungseinklang werden nämlich hinkende Rechtsverhältnisse vermieden, es wird Rechtssicherheit erzielt sowie dem Gleichheitsgrundsatz und Gerechtigkeitsempfinden entsprochen. Zudem wird der Anreiz, forum shopping zu betreiben, gemindert und die Durchsetzbarkeit der inländischen Entscheidung im Ausland erleichtert. Auf europäischer Ebene besteht Handlungsbedarf, da die europaweite Vereinheitlichung des Kollisionsrechts nur Entscheidungseinklang zwischen den Mitgliedstaaten zu erzielen vermag. Die Beschränkung auf die Erzielung von europäischem Entscheidungseinklang wird den tatsächlichen Entwicklungen in einer globalisierten Rechtsgemeinschaft nicht gerecht. Welchen Stellenwert das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs im europäischen Kollisionsrecht de lege lata einnimmt, soll Gegenstand der Untersuchung im nun folgenden besonderen Teil sein. Berücksichtigt wird im Rahmen der Untersuchung, dass es sich bei dem Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs um ein relatives Prinzip, ein Optimierungsgebot, handelt, das mit anderen Wertungen und Interessen kollidieren kann. Keinesfalls sollte daher stets angestrebt werden, den Entscheidungseinklang absolut unter Negierung anderer Interessen und Prinzipien durchzusetzen. Vielmehr muss der Grad der erforderlichen Verwirklichung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs – im Einklang mit den üblichen Charakteristika eines „Prinzips“ im Sinne der deutschen Methodenlehre – immer anhand des konkreten Einzelfalles beurteilt werden. Dabei lässt sich bereits allgemein feststellen, dass in statusrechtlichen Verhältnissen ein größeres Interesse an der Erzielung von Entscheidungseinklang als in vermögensrechtlichen Beziehungen besteht. Das einzig realistische und sinnvolle Mittel, mit dem in Drittstaatensachverhalten Entscheidungseinklang erzielt werden kann, ist derzeit die Berücksichtigung ausländischen Kollisionsrechts. Der nun folgende besondere Teil wird sich daher mit dem renvoi, der Ermittlung des anwendbaren Rechts bei Mehrrechtsordnungen, der Vorfragenanknüpfung, der Behandlung ausländischer Eingriffsnormen sowie der Durchbrechung des Gesamtstatuts durch ein vorrangiges Einzelstatut beschäftigen. Aus all diesen Rechtsfiguren soll ein allgemeiner, wertungskohärenter Teil des europäischen IPR geschaffen werden, der insbesondere der unterschiedlichen Bedeutung des kollisionsrechtlichen Leitprinzips des internationalen Entscheidungseinklangs gerecht wird.
2. Kapitel:
Renvoi Bei der Frage nach der Beachtlichkeit eines renvoi handelt es sich um eines der meistdiskutierten und umstrittensten Probleme des internationalen Privatrechts.1 Dies liegt vor allem darin begründet, dass die Frage, ob eine Rück- oder Weiterverweisung2 eines ausländischen Staates beachtet wird, Rückschlüsse auf die Grundhaltung und wesentlichen Wertentscheidungen einer Rechtsordnung zulässt. Die Haltung einer Rechtsordnung zum renvoi wird nämlich als „Barometer“3 oder „Weichenstellung“4 dafür angesehen, welcher Stellenwert dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs beigemessen wird. Man erkennt, wie stark eine Rechtsordnung auf ihre eigene Anknüpfungsentscheidung besteht bzw. wie tolerant und liberal sie sich ausländischen Anknüpfungsentscheidungen gegenüber verhält. Die Haltung des europäischen Gesetzgebers in der renvoi-Frage ist somit von erheblichem Interesse für diese Untersuchung. Steht der EU-Gesetzgeber dem renvoi ablehnend gegenüber, bedeutet dies, dass er anderen Wertungen und Prinzipien den Vorrang gegenüber dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs einräumt. Hingegen wäre die Beachtung des renvoi im Verordnungsrecht ein Indiz dafür, dass es sich auch auf europäischer Ebene um ein kollisionsrechtliches Leitprinzip handelt. Es lässt sich bereits vorwegnehmen, dass der renvoi im europäischen IPR – allen Unkenrufen zum Trotz5 – keinesfalls im Aussterben begriffen ist. Die jüngste europäische Verordnung, die EuErbVO, lässt den renvoi nämlich im Gegensatz zu den anderen Verordnungen zu. Befürworter des renvoi sehen darin bereits eine „Renaissance“6 der Rechtsfigur auf europäischer Ebene. Um die Behandlung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht untersuchen und bewerten zu können, sollen zunächst überblicksartig die Grundlagen des renvoi dargestellt werden. Dazu gehören sowohl eine Begriffsklärung (A.) als auch die Ursachen für das Auftreten eines renvoi (B.). Auf Grundlage dieser Darstellungen wird erläutert, inwiefern der renvoi geeignet ist, Entscheidungseinklang herzustel1
Sonnentag, Renvoi, S. 1 m. w. N. Zur Begriffsklärung sogleich. 3 Gottschalk, Allgemeine Lehren, S. 141. 4 Vgl. Thorn, Koordinierung, S. 506. 5 Henrich, FS von Hoffmann, S. 159–167 sieht im europäischen IPR die Zeit reif für einen „Abgesang“ auf den renvoi. 6 Solomon, FS Schurig, S. 237–263; MüKo-von Hein, Art. 4 EGBGB Rn. 124: „Schneise für die Beachtlichkeit“. 2
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2. Kapitel: Renvoi
len (C.). Danach werden die grundsätzlichen Argumente in der renvoi-Diskussion abgewogen (D.). Es folgt schwerpunktmäßig die Betrachtung und Bewertung der heutigen Gesetzeslage im europäischen Verordnungsrecht (E.), wobei die Differenzierung zwischen vermögens- und statusrechtlichen Verordnungen erneut von besonderer Bedeutung ist. Abschließend erfolgt der Entwurf einer verordnungs übergreifenden Regelung des renvoi (F.), die den internationalen Entscheidungs einklang, soweit dies nach Abwägung mit anderen Interessen möglich ist, fördert.
A. Begriff und Erscheinungsformen I. Sachnormverweisung und Gesamtverweisung Der Begriff des renvoi hängt eng mit den Begriffen Sachnorm- und Gesamtverweisung zusammen, weshalb sich zunächst eine Klärung dieser zwei möglichen Verweisungsarten anbietet. Eine Kollisionsnorm kann entweder unmittelbar auf das Sachrecht eines ausländischen Staates verweisen, sodass das Kollisionsrecht des ausländischen Staates nicht befragt, sondern direkt das ausländische materielle Recht angewendet wird. In diesem Fall spricht man von einer „Sachnormverweisung“.7 Da das ausländische Kollisionsrecht nicht befragt wird, ob es ebenfalls das eigene Sachrecht anwenden würde, bezeichnet man die Fälle der Sachnormverweisung auch als „unbedingte Verweisung“.8 Die Anwendung des ausländischen Sachrechts hängt nämlich gerade nicht davon ab, ob das ausländische Kollisionsrecht diese Verweisung akzeptieren und das eigene Sachrecht berufen würde. Eine andere Möglichkeit besteht in der Verweisung auf das ausländische Recht einschließlich dessen Kollisionsrechts. Das anwendbare materielle Recht ist damit noch nicht ermittelt. Es wird zunächst das Kollisionsrecht des ausländischen Staates befragt. In diesem Fall spricht man von einer „Gesamtverweisung“,9 da auf das gesamte Privatrecht einer Rechtsordnung verwiesen wird.10 Im Gegensatz zur Sachnormverweisung erfolgt hier eine „bedingte Verweisung“,11 da das ausländische Sachrecht nur unter der Bedingung angewendet wird, dass das ausländische Kollisionsrecht die Verweisung annimmt und damit ebenfalls das eigene Sachrecht beruft. Zum Teil wird dem Begriff „Gesamtverweisung“ vorgeworfen, er sei sprachlich nicht korrekt.12 Es werde gerade nicht auf die gesamte fremde Rechtsordnung ver7
Kropholler, IPR, S. 169. von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 74 sowie § 4 Rn. 17. 9 So die herrschende Meinung: Palandt-Thorn, Art. 4 EGBGB Rn. 1; Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 5; Kropholler, IPR, S. 164; Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 307; Neuhaus, Grundbegriffe, S. 268; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 4 Rn. 18. 10 Baetge, JuS 1996, 600, 603. 11 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 77 sowie § 4 Rn. 18. 12 Zum Folgenden Sonnentag, Renvoi, S. 4 f. m. w. N.; Kegel/Schurig, IPR, S. 392. 8
A. Begriff und Erscheinungsformen
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wiesen, sondern primär auf das ausländische Kollisionsrecht. Letzteres entscheide dann erst darüber, ob auch das materielle Recht des ausländischen Staates zur Anwendung komme oder ob das ausländische Kollisionsrecht wiederum auf eine andere Rechtsordnung verweise. Als passender werden Begriffe wie „Kollisionsnormverweisung“, „Kollisionsrechtsverweisung“ und „IPR-Verweisung“ vorgeschlagen, da dadurch verdeutlicht werde, dass zunächst nur auf das fremde Kollisionsrecht verwiesen wird.13 Doch auch der Begriff „Sachnormverweisung“ wird vereinzelt kritisiert,14 da streng genommen im Falle von Mehrrechtsstaaten deren internes – nämlich intertemporales, interlokales oder interpersonales – Kollisionsrecht zu berücksichtigen ist. Damit liegt auch keine reine Verweisung auf Sachnormen vor, sodass – im Einklang mit den meisten Haager Übereinkommen – der Begriff „Verweisung auf das innerstaatliche Recht“ (loi interne) passender wäre. Die Kritik an beiden Begriffen ist nicht unberechtigt, jedoch soll in dieser Untersuchung das in der Rechtsprechung und Literatur auf eine längere Tradition15 zurückblickende und noch immer am häufigsten verwendete Begriffspaar Sachnormverweisung und Gesamtverweisung verwendet werden. II. Rück- und Weiterverweisung Das Phänomen des renvoi kann nur im Falle einer Gesamtverweisung auftreten. Der Begriff „renvoi“ beschreibt nämlich die Situation, dass das Kollisionsrecht der berufenen fremden Rechtsordnung die Verweisung nicht annimmt, sondern ihrerseits auf ein anderes Recht verweist.16 Das ausländische Recht kann dabei entweder auf das Recht des Ausgangsstaates zurückverweisen (Rückverweisung oder renvoi au premier degré) oder das Recht eines dritten Staates berufen (Weiterverweisung oder renvoi au second degré).17 Die Terminologie ist insofern nicht ganz einheitlich, als die Rückverweisung auf das Recht des Ausgangsstaates vereinzelt als „Rückverweisung im engeren Sinne“ bezeichnet wird, während die „Rückverweisung im weiteren Sinne“ mit dem Begriff „renvoi“ gleichgesetzt wird und sowohl die Rückverweisung im engeren Sinne als auch die Weiterverweisung erfassen soll.18 In dieser Arbeit soll aus Gründen der Klarheit der Begriff „renvoi“ im Einklang mit der herrschenden Lehre als Oberbegriff für Rück- und Weiterverweisung verwendet werden. Unter „Rückverweisung“ wird nur die eigentliche Rückverweisung auf das 13 Soergel-Kegel, Art. 4 EGBGB Rn. 2; MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 4 EGBGB Rn. 32; Müller, Gesamtverweisung, S. 191 verwendet beide Begriffe; Sonnentag, Renvoi, S. 5 m. w. N. 14 Zum Folgenden Kegel/Schurig, IPR, S. 391; Kropholler, IPR, S. 165; Reichart, Renvoi, S. 1 mit Fn. 2. 15 Schon das Reichsgericht benutzte diesen Begriff in RG v. 15.2.1912, RGZ 78, 234, 237; RG v. 2.6.1932, RGZ 136, 361, 365; aus der früheren Literatur: Lewald, IPR, S. 16 f.; Nussbaum, IPR, S. 54; Melchior, IPR, S. 194. 16 Kropholler, IPR, S. 163. 17 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 73. 18 S. Neuhaus, Grundbegriffe, S. 268.
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2. Kapitel: Renvoi
Recht des Ausgangsstaates als eine der beiden Varianten des renvoi und Gegen begriff zur Weiterverweisung verstanden. III. Regelung im deutschen Kollisionsrecht Im Vergleich zur Geschichte des Kollisionsrechts im Allgemeinen wurde das Problem des renvoi verhältnismäßig spät entdeckt.19 Erst Mitte des 19. Jahrhunderts begannen die Gerichte verschiedener europäischer Staaten, sich vermehrt mit der Frage nach der Beachtlichkeit eines renvoi zu befassen,20 und leiteten so auch die akademische Diskussion um den renvoi ein. Der deutsche Gesetzgeber nahm sich des Problems zum ersten Mal im Jahre 1896 an, indem er in Art. 27 EGBGB a. F. regelte, dass ein renvoi in den dort genannten Bereichen grundsätzlich beachtlich sein sollte.21 In der Lehre stieß die Regelung einerseits auf Widerstand,22 andererseits wurden sogar analoge Anwendungen vertreten, wobei die Reichweite dieser Analogien wiederum umstritten war.23 Mit der IPR-Reform von 1986 wurde Art. 27 EGBGB a. F. aufgehoben und der heute noch gültige Art. 4 Abs. 1 EGBGB eingefügt, der besagt: „Wird auf das Recht eines anderen Staates verwiesen, so ist auch dessen Internationales Privatrecht anzuwenden, sofern dies nicht dem Sinn der Verweisung widerspricht. Verweist das Recht des anderen Staates auf deutsches Recht zurück, so sind die deutschen Sachvorschriften anzuwenden.“ Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass sich der Gesetzgeber in Satz 1 grundsätzlich für die Gesamtverweisung und damit die Beachtlichkeit des renvoi ausspricht, während der Widerspruch mit dem Sinn der Verweisung schon aufgrund der negativen Formulierung die eng auszulegende Aus nahme darstellt.24 Trotzdem entbrannte in der Literatur über die Reichweite des letzten Halbsatzes, der sog. „Sinnklausel“, eine noch immer andauernde Diskus sion.25
19
So auch Melchior, IPR, S. 194. allem der Fall „Forgo“ wird als bahnbrechend für die internationale Anerkennung des renvoi angesehen: Cour de Cassation, 5.5.1875, D.S.Jur. 1875, 409; Cour de Cassation 24.6.1878, D.S.Jur. 1878, 421; Cour de Cassation 22.2.1882, D.S.Jur. 1882, 393 = Schack, Höchstrichterliche Rechtsprechung, Nr. 2; ausführlich dazu von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 81; s. auch den englischen Fall des Prerogative Court of Canterbury, 3.8.1841, 163 E.R. 608–611 (Collier v. Rivaz), dazu Sonnentag, Renvoi, S. 20 f. 21 Die in Art. 27 EGBGB a. F. genannten Bereiche waren die Geschäftsfähigkeit, die Eheschließung, das eheliche Güterrecht, die Ehescheidung sowie das Erbrecht. 22 Kahn, JherJb 36 (1896), S. 366, 407 f.; Zitelmann, IPR I, S. 248. 23 Dazu eingehend Sonnentag, Renvoi, S. 32 ff.; im Überblick MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 4 EGBGB Rn. 19. 24 Bamberger/Roth-Lorenz, Art. 4 EGBGB Rn. 8; MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 4 EGBGB Rn. 24; Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 91; a. A. Böhmer, RabelsZ 50 (1986), 646, 657; Sonnentag, Renvoi, S. 97–100. 25 S. etwa Kartzke, IPrax 1988, 8–13; Rauscher, NJW 1988, 2151–2154; Sonnentag, Renvoi, S. 97–100. 20 Vor
B. Ursachen
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B. Ursachen Ein renvoi kann unterschiedliche Ursachen haben.26 Es handelt sich dabei letztlich um „Anknüpfungsdifferenzen“27 verschiedener Art. I. Unterschiedliche Anknüpfungsmomente und -zeitpunkte Die wohl offensichtlichste Ursache für das Auftreten eines renvoi ist die Verwendung unterschiedlicher Anknüpfungsmomente durch verschiedene Staaten. Prominentester Anwendungsfall ist die Verwendung des gewöhnlichen Aufenthalts als Anknüpfungsmoment in Staat A, wohingegen Staat B auf die Staatsangehörigkeit abstellt.28 Gerade im deutschen Kollisionsrecht wird für statusrechtliche Fragen häufig auf die Staatsangehörigkeit abgestellt,29 während in anderen, insbesondere den anglo-amerikanischen, Rechtsordnungen primär das domicile maßgeblich ist.30 Stirbt beispielsweise ein Deutscher mit letztem Wohnsitz in der Schweiz, würde ein Schweizer Richter für die Ermittlung der gesetzlichen Erbfolge Schweizer Recht anwenden (Art. 90 Abs. 2 IPRG), da dort auf den letzten gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt wird. Der deutsche Richter hingegen würde nach Art. 25 Abs. 1 EGBGB31 das Heimatrecht des Erblassers, also deutsches Recht, anwenden.32 Möglich ist auch, dass das ausländische IPR teilweise das gleiche Anknüpfungsmoment verwendet, dann aber eine gespaltene Verweisung unter sachlichen Gesichtspunkten vornimmt, indem es beispielsweise die Erbfolge in bewegliche Sachen dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts und die Erbfolge in unbewegliche Sachen der lex rei sitae unterstellt.33 Weiterhin kommt es vor, dass zwar im Prinzip das gleiche Anknüpfungsmoment verwendet wird, dabei aber auf verschiedene Personen abgestellt wird. So liegt der Fall, wenn Staat A für die Fragen des Kindschaftsrechts an das Heimatrecht der Eltern anknüpft, Staat B hingegen an das Heimatrecht des Minderjährigen.34 Schließlich wird zuweilen – bei Verwendung desselben Anknüpfungsmoments – ein anderer Anknüpfungszeitpunkt für entscheidend erklärt. Dies kann etwa passieren, wenn Staat A und B im Ehegüterrecht zwar beide das Anknüpfungsmoment des gewöhnlichen Aufenthalts beider Ehegatten verwenden, aber Staat A auf den Zeitpunkt der Eheschließung abstellt (so Art. 15 Abs. 1 EGBGB), während Staat B das Güterstatut für wandelbar erklärt, damit auf einen späteren Zeitpunkt abstellt 26 Dazu
von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 79–86. MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 4 EGBGB Rn. 1. 28 Kropholler, IPR, S. 168; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 79; Siehr, IPR, S. 456. 29 Art. 7 Abs. 1, 9, 10 Abs. 1, 13 Abs. 1, 14 Abs. 1, 15, 17 Abs. 1, 19 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Art. 20, 22 Abs. 1, 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 EGBGB. 30 Kegel/Schurig, IPR, S. 4 44 mit zahlreichen Beispielen. 31 Die EuErbVO gilt ausweislich deren Art. 83 Abs. 1 für Erbfälle ab dem 17.08.2015. 32 Beispiel nach Reichart, Renvoi, S. 1. 33 Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 65. 34 S. von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 80; Kropholler, IPR, S. 168. 27
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2. Kapitel: Renvoi
und – bei Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts – zur Anwendbarkeit einer anderen Rechtsordnung gelangt.35 II. Unterschiedliche Auslegung Weiterhin kann ein renvoi auftreten, wenn zwar das gleiche Anknüpfungsmoment verwendet wird, aber Staat A und B dieses jeweils unterschiedlich auslegen. Eine unterschiedliche Auslegung des Wohnsitzbegriffs lag beispielsweise den bereits erwähnten prominenten Fällen aus dem 19. Jahrhundert zugrunde, die als Ursprünge der renvoi-Diskussion angesehen werden. Sowohl im englischen Fall Collier v. Rivaz als auch im französischen Fall Forgo wurde jeweils in einem Staat für den Wohnsitz vorausgesetzt, dass dieser dort rechtmäßig, also mit Aufenthaltserlaubnis, begründet wurde, während der jeweils andere Staat diese Voraussetzung nicht kannte, sodass es in beiden Fällen zu einem renvoi kam.36 III. Unterschiedliche Qualifikation Zu einem renvoi kommt es außerdem, wenn die berufene Rechtsordnung und die lex fori eine bestimmte Frage unterschiedlich qualifizieren, d. h. kollisionsrechtlich verschieden einordnen. Ein Beispiel dafür ist, dass Staat A die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit einer verheirateten Frau als eine Frage der persönlichen Ehe wirkungen einordnet, während die Frage in Staat B als güterrechtlich qualifiziert wird, sodass jeweils unterschiedliche Rechtsordnungen berufen werden.37 Auch im Namensrecht kommt dies nicht selten vor, da einige Staaten das Namensrecht personenrechtlich qualifizieren, wohingegen in anderen Staaten eine Qualifikation des Ehenamens als Ehewirkung vorgenommen wird.38 Das deutsche Kollisionsrecht qualifiziert Rechtsverhältnisse an einer ausländischen Aktiengesellschaft als gesellschaftsrechtlich, während das schweizerische Kollisionsrecht für Inhaberaktien an einer solchen Gesellschaft eine sachenrechtliche Qualifikation vornimmt und auf die lex cartae sitae verweist.39 IV. Qualifikationsverweisung Ferner kann eine Qualifikationsverweisung zu einem renvoi führen.40 Eine solche beschreibt die Situation, dass das eigene IPR einen Systembegriff nicht definiert, sondern für die Qualifikation auf das berufene Recht verweist. Praktisch ist dies vor allem in erbrechtlichen Fällen relevant, wenn beispielsweise ein US-Amerikaner Nachlass in Deutschland hinterlässt. Das US-amerikanische Erbrecht unterscheidet 35 Staudinger-Hausmann,
Art. 4 EGBGB Rn. 65, 216–218. Eingehend zu beiden Fällen Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 26 f. und 29–31. 37 Neuhaus, Grundbegriffe, S. 282; MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 4 EGBGB Rn. 1. 38 Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 68, 175 f. 39 Dazu Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 69. 40 Reichart, Renvoi, S. 4. 36
B. Ursachen
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– im Gegensatz zum deutschen Recht – zwischen beweglichem Nachlass (mov ables), dessen erbrechtliche Behandlung sich nach dem letzten domicile des Erb lassers beurteilt, und unbeweglichem Nachlass (immovables), dessen Beurteilung der lex rei sitae unterliegt.41 Für diese Fälle spricht das US-amerikanische Recht eine Qualifikationsverweisung aus. Verweist also beispielsweise das Kollisionsrecht des US-Bundesstaates New York für die gesetzliche Erbfolge in unbeweg lichen Nachlass auf die deutsche lex rei sitae, bestimmt sich die Abgrenzung zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen nicht nach dem Recht des Bundesstaates New York. Vielmehr wird auch für die Qualifikation als unbeweglich die lex rei sitae, also das berufene deutsche Recht, befragt.42 V. Versteckter renvoi Des Weiteren kann ein sogenannter versteckter renvoi auftreten, wenn keine ausdrückliche Regelung im ausländischen Kollisionsrecht besteht, sich eine solche aber in einer Sach-, Kollisions- oder Zuständigkeitsnorm versteckt.43 Dies ist besonders häufig der Fall, wenn das deutsche IPR auf ausländisches Recht verweist, das im konkreten Fall keine ausdrückliche Kollisionsnorm bereithält, sondern diese etwa aus einer Zuständigkeitsnorm ableitet.44 Die Gerichte einiger Staaten wenden nämlich stets ihr eigenes Recht an, wenn sie ihre eigene internationale Zuständigkeit bejahen. Das Phänomen eines versteckten renvoi verdeutlicht folgender klassischer Beispielsfall:45 Ein US-amerikanisches Gericht wendet für die Ehescheidung eines Ausländers die lex fori an, statuiert aber als zusätzliche Voraussetzung für die eigene internationale Zuständigkeit, dass die Parteien ihr domicile im Gerichtsstaat haben, sodass im Ergebnis die lex domicilii angewendet wird. Liegt nun das domicile in Deutschland, würden US-amerikanische Gerichte die eigene Zuständigkeit verneinen. Anders als bei einer ausdrücklichen Rückverweisung kann man daher – mangels Zuständigkeit – nicht feststellen, dass ein US-amerikanisches Gericht deutsches Recht anwenden würde. Nach herrschender Ansicht46 entspricht die An41 Staudinger-Hausmann, Anhang zu Art. 4 EGBGB Rn. 74 f., 85; zu weiteren Rechtsordnungen, die diese Unterscheidung kennen, s. unten, S. 303 f. 42 Dazu Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 71 f.; mit Beispielsfall auch von Hoffmann/ Thorn, IPR, § 6 Rn. 17a; s. auch BGH v. 5.6.1957, BGHZ 24, 352 mit Anmerkung Kegel/Schurig, IPR, S. 407. 43 Vgl. Kropholler, IPR, S. 179; s. § 29 österreichisches IPRG für erbenlose Nachlässe als Fall der versteckten Rückverweisung in einer lückenhaften Kollisionsnorm, OLG München v. 26.5.2011, IPRax 2013, 443 mit Anmerkung Nordmeier, IPRax 2013, 418–425, der den Fall auch im Rahmen der EuErbVO löst. 44 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 83; Kegel/Schurig, IPR, S. 411; von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 218 f. 45 Zum Folgenden Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 79; Kropholler, IPR, S. 179. 46 Ausführlich zum Folgenden Kegel/Schurig, IPR, S. 411–413; Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 79; Kropholler, IPR, S. 179 jeweils m. w. N. und Beispielen aus der Rechtsprechung.
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2. Kapitel: Renvoi
wendbarkeit deutschen Rechts aber in diesem Fall am ehesten der Absicht des fremden Rechts. In den US-amerikanischen Zuständigkeitsnormen könne man daher eine versteckte Kollisionsnorm zugunsten des Rechts des Staates sehen, dessen Gerichte aus US-amerikanischer Perspektive international zuständig wären. Es komme zu einer versteckten kollisionsrechtlichen Rückverweisung auf deutsches Recht. Hiergegen wird eingewandt, dass das US-amerikanische Recht in diesen Fällen ausländischen Rechtsordnungen nicht die Anwendung der lex fori vorschreibe, sondern sich vielmehr mangels eigener Zuständigkeit desinteressiert an der Fragestellung und dem Ausgang des Rechtsstreits vor den Gerichten eines fremden Staates zeige.47 Folgt man diesem berechtigten Einwand, verbleiben nur noch wenige Anwendungsfälle eines versteckten renvoi.48 Der soeben geschilderte Fall wäre im Ergebnis jedoch ebenso zu lösen, wenngleich methodisch nicht ausländisches Kollisionsrecht angewendet, sondern das eigene Kollisionsrecht unter Berücksichtigung der ausländischen Maßstäbe weitergebildet würde.49
C. Relevanz für Entscheidungseinklang Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Ursachen für einen renvoi vielfältig sind. Inwiefern sich die Befolgung eines renvoi durch das europäische Kollisionsrecht auf den internationalen Entscheidungseinklang auswirkt, soll im Folgenden erläutert werden. Für die Bereiche des Kollisionsrechts, die durch den europäischen Gesetzgeber vereinheitlicht wurden, macht es innerhalb der Europäischen Union keinen Unterschied, ob ein renvoi für beachtlich oder unbeachtlich erklärt wird. Dies folgt aus der Hauptursache für das Auftreten eines renvoi, nämlich der Verwendung verschiedener Anknüpfungsmomente, da durch die Vereinheitlichung des IPR dieselben Anknüpfungsmomente für alle Mitgliedstaaten gelten. Auch Qualifikationsunterschiede können so kaum noch auftreten. Problemfälle – wie beispielsweise die Qualifikation der culpa in contrahendo – werden nämlich meist schon durch den Verordnungsgeber vorgegeben (s. Art. 1 Abs. 2 lit. i Rom I-VO und Erwägungsgrund 10, Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO). Ebenso wird die Gefahr von Auslegungsdifferenzen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten, die zu einem renvoi führen könnten, dadurch verringert, dass Zweifelsfragen dem EuGH nach Art. 267 AEUV vorgelegt werden können bzw. müssen. Mit der Vereinheitlichung des Kollisionsrechts wären damit die Geltung des Grundsatzes der Gesamtverweisung und die Beachtlichkeit des renvoi überflüssig.
47
Eingehend dazu Thorn, Koordinierung, S. 41–46 m. w. N. S. die Beispiele bei Thorn, Koordinierung, S. 40. 49 Thorn, Koordinierung, S. 46. 48
C. Relevanz für Entscheidungseinklang
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Relevant wird der Ausschluss des renvoi allerdings im Verhältnis zu Drittstaaten. Wenn nämlich das inländische Kollisionsrecht eine Sachnormverweisung ausspricht und damit einen renvoi ausschließt, verweist es direkt auf das materielle Recht des Drittstaates. Wenn nun das drittstaatliche Recht im selben Fall nicht das eigene Sachrecht für anwendbar erklärt, sondern durch das eigene Kollisionsrecht auf ein fremdes Recht rück- oder weiterverweist, besteht die Gefahr, dass ein Rechtsverhältnis an verschiedenen Gerichtsorten unterschiedlich beurteilt wird. In diesen Fällen kann der Ausschluss des renvoi den internationalen Entscheidungseinklang gefährden. Aus diesem Grund wird von vielen als Hauptargument für die Beachtlichkeit eines renvoi und damit für den Grundsatz der Gesamtverweisung die Förderung des internationalen Entscheidungseinklangs angeführt.50 Die Erzielbarkeit von Entscheidungseinklang durch die Beachtung eines renvoi ist allerdings nicht unumstritten, da es Konstellationen gibt, in denen trotz genereller Beachtlichkeit des renvoi Entscheidungseinklang nicht hergestellt wird.51 Um die positiven Effekte eines renvoi auf den Entscheidungseinklang beurteilen und die europäischen Verordnungen dahingehend bewerten zu können, soll im Folgenden untersucht werden, in welchen Situationen die Beachtung eines renvoi den Entscheidungseinklang fördert. I. Relevante Fallgruppen Die Erzielbarkeit von Entscheidungseinklang in verschiedenen Konstellationen hängt davon ab, ob es sich um Rück- oder Weiterverweisungsfälle handelt. 1. Rückverweisungen Das besondere Problem bei einer Rückverweisung besteht darin, dass es zu einem unendlichen Hin und Her an Verweisungen, quasi einem „Ping-Pong-Spiel“,52 „logischen Spiegelkabinett“53 oder einer „Sackgasse der endlosen Rückverweisung“,54 kommt, da das IPR des Staates A auf das IPR des Staates B verweist und umgekehrt. Dieses Problem entsteht nicht, wenn das eigene Recht oder das Recht des ausländischen Staates ohnehin eine Sachnormverweisung ausspricht, da das jeweils fremde Kollisionsrecht in diesem Fall nicht befragt wird. Wenn das eigene Recht hingegen eine Gesamtverweisung ausspricht und das ausländische Recht eine Ge50 Kegel/Schurig, IPR, S. 396 f.; Kropholler, IPR, S. 166; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 87–90; Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 17 f.; Reichart, Renvoi, S. 13–15; MüKo- Sonnenberger (2010), Art. 4 EGBGB Rn. 23; Ebenroth/Eyles, IPRax 1989, 1, 2. 51 Kritisch daher Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 131 f.; Lewald, FS Fritzsche, S. 165, 166–173; Déprez, Rec. des Cours 211 (1988-IV), 9, 332–341. 52 Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 296; zu weiteren Bezeichnungen wie etwa „Ballwechsel“ Sonnentag, Renvoi, S. 7 mit Fn. 32; Müller, Gesamtverweisung, S. 191, 196 f. 53 Kahn, JherJb 30 (1891), 1, 23; Kegel/Schurig, IPR, S. 393. 54 Wengler, ZöffR 23 (1943/44), 473, 485.
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2. Kapitel: Renvoi
samt-Rückverweisung vornimmt, bestehen folgende drei Möglichkeiten, dieses Hin und Her zu unterbinden:55 Erstens kann der Staat, auf den zurückverwiesen wird, die Rückverweisung beim inländischen Recht abbrechen. So verfährt Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB: „Verweist das Recht des anderen Staates auf deutsches Recht zurück, so sind die deutschen Sachvorschriften anzuwenden.“ Die Kette wird also abgebrochen und die ausländische Verweisung – auch wenn das ausländische Recht eine Gesamtverweisung ausspricht – als Sachnormverweisung verstanden. Zweitens kann die Gesamtverweisung des ausländischen Rechts als solche ernst genommen und die eigene Kollisionsnorm erneut angewendet werden, sodass es zum zweiten Mal zur Anwendbarkeit des fremden Kollisionsrechts kommt. Nimmt das ausländische Recht dann seinerseits einen Abbruch der Verweisung vor, ist das anwendbare Recht ermittelt – nämlich das ausländische Sachrecht. Diese Möglichkeit wird double renvoi oder doppelte Rückverweisung56 genannt. Drittens besteht die Möglichkeit, der foreign court theory zu folgen. Diese entstammt dem englischen Kollisionsrecht und besagt, dass der inländische Richter den Fall aus der Perspektive des Richters des ausländischen Staates, dessen Recht durch die inländische Kollisionsnorm berufen wird, betrachten muss. Dies geht weiter als die Befolgung eines double renvoi, da der inländische Richter auch bezüglich der Befolgung einer Rückverweisung den Standpunkt der lex causae einnehmen muss.57 Es lässt sich nicht abstrakt feststellen, welche der drei genannten Methoden den geeignetsten Weg darstellt, um Entscheidungseinklang zu erreichen. Vielmehr gilt im Falle von Rückverweisungen stets, dass sich Entscheidungseinklang nur erzielen lässt, wenn sich die zwei beteiligten Rechtsordnungen bezüglich der Beurteilung der Beachtlichkeit des renvoi unterschiedlich verhalten.58 Dies ist der Fall, wenn Staat A eine Gesamtverweisung und Staat B eine Sachnormverweisung ausspricht. Wenn die beteiligten Rechtsordnungen die renvoi-Frage hingegen gleich beantworten, wird das Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs verfehlt. Stirbt beispielsweise59 ein Schweizer mit letztem Wohnsitz in Deutschland, verweist das deutsche Kollisionsrecht in Art. 25 Abs. 1 EGBGB für die Erbfolge auf schweizerisches Recht und spricht gemäß Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB eine Gesamtverweisung aus. Das schweizerische Kollisionsrecht verweist in Art. 91 Abs. 1 IPRG für Personen mit letztem Wohnsitz im Ausland auf das Wohnsitzrecht und spricht ausnahmsweise (entgegen Art. 14 IPRG) ebenfalls eine Gesamtverweisung 55 Zum Folgenden Kegel/Schurig, IPR, S. 393 f.; Sonnentag, Renvoi, S. 8; von Hoffmann/ Thorn, IPR, § 6 Rn. 88 f. 56 S. BT-Drucks. 10/504, S. 39. 57 Dazu Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 11. 58 Dazu mit Beispielen Sonnentag, Renvoi, S. 137 m. w. N.; Neuhaus, Grundbegriffe, S. 272 f.; vgl. auch Pagenstecher, NJW 1952, 801, 802. 59 Näher dazu Lorenz, DNotZ 1993, 148, 150.
C. Relevanz für Entscheidungseinklang
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aus. Damit wird auf das deutsche Recht einschließlich dessen Kollisionsrecht zurückverwiesen. Im Falle der Rückverweisung muss an einer Stelle trotz Vorliegens einer Gesamtverweisung die Kette abgebrochen werden, da es ansonsten zu einem „Ping-Pong-Spiel“60 kommt. Das deutsche IPR bricht an dieser Stelle die Kette ab, indem es im Falle der Rückverweisung auf deutsches Recht das deutsche Sachrecht für anwendbar erklärt (Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB). Also kommt es zu der Situation, dass ein deutscher Richter nach der Rückverweisung durch die zunächst berufene Schweizer Rechtsordnung aufgrund von Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB deutsches Sachrecht anwendet. Ein Schweizer Richter hingegen würde im selben Fall zunächst das schweizerische Kollisionsrecht befragen, das in Art. 91 Abs. 1 IPRG eine Gesamtverweisung auf deutsches Recht ausspricht, das wiederum über Art. 25 Abs. 1 EGBGB eine Rückverweisung ausspricht, die gemäß Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB Gesamtverweisung ist. Um auch hier nicht zu einer unergiebigen Verweisungskette zu kommen, würde das schweizerische IPR an dieser Stelle ebenfalls die Verweisung abbrechen und das eigene, also schweizerisches Sachrecht anwenden.61 Da sowohl das schweizerische als auch das deutsche Recht die Verweisungskette bei sich abbrechen und sich damit in der renvoi-Frage gleich verhalten, wird kein Entscheidungseinklang erzielt. Entscheidungseinklang ließe sich nur erreichen, wenn lediglich eine Rechtsordnung die Rückverweisung bei sich abbrechen, die andere hingegen statt eines Abbruchs der Kette bei sich selbst entweder einem double renvoi oder der foreign court theory folgen würde.62 Da Voraussetzung für die Erzielung von Entscheidungseinklang immer ein unterschiedliches Verhalten der beteiligten Rechtsordnungen ist, kann nicht abstrakt festgestellt werden, welche Variante im Falle der Rückverweisung am ehesten geeignet ist, Entscheidungseinklang zu erzielen. Welchen Weg das europäische IPR einschlagen sollte, wird noch zu diskutieren sein.63 2. Weiterverweisung a) Akzeptierte Weiterverweisung In Weiterverweisungskonstellationen lässt sich häufiger Entscheidungseinklang erzielen als in Rückverweisungsfällen.64 Dies liegt daran, dass im Falle von Gesamt-Rückverweisungen stets eine Verweisungsschleife65 entsteht, die irgendwo 60
S. 77 Fn. 52. ergibt sich implizit aus dem IPRG, s. dazu Lorenz, DNotZ 1993, 148, 152; Schnyder, IPRG, S. 30. 62 Sonnentag, Renvoi, S. 138 f. 63 Dazu unten, S. 96 ff. 64 Sonnentag, Renvoi, S. 139; Kropholler, IPR, S. 166; Michaels, RabelsZ 61 (1997), 685, 691; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 98. 65 Begriff von Kegel/Schurig, IPR, S. 401. 61 Dies
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2. Kapitel: Renvoi
abgebrochen werden muss und den internationalen Entscheidungseinklang gefährdet. In Weiterverweisungsfällen können diese Schleifen dagegen seltener auftreten, da gerade nicht zurück auf Staat A verwiesen wird, sondern das Kollisionsrecht von Staat B auf eine dritte Rechtsordnung – Staat C – verweist. Wenn das IPR des Staates C die Verweisung annimmt und das eigene Sachrecht beruft, wird zwischen allen drei Rechtsordnungen internationaler Entscheidungseinklang hergestellt. Immer wenn also auf eine dritte Rechtsordnung weiterverwiesen wird, die die Verweisung annimmt, wird Entscheidungseinklang erzielt. Auch wenn das Kollisionsrecht des Staates C auf eine vierte Rechtsordnung und diese wiederum auf eine fünfte Rechtsordnung verweist, wird Entscheidungseinklang realisiert, sobald eine dieser Rechtsordnungen die Verweisung annimmt. Die Fälle einer Weiterverweisung auf eine vierte bzw. fünfte Rechtsordnung dürften in der Praxis allerdings relativ selten sein, da es keine unbegrenzte Anzahl verschiedener Anknüpfungsmomente gibt. Vielmehr lassen sich meist Gruppen von Staaten finden, wobei die eine beispielsweise an den Wohnsitz und die andere an die Staatsangehörigkeit anknüpft.66 b) Nicht akzeptierte Weiterverweisung Probleme bereiten die Weiterverweisungsfälle, in denen die dritte Rechtsordnung (Staat C) als Gesamtverweisung zurück auf das Recht von Staat B oder A verweist. Es handelt sich also um eine Weiterverweisung mit zusätzlicher Rückverweisung67 bzw. um Fälle der nicht akzeptierten Weiterverweisung. In diesen Fällen entstehen ebenso wie im Falle der einfachen Gesamt-Rückverweisung Verweisungsschleifen, die bei willkürlichem Abbruch der Verweisungskette den internationalen Entscheidungseinklang gefährden können. Im deutschen Kollisionsrecht ist höchst umstritten, wie diese Fälle zu behandeln sind. Dabei wird differenziert, ob auf das deutsche Recht oder auf die Rechtsordnung des ausländischen Staates B zurückverwiesen wird. Im erstgenannten Fall gibt Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB, der wohl auch für eine Rückverweisung nach einer Weiterverweisung gilt,68 die Lösung vor, indem er den Abbruch der Verweisung und die Anwendung deutschen Sachrechts anordnet. Wenn hingegen auf ein anderes als das deutsche Recht (auf Staat B) zurückverwiesen wird, gibt es Vorschläge, parallel zu Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB zu verfahren 66 Kegel/Schurig, IPR, S. 401 f.; zu Problemfällen bei mehrfachen Weiterverweisungen ausführlich Sonnentag, Renvoi, S. 297–299. 67 Kegel/Schurig, IPR, S. 401, die den Begriff nur für den Fall der Rückverweisung auf Staat B nutzen, während die Rückverweisung auf Staat A „Weiterverweisung mit Zusatzverweisung auf die Ausgangsstation“ genannt wird. 68 Palandt-Thorn, Art. 4 EGBGB Rn. 3; Staudinger-Hausmann, Art. 4 EBGBG Rn. 53, 55; Kropholler, IPR, S. 174; Sonnentag, Renvoi, S. 16; a. A. Michaels, RabelsZ 61 (1997), 685, 706 f.; Bamberger/Roth-Lorenz, Art. 4 EGBGB Rn. 15.
C. Relevanz für Entscheidungseinklang
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und die Kette bei dieser Rechtsordnung abzubrechen.69 Die Gesamtverweisung des Drittstaates C würde damit als Sachnormverweisung behandelt. Überzeugender erscheint es jedoch, mit der foreign court theory so zu entscheiden, wie der Richter des Staates entscheiden würde, dessen Recht erstmalig weiterverweist (Staat B), da so zumindest mit diesem Staat Entscheidungseinklang erzielt werden kann.70 Dies ist auch insofern sinnvoll, als das deutsche Recht erstmalig auf diesen Staat verwiesen und dessen Recht damit als das sachnächste eingeordnet hat. An der Erzielung von Entscheidungseinklang mit diesem Staat sollte dem deutschen Kollisionsrecht mithin gelegen sein. Die vertretenen Lösungen sollen hier nicht im Einzelnen dargestellt werden, da hierzu bereits umfassende Darstellungen existieren71 und die Lösung des deutschen Rechts für diese Arbeit nur insofern interessiert, als daraus Rückschlüsse für das europäische Kollisionsrecht gezogen werden können. Ob das Problem im europäischen Verordnungsrecht auftreten kann, wird noch zu untersuchen sein. c) Zwischenergebnis Festzuhalten bleibt, dass sich im Falle von Weiterverweisungen wesentlich häufiger Entscheidungseinklang erzielen lässt. Probleme entstehen erst, wenn Weiterverweisungen mit Rückverweisungen kombiniert werden und so Verweisungsschleifen entstehen. Doch selbst in diesen Fällen sind Lösungen möglich, in denen zumindest mit einem der beteiligten ausländischen Staaten Entscheidungseinklang erzielt wird. II. Bewertung: der renvoi als generell geeignetes Instrument Einige Stimmen halten es für paradox, dass die Rechtsfigur des renvoi im Falle von Rückverweisungen nur zu dem gewünschten Ergebnis führt, also „funktioniert“,72 wenn eine der beteiligten Rechtsordnungen den renvoi für so wenig überzeugend hält, dass sie ihn ignoriert.73 Außerdem sei die Situation vergleichsweise selten, dass die beteiligten Rechtsordnungen sich unterschiedlich zur renvoi-Frage verhalten.74 Gefolgert wird aus diesem Paradoxon sowie der Seltenheit der Fälle, in denen der renvoi Entscheidungseinklang herzustellen vermag, dass das Argument des internationalen Entscheidungseinklangs nicht den Ausschlag für die generelle Beachtlichkeit eines renvoi geben könne.75 69
MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 4 EGBGB Rn. 36; Kropholler, IPR, S. 175. Art. 4 EGBGB Rn. 58; Palandt-Thorn, Art. 4 EGBGB Rn. 3; Sonnen tag, Renvoi, S. 295 f.; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 104. 71 Insbesondere Sonnentag, Renvoi, S. 139, 291–299; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 99– 105. 72 Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 296. 73 Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 296. 74 Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 131 f. m. w. N. 75 So Flessner, Interessenjurisprudenz, S. 131 f.; kritisch daher zur Rechtfertigung der Figur 70 Staudinger-Hausmann,
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2. Kapitel: Renvoi
Selbst wenn die Rückverweisung eher selten Entscheidungseinklang erzielen kann, sollte dies aber nicht vernachlässigt werden. Es ist vorzugswürdig, eine Lösung zu finden, die wenigstens in einigen Fällen Entscheidungseinklang erzielen kann. Ansonsten würde durch die generelle Nichtbeachtung eines renvoi in allen Fällen dessen Potential, Entscheidungseinklang herzustellen, nicht genutzt.76 Zudem werden von renvoi-Kritikern meist nur Rückverweisungsfälle herange zogen, um die mangelnde Eignung des renvoi zur Erzielung von Entscheidungs einklang zu demonstrieren. Dass sich im Falle von Weiterverweisungen erheblich häufiger Entscheidungseinklang realisieren lässt, wird in der Kritik vernachlässigt. Dabei verdeutlicht eine Rechtsordnung durch die Beachtung der Weiterverweisung gerade, dass sie grundsätzlich ebenso entscheiden will wie die berufene Rechtsordnung.77 Abschließend lässt sich damit feststellen, dass der renvoi zwar kein „Wundermittel“ zur Erzielung von Entscheidungseinklang ist. Dies kann jedoch angesichts der Tatsache, dass Entscheidungseinklang als Prinzip ein faktisch unerreichbares Ideal darstellt, auch nicht der Anspruch dieser Rechtsfigur sein. Man sollte sich also damit zufriedengeben, dass immerhin eine beachtliche Zahl von Konstellationen existiert, in denen die Befolgung eines renvoi geeignet ist, den internationalen Entscheidungseinklang im Verhältnis zu Drittstaaten zu fördern. Der renvoi sollte daher nicht vorschnell als untauglich deklariert und in die „Mottenkiste des IPR verbannt“78 werden. Auch von Hein bezeichnet das Gegenargument, dass der renvoi ohnehin nicht stets zu Entscheidungseinklang führe, als „Denkfehler, den Ökonomen als ‚Nirvana Approach‘ bezeichnen“79. Darunter versteht er den Fehler, eine „theoretisch vorzugswürdige, aber praktisch nicht durchführbare Lösung […] gegenüber der theoretisch nur zweitbesten, aber praktikablen Lösung“80 zu bevorzugen. Dieser Denkfehler ist der Tatsache geschuldet, dass die Gegner des renvoi dessen Eigenschaft als Prinzip und die daraus folgenden Konsequenzen verkennen.
D. Grundsätzliche Argumente in der renvoi-Frage Neben dem soeben untersuchten Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs werden in der Diskussion um den renvoi noch weitere Argumente von beiden Seiten vorgebracht. Ob der europäische Gesetzgeber sich von vornherein renvoi- des renvoi durch den internationalen Entscheidungseinklang auch Lewald, FS Fritzsche, S. 165, 166–173; Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 297. 76 So auch Neuhaus, Grundbegriffe, S. 273, der das genannte Paradoxon als das „kleinere Übel gegenüber der ‚konsequenten‘ Disharmonie der Entscheidungen“ ansieht; so auch von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 90; vgl. auch Schack, IPRax 2013, 315, 316. 77 Sonnentag, Renvoi, S. 139. 78 So Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 307. 79 von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 348 mit Fn. 41; MüKo-von Hein, Art. 4 EGBGB Rn. 14. 80 von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 348.
D. Grundsätzliche Argumente in der renvoi-Frage
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feindlich verhalten sollte oder ob auf EU-Ebene gute Gründe für die Beachtung eines renvoi sprechen, soll im Folgenden diskutiert werden. Erst danach erfolgt eine konkrete Betrachtung des europäischen Verordnungsrechts. Wie bereits erläutert, spricht für die Zulassung eines renvoi zunächst das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs, obwohl der renvoi nicht geeignet ist, in allen Fällen Entscheidungseinklang zu erzielen. Da er aber jedenfalls in einigen Fällen, insbesondere bei der akzeptierten Weiterverweisung, Entscheidungsdis harmonien vermeidet, werden hinkende Rechtsverhältnisse vermieden, exzessives forum shopping eingedämmt und die Durchsetzbarkeit der inländischen Entscheidung im Ausland erleichtert. Gegen die Zulassung eines renvoi auf europäischer Ebene wird unter anderem vorgebracht, dass dadurch eine sachliche Spaltung zwischen Mitgliedstaaten einerseits und Drittstaaten andererseits entstünde. So werde das in allen Verordnungen deklarierte Ziel einer loi uniforme (vgl. Art. 2 Rom I-VO, Art. 3 Rom II-VO, Art. 4 Rom III-VO, Art. 20 EuErbVO, Art. 15 EuUntVO i. V. m. Art. 2 HUntProt 2007; Art. 21 VO-Entwurf für Ehegüterrecht, Art. 16 VO-Entwurf für das Güterrecht eingetragener Partnerschaften) konterkariert.81 Dieses Argument ist insofern nicht überzeugend, als die Verordnungen auch an anderen Stellen zwischen Drittund Mitgliedstaaten differenzieren (Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO, Art. 7 Abs. 3 lit. c Rom I-VO, Art. 14 Abs. 3 Rom II-VO).82 Außerdem lässt es sich ohne Weiteres feststellen, ob ein anderer Staat Dritt- oder Mitgliedstaat ist, sodass keine Schwierig keiten in der Rechtsanwendung entstehen. Weiterhin wird gegen die Beachtung eines renvoi generell argumentiert, dass dadurch die Vorhersehbarkeit einer Entscheidung erschwert und folglich die Rechtssicherheit gefährdet werde.83 Ferner erfordere die Beachtung eines renvoi die Ermittlung ausländischen Rechts, was mitunter schwierig sowie zeit- und kostenaufwendig sein könne und daher naturgemäß nicht im Parteiinteresse liege.84 Dagegen lässt sich einwenden, dass jedenfalls im Falle einer Rückverweisung die Rechtsanwendung sogar erleichtert werden kann. Der Richter kann nämlich das eigene Sachrecht anstatt des ausländischen Sachrechts anwenden, sodass in Rückverweisungsfällen Praktikabilitätserwägungen und Rechtssicherheit durchaus für die Beachtung eines renvoi sprechen.85 Diese Praktikabilitätserwägungen werden mit dem Begriff des „Heimwärtsstrebens“ umschrieben,86 also der Tendenz, das eigene Sachrecht anzuwenden. Die Intention wird mitunter kritisiert, da das Kollisionsrecht die sachnächste Rechtsordnung ermitteln wolle, nicht hingegen dem Richter 81 Vgl.
Mankowski, IPRax 2010, 389, 398; Nehne, AT, S. 314. von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 376; MüKo-von Hein, Art. 4 EGBGB Rn. 127. 83 Vgl. Nussbaum, IPR, S. 58; Kropholler, IPR, S. 178; Gottschalk, Allgemeine Lehren, S. 136. 84 Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 299–305; Sonnentag, Renvoi, S. 146; Kropholler, IPR, S. 43. 85 So auch Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 19; Kropholler, IPR, S. 165 f.; Baetge, JuS 1996, 600, 603. 86 Vgl. Sonnentag, Renvoi, S. 141 f. m. w. N.; dazu schon oben, S. 32. 82
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2. Kapitel: Renvoi
ermöglichen solle, das eigene Recht um jeden Preis anzuwenden.87 Solange dieses Streben nach der Anwendung des eigenen Sachrechts mit Praktikabilitätserwägungen begründet wird und nicht mit der Überlegenheit des eigenen Rechts,88 handelt es sich aber um eine durchaus sachgerechte Erwägung.89 Wenn nämlich die vom eigenen Kollisionsrecht berufene fremde Rechtsordnung sich selbst nicht für die sachnächste Rechtsordnung hält und gar nicht angewendet werden will, lohnt sich die Mühe der Ermittlung und Anwendung fremden Sachrechts nicht.90 In einer solchen Rückverweisungssituation spricht nichts dagegen, Praktikabilitätserwägungen den Ausschlag geben zu lassen. Es entspricht hier gerade dem Interesse der Parteien und des Gerichts, Schwierigkeiten in der Ermittlung des fremden Rechts zu vermeiden und so Kosten zu sparen.91 Der Aufwand des inländischen Richters erschöpft sich nämlich darin, zu prüfen, ob das Kollisionsrecht des fremden Staates eine Rückverweisung vorsieht oder nicht. Diese Prüfung wird in den meisten Fällen weniger aufwendig sein als die Anwendung ausländischen Sachrechts, da der Richter für Staaten, mit denen häufig Berührungen auftreten, nur einmalig die Haltung dieses Staates in der renvoi-Frage ermitteln muss.92 Zudem handelt es sich bei der Tatsache, ob der fremde Staat einen renvoi beachtet, lediglich um eine meist einfach zu beantwortende Rechtsfrage, während die Anwendung einer fremden materiellen Rechtsordnung auf einen kompletten Sachverhalt eine umfangreichere Prüfung erfordert.93 Das Beispiel der Rückverweisung zeigt, dass die Intention des Heimwärtsstrebens nicht immer im Spannungsverhältnis mit dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs stehen muss. Vielmehr sprechen im Falle der Rückverweisung sowohl das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs als auch die Praktikabilitätserwägungen, die hinter dem Heimwärtsstreben stehen, dafür, eine Rückverweisung auf das eigene Recht zu beachten. Probleme entstehen lediglich, wenn der ausländische Staat eine Gesamt-Rückverweisung ausspricht, da in diesem Fall unendliche Verweisungsschleifen entstehen, die den Entscheidungseinklang gefährden. Welchen Weg der europäische Gesetzgeber für diese Fälle gehen sollte – also Abbruch beim eigenen Recht, Beachtung eines double renvoi oder Befolgung der foreign court theory – wird noch Gegenstand der Untersuchung sein.
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Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 298 f. Neuhaus, Grundbegriffe, S. 67 f. mit Verweis auf OLG Hamburg v. 19.2.1932, IPRspr. 1932, Nr. 59, S. 125, 128. 89 So auch von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 91; von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 349. 90 So auch Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 19; Neuhaus, Grundbegriffe, S. 270 f.; Kropholler, IPR, S. 166; Wolff, IPR, S. 76; kritisch in Bezug auf den „Anwendungswillen“ einer Rechtsordnung Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 294 f. 91 Hausmann, EhescheidungsR, Art. 12 Rom III-VO A Rn. 346. 92 So Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 19; a. A. Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 299 f.; MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 4 EGBGB Rn. 22. 93 Vgl. auch Balogh, Rec. des Cours 57 (1936-III), 571, 630; Reichart, Renvoi, S. 31. 88 Vgl.
D. Grundsätzliche Argumente in der renvoi-Frage
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Früher wurde außerdem argumentiert, dass die Beachtung eines drittstaatlichen renvoi den internen Entscheidungseinklang – etwa zwischen Vertragsstaaten eines Übereinkommens – beeinträchtige, da die Vertragsstaaten unterschiedliche Haltungen zur renvoi-Frage einnehmen könnten.94 Diese Gefahr der Beeinträchtigung des internen Entscheidungseinklangs besteht mit dem vereinheitlichten Kollisionsrecht in der EU jedoch nicht mehr, da die Verordnungen selbst jeweils die renvoi-Frage regeln und keinen Raum für unterschiedliche nationale Kollisionsrechte lassen.95 Auch die Tatsache, dass der renvoi Verweisungsschleifen verursacht, deren Auflösung nicht unumstritten ist, spricht nicht generell gegen die Beachtlichkeit eines renvoi.96 Vielmehr lassen sich diese Probleme durch den Abbruch der Verweisung beim eigenen Recht, durch die Befolgung eines double renvoi oder durch die Anwendung der foreign court theory lösen. In der Diskussion um die Beachtlichkeit des renvoi werden außerdem des Öfteren Souveränitätsaspekte als Argumente in beide Richtungen vorgebracht.97 Während einige Gegner des renvoi der Ansicht sind, die Anwendung ausländischen Rechts gegen den Willen des ausländischen Staates verletze dessen Souveränität,98 gehen die Anhänger des renvoi davon aus, die Souveränität und Interessen des fremden Staates würden in besonderem Maße geachtet, wenn man das fremde Kollisionsrecht beachte und dessen Verweisungen befolge. Das Argument ist jedoch für keine der beiden Richtungen überzeugend. Die Souveränität eines ausländischen Staates wird nicht dadurch verletzt, dass dessen Sachrecht in einem inländischen Verfahren angewendet wird, obwohl dieser Staat das eigene Sachrecht in einem entsprechenden Verfahren im eigenen Land nicht angewendet hätte. Es kommt nämlich nicht auf den Anwendungswillen der fremden Rechtsordnung an, sondern auf den in ländischen Anwendungsbefehl und den Gestaltungswillen des inländischen Gesetzgebers.99 Zudem ist es nicht primäre Aufgabe des Kollisionsrechts, staatliche Interessen miteinander in Einklang zu bringen. Vielmehr geht es um den Ausgleich privater Interessen und die Herstellung von Gerechtigkeit zwischen den Parteien,100
94
Kropholler, IPR, S. 178; Gottschalk, Allgemeine Lehren, S. 136 f. Mankowski, IPRax 2010, 389, 398. 96 So auch Sonnentag, Renvoi, S. 101; von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 346; a. A. noch Kahn, JherJb 30 (1891), 1, 23. 97 Dazu ausführlich Sonnentag, Renvoi, S. 104 f.; MüKo-von Hein, Art. 4 EGBGB Rn. 6 –8; von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 344–346; Francescakis, Renvoi, S. 121–126. 98 S. Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, S. 205–215; im Übrigen s. die Nachweise bei von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 344 mit Fn. 15. 99 Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 294 f.; Sonnentag, Renvoi, S. 104 f.; von Hein in Leible/ Unberath, S. 341, 345; vgl. auch Reichart, Renvoi, S. 24. 100 Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 294: „Es geht nicht um eine Verbeugung vor fremden Hoheitsrechten, sondern um eine angemessene Streitentscheidung durch einen inländischen Richter aufgrund inländischer Hoheitsmacht.“; so auch von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 345. 95 Vgl.
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auch wenn dabei mitunter öffentliche Interessen zu berücksichtigen101 und Anwendungsansprüche unterschiedlicher Rechtsordnungen zu koordinieren sind.102 Letztlich kommt es darauf an, ob man die Beachtung eines drittstaatlichen renvoi als Preisgabe eigener Wertungen begreift. Sieht man in Kollisionsnormen eine absolute Entscheidung des europäischen Gesetzgebers für eine bestimmte kollisionsrechtliche Wertung, wird man den renvoi in der Tat als Gefahr für die Durchsetzung dieser Wertung sehen müssen.103 Man sollte die kollisionsrechtliche Entscheidung eines Gesetzgebers für ein bestimmtes Anknüpfungsmoment jedoch nicht als absolute Wertentscheidungen ansehen.104 Vielmehr handelt es sich um „Annäherungswerte“,105 die sowohl einem zeitlichen als auch einem räumlichen Wandel unterliegen. Der Gesetzgeber selbst zeigt etwa durch die Einführung von Ausweichklauseln, dass er nicht um jeden Preis an einem Anknüpfungsmoment festhalten will. Er will das Recht angewendet wissen, zu dem die engste Verbindung besteht. Wenn eben dieses Recht, das vom eigenen Gesetzgeber als das „richtige“ berufen wird, eine andere Anknüpfung vorsieht, sollte diese nicht generell ignoriert werden.106 Man sollte den renvoi daher nicht grundsätzlich ablehnen, sondern vielmehr aufgrund der Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes eine Entscheidung treffen. Es sollte eine Abwägung getroffen werden, welche Ziele der Gesetzgeber als besonders wichtig empfunden hat.107 Wird in einem Rechtsgebiet dem internationalen Entscheidungseinklang der Vorrang eingeräumt, spricht dies für eine Gesamtverweisung.108 Sollen hingegen ausnahmsweise unbedingte und besondere materiell-rechtliche Gerechtigkeitserwägungen durchgesetzt werden, während das Prinzip des Entscheidungseinklangs eine untergeordnete Rolle spielt, sollte von einer Sachnormverweisung ausgegangen werden.
E. Behandlung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht Im Folgenden soll die Haltung des europäischen Verordnungsrechts zum renvoi untersucht werden, wobei ein Schwerpunkt auf der EuErbVO liegt, da diese erstmals einen renvoi in weitem Umfang zulässt. Angesichts des unterschiedlich starken Be101 Beispielsweise bei der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen, dazu noch unten, S. 252 ff. 102 Dazu insbesondere im Falle von Immobilien unten, S. 300 ff. 103 In diese Richtung Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 290. 104 Dazu bereits oben, S. 23 ff. 105 MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 4 EGBGB Rn. 21; vgl. auch Gottschalk, Allgemeine Lehren, S. 141 f. 106 Vgl. auch von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 346 f., der als grundsätzliches Argument für den renvoi anführt, dass dieser das „materiell bessere Recht“ auffinden und so kollisionsrechtliche Einzelfallgerechtigkeit herstellen könne. 107 Zum Folgenden Sonnentag, Renvoi, S. 164–168. 108 So auch von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 363.
E. Behandlung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht
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dürfnisses nach internationalem Entscheidungseinklang wird im Folgenden zwischen Vermögensrecht (Rom I-VO und Rom II-VO) einerseits und den statusrechtlichen bzw. statusnahen Verordnungen (Rom III-VO, EuErbVO, EuUntVO, EhegüterVO-E, EPartVO-E) andererseits differenziert.109 I. Vermögensrechtliche Verordnungen 1. Rom I-VO Im Vermögensrecht spricht zunächst im Bereich der vertraglichen Schuldverhältnisse die Rom I-VO in Art. 20 eine Sachnormverweisung aus, indem sie bestimmt, dass unter dem anzuwendenden Recht die in diesem Staate geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internationalen Privatrechts zu verstehen sind. Dies gilt gemäß Art. 20 Hs. 2 Rom I-VO nur, soweit in der Verordnung nichts anderes bestimmt ist. In Betracht kommen als Ausnahmen vom Grundsatz der Sachnormverweisung lediglich wenige Fallgruppen. a) Regelungen des Versicherungsrechts (Art. 7 Abs. 3, 4 Rom I-VO) Vereinzelt werden Normen des internationalen Versicherungsrechts unter Art. 20 Hs. 2 Rom I-VO eingeordnet.110 Nach Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 Rom I-VO können die Mitgliedstaaten für Versicherungsverträge über Massenrisiken eine gegenüber der Verordnung größere Rechtswahlfreiheit einräumen. In Art. 7 Abs. 4 lit. b Rom I-VO wird den Mitgliedstaaten ebenfalls gestattet, eine weitergehende Regelung zur Pflichtversicherung zu treffen. In beiden Fällen ist somit möglich, dass das autonome mitgliedstaatliche Kollisionsrecht – entgegen Art. 20 Rom I-VO – eine Gesamtverweisung ausspricht. Letztlich handelt es sich bei Art. 7 Abs. 3 und 4 Rom I-VO damit aber nicht stets um Fälle der Gesamtverweisung, sondern lediglich um Öffnungsklauseln, die nur nach mitgliedstaatlichem Recht im Einzelfall zu einer Gesamtverweisung führen können.111 Eine Gesamtverweisung wird in diesen Fällen also gerade nicht durch die Verordnung, sondern durch mitgliedstaatliches Recht ausgesprochen. b) Rechtswahl durch die Parteien Ob die Parteien selbst kraft Rechtswahl eine Gesamtverweisung aussprechen und damit auch das Kollisionsrecht eines Staates wählen können, war schon zu Art. 35
109
Dazu oben, S. 36 ff.; s. auch von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 359 f. So MüKo-Martiny, Art. 20 Rom I-VO Rn. 4. 111 So auch Palandt-Thorn Art. 20 Rom I-VO Rn. 2; vgl. auch Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 7 Rom I-VO Rn. 15, der die Regelung nur für „renvoiähnlich“ hält; a. A. von Hein in Leible/ Unberath, S. 341, 367 f., der die Regelung als renvoi versteht und daher im Interesse der Rechtsvereinheitlichung streichen möchte. 110
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EGBGB nicht abschließend geklärt.112 Auch unter Geltung der Rom I-VO ist dies umstritten. Nach dem Wortlaut von Art. 20 Rom I-VO, der eine Gesamtverweisung nur für zulässig erklärt, soweit dies in der Verordnung bestimmt ist, dürfte dies wohl den Parteien nicht mehr möglich sein, da im Falle der Rechtswahl die Gesamtverweisung gerade nicht durch die Verordnung, sondern durch die Parteien bestimmt wird.113 Die Verordnung hingegen ermöglicht den Parteien die Rechtswahl in den Grenzen des Art. 3 Rom I-VO, für den wiederum der Grundsatz der Sachnormverweisung ohne Einschränkung gilt.114 Auch historisch spricht gegen eine Möglichkeit der Rechtswahl eines fremden IPR, dass dies durch die Vorläufervorschrift – Art. 15 EVÜ115 – im Giuliano-Lagarde-Bericht116 ausdrücklich ausgeschlossen wurde.117 Hinzu kommt, dass es aus Sicht der Parteien ohnehin lebensfremd ist, das Recht des Staates B unter Einschluss seines Kollisionsrechts zu wählen, um über das Kollisionsrecht des Staates B letztlich zur Anwendbarkeit des materiellen Rechts des Staates C zu gelangen. In einem solchen Fall liegt es für die Parteien näher, sofort unmittelbar das Sachrecht des Staates C zu wählen bzw. eine entsprechende Parteivereinbarung in diesem Sinne auszulegen.118 Außerdem entspricht eine solche Rechtswahl in der Regel auch nicht dem Interesse der Parteien, da die Folgen schwer vorhersehbar sind und damit Rechtsunsicherheit geschaffen wird.119 c) Sonderfall: materielle Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen Im Zusammenhang mit der Rom I-VO erscheint schließlich die Behandlung des renvoi bei der Bestimmung des auf die materielle Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen anzuwendenden Rechts diskussionswürdig. Zwar sind Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgenommen, sodass es sich streng genommen nicht um ein Problem des Art. 20 Rom I-VO handelt. Die revidierte Fassung der 112
MüKo-Martiny (2006), Art. 35 EGBGB Rn. 4 –6. So auch MüKo-Martiny, Art. 20 Rom I-VO Rn. 5 f.; Palandt-Thorn, Art. 20 Rom I-VO Rn. 1; Ferrari/Kieninger-Kieninger, Art. 20 Rom I-VO Rn. 6; Rühl, FS Kropholler, S. 187, 195; Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 307 f.; Rugullis, ZVglRWiss 106 (2007), 217, 221 noch zu der Vorgängervorschrift des Art. 15 EVÜ; von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 368 f.; a. A. Erman-Hohloch, Art. 20 Rom I-VO Rn. 2; Staudinger-Hausmann, Art. 20 Rom I-VO Rn. 12; Sandrock, FS Kühne, S. 881, 893 f.; Prütting/Wegen/Weinreich-Brödermann/Wegen, Art. 20 Rom I-VO Rn. 3. 114 So auch Nehne, AT, S. 309. 115 Römisches EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980, BGBl. 1986 II, S. 810, in der Fassung des 3. Beitrittsübereinkommens vom 29.11.1996, BGBl. 1999 II, S. 7. 116 S. dazu die Erläuterungen im Giuliano-Lagarde-Bericht, ABl. EU 1980 L 282/1, 37 f. 117 Näher dazu Nehne, AT, S. 310; Rugullis, ZVglRWiss 106 (2007), 217, 221–223. 118 Dazu Kegel/Schurig, IPR, S. 404; Kropholler, IPR, S. 175 f.; vgl. auch von Hein in Leible/ Unberath, S. 341, 369, der auf den geringen „Leidensdruck“ für die Parteien hinweist. 119 Kropholler, IPR, S. 175. 113
E. Behandlung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht
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Brüssel I-VO (Brüssel Ia-VO)120 enthält im Gegensatz zur derzeitigen Fassung in Art. 25 Abs. 1 S. 1 aber eine Regelung zur materiellen Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen. Sofern dieser Regelung der Brüssel Ia-VO, die die internatio nale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen – und damit gerade für die vermögensrechtlichen Rom I- und Rom II-Verordnungen – regelt, eine Aussage hinsichtlich der Beachtlichkeit des renvoi zu entnehmen ist, könnte sich dies wertungsmäßig auf die Beurteilung eines renvoi im Kollisionsrecht der Rom I-VO auswirken. Art. 25 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Erwägungsgrund 20 Brüssel Ia-VO scheint einen renvoi nämlich für beachtlich zu erklären, was einen Wertungswiderspruch zur Rom I-VO, in der der Grundsatz der Sachnormverweisung herrscht, darstellen könnte. Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO bestimmt: „Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell nichtig.“
Erwägungsgrund 20 Brüssel Ia-VO konkretisiert insofern: „Stellt sich die Frage, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats materiell nichtig ist, so sollte sie nach dem Recht einschließlich des Kollisionsrechts des Mitgliedstaats des Gerichts oder der Gerichte entschieden werden, die in der Vereinbarung bezeichnet sind.“
Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO legt also im Zusammenspiel mit Erwägungsgrund 20 Brüssel Ia-VO fest, dass die materielle Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht des Mitgliedstaates des prorogierten Gerichts zu beurteilen ist, wobei nicht direkt das Sachrecht der lex fori, sondern das Kollisionsrecht des Staates des prorogierten Gerichts zu befragen ist. Für eine derartige Auslegung spricht, dass das Ergebnis Art. 5 Abs. 1 des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen entspricht,121 an den Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO bewusst angelehnt ist. Zwischen beiden Regelungen sollte damit Kohärenz erzielt werden, um eine unterschiedliche Behandlung von EU-Drittstaaten, die aber Vertragspartei des Haager Übereinkommens sind, zu vermeiden.122 Durch diese Auslegung wird ein eventueller renvoi im Kollisionsrecht der lex fori beachtet.123 Dennoch ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber durch Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO eine generelle Aussage über die Beachtlichkeit eines renvoi treffen wollte. Hauptanliegen der Norm ist es vielmehr, klarzustellen, dass gerade keine 120 Verordnung (EU) Nr. 1251/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.12 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU 2012 Nr. L 351/1. 121 Übereinkommen vom 30.6.2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen, ABl. EU 2009 Nr. L 133/1; s. zu dieser Auslegung des Art. 5 Abs. 1 Hartley/Dogauchi-Report, Rn. 125. 122 Dazu Steinle/Vasiliades, JPrivIntL 6 (2010), 565, 586 f. 123 Kritisch dazu Camilleri, JPrivIntL 7 (2011), 297, 318 f.
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Vereinheitlichung des Kollisionsrechts auf europäischer Ebene stattfindet. Die Rom I-VO erklärt sich für diese Frage nämlich gem. Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO für unanwendbar; die Mitgliedstaaten müssen weiterhin ihr nationales Kollisionsrecht befragen. Die Regelung bezweckt außerdem, die Kohärenz mit dem Haager Übereinkommen zu erhöhen sowie die einheitliche Anwendung der Verordnung zwischen den Mitgliedstaaten zu sichern.124 Ob Letzteres gelungen ist, darf zwar bezweifelt werden, da das anwendbare IPR gerade nicht vereinheitlicht wird und so weiterhin nationale Unterschiede in der Anknüpfung fortbestehen können.125 Jedoch zeigt dies, dass es nicht Ziel des Gesetzgebers war, generell einen renvoi ins Vermögensrecht einzuführen. Dies gilt umso mehr, als es sich bei der materiellen Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung ohnehin um eine Spezialfrage handelt, die nicht verallgemeinerungsfähig ist. Ein Wertungszusammenhang zwischen Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO und der Rom I-VO könnte sich schließlich höchstens daraus ergeben, dass ein Mitgliedstaat mangels autonomen Kollisionsrechts für vertragliche Schuldverhältnisse126 die Rom I-VO analog auf die Frage der materiellen Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung anwendet.127 Dies tut der jeweilige Mitgliedstaat jedoch nicht, weil es unionsrechtlich geboten ist, sondern es handelt sich um eine rein nationale Entscheidung im autonomen IPR. Hieraus können daher keine Rückschlüsse für die europäische Ebene gezogen werden. In der Regelung des Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO ist daher kein Wertungs widerspruch oder gar eine Ausnahme zur generellen Sachnormverweisung des Art. 20 Rom I-VO zu sehen. d) Zwischenergebnis Für Art. 20 Hs. 2 verbleibt somit kein Anwendungsbereich.128 Es bleibt dabei, dass die Verordnung selbst stets eine Sachnormverweisung ausspricht. Ein renvoi wird somit in der Rom I-VO gänzlich ausgeschlossen.
124 Dazu
Heinze, RabelsZ 75 (2011), 581, 585. Heinze, RabelsZ 75 (2011), 581, 585–587 schlägt daher vor, in die neue Brüssel I-VO eine wirkliche Kollisionsnorm aufzunehmen, die direkt das auf die Frage der materiellen Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung anzuwendende Recht bestimmt. 126 So wurden beispielsweise in Deutschland die autonomen Regelungen für vertragliche Schuldverhältnisse im EGBGB nach Inkrafttreten der Rom I-VO aufgehoben. S. zur Doppelnatur der Gerichtsstandsvereinbarung als materiell-rechtlicher Vertrag einerseits und Prozessvertrag andererseits MüKo-Martiny, vor Art. 1 Rom I-VO Rn. 51 m. w. N. 127 Palandt-Thorn, Art. 1 Rom I-VO Rn. 11; vorsichtiger Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 1 Rom I-VO Rn. 30; Ferrari/Kieninger-Kieninger, Art. 1 Rom I-VO Rn. 18; a. A. MüKo-Martiny, vor Art. 1 Rom I-VO Rn. 61, 80, der auf die für den Hauptvertrag ermittelte lex causae abstellt. 128 Ähnlich Heinze, FS Kropholler, S. 105, 117. 125
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2. Rom II-VO Ebenso wie Art. 20 Rom I-VO verfährt Art. 24 Rom II-VO, der für außervertrag liche Schuldverhältnisse eine inhaltsgleiche Regelung enthält. Lediglich die in Art. 20 Hs. 2 Rom II-VO erwähnte Ausnahmeregelung („soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist“) fehlt in Art. 24 Rom II-VO völlig. So stellt sich im Rahmen der objektiven Anknüpfung gar nicht erst die Frage, ob ausnahmsweise eine Gesamtverweisung vorliegt. Im Rahmen der subjektiven Anknüpfung ist wiederum fraglich, ob die Parteien das Kollisionsrecht eines fremden Staates wählen können. Aus systematischer Sicht spricht viel dafür, dies parallel zur Rom I-VO zu behandeln.129 Hinzu kommt, dass Art. 24 Rom II-VO keine Ausnahmevorschrift wie Art. 20 Hs. 2 Rom I-VO enthält. Daraus folgt im Erst-Recht-Schluss, dass eine parteiautonome Gesamtverweisung nach der Rom II-VO nicht möglich ist.130 Wiederum gilt, dass eine solche Rechtswahl des IPR in der Regel ohnehin nicht dem Willen der Parteien entspricht. Auch unter Geltung der Rom II-VO ist ein renvoi damit gänzlich ausgeschlossen. Extremfälle, in denen der internationale Entscheidungseinklang Vorrang gegenüber anderen Zielen genießen sollte, können ausnahmsweise auf Tatbestandsebene – namentlich über die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO – berücksichtigt werden.131 Damit können insbesondere auch Konkurrenzprobleme zwischen der Rom II-VO und den gem. Art. 28 Abs. 2 Rom II-VO an sich vorrangigen Haager Übereinkommen über Straßenverkehrsunfälle132 und Produkthaftung133 gelöst werden.134 3. Bewertung für die vermögensrechtlichen Verordnungen Da der internationale Entscheidungseinklang das Hauptargument für die Beachtung eines renvoi darstellt, liegt es nahe, dass die Bedeutung des Prinzips des Entscheidungseinklangs in einem Rechtsgebiet ausschlaggebend dafür ist, ob ein renvoi zugelassen wird oder nicht.135 129
So auch von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 364. auch Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 24 Rom II-VO Rn. 3; Prütting/Wegen/Weinreich-Schaub/Mörsdorf-Schulte, Art. 24 Rom II-VO Rn. 1; a. A. MüKo-Junker, Art. 24 Rom II-VO Rn. 9; Erman-Hohloch, Art. 24 Rom II-VO Rn. 2; Rauscher-Jakob/Picht, Art. 24 Rom II-VO Rn. 5. 131 So auch von Hein, FS Kropholler, S. 553, 568 f.; ders. in Leible/Unberath, S. 341, 364; ders., RabelsZ 73 (2009), 461, 474; Mankowski, IPRax 2010, 389, 399; NK-Schulze, Art. 24 Rom II-VO Rn. 4; s. auch Stoll, IPRax 1984, 1, 2. 132 Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht v. 4.5.1971, Jayme/Hausmann Nr. 100. 133 Haager Übereinkommen über das auf die Produkthaftpflicht anzuwendende Recht v. 2.10.1973, abgedruckt bei Staudinger-von Hoffmann Art. 40 EGBGB Rn. 80. 134 Dazu von Hein, FS Kropholler, S. 553, 568 f. 135 So ausdrücklich MüKo-Junker, Art. 24 Rom II-VO Rn. 2; s. auch Kropholler, IPR, S. 178 f.; vgl. auch Sonnentag, Renvoi, S. 166–168, der den Entscheidungseinklang als entscheidendes Kriterium für die renvoi-Frage ansieht. 130 So
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Wie bereits ausgeführt, besteht in vermögensrechtlichen Verhältnissen ein geringeres Interesse an der Erzielung von Entscheidungseinklang als in statusrechtlichen Verhältnissen.136 Der Ausschluss des renvoi in der Rom I- und der Rom II-VO steht damit im Einklang mit der geringeren Bedeutung des Prinzips des Entscheidungseinklangs im Vermögensrecht. Stattdessen hat der europäische Gesetzgeber in einer Abwägungsentscheidung anderen Interessen den Vorrang eingeräumt. Zum einen besteht nämlich grundsätzlich ein Interesse daran, die Bestimmung des anwendbaren Rechts nicht mit der Prüfung des Kollisionsrechts eines Drittstaates zu verkomplizieren.137 Dementsprechend hat die Kommission den Ausschluss des renvoi im Rahmen der Rom II-VO auch mit dem Argument der Rechtssicherheit begründet.138 Um die Einfachheit der Rechtsanwendung zu gewährleisten, soll also die Entscheidung des Verordnungsgebers, welche Rechtsordnung die sachnächste ist, als kollisionsrechtlich gerecht und damit abschließend angesehen werden,139 ohne dass drittstaatliche Abweichungen berücksichtigt werden könnten. Dies macht das anwendbare Recht für die Parteien vorhersehbarer, sodass sie ihre Rechts verhältnisse dementsprechend gestalten können. Die freie Gestaltbarkeit spielt im Vermögensrecht eine wichtigere Rolle als im Statusrecht, was sich insbesondere an den Beschränkungen sowohl der Privat- als auch der Parteiautonomie im Statusrecht zeigt. Zum anderen lässt sich der Ausschluss des renvoi mit dem Differenzierungsgrad der Kollisionsnormen begründen.140 Je differenzierter die Kollisionsnorm, desto geringer ist das Interesse, diese Wertung zu Gunsten eines möglicherweise weniger ausdifferenzierten ausländischen Kollisionsrechts aufzugeben.141 Wie oben dargestellt, werden mit den vermögensrechtlichen Verordnungen vermehrt materiell- rechtliche sozialpolitische Interessen verfolgt, die gerade mit differenzierten Kollisionsnormen durchgesetzt werden. Indem beispielsweise Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO bestimmte Vertragstypen aufzählt, anstatt lediglich eine Generalklausel bereitzuhalten (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO für die sonstigen Fälle), trifft der Gesetzgeber eine ausdifferenzierte Entscheidung. Das Gleiche gilt für die außervertraglichen Schuldverhältnisse, für die sich in Art. 5 ff. Rom II-VO zahlreiche ausdifferenzierte Anknüpfungsmethoden finden. Paradebeispiel dafür ist Art. 5 Rom II-VO, der für die Produkthaftung eine 7-sprossige Anknüpfungsleiter bereithält, die kumulative A nknüpfungskriterien und mehrere subsidiäre Anknüpfungsmomente kombiniert. 136
Dazu oben, S. 36 ff. So auch MüKo-Martiny, Art. 20 Rom I-VO Rn. 2; MüKo-Junker, Art. 24 Rom II-VO Rn. 1; NK-Leible, Art. 20 Rom I-VO Rn. 3; Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798, 1807. 138 KOM (2003) 427 endg., S. 30 (Erläuterung zu Art. 20). 139 Vgl. BT-Drucks. 10/503, S. 70. 140 Dazu MüKo-Junker, Art. 24 Rom II-VO Rn. 2; Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256, 307. 141 Fuchs, GPR 2004, 100, 104; von Hein, ZVglRWiss 102 (2003), 528, 551; Leible in Reichelt IPR, S. 31, 50; vgl. auch Ferrari/Kieninger-Kieninger, Art. 20 Rom I-VO Rn. 5. 137
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Sinn und Zweck dieser Norm ist gerade die Anknüpfungsgerechtigkeit,142 deren Zweck durch die Zulassung eines drittstaatlichen renvoi beeinträchtigt werden könnte. Im Anwendungsbereich der Rom II-VO bestünde auch ein Spannungsverhältnis zwischen der Zulassung eines renvoi und dem Ubiquitätsprinzip, das im Bereich der Umwelthaftung (Art. 7 Rom II-VO) gilt.143 Eine besondere materiell-rechtliche Wertung soll auch die Anknüpfung an das Marktortrecht in Art. 6 Rom II-VO umsetzen, in dem die Chancengleichheit der Wettbewerber gesichert werden soll.144 Es wurde bereits erwähnt, dass auch die Art. 6 –9 Rom I-VO besondere sozialpolitische Zwecke verfolgen.145 Im Rahmen der Entstehungsgeschichte der Rom II-VO wurde vorgebracht, der Ausschluss des renvoi sei im Hinblick auf die Erzielung von internationalem Entscheidungseinklang bedenklich.146 Der Ausschluss ist angesichts der Tatsache, dass der internationale Entscheidungseinklang im Vermögensrecht keinen Leitfaktor für die Ermittlung des anwendbaren Rechts darstellt, jedoch überzeugend.147 Stattdessen kommt der Durchsetzung materiell-rechtlicher Wertungen, die durch differenzierte Anknüpfungen erreicht werden sollte, Vorrang zu.148 Insbesondere besteht keine Veranlassung, vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse unterschiedlich zu behandeln,149 da die genannten Erwägungen für beide Bereiche gelten. Der Annahme, die Rom I-VO sei renvoi-freundlicher, da Art. 20 Rom I-VO im letzten Halbsatz eine Ausnahme enthalte („soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist“),150 ist nicht zuzustimmen, da die Ausnahme praktisch keinen Anwendungsbereich hat.151 Für eine Gleichbehandlung von vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnissen spricht auch, dass ohnehin ein enger Zusammenhang zwischen Vertragsstatut und dem anwendbaren Recht nach der Rom II-VO besteht. Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO ermöglicht insbesondere eine akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts an das Vertragsstatut. Auch Fragen des Bereicherungsrechts (Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO), der Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 11 Rom II-VO) oder der culpa in contrahendo (Art. 12 Rom II-VO) werden häufig dem Vertragsstatut unterstellt. Die Rom I-VO und die Rom II-VO schließen damit für den Bereich des Vermögensrechts zu Recht den renvoi in gleichem Umfang – nämlich gänzlich – aus.152 142 Palandt-Thorn,
Art. 5 Rom II-VO Rn. 5. Mankowski, IPRax 2010, 389, 398. 144 Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256, 307. 145 Dazu S. 33 f., 46. 146 Leible/Engel, EuZW 2004, 7, 16; von Hein, RabelsZ 73 (2009), 461, 474. 147 MüKo-Martiny, Art. 20 Rom I-VO Rn. 2; Lorenz IPRax 1995, 329, 330; Staudinger-Hausmann, Art. 20 Rom I-VO Rn. 5. 148 Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256, 307 f.; NK-Schulze, Art. 24 Rom II-VO Rn. 3. 149 Vgl. auch Mankowski, IPRax 2010, 389, 398. 150 MüKo-Junker, Art. 24 Rom II-VO mit Fn. 5; von Hein, ZEuP 2009, 6, 25; ders., RabelsZ 73 (2009), 461, 474. 151 Dazu oben, S. 87 ff. 152 Kritisch aus der Zeit der Entstehung der Rom II-VO noch Kreuzer in Reichelt/Rechberger 143
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II. Statusrechtliche Verordnungen Mehrere Stimmen in der Literatur sahen den renvoi auf europäischer Ebene bereits auf dem Rückzug und vom Aussterben bedroht.153 Zumindest die soeben untersuchten vermögensrechtlichen Rom I- und Rom II-Verordnungen sehen ausnahmslos Sachnormverweisungen vor. Bei der nun folgenden Untersuchung der statusrechtlichen Verordnungen bietet sich zunächst ein Blick auf die EuErbVO an, da diese sich nicht in die rückläufige Entwicklung des renvoi auf EU-Ebene einfügt, sondern unter bestimmten Voraussetzungen eine Gesamtverweisung ausspricht. Dies hat beachtliche Aussagekraft für die Systembildung, da anhand dieser – zuletzt erlassenen – Verordnung untersucht werden kann, warum gerade im Erbrecht der renvoi für beachtlich erklärt wird und ob die ausdifferenzierte Regelung der EuErbVO auf die anderen statusrechtlichen Verordnungen übertragbar ist.154 1. EuErbVO Der Verordnungsentwurf sah, parallel zu den anderen Verordnungen, eine Sachnormverweisung vor und schloss damit einen renvoi generell aus.155 Hieran regte sich in der Literatur aber starke Kritik, da so im Verhältnis zu Drittstaaten der internationale Entscheidungseinklang beeinträchtigt werde.156 Der Verordnungsgeber änderte die Regelung daraufhin, sodass Art. 34 EuErbVO nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen die Beachtlichkeit eines ausländischen renvoi vorsieht: „Art. 34: Rück- und Weiterverweisung (1) Unter dem nach dieser Verordnung anzuwendenden Recht eines Drittstaats sind die in diesem Staat geltenden Rechtsvorschriften einschließlich derjenigen seines Internationalen Privatrechts zu verstehen, soweit diese zurück- oder weiterverweisen auf: a) das Recht eines Mitgliedstaates oder b) das Recht eines anderen Drittstaats, der sein eigenes Recht anwenden würde.
(2004), S. 13, 52 f.; Leible/Engel EuZW 2004, 7, 16; befürwortend u. a. Chong ICLQ 57 (2008), 863, 896 f.; Fuchs, GPR 2004, 100, 104; von Hein ZVglRWiss 102 (2003), 528, 551. 153 S. dazu Henrich, FS von Hoffmann, S. 159, 165; Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 286, 308– 312; Leible in Reichelt IPR, S. 31, 50 f. 154 Henrich, FS von Hoffmann, S. 159, 165 spricht der EuErbVO insofern eine „Schlüsselfunk tion“ zu. 155 Art. 26 des Vorschlags für eine Verordnung über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses vom 14.10.2009, KOM (2009) 154 endg. 156 Kritisch insbesondere Kindler, IPRax 2010, 44, 48 f.; ders., FS Siehr, S. 251, 255 f.; MPI, RabelsZ 75 (2010), 522, 659; Süß, ZErb 2009, 342, 344; Wagner, DNotZ 2010, 506, 516; Stellungnahme des Deutschen Rates für IPR zum Grünbuch: Bauer, IPRax 2006, 202 f.; Sonnenberger, IPRax 2011, 325, 330; Schurig, in FS Spellenberg, S. 343, 348 f.: „schwerwiegender rechtspolitischer Fehler“; Geimer in Reichelt/Rechberger Erbrecht, S. 1, 8 f.; Bariatti/Pataut in Fallon/La garde/Poillot-Peruzzetto, S. 337, 360; a. A. Lorenz, ErbR 2012, 39, 47.
E. Behandlung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht
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(2) Rück- und Weiterverweisungen durch die in Art. 21 Abs. 2, Art. 22, Art. 27, Art. 28 Buchstabe b und Art. 30 genannten Rechtsordnungen sind nicht zu beachten.“
Im Folgenden soll untersucht werden, in welchen Konstellationen durch die EuErbVO nunmehr eine Gesamtverweisung ausgesprochen wird (a) und in welchen Fällen der Verordnungsgeber beim Grundsatz der Sachnormverweisung geblieben ist (b und c). Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Erreichbarkeit von Entscheidungseinklang gelegt, da es das entscheidende Kriterium in der renvoi-Frage ist. Untersucht werden soll daher auch, warum der europäische Gesetzgeber nicht für alle Verweisungskonstellationen eine Gesamtverweisung vorgesehen hat. Um die verschiedenen Verweisungskonstellationen möglichst vergleichbar zu halten, werden nachfolgend keine realen Fallbeispiele untersucht, sondern die beteiligten Staaten mit A, B und C bezeichnet, wobei A der Forumsmitgliedstaat ist, der auf den Drittstaat B verweist, der – in Weiterverweisungskonstellationen – auf einen weiteren Drittstaat, nämlich C, verweisen kann. Auf diese Weise werden die dogmatischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Fälle, die in Gruppen kategorisiert werden können, erkennbar. Damit ist nicht nur ein deutlicherer Vergleich der einzelnen Verweisungskonstellationen untereinander möglich, sondern auch ein Vergleich des europäischen Verordnungsrechts mit der Rechtslage unter dem EGBGB. So können Argumente aus der Diskussion des deutschen Kollisionsrechts auch für die europäische Ebene fruchtbar gemacht werden. a) Fälle des Art. 34 Abs. 1 EuErbVO: Gesamtverweisung Die Verordnung regelt in Art. 34 Abs. 1 lit. a einen Fall der Rückverweisung, während sich Art. 34 Abs. 1 lit. b EuErbVO mit der Weiterverweisung befasst. Vorweg bleibt nochmals anzumerken, dass Art. 34 EuErbVO nur die Fälle der Verweisung auf einen Drittstaat regelt. Im Fall der Verweisung auf einen Mitgliedstaat hätte eine Gesamtverweisung rein deklaratorische Wirkung, da das IPR ohnehin innerhalb der Mitgliedstaaten vereinheitlicht ist. Im Umkehrschluss zu Art. 34 EuErbVO ist für Verweise auf einen Mitgliedstaat vom Grundsatz der Sachnormverweisung auszugehen.157 Dies sollte im Interesse der Rechtssicherheit für den europarechts unkundigen Rechtsanwender klargestellt werden.158 Die folgenden Darstellungen beschränken sich daher auf Verweisungen auf Drittstaaten. aa) Art. 34 Abs. 1 lit. a: Rückverweisung Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO bestimmt, dass die Rückverweisung durch drittstaatliches Kollisionsrecht auf das Recht eines Mitgliedstaates beachtlich ist. 157
So auch MüKo-Dutta, Art. 34 EuErbVO Rn. 12. Auch das Max-Planck-Institut spricht sich in seiner Stellungnahme zum vorherigen Verordnungsvorschlag für eine solche deklaratorische Regelung im Verhältnis zu Mitgliedstaaten aus, s. MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 656, 658; a. A. Vékás, in Reichelt/Rechberger Erbrecht, S. 41, 46. 158
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2. Kapitel: Renvoi
(1) Verweisungsschleifen Ist die Verweisung des drittstaatlichen Rechts eine Gesamtverweisung, käme es aber wiederum zu einem „Ping-Pong-Spiel“. Hier gibt es, wie bereits beschrieben,159 drei Möglichkeiten der Auflösung: den Abbruch der Verweisung beim eigenen Recht (vgl. Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB), die Beachtung eines double renvoi oder die Anwendung der foreign court theory. Die Verordnung selbst schweigt leider zu der Frage, wo und wie im Falle einer Gesamt-Rückverweisung die Verweisungskette abzubrechen ist. Da eine Gesamtverweisung gemäß Art. 34 Abs. 1 eine Ausnahme für einige drittstaatliche Sachverhalte darstellt, entspricht es systematisch wohl am ehesten dem Sinn der Verordnung, in den Fällen einer Rückverweisung auf mitgliedstaatliches Recht (Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO) eine drittstaatliche Gesamtverweisung als Sachnormverweisung zu verstehen und so – parallel zu Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB – einen Abbruch der Verweisung beim eigenen mitgliedstaatlichen Recht vorzunehmen.160 Wenn nämlich originär mitgliedstaatliches Recht berufen wäre, wenn also Forum-Mitgliedstaat A das Recht von Mitgliedstaat A2 beruft, würde ebenfalls eine Sachnormverweisung vorgenommen – ohne den Umweg über Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO. Die einzige Möglichkeit, in möglichst vielen Fällen von Rückverweisungen Entscheidungseinklang zu erzielen, bestünde darin, rechtsvergleichend zu ermitteln, wie viele Drittstaaten jeweils welcher der einzelnen drei Möglichkeiten folgen und dann die gegenteilige Haltung einzunehmen. Wenn beispielsweise die Mehrheit der Staaten einen Abbruch beim eigenen Recht vornimmt, könnte sich der europäische Gesetzgeber bewusst für einen double renvoi bzw. die foreign court theory entscheiden, um – durch die unterschiedliche Haltung in der renvoi-Frage – in Rückverweisungsfällen möglichst häufig Entscheidungseinklang zu erzielen. Eine rein quantitative Betrachtung wird jedoch den einzelnen Wertungen, die in den verschiedenen Rechtsgebieten eine Rolle spielen, nicht gerecht. Auch die qualitative Suche nach bestimmten Staaten, mit denen häufig internationaler Kontakt besteht – etwa von Staaten, aus denen häufig Migranten nach Deutschland kommen, – erscheint eher zufällig. Insbesondere wäre schon die Ermittlung dieser Staaten sehr kompliziert und fehleranfällig, da ein ausländischer Staat möglicherweise – vergleichbar zur Sinnklausel des Art. 4 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 EGBGB – ähnlich schwer vorhersehbare Ausnahmen von der Beachtlichkeit bzw. Nichtbeachtlichkeit des renvoi vorsieht. Die ausländische Haltung in allen Fällen vorherzusehen, erscheint daher hypothetisch und sehr schwierig.
159
S. oben, S. 77 ff. So auch Solomon, FS Schurig, S. 237, 253; Heinze, FS Kropholler, S. 105, 119; von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 374; Schack, IPRax 2013, 315, 319; a. A. Kreuzer in Jud/Rechberger, S. 1, 26 f.; Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 165. 160
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Da die Rechtsfigur des renvoi in Rückverweisungsfällen an ihre Grenzen stößt, soll ten für die Frage der Lösung des Verweisungs-Ping-Pongs anderen Interessen als dem Prinzip des Entscheidungseinklangs in einer Abwägung der Vorzug gewährt werden. Ob ein Staat die Verweisungskette bei sich selbst abbricht, hängt letztlich von der Frage ab, ob er im Falle einer Rückverweisung nicht dem Heimwärtsstreben – und damit der Erleichterung der Rechtsanwendung im Inland – den Vorrang vor der Erzielung von Entscheidungseinklang einräumen sollte. Durch einen grundsätzlich beachtlichen renvoi demonstriert der Ausgangsstaat bereits, dass er der Berücksichtigung fremden Rechts offen gegenübersteht. Wenn nun dieses Recht aber nicht angewendet werden will und zurückverweist, vereinfacht der Abbruch beim eigenen Recht die Rechtslage erheblich. Spricht das Ausgangsrecht wiederum einen renvoi (double renvoi) aus, überlässt es letztlich dem ausländischen Recht den Abbruch beim eigenen Recht, obwohl dieses primär gar nicht angewendet werden wollte. Auch der Drittstaat, der die Verweisungskette bei sich abbricht, wird dies nur tun, um seinen Gerichten die Rechtsanwendung zu erleichtern und nicht, weil dies das einzig richtige Ergebnis ist.161 In einem solchen Falle ist es durchaus legitim, den eigenen verfahrensökonomischen Interessen,162 die hinter dem Phänomen des Heimwärtsstrebens stehen, Vorrang einzuräumen. Gerade die Annahme eines double renvoi oder die Befolgung der foreign court theory würde die Rechtsanwendung erheblich erschweren. Dies gilt umso mehr, als der Abbruch beim eigenen Recht noch immer nicht bedeutet, dass die Chance auf Entscheidungseinklang vertan ist. Dies hängt, wie bereits gezeigt, von der Haltung des drittstaatlichen Rechts ab. Wenn also ohnehin kein Entscheidungseinklang erzielt werden kann und auch der Anwendungswille der drittstaatlichen Rechtsordnung nur auf der Vereinfachung der Rechtsanwendung beruht, ist es durchaus sachgerecht, dem eigenen Interesse an der Erleichterung der Rechtsanwendung in der Abwägung den Vorrang einzuräumen. Auch die Rechtssicherheit wird gefördert, da es sich um eine inhaltlich eindeutige Lösung handelt. Die Lösung ist damit vorzugswürdig gegenüber der Anwendung ausländischen Rechts um jeden Preis.163 Eine entsprechende Regelung, die einen Abbruch der Verweisung bei mitgliedstaatlichem Recht vornimmt, sollte daher in die Verordnung aufgenommen werden. (2) Befolgung der Rückverweisung Jedenfalls in den Fällen, in denen sich das drittstaatliche Recht anders zur renvoi-Frage verhält – etwa durch Aussprache einer Sachnormverweisung oder aber durch eine Gesamtverweisung kombiniert mit Befolgung eines double renvoi oder der foreign court theory – , wird durch die Befolgung der Rückverweisung in Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO Entscheidungseinklang erreicht. 161
So auch Solomon, FS Schurig, S. 237, 253. von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 96 zu Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB. 163 So auch Solomon, FS Schurig, S. 237, 253. 162
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2. Kapitel: Renvoi
Spräche die EuErbVO hingegen, wie der Verordnungsentwurf es vorsah, stets eine Sachnormverweisung auch in Drittstaatenfällen aus, würde das drittstaatliche Kollisionsrecht von vornherein ignoriert und es bestünde nicht einmal das Potential, Entscheidungseinklang mit dem Drittstaat herzustellen. Dies gilt natürlich nur für den Fall, in dem der Drittstaat nicht das eigene Sachrecht anwenden würde. Würde er ohnehin das eigene Sachrecht anwenden, führt auch eine Sachnormverweisung durch die EuErbVO zu demselben Entscheidungsergebnis. Die jeweilige Haltung des Drittstaates ist jedoch aus Sicht des europäischen Kollisionsrechts rein zufällig. Dasselbe Ergebnis kann erzielt werden, indem von vornherein das Kollisionsrecht des Drittstaates befragt wird. Insofern ist die jetzige Regelung im Vergleich zum Entwurf vorzugswürdig, da sie in den genannten Fällen die Haltung des drittstaatlichen Kollisionsrechts nicht ignoriert, sondern sich um die Herstellung von Entscheidungseinklang bemüht. Dass Entscheidungseinklang im Fall von Rückverweisungen nur erzielt werden kann, wenn sich die beteiligten Rechtsordnungen unterschiedlich verhalten, ist kein spezifisches Problem der Regelung in Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO. Vielmehr ist dies der Tatsache geschuldet, dass das Prinzip des Entscheidungseinklangs ein faktisch unerreichbares Ideal darstellt, sodass die Figur des renvoi kraft Natur der Sache zur Erreichung dieses Ziels nur begrenzt tauglich sein kann. (3) Rückverweisung auf das Recht „eines“ Mitgliedstaates Positiv hervorzuheben ist auch, dass Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO nicht nur die Rückverweisung auf den Forumstaat, sondern auf jeden beliebigen Mitgliedstaat („das Recht eines Mitgliedstaates“) erfasst: Gesamtverweisung
Gesamtverweisung
Die Berücksichtigung der Rückverweisung auf das Recht eines jeden beliebigen Mitgliedstaates fördert zum einen die Einheit des Rechtsraumes Europa und die Rechtssicherheit.164 Zum anderen wird es in der Rechtsanwendung für ein mitgliedstaatliches Gericht einfacher sein, das Sachrecht eines anderen Mitgliedstaates anzuwenden als das Sachrecht eines Drittstaates.165 Schließlich wird hierdurch der internationale Entscheidungseinklang gefördert. 164 165
MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 660, das von einem „new European concept“ spricht. MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 660.
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Forumstaat A, der Mitgliedstaat ist, spricht gemäß Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO eine Gesamtverweisung auf Drittstaat B aus, der wiederum auf Mitgliedstaat A2 verweist. Hier sollte, wie dargestellt, davon ausgegangen werden, dass die Verordnung dann einen Abbruch beim mitgliedstaatlichen Recht vornimmt. Bei einer Klage in Mitgliedstaat A wird also das Recht des Mitgliedstaates A2 angewendet. Gleiches gilt, wenn in A2 geklagt wird. Nach Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO wird eine Gesamtverweisung auf das Recht des Drittstaates B ausgesprochen und B verweist zurück auf A2, wo wiederum ein Abbruch vorgenommen wird. Auch wenn in B geklagt wird, wird eine Gesamtverweisung auf A 2 ausgesprochen, die dort angenommen wird. (4) Zwischenergebnis Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO den internationalen Entscheidungseinklang fördert und daher zu begrüßen ist. Es sollte klargestellt werden, dass das Problem einer unendlichen Verweisungsschleife durch einen Abbruch beim mitgliedstaatlichen Recht gelöst wird (vgl. Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB). Dies kann zwar in gewissen Konstellationen den Entscheidungseinklang gefährden. Im Rahmen einer Abwägung ist hier jedoch anderen Faktoren, insbesondere der Erleichterung der Rechtsanwendung sowie der Rechtssicherheit, der Vorrang einzuräumen. bb) Art. 34 Abs. 1 lit. b: Weiterverweisung Art. 34 Abs. 1 lit. b EuErbVO erkennt die Weiterverweisung durch drittstaatliches Recht auf das Recht eines anderen Drittstaats, der sein eigenes Recht anwenden würde, an: Sachnormverweisung
Gesamtverweisung
Anerkennung
Da die Weiterverweisung noch in größerem Maße als die Rückverweisung abstrakt geeignet ist, Entscheidungseinklang zu erzielen,166 ist die Anerkennung der Weiter166
Dazu oben, S. 79 ff.
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2. Kapitel: Renvoi
verweisung in lit. b grundsätzlich zu begrüßen. In dem konkret von Art. 34 Abs. 1 lit. b EuErbVO erfassten Fall gelingt die Herstellung von Entscheidungseinklang mit zwei Drittstaaten: Verweist das mitgliedstaatliche Recht des Forumstaates A auf die Rechtsordnung des Drittstaates B, die wiederum auf den weiteren Drittstaat C weiterverweist, und erkennt Staat C diese Weiterverweisung an, wird das Recht des Staates C berufen. Wird in B geklagt, spricht das Recht des Staates B wiederum eine Gesamtverweisung auf C aus, die in Staat C angenommen wird. Auch wenn in Staat C geklagt wird, beruft dessen Kollisionsrecht das eigene Sachrecht. Das Entscheidungsergebnis ist damit unabhängig vom Gerichtsort, und es wird aus mitgliedstaatlicher Sicht sogar mit zwei Drittstaaten Entscheidungseinklang hergestellt.167 cc) Zusammenfassende Bewertung: Gesamtverweisung durch Art. 34 Abs. 1 EuErbVO Entscheidend für eine Bewertung des Art. 34 Abs. 1 EuErbVO ist, welches Kriterium den europäischen Gesetzgeber dazu veranlasste, einen renvoi anzuerkennen. In der Literatur wurde diesbezüglich vorgeschlagen, einen renvoi in Fällen zuzulassen, in denen an die Staatsangehörigkeit angeknüpft wird.168 In der EuErbVO wird primär an den gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft, sodass das Anknüpfungs moment nicht der entscheidende Gesichtspunkt für die Beachtlichkeit eines renvoi darstellen kann. Daher überzeugt es auch nicht, die Anknüpfung an den gewöhn lichen Aufenthalt generell als renvoi-feindlicher anzusehen.169 Der europäische Gesetzgeber sieht das Anknüpfungsmoment nicht als entscheidendes Kriterium in der renvoi-Frage. Vielmehr ist davon auszugehen, dass das hohe Gewicht, das in der Diskussion dem internationalen Entscheidungseinklang gegenüber Drittstaaten in Erbschaftsfragen beigemessen wurde, den europäischen Gesetzgeber zu einer teilweisen Beachtung des renvoi in Art. 34 EuErbVO bewogen hat. Diese Vermutung steht auch im Einklang damit, dass in vermögensrechtlichen Verhältnissen (Rom I- und Rom II-VO) der renvoi ausgeschlossen wird, gerade weil die Erreichbarkeit von Entscheidungseinklang in diesem Bereich nicht als entscheidender Faktor angesehen wird.170 Vor diesem Hintergrund ist die Anerkennung sowohl der Rückverweisung als auch der 167 Eine ähnliche Regelung enthält Art. 4 Haager Erbrechtsübereinkommen aus dem Jahre 1989, das für Deutschland nicht in Kraft getreten ist (Übersetzung in IPRax 2000, 53–59). Die Beachtung der akzeptierten Weiterverweisung wurde in der Literatur begrüßt, da sich auf diese Weise internationaler Entscheidungseinklang im Verhältnis zu beiden beteiligten Drittstaaten erzielen lässt; dazu Gottschalk, Allgemeine Lehren, S. 136; Kropholler, FS Henrich, S. 393, 398–400. 168 Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 308. 169 Dazu auch von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 357. 170 MüKo-Junker, Art. 24 Rom II-VO Rn. 2; Kropholler, IPR, S. 178 f.; Sonnentag, Renvoi, S. 166–168.
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akzeptierten Weiterverweisung durch die EuErbVO zu begrüßen, da der internationale Entscheidungseinklang auf diese Weise in vielen Fällen gefördert wird. Im Erbrecht könnte trotz der hohen Bedeutung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs gegen die Zulassung eines renvoi ein besonderer Grund sprechen. In Fällen, in denen das drittstaatliche Recht einen nur teilweisen renvoi ausspricht und dieser beachtet wird, kann es zu einer Nachlassspaltung kommen. Wenn die europäische Kollisionsregel eine Gesamtverweisung auf einen Drittstaat ausspricht, der keine Nachlasseinheit vorsieht, sondern beispielsweise zwischen der Erbfolge in bewegliches und unbewegliches Vermögen differenziert und für Letzteres auf die lex rei sitae verweist, kommt es zu einem teilweisen renvoi für dieses unbewegliche Vermögen. Beachtet die EuErbVO diesen, beurteilt sich die Erbfolge in den beweglichen Nachlass nach einem anderen Recht als die Erbfolge in den unbeweglichen Nachlass. Diese Nachlassspaltung will die EuErbVO, die – ebenso wie das deutsche Kollisionsrecht – dem Grundsatz der Nachlasseinheit folgt (s. Art. 4, 21 und Erwägungsgrund 37 S. 3 EuErbVO), grundsätzlich vermeiden. Auch Art. 34 Abs. 2 EuErbVO, der den Grundsatz der Sachnormverweisung unter anderem für die Fälle des Art. 30 EuErbVO vorschreibt, kann hier keine Abhilfe schaffen, da Art. 30 EuErbVO die nur kollisionsrechtliche Nachlassspaltung gerade nicht erfasst.171 Man könnte hier daran denken, in der EuErbVO nur einen vollständigen renvoi zuzulassen.172 Eine solche Regelung wäre wiederum sehr kompliziert. Hinzu kommt, dass gerade in statusrechtlichen Verhältnissen die Bedeutung des internatio nalen Entscheidungseinklangs überwiegt, da das Entstehen hinkender Rechtsverhältnisse wesentlich gravierendere Folgen mit sich bringen kann als vereinzelt auftretende Nachlassspaltungen.173 Es ist auch davon auszugehen, dass dem Verordnungsgeber das Spannungsverhältnis bewusst war, da das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in seiner Stellungnahme während des Entstehungsprozesses der Verordnung darauf hingewiesen hat, dass es zu einem teilweisen renvoi und damit zur Nachlassspaltung kommen kann.174 Sowohl das MPI als auch der Verordnungsgeber wollen das Spannungsverhältnis aber zugunsten des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs auflösen und nehmen so gelegentliche Nachlassspaltungen aufgrund eines teilweisen renvoi in Kauf.175 Dass solche auftreten können, spricht daher nicht gegen die Beachtung eines renvoi im Erbrecht.
