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German Pages 444 [445] Year 2022
Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 198
Grenzüberschreitende Rechtsformwechsel in der Europäischen Union Unter besonderer Berücksichtigung der Richtlinie (EU) 2019/2121 und ihrer Implikationen für Personengesellschaften
Von
Raphael Hilser
Duncker & Humblot · Berlin
RAPHAEL HILSER
Grenzüberschreitende Rechtsformwechsel in der Europäischen Union
Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen
Band 198
Grenzüberschreitende Rechtsformwechsel in der Europäischen Union Unter besonderer Berücksichtigung der Richtlinie (EU) 2019/2121 und ihrer Implikationen für Personengesellschaften
Von
Raphael Hilser
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. hat diese Arbeit im Jahr 2021 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 25 Alle Rechte vorbehalten
© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-7626 ISBN 978-3-428-18561-0 (Print) ISBN 978-3-428-58561-8 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau im Wintersemester 2021/2022 als Dissertation angenommen. Die Literatur befindet sich im Wesentlichen auf dem Stand von Mitte Dezember 2021. Vereinzelt konnte auch noch nachfolgend erschienene Literatur bis Mitte Februar 2022 berücksichtigt werden. Größter Dank gebührt zunächst meinem hochverehrten Doktorvater, Herrn Professor Dr. Jan Lieder, LL. M. (Harvard), für die Anregung zur Wahl des Themas sowie für die stetige Unterstützung und die wissenschaftliche Freiheit bei der Erstellung der Untersuchung. Dankbar bin ich darüber hinaus Herrn Professor Dr. Hanno Merkt, LL. M. (Univ. of Chicago) für die Möglichkeit, als wissenschaftlicher Mitarbeiter an dem Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, Abt. II, zu arbeiten und damit mein Interesse am Handels-und Gesellschaftsrecht zu vertiefen. Großen Dank schulde ich ihm auch für die sehr zeitnahe Erstellung des Zweitgutachtens. Für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht“ danke ich den Herausgebern, Herrn Prof. Dr. Holger Fleischer, LL. M. (Univ. of Michigan), Herrn Prof. Dr. Hanno Merkt, LL. M. (Univ. of Chicago) und Herrn Prof. Dr. Gerald Spindler sowie dem Verlag Duncker & Humblot. Der Wissenschaftlichen Gesellschaft Freiburg e. V. gilt großer Dank fu¨ r die Fo¨ rderung der Drucklegung dieser Arbeit mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss. Im Verlauf der Entstehung haben mich eine Vielzahl von Menschen unterstützt. Herrn Dr. Fabian Kehrer, Herrn Philipp Schneider sowie Herrn Samuel Wunderlich möchte ich für die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts meinen Dank aussprechen. Für die schöne Zeit in Freiburg möchte ich mich über die Genannten hinaus bei Herrn Axel Garrels, Herrn Dr. Nico Gallus, Frau Merle Hörr, Frau Sarah Leikam, Herrn Lars Mager, Herrn Nebiyu Mahmud, Frau Sandra Utz, Herrn Raphael Wagner sowie Herrn Dr. Lukas Zeyher bedanken. Für die schöne Zeit am Lehrstuhl danke ich stellvertretend Herrn Markus Baschnagel, LL. M. (Cambridge), Frau Dr. Laura Neumann sowie Frau Dr. Jennifer Zimmermann.
6
Vorwort
Schließlich gilt mein allergrößter Dank meinen Eltern Gudula Johanna und Roland Franz Hilser für ihre stets vorbehaltslose Unterstützung über meinen gesamten Lebensweg hinweg. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Kirchheim/Teck, im Dezember 2021
Raphael Hilser
Inhaltsübersicht Kapitel 1 Einführung
27
A. Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Kapitel 2 Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
34
A. Gesellschafts- und Internationalprivatrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Definition eines grenzüberschreitenden Formwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Charakteristika eines grenzüberschreitenden Formwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Semantische Klarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Motive für grenzüberschreitende Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Voraussetzungen eines grenzüberschreitenden Formwechsels von Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Anzuwendendes Recht: Kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie . . . . . . . . . . . .
35 35 36 39 42
B. Niederlassungsfreiheit und grenzüberschreitende Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schutz grenzüberschreitender Formwechsel durch die Niederlassungsfreiheit . . . III. Reichweite der „Formwechselfreiheit“: Diskriminierungs- vs. Beschränkungsverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schranken der Rechtswahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61 61 64 66 72
C. Betroffenheit der Stakeholder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Betroffenheit der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Betroffenheit der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Betroffenheit der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73 74 79 87 99
47 59
D. Zusammenfassung in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
8
Inhaltsübersicht Kapitel 3 Das Verfahren für grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
A. Hintergrund der Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsunsicherheit als Mobilitätshemmnis für Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsunsicherheit als Ursache für unzureichenden Stakeholder-Schutz . . . . . . . III. Legislative Intention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103 103 105 108 109
B. Mobilitäts-RL und Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 I. Kollisionsrechtliche Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 II. Kodifikation der Vereinigungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 C. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Räumlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 D. Das Verfahren im Wegzugsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Formwechselplan (Art. 86d GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Formwechselbericht (Art. 86e GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Formwechselbeschluss (Art. 86h GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtmäßigkeits- und Missbrauchskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
116 117 117 128 129
E. Das Verfahren im Zuzugsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I. Verknüpfung der Verfahren im Wegzugs- und Zuzugsstaat: Vorabbescheinigung (Art. 86m GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 II. Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 F. Zusammenfassung in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Kapitel 4 Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
134
A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 I. Funktion der Stakeholder-Schutzvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 II. Wirkung der Stakeholder-Schutzvorschriften: Vollharmonisierung oder Mindestharmonisierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 B. Stakeholder-Schutz durch Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
141 141 143 143
C. Schutz der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mitentscheidungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anfechtung des Wegzugsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Austrittsrecht gegen Barabfindung (Art. 86i Abs. 1 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . IV. Stellung der Sonderrechtsinhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
144 145 150 155 183 192
Inhaltsübersicht
9
D. Schutz der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begrenzung des materiellen Schutzes auf Altgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gläubigerschutz durch Begrenzung des Anwendungsbereichs für Gesellschaften in wirtschaftlichen Schwierigkeiten (Art. 86a Abs. III, IV GesR-RL) . . . . . . . . . III. Perpetuierung des Gerichtsstands im Wegzugsstaat (Art. 86j Abs. 4 GesR-RL) . IV. Verhältnis des besonderen Gerichtsstands im Falle einer Prorogation oder Derogation des Gerichtsstands im Wegzugsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Anspruch auf Sicherheitsleistung (Art. 86j Abs. 1 UAbs. 2 GesR-RL) . . . . . . . . VI. Mitgliedstaatenoption: Solvenzerklärung (Art. 86j Abs. 2 GesR-RL) . . . . . . . . . VII. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192 194
E. Schutz der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundsatz: Anwendung des Mitbestimmungsrechts des Zuzugsstaats (Art. 86 Abs. 1 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aufrechterhaltung des mitbestimmungsrechtlichen status quo: Verhandlungsund Auffanglösung (Art. 86l Abs. 2 – 6 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. De lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Perpetuierungsklausel (Art. 86l Abs. 7 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Mitgliedstaatenoption: Begrenzung der Auffanglösung auf Drittelparität (Art. 86l Abs. 4 lit. b) GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228 229
F. Verbot missbräuchlicher Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fraus legis vs. Missbrauch der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Primärrechtlicher Hintergrund des Missbrauchs der Niederlassungsfreiheit . . . . III. Genese der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verabschiedete Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Auslegung der Missbrauchsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ausgestaltung der Missbrauchskontrolle in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Rechtspolitisches Desiderat: Unionsrechtliches Erfordernis eines genuine link zum Zuzugsstaat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
252 253 254 258 260 261 271
195 198 205 206 224 227
230 231 242 250 251
273
G. Zusammenfassung in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Kapitel 5 Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata . . . . I. Zulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften . . II. Betroffenheit der Stakeholder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Exkurs: Innerstaatlicher Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Taugliche Ausgangs- und Zielrechtsträger beim grenzüberschreitenden Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Anzuwendendes Regelungsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
281 285 285 295 304 306 313
10
Inhaltsübersicht
B. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege ferenda: Überschießende Umsetzung der Mobilitäts-RL auf Personengesellschaften? . . . . . . . 331 I. Rechtspolitische Diskussion: Überschießende Umsetzung auf Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 II. Umfang der überschießenden Umsetzung: Begrenzung auf Hereinformwechsel und registrierte Gesellschaften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 C. Übertragbarkeit der durch die Mobilitäts-RL harmonisierten Vorschriften auf Personengesellschaften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Formwechselverfahren bei Hereinformwechseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Formwechselverfahren bei Herausformwechseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schutz der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schutz der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Schutz der unternehmerischen Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
349 349 350 353 354 355
D. Zusammenfassung in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Kapitel 6 Quo vadis Europäisches Gesellschaftsrecht: Rechtspolitische Desiderata
366
A. Ausbau der GesR-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 I. Erstreckung auf Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 II. Erstreckung auf Spaltungen zur Aufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 B. Schaffung sachrechtlicher Grundlagen für grenzüberschreitende Formwechsel mit Drittstaaten-Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 I. Gesellschaftsrechtliche Unzulässigkeit von grenzüberschreitenden Formwechseln mit Drittstaaten-Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 II. Notwendigkeit der Schaffung von sachrechtlicher Grundlagen für grenzüberschreitende Formwechsel mit Drittstaaten-Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 C. Harmonisierung rechtsformwahrender Verwaltungssitzverlegungen? . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangspunkt: Unterschiedliche Behandlung von Wegzugs- und Zuzugsfällen . II. Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
371 371 372 376
D. Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unvereinheitlichtes Kollisionsrecht als Mobilitätshindernis . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regelungsvorschlag:Vorzugswürdigkeit der Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . III. Ausgestaltung des vereinheitlichten Gesellschaftskollisionsrechts . . . . . . . . . . . . IV. Durchführung der Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Alternative: Kodifizierung des deutschen Internationalen Gesellschaftsrechts . . .
376 377 379 381 385 386
E. Zusammenfassung in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
Inhaltsübersicht
11
Kapitel 7 Schlussbetrachtung und Zusammenfassung des wesentlichen Ertrags in Thesenform
388
A. Schlussbetrachtung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 I. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 II. Harmonisierung grenzüberschreitender Formwechsel als Startschuss für einen ungehinderten „Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen“? . . . . . . . . . . . . 389 B. Zusammenfassung des wesentlichen Ertrags in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einführung
27
A. Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 B. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Kapitel 2 Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
34
A. Gesellschafts- und Internationalprivatrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Definition eines grenzüberschreitenden Formwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II.
Charakteristika eines grenzüberschreitenden Formwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
III. Semantische Klarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. „Grenzüberschreitender Formwechsel“ vs. „Grenzüberschreitende Umwandlung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. „Grenzüberschreitender Formwechsel“ vs. „Grenzüberschreitende Satzungssitzverlegung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3. Varia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 IV. Motive für grenzüberschreitende Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Grenzüberschreitender Formwechsel unter simultaner Verwaltungssitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Rechtliche Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Betriebswirtschaftliche Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Isolierter grenzüberschreitender Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 V.
Voraussetzungen eines grenzüberschreitenden Formwechsels von Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Determinierung des nationalen Kollisionsrecht durch die Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 c) Kollisionsrechtliche Implikationen durch das MoMiG . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 aa) Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
14
Inhaltsverzeichnis bb) Bedeutung für die Zulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel
54
cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 d) Folgen für den grenzüberschreitenden Formwechsel aus Deutschland hinaus und vice versa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 VI. Anzuwendendes Recht: Kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie . . . . . . . . . . . . 59 B. Niederlassungsfreiheit und grenzüberschreitende Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I. II.
Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Schutz grenzüberschreitender Formwechsel durch die Niederlassungsfreiheit . . . 64
III. Reichweite der „Formwechselfreiheit“: Diskriminierungs- vs. Beschränkungsverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 IV. Schranken der Rechtswahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 C. Betroffenheit der Stakeholder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I.
Betroffenheit der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Gefahr des Bestandsverlusts der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Gefahr der Beeinträchtigung des Gehalts der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . 75 a) Formwechselspezifische Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 b) Spezifisch aus dem grenzüberschreitenden Kontext resultierende Gefahren 78
II.
Betroffenheit der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Gefahr der Beeinträchtigung des Bestands von Gläubigerrechten . . . . . . . . . . 80 2. Gefahr der Beeinträchtigung des Gehalts von Gläubigerrechten . . . . . . . . . . . 81 a) Änderung der Verbandsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Verfahrensrechtliche Verschlechterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 c) Erschwerung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 d) Änderung des Insolvenzstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
III. Betroffenheit der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Individualarbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Verlegung von Arbeitsplätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Rechtsstellung der Arbeitnehmer als Gläubiger der Gesellschaft . . . . . . . . . . . 90 4. Arbeitnehmermitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) Betriebliche Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Unternehmerische Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 aa) Grundlagen der unternehmerischen Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Unternehmerische Mitbestimmung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 94 cc) Kollisionsrechtliche Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 dd) Grenzüberschreitender Formwechsel als Vehikel zur Mitbestimmungsvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Inhaltsverzeichnis
15
IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 D. Zusammenfassung in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
Kapitel 3 Das Verfahren für grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
103
A. Hintergrund der Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I.
Rechtsunsicherheit als Mobilitätshemmnis für Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . 105
II. Rechtsunsicherheit als Ursache für unzureichenden Stakeholder-Schutz . . . . . . . 108 III. Legislative Intention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Mobilitäts-RL und Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 I.
Kollisionsrechtliche Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
II.
Kodifikation der Vereinigungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
C. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Räumlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II.
Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Sonderfall: Societas Europaea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Abgrenzung zur Sitzverlegung nach Art. 8 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Grenzüberschreitender Formwechsel nach der Mobilitäts-RL . . . . . . . . . . . 114 aa) SE als Ausgangsrechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 bb) SE als Zielrechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
D. Das Verfahren im Wegzugsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 I. II.
Formwechselplan (Art. 86d GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Formwechselbericht (Art. 86e GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Struktur des Formwechselberichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Verzichtsmöglichkeit und Entbehrlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Verzicht auf den Bericht(-sabschnitt) für die Gesellschafter (Art. 86e Abs. 4 S. 1 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Mitgliedstaatenoption: Entbehrlichkeit des Berichts(-abschnitts) für die Gesellschafter bei Einpersonengesellschaften (Art. 86e Abs. 4 S. 2 GesRRL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Auslegung der Mitgliedstaatenoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 bb) Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) Entbehrlichkeit des Berichts(-abschnitts) für die Arbeitnehmer (Art. 86e Abs. 8 GesR-RL) und Verzichtbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 aa) Entbehrlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
16
Inhaltsverzeichnis bb) Verzichtbarkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 d) Entbehrlichkeit des Allgemeinen Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 III. Formwechselbeschluss (Art. 86h GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 IV. Rechtmäßigkeits- und Missbrauchskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
E. Das Verfahren im Zuzugsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I.
Verknüpfung der Verfahren im Wegzugs- und Zuzugsstaat: Vorabbescheinigung (Art. 86m GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
II.
Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
F. Zusammenfassung in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
Kapitel 4 Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
134
A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 I. Funktion der Stakeholder-Schutzvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 II.
Wirkung der Stakeholder-Schutzvorschriften: Vollharmonisierung oder Mindestharmonisierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
B. Stakeholder-Schutz durch Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 I. II.
Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
III. Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 C. Schutz der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 I.
Mitentscheidungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Quorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Mitgliedstaatenoption: Zustimmung von Gesellschaftern, deren wirtschaftliche Verpflichtungen durch grenzüberschreitenden Formwechsel zunehmen 148
II.
3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Anfechtung des Wegzugsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Anfechtungsausschluss (Art. 86h Abs. 5 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Die angebotene Barabfindung ist unangemessen (Art. 86h Abs. 5 lit. a GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 aa) Anfechtungsausschluss bei zu niedrig bemessenem oder formal fehlerhaftem Barabfindungsangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 bb) Anfechtungsausschluss bei zu hoch bemessenem Barabfindungsangebot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Inhaltsverzeichnis
17
III. Austrittsrecht gegen Barabfindung (Art. 86i Abs. 1 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Anspruchsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 aa) Grundsatz (Art. 86i Abs. 1 UAbs. 1 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 bb) Mitgliedstaatenoption: Erfordernis eines Widerspruchs zur Niederschrift anstelle einer dokumentierten Ablehnung (Art. 86i Abs. 1 UAbs. 3 S. 2 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (1) Reichweite der Mitgliedstaatenoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (2) Stellungnahme zur Mitgliedstaatenoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 cc) Abfindungsberechtigung von dissentierenden Gesellschaftern ohne Widerspruch zur Niederschrift? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 dd) Mitgliedstaatenoption: Erweiterung der anspruchsberechtigten Gesellschafter (Art. 86i Abs. 1 UAbs. 2 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (1) Abwesende Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (2) Stimmrechtlose Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Anspruchsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Vollzug des Barabfindungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Rechtsnatur des Barabfindungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Angebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 c) Austrittserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 aa) Rechtsnatur der Austrittserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (1) Austrittserklärung als Annahme des Barabfindungsangebots? . . . . 168 (2) Austrittserklärung als materielle Voraussetzung des Barabfindungsrechts und für die Antragsberechtigung im Spruchverfahren 171 (a) Rechtsdogmatische Einordnung der Austrittserklärung . . . . . . . 171 (b) Bindungswirkung der Austrittserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 bb) Verhältnis der Austrittserklärung zum Widerspruch zur Niederschrift 173 cc) Frist zur Erklärung des Austritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 d) Annahme des Barabfindungsangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3. Prozessuale Durchsetzung (Art. 86h Abs. 5 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Verfahrensbeteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Antragsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 c) Mitgliedstaatenoption: Erga-omes-Wirkung der Entscheidung über die Angemessenheit der Barabfindung (Art. 86i Abs. 4 UAbs. 2 GesR-RL) . . . 178 d) Anwendbares Recht und Gerichtsstand (Art. 86i Abs. 5 GesR-RL) . . . . . . 180 aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 bb) Verhältnis zu Art. 24 Nr. 2 EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 IV. Stellung der Sonderrechtsinhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 a) Bedürfnis nach Sonderrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
18
Inhaltsverzeichnis b) Anfechtungsausschluss in der Mobilitäts-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 aa) Systematischer Vergleich zum Anfechtungsausschluss bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 bb) Auslegung nach Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Übertragbarkeit des deutschen Sonderrechtsregimes auf grenzüberschreitende Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Keine Normierung von individuellen Zustimmungsrechten . . . . . . . . . . . . . 188 b) Übertragbarkeit für innerstaatliche Formwechsel geltenden individuellen Zustimmungsrechten auf den grenzüberschreitenden Formwechsel . . . . . . 188 c) Vorschlag: Individuelle Zustimmungsrechte für Sonderrechtsinhaber . . . . . 189 3. Vermögensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Rechtslage in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Übertragbarkeit auf grenzüberschreitende Formwechsel und unionsrechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 V.
Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
D. Schutz der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 I. Begrenzung des materiellen Schutzes auf Altgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II.
Gläubigerschutz durch Begrenzung des Anwendungsbereichs für Gesellschaften in wirtschaftlichen Schwierigkeiten (Art. 86a Abs. III, IV GesR-RL) . . . . . . . . . 195 1. Obligatorische Bereichsausnahmen (Art. 86a Abs. 3 GesR-RL) . . . . . . . . . . . 196 2. Fakultative Bereichsausnahmen (Art. 86a Abs. 4 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . 197
III. Perpetuierung des Gerichtsstands im Wegzugsstaat (Art. 86j Abs. 4 GesR-RL)
198
1. Reichweite des besonderen Gerichtsstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 2. Verhältnis zu EuGVVO-Gerichtsständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Verhältnis zu ausschließlichen EuGVVO-Gerichtsständen . . . . . . . . . . . . . 201 aa) Vorrang von Art. 86j Abs. 4 GesR-RL vor ausschließlichen EuGVVOGerichtsständen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 bb) Vorrang ausschließlicher EuGVVO-Gerichtsstände vor Art. 86j Abs. 4 GesR-RL? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 cc) Parallele Anwendbarkeit von Art. 86j Abs. 4 GesR-RL neben ausschließlichen EuGVVO-Gerichtsständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 IV. Verhältnis des besonderen Gerichtsstands im Falle einer Prorogation oder Derogation des Gerichtsstands im Wegzugsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 V. Anspruch auf Sicherheitsleistung (Art. 86j Abs. 1 UAbs. 2 GesR-RL) . . . . . . . . 206 1. Schutzkonzept: Vorgelagert oder nachgelagerter Schutz oder mitgliedstaatliches Wahlrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Bedeutung des Formwechselplans für den Anspruch auf Sicherheitsleistung 212 3. Anspruchsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Inhaltsverzeichnis
19
4. Anspruchsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 a) Erfüllungsgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 bb) Modell des Kommissionsentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 cc) Voraussetzungen für eine Erfüllungsgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 b) Unangemessenheit der angebotenen Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 5. Prozessuale Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 6. Abhängigkeit vom Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels (Art. 86j Abs. 1 UAbs. 3 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 a) Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels als aufschiebende Bedingung für Gewährung von Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) Rückforderungsanspruch bei Unwirksamkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 VI. Mitgliedstaatenoption: Solvenzerklärung (Art. 86j Abs. 2 GesR-RL) . . . . . . . . . 224 VII. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 E. Schutz der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. II.
Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Grundsatz: Anwendung des Mitbestimmungsrechts des Zuzugsstaats (Art. 86 Abs. 1 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
III. Aufrechterhaltung des mitbestimmungsrechtlichen status quo: Verhandlungsund Auffanglösung (Art. 86l Abs. 2 – 6 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Mitbestimmungsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Auffanglösung beim Scheitern der Mitbestimmungsverhandlungen . . . . . . . . 232 a) Anwendung des Mitbestimmungsrechts des Wegzugsstaates bei fruchtlosem Zeitablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Anwendung des Mitbestimmungsrechts des Zuzugsstaats bei Nichteröffnung oder Abbruch der Verhandlungen (Art. 86l Abs. 4 lit. a GesR-RL) 233 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 3. Verhandlungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 a) Materielle Mitbestimmungsreduzierung (Art. 86l Abs. 2 lit. a) GesR-RL)
235
b) Benachteiligung von ausländischen Arbeitnehmern (Art. 86l Abs. 2 lit. b) GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 c) Flexibler Schwellenwert (Art. 86l Abs. 2 S. 1 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . 237 aa) Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 bb) Bewertung des flexiblen Schwellenwerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 4. Bewertung der Verhandlungs- und Auffanglösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 IV. De lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Möglichkeit zum unmittelbaren Übergang zur Auffanglösung . . . . . . . . . . . . 242 2. Niedriger Schwellenwert bei Herausformwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
20
Inhaltsverzeichnis 3. Ergänzung einer Verhandlungspflicht beim nachträglichen Erreichen einer mitbestimmungsrelevanten Schwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 a) Vorschlag aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 c) Konkrete Ausgestaltung einer nachgelagerten Verhandlungspflicht . . . . . . 246 aa) Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 bb) Vorzüge dieses Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 cc) Verweis auf Mitbestimmungsrecht des Zuzugsstaats . . . . . . . . . . . . . . . 248 dd) Berechnung des Schwellenwerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 ee) Nachgelagerte Verhandlungspflicht in Deutschland im Wege der überschießenden Umsetzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 V. Perpetuierungsklausel (Art. 86l Abs. 7 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 VI. Mitgliedstaatenoption: Begrenzung der Auffanglösung auf Drittelparität (Art. 86l Abs. 4 lit. b) GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
F. Verbot missbräuchlicher Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 I.
Fraus legis vs. Missbrauch der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
II.
Primärrechtlicher Hintergrund des Missbrauchs der Niederlassungsfreiheit . . . . 254 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Anwendung auf den grenzüberschreitenden Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . 257
III. Genese der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 IV. Verabschiedete Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 1. Erste Stufe: Summarische Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
V.
2. Zweite Stufe: Vertiefte Prüfung bei ernsthaften Bedenken (Art. 86m Abs. 9 GesR-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Auslegung der Missbrauchsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Allgemeine Direktiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2. Potentielle Missbrauchsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Isolierter grenzüberschreitender Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Missbrauch durch Steuerhinterziehung und Steuervermeidung? . . . . . . . . . 265 c) Umgehung von Stakeholder-Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
VI. Ausgestaltung der Missbrauchskontrolle in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 1. Rechtssicherheit durch Ausformung des Missbrauchsbegriffs? . . . . . . . . . . . . 271 2. Herausforderungen einer nationalstaatlichen Begriffsausformung . . . . . . . . . . 271 3. Vermutung gegen Missbrauch bei wirtschaftlicher Tätigkeit im Zuzugsstaat
272
VII. Rechtspolitisches Desiderat: Unionsrechtliches Erfordernis eines genuine link zum Zuzugsstaat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Vorschlag aus der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
Inhaltsverzeichnis
21
3. Vereinbarkeit eines genuine-link-Erfordernisses mit der Niederlassungsfreiheit 274 a) Statuierung durch die Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 b) Statuierung durch den Europäischen Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 aa) Bindung an die Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 bb) Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 G. Zusammenfassung in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
Kapitel 5 Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
281
A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata . . . . 285 I. Zulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften 285 1. Sachrechtliche Sitzbestimmung bei Personengesellschaften und Auswirkungen auf die Gesellschaftsmobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Kollisionsrecht der Personengesellschaften und Auswirkungen auf die Gesellschaftsmobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 a) Deutschrechtliche Grundlagen und Determinierung des Kollisionsrechts durch die Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 aa) Kollisionsrechtliche Implikationen durch das MoMiG . . . . . . . . . . . . . 289 (1) Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 bb) MoPeG und Internationales Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 (1) Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 b) Fazit und Folgen für die Zulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 II.
Betroffenheit der Stakeholder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 1. Grenzüberschreitender Formwechsel von einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 a) Betroffenheit der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 aa) Kein Schutzbedürfnis unter Geltung des Einstimmigkeitsprinzips . . . . 296 bb) Schutzbedürfnis bei gesellschaftsvertraglich vereinbarter Mehrheitsklausel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 cc) Spezifika bei einer Personengesellschaft als Ausgangsrechtsträger . . . 298 b) Betroffenheit der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 c) Betroffenheit der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 aa) Mitbestimmungsfreiheit von Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . 300 bb) Sonderfall: Mittelbare Mitbestimmung bei Kapitalgesellschaft & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
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Inhaltsverzeichnis cc) Vollkommene Mitbestimmungsfreiheit: Ausländische Kapitalgesellschaft & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 dd) Folgen für den grenzüberschreitenden Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . 302 2. Grenzüberschreitender Formwechsel von einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 a) Betroffenheit der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 b) Betroffenheit der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 c) Betroffenheit der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 3. Grenzüberschreitender Formwechsel von einer Personengesellschaft in eine Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 III. Exkurs: Innerstaatlicher Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 IV. Taugliche Ausgangs- und Zielrechtsträger beim grenzüberschreitenden Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 1. Taugliche Rechtsträger beim Herausformwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 a) Begrenzung auf in § 191 Abs. 2 UmwG genannte Rechtsträger? . . . . . . . . 307 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 2. Taugliche Rechtsträger beim Hereinformwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 a) Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 c) Änderungen durch das MoPeG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 aa) Registrierte Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 bb) Nicht registrierte Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 V.
3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Anzuwendendes Regelungsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 1. Grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft und vice versa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 a) Herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 2. Grenzüberschreitender Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 a) Herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Gegenauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 c) Entscheidung des OLG Oldenburg für den Hereinformwechsel . . . . . . . . . 317 d) Entscheidung des Österreichischen Obersten Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . 319 e) Stellungnahme zum Hereinformwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 aa) Allgemeine Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 bb) Rekurs auf die „Wechselbalgtheorie“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 cc) Praktische Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 dd) Auswirkungen des MoPeG: Analoge Anwendung der Vorschriften zum Statutenwechsel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
Inhaltsverzeichnis
23
f) Stellungnahme zum Herausformwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 aa) Allgemeine Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 bb) Anzuwendende Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 3. Fazit zur lex lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 B. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege ferenda: Überschießende Umsetzung der Mobilitäts-RL auf Personengesellschaften? . . . . . . . 331 I.
Rechtspolitische Diskussion: Überschießende Umsetzung auf Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 1. Grundlagen einer überschießenden Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 2. Grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften ohne überschießende Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 a) Abstinenz von Verfahrensvorschriften als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 b) Möglichkeit eines „Kettenformwechsels“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 c) Analoge Anwendung der (zukünftigen) nationalen Vorschriften für grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . 336 aa) Gesamtanalogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 bb) Einzelfallanalogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 3. Stellungnahme zur überschießenden Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 a) Hintergrund der Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 b) Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 aa) Praktisches Bedürfnis nach grenzüberschreitender Mobilität . . . . . . . . 341 bb) Stärkung des Stakeholderschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 cc) Besonderheiten des Personengesellschaftsrechts als Differenzierungskriterium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 dd) Wirksamkeit einer überschießenden Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 ee) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
II.
Umfang der überschießenden Umsetzung: Begrenzung auf Hereinformwechsel und registrierte Gesellschaften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 1. Begrenzung auf Hereinformwechsel: Vorbild 4. UmwGÄndG? . . . . . . . . . . . . 346 2. Begrenzung auf registrierte Gesellschaften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
C. Übertragbarkeit der durch die Mobilitäts-RL harmonisierten Vorschriften auf Personengesellschaften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 I. Formwechselverfahren bei Hereinformwechseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 II.
Formwechselverfahren bei Herausformwechseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 1. Herausformwechsel einer deutschen Personengesellschaft in eine ausländische Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 a) Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 b) Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 c) Sachverständigenbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
24
Inhaltsverzeichnis d) Formwechselbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 e) Rechtmäßigkeits- und Missbrauchskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 2. Herausformwechsel einer deutschen Personengesellschaft in eine ausländische Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 3. Herausformwechsel einer deutschen Kapitalgesellschaft in eine ausländische Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 III. Schutz der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 1. Personengesellschaft als Zielrechtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 2. Kapitalgesellschaft als Zielrechtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 IV. Schutz der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 1. Anspruch auf Sicherheitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 V.
2. Umwandlungsrechtliche Nachhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Schutz der unternehmerischen Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 1. Grenzüberschreitender Formwechsel von einer Kapital- in eine Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 a) Deutsche Kapitalgesellschaft als Ausgangsrechtsform und ausländische Personengesellschaft als Zielrechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 b) Ausländische Kapitalgesellschaft als Ausgangsrechtsform und deutsche Personengesellschaft als Zielrechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 2. Grenzüberschreitender Formwechsel von einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 a) Deutsche Personengesellschaft als Ausgangsrechtsform und ausländische Kapitalgesellschaft als Zielrechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 b) Ausländische Personengesellschaft als Ausgangsrechtsform und deutsche Kapitalgesellschaft als Zielrechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 3. Grenzüberschreitender Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 4. Sonderfall: Beteiligung einer Kapitalgesellschaft & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . 359 a) Herausformwechsel einer mittelbar mitbestimmten KG . . . . . . . . . . . . . . . 359 b) Herausformwechsel der mitbestimmten Komplementär-Gesellschaft . . . . . 361 c) Hereinformwechsel in eine KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
D. Zusammenfassung in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364
Kapitel 6 Quo vadis Europäisches Gesellschaftsrecht: Rechtspolitische Desiderata
366
A. Ausbau der GesR-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 I. II.
Erstreckung auf Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 Erstreckung auf Spaltungen zur Aufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
Inhaltsverzeichnis
25
B. Schaffung sachrechtlicher Grundlagen für grenzüberschreitende Formwechsel mit Drittstaaten-Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 I.
Gesellschaftsrechtliche Unzulässigkeit von grenzüberschreitenden Formwechseln mit Drittstaaten-Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
II.
Notwendigkeit der Schaffung von sachrechtlicher Grundlagen für grenzüberschreitende Formwechsel mit Drittstaaten-Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
C. Harmonisierung rechtsformwahrender Verwaltungssitzverlegungen? . . . . . . . . . . . . . 371 I. II.
Ausgangspunkt: Unterschiedliche Behandlung von Wegzugs- und Zuzugsfällen 371 Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 1. Keine weitergehenden Interessensbeeinträchtigungen beim rechtsformwahrenden Wegzug als beim rechtsformwahrenden Zuzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 2. Auflösung im Wegzugsstaat dient nicht ausländischen Stakeholder-Interessen 373 3. Rechtsformwahrende Verwaltungssitzverlegung als letztes Puzzleteil für einen ungehinderten Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . 375
III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 D. Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 I. II.
Unvereinheitlichtes Kollisionsrecht als Mobilitätshindernis . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Regelungsvorschlag:Vorzugswürdigkeit der Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . 379
III. Ausgestaltung des vereinheitlichten Gesellschaftskollisionsrechts . . . . . . . . . . . . 381 1. Reichweite: Erstreckung auf Drittstaatengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 2. Anknüpfungsmoment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 3. Schutz von Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 a) Flankierung durch materielles Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 b) Nationales Sachrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 c) Sonderanknüpfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 IV. Durchführung der Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 V. Alternative: Kodifizierung des deutschen Internationalen Gesellschaftsrechts . . . 386 E. Zusammenfassung in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
Kapitel 7 Schlussbetrachtung und Zusammenfassung des wesentlichen Ertrags in Thesenform
388
A. Schlussbetrachtung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 I.
Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
II.
Harmonisierung grenzüberschreitender Formwechsel als Startschuss für einen ungehinderten „Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen“? . . . . . . . . . . . . 389
B. Zusammenfassung des wesentlichen Ertrags in Thesenform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
26
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
Kapitel 1
Einführung „Das Problem der Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften über die nationalen Grenzen hinweg innerhalb der EG ist eine offene Wunde (…). Der Erfolg [der Heilung dieser Wunde] wäre groß und in seinen rechtlichen Voraussetzungen relativ leicht zu erreichen; die Wirkungen für die Gemeinschaft und die Realität des Binnenmarktes wären bedeutend.“1
A. Stand der Forschung Grenzüberschreitende Formwechsel sind seit vielen Jahrzehnten2 ein bedeutsamer Gegenstand des rechtswissenschaftlichen Diskurses, der nie an Aktualität eingebüßt hat. Die Anzahl an Entscheidungen der deutschen Rechtsprechung3 sowie an
1 Lutter, ZGR 1992, 435, 448 f. In dem später erschienenen Beitrag Lutter, in: Semler/ Hommelhoff (Hrsg.), Reformbedarf im Aktienrecht: 4. Deutsch-Österreichisches Symposion zum Gesellschaftsrecht auf dem Lämmerbuckel, 121, 125 f. plädiert Lutter für eine der Verabschiedung einer „Sitzverlegungsrichtlinie“ vorgelagerte Angleichung der nationalen Gesellschaftsrechte, um den Stimmen, die durch eine weitgehende Rechtsformwahlfreiheit ein „race to the bottom“ des Gesellschaftsrechts befürchten, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zu der Gefahr eines gesellschaftsrechtlichen „race to the bottom“ unter: Kap. 7, A, II (S. 389 ff.). 2 Vgl. nur die frühe Monografie zu dieser Thematik aus dem Jahr 1940: Bindschedler, Der Nationalitätswechsel der Aktiengesellschaft, passim; vgl. auch den Beitrag Hamel, RabelsZ 2 (1928), 1002 ff., der u. a. auf den Fall, dass eine – entsprechend den damaligen Landesgrenzen – nach deutschem Recht gegründete, elsass-lothringische Gesellschaft ihren Sitz nach Ende des Ersten Weltkrieges angesichts der Gebietsabtretung Elsass-Lothringens an Frankreich identitätswahrend nach Villingen verlegt, Bezug nimmt. 3 Aus der deutschen obergerichtlichen Rechtsprechung zu grenzüberschreitenden Formwechseln von Kapitalgesellschaften etwa: OLG München, Beschl. v. 04. 10. 2007 – 31 Wx 36/ 07, DNotZ 2008, 397 ff.; OLG Nürnberg, Beschl. v. 13. 02. 2012 – 12 W 2361/11, WM 2012, 993 ff.; OLG Nürnberg, Beschl. v. 19. 06. 2013 – 12 W 520/13, BeckRS 2014, 1288; KG Berlin, Beschl. v. 21. 03. 2016 – 22 W 64/15, NZG 2016, 834 ff.; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 03. 01. 2017 – 20 W 88/15, MittBayNot 2017, 281 ff.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19. 07. 2017 – I-3 Wx 171/16, DStR 2017, 2345 f.; jüngst zur Rechtslage im Interimszeitraum zwischen Verabschiedung des harmonisierten Rechtsrahmens und seiner Umsetzung in deutsches Recht: OLG Saarbrücken, Beschl. v. 07. 01. 2020 – 5 W 79/19, BWNotZ 2020, 70 ff.; im Hinblick auf einen grenzüberschreitenden Formwechsel von Personengesellschaften unlängst die erste obergerichtliche Stellungnahme bei OLG Oldenburg, Beschl. v. 30. 06. 2020 – 12 W 23/20, BeckRS 2020, 14441.
28
Kap. 1: Einführung
Stellungnahmen aus der Literatur4 zu der (noch) geltenden, maßgeblich durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs5 geprägten Rechtslage,6 ist Legion.7 Während zu Beginn der Diskussion die Fragen nach der Zulässigkeit8 grenzüberschreitender Formwechsel und der Reichweite ihres Schutzes durch das Primärrecht9 im Mittelpunkt standen, geht es nach der sukzessiven Ausfüllung der Niederlassungsfreiheit durch den EuGH nur noch um das „Wie“10 einer solchen Umwandlung11. Die zahllosen in Bezug darauf veröffentlichten Beiträge12 sind allerdings unlängst im Hinblick auf die für Kapitalgesellschaften geltende Rechtslage in weiten Teilen 4 Allein monographisch: Loose, Grenzüberschreitender Formwechsel von Kapitalgesellschaften, S. 42 ff.; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 42 ff.; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 144 ff., 238 ff.; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 71 ff., 103 ff.; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 130 ff.; Feldmann, Grenzüberschreitende Umwandlungen von Gesellschaften in der Europäischen Union, S. 238 ff., 350 ff.; Wasmeier, Grenzüberschreitende Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften durch Sitzverlegung und formwechselnde Umwandlung, S. 64 ff.; v. Bismarck, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften in Europa, S. 55 ff.; Petanidis, Die grenzüberschreitende Umstrukturierung von Gesellschaften, S. 391 ff.; M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 30 ff.; jüngst auch: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 19 ff.; in Bezug auf Personengesellschaften: Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 222 ff. 5 Im Folgenden: EuGH. 6 Zum Einfluss der Niederlassungsfreiheit auf die Zulässigkeit grenzüberschreitende Formwechsel unter: Kap. 2, B, II (S. 60 ff.). 7 Vgl. die nach Karl Valentin zitierte Bestandsaufnahme zur Literatur der Generalanwältin Kokott, Schussanträge v. 04. 05. 2017, Polbud, C-378/10, ECLI:EU:C:2017:351, Rn. 4: „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen“. 8 Vgl. beispielsweise die ablehnende Haltung des OLG Zweibrücken, Beschl. v. 27. 06. 1990 – 3 W 43/90, DB 1990, 1660 f.; zurückhaltend auch: Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 644 ff.; vgl. bereits die im Jahr 1916 vom RG, Urt. v. 22. 01. 1916, V 293/15, RGZ 88, 53, 54 f. getätigten abschlägigen Äußerungen zu einer Sitzverlegung zwischen zwei deutschen Bundesstaaten, die freilich weit vor Inkrafttreten der Niederlassungsfreiheit getätigt worden sind; bereits früh für die Zulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel (in der damaligen Terminologie: „Sitzverlegung“ bzw. „nationalitätsändernde Sitzverlegung“) und dem Schutz solcher Umwandlungen durch die Niederlassungsfreiheit: Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 870 f.; Lutter, ZGR 1994, 87, 91; KnobbeKeuk, ZHR 154 (1990), 325, 334 ff.; jüngst hat beispielsweise das OLG Saarbrücken, Beschl. v. 07. 01. 2020 – 5 W 79/19, NZG 2020, 390, 391 auf die prinzipielle Zulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel hingewiesen. 9 Hierzu unter: Kap. 2, B, II (S. 64 ff.), III (S. 66 ff.). 10 Hierzu in Bezug auf Personengesellschaften unter: Kap. 5, A, V (S. 312 ff.). 11 Zur den terminologischen Unterschieden zwischen „Formwechsel“ und „Umwandlung“ sogleich unter: Kap. 2, A, III, 1 (S. 39 f.) 12 Statt aller: Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2051 ff.; Verse, ZEuP 2013, 458, 484 ff., 488 ff.; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 763 f., jeweils m. w. N.
A. Stand der Forschung
29
durch die europäische Rechtsentwicklung überholt worden. Im Jahr 2019 haben die Europäische Kommission13, das Europäische Parlament14 sowie der Rat der Europäischen Union15 das „Company Law Package“16 verabschiedet und sich damit eines der herausforderndsten und drängendsten Themen des Internationalen Gesellschaftsrechts angenommen. Das in nur eineinhalb Jahren geschnürte17 Gesetzespaket besteht aus zwei (Änderungs-)Richtlinien zur bereits bestehenden Richtlinie (EU) 2017/1132 („Gesellschaftsrechtsrichtlinie“)18, welche die Einführung digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht19 sowie die grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen20 (im Folgenden: MobilitätsRL21) betreffen. Durch die Mobilitäts-RL sind die Regelungen für grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen von Kapitalgesellschaften mit Wirkung zum 31. 01. 202322 harmonisiert worden. Darüber hinaus wurden punktuelle Änderungen im Recht der bereits vereinheitlichten23 grenzüberschreitenden Verschmelzungen vorgenommen.
13
Im Folgenden: Kommission. Im Folgenden: Parlament. 15 Im Folgenden: Rat. 16 Vgl. die Terminologie der Kommission unter: https://ec.europa.eu/info/publications/com pany-law-package_en; zuletzt abgerufen am: 15. 02. 2022. 17 Die Gesetzgebungshistorie prägnant zusammenfassend: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 173 ff. 18 Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 30. 06. 2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. 2017, L 169, 46; im Folgenden: GesRRL. 19 Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20. 06. 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132/EU im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht, ABl. 2019, L 186, 80; im Folgenden: DigitalisierungsRL. 20 Richtlinie (EU) 2019/2121 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 27. November 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ABl. 2019, L 321, 1. 21 „Mobilität“ meint damit nicht die tatsächliche Mobilität, sondern rechtliche Mobilität, vgl. zu dieser Unterscheidung: Hoffmann, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack (Hrsg.), BGB, Anhang zu Art. 12 EGBGB Rn. 45. Auf grenzüberschreitende Formwechsel gemünzt meint dies die Mobilität im Sinne einer (nachträglichen) Freiheit der Rechtswahl innerhalb des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit. Zur inneren Rechtfertigung einer freien Rechtswahl: Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 296 f. 22 Bis dahin haben die Mitgliedstaaten Zeit, die Richtlinie in nationales Recht zu transformieren, Art. 3 Abs. 1 S. 1 Mobilitäts-RL. 23 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABl. 2005, L 310, 1; im Folgenden: CBMD (cross-border mergers directive). Die Richtlinie ist mittlerweile in der GesR-RL aufgegangen. 14
30
Kap. 1: Einführung
Mit der Mobilitäts-RL erfüllt der Europäische Gesetzgeber eine seit langem24 nachdrücklich25 geäußerte rechtspolitische Forderung. Es verwundert nicht, dass die Mobilitäts-RL auf ein breites Echo in der Literatur gestoßen ist und bereits in der Rechtsprechung26 Berücksichtigung gefunden hat. Durch sie wurde auch ein Schlaglicht auf die weiterhin unklare Ausgestaltung grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften geworfen. Angesichts der hierdurch befeuerten Dynamik im Europäischen Umwandlungsrecht bietet die Harmonisierung grenzüberschreitender Formwechsel den Anlass für die vorliegende Arbeit.
B. Gegenstand der Untersuchung Gegenstand der Untersuchung ist zum einen der durch die Mobilitäts-RL vereinheitlichte Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften innerhalb der Europäischen Union.27 Zum anderen stehen die Aufarbeitung der lex lata für die weiterhin nicht harmonisierten grenzüberschreitenden Formwechsel von Personengesellschaften sowie die Frage nach der Übertragbarkeit der in der Mobilitäts-RL enthaltenen Regelungen auf Personengesellschaften im Mittelpunkt.28 Die Harmonisierung grenzüberschreitender Formwechsel von Kapitalgesellschaften begründet ein beträchtliches Bedürfnis für eine Betrachtung dieses neuen Normenkomplexes. Da der Europäische Gesetzgeber sich bei der Mobilitäts-RL für die Regelungsform einer Richtlinie und nicht für den Erlass einer unmittelbar anwendbaren29 Verordnung entschieden hat, stehen die Mitgliedstaaten vor der Herausforderung, diese adäquat in ihre nationalen Rechtsordnungen – in concreto das Umwandlungsgesetz30 – zu transformieren.31 Hierbei gilt es zu beleuchten, inwiefern 24 Vgl. nur die 30 Jahre alte Forderung von: Lutter, ZGR 1992, 435, 449; ähnlich früh bereits: Behrens, ZGR 1994, 1, 22 f. 25 Siehe hierzu die Nachweise in Fn. 476. 26 Vgl. zur Frage einer etwaigen Vorwirkung der Richtlinie: OLG Saarbrücken, Beschl. v. 07. 01. 2020 – 5 W 79/19, BWNotZ 2020, 70 ff. 27 Hierzu: Kap. 3 (S. 71 ff.), Kap. 4 (S. 101 ff.). 28 Hierzu: Kap. 5 (S. 245 ff.). 29 Vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV. Allgemein zur Wirkungsweise von Verordnungen: Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 288 AEUV Rn. 99 ff.; Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 39 ff.; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 85. 30 Nachfolgend: UmwG. 31 Vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV, nach dem eine Richtlinie nicht unmittelbare Wirkung entfaltet, sondern von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden muss. Allgemein zur Wirkungsweise von Richtlinien: Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 288 AEUV Rn. 104 ff.; Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 53; Ruffert, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 24.
B. Gegenstand der Untersuchung
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aus deutscher Perspektive von Mitgliedstaatenoptionen Gebrauch gemacht werden sollte und wie etwaig bestehende Regelungslücken ausgefüllt werden können. Darüber hinaus wirft die Mobilitäts-RL eine Vielzahl von noch ungeklärten Fragestellungen auf.32 Ein besonderes Augenmerk ist auf die komplexe Thematik zu legen, ob die schutzwürdigen Interessen von (Minderheits-)Gesellschaftern, Gläubigern und Arbeitnehmern durch die auf sie zugeschnittenen Schutzvorschriften angemessen abgesichert werden und diese Vorgaben im Einklang mit dem gegenläufigen Bedürfnis der Gesellschaften nach effizienter Gesellschaftsmobilität stehen.33 Bedeutungsvoll ist in diesem Kontext, wie die missbräuchliche Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel effektiv verhindert werden kann bzw. wann eine solche überhaupt besteht.34 Schließlich lässt die Mobilitäts-RL einige gewichtige Fragen offen und überantwortet bedeutsame Bereiche der mitgliedstaatlichen Regelungsautonomie. Dies betrifft insbesondere den von dem Anwendungsbereich der Mobilitäts-RL nicht erfassten grenzüberschreitenden Formwechsel von Personengesellschaften. Die lange rein akademisch erscheinende Debatte, wie ein solcher nach geltender Rechtslage vollzogen wird,35 hat durch das Brennglas des unlängst ergangenen Beschlusses des OLG Oldenburg36, welches sich als erstes deutsches Gericht hierzu positioniert hat, deutlich an Brisanz gewonnen. Aufgrund der legislativen Selbstbescheidung des Europäischen Gesetzgebers gilt es darüber hinaus, die Implikationen der Mobilitäts-RL für diese Form der Gesellschaftsmobilität sowie insbesondere auch die Möglichkeit einer überschießenden Richtlinienumsetzung auf Personengesellschaften auszumessen.37 Die Arbeit beschränkt sich auf eine gesellschaftsrechtliche Betrachtung und klammert die steuer- und bilanzrechtlichen Aspekte eines grenzüberschreitenden Formwechsels aus. Dies gilt umso mehr, als dass bei grenzüberschreitenden Formwechseln steuerrechtlichen Implikationen angesichts der Rechtsträgeridentität vernachlässigbar sind.38 Nicht zum Untersuchungsgegenstand zählen auch die zu einem grenzüberschreitenden Formwechse dichotome rechtsformwahrende grenz-
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Hirte, NJW 2020, 2767, 2774 spricht insoweit von einer „komplexen“ Richtlinie; ähnlich: Luy, BWNotZ 2020, 11, 13. 33 Hierzu: Kap. 4 (S. 101 ff.). 34 Hierzu: Kap. 4, F. (S. 217 ff.). 35 Hierzu: Kap. 5 (S. 245 ff.). 36 OLG Oldenburg, Beschl. v. 30. 06. 2020 – 12 W 23/20, BeckRS 2020, 14441. 37 Hierzu: Kap. 5, B. (S. 295 ff.). 38 Vgl. G. Förster, DStR 2020, 865, 873 (zum Herausformwechsel), 874 (zum Hereinformwechsel); Schönhaus/M. Müller, IStR 2013, 174, 177 ff.; siehe allgemein zum Steurrecht bei grenzüberschreitenden Umstrukturierungen: Schön, in: Hennrichs (Hrsg.), Umstrukturierung und Steuerrecht: 44. Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e. V., 563 ff.
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Kap. 1: Einführung
überschreitende Verlegung des Verwaltungssitzes in das Ausland und vice versa.39 Räumlich beschränkt sich die Arbeit im Einklang mit dem Anwendungsbereich der Mobilitäts-RL auf grenzüberschreitende Formwechsel innerhalb der Europäischen Union und blendet damit Drittstaaten40-Konstellationen aus.41
C. Gang der Untersuchung Die Arbeit zerfällt in sieben Kapitel. Nach der Einführung (Kapitel 1) ist es unerlässlich, in einem zweiten Kapitel die primärrechtlichen Grundlagen grenzüberschreitender Mobilität sowie in Vorbereitung auf die Analyse der StakeholderSchutzvorschriften die durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel hervorgerufene Betroffenheit der Stakeholder42 aufzuzeigen. Das dritte Kapitel widmet sich sodann der durch die Mobilitäts-RL sekundärrechtlich determinierten Rechtslage von grenzüberschreitenden Formwechseln von Kapitalgesellschaften und stellt das Formwechselverfahren vor. Das anschließende Kapitel (4) hat die Analyse der zum Schutze der Interessen von Gesellschaftern, Gläubigern und Arbeitnehmern vorge39
Siehe zur rechtsformwahrenden grenzüberschreitenden Verwaltungssitzverlegung von Kapitalgesellschaften: Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 825 ff., 843 f., Ego, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, Band 7, Europäische Niederlassungsfreiheit, Rn. 50 ff.; J. Schmidt, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt (Hrsg.), GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 13 ff.; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 97 ff., S. 215 ff.; grundlegend zur unionsrechtlichen Perspektive: Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 42 ff.; siehe umfassend zur EuGH Judikatur auch: Druzga, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Gesellschaften innerhalb der Europäischen Union, S. 67 ff.; zur rechtsformwahrenden grenzüberschreitenden Verwaltungssitzverlegung von Personengesellschaften: Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 97 ff.; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 389 ff.; ders., ZGR 2017, 312, 325 ff.; auch im Hinblick auf die zukünftige Rechtslage nach Inkrafttreten der MoPeG-Reform des Personengesellschaftsrechts: Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 483 ff., 494 ff. 40 „Drittstaaten“ meint Staaten, die nicht Mitglied der Europäischen Union und des EWR sind und infolge dessen nicht am Schutzgehalt der Niederlassungsfreiheit partizipieren. 41 Soweit im Folgenden von einem „grenzüberschreitenden Formwechsel“ gesprochen wird, ist daher, wenn nicht anderweitig gekennzeichnet, ein solcher innerhalb der Europäischen Union (EU) gemeint. 42 Unter Stakeholdern versteht man alle Personen bzw. Personengruppen, die von Unternehmensentscheidungen wesentlich betroffen werden („they have something at stake“), vgl. die Definition in der Präambel des Deutschen Corporate Governance Kodexes 2019; siehe zur ökonomischen Begriffsbestimmung auch Teichmann, ZGR 2001, 645, 648 f. dies betrifft im hiesigen Kontext insbesondere Gesellschafter (Kapitalgeber), Gläubiger (vertragliche Beziehungen) und Arbeitnehmer (Zurverfügungstellung von Arbeitskraft) der formwechselnden Gesellschaft. Zu der Betroffenheit dieser Interessensgruppen im Einzelnen unter: Kap. 2, C. (S. 73 ff.).
C. Gang der Untersuchung
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sehenen Schutzinstrumente zum Gegenstand. Mit diesem Passus wird die Betrachtung von Kapitalgesellschaften abgeschlossen. Hieran schließt sich im fünften Kapitel die Untersuchung der durch die Mobilitäts-RL vermittelten Implikationen für grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften an. In einem ersten Teil gilt es, die lex lata zu beleuchten, bevor in dem darauffolgenden Abschnitt (B) de lege ferenda für eine überschießende Umsetzung der Mobilitäts-RL auf Personengesellschaften durch den deutschen Gesetzgeber plädiert wird. Zuletzt (C) wird die Übertragbarkeit der durch die Mobilitäts-RL für Kapitalgesellschaften harmonisierten Vorschriften auf grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften untersucht. Das sechste Kapitel der Arbeit widmet sich den fortbestehenden Hindernissen für grenzüberschreitende Gesellschaftsmobilität. Hier werden rechtspolitische Desiderata für eine weiter vertiefte Binnenmarktintegration im Sinne einer ungehinderten Gesellschaftsmobilität formuliert. Zum Abschluss der Arbeit wird im siebten Kapitel ein Ausblick auf die zukünftige Rechtslage gewagt, bevor der wesentlichen Ertrag der Arbeit in Thesenform dargestellt wird.
Kapitel 2
Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel Aus deutscher Perspektive ist zwischen innerstaatlichen43 Formwechseln, Formwechseln innerhalb der Europäischen Union und des EWR44 sowie Formwechseln von Deutschland in einen Drittstaat und spiegelverkehrt zu differenzieren.45 Das Umwandlungsrecht enthält de lege lata allein Regelungen für den innerstaatlichen Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG). Ein Formwechsel ist trotz des Fehlens einer normativen Verankerung nicht nur innerstaatlich, sondern inzwischen unstreitig46 auch zwischen zwei Gesellschaftsformen, die unterschiedlichen Gesellschaftsstatuten entspringen, verbandsformunabhängig auf Grundlage der primärrechtlich garantierten Niederlassungsfreiheit (Artt. 49, 54 AEUV) möglich.
43 Soweit im Folgenden von innerstaatlichen Formwechseln die Rede ist, beziehen sich die Ausführungen auf innerdeutsche Formwechsel. 44 Vgl. Artt. 31, 34 des EWR-Abkommens, nach denen auch für EWR-Gesellschaften Niederlassungsfreiheit herrscht. Praxisrelevant wird dies für norwegische, liechtensteinische sowie isländische Gesellschaften. 45 Göthel, in: Göthel (Hrsg.), Grenzüberschreitende M&A-Transaktionen, § 28 Rn. 4. 46 Die Stimmen, die dies unter restriktivem Verständnis des § 1 Abs. 1 Nr. 4 UmwG, nach dessen Wortlaut nur Rechtsträger mit Sitz im Inland einen Formwechsel durchführen können, verneinten, sind angesichts der in der Zwischenzeit ergangenen EuGH-Judikatur verstummt. Hierzu: Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 54 Rn. 2; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 43 f. Zur Notwendigkeit einer europarechtskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 UmwG im Wege einer teleologischen Extension auf Rechtsträger einer mitgliedstaatlichen Rechtsordnung: Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 5 Rn. 9; Vossius, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 191 UmwG Rn. 1; vgl. Drygala, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 1 UmwG Rn. 1 ff.; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 167 f.; Loose, JR 2019, 359, 365; Hübner, IPRax 2015, 134, 136; Schall, ZfPW 2016, 407, 428.
A. Gesellschafts- und Internationalprivatrechtliche Grundlagen
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A. Gesellschafts- und Internationalprivatrechtliche Grundlagen I. Definition eines grenzüberschreitenden Formwechsels Als grenzüberschreitender Formwechsel wird ein Vorgang beschrieben, durch den ein nach dem Recht eines Mitgliedstaats bestehender Rechtsträger47 seine Rechtsform unter Verlegung des Satzungssitzes48 in eine neue Rechtsform nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats mit der Folge eines Statutenwechsels49 wechselt.50 Das grenzüberschreitende Element ergibt sich aus der Beteiligung zweier unterschiedlicher mitgliedstaatliche Rechtsordnungen.51 Im Unterschied zu einem innerstaatlichen Formwechsel ändert sich durch den grenzüberschreitenden Formwechsel nicht nur die Verbands- und Haftungsordnung der Gesellschaft,52 sondern auch das Gesellschaftsstatut53 („Diskontinuität des Gesellschaftsstatuts“)54.55 47
Die Bezeichnung „Rechtsträger“ fungiert als Oberbegriff für den oder die direkt an einer Umwandlung beteiligten Rechtssubjekte, vgl. Petersen, in: Dauner-Lieb/Beckmann (Hrsg.), Kölner Kommentar zum UmwG, § 190 UmwG Rn. 4 ff. 48 Unter dem Satzungssitz versteht man den in der Satzung angegebenen und im Register eingetragene Sitz der Gesellschaft: Koch, in: Hüffer/Koch (Hrsg.), AktG, § 5 AktG Rn. 6; Wicke, in: Grigoleit (Hrsg.), AktG, § 5 AktG Rn. 1; Servatius, in: Baumbach/Hueck (Hrsg.), GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 3; Jaeger, in: Ziemons/Jaeger/Pöschke (Hrsg.), Beck-OnlineKommentar GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 2. 49 Unter einem „Statutenwechsel“ wird die Änderung des anwendbaren Sachrechts – in concreto des anwendbaren Gesellschaftsrechts – durch Verlagerung des Anknüpfungsmoments in das Ausland verstanden, Thölke, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 1 Rn. 128; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht I, § 1 Rn. 19; v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 5 Rn. 97. 50 Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 12. 2008, Cartesio, C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723, Rn. 110 – 113, 117; Vossius, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 191 UmwG Rn. 27; Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn. 2; Sparfeld, in: Habersack/Wicke (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar UmwG, § 226 UmwG Rn. 23; Zimmermann, in: Hauschild/Kallrath/Wachter (Hrsg.), Notarhandbuch Gesellschafts- und Unternehmensrecht, § 27 Rn. 45; Huber, in: Kronke/Melis/Kuhn (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Teil K, Kapitel 2 Rn. 279; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 24 Rn. 835; Tschorr, Die Verlegung des Satzungssitzes innerhalb der Europäischen Union, S. 63; Bayer, in: Bergmann/Kiem/Mülbert/Verse/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre SE, 230, 240 ff.; Heckschen, ZIP 2015, 2049; Brandi, BB 2018, 2626; Jaensch, EWS 2007, 97; Thiermann, EuZW 2012, 209, 211; Teichmann, NZG 2019, 241, 242; ders., in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1257; Gerner-Beuerle/Mucciarelli/Schuster/Siems, JCLS 18 (2018), 1. 51 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 14 f. Dieses grenzüberschreitende Element ist allein rechtlicher Natur. Ein tatsächliches grenzüberschreitendes Element ergibt sich erst, wenn mit dem Satzungssitz auch der Verwaltungssitz in den Zuzugsstaat verlegt wird oder dort eine wirtschaftliche Tätigkeit aufgenommen wird. 52 Hennrichs, Formwechsel und Gesamtrechtsnachfolge bei Umwandlungen einschließlich Verschmelzung und Spaltung, S. 31; Mertens, Umwandlung und Universalsukzession, S. 231; K. Schmidt, AcP 191 (1991), 495, 506. 53 „Gesellschaftsstatut“ bzw. „lex societatis“ meint das auf die Gesellschaft anwendbare Gesellschaftsrecht. Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht,
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
Funktional entspricht diese gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahme56 einer Auflösung mit anschließender Neugründung der Gesellschaft im Ausland.57 Plastisch kann ein grenzüberschreitender Formwechsel auch mit einer Änderung der Staatsangehörigkeit bei natürlichen Personen verglichen werden.58
II. Charakteristika eines grenzüberschreitenden Formwechsels Das Proprium eines Formwechsels und sein maßgeblicher Trumpf ist das Identitätsprinzip.59 Danach besteht der Rechtsträger im Zuzugsstaat unverändert fort60 Rn. 17; Heider, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, § 5 AktG Rn. 20; Krafka, in: Drescher/Fleischer/K. Schmidt (Hrsg.), Münchener Kommentar HGB, § 13h HGB Rn. 14; Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 17; Leible, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt (Hrsg.), GmbHG, Band 1, Systematische Darstellung 2 Rn. 3; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 32; Ringe, ECFR 2013, 230, 235; Weller, DStR 2003, 1800; GernerBeuerle/Mucciarelli/Schuster/Siems, JCLS 18 (2018), 1, 4. 54 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 105; Thiermann, EuZW 2012, 209, 212, 55 Heider, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, § 5 AktG Rn. 20; Wertenbruch, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 375. 56 Unter den Begriff der Strukturmaßnahme fallen nationale- und grenzüberschreitende Verschmelzungen, Spaltungen und Formwechsel, Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 33 Rn. 1. 57 Engert, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 4 Rn. 127 („erleichterte Gesellschaftsgründung“); v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht II, § 7 Rn. 97; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 141; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 137, 188; ders., NZG 2012, 936, 938; Teichmann, DB 2012, 2085, 2088; ders./Knaier, GmbHR 2017, 1314, 1319; Knaier, GmbHR 2018, 607, 611; Oechsler, ZIP 2018, 1269, 1271; MarschBarner, in: Blumenberg/Crezelius/Gosch (Hrsg.), Festschrift für Wilhelm Haarmann, 115, 138; Wilhelmi, in: Jochum/Fritzemeyer/Kau (Hrsg.): Festschrift für Kay Hailbronner, 531, 540; Knaier, in: Rupp (Hrsg.): IPR zwischen Tradition und Innovation, 103, 108; vgl. auch die Wortwahl des Generalanwalts Jääskinen, der in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache „Vale“ von einer „grenzüberschreitenden Neugründung einer Gesellschaft“ sprach, Generalanwalt Jääskinen, Schussanträge v. 15. 02. 2011, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2011:841, Rn. 34. 58 Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1257; vgl. auch den Vergleich bei EuGH, Urt. v. 09. 03. 1999, Centros, C212/97, ECLI:EU:C:1999:126, Rn. 20 sowie EuGH, Urt. v. 30. 09. 2003, Inspire Art, C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512, Rn. 97; gegen eine umfassende Parallelität von Staatsangehörigkeit bei natürlichen Personen und dem Personalstatut von Gesellschaften: v. Hein, in: Säcker/Rixecker/ Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Art. 3 EGBGB Rn. 121. 59 Zu den rechtskonstruktiven Möglichkeiten, abweichend vom Identitätsprinzip wirtschaftliche Identität bei Diskontinuität der Verbandsverfassung herzustellen: Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 174 ff. 60 Servatius, in: Baumbach/Hueck (Hrsg.), GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 13; Krafka, in: Krafka (Hrsg.), Registerrecht, Dritter Abschnitt, Rn. 1211a; Stiegler, Grenzüberschreitende
A. Gesellschafts- und Internationalprivatrechtliche Grundlagen
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und wechselt lediglich seine Gesellschaftsform („Rechtskleid“)61 unter Beibehaltung sämtlicher Aktiva und Passiva.62 Es kommt weder zu einer zeit- und kostenintensive Auflösung und Liquidation der Gesellschaft63 noch zu einer Vermögensübertragung.64 Bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel bleiben somit das Vermögen, die Rechtsbeziehungen zu Dritten sowie die Mitgliedschaft unberührt.65 Als Ausfluss dessen bestehen Eigentumspositionen,66 öffentlich-rechtliche Genehmigungen67 und schuldrechtliche Beziehungen68 unverändert fort. Dieser Umstand bedingt eine beSitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 39 ff.; Behme, ZHR 182 (2018), 32, 33 f.; Wachter, DB 2020, 2281, 2289; vgl. Art. 86b Abs. 2 GesR-RL sowie ErwG. 44 Mobilitäts-RL; insoweit missverständlich noch Art. 86s Abs. 1 lit. a des Kommissionsentwurf zum Company Law Package, der im Rahmen eines grenzüberschreitenden Formwechsels zum Teil von einer „Übertragung des gesamten Aktiv- und Passivvermögens“ gesprochen hat, COM (2018) 241 final, S. 68. 61 Diese Metapher geht zurück auf die amtliche Begründung zu den die Umwandlung betreffenden §§ 257 – 287 AktG 1937, abgedruckt in: Klausing, AktG 1937, S. 223. 62 Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 54 Rn. 10; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 103; Trautrims, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 185; Weller, DStR 2004, 1218 ff.; ders., DStR 2018, 2642, 2642 f.; ders., in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 497, 511 f.; Brandi, BB 2018, 2626. 63 Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 45; Gerner-Beuerle/Mucciarelli/Schuster/Siems, JCLS 18 (2018), 1, 4; Wilhelmi, in: Jochum/Fritzemeyer/Kau (Hrsg.): Festschrift für Kay Hailbronner, 531, 532; so auch zum innerstaatlichen Formwechsel: Pfeifer, Schutzmechanismen bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften, Rn. 335. 64 Vgl. EuGH, Urt. v. 25. 10. 2017, Polbud, C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, Rn. 58 f., nach dem ein innerstaatliches Liquidationserfordernis (mit der Folge, dass die Gesellschaft sich im Zuzugsstaat neu gründen müsste) für einen grenzüberschreitenden Formwechsel gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt, da es einer völligen Versagung dieser Umwandlungsmaßnahme gleichkomme; hierzu: Limmer/Knaier, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 6 Rn. 270; Sagasser/Clasen, in: Sagasser/Bula/Brünger (Hrsg.), Umwandlungen, § 32 Rn. 90; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 53; Bohrenkämper, Transnationale Sitzverlegung und Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften, S. 217; Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398; Knaier/Pfleger, GmbHR 2017, 859, 860. 65 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 106 ff.; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Hoger, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 190 UmwG Rn. 1; Limmer, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 4 Rn. 10; Heidinger, in: Limmer/Hertel/Frenz/Mayer (Hrsg.), Würzburger Notarhandbuch, Teil 5, Kapitel 6 Rn. 262; Pfeifer, Schutzmechanismen bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften, Rn. 337 ff.; vgl. zu den Rechtswirkungen eines grenzüberschreitenden Formwechsels nach der Mobilitäts-RL: Art. 86q GesR-RL. 66 Vgl. zum innerdeutschen Formwechsel: Meister/Klöcker, in: Kallmeyer (Hrsg.), UmwG, § 202 UmwG Rn. 13; Ruhwinkel, in: Krüger (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, § 311b BGB Rn. 18. 67 Hübner, in: Gehrlein/Born/Simon (Hrsg.), GmbHG, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 81; Krebs, GWR 2014, 144, 146; vgl. Wöhlert/Degen, GWR 2012, 432, 434. 68 Vgl. zum innerdeutschen Formwechsel: Leonard, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 202 UmwG Rn. 9.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
stechende Einfachheit und Effizienz dieser Form der gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung. Der grenzüberschreitende Formwechsel ist Teil des Dreiklangs an Möglichkeiten für grenzüberschreitende Umwandlungen. Hierzu zählen überdies grenzüberschreitende Verschmelzungen und grenzüberschreitende Spaltungen. Unter einer grenzüberschreitenden Verschmelzung versteht man die Übertragung des gesamten Aktiv- und Passivvermögens einer oder mehrerer Gesellschaften auf eine bestehende69 oder durch den Vorgang neu gegründete70 Gesellschaft durch Auflösung ohne vorherige Abwicklung, wobei mindestens zwei beteiligte Rechtsträger unterschiedlichen Gesellschaftsstatuten unterliegen.71 Die grenzüberschreitende Spaltung beschreibt einen Vorgang, bei dem das Vermögen einer Gesellschaft ganz oder in Teilen auf eine oder mehrere bestehende72 oder neu zu gründende73 Gesellschaften übergeht.74 Für diese gilt jeweils der Grundsatz der Universalsukzession.75 Konträr zu einem grenzüberschreitenden Formwechsel, der als rein gesellschaftsinterner Umwandlungsvorgang konzipiert ist,76 sind an grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen mindestens zwei Rechtsträger beteiligt.77 69
Verschmelzung zur Aufnahme, vgl. § 2 Nr. 1 UmwG. Verschmelzung zur Neugründung, vgl. § 2 Nr. 2 UmwG. 71 Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 53 Rn. 1 f.; vgl. Art. 119 Nr. 2 GesR-RL; vgl. für die innerdeutsche Verschmelzung auch § 20 UmwG. Zur neuen, durch die Mobilitäts-RL konsolidierten Rechtslage für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 1 ff.; ders., GmbHR 2020, 61 ff.; zum im Vergleich zur endgültigen Fassung nur unwesentlich veränderten Kommissionsentwurf: Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300 ff. 72 Spaltung zur Aufnahme, vgl. § 123 Abs. 1 Nr. 1 UmwG. 73 Spaltung zur Neugründung, vgl. § 123 Abs. 1 Nr. 2 UmwG. 74 Kraft/Redenius-Hövermann, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 30 Rn. 1; vgl. Art. 160 Nr. 4 GesR-RL. Zur neuen, durch die Mobilitäts-RL determinierten Rechtslage für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 1 ff.; ders., DK 2021, 48 ff.; Bungert, in: Hoffmann-Becking/ Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109 ff.; zum im Vergleich zur endgültigen Fassung nur unwesentlich veränderten Kommissionsentwurf: Bungert/ Wansleben, DB 2018, 2094 ff.; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353 ff. 75 Vgl. § 122a Abs. 2 UmwG i. V. m. § 2 Nr. 1 u. Nr. 2 UmwG für die grenzüberschreitende Verschmelzung. Hierzu: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 13 f. 76 Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 786; Hoffmann, in: Leible/Reichert/ Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht Band 6, § 54 Rn. 10; Wernicke/ Friedl, in: Brodersen (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Umwandlungen international, Teil 1 Rn. 144; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 19; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 222; Trautrims, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 227; Hawemann, Umwandlungskollisionsrecht, S. 45; so auch zum innerstaatlichen Formwechsel: Pfeifer, Schutzmechanismen bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften, Rn. 337. 70
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III. Semantische Klarstellungen 1. „Grenzüberschreitender Formwechsel“ vs. „Grenzüberschreitende Umwandlung“ In Deutschland wird terminologisch zwischen den Begriffen „Umwandlung“78 und „Formwechsel“79 unterschieden. Der Begriff der Umwandlung fungiert ausweislich § 1 Abs. 1 UmwG als Oberbegriff für die vier dort benannten nationalen Umwandlungsmöglichkeiten.80 Nach diesem Verständnis stellt der Formwechsel einen Unterfall der Umwandlung dar.81 Folglich umfasst der deutsche Terminus der „grenzüberschreitenden Umwandlung“ den grenzüberschreitenden Formwechsel, die grenzüberschreitende Verschmelzung sowie die grenzüberschreitende Spaltung.82 Im Unterschied hierzu kennt das Europäische Recht weder den Begriff des „grenzüberschreitenden Formwechsels“ noch einen der „Umwandlung“ vergleichbaren Oberbergriff für grenzüberschreitende Umwandlungsmaßnahmen. Stattdessen wird in der Rechtsprechung des EuGH83 sowie in der GesR-RL84 der Begriff der „grenzüberschreitenden Umwandlung“ geprägt. Nach der Legaldefinition des Art. 86a Nr. 1 GesR-RL ist unter einer grenzüberschreitenden Umwandlung „die Umwandlung einer mitgliedstaatlichen Kapitalgesellschaft, die ihren Satzungssitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in der Union hat, in eine dem 77 Zur grenzüberschreitenden Verschmelzung: Vossius, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 191 UmwG Rn. 39; Wall, in: Hausmann/Odersky (Hrsg.), Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 18 Rn. 193; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 172 f.; zur grenzüberschreitenden Spaltung: Kraft/Redenius-Hövermann, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 30 Rn. 1. 78 Vgl. § 1 Abs. 1 UmwG. 79 Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 4 UmwG sowie §§ 190 ff. UmwG. 80 Im Unterschied hierzu wurde im deutschen Umwandlungsrecht bis zum Inkrafttreten des neuen Umwandlungsgesetzes am 01. 01. 1995 der Begriff der „formwechselnden“ bzw. „übertragenden“ Umwandlung verwendet. Zur Begriffsentwicklung: Althoff/Narr, in: Böttcher/Habighorst/Schulte (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 190 UmwG Rn. 1; Petersen, in: Dauner-Lieb/Beckmann (Hrsg.), Kölner Kommentar zum UmwG, § 190 UmwG Rn. 1. 81 Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl (Hrsg.), UmwG/UmwStG, § 1 UmwG Rn. 1; Decker, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 1 UmwG Rn. 2; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 333; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 134; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 146. 82 Vgl. Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, Internationales Gesellschaftsrecht A. Rn. 38; Heckschen/Stelmaszczyk, BB 2020, 1734, 1735; Luy, NJW 2019, 1905; ders., DNotZ 2019, 484; Brehm/Schümmer, NZG 2020, 538. 83 EuGH, Urt. v. 16. 12. 2008, Cartesio, ECLI:EU:C:2008:723, Rn. 113; EuGH, Urt. v. 12. 07. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, Rn. 1, 16, 17; vgl. hierzu auch: Schön, ZGR 2013, 333, 341. 84 Art. 86a ff. GesR-RL; vgl. auch Art. 37, 66 SE-VO zur „Umwandlung“ einer SE.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
Recht eines anderen Mitgliedstaates unterliegende Kapitalgesellschaft“, zu verstehen. Diese Begriffsbestimmung und das Verständnis des EuGH von einer „grenzüberschreitenden Umwandlung“ entsprechen der dargestellten Definition eines grenzüberschreitenden Formwechsels.85 Die vorliegende Arbeit orientiert sich zur Vermeidung von Missverständnissen an der deutschen Terminologie. 2. „Grenzüberschreitender Formwechsel“ vs. „Grenzüberschreitende Satzungssitzverlegung“ Grenzüberschreitende Formwechsel werden häufig in einem Atemzug mit einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung genannt. Dieser Terminus umfasst die strikt voneinander zu unterscheidenden grenzüberschreitende Verlegung des Verwaltungssitzes, die grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzzes sowie die kumulierte Verlegung beider Sitze.86 Die Begriffe „grenzüberschreitende Satzungssitzverlegung“ und „grenzüberschreitender Formwechsel“ werden zum Teil synonym verwendet.87 Diese begriffliche Gleichsetzung resultiert daraus, dass eine rechtsformwahrende Satzungssitzverlegung innerhalb des europäischen Rechtsraums derzeit nicht durchführbar ist, da der Satzungssitz materiell die Zuständigkeit des Registers des Zuzugsstaats begründet und – soweit ersichtlich –88 kein Mitgliedstaat der EU einen im Ausland belegenen Satzungssitz akzeptiert.89 Dies liegt darin begründet, dass der Satzungssitz 85
Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 134 f.; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 73; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 2 (Fn. 6); Hushahn, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018, 171, 183; Kraft/Noack, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539; vgl. auch: Schön, ZGR 2013, 333, 341. 86 Braun, Die Wegzugsfreiheit als Teil der Niederlassungsfreiheit, S. 25; Franz, EuZW 2016, 930, 931; vgl. Behrens, ZGR 1994, 1, 7. 87 So beispielweise G. H. Roth, Vorgaben der Niederlassungsfreiheit für das Kapitalgesellschaftsrecht, S. 18 (Fn. 30); Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 19 f. (Fn. 4), 105; Bohrenkämper, Transnationale Sitzverlegung und Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften, S. 217, 663; Kieninger, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 581, 584; dies., NJW 2017, 3624, 3625; Grohmann, DZWIR 2009, 322, 324; ähnlich auch: Weber, ZVglRWiss 107 (2008), 193, 194. 88 Vgl. den tabellarischen Überblick zu der materiellrechtlichen Sitzerfordernisse in den Mitgliedstaaten bei: Gerner-Beuerle/Mucciarelli/Schuster/Siems, in: Gerner-Beuerle/Mucciarelli/Schuster/Siems (Hrsg.), The Private International Law of Companies in Europe, S. 14 ff.; Commission Staff Working Document, Impact Assessment SWD (2018) 141 final, S. 169 ff. 89 Ego, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, Band 7, Europäische Niederlassungsfreiheit, Rn. 78; Thölke, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 1 Rn. 90; Süß, in: Herrler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 12 Rn. 119; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 127; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über
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das Bindeglied zwischen dem Gesellschaftsrecht und seiner registerrechtlichen und prozessualen Durchsetzung durch dieselbe Jurisdiktion bildet.90 Ohne einen inländischen Satzungssitz bestünde die Gefahr, dass der Inkorporationsstaat die wesentlichen Gesellschaftsverhältnisse nicht wirksam überprüfen- und durchsetzen könnte.91 Auch wenn die Gleichsetzung von Satzungssitzverlegung und grenzüberschreitendem Formwechsel regelmäßig92 im Ergebnis zutrifft, ist sie unpräzise, da – zumindest hypothetisch – eine rechtsformwahrende Satzungssitzverlegung denkbar ist.93 Der grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften muss daher als rechtsformändernder Unterfall einer grenzüberschreitenden Satzungssitzverlegung begriffen werden. 3. Varia Sind Ausgangs- und Zielrechtsform eines Formwechsels vergleichbar,94 wird von einem rechtsformkongruenten Formwechsel gesprochen.95 Als Wegzugsstaat wird die Grenze, S. 9; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 240; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 36; Weller, Sitzverlegungen von Gesellschaften in Europa: rechtliche und praktische Probleme, S. 13 ff.; Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817, 818; Verse, ZEuP 2013, 458, 476; Schönhaus/Müller, IStR 2016, 174, 176; im Ergebnis auch: Allmendinger, Die Beschlussfassung zum grenzüberschreitenden Wegzug, S. 197; vgl. für das deutsche Recht § 4a GmbHG sowie § 5 AktG. 90 Friedl, in: Brodersen (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Umwandlungen international, Teil 1 Rn. 156; Weller, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 497, 510 f.; W.-H. Roth, in: Söllner (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 709, 714. 91 BayObLG, Beschl. v. 11. 02. 2004 – 3Z BR 175/03, DStR 2004, 1224, 1225; H. Fischer, in: Heidel (Hrsg.), Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 5 AktG Rn. 18; Schön, in: Hommelhoff/ Rawert/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Priester zum 70. Geburtstag, 737, 746; Weller, DStR 2004, 1218, 1219; Kindler, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 389, 390; vgl. W.-H. Roth, in: Söllner (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 709, 714. 92 Sie trifft nicht zu, wenn der Wegzugsstaat die Sitztheorie anwendet, da in diesem Fall eine Verlegung des Satzungssitzes kollisionsrechtlich unbedeutend ist (Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 148) und daher keinen Statutenwechsel begründen kann. 93 Hübner, in: Gehrlein/Born/Simon (Hrsg.), GmbHG, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 84; Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 33 Rn. 13; Braun, Die Wegzugsfreiheit als Teil der Niederlassungsfreiheit, S. 222; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 9; ders., ZHR 182 (2018), 32, 38; Eidenmüller, JZ 59 (2004), 24, 32; Schön, ZGR 2013, 333, 355 f. 94 Beispielsweise ein Formwechsel von einer deutschen GmbH in eine luxemburgische Société à responsabilité limitée (S.à.r.l.), dem luxemburgischen Pendant zu einer GmbH. 95 Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 5 Rn. 18; Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener
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derjenige Staat bezeichnet, dessen Rechtsordnung die formwechselnde Gesellschaft vor Durchführung der Umwandlung unterliegt.96 Unter dem Begriff des Zuzugsstaats wird derjenige Staat verstanden, der der Gesellschaft die neue Gesellschaftsform verleiht.97 Abhängig davon, ob man die Perspektive des Wegzugs- oder des Zuzugsstaats einnimmt, wird der Formwechsel als „Hereinformwechsel“ bzw. „Herausformwechsel“ bezeichnet.98 Vollzieht sich der grenzüberschreitende Formwechsel unter Beibehaltung des Verwaltungssitzes im Wegzugsstaat, handelt es sich um einem „isolierten grenzüberschreitenden Formwechsel“.99
IV. Motive für grenzüberschreitende Formwechsel Bevor die Thematik des grenzüberschreiten Formwechsels ihre rechtliche Würdigung erfährt, sind die ihre Regulierung determinierenden Bedürfnisse nach einer solchen Umstrukturierung in den Blick zu nehmen. Ungehinderte Gesellschaftsmobilität ist mit den Worten Herzigs ein „lange gehegter Traum von Gesellschaften“.100 Umwandlungen mit Auslandsbezug gewannen in den letzten Jahren zunehmend an praktischer Bedeutung.101 Die durch grenzüberschreitende Formwechsel vermittelte Möglichkeit einer nachträglichen Rechtsformwahl102 entspricht nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Globalisierung und der immer weiter fortschreitenden Vertiefung des Binnenmarkts einem erheblichen praktischen BeHandbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn. 91; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 104 (Fn. 322); Bohrenkämper, Transnationale Sitzverlegung und Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften, S. 217; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 760; Schön, ZGR 2013, 333, 345; Schönhaus/ M. Müller, IStR 2013, 174, 177; vgl. Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 153. 96 Vgl. Art. 86b Nr. 3 GesR-RL. 97 Vgl. Art. 86b Nr. 4 GesR-RL. 98 Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn. 2; Foerster, in: Habersack/Wicke (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar UmwG, § 190 UmwG Rn. 6; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmensund Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 96 f.; Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174, 176. 99 Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 5 Rn. 19; Decker, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 1 UmwG Rn. 17; W.-H. Roth, in: Krieger/Lutter/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Michael HoffmannBecking zum 70. Geburtstag, 965, 989; Schall, ZfPW 2018, 176, 184; Stelmaszczyk, EuZW 2017, 890, 890; Kindler, NZG 2018, 1, 2; Hushahn, RNotZ 2018, 23. 100 Ringe, Die Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 1; vgl. auch: ders., ECFR 2013, 230, 232; ähnlich: Benz/Hübner/Zimmermann, ZIP 2018, 2254. 101 Herzig, in: Lüdicke (Hrsg.), Fortentwicklung der Internationalen Unternehmensbesteuerung, 117, 118. 102 Thölke/Spranger, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 2 Rn. 3; Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 7; Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn. 4; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 50.
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dürfnis103 und markiert einen bedeutsamen Eckpfeiler des europäischen Binnenmarkts.104 Die empirisch belegbaren105 Beweggründe für einen grenzüberschreitenden Formwechsel sind vielfältig und hängen davon ab, ob ein isolierter grenzüberschreitender Formwechsel durchgeführt wird oder simultan der Verwaltungssitz in den Zuzugsstaat verlegt wird.106 Grund hierfür ist, dass jeweils verschiedene Rechtsfolgen an einen inländischen Satzungs- und Verwaltungssitz angeknüpft werden. 1. Grenzüberschreitender Formwechsel unter simultaner Verwaltungssitzverlegung a) Rechtliche Motive Das Bedürfnis nach Mobilität kann nicht nur auf betriebswirtschaftlichen Gründen fußen, sondern auch im rechtlichen Sinne bestehen.107 Anwendungsfälle hierfür sind Änderungen der rechtlichen Voraussetzungen im Inkorporationsstaat, eine Enttäuschung der in die Ausgangsrechtsordnung gesetzten Erwartungen,108 oder das Herauswachsen aus dem ursprünglich gewählten „Rechtskleid“.109 Die Bedeu-
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Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 1; vgl. Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 1; Zimmer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 371, 382; G. H. Roth, in: Reininghaus (Hrsg.), Unternehmensmobilität im Binnenmarkt, 7; Teichmann, DB 2012, 2085, 2092. 104 Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 5 Rn. 9; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 330; Schön, ECFR 2006, 122, 144; ders., ZGR 2013, 333, 345 f.; Weller, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 497, 498 f.; Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2011, 98; Reflection Group on the Future of EU Company Law, ECFR 2013, 304, 319. 105 Eine 2013 veröffentlichte Konsultation zur Sitzverlegung haben die Befragten die folgenden Gründe für eine Sitzverlegung angegeben: Steuervermeidung/-Verringerung (45 %), ein besseres Geschäftsklima im Zuzugsstaat (25 %) sowie die Wahl des jeweils günstigsten Rechts auf den Gebieten des Gesellschaftsrechts (20 %), Arbeitsrecht (15 %) und Insolvenzrecht (10 %). European Comission, Feedback Statement. Summary of Responses to the Public Consultation on Cross-border transfers of registered offices of companies, September 2013, S. 12. 106 Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 823. 107 Leible/Hoffmann BB 2009, 58, 60 bezeichnen einen grenzüberschreitenden Formwechsel konsequent als „rechtliche Mobilität“. 108 Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn. 5. 109 Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 24 Rn. 837.