171
Dazu noch unten, S. 125. Lehmann, Brüssel-IV Verordnung, S. 110; vorsichtiger MüKo-von Hein, Art. 4 EGBGB Rn. 131; dagegen MüKo-Dutta, Art. 34 EuErbVO Rn. 8. 173 So auch Wagner, DNotZ 2010, 506, 516; Bauer, IPRax 2006, 202, 203; Mansel, FS Ansay’a Armağan, S. 185, 215. 174 MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 660. 175 MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 660. 172
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2. Kapitel: Renvoi
Schließlich sei darauf hingewiesen, dass die Gesamtverweisung nach Art. 34 Abs. 1 EuErbVO in der jetzigen Version eine relativ geringe praktische Bedeutung hat.176 Grund dafür ist, dass Art. 34 Abs. 2 EuErbVO insbesondere für diejenigen Fälle Sachnormverweisungen vorsieht, in welchen das drittstaatliche Recht durch Rechtswahl bestimmt wurde (Art. 22 Abs. 1 EuErbVO) oder in denen die Ausweichklausel (Art. 21 Abs. 2 EuErbVO) zur Anwendbarkeit drittsstaatlichen Rechts geführt hat. Für eine nach Art. 34 Abs. 1 EuErbVO beachtliche Gesamtverweisung bleiben damit nur noch die Fälle, in denen sich der gewöhnliche Aufenthalt des Erb lassers zur Zeit des Todes in einem Drittstaat befand (Art. 21 Abs. 1 EuErbVO). Gera de in diesen Fällen wird aber ein mitgliedstaatliches Gericht nur selten international zuständig sein. In Betracht kommt insofern nur eine subsidiäre Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 1, Abs. 2 EuErbVO oder eine Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO. Die geringe praktische Relevanz sollte aber aus zwei Gründen nicht davon abhalten, die Norm ausführlich und unter Beachtung weiterer möglicher Verweisungskonstellationen zu untersuchen. Zum einen lassen sich aus der grundsätzlichen Beachtung eines renvoi wichtige Rückschlüsse auf den Stellenwert des internationalen Entscheidungseinklangs im europäischen Verordnungsrecht ziehen. Für die Herstellung eines kohärenten Systems ist die Untersuchung der Haltung des europäischen Gesetzgebers in der renvoi-Frage daher unerlässlich. Zum anderen sollen auch die Ausnahmen des Art. 34 EuErbVO beleuchtet werden. Sollte die Untersuchung zu dem Ergebnis kommen, dass die Norm insofern auszuweiten ist und Ausnahmefälle aus Art. 34 Abs. 2 EuErbVO zu streichen sind, würde dies die praktische Relevanz der Gesamtverweisung in der EuErbVO erhöhen. b) Nicht von Art. 34 Abs. 1 EuErbVO erfasste Fälle: Sachnormverweisung Nicht ausdrücklich geregelt ist, wie in Fällen zu verfahren ist, die nicht in Art. 34 Abs. 1 EuErbVO aufgeführt sind. In Anbetracht der Vorgängerregelung im Verordnungsentwurf, nach der jede Verweisung eine Sachnormverweisung sein sollte, muss aus dem jetzigen Art. 34 EuErbVO wohl der Umkehrschluss gezogen werden, dass alle nicht genannten Fälle Sachnormverweisungen sein sollen.177 Eine gesetzgeberische Klarstellung wäre insofern wünschenswert. Fragwürdig ist, warum die Anerkennung der Weiterverweisung in Art. 34 Abs. 1 lit. b EuErbVO auf den Fall der vom Drittstaat akzeptierten Weiterverweisung beschränkt wurde. Nicht erfasst sind die Konstellationen der nicht akzeptierten Weiterverweisung, obwohl möglicherweise auch dort Entscheidungseinklang zu erzielen wäre, wenn die Weiterverweisung beachtet würde. Diese Fälle sind schon im Rahmen des Art. 4 EGBGB umstritten.178 176 Zum Folgenden Palandt-Thorn, Art. 34 EuErbVO Rn. 1; Dörner, ZEV 2012, 505, 511; Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 164; von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 380 f. 177 So auch Solomon, FS Schurig, S. 237, 241 f. 178 Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 54–58; dazu bereits oben, S. 80 f.
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Ob der Verordnungsgeber auch für diese Fälle der nicht akzeptierten Weiter verweisung eine Gesamtverweisung aussprechen sollte, ist Gegenstand der folgenden Untersuchung. aa) Parameter der zu untersuchenden Weiterverweisungkonstellationen In einem Fall, an dem mehr als zwei Staaten beteiligt sind, gibt es etliche verschiedene Verweisungsmöglichkeiten.179 Diese können sich in mehrfacher Hinsicht unterscheiden: Zum einen kann jeder einzelne Staat entweder eine Sachnorm- oder eine Gesamtverweisung aussprechen. Zum anderen kann jeder Staat entweder eine Rück- oder Weiterverweisung vornehmen, wobei wiederum stets auf einen anderen Staat verwiesen werden kann. Schließlich kann jeder beteiligte Staat das Problem der unendlichen Verweisungsschleifen unterschiedlich lösen. Die Darstellung jeder einzelnen denkbaren Verweisungskonstellation würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Daher wird die Darstellung dadurch vereinfacht und vergleichbar gehalten, dass den folgenden Beispielgruppen, die unter (1) und (2) diskutiert werden, einige feste Parameter zugrunde liegen: Der Forumstaat ist stets ein Mitgliedstaat, der als Staat A bezeichnet wird. Sollte ein weiterer Mitgliedstaat beteiligt sein, wird dieser Staat A2 genannt. Die beteiligten Mitgliedstaaten sprechen unter Geltung der EuErbVO in den zu untersuchenden Konstellationen stets eine Sachnormverweisung aus. Der Drittstaat, auf den durch das mitgliedstaatliche Recht zuerst weiterverwiesen wird, ist als Staat B bezeichnet. Dieser Staat B verweist seinerseits auf den Drittstaat C weiter. Dabei liegt stets eine Gesamt-Weiterverweisung durch B auf C vor. Die zu untersuchenden Konstellationen der nicht akzeptierten Weiterverweisung unterscheiden sich damit jeweils nur in der Haltung des IPR des Drittstaates C. Es ist davon auszugehen, dass die beteiligten Drittstaaten B und C bei einer Rückverweisung auf das eigene Recht entsprechend Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB verfahren und die ansonsten auftretende unendliche Verweisungsschleife damit jeweils beim eigenen Recht abbrechen. Diese Lösung ist im Vergleich zur Befolgung eines double renvoi oder der foreign court theory in der internationalen Praxis wohl die gängigste,180 da auf diese Weise dem Heimwärtsstreben und den dieser Intention zugrundeliegenden Praktikabilitätserwägungen nachgegeben wird. Untersucht wird für jede einzelne Konstellation zunächst, ob die jetzige Fassung der EuErbVO Entscheidungseinklang mit den anderen beteiligten Staaten herzustellen vermag. Sodann wird geprüft, welche Auswirkungen es auf den internationalen Entscheidungseinklang hätte, wenn die EuErbVO in den untersuchten Konstellationen statt einer Sachnormverweisung eine Gesamtverweisung ausspräche. Auf diese
179
S. etwa von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 224 zum deutschen IPR. Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 53 sowie die Länderberichte im Anhang zu Art. 4 EGBGB m. w. N. 180 S.
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2. Kapitel: Renvoi
Weise kann beurteilt werden, ob Art. 34 EuErbVO im Interesse des internationalen Entscheidungseinklangs weitere Verweisungskonstellationen erfassen sollte. (1) Weiterverweisung kombiniert mit Rückverweisung durch C auf A Möglich ist zum einen, dass das Recht des Staates C die Weiterverweisung nicht akzeptiert, sondern (als Gesamt- oder Sachnormverweisung) zurückverweist auf das Recht des Mitgliedstaates A (Ausgangsstaat). Dies ist kein Fall von Art. 34 Abs. 1 lit. b EuErbVO, da dieser nur die durch Staat C akzeptierte Weiterverweisung erfasst. Auch Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO umfasst diesen Fall nicht, da nach dem Wortlaut nur der Fall der Rückverweisung durch das unmittelbar vom Mitgliedstaat berufene Recht – also eine Rückverweisung durch Staat B – unter lit. a fällt. Da kein nach Art. 34 EuErbVO ausnahmsweise beachtlicher renvoi vorliegt, würden sowohl eine Weiterverweisung durch das von Staat A berufene Recht des Staates B auf Staat C als auch eine darauf folgende Rückverweisung durch Staat C auf Mitgliedstaat A ignoriert. Staat A spricht stattdessen eine Sachnormverweisung aus und wendet direkt das Sachrecht von Staat B an. (a) Sachnorm-Rückverweisung durch C auf A Die erste Möglichkeit besteht darin, dass C eine Sachnormverweisung auf das Recht des Mitgliedstaates A ausspricht: Sachnormverweisung
Gesamtverweisung Sachnormverweisung
Staat B verweist bei einer Klage im eigenen Staat auf Staat C, während C wiederum auf A zurückverweist. Da es sich dabei um eine Sachnormverweisung handelt, wäre das Recht von A anwendbar. Wird in Staat C geklagt, der wiederum eine Sachnormverweisung auf A ausspricht, kommt ebenfalls das Recht des Staates A zur Anwendung. Sowohl ein Richter in Staat B als auch ein Richter in Staat C kommt damit zur Anwendung des Rechts des Ausgangsstaates A, während Staat A – unter Anwendung der EuErbVO – die Weiterverweisung durch B und die Rückverweisung durch C ignoriert und in der Folge nicht das eigene Recht, sondern das des Staates B anwendet. Damit kommt es weder zu Entscheidungseinklang mit B und C noch dient dies dem Interesse des Heimwärtsstrebens, da so drittstaatliches Recht (das des Staates B) angewendet wird, obwohl dessen Kollisionsrecht sogar – auf dem Umweg über
E. Behandlung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht
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Staat C – mitgliedstaatliches Recht berufen würde. Zudem erscheint es wenig sinnvoll, eine Rückverweisung durch Staat B auf mitgliedstaatliches Recht als beachtlich einzustufen (Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO), während eine Weiterverweisung durch Staat B kombiniert mit einer Rückverweisung durch Staat C auf das eigene mitgliedstaatliche Recht unbeachtlich sein soll.181 In diesem Fall sprechen keine sachlichen Gesichtspunkte dafür, die Sachnorm-Rückverweisung, die durch Staat C ausgesprochen wird, zu ignorieren. Vielmehr sollte Art. 34 Abs. 1 lit. b EuErbVO grundsätzlich die Fälle der Weiterverweisung, die mit einer Rückverweisung auf Staat A kombiniert werden, ebenfalls umfassen. Dafür müsste A in demselben Fall eine Gesamtverweisung aussprechen: Gesamtverweisung
Gesamtverweisung Sachnormverweisung
Auf diese Weise kämen alle beteiligten Staaten unabhängig vom Ort des Forums zur Anwendbarkeit des Sachrechts von Mitgliedstaat A. Damit wäre nicht nur internationaler Entscheidungseinklang erzielt, sondern es entspricht auch Praktikabilitätsinteressen („Heimwärtsstreben“), dass im Ergebnis mitgliedstaatliches Sachrecht angewendet wird. (b) Gesamt-Rückverweisung durch C auf A Anstatt einer Sachnormverweisung kann Staat C auch eine Gesamtverweisung auf das Recht des Staates A aussprechen: Sachnormverweisung
Gesamtverweisung Gesamtverweisung
181
Darauf hinweisend Solomon, FS Schurig, S. 237, 255 f.
106
2. Kapitel: Renvoi
Für diesen Fall gestaltet sich die Situation unter Geltung der EuErbVO etwas anders: Bei einer Klage in Mitgliedstaat A bleibt es dabei, dass die EuErbVO eine Sachnormverweisung auf B ausspricht, sodass das Sachrecht des Staates B Anwendung findet. Bei einer Klage in B, dessen IPR eine Gesamtverweisung auf C ausspricht, dessen Kollisionsrecht wiederum eine Gesamtverweisung auf A ausspricht, muss das Kollisionsrecht von A befragt werden. Dieses spricht wiederum eine Sachnormverweisung auf B aus, die B bei sich abbricht.182 Forumstaat B kommt somit zur Anwendung des eigenen Rechts. Bei einer Klage in C verweist das IPR von C als Gesamtverweisung auf A, während die EuErbVO für diesen Fall wiederum eine Sachnormverweisung auf B ausspricht. Im Falle der Gesamt-Rückverweisung durch C kommen damit alle Staaten zur Anwendung des Rechts von B. Für diesen Fall wird damit schon jetzt durch die Verordnung mit allen beteiligten Staaten Entscheidungseinklang erreicht. Zu untersuchen ist also, welches Ergebnis erzielt würde, wenn für diese Konstellation Art. 34 EuErbVO ausgeweitet und A keine Sachnormverweisung, sondern eine Gesamtverweisung aussprechen würde: Gesamtverweisung
Gesamtverweisung Gesamtverweisung
Auf diese Weise käme jeder Staat letztlich zur Anwendung des eigenen Rechts, da alle beteiligten Staaten Gesamtverweisungen aussprechen und jeder Staat schließlich – es sei denn, es wird ausnahmsweise ein double renvoi ausgesprochen bzw. der foreign court theory gefolgt – die Verweisungskette bei sich abbrechen würde. In dieser Konstellation führt die Verordnung also derzeit zu Entscheidungseinklang mit B und C, während eine Änderung dazu führen würde, dass nicht einmal zwischen B und C Entscheidungseinklang bestünde. Die Konstellation, in der C eine Gesamt-Rückverweisung ausspricht, sollte daher nicht in Art. 34 EuErbVO aufgenommen werden. (c) Sachnorm-Rückverweisung durch C auf A2 Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass C – nach einer Weiterverweisung durch B – nicht auf das Recht des Ausgangsmitgliedstaates A zurückverweist, son182
S. die obigen Parameter, S. 103 f.
E. Behandlung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht
107
dern eine Sachnormverweisung auf das Recht eines anderen Mitgliedstaates (A2) ausspricht: Sachnormverweisung
Gesamtverweisung
Sachnormverweisung
Für die unmittelbare Rückverweisung durch B ist dieser Fall in Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO geregelt. Für die Rückverweisung durch C nach Weiterverweisung durch B ist Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO jedoch nicht anwendbar, da ausdrücklich nur lit. b von einem „anderen“ Drittstaat als dem zuerst berufenen spricht. Es bleibt also – in Anwendung der EuErbVO – wiederum bei einer Sachnormverweisung auf B. Ist A Forumstaat, kommt somit das Sachrecht des Staates B zur Anwendung. Wird in Staat B geklagt, spricht B eine Gesamtverweisung auf C aus. Spricht C wiederum eine Sachnormverweisung auf A 2 aus, kommt das Sachrecht von A 2 zur Anwendung. Das Sachrecht von A2 wird ebenso angewendet, wenn in Staat C geklagt wird, da durch C wiederum eine Sachnormverweisung ausgesprochen wird. Es kommt somit fast zur selben Situation wie im Falle der Sachnorm-Rückverweisung durch C auf A (Konstellation (a)): Ist A Forumstaat, wird drittstaatliches Recht angewendet, während beide beteiligten drittstaatlichen Rechtsordnungen das Sachrecht eines Mitgliedstaates (nämlich A2) anwenden würden. Das Ergebnis würde sich ändern, wenn A statt einer Sachnormverweisung eine Gesamtverweisung auf B ausspräche und den renvoi durch B anerkennen würde: Gesamtverweisung
Gesamtverweisung
Sachnormverweisung
In dieser Situation kämen alle beteiligten Rechtsordnungen zur Anwendung des Sachrechts von A2.
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2. Kapitel: Renvoi
Es ist wiederum nicht einzusehen, warum eine Rückverweisung durch B (Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO) anders behandelt werden soll als eine Rückverweisung durch C. Wird diese Konstellation in Art. 34 EuErbVO aufgenommen, wird Entscheidungseinklang zwischen allen beteiligten Staaten erzielt. Hinzu kommt, dass es für den Mitgliedstaat A in der Rechtsanwendung wohl einfacher ist, das Sachrecht eines anderen Mitgliedstaates (A 2) anzuwenden als das Recht eines Drittstaates. (d) Gesamt-Rückverweisung durch C auf A2 In derselben Konstellation kann C eine Gesamt-Rückverweisung auf A2 aussprechen: Sachnormverweisung
Gesamtverweisung
Gesamtverweisung
Für diesen Fall entsteht wiederum die parallele Situation zu der unter (b) geschilderten Konstellation. Unter Geltung der Verordnung kommen alle beteiligten Rechtsordnungen zur Anwendung des Rechts von B, sodass derzeit Entscheidungseinklang erzielt wird. Die Situation würde sich im Hinblick auf das Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs verschlechtern, wenn die EuErbVO eine Gesamtverweisung vorsähe: Gesamtverweisung
Gesamtverweisung
Gesamtverweisung
So käme nämlich jeder Staat zur Anwendung des eigenen Rechts, bzw. A käme zur Anwendung des Rechts von A2. Entscheidungseinklang kann hier also nicht erzielt werden.
E. Behandlung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht
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(e) Zwischenergebnis Zusammenfassend bleibt für den Fall der Weiterverweisung durch C auf A bzw. A2 zu sagen, dass in Fällen einer Sachnormverweisung durch C die EuErbVO derzeit keinen Entscheidungseinklang erzielt. Würde für diese Fälle der renvoi durch die EuErbVO für beachtlich erklärt, ergäbe sich Entscheidungseinklang zwischen allen beteiligten Staaten. Dies gilt sowohl für die Rückverweisung auf den Ausgangs-Mitgliedstaat A ((a)) als auch für die Rückverweisung auf einen anderen Mitgliedstaat A2 ((c)). Wird hingegen durch C eine Gesamtverweisung ausgesprochen, erzielt die derzeitige Fassung des Art. 34 EuErbVO bereits Entscheidungseinklang, sodass für diesen Fall weiterhin ein renvoi durch die anderen Staaten ignoriert werden sollte. Dies gilt wiederum für die Gesamt-Rückverweisung auf den Ausgangs-Mitgliedstaat A ((b)) sowie auf einen anderen Mitgliedstaat A2 ((d)). Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs spricht also dafür, die Konstellationen der nicht akzeptierten Weiterverweisung in Art. 34 EuErbVO aufzunehmen und einen renvoi für beachtlich zu erklären, sofern C eine Sachnorm- Rückverweisung auf A bzw. einen anderen Mitgliedstaat ausspricht. Für Gesamt- Rückverweisungen durch C müsste die jetzige Regelung im Interesse des Entscheidungseinklangs hingegen beibehalten werden. Der internationale Entscheidungseinklang sollte allein jedoch nicht den Ausschlag dafür geben, die EuErbVO insofern zu ändern. Stattdessen muss eine Abwägung stattfinden und der Nutzen einer solchen Regelung, die zwischen Sachnormund Gesamt-Rückverweisungen durch C differenziert, im Verhältnis zum Aufwand gesehen werden. An dieser Stelle kollidiert das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs vor allem mit Rechtssicherheit, Vorhersehbarkeit und Praktikabilitätserwägungen. Es stellt einen relativ komplexen Fall dar, dass der Drittstaat C auf den Forumstaat A bzw. einen anderen Mitgliedstaat A2 zurückverweist. Macht man nun die Frage, ob die EuErbVO einen renvoi beachtet, indem sie eine Gesamtverweisung ausspricht, davon abhängig, ob der Drittstaat C seinerseits eine Sachnorm-Rückverweisung (dann Beachtlichkeit des renvoi, s. Konstellationen (a) und (c)) oder eine Gesamt-Rückverweisung (dann Unbeachtlichkeit des renvoi, s. Konstellationen (b) und (d)) ausspricht, würde die Regelung sehr kompliziert. Dies würde die Bestimmtheit der Norm und damit die Rechtssicherheit beeinträchtigen. Die Rechtsanwendung würde für einfache Fälle unnötig kompliziert, nur um die sehr komplexen Rückverweisungsfälle zu erfassen, die in der Praxis ohnehin höchst selten auftreten.183 Im Ergebnis würde die Aufnahme der Fälle, in denen C eine Sachnorm-Rückverweisung auf A oder A2 ausspricht, den Entscheidungseinklang zwar fördern. Da die 183 Vgl. auch Neuhaus, Grundbegriffe, S. 272, der befürchtet, dass die Prüfung der Anknüpfungsregeln mehrerer fremder Rechtsordnungen ein „zu hoher Preis für die Hoffnung auf internationale Entscheidungsgleichheit ist“.
110
2. Kapitel: Renvoi
Fälle ohnehin selten auftreten, ist hier im Rahmen der Abwägung jedoch der Rechtssicherheit und Bestimmtheit der Vorrang einzuräumen. (2) Weiterverweisung kombiniert mit Rückverweisung durch C auf B Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass das IPR des Staates B eine Gesamtverweisung auf Staat C ausspricht, der nicht auf A, sondern seinerseits auf den Drittstaat B zurückverweist. Dies ist kein Anwendungsfall des Art. 34 EuErbVO, da kein Fall der akzeptierten Weiterverweisung (lit. b) vorliegt. Erneut kann C entweder eine Sachnormverweisung oder eine Gesamtverweisung aussprechen. (a) Sachnorm-Rückverweisung durch C auf B Zum einen kann die Rückverweisung durch C auf B als Sachnormverweisung ausgestaltet sein: Sachnormverweisung
Sachnormverweisung
Gesamtverweisung
Eine Rückverweisung durch Staat C auf Staat B ist nach dem Recht des Mitgliedstaates A – in Anwendung der EuErbVO – unbeachtlich. Wird in Staat A geklagt, wird damit das Recht des Staates B angewendet, da kein Fall eines beachtlichen renvoi vorliegt und somit eine Sachnormverweisung auf die Rechtsordnung B ausgesprochen wird. Ist B Forumstaat und spricht dessen IPR eine Gesamtverweisung auf C aus und das Kollisionsrecht von C seinerseits eine Sachnorm-Rückverweisung, kommt ebenfalls das Sachrecht von B zur Anwendung. Wird in Staat C geklagt, verweist dessen IPR als Sachnormverweisung direkt auf das Sachrecht von B. Für diesen Fall kommen also alle beteiligten Rechtsordnungen zur Anwendung des Rechts von B, sodass Entscheidungseinklang besteht. Das Ergebnis würde sich nicht ändern, wenn die EuErbVO für diese Konstella tion – entgegen Art. 34 EuErbVO – eine Gesamtverweisung aussprechen und damit einen renvoi für beachtlich erklären würde:
E. Behandlung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht
111
Gesamtverweisung
Sachnormverweisung
Gesamtverweisung
Bei einer Klage in A würde ebenfalls das Sachrecht von B angewendet (über den Umweg der Weiterverweisung auf C und dessen Sachnorm-Rückverweisung auf B). B und C würden ebenfalls weiterhin das Recht von B anwenden. Es käme wieder zu Entscheidungseinklang zwischen allen beteiligten Rechtsordnungen. Die geltende Fassung der EuErbVO kommt somit zum selben Ergebnis wie ein erweiterter Art. 34 EuErbVO, sodass dieser Fall nicht aufgenommen werden muss. Es kann bei einer weniger komplizierten Sachnormverweisung durch die EuErbVO bleiben, da ohnehin bereits Entscheidungseinklang mit allen Staaten erzielt wird. (b) Gesamt-Rückverweisung durch C auf B Wiederum besteht die Alternative für C darin, eine Gesamt-Rückverweisung auf B auszusprechen: Sachnormverweisung
Gesamtverweisung
Gesamtverweisung
Ist A Forumstaat, kommt unter Geltung der EuErbVO weiterhin direkt das Sachrecht des Staates B zur Anwendung. B seinerseits spricht eine Gesamtverweisung auf C aus, während das IPR von C eine Gesamt-Rückverweisung auf das IPR von B vornimmt. B bricht die Verweisungskette bei sich ab und wendet das eigene Sachrecht an. C bricht – anders als in Konstellation (a) bei einer Klage im eigenen Staat ebenfalls die Gesamt-Rückverweisung durch B bei sich ab, sodass ein Richter in Staat C ebenfalls zur Anwendung des eigenen Sachrechts kommt.
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2. Kapitel: Renvoi
Entscheidungseinklang wird in Anwendung der EuErbVO damit nur mit Staat B erzielt, nicht hingegen mit Staat C. Zwischen Staat B und C besteht ebenfalls kein Entscheidungseinklang, was aber auf deren Kollisionsrecht und den Abbruch der Verweisung beim eigenen Recht zurückzuführen ist. Dies stellt also kein Problem der EuErbVO dar, sondern liegt an dem generellen Problem des renvoi, das darin besteht, dass eine Verweisungsschleife an irgendeiner Stelle abgebrochen werden muss.184 Wiederum ändert sich das Ergebnis nicht, wenn die EuErbVO den Fall der Rückverweisung durch C auf B erfassen und diese akzeptieren würde: Gesamtverweisung
Gesamtverweisung
Gesamtverweisung
Bei einer Klage in Staat A käme man – über die Weiterverweisung von Staat B auf C und die Rückverweisung von Staat C auf B und den Abbruch der Verweisungskette bei B – zur Anwendung des Rechts des Staates B. Dies gilt jedenfalls, wenn der Mitgliedstaat A insofern keinen eigenmächtigen Abbruch der Verweisungskette bei einer der beteiligten Rechtsordnungen vornimmt, sondern stattdessen der foreign court theory folgt und so wie ein Richter des Staates B entscheidet, auf dessen Recht zuerst verwiesen wurde.185 Dass dies im Interesse des Entscheidungseinklangs grundsätzlich vorzugswürdig ist, wurde bereits dargestellt.186 Ebenso würde Staat B als Forumstaat über eine Weiterverweisung auf C kombiniert mit einer Gesamt-Rückverweisung durch C auf B ebenfalls – unter Abbruch der Verweisungskette – zur Anwendung des eigenen Rechts kommen. Lediglich Staat C käme zur Anwendung des eigenen Rechts. Die beteiligten Drittstaaten würden folglich das jeweils eigene Recht anwenden, während ein erweiterter Art. 34 EuErbVO das Recht des Staates B berufen würde. Sowohl die jetzige EuErbVO als auch ein erweiterter Art. 34 EuErbVO kämen somit zum gleichen Ergebnis.
184
Dazu oben, S. 77 ff. S. zum deutschen Recht Staudinger-Hausmann, Art 4 EGBGB Rn. 58; Palandt-Thorn, Art. 4 EGBGB Rn. 3 jeweils m. w. N. 186 Dazu oben, S. 79 f. 185
E. Behandlung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht
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(c) Zwischenergebnis Für beide Fälle der Rückverweisung durch C auf B – Sachnorm-Rückverweisung ((a)) und Gesamt-Rückverweisung ((b)) – gilt also, dass die Beachtung des renvoi durch die EuErbVO nichts gegenüber dem jetzigen Ergebnis ändern würde. Eine Aufnahme der Fälle in Art. 34 EuErbVO erscheint somit nicht zielführend. Trotzdem könnte für die Aufnahme dieser Konstellation ein systematisches Argument sprechen. Es wird als unbefriedigend erachtet, dass in der Verordnung verschiedene Mechanismen verwendet werden.187 Im Falle der akzeptierten Weiterverweisung (Art. 34 Abs. 1 lit. b EuErbVO) spricht die EuErbVO eine Gesamtverweisung aus, während es bei einer durch C nicht akzeptierten Weiterverweisung bei dem Grundsatz der Sachnormverweisung bleibt. Wie gezeigt, würde jedoch auch im Falle einer Gesamtverweisung im Ergebnis das Recht des Staates B angewendet. Man könnte daher auch für diesen Fall der nicht akzeptierten Verweisung eine Gesamtverweisung aussprechen und so keine verschiedenen Verweisungsmechanismen verwenden, ohne dass sich das Ergebnis ändern würde.188 Dies könnte die Rechtsanwendung möglicherweise erleichtern. Andererseits müssten dann sowohl das IPR des Staates B als auch des Staates C geprüft und angewendet werden, was wiederum die Rechtsanwendung komplexer gestalten würde. Die Rechtsanwendung würde außerdem noch weiter erschwert, da eine Vorschrift aufgenommen werden müsste, die regelt, dass im Falle einer Gesamt-Rückverweisung von C auf B der foreign court theory zu folgen ist, die sich zusätzlich in der Rechtsanwendung als kompliziert darstellt. Die vorgeschlagene Regelung für den Abbruch bei mitgliedstaatlichem Recht würde nämlich diesen Fall nicht erfassen, da die Gesamt-Rückverweisung von C auf B gerade ohne mitgliedstaatliche Beteiligung stattfindet. Hinzu kommt, dass die Verordnung ohnehin verschiedene Verweisungsmechanismen verwendet. Im Verhältnis zu Mitgliedstaaten, in allen nicht in Art. 34 Abs. 1 EuErbVO genannten Drittstaatensachverhalten sowie – als Gegenausnahme – in den Fällen des Art. 34 Abs. 2 EuErbVO werden Sachnormverweisungen ausgesprochen. In Art. 34 Abs. 1 EuErbVO werden hingegen ausnahmsweise Gesamtverweisungen ausgesprochen. Die Aufnahme dieser Konstellationen der nicht akzeptierten Weiterverweisung in Art. 34 Abs. 1 EuErbVO würde damit weder die Rechtsanwendung erleichtern189 noch einen einheitlichen Verweisungsmechanismus schaffen. Die EuErbVO erzielt bereits Entscheidungseinklang mit allen Rechtsordnungen (Konstellation (a)) bzw. zumindest mit einer Rechtsordnung (Konstellation (b)). Die Aussprache einer Gesamtverweisung durch die EuErbVO würde den Entscheidungseinklang nicht för187
Solomon, FS Schurig, S. 237, 254. Solomon, FS Schurig, S. 237, 254. 189 A.A. Solomon, FS Schurig, S. 237, 254, der die Sachnormverweisung hier für „unnötig kompliziert“ hält. 188 So
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2. Kapitel: Renvoi
dern, sondern zum selben Ergebnis kommen. Eine Sachnormverweisung durch die EuErbVO ohne den geschilderten Umweg über die Kollisionsrechte von B und C erscheint daher als der einfachere, rechtssicherere und praktikablere Weg. Damit sind auch die Fälle der Weiterverweisung kombiniert mit einer Rückverweisung durch C auf B nicht in den Anwendungsbereich des Art. 34 Abs. 1 EuErbVO aufzunehmen. Vielmehr sollte es auch für diese Fälle bei dem Grundsatz der Sachnormverweisung bleiben. bb) Weitere mögliche Konstellationen und zusammenfassende Würdigung Den Konstellationen unter (1) und (2) lag eine Gesamt-Weiterverweisung durch B auf C zugrunde, sodass sich die beschriebenen Fälle nur in der Haltung des Kollisionsrechts des Staates C unterscheiden. Wie bereits erwähnt,190 ist noch eine Vielzahl weiterer Konstellationen denkbar. Möglich ist beispielsweise auch, dass B eine Sachnormverweisung auf C ausspricht. Die Fälle der unterschiedlichen möglichen Haltungen des IPR von C wurden bereits untersucht. C kann Sachnorm-Rückverweisungen oder Gesamt-Rückverweisungen auf entweder Ausgangsmitgliedstaat A oder einen anderen Mitgliedstaat A2 oder auf die Rechtsordnung des Staates B aussprechen. Es handelt sich nur um kombinierte Situationen, die durch Kombination der Lösungen zu bewältigen sind. Hier sind daher nicht nochmals alle möglichen Kombinationen darzustellen. Es bleibt zusammenfassend lediglich Folgendes festzustellen: In Fällen, in denen sich die Drittstaaten zur renvoi-Frage gleich verhalten, werden beide zu verschiedenen anwendbaren Rechtsordnungen kommen.191 So wird zwischen diesen Staaten kein Entscheidungseinklang erzielt. Möglich ist zum einen, dass die Drittstaaten das jeweils andere Recht anwenden, z. B. weil sowohl B als auch C Sachnormverweisungen auf das jeweils andere Sachrecht aussprechen. Andererseits kann auch jeder Staat das jeweils eigene Recht anwenden, insbesondere durch Aussprache von Gesamtverweisungen und den Abbruch von Verweisungsketten bei sich selbst.192 Es handelt sich dabei stets um Fälle der nicht akzeptierten Weiterverweisung, sodass die EuErbVO in diesen Fällen – ohne die Kollisionsrechte der Drittstaaten zu befragen – das Sachrecht von B beruft, da kein Fall des Art. 34 EuErbVO vorliegt. Seltsam ist bei dieser Betrachtung, dass die Beachtung eines renvoi durch das von der EuErbVO berufene Recht des Staates B letztlich davon abhängt, ob Staat C eine Verweisung durch B akzeptieren würde oder nicht.193 Die Abhängigkeit der Verweisungsart von der Beurteilung in Staat C führt ebenfalls nicht zur Verein fachung der Rechtsanwendung, da zunächst hypothetisch alle Kollisionsrechte befragt werden müssen. Erst wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass C die Verwei190
S. oben, S. 103. Dazu oben, S. 77 ff. 192 Zu diesen Konstellationen oben, S. 79 f. 193 So Solomon, FS Schurig, S. 237, 254 f. 191
E. Behandlung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht
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sung nicht annimmt, kann entschieden werden, ob die EuErbVO eine Sachnormverweisung oder ausnahmsweise eine Gesamtverweisung ausspricht. Dass durch die EuErbVO keine Gesamtverweisung, sondern eine Sachnormverweisung ausgesprochen wird, liegt aber darin begründet, dass Art. 34 Abs. 1 lit. b EuErbVO nur den zwischen beiden Drittstaaten A und B bestehenden Entscheidungseinklang beachten will.194 Wenn aber ohnehin kein Entscheidungseinklang zwischen den Drittstaaten besteht, muss auch nicht der komplizierte Umweg über das Kollisionsrecht der Drittstaaten beschritten werden. Die Sachnormverweisung ist aus europäischer Ebene hier das einfachere Mittel. Es muss zwar trotzdem hypothetisch das Kollisionsrecht der Drittstaaten befragt werden, um zu prüfen, ob B auf C weiterverweisen und C eine Verweisung akzeptieren würde. Dieser erhöhte Aufwand in der Rechtsanwendung wird aber von der EuErbVO in Kauf genommen, da man für diesen Fall, in dem mit allen beteiligten Rechtsordnungen Entscheidungseinklang erzielt wird, in der Abwägung dem Entscheidungseinklang den Vorrang vor der Einfachheit der Rechtsanwendung einräumen sollte. Wenn die Erzielung von Entscheidungseinklang zwischen allen Rechtsordnungen aber aufgrund der Haltung der anderen beteiligten Kollisionsrechte ohnehin nicht möglich ist, sollte wiederum der Einfachheit der Rechtsanwendung der Vorrang eingeräumt werden. Der Grund für die Verfehlung von Entscheidungseinklang besteht darin, dass sich die drittstaatlichen Rechtsordnungen in diesen Fällen zur renvoi-Frage gleich verhalten. Dies stellt wiederum ein grundsätzliches Problem des renvoi dar, das auch die EuErbVO nicht zu lösen vermag und daher auch nicht zu lösen versuchen sollte. Auch die Fälle der nicht akzeptierten Weiterverweisung durch C, in denen B eine Sachnormverweisung ausspricht, sind daher nicht in Art. 34 Abs. 1 EuErbVO aufzunehmen. Es sollte auch hier beim Grundsatz der Sachnormverweisung bleiben.195 c) Ausnahmen in Art. 34 Abs. 2 EuErbVO Wie bereits gezeigt, verbietet sich eine pauschale Beurteilung der renvoi-Frage. Vielmehr kommt es auf die Besonderheiten des einzelnen Rechtsgebiets an. Nicht umsonst handelt es sich um eine seit Jahrhunderten umstrittene, noch immer ungeklärte Frage. Wer dem Grundsatz der Sachnormverweisung folgt, muss – im Interesse des Entscheidungseinklangs – gewisse Ausnahmen zulassen. Gleiches gilt umgekehrt: Wer den Grundsatz der Gesamtverweisung bevorzugt, ist ebenfalls zu Ausnahmen gezwungen, wenn im Einzelfall andere Interessen in der Abwägung das Prinzip des Entscheidungseinklangs überwiegen.196 194 Vgl. Gottschalk, Allgemeine Lehren, S. 135 f. für die ähnliche Vorschrift des Art. 4 Haager Erbrechtsübereinkommen; Kropholler, FS Henrich, S. 393, 398; vgl. auch Heinze, FS Kropholler, S. 118 f. 195 A.A. Solomon, FS Schurig, S. 237, 252–256, 263, der generell zum Grundsatz der Gesamtverweisung übergehen will. 196 So auch Kreuzer in Jud/Rechberger, S. 1, 24.
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2. Kapitel: Renvoi
Im Einklang damit enthält Art. 34 Abs. 2 EuErbVO wiederum Ausnahmen von der ausnahmsweise zulässigen Gesamtverweisung bzw. bestätigt für bestimmte Bereiche den in der Verordnung geltenden Grundsatz der Sachnormverweisung. Danach ist ein renvoi durch die in Art. 21 Abs. 2, Art. 22, Art. 27, Art. 28 Buchstabe b und Art. 30 EuErbVO genannten Rechtsordnungen nicht zu beachten. Die Ausnahmen erinnern an Art. 4 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 EGBGB, wonach der Grundsatz der Gesamtverweisung nicht für Fälle gelten soll, in denen dies dem Sinn der Verweisung widerspricht. Darüber entbrannte eine noch immer ungelöste Diskussion, wann ausnahmsweise eine Sachnormverweisung vorliegen soll.197 Für die Gegner des renvoi ist die Ausnahmeklausel ein willkommenes Tor, um den Grundsatz der Sachnormverweisung einzuschränken.198 Der Rechtssicherheit zuträglich ist es insofern, dass Art. 34 EuErbVO keine Generalklausel wie Art. 4 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 EGBGB enthält, deren Reichweite wohl ebenso umstritten wäre.199 Stattdessen ist die Nennung einzelner abschließender Fälle zu begrüßen. Zu untersuchen ist aber, ob alle Fälle auch inhaltlich sinnvolle Ausnahmen zu Art. 34 Abs. 1 EuErbVO darstellen. aa) Ausweichklausel (Art. 21 Abs. 2 EuErbVO) Die erste vom Anwendungsbereich des Art. 34 Abs. 1 EuErbVO ausgeschlossene Norm ist Art. 21 Abs. 2 EuErbVO, die eine Ausweichklausel enthält. Sie weicht vom Grundsatz des Art. 21 Abs. 1 EuErbVO ab, der die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Todeszeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, unterstellt. Diese Norm stellt für deutsche Kolli sionsrechtler eine wesentliche Neuerung dar, da – anders als in Art. 25 Abs. 1 EG BGB – nicht mehr an die Staatsangehörigkeit angeknüpft wird, sondern an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers. Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person lässt sich jedoch leichter manipulieren bzw. ändert sich schneller und häufiger,200 weshalb unter Umständen Korrekturbedarf besteht. Art. 21 Abs. 2 EuErbVO eröffnet hier die Möglichkeit, bei einer offensichtlich engeren Verbindung zu einem anderen Staat dessen Recht anzuwenden. Hier kann insbesondere an das Recht des vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers angeknüpft werden.201 Fraglich ist aber, ob die Anknüpfung an die engste Verbindung grundsätzlich einen renvoi ausschließen sollte.
197 Dazu
Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 287 m. w. N. auch Solomon, FS Schurig, S. 237, 256: „[F]ast mochte man meinen, es sei ein Preis ausgesetzt gewesen für die Entdeckung neuer Fälle, in denen die Beachtung einer Rück- oder Weiterverweisung dem Sinn unserer Verweisung widerspreche.“. 199 Vgl. auch von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 358, 377. 200 S. dazu Rauscher, FS Jayme, S. 719, 730. 201 Vgl. Schurig, FS Spellenberg, S. 343, 345 f.; Solomon, FS Schurig, S. 237, 257. 198 So
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(1) Renvoi-Feindlichkeit Für die renvoi-Feindlichkeit der Anknüpfung an die engste Verbindung wird vorgebracht, dass die Abweichung vom gewöhnlichen Anknüpfungsmoment gerade dazu diene, das im konkreten Fall sachnächste Recht zu ermitteln. Wenn der Richter dieses aufgrund einer Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles ermittelt hat, beruhe dies auf Wertungen, die man umgehe, wenn man durch Beachtung eines renvoi doch ein anderes als das vom Richter aufgrund der Ausweichklausel ermittelte, für am sachnächsten erachtete Recht anwende.202 Eine engere als die engste Verbindung könne es nicht geben.203 (2) Renvoi-Freundlichkeit Gegen die generelle renvoi-Feindlichkeit wird vorgebracht, dass das gesamte Kollisionsrecht auf dem Gedanken beruhe, das sachnächste Recht anzuwenden. Lediglich im Falle der Ausweichklausel die Wertungen derart zu verabsolutieren und als abschließend anzusehen, dass per se eine Sachnormverweisung ausgesprochen werden müsse, sei daher nicht sachgerecht.204 (3) Differenzierung nach dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck Schließlich wird danach differenziert, welchen Zweck der Gesetzgeber durch die Anknüpfung an die engste Verbindung verfolgt. 205 Hat der Gesetzgeber die Frage lediglich offen gelassen, um Rechtsprechung und Lehre die weitere Typisierung der Anknüpfungsmomente zu überlassen, liege darin keine Wertentscheidung, die durchkreuzt werden könnte. Verhält der inländische Gesetzgeber sich in dieser Frage also indifferent, sei der Wertung durch den ausländischen Gesetzgeber der Vorrang einzuräumen und ein renvoi zuzulassen. Wenn hingegen der inländische Gesetzgeber bezweckt hat, durch die Anknüpfung an die engste Verbindung das abstrakte, typisierte Anknüpfungsmoment zu verdrängen und einer Wertung anhand des Einzelfalles den Weg zu bereiten, um individuelle Anknüpfungsgerechtigkeit zu erreichen, bleibe kein Raum für die Beachtung eines renvoi durch das ausländische Recht.206 Diese Auffassung überzeugt insofern, als eine Wertentscheidung des Gesetzgebers nur durchkreuzt werden kann, wenn der Gesetzgeber eine Wertentscheidung treffen wollte. 202 S. Palandt-Thorn, Art. 4 EGBGB Rn. 7; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 116 f.; Kropholler, IPR, S. 169 f. 203 Sonnentag, Renvoi, S. 171. 204 Kartzke, IPRax 1988, 8, 9 f.; Kegel/Schurig, IPR, S. 405; vgl. Schurig, FS Heldrich, 1021, 1032; von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 229; Kühne, FS Ferid, S. 251, 260 f. 205 Zum Folgenden: Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 107; Stoll, FS Keller, S. 511, 521; von Hein, ZVglRWiss 99 (2000), 251, 259; von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 355 f.; Ebenroth/Eyles, IPRax 1989, 1, 11; Sonnentag, Renvoi, S. 170 f. 206 S. dazu Sonnentag, Renvoi, S. 171: „Eine engere als die engste Verbindung gibt es nicht.“.
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2. Kapitel: Renvoi
(4) Stellungnahme Es ist daher zunächst zu untersuchen, ob Art. 21 Abs. 2 EuErbVO nach den genannten Kriterien einen renvoi ausschließen sollte. Um die Intention des Gesetzgebers zu beurteilen, bietet sich zunächst ein Blick auf den entsprechenden Erwägungsgrund an: „(26) In Bezug auf die Bestimmung des auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Rechts kann die mit der Erbsache befasste Behörde in Ausnahmefällen – in denen der Erblasser beispielsweise erst kurz vor seinem Tod in den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts umgezogen ist und sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass er eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat hatte – zu dem Schluss gelangen, dass die Rechtsnachfolge von Todes wegen nicht dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers unterliegt, sondern dem Recht des Staates, zu dem der Erblasser offensichtlich eine engere Verbindung hatte. Die offensichtlich engste Verbindung sollte jedoch nicht als subsidiärer Anknüpfungspunkt gebraucht werden, wenn sich die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes als schwierig erweist.“
Damit legt sich der europäische Gesetzgeber weder auf ein regelmäßig erfülltes anderes Anknüpfungsmoment fest noch bestimmt er Umstände, die auf eine engere Verbindung schließen lassen. Es ist somit dem Richter überlassen, wie er die engere Verbindung bestimmt (z. B. Maß der Integration, Dauer, Wille des Erblassers, subjektive Kriterien wie Staatsangehörigkeit etc.). Daher hat der Gesetzgeber sich hier nicht indifferent verhalten oder eine „Verlegenheitslösung“207 getroffen, sondern die bewusste Entscheidung getroffen, dem Rechtsanwender eine Wertentscheidung zu ermöglichen, um Anknüpfungsgerechtigkeit zu erzielen. Daraus muss aber noch nicht zwingend folgen, dass die Regelung einen renvoi ausschließen sollte. Dafür spricht zwar, dass Art. 21 Abs. 2 EuErbVO eine Abweichung von der starren Anknüpfung an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt ermöglichen soll, sodass man von einer Anknüpfung unter wertender Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ausgehen könnte. Andererseits führt die Ausweichklausel nicht zu vollständiger Flexibilität. Vielmehr geschieht auch im Rahmen der Ausweichklausel wieder eine Typisierung. Wenn Grund des Abweichens von Art. 21 Abs. 1 EuErbVO gerade ist, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt erst kürzlich gewechselt hat, wird man über Art. 21 Abs. 2 EuErbVO regelmäßig zur engsten Verbindung zum Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts kommen.208 Es handelt sich dabei also wiederum um eine typisierte Anknüpfung innerhalb der Ausweichklausel. Streng genommen liegt daher keine Wertentscheidung des Gesetzgebers vor, die das übliche Anknüpfungsmoment verdrängen soll. Vielmehr wird es im Regelfall bei der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt bleiben, wenn es sich dabei 207 Palandt-Thorn, Art. 4 EGBGB Rn. 7 zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB als Gegenbegriff zur bewussten gesetzgeberischen Wertentscheidung. 208 So auch Solomon, FS Schurig, S. 237, 257.
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auch um den vorletzten bzw. den letzten von gewisser Dauer handelt. Letztlich wird daher nur Spielraum innerhalb einer „festen Anknüpfungsschiene“209 eingeräumt; am objektiven Anknüpfungskriterium des gewöhnlichen Aufenthalts wird sich in der Regel nichts ändern.210 Im Falle des Art. 21 Abs. 2 EuErbVO handelt es sich daher nicht um einen Fall einer unbedingten gesetzgeberischen Wertentscheidung, die nicht durchkreuzt werden darf. Dies spricht dafür, die Regelung nicht als renvoi-feindlich anzusehen. Weiterhin sprechen auch generell keine Gründe für die allgemeine Unverträglichkeit zwischen einer Ausweichklausel und der Beachtung eines renvoi. Richtig ist vielmehr, dass Sinn und Zweck nahezu jeder Kollisionsnorm ist, das sachnächste Recht zu berufen und damit die engste Verbindung des Sachverhalts zu einem bestimmten Recht zu finden.211 Dieser Einwand, dass die Wertentscheidung des eigenen Gesetzgebers nicht durchkreuzt werden dürfe, muss daher der Berücksichtigung fremdem Kollisionsrechts per se – und damit nicht nur im Falle des renvoi – entgegengehalten werden.212 Hinzu kommt, dass im Falle der Ausweichklausel die Interessenlage sogar noch weniger für eine absolute, undurchkreuzbare Wertentscheidung des eigenen Gesetzgebers spricht. Im Falle der festen Anknüpfungskriterien ist sich das eigene Kollisionsrecht sicher, welche Rechtsordnung die sachnächste darstellt,213 während die Entscheidung im Falle der Ausweichklausel „auf den schwächsten Füßen steht“.214 Es müssen zahlreiche Umstände des Einzelfalles herangezogen werden, um eine Interessenabwägung vorzunehmen und von der Grundanknüpfung abzuweichen. Die Ermittlung des anwendbaren Rechts ist von Unsicherheit darüber geprägt, welches Recht das sachnächste darstellt.215 Wenn sich nun das ausländische Recht, das aufgrund der Ausweichklausel berufen wurde, im konkreten Fall sicher ist, ist dies auch zu berücksichtigen und dem zu folgen. Das Argument, der inländische Richter habe sich die Mühe gemacht, eine Interessenabwägung vorzunehmen, was nicht umsonst sein solle,216 überzeugt nicht. Dies ist lediglich einem nicht eindeutigen Sachverhalt geschuldet. Auch die Anwendung ausländischen Rechts bzw. die Befragung ausländischen Kollisionsrechts ist immer mit Mühe verbunden. Dies stellt aber das geringere Übel dar, wenn man dadurch internationalen Entscheidungseinklang erzielen kann. 209
Stoll, FS Keller, S. 511, 521. Dies gilt umso mehr, da bereits zur Ermittlung des gewöhnlichen Aufenthalts ausweislich Erwägungsgrund 24 S. 5 EuErbVO eine Gesamtbeurteilung aller tatsächlichen Umstände einschließlich der Staatsangehörigkeit zu erfolgen hat; darauf hinweisend und im Übrigen kritisch zur Ausweichklausel Wilke, RIW 2012, 601, 605; Vollmer, ZErb 2012, 227, 231. 211 So auch Kühne, FS Ferid, S. 251, 261; vgl. auch Geisler, Engste Verbindung, S. 29. 212 Kegel/Schurig, IPR, S. 405. 213 Schurig, FS Heldrich, S. 1021, 1032. 214 Kegel/Schurig, IPR, S. 405. 215 Schurig, FS Heldrich, S. 1021, 1032. 216 Vgl. Kropholler, IPR, S. 170. 210
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2. Kapitel: Renvoi
Vorzugswürdig ist es daher, renvoi und Ausweichklausel nicht für generell unvereinbar zu halten. Im Einzelfall mag zwar die Intention des Gesetzgebers für einen Ausschluss des renvoi sprechen, wenn eine absolute Wertentscheidung mit der Regelung verbunden ist. Dies ist bei Art. 21 Abs. 2 EuErbVO jedoch nicht ersichtlich. Der prinzipielle Ausschluss der Gesamtverweisung für den Fall der Ausweichklausel in Art. 21 Abs. 2 EuErbVO überzeugt damit nicht.217 bb) Rechtswahl (Art. 22 EuErbVO) Eine weitere zwingende Sachnormverweisung statuiert Art. 34 Abs. 2 EuErbVO mit dem Verweis auf Art. 22 EuErbVO, sodass im Falle einer Rechtswahl durch die Parteien ein renvoi durch das ausländische Recht nicht beachtet wird. Dies steht im Einklang mit dem übrigen europäischen Verordnungsrecht, in dem von vornherein der Grundsatz der Sachnormverweisung gilt und davon auch für den Fall der Rechtswahl keine Ausnahme zuzulassen ist.218 Im internationalen Erbrecht sowie den anderen statusrechtlichen Verordnungen 219 kommt hinzu, dass die Rechtswahlmöglichkeiten beschränkter ausgestaltet sind als im Vermögensrecht, indem nur bestimmte Rechtsordnungen für wählbar erklärt werden. Art. 22 EuErbVO ermöglicht es lediglich, das Recht des Staates zu wählen, dessen Staatsangehörigkeit die Person zum Zeitpunkt der Rechtswahl oder ihres Todes angehört. Würde man den Parteien die Wahl fremden Kollisionsrechts gestatten, weil man in der Rechtswahl eine Gesamtverweisung sieht, könnte der Kreis der wählbaren Rechtsordnungen mittelbar erweitert und damit der Wille des Verordnungsgebers umgangen werden.220 Neben dieses Ordnungsinteresse tritt aber auch ein gesteigertes Parteiinteresse in statusrechtlichen Verhältnissen.221 In diesen wird den Parteien in noch höherem Maße daran gelegen sein, ihre Rechtsbeziehungen vorhersehbar und rechtssicher auszugestalten, was ebenfalls durch die Ermöglichung einer kollisionsrechtlichen Rechtswahl gefährdet würde.222 Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass die Regelung nicht nur mit dem sonstigen europäischen Verordnungsrecht in Einklang steht und damit die Kohärenz im europäischen IPR fördert, sondern auch – zumindest in statusrechtlichen Angelegenheiten wie der Erbfolge – von überzeugenden Gründen getragen ist.223
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So auch Solomon, FS Schurig, S. 237, 258 f. Zur Rom I- und Rom II-VO S. 87 f. bzw. S. 91. 219 S. Art. 5 Rom III-VO, Art. 15 EuUntVO i. V. m. Art. 8 HUntProt, Art. 16 EhegüterVO-E. 220 Kropholler, IPR, S. 175 zum EGBGB; von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 353. 221 Zu Art. 4 Abs. 2 EGBGB so auch Rauscher, NJW 1988, 2151, 2153. 222 Für Art. 4 Abs. 2 EGBGB Kropholler, IPR, S. 175; zur EuErbVO MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 661. 223 So auch schon MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 661 mit dem Vorschlag für eine entsprechende Regelung. 218
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Die EuErbVO enthält in Art. 24 Abs. 2 und Art. 25 Abs. 3 weitere Rechtswahlmöglichkeiten, die für Verfügungen von Todes wegen (Art. 24) und Erbverträge (Art. 25) gelten. Diese Normen sind in Art. 34 Abs. 2 EuErbVO nicht genannt. Für diese Rechtswahlmöglichkeiten gilt trotzdem in jedem Fall der Grundsatz der Sachnormverweisung, da beide keine eigenständigen Möglichkeiten enthalten, sondern jeweils lediglich auf Art. 22 EuErbVO und die dort eingeräumten Möglichkeiten verweisen. 224 Eine Klarstellung ist daher nicht erforderlich. cc) Alternative Anknüpfung beim Formstatut (Art. 27, 28 lit. b) Art. 34 Abs. 2 EuErbVO sieht weiterhin eine zwingende Sachnormverweisung für Art. 27 und Art. 28 lit. b EuErbVO vor. Art. 27 EuErbVO regelt die Formgültigkeit schriftlicher Verfügungen von Todes wegen. Verfügungen von Todes wegen sind nach Art. 3 Abs. 1 lit. d EuErbVO Testamente, gemeinschaftliche Testamente und Erbverträge. Deren Formwirksamkeit bestimmt sich nach Art. 27 Abs. 1 EuErbVO entweder nach dem Recht des Staates, in dem die Verfügung errichtet wurde (lit. a), dem zumindest einer der Erblasser angehörte (lit. b), in dem zumindest einer der Verfügenden seinen Wohnsitz (lit. c) oder gewöhnlichen Aufenthalt (lit. d) hatte, oder – im Falle von unbeweglichem Vermögen – nach dem Recht des Lageortes (lit. e). Diese alternative Anknüpfung dient dem favor testamenti, die Formunwirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen soll möglichst vermieden werden.225 Eine ähnliche Regelung enthält Art. 28 lit. b EuErbVO, der die Formgültigkeit einer Annahme- oder Ausschlagungserklärung über die Erbschaft betrifft. Im Sinne des favor testamenti ist die Formwirksamkeit einer solchen Erklärung ebenfalls entweder nach dem Erbstatut (Art. 21, 22 EuErbVO) oder nach dem Recht des Staates, in dem der Erklärende seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zu beurteilen. Es handelt sich also wiederum um eine alternative Anknüpfung. (1) Telos der Art. 27, 28 lit. b EuErbVO Zunächst ist zu überprüfen, worauf der Ausschluss des renvoi in Art. 34 Abs. 2 EuErbVO für die Fälle der Art. 27, 28 lit. b EuErbVO beruht. Die Regelung des Art. 27 EuErbVO ist bewusst angelehnt226 an das Haager Testa mentsformübereinkommen.227 Da nur 16 EU-Mitgliedstaaten als Vertragsstaaten an dieses Übereinkommen gebunden sind, bestand im Interesse einer europaweiten Vereinheitlichung trotzdem Bedarf für eine Regelung in der EuErbVO.228 Dieses 224
So auch Janzen, DNotZ 2012, 484, 490 mit Fn. 21; Dutta, FamRZ 2013, 4, 12. von Hoffmann/Thorn, IPR, § 9 Rn. 36. 226 Erwägungsgrund 52 der EuErbVO. 227 Haager Übereinkommen vom 5.10.1961 über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht; BGBl. 1965 II, S. 1145. 228 Dutta, FamRZ 2013, 4, 10. 225 Dazu
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2. Kapitel: Renvoi
Übereinkommen spricht generell eine Sachnormverweisung aus, besagt in Art. 3 jedoch Folgendes: „Art. 3: Bestehende Formvorschriften der Vertragsstaaten Dieses Übereinkommen berührt bestehende oder künftige Vorschriften der Vertragsstaaten nicht, wodurch letztwillige Verfügungen anerkannt werden, die der Form nach entsprechend einer in den vorangehenden Artikeln nicht vorgesehenen Rechtsordnungen errichtet worden sind.“
Damit erkennt auch das Haager Testamentsübereinkommen bestehende Formvorschriften der Vertragsstaaten im Sinne des favor testamenti an.229 Dies legt den Schluss nahe, dass der Ausschluss des renvoi im Falle der Art. 27, 28 lit. b ebenfalls auf der Erwägung beruht, es handele sich um Fälle der alternativen Anknüpfung, die dem favor testamenti dienten.230 Dadurch wird insbesondere der praktische Nachteil ausgeglichen, der entsteht, weil es dem Verfügenden schwerer fällt, im Ausland bestimmte Formerfordernisse zu überblicken. Eine alternative Anknüpfung mindert dementsprechend das Risiko der Formunwirksamkeit.231 Dass die EuErbVO für diese Fälle den Ausschluss des renvoi vorsieht, überrascht insofern nicht, als die alternative Anknüpfung im Interesse eines favor-Gedankens typischerweise mit dem Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs im Spannungsverhältnis steht.232 Ob die Auflösung dieses Konflikts zugunsten des favor-Gedankens zwingend und damit der Ausschluss eines renvoi im Falle der alternativen Anknüpfung stets sachgerecht sein kann, ist im deutschen Kollisionsrecht umstritten.233 Im Falle des Art. 11 EGBGB ergibt sich die Sachnormverweisung schon aus dem Wortlaut.234 Die teleologischen Erwägungen aus der Diskussion zum deutschen IPR lassen sich auf die europäische Ebene – und damit die EuErbVO – übertragen. (2) Renvoi-Feindlichkeit der alternativen Anknüpfung Vereinzelt wird vertreten, alternative Anknüpfungen seien stets als Sachnormverweisungen zu verstehen.235 Dafür spricht grundsätzlich, dass die alternative Anknüpfung des Formstatuts einem bestimmten materiellen Ergebnis dient. Es soll die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass die letztwillige Verfügung formwirksam 229
Gottschalk, Allgemeine Lehren, S. 133 f. Vgl. auch MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 661 f.; Solomon, FS Schurig, S. 237, 260. 231 Zu Art. 11 EGBGB von Hoffmann/Thorn, IPR, § 7 Rn. 40. 232 Dazu oben, S. 34 f. 233 Eingehend dazu Sonnentag, Renvoi, S. 204–213. 234 Dazu Palandt-Thorn, Art. 11 EGBGB Rn. 3; Staudinger-Winkler von Mohrenfels, Art. 11 EGBGB Rn. 51 f.; Kropholler, IPR, S. 312; a. A. Kegel/Schurig, IPR, S. 404; MüKo-Spellenberg, Art. 11 EGBGB Rn. 13. 235 So Kühne, FS Ferid, S. 251, 258; Schröder, Günstigkeitsprinzip, S. 148 f.: Die Gesamtverweisung sei durch das Günstigkeitsprinzip „nicht völlig, jedoch im wesentlichen ausgeschlossen“. 230
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ist. Würde man in diesen Fällen einen renvoi zulassen, könnte dies das gewünschte, mühsam gefundene materielle Ergebnis gefährden.236 (3) Renvoi-Freundlichkeit der alternativen Anknüpfung Nach anderer Ansicht ist einem renvoi auch im Falle alternativer Anknüpfungen zu folgen.237 Würde man den renvoi nie beachten bzw. nur in Fällen, in denen er zu einem gewünschten materiellen Ergebnis führt, würden Kollisionsrecht und materielles Recht vermengt; es handele sich beim renvoi um ein kollisionsrechtliches Instrument, das für die Durchsetzung materiell-rechtlicher Zwecke nicht geeignet sei.238 (4) Beachtung des „renvoi in favorem“ 239 Schließlich könnte man danach differenzieren, ob die Beachtung eines renvoi die Zahl der möglichen anwendbaren Rechtsordnungen, die zur Formwirksamkeit gelangen, erweitert.240 Den renvoi in favorem könnte man dementsprechend zulassen. (5) Stellungnahme Die Beachtung eines renvoi in favorem würde den favor testamenti unterstützen und damit im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Art. 27, 28 lit. b EuErbVO stehen. Ist beispielsweise ein Testament sowohl nach dem Recht des Errichtungsstaates A (Art. 27 Abs. 1 lit. a EuErbVO) als auch nach dem Staatsangehörigkeitsrecht (Staat B) des Erblassers (Art. 27 Abs. 1 lit. b EuErbVO) und nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts und Wohnsitzes (Art. 27 Abs. 1 lit. d bzw. c EuErbVO: Staat C) formunwirksam und verweisen alle der genannten Rechtsordnungen weiter auf eine nicht in Art. 27 EuErbVO genannte Rechtsordnung E, nach der das Testament formwirksam ist, wäre diese Weiterverweisung in Anwendung des Art. 34 Abs. 2 EuErbVO unbeachtlich. Das Testament wäre nach allen in Art. 27 EuErbVO alternativ genannten Rechtsordnungen unwirksam. Tatsächlich würde nur unter Beachtung der Weiterverweisung das gewünschte materielle Ergebnis – nämlich die Formwirksamkeit des Testaments – erzielt. Dies spricht dafür, den renvoi in favorem zuzulassen.241 236 So auch MPI, RabelsZ 47 (1983), 595, 607 zum Regierungsentwurf zur Reform des EGBGB von 1983; zur EuErbVO MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 661; vgl. zu Art. 4 EGBGB BT-Drucks. 10/3632, S. 39. 237 So nur Soergel-Kegel, Art. 4 EGBGB Rn. 28; Solomon, FS Schurig, S. 237, 262. 238 Vgl. Soergel-Kegel, Art. 4 EGBGB Rn. 28; so auch Kühne, FS Ferid, S. 251, 258 aber mit dem Ergebnis, dass ein renvoi nie zuzulassen ist. 239 MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 661; s. auch Ferrer-Correia, Rec. des Cours 145 (1975-II), 57, 179 f. 240 Kropholler, IPR, S. 171 f.; von Overbeck, Questions Générales, S. 127, 148–150; Palandt- Thorn, Art. 4 EGBGB Rn. 6; von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 228; Kartzke, IPRax 1988, 8, 9. 241 So für die EuErbVO auch MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 661.
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2. Kapitel: Renvoi
Würden hingegen alle genannten Rechtsordnungen auf Rechtsordnung E verweisen, nach der das Testament formunwirksam wäre, würde die Beachtung eines renvoi zwar internationalen Entscheidungseinklang herstellen, aber dazu führen, dass das gewünschte materielle Ergebnis – die Formwirksamkeit des Testaments – nicht hergestellt werden kann. An der Formwirksamkeit besteht aber nicht nur ein gesetzgeberisches Ordnungsinteresse, sondern auch ein Interesse des Erblassers. Das Argument, der renvoi als kollisionsrechtliches Instrument solle keine materiell-rechtlichen Interessen durchsetzen, überzeugt nicht. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch die Verwendung einer alternativen Anknüpfung bereits deutlich gemacht, dass er die kollisionsrechtliche Anknüpfung instrumentalisieren will, um ein materiell-rechtliches Ergebnis zu erreichen.242 Wenn dieses materiell-rechtliche Ergebnis nach der Intention des Gesetzgebers durch alternative Anknüpfungen erzielt werden soll, sollte auch der renvoi hierzu eingesetzt werden. Der Ausschluss des renvoi, der kein renvoi in favorem ist, setzt zwar den internationalen Entscheidungseinklang aufs Spiel. Dies ist in solchen Fällen jedoch angemessen, da der Gesetzgeber durch die Wahl der alternativen Anknüpfung gezeigt hat, dass ihm das materiell-rechtliche Ergebnis im Einzelfall wichtiger ist als die Erzielung von Entscheidungseinklang um jeden Preis.243 Im Rahmen einer Abwägung sollte für diese Fälle dem favor-Gedanken daher der Vorrang vor dem Ideal des internationalen Entscheidungseinklangs eingeräumt werden. Der Ausschluss des renvoi für die Fälle, in denen der Kreis der bestehenden Rechtsordnungen nicht erweitert wird, ist damit zu begrüßen. Der generelle Ausschluss des renvoi – und damit auch des renvoi in favorem – überzeugt aus Wertungsgesichtspunkten jedoch nicht. Praktisch werden aber wenige Fälle eines renvoi in favorem auftreten. Zudem wäre eine Regelung, die nur den renvoi in favorem zulässt, sehr kompliziert. In einem ersten Schritt müsste festgestellt werden, dass es Ausnahmen vom Grundsatz der Sachnormverweisung gibt (Art. 34 Abs. 1 EuErbVO). Im zweiten Schritt würde als eine Gegenausnahme die alternative Anknüpfung nach Art. 27, 28 lit. b EuErbVO normiert (Art. 34 Abs. 2 EuErbVO). Schließlich müsste davon wiederum eine Gegenausnahme für den Fall formuliert werden, dass eine Weiterverweisung das gewünschte materiell-rechtliche Ergebnis erbringt. Ein genereller Ausschluss des renvoi liegt daher im Interesse der Rechtssicherheit und Klarheit244 und wird in wenigen Fällen zu einem untragbaren Ergebnis führen. Damit besteht nur eine geringe Gefahr der Beeinträchtigung des internationalen Entscheidungseinklangs, während eine derart komplizierte Regelung der Rechts sicherheit und Bestimmtheit stets abträglich wäre. Der generelle Ausschluss in Art. 34 Abs. 2 EuErbVO für die Fälle des Art. 27, 28 lit. b EuErbVO ist daher aus Gründen der Rechtssicherheit zu begrüßen.245 242
Sonnentag, Renvoi, S. 207: „Materialisierung des Kollisionsrechts“. So auch Sonnentag, Renvoi, S. 207; MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 4 EBGBB Rn. 26. 244 So auch MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 661 f.; vgl. auch von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 354 f. 245 A. A. Solomon, FS Schurig, S. 237, 262, der es als ausreichend erachtet, dass die „Chance“ 243
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dd) Nachlassspaltung (Art. 30 EuErbVO) Die letzte Ausnahme, die Art. 34 Abs. 2 EuErbVO enthält, betrifft die Nachlass spaltung (Art. 30 EuErbVO). (1) Reichweite des Art. 30 EuErbVO Die EuErbVO folgt dem Grundsatz der Nachlasseinheit (Art. 4, 21 und Erwägungsgrund 37 S. 3 EuErbVO). Abweichend davon ermöglicht es Art. 30 EuErbVO, bestimmte Vermögensgegenstände (z. B. unbewegliche Sachen) vom Geltungsbereich des Erbstatuts auszunehmen und sie aus wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Erwägungen dem Recht des Belegenheitsstaates zu unterwerfen. Voraussetzung dafür ist, dass der Belegenheitsstaat für diese Gegenstände „besondere Regelungen“ vorsieht, die unabhängig vom Erbstatut international durchgesetzt werden sollen. Obwohl die Formulierung an Art. 3a Abs. 2 EGBGB erinnert, besteht ein entscheidender Unterschied. Erwägungsgrund 54 der EuErbVO besagt ausdrücklich, dass die Ausnahme in Art. 30 EuErbVO eng auszulegen ist, um den Vereinheit lichungszweck der Verordnung nicht zu gefährden. Ausweislich des Erwägungsgrundes 54 S. 3 dürfen daher beispielsweise Kollisionsnormen, die unbewegliche Sachen einem anderen als dem auf bewegliche Sachen anzuwendenden Recht unterwerfen, nicht als solche besonderen Regelungen angesehen werden.246 (2) Bewertung An dieser Stelle soll noch nicht bewertet werden, ob die Regelung des Art. 30 Eu ErbVO im Hinblick auf das Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs zu begrüßen ist.247 Zu untersuchen ist allein, ob die Aussprache einer Sachnormverweisung durch Art. 34 Abs. 2 EuErbVO für den Fall des Art. 30 EuErbVO berechtigt ist. Richtig daran ist, dass die Beachtung eines renvoi im Ergebnis dazu führen kann, dass das gewünschte Ergebnis – die Sonderanknüpfung des Sondervermögens – nicht erreicht wird. Dass der Belegenheitsstaat einen renvoi ausspricht, wird jedoch im Anwendungsbereich des Art. 30 EuErbVO nie vorkommen. Wie bereits erwähnt, reicht es nämlich für die Anwendung des Art. 30 EuErbVO nicht aus, dass es sich um eine rein kollisionsrechtliche Nachlassspaltung handelt; vielmehr müssen auch materiell-rechtliche besondere Vorschriften im Belegenheitsstaat vorliegen, die aus den Vermögensgegenständen ein Sondervermögen im Sinne der Vorschrift machen (Erwägungsgrund 54). Umgekehrt reichen allein materiell-rechtliche „besondere Regelungen“ jedoch auch nicht aus. Ausweichlich des Wortlauts des Art. 30 EuErbVO müssen diese Vorschriften auch kollisionsrechtlich durch den Belegenheitsstaat berufen werden, also einen internationalen Geltungsauf das gewünschte materielle Ergebnis besteht und keine zusätzlichen „Manipulationen […] betreiben“ will, wenn eben dieses Ergebnis über die alternative Anknüpfung nicht erreicht wird. 246 Näher dazu unten, S. 306 f. 247 Dazu unten, S. 307 ff.
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anspruch aufweisen.248 Die besonderen Regelungen des Belegenheitsstaates werden nach Art. 30 EuErbVO nämlich nur berufen, „soweit sie nach dem Recht dieses Staates unabhängig von dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht anzuwenden sind“. Art. 30 EuErbVO setzt dadurch voraus, dass der Belegenheitsstaat sein eigenes Recht anwenden würde. Somit kann es im Falle des Art. 30 EuErbVO nicht zu einem renvoi durch den Belegenheitsstaat kommen.249 Die Bedingung für die Anwendung des Art. 30 EuErbVO ist also gerade, dass der Belegenheitsstaat keinen renvoi ausspricht (bedingte Verweisung).250 Der Ausschluss des renvoi in Art. 34 Abs. 2 EuErbVO für die Fälle des Art. 30 EuErbVO ist damit unnötig.251 ee) Zwischenergebnis Die Ausnahmen in Art. 34 Abs. 2 EuErbVO überzeugen nur teilweise. Hinter der Ausweichklausel in Art. 21 Abs. 2 EuErbVO steht keine gesetzgeberische Wertentscheidung, die mit einem renvoi unvereinbar ist, sodass es für die Fälle der Ausweichklausel bei der allgemeinen Regel des Art. 34 Abs. 1 EuErbVO bleiben sollte. Dies führt auch zu einer gesteigerten praktischen Relevanz der Regelung. Damit verbleiben nämlich für eine nach Art. 34 Abs. 1 EuErbVO beachtliche Gesamtverweisung nicht nur die Fälle, in denen sich der gewöhnliche Aufenthalt des Erb lassers zur Zeit des Todes in einem Drittstaat befand (Art. 21 Abs. 1 EuErbVO). Vielmehr kann ein renvoi nach Art. 34 Abs. 1 EuErbVO auch in Fällen auftreten, in denen die Ausweichklausel (Art. 21 Abs. 2 EuErbVO) zur Anwendbarkeit drittstaatlichen Rechts geführt hat. Gerade für diese Fälle besteht auch ein regulärer mitgliedstaatlicher Gerichtsstand nach Art. 4 EuErbVO. Der Ausschluss für die Fälle der Rechtswahl in Art. 22 EuErbVO ist hingegen sachlich richtig. Die Ausnahme für die alternative Anknüpfung vom Formstatut ist zwar insofern nicht gänzlich überzeugend, als die Zulassung eines renvoi in favorem den materiellen Zweck nicht stören würde. Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Einfachheit der Regelung ist der gewählte Weg in der Verordnung aber zu begrüßen. Für die Sonderanknüpfung nach Art. 30 EuErbVO ist eine Ausnahme regelung in Art. 34 Abs. 2 EuErbVO unnötig, da praktisch im Anwendungsbereich des Art. 30 EuErbVO ohnehin kein renvoi auftreten kann. d) Entwurf einer allgemeinen Regelung für die EuErbVO Der Entwurf eines auf Grundlage des Gesagten überarbeiteten Art. 34 EuErbVO könnte folgendermaßen aussehen: 248 Palandt-Thorn,
Art. 30 EuErbVO Rn. 1. Solomon, FS Schurig, S. 237, 262. 250 Solomon, FS Schurig, S. 237, 262; zu Art. 3 Abs. 3 EGBGB auch Kegel/Schurig, IPR, S. 428; näher zum Begriff Hoffmann/Thorn, IPR, § 4 Rn. 17–21. 251 So auch Solomon, FS Schurig, S. 237, 262. 249
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„Art. 34 EuErbVO-neu Rück- und Weiterverweisungen (1) Unter dem nach dieser Verordnung anzuwendenden Recht eines Staates sind die in diesem Staat geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internationalen Privatrechts zu verstehen, soweit sich aus den folgenden Absätzen nicht ein anderes ergibt. (2) Unter dem nach dieser Verordnung anzuwendenden Recht eines Drittstaates sind die in diesem Staat geltenden Rechtsvorschriften einschließlich derjenigen seines Internationalen Privatrechts zu verstehen, soweit diese zurück- oder weiterverweisen auf: a) das Recht eines Mitgliedstaates oder b) das Recht eines anderen Drittstaates, der sein eigenes Recht anwenden würde. (3) Verweist das Recht des Drittstaates auf mitgliedstaatliches Recht zurück, so sind die in diesem Mitgliedstaat geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internatio nalen Privatrechts anzuwenden. (4) Rück- und Weiterverweisungen durch die in Art. 22, Art. 27 und Art. 28 Buchstabe b genannten Rechtsordnungen sind nicht zu beachten.“
Durch den eingefügten Art. 34 Absatz 1 EuErbVO-neu wird klargestellt, dass die EuErbVO generell dem Grundsatz der Sachnormverweisung folgt. Dies gilt damit sowohl für Verweisungen auf mitgliedstaatliches Recht als auch für solche auf drittstaatliches Recht, die nicht unter die Ausnahme in Art. 34 Abs. 2 EuErbVO-neu fallen. Somit werden durch den vorgeschlagenen Absatz 1 EuErbVO-neu gleich zwei Zweifelsfälle geklärt.252 Durch den eingefügten Art. 34 Abs. 3 EuErbVO-neu wird klargestellt, dass drittstaatliche Rückverweisungen auf mitgliedstaatliches Recht als Sachnormverweisungen auf dieses mitgliedstaatliche Recht verstanden werden. So wird die Verweisungskette bei dem mitgliedstaatlichen Recht, auf das zurückverwiesen wird, abgebrochen. Dies geschieht aufgrund der Formulierung unabhängig davon, ob auf den Ausgangsstaat oder einen anderen Mitgliedstaat zurückverwiesen wird. Schließlich sollten in Art. 34 Abs. 4 EuErbVO-neu weiterhin die Art. 22, Art. 27 und Art. 28 lit. b EuErbVO als Gegenausnahmen zu Art. 34 Abs. 3 EuErbVO-neu aufgeführt werden, sodass für diese Fälle in jedem Fall der Grundsatz der Sachnormverweisung gilt. Die jetzigen Ausnahmen für Art. 21 Abs. 2 und Art. 30 EuErbVO sollten hingegen gestrichen werden. 2. Rom III-VO a) Sachnormverweisung im Ehescheidungsrecht Art. 11 Rom III-VO enthält genau dieselbe Regelung wie Art. 24 Rom II-VO. Damit gilt in der Rom III-VO ebenfalls der Grundsatz der Sachnormverweisung, ohne dass eine Ausnahmeklausel eingefügt wurde. Der renvoi wird also für den Bereich der Ehescheidung und Trennung ausgeschlossen. Auch Art. 10 Rom III-VO, der die lex 252 Das MPI wollte nur erstgenannte Klarstellung (für mitgliedstaatliches Recht) in den Vorschlag aufgenommen wissen, s. RabelsZ 74 (2010), 522, 656.
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2. Kapitel: Renvoi
fori für anwendbar erklärt, wenn das nach der Verordnung berufene Recht eine Ehescheidung nicht vorsieht oder einem der Ehegatten aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit keinen gleichberechtigten Zugang zur Trennung ohne Auflösung des Ehebandes gewährt, stellt keinen Fall des renvoi, sondern eine besondere Vorbehaltsklausel dar.253 b) Bewertung Wie die Betrachtung der EuErbVO gezeigt hat, sieht der europäische Gesetzgeber die Bedeutung des internationalen Entscheidungseinklangs in einem Rechtsgebiet als entscheidendes Kriterium für die Frage nach der Beachtlichkeit eines renvoi. Aus eben diesem Grund wird für die Rom III-VO vermehrt der Wunsch nach der Befolgung eines renvoi geäußert,254 während die Sachnormverweisungen in den vermögensrechtlichen Verordnungen in der Literatur kaum hinterfragt werden. Es besteht im Ehescheidungsrecht tatsächlich ein erhöhtes Bedürfnis nach internationalem Entscheidungseinklang,255 um hinkende Statusverhältnisse zu vermeiden. Die Bedenken gegen den Grundsatz der Sachnormverweisung gelten für die Rom III-VO umso mehr, als die Verordnung im Rahmen der Verstärkten Zusammen arbeit erlassen wurde und die „kollisionsrechtliche Ignoranz“256 damit auch knapp die Hälfte aller Mitgliedstaaten betrifft, deren Kollisionsrecht insofern nicht der Verordnung entspricht. Gefährdet wird damit nicht nur der internationale Entscheidungseinklang, sondern auch der europäische, also EU-interne Entscheidungseinklang. Dies spricht im Anwendungsbereich der Rom III-VO verstärkt für die Beachtung eines renvoi.257 Von Hein bringt gegen diese Argumente vor, dass die Zulassung eines renvoi der Systematik der Rom III-VO widerspreche, da die Verordnung die renvoi-feindliche Parteiautonomie in den Vordergrund stelle.258 Dies ist jedoch keinesfalls unvereinbar mit der Zulassung eines renvoi, da die Rom III-VO – ebenso wie Art. 34 Abs. 2 EuErbVO – eine Ausnahme von der Beachtlichkeit des renvoi für die parteiautonome Wahl des anwendbaren Rechts vorsehen kann.259 Zudem enthält die objektive Anknüpfung des Art. 8 Rom III-VO kein der Rom II-VO vergleichbares ausdiffe-
253 So auch Helms, FamRZ 2011, 1765, 1771; von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 370; Palandt-Thorn, Art. 10 Rom III-VO Rn. 1; a. A. Pietsch, NJW 2012, 1768, 1769 f. 254 Palandt-Thorn, Art. 11 Rom III-VO Rn. 1; Erman-Hohloch, Art. 11 Rom III-VO Rn. 2; Schurig, FS von Hoffmann, 405, 412; Traar ÖJZ 2011, 805, 812; Gruber, IPRax 2012, 381, 288; Hau, FamRZ 2013, 249, 254; Hausmann, EhescheidungsR, Art. 11 Rom III-VO A Rn. 346; Schack, IPRax 2013, 315, 318 f.; a. A. Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 821 f. 255 Dazu schon oben, S. 48 f. 256 Schurig, FS von Hoffmann, S. 405, 412. 257 A.A. Henrich, FS von Hoffmann, S. 159, 164; Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 821 sieht darin eher positiv eine „Sogwirkung im Hinblick auf einen Beitritt“ zur Rom III-VO. 258 von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 371. 259 Dazu noch unten, S. 136.
E. Behandlung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht
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renziertes Anknüpfungssystem, das gegen eine Zulassung des renvoi sprechen würde.260 Die Rom III-VO sollte daher nach dem Vorbild der EuErbVO ebenfalls einen drittstaatlichen renvoi in Form der Rückverweisung sowie der akzeptierten Weiterverweisung zulassen. Die Fälle der nicht akzeptierten Weiterverweisung hingegen sollten, ebenso wie in der EuErbVO, aus den dort genannten Gründen 261 nicht aufgenommen werden. 3. EuUntVO i. V. m. HUntProt 2007 a) Sachnormverweisung im Unterhaltsrecht Der Verordnungsvorschlag von 2005 für das Unterhaltsrecht262 sah in Art. 19 Abs. 1 den Grundsatz der Sachnormverweisung vor. Jedoch sollte nach Art. 19 Abs. 2 des Vorschlags das angerufene Gericht seine lex fori anwenden dürfen, wenn nach der Verordnung drittstaatliches Recht anwendbar ist und dessen IPR auf das Recht eines anderen Staates verweist. Damit wird die Weiterverweisung eines Drittstaates zwar nicht befolgt, aber insofern berücksichtigt, als im Falle einer solchen Weiterverweisung die eigene lex fori angewendet wird. Diese Regelung wurde zu Recht kritisiert, da dadurch im Interesse des Heimwärtsstrebens Drittstaaten diskriminiert würden und die Regelung im systematischen Widerspruch zu anderen Vorschriften stand.263 Der europäische Gesetzgeber nahm diese Regelung nicht in die endgültige Verordnung auf, sondern entschied sich, in der Unterhaltsverordnung selbst keine Kollisionsnormen zu normieren. Stattdessen verweist Art. 15 EuUntVO für die Bestimmung des anwendbaren Rechts auf das Haager Unterhaltsprotokoll von 2007. Art. 12 HUntProt 2007 enthält wiederum eine Sachnormverweisung ohne Ausnahmeklausel und schließt damit für Unterhaltssachen ebenfalls den renvoi komplett aus. b) Bewertung Das Unterhaltsprotokoll nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als es aufgrund seiner Natur als völkerrechtlicher Vertrag erst durch den Verweis in der Unterhaltsverordnung Teil der Gesetzgebung der Europäischen Union geworden ist.264 Folglich können aus der Entstehungsgeschichte des Unterhaltsprotokolls nur begrenzt Rückschlüsse auf den Willen des europäischen Gesetzgebers gezogen werden. Es 260 A.A.
von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 371. Dazu oben, S. 102 ff. 262 Vorschlag vom 15.12.2005 für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten, KOM (2005) 649 endg. 263 Nähe dazu Heinze, FS Kropholler, S. 105, 118; Jayme/Kohler, IPRax 2006, 537, 538: „Höhepunkt eines die Drittstaaten diskriminierenden Eurozentrismus“. 264 Derzeit gilt es in der EU noch aufgrund eines besonderen Beschlusses, nach der bald zu erwartenden Ratifikation wird es jedoch auch völkerrechtlich in Kraft treten, s. dazu ausführlich Wagner in Leible/Unberath, S. 51, 62 f. 261
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2. Kapitel: Renvoi
liegt nahe, dass es den Vertragsstaaten bei Entstehung des Unterhaltsprotokolls vielmehr um die Rechtsvereinheitlichung und damit die Erzielung von Entscheidungseinklang zwischen den Vertragsstaaten ging.265 Aus diesem Grund wurde ein renvoi auf internationaler Ebene ausgeschlossen. Das Ziel der Vereinheitlichung erschien den Vertragsstaaten vorrangig gegenüber der Erzielung von Entscheidungseinklang gegenüber Nichtvertragsstaaten. Wenn nunmehr aber das europäische Kollisionsrecht vereinheitlicht ist, besteht keine Gefahr, durch die Beachtung fremden Kollisionsrechts diese Rechtsvereinheitlichung zu gefährden, da alle europäischen Mitgliedstaaten in derselben Weise verfahren würden. Dies spricht dafür, die Aussprache einer Sachnormverweisung im Unterhaltsrecht durch die Übernahme in eine europäische Verordnung als überholt anzusehen. Andererseits könnte man für den Ausschluss eines renvoi vorbringen, dass das Unterhaltsrecht Parallelen zum Vermögensrecht aufweist, da es lediglich die finanziellen Unterhaltspflichten regelt. Wie bereits dargestellt, ist das Unterhaltsrecht jedoch aufgrund der starken materiellen Verknüpfung mit dem Status Abstammung als statusrechtlich einzuordnen, sodass das Auftreten hinkender Unterhaltspflichten dringend zu vermeiden ist.266 Hinzu kommt, dass das Unterhaltsrecht Zusammenhänge mit dem Scheidungsrecht aufweist, da auch der Ehegattenunterhalt durch die EuUntVO (Art. 1 Abs. 1 EuUntVO) geregelt wird. Da in der Rom III-VO ein starkes Bedürfnis für die Beachtlichkeit eines renvoi besteht, sollte die Frage im Interesse der Kohärenz des Verordnungsrechts in der EuUntVO parallel behandelt werden. Zudem wird die Attraktivität des HUntProt für mögliche Beitrittskandidaten dadurch erhöht, dass sich das Unterhaltsrecht gegenüber drittstaatlichen Wertungen offen zeigt.267 Schließlich enthält das Unterhaltskollisionsrecht kein allzu ausdifferenziertes Anknüpfungssystem, das durch einen renvoi umgangen werden könnte.268 Auch im Unterhaltsrecht sollte daher unter denselben Voraussetzungen wie in der EuErbVO eine Gesamtverweisung ausgesprochen werden. Bei der Änderung des Unterhaltskollisionsrechts ergibt sich ein rechtstechnisches Problem daraus, dass der Verordnungsgeber sich für eine Verweisung auf die Kollisionsregeln des Haager Unterhaltsprotokolls von 2007 entschieden hat. Letzteres ist nicht unmittelbar Teil des europäischen Verordnungsrechts, sondern gilt als völkerrechtliches Übereinkommen. Damit hat der europäische Gesetzgeber keine Kompetenz, das Haager Unterhaltsprotokoll zu ändern.269 Es läge daher im Interesse der Weiterentwicklung des europäischen Kollisionsrechts, wenn der europäische Gesetzgeber eigene Kollisionsnormen in der EuUntVO vorsähe anstatt auf das Unterhaltsprotokoll zu ver265 Vgl.
Kropholler, Einheitsrecht, S. 335 f.; Jayme, FS Beitzke, S. 541, 542 f. Dazu eingehend oben, S. 49 ff.; a. A. von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 373. 267 Dazu schon oben, S. 52. 268 A.A. von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 373. 269 Zu den daraus folgenden Problemen und Möglichkeiten für eine Rom 0-Verordnung: Wagner in Leible/Unberath, S. 51, 65 f.; s. auch Solomon, FS Spellenberg, S. 355, 359. 266
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weisen. Mit der rechtspolitischen Umsetzbarkeit dieser Lösung befasst sich diese Arbeit nicht. Soweit aber im Folgenden Änderungen im Unterhaltskollisionsrecht vorgeschlagen werden, werden diese direkt in der Unterhaltsverordnung vorgenommen, da die EU nur in diesem Bereich eine Änderungskompetenz hat. 4. EhegüterVO-E und EPartVO-E a) Sachnormverweisungen im Güterrecht Im Bereich des Ehegüterrechts enthält der Verordnungsvorschlag in Art. 24 Ehe güterVO-E ebenfalls eine Sachnormverweisung. Parallel verfährt der Vorschlag für das Güterrecht eingetragener Lebenspartnerschaften in Art. 19 EPartVO-E. Wie derum ist in beiden Vorschlägen keine Ausnahme von der Unbeachtlichkeit eines renvoi vorgesehen. b) Bewertung Auch im Güterrecht gilt, dass dem Prinzip des internationalen Entscheidungs einklangs eine besondere Bedeutung zukommt. Es sind keine spezifisch güterrecht lichen Gründe ersichtlich, die gegen die Zulassung eines renvoi sprechen. Insbesondere enthalten die Entwürfe keine besonders ausdifferenzierten Kollisionsnormen, die materiell-rechtliche Ziele verwirklichen sollen und unbedingt gegenüber ausländischem Recht durchgesetzt werden müssen. Zwar wird vorgebracht, im Ehegüterrecht spreche für den Ausschluss eines renvoi die Nähe des Güterrechts zum Vertragsrecht.270 Allerdings wurde bereits ausgeführt,271 dass das Ehegüterrecht eine größere Nähe zum Statusrecht aufweist, auch wenn es die vermögensrechtlichen Auswirkungen der Ehe regelt. Hinzu kommt, dass das Ehegüterrecht einen engen Zusammenhang mit dem Scheidungsrecht der Rom III-VO aufweist, sodass es vorzugswürdig wäre, beide Bereiche gleich zu behandeln. Die Einheit des Ehegüterstandes (Art. 15 EhegüterVO-E) ist kein Argument gegen die Zulassung des renvoi,272 da auch in der EuErbVO das Prinzip der Nachlasseinheit zugunsten des internationalen Entscheidungseinklangs durchbrochen wird. Die Zulassung eines renvoi könnte auch Problemfälle lösen, in denen das europäische Kollisionsrecht nach Art. 17 EhegüterVO-E allein auf den ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt abstellt, während das drittstaatliche Kollisionsrecht ein wandelbares Güterstatut vorsieht.273 Hinzu kommt, dass auch Abstimmungsbedarf zwischen Erb- und Güterrecht besteht, da die Beendigung des ehelichen Güterstandes nicht nur durch Trennung (Be270
Henrich, FS Schurig, S. 159, 166. Dazu oben, S. 53 ff. 272 So aber von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 383. 273 Darauf hinweisend von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 382. 271
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reich der Güterrechtsentwürfe), sondern auch durch Tod (Bereich der EuErbVO) entstehen kann.274 Der Verordnungsgeber könnte zwar zwischen den verschiedenen Fallgestaltungen differenzieren. Dies würde jedoch sowohl der Übersichtlichkeit und damit der Rechtssicherheit schaden 275 als auch wenig überzeugend im Hinblick auf das – überall gleichsam zu beachtende – Prinzip des Entscheidungseinklangs sein. Auch der EhegüterVO-E sollte daher einen renvoi in bestimmtem Umfang zulassen. Für das Güterrecht eingetragener Partnerschaften wird hingegen vertreten, dass ein renvoi generell auszuschließen sei, da die objektive Anknüpfung eine versteckte Rechtswahlmöglichkeit enthalte.276 Indem nämlich objektiv an den Registrierungsort angeknüpft wird, besteht für die Parteien insofern eine „mittelbare Rechtswahlmöglichkeit“,277 als sie den Registrierungsort frei und ohne Bindung an objektive Voraussetzungen, wie etwa einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, wählen können. Da, wie bereits dargestellt, die Rechtswahl durch die Parteien stets Sachnormverweisung sein sollte,278 könnte man im Güterrecht eingetragener Partnerschaften aufgrund der versteckten Rechtswahlmöglichkeit auch für die objektive Anknüpfung einen renvoi ausschließen.279 Letztlich handelt es sich dabei aber nicht um eine freie Rechtswahlmöglichkeit, da der Registerstaat für Registrierungen in nahezu allen Fällen einschränkende Voraussetzungen aufstellt.280 Der Vergleich mit der Parteiautonomie in den anderen Verordnungen hinkt daher und sollte nicht dazu verleiten, für die gesamte objektive Anknüpfung einen renvoi auszuschließen. Weiterhin wird gegen einen renvoi im Güterrecht eingetragener Partnerschaften das Argument der Rechtssicherheit vorgebracht:281 Es handele sich bei der eingetragenen Partnerschaft um ein relativ junges Phänomen, sodass nicht in jedem Staat geschriebene Kollisionsnormen existieren würden. Es könne dem inländischen Richter nicht zugemutet werden, im unbekannten ausländischen Kollisionsrecht nach ungeschriebenen Kollisionsnormen zu suchen. Die Schwierigkeit der Ermittlung ausländischen Rechts ist jedoch, wie bereits erläutert, kein stichhaltiges Argument. Gerade in aktuellen und vieldiskutierten Bereichen besteht nämlich eine Viel274 Darauf hinweisend von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 384; vgl. auch Mansel, FS Ansay’a Armağan, S. 185, 197 f. 275 So auch von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 384, der sich trotzdem für eine differenzierende Lösung ausspricht, da die Ehegatten sich gegen einen möglicherweise auftretenden Statutenwechsel durch eine Rechtswahl schützen könnten. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass unerfahrene Ehegatten sich dieser Konsequenzen und Vermeidungsmöglichkeiten bewusst sind. 276 von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 385. 277 Vgl. MüKo-Coester, Art. 17b EGBGB Rn. 22. 278 Dazu oben, S. 87 f., 91, 120 f. 279 So von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 385. 280 Dazu MüKo-Coester, Art. 17b EGBGB Rn. 22. 281 Zum Folgenden von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 385; mit diesem Argument wurde auch die gesetzgeberische Entscheidung begründet, in Art. 17b EGBGB entgegen dem Grundsatz des Art. 4 Abs. 1 EGBGB eine Sachnormverweisung auszusprechen, s. dazu Wagner, IPRax 2001, 281, 290.
E. Behandlung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht
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zahl von Erkenntnisquellen für den inländischen Richter.282 Hinzu kommt, dass die von den Befürwortern einer Sachnormverweisung als Argument vorgebrachte Rechtssicherheit bei Entstehen eines hinkenden Rechtsverhältnisses wesentlich stärker beeinträchtigt wäre. Zudem ist die Tatsache, dass ein renvoi in ein einigen Fällen ins Leere gehen kann, kein dogmatisch überzeugender Grund, dem renvoi generell in allen Fällen die Beachtung zu versagen. Auch die Verwandtschaft zum Ehegüterrecht spricht für eine parallele Ein stufung der Bedeutung des internationalen Entscheidungseinklangs und damit der Behandlung eines renvoi. Eine Ungleichbehandlung würde eine nach dem unionsrechtlich anerkannten allgemeinen Gleichheitssatz283 unerwünschte Diskrimi nierung darstellen, wenn durch die Nichtbeachtung des renvoi im Falle einer ein getragenen Partnerschaft ein hinkendes Güterrechtsverhältnis entstünde, während dies für Ehegatten aufgrund der Befolgung des renvoi vermieden würde. Die Regelung zur Gesamtverweisung der EuErbVO sollte daher auch auf das Güterrecht eingetragener Partnerschaften übertragen werden. 5. Zusammenfassende Bewertung für die statusrechtlichen Verordnungen Dass das europäische Verordnungsrecht de lege lata in allen statusrechtlichen Verordnungen mit Ausnahme der EuErbVO eine Sachnormverweisung ausspricht, ist bedauerlich und lässt sich wohl unter anderem mit der sehr umstrittenen Geschichte des renvoi und der Uneinheitlichkeit der europäischen Rechtsordnungen diesbezüglich erklären.284 Einen allgemeinen Bedeutungsverlust des internationalen Entscheidungseinklangs sollte man darin nicht sehen,285 da der europäische Gesetz geber sich gerade durch die jüngst ergangene EuErbVO wieder zu diesem Prinzip bekannt hat. Die allgemeinen Bedenken, die gegen einen renvoi sprechen, sollten daher in allen statusrechtlichen Verordnungen in einer Abwägung zugunsten des Entscheidungseinklangs als nachrangig eingestuft werden. Gerade die Anknüpfungssysteme des Statusrechts sind weniger ausgewogen und mit weniger Materialisierungstendenzen 286 aufgeladen als das Vermögensrecht, was einen Vorrang des Prinzips des Entscheidungseinklangs rechtfertigt. De lege ferenda sollten die anderen statusrechtlichen bzw. statusnahen Verordnungen daher nach dem Vorbild der EuErbVO gestaltet werden und in Drittstaatenfällen im Interesse des Entscheidungseinklangs unter bestimmten Voraussetzungen eine Gesamtverweisung aussprechen.287 282 S.
Thorn, FS Jayme, S. 955, 964 m. w. N. zu Art. 17b EGBGB. S. oben, S. 20 f. 284 Vgl. Briggs, ICLQ 47 (1998), 877, 884, der in der Ablehnung des renvoi bereits eine Phobie sieht: “The concern is that a phobia about renvoi is both symptom and result of this malaise”. 285 So aber Schack, IPRax 2013, 315, 319. 286 S. Schack, IPRax 2013, 315, 320. 287 Vgl. auch Siehr in Basedow/Hopt/Zimmermann, S. 1293, der den Ausschluss des renvoi im 283
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2. Kapitel: Renvoi
F. Entwurf einer verordnungsübergreifenden Regelung Für die Kohärenz und Systembildung im europäischen Kollisionsrecht wäre eine verordnungsübergreifende Regelung zum renvoi förderlich. Paul Lagarde hat bereits einen Entwurf eines Allgemeinen Teils des europäischen Kollisionsrechts vorgestellt.288 In Art. 134 dieses Entwurfs findet sich folgende Regelung: „Art. 134 Lorsque le droit désigné par la présente loi renvoie à un autre droit, ce renvoi est suivi, à moins qu’il n’aille à l’encontre du sens de la règle de conflit.“
Im Gegensatz zum jetzigen Verordnungsrecht folgt Lagarde dadurch dem Grundsatz der Gesamtverweisung, es sei denn, dies widerspricht dem Sinn der Verweisung. Die Regelung ist damit vergleichbar mit Art. 4 EGBGB. Wie bereits am Beispiel der EuErbVO gesehen, bietet sich eine in mehrfacher Hinsicht differenziertere Regelung an. Es sollte zumindest zwischen mitgliedstaatlichem und drittstaatlichem Recht, zwischen Rück- und Weiterverweisungen sowie zwischen vermögensrechtlichen und statusrechtlichen Verhältnissen differenziert werden. Hinzu kommt, dass die Regelung des Art. 4 EGBGB – insbesondere die Reichweite der sog. „Sinnklausel“ des Art. 4 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 EGBGB – alles andere als eindeutig ist. Eine Übernahme dieser Norm in das europäische Verordnungsrecht würde die Probleme nur verlagern und keine Vorteile in puncto Rechtssicherheit bringen.289 Im Folgenden sollen daher verordnungsübergreifende Regelungen für das Vermögensrecht einerseits und Statusverhältnisse andererseits entwickelt werden. I. Vermögensrecht Entsprechend der geringen Bedeutung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs im Vermögensrecht sollten sowohl die Rom I-VO als auch die Rom II-VO jeweils eine Sachnormverweisung aussprechen: Art. 20 Rom I-VO-neu / Art. 24 Rom II-VO-neu Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung Unter dem nach dieser Verordnung anzuwendenden Recht eines Staates sind die in diesem Staat geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internationalen Privatrechts zu verstehen. internationalen Unterhalts- Familien- und Erbrecht für nicht mehr haltbar ansieht; s. auch Schurig, FS Spellenberg, S. 343, 348, der die Gefahr sieht, dass sich die EU zu sehr auf Europa fixiert und dabei „die Welt aus den Augen [verliert]“; a. A. von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 395 f., der den renvoi nur im Erbrecht zulassen will. 288 Abgedruckt in Basedow, RabelsZ 75 (2011), 671, 673–676 sowie Lagarde in Fallon/Lagarde/ Poillot-Peruzzetto, S. 365, 373 f. 289 So auch von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 351.
F. Entwurf einer verordnungsübergreifenden Regelung
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Dieser Vorschlag entspricht dem derzeitigen Art. 24 Rom II-VO. Für die Rom I-VO sollte der letzte Halbsatz („soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist“) aus Gründen der Rechtsklarheit gestrichen werden, da diese Ausnahme ohnehin keinen Anwendungsbereich hat. II. Statusverhältnisse Für die statusrechtlichen Verhältnisse sollte der korrigierte Art. 34 EuErbVO-neu290 den Ausgangspunkt darstellen: Art. 34 EuErbVO-neu/Art. 11 Rom III-VO-neu/Art. 16 EuUntVO-neu/ Art. 24 EhegüterVO-E/ Art. 19 EPartVO-E Rück- und Weiterverweisungen (1) Unter dem nach dieser Verordnung anzuwendenden Recht eines Staates sind die in diesem Staat geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internationalen Privatrechts zu verstehen, soweit sich aus den folgenden Absätzen nicht ein anderes ergibt. (2) Unter dem nach dieser Verordnung anzuwendenden Recht eines Drittstaates sind die in diesem Staat geltenden Rechtsvorschriften einschließlich derjenigen seines Internationalen Privatrechts zu verstehen, soweit diese zurück- oder weiterverweisen auf: a) das Recht eines Mitgliedstaates oder b) das Recht eines anderen Drittstaates, der sein eigenes Recht anwenden würde. (3) Verweist das Recht des Drittstaates auf mitgliedstaatliches Recht zurück, so sind die in diesem Mitgliedstaat geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internatio nalen Privatrechts anzuwenden.
1. Absätze 1 bis 3 Der vorgeschlagene Absatz 1 legt wiederum für alle nicht genannten Fälle den Grundsatz der Sachnormverweisung fest. Dieser Absatz ist bewusst offen formuliert („Recht eines Staates“), sodass darunter auch die Fälle der Verweisung auf andere Mitgliedstaaten zu subsumieren sind. Für die Absätze 2 und 3 gilt das im Rahmen der EuErbVO Gesagte. Absatz 2 überzeugt im Hinblick auf die Erzielung internationalen Entscheidungseinklangs; Absatz 3 beinhaltet eine Klarstellung für die Behandlung von Verweisungsketten. Die Absätze 1 bis 3 der vorgeschlagenen Regelung sollten damit verordnungsübergreifend für alle statusrechtlichen Verordnungen gelten. Auch für die anderen statusrechtlichen Verordnungen gilt, dass weitere Fälle der nicht akzeptierten Weiterverweisung nicht aufgenommen werden sollten, da dies im Hinblick auf den Entscheidungseinklang nicht förderlich bzw. nur mit erheblichen Einbußen bei der Rechtssicherheit möglich ist. Dies wurde bereits am Beispiel der EuErbVO ausführlich untersucht.
290
S. oben, S. 127.
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2. Kapitel: Renvoi
2. Absatz 4 Für die EuErbVO wurde bereits ein modifizierter Absatz 4 vorgeschlagen.291 Diese Regelung muss für die übrigen Verordnungen angepasst werden. Zu untersuchen bleibt dafür, in welchen Fällen vom Grundsatz der Gesamtverweisung in Art. 34 Abs. 2 eine Gegenausnahme gemacht werden sollte. a) Rom III-VO aa) Rechtswahl (Art. 5 Rom III-VO) Die Rom III-VO ermöglicht es den Ehegatten, eine Rechtswahl zu treffen. Der Kreis der wählbaren Rechtsordnungen ist in Art. 5 Rom III-VO jedoch beschränkt. Hier gelten die bereits zur EuErbVO angestellten Erwägungen. Könnten die Parteien fremdes Kollisionsrecht wählen, würde möglicherweise der Kreis der wählbaren Rechtsordnungen mittelbar erweitert und damit der Wille des Verordnungsgebers umgangen.292 Hinzu kommt wiederum, dass die Parteien in statusrechtlichen Verhältnissen ein Interesse daran haben, ihre Rechtsbeziehungen von Beginn an vorhersehbar zu gestalten.293 Eine Sachnormverweisung stellt hier das übersichtlichere Mittel dar. Damit ist auch für die Rom III-VO im Falle der Rechtswahl eine zwingende Sachnormverweisung vorzusehen. bb) Alternative Anknüpfung Während die EuErbVO im Sinne des favor testamenti eine alternative Anknüpfung für die Form von letztwilligen Verfügungen vorsieht, befindet sich in der Rom IIIVO keine vergleichbare alternative Anknüpfung. Insbesondere Art. 7 Rom III-VO, der die Formgültigkeit einer Rechtswahl regelt, enthält keine solche Anknüpfung, für die eine Ausnahme vorzusehen wäre. Art. 7 Abs. 3 Rom III-VO besagt nämlich Folgendes: „Haben die Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen teilnehmenden Mitgliedstaaten und sieht das Recht beider Staaten unterschied liche Formvorschriften vor, so ist die Vereinbarung formgültig, wenn sie den Vorschriften eines dieser Mitgliedstaaten genügt.“
Hier wird zwar ebenfalls im Interesse der Formgültigkeit der Rechtswahl eine alternative Anknüpfung ermöglicht. Art. 7 Rom III-VO betrifft jedoch nur die Fälle, in denen verschiedene teilnehmende Mitgliedstaaten verschiedene Vorschriften vor291 Dazu oben, S. 115 ff., 127: Art. 34 Abs. 4 EuErbVO-neu: „Rück- und Weiterverweisungen durch die in Art. 22, Art. 27 und Art. 28 Buchstabe b genannten Rechtsordnungen sind nicht zu beachten.“ 292 Kropholler, IPR, S. 175 zum EGBGB. 293 Zu Art. 4 Abs. 2 EGBGB auch Rauscher, NJW 1988, 2151, 2153.
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sehen. Drittstaatensachverhalte sind nicht erfasst. Da zwischen Mitgliedstaaten ohnehin ausnahmslos Sachnormverweisungen ausgesprochen werden, bedarf es hier keiner Regelung. cc) Zwischenergebnis Weitere Fälle, in denen der Grundsatz der Gesamtverweisung wieder durchbrochen werden müsste, sind nicht ersichtlich. Insbesondere enthält die Rom III-VO auch keine Ausweichklausel, bei der der Zweck des Gesetzgebers entscheidend wäre.294 Somit ist lediglich eine Ausnahme für die Fälle der Rechtswahl in die Verordnung einzufügen. Absatz 4 lautet für die Rom III-VO damit wie folgt: (4) Rück- und Weiterverweisungen durch die in Art. 5 genannten Rechtsordnungen sind nicht zu beachten.
b) EuUntVO Die EuUntVO sollte idealerweise, wie bereits erläutert,295 eigene Kollisionsnormen enthalten. Die Regelung zur Rück- und Weiterverweisung wäre daher in Art. 16 EuUntVO einzufügen. Da diese Arbeit die rechtspolitische Umsetzung nicht be handelt, werden im Folgenden für die Ausnahmen der Übersichtlichkeit halber die Normen des HUntProt beibehalten. Es ist Aufgabe des europäischen Gesetzgebers, auch die nun folgenden Normen zur Rechtswahl und zur Ausweichklausel in die EuUntVO zu integrieren. aa) Rechtswahl (Art. 15 EuUntVO i. V. m. Art. 8 HUntProt) Im Unterhaltsrecht gilt für die Fälle der Rechtswahl das zur EuErbVO und Rom IIIVO Ausgeführte, denn auch Art. 8 HUntProt sieht einen beschränkten Kreis wählbarer Rechtsordnungen vor. Eine dementsprechende Ausnahme für die Rechtswahl sollte daher in eine neue Vorschrift aufgenommen werden. bb) Ausweichklausel (Art. 15 EuUntVO i. V. m. Art. 5 HUntProt) Art. 5 HUntProt enthält eine Ausweichklausel, die als Einrede ausgestaltet ist. Die Norm besagt, dass im Falle des ehelichen oder nachehelichen Unterhalts ausnahmsweise nicht an den gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten angeknüpft werden muss, sondern sieht eine Ausweichklausel zugunsten des Rechts vor, zu dem der Sachverhalt eine engere Verbindung aufweist.296 Auch hier besagt die Norm selbst schon, dass dieses Recht insbesondere das Recht des Staates des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegat294
Dazu schon oben im Rahmen der EuErbVO, S. 118 ff. Dazu oben, S. 129 f. 296 Näher dazu Rauscher-Andrae, Art. 5 HUntProt Rn. 3 –5. 295
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ten sein kann. Hier wird wiederum nur Spielraum innerhalb einer „festen Anknüpfungsschiene“297 eingeräumt. Eine zwingende gesetzgeberische Wertentscheidung, die durchkreuzt werden könnte, liegt auch in diesem Falle nicht vor. Eine Ausnahme für den Fall der Ausweichklausel ist daher – ebenso wie schon in der EuErbVO – nicht vorzusehen. cc) Zwischenergebnis Auch für die EuUntVO gilt daher, dass lediglich eine Rückausnahme vom Grundsatz der Gesamtverweisung zugunsten einer Rechtswahl vorzusehen ist: (4) Rück- und Weiterverweisungen durch die in Art. 15 EuUntVO i. V. m. Art. 8 HUntProt genannten Rechtsordnungen sind nicht zu beachten.
c) EhegüterVO-E und EPartVO-E aa) Rechtswahl (Art. 16 EhegüterVO-E) Auch der Verordnungsentwurf zum Ehegüterrecht sieht eine Rechtswahl vor und beschränkt den Kreis der wählbaren Rechtsordnungen. Hier gilt wiederum, dass eine Gesamtverweisung diese Entscheidung des Verordnungsgebers umgehen könnte, sodass im Falle der Rechtswahl zwingend eine Sachnormverweisung vorzusehen ist. Eine entsprechende Ausnahme müsste nicht nur für Art. 16 EhegüterVO-E aufgenommen werden, sondern auch für Art. 18 EhegüterVO-E, der eine Änderung der Rechtswahl mit ex nunc-Wirkung ermöglicht, da hier ebenfalls nur bestimmte Rechtsordnungen wählbar sind. Im Güterrecht für eingetragene Lebenspartner hingegen ist derzeit noch keine Rechtswahlmöglichkeit vorgesehen. Es ist jedoch zu erwarten, dass der europäische Gesetzgeber insofern der berechtigten Kritik in der Literatur nachgeben und eine Rechtswahlmöglichkeit auch für eingetragene Lebenspartner normieren wird.298 Für diesen Fall wäre auch dort eine Rückausnahme vom Grundsatz der Gesamtverweisung einzufügen. bb) Alternative Anknüpfung Art. 20 EhegüterVO-E sieht in Absatz 1 eine alternative Anknüpfung für die Formwirksamkeit eines Ehevertrages vor. Danach muss dieser entweder nach dem Güter statut oder nach dem Recht des Staates, in dem der Vertrag aufgesetzt wurde, formwirksam sein. Eine entsprechende Regelung enthält Art. 19 EhegüterVO-E für die Formwirksamkeit einer Rechtswahlvereinbarung. Dies dient im Ergebnis einem 297
Stoll, FS Keller, S. 511, 521. Zu Recht kritisch Martiny, IPRax 2011, 437, 457; Buschbaum, GPR 2014, 4, 5. Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments hat daher bereits einen Änderungsantrag dahingehend gemacht, dass eine Rechtswahl für eingetragene Lebenspartnerschaften ermöglicht werden soll, sofern die Lebenspartnershaft im gewählten Recht anerkannt ist, s. dazu GPR 2012, 344; s. zum aktuellen Stand auch Kohler/Pintens, FamRZ 2014, 1498, 1500. 298
F. Entwurf einer verordnungsübergreifenden Regelung
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materiell-rechtlichen Ergebnis, nämlich der Formwirksamkeit der Vereinbarung. Dieses Ergebnis würde wiederum – wie schon im Falle der EuErbVO – unterlaufen, wenn ein renvoi beachtet würde. Demnach sind auch diese Fälle als Rückausnahmen vom Grundsatz der Gesamtverweisung aufzunehmen. cc) Zwischenergebnis In den EhegüterVO-E sind Ausnahmen für die Rechtswahl (Art. 16 EhegüterVO-E) und die Fälle der alternativen Anknüpfung (Art. 19, 20 EhegüterVO-E) aufzunehmen. Im EPartVO-E ist mangels Vorliegen von Sondervorschriften für die relevanten Bereiche keine Ausnahme zu statuieren. Absatz 4 für den EhegüterVO-E lautet damit folgendermaßen: (4) Rück- und Weiterverweisungen durch die in Art. 16, 19 und Art. 20 genannten Rechtsordnungen sind nicht zu beachten.
3. Ergebnis Eine für Statusverhältnisse verordnungsübergreifende Regelung sollte sich demnach an dem oben entwickelten Vorschlag für Art. 34 der EuErbVO-neu orientieren, dessen Absätze 1 bis 3 verordnungsübergreifend gelten. Der Absatz 4 einer entsprechenden Vorschrift ist nach den obigen Ausführungen an die jeweilige Verordnung anzupassen.
3. Kapitel:
Mehrrechtsordnungen Neben der Entscheidung über die Beachtlichkeit eines renvoi kann auch die Haltung eines Gesetzgebers bei der Behandlung von Mehrrechtsstaaten Aufschluss darüber geben, welche Bedeutung er dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs beimisst. Die Frage, ob eine Sachnorm- oder Gesamtverweisung ausgesprochen wird, verlagert sich hier auf eine konkretere Ebene, nämlich auf die interlokale bzw. interpersonale.1 Zwischen der Verweisungsart auf internationaler Ebene und derjenigen auf interlokaler bzw. interpersonaler Ebene sollte daher möglichst Wertungskohärenz erzielt werden. Alle europäischen Verordnungen enthalten bereits eine Regelung für die Anknüpfung bei der Verweisung auf einen Mehrrechtsstaat. Zu untersuchen ist, welcher Stellenwert dem Prinzip des Entscheidungseinklangs in diesen Vorschriften eingeräumt wurde bzw. welchen anderen Zielen der europäische Gesetzgeber im Rahmen einer Abwägung Beachtung geschenkt hat. Erstrebenswert ist dabei nicht nur eine kohärente Lösung zwischen internationaler Ebene (renvoi) und interlokaler bzw. interpersonaler Ebene (Anknüpfung bei Mehrrechtsstaaten). Vielmehr sollten auch zwischen den einzelnen Verordnungen keine Wertungswidersprüche entstehen. Hierzu erfolgen zunächst eine Begriffsklärung (A.) und eine Darstellung der Lösungsmöglichkeiten für eine Behandlung von Mehrrechtstaaten (B.). Ein Augenmerk liegt dabei insbesondere auf der Frage, inwiefern die einzelnen Lösungswege geeignet sind, internationalen Entscheidungseinklang zu erzielen (C.). Daraufhin wird der soeben bereits erwähnte Wertungszusammenhang zwischen renvoi auf internationaler Ebene und der Behandlung von Mehrrechtsstaaten aufgezeigt (D.). Schwerpunktmäßig wird sodann das europäische Verordnungsrecht untersucht, wobei wiederum zwischen vermögensrechtlichen und statusrechtlichen Verordnungen differenziert wird (E.). Am Schluss der Betrachtung steht ein verordnungsübergreifender Normvorschlag (F.).
1
Zu den Begriffen sogleich.
A. Begriff und Erscheinungsformen
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A. Begriff und Erscheinungsformen Mehrrechtsstaaten sind souveräne Staaten, deren Privatrecht in mehrere Teilrechtsordnungen aufgespalten ist. Diese einzelnen Teilrechtsordnungen nichtsouveräner Teilgesetzgeber bestehen grundsätzlich voneinander unabhängig neben der Gesamtrechtsordnung.2 Die Rechtsspaltung kann dabei entweder in Form einer territorialen, einer personalen oder einer zeitlichen Spaltung auftreten.3 I. Räumliche Spaltung Wenn in verschiedenen Gebieten eines Gesamtstaates unterschiedliches Sachrecht gilt, wird dies als räumliche4 oder territoriale5 Rechtsspaltung bezeichnet. Die Ursachen solcher räumlichen Spaltungen sind vielfältig. Sie können auf die föderale Struktur des Gesamtstaates und damit dessen fehlende zentrale Gesetzgebungskompetenz zurückzuführen sein. Ein praktisch bedeutsames Beispiel dafür sind die USA.6 Weiterhin können territoriale Spaltungen in Zusammenschlüssen einzelner selbstständiger Staaten zu einem Gesamtstaat oder der Entwicklung von Gewohnheitsrecht (z. B. im Falle der spanischen Foralrechte7) in einzelnen Gebieten begründet sein. In diesen Fällen hat meist die historische Entwicklung eine einheitliche Rechtsetzung im Gesamtstaat verhindert.8 Beispiele für räumliche Rechtsspaltungen sind innerhalb Europas Spanien9 sowie das Vereinigte Königreich.10 Praktisch bedeutsame Drittstaaten mit räumlicher Rechtsspaltung sind vor allem, neben den USA, Kanada, Mexiko und Australien.11 Aus europäischer Perspektive relevant wird diese Spaltung, wenn das europäische internationale Privatrecht auf das Recht eines Gesamtstaates, z. B. das Recht der USA, verweist. In diesem Fall ist die anwendbare Teilrechtsordnung noch nicht unzweifelhaft ermittelt. Die Bestimmung der anwendbaren Teilrechtsordnung ist Aufgabe des sog. interlokalen12 Privatrechts, das – im Unterschied zum internationalen Privatrecht – nicht den Konflikt zwischen den Rechtsordnungen zweier souveräner Staaten behandelt, sondern die Kollision von Teilrechtsordnungen innerhalb eines souveränen Gesamtstaates.13 2
Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 1. von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 117 f. 4 Kegel, FS Arnold, S. 61. 5 MüKo-Junker, Art. 25 Rom II-VO Rn. 1. 6 von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 153. 7 Dazu Jayme, RabelsZ 55 (1991), 303–331. 8 Dazu mit Beispielen Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 2 f. 9 Eingehend dazu Jayme, RabelsZ 55 (1991), 303–331. 10 Dazu Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 185–188. 11 MüKo-Junker, Art. 25 Rom II-VO Rn. 1; Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 25 Rom II-VO Rn. 2; Einzeldarstellungen insbesondere bei Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 176–204; weitere Beispiele Staudinger-Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, Rn. 869–877. 12 Kritik am Begriff bei Kropholler, IPR, S. 199 f. 13 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1 Rn. 85. 3
142
3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
II. Personale Spaltung Weiterhin ist möglich, dass ein Mehrrechtsstaat personal gespalten ist, d. h. dass für verschiedene Personengruppen innerhalb eines Gesamtstaates unterschiedliches Sachrecht gilt.14 Es werden also an persönliche Eigenschaften einer Person unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft. Meist handelt es sich bei diesen persönlichen Merkmalen um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder einer ethnischen Gruppe.15 Beispiele für Staaten, die als Anknüpfungsmomente insbesondere im Ehe- und Familienrecht die Religionszugehörigkeit verwenden, sind unter anderem Israel und islamische16 sowie asiatische Staaten.17 Auch innerhalb Europas kommen personale Rechtsspaltungen vor, namentlich in Griechenland für die Muslime Thraziens.18 An die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe knüpfen vor allem schwarzafrikanische Stammesrechte an.19 Die Ursachen solcher personalen Spaltungen liegen meist in der Entstehungsgeschichte der jeweiligen Religion bzw. ethnischen Gruppe, ohne dass sich hier eine abstrakte Typisierung vornehmen lässt.20 Verweist das europäische internationale Privatrecht auf einen personal gespaltenen Mehrrechtsstaat, ist noch nicht ermittelt, welche Teilrechtsordnung anwendbar ist. Ebenso wie im Falle der territorialen Rechtsspaltung bedarf es zusätzlicher Kollisionsnormen, die die auf die jeweilige Personengruppe anwendbare Teilrechtsordnung bestimmen. Dies ist Aufgabe des sog. interpersonalen Privatrechts.21 III. Zeitliche Spaltung Schließlich kann auch eine zeitliche Rechtsspaltung auftreten, was insbesondere dann häufig geschieht, wenn eine alte Rechtsvorschrift von einer neuen abgelöst wird.22 Wenn das europäische Kollisionsrecht auf ausländisches Recht verweist, das eine zeitliche Spaltung aufweist, muss wiederum aufgrund besonderer Vorschriften bestimmt werden, welches Sachrecht Anwendung findet – die alte oder die neue Fassung. Die Auflösung dieser zeitlichen Kollision verschiedener Vorschriften ist Aufgabe des sog. intertemporalen Privatrechts.23 14 Dazu
Kropholler, IPR, S. 208–211. Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 3, 35. 16 S. dazu Kreuzer, FS Spellenberg, S. 211–231. 17 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1 Rn. 90 f.; Kropholler, IPR, S. 209; zahlreiche weitere Beispiele bei Staudinger-Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, Rn. 875–877 sowie NK-Nordmeier, Art. 15 Rom III-VO Rn. 12 m. w. N. 18 S. dazu Demetriou/Gottwald, IPRax 1995, 193; Jayme/Nordmeier, IPRax 2008, 369 f. 19 Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 35; Bryde, JuS 1982, 8–13. 20 Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 3, 35–46; Neuhaus, Grundbegriffe, S. 316–318. 21 Staudinger-Sturm/Sturm, Einleitung zum IPR, Rn. 860 f. 22 Näher von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 171–173; s. z. B. aus dem deutschen Recht Art. 220 EGBGB. 23 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 1 Rn. 93. 15
B. Lösungsmöglichkeiten
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Im Folgenden wird das Phänomen der zeitlichen Spaltung außer Acht gelassen, da für diese Fälle der zeitlich gespaltene Staat stets Regelungen bereithalten wird. Das europäische Kollisionsrecht kann dafür keine eigene Lösung bieten, da es nicht den zeitlichen Anwendungsbereich einer ausländischen Norm bestimmen kann. Stattdessen muss hier auf die ausländischen Regeln rekurriert werden.24 Einer expliziten Regelung dieser Frage im europäischen Verordnungsrecht bedarf es dazu nicht. Die folgenden Ausführungen werden sich daher auf die räumliche und die personale Spaltung beschränken.
B. Lösungsmöglichkeiten Aus der Sicht des Mehrrechtsstaates ist die Ermittlung der anwendbaren Teilrechtsordnung eine Frage der Binnenkoordination. Der Mehrrechtsstaat befragt sein eigenes interlokales, interpersonales bzw. intertemporales Kollisionsrecht oder dasjenige der Teilrechtsordnungen, falls ein vereinheitlichtes Recht nicht besteht. Diese Zuordnung ist allein Sache des Mehrrechtsstaates. Aus der Außenperspektive25 des verweisenden Staates – also aus der hier zu untersuchenden europäischen Perspektive – tritt neben das interlokale, interpersonale bzw. intertemporale Kollisionsrecht eine weitere, höhere Ebene, nämlich die des internationalen Privatrechts. Im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand soll in dieser Arbeit lediglich die Behandlung von Mehrrechtsstaaten aus Sicht der verweisenden Rechtsordnung behandelt werden. Hier gibt es zwei Lösungswege, um die anwendbare Teilrechtsordnung zu ermitteln: Das europäische Kollisionsrecht kann die Bestimmung der Teilrechtsordnung entweder dem Mehrrechtsstaat überlassen oder die Ermittlung selbst vornehmen.26 I. Verweisung auf das Kollisionsrecht des Mehrrechtsstaates Die erste mögliche Lösung für das europäische Kollisionsrecht besteht darin, auf das interlokale bzw. interpersonale Privatrecht des berufenen Gesamtstaates zu verweisen und diesem die Ermittlung der anwendbaren Teil-Sachrechtsordnung zu überlassen. Dies entspricht methodisch einer Gesamtverweisung, da das ausländische Kollisionsrecht befragt und dessen Verweisung gefolgt wird. Dieser Lösungsweg bereitet keine Schwierigkeiten, wenn in dem Gesamtstaat ein einheitliches interlokales bzw. interpersonales Privatrecht existiert.27 Diesem wird gefolgt und die anwendbare Teilrechtsordnung ist ermittelt. So besteht beispielswei24
Kegel/Schurig, IPR, S. 418; von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 190. Lalive, Rec. des Cours 155 (1977-II), 301: „ces conflits internes vus de l‘extérieur”. 26 Vgl. dazu Kegel/Schurig, IPR, S. 416–420; MüKo-Junker, Art. 25 Rom II-VO Rn. 1, 3; Lalive, Rec. des Cours 155 (1977-II), 301, 302–305. 27 So beispielsweise in Spanien (Art. 13–19 Código civil). 25
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3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
se im Falle einer personalen Spaltung meist ein einheitliches interpersonales Privatrecht.28 Probleme entstehen jedoch häufig bei der räumlichen Spaltung, wenn ein Mehrrechtsstaat nicht nur auf materiell-rechtlicher Ebene gespalten ist, sondern zusätzlich eine Rechtsspaltung auf kollisionsrechtlicher Ebene vorliegt. In diesem Fall existiert kein einheitliches internationales bzw. interlokales Privatrecht, sondern jede Teilrechtsordnung hält ihr eigenes Kollisionsrecht bereit. Prominentes Beispiel für eine zusätzliche räumliche Spaltung auf kollisionsrechtlicher Ebene sind die USA.29 Für diese Konstellationen muss das europäische Kollisionsrecht eine Hilfsanknüpfung vorsehen, um eine Teilrechtsordnung zu berufen.30 II. Direkte Verweisung auf Sachnormen der Teilrechtsordnung Die zweite Möglichkeit entspricht rechtstechnisch einer Sachnormverweisung. Das europäische Kollisionsrecht kann unmittelbar auf das Sachrecht der Teilrechtsordnung, also beispielsweise auf das materielle Recht des Staates New York, verweisen. Das interlokale Kollisionsrecht des Gesamtstaates USA wird nicht befragt. Diese Variante bereitet keine Probleme, wenn die Kollisionsnormen des Forumstaates an einen Ort anknüpfen, da ein Ort, beispielsweise der Ort des Schadenseintritts, der Erfüllungsort, der Lageort einer Sache oder der gewöhnliche Aufenthalt einer Person, zweifelsfrei in einer Gebietseinheit lokalisiert werden kann.31 Wird hingegen nicht ortsbezogen angeknüpft, sondern eine ortsungebundene Anknüpfung verwendet, kann die anwendbare Teilrechtsordnung nicht ohne Weiteres bestimmt werden,32 da das Kriterium nicht genügend ausdifferenziert ist.33 Wichtigstes Beispiel ist die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, die auf den Gesamtstaat anstatt auf eine Gebietseinheit bezogen ist, sodass eine Teilrechtsordnung allein durch dieses Kriterium nicht ermittelt werden kann.34 Gleiches gilt für andere staatsbezogene Anknüpfungen, etwa die Anknüpfung an das Recht der Flagge eines Schiffs.35 Weiterhin gelingt keine unmittelbare Bestimmung der Teilrechtsordnung im Falle der personalen Rechtsspaltung, da diese ebenfalls unabhängig von einem be-
28
Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 23. Dazu Staudinger-Hausmann, Anhang zu Art. 4 EGBGB Rn. 84. 30 Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 399; zu anderen Möglichkeiten der Bestimmung Kegel, FS Arnold, S. 61, 72–77, der im Ergebnis ebenfalls eine Unteranknüpfung im inländischen IPR für die richtige Vorgehensweise hält. 31 Heinze, FS Kropholler, S. 105, 120; Kegel, FS Arnold, S. 61, 66 f. 32 Mit dieser Differenzierung auch von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 57; Kegel, FS Arnold, S. 61, 66 f.; Kreuzer in Jud/Rechberger, S. 1, 34; Stoll, FS Keller, S. 511, 516; Wilke, GPR 2012, 334, 336; Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 399 f. 33 Vgl. Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 400. 34 von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 157; Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 11. 35 Kegel, FS Arnold, S. 61, 67. 29
C. Relevanz für Entscheidungseinklang
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stimmten Ort ist und stattdessen an eine nicht lokalisierbare persönliche Eigenschaft, etwa die Religionszugehörigkeit, anknüpft.36 In allen Fällen, in denen das Anknüpfungsmoment nicht geeignet ist, eine Teilrechtsordnung zu lokalisieren, muss das europäische Kollisionsrecht hilfsweise Unteranknüpfungen bereitstellen, um die anwendbare Teilrechtsordnung ermitteln zu können. Hier bestehen wiederum zwei Möglichkeiten.37 Erstens kann die lex fori selbst ein Anknüpfungsmoment entwickeln. Denkbar ist beispielsweise, direkt auf die Sachnormen der Teilrechtsordnung zu verweisen, zu der die engste Verbindung besteht (so z. B. Art. 4 Abs. 3 S. 2 EGBGB). Zweitens kann für den Fall einer nicht lokalisierbaren Anknüpfung dem interlokalen Privatrecht des Mehrrechtsstaates die Bestimmung der Teilrechtsordnung überlassen werden.
C. Relevanz für Entscheidungseinklang Um zu untersuchen, ob die Lösungen in den europäischen Verordnungen internatio nalen Entscheidungseinklang herzustellen vermögen, soll zunächst erläutert werden, inwiefern und bis zu welchem Grad sich die verschiedenen Ansätze in der Behandlung von Mehrrechtsstaaten für die Erzielung von Entscheidungseinklang eignen. I. Verweisung auf das Kollisionsrecht des Mehrrechtsstaates Für den Lösungsweg, der das Kollisionsrecht des Mehrrechtsstaates befragt, ist im Hinblick auf die Erzielung von Entscheidungseinklang zwischen Mehrrechtsstaaten mit einheitlichem interlokalem bzw. interpersonalem Privatrecht einerseits und gespaltenem Kollisionsrecht andererseits zu unterscheiden. 1. Einheitliches interlokales bzw. interpersonales Privatrecht Besteht ein einheitliches interlokales bzw. interpersonales Privatrecht im Mehrrechtsstaat, wendet jedes Gericht in jeder Gebietseinheit dasselbe vereinheitlichte interlokale bzw. interpersonale Privatrecht an und beruft damit dieselbe Rechtsordnung. Durch das vereinheitlichte Kollisionsrecht entsteht so interner Entscheidungs einklang zwischen den einzelnen Teilrechtsordnungen innerhalb des Mehrrechtsstaates.38 Wenn das europäische Kollisionsrecht dieses vereinheitlichte Kollisionsrecht des Mehrrechtsstaates befragt und der Verweisung auf die anwendbare Teilrechtsordnung folgt, wird auch internationaler Entscheidungseinklang zwischen der EU und 36
Leible in Reichelt IPR, S. 31, 52 f.; Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 11. Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 11 f. 38 Vgl. Jayme, IPRax 1989, 287. 37
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3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
allen Teilrechtsordnungen hergestellt.39 Aus europäischer Perspektive wird nämlich dasselbe Recht angewendet, das jedes einzelne Teilgebiet anwenden würde, wenn dort der Gerichtsort läge. 2. Gespaltenes interlokales Privatrecht Ferner besteht die Möglichkeit, dass der Mehrrechtsstaat, wie beispielsweise die USA,40 über kein einheitliches interlokales Privatrecht verfügt und damit auch auf kollisionsrechtlicher Ebene eine Rechtsspaltung vorliegt. Interpersonales Kollisions recht ist in der Regel auf gesamtstaatlicher Ebene vereinheitlicht,41 sodass sich die folgenden Ausführungen auf das interlokale Privatrecht konzentrieren. Verfügt der Mehrrechtsstaat über kein einheitliches interlokales Privatrecht, wendet innerhalb des Mehrrechtsstaates jede Gebietseinheit ihr eigenes interlokales Privatrecht an. Dies führt dazu, dass das anwendbare Recht vom jeweiligen Gerichtsort in einem Teilgebiet abhängig ist, sodass interne Entscheidungsdisharmonien innerhalb des Gesamtstaates entstehen. Wenn das europäische Kollisionsrecht in dieser Konstellation auf das interlokale Privatrecht einer Teilrechtsordnung verweist, vermag es die internen Entscheidungsdisharmonien nicht zu beheben, da sie innerhalb des Mehrrechtsstaates begründet sind. Folge ist, dass nur mit der jeweiligen Teilrechtsordnung internationaler Entscheidungseinklang hergestellt wird, auf die das europäische Kollisionsrecht verweist. Internationaler Entscheidungseinklang mit den anderen Teilrechtsordnungen ist nicht möglich, wenn deren interlokales Privatrecht sich von dem der berufenen Teilrechtsordnung unterscheidet. Es ist Aufgabe des Mehrrechtsstaates, diese internen Entscheidungsdisharmonien zu beheben. Tut er dies nicht, vermag das europäische Kollisionsrecht dies nicht zu ändern.42 Das Risiko von Mehrrechtsstaats-internen und dadurch aus europäischer Sicht auch internationalen Disharmonien wird allerdings dadurch verringert, dass in einigen Mehrrechtsstaaten trotz Fehlens eines vereinheitlichten Kollisionsrechts zumindest inhaltsgleiches interlokales Privatrecht entstanden ist.43 Dies gilt beispielsweise für die USA, wo das American Law Institute in sog. restatements of law versucht hat, allgemeine Grundsätze aus den interlokalen Teilrechten abzuleiten und zu kodifizieren.44 Jedenfalls in den Bundesstaaten, die die restatements akzeptieren und anwenden, besteht inhaltsgleiches interlokales Recht, sodass letztlich alle Teilrechtsordnungen zur Anwendung desselben Sachrechts kommen. Für diese 39 Vgl. Kreuzer in Jud/Rechberger, S. 1, 34 f.; Kegel/Schurig, IPR, S. 417; Eichel in Leible/ Unberath, S. 397, 400 f.; Staudinger-Hausmann, Art. 22 Rom I-VO Rn. 4. 40 Näher dazu Droop, Jura 1993, 293, 294 f. 41 Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 23. 42 So auch Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 401. 43 Kegel, FS Arnold, S. 61, 71 f. 44 Vgl. 2nd Restatement of Conflict of Laws (1971): § 10; s. dazu Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 379.
C. Relevanz für Entscheidungseinklang
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Mehrrechtsstaaten kann aus europäischer Perspektive nicht nur mit einer Teilrechtsordnung, sondern mit allen Teilrechtsordnungen, die inhaltsgleiches Kollisionsrecht enthalten, internationaler Entscheidungseinklang erzielt werden.45 II. Direkte Verweisung auf Sachnormen der Teilrechtsordnung Verweist das europäische Kollisionsrecht unter Ausschaltung des interlokalen Privatrechts des Mehrrechtsstaates unmittelbar auf das Sachrecht der Teilrechtsordnung, gefährdet dies den internationalen Entscheidungseinklang mit dem berufenen Mehrrechtsstaat. Müsste ein dortiges Gericht den Fall entscheiden, würde es nämlich zunächst das eigene interlokale Privatrecht befragen, um die anwendbare Teilrechtsordnung zu ermitteln. Über sein eigenes interlokales Privatrecht kommt der Gesamtstaat möglicherweise zur Anwendung einer anderen Teilrechtsordnung als das europäische Kollisionsrecht. Somit wird auf ein einheitliches Rechtsverhältnis je nach Gerichtsort unterschiedliches Recht angewendet, sodass hinkende Rechtsverhältnisse entstehen und Entscheidungsdisharmonien auftreten können.46 Wie dargestellt, versagt im Falle der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit oder der Verwendung ähnlicher ortsungebundener Anknüpfungsmomente die direkte Verweisung auf Sachnormen einer Teilrechtsordnung.47 Stattdessen muss das europäische Kollisionsrecht entweder selbst eine Unteranknüpfung vorsehen oder dem interlokalen Privatrecht des Mehrrechtsstaates die Ermittlung der anwendbaren Teilrechtsordnung überlassen. Wird letztere Variante gewählt, gestaltet sich die Situation parallel zu der, in der dem ausländischen interlokalen Privatrecht von vornherein die Bestimmung der Teilrechtsordnung überlassen wird. Existiert ein einheitliches oder zumindest inhaltsgleiches interlokales Privatrecht im Mehrrechtsstaat, wird internationaler Entscheidungseinklang mit allen Teilrechtsordnungen erzielt. Wenn hingegen zusätzlich eine kollisionsrechtliche Spaltung im Mehrrechtsstaat vorliegt, vermag das europäische Kollisionsrecht die internen Entscheidungsdisharmonien nicht zu beheben. Internationaler Entscheidungseinklang wird nur mit einer Teilrechtsordnung hergestellt. III. Ergebnis Grundsätzlich ist die Gesamtverweisung auf das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates geeignet, internationalen Entscheidungseinklang herzustellen. Die Lösung versagt nur für den Fall, dass weder vereinheitlichtes noch inhaltsgleiches
45 Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 399 hält die Erzielung von innerem Entscheidungseinklang innerhalb der USA angesichts des einzelfallorientierten interlokalen Rechts der Einzelstaaten für eine Illusion. 46 Sonnenberger, FS Kropholler, S. 227, 239; Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 400; vgl. von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 156. 47 S. oben, S. 144 f.
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3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
IPR im Mehrrechtsstaat besteht und innerhalb des Mehrrechtsstaates aufgrund dieser Tatsache interne Entscheidungsdisharmonien entstehen. Die direkte Verweisung auf das Sachrecht einer Teilrechtsordnung hingegen schließt von vornherein die Erzielung von Entscheidungseinklang aus, wenn die Teilrechtsordnung im Einzelfall anders anknüpfen würde. Es gilt damit ebenso wie im Falle des renvoi, dass zwei grundsätzliche Möglichkeiten für die Behandlung von Mehrrechtsstaaten bestehen, wobei nur eine davon – nämlich die interlokale Gesamtverweisung – internationalen Entscheidungseinklang herzustellen vermag. Selbst wenn der Gesetzgeber diese Möglichkeit wählt, wird jedoch nicht in jeder Konstellation Entscheidungseinklang erzielt. Vielmehr hängt dies vom Mehrrechtsstaat ab.
D. Wertungszusammenhang zum renvoi auf internationaler Ebene Die Behandlung von Mehrrechtsstaaten steht in engem Zusammenhang mit der Frage des renvoi. Rechtstechnisch handelt es sich bei den soeben dargestellten zwei Lösungswegen um die Entscheidung zwischen einer Gesamtverweisung einerseits und einer Sachnormverweisung andererseits. Allerdings tritt die Frage der Rückbzw. Weiterverweisung – also des renvoi – hier nicht auf internationaler Ebene, sondern auf interlokaler Ebene auf. Fraglich ist, ob und inwiefern eine Entscheidung für eine Gesamtverweisung auf internationaler Ebene auch zu einer solchen auf interlokaler Ebene zwingt oder ob diesbezüglich auf den verschiedenen Ebenen widerspruchsfrei unterschiedliche Verweisungsarten etabliert werden können. Sollte ein zwingender Zusammenhang bestehen, wäre die Lösung für die Anknüpfung bei Mehrrechtsstaaten bereits durch die Entscheidung in der renvoi-Frage48 vorgezeichnet. I. Gesamtverweisung auf internationaler Ebene 1. Identität von internationaler und interlokaler Verweisung Nach einer Ansicht zwinge eine Gesamtverweisung auf internationaler Ebene auch zur Befragung des ausländischen interlokalen Kollisionsrechts.49 Diesem Ansatz liegt die Prämisse zugrunde, dass das internationale und interlokale Privatrecht rechtstechnisch als eine Einheit und damit als identisch betrachtet werden können. Die internationale und interlokale Ebene seien nicht trennscharf voneinander abgrenzbar, da häufig ein und dieselbe Kollisionsnorm sowohl eine internationale als auch eine interlokale Verweisung beinhalte und damit eine Doppelfunktion aufwei-
48 49
Zu den Normvorschlägen zum renvoi oben, S. 134 ff. Stoll, FS Keller, S. 511, 513; Otto, IPRax 1994, 1, 2; Rauscher, IPRax 1987, 206, 208.
D. Wertungszusammenhang zum renvoi auf internationaler Ebene
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se.50 Wenn nämlich bereits das internationale Privatrecht ortsbezogen anknüpfe und dieser Ort in einem Teilgebiet lokalisiert werden könne, habe die Kollisionsnorm gleichzeitig sowohl eine Antwort auf die Frage der internationalen als auch der interlokalen Anknüpfung gefunden.51 Dementsprechend würden viele Mehrrechtsstaaten selbst nicht zwischen internationaler und interlokaler Ebene trennen, sodass eine andere Teilrechtsordnung innerhalb des Mehrrechtsstaates ebenso behandelt werde wie ein fremder Staat.52 Daher könne es keinen Unterschied machen, ob das Kollisionsrecht des Mehrrechtsstaates auf internationaler Ebene auf das Recht eines weiteren souveränen Staates oder lediglich interlokal auf die Rechtsordnung eines Teilgebietes weiterverweise.53 Diese Prämisse ist für die ortsbezogenen Anknüpfungen zwar richtig, jedoch kann im Falle der staatsbezogenen Anknüpfung die internationale Kollisionsnorm die anwendbare Teilrechtsordnung nicht abschließend bestimmen, sodass eine zusätzliche interlokale Kollisionsnorm diese Aufgabe übernehmen muss.54 In diesen Konstellationen fallen internationale und interlokale Anknüpfung gerade nicht z usammen,55 keinesfalls kann daher stets von einer Identität von internationalem und interlokalem Kollisionsrecht gesprochen werden; vielmehr liegt lediglich eine strukturelle Verwandtschaft vor.56 Aus der strukturellen Verwandtschaft von internationalem und interlokalem Privatrecht lässt sich damit nicht schließen, dass eine Gesamtverweisung auf einer Ebene rechtstechnisch auch eine solche auf der anderen Ebene bedingt.57 2. Kollisionsrechtliche Wertungen Umgekehrt lässt sich aber aus der Tatsache, dass in derselben Kollisionsnorm internationale und interlokale Verweisung zusammenfallen können, schließen, dass beide dieselbe Funktion erfüllen. Sie ermitteln die räumlich engste Verbindung eines Sachverhalts zu einer (Teil-)Rechtsordnung.58 Diese kollisionsrechtliche Wertung liegt damit beiden zugrunde. Fraglich ist aber, ob dies auch für andere Wertungen gilt. Von Interesse sind hier die Wertungsgesichtspunkte, die auf internationaler 50
Rauscher, IPRax 1987, 206, 207 f. Kegel/Schurig, IPR, S. 419; vgl. auch von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 155; Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 22 f. 52 Otto, IPRax 1994, S. 1, 2 mit dem Beispiel des Art. 3516 Louisiana Civil Code; Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 402 mit Fn. 18 mit dem Beispiel des englischen Kollisionsrechts, das das schottische oder nordirische ebenso wie ausländisches Recht behandelt, dazu: Cheshire/North/ Fawcett, PIL, S. 9. 53 Otto, IPRax 1994, 1, 2. 54 Dazu schon oben; s. auch Kegel/Schurig, IPR, S. 419; Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 402. 55 Kegel, FS Arnold, S. 61, 70. 56 Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 22 f. spricht daher nur von „konzeptioneller Verwandtschaft“ und „Affinität“. 57 So auch Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 402. 58 Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 22; Beitzke, FS Nipperdey, S. 41, 43. 51 Dazu
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3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
Ebene für einen renvoi sprechen. Sollten diese auch auf interlokaler Ebene einschlägig sein, sind auch dort die Beachtung eines renvoi und damit die Aussprache einer Gesamtverweisung angezeigt.59 Hauptgrund für die Beachtung eines renvoi auf internationaler Ebene ist die Möglichkeit der Erzielung von internationalem Entscheidungseinklang. Wie dargestellt, ist eine Gesamtverweisung auf interlokaler Ebene ebenfalls geeignet, internationalen Entscheidungseinklang herzustellen.60 Außerdem besteht auch auf interlokaler Ebene das Bedürfnis, hinkende Rechtsverhältnisse und forum shopping zu vermeiden, Rechtssicherheit zu erzielen und die Durchsetzbarkeit einer Entscheidung zu erleichtern. Damit ist das Interesse an der Erzielung von internationalem Entscheidungseinklang auf interlokaler Ebene ebenso stark wie auf internationaler Ebene.61 Problematisch ist, wie bereits erwähnt,62 lediglich der Fall, dass der ausländische Mehrrechtsstaat kein einheitliches interlokales Kollisionsrecht bereithält, da dies zur Folge hat, dass kein Mehrrechtsstaats-interner Entscheidungseinklang entsteht. Auch internationaler Entscheidungseinklang kann in diesen Konstellationen daher aus europäischer Perspektive nicht mit allen Teilrechtsordnungen erreicht werden. Es ließe sich somit einwenden, dass das Ziel des Entscheidungseinklangs auf interlokaler Ebene schwieriger zu erreichen ist als auf internationaler Ebene, da sich der Kreis der potentiellen Rechtsordnungen im Falle der Rechtsspaltung erheblich – im Falle der USA auf 50 Teilrechtsordnungen – erweitert.63 Dies sollte jedoch nicht dazu führen, dem Prinzip des Entscheidungseinklangs ein geringeres Gewicht beizumessen. Vielmehr ist die Erzielung von Entscheidungseinklang stets von externen Faktoren abhängig. Internationaler Entscheidungseinklang kann ohnehin niemals mit allen Rechtsordnungen erreicht werden, was angesichts der Eigenschaft als Optimierungsgebot auch nicht das Ziel sein sollte. Das europäische Kollisionsrecht sollte auf seinen eigenen Wertungen aufbauen anstatt seine Ziele von externen Faktoren – wie der Potenzierung des Kreises der berührten Rechtsordnungen – abhängig zu machen.64 Durch eine Gesamtverweisung auf internationaler Ebene trifft der Gesetzgeber damit auch eine Aussage für den hohen Stellenwert des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs auf interlokaler Ebene. Der zweite Grund, der auf internationaler Ebene für die Beachtung eines renvoi in Form der Rückverweisung vorgebracht wird, ist die Ermöglichung der Anwendung des eigenen Rechts, das sog. Heimwärtsstreben, das auf interlokaler Ebene eine geringere Rolle spielt.65 Nach hier vertretener Auffassung ist der Aspekt des 59
Für eine teleologische Auslegung plädiert auch Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 402. Dazu oben, S. 145 f. 61 So auch Kegel/Schurig, IPR, S. 417. 62 Dazu oben, S. 146 f. 63 So Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 403. 64 S. schon oben beim renvoi, S. 86. 65 Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 403. 60
D. Wertungszusammenhang zum renvoi auf internationaler Ebene
151
Heimwärtsstrebens jedoch ohnehin kein Grund für die Zulassung eines renvoi, sondern lediglich ein praktischer Nebeneffekt, der in einigen Fällen – namentlich in Rückverweisungsfällen – auftritt. Leitmotiv für die Gesetzgebung im Falle des renvoi sollte es hingegen nicht sein.66 3. Zwischenergebnis Aus der strukturellen Verwandtschaft von internationalem und interlokalem Privatrecht lassen sich keine Rückschlüsse auf die Behandlung des renvoi auf beiden Ebenen ziehen. Betrachtet man jedoch den Telos der Zulassung des renvoi auf internationaler Ebene, spricht die Möglichkeit der Erzielung von internationalem Entscheidungseinklang auch auf interlokaler Ebene für eine Gesamtverweisung. Indem eine Rechtsordnung auf internationaler Ebene eine Gesamtverweisung ausspricht, zeigt sie nämlich, dass sie dem Entscheidungseinklang einen hohen Stellenwert beimisst. Konsequent und im Hinblick auf die Normziele logisch ist es daher, dies auch auf interlokaler Ebene zu tun. Eine Gesamtverweisung auf internationaler Ebene sollte daher im Interesse der Folgerichtigkeit grundsätzlich mit einer Gesamtverweisung auf interlokaler Ebene einhergehen.67 II. Sachnormverweisung auf internationaler Ebene Auch im Falle der Sachnormverweisung halten einige Stimmen es für zwingend, bei Nichtbeachtung des fremden internationalen Privatrechts das ausländische interlokale Privatrecht ebenfalls außer Acht zu lassen und damit beide Ebenen parallel zu behandeln.68 Andere wiederum sehen in einer Sachnormverweisung auf internationaler Ebene einerseits und der Berücksichtigung des interlokalen Privatrechts andererseits keinen Widerspruch, da das eigene Kollisionsrecht in interlokaler Hinsicht unvollständig sei und so lediglich ergänzt werde.69 Auch hier ist ein Blick auf die Gründe notwendig, die den Gesetzgeber zu einer Sachnormverweisung und damit der Nichtbeachtung eines renvoi auf internationaler Ebene bewegt haben. Der entscheidende Faktor für die Beachtung bzw. Nichtbeachtung des renvoi ist das Gewicht, das der Gesetzgeber dem internationalen Entscheidungseinklang im jeweiligen Rechtsgebiet beimessen wollte. Wenn ein renvoi ausgeschlossen wird, räumt der Gesetzgeber anderen kollisions- und materiell-rechtlichen Wertungen den Vorrang ein und möchte diese auch im Verhältnis zu anderen Staaten durchgesetzt wissen. Um welche Wertungen es sich hierbei han66
S. oben, S. 83 f. So auch Stoll, FS Keller, S. 511, 513; Otto, IPRax 1994, 1, 2; Rauscher, IPRax 1987, 206, 208; a. A. Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 403, der dies nicht für zwingend hält, da der Aspekt des Heimwärtsstreben auf interlokaler Ebene zu vernachlässigen sei und Entscheidungseinklang angesichts der Vielzahl der konfligierenden Rechtsordnungen ohnehin schwieriger zu erreichen sei. 68 Rauscher, IPRax 1987, 206, 208; Otto, IPRax 1994, 1, 2. 69 Stoll, FS Keller, S. 511, 513; Kegel, FS Arnold, S. 61, 68. 67
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3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
delt, lässt sich nicht abstrakt beschreiben, sondern hängt vom jeweiligen Rechtsgebiet ab.70 Jedenfalls werden diese Wertungen durchgesetzt, indem die eigene Anknüpfung befolgt wird, ohne das Ergebnis durch die Einschaltung des Kollisionsrechts eines ausländischen Staates zu gefährden. Die Durchsetzung dieser Wertungen erfordert auch die Nichtbeachtung des interlokalen Kollisionsrechts. Andernfalls entstünde ein Widerspruch, wenn das europäische Kollisionsrecht seine zwingenden Wertungen nur auf internationaler, nicht jedoch auf interlokaler Ebene durchsetzen würde.71 Eine Ausnahme von diesem Gleichlauf sollte dementsprechend zugelassen werden, wenn dem europäischen Kollisionsrecht keine zwingenden Wertungen zugrunde liegen, die unbedingt durchgesetzt werden müssen. Dies ist beispielsweise denkbar, wenn das europäische Kollisionsrecht nicht ortsbezogen anknüpft, sondern etwa an die Staatsangehörigkeit, sodass die anwendbare Teilrechtsordnung nicht ohne Weiteres lokalisiert werden kann. Für diesen Fall muss das europäische Kollisionsrecht eine Ersatzanknüpfung vorsehen. Denkbar ist dabei, wie oben beschrieben, dass das europäische Kollisionsrecht selbst eine Anknüpfung vorsieht (wie beispielsweise die engste Verbindung) oder die Ermittlung dem interlokalen Kollisionsrecht des Mehrrechtsstaates überlässt. An dieser Stelle ist es nicht widersprüchlich, dem interlokalen Kollisionsrecht des Mehrrechtsstaates die Ermittlung der Teilrechtsordnung zu überlassen, obwohl auf internationaler Ebene zunächst eine Sachnormverweisung ausgesprochen wurde, da dies aus „Verlegenheit“72 um ein eigenes geeignetes Anknüpfungskriterium geschieht und gerade keine eigenen zwingenden Wertungen auf dem Spiel stehen. Zusammenfassend lässt sich damit feststellen, dass eine Sachnormverweisung auf internationaler Ebene grundsätzlich auch für eine solche auf interlokaler Ebene spricht. Ein Gleichlauf ist jedoch nicht erforderlich, wenn der Forumstaat keine eigenen zwingenden Wertungen durchgesetzt wissen will.73 III. Ergebnis Zwischen der Thematik des renvoi und der Anknüpfung im Falle von Mehrrechtsordnungen besteht ein Wertungszusammenhang. Bei der Frage, ob auf internationaler Ebene eine Sachnorm- oder eine Gesamtverweisung ausgesprochen werden sollte, ist der Stellenwert, den der Gesetzgeber dem Prinzip des Entscheidungseinklangs einräumt, ausschlaggebend.74 Dieselbe Abwägungsfrage stellt sich auf interlokaler Ebene: Spricht der Gesetzgeber auf interlokaler Ebene eine Gesamtverweisung aus 70 S. zu einigen Interessen, die häufig im Spannungsverhältnis zum internationalen Entscheidungseinklang stehen oben, S. 30 ff. 71 So auch Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 403 f.; NK-Leible, Art. 22 Rom I-VO Rn. 2; vgl. auch Jayme, RabelsZ 55 (1991), 303, 315; Rauscher, IPRax 1987, 206, 208. 72 Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 12. 73 Ohne Differenzierung Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 403 f. 74 Dazu oben, S. 86.
E. Behandlung im europäischen Kollisionsrecht
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und befragt das fremde Kollisionsrecht, ist ihm an der Erzielung von Entscheidungseinklang gelegen.75 Wenn hingegen unter Ausschaltung des interlokalen Privatrechts direkt auf die Sachnormen eine Teilgebietes verwiesen wird, wurde anderen Zielen – insbesondere der Rechtsvereinheitlichung und der Vereinfachung der Rechtsanwendung – der Vorrang eingeräumt. Entscheidend ist also auch bei der Frage der Behandlung von Mehrrechtsstaaten, welchem Ziel in der Abwägung im jeweiligen Rechtsgebiet der Vorrang eingeräumt werden sollte.
E. Behandlung im europäischen Kollisionsrecht In allen europäischen Verordnungen finden sich Regelungen zur Ermittlung des anwendbaren Rechts im Falle von Mehrrechtsstaaten. Diese Normen sollen nun darauf untersucht werden, ob sie geeignet sind, Entscheidungseinklang zu erzielen oder ob sich der europäische Gesetzgeber überzeugend für die Verwirklichung anderer Gesetzgebungsziele entschieden hat. Dabei soll außerdem analysiert werden, ob die bestehenden Normen inhaltlich stimmig sind, um schließlich einen Vorschlag für eine allgemeine Regelung unterbreiten zu können. Von Relevanz ist unter anderem auch, ob der oben aufgezeigte Wertungszusammenhang zwischen einem renvoi auf internationaler Ebene und einer Befragung des interlokalen Privatrechts beachtet wurde. Im Folgenden wird zunächst erläutert, ob und unter welchen Voraussetzungen die Parteien das Recht eines Teilgebietes wählen können. Da es sich dabei um eine allgemeine Frage handelt, die die Rechtswahlmöglichkeit in allen Verordnungen beeinflusst, ist dies zu klären, bevor das Verordnungsrecht im Einzelnen untersucht wird. Im Anschluss liegt der Schwerpunkt auf der Betrachtung der objektiven Anknüpfungen des Verordnungsrechts, wobei zunächst die Normen zur räumlichen Spaltung und daraufhin diejenigen zur personalen Spaltung untersucht werden. I. Möglichkeit einer Rechtswahl Neben den genannten zwei objektiven Lösungsmöglichkeiten zur Bestimmung des anwendbaren Rechts können die Parteien die jeweilige Teilrechtsordnung auch subjektiv selbst bestimmen. Jede der zu untersuchenden Verordnungen sieht nämlich die Möglichkeit einer Rechtswahl vor, die mangels Einschränkung im Verordnungstext auch auf interlokaler Ebene möglich sein muss.76 Fraglich ist insofern, ob die Parteien stets alle Teilrechtsordnungen wählen können oder ob ein besonderer Bezug zum jeweiligen Teilgebiet zu fordern ist (1.). Außerdem stellt sich die Frage, ob eine Rechtswahl ihrerseits auf interlokaler Ebene eine Sachnorm- oder eine Ge75 Vgl. Kreuzer in Jud/Rechberger, S. 1, 34 f.; Kegel/Schurig, IPR, S. 417; Eichel in Leible/ Unberath, S. 397, 400 f.; Staudinger-Hausmann, Art. 22 Rom I-VO Rn. 4. 76 So auch Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 408.
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3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
samtverweisung ist (2.). Schließlich ist zu untersuchen, ob die parteiautonome Bestimmung einer Teilrechtsordnung Vorrang vor dem interlokalen Privatrecht haben sollte (3.). Davon zu unterscheiden ist die Frage, wie die mehrdeutige Rechtswahl der Parteien zu behandeln ist. Da sich dieses Problem nicht verordnungsübergreifend sondern anhand der Verordnungstexte unterschiedlich lösen lässt, wird dieser Aspekt erst im Rahmen der Untersuchung der einzelnen Verordnungsregelungen behandelt. 1. Freie Rechtswahlmöglichkeit ohne Bezug zu einer Teilrechtsordnung? Ermöglicht eine Verordnung auf internationaler Ebene die freie Rechtswahl, sind keine Gründe ersichtlich, warum nicht auch die Wahl einer Teilrechtsordnung frei und ohne Begrenzung möglich sein soll. In der Regel wird auch der Parteiwille darauf gerichtet sein, nicht lediglich das Recht des Gesamtstaates zu wählen, sondern die Rechtswahl auf eine Teilrechtsordnung zu konkretisieren.77 Im Rahmen des Art. 3 Rom I-VO sowie des Art. 14 Rom II-VO sollte angesichts der uneingeschränkten Rechtswahlmöglichkeiten also auch die Wahl einer Teilrechtsordnung möglich sein, ohne dass ein besonderer Bezug zur gewählten Teilrechtsordnung besteht. In den statusrechtlichen Verordnungen hingegen ist die Wahlmöglichkeit nur z ugunsten eines beschränkten Kreises von Rechtsordnungen vorgesehen (Art. 22 EuErbVO, Art. 5 Rom III-VO, Art. 15 EuUntVO i. V. m. Art. 8 HUntProt, Art. 16 EhegüterVO-E). Diese Beschränkung ist auf Ordnungsinteressen zurückzuführen, die auch auf interlokaler Ebene nicht umgangen werden sollten.78 Stoll hat dies sehr treffend formuliert: „Der Umstand, dass die in Betracht kommende Person einem Mehrrechtsstaat angehört, gibt ihr keine Rechtswahlpalette an die Hand, die dem Angehörigen eines Staates mit einheitlicher Rechtsordnung von vornherein versagt ist.“79 Angesichts der zwingenden Wertungen und Interessen, die Hintergrund der auf europäischer Ebene beschränkten Rechtswahlmöglichkeit sind, kann die Fest legung des Kreises der wählbaren Rechte auch nicht aus der Hand gegeben und dem Mehrrechtsstaat überlassen werden.80 Die Übertragung der beschränkten Rechtswahl auf die interlokale Ebene ergibt sich folglich bereits aus dem Sinn und Zweck der Begrenzung der wählbaren Rechte.81 Eine entsprechende Normierung wäre der Rechtssicherheit zuträglich und würde die Rechtsanwendung erleichtern.82
77
Stoll, FS Keller, S. 511, 526. Zu Art. 4 EGBGB: Thorn, Koordinierung, S. 320 f.; Stoll, FS Keller, S. 511, 526; MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 4 EGBGB Rn. 95; Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 142. 79 Stoll, FS Keller, S. 511, 526 f. 80 Thorn, Koordinierung, S. 320. 81 Zur Frage, wie zu verfahren ist, wenn das Recht der Staatsangehörigkeit wählbar ist und die Parteien das Recht des Gesamtstaates wählen, sogleich im Rahmen der jeweiligen Verordnungen. 82 So auch Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 408. 78
E. Behandlung im europäischen Kollisionsrecht
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2. Sachnormverweisung Weiterhin muss die Rechtswahl der Parteien bezüglich eines Teilgebietes, selbst wenn die jeweilige Verordnung grundsätzlich eine Gesamtverweisung ausspricht, als Sachnormverweisung verstanden und ein etwaiger renvoi durch die Teilrechtsordnung damit ausgeschlossen werden. Wiederum bestünde ansonsten die Gefahr, dass der durch das europäische Kollisionsrecht festgelegte begrenzte Kreis wähl barer Rechte umgangen würde. Nach hier vertretener Ansicht ist ohnehin im Verordnungsrecht stets eine Ausnahme vom Grundsatz der Gesamtverweisung für den Fall der Rechtswahl zu normieren.83 Dies gilt auch auf interlokaler Ebene. In diesen Fällen genießen die Ordnungsinteressen, die Grund für die beschränkte Rechtswahlmöglichkeit sind, nämlich Vorrang gegenüber dem Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs.84 3. Vorrang der Rechtswahl vor dem interlokalen Privatrecht In diesem Zusammenhang stellt sich außerdem die Frage, ob für diejenige Lösung, die primär das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates befragt, eine Rechtswahl durch die Parteien bezüglich eines Teilgebietes Vorrang genießen oder ob trotz Vorliegens einer konkretisierten Rechtswahl das interlokale Kollisionsrecht vorrangig eine Teilrechtsordnung bestimmten sollte. Es ist nämlich durchaus möglich, dass das – an sich vorrangig zu prüfende – interlokale Privatrecht eine andere Teilrechtsordnung bestimmt als diejenige, die die Parteien gewählt haben.85 Im Interesse der Parteiautonomie sollte die Rechtswahl der Parteien hier Vorrang haben.86 Es ist angesichts der Komplexität der Materie für die Parteien kaum vorhersehbar, auf welche Teilrechtsordnung das interlokale Privatrecht verweisen würde, sodass ein erhebliches Interesse der Parteien an Rechtssicherheit besteht. Dieses Interesse erscheint im Fall der parteiautonomen Bestimmung der anwendbaren Teilrechtsordnung gewichtiger als das Prinzip des Entscheidungseinklangs. Dies gilt umso mehr, da für die Rechtswahl ohnehin schon auf internationaler Ebene ein renvoi ausgeschlossen wird bzw. de lege ferenda ausgeschlossen werden sollte. Daran zeigt sich, dass dem Ziel des Entscheidungseinklangs im Falle der Rechtswahl eine geringere Bedeutung eingeräumt wird und stattdessen anderen Interessen der Vorrang gebührt.87
83
Dazu oben, S. 120, 136, 137, 138. Thorn, Koordinierung, S. 321 f.; vgl. auch von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 353. 85 Vgl. dazu Kegel, FS Arnold, S. 61, 69, der meint, die Anhänger derjenigen Lösung, nach der das interlokale Privatrecht befragt wird, könnten den Willen der Parteien nicht berücksichtigen. 86 Ebenso zu Art. 4 Abs. 3 EGBGB: Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 410; Palandt- Thorn, Art. 4 EGBGB Rn. 15; MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 4 EGBGB Rn. 95; zum HUntProt: Rauscher-Andrae, Art. 16 HUntProt Rn. 7. 87 So auch Thorn, Koordinierung, S. 321. 84 Vgl.
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3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
4. Ergebnis Die Parteien können auch auf interlokaler Ebene das Recht eines Teilgebietes wählen. Die Rechtswahlmöglichkeiten können jedoch nicht weiter reichen als auf internationaler Ebene. Dies bedeutet zum einen, dass der Kreis der wählbaren Rechte ebenso beschränkt ist. Zum anderen ist die Wahl eines Teilgebiets auf internationaler sowie interlokaler Ebene stets Sachnormverweisung. Schließlich genießt eine Rechtswahl auf interlokaler Ebene Vorrang vor der Befragung des interlokalen Privatrechts, da das Interesse an der Erzielung von Entscheidungseinklang hier geringer ist als das Streben nach parteiautonomer und rechtssicherer Ausgestaltung des jeweiligen Verhältnisses. II. Räumliche Spaltung Bei der Untersuchung der objektiven Anknüpfungen wird wiederum aufgrund der unterschiedlichen Bedeutung von Entscheidungseinklang in den einzelnen Gebieten zwischen vermögensrechtlichen und statusrechtlichen Verordnungen differenziert. 1. Vermögensrechtliche Verordnungen a) Rom I-VO Die Rom I-VO beinhaltet in Art. 22 Rom I-VO eine Regelung, die das anwendbare Recht im Falle lokaler Rechtsspaltungen bestimmt. Nach Abs. 1 gilt jede Gebietseinheit, die eigene Rechtsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse hat, als Staat. Gemeint ist mit dieser Fiktion, dass unter Ausschluss des dortigen Kollisionsrechts direkt auf die Sachnormen der jeweiligen Teilrechtsordnung verwiesen wird.88 In Abs. 2 wird denjenigen Mitgliedstaaten, die Mehrrechtsstaaten in diesem Sinne sind, freigestellt, die Verordnung auf interlokale Kollisionen zwischen den Teilrechtsordnungen anzuwenden. Voraussetzung ist also, dass es sich um einen rein innerstaatlichen Konflikt handelt, der keine Auslandsbezüge aufweist.89 Für diesen Fall kann der Mehrrechtsstaat selbst bestimmen, ob er sein eigenes interlokales Recht oder in überschießender Umsetzung90 die Rom I-VO anwendet. Diese Regelung soll im Folgenden nicht weiter interessieren, da es sich um rein interlokale Konflikte handelt, die weder den internen europäischen noch den internationalen Entscheidungseinklang beeinträchtigen können. Wie bereits erläutert, bereitet die direkte Verweisung auf das Sachrecht eines Teilgebietes keine Probleme, wenn ortsbezogen angeknüpft wird. Sollten sich in der
88
S. Staudinger-Hausmann, Art. 22 Rom I-VO Rn. 6. MüKo-Martiny, Art. 22 Rom I-VO Rn. 10 f. 90 Heinze, FS Kropholler, S. 105, 119 f. 89
E. Behandlung im europäischen Kollisionsrecht
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Rom I-VO jedoch ortsunabhängige Anknüpfungen befinden, müsste eine Regelung zur Bewältigung dieser Fälle in den Normtext eingefügt werden. aa) Ortsbezogene Anknüpfungen (1) Objektive Anknüpfung nach Art. 4 –8 Rom I-VO Im Rahmen der objektiven Anknüpfung nach Art. 4 –8 Rom I-VO wird meist an den gewöhnlichen Aufenthalt einer Partei angeknüpft, der ohne Weiteres in einem Teilgebiet lokalisierbar ist. Auch die anderen objektiven Anknüpfungsmomente verweisen auf ohne Schwierigkeiten lokalisierbare Orte: der Belegenheitsort einer Sache (Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO), der Versteigerungsort (Art. 4 Abs. 1 lit. g Rom I-VO), der Ablieferungsort (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO), der Abgangs- sowie der Bestimmungsort im Rahmen von Beförderungsverträgen (Art. 5 Abs. 2 UAbs. 1 lit. d bzw. lit. e Rom I-VO), der Belegenheitsort des Risikos im Rahmen von Versicherungsverträgen (Art. 7 Abs. 3 lit. a und lit. d Rom I-VO), der gewöhnliche Arbeitsort (Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO) sowie der Ort der den Arbeitnehmer einstellenden Niederlassung (Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO). Die objektive Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO ist auf den ersten Blick nicht eindeutig, jedoch besteht Einigkeit dahingehend, dass das Recht desjenigen Staates berufen wird, auf dessen Gebiet das multilaterale System im Wesentlichen betrieben wird,91 beispielsweise das Recht des Börsenplatzes.92 Damit ist auch hier ein Ort unmittelbar im Teilrechts gebiet lokalisierbar. (2) Ausweichklauseln bzw. Anknüpfung an die engste Verbindung Des Weiteren finden sich in der Rom I-VO eine Reihe von Ausweichklauseln, die das gefundene Anknüpfungsergebnis verdrängen, wenn zu einem anderen Staat eine offensichtlich engere Verbindung besteht (Art. 4 Abs. 3, Art. 5 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2, Art. 8 Abs. IV Rom I-VO). Um eine solche Verbindung zu begründen, ist erforderlich, dass aufgrund mehrerer Anhaltspunkte ein eindeutiger Schwerpunkt im Bereich einer anderen Rechtsordnung festgestellt werden kann.93 Umstritten ist im Rahmen der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO, welche Kriterien eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat begründen. Nach einer Ansicht sei nur auf Kriterien zurückzugreifen, die objektiv auf den Leistungsaustausch bezogen sind, wohingegen subjektive Anhaltspunkte, wie z. B. die Staatsangehörigkeit oder die Vertragssprache, unerheblich sein sollten.94 Nur dies entspreche dem System der Verordnung, da auch im Rahmen der Anknüpfung des Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Erbringers der cha91 Staudinger-Magnus,
Art. 4 Rom I-VO Rn. 94. Art. 4 Rom I-VO Rn. 21; Wagner, IPRax 2008, 377, 384. 93 MüKo-Martiny Art. 4 Rom I-VO Rn. 291; Palandt-Thorn, Art. 4 Rom I-VO Rn. 29. 94 Palandt-Thorn, Art. 4 Rom I-VO Rn. 29; Rauscher-Thorn, Art. 4 Rom I-VO Rn. 136. 92 Palandt-Thorn,
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3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
rakteristischen Leistung abgestellt wird, wo typischerweise das objektive Zentrum des Leistungsaustauschs liege.95 Danach seien lediglich im Rahmen des Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO auch subjektive Kriterien zu berücksichtigen,96 da es dort – anders als in Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO – darum gehe, überhaupt eine Verbindung zu einem Staat zu begründen anstatt ein aufgrund objektiver Umstände gefundenes Anknüpfungsergebnis zu korrigieren.97 Nach anderer Ansicht sei im Rahmen der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO eine Gesamtschau aller Umstände vorzunehmen, weshalb auch subjek tive Kriterien wie die Staatsangehörigkeit oder die Vertragssprache heranzuziehen seien.98 Hauptargument ist der Wortlaut, der auf die „Gesamtheit der Umstände“ abstellt, ohne dies auf objektive Kriterien zu beschränken.99 Weiterhin seien ansonsten systematische Widersprüche zwischen Art. 4 Abs. 3 und Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO zu befürchten.100 Keins der Argumente scheint zwingend, da der Wortlaut eher generalklauselartig und damit keinesfalls eindeutig ist. Die unterschied lichen Maßstäbe in Art. 4 Abs. 3 einerseits und Abs. 4 Rom I-VO andererseits lassen sich durch die unterschiedlichen Funktionen der Absätze rechtfertigen. Eine Entscheidung kann letztlich dahinstehen, wenn auch nach der Ansicht, die subjektive Kriterien berücksichtigt, keine Unterschiede in der Behandlung von Mehrrechtsstaaten entstehen. Selbst wenn man nämlich die Staatsangehörigkeit als ein taugliches Kriterium im Rahmen der Ausweichklausel betrachtet, wird diese in Fällen von Mehrrechtsordnungen gerade nicht eindeutig auf einen Staat verweisen, da keine Gebietseinheit bestimmt werden kann. Gleiches gilt für die Vertragssprache oder die Währung: Englischsprachige Parteien bzw. eine vereinbarte Währung in US-Dollars weisen nicht auf eine anwendbare Teilrechtsordnung hin. Man wird daher im Falle eines Mehrrechtsstaates ohnehin auf andere, eindeutige Kriterien zurückgreifen müssen, wobei es sich im Regelfall wieder um ortsbezogene Anhaltspunkte handeln wird (z. B. gewöhnlicher Aufenthalt, Abschlussort, Erfüllungsort). Dies gilt auch für die Anknüpfung an die engste Verbindung in Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO. Selbst wenn noch kein Ergebnis über die typisierten Anknüpfungen des Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO gefunden wurde und man in Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO geringere Voraussetzungen genügen lässt, da der Wortlaut keine „offensichtlich“ engste Verbindung fordert, sind rein subjektive Kriterien im Falle von Mehrrechtsstaaten nicht geeignet, eine eindeutige Verbindung zu einem Teilgebiet zu begründen. Auch hier wird man daher auf objektive Kriterien abstellen müssen, die es wiederum ermöglichen, einen Ort in einer Gebietseinheit zu lokalisieren. 95 Palandt-Thorn,
Art. 4 Rom I-VO Rn. 29. Art. 4 Rom I-VO Rn. 30. 97 Vgl. MüKo-Martiny, Art. 4 Rom I-VO Rn. 292. 98 So MüKo-Martiny, Art. 4 Rom I-VO Rn. 291 f.; Staudinger-Magnus, Art. 4 Rom I-VO Rn. 131. 99 Staudinger-Magnus, Art. 4 Rom I-VO Rn. 131. 100 MüKo-Martiny, Art. 4 Rom I-VO Rn. 292. 96 Palandt-Thorn,
E. Behandlung im europäischen Kollisionsrecht
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Damit ermöglichen die Ausweichklauseln in der Rom I-VO, einen Ort in einer Gebietseinheit aufzufinden und verweisen damit bereits auf eine Teilrechtsordnung. (3) Akzessorische Anknüpfungen Auch die zahlreichen akzessorischen Anknüpfungen (Art. 14–17 Rom I-VO) bestimmen eindeutig einen Ort, da sie akzessorisch an das Recht angeknüpft werden, das über ein ortsgebundenes Anknüpfungsmoment nach Art. 4 ff. Rom I-VO bestimmt wurde.101 Möglich ist auch, im Rahmen der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO akzessorisch anzuknüpfen, um eine offensichtlich engere Verbindung zu begründen.102 Auch in diesem Fall wird mittelbar ortsbezogen angeknüpft. (4) Zwischenergebnis In allen genannten Bereichen bereitet die Lösung der Rom I-VO, direkt das Sachrecht des Teilgebietes zu berufen, keine Probleme, da ortsbezogen angeknüpft wird. bb) Nicht eindeutig ortsbezogene Anknüpfungen Wenn sich in der Rom I-VO hingegen nicht ortsbezogene Anknüpfungen fänden, wäre die Regelung in Art. 22 Rom I-VO lückenhaft. Die Bestimmung eines Ortes ist in den Fällen schwierig, in denen das Recht des Gesamtstaates von den Parteien gewählt wird sowie in Konstellationen, in denen an die Staatsangehörigkeit angeknüpft wird. (1) Mehrdeutige Rechtswahl Aus der Tatsache, dass jede Gebietseinheit nach Art. 22 Abs. 1 Rom I-VO als Staat gilt, folgt auch, dass nach Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO unmittelbar das Recht einer Gebietseinheit gewählt werden kann.103 Verfahren die Parteien entsprechend und wählen beispielsweise kalifornisches Recht, bestehen keine Probleme und es wird kalifornisches Sachrecht unter Ausschluss des interlokalen Privatrechts104 angewendet. Schwierigkeiten entstehen jedoch, wenn die Parteien nicht das Recht eines Teilgebietes, sondern das Recht des Gesamtstaates, also beispielsweise „US-amerikanisches Recht“105, wählen. Lässt sich durch Auslegung keine Teilrechtsordnung ermitteln, gibt es mehrere Möglichkeiten, die anwendbare Teilrechtsordnung aufzufinden.
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So auch Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 411 mit Fn. 54. Art. 4 Rom I-VO Rn. 29. 103 Staudinger-Hausmann, Art. 22 Rom I-VO Rn. 6; Palandt-Thorn, Art. 22 Rom I-VO Rn. 3; dazu schon oben, S. 154. 104 Vgl. Staudinger-Hausmann, Art. 22 Rom I-VO Rn. 7. 105 Vgl. dazu OLG München v. 15.2.1980, IPRax 1983, 120–124. 102 Palandt-Thorn,
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3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
(a) Berücksichtigung des interlokalen Privatrechts Die erste mögliche Lösung besteht darin, primär das interlokale Privatrecht des Gesamtstaates zu befragen, sofern ein einheitliches interlokales Privatrecht im Gesamtstaat existiert. Erst wenn kein einheitliches interlokales Kollisionsrecht existiert, könne man die Teilrechtsordnung durch Ermittlung der engsten Verbindung bestimmen.106 Argumentiert wird meist mit dem Parteiwillen, da es diesem entspreche, eine wirksame Rechtswahl anzunehmen anstatt objektiv anzuknüpfen.107 Die methodische Begründung dieser Lösung variiert. Vereinzelt wird eine analoge Anwendung des Art. 4 Abs. 3 S. 1 EGBGB bzw. – in Abwesenheit eines einheitlichen interlokalen Privatrechts – Art. 4 Abs. 3 S. 2 EGBGB vertreten.108 Dagegen spricht entscheidend, dass eine analoge Anwendung der Vorschriften des EGBGB dem Vereinheitlichungsgedanken der Rom I-VO zuwiderläuft und dem Grundsatz der autonomen Auslegung entgegensteht.109 Nach anderer Begründung sei das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates über Art. 22 Abs. 2 Rom I-VO zu berücksichtigen.110 Fehlt ein vereinheitlichtes interlokales Privatrecht, sei die engste Verbindung über Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO111 bzw. die Wertungen der Art. 4 –8 Rom I-VO112 zu ermitteln. Methodisch spricht gegen einen Rückgriff auf Art. 22 Abs. 2 Rom I-VO jedoch, dass dieser rein innerstaatliche Konflikte zum Gegenstand hat.113 (b) Ermittlung der engsten Verbindung nach der Rom I-VO Eine andere Ansicht ermittelt die maßgebliche Teilrechtsordnung mit Hilfe der engsten Verbindung, ohne zuvor das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates zu befragen, wobei eine Gesamtanalogie zu Art. 4 Abs. 3, Art. 5 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO gebildet wird, die allesamt auf das Prinzip der engsten Verbindung abstellen.114 Vorteil dieser Lösung ist, dass dies der gebotenen autonomen Auslegung im Gegensatz zur analogen Anwendung des Art. 4 Abs. 3 EGBGB entspricht.
106 So MüKo-Martiny, Art. 22 Rom I-VO Rn. 6; Staudinger-Hausmann, Art. 22 Rom I-VO Rn. 8; Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 22 Rom I-VO Rn. 3. 107 MüKo-Martiny, Art. 22 Rom I-VO Rn. 6; Staudinger-Hausmann, Art. 22 Rom I-VO Rn. 8. 108 MüKo-Martiny, Art. 22 Rom I-VO Rn. 6. 109 Palandt-Thorn, Art. 22 Rom I-VO Rn. 3; Rauscher-Freitag, Art. 22 Rom I-VO Rn. 3. 110 Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 22 Rom I-VO Rn. 3. 111 Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 22 Rom I-VO Rn. 3. 112 Staudinger-Hausmann, Art. 22 Rom I-VO Rn. 8. 113 Rauscher-Freitag, Art. 22 Rom I-VO Rn. 3; Heinze, FS Kropholler, S. 105, 120. 114 Ferrari/Kieninger-Schulze/Kieninger, Art. 22 Rom I-VO Rn. 6; nicht eindeutig Rauscher- Freitag, Art. 22 Rom I-VO Rn. 3, der die engste Verbindung „nach den Maßstäben der Rom I-VO“ ermitteln will.
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(c) Unwirksamkeit der Rechtswahl Nach anderer Ansicht sei die Rechtswahl, die auch nach Auslegung des Parteiwillens ausschließlich auf das Recht des Gesamtstaates bezogen ist, unwirksam.115 Grund dafür sei, dass die Befragung des interlokalen Privatrechts des Mehrrechtsstaates einer Gesamtverweisung gleichkomme, obwohl dies nach Art. 20 Rom I-VO ausgeschlossen sei.116 Stattdessen sei aufgrund der Unwirksamkeit der Rechtswahl objektiv nach Art. 4 ff. Rom I-VO anzuknüpfen.117 (d) Stellungnahme Die Berücksichtigung des interlokalen Privatrechts findet in der Rom I-VO keine Stütze und lässt sich methodisch nicht begründen. Weder eine analoge Anwendung des autonomen Kollisionsrechts noch eine Lösung über Art. 22 Abs. 2 Rom I-VO überzeugen. Systematisch steht die Befragung des interlokalen Kollisionsrechts außerdem im Widerspruch zu Art. 20 Rom I-VO, der stets eine Sachnormverweisung ausspricht. Nach der hier vertretenen Ansicht ist es den Parteien im Rahmen der Rom I-VO ohnehin nicht möglich, das Kollisionsrecht eines anderen Staates zu wählen und so die Sachnormverweisung des Art. 20 Rom I-VO zu umgehen.118 Dies muss ebenso für interlokales Kollisionsrecht gelten. Die Ansicht, die das interlokale Kollisionsrecht des Mehrrechtsstaates berücksichtigt, ist damit abzulehnen. Die beiden anderen Lösungen scheinen sich auf den ersten Blick nicht zu unterscheiden, da beide letztlich die Maßstäbe der Rom I-VO nutzen, um die anwendbare Teilrechtsordnung zu ermitteln. Der Unterschied besteht darin, dass letztgenannte Ansicht ((c)) die Unwirksamkeit der Rechtswahl betont, in der Folge objektiv anknüpft und damit die Art. 4 –8 Rom I-VO direkt anwendet. Nach der anderen Auffassung ((b)) hingegen ist die Rechtswahl nicht unwirksam, d. h. der Wille der Parteien, US-amerikanisches Recht anzuwenden, wird insofern berücksichtigt, als nur innerhalb des Mehrrechtsstaates die engste Verbindung gesucht wird. Es finden nicht Art. 4 –8 Rom I-VO Anwendung, sondern lediglich deren Ausweichklauseln, die auf die engste Verbindung rekurrieren. Nimmt man hingegen die Unwirksamkeit der Rechtswahl an und knüpft objektiv nach Art. 4 –8 Rom I-VO an, ist es theoretisch durchaus möglich, dass das Recht eines anderen Staates als das des Mehrrechtsstaates angewendet wird. Dies soll folgendes Beispiel illustrieren: Zwei Unternehmer schließen einen Kaufvertrag in New York und wählen „US-amerikanisches Recht“. Der Verkäufer V hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, während der Käufer K seinen Sitz in New York hat. Die Übergabe 115 Palandt-Thorn, Art. 22 Rom I-VO Rn. 3; vgl. Erman-Hohloch, Art. 22 Rom I-VO Rn. 2; NK-Leible, Art. 22 Rom I-VO Rn. 9; Prütting/Wegen/Weinreich-Brödermann/Wegen, Art. 22 Rom I-VO Rn. 2; Staudinger, IPRax 2005, 129 f. zu Art. 35 EGBGB. 116 Palandt-Thorn, Art. 22 Rom I-VO Rn. 3. 117 Erman-Hohloch, Art. 22 Rom I-VO Rn. 2. 118 Dazu oben, S. 87 f.
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3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
der Waren soll in Dover, Delaware erfolgen. Die Auslegung dieser Klausel führt zu keinem Ergebnis, denn angesichts der strengen Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO, der voraussetzt, dass sich eine Rechtswahl „eindeutig“ aus den Umständen ergibt, kann dem Willen der Parteien nicht entnommen werden, dass sie New Yorker Sachrecht wählen wollten. Der Klausel kann nämlich nicht eindeutig entnommen werden, ob nicht eher die Anwendung des Rechts des Bundesstaates Delaware dem Parteiwillen entsprach. Erklärt man in einem solchen Fall die Rechtswahl, die auf den Gesamtstaat bezogen ist, für unwirksam, käme man über die objektive Anknüpfung des Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO zur Anwendung deutschen Rechts. In direkter Anwendung der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO lässt sich auch keine „offensichtlich engere Verbindung“ etablieren, da mit dem gewöhnlichen Aufenthalt des K und dem Abschlussort zwei Kriterien auf New York hinweisen, während der Übergabeort auf Delaware hindeutet.119 Ergebnis bleibt also die Anwendung deutschen Sachrechts. Hält man die Rechtswahl hingegen für wirksam und sucht in Gesamtanalogie zu Art. 4 Abs. 3, Art. 5 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO die engste Verbindung innerhalb des Mehrrechtsstaates, fällt das Ergebnis anders aus. Fordert man auch hier analog Art. 4 Abs. 3, Art. 5 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO eine offensichtlich engere Verbindung, lässt sich eine solche hier ebenfalls nicht eindeutig feststellen. Lediglich Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO verzichtet auf das Erfordernis der Offensichtlichkeit. Es handelt sich hier jedoch nicht um einen Arbeitsvertrag. Sinn und Zweck des Erfordernisses der Offensichtlichkeit ist es, die Regelanknüpfung der Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 5 Abs. 1 und 2 und Art. 7 Abs. 1 Rom I-VO nicht zu umgehen. Diese Gefahr besteht in der vorliegenden Konstellation nicht, da bisher aufgrund der Mehrdeutigkeit der Rechtswahl noch kein Anknüpfungsergebnis gefunden werden konnte. Es ist somit kein Grund ersichtlich, eine offensichtlich engere Verbindung zu fordern. Ausreichend sollte es vielmehr sein, eine engere Verbindung bzw. die engste Verbindung zu bestimmen. Dies lässt sich methodisch jedoch nicht über eine Gesamtanalogie zu Art. 4 Abs. 3, Art. 5 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO erreichen, da nur letztgenannte Norm auf das Kriterium der Offensichtlichkeit verzichtet. Überzeugend ist es, stattdessen die engste Verbindung analog Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO zu bestimmen.120 In der Rom I-VO besteht nämlich eine Regelungslücke für die Fälle der Wahl des Rechts des Gesamtstaates. Die Vergleichbarkeit der Interes senlage mit Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO ergibt sich daraus, dass Letzterer ebenfalls kein gefundenes Anknüpfungsergebnis verdrängt, sondern lediglich zur Anwendung 119 Zur restriktiven Auslegung des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO: Palandt-Thorn, Art. 4 Rom I-VO Rn. 29; MüKo-Martiny, Art. 4 Rom I-VO Rn. 287, 291. 120 Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO wendet auch Spickhoff in Bamberger/Roth, Art. 22 Rom I-VO Rn. 3 an, allerdings erst nachdem der Versuch, das interlokale Privatrecht anzuwenden, gescheitert ist. Dieser primäre Rückgriff auf das interlokale Privatrecht ist jedoch aus den genannten Gründen abzulehnen.
E. Behandlung im europäischen Kollisionsrecht
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gelangt, wenn vorher noch keine Rechtsordnung ermittelt werden konnte. Genauso liegt der Fall, wenn die Parteien das Recht des Mehrrechtsstaates wählen. Fordert man in analoger Anwendung des Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO lediglich eine engere bzw. die engste Verbindung, käme man aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts des K in New York und der Belegenheit des Abschlussortes in New York zur Anwendung von New Yorker Sachrecht, da lediglich der Übergabeort auf Delaware hinweist. Dieses Ergebnis entspricht eher dem Parteiwillen als die Unwirksamkeit der Rechtswahl und damit die Anwendbarkeit des Rechts eines Staates außerhalb des Mehrrechtsstaates.121 Um in diesen Fällen das Recht eines Teilgebietes des Mehrrechtsstaates anzuwenden, sollte die Rechtswahl daher für wirksam gehalten und die engste Verbindung innerhalb des Mehrrechtsstaates ermittelt werden. Methodisch sollte dies jedoch nicht über eine Gesamtanalogie zu Art. 4 Abs. 3, Art. 5 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO, sondern über eine Analogie zu Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO erreicht werden. Ein Rückgriff auf das interlokale Privatrecht ist abzulehnen. Da eine analoge Anwendung stets Rechtsunsicherheit birgt und die einheitliche Rechtsanwendung in den Mitgliedstaaten gefährdet, sollte de lege ferenda eine Regelung zur Lösung der Fälle der Rechtswahl, die auf den Gesamtstaat bezogen ist, in die Rom I-VO eingefügt werden.122 Zwar wird in den meisten Fällen schon die Auslegung der Rechtswahlklausel zu einem von den Parteien gewählten Teilgebiet führen. Ist dies ausnahmsweise nicht der Fall, kann jedoch nur eine Normierung durch den europäischen Gesetzgeber bzw. eine Entscheidung durch den EuGH die Rechtsunsicherheit beseitigen. (2) Staatsbezogene Anknüpfung Der zweite Fall, in dem aufgrund der Mehrdeutigkeit des Anknüpfungskriteriums keine Teilrechtsordnung ermittelt werden kann, ist die Anknüpfung an die Staats angehörigkeit. In Art. 7 Abs. 3 lit. c Rom IVO findet sich die einzige Regelung der Verordnung, die eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit enthält. Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO ermöglicht den Parteien im Rahmen von Versicherungsverträgen über Massenrisiken nur eine beschränkte Rechtswahl. Nach lit. c dürfen die Parteien bei Lebensversicherungen nur das Recht des Mitgliedstaates, dessen Staatsangehörigkeit der Versicherungsnehmer besitzt, wählen. Ist der Versicherungsnehmer Staatsangehöriger eines Mehrrechtsstaates und wählen die Parteien das Recht des Gesamtstaates, ist die anwendbare Teilrechtsordnung noch nicht ermittelt, da die Staatsangehörigkeit stets nur auf den Gesamtstaat verweist. Die Rom I-VO schweigt zu der Frage, wie in diesem Fall zu verfahren ist. Sie sieht weder selbst eine Unteranknüpfung vor noch 121
Vgl. Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 411. So auch Heinze, FS Kropholler, S. 105, 120 f.; Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 412; dazu unten, S. 185. 122
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bestimmt sie, dass die Ermittlung der anwendbaren Teilrechtsordnung dem inter lokalen Privatrecht des Mehrrechtsstaates zu überlassen ist. Es handelt sich hierbei wiederum um eine Frage der Rechtswahl, da Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO den Kreis der nach Art. 3 Rom I-VO wählbaren Rechte lediglich beschränkt,123 während sich die sonstigen Voraussetzungen der Rechtswahl weiterhin nach Art. 3 Rom I-VO richten. Daher ist ebenso zu verfahren wie im Falle der unklaren Rechtswahl, die auf den Mehrrechtsstaat bezogen ist.124 Nach der hier vertretenen Ansicht ist also nicht auf das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates abzustellen, sondern die Rechtswahl als wirksam zu behandeln und die engste Verbindung analog Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO innerhalb des Mehrrechtsstaates aufzu finden. Auch im Rahmen des Art. 7 Abs. 3 lit. c Rom I-VO gilt, dass die Parteien in der Regel die Teilrechtsordnung selbst bestimmen bzw. sich durch Auslegung der Parteivereinbarung die anwendbare Teilrechtsordnung ermitteln lässt. Zu beachten ist, dass die Regelung des Art. 7 Abs. 3 lit. c Rom I-VO ohnehin auf Mitgliedstaaten der EU mit gespaltenem Vertragsrecht beschränkt ist,125 sodass die praktisch wichtigen Fälle des Rechtsverkehrs mit Drittstaaten nicht erfasst sind und der internationale Entscheidungseinklang nicht betroffen ist. Wenn de lege ferenda ohnehin eine Regelung in den Verordnungstext für die Fälle der mehrdeutigen Rechtswahl auf genommen wird, lassen sich diese innereuropäischen Fälle rechtssicher lösen, ohne dass eine Analogie gebildet werden muss. b) Rom II-VO In Art. 25 Rom II-VO findet sich eine inhaltsgleiche Regelung zur Rom I-VO, wonach ebenfalls für die Zwecke der Verordnung jede Gebietseinheit als Staat angesehen und damit direkt auf das Sachrecht der Teilrechtsordnung verwiesen wird.126 Auch hier gilt, dass diese Lösung keine Schwierigkeiten bereitet, wenn die Rom IIVO überall ortsbezogen anknüpft. aa) Ortsbezogene Anknüpfungen (1) Objektive Anknüpfungen In der Rom II-VO wird häufig an den gewöhnlichen Aufenthalt einer Partei (Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 5 Abs. 1 UAbs. 1 Rom II-VO) bzw. den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien (Art. 4 Abs. 2, Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, Art. 12
123
Vgl. Staudinger-Armbrüster, Art. 7 Rom I-VO Rn. 10. auch Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 412; Staudinger-Hausmann, Art. 22 Rom I-VO Rn. 10. 125 Ebenso darauf hinweisend Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 412. 126 MüKo-Junker, Art. 25 Rom II-VO Rn. 1. 124 So
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Abs. 2 lit. b Rom II-VO) angeknüpft, der ohne Weiteres in einem Teilgebiet lokalisierbar ist. Auch die anderen objektiven Anknüpfungen, etwa an den Erfolgsort (Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 lit. c, Art. 6 Abs. 2 i. V. m. Art. 4 Abs. 1, Art. 7 i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO), den Ort, an dem ein Produkt in Verkehr gebracht wurde (Art. 5 Abs. 1 lit. a-c Rom II-VO), den Erwerbsort (Art. 5 Abs. 1 lit. b Rom II-VO), den Marktort (Art. 6 Rom II-VO), den Handlungsort (Art. 7 Rom II-VO), den Ort der Arbeitskampfmaßnahme (Art. 9 Rom II-VO), den Ort, an dem die Bereicherung eingetreten ist (Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO) oder den Ort, in dem die Geschäftsführung erfolgt ist (Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO), sind ortsbezogen und ermöglichen die unmittelbare Lokalisierung einer Teilrechtsordnung. (2) Ausweichklauseln Ebenso wie die Rom I-VO enthält die Rom II-VO mehrere Ausweichklauseln (Art. 4 Abs. 3, Art. 5 Abs. 2, Art. 6 Abs. 2 i. V. m. Art. 4 Abs. 3, Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 2 lit. c Rom II-VO). Den Hauptanwendungsfall der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO bildet die im Wortlaut erwähnte akzessorische Anknüpfung an ein bestehendes Rechtsverhältnis, insbesondere ein Vertragsverhältnis, zwischen den Parteien.127 Da in diesen Fällen die Rom I-VO für das Vertragsverhältnis den Ort bereits in einem Teilgebiet lokalisiert hat,128 wird so auch mittelbar für die Rom II-VO ortsbezogen angeknüpft. In Betracht kommt über Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO auch eine Anknüpfung an das Tatortrecht anstatt an das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts,129 sodass ebenfalls eine Gebietseinheit ausfindig gemacht werden kann. Auch im Rahmen der speziellen Ausweichklauseln sind die denkbaren Anwendungsfälle primär ortsbezogen, etwa die Anknüpfung an den Erfolgsort bei der Schädigung eines bystanders130 (Art. 5 Abs. 2 Rom II-VO). (3) Akzessorische Anknüpfungen Ausdrückliche akzessorische Anknüpfungen, die nicht lediglich über die Ausweichklausel begründet werden, finden sich in Art. 10 Abs. 1, Art. 11 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 2 Rom II-VO. Auch in diesen Fällen wird ausweislich des Wortlauts insbesondere an einen Vertrag oder eine unerlaubte Handlung angeknüpft, das Teilgebiet eines Staates ist dadurch bereits lokalisiert.
127 Palandt-Thorn,
Art. 4 Rom II-VO Rn. 11. Mit Ausnahme der mehrdeutigen Rechtswahl, s. oben, S. 159 f. 129 Palandt-Thorn, Art. 4 Rom II-VO Rn. 14. 130 Rauscher-Unberath/Cziupka, Art. 5 Rom II-VO Rn. 70; Palandt-Thorn, Art. 5 Rom II-VO Rn. 7. 128
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3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
(4) Zwischenergebnis In allen genannten Gebieten bereitet die Lösung der Rom II-VO, direkt das Sachrecht des Teilgebietes zu berufen, keine Schwierigkeiten, da ortsbezogen angeknüpft wird bzw. das Teilgebiet mittelbar bestimmbar ist. bb) Nicht eindeutig ortsbezogene Anknüpfungen Zu untersuchen ist, ob sich auch in der Rom II-VO mehrdeutige Anknüpfungen finden, die eine Sonderregelung für die Behandlung von Mehrrechtsstaaten erfordern. (1) Mehrdeutige Rechtswahl Art. 14 Rom II-VO gestattet den Parteien in lit. a eine Rechtswahl nach Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses ohne Grenzen, während eine vorherige Rechtswahl nur möglich ist, wenn alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen und eine frei ausgehandelte Vereinbarung vorliegt (lit. b). Auch im Rahmen der Rom II-VO können die Parteien das Sachrecht einer Gebietseinheit wählen, da nach Art. 25 Abs. 1 Rom II-VO jede Gebietseinheit als Staat behandelt wird.131 Bezieht sich die Rechtswahl der Parteien hingegen auf das Recht des Gesamtstaates, entstehen dieselben Probleme wie innerhalb der Rom I-VO. Sollte die Auslegung des Parteiwillens kein eindeutiges Ergebnis ergeben, ist nach hier vertretener Ansicht nicht das interlokale Privatrecht zu befragen.132 Fraglich ist aber, ob auch ansonsten parallel zur Rom I-VO verfahren werden sollte. Im Rahmen von Art. 22 Rom I-VO bestand die Möglichkeit, entweder die Rechtswahl für unwirksam zu erachten und objektiv anzuknüpfen oder die Rechtswahl für prinzipiell wirksam zu erachten und innerhalb des Mehrrechtsstaates die engste Verbindung zu ermitteln. Nach hier vertretener Ansicht ist keine offensichtlich engere Verbindung, sondern analog Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO lediglich die engste Verbindung zu fordern. Auch im Rahmen der Rom II-VO besteht kein Grund, den Parteiwillen, der jedenfalls auf eine Rechtsordnung innerhalb des Mehrrechtsstaates gerichtet war, auch wenn dieser nicht genau spezifiziert wurde, nicht zu achten. Dementsprechend sollte eine Rechtswahl als wirksam erachtet und innerhalb des Mehrrechtsstaates die engste Verbindung ermittelt werden. In der Rom II-VO finden sich – im Unterschied zur Rom I-VO – jedoch lediglich Ausweichklauseln, die eine offensichtlich engere Verbindung erfordern (Art. 4 Abs. 3, Art. 5 Abs. 2, Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 2 lit. c Rom II-VO). Eine Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO vergleichbare Norm, die auf das Kriterium der Offensichtlichkeit verzichtet, existiert in der Rom II-VO nicht. Derzeit ist das Problem also nicht durch eine Analogiebildung innerhalb der Rom II-VO zu lösen. Dennoch sollte parallel zur Rom I-VO verfahren werden, da es sich um dasselbe Problem 131
132
MüKo-Junker, Art. 25 Rom II-VO Rn. 8. Dazu oben, S. 161 ff., a. A. Huber-Altenkirch, Art. 25 Rom II-VO Rn. 5.
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handelt. Auch hier sollte daher nur gefordert werden, dass eine engste Verbindung aufgefunden werden kann. Praktisch kommt eine Rechtswahl im Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse ohnehin seltener vor als im Vertragsrecht.133 Insbesondere eine vorherige Rechtswahl erfolgt nicht häufig.134 Wenn eine vorherige Rechtswahl getroffen wird, werden dies in der Regel nur Parteien tun, die bereits aufgrund vertraglicher Beziehungen miteinander in Berührung gekommen sind. Es liegt daher nahe, dass die Rechtswahl für außervertragliche Schuldverhältnisse in deren Verträgen mitgeregelt wird und der Rechtswahl für den vertraglichen Bereich entspricht. Auch aus diesen Gründen ist ein Gleichlauf zur Rom I-VO wünschenswert. Dass die Parteien bei einer nachträglichen Rechtswahl, die ohnehin nur getroffen wird, wenn bereits ein streitiger Sachverhalt entstanden ist, ihre Rechtswahl nicht genau spezifizieren, ist in der Praxis kaum zu erwarten. Trotzdem sollte aus Gründen der Rechtssicherheit und Kohärenz parallel zur Rom I-VO normiert werden, dass in Fällen einer mehrdeutigen Rechtswahlklausel, die auf den Gesamtstaat bezogen ist und bei der sich durch Auslegung keine Teilrechtsordnung ermitteln lässt, auf die engste Verbindung abzustellen ist.135 (2) Staatsbezogenes Anknüpfungskriterium Die einzige Anknüpfung in der Rom II-VO, die auf den ersten Blick staatsbezogen und daher mehrdeutig scheint, befindet sich in Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO. Dieser beruft für außervertragliche Schuldverhältnisse aus einer Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums das Recht des Staates, für den der Schutz beansprucht wird (sog. Schutzlandprinzip).136 Wenn einheitliches Immaterialgüterrecht existiert, besteht kein Problem, da der betreffende Staat mangels Rechtsspaltung für diesen Bereich nicht als Mehrrechtsstaat im Sinne des Art. 25 Rom II-VO angesehen wird. Die USA beispielsweise nehmen insofern zwar eine Sonderrolle ein.137 Dort bestehen nämlich sowohl auf bundesstaatlicher Ebene als auch auf einzelstaatlicher Ebene materiell-rechtliche Vorschriften zum Immaterialgüterrecht.138 Ein Schutzland im Sinne des Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO lässt sich dennoch lokalisieren, da aufgrund der Registrierung von Immaterialgüterrechten leicht feststellbar ist, ob der Schutz des jeweiligen Rechts nur auf das Gebiet eines Bundesstaates beschränkt oder im gesamten Territorium der USA gilt.139 Problemfälle werden daher in die133 KOM (2003) 427 endg., S. 24; Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613, 622; Leible/Lehmann RIW 2007, 721, 726. 134 MüKo-Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 6. 135 S. den Normvorschlag unten, S. 185. 136 MüKo-Drexl, Internationales Immaterialgüterrecht Rn. 6. 137 Cohen/Lorenz/Okediji/O’Rourke, Copyright, S. 722. 138 S. Cohen/Lorenz/Okediji/O’Rourke, Copyright, S. 722; LaFrance, Trademark Law, S. 15. 139 Dies gilt anders als in Deutschland selbst für das Urheberrecht, das nach Chapter 1, Sec. 11 U.S. Copyright Act 1909 ein Registerrecht ist.
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sem Bereich selten auftreten. Hinzu kommt, dass jemand, der eine Immaterial güterrechtsverletzung in den USA geltend machen will, ohnehin eher vor amerikanischen Gerichten als vor EU-mitgliedstaatlichen Gerichten klagen wird. (3) Zwischenergebnis Die Lösung der Rom II-VO, direkt das Sachrecht der Teilrechtsordnung zu berufen, bereitet im Falle der unklaren Rechtswahl des Rechts des Gesamtstaates Probleme. Im Interesse der Rechtssicherheit ist für diese Fälle daher eine Regelung in die Rom II-VO aufzunehmen, die auf die engste Verbindung abstellt. c) Bewertung für die vermögensrechtlichen Verordnungen Die vermögensrechtlichen Verordnungen verweisen direkt auf das Sachrecht einer Teilrechtsordnung, ohne das interlokale Privatrecht des Gesamtstaates zu befragen. Nachdem festgestellt wurde, dass diese Lösung aufgrund der Ortsbezogenheit der Anknüpfungsmomente inhaltlich keine Probleme bereitet,140 stellt sich die Frage, ob die Lösung auch wertungskohärent ist. Wie bereits ausgeführt, ist auch für die Entscheidung zwischen Sach- und Gesamtverweisung auf interlokaler Ebene entscheidend, welchen Stellenwert der Gesetzgeber dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs einräumt. Im Vermögensrecht spielt die Erzielung von Entscheidungseinklang und damit die Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse eine geringere Rolle,141 was für eine direkte Verweisung auf das Sachrecht der Teilrechtsordnung spricht. Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs steht im Falle der Unteranknüpfung bei Mehrrechtsstaaten insbesondere im Spannungsverhältnis mit der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit.142 Die Prüfung des fremden interlokalen Kollisionsrechts ist mitunter komplex und schwierig. Dies gilt umso mehr, wenn, wie im Falle der USA, kein vereinheitlichtes interlokales Privatrecht besteht. Der europäische Richter müsste für diesen Fall zahlreiche unübersichtliche ausländische Rechtsquellen überprüfen, um herauszufinden, ob wenigstens inhaltsgleiches interlokales Kollisionsrecht besteht. Die erste Herausforderung für den Richter liegt damit schon in der komplizierten Ermittlung des ausländischen Kollisionsrechts. Demgegenüber ist die Lösung der Rom I- und der Rom II-VO, über den Ort direkt das Sachrecht eines Teilgebietes zu berufen, für einen Richter praktisch einfacher zu handhaben. Dieser einfachere und vorhersehbarere Weg liegt auch im Parteiinteresse, da es für die in der Regel rechtsunkundigen Parteien kaum vorhersehbar ist, welche Teilrechtsordnung auf ihren Sachverhalt Anwendung findet, wenn dies über den Um140 Mit Ausnahme der nicht konkretisierbaren auf den Gesamtstaat bezogenen Rechtswahl, für die de lege ferenda eine Regelung geschaffen werden sollte; dazu S. 171. 141 Dazu oben, S. 36 ff. 142 Vgl. NK-Leible, Art. 22 Rom I-VO Rn. 2; NK-Schulze, Art. 25 Rom II-VO Rn. 2.
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weg des ausländischen interlokalen Privatrechts ermittelt wird. Dass auf diese Weise ein nicht im Parteiinteresse liegendes hinkendes Rechtsverhältnis entstehen kann, hat im Vermögensrecht zu vernachlässigende Konsequenzen. Weiterhin wird durch die Lösung der vermögensrechtlichen Verordnungen in jedem Fall eine Teilrechtsordnung berufen, zu der aus Sicht des europäischen Kolli sionsrechts eine räumliche Verbindung besteht. Schließlich ist die Lösung für das Vermögensrecht auch kohärent im Hinblick auf die Behandlung eines renvoi auf internationaler Ebene. Durch die Etablierung einer Sachnormverweisung auf internationaler Ebene (Art. 20 Rom I-VO bzw. Art. 24 Rom II-VO) hat der europäische Gesetzgeber gezeigt, dass er das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs im Verhältnis zu anderen Wertungen, insbesondere der Einfachheit der Rechtsanwendung sowie der Durchsetzung der eigenen Anknüpfung, als nachrangig einstuft. Diese Wertung wird in der Rom I-VO auch auf interlokaler Ebene durchgehalten, indem das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates nicht befragt wird. Die Regelung in Art. 22 Rom I-VO bzw. Art. 25 Rom II-VO ist damit folgerichtig und im Hinblick auf die gesetzgeberischen Wertungen überzeugend. 2. Statusrechtliche Verordnungen Angesichts des in Statusfragen bedeutsameren Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs war zu erwarten, dass im Familien- und Erbrecht primär das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates befragt wird. Überraschend ist insofern, dass die statusrechtlichen Verordnungen sehr unterschiedliche Lösungen für die Behandlung von Mehrrechtsstaaten mit räumlicher Rechtsspaltung bereithalten. Ob diese Uneinheitlichkeit im Hinblick auf die Wertungskohärenz überzeugt, soll im Folgenden untersucht werden. a) Rom III-VO Während im Gesetzgebungsverfahren zunächst eine Art. 25 Rom II-VO entsprechende Regelung auch für die Rom III-VO vorgeschlagen wurde,143 ist die jetzt geltende Regelung etwas differenzierter. Art. 14 Rom III-VO, der die territoriale Rechtsspaltung zum Gegenstand hat, besagt: „Art. 14 Rom III-VO: Staaten mit zwei oder mehr Rechtssystemen – Kollisionen hinsichtlich der Gebiete Umfasst ein Staat mehrere Gebietseinheiten, von denen jede ihr eigenes Rechtssystem oder ihr eigenes Regelwerk für die in dieser Verordnung geregelten Angelegenheiten hat, so gilt Folgendes: a) Jede Bezugnahme auf das Recht dieses Staates ist für die Bestimmung des nach dieser Verordnung anzuwenden Rechts als Bezugnahme auf das in der betreffenden Gebietseinheit geltende Recht zu verstehen; 143
KOM (2010) 105 endg, S. 16 (dort Art. 8 Abs. 1).
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b) jede Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat ist als Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in einer Gebietseinheit zu verstehen; c) jede Bezugnahme auf die Staatsangehörigkeit betrifft die durch das Recht dieses Staates bezeichnete Gebietseinheit oder, mangels einschlägiger Vorschriften, die durch die Parteien gewählte Gebietseinheit oder, mangels einer Wahlmöglichkeit, die Gebietseinheit, zu der der Ehegatte oder die Ehegatten die engste Verbindung hat bzw. haben.“
Der Hauptunterschied dieser Regelung im Vergleich zu den vermögensrechtlichen Verordnungen ist die Differenzierung zwischen ortsbezogenen und staatsbezogenen Anknüpfungen. Dies ist die notwendige Konsequenz daraus, dass in der Rom III-VO nicht nur ortsbezogene Anknüpfungsmomente verwendet werden, sondern auch an die Staatsangehörigkeit angeknüpft wird (Art. 5 Abs. 1 lit. c, Art. 8 lit. c Rom III-VO). aa) Grundsatz: direkte Verweisung auf das Sachrecht des Teilgebietes Bei der Verwendung des ortsbezogenen Anknüpfungskriteriums des gewöhnlichen Aufenthalts wird durch Art. 14 lit. b Rom III-VO direkt auf das Sachrecht des Teilgebietes verwiesen, in dem der gewöhnliche Aufenthalt liegt. Das interlokale Kollisionsrecht des Mehrrechtsstaates wird nicht befragt, womit für die ortsbezogene Anknüpfung dieselbe Lösung verfolgt wird wie in Art. 22 Rom I-VO und Art. 25 Rom II-VO. Denselben Grundsatz enthält Art. 14 lit. a Rom III-VO, der für alle anderen ortsbezogenen Anknüpfungen ebenfalls direkt das Sachrecht des betreffenden Teilgebiets beruft. Hauptanwendungsfall von Art. 14 lit. a Rom III-VO ist, da die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt speziell in lit. b geregelt ist, die Anknüpfung an die lex fori als weiteres ortsgebundenes Anknüpfungskriterium (Art. 5 Abs. 1 lit. d, Art. 8 lit. d Rom III-VO).144 Praktisch größere Bedeutung hat somit lit. b, da in der Rom III-VO häufigstes ortsbezogenes Anknüpfungskriterium der gewöhnliche Aufenthalt ist.145 Regelfall in der Rom III-VO ist damit – ebenso wie in den vermögensrechtlichen Verordnungen – die direkte Verweisung auf das Sachrecht des Teilgebietes, ohne das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates zu befragen. bb) Ausnahme: Verweisung auf das interlokale Privatrecht Eine Ausnahme gilt für die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, da in diesem Fall mangels Ortsbezogenheit des Anknüpfungskriteriums kein Teilgebiet lokalisiert werden kann. Es bedurfte einer Ausnahmeregelung zu dem in Art. 14 lit. a und b Rom III-VO normierten Grundsatz. Art. 14 lit. c Rom III-VO stellt daher für die 144 So auch Erman-Hohloch, Art. 14 Rom III-VO Rn. 2 f.; Hausmann, EhescheidungsR, Art. 14 Rom III-VO A Rn. 387; a. A. Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 413, der in lit. b keine Spezialregelung sieht, sondern lit. b nur anwendet, wenn die Verordnung isoliert auf den gewöhnlichen Aufenthalt abstellt. 145 So auch Erman-Hohloch, Art. 14 Rom III-VO Rn. 3.
E. Behandlung im europäischen Kollisionsrecht
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Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit primär auf das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates ab. Fehlt ein solches, räumt Art. 14 lit. c. Var. 2 Rom III-VO den Parteien die Möglichkeit ein, die Gebietseinheit zu wählen. Schließlich wird hilfsweise gemäß Art. 14 lit. c Var. 3 Rom III-VO auf die Gebietseinheit verwiesen, zu der der Ehegatte oder die Ehegatten die engste Verbindung hat bzw. haben. cc) Problem: mehrdeutige Rechtswahl Fraglich ist auch im Rahmen der Rom III-VO, wie die Wahl des Rechts des Gesamtstaates durch die Parteien, also z. B. „US-amerikanischen Rechts“, zu lösen ist. Im Gegensatz zu den vermögensrechtlichen Verordnungen ist in der Rom III-VO der Kreis der wählbaren Rechte auf bestimmte Rechtsordnungen beschränkt. Die Parteien können nach Art. 5 Abs. 1 Rom III-VO folgende Rechte wählen: das Recht des Staates des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts (lit. a), des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts, sofern ein Ehegatte zum Zeitpunkt der Rechtswahl dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (lit. b), das Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl besitzt (lit. c) oder das Recht des Staates des angerufenen Gerichts (lit. d). In einem Fall, in dem die Ehegatten mit US-amerikanischer Staatsbürgerschaft „US-amerikanisches Recht“ wählen und sowohl der gewöhnliche Aufenthalt als auch der Gerichtsort in New York liegen, erfolgt die Konkretisierung auf eine Teilrechtsordnung zunächst über die beschränkte Rechtswahlmöglichkeit i. V. m. Art. 14 Rom III-VO.146 Die Parteien konnten hier nach Art. 5 Abs. 1 lit. a und lit. b bzw. lit. d Rom III-VO nur das Recht des Staates New York wählen. Der gewöhn liche Aufenthalt (Art. 5 Abs. 1 lit. a und lit. b Rom III-VO) ist über Art. 14 Abs. 1 lit. b Rom III-VO konkretisiert, das Recht des Staates des angerufenen Gerichts über Art. 14 Abs. 1 lit. a Rom III-VO. Nicht ohne Weiteres konkretisiert ist jedoch die Staatsangehörigkeit der Ehegatten (Art. 5 Abs. 1 lit. c Rom III-VO), sodass eine Auslegung des Parteiwillens – anders als im rein ortsbezogenen Anknüpfungs system der Rom I- und Rom II-VO147 – zu keinem eindeutigen Ergebnis führen kann. Noch schwieriger wird die Auslegung des Parteiwillens, wenn beispielsweise Gerichtsort und gewöhnlicher Aufenthalt in unterschiedlichen Bundesstaaten liegen, da in diesem Fall über Art. 5 Rom III-VO weitere wählbare Teilgebiete zur Verfügung stehen. Die Fälle der mehrdeutigen Rechtswahl sollten daher ohne den Umweg über eine rechtsunsichere Auslegung der Klausel über Art. 14 lit. c Rom III-VO gelöst werden. Mangels einheitlichen interlokalen Privatrechts in den USA und mangels eindeutiger Rechtswahl wäre damit gemäß Art. 14 lit. c Var. 3 Rom III-VO das Recht der Gebietseinheit anwendbar, zu der ein bzw. beide Ehe gatten die engste Verbindung hat bzw. haben. 146 S. 147
Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 413 f. Dazu oben, S. 159 ff., 166 ff.