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tung einer Rechtsformwahl wird klar, wenn man das Gesellschaftsrecht als Wettbewerbsfaktor begreift.110 Attraktiv erscheint vielen Gesellschaften die Verkleinerung des Aufsichtsrats.111 Weitere Beispiele für die Wahl einer neuen Rechtsform sind geringere Anforderungen an die Kapitalaufbringung und -erhaltung, die Vermeidung von Kosten und der Publizität,112 erleichterte Regelungen für die Erstellung und Offenlegung des Jahresabschlusses113 oder die Eröffnung neuer Finanzierungsmöglichkeiten114. Auch großzügigere Corporate Governance Vorschriften dürften eine immer größere Rolle bei der Entscheidung für eine Änderung der Rechtsform spielen.115 Von erheblicher Bedeutung ist auch das Bestreben, die Steuerbelastung zu minimieren.116 Hierfür ist regelmäßig eine Verwaltungssitzverlegung erforderlich, um beide Anknüpfungsmomente für die unbeschränkte Körperschaftssteuerpflicht, den im Regelfall mit dem Verwaltungssitz gleichzusetzenden Ort der Geschäftsleitung sowie den Satzungssitz,117 im Wegzugsstaat abzustreifen.118 Angesichts des weiterhin im Wegzugsstaats belegenen Satzungssitzes bedingt ein isolierter grenz110 Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 8; implizit auch: Blaurock, ZEuP 1998, 460, 462 f.; sehr zurückhaltend aber: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 243. 111 Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 8. 112 Schwanna, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 190 UmwG Rn. 8. 113 Feldmann, Grenzüberschreitende Umwandlungen von Gesellschaften in der Europäischen Union, S. 58; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 24 Rn. 837. 114 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 51; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 57; Hushahn, RNotZ 2014, 137, 139; ders., in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018, 171, 173 f. 115 Sagasser, in: Sagasser/Bula/Brünger (Hrsg.), Umwandlungen, § 25 Rn. 6; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 57; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 119. 116 Thölke/Spranger, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 2 Rn. 67; Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 3; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 45; allgemein im Hinblick auf die steuerlichen Folgen eines grenzüberschreitenden Formwechsels: Wilke, PIStB 2018, 97 ff. Im Rahmen einer die Mobilitäts-RL vorbereitenden Konsultation der Kommission zu grenzüberschreitenden Formwechsel gaben 45 % der befragten Gesellschaften an, dass eine niedrigere Besteuerung eines (von mehreren möglichen) Hauptmotiven für ihren grenzüberschreitenden Formwechsel war, European Comission, Feedback Statement. Summary of Responses to the Public Consultation on Cross-border transfers of registered offices of companies, September 2013, S. 12, siehe allgemein zum Steurrecht bei grenzüberschreitenden Umstrukturierungen: Schön, in: Hennrichs (Hrsg.), Umstrukturierung und Steuerrecht: 44. Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e. V., 563 ff. 117 Vgl. § 1 Abs. 1 KStG. 118 Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 3; ders., Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 50; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 269.
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überschreitender Formwechsel noch keine Beendigung der unbeschränkten Körperschaftssteuerpflicht in Deutschland, solange nicht der Sonderfall eines Doppelbesteuerungsabkommens infrage steht.119 Das wohl kontroverseste Motiv für einen grenzüberschreitenden Formwechsel ist die Vermeidung stakeholderschützender Vorschriften.120 So wurde beispielsweise den Modeketten Esprit, H&M und Zara vorgeworfen, durch ihre Rechtsformwahl die unternehmerische Mitbestimmung zu umgehen.121 Zwischen den verschiedenen grenzüberschreitenden Umstrukturierungsmaßnahmen sind für die Wahl eines grenzüberschreitenden Formwechsel häufig die Vorzüge des Identitätsprinzips ausschlaggebend.122 b) Betriebswirtschaftliche Motive Darüber hinaus sind stets auch die Folgen einer simultanen Verwaltungssitzverlegung in die Entscheidung über den grenzüberschreitenden Formwechsel mit einzubeziehen. Durch eine Verlegung des Verwaltungssitzes wird eine Relokation des Unternehmens im europäischen Binnenmarkt unter Inanspruchnahme von Standortvorteilen intendiert.123 Dies lässt sich anhand eines niedrigeren Lohnniveaus, geringeren Produktionskosten,124 einer längeren Wochenarbeitszeit,125 der räumliche Nähe zu Lieferanten und Kunden126 und damit verbundenen bessere Absatzmöglichkeiten127 sowie einer besser ausgebauten Infrastruktur128 im Zu119 Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 898; vgl. Rauscher, Internationales Privatrecht, Rn. 638. 120 Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn. 4 ders., Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 285; Bücker, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3 Rn. 26; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 18. 121 Sick, GmbHR 2011, 1196, 1197. 122 Vgl. Weller, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 497, 511; siehe auch Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 16, 18. 123 Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 179; Weller, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 497, 505. 124 Thölke/Spranger, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 2 Rn. 14; Stiegler, in: Jungs/Krebs/Stiegler, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 10 Rn. 3; Bücker, in: Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3 Rn. 13. 125 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 44 126 Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 3; ders., Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 50; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 44; Wasmeier, Grenzüberschreitende Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften durch Sitzverlegung und formwechselnde Umwandlung, S. 6. 127 Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 179.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
zugsstaat illustrieren. Schließlich können auch politische oder gesellschaftliche Faktoren die Standortwahl beeinflussen.129 2. Isolierter grenzüberschreitender Formwechsel Eine synchrone rechtsformwechselnde Verlegung von Satzungs- und Verwaltungssitz kann insoweit nachteilig sein, als dass die Standortfaktoren wie beispielsweise die Infrastruktur oder die Produktions- und Personalkosten im Zuzugsstaat im Vergleich zum Wegzugsstaat ungünstiger sind und mithin die Vorzüge des neuen Gesellschaftsstatuts durch die Nachteile der damit verbundenen Verwaltungssitzverlegung relativiert werden.130 Spiegelverkehrt kann es dazu kommen, dass die sich aus der Verwaltungssitzverlegung ergebenden Vorteile durch höhere Anforderungen des neuen Gesellschaftsstatuts egalisiert werden. Um die Vorteile einer optimalen Verwaltungs- und Satzungssitzwahl zu kumulieren, erscheint es attraktiv, die Rechts- und Standortwahl voneinander zu entkoppeln.131 Im Ergebnis entsteht eine „Briefkasten“– bzw. „Scheinauslandsgesellschaft“132. Eine solche Sitzaufspaltung kann aber auch mit Nachteilen, wie beispielsweise zusätzlichen Gerichtsständen, einem erhöhten Verwaltungsaufwand sowie höhere Rechtsberatungskosten, verbunden sein.133 128 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 119; vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 27, Systemwettbewerb, S. 20. 129 Thölke/Spranger, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 2 Rn. 14; Ringe, Die Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 1. 130 Vgl. Schön, ZHR 160 (1996), 221, 235 zur durch die Sitztheorie erzwungenen umfassenden Standortwahl. 131 Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 24 Rn. 837; kritisch hierzu aber: Krause, in: Deinert/Heuschmid/Ma. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Thomas Klebe zum 70. Geburtstag, 248, 250. 132 Unter einer „Briefkasten“- bzw. „Scheinauslandsgesellschaft“ versteht man Gesellschaften, die den Sitz allein aus rechtlichen oder steuerlichen Gründen gewählt haben und keine wirtschaftlichen Aktivitäten im Sitzstaat entfalten, vgl. Vgl. BGH, Beschl. v. 27. 06. 2007 – VII ZB 114/06, NZG 2007, 752, 753; Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 489; Raiser, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, § 13 GmbHG Rn. 171; Pentz, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, § 13d AktG Rn. 24; Saenger, in: Saenger/Aderhold/Lenkaitis/Speckmann (Hrsg.), Handels- und Gesellschaftsrecht, § 8 Rn. 16; Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 219; Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung, S. 3 (Fn. 10); ders., DStR 2003, 1800; Teichmann, ZGR 2011, 639, 642; ders., in: Müller-Graff/Schmahl/Skouris (Hrsg.): Festschrift für Dieter H. Scheuing, 735, 736; Eidenmüller, JZ 59 (2004), 24, 25; Ringe, ECFR 2013, 230, 233; Sørensen, CMLR 52 (2015), 85; zum komplementären Begriff der „Scheininlandsgesellschaft“: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 134 f. m. w. N. 133 Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 617.
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Bei einem isolierten grenzüberschreitenden Formwechsel ist die Gesellschaft daher mit den steuerrechtlichen und ökonomischen Bedingungen im Inkorporationsstaat einverstanden, erhofft sich aber durch das neue Gesellschaftsstatut Vorzüge („Gesellschaftsrechtsarbitrage“)134. Die Motivlage für einen isolierten grenzüberschreitenden Formwechsel ist damit spiegelverkehrt zu den Beweggründen für eine rechtsformwahrende Verwaltungssitzverlegung als dessen Komplementärstück.135
V. Voraussetzungen eines grenzüberschreitenden Formwechsels von Kapitalgesellschaften Die Zulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel richtet sich nach dem Kollisions- und Sachrecht von Wegzugs- und Zuzugsstaat.136 Nur wenn beide Staaten auf beiden Ebenen den grenzüberschreitenden Formwechsel gestatten, hat dieser Erfolg.137 In diesem Zusammenhang muss präzise zwischen den Perspektiven von Wegzugs- und Zuzugsstaat differenziert werden.138 Die Kardinalfragen einer jeden Sitzverlegung sind daher, ob sie zum einen statutenwahrende oder statutenwechselnde Wirkung entfaltet und ob zum anderen die Identität der Gesellschaft gewahrt bleibt.
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Weller, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 497, 511; ähnlich („Rechtsarbitrage“): Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 57; kritisch hierzu: Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 823; ders., NZG 2018, 1, 2. 135 Vgl. Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 4; vgl. für den Fall eines bei Gesellschaftsgründung im Ausland belegenen Verwaltungssitz: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 17; Teichmann, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, § 6 Rn. 77 f. 136 Zur Bedeutung der Differenzierung von sach- und kollisionsrechtlicher Ebene: Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 607; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 22 Rn. 770; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 10 ff.; Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 198; K. Schmidt, ZGR 1999, 20, 23; Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1583 f.; vgl. bereits die Ausführungen von Beitzke, Juristische Personen im Internationalprivatrecht und Fremdenrecht, S. 177 ff. 137 Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 606; Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, S. 143; Trautrims, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 185; vgl. Behrens, ZGR 1994, 1, 9 f., 12; vgl. zur rechtsformwahrenden Verwaltungssitzverlegung: Braun, Die Wegzugsfreiheit als Teil der Niederlassungsfreiheit, S. 67. 138 Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 334.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
1. Kollisionsrechtliche Ebene Das Gesellschaftskollisionsrecht regelt bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, welches Gesellschaftsrecht für die Gesellschaft zur Anwendung gelangt.139 Will eine Gesellschaft ihre Rechtsform grenzüberschreitend wechseln, muss sie das Anknüpfungsmoment zum Gesellschaftsrecht des Wegzugsstaats abstreifen und die Voraussetzungen für die rechtliche Verbundenheit zum Zuzugsstaat erfüllen.140 In Ermangelung harmonisierter Gesellschaftskollisionsregeln141 richtet sich in Sachverhalten mit Auslandsberührung die Bestimmung das auf die Gesellschaft anzuwendenden Rechts gem. Art. 3 EGBGB nach den Regeln des Internationalen Privatrechts.142 Hierfür wird auf bestimmte Anknüpfungsmomente rekurriert, welche die Anwendbarkeit der nationalen Gesellschaftsrechtsordnung begründen. Ist ein Gesellschaftsstatut festgestellt, richten sich zur Vermeidung von Abgrenzungs- und Anpassungsschwierigkeiten alle gesellschaftlichen Verhältnisse im Innen- und Außenverhältnis der Gesellschaft von der Gründung bis zu ihrer Liquidation nach dem ermittelten Gesellschaftsstatut (Einheitlichkeit des Gesellschaftsstatuts)143.144 139
Staudinger, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 1 („Welche Rechtsordnung lässt sie [die Gesellschaft] entstehen, leben, vergehen?“); Behme, in: Lieder/ Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn 8; Weller, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, Einleitung Rn. 314; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 416; Zimmermann, in: Hauschild/ Kallrath/Wachter (Hrsg.), Notarhandbuch Gesellschafts- und Unternehmensrecht, § 27 Rn. 6; Wasmeier, Grenzüberschreitende Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften durch Sitzverlegung und formwechselnde Umwandlung, S. 19; Behrens, ZGR 1994, 1, 4; Großfeld/Beckmann, ZVglRWiss 91 (1992), 351, 353. 140 Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 152. 141 Ein tabellarischer Überblick über die kollisionsrechtlichen Anknüpfungspunkte in den Mitgliedstaaten findet sich bei: Gerner-Beuerle/Mucciarelli/Schuster/Siems, in: Gerner-Beuerle/Mucciarelli/Schuster/Siems (Hrsg.), The Private International Law of Companies in Europe, S. 24 ff.; Commission Staff Working Document, Impact Assessment SWD (2018) 141 final, S. 169 ff. 142 Weller, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, Einleitung Rn. 314. 143 Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 16; Krafka, in: Drescher/Fleischer/K. Schmidt (Hrsg.), Münchener Kommentar HGB, § 13h HGB Rn. 13; Weller, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, Einleitung Rn. 388; ders., in: Habersack/Hommelhoff/Fleischer/Hopt, Festschrift für Wulf Goette zum 65. Geburtstag, 583, 587. 144 RG, Urt. v. 27. 05. 1910 – II 485/09, RGZ 73, 366, 367; BGH, Urt. v. 11. 07. 1957 – II ZR 318/55, BGHZ 25, 134, 144; BGH, Urt. v. 05. 11. 1980 – VIII ZR 230/79, NJW 1981, 522, 525; BGH, Beschl. v. 30. 03. 2000 – VII ZR 370/98, ZIP 2000, 967, 968; Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 84; Thölke, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 1 Rn. 60; Fastrich, in: Baumbach/Hueck (Hrsg.), GmbhG, Einleitung Rn. 60; Dostal, in: Römermann/Büsching (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch GmbH-Recht, § 26 Rn. 36; Raiser/ Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 8 Rn. 8; Trautrims, Das Kollisionsrecht der Perso-
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a) Streitstand Die Frage nach dem richtigen Anknüpfungspunkt für das nationale Gesellschaftsstatut markiert seit jeher eine der bedeutendsten Kontroversen des deutschen Gesellschaftsrechts. Im Hinblick auf grenzüberschreitende Formwechsel bemisst sich hiernach, ob ein Statutenwechsel durch Verlegung des Satzungssitzes oder des effektiven Verwaltungssitzes (siège réel) herbeigeführt wird und ob isolierte grenzüberschreitende Formwechsel möglich sind.145 Zur Bestimmung der Verbundenheit zur deutschen Gesellschaftsrechtsordnung stehen sich national wie international traditionell zwei Strömungen recht unversöhnlich gegenüber. Die Sitztheorie knüpft zur Ermittlung des anwendbaren Sachrechts aus Schutzzweckerwägungen zugunsten der Stakeholder an den Ort des effektiven Verwaltungssitzes an.146 Danach muss für die Existenz einer Gesellschaft ihr Verwaltungssitz zwingend im Inland domiziliert sein. Dies meint den Ort, an dem die Gesellschaft tatsächlich geführt wird.147 Demgegenüber unterstellt die Gründungstheorie die Gesellschaft dem Recht des Staates, nach dem die Gesellschaft gegründet worden ist, oder aber in dem sich ihr Satzungssitz148 befindet.149 Angesichts der nengesellschaften, S. 11, A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 124 f.; zur Möglichkeit der Durchbrechung des Einheitsstatuts durch Sonderanknüpfungen: Weller, in: Fleischer/ Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, Einleitung Rn. 450; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 29. 145 Grundlegend zu dem Zusammenspiel der Kollisionsrechte von Wegzugs- und Zuzugsstaat beim grenzüberschreitenden Formwechsel: Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 12 ff., 22 f. 146 Zum Inhalt der Sitztheorie: Koch, in: Hüffer/Koch (Hrsg.), AktG, § 1 AktG Rn. 37; Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 423; Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 23 ff.; Mäsch, in: Hau/Poseck (Hrsg.), Beck-Online-Kommentar BGB, Art. 12 EGBGB Rn. 23; Weller, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, Einleitung Rn. 320; Leible, in: Michalski/Heidinger/ Leible/J. Schmidt (Hrsg.), GmbHG, Band 1 Systematische Darstellung 2 Rn. 84; Müller, in: Spindler/Stilz (Hrsg.), AktG, Band 2, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 4; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 5; Beitzke, Juristische Personen im Internationalprivatrecht und Fremdenrecht, S. 86.; Blaurock, ZEuP 1998, 460, 461; G. H. Roth, in: Reininghaus (Hrsg.), Unternehmensmobilität im Binnenmarkt, 7, 8. 147 BGH, Urt. v. 21. 03. 1986 – V ZR 10/85, NJW 1986, 2194, 2195; BGH, Urt. v. 21. 06. 2016 – X ZR 41/15, NZG 2016, 1156, 1158; Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 459; Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 24; Thölke, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 1 Rn. 72 f.; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 8 Rn. 5. 148 Für Personengesellschaften: Der Vertragssitz. 149 Prägnant zusammengefasst bei Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 327 („Einmal anerkannt – überall anerkannt“); zum Inhalt der Gründungstheorie: Kraft/Redenius-Hövermann, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 30 Rn. 19; Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 5; Beitzke, Juristische Personen im Internationalprivatrecht und
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
schier uferlosen Literatur zu diesem Richtungsstreit150 muss dieser nicht in all seinen Facetten nachgezeichnet werden. Entscheidungserheblich ist diese Frage in Bezug auf rechtsformwahrende und rechtsformwechselnde Sitzverlegungen ausschließlich, wenn Satzungs- und Verwaltungssitz auseinanderfallen. b) Determinierung des nationalen Kollisionsrecht durch die Niederlassungsfreiheit Das autonom deutsche Kollisionsrecht folgt seit jeher richter- bzw. gewohnheitsrechtlich der Sitztheorie.151 Allerdings kann dieses Dogma infolge der Vorgaben der Niederlassungsfreiheit in Bezug auf EU-/EWR-ausländische Gesellschaften nicht uneingeschränkt aufrechterhalten werden.152 Der EuGH judizierte in einer mit dem Urteil „Daily Mail“,153 begonnenen und in den Rechtssachen „Cartesio“154 und „National Grid Indus“155 fortentwickelten Entscheidungstrilogie, dass den Mitgliedstaaten die Definitionsautonomie über das Entstehen und die Existenz der
Fremdenrecht, S. 92 ff.; Trautrims, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 30 f.; vgl. zu den verschiedenen Spielarten der Gründungstheorie: Hübner, Kollisionsrechtliche Behandlung von Gesellschaften aus „nicht-privilegierten“ Drittstaaten, S. 48 ff.; Ego, Europäische Niederlassungsfreiheit und deutsches Gläubigerschutzrecht, S. 25 ff.; Lanzius, Anwendbares Recht und Sonderanknüpfungen unter der Gründungstheorie, S. 130 ff.; Kaulen, IPRax 2008, 389, 391 ff. 150 Vgl. nur die zahlreichen Nachweise bei Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 361, 371 ff.; Weller, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, Einleitung Rn. 320 ff.; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, S. 573 ff. 151 RG, Urt. v. 03. 06. 1927 – II 346/26, RGZ 117, 215, 217; RG, Urt. v. 29. 10. 1938 – II 178/ 37, RGZ 159, 33, 46; BGH, Urt. v. 30. 01. 1970 – V ZR 139/68, BGHZ 53, 181, 183; BGH, Urt. v. 05. 11. 1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318, 334; BGH, Urt. v. 21. 03. 1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269, 271; BGH, Urt. v. 01. 07. 2002 – II ZR 380/00, BGHZ 151, 204, 206; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 785; hierzu: Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 423 ff., 361; Weller, IPRax 2009, 202, 206 f. 152 Dasselbe gilt für Gesellschaften, für die kraft völkerrechtlichen Vertrags die Gründungstheorie anzuwenden ist. Prominentestes Beispiel hierfür ist der Deutsch-Amerikanische Freundschaftsvertrag v. 29. 10. 1954. Gem. Art. XXVAbs. S. 5 S. 2 dieses Vertrags gelten nach dem Recht eines Vertragsteils errichteten Gesellschaften von dem anderen Vertragsteil anerkannt werden. 153 EuGH, Urt. v. 27. 09. 1988, Daily Mail, C-81/87, ECLI:EU:C:1988:456; besprochen u. a. bei: v. Hein, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Art. 3 EGBGB Rn. 95 f. 154 EuGH, Urt. v. 16. 12. 2008, Cartesio, C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723; besprochen u. a. bei: Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545, 548. 155 EuGH, Urt. v. 29. 11. 2011, National Grid Indus, C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785; besprochen u. a. bei: Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 44 f.
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nationalen Gesellschaften als „Geschöpfe der nationalen Rechtsordnung“156 obliegt und diese damit über die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit entscheiden können.157 Eine Anerkennung durch den Zuzugsstaat setzt folglich auf erster Ebene die Existenz dieser Gesellschaft nach ihrer Gründungsrechtsordnung voraus. Diese geht durch Verlegung des Verwaltungssitzes verloren, sofern dieser das kollisionsrechtliche Anknüpfungsmoment darstellt. Aus dieser in Deutschland als „Geschöpftheorie“158 rezipierten Dogmatik folgt die Vereinbarkeit der Sitztheorie mit der Niederlassungsfreiheit in Wegzugskonstellationen.159 Hiervon strikt zu unterscheiden ist die Zuzugsperspektive. In seinem Urteil zur Rechtssache „Überseering“160 entschied der EuGH, dass nach mitgliedstaatlichem Recht gegründete Gesellschaften von dem Zuzugsstaat als solche161 anzuerkennen162 156
EuGH, Urt. v. 27. 09. 1988, Daily Mail, C-81/87, ECLI:EU:C:1988:456, Rn. 19 („creatures of national law“); ebenso: EuGH, Urt. v. 16. 12. 2008, Cartesio, C-210/06, ECLI: EU:C:2008:723, Rn. 104. 157 Zu dieser Entscheidungstrilogie: v. Hein, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Art. 3 EGBGB Rn. 95 f., 103 ff.; Weller, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, Einleitung Rn. 361 ff.; Kindler, in: Säcker/Rixecker/ Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 131 ff.; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 13, 21 ff.; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 42 ff.; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 97 ff. 158 v. Hein, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Art. 3 EGBGB Rn. 95; Leible, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt (Hrsg.), GmbHG, Band 1, Systematische Darstellung 2 Rn. 46; Dostal, in: Römermann/Büsching (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch GmbH-Recht, § 26 Rn. 138; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 2 Rn. 61; W.-H. Roth, in: Krieger/ Lutter/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Michael Hoffmann-Becking zum 70. Geburtstag, 965, 972 f.; Weller/Rentsch, IPRax 2012, 530, 535; Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398; Wöhlert/ Degen, GWR 2012, 432, 433. 159 Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 146 ff.; Solveen, in: Hölters (Hrsg.), AktG, § 5 AktG Rn. 5; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 22; Teichmann, ZIP 2009, 393, 394; Kieninger, IPRax 2017, 200, 202. 160 EuGH, Urt. v. 05. 11. 2002, Überseering, C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632. W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 119 spricht insoweit von einem „Meilenstein“. 161 Dies schließt es insbesondere aus, die zuziehende Gesellschaft im Wege der Transposition durch Anwendung der „Wechselbalgtheorie“ in eine innerstaatliche Personengesellschaft umzuqualifizieren. Zur „Wechselbalgtheorie“ ausführlich: Weller, in: Habersack/Hommelhoff/ Fleischer/Hopt, Festschrift für Wulf Goette zum 65. Geburtstag, 583, 591 ff.; vgl. hierzu auch bereits vor Anerkennung der „Wechselbalgtheorie“ durch den BGH: Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89, 91 ff. 162 „Anerkennung“ meint die ohne einen vorausgegangenen besonderen Anerkennungsakt Anwendung des Inkorporationsstatuts auf diese mit der Folge des Eintritts ausländischer Rechtsfolgen im Inland, welche durch Anwendung der Gründungstheorie erreicht wird, vgl. Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 428 f.; Kruse, Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften innerhalb der EG, S. 13 sowie Zimmer, ZHR 168 (2004), 355, 358. Ausführlich zum Begriff der „Anerkennung“ im Internationalen Gesellschaftsrecht: Hübner,
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
sind, solange sie nach dem Recht des Gründungsstaats wirksam bestehen.163 Aufgrund dessen ist es – auch wenn der EuGH dies noch nicht expressis verbis so geäußert hat – unionsrechtlich geboten („europarechtliche Gründungstheorie“)164, (nur)165 für hinzuziehende EU-/EWR-Gesellschaften die Gründungstheorie anzuwenden.166 Durch diese wichtige Wegmarke wurden die kollisionsrechtlichen Mauern für den rechtsformwahrenden Zuzug eingerissen. Ihre Rechtfertigung finden die Anerkennungspflichten in dem Gedanken der Gleichwertigkeit der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen167 sowie in dem unionsrechtlichen Prinzip der gegenseitigen Anerkennung.168 Im Ergebnis kommt es in unionsrechtlich determinierten Sachverhalten zu einem „gespaltenen Kollisionsrecht“169 : zu differenzieren ist zwischen Wegzugs- und Zuzugsfällen. Unter Achtung der Sitztheorie wäre für grenzüberschreitende FormKollisionsrechtliche Behandlung von Gesellschaften aus „nicht-privilegierten“ Drittstaaten, S. 39 ff.; Behrens, ZGR 1978, 499 ff. 163 EuGH, Urt. v. 05. 11. 2002, Überseering, C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 Rn. 95; hierzu: Thölke, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 1 Rn. 94. 164 Teichmann, ZGR 2011, 639, 679; Ego, IWRZ 2019, 243, 244. 165 Die von dem EuGH aufgestellten Grundsätze beschränken sich auf den Geltungsereich der Niederlassungsfreiheit und umfassen damit nicht die Drittstaaten-Konstellationen. 166 Ständige Rechtsprechung im Anschluss an das „Überseering“-Urteil des EuGH, BGH, Urt. v. 13. 03. 2003 – VII ZR 370/98, NJW 2003, 1461 f.; BGH, Urt. v. 14. 03. 2005 – II ZR 5/03, BB 2005, 1016; BGH, Urt. v. 19. 09. 2005 – II ZR 372/03, BGHZ 164, 148, 151 (für einen EWRFall); v. Hein, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Art. 3 EGBGB Rn. 101; Habersack, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, Band 1, Einleitung Rn. 80; Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 39 f.; Krüger, in: Brodersen (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Umwandlungen international, Teil 1 Rn. 32; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 30; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht Rn. 19; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 8 Rn. 18; Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung, S. 86; Hübner, Kollisionsrechtliche Behandlung von Gesellschaften aus „nicht-privilegierten“ Drittstaaten, S. 67; Ebke, JZ 58 (2003), 927, 929; Leible, in: Altmeppen/Fitz/Honsell (Hrsg.), Festschrift für Günther H. Roth zum 70. Geburtstag, 447, 450; v. Hein/Brunk, IPRax 2018, 46, 48; W.-H. Roth, in: Söllner (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 709, 710 f.; Wetzler, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, 129, 133; zurückhaltend: Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 122 f.; vgl. zur ähnlichen Rechtslage im Anwendungsbereich des Deutsch-Amerikanischen Freundschaftsvertrags: BGH, Urt. v. 29. 02. 2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353, 355 ff. 167 Weller, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 497, 518. 168 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 80, 87 ff. 169 Wall, in: Hausmann/Odersky (Hrsg.), Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 18 Rn. 123; Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 2 Rn. 87; Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925, 930; Weller, DStR 2003, 1800, 1803.
A. Gesellschafts- und Internationalprivatrechtliche Grundlagen
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wechsel aus Deutschland heraus – unabhängig vom Kollisionsrecht des Zuzugsstaats – stets eine Verlegung des Verwaltungssitzes erforderlich.170 Dies würde die Gesellschaftsmobilität erheblich einengen, da hierdurch isolierte grenzüberschreitende Formwechsel unmöglich gemacht würden. c) Kollisionsrechtliche Implikationen durch das MoMiG aa) Streitstand Umstritten ist, ob der deutsche Gesetzgeber infolge der Neufassung der § 5 AktG, § 4a GmbH im Zuge des MoMiG171, die im Kapitalgesellschaftsrecht unzweifelhaft sachrechtlich den Satzungssitz für maßgeblich erklären,172 implizit – jedenfalls für Kapitalgesellschaften173 innerhalb des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit – einen partiellen Übergang zur Gründungstheorie vollzogen hat. Die Ansichten, die kollisionsrechtliche Implikationen des MoMiG befürworten174 und ab170 Vgl. Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 12 ff. 171 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10. 2008, BGBl. I, S. 2026 ff. 172 Heider, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, § 5 AktG Rn. 23; Solveen, in: Hölters (Hrsg.), AktG, § 5 AktG Rn. 1; Servatius, in: Baumbach/Hueck (Hrsg.), GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 2; Heinze, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 4; Friedl, in: Brodersen (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Umwandlungen international, Teil 1 Rn. 156. 173 Zum identischen Streit im Hinblick auf Personengesellschaften unter: Kap. 5, A, I, 2, a (S. 288 ff.). 174 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16. 04. 2009 – 3 Wx 85/09, NZG 2009, 678, 679; Behrens/ Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 59 f.; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 14; Cziupka, in: Scholz (Hrsg.), GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 24; Ego, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, Band 7, Europäische Niederlassungsfreiheit, Rn. 226 ff.; Heinze, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 101; Kieninger, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 52 Rn. 20; Leible, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt (Hrsg.), GmbHG, Systematische Darstellung 2 Rn. 8; Wicke, in: Wicke (Hrsg.), GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 13; Hoffmann, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack (Hrsg.), BGB, Anhang zu Art. 12 EGBGB Rn. 143 f.; Lutter/ Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 83; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 218; Hawemann, Umwandlungskollisionsrecht, S. 39; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 739; Hoffmann ZIP 2007, 1582, 1584 ff.; Verse, ZEuP 2013, 458, 466: Fingerhuth/Rumpf, IPRax 2008, 90, 92; Leitzen, NZG 2009, 728; Herrmanns, MittBayNot 2016, 297, 298; Franz, EuZW 2016, 930, 933; so auch für den MoMiG-Referentenentwurf: Frobenius, DStR 2009, 487, 491; wohl auch: H. Fischer, in: Heidel (Hrsg.), Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 5 AktG Rn. 4; Huber, in: Kronke/Melis/Kuhn (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Kapitel 2 Rn. 245; Saenger, in: Saenger/Aderhold/Lenkaitis/Speckmann (Hrsg.), Handels- und Gesellschaftsrecht, § 8 Rn. 21; Leible, in: Altmeppen/Fitz/Honsell (Hrsg.), Festschrift für Günther H. Roth zum 70. Geburtstag, 447, 455 f.; Mülsch/Nohlen, ZIP 2008, 1358, 1360 f.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
lehnen175, halten sich in etwa die Waage und beanspruchen jeweils das Prädikat der herrschenden Meinung für sich. bb) Bedeutung für die Zulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel Auf kollisionsrechtlicher Ebene steht die Sitztheorie einem rechtsformwechselnden Verlassen der deutschen Rechtsordnung nicht entgegen,176 da ihre Anwendung mit Verlegung des Verwaltungssitzes in das Ausland die Anwendbarkeit des deutschen Gesellschaftsrechts beendet.177 Unter Geltung der Sitztheorie ist deutsches Kollisionsrecht aber nicht mit isolierten grenzüberschreitenden Herausformwechseln kompatibel.178 Eine Sitzaufspaltung wäre nur möglich, wenn in einem ersten Schritt ein grenzüberschreitender Formwechsel unter koinzidenter Verlegung von 175
Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 5; ders., in: Bork/Schäfer (Hrsg.) GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 17; Weller, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, Einleitung Rn. 384; ders./Hübner, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Europäisches Zivilrecht, Teil 23 Rn. 36; Thorn, in: Palandt (eh. Hrsg.), BGB, Anhang Art. 12 EGBGB Rn. 7; v. Thunen, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar Zivilrecht, Internationales Personengesellschaftsrecht Rn. 103; Servatius, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, Internationales Gesellschaftsrecht A. Rn. 37; Franz, in: Wachter (Hrsg.), AktG, § 5 AktG Rn. 14; Hübner, in: Gehrlein/Born/Simon (Hrsg.), GmbHG, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 65; Krüger, in: Brodersen (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Umwandlungen international, Teil 1 Rn. 35; Friedl, in: Brodersen (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Umwandlungen international, Teil 1 Rn. 153; Göthel, in: Göthel (Hrsg.), Grenzüberschreitende M&A-Transaktionen, § 8 Rn. 10; Hausmann, in: Reithmann/Martiny (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht, Rn. 7.57; Hübner, Kollisionsrechtliche Behandlung von Gesellschaften aus „nicht-privilegierten“ Drittstaaten, S. 264 f.; Feldmann, Grenzüberschreitende Umwandlungen von Gesellschaften in der Europäischen Union, S. 276 f.; Tschorr, Die Verlegung des Satzungssitzes innerhalb der Europäischen Union, S. 18; Rödter, Das Gesellschaftskollisionsrecht im Spannungsverhältnis zur Rom I- und II-VO, S. 50 ff.; W.-H. Roth, in: Krieger/Lutter/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Michael Hoffmann-Becking zum 70. Geburtstag, 965, 979; Kindler, IPRax 2009, 189, 198; ders., AG 2007, 721, 722; ders., NJW 2008, 3249, 3251; ders., NZG 2009, 130, 132; Schurig, in: Hilbig-Lugani/Jakob/Mäsch/Reuß/ Schmid (Hrsg.): Festschrift für Dagmar Coester-Waltjen zum 70. Geburtstag, 745, 747; Weller, IPRax 2017, 167, 171; König/Bormann, DNotZ 2008, 652, 658; A. Franz, BB 2009, 1250, 1251; Peters, GmbHR 2008, 245, 249; Fischer, NZG 2021, 483, 485; implizit auch Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493, 494 (Fn. 17); Metzing, ZEuS 2017, 43, 64; kritisch im Hinblick auf die a. A. auch: v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht II, § 7 Rn. 13; offen gelassen durch BGH, Urt. v. 14. 11. 2017 – VI ZR 73/17, NZG 2018, 259, 260 Rn. 15. 176 Ob ein Statutenwechsel eintritt, richtet sich nach dem Kollisionsrecht des Zuzugsstaats. Ein solcher tritt unter Geltung der Gründungstheorie im Zuzugsstaat nicht ein. Hierzu: Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 13 f. 177 Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 826; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 12 f.; Stiegler, ZGR 2017, 312, 333. 178 Hierzu unter: Kap. 2, A, V, 1, b (S. 52 f.).
A. Gesellschafts- und Internationalprivatrechtliche Grundlagen
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Satzungs- und Verwaltungssitz durchgeführt wird und anschließend der Verwaltungssitz nach Deutschland zurückverlegt wird.179 Letzteres setzt voraus, dass ein Auseinanderfallen von Satzungs- und Verwaltungssitz nach dem Recht des neuen Heimatstaats zulässig ist. Aus dem Blickwinkel der Gründungstheorie sind grenzüberschreitende Formwechsel allein durch Verlegung des Satzungssitzes durchführbar, sofern auch der andere an dieser Umstrukturierung beteiligte Mitgliedstaat der Gründungstheorie anhängt.180 Beansprucht die Sitztheorie im Zuzugsstaat Geltung, kann dessen Gesellschaftsrecht nur durch Verlegung des Verwaltungssitzes, um das Gesellschaftsrecht des Zuzugsstaats zur Anwendung gebracht werden.181 Im Ergebnis ist das deutsche Kollisionsrecht für grenzüberschreitende Formwechsel unter simultaner Verwaltungssitzverlegung ohne Bedeutung, da in beiden Fällen ein Statutenwechsel ausgelöst wird.182 Da die kollisionsrechtliche Zulässigkeit von isolierten grenzüberschreitenden Herausformwechseln deutscher Gesellschaften von der Positionierung zum deutschen Kollisionsrecht abhängt, muss Stellung bezogen werden. cc) Stellungnahme Für einen (versteckten) kollisionsrechtlichen Gehalt von § 5 AktG, § 4a GmbHG spricht entscheidend die mit dem MoMiG verfolgte Zielsetzung des Gesetzgebers.183 Mit der Neufassung der § 5 AktG, § 4a GmbH bezweckte der Gesetzgeber, eine anfängliche oder nachträgliche Sitzaufspaltung zu ermöglichen.184 Der tiefere Sinn dahinter liegt in der Schaffung von Wettbewerbsgleichheit- sowie in der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Gesellschaften, die ohne die Möglichkeit einer Sitzaufspaltung strukturell gegenüber Gesellschaften aus Gründungstheorie-Staaten benachteiligt würden.185 Mit einer rein materiellrechtlichen Interpretation der ge179
Stiegler, ZGR 2017, 312, 335. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 153; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 14. 181 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 14. 182 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 39. 183 Cziupka, in: Scholz (Hrsg.), GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 24; Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 59; Ego, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, Band 7, Europäische Niederlassungsfreiheit, Rn. 226; Kieninger, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 52 Rn. 20; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 218. 184 BT-Drs. 16/1640, S. 29. 185 BT-Drs. 16/1640, S. 29. 180
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
nannten Vorschriften würde dieses Ziel partiell verfehlt,186 da unter unveränderter Fortgeltung der Sitztheorie eine Verwaltungssitzverlegung aus Deutschland in einen Sitztheoriestaat weiterhin einen Statutenwechsel auslösen würde.187 Durch die kollisionsrechtliche Zulässigkeit einer Sitzaufspaltung würde auch ein zu begrüßender Gleichlauf zwischen materiellem Recht und Kollisionsrecht geschaffen. Zuletzt befeuern die durch diesen Paradigmenwechsel erweiterten188 Möglichkeiten zur Gesellschaftsmobilität den „Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen“189, was in Anbetracht seiner effizienzsteigernden und rechtsfortbildenden Effekte rechtspolitisch uneingeschränkt zu begrüßen ist.190
186 Kieninger, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 52 Rn. 20; Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 59; Huber, in: Kronke/Melis/Kuhn (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, Kapitel 2 Rn. 245. 187 Da rechtsformwahrende Verwaltungssitzverlegungen nicht Gegenstand der Arbeit sind, soll dieser Aspekt nicht weiter vertieft werden. Aus Gründen der Vollständigkeit wird darauf hingewiesen, dass auch unter Geltung der Sitztheorie eine rechtsformwahrende Verwaltungssitzverlegung in einen Gründungstheorie-Staat kollisionsrechtlich zulässig ist, sofern dieser im Wege einer Gesamtnormverweisung auf das Recht des Inkorporationsstaats verweist. Hierzu: Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 13 f. 188 Zur Bedeutung einer freien Rechtswahl und damit des Kollisionsrechts für einen Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen: Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 365 ff.; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 14; Schön, ZHR 160 (1996), 221, 243; Eidenmüller, in: Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 581, 582 f.; ders., JZ 64 (2009), 641, 642, 644; Teichmann, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, 43, 52; die These, dass die Möglichkeit einer freie Rechtswahl conditio-sine-quanon für einen „Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen“ ist, lässt sich an der vormals exponierten Stellung des mittlerweile aus der EU ausgeschiedenen Gründungstheorie-Staats Großbritannien im europäischen Wettbewerb der Gesetzgeber belegen. Empirisch die Bedeutung des Kollisionsrechts durch die gestiegene Anzahl von britischen Scheinauslandsgesellschaften infolge der kollisionsrechtlich bedeutsamen „Centros“-Entscheidung belegend: Becht/Mayer/Wagner, J. Corp. Finance 14 (2008), 241, 242, 247 ff. 189 Hierzu grundlegend: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 105 ff.; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 353 ff.; Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545, 554 ff.; explizit im Hinblick auf die erleichterte Gesellschaftsmobilität: Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 290 ff.; siehe auch: Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 7 Rn. 9 ff. 190 Ebenfalls positiv zum „Wettbewerb der Rechtsordnungen“: Eidenmüller, JZ 64 (2009), 641, 651; Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung, S. 99 weist daher zurecht darauf hin, dass das vielfach befürchtete „race to the bottom“ sich auch als „race to the top“ erweisen kann, indem man die Perspektive der von der Niederlassungsfreiheit Begünstigten einnimmt; ebenso: Schön, ZHR 160 (1996), 221, 235; ein solches „race to the top“ annehmend: Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 504; kritisch zum „Wettbewerb der Rechtsordnungen“ aber: Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 783.
A. Gesellschafts- und Internationalprivatrechtliche Grundlagen
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Soweit von der Gegenauffassung eingewandt wird, dass die Sitztheorie als allseitige191 Kollisionsnorm nicht durch eine auf deutsche AG und GmbH begrenzte Regel aufgehoben werden könne,192 vermag dies nicht zu überzeugen, da an dieser Stelle nur ein partieller Übergang zur Gründungstheorie befürwortet wird. Ohnehin kann die Sitztheorie durch ihren europäischen Einschlag, der für Zuzugsfälle einen Übergang zur Gründungstheorie erzwingt, ihr Kernanliegen, als „Schutztheorie“ die Schutzinteressen des am meisten betroffenen Staates durchzusetzen,193 in weiten Teilen nicht mehr erfüllen. Durch diese Erosion ihres zulässigen Anwendungsbereiches hat die Sitztheorie einen Großteil ihres Werts als wissenschaftliches Dogma eingebüßt.194 Nach alledem sprechen die besseren Argumente dafür, dass der Gesetzgeber mit dem MoMiG jedenfalls für Wegzugsfälle allgemein zur Gründungstheorie übergegangen ist. Für die hier auszuklammernden Drittstaaten-Konstellationen halten Rechtsprechung195 und überwiegende Teile der Literatur196 – jüngst auch im Hinblick auf die Behandlung von Gesellschaften aus dem Vereinigten Königreich nach dem „Brexit“ –197 apodiktisch an der Geltung der Sitztheorie fest. Dies führt dazu, dass aus 191 Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 98 ff. m. w. N. „Allseitig“ meint eine Norm, die auf alle in- und ausländischen Gesellschaften Anwendung findet. 192 Weller, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, Einleitung Rn. 384; ders., IPRax 2017, 167, 171 193 Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 424 m. w. N. 194 Cziupka, in: Scholz (Hrsg.), GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 24; vgl. zur ähnlichen Diskussion zu der Neufassung des § 706 BGB im Zuge des MoPeG: Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 495. 195 BGH, Urt. v. 27. 10. 2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192, 197 („Trabrennbahn“); BGH, Beschl. v. 08. 10 2009 – IX ZR 227/06, BeckRS 2009, 28205; BGH, Urt. v. 27. 10. 2008 – II ZR 158/06, NJW 2009, 289, 290 f.; BGH, Beschl. v. 22. 11. 2016 – II ZB 19/15, NZG 2017, 347, 349; OLG Hamburg, Urt. v. 30. 03. 2007 – 11 U 231/04, BB 2007, 1519, 1520 f. 196 Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 458; Weller/Hübner, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Europäisches Zivilrecht, Teil 23 Rn. 31 ff.; Kainer, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Binnenmarkt- und Wirtschaftsordnungsrecht, § 4 Rn. 18; Zimmermann, in: Hauschild/Kallrath/Wachter (Hrsg.), Notarhandbuch Gesellschafts- und Unternehmensrecht, § 27 Rn. 15; Spahlinger, in: Spahlinger/Wegen (Hrsg.), Internationales Gesellschaftsrecht in der Praxis, Rn. 79; Weller, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, Einleitung Rn. 371, 373; ders., in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 497, 501; siehe auch das Plädoyer für eine Beibehaltung der Sitztheorie für Drittstaatenkonstellationen bei Jestädt, Das Niederlassungsfreiheit und Gesellschaftskollisionsrecht, S. 55 f.; monographisch zum Gesellschaftskollisionsrecht in Bezug auf Drittstaaten: Hübner, Kollisionsrechtliche Behandlung von Gesellschaften aus „nichtprivilegierten“ Drittstaaten, S. 112 ff.; a. A.: Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 140 m. w. N.; kritisch zur Geltung der Sitztheorie für Drittstaaten auch: Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 50. 197 OLG München, Urt. v. 05. 08. 2021 – 29 U 2411/21 Kart, BWNotZ 2021, 397, 399 ff. (Rn. 20 ff.) im Anschluss an BGH, Beschl. v. 16. 02. 2021 – II ZB 25/17, NZG 2021, 702 ff.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
Drittstaaten hinzuziehende Gesellschaften weder als solche anerkannt- noch als rechtliches nullum198 behandelt werden, sondern im Wege der Transposition199 in eine deutsche Personengesellschaft umqualifiziert werden („Wechselbalgtheorie“).200 d) Folgen für den grenzüberschreitenden Formwechsel aus Deutschland hinaus und vice versa Da für Kapitalgesellschaften innerhalb der EU uneingeschränkt die Gründungstheorie maßgeblich ist, erfordert ein grenzüberschreitender Formwechsel unter deutscher Beteiligung aus kollisionsrechtlicher Perspektive stets eine Verlegung des Satzungssitzes.201 Eine missliche Duplizierung der Gesellschaftsstatute, die im nicht unionsrechtlich determinierten Bereich beispielsweise bei der Verlegung des Verwaltungssitzes von einem Gründungstheorie- in einen Sitztheoriestaat droht,202 ist ausgeschlossen. Dasselbe gilt für „hinkende Rechtsverhältnisse“. Hiermit wird eine Situation beschrieben, in der die Existenz einer Gesellschafter in einem Mitgliedstaat anerkannt wird, während sie in einem weiteren Mitgliedstaat als nicht existent behandelt wird.203
(Rn. 9 ff.), der die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit auf britische Gesellschaften nach Ablauf des Brexit-Übergangszeitraums zum 31. 12. 2020 verneint hatte; ausführlich zu allen gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen in Folge des „Brexits“: Wachter, in: Süß/Wachter (Hrsg.), Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, § 2 Rn. 1 ff. 198 So aber noch: OLG München, Urt. v. 31. 10. 1994 – 26 U 2596/94, NJW-RR 1995, 703, 704 („rechtlich inexistent“); Martin-Ehlers, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, 1, 3; ebenfalls die Rechts- und Parteifähigkeit verneinend: BGH, Beschl. v. 30. 03. 2000 – VII ZR 370/98, EuZW 2000, 412, 413 (Überseering-Vorlagebeschluss); Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht Rn. 427; deskriptiv zu dieser antiquierten Ansicht: Weller, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, Einleitung Rn. 326 f. 199 Zum Begriff der Transposition: v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht I, § 7 Rn. 246; vgl. zum Internationalen Sachenrecht: v. Hein, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Einleitung zum IPR Rn. 240 f. 200 BGH, Urt. v. 01. 07. 2002 – II ZR 380/00, NJW 2002, 3539, 2540 („Jersey“); BGH, Urt. v. 27. 10. 2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192, 199 („Trabrennbahn“); zur „Wechselbalgtheorie“: Weller, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, Einleitung Rn. 373; ders., in: Habersack/Hommelhoff/Fleischer/Hopt, Festschrift für Wulf Goette zum 65. Geburtstag, 583, 591 ff.; vgl. auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 102 ff. zur anfänglichen Rechtsformverfehlung und zum nachträglichen Rechtsformzwang. 201 Braun, Die Wegzugsfreiheit als Teil der Niederlassungsfreiheit, S. 222. 202 Hierzu: J. Schmidt, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt (Hrsg.), GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 15; Dostal, in: Römermann/Büsching (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch GmbH-Recht, § 26 Rn. 296; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 741. 203 Thölke, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 1 Rn 9.
A. Gesellschafts- und Internationalprivatrechtliche Grundlagen
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2. Sachrechtliche Ebene Die der kollisionsrechtlichen Ebene nachgelagerte204 Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts behandelt vornehmlich die Fragen nach den beteiligungsfähigen Rechtsträgern, dem Formwechselverfahren sowie nach den materiellen Voraussetzungen für grenzüberschreitende Formwechsel.205 Unerlässlich ist Anordnung der Identitätswahrung bei der Aufnahme der Gesellschaft in seine Rechtsordnung durch den Zuzugsstaat.206 Da ein grenzüberschreitender Formwechsel einer Gründung der (Ziel-)Gesellschaft im Zuzugsstaat vergleichbar ist,207 muss der Rechtsträger dessen Gründungsvoraussetzungen – beispielsweise Formerfordernisse oder die Erbringung des Mindestkapitals – erfüllen.208 Insoweit kann erneut die Parallele zum Wechsel der Staatsangehörigkeit eines Unionsbürgers herangezogen werden, da auch ein solcher nicht schrankenlos möglich ist, sondern die Voraussetzungen des Zuzugsstaats erfüllt werden müssen.209
VI. Anzuwendendes Recht: Kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie Da an einem grenzüberschreitenden Formwechsel stets zwei Rechtsordnungen beteiligt sind und die Gefahr von Normenkollisionen besteht, drängt sich die Frage auf, welche Rechtsordnung für welchen Verfahrensschritt maßgeblich ist. Heute herrscht Einigkeit,210 dass die beiden beteiligten Rechtsordnungen in Ermangelung einer europäischen oder autonom deutschen Umwandlungskollisionsnorm entsprechend der bereits 1933 durch v. Spindler entwickelten211 und in der Folge durch 204
Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1583. Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn 8. 206 Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 54 Rn. 10; Großfeld/Jasper, RabelsZ 53 (1989), 52, 53. 207 EuGH, Urt. v. 12. 7. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, Rn. 51; MarschBarner, in: Blumenberg/Crezelius/Gosch (Hrsg.), Festschrift für Wilhelm Haarmann, 115, 138; Loose, Grenzüberschreitender Formwechsel von Kapitalgesellschaften, S. 65; Behme, NZG 2012, 936, 938. 208 Vgl. EuGH, Urt. v. 12. 07. 2012, VALE, C-378/10, EU:C:2012:440 Rn. 30 – 32, 51; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2017, Polbud, C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, Rn. 35; Kalss/Klampf, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, E. III. Rn. 132; vgl. Krafka, in: Krafka (Hrsg.), Registerrecht, Dritter Abschnitt, Rn. 1211b; vgl. Behme, ZHR 182 (2018), 32, 41; vgl. Brandi, BB 2018, 2626, 2633; vgl. Krebs, GWR 2014, 144, 145; Hübner, IPRax 2015, 134, 137; vgl. Art. 86o Abs. 1 UAbs. 2 GesR-RL; Schön, ZGR 2013, 333, 360; vgl. auch § 197 UmwG bei innerdeutschen Formwechseln. 209 Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493, 495. 210 Nicht mehr vertreten wird – soweit ersichtlich – die sog. Einheitstheorien, nach denen das Verfahren eines grenzüberschreitender Formwechsel sich nach nur einer Rechtsordnung richtet. Zu diesen: Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 794 ff. in der Vorauflage. 211 Von Spindler, Wanderungen gewerblicher Körperschaften, S. 65, 71, 78. 205
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
Beitzke in Bezug auf grenzüberschreitende Verschmelzungen geprägten212, sog. (modifizierten) kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie sukzessive anzuwenden sind.213 Hierdurch soll eine stetige Anwendung der Normen desjenigen Mitgliedstaats sichergestellt werden, der durch den jeweiligen Vorgang allein betroffen ist.214 Danach ist der Wegzugsstaat für die Formulierung der Voraussetzungen des Verlassens seiner Rechtsordnung zuständig, während sich die Gründungsvoraussetzungen und zukünftigen Rechtsverhältnisse nach dem Recht des Zuzugsstaats bemessen.215 Dem Wegzugsstaat ist im Wesentlichen216 aufgrund der Sachnähe und der regelmäßigen Ansässigkeit der Gesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer der bedeutsame Bereich des Stakeholder-Schutzes überantwortet.217 Welche Vorschrif212 Beitzke, in: Caemmerer (Hrsg.), Festschrift für Walter Hallstein zu seinem 65. Geburtstag, 14, 20 ff. 213 EuGH, Urt. v. 12. 7. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 Rn. 37, 44; Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 5 Rn. 11; Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 54 Rn. 10; Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn. 32; Paefgen, in: Westermann/Wertenbruch (Hrsg.), Handbuch Personengesellschaften, § 60 Rn. 4987; Wall, in: Hausmann/Odersky (Hrsg.), Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 18 Rn. 232 ff; Süß, in: Herrler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 12 Rn. 3; Lutter/ Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 89; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 250 f.; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 158 ff.; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 35 f.; Rentsch, in: Teichmann/Oplustil (Hrsg.), Grenzüberschreitende Unternehmensmobilität, 171, 175; Lieder/Bialluch, NotBZ 2017, 209; Weller, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 497, 516; ders., IPRax 2017, 167, 175; ders./Rentsch, IPRax 2013, 530, 532 ff.; Jaensch, EWS 2007, 97, 98; Schneider, DB 2018, 941; die kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie ist beispielsweise in Italien (Art. 25 Abs. 3 IPRG) kodifiziert. 214 Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 5 Rn. 11; Limmer/Knaier, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 6 Rn. 271; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 160. 215 Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 161; Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 5 Rn. 36; Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 54 Rn. 10; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 251; Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530, 532. 216 Beispielsweise obliegt der Schutz der Neugläubiger dem Zuzugsstaat, da diese sich über die neue Rechtsform informieren können und insoweit nicht schutzbedürftig sind. Hierzu ausführlich: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 37 ff. 217 Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 54 Rn. 10; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 175; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 201; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 160 f.; Verse, ZEuP 2013, 459, 494; Schall, ZfPW 2018, 176, 200; Krebs, GWR 2014, 144, 146; Kovács, ZIP 2018, 253, 257 sowie 260; Oplustil, in: Teichmann/Oplustil (Hrsg.), Grenzüberschreitende Unternehmensmobilität, 139, 152; Teichmann, LMK 2009, 275584; vgl. Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 177.
B. Niederlassungsfreiheit und grenzüberschreitende Formwechsel
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ten aus deutscher Perspektive zur Anwendung gelangen hängt daher davon ab, ob es sich um einen Heraus- oder Hereinformwechsel handelt.
B. Niederlassungsfreiheit und grenzüberschreitende Formwechsel Bis zum Inkrafttreten der Mobilitäts-RL mangelte es an sekundärrechtlichen Vorgaben für grenzüberschreitende Formwechsel. Infolgedessen oblag es dem EuGH, im Wege der Auslegung der Niederlassungsfreiheit den primärrechtlichen Schutz grenzüberschreitender Formwechsel herauszukristallisieren. In mehreren wegweisenden Entscheidungen hat dieser in seiner Rolle als „Motor der Integration“218 die Niederlassungsfreiheit schrittweise zu einer umfassenden „Formwechselfreiheit“219 ausgebaut. Aufgrund der bereits vorgenommenen umfangreichen Aufarbeitung220 dieser Thematik beschränkt sich die Darstellung der primärrechtlichen Grundlagen auf die Zusammenfassung der wesentlichen Vorgaben der EuGHJudikatur zur grenzüberschreitenden Gesellschaftsmobilität. Vertieft wird auf die Rechtsprechung an den Stellen eingegangen, an denen sie auch für den hiesigen Untersuchungsgegenstand zum Tragen kommt.
I. Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit Das Europäische Primärrecht sicherte von Anfang an221 die unmittelbar anwendbare222 Niederlassungsfreiheit. Diese in Art. 49 AEUV normierte Grundfreiheit 218 Hübner, in: Gehrlein/Born/Simon (Hrsg.), GmbHG, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 86; Hushahn, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018, 171; Ebke, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, 101, 105 („Motor der Rechtsangleichung“). 219 Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481, 1485. 220 Grundlegend zur der eng miteinander verzahnten EuGH-Judikatur im Hinblick auf rechtsformwahrende Verwaltungssitzverlegungen und grenzüberschreitende Formwechsel: Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 12 ff.; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 42 ff., 136 ff.; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 17 ff.; Allmendinger, Die Beschlussfassung zum grenzüberschreitenden Wegzug, S. 86 ff.; Loose, Grenzüberschreitender Formwechsel von Kapitalgesellschaften, S. 75 ff.; siehe auch die Zusammenfassungen bei Stiegler, in: Jungs/ Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, S. 644 ff.; Bayer/Schmidt, ZIP 2017, 2225, 2225 ff.; Hayden, Grenzüberschreitender Formwechsel, Identitätswahrende Sitzverlegung von Kapital- und Personengesellschaften sowie Privatstiftungen, S. 13 ff.; Teichmann/Knaier, GmbHR 2017, 1314, 1314 ff.; Behme, ZHR 182 (2018), 32, 37 ff.; Schall, ZfPW 2018, 176 ff.; Wolf, MittBayNot 2018, 510, 510 ff. 221 Zunächst war die Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften im EWG-Vertrag in Artt. 53, 58 EWG geregelt. Anschließend wurde die Niederlassungsfreiheit in den Art. 43, 48 EG garantiert. Mittlerweile ist sie in Artt. 49, 54 AEUV geregelt.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
gewährleistet, dass jeder Unionsbürger sich in jedem Mitgliedsstaat zu den identischen Bedingungen wie die dortigen Staatsangehörigen niederlassen und selbstständig tätig werden kann.223 Art. 54 Abs. 1 AEUV erstreckt den persönlichen Schutzbereich auf die nach mitgliedstaatlichem Recht gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, mit Ausnahme von Gesellschaften, die keinen Erwerbszweck verfolgen.224 Die Niederlassungsfreiheit fußt auf dem Gedanken, dass die Marktteilnehmer ihre wirtschaftliche Tätigkeit im Binnenmarkt frei entfalten- und sich ohne Rücksicht auf Binnengrenzen an dem für sie günstigsten Ort lokalisieren können.225 Auf diesem Weg soll eine optimale Ressourcenallokation zur Mehrung des wirtschaftlichen Wohl im gesamten Binnenmarkt ermöglicht werden.226 Der Bedeutungsgehalt der Niederlassungsfreiheit lässt sich prägnant mit den folgenden Worten Hommelhoffs zusammenfassen: „In einem einheitlichen Wirtschaftsraum mit offenen Binnengrenzen ohne Hindernisse für den Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital (…) sollen sich Handel und Wandel zwischen Mailand und Mannheim nicht anders vollziehen als zwischen Heidelberg und Hamburg“.227
222 EuGH, Urt. v. 05. 02. 1963, Van Gend & Loos, C-26/62, ECLI:EU:C:1963:1, S. 24 f.; zur unmittelbaren Geltung des Unionsrechts statt aller: Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Europäisches Zivilrecht, Teil 2 Rn. 3. 223 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der EU, Art. 49 AEUV Rn. 68. 224 Zur weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Erwerbszweck“: Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 54 AEUV Rn. 2 f.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 54 AEUV Rn. 7 ff.; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 28 f. 225 Ego, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, Band 7, Europäische Niederlassungsfreiheit, Rn. 2; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 193; Lutter, in: Semler/Hommelhoff (Hrsg.), Reformbedarf im Aktienrecht: 4. Deutsch-Österreichisches Symposion zum Gesellschaftsrecht auf dem Lämmerbuckel, 121, 123; Schön, in: Hommelhoff/ Rawert/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Priester zum 70. Geburtstag, 737, 742; ders., in: Wank (Hrsg.), Festschrift für Herbert Wiedemann zum 70. Geburtstag, 1271, 1290; ders., in: Kirchhof/Dürrschmidt (Hrsg.), Festschrift für Wolfram Reiss zum 65. Geburtstag, 571, 578; ders., ECFR 2006, 122, 144. 226 Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 119; Schön, in: Hommelhoff/ Rawert/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Priester zum 70. Geburtstag, 737, 742; ders., ECFR 2006, 122, 125; Teichmann, ZIP 2009, 393, 397; grundlegend zu den ökonomischen Grundlagen der europäischen Integration: Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 26 ff. 227 Hommelhoff, WM 51 (1997), 2101; ähnlich: Lutter, ZGR 2000, 1, 12: „Freizügigkeit von Unternehmen besteht nicht nur in der Gründung oder dem Erwerb von Tochtergesellschaften oder der Errichtung von Zweigniederlassungen im europäischen Ausland, sie hat ihren Kern in der Möglichkeit, den Sitz nicht nur von Köln nach Hamburg verlegen zu können, sondern eben auch von Köln nach Paris“ sowie Schön, in: Wank (Hrsg.), Festschrift für Herbert Wiedemann zum 70. Geburtstag, 1271, 1290: „Der grenzüberschreitende Wirtschaftsverkehr soll sich in gleicher Weise wie der Binnenverkehr innerhalb eines Staates entfalten können“.
B. Niederlassungsfreiheit und grenzüberschreitende Formwechsel
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Die Niederlassungsfreiheit ist aus diesen Gründen ein bedeutsamer Pfeiler des durch Art. 3 Abs. 3 EUV vorausgesetzten europäischen Binnenmarktes,228 welcher das „wirtschaftliche Herzstück der Integration“229 bildet. Sie gewährt Gesellschaften nicht nur das Recht, den Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu errichten und in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen („primäre“230 Niederlassungsfreiheit) sondern auch das Recht, Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften zu gründen („sekundäre“231 Niederlassungsfreiheit“). Hierdurch erwächst den Gesellschaften ein umfassendes Recht, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben anderer Mitgliedstaaten teilzunehmen.232 Der durch die Niederlassungsfreiheit intendierte Abbau von rechtlichen und faktischen Grenzen geschieht sowohl durch die judikative Kassation von Diskriminierungen und ungerechtfertigten Beschränkungen („negative Integration“)233 als auch durch die Kreation von Sekundärrecht („positive Integration“)234.235 Beides 228
Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 16. Vgl. Pechstein, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 3 EUV Rn. 7; im Ergebnis ähnlich: Kainer, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Binnenmarkt- und Wirtschaftsordnungsrecht, § 4 Rn. 1. 230 Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 8; Teichmann, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, § 6 Rn. 22; Weller/ Hübner, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Europäisches Zivilrecht, Teil 23 Rn. 3; Wernicke/ Friedl, in: Brodersen (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Umwandlungen international, Teil 1 Rn. 146; Kainer, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Binnenmarkt- und Wirtschaftsordnungsrecht, § 4 Rn. 40; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 2; G. H. Roth, Vorgaben der Niederlassungsfreiheit für das Kapitalgesellschaftsrecht, S. 4; Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 305; Fischer, Grenzüberschreitende Umgründung im EU-Raum, S. 4; Schön, in: Schneider/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Marcus Lutter zum 70. Geburtstag, 685, 690. 231 Korte, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 34; Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 8; Kainer, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Binnenmarkt- und Wirtschaftsordnungsrecht, § 4 Rn. 86; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 284; Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 17; Schön, in: Schneider/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Marcus Lutter zum 70. Geburtstag, 685, 693; Teichmann, ZGR 2011, 639, 664; Ringe, EBLR 2005, 621; Wyckaert/ Jenne, in: Geens/Hopt (Hrsg.), Corporate Mobility, 287, 288. 232 EuGH, Urt. v. 12. 09. 2006, Cadbury Schweppes, C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, Rn. 53. 233 Korte, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 26 AEUV Rn. 38 f.; Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, S. 120. 234 Kingreen, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 36 AEUV Rn. 2; Korte, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 26 AEUV Rn. 40; Seiler, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 110 AEUV Rn. 14; Bast, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 26 AEUV Rn. 6. 235 Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, S. 120; Teichmann, ZGR 2011, 639, 655 f.; ders., ZIP 2009, 393, 397. 229
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
kann anhand grenzüberschreitender Formwechsel mustergültig exemplifiziert werden: Zu Beginn verwarf der EuGH ungerechtfertigte Beschränkungen von grenzüberschreitender Mobilität und arbeitete ihren durch das Primärrecht vermittelten Schutz heraus. Hiermit wurde erfolgreich Druck auf den Europäischen Gesetzgeber ausgeübt, diese durch Konstituierung eines rechtssicheren Rahmens für das Formwechselprocedere auch in der Praxis zu ermöglichen.
II. Schutz grenzüberschreitender Formwechsel durch die Niederlassungsfreiheit Seit den Leitentscheidungen „Sevic“,236 „Cartesio“237 und „Vale“238 ist anerkannt, dass grenzüberschreitende Formwechsel – sowohl aus Perspektive des Wegzugsstaats239 als auch aus dem Blickwinkel des Zuzugsstaats240 – Schutz durch die Niederlassungsfreiheit genießen.241 Dem Wegzugsstaat ist verwehrt, qua ius vitae necisque242 mit Auflösung und Liquidation („Todesstrafe“)243 auf die kollisionsrechtlich maßgebliche Sitzverlegung zu reagieren, sofern der grenzüberschreitende Formwechsel den identitätswahrenden Zuzug zulässt.244 Mit der revolutionären „Polbud“245-Entscheidung aus dem Jahr 2017 ist auch die lange Diskussion um den Schutz isolierter grenzüberschreitender Formwechsel 236 EuGH, Urt. v. 13. 12. 2005, SEVIC, C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762; besprochen u. a. bei: Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 35 f. Dieses Urteil betraf zwar grenzüberschreitende Verschmelzung, ist jedoch pars pro toto für sämtliche grenzüberschreitenden Umwandlungen zu verstehen. 237 EuGH, Urt. v. 16. 12. 2008, Cartesio, C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 (obiter dictum zum grenzüberschreitenden Formwechsel). 238 EuGH, Urt. v. 12. 07. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 (explizit zum grenzüberschreitenden Formwechsel). 239 Hierzu grundlegend: Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 136 ff.; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 130 ff. 240 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 202 ff.; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 135 ff. 241 EuGH, Urt. v. 13. 12. 2005, SEVIC, C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762, Rn. 18; vgl. EuGH, Urt. v. 16. 12. 2008, Cartesio, C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723, Rn. 111; EuGH, Urt. v. 12. 07. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, Rn. 24 ff. 242 So die Formulierung bei Ratka/Rauter, wbl 2009, 62. 243 Diese plastische Begrifflichkeit geht auf Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 356 zurück und wurde u. a. auch von Generalanwalt Maduro in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache „Cartesio“ aufgegriffen, Generalanwalt Maduro, Schlussanträge v. 22. 05. 2008, Cartesio, C-210/06, ECLI:EU:C:2008:294, Rn. 31. 244 EuGH, Urt. v. 16. 12. 2008, Cartesio, C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723, Rn. 110 ff.; Campos Nave, BB 2009, 870, 872; vgl. jüngst auch OLG Saarbrücken, Beschl. v. 7. 1. 2020 – 5 W 79/19, NZG 2020, 390, 391 Rn. 5 zur Verpflichtung des Wegzugsstaats, grenzüberschreitende Formwechsel zu ermöglichen. 245 EuGH, Urt. v. 25. 10. 2017, Polbud, C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804.
B. Niederlassungsfreiheit und grenzüberschreitende Formwechsel
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durch die Niederlassungsfreiheit246 im positiven Sinne entschieden. In diesem mit Spannung erwarteten Grundsatzurteil judizierte der EuGH, dass die Niederlassungsfreiheit die Wahl der Rechtsform eines anderen Mitgliedstaats unabhängig davon schützt, ob mit dem Satzungssitz gleichzeitig auch der Verwaltungssitz in den Zuzugsstaat verlegt wird oder dort jedenfalls eine wirtschaftliche Tätigkeit aufgenommen wird.247 Im Ergebnis existiert durch die folgerichtige248 Ausweitung der anfänglichen Rechtswahlfreiheit249 auf eine nachträgliche Rechtswahlfreiheit eine umfassende Rechtswahlfreiheit für Gesellschaften im europäischen Binnenmarkt.250 Diese können ihr Gesellschaftsstatut und ihre Rechtsform innerhalb der EU daher auch nachträglich „à la carte“ auswählen. Diese carte blanche ist lediglich insoweit eingeschränkt, als dass isolierte grenzüberschreitende Formwechsel nicht realisierbar sind, wenn der Zuzugsstaat die Sitztheorie anwendet. 246 Den Schutz isolierter grenzüberschreitender Formwechsel durch die Niederlassungsfreiheit zutreffend bejahend: Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 5 Rn. 19; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 22 Rn. 799; Lieder/Bialluch, NotBZ 2017, 209, 211; W.-H. Roth, ZGR 2013, 333, 358 ff.; Schön, ZGR 2013, 333, 359 f.; Drygala, EuZW 2013, 569, 571; J. Schmidt, ZVglRWiss 116 (2017), 313, 330 f.; Franz, EuZW 2016, 930, 935; Behme, NZG 2012, 936, 939; ablehnend: Generalanwältin Kokott, Schussanträge v. 04. 05. 2017, Polbud, C-378/10, ECLI:EU:C:2017: 351, Rn. 32 ff.; Süß, in: Herrler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 12 Rn. 121; Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 54 Rn. 8; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 146 ff.; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 64 f.; Stiegler, Der grenzüberschreitende Rechtsformwechsel in der Europäischen Union, S. 30; ders., KSzW 2014, 107, 108; Teichmann, DB 2012, 2085, 2088; Verse, ZEuP 2013, 458, 478 f.; König/Bormann, NZG 2012, 1241, 1243; Wöhlert/Degen, GWR 2012, 432, 433; Krause, in: Deinert/Heuschmid/Ma. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Thomas Klebe zum 70. Geburtstag, 248, 250 („eine Art Rosinentheorie“); Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493, 494; Sørensen, CMLR 52 (2015), 85, 88 f.; Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174, 176 f.; differenzierend: v. Hein/ Brunk, IPRax 2018, 46, 54. 247 EuGH, Urt. v. 25. 10. 2017, Polbud, C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, Rn. 37 f. 248 So auch: Altmeppen, in: Altmeppen (Hrsg.), GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 25; Knaier, in: Rupp (Hrsg.): IPR zwischen Tradition und Innovation, 103, 108. 249 W.-H. Roth, in: Dauner-Lieb et. al. (Hrsg.), Festschrift für Barbara Grunewald zum 70. Geburtstag, 935, 948; Wetzler, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, 129, 130; eine Einschränkung besteht nur insoweit, als dass der Inkorporationsstaat sowohl auf kollisions- als auch auf materiellrechtlicher Ebene einen inländischen Verwaltungssitz verlangen kann. Hierzu: Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 275; kritisch zur Freiheit der Wahl des Gründungsstatuts: Kindler, in: Bauer/Kort/Möllers/Sandmann (Hrsg.), Festschrift für Herbert Buchner zum 70. Geburtstag, 426, 427 („Freibrief zur Gesetzesumgehung“); kritisch ebenfalls: Schurig, in: Hilbig-Lugani/ Jakob/Mäsch/Reuß/Schmid (Hrsg.): Festschrift für Dagmar Coester-Waltjen zum 70. Geburtstag, 745, 746; begrüßend hingegen: Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung, S. 43 f. 250 Loose, Grenzüberschreitender Formwechsel von Kapitalgesellschaften, S. 129; Kindler, NZG 2018, 1, 3.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
Dieser durch die Niederlassungsfreiheit vermittelte Schutz wird durch die allgemeinen unionsrechtlichen Prinzipien der Äquivalenz und Effektivität abgesichert.251 Der Äquivalenzgrundsatz als spezielle Ausformung des allgemeinen Diskriminierungsverbots252 besagt, dass grenzüberschreitende Sachverhalte gegenüber gleichartigen nationalen Sachverhalten nicht schlechter gestellt werden dürfen, soweit nicht besondere Belange beschränkende Vorschriften eine Ungleichbehandlung rechtfertigen.253 Der Effektivitätsgrundsatz verbietet ein Verhindern oder übermäßiges Erschweren der Ausübung der unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten.254 Die Mitgliedstaaten müssen dafür Sorge tragen, dass grenzüberschreitenden Formwechseln zu ihrer praktischen Wirksamkeit verholfen wird, indem sie insbesondere den aus der Beteiligung zweier Rechtsordnungen fließenden Spezifika Rechnung zu tragen.255
III. Reichweite der „Formwechselfreiheit“: Diskriminierungs- vs. Beschränkungsverbot? Im Ausgangspunkt ist heute256 unbestritten, dass die Niederlassungsfreiheit nicht nur als Diskriminierungsverbot zu verstehen ist, sondern ein umfassendes Beschränkungsverbot enthält.257 Während der Begriff der Diskriminierung die offene 251 Zu diesen Prinzipien: Rentsch, in: Teichmann/Oplustil (Hrsg.), Grenzüberschreitende Unternehmensmobilität, 171, 177. 252 W.-H. Roth, in: Krieger/Lutter/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Michael HoffmannBecking zum 70. Geburtstag, 965, 988. 253 EuGH, Urt. v. 12. 7. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, Rn. 48 („Sie dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen [Vorschriften], die gleichartige innerstaatliche Sachverhalte regeln“); Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 5 Rn. 13; Wicke, DStR 2012, 1756, 1757; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 8 Rn. 36; Wilhelmi, in: Jochum/Fritzemeyer/Kau (Hrsg.): Festschrift für Kay Hailbronner, 531, 542. 254 EuGH, Urt. v. 12. 7. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, Rn. 48 („[Sie dürfen jedoch] die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren“); Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 5 Rn. 13; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 8 Rn. 36; Wicke, DStR 2012, 1756, 1757. 255 W.-H. Roth, in: Krieger/Lutter/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Michael HoffmannBecking zum 70. Geburtstag, 965, 988. 256 Zu dem historischen Verständnis der Niederlassungsfreiheit als bloßes Diskriminierungsverbot: Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 3; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 85. 257 EuGH, Urt. v. 30. 11. 1995, Gebhard, C-55/94, ECLI:EU:C:1995:411, Rn. 37; EuGH, Urt. v. 29. 11. 2011, National Grid Indus, C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785, Rn. 35; Korte, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 59; Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 39; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 49 AEUV Rn. 88; Weller/Hübner, in: Gebauer/Wiedmann
B. Niederlassungsfreiheit und grenzüberschreitende Formwechsel
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oder verdeckte unterschiedliche Behandlung von gleichartigen nationalen und grenzüberschreitenden Sachverhalten und vice versa umschreibt,258 versteht man unter Beschränkungen sämtliche Maßnahmen, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen259. 1. Streitstand Trotz dieser Gewissheit wird der Charakter der Niederlassungsfreiheit als Beschränkungsverbot im Hinblick auf den Schutz grenzüberschreitender Formwechsel verbreitet (implizit) in Frage gestellt. Eine beachtliche Literaturmeinung stellt die Pflicht zur Ermöglichung grenzüberschreitender Formwechsel unter den Vorbehalt, dass ein entsprechender nationale Formwechsel möglich ist.260 Zum Teil wird danach differenziert, ob es sich um einen Herausformwechsel (dann Beschränkungsverbot) oder um einen Hereinformwechsel (dann Diskriminierungsverbot) handelt.261 Wäre beispielsweise ein innerstaatlicher Formwechsel einer AG in eine GmbH nicht möglich, müsste Deutschland nach dieser Auffassung den Hereinformwechsel eines ausländischen Pendants zu einer AG in eine GmbH nicht zulassen. Eine Ausnahme
(Hrsg.), Europäisches Zivilrecht, Teil 23 Rn. 9; Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 27; Ego, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, Band 7, Europäische Niederlassungsfreiheit, Rn. 7; Teichmann, in: Erle/ Goette/Kleindiek (Hrsg.), Festschrift für Peter Hommelhoff zum 70. Geburtstag, 1213, 1225. 258 Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 49 AEUV Rn. 74 ff.; Teichmann, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, § 6 Rn. 24. 259 EuGH, Urt. v. 31. 03. 1993, Kraus, C-19/92, ECLI:EU:C:1993:125, Rn. 32; EuGH, Urt. v. 30. 11. 1995, Gebhard, C-55/94, ECLI:EU:C:1995:411, Rn. 37; Ego, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, Band 7, Europäische Niederlassungsfreiheit, Rn. 136. 260 Bayer, in: Lutter (Begr.), UmwG, Einleitung I Rn. 47; Hoffmann, in: Leible/Reichert/ Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 54 Rn. 7 f.; Behrens/ Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 158; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 42, 51, 88 (für den Hereinformwechsel); Stiegler, Der grenzüberschreitende Rechtsformwechsel in der Europäischen Union, S. 20 ff.; ders., Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 147 f., 151 f.; Wasmeier, Grenzüberschreitende Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften durch Sitzverlegung und formwechselnde Umwandlung, S. 132 f.; Feldmann, Grenzüberschreitende Umwandlungen von Gesellschaften in der Europäischen Union, S. 248; Trautrims, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 187 f.; Teichmann, ZIP 2009, 393, 402; ders., ZGR 2011, 639, 686; ders./Ptak, RIW 2010, 817, 819; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481, 1488 f.; wohl auch: Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545, 549; Campos Nave, BB 2009, 870, 872: implizit auch: Krafka, in: Krafka (Hrsg.), Registerrecht, Rn. 1211a, 1211e. 261 Grundlegend zu dieser Diskussion m. w. N.: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 130 ff. (für den Herausformwechsel), S. 135 ff. (für den Hereinformwechsel) m. w. N.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
bestehe lediglich für uneingeschränkt zulässige rechtsformkongruente Formwechsel, da diese naturgemäß innerstaatlich nicht durchführbar seien.262 Nach der Gegenauffassung partizipieren grenzüberschreitende Formwechsel unabhängig von dem nationalen Umwandlungsrecht der beteiligten Mitgliedstaaten an dem Schutz durch die Niederlassungsfreiheit.263 Der EuGH hat sich zu dieser Frage noch nicht geäußert, da den zu grenzüberschreitenden Umwandlungen entschiedenen Fälle stets Sachverhalte zugrunde lagen, in denen grenzüberschreitendegegenüber innerstaatlichen Umwandlungen benachteiligt wurden.264 Es fehlt bislang an der entscheidungserheblichen Konstellation einer umwandlungswilligen Gesellschaft, der eine vergleichbare innerstaatliche Umwandlung nicht möglich wäre. Während diese Frage für grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften angesichts der mit der Mobilitäts-RL vollzogenen Harmonisierung des Rechtsrahmens nur noch von untergeordneter Bedeutung ist, wird sie für den nicht sekundärrechtlich determinierten grenzüberschreitenden Formwechsel von Personengesellschaften virulent. 2. Stellungnahme Die Anhänger einer restriktiven Interpretation der Niederlassungsfreiheit als reines Gleichbehandlungsgebot für inländische- und grenzüberschreitende Form262 Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 51; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 142 f.; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 153; Feldmann, Grenzüberschreitende Umwandlungen von Gesellschaften in der Europäischen Union, S. 249 f.; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 760; dies., ZIP 2012, 1481, 1489; Wilhelmi, in: Jochum/ Fritzemeyer/Kau (Hrsg.): Festschrift für Kay Hailbronner, 531, 542. 263 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 166 (für den Herausformwechsel); W.-H. Roth, in: Krieger/Lutter/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Michael Hoffmann-Becking zum 70. Geburtstag, 965, 976 f. (für den Herausformwechsel) sowie 982 f. (für den Hereinformwechsel); ders., ZGR 2014, 168, 204; Schön, ZGR 2013, 333, 345 f.; Verse, ZEuP 2013, 458, 487 f.; wohl auch: Herrler, DNotZ 2009, 484, 488 f.; 490 f.; ders., EuZW 2007, 295, 298 f.; Leible/Hoffmann BB 2009, 58, 60 f. (jeweils für den Herausformwechsel); unklar im Hinblick auf den Herausformwechsel: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 134 f., der den Wegzugsstaat grundsätzlich unabhängig vom nationalen Umwandlungsrecht zur Zulassung grenzüberschreitender Formwechsel verpflichtet hält, gleichwohl aber die Auflösung und Liquidation als gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ansieht, sofern ein entsprechender innerstaatlicher Formwechsel nicht möglich ist. Im Hinblick auf die Zuzugsperspektive misst er die Versagung grenzüberschreitender Formwechsel nur am Diskriminierungsverbot, A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 140 ff. 264 Das Urteil in der Rechtssache „Sevic“ hatte eine grenzüberschreitende Verschmelzung zu Grunde, die aufgrund des auf nationale Rechtsträger beschränkten § 1 Abs. 1 UmwG versagt wurde, vgl. EuGH, Urt. v. 13. 12. 2005, SEVIC, C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762, Rn. 10 ff. Dem Urteil in der Rechtssache „Vale“ lag eine ungarische Vorschrift zugrunde, nach dem nur ungarische Gesellschaften als Rechtsvorgänger in das Register eingetragen werden können, vgl. EuGH, Urt. v. 12. 07. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, Rn. 12 ff.
B. Niederlassungsfreiheit und grenzüberschreitende Formwechsel
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wechseln berufen sich darauf, dass die Niederlassungsfreiheit keine Besserbehandlung von EU-ausländischen Gesellschaften gegenüber inländischen Gesellschaften gebiete.265 Zwar ist das Verständnis der Niederlassungsfreiheit als Gleichbehandlungsgebot vor dem Hintergrund ihres Charakters als spezielle Ausformung266 des allgemeinen Diskriminierungsverbots(Art. 18 AEUV) zutreffend.267 Im Hinblick auf den schwelenden Streit zur Reichweite der Niederlassungsfreiheit für grenzüberschreitende Formwechsel kann hieraus jedoch kein Honig gesaugt werden, weil die generelle Unzulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel inund ausländische Gesellschaften im gleichen Maße betrifft und daher unterschiedslos wirkt.268 Spiegelbildlich stellt eine Ermöglichung grenzüberschreitender Formwechsel trotz Unzulässigkeit vergleichbarer innerstaatlicher Formwechsel keine Privilegierung EU-ausländischer Gesellschaften dar. Darüber hinaus wird ins Feld geführt, dass die Niederlassungsfreiheit nur kassatorische Wirkung entfalte und daher die Mitgliedstaaten nicht zur Bereitstellung der Figur des grenzüberschreitenden Formwechsels zu verpflichten vermöge.269 Dem ist zwar beizugeben, dass ein weit interpretiertes Beschränkungsverbot in einem gewissen Spannungsverhältnis zu sämtlichen nationalen Regelungen steht, da nach diesem Maßstab sämtliche nationalen Vorschriften potentiell gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen würden, auch wenn diese unterschiedslos sämtliche niederlassungsberechtigte Gesellschaften treffen.270 Damit würden nicht nur die Grenzen zwischen der Niederlassungsfreiheit und der Befugnis des Unionsgesetzgebers, harmonisierende Vorschriften auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts zu erlassen,271 sowie zwischen der Befugnis eines jeden Mitgliedstaats, die Anforderungen für das Entstehen und Bestehen der 265
Feldmann, Grenzüberschreitende Umwandlungen von Gesellschaften in der Europäischen Union, S. 249; Frenzel, NotBZ 2012, 349, 351. 266 EuGH, Urt. vom 11. 03. 2010, Attanasio Group, C/384/08, ECLI:EU:C:2010:133, Rn. 137; Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 18 AEUV Rn. 14; Tiedje, in: v. der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 49 AEUV Rn. 73; Epiney, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 18 AEUV Rn. 3 ff. 267 Tiedje, in: v. der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 49 AEUV Rn. 73. 268 Teichmann, DB 2012, 2085, 2089. 269 Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 152; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 140 f. in diese Richtung auch: Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 54 Rn. 7. 270 Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 5; Teichmann, in: Gebauer/ Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, § 6 Rn. 26; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 3 Rn. 10; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 30 f.; Allmendinger, Die Beschlussfassung zum grenzüberschreitenden Wegzug, S. 67 ff. 271 Vgl. zu den Grundlagen der Harmonisierung des Gesellschaftsrechts: Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 58 ff.; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 264 f.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
eigenen Gesellschaften autonom zu treffen, verschwimmen, sondern auch dem EuGH eine immens starke Rolle eingeräumt. Gleichwohl erscheint dies nicht von allzu hoher Bedeutung, da eine Unanwendbarkeit einer nationalen Norm wegen Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit in Abgrenzung zu reinen Inlandssachverhalten durch Vorliegen eines grenzüberschreitenden Elements voraussetzt.272 Auch die richterrechtlich erweiterten Möglichkeiten der Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit über die geschriebenen Rechtfertigungsgründe hinaus273 lassen die Auflösung dieses Spannungsverhältnisses weniger dringlich erscheinen.274 Ohnehin ist auch bei den Vertretern der letztgenannten Auffassung das Bedürfnis nach einer Schutzbereichsbegrenzung anerkannt.275 Im Übrigen gewinnt die letztgenannte Ansicht a minore ad maius dadurch Überzeugungskraft, dass die aus einem Vergleich zum deutschen Umwandlungsrecht geschlussfolgerte Unzulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel in Ansehung des Effektivitätsprinzips für die gänzliche Versagung grenzüberschreitender Formwechsel nicht tragfähig ist.276 Mit dieser Argumentation könnten Gesellschaften sprichwörtlich in einer die Niederlassungsfreiheit negierenden Weise „eingemauert“ werden.277 Schön stellt zurecht die (rhetorische) Frage, ob der EuGH eine auf eine lückenlose Abstinenz von nationalen Vorschriften über innerstaatliche Umwandlungen gestützte Komplettversagung von grenzüberschreitenden Umwandlungen hinnehmen würde.278 Mit diesem argumentum ad absurdum wird deutlich, dass grenzüberschreitende Formwechsel auch ohne Vorschriften für entsprechende nationale Umwandlungen möglich sein müssen. Der EuGH geht teilweise terminologisch in diese Richtung, wenn er von einem „Recht, eine grenzüberschreitende Umwandlung durchzuführen“279 spricht.280 272 Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung, S. 33; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 63 f.; vgl. Teichmann, in: Erle/Goette/Kleindiek (Hrsg.), Festschrift für Peter Hommelhoff zum 70. Geburtstag, 1213, 1215 ff. Beispielsweise könnte eine deutsche Kapitalgesellschaft daher nicht ohne weiteres den § 57 AktG für unanwendbar erklären lassen. 273 Hierzu: Kap. 2, B. IV (S. 41 f.). 274 Diesbezüglich kritisch jedoch: Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, S. 127. 275 Siehe die Zusammenfassung der verschiedenen Ansätze bei: Allmendinger, Die Beschlussfassung zum grenzüberschreitenden Wegzug, S. 70. 276 W.-H. Roth, in: Krieger/Lutter/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Michael HoffmannBecking zum 70. Geburtstag, 965, 976, 983; Verse, ZEuP 2013, 458, 488. 277 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 135; W.-H. Roth, in: Krieger/Lutter/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Michael Hoffmann-Becking zum 70. Geburtstag, 965, 982; Schön, ZGR 2013, 333, 345 f. 278 Schön, ZGR 2013, 333, 345. 279 EuGH, Urt. v. 12. 07. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, Rn. 49. 280 W.-H. Roth, in: Krieger/Lutter/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Michael HoffmannBecking zum 70. Geburtstag, 965, 983.
B. Niederlassungsfreiheit und grenzüberschreitende Formwechsel
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Diese Ansicht trägt der gebotenen extensiven Auslegung281 der Niederlassungsfreiheit Rechnung. Ebenso wenig wie die Existenz harmonisierter Vorschriften über grenzüberschreitende Formwechsel Vorbedingung der Durchführung solcher Umwandlungen ist,282 ist die Existenz von nationalen Vorschriften für nationale Formwechsel Voraussetzung für die Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel. Wenn es dem Wegzugsstaat verwehrt ist, den Herausformwechsel mit Auflösung und Liquidierung der Gesellschaft zu sanktionieren, muss das Verbot der Einschränkung grenzüberschreitender Formwechsel konsequenterweise spiegelbildlich für den Zuzugsstaat gelten.283 Auch die in der Rechtssache „Vale“ vorgenommene Unterscheidung zwischen der Pflicht zur Zulassung grenzüberschreitenden Formwechsel und der mitgliedstaatlichen Befugnis, die Voraussetzung für die Gründung und Funktionsweise ihrer Gesellschaft selbst zu normieren,284 indiziert, dass der EuGH den Mitgliedstaaten nicht die Entscheidung über das „Ob“, sondern lediglich über das „Wie“ eines grenzüberschreitenden Formwechsels zugesteht.285 Hiermit korrespondierend erklärt die GesR-RL auch solche grenzüberschreitenden Formwechsel von Kapitalgesellschaften für zulässig, die innerstaatlich nicht möglich sind.286 Zwar kann für die Gegenauffassung vorgebracht werden, dass die unionsrechtlich gebotene Zulassung grenzüberschreitender Formwechsel einen erheblich größeren Anpassungsbedarf begründet, wenn solche Vorschriften für innerstaatliche Formwechsel noch nicht bestehen. Die damit verbundene Gefahr grenzüberschreitender Formwechsel ohne formelles Umwandlungsverfahren begründe die Gefahr einer Außerachtlassung schutzwürdiger Stakeholder-Interessen.287 Dieses Argument büßt allerdings für die Zuzugsperspektive erheblich an Bedeutung ein, da dieser kollisionsrechtlich im Wesentlichen nur zur Prüfung der Gründungsvoraussetzungen befugt ist.288 Aus der Perspektive des Wegzugsstaats drängt sich die Frage auf, wieso er einen grenzüberschreitenden Formwechsel nicht zulässt, wenn der Zuzugsstaat ihn akzeptiert.289 Für einen Ausschluss des grenzüberschreitenden Wegzugs für den Fall, dass ein vergleichbarer innerstaatlicher Formwechsel nicht möglich ist, sind
281 Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 5 Rn. 19. 282 EuGH, Urt. v. 12. 07. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, Rn. 38. 283 Campos Nave, BB 2009, 870, 872. 284 EuGH, Urt. v. 12. 07. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, Rn. 30. 285 W.-H. Roth, in: Krieger/Lutter/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Michael HoffmannBecking zum 70. Geburtstag, 965, 982 f.; Verse, ZEuP 2013, 458, 487 f. 286 Vgl. Art. 86a Abs. 1 GesR-RL, der die Vorschriften für mitgliedstaatliche Kapitalgesellschaften für anwendbar erklärt, ohne aber Einschränkungen aufgrund der fehlenden Möglichkeit entsprechender nationaler Formwechsel zu statuieren. 287 In diese Richtung: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 135. 288 Hierzu: Kap. 2, A., VI. (S. 30 f.). 289 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 134; Ege/Klett, DStR 2012. 2442, 2444.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
keine rechtlich anzuerkennenden Interessen auszumachen.290 Berechtigte Schutzinteressen können nicht den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit eingrenzen, sondern kommen erst auf der nachgelagerten Ebene der Rechtfertigung von Wegzugsbeschränkungen zum Tragen.291 Im Ergebnis sind grenzüberschreitende Formwechsel umfassend durch ein Beschränkungsverbot unionsrechtlich abgesichert. Sowohl der Wegzugs- als auch der Zuzugsstaat müssen solche Umwandlungen uneingeschränkt zulassen, auch wenn innerstaatlich kein vergleichbarer Formwechsel möglich ist. Den Mitgliedstaaten verbleibt nur die Autonomie, in den Grenzen des Beschränkungsverbots über das „Wie“ eines grenzüberschreitenden Formwechsels zu entscheiden.
IV. Schranken der Rechtswahlfreiheit Zur Verhütung von Missbräuchen und Eingriffen in Rechtspositionen Dritter ist die Niederlassungsfreiheit in ihrer Wirkung nicht grenzenlos. Die Dogmatik der Grundfreiheiten setzt nationalen Schranken für grenzüberschreitende Formwechsel indessen enge Grenzen.292 Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit sind nicht per se unionsrechtswidrig, sondern einer Rechtfertigung durch die geschriebenen Rechtfertigungsgründe des Art. 52 AEUV oder aufgrund der ungeschriebenen zwingenden Gründe des Allgemeinwohls zugänglich (Gebhardt-Formel)293.294 Die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit muss sich im Verhältnis zu den verfolgten zwingenden Allgemeinwohlinteressen als geeignet und erforderlich erweisen.295
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A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 134. A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 135. 292 Dies ist einerseits Ausfluss des weiten Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit und andererseits ihres Charakters als umfassendes Beschränkungsverbot. 293 Vgl. EuGH, Urt. v. 30. 11. 1995, Gebhard, C-55/94, ECLI:EU:C:1995:411, Rn. 37. dem folgend: EuGH, Urt. v. 09. 03. 1999, Centros, C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, Rn. 34; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2017, Polbud, C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, Rn. 52. 294 EuGH, Urt. v. 29. 11. 2011, National Grid Indus, C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785, Rn. 42; Ludwigs, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Rn. E. I. 99; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 49 AEUV Rn. 122; Korte, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 73 f.; Tiedje, in: v. der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Art. 49 AEUV Rn. 115; Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 82, 85 ff.; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 32, 35 ff. 295 EuGH, Urt. v. 12. 09. 2006, Cadbury Schweppes, C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, Rn. 47; EuGH, Urt. v. 29. 11. 2011, National Grid Indus, C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785, Rn. 42; EuGH, Urt. v. 13. 12. 2005, SEVIC, C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762, Rn. 29. Auf eine gesonderte Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verzichtet der EuGH regelmäßig, ohne dass sich hierdurch inhaltliche Änderungen im Vergleich zur bekannten deutschen Verhältnismäßigkeitsprüfung ergeben. 291
C. Betroffenheit der Stakeholder
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Nationale Normen, die gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen, sind unanwendbar (Anwendungsvorrang296 des Unionsrechts).297 In Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen hat der EuGH in ständiger Rechtsprechung insbesondere Schutzvorschriften für Arbeitnehmer, Gläubiger und (Minderheits-)Gesellschafter als zwingende Allgemeinwohlinteressen anerkannt.298 Darüber hinaus können Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit zur Wahrung der Wirksamkeit der Steueraufsicht und der Lauterkeit des Handelsverkehrs gerechtfertigt werden.299
C. Betroffenheit der Stakeholder Da eine Vielzahl der Rechte von Gesellschaftern, Gläubigern und Arbeitnehmern sich nach dem Gesellschaftsstatut richtet, kann der durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel bedingte Statutenwechsels zu erheblichen Veränderungen der Verhältnisse der Gesellschaft zu den Stakeholdern führen und deren Rechtspositionen ohne ihre Zustimmung spürbar verkürzen.300 Diese Gruppen angemessen zu schützen, ohne die Gesellschaftsmobilität über Gebühr zu beeinträchtigen, stellt den neuralgischen Punkt der Kodifizierung grenzüberschreitender Formwechsel dar. Die Mobilitäts-RL hält verschiedene Schutzinstrumente für diese Interessensgruppen bereit. Für das Verständnis dieser Vorschriften ist es erforderlich, im Voraus die schutzwürdigen Interessen der Gesellschaft und ihrer Stakeholder sowie das daraus resultierende Spannungsverhältnis abstrakt aufzuzeigen. Dies gilt umso mehr, als dass die Betroffenheit der Stakeholder die Zulässigkeit von mobilitätshemmenden Schutzvorschriften determiniert.
296 Nicht: Geltungsvorrang. Hierzu statt aller: Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Europäisches Zivilrecht, Teil 2 Rn. 81. 297 EuGH, Urt. v. 15. 07. 1964, Costa/ENEL, C-6/64, ECLI:EU:C:1964:66, S. 1269 ff.; EuGH, Urt. v. 09. 03. 1978, Simmenthal, C-106/77, ECLI:EU:C:1978:49, Rn. 17/18; ausdrücklich durch das BVerfG anerkannt, BVerfG, Beschl. v. 29. 05. 1974 – BvL 52/71, BVerfGE 73, 339, 375 („Solange II“); siehe auch: Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 110; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 61 f. 298 Vgl. EuGH, Urt. v. 05. 11. 2002, Überseering, C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 Rn. 92; EuGH, Urt. v. 13. 12. 2005, SEVIC, C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762, Rn. 28; EuGH, Urt. v. 30. 09. 2003, Inspire Art, C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512, Rn. 53 f. 299 EuGH, Urt. v. 30. 09. 2003, Inspire Art, C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512, Rn. 132 f. 300 Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 4 Rn. 44.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
I. Betroffenheit der Gesellschafter Grenzüberschreitenden Formwechsel können Interessenskonflikte sowohl im vertikalen Verhältnis der Unternehmensleitung zu den Gesellschaftern als auch im horizontalen Verhältnis zwischen den Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern evozieren. Hinzukommend können die Gesellschafterinteressen in ein Spannungsverhältnis zu den regelmäßig gegenläufigen Gläubigerinteressen geraten. Die Risiken für die Gesellschafter bestehen bei innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Formwechsel in einem sehr ähnlichen Maße. Gleichwohl können die Risiken bei einem rechtsformwechselnden Wegzug in das Ausland partiell über die Gefährdungslage bei einem innerstaatlichen Formwechsel hinausgehen. Zu Beginn dieser Ausführungen ist darauf hinzuweisen, dass die Aktionäre in ihren mitgliedschaftsrechtlichen und vermögensrechtlichen Rechten durch die Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) geschützt werden.301 1. Gefahr des Bestandsverlusts der Mitgliedschaft Der denkbar einschneidendste Eingriff in die Mitgliedschaft sind Einbußen in ihrem Bestand. Grundsätzlich bestehen die Mitgliedschaftsverhältnisse aufgrund der Rechtsträgeridentität nach einem grenzüberschreitenden Formwechsel unverändert weiter (Kontinuität der Mitgliedschaft).302 Ein unmittelbar auf diese Umwandlung zurückzuführender Verlust der Mitgliedschaft droht nicht. Gleichwohl gibt es Konstellationen, in denen die Gesellschafter gegen ihren Willen infolge des grenzüberschreitenden Formwechsels einer erhöhten abstrakten Gefahr eines Verlusts ihrer Rechtspositionen ausgesetzt sind.303 Dies ist für die dissentierenden304 Gesellschafter der Fall, wenn das neue Gesellschaftsstatut einen Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern (squeeze out)305 unter geringeren Voraussetzungen als das bislang anwendbare Recht zulässt.306 Auch wenn ein squeeze out nicht unmit301 BVerfG, Urt. v. 07. 08. 1962 – 1 BvL 16/60, BVerfGE 14, 263, 276; BVerfG, Urt. v. 07. 05. 1969 – 2 BvL 15/67, BVerfGE 25, 371, 407; BVerfG, Urt. v. 01. 03. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78 = NJW 1979, 699, 703; Krenek, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen); ausführlich zum verfassungsrechtlichen Schutz der aktienrechtlichen Mitgliedschaft: Klöhn, Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche, S. 78 ff.; Wolf, Abfindungsrechte der Minderheitsaktionäre, S. 32 ff. 302 Vgl. § 202 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 für den innerstaatlichen Formwechsel. 303 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 52; Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 27; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 184; M. Noack, ZGR 2020, 90, 91; vgl. European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 209. 304 Für die Gesellschafter, die für den Wegzug gestimmt haben, gilt: volenti non fit iniuaria. 305 Vgl. für das deutsche Recht: §§ 327a ff. AktG. 306 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 183; vgl. jeweils für den innerstaatlichen Formwechsel in eine AG: Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 27; Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des
C. Betroffenheit der Stakeholder
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telbar nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels durchgeführt wird, liegt zumindest in der potentiellen Möglichkeit eines solchen und der daraus resultierenden Unsicherheit über die Kontinuität der Mitgliedschaft ein gewisser Eingriff in die Mitgliedschaft.307 Inwiefern sich dieses Risiko realisiert, hängt von dem für die Zielrechtsform vorgesehene Regelungsregime des Zuzugsstaats respektive den hieraus resultierenden Unterschieden zum bisherigen anwendbaren Gesellschaftsrecht ab. Auch bei innerstaatlichen Formwechseln kann das neue Regelungsregime verglichen mit dem alten liberalere Regelungen für einen Ausschluss der Minderheit vorsehen. Im grenzüberschreitenden Kontext sind die Gefahren in zweierlei Hinsicht erhöht. Zum einen besteht (nur) hier die Möglichkeit eines rechtsformkongruenten Formwechsels. Während für Gesellschafter einer Gesellschaft mit der Rechtsform, die einen squeeze out in einem nationalen Rechtsformvergleich unter den geringsten Voraussetzungen zulässt,308 die Gefahr eines mittelbaren Mitgliedschaftsdiskontinuität nicht droht, sind sie ausschließlich bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel dieser Gefahr ausgesetzt. Zum anderen hat die rechtsvergleichende Untersuchung Hogers gezeigt, dass in anderen Rechtsordnungen ein Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern nahezu immer unter geringeren Anforderungen als in Deutschland möglich ist.309 2. Gefahr der Beeinträchtigung des Gehalts der Mitgliedschaft a) Formwechselspezifische Gefahren Ungleich relevanter ist, dass ein grenzüberschreitender Formwechsel in qualitativer Hinsicht – trotz Kontinuität der Mitgliedschaft – den Inhalt der Mitgliedschaft bedeutend verändern kann.310 Mit Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels richten sich das Verhältnis der Gesellschafter untereinander sowie die Beziehung der Gesellschafter zur Gesellschaft nach einem neuen Regelungsregime. Sitzes einer SE, S. 52 f.; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 138; vgl. zur durch das Herausdrängen der Minderheit motivierten Umwandlung: Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 407. 307 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 53; Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 28. 308 In Deutschland ist dies die AG, da dies die einzige Rechtsform ist, in der Minderheitsgesellschafter unter gewissen Voraussetzungen ohne Vorliegen eines sachlichen Grunds ausgeschlossen werden können. 309 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 53 ff.; weitere Beispiele für Mitgliedstaaten mit niedrigeren Anteilschwellen für einen squeeze-out bei Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 184. 310 Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 665; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 184; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 578; Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 33.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
Die Mitgliedschaftsrechte im Rechtsträger neuer Rechtsform sind nicht identisch mit denen in der ursprünglichen Gesellschaftsform, sondern ein aliud hierzu,311 das sich für die Gesellschafter als positiv oder negativ erweisen kann. Dies betrifft in erster Linie die allgemeinen mitgliedschaftlichen Rechtspositionen, die den Gesellschaftern kraft Verbandsverfassung zukommen.312 Von besonderer Bedeutung ist die Gefahr einer in der Zielrechtsform im Vergleich zur Ausgangsrechtsform schwächeren Ausprägung von Minderheitsrechten.313 Beispiele hierfür sind niedrigere Stimmrechtsschwellen für Strukturmaßnahmen, höhere Stimmrechtsschwellen für Minderheitenrechte wie die Einberufung von Hauptversammlungen oder niedrigere Gewinnbeteiligungen.314 Zudem können sich die Entscheidungskompetenzen zulasten der Gesellschafter verschieben.315 Gegensätzlich kann sich auch der Pflichtenkanon der Anteilsinhaber erhöhen. Dies ist etwa bei erhöhten Anforderungen an die Kapitalerhaltung sowie einer Erweiterung der Haftungsrisiken der Fall.316 Ein weiteres Beispiel stellen erhöhte Treuepflichten dar, die sich insbesondere in strengeren Wettbewerbsverboten als bislang manifestieren können.317 Zum anderen sind besondere mitgliedschaftliche Rechtspositionen betroffen. Dies beschreiben den Fall, dass einzelne Mitglieder kraft besonderer individualvertraglicher Abrede in den Grenzen der gesetzlichen Regelungen durch über die allgemeinen mitgliedschaftlichen Rechtspositionen hinausgehende Mitgliedschaftsrechte bevorrechtigt werden,318 wie beispielsweise durch einen erhöhten 311
Pfeifer, Schutzmechanismen bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften, Rn. 339. Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 56; Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 28; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 184. 313 Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 665. 314 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 126; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 186: Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 146; Garciamartín/Gandía, ECFR 2019, 15, 29 (insbes. Fn. 40); Alexandropoulou, ERA Forum 22 (2021), 9, 10; vgl. Wachter, GmbH-StB 2018, 317, 332. 315 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 57; Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 28; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 185 f.; vgl. Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 125. 316 Vgl. Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 64 f.; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 128. 317 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 66 f.; Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 29; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S.140. 318 Leuschner, in: Schubert (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, § 158 BGB Rn. 4; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 558; Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 66; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 185; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von 312
C. Betroffenheit der Stakeholder
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Gewinnanteil oder erhöhte Stimmrechte.319 Zu einem Verlust von Sonderrechten kommt es trotz ihres grundsätzlichen Fortbestehens als Ausfluss des Identitätsprinzips,320 wenn die Zielrechtsform die ursprünglich bestehenden Sonderrechte unvereinbar mit der neuen Organisationsverfassung sind.321 Bevor ein solcher Fall angenommen wird, muss sorgfältig geprüft werden, ob nicht eine (vorrangige) dem neuen Gesellschaftsrechtsregime nicht widersprechende Modifizierung des statutarischen Sonderrechts durch Annahme einer schuldrechtlichen Nebenabrede möglich ist.322 In Konstellationen, in denen das Recht des Immigrationsstaats spiegelbildliche Sonderrechte nicht kennt,323 diese aber nicht gegen zwingende Vorschriften verstoßen, bestehen die Sonderrechte fort, da die Vereinbarung der Sonderrechte weiterhin Geltung beansprucht.324 Setzt die Zuzugsrechtsordnung Gesellschaftervereinbarungen keine engen Grenzen, sondern überlässt ihnen ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit, können Sonderrechte in vielen Fällen weiterbestehen.325 Hinsichtlich der vermögensrechtlichen Bestandteile der Mitgliedschaft besteht die Gefahr, dass die Möglichkeiten der Kapitalausschüttung in der neuen Rechtsform Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 141; Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 30. 319 Die Sonderrechte lassen sich entsprechend in Teilhaberechte, Schutzrechte und vermögensrechtliche Vorteilsrechte kategorisieren: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 558 f. 320 Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 54 Rn. 10; Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 97; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 141. 321 Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 30; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 185; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 141; vgl. für den innerstaatlichen Formwechsel: Simons, in: Habersack/Wicke (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar UmwG, § 202 UmwG Rn. 48 f.; vgl. für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Beitzke, in: Caemmerer (Hrsg.), Festschrift für Walter Hallstein zu seinem 65. Geburtstag, 14, 26. 322 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 97, 99 ff; a. A.: Leonard, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 202 UmwG Rn. 29; Wansleben, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 36 Rn. 53; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 141. 323 Im innerstaatlichen Kontext ist diesbezüglich angesichts der aktienrechtlichen Satzungsstrenge der Formwechsel in eine AG von Relevanz, hierzu: Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 67 f. 324 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 97 ff., der im innerstaatlichen Kontext vorrangig auf die Fortgeltung der Sonderrechte qua schuldrechtlicher Nebenabrede abstellt; so im Ergebnis auch für den grenzüberschreitenden Formwechsel: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 187; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 141. 325 Hopt, in: Lutter/Wiedemann (Hrsg.), Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, 123, 126, 136 f. attestiert Deutschland rechtsvergleichend betrachtet einen sehr strengen Maßstab.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
begrenzter sind.326 Zu berücksichtigten ist auch, dass ein Formwechsel sich ex post als wirtschaftlich nachteilig für die Gesellschaft erweisen kann und die Anteilsinhaber hierdurch vermögensrechtliche Einbußen hinnehmen müssen.327 Schließlich kann auch die Fungibilität der Anteile an der neuen Gesellschaftsform herabgesetzt sein.328 Bei grenzüberschreitenden Formwechseln besteht aber im Unterschied zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen, bei denen die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft Mitglied eines neuen Rechtsträgers werden, die Gefahr einer Kapital- oder Stimmrechtsverwässerung durch ein zu niedrig bemessenes Umtauschverhältnis nicht.329 Der grenzüberschreitende Formwechsel entpuppt sich damit als die für die Gesellschafter ungefährlichste Form der (grenzüberschreitenden) Umwandlung.330 b) Spezifisch aus dem grenzüberschreitenden Kontext resultierende Gefahren Im grenzüberschreitenden Kontext ergeben sich für die Gesellschafter noch weitergehende Risiken. Allgemein gesprochen sehen diese sich einer nicht gewollten Rechtsordnung mit einer möglicherweise unterschiedlichen Rechtstradition sowie einer unbekannten Rechtsform und einem neuen Gerichtsstand ausgesetzt.331 Hierdurch wird das Verhältnis zwischen den Gesellschaftern zur Gesellschaft und zwi326
Ein Beispiel hierfür ist der Formwechsel einer GmbH in eine AG. Während bei der GmbH sämtliche Beiträge oberhalb des Stammkapitals ausgeschüttet werden können (§ 30 Abs. 1 GmbHG) und keine Rücklagen gebildet werden müssen, kann bei der AG nur der Bilanzgewinn abzüglich der zu bildenden Rücklage (§ 233 Abs. 1 AktG) ausgeschüttet werden (§ 58 Abs. 4 AktG). Hierzu: Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 131. 327 J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 578. 328 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 136 f., der hierfür implizit den Formwechsel einer GmbH in eine AG nennt. 329 Zur Gefahr einer Stimmrechtsverwässerung bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, S. 36; M. Noack/Habrich, AG 2019, 908; zu dem in der Mobilitäts-RL vorgesehenen Schutz gegen ein zu niedrig bemessenes Umtauschverhältnis: M. Noack/Habrich, AG 2019, 908 ff.; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2441 ff.; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1932; J. Schmidt, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 841, 847 ff.; Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 129 f.; Bungert/Becker, DB 2019, 1609, 1614; Teichmann, NZG 2019, 241, 245; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 309 f.; J. Schmidt, DK 2018, 229, 238. 330 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86e Rn. 13. 331 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 188 f.; Winner, ECFR 2019, 44, 63; Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 33; Krenek, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen); vgl. für die Sitzverlegung der SE: Ringe, Die Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 107.
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schen den Gesellschaftern untereinander neu determiniert.332 Die Unterschiede dürften regelmäßig deutlich umfangreicher als bei einem nationalen Formwechsel ausfallen. Sie werden nicht durch die fortschreitende Harmonisierung des Gesellschaftsrechts nivelliert. Die Gesellschafter sind gezwungen, ihre Rechte im Zuzugsstaat zu identifizieren, um diese effektiv wahrnehmen zu können.333 Ein Hindernis kann insbesondere die in vielen Fällen bestehende Sprachbarriere darstellen.334 Die Gesellschafter müssen zur effektiven Wahrnehmung ihrer Rechte möglicherweise einen Übersetzer oder einen Rechtsbeistand hinzuziehen und die dafür anfallenden Kosten tragen. Darüber kann sich die räumliche Distanz als Hürde erweisen, beispielsweise hinsichtlich der durch die weite Anreise erschwerte Anwesenheit zu Hauptversammlungen.335
II. Betroffenheit der Gläubiger Unter dem Begriff „Gläubiger“ werden diejenigen Personen zusammenfasst, denen die Gesellschaft eine Leistung schuldet.336 Auch diese können in mannigfaltiger Weise durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel in ihren Rechtspositionen tangiert werden. Zusammenfassend betrachtet kann ein grenzüberschreitender Formwechsel sowohl die prozessuale Durchsetzung der bestehenden Forderung als auch die gegebenenfalls folgende Zwangsvollstreckung erschwe-
332 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 124; Priester, ZGR 1999, 36, 38; Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 33; vgl. für die grenzüberschreitende Sitzverlegung der SE: Vinçon, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 84 f. 333 Vgl. für die grenzüberschreitende Verschmelzung: Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 106. 334 Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 665; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 189; Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 336; Priester, ZGR 1999, 36, 38; vgl. für die grenzüberschreitende Verschmelzung: Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, S. 37; vgl. für die Sitzverlegung der SE: Vinçon, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 214. 335 Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, S. 150; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 189; Kruse, Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften innerhalb der EG, S. 159; vgl. für die grenzüberschreitende Verschmelzung: Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, S. 37; Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 64, 90; vgl. zur grenzüberschreitenden SE-Sitzverlegung: Kalss, ZGR 2003, 593, 609. 336 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 514 f.; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 6.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
ren.337 Auch hier ist wiederum zwischen einer Beeinträchtigung von Gläubigerpositionen in ihrer Existenz und in ihrer Essenz zu unterscheiden.338 1. Gefahr der Beeinträchtigung des Bestands von Gläubigerrechten Bei einem identitätswahrenden grenzüberschreitenden Formwechsel kommt es nicht zu einer unmittelbaren Änderung des Gesellschaftsvermögens oder einem Austausch des Schuldners.339 Die Gefahr einer unmittelbaren Verlustes von Gläubigerrechten infolge eines grenzüberschreitenden Formwechsel besteht nicht.340 Der Bestand der Forderung steht nur in dem Sonderfall von Gründungsmängeln im Zuzugsstaat in Frage.341 Im Vergleich zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen, bei denen die Sukzession von Vermögenswerten auf die Zielgesellschaft zu einer Umgestaltung des Verhältnisses der Gläubigern zur Haftungsmasse führt,342 erweist sich der grenzüberschreitende Formwechsel als weniger risikobehaftet für die Gläubiger.343 Bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen treten aus Perspektive der Gläubiger der übernehmenden Gesellschaft die Gläubiger
337 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 189; Priester, ZGR 1999, 36, 38; Weller, in: Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht, Sitzverlegungen von Gesellschaften in Europa, 1, 19. 338 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 8. 339 Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 312 f.; Jaeger, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften im MERCOSUR und im EU-Recht, S. 175; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 193; Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, S. 141 f.; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Drinhausen/Keinath, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 204 UmwG Rn. 1. 340 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 177; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 193; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 8. 341 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 8; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 177; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 31; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 56, 88. 342 Teichmann, in: Herrler (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, 111, 127; Winner, ECFR 2019, 44, 50 f; Alexandropoulou, ERA Forum 22 (2021), 9, 10 f.; Alexandropoulou/Winner, ECFR 2021, 588, 590; vgl. zu innerstaatlichen Verschmelzungen und Spaltungen: K. Schmidt, ZGR 1993, 366, 367; Kalss, ZGR 2009, 74, 77 f. 343 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86j Rn. 2; European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 208; Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 87; ders., in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen); zum Schuldnerwechsel bei Verschmelzungen: Kalss, ZGR 2009, 74,76; Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/ Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86d Rn. 18 konstatiert allgemein, dass das Schutzbedürfnis für Gläubiger bei grenzüberschreitenden Formwechsel am geringsten ist.
C. Betroffenheit der Stakeholder
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der übertragenden Gesellschaft hinzu,344denen nicht in jedem Fall ein entsprechend höheres Kapital in der aufnehmenden Gesellschaft gegenübersteht.345 Über diese neue Konkurrenzsituation zu den Gläubigern der übertragenden Gesellschaft hinaus346 gilt es aus der Sicht der Gläubiger der übernehmenden Gesellschaft, die Gefahr zu berücksichtigen, dass der Zielrechtsträger durch die Aufnahme einer überschuldeten Gesellschaft selbst insolvent wird.347 In ähnlicher Weise wird bei grenzüberschreitenden Spaltungen die Schmälerung des Haftungssubstrats348 nicht automatisch durch einen äquivalenten Verlust an Gläubigern ausgeglichen.349 2. Gefahr der Beeinträchtigung des Gehalts von Gläubigerrechten Ungeachtet seines Charakteristikums als grundsätzlich ungefährlichste Umwandlungsform für die Gläubiger,350 bestehen bei einem grenzüberschreitenden Formwechsels rechtliche und tatsächliche Implikationen für diese StakeholderGruppe. Zu nennen ist hauptsächlich eine Verschlechterung der Erfüllungsaussichten.351 Der Grad der Gefährdung hängt maßgeblich davon ab, ob ein isolierter grenzüberschreitender Formwechsel durchgeführt wird, oder ob simultan der Verwaltungssitz in das Ausland verlegt wird. a) Änderung der Verbandsordnung Mit Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels muss die Forderung gegenüber der neuen Rechtsform, welche die Gläubiger sich nicht als Schuldner 344
Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 107. 345 Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 107; Winner, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection, 49, 60; Papadopoulos, EBLR 2012, 517, 534 f.; Thole, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen); vgl. zur innerstaatlichen Verschmelzung: Lieder, Die Rechtsgeschäftliche Sukzession, S. 765; Petersen, Gläubigerschutz im Umwandlungsrecht, S. 1; Kalss, ZGR 2009, 74, 76. 346 Thole, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 347 J. Schmidt, in: Dauner-Lieb et. al. (Hrsg.), Festschrift für Barbara Grunewald zum 70. Geburtstag, 1005, 1025 f. Siehe hierzu etwa den Sachverhalt bei BGH, Teilversäumnis- und Teilendurt. v. 06. 11. 2018 – II ZR 199/17, NZG 2019, 187 ff.; siehe auch Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 342. 348 Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 4 Rn. 55; vgl. für innerstaatliche Spaltungen: Petersen, Gläubigerschutz im Umwandlungsrecht, S. 1. 349 Winner, ECFR 2019, 44, 51.; Alexandropoulou/Winner, ECFR 2021, 588, 590 f.; siehe auch Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 86. 350 Hierzu unter: Kap. 2, C, II, 1 (S. 80 f.). 351 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 57.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
ausgesucht haben, durchgesetzt werden.352 Die Änderung der Verbandsordnung betrifft die Gläubiger damit zwar nicht unmittelbar. Sie kann angesichts der in den Mitgliedstaaten stark oszillierenden Gläubigerschutzmechanismen dennoch zu einer Verschlechterung ihrer Rechtspositionen führen.353 Dies ist der Fall, wenn die Rechtsordnung des Zuzugsstaats an die gewählte Zielrechtsform geringere Voraussetzungen an die Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung als der Wegzugsstaat stellt.354 Hierdurch kommt es zwar noch nicht zu einer unmittelbaren Verringerung des gebundenen Kapitals. Jedoch wird den Gesellschaftern die Möglichkeit eröffnet, durch die Überführung des bislang an die Gesellschaft gebundenes Vermögen in ihr Privatvermögen das Haftungssubstrat zu schmälern.355 In der Konsequenz wird die Ausfallsgefahr der Gesellschaft erhöht.356 Diese abstrakte Gefahr ist angesichts der in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgeprägten357 Methoden zum Gläubigerschutz
352 Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 666; Wachter, GmbHG-StB 2018, 283, 284. 353 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 14; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 313; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 61; Schurr, EuZW 2019, 539, 544. 354 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86j Rn. 4; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 189; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 179; Kruse, Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften innerhalb der EG, S. 159; Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, S. 141; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 348; Weller, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 497, 514; ders., in: Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht, Sitzverlegungen von Gesellschaften in Europa, 1, 19; Schollmeyer, ZGR 2020, 63, 68; Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection, 13, 41; Winner, ECFR 2019, 44, 51; vgl. Thömmes, DB 1993, 1021, 1024; Gerner-Beuerle/Mucciarelli/ Schuster/Siems, JCLS 18 (2018), 1, 15; vgl. zur Gefahr der Verringerung von Kapitalerhaltungsvorschriften beim innerstaatlichen Formwechsel: Winter, in: Schmitt/Hörtnagl (Hrsg.), UmwG/UmwStG, § 204 UmwG Rn. 1; Kalss, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 204 UmwG Rn. 1. 355 Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, S. 142; Jaeger, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften im MERCOSUR und im EU-Recht, S. 171; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 15; Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 32; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 57. 356 Vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 17. 357 Dies konstatierend: Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 449; Mucciarelli, TJCL 2012, 421, 456; Schurr, EuZW 2019, 539, 544; Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 20. 06. 2017, S. 6; Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 41; Winner, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection, 49, 65.
C. Betroffenheit der Stakeholder
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nicht zu unterschätzen.358 Selbst für den durch die ursprüngliche „Kapitalrichtlinie“359 determinierten Bereich ist diese Gefahr durch eine rechtsvergleichende Untersuchung Hogers belegt.360 Zu einer konkreten Verschlechterung der Rechtspositionen kommt es allerdings nur, wenn sich diese Risiken durch ein aktives Tätigwerden der Gesellschafter, beispielsweise in Form eines Auflösens von Rücklagen, realisieren.361 Die neue Verbandsordnung kann darüber hinaus auch weniger strenge Vorschriften zur Organhaftung vorsehen.362 Hier besteht das Risiko des (potentiellen) Verlusts eines persönlich haftenden Gesellschafters und einer damit einhergehenden Verringerung des Haftungssubstrats.363 Subjektiv war für die Gläubiger möglicherweise auch eine als besonders verlässlich empfundene Rechtsform und das geltende Gesellschaftsrecht ein Grund für die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen zu der Gesellschaft.364 Schließlich ist der grenzüberschreitende Formwechsel möglicherweise objektiv betrachtet ökonomisch nicht sinnvoll und mindert damit mittelbar die Liquidität der Gesellschaft.365 Formwechselspezifisch und von einer etwaigen Verlegung des Verwaltungssitzes losgelöst tritt hinzu, dass die formwechselnde Gesellschaft Abfindungsansprüche ausscheidender Gesellschafter befriedigen muss, sofern der grenzüberschreitende Formwechsel nicht einstimmig beschlossen worden ist oder kein Gebrauch von dem Barabfindungsrecht gemacht wird.366 Im Gegenzug zu dem Liquiditätsabfluss erwirbt die Gesellschaft zwar eigene Anteile. Deren Wert realisiert sich indessen erst bei einer etwaigen Veräußerung dieser Anteile. Anhand dieses Beispiels zeigen sich die wechselseitigen Beziehungen zwischen Gesellschafter- und Gläubigerinteressen. 358 Jaeger, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften im MERCOSUR und im EU-Recht, S. 172. 359 Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. 12. 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. 1977, L 321/1l, mittlerweile in der GesR-RL aufgegangen. 360 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 25 ff. 361 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 146 f.; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 177; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 57, 154. 362 Casper/Weller, NZG 209, 681, 684; Garciamartín/Gandía, ECFR 2019, 15, 32 f. 363 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 178. 364 Großfeld, WM 1992, 2121, 2124. 365 Winner, ECFR 2019, 44, 50. 366 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 221.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
b) Verfahrensrechtliche Verschlechterung Ein grenzüberschreitender Formwechsel kann die verfahrensrechtliche Stellung der Gläubiger präformieren und die Durchsetzung der Forderung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht erschweren. Durch die Änderung des Gesellschaftsstatuts kommt es nicht zu einer Änderung des Forderungsstatuts.367 Denkbar ist aber eine Änderung des Gerichtsstands. Grundsätzlich gilt in der EuGVVO368 das Prinzip „actor sequitur forum rei“.369 Gem. Artt. 4, 63 EuGVVO können Gesellschaften nach Wahl des Klägers370 am Ort ihres Satzungssitzes, am Ort ihrer Hauptverwaltung oder am Ort ihrer Hauptniederlassung verklagt werden. Bestand die Forderung bereits vor Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels, war ursprünglich – jedenfalls durch den Satzungssitz – ein Gerichtsstand im Wegzugsstaat gegeben. Für eine Änderung des allgemeinen Gerichtsstands infolge eines grenzüberschreitenden Formwechsels ist entscheidend, ob die Gesellschaft durch den grenzüberschreitenden Formwechsel nur ihren Satzungssitz in den Zuzugsstaat verlegt oder auch ihren Verwaltungssitz dorthin lokalisiert. Bei einem isolierten grenzüberschreitenden Formwechsel bleibt der allgemeine Gerichtsstand im Wegzugsstaat wegen des weiter im Wegzugsstaats belegenen Verwaltungssitzes aufrechterhalten.371 Eine Ausnahme hiervon gilt, wenn die Gesellschaft bereits ursprüngliche ihre Sitze aufgespalten hatte. War der Verwaltungssitz vor Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels nicht im Satzungssitzstaat lokalisiert, geht der allgemeine Gerichtsstand der Gesellschaft im Wegzugsstaat verloren.372 Wenn nicht ein besonderer oder ausschließlicher Ge-
367 Dies liegt darin begründet, dass der kollisionsrechtlich maßgebliche Zeitpunkt derjenige der Begründung der Forderung ist. Hierzu: Jaeger, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften im MERCOSUR und im EU-Recht, S. 166; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 193 ff.; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 71 ff.; Casper/ Weller, NZG 2009, 681, 685; Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 41. 368 Verordnung (EG) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2012, L 351, 1. 369 Vgl. Art. 4 Abs. 1 EuGVVO. 370 Gottwald, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, Art. 63 Brüssel Ia-VO Rn. 11; Stadler, in: Musielak/Voit (Hrsg.), ZPO, Art. 63 EuGVVO Rn. 1; Weller/Hübner, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Europäisches Zivilrecht, Teil 23 Rn. 46. 371 J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1106 f. 372 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 180 f.; Kieninger, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 591, 597; vgl. zur grenzüberschreitenden Verschmelzung: Winner, in: Kovács/ Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection, 49, 61.
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richtsstand greift,373 muss die schuldnerische Gesellschaft im Zuzugsstaat verklagt werden. Dies erschwert angesichts der regelmäßig bestehenden Sprachbarriere und fehlenden Rechtskenntnissen in vielen Fällen die Durchsetzung der Forderung374 und kann längere Prozessdauern sowie höhere Rechtsverfolgungskosten375 verursachen. Geht der allgemeine Gerichtsstand der schuldnerischen Gesellschaft erst nach Klageerhebung verloren, ist dies für den Gerichtsstand nach dem Grundsatz der perpetuatio fori unschädlich.376 Steht ein grenzüberschreitender Formwechsel unter simultaner Verwaltungssitzverlegung infrage, handelt es sich bei dem Verlust des allgemeinen Gerichtsstands nicht um eine ausschließlich auf den grenzüberschreitenden Formwechsel zurückzuführende potentielle Beeinträchtigung der Rechtsstellung der Gläubiger,377 sondern diese resultiert in demselben Maße aus dem tatsächlichen Akt der Verwaltungssitzverlegung.378 Eine Rückausnahme muss für Fälle gemacht werden, in denen ein grenzüberschreitender Formwechsel nur unter koinzidenter Verwaltungssitzverlegung möglich ist, weil der Zuzugsstaat hierauf sach- oder kollisionsrechtlich insistiert. Der Verlust des Gerichtsstands ist zusätzlich in dem Fall, dass der Verwaltungssitz bereits vor Inanspruchnahme dieser Umstrukturierungsform im Zuzugsstaat belegen war, ausschließlich auf den grenzüberschreitenden Formwechsel zurückzuführen.
373 Zu den Möglichkeiten eines besonderen oder ausschließlichen Gerichtsstands hinsichtlich der inzwischen leicht angepassten EuGVVO: Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 196 ff. 374 Teichmann, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, § 6 Rn. 255; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 74; Kieninger, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 591, 597; Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 316; Weber, ZVglRWiss 107 (2008), 193, 195; vgl. Stiegler, KSzW 2014, 107, 113; vgl. zur SE-Sitzverlegung: Ringe, Die Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 122. 375 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 181; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 74; zurückhaltend: Gillessen, Europäische transnationale Sitzverlegung und Fusion im Vereinigten Königreich und in Irland, S. 256; Weber, ZVglRWiss 107 (2008), 193, 195. 376 Stadler, in: Musielak/Voit (Hrsg.), ZPO, Art. 63 EuGVVO Rn. 1; Dörner, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, Art. 63 EuGVVO Rn. 5; Thode, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Beck-Online-Kommentar ZPO, Art. 63 Brüssel Ia-VO Rn. 6; Kreuzer/Wagner/Reder, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Q. II. Rn 143; Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/ Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 833; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 73. 377 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 181; J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/ Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1106 f. 378 Tendenziell aber in die andere Richtung: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 74.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
c) Erschwerung der Zwangsvollstreckung Hinsichtlich der Zwangsvollstreckung ist für die Bemessung der berührten Gläubigerinteressen danach zu differenzieren, ob der Gläubiger im Wegzugsstaat bereits einen Titel erstritten hat, oder diesen erst im Zuzugsstaat erlangt. Im ersten Fall kann der Gläubiger seinen Titel im Wegzugsstaat nach dessen nationalen Recht vollstrecken lassen, auch wenn sich die Rechtsform nachträglich ändert. Gem. Art. 39 EuGVVO ist eine vollstreckbare Entscheidung ohne weitere Vollstreckungserklärung379 in den übrigen Mitgliedstaaten vollstreckbar.380 Im Zuge eines grenzüberschreitenden Formwechsels können jedoch Vermögenswerte in den Zuzugsstaat verlagert werden. Dies wird regelmäßig der Fall sein, wenn koinzident der Verwaltungssitz in den Zuzugsstaat verlegt wird. Ist im Wegzugsstaat kein ausreichendes Vermögen der schuldnerischen Gesellschaft mehr vorhanden, wird die Vollstreckung praktisch erschwert.381 Hieraus resultiert die Notwendigkeit einer Zwangsvollstreckung im Zuzugsstaat. Dies kann die Erfolgsaussichten der Zwangsvollstreckung erheblich beeinträchtigen.382 Ursachen hierfür sind erneut geographische und sprachliche Barrieren, die dadurch hervorgerufen werden, dass auf die Zwangsvollstreckung gem. Art. 41 Abs. 1 S. 1 EuGVVO das Recht des ersuchten Mitgliedstaats Anwendung findet.383 Damit wird jedenfalls der Verfahrensaufwand erhöht.384 Gleichwohl ist dies nicht Ausfluss des grenzüberschreitenden Formwechsels, sondern des tatsächlichen Akts der Vermögensverlagerung.385 d) Änderung des Insolvenzstatuts Ein grenzüberschreitender Formwechsel kann zuletzt eine Änderung des Insolvenzstatus herbeiführen.386 Zuständig für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind 379 Insoweit bedarf es – im Unterschied zur früheren Rechtslage – zur Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat keiner weiteren verfahrensrechtlichen Anstrengungen in Form eines Exequaturverfahrens. 380 Aufgrund dessen wurde der für grenzüberschreitende Verschmelzungen bereits im UmwG enthaltene vorgelagerte Gläubigerschutz kritisiert, Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 71 m. w. N. 381 Vgl. zur SE-Sitzverlegung: Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 8 SE-VO Rn. 78. 382 Kindler, NZG 2018, 1, 6 f.; Ringe, Die Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 122. 383 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 76 f. 384 Casper/Weller, NZG 2009, 681, 685. 385 Casper/Weller, NZG 2009, 681, 685; Saenger, in: Birk (Hrsg.), Festschrift zum zehnjährigen Bestehen von P+P Pöllath + Partners, 295, 303; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 79 sieht dies dennoch als „umwandlungsspezifisches Problem“ an. 386 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 205 ff.; Alexandropoulou, ERA Forum 22 (2021), 9, 11; vgl. zur grenz-
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gem. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO387 die Gerichte an dem Ort der Hauptverwaltung der Gesellschaft. Das anwendbare Insolvenzrecht richtet sich gem. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO nach dem Recht des Mitgliedstaats, dessen Gericht das Verfahren eröffnet hat.388 Infolge einer Verwaltungssitzverlegung kommt es zu einer Änderung der Gerichtszuständigkeit389 sowie im Regelfall390 zu einer Änderung des Insolvenzstatuts. Aus dem oben genannten Gründen391 kann die Änderung des Insolvenzstatuts Mehrkosten verursachen.392 Für das nationale Insolvenzrecht sind innerhalb der EU in Ermangelung einer umfassenden Harmonisierung große Divergenzen zu verzeichnen.393 Die Durchführung eines ausländischen Insolvenzverfahrens kann eine erhebliche Erschwerung bei der Beitreibung der Forderung darstellen.394 Darüber hinaus kann das ausländische Insolvenzrecht materiell hinter den gläubigerschützenden Vorschriften des Wegzugsstaat zurückbleiben.395 Auch hier gilt, dass der Wechsel des Insolvenzstatuts nicht unmittelbar auf den grenzüberschreitenden Formwechsel zurückgeführt werden kann, solange die Verlegung des Verwaltungssitzes nicht sach- oder kollisionsrechtlich durch den Zuzugsstaat vorgeschrieben ist.396
III. Betroffenheit der Arbeitnehmer Das Zusammenspiel zweier Rechtsordnungen und der aus einem grenzüberschreitenden Formwechsel resultierende Statutenwechsel können zuletzt nicht unerhebliche Herausforderung für die Bewahrung der Rechtspositionen der Arbeitnehmer hervorrufen. Bei der Frage, inwiefern diese durch die Wahl einer auslänüberschreitenden Verschmelzung: Winner, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection, 49, 62. 387 Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 05. 2015 über Insolvenzverfahren, Abl. 2015, L 141/19. 388 Die Art. 7 ff. EuInsVO sehen Ausnahmen von diesem Grundsatz vor. 389 Kindler, NZG 2018, 1, 4. 390 Zu den Ausnahmen: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 80 f. 391 Dies betrifft im Wesentlichen die sprachlichen und räumlichen Barrieren. 392 Kindler, in: Habersack/Hommelhoff/Hüffer/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Peter Ulmer zum 70. Geburtstag, 305. 393 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 48 ff.; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 82 ff.; Mucciarelli, TJCL 2012, 421, 458. 394 Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 360; Weller, in: Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht, Sitzverlegungen von Gesellschaften in Europa, 1, 19. 395 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 209. 396 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 210 f.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
dischen Rechtsform tangiert werden, ist zwischen dem Individual- und Kollektivarbeitsrecht sowie bei letzterem zwischen betrieblicher- und unternehmerischer Mitbestimmungsrechten zu unterscheiden. 1. Individualarbeitsrecht Aufgrund der Rechtsträgeridentität sind die Vertragsparteien vor und nach einem grenzüberschreitenden Formwechsel identisch. Insbesondere handelt es sich aufgrund der Rechtsträgeridentität – im Unterschied zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen –397 nicht um einen Betriebsübergang i. S. d. § 613a BGB.398 Vertragliche Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bleiben unangetastet.399 Änderungen können sich im Hinblick auf das anwendbare Individualarbeitsrecht ergeben. Für dieses besteht im Interesse des Arbeitnehmerschutzes nur eine eingeschränkte Rechtswahlfreiheit.400 Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom-IVO401 ordnet an, dass von Vorschriften, die im Falle einer objektiven Anknüpfung zur Anwendung kämen, nicht abgewichen werden darf. Das Individualarbeitsrecht knüpft gem. Art. 8 Abs. 2 Rom-I-VO objektiv an den gewöhnlichen Arbeitsort bzw. die Betriebsstätte an, welche sich durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel
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Solche können einen Betriebsübergang auslösen, vgl. jeweils für innerstaatliche Verschmelzungen und Spaltungen: Simon, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 324 UmwG Rn. 3 f.; Langner, in: Schmitt/Hörtnagl (Hrsg.), UmwG/UmwStG, § 324 UmwG Rn. 1; Moll, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 324 UmwG, Rn. 3; Lakenberg, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 55 Rn. 2; Müller-Glöge, in: Krüger (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, § 613a BGB Rn. 63; vgl. auch die Vorschrift des § 324 UmwG. 398 Müller-Glöge, in: Krüger (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, § 613a BGB Rn. 55; Ahrendt, in: Schaub (Hrsg.), Arbeitsrecht-Handbuch, § 116 Rn. 4; Mückl, in: Mückl/Fuhlrott/ Niklas/Otto/Schwab (Hrsg.), Arbeitsrecht in der Umstrukturierung, Kap. 4 Rn. 118; Lakenberg, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 56 Rn. 19; Schollmeyer, AG 2019, 541, 545; Seibold, ZIP 2017, 456, 462; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Olbertz, GWR 2017, 314, 314. 399 Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn. 53; Teichmann, ECFR 2019, 3, 10; ders., in: Grundmann/Merkt/ Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1259; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 586; Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 754; Schurr, EuZW 2019, 539, 544; vgl. Garciamartín/Gandía, ECFR 2019, 15, 35. 400 Martiny, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Art. 8 Rom-I-VO, Rn. 34 f.; Schönbohm, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), Beck-Online-Kommentar Arbeitsrecht, Art. 8 Rom-I-VO, Rn. 11. 401 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 06. 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), Abl. 2008, L 177/6.
C. Betroffenheit der Stakeholder
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nicht ändern.402 In der Konsequenz wird das anwendbare Individualarbeitsrecht hierdurch nicht tangiert. 2. Verlegung von Arbeitsplätzen Ein grenzüberschreitender Formwechsel als Akt der Rechtswahl führt nicht unmittelbar zu einer Verlegung von Arbeitsplätzen in den Zuzugsstaat.403 Indessen besteht für Arbeitnehmer die Gefahr, dass die Gesellschaft nicht nur ihr „Rechtskleid“ wechselt, sondern sich darüber hinaus zumindest teilweise wirtschaftlich in den Zuzugsstaat lokalisiert und Arbeitsplätze dorthin verlegt.404 In diesem Fall kann es zu einem Wegfall von Arbeitsplätzen im Wegzugsstaat und damit zu einer mittelbar auf den grenzüberschreitenden Formwechsel zurückzuführenden Beeinträchtigung der individuellen Rechtspositionen der Arbeitnehmer kommen. Grundlage hierfür wären auf die Verlegung der Arbeitsplätze gestützte betriebsbedingte Kündigungen.405 In diesem Fall müssten die Arbeitnehmer zwar keine rechtlichen, aber jedenfalls faktische Beeinträchtigungen hinnehmen. Vorstellbar ist auch, dass die damit möglicherweise einhergehenden wirtschaftlichen Neugliederung der Gesellschaft Auswirkungen auf die interne Betriebsorganisation hat.406 Diesen Gefahren ist gemeinsam, dass sie nicht aus dem mit einem grenzüberschreitenden Formwechsel verbundenen Statutenwechsel, sondern aus dem faktischen Vorgang einer Verlegung des einer Arbeitsstätte folgen oder auf einem eigenständigen, vom grenzüberschreitenden Formwechsel rechtlich unabhängigen Entschluss der Gesellschaft (betriebsbedingte Kündigung). Im Ergebnis ist festzustellen, dass individuelle Rechtspositionen der Arbeitnehmer durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel nur mittelbar beeinträchtigt werden können. Die probaten Instrumente zum Schutz dieser Interessen sind nicht im Gesellschafts-, sondern im Arbeitsrecht zu verorten.407
402 Teichmann, in: Herrler (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, 111, 127 (Fn. 57); ders., in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1259; European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 217; Heinze, ZGR 1999, 54, 56; ders., ZGR 2002, 66, 69; Deinert, RdA 2001, 368, 379. 403 Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1258. 404 G. H. Roth, Vorgaben der Niederlassungsfreiheit für das Kapitalgesellschaftsrecht, S. 31. 405 Zu den verschiedenen Folgen, die der Arbeitgeber an eine Verlegung des Arbeitsplatzes knüpfen kann: Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 260. 406 J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 586. 407 Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1258 (insbes. Fn. 12).
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
3. Rechtsstellung der Arbeitnehmer als Gläubiger der Gesellschaft Arbeitnehmer werden durch den grenzüberschreitenden Formwechsel möglicherweise auch in ihrer Stellung als Gläubiger der Gesellschaft betroffen.408 Klärungsbedürftig ist, vor den Gerichten welchen Landes die Arbeitnehmer ihre Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, insbesondere den Lohnanspruch, durchsetzen können. Art. 21 Abs. 1 EuGVVO räumt dem Arbeitnehmer insoweit ein Wahlrecht ein: Ein Arbeitnehmer kann den Arbeitgeber sowohl in dem Land, in dem er seinen Wohnsitz hat (Art. 21 Abs. 1 lit. a EuGVVO) als auch vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seine Arbeit gewöhnlich verrichtet (Art. 21 Abs. 1 lit. b i) EuGVVO) bzw. dem Gericht an dem Ort der Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat (Art. 21 Abs. 1 lit. b ii) EuGVVO), verklagen. Umgekehrt kann der Arbeitnehmer gem. Art. 22 EuGVVO nur vor den Gerichten des Mitgliedstaates verklagt werden, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz hat. Beide Anknüpfungsmomente sind unabhängig von dem grenzüberschreitenden Formwechsel. Im Ergebnis ergeben sich für die Arbeitnehmer keine prozessualen Hindernisse aus dem grenzüberschreitenden Formwechsel. 4. Arbeitnehmermitbestimmung Unter Mitbestimmung wird die Eingrenzung der Herrschafts- und Leitungsbefugnisse des Vorstands- bzw. der Geschäftsführung zugunsten von aktiven Mitwirkungsrechten der hiervon Betroffenen verstanden.409 In Deutschland wird zwischen betrieblicher- und unternehmerischer Mitbestimmung unterschieden. a) Betriebliche Mitbestimmung Betriebliche Mitbestimmung zielt auf die Einwirkung der Arbeitnehmer auf betriebliche Entscheidungen wie etwa konkrete Arbeitsabläufe oder die Belegschaftsorganisation ab.410 Sie findet rechtsformunabhängig in besonderen, gesellschaftsrechtlich nicht vorgesehenen, Einrichtungen wie Betriebs- und Personalräten statt.411 Aufgrund dessen ist sie kollisionsrechtlich als Teil des Arbeitsrechts zu qualifizieren und richtet sich nach der Belegenheit des Betriebs (Territorialitäts408
Sie sind wie die Gesellschafter der formwechselnden Gesellschaft sog. externe Gläubiger bzw. Drittgläubiger, Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 6. 409 Funk, Mitbestimmung in EU-Auslandsgesellschaften, S. 24. 410 Schiffers, in: Ulrich/Kahle (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Personengesellschaften, § 1 Rn. 65; Koch, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar Arbeitsrecht, § 1 BetrVG Rn. 2 f.; Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 226; Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 376 (Fn. 1233); Schulte-Wrede, Die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SPE, S. 6; Heinze, ZGR 1994, 47, 53. 411 Richardi, in: Richardi (Hrsg.), BetrVG, Einleitung Rn. 4; Servatius, in: Leible/Reichert/ Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 16 Rn. 2.
C. Betroffenheit der Stakeholder
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prinzip).412 Auf ausländische Gesellschaftsformen mit deutschen Betrieben findet die deutsche betriebliche Mitbestimmung mithin Anwendung.413 Die betriebliche Mitbestimmung wird in der Konsequenz durch einen Statutenwechsel nicht berührt.414 Sie ist nur durch eine Betriebsverlegung in das Ausland wandelbar. Ein solcher tatsächlicher Vorgang steht nicht im Zusammenhang mit einem grenzüberschreitenden Formwechsel. Im Unterschied zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen kann es bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel auch nicht zu einer Zusammenlegung von Betrieben bzw. einer Betriebsspaltung kommen.415 Im Ergebnis sind betriebliche Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel nicht gefährdet.416 b) Unternehmerische Mitbestimmung Den zentralen Diskussionsgegenstand stellen die Auswirkungen eines grenzüberschreitenden Formwechsels auf die unternehmerische Mitbestimmun sowie die hieraus folgenden Anreize zur Umgehung dieses Rechtsinstituts dar.
412 BAG, Urt. v. 09. 11. 1977 – 5 AZR 132/76, NJW 1978, 1124; BAG, Urt. v. 7. 12. 1989 – 2 AZR 228/89, AP Internat. Privatrecht, Arbeitsrecht Nr. 27; Leible, in: Michalski/Heidinger/ Leible/J. Schmidt (Hrsg.), GmbhG, Syst. Darstellung 2 Rn. 173; Koch, in: Müller-Glöge/Preis/ Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar Arbeitsrecht, § 1 BetrVG Rn. 5; Koch, in: Schaub (Hrsg.), Arbeitsrecht-Handbuch, § 213 Rn. 1; Besgen, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), Beck-Online-Kommentar Arbeitsrecht, § 1 BetrVG Rn. 6; Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 150; Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 376; Merkt, ZIP 2011, 1237, 1238; Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 405; Großfeld/Erlinghagen, JZ 48 (1993), 217. 413 Servatius, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 16 Rn. 6; von der Linden, Umstrukturierung von mitbestimmten Unternehmen nach deutschem Umwandlungsrecht und durch grenzüberschreitende Sitzverlegung, S. 494; Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338, 342; Merkt, ZIP 2011, 1237, 1238; Teichmann, ZIP 2016, 899; ders., in: Habersack/Behme/Eidenmüller/Klöhn (Hrsg.), Deutsche Mitbestimmung unter europäischem Reformzwang, 135, 139; ders., in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 405. 414 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 260 ff.; Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, S. 156; Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 319; Teichmann, in: Bachmann/Mengel/ Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 405; unklar daher: BR-Drs. 179/18, S. 11, wo eine Auffanglösung für die betriebliche Mitbestimmung bei Fortführung des Betriebs im Wegzugsstaat erwogen wird. 415 Vgl. für innerstaatliche Verschmelzungen und Spaltungen: Lakenberg, in: Lieder/Wilk/ Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 55 Rn. 2. 416 Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 405.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
aa) Grundlagen der unternehmerischen Mitbestimmung Kaum ein Thema im Bereich des Gesellschaftsrechts wird derart erbittert diskutiert wie die Sinnhaftigkeit und Gebotenheit unternehmerische Mitbestimmung. In Abgrenzung zur betrieblichen Mitbestimmung spricht man von unternehmerischen Mitbestimmung417, wenn die Arbeitnehmer in Gesellschaftsorganen418 institutionell vertreten sind und damit Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen nehmen können.419 Die gesetzlich zwingende420 unternehmerische Arbeitnehmermitbestimmung durchbricht den Grundsatz der strikten Trennung zwischen Arbeits- und Gesellschaftsrecht.421 Ziel der unternehmerischen Mitbestimmung ist es, die Belange der Anteilseigner und der bei Gesellschaftsentscheidungen strukturell unterlegenen Arbeitnehmer gegenüberzustellen und hierdurch – auch im Gesellschaftsinteresse – einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen herbeizuführen.422 Aus diesem Grund wird die unternehmerische Mitbestimmung in Deutschland zum Teil als Ausfluss der Menschenwürde423 und des Demokratieprinzips begriffen.424
417
Vgl. die Legaldefinition in Art. 2 lit. k) SE-RL: Danach ist Mitbestimmung als „die Einflussnahme des Organs zur Vertretung der Arbeitnehmer und/oder der Arbeitnehmervertreter auf die Angelegenheiten einer Gesellschaft durch die Wahrnehmung des Rechts, einen Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu wählen oder zu bestellen, oder die Wahrnehmung des Rechts, die Bestellung eines Teils der oder aller Mitglieder des Aufsichts- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu empfehlen und/oder abzulehnen“ definiert. 418 In Deutschland ist die unternehmerische Mitbestimmung angesichts der dualistischen Kapitalgesellschaftsstrukturen auf Ebene des Aufsichtsrats angesiedelt. 419 Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 577; Funk, Mitbestimmung in EU-Auslandsgesellschaften, S. 45; Schulte-Wrede, Die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SPE, S. 7; Roest, ECFR 2019, 74, 77. 420 Uffmann, in: Kiel/Lunk/Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch Arbeitsrecht, Kollektives Arbeitsrecht II, § 368 Rn. 12; Teichmann, ZIP 2016, 899. 421 Vgl. Schütt, Die deutsche Unternehmensmitbestimmung, S. 38 f.; vgl. auch Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1256. 422 BVerfG, Urt. v. 01. 03. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 350 f.; Begründung des RegE des MitbestG 1976, BT-Drucks. 7/2172, S. 17; Teichmann, in: Stumpf/Kainer/Baldus (Hrsg.), Festschrift für Peter-Christian Müller-Graff zum 70. Geburtstag, 259, 259; Borsutzky, EuZA 2014, 437, 439.; ausführlich zu den verschiedenen Ansätzen zur Legitimation der unternehmerischen Mitbestimmung: Oetker, in: Hirte/Mülbert/ Roth (Hrsg.), Großkommentar AktG, Vorbemerkungen MitbestR Rn. 40 ff.; Uffmann, Kiel/ Lunk/Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch Arbeitsrecht, Kollektives Arbeitsrecht II, § 369 Rn. 2 f. 423 Bericht der Sachverständigenkommission zur Auswertung der bisherigen Erfahrungen der Mitbestimmung, BT-Drs. VI/334, S. 56. 424 Uffmann, Kiel/Lunk/Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch Arbeitsrecht, Kollektives Arbeitsrecht II, § 369 Rn. 2; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 592 ff.; die Idee der unternehmerischen Mitbestimmung kurz zusammenfassend: Junker, NJW 2004, 728, 728.
C. Betroffenheit der Stakeholder
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Befürworter der unternehmerischen Mitbestimmung berufen sich auf wohlfahrtsund effizienzsteigernde Effekte.425 Hiermit korrespondierend wird das im europäischen Vergleich ausgesprochen hohe deutsche Mitbestimmungsniveau zum Teil als Standortvorteil angepriesen.426 Gleichwohl ist die seit jeher bestehende Kritik an dem Konzept der unternehmerischen Mitbestimmung nie verstummt.427 In Anbetracht der verschiedenen rechtspolitischen Sichtweisen zur der unternehmerischen Mitbestimmung,428 verwundert es nicht, dass in der EU keine einheitlichen Vorgaben hierfür bestehen. Innerhalb der Mitgliedstaaten ist ein bunter Strauß an Mitbestimmungsmodellen auszumachen, die von einem gänzlichen Verzicht auf diese Form der Mitbestimmung (z. B. Italien, Belgien), über Mitbestimmungsregelungen nur für staatliche Unternehmen (z. B. Spanien, Portugal) bis hin zu einer Parität zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern reichen.429 Die weniger mitbestimmungsaffineren Systeme sind typischerweise nicht auf Kooperation, sondern auf Konfrontation ausgelegt und bilden kein minus, sondern ein aliud zum deutschen Mitbestimmungsmodell.
425 Hans-Böckler-Stiftung, Pressemitteilung v. 29. 04. 2020, S. 1; in diese Richtung auch: Weiss, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 425, 428; hierzu ausführlich: Oetker, in: Hirte/Mülbert/Roth (Hrsg.), Großkommentar AktG, Vorbemerkungen MitbestR Rn. 47 ff.; zur Bewährung und Kritik an der unternehmerischen Mitbestimmung ausführlich: Kisker, Unternehmensmitbestimmung bei Auslandsgesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland, S. 94 ff. 426 Hans-Böckler-Stiftung, Pressemitteilung v. 29. 04. 2020, S. 1; Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen meint, dass sich unternehmerische Mitbestimmung positiv auf die „Produktivität, Rentabilität und Kapitalmarktbewertung“ auswirken kann, BT-Drs. 18/10253 S. 1; zu den positiven Aspekten der unternehmerischen Mitbestimmung: Heuschmid, in: Vitols (Hrsg.), European company law and the sustainable company, 115, 117; Sick, BB 2020, Heft 46/2020, I („Die Erste Seite“); kritisch hingegen: Bauer, NZA-Beilage 2017, 85 f.; Rieble, NJW 2006, 2214 sieht hingegen in der Mitbestimmung ein Hindernis der deutschen AG im internationalen Wettbewerb; Eidenmüller, in: Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 581, 588 sowie ders., in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 1 Rn. 20 wirft die Frage auf, wieso nicht mitbestimmungspflichtige Gesellschaften nicht freiwillig für eine unternehmerische Mitbestimmung optieren, wenn diese doch effizienzsteigernd sei; Henssler, RdA 2005, 330, 330 geht davon aus, dass sich empirisch weder ökonomische Vorteile noch ökonomische Nachteile der Mitbestimmung belegen lassen; auch Hopt, ZHR 175 (2011), 444, 505 konstatiert „gemischte Erfahrungen“ mit der unternehmerischen Mitbestimmung. 427 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 665 f.; Ulmer, ZHR 166 (2002), 271, 274; Rieble, NJW 2006, 2214; Sandrock, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, 33, 39; die Kritik zusammenfassend: Schiessl, ZHR 167 (2003), 235, 240 f. 428 Diese Diskussion zusammenfassend: Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 424 ff.; von der Linden, Umstrukturierung von mitbestimmten Unternehmen nach deutschem Umwandlungsrecht und durch grenzüberschreitende Sitzverlegung, S. 44 ff. 429 Eine ausführliche Tabelle zu den Mitbestimmungsregelungen in den Mitgliedstaaten aus dem Jahr 2016 findet sich bei: Waddington/Conchon, Board-level employee representation in Europe, S. 33 ff.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
bb) Unternehmerische Mitbestimmung in Deutschland In Deutschland ist die historisch gewachsene430 unternehmerische Mitbestimmung im europäischen Vergleich am stärksten ausgeprägt.431 Rechtsquellen für die stets auf Kapitalgesellschaften432 begrenzte433 unternehmerische Mitbestimmung sind das Montanmitbestimmungsgesetz434, das Mitbestimmungsgesetz435 sowie das Drittelbeteiligungsgesetz436. Diese unterscheiden sich vornehmlich in dem Grad der Mitbestimmung. Welches Vorschriften für die unternehmerische Mitbestimmung zur Anwendung gelangen, richtet sich nach der Anzahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer. In ausländischen Betrieben und Tochtergesellschaften beschäftigte Arbeitnehmer sind bei der Berechnung von Schwellenwerten nicht mitzuzählen.437 Die geringste Form der Unternehmensmitbestimmung ist im DrittelbG für Gesellschaften mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern enthalten (§ 1 Abs. 1 DrittelbG). In diesem Fall ist gem. § 4 Abs. 1 DrittelbG eine Drittelparität vorgeschrieben. Im Unterschied hierzu findet das MitbestG gem. § 1 Abs. 1 MitbestG auf Gesellschaften mit in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmern Anwendung. In seinem Anwendungsbereich ist der Aufsichtsrat gem. § 7 Abs. 1 MitbestG paritä-
430 Zu der Historie der deutschen Unternehmensmitbestimmung: Schütt, Die deutsche Unternehmensmitbestimmung, S. 5 ff.; einen kurzen Überblick hierüber geben auch: Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 423 ff.; Teichmann, in: Stumpf/Kainer/Baldus (Hrsg.), Festschrift für Peter-Christian Müller-Graff zum 70. Geburtstag, 259 f. 431 Großfeld/Erlinghagen, JZ 48 (1993), 217; Blaurock, ZEuP 1998, 460, 478; vgl. hierzu auch den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, Ziff. 2360 (S. 62): „Deutschland nimmt bei der Unternehmensmitbestimmmung eine weltweit bedeutende Stellung ein“; abrufbar unter: https://www.wiwo.de/downloads/27830022/ 8/koalitionsvertrag-2021-2025.pdf (zuletzt abgerufen am 15. 02. 2022). 432 Auf eine SE finden die Mitbestimmungsvorschriften trotz ihrer Einordnung als Kapitalgesellschaft keine direkte Anwendung. Die Arbeitnehmer werden durch das speziellere, die SE-VO umsetzende, SEBG geschützt. 433 Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG, § 1 Abs. 2 MontanMitbestG; § 1 Abs. 1 DrittelbG. 434 Im Folgenden: MontanMitbestG. 435 Im Folgenden: MitbestG. 436 Im Folgenden: DrittelbG. 437 OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 25. 05. 2018 – 21 W 32/18 0, BeckRS 2018, 9729 Rn. 13 ff.; Henssler, in: Habersack/Henssler (Hrsg.), Mitbestimmungsrecht, § Habersack, in: Habersack/Henssler (Hrsg.), Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 3 MitbestG Rn. 43; Oetker, in: Kiel/Lunk/Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch Arbeitsrecht, Individualarbeitsrecht I § 13 Rn. 170; Koch, in: Hüffer/Koch (Hrsg.), AktG, § 96 AktG Rn. 4a; Ego, in: Goette/ Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, Band 7, Europäische Niederlassungsfreiheit, Rn 625; Wansleben, WM 2017, 785; Winter/Marx/De Decker, NZA 2015, 1111, 1115; siehe auch EuGH, Urt. v. 18. 07. 2017, Erzberger/TUI, C-566/15, ECLI:EU:C:2017:562, Rn. 24 ff. zur Europarechtskonformität einer Beschränkung des Wahlrechts auf in deutschen Betrieben beschäftigte Arbeitnehmer; abweichend (Mitzählen von im Ausland beschäftigter Konzernarbeitnehmer): LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 16. 02. 2015 – 3 – 16 0 1/14, NZG 2015, 683 ff.
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tisch438 mit Vertretern der Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite zu besetzen. Praktisch kommt den Vertretern der Anteilseigner eine Mehrheit zu, da diese über den Aufsichtsratsvorsitzenden entscheiden können439 und diesem im Falle einer Stimmengleichheit gem. § 29 Abs. 2 S. 1 MitbestG ein doppeltes Stimmrecht zukommt („quasi-Parität“)440. Das gem. § 1 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 MontanMitbestG als Sonderregel für bestimmte Industrieunternehmen mit in der Regel mehr als 1000 Arbeitnehmern konzipierte MontanMitbestG sieht die weitreichendste Form unternehmerischer Mitbestimmung vor,441 hat jedoch aufgrund wirtschaftlicher Strukturveränderungen und dem damit einhergehenden Rückgang von Industrieunternehmen massiv an Bedeutung eingebüßt.442 Zusätzlich können in engen Grenzen auch privatautonome Regelungen zur Mitbestimmung (Mitbestimmungsvereinbarungen) zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern getroffen werden.443 Paradebeispiel hierfür ist die SE-VO.444 Hier soll durch Verhandlungen zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern das anwendbare Mitbestimmungsrecht vereinbart werden.445 cc) Kollisionsrechtliche Qualifikation Die unternehmerische Mitbestimmung folgt nach ganz herrschender Meinung dem Gesellschaftsstatut.446 Hintergrund ist, dass die Mitbestimmung in Gesell438 Paritätisch“ meint, dass ein Verhandlungsgleichgewicht dergestalt besteht, dass eine Seite nicht ohne Zustimmung der Gegenseite ihre Positionen durchsetzen kann. Hierzu: Funk, Mitbestimmung in EU-Auslandsgesellschaften, S. 25, die zutreffend darauf hinweist, dass es in Deutschland keine absolute Parität gibt, um die Funktionsfähigkeit mitbestimmter Gesellschaften zu gewährleisten. 439 Vgl. § 27 Abs. 2 S. 2 MitbestG. 440 Hopt, ZGR 2000, 779, 801; das BVerfG spricht insoweit auch von einem „leichten Übergewicht“ der Anteilseignerseite, BVerfG, Urt. v. 01. 03. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 323. 441 Funk, Mitbestimmung in EU-Auslandsgesellschaften, S. 41 f.; Wißmann, DB 1989, 426. 442 Bayer, NJW 2016, 1930, 1931; Henssler, ZfA 49 (2018), 174, 175 („Auslaufmodell“). 443 Seibt, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt (Hrsg.), Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, Kap. F Rn. 13 ff.; Uffmann, in: Kiel/Lunk/Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch Arbeitsrecht, Kollektives Arbeitsrecht II § 371 Rn. 1 ff.; Hommelhoff, in: Habersack/Behme/Eidenmüller/Klöhn (Hrsg.), Deutsche Mitbestimmung unter europäischem Reformzwang, 6, 19 f.; Teichmann, in: Stumpf/Kainer/Baldus (Hrsg.), Festschrift für PeterChristian Müller-Graff zum 70. Geburtstag, 259. 444 Seibt, in: Habersack/Drinhausen (Hrsg.), SE-Recht, Art. 40 SE-VO, Rn. 66; Teichmann, in: Habersack/Behme/Eidenmüller/Klöhn (Hrsg.), Deutsche Mitbestimmung unter europäischem Reformzwang, 135, 137 m. w. N. 445 Hierzu: Teichmann, in: Stumpf/Kainer/Baldus (Hrsg.), Festschrift für Peter-Christian Müller-Graff zum 70. Geburtstag, 259, 261 f. 446 BGH, Urt. v. 16. 11. 1981 – II ZR 150/80, NJW 1982, 933, 934; Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 510; Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/ Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschafts-
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
schaftsorganen447 stattfindet, den Arbeitnehmern ein Recht zur Organbestellung zukommt448 und sie damit die innere Struktur der Gesellschaft sowie unternehmerische Entscheidungen beeinflussen können.449 Für die unternehmerische Mitbestimmung gilt, dass ihre Vorgaben lediglich auf deutsche Gesellschaften Anwendung finden.450 Eine analoge Anwendung des deutschen Mitbestimmungsrechts auf ausländische Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland scheitert nach zutreffender Auffassung in Ermangelung einer planwidrigen Regelungslücke.451 Durch einen Statutenwechsel ändert sich daher auch das anzuwendende Mitbestimmungsrecht.452 In der Konsequenz steht das Mitbestimmungsstatut den Gesellschaftern unter Anwendung der Gründungstheorie in einem sehr hohen Maße zur recht, Rn. 573; Habersack, in: Habersack/Henssler (Hrsg.), Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 6; Seibt, in: Henssler/Willemsen/Kalb (Hrsg.), Arbeitsrecht Kommentar, § 1 MitbestG Rn. 8; Leible, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt (Hrsg.), GmbhG, Syst. Darstellung 2 Rn. 169; Servatius, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 16 Rn. 4; Thölke, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 1 Rn. 60; Jung/Stiegler, in: Jung/Krebs/ Stiegler, Gesellschaftsrecht. in Europa, § 33 Rn. 109; Eckert, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 345 ff.; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 29; Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 376; Weller, in: Erle/Goette/Kleindiek (Hrsg.), Festschrift für Peter Hommelhoff zum 70. Geburtstag, 1275, 1278, 1275, 1285; Heinze, ZGR 1999, 54, 56; Kindler, ZHR 179 (2015), 330, 373; S. Koch/Thelen, IPRax 2018, 248, 253; European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 217; W.-H. Roth, in: Söllner (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 709, 714; Roest, ECFR 2019, 74, 89; Paefgen, WM 2018, 1029, 1037; Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 397; a. A.: Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 146 ff.; Borsutzky, EuZA 2014, 437, 448 f. 447 In Deutschland: im Aufsichtsrat. 448 Vgl. § 9 MitbestG, § 5 DrittelbG. 449 Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 510; Heuschmid, Mitentscheidung durch Arbeitnehmer, S. 46. 450 Uffmann, in: Kiel/Lunk/Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch Arbeitsrecht, Kollektives Arbeitsrecht II § 370 Rn. 1; Merkt, ZIP 2011, 1237, 1239; Ulmer, JZ 54 (1999), 662, 663; Zimmer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, S. 371, 386. 451 Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 161; Schütt, Die deutsche Unternehmensmitbestimmung, S. 77; Schulte-Wrede, Die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SPE, S. 142 ff.; von der Linden, Umstrukturierung von mitbestimmten Unternehmen nach deutschem Umwandlungsrecht und durch grenzüberschreitende Sitzverlegung, S. 513 ff; Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338, 342; Merkt, ZIP 2011, 1237, 1239; Götze/Winzer/Arnold, ZIP 2009, 245, 248; im Ergebnis auch: Zimmer, in: Lutter/Fleischer (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 365, 370 f.; ders., in: Söllner (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 1123, 1128 f. 452 Teichmann, in: Herrler (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, 111, 127; ders., in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1259; ders., in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 397; Krause, in: Deinert/Heuschmid/Ma. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Thomas Klebe zum 70. Geburtstag, 248, 251; vgl. W.H. Roth, in: Söllner (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 709, 714; vgl. Heuschmid, AuR 2018, 96, 99.
C. Betroffenheit der Stakeholder
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Disposition.453 Eine Erstreckung deutschen Mitbestimmungsrechts auf ausländische Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland wird zwar diskutiert,454 aber von der zutreffenden herrschenden Meinung abgelehnt.455 Dasselbe gilt für eine Anwendung des deutschen Mitbestimmungsrechts auf ausländische Gesellschaftsformen mit inländischer Betriebsstätte im Wege einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung.456 dd) Grenzüberschreitender Formwechsel als Vehikel zur Mitbestimmungsvermeidung Nach dem Gesagten kann ein Statutenwechsel zur gezielten Wahl eines bestimmten, permissiveren Unternehmensmitbestimmungsrechts genutzt werden. Da ein Wechsel des Gesellschaftsstatuts kein Spezifikum des grenzüberschreitenden Formwechsels ist, gilt dies für jede Form der grenzüberschreitenden Umwandlung.457 Motiv kann entweder die komplette Vermeidung von unternehmerischen Mitbestimmung oder die Verkleinerung des Aufsichtsrats unter Beibehaltung der Beteiligungsverhältnisse aus Gründen der Effizienz sein.458 Die gesellschaftsrechtliche 453
Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 146. Vgl. hierzu beispielsweise den Antrag der Bundestagsfraktion Die Linke aus dem Jahr 2010, BT-Drs. 14/1413, den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion aus dem Jahr 2010, BTDrs. 17/2122 sowie den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus dem Jahr 2016, BTDrs. 18/10253; dies zuletzt fordernd: Sick, BB 2020, Heft 46/2020, I („Die Erste Seite“); Zu der Diskussion ausführlich: Teichmann, ZIP 2016, 899 f.; Bayer, AG 2004, 534, 535 ff. 455 Oetker, in: Kiel/Lunk/Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch Arbeitsrecht, Individualarbeitsrecht I § 13 Rn. 168; Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn. 56; Seibt, in: Henssler/Willemsen/Kalb (Hrsg.), Arbeitsrecht Kommentar, § 1 MitbestG Rn. 8; Merkt, ZIP 2011, 1237, 1239 ff.; Bayer, NJW 2016, 1930, 1932; Weller, in: Erle/Goette/Kleindiek (Hrsg.), Festschrift für Peter Hommelhoff zum 70. Geburtstag, 1275, 1278, 1275, 1285; Teichmann, ZIP 2016, 899; ders., in: Habersack/Behme/Eidenmüller/Klöhn (Hrsg.), Deutsche Mitbestimmung unter europäischem Reformzwang, 135, 139 f.; ders., in: Birkmose/Neville/Sørensen (Hrsg.), Abuse of Companies, 79, 106; Thüsing, ZIP 2004, 381, 382; Wisskirchen/Bissels/Dannhorn, DB 2007, 2258, 2261; a. A.: Borsutzky, Unternehmensmitbestimmung bei grenzüberschreitender Sitzverlegung, S. 286; differenzierend: Franzen, RdA 2004, 257, 262 f.; de lege ferenda für die Einrichtung eines Konsultationsrates, der auch für Auslandsgesellschaften Platz greifen könnte: Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 668. 456 Dies befürwortend: Kindler, in: Deinert (Hrsg.), Internationales Recht im Wandel. Symposium für Peter Winkler von Mohrenfels, 147, 161; ders., ZHR 179 (2015), 330, 374 ff.; ablehnend: Grigoleit, in: Grigoleit (Hrsg.), AktG, Einleitung Rn. 25; Merkt, ZIP 2011, 1237, 1239; Götze/Winzer/Arnold, ZIP 2009, 245, 248; sehr zurückhaltend auch: W.-H. Roth, in: Söllner (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 709, 715; ausführlich zum Streitstand: Borsutzky, EuZA 2014, 437, 440 ff. 457 Dementsprechend gibt es ein Füllhorn an Gestaltungsmöglichkeiten, um sich dem deutschen Mitbestimmungsrecht zu entziehen. Einen prägnanten Überblick hierzu gibt: Bayer, NJW 2016, 1930,1932 ff. 458 Brandes, ZIP 2008, 2193; vgl. Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1259. 454
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
Attraktivität einer solchen Gestaltung wird augenscheinlich, wenn man sich den nahezu459 einhellig angenommenen deutschen mitbestimmungsrechtlichen „Sonderweg“ vor Augen führt.460 Ohne ein mitbestimmungsrechtliches Regelungsgefälle wäre eine „Flucht aus der Mitbestimmung“ nicht möglich.461 Die abstrakte Gefahr der Mitbestimmungsvermeidung hat seit der mit dem Urteil „Polbud“ geklärten Zulässigkeit einer bloße Rechtswahl („Rechtsform-Shopping“)462 zugenommen.463 Es verwundert daher nicht, dass dieses Judikat die Alarmglocken bei Arbeitnehmervertretern schrillen ließ.464 Als unbillig werden vornehmlich Konstellationen empfunden, in denen das Mitbestimmungsstatut und der Mitgliedstaat, in dem das Gros der Arbeitnehmer tätig ist, auseinanderfällt. Dies gilt umso mehr, wenn dieser Zustand nachträglich durch Sitzaufspaltung herbeigeführt wird.465 Dass die Gefahr der Vermeidung von unternehmerischer Mitbestimmung nicht nur theoretischer Natur ist, lässt sich empirisch belegen. Rechtstatsächlich ist fest459
Beispielsweise ist der niederländische Gesetzgeber der Meinung, dass das niederländische System der unternehmerischen Mitbestimmung aus qualitativen Gründen stärker als das deutsche Mitbestimmungsregime sei. Hierzu: Roest, ECFR 2019, 74, 91 f. 460 Vgl. nur den plastischen Vergleich Junkers, der konstatiert, dass die deutsche Unternehmensmitbestimmung „kilometerweit aus der europäischen Landschaft“ herausrage, Junker, ZfA 36 (2005), 211, 217; ähnlich (deutsche Mitbestimmung als „Unikat“): Bauer, NZA-Beilage 2017, 85, 85; ebenfalls eine „starke Ausprägung“ des deutschen Mitbestimmungsrechts konstatierend: Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 264; Weller, in: Erle/Goette/Kleindiek (Hrsg.), Festschrift für Peter Hommelhoff zum 70. Geburtstag, 1275, 1278; vgl. Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 137; ebenfalls von einer „europaweit einzigartigen Reichweite“ der Mitbestimmung sprechend: Ringe, Die Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 149. 461 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 512; Heinze, ZGR 2002, 66, 69; Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 756. 462 Weller, in: Erle/Goette/Kleindiek (Hrsg.), Festschrift für Peter Hommelhoff zum 70. Geburtstag, 1275, 1278, 1275, 1279; Kovács, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 159, 178. 463 Vgl. Krause, in: Deinert/Heuschmid/Kittner/Ma. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Thomas Klebe zum 70. Geburtstag, 248, 251; Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1270; Heuschmid, AuR 2018, 96, 99; S. Koch/Thelen, IPRax 2018, 248, 253 („besondere Brisanz“ des Urteils im Hinblick auf die Mitbestimmung); Deutscher Gewerkschaftsbund, Stellungnahme v. 18. 06. 2018, S. 2; Bonse, Mitbestimmung 3/2018, 34, 37. 464 Vgl. den Beitrag des damaligen Geschäftsführers der Hans Böckler Stiftung Guggemoos, in: Deinert/Heuschmid/Kittner/Ma. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Thomas Klebe zum 70. Geburtstag, 132, 133 f. („Die Unternehmensmitbestimmung wird […] vom deregulierenden Sog der Grundfreiheiten mitgerissen.“); vgl. auch den polemischen Beitrag des EGB-Mitbestimmungsreferenten Kowalsky, in: ETUI (Hrsg.), Jetzt für ein besseres Europa (2019), 25, 39 („Lizenz zur Steuerhinterziehung“); vgl. auch den Beitrag des stellvertretenden Leiters des der Hans Böckler Stiftung zugeordneten Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht Heuschmid, AuR 2018, 96, 99. 465 Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 398; vgl. Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 758.