172
3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
Insofern erscheint fraglich, ob zur Ermittlung der engsten Verbindung auf die Wertungen des europäischen Kollisionsrechts oder die des Mehrrechtsstaates zu rekurrieren ist. Da das europäische IPR hierfür keine konkreten Anknüpfungskriterien bereithalten kann, müsste ersatzweise z. B. auf den gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt werden.148 Dies würde jedoch der bewussten Unterscheidung dieser beiden Anknüpfungsmomente durch den europäischen Gesetzgeber nicht gerecht. Überzeugender erscheint es daher, sich an der ausländischen Rechtsordnung zu orientieren, die zumeist ohnehin geeignete Kriterien, etwa die state citizenship in den USA,149 bereithalten wird.150 Diese Lösung entspricht auch dem Interesse des internationalen Entscheidungseinklangs, das der Befragung des interlokalen Kollisionsrechts als zentrale Wertung zugrunde liegt und dem in statusrechtlichen Fragen erhöhtes Gewicht eingeräumt werden sollte. Für die Fälle der mehrdeutigen Rechtswahl bedarf es in der Rom III-VO also keiner Regelung, weil stets auf die engste Verbindung gem. Art. 14 lit. c Var. 3 Rom III-VO rekurriert werden kann. Es bleibt den Parteien unbenommen, dieses Ergebnis zu vermeiden,151 indem sie direkt das Recht einer Gebietseinheit wählen, sofern es sich dabei um eine der in Art. 5 Rom III-VO genannten Rechtsordnungen handelt. In einem Erwägungsgrund sollte aus Gründen der Rechtssicherheit jedoch klargestellt werden, dass der Rechtsanwender sich bei der Ermittlung der engsten Verbindung primär an den Kriterien der ausländischen Rechtsordnung orientieren sollte. dd) Zusammenhang zum renvoi Die Rom III-VO sieht in Art. 11 eine Sachnormverweisung auf internationaler Ebene vor. Wie bereits dargestellt, spricht dies grundsätzlich auch für eine Ausschaltung des interlokalen Kollisionsrechts.152 Insofern ist der Grundsatz der Art. 14 lit. a und lit. b Rom III-VO, der das interlokale Kollisionsrecht des Mehrrechtsstaates ignoriert, wertungsmäßig folgerichtig. Teilweise wird kritisiert, dass für die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit in Art. 14 lit. c Rom III-VO das interlokale Privatrecht befragt wird, da dies einen gesetzgeberischen Widerspruch zur Sachnormverweisung auf internationaler Ebene darstelle.153 Dem ist jedoch nicht zuzustimmen, da die Befragung des interlokalen Privatrechts hier aus „Verlegenheit“154 148 So zur parallelen Frage im Rahmen des Art. 4 Abs. 3 EGBGB: Rauscher, IPRax 1987, 206; Stoll, FS Keller, S. 511, 520 f.; Kropholler, IPR, S. 203. 149 Diese wiederum wird nach Sec. 1 des 14th Amendment to the U.S. Constitution über das domicile vermittelt: “All persons born or naturalized in the United States, and subject to the jurisdiction thereof, are citizens of the United States and of the state wherein they reside.” (Hervor hebung der Verf.). 150 So auch Thorn, Koordinierung, S. 326 f.; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 120 f.; Neuhaus, Grundbegriffe, S. 312; Raape/Sturm, IPR, S. 379 f. 151 S. auch Erwägungsgrund 29 der Rom III-VO. 152 Dazu oben, S. 151 f. 153 Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 414. 154 Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 12; dazu schon oben, S. 137.
E. Behandlung im europäischen Kollisionsrecht
173
um ein eigenes geeignetes Anknüpfungskriterium geschieht und gerade keine eigenen zwingenden Wertungen auf dem Spiel stehen. ee) Bewertung Zunächst ist zu begrüßen, dass die Rom III-VO für die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit eine Ausnahmeregelung in Art. 14 lit. c Rom III-VO vorsieht. Im Hinblick auf die Erzielung von Entscheidungseinklang ist außerdem positiv hervorzuheben, dass das europäische Kollisionsrecht in dieser Norm nicht selbst ein Anknüpfungskriterium bestimmt, sondern primär das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates befragt. Fragwürdig ist aber die Regelung in Art. 14 lit. c Var. 2 Rom III-VO, wonach die Parteien in Abwesenheit eines interlokalen Privatrechts das Recht einer Gebietseinheit wählen können. Eine Rechtswahlmöglichkeit findet sich nämlich schon in Art. 5 Rom III-VO, die ausweislich des Art. 11 Rom III-VO Sachnormverweisung ist. Selbst wenn man der hier vertretenen Ansicht folgt, wonach die Rom III-VO eine Gesamtverweisung aussprechen sollte, gilt dies nicht für die Rechtswahl.155 Eine Rechtwahl durch die Parteien ist damit auf internationaler Ebene stets Sachnormverweisung und sollte dies auch auf interlokaler Ebene bleiben. Es bleibt den Parteien natürlich unbenommen, eine Teilrechtsordnung zu wählen. Damit ist aber das Sachrecht direkt bestimmt (Art. 11 Rom III-VO), sodass die Befragung des inter lokalen Kollisionsrechts nach Art. 14 lit. c Var. 1 Rom III-VO in diesen Fällen nicht vorkommen kann bzw. sollte.156 Hinzu kommt, dass diese hilfsweise Rechtswahlmöglichkeit zu unerwünschten Ergebnissen führt. Art. 14 lit. c Var. 2 Rom III-VO beschränkt den Kreis der wählbaren Rechte nicht, sodass die Parteien nach Art. 14 lit. c Var. 2 Rom III-VO das Recht jedes US-Bundesstaates wählen könnten, ohne dass eine Verbindung zu diesem Teilgebiet bestehen muss.157 Dies widerspricht aber dem Grundgedanken des Art. 5 Rom III-VO, der den Kreis der wählbaren Rechte beschränkt, um zu verhindern, dass eine Rechtsordnung anwendbar ist, die keinerlei Bezüge zu den Ehegatten aufweist.158 Wie bereits dargestellt,159 muss die Beschränkung auf internationaler Ebene auch auf interlokaler Ebene für die wählbaren Gebietseinheiten gelten. Die Rechtswahlmöglichkeit in Art. 14 lit. c Var. 2 Rom III-VO sollte daher gestrichen werden.160 Stattdessen sollte in Abwesenheit eines interlokalen Privatrechts
155
Dazu oben, S. 136. auch Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 415 f., der die Regelung aufgrund Normwiderspruchs für unanwendbar und für ein gesetzgeberisches Versehen hält. 157 Gruber, IPRax 2012, 381, 389. 158 Palandt-Thorn, Art. 5 Rom III-VO Rn. 2; Gruber, IPRax 2012, 281, 289. 159 Dazu oben, S. 154 f. 160 So auch Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 415 f.; kritisch auch NK-Nordmeier, Art. 14 Rom III-VO Rn. 22. 156 So
174
3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
hilfsweise nur auf die engste Verbindung (Art. 14 lit. c Var. 3 Rom III-VO) abgestellt werden. Schließlich stellt sich die Frage, ob der Grundsatz, direkt das Sachrecht eines Teilgebietes zu berufen, in einer statusrechtlichen Verordnung die vorzugswürdige Lösung ist. Dadurch wird nämlich die Erzielung von internationalem Entscheidungseinklang verhindert. Im Ehescheidungsrecht wird zusätzlich sogar der europäische Entscheidungseinklang beeinträchtigt, da die Verordnung im Wege der verstärkten Zusammenarbeit verabschiedet wurde und insbesondere das Vereinigte Königreich als europäischer Mehrrechtsstaat sich nicht an der Verordnung beteiligt hat. Gerade im Hinblick auf die Tatsache, dass die Rom III-VO Statusfragen regelt, in denen dem Prinzip des Entscheidungseinklangs eine höhere Bedeutung zugemessen wird, ist der Grundsatz, der für die Behandlung von Mehrrechtsstaaten gilt, kritikwürdig. Würde die Rom III-VO stattdessen primär das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates befragen, könnte Entscheidungseinklang erreicht werden. Dagegen ließe sich allenfalls einwenden, dass sich das europäische Kollisionsrecht nicht bemühen muss, wenn in Ermangelung eines vereinheitlichten oder inhaltsgleichen interlokalen Kollisionsrechts ohnehin nicht mit allen Teilgebieten des Mehrrechtsstaates Entscheidungseinklang erzielt werden kann.161 Diese Tatsache ist aber externen Faktoren geschuldet, nämlich der Haltung des Drittstaates. Schon auf internationaler Ebene galt, dass sich der Drittstaat bei Rückverweisungen gegensätzlich zum europäischen IPR verhalten muss, damit Entscheidungseinklang erzielt werden kann.162 Auf interlokaler Ebene ist die Erzielung von Entscheidungseinklang ebenfalls von der Haltung des Mehrrechtsstaates abhängig. Es muss ein vereinheitlichtes IPR bestehen bzw. die Gebietseinheiten müssen zumindest inhaltsgleiche Kollisionsrechte bereithalten, damit Entscheidungsharmonie hergestellt werden kann. Wie bereits dargestellt, ist dies jedoch eine Frage des internen Entscheidungseinklangs im Mehrrechtsstaat. Das europäische Kollisionsrecht sollte seine Haltung in dieser Frage nicht von quantitativen Erwägungen abhängig machen. Dass das Ziel des Entscheidungseinklangs nicht vollends verwirklicht werden kann, ist dessen Charakter als Ideal und Optimierungsgebot geschuldet. Dies sollte das europäische Kollisionsrecht nicht daran hindern, zumindest das Potential, Entscheidungseinklang verwirklichen zu können, auszuschöpfen. Wie schon auf internationaler Ebene bedeutet die Befragung des interlokalen Privatrechts des Mehrrechtsstaates auch keine Preisgabe der eigenen Wertungen. Vielmehr hat das eigene Kollisionsrecht keine hinreichend bestimmte Wertung getroffen,163 während das Kollisionsrecht des Mehrrechtsstaates gerade dafür geschaffen
161
Dazu oben, S. 149 f. Dazu oben, S. 77 ff. 163 Kegel, FS Arnold, S. 61, 68; Stoll, FS Keller, S. 511, 514 f. 162
E. Behandlung im europäischen Kollisionsrecht
175
wurde, auch interlokale Konflikte zu bewältigen.164 Aus „Verlegenheit“165 um eine eigene Lösung ist es daher durchaus vertretbar, die Ermittlung des anwendbaren Rechts dem „erfahreneren“ Mehrrechtsstaat zu überlassen. Außerdem kommt auch die derzeitige Regelung in der Rom III-VO nicht ohne das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates aus. Bei der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit sowie bei der personalen Rechtsspaltung166 wird zunächst das interlokale Kollisionsrecht befragt. Es wäre ein systematischer Vorteil, wenn für alle Fälle derselbe Grundsatz ohne Ausnahmen gelten würde. Hinzu kommt schließlich, dass nach hier vertretener Auffassung auch auf internationaler Ebene der Grundsatz der Sachnormverweisung einzuschränken ist. Stattdessen sollte in der Rom III-VO sowie den anderen statusrechtlichen Verordnungen ein renvoi unter bestimmten Voraussetzungen beachtet werden.167 Im Interesse der Wertungskohärenz sollte auch auf interlokaler Ebene das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs den Ausschlag geben. Die Erzielbarkeit von Entscheidungseinklang in Statusverhältnissen wiegt auch die Schwierigkeiten in der Rechtsanwendung auf, die durch die Ermittlung und Befragung des fremden interlokalen Kollisionsrechts entstehen. Die Rom III-VO sollte daher den gegenteiligen Lösungsweg einschlagen und primär das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates befragen anstatt selbst eine Sachnormverweisung auf das Recht des Teilgebietes vorzunehmen.168 b) EhegüterVO-E und EPartVO-E Die Regelungen im Ehegüterrecht (Art. 25 EhegüterVO-E) bzw. im Güterrecht eingetragener Partnerschaften (Art. 20 EPartVO-E) entsprechen Art. 14 Rom III-VO. Das soeben Ausgeführte gilt damit entsprechend. Insbesondere sollte im Ehegüterrecht angesichts der grundsätzlich beschränkten Rechtswahlmöglichkeit (Art. 16 EhegüterVO-E) die Wahlmöglichkeit in Art. 25 lit. c Var. 2 EhegüterVO-E gestrichen werden, um den Kreis der wählbaren Rechte nicht entgegen der Intention des Verordnungsgebers zu erweitern. Die entsprechende Wahlmöglichkeit im Güterrecht eingetragener Lebenspartnerschaften (Art. 20 lit. c Var. 2 EPartVO-E) passt ebenso wenig in das Konzept der Verordnung, die derzeit auf internationaler Ebene überhaupt keine Rechtswahlmöglichkeit vorsieht.169 Auch im Güterrecht spricht die Bedeutung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs für eine Befragung des interlokalen Privatrechts. Nur diese Lösung erzielt Wertungskohärenz mit der hier vorgeschlagenen Regelung zur Beachtlichkeit des renvoi auf internationaler Ebene. Insbesondere ist eine parallele 164 Vgl.
Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 12. S. oben, S. 152. 166 Dazu noch unten, S. 183 ff. 167 S. den Normvorschlag oben, S. 135. 168 So auch Hausmann, EhescheidunsgR, Art. 14 Rom III-VO A Rn. 390. 169 Zur Kritik oben S. 138 Fn. 297. 165
176
3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
Behandlung aufgrund des thematisch engen Zusammenhangs zwischen Scheidungs- und Güterrecht sowie zwischen Erb- und Güterrecht geboten. c) EuUntVO i. V. m. HUntProt 2007 Die Regelung in Art. 15 EuUntVO i. V. m. Art. 16 HUntProt 2007 ist noch umfangreicher ausgestaltet als die Vorschrift in der Rom III-VO und den Verordnungs entwürfen zum Güterrecht. In Unterhaltssachen gilt für die territoriale Spaltung Folgendes: „Art. 16: In räumlicher Hinsicht nicht einheitliche Rechtssysteme (1) Gelten in einem Staat in verschiedenen Gebietseinheiten zwei oder mehr Rechtssysteme oder Regelwerke in Bezug auf die in diesem Protokoll geregelten Angelegenheiten, so ist a) jede Bezugnahme auf das Recht eines Staates gegebenenfalls als Bezugnahme auf das in der betreffenden Gebietseinheit geltende Recht zu verstehen; b) jede Bezugnahme auf die zuständigen Behörden oder die öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtungen dieses Staates gegebenenfalls als Bezugnahme auf die zuständigen Behörden oder die öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtungen zu verstehen, die befugt sind, in der betreffenden Gebietseinheit tätig zu werden; c) jede Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat gegebenenfalls als Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in der betreffenden Gebietseinheit zu verstehen; d) jede Bezugnahme auf den Staat, dem die Parteien gemeinsam angehören, als Bezugnahme auf die vom Recht dieses Staates bestimmte Gebietseinheit oder mangels einschlägiger Vorschriften als Bezugnahme auf die Gebietseinheit zu verstehen, zu der die Unterhaltspflicht die engste Verbindung aufweist; e) jede Bezugnahme auf den Staat, dem eine Partei angehört, als Bezugnahme auf die vom Recht dieses Staates bestimmte Gebietseinheit oder mangels einschlägiger Vorschriften als Bezugnahme auf die Gebietseinheit zu verstehen, zu der die Person die engste Verbindung aufweist. (2) Hat ein Staat zwei oder mehr Gebietseinheiten mit eigenen Rechtssystemen oder Regelwerken für die in diesem Protokoll geregelten Angelegenheiten, so gilt zur Bestimmung des nach diesem Protokoll anzuwendenden Rechts Folgendes: a) Sind in diesem Staat Vorschriften in Kraft, die das Recht einer bestimmten Gebietseinheit für anwendbar erklären, so ist das Recht dieser Einheit anzuwenden; b) fehlen solche Vorschriften, so ist das Recht der in Absatz 1 bestimmten Gebietseinheit anzuwenden. (3) Dieser Artikel ist nicht anzuwenden auf Organisationen der regionalen Wirtschafts integration.“
Die Lösung erscheint im Aufbau zunächst Ähnlichkeiten zu den anderen statusrechtlichen Verordnungen aufzuweisen, unterscheidet sich aber inhaltlich erheblich.
E. Behandlung im europäischen Kollisionsrecht
177
aa) Grundsatz: Verweisung auf das interlokale Privatrecht Der Aufbau der Regelung ist insofern irreführend,170 als ausweislich Art. 16 Abs. 2 lit. b HUntProt die Regelungen in Abs. 1 nur Konkretisierungen des Abs. 2 und daher nachrangig zu prüfen sind.171 Vorrang hat demnach Art. 16 Abs. 2 lit. a HUntProt,172 wonach primär das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates zu befragen ist. Damit wird im Vergleich zu den anderen statusrechtlichen Verordnungen, die das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates grundsätzlich ignorieren, der gegenteilige Lösungsweg verfolgt. bb) Ausnahme: direkte Verweisung auf das Sachrecht des Teilgebietes Fehlt ein einheitliches interlokales Kollisionsrecht, ist gemäß Art. 16 Abs. 2 lit. b HUntProt auf Art. 16 Abs. 1 HUntProt abzustellen. Innerhalb des Art. 16 Abs. 1 HUntProt wird wiederum zwischen ortsbezogenen Anknüpfungskriterien (lit. a bis c) und Anknüpfungen an die Staatsangehörigkeit (lit. d und e) differenziert. Bei den ortsbezogenen Anknüpfungen wird – entsprechend der Lösung in den vermögensrechtlichen Verordnungen und in der Rom III-VO – direkt auf das Sachrecht des jeweiligen Teilgebietes verwiesen. Im Falle der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit wird auf die engste Verbindung der Unterhaltspflicht (lit. d) bzw. der Person (lit. e) zu einem Teilgebiet abgestellt. cc) Problem: mehrdeutige Rechtswahl Treffen die Parteien eine mehrdeutige Rechtswahl, gibt Art. 16 Abs. 2 HUntProt für das Unterhaltsrecht zunächst eine eindeutige Lösung vor. Es ist vorrangig das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates zu befragen. Besteht kein einheitliches interlokales Privatrecht, besagt Art. 8 Abs. 1 lit. a HUntProt zwar, dass das Recht der Staatsangehörigkeit der Parteien wählbar ist. Der Parteiwille lässt sich aufgrund der Mehrdeutigkeit der Rechtswahlklausel jedoch gerade nicht eindeutig durch Auslegung ermitteln. Zu lösen sind diese Fälle – wie schon im Falle der Rom III-VO – über Art. 16 Abs. 1 lit. e HUntProt, wonach auf die engste Verbindung abgestellt werden kann. Die Konkretisierung der engsten Verbindung sollte nach vorzugswürdiger Ansicht mit Hilfe der Kriterien des ausländischen Rechts, im Falle der USA insbesondere der state citizenship, erfolgen.173 Letzteres sollte auch im Unterhaltsrecht in einem Erwägungsgrund klargestellt werden.
170 Palandt-Thorn,
Art. 16 HUntProt Rn. 51: „missglückter Aufbau“. Bonomi-Report zum HUntProt Rn. 190 f. 172 So auch Palandt-Thorn, Art. 16 HUntProt Rn. 51; Rauscher-Andrae, Art. 16 HUntProt Rn. 1. 173 S. schon oben, S. 171. 171
178
3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
dd) Zusammenhang zum renvoi Während Art. 12 HUntProt eine Sachnormverweisung ausspricht und damit den renvoi auf internationaler Ebene ausschließt, wird auf interlokaler Ebene gem. Art. 16 Abs. 2 lit. a HUntProt primär das interlokale Kollisionsrecht befragt und nur in Abwesenheit eines solchen direkt auf das Sachrecht der Teilgebiete verwiesen (Art. 16 Abs. 2 lit. b i. V. m. Art. 16 Abs. 1 HUntProt). Die fehlende Parallelität überrascht hier, da der Ausschluss eines renvoi auf internationaler Ebene gerade der Durchsetzung eigener Wertungen dient. Indem auf interlokaler Ebene anders entschieden wird, ist dieses Ergebnis aber gefährdet.174 Nach hier vertretener Ansicht sollte die Sachnormverweisung im Unterhaltsrecht ohnehin grundsätzlich zugunsten einer Gesamtverweisung aufgegeben werden,175 um das in Statussachen bedeutsame Prinzip des internationalen Entscheidung einklangs zu wahren. Folgt man diesem Ansatz, ist die Befragung des fremden Kollisionsrechts auf interlokaler Ebene folgerichtig. ee) Bewertung Dass im Unterhaltsrecht das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates befragt wird, ist positiv hervorzuheben, da dadurch internationaler Entscheidungseinklang erzielt werden kann. Lediglich der Aufbau der Regelung ist insofern unübersichtlich, als dieser Grundsatz in Art. 16 Abs. 2 HUntProt normiert ist, während die Ausnahmen in Abs. 1 geregelt sind. Die Systematik der Regelung ist damit verbesserungswürdig. Inhaltlich hingegen stellt die Vorschrift im Vergleich zu den anderen statusrechtlichen Verordnungen im Hinblick auf das Ziel des Entscheidungseinklangs eine deutliche Verbesserung dar. Etwas unübersichtlich ist auch die Differenzierung in Art. 16 Abs. 1 lit. d und lit. e HUntProt. Wird an die gemeinsame Staatsangehörigkeit beider Parteien angeknüpft, kommt es nach Art. 16 Abs. 1 lit. d HUntProt auf die engste Verbindung der Unterhaltssache zu einem Teilgebiet an. Wird hingegen auf das Recht des Staates verwiesen, dem nur eine Partei angehört, wird nach Art. 16 Abs. 1 lit. e HUntProt an die engste Verbindung der Person zu einer Gebietseinheit angeknüpft. Letztgenannte Konstellation, also die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit nur einer Partei, kommt im Rahmen der Anknüpfung nach Art. 3 –6 HUntProt nicht vor. Stattdessen besteht nur nach Art. 8 Abs. 1 lit. a HUntProt die Möglichkeit einer Wahl des Rechts des Staates, dem nur eine Partei angehört. In diesem Fall werden die Parteien meist aber auch die maßgebliche Teilrechtsordnung gewählt haben, sodass Art. 16 Abs. 1 lit. e HUntProt in der Praxis kaum einen Anwendungsbereich haben wird.176 Im Interesse der Übersichtlichkeit und mangels Praxisrelevanz sollte lit. e daher gestri174
Vgl. auch Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 418, der dies für einen Widerspruch hält. Dazu oben, S. 129 ff. 176 So auch Rauscher-Andrae, Art. 16 HUntProt Rn. 6. 175
E. Behandlung im europäischen Kollisionsrecht
179
chen werden. Selbst wenn ein solcher Fall einmal relevant werden sollte, lässt sich dies ebenfalls über die engste Verbindung der Unterhaltspflicht lösen, zumal beides ohnehin zusammenfallen kann.177 Dadurch wird auch die Schaffung einer verordnungsübergreifenden, allgemeingültigen Regelung vereinfacht.178 Fraglich ist schließlich, ob die Befragung des interlokalen Privatrechts auch Vorrang vor ortsbezogenen Anknüpfungen beanspruchen oder ob im Falle solcher Anknüpfungen das europäische Kollisionsrecht direkt auf die Sachnormen des jeweiligen Ortes verweisen und ausnahmsweise das interlokale Kollisionsrecht ausschalten sollte. Das HUntProt entscheidet sich für erstgenannten Weg. Das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates setzt sich auch gegenüber ortsbezogenen Anknüpfungen durch.179 Zur deutschen Regelung in Art. 4 Abs. 3 EGBGB ist diese Frage indes umstritten. Nach einer Auffassung solle im Falle ortsbezogener Anknüpfung das fremde interlokale Privatrecht unberücksichtigt bleiben.180 Nach anderer Ansicht sei hingegen das interlokale Privatrecht des Mehrrechtsstaates stets vorrangig zu prüfen.181 Hier lässt sich die Ausschaltung des interlokalen Privatrechts jedoch durch den Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 S. 1 EGBG begründen („ohne die maßgebende zu bezeichnen“). Zudem findet sich in der Gesetzesbegründung der Hinweis darauf, dass im Falle einer ortsbezogenen Anknüpfung das interlokale Privatrecht ausnahmsweise nicht zu befragen sei.182 Im HUntProt würde eine Ausschaltung des interlokalen Privatrechts jedoch gegen den Wortlaut verstoßen. Auch aus teleologischer Sicht sollte stets – und damit auch im Falle ortsbezogener Anknüpfungen – das interlokale Privatrecht befragt werden, da ansonsten die Gefahr bestünde, den durch die Regelung erstrebten internationalen Entscheidungseinklang zu gefährden.183 Dass das HUntProt keine Ausnahme vom Grundsatz des Vorrangs des interlokalen Privatrechts für ortsbezogene Anknüpfungen vorsieht, ist daher zu begrüßen.
177 Vgl.
Rauscher-Andrae, Art. 16 HUntProt Rn. 6. S. zum Normvorschlag unten, S. 186. 179 So auch Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 423 f.; Hausmann, EhescheidungsR, Art. 16 HUntProt C Rn. 670; a. A. wohl Rauscher-Andrae, die ohne weitere Begründung davon ausgeht, dass Art. 16 Abs. 2 HUntProt lediglich Vorrang vor Art. 16 Abs. 1 lit. c –e beansprucht. Eine solche Einschränkung findet sich jedoch im Wortlaut nicht. Näher zur parallelen Frage in der Vorgängervorschrift des Art. 16 HUntÜ: Gottschalk, Allgemeine Lehren, S. 162 f. 180 Palandt-Thorn, Art. 4 EGBGB Rn. 12; Erman-Hohloch, Art. 4 EGBGB Rn. 22; Stoll, FS Keller, S. 511, 517; von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 155; von Sachsen Gessaphe, FS Jayme, S. 773 f.; Ebenroth/Eyles, IPRax 1989, 1, 5 f. 181 Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 389; Rauscher, IPRax 1987, 206; Jayme, IPRax 1989, 287, 288; Spickhoff, JZ 1993, 336, 337. 182 BT-Drucks. 10/504, S. 40. 183 Vgl. zu Art. 4 EGBGB Staudinger-Hausmann, Art. 4 EGBGB Rn. 389; Rauscher, IPRax 1987, 206, 207. 178
180
3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
Folgt man der hier vertretenen Ansicht, wonach auch auf internationaler Ebene unter bestimmten Voraussetzungen eine Gesamtverweisung auszusprechen ist, besteht auch Wertungskohärenz zwischen internationaler und interlokaler Ebene. d) EuErbVO Während sich in Art. 28 des Kommissionsvorschlags zunächst eine der Rom I-VO entsprechende Regelung befand, wonach jede Gebietseinheit als Staat anzusehen ist,184 besagt Art. 36 EuErbVO nunmehr für die territoriale Rechtsspaltung: „Art. 36: Staaten mit mehr als einem Rechtssystem – Interlokale Kollisionsvorschriften (1) Verweist diese Verordnung auf das Recht eines Staates, der mehrere Gebietseinheiten umfasst, von denen jede eigene Rechtsvorschriften für die Rechtsnachfolge von Todes wegen hat, so bestimmen die internen Kollisionsvorschriften dieses Staates die Gebietseinheit, deren Rechtsvorschriften anzuwenden sind. (2) In Ermangelung solcher internen Kollisionsvorschriften gilt: a) jede Bezugnahme auf das Recht des in Absatz 1 genannten Staates ist für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts aufgrund von Vorschriften, die sich auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers beziehen, als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit zu verstehen, in der der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte; b) jede Bezugnahme auf das Recht des in Absatz 1 genannten Staates ist für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts aufgrund von Bestimmungen, die sich auf die Staatsangehörigkeit des Erblassers beziehen, als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit zu verstehen, zu der der Erblasser die engste Verbindung hatte; c) jede Bezugnahme auf das Recht des in Absatz 1 genannten Staates ist für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts aufgrund sonstiger Bestimmungen, die sich auf andere Anknüpfungspunkte beziehen, als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit zu verstehen, in der sich der einschlägige Anknüpfungspunkt befindet. (3) Ungeachtet des Absatzes 2 ist jede Bezugnahme auf das Recht des in Absatz 1 genannten Staates für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts nach Artikel 27 in Ermangelung interner Kollisionsvorschriften dieses Staates als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit zu verstehen, zu der der Erblasser oder die Personen, deren Rechtsnachfolge von Todes wegen durch den Erbvertrag betroffen ist, die engste Verbindung hatte.“
Die jetzige Fassung des Art. 36 EuErbVO ähnelt in seiner Regelungstechnik der Lösung des HUntProt. aa) Grundsatz: Verweisung auf das interlokale Privatrecht In Art. 36 Abs. 1 EuErbVO wird – ebenso wie im Unterhaltsrecht – die Ermittlung der einschlägigen Teilrechtsordnung primär dem interlokalen Privatrecht des Mehrrechtsstaates überlassen. Anders als im HUntProt ist die Regelung in der EuErbVO aber übersichtlicher und systematisch überzeugender. 184
KOM (2009) 154 endg., S. 24 (dort Art. 28).
E. Behandlung im europäischen Kollisionsrecht
181
bb) Ausnahme: direkte Verweisung auf das Sachrecht des Teilgebietes Nur wenn ein einheitliches interlokales Privatrecht fehlt, ist Art. 36 Abs. 2 EuErbVO einschlägig, der wiederum zwischen ortsbezogenen Anknüpfungen (lit. a für den gewöhnlichen Aufenthalt und lit. c als Auffangregelung für sonstige eindeutig ortsbezogene Anknüpfungsmomente) und Anknüpfungen an die Staatsangehörigkeit (lit. b) differenziert. Für Erstere wird direkt das Sachrecht der Gebietseinheit berufen, in der sich der jeweilige Ort befindet, während im Falle der Staatsangehörigkeit auf das Recht der Gebietseinheit verwiesen wird, zu der der Erblasser die engste Verbindung hatte. Auch diese Regelung entspricht derjenigen im Unterhaltsrecht. cc) Problem: mehrdeutige Rechtswahl Parallel zur Lösung im Haager Unterhaltsprotokoll lässt sich auch im Rahmen der EuErbVO das Problem einer mehrdeutigen Rechtswahl (z. B. „US-amerikanisches Recht“) lösen. Zunächst ist gemäß Art. 36 Abs. 1 EuErbVO das interlokale Privatrecht zu befragen. Existiert ein solches nicht, lässt sich das Problem über Art. 36 Abs. 2 lit. b EuErb-VO durch Ermittlung der engsten Verbindung lösen. Auch hier ist, wie bereits für die Rom III-VO und das HUntProt dargestellt,185 primär auf die Maßstäbe des ausländischen Rechts zu rekurrieren. dd) Zusammenhang zum renvoi Die EuErbVO beachtet den renvoi auf internationaler Ebene unter bestimmten Voraussetzungen (Art. 34 EuErbVO) und spricht damit – anders als alle anderen Verordnungen – grundsätzlich eine Gesamtverweisung aus. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, dass auf interlokaler Ebene primär das interlokale Privatrecht befragt wird. Der Verordnungsgeber hat dadurch im Erbrecht gezeigt, dass er dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs einen vergleichsweise hohen Stellenwert einräumt und dieses Ziel Vorrang genießt gegenüber der Einfachheit der Rechtsanwendung. Dementsprechend ist es als folgerichtig zu bewerten, dass diese Wertung auf internationaler und interlokaler Ebene durchgehalten wird. ee) Bewertung Dass die EuErbVO – anders als zunächst vorgesehen – nicht unreflektiert die Lösung der vermögensrechtlichen Verordnungen übernommen hat, ist zu begrüßen, da andernfalls der internationale Entscheidungseinklang gefährdet wäre.186 Gerade im 185
S. oben, S. 171, 177. So auch zu Art. 28 des Kommissionsentwurfs: Leible in Reichelt IPR, S. 27, 31 f.; s. auch Leible/Müller, YbPrivIntL 14 (2012/13), 137, 148 zur jetzigen Fassung; a. A. Rauscher-Rauscher, Einführung EuErbVO-E Rn. 46, der die Vorschrift im Kommissionsentwurf für „unproblematisch“ hielt. 186
182
3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
Erbrecht kommt dem Prinzip des Entscheidungseinklangs eine hohe Bedeutung zu, da es sich zum einen um statusnahes Recht handelt und zum anderen ein hohes Interesse an der Durchsetzbarkeit besteht.187 Diese Erwägungen haben den Gesetz geber wohl zur Änderung des Kommissionsvorschlages bewogen.188 Dass der europäische Gesetzgeber im Erbrecht dem internationalen Entscheidungseinklang Vorrang vor der Einfachheit der Rechtsanwendung eingeräumt hat, spricht umso mehr dafür, parallel in den anderen statusrechtlichen bzw. statusnahen Verordnungen zu verfahren. Vereinzelt wird kritisiert, dass die Regelung der EuErbVO im praktisch häufigen Rechtsverkehr zwischen europäischen Staaten und den USA ohnehin keinen Entscheidungseinklang erzielen könne, da die USA gerade kein einheitliches interlokales Privatrecht haben und dementsprechend die Regelung in der EuErbVO stärker auf die Rechtspraxis ausgerichtet sein sollte.189 Dagegen ist jedoch wiederum einzuwenden, dass das eigene Kollisionsrecht nicht daran ausgerichtet werden sollte, mit wie vielen anderen Staaten tatsächlich Entscheidungseinklang erzielt werden kann. Es handelt sich vielmehr um eine grundlegende Frage, ob der Gesetzgeber eigene Wertungen um jeden Preis durchsetzen will oder offen gegenüber anderen Anknüpfungen ist, wenn dadurch Entscheidungseinklang erreicht werden kann. Diese Frage ist so grundlegend, dass sie nicht von quantitativen Erwägungen abhängig gemacht werden sollte.190 Der Grundsatz, das interlokale Privatrecht zu befragen, ist damit für die EuErbVO die vorzugswürdige Lösung. Im Unterschied zum Unterhaltsrecht gestaltet sich die Regelung in der EuErbVO auch übersichtlicher. Schließlich ist ebenso wie im Unterhaltsrecht zu begrüßen, dass im Interesse des Entscheidungseinklangs keine Ausnahme von diesem Grundsatz für ortsbezogene Anknüpfungen zugelassen wurde. e) Zusammenfassende Bewertung für die statusrechtlichen Verordnungen Es erscheint mit Blick auf das Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs nicht überzeugend, dass die statusrechtlichen Verordnungen zum Teil konträre Lösungen für die Behandlung von Mehrrechtsstaaten mit räumlicher Rechtsspaltung verfolgen. Wenn internationaler Entscheidungseinklang nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers im Erbrecht erzielt werden soll, was er durch die Änderung des Verordnungsvorschlags verdeutlicht hat, sollte dem Prinzip auch in den anderen statusrechtlichen Verordnungen eine erhöhte Bedeutung eingeräumt werden. Die Lösung der EuErbVO und des Haager Unterhaltsprotokolls, die beide zunächst das interlokale Privatrecht befragen, sollte daher auf die anderen statusrechtlichen Verordnun187
Dazu ausführlich oben, S. 59 f. S. zur Kritik am Verordnungsvorschlag Jayme in Reichelt/Rechberger Erbrecht, S. 27, 31 f. 189 Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 419 f. 190 Dazu schon beim renvoi, S. 80. 188
E. Behandlung im europäischen Kollisionsrecht
183
gen übertragen werden.191 Auf diese Weise werden die miteinander eng verbundenen Rechtsgebiete aufeinander abgestimmt und Wertungskohärenz zwischen den statusrechtlichen Verordnungen erzielt. Auch im Hinblick auf die hier vorgeschlagene Beachtung des renvoi auf internationaler Ebene in allen statusrechtlichen Verordnungen erscheint eine Befragung des interlokalen Privatrechts als folgerichtig. Erst nachrangig ist eine ortsbezogene Anknüpfung als direkter Verweis auf das Sachrecht eines Teilgebietes zu verstehen. Schließlich kann hilfsweise bzw. für die Anknüpfungen an die Staatsangehörigkeit an die engste Verbindung angeknüpft werden. Das Problem der mehrdeutigen Rechtswahl bedarf in den statusrechtlichen Verordnungen keiner gesonderten Normierung, da es sich mit Hilfe des Verordnungstextes lösen lässt, indem mangels anderer Anhaltspunkte auf die engste Verbindung rekurriert wird. III. Personale Spaltung Wie bereits beschrieben, kann das europäische Kollisionsrecht auf das Recht eines Staates verweisen, der für verschiedene Personengruppen unterschiedliches Sachrecht bereithält und damit als personal gespaltener Mehrrechtsstaat anzusehen ist.192 Prinzipiell bestehen auch hier – wie im Falle der lokalen Rechtsspaltung – zwei Möglichkeiten. Das interpersonale Privatrecht des Mehrrechtsstaates kann befragt werden oder das europäische Kollisionsrecht kann selbst ein Anknüpfungsmoment vorsehen und das ausländische interpersonale Kollisionsrecht ignorieren. Einige europäische Verordnungen enthalten bereits eine Regelung zur Behandlung von Mehrrechtsstaaten mit personaler Spaltung. 1. Vermögensrechtliche Verordnungen In den vermögensrechtlichen Verordnungen (Rom I- und Rom II-VO) finden sich keine Regelungen zur Behandlung personal gespaltener Mehrrechtsstaaten. Eine Regelung wäre auch unnötig, da das Phänomen der personalen Spaltung nur im Personen-, Familien- und Erbrecht eine Rolle spielt.193 2. Statusrechtliche Verordnungen In Art. 15 Rom III-VO und Art. 37 EuErbVO finden sich inhaltsgleiche Regelungen, wonach primär das interpersonale Privatrecht des Mehrrechtsstaates zu befragen ist. Lediglich in Ermangelung eines solchen ist das Rechtssystem oder Regelwerk 191 Vgl. auch Siehr, YbPrivIntL 7 (2005), 17, 48; Hausmann, EhescheidungsR, Art. 14 Rom IIIVO A Rn. 390; a. A. Leible in Reichelt IPR, S. 31, 52 f., der zumindest für ortsbezogene Anknüpfungen direkt auf das jeweilige Sachrecht verweisen will. 192 Dazu mit Beispielen oben, S. 142. 193 von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 167; Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 39; Eichel in Leible/ Unberath, S. 397, 423.
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3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
anzuwenden, zu dem der Ehegatte/die Ehegatten bzw. der Erblasser die engste Verbindung hat bzw. haben. Auch das Haager Unterhaltsprotokoll befragt in Art. 17 primär das interpersonale Privatrecht. Art. 17 HUntProt enthält jedoch keine Hilfsanknüpfung an die engste Verbindung. Grund dafür ist, dass im Falle personaler Rechtsspaltung ohnehin meist geschriebene oder ungeschriebene Regelungen zu diesem Problem in der jeweiligen gespaltenen Rechtsordnung existieren.194 Dem Protokoll sollten nämlich gerade nur Staaten beitreten, in denen ein interpersonales Privatrecht existiert.195 Im Unterschied zu den anderen statusrechtlichen Verordnungen enthalten die Verordnungsentwürfe zum Ehegüterrecht bzw. zum Güterrecht eingetragener Partnerschaften keine Normen, die die personale Rechtsspaltung behandeln. 3. Bewertung Mehrrechtsstaaten mit personaler Rechtsspaltung werden von den derzeitigen statusrechtlichen Verordnungen bereits einheitlich behandelt, indem auf das interpersonale Privatrecht des Mehrrechtsstaates verwiesen und hilfsweise auf die engste Verbindung abgestellt wird. Damit ermöglichen die Verordnungen es, internationalen Entscheidungseinklang zu erzielen. Dies ist angesichts der Bedeutung dieses Prinzips in Statussachen positiv zu bewerten.196 Außerdem ist diese Lösung bei der personalen Rechtsspaltung noch in höherem Maße als bei der räumlichen Spaltung notwendig. Anknüpfungspunkt der personalen Spaltung ist gerade eine persönliche Eigenschaft einer Person, die eng mit der Ordnung und dem sozio-kulturellen Umfeld im jeweiligen Mehrrechtsstaat verbunden ist.197 Daher besteht auch ein besonderes Parteiinteresse dahingehend, das interpersonale Privatrecht des Mehrrechtsstaates angewendet zu wissen.198 Das europäische Kollisionsrecht kann einen solchen interpersonalen Konflikt nicht bewältigen bzw. sollte es nicht riskieren, in diesem sensiblen Bereich ein hinkendes Rechtsverhältnis entstehen zu lassen.199 Für die Fälle der personalen Spaltung bestand daher schon in den Haager Übereinkommen eine einheitliche Lösung, wonach stets das interpersonale Privatrecht befragt wurde.200
194 Palandt-Thorn,
Art. 17 HUntProt Rn. 52; Rauscher-Andrae, Art. 17 HUntProt Rn. 1. Bonomi-Report zum HUntProt Rn. 195. 196 S. auch Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 423, der hervorhebt, dass die Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse im Familien- und Erbrecht besonders bedeutsam sei. Daraus zieht er allerdings nur für die personale Spaltung die Konsequenz, das interlokale Privatrecht zu befragen. 197 Vgl. von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 169 f.; Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 422. 198 Gottschalk, Allgemeine Lehren, S. 190. 199 Vgl. auch Kreuzer in Jud/Rechberger, S. 1, 35. 200 S. Bonomi-Report zum HUntProt Rn. 195; s. auch die Regelungen in Art. 19 Haager Ehegüterrechtsüberinkommen vom 23.10.1976; Art. 16 Haager Eheschließungsübereinkommen vom 14.3.1978; Art. 32 Haager Kindesentführungsübereinkommen vom 25.10.1980; Art. 37 Haager Adoptionsübereinkommen vom 29.5.1993 (alle abrufbar unter ). 195
F. Entwurf einer verordnungsübergreifenden Regelung
185
Folglich ist es zu begrüßen, dass alle statusrechtlichen Verordnungen auf das interpersonale Privatrecht des Mehrrechtsstaates verweisen. Eine entsprechende Regelung sollte aber auch in den statusnahen Verordnungsentwürfen im Güterrecht eingefügt werden, da diese insoweit lückenhaft sind.
F. Entwurf einer verordnungsübergreifenden Regelung Eine verordnungsübergreifende Regelung sollte entsprechend der vorigen Erwägungen nach vermögensrechtlichen und statusrechtlichen Verordnungen differenzieren. I. Räumliche Spaltung 1. Vermögensrecht Die jetzige Regelung in Art. 22 Rom I-VO bzw. Art. 25 Rom II-VO zur Behandlung von Mehrrechtsstaaten mit räumlicher Spaltung sollte im Grundsatz beibehalten, aber wie nachstehend ergänzt werden: Art. 22 Rom I-VO-neu/Art. 24 Rom II-VO-neu Staaten mit mehr als einem Rechtssystem – Interlokale Kollisionsvorschriften (1) Umfasst ein Staat mehrere Gebietseinheiten, von denen jede eigene Rechtsnormen für vertragliche/außervertragliche Schuldverhältnisse hat, so gilt für die Bestimmung des nach dieser Verordnung anzuwendenden Rechts jede Gebietseinheit als Staat. Lässt sich eine Gebietseinheit nicht eindeutig ermitteln, so ist die Teilrechtsordung anzuwenden, mit der der Sachverhalt am engsten verbunden ist.
Die Überschrift sollte an diejenige, die für das Statusrecht vorgeschlagen wird, angepasst werden, da Letztere klarer formuliert ist. Zudem ist in Abs. 1-neu ein zweiter Satz einzufügen, der für die Fälle, in denen sich eine Gebietseinheit nicht eindeutig bestimmen lässt, auf die engste Verbindung abstellt. Da in der Rom I-VO sowie der Rom II-VO alle objektiven Anknüpfungsmomente eindeutig auf einen Ort hinweisen, ist Satz 2 der vorgeschlagenen Regelung vor allem für diejenigen Fälle gedacht, in denen die Parteien eine Rechtswahl zugunsten des Gesamtstaates treffen, die sich nicht durch Auslegung konkretisieren lässt.201 2. Statusrecht Die statusrechtlichen Verordnungen sollten sich regelungstechnisch an dem – im Vergleich zur Regelung im Unterhaltsrecht übersichtlicheren – Art. 36 EuErbVO orientieren. Eine allgemeine Regelung könnte demnach folgendermaßen aussehen: 201
Dazu oben, S. 159 ff.; 166 f.
186
3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
Art. 36 EuErbVO-neu/Art. 14 Rom III-VO-neu/Art. 17 EuUntVO-neu/Art. 25 EhegüterVO-E- neu/Art. 20 EPartVO-E-neu Staaten mit mehr als einem Rechtssystem – Interlokale Kollisionsvorschriften (1) Umfasst ein Staat mehrere Gebietseinheiten, von denen jede ihr eigenes Rechtssystem oder ihr eigenes Regelwerk für die in dieser Verordnung geregelten Angelegenheiten hat, so bestimmen die internen Kollisionsvorschriften dieses Staates die Gebietseinheit, deren Rechtsvorschriften anzuwenden sind. (2) In Ermangelung solcher internen Kollisionsvorschriften gilt: a) jede Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Absatz 1 genannten Staat ist als Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in einer Gebietseinheit zu verstehen; b) jede Bezugnahme auf die Staatsangehörigkeit betrifft die Gebietseinheit, zu der (i) der Ehegatte oder die Ehegatten die engste Verbindung hat bzw. haben [Rom III-VO und EhegüterVO-E]; (ii) der oder die Partner die engste Verbindung hat bzw. haben [EPartVO-E]; (iii) der Erblasser die engste Verbindung hatte bzw. im Falle des Art. 27 der Erblasser oder die Personen, deren Rechtsnachfolge von Todes wegen durch den Erbvertrag betroffen ist, die engste Verbindung hatte [EuErbVO]; (iv) die Unterhaltspflicht die engste Verbindung aufweist [EuUntVO]; c) jede Bezugnahme auf andere Anknüpfungspunkte ist als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit zu verstehen, in der sich der einschlägige Anknüpfungspunkt befindet; d) jede Bezugnahme auf die zuständigen Behörden oder die öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtungen dieses Staates gegebenenfalls als Bezugnahme auf die zuständigen Behörden oder die öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtungen zu verstehen, die befugt sind, in der betreffenden Gebietseinheit tätig zu werden [EuUntVO]. (3) Unbeschadet des Absatzes 1 können die Parteien nach Maßgabe des Art. 22 EuErbVO/ Art. 5 Rom III-VO/Art. 15 EuUntVO i. V. m. Art. 8 HUntProt 2007/Art. 16 EhegüterVO-E die in dieser Gebietseinheit geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internationa len Privatrechts wählen.
Damit ist nach Abs. 1 der vorgeschlagenen Norm stets vorrangig das interlokale Privatrecht zu befragen. Besteht kein interlokales Privatrecht, wird für den gewöhnlichen Aufenthalt (Abs. 2 lit. a) und andere örtliche Anknüpfungsmomente (Abs. 2 lit. c) direkt auf den jeweiligen Ort verwiesen. Abs. 2 lit. b knüpft für die Staatsangehörigkeit an die engste Verbindung an und muss dabei für jede Verordnung unterschiedlich ausgestaltet werden. Die vorgeschlagene Regelung in Abs. 2 lit. b (iii) für die EuErbVO nimmt den jetzigen Art. 36 Abs. 3 EuErbVO auf, was den Vorteil hat, dass die Systematik, die auch dem jetzigen Abs. 3 zugrunde liegt, besser zur Geltung kommt und in das Verordnungssystem integriert wird. Dadurch wird auch die Übersichtlichkeit verbessert. Abs. 2 lit. d schließlich nimmt eine Besonderheit des HUntProt auf. Wie bereits im Rahmen des renvoi erwähnt, werden Änderungsvorschläge für das Unterhaltskollisionsrecht in der EuUntVO direkt vorgenommen (hier: Art. 17 EuUntVO-neu), da der europäische Gesetzgeber keine Änderungskompetenz bezüglich des HUntProt hat. Der vorgeschlagene Abs. 3 stellt erstens klar, dass die Wahl des Rechts einer Gebietseinheit möglich ist. Zweitens wird durch den Verweis auf die jeweiligen Nor-
F. Entwurf einer verordnungsübergreifenden Regelung
187
men zur Rechtswahl deutlich, dass die Beschränkung der Rechtswahl auch auf interlokaler Ebene gilt. Schließlich legt die Regelung fest, dass die Rechtswahl durch die Parteien – wie bereits auf internationaler Ebene – als Sachnormverweisung zu verstehen ist. Wie bereits ausgeführt, sollte bei der Anknüpfung an die engste Verbindung im Interesse des internationalen Entscheidungseinklangs und aus Praktikabilitätsgründen primär auf die Wertungen des Mehrrechtsstaates rekurriert werden.202 Dies wä re für die statusrechtlichen Verordnungen in einem Erwägungsgrund klarzustellen: Die Frage, zu welcher Rechtsordnung die engste Verbindung besteht, sollte primär nach den Maßstäben des ausländischen Mehrrechtsstaates beurteilt werden, sofern dieser geeignete Kriterien bereithält.
II. Personale Spaltung 1. Vermögensrecht Im Vermögensrecht ist es nicht notwendig, Grundsätze zu personal gespaltenen Mehrrechtsstaaten zu normieren. 2. Statusrecht Die jetzigen Verordnungen bieten bereits ein homogenes Bild im Hinblick auf den Umgang mit einer personalen Rechtsspaltung. Eine allgemeine Regelung lässt sich daraus ohne Schwierigkeiten mit einigen Modifikationen ableiten: Art. 37 EuErbVO-neu/Art. 15 Rom III-VO-neu/Art. 18 EuUntVO-neu/Art. 25 EhegüterVO-E-neu/Art. 20 EPartVO-E-neu Staaten mit mehr als einem Rechtssystem – Interpersonale Kollisionsvorschriften (1) In Bezug auf einen Staat, der für die in dieser Verordnung geregelten Angelegenheiten zwei oder mehr Rechtssysteme oder Regelwerke hat, die für verschiedene Personengruppen gelten, so bestimmen die internen Kollisionsvorschriften dieses Staates die Gebietseinheit, deren Rechtsvorschriften anzuwenden sind. (2) Mangels solcher Regeln ist das Rechtssystem oder das Regelwerk anzuwenden, zu dem a) der Ehegatte oder die Ehegatten die engste Verbindung hat bzw. haben [Rom III-VO und EhegüterVO-E]; b) der oder die Partner die engste Verbindung hat bzw. haben [EPartVO-E]; c) der Erblasser die engste Verbindung hatte [EuErbVO]; d) die Unterhaltspflicht die engste Verbindung aufweist [EuUntVO].
Die bisher in den statusrechtlichen Verordnungen vorherrschende Regelung sollte etwas umformuliert werden. Derzeit inkorporiert sie durch eine umständliche Auslegungsregel, wonach „jede Bezugnahme auf das Recht des betreffenden Staates als Bezugnahme auf das Rechtssystem zu verstehen [ist], das durch die in diesem Staat 202
Dazu oben, S. 172.
188
3. Kapitel: Mehrrechtsordnungen
in Kraft befindlichen Vorschriften bestimmt wird“, das interpersonale Kollisionsrecht in den Verweisungsbefehl der Rom III-VO.203 Stattdessen sollte – ebenso wie bei der räumlichen Spaltung – einfacher formuliert und direkt das interpersonale Kollisionsrecht für anwendbar erklärt werden.204 Dies vereinfacht die Regelung und stellt auch in Bezug auf die Formulierung Kohärenz zur Regelung der räumlichen Spaltung her. Daneben sollte eine entsprechende Regelung auch in die Verordnungsentwürfe zum Güterrecht eingefügt werden, die bislang in dieser Hinsicht lückenhaft sind. Eine weitere vorgeschlagene Änderung besteht in einer Ergänzung des HUntProt um eine Hilfsanknüpfung, wenn kein interpersonales Kollisionsrecht in dem betreffenden Mehrrechtsstaat existiert. Auch wenn dies bei personaler Spaltung praktisch selten der Fall ist,205 schadet eine Hilfsanknüpfung der unterhaltsrechtlichen Regelung nicht und erhöht umgekehrt die Kohärenz im Verordnungsrecht.206 Auch im Bereich der personalen Spaltung sollte der oben vorgeschlagene Erwägungsgrund für die Konkretisierung der engsten Verbindung übernommen werden: Die Frage, zu welcher Rechtsordnung die engste Verbindung besteht, sollte primär nach den Maßstäben des ausländischen Mehrrechtsstaates beurteilt werden, sofern dieser geeignete Kriterien bereithält.
203
S. dazu NK-Nordmeier, Art. 15 Rom III-VO Rn. 6. Art. 15 Rom III-VO Rn. 6. 205 Palandt-Thorn, Art. 17 HUntProt Rn. 52; Rauscher-Andrae, Art. 17 HUntProt Rn. 1; Schröder, Mehrrechtsstaaten, S. 23. 206 So auch Eichel in Leible/Unberath, S. 397, 423. 204 NK-Nordmeier,
4. Kapitel:
Vorfrage Ein weiterer Bereich, der Rückschlüsse auf die Bedeutung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs zulässt, ist die Anknüpfung von Vorfragen. An der Vorfragenproblematik zeigt sich deutlich, dass das Ideal des internationalen Entscheidungseinklangs häufig im Spannungsverhältnis zu anderen Prinzipien steht, weshalb im Einzelfall eine Abwägung getroffen werden muss. Hinter der Methode der Anknüpfung von Vorfragen steht nämlich die Grundsatzentscheidung zwischen dem Prinzip des internationalen und dem des inneren Entscheidungseinklangs. Aus diesem Grund soll eine Untersuchung des Rechtsinstituts der Vorfrage in dieser Arbeit nicht fehlen, obwohl – anders als im Falle der bisher behandelten Rechtsfiguren des renvoi und der Behandlung von Mehrrechtsordnungen – das europäische Verordnungsrecht bislang keine Regelung für die Anknüpfung von Vorfragen bereithält. Die folgende Betrachtung konzentriert sich damit nicht nur auf die Ausgestaltung einer Regelung, sondern muss auch die Frage stellen, ob eine Regelung auf europäischer Ebene überhaupt möglich bzw. sinnvoll ist. Zu diesem Zweck soll im Folgenden zunächst wiederum eine kurze Begriffsklärung und Abgrenzung zu anderen Instituten erfolgen (A.). Im Anschluss werden die grundsätzlichen Lösungsmöglichkeiten für die Anknüpfung von Vorfragen (B.) und die Relevanz der Vorfragenproblematik für das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs (C.) beleuchtet. Auch auf den Wertungszusammenhang zwischen renvoi und Vorfragenanknüpfung wird eingegangen (D.). Es folgt eine Untersuchung der bestehenden EU-Verordnungen daraufhin, ob sich in ihnen bereits jetzt implizit eine Vorgabe des europäischen Gesetzgebers betreffend die Anknüpfung von Vorfragen befindet (E.). Ist dies nicht der Fall, muss entschieden werden, ob die Regelung der Problematik auf europäischer Ebene erfolgen oder dem Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten überlassen werden sollte. Nur wenn eine europäische Norm wünschenswert ist, kann die konkrete Ausgestaltung einer solchen behandelt werden (F.).
A. Begriff In der Literatur, die sich mit dem Thema der Vorfrage befasst, findet sich sowohl eine weite als auch eine engere Verwendung des Begriffs der Vorfrage.1 1 Dazu
von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 56–59.
190
4. Kapitel: Vorfrage
I. Vorfrage im weiteren Sinne Vorfragen sind Fragen im Tatbestand einer Rechtsnorm nach dem Bestand bzw. dem Inhalt eines präjudiziellen Rechtsverhältnisses oder eines Rechts.2 Vom Bestehen dieses Rechts oder Rechtsverhältnisses hängt der Eintritt der Rechtsfolge der Norm ab. Eine solche Vorfrage kann vom Tatbestand einer in- oder ausländischen Kollisionsnorm oder einer in- oder ausländischen Sachnorm aufgeworfen werden.3 Vorfragen treten stets im Kontext einer Hauptfrage auf, können jedoch in einem anderen Prozess auch selbstständig als Hauptfrage vorkommen.4 So taucht beispielsweise die Frage nach der Existenz einer wirksamen Ehe häufig als Vorfrage für die Hauptfrage nach dem Bestehen von Unterhaltsansprüchen oder einer etwaigen Erbenstellung auf. Am häufigsten kommen Vorfragen in statusrechtlichen Verhältnissen vor,5 sie können aber auch im Vermögensrecht eine Rolle spielen. Wenn beispielsweise als Hauptfrage das Bestehen von Schadensersatzansprüchen wegen Beschädigung einer Sache nach Deliktsrecht auftritt, stellt sich die sachenrechtliche Vorfrage, wer Eigentümer der Sache ist.6 Auch andere europäische Staaten kennen das Phänomen der Vorfrage;7 in Frankreich spricht man von „question préalable“8 oder „question préjudicielle“9, im anglo-amerikanischen Rechtskreis von „incidental question“10 oder „preliminary question“11. II. Vorfrage im engeren Sinne und Erstfrage Ein nicht unbeachtlicher Teil des deutschen Schrifttums differenziert zwischen Vorfrage im engeren Sinne und Erstfrage.12 Der Unterschied besteht darin, dass Erstfragen schon vom Tatbestand einer inländischen Kollisionsnorm aufgeworfen werden, während Vorfragen im engeren Sinne erst im Tatbestand vom berufenen ausländischen Kollisions- oder Sachrecht auftreten. Das Vorliegen einer Erstfrage 2
Melchior, IPR, S. 246; Bernitt, Vorfragen, S. 18 f.; Kropholler, IPR, S. 221. von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 56. 4 In Abgrenzung zur Teilfrage, die nie selbst als Hauptfrage auftreten kann. Dazu Bernitt, Vorfragen, S. 9 –11 und s. unten, S. 191 f. 5 Vgl. Henrich, FS Schurig, S. 63, 71 f.; Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 580. 6 von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 183. 7 Einen differenzierten Überblick über die englische und französische Terminologie gibt Gotlieb, ICLQ 26 (1977), 734, 741; s. auch Raape/Sturm, IPR, S. 289; s. zu weiteren Staaten: Länderberichte im Rahmen einer Studie des Deutschen Notarinstituts: abrufbar unter (12.7.2013). 8 Loussouarn/Bourel, DIP, Rn. 197-3 (S. 249 f.). 9 Lewald, Rec. des Cours 9 (1925-IV), 1, 72–75. 10 Morris/McClean, Conflict of Laws, S. 16; Lipstein, CLJ 31 (1972), 67, 90–96. 11 Robertson, LQR 55 (1939), 565–584. 12 Die Bezeichnung „Erstfrage“ geht zurück auf Jochem, FamRZ 1964, 392, 393–395; s. auch von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 47–51,57–59; von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 186; Neuhaus, Grundbegriffe, S. 140–142; Mansel, FS Kropholler, S. 353, 360; Kropholler, IPR, S. 134, der den Begriff allerdings weiter versteht. 3
A. Begriff
191
soll sich aus der Formulierung der inländischen Kollisionsnorm ergeben.13 Aus diesem Grund wird das Institut der Erstfrage auch kritisiert, da die Formulierung einer Kollisionsnorm eine „formale Zufälligkeit“14 sei und somit unnötige Abgrenzungsschwierigkeiten entstünden.15 Zudem versage die Abgrenzung im Falle ungeschriebener Kollisionsnormen.16 Die Begriffsbildung ließe sich auch auf die europäische Ebene übertragen, wonach jede Frage im Tatbestand des europäischen Kollisionsrechts eine Erstfrage wäre. Die Differenzierung spielt letztlich nur eine Rolle, wenn Vor- und Erstfrage auch unterschiedlich behandelt werden, worauf noch einzugehen sein wird. Erst dann kann entschieden werden, ob auch im europäischen Kollisionsrecht zwischen Erst- und Vorfrage im engeren Sinne differenziert werden soll.17 III. Teilfrage Schwierigkeiten in der Abgrenzung können im europäischen Kollisionsrecht, für das noch keine allgemeine, umfassende Dogmatik erarbeitet wurde, insbesondere zwischen Vorfragen und Teilfragen auftreten. Es ist zu klären, ob eine Unterscheidung auf europäischer Ebene überhaupt sinnvoll ist. Eine begriffliche Differenzierung ist jedenfalls nur erforderlich, wenn Unterschiede in der Anknüpfung bestehen. 1. Begriffliche Abgrenzung zur Vorfrage Über das charakteristische Merkmal, das die Teilfrage ausmacht, besteht Uneinigkeit.18 Eine Darstellung der einzelnen Verästelungen des Begriffs der Teilfrage ist indes entbehrlich, da weitgehend Einigkeit besteht, dass die Teilfrage keine Vorfrage darstellt und daher davon abzugrenzen ist.19 Im Folgenden wird der Begriff der Teilfrage verstanden als „unselbstständiges Glied einer Rechtsfigur“20, d. h. eine Teilfrage tritt nie selbst als Hauptfrage auf, sondern immer als unselbstständiges Element einer Hauptfrage.21 Im Unterschied 13
Neuhaus, Grundbegriffe, S. 141; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 48. Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 582–584. 15 Kritisch auch MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 538; Staudinger-Sturm/ Sturm, Einleitung IPR Rn. 290; Bernitt, Vorfragen, S. 15–17. 16 Kegel, FS Schurig, S. 549, 583. 17 Dazu unten, S. 197 ff. 18 Dazu Bernitt, Vorfragen, S. 9 –11; Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 558–560. 19 Anders – nämlich im eher untechnischen Sinne – verwendet den Begriff der Teilfrage Wengler, RabelsZ 8 (1934), 148 f., der darin einen Oberbegriff zur Vorfrage sieht und damit ein Synonym zum Begriff Tatbestandsvoraussetzung, s. zu diesem Verständnis Bernitt, Vorfragen, S. 9 f.; Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 559. Vgl. auch MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 536, der zwar keine „substantielle Schranke“ zwischen Vor- und Teilfrage sieht, eine Abgrenzung aber offensichtlich doch für nötig hält. 20 Raape/Sturm, IPR, S. 289. 21 So und zur nun folgenden Differenzierung auch Bernitt, Vorfragen, S. 10 f. m. w. N. 14
192
4. Kapitel: Vorfrage
dazu können Vorfragen auch selbst Hauptfragen sein. Paradebeispiel für eine Teilfrage ist im deutschen Kollisionsrecht die Geschäftsfähigkeit, die stets als Element einer Hauptfrage vorkommt, wohingegen die Frage nach der Geschäftsfähigkeit einer Person sich nicht als eigenständige Hauptfrage in einem eigenen Prozess stellt. Das Bestehen einer Ehe hingegen kann sowohl als Vorfrage – beispielsweise für eine erbrechtliche Fragestellung – als auch selbst als Hauptfrage in einem gesonderten Prozess auftreten. 2. Anknüpfung im deutschen Kollisionsrecht Über die Behandlung von Teilfragen herrscht – zumindest im deutschen Kollisionsrecht – Einigkeit.22 Der Gesetzgeber der lex fori kann eine Sonderanknüpfung für die Teilfrage vorsehen und somit eine Abspaltung – eine sog. dépeςage – vornehmen. So verfahren im deutschen IPR Art. 7 Abs. 1 EGBGB, der für die Geschäftsfähigkeit an das Heimatrecht anknüpft, sowie Art. 11 EGBGB, der eine Sonderanknüpfung für die Form eines Rechtsgeschäfts enthält.23 Außerdem kann sich, wie beispielsweise im Fall der rechtsgeschäftlichen Stellvertretung, eine richterrecht liche Sonderanknüpfung entwickeln.24 In Abwesenheit einer solchen gesonderten Anknüpfungsnorm unterliegt die Teilfrage als unselbstständiges Glied der Hauptfrage stets dem materiellen Recht der lex causae, eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung findet also nicht statt.25 3. Anknüpfung im europäischen Kollisionsrecht Auf europäischer Ebene ist bislang keine eindeutige Begriffsbildung erfolgt. In der Literatur wird stets nur die Vorfragenanknüpfung problematisiert, während eine Abgrenzung zu Teilfragen kaum stattfindet.26 Stattdessen werden beide Begriffe häufig miteinander vermengt.27 Die im deutschen Kollisionsrecht geltende Abgrenzung ließe sich aber auf das europäische Kollisionsrecht übertragen, da dieselben Anknüpfungsgegenstände – z. B. die Geschäftsfähigkeit – ebenso als unselbstständige Elemente einer Hauptfrage auftreten können. Andere Fragen – wie etwa das Bestehen einer Ehe – sind so weit verselbstständigt, dass sie selbst als Hauptfrage vorkommen können. Entscheidend ist letztlich die Behandlung von Teilfragen auf europäischer Ebene. Nur wenn diese anders als Vorfragen angeknüpft werden, macht die begriffliche Differenzierung im europäischen IPR Sinn. 22
Zum folgenden Staudinger-Sturm/Sturm, Einleitung IPR Rn. 291 m. w. N. von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 43 mit weiteren Beispielen. 24 S. etwa BGH v. 16.4.1975, BGHZ 64, 183, 191–193; BGH v. 13.5.1982, NJW 1982, 2733. 25 Bernitt, Vorfragen, S. 11 f.; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 46; MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 536. 26 Mit Ausnahme von Bernitt, Vorfragen, S. 145–232, die am Beispiel der Rom II-VO stets sauber abgrenzt, ob es sich um eine Vor- oder eine Teilfrage handelt. 27 Dies kritisiert auch Mäsch in Leible/Unberath, S. 201, 217. 23
A. Begriff
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a) Grundsatz: Unterwerfung unter die lex causae Teilfragen werden grundsätzlich – ebenso wie im deutschen Kollisionsrecht – vom europäischen Gesetzgeber dem Sachrecht der lex causae unterworfen. Beispielsweise in Art. 15 Rom II-VO werden die sich wohl am häufigsten stellenden Teilfragen aufgeführt und ausdrücklich dem Sachrecht der nach der Rom II-VO ermittelten lex causae unterstellt.28 So werden z. B. die praktisch relevanten Teilfragen der Deliktsfähigkeit (Art. 15 lit. a) sowie die allgemeinen Rechtfertigungsgründe (lit. b) umfasst.29 Eine vergleichbare Norm enthält Art. 12 Rom I-VO für den vertraglichen Bereich und Art. 23 EuErbVO für das Erbstatut. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass Fragen, die explizit dem Sachrecht der lex causae unterworfen werden, vom Verordnungsgeber als unselbstständige Elemente der Hauptfrage und damit als Teilfragen angesehen werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber nicht, dass alle Teilfragen in vergleich baren Normen enthalten sein müssen. Vielmehr ist die Aufzählung in Art. 12 Rom I-VO und Art. 15 Rom II-VO ausweislich des Wortlauts („insbesondere“) nicht abschließend. Die nicht in Katalognormen genannten Bereiche müssen anhand der oben genannten Definition darauf überprüft werden, ob es sich um unselbstständige Teilfragen oder selbstständige Vorfragen handelt. Ist Ersteres der Fall, sind sie ebenfalls dem Sachrecht der lex causae ohne gesonderte Anknüpfung zu unterwerfen. b) Ausnahme: explizite Sonderanknüpfung Für einige wenige Fälle hat der europäische Gesetzgeber Sonderanknüpfungen für Teilfragen vorgesehen. Eine solche enthält beispielsweise Art. 11 Rom I-VO für die Teilfrage der Form von Verträgen. c) Ausnahme: Anknüpfung nach dem Kollisionsrecht der lex fori Schließlich besteht die Möglichkeit, dass das europäische Kollisionsrecht für eine Teilfrage nicht selbst eine Anknüpfung bereithält, sondern diese sogar aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausschließt. So wird das Paradebeispiel einer Teilfrage, die Geschäftsfähigkeit,30 von Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom I-VO gerade vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgenommen. Die Rom I-VO enthält also weder eine Sonderanknüpfung für diese Frage31 noch kann die Teilfrage dem Sachrecht der lex causae unterworfen werden, da die Verordnung sich selbst ja gerade ausdrücklich für unanwendbar erklärt hat. 28 Auch Staudinger-Sturm/Sturm, Einleitung IPR Rn. 291 ordnen die in Art. 15 Rom II-VO aufgezählten Gegenstände als Teilfragen ein. 29 S. dazu den Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht (Rom II) vom 22.7.2003, KOM (2003) 427 endg., S. 26; dazu auch Bernitt, Vorfragen, S. 146 f., 163 f. 30 So auch Mäsch in Leible/Unberath, S. 201, 217. 31 Auch Art. 13 Rom I-VO hält keine solche Sonderanknüpfung bereit, sondern beinhaltet nur eine Ausnahme im Interesse des Verkehrsschutzes, s. Palandt-Thorn, Art. 13 Rom I-VO Rn. 1.
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4. Kapitel: Vorfrage
Diese Besonderheit sollte jedoch nicht dazu führen, die Geschäftsfähigkeit vorschnell als Vorfrage anstatt als Teilfrage einzuordnen.32 Folge davon wäre nämlich, dass sich für die Geschäftsfähigkeit das Problem der Vorfragenanknüpfung stellt. Einigkeit scheint jedoch stillschweigend dahingehend zu herrschen, dass die Antwort auf die Frage der Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit im Kollisionsrecht des Forums zu suchen ist. Zumindest wird aufgrund von Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom I-VO einhellig für die Geschäftsfähigkeit auf Art. 7 Abs. 1 EBGB rekurriert, ohne dass die Streitfrage nach einer Anknüpfung nach der lex fori oder lex causae überhaupt aufgeworfen wird.33 Diese Einigkeit mag darin begründet sein, dass nahezu alle nationalen Kollisionsrechte eine eigene Sonderanknüpfung der Geschäftsfähigkeit vornehmen34 und zwischen den Mitgliedstaaten gerade kein Konsens für eine vereinheitlichte Anknüpfung gefunden werden konnte. Es handelt sich bei der Geschäftsfähigkeit daher um einen Sonderfall. Die wenigen Ausnahmefälle, die nach der Definition als Teilfragen einzustufen, aber mangels Konsenses zwischen den Mitgliedstaaten aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen sind, wollte man – im Bewusstsein dieser Tatsache – ausnahmsweise dem Kollisionsrecht der lex fori unterwerfen. Dieser Fall ist insofern problematisch, als die Behandlung der Frage nicht durch den Verordnungsgeber vorgegeben wird, was die Einheitlichkeit in der Rechtsanwendung gefährdet. Diese Variante kommt praktisch aber ohnehin selten vor, da Teilfragen meist nicht so weit verselbstständigt sind, dass sie von der Hauptfrage abgespalten werden. Grund dafür ist die Gefahr, dass einheitliche Rechtsverhältnisse künstlich aufgespalten werden und somit der Zusammenhang zwischen einzelnen Elementen verkannt wird und dadurch schließlich realitätsferne Ergebnisse erzielt werden.35 Dass die Geschäftsfähigkeit eine seltene Sonderrolle einnimmt, zeigt sich bereits daran, dass die besonderen Formen der Geschäftsfähigkeit – die Deliktsfähigkeit in Art. 15 lit. a Rom II-VO und die Testierfähigkeit in Art. 26 Abs. 1 lit. a i. V. m. Art. 24 EuErbVO36 – ansonsten dem Geltungsbereich der Verordnung und damit der lex causae unterliegen.37
32 So aber, allerdings ohne Begründung, Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 12 Rom I-VO Rn. 1; Staudinger-Magnus, Art. 12 Rom I-VO Rn. 11; Solomon, FS Spellenberg, S. 355, 356 ordnet die Teilfrage terminologisch unsauber als Unterkategorie der Vorfrage ein; Wilke, GPR 2012, 334, 338 spricht von „Querschnittsfrage“. 33 Vgl. MüKo-Martiny, Art. 1 Rom I-VO Rn. 25; Staudinger-Magnus, Art. 1 Rom I-VO Rn. 47; Palandt-Thorn, Art. 1 Rom I-VO Rn. 7; Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 1 Rom I-VO Rn. 26; Ferrari/Kieninger-Kieninger, Art. 1 Rom I-VO Rn. 9; NK-Leible, Art. 1 Rom I-VO Rn. 21; Erman-Hohloch, Art. 1 Rom I-VO Rn. 5; ausdrücklich: Mäsch in Leible/Unberath, S. 201, 208. 34 Schmidt, Rec. des Cours 233 (1992-II), 305, 332 f.; Bernitt, Vorfragen, S. 11. 35 Kropholler, IPR, S. 131 f. 36 Für die Ehefähigkeit gilt dies nicht, da bereits das Bestehen einer Ehe nicht von der Rom III-VO geregelt wird. Das Bestehen einer Ehe stellt in der Rom III-VO eine Vorfrage dar. Innerhalb dieser Vorfrage stellt sich wiederum die Teilfrage nach der Ehefähigkeit. 37 Dies ist auch im deutschen Kollisionsrecht der Fall, s. dazu Kropholler, IPR, S. 317.
B. Lösungsmöglichkeiten
195
d) Zwischenergebnis Für Teilfragen auf europäischer Ebene lassen sich damit folgende Schlüsse ziehen: Erstens ist begrifflich – ebenso wie im deutschen Kollisionsrecht – der entscheidende Unterschied zwischen Vor- und Teilfragen, dass Teilfragen unselbstständige Elemente einer Hauptfrage darstellen und damit nicht von Letzterer abgetrennt auftreten können. Zweitens gilt im Verordnungsrecht der Grundsatz, dass Teilfragen gemeinsam mit der Hauptfrage dem Sachrecht der lex causae zu unterwerfen sind. Dies gilt auch, wenn die jeweilige Teilfrage nicht explizit im Katalog einer die Reichweite des Statuts definierenden Norm (s. Art. 12 Rom I-VO, Art. 15 Rom II-VO) genannt ist. Eine gesonderte Anknüpfung der Teilfrage erfolgt also nicht. Drittens besteht für den europäischen Gesetzgeber trotz dieser grundsätzlichen Einheit zwischen Teil- und Hauptfrage die Möglichkeit, selbst eine Sonderanknüpfung für bestimmte Teilfragen (s. Art. 11 Rom I-VO ) vorzusehen (dépeςage Typ 1). Viertens kann der europäische Gesetzgeber eine Ausnahme von der grundsätz lichen Behandlung von Teilfragen vorsehen, indem er diese ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Verordnung ausnimmt. Nach hier vertretener Ansicht sind solche Fragen, sofern sie nach der oben genannten Definition als unselbstständige Teilfrage identifiziert wurden, ausnahmsweise nach dem Kollisionsrecht des Forums anzuknüpfen (dépeςage Typ 2). 4. Ergebnis Befolgt man diese Regeln, stellt sich das Problem der Vorfragenanknüpfung für Teilfragen nicht. Vielmehr lassen sich für alle Teilfragen eindeutige Anknüpfungsregeln identifizieren. Die Abgrenzung zwischen Teil- und Vorfragen ist daher auch auf europäischer Ebene sinnvoll und hilfreich für die Frage der Anknüpfung. Im Folgenden wird daher nur noch auf die Anknüpfung von Vorfragen eingegangen, da allein diese umstritten ist.
B. Lösungsmöglichkeiten Nachdem im Hinblick auf die Terminologie weitgehend Klarheit herrscht, ist die Frage der richtigen Anknüpfung von Vorfragen seit der Entdeckung der Problematik durch Melchior 38 und Wengler 39 im deutschen Kollisionsrecht umstritten.40 Einigkeit besteht dahingehend, dass die Vorfrage – anders als die Teilfrage – nicht ohne Weiteres nach dem materiellen Recht der lex causae beantwortet werden kann, 38
Melchior, IPR, S. 245–265. Wengler, RabelsZ 8 (1934), 148–251. 40 S. hierzu insbesondere den Überblick bei Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 550–555 sowie bei Dorenberg, Hinkende Rechtsverhältnisse, S. 192–194. 39
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4. Kapitel: Vorfrage
sondern vielmehr eine erneute kollisionsrechtliche Anknüpfung stattfinden muss.41 Die Streitfrage liegt aber darin, nach welchem Kollisionsrecht diese erneute Anknüpfung vorzunehmen ist: nach dem IPR der lex fori (selbstständige Anknüpfung) oder nach dem Kollisionsrecht der lex causae (unselbstständige Anknüpfung).42 Hinter dieser Problematik steht letztlich die Kollision und nötige rechtspolitische Entscheidung zwischen zwei grundlegenden Prinzipien, nämlich dem internen und dem internationalen Entscheidungseinklang.43 I. Selbstständige Anknüpfung Selbstständige Anknüpfung bedeutet, dass Vorfragen nach dem Kollisionsrecht der lex fori angeknüpft werden. Die Vorfrage wird dabei von der Hauptfrage isoliert und so behandelt, als wäre sie selbst als Hauptfrage aufgetreten.44 Im deutschen Kollisionsrecht entspricht dieser Lösungsweg der Rechtsprechung des BGH45 sowie der in der Literatur vorherrschenden Ansicht,46 wobei in Einzelfällen wiederum Ausnahmen zugelassen werden. Hauptargument für die selbstständige Anknüpfung ist die Erzielbarkeit internen Entscheidungseinklangs. Denn dadurch, dass die Vorfrage behandelt wird, als wäre sie Hauptfrage, wird das Bestehen eines präjudiziellen Rechts oder Rechtsverhältnisses innerhalb einer Rechtsordnung immer gleich beurteilt. Es wird stets – bei Vor-, Erst- und Hauptfragen – nach dem Kollisionsrecht des Forums angeknüpft.47 Unabhängig vom Kontext, in dem die Frage auftritt – ob beispielsweise die Frage der wirksamen Beendigung einer Ehe als Hauptfrage im Scheidungsprozess oder als Vorfrage in einer erbrechtlichen Fallgestaltung auftritt, – werden also alle prä judiziellen Rechtsverhältnisse gleich behandelt, was zu internem Entscheidungs einklang und damit Widerspruchsfreiheit innerhalb einer Rechtsordnung führt. II. Unselbstständige Anknüpfung Die gegenteilige Lösungsmöglichkeit besteht darin, Vorfragen unselbstständig bzw. abhängig48 anzuknüpfen. Danach wird die Vorfrage nach dem Kollisionsrecht des 41 Dazu
Bernitt, Vorfragen, S. 35 f.; Staudinger-Sturm/Sturm, Einleitung IPR Rn. 269. Zu differenzierenden Ansätzen sogleich. 43 Vgl. Heinz, Vollmachtsstatut, S. 123 f; Bernitt, Vorfragen, S. 125; Mansel, FS Kropholler, S. 353, 359; Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 557, 573: „Ringen zweier diametraler Leitprinzi pien“. 44 Vgl. Kegel/Schurig, IPR, S. 377. 45 BGH v. 22.1.1965, BGHZ 43, 213, 218–220; BGH v.12.3.1981, NJW 1981, 1900, 1901; s. auch den ausführlichen Überblick zur Rechtsprechung bei Staudinger-Sturm/Sturm, Einleitung IPR Rn. 277 f. 46 Staudinger-Sturm/Sturm, Einleitung IPR Rn. 279; von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 194– 213; Kegel/Schurig, IPR, S. 397–382; Kropholler, IPR, S. 226–228 jeweils m. w. N. 47 von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 194; Bernitt, Vorfragen, S. 60 f.; Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 578–585. 48 Kegel/Schurig, IPR, S. 377; Solomon, FS Spellenberg, S. 355, 356. 42
B. Lösungsmöglichkeiten
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ausländischen Staates angeknüpft, dessen Recht auf die Hauptfrage anwendbar ist (lex causae).49 Als gewichtigstes Argument für die unselbstständige Anknüpfung wird im Gegensatz zur selbstständigen Anknüpfung der internationale Entscheidungseinklang ins Feld geführt.50 Wenn das berufene Gericht die Vorfrage unselbstständig nach dem Kollisionsrecht der lex causae anknüpft, wendet es dasselbe Kollisionsrecht – und damit schließlich auch dasselbe materielle Recht – an, das auch die Gerichte des Staates der lex causae anwenden würden, wenn dort das Forum läge.51 III. Differenzierende Lösungsansätze Vertreten wird daneben eine einzelfallabhängige Betrachtungsweise ohne festes Regel-Ausnahme-Verhältnis, da kein genereller Grundsatz der selbstständigen oder unselbstständigen Anknüpfung begründet werden könne.52 Stattdessen sei die jeweilige Norm auszulegen und je nach Sinn und Zweck sowie Regelungszusammenhang im Einzelfall neu zu entscheiden, ob eine selbstständige oder eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung vorzugswürdig sei. Außerdem wird vereinzelt – vor allem für das Unterhaltsrecht – vorgeschlagen, eine alternative Anknüpfung vorzunehmen, sodass im Sinne des Günstigkeitsprinzips dem Rechtsverhältnis möglichst zur Wirksamkeit verholfen wird.53 Es wird also entweder nach dem Kollisionsrecht der lex causae oder nach dem der lex fori angeknüpft, je nachdem, welches Sachrecht zu dem für die Schutzperson günstigsten Ergebnis führt. IV. Eindeutige Lösung für Erstfragen? Offen geblieben ist die Frage, ob im Folgenden zwischen Erstfrage und Vorfrage im engeren Sinne unterschieden werden sollte. Dies ist nur sinnvoll, wenn die Behandlung von Erstfragen eindeutig wäre. Diejenigen, die im deutschen Kollisionsrecht zwischen Vorfragen im engeren Sinne und Erstfragen differenzieren, sind sich dahingehend einig, dass Erstfragen grundsätzlich selbstständig nach der lex fori anzuknüpfen sind.54 Da nämlich eine 49 So Melchior, IPR, S. 245–265; Wengler, RabelsZ 8 (1934), 148, 188–229; Wolff, IPR, S. 79– 81; Neuhaus, Grundbegriffe, S. 345–349; Siehr, IPR, S. 473; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 67–72. 50 Melchior, IPR, S. 247 f.; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 68; Neuhaus, Grundbegriffe, S. 345–347; Siehr, IPR, S. 473; Wolff, IPR, S. 80; Raape/Sturm, IPR, S. 290. 51 Bernitt, Vorfragen, S. 41. 52 S. etwa MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 548–556; Henrich, FS Schurig, S. 63, 69–72; Gotlieb, CanBarRev 33 (1955), 523, 542–555; ders., ICLQ 26 (1977), 734–798. 53 S. Siehr, IPR, S. 473; ders., StAZ 1971, 205, 212; s. auch MüKo-Klinkhardt (2010), Art. 19 EGBGB Rn. 36–40; Sturm, IPRax 1987, 1, 3 f.; Lagarde, FS von Overbeck, S. 511, 522 f., 527 f. 54 Jochem, FamRZ 1964, 392, 393; von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 186; von Hoffmann/ Thorn, IPR, § 6 Rn. 52–55; Kropholler, IPR, S. 223 f.; Rauscher, IPR, Rn. 507; Winkler von Mohrenfels, RabelsZ 51 (1987), 20, 21.
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4. Kapitel: Vorfrage
Erstfrage schon durch die inländische Kollisionsnorm aufgeworfen wird, sei die lex causae für die Hauptfrage zu diesem Zeitpunkt noch nicht ermittelt.55 Denklogisch sei daher die Beantwortung der Erstfrage der erste Schritt. Außerdem wähle der Gesetzgeber gezielt die Regelungstechnik, den jeweiligen Begriff bereits in der inländischen Kollisionsnorm vorauszusetzen, sodass eine Anknüpfung nach der lex fori auch vor diesem Hintergrund sachgerecht erscheine.56 Über Ausnahmen von dieser Anknüpfungsregel herrscht hingegen Uneinigkeit. So wird beispielsweise angenommen, dass Erstfragen, die im Rahmen völkerrechtlicher Verträge aufgeworfen werden, im Interesse der Rechtsvereinheitlichung ausnahmsweise unselbstständig angeknüpft werden müssen.57 Dies wiederum ist nicht unumstritten.58 Auch begrifflich herrscht keine Klarheit über den Begriff der Erstfrage; es werden engere und weitere Spielarten vertreten.59 Für das europäische Kollisionsrecht bietet sich eine Differenzierung zwischen Erst- und Vorfrage damit nicht an, da sie nur gewinnbringend sein kann, wenn die Anknüpfung von Erstfragen – im Gegensatz zu Vorfragen – tatsächlich unproblematisch wäre. Jedoch sind EU-Verordnungen insofern mit Staatsverträgen vergleichbar, als sie ebenfalls der Rechtsvereinheitlichung dienen. Überträgt man also die Ansichten zur Anknüpfung von Erstfragen in Staatsverträgen auf das europäische Kollisionsrecht, herrscht gerade dort Uneinigkeit. Die Anknüpfung von Erstfragen im europäischen IPR ist damit keineswegs eindeutig, sondern hängt von denselben Erwägungen ab wie die Vorfragenanknüpfung. Zudem vermag das Argument, der Gesetzgeber habe eine Frage bewusst bereits im Tatbestand der inländischen Kollisionsnorm vorausgesetzt und damit eine selbstständige Anknüpfung bezweckt, zwar im autonomen Kollisionsrecht zu überzeugen. Dem europäischen Gesetzgeber hingegen kann kein solcher Wille unterstellt werden. Dies gilt erstens, weil der europäische Gesetzgeber die Vorfragen problematik bewusst im Verordnungsrecht nicht gelöst hat, worauf noch einzugehen sein wird. Zweitens erscheint es angesichts des Fehlens einer übergreifenden Dogmatik zur Vorfragenproblematik auf europäischer Ebene fernliegend, dass der EU-Gesetzgeber bei der Formulierung einer Kollisionsnorm bewusst zwischen Erst- und Vorfragen differenzieren wollte. Drittens hängt die Formulierung einer Kollisionsnorm auf europäischer Ebene mitunter auch von der Übersetzung der Verordnung in die jeweilige Sprachfassung ab, sodass eine Abgrenzung allein anhand der Formulierung ungeeignet erscheint. Da sich also auf EU-Ebene aus der Qualifikation als Erstfrage keine unbestrittene zwingende Art der Anknüpfung ergibt und zusätzlich über den Begriff und die ge55
von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 186. Kropholler, IPR, S. 223 f.; von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 186. 57 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 55; vgl. auch Wienke, Vorfrage, S. 195–197. 58 von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 208 f. treten beispielsweise für eine selbstständige Vorfragenanknüpfung auch in Staatsverträgen ein und sehen auch keine Ausnahme für Erstfragen vor. 59 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 51 m. w. N. 56
C. Relevanz für den internationalen Entscheidungseinklang
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naue Abgrenzung der Erstfrage Uneinigkeit herrscht, ist die Differenzierung zwischen Erst- und Vorfrage im europäischen IPR nicht weiterführend.60 Es liegt im Interesse der Einfachheit der Rechtsanwendung, die ohnehin schon komplexe Figur der Vorfrage nicht durch zusätzliche Abgrenzungsprobleme zu überlasten, die anderen Mitgliedstaaten gegebenenfalls vollkommen fremd sind. Der Begriff der Vorfrage im Sinne dieser Arbeit umfasst damit Erstfragen. Vorund Erstfragen werden dementsprechend kollisionsrechtlich gleich behandelt, sodass im Folgenden begrifflich nicht differenziert wird.
C. Relevanz für den internationalen Entscheidungseinklang Wie bereits erläutert, begründen die Vertreter einer unselbstständigen Anknüpfung ihre Ansicht primär mit dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs. Zuweilen wird aber bezweifelt, ob dieses Argument tatsächlich tragfähig ist. Die Zweifel beruhen auf den folgenden zwei Einwänden. I. Kein zwingender Entscheidungseinklang mit der lex causae Kritisiert wird zum einen, dass die unselbstständige Anknüpfung häufig keinen internationalen Entscheidungseinklang herzustellen vermöge.61 Zwar wende das Gericht durch eine unselbstständige Anknüpfung das Recht auf die Vorfrage an, das die Gerichte des Staates der lex causae anwenden würden. Der „Schönheitsfehler“ liege jedoch darin, dass dieses Recht dasjenige sei, das die ausländischen Gerichte zu Rate ziehen würden, wenn die Vorfrage dort als Hauptfrage aufgeworfen würde. Dass diese Gerichte für die Vorfrage dasselbe Recht berufen würden, sei damit noch nicht geklärt. Vielmehr hänge dies vom fremden für die Hauptfrage maßgeblichen Kollisionsrecht ab. Damit zwischen lex fori und lex causae Entscheidungseinklang erzielt wird, müssten die jeweiligen Kollisionsnormen von lex fori und lex causae zur Anwendung desselben Rechts auf die Hauptfrage führen. Dies hänge allein vom Zufall ab.62 Es mag zutreffen, dass tatsächlich Fälle auftreten können, in denen aus diesem Grund zwischen lex fori und lex causae kein Entscheidungseinklang erzielt wird. Allerdings werden angesichts der begrenzten Anzahl verschiedener Anknüpfungsmomente nicht selten sowohl die Kollisionsnormen der lex fori als auch der lex causae auf die Hauptfrage dasselbe Recht anwenden. Selbst wenn beispielsweise im Erbrecht der Forumstaat als Anknüpfungsmoment den gewöhnlichen Aufenthalt 60 Davon geht auch Heinze, FS Kropholler, S. 105, 113 mit Fn. 57 aus, indem er die Streitfrage für Erst- und Vorfrage aufwirft und im Folgenden nicht weiter differenziert; auch Gössl, ZfRV 2011, 65, 71 behandelt Vor- und Erstfrage ausdrücklich gleich. 61 Zum Folgenden Bernitt, Vorfragen, S. 41–43. 62 Bernitt, Vorfragen, S. 42.
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4. Kapitel: Vorfrage
verwendet und das Kollisionsrecht der lex causae an die Staatsangehörigkeit anknüpft, besteht noch immer aus tatsächlichen Gründen die Chance auf die Anwendung desselben Rechts, wenn nämlich der Erblasser in seinem Heimatstaat auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Zudem ist anzumerken, dass – wie schon im Falle des renvoi – die Erzielbarkeit von Entscheidungseinklang stets auch von der Haltung des fremden Kollisionsrechts abhängig ist und niemals allein durch das eigene Kollisionsrecht bewirkt werden kann. Allein diese Tatsache sollte, wie bereits angemerkt,63 nicht dazu verleiten, schon im eigenen Kollisionsrecht die Möglichkeit des Erreichens von internatio nalem Entscheidungseinklang zu vereiteln. II. Kein Entscheidungseinklang mit weiteren Staaten Des Weiteren wird kritisiert, dass durch die unselbstständige Anknüpfung nur Entscheidungseinklang mit der lex causae erzielt werden könne, während Disharmonien mit weiteren Staaten nicht behoben werden könnten, wenn diese ein anderes Recht auf die Hauptfrage anwenden als die lex fori und die lex causae.64 Diese Tatsache ist aber wiederum der Eigenschaft des Entscheidungseinklangs als Prinzip und Ideal geschuldet. Entscheidungseinklang mit allen Staaten lässt sich nur durch ein weltweit vereinheitlichtes Kollisionsrecht erreichen. Solange dies praktisch jedoch unerreichbar bleibt, sollte man sich damit begnügen, Entscheidungseinklang mit dem Staat zu erzielen, der aus der Sicht des eigenen Kollisionsrechts die engste Verbindung mit dem Sachverhalt hat, anstatt das Ideal vollkommen aufzugeben. Die engste Verbindung besteht nach Wertung des eigenen Kollisionsrechts gerade zur lex causae, da diese für die Hauptfrage berufen wurde. Alle anderen Staaten werden insofern mangels Berührung zum Sachverhalt auch weniger bzw. kein Interesse an dem streitigen Verhältnis haben, sodass dort in der Regel kein Gerichtsstand begründet sein wird. Damit erscheint auch die Gefahr des Entstehens von Entscheidungsdisharmonien mit anderen Staaten als dem Staat der lex causae relativ unwahrscheinlich.65 Auf europäischer Ebene kommt hinzu, dass durch die weitreichende Vereinheitlichung des Kollisionsrechts zwischen den Mitgliedstaaten bereits EU-interner, europäischer Entscheidungseinklang besteht. Da hier primär der internationale Entscheidungseinklang interessiert, müsste also neben die drittstaatliche lex causae ein weiterer Drittstaat mit Verbindungen zum Sachverhalt treten, was relativ selten der Fall sein wird. Durch die unselbstständige Anknüpfung wird daher – zumindest für die Bereiche mit vereinheitlichtem Kollisionsrecht – zwischen allen Mitgliedstaaten der EU und der drittstaatlichen lex causae Entscheidungseinklang hergestellt. Auch 63
Zum sog. Nirvana approach, s. oben, S. 82 Fn. 79. Lagarde, RCDIP 49 (1960), 459, 467 f.; Thorn, Koordinierung, S. 400 f. mit Beispiel; Bernitt, Vorfragen, S. 42. 65 So auch Thorn, Koordinierung, S. 401 mit Beispiel. 64
D. Wertungszusammenhang zum renvoi
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vor diesem Hintergrund erscheint es daher nicht notwendig, dass die unselbstständige Vorfragenanknüpfung zu Entscheidungseinklang mit weiteren Drittstaaten neben der lex causae führt. Auch wenn man schließlich die hinter dem Prinzip des Entscheidungseinklangs stehenden Ziele betrachtet, ist primär die Erzielung von Entscheidungseinklang mit der lex causae wünschenswert.66 So setzt die Möglichkeit von unerwünschtem forum shopping voraus, dass in einem weiteren Staat ein konkurrierender Gerichtsstand für den jeweiligen Streitgegenstand eröffnet ist, was, wie soeben erläutert, mangels Verbindung zu anderen Staaten als dem der lex causae und dem Forumstaat selten der Fall ist. Auch die Rechtssicherheit in Gestalt der berechtigten Erwartung der Parteien ist primär auf die gleiche Behandlung in Forumstaat und Staat der lex causae gerichtet, da die Anwendung Letzterer auf die Hauptfrage für die Parteien vorhersehbar ist. Gleiches gilt dementsprechend für die Erwartungen der Parteien in Bezug auf Gerechtigkeit und Gleichheit. Schließlich besteht auch primär ein Interesse an der Durchsetzbarkeit der jeweiligen Entscheidung in Forumstaat und dem Staat der lex causae anstatt in weiteren Staaten. III. Ergebnis Die Kritik an der Erzielbarkeit von Entscheidungseinklang überzeugt insofern nicht, als erstens mit der lex causae in vielen Fällen Entscheidungseinklang realisiert wird und Disharmonien lediglich in der – von uns nicht beeinflussbaren – Haltung des Kollisionsrechts der lex causae begründet sein können. Zweitens ist das Erreichen von Entscheidungseinklang durch die Vorfragenanknüpfung mit weiteren Drittstaaten als dem der lex causae nicht zwingend erforderlich und daher kein Argument gegen die unselbstständige Vorfragenanknüpfung. Festzuhalten bleibt daher, dass die unselbstständige Vorfragenanknüpfung meist ein geeignetes Mittel darstellt, um zwischen lex fori und lex causae Entscheidungseinklang zu erreichen.
D. Wertungszusammenhang zum renvoi Zwischen der Vorfragenanknüpfung einerseits und der Art der Verweisung auf internationaler (renvoi) und interlokaler Ebene (Mehrrechtsordnungen) andererseits besteht ein Wertungszusammenhang, da in allen Bereichen das Prinzip des Entscheidungseinklangs eine wesentliche Rolle in der Entscheidung für die richtige Anknüpfung bzw. Art der Verweisung spielt. Dieser Zusammenhang soll nun näher beleuchtet werden. Insbesondere wird dabei untersucht, ob die Beachtung eines renvoi zu einer bestimmten Art der Vorfragenanknüpfung zwingt. 66
So auch Schmidt, Rec. des Cours 233 (1992-II), 305, 369 f.
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4. Kapitel: Vorfrage
I. Abgrenzung Vereinzelt wurde die Vorfrage als „renvoi in the wider sense“ bezeichnet.67 Gemeint ist damit, dass sowohl das Problem des renvoi als auch die Vorfragenproblematik die Anwendung fremden Kollisionsrechts mit sich bringen.68 Diese Gemeinsamkeit ist zwar richtig, sollte aber nicht zu einer begrifflichen Vermengung beider Institute führen.69 Es existieren nämlich einige Unterschiede zwischen beiden Rechtsfiguren. Zunächst wird im Falle eines renvoi dieselbe Frage im Kollisionsrecht des Forumstaates wie im ausländischen Kollisionsrecht aufgeworfen, sodass jeweils derselbe Anknüpfungsgegenstand betroffen ist. Die Vorfrage hingegen behandelt ja gerade eine von der Hauptfrage verschiedene Sachfrage, weshalb im ausländischen Kollisionsrecht ein anderer Anknüpfungsgegenstand betroffen ist.70 Zweitens ist das Auftreten eines renvoi zeitlich vorgelagert, während sich eine Vorfrage meist erst stellt, wenn das auf die Hauptfrage anwendbare Recht bereits – unter Beachtung eines etwaigen renvoi – ermittelt wurde.71 Dennoch besteht zwischen beiden Instituten ein Wertungszusammenhang, den es nun näher zu untersuchen gilt. II. Zwingender Gleichlauf? Bereits bei der Behandlung von Mehrrechtsordnungen wurde festgestellt, dass die Beachtlichkeit eines renvoi auf internationaler Ebene als Indiz für die Einbeziehung des interlokalen Privatrechts des ausländischen Staates gewertet werden kann. Umgekehrt kann vom Ausschluss eines renvoi grundsätzlich auch auf die Ausschaltung des interlokalen Privatrechts geschlossen werden. Grund für diese Parallelität ist, dass eine Rechtsordnung durch ihre Haltung zum renvoi-Problem eine generelle Aussage darüber trifft, welchen Stellenwert sie dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs beimisst. Da dieses Prinzip auch entscheidender Faktor für die interlokale Gesamtverweisung ist, sollte sich eine Rechtsordnung an dieser Stelle wertungsmäßig kohärent verhalten, sodass ein Gleichlauf der Regelfall sein wird.72 Ebenso deutlich zeigt sich der Stellenwert, den eine Rechtsordnung dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs im Vergleich zu anderen Prinzipien einräumt, an der Vorfragenproblematik. Fraglich ist daher wiederum, ob die Haltung in der renvoi-Frage zwingend eine Lösung für die Vorfragenproblematik vorgibt. 67
Robertson, LQR 55 (1939), 565, 571 f. Robertson, LQR 55 (1939), 565, 568 mit Fn. 15. 69 So auch Melchior, IPR, S. 247; Bernitt, Vorfragen, S. 29; Lagarde, RCDIP 49 (1960), 459, 464; Wolff, IPR, S. 79. 70 Lagarde, RCDIP 49 (1960), 459, 464; Schmidt, Rec. des Cours 233 (1992-II), 305, 334 f.; Thorn, Koordinierung, S. 410. 71 Bernitt, Vorfragen, S. 28; Thorn, Koordinierung, S. 410; Gotlieb, ICLQ 26 (1977), 734, 750. 72 Dazu oben, S. 148 ff. 68
D. Wertungszusammenhang zum renvoi
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1. Gesamtverweisung Spricht eine Rechtsordnung eine Gesamtverweisung aus, schließen einige Autoren daraus, dass diese Befolgung eines renvoi zu einer unselbstständigen Vorfragen anknüpfung zwinge.73 Diese Parallelität könnte einerseits rechtstechnisch und andererseits rechtspolitisch geboten sein.74 a) Rechtstechnisch zwingende Parallelität Rechtstechnisch bedeutet eine Gesamtverweisung trotz des irreführenden Ausdrucks gerade nicht die Berufung des fremden Rechts in seiner Gesamtheit.75 Vielmehr wird primär auf das Kollisionsrecht des ausländischen Staates verwiesen, das wiederum darüber bestimmt, ob auch das ausländische Sachrecht zu berufen ist. Es wird also das ausländische Kollisionsrecht in seiner Gesamtheit berufen. Daraus könnte man schließen, dass dieses ausländische Kollisionsrecht zwingend auch über die Anknüpfung einer Vorfrage entscheiden muss.76 Dagegen spricht aber, dass diese Verweisung auf das ausländische Kollisionsrecht nur die streitgegenständliche Hauptfrage betrifft. Nur für diese Hauptfrage wird im fremden Kollisionsrecht ein Anknüpfungsgegenstand und im schließlich berufenen Sachrecht eine Antwort gesucht. Da die Vorfrage eine von der Haupt frage unabhängige Sachfrage und damit auch einen anderen Anknüpfungsgegenstand betrifft, folgt aus der Beachtung eines renvoi in der Hauptfrage logisch nicht zwingend die Berufung fremden Kollisionsrechts auch für die Vorfrage.77 Ob die Vorfrage überhaupt fremdem Kollisionsrecht unterstellt wird, ist also eine neue und eigenstände Entscheidung, die rechtstechnisch nicht durch die Beachtung eines renvoi in der Hauptfrage vorgegeben wird. b) Rechtspolitisch zwingende Parallelität Auch wenn eine Gesamtverweisung rechtstechnisch nicht die unselbstständige Vorfragenanknüpfung vorgibt, könnten die rechtspolitischen Gründe, die hinter der Beachtung eines renvoi stehen, zwingend für einen Gleichlauf sprechen. Die ausschlaggebende Wertung, auf der die gesetzgeberische Entscheidung für eine Gesamtverweisung beruht, ist das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs.78 Richtig ist daher, dass der Gesetzgeber durch die Beachtung eines ren73 Gotlieb, CanBarRev 33 (1955), 523, 545 f.; vorsichtiger de Nova, Rec. des Cours 118 (1966II), 435, 564 f.: „psychological link“. 74 Eine ähnliche Differenzierung nehmen vor: Bernitt, Vorfragen, S. 51 f, 74 f.; Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 566. 75 Dazu oben, S. 70 f. 76 Vgl. Gotlieb, CanBarRev 33 (1955), 523, 545. 77 So auch Melchior, IPR, S. 247; Bernitt, Vorfragen, S. 51 f.; Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 566; Maury, Rec. des Cours 57 (1936-III), 325, 559. 78 Dazu oben, S. 86.
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4. Kapitel: Vorfrage
voi demonstriert, dass dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs ein hoher Stellenwert eingeräumt wird. Die Zulassung eines renvoi beruht – jedenfalls im Falle der Rückverweisung – aber auch auf anderen Erwägungen, namentlich Praktikabilitätserwägungen, die mit dem Begriff des Heimwärtsstrebens umschrieben werden.79 Im Falle des renvoi sprechen damit sogar zwei grundlegende Ziele, nämlich Praktikabilität und internationaler Entscheidungseinklang, für dessen Berücksichtigung. Dagegen kollidieren bei der unselbstständigen Vorfragenanknüpfung zwei wesentliche Ziele, nämlich internationaler und interner Entscheidungseinklang. Dadurch, dass die Anknüpfung der Vorfrage dem ausländischen Kollisionsrecht der lex causae unterworfen wird, können nämlich national hinkende Rechtsverhältnisse und damit interne Entscheidungsdisharmonien entstehen.80 Bei der Abwägung zwischen den gesetzgeberischen Zielen im Falle der Vorfragenanknüpfung steht daher ein anderes bedeutsames Prinzip auf dem Spiel als in der renvoi-Problematik. Aus der Bedeutung des internationalen Entscheidungseinklangs sollte daher nicht pauschal darauf geschlossen werden, dass ein Gleichlauf zwischen renvoiund Vorfragenproblematik erzielt werden muss. Vielmehr ist eine erneute gesetz geberische Abwägung unter Beachtung der der Vorfragenproblematik eigenen widerstreitenden Prinzipien vorzunehmen.81 Abschließend lässt sich daher feststellen, dass kein zwingender rechtspolitischer Gleichlauf besteht.82 Andererseits hat der Gesetzgeber durch die Entscheidung für die Beachtung eines renvoi bereits ein erhebliches Gewicht für den internationalen Entscheidungseinklang in die Waagschale geworfen. Dieser Stellenwert muss auch in der Abwägung im Rahmen der Vorfragenproblematik berücksichtigt werden. Insofern kann man einer gesetzgeberischen Gesamtverweisung durchaus Indizwirkung83 für eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung entnehmen, die zu entkräften es besonders schwerwiegender Faktoren bedarf, beispielsweise der überragenden Bedeutung des internen Entscheidungseinklangs. 2. Sachnormverweisung Auch im Falle der Sachnormverweisung könnte ein Gleichlauf mit der selbstständigen Vorfragenanknüpfung einerseits rechtstechnisch und andererseits rechtspolitisch erforderlich sein.
79
Dazu oben, S. 83 f. Dazu oben, S. 31 f. 81 So auch Bernitt, Vorfragen, S. 52–54; ähnlich von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 198. 82 So auch Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 476 m. w. N. zur Diskussion. 83 So auch Melchior, IPR, S. 247: kein „zwingender logischer Zusammenhang“, aber ein „sehr erhebliches Indiz“; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 71 f.; Thorn, Koordinierung, S. 410 f.; Bernitt, Vorfragen, S. 52–54; vorsichtiger Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 566: „gewisse rechtspoliti sche Parallele“. 80
D. Wertungszusammenhang zum renvoi
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a) Rechtstechnisch zwingende Parallelität Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht84 sei eine Sachnormverweisung bereits rechtstechnisch inkompatibel mit einer selbstständigen Vorfragenanknüpfung. Indem ein Kollisionsrecht Sachnormverweisungen ausspreche, berufe es niemals fremdes Kollisionsrecht, sondern stets nur ausländisches materielles Recht. Es handele sich um eine „Manipulation der renvoi-Regeln“85 und eine „Missachtung des renvoi-Verbots“86, wenn man nun für die Vorfragenanknüpfung ausländisches Kollisionsrecht befrage. Dieser Ansicht liegt letztlich die Prämisse zugrunde, dass sowohl die Anwendung des Kollisionsrechts des Forums als auch der Grundsatz der Sachnormverweisung absolute Regeln ohne zulässige Ausnahmen darstellen. Diese Betrachtungsweise erscheint jedoch zu eng. Zum einen kann die unselbstständige Anknüpfung von Vorfragen als Ausnahme von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Kollisionsrechts des Forums angesehen werden. Wenn das Kolli sionsrecht des Forums also aus rechtspolitischen Gründen ausnahmsweise nicht anwendbar ist, kann auch der von ihm ausgesprochene Grundsatz der Sachnormverweisung nicht gelten.87 Zum anderen werden, selbst wenn eine Rechtsordnung dem Grundsatz der Sachnormverweisung folgt, hiervon zahlreiche Ausnahmen – zumindest für bestimmte Bereiche – zugelassen.88 Es erscheint daher rechtstechnisch nicht unmöglich, auch im Falle der Vorfragenanknüpfung ausnahmsweise ausländisches Kollisionsrecht zu befragen. Zudem sollte auch hier beachtet werden, dass die Sachnormverweisung auf das ausländische Recht streng genommen nur für die streitgegenständliche Hauptfrage gilt. Eine zwingende Aussage über die Vorfrage folgt daraus nicht.89 Letztlich ist daher wiederum entscheidend, ob rechtspolitische Gründe einen Gleichlauf zwischen beiden Komplexen erzwingen. b) Rechtspolitisch zwingende Parallelität Die gesetzgeberische Entscheidung für eine Sachnormverweisung zeigt, dass dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs ein geringeres Gewicht als anderen Belangen beigemessen wird. Insofern wäre es verwunderlich, wenn die Sachnormverweisungen aussprechende Rechtsordnung sich für eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung entscheidet und auf diese Weise dem Prinzip des interna tionalen Entscheidungseinklangs den Vorrang gegenüber anderen Belangen einräumt.90 84 S. von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 198; Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 564 mit dem Modell der Kollisionsgrundnormen. 85 von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 198. 86 Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 564. 87 Bernitt, Vorfragen, S. 75. 88 Dazu oben, S. 96. 89 Dazu schon oben, S. 203 f. 90 So auch Bernitt, Vorfragen, S. 75.