C. Betroffenheit der Stakeholder
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zustellen, dass in den vergangenen Jahre immer weniger Gesellschaften den strengen deutschen Mitbestimmungsregelungen unterliegen.466 Auch der Umstand, dass durch die Umgehung der unternehmerischen Mitbestimmung eine Verschlechterung des Betriebsklimas sowie negative Presse droht,467 hält Gesellschaften nicht hiervon ab. Die Hans-Böckler-Stiftung geht für das Jahr 2016 davon aus, dass Großkonzerne rund 800.000 Arbeitnehmer ihre Mitbestimmungsrechte vorenthalten.468 Dieser Befund wird durch die Illustrierung der stetigen Zunahme von gesellschaftsrechtlichen Umgehungssachverhalten untermauert.469 Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist der Auffassung, dass im Jahr 2018 300.000 Arbeitnehmer in Deutschland durch die Nutzung einer ausländischen Rechtsform ihrer Mitbestimmung entzogen wurden und 150.000 Arbeitnehmer in Deutschland durch das „Einfrieren“470 der Mitbestimmung mittels einer SE betroffen waren.471 Schließlich kommt eine Untersuchung zur Drittelbeteiligung bei GmbHs von Bayer/T. Hoffmann zu dem Ergebnis, dass eine erhebliche Mitbestimmungslücke besteht.472 Bayer schließt aus dieser Entwicklung eine „schleichenden Erosion“ des deutschen Mitbestimmungsrechts.473
IV. Zwischenergebnis Die vorausgegangene Untersuchung hat gezeigt, dass die Rechtspositionen der Stakeholder durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel aus zwei verschiedenen Gründen tangiert werden: Die Betroffenheit folgt zum einen aus dem Statutenwechsel. Durch diesen ändert sich die durch die Verbandsverfassung determinierte Mitgliedschaft, die gläubigerschützenden Vorschriften sowie das anwendbare Mitbestimmungsrecht, womit die Rechtsstellung der Stakeholder neu justiert wird. Im Hinblick auf die Gläubiger und Gesellschafter ergibt sich zusätzlich eine Be466 Hans-Böckler-Stiftung, Impuls 06/2016, S. 2 unter Berufung auf eine nicht öffentlich zugängliche empirische Erhebung der Friedrich-Schiller-Universität Jena unter Leitung von Bayer. 467 Hopt, ZHR 175 (2011), 444, 505 (Fn. 340). 468 Hans-Böckler-Stiftung, Impuls 06/2016, S. 2 unter Berufung auf eine nicht öffentlich zugängliche empirische Erhebung der Friedrich-Schiller-Universität Jena unter Leitung von Bayer. Sick, BB 2020, Heft 46/2020, I („Die Erste Seite“) spricht in einem aktuellen Beitrag sogar davon, dass in Deutschland allein 2,1 Millionen Arbeitnehmer von Gesellschaften mit über 2000 Arbeitnehmern durch Umgehungsstrategien betroffen sind. 469 Hans-Böckler-Stiftung, Mitbestimmungsreport Nr. 8, Februar 2015, S. 7, 9 ff., 13 f. 470 Teichmann, in: Birkmose/Neville/Sørensen (Hrsg.), Abuse of Companies, 79, 95; Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 133; Guggemoos, in: Deinert/Heuschmid/Kittner/Ma. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Thomas Klebe zum 70. Geburtstag, 132, 135; Thannisch, AuR 2020, 310, 313. 471 Deutscher Gewerkschaftsbund, Stellungnahme zum Company Law Package, S. 2. 472 Bayer/T. Hoffmann, GmbHR 2016, 909, 915; rechtsformunabhängig zu der Anzahl von drittelbeteiligten Aufsichtsräten zum 15. 10. 2009: Bayer/T. Hoffmann, AG 2010, R151, R153. 473 Bayer, NJW 2016, 1930, 1931; dieselbe Terminologie verwendend: T. Hoffmann, AG 2016, R167.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
troffenheit aus faktischen Gründen, die unmittelbar aus dem grenzüberschreitenden Element folgen und mithin bei innerstaatlichen Formwechseln nicht bestehen. Diesbezüglich ist die Erschwerung der Durchsetzung der Mitgliedschafts- bzw. Gläubigerrechte, beispielsweise aus Gründen der fehlenden Sprachkenntnis, der räumlichen Distanz sowie der Entstehung von Anwaltskosten zu nennen. Grenzüberschreitende Formwechsel erweisen sich im Ergebnis als zweischneidiges Schwert: Dieses Form der Umstrukturierung eröffnet Gesellschaften die Möglichkeit, Ressourcen optimal zu allozieren und das passende Gesellschaftsrecht zu wählen. Die Kehrseite dieser Medaille ist die Gefahr, dass auf diesem Weg die Gesellschaftsinteressen eigennützig auf dem Rücken der Stakeholder durchgesetzt werden. Es ist Aufgabe und zentrale Herausforderung des Europäischen Gesetzgebers, die gegenläufigen Interessen von Gesellschaftern und Stakeholdern in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen.
D. Zusammenfassung in Thesenform 1. Ein grenzüberschreitender Formwechsel ist ein gesellschaftsrechtlicher Vorgang, durch den eine Gesellschaft ihre Rechtsform identitätswahrend in eine neue Rechtsform wechselt, die einem unterschiedlichen Gesellschaftsstatut entspringt. Das Alleinstellungsmerkmal eines (grenzüberschreitenden) Formwechsels ist das Identitätsprinzip. Dieses besagt, dass es durch die Umwandlung weder zu einer Auflösung und Liquidation der Gesellschaft- noch zu einem Vermögensübergang kommt. Dieser Umstand bedingt eine bestechende Einfachheit und Effizienz dieser Umwandlungsform. 2. Zu unterscheiden ist zwischen grenzüberschreitenden Formwechseln unter simultaner Verwaltungssitzverlegung und isolierten grenzüberschreitenden Formwechseln. Im letzteren Fall entsteht eine „Scheinauslandsgesellschaft“, die eine Kumulierung der Vorteile von Standort- und Rechtswahl ermöglicht. 3. Für das Gelingen grenzüberschreitender Formwechsel müssen die Kollisionsund Sachrechte beider beteiligten Mitgliedstaaten in ihrem Zusammenspiel die Umwandlung zulassen. Sachrechtliche Hindernisse bestehen aus deutscher Perspektive durch die im Zuge der MoMiG-Reform umgebildeten § 5 AktG, § 4a GmbHG nicht mehr. Kollisionsrechtlich kommt in Deutschland sowohl in Wegzugs- als auch in Zuzugsfällen die Gründungstheorie zur Anwendung. Während die Anwendung der Gründungstheorie in Zuzugsfällen durch die weitreichenden Einwirkungen der Niederlassungsfreiheit auf das nationale Kollisionsrecht unionsrechtlich geboten ist, resultiert die Anwendung der Gründungstheorie in Wegzugsfällen aus dem im Zuge des MoMiG verdeckt reformierten autonomen deutschem Kollisionsrecht. In der Konsequenz legt Deutschland mobilitätswilligen Gesellschaften keine sach- oder kollisionsrechtlichen Steine in den Weg.
D. Zusammenfassung in Thesenform
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4. Mobilitätsschranken ergeben sich, wenn der andere an der Umwandlung beteiligte Mitgliedstaat entweder der Sitztheorie folgt oder sachrechtlich auf einen inländischen Verwaltungssitz insistiert. In diesen Fällen sind isolierte grenzüberschreitende Formwechsel nicht durchführbar. 5. Das auf grenzüberschreitende Formwechsel anwendbare Recht richtet sich nach der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie. Diese postuliert eine sukzessive Anwendung der beiden beteiligten Rechtsordnungen. Da stets der am meisten betroffene Mitgliedstaat zur Formulierung der konkreten Verfahrensschritte berufen ist, überprüft der Zuzugsstaat im Wesentlichen nur die Gründungsvoraussetzungen, während der Wegzugsstaat primär die Einhaltung der bedeutsamen Schutzvorschriften für die betroffenen Stakeholder überwacht. 6. Grenzüberschreitende Formwechsel genießen einen vollumfänglichen Schutz durch die Niederlassungsfreiheit. Dies gilt unabhängig davon, ob der grenzüberschreitende Formwechsel unter koinzidenter Verwaltungssitzverlegung oder isoliert durchgeführt wird. Dieser Schutz ist im Sinne eines umfassendes Beschränkungsverbots zu verstehen. Folglich hängt der primärrechtliche Schutz grenzüberschreitender Formwechsel nicht davon ab, ob die daran beteiligten Mitgliedstaaten eine entsprechende Umwandlung in ihrem nationalen Recht kennen. Zusätzlich wird diese „Formwechselfreiheit“ durch die unionsrechtlichen Prinzipien der Äquivalenz und Effektivität rechtlich abgesichert. 7. Schranken der Rechtswahlfreiheit werden vornehmlich durch die zwingende Gründe des Allgemeinwohls statuiert. Zu diesen zählen insbesondere die schutzwürdigen Interessen von Gesellschaftern, Gläubigern und Arbeitnehmern. 8. Verallgemeinernd gesprochen resultiert die durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel für die Stakeholder verursachte Gefährdungslage aus der Unterschiedlichkeit der Rechtsformen sowie aus der Diversität der nationalen Gesellschaftsrechte. Die Risiken gehen im grenzüberschreitenden Kontext damit über die Risiken bei innerstaatlichen Formwechseln hinaus. Die Folgen für Gesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer werden durch die Geltung des Identitätsprinzip abgeschwächt. a) Gesellschafter sind der Gefahr ausgesetzt, dass ihre Mitgliedschaftsrechte in der Zielrechtsform schwächer ausgeprägt sind und zusätzliche Pflichten statuiert werden. Durch den grenzüberschreitenden Bezug treten sprachliche und geographische Barrieren, etwa im Hinblick auf die Teilnahme an Hauptversammlungen, hinzu. b) Gläubiger sind der Gefahr ausgesetzt, dass die Schmälerung ihres Haftungssubstrat durch eine schwächere Kapitalbindung im Zuzugsstaat ermöglicht wird. Aus dem grenzüberschreitenden Kontext resultiert das zusätzliche Risiko des Verlusts eines inländischen Gerichtsstands sowie einer in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht erschwerten Zwangsvollstreckung.
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Kap. 2: Grundlagen zum grenzüberschreitenden Formwechsel
c) Arbeitnehmer sind der Gefahr ausgesetzt, dass die unternehmerische Mitbestimmung in der Zielrechtsform schwächer ausgeprägt oder überhaupt nicht vorhanden ist. 9. Für die Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel besteht sowohl in betriebswirtschaftlicher als auch in rechtlicher Hinsicht ein Füllhorn an Motiven. Diese Form der Umwandlung entspricht einem erheblichen praktischen Bedürfnis und markiert einen bedeutenden Bestandteil des Europäischen Binnenmarktes. Die betriebswirtschaftlichen Motive resultieren aus der Relokalisierung des Ortes der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit. Ausschlaggebend ist beispielsweise ein niedriges Lohnniveau oder bessere Absatzmöglichkeiten. Die rechtlichen Motive sind Ausfluss der Unterschiedlichkeit von altem- und neuem Gesellschaftsstatut. Exemplarisch hierfür sind geringere Anforderungen an die Kapitalaufbringung oder permissivere Stakeholder-Schutzvorschriften. Augenscheinlich wird die Bedeutung einer (nachträglichen) Rechtswahl, wenn man das Gesellschaftsrecht als Wettbewerbsfaktor begreift. 10. In der Konsequenz besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse an ungehinderter Gesellschaftsmobilität und dem Interesse an einer Aufrechterhaltung der schutzwürdigen Rechtspositionen der Stakeholder. Diese Interessen in praktische Konkordanz zu bringen, stellt einen von dem Europäischen Gesetzgeber zu vollführenden Drahtseilakt dar.
Kapitel 3
Das Verfahren für grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL A. Hintergrund der Harmonisierung Die Harmonisierung grenzüberschreitender Formwechsel durch Verabschiedung einer „Sitzverlegungsrichtlinie“ ist ein „Uraltprojekt“474 der Europäischen Kommission, das trotz diverser Vorstöße und Vorarbeiten475 seit den 1990er Jahren die meiste Zeit entweder nur dilatorisch behandelt wurde oder stillstand. Grenzüberschreitende Formwechsel auf ein vereinheitlichtes Fundament zu stellen, war daher eine seit vielen Jahren häufig und nachdrücklich vorgetragene Forderung, nicht nur aus der Literatur,476 sondern auch von dem Europäischen Parlament.477 In gleicher 474 Vgl. beispielsweise den Vorentwurf zu einer Richtlinie zur Verlegung des Gesellschaftssitzes innerhalb der EU v. 22. 04. 1997; abgedruckt in: ZGR 1999, 157 ff.; dazu ausführlich die Beiträge in: ZGR 1999, Heft 1-2 sowie Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 24 Rn. 835 ff. 475 Die Vorschläge zum Erlass einer „Sitzverlegungsrichtlinie“ zusammenfassend: Lutter/ Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 30 Rn. 1 ff.; Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 32 Rn. 2 ff.; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 308 ff.; Stiegler, Der grenzüberschreitende Rechtsformwechsel in der Europäischen Union, S. 417 ff. 476 Servatius, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 4 Rn. 31; Saenger, in: Saenger/Aderhold/Lenkaitis/Speckmann (Hrsg.), Handels- und Gesellschaftsrecht, § 8 Rn. 63; Engert, in: Langenbucher (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 5 Rn. 12; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht II, § 7 Rn. 6; Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 285 f.; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 288; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 330; Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 443 ff.; Trautrims, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 230; Loose, Grenzüberschreitender Formwechsel von Kapitalgesellschaften, S. 181 f.; Schön, ZHR 160 (1996), 221, 244 f.; Eidenmüller, in: Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 581, 584; ders., JZ 59 (2004), 24, 31 f.; Zimmer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 371, 382; Müller-Graff, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, 9, 36 f.; ders., in: Hoffmann-Becking (Hrsg.), Festschrift für Hans-Jürgen Hellwig, 251, 267 f.; Koppensteiner, in: Hommelhoff, Festschrift für Marcus Lutter zum 70. Geburtstag: deutsches und europäisches Gesellschafts-, Konzern- und Kapitalmarktrecht, 141, 147 f.; Lutter, in: Nobel (Hrsg.), Internationales Gesellschaftsrecht, 9, 28; ders., BB 2003, 7, 10; Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 610; dies., in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.),
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Kap. 3: Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
Weise setzte die Bundesregierung das Bestreben nach einer Vereinheitlichung des Rechtsrahmens für grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften auf ihre Agenda für die 19. Legislaturperiode von 2017 bis 2021.478 Zusätzlichen Reformdruck übte die liberale EuGH-Judikatur, insbesondere die Polbud-Entscheidung, aus, womit die Regelungsabstinenz letztlich politisch nicht mehr zu rechtfertigen war.479 Auch das im Jahr 2016 ergangene Referendum zum Austritt des Vereinigten Königsreichs aus der Europäischen Union („Brexit“) ließ das Anpacken dieses Themenfeldes dringender erscheinen.480 Der damalige EU-Kommissionspräsident Juncker kündigte schließlich im Jahr 2017 ein EU-Gesellschaftsrechtspaket mit dem Ziel, „wirksame Vorschriften für grenzüberschreitende Tätigkeiten zu erlassen“, an.481 Am 25. 04. 2018 hat die Kommission von ihrem Initiativrecht Gebrauch gemacht und einen Vorschlag für das Company Law Package veröffentlicht,482 das in der Verabschiedung der Mobilitäts-RL mündete.483 Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, 57, 69; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 770; dies., ZIP 2012, 1481, 1491 f.; Schön, ZGR 2013, 333, 364 f.; Leible/Hoffmann, BB 2009, 63; Teichmann, ZIP 2006, 335, 362; ders., DB 2012, 2085, 2092; ders., LMK 2009, 275584; Behme, NZG 2012, 936, 939; ders./Nohlen, BB 2009, 13, 14; Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 610; dies., ZEuP 2018, 309, 319; dies., ZEuP 2004, 685, 703 f.; Reflection Group on the Future of EU Company Law, ECFR 2013, 304, 319; G. H. Roth, in: Reininghaus (Hrsg.), Unternehmensmobilität im Binnenmarkt, 7, 13; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3592; ders., RabelsZ 67 (2003), 298, 310; Wicke, DStR 2017, 2684, 2691; Stelmaszczyk, EuZW 2017, 890, 894; J. Schmidt, ZVglRWiss 116 (2017), 313, 338; dies., Study for the JURI-Committee: Crossborder mergers and divisions, transfers of seat: Is there a need to legislate, PE 556.960, S 9; Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545, 549 f.; Wyckaert/Jenne, in: Geens/Hopt (Hrsg.), Corporate Mobility, 287, 318; Krebs, GWR 2014, 144, 147; Frobenius, DStR 2009, 487, 491; Franz, EuZW 2016, 930, 936; a. A. Kindler, NZG 2018, 1, 7; keine Kompetenz der Union wegen eines Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip erkennend: Bechtel, Umzug von Kapitalgesellschaften unter der Sitztheorie, S. 180 ff. 477 Entschließung des Europäischen Parlaments v. 10. 03. 2009 mit Empfehlungen an die Kommission zur grenzüberschreitenden Verlegung von eingetragenen Gesellschaftssitzen (2008/2196(INI)), ABl. C 87 E/5; Entschließung des Europäischen Parlaments v. 02. 02. 2012 mit Empfehlungen an die Kommission zu einer 14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlegung von Unternehmenssitzen (2011/2046(INI)), ABl. C 239 E/ 18; vgl. aber noch die antiquierte gegenteilige Auffassung der Kommission, die keinen Bedarf hierfür sah, Commission Staff Working Document, Impact Assessment on the Directive on the cross-border transfer of registered office, SEC (2007) 1707, Main Part I, S. 52. 478 „Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD zur 19. Legislaturperiode, Rn. 6151 – 6155 (S. 131). 479 Schollmeyer, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 480 Schollmeyer, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 481 J.-C. Juncker, Lage der Union 2017, Ansichtserklärung an Präsident Antonio Tajani und Ministerpräsident Jüri Ratas, S. 6, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-po litical/files/letter-of-intent-2017_de.pdf; zuletzt abgerufen am: 15. 02. 2022. 482 COM(2018) 241 final.
A. Hintergrund der Harmonisierung
105
I. Rechtsunsicherheit als Mobilitätshemmnis für Gesellschaften Den Anstoß für die Forderungen nach einer Harmonisierung grenzüberschreitender Formwechsel bildet die – für Personengesellschaften auch nach Inkrafttreten der Mobilitäts-RL fortbestehende – paradoxe Situation, dass solche Umwandlungen zwar durch die Niederlassungsfreiheit geschützt sind, hierfür aber in den meisten Mitgliedstaaten484 keine passenden Rechtsgrundlagen bereitstehen.485 Auch der EuGH vermochte in dieser Hinsicht keine Abhilfe zu schaffen, da die Formulierung von Verfahrensvorschriften für einen grenzüberschreitenden Formwechsel seine auf die negative Integration beschränkte Kompetenz überschritten hätte.486 Aufgrund der unbestrittenen Zulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel müssen Gesellschaften bis zur Umsetzung der Mobilitäts-RL auf Behelfslösungen wie die analoge Anwendung der Vorschriften für innerstaatliche Formwechsel unter Berücksichtigung der EuGH-Judikatur rekurrieren.487 Diese Lösung hat allerdings zwei wesentliche Schwächen. Namentlich sind dies die erforderliche Registerkoordination sowie die sachrechtliche Vereinbarkeit der nationalen Regelungen von Wegzugs- und Zuzugsstaat.488 Als Konsequenz der weitgehenden mitgliedstaatli483 Das Gesetzgebungsverfahren ausführlich darstellend: Schollmeyer, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 484 Über die Hälfte der Mitgliedstaaten hat keine für den grenzüberschreitenden Formwechsel spezifischen Regelungen erlassen, vgl. die Übersicht bei Commission Staff Working Document, Impact Assessment SWD (2018) 141 final, S. 28. 485 Vgl. Zimmer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 371, 381 f., der es als „Anachronismus“ empfindet, dass grenzüberschreitende Formwechsel nicht ohne weiteres möglich seien. 486 COM (2018) 241 final, S. 3; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 328; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 289; Butterstein, EuZW 2018, 838, 845; Kieninger, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, 57, 76; vgl. Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 262; vgl. Schön, ZGR 2013, 333, 337; dies hinderte den EuGH aber nicht daran, den Europäischen Gesetzgeber sanft auf die Bedeutung von harmonisierten Vorschriften hinzuweisen („Auch wenn solche Vorschriften zur Erleichterung grenzüberschreitender Umwandlungen gewiss hilfreich wären (….).): EuGH, Urt. v. 12. 7. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C: 2012:440, Rn. 38; ebenso im Hinblick auf die damals noch nicht harmonisierten grenzüberschreitenden Verschmelzungen: EuGH, Urt. v. 13. 12. 2005, SEVIC, C-411/03, ECLI:EU:C: 2005:762, Rn. 26. 487 So die herrschende Meinung zu dem auf grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften anwendbaren Recht. Zu diesem Streitstand ausführlich: Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 252 ff., 339 ff.; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 293 ff. 488 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 359; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 302 f.; W.-H. Roth, in: Dauner-Lieb et. al. (Hrsg.), Festschrift für Barbara Grunewald zum 70. Geburtstag, 935, 942.
106
Kap. 3: Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
chen Regelungsautonomie respektive der analogen Anwendung von auf innerstaatliche Sachverhalte zugeschnittenen Normen sind die nationalen Vorschriften der beiden beteiligten Rechtsordnungen in der Regel nicht aufeinander abgestimmt. Dies gilt umso stärker, als dass bereits auf nationalen Ebene über die konkret analog anzuwendenden Normen regelmäßig keine Einigung erzielt werden kann, sondern sich ein breites Meinungsspektrum herauskristallisiert hat.489 Für Gesellschaften besteht ohne eine Harmonisierung auch die Gefahr überhöhter nationaler Anforderungen an den grenzüberschreitenden Formwechsel, welche diesen unmöglich machen können.490 Paradebeispiel hierfür ist die Judikatur des EuGH zu grenzüberschreitenden Umwandlungen, der stets unverhältnismäßige nationale Mobilitätsschranken zugrunde lagen. Hiermit wird verdeutlicht, dass europarechtlich nicht präformierte Schutzvorschriften eine Quelle für Rechtsunsicherheit sind, da über ihnen stets das Damoklesschwert der Unvereinbarkeit mit dem Primärrecht schwebt. Zuletzt birgt die Beteiligung zweier Rechtsordnungen die Gefahr von Kompetenzkonflikten zwischen den beiden federführenden Registergerichten. In der Folge ist ein grenzüberschreitender Formwechsel de lege lata mit einem erheblichen Maß an Rechtsunsicherheit behaftet.491 Praktisch können grenzüberschreitende Formwechsel nur durch enge Abstimmung mit den beteiligten Registern durchgeführt
489 Für eine analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG: OLG Nürnberg, Beschl. v. 19. 6. 2013 – 12 W 520/13, BeckRS 2014, 1288; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 3. 1. 2017 – 20 W 88/ 15, MittBayNot 2017, 281, 284; Wicke, in: Wicke (Hrsg.), GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 10d; v. Hein/Brunk, IPRax 2018, 46, 50 ff.; zum Schutz der berechtigten Drittinteressen und in Anbetracht der grenzüberschreitenden Besonderheiten für eine ergänzende partielle analoge Anwendung der §§ 122a ff. UmwG: OLG Saarbrücken, Beschl. v. 07. 01. 2020 – 5 W 79/19, BWNotZ 2020, 70, 72; Krafka, in: Krafka (Hrsg.), Registerrecht, Rn. 1211a; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 252 ff.; insbesondere S. 272 ff.; Luy, BWNotZ 2020, 11, 14; für eine ergänzende analoge Anwendung der Art. 8 SE-VO, §§ 12 ff. SEAG: Hushahn, RNotZ 2014, 137, 140; Herrmanns, MittBayNot 2016, 297, 298; entweder für eine zusätzliche analoge Anwendung der §§ 122a ff. UmwG oder der Art. 8 SE-VO, §§ 12 ff. SEAG: Kindler, NZG 2018, 1, 5; für eine zusätzliche analoge Anwendung der §§ 122a ff. UmwG und der SE-VO: Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 280 ff.; Feldmann, Grenzüberschreitende Umwandlungen von Gesellschaften in der Europäischen Union, S. 361 ff.; 369; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 763; zur deutschen Diskussion über die auf grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften anzuwenden Vorschriften unter: Kap. 5, A. V (S. 312 ff.). 490 Teichmann, NZG 2019, 241, 242. 491 Allmendinger, Die Beschlussfassung zum grenzüberschreitenden Wegzug, S. 199; Stiegler, Der grenzüberschreitende Rechtsformwechsel in der Europäischen Union, S. 82; Fischer, Grenzüberschreitende Umgründung im EU-Raum, S. 48; Ringe, ECFR 2013, 230, 234; Reflection Group on the Future of EU Company Law, ECFR 2013, 304, 319; MarschBarner, in: Blumenberg/Crezelius/Gosch (Hrsg.), Festschrift für Wilhelm Haarmann, 115, 140; Lieder/Bialluch, NJW 2019, 805, 806; Behme, ZHR 182 (2018), 32, 60; Schneider, DB 2018, 941, 943; Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 283; Kieninger, ZEuP 2018, 309, 316 f.; Mohamed, RPfleger 2019, 434, 346; Alexandropoulou, ERA Forum 22 (2021), 9, 10.
A. Hintergrund der Harmonisierung
107
werden.492 Dies kann einfach veranschaulicht werden: In der Praxis sind Fälle bekannt geworden, in denen der Zuzugsstaat das Formwechselverfahren usurpiert und die Gesellschaft ohne registerrechtliche Prüfung eingetragen hat.493 Als Ausfluss einer fehlenden Registerkoordination kann es auch dazu kommen, dass eine Gesellschaft im Herkunftsstaat gelöscht wird, ohne bereits im Zuzugsstaat eingetragen worden zu sein. Spiegelbildlich ist denkbar, dass sie im Zuzugsstaat eingetragen wird, bevor die Löschung im Herkunftsstaat vorgenommen worden ist („Statutenverdopplung“)494.495 Dieser mobilitätshindernde Zustand steht in einem gewissen Widerspruch zu der liberalen Haltung des EuGH zu grenzüberschreitenden Umwandlungen und kommt in seinen Wirkungen einem indirekten Verbot grenzüberschreitender Formwechsel nahe. Die lex lata stellt damit nur eine Behelfslösung dar, welche die aus dem grenzüberschreitenden Bezug resultierenden Besonderheiten aufgeworfenen komplexen Rechtsfragen nicht befriedigend zu lösen vermag.496 In der Folge entfalten die nur auf steinigem Wege durchführbaren grenzüberschreitende Formwechsel nur wenig Praxisrelevanz.497 Im Kontrast hierzu ging die Kommission im Jahr 2007 davon aus, dass nach einer Harmonisierung des Rechtsrahmens bis zu 300.000 Gesellschaften die Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Formwechsels Gebrauch wahrnehmen würden.498 Der Wert von Rechtssicherheit für grenzüber492 Vgl. Winter, in: Schmitt/Hörtnagl (Hrsg.), UmwG/UmwStG, § 191 UmwG Rn. 43; vgl. zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Personengesellschaften: Bungert/Schneider, in: Hutter/Baums (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Michael Gruson, 37, 41. 493 Hierzu: Benz/Hübner/Zimmermann, ZIP 2018, 2254, 2254. 494 Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 142; J. Schmidt, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt (Hrsg.), GmbhG, § 4a GmbHG Rn. 15; Dostal, in: Römermann/ Büsching (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch GmbH-Recht, § 26 Rn. 295; Stiegler, in: Jung/ Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 111; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 96; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 741; Balthasar, RIW 2009, 221, 223; Zwirlein/Großerichter/ Gätsch, NZG 2017, 1041, 1043. 495 Lieder/Bialluch, NotBZ 2017, 209, 211; Teichmann/Knaier, GmbHR 2017, 1314, 1315. 496 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 292. 497 Vgl. die empirischen Daten bei Bayer/T. Hoffmann, AG 2019, R40, R41 f. 498 Commission, Impact assessment on the Directive on the cross-border transfer of registered office, SEC (2007)1707, Part I, S. 13 f. Jedoch bleibt unklar, auf welcher Grundlage die Kommission zu diesem hohen Ergebnis gekommen ist. Die Begründung der Kommission deutet darauf hin, dass diese Schätzung auf Grundlage der Anzahl von britischen Gesellschaften mit im Ausland lokalisiertem Verwaltungssitz vorgenommen worden ist. Die die Kommission gesteht auch ein, dass die hierauf basierende Hochrechnung auf die gesamte Europäische Union angesichts der gesellschaftsfreundlichen britischen Vorschriften nicht zwingend repräsentativ ist. Zu berücksichtigen ist auch, dass sich ein grenzüberschreitender Formwechsel sich als deutlich aufwendiger gestaltet als eine Auslandsgründung oder eine rechtsformwahrende Verwaltungssitzverlegung. Vgl. auch European Comission, Feedback Statement. Summary of Responses to the Public Consultation on Cross-border transfers of registered offices of com-
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Kap. 3: Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
schreitende Umwandlungen kann daher nicht überschätzt werden.499 Dies lässt sich durch den plötzliche Anstieg nach Harmonisierung der grenzüberschreitenden Verschmelzungen von 17 grenzüberschreitenden Verschmelzungen im Jahr 2006 auf 166 grenzüberschreitende Verschmelzungen im Jahr 2007 empirisch untermauern.500 Als Ausweg aus dieser Rechtsunsicherheit behalfen sich Gesellschaften zum Teil durch eine Substitution grenzüberschreitender Formwechsel mittels verschiedener anderer, rechtssicher durchführbaren gesellschaftsrechtlicher Strukturmaßnahmen, um den gewünschten Statutenwechsel herbeizuführen.501 Hierzu zählten neben grenzüberschreitenden Verschmelzungen auf eine Mantelgesellschaft auch grenzüberschreitende Anwachsungsmodelle502, grenzüberschreitende asset deals503 sowie der Rekurs auf die identitätswahrende SE-Sitzverlegung. Gemeinsam ist diesen Formen der Umstrukturierung, dass sie in jeweils unterschiedlicher Hinsicht gegenüber dem direkten Weg des grenzüberschreitenden Formwechsels ungünstiger sind.504
II. Rechtsunsicherheit als Ursache für unzureichenden Stakeholder-Schutz Auch für die Stakeholder entpuppte sich die geltende Rechtslage als unbefriedigend. In Ermangelung harmonisierter Schutzvorschriften oblag es den Mitgliedstaaten, die Drittinteressen bei grenzüberschreitenden Formwechseln angemessen zu schützen. Der Stakeholders-Schutz hat sich in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen erheblich unterschieden und stellte sich in vielen Fällen als unzureichend heraus.505 Die Folge waren mitunter „wilde“506 Formwechsel ohne Rücksicht auf panies, September 2013, S. 7, wo bei einer Umfrage 15 % der befragten Unternehmen angegeben haben, eine Satzungssitzverlegung in näherer Zukunft zu erwägen. 499 Vgl. Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 610, 619; sowie Kraft/Noack, in: HoffmannBecking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 540. 500 Vgl. Biermeyer/Meyer, Cross-border Corporate Mobility in the EU: Empirical Findings 2020, S. 25. 501 Verse, ZEuP 2013, 458, 577. 502 Hierzu grundlegend: Hoger/Lieder, ZHR 180 (2016), 613 ff. 503 Hierzu: Johannsen-Roth, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 42 Rn. 55 ff. 504 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 4 klassifiziert diesen Zustand als „umwandlungsfeindlich“; ausführlich zum Für und Wider dieser Umstrukturierungen im Vergleich zum grenzüberschreitenden Formwechsel: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 55 ff.; im Kontext des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU („Brexit“): Lieder/Bialluch, NotBZ 2017, 209, 210 ff. 505 Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 22 Rn. 151; Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 359; J. Schmidt, Cross-border mergers and divisions, transfers of seat: Is there a need to legislate?, PE 556.960, S. 19 f. (für die Ausgestaltung des Minderheitenschutzes); dies., in:
A. Hintergrund der Harmonisierung
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schutzwürdige Drittinteressen. Darüber hinaus wurde moniert, dass der grenzüberschreitende Formwechsel angesichts der weitgehenden gesellschaftsrechtlichen Substituierbarkeit der verschiedenen grenzüberschreitenden Umwandlungsarten507 zur Umgehung der positivrechtlichen stakeholderschützenden Vorschriften bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen genutzt werden kann.508
III. Legislative Intention Obwohl nahezu einhellig Einigkeit über die Notwendigkeit von harmonisierten Vorschriften bestand, vergingen von der Idee eine „Sitzverlegungsrichtlinie“ bis zu ihrer Umsetzung mehrere Jahrzehnte.509 Ursache hierfür waren unterschiedliche Vorstellungen zur konkreten Ausgestaltung der Richtlinie, die insbesondere den Stakeholder-Schutz betrafen. Streit bestand nicht um das übergeordnete Ziel der Schaffung von Rechtssicherheit, sondern um die notwendigen Korrektive einer entfesselten Gesellschaftsmobilität. Jede Kodifizierung von speziellen Schutzvorschriften zur Abfederung der aus dem Statutenwechsel resultierenden Rechtsfolgen birgt die Gefahr, dass bestimmte Interessen zulasten der Gesellschaftsmobilität hypertrophiert werden. Der Europäische Gesetzgeber stand somit vor dem Drahtseilakt, die durch die Rechtsprechung des EuGH gewonnene Rechtsklarheit in das Sekundärrecht zu transformieren und dabei den Zielkonflikt zwischen VerwirkliGehle/Hirte/Lochner (Hrsg.): Festschrift für Thomas Heidel, 353, 363 f. (zum Gesellschafterschutz); Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 35; Winner, ECFR 2019, 44, 61; vgl. auch Knaier, in: Rupp (Hrsg.): IPR zwischen Tradition und Innovation, 103, 120. 506 Teichmann, NZG 2019, 241. 507 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 362; Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 33 Rn. 17; Kraft/Noack, in: HoffmannBecking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 541; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 354. 508 Kraft/Noack, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 541. 509 Die Diskussion zusammenfassend: Lutter/Bayer/Schmidt, Europäisches Unternehmensund Kapitalmarktrecht Rn. 30.1 ff.; Hoger, in: Lutter (Begr.), UmwG, Vor § 190 UmwG Rn. 27 ff.; Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 32 Rn. 1 ff.; Stiegler, 417 ff., Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 262 ff.; Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 444 ff.; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 307 ff.; Wasmeier, Grenzüberschreitende Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften durch Sitzverlegung und formwechselnde Umwandlung, S. 237 ff.; Hayden, Grenzüberschreitender Formwechsel, Identitätswahrende Sitzverlegung von Kapital- und Personengesellschaften sowie Privatstiftungen, S. 10 ff.; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 292 ff.; Kovács, Der innerstaatliche und grenzüberschreitende Formwechsel, S. 135 ff.; Neye, in: Grundmann/Kirchner/Raiser/Schwintowski/Weber/Windbichler, Unternehmensrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Festschrift für Eberhard Schwark zum 70. Geburtstag, 231, 233 ff.; Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 295 ff.
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Kap. 3: Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
chung des Binnenmarktes und einem angemessenen Stakeholder-Schutz aufzulösen. Kohärenz zwischen den Umwandlungsformen ist dabei oberstes Gebot, um die Substitution der eigentlich angestrebten Umwandlungsform durch eine andere Umwandlungsform aufgrund ihrer geringeren Voraussetzungen zu unterbinden.510 Nach dem Gesagten ist die legislative Intention der Vereinheitlichung der grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahmen augenscheinlich: Leitmotiv war die Schaffung von Rechtssicherheit für Gesellschaften, die darauf abzielt, den Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu erweitern und Transaktionskosten zu senken.511 Die neuen Vorschriften zum grenzüberschreitenden Formwechsel nehmen erkennbar große Anleihen an den schon bestehenden harmonisierten Regelungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen sowie für die SE-Sitzverlegung.512 Bei dem neuen Rechtsrahmen handelt es sich aber mitnichten nur um neuen Wein in alten Schläuchen.
B. Mobilitäts-RL und Kollisionsrecht I. Kollisionsrechtliche Neutralität Die Mobilitäts-RL ist kollisionsrechtlich neutral ausgestaltet, sodass die Anknüpfung an Sitz- oder Gründungstheorie weiterhin den Mitgliedstaaten überlassen wird.513 Dies zeigt sich insbesondere daran, dass Art. 86a Abs. 1 GesR-RLfür einen grenzüberschreitenden Formwechsel nicht (ausschließlich) eine Satzungssitzverlegung für erforderlich erklärt, sondern klarstellt, dass gegebenenfalls (auch) eine Verlegung des Verwaltungssitzes vonnöten ist. Damit verzichtet der Europäische Gesetzgeber auf die verbreitet geforderte Vereinheitlichung des Gesellschaftskolli510
Vgl. zur Kohärenz im Hinblick auf die unternehmerische Mitbestimmung: Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1263; ders., in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 403 f.; vgl. im Hinblick auf die Inkohärenz hinsichtlich der Missbrauchskontrolle im Kommissionsentwurf: Bernard, D.A.O.R. 2018 – 3, n8127, 5, 36. 511 Vgl. European Comission, Feedback Statement. Summary of Responses to the Public Consultation on Cross-border transfers of registered offices of companies, September 2013, S. 9, wo bei einer Umfrage 85 % der befragten Unternehmen angegeben haben, das seine „Sitzverlegungsrichtlinie“ die Transaktionskosten senken würde. 512 Kainer, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Binnenmarkt- und Wirtschaftsordnungsrecht, § 4 Rn. 118; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 175. 513 v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht II, § 7 Rn. 9; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 4 Rn. 33; Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 144; W.-H. Roth, in: Dauner-Lieb et. al. (Hrsg.), Festschrift für Barbara Grunewald zum 70. Geburtstag, 935, 942; Thomale, RdW 2020, 424, 426 f.; vgl. Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 53; vgl. die entsprechende Forderung des Arbeitskreises Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2011, 98; dagegen aber: Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 301 m. w. N.
C. Anwendungsbereich
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sionsrechts,514 sondern betrachtet grenzüberschreitende Formwechsel allein durch die „grundfreiheitliche Brille“515. Möglicherweise war der Europäische Gesetzgeber durch die Ende des Jahres 2017 publik gewordenenen Panama-Papers, die fragwürdige Steuerpraktiken von Briefkastengesellschaften offenlegten, paralysiert.516 Dem Zuzugsstaat bleibt es daher weiterhin unbenommen, das Kriterium für die Verbundenheit mit der eigenen Rechtsordnung zu definieren und somit die Anwendung ihres Gesellschaftsstatuts von einer Ansiedlung des Verwaltungssitzes abhängig zu machen.
II. Kodifikation der Vereinigungstheorie Für Verfahren eines grenzüberschreitenden Formwechsels haben erkennbar die schon bestehenden harmonisierten Regelungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen Pate gestanden.517 Es zeichnet sich durch ein zweistufiges Verfahren in den beteiligten Rechtsordnungen aus. Während der Wegzugsstaat auf erster Stufe die Einhaltung der Wegzugsvorschriften überprüft, untersucht der Zuzugsstaat auf zweiter Stufe die Einhaltung der inländischen Gründungsvorschriften. Die Verfahren in dem Wegzugs- und Zuzugsstaat werden durch die vom Wegzugsstaat auszustellende Vorabbescheinigung miteinander verknüpft.518 Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, die Prüfungsbefugnis der beiden beteiligten Behörden auf die jeweils sachnahen Gebiete zu begrenzen und doppelten Untersuchungen den Boden zu entziehen. Die hierdurch geschaffene Rechtssicherheit hinsichtlich der anzuwendenden Normen und Prüfungsbefugnisse ist uneingeschränkt zu begrüßen und beseitigt ein wesentliches Transaktionshindernis.519
C. Anwendungsbereich I. Räumlicher Anwendungsbereich Die harmonisierten Vorschriften beziehen sich gemäß Art. 86a Abs. 1 GesR-RL in räumlicher Hinsicht auf „Kapitalgesellschaften, die nach dem Recht eines Mit514
Hierzu unter: Kap. 6, D (S. 376 ff.). Thomale, RdW 2020, 424, 426. 516 Schollmeyer, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 517 So auch: Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 406; Koppensteiner, in: Costa (Hrsg.), Diálogos com Coutinho de Abreu, 311, 319. 518 Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 144 bezeichnet die Vorabbescheinigung daher als „nucleus“ des Formwechselverfahrens. 519 So auch: Brehm/Schümmer, NZG 2020, 538, 544. 515
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Kap. 3: Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
gliedstaats gegründet worden sind […]“. Auf diese Vorschriften können sich nach dem Wortlaut solche Gesellschaften nicht berufen, die nach dem Recht eines Drittstaats gegründet worden, auch wenn sie später eine Rechtsform eines Mitgliedstaats angenommen haben. Dieses Ergebnis wurde auch für den wortlautidentischen räumlichen Anwendungsbereich der CBMD als reformbedürftig empfunden.520 Für die Erfassung von grenzüberschreitenden Formwechseln von solchen Gesellschaften spricht, dass die vorherige Sitzverlegung in einen EU-Staat funktional einer Gründung entspricht. Es ist nicht einleuchtend, wieso solche Gesellschaften nicht in den Genuss der harmonisierten Verfahrensregelungen kommen sollten. Für sie besteht dasselbe Bedürfnis nach grenzüberschreitender Mobilität. Sie partizipieren in demselben Maße an dem Schutz durch die Niederlassungsfreiheit wie nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaften. Ihnen die Berufung auf die harmonisierten Regelungen zu verwehren, kann daher nicht überzeugen521 und wäre primärrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Die Vorschrift ist nach ihrem Sinn und Zweck dahingehend auszulegen, dass sie auch auf solche Gesellschaften Anwendung findet.
II. Persönlicher Anwendungsbereich 1. Grundsatz Der Anwendungsbereich der Richtlinie bezieht sich gem.522 Art. 86a Abs. 1, Art. 86b Nr. 2 GesR-RL allein auf Kapitalgesellschaften. In Deutschland kommen die AG, die GmbH sowie die KGaA als Ausgangs- und Zielrechtsträger in Betracht. Die UG (haftungsbeschränkt) ist als Rechtsformvariante der GmbH523 ebenfalls tauglicher Ausgangsrechtsträger eines grenzüberschreitenden Formwechsels.524 Als Zielrechtsträger scheidet die UG (haftungsbeschränkt) nach der zutreffenden herrschenden Meinung aus, da insoweit gegen das Sacheinlageverbot des § 5a Abs. 2 S. 2 GmbHG verstoßen würde.525 Es handelt sich damit nicht um eine Einschränkung des 520
S. 85.
Beech-Bruun/Lexidale, Study on the Applicaton of the Cross-Border-Mergers Directive,
521 So auch im Hinblick auf den wortlautidentischen räumlichen Anwendungsbereich der Verschmelzungsrichtlinie: Drygala/v. Bressendorf, NZG 2016, 1161, 1166. 522 Wird im Folgenden im Hinblick auf die Geltung einer Vorschrift Bezug genommen, wird dies trotz der fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien mit „gem.“ gekennzeichnet. 523 BT-Drs. 16/6140, S, 25, 31; Servatius, in: Baumbach/Hueck (Hrsg.), GmbhG, § 5a GmbHG Rn. 7; J. Schmidt, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt (Hrsg.), GmbhG, § 5a GmbHG Rn. 3. 524 So auch: M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 193 f. 525 Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 5 Rn. 20; Oppenhoff, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 18 Rn. 32; Wicke, in: Wicke (Hrsg.), GmbHG, § 5a GmbHG Rn. 18; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 276; Wicke, DStR 2018, 2642,
C. Anwendungsbereich
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Anwendungsbereichs von der Mobilitäts-RL. Vielmehr scheitert ein solcher Umwandlungsvorgang am europarechtlich nicht zu beanstandenden deutschen materiellen Recht. Vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind insbesondere Personengesellschaften, die in Anbetracht der enormen Tragweite dieser Tatsache in einem gesonderten Kapitel behandelt werden.526 Die in Art. 86a Abs. 3, Abs. 4 GesR-RL enthaltenen Bereichsausnahmen werden aus systematischen Gründen in dem Kapitel zum Gläubigerschutz behandelt.527 2. Sonderfall: Societas Europaea Unklar ist, ob die nicht explizit erwähnten SE, welche rechtssystematisch als Kapitalgesellschaft einzuordnen ist,528 dem Anwendungsbereich der Mobilitäts-RL unterfällt. a) Abgrenzung zur Sitzverlegung nach Art. 8 SE-VO Der grenzüberschreitende Formwechsel ist von der gem. Art. 8 Abs. 1 S. 2 SE-VO ebenfalls identitätswahrend wirkenden529 grenzüberschreitenden statutenwechselnde Sitzverlegung530 einer SE zu unterscheiden. Verlegt eine SE ihren Satzungssitz, behält sie ihre Rechtsform als SE unter Änderung des subsidiär anwendbaren Gesellschaftsstatuts (Art. 9 Abs. 1 lit. c ii) SE-VO) bei.531 Hierfür enthält Art. 8 SE-VO
2643; Lieder/Bialluch, NotBZ 2017, 209, 213; Heckschen, in: Ebke/Olzen/Sandrock (Hrsg.), Festschrift für Siegfried H. Elsing zum 65. Geburtstag, 823, 834; Brandi/M. Schmidt, DB 2018, 2417, 2419; Verse, ZEuP 2013, 458, 492; a. A.: Schall, ZfPW 2016, 407, 442. Dass die UG (haftungsbeschränkt) nicht Zielrechtsträger sein kann, ist insbesondere für britische limiteds mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland von Relevanz, da für diese aufgrund der deutlich höheren Mindestkapitalanforderungen einer GmbH ein grenzüberschreitender Formwechsel häufig ausscheiden dürfte. Hierzu: Buchholz, Die Zukunft britischer Gesellschaften in Europa, S. 168. 526 Hierzu unter: Kap. 5 (S. 281 ff.). 527 Hierzu unter: Kap. 4, D, II (S. 195 ff.). 528 Heidinger, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 3 UmwG Rn. 14; vgl. auch die Wertung des Art. 10 SE-VO. 529 Oechsler, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, Art. 8 SE-VO Rn. 3; Gesell/Berjasevic, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 4 Rn. 227. 530 Dass mit der Verlegung des „Sitzes“ (deutsche Fassung) die Verlegung des Satzungssitzes gemeint ist, wird in der englischen- („registered office“) bzw. französischen („siège statutaire“) Fassung der SE-VO deutlich. 531 Heckschen, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, Anhang 14 Rn. 407, 409, 411.
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Kap. 3: Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
eine vorrangige Sonderregelung.532 Beabsichtigt eine „deutsche“ SE, ihre Rechtsform in eine „französische“ SE zu wechseln, kann sie dies nicht auf Grundlage der Vorschriften über einen grenzüberschreitenden Formwechsel tun, sondern muss dies nach dem speziell auf die SE zugeschnittene Sitzverlegungsverfahren tun. b) Grenzüberschreitender Formwechsel nach der Mobilitäts-RL Ob die SE zukünftig auf die sekundärrechtlichen Regelungen zur grenzüberschreitenden Mobilität zurückgreifen kann, war bereits bezüglich der gleichlaufenden Frage der Beteiligungsfähigkeit der SE an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung unklar. Nach hiesiger Auffassung ist danach zu differenzieren, ob die SE als Ausgangs- oder Zielrechtsform eines grenzüberschreitenden Formwechsels fungieren soll. aa) SE als Ausgangsrechtsform Zunächst fragt sich, ob die SE Ausgangsrechtsform eines grenzüberschreitenden Formwechsels sein kann. Der Wortlaut von Art. 86a Abs. 1, Art. 86b Nr. 1 GesR-RL bezieht sämtliche Kapitalgesellschaften, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet worden sind und im Anhang II der GesR-RL aufgeführt werden, in den Anwendungsbereich der Richtlinie ein. Bei formaler Betrachtungsweise spricht die fehlende Nennung der SE in dem enumerativen Anhang II der GesR-RL gegen diese Möglichkeit. Im Hinblick auf den Wortlaut kann auch argumentiert werden, dass die supranationale SE nicht „nach dem Recht eines Mitgliedstaats“ gegründet worden ist, sondern nach europäischem Sekundärrecht (SE-VO).533 Nach dem Telos des Art. 66 SE-VO soll dieser in jedem Fall eine Rückumwandlung in eine nationale Gesellschaftsform ermöglichen, sodass der gesetzlich vorgesehen Formwechsel in eine mitgliedstaatliche AG lediglich einen Mindeststandard darstellt.534 Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass Art. 10 SE-VO die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine SE wie eine innerstaatliche Aktiengesellschaft zu behandeln.535 Es wäre ein Verstoß gegen dieses spezialgesetzlich ausgeformte Diskriminierungsverbot, wenn nur mitgliedstaatlichen Aktiengesellschaften, nicht aber der SE grenzüberschreitende Formwechsel ermöglicht würden. Nach der zutreffenden Ansicht stehen der SE damit
532
Vgl. Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86a Rn. 2 f.; Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 286; Wicke, DStR 2018, 2642, 2643. 533 Vgl. Müller, ZIP 2004, 1790, 1792 für die Beteiligungsfähigkeit einer SE an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung. 534 J. Schmidt, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann (Hrsg.), SE-Kommentar, Art. 66 SE-VO Rn. 7; Casper, in: Spindler/Stilz (Hrsg.), AktG, Art. 2,3 SE-VO Rn. 39; Marsch-Barner/Wilk, in: Kallmeyer (Hrsg.), UmwG, Anhang 1 Rn. 127; Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86a Rn. 4. 535 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86a Rn. 4.
C. Anwendungsbereich
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gem. Art. 9 Abs.1 lit. c ii, Art. 10 SE-VO alle für die nationale AG geltenden nationalen Umwandlungsformen offen.536 Zuletzt kann nicht vorgebracht werden, dass hierdurch das Sitzkopplungsverbot der SE umgangen wird, da die SE durch den grenzüberschreitenden Formwechsel nicht mehr als solche, sondern als mitgliedstaatliche Rechtsform fortbesteht und die mit dem Sitzkopplungsverbot intendierten Belange daher nicht mehr berührt sind. Für die Beteiligungsfähigkeit an einem grenzüberschreitenden Formwechsel spricht zuletzt auch, dass eine SE gemäß Art. 66 Abs. 1 SE-VO in eine dem Recht ihres Sitzstaats unterliegende Aktiengesellschaft umgewandelt werden kann und anschließend auf das dargestellte Verfahren für einen grenzüberschreitenden Formwechsel zurückgreifen könnte („Kettenformwechsel“537).538 Wenn das Ergebnis eines grenzüberschreitenden Formwechsels unstreitig erreicht werden kann, ist bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht ersichtlich, wieso man der SE den direkten Weg versagen soll, da dem damit verbundenen Zeit- und Kostenaufwand kein erkennbarer Schutzzweck gegenübersteht.539 Im Ergebnis kann eine SE damit als Ausgangsrechtsträgerin an einem grenzüberschreitenden Formwechsels beteiligt sein.540 Es ist davon auszugehen, dass der Umsetzungsgesetzgeber diese Auffassung teilen wird, da er die vergleichbare Fragestellung nach der Verschmelzungsfähigkeit einer SE positiv beschieden hat.541 bb) SE als Zielrechtsform Fraglich ist, ob die SE auch Zielrechtsform eines grenzüberschreitenden Rechtsformwechsels sein kann. Die Gründung einer SE ist nur in den abschließend gesetzlich vorgesehenen Arten möglich, zu denen gem. Art. 2 Abs. 4 SE-VO i. V. m. Art. 37 Abs. 1 SE-VO auch eine Gründung durch Formwechsel zählt. Gegen die 536 Vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 02. 12. 2020 – 5 Sch 3/10, NZG 2012, 351, 352; Sparfeld, in: Habersack/Wicke (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar UmwG, § 226 UmwG Rn. 17; Hoger, in: Lutter (Begr.), UmwG, Einführung § 190 UmwG Rn. 32; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 45 Rn. 181; Marsch-Barner/ Wilk, in: Kallmeyer (Hrsg.), UmwG, Anhang 1 Rn. 127; Klaaßen-Kaiser, in: Lieder/Wilk/ Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 32 Rn. 39; Gesell/Berjasevic, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 4 Rn. 227; Wicke, DStR 2018, 2642, 2643. 537 Wilk, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 40 Rn. 6; Drinhausen, in: Bergmann/Kiem/Mülbert/Verse/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre SE, 30, 38. 538 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86a Rn. 3; Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 04. 07. 2018, S. 28. 539 So auch: Casper, in: Spindler/Stilz (Hrsg.), AktG, Art. 2 u. 3 SE-VO Rn. 39; vgl. auch Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86a Rn. 3. 540 So auch: Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 286; vom Gegenteil auszugehen scheint mit Kritik hieran: Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 04. 07. 2018, S. 28; a. A.: Brandi, BB 2018, 2626, 2630 (Fn. 57). 541 BT-Drs. 16/2919, S. 14.
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Kap. 3: Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
Fähigkeit der SE, Zielrechtsträgerin eines grenzüberschreitenden Formwechsels zu sein, wird der numerus clausus der Gründungsformen (Art. 2 SE-VO) vorgebracht.542 Insofern wird Art. 37 SE-VO Sperrwirkung beigemessen.543 Im Ergebnis wird weit überwiegend vertreten, dass die SE nicht Zielrechtsform eines grenzüberschreitenden Formwechsels sein könne.544 Hierfür spricht der klare Wortlauts des Art. 2 SEVO, der nur die formwechselnde Umwandlung einer Aktiengesellschaft in eine SE vorsieht. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel in eine SE nach den Regelungen der Mobilitäts-RL das für jede Gründungsform vorausgesetzte grenzüberschreitende Element, das bei einer formwechselnden Gründung in dem Erfordernis des mindestens zweijährigen Bestehens einer dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegenden Tochtergesellschaft besteht (Art. 2 Abs. 4 SE-VO), nicht gegeben wäre. Dies widerspräche der Systematik der SE, die auf mehrstaatliche Sachverhalte ausgerichtet ist und daher jede Gründungsform einen grenzüberschreitenden Bezug voraussetzt. Eine SE kann daher nicht Zielrechtsform eines grenzüberschreitenden Formwechsels sein. Will eine mitgliedstaatliche Gesellschaft, die nicht Kapitalgesellschaft ist, sich in eine SE umwandeln, muss sie erst einmal nach nationalem Recht einen Formwechsel in eine Aktiengesellschaft durchführen. Diese kann nach zwei Jahren (Art. 2 Abs. 4 SE-VO, Art. 37 SE-VO) in eine SE umgewandelt werden. Hält man diesen Umweg für eine ungerechtfertigte Verdopplung der Transaktionskosten und spricht der SE daher die Fähigkeit zu, Zielrechtsträgerin eines grenzüberschreitenden Formwechsels zu sein, so ist jedenfalls eine analoge Anwendung der speziell auf die SE zugeschnittenen Vorgaben (Sitzkopplungsgebot, Mehrststaatlichkeit) geboten.
D. Das Verfahren im Wegzugsstaat Die Mobilitäts-RL sieht ein komplexes und mitunter auch schwerfälliges Formwechselverfahren vor, das erhebliche Parallelen zu den §§ 190 ff. UmwG aufweist. Der Großteil dieses im Folgenden dargestellten Verfahrens findet im Wegzugsstaat statt.
542
Zum numerus clausus der Gründungsformen: Habersack, in: Habersack/Drinhausen (Hrsg.), SE-Recht, Art. 2 SE-VO Rn. 1. 543 Vossius, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 191 UmwG Rn. 79. 544 Behme/Wilk, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 40 Rn. 4 f.; Bünten, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 38 Rn. 366; Marsch-Barner/Wilk, in: Kallmeyer (Hrsg.), UmwG, Anhang 1 Rn. 93; Sagasser/Luke, in: Sagasser/Bula/Brünger (Hrsg.), Umwandlungen, § 26 Rn. 177; Drinhausen/Keinath, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 191 UmwG Rn. 4; Drinhausen, in: Bergmann/Kiem/Mülbert/Verse/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre SE, 30, 38.
D. Das Verfahren im Wegzugsstaat
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I. Formwechselplan (Art. 86d GesR-RL) Gem. Art. 86d GesR-RL hat das Leitungs- oder Verwaltungsorgan der Gesellschaft im Wegzugsstaat einen Plan für den grenzüberschreitenden Formwechsel zu erstellen, der eine Vielzahl von Angaben enthalten muss und gem. Art. 86g Abs. 1 lit. a GesR-RL spätestens einen Monat vor der über den Wegzug entscheidenden Gesellschafterversammlung offenzulegen ist. Der Plan stellt die Grundlage der Strukturmaßnahme dar und zeichnet den Formwechselbeschluss vor.545 Das im deutschen Umwandlungsrecht nicht vorgesehene546 Erfordernis eines Formwechselplans entspricht der Struktur des Ablaufs sämtlicher harmonisierter Umwandlungsmaßnahmen.547 Die Inhalte des Formwechselplans betreffen gem. Art. 86d lit. a-c GesR-RL Informationen über die bestehende und angestrebte Rechtsform sowie über die vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz der durch den Formwechsel betroffenen Stakeholder. Zweck des Formwechselplans ist über die Vorbereitung des grenzüberschreitenden Formwechsels hinaus die frühzeitige Information der hierdurch betroffenen Interessensträger.548 Letzteres wird aus den Gesetzgebungsmaterialien deutlich.549 Aufgrund der in weiten Teilen unzweifelhaften Vorschrift550 soll an dieser Stelle auf eine kommentarartige Erläuterung der einzelnen Angaben verzichtet werden.
II. Formwechselbericht (Art. 86e GesR-RL) Art. 86e GesR-RL verpflichtet das Verwaltungs- oder Leitungsorgan der formwechselnden Gesellschaft zur Erstellung eines Formwechselberichts. In diesem sind die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte des grenzüberschreitenden Formwechsels sowie die Auswirkungen auf die Arbeitnehmer auszuführen. Die zusätzlichen Erfordernisse des Formwechselberichts liegen darin begründet, dass der Formwechselplan nur die grundlegenden Eckpunkte des angestrebten grenzüberschreitenden Formwechsels enthält und den Gesellschaftern und Arbeitnehmer nicht 545 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 407; Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 306; Haslinger/Mitterecker, GES 2018, 223, 231 sprechen insoweit vom „Fundament“ des grenzüberschreitenden Formwechsels. 546 § 192 UmwG sieht lediglich einen Umwandlungsbeschluss vor, der eine ausführliche Darstellung und Begründung des Formwechsel enthalten muss. 547 Vgl. Art. 122 GesR-RL a. F. für grenzüberschreitende Verschmelzungen; vgl. Art. 137 GesR-RL a. F. für die grenzüberschreitende Spaltung durch Übernahme sowie Art.156 Abs. 1 i. v. m. Art. 137 GesR-RL für die grenzüberschreitende Spaltung durch Neugründung; vgl. Art. 8 Abs. 2 SE-VO für die grenzüberschreitende Sitzverlegung der SE; vgl. Art. 37 Abs. 4 SEVO für die Umwandlung einer nationalen AG in eine SE; vgl. Art. 20 SE-VO für die Gründung einer SE durch Verschmelzung. 548 Vgl. Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 306. 549 Vgl. ErwG. 12 Mobilitäts-RL. 550 Ausführlich zu den einzelnen Inhalten des Plans: Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/ Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86d Rn. 10 ff.
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Kap. 3: Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
sämtliche Auswirkungen dieser Umwandlungsmaßnahme aufzeigt, sodass deren Informationsbedürfnis noch nicht vollumfänglich befriedigt ist. Obwohl einige im Plan enthaltene Informationen für die Gläubiger der formwechselnden Gesellschaft von Relevanz sein können, entspricht deren Schutz nicht dem Zweck des Formwechselberichts, da dieser ihnen nicht zugänglich gemacht werden muss.551 Der Formwechselbericht dient somit allein dem a-priori-Schutz der Gesellschafter sowie – entgegen der Konzeption des Formwechselberichts bei innerstaatlichen Formwechseln –552 dem vorgelagerten Schutz der Arbeitnehmer.553 Die im Plan enthaltenen Informationen sollen darüber hinaus gewährleisten, dass die Geschäftsleitung als Initiator des grenzüberschreitenden Formwechsels sich intensiv mit den Auswirkungen der avisierten Umwandlung auseinandersetzt.554 Hiermit korrespondierend dienen die Informationen zuletzt dazu, die Anteilsinhaber in die Lage zu versetzen, in der Gesellschafterversammlung in Kenntnis aller wesentlichen Gründe und zum Wohle der Gesellschaft über den grenzüberschreitenden Formwechsel abstimmen zu können.555 1. Struktur des Formwechselberichts Die Struktur des Formwechselberichts hat im Gesetzgebungsverfahren weitreichende Änderungen erfahren, die für das Verständnis des verabschiedeten Konzepts von wesentlicher Bedeutung sind. Aus diesem Grund wird ein Blick auf die Genese der Vorschrift geworfen.
551
Wicke, DStR 2018, 2642, 2645; vgl. zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 22 Rn. 61; im Unterschied hierzu mussten bislang gem. Art. 124 GesR-RL a. F. hinsichtlich grenzüberschreitender Verschmelzungen auch die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Gläubiger erläutert werden. 552 Dies liegt darin begründet, dass es nur infolge von grenzüberschreitenden Formwechseln zwischen Kapitalgesellschaften zu einem Verlust der unternehmerischen Mitbestimmung kommen kann. 553 Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 291; Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 65; Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 310 f.; Priester, ZGR 1999, 36, 41. 554 Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 291; vgl. für die grenzüberschreitende Verschmelzung: Mayer, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 122e UmwG Rn. 6. 555 Vgl. für den innerstaatlichen Formwechsel: Simons, in: Habersack/Wicke (Hrsg.), BeckOnline-Großkommentar UmwG, § 192 UmwG Rn. 1; Althoff/Narr, in: Böttcher/Habighorst/ Schulte (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 192 UmwG Rn. 4; Bärwaldt, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 192 UmwG Rn. 2; vgl. für die grenzüberschreitende Verschmelzung: Mayer, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 122e UmwG Rn. 4; vgl. für die SESitzverlegung: Ringe, Die Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 116.
D. Das Verfahren im Wegzugsstaat
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Legislatives Vorbild von Art. 86e GesR-RL ist der mit der CBMD eingeführte Art. 124 GesR-RL a. F.556 Danach war ein gemeinsamer Verschmelzungsbericht für die Gesellschafter und Arbeitnehmer zu erstellen. Dieses Konzept hat einige Fragen, insbesondere zur Zulässigkeit eines Verzichts durch die Gesellschafter aufgeworfen.557 Angesichts des durch den Bericht intendierten Schutzes von Gesellschaftern und Arbeitnehmern konnten die Gesellschafter nicht auf den Bericht verzichten. In der Folge mussten in dem Bericht die Auswirkungen auf die Gesellschafter erläutert werden, auch wenn diese auf den hierdurch vermittelten Schutz verzichten wollten.558 Die Kommission hatte in ihren Entwurf559 anstelle eines gemeinsamen Berichts jeweils einen Bericht für die Gesellschafter und einen Bericht für die Arbeitnehmer der formwechselnden Gesellschaft vorgesehen, die jeweils separat verzichtbar bzw. bei Arbeitnehmerlosigkeit entbehrlich waren.560 Ziel dieser Zweiteilung des Berichts war es offenbar, Verzichtsmöglichkeiten für die jeweilige Adressatengruppe zu schaffen und der Gesellschaft mithin Formalia, denen kein Schutzzweck gegenübersteht, zu ersparen.561 Dieses zu begrüßende Ziel wäre mit dem Kommissionsentwurf ohne weiteres erreicht worden.562 Das vorgeschlagene Konzept hat im Gesetzgebungsverfahrens auf Betreiben des Europäischen Parlaments563 wesentliche Änderungen erfahren. Nach der verabschiedeten Fassung steht es der formwechselnden Gesellschaft frei, ob sie einen einheitlichen Bericht erstellt, oder zwei gesonderte Berichte für Gesellschafter und Arbeitnehmer anfertigt, Art. 86e Abs. 2 UAbs. 2 GesR-RL. Die notwendigen Inhalte sind sowohl bei einer zweiaktigen- als auch bei einer dreiaktigen Struktur des Formwechselberichts identisch. Durch die neue Konzeption des Berichts werden im Vergleich zur bereits bestehenden Vorschrift für grenzüberschreitende Verschmelzungen und zu dem 556
Vgl. auch den diese Vorschrift umsetzenden § 122e UmwG. Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 414; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 22 Rn. 73; Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 24 Rn. 63; J. Schmidt, DK 2018, 229, 241. 558 Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 24 Rn. 63 559 Nachfolgend bezeichnet als: Kom-E; enthalten im Dokument COM (2018) 241 final. 560 Art. 86f Abs. 1 Kom-E; zur Genese der Norm: M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 199 f.; Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 414 f.; Schollmeyer, AG 2019, 541, 542 f. 561 So auch: Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 414; ders., GmbHR 2020, 61, 66; Schollmeyer, AG 2019, 541, 542; J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 245; Brandi, BB 2018, 2626, 2630. 562 Daher die weitere Entwicklung der Gesetzgebung kritisierend: Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 415; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 304 f. (zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen); dies., ZIP 2019, 353, 357. 563 COM (2018)0241 – C8 – 0167/2018 – 2018/0114(COD), S. 34, 58, 61, 81. 557
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Kap. 3: Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
Kommissionsentwurf neue Fragen aufgeworfen. Sie werden virulent, wenn der Bericht bzw. einer der beiden Berichte aus Gründen des Verzichts oder der Entbehrlichkeit nicht vollständig erstellt werden muss. Insoweit ist fraglich, ob der einheitliche Bericht sich lediglich aus jeweils einem Kapitel für die Gesellschafter und Arbeitnehmer zusammensetzt, oder ob die in Art. 86e Abs. 1 GesR-RL genannten Angaben als Allgemeiner Teil zu verstehen sind. Bei der Wahl von zwei getrennten Berichten stellt sich die parallele Frage, ob diese jeweils nur die in Art. 86e Abs. 3 GesR-RL (für Gesellschafter) bzw. Art. 86e Abs. 5 GesR-RL (für Arbeitnehmer) enthaltenen Informationen enthalten müssen, oder zusätzlich auch die Art. 86e Abs. 1 GesR-RL genannten Angaben. Wäre den Abschnitten für die Gesellschafter und Arbeitnehmer ein Allgemeiner Teil mit den Angaben, die beide Stakeholder-Gruppen betreffen, voranzustellen, wäre angesichts der doppelten Schutzrichtung dieser Informationen ein einseitiger Verzicht hierauf durch die Gesellschafter nicht möglich. Interpretiert man Art. 86e Abs. 1 GesR-RLhingegen als bloßen, in Abs. 3 und Abs. 5 konkretisierten „Programmsatz“564, wäre ein Verzicht und eine Entbehrlichkeit ohne Bedenken möglich. Die Frage nach der Struktur des Formwechselberichts wird daher relevant, wenn die Gesellschafter auf ihren Bericht(-sabschnitt) verzichten, der Bericht(-sabschnitt) für die Arbeitnehmer aber nicht entbehrlich ist und vice versa. Steht ein Verzicht oder eine Entbehrlichkeit nicht in Frage, ist die Struktur des Berichts von untergeordneter Bedeutung, da die Informationen ohnehin unzweifelhaft erstellt werden müssen und es in der Praxis keinen nennenswerten Mehraufwand bereitet, sie jeweils vollständig in die Berichte für die Gesellschafter und Arbeitnehmer aufzunehmen.565 Für eine lediglich zweiaktige Struktur des Berichts kann der Wortlaut von Art. 86e Abs. 3, 5 GesR-RL in Stellung gebracht werden, nach dem die zwingend in den Bericht(-sabschnitt) aufzunehmenden Angaben nicht abschließend sind („insbesondere“). Hieraus kann geschlussfolgert werden, dass alle über die in Art. 86e Abs. 3, 5 GesR-RL genannten Mindestangaben hinausgehenden Informationen nur in den thematisch passenden Bericht aufzunehmen sind.566 Auch ist aus Gründen der Systematik fraglich, wieso keine Art. 86e Abs. 3, 5 GesR-RL entsprechende Konkretisierung des Allgemeinen Teils aufgenommen worden ist, obwohl hier ohne weiteres Mindestvorgaben formuliert werden könnten. Zuletzt kann den Gesetzgebungsmaterialien nicht entnommen werden, dass die Informationsbasis für Gesellschafter und Arbeitnehmer im Vergleich zum Kommissionsentwurf ausgebaut werden soll. Vielmehr stand die Vereinfachung der vorgeschlagenen Regelungen im Vordergrund.567 564
Schollmeyer, AG 2019, 541, 544. Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 419; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: ders., DK 2021, 1, 15. 566 Schollmeyer, AG 2019, 541, 544. 567 Vgl. COM (2018)0241 – C8 – 0167/2018 – 2018/0114(COD), S. 4. 565
D. Das Verfahren im Wegzugsstaat
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Gleichwohl ist der genannte Wortlaut ergebnisoffen formuliert und die Vorgaben können auch als auf die jeweilige Stakeholder-Gruppe bezogene Spezifizierung der in Art. 86e Abs. 1 GesR-RL vorgegebenen Erläuterungen verstanden werden.568 Hieraus würde die Notwendigkeit eines Allgemeinen Teils folgen. Dieser Befund wird durch den Wortlaut von Art. 86e Abs. 6 GesR-RL gestützt, der hinsichtlich der Informationen für die Arbeitnehmer von den „Informationen gemäß den Absätzen 1 und 5“ spricht. Dies impliziert, dass die Informationen in zwei unterschiedlichen Teilen des Berichts enthalten sind und damit ein Allgemeiner Teil erforderlich ist.569 Für das Erfordernis eines Allgemeinen Teils wird darüber hinaus angeführt, dass der Bericht „auch“ jeweils einen Abschnitt für die Gesellschafter und Arbeitnehmer enthalten muss (Art. 86e Abs. 2 UAbs. 1 GesR-RL), mithin über diese beiden Teile hinaus ein weiterer Teil vorhanden sein muss.570 Nach Sinn und Zweck ist dafür auch vorzubringen, dass es Informationen gibt, die sowohl Gesellschafter- als auch Arbeitnehmer betreffen und die daher aus Gründen der Kohärenz und Effizienz in einen eigenen Abschnitt aufgenommen werden können.571 Die Gründe, welche die Gesetzgebungsorgane zu einer Zusammenfassung der beiden Berichte in einen Bericht bewogen haben, belegen diese Sichtweise. Parlament und Rat haben die Zusammenfassung der vorgesehenen zwei Berichte in einen Bericht damit begründet, dass hierdurch Aufwand erspart werde,572 was lediglich der Fall ist, wenn der Allgemeine Teil Informationen für beide Adressaten bereithält. Aufgrund dessen wurden die deckungsgleichen Inhalte der jeweiligen Berichte573 gestrichen und in dem neuen gemeinsamen Bericht an den Anfang gestellt. Würde man dies gegenteilig sehen, hätte dies zur Folge, dass die aufgezählten Berichtsinhalte für die Gesellschafter und Arbeitnehmer reduziert würden und es tendenziell574 zu einem geringeren Berichtsumfang käme.575 Dies entspräche nicht der vom Parlament mit der Zusammenlegung der Berichte intendierten Zwecke. Wenn man den Plan als zweiaktig strukturiert ansieht, drängt sich die Frage auf, worin – außer der formalen Zusammenfassung in einem Artikel – der Unterschied zu 568
544.
M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 200 f.; Schollmeyer, AG 2019, 541,
569 Schollmeyer, AG 2019, 541, 544; im Ergebnis auch: Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 419 f. 570 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 419; Schollmeyer, AG 2019, 541, 544. 571 Vgl. Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 66. 572 PE625.345v03 – 00, S. 42, 79, 95; ST 5380/1/19, S. 10 (ErwG. 16). 573 Vgl. die wortgleichen Art. 86e Abs. 2 lit. a Kom-E und Art. 86f Abs. 2 lit. a Kom-E, nach denen in beiden Berichten über „die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Umwandlung auf die zukünftige Geschäftstätigkeit der Gesellschaft und auf die Geschäftsstrategie“ informiert werden musste. 574 Da die Aufzählungen nicht abschließend sind, könnten die genannten Informationen gleichwohl zwingend erforderlich sein. 575 Schollmeyer, AG 2019, 541, 544 f.
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Kap. 3: Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
dem ursprünglichen Kommissionsentwurf liegt.576 Des Weiteren können die in Art. 86e Abs. 1 UAbs. 1, 2 GesR-RL genannten Aspekte über die in den Art. 86e Abs. 3, 5 GesR-RL genannten Informationen hinausgehen.577 Beispielsweise müsste ein Personalabbau nicht nach Art. 86e Abs. 5 GesR-RL in den Formwechselbericht aufgenommen werden, da dieser nicht direkt aus dem grenzüberschreitenden Formwechsel folgt. Gleichwohl wäre die Aufnahme dieser Information ein solcher gem. Art. 86e Abs. 1 UAbs. 1 GesR-RL als wirtschaftlicher Aspekt des grenzüberschreitenden Formwechsels obligatorisch in den Allgemeinen Teil aufzunehmen.578 Folglich können die besonderen Abschnitte nicht als Konkretisierung des ersten Absatzes verstanden werden können.579 Zuletzt fällt in systematischer Hinsicht auf, dass Art. 86e Abs. 9 GesR-RL den Bericht im Gesamten für nicht erforderlich hält, wenn die jeweiligen Abschnitte für die Gesellschafter und Arbeitnehmer entbehrlich sind. Diese Vorschrift ergibt nur Sinn, wenn man von einer dreiaktigen Struktur ausgeht, da bei einer zweiaktigen Struktur die Entbehrlichkeit des gesamten Berichts sich bereits aus der fehlenden Notwendigkeit der beiden einzigen Abschnitte ergeben würden. Im Ergebnis ist ein Allgemeiner Teil in dem Formwechselbericht erforderlich. Es steht den Gesellschaften nach Art. 86e Abs. 2 UAbs. 2 GesR-RL frei, anstelle eines gemeinsamen Berichts zwei gesonderte Berichte für die Gesellschafter und die Arbeitnehmer zu erstellen. Macht die formwechselnde Gesellschaft von dieser Möglichkeit Gebrauch, bestehen keine Unterschiede zum Kommissionsentwurf. Jedoch müssen in diesem Fall beide Berichte die dargestellten Informationen des Allgemeinen Teils enthalten.580 2. Verzichtsmöglichkeit und Entbehrlichkeit a) Verzicht auf den Bericht(-sabschnitt) für die Gesellschafter (Art. 86e Abs. 4 S. 1 GesR-RL) Gem. Art. 86e Abs. 4 S. 1 GesR-RL ist der Bericht(-sabschnitt) für die Gesellschafter nicht erforderlich, wenn diese einvernehmlich darauf verzichtet haben. Dies gilt unabhängig davon, ob ein gemeinsamer Bericht oder zwei getrennte Berichte
576
Schollmeyer, AG 2019, 541, 544. Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 420; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: ders., DK 2021, 1, 16. 578 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 420; ders., GmbHR 2020, 61, 66. 579 Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 66; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: ders., DK 2021, 1, 16. 580 Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 66. 577
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erstellt worden sind. Durch den Verzicht können Formalia eingespart werden, wenn die Anteilsinhaber aufgrund ihres Verzichts nicht schutzbedürftig sind.581 Die Möglichkeit eines Verzichts auf den Allgemeinen Teil durch die Gesellschafter besteht nicht, da dieser auch dem Schutz der Arbeitnehmer dient, über den die Gesellschafter nicht disponieren können.582 Ein Verzicht auf den Allgemeinen Teil ist nur möglich, wenn die Gesellschaft von der Möglichkeit, zwei getrennte Berichte vorzusehen, Gebrauch macht. In diesem Fall ist der Bericht für die Gesellschafter insgesamt entbehrlich. Der Allgemeine Teil muss aber in dem Bericht für die Arbeitnehmer enthalten sein.583 b) Mitgliedstaatenoption: Entbehrlichkeit des Berichts(-abschnitts) für die Gesellschafter bei Einpersonengesellschaften (Art. 86e Abs. 4 S. 2 GesR-RL) aa) Auslegung der Mitgliedstaatenoption Art. 86e Abs. 4 S. 2 GesR-RL gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Einpersonengesellschaften „von den Bestimmungen dieses Artikels“ zu befreien. Normzweck ist die Vereinfachung des Formwechselverfahrens durch Entbürokratisierung. Der Alleingesellschafter hat kraft seiner Stellung bereits aus dem allgemeinen Gesellschaftsrecht weitreichende Informationsrechte, die einen auf ihn zugeschnittenen Bericht(-sabschnitt) nicht erforderlich erscheinen lassen.584 Ungeklärt ist die Reichweite dieser Mitgliedstaatenoption. Fraglich ist, ob der gesamte Bericht oder lediglich der Bericht(-sabschnitt) für den Alleingesellschafter entbehrlich ist. Der weite Wortlaut („von den Bestimmungen dieses Artikels“) spricht prima facie für eine Befreiung von der gesamten Berichtspflicht und nicht nur von dem Bericht bzw. dem Abschnitt für den Alleingesellschafter. Zweifelhaft ist aber, ob dies mit dem Telos der Norm im Einklang steht, da eine solche Auslegung den formellen Schutz der Arbeitnehmer erheblich verkürzen würde. 581
Vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Bärwaldt, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 192 UmwG Rn. 23; 582 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 421; ders., GmbHR 2020, 61, 66 f.; Schollmeyer, AG 2019, 541, 546; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 1, 16; a. A.: M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 204 unter Berufung auf Schollmeyer, AG 2019, 541, 546, wobei dieser dies freilich nicht in dieser Pauschalität sagt, sondern im Grundsatz von einer Notwendigkeit des Allgemeinen Teils bei Verzicht durch die Gesellschafter ausgeht (zu der Ausnahme sogleich). Inkonsequent ist auch, dass M. Schmidt sodann die Entbehrlichkeit gem. Art. 86e Abs. 4 S. 2 GesR-RL nur auf den Abschnitt für die Gesellschafter bezieht. 583 Schollmeyer, AG 2019, 541, 546. 584 Vgl. zu § 192 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 UmwG: Winter, in: Schmitt/Hörtnagl (Hrsg.), UmwG/ UmwStG, § 192 UmwG Rn. 21; Bärwaldt, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 192 UmwG Rn. 29; Drinhausen/Keinath, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 192 UmwG Rn. 11; Hoger, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 192 UmwG Rn. 47.
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Kap. 3: Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
Es wird daher vorgeschlagen, die Bestimmung im Wege einer teleologischen Reduktion als nur zur Normierung der Entbehrlichkeit des Abschnitts für den Alleingesellschafter, nicht aber zur Entbehrlichkeit des Abschnitts für die Arbeitnehmer ermächtigend zu interpretieren.585 Eine teleologische Reduktion erfordert in methodischer Hinsicht, dass der Wortlaut des Gesetzes auch Fälle erfasst, die dem Zweck des Gesetzes zuwiderlaufen.586 Hier gilt es zu berücksichtigen, dass auch Einpersonengesellschaften Arbeitnehmer beschäftigen können und das Bedürfnis nach Information unabhängig von der Anzahl der Gesellschafter besteht.587 Wäre bei Einpersonengesellschaften der Bericht im Gesamten entbehrlich, würde der im Übrigen stark ausgeprägte formelle Schutz der Arbeitnehmer in diesen Fällen erheblich geschwächt. Dies würde einen kaum aufzulösenden Widerspruch zur grundsätzlichen Unverzichtbarkeit des Berichts für die Arbeitnehmer darstellen.588 In systematischer Hinsicht wäre fraglich, wieso Einpersonengesellschaften ein größeres Maß an Verfahrenseffizienz zugestanden werden sollte als Mehrpersonengesellschaften, die auf den Bericht(-sabschnitt) für die Gesellschafter verzichten. Auch die Genese der Norm spricht gegen eine Möglichkeit der Mitgliedstaaten, den Bericht im Gesamten für Einpersonengesellschaften für entbehrlich zu erklären. Die Mitgliedstaatenoption ist erst im Ratsdokument eingefügt worden. Dort bezog sie sich Einpersonengesellschaften nur auf den zu diesem Stand des Gesetzgebungsverfahrens noch vom Bericht für die Arbeitnehmer abgetrennten Bericht für die Gesellschafter.589 Diese Vorschrift wurde nun offenbar bei der anschließenden Zusammenfügung der Berichte beibehalten, ohne die damit verbundenen Konsequenzen zu erkennen.590 Jedenfalls ist nicht erkennbar, dass der Schutz der Arbeitnehmer im anschließenden Trilogverfahren geschmälert werden sollte. 585 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 428; Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86e Rn. 6; Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 67 f.; J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1103; dies., ZEuP 2020, 565, 571; im Ergebnis auch Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1928; ähnlich: Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86e Rn. 6; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 1, 16. 586 Grundlegend zur teleologischen Reduktion: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 391 ff.; vgl. zur Übertragbarkeit der deutschen Methodenlehre auf den europäischen Kontext: Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 68; zur richterlichen Rechtsfortbildung im Europarecht: Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S. 65 ff.; Neuner, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 12 Rn. 7 ff., insbes. Rn. 38 ff. zur teleologischen Reduktion. 587 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86e Rn. 6; Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 428; ders., GmbHR 2020, 61, 67. 588 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86e Rn. 6; Schollmeyer, AG 2019, 541, 548; J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1104. 589 Vgl. Art. 86e Abs. 4 S. 2 Rat-E, Rat der Europäischen Union, 2018/0114(COD). 590 Ebenfalls von einem Redaktionsversehen ausgehend: Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1928 (Fn. 94); J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt
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Darüber hinaus spricht die Systematik der Vorschrift für ein Redaktionsversehen. Art. 86e Abs. 4 GesR-RL beendet die Vorschriften zum Abschnitt für die Gesellschafter. Vor dem Hintergrund des Satz 1, der eine Verzichtbarkeit nur für den Abschnitt für die Gesellschafter vorsieht, ist nicht erklärlich, wieso S. 2 zur Normierung der Entbehrlichkeit des gesamten Berichts ermächtigen soll und somit auch nach unten verweist. Eine solche Vorschrift wäre stattdessen – wie Art. 86e Abs. 9 GesR-RL belegt – am Ende der gesamten Vorschrift zu erwarten gewesen. Im Ergebnis ist der Vorschlag einer teleologischen Reduktion des Art. 86e Abs. 4 S. 2 GesR-RL überzeugend. bb) Umsetzung in Deutschland Fraglich ist, ob der Umsetzungsgesetzgeber von dieser Mitgliedstaatenoption Gebrauch machen sollte. Die deutsche Literatur spricht sich einhellig für eine Entbehrlichkeit des Berichts für den Gesellschafter bei Einpersonengesellschaften aus.591 Entscheidend ist die fehlende Schutzbedürftigkeit des Alleingesellschafters, da dieser ohnehin uneingeschränkten Informationszugang- und über den Formwechsel zu entscheiden hat.592 Zwar könnte er auch ohne Weiteres auf den Bericht verzichten. Dies würde aber einen zusätzlichen Verfahrensschritt und ungerechtfertigte Kosten für die notarielle Beurkundung593 des Verzichts mit sich bringen. Im Sinne einer Vereinfachung und Entbürokratisierung des Verfahrens ist dem Transformationsgesetzgeber anzuraten, den Bericht(-sabschnitt) für den Alleingesellschafter für entbehrlich erklären. Hiermit wäre Kohärenz zu § 192 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 UmwG hergestellt, nach dem bei innerstaatlichen Formwechseln der Formwechselbericht entbehrlich ist, wenn nur ein Anteilsinhaber an dem Rechtsträger beteiligt ist.594 Nach dem wäre bei Einpersonengesellschaften, die Arbeitnehmer beschäftizum 80. Geburtstag, 1097, 1103; dies., ZEuP 2020, 565, 571; Schollmeyer, AG 2019, 541, 550; Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 67. 591 M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 205; Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 68; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1928 (Fn. 94); Luy, NJW 2019, 1905, 1909; Schurr, EuZW 2019, 539; Schollmeyer, AG 2019, 541, 548: J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1103 f.; dies., ZEuP 2020, 565, 571. 592 Schurr, EuZW 2019, 539, 542 spricht insoweit zutreffend davon, dass eine Berichtspflicht für den einzigen Gesellschafter einer der Formwechselnden Gesellschaft eine „reinen Formalismus“ darstellen würde. 593 Aufgrund der Auswirkungen des Verzichts ist die Verzichtserklärung wie bei innerstaatlichen Formwechseln (§ 192 Abs. 2 S. 2 UmwG) aus Gründen der Warnfunktion notariell zu beurkunden, siehe: Wachter, GmbH-StB 2018, 317, 320; Wicke, DStR 2018, 2642, 2645; vgl. zur Verzichtsmöglichkeit bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 304; Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 67. 594 Im Unterschied zu der hier vertretenen Lösung ist bei innerstaatlichen Formwechseln der gesamte Bericht und nicht nur der Bericht bzw. Abschnitt für die Gesellschafter entbehrlich. Dies liegt darin begründet, dass der Umwandlungsbericht bei innerstaatlichen Formwechseln allein dem Schutz der Anteilsinhaber dient und ein Schutz der Arbeitnehmer nicht intendiert ist.
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Kap. 3: Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
gen, nur der Abschnitt für die Gesellschafter entbehrlich, nicht aber der Allgemeine Teil und der Abschnitt für die Arbeitnehmer. Die hier vorgeschlagene Umsetzung ist unabhängig von der Positionierung zur Reichweite des Art. 86e Abs. 4 S. 2 GesR-RL zulässig,595 da Mitgliedstaatenoptionen nicht vollständig umgesetzt werden müssen, sondern von ihnen auch nur partiell Gebrauch gemacht werden kann.596 c) Entbehrlichkeit des Berichts(-abschnitts) für die Arbeitnehmer (Art. 86e Abs. 8 GesR-RL) und Verzichtbarkeit aa) Entbehrlichkeit Gem. Art. 86e Abs. 8 GesR-RL ist der Bericht(-sabschnitt) für die Arbeitnehmer nicht erforderlich, wenn sämtliche Arbeitnehmer dem Verwaltungs- oder Leitungsorgan der Gesellschaft angehören. Dieses Ergebnis stimmt mit dem deutschem Verständnis überein, nach dem es sich bei Mitgliedern des Leitungsorgans in Ermangelung einer Weisungsgebundenheit nicht um Arbeitnehmer handelt.597 Erforderlich ist die Regelung, da der EuGH Mitglieder von Verwaltungs- oder Leitungsorganen schon als Arbeitnehmer eingeordnet hat.598 A fortiori ist der Bericht(-sabschnitt) für die Arbeitnehmer auch bei arbeitnehmerlosen Gesellschaften nicht erforderlich, da in diesem Fall keine schutzwürdigen Arbeitnehmer-Interessen tangiert werden, die die mit dem Bericht verbundene Einbuße an Verfahrenseffizienz rechtfertigen könnten.599 Das Fehlen von Arbeitnehmern kann durch eine entsprechende Erklärung bei Anmeldung des Formwechsels nachgewiesen werden.600
Hierzu: Drinhausen/Keinath, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 192 UmwG Rn. 1. 595 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 429; Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 68; J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1104; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 1, 17; ausführlich zur Zulässigkeit eines solchen partiellen Gebrauchmachens der Mitgliedstaatenoption: Schollmeyer, AG 2019, 541, 550. 596 Schollmeyer, AG 2019, 541, 550; Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 68. 597 Vgl. § 611a Abs. 1 S. 1 BGB. 598 EuGH, Urt. v. 11. 11. 2010, C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674, Rn. 51, das eine Geschäftsführerin „dem ersten Anschein nach“ als Arbeitnehmer einordnet; EuGH, Urt. v. 09. 07. 2015, C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455 Rn. 43 zu der Eigenschaft eines Geschäftsführers als Arbeitnehmer. 599 So auch: J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 571; wohl auch: M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 205 f. 600 Wicke, DStR 2018, 2642, 2645.
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bb) Verzichtbarkeit? Fraglich ist, ob die Arbeitnehmer einvernehmlich auf ihren Bericht(-sabschnitt) verzichten können. In diesem Zusammenhang kommt der Genese von Art. 86 GesRRL entscheidende Bedeutung zu. Nachdem der Kommissionsentwurf keine Verzichtsmöglichkeit für die Arbeitnehmer vorgesehen hatte, wurde eine solche im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erwogen.601 Entsprechende Änderungsvorschläge602 konnten sich nicht durchsetzen. Die Nichtaufnahme einer Verzichtsmöglichkeit in die Mobilitäts-RL spricht für eine bewusste Entscheidung des Europäischen Gesetzgebers.603 Offensichtlich hat dieser dem Arbeitnehmerschutz einen höheren Stellenwert als der Verfahrenseffizienz eingeräumt. Für dieses Ergebnis spricht ein Umkehrschluss zu der explizit vorgesehenen Verzichtsmöglichkeit für die Gesellschafter. Als Äquivalent hierzu wurde allein die Entbehrlichkeit des Berichts(-abschnitts) bei Arbeitnehmern konzipiert. Im Ergebnis können die Arbeitnehmer nicht auf ihren Berichts(-abschnitt) verzichten.604 Rechtspolitisch ist dieser Befund einer kritischen Betrachtung zu unterziehen.605 Der Europäische Gesetzgeber geht von dem Bild eines unmündigen Arbeitnehmers aus, indem er ihnen die Verzichtskompetenz abspricht.606 Für eine Verzichtsmöglichkeit spricht, dass in diesem Fall kein Bedürfnis für einen Bericht besteht und damit die Verfahrenseffizienz in den Vordergrund rückt.607 Aus diesem Grund kann die fehlende Disponibilität des Berichts für die Arbeitnehmer nicht überzeugen.608
601
Vgl. JURI-Bericht, A8 – 0002/2019, S. 149. JURI-Bericht, A8 – 0002/2019, S. 95 f. 603 J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 2020, S. 1097, 1101 f. 604 So auch: M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 206; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1928; Schollmeyer, AG 2019, 541, 547; Luy, NJW 2019, 1905, 1908; J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1101 f.; dies., ZEuP 2020, 565, 570; Stelmaszczyk, GmbHR 2019, 61, 76; Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 290; Wachter, GmbH-StB 2018, 317, 320; Wicke, DStR 2018, 2642, 2645; J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 245; Noack/Kraft, DB 2018, 1577, 1579; vgl. hinsichtlich der identischen Vorschrift für grenzüberschreitende Verschmelzungen im Kommissionsvorschlag: Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 304. 605 Die fehlende Verzichtsmöglichkeit bedauernd: M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 206 f.; Schollmeyer, AG 2019, 541, 547; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1928; Luy, NJW 2019, 1905, 1908; J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 245; dies., in: Grundmann/ Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1101 f.; dies., ZEuP 2020, 565, 570 f.; dies., DK 2018, 229, 242; wohl auch: Wicke, DStR 2018, 2642, 2645. 606 Vgl. Schollmeyer, AG 2019, 541, 547. 607 Luy, NJW 2019, 1905, 1908. 608 So auch: Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1928 die von einem „aufgedrängten Schutz“ sprechen: J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1102; dies., ECFR 2019, 222, 245. 602
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Kap. 3: Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
d) Entbehrlichkeit des Allgemeinen Teils Da der Allgemeine Teil sowohl dem Schutz der Gesellschafter als auch dem Schutz der Arbeitnehmer dient, ist eine diesbezügliche Verzichtsmöglichkeit durch eine der beiden Gruppen nicht vorgesehen. Nach Art. 86e Abs. 9 GesR-RL ist der Bericht im Gesamten nicht erforderlich, wenn die Gesellschafter darauf verzichtet haben und die Gesellschaft arbeitnehmerlos ist. Der Wortlaut beschränkt die Entbehrlichkeit des gesamten Berichts auf den Fall, dass die Gesellschaft einen gemeinsamen Bericht für die Gesellschafter und Arbeitnehmer erstellt. Der Gesetzgeber sollte bei der Umsetzung klarstellen, dass der Bericht im Gesamten entbehrlich ist, wenn eine formwechselnde Einpersonengesellschaft keine Arbeitnehmer beschäftigt, da der dieser Norm zugrundeliegende Zweck der Verfahrenseffizienz auch in diesem Fall eingreift. Die Zulässigkeit einer solchen Umsetzung folgt aus einer analogen Anwendung des Art. 86e Abs. 9 GesR-RL.609 Es ist unbewusst versäumt worden, die potentielle Entbehrlichkeit im Falle eines Gebrauchmachens der Mitgliedstaatenoption in Art. 86e Abs. 4 S. 2 GesR-RL zu berücksichtigen.610 Teilt man dieses Ergebnis nicht, folgt die Zulässigkeit aus dem Primärrecht, da hierdurch der Verfahrenseffizienz gedient wird, ohne dass schutzwürdigen Arbeitnehmerinteressen tangiert werden.
III. Formwechselbeschluss (Art. 86h GesR-RL) Der grenzüberschreitende Formwechsel bedarf zu seiner Wirksamkeit eines Legitimationsakts durch die Gesellschafter als wirtschaftliche Eigentümer der Gesellschaft in Form eines Formwechselbeschlusses.611 Eine Zustimmung der Arbeitnehmer bedarf es hingegen nicht.612 Inhaltlich erstreckt sich die Zustimmung auf den gesamten Inhalt des Formwechselplans.613 Dies betrifft beispielsweise die Änderung des Satzungssitzes, die wie der durch den Statutenwechsel bedingte tiefgreifende Eingriff in die Struktur der Gesellschaft, den satzungsändernden Charakter des Formwechselbeschluss begründet. 614 Da der Zustimmungsbeschluss bei Ge609 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 423; Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 67; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 1, 16. 610 So auch: Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 67. 611 Vgl. Allmendinger, Die Beschlussfassung zum grenzüberschreitenden Wegzug, S. 273; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 302; Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 312; Priester, ZGR 1999, 36, 40 f.; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Pfeifer, Schutzmechanismen bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften, Rn. 496. 612 Dies de lege ferenda fordernd: Sick, BB 2020, Heft 46/2020, I („Die Erste Seite“). 613 Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 358. 614 Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 286; Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, S. 212; Kruse, Sitzverlegung von Kapi-
D. Das Verfahren im Wegzugsstaat
129
sellschaftsgründung erforderliche Annahme der Satzung funktional ersetzt, muss diese an das angestrebte Gesellschaftsstatut angepasst werden, soweit die aktuelle Satzung mit diesem unvereinbar ist.615 Die Notwendigkeit der Zustimmung der Gesellschafter stellt ein wesentliches Schutzinstrument vor einem eigenmächtigen, aus opportunistischen Beweggründen vollzogenen, Wegzug durch den Vorstand bzw. die Geschäftsführung dar.616 Aus diesem Grund soll er in diesem Kontext genauer behandelt werden.617
IV. Rechtmäßigkeits- und Missbrauchskontrolle Den Schlusspunkt des Verfahrens im Wegzugsstaat bildet die präventive Rechtmäßigkeits- und Missbrauchskontrolle des grenzüberschreitenden Formwechsels. Mit der Prüfung kann der Wegzugsstaat das Registergericht, einen Notar oder eine sonstige Behörde betrauen. Für die zukünftige Rechtslage in Deutschland scheidet eine Prüfung durch den Notar aus, da dieser bereits für die Beurkundung des Wegzugsbeschlusses zuständig ist und sich in diesem Fall mithin selbst überprüfen müsste.618 Es wäre angesichts der Prüfung von innerstaatlichen Formwechsel (§ 198 Abs. 1 UmwG) und grenzüberschreitenden Verschmelzungen (§ 122k Abs. 2 S. 1 UmwG) durch das Registergericht folgerichtig, wenn dieses zukünftig auch für die Erteilung der Vorabbescheinigung bei Herausformwechseln deutscher Gesellschaften zuständig wäre.619 Die Prüfung des Wegzugsstaats erstreckt sich gem. talgesellschaften innerhalb der EG, S. 180; Priester, ZGR 1999, 36, 42; Hoffmann ZHR 164 (2000), 43, 63; Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 312; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Wansleben, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 34 Rn. 5; Koch, in: Hüffer/Koch (Hrsg.), AktG, § 179 AktG Rn. 37; Ehmann, in: Grigoleit (Hrsg.), AktG, § 179 AktG Rn. 22; vgl. zur SE-Sitzverlegung: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 242. 615 Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 24 Rn. 854; Eckert, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 586. 616 Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 32 Rn. 55; ders., Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 302; Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 224; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 210; vgl. zum Mitentscheidungsrecht bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 22 Rn. 140; Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 144; J. Schmidt, DK 2018, 229; 236; M. Noack, AG 2018, 780; ausführlich zu der Funktion der Beschlussfassung bei grenzüberschreitenden Formwechseln: Allmendinger, Die Beschlussfassung zum grenzüberschreitenden Wegzug im Binnenmarkt, S. 212 ff. 617 Hierzu unter: Kap. 4, C, I (S. 145 ff.). 618 Priester, ZGR 1999, 36, 44. 619 So auch: Limmer/Knaier, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 6 Rn. 299; v. Bismarck, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften in Europa, S. 337; Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, S. 225; Brandi, BB 2018, 2626, 2632; Knaier, GmbHR 2018, 607, 620; Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 287; Priester, ZGR 1999, 36, 44; Bungert/Becker, DB 2019, 1609, 1613;
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Kap. 3: Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
Art. 86m Abs. 6 GesR-RL auf sämtliche Verfahrensvorschriften wie beispielsweise den Plan, die Berichte sowie die hierzu ergangenen Bemerkungen und Stellungnahmen und die Einhaltung sämtlicher Fristen. Die Rechtmäßigkeitskontrolle ist aus dem innerstaatlichen Recht und acquis communautaire620 bestens bekannt und wirft keine weitreichenden Schwierigkeiten auf. Die neu eingeführte Missbrauchskontrolle stellt den maßgeblichen Unterschied zur bislang reinen Rechtmäßigkeitskontrolle bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen (§ 122k UmwG) dar und bringt weitreichende Änderungen mit sich. Angesichts ihres engen Zusammenhangs mit den Stakeholder-Schutzvorschriften wird sie an dieser Stelle erörtert.621
E. Das Verfahren im Zuzugsstaat I. Verknüpfung der Verfahren im Wegzugs- und Zuzugsstaat: Vorabbescheinigung (Art. 86m GesR-RL) Sind im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle sämtliche Voraussetzungen erfüllt, muss die zuständige Behörde im Wegzugsstaat gem. Art. 86m Abs. 7 lit. a Hs. 1 GesR-RL eine Vorabbescheinigung ausstellen, ohne die der grenzüberschreitende Formwechsel nicht eingetragen werden kann. Die Vorabbescheinigung stellt damit die Trennlinie und das Bindeglied zu dem Verfahren im Zuzugsstaat dar. Der Zuzugsstaat hat die Vorabbescheinigung als „schlüssigen Nachweis“ (Art. 86o Abs. 5 GesR-RL) zu akzeptieren. Die Feststellung der Erfüllung der Anforderungen im Wegzugsstaat ist trotz des weichen Wortlauts („angemessen Rechnung zu tragen“) für die Behörde des Zuzugsstaats bindend.622 Nur diese Interpretation wird dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und der gesetzgeberischen Intention gerecht.623 Nach der Gesetzesbegründung soll im Sinne eines effizienten Verfahrens vermieden werden, dass die zuständige Behörde im Zuzugsstaat denselben Sachverhalt nochmals anhand einer ihr unbekannten Rechtsordnung prüft.624 Dies ist als Reaktion auf die berichtete umfassende Kontrolle grenzüberschreitender Ver-
vgl. für grenzüberschreitende Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 121. 620 Hierunter versteht man sämtliche für die Mitgliedstaaten verbindlichen Rechtssätze des Europäischen Rechts. Zum Begriff: Sandrock, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, 33, 34 (Fn. 5). 621 Hierzu unter: Kap. 4, F (S. 252 ff.). 622 Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 144; vgl. zur identischen Vorschrift für grenzüberschreitende Spaltungen: Schollmeyer, IPRax 2020, 297, 299. 623 Noack/Kraft, DB 2018, 1577, 1580; Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 144. 624 ErwG. 33 Mobilitäts-RL.
E. Das Verfahren im Zuzugsstaat
131
schmelzungen durch die Behörden im Zuzugsstaat einzuordnen.625 Im Kern wird damit die kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie kodifiziert.626 Hierdurch wird das bislang bestehende Problem einer konstitutiven Eintragung ohne Prüfung der Wegzugsvoraussetzungen des Wegzugsstaats gelöst.627
II. Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels Nach Erhalt der Vorabbescheinigung richtet sich das Verfahren allein nach dem Recht des Zuzugsstaats. Dieser überprüft im Wesentlichen nur das Vorliegen der nationalen Gründungsvoraussetzungen.628 Sind diese Anforderungen erfüllt, wird die Gesellschaft mit konstitutiver Wirkung in das Register des Zuzugsstaats eingetragen. Art. 86t Abs. 1 GesR-RL etabliert im Sinne der Rechtssicherheit und den Schwierigkeiten einer Rückabwicklung des grenzüberschreitenden Formwechsels einen absoluten Bestandsschutz für grenzüberschreitende Formwechsel.629 Aufgrund dessen kann ein nachträglich festgestellter Missbrauch nicht mehr durch Rückabwicklung des grenzüberschreitenden Formwechsels sanktioniert werden.630 Die in Art. 86t Abs. 2 GesR-RL normierte Befugnis der nationalen Behörden, auch nach dem Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels Maßnahmen und Sanktionen zu verhängen, umfasst nicht die Befugnis, diese rückgängig zu machen.631 Zweck der Vorschrift ist lediglich, die Möglichkeit einer Bestrafung sicherzustellen, etwa wenn im formellen Formwechselverfahren falsche Angaben gemacht werden.632 625
J. Schmidt, Study for the JURI-Committee: Cross-border mergers and divisions, transfers of seat: Is there a need to legislate, PE 556.960, S. 25; dies., DK 2018, 229, 243. 626 Vgl. zur entsprechenden Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 1, 3; siehe auch Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 30. 627 Vgl. z. B. OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 03. 03. 2017 – 20 W 88/15, ZIP 2017, 611 ff., das im Falle eines Herausformwechsels der Eintragung im Zuzugsstaat Heilungswirkung beigemessen- und damit eine Überprüfung der im Wegzugsstaat Deutschland erforderlichen Verfahrensschritte für entbehrlich erachtet hat. 628 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86m Rn. 2. 629 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 471; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1934; J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1109; dies., ZEuP 2020, 565, 590. 630 Sørensen, in: Birkmose/Neville/Sørensen (Hrsg.), Abuse of Companies, S. 259, 284. 631 So auch: Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1935; J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/ Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1109; dies., ZEuP 2020, 565, 590; a. A.: Schurr, EuZW 2019, 539, 543. 632 Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1935; J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1109; dies., ZEuP 2020, 565, 590.
132
Kap. 3: Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach der Mobilitäts-RL
F. Zusammenfassung in Thesenform 1. Die geltende Rechtslage für grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften ist durch ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit gekennzeichnet. Als Ausfluss dessen können solche grenzüberschreitende Umwandlungen nur unter enger Abstimmung mit den beteiligten Registern durchgeführt werden. Dieser Befund steht in einem gewissen Widerspruch zur liberalen EuGH-Judikatur und dem Effektivitätsprinzip, welches die praktische Ermöglichung grenzüberschreitender Formwechsel gebietet. Angesichts der stets unsicheren Vereinbarkeit von mitgliedstaatlichen Vorschriften mit der Niederlassungsfreiheit kann nur ein vereinheitlichter Rechtsrahmen einen sicheren Hafen für Gesellschaftsmobilität darstellen. 2. Auch für die Stakeholder erweist sich die lex lata als unbefriedigend. Ohne harmonisierte Schutzvorschriften sind sie der Gefahr ausgesetzt, dass ihre schutzwürdigen Interessen keine angemessene Berücksichtigung im Wegzugsstaat erfahren. In der Praxis sind Beispiele solcher „wilden“ Formwechsel als Ausfluss der mangelnden Registerkoordination von Wegzugs- und Zuzugsstaat bekannt geworden. In der Konsequenz muss sich die Praxis mit der Substitution grenzüberschreitender Formwechsel durch rechtssichere Alternativlösungen wie grenzüberschreitende Verschmelzungen, grenzüberschreitende Anwachsungen oder asset deals behelfen. 3. Hiermit korrespondierend ist das zentrale Ziel der Mobilitäts-RL, Gesellschaftsmobilität durch Schaffung eines rechtssicheren Verfahrens praktisch zu ermöglichen und gleichzeitig die Rechtspositionen der Stakeholder in angemessener Weise zu schützen. Eine Schieflage zwischen diesen Interessen zu vermeiden ist gleichzeitig der Lackmustest dieser Harmonisierung des Rechtsrahmens für grenzüberschreitende Gesellschaftsmobilität. 4. Die Mobilitäts-RL ist kollisionsrechtlich neutral ausgestaltet. Sie beschränkt sich auf die Schaffung von vereinheitlichten materiellrechtlichen Vorgaben und nimmt sich damit nur einer Seite derselben Medaille an. 5. Der Anwendungsbereich der Mobilitäts-RL beschränkt sich auf Kapitalgesellschaften. Die SE kann als Ausgangsrechtsträger, nicht aber als Zielrechtsträger eines grenzüberschreitenden Formwechsels fungieren. 6. Die Mobilitäts-RL sieht ein den §§ 190 ff. UmwG ähnelndes und der CBMD entlehntes, formelles Umwandlungsverfahren vor. Dieses zeichnet sich durch ein sukzessives Verfahren in Wegzugs- und Zuzugsstaat aus. Erforderlich sind ein Plan, ein Bericht, ein Sachverständigenbericht sowie der Formwechselbeschluss. Die Prüfungen in den beteiligten Mitgliedstaaten werden durch die Vorabbescheinigung miteinander verknüpft. Diese ist Voraussetzung für die konstitutive Eintragung im Zuzugsstaat.
F. Zusammenfassung in Thesenform
133
7. Der Formwechselbericht ist dreiaktig strukturiert. Auf den Allgemeinen Teil können die Gesellschafter angesichts seiner doppelten, auch die Arbeitnehmer erfassenden Schutzrichtung nicht verzichten. De lege ferenda ist die Schaffung einer Verzichtsmöglichkeit für die Arbeitnehmer auf ihren Bericht(-sabschnitt) wünschenswert. 8. Deutschland sollte von der Möglichkeit, Einpersonengesellschaften von der Berichtspflicht zu befreien, Gebrauch machen. Diese Mitgliedstaatenoption ermächtigt aber nicht zur Anordnung einer umfassenden Entbehrlichkeit des Berichts, sondern nur im Hinblick auf die gesellschafterschützenden Berichtsbestandteile.
Kapitel 4
Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL A. Grundlagen Wie dargestellt633 können Gesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel auf vielfältige Art und Weise in ihren Interessen beeinträchtigt werden. Ihr Schutz gewinnt mit der bevorstehenden wachsenden praktischen Bedeutung von grenzüberschreitender Mobilität an Wichtigkeit. Die Schaffung eines obligatorischen und effektiven Schutzsystems für die Stakeholder war ein zentrales Anliegen der Kommission bei ihrem erneuten Vorstoß zur Harmonisierung grenzüberschreitender Formwechsel im Jahr 2018.634 Zu berücksichtigten sind dabei stets die mobilitätshemmenden Wirkungen von Schutzvorschriften.635 Der Europäische Gesetzgeber stand somit vor dem Spagat, die berechtigten Anliegen der Stakeholder angemessen zu schützen, ohne die Gesellschaftsmobilität über Gebühr zu erschweren und damit in Konflikt mit der Niederlassungsfreiheit zu geraten. Angesichts des bislang sehr unterschiedlich gehandhabten Schutzes der Stakeholder in den verschiedenen Mitgliedstaaten,636 stellt die Schaffung eines harmonisierten Schutzregimes das Herzstück der Mobilitäts-RL dar. Diese bedient sich stets einer Kombination aus formellen- und materiellen Absicherungen. Das normative Gerüst ist im Hinblick auf den Schutz durch Information und die unternehmerische Mitbestimmung in großen Teilen der CBMD entlehnt. Für den Schutz der Minderheitsgesellschafter und Gläubiger sowie in Teilen auch für die Arbeitnehmer hält sie neue Lösungsansätze parat.
633
Hierzu unter: Kap. 2, C (S. 73 ff.). COM (2018) 241 final, S. 1. 635 Hayden, Grenzüberschreitender Formwechsel, Identitätswahrende Sitzverlegung von Kapital- und Personengesellschaften sowie Privatstiftungen, S. 51. 636 Im Hinblick auf den Gesellschafterschutz bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 22 Rn. 150; Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 475; J. Schmidt, DK 2018, 229, 236; dies., in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 841, 842; M. Noack, ZGR 2020, 90, 92; ders./Habrich, AG 2019, 908; Benz/Hübner/Zimmermann, ZIP 2018, 2254, 2255 f. 634
A. Grundlagen
135
I. Funktion der Stakeholder-Schutzvorschriften Ausgangspunkt der Schutzbedürftigkeit der Stakeholder ist das gesellschaftsrechtliche Regelungsgefälle zwischen den verschiedenen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen.637 Das Gebrauchmachen von den Vorteilen des Zuzugsstatuts birgt zwei Gefahren: Zum einen könnten die gesellschaftsrechtlichen Unterschiede durch einen Statutenwechsel zulasten der Rechtspositionen der Minderheitsgesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer ausgenutzt werden. Insoweit bietet insbesondere ein isolierter grenzüberschreitender Formwechsel eine Deregulierungsgefahr. Zum anderen wird ein gesellschaftsrechtliches „race to the bottom“ befürchtet.638 Diesen Gefahren soll durch die Stakeholder-Schutzvorschriften begegnet werden. Der Zweck dieser Vorschriften liegt daher darin, die Rechtspositionen der Stakeholder aufrechtzuerhalten, indem keine schrankenlose Wahl eines regelungsärmeren Gesellschaftsrechts ermöglicht wird.639 In diesem Lichte betrachtet sind die Stakeholder-Schutzvorschriften auch als eine spezielle Form der Missbrauchsverhütung zu begreifen.640 Das Ziel dieser Vorschriften besteht jedoch nicht darin, europäische Mindeststandards unabhängig von grenzüberschreitenden Vorgängen zu etablieren. In diesem Fall wäre die Harmonisierung von Stakeholder-Rechten, etwa die Schaffung eines Mindestmaßes an unternehmerischer Mitbestimmung innerhalb der EU, das Mittel der Wahl gewesen.641 Diese markiert die regelungstechnische Alternative zur Kodifizierung von Stakeholder-Schutzvorschriften: Würde durch eine Vereinheitlichung kein nennenswertes Gefälle zwischen den nationalen Schutzbestimmungen bestehen, wäre dem befürchteten „race to the bottom“ der Boden entzogen642 und ein grenzüberschreitender Formwechsel wäre mit deutlich schlankeren Schutzvorschriften möglich. Eine solch weitgehende Harmonisierung des Gesellschaftsrechts erscheint in Anbetracht der unterschiedlichen nationalen Traditionen und Befind-
637
So in Bezug auf Gesellschafter und Gläubiger: Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 369. 638 Siehe hierzu Fn. 1889. 639 Vgl. ErwG. 4 S. 3 Mobilitäts-RL. 640 In diese Richtung wohl auch: Schurr, EuZW 2019, 539, 544; vgl. Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 139; In diese Richtung auch zu der 4/5 Regel bei der unternehmerischen Mitbestimmung: Kraft/ Noack, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 547. 641 Zum acquis communautaire im Hinblick auf Schutzvorschriften zugunsten von Gesellschaftern und Gläubigern: Teichmann, in: Gebauer/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, § 6 Rn. 173 ff. 642 Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 8; vgl. Alexandropoulou, in: Alexandropoulou (Hrsg.), Modernisation of European Company Law, 11, 20 f., die in diesem Fall einen nur noch sehr eingeschränkten Spielraum für einen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit sieht.
136
Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
lichkeiten zum Stakeholder-Schutz – zumindest in weiten Teilen – als ferne Utopie.643 Ohnehin zielt die Niederlassungsfreiheit nicht auf die allumfängliche Harmonisierung des Gesellschaftsrechts ab.644 Eine vollständige gesellschaftsrechtliche Rechtsangleichung ist für einen gemeinsamen Binnenmarkt nicht konstitutiv, da ein solcher vornehmlich des Abbaus von Diskriminierungen und Beschränkungen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten bedarf.645 Insoweit könnte bei zu weitgehenden Harmonisierungsbestrebungen die Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 1, 3 EUV) infrage gestellt werden. Hiermit korrespondierend verfolgt der Europäische Gesetzgeber kein Konzept der vollständigen Rechtsangleichung, sondern der Kernbereichsharmonisierung.646 Die Pluralität der Gesellschaftsrechtsordnungen ist anerkannt und gewünscht, da Rechtsvielfalt einen Wert für sich bildet und den „Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen“ sichert.647
II. Wirkung der Stakeholder-Schutzvorschriften: Vollharmonisierung oder Mindestharmonisierung? Vor der Analyse der Schutzvorschriften ist die bedeutsame Frage zu klären, ob diese lediglich einen Mindeststandard verbürgen oder vollharmonisierend wirken.648 643
So beispielswweise im Hinblick auf die Harmonisierung des Mitbestimmungsrechts: Habersack, ZHR 182 (2018), 495, 499 f.; Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1268; ders., ECFR 2019, 3, 12. 644 Oppermann/Nettesheim/Classen, Europarecht, § 28 Rn. 10; vgl. Kainer, in: MüllerGraff (Hrsg.), Europäisches Binnenmarkt- und Wirtschaftsordnungsrecht, § 4 Rn. 97; vgl. Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 5 Rn. 158, der einen „Wettbewerb der Gesetzgeber“ unter Rekurs auf das Subsidiaritätsprinzip für unionsrechtlich geboten hält; a. A. aber: Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht Rn. 25 (Fn. 79). 645 Knobbe-Keuk, JFSt 1993/94, 26, 30. 646 Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 4 Rn. 17. 647 Kötz, RabelsZ 50 (1986), 1, 12. 648 Für einen mindestharmonisierenden Charakter der Stakeholder-Schutzvorschriften: Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 476; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1931; J. Schmidt, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 841, 843; dies., ZEuP 2020, 565, 579; dies., ECFR 2019, 222, 254; dies., DK 2018, 229, 237; dies., NZG 2020, 1361, 1367; dies., in: Gehle/Hirte/Lochner (Hrsg.): Festschrift für Thomas Heidel, 353, 362; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2439; ders., notar 2021, 147, 149; European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 206; Alexandropoulou, ERA Forum 22 (2021), 9, 10; Winner, ECFR 2019, 44, 47 f., der gleichwohl eine Vollharmonisierung für vorzugswürdig gehalten hätte; in Bezug auf GläubigerSchutzvorschriften: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 182; in Bezug auf Gesellschafter-Schutzvorschriften: Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/ Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86i Rn. 3; Deck, NZG 2021, 629, 637 f.; Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 126 (zu grenzüberschreitenden Spaltungen); wohl auch: Benz/Hübner/Zimmermann, ZIP 2018, 2254, 2259 (zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen); zweifelnd an dem vollhar-
A. Grundlagen
137
Wirkt eine Richtlinie vollharmonisierend, dürfen die Mitgliedstaaten keine darüber hinausgehenden strengeren Maßnahmen erlassen, während sie bei einer Mindestharmonisierung hierzu befugt sind.649 Bei einer Vollharmonisierung müssten sich die deutschen Umsetzungsvorschrifteng stets an der Vorgaben der Richtlinie messen lassen. Im Unterschied hierzu müssten im Fall einer Mindestharmonisierung die Vorschriften ohne europarechtliche Determinierung allein auf ihre Vereinbarkeit mit dem Primärrecht geprüft werden. Ob mit der Richtlinie eine Mindest- oder Vollharmonisierung bezweckt wird, ist durch Auslegung unter Zuhilfenahme der Rechtsgrundlage, des Wortlauts sowie der Zielsetzung und Regelungssystematik der Richtlinie zu ermitteln.650 Eine Richtlinie kann auch partiell vollharmonisierend und in anderen Teilen mindestharmonisierend wirken.651 ErwG. 17 S. 3 – 4 Mobilitäts-RL scheint klarzustellen, dass die Bestimmungen als Mindeststandards konzipiert sind und die Mitgliedstaaten strengere Schutzvorschriften vorsehen können, soweit diese im Einklang mit der Niederlassungsfreiheit stehen. An einer derart klaren Zuordnung der Vorschriften sind Zweifel angezeigt.652 Die Ermächtigungsgrundlage (Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV), auf die sich die Stakeholder-Schutzvorschriften stützen,653 ist wenig aufschlussreich.654 Sie kann entweder in dem Sinne verstanden werden, dass über das sekundärrechtlich festgelegte Niveau hinausgehende nationale Schutzvorschriften zulässig sind, weil sie
monisierenden Charakter: M. Noack, AG 2018, 780, 785; Schollmeyer, NZG 2020, 589, 591; für einen weitgehend vollharmonisierenden Charakter: M. Noack, ZGR 2020, 90, 95; für eine Vollharmonisierung: Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 145. 649 M. Schröder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 46, 49; Remien, in: Schulze/Janssen/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, § 14 Rn. 43; Köndgen/Mörsdorf, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 6 Rn. 60; Möslein/Röthel, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 11 Rn. 23; Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 2 Rn. 43; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 82; Lutter, in: Due (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Everling 1, 765, 780; M. Noack, ZGR 2020, 90, 93. 650 EuGH, Urt. v. 25. 04. 2002, C-52/00, ECLI:EU:C:2002:252 Rn. 16; M. Schröder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 46; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 114 AEUV Rn. 39; Tietje, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 114 AEUV Rn. 39; Habersack/ Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 84; in Bezug auf die Rechtsgrundlage auch: Lutter, JZ 47 (1992), 593, 606. 651 EuGH, Urt. v. 22. 06. 1993, Gallaher, C-11/92, ECLI:EU:C:1993:262, Rn. 11 – 14; Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 2 Rn. 43. 652 Ebenso zweifelnd: zweifelnd: Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 145; M. Noack, AG 2018, 780, 785. 653 Richtlinie (EU) 2019/2121 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 27. 11. 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ABl. 2019, L 321, 1. 654 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 50 AEUV Rn. 12.
138
Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
den Stakeholder-Schutz noch intensiver verwirklichen.655 Hierfür wird vorgebracht, dass bereits unterschiedliche Schutzstandards in den Mitgliedstaaten bestehen.656 Hiergegen lässt sich einwenden, dass Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV gerade auf „gleichwertige Bestimmungen“ abzielt und dies im Sine einer Vollharmonisierung deuten.657 Entscheidend für die Frage des Harmonisierungsgrades der Mobilitäts-RL ist das Spannungsverhältnis von mindestharmonisierten Vorschriften zum erklärten Ziel der Richtlinie, Rechtssicherheit sowie ein effizientes und kostengünstiges Verfahren für die betroffenen Gesellschaften zu schaffen.658 Wird beispielsweise der Kreis der abfindungsberechtigten Gesellschafter über den nach der Mobilitäts-RL vorgesehenen Kreis ausgedehnt, wird für die Gesellschaft aufgrund des damit potentiell höheren Liquiditätsabflusses die Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels erschwert.659 Auch das mit der Mobilitäts-RL verfolgte Ziel, nationale Mobilitätshemmnisse abzubauen, kann nur vollständig erreicht werden, wenn die gemeinsamen Schutzvorschriften abschließend sind.660 Dies liegt darin begründet, dass nur eine Vollharmonisierung umfassende Rechtssicherheit bieten kann.661 Schließlich sind die Wechselwirkungen zwischen den Schutzbedürfnissen der verschiedenen Stakeholder-Gruppen zu berücksichtigen.662 Besonders hieran zeigt sich die Ambivalenz zusätzlicher nationaler Schutzvorschriften. Beispielsweise erweist sich ein mitgliedstaatlich erweiterter Gesellschafterschutz durch Ausweitung der Kreis der abfindungsberechtigten Anteilsinhaber für die Gläubiger angesichts der damit verbundenen Gefahr eines erhöhten Liquidationsabflusses als nachteilig. Bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen, bei denen jeweils min655
Lutter, in: Due (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Everling 1, 765, 775 f. Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 182 (Fn. 986). 657 Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 84; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 182 qualifiziert es aber als „geradezu widersinnig“, den Mitgliedstaaten ein höheres Schutzniveau zu versagen. 658 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 363; M. Noack, ZGR 2020, 90, 94; prägnant („Ein ausgeprägtes Schutzsystem zugunsten von Minderheitsaktionären ist allerdings keine Einbahnstraße“): Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, S. 118. 659 Ebenfalls zweifelnd, ob der Schutz der Minderheitsgesellschafter über das Konzept der Mobilitäts-RL hinausgehen kann: Luy, GmbHR 2019, 1105 (Fn. 5). 660 Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 145. 661 Vgl. Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 386; Merkt, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 311, 325. 662 M. Noack, AG 2018, 780, 785; ders., ZGR 2020, 90, 94; in diese Richtung für den Gesellschafterschutz auch: ErwG. 17 S. 4 GesR-RL: „Die Mitgliedstaaten sollen deshalb zusätzliche Vorschriften über den Schutz von Gesellschaftern beibehalten oder einführen können, es sei denn, diese Vorschriften widersprechen denjenigen, die in dieser Richtlinie vorgesehen sind (…).“ 656
A. Grundlagen
139
destens zwei Rechtsträger beteiligt sind, wird dies noch plastischer: Geht ein Mitgliedstaat über das Schutzniveau hinaus und stärkt beispielsweise den Gesellschafterschutz, wirkt sich dies zwingend zulasten der Gesellschafter der anderen beteiligten Gesellschaft aus.663 Die Einräumung von Mitgliedstaatenoptionen an verschiedenen Stellen spricht dafür, dass nur an diesen Stellen partiell über den in der Mobilitäts-RL enthaltenen Schutzstandard hinaus gegangen werden darf, da es bei einer reinen Mindestharmonisierung solcher Ermächtigungen nicht bedürfte.664 Die verabschiedeten Schutzvorschriften sind Ausdruck eines politisch schwer erkämpften Kompromisses, dem sich auch die Mitgliedstaaten, die für ein höheres Schutzniveau plädiert haben, unterordnen müssen. Ansonsten würde der im Mittelpunkt der Mobilitäts-RL stehende Zweck der Schaffung von Rechtssicherheit konterkariert. Rechtunsicherheit würde nicht nur dadurch geschaffen, dass die Gesellschaften sich nicht mehr auf die in der Mobilitäts-RL enthaltenen Vorschriften verlassen könnten, sondern sich zusätzlich aus der unklaren Vereinbarkeit der zusätzlichen mobilitätshemmenden nationalen Regelungen mit der Niederlassungsfreiheit speisen. Die Mobilitäts-RL erteilt damit keinen „Freibrief“ zum Erlass weiterer, die Mobilität beschränkender Vorschriften. Schwierig ist schließlich der Umgang mit Vorschriften, die sowohl die Gesellschaftsmobilität als auch den Stakeholderschutz fördern. Für die Frage, ob Mitgliedstaaten weitere Schutzinstrumente vorsehen können, kommt es im Ergebnis darauf an, inwieweit die konkreten Schutzanliegen bereits sekundärrechtlich adressiert worden sind.665 Den Umsetzungsgesetzgebern sind bei der Implementierung über den Mindeststandard hinausgehender stakeholderschützenden Vorschriften enge Grenzen gesetzt.666 Dies gilt insbesondere für die Implementierung eines weitergehenden materiellen Schutzes.667 Nicht möglich ist damit beispielsweise eine Absenkung des eine Verhandlungspflicht auslösenden Schwellenwerts. Im Gegensatz hierzu ist eine Erstreckung des Anwendungsbereichs der Mobilitäts-RL auf Personengesellschaften und das Vorsehen entsprechender Schutzvorschriften möglich, da eine solche im Einklang mit den legislativen Zielen
663
M. Noack, ZGR 2020, 90, 94. M. Noack, ZGR 2020, 90, 94; vgl. European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 206 („it is unclear why the proposal explicitly empowers Member States to do so as it follows a minimum harmonisation approach anyway“); Winner, ECFR 2019, 44, 54 interpretiert die Mitgliedstaatenoptionen als legislativen Versuch eines „nudging“ der Mitgliedstaaten zum Erlass entsprechender Vorschriften darstellt. 665 Vgl. M. Noack, ZGR 2020, 90, 95. 666 In diese Richtung auch Luy, GmbHR 2019, 1105 (Fn. 5), der die Stakeholder-Schutzvorschriften zwar als Mindestharmonisierung begreift, aber aufgrund ihrer mobilitätshemmenden Wirkung auf die engen Grenzen weitergehender Schutzvorschriften hinweist. Ähnlich: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 51. 667 M. Noack, ZGR 2020, 90, 95. 664
140
Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
der Richtlinie steht. Dasselbe gilt für Schutzanliegen, die sekundärrechtlich nicht in den Blick genommen werden. Dies betrifft namentlich den Sonderrechtsschutz.668 Gegensätzlich zu der hier vertretenen Auffassung hat der EuGH im Jahr 2020 in der italienischen Rechtssache „I. G. I. Srl.669“670 die gläubigerschützenden Vorschriften zur Harmonisierung nationaler Spaltungen671 für mindestharmonisierend erklärt.672 Konkret ging es um die Zulässigkeit einer im italienischen Recht673 im Unterschied zur GesR-RL vorgesehenen Gläubigeranfechtung (actio pauliana) einer Spaltung. Dieses Judikat deutet darauf hin, dass der EuGH dieselbe Auffassung für die Stakeholder-Schutzvorschriften im Hinblick auf grenzüberschreitende Umwandlungen vertreten wird.674 Gleichzeitig erklärte sich der EuGH – im expliziten Widerspruch zu der Ansicht der Kommission –675 für die Kontrolle des überschießend umgesetzten nationalen Rechts676 für zuständig.677 Diese Entscheidung vermag nicht zu überzeugen.678 Zum einen kann dem Wortlaut nicht ein so weitreichender Schluss entnommen werden.679 Zum anderen schränkt sie die Bestandskraft von Umwandlungen680 erheblich, wenn auch nicht mit erga-omnes-Wirkung,681 ein.682 Zuletzt können die vom EuGH angestellten Erwä668
Hierzu unter: Kap. 4, C, IV (S. 183 ff.). Abkürzung von: societá a responsibilitá limitata (vergleichbar einer deutschen GmbH). 670 EuGH, Urt. v. 30. 01. 2020, I.G.I. Srl., C-394/18, ECLI:EU:C:2020:56. Hierzu: J. Schmidt, EuZW 2020, 372 ff.; Alexandropoulou/Winner, ECFR 2021, 588 ff.; Thole, ZEuP 2021, 145, 149 ff.; Heckschen, GWR 2020, 175; de Luca/Carli, ECL 17 (2020), 97. 671 Vgl. Art. 146 GesR-RL. Art. 146 Abs. 1 S. 1 GesR-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten, ein angemessenes Schutzsystem für die Gläubiger in das nationale Recht zu implementieren. 672 EuGH, Urt. v. 30. 01. 2020, I.G.I. Srl., C-394/18, ECLI:EU:C:2020:56 Rn. 67. 673 Art. 2901 Codice Civile; Vorschrift in englischer Sprache abgedruckt bei: de Luca/Carli, ECL 17 (2020), 97 (Fn. 1). 674 Vgl. J. Schmidt, EuZW 2020, 372, 373. 675 Wiedergegegeben von EuGH, Urt. v. 30. 01. 2020, I.G.I. Srl., C-394/18, ECLI:EU:C: 2020:56 Rn. 39 f. 676 Dies betraf die Konstellation, dass die „Costruzioni Ing. G. Iandolo“ nur einen Teil ihres Vermögens auf die „I.G.I. Srl.“ abspaltete, obwohl der Anwendungsbereich der GesR-RL nur Abspaltungen des gesamten Vermögens umfasst, vgl. EuGH, Urt. v. 30. 01. 2020, I.G.I. Srl., C394/18, ECLI:EU:C:2020:56 Rn. 39 ff. 677 EuGH, Urt. v. 30. 01. 2020, I.G.I. Srl., C-394/18, ECLI:EU:C:2020:56 Rn. 39 ff.; kritisch hierzu: Heckschen, GWR 2020, 175. 678 Ebenso kritisch: Alexandropoulou/Winner, ECFR 2021, 588, 598 ff. Zustimmung aber bei: J. Schmidt, EuZW 2020, 372 f. 679 Alexandropoulou/Winner, ECFR 2021, 588, 598 interpretieren den Wortlaut ebenfalls in eine andere Richtung, namentlich nur als Ermächtigung für einen weitergehenden ex-ante Schutz. 680 Im konkreten Fall: Art. 153 GesR-RL. 681 Vgl. EuGH, Urt. v. 30. 01. 2020, I.G.I. Srl., C-394/18, ECLI:EU:C:2020:56 Rn. 86; J. Schmidt, EuZW 2020, 372, 373; Alexandropoulou/Winner, ECFR 2021, 588, 596 . 682 Heckschen, GWR 2020, 175; Alexandropoulou/Winner, ECFR 2021, 588, 600 f. 669
B. Stakeholder-Schutz durch Information
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gungen im Hinblick auf die Mobilitäts-RL nicht vollständig übertragen werden. Dies gilt bereits im Hinblick auf den Wortlaut der streitgegenständlichen Normen, da die GesR-RL für den Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Formwechseln (Art. 86j GesR-RL) im Unterschied zur Vorschrift für nationale Spaltungen683 den Zusatz „zumindest“ nicht enthält, sondern von einem „angemessenen Schutzsystem“ spricht.684 Wichtiger ist, dass nur bei grenzüberschreitenden Umwandlungen die Gefahr der Kollision zweier Rechtsordnungen besteht, die der EuGH gerade mit einer klaren Abstufung und Zuordnung der Verfahrensschritte zu lösen suchte. Würde nun der Wegzugsstaat eine actio pauliana zulassen, wären Abstimmungsschwierigkeiten vorprogrammiert. Die essentielle Rechtssicherheit wäre gefährdet. Zuletzt müssten die Mitgliedstaaten sich stets bewusst sein, dass ihr nationalen Recht möglicherweise mit der Niederlassungsfreiheit kollidiert. Diese ist bei rein nationalen Umwandlungen gerade nicht anwendbar, sodass diese Gefahr hier grundsätzlich nicht besteht. Gleichwohl wird dieses Argument durch die vom EuGH weitreichend angenommenen Zuständigkeiten für überschießend umgesetztes Richtlinienrecht685 in gewisser Weise nivelliert.
B. Stakeholder-Schutz durch Information Die Mobilitäts-RL legt einen hohen Wert auf die Information der Stakeholder und sieht für jede Stakeholder-Gruppe auf erster Stufe einen a-priori wirkenden formellen Schutz vor. Ursache für die Informationspflichten ist das strukturelle Informationsdefizit, dem die Stakeholder gegenüber dem Vorstand bzw. der Geschäftsführung der Gesellschaft unterliegen. Der formelle Gesellschafterschutz wird für grenzüberschreitende Formwechsel durch obligatorische Angaben im Plan und im Bericht sowie dem exklusiv für die Gesellschafter zu erstellenden Sachverständigenbericht verwirklicht. Darüber hinaus bestehen die allgemeinen Informationsrechte der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft fort.686
I. Gesellschafter Zusätzlich zu den bereits dargestellten allgemeinen Informationen im Plan und Bericht müssen diese auf die Gesellschafter zugeschnittene Informationen enthalten. Am wichtigsten für die Gesellschafter dürften die Angaben zu den Einzelheiten einer Barabfindung gem. Art. 86d lit. i GesR-RL sein. Diese Angaben sind bereits im Plan 683
Vgl. Art. 146 Abs. 2 GesR-RL. Vgl. zur identischen Vorschrift für grenzüberschreitende Spaltungen: Alexandropoulou/ Winner, ECFR 2021, 588, 605. 685 Vgl. EuGH, Urt. v. 30. 01. 2020, I.G.I. Srl., C-394/18, ECLI:EU:C:2020:56 Rn. 39 ff. 686 So ausdrücklich ErwG. 17 S. 5 Mobilitäts-RL. 684
142
Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
notwendig, da schon das Bekanntwerden einer Umwandlungsabsicht zu einem Absinken des Anteilswerts führen kann.687 Im Bericht werden sodann gem. Art. 86e Abs. 3 GesR-RL die Berechnungsgrundlage für die angebotene Barabfindung, die Auswirkungen des grenzüberschreitenden Formwechsels auf die Gesellschafter sowie ihre Rechtsbehelfe dargelegt. Diese Angaben werden durch den unabhängigen Sachverständigen überprüft688 und hierüber ein Bericht erstellt.689 Ziel des Sachverständigenberichts ist es, den Gesellschaftern eine weitere Informationsquelle zur Beurteilung der Angemessenheit der angebotenen Barabfindung. Durch diese Informationsmechanismen werden die Gesellschafter in die Lage versetzt, auf angemessener Informationsgrundlage wohlüberlegt über ihren Verbleib in der Gesellschaft zu entscheiden. Der Einfluss der Gesellschafter besteht daher erstmal lediglich in der Gelegenheit, Stellung zu dem für die Gesellschafter erstellten Bericht zu nehmen, in der Möglichkeit, von dem bestehenden Fragerecht in der Gesellschafterversammlung Gebrauch zu machen sowie in der Möglichkeit, das eigene Stimmgewicht gegen die Annahme des Formwechselplans in Stellung zu bringen. Damit dient der Bericht ausschließlich dem präventiven Gesellschafterschutz.690 Hiermit korrespondierend können nur die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit gem. Art. 86f Abs. 3 UAbs. 1 GesR-RL auf den Sachverständigenbericht verzichten.691 Deutschland kann Einpersonengesellschaften darüber hinaus gem. Art. 86f Abs. 3 UAbs. 2 GesR-RL von der Prüfungspflicht ausnehmen. Für ein Gebrauchmachen von dieser Mitgliedstaatenoption spricht, dass das Formwechselverfahren ohnehin aufwendig ist und in diesem Fall dem durch den Sachverständigenbericht keine schutzwürdigen Interessen des einzigen Gesellschafters gegenüberstehen.692 Auch schutzwürdige Belange der Arbeitnehmer und Gläubiger sind nicht tangiert, da der Bericht allein dem Schutz der Gesellschafter zu dienen bestimmt ist.693 Aus diesen Gründen sollte Deutschland Einpersonengesellschaften von der Prüfungspflicht ausnehmen.694
687
Vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Hoffmann, ZHR 164 (2000), 43, 63. Art. 86f Abs. 2 GesR-RL. 689 In Deutschland werden die Prüfungen der für grenzüberschreitende Verschmelzungen erstellten Pläne gem. § 11 Abs. 1 UmwG i. V. m. 319 ff. HGB von Abschlussprüfern vorgenommen, Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 430; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: ders., DK 2021, 1, 12. Dies erscheint auch für grenzüberschreitende Formwechsel sachdienlich. 690 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 432; vgl. Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 273; Eckert, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 579. 691 Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 69. 692 Luy, NJW 2019, 1905, 1909. 693 Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 69. 694 So auch: M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 208; Luy, NJW 2019, 1905, 1909; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1929; Suchan/Albrecht, WPg 2018, 1181, 1185; wohl auch: Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 69. 688
B. Stakeholder-Schutz durch Information
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II. Gläubiger Auch der Schutz der Gläubiger wird auf erster Stufe durch Informationen sichergestellt. Grundlage für die Informationen ist allein der Formwechselplan. Durch die allgemeinen Angaben im Formwechselplan (Art. 86l lit. a-c GesR-RL) werden die Gläubiger der Gesellschaft in die Lage versetzt eine Beeinträchtigung ihrer Interessen infolge des angestrebten grenzüberschreitenden Formwechsels zu prüfen.695 Art. 86d lit. f GesR-RL enthält darüber hinaus eine speziell auf die Gläubiger-Interessen zugeschnittene Angabe. Danach muss der Formwechselplan etwaige Sicherheiten, die den Gläubigern angeboten werden, enthalten. Diese Informationen sind für die Gläubiger notwendig, um beurteilen zu können, ob diese Sicherheiten die gegebenenfalls konstatierten Beeinträchtigungen der Rechtsstellung oder die Schaffung von tatsächlichen Vollstreckungshindernissen durch den grenzüberschreitenden Formwechsel egalisieren, oder ob sie zusätzliche Sicherheiten für notwendig erachten.
III. Arbeitnehmer Der Europäische Gesetzgeber misst dem Schutz der Arbeitnehmer durch Information eine entscheidende Bedeutung zu.696 Bereits der Formwechselplan muss Informationen betreffend die Auswirkungen des geplanten grenzüberschreitenden Formwechsels. Art. 86d lit. j und k GesR-RL schreiben vor, dass der Plan die voraussichtlichen Auswirkungen des grenzüberschreitenden Formwechsels auf die Beschäftigung und zu dem Verfahren zur Festlegung der zukünftigen (unternehmerischen) Mitbestimmung enthalten muss. Damit müssen nicht nur die rechtlichen Folgen des grenzüberschreitenden Formwechsels, sondern auch die tatsächlichen Folgen dieser Strukturmaßnahme (z. B. Verlegung von Arbeitsplätzen) dargestellt werden. Eine weitere Informationspflicht der Gesellschaft ist die Mitteilung des Ergebnisses der Verhandlungen über die zukünftige Arbeitnehmermitbestimmung gem. Art. 86l Abs. 8 GesR-RL. Dies erhöht die Transparenz des Formwechselverfahrens.697 Gleichwohl können die Arbeitnehmer in diesem Verfahrensstadium keinen Einfluss mehr auf die zukünftige Mitbestimmung nehmen, sondern das Ergebnis nur noch zur Kenntnis nehmen.
695
13, 44. 696 697
Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, Vgl. ErwG. 26 Mobilitäts-RL. Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1934; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2447.
144
Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
C. Schutz der Gesellschafter Würde sich der Minderheitenschutz in Informationsrechten erschöpfen, bestünde für die dissentierenden Gesellschafter keine Möglichkeit, die mit dem ungewollten grenzüberschreitenden Formwechsel verbundenen Nachteile und Vermögenseinbußen zu liquidieren.698 Zwar steht es prinzipiell jedem Gesellschafter, der aufgrund des bevorstehenden grenzüberschreitenden Formwechsels seine Mitgliedschaft nicht aufrechterhalten möchte, frei, seine Anteile an dem Rechtsträger rechtsgeschäftlich an Mitgesellschafter oder einen Dritten zu veräußern.699 Dies lässt sich jedoch nicht in jedem Fall700 oder nur mit hohem Aufwand verwirklichen, insbesondere, wenn die formwechselnde Gesellschaft nicht börsennotiert- und die Fungibilität der Anteile damit herabgesetzt ist.701 Möglicherweise kann er aufgrund des bevorstehenden grenzüberschreitenden Formwechsels und den damit verbundenen Nachteilen für die Anteilsinhaber auch keinen der Mitgliedschaft entsprechenden Gegenwert zu erzielen, weil der Wert der aktuellen Beteiligung bereits durch die mit dem bevorstehende Einbuße an Rechten geschmälert wird.702 Daher bedarf es flankierender materieller Schutzvorschriften, um die Interessen der Minderheit adäquat schützen. Allgemein gesprochen lässt sich Minderheitenschutz entweder durch das Erfordernis einer einstimmigen Entscheidung oder durch ein Anfechtungsrecht und einen Vermögensausgleich von infolge einer Mehrheitsentscheidung anfallenden Vermögenseinbuße verwirklichen. Der Minderheitenschutz ist ein Grundpfeiler des deutschen Gesellschaftsrechts und findet seine Rechtfertigung in dem Ausgleich zu dem im Kapitalgesellschaftsrecht geltenden Mehrheitsprinzip.703 Danach muss den Minderheitsgesellschaftern ein angemessener Rechtsschutz gegen ein Ausnutzen der wirtschaftlichen Macht der Gesellschaftermehrheit zur Verfügung stehen und sie
698 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 383. 699 Vgl. auch § 211 UmwG, nach dem der Veräußerung des Anteils durch den Anteilsinhaber nach Fassung des Umwandlungsbeschlusses bis zum Ablauf der in § 209 bestimmten Frist Verfügungsbeschränkungen nicht entgegen. 700 Man denke etwa an vinkulierte Anteile, Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 237. 701 M. Noack, AG 2018, 780, 781 hält ein Austrittsrecht für die Gesellschafter bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung von börsennotierten Gesellschaften angesichts der fortgeschrittenen Harmonisierung des Kapitalmarktes und der erleichterten Möglichkeit der Veräußerung der Anteile in der Regel für nicht erforderlich; so auch: Kiem, in: Habersack/ Drinhausen (Hrsg.), SE-Recht, § 122i UmwG Rn. 3 („Giftpille“); ders., ZHR 180 (2016), 289, 316. 702 Vgl. J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 578; siehe für den innerstaatlichen Formwechsel: Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 237. 703 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 405 ff.; ähnlich: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 467.
C. Schutz der Gesellschafter
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müssen eine volle wirtschaftliche Entschädigung für den ungewollten Verlust von Rechtspositionen erhalten.704 Die Mobilitäts-RL sieht zentrale materielle Schutzmechanismen für die Gesellschafter vor und betritt damit legislatives Neuland. Inhaltlich nehmen diese Vorschriften große Anleihen an dem für innerstaatliche Formwechsel geltenden Regelungsregime705.706 Erstens erhöht die GesR-RL die Anforderungen an den Wegzugsbeschluss durch ein Quorum. Zweitens erkennt sie einen Angriff des Formwechselbeschlusses durch die Minderheit an, etabliert aber einen Anfechtungsausschluss für den Fall, dass die Anfechtung auf ein zu niedriges Barabfindungsangebot gestützt wird. Drittens gibt sie der Minderheit die Möglichkeit, gegen angemessene Barabfindung aus der Gesellschaft auszuscheiden. Viertens ist die Angemessenheit der angebotenen Barabfindung im Wege eines dem deutschen Spruchverfahren ähnelnden Verfahren gerichtlich überprüfbar. Im Folgenden ist daher zu untersuchen, inwiefern die Mobilitäts-RL auf materieller Ebene den dargestellten schutzwürdigen Belangen Rechnung trägt. Dieses Interesse muss mit den Interessen der Mehrheit in Einklang gebracht werden.
I. Mitentscheidungsrecht Zwar wird ein grenzüberschreitender Formwechsel regelmäßig von dem Vorstand bzw. der Geschäftsführung initiiert. Als Strukturmaßnahme bedarf der grenzüberschreitende Formwechsel einer Legitimation durch die Gesellschafter. Durch diese Kompetenz der Hauptversammlung und das Mitentscheidungsrecht wird sichergestellt, dass die Verbandsleitung ihre Macht nicht zulasten der Gesellschafter ausüben kann. 1. Quorum Die Mehrheitserfordernisse für den Formwechselbeschluss richten sich im Grundsatz nach dem Recht des Wegzugsstaats.707 Art. 86h Abs. 3 S. 1 GesR-RL gibt vor, dass die Mitgliedstaaten für den Beschluss eine Mehrheit von mindestens zwei Dritteln und höchstens 90 Prozent der Stimmen der vertretenen Anteile oder des 704
BVerfG, Urt. v. 07. 08. 1962 – 1 BvL 16/60, BVerfGE 14, 263, 283. Das UmwG räumt den dissentierenden Gesellschaftern ein Austrittsrecht gegen Barabfindung (§§ 207 ff. UmwG) sowie im Falle der Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft ein Recht auf Verbesserung des Beteiligungsverhältnisses (§ 196 UmwG) ein. 706 Krenek, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 707 Vgl. Art. 86c i. V. m. Art. 86m Abs. 2 lit. d GesR-RL; Limmer/Knaier, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 6 Rn. 290; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 239 f.; K. Schmidt, ZGR 1999, 20, 30; Hushahn, RNotZ 2014, 137, 150; Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 312; Verse, ZEuP 2013, 458, 483; Priester, ZGR 1999, 36, 39, 42. 705
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
vertretenen gezeichneten Kapitals vorsehen dürfen. Dieses hohe Legitimationsniveau verdeutlicht die weitreichenden Folgen eines grenzüberschreitenden Formwechsels und markiert ein wesentliches Minderheitenschutzelement.708 Das Höchstquorum von 90 Prozent stellt klar, dass die Anforderungen an die Beschlussfassung nicht zu hoch angesetzt werden dürfen und insbesondere ein Einstimmigkeitserfordernis nicht möglich ist. Das Mehrheitsprinzip verhindert, dass wenige Minderheitsgesellschafter ihr Vetorecht missbrauchen, indem sie ihre Anteile gegenüber der Mehrheit nur zu einem unangemessen hohen Preis verkaufen wollen und mindert damit das „Erpressungspotential“ der Gesellschafter.709 Über dieses Höchstquorum hinaus wird das Quorum für grenzüberschreitende Formwechsel gem. Art. 86h Abs. 3 S. 2 GesR-RL durch die im nationalen Recht vorgesehene und unionsrechtlich nicht determinierte710 Stimmrechtsschwelle für grenzüberschreitende Verschmelzungen nach oben hin begrenzt. Dass die Beschlussmehrheiten für einen grenzüberschreitenden Formwechsel nicht höher sein dürfen als für eine grenzüberschreitende Verschmelzung ist darauf zurückzuführen, dass eine Verschmelzung aufgrund des Erlöschens der übertragenden Gesellschaft einen intensiveren Eingriff in die Rechte der Anteilsinhaber im Vergleich zu einem Formwechsel darstellt.711 In Deutschland erfordert eine grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften eine Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen (GmbH)712 bzw. des vertretenen Kapitals (AG, SE, KGaA)713.714 Behält der Gesetzgeber diese Stimmrechtsschwellen bei, stellen sie die Höchstanforderungen an die Beschlussfassung für grenzüberschreitende Formwechsel dar.715 Für eine niedrigere Stimmrechtsschwelle kann vorgebracht werden, dass sie die Beschlussfassung erleichtern würde. Dies würde aufgrund des für dissentierende Minderheitsgesellschafter bestehenden Austrittsrechts gegen Barabfindung zum Preis der Gefahr eines höheren Liquiditätsabflusses aus der Gesellschaft geschehen. Es ist gefordert worden, die Anforderungen an den Formwechselbeschluss äquivalent zu dem Quorum für grenzüberschreitende Verschmelzungen auszugestalten.716 708 So zum innerstaatlichen Formwechsel: Pfeifer, Schutzmechanismen bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften, Rn. 528. 709 Vgl. Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 33, die ein Vetorecht folgerichtig als „overprotection“ qualifiziert. 710 Kritisch hierzu: Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 441. 711 Vgl. Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 289. 712 § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG. 713 § 179 Abs. 2 S. 1 AktG. 714 Die Mehrheitserfordernisse richten sich rechtsformspezifisch nach §§ 122a Abs. 2, 13 Abs. 1 UmwG i. V. m. §§ 65, 73 UmwG (AG), Art. 18 SE-VO, 65, 73 UmwG (SE), §§ 65, 73, 78 UmwG (KGaA), § 50 Abs. 1 S. 1 UmwG (GmbH). 715 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86h Rn. 6. 716 Allmendinger, Die Beschlussfassung zum grenzüberschreitenden Wegzug im Binnenmarkt, S. 273 ff.; Knaier, GmbHR 2018, 607, 620; für eine Angleichung der Beschlussmehr-
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Hierfür spricht, dass einheitliche Anforderungen an die verschiedenen grenzüberschreitenden Umwandlungsmöglichkeiten die Handhabung solcher komplexen Umwandlungsvorgänge erleichtern. Auf diese Weise würde auch ein zu begrüßender Gleichlauf zu den Mehrheitserfordernissen bei innerstaatlichen Formwechseln von Kapitalgesellschaften erzielt.717 Dies würde die Umsetzung erleichtern, indem umfangreiche Verweisungen auf die Vorschriften über innerstaatliche Formwechsel möglich wären, wodurch auch dem „Baukastenprinzip“ des Umwandlungsrechts Rechnung getragen würde. Für die vorgeschlagene Stimmrechtsschwelle ist zuletzt vorzubringen, dass die Beschlussfassung über einen grenzüberschreitenden Formwechsel zwingend eine Satzungsänderung zur Folge hat, wofür bei sämtlichen Kapitalgesellschaften ebenfalls eine Beschlussmehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen bzw. des bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals erforderlich ist.718 Aufgrund dessen ist eine geringere Beschlussmehrheit aus Gründen des deutschen Gesellschaftsrechts ohnehin nicht möglich. Da somit Europarecht eine über diesen Vorschlag hinausgehende Beschlussmehrheit verbietet und das deutsche Gesellschaftsrecht eine niedrigere Beschlussmehrheit nicht zulässt, besteht faktisch kein Umsetzungsspielraum für den deutschen Gesetzgeber. Dieser muss die Beschlussmehrheiten an die Vorschriften für grenzüberschreitende Verschmelzungen und innerstaatliche Formwechsel anpassen.719
heiten an die für innerstaatliche Formwechsel und damit ebenfalls für eine 3/4 Mehrheit: Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 303 f.; Wicke, DStR 2018, 2642, 2647; Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 70; für eine Angleichung der Beschlussmehrheiten an die für grenzüberschreitende Verschmelzungen geltenden Quoren und damit ebenfalls für eine 3/4 Mehrheit: Eckert, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 587 f.; Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 289, Noack/Kraft, DB 2018, 1577, 1580; für eine 3/4 Mehrheit bzgl. der bis zur Umsetzung der Mobilitäts-RL geltenden Rechtslage: Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2061; für eine 3/4 Mehrheit bzgl. des Vorentwurfs einer Sitzverlegungsrichtlinie aus dem Jahr 1997: K. Schmidt, ZGR 1999, 20, 29 f. 717 Ein innerstaatlicher Formwechselbeschluss bedarf gem. § 240 Abs. 1 S. 1 UmwG ebenfalls der Mehrheit der abgegebenen Stimmen (GmbH) bzw. des bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals (AG, SE und KGaA). Für einen Formwechsel in eine Personengesellschaft bedarf es hingegen gem. § 233 Abs. 1 UmwG der Zustimmung sämtlicher – auch der nicht erschienenen – Anteilsinhaber. 718 Teichmann/Knaier, in: Süß/Wachter (Hrsg.), Handbuch des internationalen GmbHRechts, § 4 Rn. 12; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 24 Rn 853; vgl. Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 362; vgl. v. Bismarck, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften in Europa, S. 333 f.; Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 312; Teichmann, in: Herrler (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, 111, 126; Hoffmann, ZHR 164 (2000), 43, 63; Priester, ZGR 1999, 36, 42; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Pfeifer, Schutzmechanismen bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften, Rn. 341. 719 Hierfür im Ergebnis statt aller auch: Krenek, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen).
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2. Mitgliedstaatenoption: Zustimmung von Gesellschaftern, deren wirtschaftliche Verpflichtungen durch grenzüberschreitenden Formwechsel zunehmen Art. 86h Abs. 4 GesR-RL räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, den Formwechselbeschluss an die Zustimmung bestimmter Gesellschafter zu knüpfen, deren wirtschaftlichen Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft oder Dritten durch den grenzüberschreitenden Formwechsel zunehmen. Voraussetzung ist, dass der betroffene Gesellschafter sein Recht auf Austrittsrecht gegen Barabfindung nicht ausüben kann. Diese Mitgliedstaatenoption findet kein Pendant im bestehenden Sekundärrecht und ist erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens auf Betreiben des Parlaments720 in die Mobilitäts-RL aufgenommen worden. Systemwidrig ist, dass diese Mitgliedstaatenoption nur für grenzüberschreitende Formwechsel (Art. 86h Abs. 4 GesR-RL) und grenzüberschreitende Spaltungen (Art. 160h Abs. 4 GesRRL) vorgesehen ist, nicht aber für grenzüberschreitende Verschmelzungen. Unklar und in den Gesetzgebungsmaterialien gänzlich unberücksichtigt ist die Frage, unter welchen Umständen ein Gesellschafter sein Recht auf Barabfindung nicht ausüben kann. Nach dem Konzept der Mobilitäts-RL können jedenfalls die dissentierenden Mitgliedstaaten aus der formwechselnden Gesellschaft ausscheiden (Art. 86i Abs. 1 GesR-RL). Insofern ist fraglich, in welchen Fällen ein Gesellschafter von seinem Austrittsrecht gegen Barabfindung keinen Gebrauch machen kann. Aus der Systematik der Vorschrift lässt sich ableiten, dass Zustimmungserfordernisse einzelner Gesellschafter die Ausnahme sein sollen, um den Wegzug der Gesellschaft nicht über Gebühr zu erschweren. Offensichtlich gewährt der Unionsgesetzgeber damit den Interessen einer möglichst ungehinderten Gesellschaftsmobilität den Vorrang und präferiert einen Schutz der Minderheit durch Barabfindung. Ein wirtschaftlich schlechtes Angebot für eine Barabfindung reicht hierfür nicht aus, da die Angemessenheit der Barabfindung überprüft werden kann.721 Angesichts der unklaren Reichweite dieser Mitgliedstaatenoption sollte Deutschland keinen Gebrauch hiervon machen. 3. Zwischenergebnis Ein Mitentscheidungsrecht allein schützt nur die Gesellschaftermehrheit vor ungewollten Rechtseinbußen.722 Diese kann den grenzüberschreitenden Formwechsel zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen nutzen. Es ist daher offensichtlich, dass die Minderheit der Gesellschafter, die sich hiergegen nicht wirksam zur Wehr setzen kann, in Ansehung ihrer strukturellen Unterlegenheit eines wei720
Art. 86i Abs. 4 des Parlamentsentwurfs, P8_TA-PROV(2019)0429. Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86h Rn. 8. 722 So auch für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, S. 48. 721
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tergehenden materiellen Schutzes bedarf.723 Die Gesellschafter-Schutzvorschriften stellen damit ein notwendiges Korrelat des, die Minderheit potentiell beeinträchtigenden, Mehrheitsprinzips dar.724 Der Kreis der schutzwürdigen Gesellschafter muss im Vergleich zu dem Kreis der durch Information und Mitentscheidung protegierten Gesellschaftern eingegrenzt werden. Im Unterschied zu den opponierenden Gesellschaftern bedarf die ebenfalls von einem grenzüberschreitenden Formwechsel betroffene Kreis der für den Wegzug stimmenden Gesellschafter keines Schutzes vor den hierdurch vermittelten Veränderungen ihrer Mitgliedschaft (volenti non fit iniuria).725 Hieraus folgt, dass es eines Minderheitenschutzes nicht bedarf, wenn der grenzüberschreitende Formwechsel einstimmig beschlossen worden ist.726 Da ein Einstimmigkeitserfordernis im Kapitalgesellschaftsrecht einen Fremdkörper darstellen würde und einen grenzüberschreitenden Formwechsel von Kapitalgesellschaften in vielen Fällen, insbesondere bei Publikumsgesellschaften, praktisch unmöglich machen würde,727 optiert die Mobilitäts-RL in Alternative hierzu für zusätzliche Schutzinstrumentarien zugunsten der dissentierenden Gesellschafter. Die Mobilitäts-RL etabliert damit ein zweistufiges Schutzkonzept: Auf erster Stufe werden sämtliche Gesellschafter durch Informationen und ihr Mitentscheidungsrecht geschützt. Ein darüber hinausgehender Schutz kommt auf zweiter Stufe nur noch den dissentierenden Gesellschaftern zu.728 Die hierfür vorgesehenen Schutzinstrumente sind dem Formwechselbeschluss nachgelagert und können die Wirksamkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels mit wenigen Ausnahmen nicht infrage stellen.
723
M. Noack, ZGR 2020, 90, 91; Stelmaszczyk, DK 2021, 48; so auch für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, S. 48; so auch für innerstaatliche Formwechsel: Pfeifer, Schutzmechanismen bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften, Rn. 530. 724 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 221; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Wälzholz, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 207 UmwG Rn. 1; zu den für die Gesellschaft misslichen rechtsökonomischen Folgen eines alternativ in Betracht kommenden Einstimmigkeitsprinzips: Klöhn, Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche, S. 32. 725 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 225; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 217; vgl. auch Thomale, RdW 2020, 424, 425. 726 Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 665; vgl. Behrens, ZGR 1994, 1, 11. 727 Allmendinger, Die Beschlussfassung zum grenzüberschreitenden Wegzug, S. 281; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 363; Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, S. 152; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 213. 728 In diese Richtung auch: M. Noack, ZGR 2020, 90, 97.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
II. Anfechtung des Wegzugsbeschlusses 1. Grundsatz Rechtsschutz kommt für die Gesellschafter auf primärer Ebene durch die Möglichkeit der Überprüfung des Formwechselbeschlusses in Betracht. Die MobilitätsRL enthält keine Regelungen, ob und wenn ja, wie der Formwechselbeschluss durch die Gesellschafter angegriffen werden kann. Der Rechtsschutz gegen einen fehlerhaften Umwandlungsbeschluss richtet sich in Ermangelung einer unionsrechtlichen Regelung nach dem nationalen Recht des Wegzugsstaates (Art. 86c GesR-RL). Nach deutschem allgemeinen Kapitalgesellschaftsrecht können Gesellschaftsbeschlüsse abhängig von der Schwere des Verstoßes mittels Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage angegriffen werden, ohne dass hierfür eine subjektive Rechtsverletzung erforderlich ist.729 Eine materielle Beschlusskontrolle wegen einer (angeblichen) Unzweckmäßigkeit des Formwechsels findet hingegen nicht statt.730 Besondere Relevanz entfaltet in diesem Zusammenhang angesichts der strengen Voraussetzungen für eine Nichtigkeit731 die Anfechtungsklage.732 Sie hat bei innerstaatlichen Formwechseln gem. §§ 198 Abs. 3 i. V. m. 16 Abs. 2 UmwG eine (echte)733 Registersperre zur Folge. Dies bedeutet, dass die Eintragung der neuen Gesellschaftsform in Ermangelung einer Negativerklärung nicht vorgenommen und der Formwechsel damit vorerst nicht wirksam werden kann (§§ 198 Abs. 3 i. V. m. 16 Abs. 2 S. 2 HS. 1 UmwG). Diese Registersperre kann nur durch ein gerichtliches Freigabeverfahren überwunden werden. Eine Anfechtung des Formwechselbeschlusses führt daher regelmäßig zu einer erheblichen Verzögerung des Wirksamwerdens des Formwechsels, selbst wenn die Klage unbegründet ist. Zeitliche Verzögerungen können einen grenzüberschreitenden Formwechsel an sich in Frage stellen.734 Die Möglichkeit einer Anfechtung des Wegzugsbeschlusses gibt den Gesellschaftern damit nicht nur ein wirksames Rechtsschutzinstrument zur Hand,735 sondern durch die Möglichkeit der Obstruktion auch ein gewisses Droh- und Störpotential durch un729 Vgl. §§ 241 ff. AktG; diese werden nach herrschender Ansicht für die GmbH entsprechend angewendet, statt aller: Drescher, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 241 AktG Rn. 3. 730 Bärwaldt, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 193 UmwG Rn. 17; Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 247 f.; für eine Übertragbarkeit dieses Grundsatzes auf grenzüberschreitende Formwechsel: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 225. 731 Vgl. § 241 AktG. 732 Allmendinger, Die Beschlussfassung zum grenzüberschreitenden Wegzug, S. 283 f. 733 Zur Differenzierung zwischen einer „echten“ und „faktischen“ Registersperre: Ehrmann, in: Grigoleit (Hrsg.), AktG, § 245 AktG Rn. 37 ff. 734 Allmendinger, Die Beschlussfassung zum grenzüberschreitenden Wegzug, S. 183; vgl. für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, S. 56. 735 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 246.
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begründete Klageerhebungen mit dem Ziel eines prozessbeendenden Vergleichs.736 Angesichts der nur geringen Anforderungen für eine Beschlussanfechtung erscheint die Realisierung dieses Risikos nicht unwahrscheinlich.737 Es ist daher ein essentielles Interesse der Mehrheitsgesellschafter, dass diese Grundsätze für Klagen gegen grenzüberschreitende Formwechsel modifiziert werden, um Bestandssicherheit zu schaffen.738 2. Anfechtungsausschluss (Art. 86h Abs. 5 GesR-RL) Art. 86h Abs. 5 GesR-RL normiert zur Auflösung dieses Interessenskonflikts einen weitreichenden Anfechtungsausschluss. Danach müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass der Formwechselbeschluss nicht allein aufgrund eines unangemessenen Barabfindungsangebots oder aufgrund von Informationsmängel angefochten werden kann. Die Gründe für eine Beschlussanfechtung sind nur noch begrenzt gegeben, beispielsweise bei Verfahrensfehlern.739 Dem Angriff des Formwechselbeschlusses als „nukleare Option“ der Gesellschafter ist daher im Sinne einer effektive Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels und seines Bestandsschutzes für die meisten Fälle der Boden entzogen. 740 Die hierdurch gewährleistete Verminderung von Anfechtungsrisiken ist ein Schutzinstrument für die Mehrheit und geht zulasten der Rechte der Minderheit, der die Möglichkeit genommen wird, den Wegzugsbeschluss auf Grundlage eines unangemessenen Barabfindungsangebots und Informationsmängeln anzufechten. Zur Kompensation wird der Anfechtungsausschluss durch eine gerichtliche Überprüfbarkeit des Barabfindungsangebots in einem von der Anfechtung des Formwechselbeschlusses losgelösten Verfahren flankiert (Art. 86i Abs. 4 S. 1 GesR-RL), das 736
Zu letzterem im Hinblick auf grenzüberschreitende Verschmelzungen: Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, S. 56 ff. 737 Vgl. Allmendinger, Die Beschlussfassung zum grenzüberschreitenden Wegzug, S. 284. 738 Winner, ECFR 2019, 44, 65; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 140; vgl. für die grenzüberschreitende Verschmelzung: Benz/Hübner/Zimmermann, ZIP 2018, 2254, 2255. 739 Meister/Klöcker/Berger, in: Kallmeyer (Hrsg.), UmwG, § 195 UmwG Rn. 29; Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 248. 740 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 499; ders., ZIP 2019, 2437, 2443; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1933; Priester, ZGR 1999, 36, 43; Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 39; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Hoger, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 195 UmwG Rn. 10; Drinhausen/Keinath, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 195 UmwG Rn. 5; Bärwaldt, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 210 UmwG Rn. 2; Winter, in: Schmitt/Hörtnagl (Hrsg.), UmwG/UmwStG, § 210 UmwG Rn. 4; Sagasser/ Luke, in: Sagasser/Bula/Brünger (Hrsg.), Umwandlungen, § 3 Rn. 25; vgl. zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 310; M. Noack, AG 2019, 665, 666.