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4. Kapitel: Vorfrage
Dies gilt umso mehr, als die durch eine Sachnormverweisung bewirkte Beeinträchtigung des internationalen Entscheidungseinklangs nicht durch eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung kompensiert werden kann. Durch die Sachnormverweisung wird das ausländische Kollisionsrecht für die Hauptfrage ignoriert. Spricht also der Forumstaat A eine Sachnormverweisung auf Staat B aus, wird das Sachrecht des Staates B auf die Hauptfrage angewendet. Hätte nun das Kollisionsrecht von Staat B beispielsweise auf Staat C weiterverwiesen, würde ein Richter in Staat B ein anderes Recht anwenden als ein Richter in Staat A. In Bezug auf die Hauptfrage entstehen also Entscheidungsdisharmonien. Wenn Staat A die Vorfrage – im Gegensatz zur Hauptfrage – unselbstständig nach dem ausländischen Kollisionsrecht des Staates B anknüpft, werden die Entscheidungsdisharmonien in der Hauptfrage nicht behoben.91 Das Forum wendet im Ergebnis auf den Streitgegenstand anderes Recht an als es ein ausländischer Richter täte, wenn sich in seinem Staat das Forum befände und verletzt damit das Gebot einer möglichst realen Entscheidung.92 Der ausländische Richter würde nämlich gerade sowohl für die Haupt- als auch die Vorfrage das eigene Kollisionsrecht befragen und damit möglicherweise zur Anwendbarkeit eines anderen Rechts und damit auch einer in der Sache divergierenden Entscheidung kommen. Die unselbstständige Vorfragenanknüpfung behebt also die durch den Ausschluss des renvoi verursachten Entscheidungsdisharmonien nicht. Rechtspolitisch erscheint es daher wenig sinnvoll, eine Sachnormverweisung mit einer unselbstständigen Vorfragenanknüpfung zu kombinieren. Zu beachten ist aber, dass diese Wertentscheidung, die der EU-Gesetzgeber mit einer Sachnormverweisung zu Lasten des internationalen Entscheidungseinklangs getroffen hat, gerade nur für Letzteren gilt. In einer Sachnormverweisung liegt jedoch keine Aussage über den EU-internen Entscheidungseinklang.93 Aufgrund des für die Hauptfrage vereinheitlichten Kollisionsrechts in allen Mitgliedstaaten wirkt sich eine Sachnormverweisung zwischen den EU-Mitgliedstaaten nämlich nicht aus. Da jeder Mitgliedstaat dasselbe Kollisionsrecht anwendet, kann es nicht zu einem renvoi kommen. EU-interner Entscheidungseinklang wird also durch das vereinheitlichte Kollisionsrecht bereits erzielt, woran ein Ausschluss des renvoi nichts zu ändern vermag. Die Sachnormverweisung kann den EU-internen Entscheidungseinklang überhaupt nicht beeinträchtigen. In der Aussprache einer Sachnormverweisung zwischen den Mitgliedstaaten liegt damit kein zwingendes Bekenntnis des europäischen Gesetzgebers gegen das Prinzip des europäischen Entscheidungs einklangs. Auch das Argument, dass Entscheidungsdisharmonien in der Hauptfrage nicht durch eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung behoben werden können, gilt nicht zwischen den Mitgliedstaaten. Innerhalb der EU können wegen des ver91
Thorn, Koordinierung, S. 411 f. Dazu oben, S. 30 f. 93 Dies übersehen Heinze, FS Kropholler, S. 105, 114; Nehne, AT, S. 218. 92
D. Wertungszusammenhang zum renvoi
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einheitlichten IPR überhaupt keine Entscheidungsdisharmonien in der Hauptfrage auftreten, obwohl der Grundsatz der Sachnormverweisung gilt. Damit muss die Vorfragenanknüpfung jedenfalls im Hinblick auf den Stellenwert des EU-internen Entscheidungseinklangs erneut überdacht werden. Eine Sachnormverweisung zwingt daher auch aus rechtspolitischen Gründen nicht per se zu einer selbstständigen Vorfragenanknüpfung. Dies mag im autonomen Kollisionsrecht anders sein, da dort nur zwei Arten von Entscheidungseinklang relevant werden, der interne und der internationale Entscheidungseinklang. Aufgrund der Besonderheiten auf europäischer Ebene kommt allerdings eine dritte Form, nämlich der EU-interne Entscheidungseinklang hinzu. Die Regeln des autonomen Kollisionsrechts, für das ein zwingender Gleichlauf häufig vertreten wird,94 können daher nicht ohne Weiteres übertragen werden. Vielmehr muss im Rahmen einer Abwägung auf europäischer Ebene für die Vorfragenanknüpfung erneut entschieden werden, welche Bedeutung dem EU-internen Entscheidungseinklang zukommt. Wenn hierbei eine Parallele zum autonomen Kollisionsrecht gezogen wird, sollte primär die Anknüpfung von Vorfragen im Rahmen von völkerrechtlichen Verträgen betrachtet werden, da in dieser Diskussion der Erzielung von internationalem Entscheidungseinklang zwischen den Vertragsstaaten bereits eine entscheidende Rolle eingeräumt wird.95 Aus dem Grundsatz der Sachnormverweisung kann somit nur geschlossen werden, dass dem internationalen Entscheidungseinklang in der Vorfragenproblematik nicht allzu viel Gewicht beigemessen werden sollte. Ein zwingender Gleichlauf von Sachnormverweisung und selbstständiger Vorfragenanknüpfung kann hingegen – aufgrund der fehlenden Aussagekraft der Sachnormverweisung im Hinblick auf den EU-internen Entscheidungseinklang – nicht festgestellt werden.96 III. Ergebnis Eine Gesamtverweisung ist angesichts des dadurch ausgedrückten hohen Stellenwerts des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs ein Indiz für eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung. Diese Indizwirkung kann im Rahmen einer Abwägung jedoch entkräftet werden, wenn bedeutendere Belange für eine selbstständige Anknüpfung der Vorfrage streiten. Eine Sachnormverweisung zwingt den Gesetzgeber keinesfalls zu einer selbstständigen Vorfragenanknüpfung, da der europäische Gesetzgeber dadurch keine Aus sage über den EU-internen Entscheidungseinklang getroffen hat. Vielmehr muss auch hier eine erneute Abwägung zwischen internem, EU-internem und internationalem Entscheidungseinklang im Rahmen der Vorfragenproblematik getroffen werden. 94
Dazu oben, S. 204 Fn. 82. Dazu noch unten, S. 224 ff. 96 A.A. Bernitt, Vorfragen, S. 75 f. m. w. N. 95
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4. Kapitel: Vorfrage
E. Behandlung im europäischen Verordnungsrecht Anders als im Fall der bisher untersuchten Rechtsfiguren enthält das europäische Verordnungsrecht für die Vorfragenproblematik keine ausdrückliche Norm, die eine Anknüpfung festschreibt. Zu untersuchen ist daher zunächst, ob sich dem europäischen Verordnungsrecht wenigstens eine implizite Lösung entnehmen lässt. I. Vermögensrechtliche Verordnungen Obwohl Vorfragen häufiger in statusrechtlichen Verhältnissen auftreten, können sie dem Rechtsanwender auch im Vermögensrecht begegnen. 1. Rom I-VO a) Beispiele Eine im vertraglichen Bereich häufig relevante Frage ist die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit einer natürlichen Person. Wie bereits dargestellt, handelt es sich hierbei jedoch nicht um eine Vorfrage, sondern um eine Teilfrage, deren Behandlung vom Anknüpfungsgrundsatz für Teilfragen abweicht. Nach hier vertretener Auffassung bestimmt sich deren gesonderte Anknüpfung ausnahmsweise nach dem Kollisionsrecht der lex fori.97 Entsprechendes gilt für die Frage der Stellvertretung. Insofern ist nur ein Teilbereich der Stellvertretung, nämlich die Frage, ob ein Vertreter bzw. ein Organ eine natürliche bzw. juristische Person gegenüber Dritten verpflichten kann,98 gem. Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen. Diese Frage der Stellvertretung stellt als unselbstständiges Glied einer Hauptfrage ebenfalls eine Teilfrage dar,99 für die sich das Vorfragenproblem nicht stellt. Auch die praxisrelevante Frage der Form von Verträgen ist keine Vorfrage, sondern eine Teilfrage, für die der europäische Gesetzgeber in Art. 11 Rom I-VO eine Sonderanknüpfung vorgesehen hat. Im Gegensatz zu den genannten Beispielen ist die Frage nach dem Bestehen und der Fälligkeit der Gegenforderung im Rahmen des Aufrechnungsstatuts nach Art. 17 Rom I-VO so weit verselbstständigt, dass eine Vorfrage vorliegt, die im Rahmen von vertraglichen Schuldverhältnissen auftreten kann.100 Weiterhin stellt das 97
Dazu oben, S. 193 f. Dazu MüKo-Martiny, Art. 1 Rom I-VO Rn. 72 f. 99 So auch Mäsch in Leible/Unberath, S. 201, 217. Da der Verordnungsgeber lediglich mangels Konsenses zwischen den Mitgliedstaaten auf eine Sonderkollisionsnorm verzichtet hat, wurde die Teilfrage der wirksamen Stellvertretung – ebenso wie die Geschäftsfähigkeit – bewusst dem Kollisionsrecht des Forums überlassen. Vgl. dazu MüKo-Spellenberg, Art. 12 Rom I-VO Rn. 5; Staudinger-Magnus, Art. 12 Rom I-VO Rn. 11, der Geschäftsfähigkeit und Stellvertretung zwar ohne Begründung als „Vorfrage” bezeichnet, trotzdem aber unproblematisch eine selbstständige Anknüpfung vornehmen will. 100 Palandt-Thorn, Art. 17 Rom I-VO Rn. 2; Ferrari/Kieninger-Kieninger, Art. 17 Rom I-VO Rn. 4. 98
E. Behandlung im europäischen Verordnungsrecht
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anwendbare Sachrecht im Rahmen von Bürgschaftsverträgen möglicherweise in einigen Bereichen – etwa für den Umfang der Haftung des Bürgen – auf die Hauptforderung ab. Bei der Frage nach deren Bestehen handelt es sich in diesem Zusammenhang ebenfalls um eine Vorfrage,101 die allerdings wiederum in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt. b) Anknüpfung Die Rom I-VO schweigt zu der Problematik, wie solche Vorfragen anzuknüpfen sind. In Erwägungsgrund 6 der Rom I-VO findet sich lediglich die Aussage, dass Kollisionsnormen im Interesse des Binnenmarktes unabhängig von dem Staat, in dem sich das Gericht befindet, dasselbe Recht bestimmen müssen. Damit erkennt der europäische Gesetzgeber zwar das Interesse an internationalem Entscheidungseinklang an. Eine Entscheidung für eine bestimmte Art der Vorfragenanknüpfung kann ihm aufgrund dieser Aussage jedoch nicht unterstellt werden,102 da ein Bekenntnis zum Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs allein nicht ausreicht. Vielmehr bedarf es bei der Problematik der Vorfragenanknüpfung einer komplexen Abwägung mit anderen Gesetzgebungszielen, insbesondere dem internen Entscheidungseinklang. Lediglich aus Erwägungsgrund 8 könnte darauf geschlossen werden, dass die Rom I-VO implizit von einer selbstständigen Vorfragenanknüpfung ausgeht. Dieser besagt: „Familienverhältnisse sollten die Verwandtschaft in gerader Linie, die Ehe, die Schwägerschaft und die Verwandtschaft in der Seitenlinie umfassen. Die Bezugnahme in Art. 1 Abs. 2 auf Verhältnisse, die mit der Ehe oder anderen Familienverhältnissen vergleichbare Wirkung entfalten, sollte nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sich das angerufene Gericht befindet, ausgelegt werden.“ In Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO werden Schuldverhältnisse aus einem Familienverhältnis oder vergleichbaren Verhältnissen (lit. b) sowie Schuldverhältnisse aus ehelichen Güterständen und vergleichbaren Verhältnissen (lit. c) aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen. Das Bestehen eines solches Verhältnisses kann als vertragsrechtliche Vorfrage beispielsweise bei güterrechtlichen Beschränkungen (vgl. §§ 1365, 1369 BGB) Relevanz entfalten.103 Wenn die Frage nach dem Bestehen eines solchen familienrechtlichen Verhältnisses im Rahmen der Rom I-VO als Vorfrage auftritt, legt Erwägungsgrund 8 sich jedoch auf keine Art der Vorfragenanknüpfung fest. Er besagt nämlich gerade nicht, dass familienrechtliche Vorfragen nach dem Kollisionsrecht der lex fori anzuknüpfen sind, sondern bezieht sich ausdrücklich nur auf die Auslegung. Gemeint ist damit, dass die Qualifikation als ehe- oder familienähnliches Rechtsverhältnis nach 101 MüKo-Martiny, Art. 4 Rom I-VO Rn. 226; Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 4 Rom I-VO Rn. 60. 102 Solomon, FS Spellenberg, S. 355, 357. 103 Solomon, FS Spellenberg, S. 355, 356 f.
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4. Kapitel: Vorfrage
der lex fori vorgenommen werden soll.104 Diese Aussage ist nicht überraschend, sondern entspricht der herrschenden Ansicht in Deutschland und anderen Ländern.105 Wenn nämlich mangels Anwendbarkeit der Verordnung keine unionsautonome Qualifikation vorgenommen werden muss, wird stets nach dem Recht des Forums qualifiziert. Die Entscheidung für eine selbstständige Vorfragenanknüpfung folgt daraus gerade nicht. Zum Teil wird aber angenommen, der Ausschluss bestimmter Fragen aus dem Anwendungsbereich der Rom I-VO – wie z. B. der Geschäftsfähigkeit (Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom I-VO) und der Stellvertretung (Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO) – enthalte eine implizite Entscheidung für eine selbstständige Anknüpfung.106 Dies überzeugt jedoch nicht, da es sich bei den genannten Bereichen um Teilfragen, nicht um Vorfragen handelt. Aus der Tatsache, dass eine Frage ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen wird, kann man nicht einmal schließen, ob es sich um eine Vor- oder eine Teilfrage handelt. Diese Abgrenzung ist stattdessen anhand der eingangs genannten Definition vorzunehmen. Demnach kann aus den Ausschlussnormen erst recht nicht auf eine bestimmte Art der Vorfragenanknüpfung geschlossen werden. 2. Rom II-VO a) Beispiele Auf dem Gebiet der außervertraglichen Schuldverhältnisse spielen Vorfragen häufiger eine Rolle als im vertraglichen Bereich.107 Insbesondere im Deliktsrecht kommen Vorfragen aus den verschiedensten Gebieten vor. Im Unterhaltsrecht kann das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs als Vorfrage auftreten, wenn es um die Bemessung des Unterhaltsschadens (s. Art. 15 lit. c Rom II-VO) im Falle der Tötung einer unterhaltspflichtigen Person (vgl. § 844 Abs. 2 BGB) geht.108 Für das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs stellt sich sogar eine zweite Vorfrage, nämlich das Bestehen eines Statusverhältnisses (sog. Vorfrage zweiter Stufe).109 Im Rahmen eines deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruchs wegen Beschädigung einer Sache kann außerdem die sachenrechtliche Eigentums-
104 So auch MüKo-Junker, vor Art. 1 Rom II-VO Rn. 36 zu dem inhaltsgleichen Erwägungsgrund 10 der Rom II-VO. 105 Siehr, IPR, S. 430 f.; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 12–17a; s. auch Heiss/Kaufmann-Mohi in Leible/Unberath, S. 181, 194–199 mit rechtsvergleichendem Überblick. 106 Sonnenberger, FS Kropholler, S. 241; vorsichtiger Heinze, FS Kropholler S. 114 f; vgl. für die Rom II-VO auch MüKo-Junker, vor Art. 1 Rom II-VO Rn. 37. 107 Ausführliche Analyse der in der Rom II-VO auftretenden Vorfragen bei Bernitt, Vorfragen, S. 145–232. 108 Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 15 Rom II-VO Rn. 6; MüKo-Junker, Art. 15 Rom II-VO Rn. 19. 109 Thorn, Koordinierung, S. 358.
E. Behandlung im europäischen Verordnungsrecht
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lage als Vorfrage relevant werden.110 Weiterhin erfasst das Deliktsstatut gemäß Art. 15 lit. e Rom II-VO auch die Vererbbarkeit eines Anspruchs auf Schadensersatz oder Wiedergutmachung, sodass sich in diesem Zusammenhang die erbrechtliche Vorfrage nach der Erbenstellung stellt.111 Außerdem kann ebenso wie in der Rom I-VO das Bestehen eines familienrechtlichen Verhältnisses als Vorfrage im Rahmen der Rom II-VO auftreten, wenn etwa die deliktsrechtliche Haftung für eine dritte Person (s. Art. 15 lit. g Rom II-VO) die rechtliche Verbundenheit – in Gestalt eines Verwandtschaftsverhältnisses – zwischen Haftendem und Drittem voraussetzt (vgl. § 832 Abs. 1 BGB).112 Vorfragen kommen aber nicht nur im Delikts-, sondern auch im Bereicherungsrecht vor. So ist beispielsweise im Falle einer Eingriffskondiktion die Frage, ob dem Anspruchsinhaber das verletzte Recht zustand, eine Vorfrage für das Bestehen des bereicherungsrechtlichen Anspruchs.113 b) Anknüpfung Auch die Rom II-VO enthält in Erwägungsgrund 6 ein Bekenntnis zum Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs, woraus aber – ebenso wie in der Rom I-VO – allein keine Festlegung auf eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung folgt. Das zur Rom I-VO Gesagte gilt entsprechend für Erwägungsgrund 10 der Rom II-VO, der parallel zu Erwägungsgrund 8 der Rom I-VO für die Qualifi kation von ehe- und familienähnlichen Verhältnissen auf die lex fori verweist. Wie derum geht es hier primär um die Qualifikation, womit sich der Verordnungsgeber nicht zwingend auf eine selbstständige Vorfragenanknüpfung festgelegt hat.114 Auch der Umkehrschluss, dass aus dem Ausschluss bestimmter Materien in Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO aus dem Anwendungsbereich der Verordnung folge, dass diese Bereiche – sollten sie als Vorfrage auftreten – nicht nach dem Kollisionsrecht der lex causae, sondern selbstständig nach dem IPR der lex fori angeknüpft werden sollen, überzeugt nicht, wie im Rahmen der Rom I-VO erläutert. 3. Zwischenergebnis Folglich ist festzustellen, dass sich weder der Rom I-VO noch der Rom II-VO eine implizite Stellungnahme des Verordnungsgebers für eine bestimmte Art der Vorfragenanknüpfung entnehmen lässt.
110
von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 183. MüKo-Junker, Art. 15 Rom II-VO Rn. 21. 112 MüKo-Junker, Art. 15 Rom II-VO Rn. 23. 113 Palandt-Thorn, Art. 10 Rom II-VO Rn. 12. 114 MüKo-Junker, vor Art. 1 Rom II-VO Rn. 36 f. 111
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4. Kapitel: Vorfrage
II. Statusrechtliche Verordnungen Während Vorfragen im Vermögensrecht selten sind, treten sie im Statusrecht im Zu sammenhang mit nahezu jeder Hauptfrage auf. Wie die Bezeichnung „statusrechtlich“ schon zeigt, besteht stets ein enger Zusammenhang zwischen einem bestehenden Statusverhältnis und dem von der jeweiligen Verordnung geregelten Gebiet.115 1. Rom III-VO Die Vorfrage, die sich in jedem Scheidungs- oder Trennungsverfahren stellt, ist die nach dem Bestehen einer wirksamen Ehe (s. Art. 1 Abs. 2 lit. b Rom III-VO). Auch die Frage nach der Rechts- und Handlungsfähigkeit der Ehegatten (Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom III-VO) wird regelmäßig auftreten. Bei Letzterer handelt es sich aber wiederum – parallel zur Geschäftsfähigkeit in der Rom I-VO – um eine unselbstständige Teilfrage, die ausnahmsweise gesondert angeknüpft und dem Kollisionsrecht der lex fori unterworfen werden sollte.116 Die Rom III-VO schließt in Art. 1 Abs. 2 bestimmte Regelungsgegenstände – insbesondere auch das Bestehen einer Ehe – aus dem Anwendungsbereich aus und erklärt sogar ausdrücklich, dass dies auch für Fälle gilt, in denen diese Gegenstände als Vorfragen relevant werden. Die Problematik der Vorfragenanknüpfung wird damit bewusst aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen. Erwägungsgrund 10 stellt in diesem Zusammenhang klar, dass Vorfragen wie die in Art. 1 Abs. 2 Rom III-VO genannten Aspekte nach den Kollisionsnormen geregelt werden sollten, die in dem betreffenden teilnehmenden Mitgliedstaat anzuwenden sind. Die Entscheidung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Vorfragenanknüpfung wird damit bewusst dem autonomen Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten überlassen. Es wäre daher verfehlt, dem Verordnungsgeber aufgrund des Verordnungstextes einen konkludent geäußerten Willen zu unterstellen, der auf eine bestimmte Art der Vorfragenanknüpfung gerichtet ist. Damit lässt sich auch der Rom III-VO keine eigene unionsautonome kollisionsrechtliche Lösung in der Vorfragenproblematik entnehmen.117 2. EhegüterVO-E und EPartVO-E In den Verordnungsentwürfen zum Güterrecht gestaltet sich die Lage parallel zur Rom III-VO. Es stellt sich ebenfalls stets die Vorfrage, ob eine wirksame Ehe bzw. eine wirksame Partnerschaft vorliegt. 115
Zu den einzelnen Verordnungen oben, S. 48 ff. Dazu oben, S. 193 f. 117 So auch Palandt-Thorn, Art. 1 Rom III-VO Rn. 8; Erman-Hohloch, Art. 1 Rom III-VO Rn. 10; NK-Gruber, vor Art. 1 Rom III-VO Rn. 68 f.; Hausmann, EhescheidungsR, Art. 1 Rom IIIVO A Rn. 254; Gruber, IPRax 2012, 381, 389; Hau, FamRZ 2013, 249, 250; i. E. auch MüKo-von Hein, Einleitung IPR Rn. 155–158; zu Unrecht geht Nehne, AT, S. 219 f. davon aus, dass die Rom III-VO durch Art. 1 Abs. 2 eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung ausschließt. 116
E. Behandlung im europäischen Verordnungsrecht
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Auch in den Verordnungsentwürfen zum Güterrecht findet sich kein Anhaltspunkt für die vom Verordnungsgeber gewünschte Art der Vorfragenanknüpfung. Art. 1 Abs. 3 EhegüterVO-E schließt lediglich bestimmte Bereiche, die zumeist als Vorfrage auftreten werden (insbesondere Unterhaltspflichten nach lit. b und Nachlassansprüche nach lit. d), aus dem Anwendungsbereich der Verordnung aus. Er wägungsgrund 10 besagt ausdrücklich, dass der Begriff der Ehe – und damit auch deren Wirksamkeit – nicht Gegenstand der Verordnung ist. Parallel verfährt der Entwurf zum Güterrecht eingetragener Partnerschaften, der vergleichbare Re gelungsgegenstände in Art. 1 Abs. 3 EPartVO-E ausschließt und in Erwägungsgrund 10 ebenfalls klarstellt, dass der Inhalt des Begriffs der eingetragenen Partnerschaft nicht Gegenstand der Verordnung ist. Auch aus den Verordnungsentwürfen lassen sich daher keine Rückschlüsse auf eine unionsautonome Lösung der Vorfragenproblematik ziehen.118 3. EuUntVO i. V. m. HUntProt 2007 Ebenso wie für die anderen statusrechtlichen Verordnungen gilt für die EuUntVO, dass sich im Unterhaltsrecht stets die Vorfrage nach dem Bestehen eines familienrechtlichen Statusverhältnisses stellen wird. a) Anhaltspunkte in der EuUntVO Wiederum enthält die EuUntVO keine ausdrückliche Regelung. Zwar könnte man in Erwägungsgrund 21 eine Entscheidung für die selbstständige Anknüpfung von Vorfragen sehen.119 Dieser besagt: „Es sollte im Rahmen dieser Verordnung präzisiert werden, dass diese Kollisionsnormen nur das auf die Unterhaltspflichten anzu wendende Recht bestimmen; sie bestimmen nicht, nach welchem Recht festgestellt wird, ob ein Familienverhältnis besteht, das Unterhaltspflichten begründet. Die Feststellung eines Familienverhältnisses unterliegt weiterhin dem einzelstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten, einschließlich ihrer Vorschriften des internationalen Privatrechts.“ Aus der Regelung lässt sich jedenfalls schließen, dass Vorfragen für Unterhaltspflichten nicht ohne erneute Anknüpfung dem Unterhaltsstatut zu unterwerfen sind.120 Dies lässt aber – wie schon im Rahmen der anderen Verordnungen – keinen Rückschluss darauf zu, ob eine separat vorzunehmende Anknüpfung selbstständig oder unselbstständig erfolgen soll.121
118
So auch Martiny, IPRax 2011, 437, 442. Nehne, AT, S. 219. 120 Solomon, FS Spellenberg, S. 355, 358, 364 f.; Heinze, FS Kropholler, S. 105, 115. 121 Solomon, FS Spellenberg, S. 355, 358; so implizit auch Bartl, Unterhalt, S. 113, die feststellt, dass das Problem in Unterhaltssachen auch nach der neuen Rechtslage ungeklärt ist; a. A. Nehne, AT, S. 219. 119 So
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4. Kapitel: Vorfrage
b) Anhaltspunkte im HUntProt 2007 Die Besonderheit der EuUntVO besteht darin, dass sie in Art. 15 auf das HUntProt 2007 verweist, ohne eine eigene kollisionsrechtliche Regelung zu enthalten. Damit kann für die Lösung von Vorfragen auch auf die Auslegung des Haager Protokolls zurückgegriffen werden. Wenn sich daraus eine eindeutige Lösung für die Vorfragenproblematik ergibt, könnte dies durch den uneingeschränkten Verweis in Art. 15 EuUntVO auf das europäische Unterhaltsrecht übertragen werden.122 Art. 11 HUntProt bestimmt die Reichweite des Unterhaltsstatuts, enthält jedoch eine nicht abschließende Aufzählung („insbesondere“). Ein Umkehrschluss dahingehend, dass statusrechtliche Vorfragen aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen sind, lässt sich daher aus Art. 11 HUntProt nicht ziehen. Das HUntProt erfasst sogar gem. Art. 11 lit. a auch die Frage, von wem die berechtigte Person Unterhalt verlangen kann.123 Die Vorschrift wurde oftmals so gedeutet, dass das Unterhaltsstatut auch statusrechtliche Vorfragen umfasse, sodass diese nicht erneut angeknüpft würden.124 Jedenfalls diese Auslegung ist, wie bereits erwähnt, durch Erwägungsgrund 21 der EuUntVO jedoch für das europäische IPR ausgeschlossen.125 Gemeint ist mit Art. 11 lit. a HUntProt außerdem nur, dass das Unterhaltsstatut bestimmen soll, aufgrund welcher familienrechtlichen Beziehung Unterhalt verlangt werden kann, während über das Bestehen dieses Verhältnisses noch keine Aussage getroffen ist.126 Art. 1 Abs. 2 HUntProt besagt, dass die in Anwendung des HUntProt ergangenen Entscheidungen die Frage des Bestehens eines familienrechtlichen Verhältnisses unberührt lassen. Dies deutet darauf hin, dass die statusrechtlichen Vorfragen gerade nicht vom nach dem HUntProt ermittelten Unterhaltsstatut umfasst werden sollen, und entspricht somit wiederum der Vorgabe des Erwägungsgrundes 21 der EuUntVO. Auch bei historischer Auslegung ergibt sich, dass das HUntProt die Frage nicht selbst regelt, da im Entstehungsprozess keine Einigkeit über die Vorfragenanknüpfung erzielt werden konnte.127 Daher herrscht noch heute in der Literatur Streit über die Art der Vorfragenanknüpfung im Rahmen des HUntProt,128 und auch für das Unterhaltsübereinkommen von 1973 war die Frage stark umstritten.129 122 Dazu
Solomon, FS Spellenberg, S. 355, 360–366; Arnold, IPRax 2012, 311, 313 m. w. N. Arnold, IPRax 2012, 311, 312 f. 124 Vgl. Kropholler, Einheitsrecht, S. 338 zum Haager Unterhaltsabkommen von 1956; s. auch Klinkhardt, IPRax 1986, 21, 23. 125 S. oben, S. 21 Fn. 119. 126 So auch Solomon, FS Spellenberg, S. 355, 636. 127 Bonomi-Report zum HUntProt Rn. 23 f.; Wagner, FamRZ 2005, 410, 414, 420; Arnold, IPRax 2012, 311, 313; Hausmann, EhescheidungsR, Art. 1 HUntProt C Rn. 482. 128 Für selbstständige Anknüpfung: Rauscher-Andrae, Art. 1 HUntProt Rn. 18 und Art. 4 Rn. 23; Bamberger/Roth-Heiderhoff, Art. 18 EGBGB Rn. 117–119; für unselbstständige Anknüpfung: Palandt-Thorn, Art. 1 HUntProt Rn. 9; ausführliche Darstellung der einzelnen Ansichten zu den verschiedenen Versionen des HUntProt bei Solomon, FS Spellenberg, S. 355, 360–366; Hausmann, EhescheidungsR, Art. 1 HUntProt C Rn. 482–484. 129 Dazu Staudinger-Mankowski, Anh. I zu Art. 18 EGBGB Rn. 18 ff.; MüKo-Siehr (2010), Anh. I zu Art. 18 EGBGB Rn. 242–280. 123
E. Behandlung im europäischen Verordnungsrecht
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c) Zwischenergebnis Damit ergibt sich weder aus der EuUntVO noch aus dem HUntProt eine eindeutige Lösung für die Art der Vorfragenanknüpfung im Unterhaltsrecht. 4. EuErbVO Die Frage nach dem Bestehen eines familienrechtlichen Statusverhältnisses im Erbrecht tritt vor allem im Rahmen des Pflichtteilsrechts oder der gesetzlichen Erbfolge auf.130 Im Rahmen der EuErbVO ist die praktische Relevanz der Vorfragenproblematik eingeschränkt, da lex fori und lex causae aufgrund des Gleichlaufs von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht (Recht des gewöhnlichen Aufenthalts, s. Art. 21 EuErbVO) meist identisch sind.131 Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte die EuErbVO aber eine Lösung bereithalten, selbst wenn die praktischen Fälle selten sind. Die EuErbVO enthält keine ausdrückliche Regelung zu der Frage der Vorfragenanknüpfung. Wiederum schließt Art. 1 Abs. 2 EuErbVO lediglich bestimmte Materien, die als Vorfrage auftreten können, insbesondere Personenstand sowie Familienverhältnisse (lit. a), aus dem Anwendungsbereich der Verordnung aus. Wie schon im Rahmen der anderen Verordnungen festgestellt, folgt daraus jedoch keine zwingende Vorgabe für die Art der Vorfragenanknüpfung.132 Dies ist insofern bedauerlich,133 als die EU-Kommission im Grünbuch Erb- und Testamentsrecht die Frage aufgeworfen hat, wie Vorfragen, die sich im Rahmen der EuErbVO stellen, anzuknüpfen sind.134 Im Bericht des Europäischen Parlaments mit Empfehlungen an die Kommission sprach sich das Parlament dafür aus, die Vorfrage dem Recht zu unterwerfen, das durch die maßgebenden Kollisionsnormen des auf den Erbfall anwendbaren Rechts bestimmt wird.135 Gemeint ist damit wohl entweder eine unselbstständige Anknüpfung nach dem Kollisionsrecht der lex causae oder aber eine Unterwerfung der Vorfrage unter das Sachrecht der lex causae ohne erneute Anknüpfung.136 In den Stellungnahmen der Mitgliedstaaten hingegen fanden sich vermehrt Befürworter der selbstständigen Anknüpfung.137 Da insofern im Entstehungsprozess erneut keine einheitliche Lösung gefunden wurde, obwohl man sich der Problematik bewusst war, kann nicht davon ausgegan-
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Dazu oben, S. 57 ff. Dörner, ZEV 2012, 505, 513. 132 So auch Solomon, FS Spellenberg, S. 355, 359. 133 So auch Lorenz, ErbR 2012, 39, 48. 134 Grünbuch Erb- und Testamentsrecht vom 1.3.2005, KOM (2005) 25 endg., S. 8, Frage 13. 135 Bericht des Rechtsausschusses v. 16.10.2006 mit Empfehlungen an die Kommission zum Erb- und Testamentsrecht, A6-0359/2006, PE 367.975v04-00, S. 8, Empfehlung 6, Spiegelstrich 5. 136 Für letztgenanntes Verständnis wohl Solomon, FS Spellenberg, S. 355, 359 f. 137 Stellungnahmen abrufbar unter . 131
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4. Kapitel: Vorfrage
gen werden, dass die EuErbVO eine implizite Lösung für die Vorfragenanknüpfung bereithält. III. Ergebnis Die europäischen Verordnungen enthalten allesamt weder eine ausdrückliche Lösung für die Vorfragenproblematik noch lässt sich ihnen implizit eine Tendenz in die eine oder andere Richtung entnehmen.
F. Entwurf einer europäischen Regelung Die Frage, wie eine europäische Regelung der Frage aussehen sollte, muss daher losgelöst vom Verordnungstext nach dem Telos der jeweiligen Art der Vorfragenanknüpfung und unter Abwägung der widerstreitenden Prinzipien beantwortet werden. Zuvor muss aber die Frage beantwortet werden, ob überhaupt ein Bedürfnis für eine europäische Regelung der Problematik besteht. I. Bedürfnis für eine europäische Regelung Die Tatsache, dass die Kommission im Grünbuch zur EuErbVO die Frage aufgeworfen hat, wie Vorfragen angeknüpft werden sollten, zeigt eine Sensibilität für die Problematik auch auf europäischer Ebene.138 Dementsprechend ist auch in der Literatur zur EuErbVO – insbesondere im Gegensatz zu den früheren vermögensrechtlichen Verordnungen – das Bewusstsein für das Problem geschärft worden.139 Erklären lässt sich die plötzliche Beschäftigung mit der Thematik damit, dass die Kollisionsrechtsvereinheitlichung durch den Unionsgesetzgeber immer weiter fortschreitet und auch das Familien- und Erbrecht erfasst hat. In diesem Bereich sind Vorfragen wesentlich relevanter als im Vermögensrecht. Hinzu kommt, dass das Prinzip des Entscheidungseinklangs, das in der Frage der Vorfragenanknüpfung eine erhebliche Rolle spielt, in den statusrechtlichen Bereichen an Bedeutung gewinnt. Insofern ist zu erwarten, dass sich die Kommission früher oder später der Problematik annehmen wird. Die Alternative besteht darin, es beim jetzigen Rechtszustand zu belassen. Dies führt jedoch dazu, dass – mangels vorgeschriebener Regelung durch den europäischen Gesetzgeber – jeder Mitgliedstaat seine eigene Lösung für das Problem anwenden kann. Dadurch wird aber die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung gefährdet.140 138
S. oben, S. 215 Fn. 134. S. etwa Palandt-Thorn, Art. 1 EuErbVO Rn. 5; Dörner, ZEV 2012, 505, 512 f.; Dutta, FamRZ 2013, 4, 13–15; Lorenz, ErbR 2012, 39, 48; Süß, ZErb 2009, 342, 346. 140 So auch Heinze, FS Kropholler, S. 105, 113; Wilke, GPR 2012, 334, 338. 139
F. Entwurf einer europäischen Regelung
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Es lässt sich zwar einwenden, dass die europäischen Verordnungen das Recht nur innerhalb ihres Anwendungsbereichs vereinheitlichen wollen bzw. – angesichts des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung sowie des Subsidiaritätsprinzips aus Art. 5 Abs. 3 EUV – können.141 Dieser Einwand greift aber erstens nicht, wenn im Einzelfall für die Vorfrage europäisches vereinheitlichtes Kollisionsrecht besteht, da es sich dann um eine Sachfrage handelt, die sich im Anwendungsbereich des europäischen IPR bewegt und lediglich in einer anderen Verordnung geregelt ist.142 Zweitens wirken sich die Anknüpfung einer Vorfrage und ihre Beantwortung auch auf die Hauptfrage aus.143 Wenn nämlich die beteiligten Kollisionsrechte der lex causae und der lex fori für die Beantwortung der Vorfrage auf unterschiedliches materielles Recht verweisen und diese Sachrechte auch – etwa im Hinblick auf die Wirksamkeit einer Ehe – zu verschiedenen Ergebnissen kommen, würde die Ehe von einem Staat als wirksam und vom anderen Staat als unwirksam erachtet werden. Damit müsste auch die Hauptfrage – etwa das Bestehen eines Erbrechts des Ehegatten – unterschiedlich beantwortet werden. Folglich ist die einheitliche Rechtsanwendung auch innerhalb des von der Verordnung umfassten Bereichs gefährdet, wenn jeder Mitgliedstaat seine eigene Lösung für die Vorfragenproblematik bereithält. Gefährdet ist aber nicht nur die von der EU gewünschte Rechtsvereinheitlichung und damit die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes, sondern auch die Erreichung des Ziels des Entscheidungseinklangs. Dies gilt sowohl für den EU-internen als auch den internationalen Entscheidungseinklang. Knüpft jeder Mitgliedstaat Vorfragen nach seinem eigenen Kollisionsrecht selbstständig an, können sowohl in Fällen innerhalb der EU als auch in Drittstaatenfällen im Hinblick auf die Beantwortung der Vorfrage unterschiedliche Ergebnisse erzielt werden. Dies wirkt sich, wie gezeigt, auch auf die Beantwortung der Hauptfrage aus. Damit hängt letztlich das materielle Ergebnis des Rechtsstreits vom gewählten Forum und dessen Art der Vorfragenanknüpfung ab, was forum shopping begünstigt und sowohl zu EU-internen als auch internationalen Entscheidungsdisharmonien führt. Mäsch hat die These aufgestellt, dass eine europäische Regelung der Vorfrage nicht wünschenswert sei, da die Rechtsfigur zu kompliziert, überflüssig und deren Konturen zu unbestimmt seien.144 Stattdessen möchte er die Rechtsfigur der Vorfrage insgesamt abschaffen und bei der verfahrensrechtlichen Anerkennung sowie der Ausgestaltung des eigenen Kollisionsrechts ansetzen,145 ohne diese Möglichkeiten jedoch weiter auszuführen und zu zeigen, inwiefern sich dadurch die Vorfragenproblematik in naher Zukunft vollkommen erledigen könnte. Zudem hält er die Figur 141 Näher
Bernitt, Vorfragen, S. 121–123. der EU macht es für diese Fälle keinen Unterschied, ob Vorfragen selbstständig oder unselbstständig angeknüpft werden, dazu noch unten S. 222 ff. 143 So auch Heinze, FS Kropholler, S. 105, 113. 144 Mäsch in Leible/Unberath, S. 201, 219–221. 145 Mäsch, in Leible/Unberath, S. 201, 220. 142 Innerhalb
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4. Kapitel: Vorfrage
ohnehin für ein typisch deutsches Phänomen, das nicht „nach Europa getragen werden“ müsse.146 Die Komplexität einer Rechtsfigur allein ist jedoch kein Argument für deren Abschaffung. Auch die Tatsache, dass sowohl die Anhänger der selbstständigen als auch der unselbstständigen Anknüpfung jeweils Ausnahmen in die andere Richtung zulassen, lässt nicht auf die fehlende Brauchbarkeit der Rechtsfigur der Vorfrage schließen. Welcher Grundsatz gilt schon ohne Ausnahme? Schließlich ist auch nicht zutreffend, dass es sich um ein rein deutsches Phänomen handelt. Dies zeigt sich schon daran, dass die Kommission es für nötig gehalten hat, die Frage in ihrem Grünbuch zum Erb- und Testamentsrecht aufzuwerfen. Ein Blick in die Literatur der anderen europäischen Staaten demonstriert, dass die Vorfragenproblematik dort ebenfalls diskutiert wird.147 In den Niederlanden besteht sogar eine gesetzliche Regelung der Frage.148 Dass die Mehrzahl der europäischen Staaten dabei selbstständig anknüpft, bedeutet im Umkehrschluss gerade nicht, dass dies in Unkenntnis der Problematik geschieht.149 Angesichts der drohenden Uneinheitlichkeit der Rechtsanwendung und der Gefährdung sowohl des EU-internen als auch des internationalen Entscheidungs einklangs, sollte daher – trotz der hohen Komplexität und des Abstraktionsgrades der Rechtsfigur – eine europäische einheitliche Regelung zur Vorfragenproblematik angestrebt werden.150 Wie diese – unter Berücksichtigung des Prinzips des Entscheidungseinklangs – aussehen sollte, soll nachfolgend untersucht werden. II. Ausgestaltung der Regelung Seit der Entdeckung der Vorfragenproblematik durch Wengler und Melchior in den 1930er Jahren ist die Frage der richtigen Vorfragenanknüpfung im deutschen Kollisionsrecht umstritten. Zwar knüpft die deutsche Rechtsprechung Vorfragen meist selbstständig an, jedoch finden sich durchaus Entscheidungen, in denen eine unselbstständige Anknüpfung vorgenommen wurde.151 Auch in der Literatur lassen die Anhänger der selbstständigen Anknüpfung zahlreiche Ausnahmen zu. Gleiches gilt für diejenigen, die grundsätzlich eine unselbstständige Anknüpfung vornehmen wollen.152 146 Mäsch in Leible/Unberath, S. 201, 204; ähnlich auch de Nova, Rec. des Cours 118 (1966-II), 435, 558; a. A. Leible/Müller, YbPrivIntL 14 (2012/13), 137, 143. 147 S. insbesondere die rechtsvergleichenden Nachweise bei Staudinger-Sturm/Sturm, Einleitung IPR Rn. 292. 148 Art. 4 des neuen 10. Buchs des niederländischen Burgerlijk Wetboek, s. dazu Rammeloo, EurLForum 2010, I-181, 185. 149 A.A. Mäsch in Leible/Unberath, S. 201, 204. 150 So auch Sonnenberger, FS Kropholler, S. 227, 241; Heinze, FS Kropholler, S. 105, 113. 151 S. dazu die ausführliche Übersicht der Rechtsprechung bei Staudinger-Sturm/Sturm, Einleitung IPR Rn. 277 f. 152 Überblick bei Bernitt, Vorfragen, S. 54–59, 77–88.
F. Entwurf einer europäischen Regelung
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Diese Uneinigkeit auf nationaler Ebene erklärt, dass die Frage auch auf europäischer Ebene höchst umstritten ist.153 Keines der zahlreichen rechtstechnischen Argumente, die in der Diskussion ausgetauscht werden, ist letztlich vollends überzeugend und die vorgebrachten Argumente lassen sich stets in beide Richtungen wenden. Durch keines der Argumente lässt sich eindeutig eine bestimmte Art der Vorfragenanknüpfung begründen.154 Letztlich kommt es nämlich allein auf die Frage an, wie die jeweilige Rechtsordnung die Kollision zwischen internem und internationalem Entscheidungseinklang auflösen und welchem der beiden widerstreitenden Ziele sie den Vorrang einräumen will. Die schlussendlich nicht zielführenden Argumente in der Streitfrage sollen daher der Vollständigkeit halber nur überblicksartig dargestellt werden.155 Die Frage nach der Ausgestaltung einer europäischen Kollisionsnorm wird sich im Anschluss auf die letztlich entscheidende Abwägung zwischen innerem, europäischem und internationalem Entscheidungseinklang konzentrieren. 1. Rechtstechnische Argumente im Rahmen der Vorfragenproblematik Zunächst wird die Tatsache, ob der Gesetzgeber in einer Norm einen Rechtsbegriff oder einen Tatsachenbegriff verwendet hat, als Argument für die Art der Vorfragenanknüpfung verwendet. Die Befürworter einer unselbstständigen Anknüpfung führen unter anderem an, der Gesetzgeber verwende Rechtsbegriffe – wie beispielsweise den Begriff „Ehe“ – in Tatbeständen einer Norm nur aus praktischen Gründen und könne diese ohne Weiteres durch Tatsachenbegriffe ersetzen. Hätte der Gesetzgeber stattdessen einen Tatsachenbegriff verwendet, würde sich die Ausfüllung desselben nach der lex causae richten. Die Verwendung eines Rechtsbegriffs sei lediglich ein Ersatz für einen Tatsachenbegriff, sodass sich keine Unterschiede in der Behandlung ergeben könnten und sich auch die Ausfüllung des Rechtsbegriffs nach der lex causae richten müsse.156 Die Anhänger einer selbstständigen Anknüpfung hingegen sehen in der Verwendung eines Rechtsbegriffs durch den Gesetz geber eine bewusste Entscheidung dahingehend, die Ausfüllung zwar einem fremden Recht zu überlassen, das jedoch durch das Kollisionsrecht der lex fori bestimmt werden müsse.157 Schon an diesem Argument zeigt sich, dass es nicht zielführend ist, sich für die Frage der Vorfragenanknüpfung auf normlogische Argumente zu stützen, da die 153 Für eine selbstständige Anknüpfung: Staudinger-Sturm/Sturm, Einleitung IPR Rn. 279– 288; Solomon, FS Spellenberg, S. 355, 369 f.; Bernitt, Vorfragen, S. 125, 140–142; Gössl, ZfRV 2011, 65, 70 f.; für unselbstständige Anknüpfung: Palandt-Thorn, Art. 1 Rom III-VO Rn. 8, Art. 1 EuErbVO Rn. 5; Kreuzer in Jud/Rechberger, S. 1, 55–57; Dörner, ZEV 2012, 505, 513 jedenfalls für die EuErbVO; Dutta, FamRZ 2013, 4, 13, 15 für die EuErbVO. 154 So auch Henrich, FS Schurig, S. 63, 69. 155 Zu einer ausführlichen Darstellung Bernitt, Vorfragen, S. 36–88; Schurig, FS Kegel (1987), S. 549–598. 156 So Wengler, RabelsZ 8 (1934), 148, 192 f. 157 S. Kegel/Schurig, IPR, S. 381; von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 191.
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4. Kapitel: Vorfrage
jeweiligen Normen stets in beide Richtungen ausgelegt werden können, solange sich der Gesetzgeber nicht eindeutig zu einer Art der Anknüpfung bekennt. Ein weiteres rechtstechnisches Argument, das von beiden Seiten vorgebracht wird, ist der Umfang der Verweisung durch das Kollisionsrecht der lex fori.158 Während die Vertreter der unselbstständigen Anknüpfung davon ausgehen, dass die Verweisung auf die lex causae in der Hauptfrage bedeute, dass umfassend – also auch auf das Kollisionsrecht der lex causae – verwiesen werde,159 wird dagegen zutreffend eingewandt, dass die Frage des Umfangs der Verweisung durch den renvoi geregelt sei und die Vorfragenanknüpfung hierüber gerade schweige.160 Die beiden Lager können sich außerdem nicht darüber einigen, ob die Vorfrage der Hauptfrage untergeordnet ist, was für eine unselbstständige Anknüpfung spräche,161 oder es sich um gleichrangige Fragen handelt, sodass die Vorfrage – als eigentlich sogar bedeutsamere Frage162 – auch selbstständig angeknüpft werden könnte.163 Wie bereits dargestellt, lässt sich auch aus der Haltung einer Rechtsordnung zum renvoi allein aus rechtstechnischen Gründen kein Schluss auf eine Art der Vorfragenanknüpfung ziehen. Lediglich wertungsmäßig besteht ein Zusammenhang.164 Weder aus der Verwendung von Rechtsbegriffen, aus dem Umfang der Verweisung noch aus dem Verhältnis zwischen Vor- und Hauptfrage ergibt sich zwingend eine bestimmte Art der Vorfragenanknüpfung. Die von beiden Seiten vorgebrachten rechtstechnischen Argumente können daher auch auf europäischer Ebene die Vorfragenproblematik nicht lösen. 2. Teleologische Argumente Ein teleologisches Argument, das die Anhänger einer unselbstständigen Anknüpfung anführen, bezieht sich auf den Erhalt der Kohärenz der ausländischen lex causae. Aus Respekt vor dem ausländischen Gesetzgeber165 verbiete es sich, eine Vorfrage aus dem Zusammenhang der Hauptfrage zu reißen und durch eine selbstständige Anknüpfung die innere Logik der lex causae zu zerstören.166 Dieses Argument 158 S.
Bernitt, Vorfragen, S. 44–46, 66–69. Wengler, RabelsZ 8 (1934), 148, 194 f.; Melchior, IPR, S. 247 f. 160 Bernitt, Vorfragen, S. 45 f. m. w. N. 161 Lagarde, RCDIP 49 (1960), 459, 461: „ Ce point de vue plus pratique fait apparaître la question préalable dans la dépendence étroite de la question principale.” 162 Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 580 f. hält es für abwegig, dass sich die Vorfrage als wichtigerer Komplex dem Kollisionsrecht der Hauptfrage unterordnen soll: „Hier scheint der Schwanz mit dem Hund zu wedeln.“ 163 von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 196; Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 580; Bernitt, Vorfragen, S. 48 f., 69 m. w. N. 164 Dazu oben, S. 201 ff. 165 Vgl. Wengler, RabelsZ 8 (1934), 148, 195. 166 Sehr plastisch: Lagarde, RCDIP 49 (1960), 459, 470 f.: „On risquerait en effet de dénaturer le droit étranger applicable à la question principale si l’on soumettait à la règle de conflit du for la question préalable.” 159
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beruht aber wiederum auf der Annahme, die lex causae sei sowohl auf die Hauptals auch auf die Vorfrage anwendbar, worüber gerade Uneinigkeit besteht. Befürworter der selbstständigen Anknüpfung erwidern dementsprechend, dass es Sache der lex fori sei, die lex causae für die Hauptfrage überhaupt zu berufen und man erst dann Rücksicht auf einen ausländischen Gesetzgeber und die Kohärenz der ausländischen Rechtsordnung nehmen müsse.167 Schließlich wird die Sachnähe der lex causae bzw. das fehlende Interesse der lex fori als Argument für eine unselbstständige Anknüpfung vorgebracht.168 Von der anderen Seite wird wiederum eingewandt, die lex fori sei gerade besonders interessiert an der Anknüpfung der Vorfrage, da sie sich schließlich über die kollisionsrechtliche Behandlung dieser gesonderten Frage Gedanken mache.169 Auch diese Aspekte werden also von beiden Seiten zur Argumentation genutzt und vermögen keine bestimmte Art der Vorfragenanknüpfung logisch zwingend vorzuschreiben. 3. Rechtspolitisches Argument: Entscheidungseinklang Letztlich ist es entscheidend, ob eine Rechtsordnung dem inneren oder dem internationalen Entscheidungseinklang nach einer Abwägung den Vorrang gewähren will. a) Kein pauschales Vorrangverhältnis Einige Stimmen in der Literatur vertreten die Ansicht, es lasse sich ein pauschales Vorrangverhältnis dergestalt etablieren, dass die Erzielung internen Entscheidungseinklangs bedeutsamer als die Erzielung internationalen Entscheidungseinklangs sei.170 Begründet wird dies damit, dass internationaler Entscheidungseinklang das „schwierigere und formalere Ziel“171 sei, das „Ansehen der Rechtsordnung bei den Rechtsgenossen“ aber vom internen Entscheidungseinklang abhänge.172 Die Annahme eines solchen starren Vorrangverhältnisses würde jedoch der Tatsache nicht gerecht, dass angesichts der verstärkten Mobilität und des daraus resultierenden Bedürfnisses der Transportfähigkeit eines Rechts und Status der internationale Entscheidungseinklang an Bedeutung gewinnt.173 Außerdem sollte beachtet werden, dass auch die Verwirklichung des internen Entscheidungseinklangs auf nationaler Ebene nicht konsequent durchgehalten werden kann und insoweit Durchbrechungen 167 Vgl.
Bernitt, Vorfragen, S. 49; Schurig, Kollisionsnorm, S. 94 f. Lagarde, RCDIP 49 (1960), 459, 468–470 spricht sogar von Desinteresse der lex fori an der Hauptfrage und damit – erst recht – an der Vorfrage; vgl. auch Francescakis, Renvoi, S. 205. 169 Bernitt, Vorfragen, S. 49 f.; Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 576 f. 170 S. von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 194; Mäsch in Leible/Unberath, S. 201, 211; Kegel/ Schurig, IPR, S. 381. 171 von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 194. 172 Kegel/Schurig, IPR, S. 381. 173 So auch Schack, FS Kegel (2002), S. 179, 188. 168
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stattfinden.174 Eine Verabsolutierung des internen Entscheidungseinklangs durch ein pauschales Vorrangverhältnis würde dieser Tatsache nicht gerecht. Zudem spielt auf europäischer Ebene nicht nur der interne Entscheidungseinklang innerhalb einer Rechtsordnung, also z. B. innerhalb Deutschlands, eine Rolle. Vielmehr muss zusätzlich der EU-interne Entscheidungseinklang zwischen den Mitgliedstaaten beachtet werden. Ein starres Vorrangverhältnis kann das Spannungsfeld zwischen den drei betroffenen Arten von Entscheidungseinklang nicht auflösen und ist daher abzulehnen. Stattdessen wird im Folgenden eine Abwägung unter Beachtung der spezifisch europäischen Interessen und Wertungen vorgenommen. Um beurteilen zu können, wie eine europäische Vorfragennorm aussehen sollte, müssen zunächst die prak tischen Konsequenzen einer selbstständigen Anknüpfung einerseits und einer unselbstständigen Anknüpfung andererseits untersucht werden. b) Selbstständige Anknüpfung in einer europäischen Norm Schüfe der europäische Gesetzgeber eine Norm, die eine selbstständige Anknüpfung von Vorfragen vorschreibt, hingen die Folgen davon ab, ob für den jeweiligen Bereich bereits vereinheitlichtes Kollisionsrecht besteht oder nicht.175 aa) Vereinheitlichtes Kollisionsrecht für die Vorfrage Ein Beispiel ist die im Rahmen der Aufrechnung (Art. 17 Rom I-VO) auftretende Vorfrage nach dem Bestehen der Gegenforderung. Stammt diese ebenfalls aus einem Vertragsverhältnis, besteht vereinheitlichtes europäisches Kollisionsrecht – nämlich die Rom I-VO – auch für die Vorfrage. Ist dies der Fall, führt eine selbstständige Anknüpfung nach dem IPR der lex fori dazu, dass mitgliedstaatliches Kollisionsrecht angewendet wird, das jedoch in allen Mitgliedstaaten vereinheitlicht und damit identisch ist. Hier macht es bei innereuropäischen Sachverhalten also keinen Unterschied, ob selbstständig oder unselbstständig angeknüpft wird, da die Kollisionsrechte der lex fori und der lex causae identisch sind. Probleme können, wie bereits erwähnt, nur in den Konstellationen entstehen, in denen ein Mitgliedstaat an ein vorrangiges Übereinkommen (s. z. B. Art. 28 Rom II-VO) gebunden ist, das in dem anderen betroffenen Mitgliedstaat nicht gilt.176 In allen anderen Fällen wird jedoch EU-interner Entscheidungseinklang verwirklicht, da jedes mitgliedstaatliche Gericht dasselbe Kollisionsrecht befragt und damit zur Anwendung desselben materiellen Rechts gelangt.
174
Dazu schon oben, S. 31 f. und noch unten, S. 228 f. Mit dieser Differenzierung auch Heinze, FS Kropholler, S. 105, 113–115; Solomon, FS Spellenberg, S. 355, 367; Gössl, ZfRV 2011, 65, 68–71. 176 Darauf hinweisend auch Heinze, FS Kropholler, S. 105, 113; MüKo-von Hein, Einleitung IPR Rn. 172. 175
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Außerdem wird auch innerhalb des Forumstaates der interne Entscheidungseinklang verwirklicht, da jedes innerstaatliche Gericht die Vorfrage nach dem Kolli sionsrecht der lex fori anknüpft und damit stets zum selben Ergebnis gelangt. Es wird also sowohl interner Entscheidungseinklang innerhalb des jeweiligen Mitgliedstaates als auch EU-interner Entscheidungseinklang erzielt. Der internationale Entscheidungseinklang gegenüber der drittstaatlichen lex causae wird hingegen vernachlässigt und es wird in Kauf genommen, dass das Kolli sionsrecht der lex causae die Vorfrage anders anknüpft. bb) Nicht vereinheitlichtes Kollisionsrecht für die Vorfrage Wenn dagegen kein vereinheitlichtes IPR für die Vorfrage besteht, gestalten sich die Auswirkungen einer selbstständigen Vorfragenanknüpfung anders. Jedes mitgliedstaatliche Gericht muss sein eigenes Kollisionsrecht auf die Vorfrage anwenden, sodass zwar innerstaatlicher Entscheidungseinklang im jeweiligen Forumstaat erreicht wird. Da die mitgliedstaatlichen Kollisionsrechte jedoch durchaus unterschiedlich ausgestaltet sein können, wird der EU-interne Entscheidungseinklang gefährdet. Auch internationaler Entscheidungseinklang mit der lex causae lässt sich bei dieser Variante nur zufällig erzielen. Als Beispiel sei das Bestehen einer Ehe genannt. Da die Rom III-VO nur die Scheidung und Trennung regelt, besteht für die Eheschließung kein europäisches vereinheitlichtes Kollisionsrecht. Mithin müssen die Mitgliedstaaten ihr eigenes Kollisionsrecht anwenden, was zu Entscheidungsdisharmonien innerhalb Europas und auch gegenüber Drittstaaten führen kann. Heiratet beispielsweise177 ein zypriotischer Grieche in Deutschland nur religiös und nicht vor einer ermächtigten Person im Sinne des Art. 13 Abs. 3 S. 2 EGBGB, ist die Ehe in Deutschland ungültig (s. Art. 13 Abs. 3 S. 1 EGBGB i. V. m. § 1310 Abs. 1 BGB), in Zypern hingegen wirksam geschlossen. Stellt sich nun die Vorfrage der wirksamen Eheschließung im Rahmen der EuErbVO für die Hauptfrage der Erbenstellung, käme ein deutscher Richter für Vor- und Hauptfrage zu einem anderen Ergebnis als ein zypriotischer Richter. Der europäische Entscheidungseinklang wird damit sowohl für den Bereich der unvereinheitlichten Vorfrage als auch den der vereinheitlichten Haupt frage beeinträchtigt. c) Unselbstständige Anknüpfung in einer europäischen Norm Die Folgen einer unselbstständigen Anknüpfung auf europäischer Ebene hängen nicht davon ab, ob vereinheitlichtes europäisches IPR für die Vorfrage besteht. Es wird nämlich das Kollisionsrecht der lex causae befragt und dieses ist für alle Mitgliedstaaten identisch, da für die Hauptfrage gerade vereinheitlichtes europäisches Kollisionsrecht existiert. 177
S. BGH v. 22.1.1965, FamRZ 1965, 311; dazu MüKo-Coester, Art. 13 EGBGB Rn. 70.
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4. Kapitel: Vorfrage
Eine unselbstständige Anknüpfung nach dem Kollisionsrecht der lex causae führt zu Entscheidungseinklang zwischen dem Forumstaat und dem Staat der lex causae. Dies gilt sowohl für Fälle, in denen die lex causae eine mitgliedstaatliche Rechtsordnung ist, als auch in Drittstaatenkonstellationen. Da alle EU-Mitgliedstaaten aufgrund des für die Hauptfrage ohnehin vereinheitlichten IPR dieselbe Rechtsordnung für die Hauptfrage berufen und die Vorfrage bei unselbstständiger Anknüpfung nach deren Kollisionsrecht anknüpfen müssen, kommt jedes mitgliedstaatliche Gericht zum selben Ergebnis. Damit wird sowohl EU-interner als auch internationaler Entscheidungseinklang gegenüber Drittstaaten erzielt.178 Zwar gilt gegenüber Drittstaaten, dass internationaler Entscheidungseinklang in weniger Fällen erreichbar ist, da die Erzielbarkeit letztlich davon abhängt, welches Recht der Drittstaat für die Hauptfrage beruft und wie er Vorfragen anknüpft.179 Diese Schwierigkeit besteht gegenüber den anderen Mitgliedstaaten nicht, da das Kollisionsrecht für die Hauptfrage vereinheitlicht ist und auch die Art der Vorfragenanknüpfung durch eine europäische Norm vorgeschrieben wäre. Letztlich lassen sich also sowohl EU-interner als auch internationaler Entscheidungseinklang erzielen, wobei Ersterer in allen Fällen verwirklicht wäre und Letzterer von den üblichen weiteren Faktoren abhängt. Lediglich der interne Entscheidungseinklang innerhalb eines Mitgliedstaates könnte so gefährdet werden. Es besteht nämlich die Möglichkeit, dass ein Gericht die Frage bei unselbstständiger Anknüpfung anders entscheidet, wenn sich diese als Vorfrage für eine im Verordnungsrecht geregelte Hauptfrage stellt als wenn als Vorfrage in einem anderen Kontext oder isoliert selbst als Hauptfrage auftreten würde.180 d) Stellungnahme Zu beantworten bleibt also die Frage, ob die Abwägung auf europäischer Ebene zugunsten des internationalen Entscheidungseinklangs oder zugunsten des internen Entscheidungseinklangs ausfallen sollte. Auch der EU-interne Entscheidungseinklang muss berücksichtigt werden. Anders als im Falle des renvoi kann eine unselbstständige Anknüpfung nicht nur mit der hohen Bedeutung des Prinzips des Entscheidungseinklangs und der Dringlichkeit der Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse in Statussachen begründet werden, da die Alternative bei selbstständiger Anknüpfung national hinkende Rechtsverhältnisse sind. Auch diese gilt es in Statusverhältnissen zu vermeiden, sodass die Lösung weniger eindeutig erscheint als bei der Frage der Beachtlichkeit eines renvoi. Es steht mit dem internen Entscheidungseinklang nämlich ebenfalls ein bedeutsames Prinzip auf dem Spiel. 178
S. auch Heinze, FS Kropholler, S. 105, 113 f. Dazu schon oben, S. 199 f. 180 Vgl. Bernitt, Vorfragen, S. 117; Heinze, FS Kropholler, S. 105, 114. 179
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Die Diskussion im nationalen Kollisionsrecht hat gezeigt, dass die Lösung keinesfalls eindeutig ist. Auf europäischer Ebene müssen aber spezifisch europäische Interessen berücksichtigt werden, die gegebenenfalls deutlicher in eine bestimmte Richtung und damit auf eine Art der Vorfragenanknüpfung weisen. aa) Grundsatz der unselbstständigen Anknüpfung Das wichtigste europäische Spezifikum ist das Anliegen der Rechtsvereinheitlichung. Dieses Ziel verfolgten in der Vergangenheit bereits zahlreiche kollisionsrechtliche Staatsverträge. Dementsprechend wurde vielfach vorgeschlagen, jedenfalls für diese Staatsverträge ausnahmsweise eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung vorzunehmen.181 Internationaler Entscheidungseinklang wird nämlich gerade nicht nur innerhalb eines Staates oder nur mit der lex causae angestrebt, sondern mit allen Vertragsstaaten, sodass diesem Ziel im Bereich von Staatsverträgen eine höhere Bedeutung zukommt als im autonomen Kollisionsrecht.182 Dieser Gedanke lässt sich auf das europäische Kollisionsrecht übertragen, da auch dort der Vereinheitlichungsgedanke zur Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes im Vordergrund steht. Dem Rechtsvereinheitlichungsgedanken wurde schon auf staatsvertraglicher Ebene entgegengehalten, dass ein Staatsvertrag das Recht nur so weit vereinheit lichen könne und wolle, wie sein Anwendungsbereich reiche. Falle eine Vorfrage nicht in den Anwendungsbereich des Staatsvertrages, bestünde somit kein Grund, für diesen Bereich Rechtsvereinheitlichung und Entscheidungseinklang zwischen den Vertragsstaaten anzustreben.183 Dieser Einwand ließe sich ebenfalls auf die europäische Ebene übertragen, da das Kollisionsrecht dort derzeit lückenhaft geregelt sei und die Verordnungen nur klar definierte Materien umfassen.184 Richtig an diesen Bedenken ist angesichts des zum Teil ausdrücklichen Ausschlusses bestimmter Vorfragen aus dem Anwendungsbereich der Verordnungen, dass diese nicht ohne gesonderte Anknüpfung dem Statut der Hauptfrage unterworfen werden können, was vereinzelt im Rahmen von Staatsverträgen gängige Praxis war.185 Der Ausschluss aus dem Anwendungsbereich besagt aber nicht, dass das Kollisionsrecht der lex causae nicht befragt werden darf. Nicht stichhaltig ist dieser Einwand außerdem insofern, als für einige Vorfragen – z. B. vertragliche Vorfragen – bereits vereinheitlichtes Kollisionsrecht besteht.186 181 Palandt-Thorn, vor Art. 3 EGBGB Rn. 30; Erman-Hohloch, Einleitung Art. 3 –47 EGBGB Rn. 55; Bamberger/Roth-Lorenz, Einleitung IPR Rn. 71; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 6 Rn. 64; Rauscher, IPR, Rn. 519; Wienke, Vorfrage, S. 127–139; a. A. MüKo-von Hein, Einleitung IPR Rn. 174–179; von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 208 f.; Meyer-Sparenberg, Vorfrage, S. 147–149. 182 So auch Kropholler, Einheitsrecht, S. 339 f. 183 Staudinger-Sturm/Sturm, Einleitung IPR Rn. 288; von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 208; Bernitt, Vorfragen, S. 112; Meyer-Sparenberg, Vorfrage, S. 148 f. 184 Diesen Einwand überträgt etwa Solomon, FS Spellenberg, S. 355, 367 f. 185 S. oben, S. 225 Fn. 181. 186 Dazu oben, S. 206 f.
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4. Kapitel: Vorfrage
Damit wird das Recht zwar nicht durch dieselbe Verordnung, die auf die Hauptfrage anwendbar ist, aber durch eine andere europäische Verordnung vereinheitlicht. Hinzu kommt, dass der europäische Gesetzgeber ohnehin eine umfassende Harmonisierung des IPR anstrebt. Entscheidend ist außerdem, dass sich die Beantwortung der Vorfrage auf die Hauptfrage auswirken kann, sodass der Grundsatz des effet utile, der dem Unionsrecht innewohnt187 und jedenfalls für den vereinheitlichten Bereich der Hauptfrage gilt, ebenfalls dafür spricht, auch im Vorfragenbereich einen gewissen Grad an Rechtsvereinheitlichung und EU-internem Entscheidungseinklang anzustreben.188 Nur durch die Erzielung von EU-internem Entscheidungseinklang lässt sich forum shopping innerhalb der EU vermeiden. Aufgrund dieses Ziels der Rechtsvereinheitlichung besteht auf europäischer Ebene ein stärkeres Interesse an der Erzielung von EU-internem Entscheidungseinklang zwischen den Mitgliedstaaten. Gegenüber Drittstaaten ändert sich zunächst scheinbar nichts gegenüber dem autonomen Kollisionsrecht.189 Jedoch erhält der internationale Entscheidungseinklang durch die Rom III-VO eine neue Dimension. Da diese nicht für alle Mitgliedstaaten der EU gilt, sondern im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit erlassen wurde und demnach mit 14 teilnehmenden Staaten nur die Hälfte der Mitgliedstaaten bindet, wird hier eine uneinheitliche Rechtsanwendung innerhalb Europas geschaffen. Einige EU-Staaten sind nach dem Verständnis der Rom III-VO als Drittstaaten anzusehen, was erstens die Zahl der Drittstaatensachverhalte erhöht und zweitens das Interesse an internationalem Entscheidungseinklang auch gegenüber Drittstaaten wachsen lässt. Wie dargestellt, wird der internationale Entscheidungseinklang bei selbstständiger Anknüpfung beeinträchtigt. Auch der EU-interne Entscheidungseinklang wird nur gewahrt, wenn für den Bereich der Vorfrage bereits vereinheitlichtes Kollisionsrecht besteht, was in den praxisrelevantesten Fällen – insbesondere bei der Vorfrage nach dem Bestehen einer Ehe – jedoch nicht der Fall ist. Eine unselbstständige Anknüpfung hingegen fördert in jedem Fall sowohl den EU-internen als auch den internationalen Entscheidungseinklang. Nicht stichhaltig ist in diesem Zusammenhang der Einwand, internationaler Entscheidungseinklang sei selten zu erreichen, da die Erreichbarkeit von der Haltung des ausländischen Kollisionsrechts abhänge.190 Dies ist wiederum der Eigenschaft des Entscheidungseinklangs als Prinzip im Sinne eines Ideals geschuldet. Zudem ist gegenüber den Mitgliedstaaten der EU-interne Entscheidungseinklang durch unselbstständige Vorfragenanknüpfung sogar sicher zu erreichen,191 da das Kollisionsrecht für die 187 Vgl. z. B. EuGH v. 7.3.1995, Rs. C-68/93, Slg. 1995, I-415 Tz. 36 – Shevill; EuGH v. 27.4. 2004, Rs. C-159/02, Slg. 2004, I-3565 Tz. 29 f. – Turner/Grovit. 188 Vgl. auch Dörner, ZEV 2012, 505, 512 f.; Mörsdorf-Schulte, RabelsZ 77 (2013), 786, 822 f. 189 So Bernitt, Vorfragen, S. 123. 190 So aber Bernitt, Vorfragen, S. 123 f. 191 So auch Bernitt, Vorfragen, S. 115 f., 124 f.
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Hauptfrage vereinheitlicht ist und somit stets dieselbe lex causae berufen wird. Dies spricht in einer Abwägung wiederum für eine unselbstständige Anknüpfung. Bernitt ist der Ansicht, dass eine selbstständige Vorfragenanknüpfung den EU- internen Entscheidungseinklangs ebenso sicher erreiche wie eine unselbstständige Anknüpfung.192 Ihre Aussage erfolgt aber unter der Prämisse, dass bald ein umfassendes europäisches IPR bestehen wird, das alle Bereiche vereinheitlicht. Es ist richtig, dass für den Fall des Bestehens eines vollkommen vereinheitlichten Kolli sionsrechts EU-interner Entscheidungseinklangs unabhängig von der Art der Vorfragenanknüpfung erreicht wird.193 Ein vollkommen vereinheitlichtes europäisches IPR ist jedoch derzeit noch nicht realisiert und in naher Zukunft auch nicht zu erwarten. Dies zeigt sich insbesondere auch daran, dass an der praktisch relevanten Rom III-VO nur die Hälfte aller Mitgliedstaaten teilgenommen hat. Wenn man eine Entscheidung in der Frage der Vorfragenanknüpfung treffen will, sollte man also, anders als Bernitt, vom status quo ausgehen oder zumindest eine Übergangslösung vorsehen, die sie aber verwirft.194 Nach dem status quo gilt noch immer, dass sich EU-interner Entscheidungseinklang durch die unselbstständige Anknüpfung sicher, durch die selbstständige Anknüpfung hingegen nur bei Bestehen eines vereinheitlichen IPR auch für die Vorfrage verwirklichen lässt. Bernitt geht also derzeit noch zu Unrecht davon aus, dass „das einzige Argument, das die unselbstständige Anknüpfung im autonomen Kollisionsrecht geltend machen kann und das im staats vertraglichen Kollisionsrecht noch schwerer wiegt, im europäischen Kollisionsrecht […] erheblich an Gewicht [verliert]“.195 Die Erzielbarkeit von EU-internem und internationalem Entscheidungseinklang gegenüber Drittstaaten wiegen damit die Beeinträchtigung des internen Entscheidungseinklangs auf und sprechen für eine unselbstständige Anknüpfung auf europäischer Ebene.196 Kein überzeugendes Gegenargument ist die Schwierigkeit der Ermittlung ausländischen Kollisionsrechts.197 Schließlich bestehen für die Gerichte Mechanismen zu diesem Zweck, etwa Rechtshilfeersuchen, Expertengutachten oder die Hinzuziehung von Fachliteratur. Zudem ist es auch bei selbstständiger Vorfragenanknüpfung möglich, dass das Kollisionsrecht der lex fori auf ausländisches Sachrecht verweist, was ebenfalls befolgt würde. Ein Sachverhalt mit Auslandsberührung kann nun einmal nicht ohne Weiteres nach inländischem Recht gelöst werden und es ist gerade Aufgabe des Kollisionsrechts, solche Konstellationen zu bewältigen. Würde man 192
Bernitt, Vorfragen, S. 123–125. Dazu oben, S. 206 f. 194 Bernitt, Vorfragen, S. 142 f. 195 Bernitt, Vorfragen, S. 141. 196 So auch Palandt-Thorn, Art. 1 Rom III-VO Rn. 8, Art. 1 EuErbVO Rn. 5; Kreuzer in Jud/ Rechberger, S. 1, 55–57; Dörner, ZEV 2012, 505, 513 für die EuErbVO; Dutta, FamRZ 2013, 4, 13, 15 für die EuErbVO. 197 So aber Heinze, FS Kropholler, S. 105, 114; Nehne, AT, S. 218; Bernitt, Vorfragen, S. 137 f. 193
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stets mit dem Hinweis auf Kosten und Mühen die Ermittlung ausländischen Rechts vermeiden wollen, würde man die primäre Aufgabe des Kollisionsrechts verkennen. Ein weiteres Argument für die unselbstständige Anknüpfung von Vorfragen auf europäischer Ebene ist die Rolle der Parteiautonomie im Verordnungsrecht. Nahezu alle Verordnungen198 sehen mittlerweile eine Rechtswahlmöglichkeit vor. Wurde das anwendbare Recht von den Parteien gewählt, entspricht es durchaus dem Parteiwillen, dass dieses anwendbare Recht alle sich stellenden Fragen, also auch Vorfragen, beantworten soll.199 Dies gilt insbesondere in Statussachen, da sich dort in nahezu jedem Fall Vorfragen stellen, die sich entscheidend auf die Beantwortung der Hauptfrage auswirken. Es ist nicht lebensnah, hier davon auszugehen, dass beispielsweise der Erblasser, der nach Art. 22 EuErbVO sein Heimatrecht wählt, sich der Tatsache bewusst ist, dass dieses nur auf die Hauptfrage anwendbar ist, während Vorfragen nach dem selbstständigen Kollisionsrecht des Forums, auf das er nicht einmal Einfluss nehmen kann, angeknüpft werden könnten. Dem entspricht auch die Parallelwertung in der renvoi-Frage, dass in Art. 34 Abs. 2 EuErbVO – und de lege ferenda in den anderen statusrechtlichen Verordnungen 200 – ein renvoi bei Rechtswahl ausgeschlossen werden sollte. Ansonsten kann der Wille der Parteien, die sich im Zweifel der Möglichkeit einer Rück- oder Weiterverweisung nicht bewusst sind, umgangen werden. Auch auf interlokaler Ebene soll nach hier vertretener Ansicht die Rechtswahl der Parteien hinsichtlich eines Teilgebietes stets Sachnormverweisung sein.201 Entsprechendes gilt für die Anknüpfung der Vorfrage. Die Rechtswahlmöglichkeiten in den Verordnungen sprechen damit ebenfalls für eine unselbstständige Anknüpfung von Vorfragen. Hinzu kommt, dass die Beeinträchtigung des internen Entscheidungseinklangs als nicht so dramatisch anzusehen ist wie von Anhängern der selbstständigen Vorfragenanknüpfung behauptet. Auf die Entscheidung des BVerfG, die eine Durchbrechung des internen Entscheidungseinklangs darstellt, wurde bereits hingewiesen.202 Ein weiteres Beispiel aus dem deutschen Kollisionsrecht ist die Behandlung von nach ausländischem Recht wirksam geschlossenen Mehrehen. Eine Herstellungsklage nach § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB hinsichtlich einer solchen Ehe ist in Deutschland nicht möglich, während die Ehen hinsichtlich der Kinder sämtlicher Frauen als wirksam behandelt werden.203 Diese differenzierende Betrachtungsweise stellt kein rein deutsches Phänomen dar. In diesem Zusammenhang hob beispiels198
Derzeit noch mit Ausnahme des EPartVO-E, zur Kritik S. 138 Fn. 297. auch Henrich, FS Schurig, S. 63, 71 f.; a.A Staudinger-Sturm/Sturm, Einleitung IPR Rn. 284, die jedoch nach eigener Aussage Zweifel an ihrer Ansicht für „durchaus angebracht“ halten. 200 S. den Normvorschlag oben, S. 135. 201 S. den Normvorschlag oben, S. 186. 202 S. oben, S. 31 f. 203 LG Frankfurt/Main v. 12.1.1976, FamRZ 1976, 217; weitere Beispiele bei Thorn, Koordinierung, S. 402 f. 199 So
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weise das Schweizer Bundesgericht204 hervor, dass die unterschiedliche Beurteilung desselben Sachverhalts – im Fall des Bestehens einer Ehe – aus dem Blickwinkel verschiedener Rechtsordnungen für das IPR nicht ungewöhnlich sei und es dementsprechend nicht berechtigt sei, insofern von „juristischer Schizophrenie“205 oder „juristische[m] und gedankliche[m] Chaos“206 zu sprechen. Schließlich geht es nur um die Beantwortung der Hauptfrage, sodass die Antwort auf die Vorfrage, differenzierend nach deren Rechtsfolgen, unterschiedlich ausfallen kann. Ein Widerspruch besteht damit nicht im Tenor, sondern nur in der Begründung der Entscheidungen.207 Auch das Argument der Beeinträchtigung des internen Entscheidungseinklangs steht einer unselbstständigen Vorfragenanknüpfung daher nicht absolut im Wege. Schließlich bleibt nur noch die Frage, ob im europäischen Verordnungsrecht einem der genannten differenzierenden Lösungswege gefolgt werden sollte, also entweder der einzelfallabhängigen Betrachtungsweise oder der alternativen Anknüpfung.208 Gegen eine differenzierende einzelfallabhängige Betrachtungsweise spricht, dass diese der Rechtssicherheit abträglich wäre.209 Insbesondere ist es schwierig, verlässliche Kriterien herauszubilden, deren Handhabung für die Parteien vorhersehbar ist. Letztlich kommt es doch auf die schwierige Abwägung von internem und internationalem Entscheidungseinklang an. Diese sollte besser vorab pauschal getroffen werden anstatt unvorhersehbar im Einzelfall. Man würde das Problem außerdem nur auf die Einzelfallebene verlagern und Grenzfälle wären dort genauso umstritten wie bereits in der abstrakten Diskussion.210 Denkbar wäre allenfalls, pauschal nach vermögensrechtlichen Verordnungen einerseits und statusrechtlichen Verordnungen andererseits zu differenzieren, da das Prinzip des Entscheidungseinklangs dort als unterschiedlich bedeutsam einzustufen ist. Ob diese Unterscheidung zwischen Vermögens- und Statusrecht im Rahmen der Vorfragenanknüpfung sinnvoll ist, soll sogleich erörtert werden.211 Gegen eine alternative Anknüpfung spricht jedenfalls für das europäische Kollisionsrecht, dass sich dort kein gesetzlicher Anhaltspunkt für eine solche findet. Zudem würden damit sowohl der internationale als auch der interne Entscheidungsein204 BG v. 3.6.1971, BGE 97 I, 389 = RabelsZ 36 (1972), 358 mit Anmerkung Neuhaus; dazu auch Neuhaus, Grundbegriffe, S. 347–349. 205 So aber im Anschluss an Goldschmidt: Kegel/Schurig, IPR, S. 381; Raape/Sturm, IPR, S. 290; Ficker, FS OLG Zweibrücken, S. 69, 76. 206 von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 197. 207 So Neuhaus, Grundbegriffe, S. 347; Scheucher, ZfRV 1964, 216, 218.; vgl. auch Lagarde, RCDIP 49 (1960), 459, 462 f.; Schmidt, Rec. des Cours 233 (1992-II), 305, 380 f. 208 Dazu oben, S. 197. 209 So auch von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 205 f.; Schmidt, Rec. des Cours 233 (1992-II), 305, 383; Nehne, AT, S. 216. 210 So auch Bernitt, Vorfragen, S. 89 f. 211 S. unten, S. 230 ff.
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klang gefährdet. Welches der beiden Prinzipien beeinträchtigt wird, hängt letztlich vom Zufall ab.212 Dies wird der Grundsatzfrage und der Bedeutung der beiden Prinzipien in der Vorfragenproblematik nicht gerecht. Stattdessen wird einseitig auf das materielle Ergebnis abgestellt, obwohl es sich bei dem Prinzip des Entscheidungseinklangs gerade um ein formales Ziel213 handelt, das unabhängig vom konkreten Ergebnis ist. Die alternative Anknüpfung löst daher den Konflikt zwischen internationalem und internem Entscheidungseinklang nicht sachgerecht auf. Hinzu kommt, dass dies nicht einmal den Erwartungen und Interessen der Parteien entspricht, da das Bestehen des Rechtsverhältnisses, beispielsweise der Vaterschaft, häufig gerade streitig sein wird: „Was der eine gewinnt, verliert der andere“.214 Schließlich würde eine alternative Anknüpfung kaum die Rechtssicherheit in der EU erhöhen und zu einem erheblichen Mehraufwand führen, da stets das materielle Ergebnis nach zwei Rechtsordnungen geprüft werden müsste. Die alternative Anknüpfung ist daher abzulehnen.215 Folglich sollte im europäischen Kollisionsrecht der Grundsatz der unselbstständigen Anknüpfung herrschen. bb) Geltung für alle Verordnungen? Fraglich ist, ob dies für alle EU-Verordnungen gelten sollte oder ob insofern – pa rallel zu den bisherigen Erkenntnissen – zwischen Vermögensrecht und Statusrecht differenziert werden sollte. (1) Statusrechtliche Verordnungen Es ist wie stets zu beachten, dass das Prinzip des Entscheidungseinklangs in Statusverhältnissen eine besondere Rolle spielt. Da durch eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung zwei Arten von Entscheidungseinklang, nämlich EU-interner und internationaler, verwirklicht werden können, spricht dieses Prinzip trotz der Beeinträchtigung des innerstaatlichen Entscheidungseinklangs für eine solche Anknüpfung in Statussachen. Zu berücksichtigen ist aber auch der bereits dargelegte Wertungszusammenhang zur Haltung des europäischen Kollisionsrechts in der renvoi-Frage. Gegen eine unselbstständige Anknüpfung wird nämlich insbesondere vorgebracht, dass diese nicht zu dem Konzept der Sachnormverweisung passe, das derzeit die meisten EU-Verordnungen verfolgen.216 Nach hier vertretener Ansicht ist dieses Konzept jedoch – jedenfalls für die statusrechtlichen Verordnungen – zu verwerfen und statt212 von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 206 halten solche Versuche für „eklektizistisch, ja beliebig und unstete Genossen“. 213 Schurig, FS Kegel (1987), S. 549, 574. 214 von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 206. 215 So auch von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 206; Bernitt, Vorfragen, S. 90–93. 216 Heinze, FS Kropholler, S. 105, 114.
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dessen ein renvoi grundsätzlich zu befolgen. Hinzu kommt, dass aus dem Grundsatz der Sachnormverweisung ohnehin nicht zwingend eine selbstständige Vorfragenanknüpfung folgt. Der Grundsatz der unselbstständigen Anknüpfung ist nicht nur wegen der erheblichen Bedeutung des Prinzips des internationalen Entscheidungseinklangs in den statusrechtlichen Verordnungen gerechtfertigt. Vielmehr sprechen auch verordnungsspezifische Gründe für die unselbstständige Vorfragenanknüpfung. (a) EuErbVO Die EuErbVO streitet für die unselbstständige Vorfragenanknüpfung, weil ansonsten Abstimmungsprobleme mit den Regelungen zum Europäischen Nachlasszeugnis entstünden.217 Dieses könnte seine Funktion, nämlich eine zügige und effiziente Abwicklung des grenzüberschreitenden Erbfalls zu gewährleisten (s. Erwägungsgrund 67 EuErbVO), nicht erfüllen, wenn jeder Mitgliedstaat bezüglich der Stellung als Erbe und der Höhe der Erbteile zu einem unterschiedlichen Ergebnis käme. Da die Erbenstellung meist von einer statusrechtlichen Vorfrage abhängt, können einheitliche Ergebnisse bei der Ausstellung des Nachlasszeugnisses nur erreicht werden, wenn Vorfragen unselbstständig angeknüpft werden. Nur so wird Entscheidungseinklang erzielt.218 Daher spricht speziell im Rahmen der EuErbVO der Grundsatz des effet utile für eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung, weil das Europäische Nachlasszeugnis nur auf diese Weise seine Wirkungen bestmöglich entfalten kann.219 Dieses Ergebnis entspricht übrigens auch den Empfehlungen des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments zum Grünbuch Erb- und Testamentsrecht.220 Ein weiteres Argument für die unselbstständige Vorfragenanknüpfung ist der mutmaßliche Wille des Erblassers.221 Nennt dieser bei Errichtung des Testaments seinen Ehegatten beim Namen, entsteht kein Anknüpfungsproblem einer Vorfrage. Benennt er hingegen lediglich seinen Ehegatten ohne Namensnennung als Erben oder belässt er es bei der gesetzlichen Erbfolge, käme die selbstständige Vorfragenanknüpfung möglicherweise zu einem anderen Ergebnis. Dies erscheint rein zufällig und es liegt nahe, dass der Erblasser sich über diese Konsequenz keine Gedanken gemacht hat. Im Erbrecht sollten Vorfragen daher unselbstständig angeknüpft werden.
217
S. oben, S. 59 f. Dörner, ZEV 2012, 505, 512 f.; Dutta, FamRZ 2013, 4, 14 f.; s. auch Henrich, FS Schurig, S. 63, 64 f.; Palandt-Thorn, Art. 1 EuErbVO Rn. 5. 219 Dörner, ZEV 2012, 505, 513. 220 Bericht des Rechtsausschusses v. 16.10.2006 mit Empfehlungen an die Kommission zum Erb- und Testamentsrecht, A6-0359/2006, PE 367.975v04-00, S. 8, Empfehlung 6, Spiegelstrich 5. 221 Zum folgenden Henrich, FS Schurig, S. 63, 65. 218 Näher
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(b) Güterrecht Für das Güterrecht ist der enge Zusammenhang zum Erbrecht zu beachten. Wird der Ehegatte Erbe, findet beispielsweise im deutschen Recht eine Erhöhung des gesetzlichen Erbteils (§ 1931 BGB) gem. § 1371 BGB statt, wenn die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt haben. Die EuErbVO erfasst nur erstgenannte Ansprüche, da Fragen des ehelichen Güterstandes gem. Art. 1 Abs. 2 lit. d EuErbVO vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind. Durch Vorschriften wie § 1371 BGB entstehen hier Abgrenzungsprobleme.222 Dies gilt insbesondere auch aufgrund der unklaren Aussage in Erwägungsgrund 12 der EuErbVO, wonach die Behörden, die mit einer Erbsache befasst sind, „allerdings je nach den Umständen des Einzelfalls die Beendigung des ehelichen oder sonstigen Güterstands des Erblassers bei der Bestimmung des Nachlasses und der jeweiligen Anteile der Berechtigten berücksichtigen“ sollten. Diese Anteile der Berechtigten werden wiederum im Rahmen des Europäischen Nachlasszeugnisses relevant, das jede mitgliedstaatliche Behörde ausstellen können und hierbei zum selben Ergebnis kommen soll. Dieser enge Zusammenhang zwischen Güterrecht und Erbrecht sowie die Schwierigkeiten, die auch im Güterrecht für das Europäische Nachlasszeugnis entstehen können, sprechen verstärkend für eine unselbstständige Vorfragenanknüp fung auch im Güterrecht. (c) Rom III-VO Wie erwähnt, besteht im Rahmen der Rom III-VO ein erhöhtes Bedürfnis für die Erzielung von internationalem Entscheidungseinklang, da viele Mitgliedstaaten nicht an der Verordnung beteiligt und somit als Drittstaaten anzusehen sind. Das Ziel kann zwar durch Art. 5 Abs. 1 lit. d und Art. 8 Abs. 1 lit. d Rom III-VO unterlaufen werden, in denen wiederum an die lex fori angeknüpft wird. Jedoch handelt es sich dort um subsidiäre Anknüpfungsregeln, sodass diese nicht allzu oft einschlägig sein dürften und daher nicht ausschlaggebend für eine grundsätzliche Regelung der Vorfragenproblematik sein sollten.223 (d) EuUntVO i. V. m. HUntProt 2007 Im Unterhaltsrecht könnte man einwenden, dass internationaler Entscheidungseinklang ohnehin nicht erreicht werden kann, da die EuUntVO prozessuale Möglichkeiten eröffnet, deren Ausnutzung forum shopping begünstigt anstatt es einzudämmen. Nach dem System der Art. 3 und 4 HUntProt hängt das anwendbare Recht vom Ort der Klageerhebung ab, was der Unterhaltsschuldner durch Erhebung einer negativen Feststellungsklage im Land des Gläubigers ausnutzen und damit eine entgegen 222 Näher Dörner, ZEV 2012, 505, 507 f.; s. auch Kowalczyk, GPR 2012, 212–218; dies., GPR 2012, 258–262; Kunz, GPR 2012, 253–255. 223 Palandt-Thorn, Art. 1 Rom III-VO Rn. 8.
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gerichtete Leistungsklage desselben unzulässig machen kann.224 Dies sollte aber nicht dazu verleiten, die Möglichkeit der Harmonisierung durch die unselbstständige Vorfragenanknüpfung zu verwerfen. Vielmehr sollte der europäische Gesetzgeber im Verfahrensrecht ansetzen und dort die prozessualen Möglichkeiten und die Kollisionsnormen besser miteinander abstimmen.225 Im Interesse der Rechtsvereinheitlichung und des EU-internen und internationalen Entscheidungseinklangs sollte auch im Unterhaltsrecht eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung vorgenommen werden. Eine Harmonisierung vermeidet forum shopping und dient damit den Interessen aller Beteiligten. Auch die Tatsache, dass es sich beim HUntProt ursprünglich um einen Staatsvertrag handelt, spricht im Rahmen des Unterhaltsrechts besonders dafür, die für Staatsverträge übliche und überzeugende Praxis der unselbstständigen Anknüpfung aufrechtzuerhalten.226 Schließlich lässt sich ein systematisches Argument für eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung im Rahmen des Unterhaltskollisionsrechts anführen.227 Im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung nach Kapitel IV der EuUntVO wird danach unterschieden, ob die anzuerkennende Entscheidung in einem Mitgliedstaat ergangen ist, der durch das HUntProt gebunden ist (s. Art. 16 Abs. 2 und Abs. 3 EuUntVO). Nur wenn dies der Fall ist, erleichtert die EuUntVO die Anerkennung und Vollstreckung, indem die ausländische Entscheidung hinsichtlich der Vollstreckbarkeit einer inländischen gleichgestellt wird. Für durch das HUntProt gebundene Mitgliedstaaten wird das Exequaturverfahren abgeschafft (Art. 17 EuUntVO) und die Verordnung sieht keine Anerkennungshindernisse vor. Hingegen sind für nicht durch das HUntProt gebundene Mitgliedstaaten Anerkennungshindernisse normiert (Art. 24 EuUntVO). Des Weiteren wird für Letztere das Anerkennungsverfahren nicht abgeschafft. Der Grund für die erleichterte Vollstreckbarkeit von Entscheidungen eines durch das HUntProt gebundenen Mitgliedstaates ist, dass in den durch das HUntProt gebundenen Staaten dasselbe Kollisionsrecht gilt. Diese Einheitlichkeit wäre jedoch nicht mehr gewährleistet, wenn jeder durch das HUntProt gebundene Mitgliedstaat Vorfragen selbstständig anknüpfen würde, da auf diese Weise Unterschiede entstünden, die sich auch auf das Ergebnis der Hauptfrage auswirken könnten. Nur eine unselbstständige Anknüpfung gewährleistet die gebotene Einheitlichkeit zwischen den durch das HUntProt gebundenen Mitgliedstaaten und beseitigt Anreize für forum shopping. 224
192 f.
Näher mit Beispiel Arnold, IPRax 2012, 311, 313 f.; s. auch Gruber, FS Spellenberg, S. 177,
225 Arnold, IPRax 2012, 311, 314 f. hält solange eine analoge Anwendung des Art. 4 Abs. 2 HUntProt für möglich, um forum shopping durch negative Feststellungsklagen zu vermeiden. 226 So auch Palandt-Thorn, Art. 1 HUntProt Rn. 9; Looschelders, IPR, Art. 18 EGBGB Rn. 14; Andrae, Int. FamR, § 8 Rn. 68–70; Henrich, FS Schurig, S. 63, 65–68; a. A. Bamberger/RothHeiderhoff, Art. 18 EGBGB Rn. 117–119; Rauscher-Andrae, Art. 1 HUntProt Rn. 15–18 jedoch mit der praktisch relevanten Ausnahme der Abstammung eines Kindes. 227 Zum folgenden Argument Hausmann, EhescheidungsR, Art. 1 HUntProt C Rn. 484.
234
4. Kapitel: Vorfrage
(e) Zwischenergebnis In den statusrechtlichen Verordnungen ist daher eine unselbstständige Vorfragen anknüpfung zu befürworten. (2) Vermögensrechtliche Verordnungen Fraglich ist, ob dies auch für die vermögensrechtlichen Verordnungen gilt. Zweifeln lässt sich hieran insofern, als dort der Grundsatz der Sachnormverweisung gilt, der auch de lege ferenda beizubehalten ist. Damit hat der Gesetzgeber eine bewusste Wertung getroffen und dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs weniger Bedeutung beigemessen als im Statusrecht. Entscheidungsdisharmonien in der Hauptfrage, die aufgrund des Ausschlusses des renvoi aufgetreten sind, können in Drittstaatensachverhalten nicht durch eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung behoben werden.228 Dies könnte für einen Vorrang des internen Entscheidungseinklangs in der Abwägung und damit für eine selbstständige Vorfragenanknüpfung sprechen. Wie bereits ausgeführt, würde dadurch jedoch der EU-interne Entscheidungseinklang nicht berücksichtigt. Das elementare Anliegen der Rechtsvereinheitlichung gilt ebenso für die vermögensrechtlichen Verordnungen, sodass auch dort die Erzielung von EU-internem Entscheidungseinklang wünschenswert ist. Durch eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung kann dieser erzielt werden. Umgekehrt kann eine selbstständige Vorfragenanknüpfung den EU-internen Entscheidungseinklang, der durch das vereinheitlichte Kollisionsrecht in der Hauptfrage erreicht wurde, sogar zerstören, da sich die Vorfragenanknüpfung auf die Beantwortung der Hauptfrage auswirken kann. Entscheidungsdisharmonien innerhalb Europas zu vermeiden, sollte aufgrund der fortschreitenden Rechtsvereinheitlichung und der gewünschten Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes als wichtiger eingestuft werden als um jeden Preis internen Entscheidungseinklang innerhalb eines Mitgliedstaates zu erzielen. Dies gilt umso mehr, als interne Entscheidungsdisharmonien ohnehin seltener auftreten werden als dies im Statusrecht der Fall ist, da sich im Vermögensrecht seltener Vorfragen stellen. Damit sollte auch für die vermögensrechtlichen Verordnungen eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung normiert werden. Im Rahmen der Rom II-VO wurde vorgeschlagen, keine pauschale Vorfragenanknüpfung vorzunehmen, sondern nach dem Sinn und Zweck der jeweiligen Regelung zu differenzieren.229 Dies führt aber – entgegen dem Ziel der Verordnungen – zu Rechtsunsicherheit und Unvorhersehbarkeit und wurde aus diesen Gründen schon als generelle Lösung abgelehnt.230 Außerdem lässt sich durchaus die pauschale Aussage treffen, dass im Interesse des 228
Dazu oben, S. 205 f. Vgl. MüKo-Junker, vor Art. 1 Rom II-VO Rn. 35–37; Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 1 Rom II-VO Rn. 5; Heinze, FS Kropholler, S. 105, 115. 230 Dazu oben, S. 229. 229
F. Entwurf einer europäischen Regelung
235
effet utile der EU-interne Entscheidungseinklang dem internen Entscheidungseinklang vorgeht, insbesondere, wenn sich dadurch zusätzlich internationaler Entscheidungseinklang gegenüber Drittstaaten erzielen lässt. Zu bevorzugen ist daher auch für die vermögensrechtlichen Verordnungen eine europäische Regelung, die die unselbstständige Vorfragenanknüpfung normiert. cc) Ergebnis Sowohl in den vermögensrechtlichen als auch in den statusrechtlichen Verordnungen sollte daher eine unselbstständige Vorfragenanknüpfung vorgenommen werden. Die Tatsache, dass für Vorfragen, anders als für den renvoi sowie die Unteranknüpfung von Mehrrechtsstaaten, keine nach Vermögens- und Statusrecht differenzierende Lösung vorgeschlagen wird, liegt darin begründet, dass es hier nicht allein auf den Stellenwert des internationalen Entscheidungseinklangs ankommt. Vielmehr sind auch der interne sowie der EU-interne Entscheidungseinklang betroffen. III. Vorschlag für eine Norm auf europäischer Ebene Eine europäische Norm, die die Vorfragenanknüpfung einheitlich für vermögensrechtliche und statusrechtliche Verordnungen regelt, könnte folgendermaßen aussehen:231 Vorfragenanknüpfung (1) Vorfragen im Sinne dieser Verordnungen sind selbstständige Fragen im Tatbestand einer Kollisions- oder Sachnorm nach dem Bestand oder dem Inhalt eines präjudiziellen Rechtsverhältnisses. (2) Vorfragen sind gesondert nach dem Internationalen Privatrecht des Staates, dessen Recht nach dieser Verordnung auf die Hauptfrage anwendbar ist, anzuknüpfen.
Die in Absatz 1 vorgeschlagene Definition sollte in eine Verordnung aus Klarstellungsgründen aufgenommen werden. Sie erfasst Vorfragen und, wenn man insofern differenzieren will, Erstfragen. Ein dazugehöriger Erwägungsgrund könnte dies bezüglich näher ausführen, dass die Definition der Abgrenzung von Teilfragen als unselbstständigen Gliedern einer Rechtsfigur dient. In Absatz 2 wird die unselbstständige Anknüpfung nach dem Kollisionsrecht der lex causae normiert. Fraglich ist schließlich, ob Ausnahmen vom Grundsatz der unselbstständigen Anknüpfung zugelassen werden, wie es auch im deutschen Kollisionsrecht vertreten wird. Eine solche Ausnahme müsste wiederum den Charakter einer Generalklausel haben, indem sie beispielsweise betont, dass in einigen Fällen, in denen der interne Entscheidungseinklang ausnahmsweise als gewichtiger erscheint, eine selbstständige Anknüpfung vorzunehmen ist. Dies käme der differenzierenden Lö231 Der Normvorschlag von Nehne, AT, S. 227 f. erscheint zu kompliziert und daher ungeeignet für einen europäischen Rechtsakt.
236
4. Kapitel: Vorfrage
sung sehr nahe und würde den Konflikt zwischen den Anhängern der selbstständigen und unselbstständigen Anknüpfung letztlich auf die Frage der Reichweite einer solcher Ausnahmeklausel verlagern und die gerade gewonnene Rechtssicherheit wieder beeinträchtigen. Eine Ausnahmeklausel sollte daher nicht eingefügt werden. Stattdessen bliebe es hier der Literatur und vor allem dem EuGH überlassen, Fallgruppen zu konkretisieren, in denen gegebenenfalls eine Ausnahme vom Grundsatz der unselbstständigen Anknüpfung zuzulassen ist. Schließlich lassen sich Extremfälle, in denen das Anknüpfungsergebnis aufgrund der Vorfragen anknüpfung in unerträglichem Widerspruch zu geltenden Rechtsgrundsätzen steht, über die ordre public-Kontrolle lösen.232 Zu beachten ist insofern, dass dies nur zur Kontrolle des Anknüpfungsergebnisses möglich ist, sodass der ordre public schon methodisch ungeeignet ist, als Einfallstor für Ausnahmen von der unselbstständigen Vorfragenanknüpfung zu dienen.233 Schließlich ergibt sich aus der vorgeschlagenen Regelung auch, ob die Vorfragenanknüpfung Gesamt- oder Sachnormverweisung ist. Da gerade auf das Kolli sionsrecht der lex causae verwiesen wird, ist eine Rück- oder Weiterverweisung zu beachten. Nur so kann auch der gewünschte internationale und EU-interne Entscheidungseinklang erzielt werden.
232 233
Vgl. MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 558. Näher dazu Bernitt, Vorfragen, S. 57 f.
5. Kapitel:
Eingriffsnormen Ein weiteres Phänomen, das zu den allgemeinen Lehren des Kollisionsrechts gehört und dessen Behandlung im europäischen Verordnungsrecht aufschlussreich im Hinblick auf das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs ist, sind Eingriffs normen. Im Unterschied zu den bislang behandelten Rechtsfiguren nimmt das Eingriffsrecht eine Sonderstellung ein, da es stark von einer „zusätzlichen Dimension von Interessen“,1 nämlich öffentlichen und ordnungspolitischen Interessen geprägt ist. Damit lässt es sich nicht ohne Weiteres in das klassische IPR Savigny’scher Prägung einordnen.2 Basedow formulierte diesen Ausnahmecharakter treffend: „Wer die überlieferte Methode des Internationalen Privatrechts mit ihrer begriff lichen Abstraktheit und oft fast mathematischen Ästhetik schätzen gelernt hat, den wird schon das Thema meines Beitrags […] unangenehm berühren.“3 Diese Sonderrolle der Thematik im IPR lässt vermuten, dass andere Leitfaktoren in diesem Bereich eine bedeutsamere Rolle spielen als das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs.4 Nicht zuletzt deshalb soll die Aufarbeitung des Themenkomplexes in dieser Arbeit nicht fehlen. Zudem handelt es sich beim Eingriffsrecht um eines der umstrittensten und meistdiskutierten Probleme des IPR. Es wurde beispielsweise als „Lieblingskind […] der internationalprivatrechtlichen Literatur“ beschrieben.5 An anderer Stelle wird auf die „überbordende Beachtung“ im Schrifttum hingewiesen.6 Auch wenn die Thematik in der Praxis weniger relevant ist als die wissenschaftliche Diskussion vermuten lässt,7 sollte eine Aufarbeitung im europäischen Kollisionsrecht im Interesse der Entwicklung einer allgemeinen Dogmatik nicht fehlen. Sonnenberger sieht das Phänomen Eingriffsnormen als „Beleg dafür, auf welch schwachem Fundament das europäische IPR heute noch steht“ und hält es für ein Thema, „von dessen vernünftiger Erfassung das Schicksal des IPR, auch des europäischen, mit geprägt wird“.8 Ähn1
Drobnig, RabelsZ 52 (1988), 1, 2. Fetsch, Eingriffsnormen, S. 6 –9, 22 f. 3 Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8. 4 Vgl. Joerges, Funktionswandel, S. 164. 5 Remien, FS von Hoffmann, S. 334. 6 von Hoffmann, FS Henrich, S. 283, 284. 7 Dazu MüKo-Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 1. 8 Sonnenberger in Leible/Unberath, S. 429, 430 f.; ähnlich äußert sich Kühne, FS Heldrich, S. 815, 823, der von „kopernikanischer Bedeutung für die Zukunft des IPR“ spricht. 2 Dazu
238
5. Kapitel: Eingriffsnormen
lich formuliert Mankowski, dass die „wahre europäische Blütezeit“ der Thematik noch bevorstehe.9 Tatsächlich überrascht es angesichts der langen Tradition der Problematik und der Aufmerksamkeit, die dem Thema in der Literatur gewidmet wird und wurde, dass die Eingriffsnormen noch nicht in allen Verordnungen einen Platz gefunden haben. Die bislang ausdifferenzierteste Regelung befindet sich in Art. 9 Rom I-VO. Diese Norm wurde bereits als „Positivierung einer generellen Leitregel für Eingriffsrecht“10 bezeichnet, sodass sich die Frage aufdrängt, ob die Regelung auf andere Verordnungen übertragbar ist. Diesbezüglich wird plastisch von der Öffnung eines „Vorhangs“ durch den europäischen Gesetzgeber gesprochen, der den „Blick auf eine breitere Bühne freigegeben“ hat.11 Von Relevanz für das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs und gleichzeitig besonders umstritten ist dabei die Behandlung ausländischer Eingriffsnormen (s. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO). Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO erkennt insofern an, dass durch die Liberalisierung und Internationalisierung des Handelsverkehrs ein Bedürfnis besteht, ausländische Grundentscheidungen in bestimmten Bereichen zu berücksichtigen.12 Zum einen stärkt dies den internationalen Entscheidungseinklang und zum anderen wird so der Anreiz für die Parteien verringert, Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsordnungen auf missbräuchliche Weise durch Rechtswahl oder Verlagerung des Anknüpfungsmoments zu umgehen.13 Da jedoch auch der Personenverkehr immer weiter internationalisiert wird, entsteht vermehrt das Bedürfnis, auch im Familien- und Erbrecht grundsätzliche Wertungen ausländischer Staaten zu berücksichtigen.14 Auf diese Problematik wird daher schwerpunktmäßig einzugehen sein. Die bisher behandelten Rechtsfiguren – renvoi, Mehrrechtsordnungen und Vorfrage – haben gemein, dass es in allen Fällen um die Anwendung ausländischen Kollisionsrechts in seiner Gänze ging. Bei der nun zu behandelnden Problematik liegen die Dinge anders. Im Rahmen des anwendbaren Kollisionsrechts werden lediglich punktuell einzelne ausländische Normen angewendet, sofern es sich um Eingriffsnormen handelt. Es geht also nicht um die Anwendung ausländischen Kollisionsrechts, sondern um die Durchbrechung des jeweiligen Statuts durch einzelne Normen.15 Im
9
Mankowski, IHR 2008, 133, 146 f. MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 47. 11 MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 50. 12 Staudinger-Magnus, Art. 34 EGBGB Rn. 112. 13 Staudinger-Magnus, Art. 34 EGBGB Rn. 112. 14 Zu Beispielen s. sogleich im Rahmen der jeweiligen Verordnungen. 15 Mit dieser Differenzierung auch Thorn, Koordinierung, S. 4 43.; Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, S. 229 spricht insofern von „Beseiteschiebung der anscheinend maßgeblichen Rechtsordnung“; vgl. auch Drobnig, RabelsZ 52 (1988): „[S]ie [Eingriffsnormen] brechen gleichsam wie Wölfe in die prästabilierte Herdenharmonie der weltweit fungiblen Zivilrechtsnormen ein.“; Sonnenberger, IPRax 2003, 104: „trojanische[s] Pferd im IPR“. 10
A. Begriff und geschichtliche Entwicklung
239
Gegensatz zu den bisher behandelten Rechtsfiguren liegt damit ein positiver anstatt eines negativen Kompetenzkonfliktes vor.16 Eine weitere Besonderheit des Eingriffsrechts im Gegensatz zu den anderen behandelten Rechtsfiguren des „apolitischen“, „wertblinden“ IPR17 liegt in der Prägung des Bereichs durch öffentliche, ordnungspolitische Interessen. Sie lassen sich damit nicht ohne Weiteres in das klassische IPR einordnen,18 wodurch auch die klassischen international-privatrechtlichen Ziele und Prinzipien eine andere Rolle spielen. Auf diese Eigenheit, insbesondere die Folgen für die Bedeutung des Prinzips des Entscheidungseinklangs, wird noch einzugehen sein. Bei der Behandlung der Eingriffsnormen soll wiederum zunächst eine kurze geschichtlich geprägte Begriffsklärung erfolgen (A.), woraufhin die Relevanz der Thematik für den internationalen Entscheidungseinklang dargestellt wird (B.). Nach einer Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes (C.) wird eine Betrachtung des Verordnungsrechts vorgenommen (D.), wobei schwerpunktmäßig zwei Problemkreise, die den internationalen Entscheidungseinklang besonders beeinflussen können, betrachtet werden: die Definition des Begriffs „Eingriffsnorm“ und die Behandlung ausländischen Eingriffsrechts. Schließlich wird eine verordnungsübergreifende Lösung erarbeitet (E.).
A. Begriff und geschichtliche Entwicklung Bei einem Blick ins deutsche Kollisionsrecht vor der Vereinheitlichung durch den europäischen Gesetzgeber fällt schnell auf, dass der Begriff „Eingriffsnorm“ im Gesetzestext nirgends auftaucht. Stattdessen wurde der Terminus in der Literatur entwickelt und wohl von Karl Neumeyer in seinem Werk zum internationalen Verwaltungsrecht im Jahre 1934 begründet, in dem er von „artfremden Eingriffen“ und einem „eingreifenden Rechtssatz“ in Abgrenzung zum bloß negativ wirkenden ordre public-Vorbehalt, den er „abwehrende Vorbehaltsklausel“ nennt, spricht.19 Neumeyer sieht das Charakteristikum dieser Normen darin, dass aus „Gründen, die außerhalb des einzelnen Rechtsverhältnisses liegen“, in dasselbe eingegriffen wird.20
16
Thorn, Koordinierung, S. 11, 25. Fetsch, Eingriffsnormen, S. 22 m. w. N.; vgl. auch Neuhaus, Grundbegriffe, S. 37. 18 S. auch die Charakterisierung von Eingriffsnormen durch Lehmann, FS Spellenberg, S. 245, 256: „Sie verhalten sich zum klassischen IPR wie ein Loch, das in ein Bild gebrannt wird: durch ihre Ausbreitung zehren sie dieses von innen aus.“; Kühne, FS Schurig, S. 129, 145: „Der explosivste methodische und rechtspolitische Sprengstoff für das überkommene IPR-System liegt im Bereich […] der Eingriffsnormen.“ 19 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, S. 243 f.; s. dazu auch Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41. 20 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, S. 244. 17 S.
240
5. Kapitel: Eingriffsnormen
Eine kurze Betrachtung des Savigny‘schen Privatrechtsverständnisses verdeutlicht den Charakter von Eingriffsnormen. Nach Savigny besteht das Privatrecht grundsätzlich aus zwei Säulen: dem „reinen Rechtsgebiet“21 einerseits, das die Rechtsbeziehungen des Individuums betrifft, und den „anomalischen Grund sätzen“22 andererseits, die allgemeinen Zwecken dienen – etwa sittlichen Zwecken oder Staatsinteressen 23 – und auf diese Weise auf die Beziehungen der Individuen einwirken. Diese Unterscheidung lässt sich auf das Kollisionsrecht übertragen.24 Dementsprechend charakterisierte Savigny Eingriffsnormen als Unterkategorie des „anomalischen“ Rechts im Jahre 1849 folgendermaßen: „Eine andere Klasse der absoluten Gesetze dagegen hat ihren Grund und Zweck außer dem reinen, in seinem abstracten Dasein aufgefaßten, Rechtsgebiet, so daß sie erlassen werden nicht lediglich um der Personen Willen, welche die Träger der Rechte sind.“25 Er verwendete zwar nicht den Begriff Eingriffsnormen, aber umschrieb diese als „Gesetze von streng positiver, zwingender Natur, die eben wegen dieser Natur zu jener freien Behandlung, unabhängig von den Gränzen verschiedener Staaten, nicht geeignet sind.“26 Nach dem Savigny‘schen Verständnis kann der inländische Richter solche ausländischen Normen – anders als die Normen des allgemeinen Privatrechts – nicht ohne Weiteres anwenden, da dies der Natur der genannten Normen widerspricht.27 Neben den allgemeinen Kollisionsnormen entwickelte Savigny damit einen zweiten Bereich von einseitigen Kollisionsnormen für diese Art von zwingenden Normen.28 Insofern wird auch heute noch von einer „Doppelspurigkeit“29, „Zweiglei sigkeit“30, „Zweispurigkeit“31 oder „Zweipoligkeit“32 des Kollisionsrechts bzw. von „Methodendualismus“33 gesprochen. Nach der Begründung durch Neumeyer bürgerte sich der Begriff „Eingriffsnormen“ ein, den insbesondere Neuhaus prägte.34 Er zählte die Eingriffsnormen zu den Grundbegriffen des IPR und definierte sie als Normen, „die im öffentlichen (staats- oder wirtschaftspolitischen) Interesse auf private Rechtsverhältnisse ein21
Savigny, System des heutigen römischen Rechts I, S. 56. Savigny, System des heutigen römischen Rechts I, S. 61. 23 Savigny, System des heutigen römischen Rechts I, S. 55 f. 24 Näher dazu Roth, Versicherungsvertragsrecht, S. 126–145; ders., FS Kühne, S. 859, 860– 863; Fetsch, Eingriffsnormen, S. 7–9. 25 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, VIII, S. 35 f. 26 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, VIII, S. 33. 27 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, VIII, S. 32. 28 Fetsch, Eingriffsnormen, S. 8. 29 Roth, FS Kühne, S. 859, 860. 30 MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 48. 31 Hauser, Eingriffsnormen, S. 106. 32 Neuhaus, Grundbegriffe, S. 40; Kropholler, IPR, S. 23. 33 Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8, 20 f. 34 So MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 37. 22
A. Begriff und geschichtliche Entwicklung
241
wirken oder die sonstwie die persönliche Freiheit beschränken“.35 Auch im europäischen Ausland ist das Phänomen unter ähnlichen Schlagwörtern bekannt: So spricht man in Frankreich von „lois de police“, in Italien von „disposizioni imperative“ und im englischsprachigen Raum von „overriding mandatory provisions“.36 Während in Art. 34 EGBGB und Art. 7 EVÜ noch von „zwingenden Vorschriften“ gesprochen wurde, verwendet nun auch Art. 9 Rom I-VO für das europäische IPR ausdrücklich den im Schrifttum etablierten Begriff „Eingriffsnormen“. Außerdem wird durch diese Vorschrift insofern Neuland betreten, als sie – im Unterschied zur Vorgängervorschrift des Art. 7 EVÜ – erstmals den Versuch einer Definition der Eingriffsnorm unternimmt. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO besagt nämlich: „Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.“ In dieser Definition klingt bereits an, dass Eingriffsnormen eine Schnittstelle zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht betreffen und dazu dienen, einen möglichen Interessenkonflikt aufzulösen und öffentlichen Interessen auch im Privatrecht zur Wirkung zu verhelfen.37 Es ist nämlich anerkannt, dass das Privatrecht nicht allein dem Ausgleich privater Interessen dient, sondern häufig auch staatliche, überindividuelle Interessen betroffen sind, die nicht unbedingt mit den Privatinteressen im Einklang stehen.38 An der Erfüllung dieser „überindividuellen Gemeininteressen“39 besteht ein so starkes Interesse des jeweiligen Staates, dass er sie durchgesetzt wissen möchte, selbst wenn sein IPR eigentlich auf das materielle Recht eines anderen Staates verweist. Ein Instrument für die Durchsetzung dieser Interessen stellen im Kollisionsrecht die Eingriffsnormen dar.40 Es geht um die „privatrechtlichen Auswirkungen von Normen oder Eingriffen fremder Staaten“.41 Dementsprechend werden Eingriffsnormen auch häufig als „ordnungspolitisches Recht“ bezeichnet.42 Auf die für das Verordnungsrecht vorzugswürdige Definition des Phänomens wird im Rahmen der Untersuchung noch einzugehen sein.
35
Neuhaus, Grundbegriffe, S. 33. den umfassenden Überblick zu den verschiedenen Sprachen bei Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41, 42 f. 37 S. auch MüKo-Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 1; von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 80; Kropholler, IPR, S. 18 f. 38 Vgl. Neuhaus, Grundbegriffe, S. 33. 39 MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 35. 40 Daneben werden solche Interessen kollisionsrechtlich durch Beschränkungen der Partei autonomie und die Wahl bestimmter objektiver Anknüpfungsmomente durchgesetzt. 41 von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 80. 42 S. MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 35; Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8. 36 S.
242
5. Kapitel: Eingriffsnormen
Nach diesem Verständnis sind typische Eingriffsnormen43 außenwirtschaftliche Normen, die die Ein- und Ausfuhr bestimmter Waren oder Dienstleistungen kon trollieren sowie Währungs- und Devisenvorschriften und kartellrechtliche Bestimmungen. Dazu gehören auch Vorschriften, die der Kontrolle des Handelsverkehrs mit besonders sensiblen Gütern wie beispielsweise Waffen oder Kulturgütern dienen. Traditionell werden Eingriffsnormen unter anderem nach ihrer Herkunft kategorisiert, sodass es drei mögliche Arten von Eingriffsnormen gibt: solche der lex fori, der lex causae sowie eines Drittstaates,44 wobei die beiden letztgenannten auch häufig als „ausländische Eingriffsnormen“ zusammengefasst werden.45 Inwiefern aus der unterschiedlichen Herkunft eine bestimmte rechtliche Behandlung resultiert, wird noch Gegenstand der Untersuchung sein.46
B. Relevanz für Entscheidungseinklang Aus der Schnittstelle zum öffentlichen Recht und dem ordnungspolitischen Charakter ergibt sich auch die Gefahr, die Eingriffsnormen bergen. Da sie der Durchsetzung staatlicher bzw. öffentlicher Interessen dienen, sind sie stets Einfallstor für politische Wertungen.47 Die Durchsetzung eigener Eingriffsnormen und die damit einhergehende Durchbrechung des eigentlich anwendbaren Rechts ist stark beeinflusst vom Gedanken des Nationalstaates, der sich davor scheut, die ausländische Rechtsordnung als gleichrangig anzusehen und die Entscheidung aus der Hand zu geben. Stattdessen wird versucht, einige der eigenen Interessen mittels Eingriffsnormen unbedingt durchzusetzen.48 Es besteht somit gleichzeitig die Möglichkeit, das Einfallstor durch inflationären Gebrauch der Vorschrift zu missbrauchen. Verfahren einzelne Mitgliedstaaten entsprechend, werden auf europäischer Ebene die einheitliche Anwendung der jeweiligen Verordnung und damit auch der EU-interne Entscheidungseinklang gefährdet. Dies gilt für den Fall, in dem Vertragsstatut nach der Rom I-VO das Recht des Mitgliedstaates B ist, ein Gericht des Mitgliedstaates A das Vertragsstatut durchbricht und den Vertrag aufgrund eines Verstoßes gegen eine nationale öffentlich-rechtliche Vorschrift, die es als Eingriffsnorm qualifiziert, für unwirksam erklärt. Wenn eine vergleichbare Norm in Staat B nicht existiert und Staat B die öffentliche-rechtliche Vorschrift des Staates A nicht 43 Ausführlich zu den folgenden und mit weiteren Beispielen MüKo-Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 61–103; Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 61. 44 MüKo-Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 26–34. 45 Hauser, Eingriffsnormen, S. 6 m. w. N. 46 S. dazu insbesondere unten, S. 265 ff. 47 Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 11. 48 Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 11; s. auch von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 91: „[Eingriffsnormen] sind notwendiges Mittel des Nationalstaates, um den residualen Einfluß der nationalen Politik in einer zunehmend globalisierten Wirtschaft zu erhalten.“.
B. Relevanz für Entscheidungseinklang
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durchsetzt, differieren die Entscheidungen je nach Ort des Forums. Der europäische Entscheidungseinklang zwischen den Mitgliedstaaten wird damit beeinträchtigt.49 Gleiches gilt für den für diese Arbeit interessierenden internationalen Entscheidungseinklang.50 Ebenso ist nämlich aufgrund der universellen Anwendbarkeit der europäischen Verordnungen51 die Berufung einer drittstaatlichen lex causae möglich. Sollte nun der Forumstaat das drittstaatliche Vertragsstatut aufgrund einer eigenen Eingriffsnorm über Art. 9 Rom I-VO durchbrechen, obwohl im Drittstaat keine vergleichbare Norm besteht, kommt ein Gericht im Forumstaat so zu einer anderen Entscheidung in der Sache als das drittstaatliche Gericht. Folglich hängt wiederum die materielle Entscheidung vom Ort des Forums ab. Die Situation kann sich in beiden Konstellationen ebenso umgekehrt darstellen. Auch die mitgliedstaatliche oder drittstaatliche lex causae kann eine Vorschrift bereithalten, die ein Richter der lex causae im konkreten Fall als Eingriffsnorm anwenden würde, wenn im Staat der lex causae auch das Forum läge. Missachtet nun der Forumstaat diese ausländische Eingriffsnorm, besteht ebenfalls die Gefahr unterschiedlicher Entscheidungen je nach Ort des Forums. Die Beeinträchtigung des Prinzips des Entscheidungseinklangs ist im Eingriffsrecht jedoch eher hinzunehmen als bei den bislang behandelten Rechtsfiguren. Die Durchbrechung des jeweiligen Statuts und die Anwendung nationaler Eingriffsnormen können nämlich gerechtfertigt sein, wenn tatsächlich die Durchsetzung von überragend wichtigen Interessen in Rede steht, die das Interesse an der Erzielung von Entscheidungseinklang überwiegen. Berücksichtigt werden muss nämlich hier insbesondere, dass es sich beim Prinzip des Entscheidungseinklangs um ein rein formales Ziel handelt, das unabhängig vom materiellen Ergebnis ist. Das Gleiche gilt auch für den Grundsatz des internen Entscheidungseinklangs, sodass eine Abwägung zwischen internationalem und internem Entscheidungseinklang – wie bereits bei der Vorfragenanknüpfung gezeigt – nicht vollkommen eindeutig in die eine oder andere Richtung ausfallen kann. Eingriffsnormen hingegen bilden insofern einen auffälligen Gegensatz zu den genannten ergebnisblinden, „apolitischen“52 kollisionsrechtlichen Prinzipien. Hin ter dem Eingriffsrecht stehen allein materielle und politische, ergebnisorientierte Erwägungen, die für so wichtig erachtet werden, dass sie sogar auf private Rechtsverhältnisse einwirken sollen. Stehen im Einzelfall tatsächlich solche überragend wichtigen Ziele infrage, ist es durchaus gerechtfertigt, die Entscheidungsharmonie zu gefährden.
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So auch Köhler, Eingriffsnormen, S. 2; vgl. auch Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 542. So schon Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168, 171, 181. 51 S. Art. 2 Rom I-VO, Art. 3 Rom II-VO, Art. 4 Rom III-VO, Art. 20 EuErbVO, Art. 15 EuUntVO i. V. m. Art. 2 HUntProt 2007, Art. 21 EhegüterVO-E, Art. 16 EPartVO-E. 52 Vgl. Fetsch, Eingriffsnormen, S. 22. 50
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
Vor dem Hintergrund der „Doppelspurigkeit“53 des Kollisionsrechts lässt sich also feststellen, dass das Prinzip des Entscheidungseinklangs, wenn man die Savigny’sche Terminologie bemüht, im Bereich des „anomalischen“ Rechts aufgrund der vorrangigen öffentlichen Interessen eine geringere Rolle spielt als im „reinen Rechtsgebiet“.54 Es lässt sich insofern also die Grundregel aufstellen, dass das „ergebnisblinde“ Prinzip des Entscheidungseinklangs im Eingriffsrecht nachrangig gegenüber den von der Eingriffsnorm verfolgten ergebnisorientierten öffentlichen Interessen anzusehen ist. Im Einzelfall kann es jedoch möglich sein, sowohl das öffentliche Ziel als auch das Ziel des Entscheidungseinklangs zu erfüllen. Daher sollte dieses Leitprinzip des IPR im Eingriffsrecht nicht von vornherein als nachrangig eingeordnet werden, sondern weiterhin Berücksichtigung finden. Auch für das Gebiet der Eingriffsnormen gilt nämlich, dass das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs durch die Tätigkeit der EU im Bereich des Familien- und Erbrechts an Bedeutung gewinnt. Selbst wenn die meisten Anwendungsfälle von Eingriffsnormen aus dem Vertragsrecht stammen, ist mittlerweile anerkannt, dass die Problematik auch in anderen Bereichen relevant wird.55 Wie bereits eingangs ausgeführt, sollte man sich daher um eine rechtsgebietsübergreifende Regelung bemühen, anstatt das Bedürfnis für eine Regelung des Problems in anderen Bereichen allein aufgrund der Tatsache zu vermeiden, dass Eingriffsnormen dort seltener auftreten. Eingriffsnormen können nämlich beispielsweise im Deliktsrecht bzw. Bereich der gesetzlichen Schuldverhältnisse auftreten.56 Denkbar sind auch vermögensrechtliche Auswirkungen im Familien- und Erbrecht, wie etwa die Beschränkung der Verfügungsbefugnis des Erblassers im Hinblick auf erbrechtliche Zuwendungen.57 Ausländische Normen, die die Eheschließungsfreiheit aus politischen Gründen beeinträchtigen, gehören ebenfalls zur Thematik der Eingriffsnormen.58 Im deutschen materiellen Recht wird beispielsweise § 1600 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 BGB international durchgesetzt, der die Anfechtung einer Vaterschaft durch eine Behörde ermöglicht, wenn die Vaterschaft gem. § 1592 Nr. 3 BGB anerkannt wurde.59 Aufgrund des Voranschreitens der Europäisierung dieser Bereiche gehört damit zum einen die Behandlung der Eingriffsnormen in einen allgemeinen Teil.60 Zum 53
S. oben, S. 240. S. auch Roth, Versicherungsvertragsrecht, S. 131; so auch Kuckein, Eingriffsnormen, S. 85 f. 55 MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 38; von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 81; Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 9 Rom I-VO Rn. 6. 56 von Hoffmann, FS Henrich, S. 283, 285; Hauser, Eingriffsnormen, S. 49–51; Schramm, Auslän dische Eingriffsnormen im Deliktsrecht (2005); zur entsprechenden Regelung in der Rom II-VO unten, S. 309 ff. 57 Vgl. OLG Oldenburg v. 19.2.1999, IPRax 1999, 469 f. zu § 14 HeimG mit Anmerkung Dörner, IPRax 1999, 455 f. 58 Dazu Mankowski, FamRZ 1999, 1313, 1314. 59 So die Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 16/3291, S. 13; näher dazu Staudinger-Rauscher, § 1600 BGB Rn. 133–135. 60 So auch MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 38. 54
C. Untersuchungsgegenstand
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anderen sollte man sich die steigende Bedeutung des Prinzips des Entscheidungseinklangs, insbesondere in Statusverhältnissen, vor diesem Hintergrund in Erinnerung rufen. Es lässt sich damit die Grundaussage treffen, dass das Prinzip des Entscheidungseinklangs möglichst auch im Eingriffsrecht beachtet werden sollte, solange die Durchsetzung zwingender öffentlicher Interessen parallel möglich ist. Lässt sich ein Ziel nur auf Kosten des anderen verwirklichen, wird aber im Regelfall den zwingenden öffentlichen Interessen Vorrang einzuräumen sein. Um dem Prinzip des Entscheidungseinklangs grundsätzlich auch im Eingriffsrecht zur Geltung zu verhelfen, sollte ein rechtssicherer Mechanismus für die Berücksichtigung von Eingriffsnormen gefunden werden. Da sowohl der inflationäre Gebrauch von inländischen Eingriffsnormen einerseits als auch die Missachtung ausländischer Eingriffsnormen andererseits den internationalen Entscheidungseinklang gefährden können, soll sich die folgende Betrachtung auf die Bewältigung beider Probleme konzentrieren. Erstens ist die Zahl der möglichen Eingriffsnormen einzuengen, was am besten durch eine einheitlich zu handhabende Definition verwirklicht werden kann. Zweitens sollte ein Mechanismus gefunden werden, der es erlaubt, ausländische Eingriffsnormen in bestimmtem Maße zu berücksichtigen, um Entscheidungseinklang mit der ausländischen Rechtsordnung zu erzielen.
C. Untersuchungsgegenstand Angesichts des Gegenstandes dieser Arbeit werden sich die folgenden Ausführungen auf das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs konzentrieren, während der EU-interne Entscheidungseinklang nur am Rande beachtet wird. Dementsprechend wird auch die umstrittene Frage, ob eine primärrechtliche Pflicht – hergeleitet aus dem Prinzip der Unionstreue des Art. 4 Abs. 3 EUV – zur Beachtung mitgliedstaatlicher Eingriffsnormen besteht, nicht Gegenstand dieser Arbeit sein.61 Neben der Ausarbeitung einer Definition für Eingriffsnormen, die auch für Drittstaatensachverhalte nötig ist, wird sich die Untersuchung auf das Problem der Behandlung drittstaatlicher Eingriffsnormen konzentrieren. Das Herausgreifen dieser Problematik erscheint außerdem angesichts der Tatsache geeignet, dass es sich hierbei um den „Kernpunkt der nun schon Jahrzehnte währenden Eingriffsnormendiskussionen“62 und den wohl umstrittensten Teilbereich handelt. Die Anwendung der Eingriffsnormen der lex fori hingegen, die Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO anordnet, ist
61 Eingehend dazu Fetsch, Eingriffsnormen, S. 319–378; Hauser, Eingriffsnormen, S. 138– 145; Köhler, Eingriffsnormen, S. 292–320 jeweils m. w. N. 62 Remien, FS von Hoffmann, S. 334, 342 m. w. N.
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
weitestgehend anerkannt, sodass diese Thematik im Folgenden außer Acht gelassen wird. Gleichzeitig ist es Ziel dieses Kapitels, zu untersuchen, ob eine allgemeine, verordnungsübergreifende Regelung zur Eingriffsnormenproblematik entwickelt werden kann. Ein Schwerpunkt wird dabei auf die Dogmatik gelegt, nicht hingegen auf die Ausarbeitung einzelner Beispiele für Eingriffsnormen, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde.63 Beispiele sollen im Folgenden nur punktuell herangezogen werden, um zu verdeutlichen, welche Art von Vorschriften in den jeweiligen Rechtsgebieten grundsätzlich als Eingriffsnormen in Betracht kommen.
D. Behandlung im Verordnungsrecht Da einige Verordnungen bereits Regelungen zu Eingriffsnormen enthalten, sollen diese zunächst auf ihre Tauglichkeit untersucht werden. Angesichts der ausdifferenzierten Regelung in Art. 9 Rom I-VO für das Vertragsrecht bietet es sich an, im Rahmen der vermögensrechtlichen Verordnungen mit der Untersuchung dieser Norm zu beginnen und anschließend ihre Übertragbarkeit auf andere Verordnungen zu untersuchen. I. Vermögensrechtliche Verordnungen 1. Rom I-VO Wie bereits erwähnt, enthält Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO eine Definition des Begriffs der Eingriffsnorm. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO besagt, dass Eingriffsnormen der lex fori vom angerufenen Gericht stets angewendet werden dürfen. Schließlich enthält Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO eine höchst problematische Regelung zur Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen. Aufgrund des hier gewählten Untersuchungsgegenstandes wird sich die folgende Betrachtung auf Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 Rom I-VO beschränken, also auf die bereits erwähnten zwei Problemkreise, nämlich erstens die Definition und zweitens die Behandlung ausländischer Eingriffsnormen. a) Problemkreis 1: Definition der Eingriffsnorm Nur wenn eine vereinheitlichte Definition besteht, lässt sich der übermäßige Gebrauch von nationalen Eingriffsnormen eindämmen, da der Gesetzgeber bzw. Richter des Forumstaates keine Möglichkeit mehr hat, eine Vorschrift nach eigenem Belieben als Eingriffsnorm zu qualifizieren. Durch einheitliche Maßstäbe lässt sich insbesondere EU-interner Entscheidungseinklang erzielen. Aber auch für drittstaatliche Fälle besteht das Bedürfnis nach einer einheitlichen Definition des Phäno63 Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8, 24 hält dies für eine „Aufgabe von enzyklopädischen Ausmaßen“.
D. Behandlung im Verordnungsrecht
247
mens, bevor der Frage nachgegangen werden kann, wie ausländische Eingriffsnormen zu behandeln sind. Die Definition, die Art. 9 Rom I-VO im Gegensatz zur Vorgängervorschrift des Art. 7 EVÜ bereithält, fußt auf der Arblade-Entscheidung des EuGH,64 die wiederum auf Francescakis zurückgeht65 und zwei konstitutive Voraussetzungen enthält. Es muss es sich um eine Vorschrift handeln, die erstens mit internationalem Geltungsanspruch ausgestattet ist und zweitens eine überindividuelle Zielrichtung aufweist.66 aa) Internationaler Geltungsanspruch Aus Art. 7 EVÜ übernommen wurde das Erfordernis des internationalen Geltungsanspruchs. Es muss sich nach Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO um eine „zwingende Vorschrift“ handeln, die „ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen“. Aus der Definition ergibt sich bereits, dass eine einfach zwingende Norm nicht ausreicht, um als Eingriffsnorm klassifiziert zu werden (s. auch Erwägungsgrund 37 S. 2).67 Die jeweilige Vorschrift muss einen höheren Verbindlichkeitsgrad besitzen. Zu unterscheiden sind insofern einfach zwingende Normen einerseits und inter national zwingende Vorschriften andererseits.68 Einfach zwingendes69 bzw. intern zwingendes70 Recht, das sachrechtliche ius cogens, ist innerhalb einer Rechtsordnung nicht dispositiv, d. h. die Parteien können davon nicht im Wege der materiell-rechtlichen Privatautonomie abweichen. Jedoch können sie dieses einfach zwingende Recht abbedingen, indem sie von ihrer kolli sionsrechtlichen Parteiautonomie Gebrauch machen und auf diese Weise – vorbehaltlich der Schranken der Art. 3 Abs. 3 und 4 Rom I-VO – eine andere Rechtsordnung berufen. Damit werden sowohl die dispositiven als auch die einfach zwingenden Normen der objektiv berufenen Rechtsordnung abbedungen und durch das ius cogens der durch Rechtswahl berufenen Rechtsordnung ersetzt. Im Unterschied dazu setzen sich international zwingende Normen auch gegenüber dem parteiautonom gewählten Statut durch. Nur wenn eine Norm diesen inter64
EuGH v. 11.11.1999, Rs. C-369/96 und 374/96, Slg. 1999, I-8453 Rn. 30 und 31 – Arblade. Francescakis, RCDIP 55 (1966), 1–18. 66 S. dazu Palandt-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 5; Hauser, Eingriffsnormen, S. 8 f. 67 Angesichts der Klarheit des Erwägungsgrundes ist der Vorwurf Mankowskis, IHR 2008, 133, 147, die Definition lasse zu viel Raum, um einfach zwingendes Recht als Eingriffsnorm zu qualifizieren, nicht berechtigt. 68 S. zur folgenden Differenzierung von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 87–89; MüKo-Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 7–9; Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 13 f.; Hauser, Eingriffsnormen, S. 6; Kropholler, IPR, S. 19; Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 9 Rom I-VO Rn. 9. 69 MüKo-Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 7; Reithmann/Martiny-Freitag, Rn. 491. 70 Kropholler, IPR, S. 19; von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 87. 65
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
nationalen Geltungsanspruch aufweist, kann sie als Eingriffsnorm qualifiziert werden. Es bleibt die Frage, wie festgestellt werden kann, ob eine Norm unabhängig vom anwendbaren Recht internationale Geltung beansprucht. Entscheidend ist insofern der Geltungswille71 oder der Anwendungswille72 der jeweiligen Norm selbst. Dieser wird durch Auslegung ermittelt, wobei sich der Anwendungswille in einigen Fällen bereits ausdrücklich aus dem Wortlaut ergibt (s. etwa § 130 Abs. 2 GWB, § 32b Nr. 1 UrhG).73 In anderen Fällen muss der internationale Geltungsanspruch durch teleologische Auslegung ermittelt werden oder er kann sich aus dem systematischen Zusammenhang mit einer besonderen Kollisionsnorm ergeben.74 Hier sind also nationaler Gesetzgeber und Rechtsprechung gefragt, nur in Ausnahmefällen Eingriffsnormen zu schaffen, die internationale Geltung beanspruchen. Einschränkend wirkt insofern die zweite Voraussetzung, die Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO statuiert. bb) Überindividuelle Zielrichtung Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO fordert nämlich im Gegensatz zu Art. 7 EVÜ zusätzlich, dass die Einhaltung der jeweiligen Norm von einem Staat „als […] entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird“. Aus der Beschränkung auf Normen, die dem öffentlichen Interesse dienen, folgt, dass reine Privatinteressen nicht ausreichen; vielmehr müssen überindividuelle, staatspolitische Interessen verfolgt werden.75 Zwar ist die Aufzählung in der Norm als nicht abschließend anzusehen („insbesondere“). Erwägungsgrund 37 S. 1 betont jedoch, dass Gründe des öffentlichen Interesses es nur „unter außergewöhnlichen Umständen“ rechtfertigen, Eingriffsnormen anzuwenden und verdeutlicht so, dass der Begriff eng auszulegen ist und somit Begrenzungsfunktion hat. Da der Begriff des öffentlichen Interesses trotz der Konkretisierung durch die nicht abschließende Aufzählung eine ausfüllungsbedürftige Generalklausel darstellt, existieren weiterhin Auslegungsprobleme. Fraglich ist insofern insbesondere, ob der Wortlaut der Vorschrift, der ein öffentliches Interesse verlangt, darauf hindeutet, dass die jeweilige Norm dem öffentlichen Recht entstammen muss.76 Damit wären insbesondere Vorschriften des Sonderprivatrechts, das häufig dem Schutz 71 Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 54–56; Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168, 181–185; Zweigert, RabelsZ 14 (1942), 283, 289. 72 Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1, 9 mit Fn. 33; Hauser, Eingriffsnormen, S. 8. 73 Palandt-Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 5; ausführlich dazu Köhler, Eingriffsnormen, S. 8 –22. 74 Dazu Palandt-Thorn Art. 9 Rom I-VO Rn. 5 mit Beispielen; ders. in Ferrari/Leible (2007), S. 129, 132; s. auch Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168, 176–180; Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 9 Rom I-VO Rn. 10. 75 S. Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 58; Palandt-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 5. 76 Thorn in Ferrari/Leible (2007), S. 129, 132.
D. Behandlung im Verordnungsrecht
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einzelner Personengruppen dient, aus dem Anwendungsbereich des Art. 9 Rom I-VO ausgeschlossen. Beispiele aus dem deutschen Recht sind etwa Verbraucherschutz- und Arbeitsrecht sowie Vorschriften zum Schutz des Wohnraummieters (§§ 537–561 BGB), des Handelsvertreters (§ 89b HGB) oder des Werkunternehmers (z. B. § 4 HOAI).77 Diese strenge Lesart der Vorschrift ist jedoch abzulehnen. Zum einen können nämlich auch privatrechtliche Regelungen einem öffentlichen Interesse dienen, sodass eine Abgrenzung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht nicht immer trennscharf möglich und angesichts der Austauschbarkeit privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Instrumente zur Durchsetzung bestimmter Interessen auch eher zufällig erscheint.78 Zum anderen trennen nicht alle Mitgliedstaaten zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht bzw. tun dies in unterschiedlicher Art und Weise,79 sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Verordnung eine solche dogmatische Aufteilung voraussetzt. Allein aus der Herkunft aus dem öffentlichen Recht oder dem Privatrecht sollten daher keine Rückschlüsse auf den Charakter einer Vorschrift als Eingriffsnorm gezogen werden.80 Der EuGH hat in seiner Ingmar-Entscheidung81 den unionsrechtlichen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters als Eingriffsnorm qualifiziert, obwohl es sich um eine sonderprivatrechtliche Norm handelt. Diese Rechtsprechung hat der EuGH jüngst bestätigt.82 Damit kann es für Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO nicht entscheidend sein, ob eine Norm dem öffentlichen Recht oder dem Privatrecht entstammt. Andererseits kann nicht jede privatrechtliche Norm, die zumindest mittelbar auch öffentlichen Interessen dient, als Eingriffsnorm qualifiziert werden, da ansonsten die Vorschrift des Art. 9 Rom I-VO ausgehöhlt würde.83 Pauschalisierende Ansätze, wie beispielsweise jegliches Sonderprivatrecht oder alle grundrechtlich geprägten zivilrechtlichen Generalklauseln als Eingriffsnormen zu klassifizieren, können daher angesichts des Ausnahmecharakters des Art. 9 77
Beispiele von Thorn in Ferrari/Leible (2007), S. 129, 132 f. Näher MüKo-Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 12; Fetsch, Eingriffsnormen, S. 135 f.; Hauser, Eingriffsnormen, S. 11; Thorn in Ferrari/Leible (2007), S. 129, 133; s. auch Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8, 30. 79 Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 105; Roth, FS Immenga, S. 331, 340; Drobnig, RabelsZ 52 (1988), 1, 3. 80 Dies entspricht auch der h. M. zur Vorgängervorschrift im EVÜ, s. etwa BT-Drucks. 10/504, S. 83; MüKo-Martiny (2006), Art. 34 EGBGB Rn. 12; s. zur Rom I-VO auch Hauser, Eingriffsnormen, S. 9 –11 mit rechtsvergleichenden Nachweisen sowie Thorn in Ferrari/Leible (2007), S. 129, 132 f. 81 EuGH v. 9.11.2000, Rs. C-381/98, Slg. 2000, I-9305 – Ingmar; kritisch dazu u. a. Sonnenberger IPRax 2003, 109 f.; Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45–74; Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 290–293. 82 EuGH v. 17.10.2013, Rs. C-184/12, IPRax 2014, 174 – United Antwerp Maritime Agencies (Unamar) NV ./. Navigation Maritime Bulgare. 83 Ausführlich mit Beispielen dazu Thorn in Ferrari/Leible (2007), S. 129, 133–135; Köhler, Eingriffsnormen, S. 24 f. 78
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
Rom I-VO nicht überzeugen.84 Dies gilt schon deshalb, weil die Wertungen des Gesetzgebers sowohl einem zeitlichen als auch einem gesellschaftlichen Wandel unterliegen können, was stets eine Neubewertung des Charakters einer Norm als Eingriffsnorm erforderlich macht und generalisierende Betrachtungen verbietet.85 Sonderprivatrechtliche Normen sollten zwar nicht per se aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausgeschlossen werden. Jedoch müssen gewichtige öffentliche Interessen nicht lediglich am Rande, sondern hauptsächlich bzw. weit überwiegend betroffen sein;86 die Verfolgung rein privatrechtlicher Interessen hingegen schließt die Qualifikation als Eingriffsnorm aus.87 Vor diesem Hintergrund ist auch die Ingmar- Entscheidung des EuGH kritisch zu sehen,88 da der EuGH in der Stärkung der Sicherheit des Handelsverkehrs sowie der Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen ein öffentliches Interesses gesehen hat,89 obwohl der Ausgleichsanspruch primär den Individualinteressen des Handelsvertreters dient. Auf diese Weise lässt sich als Reflex nahezu jeder Norm ein öffentliches Interesse finden, sodass durch die Hintertür doch jede privatrechtliche Norm als Eingriffsnorm qualifiziert werden könnte. Das Erfordernis des öffentlichen Interesses sollte daher ernst genommen und die EuGH-Rechtsprechung nicht weiter ausgeweitet werden. Schließlich sollte im Bereich des Sonderprivatrechts einschränkend stets die Systematik der Verordnung berücksichtigt werden. Verbraucherschutzrechtliche und arbeitnehmerschützende Vorschriften können zwar öffentliche Interessen verfolgen und somit im Einzelfall als Eingriffsnormen eingeordnet werden, wenn die strengen Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO erfüllt sind. Ist jedoch bereits der sachliche Anwendungsbereich des Art. 6 bzw. Art. 8 Rom I-VO eröffnet, sollten diese als leges speciales vorgehen und aufgrund der ausdifferenzierten Wertentscheidung des europäischen Gesetzgebers den Rückgriff auf Art. 9 Rom I-VO verbieten.90 Eine Ausnahme hiervon gilt jedoch im Anwendungsbereich der Arbeitnehmer-Entsende-Richtlinie.91 Ein Rückgriff auf Art. 9 Rom I-VO muss hier möglich bleiben, da der europäische Gesetzgeber durch die Richtlinie bewusst bestimmte
84
Näher und kritisch zu solchen Ansätzen MüKo-Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 16 f. Näher dazu Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 110 f. 86 Im Sinne einer Schwerpunktbetrachtung auch von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 95–98; Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 59 f.; MüKo-Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 13; Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 9 Rom I-VO Rn. 14; Reithmann/Martiny-Freitag, Rn. 511; Kropholler, IPR, S. 498 zu Art. 34 EGBGB; vgl. auch Bonomi, YbPrivIntL 10 (2008), 285, 291–295. 87 Statt vieler Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 110. 88 S. dazu Freitag/Leible, RIW 2001, 287, 291–293. 89 EuGH v. 9.11.2000, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-9305 Tz. 23 – Ingmar. 90 So auch Palandt-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 8 f.; Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 25–27; Freitag, IPRax 2009, 109, 112; vorsichtiger MüKo-Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 23; Remien, FS von Hoffmann, S. 334, 336 f.; a. A. Reithmann/Martiny-Freitag, Rn. 591–600; Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 61. 91 Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen v. 16.12.1996, ABl. EU 1997 Nr. L 18/1. 85
D. Behandlung im Verordnungsrecht
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Bereiche des Arbeitnehmerschutzes zu Eingriffsrecht im Sinne des Art. 9 Rom I-VO erklärt hat.92 Letztlich bedarf es zur Ermittlung des öffentlichen Interesses einer Lösung und Bewertung im Einzelfall, wobei dem restriktiven Charakter des Art. 9 Rom I-VO Rechnung zu tragen ist, der an drei Stellen betont wird. So weist Erwägungsgrund 37 auf das Erfordernis außergewöhnlicher Gründe hin. Daneben verlangt Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, dass die Einhaltung der jeweiligen Vorschrift „entscheidend“ für die Wahrung des öffentlichen Interesses des Mitgliedstaates ist. Die bloße Betroffenheit eines öffentlichen Interesses ist somit nicht ausreichend. Stattdessen wird durch die Verwendung des Wortes „entscheidend“ ein relativ hoher Maßstab angesetzt, der zumindest qualifizierte öffentliche Interessen erfordert.93 Schließlich wird durch die beispielhafte Aufzählung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation verdeutlicht, dass es sich bei anderen Interessen um ähnlich gewichtige Ziele handeln muss.94 Eine Umformulierung bzw. Konkretisierung des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO erscheint nicht sinnvoll und angesichts der Vielzahl der denkbaren Eingriffsnormen unmöglich.95 Dass ein unbestimmter Rechtsbegriff Zweifelsfälle mit sich bringt, ist nicht ungewöhnlich und lässt sich bei dem Versuch einer Definition und Abgrenzung nie vermeiden.96 Vielmehr bleiben bei jeder Abgrenzungsentscheidung bzw. bei jedem Definitionsversuch Restunsicherheiten oder umstrittene Grenzfälle.97 Eine Degradierung des Art. 9 Rom I-VO zur „Leerformel“98 oder „Hinweisnorm“99 erscheint damit nicht gerechtfertigt. Es ist letztlich Aufgabe der Mitgliedstaaten, diese Generalklausel restriktiv und damit unionstreu anzuwenden. Durch die Regelungstechnik des Art. 9 Rom I-VO wird zumindest die Begründungslast deutlich erhöht,100 wenn ein mitgliedstaatliches Gericht eine Vorschrift als Eingriffsnorm klassifizieren möchte. Schließlich bleibt für Zweifelsfälle und die Fortentwicklung einer Dogmatik noch immer der Weg zum EuGH.101 92
Näher dazu Palandt-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 9. Thorn in Ferarri/Leible (2004), S. 129, 134; Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 13. 94 S. auch Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 61; Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 628. 95 So auch Sonnenberger in Leible/Unberath, S. 429, 436 f.; vgl. auch Pfeiffer, IPRax 2006, 238, 241; positiv auch Leible, FS Martiny, S. 429, 438; letztlich auch Hauser, Eingriffsnormen, S. 150, der den jetzigen Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO beibehalten will. 96 So auch Mankowski, IPRax 2006, 101, 110; positiv auch MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 45, der der Vorschrift „als Teilpositivierung einer allgemeinen ungeschriebenen Definition“ eine Schlüsselstellung für das Gesamtsystem des IPR beimisst. 97 von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 95. 98 Thorn in Ferrari/Leible (2007), S. 129, 134 zu Art. 8 Abs. 1 des Verordnungsentwurfs. 99 Bitterich, GPR 2006, 161, 164. 100 Mankowski, IPRax 2006, 101, 110; vgl. auch Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 67; ähnlich auch MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 45; Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 549 f. 101 Zur nicht unproblematischen Auslegungskompetenz sowie dem Kontrollmaßstab ausführlich Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 20–23; ders. in Ferrari/Leible (2007), S. 135–139; Hauser, Eingriffsnormen, S. 13–29; Köhler, Eingriffsnormen, S. 321–328. 93
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
cc) Ergebnis Die Definition, die Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO bereithält, sollte im jetzigen Zustand belassen werden. Dem nationalen Gesetzgeber bzw. Gericht wird zwar eine gewisse Verantwortung auferlegt, womit stets auch ein Risiko der Entstehung von Entscheidungsdisharmonien und in der Folge forum shopping einhergeht. Jedoch enthält die Vorschrift gleichzeitig genügend Mechanismen, die den Mitgliedstaaten Grenzen setzen. Als letztes Korrektiv kann schließlich der EuGH angerufen werden. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO ist daher ein geeigneter Schritt in Richtung Entscheidungseinklang. Auch für drittstaatliche Fälle wird durch die enge Definition der inflationäre Gebrauch von Eingriffsnormen verringert, sodass die Gefahr des Entstehens internationaler Entscheidungsdisharmonien verringert wird. b) Problemkreis 2: Behandlung ausländischer Eingriffsnormen Wie bereits erwähnt, geht es bei der Eingriffsnormenproblematik nicht nur um die übermäßige Anwendung von Eingriffsnormen durch die Gerichte der lex fori. Umgekehrt können auch ausländische Eingriffsnormen einen internationalen Anwendungsanspruch geltend machen, wenn der Sachverhalt Bezüge zu diesem ausländischen Staat aufweist. Es stellt sich zunächst die Frage, warum ein Staat überhaupt ausländisches Eingriffsrecht berücksichtigen sollte. Immerhin handelt es sich um ausländische öffentliche Interessen, deren Durchsetzung und Wahrnehmung grundsätzlich nicht Aufgabe des Forumstaates ist.102 Für die Beachtung dieser ausländischen Eingriffsnormen und Respektierung des Anwendungswillens sprechen jedoch einige Gründe. So wird der internationale bzw., wenn es sich um einen EU-Mitgliedstaat handelt, der EU-interne Entscheidungseinklang gefördert. Aber auch der comitas-Gedanke103 sowie die Tatsache, dass der berührte ausländische Staat die Macht hat, auf den Vertrag einzuwirken und bestimmte Normen zwingend durchzusetzen,104 sind Gesichtspunkte, die die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen unter bestimmten Voraussetzungen erforderlich machen.105 Hinter der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen kann außerdem eine Gegenseitigkeitserwartung und der damit einher gehende Wille bzw. sogar die Verpflichtung zur Kooperation stehen.106 Schließlich ist es auch möglich, dass die ausländische Eingriffsnorm eine Wertvorstellung verkörpert, die sich der Forumstaat oder sogar die internationale Gemeinschaft zu Eigen gemacht hat.107 An der Durchsetzung solcher Interessen besteht ein eigenes 102
Vgl. MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 58. Näher hierzu in diesem Zusammenhang Hauser, Eingriffsnormen, S. 53–57; Chong, JPriv IntL 2 (2006), 27, 37–40. 104 S. Köhler, Eingriffsnormen, S. 169 f. 105 Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 91. 106 MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 58; vgl. auch Hentzen, RIW 1988, 508, 509. 107 Kegel/Schurig, IPR, S. 157: „Interessensympathie“; ebenso Kuckein, Eingriffsnormen, S. 86. 103
D. Behandlung im Verordnungsrecht
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Interesse des Forumstaates. Etwaige entgegenstehende inländische Interessen und Wertungen können dann im Rahmen einer Abwägung berücksichtigt werden, was sich rechtstechnisch am besten verwirklichen lässt, indem man es auf Rechtsfolgenseite dem Ermessen des Richters überlässt, ob im Einzelfall die ausländische Eingriffsnorm berücksichtigt wird oder nicht. Bei der Frage, inwieweit und auf welche Weise ausländische Eingriffsnormen berücksichtigt werden sollten, handelt es sich um die seit jeher – und insbesondere im Rahmen der Entstehung der Rom I-VO – wohl umstrittenste Frage des Themenkomplexes.108 Der europäische Gesetzgeber hat sich in Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO an einer Re gelung zur Behandlung ausländischer Eingriffsnormen versucht: „Den Eingriffs normen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, kann Wirkung verliehen werden, soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen. Bei der Entscheidung, ob diesen Eingriffsnormen Wirkung zu verleihen ist, werden Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden.“ Die jetzige Fassung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO wirft zahlreiche Zweifelsfragen auf. Nach der Norm muss die Eingriffsnorm dem Staat des Erfüllungsortes angehören und die Erfüllung des Vertrages unrechtmäßig werden lassen. Die Auslegung beider Kriterien ist unklar. Nicht eindeutig ist weiterhin die Rechtsfolge, wonach einer solchen Norm lediglich „Wirkung verliehen werden kann“. Außerdem besteht Uneinigkeit darüber, ob Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO auch Eingriffsnormen der lex causae umfasst. Schließlich ist zweifelhaft, ob die Vorschrift des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO Sperrwirkung entfaltet oder die Berücksichtigung anderer Eingriffsnormen ermöglicht, etwa solcher Staaten, in denen nicht der Erfüllungsort liegt. Eine umfassende Untersuchung dieser Probleme, die die jetzige Fassung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO birgt, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und ist bereits an anderer Stelle ausführlich monographisch geschehen.109 Im Folgenden sollen die wesentlichen Probleme daher nur überblicksweise behandelt werden, woraufhin schwerpunktmäßig die lex ferenda betrachtet wird. Ein Fokus im Rahmen der lex lata wird lediglich auf die Rechtsfolgenanordnung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO gelegt, da dort das schwierigste Problem liegt und auf dieser Ebene das Prinzip des Entscheidungseinklangs am stärksten berührt wird.
108 Freitag, IPRax 2009, 109, 110 spricht insofern von einem „gordischen Knoten“, den die Kommission im Rahmen der Rom I-VO zu lösen versucht hat. 109 S. etwa Hauser, Eingriffsnormen, S. 52–129; Köhler, Eingriffsnormen, S. 168–320.
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
aa) Jetzige Fassung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO (1) Gesetzgebungsgeschichte des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO Die Norm des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO lässt sich am besten durch einen kurzen Blick auf die Gesetzgebungsgeschichte verstehen. Die Vorgängervorschrift in Art. 7 Abs. 1 EVÜ enthielt ebenfalls eine Regelung, die sich mit der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen befasste: „Bei Anwendung des Rechts eines bestimmten Staates aufgrund dieses Übereinkommens kann den zwingenden Bestimmungen des Rechts eines anderen Staates, mit dem der Sachverhalt eine enge Verbindung aufweist, Wirkung verliehen werden, soweit diese Bestimmungen nach dem Recht des letztgenannten Staates ohne Rücksicht darauf anzuwenden sind, welchem Recht der Vertrag unterliegt. Bei der Entscheidung, ob diesen zwingenden Bestimmungen Wirkung zu verleihen ist, sind ihre Natur und ihr Gegenstand sowie die Folgen zu berücksichtigen, die sich aus ihrer Anwendung oder ihrer Nichtanwendung ergeben würden.“ Das EVÜ enthielt in Art. 22 Abs. 1 lit. a jedoch gleichzeitig eine Vorbehaltsmöglich keit, wonach sich ein Vertragsstaat entscheiden konnte, von der Bestimmung in Art. 7 Abs. 1 EVÜ keinen Gebrauch zu machen. Diesen Vorbehalt erklärten neben Deutschland auch Irland, Luxemburg, Portugal und das Vereinigte Königreich.110 Der Grund dafür, dass Deutschland den Vorbehalt eingelegt hat, lag indes nur in der konkreten Ausgestaltung der Regelung, sodass man in dem Vorbehalt keine grundsätzliche Absage an die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen sehen sollte.111 Andere Staaten hingegen hegten nicht nur Bedenken im Hinblick auf die Ausgestaltung der Regelung, sondern standen generell der Berücksichtigung ausländischen Eingriffsrechts ablehnend gegenüber. Insbesondere das Vereinigte Königreich hat seine kritische Haltung gegenüber einer Vorschrift, die die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen ermöglicht, auch im Entstehungsprozess der Rom I-VO beibehalten und letztendlich durchgesetzt. Die Version im Verordnungsentwurf zur Rom I-VO112 (dort Art. 8 Abs. 3) war nämlich wesentlich weiter formuliert als die jetzige Fassung und stark an Art. 7 EVÜ angelehnt, während die nunmehr geltende Fassung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO starke Restriktionen erfahren hat. Diese Einschränkungen wurden vorgenommen, um das Vereinigte Königreich dazu zu bewegen, im Wege des „opt in“-Verfahrens an der Rom I-VO teilzunehmen.113 Insbesondere aus der Londoner City wurde nämlich erheblicher Protest in 110
Dazu Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 3. S. BT-Drucks. 10/503, S. 83 f.; näher dazu Martiny, IPRax 1987, 277; Fetsch, Eingriffsnormen, S. 58–60; Kegel/Schurig, IPR, S. 155. 112 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf ver tragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) vom 15.12.2005, KOM (2005), 650 endg. 113 Entscheidung der Europäischen Kommission v. 22.12.2008 über den Antrag des Vereinigten Königreichs auf Annahme der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU 2009 Nr. L 10/22. 111
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Bezug auf die weitere Regelung in Art. 8 Abs. 3 des Verordnungsentwurfes laut, wobei Hintergrund protektionistische Motive der Londoner Finanzlobby und die damit einhergehende Angst vor Wettbewerbsnachteilen gegenüber der Wall Street waren.114 In dieser Hinsicht wird Großbritannien gar „wirtschaftspolitischer Egoismus“115 vorgeworfen. Die jetzige Fassung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO stellt damit ein politisches Zugeständnis an das Vereinigte Königreich dar. Von einem Kompromiss kann insofern kaum mehr gesprochen werden, da den britischen Drohungen fast vollkommen nachgegeben wurde, sodass die Möglichkeit der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen unter der geltenden Verordnung verschwindend gering ist.116 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Struktur des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, der zwei unterschiedliche Ansätze, nämlich einerseits den englischen und andererseits den kontinentaleuropäischen, enthält, ohne dass diese aufeinander abgestimmt wurden.117 In Satz 1 lässt sich die englische Dogmatik erkennen, die in der Ralli- Entscheidung des Court of Appeal118 entwickelt wurde. Voraussetzungen für die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen sind danach insbesondere, dass diese erstens der Rechtsordnung des Erfüllungsortes angehören und zweitens den Vertrag unrechtmäßig lassen werden. Satz 2 hingegen stimmt inhaltlich weitest gehend mit Art. 7 Abs. 1 S. 2 EVÜ überein, wobei in der Rom I-VO lediglich redaktionelle Korrekturen der deutschen Übersetzung vorgenommen wurden.119 Aufgrund der britischen Haltung und angesichts eines fehlenden Konsenses in den Mitgliedstaaten in dieser Frage war auch das weitere Gesetzgebungsverfahren von Unsicherheiten geprägt.120 So hatte beispielsweise der Rechtsausschuss des Parlaments eine komplette Streichung des Art. 8 Abs. 3 des Verordnungsentwurfes – und damit auch der Möglichkeit der Berücksichtigung ausländischer Eingriffs normen – erwogen.121 Die Gesetzgebungsgeschichte zeigt, dass die Norm des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO als politische Kompromissvorschrift bzw. einseitiges Zugeständnis anzusehen ist, sodass von ihr keine dogmatisch vollends überzeugende Lösung zu erwarten ist. Zu begrüßen ist, dass die Europäische Union sich der Problematik trotzdem angenommen hat, da eine einheitliche Lösung des Problems viele Chancen für die Erzielung von internationalem und innereuropäischem Entscheidungseinklang birgt. 114 Dazu Freitag, IPRax 2009, 109, 110; Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 2; s. auch die kritischen Beiträge aus der englischen Literatur: Dickinson, JPrivIntL 3 (2007), 53–88; Harris in Ferrari/Leible (2009), S. 269, 271–290 m. w. N. 115 Roth, FS Kühne, S. 859, 878. Dagegen wird aus englischer Sicht von einem “happy compromise” gesprochen: Harris in Ferrari/Leible (2009), S. 269, 341. 116 Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 2. 117 Zum Folgenden Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 5. 118 Ralli Bros v. Compañia Naviera Sota y Aznar, [1920] 2 KB 287. 119 Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 5. 120 Näher dazu Freitag, IPRax 2009, 109, 110 f. 121 Bericht v. 21.11.2007, Dokument A6-0450/2007.
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
(2) Erfüllungsort Mangels einer Definition in der Verordnung bereitet zunächst die Bestimmung des Erfüllungsortes Probleme. Für die Auslegung dieses Merkmals bestehen grundsätzlich vier Möglichkeiten:122 Die Heranziehung des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO, die Bestimmung des rechtlichen Erfüllungsortes durch eine Befragung entweder der lex fori oder aber der lex causae und schließlich eine verordnungsautonome Auslegung. Die wohl überwiegende Ansicht will den Erfüllungsort autonom bestimmen und dabei auf den faktischen anstatt auf den rechtlichen Erfüllungsort abstellen, d. h. den Ort, an dem die Leistungshandlungen tatsächlich vorgenommen wurden bzw. der Leistungserfolg faktisch eingetreten ist.123 Fallen die Orte der Vornahme der Leistungshandlung und des Eintritts des Leistungserfolgs auseinander, kommen mehrere Erfüllungsorte und damit auch mehrere Staaten, deren Eingriffsnormen berücksichtigt werden können, in Betracht.124 Für dieses Verständnis spricht, dass sich in Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO die sog. Machttheorie wiederfindet,125 nach der Eingriffsnormen dann zu berücksichtigen sind, wenn der Erlassstaat die Macht im Sinne der tatsächlichen Zugriffsmöglichkeit besitzt, diese durchzusetzen.126 Zudem birgt dieser Ansatz weniger Risiken im Hinblick auf eine Manipulation durch die Parteien als das Abstellen auf den recht lichen Erfüllungsort.127 Schwierigkeiten kann diese Methode allein bereiten, wenn der Vertrag noch nicht erfüllt wurde. Abgestellt werden sollte dann auf die vertraglichen Absprachen der Parteien.128 Lassen sich diese im Ausnahmefall nicht ermitteln, kann hilfsweise noch immer der rechtliche Erfüllungsort nach der lex causae ermittelt werden.129 (3) Unrechtmäßigkeit des Vertrages Weiterhin muss die Eingriffsnorm die Erfüllung des Vertrages „unrechtmäßig“ werden lassen. Auch über die Auslegung dieses Merkmals herrscht Unsicherheit. Dies erklärt sich zum einen daraus, dass die englische Sprachfassung den Begriff 122 Vgl. den Überblick bei Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 100–105; Harris in Ferra ri/Leible (2009), S. 269, 315; ausführlich auch Hauser, Eingriffsnormen, S. 80–94. 123 Palandt-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 12; Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 6 4; Freitag, IPRax 2009, 109, 114; Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 104; Magnus, IPRax 2010, 27, 41; Reithmann/Martiny-Freitag, Rn. 641–645; NK-Doehner, Art. 9 Rom I-VO Rn. 46; Köhler, Eingriffsnormen, S. 222 f.; vorsichtiger MüKo-Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 116. 124 Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 6 4. 125 Freitag, IPRax 2009, 109, 114; Mankowski, IHR 2008, 133, 148; Palandt-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 12; Reithmann/Martiny-Freitag, Rn. 632. 126 S. Kegel, FS Lewald, S. 259, 279. 127 Hauser, Eingriffsnormen, S. 93. 128 Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 6 4; Freitag, IPRax 2009, 109, 114. 129 Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 105; s. zum umstrittenen Verhältnis zwischen rechtlichem und tatsächlichem Erfüllungsort auch Hauser, Eingriffsnormen, S. 93; Reithmann/ Martiny-Freitag, Rn. 641–645; Freitag, IPRax 2009, 109, 114.
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„unlawful“ verwendet, obwohl in der Ralli-Entscheidung, dem Vorbild des Art. 9 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO, von „illegal“ die Rede ist.130 Dem Telos der Vorschrift entsprechend sollte man das Erfordernis allerdings nicht zu eng verstehen.131 Sinn und Zweck der Regelung ist es nämlich, keiner Partei ein rechtlich unmögliches Verhalten aufzuerlegen, das im Staat der Vertrags erfüllung geltendem Recht widerspricht bzw. zu staatlichen Sanktionen führen würde.132 Damit sollten nicht nur ausdrückliche Verbote, sondern auch Gebote als Eingriffsnormen qualifiziert werden können.133 Ausreichend muss dementsprechend auch sein, wenn ein Teil des Vertrages für unrechtmäßig erklärt und daher durch die Rechtsordnung modifiziert wird, da somit der Vertrag mit seinem ursprünglichen Inhalt nicht durchsetzbar ist.134 Lediglich reine Sekundäransprüche oder nebenpflichtbegründende Regelungen, die die Erfüllung des Vertrages nicht berühren, fallen nicht unter den Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO.135 Schließlich kann es auch keinen Unterschied machen, ob die Verbotsnorm nachträglich erlassen oder schon zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestand.136 (4) Rechtsfolge: „Wirkungsverleihung“ Während sich die Auslegungsprobleme im Hinblick auf die Begriffe des Erfüllungsortes und der Unrechtmäßigkeit noch einigermaßen in den Griff bekommen lassen, bereitet die von Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO angeordnete Rechtsfolge erhebliche Schwierigkeiten. Anstatt sich eindeutig auf eine Methode festzulegen, hat der europäische Gesetzgeber den Rechtsanwender insofern im Unklaren gelassen, als Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO lediglich besagt, dass Eingriffsnormen „Wirkung verliehen werden kann“. Durch die Verwendung des Wortes „kann“ wird zwar deutlich, dass es sich bei der Frage, ob eine ausländische Eingriffsnorm berücksichtigt werden soll, um eine Ermessensentscheidung handelt, wobei die zwingend zu berücksichtigenden Faktoren in Art. 9 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO näher konkretisiert werden.137 Eine Antwort auf die praktisch wichtige und umstrittene Frage der Art und Weise der Wir 130 Näher Hauser, Eingriffsnormen, S. 71–73; Kuckein, Eingriffsnormen, S. 232–236; Harris in Ferrari/Leible (2009), S. 269, 321–324. 131 So auch Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 67; Bonomi, YbPrivIntL 10 (2008), 258, 298 f. 132 Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 97, 111; Hauser, Eingriffsnormen, S. 75. 133 Palandt-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 12. 134 Vgl. Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 112; Palandt-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 12; Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 67 mit dem Beispiel der Entgelthöchst- und Entgeltmindestgrenzen; so auch Freitag, IPRax 2009, 109, 112 f.; Hauser, Eingriffsnormen, S. 77 f. 135 Reithmann/Martiny-Freitag, Rn. 635; ders., IPRax 2009, 109, 113; Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 113; Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 68. 136 Freitag, IPRax 2009, 109, 113 mit Verweis auf die anderen Sprachfassungen; Hauser, Eingriffsnormen, S. 79; Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 114. 137 Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 69–72; Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 115; Reithmann/Martiny-Freitag, Rn. 647; Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 628.
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
kungsverleihung bleibt die Norm hingegen schuldig. Die Verordnung räumt dem Richter diesbezüglich ebenfalls einen Ermessensspielraum ein, anstatt ihm eine klaren methodischen Ansatz vorzuschreiben. Diese Unsicherheit führt zu nationalen Unterschieden und kann sowohl den EU-internen als auch den internationalen Entscheidungseinklang beeinträchtigen. Vorzugswürdig wäre daher eine Festlegung seitens des europäischen Gesetzgebers. Grundsätzlich bestehen drei Möglichkeiten, auf welche Weise ausländische Eingriffsnormen berücksichtigt werden können.138 (a) Schuldstatutstheorie Die sog. Schuldstatutstheorie oder – allgemeiner gefasst – Lehre von der Einheitsanknüpfung,139 Lehre von der Globalverweisung140 oder lex causae-Theorie141 geht davon aus, dass internationale Eingriffsnormen von der Verweisung auf die lex causae mit erfasst sind und damit ebenso wie einfach zwingende Normen in den Geltungsbereich des Vertragsstatuts gehören.142 Konsequenz dieser Ansicht ist, dass Eingriffsnormen der lex causae stets und unabhängig von deren Zugehörigkeit zum Privatrecht oder öffentlichen Recht anzuwenden sind. Grenze ist der inländische ordre public.143 Drittstaatliche Eingriffsnormen hingegen können nach diesem Ansatz höchstens im materiellen Recht berücksichtigt werden. Es existieren auch abgewandelte Formen144 dieser Lehre, etwa die sog. Datumstheorie,145 die im Grundsatz ebenfalls nur Eingriffsnormen der lex causae beachtet, diese aber lediglich als sog. „Datum“, also tatsächlichen Faktor, berücksichtigt. Zumindest die reine Schuldstatutstheorie dürfte mittlerweile wohl als überholt gelten.146 Jedenfalls für den Bereich des Vertragsrechts wurde ihr durch den Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO eine Absage erteilt, da nicht auf die lex causae, sondern auf den Erfüllungsort abgestellt wird.147 138 Auf den Ansatz von Schurig, Kollisionsnorm, S. 321–330 und Neuhaus, RabelsZ 33 (1969), 194–196, die die Eingriffsnormen der lex fori einseitig ausbauen möchten, soll hier nicht eingegangen werden, da dieser Ansatz nicht mit dem Wesen der Eingriffsnormen als Exklusivnormen vereinbar ist, s. Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 74; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 4 Rn. 13. Die Verallseitigung einer inländischen Kollisionsnorm setzt nämlich voraus, dass eine Harmonisierung zwischen den Staaten bezüglich der hinter den Eingriffsnormen stehenden Ziele erfolgt ist, was in der Regel nicht der Fall ist, s. MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 59. 139 MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 47; Kropholler, IPR, S. 503. 140 Schäfer, FS Sandrock, S. 37, 41 mit Fn. 19. 141 von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 119. 142 Vgl. zu dieser Lehre Mann, FS Wahl, S. 139, 147 f., 160; Stoll, FS Kegel (1987), S. 623, 628 f. 143 Mann, FS Wahl, S. 139, 141. 144 Zu Abwandlungen der Schuldstatutstheorie ausführlich Hauser, Eingriffsnormen, S. 97–100. 145 Ausführlich dazu Jayme, GS Ehrenzweig, S. 35–49. 146 Vgl. Sonnenberger in Leible/Unberath, S. 429, 438; ders., IPRax 2003, 104, 106 f. 147 MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 47; Hauser, Eingriffsnormen, S. 105 f.; Köhler, Eingriffsnormen, S. 280.
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(b) Materiell-rechtliche Berücksichtigung Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Eingriffsnormen erst auf Ebene des materiellen Rechts zu berücksichtigen.148 Insbesondere der BGH hat diesen Weg in der Vergangenheit häufiger beschritten, indem er ausländische Eingriffsnormen im Rahmen des deutschen Vertragsstatuts über Generalklauseln wie etwa § 138 BGB angewendet hat.149 Diese Methode entspricht der sog. „indirect application“ im englischen Recht.150 Konsequenz dieses Ansatzes ist, dass auch die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die ausländische Eingriffsnorm nicht dem Eingriffsrecht selbst, sondern dem anwendbaren Sachrecht, also z. B. § 138 BGB, entnommen werden.151 Im Unterschied zur Schuldstatutstheorie ist die materiell-rechtliche Berücksichtigung nicht durch den weiten Wortlaut („Wirkungsverleihung“) des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO ausgeschlossen, sondern bleibt eine mögliche Variante der Wirkungsverleihung unter der Rom I-VO.152 (c) Kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung Die dritte mögliche Methode der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen besteht in einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung.153 Im Gegensatz zur materiell-rechtlichen Berücksichtigung spricht man hier auch von einer „direct application“.154 Die ausländische Eingriffsnorm wird als eine Teilfrage angesehen, die von der Hauptfrage gesondert anzuknüpfen ist.155 Dieser Weg wird nach herrschender Ansicht auch innerhalb der Rom I-VO für den dogmatisch überzeugendsten Ansatz gehalten.156 Anders als die anderen Ansätze schafft die Sonderanknüpfungslehre ein eigenes kollisionsrechtliches System für Eingriffsnormen, das neben die Verweisung der Art. 3 ff. Rom I-VO tritt.157 Innerhalb dieser Grundhaltung lassen sich wiederum verschiedene Ansätze ausmachen, die sich insbesondere darin unterscheiden, welche Art von Nähebeziehung 148 So
Schäfer, FS Sandrock, S. 37, 52 f.; Radtke, ZVglRWiss 84 (1985), 325, 355–357. Vgl. zu § 138: BGH v. 21.12.1960, BGHZ 34, 169; BGH v. 22.6.1972, BGHZ 59, 82; BGH v. 20.11.1990, NJW 1991, 634 (§ 826 BGB); BGH v. 8.2.1984, NJW 1984, 1746 (Wegfall der Geschäftsgrundlage); BGH v. 11.3.1982, BGHZ 83, 197, 201 (Unmöglichkeit); s. auch den Überblick bei Kropholler, IPR, S. 504–506; eingehende Analyse bei Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386–418. 150 Freitag, IPRax 2009, 109, 114; Chong, JPrivIntL 2 (2006), 27, 41 f. 151 Hauser, Eingriffsnormen, S. 109. 152 Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 81; Freitag, IPRax 2009, 109, 114. 153 Staudinger-Magnus, Art. 34 EGBGB Rn. 115; Kropholler, IPR, S. 506–510; Rauscher- Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 80; Remien, FS von Hoffmann, S. 334, 345, 347; von Bar/Mankowski, IPR § 4 Rn. 105 jeweils m. w. N. 154 Reithmann/Martiny-Freitag, Rn. 651. 155 Vgl. von Hoffmann, FS Henrich, S. 283, 284; Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1, 5. 156 Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 121 f.; Reithmann/Martiny-Freitag, Rn. 652; Palandt-T horn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 13; Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 80; a. A. Köhler, Eingriffsnormen, S. 207–209. 157 Dazu Kuckein, Eingriffsnormen, S. 131. 149
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sie zwischen Sachverhalt und Erlassstaat der Eingriffsnorm fordern.158 Weitgehend einig ist man sich jedoch darüber, dass drei Voraussetzungen vorliegen müssen, um eine Sonderanknüpfung vornehmen zu können:159 Erstens muss überhaupt eine Eingriffsnorm vorliegen, die dementsprechend vor allem einen internationalen Anwendungsanspruch aufweisen muss. Zweitens sollte eine hinreichende Nähebeziehung des Sachverhalts zum Erlassstaat der Eingriffsnorm bestehen. Drittens wird geprüft, ob die Wertungen, die der jeweiligen Eingriffsnorm zugrunde liegen, mit den Interessen und Wertungen des Forumstaates in Einklang stehen (sog. „shared values“160), wobei dieses Kriterium unterschiedlich streng gehandhabt wird.161 All diese einschränkenden Kriterien finden sich auch in der jetzigen Fassung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO wieder. Die Norm legt die Beschaffenheit der Nähebeziehung durch das Abstellen auf den Erfüllungsort fest. Auch den internationalen Anwendungsanspruch hat Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO als Voraussetzung aufgenommen. Schließlich kann die Überprüfung der Wertekompabilität im Rahmen des Ermessens vorgenommen werden. Auch die kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung lässt sich grundsätzlich unter den weiten Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO subsumieren. Insbesondere Satz 2 deutet in diese Richtung, wonach die Folgen, die sich aus der „Anwendung oder Nichtanwendung“ der Eingriffsnorm ergeben, berücksichtigt werden müssen. Dies deutet darauf hin, dass auch eine direkte Anwendung der Eingriffsnorm im Sinne einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung im Rahmen der Rom I-VO möglich bleibt.162 (d) Stellungnahme Es wurde bereits festgestellt, dass der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO keinen Raum für die Schuldstatutstheorie lässt. Trotzdem soll an dieser Stelle eine Auseinandersetzung mit ihr erfolgen, um beurteilen zu können, ob sie nicht gegebenenfalls de lege ferenda eine gangbare Lösung darstellt. Ein Vorteil der Schuldstatutstheorie besteht darin, dass im Rahmen der lex causae die mitunter schwierige Differenzierung zwischen einfach zwingenden und international zwingenden Normen entbehrlich ist.163 Auch die Rechtssicherheit spricht zunächst für diese Lehre, da die Parteien jedenfalls vorhersehen können, dass alle Eingriffsnormen der lex causae pauschal angewendet werden.164 Für diese 158 Dazu
Hauser, Eingriffsnormen, S. 103 f. m. w. N. Folgenden Fetsch, Eingriffsnormen, S. 26–33; Hauser, Eingriffsnormen, S. 102 f.; Kuckein, Eingriffsnormen, S. 134–136; Staudinger-Magnus, Art. 34 EGBGB Rn. 141–144. 160 MüKo-Martiny (2006), Art. 34 EGBGB Rn. 159. 161 S. Fetsch, Eingriffsnormen, S. 32 f.; Hentzen, RIW 1988, 508, 510. 162 Hauser, Eingriffsnormen, S. 110; Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 628; Freitag, IPRax 2009, 109, 115. 163 Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 77; Kropholler, IPR, S. 504; Kuckein, Eingriffsnormen, S. 126; Radtke, ZVglRWiss 84 (1985), 325, 343 f. 164 Kuckein, Eingriffsnormen, S. 127; Leible, ZVglRWiss 97 (1998), 286, 298. 159 Zum
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Lehre scheint außerdem zu sprechen, dass auf diese Weise Entscheidungseinklang zumindest mit der lex causae erzielt werden kann, da deren Eingriffsnormen stets berücksichtigt werden. Die Schwäche des Ansatzes liegt aber gerade in der Ungleichbehandlung von drittstaatlichen Eingriffsnormen und jenen der lex causae.165 Letztere werden nämlich pauschal privilegiert, wohingegen der Anwendungswille von international zwingenden Normen eines Drittstaates, zu dem der Sachverhalt gegebenenfalls sogar stärkere Verbindungen aufweist, ignoriert wird. Diese willkürliche Differenzierung wird der Tatsache nicht gerecht, dass durch die Internationalisierung des Rechtsverkehrs ein Sachverhalt gleich starke und damit gleichberechtigte Verbindungen zum Recht mehrerer Staaten aufweisen kann.166 Der Gleichheitsgrundsatz, der auch hinter dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs steht, wird auf diese Weise missachtet. Somit wird von vornherein die Möglichkeit vertan, Entscheidungseinklang auch mit Drittstaaten zu erreichen. Weiterhin wird durch die schematische Anwendung der lex causae inklusive aller international zwingenden Normen der räumliche Anwendungsbereich der jeweiligen Eingriffsnorm ignoriert, sodass diese gegebenenfalls sogar trotz fehlenden Anwendungswillens angewendet wird.167 Ein Gericht im Staat der lex causae würde eine eigene Eingriffsnorm gerade nicht unter Missachtung ihres räumlichen Anwendungsbereiches anwenden. Wenn ein Richter der lex fori eine Eingriffsnorm der lex causae anwendet, obwohl deren räumlicher Anwendungsbereich nicht eröffnet ist, besteht die Gefahr des Auftretens von Entscheidungsdisharmonien. Der scheinbare Vorteil der Schuldstatutstheorie, nämlich die Erzielbarkeit von Entscheidungseinklang jedenfalls mit der lex causae, wird daher stark relativiert. Zudem ist kein sachlicher Grund ersichtlich, warum eine ausländische Eingriffsnorm berücksichtigt werden sollte, wenn nicht einmal der Erlassstaat ein Interesse an ihrer Anwendung hat.168 Selbst wenn die Schuldstatutstheorie zumindest in den Fällen, in denen auch der räumliche Anwendungsbereich der ausländischen Eingriffsnorm eröffnet ist, Entscheidungseinklang mit der lex causae erzielt, deutet dies noch nicht auf die Überlegenheit dieser Theorie gegenüber anderen Lösungen hin. Vielmehr ist dem Prinzip des Entscheidungseinklangs im Rahmen des Eingriffsrechts – anders in den bisher behandelten Bereichen – ein geringeres Gewicht einzuräumen. Denn wie bereits erwähnt, handelt es sich beim Prinzip des Entscheidungseinklangs um ein ergebnisblindes, rein formales Ziel. Das Eingriffsrecht hingegen ist stark von ordnungspolitischen Wertungen geprägt, die im Einzelfall schwerer wiegen und das insofern neutrale, rein kollisionsrechtliche Ziel des Entscheidungseinklangs überlagern sollten. 165
Hauser, Eingriffsnormen, S. 97; von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 120. Art. 34 EGBGB Rn. 131; Hauser, Eingriffsnormen, S. 97. 167 Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 78; vgl. auch Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 245. 168 Kuckein, Eingriffsnormen, S. 128; von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 120. 166 Staudinger-Magnus,
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
Die Erzielbarkeit von Entscheidungseinklang kann folglich nicht das entscheidende Argument im Rahmen dieses Problemkreises sein und ist nicht geeignet, die dogmatischen Schwächen der Schuldstatutstheorie zu kompensieren. Dies gilt umso mehr, da die Schuldstatutstheorie mit Drittstaaten von vornherein keinen Entscheidungseinklang zu erzielen vermag und auch die Erreichbarkeit vollständigen Entscheidungseinklangs mit der lex causae unter dem Vorbehalt der Eröffnung des räumlichen Anwendungsbereichs der ausländischen Eingriffsnorm steht. Nicht überzeugend ist außerdem, dass nach der Schuldtstatutstheorie die Anwendbarkeit ausländischer Eingriffsnormen und damit auch ausländischer zwingender Wertungen durch die weitreichenden Rechtswahlmöglichkeiten im inter nationalen Vertragsrecht zur Disposition der Parteien stehen.169 Dies entspricht nicht dem Wesen von Eingriffsnormen, die „ihrem Selbstverständnis nach Grenze, nicht Objekt der Parteiautonomie“ sind.170 Die auf den Ausgleich von Parteiinteressen ausgerichteten Kollisionsnormen der Art. 3 ff. Rom I-VO sind nicht geeignet, die Anwendbarkeit von Normen zu begründen, die primär öffentliche Interessen verfolgen171 und die Parteien sollten kein „Eingriffsnormen-Shopping“ betreiben können. Die öffentlichen Interessen, die dem Eingriffsrecht zugrunde liegen, sollten daher auch dogmatisch als eigener Bereich anerkannt werden, dessen Besonderheiten nicht über die allgemeinen Kollisionsnormen der Art. 3 ff. Rom I-VO gelöst werden können.172 Die Schuldstatutstheorie negiert den bereits erörterten zweispurigen, bereits auf Savigny zurückgehenden Charakter des Kollisionsrechts.173 Die den an deren Theorien von der Schuldstatutstheorie vorgeworfene Aufspaltung des Sach verhalts ist dem Kollisionsrecht nicht fremd, vielmehr ist eine Abspaltung von Teilfragen sogar charakteristisch für das IPR174 und angesichts der bereits erörterten Zweispurigkeit des IPR für diesen Bereich auch angemessen. Die Lehre von der Einheitsanknüpfung bzw. die Schuldstatutstheorie ist folglich abzulehnen. Dies gilt auch für Ansätze, die die Schuldstatutstheorie dergestalt einschränken wollen, dass sie nur für Eingriffsnormen der lex causae Anwendung findet, während für drittstaatliche Eingriffsnormen die Sonderanknüpfungslehre gelten soll.175 Durch die Kombination mit der Sonderanknüpfungslehre werden die dogmatischen Schwächen der Schuldstatutstheorie nämlich nicht beseitigt.176 169 Staudinger-Magnus, Art. 34 EGBGB Rn. 131; vgl. auch Fetsch, Eingriffsnormen, S. 15; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 245; Remien, RabelsZ 54 (1990), 431, 462 f. 170 von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 120; s. auch Kuckein, Eingriffsnormen, S. 128. 171 MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 47; ders., IPRax 2003, 104, 107; Hauser, Eingriffsnormen, S. 96 f. 172 S. auch MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 52. 173 Treffend von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 120: „Sie [die Schuldstatutstheorie] fragt in ein und derselben Anknüpfung einmal vom Sachverhalt und einmal vom Gesetz her. Daher leidet sie an einem inneren Widerspruch, der sie zerreißen muss.“ 174 Kuckein, Eingriffsnormen, S. 129. 175 Lando, CMLR 24 (1987), 159, 213 f.; Siehr, RabelsZ 52 (1988), 41, 96 f. 176 So auch Hauser, Eingriffsnormen, S. 104 f.
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Für den zweiten genannten Lösungsweg, die materiell-rechtliche Berücksichtigung, spricht, insbesondere im Gegensatz zur pauschalen Schuldstatutstheorie, ihre Flexibilität im Einzelfall.177 Kehrseite dieser Flexibilität ist aber, dass aus der einzelfallbezogenen Berücksichtigung nicht auf einen allgemeinen Grundsatz geschlossen werden kann, unter welchen Voraussetzungen und auf welche Art und Weise ausländische Eingriffsnormen zu berücksichtigen sind.178 Dies führt zu Rechtsunsicherheit und fehlender Vorhersehbarkeit für die Parteien, was dem Anliegen des europäischen Verordnungsrechts zuwiderläuft.179 Weiterhin ist dogmatisch gegen eine Verortung der Problematik im materiellen Recht einzuwenden, dass die herangezogenen Sachnormen dem privaten Interessenausgleich dienen und – anders als Kollisionsnormen – keine Wertungen enthalten, die den Besonderheiten eines Auslandssachverhalts gerecht werden.180 Die Lösung bereitet außerdem Schwierigkeiten, wenn im Vertragsstatut keine taugliche und hinreichend offene materielle Vorschrift existiert, über die eine ausländische Eingriffsnorm angewendet werden könnte.181 Schließlich liegt in der Anwendung einer solchen ausländischen materiell-rechtlichen Generalklausel eine für den Richter sehr schwierige Aufgabe, da diese Methode eine gewisse Expertise bezüglich der lex causae voraussetzt.182 Gegen diese Methode spricht außerdem das Prinzip des Entscheidungseinklangs.183 Da nämlich die einzelnen nationalen Sachrechte selbst innerhalb der EU sehr unterschiedlich ausgestaltet sind, erscheint es beinahe unmöglich, über materiell-rechtliche Normen zu parallelen Ergebnissen zu gelangen. Die ausländische Eingriffsnorm wird gerade nicht so angewendet wie der Eingriffsstaat sie anwenden würde, was dem Gebot einer möglichst realen Entscheidung widerspricht.184 Stattdessen werden die Rechtsfolgen eines Verstoßes dem anwendbaren Vertragsstatut entnommen, womit dieselbe Eingriffsnorm je nach Gerichtsort möglicherweise unterschiedliche Wirkungen entfaltet.185 Eine materiell-rechtliche Lösung gefährdet daher sowohl den europäischen als auch den internationalen Entscheidungseinklang. Auch wenn dem Prinzip des Entscheidungseinklangs im Eingriffsrecht generell ein geringeres Gewicht beigemessen werden sollte als in anderen Bereichen, kompensiert der Vorteil der Flexibilität die Rechtsunsicherheit und weiteren dogmatischen
177 Schäfer, FS Sandrock, S. 37, 52; Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 76; Hauser, Eingriffsnormen, S. 101; Kuckein, Eingriffsnormen, S. 116. 178 Staudinger-Magnus, Art. 34 EGBGB Rn. 140; Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 79. 179 Hauser, Eingriffsnormen, S. 101. 180 Kropholler, IPR, S. 509¸ Kegel/Schurig, IPR, S. 156 sehen in der materiell-rechtlichen Berücksichtigung eine „Vernebelungstaktik“. 181 Fetsch, Eingriffsnormen, S. 60. 182 Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 79. 183 Hauser, Eingriffsnormen, S. 101. 184 Dazu oben, S. 30 f. 185 Vgl. Reithmann/Martiny-Freitag, Rn. 652.
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Unsauberkeiten des materiell-rechtlichen Ansatzes nicht. Diese Lösung ist daher ebenfalls abzulehnen. Schließlich bleibt also nur noch eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung der ausländischen Eingriffsnormen, auch als „direct application“ des ausländischen Eingriffsrechts bezeichnet. Aus diesem Begriff wird bereits der Vorteil im Gegensatz zur „indirect application“ deutlich. Die ausländische Eingriffsnorm wird direkt angewendet, d. h. nicht ins materielle Recht des Vertragsstatuts transformiert. Der inländische Richter wendet das Eingriffsrecht folglich so an wie es ein Richter im Eingriffsstaat tun würde, wodurch eine reale Entscheidung erzielt und der internationale Entscheidungseinklang gefördert wird.186 Gleiches gilt für den europäischen Entscheidungseinklang. Weiterhin handelt es sich bei der kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung auch um den dogmatisch klarsten, rechtssichersten und damit vorhersehbarsten Weg,187 da die Wirkungsverleihung nicht vom jeweiligen materiellen Recht abhängig gemacht wird. Sie löst ein kollisionsrechtliches Problem auf Ebene des Kollisionsrechts, ohne es in das mitunter unpassende Sachrecht zu verlagern.188 Damit wird sie der Zweispurigkeit des Kollisionsrechts gerecht, das auf der Tatsache beruht, dass Eingriffsnormen grundlegend anderen Interessen dienen als das klassische Verweisungssystem.189 Sieht man in Art. 9 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO ein Bekenntnis zur Sonderanknüpfungslehre, wird außerdem der Widerspruch zu Art. 9 Abs. 3 S. 2 beseitigt, der deutlich von „Anwendung oder Nichtanwendung“ spricht.190 Vereinzelt wurde an der Sonderanknüpfungslehre zwar kritisiert, ihr liege ein falsches Regel-Ausnahme-Prinzip zugrunde, da sie grundsätzlich ausländische Eingriffsnormen berücksichtige, wohingegen das Scheitern der Anwendung ausländischen Eingriffsrechts die Ausnahme darstelle.191 So würden interventionistische Versuche einzelner Staaten begünstigt. Dementsprechend sei ein umgekehrtes Regel-Ausnahme-Verhältnis, wie es der materiell-rechtliche Ansatz bewirke, vorzugswürdig.192
186 Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 80; Hauser, Eingriffsnormen, S. 109; Reithmann/ Martiny-Freitag, Rn. 652; Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 122. 187 Staudinger-Magnus, Art. 34 EGBGB Rn. 139; Kropholler, IPR, S. 509; Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 80. 188 Freitag, IPRax 2009, 109, 114; Hauser, Eingriffsnormen, S. 111. 189 Insofern ist von der Sonderanknüpfungslehre die sog. „besondere Anknüpfung“ oder „gesonderte Anknüpfung“, die auf dem Schurig‘schen Bündelungsmodell beruht, zu unterscheiden. Sie integriert Eingriffsnormen in das klassische Verweisungssystem und bildet dafür besondere Kollisionsnormen, um auf diese Weise das Anknüpfungssystem auszudifferenzieren und fortzubilden und schließlich, wenn möglich, diese einzelnen Kollisionsnormen zu allseitigen Kollisionsnormen zu „bündeln“. Dazu ausführlich Kuckein, Eingriffsnormen, S. 138–150; Fetsch, Eingriffsnormen, S. 36–44 jeweils m. w. N. 190 Dazu Sonnenberger in Leible/Unberath, S. 429, 441. 191 Schäfer, FS Sandrock, S. 37, 52. 192 Schäfer, FS Sandrock, S. 37, 52.
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Dieser Kritik ist jedoch nicht zuzustimmen. Der Grundsatz, ausländisches Eingriffsrecht zu berücksichtigen, ist angesichts der Vielzahl internationaler Sachverhalte sowie der Europäisierung bzw. sogar Globalisierung des Rechtsverkehrs und der Erzielbarkeit von europäischem und internationalem Entscheidungseinklang zu begrüßen. Es ist vorzugswürdig, eine Regelanknüpfung für Eingriffsnormen vorzusehen. Alternative wäre eine ausnahmsweise Korrektur des Ergebnisses, wofür jedoch bereits der ordre public das geeignete methodische Mittel darstellt.193 Außerdem ist die Rechtsfolgenseite nicht die einzige Stellschraube, um interventionistischen und missbräuchlichen Versuchen zu begegnen. Zunächst ist eine Einschränkung nämlich auf Tatbestandsebene vorzunehmen, indem der Begriff der Eingriffsnorm möglichst eng definiert wird. Durch Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO werden die Rechtsfolgen bereits erheblich eingeschränkt, indem nur bestimmte ausländische Eingriffsnormen überhaupt berücksichtigt werden. Selbst wenn man diese Einschränkung für sachlich nicht überzeugend hält und stattdessen eine weitergehende Berücksichtigung ausländischen Eingriffsrechts vertritt, lassen sich genügend einschränkende Kriterien formulieren, die Missbrauch verhindern können.194 Das Regel-Ausnahme-Prinzip, das der Sonderanknüpfungslehre zugrunde liegt, ist folglich zu befürworten. Aufgrund der dogmatischen Klarheit und Rechtssicherheit sowie der Erzielbarkeit von Entscheidungseinklang, ohne dabei die dem Eingriffsrecht zugrundeliegenden öffentlichen Interessen zu negieren, ist eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung als vorzugswürdig anzusehen. (5) Eingriffsnormen der lex causae Eine weitere Frage, die die derzeitige Fassung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO aufwirft, ist die Behandlung von Eingriffsnormen der lex causae. Wenn im Erlassstaat der lex causae zugleich der Erfüllungsort liegt, entsteht kein Problem. Ist dies jedoch nicht der Fall, ist fraglich, ob Eingriffsnormen der lex causae auch unabhängig von den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO berücksichtigt werden können und Letzterer dementsprechend nur für drittstaatliche Eingriffsnormen gilt.195 Nach einer Ansicht, die in diesem Punkt der Schuldstatutstheorie entspricht, sollen die Eingriffsnormen der lex causae von der Verweisung der Art. 3 ff. Rom I-VO erfasst sein.196 Konsequenz dieser Ansicht ist, dass die engen Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO lediglich für Drittstaaten gelten, während Eingriffsnormen 193
MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 52. Zu entsprechenden Einschränkungen durch die Erwägungsgründe noch unten, S. 277 f., 296. 195 Näher dazu Thorn in Ferrari/Leible (2007), S. 129, 145 f.; Reithmann/Martiny-Freitag, Rn. 646; Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 129–140; Hauser, Eingriffsnormen, S. 123– 128. 196 Lando/Nielsen, CMLR 45 (2008), 1687, 1719; Mann, FS Wahl, S. 139, 147 f., 160; Melchior, IPR, S. 267; Busse, ZVglRWiss 95 (1996), 386, 414–416; Magnus, IPrax 2010, 27, 42. 194
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der lex causae privilegiert werden.197 Diese willkürliche Ungleichbehandlung erscheint, wie bereits dargestellt, ungerechtfertigt. Auch die Verkennung der Zwei spurigkeit des Kollisionsrechts sowie die Tatsache, dass die Anwendbarkeit von Eingriffsnormen über Art. 3 Rom I-VO letztlich zur Parteidisposition gestellt würde, sprechen gegen diesen Ansatz. Nach vorzugswürdiger Ansicht ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, der nicht auf Drittstaaten beschränkt ist, dass auch Eingriffsnormen der lex causae nur unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO zu berücksichtigen sind.198 Diesem Ergebnis wird wiederum vorgeworfen, dass es vom Zufall abhänge, ob der Erfüllungsort auch im Staat der lex causae liege und eine hin reichend enge Verbindung zur lex causae bestehe, sodass es ungerechtfertigt erscheine, den Anwendungswillen ihrer Eingriffsnormen zu ignorieren.199 Diesen Einwand mag man als berechtigt ansehen, jedoch ist dieses Ergebnis durch Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO de lege lata vorgegeben.200 Ob und unter welchen Voraussetzungen Eingriffsnormen des Vertragsstatuts de lege ferenda berücksichtigt werden sollten, wird noch zu erörtern sein.201 (6) Ermessen und Ermessenskonkretisierung Wie bereits erwähnt, eröffnet Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO dem Richter ein Entscheidungsermessen hinsichtlich der Frage, ob er eine ausländische Norm berücksichtigt. Dies birgt zwar Gefahren für die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der richterlichen Entscheidung; doch leistet an dieser Stelle Art. 9 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO Konkretisierungsarbeit, der das Ermessen des Richters einschränkt, indem er Abwägungskriterien vorgibt. Danach sind sowohl „Art und Zweck“ der ausländischen Eingriffsnorm als auch „die Folgen […], die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden“, zu berücksichtigen. Die Einbeziehung der Art und des Zwecks der Eingriffsnorm ermöglicht eine Prüfung, ob die ausländische Wertentscheidung mit den inländischen Wertungen übereinstimmt bzw. sogar von der internationalen Staatengemeinschaft getragen wird (sog. shared values).202 Damit wird im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO auch die dritte Voraussetzung der herkömmlichen Sonderanknüpfungslehre geprüft.203 197
Hauser, Eingriffsnormen, S. 124. auch Palandt-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 15; Thorn in Ferrari/Leible (2007), S. 129, 145 f. noch zum Entwurf in Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO-E; Reithmann/Martiny-Freitag, Rn. 646; ausführlich Hauser, Eingriffsnormen, S. 126–129. 199 Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 135 f. 200 So auch Hauser, Eingriffsnormen, S. 128 f. 201 Dazu unten, S. 275 f. 202 Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 71; MüKo-Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 142 f. mit Beispielen; Reithmann/Martiny-Freitag, Rn. 647–649; ausführlich Hauser, Eingriffsnormen, S. 117–120. 203 Zu den Voraussetzungen oben, S. 259 f. 198 So
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Das zweite Abwägungskriterium, die Folgen der Anwendung bzw. Nichtanwendung, verlagert die Prüfung der Eingriffsnorm von der abstrakten Werteebene auf die konkrete Ebene, ermöglicht die Einbeziehung der konkreten Umstände des Falles und sorgt auf diese Weise für Einzelfallgerechtigkeit.204 Schließlich wird durch das Ermessen auf Rechtsfolgenebene auch ermöglicht, bei mitgliedstaatlichen Eingriffsnormen aufgrund des Grundsatzes der Unionstreue eine Ermessensreduzierung vorzunehmen.205 Die Annahme einer Ermessensreduzierung ermöglicht eine flexible Lösung im Einzelfall, soweit ausnahmsweise inländische Wertungen des Forums der ausländischen mitgliedstaatlichen Eingriffsnorm entgegenstehen. Die Tatsache, dass Art. 9 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO dem Richter ein Entschließungsermessen eröffnet und dieses in S. 2 einschränkt, ist daher zu begrüßen. (7) Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO? Sind die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO nicht erfüllt, stellt sich die Frage, ob die Norm eine weitergehende Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen zulässt oder insofern Sperrwirkung entfaltet. Mangels einer ausdrücklichen Aussage seitens des Verordnungsgebers ist die Problematik höchst umstritten.206 In Betracht kommen in diesem Zusammenhang sowohl die Berücksichtigung von Eingriffsnormen, die die Vertragserfüllung nicht berühren als auch Eingriffsnormen, die sich zwar auf die Erfüllung beziehen, aber aus einem anderen Staat als dem Staat des Erfüllungsortes stammen. Hierzu werden beide Extrempositionen vertreten. Während eine Ansicht davon ausgeht, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO sei abschließend zu verstehen und entfalte daher Sperrwirkung bei Nichtvorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen,207 sieht ein anderer Ansatz die Norm lediglich als einen „politischen Mindestkonsens“ an, der eine weitergehende Berücksichtigung ausländischen Eingriffsrechts ermögliche.208 Schließlich geht eine vermittelnde Ansicht davon aus, die Vorschrift verbiete nur eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung ausländischen Eingriffsrechts, wohingegen eine materiell-rechtliche Berücksichtigung der faktischen Wirkungen unabhängig von den Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO möglich sein solle.209
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Näher Rauscher-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 72. Art. 9 Rom I-VO Rn. 73. 206 S. Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 123 f. m. w. N. 207 Ferrari/Kieninger-Kieninger, Art. 9 Rom I-VO Rn. 42 f.; Mankowski, IHR 2008, 133, 148; Harris in Ferrari/Leible (2009), S. 269, 319; Hauser, Eingriffsnormen, S. 128 f. 208 Rühl, FS Kropholler, S. 187, 206 f. 209 Freitag, IPRax 2009, 109, 115; Reithmann/Martiny-Freitag, Rn. 653; Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 124; MüKo-Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 114; Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 9 Rom I-VO Rn. 30. 205 Rauscher-Thorn,
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Während das Ziel der Rechtsvereinheitlichung, das die Verordnung verfolgt, für eine Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO spricht,210 besteht andererseits durchaus ein Bedürfnis, Eingriffsnormen, deren Zweck von der internationalen Staatengemeinschaft verfolgt wird, unabhängig davon durchzusetzen, ob im Erlassstaat auch der Erfüllungsort liegt.211 Letzteres lässt sich aber mit dem Wortlaut, dem Telos und insbesondere mit der Gesetzgebungsgeschichte der Vorschrift kaum vereinbaren. Auch diese umstrittene Frage entfaltet sowohl Relevanz im Hinblick auf den EU-internen als auch den internationalen Entscheidungseinklang, sodass sie de lege ferenda klärungsbedürftig ist. (8) Ergebnis Die Ausführungen haben gezeigt, dass durch Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO mehr Probleme geschaffen als gelöst werden. Diese Auslegungsprobleme zu lösen ist nicht Ziel dieser Arbeit. Stattdessen soll nun der Fokus auf die lex ferenda gelegt werden. Auf Rechtsfolgenseite wurde bereits beantwortet, dass die Sonderanknüpfungslehre die überzeugendste Lösung darstellt. Schwerpunktmäßig wird sich die folgende Betrachtung daher auf den Tatbestand des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO konzentrieren. bb) Lex ferenda Es ist zu begrüßen, dass der europäische Gesetzgeber den Versuch einer Regelung des höchst umstrittenen Problems der Berücksichtigung ausländischen Eingriffsrechts überhaupt gewagt hat. Nicht verwunderlich ist angesichts der Komplexität des Problems und des politischen Kompromiss- bzw. Zugeständnischarakters der Vorschrift, dass sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenebene Verbesserungsbedarf besteht. (1) Tatbestand (a) Ausgestaltung der Nähebeziehung zum Erlassstaat Auf Tatbestandsebene besteht Klärungsbedarf dahingehend, welche Art von Nähebeziehung des Sachverhaltes zum Erlassstaat einerseits erforderlich und andererseits ausreichend ist, um dessen Eingriffsnormen zu berücksichtigen. (aa) Untauglichkeit des Kriteriums des Erfüllungsortes Bedauerlich ist, dass der Tatbestand des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO wegen des Drängens des Vereinigten Königreichs viel zu eng formuliert ist.212 Aufgrund der Viel210
Freitag, IPRax 2009, 109, 115. Art. 9 Rom I-VO Rn. 14; Köhler, Eingriffsnormen, S. 267–273. 212 Hauser, Eingriffsnormen, S. 94, der diesen restriktiven Ansatz für nicht tauglich hält, „um 211 Palandt-Thorn,
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zahl der faktischen Möglichkeiten im Bereich zwingender Normen und deren unterschiedlicher Wirkweise auf vertragliche Verhältnisse erscheint die Auswahl eines einzigen Kriteriums untauglich.213 So beklagt beispielsweise auch Mankowski durch die Beschränkung auf Eingriffsnormen des Erfüllungsortes einen „Rückschritt gleichsam in die Steinzeit des IPR“ und sieht in dem Tatbestandsmerkmal eine „altertümliche Orientierungsmarke“.214 Tatsächlich ist die Kritik sowohl systematisch als auch rechtspolitisch begründet. Der restriktive Ansatz des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO ist insofern systematisch nicht überzeugend, als ein Wertungswiderspruch zu Art. 6 Abs. 3 lit. a Rom II-VO entsteht.215 Dieser enthält für das Kartelldeliktsrecht eine allseitige Anknüpfung an das Recht des Staates, dessen Markt beeinträchtigt ist, unabhängig davon, ob es sich um einen Mitgliedstaat oder einen Drittstaat handelt.216 Diese allseitige Kollisionsnorm gilt auch für kartellrechtliche Verbotsnormen, soweit wegen ihrer Verletzung deliktsrechtliche Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden.217 Im Rahmen des Kartelldeliktsrechts werden daher drittstaatliche Eingriffsnormen ohne weitere einschränkende Voraussetzungen angewendet, während dies im internationalen Schuldvertragsrecht nur geschieht, wenn es sich um eine Kartellrechtsnorm des Erfüllungsstaates handelt. In einem Fall, in dem sowohl vertragliche als auch deliktische Ansprüche in Rede stehen, bliebe die Wirksamkeit des Vertrages unberührt, weil die drittstaatliche Eingriffsnorm de lege lata nicht berücksichtigt werden könnte. Trotzdem müsste deliktsrechtlicher Schadensersatz gezahlt werden, da eine drittstaatliche kartellrechtliche Verbotsnorm über Art. 6 Abs. 3 lit. a Rom II-VO beachtet würde. Dieser Wertungswidersprich erscheint wenig einleuchtend.218 Auch aus rechtspolitischer Sicht ist die Vorschrift des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO höchst diskussionswürdig. Wie bereits dargestellt, war das rechtspolitische Anliegen des Vereinigten Königreichs, das sich letztlich durchgesetzt hat, die Parteiautonomie möglichst weitgehend zu erhalten und den staatlichen und wirtschaftspolitischen Einfluss auf vertragliche Verhältnisse auf ein Minimum zu beschränken.219 Dieses Anliegen ist insofern zu kritisieren, als die Parteiautonomie nicht ohne Grenzen bestehen sollte, sondern sich im Rahmen eines Ordnungsgefüges bewegen muss, in dem übergeordnete staatliche und wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen, die im Einzelfall Vorrang vor der Freiheit des Individuums beanspruchen können.220 Diese rechtspolitische Wertentscheidung steht außerdem nicht im EinOrdnungspolitik zum Durchbruch zu verhelfen“; so auch Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 543; Lehmann, FS Spellenberg, S. 245, 259. 213 Vgl. MüKo-Martiny (2006), Art. 34 EGBGB Rn. 139. 214 Mankowski, IHR 2008, 133, 148. 215 Roth, FS Kühne, S. 859, 874 f.; Ferrari/Kieninger-Kieninger, Art. 9 Rom I-VO Rn. 51. 216 Roth, FS Kropholler, S. 623, 636 f. 217 Roth, FS Kropholler, S. 623, 648. 218 Roth, FS Kühne, S. 859, 874 f.; ders., FS Kropholler, S. 623, 648 f. 219 S. Roth, FS Kühne, S. 859, 877; Dickinson, JPrivIntL 3 (2007), 53, 71–73. 220 Roth, FS Kühne, S. 859, 878.
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
klang mit der Wertung, nach der die Parteiautonomie auch ansonsten nach der Rom I-VO nicht grenzenlos besteht, sondern durch bestimmte Schutzgesichtspunkte (s. etwa Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO, Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO) überlagert wird. Hiernach setzt sich sogar unter bestimmten Voraussetzungen einfach zwingendes Recht gegenüber einer Rechtswahl der Parteien durch. Dies sollte erst recht für international zwingendes Recht gelten, was aufgrund des restriktiven Ansatzes des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO jedoch häufig nicht der Fall sein wird. Aus rechtspolitischer Sicht überzeugt in diesem Zusammenhang außerdem nicht, dass der enge Tatbestand des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO die Parteien zu forum shopping ermutigen wird.221 Die Parteien können über Art. 25 Brüssel Ia-VO ein Forum wählen, dessen Eingriffsnormen ihnen als besonders günstig erscheinen und über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO Anwendung finden werden. Außerdem können ausländische Eingriffsnormen beliebig umgangen werden, indem zusätzlich zur Wahl eines günstigen Forums der Erfüllungsort in einen Staat verlegt wird, dessen Eingriffsnormen den Parteien ebenfalls vorteilhaft erscheinen. Wäre Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO hingegen weiter gefasst und würde auch die Eingriffsnormen anderer Staaten ein beziehen, bestünde ein geringerer Anreiz für die Parteien, „Eingriffsnormen-shopping“ zu betreiben. Die Beschränkung auf Eingriffsnormen des Erfüllungsortes ist damit weder systematisch noch rechtspolitisch überzeugend. (bb) Vorzüge des Kriteriums der engen Verbindung Der europäische Gesetzgeber sollte weitere Anhaltspunkte auf Tatbestandsebene beachten, anstatt sich auf ein einziges, durch die Parteien manipulierbares Kriterium zu beschränken. De lege lata ermöglicht Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO die Berücksichtigung der Eingriffsnormen anderer Staaten als derjenigen des Erfüllungsortes selbst dann nicht, wenn mehrere objektive Kriterien kumulativ auf diesen Staat hinweisen. Es kommen nämlich durchaus weitere objektive Berührungspunkte als die Lage des Erfüllungsortes in Betracht, die eine enge Verbindung zum Recht eines Staates etablieren und die Anwendbarkeit von dessen Eingriffsnormen rechtfertigen können. Denkbar ist beispielsweise die Berücksichtigung des Ortes der Niederlassung bzw. des gewöhnlichen Aufenthaltes des Schuldners (vgl. auch den Gedanken des Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO). Der in einem Staat niedergelassene Schuldner ist nämlich der Hoheitsgewalt dieses Staates unterworfen, sodass sich dessen Eingriffsnormen ebenfalls auf die Erfüllung eines Vertrages auswirken können.222 Möglich ist auch, dass der Lageort einer Sache eine engere Beziehung zu einem anderen Staat begründet.223 Wie der Vergleich zu Art. 6 Abs. 3 lit. a Rom II-VO gezeigt hat, kann 221
Zum Folgenden Roth, FS Kühne, S. 859, 878 f.; Dickinson, JPrivIntL 3 (2007), 53, 84 f. MüKo-Martiny (2006), Art. 34 EGBGB Rn. 142. 223 Zu diesen und weiteren Kriterien s. MüKo-Martiny (2006), Art. 34 EGBGB Rn. 141–154. 222
D. Behandlung im Verordnungsrecht
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auch die Auswirkung auf einen bestimmten Markt im Kartellprivatrecht eine Nähebeziehung zu einer Rechtsordnung begründen.224 Nur eine weiter gefasste Norm würde die Berücksichtigung der Eingriffsnormen solcher Staaten, die aufgrund der genannten Kriterien eine Verbindung zum Sachverhalt aufweisen, ermöglichen. Vorteil einer weiter und allgemeiner gefassten Norm wäre außerdem, dass sie sich auf andere Rechtsgebiete übertragen ließe. So kann beispielsweise die Staatsangehörigkeit einer Person eine enge Beziehung zu einer Rechtsordnung begründen, was allerdings nur im Familien- und Erbrecht zum Tragen kommen und im Schuldrecht bedeutungslos sein wird.225 Geeignet wäre daher eine Regelung, deren Wortlaut auch die familien- und erbrechtlichen Gestaltungen umfasst und nicht rein schuldrechtsbezogen ist. Fraglich ist aber, wie eine solche Regelung aussehen sollte. Es wurde bereits vorgeschlagen, in Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO anstatt auf den Erfüllungsort auf den Staat abzustellen, „auf dessen Gebiet Leistungshandlungen vorzunehmen oder zu unterlassen sind oder auf dessen Gebiet sich solche Handlungen auswirken“.226 Dieser Vorschlag ist zwar weiter als die jetzige Fassung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, lässt sich aber wegen des schuldrechtsbezogenen Merkmals der Leistungshandlung nicht auf andere Rechtsgebiete und damit Verordnungen ausdehnen. Um eine für mehrere Rechtsgebiete gültige Regelung zu schaffen, bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder der europäische Gesetzgeber schafft eine Norm, die ähnlich wie Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO sämtliche relevanten Kriterien aufzählt, die eine enge Verbindung zu dem Recht eines Staates etablieren, dessen Eingriffsnormen zu berücksichtigen sind. Parallel zu Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO müsste für sonstige seltenere Fälle ein Auffangtatbestand geschaffen werden, der generalklauselartig auf ein weiter gefasstes Kriterium, z. B. auf die engste Verbindung, abstellt. Angesichts der Vielgestaltigkeit praktischer Fälle erscheint eine Aufzählung jedoch kaum möglich. Alternativ könnte der Gesetzgeber daher von vornherein eine Generalklausel schaffen, die besagt, dass Eingriffsnormen des Staates zu berücksichtigen sind, zu dem eine enge Verbindung besteht.227 Eine entsprechende Regelung enthielten bereits Art. 7 Abs. 1 EVÜ228 sowie Art. 34 Abs. 1 des deutschen IPR-Gesetzesentwurfs zum EGBGB.229 Grund für die Einlegung eines Vorbehalts230 gegen Art. 7 Abs. 1 EVÜ und dementsprechend die Verwerfung des Art. 34 Abs. 1 des Gesetzes entwurfs zum EGBGB waren Bedenken des Bundesrates und Bundestages231 angesichts der Weite der Vorschrift, die zu Rechtunsicherheit führen und dem Richter 224
Roth, FS Kühne, S. 859, 874. S. MüKo-Martiny (2006), Art. 34 EGBGB Rn. 152. 226 Hauser, Eingriffsnormen, S. 150. 227 Vgl. auch Wengler, ZVglRWiss 54 (1941), 168, 185 f.; Kropholler, IPR S. 506; Chong, JPriv IntL 2 (2006), 27, 44; Roth, FS Immenga, S. 331, 343. 228 S. zur Regelung oben, S. 254. 229 BT-Drucks. 10/504, S. 14. 230 Dazu oben, S. 254 ff. 231 Zum folgenden BT-Drucks. 10/504, S. 100. 225
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
eine unzumutbare Aufgabe auferlegen würde. Außerdem sei ein ausländischer ordre public im Inland nicht anzuerkennen. Stattdessen votierte der Bundesrat dafür, weiterhin zwingendes ausländisches Recht als Tatsache auf Ebene des materiellen Rechts zu berücksichtigen, ohne jedoch dafür eine Vorschrift wie Art. 7 Abs. 1 EVÜ zu schaffen. Auch in der Literatur wurden diese Bedenken häufig geteilt und die Vorschrift des Art. 7 Abs. 1 EVÜ dementsprechend kritisiert.232 Diese Einwände, die bereits damals gegen eine entsprechende Norm vorgebracht wurden, können jedoch letztlich nicht überzeugen. Schon das MPI verteidigte die Regelung im Jahre 1983 mit überzeugenden Argumenten und schlug vor, Art. 7 Abs. 1 EVÜ ohne Einschränkung zu ratifizieren.233 Als Grund wurde vor allem angeführt, dass eine solche Regelung zur internationalen Entscheidungsharmonie beitrage. Weiterhin liege es auch im deutschen Interesse, wenn im umgekehrten Fall eine deutsche Eingriffsnorm im Ausland angewendet würde, sobald eine enge Verbindung des Sachverhalts zum deutschen Recht bestehe. Dieses Ergebnis lasse sich aber nur erzielen, wenn die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen auf Gegenseitigkeit beruhe. Hinzu komme, dass in der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen keine Anerkennung des ausländischen ordre public liege. Vielmehr liege die Entscheidung über die Anwendung einer ausländischen Eingriffsnorm noch immer in der Hand des inländischen Richters. Schließlich sei keine unerträgliche Rechtsunsicherheit festzustellen, da das Kriterium der engen Verbindung durchaus eine begrenzende Funktion erfülle und somit die Zahl der in Betracht kommenden Rechtsordnungen einschränke.234 Die Konkretisierungsbedürftigkeit einer solchen Regel sieht das MPI nicht als Hinderungsgrund für eine Generalklausel, die auf die engste Verbindung abstellt. Vor diesem Hintergrund hat das MPI im Entstehungsprozess der Rom I-VO im Jahre 2004 erneut vorgeschlagen, Eingriffsnormen dritter Staaten zu berücksichtigen, sofern eine enge Verbindung zu diesem Staat besteht.235 Eine ähnliche Regelung enthält auch Art. 19 des schweizerischen IPRG.236
232
Coester, ZVglRWiss 82 (1983), 1–30; Schurig in Holl/Klinke, S. 55, 75 f. Zum Folgenden MPI, RabelsZ 47 (1983), 595, 668–670. 234 So auch Sonnenberger, IPRax 2003, 104, 114. 235 MPI, RabelsZ 68 (2004), 1, 108: “The internationally mandatory rules of a country, the law of which is neither the law of the forum nor the law governing the contract, may be given effect if the contract bears a close connection to this country.” (Vorschlag für Art. 7 Abs. 4 S. 1 Rom I-VO); ähnlich auch der Vorschlag aus dem Jahr 2007: MPI, RabelsZ 71 (2007), 225, 313. 236 „Art. 19 IPRG: (1) Anstelle des Rechts, das durch dieses Gesetz bezeichnet wird, kann die Bestimmung eines anderen Rechts, die zwingend angewandt sein will, berücksichtigt werden, wenn nach schweizerischer Rechtsauffassung schützenswerte und offensichtlich überwiegende Interessen einer Partei es gebieten und der Sachverhalt mit jenem Recht einen engen Zusammenhang aufweist. (2) Ob eine solche Bestimmung zu berücksichtigen ist, beurteilt sich nach ihrem Zweck und den daraus sich ergebenden Folgen für ein nach schweizerischer Rechtsauffassung sachgerechte Entscheidung.“ 233
D. Behandlung im Verordnungsrecht
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All diese Erwägungen lassen sich auf die Rom I-VO übertragen. Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass das europäische Kollisionsrecht mittlerweile nahezu alle Rechtsgebiete erfasst, besteht ein erhöhtes Bedürfnis nach Rechtsvereinheit lichung und europäischem Entscheidungseinklang. Durch die Erfassung auch familien- und erbrechtlicher Regelungen gewinnt außerdem der internationale Entscheidungseinklang an Bedeutung. Die Angst, dass sich ausländisches Eingriffsrecht im Inland inflationär durchsetzt, ist aus zwei Gründen unberechtigt: Die Entscheidung über die Anwendung von Eingriffsnormen steht auch nach der derzeitigen Fassung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO noch immer im Ermessen des inländischen Richters. Daneben kann dieser Entwicklung bei einer Kollision von zwingenden Wertungen mit einem Vorrang der inländischen Eingriffsnormen nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO vorgebeugt werden, sofern die inländischen Wertungen überwiegen.237 Ohne Frage wäre das Kriterium der engen Verbindung konkretisierungsbedürftig. Eine solche Konkretisierung ließe sich aber über die Erwägungsgründe oder sogar Regelbeispiele im Normtext leisten. Weiterhin arbeitet der europäische Gesetzgeber auch ansonsten mit der engsten Verbindung, ohne diese näher zu konkretisieren (s. etwa Art. 4 Abs. 3 und 4, Art. 5 Abs. 3, Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO). In den genannten Normen wird die praktische Handhabung erleichtert, indem die Wissenschaft und Rechtsprechung Kriterien herausarbeiten, die eine enge Verbindung begründen können. Dadurch kann das Merkmal der engen Verbindung seine Begrenzungsfunktion erfüllen. Außerdem werden in der Regel durch das Tatbestandsmerkmal der engen Verbindung nur wenige, wenn nicht gar nur eine zusätzliche Rechtsordnung neben der lex causae ins Spiel gebracht.238 Der Einwand, der inländische Richter stehe vor einer unüberwindbaren Aufgabe,239 überzeugt daher nur begrenzt. Der Mehraufwand ist vielmehr der Tatsache geschuldet, dass überhaupt ein Bedürfnis anerkannt wird, ausländische Eingriffsnormen zu berücksichtigen. Das Kriterium der engen Verbindung vergrößert diesen Aufwand nicht. Auf Ebene des europäischen Verordnungsrechts kommt hinzu, dass durch den EuGH eine Instanz besteht, die Zweifelsfragen der Auslegung verbindlich und endgültig klären kann. Die Mitgliedstaaten können darauf durch Vorlageersuchen hinwirken. Dies erleichtert die Konkretisierung einer Generalklausel erheblich und spricht dafür, in der Weite des Kriteriums eine Chance anstatt eine Bedrohung zu sehen. Vereinzelt wurde vertreten, es sei verfrüht, auf europäischer Ebene eine allgemeine Vorschrift zum Thema Eingriffsnormen zu formulieren, da eine solche die
237 Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 142; MüKo-Martiny, Art. 9 Rom I-VO Rn. 139; ohne das Erfordernis einer Abwägung: Palandt-Thorn, Art. 9 Rom I-VO Rn. 16. 238 So auch Neuhaus, Grundbegriffe, S. 34; MPI, RabelsZ 47 (1983), 595, 670. Dies gesteht auch Coester, ZVlRWiss 82 (1983), 1, 20 mit Fn. 99 als Gegner des weiten Art. 7 EVÜ ein. 239 S. BT-Drucks. 10/504, S. 100.