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keine aufschiebende Wirkung für die Wirksamkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels hat. Für den Fall, dass die angebotene Barabfindung zu niedrig bemessen war, hat der ausscheidende Gesellschafter einen Anspruch auf Zuzahlung. Dem Konzept der Mobilitäts-RL liegt damit das aus dem deutschen Recht bekannte Prinzip des „dulde und liquidiere“ zugrunde.741 Vor diesem Hintergrund fungiert der Anfechtungsausschluss als Bindeglied zwischen den primär- und sekundärrechtlichen Rechtsbehelfen bei grenzüberschreitenden Formwechseln.742 Danach können Strukturentscheidungen zwar nicht in Frage gestellt werden, sondern allein über die Höhe der Ausgleichsansprüche gestritten werden.743 Hierdurch wird ein Ausgleich zwischen dem Interesse der Mehrheit an der Bestandssicherheit des Beschlusses und einem zügigen Vollzug der Strukturmaßnahme und dem Interesse der in der Abstimmung unterlegenen Gesellschafter an einem effektiven Rechts- und Vermögensschutz geschaffen.744 Ebenso spart die Gesellschaft die durch eine Anfechtungsklage entstehenden Kosten.745 Unter Berücksichtigung dieses Zwecks ergibt die gebotene unionsrechtlich autonome Auslegung746 des Begriffs „Anfechtung“, dass hiermit nicht nur eine Anfechtungsklage gemeint ist, sondern sämtliche Klagearten, also auch die Nichtigkeitsklage bei Kapitalgesellschaften.747 Dafür spricht, dass eine Anfechtung des Wegzugsbeschlusses nicht dem Rechtsschutzbegehren der mit der Höhe der Barabfindung nicht einverstanden Gesellschafter entspricht, da eine Anfechtungsklage nicht die Festsetzung einer angemessenen Barabfindung zur Folge hat.748
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M. Noack, AG 2018, 780, 783; ders., AG 2019, 665, 666; ders./Habrich, AG 2019, 908. M. Noack, AG 2019, 665, 666. 743 Dreier, in: Dreier/Fritzsche/Verfürth (Hrsg.), SpruchG, Einleitung Rn. 4 ff.; M. Noack, Spruchverfahren nach dem SpruchG, S. 25. 744 Dreier, in: Dreier/Fritzsche/Verfürth (Hrsg.), SpruchG, Einleitung Rn. 4 ff. (insbes. Rn. 8 f.); M. Noack, Spruchverfahren nach dem SpruchG, S. 26; Wolf, Abfindungsrechte der Minderheitsaktionäre, S. 29; Allmendinger, Die Beschlussfassung zum grenzüberschreitenden Wegzug, S. 284 hält eine Registersperre in Ansehung der Niederlassungsfreiheit für unangemessen. 745 Allmendinger, Die Beschlussfassung zum grenzüberschreitenden Wegzug, S. 283. 746 Zum Erfordernis einer unionsrechtlich autonomen Auslegung von europäischen Begrifflichkeiten: Gebauer, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Europäisches Zivilrecht, Teil 3 Rn. 6, 20 ff.; Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 2 Rn. 80 ff.; Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 10 Rn. 4; Lutter, JZ 47 (1992), 593, 598 ff. 747 Vgl. zur entsprechenden Vorschrift für grenzüberschreitende Verschmelzungen (Art. 126 Abs. 4 GesR-RL): M. Noack, AG 2019, 665, 667; vgl. auch die sprachlich weitere Fassung des Art. 86h Abs. 5 GesR-RL in englischer („cannot be challenged“) und französischer (ne puisser ètre contestée) Sprache. 748 M. Noack, AG 2019, 665, 667. 742
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a) Die angebotene Barabfindung ist unangemessen (Art. 86h Abs. 5 lit. a GesR-RL) Ein Formwechselbeschluss kann gem. Art. 86h Abs. 5 lit. a GesR-RL nicht allein mit der Begründung angefochten werden, dass die angebotene Barabfindung nicht angemessen ist. Ratio legis dieses Anfechtungsausschlusses ist die Überführung kompensatorischer Streitigkeiten in ein ausgelagertes Verfahren.749 Dieses Konzept ist aus dem deutschen Umwandlungsrecht bekannt. §§ 195, 210 UmwG beschränken das Anfechtungsrecht der Gesellschafter und eröffnen im Gegenzug die Möglichkeit der Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung im Wege des Spruchverfahrens. aa) Anfechtungsausschluss bei zu niedrig bemessenem oder formal fehlerhaftem Barabfindungsangebot Angemessen ist eine Barabfindung nach deutschem Verständnis, wenn sie den in dem Gesellschaftsanteil verkörperten Unternehmenswert korrekt abbildet.750 Unzweifelhaft ist die angebotene Barabfindung unangemessen, wenn sie zu niedrig bemessen ist.751 Dies gilt im Wege eines Erst-Recht-Schlusses auch für den in der Mobilitäts-RL nicht ausdrücklich geregelten Fall, dass im Formwechselplan kein Barabfindungsangebot enthalten war und die Gesellschafterversammlung mithin nicht über ein solches beschließen konnte.752 Auch das von der Vorschrift nicht ausdrücklich erfasste formal oder inhaltlich fehlerhafte Barabfindungsangebots kann den Bestand des Formwechselbeschlusses nicht berühren. Ein solches liegt vor, wenn das Angebot formal unklar, widersprüchlich oder unvollständig ist oder an inhaltlichen Mängeln wie einem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz leidet.753 Dafür, dass der Formwechselbeschluss aufgrund solche Fehler nicht angefochten werden kann, spricht das Interesse der Gesellschaft am Bestand des Beschlusses. Dies wird systematisch durch ihre Vergleichbarkeit mit allgemeinen Informationsmängel gestützt, für die ein Anfechtungsausschluss besteht.754 bb) Anfechtungsausschluss bei zu hoch bemessenem Barabfindungsangebot? Fraglich ist, ob der Beschluss mit der Begründung angefochten werden kann, dass die angebotene Barabfindung zu hoch ist. Im Unterschied zum Anfechtungsaus749
J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 581; vgl. A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 223. Simons, in: Habersack/Wicke (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar UmwG, § 210 UmwG Rn. 8. 751 Vgl. für grenzüberschreitende Verschmelzungen M. Noack, AG 2019, 665, 667. 752 Vgl. für grenzüberschreitende Verschmelzungen M. Noack, AG 2019, 665, 668; vgl. für das deutsche Recht § 210 Alt. 2 UmwG. 753 Vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Bärwaldt, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 210 UmwG Rn. 5; Simons, in: Habersack/Wicke (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar UmwG, § 210 UmwG Rn. 11. 754 Vgl. zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, AG 2019, 665, 669. 750
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schluss für innerstaatliche Formwechsel (§ 210 UmwG) beschränkt der Wortlaut des Art. 86h Abs. 5 lit. a GesR-RL den Anfechtungsausschluss nicht auf die Fälle einer zu niedrig angebotenen Barabfindung, sondern spricht von einer „nicht angemessenen Barabfindung“. Eine zu hohe Barabfindung berührt durch die damit verbundene Entwertung der Anteile die Rechte der Gesellschafter, die ihre Mitgliedschaft in dem formwechselnden Rechtsträger beibehalten wollen.755 In diesem Fall würden folglich nicht die ausscheidungswilligen Gesellschafter den Beschluss anfechten, sondern die Gesellschafter, die in der Gesellschaft verbleiben wollen und deren Beteiligungen durch die zu hohe Barabfindung an Wert verlieren würde. Ein Anfechtungsausschluss kommt nur in Betracht, wenn den Gesellschaftern im Gegenzug zu dieser Einschränkung des Primärrechtsschutzes die Möglichkeit eröffnet wird, die Höhe der Barabfindung im Rahmen der Überprüfung ihrer Angemessenheit herabzusetzen. Hierzu müsste man entweder das Verfahren zur Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung kontradiktorisch ausgestalten756 oder eine Herabsetzung der Barabfindung in diesem Verfahren zulassen. Hierfür ist vorzubringen, dass die Möglichkeit der Anfechtung in einem erkennbaren Widerspruch zu dem Ziel, Bestandssicherheit für den Formwechselbeschlusses zu schaffen, stünde, für das auch in diesem Fall ein Bedürfnis besteht.757 Die Möglichkeit einer Anfechtung des Formwechselbeschlusses wegen einer zu hohen Barabfindung wäre somit der effektiven Durchführung eines grenzüberschreitenden Formwechsels abträglich. Aus Perspektive der Mehrheit entspricht eine Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses auch nicht dem Rechtsschutzbegehren, das nicht auf Aufhebung des Formwechselbeschlusses, sondern auf Herabsetzung der Barabfindung gerichtet ist.758 Gegen diese Erwägungen spricht die Konzeption der Mobilitäts-RL. Art. 86i Abs. 4 UAbs. 1 S. 1 GesR-RL beschränkt die Befugnis zur Einleitung der Überprüfung der Barabfindung auf diejenigen Gesellschafter, die erklärt haben, ihr Recht auf Veräußerung ihrer Anteile auszuüben. Diese Voraussetzung ist bei Gesellschaftern, die in der Gesellschaft verbleiben wollten, nicht gegeben. Die MobilitätsRL will nur den dissentierenden Gesellschaftern das Recht auf Überprüfung der Barabfindung einräumen. Zu berücksichtigen sind auch die rechtskonstruktive Schwierigkeiten, die ein Anfechtungsausschlusses bei einem zu hohen Barabfindungsangebot aufwerfen würde. Im Unterschied zu dem Fall einer zu niedrigen 755 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, AG 2019, 665, 668; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Simons, in: Habersack/Wicke (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar UmwG, § 210 UmwG Rn. 16; Vetter, ZHR 168 (2004), 8, 36; 756 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, AG 2019, 665, 668. 757 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, AG 2019, 665, 668. 758 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, AG 2019, 665, 668.
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Barabfindung, bei der der Anspruch auf Abfindungsergänzung gerichtet ist, müsste der Anspruch gegen die ausscheidenden Gesellschafter auf Rückzahlung der zu hohen Barabfindung gerichtet werden.759 Anspruchsberechtigt wäre hier grundsätzlich die Gesellschaft, nicht der einzelne Gesellschafter. Ein solcher Anspruch würde das Vertrauen in den Bestand des Barabfindungsangebots zunichte machen.760 Schließlich ist zu konstatieren, dass die Gefahr einer Rechtsstreits aufgrund einer zu hohen Barabfindung als gering anzusehen ist. Das vertretungsberechtigte Organ, dass den grenzüberschreitenden Formwechsel vorbereitet, hat ein Interesse an einem möglichst geringen Liquiditätsabfluss durch Barabfindungszahlungen. Es wird angesichts dessen, dass die Kontrolle der Angemessenheit der Barabfindung durch den unabhängigen Sachverständigen nur einer Vertretbarkeitskontrolle zugänglich ist, versucht sein, die Barabfindung möglichst am unteren Ende der Vertretbarkeit anzusiedeln. Im Ergebnis ist es vorzugswürdig, die Gesellschafter für den eher theoretischen Fall eines zu hohen Barabfindungsangebots auf die Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses zu verweisen.761 Die Interessen der Gesellschafter können angemessen durch ein Recht, im Falle einer Überprüfung der Barabfindung im Spruchverfahren, diesem als Nebenintervenient beizutreten, geschützt werden.762 Hierdurch lässt sich verhindern, dass die Barabfindung nachträglich erhöht wird und die Gesellschafter aufgrund der bereits abgelaufenen Anfechtungsfrist rechtsschutzlos gestellt werden.
III. Austrittsrecht gegen Barabfindung (Art. 86i Abs. 1 GesR-RL) Als zentrales materielles Schutzinstrument für Minderheitsgesellschafter statuiert die Mobilitäts-RL ein auf Vermögensschutz gerichtetes Austrittsrecht gegen angemessene Barabfindung für die in der Gesellschafterversammlung opponierenden Gesellschafter. Dieses findet seine Rechtfertigung in der Erwägung, dass den Minderheitsgesellschaftern ein nicht gewollter Statutenwechsel nicht zugemutet werden kann.763 Ihnen wird die Wahl überlassen, die Veränderung ihrer Mitglied759 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, AG 2019, 665, 668. 760 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, AG 2019, 665, 668. 761 So auch zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, AG 2019, 665, 668. 762 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, AG 2019, 665, 668. 763 ErwG. 18 S. 1 – 2 Mobilitäts-RL; Teichmann, NZG 2019, 241, 244 f.; Wachter, GmbHStB 2018, 317, 332; Winner, ECFR 2019, 44, 68; Kindler, NZG 2018, 1, 6; Bang/Müller Cornelius/Klaper/Güngör/Federpiel, in: in: Alexandropoulou (Hrsg.), Modernisation of European Company Law, 31, 42; vgl. für die grenzüberschreitende Verschmelzung: BT-Drs. 16/ 2919, S. 16; Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei grenzüberschreitender
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schaft einschließlich etwaiger Einbußen hinzunehmen oder aus der Gesellschaft auszutreten und den Wert der Beteiligung zu liquidieren.764 Im Gegenzug müssen die Minderheitsgesellschafter die dargestellten Einschränkungen bei der Anfechtbarkeit des Wegzugsbeschlusses in Kauf nehmen. Angesichts der hieraus resultierenden praktischen Bedeutung des Barabfindungsrechts und seiner im europäischen Kontext bestehenden Innovativität stellt der Anspruch auf Barabfindung das Herzstück des Gesellschafterschutzes dar. Für die Gesellschaft geschieht der mit dem Anfechtungsausschluss verbundene Gewinn an Verfahrenseffizienz zum Preis eines potentiell nicht unerheblichen Liquiditätsabflusses.765 Für sie ist es daher von herausragender Bedeutung, möglichst frühzeitig und exakt über den zu erwartenden Liquiditätsabfluss informiert zu werden, um die mit dem grenzüberschreitenden Formwechsel verbundenen Anstrengungen abschätzen zu können.766 Gleichzeitig möchte die Gesellschaft keinen allzu hohen Liquiditätsabfluss erleiden, um handlungsfähig zu bleiben und um die Umstrukturierung überhaupt durchführen zu können.767 Bei einem zu hohen Liquiditätsabfluss bestünde die Gefahr, dass das für die Zielrechtsform erforderliche Mindestkapital nicht mehr aufgebracht werden kann und das Gelingen des grenzüberschreitenden Formwechsels infrage gestellt wäre, wenn nicht die Mehrheit Kapital nachschießt.768
Verschmelzung von Aktiengesellschaften, S. 93; Bayer/J. Schmidt, ZHR 178 (2014), 150, 153; Bungert/Becker, DB 2019, 1609, 1614; J. Schmidt, PE 556.960, S. 36; vgl. zur grenzüberschreitenden Spaltung: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 126; Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 51; vgl. zur grenzüberschreitenden SE-Sitzverlegung: Kalss, ZGR 2003, 593, 609; kritisch zu dem wohl diesem Umstand geschuldeten Beschränkung des anspruchsberechtigten Kreises auf die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen: J. Schmidt, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 841, 843 f.; zurückhaltend aber: M. Noack, ZGR 2020, 90, 96; a. A. aber: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 51; im Unterschied hierzu hatte der Kommissionsentwurf noch für sämtliche opponierenden Gesellschafter bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen ein Austrittsrecht vorgesehen. 764 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 234 f. 765 Aufgrund dessen insgesamt kritisch zum Austrittsrecht gegen Barabfindung, insbesondere bei börsennotierten Gesellschaften: Kiem, in: Habersack/Drinhausen (Hrsg.), SERecht, § 122i UmwG Rn. 3; ders., ZHR 180 (2016), 289, 315 f. 766 Bayer/J. Schmidt, ZHR 178 (2014), 150, 151; Luy, GmbHR 2019, 1105, 1106; vgl. Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 37; vgl. Fierbinteanu, in: Alexandropoulou (Hrsg.), Modernisation of European Company Law, 47, 50 f. sowie ErwG. 19 Mobilitäts-RL. 767 Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 338 f.; Winner, ECFR 2019, 44, 68. 768 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 385 f.; Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 37.
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Dogmatisch handelt es sich bei der Veräußerung der Anteile an die Gesellschaft gegen Barabfindung um den Erwerb eigener Anteile durch die Gesellschaft.769 Der Erwerb eigener Aktien zum Zwecke der Barabfindung bei umwandlungsrechtlichen Maßnahmen ist gem. § 71 Abs. 1 Nr. 3 AktG bzw. gem. § 33 Abs. 3 GmbHG zulässig. Er stellt im Gesellschaftsrecht einen begründungsbedürftigen Ausnahmefall vom Grundsatz der Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 57 S. 1 AktG, § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG) dar. 1. Voraussetzungen a) Anspruchsberechtigung aa) Grundsatz (Art. 86i Abs. 1 UAbs. 1 GesR-RL) Der Anspruch auf Barabfindung muss gem. Art. 86i Abs. 1 GesR-RL „mindestens“ den Gesellschaftern eingeräumt werden, die gegen die Zustimmung zu dem Formwechselplan gestimmt haben. Diese haben alles ihnen Mögliche gegen die bevorstehende Umwandlungsmaßnahme getan und müssen die nicht gewollte Änderung des Rechtskleids daher auch nicht in Kauf nehmen. Weitere obligatorische Anspruchsberechtigte sind nicht vorgesehen. Im Unterschied hierzu hatte der Kommissionsentwurf die Abfindungsberechtigung auch stimmrechtlosen Gesellschaftern zugestanden.770 Dem verabschiedeten Konzept liegt der Gedanke zugrunde, dass der durch die Barabfindungszahlungen verursachte Kapitalabfluss771 im Sinne der Effizienz des grenzüberschreitenden Formwechsels geringgehalten werden muss. Angesichts der erforderlichen Beschlussmehrheit von drei Vierteln der Stimmen droht infolge des grenzüberschreitenden Formwechsels ein Liquiditätsabfluss von bis zu 25 Prozent des Kapitals.772 Auch wenn sich für die Gesellschaft im Gegenzug die Möglichkeit eröffnet, diese eigenen Aktien wieder zu veräußern, kann dies den Vollzug der beschlossenen Strukturmaßnahme deutlich erschweren und sich daher mobilitätshemmend auswirken. Stattdessen operiert die Mobilitäts-RL mit Mitgliedstaatenoptionen, indem sie den Mitgliedstaaten Möglichkeiten gibt, den Kreis der anspruchsberechtigten Gesellschafter zu erweitern (Art. 86i Abs. 1 UAbs. 2 GesR-RL). Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, den Widerspruch zur Niederschrift einer negativen Stimmabgabe gleichzustellen (Art. 86i Abs. 1 UAbs. 3 S. 2 GesR-RL). Die Mobilitäts-RL lässt den Mitgliedstaaten damit einen weiten Spielraum, welche Gesellschafter von dem Recht auf Ausscheiden gegen Barab769 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86i Rn. 28; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Drinhausen/Keinath, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 207 UmwG Rn. 5; vgl. für die grenzüberschreitende Verschmelzung: Teichmann, ZGR 2003, 367, 377. 770 Art. 86j Abs. 1 lit. b GesR-RL. 771 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 88. 772 European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 210.
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findung Gebrauch machen können. Fraglich ist, ob Deutschland von diesen Mitgliedstaatenoptionen Gebrauch machen sollte. bb) Mitgliedstaatenoption: Erfordernis eines Widerspruchs zur Niederschrift anstelle einer dokumentierten Ablehnung (Art. 86i Abs. 1 UAbs. 3 S. 2 GesR-RL) Grundsätzlich ist eine negative Stimmabgabe gegen den Formwechselplan unerlässliche Voraussetzung für die Berechtigung zur Geltendmachung des Austrittsrechts gegen Barabfindung. Art. 86i Abs. 1 UAbs. 3 S. 2 GesR-RL gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, einen Widerspruch zur Niederschrift einer ordnungsgemäße Dokumentation einer negativen Stimmabgabe gleichzustellen. Diese erst im Gesetzgebungsverfahren eingefügte Vorschrift dürfte für den deutschen Transformationsgesetzgeber von besonderem Interesse sein, da bei innerdeutschen Formwechseln das Austrittsrecht nicht an eine negative Stimmabgabe, sondern an einen Widerspruch zur Niederschrift geknüpft wird.773 Dieser muss zwar nicht begründet werden, aber deutlich machen, dass der dissentierende Gesellschafter seine Mitgliedschaft im Rechtsträger nicht aufrechterhalten möchte.774 Der Widerspruch zur Niederschrift informiert die Gesellschaft zuverlässig über die bevorstehenden Austritte und die hieraus resultierenden Anstrengungen zur Durchführung der Umwandlung.775 Insofern ist zu erwägen, ob eine entsprechende Vorschrift auch für grenzüberschreitende Formwechsel in das UmwG implementiert werden sollte. (1) Reichweite der Mitgliedstaatenoption Klärungsbedürftig ist die Reichweite dieser Mitgliedstaatenoption. Fraglich ist, ob der Widerspruch zur Niederschrift als zusätzliche Voraussetzung des Barabfindungsrechts statuiert werden kann oder in einem Alternativverhältnis zu der negativen Stimmabgabe steht. Im deutschen Umwandlungsrecht ist diese Frage streitig. Die zutreffende Ansicht fordert über den Widerspruch zur Niederschrift hinaus keine negative Stimmabgabe.776 Dem wird zwar entgegen gehalten, dass die Gesell773
§ 207 Abs. 1 S. 1 UmwG. Vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Althoff/Narr, in: Böttcher/Habighorst/Schulte (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 207 UmwG Rn. 5; Hoger, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 207 UmwG Rn. 7; vgl. zur innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verschmelzung: Wälzholz, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 29 UmwG Rn. 30.2; a. A.: Simons, in: Habersack/Wicke (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar UmwG, § 207 UmwG Rn. 56. 775 M. Noack, ZGR 2020, 90, 111; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2439; ders., DK 2021, 48, 51; Wicke, DStR 2018, 2703, 2706 f. 776 Limmer, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 4 Rn. 246; Wansleben, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 34 Rn. 46; Hoger, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 207 UmwG Rn. 8; Meister/ Klöcker/Berger, in: Kallmeyer (Hrsg.), UmwG, § 207 UmwG Rn. 15; a. A.: Wälzholz, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 207 UmwG Rn. 11; Drinhausen/Keinath, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 207 UmwG Rn. 4; Bayer/J. Schmidt, ZHR 178 774
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schafter, die für die Strukturmaßnahme gestimmt haben, keines Schutzes bedürften777 und die Gesellschaft nur durch das zusätzliche Erfordernis einer Nein-Stimme vor der Gefahr einer immensen Zahl an Barabfindungsansprüchen bewahrt werden könne.778 Lässt man für die Anspruchsberechtigung einen Widerspruch zur Niederschrift genügen, kann jeder bei der Gesellschafterversammlung anwesende Anteilsinhaber Widerspruch zur Niederschrift einlegen, um zumindest die Möglichkeit des Ausscheidens gegen Barabfindung aufrechtzuerhalten.779 In diesem Fall ist theoretisch ein enormer Abfluss von Liquidität möglich. Dem ist zu entgegnen, dass durch die für das Austrittsrecht zwingende Opposition gegen den Wegzugsbeschluss ein Anreiz für Nein-Stimmen geschaffen wird und damit die Strukturmaßnahme im Gesamten scheitern kann.780 In dem Begehren nach einer Barabfindung trotz Zustimmung zum Formwechselbeschluss liegt auch kein unzulässiges venire contra factum proprium, da man auch für den Formwechsel sein kann, wenn man nur die angebotene Barabfindung für zu niedrig hält.781 In der Praxis scheint sich die Gefahr eines übermäßigen Liquiditätsabflusses nicht zu verwirklichen.782 Für die Mobilitäts-RL ergeben sich insbesondere aufgrund der Normgenese und Funktion der Mitgliedstaatenoption Abweichungen von dieser Diskussion. Winner lehnt ein Alternativverhältnis zwischen Nein-Stimme und Widerspruch zur Niederschrift ab und versteht die genannte Ermächtigung als Möglichkeit, zusätzlich zur negativen Stimmabgabe einen Widerspruch zur Niederschrift zu verlangen.783 In diesem Fall diente die Mitgliedstaatenoption aufgrund der höheren Hürden an die Anspruchsberechtigung allein den Gesellschaftsinteressen. Für dieses restriktive Verständnis kann der Wortlaut des Art. 86i Abs. 1 UAbs. 3 S. 2 GesR-RL784 in Stellung gebracht werden. Dieser kann dahingehend interpretiert werden, dass der Widerspruch zur Niederschrift lediglich eine besondere Form der Dokumentation des negativen Stimmverhaltens darstellt, nicht aber von der Pflicht zu einer Oppo(2014), 150, 152, 156 f.; Winter, in: Schmitt/Hörtnagl (Hrsg.), UmwG/UmwStG, § 207 UmwG Rn. 4. 777 So explizit für grenzüberschreitende Formwechsel: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 217; vgl. Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 04. 07. 2018, S. 37; Bundessteuerberaterkammer, Stellungnahme v. 21. 08. 2018, S. 4 unter Verweis auf den ansonsten ggf. existenzbedrohenden Liquiditätsabfluss. 778 Bayer/J. Schmidt, ZHR 178 (2014), 150, 156 f. 779 Aufgrund des dadurch befürchteten Liquiditätsabflusses für das Erfordernis einer NeinStimme bei grenzüberschreitenden Umwandlungen: Bundessteuerberaterkammer, Stellungnahme v. 21. 08. 2018, S. 4; Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 04. 07. 2018, S. 37 weist darauf hin, dass eine Ja-Stimme auch durch ein rechtsgeschäftliches Kaufangebot von Mitgesellschaftern für den Fall des Wirksamwerdens des Formwechsels motiviert sein kann. 780 European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 210. 781 Simons, in: Hölters (Hrsg.), AktG, § 3 SpruchG Rn. 9. 782 European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 210. 783 Winner, ECFR 2019, 44, 69 (insbes. Fn. 99). 784 „Die Mitgliedstaaten können zulassen, dass der Widerspruch (…) als ordnungsgemäße Dokumentation einer negativen Stimmabgabe gilt“.
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sition in der Gesellschafterversammlung entbindet. Auch das aus der deutschen Diskussion zentrale Argument der Geringhaltung des Kapitalabflusses785 kann hierfür fruchtbar gemacht werden. Diese Lesart steht in einem systematischen Widerspruch zu Art. 86i Abs. 1 UAbs. 3 S. 1 GesR-RL, der die Mitgliedstaaten ermächtigt, Dokumentationspflichten für die negative Stimmabgabe vorzusehen. Hierunter fällt auch ein Widerspruch zur Niederschrift, sodass Art. 86i Abs. 3 S. 2 GesR-RL aufgrund der ohnehin bereits bestehenden Ermächtigung zu zusätzlichen Informationspflichten nach obigem Verständnis entbehrlich wäre. Das Verständnis Winners steht darüber hinaus im Widerspruch zur gesamten Systematik der stakeholderschützenden Vorschriften der Mobilitäts-RL: Diese etabliert für die Stakeholder stets ein gewisses Schutzniveau und gibt den Mitgliedstaaten anschließend verschiedene Möglichkeiten zur Stärkung dieses Schutzes in Form von Mitgliedstaatenoptionen.786 Im vorliegenden Fall würden gegensätzlich dazu die Anforderungen an die Ausübung der Schutzvorschrift des Art. 86i Abs. 1 UAbs. 1 GesR-RL verschärft, da zusätzlich zu dem in Art. 86i Abs. 1 UAbs. 1 GesR-RL geforderten negativen Stimmverhaltens auch ein Widerspruch zur Niederschrift gefordert würde. Im Hinblick auf die Normgenese ist das Einfügen dieser Vorschrift als Reaktion auf die in Deutschland geäußerte Kritik787 an dem starren Erfordernis einer negativen Stimmabgabe ohne Rücksichtnahme auf die nationalen Besonderheiten zu verstehen.788 Die strikte Voraussetzung einer negativen Stimmabgabe würde diejenigen Mitgliedsstaaten vor nicht unerhebliche Herausforderungen stellen, in denen das individuelle Stimmverhalten der Mitglieder von der Gesellschaft nicht protokolliert werden muss.789 Die Gesellschaft müsste daher gegebenenfalls bisher unbekannte Vorkehrungen zur Protokollierung des individuellen Stimmverhaltens der Gesellschafter über den Formwechselbeschluss treffen. Insbesondere bei Publikumsgesellschaften wäre dies mit erheblichem Aufwand verbunden. Ohne eine Protokollierung des Stimmverhaltens – oder eine entsprechende Voraussetzung wie einen Widerspruch zur Niederschrift – bestünde unter Umständen die Gefahr, dass auch Gesellschafter, die für den Wegzug gestimmt haben, unter Berufung auf ein negatives Stimmverhalten aus der Gesellschaft ausscheiden wollen und dies möglicherweise 785
Müller, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 29 UmwG Rn. 14. Vgl. zum Gesellschafterschutz Art. 86i Abs.1 UAbs. 2 GesR-RL, nach dem der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert werden kann: Art. 86i Abs. 1 UAbs. 3 S. 1 GesR-RL steht diesem Verständnis nicht dagegen, da die Pflicht zur Dokumentation nicht den einzelnen Gesellschafter, sondern die Gesellschaft treffen würde. vgl. zum Gläubigerschutz Art. 86j Abs. 2 GesR-RL. 787 Wicke, DStR 2018, 2703, 2707; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 307 f.; Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 860. 788 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 479; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 580. 789 M. Noack, AG 2018, 781, 782; Wicke, DStR 2018, 2703, 2707; Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 51. 786
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erst nach der Gesellschafterversammlung kundtun.790 In der Konsequenz bestünde erhebliche Unsicherheit für die Gesellschaft über den bevorstehenden Liquiditätsabfluss. Dies steht im Widerspruch zu dem von der Mobilitäts-RL ausdrücklich anerkannten791 Interesse der Gesellschaft an einer frühzeitigen Klarheit über den bevorstehenden Liquiditätsabfluss. Der Rat konnte sich daher mit seiner Forderung nach einer negativen Stimmabgabe zusätzlich zu einem etwaigen Widerspruch zur Niederschrift nicht durchsetzen.792 Hiermit korrespondierend spricht die Bezugnahme auf einen Kompromissvorschlag des Rates, der in ErwG. 22 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gab, das Austrittsrecht für stimmrechtlose Gesellschafter alternativ und nicht kumulativ an eine anderweitige Opposition als eine negative Stimmabgabe zu knüpfen.793 Interpretiert man den Widerspruch zur Niederschrift als Äquivalent zur negativen Stimmabgabe, können die Mitgliedstaaten, die anstelle eines negativen Stimmverhaltens auf einen Widerspruch zur Niederschrift insistieren, das Fehlen von Dokumentationspflichten ohne Schwierigkeiten beibehalten. Die Norm intendiert keine Erweiterung oder Einschränkung des Barabfindungsrechts, sondern bezweckt allein die Rücksichtnahme auf nationale Spezifika beim Gesellschafterschutz. Im Ergebnis verlangt die Mitgliedstaatenoption nicht, dass bei einem Widerspruch zur Niederschrift kumulativ auch eine negative Stimmabgabe vorliegen muss.794 (2) Stellungnahme zur Mitgliedstaatenoption Für ein Gebrauchmachen von dieser Mitgliedstaatenoption spricht die hierdurch geschaffene Kohärenz zu den deutschen Regelungen795, was auch die Umsetzung deutlich vereinfachen würde. Hierfür kann zusätzlich vorgebracht werden, dass die Gesellschaft durch einen Widerspruch zur Niederschrift ein aussagekräftigeres Bild über den zu erwartenden Liquiditätsabfluss bekommt als bei einer Maßgeblichkeit
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Hoger, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 207 UmwG Rn. 8. ErwG. 18 S. 1 Mobilitäts-RL. 792 Art. 86j Abs. 1 des Ratsvorschlags, ST 5401/19, S. 32 („Member States may require that the explicit opposition to the draft terms of the cross-border conversion and/or the members’ intention to exercice their right to dispose of their shares shall be appropriately documented (…)). 793 Presidency compromise proposal, 15678/18, S. 9 („(…) they should have the right to dispose of their shares only if they voted against the approval of the draft terms or if they have otherwise expressed their opposition to the draft terms and their intention to exercise their exit right.); so auch: Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2439; a. A.: Winner, ECFR 2019, 44, 69 (Fn. 99). 794 So auch: M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 212 f.; M. Noack, ZGR 2020, 90, 97 f. (Fn. 40); wohl auch: Luy, NJW 2019, 1905, 1906; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1931; so auch hinsichtlich der Anspruchsberechtigung bei dem Anspruch auf Verbesserung des Umtauschverhältnisses bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack/ Habrich, AG 2019, 908, 909. 795 § 207 S. 1 UmwG. 791
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der Nein-Stimme.796 Zwar wird auch durch die Anzahl der ablehnenden Stimmen ein Eindruck über den zu erwartenden Liquiditätsabfluss geschaffen und zumindest eine Bezifferung des maximalen Liquiditätsabflusses ermöglicht. Es nimmt aber nicht zwingend jeder Gesellschafter, der gegen den Wegzugsbeschluss gestimmt hat, sein Austrittsrecht gegen Barabfindung wahr. Beispielsweise kann eine Nein-Stimme bei unklaren Mehrheitsverhältnissen auch dadurch motiviert sein, dass durch das angekündigte Stimmverhalten Druck auf die Mehrheit zu einem über dem Marktwert liegenden Kauf der Anteile ausgeübt werden soll.797 Muss ein Gesellschafter Widerspruch zur Niederschrift erklären, erscheint es angesichts der Pflicht zum aktiven Tätigwerden wahrscheinlicher, dass er sein Barabfindungsrecht auch tatsächlich wahrnehmen wird, sodass die Anzahl der Austritte und damit auch der voraussichtliche Liquiditätsabfluss besser kalkuliert werden kann. Ferner ist ein Widerspruch zur Niederschrift bereits in der Gesellschafterversammlung zu erklären,798 wohingegen ohne dieses Erfordernis bis zum Ablauf der Antragsfrist für die zusätzliche Barabfindung Unklarheit über den maximalen Liquiditätsabfluss bestünde. Die Gesellschaft würde bei Übernahme des tradierten Erfordernis eines Widerspruchs zur Niederschrift daher sehr frühzeitig über die mit der Strukturmaßnahme verbundenen Anstrengungen informiert. Gleichwohl ist eine exakte Bezifferung des bevorstehenden Liquiditätsabflusses erst nach Erhalt der Austrittserklärungen möglich und steht selbst dann unter dem Vorbehalt eines etwaigen Spruchverfahrens zur Kontrolle der angebotenen Barabfindung. Darüber hinaus müssen die Gesellschaften keine bislang unbekannten Anstrengungen zur Protokollierung des Stimmverhaltens der einzelnen Gesellschafter treffen. Deutschland sollte daher von der Mitgliedstaatenoption Gebrauch machen.799 cc) Abfindungsberechtigung von dissentierenden Gesellschaftern ohne Widerspruch zur Niederschrift? Fraglich ist zuletzt, ob bei Gebrauchmachen von dieser Mitgliedstaatenoption auch diejenigen Gesellschafter abfindungsberechtigt sind, die zwar gegen den 796
M. Noack, AG 2018, 780, 782; ders., ZGR 2020, 90, 98; Wicke, DStR 2018, 2703, 2707. Vgl. Klöhn, Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche, S. 32. 798 Wälzholz, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 207 UmwG Rn. 13; Hoger, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 207 UmwG Rn. 7; Wansleben, in: Lieder/Wilk/GhassemiTabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 34 Rn. 46: Kalss, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 207 UmwG Rn. 7. 799 So auch: M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 212 f.; M. Noack, AG 2018, 780, 782; ders., ZGR 2020, 90, 97 f.; vgl. Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2019, 857, 860; Wicke, DStR 2018, 2703, 2706 f.; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 307; wohl auch: Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2439 f.; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1931; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 127. 797
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Formwechselbeschluss gestimmt haben, einen Widerspruch zur Niederschrift aber versäumt haben. Hierfür spricht, dass Art. 86i Abs. 1 GesR-RL opponierende Gesellschafter als Mindestmaß für die Anspruchsberechtigten definiert. Diese Auslegung würde auch gesellschafterschützend wirken, indem sie alternativ eine NeinStimme oder einen Widerspruch zur Widerschrift für die Anspruchsberechtigung genügen lässt. Der Wortlaut der Vorschrift deutet darauf hin, dass der Widerspruch zur Niederschrift die negative Stimmabgabe ersetzt. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass dieses Verständnis mit den durch die Möglichkeit eines Widerspruch zur Niederschrift intendierten Zielen in Konflikt geraten kann. Wären auch diejenigen Gesellschafter, die lediglich gegen den Formwechselbeschluss gestimmt haben, abfindungsberechtigt, hätte die Gesellschaft durch die Widersprüche zur Niederschrift nach der Versammlung noch kein klares Bild über den zu erwartenden Liquiditätsabfluss, sondern müsste weiterhin mit Austritten von dissentierenden Gesellschaftern rechnen. Der mit dieser Mitgliedstaatenoption intendierte Gewinn an Rechtssicherheit wäre nur marginal. Zudem würde sich erneut die Frage stellen, wie ein konkretes Stimmverhalten ohne Protokollierung desselben nachgewiesen werden kann. Das legislative Ziel, den nationalen Besonderheiten Rechnungen zu tragen, wäre nicht erfüllt. Dieses Verständnis tangiert auch die Gesellschafterinteressen allenfalls peripher, da ein Widerspruch zur Niederschrift nur marginal höhere Anstrengungen als eine negative Stimmabgabe erfordert. Nach Sinn und Zweck des Art. 86i Abs. 1 UAbs. 3 S. 2 GesR-RL reicht eine negative Stimmabgabe ohne Widerspruch zur Niederschrift bei Gebrauchmachen von dieser Mitgliedstaatenoption nicht aus.800 Gegensätzlich hierzu begründet ein Widerspruch zur Niederschrift ohne Opposition gegen den Formwechselbeschluss eine Abfindungsberechtigung. dd) Mitgliedstaatenoption: Erweiterung der anspruchsberechtigten Gesellschafter (Art. 86i Abs. 1 UAbs. 2 GesR-RL) Art. 86i Abs. 1 UAbs. 2 GesR-RL eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den Kreis der barabfindungsberechtigten Gesellschafter zu erweitern. Bei der Frage, ob Deutschland hiervon Gebrauch machen sollte, ist vorab festzustellen, dass ein Erwerb eigener Anteile durch die Gesellschaft nicht grenzenlos möglich ist und im Spannungsverhältnis zu den Grundsätzen der Kapitalerhaltung steht.801 Der Kreis der Anspruchsberechtigten kann daher nicht beliebig ausgedehnt werden. Gleichzeitig ist zu bedenken, dass das Äquivalenzprinzip eine Schlechterstellung von grenzüberschreitenden Formwechsel gegenüber innerstaatlichen Formwechseln verbietet. 800
A. A. möglicherweise M. Noack, AG 2018, 780, 782, der für die alternative Möglichkeit einer negativen Stimmabgabe oder eines Widerspruchs zur Niederschrift plädiert, jedoch nicht eröffnet, ob er ersteres für unionsrechtlich geboten hält. 801 Jaeger, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften im MERCOSUR und im EU-Recht, S. 197 f.; Krenek, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen).
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Übertragen auf den anspruchsberechtigten Kreis der Anteilsinhaber bedeutet dies angesichts seiner mobilitätshemmenden Wirkung, dass er im grenzüberschreitenden Kontext nicht gegenüber den innerstaatlichen Formwechseln erweitert werden darf. Umgekehrt ist es aber möglich, den Kreis der Anspruchsteller im grenzüberschreitenden Kontext im Sinne der Förderung der Gesellschaftsmobilität enger zu fassen, solange dieser nicht hinter das durch die Mobilitäts-RL vermittelte Schutzniveau zurückfällt, da Europarecht eine Schlechterstellung von nationalen Sachverhalten nicht verbietet („Inländerdiskriminierung“).802 Da der Äquivalenzgrundsatz sich auf die Niederlassungsfreiheit und nicht auf den Stakeholderschutz bezieht ist insoweit eine Gleichbehandlung von Gesellschaftern bei innerstaatlichen- und grenzüberschreitenden Formwechseln nicht angezeigt.803 Der Kommissionsentwurf hatte vorgesehen, dass das Austrittsrecht sämtlichen Gesellschaftern zukommt, die nicht für den Formwechselbeschluss gestimmt haben und erfasste damit nach seinem Wortlaut auch stimmrechtslose Gesellschafter sowie Gesellschafter, die der Hauptversammlung ferngeblieben sind.804 Ob Deutschland die Mobilitäts-RL in diesem Sinne umsetzen sollte, ist fraglich. (1) Abwesende Gesellschafter Im deutschen Recht gilt das Austrittsrecht gegen Barabfindung gem. §§ 207 Abs. 2, 29 Abs. 2 UmwG auch für solche Gesellschafter, die zu Unrecht nicht zur Versammlung zugelassen wurden, wenn die Versammlung nicht ordnungsgemäß einberufen worden ist, oder wenn der Gegenstand der Beschlussfassung nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden ist. In diesem Fall ist das Fernbleiben durch das Verschulden des zuständigen Einberufungsorgans der Gesellschaft begründet, sodass die Interessen der ausscheidungswilligen Gesellschafter vorrangig erscheinen.805 Aus diesem Grund sollte Deutschland auch bei grenzüberschreitenden Formwechseln solchen Gesellschaftern, die unverschuldet an der Gesellschafterversammlung nicht teilgenommen haben, ein Austrittsrecht gegen Barabfindung einräumen. Gesellschafter, deren Fernbleiben durch eigenes Verschulden begründet ist, wird innerstaatlich kein Austrittsrecht gegen Barabfindung eingeräumt. In diesem Fall gibt der Gesellschafter sein fehlendes Interesse an der Frage der Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels kund. Würde man auch diesen Gesellschaf802 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 64 f.; Frenz, Handbuch Europarecht I, Rn. 285. 803 So aber für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 110. 804 Art. 86j Kom-E; hierzu: Teichmann, NZG 2019, 241, 245; Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 858; Wicke, DStR 2018, 2703, 2706 f.; M. Noack AG 2018, 780 f.; Bundessteuerberaterkammer, Stellungnahme v. 21. 08. 2018, S. 4 805 Vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Winter, in: Schmitt/Hörtnagl (Hrsg.), UmwG/ UmwStG, § 207 UmwG Rn. 5; Hoger, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 207 UmwG Rn. 10; Drinhausen/Keinath, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 207 UmwG Rn. 4.
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tern ein Austrittsrecht gegen Barabfindung einräumen, könnte die Gesellschaft den voraussichtlichen Liquiditätsabfluss kaum beziffern. Ein Austrittsrecht für nicht erschienene Gesellschafter stünde schließlich im Widerspruch zu Art. 86i Abs. 1 GesR-RL, der auf dem Gedanken beruht, dass der Gesellschafter zur Wahrung seines Austrittsrecht selbst aktiv werden muss. In der Gesamtschau überwiegen die Interessen der Gesellschaft und der Gläubiger an der Kapitalerhaltung und der frühzeitigen Information über den bevorstehenden Liquiditätsabfluss. Rechtskonstruktiv kann es bei dem formalen Kriterium des Widerspruchs zur Niederschrift bleiben, da dieses durch abwesende Gesellschafter nicht erfüllt werden kann. (2) Stimmrechtlose Gesellschafter Gem. § 12 Abs. 1 S. 1 AktG sind Aktie und Stimmrecht miteinander verknüpft. Dies gilt nicht bei stimmrechtslosen Anteilsinhabern, die für den Verlust des Stimmrechts in der Regel durch Sonderrechte entschädigt werden.806 Fraglich ist daher, ob die Einräumung eines Barabfindungsrechts für diese Gesellschafter wertungsgerecht erscheint. Hiergegen ließe sich einwenden, dass die fehlende Einflussmöglichkeit gerade dem Charakter stimmrechtsloser Anteile entspricht und die Anteilsinhaber hierfür regelmäßig finanziell entschädigt werden.807 Darüber hinaus würden für die Gesellschaft im Falle des Austritts stimmrechtloser Anteilsinhaber zusätzliche Belastungen entstehen. Im Extremfall könnten die Austritte, die durch das Beschlussquorum im Normalfall bestehende Höchstgrenze überschreiten. Stimmrechtlose Aktien bzw. Anteile stellen den Ausnahmefall dar.808 Insofern würde der Liquiditätsabfluss nicht über Gebühr erhöht werden. Für eine Anspruchsberechtigung spricht, dass sie durch den grenzüberschreitenden Formwechsel denselben Gefahren wie die stimmberechtigten Gesellschaftern ausgesetzt sind. Auch für ihre Anteile besteht die Gefahr einer Schmälerung der Rechtspositionen sowie die mit der ausländischen Rechtsordnung verbundenen Schwierigkeiten. Bei Sonderrechten tritt die Gefahr eines ersatzlosen Verlusts hinzu, für den Fall, dass der Zuzugsstaat entsprechende Rechte nicht kennt, hinzu. Deutschland sollte daher von dieser Mitgliedstaatenoption Gebrauch machen.809 Hierdurch wird die gebotene Kohärenz zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Formwechseln geschaffen.810 Die Einzelheiten richten sich sodann nach dem Recht 806
Ein Beispiel sind stimmrechtlose Vorzugsaktien (vgl. § 114 AktG). J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 579; dies. in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 841, 844. 808 Koch, in: Hüffer/Koch (Hrsg.), AktG, § 12 AktG Rn. 2; Vedder, in: Grigoleit (Hrsg.) AktG, § 12 AktG Rn. 2: Lange, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 12 AktG Rn. 5. 809 So auch: Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86i Rn. 15; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 579; vgl. Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 37; wohl auch: Krenek, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 810 J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 580. 807
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des Wegzugsstaats. Im deutschen Umwandlungsrecht wird ein Widerspruch zur Niederschrift bei stimmrechtslosen Gesellschaftern für entbehrlich erachtet.811 b) Anspruchsgegner Fraglich ist, gegen wen der Anspruch auf Barabfindung besteht. Der Kommissionsentwurf hatte den Mitgliedstaaten die Wahl gelassen, ob die Gesellschaft, die verbleibenden Gesellschafter oder – das Einvernehmen der Gesellschaft vorausgesetzt – Dritte Schuldner des Barabfindungsanspruchs und Erwerber der veräußerten Anteile sein sollen.812 In der verabschiedeten Fassung fehlt es an einer solchen Vorschrift. Ob diese Streichung den Mitgliedstaaten weiterhin die Wahl des Schuldners lässt,813 ist zweifelhaft und die dadurch bedingte Rechtsunsicherheit bedauerlich.814 Für den grenzüberschreitenden Formwechsel ist diese Frage von untergeordneter Bedeutung, da nur ein Rechtsträger hiervon tangiert wird und sich im Unterschied zur grenzüberschreitenden Verschmelzung und Spaltung mithin nicht die Frage stellt, ob die übertragende oder übernehmende Gesellschaft Anspruchsgegner ist und wie die Verpflichtung des übernehmenden Rechtsträgers konstruiert werden kann.815 Im Hinblick auf grenzüberschreitende Formwechsel geht die Mobilitäts-RL von einem Erwerb der Anteile durch die Gesellschaft aus, indem sie die Fristbeginn für die Austrittserklärung an den Tag der Gesellschafterversammlung knüpft (Art. 86j Abs. 2 S. 2 GesR-RL).816 Es wäre widersprüchlich, wenn die Gesellschaft die Barabfindung anbieten würde (Art. 86d lit. i GesR-RL), dann aber die Gesellschafter oder Dritte hierdurch verpflichtet würden.817 Damit ist die formwechselnde Gesellschaft Schuldnerin des Barabfindungsanspruchs. Gleichwohl können sich die verbleibenden Gesellschafter und die austrittswillige Gesellschafter privatautonom auf eine Veräußerung von Anteilen einigen.
811 Wälzholz, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 29 UmwG Rn. 30.1; Grunewald, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 29 UmwG Rn. 11; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 580 (Fn. 72). 812 Art. 86j Abs. 2 Kom-E. 813 So: Thomale, RdW 2020, 338, 340; so auch im Hinblick auf die identische Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 51. 814 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 99. 815 Zur Bedeutung dieser Frage für grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 99. 816 J. Schmidt, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 841, 844 f.; M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 213 geht dagegen davon aus, dass entweder die Gesellschaft oder deren Gesellschafter Schuldner sein können. 817 Vgl. zur grenzüberschreitenden Spaltung: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 127.
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2. Vollzug des Barabfindungsrechts a) Rechtsnatur des Barabfindungsanspruchs In der Mobilitäts-RL ist die Dogmatik des Austrittsrechts gegen Barabfindung nicht näher erläutert. Unbestritten, wenn auch nur vereinzelt erörtert, ist, dass das Austrittsrecht gegen Barabfindung durch Angebot und Annahme vollzogen wird und damit kraft Rechtsgeschäfts entsteht.818 Es erwächst nicht entsprechend einer gesetzlichen Anspruchsqualifikation bereits aus der Mitgliedschaft.819 Der Anspruch auf Barabfindung entsteht daher mit Annahme des im Formwechselplan von der Gesellschaft verpflichtend zu unterbreitenden Angebots. Bei Vollzug des Anspruch auf Barabfindung kommt ein Kaufvertrag über die Anteile des ausscheidenden Gesellschafters zustande.820 Dieser muss sodann durch die gesonderte Übertragung der Anteile vollzogen werden.821 Das vertragliche Verständnis des Barabfindungsanspruchs822 wird durch den Wortlaut des Art. 86j GesR-RL und die Normgenese gestützt. Art. 86i Abs. 4 S. 1 GesR-RL bezieht sich auf eine von der Gesellschaft „angebotenen“ Barabfindung. Der Kommissionsentwurf hatte zusätzlich noch von einer „Annahme“ des im Plans von der Gesellschaft unterbreiteten Angebots gesprochen.823 Ginge man von einer gesetzlichen Natur des Barabfindungsrechts aus, ist nicht erklärbar, wieso ErwG. 18 S. 4 Mobilitäts-RL explizit klarstellt, dass die nationalen Formvorschriften für den Verkauf von Anteilen unberührt bleiben. Mit einer rechtsgeschäftlichen Lösung werden im Gegensatz zu einem aus der Mitgliedschaft folgenden Barabfindungsrecht weniger Fragen aufgeworfen, da dieser unabhängig von der mitgliedstaatlichen Konzeption der Mitgliedschaft ist. b) Angebot Art. 86d lit. j GesR-RL schreibt vor, dass die Gesellschaft bereits im Plan die Einzelheiten zum Angebot einer Barabfindung enthalten muss. Diese Angabe wird zutreffend als für die Gesellschaft verpflichtendes und verbindliches Abfindungs-
818 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 481; M. Noack, ZGR 2020, 90, 99; so bereits zu dem insoweit unveränderten Kommissionsentwurf: ders., AG 2018, 780, 782. 819 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 481; M. Noack, ZGR 2020, 90, 99. 820 Vgl. zur entsprechenden Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 100. 821 Vgl. zu § 207 UmwG: Meister/Klöcker/Berger, in: Kallmeyer (Hrsg.), UmwG, § 207 UmwG Rn. 42. 822 Zur entsprechenden Diskussion bei §§ 29, 207 UmwG: Klöhn, Das System der aktienund umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche, S. 126 ff. 823 Art. 86j Abs. 3 S. 2 Kom-E.
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angebot an die abfindungsberechtigten Gesellschafter interpretiert,824 das möglicherweise bereits mit Offenlegung des Plans, jedenfalls aber in der Gesellschafterversammlung, in der die abfindungsberechtigten Gesellschafter anwesend sein müssen, zugeht.825 Es handelt sich mithin um ein einseitiges Rechtsgeschäft zugunsten Dritter. c) Austrittserklärung Gem. Art. 86i Abs. 2 S. 1 müssen die austrittswilligen Gesellschafter eine Austrittserklärung abgeben. Diese im Laufe des Legislativverfahrens neu eingefügte Vorschrift stellt den Umsetzungsgesetzgeber angesichts der nur bruchstückhaften Gesetzgebungsmaterialien hierzu vor Schwierigkeiten, zumal weder auf europäischer- noch auf nationaler Ebene ein legislatives Vorbild hierfür besteht. aa) Rechtsnatur der Austrittserklärung Fraglich ist, wie die dem deutschen und europäischen Recht bislang unbekannte Austrittserklärung dogmatisch einzuordnen ist. In Ermangelung einer Definition der Austrittserklärung ist deren Rechtsnatur durch unionsrechtlich autonome Auslegung unter besonderer Berücksichtigung der Erwägungsgründe zu ermitteln. Die Austrittserklärung kann als Annahme des Barabfindungsangebots oder als davon unabhängige, zusätzliche materielle Voraussetzung des Austrittsrechts aufgefasst werden. (1) Austrittserklärung als Annahme des Barabfindungsangebots? Zunächst ist zu erwägen, die Austrittserklärung als unbedingte oder durch das Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels aufschiebend bedingte Annahme des Barabfindungsangebots zu qualifizieren. Für das Verständnis der Austrittserklärung kommt der in Art. 86i Abs. 2 S. 2 GesR-RL enthaltenen Frist zur Abgabe der Austrittserklärung essentielle Bedeutung zu. Danach muss der Austritt aus der Gesellschaft spätestens einen Monat nach der Gesellschafterversammlung, in der der grenzüberschreitende Formwechsel beschlossen worden ist, erklärt werden.826 Zu dem in der Mobilitäts-RL vorgesehenen 824
M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 213; Luy, GmbHR 2019, 1105, 1106; Stelmaszczyk, ZIP 2020, 2437, 2440; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1931; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 579; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 101; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 128; dieses Ergebnis stimmt mit dem für grenzüberschreitende Verschmelzungen geltenden § 122i Abs. 1 S. 1 UmwG überein. 825 M. Noack, ZGR 2020, 90, 101. 826 Kritisch hierzu und eine Anlehnung an § 209 S. 1 UmwG, der die Frist an die Eintragung der neuen Rechtsform anknüpft, bevorzugend: Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2440.
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Zeitpunkt der Annahme des Barabfindungsangebots wird kaum eine Gesellschaft bereits im Zuzugsstaat eingetragen worden sein, da sich an die Gesellschafterversammlung die Rechtmäßigkeitsprüfungen im Wegzugs- und Zuzugsstaat anschließen. Würde schon die Austrittserklärung die Annahme des Barabfindungsangebots darstellen, bestünde die Gefahr, dass Gesellschafter den Austritt aus der Gesellschaft erklären, der grenzüberschreitende Formwechsel aber nicht wirksam wird, etwa weil die Erteilung der Vorabbescheinigung oder die Eintragung im Zuzugsstaat versagt werden.827 Zwar bedarf es nach Annahme des Angebots noch einer Übertragung der veräußerten Anteile.828 Es ist aber nicht auszuschließen, dass es vor Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels zu einer solchen kommt. In diesem Fall würden Gesellschafter, die ihren Austritt aus der Gesellschaft erklärt haben, gegen Barabfindung aus der Gesellschaft ausscheiden, obschon die dies rechtfertigenden Gründe – der Wechsel des Gesellschaftsstatuts sowie etwaige qualitative Rechtseinbußen in der Mitgliedschaft – nicht vorliegen und sie unter diesen Umständen möglicherweise ihre Mitgliedschaft aufrechterhalten möchten. Ohnehin erscheint die Frist zur Erklärung des Austritts von maximal einem Monat nach der Gesellschafterversammlung (Art. 86i Abs. 2 S. 2 GesR-RL) als zu kurz bemessen, um eine Entscheidung über die Annahme des Barabfindungsangebots anzunehmen.829 Umgekehrt würde es für die Gesellschaft zu einem nicht intendierten Liquiditätsabfluss kommen. Vor diesem Hintergrund erscheint diese Lösung weder für die Gesellschaft noch für die austrittswilligen Gesellschafter interessensgerecht. Der Gefahr eines Ausscheidens trotz Unwirksamkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels kann nur durch eine gesonderte, nach Wirksamkeit der Umwandlung erfolgenden Annahmeerklärung begegnet werden.830 Um ein Entstehen des Barabfindungsrechts trotz Unwirksamkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels zu verhindern, sollte nach dem Kommissionsentwurf das Angebot der Barabfindung unter der aufschiebenden Bedingung des Wirksamwerdens des grenzüberschreitenden Formwechsels stehen.831 Dies rechtfertigt die Erwägung, die Austrittserklärung als eine durch das Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels aufschiebend bedingte Annahme des Barabfindungsangebot auszulegen. Hiergegen erheben sich aber bedeutsame Einwände. Die Austrittserklärung bedarf gem. Art. 86i Abs. 2 S. 2 GesR-RL lediglich der elektronischen Form. Dies würde einen Konflikt mit nationalen Vorschriften über die 827
Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, AG 2018, 780, 782; ders., ZGR 2020, 90, 106. 828 Vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Wälzholz, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 209 UmwG Rn. 5.0; Spranger, Rechtsprobleme des Austritts beim Formwechsel, S. 47. 829 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 108. 830 So auch: Luy, GmbHR 2019, 1105, 1107; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2440; M. Noack, ZGR 2020, 90, 107. 831 Art. 86j Abs. 4 S. 1 Kom-E.
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Annahme eines Barabfindungsangebots provozieren. Die ErwG. 19 S. 3, 18 S. 4 Mobilitäts-RL stellen klar, dass die Austrittserklärung etwaige nach nationalem Recht festgelegte Formerfordernisse unberührt lässt und die nationalen Vorschriften für die Veräußerung und Übertragung von Anteilen unberührt bleiben. Im deutschen GmbH-Recht bedarf die Abtretung von Geschäftsanteilen sowie die vertragliche Verpflichtung hierzu der notariellen Beurkundung.832 Hierzu stünde die in der Mobilitäts-RL vorgesehene elektronische Form der Austrittserklärung in einem diametralen Widerspruch.833 Darüber hinaus erschiene es – zumindest nach deutschem Verständnis, nach dem der Barabfindungsanspruch unmittelbar mit Zugang der Annahme fällig wird –834 uneinsichtig, wieso der Austritt bereits vor Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels vollzogen werden soll, die Frist für die Zahlung der Barabfindung aber gem. Art. 86i Abs. 3 S. 2 GesR-RL bis zu zwei Monate nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels betragen darf. Berücksichtigung verdient im Zusammenhang mit der Frist auch die Funktion der Austrittserklärung in dem für die Überprüfung der Barabfindung vorgesehenen Verfahren. Gem. Art. 86i Abs. 4 S. 1 GesR-RL ist die Austrittserklärung Voraussetzung für die Antragsbefugnis in diesem Verfahren. Wäre die Austrittserklärung mit der Annahme des Barabfindungsangebots gleichzusetzen, wäre die Annahme der als unangemessen empfundenen Barabfindung notwendige Voraussetzung für die Überprüfung derselben. Der Gesellschafter würde sich mit der Überprüfung der Barabfindung gerade widersprüchlich zu der zuvor erklärten Annahme des Barabfindungsangebots verhalten, womit ein Ausnahmetatbestand vom grundsätzlichen Verbot des venire contra factum proprium statuiert würde.835 Im deutschen Recht ist die Antragsberechtigung im Spruchverfahren zur Überprüfung der Angemessenheit der angebotenen Barabfindung aus diesem Grund für diejenigen Gesellschafter, die dem Barabfindungsangebot vorbehaltlos zugestimmt haben, ausgeschlossen.836 Gegen eine Klassifikation der Austrittserklärung als bedingte oder unbedingte Annahme des Barabfindungsangebots streitet zuletzt auch der Telos der Austrittserklärung. ErwG. 19 S. 1 f. Mobilitäts-RL nennen die Ermöglichung der Abschätzung des zu erwartenden Liquiditätsabflusses infolge des grenzüberschreitenden 832
§ 15 Abs. 3, 4 GmbHG. Luy, GmbHR 2019, 1105, 1106; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 128; zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 52. 834 Winter, in: Schmitt/Hörtnagl (Hrsg.), UmwG/UmwStG, § 29 UmwG Rn. 18. 835 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 106 f.; ders. AG 2018, 780, 783. 836 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06. 12. 2000 – 19 W 1/00 AktE, ZIP 2001, 158, 159; Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand (Hrsg.), Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 3 SpruchG Rn. 12; Simons, in: Hölters (Hrsg.), AktG, § 3 SpruchG Rn. 9; Hörtnagl, in: Schmitt/ Hörtnagl (Hrsg.), UmwG/UmwStG, § 3 SpruchG Rn. 4. 833
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Formwechsels als maßgeblichen Zweck der Austrittserklärung.837 Die Maßgeblichkeit dieses Zwecks wird durch die Normgenese bestätigt. Die für das Ergänzen einer Austrittserklärung plädierenden Änderungsanträge wollten die Austrittserklärung als zusätzliche Voraussetzung des Barabfindungsrechts konzipieren.838 Die Austrittserklärung dient mithin dazu, der Gesellschaft die Möglichkeit zu geben, in Ansehung des voraussichtlichen Liquiditätsabflusses Vorkehrungen zum Gelingen des grenzüberschreitenden Formwechsels zu treffen. Sie entfaltet damit primär Schutzwirkung für die formwechselnde Gesellschaft. Zwar hat diese bereits durch die Anzahl der Nein-Stimmen bzw. – sofern von dieser Mitgliedstaatenoption Gebrauch gemacht wird – durch die erklärten Widersprüche zur Niederschrift einen Überblick über den drohenden Kapitalabfluss. Dieses Bild ist allerdings noch nicht aussagekräftig, da es lediglich den maximalen Kapitalabfluss darstellt. Die Gesellschaft hat ein legitimes Interesse daran, diese Höchstsumme an Kapitalabfluss zu konkretisieren, um etwaige Liquiditätsreserven aufbauen zu können. Erklären weniger Gesellschafter ihren Austritt als Widerspruch zur Niederschrift eingelegt haben, kann die Gesellschaft die Bildung nicht benötigter Rückstellungen vermeiden. Die Funktion der Austrittserklärung erschöpft sich daher in der Information der Gesellschaft über den bevorstehenden Abfluss an Liquidität. Im Ergebnis kann die Austrittserklärung daher weder als unbedingte, noch als ein durch das Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels aufschiebend bedingte Annahme des Barabfindungsangebots eingeordnet werden.839 (2) Austrittserklärung als materielle Voraussetzung des Barabfindungsrechts und für die Antragsberechtigung im Spruchverfahren (a) Rechtsdogmatische Einordnung der Austrittserklärung Klärungsbedürftig ist in Ansehung dessen, wie die Austrittserklärung rechtsdogmatisch einzuordnen ist. Luy hat vorgeschlagen, die Austrittserklärung als bloße, der Annahme vorgelagerte Willensmitteilung zu qualifizieren.840 Im Unterschied zu 837 So auch: Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86i Rn. 19. 838 Vgl. Änderungsantrag 470 des Parlaments, PE628.253v01 – 00, S. 60 sowie Änderungsantrag 474, S. 62 sowie Änderungsantrag 775, PE628.354v01 – 00, S. 110 sowie Änderungsantrag 140, PE625.524v03 – 00, S. 112 sowie Änderungsantrag 142, S. 113. „Unbeschadet der tatsächlichen Wahrnehmung des Austrittsrechts teilen die Gesellschafter ihre Absicht, von ihm Gebrauch zu machen, vor der Gesellschafterversammlung mit“, d. h. keine Bindungswirkung. 839 So auch: Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 482; Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86i Rn. 20; so auch zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 107; so auch zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 52; vgl. Luy, GmbHR 2019, 1105, 1106. 840 Luy, GmbHR 2020, 1105, 1109; dem zustimmend: Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 482; M. Schmidt, Grenzüberschreitender
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einer Willenserklärung ist eine bloße Willensmitteilung nicht unmittelbar auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen – vorliegend auf den Vollzug des Austrittsrechts – gerichtet.841 Gleichwohl ist eine Willensmitteilung geeignet, das Rechtsverhältnis, auf welches sie bezogen ist, zu verändern.842 M. Noack qualifiziert die Austrittserklärung in ähnlicher Weise als gesetzliche Wirksamkeitsvoraussetzung (Rechtsbedingung) für die gesonderte Annahme des Barabfindungsangebots.843 Mit anderen Worten würde es sich bei der Austrittserklärung um eine Art Obliegenheit der barabfindungsberechtigten Gesellschafter handeln, deren Nichtabgabe der Entstehung des Barabfindungsanspruchs entgegensteht. Auch dieser Sichtweise ist von der Erwägung getragen, dass die Austrittserklärung noch nicht unmittelbar zum Ausscheiden aus der Gesellschaft führt, sondern es zusätzlich der Annahme des Barabfindungsangebots bedarf. Im Ergebnis laufen die Ansichten auf dasselbe Ergebnis hinaus:844 Bei Nichtabgabe der Austrittserklärung scheidet ein Barabfindungsrecht aus, da es an der zwingenden Voraussetzung der Austrittserklärung fehlt.845 Nur so kann dem Zweck der Austrittserklärung, der Erleichterung der Abschätzung des voraussichtlichen Liquiditätsabflusses Rechnung getragen werden.846 (b) Bindungswirkung der Austrittserklärung Zweifelhaft ist, ob es den Gesellschaftern trotz Austrittserklärung freisteht, das Barabfindungsangebot nicht anzunehmen und damit die Mitgliedschaft aufrechtzuerhalten, oder ob sie sich an der Austrittserklärung festhalten lassen müssen. Gegen eine Bindungswirkung der Austrittserklärung spricht, dass in diesem Fall kein Bedürfnis mehr nach einer gesonderten Annahmeerklärung bestünde, da die Austrittserklärung einer solchen bereits im Ergebnis gleichkäme.847 Dies würde wie oben dargestellt einen Konflikt mit den nationalen Formvorschriften evozieren, den die Mobilitäts-RL ausweislich der Erwägungsgründe gerade zu vermeiden sucht.848 Im Übrigen gereicht es der Gesellschaft nicht zum Nachteil, wenn ex post weniger Gesellschafter ausscheiden als durch die Austrittserklärung angekündigt,849 solange Formwechsel, S. 214; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2440; ebenso zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 128. 841 Statt aller: Armbrüster, in: Schubert (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Vor § 116 BGB Rn. 16; Flume, Bürgerliches Recht II, S. 112. 842 Flume, Bürgerliches Recht II, S. 112. 843 M. Noack, ZGR 2020, 90, 108. 844 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 52. 845 Luy, GmbHR 2019, 1105, 1108; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 108. 846 Luy, GmbHR 2019, 1105, 1108. 847 Luy, GmbHR 2019, 1105, 1109. 848 Luy, GmbHR 2019, 1105, 1109. 849 Luy, GmbHR 2019, 1105, 1109.
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der befürchtete Liquiditätsabfluss nicht den grenzüberschreitenden Formwechsel zum Scheitern bringt. Lehnt man eine Bindungswirkung der Austrittserklärung ab, besteht die Gefahr, dass Gesellschafter „auf Vorrat“ den Austritt erklären, um ihre Möglichkeit zur Annahme der angebotenen Barabfindung zu wahren. In diesem Fall würde die Austrittserklärung ihren Zweck, namentlich die Konkretisierung des zu erwartenden Liquiditätsabflusses, nicht in ausreichendem Maße erfüllen. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass eine Austrittserklärung trotz Fehlens einer entsprechenden Absicht Sekundäranspruche der Gesellschaft gegen ihren Gesellschafter wegen Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht auslösen kann.850 Dies lässt die Gefahr von vorsorglich erklärten Austrittserklärungen weniger dramatisch erscheinen. Dies gilt, obwohl solche Ansprüche in der Praxis kaum durchsetzbar sein dürften. Es ist bereits fraglich, wo in diesem Fall ein Schaden der Gesellschaft entstanden ist. Da der Liquiditätsabfluss geringer als erwartet ausfällt, sinken die für den grenzüberschreitenden Formwechsel erforderlichen Anstrengungen. Denkbar ist, dass aufgrund der hohen Anzahl der erklärten Austritte der grenzüberschreitende Formwechsel insgesamt scheitert. In diesem Fall wird die Gesellschaft kaum Kenntnis darüber erlangen, ob der Gesellschafter tatsächlich trotz der Austrittserklärung überhaupt nicht aus der Gesellschaft ausscheiden wollte, da es aufgrund des Scheiterns der Umwandlung überhaupt nicht zur Annahme des Barabfindungsangebots kommt. Im Ergebnis ist damit eine Bindungswirkung der Austrittserklärung abzulehnen.851 bb) Verhältnis der Austrittserklärung zum Widerspruch zur Niederschrift Diese rechtsdogmatische Einordnung der Austrittserklärung veranlasst zur Untersuchung des Verhältnisses zu dem hier befürworteten Erfordernis eines Widerspruchs zur Niederschrift. Wie die Austrittserklärung dient der Widerspruch zur Niederschrift der Ermittlung des zu erwartenden Liquiditätsabflusses.852 Dies wirft die Frage auf, welchen Mehrwert die Austrittserklärung gegenüber dem zeitlich vorgelagerten Widerspruch zur Niederschrift für die Gesellschaft bietet und ob die Gesellschaft angesichts der identischen Schutzrichtung der beiden Institute nicht im eigenen Interesse auf die Austrittserklärung verzichten kann. Für einen solchen Verzicht besteht ein praktischer Anreiz, da die Einrichtung einer Adresse für den
850 Luy, GmbHR 2019, 1105, 1109, der aufgrund dessen nicht jedem Minderheitsgesellschafter die Abgabe einer Austrittserklärung rät. 851 Luy, GmbHR 2019, 1105, 1109; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 108. 852 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 111.
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elektronischen Eingang der Austrittserklärung und die Bearbeitung dieser Erklärungen mit einem Bürokratieaufwand verbunden ist.853 Gegen eine Verzichtsmöglichkeit für die Gesellschaft wird zurecht eingewandt, dass eine Austrittserklärung gem. Art. 86i Abs. 4 S. 1 GesR-RL Voraussetzung für die Beantragung einer zusätzlichen Barabfindung ist.854 Ein Verzicht würde daher voraussetzen, dass die Gesellschafter für diesen Fall im Hinblick auf die Antragsbefugnis im „Spruchverfahren“ von dem Erfordernis der Austrittserklärung befreit werden. Es ist aber zweifelhaft, ob der deutsche Transformationsgesetzgeber dieses Erfordernis ohne weiteres durch den Widerspruch zur Niederschrift ersetzen kann.855 Die Mitgliedstaatenoption zur Normierung eines Widerspruchs zur Niederschrift bezieht sich nur auf die Gleichstellung zu einer Nein-Stimme und hat mithin keine Auswirkungen auf die hiervon losgelöste Austrittserklärung.856 Auch die Zulässigkeit einer teleologische Reduktion der Notwendigkeit einer Austrittserklärung für die Antragsberechtigung im Spruchverfahren im Falle eines Verzichts durch die Gesellschaft ist zweifelhaft. Eine für Gesellschafter und Gesellschaft gleichermaßen befriedigende Lösung könnte möglicherweise durch eine Auslegung des Widerspruch zur Niederschrift als (konkludente) Austrittserklärung erreicht werden. In diesem Fall wäre die für die Anspruchsberechtigung im Spruchverfahren notwendige Austrittserklärung gegeben. Ein Konflikt mit Formvorschriften bestünde nicht, da die diesbezüglichen Anforderungen an die Austrittserklärung (elektronisch) hinter den Anforderung an die Form eines Widerspruchs zur Niederschrift (schriftlich) zurückbleiben. Jedoch würde sich in diesem Fall die zusätzliche Funktion der Austrittserklärung nicht verwirklichen, da es zu keiner Konkretisierung des maximalen Liquiditätsabflusses kommt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Frist zur Erklärung des Austritts länger als die Frist zur Einlegung des Widerspruchs zur Niederschrift läuft, welcher nur bis zur Schließung der Hauptversammlung erklärt werden kann.857 Aus diesem Grund ist diese Auslegung abzulehnen. Im Ergebnis müssen kumulativ Widerspruch zur Niederschrift und der Austritt aus der Gesellschaft erklärt werden.
853
Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 111. 854 M. Noack, ZGR 2020, 90, 110. 855 Verneinend zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 111. 856 Vgl. zur identischen Fristenregelung bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 111. 857 Schäfer, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, § 245 AktG Rn. 40; Koch, in: Hüffer/Koch (Hrsg.), AktG, § 245 AktG Rn. 14; Ehmann, in: Grigoleit (Hrsg.), AktG, § 245 AktG Rn. 11; Englisch, in: Hölters (Hrsg.), AktG, § 245 AktG Rn. 15.
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cc) Frist zur Erklärung des Austritts Die Mobilitäts-RL sieht vor, dass der Austritt spätestens einen Monat nach der Gesellschafterversammlung erklärt werden muss (Art. 86i Abs. 2 S. 2 GesR-RL). Klärungsbedürftig ist daher, inwiefern Deutschland von diesem Umsetzungsspielraum Gebrauch machen sollte. Es wird vertreten, dass eine Pflicht zur Erklärung des Austritts spätestens in der Gesellschafterversammlung zu kurz bemessen sei, um angesichts der vier bis sechs Wochen vor Gesellschafterversammlung erfolgenden Offenlegung von Plan, Bericht und Bericht des unabhängigen Sachverständen bis zum Fristablauf eine fundierte Entscheidung über die Ausübung des Austrittsrechts zu treffen.858 Gegenläufig hierzu verläuft das Interesse der Gesellschaft, frühzeitig Informationen über den bevorstehenden Kapitalabfluss zu erlangen. Dieses Interesse lässt sich nicht durch ein Fristenende mit Ablauf der Gesellschafterversammlung verwirklichen. Die fehlende Bindungswirkung der Austrittserklärung würde die Gefahr bergen, dass viele Gesellschafter eine Austrittserklärung abgeben, um sich die Option eines Austritts offenzuhalten. Der drohende Kapitalabfluss könnte aufgrund dessen deutlich zu hoch beziffert werden und den grenzüberschreitenden Formwechsel im Gesamten zum Scheitern bringen.859 Ein Gewinn an Verfahrenseffizienz steht der Kurzfristigkeit der Frist für die Gesellschafter nicht zwingend gegenüber. Im Ergebnis sollte daher die Höchstfrist von einem Monat ab dem Termin der Gesellschafterversammlung ausgeschöpft werden.860 d) Annahme des Barabfindungsangebots Zuletzt muss das im Plan enthaltene Barabfindungsangebot angenommen werde. Die GesR-RL regelt die Annahme des Barabfindungsrechts nicht explizit. Im Unterschied hierzu hatte der Kommissionsentwurf noch zwischen der Austrittserklärung und der Annahmeerklärung des im Plan enthaltenen Barabfindungsangebots differenziert.861 In Ermangelung von sekundärrechtlichen Vorgaben richtet sich die Annahme nach dem nationalen Recht des Wegzugsstaats. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Form und Frist der Annahmeerklärung. Die Umsetzung sollte in Bezug auf die Frist berücksichtigen, dass es ein Ausscheiden gegen Barabfindung trotz Unwirksamkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels zu verhindern gilt. Bei innerdeutschen Formwechseln wird dies durch die Anknüpfung des Fristbeginns an das Wirksamwerden des Formwechsels (§ 209 S. 1 UmwG) gewährleistet. Dies 858
Vgl. zur identischen Fristenregelung bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 110. 859 Vgl. zur identischen Fristenregelung bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 110 f.; im Ergebnis hält auch Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2347, 2240 die Frist für unangemessen kurz. 860 So auch zur identischen Fristenregelung bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 111. 861 Art. 86j Abs. 5 Kom-E enthielt die Annahme des im Plan enthaltenen Barabfindungsangebots.
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führt dazu, dass der Gesellschafter vorerst Mitglied in der neuen Rechtsform bleibt und erst aus der Zielrechtsform ausscheidet.862 Auch ohne explizite Regelung ist die Annahmefrist mittelbar durch die GesR-RL determiniert. Gem. Art. 86i Abs. 3 S. 2 GesR-RL darf die Frist zur Zahlung der Barabfindung höchstens zwei Monate nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels betragen. Da die Zahlung der Barabfindung der Annahme des Barabfindungsangebots nachgelagert ist, stellt diese Frist zugleich die Höchstfrist für die Annahme des genannten Angebots dar.863 Von dieser sollte Deutschland auch Gebrauch machen, um die formwechselnde Gesellschaft nicht über Gebühr durch einen zu schnellen Liquiditätsabfluss zu belasten.864 Für den Fristbeginn kann das Modell des § 209 S. 1 UmwG auf den grenzüberschreitenden Formwechsel übertragen werden.865 Angesichts der ansonsten bestehenden Gefahr eines den Interessen der Gesellschaft und der opponierenden Gesellschafter zuwiderlaufenden wirksamen Austritts trotz Unwirksamkeit der Umwandlung, sollte auch für grenzüberschreitende Formwechsel die Frist erst mit Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels zu laufen beginnen. Würde man bei der Umsetzung die zulässige Höchstfrist ausreizen, würde diesbezüglich annähernd Kohärenz zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Formwechseln hergestellt.866 Im Übrigen können die nationalen Regelungen übernommen werden, was insbesondere die Form und die Zulässigkeit einer partiellen Annahme durch die austrittswilligen Gesellschafter betrifft.867
862
Zur entsprechenden Dogmatik bei innerdeutschen Formwechseln: Simons, in: Habersack/Wicke (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar UmwG, § 207 UmwG Rn. 33; Hoger, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 207 UmwG Rn. 12; Meister/Klöcker/Berger, in: Kallmeyer (Hrsg.), UmwG, § 207 UmwG Rn. 43. 863 Vgl. zur identischen Regelung bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 111 f. 864 Vgl. zur identischen Regelung bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 111 f. 865 Vgl. zur identischen Regelung bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 112. 866 Der Unterschied bestünde darin, dass bei grenzüberschreitenden Formwechseln auf das Wirksamwerden der Umwandlung abgestellt würde, während § 209 S. 1 UmwG darüber hinaus für den Fristbeginn auch eine Bekanntmachung der Eintragung der neuen Rechtsform verlangt. Hintergrund ist die den Mitgliedstaaten in der Digitalisierungsrichtlinie eröffnete Möglichkeit, die Bekanntmachung abzuschaffen und für die Publizität allein die Eintragungen im Handelsregister für maßgeblich zu erklären. Angesichts des hier befürworteten Gebrauchmachens von dieser Mitgliedstaatenoption müsste § 209 S. 1 UmwG entsprechend angepasst werden. In diesem Fall wäre hinsichtlich der Annahme des Barabfindungsangebots ein vollständiger Gleichlauf zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Formwechseln hergestellt. 867 Hierzu im Hinblick auf die identische Regelung bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 113 ff.
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3. Prozessuale Durchsetzung (Art. 86h Abs. 5 GesR-RL) Für Streitigkeiten über die Höhe der angebotenen Barabfindung wird im deutschen Formwechselrecht gem. § 212 UmwG auf das Spruchverfahren verwiesen. Der neue Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Formwechsel enthält in Art. 86h Abs. 5 GesR-RL eine Regelung, die unverkennbare Ähnlichkeiten mit diesem Verfahren aufweist. Bei kompensatorischen Streitigkeiten können die Gesellschafter gem. Art. 86i Abs. 4 UAbs. 1 GesR-RL eine zusätzliche Barabfindung beantragen. In der Sache wird damit ein Abfindungsergänzungsanspruch statuiert.868 Die Gesellschaft wird damit angehalten, den Gesellschaftern von vornherein ein angemessenes Barabfindungsangebot zu unterbreiten, um dieses „Spruchverfahren“ zu vermeiden.869 In Ermangelung näherer Vorgaben obliegt die nähere Ausgestaltung des Verfahrens zur Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung dem nationalen Recht des Wegzugsstaats. Dies bereitet für Deutschland keine nennenswerten rechtskonstruktiven Schwierigkeiten, da die Mobilitäts-RL sich mit dem vorgegebenen rechtlichen Rahmen eng am deutschen Spruchverfahren orientiert. a) Verfahrensbeteiligte Hinsichtlich der Anspruchsberechtigung gibt die GesR-RL nur vor, dass diejenigen Gesellschafter, die ihren Austritt aus dem Rechtsträger erklärt haben und die angebotene Barabfindung für unangemessen erachten, antragsberechtigt sind (Art. 86i Abs. 4 S. 2 GesR-RL). Angesichts der hier befürworteten Anfechtungsmöglichkeit bei einem zu hohen Barabfindungsangebot kann dieses Verfahren nicht mit der Begründung einer zu hohen Barabfindung eingeleitet werden. Antragsgegner ist der formwechselnde Rechtsträger. b) Antragsfrist Die Mitgliedstaaten müssen gem. Art. 86i Abs. 4 S. 2 GesR-RL eine Frist für den Antrag auf eine zusätzliche Barabfindung festlegen und sind in der genauen Ausgestaltung dieser Frist frei. Die Frist beträgt bei innerstaatlichen Formwechseln drei Monate ab Eintragung des Formwechsels (§ 4 Abs. 1 Nr. 5 SpruchG). Für die Umsetzung der Richtlinie wird für einen Gleichlauf der Fristen plädiert.870 Ange868 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 485; ders., ZIP 2019, 2437, 2440; zur Unterscheidung zwischen Abfindungsansprüchen und Abfindungsergänzungsansprüchen: Wolf, Abfindungsrechte der Minderheitsaktionäre, S. 28 f. 869 Vgl. Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 385. 870 M. Noack, AG 2018, 780, 784 für die identische Regelung hinsichtlich grenzüberschreitender Verschmelzungen; ders., ZGR 2020, 90, 117; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 308 f.
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sichts des (annähernden) Gleichlaufs der Annahmefristen erscheint dies auch angemessen. c) Mitgliedstaatenoption: Erga-omes-Wirkung der Entscheidung über die Angemessenheit der Barabfindung (Art. 86i Abs. 4 UAbs. 2 GesR-RL) Art. 86i Abs. 4 UAbs. 2 GesR-RL gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeiten, eine erga-omnes-Wirkung der Entscheidung über die Angemessenheit der Barabfindung anzuordnen, wie sie aus dem im deutschen Recht bekannt ist (§ 13 S. 2 SpruchG). Im Falle eines Gebrauchmachens von dieser Mitgliedstaatenoption würde die Entscheidung über die Angemessenheit der Barabfindung für und gegen sämtliche Gesellschafter Wirkung entfalten und damit auch für diejenigen Gesellschafter in materielle Rechtskraft erwachsen, die nicht selbst die Überprüfung der Angemessenheit der angebotenen Barabfindung beantragt haben. Dies betrifft insbesondere die bereits gegen Barabfindung aus der Gesellschaft ausgeschiedenen Gesellschafter.871 Ohne das Gebrauchmachen von dieser Mitgliedstaatenoption müsste daher jeder Gesellschafter einzeln eine zusätzliche Barabfindung beantragen. Für die Erstreckung der Rechtskraft auf die nicht an dem Verfahren beteiligten Gesellschafter wird argumentiert, dass sie zu einer Gleichbehandlung sämtlicher barabfindungsberechtigten Gesellschafter führt.872 Auch die Gesellschaft profitiere, da sie sich im Sinne der Prozessökonomie nicht gegen eine Vielzahl von Einzelklagen wehren muss, sondern sich auf ein Verfahren konzentrieren kann.873 Damit entfallen zahlreiche Verhandlungen über eine etwaige Prozessbeendigung durch Vergleich. Schließlich wird hierdurch die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen im Spruchverfahren a-priori effektiv unterbunden.874 Eine erga-omnesWirkung der Entscheidung würde daher der Rechtssicherheit dienen. Gegen eine Umsetzung dieser Mitgliedstaatenoption wird vorgebracht, dass hierdurch in mobilitätshemmender Weise der Liquiditätsabfluss aus der Gesellschaft erhöht werde.875 Hierdurch würden sowohl die Interessen der Gesellschaft als auch
871 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, ZGR 2020, 90, 121. 872 J. Schmidt, DK 2018, 229, 238; M. Noack, ZGR 2020, 90, 121; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 54; vgl. M. Noack, AG 2018, 780, 784 f.; vgl. European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 214 f. 873 Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 860; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, AG 2018, 780, 785; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 53. 874 Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 860. 875 Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 860; Alexandropoulou, ERA Forum 22 (2021), 9, 15; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, AG 2018, 780, 785.