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
wissenschaftliche Diskussion bremse.240 Es überzeugt aber noch weniger, im Verordnungsrecht in dieser Hinsicht eine Lücke zu lassen. Diese müsste durch Rechtsfortbildung geschlossen werden, was auf europäischer Ebene die Rechtsvereinheitlichung beeinträchtigen würde und somit nicht geeignet wäre, europäischen oder internationalen Entscheidungseinklang zu gewährleisten. Das andere Extrem, nämlich eine sehr restriktive Vorschrift wie Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO mit deren Beschränkung auf Eingriffsnormen des Erfüllungsortes zu schaffen, überzeugt aber ebenso wenig. Eine solche Norm muss nämlich, wenn man sie methodisch korrekt auslegt, zu einer Sperrwirkung hinsichtlich der Berücksichtigung anderer Eingriffsnormen führen.241 Damit hat eine Vorschrift wie Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO kein Entwicklungspotential und auch der EuGH kann de lege lata durch den engen Wortlaut kaum Rechtsfortbildung leisten. Vorzugswürdig ist daher ein Mittelweg. Man sollte weder gänzlich vor dem Themenkomplex der Eingriffsnormen kapitulieren noch eine zu enge Normierung des Problems wählen. Stattdessen beinhaltet nur ein Abstellen auf die enge Verbindung zum Recht eines anderen Staates die notwendige Offenheit für die Weiterentwicklung des europäischen Kollisionsrechts, insbesondere auch durch den EuGH. Die Kehrseite ist natürlich derzeit noch ein geringeres Maß an Rechtssicherheit. Aber auch die jetzige Norm des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO trägt mit all ihren Auslegungsschwierigkeiten wenig zur Rechtssicherheit bei. Außerdem eröffnet ein weiterer und flexibler Wortlaut den Gerichten die Möglichkeit, missbräuchlichen Tendenzen einzelner Staaten zu begegnen.242 Zudem ermöglicht ein weiterer Wortlaut es den Gerichten, ausländisches Eingriffsrecht direkt anzuwenden, um ein gewünschtes Ergebnis zu begründen. Im Interesse der Übersichtlichkeit einer solchen Regelung erscheint es vorzugswürdig, keine Regelbeispiele in den Normtext aufzunehmen. Diese müssten für jedes Rechtsgebiet neu formuliert werden, was den gerade gewonnenen Eindruck, dass es sich um ein allgemeines rechtsgebietsübergreifendes Problem handelt, wieder zerstören würde. Zweitens führt die Nennung einzelner Kriterien, die eine enge Verbindung begründen sollen, möglicherweise zu Sperrwirkungsproblemen bzw. es würde sich die Frage stellen, ob dadurch das Ermessen des Richters reduziert werden sollte. Auch die Entwicklungsoffenheit und Flexibilität der Norm würden somit eingeschränkt. Statt einer Übernahme einzelner Beispiele in den Normtext sollte daher ein Erwägungsgrund geschaffen werden, der für jede Verordnung entsprechend zu modifizieren ist. Ein entsprechender Erwägungsgrund für den Bereich der vertraglichen Schuldverhältnisse könnte folgendermaßen lauten: Die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen, die eine enge Verbindung zum Sachverhalt aufweisen, sollte ermöglicht werden. Das Vorliegen einer engen Verbindung ist durch 240
Sonnenberger in Leible/Unberath, S. 429, 430, 444. Dazu oben, S. 267 f. 242 MPI, RabelsZ 68 (2004), 1, 70. 241
D. Behandlung im Verordnungsrecht
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objektive Merkmale zu bestimmen.243 Dabei sollten insbesondere Staaten berücksichtigt werden, die einen Bezug zum Leistungsaustausch aufweisen.244 Denkbar ist eine Anknüpfung an den Ort der Leistungshandlung oder des Leistungserfolgs, aber auch an den Lageort der Sache. In Betracht gezogen werden können auch personenbezogene Kriterien, soweit sie mit der Leistung in Verbindung stehen, wie z. B. der gewöhnliche Aufenthalt des Schuldners.
(b) Eingriffsnormen der lex causae Aus der derzeitigen Fassung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO ergibt sich, dass Eingriffsnormen der lex causae ebenso wie drittstaatliche Eingriffsnormen nur berücksichtigt werden können, wenn im Staat der lex causae auch der Erfüllungsort liegt.245 Das MPI schlug im Rahmen seiner Stellungnahme zur Rom I-VO vor, Eingriffsnormen des Vertragsstatuts de lege ferenda zu privilegieren und stets zu berücksichtigen, sofern sie einen Anwendungswillen aufweisen.246 Die enge Verbindung zur lex causae sei nämlich schon dadurch gegeben, dass das inländische Recht aufgrund eines Anknüpfungsmoments die lex causae als die am engsten verbundene Rechtsordnung ermittelt habe. Nach dem hier unterbreiteten Vorschlag sind Eingriffsnormen anderer Staaten ohnehin stets zu berücksichtigen, sofern eine enge Verbindung des Sachverhalts zu diesem Staat besteht. Aufgrund des Anknüpfungsmoments, das die lex causae als Vertragsstatut beruft, wird diese enge Verbindung zur lex causae in den meisten Fällen gegeben sein. Lediglich über Art. 3 Rom I-VO ist es möglich, dass die Parteien eine Rechtsordnung wählen, zu der objektiv überhaupt keine Verbindung besteht. In diesem Fall ist aber auch die Einbeziehung der Eingriffsnormen dieser Rechtsordnung nicht gerechtfertigt, weil der Parteiwille nicht über die Anwendbarkeit international zwingenden Rechts entscheiden sollte. Der hier vertretene Ansatz wird daher faktisch in nahezu allen Fällen zu denselben Ergebnissen führen wie der Vorschlag des MPI, der für drittstaatliche Eingriffsnormen auf die enge Verbindung abstellt, im Interesse der Rechtsklarheit für die Eingriffsnormen der lex causae aber eine abweichende Regelung vorsieht, die auf den Anwendungswillen rekurriert.247 Es wird in dem Vorschlag nicht deutlich, für welche Konstellationen eine solche Regelung gebraucht wird. Ein Fall, in dem eine Eingriffsnorm der lex causae Anwendungswillen aufweist und nicht gleichzeitig auch eine enge Verbindung zu dem Staat der lex causae vorliegt, erscheint kaum denkbar. Es dient auch nicht der Klarstellung, wenn für Eingriffsnormen der lex 243
Vgl. MüKo-Martiny (2006), Art. 34 EGBGB Rn. 136. Thorn in Ferrari/Leible (2007), S. 129, 146. 245 Dazu oben, S. 265 f. 246 MPI, RabelsZ 68 (2004), 1, 108: “The internationally mandatory rules of the law governing the contract apply to the contract if they so demand.” (Vorschlag für Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO); daran anschließend Hauser, Eingriffsnormen, S. 129, 150: „Die Eingriffsnormen des Vertragsstatuts werden auf den Vertrag angewendet, sofern sie einen entsprechenden Anwendungswillen in Bezug auf den jeweiligen Sachverhalt aufweisen.“ (Vorschlag für Art. 9 Abs. 4 Rom I-VO). 247 Vgl. dazu Hauser, Eingriffsnormen, S. 125 f. m. w. N. 244 Vgl.
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
causae ein zusätzliches generalklauselartiges Kriterium, nämlich der Anwendungswille, eingeführt wird. Der Vorteil der hier vorgeschlagenen Regelung besteht gerade darin, dass sie sowohl für Drittstaaten als auch die lex causae gilt, ohne dass eine Sonderregelung für Eingriffsnormen des Vertragsstatuts geschaffen werden müsste. Somit erspart man sich auch die Rechtfertigung der scheinbaren Privilegierung der Eingriffsnormen der lex causae. Durch eine Norm, die für die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen auf eine enge Verbindung zu diesem Staat abstellt, erübrigt sich also eine Sonder regelung für Eingriffsnormen der lex causae.248 Zur Klarstellung erscheint es ausreichend, im Wortlaut festzulegen, dass die Regelung sowohl für drittstaatliche Eingriffsnormen als auch solche der lex causae gilt, indem die offene Formulierung „eines Staates“ verwendet wird. (2) Rechtsfolge Die derzeitige Rechtsfolgenseite des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, die besagt, dass den Eingriffsnormen eines ausländischen Staates Wirkung verliehen werden kann, lässt offen, ob damit eine indirekte Anwendung im Sinne einer materiell-rechtlichen Lösung oder eine direkte Anwendung durch kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung gemeint ist. Wie bereits erläutert, erscheint es vorzugswürdig, auf Rechtsfolgen ebene eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung ausländischer Eingriffsnormen vorzunehmen.249 Dies sollte im Interesse der Rechtssicherheit im Wortlaut der Norm klargestellt werden. Es bietet sich an, anstatt des Terminus „Wirkung ver leihen“ das Wort „anwenden“ zu benutzen,250 weil auf diese Weise eine direkte Anwendung der ausländischen Eingriffsnorm vorgegeben und eine indirekte, lediglich materiell-rechtliche Berücksichtigung ausscheidet. Eine überarbeitete Fassung des Art. 9 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO, der die hier vorgeschlagenen Änderungen sowohl auf Tatbestandsebene als auch auf Rechtsfolgen ebene aufnimmt, könnte folgendermaßen lauten: Die Eingriffsnormen eines Staates können angewendet werden, wenn der Sachverhalt eine enge Verbindung zu diesem Staat aufweist.
Beibehalten werden sollte aus dem jetzigen Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, dass die Anwendung der ausländischen Eingriffsnorm im Ermessen des Richters steht. Grund dafür ist, dass bei Anordnung einer Anwendungspflicht ausländischer Eingriffsnormen eine Kollision mit Eingriffsnormen der lex fori schwer aufgelöst werden könnte.251 248 A.A. MPI, RabelsZ 68 (2004), 1, 75 f., 108, das aus Klarstellungsgründen eine Norm für die Behandlung von Eingriffsnormen der lex causae verlangt, obwohl für Drittstaaten auf die enge Verbindung abgestellt wird. Für welche Konstellationen eine solche Norm daneben nötig wäre, wird nicht klargestellt. 249 Dazu oben, S. 260 ff. 250 So auch Hauser, Eingriffsnormen, S. 150. 251 Vgl. Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 115.
D. Behandlung im Verordnungsrecht
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Auch die Abwägungskriterien des Art. 9 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO sollten beibehalten werden, da sie das Ermessen einschränken und die Berücksichtigung herkömmlicher Faktoren, namentlich die Prüfung der Wertekompabilität, ermöglichen. Bei Zweifelsfragen bleibt den Mitgliedstaaten, ebenso wie bereits bei der Auslegung des Merkmals der engen Verbindung, die Anrufung des EuGH im Wege des Vorlageverfahrens, der hier Konkretisierungsarbeit leisten kann und muss.252 In Art. 9 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO müsste daher nur der Terminus „Wirkung verleihen“ durch „anwenden“ ersetzt werden, sodass eine geänderte Version folgendermaßen formuliert werden sollte: Bei der Entscheidung, ob diese Eingriffsnormen anzuwenden sind, werden Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden.
c) Normvorschlag für Art. 9 Rom I-VO Die Untersuchung der zwei Hauptproblemkreise der Rom I-VO, nämlich der Definition der Eingriffsnorm sowie der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen, hat ergeben, dass lediglich Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO der Überarbeitung bedarf. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO hingegen sollte in seiner derzeitigen Fassung belassen und in der Praxis durch den EuGH konkretisiert werden. Die hier befürwortete Fassung des Art. 9 Rom I-VO würde daher wie folgt lauten: Art. 9 Rom I-VO-neu Eingriffsnormen (1) Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen. (2) Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts. (3) Die Eingriffsnormen eines Staates können angewendet werden, wenn der Sachverhalt eine enge Verbindung zu diesem Staat aufweist. Bei der Entscheidung, ob diese Eingriffsnormen anzuwenden sind, werden Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden.
Zur Konkretisierung der engen Verbindung in Art. 9 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO könnte folgender Erwägungsgrund hinzugefügt werden: Die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen, die eine enge Verbindung zum Sachverhalt aufweisen, sollte im Ausnahmefall ermöglicht werden. Das Vorliegen einer engen Verbindung ist durch objektive Merkmale zu bestimmen.253 Dabei sollten insbesondere Staa252 S. zu weiteren Konkretisierungsversuchen der Abwägungskriterien Hauser, Eingriffsnormen, S. 117–122. 253 Vgl. MüKo-Martiny (2006), Art. 34 EGBGB Rn. 136.
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
ten berücksichtigt werden, die einen Bezug zum Leistungsaustausch aufweisen.254 Denkbar ist eine Anknüpfung an den Ort der Leistungshandlung oder des Leistungserfolgs, aber auch an den Lageort der Sache. In Betracht gezogen werden können auch personenbezogene Kriterien, soweit sie mit der Leistung in Verbindung stehen, wie z. B. der gewöhnliche Aufenthalt des Schuldners.
Weiterhin sollte im Hinblick auf die Definition des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO in den Erwägungsgründen klargestellt werden, dass die Spezialnormen der Art. 6 und 8 Rom I-VO der Vorschrift des Art. 9 Rom I-VO als leges speciales vorgehen: Ist der sachliche Anwendungsbereich des Art. 6 oder des Art. 8 Rom I-VO eröffnet, schließen diese als Spezialregelungen den Rückgriff auf Art. 9 Rom I-VO aus.
2. Rom II-VO Auch die Rom II-VO enthält eine Regelung, die Eingriffsnormen in außervertraglichen Schuldverhältnissen zum Gegenstand hat. Art. 16 Rom II-VO ist jedoch wesentlich knapper gehalten als die Parallelvorschrift in der Rom I-VO und besteht lediglich aus einem Absatz: „Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts geltenden Vorschriften, die ohne Rücksicht auf das für das außervertragliche Schuldverhältnis maßgebende Recht den Sachverhalt zwingend regeln.“ Die praktische Relevanz der Thematik ist im außervertraglichen Bereich zwar wesentlich geringer als im vertraglichen Bereich.255 Dennoch hat der europäische Gesetzgeber es für erforderlich gehalten, eine entsprechende Norm in der Rom IIVO zu schaffen. Zudem handelt es sich, wie bereits ausgeführt, um einen Themenkreis, der in die allgemeinen Lehren des Kollisionsrechts gehört und daher in der Rom II-VO nicht fehlen sollte. Im deutschen Recht kommen als Eingriffsnormen etwa § 84 Arzneimittelgesetz sowie Vorschriften über die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen oder die Rechtsstellung von Tarifparteien (s. Erwägungsgrund 28) in Betracht.256 Als ausländisches Eingriffsrecht können insbesondere haftungsfreistellende bzw. haftungseinschränkende Normen für bestimmte Personengruppen, etwa für Arbeitnehmer, eine Rolle spielen.257 Erneut sollen im Folgenden lediglich die den internationalen Entscheidungseinklang besonders berührenden und umstrittenen Problemkreise, nämlich die Definition der Eingriffsnorm sowie die Behandlung ausländischen Eingriffsrechts, behandelt werden. 254 Vgl.
Thorn in Ferrari/Leible (2007), S. 129, 146. Art. 16 Rom II-VO Rn. 5; s. zu Beispielen Schramm, Eingriffsnormen, S. 12–19, 45–74; von Hoffmann, FS Henrich, S. 283–296. 256 Palandt-Thorn, Art. 16 Rom II-VO Rn. 5. 257 Dazu Hauser, Eingriffsnormen, S. 136 f. mit Beispiel zum belgischen Recht und skandinavischen Rechtsordnungen; s. auch Schramm, Eingriffsnormen, S. 18 f. sowie Prütting/Wegen/ Weinreich-Remien, Art. 16 Rom II-VO Rn. 3. 255 Palandt-Thorn,
D. Behandlung im Verordnungsrecht
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a) Problemkreis 1: Definition der Eingriffsnorm Art. 16 Rom II-VO schreibt lediglich vor, dass unter Eingriffsnormen zwingende Vorschriften zu verstehen sind, die ohne Rücksicht auf das ansonsten maßgebliche Statut anwendbar sind. Damit wird ebenso wie in der Rom I-VO klargestellt, dass es sich um international zwingende – im Unterschied zu einfach zwingenden – Normen handeln muss. Eine weitergehende Konkretisierung hingegen fehlt; diese wurde erst in der zeitlich nachfolgenden Rom I-VO geleistet. Insofern kann Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO durchaus als Fortschritt auf diesem Gebiet angesehen werden.258 Dementsprechend besteht Einigkeit, dass die Definition des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO auf Art. 16 Rom II-VO übertragen werden kann.259 Für diese Übertragung spricht auch die gebotene einheitliche Anwendung der Rom I- und Rom II-Verordnungen (s. Erwä gungsgrund 7 der Rom I-VO sowie Erwägungsgrund 7 der Rom II-VO), die in diesem Fall durch eine Analogie zu Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO erreicht werden kann.260 Aus Gründen der Rechtssicherheit und Klarheit sollte die Rom II-VO den Begriff de lege ferenda jedoch selbst definieren und Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO wortgetreu übernehmen. Eine kurze Erwähnung verdient auch das Verhältnis zu Art. 17 Rom II-VO. Letzterer ermöglicht die Berücksichtigung von Sicherheits- und Verhaltensregeln des Handlungsortes, ohne dass es sich hierbei um Eingriffsnormen handelt.261 Es findet außerdem keine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung von Rechtsnormen statt, sondern lediglich eine Berücksichtigung der Sicherheits- und Verhaltensregeln als Tatsachen (sog. local data)262 auf materiell-rechtlicher Ebene.263 Dies schließt nicht aus, dass einzelne Sicherheits- und Verhaltensregeln unter Art. 16 Rom II-VO fallen können, solange sie sich unter den engen Begriff „Eingriffsnorm“ subsumieren lassen.264 b) Problemkreis 2: Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen Im Unterschied zu Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO befindet sich in der Rom II-VO keine unionsautonome Regelung zur Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen. Vielmehr ermöglicht Art. 16 Rom II-VO nach seinem Wortlaut lediglich die Anwendung der Eingriffsnormen des Forums. 258
So auch Sonnenberger in Leible/Unberath, S. 429, 434. Art. 16 Rom II-VO Rn. 1, 4; MüKo-Junker, Art. 16 Rom II-VO Rn. 9; Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 16 Rom II-VO Rn. 2; Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 48; NK-Knöfel, Art. 16 Rom II-VO Rn. 8; Remien, FS von Hoffmann, S. 334, 335; Hauser, Eingriffsnormen, S. 48 f.; Junker, RIW 2010, 257, 268; von Hein, RabelsZ 73 (2009), 461, 506; Arif, ZfRV 2011, 258, 260; Sonnenberger in Leible/Unberath, S. 429, 437. 260 Näher MüKo-Junker, Art. 16 Rom II-VO Rn. 13; Hauser, Eingriffsnormen, S. 48 f. 261 Palandt-Thorn, Art. 16 Rom II-VO Rn. 2. 262 S. dazu Ehrenzweig, BuffLRev 16 (1966), 55–60. 263 Palandt-Thorn, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2: MüKo-Junker, Art. 17 Rom II-VO Rn. 2; von Hein, FS von Hoffmann, S. 139, 141 m. w. N. 264 von Hein, FS von Hoffmann, S. 139, 144. 259 Palandt-Thorn,
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
aa) Grundsätzliches Bedürfnis für eine Berücksichtigung (1) Derzeitige Rechtslage nach Art. 16 Rom II-VO Der Kommissionsentwurf von 2006265 sah in Art. 13 Abs. 2 eine Berücksichtigungsmöglichkeit ausländischer Eingriffsnormen vor, sofern der Sachverhalt eine enge Verbindung zu dem Erlassstaat aufweist. Diese Vorschrift wurde in der endgültigen Fassung der Rom II-VO jedoch gestrichen.266 Fraglich ist, welche Schlüsse aus dieser Gesetzgebungsgeschichte gezogen werden können. Eine Ansicht zieht daraus den Umkehrschluss, dass die Rom II-VO de lege lata die Sonderanknüpfung ausländischer Eingriffsnormen verbiete.267 Stattdessen komme höchstens eine Berücksichtigung der Wertungen des ausländischen Eingriffsrechts auf materiell-rechtlicher Ebene in Betracht.268 Von diesem Grundsatz wird wiederum vereinzelt für Eingriffsnormen der lex causae eine Ausnahme zugelassen. Diese seien im Sinne der Schuldstatutstheorie bzw. Lehre von der Einheitsanknüpfung von der Verweisung der Art. 4 ff. Rom II-VO erfasst.269 Nach anderer Ansicht folge aus dem Schweigen der Rom II-VO kein generelles Verbot der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen, da die Streichung der Vorschrift lediglich auf dem Widerstand weniger Mitgliedstaaten beruht habe.270 Welche Konsequenzen dieser Ansatz nach sich zieht, ist jedoch wiederum unklar. Einerseits wird angenommen, es obliege mangels autonomer Lösung in der Rom II-VO dem nationalen Recht, auf welche Art und Weise und unter welchen Voraussetzungen ausländische Eingriffsnormen zu berücksichtigen seien.271 Die Rom II-VO verhalte sich insofern „neutral“272 , ohne Sperrwirkung zu entfalten. Andererseits wird dagegen vorgebracht, ein Rückgriff auf das nationale Recht an dieser Stelle schade dem europäischen Entscheidungseinklang, sodass von einer internen Regelungslücke in der Rom II-VO auszugehen, die allerdings durch europäische Rechtsfortbildung zu schließen sei.273 Hier wird nicht weiter darauf eingegangen, wie die derzeitige Auslegung bzw. Rechtsfortbildung des Art. 16 Rom II-VO aussehen sollte. Im Interesse der Rechts265
KOM (2006) 83 endg., S. 20 f. Ausführlich zur Gesetzgebungsgeschichte Hauser, Eingriffsnormen, S. 131–133. 267 Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 16 Rom II-VO Rn. 4; NK-Knöfel, Art. 16 Rom II-VO Rn. 6; Ofner, ZfRV 2008, 13, 23; Wagner, IPRax 2008, 1, 15. 268 Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 16 Rom II-VO Rn. 4. 269 Remien, FS von Hoffmann, S. 334, 342; Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 16 Rom II-VO Rn. 4; Prütting/Wegen/Weinreich-Remien, Art. 16 Rom II-VO Rn. 4; Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613, 644. 270 Palandt-Thorn, Art. 16 Rom II-VO Rn. 3; MüKo-Junker, Art. 16 Rom II-VO Rn. 25; von Hein, RabelsZ 73 (2009), 461, 506; Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 726; Hauser, Eingriffsnormen, S. 135 f.; Köhler, Eingriffsnormen, S. 275–278; Junker, RIW 2010, 257, 268. 271 MüKo-Junker, Art. 16 Rom II-VO Rn. 24; Leible, RIW 2008, 257, 263; Rühl, FS Kropholler, S. 187, 206 f. 272 MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 49. 273 Köhler, Eingriffsnormen, S. 277 f. 266
D. Behandlung im Verordnungsrecht
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sicherheit erscheint es nämlich vorzugswürdig, wenn sich die Rom II-VO ausdrücklich äußern würde, ob ausländische Eingriffsnormen im außervertraglichen Bereich zu berücksichtigen sind. Daher wird nun ein Schwerpunkt auf die Lösung des Problems de lege ferenda gelegt. (2) Bedürfnis de lege ferenda Für eine Berücksichtigung ausländischen Eingriffsrechts auch im Rahmen der Rom II-VO spricht zum einen das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs,274 auch wenn es im Eingriffsrecht eine minder gewichtige Rolle spielt als in anderen Bereichen. Im Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse besteht nämlich ein ebenso starkes Bedürfnis, missbräuchliches forum shopping der Parteien in Bezug auf günstige Eingriffsnormen zu vermeiden. Zudem können öffentliche Interessen auch in außervertraglichen Schuldverhältnissen eine so gravierende Rolle spielen, dass die jeweiligen Normen, die diese Interessen verkörpern, unabhängig vom Statut angewendet werden wollen. Vereinzelt wird vertreten, dass das Deliktskollisionsrecht bereits auf öffentlichen Steuerungsinteressen beruhe, die als abschließend anzusehen seien, sodass kein Raum für die Anwendung von Eingriffsrecht verbleibe.275 Dies mag beispielsweise für die Anknüpfung an den Erfolgsort zutreffen. Dennoch beruhen die Kollisionsnormen in außervertraglichen Schuldverhältnissen nicht nur auf öffentlichen Interessen, sondern ebenso auf Parteiinteressen. Dies gilt etwa für die beschränkte Rechtswahlmöglichkeit in Art. 14 Rom II-VO, die akzessorischen Anknüpfungen (Art. 4 Abs. 3, Art. 10 Abs. 1, Art. 11 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO) sowie für die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 i. V. m. Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO).276 Gerade die Tatsache, dass eine vertragsakzessorische Anknüpfung über Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO die Grundanknüpfung des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO verdrängen kann, zeigt, dass den Parteiinteressen sogar der Vorrang vor den Steuerungsinteressen gebühren kann. Ob die Tatsache, dass das Deliktsrecht in stärkerem Maße als das Vertragsrecht auf staatlichen Steuerungsinteressen beruht, zu anderen Ergebnissen bei der Frage der Art und Weise der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen führen sollte, wird noch zu klären sein.277 Jedenfalls sollte allein aufgrund der den Kollisionsnormen der Rom II-VO zugrunde liegenden Steuerungsinteressen nicht das generelle Bedürfnis für die Beachtung ausländischen Eingriffsrechts im außervertraglichen Bereich verneint werden. Die Berücksichtigung sollte zwar nicht inflationär erfolgen, um vermeintlich 274 Palandt-Thorn, Art. 16 Rom II-VO Rn. 3; Remien, FS von Hoffmann, S. 334, 345; Prütting/ Wegen/Weinreich-Remien, Art. 16 Rom II-VO Rn. 5. 275 Wagner, IPRax 2008, 1, 15. 276 S. auch Schramm, Eingriffsnormen, S. 26. 277 Dazu unten, S. 282 f.
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
missglückte Kollisionsnormen zu korrigieren.278 Solange aber die staatlichen Steuerungsinteressen, auf denen die außervertraglichen Kollisionsnormen beruhen, im Rahmen einer Abwägungsentscheidung über die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen berücksichtigt werden, spricht nichts gegen eine generelle, zurückhaltend eingesetzte Möglichkeit der Anwendung ausländischen Eingriffsrechts. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass durch die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen im außervertraglichen Bereich die Möglichkeit besteht, eine kohärente Lösung im Vermögensrecht zwischen Rom I- und Rom II-VO zu erzielen.279 So ist beispielsweise nicht einzusehen, warum Vorschriften des ausländischen Devisenrechts eine Geldschuld, die auf einem vertraglichen Anspruch beruht, beeinflussen, während dieselbe Geldschuld, die aus einem außervertraglichen Anspruch herrührt, durch Vorschriften des ausländischen Devisenrechts unberührt bleibt.280 Indem auch im außervertraglichen Bereich die Möglichkeit der Berücksichtigung ausländischen Eingriffsrechts eröffnet wird, lassen sich derartige Wertungswidersprüche vermeiden. Außerdem zeigt der bereits erwähnte Art. 6 Rom II-VO, dass der europäische Gesetzgeber im außervertraglichen Bereich durchaus das Bedürfnis gesehen hat, Normen, die primär öffentlichen Interessen eines ausländischen Staates dienen, zu beachten.281 bb) Art und Weise der Berücksichtigung de lege ferenda Wenn man das Bedürfnis für die Berücksichtigung ausländischen Eingriffsrechts auch im Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse bejaht, stellt sich sodann die Frage, auf welche Art und Weise dies geschehen sollte. Hier bestehen mehrere Möglichkeiten. (1) Analoge Anwendung des Art. 7 Abs. 1 EVÜ Man könnte erwägen, Art. 7 Abs. 1 EVÜ analog anzuwenden.282 Dagegen spricht aber nicht nur, dass eine entsprechende Regelung für die Rom II-VO im Gesetzgebungsverfahren verworfen wurde, sondern auch dass Art. 7 Abs. 1 EVÜ im Vertragsrecht durch Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO ersetzt wurde. Wenn überhaupt eine Analogie gebildet wird, sollte daher die derzeit geltende Norm der Rom I-VO herangezogen werden.
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von Hoffmann, FS Henrich, S. 283, 296. Vgl. auch Köhler, Eingriffsnormen, S. 275 f. 280 Vgl. von Hoffmann, FS Henrich, S. 283, 285. 281 Köhler, Eingriffsnormen, S. 276. 282 S. MüKo-Junker, Art. 16 Rom II-VO Rn. 27. 279
D. Behandlung im Verordnungsrecht
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(2) Analoge Anwendung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO Im Vertragsrecht wurde Art. 7 Abs. 1 EVÜ, wie bereits ausführlich geschildert, durch Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO ersetzt. Dessen Voraussetzungen sind jedoch bedauerlich eng gefasst und auf das Vertragsrecht zugeschnitten.283 Man müsste die Norm daher bei analoger Anwendung auf außervertragliche Schuldverhältnisse stark modifizieren und es bestünden Schwierigkeiten, für alle außervertraglichen Schuld verhältnisse einen Ort zu finden, der mit dem des Erfüllungsortes in Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO vergleichbar ist. In Betracht käme im internationalen Deliktsrecht als Parallele zum Erfüllungsort der Handlungsort, an dem bestimmte Verhaltensweisen ge- bzw. verboten sein können. Bei dieser Übertragung wäre aber kaum noch ein inhaltlicher Unterschied zu Art. 17 Rom II-VO ersichtlich.284 Wenn eine Vorschrift derart modifiziert werden muss, ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, dass sie angesichts ihrer Spezialität nicht analogiefähig ist. Zudem bereitet schon die direkte Anwendung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO im internationalen Schuldrecht derart viele Auslegungsprobleme, dass eine analoge Anwendung dieser umstrittenen Vorschrift im außervertraglichen Bereich der Rechtssicherheit kaum zuträglich wäre.285 Da keine analogiefähigen Vorschriften existieren, verbleiben nur die bereits im Rahmen der Rom I-VO beschriebenen herkömmlichen Ansätze zur Berücksichtigung von Eingriffsnormen: (3) Lehre von der Einheitsanknüpfung So könnte man jedenfalls Eingriffsnormen der lex causae im Sinne der Theorie der Einheitsanknüpfung (im Schuldrecht: Schuldstatutstheorie) als von der Verweisung der Art. 4 ff. Rom II-VO erfasst ansehen. Vertreter dieser Ansicht argumentieren damit, dass die Lehre von der Einheitsanknüpfung im Deliktsrecht – anders als im Schuldrecht – überzeugend sei, da die deliktsrechtlichen Kollisionsnormen auf ausgewogenen Wertungen beruhen würden, die der Parteidisposition weitgehend entzogen seien, während das Vertragsrecht in höherem Maße dispositiv sei.286 Dagegen sprechen zunächst die grundsätzlichen dogmatischen Bedenken gegen die Lehre von der Einheitsanknüpfung, nämlich insbesondere, dass sie die Zweispurigkeit des Kollisionsrechts verkennt.287 Des Weiteren überzeugt es nicht, diese Lehre im Schuldrecht zu verwerfen, im Deliktsrecht hingegen anzuwenden. Diese Inkohärenz lässt sich auch nicht allein mit dem dispositiven Charakter des Vertragsrechts und den Steuerungsinteressen, auf denen die deliktsrechtlichen Kollisions283
So auch Hauser, Eingriffsnormen, S. 136; Remien, FS von Hoffmann, S. 334, 345. MüKo-Junker, Art. 16 Rom II-VO Rn. 28. 285 So auch Bamberger/Roth-Spickhoff, Art. 16 Rom II-VO Rn. 4. 286 Remien, FS von Hoffmann, S. 334, 342. 287 Dazu ausführlich oben, S. 260 ff. 284
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
normen beruhen, begründen.288 Es besteht nämlich auch im Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse eine Rechtswahlmöglichkeit in Art. 14 Rom II-VO, auch wenn diese restriktiver gehalten ist und in der Praxis seltener zur Anwendung kommen wird.289 Damit ist das Deliktsrecht nicht vollkommen der Disposition der Parteien entzogen, sodass die Parteien bei Anwendung der Lehre von der Einheitsanknüpfung auch im Rahmen des Art. 14 Rom II-VO über die Anwendbarkeit ausländischer Eingriffsnormen disponieren könnten. Zudem beruht die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt primär auf Parteiinteressen, die darauf gerichtet sind, das beiden Parteien vertraute Recht anzuwenden.290 Dies zeigt, dass das Deliktskollisionsrecht nicht nur auf staatlichen Ordnungsinteressen beruht, die als speziell gegenüber dem Eingriffsrecht angesehen werden könnten. Außerdem würde dieses Argument bedeuten, dass man im Schuldrecht lediglich für Art. 3 Rom I-VO die Anwendbarkeit der Schuldstatutstheorie verneinen müsste, da im Rahmen der objektiven Anknüpfung nach Art. 4 ff. Rom I-VO keinerlei Disposition durch die Parteien stattfindet. Die Tatsache, dass dies nicht vertreten wird, zeigt, dass die Schuldstatutstheorie bzw. Lehre von der Einheitsanknüpfung auch für die objektive Anknüpfung als nicht überzeugend gesehen wird. Die Disposivität des Schuldrechts allein kann daher kein Argument sein. Hinzu kommt, dass die Rom II-VO nicht nur deliktsrechtliche Kollisionsnormen enthält und daher nicht allein mit den Wertungen und Steuerungsinteressen des Deliktsrechts argumentiert werden kann. Vielmehr müsste die Lehre von der Einheitsanknüpfung für alle von der Rom II-VO geregelten Bereiche tragfähig sein. Die Verordnung regelt neben dem Deliktsrecht insbesondere das anwendbare Recht auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus ungerechtfertigter Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag und culpa in contrahendo. Für diese Bereiche enthalten Art. 10 Abs. 1, Art. 11 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO primär vertragsakzessorische Anknüpfungen. Es wäre wertungsmäßig inkohärent, ein bereicherungsrechtliches Schuldverhältnis einerseits akzessorisch an einen bestehenden Vertrag, der nach der Rom I-VO angeknüpft wurde, anzuknüpfen und nur bei dem bereicherungsrechtlichen Schuldverhältnis die Lehre von der Einheitsanknüpfung anzuwenden. Selbst im Deliktsrecht kann im Wege einer akzessorischen Anknüpfung über Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO von der Grundanknüpfung an den Erfolgsort abgewichen werden. Gerade aufgrund dieser akzessorischen Anknüpfungen sollte hier Kohärenz zwischen der Rom I- und der Rom II-VO erzielt werden (s. auch Erwägungsgrund 7 der Rom I- sowie der Rom II-VO). Es besteht daher kein Grund, von den grundsätzlichen Bedenken gegen die Lehre von der Einheitsanknüpfung im Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse ausnahmsweise abzurücken. Vielmehr ist diese Lehre auch im Rahmen der 288
So aber Remien, FS von Hoffmann, S. 334, 342. Dazu oben, S. 165. 290 Kegel/Schurig, IPR, S. 732. 289
D. Behandlung im Verordnungsrecht
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Rom II-VO zu verwerfen, sodass keine Sonderbehandlung der Eingriffsnormen der lex causae erfolgen sollte. (4) Materiell-rechtliche Berücksichtigung Eine andere Möglichkeit besteht darin, wie bereits im Rahmen der Rom I-VO diskutiert,291 ausländisches Eingriffsrecht lediglich auf materiell-rechtlicher Ebene zu berücksichtigen. Allerdings täuscht dieser Ansatz über die Tatsache hinweg, dass es sich um ein kollisionsrechtliches Problem handelt, das methodisch nicht überzeugend im Sachrecht lösbar ist. Auch die Prinzipien des internationalen Entscheidungseinklangs sowie die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit sprechen gegen eine von Fall zu Fall variierende Berücksichtigung auf materiell-rechtlicher Ebene. Hinzu kommt, dass bereits Art. 17 Rom II-VO Sicherheits- und Verhaltensregeln auf materiell-rechtlicher Ebene berücksichtigt. Es ist nicht ersichtlich, dass der europäische Gesetzgeber dieses – im Rahmen des Art. 17 Rom II-VO bewusst gewählte Konzept – auch dem Eingriffsrecht in Art. 16 Rom II-VO zugrunde legen wollte. (5) „Freihändige Angemessenheitsprüfung“292 Mehrfach wurde im Schweigen der Rom II-VO zu diesem Thema eine Aufforderung an die Praxis, insbesondere die Rechtsprechung, gesehen, geeignete Kriterien zur Berücksichtigung ausländischen Eingriffsrechts zu entwickeln.293 Die dadurch auftretende Rechtsunsicherheit sei im Bereich der Rom II-VO angesichts der geringeren Relevanz des Eingriffsrechts in außervertraglichen Schuldverhältnissen hinzunehmen.294 Das seltene Auftreten dieser Problematik sollte jedoch nicht dazu verleiten, den Versuch einer dogmatisch sauberen Lösung von vornherein zu unterlassen. Gerade aufgrund der Tatsache, dass es sich um eine Thematik handelt, die in die allgemeinen Lehren des Kollisionsrechts gehört, sollte eine überzeugende Lösung angestrebt werden. Die Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen ausländisches Eingriffsrecht angewendet werden soll, komplett in die Hand des einzelnen nationalen Richters zu geben, beeinträchtigt sowohl den innereuropäischen als auch den internationalen Entscheidungseinklang. Denkbar ist sogar eine Beeinträchtigung des inneren Entscheidungseinklangs, wenn jeder nationale Richter seine eigenen Maßstäbe ansetzt. Zudem wird diese Aufgabe den Richter im Zweifel überfordern bzw. er wird sich des Problems nicht einmal bewusst sein. Es erscheint nicht realistisch, dass auf diese Weise überhaupt zu gegebener Zeit verallgemeinerungsfähige Maßstäbe gefunden werden. Eine Lösung durch den Gesetzgeber statt durch den 291
Dazu oben, S. 263 ff. Hauser, Eingriffsnormen, S. 136. 293 Hauser, Eingriffsnormen, S. 136; vgl. auch MüKo-Junker, Art. 16 Rom II-VO Rn. 28; von Hein, RabelsZ 73 (2009), 461, 506. 294 Hauser, Eingriffsnormen, S. 136; MüKo-Junker, Art. 16 Rom II-VO Rn. 28. 292
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
Richter fördert zudem die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit. Die Auseinandersetzung mit der Thematik und die Suche nach einer dogmatischen Lösung erscheinen daher unumgänglich. (6) Kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung Die dogmatisch überzeugendste Lösung besteht, wie bereits im Rahmen der Rom I-VO, in einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung ausländischer Ein griffsnormen. Sie ist rechtssicher und vorhersehbar und fördert sowohl den europäischen als auch den internationalen Entscheidungseinklang. Ein Vorzug dieses Ansatzes ist auch, dass auf diese Weise Kohärenz mit der Rom I-VO erzielt werden kann. Dies ist, wie bereits erwähnt, insbesondere aufgrund der zahlreichen vertrags akzessorischen Anknüpfungen in der Rom II-VO wünschenswert. Fraglich erscheint schließlich nur, welches räumliche Kriterium der Beachtlichkeit für die Rom II-VO ausgewählt werden sollte. Stellt man allein auf den Handlungsort ab, ist kaum ein Unterschied zur Vorschrift des Art. 17 Rom II-VO sichtbar. Angesichts der Vielgestaltigkeit außervertraglicher Schuldverhältnisse erscheint es daher erneut vorzugswürdig, auf eine enge Verbindung des Eingriffsrechts zum jeweiligen Sachverhalt abzustellen. Wiederum wird so Kohärenz zur hier vorgeschlagenen Regelung in der Rom I-VO erzielt. Zudem wird der Rechtsprechung auf diese Weise bereits eine Generalklausel zur Verfügung gestellt, in deren Rahmen sich leichter Kriterien und Maßstäbe für einzelne Fälle entwickeln lassen als durch eine völlig freie Prüfung.295 Auch die das Ermessen einschränkenden Kriterien, die sich in Art. 9 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO befinden, erscheinen übertragbar. Selbst wenn sie die Rechtssicherheit nicht wesentlich erhöhen, bieten sie dem Richter zumindest einen Anhaltspunkt, welche Faktoren er in seine Abwägung einzubeziehen hat. (7) Ergebnis Ausländisches Eingriffsrecht sollte im Rahmen der Rom II-VO unter denselben Voraussetzungen wie de lege ferenda in der Rom I-VO, also wenn eine enge Verbindung der Eingriffsnorm zum Sachverhalt besteht, angewendet werden. Auf Rechtsfolgenseite ist ebenfalls eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung vorzunehmen. Auch das Ermessen sowie die ermessensbeschränkenden Kriterien auf Rechtsfolgenseite sind zu übernehmen. c) Normvorschlag für Art. 16 Rom I-VO Der hier vorgeschlagene Art. 16 Rom I-VO ist, um die Parallelität der Problematik zu verdeutlichen, ebenso zu gliedern wie Art. 9 Rom I-VO. Auch inhaltlich ergeben sich keine Unterschiede, da sich vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse nur darin unterscheiden, dass Eingriffsnormen häufiger in Ersteren relevant 295
Zu den Vorzügen des Abstellens auf eine enge Verbindung ausführlich oben, S. 270 ff.
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werden. Eine unterschiedliche rechtliche Behandlung sollte sich daraus jedoch nicht ergeben. Art. 16 Rom II-VO sollte daher inhaltlich parallel zu Art. 9 Rom I-VO folgendermaßen formuliert werden: Art. 16 Rom II-VO-neu Eingriffsnormen (1) Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf das außervertragliche Schuldverhältnis anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen. (2) Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts. (3) Die Eingriffsnormen eines Staates können angewendet werden, wenn der Sachverhalt eine enge Verbindung zu diesem Staat aufweist. Bei der Entscheidung, ob diese Eingriffsnormen anzuwenden sind, werden Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden.
Da das Recht der außervertraglichen Schuldverhältnisse bzw. insbesondere das Deliktsrecht in gesteigertem Maße auf staatlichen Steuerungsinteressen beruht, besteht die Gefahr, dass diese durch einen übermäßigen Gebrauch ausländischer Eingriffsnormen umgangen werden. Ein Erwägungsgrund könnte daher klarstellen, dass die Möglichkeit, die der hier vorgeschlagene Art. 16 Abs. 3 Rom II-VO eröffnet, restriktiv gehandhabt werden muss: Die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen, die eine enge Verbindung zum Sachverhalt aufweisen, sollte ermöglicht werden. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass die Regelanknüpfung der Art. 4 ff. Rom II-VO umgangen wird. Die durch Art. 16 Abs. 3 eingeräumte Möglichkeit ist daher nur in Ausnahmefällen zu gebrauchen, wenn die hinter einer Eingriffsnormen stehenden öffentlichen Interessen die Steuerungsinteressen, auf denen die Art. 4 ff. Rom II-VO beruhen, deutlich überwiegen. Dies ist im Rahmen des Ermessens als „Folge der Anwendung“ (Art. 16 Abs. 3 S. 2) zu berücksichtigen.
Aufgrund der geringen Relevanz eingriffsrechtlicher Fragestellung im außervertraglichen Bereich bietet es sich nicht an, Einzelfälle in den Erwägungsgrund aufzunehmen. Anders als im vertraglichen Bereich lassen sich hier nämlich keine generellen Kriterien aufstellen, wann eine enge Verbindung des Sachverhalts zum Erlassstaat besteht. II. Statusrechtliche Verordnungen Bevor die einzelnen statusrechtlichen bzw. statusnahen Verordnungen untersucht werden, muss die Frage geklärt werden, ob die Besonderheiten des Familien- und Erbrechts eine Vorschrift zum Thema Eingriffsnormen überhaupt erfordern.
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
1. Grundsätzliches Bedürfnis einer Regelung im Statusrecht Nicht alle statusrechtlichen Verordnungen enthalten eine Regelung zum Thema Eingriffsnormen, worauf gleich noch im Einzelnen einzugehen sein wird. Zunächst stellt sich aber die Frage, ob im Statusrecht, also in den familien- und erbrechtlichen Verordnungen, überhaupt ein Bedürfnis für eine entsprechende Vorschrift besteht. Wie bereits eingangs erwähnt, treten Eingriffsnormen vor allem im Vertragsrecht auf, während sie im Familien- und Erbrecht bislang keine große Rolle spielen.296 Dieser rechtstatsächliche Befund überrascht zunächst, da das Familienrecht sowie das Erbrecht in vielerlei Hinsicht eine Versorgungsfunktion erfüllen und damit öffentliche Interessen und Ziele verfolgen.297 Die mangelnde praktische Bedeutung von Eingriffsnormen im Familienrecht im Vergleich zum Vertragsrecht lässt sich aber auf zwei wesentliche Faktoren zurückzuführen: Zum einen weist das Vertragsrecht eine hohe Wirtschaftsrelevanz auf, sodass die Nationalstaaten vermehrt versuchen, einseitig eigene – unter Umständen protektionistische – Interessen international durchzusetzen, um auf diese Weise wirtschaftliche Vorteile zu erzielen.298 Zum anderen werden öffentliche Interessen im Familienrecht bereits durch andere Mittel, insbesondere durch eine Einschränkung der Rechtswahlmöglichkeiten durchgesetzt.299 Der Kreis der wählbaren Rechtsordnungen wird nämlich auf jene beschränkt, zu denen objektiv eine enge Verbindung besteht. Zwischen der Beschränkung der Parteiautonomie und dem Bedürfnis nach Eingriffsnormen besteht ein Zusammenhang,300 Eingriffsnormen wirken als Grenzen der Parteiautonomie.301 Im Falle einer beschränkten Rechtswahlmöglichkeit werden zwingende öffentliche Interessen in einer Vielzahl der Fälle durch die Auswahl der wählbaren Rechtsordnungen bzw. die mangels wirksamer Rechtswahl anwendbaren zwingenden objektiven Anknüpfungen verwirklicht. Damit wird seltener ein Bedürfnis bestehen, öffentliche Interessen zusätzlich im Wege einer Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen durchzusetzen. In der Beschränkung der Parteiautonomie liegt der entscheidende Unterschied zum Vermögensrecht, denn dort werden durch die freie Rechtswahlmöglichkeit in Art. 3 Rom I-VO sowie die ebenfalls kaum eingeschränkte Parteiautonomie in Art. 14 Rom II-VO zunächst nur Parteiinteressen durchgesetzt. Damit entsteht ein 296
Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 551; Rühl, FS Kropholler, S. 187, 206. Fetsch, Eingriffsnormen, S. 72; Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 551. S. zur Statusgebundenheit des Erbrechts und der daraus folgenden Versorgungsfunktion oben, S. 61 ff. 298 Vgl. Fetsch, Eingriffsnormen, S. 72–74, der daraus schließt, dass im Vertragsrecht eine verstärkte Legitimitätskontrolle der hinter der jeweiligen Eingriffsnorm stehenden Interessen nötig ist. 299 Zum orde public sogleich. 300 So auch de Groot, ZEuP 2001, 617, 625 f.; Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 551; Fetsch, Eingriffsnormen, S. 73; Barriati/Pataut in Fallon/Lagarde/Poillot-Peruzzetto, S. 337, 348. 301 von Bar/Mankowski, IPR, § 4 Rn. 120; s. auch Rühl, FS Kropholler, S. 187, 205; Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8, 19 in Bezug auf die Privatautonomie. 297
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stärkeres und häufigeres Bedürfnis, zwingende öffentliche Interessen auf andere Weise durchzusetzen. Eingriffsnormen sind hierfür ein geeignetes Mittel. Trotz der geringeren praktischen Relevanz im Familien- und Erbrecht sind Einzelfälle denkbar, in denen dem Rechtsanwender Eingriffsnormen begegnen können. Insbesondere im französischen Recht werden die Vorschriften zum „régime pri maire“ (insbesondere Art. 220–222 franz. Code civil), die die persönlichen Beziehungen der Ehegatten untereinander sowie die Haftung und Vertretung gegenüber Dritten umfassen, als Eingriffsnormen qualifiziert (s. Art. 226 franz. Code civil).302 Parallel wurde jedenfalls vor der Kodifizierung des belgischen IPR für vergleichbare allgemeine Ehewirkungsvorschriften im belgischen Recht eine Sonderanknüpfung vertreten (Art. 220–224 belgischer Code civil).303 In diesen Fällen wird die Herausforderung für die mitgliedstaatlichen Gerichte darin liegen, ein besonderes öffentliches Interesse zu identifizieren, das den Vorschriften zugrunde liegt. Vor diesem Hintergrund bleibt abzuwarten, ob die Qualifikation vergleichbarer Regelungen als Eingriffsnormen vor dem EuGH standhalten wird. Als generelles Beispiel für Eingriffsnormen ist außerdem die Einwirkung des Sozialrechts auf familienrechtliche Verhältnisse denkbar.304 Auch im Erbrecht kommt eine Sonderanknüpfung bestimmter Vorschriften als Eingriffsnormen in Betracht, etwa im Bereich der Sondererbfolge in bestimmte Vermögensgegenstände.305 Inwiefern dieser Bereich bereits durch Art. 30 EuErbVO abgedeckt ist, wird noch zu klären sein.306 Festhalten lässt sich daher, dass Eingriffsnormen im Familien- und Erbrecht zwar selten auftreten, aber sich keinesfalls ausschließen lässt, dass die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bestimmte eigene materiell-rechtliche Vorschriften als Eingriffsnormen qualifizieren. Klärungsbedürftig ist die Frage, ob für solche Sonderkonstellationen eine allgemeine Eingriffsnormenvorschrift geschaffen werden sollte. Diesbezüglich wurde vertreten, dass das Instrument des ordre public zur Handhabung dieser Fälle ausreiche und eine Eingriffsnormenvorschrift entbehrlich mache.307 Dagegen spricht jedoch, dass es sich um zwei alternative methodische Instrumente handelt, die nicht geeignet sind, das jeweils andere zu ersetzen. Der ordre public-Vorbehalt wehrt ergebnisorientiert ausländische Wertvorstellungen ab, die mit den inländischen grundlegenden Wertungen unvereinbar sind. Er ermöglicht damit, wie Art. 21 Rom I-VO und Art. 26 Rom II-VO zeigen, lediglich die Nichtanwendung einer ausländischen Norm.308 Über die Frage, wie die Lücke, die durch die Nichtanwendung der ausländischen Norm entstanden ist, zu schließen ist, 302
Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 552 m. w. N.; s. auch Mayer/Heuzé, DIP, Rn. 783. Näher auch zur Frage, ob dies nach Inkrafttreten des Code de droit international privé noch gilt: Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 553 m. w. N. 304 Kropholler, IPR, S. 18; Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 551. 305 Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 554–557; s. auch Kühne, Parteiautonomie, S. 135–141. 306 S. dazu unten, S. 300 ff. 307 Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 551, 557–567; vgl. auch Fetsch, Eingriffsnormen, S. 72 f. 308 So auch Palandt-Thorn, Art. 16 Rom II-VO Rn. 2 und Art. 6 EGBGB Rn. 3. 303
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
enthält das Verordnungsrecht gerade keine europäisch-autonome Antwort.309 Im Gegensatz dazu wird durch eine Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen die Anwendung einer inländischen Norm positiv erzwungen. Zudem ist der ordre public-Vorbehalt als ergebnisorientierte Kontrolle einzelfallbezogen, während Eingriffsnormen abstrakt und unabhängig vom Einzelfall als international durchsetzbar eingestuft werden können. Außerdem reicht das Instrument der Eingriffsnormen auch insofern weiter, als darüber ausländischen Wertvorstellungen (s. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO) Wirkung verliehen werden kann, während der ordre public-Vorbehalt lediglich inländische Wertungen durchsetzt. Gerade letztgenannte Erwägung führt zu einer besonderen Bedeutung der Eingriffsnormen im Hinblick auf das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs. Es ist nicht ersichtlich, warum sich das Familien- und Erbrecht methodisch zukünftig allein auf den ordre public-Vorbehalt beschränken sollte. Die bislang geringe praktische Relevanz rechtfertigt es nicht, auf einen methodisch gangbaren Weg von vornherein zu verzichten und allein auf die „orakelhaften Emanationen“310 des einzellfallbezogenen ordre public-Vorbehalts zu vertrauen. Vielmehr liegt es im Interesse der Kohärenz des europäischen Verordnungsrechts und der Entwicklung einer verordnungsübergreifenden Dogmatik, auch im Familien- und Erbrecht über eine Kodifikation des Phänomens der Eingriffsnormen nachzudenken.311 Auch Sonnenberger sieht Art. 9 Rom I-VO als „Positivierung einer generellen Leitregel für Eingriffsrecht“ und hält es für wenig sinnvoll, „ein gleichartiges Rechtsphänomen je nach Rechtsbereich unterschiedlich zu behandeln“.312 Rühl geht davon aus, dass eine Art. 9 Rom I-VO bzw. Art. 16 Rom II-VO vergleichbare Regelung in den statusrechtlichen Verordnungen bislang lediglich vergessen wurde und hält es für selbstverständlich, dass Eingriffsnormen auch im Familien- und Erbrecht eine allgemeine Schranke darstellen, die der Rechtswahlfreiheit Grenzen setzen.313 Dass der europäische Gesetzgeber in den Entwürfen zum Güterrecht eine entsprechende Regelung geschaffen hat, auf die noch einzugehen sein wird, zeigt, dass er die Methode der Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen für das Familien- und Erbrecht keineswegs vollkommen verworfen hat. Außerdem lässt sich allein mit der fehlenden Tradition der Eingriffsnormen im Familien- und Erbrecht das Bedürfnis für eine Regelung nicht negieren. Diese Tradition fußt nämlich darauf, dass die nationalen Kollisionsrechte tatsächlich kaum eine Rechtswahl im Familien- und Erbrecht zugelassen haben, wodurch ein Bedürfnis für die Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen nur selten aufkam. Die öffentlichen Interessen wurden bereits durch die zwingende objektive Anknüpfung verwirklicht. Im Eherecht beispielsweise sahen nur das deutsche, belgische, nieder 309
S. zur Lückenfüllung Palandt-Thorn, Art. 6 EGBGB Rn. 13. Basedow, RabelsZ 52 (1988), 8, 23. 311 So zum Erbrecht auch das MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 645 f. 312 MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 47, 50. 313 Rühl, Statut und Effizienz, S. 410; dies., FS Kropholler, S. 187, 206. 310
D. Behandlung im Verordnungsrecht
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ländische und spanische Kollisionsrecht eine eingeschränkte Rechtswahlmöglichkeit vor.314 Art. 5 der Rom III-VO hingegen lässt nunmehr eine Rechtswahl zugunsten vier möglicher Rechtsordnungen zu. Auch im Unterhaltsrecht lässt sich eine schrittweise Liberalisierung feststellen. Während das Haager Unterhaltsübereinkommen vom 2. Oktober 1973315 noch überhaupt keine Rechtswahlmöglichkeit vorsah, w urde die Parteiautonomie im jetzigen europäischen Unterhaltsrecht über Art. 15 EuUntVO i. V. m. Art. 8 HUntProt, der eine beschränkte Rechtswahl zugunsten mehrerer Rechtsordnungen zulässt, erheblich gestärkt. Die EuErbVO lässt in Art. 22 ebenfalls eine beschränkte Rechtswahl zu, während beispielsweise das deutsche Erbkollisionsrecht in Art. 25 Abs. 2 EGBGB die Parteiautonomie wesentlich stärker eingeschränkt hat. Diese Liberalisierungstendenzen sollen der Tatsache gerecht werden, dass auch im Familien- und Erbrecht vermehrt grenzüberschreitende Sachverhalte und sog. „transnationale“316 Beziehungen auftreten. Kroll-Ludwigs spricht insofern von einem „Vormarsch der Parteiautonomie im nicht wirtschaftlichen Personenverkehr“.317 Es bleibt zwar dabei, dass im Familien- und Erbrecht die Rechtswahlmöglichkeiten im Unterschied zum Vermögensrecht beschränkt ausgestaltet sind. Trotzdem lässt sich im europäischen Kollisionsrecht eine erhebliche Ausweitungstendenz konstatieren. Dieser Ausweitung sollte als Korrektiv eine Regelung gegenüber stehen, die die Berücksichtigung von Eingriffsnormen ermöglicht, da ansonsten nicht mehr ausreichend gewährleistet ist, dass zwingende öffentliche Interessen durchgesetzt werden. Schließlich werden, wie bereits gezeigt, durch die Berücksichtigung von ausländischen Eingriffsnormen sowohl der europäische als auch internationale Entscheidungseinklang gefördert. Dass dieses Prinzip in den statusrechtlichen bzw. den statusnahen Verordnungen eine besonders große Rolle spielt, spricht für die Möglichkeit einer Berücksichtigung von Eingriffsnormen auch im Familien- und Erbrecht. Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass im Wesentlichen aus drei Gründen auch im Familien- und Erbrecht ein grundsätzliches Bedürfnis für eine Regelung der Eingriffsnormenproblematik besteht. Erstens würde so die Kohärenz zwischen den einzelnen Verordnungen gefördert und eine – im Unterschied zum ordre public – einzelfallunabhängige und allgemeine Dogmatik entwickelt. Zweitens sollte die Ausweitung der Parteiautonomie dazu anregen, auf Eingriffsnormenebene mögliche Korrektive zu schaffen, die zwingende staatliche Interessen durchsetzen kön314 Art. 17 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 14 Abs. 2 , 3 EGBGB; Art. 55 § 2 belgischer Code civil; Art. 1 des niederländischen Gesetzes über das Kollisionsrecht der Eheauflösung und Trennung von Tisch und Bett v. 25.3.1981; Art. 107 Abs. 2 lit. b des spanischen Código Civil; näher dazu Kroll- Ludwigs, Parteiautonomie, S. 100 f. 315 Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht v. 2.10.1973, BGBl. 1986 II S. 837. 316 Dazu Dethloff, AcP 204 (2004), 544, 550. 317 Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 147.
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
nen. Drittens lässt sich auf diese Weise das in Statusverhältnissen besonders bedeutsame Prinzip des Entscheidungseinklangs fördern. Ein Blick in die einzelnen statusrechtlichen Verordnungen soll nun zeigen, dass der europäische Gesetzgeber sich im Familien- und Erbrecht noch kaum an die Eingriffsnormenproblematik herangewagt hat. 2. Rom III-VO Die Rom III-VO enthält für das Scheidungsrecht keine Regelung zum Thema Eingriffsnormen. Lediglich Art. 10 Rom III-VO ermöglicht in Fällen, in denen das Scheidungsstatut eine Ehescheidung nicht vorsieht oder einem der Ehegatten aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit keinen gleichberechtigten Zugang zur Scheidung gewährt, die Anwendung der lex fori. Da Sinn und Zweck der Regelung ist, ausländisches Recht abzuwehren, das die Eheschließungsfreiheit beeinträchtigt (Alt. 1) bzw. aus Gründen der Geschlechtszugehörigkeit diskriminiert (Alt. 2), stellt Art. 10 Rom III-VO, je nach Lesart,318 einen besonderen Fall des ordre public319 oder eine abstrakte Normenkontrolle320 dar, der jedenfalls keine Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen ermöglicht. Wie dargestellt, erscheint es wünschenswert, im Bereich der Rom III-VO eine allgemeine Regelung zu etablieren, die die Anwendung von Eingriffsnormen ermöglicht. Sieht man mit Sonnenberger Art. 9 Rom I-VO als „Positivierung einer generellen Leitregel für Eingriffsrecht“,321 bietet es sich an, diese Norm zu übertragen. Die Definition des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO ist allgemeingültig und lässt sich ohne Weiteres auf familien- und erbrechtliche Eingriffsnormen übertragen.322 Jedenfalls wenn man, wie hier vertreten, Sonderprivatrecht nur als Eingriffsnorm genügen lässt, soweit die öffentlichen Interessen die Privatinteressen wesentlich überwiegen, ist ein ausufernder Gebrauch der Vorschrift nicht zu befürchten. Eine weitere Restriktion erfährt die Definition durch die Voraussetzung, dass Eingriffsnormen nur „unter außergewöhnlichen Umständen“ auf ein privatrechtliches Verhältnis einwirken.323 Im Hinblick auf die Problematik der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen kann die geltende Fassung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO nicht unverändert übernommen werden, da das Erfüllungsortskonzept nur für das Vertragsrecht passt. Stattdessen sollte die hier vorgeschlagene Fassung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO-neu, der auf eine enge Verbindung des Erlassstaates zum Sachverhalt abstellt, auch für 318
Zur umstrittenen Rechtsnatur der Vorschrift Winkler von Mohrenfels, FS Martiny, S. 595–615. Art. 10 Rom III-VO Rn. 1; Schulz/Hauß-Schulz/Hauß, Art. 10 Rom IIIVO Rn. 1; Hausmann, EhescheidungsR, Art. 10 Rom III-VO A Rn. 335, 337. 320 Palandt-Thorn, Art. 10 Rom III-VO Rn. 1. 321 MüKo-Sonnenberger (2010), Einleitung IPR Rn. 47, 50. 322 Kritisch insofern Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 563 f.; so aber auch implizit Staudinger-Magnus, Art. 9 Rom I-VO Rn. 48. 323 Dazu schon oben; so auch Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 563. 319 Erman-Hohloch,
D. Behandlung im Verordnungsrecht
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das Scheidungsrecht übernommen werden. Diese Generalklausel lässt sich durch Rechtsprechung und Lehre mit Leben füllen. Ein Aufzählen einzelner Beispiele – etwa in einem Erwägungsgrund – erscheint in der Rom III-VO bzw. im Familienrecht generell entbehrlich, da die auftretenden Fälle sehr selten sind. 3. EuErbVO Die EuErbVO enthält ebenfalls keine allgemeine Vorschrift zur Eingriffsnormenproblematik, sondern lediglich eine Spezialregelung in Art. 30 EuErbVO. Dieser ermöglicht es, bestimmte Vermögensgegenstände („unbewegliche Sachen, Unternehmen oder andere besondere Arten von Vermögenswerten“) vom Geltungs bereich des Erbstatuts auszunehmen und sie aus wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Erwägungen dem Recht des Belegenheitsstaates zu unterwerfen, wenn dieser Staat diese Gegenstände unabhängig vom Erbstatut dem eigenen Recht unterwerfen will. Damit ist Art. 30 EuErbVO dogmatisch als eine Sonderanknüpfung für bestimmte Eingriffsnormen einzustufen.324 Der Anwendungsbereich des Art. 30 EuErbVO ist kleiner als der des vergleichbaren Art. 3a Abs. 2 EGBGB, da Erwägungsgrund 54 der EuErbVO die rein kollisionsrechtliche Nachlassspaltung ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der Regelung ausschließt.325 Das MPI hat in seiner Stellungnahme zum Entwurf der EuErbVO vorgeschlagen, Art. 22 EuErbVO-E,326 die inhaltsgleiche Vorgängervorschrift des Art. 30 EuErbVO, zu modifizieren und daraus eine allgemeine Vorschrift zur Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen zu entwickeln, die auf Art. 9 Rom I-VO aufbauen sollte.327 Nach diesem Vorschlag (im Folgenden: MPI-E)328 soll die EuErbVO ebenfalls zu324
Kunz, GPR 2012, 253, 255; Dutta, FamRZ 2013, 4, 11. Dazu noch unten, S. 366 f. 326 Vorschlag vom 14.10.2009 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, KOM (2009) 154 endg. 327 Dazu MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 643; ein ähnlicher Vorschlag findet sich bei Dutta, RabelsZ 73 (2009), 547, 557 f. 328 “Art. 22 – Overriding mandatory provisions (1) Overriding mandatory provisions are provisions the respect for which is regarded as crucial by a State for safeguarding its public interests, such as its political, social or economic organisation, to such an extent that they are applicable to any situation falling within their scope, irrespective of the law otherwise applicable under this Regulation. (2) Nothing in this Regulation shall restrict the application of the overriding mandatory provisions of the law of the forum. (3) The law applicable under this Regulation does not affect the application of the overriding mandatory provisions of the State where certain immovables, enterprises or other special categories of assets are situated, insofar as these rules institute a particular succession regime in respect of such assets. (4) Effect may be given to the overriding mandatory provisions of a State to which the deceased was closely connected, such as provisions which render a testamentary disposition or any other act relating to succession unlawful. In considering whether to give effect to those provisions, regard 325
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
nächst in Abs. 1 eine Definition bereithalten, die Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO entspricht. Der zweite Absatz des Art. 22 MPI-E sah vor, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO wortgleich zu übernehmen, der die Eingriffsnormen der lex fori für beachtlich erklärt. Der dritte Absatz beinhaltet als Spezialregelung den jetzt in Art. 30 EuErbVO geregelten Fall, dass der Belegenheitsstaat Eingriffsnormen für bestimmte Vermögensgegenstände bereithält. Schließlich schlägt das MPI einen Abs. 4 MPI-E vor, nach dem auch Eingriffsnormen anderer Staaten als des Belegenheitsstaates, wenn der Erblasser diesen Staaten eng verbunden war, berücksichtigt werden können, sofern diese Normen die „testamentary disposition unlawful“ werden lassen. Das Ermessen wird in dem vorgeschlagenen Abs. 4 S. 2 MPI-E parallel zu Art. 9 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO eingeschränkt, wonach Art und Zweck der Norm sowie die Folgen berücksichtigt werden müssen, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden. Die Übernahme der Definition des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO überzeugt. Auf diese Weise wird die Kohärenz zwischen den Verordnungen gefördert und eine allgemeingültige Dogmatik zum Thema Eingriffsnormen entwickelt.329 Auch die Möglichkeit, Eingriffsnormen des Forums zu berücksichtigen (Art. 22 Abs. 2 MPI-E), entspricht der gängigen Praxis in zahlreichen Mitgliedstaaten sowie in den vermögensrechtlichen Verordnungen. Auf diese Weise können etwa Vorschriften wie § 14 HeimG, wonach sich das Heimpersonal eines Pflegeheims von einem Bewohner keine Geld- oder geldwerten Leistungen versprechen oder gewähren lassen darf, die über das Heimentgelt hinausgehen, international zwingend durchgesetzt werden.330 Auch andere Staaten verbieten letztwillige Verfügungen zugunsten bestimmter Personenkreise.331 Ebenso kann europäischen Eingriffsnormen, etwa Art. 14 EMRK, auf diese Weise Wirkung verliehen werden.332 Über eine solche Regelung ließen sich auch Fälle lösen, in denen das Erbstatut dem Lebenspartner kein gesetzliches Erbrecht zuspricht.333 Auf die Tauglichkeit einer Sonderregelung für Eingriffsnormen des Belegenheitsstaates in Art. 22 Abs. 3 MPI-E, die nunmehr dem geltenden Art. 30 EuErbVO entspricht, wird an späterer Stelle einzugehen sein.334 Hier sei nur auf Folgendes hingewiesen: Beim jetzigen Art. 30 EuErbVO, den das MPI in Abs. 3 einer ansonsten an Art. 9 Rom I-VO angelehnten Vorschrift verorten will, handelt es sich um einen Spezialfall, der innerhalb einer allgemeinen Eingriffsnormenregelung zu versteckt geregelt wäre. Im Interesse der Übersichtlichkeit sollte der Sonderfall des shall be had to their nature and purpose and to the consequences of their application or non-application.” 329 Dies sieht auch das MPI als entscheidendes Argument an, RabelsZ 74 (2010), 522, 646. 330 S. Dutta, RabelsZ 73 (2009), 547, 589; vgl. auch OLG Oldenburg v. 19.2.1999, IPRax 1999, 469 f. zu § 14 HeimG mit Anmerkung Dörner, IPRax 1999, 455 f. 331 Näher dazu MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 646 m. w. N. zu Spanien und der Schweiz. 332 MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 646. 333 S. derzeit Art. 17b Abs. 1 S. 2 EGBGB. 334 Dazu unten im 6. Kapitel, S. 300 ff.
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Art. 30 EuErbVO bzw. Art. 22 Abs. 3 MPI-E, der Eingriffsnormen des Belegenheitsstaates behandelt, daher aus der allgemeinen Eingriffsnormenvorschrift herausgenommen und in einer eigenen Vorschrift normiert werden. Schließlich ist grundsätzlich auch Art. 22 Abs. 4 MPI-E zu begrüßen, der die Berücksichtigung von Eingriffsnormen anderer Staaten als des Forumstaates sowie des Belegenheitsstaates ermöglicht, sofern eine enge Verbindung des Erblassers zum Erlassstaat bestand. Es kommt nämlich durchaus in Betracht, dass Verbindungen zu anderen Staaten als dem Belegenheitsstaat oder dem Forumstaat bestehen, deren international zwingende Normen die Erbschaft beeinflussen können.335 Möglich ist etwa, dass bestimmte Gegenstände aus religiösen Gründen nicht vererbt werden dürfen oder Ausfuhrverbote für bestimmte Kunstgegenstände bestehen.336 Durch die Berücksichtigung solcher Normen wird sowohl europäischer als auch internationaler Entscheidungseinklang erzielt. Somit werden die Chancen erhöht, dass eine Entscheidung in diesen Staaten anerkannt und vollstreckt wird.337 Wird auch in der EuErbVO für die Berücksichtigung ausländischen Eingriffsrechts darauf abgestellt, ob eine enge Verbindung besteht, fördert dies die Kohärenz zu den hier vorgeschlagenen Regelungen in der Rom I- und der Rom II-VO. Erneut ist zu betonen, dass die Generalklausel die nötige Flexibilität im Umgang mit ausländischen Eingriffsnormen bietet338 und eine Konkretisierung durch die Rechtsprechung und Wissenschaft erfolgen kann. Kritikwürdig ist am Vorschlag des MPI lediglich, dass das MPI die enge Verbindung im Verordnungstext folgendermaßen konkretisiert: „Effect may be given to the overriding mandatory provisions of a State to which the deceased was closely connected, such as provisions which render a testamentary disposition or any other act relating to succession unlawful.“339 Erklärt wird diese Einschränkung mit den Worten, dass ein Gericht solche Eingriffsnormen berücksichtigen können soll “if these rules invalidate dispositions in acts relating to succession that are deemed illegal or fraudulent under the law of that country”.340 Es wurde bereits im Rahmen der Rom I-VO dargestellt,341 dass das Kriterium der „Unrechtmäßigkeit“ bzw. „unlawfulness” Auslegungsschwierigkeiten verursacht. Dementsprechend erhöht es auch im Erbrecht nicht die Rechtssicherheit und vermag daher die Generalklausel der engsten Verbindung nicht zu konkretisieren. Hinzu kommt, dass das MPI in seinem Vorschlag die Formulierung „such as“ verwendet, was auf eine beispielhafte Aufzählung hindeutet. Anders als in der gelten335 A.A. Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 565 f., die der Auffassung ist, die Vorschrift des Art. 30 EuErbVO zu Eingriffsnormen des Belegenheitsortes reiche aus und alle restlichen Konstellationen ließen sich durch den ordre public lösen. 336 MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 648 m. w. N. 337 MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 648. 338 MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 648. 339 MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 643 (Hervorhebung der Verf.). 340 MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 644. 341 Dazu oben, S. 256 f.
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
den Fassung der Rom I-VO ist die „unlawfulness“ im Vorschlag des MPI für die EuErbVO daher scheinbar nicht als einzige und zwingende Voraussetzung für die Berücksichtigung ausländischen Eingriffsrechts, sondern lediglich als Regelbeispiel gemeint. In seinem Vorschlag zur Rom I-VO hingegen, in dem das MPI ebenfalls das Kriterium der engsten Verbindung abgestellt hat, kommt die Voraussetzung der „Unrechtmäßigkeit“ im Verordnungstext nicht vor. Aus Gründen der Kohärenz und angesichts der drohenden Auslegungsschwierigkeiten sollte diese Voraussetzung daher auch in einer Eingriffsnormenregelung im Erbrecht nicht auftauchen. Stattdessen ist dieses Regelbeispiel in einem Erwägungsgrund zu verorten, um dort zu verdeutlichen, dass nicht jede vom Erbstatut abweichende Regelung eines anderen Staates als Eingriffsnorm zwingend durchgesetzt werden kann, sondern – dem restriktiven Charakter der Regelung entsprechend – Auswirkungen auf die Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung zeitigen sollte. Schließlich sollte außerdem auf Rechtsfolgenebene die dogmatisch vorzugswürdige kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen vorgenommen werden, was im Wortlaut der Norm zu verdeutlichen ist. Der Terminus „effect may be given“ bzw. die „Wirkungsverleihung“ im Vorschlag des MPI sollte daher ersetzt werden durch das Wort „anwenden“. Dies entspricht auch dem hier unterbreiteten Vorschlag zur Änderung des Art. 9 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO. Die hier vorgeschlagene Version des Art. 9 Rom I-VO sollte also ebenfalls auf das Erbrecht übertragen werden. Art. 30 EuErbVO ist im Interesse der Übersichtlichkeit nicht in die Regelung zu integrieren. Auf die inhaltliche Tauglichkeit von Art. 30 EuErbVO wird noch einzugehen sein.342 Eine Art. 9 Rom I-VO entsprechende Regelung in der EuErbVO könnte von folgendem Erwägungsgrund begleitet werden: Die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen, die nicht dem Forumstaat oder dem Belegenheitsstaat angehören, die aber eine enge Verbindung zum Sachverhalt aufweisen, sollte ermöglicht werden. Ausreichend ist nicht, dass eine ausländische Regelung vom Erbstatut abweicht. Stattdessen muss die jeweilige ausländische Norm, hinter der überragende öffentliche Interessen stehen, die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung beeinträchtigen. In Betracht kommt insbesondere, dass die Verfügung nach dem ausländischen Recht als illegal oder missbräuchlich angesehen wird.343 Für Eingriffsnormen des Belegenheitsstaates ist Art. 30 EuErbVO speziell.
4. EuUntVO i. V. m. HUntProt Ebenso wie die Rom III-VO und die EuErbVO enthält auch Art. 15 EuUntVO i. V. m. HUntProt keine allgemeine Eingriffsnormenregelung. Lediglich Art. 10 HUntProt lässt sich entfernt in diesem Bereich ansiedeln. Die Norm bestimmt, dass die inhaltliche Ausgestaltung eines Erstattungsanspruchs einer öffentliche Aufgaben wahr342
Dazu unten, S. 307 ff. MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 644.
343 Vgl.
D. Behandlung im Verordnungsrecht
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nehmenden Einrichtung gegen den primär Unterhaltsverpflichteten sich nicht nach dem Unterhaltsstatut richtet, sondern nach dem Recht, dem diese Einrichtung untersteht. Dies dient jedoch nicht der Durchsetzung öffentlicher Interessen bzw. international zwingender Normen, sondern soll der Tatsache Rechnung tragen, dass die Erstattungsansprüche eines Fürsorgeträgers in den Mitgliedstaaten rechtlich sehr unterschiedlich ausgestaltet sind und eine komplizierte Differenzierung entbehrlich machen.344 Es fällt daher bereits schwer, darin überhaupt eine Sonderregelung für Eingriffsnormen zu sehen.345 Auch im Unterhaltsrecht sollte jedoch grundsätzlich die Möglichkeit bestehen, durch die Beachtung von ausländischen Eingriffsnormen internationalen Entscheidungseinklang zu erzielen und fremden öffentlichen Interessen im Rahmen des Unterhaltsstatuts Geltung zu verschaffen. Wie bereits erwähnt, wird im deutschen Unterhaltsrecht beispielsweise § 1600 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 BGB als Eingriffsnorm angesehen, der die Anfechtung der Vaterschaft durch eine Behörde ermöglicht, wenn die Vaterschaft gem. § 1592 Nr. 3 BGB anerkannt wurde.346 Selbst wenn im Unterhaltsrecht wie im sonstigen Familienrecht das Phänomen selten auftreten wird, könnte die europäische Dogmatik von einer Lösung profitieren. Auch hier bietet es sich im Interesse der Kohärenz an, das für Art. 9 Rom I-VO vorgeschlagene Konzept zu übertragen. 5. EhegüterVO-E und EPartVO-E Anders als die bisherigen statusrechtlichen Verordnungen sehen die Vorschläge zum Güterrecht erstmals allgemeine Regelungen zum Thema Eingriffsnormen vor. Art. 22 EhegüterVO-E postuliert: „Diese Verordnung steht der Anwendung zwingender Vorschriften nicht entgegen, deren Einhaltung von einem Mitgliedstaat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen sozialen oder wirtschaftlichen Ordnung, angesehen wird, dass sie un geachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den ehelichen Güterstand an zuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden sind, die in ihren Anwen dungsbereich fallen.“ Art. 17 EPartVO-E enthält dieselbe Regelung. Der europäische Gesetzgeber nennt als Beispiel Vorschriften, die dem Schutz der Familienwohnung dienen,347 sodass beispielsweise die Regelungen zum französischen „régime primaire“ darunter fallen würden.348 Die Regelung in den Verordnungsentwürfen zeigt deutlich, dass der europäische Gesetzgeber die Definition in Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO für auf das Familienrecht übertragbar hält. Dies spricht umso mehr dafür, parallel für die soeben behandelten 344 S. MüKo-Siehr (2010), Anh. I Art. 18 EGBGB Rn. 185; Hausmann, EhescheidungsR, Art. 10 HUntProt C Rn. 600. 345 So aber Sonnenberger in Leible/Unberath, S. 429, 432. 346 S. dazu oben, S. 244 Fn. 59. 347 KOM (2011) 127/2, S. 9. 348 Kohler/Pintens, FamRZ 2011, 1433, 1437; Kroll-Ludwigs, Parteiautonomie, S. 561.
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5. Kapitel: Eingriffsnormen
statusrechtlichen Verordnungen zu verfahren. Nicht ganz eindeutig ist, was mit „von einem Mitgliedstaat“ gemeint ist: Ermöglicht Art. 22 EhegüterVO-E bzw. Art. 17 EPartVO-E lediglich – parallel zu Art. 16 Rom II-VO – die Berücksichtigung der Eingriffsnormen des Forumstaates oder auch anderer mitgliedstaatliche Eingriffsnormen, ohne insofern weitere einschränkende Voraussetzungen zu statuieren? Der Wortlaut scheint auf Letzteres hinzudeuten, jedoch wird in der Begründung zum Verordnungsvorschlag stets vom „eigenen Recht“ eines Mitgliedstaates gesprochen,349 was dafür spricht, dass die Regelung lediglich die Eingriffsnormen des Forumstaates für beachtlich erklären wollte.350 Wie bereits zu den anderen Verordnungen ausgeführt, sollte der europäische Gesetzgeber aber auch im Güterrecht weiter gehen und ausländische Normen für beachtlich erklären, sofern eine enge Verbindung des Sachverhalts zum Erlassstaat besteht.
E. Entwurf einer verordnungsübergreifenden Lösung Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Eingriffsnormenproblematik ein Problem des allgemeinen Teils darstellt, für das im Interesse der Kohärenz und Entwicklung einer Dogmatik eine allgemeine, verordnungsübergreifende Lösung gefunden werden muss. Es bietet sich im Hinblick auf die Definition eine Orientierung an Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO an. Im Interesse des Entscheidungseinklangs sollte außerdem die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen ermöglicht werden, sofern eine enge Verbindung zwischen Sachverhalt und Erlassstaat besteht. Eine solche Generalklausel hat den Vorteil, dass sie entwicklungsoffen ist und für Rechtsprechung und Wissenschaft Raum zur Konkretisierung lässt, auch wenn sie rechtspolitisch schwer durchsetzbar sein dürfte. Anders als in den bisher behandelten Kapiteln bietet sich für das Thema Eingriffsnormen keine unterschiedliche Behandlung von Vermögensrecht einerseits und Statusrecht andererseits an. Vermögensrecht und Statusrecht unterscheiden sich nämlich vor allem durch die unterschiedlich hohe Bedeutung des Prinzips des Entscheidungseinklangs. Dieses Prinzip spielt jedoch im Eingriffsrecht aufgrund der durchzusetzenden öffentlichen Interessen, die das Interesse an Entscheidungseinklang im Regelfall überwiegen, in der Abwägung eine wesentlich geringere Rolle als in anderen bislang behandelten Bereichen. Wenn dieses Prinzip in der Gesetzgebung für das Eingriffsrecht keinen Leitfaktor darstellt, sollte daher für die Eingriffsnormenproblematik nicht zwischen Vermögens- und Statusrecht differenziert werden.
349 350
KOM (2011) 126 endg., S. 9; KOM (2011) 127 endg., S. 9. So auch Remien, FS von Hoffmann, S. 334, 339; Martiny, IPRax 2011, 437, 452.
E. Entwurf einer verordnungsübergreifenden Lösung
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Die Regelung, die sowohl für vermögensrechtliche als auch statusrechtliche Verordnungen gelten sollte, lautet also folgendermaßen: Eingriffsnormen (1) Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen. (2) Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts. (3) Die Eingriffsnormen eines Staates können angewendet werden, wenn der Sachverhalt eine enge Verbindung zu diesem Staat aufweist. Bei der Entscheidung, ob diese Eingriffsnormen anzuwenden sind, werden Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden.
Konkretisierungen sollten, wenn überhaupt, in den Erwägungsgründen vorgenommen werden. Für entsprechende Vorschläge sei auf die obigen Ausführungen zu den jeweiligen Verordnungen verwiesen.
6. Kapitel:
Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut Ein weiteres umstrittenes Phänomen, bei dessen Beurteilung das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs eine wesentliche Rolle spielt, wird mit „Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut“,1 „Einzelstatut bricht Gesamtstatut“ 2 oder auch „Sonderstatut bricht Gesamtvermögensstatut“ 3 umschrieben. Dabei findet eine punktuelle Durchbrechung des an sich anwendbaren Rechts durch einzelne Normen statt, indem einem ausländischen Einzelstatut der Vorrang vor dem an sich ermittelten Statut eingeräumt wird. Ebenso wie bei der Berücksichtigung von ausländischen Eingriffsnormen wird auf diese Weise der Geltungsanspruch ausländischen Rechts berücksichtigt, obwohl dieses vom eigenen Kollisionsrecht an sich nicht berufen wurde. Es findet also eine Sonderanknüpfung einzelner Vorschriften statt. Diesem Vorgang liegen, ebenso wie der Berücksichtigung ausländischen Eingriffsrechts, häufig besondere öffentliche Interessen zugrunde. Aufgrund der starken Ähnlichkeit zur Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen4 bietet sich eine Erörterung der Problematik an, um einen wertungskohärenten allgemeinen Teil zu schaffen. Wertungsmäßige Parallelen bestehen nicht nur zu Eingriffsnormen, sondern auch zur Regelung des renvoi. Sowohl ein teilweiser renvoi als auch eine Durchbrechung des Gesamtstatuts durch ein vorrangiges Einzelstatut können im Erbrecht nämlich zu Nachlassspaltungen führen.5 Es entsteht damit ein Spannungsverhältnis zu dem vom Verordnungsgeber verfolgten Prinzip der Nachlasseinheit. Auch insofern sollten die Regelungen daher inhaltlich und wertungsmäßig aufeinander abgestimmt werden. Während das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs im Eingriffsrecht weitgehend von öffentlichen Interessen in den Hintergrund gedrängt wird, spielt es bei der Beurteilung des renvoi eine entscheidende Rolle. Da zu beiden Bereichen ein Zusammenhang besteht, ist zu erwarten, dass bei der Lösung des Problems eines vorrangigen Einzelstatuts ein Mittelweg verfolgt wird. 1 Melchior, RabelsZ 3 (1929), 733, 749; Palandt-Thorn, Art. 3a EGBGB Rn. 3; Staudinger- Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 4; Kropholler, IPR, S. 183; Neuhaus, Grundbegriffe, S. 286. 2 Thoms, Einzelstatut bricht Gesamtstatut, Tübingen 1996; Bamberger/Roth-Lorenz, Art. 3a EGBGB Rn. 5. 3 MüKo-Dutta, Art. 30 EuErbVO Rn. 1 m. w. N. 4 MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 3a EGBGB Rn. 16; Stoll, FS Kropholler, S. 247, 248 f.; Solomon, IPRax 1997, 81, 86; Thoms, Einzelstatut, S. 102. 5 Dazu schon oben, S. 125 ff.
A. Problemstellung am Beispiel des Art. 3a Abs. 2 EGBGB
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Der europäische Gesetzgeber hat sich in der EuErbVO zum ersten Mal an eine Regelung des Phänomens des vorrangigen Einzelstatuts herangetraut. Auch andere europäische Staaten und Drittstaaten kennen entsprechende Normen.6 Im deutschen Kollisionsrecht hat die Thematik eine Regelung in Art. 3a Abs. 2 EGBGB erfahren. Im Folgenden soll die Problematik anhand der umstrittenen Regelung des Art. 3a Abs. 2 EGBGB aufzeigt werden (A.). Es folgt eine Erläuterung, inwiefern das Prinzip des Entscheidungseinklangs in dem Themenkomplex eine Rolle spielt (B.). Anschließend wird das europäische Verordnungsrecht, insbesondere Art. 30 EuErbVO, untersucht und bewertet (C.).
A. Problemstellung am Beispiel des Art. 3a Abs. 2 EGBGB Das Phänomen „Einzelstatut bricht Gesamtstatut“ lässt sich anhand der deutschen Regelung des Art. 3a Abs. 2 EGBGB verdeutlichen: „Soweit Verweisungen im Dritten und Vierten Abschnitt das Vermögen einer Person dem Recht eines Staates unterstellen, beziehen sie sich nicht auf Gegenstände, die sich nicht in diesem Staat befinden und nach dem Recht des Staates, in dem sie sich befinden, besonderen Vorschriften unterliegen.“ Diese Vorschrift blickt auf eine umstrittene Gesetzgebungsgeschichte zurück, in der viele dafür plädierten, die Norm bzw. die Vorgängervorschrift des Art. 3 Abs. 3 EGBGB bzw. Art. 28 EGBGB a. F. zu streichen.7 Die vorgebrachten Bedenken haben sich nicht geändert und sollten daher auch auf europäischer Ebene beachtet werden, wenn die Schaffung einer entsprechenden Norm in Betracht gezogen wird. Ein kurzer Blick auf Art. 3a Abs. 2 EGBGB erscheint daher angebracht, um die Regelungen des europäischen Verordnungsrechts bewerten und gegebenenfalls weiterentwickeln zu können. I. Funktion und Normzweck Im dritten und vierten Abschnitt des EGBGB, also im Familien- und Erbrecht, herrscht der Grundsatz, dass für das gesamte Vermögen einer Person dasselbe Statut, das sog. Gesamtstatut, gilt. Betroffen sind von diesem Grundsatz insbesondere das Ehewirkungsstatut (Art. 14 EGBGB), das Güterrechtsstatut (Art. 15 EGBGB), das Scheidungsstatut (Art. 17 Abs. 1 EGBGB), das Kindschaftsstatut (Art. 21 EGBGB), das Vormundschaftsstatut (Art. 24 EGBGB) sowie das Erbstatut (Art. 25 EGBGB).8 Das gesamte Vermögen einer Person wird somit derselben Rechtsord6
S. den Überblick bei Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 22. Thoms, Einzelstatut, S. 22–52; Reichelt, Einzelstatut, S. 25–66; Staudinger- Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 8 –22; Soergel-Kegel Art. 3 EGBGB Rn. 18 Fn. 1 jeweils m. w. N. 8 Palandt-Thorn, Art. 3a EGBGB Rn. 4; Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 30. 7 Eingehend
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6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut
nung unterstellt, unabhängig davon, um welche Art von Vermögensgegenständen es sich handelt.9 Eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung einzelner Gegenstände findet also grundsätzlich nicht statt. Die Vorschrift des Art. 3a Abs. 2 EGBGB ermöglicht eine Ausnahme von diesem Grundsatz. Unterwirft der Belegenheitsstaat bestimmte in seinem Territorium belegene Vermögensgegenstände „besonderen Vorschriften“, wird der Geltungsanspruch der lex rei sitae respektiert und diese anstatt des vom deutschen Kollisionsrecht berufenen Gesamtstatuts angewendet.10 Dadurch wird zwar die Einheitlichkeit des Gesamtstatuts durchbrochen, dies jedoch aus drei wesentlichen Gründen hingenommen: Zum einen werde Entscheidungseinklang mit dem Belegenheitsstaat realisiert, da ein Gericht des Belegenheitsstaates ebenfalls die dortige lex rei sitae anwenden würde.11 Die Durchbrechung des Gesamtstatuts wird zweitens damit begründet, dass die lex rei sitae im Einzelfall das sachnähere Recht darstelle. Schließlich werde durch die Anerkennung des Geltungsanspruchs der lex rei sitae die Durchsetzbarkeit der Rechte im Belegenheitsstaat erleichtert.12 Aus diesen Gründen löst Art. 3a Abs. 2 EGBGB den „aussichtslosen Streit um den Vorrang“13 bzw. den „gordischen Knoten“14 zwischen Gesamtstatut und lex rei sitae zugunsten Letzterer auf, um Regelungswidersprüche zu vermeiden.15 II. Reichweite Die Reichweite des Art. 3a Abs. 2 EGBGB, namentlich die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „besondere Vorschriften“, ist umstritten. Geklärt ist im Rahmen des Art. 3a Abs. 2 EGBGB lediglich zweierlei.16 Erstens umfasst die Vorschrift materiell-rechtliche Vorschriften, die bestimmte Vermögensgegenstände einer besonderen Erbfolgeregelung unterwerfen.17 Dies gilt aber nur, soweit der Belegenheitsstaat sich konsequent verhält und diese Vorschriften selbst auch kollisionsrechtlich durchsetzt, indem er auf in seinem Gebiet belegene Vermögensgegenstände das eigene Recht anwendet, obwohl dies nicht das Erbstatut ist.18 Nur so beweist der Belegenheitsstaat, dass ein besonderes Interesse an der 9 Staudinger-Hausmann,
Art. 3a EGBGB Rn. 5; Palandt-Thorn, Art. 3a EGBGB Rn. 3. Dazu MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 3a EGBGB Rn. 16. 11 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 9 Rn. 61; MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 3a EGBGB Rn. 6; Kegel/Schurig, IPR, S. 431; Erman-Hohloch, Art. 3a EGBGB Rn. 6; Neuhaus, Grundbegriffe, S. 288. 12 BT-Drucks. 10/504, S. 36 f.; BGH v. 4.10.1995, BGHZ 131, 22, 29; Palandt-Thorn, Art. 3a EGBGB Rn. 3; Erman-Hohloch, Art. 3a EGBGB Rn. 6. 13 Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 6. 14 Schmidt, RabelsZ 77 (2013), 1, 9. 15 MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 3a EGBGB Rn. 5. 16 Dazu Solomon, IPRax 1997, 81, 83. 17 MüKo-von Hein, Art. 3a EGBGB Rn. 36. 18 Kegel/Schurig, IPR, S. 428; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 4 Rn. 19; Solomon, IPRax 1997, 81, 83; Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 39. 10
A. Problemstellung am Beispiel des Art. 3a Abs. 2 EGBGB
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Anwendung dieser Norm unabhängig vom Erbstatut besteht; es handelt sich hierbei um eine bedingte Verweisung.19 Zweitens besteht dahingehend Einigkeit, dass es nicht ausreicht, dass der Belegenheitsstaat für die Erbfolge lediglich ein anderes Anknüpfungsmoment verwendet, indem er beispielsweise auf den gewöhnlichen Aufenthalt abstellt anstatt auf die Staatsangehörigkeit des Erblassers.20 In diesem Fall handelt es sich nämlich nicht um einen Kompetenzkonflikt zwischen Einzel- und Gesamtstatut, sondern zwischen zwei Gesamtstatuten.21 Umstritten ist hingegen der Fall, dass der Belegenheitsstaat für das in seinem Gebiet belegene Vermögen keine besonderen materiell-rechtlichen Vorschriften vorsieht, sondern lediglich Kollisionsnormen bereithält, die für bestimmte Vermögensgegenstände – insbesondere unbewegliche Sachen – die lex rei sitae anstatt des Personalstatuts berufen. Bei einer weiten Auslegung des Art. 3a Abs. 2 EGBGB würde auch der Fall der nur kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung in den Anwendungsbereich fallen.22 Für eine solche weite Auslegung werden im Wesentlichen dieselben drei Argumente vorgebracht, die schon grundsätzlich Art. 3a Abs. 2 EGBGB zugrunde liegen: die Erzielung von internationalem Entscheidungseinklang mit dem Belegenheitsstaat, die Sachnähe des Belegenheitsstaats sowie die Durchsetzbarkeit der Entscheidung in diesem Staat. Bei enger Auslegung hingegen beinhaltet Art. 3a Abs. 2 EGBGB den Fall der nur kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung nicht.23 Begründet wird dies vor allem damit, dass bei einer nur kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung keine besonderen politischen oder wirtschaftlichen Interessen des Belegenheitsstaates mehr bestünden, sondern Ziel nur die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit sei.24 Diese internationalprivatrechtlichen Interessen allein würden eine Sonderanknüpfung nicht rechtfertigen, da schon das eigene Kollisionsrecht auf diesen beruhe.25 Die Frage ist in der Praxis höchst relevant, da zahlreiche Staaten kollisionsrechtliche Vorschriften bereithalten, die insbesondere für in ihrem Territorium belegenes unbewegliches Vermögen das Belegenheitsrecht, und damit das eigene Recht, berufen. Dies gilt nicht nur für europäische Staaten wie etwa das Vereinigte König19 Kegel/Schurig, IPR, S. 428; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 4 Rn. 19; Schurig, IPRax 1990, 389, 390. 20 BGH FamRZ 2003, 1779 f.; MüKo-von Hein, Art. 3a EGBGB Rn. 51; Bamberger/Roth-Lorenz, Art. 3a EGBGB Rn. 8; Solomon, IPRax 1997, 81, 83; s. auch Melchior, RabelsZ 3 (1929), 733, 736 f. 21 Kropholler, IPR, S. 185. 22 So auch BGH v. 5.4.1968, BGHZ 50, 63, 68 f. noch zu Art. 28 a. F. EGBGB; BGH v. 21.4.1993, IPRax 1994, 375 zu Art. 3 Abs. 3 EGBGB; MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 3a EGBGB Rn. 11 f.; Palandt-Thorn, Art. 3a EGBGB Rn. 6. 23 Soergel-Kegel, Art. 3 EGBGB Rn. 18 noch zu Art. 3 Abs. 3 EGBGB a. F.; Kegel/Schurig, IPR, S. 431–434; Solomon, IPRax 1997, 81, 84–86. 24 Soergel-Kegel, Art. 3 EGBGB Rn. 18. 25 Kegel/Schurig, S. 432 f.; Solomon, IPRax 1997, 81, 84.
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6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut
reich,26 Frankreich 27 und Belgien,28 sondern auch für Drittstaaten wie beispiels weise die USA,29 Südafrika,30 Brasilien31, die Türkei32 und Russland 33. Im Rahmen des Art. 3a Abs. 2 EGBGB hat sich angesichts der Gesetzgebungs geschichte34 und der soeben genannten teleologischen Erwägungen in der deutschen Rechtsprechung und Literatur mittlerweile erstgenannte Ansicht durchgesetzt, die unter „besonderen Vorschriften“ auch Kollisionsnormen subsumiert.35 Ob diese Erwägungen auf das europäische Verordnungsrecht übertragen werden sollten, wird im Folgenden Gegenstand der Untersuchung sein.
B. Relevanz für Entscheidungseinklang Die Durchbrechung des Gesamtstatuts durch das Einzelstatut dient, wie bereits erwähnt, hauptsächlich der Vermeidung von Regelungswidersprüchen und der Erzielung von Entscheidungseinklang mit der lex rei sitae. Ein Gericht im Belegenheitsstaat, das „besondere Vorschriften“ beispielsweise für unbewegliches Vermögen vorsieht, würde dieses nämlich ebenfalls dem eigenen Recht unterwerfen. Entscheidungsdisharmonien zwischen lex fori und lex rei sitae werden durch eine Art. 3a Abs. 2 EGBGB vergleichbare Regelung, die dem Geltungsanspruch der lex rei sitae nachgibt, daher vermieden. Auf den ersten Blick nicht eindeutig ist vor diesem Hintergrund, warum das Gesamtstatut nur einem fremden Einzelstatut Vorrang einräumt, nicht jedoch zurückweicht, wenn der Belegenheitsstaat für die in seinem Gebiet belegenen Gegenstände 26 Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 78 f. m. w. N.; a. A. für in England belegene Immobilien im Rahmen des deutschen Güterrechtsstatuts (Zugewinnausgleich): OLG Hamm v. 27.11.13, BeckRS 2014, 00218. 27 Art. 3 Abs. 2 französischer Code civil: „Les immeubles, même ceux possédés par des étran gers, sont régis par la loi française.“ 28 Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 85 m. w. N. 29 Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 80 f. m. w. N. 30 S. im Verhältnis zu Südafrika OLG Zweibrücken v. 21.7.1997, IPRax 1999, 110–112. 31 Dazu Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 104; Tiedemann, Erbrecht Lateinamerika, S. 183–189. 32 Art. 22 türkisches IPR-Gesetz: „Die Erbschaft unterliegt dem Heimatrecht des Verstorbenen. Hinsichtlich des in der Türkei belegenen unbeweglichen Vermögens wird türkisches Recht angewandt.“, deutsche Übersetzung in Riering, IPR-Gesetze in Europa, S. 347; dazu Thorn, Koordinierung, S. 455. 33 „Art. 1224: Das auf Beziehungen aus Erbfolge anzuwendende Recht 1. Die Beziehungen aus Erbfolge bestimmen sich nach dem Recht des Landes, in dem der Erblasser seinen letzten Wohnsitz hatte, wenn dieser Artikel nichts anderes vorsieht. Die Erbfolge in unbewegliches Vermögen bestimmt sich nach dem Recht des Landes, in dem sich dieses Vermögen befindet; die Erbfolge in unbewegliches Vermögen, das in das staatliche Register in der Russischen Föderation eingetragen ist, nach russischem Recht.“ (deutsche Übersetzung in IPRax 2002, 327–332); dazu Thorn, Koordinierung, S. 454. 34 BT-Drucks. 10/504, S. 36 f. 35 Statt vieler Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 29 m. w. N.
C. Behandlung im europäischen Verordnungsrecht
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ein anderes Gesamtstatut beruft. Das Prinzip des Entscheidungseinklangs würde in letztgenanntem Fall ebenso dafür sprechen, den ausländischen Geltungsanspruch zu respektieren. Entscheidungsdisharmonien treten nämlich stets auf, wenn der Belegenheitsstaat die in seinem Territorium belegenen Vermögensgegenstände einem anderen Recht als dem Gesamtstatut unterwirft, auch wenn er anstatt „besondere Vorschriften“ vorzusehen, die die lex rei sitae berufen, lediglich ein anderes Gesamtstatut aufgrund eines anderen Anknüpfungsmoments beruft.36 Ob dieser Einwand berechtigt ist und gegen eine Vorschrift wie Art. 3a Abs. 2 EGBGB auf europäischer Ebene spricht, wird noch zu untersuchen sein.37 Weiterhin spricht das Prinzip des Entscheidungseinklangs nicht generell für einen Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut. Zwar wird Entscheidungseinklang mit der lex rei sitae erzielt und auf diese Weise die Durchsetzbarkeit einer Entscheidung im Belegenheitsstaat erleichtert. Auf der anderen Seite entstehen jedoch Entscheidungsdisharmonien mit dem Gesamtstatut,38 also beispielsweise dem Erbstatut, wenn dieses nicht ebenfalls eine Art. 3a Abs. 2 EGBGB vergleichbare Regelung enthält und der lex rei sitae den Vorrang vor dem Gesamtstatut einräumt. Durch den Vorrang des Einzelstatuts wird damit dem Entscheidungseinklang mit dem Belegenheitsstaat ein höherer Stellenwert eingeräumt als der Erzielung von Entscheidungseinklang mit dem Gesamtstatut. Dies mag eine vertretbare gesetz geberische Entscheidung sein, erklärt wiederum aber nicht, warum dies nicht gilt, wenn zwei Gesamtstatute miteinander konkurrieren.39 Andererseits sind beide Einwände der Tatsache geschuldet, dass das Prinzip des Entscheidungseinklangs ein Ideal darstellt, das nicht vollständig verwirklicht werden kann. Ob diese Bedenken daher wirklich dazu führen sollten, eine Art. 3a Abs. 2 EGBGB vergleichbare Vorschrift zu streichen bzw. in das Verordnungsrecht von vornherein nicht einzuführen, wird noch zu diskutieren sein.
C. Behandlung im europäischen Verordnungsrecht Wie bereits erwähnt, enthält die EuErbVO als einzige Verordnung eine Regelung, die mit Art. 3a Abs. 2 EGBGB vergleichbar ist. Dass die EuErbVO insofern Pionierarbeit leistet, ist nicht weiter verwunderlich, da Art. 3a Abs. 2 EGBGB seinen größten Anwendungsbereich ebenfalls im Erbrecht hat. Dies liegt nicht zuletzt an der engen Verzahnung von Erb- und Sachenrecht.40 Praxisrelevant ist jedoch auch eine 36 Dazu Solomon, IPRax 1997, 81, 84; Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 7; MPI, RabelsZ 47 (1983), 595, 605 f. 37 Dazu unten, S. 312 ff. 38 Sonnentag, Renvoi, S. 132; Michaels, RabelsZ 64 (2000), 177, 180; Thorn, Koordinierung, S. 465. 39 Thorn, Koordinierung, S. 465. 40 Vgl. MPI, RabelsZ 47 (1983), 595, 605; MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 3a EGBGB Rn. 4;
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6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut
Durchbrechung des Güterstatuts über Art. 3a Abs. 2 EGBGB.41 Dass die Verordnungsentwürfe zum Güterrecht keine Regelung enthalten, überrascht daher. Im Folgenden soll als Ausgangspunkt die bereits vorhandene Regelung in Art. 30 EuErbVO betrachtet werden, wobei ein Schwerpunkt auf der schon im Rahmen des Art. 3a Abs. 2 EGBGB umstrittenen Frage liegt, ob auch die kollisionsrechtliche Nachlassspaltung erfasst sein und eine Durchbrechung des Gesamtstatuts ermöglichen sollte. Danach wird die Übertragbarkeit der erbrechtlichen Regelung auf die anderen europäischen Verordnungen untersucht. I. Art. 30 EuErbVO 1. Enger Anwendungsbereich Art. 30 EuErbVO ermöglicht eine Durchbrechung des Gesamtstatuts unter bestimmten Voraussetzungen. Es handelt sich dabei um eine Ausnahme vom in der EuErbVO geltenden Grundsatz der Nachlasseinheit (Art. 4, 21 und Erwägungsgrund 37 S. 3 EuErbVO).42 Auch im Rahmen des Art. 30 EuErbVO muss es sich um „besondere Regelungen“ handeln, wobei es ausweislich Erwägungsgrund 54 S. 4 – anders als nach Art. 3a Abs. 2 EGBGB – nicht ausreicht, wenn eine rein kollisionsrechtliche Nachlassspaltung vorliegt. Vielmehr müssen materiell-rechtliche Regelungen bestehen, „die die Rechtsnachfolge von Todes wegen […] aus wirtschaft lichen, familiären oder sozialen Erwägungen beschränken oder berühren“ und Sondervermögen bilden. Nach Art. 30 a. E. EuErbVO müssen diese Normen „unabhängig von dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht anzuwenden“ sein. Die letztgenannte Voraussetzung erinnert an die Legaldefinition des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO und meint parallel dazu, dass die jeweilige Vorschrift, die nach Art. 30 EuErbVO eine „besondere Regelung“ darstellen soll, internationalen Geltungs anspruch aufweisen muss.43 Die Art und Weise der Anknüpfung dieser „besonderen Regelungen“ im Sinne des Art. 30 EuErbVO erinnert ebenfalls an die Eingriffsnormenproblematik, da eine Sonderanknüpfung einzelner Vorschriften stattfindet. Dies entspricht der nach hier vertretener Ansicht vorzugswürdigen Rechtsfolge im Rahmen des europäischen Eingriffsrechts. Auch die öffentlichen Interessen, auf denen die „besonderen Regelungen“ im Sinne des Art. 30 EuErbVO beruhen müssen (wirtschaftlicher, familiärer oder sozialer Natur), weisen eine Parallele zu Eingriffsnormen auf, die ebenfalls stets besonderen Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 5; vgl. auch BT-Drucks. 10/504, S. 36 f.; Schmidt, RabelsZ 77 (2013), 1, 9; Thoms, Einzelstatut, S. 2. 41 MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 3a EGBGB Rn. 4; Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 5. 42 Dazu schon oben, S. 125 ff. 43 Palandt-Thorn, Art. 30 EuErbVO Rn. 1.