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die Belange der Gläubiger tangiert.876 Dieses Argument greift allerdigs nur unter der Prämisse, dass im Spruchverfahren eine Herabsetzung der Barabfindung (reformatio in peius) nicht möglich ist. Könnte die Barabfindung im Spruchverfahren herabgesetzt werden, wären die Gesellschaft und die Gesellschafter gleichermaßen der Gefahr einer Erhöhung bzw. einer Verringerung der angebotenen Barabfindung ausgesetzt. Es würde mithin „Waffengleichheit“877 zwischen der Gesellschaft und den Barabfindungsberechtigten geschaffen. Dies wirft die in der GesR-RL nicht angesprochene Frage nach der Zulässigkeit einer reformatio in peius auf. Im deutschen Recht ist das Verbot der reformatio in peius im Spruchverfahren allgemein anerkannt.878 Unstreitig scheidet eine solche auch im grenzüberschreitenden Kontext für diejenigen Gesellschafter aus, die keine zusätzliche Barabfindung beantragt haben, da sie in ihrem Vertrauen auf den unveränderten Bestand des Barabfindungsangebots zu schützen sind.879 Bezüglich den Gesellschaftern, ist zu konstatieren, dass sie insbesondere durch das im Falle einer nicht möglichen Herabsetzung des Spruchverfahrens bestehende geringe Risiko eines Spruchverfahrens880 zur Einleitung eines solchen motiviert werden könnten. Sie bekämen ein starkes Druckmittel in die Hand, um die Gesellschaft zu einer Zuzahlung im Wege eines Vergleichs (vgl. § 11 Abs. 2, 4 SpruchG) zu drängen. Spiegelverkehrt könnte ein Verbot der reformatio in peius die Gesellschaft dazu bewegen, ein (zu) niedriges Barabfindungsangebot zu unterbreiten, weil die angebotene Barabfindung sich im Nachhinein als zu hoch herausstellen kann, in diesem Fall keine Möglichkeit der Erstattung der Beiträge bestünde. Abseits der rechtspolitischen Diskussion um die Sinnhaftigkeit einer reformatio in peius ist zweifelhaft, ob eine solche überhaupt zulässig wäre. Der Wortlaut des Art. 86i Abs. 4 S. 1 GesR-RL sieht vor, dass die Gesellschafter eine „zusätzliche Barabfindung“ beantragen können. Hieraus wird geschlossen, dass die Richtlinie
876
Vgl. Winner, ECFR 2019, 44, 65. Teichmann, ZGR 2003, 367, 386. 878 Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand (Hrsg.), Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 11 SpruchG Rn. 2; Wälzholz, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 11 SpruchG Rn. 3.2; Kubis, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, § 11 SpruchG Rn. 6; Dreier, in: Dreier/Fritzsche/Verfürth (Hrsg.), SpruchG, § 11 SpruchG Rn. 11; Koch, in: Hüffer/Koch (Hrsg.), AktG, § 11 SpruchG Rn. 2; Simons, in: Hölters (Hrsg.), AktG, § 11 SpruchG Rn. 4; M. Noack, Spruchverfahren nach dem SpruchG, S. 37. 879 M. Noack, ZGR 2020, 90, 122. 880 Dieses besteht hauptsächlich in den beim Unterliegen im Spruchverfahren anfallenden Verfahrenskosten. Die Kosten richten sich gem. § 15 Abs. 1, 2 SpruchG nach dem Billigkeitsprinzip. Dies führt zu einem geringen Kostenrisiko. Hierzu: M. Noack, Spruchverfahren nach dem SpruchG, S. 38; zu der hierdurch mitbegründeten praktischen Bedeutung des Spruchverfahrens: Wälzholz, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, Anhang 13, Vorbemerkungen zu §§ 1 ff. SpruchG Rn. 17 ff. 877
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eine reformatio in peius ausschließt.881 Für dieses Verständnis spricht insbesondere der im Vergleich mit dem Kommissionsentwurf deutlich restriktivere Wortlaut. Dieser sah anstelle einer „zusätzlichen Barabfindung“ eine „Neuberechnung“ derselben vor.882 Der Schutz der verbleibenden Gesellschafter, deren Interesse durch ein überhöhtes Barabfindungsangebot berührt werden, wird bereits durch die Möglichkeit der Anfechtung des die überhöhte Abfindung beschließenden Hauptversammlungsbeschlusses gewährleistet.883 Die tradierten Grundsätze zum Verbot der reformatio in peius sollten für den Barabfindungsanspruch bei grenzüberschreitenden Formwechseln beibehalten werden. Für die Diskussion um eine etwaige Anordnung einer erga-omnes-Wirkung der Entscheidung über die Angemessenheit der Barabfindung bedeutet dies, dass eine erga-omnes-Wirkung in der Tat zu einem erhöhten Liquiditätsabfluss führen kann. Diesem Gegenargument sind die damit verbunden Gewinne an Effizienz und Rechtssicherheit entgegenzuhalten. Aus diesen Gründen sollte Deutschland eine erga-omnes-Wirkung der Entscheidung anordnen.884 d) Anwendbares Recht und Gerichtsstand (Art. 86i Abs. 5 GesR-RL) aa) Grundsatz Um unterschiedliche Entscheidungen, insbesondere zur Angemessenheit der Barabfindung, zu vermeiden, ist es unerlässlich, eine einzige Rechtsordnung und Gerichtsbarkeit zur Anwendung zu berufen.885 Art. 86i Abs. 5 GesR-RL regelt, dass der Schutz der Gesellschafter allein dem Wegzugsstaat obliegt und dessen Gerichte zur Beilegung von Streitigkeiten hinsichtlich des Gesellschafterschutzes ausschließlich zuständig sind. Dies überzeugt, da die Streitigkeit aus dem Binnenverhältnis der Gesellschaft im Wegzugsstaat und ihren Gesellschaftern resultiert und
881 M. Noack, ZGR 2020, 90, 122; J. Schmidt, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 841, 846; Brehm/Schümmer, NZG 2020, 538, 541. 882 Art. 86j Abs. 5 Kom-E; kritisch hierzu: M. Noack, AG 2018, 780, 784; Luy, NJW 2019, 1905, 1907. 883 Wälzholz, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 11 SpruchG Rn. 3.2. 884 So auch: Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86i Rn. 33 f.; M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 215; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1932; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 581; dies., in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 841, 846; Habersack, ZHR 182 (2018), 495, 499 vgl. Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 860; so auch zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 54; zurückhaltend aber im Hinblick auf die erga-omnes Wirkung im Hinblick auf die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Benz/Hübner/Zimmermann, ZIP 2018, 2254, 2258. 885 Vgl. zur grenzüberschreitenden Verschmelzung: Winner, ECFR 2019, 44, 67; in diese Richtung auch: M. Noack, AG 2018, 780, 784.
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damit gesellschaftsrechtlicher Natur ist.886 Der ausschließliche Gerichtsstand im Wegzugsstaat verhindert, dass der Minderheitsgesellschafter seine Rechte vor einem ausländischen Gericht geltend machen muss, schafft Rechtssicherheit887 und führt zu einem begrüßenswerten Gleichlauf von forum und ius.888 Er entspricht auch den kollisionsrechtlichen Wertungen der Vereinigungstheorie, die dem Wegzugsstaat den Stakeholder-Schutz überantwortet. bb) Verhältnis zu Art. 24 Nr. 2 EuGVVO Zweifelhaft ist das Verhältnis zwischen Art. 86i Abs. 5 GesR-RL und dem in Art. 24 Nr. 2 EuGVVO enthaltenen ausschließlichen Gerichtsstand im Sitzstaat für Verfahren, die die Gültigkeit von Gesellschaftsbeschlüssen zum Gegenstand haben. Diesbezüglich ist auf erster Stufe klärungsbedürftig, ob Art. 86i Abs. 5 GesR-RL und Art. 24 Nr. 2 EuGVVO für die Ansprüche auf Barabfindung und für die Beantragung einer zusätzlichen Barabfindung bei grenzüberschreitenden Formwechseln überhaupt auseinanderfallen. Während es gem. Art. 86i Abs. 5 GesR-RL stets auf die Gerichte des Wegzugsstaats ankommt, ist nach Art. 24 Nr. 2 EuGVVO der Sitz der Gesellschaft maßgeblich. Für die Bestimmung des Sitzes ist gem. Art. 24 Nr. 2 S. 2 EuGVVO das jeweilige Internationale Privatrecht entscheidend. Angesichts der kollisionsrechtlichen Implikationen der Niederlassungsfreiheit889 ist innerhalb ihres Anwendungsbereichs die Gründungstheorie anzuwenden.890 Mithin richtet sich der Sitz der Gesellschaft nach ihrem Statut. Mit Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels wandelt sich daher auch der Gerichtsstand des Art. 24 Nr. 2 EuGVVO. Offen ist aber, ob Art. 24 Nr. 2 EuGVVO Anwendung auf Barabfindungsansprüche findet. Dies setzt eine Einordnung des Streits um die Barabfindung als „Verfahren, welche die Gültigkeit der Beschlüsse der Gesellschaftsorgane zum 886 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 489; ders., notar 2021, 147, 152; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1932; J. Schmidt, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 841, 847; vgl. zur grenzüberschreitenden Verschmelzung: J. Schmidt, DK 2018, 229, 238; Benz/ Hübner/Zimmermann, ZIP 2018, 2254, 2257; M. Noack, ZGR 2020, 90, 118 f.; ders./Habrich, AG 2019, 908, 912 f.; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 54. 887 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86i Rn. 35. 888 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 489; ders., ZIP 2019, 2437, 2441; J. Schmidt, DK 2018, 229, 238; dies., ECFR 2019, 222, 257; dies., ZEuP 2020, 565, 581; dies., in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 841, 846; Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 293; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1932; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 309. 889 Hierzu unter: Kap. 2, A, V, 1, b (S. 50 ff.). 890 Gottwald, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 30; Stadler, in: Musielak/Voit (Hrsg.), ZPO, Art. 24 EuGVVO Rn. 7; Vossler, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Beck-Online-Kommentar ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 24.
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Gegenstand haben“ voraus. In der Rechtssache E.ON Czech Holding891, in dem der Sitz der Gesellschaft (Tschechien) und die Ansässigkeit der Mehrheitsaktionäre (Deutschland) auseinandergefallen waren, judizierte der EuGH, dass Art. 24 Nr. 2 EuGVVO auch für eine Anfechtung einer Barabfindung infolge eines squeeze-outs anwendbar ist.892 Die vom EuGH entwickelten Grundsätze können allerdings nicht unbesehen auf das Austrittsrecht gegen Barabfindung übertragen werden. Da das Angebot der Barabfindung erst nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels angenommen werden kann und der Anspruch auf Zahlung der Barabfindung erst hiermit entsteht, könnte argumentiert werden, dass die Gerichte des Zuzugsstaats zur Entscheidung berufen sind, da der Sitz der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Anspruchsentstehung dort belegen ist.893 Insoweit könnte die Zuständigkeit des Wegzugsstaats auch nicht mit dem Grundsatz der perpetuatio fori begründen werden. Im Ergebnis würden forum und ius894 auseinanderfallen. Die Annahme einer Gerichtszuständigkeit des Zuzugsstaats überzeugt unter Berücksichtigung der Zwecks ausschließlicher Gerichtsstände nicht.895 Entscheidend hierfür ist die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für Art. 24 Nr. 2 EuGVVO, die nur unter Zugrundelegung des Telos von Art. 24 EuGVVO beantwortet werden kann. Ziel der in dieser Vorschrift enthaltenen ausschließlichen Gerichtsstände ist die Zuständigkeitsbegründung an dem forum desjenigen Mitgliedstaats, der aufgrund seiner sachlichen und rechtlichen Nähe am besten in der Lage ist, über die Streitigkeit zu entscheiden.896 Diese sachliche und rechtliche Nähe ist für den Barabfindungsanspruch bei grenzüberschreitenden Formwechseln (nur) im Wegzugsstaat gegeben, da dieser sich nach dem dortigen nationalen, wenn auch europarechtlich determinierten, Recht richtet. Ausschlaggebend ist aber, dass die Streitigkeit um die An-
891
EuGH, Urt. v. 07. 03. 2018, E.ON Czech Holding, C-560/16, ECLI:EU:C:2018:167. EuGH, Urt. v. 07. 03. 2018, E.ON Czech Holding, C-560/16, ECLI:EU:C:2018:167, Rn. 45; ausführlich zum Anwendungsbereich des Art. 24 Nr. 2 EuGVVO beim verschmelzungsrechtlichen squeeze-out: Mansel, in: Benicke/Huber (Hrsg.), Festschrift für Helmut Kronke, 341 ff. 893 In diese Richtung geht wohl: J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1107. 894 Unstreitig das des Zuzugsstaats, Art. 86i Abs. 5 GesR-RL. 895 So auch: J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 581; ebenfalls für eine Begründung der Zuständigkeit des Wegzugsstaats über Art. 24 Nr. 2 EuGVVO im Hinblick auf den Barabfindungsanspruch bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Benz/Hübner/Zimmermann, ZIP 2018, 2254, 2257; M. Noack, ZGR 2020, 90, 119; so auch für grenzüberschreitende Spaltungen: Stelmaszczyk, ZIP 2021, 48, 52. 896 EuGH, Urt. v. 07. 03. 2018, E.ON Czech Holding, C-560/16, ECLI:EU:C:2018:167, Rn. 30; Dörner, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, Art. 24 EuGVVO Rn. 1; Stadler, in: Musielak/Voit (Hrsg.), ZPO, Art. 24 EuGVVO Rn. 1; Gottwald, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 1; Vossler, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Beck-Online-Kommentar ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 1. 892
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gemessenheit der Barabfindung ihren Ursprung in dem Wegzugsbeschluss findet.897 Dieser wird bei Erfolg im Spruchverfahren im Hinblick auf die Höhe der Barabfindung modifiziert. Wird die Anfechtung der Barabfindung als funktionales Substitut der Beschlussanfechtung verstanden,898 und stellt damit die Festsetzung der angemessenen Barabfindung einen actus contrarius zu einer teilweisen Beschlussaufhebung dar,899 muss auf den Zeitpunkt des Beschlusses und nicht auf den Zeitpunkt des Entstehens der Barabfindung rekurriert werden. Dieses Ergebnis führt den von Art. 24 Nr. 2 EuGVVO intendierten900 Gleichlauf von forum und ius herbei und entspricht den Wertungen der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie. In Bezug auf grenzüberschreitende Formwechsel kommen Art. 24 Nr. 2 EuGVVO und Art. 86i Abs. 5 GesR-RL daher zu deckungsgleichen Ergebnissen. Dafür, dass das forum des Wegzugsstaats ausdrücklich durch Art. 86i Abs. 5 GesR-RL zur Anwendung berufen wird, dürften zwei Gründe ausschlaggebend sein: Dies betrifft zum einen die Normgenese. Bereits im Kommissionsentwurf vom April 2018 war der Gerichtsstand des Wegzugsstaats normiert. Offensichtlich wurde Art. 24 Nr. 2 EuGVVO für nicht anwendbar erachtet und anschließend versäumt, noch das im März ergangene Urteil in der Rechtssache E.ON Czech Holding901 einzuarbeiten. Zweitens lässt sich die Vorschrift mit der Regelungssystematik der Mobilitäts-RL erklären, die für grenzüberschreitende Formwechsel, Verschmelzungen und Spaltungen stets mutatis mutandis dieselben Vorschriften normiert. Im Hinblick auf grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen kommt es auf die Vorschrift an, da hier Art. 24 Nr. 2 EuGVVO angesichts der Beteiligung von mindestens zwei Gesellschaften nicht ohne weiteres ein einziger Sitzstaat ermittelt werden kann.902
IV. Stellung der Sonderrechtsinhaber In der Mobilitäts-RL sind weder individuelle Zustimmungsrechte für beeinträchtigte Sonderrechtsinhaber noch Instrumente zur Aufrechterhaltung ihrer besonderen Rechtspositionen enthalten. Hiermit korrespondierend ist ein Anfechtungsausschluss bei quantitativen oder (besonderen) qualitativen Mitgliedschafts897
EuGH, Urt. v. 07. 03. 2018, E.ON Czech Holding, C-560/16, ECLI:EU:C:2018:167, Rn. 35. 898 Mankowski, in: Rauscher (Hrsg.), Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 158; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 22 Rn. 149; M. Noack, ZGR 2020, 90, 119. 899 M. Noack, ZGR 2020, 90, 119. 900 Gottwald, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 23; Vossler, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Beck-Online-Kommentar ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 1. 901 EuGH, Urt. v. 07. 03. 2018, E.ON Czech Holding, C-560/16, ECLI:EU:C:2018:167. 902 M. Noack, ZGR 2020, 90, 119.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
einbußen (vgl. § 195 Abs. 2 UmwG für innerstaatliche Formwechsel) nicht explizit vorgesehen. Dies verwundert nicht, wenn man sich vor Augen führt, dass entsprechende Regelungen bislang weder für die SE-Sitzverlegung noch für grenzüberschreitende Verschmelzungen bestehen. Trotz des Identitätsdogmas bei grenzüberschreitenden Formwechsel ist die Bedeutung des Sonderrechtsschutzes nicht zu unterschätzen. Aus dem deutschen Umwandlungsrecht sind drei verschiedene Formen des Sonderrechtsschutzes bekannt. Erstens bestehen individuelle Zustimmungsrechte der beeinträchtigten Sonderrechtsinhaber.903 Stimmrechtlose Sonderrechtsinhaber werden zweitens durch einen Anspruch auf gleichwertige Rechte im Zielrechtsträger geschützt (§§ 204, 23 UmwG). Drittens können Einbußen in der Mitgliedschaft, die über die allgemeine, aus der Änderung der Verbandsform resultierende Modifikation der Mitgliedschaft hinausgehen, im Wege einer baren Zuzahlung liquidiert werden (§ 196 S. 1 Alt. 2 UmwG). Diese Vorschriften bilden mit § 195 Abs. 2 UmwG, der eine Klage gegen den Formwechselbeschluss mit der Begründung einer zu niedrig bemessenen Umtauschverhältnisses oder einen nicht ausreichenden Gegenwerts der Anteile oder der Mitgliedschaft ausschließt und damit die Notwendigkeit für die materiellen Schutzinstrumente begründet, ein geschlossenes System. Es handelt sich um die konsequente Fortführung des Gedankens, im Sinne der Gesellschaft eine Registersperre zu verhindern und als Kompensation für die Gesellschafter eine wirtschaftliche Kompensation für den erlittenen Rechtsverlust sicherzustellen.904 1. Ausgangspunkt Angesichts des Fehlens eines sekundärrechtlichen Sonderrechtsregimes, fragt sich, ob das deutsche Reglement zum Sonderrechtsschutz auf grenzüberschreitende Formwechsel übertragen werden kann. Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Gewissheit, dass auch bei grenzüberschreitenden Formwechseln besondere Mitgliedschaftsrechte wegfallen können905 und dieser Umstand ohne Vorschriften zur Abmilderung dieser Rechtsfolge den Bestand des Formwechselbeschlusses infrage stellen kann. Die Frage nach einer Angleichung der Rechtsstellung von Sonderrechtsinhabern bei grenzüberschreitenden Formwechseln zu ihrer Rechtsstellung bei innerstaatlichen Formwechseln lokalisiert damit den Zielkonflikt zwischen dem
903 Besondere Zustimmungserfordernisse bestehen bei Vinkulierungsklauseln (§ 193 Abs. 2 UmwG); bei zukünftiger persönlicher Haftung (§§ 217 Abs. 3, 233 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 UmwG) sowie bei einem nicht verhältniswahrendem Formwechsel (§§ 241 Abs. 1, Abs. 2 i. V. m. 50 Abs. 2 UmwG; § 242 UmwG). 904 Hoger, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 196 UmwG Rn. 1; Meister/Klöcker/Berger, in: Kallmeyer (Hrsg.), UmwG, § 196 UmwG Rn. 1; Drinhausen/Keinath, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 196 UmwG Rn. 1. 905 Hierzu unter: Kap. 2, C, I, 2, a (S. 76 f.).
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Schutz der Sonderrechtsinhaber und dem Interesse an Rechtssicherheit und möglichst ungehinderte Ermöglichung grenzüberschreitender Formwechsel.906 a) Bedürfnis nach Sonderrechtsschutz Die Abstinenz von individuellen Zustimmungsrechte für die beeinträchtigten Sonderrechtsinhaber führt vor dem Hintergrund, dass auch den §§ 204, 23 UmwG, § 196 UmwG entsprechende, auf einen Vermögensschutz abzielende Schutzvorschriften für beeinträchtige Sonderrechtsinhaber sekundärrechtlich nicht vorgesehen sind, zu Friktionen. Unter diesem Regime könnte es infolge eines grenzüberschreitenden Formwechsels zu einem kompensationslosen Verlust von besonderen Mitgliedschaftsrechten kommen, ohne dass die Sonderrechtsinhaber sich hiergegen effektiv zur Wehr setzen können. Sie stünden vor der Entscheidung, entweder gegen eine ihrem Anteil entsprechende Barabfindung auszuscheiden, ihre Mitgliedschaft aufrechtzuerhalten und die damit verbundenen individuellen (nicht nur: allgemeinen) Einbußen in ihrer Mitgliedschaft ohne Entschädigung hinzunehmen oder den Wegzugsbeschluss anzufechten.907 Für Mitglieder, die den grenzüberschreitenden Formwechsel zwar befürworten, hierdurch aber Einbußen an ihren besonderen mitgliedschaftlichen Rechtspositionen in Kauf nehmen müssten, bestünde kein passgenaues, auf Erhalt ihres Bestandsinteresse gerichtetes, Schutzinstrument. Diese Ungleichbehandlung zu nationalen Formwechseln ist unstimmig, da die Gefährdungslage innerstaatlich wie grenzüberschreitend besteht. Ein kompensationsloser Verlust von Sonderrechten würde in Konflikt mit der Verfassung geraten, da Sonderrechte dem Schutz der Eigentumsfreiheit unterfallen.908 Auch für die Gesellschaft wäre diese Rechtslage unbefriedigend. Da kein expliziter Anfechtungsausschluss in der Mobilitäts-RL verankert worden ist, könnten beeinträchtigte Sonderrechtsinhaber den Wegzugsbeschluss nach allgemeinem Gesellschaftsrecht den Wegzugsbeschluss anfechten.909 Eine Anfechtbarkeit läuft den Interessen der Gesellschaft diametral zuwider. Sie konfligiert mit dem hinsichtlich der Höhe der Barabfindung ausdrücklich in der Mobilitäts-RL anerkannten Konzept, dass der Formwechselbeschluss so weit wie möglich von Anfechtungsgründen freigestellt werden muss. Zugleich bestünde ein erheblich gestiegenes Interesse an einem Austritt gegen Barabfindung, da nur hierdurch der volle Wert der Mitgliedschaft durch die beein906
Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, S. 118 konstatiert insoweit zutreffend: „Minderheitenschutz ist keine Einbahnstraße“. 907 Vgl. Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 234 für den Fall der Gesellschafterminderheit. 908 Deutscher Notarverein, Stellungnahme vom 04. 07. 2018, S. 36; vgl. auch Krenek, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 909 Kritisch wegen der im grenzüberschreitenden Kontext erleichterten Anfechtbarkeit des Formwechselbeschlusses im Hinblick auf den Äquivalenzgrundsatz: Paefgen, WM 2018, 1029, 1039. Dieser Einwand verfängt jedoch nicht, da der Äquivalenzgrundsatz sich an die Mitgliedstaaten und nicht an den Sekundärrechtsgeber richtet.
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trächtigten Sonderrechtsinhaber liquidiert werden könnte. Dies bedingte die Gefahr eines höheren Liquiditätsabflusses. Es ist wertungsgerecht, den Gesellschaftern analog zur Rechtslage bei innerstaatlichen Formwechseln eine vierte Entscheidungsmöglichkeit einzuräumen, namentlich die Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft unter Gewährung eines Ausgleichs für die verlustig gegangenen Sonderrechte.910 b) Anfechtungsausschluss in der Mobilitäts-RL In Ansehung dieses Ausgangsbefunds ist fraglich, ob der Mobilitäts-RL nicht implizit ein Anfechtungsausschluss für diese Konstellationen entnommen werden kann. In einem nächsten Schritt wäre bejahendenfalls zu erörtern, auf welche Weise die Sonderrechtsinhaber als Substitut für die fehlende Anfechtungsmöglichkeit einen zusätzlichen materiellen Schutz erhalten können. Diese Instrumente sind notwendigerweise miteinander verknüpft. Ohne einen materiellen Schutz der Sonderrechtsinhaber ist ein Anfechtungsausschluss nicht umsetzbar, da diesen die letzte Möglichkeit, sich gegen Eingriffe in ihre durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen zu wehren, genommen würde. aa) Systematischer Vergleich zum Anfechtungsausschluss bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen Für grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen hatte der Kommissionsentwurf einen Anfechtungsausschluss für den Fall, dass der Gesamtwert der einem Gesellschafter zugeteilten Anteile nicht dem Wert der Anteile entspricht, die der jeweilige Gesellschafter an der Gesellschaft, die die Verschmelzung bzw. Spaltung vornimmt, hält, vorgesehen.911 In den Gesetzgebungsmaterialien finden sich keine Hinweise darauf, aus welchen Gründen dieser Anfechtungsausschluss keinen Niederschlag in der endgültigen Richtlinienfassung gefunden hat. Möglicherweise ist die Streichung versehentlich vorgenommen worden.912 In der GesR-RL findet sich ein Anfechtungsausschluss bei einem unangemessenem Umtauschverhältnis in Fällen der grenzüberschreitenden Verschmelzung (Art. 126 Abs. 4 lit. a GesR-RL) und grenzüberschreitenden Spaltungen (Art. 160h Abs. 5 lit. a GesR-RL). Hieraus kann nicht im Umkehrschluss abgeleitet werden, dass für grenzüberschreitende Formwechsel ein solcher Anfechtungsausschluss nicht besteht. Übertragen auf grenzüberschreitende Formwechsel beschreibt der Anfechtungsausschluss bei unangemessenem Umtauschverhältnis den Fall einer quantitativen Mitgliedschaftseinbuße. Dass eine entsprechende Vorschrift für grenzüberschreitende Formwechsel fehlt, hängt wohl mit der geringeren praktischen Relevanz dieser 910 911 912
A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 221. Art. 126 Abs. 4 lit. c, 160k Abs. 5 lit. c Kom-E. M. Noack, AG 2019, 665, 670.
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Thematik zusammen. Angesichts der auf der Rechtsträgeridentität fußenden Kontinuität der Mitgliedschaft kommt es in aller Regel nicht zu quantitativen Einbußen in der Mitgliedschaft, sondern wenn überhaupt zu qualitativen Einbußen.913 bb) Auslegung nach Sinn und Zweck Das Instrument der Beschlussanfechtung ist für beeinträchtigte Sonderrechtsinhaber nicht passgenau, da ihr Rechtsschutzbegehren nicht auf Aufhebung des Beschlusses, sondern auf Kompensation ihrer individuellen Rechtseinbußen gerichtet ist. Der Sinn und Zweck des Anfechtungsausschlusses greift auch in dieser Situation: Wie bei dem explizit vorgesehenen Anfechtungsausschluss wegen der Höhe der Barabfindung geht es um die Rechtsfolgen von Eingriffen in die Mitgliedschaft. Es entspricht dem Konzept der Mobilitäts-RL, dass wirtschaftlich sinnvolle Umstrukturierungen nicht durch den Streit, ob die Mitgliedschaft im Rechtsträger neuer Rechtsform gleichwertig ist, infrage gestellt werden sollen. Konsequenterweise muss auch die Anfechtung des Formwechselbeschlusses unter Berufung auf einen qualitativ nicht verhältniswahrenden grenzüberschreitenden Formwechsel, ausscheiden. Folgerichtig wird im Wege einer teleologischen Extension davon ausgegangen, dass der Anfechtungsausschluss für grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen sich auch auf die nicht gleichwertige Ausgestaltung der Mitgliedschaft bezieht.914 Methodisch lässt sich dies durch eine analoge Anwendung der entsprechenden verschmelzungs- bzw. spaltungsrechtlichen Vorschrift bewerkstelligen. cc) Zwischenergebnis Die Mobilitäts-RL enthält für den Fall, dass die Mitgliedschaft in der Zielrechtsform kein ausreichender Gegenwert für die gegenwärtige Beteiligung ist, einen Anfechtungsausschluss. Als Substitut für die hierdurch genommene Möglichkeit des Angriffs des Formwechselbeschlusses bedarf es allein schon aus verfassungsrechtlichen Gründen eines materiellen Schutzes für die Sonderrechtsinhaber. Dieser obliegt in Ermangelung sekundärrechtlicher Vorgaben den Mitgliedstaaten. 2. Übertragbarkeit des deutschen Sonderrechtsregimes auf grenzüberschreitende Formwechsel Es liegt nahe, dies betreffend zunächst auf die entsprechenden nationalen Vorschriften zu rekurrieren und diese auf ihre Übertragbarkeit auf grenzüberschreitende Formwechsel zu begutachten. Dies betreffend ist zwischen einem Schutz durch 913
Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht Band 6, § 54 Rn. 10 f.; Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 234. 914 M. Noack, AG 2019, 665, 670.
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individuelle Zustimmungsrechte und einem Schutz durch einen Anspruch auf gleichwertige Rechte in der Zielrechtsform oder als ultima ratio auf eine bare Zuzahlung zu unterscheiden. a) Keine Normierung von individuellen Zustimmungsrechten Wie dargestellt915 können die Mitgliedstaaten die Zustimmung von Gesellschaftern, deren wirtschaftliche Verpflichtungen durch den grenzüberschreitenden Formwechsel zunehmen, für konstitutiv erklären, nicht aber für Sonderrechtsinhaber, deren Sonderrechte durch den grenzüberschreitenden Formwechsel beeinträchtigt werden.916 Im deutschen Formwechselrecht wird aus § 35 BGB ein verallgemeinerungsfähiger Rechtssatz, nach dem Sonderrechte nicht ohne Zustimmung des Betroffenen beeinträchtigt werden dürfen, abgeleitet. In der Konsequenz bedürfe der Formwechselbeschluss stets einer Billigung sämtlicher durch den Formwechsel beeinträchtigen und stimmberechtigten Sonderrechtsinhaber917.918 Dieser individuellen Zustimmungsvorbehalt entfällt, wenn der Rechtsträger den Sonderrechtsinhabern gleichwertige Sonderrechte im Rechtsträger neuer Rechtsform anbietet.919 b) Übertragbarkeit für innerstaatliche Formwechsel geltenden individuellen Zustimmungsrechten auf den grenzüberschreitenden Formwechsel Ungeklärt ist, ob Deutschland die innerstaatlichen Zustimmungsvorbehalte auf grenzüberschreitende Formwechsel übertragen kann, oder ob dieser Weg im Umkehrschluss zu Art. 86h Abs. 4 GesR-RL versperrt ist.920 Gegensätzlich zu einer Interpretation als eng auszulegende Ausnahmevorschrift könnte man argumentieren, dass der Unionsgesetzgeber die Thematik des Sonderrechtsschutzes schlicht übersehen hat.921 Hierfür spricht entscheidend die wirtschaftliche Vergleichbarkeit zur 915
Hierzu unter: Kap. 4, C, I, 2 (S. 148). Kritisch hierzu: Deutscher Notarverein, Stellungnahme vom 04. 07. 2018, S. 36; Brandi, BB 2018, 2626, 2631; Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 70; wohl auch: Heckschen, GWR 2020, 87, 92. 917 Der Eingriff in allgemeine mitgliedschaftliche Rechtspositionen ist nicht zustimmungsbedürftig, da ansonsten der Formwechselbeschluss einstimmig gefasst werden müsste, Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 223. 918 Arnold, in: Semler/Stengel (Hrsg.), UmwG, § 240 UmwG Rn. 30; Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 222; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 214; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 308; Pfeifer, Schutzmechanismen bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften, Rn. 368. 919 Pfeifer, Schutzmechanismen bei der Umwandlung von Kapitalgesellschaften, Rn. 368. 920 Diesen Umkehrschluss zieht: J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 573. 921 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 441. 916
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Mitgliedstaatenoption des Art. 86h Abs. 4 GesR-RL.922 Vieles deutet darauf hin, dass der Europäische Gesetzgeber den Sonderrechtsschutz bzw. die Möglichkeit qualitativer Mitgliedschaftseinbußen bei grenzüberschreitenden Formwechseln aufgrund der Kontinuität der Mitgliedschaft übersehen hat. Infolgedessen kann nicht durch einen Umkehrschluss zu Art. 86h Abs. 4 GesR-RL auf eine Unzulässigkeit entsprechender individueller Zustimmungsrechte geschlossen werden. c) Vorschlag: Individuelle Zustimmungsrechte für Sonderrechtsinhaber Auch für grenzüberschreitende Formwechsel sind die tradierten umwandlungsrechtlichen Zustimmungsvorbehalten eine angemessene Reaktion auf den Anfechtungsausschluss zugunsten der Gesellschaft.923 Trotz der grundsätzlichen Annahme einer vollharmonisierenden Charakters der in der Mobilitäts-RL Schutzvorschriften924 stehen einer Übernahme des aus dem deutschen Umwandlungsrecht bekannten Sonderrechtsschutzes keine durchschlagenden unionsrechtlichen Bedenken entgegen. Wie dargelegt925 beschränkt sich die Annahme einer abschließender Wirkung des sekundärrechtlichen Gesellschafterschutzes auf die Bereiche, in denen spezielle Vorkehrungen getroffen sind. Ist ein Regelungsbereich – wie vorliegend –unbewusst ausgespart worden oder bewusst den Mitgliedstaaten überlassen worden, ist die Normierung eines weitergehenden Schutzes möglich. Dieser muss sich an den engen Grenzen des niederlassungsrechtlichen Beschränkungsverbots und des Äquivalenzgrundsatzes messen lassen. Diese stehen einer Übernahme des innerstaatlichen Zustimmungsmodells nicht entgegen. Individuelle Zustimmungsrechte würde den Gesellschafterschutz über das in der Mobilitäts-RL etablierte Maß verstärken, aber die Beschlussfassung erschweren und die Formwechselfreiheit beeinträchtigen. Gleichzeitig droht bei einem nationalen Sonderrechtsschutz eine Zersplitterung der Rechtslage in den Mitgliedstaaten; das Ziel der Schaffung von Rechtssicherheit wäre partiell verfehlt. Dieser Umstand darf allerdings nicht zulasten der schutzwürdigen Sonderrechtsinhaber angeführt werden. Die in der erschwerten Beschlussfassung liegende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit kann mit dem zwingenden Allgemeinwohlinteresse des Gesellschafterschutzes gerechtfertigt werden. Die kom922 Für den umgekehrten Fall der Normierung eines Zustimmungsrechts für Gesellschafter, deren wirtschaftlichen Verpflichtungen zunehmen, nicht aber für Sonderrechtsinhaber: Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 70. 923 Für ein Zustimmungserfordernis bzgl. der bis zur Umsetzung der Mobilitäts-RL geltenden Rechtslage: Limmer/Knaier, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 6 Rn. 290; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 214; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 364; Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, S. 153, 212; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 306 ff.; Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2061; Hushahn, RNotZ 2014, 137, 145; Priester, ZGR 1999, 36, 43. 924 Hierzu unter: Kap. 4, A, II (S. 136 ff.). 925 Hierzu unter: Kap. 4, A, II (S. 139 f.).
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pensationslose Hinnahme von Rechtspositionen ließe sich nicht mit den Schutzanliegen und dem Konzept der Mobilitäts-RL vereinbaren. Im Hinblick auf privatautonome Vereinbarungen wie z. B. Vinkulierungsabreden ist die Niederlassungsfreiheit bereits nicht anwendbar.926 Das Ausmaß der individuellen Zustimmungsrechte wird durch den Äquivalenzgrundsatz determiniert, das sicherstellt, dass die Anforderungen an den Beschluss für einen grenzüberschreitenden Formwechsel nicht höher sind als für das innerstaatliche Pendant. 3. Vermögensschutz Entscheiden sich die Sonderrechtsinhaber für einen Verbleib im Rechtsträger, ist ihr Interesse auf Kompensation der nicht aufrechtzuerhaltenden Sonderrechte gerichtet. Die Zustimmung zum Formwechselbeschluss konzediert nicht den Verlust oder die Modifikation von Sonderrechten.927 Die Mobilitäts-RL hält für Sonderrechtsinhabern weder einen Anspruch auf Einräumung gleichwertiger Rechte (vgl. §§ 204, 23 UmwG) noch einen Anspruch auf Verbesserung des Beteiligungsverhältnisses (vgl. § 196 UmwG) bereit. Dass die Mobilitäts-RL auch den Schutz der bestehenden Sonderrechtsinhaber bei grenzüberschreitenden Formwechseln im Blick hat, ist in Art. 86d lit. e GesR-RL verbrieft, nach dem im Plan anzugeben ist, welche Rechte die Gesellschaft den Sonderrechtsinhabern zukünftig gewährt. a) Rechtslage in Deutschland §§ 204, 23 UmwG geben stimmrechtlosen Sonderrechtsinhabern (z. B. stimmrechtlose Vorzugsaktionäre)928 einen Anspruch auf Einräumung gleichwertiger Rechte im Rechtsträger neuer Rechtsform. Ist die Einräumung eines solchen Rechts aufgrund der Verbandsverfassung der Zielrechtsform nicht möglich, so sind nachrangig vergleichbare und wirtschaftlich gleichwertige Rechte zu gewähren.929 Subsidiär ist im äußersten Fall eine angemessene Barabfindung anzubieten.930 Diese Vorschrift wird durch § 196 UmwG flankiert, der einen Anspruch auf bare Zuzahlung für qualitative Einbußen in der Mitgliedschaft einräumt. Erforderlich ist eine individuelle Beeinträchtigung der Anteilsinhaber, während eine gleichmäßige Beeinträchtigung der Anteile als typischer Ausfluss der Modifikation der Verbandsform 926
Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 309. 927 Bärwaldt, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 196 UmwG Rn. 8; Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 232; so im Ergebnis auch: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 221. 928 Kalss, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 204 UmwG Rn. 4. 929 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 233; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 219. 930 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 233; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 219 f.
C. Schutz der Gesellschafter
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kompensationslos hinzunehmen ist.931 Ein Votum gegen den Formwechselbeschluss ist nicht notwendig, da die Legitimationswirkung der Zustimmung sich nicht auf die individualvertraglichen Abreden, sondern nur auf die Änderung der Verbandsverfassung bezieht.932 Diese Vorschrift betrifft damit vornehmlich Sonderrechtsinhaber, die vor einem kompensationslosen Verlust ihrer Sonderrechte geschützt werden sollen. Die Vorschrift steht somit in einem Alternativverhältnis (elektive Konkurrenz) zum Austrittsrecht gegen angemessene Barabfindung.933 b) Übertragbarkeit auf grenzüberschreitende Formwechsel und unionsrechtliche Zulässigkeit Für eine Übertragung von § 196 UmwG auf grenzüberschreitende Formwechsel spricht, dass auch bei diesen die Gefahr eines Verlusts von Sonderrechten oder einer nicht äquivalenten Abbildung der ursprünglichen Anteile im Zielrechtsträge besteht.934 Zusätzlich müssen Anteilsinhaber ohne Stimmrecht durch einen Anspruch auf Einräumung gleichwertiger Rechte, §§ 204, 23 UmwG, geschützt werden. Angesichts der potentiellen Unterschiede von Ausgangs- und Zielstatut dürfte dies zu größeren Schwierigkeiten als bei innerstaatlichen Formwechseln führen.935 Der Anwendung dieser Vorschriften auf grenzüberschreitende Formwechsel stehen keine europarechtlichen Bedenken entgegen. Zwar würden zusätzliche Ansprüche der Gesellschafter gegen die Gesellschafter begründet mit der Folge einer (potentiellen) Erhöhung des Liquiditätsabflusses. Durch die Reziprozität dieser Ansprüche mit dem Anfechtungsausschluss wird aber mittelbar die Gesellschaftsmobilität gefördert und der Zielkonflikt zwischen Gesellschaft und Sonderrechtsinhabern adäquat aufgelöst. 4. Zwischenergebnis Die Mobilitäts-RL spart den Bereich des Sonderrechtsschutzes aus. Trotz der Annahme einer Vollharmonisierung erheben sich gegen eine Übertragung des aus 931 Althoff/Narr, in: Böttcher/Habighorst/Schulte (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 196 UmwG Rn. 7; Winter, in: Schmitt/Hörtnagl (Hrsg.), UmwG/UmwStG, § 196 UmwG Rn. 1; Bärwaldt, in: Semler/Stengel (Hrsg.), UmwG, § 196 UmwG Rn. 11; Petersen, in: Dauner-Lieb/ Beckmann (Hrsg.), Kölner Kommentar zum UmwG, § 196 UmwG Rn. 8; Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 234. 932 Petersen, in: Dauner-Lieb/Beckmann (Hrsg.), Kölner Kommentar zum UmwG, § 196 UmwG Rn. 4; Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 227 f., 236. 933 Althoff/Narr, in: Böttcher/Habighorst/Schulte (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 196 UmwG Rn. 3; Meister/Klöcker/Berger, in: Kallmeyer (Hrsg.), UmwG, § 196 UmwG Rn. 5. 934 Hierzu unter: Kap. 2, C, I, 2, a (S. 76 f.). 935 Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 54 Rn. 17.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
dem innerstaatlichen Umwandlungsrecht bekannten Sonderrechtsschutzes keine unionsrechtlichen Bedenken, da der dargestellte Harmonisierungsgrad der Begegnung von konkreten, sekundärrechtlich nicht adressierten Schutzanliegen, nicht entgegensteht. Die Anwendung eines Anfechtungsausschlusses auf der einen Seite sowie von individuellen Zustimmungsrechten und einem Anspruch auf Einräumung gleichwertiger Rechte bzw. einer baren Zuzahlung auf der anderen Seite, bringen die Interessen der Gesellschaft und der Sonderrechtsinhaber in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander.
V. Bewertung Durch die materiellen Schutzinstrumente werden die Interessen der Gesellschafter effektiv abgesichert. Dies geschieht zum einen durch hohe Anforderungen an die Mehrheit für den Wegzugsbeschluss sowie zum anderen durch das Austrittsrecht gegen Barabfindung. Die in der Mobilitäts-RL enthaltenen beträchtlichen Umsetzungsspielräume erlauben es dem Umsetzungsgesetzgeber, letzteres entsprechend den tradierten Grundsätzen für den Anspruch auf Barabfindung bei innerstaatlichen Formwechseln auszugestalten. Dies gilt sowohl für den Kreis der Anspruchsberechtigten als auch für die Voraussetzung eines Widerspruchs zur Niederschrift. Die rechtskonstruktiven Schwierigkeiten, die das innovative Instrument der Austrittserklärung aufwirft, lassen sich durch Anwendung der allgemeinen Auslegungsgrundsätze lösen. Aus deutscher Perspektive ist aber zweifelhaft, ob es dieses Instituts angesichts der Prognostizierbarkeit des Liquiditätsabflusses anhand der Widersprüche zur Niederschrift wirklich bedarf. Ihre Existenz verdankt die Austrittserklärung damit den Unterschieden der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Mit dem weitreichenden Anfechtungsausschluss ist sichergestellt, dass Gesellschafter den grenzüberschreitenden Formwechsel nicht aufgrund von kompensatorischen Streitigkeiten blockieren können. Auf diese Weise wird ein angemessener Ausgleich im Widerstreit der Interessen an einer effizienten Gesellschaftsmobilität und einem effektiven Gesellschafterschutz geschaffen.
D. Schutz der Gläubiger Die hohe Bedeutung des Gläubigerschutzes bei grenzüberschreitenden Umwandlungen zeigt sich an seiner Streitgegenständlichkeit in den Entscheidungen „Centros“936, „Überseering“937 und „Inspire Art“938. Stein des Anstoßes waren je936 937 938
EuGH, Urt. v. 09. 03. 1999, Centros, C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126. EuGH, Urt. v. 05. 11. 2002, Überseering, C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632. EuGH, Urt. v. 30. 09. 2003, Inspire Art, C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512.
D. Schutz der Gläubiger
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weils nationale Gläubigerschutzvorschriften, die zur Versagung der begehrten grenzüberschreitenden Umwandlung führten und sich im Einzelfall als primärrechtswidrig erwiesen.939 Für die bereits harmonisierten grenzüberschreitendenden Verschmelzungen stand den Mitgliedstaaten das „Ob“ und das „Wie“ von materiellen gesellschafterschützenden Vorschriften frei.940 Dies führte zu großen Unterschieden in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen,941 die in der Literatur942 und von der Kommission943 zutreffend als signifikantes Mobilitätshindernis ausgemacht worden sind. Auch die Gläubiger partizipieren mit Verabschiedung der Mobilitäts-RL an den Schutzbestrebungen der EU. Da auch für sie ein Schutz durch Information als ungenügend erscheint,944 implementiert die Mobilitäts-RL materielle Schutzmechanismen zur Wahrung der berechtigten Gläubigerinteressen in die GesR-RL. Die betrifft zum einen den Anspruch auf Sicherheitsleistung und zum anderen die Perpetuierung des Gerichtsstands im Wegzugsstaat (Art. 86j Abs. 1 UAbs. 2 GesR-RL). Darüber hinaus ist die Verpflichtung der Gesellschaft zur Abgabe einer Solvenzerklärung in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt (Art. 86j Abs. 3 GesR-RL). Der Europäische Gesetzgeber begründet das gewählte Gläubigerschutzmodell entsprechend der herausgearbeiteten Gefährdungsklage für Gläubiger mit unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Schutzmechanismen und daraus resultierenden Unsicherheiten im Hinblick auf die Beitreibung und Befriedigung der Forderungen.945
939 Diese Urteile im Kontext des Gläubigerschutzes besprechend: Ulmer, NJW 2004, 1201, 1203 ff. 940 Umstritten war, ob Art. 121 Abs. 2 S. 1 GesR-RL a. F. die Mitgliedstaaten zum Erlass von speziellen gläubigerschützenden Normen ermächtigte oder lediglich als Verweis auf Art. 99 GesR-RL a. F. zu verstehen ist. Zu diesem Streitstand, der sich durch die Judikatur des EuGH in Sachen „KA-Finanz“ im letztgenannten Sinne erledigt hatte: Bayer/J. Schmidt, ZIP 2016, 841, 846 f. 941 Beech-Bruun/Lexidale, Study on the Applicaton of the Cross-Border-Mergers Directive, Main Findings, S. 32 ff.; so im Ergebnis auch: J. Schmidt, Study for the JURI-Committee: Cross-border mergers and divisions, transfers of seat: Is there a need to legislate, PE 556.960, S. 18; Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 502; ders., ZIP 2019, 2437, 2444; Schurr, EuZW 2019, 539, 544. 942 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 395 f.; European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 206; Teichmann, NZG 2019, 241, 245; Winner, ECFR 2019, 44, 57. 943 COM (2018) 241 final, S. 7. 944 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 397. 945 ErwG. 22 S. 2 Mobilitäts-RL.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
I. Begrenzung des materiellen Schutzes auf Altgläubiger Fraglich ist, inwieweit die herausgearbeiteten Risiken946 ein Schutzbedürfnis für die Gläubiger begründen. Ihr Schutzbedürfnis erwächst wie für die Minderheitsgesellschafter aus der fehlenden Möglichkeit,947 die Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung im Wege einer Ablehnung des grenzüberschreitenden Formwechsels zu verhindern.948 Es entfällt nicht durch die Möglichkeit, sich – mit Kosten verbunden –949 vertraglich gegen Risiken absichern zu können,950 da dies praktisch nur bei Gläubigern mit hohen Forderungen in Betracht kommt.951 Diese Erwägungen treffen aber nur zu, soweit die Forderungen bereits im Wegzugsstaat entstanden sind.952 Infolgedessen muss zwischen Alt- und Neugläubigern unterschieden werden.953 Nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels hinzutretende Gläubiger können sich im Zuzugsstaat über die Verbandsund Haftungsordnung ihres Vertragspartners informieren. Diese Informationsbeschaffung ist zumutbar,954 sodass ihnen jedenfalls der Vorwurf der fahrlässigen Unkenntnis der neuen Rechtsform gemacht muss. Sie sind daher nicht schutzbedürftig.955 Altgläubiger haben im Unterschied hierzu ein schutzwürdiges Vertrauen in den status quo ante der Gesellschaft. Stehen jedoch fällige Forderungen in Frage, erscheint ihr Schutzbedürfnis herabgesetzt, da die Gläubiger es vor Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels in der Hand haben, ihre Forderungen im 946
Hierzu unter: Kap. 2, C, II (S. 79 ff.). Überzeugend rechtspolitisch gegen ein Vetorecht der Gläubiger und ein solches als unionsrechtswidrig klassifizierend: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 169 ff. 948 Gerner-Beuerle/Mucciarelli/Schuster/Siems, JCLS 18 (2018), 1, 38; Leible/Hoffmann, BB 2009, 58, 62; vgl. für innerstaatliche Umwandlungen: Petersen, Gläubigerschutz im Umwandlungsrecht, S. 9 f. 949 Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 490 f. 950 Aus diesem Grund für eine geringe Schutzbedürftigkeit von vertraglichen- im Unterschied zu deliktischen Gläubigern: Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 1 Rn. 19; ders., ZIP 2002, 2233, 2236; ders., in: Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 581, 588. 951 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 165; Teichmann, NZG 2019, 241, 246; Winner, ECFR 2019, 44, 52. 952 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 94. 953 Zum Begriff des Altgläubigers: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 5. 954 Im Endeffekt beruht dies auf dem Leitgedanken des „verständigen Gläubigers“. Hierzu: Martin-Ehlers, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, 1, 23 ff. 955 Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 20 Rn. 125; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 399; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 582; Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 861; Wyckaert/Jenne, in: Geens/Hopt (Hrsg.), Corporate Mobility, 287, 311; vgl. Kindler, NZG 2018, 1, 3 f.; vgl. auch: EuGH, Urt. v. 09. 03. 1999, Centros, C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, Rn. 36. 947
D. Schutz der Gläubiger
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Wegzugsstaat durchzusetzen.956 Folgerichtig schützt der Europäische Gesetzgeber Gläubiger, deren Forderungen im Zeitpunkt der Offenlegung des Plans fällige Forderungen haben, nur sehr eingeschränkt.957 Die hieran geübte Kritik958 vermag nicht zu überzeugen, da ein hinreichender Schutz durch die auch für sie geltende Perpetuierung des Gerichtsstands959 sowie das Zivilprozessrecht gegeben ist.
II. Gläubigerschutz durch Begrenzung des Anwendungsbereichs für Gesellschaften in wirtschaftlichen Schwierigkeiten (Art. 86a Abs. III, IV GesR-RL) Zu Beginn ist der Blick auf den Anwendungsbereich der harmonisierten Vorschriften zu richten. Für die Gläubiger besteht die Gefahr, dass grenzüberschreitende Formwechsel dazu genutzt werden, um sich einem geordneten nationalen Abwicklungsverfahren zu entziehen.960 Aus diesem Grund werden Gesellschaften vom Anwendungsbereich der GesR-RL ausgeschlossen, die Gegenstand von in Titel IV der Richtlinie 2014/59/EU961 vorgesehenen Abwicklungsinstrumenten, -befugnissen und -mechanismen sind. Diese zwingende Bereichsausnahme (Art. 86a Abs. 3 lit. c GesR-RL) wird durch weitere obligatorische Bereichsausnahmen und Mitglied956 Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 861; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 582; vgl. Luy, NJW 2019, 1905, 1907; vgl. zur fehlenden Schutzbedürftigkeit von Gläubigern mit fälligen Forderungen bei innerstaatlichen Verschmelzungen: Grunewald, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 22 UmwG Rn. 9; vgl. zur grenzüberschreitenden Verschmelzung: Bayer, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 122j UmwG Rn. 16; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 156 f.; kritisch zur fehlenden Anspruchsberechtigung von Gläubigern mit fälligen Forderungen bei innerstaatlichen Formwechseln: Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 205 f. 957 Vgl. Art. 86j Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 GesR-RL; vgl. ErwG. 24 S. 1 Mobilitäts-RL. 958 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 199 f., der für eine überschießende Richtlinienumsetzung des Anspruchs auf Sicherheitsleistung auf Gläubiger, deren Forderungen bis zur Beschlussfassung entstanden sind, plädiert. 959 Hierzu unter: Kap. 4, D, III (S. 198 ff.). 960 Vgl. v. Bismarck, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften in Europa, S. 221 zum Vorentwurf einer „Sitzverlegungsrichtlinie“ aus dem Jahr 1997; Limmer/ Knaier, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 6, Kap. 2 Rn. 95; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1927; J. Schmidt, DK 2018, 229, 239; J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 236; Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 303; vgl. Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 301 zu dem Anwendungsbereich bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen; Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 287; vgl. Knaier, GmbHR 2018, 607, 612 f. zu dem Anwendungsbereich bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen. 961 Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. 2014, L 173/190.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
staatsoptionen flankiert. Ziel der Bereichsausnahmen ist es, „Wirtschaftsflüchtlinge“,962 d. h. Gesellschaften, die allein aus Gründen der Umgehung eines Abwicklungsverfahrens oder der Erschwerung der Durchsetzung der Ansprüche der Gläubiger, auszubremsen. Im Kern geht es um die Verhinderung missbräuchlicher Inanspruchnahme grenzüberschreitender Umwandlungen.963 Somit stellen diese Bereichsausnahmen trotz ihrer systematischen Stellung im Anwendungsbereich ein Instrument des vorgelagerten Gläubigerschutzes dar.964 1. Obligatorische Bereichsausnahmen (Art. 86a Abs. 3 GesR-RL) Art. 86a Abs. 3 lit. a GesR-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten, Gesellschaften, die sich in Liquidation befinden und bereits mit der Verteilung des Vermögens an ihre Gesellschafter begonnen haben, vom Anwendungsbereich auszunehmen. Dies entspricht der Umsetzung der CBMD in den meisten Mitgliedstaaten.965 In Deutschland ist die Rechtslage für innerstaatliche Formwechsel identisch, da Art. 191 Abs. 3 UmwG die Umwandlungsfähigkeit an die Fortsetzungsfähigkeit der Gesellschaft knüpft.966 Eine Fortsetzung von Kapitalgesellschaften ist nicht mehr möglich, wenn die aufgelöste Gesellschaft mit der Verteilung des Vermögens an die Aktionäre begonnen hat.967 Dies schützt die Gläubiger und künftigen Aktionäre vor einer Umgehung des Verbots der Einlagenrückgewähr (§ 57 AktG, § 30 GmbHG).968 Diese Erwägungen greifen auch für Formwechsel im grenzüberschreitenden Kontext.
962
K. Schmidt, ZGR 1999, 20, 33. Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 43 f. 964 Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 44. 965 Beech-Bruun/Lexidale, Study on the Applicaton of the Cross-Border-Mergers Directive, S 108 f. (Main Findings-87 f.); vgl. für das deutsche Recht: Art. 3 Abs. 3 UmwG. 966 Die ausdrückliche Fassung eines Fortsetzungsbeschluss ist nicht erforderlich. Die abstrakte Möglichkeit eines Fortsetzungsbeschlusses ist jedoch nicht genügend, sondern es müssen die Voraussetzungen für eine solche Beschlussfassung gegeben sein, Vossius, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 191 UmwG Rn. 17; Meister/Klöcker/Berger, in: Kallmeyer (Hrsg.), UmwG, § 191 UmwG Rn. 19; Quass, in: Maulbetsch/Klumpp/Rose (Hrsg.), UmwG, § 191 UmwG Rn. 12. 967 § 274 Abs. 1 S. 1 AktG (AG); § 278 Abs. 3 i. V. m. § 274 AktG (KGaA); nach herrschender Meinung gilt dies auch für die GmbH: Haas, in: Baumbach/Hueck (Hrsg.), GmbhG, § 60 GmbHG Rn. 91; Arnold, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 60 GmbHG Rn. 63; Lorscheider, in: Ziemons/Jaeger/Pöschke (Hrsg.), Beck-Online-Kommentar GmbHG, § 60 GmbHG Rn. 23; Hoger, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 191 UmwG Rn. 10; vgl. Wachter, NZG 2015, 858, 861; a. A.: Berner, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, § 60 GmbHG Rn. 243; Altmeppen, in: Altmeppen (Hrsg.), GmbHG, § 60 GmbHG Rn. 42 ff. 968 Vgl. Drygala, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 3 UmwG Rn. 25. 963
D. Schutz der Gläubiger
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2. Fakultative Bereichsausnahmen (Art. 86a Abs. 4 GesR-RL) Art. 86a Abs. 4 GesR-RL sieht darüber hinaus umfangreiche Öffnungsklauseln für Gesellschaften in der Krise vor. Diese waren zum Großteil im Kommissionsentwurf noch als zwingende Bereichsausnahmen konzipiert,969 die im Gesetzgebungsverfahren zu Mitgliedstaatenoptionen herabgestuft worden sind. Hierdurch wurde der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten deutlich ausgeweitet. Für die Umsetzung ist als allgemeine Direktive festzustellen, dass Umstrukturierungen ein wichtiges Sanierungsinstrument darstellen können.970 Auch nach Auflösung der Gesellschaft kann im laufenden Liquidationsverfahren angesichts der langen Dauer einer Liquidation das Bedürfnis nach einem grenzüberschreitenden Formwechsel entstehen.971 Ein solches Bedürfnis kann beispielsweise darin begründet liegen, dass potentielle Investoren auf eine Haftungsbeschränkung pochen972 oder durch den Formwechsel eine Finanzierung über den Kapitalmarkt ermöglicht werden soll973. Diesen Chancen stehen die dargestellten Gefahren für die Gläubiger der formwechselnden Gesellschaft gegenüber. Unentbehrlich ist daher, dass im Einzelfall für den grenzüberschreitenden Formwechsel einleuchtende Gründe bestehen und die Umstrukturierung der Sanierung der Gesellschaft oder dem Liquidationszweck dient.974 Durch den vorgelagerten Anspruch auf Sicherheitsleistung sind die Gefahren für Gläubiger durch grenzüberschreitende Formwechsel überschaubar. Ein Ausschluss von dem Anwendungsbereich der Mobilitäts-RL ist daher nur angezeigt, wenn in einem der genannten Verfahren eine Gefährdung von Gläubigerinteressen besteht und diese das Bedürfnis nach einer Sanierung des Unternehmens mittels grenzüberschreitender Mobilität überwiegen.975 Mithin muss überprüft werden, ob für Gläubiger dieser Gesellschaften das in der Mobilitäts-RL aufgestellte Schutzregime ausreichend ist 969
Vgl. Art. 86c Abs. 2 Mobilitäts-RL-KOM. Stellungnahme ECON, PE625.345v03 – 00, S. 35, 37, 91; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 345; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 98; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1927; J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 236; dies., ZEuP 2020, 565, 568; Garciamartín/Gandía, ECFR 2019, 15, 22; Zwirlein-Forschner, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 971 Hoger, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 191 UmwG Rn. 9; zu den Motiven für einen Formwechsel im Insolvenzplanverfahren: Greif-Werner, Umwandlungen im Insolvenzplanverfahren, S. 41 f. 972 Für den innerstaatlichen Formwechsel Limmer, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 5 Kap. 2 Rn. 97. 973 Brünkmanns, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 45 Rn. 41. 974 Vgl. OLG Jena, Beschl. v. 08. 11. 2005 – 6 W 206/05, GmbHR 2006, 765 Rn. 20. 975 So auch Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 303; vgl. zum identischen Anwendungsbereichs für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 301; Stelmaszczyk, ZIP 2020, 61, 63. 970
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
oder ihre konkrete Gefährdungslage eine Unzulässigkeit der Umwandlung rechtfertigt. Wenn im Einzelfall der grenzüberschreitende Formwechsel der in der Krise befindlichen Gesellschaft rechtsmissbräuchlich erscheint, kann diesem Umstand auf Ebene der allgemeinen Missbrauchsprüfung Rechnung getragen werden.976
III. Perpetuierung des Gerichtsstands im Wegzugsstaat (Art. 86j Abs. 4 GesR-RL) Gläubiger mit fälligen Forderungen stehen einem durch den grenzüberschreitenden Formwechsel bedingten Verlust des inländischen Gerichtsstands wehrlos gegenüber. Sie sind im Hinblick hierauf nur herabgesetzt schutzbedürftig, da sie es in der Hand haben, im Wegzugsstaat Klage zu erheben und nach dem Grundsatz der perpetuatio fori diesen Gerichtsstand aufrechtzuerhalten.977 Da es für sie keine Verpflichtung gibt, den fälligen Anspruch vor Verjährung einzuklagen, kann ihre Schutzwürdigkeit nicht generell in Abrede gestellt werden. Als Ausweg aus dem drohenden Verlust eines inländischen Gerichtsstands wird seit langem eine Gerichtsstandfiktion zum Schutz der Gläubiger erwogen.978 Nach Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesR-RL profitieren die Gläubiger nun – exklusiv für grenzüberschreitende Formwechsel –979 prozessual durch einen besonderen internatio976
So auch: Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 396; Heckschen/Stelmaszczyk, BB 2020, 1734, 1740; ähnlich: Heckschen, GWR 2020, 87, 92; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 1, 5. 977 Hierzu unter: Kap. 4, D, I (S. 198 ff.). 978 Braun, Die Wegzugsfreiheit als Teil der Niederlassungsfreiheit, S. 252 f.; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 162ff.; Teichmann, in: Herrler (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, 111, 127; Verse, ZEuP 2013, 458, 485; W.-H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 973, 989; Hushahn, RNotZ 2014, 137, 143; eine analoge Anwendung des Art. 8 Abs. 16 SE-VO für die geltende Rechtslage ablehnend: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 203 f. 979 Diese Regelung gilt nur für grenzüberschreitende Formwechsel und damit nicht mutatis mutandis für grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen. Dies ist angesichts des grundsätzlichen Gleichlaufs der Vorschriften für sämtliche Umwandlungsmaßnahmen in der Mobilitäts-RL ungewöhnlich und leuchtet vor der tendenziell für die Gläubiger gefährlicheren grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen nicht ein. Ein größeres Schutzbedürfnis hinsichtlich des Verlusts des Gerichtsstands ist hier nicht erkennbar, da es auch bei Gläubigern der übertragenden Gesellschaft bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen zu einem Statutenwechsel kommt. Wahrscheinlich ist, dass der Europäische Gesetzgeber eine Implementierung einer entsprechenden Vorschrift schlicht versäumt hat, da sich der Art. 86j Abs. 4 GesR-RL erläuternde ErwG. 24 S. 4 Mobilitäts-RL sich auf sämtliche „grenzüberschreitenden Vorhaben“ bezieht und im anschließenden S. 5 nur noch „grenzüberschreitende Umwandlungen“ anführt (Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 86). Möglicherweise wurde bei grenzüberschreitenden Formwechseln auch die Gefahr einer gezielten (Ab-)Wahl des Gerichtsstands (forum shopping) mittels eines isolierten grenzüberschreitenden Formwechsels
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nalen Gerichtsstand.980 Mit diesem können sie innerhalb von zwei Jahren nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels im Wegzugsstaat ihre Forderungen durchsetzen. Mithin sichert die Vorschrift die Kontinuität der Gerichtsstands und damit die Aufrechterhaltung des verfahrensrechtlichen status quo ante. Sie begegnet damit effektiv der Gefahr eines gläubigergefährdenden forum shoppings.981 Die mobilitätshemmende Wirkung der Vorschrift ist sehr begrenzt, da es zu keiner Verfahrensverzögerung kommt. Voraussetzung des besonderen Gerichtsstands ist gem. Art. 86j Abs. 4 S. 1 GesRRL allein, dass die streitgegenständliche Forderung vor Offenlegung des Plans entstanden ist. Von dem besonderen Gerichtsstand profitieren insbesondere Gläubiger mit niedrigen Forderungen, da Gesellschafter mit großen Forderungen häufig ohnehin vertraglich abgesichert sein werden.982 Nicht ohne Zweifel ist jedoch die Befristung des besonderen Gerichtsstands auf zwei Jahre nach dem Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels. Das Schutzbedürfnis der Gläubiger besteht auch nach Ablauf dieses Zeitraums.983 Im Gegenzug müssen die Interessen der Gesellschaft in die Abwägung eingestellt werden. Für diese stellt ein Prozess vor einem fremden Gerichtsstand eine Belastung dar. Den Gläubigern ist zumutbar, innerhalb von zwei Jahren Klage zu erheben. Die zeitliche Begrenzung des besonderen Gerichtsstands erscheint als ausgewogener Kompromiss zwischen den Gesellschafts- und Gläubigerbelangen.984 In systematischer Hinsicht überzeugt die Platzierung der Vorschrift in der GesR-RL nicht, da sie nicht zuständigkeitsbegründen wirkt, sondern der besondere Gerichtsstand durch nationales Recht angeordnet werden muss.985 Stimmiger wäre daher eine Aufnahme dieses Gerichtsstands in die EuGVVO gewesen.986 gesehen (Winner, ECFR 2019, 44, 60; Mastrullo, BJS 2020, no. 7 – 8, 63, 65). Um die gebotene Kohärenz herzustellen und angesichts der mindestens in demselben Maße bestehenden Schutzbedürftigkeit von Gläubigern bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen, sollte der Europäische Gesetzgeber hier nachbessern. Ebenfalls den fehlenden Internationalen Gerichtsstand bei grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen bedauernd: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 211 f.; Winner, ECFR 2019, 44, 60; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1933; tendenziell auch: Thole, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen), der darüber hinaus eine Implementierung eines solchen Gerichtsstands in das deutsche Recht erwägt und ablehnt. 980 Vgl. zur Normgenese: J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1105; vgl. auch das Gutachten des Juristischen Dienstes, ST 5699/19, S. 2 f. 981 Mastrullo, BJS 2020, no. 7 – 8, 63, 65. 982 Winner, ECFR 2019, 44, 60 (Fn. 65). 983 Winner, ECFR 2019, 44, 60 (Fn. 65). 984 Vgl. das Gutachten des Juristischen Dienstes, ST 5699/19, S. 7. 985 Thole, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 986 Thomale, RdW 2020, 338, 341.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
1. Reichweite des besonderen Gerichtsstands Die Perpetuierung des Gerichtsstands im Wegzugsstaat schützt das Vertrauen in das bei Begründung der Forderung bestehende forum im Satzungssitzstaat.987 Angesichts ihrer Beschränkung auf den Gerichtsstand im Wegzugsstaat schützt die Vorschrift nicht auch das Vertrauen in das Fortbestehen des Gerichtsstands an dem Ort des Verwaltungssitzes der Gesellschaft, da die Verlegung des Verwaltungssitzes von einem grenzüberschreitenden Formwechsel losgelöst ist und die Gläubiger der Gefahr eines Verlusts dieses Gerichtsstandes infolge einer restriktionslosen Verwaltungssitzverlegung stets ausgesetzt sind.988 Waren Satzungs- und Verwaltungssitz jeweils im Wegzugsstaat lokalisiert, kommt es aufgrund des Wahlrechts in Art. 63 EuGVVO nicht zu einem Gerichtsstandsverlust, sodass es hierauf nicht ankommt. Das nicht geschützte Vertrauen in das Fortbestehen des Gerichtsstands im Verwaltungssitzstaat wird relevant, wenn Satzungs- und Verwaltungssitz aufgespalten waren, da ein grenzüberschreitender Formwechsel in dieser Konstellation sowohl einen Verlust des Gerichtsstands im Wegzugsstaat als auch einem Wegfall des Gerichtsstands am Ort des Verwaltungssitzes bedingen kann. Dies ist der Fall, wenn Satzungs- und Verwaltungssitz ursprünglich auseinandergefallen waren und der Zuzugsstaat kollisions- oder sachrechtlich einen inländischen Verwaltungssitz verlangt. In diesem Fall besteht für die Gläubiger im Mitgliedstaat, in dem der Verwaltungssitz ursprünglich lokalisiert war, ein identisches Bedürfnis nach einer Perpetuierung ihres Gerichtsstands wie für die Gläubiger im Wegzugsstaat. Für diese Gläubiger ist die Beschränkung von Art. 86j Abs. 4 GesR-RL auf Gläubiger im Wegzugsstaat besonders misslich, da es für sie in vielen Fällen keinen Unterschied machen wird, ob sie ihren Anspruch im bisherigen (fremden) Satzungssitzstaat oder im neuen (fremden) Satzungssitzstaat durchsetzen müssen.989 Offenbar hat sich der Europäische Gesetzgeber an Art. 8 Abs. 16 SE-VO orientiert, der das Fortbestehen des Sitzes im Wegzugsstaat für die Altgläubiger fingiert.990 Bei der SE-Sitzverlegung ist jedoch aufgrund des im SE-Recht geltenden Gebots der Sitzeinheit eine solche Konstellation nicht möglich, was wohl verkannt worden ist. Schutz können die von einem Verlust des Gerichtsstands im Verwaltungssitzstaat betroffenen Gläubiger nur durch einen auf diesen Umstand gestützten Anspruch auf Sicherheitsleistung erlangen.
987
J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1106; dies., ZEuP 2020, 565, 585. 988 Kritisch hierzu: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 87. 989 Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 87. 990 Ringe, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann (Hrsg.), SE-Kommentar, Art. 8 SE-VO Rn. 95; ders., Die Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 187.
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2. Verhältnis zu EuGVVO-Gerichtsständen a) Allgemeines ErwG. 24 S. 4 Mobilitäts-RL formuliert, dass der durch Art. 86j Abs. 4 GesR-RL geschaffene besondere Gerichtsstand „zusätzlich zu den allgemeinen Regelungen“ der EuGVVO zur Verfügung steht. Den Gläubigern steht es damit im Grundsatz frei, ob sie Klage an dem durch Art. 86j Abs. 4 GesR-RL statuierten besonderen Gerichtsstand, an dem neuen allgemeinen Gerichtsstand im Zuzugsstaat oder an etwaigen weiteren besonderen Gerichtsständen erheben.991 Das Verhältnis zu allgemeinen und besonderen EuGVVO-Gerichtsständen wirft keine Fragen auf, sondern ist ohne weiteres als alternativ zu verstehen. b) Verhältnis zu ausschließlichen EuGVVO-Gerichtsständen In der Literatur ist die sekundärrechtlich nicht explizit beantwortete Frage aufgeworfen worden, wie sich Art. 86j Abs. 4 GesR-RL zu den in Art. 24 EuGVVO enthaltenen ausschließlichen internationalen Gerichtsständen verhält. Ein ausschließlicher Gerichtstand verdrängt sämtliche allgemeinen und besonderen Gerichtsstände der EuGVVO sowie solche des nationalen Rechts.992 Der Grund für das Bestehen ausschließlicher Gerichtsstände ist die größere Sachnähe des berufenen Gerichts zu den in Art. 24 EuGVVO vorausgesetzten Anknüpfungspunkten sowie der dadurch in der Regel hergestellte Gleichlauf von forum und ius.993 Entscheidungserheblich ist, ob Art. 86j Abs. 4 GesR-RL auch dann einen besonderen Gerichtsstand für die Altgläubiger im Wegzugsstaat bereithält, wenn ein Gerichtsstand im Wegzugsstaat aufgrund der Einschlägigkeit eines ausschließlichen Gerichtsstands in einem anderen Mitgliedstaat ursprünglich nicht bestanden hat.994 Dies wäre 991
J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1106 f.: dies., ZEuP 2020, 565, 585; Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 87; Thomale, RdW 2020, 338, 341; wohl auch: Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 511; Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86j Rn. 27; Alexandropoulou, ERA Forum 22 (2021), 9, 19 f. 992 Gottwald, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 1; Stadler, in: Musielak/Voit (Hrsg.), ZPO, Art. 24 EuGVVO Rn. 1; Vossler, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Beck-Online-Kommentar ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 2; Thomale, RdW 2020, 338, 441. 993 Mankowski, in: Rauscher (Hrsg.), Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 3; Gottwald, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 1; Kreuzer/Wagner/Reder, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Q. II. Rn 39. 994 Für die im SE-Recht geltende Parallelvorschrift des Art. 8 Abs. 16 SE-VO stellt sich diese Frage nicht, da dieser keinen eigenen Gerichtsstand statuiert, sondern lediglich für vor der Sitzverlegung entstandenen Forderungen einen Sitz im Wegzugsstaat fingiert und somit kein Konkurrenzverhältnis zu den ausschließlichen Gerichtsständen hervorgerufen wird, vgl. Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder (Hrsg.), SE, Art. 8 SE-VO Rn. 134 ff.; eine Schwierigkeit stellt insoweit jedoch Art. 24 Nr. 2 EuGVVO dar, der auf das nationale IPR verweist. Hier ist
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(nur) der Fall, wenn Art. 86j Abs. 4 GesR-RL stets parallele Anwendung neben der EuGVVO fände.995 Dieses Verständnis ist abzugrenzen von den Stimmen, nach denen der besondere Gerichtsstand nur für den Fall, dass die Gläubiger tatsächlich einen Gerichtsstand im Wegzugsstaat verlieren, Anwendung findet. aa) Vorrang von Art. 86j Abs. 4 GesR-RL vor ausschließlichen EuGVVO-Gerichtsständen? Geht man von einem Vorrang des Art. 86j Abs. 4 GesR-RL aus, würde ein etwaiger ausschließlicher Gerichtsstand nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels als lex generalis nicht mehr eingreifen. Gegen diese Auffassung erheben sich tiefgreifende Bedenken. Zum einen sprechen Art. 86j Abs. 4 S. 2 sowie ErwG. 24 S. 4 von einem „zusätzlich“ zu den allgemeinen Vorschriften anwendbaren Gerichtsstand.996 Ein Vorrang von Art. 86j Abs. 4 GesR-RL vor ausschließlichen Gerichtsständen würde hierzu konträr keinen weiteren Gerichtsstand darstellen, sondern lediglich ein Substitut für den hierdurch verdrängten ausschließlichen Gerichtsstand bereitstellen. Dieses würde sich als Danaergeschenk für solche Gläubiger entpuppen, die ihre Forderung vor dem ausschließlichen Gerichtsstand durchsetzen wollen, etwa weil sie dort ansässig sind und dieser nicht kongruent mit dem Gerichtsstand im Wegzugsstaat ist. Damit stützt auch der Sinn und Zweck der Vorschrift dieses Verständnis nicht.997 Zwar würde der intendierte Schutz der Gläubiger durch Fortbestehen des bisherigen Gerichtsstands im Wegzugsstaat erreicht. Diese würden jedoch den ausschließlichen Gerichtsstand verlieren und damit im Vergleich zu der Situation ohne einen grenzüberschreitenden Formwechsel zumindest nicht bessergesellt. Schließlich spricht die zweijährigen Befristung des Art. 86j Abs. 4 GesR-RL gegen eine solche Lesart: Da innerhalb von diesem Zeitraum möglicherweise noch keine Verjährung der Forderung eingetreten ist, müssten nach zwei Jahren die allgemeinen Regelungen infolge der nicht mehr konkurrierenden Zuständigkeitsvorschriften ihre Geltung zurückerlangen. Das Ergebnis wäre ein für die Gesellschaft und die Gläubiger unklares Konglomerat an Zuständigkeiten, das dem erklärten Zweck des Gerichtsstands, Rechtssicherheit zu schaffen,998 zuwiderläuft.
eine SE-spezifische Auslegung vorzunehmen: Ringe, Die Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 189 f. 995 Diese Auslegung befürwortend: Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1933; J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1106 ff.: dies., ZEuP 2020, 565, 585 f. 996 J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1105. 997 So auch: J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1105. 998 Vgl. zu diesem Zweck: ErwG. 22 Mobilitäts-RL.
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bb) Vorrang ausschließlicher EuGVVO-Gerichtsstände vor Art. 86j Abs. 4 GesR-RL? Geht man von einem Vorrang des Art. 24 EuGVVO aus,999 wäre eine durch den grenzüberschreitenden Formwechsel bedingte Besserstellung der Gläubiger ausgeschlossen.1000 Bei diesem Verständnis wäre der besondere Gerichtsstand bei Einschlägigkeit eines ausschließlichen Gerichtsstands nicht anwendbar. Die Funktion von Art. 86j Abs. 4 GesR-RL würde sich in der Kompensation formwechselspezifischer Nachteile erschöpfen. Für diese Auslegung wird vorgebracht, dass die Gläubiger im Falle eines im Ausland belegenen ausschließlichen Gerichtsstandes kein schutzwürdiges Vertrauen auf einen Gerichtsstand im Wegzugsstaat haben könnten und damit nicht bessergestellt würden als ohne Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels.1001 Versteht man die Vorschrift in diesem Sinne, wäre sichergestellt, dass die Gründe für die Normierung eines ausschließlichen Gerichtsstands nicht durch den besonderen Gerichtsstand bei grenzüberschreitenden Formwechseln ausgehöhlt werden.1002 Eine Ausnahme bestünde insoweit, als dass der ausschließliche Gerichtsstand sich im Wegzugsstaat befand und infolge des grenzüberschreitenden Formwechsels die Gerichte des Zuzugsstaats ausschließlich für die Entscheidung über die Streitigkeit berufen sind.1003 Als Beispiel hierfür wird der für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten geltende Art. 24 Nr. 2 EuGVVO angeführt.1004 Würde man in diesem Fall den durch den grenzüberschreitenden Formwechsel bedingten Wechsel des ausschließlichen Gerichtsstands in den Wegzugsstaat in Kauf nehmen, würde auch der Sinn und Zweck dieses ausschließlichen Gerichtsstands – der Gleichlauf von forum und anwendbarem Gesellschaftsrecht – verfehlt, da die gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten sich noch nach dem nationalen Recht des Wegzugsstaates bemessen kön-
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Diese Auslegung befürwortend: M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 219; Luy, NJW 2019, 1905, 1907; Alexandropoulou, ERA Forum 22 (2021), 9, 20; wohl auch: Thomale, RdW 2020, 338, 341; ähnlich (besonderer Gerichtsstand im Wegzugsstaat bei ausschließlichem Gerichtsstand nur, wenn der ausschließliche Gerichtsstand durch den grenzüberschreitenden Formwechsel verloren geht): Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 88. 1000 J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1106 ff. erwägt daher zwar keinen Vorrang der ausschließlichen Gerichtsstände, sondern – im Ergebnis ablehnend – eine teleologische Reduktion der parallelen Anwendbarkeit von Art. 86j Abs. 4 GesR-RL und Art. 24 EuGVVO, d. h. für die Fälle eines Verlusts der Gerichtsstands im Wegzugsstaat. 1001 Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 87 f. 1002 Vgl. J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1106. 1003 Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 88. 1004 J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1107.
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nen.1005 Jedenfalls in diesen Fällen müssen der ausschließliche Gerichtsstand und der besondere Gerichtsstand des Art. 86j Abs. 4 GesR-RL parallele Anwendung finden. Gegen einen Vorrang ausschließlicher Gerichtsstände ist zusätzlich einzuwenden, dass der Europäische Gesetzgeber dieses Ergebnis einfach durch eine Fiktion des Fortbestehen des Sitzes im Wegzugsstaat in Anlehnung an Art. 8 Abs. 16 SE-VO hätte erreichen können. Das Abweichen von der Vorschrift, die überwiegend wahrscheinlich als Vorbild für Art. 86j Abs. 4 GesR-RL gedient hat, indiziert eine bewusste Entscheidung des Europäischen Gesetzgebers für einen voraussetzungslos und in jedem Fall bestehenden Gerichtsstand im Wegzugsstaat. Dass ein Abweichen von der Natur von ausschließlichen Gerichtsständen nicht gänzlich systemfremd ist, kann durch die Vorschrift des Art. 67 EuGVVO untermauert werden. Nach dieser bleiben sekundärrechtliche Bestimmungen in „besonderen Rechtsgebieten“, die die gerichtliche Zuständigkeit regeln, von der EuGVVO unberührt. cc) Parallele Anwendbarkeit von Art. 86j Abs. 4 GesR-RL neben ausschließlichen EuGVVO-Gerichtsständen Aus diesen Gründen ist eine parallele Anwendbarkeit von Art. 86j Abs. 4 GesRRL neben den ausschließlichen EuGVVO-Gerichtsständen zu erwägen. In diesem Fall hätte der Gläubiger auch bei Vorliegen eines ausschließlichen Gerichtsstands ein Wahlrecht, in welchem forum er seine Ansprüche geltend macht. Diesem Verständnis wird entgegengehalten, dass der Gläubiger ohne die Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels nur den ausschließlichen Gerichtsstand zur Verfügung hätte. Art. 86j Abs. 4 GesR-RL würde daher einen zusätzlichen Gerichtsstand im Falle eines grenzüberschreitenden Formwechsels der schuldnerischen Gesellschaft begründen und nicht nur das Vertrauen auf das Fortbestehen eines existierenden Gerichtsstands sichern.1006 Der Gläubiger stünde somit besser als ohne den grenzüberschreitenden Formwechsel. Bei Lichte betrachtet entfaltet dieses Argument nur wenig Schlagkraft. Durch das in Art. 86j Abs. 4 GesR-RL enthaltene Wahlrecht des Gläubigers bekommt dieser bei Nichtvorliegen eines ausschließlichen Gerichtsstands ohnehin einen Gerichtsstand im Zuzugsstaat „geschenkt“.1007 Gleichwohl wäre das „Geschenk des Himmels“1008 eines zusätzlichen Gerichtsstands im Wegzugsstaat im Falle einer ausschließlichen Zuständigkeit eines ausländischen Mitgliedstaats ungleich wertvoller, da es sich auf den Wegzugsstaat bezöge und in diesem Fall die Schwierigkeiten einer Rechtsverfolgung im Ausland entfallen würden. 1005
Vgl. das Beispiel bei J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1107. 1006 Kritisch hierzu: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 87 f. 1007 Sofern nicht der Verwaltungssitz bereits im Zuzugsstaat lokalisiert war. 1008 J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1107.
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Die Interpretation einer generell parallelen Anwendbarkeit von besonderem Gerichtsstand und ausschließlichen Gerichtsständen ist losgelöst vom Einzelfall und schafft damit Rechtssicherheit. Angesichts der nur geringen Gefahr, dass im Wegzugsstaat die Gesellschaft ihre Gerichtsstandspflichtigkeit vollständig verliert,1009 erscheint dies als nicht unzumutbar für die Gesellschaft. Berücksichtigung verdient zuletzt, dass eine parallele Anwendbarkeit des besonderen Gerichtsstands für grenzüberschreitende Formwechsel und etwaiger ausschließlicher Gerichtsstände mittelbar auch der Gesellschaft dienen kann: Durch den hiermit zuverlässig und unabhängig vom konkreten Einzelfall verhinderten Verlust des Gerichtsstands, vermag die Behauptung einer solchen verfahrensrechtlichen Verschlechterung einen Anspruch auf angemessene Sicherheiten wegen Forderungsgefährdung nicht auszulösen.1010 Die Gesellschaft muss infolgedessen weniger Anstrengungen zur Sicherung der Gläubiger unternehmen. Im Ergebnis verdient die eine parallele Anwendbarkeit von dem besonderen Internationalen Gerichtsstand und ausschließlichen EuGVVO-Gerichtsständen befürwortende Auslegung den Vorzug.1011
IV. Verhältnis des besonderen Gerichtsstands im Falle einer Prorogation oder Derogation des Gerichtsstands im Wegzugsstaat Diese Grundsätze lassen sich auf den Fall der Prorogation des ursprünglichen Gerichtsstands im Wegzugsstaats übertragen: Im Falle des Vorliegens eines ausschließlichen Gerichtsstands ist eine Prorogation gem. Art. 25 Abs. 4 EuGVVO nichtig.1012 Aufgrund dessen bestehen keine Abweichungen zu dem dargestellten Alternativverhältnis zwischen dem nicht wirksam prorogierten ausschließlichen Gerichtsstand und Art. 86j Abs. 4 GesR-RL. Wird von den Parteien der allgemeine oder ein besonderer Gerichtsstand im Wegzugsstaat derogiert, bestehen für den Gläubiger sowohl der vereinbarte Gerichtsstand, gem. Art. 86j Abs. 4 GesR-RL der ursprünglich derogierte Gerichtsstand im Wegzugsstaat sowie der nach dem grenzüberschreitenden Formwechsel beste1009 Gillessen, Europäische transnationale Sitzverlegung und Fusion im Vereinigten Königreich und in Irland, S. 255 f.; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 204; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 316 f. 1010 Hierzu unter: Kap. 4, D, V, 4, a, cc (S. 216). 1011 So auch: Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1933; J. Schmidt, in: Grundmann/Merkt/ Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1097, 1106 ff.: dies., ZEuP 2020, 565, 585 f.; wohl auch: Mastrullo, BJS 2020, no. 7 – 8, 63, 65; vgl. auch das Gutachten des Juristischen Dienstes, ST 5699/19, S. 7. 1012 Hierzu: Krebber, in: Franzen/Gallner/Oetker (Hrsg.), Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 10; Gaier, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Beck-OnlineKommentar ZPO, Art. 25 Brüssel Ia VO Rn. 29; Gottwald, in: Krüger/Rauscher (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rn. 69; Dörner, in: Saenger (Hrsg.), ZPO, Art. 25 EuGVVO Rn. 17.
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hende Gerichtsstand fort.1013 Insoweit ist die Interessenslage zu der oben erörterten Konstellation vergleichbar. Es macht keinen Unterschied, ob „das Geschenk“ eines zusätzlichen Gerichtsstands im Wegzugsstaat aufgrund einer Derogation oder eines ausschließlichen Gerichtsstands hinzutritt. Auch im Falle der Derogation erscheint die durch den grenzüberschreitenden Formwechsel bedingte Besserstellung der Gläubiger nicht als unzumutbare Beeinträchtigung der Gesellschaft.