C. Behandlung im europäischen Verordnungsrecht
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öffentlichen Interessen des Erlassstaates dienen. Aufgrund dieser Parallelen in mehrerlei Hinsicht wird Art. 30 EuErbVO auch als besondere Ausprägung einer Sonderanknüpfung für Eingriffsnormen des Belegenheitsstaates angesehen.44 Dadurch, dass die rein kollisionsrechtliche Nachlassspaltung nicht unter Art. 30 EuErbVO fällt, ist dessen Anwendungsbereich wesentlich enger gefasst als der des Art. 3a Abs. 2 EGBGB. Nur wenige materiell-rechtliche Regelungen erfüllen die engen Voraussetzungen des Art. 30 EuErbVO. Die praktisch relevante Frage nach der Zulässigkeit der Vererbung von Gesellschaftsanteilen richtet sich nämlich mangels Eröffnung des Anwendungsbereichs der EuErbVO (Art. 1 Abs. 2 lit. h EuErbVO) nach dem Gesellschaftsstatut.45 Vor allem von Art. 30 EuErbVO erfasst sind daher spezielle erbrechtliche Regelungen in der Landwirtschaft, die aus ordnungspolitischen Zwecken, namentlich zum Erhalt der Funktionsfähigkeit von Höfen in bäuerlichen Familien und zur Vermeidung der Zersplitterung des landwirtschaftlichen Grundvermögens, eine Sondererbfolge des Hoferben vorsehen.46 Aus dem deutschen materiellen Recht kommt praktisch vor allem die Anwendung der §§ 4 ff. HöfeO47 in Betracht.48 Auch andere Staaten, beispielsweise Frankreich,49 Belgien,50 und Norwegen,51 kennen vergleichbare Regelungen im Landwirtschaftserbrecht, die demselben Zweck dienen.52 Denkbar ist auch die Bildung von Sondervermögen für Familienfideikommisse, etwa in Art. 833 Abs. 1 liechtensteinisches PGR.53 2. Bewertung Angesichts der unterschiedlichen Anwendungsbereiche des Art. 3a Abs. 2 EGBGB einerseits und Art. 30 EuErbVO andererseits drängt sich die Frage auf, ob die Entscheidung des Verordnungsgebers zu begrüßen ist oder ob Art. 30 EuErbVO die rein kollisionsrechtliche Nachlassspaltung erfassen und auch für diesen Fall einen 44
Kunz, GPR 2012, 253, 255; Dutta, FamRZ 2013, 4, 11; Palandt-Thorn, Art. 30 EuErbVO Rn. 1. Dutta, FamRZ 2013, 4, 11; Leitzen, ZEV 2012, 520, 521; Palandt-Thorn, Art. 30 EuErbVO Rn. 2 und Art. 1 EuErbVO Rn. 12. 46 Dutta, FamRZ 2013, 4, 11; Palandt-Thorn, Art. 30 EuErbVO Rn. 2; zu Art. 3 Abs. 3 EGBGB Solomon, IPRax 1997, 81, 85. 47 Höfeordnung in der Fassung vom 26.7.1976, BGBl. 1976 I, S. 1933. 48 BT-Drucks. 10/604, S. 36 zu Art. 3 Abs. 3 EGBGB; Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 24, 49; MüKo-von Hein, Art. 3a EGBGB Rn. 37–42; von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 46; Remde, RNotZ 2012, 65, 77; vgl. auch BGH v. 14.7.1965, IPRspr. 1964/65, Nr. 171, S. 494–496. 49 Art. 832 französischer Code civil [Gesetz v 4.7.1980]; Einzelheiten bei Ferid/Sonnenberger, Franz. ZivilR III Rn 5 D 222–232, S. 627 f. 50 Gesetz v. 29.8.1988 über die Erbfolge in landwirtschaftliche Betriebe („Loi relative au régime successoral des exploitations agricoles en vue d‘en promouvoir la continuité“), deutscher Text bei Hustedt/Genkin, in Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann, Belgien Texte C IX. 51 Zum norwegischen Anerbenrecht Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 89 f.; Kegel/ Schurig, IPR, S. 427. 52 Weitere Beispiele für europäische und drittstaatliche Sachnormen bei Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 77–105 sowie Thoms, Einzelstatut, S. 12 f. 53 Liechtensteinisches Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) mit dem Gesetz über das Treu unternehmen (TrUG) v. 1.3.2010; s. dazu auch Thoms, Einzelstatut, S. 9. 45
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6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut
Vorrang des Belegenheitsrechts postulieren sollte. Bislang ist diese Frage in der Literatur kaum diskutiert, der engere Anwendungsbereich wird meist lediglich festgestellt54 bzw. vereinzelt begrüßt.55 Gegen die Erweiterung des Art. 30 EuErbVO spricht grundsätzlich, dass auf diese Weise eine Nachlassspaltung eintritt,56 die die EuErbVO vermeiden will (s. Erwägungsgrund 37), da sie zu höheren Transaktionskosten und möglicherweise auch zu Unklarheiten bei der Berechnung der Erbteile führt.57 Andererseits wird das Prinzip der Nachlasseinheit in der Verordnung auch an anderer Stelle durchbrochen, namentlich in Art. 29 und 31 EuErbVO. Auch der Vorrang fortgeltender internationaler Übereinkommen (Art. 75 Abs. 1 EuErbVO) kann zu Nachlassspaltungen führen.58 Dass die Verordnung Nachlassspaltungen grundsätzlich vermeiden will, kann daher nicht allein ausschlaggebend für die Beurteilung der Reichweite des Art. 30 EuErbVO sein. Vielmehr kann die Durchbrechung der Nachlasseinheit rechtspolitisch durchaus gerechtfertigt sein. Befürworter der Berücksichtigung der kollisionsrechtlichen Nachlassspaltung führen vor allem drei Argumente an, warum diese erfasst sein sollte: den internationalen Entscheidungseinklang, die Durchsetzbarkeit der Entscheidungen im Belegenheitsstaat sowie die besondere Sachnähe des Belegenheitsstaates.59 Aus rechtspolitischer Sicht sollte bei der Beurteilung der Reichweite des Art. 30 EuErbVO außerdem der Wertungszusammenhang zu den anderen Rechts figuren des allgemeinen Teils beachtet werden. a) Internationaler Entscheidungseinklang Auf rechtspolitischer Ebene wird für den Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut auch im Falle rein kollisionsrechtlicher Spaltungen vor allem das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs angeführt. Die Berücksichtigung des internationalen Geltungsanspruchs der lex rei sitae bezüglich in ihrem Territorium belegener Vermögensgegenstände vermeidet die Entstehung von Entscheidungsdisharmonien im Verhältnis zum Belegenheitsstaat. Innerhalb der EU können Disharmonien aufgrund des durch die EuErbVO vereinheitlichten Erbkollisionsrechts ohnehin nicht auftreten, sodass die Reduktion des
54 Dutta, FamRZ 2013, 4, 11; Kunz, GPR 2012, 208; Leitzen, ZEV 2012, 520, 521; Remde, RNotZ 2012, 65, 77; Simon/Buschbaum, NJW 2012, 2393, 2396. 55 Schurig, FS Spellenberg, S. 343, 350; wohl auch Buschbaum/Kohler, GPR 2010, 106, 111 sowie Wagner, DNotZ 2010, 506, 517; s. auch Lehmann, Brüssel-IV Verordnung, S. 104 f.; kritischer Odersky, notar 2013, 3, 4. 56 MPI, RabelsZ 74 (2010), 522, 645; Schurig, FS Spellenberg, S. 343, 350; vgl. auch Kegel/ Schurig, IPR, S. 432. 57 Wilke, RIW 2012, 601, 607. 58 Simon/Buschbaum, NJW 2012, 2393, 2396. 59 Dazu oben, S. 302 f.
C. Behandlung im europäischen Verordnungsrecht
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Anwendungsbereichs des Art. 30 EuErbVO auf materiell-rechtliche Vorschriften für den europäischen Entscheidungseinklang unerheblich ist.60 Hingegen wirkt sich der enge Anwendungsbereich auf das Verhältnis zu Drittstaaten und damit auf den internationalen Entscheidungseinklang aus. Eine drittstaatliche Kollisionsnorm, die im Drittstaat belegene Vermögensgegenstände der lex rei sitae unterwirft, wird von Art. 30 EuErbVO ignoriert und das Erbstatut auch hinsichtlich dieser Gegenstände angewendet. Ein Richter im Drittstaat hingegen würde die im eigenen Staat belegenen Gegenstände dem eigenen Recht unterwerfen, anstatt das ausländische Gesamtstatut anzuwenden. Indem Art. 30 EuErbVO einem europäischen Richter die Möglichkeit nimmt, eine solche drittstaatliche Kollisionsnorm zu beachten, wird daher das Prinzip des Entscheidungseinklangs im Verhältnis zum Drittstaat beeinträchtigt.61 Die Folge ist, wie stets, das Auftreten hinkender Rechtsverhältnisse sowie die Gefahr, dass die Entscheidung im Belegenheitsstaat nicht durchgesetzt werden kann. Solche Fälle, in denen ein Teil des Nachlasses aus unbeweglichem Vermögen besteht, das in einem anderen Staat belegen ist, werden unter Geltung der EuErbVO nicht selten auftreten. Ein prominenter Drittstaat dürfte insofern das Vereinigte Königreich sein, das nicht an der EuErbVO teilnimmt und die Immobilien im eigenen Territorium kollisionsrechtlich dem eigenen Recht unterwirft.62 Auch Fälle mit unbeweglichem Vermögen in den USA, die kollisionsrechtlich wie das Vereinigte Königreich verfahren, sind denkbar. Wie bereits ausgeführt,63 ist das Auftreten von Entscheidungsdisharmonien im Statusrecht bzw. in statusnahen Verhältnissen noch dringender zu vermeiden als im reinen Vermögensrecht. Die Nichtanerkennung einer Person als Erbe im Belegenheitsstaat kann für diese erhebliche finanzielle Konsequenzen haben, wenn ein wesentlicher Teil des Nachlasses dort belegen ist. Im Erbrecht kommt hinzu, dass ein zusätzliches besonderes Interesse an der Erzielung von Entscheidungseinklang besteht, da Entscheidungsdisharmonien zu Anpassungsproblemen bei der Berechnung der Erb- und Pflichtteile führen können.64 Damit wird auch das Nachlassgericht bzw. die nach Art. 64 lit. b EuErbVO zuständige Behörde bei der Ausstellung eines Europäisches Nachlasszeugnisses vor praktische Schwierigkeiten gestellt. Gegner der kollisionsrechtlichen Nachlassspaltung sind der Ansicht, das Prinzip des Entscheidungseinklangs könne den Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut im Falle einer rein kollisionsrechtlichen Spaltung nicht rechtfertigen. Im Raum stehen vor allem zwei Vorwürfe:
60
So auch Palandt-Thorn, Art. 30 EuErbVO Rn. 2. Art. 30 EuErbVO Rn. 2; Odersky, notar 2013, 3, 4. 62 S. oben, S. 304 Fn. 26. Dieser Anknüpfung liegen jedoch keine besonderen ordnungspolitischen Erwägungen zugrunde, dazu noch unten, S. 315 f. 63 S. oben, S. 36 ff. 64 Palandt-Thorn, Art. 30 EuErbVO Rn. 2; vgl. auch Odersky, notar 2013, 3, 4. 61 Palandt-Thorn,
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6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut
aa) Erster Vorwurf: kein Entscheidungseinklang mit dem Gesamtstatut Der erste Vorwurf lautet, durch die Berücksichtigung einer kollisionsrechtlichen Nachlassspaltung entstünden Entscheidungsdisharmonien im Verhältnis zum Gesamtstatut. Tatsächlich würden die Gefahren des Entstehens von Entscheidungsdisharmonien, die zu Komplikationen bei der Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses führen können, nicht gänzlich ausgeschaltet, wenn die kollisionsrechtliche Nachlassspaltung unter Art. 30 EuErbVO subsumiert würde. Entscheidungsdisharmonien treten dann an anderer Stelle, nämlich zwischen lex fori und Gesamtstatut, auf.65 Internationaler Entscheidungseinklang sowohl mit der lex rei sitae als auch mit dem Gesamtstatut könnte nur erzielt werden, wenn auch das drittstaatliche Gesamtstatut eine Regelung enthält, die den Vorrang des Belegenheitsrechts vor dem Gesamtstatut postuliert und auf diese Weise ebenfalls die Kollisionsnorm des Belegenheitsstaates auf das dort belegene Vermögen anwendet. Ist dies nicht der Fall, geht die Verwirklichung des Entscheidungseinklangs im Verhältnis zur lex rei sitae auf Kosten der Entscheidungsharmonie im Verhältnis zum Gesamtstatut. Bei einem Konflikt zwischen lex rei sitae und Gesamtstatut kann also meist nur Entscheidungseinklang entweder mit dem Belegenheitsrecht oder mit dem Gesamtstatut erreicht werden. Der europäische Gesetzgeber muss sich in einer Abwägung entscheiden, im Verhältnis zu welchem Staat er die Erzielung von Entscheidungs einklang für wichtiger hält. Für den Vorrang des Belegenheitsrechts sprechen an dieser Stelle zwei weitere Argumente, nämlich die besondere Sachnähe sowie die erleichterte Durchsetzbarkeit der Entscheidung. Insbesondere im praktisch wichtigen Fall, dass ein Teil des Nachlasses aus Grundstücken besteht, wird eine drittstaatliche lex rei sitae die vom Gesamtstatut angeordnete Nachlasseinheit nicht anerkennen. In diesen Fällen müsste dem betroffenen Erben durch Ausgleichsansprüche geholfen werden,66 was die Entscheidungsfreiheit des Erben, wie er mit dem Nachlassgegenstand verfährt, beeinträchtigt und daher nicht im Parteiinteresse liegt. Auch den Richter stellt die Berechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs vor praktische Schwierigkeiten. Für den Vorrang der lex rei sitae sprechen damit auch Praktikabilitätserwägungen.67 Das Auftreten von Entscheidungsdisharmonien im Verhältnis zum Belegenheitsstaat würde sich außerdem negativ auf die Integrität der sachenrechtlichen Register, insbesondere für unbewegliches Vermögen, der lex rei sitae auswirken und das Vertrauen des Rechtsverkehrs in diese beeinträchtigen.68 Systematisch spricht viel dafür, dass dem europäischen Gesetzgeber gerade am Schutz des Rechtsverkehrs 65
Sonnentag, Renvoi, S. 132; Michaels, RabelsZ 64 (2000), 177, 180. Raape/Sturm, IPR, S. 186 f.; Kegel/Schurig, IPR, S. 434; Bauer, IPRax 2006, 202, 203. 67 von Hoffmann/Thorn, IPR, § 9 Rn. 61. 68 Vgl. Lechner, IPRax 2013, 497, 500. Die Gesetzesbegründung führt daher die „Verzahnung des Erbrechts mit dem Sachenrecht“ als Argument für die weite Auslegung des Art. 3 Abs. 3 EGBGB an: BT-Drucks. 10/504, S. 37. 66
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und der Integrität der Register gelegen ist. Deshalb hat er sich unter anderem dafür entschieden, sowohl die „Art der dinglichen Rechte“ (Art. 1 Abs. 2 lit. k EuErbVO) als auch die „Wirkungen der Eintragung oder der fehlenden Eintragung solcher Rechte in einem Register“ (Art. 1 Abs. 2 lit. l EuErbVO) vom Anwendungsbereich der Verordnung auszunehmen, sodass insofern weiterhin die lex rei sitae gilt.69 Auch die Erwägungsgründe 18 und 19 der EuErbVO deuten an, dass der Verordnungsgeber für unbewegliches Vermögen den Grundsatz der Geltung der lex rei sitae anerkennt.70 Andererseits hat der Verordnungsgeber für die Teilung des Nachlasses ausdrücklich die Geltung des Erbstatuts angeordnet (Art. 23 Abs. 2 lit. j EuErbVO), obwohl an dieser Stelle Konflikte mit dem Sachenrechtsstatut auftreten können. Angesichts der Ausschlüsse in Art. 1 Abs. 2 lit. l EuErbVO wird man dies so deuten müssen, dass die Teilung jedenfalls von unbeweglichen Nachlassgegenständen nur dem Erbstatut unterliegt, sofern das nationale Sachenrecht bzw. Registerrecht keine Grenzen setzt.71 Damit kann das Einzelstatut aus Gründen des Verkehrsschutzes und der Rücksicht auf das nationale Registerreicht vereinzelt doch das Gesamtstatut durchbrechen. Diese systematischen Erwägungen rechtfertigen es durchaus, die Erzielung von Entscheidungseinklang im Verhältnis zum Belegenheitsrecht als dringlicher einzustufen als im Verhältnis zum Gesamtstatut.72 Im Rahmen des Art. 3a Abs. 2 EGBGB wurde diesem Argument vorgeworfen, die Rücksicht auf Verkehrsinteressen und die damit verbundene Berücksichtigung der kollisionsrechtlichen Spaltung sei inkompatibel mit dem im Erbkollisionsrecht (Art. 25 Abs. 1 EGBGB) verfolgten Staatsangehörigkeitsprinzip, da dieses gerade zeige, dass Parteiinteressen der Vorrang vor Verkehrsinteressen eingeräumt werde.73 Siehr spricht insofern von einem „kollisionsrechtlichen Sündenfall“.74 Jedenfalls dieses Argument ist im europäischen Erbkollisionsrecht nicht mehr tragfähig, da die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit zugunsten der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt aufgegeben wurde (Art. 21 Abs. 1 EuErbVO), um gerade Verkehrsund Mobilitätsinteressen gerecht zu werden. Der Wechsel des Anknüpfungsmoments spricht daher sogar für ein erhöhtes Gewicht der Verkehrsinteressen. Das Argument, dass die Erzielung von Entscheidungseinklang mit dem Belegenheitsstaat auf Kosten des Entscheidungseinklangs im Verhältnis zum Gesamtstatut erfolge, ist daher kein überzeugender Einwand. Vielmehr ist die Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen mit der lex rei sitae wichtiger, weshalb das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs grundsätzlich dafür spricht, Art. 30 EuErb VO zu erweitern und auch im Falle rein kollisionsrechtlicher Nachlassspaltungen den Vorrang des Einzelstatuts anzuerkennen. 69
Eingehend dazu Lechner, IPRax 2013, 497, 499 f. Lechner, IPRax 2013, 497, 499. 71 Kunz, GPR 2013, 293, 295; Lechner, IPRax 2013, 497, 499; Schmidt, RabelsZ 77 (2013), 1, 15 f. 72 Vgl. auch Sonnentag, Renvoi, S. 132. 73 Eingehend Solomon, IPRax 1997, 81, 84 f. 74 MüKo-Siehr, Art. 15 EGBGB Rn. 128. 70
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6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut
bb) Zweiter Vorwurf: kein Zurückweichen vor fremdem Gesamtstatut Als zweiter Einwand wird gegen die kollisionsrechtliche Nachlassspaltung geltend gemacht, dass das Prinzip des Entscheidungseinklangs auch bei einer Kollision mit einem ausländischen Gesamtstatut dafür spreche, dieses anzuerkennen. Schon Art. 3 Abs. 3 EGBGB wurde vorgeworfen, die Vorschrift sei unlogisch und nehme eine willkürliche Differenzierung vor. Der Vorrang des ausländischen Rechts wird nämlich nur anerkannt, wenn es als Einzelstatut angewendet werden will, während eine abweichende Anknüpfung des Gesamtstatuts ignoriert wird.75 Kritiker wenden ein, es sei gleichgültig, aus welchem Grund der Belegenheitsstaat das eigene Recht anwende; vielmehr sei der Fall, dass ein Staat den ganzen Nachlass anders anknüpfe sogar gravierender als der Fall, in dem lediglich auf ein im Belegenheitsstaat belegenes Grundstück das eigene Recht angewendet werde.76 Unter Geltung des Art. 3 Abs. 3 EGBGB wurden dafür vor allem folgende zwei Beispiele angeführt: Wenn ein deutscher Erblasser mit gewöhnlichem Aufenthalt in Dänemark ein in Dänemark belegenes Grundstück hinterlässt, würde sich die Erbfolge in das Grundstück nach dänischem Recht beurteilen, da Dänemark die gesamte Erbfolge nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts beurteilt.77 Die unterschiedliche Anknüpfung des Gesamtstatuts ist kein Fall des Art. 3 Abs. 3 EGBGB, sodass ein deutscher Richter gemäß Art. 25 Abs. 1 EGBGB auch auf das dänische Grundstück das deutsche Heimatrecht des Erblassers angewendet hätte. Das dänische Gesamtstatut verdrängt nicht das deutsche Gesamtstatut. Wenn dagegen ein deutscher Erblasser ein Grundstück in Frankreich hinterlässt, ist die Situation anders.78 Das französische Recht unterwirft nämlich unbeweglichen Nachlass kollisionsrechtlich dem eigenen Recht als Belegenheitsrecht, unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Erblassers.79 Diese kollisionsrechtliche Nachlassspaltung hat die herrschende Meinung im Rahmen des Art. 3 Abs. 3 EGBGB akzeptiert, sodass das deutsche Gesamtstatut dem französischen Einzelstatut bezüglich des in Frankreich belegenen Grundstücks den Vorrang einräumt. Nach den Kritikern einer kollisionsrechtlichen Nachlassspaltung stelle diese Ungleichbehandlung des ausländischen Einzelstatuts einerseits und des ausländischen Gesamtstatuts andererseits einen logischen Widerspruch dar.80 Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs sowie das Interesse an der Durchsetzbarkeit der Entscheidung sprächen in beiden Fällen gleichermaßen für ein Zurückwei75 MPI, RabelsZ 47 (1983), 595, 605 f.; Solomon, IPRax 1997, 81, 84; Thoms, Einzelstatut, S. 62 f.; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 238 Fn. 99; Kropholler, IPR, S. 185 f. 76 Kegel/Schurig, IPR, S. 432; Dörner, IPRax 1994, 362, 363. 77 Solomon, IPRax 1997, 81, 84. 78 Dazu Thoms, Einzelstatut, S. 2 f.; vgl. BayOLG v. 3.4.1990, NJW-RR 1990, 1033 f. 79 S. oben, S. 304 Fn. 27. 80 Raape/Sturm, IPR, S. 186; Solomon, IPRax 1997, 81, 84; Bamberger/Roth-Lorenz, Art. 3a EGBGB Rn. 8.
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chen vor dem ausländischen Recht. Das Prinzip könne es daher nicht rechtfertigen, einen Vorrang des Einzelstatuts anzunehmen, wenn der Belegenheitsstaat in seinem Gebiet belegene Vermögensgegenstände lediglich kollisionsrechtlich dem eigenen Recht unterwirft, ohne dass im materiellen Recht besondere Vorschriften bestehen. Vereinzelte Stimmen in der Literatur wollen den vermeintlichen Widerspruch beheben, indem sie den Normzweck anders definieren und nicht primär auf die Erzielbarkeit des internationalen Entscheidungseinklangs abstellen. Entwickelt wurde diese Deutung zu Art. 3 Abs. 3 EGBGB von Tiedemann und Dörner.81 Danach sei Sinn und Zweck der Norm, das Verhältnis von Einzel- und Gesamtstatut zu regeln. Fasse man verschiedene Gegenstände zu einer Vermögenseinheit zusammen, müsse dies durch das für jeden Einzelgegenstand maßgebliche Recht anerkannt werden. Die grundsätzliche Herrschaft des Gesamtstatuts hänge daher von der Anerkennung durch das Einzelstatut ab, sodass die Nichtanerkennung durch das Einzelstatut dazu führe, dass das Gesamtstatut ausnahmsweise nicht vorgehe. Frankenstein erklärt dies prägnant: „Das Vermögensstatut lebt nur von der Gnade der Einzelstatuten.“82 Dieser abweichend verstandene Normzweck erkläre, warum Art. 3 Abs. 3 EGBGB das Gesamtstatut nur vor einem fremden Einzelstatut, nicht jedoch vor einem fremden Gesamtstatut zurückweichen lasse. Diesem Erklärungsansatz wird nicht zu Unrecht zweierlei vorgeworfen:83 Zum einen geht er davon aus, dass die Zusammenfassung von Vermögensgegenständen unter ein Gesamtstatut aus Souveränitätserwägungen der Billigung des Einzelstatuts bedürfe, obwohl diese völkerrechtliche Erklärung in Reinform mittlerweile als überholt gelten dürfte. Zum anderen liege dem Ansatz die Prämisse zugrunde, dass in der kollisionsrechtlichen Berufung des Belegenheitsrechts für unbewegliches Vermögen automatisch ein materieller Widerspruch gegen die Zuordnung dieses Vermögens zu einer einheitlichen Vermögensmasse liegt.84 Dieser zwingende Rückschluss auf materiell-rechtliche Einwände überzeugt aber keineswegs. Vielmehr liegt darin zunächst nur eine kollisionsrechtliche Entscheidung, die unter Abwägung international-privatrechtlicher Interessen gefällt wurde. 85 Darin sollte keine pauschale Vermutung zugunsten der Bildung auch eines materiell-rechtlichen Sondervermögens gesehen werden. Der alternative Erklärungsansatz überzeugt folglich nicht. 81 Zum Folgenden Tiedemann, Erbrecht, Lateinamerika S. 41 f., 50–52; Dörner, IPRax 1994, 362, 363 zurückgehend auf Zitelmann, IPR II, S. 695–710; Frankenstein, IPR I, S. 509 f.; in diesem Sinne auch Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 7. 82 Frankenstein, IPR I, S. 510. 83 Zum Folgenden Solomon, IPRax 1997, 81, 86 f. m. w. N.; kritisch auch Kegel/Schurig, IPR, S. 433; Thoms, Einzelstatut, S. 57–59; Michaels, RabelsZ 64 (2000), 181 f.; Bosch, Gesamtstatut, S. 230–239. 84 So aber Zitelmann, IPR II, S. 703, 946; Frankenstein, IPR I, S. 510. 85 So auch Solomon, IPRax 1997, 81, 87.
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6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut
Außerdem ist es nicht nötig, den Normzweck anders zu definieren, wenn in der Ungleichbehandlung der genannten Fälle kein logischer Widerspruch liegt. Wie Art. 30 EuErbVO bereits klarstellt, reicht es nicht aus, dass lediglich materiell-rechtliche besondere Vorschriften bestehen. Vielmehr müssen diese internationalen Geltungsanspruch aufweisen, indem sie auch kollisionsrechtlich berufen werden. Die Voraussetzung des internationalen Geltungsanspruchs verdeutlicht die Parallele der Vorschrift zur Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen.86 Wenn ein Staat das gesamte Vermögen anders anknüpft, zeigt er damit gerade nicht, dass er Immobilien gesondert behandeln möchte und seinen Kollisionsnormen internationalen Geltungsanspruch zukommen lassen möchte. Sieht ein Staat jedoch eine Sonderkollisionsnorm für unbewegliches Vermögen vor, liegt es wesentlich näher, dass er aufgrund bestimmter Interessen diese Norm international durchsetzen möchte und das eigene Recht auf das im eigenen Gebiet belegene Grundstück anwenden möchte. Andererseits kann nicht jede kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung ausreichen, wenn sie lediglich auf allgemeinen kollisionsrechtlichen Erwägungen beruht.87 Wenn hingegen, wie Art. 30 EuErbVO erfordert, die kollisionsrechtliche Berufung des eigenen Rechts für im eigenen Gebiet belegene Immobilien „wirtschaftlichen, familiären oder sozialen“ Zwecken dient, besteht kein Grund, Kollisionsnormen insofern nicht als von Art. 30 EuErbVO erfasst anzusehen. Gerade in Drittstaaten bestehen bezüglich des eigenen unbeweglichen Vermögens noch immer Souveränitätsvorbehalte, insbesondere wenn man die Wirkungen des Registers bedenkt.88 Nicht in allen Fällen entbehrt die zwingende Unterwerfung der im eigenen Territorium belegenen Grundstücke daher einer wirtschaftlichen oder wirtschaftspolitischen Zielsetzung.89 Selbst wenn man diese Souveränitätsvorbehalte für nicht zeitgemäß hält, spricht viel dafür, sie zu respektieren, um die Anerkennung im Belegenheitsstaat nicht zu gefährden.90 In diesen politischen bzw. wirtschaftlichen Erwägungen liegt damit der entscheidende Unterschied zu dem Fall, in dem lediglich das Gesamtstatut anders angeknüpft wird.91 Es besteht jedoch kein Grund, dem ausländischen Anwendungsanspruch nachzugeben, wenn der ausländische Staat nur aus kollisionsrechtlichen Gründen, nicht 86
Vgl. MüKo-Sonnenberger (2010), Art. 3a EGBGB Rn. 16; Stoll, FS Kropholler, S. 247, 248 f. Kegel/Schurig, IPR, S. 433. 88 S. beispielsweise zur argentinischen Rechtsprechung, die die Anwendung des eigenen Rechts auf im Inland belegene Immobilien mit dem Gedanken der Souveränität und dem ordre public begründet: Tiedemann, Erbrecht Lateinamerika, S. 144 f. mit Fn. 27; s. auch die einseitige Kollisionsnorm des Art. 22 türkisches IPR-Gesetz (s. oben, S. 304 Fn. 32) sowie Art. 1224 Abs. 1 Hs. 2 russisches ZGB (s. oben, S. 304 Fn. 33); zu den Beispielen Thorn, Koordinierung, S. 467. 89 A.A. Soergel-Kegel, Art. 3 EGBGB Rn. 17: „Wenngleich die Sonderregelung für Grundstücke ursprünglich politisch oder wirtschaftspolitisch begründet war, so ist sie heute nur noch ein Zopf.“ 90 So auch Thorn, Koordinierung, S. 469. 91 S. Thorn, Koordinierung, S. 468 f.; ähnlich Thoms, Einzelstatut, S. 104. 87
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hingegen aus besonderen wirtschaftlichen oder wirtschaftspolitischen Gründen das im eigenen Staat belegene Vermögen dem eigenen Recht unterwirft. Insbesondere im Vereinigten Königreich und den USA wird die Anknüpfung kritisiert und behauptet, sie sei altmodisch und habe ihren Zweck in einer modernen Welt verloren.92 In diesen Staaten ist nicht davon auszugehen, dass generelle Souveränitätsvorbehalte gegen die Anwendung fremden Rechts auf im Inland belegene Grundstücke bestehen. Solche Kollisionsnormen, die nicht auf besonderen wirtschaftlichen oder wirtschaftspolitischen Erwägungen beruhen, will der jeweilige Staat in der Regel auch nicht international zwingend durchgesetzt wissen. Der internationale Geltungsanspruch ist damit das entscheidende Differenzierungskriterium, das es rechtfertigt, dem Einzelstatut den Vorrang vor dem Gesamtstatut einzuräumen, sofern die sonstigen engen Voraussetzungen des Art. 30 EuErbVO – namentlich die wirtschaftlichen bzw. politischen Erwägungen – erfüllt sind. Nur wenn diese erfüllt sind, weist eine reine Kollisionsnorm nämlich tatsächlich internationalen Geltungsanspruch auf. cc) Zwischenergebnis Die dargestellten Einwände sprechen nicht dafür, reine Kollisionsnormen als „besondere Vorschriften“ im Sinne des Art. 30 EuErbVO per se auszuschließen. Vielmehr streitet das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs für eine begrenzte Berücksichtigung. Dass nicht sowohl mit dem Gesamtstatut als auch mit dem Belegenheitsrecht Entscheidungseinklang erzielt werden kann, liegt daran, dass das Prinzip ein faktisch unerreichbares Ideal darstellt. Es überzeugt angesichts der Besonderheiten des Erbrechts jedoch, sich dafür zu entscheiden, die Vermeidung von Entscheidungs disharmonien im Verhältnis zum Belegenheitsstaat als dringlicher einzustufen als im Verhältnis zum Gesamtstatut. Auch der Einwand, das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs zwinge ebenso dazu, vor einem fremden Gesamtstatut zurückzuweichen, überzeugt nur teilweise. Eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von fremdem Einzelstatut und Gesamtstatut liegt nämlich nur vor, wenn die ausländische Kollisionsnorm keinen internationalen Geltungsanspruch aufweist. Beansprucht sie jedoch aus wirtschaftlichen oder wirtschaftspolitischen Gründen international Geltung, sollten auch rein kollisionsrechtliche Nachlassspaltungen von Art. 30 EuErbVO erfasst sein. Die Konsequenzen aus der Entstehung von Entscheidungsdisharmonien sind nämlich im Ergebnis misslicher als insofern dem ausländischen Recht nachzugeben und den Konflikt von vornherein zugunsten der lex rei sitae aufzulösen. Unterwirft dagegen der Belegenheitsstaat das eigene unbewegliche Vermögen nur aus allgemeinen kollisionsrechtlichen Verkehrsinteressen dem eigenen Recht, ohne dass 92 Zum englischen Recht: Dicey/Morris, Conflict of Laws II, Rn. 27–016 f.; zu den USA: Scoles/Hay/Borchers/Symeonides, Conflict of Laws, S. 995.
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6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut
besondere wirtschaftliche bzw. wirtschaftspolitische Erwägungen auf einen besonderen internationalen Geltungsanspruch hindeuten, besteht kein Grund, dem Einzelstatut den Vorrang vor dem Gesamtstatut einzuräumen. Kollisionsnormen sollten daher als „besondere Vorschriften“ im Sinne des Art. 30 EuErbVO angesehen werden, solange sie das jeweilige Vermögen aus besonderen, nicht rein kollisionsrechtlichen Erwägungen dem eigenen Recht unterwerfen und dadurch ihren internationalen Geltungsanspruch beweisen.93 Diese Beschränkung wird schon jetzt aus dem Wortlaut des Art. 30 EuErbVO deutlich, sodass dieser dahingehend keiner Änderung bedarf. b) Durchsetzbarkeit und Praktikabilität Des Weiteren wird für die großzügige Einbeziehung auch der kollisionsrechtlichen Spaltung die verbesserte Durchsetzbarkeit der inländischen Entscheidung und damit auch der Rechte des Erben im Belegenheitsstaat angeführt.94 Dieses Argument hängt eng mit dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs zusammen, da Grund für das Streben nach Entscheidungseinklang unter anderem die erleichterte Durchsetzbarkeit ist. Letztere wird gefährdet, sobald Entscheidungsdisharmonien und hinkende Rechtsverhältnisse auftreten. Dagegen wird argumentiert, die Durchsetzbarkeit der inländischen Entscheidung im Belegenheitsstaat sei ohnehin nicht gefährdet, da mittlerweile die meisten Staaten, insbesondere diejenigen mit einer allseitigen Belegenheitsanknüpfung, eine großzügige Anerkennungspraxis verfolgen würden und den Kollisionsrechtsvorbehalt als Anerkennungshindernis weitgehend abgeschafft hätten.95 Dies trifft jedenfalls für die Europäische Union angesichts des vereinheitlichten Anerkennungsrechts in Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO zu. Im Rahmen des Art. 30 EuErbVO interessieren jedoch vor allem die drittstaatlichen Fälle, da, wie bereits gezeigt, aufgrund des durch die EuErbVO vereinheitlichten Erbkollisionsrechts innerhalb der Mitgliedstaaten ohnehin keine kollisionsrechtlichen Spaltungen mehr auftreten können. Gerade im Verhältnis zu Drittstaaten mit Souveränitätsvorbehalten ist aber nicht per se von einer großzügigen Anerkennungspraxis auszugehen. Insbesondere kann es vorkommen, dass ein ausländisches Gericht die Anerkennung aus einem zuständigkeitsrechtlichen Grund verweigert, da nämlich der Belegenheitsstaat unter Umständen die kollisionsrechtliche Verweisung auf das eigene Recht mit einer ausschließlichen Zuständigkeit im eigenen Staat flankiert. Dies ist 93 Vgl. zur Beschränkung des Art. 3 Abs. 3 bzw. Art. 3a Abs. 2 EGBGB auf zwingende wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Erwägungen auch Kegel/Schurig, IPR, S. 433; Thoms, Einzelstatut, S. 104; Solomon, IPRax 1997, 81, 85 f.; Schurig, RabelsZ 54 (1990), 217, 238; Stoll, FS Kropholler, S. 247, 248 f.; a. A. Bosch, Gesamtstatut, S. 199–202. 94 BT-Drucks. 10/504, S. 36 f.; BGH v. 4.10.1995, BGHZ 131, 22, 29; Palandt-Thorn, Art. 3a EGBGB Rn. 3; Erman-Hohloch, Art. 3a EGBGB Rn. 6. 95 von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 48; Wochner, FS Wahl, S. 161, 177; Lindenau, Renvoi, S. 39.
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insbesondere im englischen und US-amerikanischen Recht der Fall.96 Insofern werden im Verhältnis zum Vereinigten Königreich, obwohl es im Rahmen der EuErbVO als Drittstaat anzusehen ist, wegen der Teilnahme an der Brüssel Ia-VO keine Durchsetzungsprobleme entstehen. Auch die USA werden sich in Anbetracht der Tatsache, dass die Situsanknüpfung vielfach für überholt gehalten wird, tolerant verhalten.97 Im Verhältnis zu anderen Drittstaaten bestehen jedoch keine vereinfachten Anerkennungs- und Vollstreckungsregelungen. Die Anerkennung ist damit nicht nur von etwaigen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen abhängig, sondern auch von den Zuständigkeitsregelungen der lex rei sitae.98 Wird die Anerkennung verweigert, kann dem Betroffenen nur noch mit Ausgleichsansprüchen geholfen werden, was wenig praktikabel ist und häufig nicht im Interesse der Erben liegen wird.99 Fehlt es an einem Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen mit dem Drittstaat, besteht außerdem für die Parteien erhebliche Rechtsunsicherheit dar über, ob eine Anerkennung erfolgen wird. Auch die Kompensation der fehlenden Anerkennung durch Ausgleichsansprüche birgt Risiken und ist der Rechtssicherheit nicht zuträglich. Die Durchsetzbarkeit der inländischen Entscheidung sollte aufgrund der Ungewissheiten nicht riskiert werden. Es belastet das inländische Recht weniger, für unbewegliches Vermögen von vornherein die ausländische lex rei sitae anzuwenden als erhebliche Probleme im Anerkennungs- und Volllstreckungsrecht zu schaffen.100 Ersteres wird im Regelfall aufgrund der häufig existierenden registerrechtlichen Vorgaben ohnehin praktikabler sein und daher im Interesse einer schnelleren Durchsetzbarkeit und Praktikabilität liegen. Gegen das Argument der Durchsetzbarkeit wird außerdem eingewandt, dass diese durch eine kollisionsrechtliche Nachlassspaltung sogar beeinträchtigt werde, da Nachlassspaltungen generell zu Schwierigkeiten bei der Erbscheinserteilung führen würden.101 Der Richter müsse nämlich umfangreich prüfen, wie das ausländische Recht hinsichtlich der in seinem Gebiet belegenen Nachlassgegenstände verfahre. Hinzu kommt, dass der Richter nach hier vertretener Auffassung sogar zusätzlich überprüfen muss, ob die ausländische Kollisionsnorm auf rein internationalprivatrechtlichen Interessen oder auf besonderen wirtschaftlichen bzw. wirtschaftspoliti-
96 Thoms, Einzelstatut, S. 65 m. w. N.; s. auch Stoll, FS Kropholler, S. 247, 249 f.; Raape/ Sturm, IPR, S. 186; Wochner, FS Wahl, S. 161, 178; Thorn, Koordinierung, S. 462. 97 Dazu schon oben, S. 315 Fn. 92. 98 Thoms, Einzelstatut, S. 66; s. auch Raape/Sturm, IPR S. 186. 99 S. oben, S. 310. 100 A. A. von Bar/Mankowski, IPR, § 7 Rn. 48, die der Meinung sind, so würden „eventuelle bargaining chips beim Aushandlung von Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen [vorschnell] aus der Hand gegeben“ und man solle „ausprobieren“, ob ein hinkendes Rechtsverhältnis entstehen werde anstatt schon vorher „klein bei[zu]geben“. 101 MPI, RabelsZ 47 (1983), 595, 605; vgl. auch Rauscher, IPR, S. 136 f.
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6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut
schen Erwägungen beruht und nur Letztere berücksichtigen soll. Diese Differenzierung erschwere die Aufgabe des Richters.102 Dieses Gegenargument überzeugt jedoch nicht. Zum einen entstehen Schwierigkeiten bei der Erbscheinserteilung und Berechnung der Erbteile nämlich auch, wenn der Belegenheitsstaat die Nachlasseinheit nicht akzeptiert und aus diesem Grund ein hinkendes Rechtsverhältnis entsteht. Zum anderen ist das Bemühen um internationalen Entscheidungseinklang und die damit einhergehende Respektierung ausländischen Kollisionsrechts stets mit einem erhöhten Aufwand verbunden. In einer Abwägung sollte jedoch der Erzielung von Entscheidungseinklang ein höheres Gewicht beigemessen werden als eventuellen Schwierigkeiten bei der Prüfung ausländischen Rechts. Zudem werden diese Schwierigkeiten dadurch aufgewogen, dass bei der Anerkennung der inländischen Entscheidung im Belegenheitsstaat und insbesondere der Eintragung der Rechte des Erben keine Schwierigkeiten auftreten, wenn der Geltungsanspruch der lex rei sitae von vornherein anerkannt wird. Auch die Differenzierung zwischen besonderen Kollisionsnormen und solchen, denen keine wirtschaftlichen oder wirtschaftspolitischen Interessen zugrunde liegen, ist für den Richter lösbar. Eine ähnliche Prüfung wird dem inländischen Richter auch bei der Frage zugemutet, ob er eine drittstaatliche Eingriffsnorm berücksichtigen muss. Außerdem ist hier die Wissenschaft gefordert, die bei Kommentierungen der EuErbVO für den Richter die Aufgabe übernehmen muss, den Telos von drittstaatlichen Kollisionsnormen, die im eigenen Staat belegenes Vermögen dem eigenen Recht unterwerfen, herauszuarbeiten. Der erhöhte Aufwand für den Richter ist daher kein überzeugendes Argument gegen die teilweise Erfassung rein kollisionsrechtlicher Nachlassspaltungen. Schließlich wird dem Argument der Durchsetzbarkeit vorgeworfen, diese spreche auch im Falle von beweglichem Vermögen dafür, die lex rei sitae anzuwenden.103 Dagegen lässt sich aber einwenden, dass die Durchsetzung von Rechten an Mobilien im Gegensatz zu Immobilien in der Regel keine registerrechtliche Eintragung erfordert, die für den Eigentumserwerb nötig ist. Die Durchsetzbarkeit von Rechten an unbeweglichem Vermögen ist durch diese zusätzliche Voraussetzung der staatlichen Mitwirkung im Gegensatz zu beweglichem Vermögen erheblich erschwert. Die Ungleichbehandlung von Immobilien und Mobilien ist daher kein überzeugendes Gegenargument. Auch die Durchsetzbarkeit spricht daher dafür, die kollisionsrechtliche Nachlassspaltung unter den oben genannten einengenden Voraussetzungen unter Art. 30 EuErbVO zu subsumieren.
102 Vgl. Neuhaus, Grundbegriffe, S. 292; Stoll, FS Kropholler, S. 247, 250; noch stärker Mansel, FS Schurig, S. 181, 183. 103 S. Thoms, Einzelstatut, S. 63.
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c) Sachnähe des Belegenheitsstaates Für den Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut im Falle der kollisionsrechtlichen Spaltung wird schließlich auch die besondere Sachnähe des Belegenheitsrechts in Bezug auf den konkreten Anknüpfungsgegenstand im Gegensatz zum allgemeinen Personalstatut vorgebracht.104 Dagegen wenden Kritiker ein, der Einwand der besonderen Sachnähe gelte auch im Falle zweier konfligierender Gesamtstatute.105 Wie bereits dargestellt, rechtfertigt jedoch der internationale Geltungsanspruch die Ungleichbehandlung von Einzelstatut einerseits und Gesamtstatut andererseits. Vielleicht mag die besondere Sachnähe als alleiniges Argument nicht überzeugen. Jedoch trägt sie als Argument, wenn man sie als Begründung dafür sieht, dass der Gesetzgeber dem Prinzip des Entscheidungseinklangs im Verhältnis zum Belegenheitsstaat ein höheres Gewicht einräumt als im Verhältnis zum Gesamtstatut. Dies geschieht nämlich in der Regel aus Praktikabilitätserwägungen, wozu unter anderem auch die besondere Sachnähe gehört, insbesondere wiederum, wenn man die registerrechtlichen Auswirkungen bedenkt. Kritisiert wird außerdem, dass man keine pauschale Näherbeziehung der lex rei sitae begründen könne. Vielmehr liege bereits im gewählten Anknüpfungsmoment für das Gesamtstatut die international-privatrechtliche Entscheidung sowohl für die am engsten verbundene Rechtsordnung als auch für den Grundsatz der Nachlasseinheit.106 Diese Entscheidung solle nicht durch eine Durchbrechung des Gesamtstatuts umgangen werden. Wiederum gilt hier jedoch, dass dieser Einwand nur überzeugen kann, wenn die kollisionsrechtliche Anknüpfung an das Recht des Belegenheitsortes allein auf international-privatrechtlichen Interessen beruht. In diesem Fall würde der Vorrang des Einzelstatuts tatsächlich zu einer Umgehung der Entscheidung des inländischen Gesetzgebers führen, ohne dass ein rechtspolitisches Bedürfnis dafür besteht.107 Liegen der Anknüpfungsentscheidung jedoch besondere, insbesondere politische und wirtschaftspolitische Entscheidungen zugrunde, die auf einen internationalen Geltungsanspruch schließen lassen, ist die Durchbrechung des Gesamtstatuts durchaus gerechtfertigt. Es handelt sich dann nämlich nicht nur um eine Kollision rein international-privatrechtlicher Interessen. Somit ist das Argument der besonderen Sachnähe ein unterstützendes Argument dafür, dem internationalen Entscheidungseinklang mit der lex rei sitae aus Praktikabilitätserwägungen den Vorrang einzuräumen. Dies gilt allerdings, wie schon im Wortlaut des Art. 30 EuErbVO angedeutet, erneut nur unter der einschränkenden 104 S. BT-Drucks. 10/504, S. 36 f.; BGH v. 4.10.1995, BGHZ 131, 22, 29; Neuhaus, Grundbegrif fe, S. 286 f.; Wolff, IPR, S. 81 f. 105 Raape/Sturm, IPR, S. 186; Solomon, IPRax 1997, 81, 84; Bamberger/Roth-Lorenz, Art. 3a EGBGB Rn. 8. 106 Kegel/Schurig, IPR, S. 432. 107 Vgl. auch Kegel/Schurig, IPR, S. 432.
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Voraussetzung, dass besondere staatliche Interessen und nicht lediglich allgemeine kollisionsrechtliche Interessen auf dem Spiel stehen. d) Wertungszusammenhang zu anderen Rechtsinstituten Nach hier vertretener Ansicht, sollte die kollisionsrechtliche Nachlassspaltung von Art. 30 EuErbVO erfasst sein, sofern sie auf besonderen wirtschaflichen bzw. wirtschaftspolitischen Interessen des Belegenheitsstaates beruht. Da das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs ein entscheidender Faktor in der Beurteilung dieser Frage ist, sollte die Lösung abgestimmt sein auf die anderen bereits untersuchten Rechtsfiguren, bei denen das Prinzip eine Rolle spielt. Es besteht insbesondere eine wertungsmäßige Parallele zur Zulassung eines teilweisen renvoi durch die EuErbVO.108 Wenn die europäische Kollisionsregel eine Gesamtverweisung auf einen Drittstaat ausspricht, der keine Nachlasseinheit vorsieht, sondern zwischen der Erbfolge in bewegliches und unbewegliches Vermögen differenziert und für Letzteres auf die lex rei sitae verweist, kommt es zu einem teilweisen renvoi für dieses unbewegliche Vermögen. Es tritt eine Nachlassspaltung ein. Diese Situation ist vergleichbar mit der des Art. 30 EuErbVO, wenn dieser unter bestimmten Voraussetzungen auch die kollisionsrechtliche Nachlassspaltung erfasst. Diese beruht faktisch auf denselben Gegebenheiten, nämlich auf einer Ungleichbehandlung von Mobilien und Immobilien durch einen Staat. Im Rahmen des renvoi hat sich der europäische Gesetzgeber entschieden, das Prinzip des internatio nalen Entscheidungseinklangs als gewichtiger einzustufen als die Gefahr des Auftretens von Nachlassspaltungen durch einen teilweisen renvoi. Es erschiene wertungsmäßig nicht kohärent, einerseits die Nachlassspaltung durch einen teilweisen renvoi zuzulassen, jedoch andererseits die kollisionsrechtliche Spaltung eines Vermögensstatuts durch ein Einzelstatut komplett abzulehnen.109 Vereinzelt wird das Phänomen des vorrangigen Einzelstatuts als „renvoi eigener Art“110 bezeichnet. Die beiden Figuren sollten aber nicht miteinander verwechselt werden. Vielmehr wird beim renvoi vom inländischen IPR entschieden, welches Recht am sachnächsten ist und die Entscheidung wird diesem auch kollisionsrechtlich überlassen. Beim Vorrang des Einzelstatuts hingegen wird dem Anwendungsanspruch einer Rechtsordnung, die sich selbst für die sachnächste hält, punktuell nachgegeben.111 Es handelt sich damit nicht um verwandte Rechtsfiguren, sondern es besteht lediglich ein Wertungszusammenhang. Dieser spricht aber dafür, ein vorrangiges Einzelstatut auch dann zu beachten, wenn durch den Belegenheitsstaat nur kollisionsrechtliches Sondervermögen gebildet wird.
108
Dazu oben, S. 100 f. So auch von Hein in Leible/Unberath, S. 341, 383. 110 Ebenroth/Eyles, IPRax 1989, 1, 3. 111 Michaels, RabelsZ 64 (2000), 177, 180. 109
C. Behandlung im europäischen Verordnungsrecht
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Andererseits sollte nicht jede kollisionsrechtliche Nachlassspaltung erfasst werden, da ansonsten das von der EuErbVO verfolgte Prinzip der Nachlasseinheit in einer Vielzahl von Fällen unterlaufen würde. Es liegt nahe, dass der europäische Gesetzgeber nur für Ausnahmefälle vom Prinzip der Nachlasseinheit abrücken wollte (s. Art. 29–31 EuErbVO). Ein ausländisches Einzelstatut kann daher nicht stets Vorrang vor dem nach der EuErbVO bestimmten Gesamtstatut beanspruchen. Die kollisionsrechtlichen Wertungen, die den europäischen Gesetzgeber zur Wahl bestimmter Anknüpfungsmomente bewogen haben, würden sonst völlig zur Disposition gestellt. Es müssen daher besondere wirtschaftliche bzw. wirtschaftspolitische Interessen des Belegenheitsstaates vorliegen, die ein Abweichen vom Gesamtstatut rechtfertigen. An dieser Stelle wird deutlich, dass das Problem des Vorrangs des Einzelstatuts nicht nur wertungsmäßige Parallelen zum renvoi, sondern auch zur Eingriffs normenthematik aufweist. In letzterem Bereich ist die Durchbrechung des an sich anwendbaren Statuts nur gerechtfertigt, wenn ausländische Normen internationalen Geltungsanspruch aufweisen und ihnen besondere öffentliche Interessen zugrunde liegen. Parallel dazu sollten auch bei der Durchbrechung des Gesamtstatuts durch ein vorrangiges Einzelstatut besondere Gründe vorliegen, die es rechtfertigen, das aufgrund kollisionsrechtlicher Wertungen bestimmte Gesamtstatut zu verdrängen. Charakteristisch für das Problem des Vorrangs des Einzelstatuts ist es daher, dass es sowohl wertungsmäßige Parallelen zum renvoi als auch zur Behandlung von Eingriffsnormen aufweist. Bei der Behandlung des renvoi spielt das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs eine entscheidende Rolle, bei der Behandlung von Eingriffsnormen ist es hingegen nachrangig gegenüber den verfolgten öffentlichen Interessen. Diesem Wertungszusammenhang entspricht es am ehesten, wenn einerseits nicht jede, aber andererseits nicht gar keine Kollisionsnorm als „besondere Regelung“ im Sinne des Art. 30 EuErbVO angesehen wird. Interessengerecht und wertungskohärent erscheint stattdessen ein Mittelweg, der Kollisionsnormen verlangt, denen besondere wirtschaftliche bzw. wirtschaftspolitische Interessen (insbesondere Souveränitätsvorbehalte) zugrunde liegen. Allerdings ist die Hürde nicht so hoch anzulegen wie im Falle von Eingriffsnormen, bei denen die öffentlichen Interessen entscheidend für die Wahrung des öffentlichen Interesses sein müssen.112 Schließlich besteht auch ein Zusammenhang zur Vorfragenanknüpfung. Treten Vorfragen im Rahmen des Einzelstatuts auf, sollten diese – wie nach hier vertretener Auffassung stets – unselbstständig nach dem IPR der lex rei sitae angeknüpft werden.113 Nur auf diese Weise kann der Grad des zu erzielenden internationalen
112 Zu den engen Voraussetzungen oben, S. 248; a. A. Dutta, RabelsZ 73 (2009), 547, 558, der besondere Vorschriften des Belegenheitsstaates nur als “overriding mandatory provisions”, also Eingriffsnormen, beachten will und damit einen höheren Maßstab ansetzt. 113 So auch Thorn, Koordinierung, S. 469.
322
6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut
Entscheidungseinklangs mit der lex rei sitae, den der Vorrang des Einzelstatuts gerade bezweckt, optimiert werden.114 3. Ergebnis Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs, die erleichterte und schnellere Durchsetzbarkeit der inländischen Entscheidungen im Belegenheitsstaat, die Sachnähe der lex rei sitae sowie der Wertungszusammenhang zum Institut des renvoi sprechen dafür, auch die kollisionsrechtliche Nachlassspaltung grundsätzlich als von Art. 30 EuErbVO erfasst anzusehen. Im Verhältnis zu Drittstaaten besteht dafür ein großes praktisches Bedürfnis, da nicht selten eine zum Nachlass gehörige Immobilie in einem Drittstaat belegen sein wird und nur auf diese Weise unnötige Prozesse und Anerkennungsschwierigkeiten vermieden werden können.115 Unter Berücksichtigung der Verwandtschaft des Phänomens zur Eingriffsnormenproblematik sollte dem ausländischen Einzelstatut jedoch nur Vorrang eingeräumt werden, wenn die ausländischen Kollisionsnormen einen internationalen Geltungsanspruch aufweisen, der auf besonderen, nicht rein kollisionsrechtlichen Erwägungen beruht. Der Normtext des jetzigen Art. 30 EuErbVO bedarf hierzu keiner Änderung. Lediglich die Überschrift sollte in „Vorrang des Einzelstatuts“ geändert werden, da dies die Funktion des Art. 30 EuErbVO besser verdeutlicht als die derzeitige Überschrift. Art. 30 EuErbVO würde dann lauten: Vorrang des Einzelstatuts Besondere Regelungen im Recht eines Staates, in dem sich bestimmte unbewegliche Sachen, Unternehmen oder andere besondere Arten von Vermögenswerten befinden, die die Rechtsnachfolge von Todes wegen in Bezug auf jene Vermögenswerte aus wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Erwägungen beschränken oder berühren, finden auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen Anwendung, soweit sie nach dem Recht dieses Staates unabhängig von dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht anzuwenden sind.
Die systematische Stellung zwischen Vorschriften, die den Grundsatz der Nachlasseinheit durchbrechen, überzeugt, da Art. 30 EuErbVO dieselbe Wirkung hat. Lediglich Erwägungsgrund 54 müsste dahingehend korrigiert werden, dass auch Fälle der rein kollisionsrechtlichen Nachlassspaltung einen Anwendungsfall von Art. 30 EuErbVO darstellen können. Der Grundsatz der engen Auslegung (Erwägungsgrund 54 S. 3 EuErbVO) sollte weiterhin beibehalten werden. Gleiches gilt für die Feststellung, dass unterschiedliche Pflichtteilsregelungen nicht als „besondere Regelungen“ im Sinne des Art. 30 EuErbVO verstanden werden sollten. Die Ausnahme für Kollisionsnormen in Erwägungsgrund 54 S. 4 EuErbVO sollte dagegen gestrichen werden. Stattdessen ist in den hier vorgeschlagenen neu eingefügten Sät114
115
Vgl. auch Thoms, Einzelstatut, S. 71. So auch Rauscher-Rauscher, Einführung EuErbVO-E Rn. 70.
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zen 5 und 6 ausdrücklich klarzustellen, unter welchen Voraussetzungen Kollisionsnormen „besondere Regelungen“ im Sinne der EuErbVO darstellen können. Ein entsprechend geänderter Erwägungsgrund 54 (Sätze 4–6) könnte folgendermaßen lauten: Daher dürfen Bestimmungen, die einen größeren Pflichtteil als den vorsehen, der in dem nach dieser Verordnung auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht festgelegt ist, nicht als besondere Regelungen mit Beschränkungen angesehen werden, die die Rechtsnachfolge von Todes wegen in Bezug auf bestimmte Vermögenswerte betreffen oder Auswirkungen auf sie haben. Jedoch können Kollisionsnormen, die unbewegliche Sachen einem anderen als dem auf bewegliche Sachen anzuwendenden Recht unterwerfen, als besondere Regelungen im Sinne der Vorschrift angesehen werden, soweit sie besonderen wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Zwecken dienen, die über rein kollisionsrechtliche Interessen hinausgehen und internationalen Geltungsanspruch aufweisen. Dies ist nicht der Fall, wenn ein Belegenheitsstaat den gesamten Nachlass lediglich anders als diese Verordnung anknüpft.
Zu überprüfen bleibt, ob eine Erweiterung des Art. 30 EuErbVO eine Änderung der vorgeschlagenen Regelungen zum renvoi erforderlich macht. Es wurde bereits ausgeführt, dass die Rückausnahme in Art. 34 Abs. 2 EuErbVO von der Beachtlichkeit eines renvoi im Falle des Art. 30 EuErbVO zu streichen ist,116 weil die Ausnahme keinen Anwendungsbereich hat. Art. 30 EuErbVO setzt nämlich gerade voraus, dass der Belegenheitsstaat seine eigenen „besonderen Regelungen“ auch kollisionsrechtlich zur Geltung beruft. Wenn der Belegenheitsstaat zurück- oder weiterverweist, handelt es sich gerade nicht um „besondere Regelungen“ mit internationalem Geltungsanspruch. Ein renvoi kann somit im Anwendungsbereich des Art. 30 EuErbVO nicht auftreten. Wird Art. 30 EuErbVO entsprechend hier vertretener Ansicht insofern erweitert, als er auch die kollisionsrechtliche Spaltung erfasst, sofern diese auf besonderen Erwägungen beruht, bleibt weiterhin Voraussetzung, dass die Vorschriften des Belegenheitsstaates mit internationalem Geltungsanspruch das eigene Recht berufen. Auch nach einer Erweiterung des Art. 30 EuErbVO kann somit kein renvoi durch den Belegenheitsstaat auftreten, da es sich dann nicht um eine „besondere Regelung“ im Sinne der Vorschrift handeln würde. Dass ein renvoi des Belegenheitsrechts hinsichtlich des Gesamtstatuts nicht beachtet wird, bedarf keiner besonderen Regelung. Diesbezüglich bestehen nämlich gerade keine „besonderen Regelungen“ im Belegenheitsstaat, da sich diese nur auf die dort belegenen Immobilien beziehen.117 Es ist somit keine Rückausnahme von der Gesamtverweisung in die EuErbVO für den Fall des Art. 30 EuErbVO aufzunehmen.
116 117
Dazu oben, S. 126. S. auch Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 36.
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6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut
II. EhegüterVO-E und EPartVO-E Es überrascht, dass der europäische Gesetzgeber eine Norm, die unter bestimmten Umständen den Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut postuliert, nur für das Erbrecht vorgesehen hat. Art. 3a Abs. 2 EGBGB hingegen verweist ausdrücklich auch auf die güterrechtlichen Kollisionsnormen. Das Problem der Konkurrenz zwischen Gesamtstatut und Einzelstatut in Gestalt der lex rei sitae stellt sich nämlich ebenso im Güterrecht.118 Daher enthielt auch Art. 7 des Haager Ehewirkungsabkommens von 1905 eine entsprechende Regelung.119 Ebenso hat der Deutsche Rat für IPR im Jahre 2006 für das internationale Güterrecht eine Regelung vorgeschlagen, wonach der Geltungsanspruch der lex rei sitae in Bezug auf im eigenen Territorium belegenes unbewegliches Vermögen respektiert wird.120 Die Verordnungsentwürfe zum Güterrecht sehen ein einheitliches Güterrechtstatut vor, welches das gesamte Vermögen der Ehegatten demselben Statut unterwirft, um die Einheitlichkeit des Vermögens zu gewährleisten (vgl. Erwägungsgrund 15). Die Situation ist also vergleichbar mit dem Grundsatz der Nachlasseinheit im Erbrecht. Aufgrund dieses einheitlichen Statuts für das gesamte Vermögen einer Person bzw. der in Gütergemeinschaft lebenden Ehegatten sind – ebenso wie im Erbrecht – Konflikte mit dem Sachenrecht denkbar, wenn beispielsweise das Vermögen der Ehegatten ein im Ausland belegenes Grundstück umfasst, das Belegenheitsrecht „besondere Vorschriften“ vorsieht und auf diese Weise für den jeweiligen Gegenstand Sondervermögen bildet. Relevant kann eine solche Durchbrechung des Güterrechtsstatuts nicht nur bei deutscher Gütertrennung, sondern auch im Rahmen der Durchführung des Zugewinnausgleichs werden.121 Bei den „besonderen Vorschriften“ kann es sich, ebenso wie im Erbrecht, um materiell-rechtliche Vorschriften handeln, die Sondervermögen bilden. Aber auch eine kollisionsrechtliche Vermögensspaltung kommt in Betracht, sodass sich die Frage, ob diese erfasst sein sollte,
118
Vgl. MüKo-von Hein, Art. 3a EGBGB Rn. 19; Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 5. Art. 7 des Haager Abkommens v. 17.7.1905 betreffend den Geltungsbereich der Gesetze in Ansehung der Wirkungen der Ehe auf die Rechte und Pflichten der Ehegatten in ihren persönlichen Beziehungen und auf das Vermögen der Ehegatten, RGBl. 1912, S. 453; für Deutschland außer Kraft getreten am 23.8.1987 (BGBl. 1986 II, S. 505): „Die Bestimmungen dieses Abkommens sind nicht anwendbar auf solche Grundstücke, welche nach dem Gesetze der belegenen Sache einer besonderen Güterordnung unterliegen.“ Das Nachfolgeabkommen, das für Deutschland nicht in Kraft getreten ist, sieht hingegen keine solche Vorschrift vor: Haager Übereinkommen über das auf Ehegüterstände anzuwendende Recht v. 14.4.1978, RabelsZ 41 (1977), 554–569. 120 Art. III des Vorschlags der Ersten Kommission des Deutschen Rats für Internationales Privatrecht vom 10./11.11.2006 – Grundregeln für das anwendbare Recht sowie die gerichtliche Zuständigkeit und die gegenseitige Anerkennung im Güterrecht, abgedruckt in Martiny, FS Kropholler, S. 373, 396–398: „Für die ehegüterrechtlichen Verhältnisse in Bezug auf unbewegliches Vermögen kommt das Recht des Staates, in dem es belegen ist, zur Anwendung, soweit das diese Rechtsordnung verlangt. 121 Palandt-Thorn, Art. 15 EGBGB Rn. 2 sowie Art. 3a Abs. 2 EGBGB Rn. 6; a. A. Ludwig, DNotZ 2000, 663–681. 119
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in gleicher Weise stellt wie im Erbkollisionsrecht.122 Wie bereits im Rahmen der EuErbVO gilt auch hier, dass angesichts der Vereinheitlichung auf europäischer Ebene in Zukunft das Problem nur in Verhältnis zu Drittstaaten eine Rolle spielen wird. Selbst wenn das Phänomen „Einzelstatut bricht Gesamtstatut“ im Erbrecht am praxisrelevantesten ist, sollte auch das Güterrecht eine Art. 30 EuErbVO entsprechende Norm enthalten, da dieselben Erwägungen – die Erzielbarkeit internationalen Entscheidungseinklangs, die erleichterte Durchsetzbarkeit der inländischen Entscheidung sowie die besondere Sachnähe der lex rei sitae – eine Rolle spielen und dafür sprechen, den Vorrang des Einzelstatuts in bestimmten Fällen zu ermöglichen. Diese Regelung sollte aus den bereits im Erbkollisionsrecht genannten Gründen auch die kollisionsrechtliche Vermögensspaltung erfassen, sofern die drittstaatlichen Normen aus besonderen wirtschaftlichen bzw. wirtschaftspolitischen Gründen einen internationalen Geltungsanspruch aufweisen. Da für das Güterrecht dieselben renvoi-Vorschriften und Eingriffsnormen-Regelungen wie im Erbkollisionsrecht vorgeschlagen wurden,123 erscheint eine parallele Behandlung des Phänomens des vorrangigen Einzelstatuts auch wertungskohärent. Durch eine entsprechende Normierung im Güterrecht würde verdeutlicht, dass es sich bei der Konkurrenzfrage zwischen Einzel- und Gesamtstatut um ein Problem des allgemeinen Teils handelt,124 das sich in allen Fällen, in denen das Personalstatut über das gesamte Vermögen einer Person bestimmt, stellt. Im Interesse der Förderung der Kohärenz und der Entwicklung einer allgemeinen Dogmatik im europäischen Verordnungsrecht sollte sich die Formulierung im Ehegüterrecht an Art. 30 EuErbVO orientieren. Systematisch ist die Norm am besten hinter der jeweiligen allgemeinen Eingriffsnormenregelung angesiedelt, da eine enge Verwandtschaft zwischen beiden Themenkomplexen besteht und der Vorrang der lex rei sitae letztlich einen Sonderfall der Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen darstellt. Eine entsprechende Regelung im EhegüterVO-E bzw. im EPartVO-E könnte daher folgendermaßen lauten: Vorrang des Einzelstatuts Besondere Regelungen im Recht eines Staates, in dem sich bestimmte unbewegliche Sachen, Unternehmen oder andere besondere Arten von Vermögenswerten befinden, die die ehelichen Güterstände/die vermögensrechtlichen Aspekte eingetragener Partnerschaften in Bezug auf jene Vermögenswerte aus wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Erwägungen beschränken oder berühren, finden Anwendung, soweit sie nach dem Recht dieses Staates unabhängig von dem auf den ehelichen Güterstand/die eingetragene Partnerschaft anzuwendenden Recht anzuwenden sind.
122 Relevant wird dies in drittstaatlicher Hinsicht wiederum vor allem im Verhältnis zu den USA, s. Staudinger-Mankowski, Art. 15 EGBGB Rn. 20, 40. 123 Dazu oben, S. 131 ff., 135, 297 f. 124 S. MüKo-Siehr, Art. 15 EGBGB Rn. 109, 124–128.
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6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut
In den Erwägungsgründen sollten Klarstellungen parallel zu Art. 30 EuErbVO erfolgen. Zunächst müsste der Grundsatz der engen Auslegung der Vorschrift betont werden (s. auch Erwägungsgrund 54 S. 3 EuErbVO). Danach wäre eine Klarstellung wünschenswert, dass unter denselben engen Voraussetzungen wie im Erbrecht eine kollisionsrechtliche Vermögensspaltung unter die Vorschrift fallen kann. Der im Rahmen der EuErbVO vorgeschlagene Erwägungsgrund könnte hierzu leicht modifiziert übernommen werden: Jedoch können Kollisionsnormen, die unbewegliche Sachen einem anderen als dem auf bewegliche Sachen anzuwendenden Recht unterwerfen, als besondere Regelungen im Sinne der Vorschrift angesehen werden, soweit sie besonderen wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Zwecken dienen, die über rein kollisionsrechtliche Interessen hinausgehen und internatio nalen Geltungsanspruch aufweisen. Dies ist nicht der Fall, wenn ein Belegenheitsstaat das Güterstatut/Statut der eingetragenen Partnerschaft lediglich aufgrund eines anderen Anknüpfungsmoments als diese Verordnung bestimmt.
III. Weitere Verordnungen Im Gegensatz zum Erb- und Güterrecht erübrigt sich eine Regelung in den rest lichen Verordnungen. 1. Rom I- und Rom II-VO Im Vermögensrecht tritt das Phänomen „Einzelstatut bricht Gesamtstatut“ nicht auf, da kein Gesamtstatut im engeren Sinne existiert. Anders als im Familien- und Erbrecht geht es im Anwendungsbereich der Rom I-VO und der Rom II-VO nämlich gerade nicht um die Unterwerfung der gesamten Vermögensmasse einer Person unter ein Recht. Stattdessen wird punktuell für einzelne Vertragsverhältnisse bzw. außervertragliche Schuldverhältnisse das anwendbare Recht bestimmt. Für Verträge über bestimmte Vermögensgegenstände, insbesondere unbewegliches Vermögen, wird ohnehin die Anwendbarkeit der lex rei sitae angeordnet (s. Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO). Lediglich in der Rom I-VO findet sich eine mit Art. 3a Abs. 2 EGBGB strukturell verwandte Regelung.125 Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO beruft für Verträge über ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache bzw. über die Miete oder Pacht einer unbeweglichen Sache stets die Formvorschriften des Belegenheitsstaates, sofern diese Vorschriften unabhängig davon gelten, in welchem Staat der Vertrag geschlossen wird oder welchem Recht der Vertrag unterliegt und von ihnen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf. Diese Vorschrift stellt jedoch die einzige Sondervorschrift im Vermögensrecht dar und regelt nur den Spezialfall der Form von Grundstücksverträgen. Sie ist nicht vergleichbar mit Art. 30 EuErbVO, der eine wesentlich weitere, allgemeinere Regelung beinhaltet. Außerdem wird kein 125
S. Palandt-Thorn, Art. 3a EGBGB Rn. 4; Erman-Hohloch, Art. 3a EGBGB Rn. 7.
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Gesamtstatut im eigentlichen Sinne durchbrochen, sondern lediglich eine vertragsrechtliche Teilfrage gesondert angeknüpft. Aufgrund der fehlenden praktischen Relevanz der Problematik im Vermögensrecht verweist auch Art. 3a Abs. 2 EGBGB bzw. verwies die Vorgängervorschrift des Art. 3 Abs. 3 EGBGB a. F. nur auf den dritten und vierten Abschnitt des EG BGB, also nur auf das Familien- und Erbrecht, obwohl das Vermögensrecht zur Geltungszeit des Art. 3 Abs. 3 EGBGB a. F. noch nicht europäisch vereinheitlicht und dementsprechend im EGBGB geregelt war. Dies zeigt, dass eine Regelung, die eine Durchbrechung des Gesamtstatuts ermöglicht, auch im europäischen Recht in den vermögensrechtlichen Rom I- und Rom II-Verordnungen praktisch keine Rolle spielt. Sonderfälle wie Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO existieren zwar. Diese sollten aber weiterhin speziell innerhalb des jeweils relevanten Themenkomplexes geregelt bleiben, da eine allgemeine Regelung den Eindruck erwecken würde, es handele sich auch im Vermögensrecht um ein praktisch bedeutsames Phänomen. Die vermögensrechtlichen Verordnungen sollten daher keine Art. 30 EuErbVO vergleichbare Regelung enthalten. 2. Rom III-VO Im Rahmen der Rom III-VO stellt sich das Problem der Durchbrechung eines Gesamtstatus ebenfalls nicht. Die Verordnung bestimmt nur das auf die Scheidung an wendbare Recht. Hingegen umfasst der Anwendungsbereich der Verordnung g erade nicht die vermögensrechtlichen Folgen der Ehe (Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom III-VO). Diese Folgen unterliegen derzeit noch dem nach Art. 15 EGBGB zu bestimmenden Güterrechtsstatut bzw. die praktisch relevante Hausratsteilung und Zuweisung der Ehewohnung richten sich weiterhin mangels Eröffnung des Anwendungsbereichs der Verordnung nach dem nach Art. 17 EGBGB zu ermittelnden Scheidungsstatut.126 Für diese Fälle gilt demnach weiterhin Art. 3a Abs. 2 EGBGB. Tritt der Verordnungsvorschlag zum Güterrecht in Kraft, wird dieser insofern Art. 15 EGBGB ab lösen. Auch die im Rahmen des Art. 3a Abs. 2 EGBGB relevante Zuweisung der Ehewohnung und des Hausrats nach einer Scheidung wird zukünftig der Verordnung zum Güterrecht unterliegen.127 Nach hier vertretener Auffassung sollte daher der Güterrechtsentwurf eine Art. 3a Abs. 2 EGBGB bzw. Art. 30 EuErbVO vergleichbare Regelung enthalten, während eine solche in der Rom III-VO mangels praktischer Relevanz entbehrlich ist.
126 Palandt-Thorn, Art. 1 Rom III-VO Rn. 7; s. für im Inland belegene Ehewohnungen und Haushaltsgegenstände Art. 17a EGBGB. 127 Coester-Waltjen, FamRZ 2013, 170, 177.
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6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut
3. EuUntVO i. V. m. HUntProt Entsprechendes gilt schließlich auch für das Unterhaltskollisionsrecht, da die Problematik dort ebenfalls nicht auftritt. Das Kindschaftsstatut, für das eine Durchbrechung durch ein Einzelstatut Relevanz entfalten kann, wird nämlich nicht durch die EuUntVO i. V. m. HUntProt geregelt. Stattdessen gilt hierfür Art. 21 EGBGB, in dessen Rahmen Art. 3a Abs. 2 EGBGB anwendbar ist. Das HUntProt hingegen regelt nur das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht. Da Unterhalt stets in Geld zu leisten ist, kann sich die Frage der Sonderanknüpfung einzelner Vermögensgegenstände in diesem Bereich nicht stellen. IV. Sonderproblem: Geltung auch bei Rechtswahl? Schließlich stellt sich die Frage, ob der Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut neben den Fällen der objektiven Anknüpfung auch im Falle einer Rechtswahl durch die Parteien gelten sollte. Diese Frage ist bereits im Rahmen des Art. 3a Abs. 2 EGBGB umstritten, spielte jedoch stets nur für das Güterrecht eine Rolle, da im deutschen Erbkollisionsrecht – mit Ausnahme des Art. 25 Abs. 2 EGBGB – keine Rechtswahlmöglichkeiten bestanden. Nach wohl herrschender Ansicht wird für die Frage der Geltung der Norm für Fälle der Rechtswahl erneut zwischen den verschiedenen „besonderen Vorschriften“ differenziert. Handelt es sich dabei um Sachnormen, die Sondervermögen bilden, wird der Geltungsanspruch der lex rei sitae als unbedingt und zwingend angesehen, sodass eine Rechtswahl diese Sondervorschriften des Belegenheitsstaates nicht verdrängen kann.128 Wenn hingegen lediglich eine kollisionsrechtliche Vermögensspaltung vorliegt, sollen die Parteien die Kollisionsnormen des Belegenheitsstaates abbedingen und auf diese Weise ihr Vermögen einem einheitlichen Statut unterstellen können.129 Dass die lex rei sitae für die in ihrem Territorium belegenen besonderen Vermögensgegenstände das eigene Recht beruft, wird also ignoriert. Für das Verordnungsrecht stellt sich die Frage angesichts der erweiterten Rechtswahlmöglichkeiten sowohl im Erbrecht als auch im Güterrecht. Dort sollte die Differenzierung zwischen Sach- und Kollisionsnormen nicht pauschal übernommen werden. Vielmehr müssen auch hier im Einklang mit dem Wortlaut des Art. 30 EuErbVO – parallel zur Eingriffsnormenproblematik – die entscheidenden Kriterien der internationale Geltungsanspruch sowie die besonderen wirtschaftlichen, sozialen und familiären Erwägungen sein, auf denen die jeweilige besondere Vorschrift 128 Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 32; MüKo-Siehr, Art. 15 EGBGB Rn. 127; a. A. Schotten/Schmellenkamp, IPR, Rn. 165; eingehend dazu MüKo-von Hein, Art. 3a EGBGB Rn. 22–26. 129 Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 32; MüKo-Siehr, Art. 15 EGBGB Rn. 128; Schotten/Schmellenkamp, IPR, Rn. 165; V. Stoll, Rechtswahl, S. 106 f.; a. A. Staudinger-Mankowski, Art. 15 EGBGB Rn. 21; Bosch, Gesamtstatut, S. 298–300; Thoms, Einzelstatut, S. 83.
D. Ergebnis
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des Belegenheitsstaates beruht. Handelt es sich um international zwingende Vorschriften, die auf solchen besonderen Erwägungen beruhen, sollten diese im Interesse des Entscheidungseinklangs sowie der Durchsetzbarkeit der Entscheidung im Belegenheitsstaat berücksichtigt werden. Dies sollte unabhängig davon gelten, ob es sich bei diesen Vorschriften um Sach- oder Kollisionsnormen handelt. Hinzu kommt, dass den Parteien praktisch ohnehin – selbst wenn man anders als nach hier vertretener Ansicht eine weitergehende Abbedingung des Art. 30 EuErbVO bzw. der entsprechenden Vorschrift im Güterrecht erlaubt – davon abzuraten ist, für Vermögensgegenstände, die der Belegenheitsstaat besonderen Vorschriften unterwirft, eine abweichende Rechtswahl zu treffen.130 Auf diese Weise entstehen Entscheidungsdisharmonien und Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Rechte, die Regelungen wie Art. 3a Abs. 2 EGBGB bzw. Art. 30 EuErbVO gerade vermeiden wollen. Eine Rechtswahlklausel sollte daher jedenfalls, auch wenn man eine großzügigere Rechtswahl eröffnet, restriktiv dahingehend ausgelegt werden, dass die Rechtswahl mangels anderer Anhaltspunkte Vermögensgegenstände, die der Belegenheitsstaat zwingend dem eigenen Recht unterwirft, nicht erfasst.131 Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass sich diejenigen zwingenden Vorschriften des Belegenheitsstaates, die unter Art. 30 EuErbVO fallen, da sie erstens internationalen Geltungsanspruch aufweisen und zweitens auf besonderen Erwägungen beruhen, auch gegenüber der Rechtswahl der Parteien durchsetzen sollten. Unerheblich ist, ob es sich bei diesen besonderen Vorschriften um Kollisions- oder Sachnormen handelt, sofern die engen Voraussetzungen des Art. 30 EuErbVO bzw. einer entsprechenden noch zu schaffenden Norm im Güterkollisionsrecht erfüllt sind. Diese Auslegung entspricht wiederum der Parallele zum Eingriffsrecht, da die Vorschriften, die als Eingriffsnormen qualifiziert werden, nach ihrem Sinn und Zweck ebenfalls rechtswahlfest sind.
D. Ergebnis Eine Regelung des Phänomens „Einzelstatut bricht Gesamtstatut“ ist im europäischen Verordnungsrecht lediglich im Rahmen des Erbrechts sowie des Güterrechts wünschenswert. Art. 30 EuErbVO sollte dafür beibehalten werden. Dieser muss jedoch insofern weiter ausgelegt werden, als auch die kollisionsrechtliche Nachlassspaltung erfasst sein sollte, sofern diese auf besonderen wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Erwägungen des Belegenheitsstaates beruht und daher – ähnlich wie Eingriffsnormen – nach Ansicht des Belegenheitsstaates international zwingend durchgesetzt werden müssen. Mit dieser differenzierenden Lösung lässt sich Wer130 Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 32; Schotten/Schmellenkamp, IPR, Rn. 165; MüKo-Siehr, Art. 15 EGBGB Rn. 128. 131 Staudinger-Hausmann, Art. 3a EGBGB Rn. 32; Schotten/Schmellenkamp, IPR, Rn. 165; MüKo-Siehr, Art. 15 EGBGB Rn. 128; a. A. V. Stoll, Rechtswahl, S. 106 f.
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6. Kapitel: Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut
tungskohärenz mit den Bereichen des renvoi und der Eingriffsnormen erzielen. Liegt eine solche besondere Regelung vor, setzt sich diese auch gegenüber einer Rechtswahl der Parteien durch. Die Regelung des Art. 30 EuErbVO und ihre hier vorgeschlagene Auslegung sind auf das Güterrecht übertragbar.
Abschließende Würdigung A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs im Sinne der Unabhängigkeit des Ergebnisses eines Rechtsstreits vom Ort des Forums ist ein klassisches kollisionsrechtliches Gesetzgebungsziel und sollte aus mehreren Gründen auch in der EU-Gesetzgebung eine wesentliche Rolle spielen. Zum einen lassen sich dadurch international hinkende Rechtsverhältnisse vermeiden, was die Rechtssicherheit fördert. Zum anderen entspricht die Gleichbehandlung eines Rechtsverhältnisses in unterschiedlichen Staaten dem grundlegenden Gerechtigkeitsempfinden. Des Weiteren lassen sich unerwünschtes forum shopping eindämmen und die Durchsetzbarkeit einer europäischen Entscheidung in einem Drittstaat erleichtern. Dass sich internationaler Entscheidungseinklang praktisch niemals vollkommen erreichen lässt, ist der Eigenschaft als Prinzip im Sinne eines nur relativ zu verwirklichenden Optimierungsgebotes geschuldet. Dieses Charakteristikum darf nicht dazu verleiten, das Ziel gänzlich in Frage zu stellen. Das Prinzip ist auch nicht mit dem Argument zu degradieren, dass in dem Streben nach internationalem Entscheidungseinklang eine Preisgabe der eigenen Wertungen liege. Vielmehr sollte das europäische Recht anderen Rechtsordnungen wertungsoffen gegenüberstehen, anstatt seine eigenen Wertungen zu verabsolutieren. Bedeutsame kollisionsrechtliche oder materiell-rechtliche Interessen, die nach dem Willen des Gesetzgebers das ergebnisneutrale Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs überwiegen, lassen sich noch immer im Rahmen einer Abwägung durchsetzen. Verallgemeinern lässt sich die Aussage, dass das Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs im Statusrecht bzw. in statusnahen Verhältnissen eine be deutendere Rolle spielt als im Vermögensrecht, da im Statusrecht ein erhöhtes Bedürfnis nach Rechtssicherheit und der Vermeidung hinkender Rechtsverhältnisse besteht. Dieses Bedürfnis liegt insbesondere in der Bedeutung eines Statusverhältnisses für den Einzelnen, der meist lebenslangen Dauer sowie den weitreichenden, an den Status geknüpften Rechtsfolgen begründet. Dementsprechend sollte der europäische Gesetzgeber auf dem Gebiet des Kollisionsrechts im Hinblick auf den Stellenwert des internationalen Entscheidungseinklangs zwischen den vermögensrechtlichen Rom I- und Rom II-Verordnungen einerseits und den statusrechtlichen Verordnungen (Rom III-VO, Eu-ErbVO, EuUntVO i. V. m. HUntProt, EhegüterVO-E, EPartVO-E) andererseits differenzieren.
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Abschließende Würdigung
Der europäische Gesetzgeber sollte nicht den Fehler begehen, sich allein auf die Erzielung innereuropäischen Entscheidungseinklangs zu konzentrieren, der durch die weitreichende Vereinheitlichung des Kollisionsrechts schon nahezu vollständig erreicht wird. Vielmehr ist es in Anbetracht der fortschreitenden Globalisierung des internationalen Handels sowie des Personenverkehrs angebracht, sich auch gegenüber Drittstaaten um die Erzielung von Entscheidungseinklang zu bemühen. Derzeit ist es nicht realistisch, dies durch die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts auf globaler Ebene zu erreichen. Jedoch kann der europäische Gesetzgeber durch Justieren kleinerer Stellschrauben, nämlich durch die Berücksichtigung drittstaat lichen Kollisionsrechts, diesem Ziel einen wesentlichen Schritt näher kommen. In dem für die Bedeutung des internationalen Entscheidungseinklangs aufschlussreichen Bereich des renvoi hat sich der europäische Gesetzgeber zumindest in der EuErbVO dazu entschlossen, unter bestimmten Voraussetzungen eine Gesamtverweisung auf drittstaatliches Recht auszusprechen. Auf diese Weise lässt sich internationaler Entscheidungseinklang in einigen Konstellationen erzielen, insbesondere in Fällen der akzeptierten Weiterverweisung. Diese Entscheidung hat Signalwirkung für die übrigen Verordnungen und sollte dazu führen, de lege ferenda in allen statusrechtlichen Verordnungen einen renvoi unter bestimmten Voraussetzungen zu beachten. Lediglich im Vermögensrecht überwiegen materiell-recht liche sozialpolitische Interessen das Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs und rechtfertigen einen gänzlichen Ausschluss des renvoi. Ähnlich ist die Situation im Falle einer Verweisung auf Mehrrechtsordnungen. De lege lata verfolgen die statusrechtlichen Verordnungen hier sehr unterschied liche und wertungswidersprüchliche Lösungen. Aufgrund des Wertungszusammenhangs zwischen interlokaler bzw. interpersonaler und internationaler Ebene und zur Förderung der Kohärenz zwischen den Verordnungen im Statusrecht sollte stattdessen im Interesse des internationalen Entscheidungseinklangs einheitlich eine Gesamtverweisung auf das interlokale bzw. interpersonale Privatrecht des Mehrrechtsstaates ausgesprochen werden. Wiederum sind die vermögensrecht lichen Rom I- und Rom II-Verordnungen primär durch andere Interessen geprägt, was eine Sachnormverweisung auch auf interlokaler Ebene rechtfertigt. Mangels praktischer Relevanz ist eine Regelung zur personalen Rechtsspaltung im Vermögensrecht entbehrlich. Bei der Vorfragenanknüpfung halten die Verordnungen im Unterschied zum renvoi und zur Unteranknüpfung bei Mehrrechtsordnungen derzeit noch keine Regelung bereit. De lege ferenda sollte sich der europäische Gesetzgeber der Problematik annehmen, da mangels einer vereinheitlichten Kollisionsnorm nicht nur der internationale, sondern auch der EU-interne Entscheidungseinklang gefährdet wird. Beide werden gewahrt, wenn Vorfragen unselbstständig, also nach dem Kollisionsrecht der lex causae, angeknüpft werden. Da an dieser Stelle auch der europäische Entscheidungseinklang und damit die angestrebte Rechtsvereinheitlichung auf dem Spiel stehen, sollte die unselbstständige Anknüpfung sowohl im Vermögens- als
A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
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auch im Statusrecht gelten. Auf diese Weise wird auch der Wertungszusammenhang zum renvoi auf internationaler und interlokaler Ebene gewahrt. Im Unterschied zu den genannten Rechtsfiguren spielt das Prinzip des internatio nalen Entscheidungseinklangs im Eingriffsrecht eine geringere Rolle, da die klassischen kollisionsrechtlichen Prinzipien von öffentlichen Interessen überlagert werden. Dennoch ist das Ziel nicht vollkommen zu vernachlässigen. Das europäische Kollisionsrecht sollte sich dementsprechend bemühen, für alle Verordnungen eine einheitliche Definition für Eingriffsnormen zu finden, wobei die Regelung in der Rom I-VO als Vorlage dienen kann. Außerdem sollte im Interesse des internationalen Entscheidungseinklangs ausländisches Eingriffsrecht in allen Rechtsgebieten berücksichtigt werden, wenn eine enge Verbindung zum Sachverhalt besteht. An dieser Stelle besteht im europäischen Recht noch großer Entwicklungsbedarf, da das Phänomen bislang nur im Vermögensrecht geregelt ist. Schließlich sollte der europäische Gesetzgeber im Interesse des internationalen Entscheidungseinklangs einem ausländischen Einzelstatut Vorrang vor dem Gesamtstatut einräumen, wenn der Belegenheitsstaat Sondervermögen bildet, das er – parallel zu Eingriffsnormen – international durchsetzt und damit besondere wirtschaftliche bzw. wirtschaftspolitische Interessen verfolgt. Auch hier muss sich das Verordnungsrecht weiterentwickeln, da lediglich Art. 30 EuErbVO eine Regelung enthält, die aber ausweislich der Erwägungsgründe noch zu eng ausgelegt wird. Zudem sollte sie auf das internationale Güterrecht übertragen werden, während sich in den anderen Verordnungen entsprechende Probleme nicht stellen. Die Untersuchung der einzelnen Rechtsfiguren hat gezeigt, dass sich der europäische Gesetzgeber im Verordnungsrecht durchaus vereinzelt bemüht, internationalen Entscheidungseinklang im Verhältnis zu Drittstaaten zu erzielen. Insbesondere die Anerkennung des internationalen und interlokalen renvoi in der EuErbVO verdeutlicht diese Tendenz und zeigt eine Abkehr von der in den anderen Verordnungen vorherrschenden Ausschaltung drittstaatlichen Kollisionsrechts und der damit einhergehenden Vernachlässigung der ausländischen Interessen und Belange. Der EU-Gesetzgeber sollte sich im europäischen Kollisionsrecht weiter in diese Richtung bewegen und wertungskohärent und folgerichtig zu den Entscheidungen in der EuErbVO dem Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs auch in den anderen statusrechtlichen Verordnungen eine tragende Rolle einräumen. Dies wird rechtspolitisch nicht immer einfach umsetzbar sein, da viele Mitgliedstaaten zu stark auf ihre nationalen, protektionistischen Interessen fokussiert sind. Dennoch würde der grenzüberschreitende globale Rechtsverkehr von einer großzügigeren Berücksichtigung ausländischen Kollisionsrechts profitieren. Diese Globalisierung des europäischen Kollisionsrechts muss durch die Berücksichtigung drittstaatlicher Interessen auch im internationalen Zivilverfahrensrecht flankiert werden. Bedenken rief insofern der Vorschlag für eine revidierte Fassung der Brüssel I-VO hervor, in dem die Kommission den Anwendungsbereich der Zuständigkeitsregeln auf Fälle, in denen der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Dritt-
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Abschließende Würdigung
staat hat, erweitern wollte (Art. 4 Abs. 2 des Entwurfs).132 Dadurch würde zwar der innereuropäische Entscheidungseinklang gefördert, jedoch würden drittstaatliche Wertungen, z. B. drittstaatliche Schutzgerichtsstände entsprechend denen der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO, ignoriert. Eine solche Regelung in das europäische Zivilverfahrensrecht aufzunehmen, wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Zu begrüßen ist daher, dass sich diese Ausweitung nicht in der angenommenen Fassung der Brüssel Ia-VO wiederfindet. Die Tendenz, drittstaatliche Wertungen zu respektieren, sollte der europäische Gesetzgeber sowohl im IPR als auch im Verfahrensrecht fortführen.
B. Normvorschläge Im europäischen Kollisionsrecht könnte die weiter reichende Berücksichtigung drittstaatlichen Kollisionsrechts durch die bereits unterbreiteten Normvorschläge geschehen. I. Renvoi 1. Vermögensrecht Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung Unter dem nach dieser Verordnung anzuwendenden Recht eines Staates sind die in diesem Staat geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internatio nalen Privatrechts zu verstehen. 2. Statusrecht Rück- und Weiterverweisungen (1) Unter dem nach dieser Verordnung anzuwendenden Recht eines Staates sind die in diesem Staat geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internatio nalen Privatrechts zu verstehen, soweit sich aus den folgenden Absätzen nicht ein anderes ergibt. (2) Unter dem nach dieser Verordnung anzuwendenden Recht eines Drittstaates sind die in diesem Staat geltenden Rechtsvorschriften einschließlich derjenigen seines Internationalen Privatrechts zu verstehen, soweit diese zurück- oder weiterverweisen auf: a) das Recht eines Mitgliedstaates oder b) das Recht eines anderen Drittstaates, der sein eigenes Recht anwenden würde. 132 Vorschlag für eine Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen vom 14.12.2012, KOM (2010) 748 endg.
B. Normvorschläge
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(3) Verweist das Recht des Drittstaates auf mitgliedstaatliches Recht zurück, so sind die in diesem Mitgliedstaat geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internationalen Privatrechts anzuwenden. (4) Rück- und Weiterverweisungen durch die in Art. 22, Art. 27 und Art. 28 Buchstabe b EuErbVO/Art. 5 Rom III-VO/Art. 15 EuUnterhVO i. V. m. Art. 8 HUntProt/ Art. 16, 19 und 20 EhegüterVO-E genannten Rechtsordnungen sind nicht zu beachten. II. Mehrrechtsordnungen 1. Vermögensrecht Staaten mit mehr als einem Rechtssystem – Interlokale Kollisionsvorschriften (1) Umfasst ein Staat mehrere Gebietseinheiten, von denen jede eigene Rechts normen für vertragliche/außervertragliche Schuldverhältnisse hat, so gilt für die Bestimmung des nach dieser Verordnung anzuwendenden Rechts jede Gebiets einheit als Staat. Lässt sich eine Gebietseinheit nicht eindeutig ermitteln, so ist die Teilrechtsordung anzuwenden, mit der der Sachverhalt am engsten verbunden ist. 2. Statusrecht Staaten mit mehr als einem Rechtssystem – Interlokale Kollisionsvorschriften (1) Umfasst ein Staat mehrere Gebietseinheiten, von denen jede ihr eigenes Rechtssystem oder ihr eigenes Regelwerk für die in dieser Verordnung geregelten Angelegenheiten hat, so bestimmen die internen Kollisionsvorschriften dieses Staates die Gebietseinheit, deren Rechtsvorschriften anzuwenden sind. (2) In Ermangelung solcher internen Kollisionsvorschriften gilt: a) jede Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Absatz 1 genannten Staat ist als Bezugnahme auf den gewöhnlichen Aufenthalt in einer Gebietseinheit zu verstehen; b) jede Bezugnahme auf die Staatsangehörigkeit betrifft die Gebietseinheit, zu der (i) der Ehegatte oder die Ehegatten die engste Verbindung hat bzw. haben [Rom III-VO und EhegüterVO-E]; (ii) der oder die Partner die engste Verbindung hat bzw. haben [EPartVO-E]; (iii) der Erblasser die engste Verbindung hatte bzw. im Falle des Art. 27 der Erblasser oder die Personen, deren Rechtsnachfolge von Todes wegen durch den Erbvertrag betroffen ist, die engste Verbindung hatte [EuErbVO]; (iv) die Unterhaltspflicht die engste Verbindung aufweist [EuUntVO]; c) jede Bezugnahme auf andere Anknüpfungspunkte ist als Bezugnahme auf das Recht der Gebietseinheit zu verstehen, in der sich der einschlägige Anknüpfungspunkt befindet;
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Abschließende Würdigung
(d) jede Bezugnahme auf die zuständigen Behörden oder die öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtungen dieses Staates gegebenenfalls als Bezugnahme auf die zuständigen Behörden oder die öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtungen zu verstehen, die befugt sind, in der betreffenden Gebietseinheit tätig zu werden [EuUntVO]. (3) Unbeschadet des Absatzes 1 können die Parteien nach Maßgabe des Art. 22 EuErb-VO/Art. 5 Rom III-VO/Art. 15 EuUntVO i. V. m. Art. 8 HUntProt 2007/Art. 16 EhegüterVO-E die in dieser Gebietseinheit geltenden Rechtsnormen unter Ausschluss derjenigen des Internationalen Privatrechts wählen. In den statusrechtlichen Verordnungen sollte außerdem eine Regelung zur personalen Spaltung enthalten sein: Staaten mit mehr als einem Rechtssystem – Interpersonale Kollisionsvorschriften (1) In Bezug auf einen Staat, der für die in dieser Verordnung geregelten Angelegenheiten zwei oder mehr Rechtssysteme oder Regelwerke hat, die für verschiedene Personengruppen gelten, so bestimmen die internen Kollisionsvorschriften dieses Staates die Gebietseinheit, deren Rechtsvorschriften anzuwenden sind. (2) Mangels solcher Regeln ist das Rechtssystem oder das Regelwerk anzuwenden, zu dem a) der Ehegatte oder die Ehegatten die engste Verbindung hat bzw. haben [Rom III-VO und EhegüterVO-E]; b) der oder die Partner die engste Verbindung hat bzw. haben [EPartVO-E]; c) der Erblasser die engste Verbindung hatte [EuErbVO]; d) die Unterhaltspflicht die engste Verbindung aufweist [EuUntVO]. In die statusrechtlichen Verordnungen sollte folgender Erwägungsgrund, der für die räumliche und die personale Spaltung gilt, aufgenommen werden: Die Frage, zu welcher Rechtsordnung die engste Verbindung besteht, sollte primär nach den Maßstäben des ausländischen Mehrrechtsstaates beurteilt werden, sofern dieser geeignete Kriterien bereithält. III. Vorfrage Vorfragenanknüpfung (1) Vorfragen im Sinne dieser Verordnungen sind selbstständige Fragen im Tatbestand einer Kollisions- oder Sachnorm nach dem Bestand oder dem Inhalt eines präjudiziellen Rechtsverhältnisses. (2) Vorfragen sind gesondert nach dem Internationalen Privatrecht des Staates, dessen Recht nach dieser Verordnung auf die Hauptfrage anwendbar ist, anzuknüpfen.
B. Normvorschläge
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IV. Eingriffsnormen Eingriffsnormen (1) Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen. (2) Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts. (3) Die Eingriffsnormen eines Staates können angewendet werden, wenn der Sachverhalt eine enge Verbindung zu diesem Staat aufweist. Bei der Entscheidung, ob diese Eingriffsnormen anzuwenden sind, werden Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden. In die Rom I-VO sollten folgende konkretisierende Ausführungen in einen Erwägungsgrund aufgenommen werden: Ist der sachliche Anwendungsbereich des Art. 6 oder des Art. 8 Rom I-VO eröffnet, schließen diese als Spezialregelungen den Rückgriff auf Art. 9 Rom I-VO aus. Die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen, die eine enge Verbindung zum Sachverhalt aufweisen, sollte im Ausnahmefall ermöglicht werden. Das Vorliegen einer engen Verbindung ist durch objektive Merkmale zu bestimmen. Dabei sollten insbesondere Staaten berücksichtigt werden, die einen Bezug zum Leistungsaustausch aufweisen. Denkbar ist eine Anknüpfung an den Ort der Leistungshandlung oder des Leistungserfolgs, aber auch an den Lageort der Sache. In Betracht gezogen werden können auch personenbezogene Kriterien, soweit sie mit der Leistung in Verbindung stehen, wie z. B. der gewöhnliche Aufenthalt des Schuldners. Für die Rom II-VO bietet sich folgende Konkretisierung in einem Erwägungsgrund an: Die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen, die eine enge Verbindung zum Sachverhalt aufweisen, sollte ermöglicht werden. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass die Regelanknüpfung der Art. 4 ff. Rom II-VO umgangen wird. Die durch Art. 16 Abs. 3 eingeräumte Möglichkeit ist daher nur in Ausnahmefällen zu gebrauchen, wenn die hinter einer Eingriffsnormen stehenden öffentlichen Interessen die Steuerungsinteressen, auf denen die Art. 4 ff. Rom II-VO beruhen, deutlich überwiegen. Dies ist im Rahmen des Ermessens als „Folge der Anwendung“ (Art. 16 Abs. 3 S. 2) zu berücksichtigen.
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Abschließende Würdigung
In die EuErbVO sollte folgender Erwägungsgrund aufgenommen werden: Die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen, die nicht dem Forumstaat oder dem Belegenheitsstaat angehören, die aber eine enge Verbindung zum Sachverhalt aufweisen, sollte ermöglicht werden. Ausreichend ist nicht, dass eine ausländische Regelung vom Erbstatut abweicht. Stattdessen muss die jeweilige ausländische Norm, hinter der überragende öffentliche Interessen stehen, die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung beeinträchtigen. In Betracht kommt insbesondere, dass die Verfügung nach dem ausländischen Recht als illegal oder missbräuchlich angesehen wird. Für Eingriffsnormen des Belegenheitsstaates ist Art. 30 EuErbVO speziell. V. Vorrang des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut Folgende Regelung sollte nur in die EuErbVO sowie die Entwürfe zum Güterrecht aufgenommen werden. Vorrang des Einzelstatuts Besondere Regelungen im Recht eines Staates, in dem sich bestimmte unbewegliche Sachen, Unternehmen oder andere besondere Arten von Vermögenswerten befinden, die die Rechtsnachfolge von Todes wegen [EuErbVO]/die ehelichen Güter stände [EhegüterVO-E]/die vermögensrechtlichen Aspekte eingetragener Partnerschaften [EPartVO-E] in Bezug auf jene Vermögenswerte aus wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Erwägungen beschränken oder berühren, finden auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen Anwendung, soweit sie nach dem Recht dieses Staates unabhängig von dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen [EuErbVO]/ auf den ehelichen Güterstand [EhegüterVO-E]/auf die eingetragene Partnerschaft [EPartVO-E] anzuwendenden Recht anzuwenden sind. Der derzeitige Erwägungsgrund 54 der EuErbVO sollte in den Sätzen 4–6 folgendermaßen geändert werden: Daher dürfen Bestimmungen, die einen größeren Pflichtteil als den vorsehen, der in dem nach dieser Verordnung auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht festgelegt ist, nicht als besondere Regelungen mit Beschränkungen angesehen werden, die die Rechtsnachfolge von Todes wegen in Bezug auf bestimmte Vermögenswerte betreffen oder Auswirkungen auf sie haben. Jedoch können Kollisionsnormen, die unbewegliche Sachen einem anderen als dem auf bewegliche Sachen anzuwendenden Recht unterwerfen, als besondere Regelungen im Sinne der Vorschrift angesehen werden, soweit sie besonderen wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Zwecken dienen, die über rein kollisionsrechtliche Interessen hinausgehen und internationalen Geltungsanspruch aufweisen. Dies ist nicht der Fall, wenn ein Belegenheitsstaat den gesamten Nachlass lediglich anders als diese Verordnung anknüpft.
B. Normvorschläge
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Auch der EhegüterVO-E und der EPartVO-E sollten einen entsprechenden Erwägungsgrund enthalten: Jedoch können Kollisionsnormen, die unbewegliche Sachen einem anderen als dem auf bewegliche Sachen anzuwendenden Recht unterwerfen, als besondere Regelungen im Sinne der Vorschrift angesehen werden, soweit sie besonderen wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Zwecken dienen, die über rein kollisionsrechtliche Interessen hinausgehen und internationalen Geltungsanspruch aufweisen. Dies ist nicht der Fall, wenn ein Belegenheitsstaat das Güterstatut/Statut der eingetragenen Partnerschaft lediglich aufgrund eines anderen Anknüpfungsmoments als diese Verordnung bestimmt.
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Sachregister Abstammung 40 ff., 49 ff. Anerkennung 26 f., 29, 316 ff. Anknüpfung – akzessorische 47, 166 – alternative 121 ff., 136, 138 – ortsbezogene 144, 157 ff., 165 ff. – staatsbezogene 144 f., 159 ff., 163 f., 166 ff. – selbstständige 196, 202 ff., 222 f. – unselbstständige 196 f., 202 ff., 223 ff. Anknüpfungsmoment 12, 27 f., 73 Anpassung 308 f. Ausweichklausel 116 ff., 137, 157, 165 dépeςage 192 Durchsetzbarkeit 22, 316 ff. effet utile 226, 231, 234 f. Effizienzprinzip 46, 47 f. Eingriffsnorm – Begriff 239 ff. – kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung 259 ff., 286 – materiell-rechtliche Berücksichtigung 259, 285 – Schuldstatutstheorie 258 – Einheitsanknüpfung 283 Einzelstatut 300 ff. engste Verbindung 116 ff., 157, 160 ff. Entscheidungseinklang – Begriff 1 f., 7 ff. – internationaler 7 f. – interner 8 f. – europäischer 9 f. Entscheidungsharmonie 7 Erbfolge – gesetzliche 57 ff. – gewillkürte 58 Erstfrage 190, 197 ff. Europäisches Nachlasszeugnis 60, 231
favor negotii/testamenti 34 f., 121 ff. foreign court theory 78, 81, 96 ff. forum shopping 21 Gerechtigkeit 20 Gerichtsstandsvereinbarung 88 ff. Gesamtstatut 300 ff. Gesamtverweisung 70 f. Gesellschaftsrecht 62 ff. Gleichheit 20 Hauptfrage 190 Heimwärtsstreben 32, 96 ff. hinkendes Rechtsverhältnis 7 f. interlokales Privatrecht 141 f. interpersonales Privatrecht 142 intertemporales Privatrecht 142 lex rei sitae 74, 316 f. loi uniforme 82 Mehrrechtsordnungen – personale Spaltung 142, 183 ff. – räumliche Spaltung 141, 156 ff. – zeitliche Spaltung 142 Nachlasseinheit 125 Nachlassspaltung 100 f., 125 ff., 300 Namensrecht 61 f. ordre public 236, 239, 288 ff. Pflichtteilsrecht 57 ff. Prinzipientheorie 14 ff. – Alexy 15 – Optimierungsgebot 16 Produkthaftung 91 ff. Qualifikationsverweisung 74
366 Rechtssicherheit 19 f. Rechtswahl – mehrdeutige 159, 166, 171, 177, 181 – mittelbare 132 – Sachnormverweisung 120 f., 155 – Teilrechtsordnung 154 f. Renvoi – versteckter 75 – double renvoi 78, 81, 96 ff. – renvoi in favorem 123 restatement of law 146 f. Rückverweisung 71 f., 77 ff., 95 ff. Sachnähe 219 ff. Sachnormverweisung 70 f., 102 ff. Schwächerenschutz 33 f., 46 f. statusrechtlich 36 ff. Systembildung 16
Sachregister
Teilfrage 191 ff. Testierfreiheit 54 unbewegliche Sachen 74, 300 ff. vermögensrechtlich 44 f. Versicherungsrecht 87 Vollstreckung 29, 316 ff. Vorfrage – Begriff 189 f. – Anknüpfung 195 ff., 218 ff. Weiterverweisung 71 f., 79 ff., 99 ff., 102 ff. zwingendes Recht 247 f.