V. Anspruch auf Sicherheitsleistung (Art. 86j Abs. 1 UAbs. 2 GesR-RL) Die GesR-RL gibt den Inhabern von Forderungen, die vor der Offenlegung des Formwechselplans entstanden, aber noch nicht fällig geworden sind, einen Anspruch auf Gewährung angemessener Sicherheiten, wenn die Erfüllung ihrer Forderungen durch den grenzüberschreitenden Formwechsel gefährdet wird. Dieser Anspruch soll die aus einem grenzüberschreitenden Formwechsel resultierenden Risiken ausgleichen und bildet als zentrales Instrument des individuellen Gläubigerschutzes1014 das Kernstück des materiellen Gläubigerschutzes. Er unternimmt den Versuch, eine ausgewogene Balance zwischen den Interessen der Gläubigern und den Interessen der Gesellschaft, die insbesondere nicht übermäßig Liquidität verlieren möchte,1015 zu schaffen. Die Voraussetzung und die Durchsetzung dieses Anspruchs sind im Vergleich zu den detaillierten Vorgaben für den Gesellschafter- und Mitbestimmungsschutz äußerst vage gehalten. Unklar ist vornehmlich, inwiefern die Gläubiger das Formwechselverfahren durch gerichtliche Geltendmachung ihres Anspruchs verzögern können. Diese Frage erscheint angesichts ihrer Auswirkungen auf die Balance zwischen effizienter Gesellschaftsmobilität und effektivem Gläubigerschutz besonders dringlich. 1. Schutzkonzept: Vorgelagert oder nachgelagerter Schutz oder mitgliedstaatliches Wahlrecht? Für den materiellen Gläubigerschutz sind konzeptionell sowohl ein ex ante Schutz1016 als auch ein ex post Schutz1017 der Gläubiger denkbar.1018 Der Europäische 1013
A. A.: Schollmeyer, ZGR 2020, 63, 88. Die Differenzierung zwischen individuellem und institutionellem Gläubigerschutz geht zurück auf: K. Schmidt, ZGR 1993, 366, 367 f.; diese Unterscheidung ebenfalls anstellend: Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 4 Rn. 53; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 93. 1015 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 116 weist zurecht darauf hin, dass die Befriedigung von Ansprüchen auf Sicherheitsleistung die Gesellschaft finanziell erheblich belasten kann. 1016 Für einen ex ante Schutz der Gläubiger bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen hatten sich beispielsweise Deutschland, Frankreich und die Niederlande entschieden: Beech1014
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Gesetzgeber hatte über die Frage zu befinden, ob die Gläubigerinteressen bereits vor Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels zu befriedigen sind oder die angemessenen Sicherheiten – wie im deutschen Umwandlungsrecht –1019 erst nach Abschluss des Formwechselverfahrens zu gewähren sind. Ein vorgelagerter Anspruch auf Sicherheiten bietet ein gewisses Obstruktionspotential, da eine zu Verfahrensverzögerungen führende Erfüllungsgefährdung substanzlos behauptet werden kann.1020 Für die Gesellschaft kann es zu empfindlichen Zeitverzögerungen kommen, wenn die Erteilung der Vorabbescheinigung davon abhängt, dass angemessene Sicherheiten festgesetzt und gewährt wurden oder ein solcher Anspruch gerichtlich versagt wird. Es ist augenscheinlich, dass ein nachgelagerter Gläubigerschutz den Vorteil der Verfahrenseffizienz für sich hat1021 und Rückabwicklungsschwierigkeiten für den Fall, dass der grenzüberschreitende Formwechseln nach Gewährung der Sicherheiten scheitert, vermeidet, aber für die Gläubiger nicht gleichermaßen effektiv wie ein vor Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels durchsetzbarer Anspruch ist.1022 Art. 86j GesR-RL verhält sich nicht zu der Gretchenfrage, ob die angemessenen Sicherheiten bereits vor Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels gewährt werden müssen und ob der Beantragung von angemessenen Sicherheiten einer Eintragung des grenzüberschreitenden Formwechsels entgegensteht.1023 Die hierzu ergangenen Stellungnahmen sind unterschiedlich. Während zum Teil für ein Bruun/Lexidale, Study on the Applicaton of the Cross-Border-Mergers Directive, Main Findings, S. 33. 1017 Für einen ex ante Schutz der Gläubiger bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen hatte sich beispielsweise Belgien entschieden: Beech-Bruun/Lexidale, Study on the Applicaton of the Cross-Border-Mergers Directive, Main Findings, S. 33. 1018 Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 42; vgl. zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen: J. Schmidt, Study for the JURICommittee: Cross-border mergers and divisions, transfers of seat: Is there a need to legislate, PE 556.960, S. 18. 1019 Vgl. §§ 204, 22 UmwG. 1020 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 149; siehe sogleich die Nachweise zur Figur des „räuberischen Gläubigers“ in Fn. 1039. 1021 Vgl. Deutscher Notarverein, Schreiben v. 20. 06. 2017, Praxisprobleme bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen und Anregungen für legislative Maßnahmen aus der Sicht deutscher Notare, S.7 (Fristen für den Gläubigerschutz als „Zeitfresser“). 1022 Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 04. 07. 2018, S. 37; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 196; für die nicht vergleichbare Effektivität von vorgelagertem- und nachgelagertem Schutz auch: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 192 (Fn. 1035). 1023 Auf diese Unklarheit hinweisend: J. Schmidt, DK 2018, 229, 239; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2445; Wicke, DStR 2018, 2703, 2708; Bungert/Becker, DB 2019, 1609, 1615; Mastrullo, BJS 2020, no. 7 – 8, 63, 64: vgl. zur identischen Vorschrift für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 311; Thole, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen); vgl. zur identischen Vorschrift für grenzüberschreitende Spaltungen: Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094, 2102.
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Wahlrecht der Mitgliedstaaten plädiert wird,1024 geht ein anderer Teil der Literatur von einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Etablierung eines vorgelagerten Anspruchs auf Sicherheitsleistung aus.1025 Für ein Wahlrecht der Mitgliedstaaten streitet der Wortlaut des Art. 86j Abs. 1 UAbs. 1 GesR-RL, der die Mitgliedstaaten zur Errichtung eines angemessenen Gläubigerschutzes verpflichtet und den Mitgliedstaaten damit implizit weitergehende Spielräume als bei gesellschafter- und arbeitnehmerschützenden Vorschriften einräumt. In systematischer Hinsicht verdient im Hinblick auf den Gesellschafterschutz der ex post konzipierte Anspruchs auf Barabfindung Berücksichtigung.1026 Es wäre angesichts der vergleichbaren Interessenslage wertungswidersprüchlich, wenn die Gläubiger, nicht aber die Gesellschafter einen grenzüberschreitenden Formwechsel blockieren könnten.1027 Dies gilt umso mehr, als dass die Gesellschafter typisiert betrachtet durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel tendenziell stärker betroffen werden als Gläubiger, deren Rechtspositionen bereits durch weitergehende Sekundärrechtsakte wie die EuGVVO sowie den besonderen Gerichtsstand des Art. 86i Abs. 5 GesR-RL in großem Umfang perpetuiert werden. Für ein mitgliedstaatliches Wahlrecht kann Argumentationskraft aus dem vorgeschriebenen Verfahrensablauf gezogen werden. Die Gesellschafterversammlung kann bereits einen Monat nach Offenlegung des Formwechselplans den grenzüberschreitenden Formwechsel beschließen.1028 Die Frist für die Beantragung von Sicherheiten für die Gläubiger beträgt gem. Art. 86j Abs. 1 UAbs. 2 GesR-RL drei Monate, innerhalb derer der grenzüberschreitende Formwechsel bereits wirksam geworden sein könnte.1029 Der Europäische Gesetzgeber ist damit möglicherweise implizit davon ausgegangen, dass der grenzüberschreitende Formwechsel bereits vor Ablauf der Antragsfrist wirksam werden kann.1030 Auf diese Weise würde – wie
1024
M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 218; Winner, ECFR 2019, 44, 56; ders., in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection, 49, 67. 1025 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 192 f.; für einen vorgelagerten Anspruch auf Sicherheitsleistung im Hinblick auf die identische Vorschrift für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 70; im Ergebnis wohl auch: Thole, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen); so auch für die identische Vorschrift für grenzüberschreitende Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 61. 1026 Vgl. Art. 86i Abs. 3 S. 2 GesR-RL. 1027 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 131. 1028 Vgl. Art. 86g Abs. 1 GesR-RL. 1029 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 193; Winner, ECFR 2019, 44, 56. 1030 Ein derart schnelles Wirksamwerden erscheint jedoch unwahrscheinlich, da nach dem Gesellschafterbeschluss noch die Rechtmäßigkeits- und Missbrauchskontrolle aussteht.
D. Schutz der Gläubiger
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explizit sekundärrechtlich gefordert –1031 sichergestellt, dass den Gläubigern nicht rechtsgrundlos Sicherheiten gewährt werden. Schließlich wird gegen eine vorgelagerten Anspruch auf Sicherheitsleistung vorgebracht, dass die Nichtanhängigkeit von Klagen auf Sicherheitsleistung nicht zum verpflichtenden Prüfungsprogramm des Handelsregisters des Wegzugsstaats gehöre.1032 Hierfür kann Art. 86m Abs. 5 GesR-RL in Stellung gebracht werden, nach dem der Wegzugsstaat die Einhaltung der arbeitnehmerschützenden Vorschriften prüft. Im Umkehrschluss müsste die Beachtung der Gläubigerbelange durch den Wegzugsstaat nicht überprüft werden. Diese Argumentation erscheint auch auf Art. 86m Abs. 1 UAbs. 2 GesR-RL übertragbar. Nach diesem kann die Überprüfung der Erledigung von Formalitäten und Verfahren auch die Befriedigung oder Sicherung von monetären Pflichten gegenüber der öffentlichen Hand umfassen. Im Ergebnis verdient die Annahme eines Wahlrechts der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung des Anspruchs auf Sicherheitsleistung keine Zustimmung. Bereits die Anknüpfung für die Antragsfrist an die Offenlegung und nicht an das Wirksamwerden indiziert einen vorgelagerten Gläubigerschutz.1033 Gegen einen ex post Schutz oder ein mitgliedstaatliches Wahlrecht spricht, dass die Frist von drei Monaten1034 für einen ex post Schutz als zu knapp bemessen erscheint.1035 Ob eine Prolongation der Antragsfrist durch die Mitgliedstaaten ohne weiteres möglich wäre, ist angesichts der übergeordneten Ziels der Rechtssicherheit ausgesprochen zweifelhaft. Ein Wahlrecht der Mitgliedstaaten würde auch die Frage aufwerfen, ob der Anspruch auf Sicherheitsleistung im Wegzugs- oder Zuzugsstaat durchgesetzt werden muss. In letzterem Fall wäre den Gläubigern kaum gedient.1036 Auch aus Perspektive der Gesellschaft erscheint ein vorgelagerter Anspruch auf Sicherheitsleistung nicht als unangemessene Belastung. Für sie wird bei diesem Konzept frühzeitig Rechtssicherheit geschaffen.1037 Im Kontext grenzüberschrei1031
Art. 86j Abs. 1 UAbs. 3 GesR-RL. Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 131. 1033 So zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 75; vgl. §§ 204, 22 UmwG, die beim nachgelagerten Anspruch auf Sicherheitsleistung für den innerstaatliche Formwechsel an das Wirksamwerden desselben anknüpfen; vgl. im Unterschied hierzu § 122j Abs. 1 S. 2 UmwG, der für grenzüberschreitende Verschmelzungen einen vorgelagerten Anspruch auf Sicherheitsleistung statuiert und für die Antragsfrist an die Bekanntmachung des Verschmelzungsplans anknüpft. 1034 Im Unterschied hierzu sieht § 22 UmwG eine sechsmonatige Antragsfrist vor. 1035 Vgl. J. Schmidt, Study for the JURI-Committee: Cross-border mergers and divisions, transfers of seat: Is there a need to legislate, PE 556.960, S. 19, die bei einem ex post Schutz für eine Antragsfrist von sechs Monaten plädiert. 1036 Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 04. 07. 2018, S. 37. 1037 Deutscher Notarverein, Schreiben v. 20. 06. 2017, Praxisprobleme bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen und Anregungen für legislative Maßnahmen aus der Sicht deutscher Notare, S. 4. 1032
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
tender Verschmelzungen1038 hat sich die befürchtete Gefahr des „räuberischen Gläubigers“1039 nicht verwirklicht.1040 Die Vorschrift schafft eine angemessene Balance zwischen den Sicherungsinteressen der Gläubiger und der Interessen der Gesellschaft an Verfahrenseffizienz. Bekräftigt wird diese Sichtweise durch die Systematik der Vorschrift. Bei einem nachgelagerten Anspruch auf Sicherheitsleistung hätte der Europäische Gesetzgeber auch nicht vorschreiben müssen, dass die Gewährung der Sicherheiten vom Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels abhängt (Art. 86j Abs. 1 UAbs. 3 GesR-RL). Entscheidend ist jedoch, dass ein Wahlrecht der Mitgliedstaaten nicht die durch Verabschiedung der Mobilitäts-RL bezweckte Rechtssicherheit schaffen würde. Es käme zu erheblichen Friktionen, wenn der Wegzugsstaat einen nachgelagerten Gläubigerschutz vorsieht, der Zuzugsstaat aber einen vorgelagerten Gläubigerschutz statuiert, oder vice versa. Die Schwierigkeiten divergierender Schutzkonzepte und die daraus resultierende Notwendigkeit von harmonisierten Schutzvorschriften lassen sich eindrucksvoll dadurch belegen, dass beim Zusammentreffen eines ex post Schutzes im Wegzugsstaat und einem ex ante Schutzes beim Zuzugsstaat kein effektiver Gläubigerschutz gewährleistet ist.1041 Gleichzeitig kann das Kumulieren eines ex ante Schutzes im Wegzugsstaat und eines ex post Schutzes im Zuzugsstaat zu empfindlichen Zeiteinbußen für die Gesellschaft führen, wenn die Gesellschafter jeweils die grenzüberschreitende Umwandlung blockieren können.1042 Für grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen tritt für die Gläubiger der übertragenden Gesellschaft bei einem nachgelagerten Anspruch auf Sicherheitsleistung die Schwierigkeit hinzu, dass der Anspruch auf Sicherheitsleistung gegen einen neuen Rechtsträger geltend gemacht werden muss.1043 Es kann angesichts des mit den wohlfahrtssteigernden Effekten von Rechtssicherheit begründeten,1044 nahezu voll1038
Dort besteht gem. § 122k Abs. 1 UmwG ein vorgelagerter Anspruch auf Sicherheit. Grunewald, DK 2006, 106 f.; dem folgend: Vossius, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 122j UmwG Rn. 11; ähnlich („erpresserischen Sicherungsforderungen“): Oechsler, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, Art. 8 SE-VO Rn. 53. 1040 Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 70; dem folgend: Thole, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1041 Vgl. Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 75, der für diesen Fall eine Schutzlosigkeit der Gläubiger attestiert mit diesem Argument ein Wahlrecht der Mitgliedstaaten, ob der Gläubigerschutz vorgelagert oder nachgelagert sichergestellt wird, ablehnt; Teichmann, NZG 2019, 241, 245 konstatiert für diesen Fall nicht notwendige Verfahrensverzögerungen. 1042 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 396; vgl. das Beispiel zu einer grenzüberschreitenden Verschmelzung unter Beteiligung einer niederländischen- und italienischen Gesellschaft: Beech-Bruun/Lexidale, Study on the Applicaton of the Cross-Border-Mergers Directive, S. 58 (Main Findings37); dem folgend: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 130. 1043 Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 54 Rn. 16. 1044 COM (2018) 241 final, S. 22 f. 1039
D. Schutz der Gläubiger
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ständigen, nur durch die Spezifika der jeweiligen Umwandlungsform modifizierte, Gleichlaufs der Vorschriften für sämtliche Umwandlungsmaßnahmen nicht davon ausgegangen werden, dass der Europäische Gesetzgeber beim Gläubigerschutz zwischen diesen differenziert. Ob der Anspruch auf Sicherheitsleistung bereits voroder erst nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels durchsetzbar ist, ist daher im Ergebnis nicht den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen, sondern ein vorgelagertes Schutzsystem ist zwingend vorgegeben.1045 Ein Antrag auf angemessene Sicherheiten blockiert somit das Formwechselverfahren im Wegzugsstaat.1046 Konstruktiv lässt sich das dadurch sicherstellen, dass das Gewähren angemessener Sicherheiten oder alternativ die Forderungsbefriedigung als einen für die Erteilung der Vorabbescheinigung notwendigen Verfahrensschritt zu statuieren.1047 Die Vorabbescheinigung darf erst ausgestellt werden, wenn sämtliche Gläubiger mit Anspruch auf Sicherheitsleistung entweder befriedigt worden sind oder ihnen aber angemessene Sicherheiten gewährt worden sind.1048 Ablehnung verdient die Ansicht, die einen solchen Antrag nicht verlangt, sondern auf eine von Amts wegen erfolgende Prüfung potentieller Ansprüche auf Sicherheitsleistung insistiert.1049 Eine solche Prüfung lässt sich praktisch nicht durchführen, da dem Registergericht nicht bekannt ist, welche Gläubiger bestehen und welche Rechtsnatur ihre Forderungen haben und damit beispielsweise den potentiellen Verlust eines Gerichtsstands nicht prüfen kann. Hat die Gesellschaft keine Gläubiger oder wurde kein Antrag auf Gewährung angemessener Sicherheiten gestellt, muss die im Sinne eines effizienten Umwand1045 So auch: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 70; Alexandropoulou, ERA Forum 22 (2021), 9, 17; a. A.: Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86j Rn. 21; M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 217; Winner, ECFR 2019, 44, 56; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Winner, in: Kovács/ Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection, 49, 67. 1046 A. A.: Bungert/Becker, DB 2019, 1609, 1615; Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 46; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 131; im Ergebnis (wohl) auch: M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 217, der den Gläubigerschutz offenbar der einzelnen Gesellschaft überlassen möchte, indem er unter Rekurs auf in einem anderen Zusammenhang getroffene Aussagen darauf hinweist, dass diese die Gläubiger ja durch Informationen im Formwechselplan schützen könnten. Eine Blockademöglichkeit der Gläubiger abzulehnen und gleichzeitig zu konstatieren, dass es an der Gesellschaft liege, das Verfahren durch Anbieten von angemessenen Sicherheiten zu beschleunigen, ist jedenfalls widersprüchlich. 1047 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 183, 195; so auch im Hinblick auf die identische Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 61; dies erwägend: ders., in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 508; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 311; J. Schmidt, DK 2018, 229, 239; Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 73 f. 1048 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 195. 1049 So: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 194.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
lungsverfahrens durch eine entsprechende Negativerklärung der Gesellschaft substituiert werden. Hierfür spricht ErwG. 39 S. 1 Mobilitäts-RL, nach dem die zuständigen Behörden insbesondere überprüfen können, ob etwaige offene Verbindlichkeiten ausreichend besichert worden sind. 2. Bedeutung des Formwechselplans für den Anspruch auf Sicherheitsleistung Fraglich ist, wie Art. 86d lit. f GesR-RL zu verstehen ist, nach dem der Plan den Gläubigern angebotene Sicherheiten enthalten muss. Unklar ist, ob ein Angebot der Gesellschaft an die Gläubiger zwingend ist, oder ob die Abgabe eines solchen im Ermessen der Gesellschaft steht. In der Literatur wird das Anbieten von Sicherheiten durch die Gesellschaft zum Teil als optional betrachtet.1050 Bei diesem Verständnis würde sich die Funktion dieser Vorschrift in der Information darüber, ob den Gläubigern bereits Sicherheiten angeboten worden sind oder in der Zukunft angeboten werden, erschöpfen.1051 Mit anderen Worten ausgedrückt würde das Angebot gesondert unterbreitet.1052 Bereits der Wortlaut von Art. 86l lit. f GesR-RL („etwaige“)1053 deutet auf eine Freiwilligkeit des Angebots von Sicherheiten hin.1054 Zusätzlich wird vorgebracht, dass im Zeitpunkt der Aufstellung des Formwechselplans noch nicht feststeht, ob der grenzüberschreitende Formwechsel wirksam wird.1055 Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zu dem für den Anspruch auf Barabfindung getroffenen Befund, dass dort das Angebot auf Barabfindung bereits im Plan enthalten sein muss.1056 Während für die Gesellschafter eine einheitliche Gefährdungslage besteht und einheitlich ein Abfindungsangebot unterbreitet werden kann, differiert die Gefährdungslage und damit die Angemessenheit der angebotenen Sicherheiten für die Gläubiger stärker. Zu berücksichtigen ist, dass die Gesellschaft möglicherweise überhaupt keinen 1050 Garciamartín/Gandía, ECFR 2019, 15, 33 (Fn. 57); Winner, ECFR 2019, 44, 56 (Fn. 52); wohl auch: Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 13, 46; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 206; Winner, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection, 49, 66; Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 73 f.; Thole, in: ZGRSonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1051 Garciamartín/Gandía, ECFR 2019, 15, 33 (Fn. 57); Winner, ECFR 2019, 44, 56 (Fn. 52); vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 206. 1052 So im Ergebnis auch: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 183. 1053 In der englischen Sprachfassung: „any“. 1054 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 73 f. 1055 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 183; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 74. 1056 Hierzu unter: Kap. 4, C, III, 2, b (S. 167 f.).
D. Schutz der Gläubiger
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Gläubiger gegenübersteht, oder jedenfalls nur solchen mit fälligen Forderungen und infolgedessen kein schutzwürdiger Empfänger für das Angebot besteht. Möglicherweise stellt sich die Gesellschaft auf den Standpunkt, dass der angestrebte grenzüberschreitende Formwechsel keine schutzwürdigen Interessen tangiert. Das Anbieten von angemessenen Sicherheiten ist damit in einem deutlich höheren Maß einzelfallabhängig als das Anbieten einer Barabfindung. Dieser Einzelfallabhängigkeit kann in dem Plan nicht Rechnung getragen werden. Auch Gläubigerinteressen werden angesichts der Dogmatik des Anspruchs auf Sicherheitsleistung durch die fehlende Verpflichtung der Gesellschaft, bereits im Plan Sicherheiten anzubieten, nicht tangiert: Durch die ihre Möglichkeit, das Formwechselverfahren zu blockieren, wird der Gesellschaft ein hinreichender Anreiz gegeben, bereits frühzeitig Sicherheiten anzubieten.1057 Das Anbieten von Sicherheiten für die Gläubiger im Plan ist damit nicht obligatorisch, sondern steht der Gesellschaft frei.1058 3. Anspruchsberechtigung Für den Kreis der Anspruchsberechtigten wirft Art. 86j Abs. 1 GesR-RL keine Fragen auf.1059 Von der Vorschrift geschützt sind sämtliche Gläubiger der formwechselnden Gesellschaft, deren Anspruch zum Zeitpunkt der Offenlegung des Plans noch nicht fällig geworden sind. Dies korrespondiert mit dem herausgearbeiteten Kreis von schutzwürdigen Gesellschaftern und steht im Einklang mit den Wertungen des deutschen Umwandlungsrechts.1060 ErwG. 24 S. 3 Mobilitäts-RL stellt aus Gründen der Vollständigkeit klar, dass auch Arbeitnehmer mit unverfallbaren Betriebsanwartschaften oder Personen, die Betriebsrentenleistungen erhalten,
1057
Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62,74; Thole, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1058 So auch zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 72; Thole, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen); wohl auch („ob und ggf. (…) welche Sicherheiten angeboten werden): J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 582. 1059 Aus Gründen der Vollständigkeit wird darauf hingewiesen, dass die Anspruchsberechtigung der Gläubiger der übernehmenden Gesellschaft bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen nicht unzweifelhaft ist. Die Mobilitäts-RL verhält sich zu dieser Frage nicht. Da auch die Gläubiger eines übernehmenden Rechtsträgers durch eine grenzüberschreitende Verschmelzung oder Spaltung betroffen werden können und der Wortlaut der §§ 126b Abs. 1 UAbs. 2, 160j Abs. 1 UAbs. 2 GesR-RL nicht zwischen Gläubigern der übertragenden- und solchen der übernehmenden Gesellschaft differenziert, sprechen die besseren Argumente für eine Anspruchsberechtigung sämtlicher Gläubiger. Hierzu: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 78 ff. 1060 Vgl. §§ 204, 22 UmwG, nach dem Gläubiger bei innerstaatlichen Formwechseln nur einen Anspruch auf Sicherheitsleistung haben, „soweit sie nicht Befriedigung verlangen können“.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
zu dem geschützten Personenkreis gehören.1061 Dies ergibt sich bereits aus der Anwendung der allgemeinen Regeln und hätte insofern keiner expliziten Erwähnung bedurft. 4. Anspruchsvoraussetzungen a) Erfüllungsgefährdung aa) Allgemeines Zentrale Voraussetzung des Anspruchs auf Gewährung angemessener Sicherheiten ist die Glaubhaftmachung einer Gefährdung der Befriedigung der noch nicht fällig gewordenen Forderung durch den grenzüberschreitenden Formwechsel. Die zusätzliche, aus dem acquis communautaire bekannte,1062 Voraussetzung der Glaubhaftmachung ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eingefügt worden, nachdem der Kommissionsentwurf lediglich vorausgesetzt hatte, dass die Gläubiger den im Plan angebotenen Schutz für „nicht zufriedenstellend“ erachten1063 und daher dem berechtigten Einwand der inhaltlichen Unbestimmtheit ausgesetzt war.1064 Unter Glaubhaftmachen ist das Darlegen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Erfüllungsgefährdung zu verstehen.1065 Welche Voraussetzungen an die für den Anspruch auf Sicherheitsleistung erforderliche Gefährdung der Forderungsbefriedigung zu stellen sind, wird weder normativ noch in den Erwägungsgründen hinreichend präzisiert. Angesichts des ex ante durchsetzbaren Anspruchs auf Sicherheitsleistung besteht nicht nur für die Gläubiger, sondern auch für die Gesellschaft zur Vermeidung von unverhältnismäßigen Beschränkungen der Gesellschaftsmobilität ein besonderes Bedürfnis nach Konkretisierung.1066
1061 Ausführlich hierzu im Hinblick auf grenzüberschreitende Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 80. 1062 Vgl. Art. 99 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 GesR-RL für die innerstaatliche Verschmelzung von Kapitalgesellschaften. 1063 Art. 86k Abs. 2 Kom-E. 1064 Deutscher Notarverein, Stellungnahme zum CLP, S. 38; Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 860 f.; Wicke, DStR 2018, 2703, 2708; Bormann/ Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 311. 1065 Vgl. zu § 122j UmwG: Vossius, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, § 122j UmwG Rn. 33. 1066 Vgl. zur identischen Vorschrift für grenzüberschreitende Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 121, 130.
D. Schutz der Gläubiger
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bb) Modell des Kommissionsentwurfs Der Kommissionsentwurf hatte einen innovativen1067 Vorstoß zur Schaffung von handhabbaren Kriterien für die Beurteilung einer Forderungsgefährdung unternommen. Danach sollte das Nichtvorliegen einer Gläubigergefährdung ex lege vermutet werden, wenn der unabhängige Sachverständige in seinem Bericht eine drohende übermäßige Beeinträchtigung nicht erkennt,1068 oder wenn die Gesellschaft den Gläubigern einen mit der Forderung gleichwertigen Zahlungsanspruchs anbietet, der vor demselben Gericht wie die ursprüngliche Forderung geltend gemacht werden kann und dessen Bonität mit der Bonität der ursprünglichen Forderung übereinstimmt.1069 In diesen Fällen wäre die Gewährung zusätzlicher Sicherheiten vorbehaltlich einer Widerlegung der Vermutung im Einzelfall ausgeschlossen gewesen.1070 Dieser Vorschlag wurde in der deutschen Literatur als ausgewogener Kompromiss zwischen Gesellschafts- und Gläubigerinteressen rezipiert.1071 Positiv wurde beurteilt, dass für die Gesellschaften durch die mit der Vermutung gegen eine Gläubigergefährdung verbundenen Verfahrenseffizienz ein Anreiz zur Beauftragung des unabhängigen Sachverständigen gesetzt worden wäre.1072 Die Befassung des unabhängigen Sachverständigen mit den Belangen der Gläubiger hätte für diese den Vorteil gehabt, dass nicht jeder Gläubiger diese Prüfung selbst vornehmen müsste.1073 Diese hätte insbesondere Gläubigern mit geringen Forderungen zum Vorteil gereicht, für die eine solche Prüfung ökonomisch nicht effizient wäre und die daher möglicherweise ohne eine unabhängige und kostenlose Prüfung regelmäßig auf die Beantragung von Sicherheiten verzichten würden.1074 Die von der Kommission vorgeschlagenen Regelvermutungen gegen das Vorliegen einer Gläubigergefährdung sind im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens auf
1067
Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1933. Art. 86k Abs. 3 lit. a Kom-E. 1069 Art. 86k Abs. 3 lit. b des Kom-E. 1070 European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 207; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Winner, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection, 49, 67. 1071 Teichmann, ECFR 2019, 3, 9; ders., NZG 2019, 241, 246; European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 206 f.; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 311; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2444; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: J. Schmidt, DK 2018, 229, 239; wohl auch: Wicke, DStR 2018, 2703, 2708; differenzierend: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 189 f. 1072 J. Schmidt, DK 2018, 229, 239; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2444; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Winner, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection, 49, 67; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 311; hiergegen aber: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 189. 1073 Teichmann, ECFR 2019, 3, 9; ders., NZG 2019, 241, 246. 1074 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 189; Teichmann, NZG 2019, 241, 246; Luy, NJW 2019, 1905, 1907. 1068
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
Betreiben des Rates1075 gestrichen worden.1076 Der Grund hierfür liegt in der Neuordnung des Sachverständigenberichts, der in der endgültigen Fassung im Unterschied zum Kommissionsentwurf allein auf die Belange der Gesellschafter fokussiert.1077 cc) Voraussetzungen für eine Erfüllungsgefährdung Zu prüfen ist daher, welche der genannten Faktoren, die eine durch den grenzüberschreitenden Formwechsel bedingte Betroffenheit der Gläubiger auslösen können, eine solche Erfüllungsgefährdung begründen. Die aus dem deutschen Recht bekannte Unterscheidung zwischen abstrakten und konkreten Erfüllungsrisiken ist auch in diesem Kontext zielführend.1078 Wie im deutschen Recht erfordert der sekundärrechtliche Anspruch auf Sicherheitsleistung eine konkrete Erfüllungsgefährdung.1079 Nur auf diese Weise werden die gegenläufigen Interessen von weitgehender Sicherheitengewährung und effizienter Gesellschaftsmobilität in primärrechtlich zulässiger Weise miteinander versöhnt.1080 In die Beurteilung einer Gläubigergefährdung sind die durch europäische Regelungen geschaffenen Erleichterungen bei der Vollstreckung im Ausland sowie die teilweise Harmonisierung von Kapitalschutzvorschriften für Aktiengesellschaften in die Abwägung miteinzubeziehen.1081 Auch die auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruhende Gleichwertigkeit der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen muss in die Abwägung eingestellt werden.1082 Unstreitig dürfte daher sein, dass eine Gefährdung der Forderungsbefriedigung angesichts Perpetuierung des Gerichtsstands im Wegzugsstaat (Art. 86j Abs. 4 GesR-RL) nicht mit einer Änderung des Gerichtsstands begründet werden kann.1083 Auch ein grenzüberschreitender Formwechsel als solcher begründet aufgrund seiner rein abstrakten Risiken noch keine hinreichende Erfüllungsgefährdung.1084 1075
Vgl. Art. 86k des Ratsdokuments, in dem dieser Vorschlag gestrichen worden ist. Dies bedauernd: Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1933; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 583; Teichmann, NZG 2019, 241, 246; wohl auch: Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2445. 1077 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 506; ders., ZIP 2019, 2437, 2444. 1078 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 196. 1079 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 196 f. 1080 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 196 f. 1081 Vgl. J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 583 f.; vgl. Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 318 f. 1082 Vgl. Weber, ZVglRWiss 107 (2008), 193, 228; in diese Richtung wohl auch: J. Schmidt, ZEuP 2020, 581, 583 f. 1083 J. Schmidt, ZEuP 2020, 581, 583. 1084 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 196 f. So aber: Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 4 Rn. 131; wie hier: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 200; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 315; Ja1076
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Hier ist zu berücksichtigen, dass bei einem vorgelagerten Anspruch regelmäßig nur eine abstrakte Gefahr geltend gemacht werden kann.1085 Eine konkrete Gefahr wird zum Zeitpunkt der Anspruchsstellung häufig noch nicht eingetreten sein. Dies ist beispielsweise bei einer abgeschwächten Kapitalbindung im Zuzugsstaat der Fall, die erst in eine konkrete Gefahr umschlägt, sobald die Gesellschafter diese auch realisieren.1086 Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung dürfen daher nicht überstrapaziert werden.1087 Das Abstellen auf das subjektive Empfinden der Unangemessenheit für die Gewährung von Sicherheiten durch die zuständige Stelle,1088 spricht tendenziell dafür, keine allzu hohen Anforderungen an eine Forderungsgefährdung zu stellen.1089 Dafür wird auch die strukturell unterlegene Position der Gläubiger im Hinblick auf die zukünftige Rechtsform vorgebracht.1090 Erforderlich muss jedenfalls sein, dass die Gesellschaft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels ihre Verbindlichkeiten nicht bedienen können wird.1091 Voraussetzung ist dabei stets, dass die Gefährdung kausal auf den grenzüberschreitenden Formwechsel zurückgeführt werden kann.1092 Ein solcher kausaler Zusammenhang wird nur sehr selten zu bejahen sein.1093 Besondere Relevanz ent-
nisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 398; Frobenius, DStR 2009, 487, 489; so auch zum innerstaatlichen Formwechsel: Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S.148. 1085 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 283 f.; vgl. Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 116, 153 f. 1086 Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, S. 142; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 200; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 318. 1087 Vgl. zum Gläubigerschutz bei innerstaatlichen Verschmelzungen: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 98. 1088 Vgl. ErwG. 23 S. 1 Mobilitäts-RL. 1089 Vgl. zur identischen Vorschrift für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 74 f.; so im Ergebnis auch: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 197 f. 1090 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 198. 1091 Vgl. zur geltenden Rechtslage: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 200; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S.146. 1092 Vgl. Art. 86j Abs. 1 UAbs. 2 GesR-RL („wenn diese Gläubiger glaubhaft darlegen können, dass die Befriedigung ihrer Forderungen durch die grenzüberschreitende Umwandlung gefährdet ist“). 1093 So auch: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 201; Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 147; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
faltet hier eine Vermögensverlagerung in das Ausland. Eine solche geht regelmäßig Hand in Hand mit einem grenzüberschreitenden Formwechsel, auch wenn sie nicht konstitutiv für diesen ist.1094 Ist ein inländischer Verwaltungssitz sachrechtliche Voraussetzung des Zuzugsstaats, bedingt die für den grenzüberschreitenden Formwechsel obligatorische Verwaltungssitzverlegung regelmäßig Vermögensverlagerungen in den Zuzugsstaat. In diesen Fällen erscheint die Annahme, dass Gläubigerinteressen unmittelbar durch den grenzüberschreitenden Formwechsel tangiert werden, wertungsgerecht. Im Hinblick auf isolierte grenzüberschreitende Formwechsel ist dies zweifelhaft. Zwar erhöht ein grenzüberschreitender Formwechsel das Risiko von Vermögensverlagerungen.1095 Einer solchen rein tatsächlichen Gefahr sind die Gläubiger aber ununterbrochen ausgesetzt1096 und sie erlangen auch bei Realisierung dieses Risikos in Form einer rechtsformwahrenden Verwaltungssitzverlegung keine Kompensation.1097 Im Ergebnis ist zu konstatieren, dass es den Gläubiger angesichts der Erleichterungen in der EuGVVO, dem besonderen Gerichtsstand sowie dem Grundsatz der Rechtsträgeridentität ausgesprochen schwer fallen wird, eine Erfüllungsgefährdung glaubhaft zu machen.1098 Eine hinreichende Konkretisierung wird sich erst durch die Praxis herauskristallisieren. Einstweilen verbleibt ein nicht unerhebliches Maß an Rechtsunsicherheit. Dieser kann man durch eine gewisse Orientierung an der deutsche Rechtslage begegnen.1099 b) Unangemessenheit der angebotenen Sicherheiten Als zweite Voraussetzung müssen die angebotenen Sicherheiten unangemessen sein. Nach Sinn und Zweck ist auch der Fall des Fehlens eines Angebots erfasst. Nach ErwG. 23 S. 2 Mobilitäts-RL ist bei der Prüfung der Angemessenheit der angeboRecht, S. 318; Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, S. 142; in diese Richtung auch: Winner, ECFR 2019, 44, 56. 1094 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 79; So auch im Kontext der SE-Sitzverlegung: Casper/Weller, NZG 2009, 681, 685. 1095 So auch im Kontext der SE-Sitzverlegung: Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 281; Teichmann, ZGR 2002, 383, 462. 1096 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 387; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 198; so auch im Kontext der SE-Sitzverlegung: Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 285; Teichmann, ZGR 2002, 383, 461. 1097 A. A.: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 79. 1098 So auch zum innerstaatlichen Formwechsel: Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 147. 1099 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Thole, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen), der mindestens immer, wenn der Sache nach ein Anspruch auf Sicherheitsleistung nach deutschem Recht gegeben wäre, einen solchen bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen annimmt.
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tenen Sicherheiten zu berücksichtigen, ob der Anspruch in gleicher Höhe und vor demselben Gericht gegen die umzuwandelnde Gesellschaft oder einen Dritten geltend gemacht werden kann und von gleicher Bonität wie ursprünglich ist. In diesem Fall sind die Gläubigergefährdungen bereits vollständig kompensiert worden, sodass kein Bedürfnis nach einer zusätzlichen Gewährung von Sicherheiten besteht.1100 Im Übrigen wird die Angemessenheit der Sicherheit durch die Höhe der gefährdeten Forderung und das konkrete Schutzbedürfnis der Gläubiger determiniert.1101 5. Prozessuale Durchsetzung Die Gläubiger sind angehalten, mit der Gesellschaft eine befriedigende Lösung zum Schutz ihrer berechtigten Interessen herbeizuführen.1102 Eine solche wird sich nicht in jedem Fall finden lassen. Dies macht die der gerichtliche Durchsetzung des Anspruchs auf Sicherheitsleistung erforderlich. Art. 86j Abs. 1 UAbs. 2 GesR-RL regelt, dass die angemessenen Sicherheiten bei der zuständigen Justizbehörde beantragt werden müssen. Dies meint in Ansehung der fehlenden trennscharfen Abgrenzung von materieller Anordnung des Anspruch und seiner gerichtlichen Durchsetzung die prozessuale Durchsetzung des Anspruchs auf Sicherheitsleistung.1103 Im Unterschied zu § 122 j UmwG muss die Gewährung angemessener Sicherheiten nicht nur bei der Gesellschaft angemeldet-, sondern auch eingeklagt werden.1104 Die Gläubiger müssen diesen Antrag gem. Art. 86j Abs. 1 UAbs. 2 GesRRL binnen drei Monaten nach Offenlegung des Plans stellen. Mit diesem Konzept soll wohl die missbräuchliche Geltendmachung von Ansprüchen verhindert werden. 6. Abhängigkeit vom Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels (Art. 86j Abs. 1 UAbs. 3 GesR-RL) Zuletzt ist angesichts der Vorverlagerung des Anspruchs auf Sicherheitsleistung die Gefahr zu berücksichtigen, dass eine Sicherheit gewährt wird, der grenzüberschreitende Formwechsel aber nicht wirksam wird. In diesem Fall würden die 1100
Vgl. European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 207. Vgl. zum innerstaatlichen Verschmelzung: Seulen, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 22 UmwG Rn. 48, 60; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 102. 1102 Vgl. ErwG. 23 S. 1 Mobilitäts-RL. 1103 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 75. 1104 Gem. § 122j Abs. 1 S. 1 UmwG genügt bis zur Umsetzung der Mobilitäts-RL für die Gläubiger der übertragenden Gesellschaft eine schriftliche Anmeldung des Anspruchs bei der Gesellschaft. Eine Durchsetzung vor Gericht ist nicht erforderlich; ausführlich zur Frage nach der Erforderlichkeit einer Klageerhebung hinsichtlich der identischen Vorschrift für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Thole, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1101
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
Gläubiger eine Sicherheit erhalten, ohne dass hierfür eine materielle Rechtfertigung bestünde. Dies markiert eine hausgemachte Schwäche des vorgelagerten Anspruchs auf Sicherheitsleistung. Trotz der identischen Gefahr einer ungerechtfertigten Gewährung von Sicherheiten bei § 122j UmwG1105 und § 13 SEAG hat der deutsche Gesetzgeber das Verhältnis von Sicherheitsleistung und Wirksamwerden der grenzüberschreitenden Verschmelzung bislang nicht thematisiert. Um eine ungerechtfertigte Bevorteilung der Gläubiger im Falle eines Scheitern der avisierten Umwandlung zu verhindern, müssen die Mitgliedstaaten gem. Art. 86j Abs. 1 UAbs. 3 GesR-RL sicherstellen, dass die Sicherheiten von der Wirksamkeit des grenzüberscheitenden Formwechsels abhängen. Der europäische Gesetzgeber ordnet damit eine Art Akzessorietät zwischen dem Anspruch auf Sicherheitsleistung und dem Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels an.1106 Um die Abhängigkeit der Sicherheitsleistung von dem Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels sicherzustellen, kommt entweder eine durch das Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels aufschiebend bedingte Übertragung der Sicherheiten oder eine unbedingte Sicherheitsleistung unter Gewährung eines Rückgewähranspruchs für die Gesellschaft in Betracht.1107 Den Mitgliedstaaten steht insoweit die Wahl des Mittels zur Sicherstellung der Abhängigkeit von Sicherheitsleistung und Wirksamwerden der Umwandlung frei. Die Umsetzung dieser Vorschrift in Deutschland wird durch die Geltung des Trennungsund Abstraktionsprinzip1108 erschwert. a) Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels als aufschiebende Bedingung für Gewährung von Sicherheiten Unter einer Bedingung versteht man eine rechtsgeschäftliche Bestimmung, nach der die Rechtswirkungen eines Geschäfts von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängen.1109 Eine aufschiebende Bedingung bezieht sich auf die Rechtswirkungen eines Rechtsgeschäfts, sodass dieses bereits mit seiner Vornahme beendet
1105 Statt aller ausführlich zum Streitstand, ob der einen ex ante Gläubigerschutz vermittelnde § 122j UmwG mit den Vorgaben der CBMD in Einklang steht und primärrechtskonform ist: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 122 ff. 1106 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 76. 1107 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 76 f.; dem folgend: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 189 (insbes. Fn. 1020). 1108 Hierzu statt aller: Lieder, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), Beck-OnlineGroßkommentar Zivilrecht, § 398 BGB Rn. 74 ff. m. w. N. 1109 Bork, in: Staudinger (Begr.), BGB, Vor. §§ 158 ff. BGB Rn. 4; Westermann, in: Schubert (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, § 158 BGB Rn. 8; Flume, Bürgerliches Recht II, S. 677 f.
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ist, der Eintritt der Rechtsfolgen aber zeitlich verschoben wird.1110 Es ist daher zu erwägen, dass die Gesellschaft die Sicherheiten nur unter der aufschiebenden Bedingung des Wirksamwerdens des grenzüberschreitenden Formwechsels gewähren muss. In diesem Fall wäre der Anspruch auf Sicherheitsleistung bereits im Wegzugsstaat entstanden. Die Sicherheiten würden den Gläubigern aber rechtlich erst im Moment des Wirksamwerdens des grenzüberschreitenden Formwechsels gewährt. Eine solche Vereinbarung würde nicht die Rechtsbedingung des Wirksamwerdens des grenzüberschreitenden Formwechsels derogieren, sondern lediglich den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Sicherheitengewährung auf diesen Zeitpunkt hinausschieben. Eine solche Lösung könnte die dargestellten Rückabwicklungsschwierigkeiten zuverlässig verhindern. Dies setzt voraus, dass die Verknüpfung des Anspruchs mit dem Anspruch auf Sicherheitsleistung nicht als Rechtsbedingung (condictio iuris) einzuordnen ist da die §§ 158 ff. BGB auf solche nicht anwendbar sind.1111 Eine Rechtsbedingung liegt vor, wenn die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts nach der Parteivereinbarung von einer gesetzlichen Voraussetzung abhängt.1112 Bis zum Eintritt der Rechtsbedingung besteht ein Schwebezustand. Dies ist exemplarisch bei der Zustimmungsbedürftigkeit Dritter der Fall.1113 Paradebeispiel für eine Rechtsbedingung ist § 107 BGB, der die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters als konstitutiv für eine Willenserklärung eines Minderjährigen konzipiert. Rechtsbedingungen wirken durch die Wiederholung einer bereits vom Gesetz aufgestellten Voraussetzung rein deklaratorisch und rufen daher keine, die Bedingung i. S. d. §§ 158 ff. BGB charakterisierende, Unsicherheit hervor.1114 Die Anknüpfung der Sicherheitsgewährung an das Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels ist als für § 158 BGB unzulässige Rechtsbedingung qualifiziert worden, da die Gewährung der Sicherheiten von einem ungewissen zukünftigen Rechtsereignis abhängig gemacht werde.1115 Dem ist zu widersprechen.1116 1110 Westermann, in: Schubert (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, § 158 BGB Rn. 9; Rövekamp, in: Hau/Poseck (Hrsg.), Beck-Online-Kommentar BGB, § 158 BGB Rn. 8; Flume, Bürgerliches Recht II, S. 681. 1111 Ellenberger, in: Palandt (eh. Hrsg.), BGB, v § 158 Rn. 5; Bork, in: Staudinger (Begr.), BGB, Vor. §§ 158 ff. BGB Rn. 23; Westermann, in: Schubert (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, § 158 BGB Rn. 54; Mansel, in: Jauernig (Hrsg.), BGB, § 158 BGB Rn. 6; Egert, Die Rechtsbedingung im System des bürgerlichen Rechts, S. 183; Flume, Bürgerliches Recht II, S. 680. 1112 Bork, in: Staudinger (Begr.), BGB, Vor. §§ 158 ff. BGB Rn. 23; Westermann, in: Schubert (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, § 158 BGB Rn. 54; Rövekamp, in: Hau/Poseck (Hrsg.), Beck-Online-Kommentar BGB, § 158 BGB Rn. 9. 1113 Rövekamp, in: Hau/Poseck (Hrsg.), Beck-Online-Kommentar BGB, § 158 BGB Rn. 9. 1114 Flume, Bürgerliches Recht II, S. 680. 1115 So zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 77; dem für grenzüberschreitende Formwechsel folgend: M. Schmidt,
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
Für die Annahme einer Rechtsbedingung müsste das Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels gesetzliche Voraussetzung des Wirksamwerdens der Sicherheitsgewährung sein. Bei der Frage, ob die Verbindung von Wirksamwerden der Sicherheiten und Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels eine Rechtsbedingung darstellt, sind zwei Ebenen voneinander abzuschichten. Zum einen geht es darum, wann der Anspruch auf Sicherheitsleistung entsteht. Zum anderen ist klärungsbedürftig, wann die gewährten Sicherheiten wirksam werden. In Bezug auf das Entstehen des Anspruchs auf Sicherheitsleistung ist in Ansehung der rechtspolitischen Entscheidung für einen vorgelagerten Gläubigerschutz zu konstatieren, dass dieser bereits mit Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen entsteht und das Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels nicht konstitutiv für die Anspruchsentstehung ist. Würde man das Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels zur materiellen Anspruchsvoraussetzung erheben, müsste die Gesellschaft stets zunächst rechtsgrundlos Sicherheiten gewähren und der Gläubiger könnte den grenzüberschreitenden Formwechsel blockieren, obwohl sein Anspruch auf Gewährung angemessener Sicherheiten noch nicht entstanden ist. Im Hinblick auf das Wirksamwerden der Sicherheiten gestaltet sich die Lage diffiziler. Auf umwandlungsrechtliche Sicherheitsleistungen sind die §§ 232 ff. BGB anwendbar.1117 Dies muss auch für die zukünftige Rechtslage bei grenzüberschreitenden Formwechseln gelten.1118 Aufgrund dessen könnte die formwechselnde Gesellschaft die Art der Sicherheit bestimmen. Mit Ausnahme der bedingungsfeindlichen Hinterlegung können sämtliche in § 232 BGB aufgezählten Sicherungsmittel an Bedingungen geknüpft werden.1119 Hiermit ist gerade noch nicht über die Zulässigkeit der Verknüpfung von Sicherheitengewährung und Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels entschieden. Diese steht hier gerade in Frage, sodass der Schluss auf eine Rechtsbedingung zirkelschlüssig wäre. Die Gewährung von Sicherheiten und das Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels sind voneinander losgelöst. Der Europäische GesetzGrenzüberschreitender Formwechsel, S. 216 f.; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 189 (Fn. 1020). 1116 So auch – wenn auch mit einem anderen argumentativem Anknüpfungspunkt – für die identische Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Thole, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1117 Müller, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 22 UmwG Rn. 13; Winter, in: Schmitt/Hörtnagl (Hrsg.), UmwG/UmwStG, § 22 UmwG Rn. 20; Seulen, in: Semler/Stengel/ Leonard (Hrsg.), UmwG, § 22 UmwG Rn. 52; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 119, 200. 1118 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 76; Thole, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1119 Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 76 f.
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geber erklärt mit Art. 86j Abs. 1 UAbs. 3 GesR-RL das Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels nicht als für die Sicherheitengewährung konstitutiv, sondern gibt den Mitgliedstaaten nur das Ergebnis, namentlich die Verhinderung rechtsgrundlos gewährter Sicherheitsleistungen, vor. Mit der parteiautonomen Anknüpfung der Sicherheitengewährung an das Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels wird nicht lediglich eine bestehende gesetzliche Wirksamkeitsvoraussetzung für das Wirksamwerden der Sicherheitengewährung wiederholt. Es fehlt an dem eine Rechtsbedingung kennzeichnenden Merkmal eines deklaratorischen Verweises auf eine gesetzliche Voraussetzung. Rechtsbedingungen können ohne ein entsprechendes Gesetz, das die vermeintlich parteiautonome Voraussetzung statuiert, nicht bestehen. Die Annahme einer Rechtsbedingung setzt daher voraus, dass der Umsetzungsgesetzgeber einen Zusammenhang zwischen Sicherheitsleistung und Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsel schafft. Im Ergebnis liegt es im Ermessen des Umsetzungsgesetzgebers, das Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels als Rechtsbedingung für die in Ansehung des Anspruchs auf Sicherheitsleistung gewährten Sicherheiten auszugestalten. Im Interimszeitraum bis zum Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels bestünde ein ausfüllungsbedürftiger Schwebezustand.1120 Macht Deutschland hiervon keinen Gebrauch, könnte die Gesellschaft die Gewährung von Sicherheiten beispielsweise an die Eintragung in das Register des Zuzugsstaats knüpfen. Diese Lösung kommt aber in Bezug auf die Sicherheitengewährung im Wege der bedingungsfeindlichen Hinterlegung an ihre Grenzen. Der Lösung über die privatautonome Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung steht darüber hinaus entgegen, dass Art. 86j Abs. 1 UAbs. 3 GesR-RL eine mitgliedstaatliche Lösung verlangt. Mit obigem Vorschlag würde man allein auf die Eigenverantwortung der die Sicherheiten gewährenden Gesellschaft abstellen.1121 Eine Umsetzungsleistung Deutschlands wäre nicht erkennbar. Die Gesellschaft kann somit auch nicht auf die Möglichkeit verwiesen werden, die Sicherheiten unter Vorbehalt zu gewähren (§ 814 BGB), um sie nachträglich kondizieren zu können.1122 Für eine Liquidation des Schadens über § 826 BGB würde die Gesellschaft das Insolvenzrisiko tragen.1123
1120 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 77; dem folgend: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 189 (Fn. 1020). 1121 So im Ergebnis auch zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 77; dem folgend: M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 217. 1122 Zu dieser Möglichkeit: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 150; vgl. zur grenzüberschreitenden SE-Sitzverlegung: Oechsler/Mihaylova, in: Goette/Habersack, Münchener Kommentar AktG, Art. 8 SE-VO Rn. 44. 1123 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 150.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
b) Rückforderungsanspruch bei Unwirksamkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels Hiernach erscheint es vorzugswürdig, zusätzlich, für den Fall, dass die Gesellschaft keine aufschiebende Bedingung vereinbart hat, einen spezialgesetzlichen Rückgewähranspruch in das UmwG zu implementieren.1124 Für die bedingungsfeindliche Hinterlegung muss ein solcher ohnehin normiert werden. Eine solche Rückabwicklung belastet die Gesellschaft nicht über Gebühr, da sie zum einen privatautonom eine aufschiebende Bedingung vereinbaren kann und zum anderen der Anspruch auf Sicherheitsleistung eine nur geringe Praxisrelevanz erwarten lässt.1125 Fraglich ist, ob es in Ansehung der allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Vorschriften eines solchen Anspruches überhaupt bedarf. § 232 BGB betrifft mit Ausnahme der Hinterlegung akzessorische Sicherheiten. Mit Entfall des besicherten Anspruchs entfällt ipso iure die Sicherheit.1126 Da der besicherte Anspruch unabhängig vom Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels ist, erlischt diese Forderung und damit auch die Sicherheit nicht durch das Scheitern des grenzüberschreitenden Formwechsels. Eine Akzessorietät zwischen dem Anspruch auf Sicherheitsleistung und dem Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels lässt sich in Anbetracht des a-priori Gläubigerschutzes nicht anordnen. Die Gesellschaften benötigt daher für den Fall der Versagung der Eintragung im Zuzugsstaat einen speziellen Rückgewähranspruch. Da das Scheitern des grenzüberschreitenden Formwechsels den Anspruch auf Sicherheitsleistung nicht berührt, kann die Gesellschaft die Sicherheit nicht im Wege der Leistungskondiktion (condictio indebiti) gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückerlangen. Es müsste der Umweg über § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) gegangen werden. Aus diesem Grund sollte nach dem Vorschlag Schollmeyers ein spezieller Rückgewähranspruch geschaffen werden.
VI. Mitgliedstaatenoption: Solvenzerklärung (Art. 86j Abs. 2 GesR-RL) Art. 86j Abs. 2 S. 1 GesR-RL enthält eine Mitgliedstaatenoption, nach der die Mitgliedstaaten den Vorstand bzw. die Geschäftsführung zu einer Erklärung über die finanzielle Lage der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Offenlegung des Plans oder später verpflichten können. Inhalt der Solvenzerklärung ist gem. Art. 86j Abs. 2 S. 2 GesR-RL die Einlassung des geschäftsführenden Organs, dass auf Grundlage einer 1124
Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 77; dem folgend: M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 217. 1125 Hierzu unter: Kap. 4, D, V, 4 (S. 216 ff.). 1126 Vgl. § 1252 BGB für das Pfandrecht an beweglichen Sachen.
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aktuellen Prüfung kein Grund zur Annahme besteht, dass die Gesellschaft nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels nicht in der Lage sein könnte, ihre fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen. Die Mitgliedstaatenoption umfasst zusätzlich die Befugnis, eine persönliche Haftung der Organmitglieder für eine falsche Solvenzerklärung vorzusehen.1127 Zuletzt stellt ErwG. 25 S. 3 Mobilitäts-RL klar, dass die Mitgliedstaaten unrichtige oder irreführende Erklärungen angemessen ahnden können. Hierunter fällt beispielsweise eine Strafvorschrift wie § 314a UmwG, der falsche Angaben im Hinblick auf die Leistung von angemessenen Sicherheiten pönalisiert.1128 Ausweislich des ErwG. 25 S. 1 Mobilitäts-RL dient diese Mitgliedstaatenoption dem Schutz der Gläubiger vor einer Insolvenz der Gesellschaft.1129 In Deutschland ist dieses Konzept auf ein geteiltes Echo gestoßen.1130 Für ein Gebrauchmachen von dieser Mitgliedstaatenoption spricht, dass durch die Abgabe einer Solvenzerklärung möglicherweise weniger Gläubiger ihr Recht auf Bereitstellung einer angemessenen Sicherheit wahrnehmen würden, womit der Verfahrenseffizienz gedient wäre.1131 Eine Solvenzerklärung erscheint aber nur effektiv, wenn eine falsche Erklärung eine persönlichen Haftung des Erklärenden begründet.1132 Selbst für diesen Fall wird der Nutzen einer Solvenzerklärung aber infrage gestellt.1133
1127
Vgl. ErwG. 25 S. 2 Mobilitäts-RL. Bernard, D.A.O.R. 2018 – 3, n8127, 5, 41 (Fn. 500). 1129 Vgl. zu der angesichts der Rechtsträgeridentität für den grenzüberschreitenden Formwechsel irrelevanten Frage, ob bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen auch die Gläubiger der übernehmenden Gesellschaft geschützt sind: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 81. 1130 Ablehnend: Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 509; M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 218; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 312; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2445; Wachter, GmbHStB 2018, 283, 294; Luy, NJW 2019, 1905, 1909; Bungert/Becker, DB 2019, 1609, 1615; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Thole, in: ZGRSonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen); vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094, 2103; zweifelnd: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 82; Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 860; befürwortend: Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86j Rn. 25 f.; tendenziell befürwortend („interessante Option“): Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1933; J. Schmidt, ECL 16 (2019), 13, 16; dies., ECFR 2019, 222, 263; dies., ZEuP 2020, 565, 584; dies., DK 2018, 229, 239 (zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen); wohl auch: BR-Drs. 179/18, S. 9; Lecourt, rev. soc. 2019, 24, 27 („caractère rassurant pour les créanciers“); jedenfalls nicht ablehnend: Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 04. 07. 2018, S. 37 f.; Wicke, DStR 2018, 2703, 2707; Mastrullo, BJS 2020, no. 7 – 8, 63, 65; Winner, ECFR 2019, 44, 54 geht davon aus, dass die Wirtschaft sich hiergegen stemmen wird und die Mitgliedstaaten diese Umsetzungsoption nicht wahrnehmen werden. 1131 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86j Rn. 25. 1132 Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094, 2103. 1128
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
Gegen das Gebrauchmachen von dieser Mitgliedstaatenoption wird vorgebracht, dass die Gefahr einer mobilitätshemmenden Wirkung besteht, da die zuständigen Organe eine solche aufgrund der damit verbundenen Haftungsrisiken entweder nicht abgeben wollen oder können.1134 Zivilrechtlich könnten sie sich zwar entsprechend absichern. Dies würde aber zu einer Steigerung der Transaktionskosten führen.1135 Als Kompromiss könnte man die Haftung des Managements auf Vorsatz beschränken1136 Realistisch betrachtet ist das Management nur bei Vorliegen eines „sicheren Hafens“ zur Abgabe einer solchen Erklärung bereit.1137 Selbst dann würde die Abgabe einer Solvenzerklärung aber eine eingehende Betrachtung der Aktiva und Passiva sowie der Zahlungsströme der Gesellschaft erfordern, was für kleine und mittlere Unternehmen mobilitätshemmend wirken kann.1138 Es ist vor dem Hintergrund des besonderen Gerichtsstands und des Anspruchs auf eine vorgelagerte Sicherheitsleistung fraglich, ob dies rechtfertigende, aus dem grenzüberschreitenden Bezug resultierenden Gläubigerinteressen noch bestehen. Insbesondere der Identitätsgrundsatz steht dem Zweck der Vorschrift – Verminderung der Liquidität durch den grenzüberschreitenden Formwechsel – entgegen, da allein im Hinblick auf etwaige Abfindungsansprüche von Gesellschaftern ein Abfluss von Liquidität droht.1139 Für den grenzüberschreitenden Formwechsel steht den dargestellten Transaktionshindernissen somit kein gleichwertiger Schutzzweck gegenüber. Der Umsetzungsgesetzgeber sollte aufgrund dessen auf die Umsetzung dieser Mitgliedstaatenoption für grenzüberschreitende Formwechsel1140 verzichten.1141 1133 Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094, 2103; dem folgend: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 203; M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 218. 1134 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 509; Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 203; M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 203; Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094, 2103; Bungert/Becker, DB 2019, 1609, 1615; Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 82; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2445; in diese Richtung auch: Alexandropoulou, ERA Forum 22 (2021), 9, 19; zurückhaltend aber: Thole, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1135 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 509; Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86j Rn. 25; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 311; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2445; Alexandropoulou, ERA Forum 22 (2021), 9, 19. 1136 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86j Rn. 25; Wicke, DStR 2018, 2703, 2707. 1137 Vgl. Teichmann, NJW 2006, 2444, 2445. 1138 Vgl. Teichmann, NJW 2006, 2444, 2447. 1139 Alexandropoulou, ERA Forum 22 (2021), 9, 14. 1140 Fraglich ist jedoch, ob das auch für die grenzüberschreitende Verschmelzung und Spaltung gilt. Im Unterschied zu einem grenzüberschreitenden Formwechsel bestehen bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen die Gefahren eines Hinzutretens von Gläubigern oder die Übernahme von Schulden. Solche Transaktionen können somit unmittelbar das Erfüllungsinteresse der Gläubiger berühren. Eine abstrakte Betrachtung des zukünftigen
D. Schutz der Gläubiger
227
Sollte Deutschland von dieser Mitgliedstaatenoption Gebrauch machen, bietet es sich zur Abfederung der hierdurch bedingten Transaktionshindernisse an, die Solvenzerklärung und den Anspruch auf Sicherheitsleistung miteinander zu verknüpfen. In Betracht kommt, das Vorliegen einer Solvenzerklärung im Hinblick auf den Anspruch auf Sicherheitsleistung als Vermutungstatbestand gegen die Tangierung von Gläubigerinteressen zu statuieren.1142 Hierdurch würde auch für die Gläubiger ein gewisses Maß an Rechtssicherheit für die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Sicherheitsleistung geschaffen. Als weitere Kompromisslinie könnte die Solvenzerklärung optional ausgestaltet werden. Die Gesellschaft könnte selbst entscheiden, ob sie eine solche abgibt und im Gegenzug Ansprüchen auf Sicherheitsleistung den Boden entzieht, oder ob sie hierauf verzichtet.
VII. Bewertung Die GesR-RL hält mit der Perpetuierung des Gerichtsstands und dem Anspruch auf Gewährung angemessener Sicherheiten ein effektives Gläubigerschutzsystem bereit und federt damit die – ohnehin nur geringen – aus dem grenzüberschreitenden Formwechsel resultierenden Risiken für die Gläubiger zuverlässig ab. In der Sache wäre die Etablierung eines nachgelagerten Anspruchs auf Sicherheitsleistung überzeugender gewesen. Ein solcher führt zu einer besseren Balance zwischen dem Gesellschaftsinteresse an einem effizienten Formwechselverfahren und den Gläubigerinteressen an einer effektiven Forderungsbesicherung.1143 Nach dem durch die Mobilitäts-RL statuierten Schutzregime kann es für die Gesellschaft durch Anträge auf Sicherheitsleistung zu empfindlichen Zeitverzögerungen kommen. Gleichzeitig Gerichtsstands sowie des Gesellschaftsrechts des Zuzugsstaats kann die Risiken einer grenzüberschreitenden Verschmelzung oder Spaltung daher nicht vollkommen erfassen. Hieraus erwächst ein im Vergleich zu einem grenzüberschreitenden Formwechsel ungleich größeres Bedürfnis nach Informationen über die finanzielle Lage der beteiligten Gesellschaften. Ein Beispiel hierfür ist eine grenzüberschreitende Verschmelzung einer überschuldeten Gesellschaft als übertragenden Gesellschaft, bei der die Gläubiger der übernehmenden – wirtschaftlich (noch) gesunden – Gesellschaft Auskunft bekämen, ob ihre Forderungen hierdurch gefährdet werden. Klärungsbedürftig wäre aber, ob die Vertretungsorgane sämtlicher beteiligten Gesellschaften für das gesamte Erklärte haften müssen. Zu dieser Frage: Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 82. 1141 So auch: Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 509; M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 218; Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 294; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 132. 1142 Schollmeyer, ZGR 2020, 62, 82 weist aber – ohne sich explizit auf diesen Fall zu beziehen – darauf hin, dass die Solvenzerklärung von „Hasardeuren“ im Management genutzt werden könnte; dem folgend: Thole, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1143 So auch: J. Schmidt, Study for the JURI-Committee: Cross-border mergers and divisions, transfers of seat: Is there a need to legislate, PE 556.960, S. 19, 36.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
besteht ein gewisses Obstruktionspotential, für das in Anbetracht des fortgeschrittenen acquis communautaire im Gläubigerschutzrecht keine rechtfertigenden zwingenden Gläubigerinteressen bestehen.1144 Den ohnehin schon geringen Risiken für die Gläubiger1145 wird mit einem besonderen Gerichtsstand Rechnung getragen. Auf diese Weise würde schließlich auch ohne weiteres sichergestellt, dass den Gläubigern nicht Sicherheiten gewährt werden, obschon der grenzüberschreitende Formwechsel nicht wirksam wird.
E. Schutz der Arbeitnehmer Grenzüberschreitende Umwandlungen zum Zwecke der Vermeidung der Arbeitnehmermitbestimmung sind ein wachsendes Phänomen,1146 das durch die Schaffung rechtssicherer Verfahren spürbar an praktischer Bedeutung gewinnen wird.1147 Da die Gefahren für die Unternehmensmitbestimmung aus dem Statutenwechsel resultieren, kann – wenn man von einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung absieht –1148 ein wirksamer Schutz der Arbeitnehmermitbestimmung nur auf europäischer Ebene erfolgen. Der Europäische Gesetzgeber war daher von der berechtigten Sorge getragen, dass grenzüberschreitende Formwechsel zukünftig vermehrt zur „Flucht“1149 aus einer bestehenden Mitbestimmungsverpflichtung oder vor dem bevorstehenden Erreichen einer Mitbestimmungsschwelle eingesetzt werden.1150 Es war daher ein zentrales Anliegen des Europäischen Gesetzgebers, die Interpendenzen zwischen Gesellschaftsrecht, Internationalem Privatrecht und dem Recht der unternehmerischen Mitbestimmung in praktische Konkordanz zu bringen. 1144
A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 198; Stiegler, KSzW 2014, 107, 114. Hierzu unter: Kap. 2, C, II (S. 79 ff.). Varro/Würrer, RdW 2014, 553, 556 halten einen Gläubigerschutz sogar angesichts der Harmonisierungsmaßnahmen zugunsten der Gläubiger für weitgehend entbehrlich. 1146 Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1260. 1147 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 512. 1148 Eine solche befürwortend: Kindler, in: Deinert (Hrsg.), Internationales Recht im Wandel. Symposium für Peter Winkler von Mohrenfels, 147, 161; ders., ZHR 179 (2015), 330, 374 ff.; ablehnend: Grigoleit, in: Grigoleit (Hrsg.), AktG, Einleitung Rn. 25; Merkt, ZIP 2011, 1237, 1239; Götze/Winzer/Arnold, ZIP 2009, 245, 248; sehr zurückhaltend auch: W.-H. Roth, in: Söllner (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 709, 715; ausführlich zum Streitstand: Borsutzky, EuZA 2014, 437, 440 ff. 1149 Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 33 Rn. 15; Weiss, in: Bachmann/Mengel/ Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 425, 433; Behrens, in: Immenga (Hrsg.): Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker, 831, 834; Bayer/T. Hoffmann, GmbHR 2015, 909; Seifert, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 133, 155; Schubert, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1150 COM (2018) 241 final, S. 3 f.; ErwG. 30 – 31 Mobilitäts-RL. 1145
E. Schutz der Arbeitnehmer
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Im Unterschied zum Gesellschafter- und Gläubigerschutz kann der Schutz der Arbeitnehmer nicht vollständig a priori durch den Wegzugsstaat gewährleistet werden, sondern es bedarf der Zusammenwirkung beider an dem grenzüberschreitenden Formwechsel beteiligten Rechtsordnungen.
I. Gesetzgebungsverfahren In Anbetracht des politischen Sprengstoffs1151 der Thematik verwundert es nicht, dass sie zu den am schwierigsten in die Mobilitäts-RL zu implementierenden Themen gehört hat.1152 Das Europäische Parlament hatte in den Verhandlungen zur Schaffung der Mobilitäts-RL schon lange geäußerte Forderungen von Gewerkschaften1153 aufgegriffen und für ein genuin europäisches Modell der Unternehmensmitbestimmung plädiert.1154 Nach diesem sollte bei Scheitern von Mitbestimmungsverhandlungen zwingend ein europäisch einheitliches Mitbestimmungsniveau eingreifen,1155 welches über das europaweit führende deutsche Mitbestimmungsniveau hinausging.1156 Mit dieser wenig kompromissbereiten Position konnte sich das Parlament kaum überraschend1157 nicht gegen die Mitgliedstaaten durchsetzen.1158 Angesichts der unterschiedlichen nationalen Traditionen im Hinblick auf die Ausprägung der unternehmerischen Mitbestimmung erscheint ein genuin europäisches Mitbestimmungsmodell auf unabsehbare Zeit illusorisch.1159 1151 Vgl. Lutter, in: Semler/Hommelhoff (Hrsg.), Reformbedarf im Aktienrecht: 4. DeutschÖsterreichisches Symposion zum Gesellschaftsrecht auf dem Lämmerbuckel, 121, 129: „Bei ihr [der Mitbestimmung] handelt es sich nicht mehr um unterschiedliche Philosophien, sondern um Glaubensaspekte“. 1152 Zu den unterschiedlichen Vorstellungen des Rates und des Parlaments zu Arbeitnehmer-Schutzvorschriften: Teichmann, NZG 2019, 241, 247. 1153 Bonse, Mitbestimmung 3/2018, 34; Kluge, Mitbestimmung 3/2018, 55; Malmberg/ Sjödin/Bruun, in: Vitols (Hrsg.), European company law and the sustainable company, 137, 145. 1154 Bericht v. 09. 01. 2019 über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, PE625.524v03 – 00, S. 277 (Art. 86l Abs. 3 lit. i des Vorschlags); abrufbar unter: https://www.europarl.europa.eu/ doceo/document/A-8-2019-0002_DE.pdf; zuletzt abgerufen am 15. 02. 2022. 1155 Ausführlich zu diesem Entwurf: Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 406. 1156 Vorgesehen waren folgende Schwellenwerte: 50 Arbeitnehmern für zwei Arbeitnehmervertreter; 250 Arbeitnehmer für Drittelparität sowie 1000 Arbeitnehmer für volle Parität. Zusammenfassend zu den entsprechenden Gewerkschaftsvorschlägen: Thannisch, AuR 2020, 310, 314. 1157 So auch: Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 406. 1158 Kritisch hierzu: Kowalsky, in: ETUI (Hrsg.), Jetzt für ein besseres Europa (2019), 25, 40 ff. 1159 So auch: Habersack, ZHR 182 (2018), 495, 499 f.; Teichmann, in: Grundmann/Merkt/ Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1268; ders., ECFR
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
Schlussendlich hat sich der Europäische Gesetzgeber auf kleinteilige, wenig innovative, aber wirksame Schutzvorschriften einigen können. Die verabschiedeten Regelungen sind dem aus dem SE-Recht und bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen bekannten „Verhandlungs- und Auffanglösung“ nachgezeichnet.1160 Der mühsam1161 für die SE-VO errungene- und in die CBMD übernommene Kompromiss sollte und konnte rechtspolitisch nicht umfassend in Frage gestellt werden. Hinzu kommt, dass sich diese Regelungen in der Praxis durchaus als tauglich bewährt haben.1162 Über das Drehen an gewissen Stellschrauben gehen die Veränderungen zu der bekannten „Verhandlungs- und Auffanglösung“ nicht hinaus.1163 Das gesetzgeberische Anliegen dieser Vorschriften ist die Durchsetzung eines etwaigen höheren Mitbestimmungsrechts im Zuzugsstaat und subsidiär die Aufrechterhaltung des bestehenden (geringeren) Mitbestimmungsniveaus.1164 Auf diese Weise soll es gelingen, die Umgehung der unternehmerischer Mitbestimmung unter Respektierung der mitgliedstaatlichen Mitbestimmungsvielfalt zu verhindern.
II. Grundsatz: Anwendung des Mitbestimmungsrechts des Zuzugsstaats (Art. 86 Abs. 1 GesR-RL) Primärer Anknüpfungspunkt für das nach einem grenzüberschreitenden Formwechsel auf die Gesellschaft anwendbare Mitbestimmungsrecht ist gem. Art. 86l Abs. 1 GesR-RL das Mitbestimmungsrecht des Zuzugsstaats. Diese Regelung entspricht den allgemeinen kollisionsrechtlichen Wertungen.1165 Die Mobilitäts-RL zielt damit nicht primär auf die Bewahrung des status quo der Mitbestimmung im Wegzugsstaat, sondern auf die Durchsetzung eines etwaigen höheren Mitbestim2019, 3, 12; vgl. Hopt, ZGR 1992, 265, 278; vgl. Heinze, ZGR 2002, 66, 67 f., vgl. Hellgardt, in: Habersack/Behme/Eidenmüller/Klöhn (Hrsg.), Deutsche Mitbestimmung unter europäischem Reformzwang, 24, 34 ff.; Krause, in: Habersack/Behme/Eidenmüller/Klöhn (Hrsg.), Deutsche Mitbestimmung unter europäischem Reformzwang, 24, 26 ff. 1160 Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1933; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 364; Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 861; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 587; Kraft/Noack, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 542 bezeichnen die materiellen Schutzvorschriften sogar als „Plagiat“ der bereits bestehenden europäischen Vorschriften. 1161 Hirte, NZG 2002, 1 f. bezeichnet den Durchbruch bei den Mitbestimmungsverhandlungen zur SE als „Wunder von Nizza“. 1162 Habersack, ZHR 182 (2018), 495, 500; Luy. NJW 2019, 1905, 1906. 1163 Marsch-Barner/Wilk, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 627, 629. 1164 ErwG. 30 Mobilitäts-RL; vgl. auch COM (2018) 241 final, S. 29. 1165 Kraft/Noack, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 543; Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 400; Titze, NZA 2021, 752, 753; zu der kollisionsrechtlichen Anknüpfung der Mitbestimmung unter: Kap. 2, C, III, 4, b, cc (S. 95 f.).
E. Schutz der Arbeitnehmer
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mungsniveaus im Zuzugsstaat ab.1166 Im Unterschied zur SE-VO1167 sind zeitaufwendige Verhandlungen über die zukünftige Mitbestimmung keine für die Handelsregistereintragung im Zuzugsstaat notwendige Voraussetzung. Dies trägt dem Umstand Rechnung trägt, dass aus dem grenzüberschreitenden Formwechsel eine nationale und keine supranationale Gesellschaft hervorgeht.1168 Von einer fehlenden Verhandlungspflicht profitieren insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, für die sich die zeit- und kostenintensiven Verhandlungen besonders mobilitätshemmend auswirken.1169 Ausländische Gesellschaften, die eine deutsche Gesellschaftsform im Wege eines grenzüberschreitenden Formwechsels annehmen, mit Wirksamwerdens dieser Umwandlung deutschem Mitbestimmungsrecht. Angesichts des europaweit höchsten Mitbestimmungsniveaus in Deutschland, wird deutsches Mitbestimmungsrecht auf hinzuziehende Gesellschaften in aller Regel anwendbar sein und zu einem Mitbestimmungszuwachs führen.
III. Aufrechterhaltung des mitbestimmungsrechtlichen status quo: Verhandlungs- und Auffanglösung (Art. 86l Abs. 2 – 6 GesR-RL) Der umgekehrte Fall eines grenzüberschreitenden Formwechsels aus Deutschland hinaus würde in vielen Fällen zu einer erheblichen oder sogar vollständigen Einbuße an unternehmerischer Mitbestimmung führen. Ohne materiellrechtliche Absicherungen des status quo würde die Geltung des Mitbestimmungsrecht des Zuzugsstaats zum „Abstreifen“ des deutschen Mitbestimmungsrechts einladen.1170 Mithin bedarf es zur Unterbindung der Ausnutzung des mitbestimmungsrechtlichen Regelungsgefälles einer Korrektur dieses Grundsatzes. Unter bestimmten Voraussetzungen wird daher die grundsätzliche Anknüpfung der Mitbestimmung an das Gesellschaftsstatut zugunsten der europäischen Verhandlungs- und Auffanglösung dispensiert.
1166
785. 1167
European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 217; a. A.: Hoffmann, EuZW 2018,
Vgl. Art. 12 Abs. 2 SE-VO. Vgl. zur grenzüberschreitenden Verschmelzung: Habersack, in: Habersack/Henssler (Hrsg.), Mitbestimmungsrecht, § 4 MgVG, Rn. 1; Henssler, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, 143, 146. 1169 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 411; Pütz, AG 2020, 117, 118. 1170 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86l Rn. 8; vgl. Roest, ECFR 2019, 74, 89. 1168
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
1. Mitbestimmungsverhandlungen Gem. Art. 86l Abs. 2 – 4 GesR-RL müssen in bestimmten Fällen Verhandlungen zwischen der Gesellschaft und den Arbeitnehmern über die unternehmerische Mitbestimmung nach dem grenzüberschreitenden Formwechsel geführt werden. Grundidee der Verhandlungslösung ist, die Förderung der privatautonomen Suche nach einem passgenaues Mitbestimmungsniveau für die Gesellschaft durch die Gesellschaft und die Arbeitnehmer.1171 Ob die Verhandlungen ernsthaft mit dem Ziel einer Verständigung geführt werden, wird maßgeblich durch die Rechtsfolgen, welche beim Scheitern Mitbestimmungsverhandlungen zur Anwendung gelangen, determiniert. 2. Auffanglösung beim Scheitern der Mitbestimmungsverhandlungen Können sich die Gesellschaftsorgane und die Arbeitnehmervertreter nicht auf ein Mitbestimmungsrecht einigen, sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. Das nach dem grenzüberschreitenden Formwechsel anwendbare Mitbestimmungsrecht unterscheidet danach, ob die Arbeitnehmer-Vertreter selbst aktiv gegen die Auffanglösung optieren, indem sie die Verhandlungen abbrechen oder überhaupt nicht aufnehmen1172 und damit das Mitbestimmungsrecht des Zuzugsstaats zur Anwendung bringen, oder ob die Verhandlungen durch Zeitablauf fruchtlos enden1173 und der grenzüberschreitende Formwechsel durch Anwendung des bisherigen Mitbestimmungsrechts keine mitbestimmungsrechtlichen Implikationen zeitigt. a) Anwendung des Mitbestimmungsrechts des Wegzugsstaates bei fruchtlosem Zeitablauf Sind die Voraussetzungen des Art. 86l Abs. 2 GesR-RL einschlägig, kommt es gem. Art. 86l Abs. 3 GesR-RL zu einer umfassenden Anwendung der SE-VO sowie der speziell zum Arbeitnehmerschutz erlassenen SE-RL1174, die eine Geltung der Auffanglösung vorsieht (Vorher-Nachher-Prinzip)1175. Im Falle eines Scheiterns der 1171 Henssler, in: Habersack/Henssler MitbestR, § 3 Rn. 59c; ders., in: Müller-Graff/ Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, 143, 146; Henssler, ZHR 173 (2009), 222, 225; Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 398; generell positiv zur Verhandlungslösung: Rieble, BB 2006, 2018, 2019. 1172 Art. 86l Abs. 4 lit. a) GesR-RL. 1173 Art. 86l Abs. 3 i. V. m. Art. 7 SE-RL. 1174 Richtlinie 2001/86/EG des Rates v. 08. 10. 2001 zur Ergänzung des Status der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. 2001, L 294/22. 1175 BR-Drs. 540/06, S. 32; Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 398; Marsch-Barner/Wilk, in: HoffmannBecking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 627; Pütz, AG 2020, 117, 120.
E. Schutz der Arbeitnehmer
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Verhandlungen über die Mitbestimmung gilt in Abweichung von dem grundsätzlichen Sitzstaatprinzip das bislang bestehende Mitbestimmungsniveau fort. Dabei kommt es auf die Erhaltung des Verhältnisses von Anteilseignern- und Arbeitnehmervertretern an, nicht auf die absolute Anzahl an Arbeitnehmern an.1176 Da aber nicht das bislang bestehende Mitbestimmungsrecht weiter zur Anwendung gelangt, sondern nur der mitbestimmungsrechtliche status quo aufrechterhalten wird, kann die Gesellschaft durch Steigerung der Arbeitnehmerzahl nicht mehr in ein qualitativ oder quantitativ höheres Mitbestimmungsniveau „hineinwachsen“.1177 Die Auffanglösung sichert somit lediglich im Sinne eines Bestandsschutzes die bestehende unternehmerischen Mitbestimmung rechtlich ab.1178 Dies führt dazu, dass ohne entsprechende legislative Vorkehrungen mitbestimmungsfreie Gesellschaften diesen Zustand bei Scheitern der Verhandlungen mittels Anwendung der Auffanglösung zementieren können.1179 b) Anwendung des Mitbestimmungsrechts des Zuzugsstaats bei Nichteröffnung oder Abbruch der Verhandlungen (Art. 86l Abs. 4 lit. a GesR-RL) Gem. Art. 86l Abs. 4 lit. a GesR-RL bleibt es den Arbeitnehmervertretern im besonderen Verhandlungsgremium unbenommen, mit qualifizierter Mehrheit die Aufnahme von Verhandlungen abzulehnen oder bereits eröffnete Verhandlungen abzubrechen. Auf diese Weise können sie unmittelbar das Mitbestimmungsrecht des Zuzugsstaats zur Anwendung bringen.1180 Die Arbeitnehmer haben somit in jedem Verfahrensstadium die Wahl, das Mitbestimmungsrecht des Zuzugs- oder Wegzugsstaats zur Anwendung zu bringen. Eine unfreiwillige Einbuße bestehender Rechtspositionen droht nicht.1181 Dieses Wahlrecht ist zwingend, da bei Geltung der Auffanglösung eine Petrifizierung eines niedrigen Mitbestimmungsniveaus im
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J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 589. Vgl. zur SE-VO: Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 398 f. 1178 Kraft/Noack, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 542; Selent, NZG 2018, 1171, 1175. 1179 Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1934; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2446; Selent, NZG 2018, 1171, 1175; Luy, NJW 2019, 1905, 1906; Hoffmann, EuZW 2018, 245, 246 („Perpetuierung der Mitbestimmungsfreiheit“). 1180 Deutscher Gewerkschaftsbund, Stellungnahme zum Company Law Package, S. 8 sieht hierin jedoch einen Anreiz um die Arbeitnehmer-Seite zu „erpressen“. 1181 Anders aber: Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 760, der zwar zutreffend erkennt, dass es bei Vorliegen eines Verhandlungstatbestandes aufgrund der Auffanglösung die Möglichkeit besteht, dass das vorteilhafte Recht des Zuzugsstaats nicht zur Anwendung kommt, jedoch die Möglichkeit der Arbeitnehmer, diesem durch Verhandlungsabbruch zur Anwendung zu verhelfen, übersieht. Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 33 Rn. 42 weist insoweit aber zutreffend darauf hin, dass die Schwellen für einen solchen Beschluss hoch sind. 1177
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
Wegzugsstaat möglich wäre.1182 In Bezug auf grenzüberschreitende Formwechsel unter deutscher Beteiligung folgt daraus, dass in aller Regel sowohl bei Heraus- als auch bei Hereinformwechsel, deutsches Mitbestimmungsrecht zur Anwendung gelangen wird.1183 c) Bewertung Das Scheitern von Verhandlungen hat kaum negative Auswirkungen auf die Arbeitnehmer, da diese stets die Wahl zwischen dem Mitbestimmungsrecht des Wegzugs- oder Zuzugsstaats haben. Das „Einfrieren“ der geltenden Mitbestimmungsregelungen kann die Verhandlungs- und Auffanglösung aber nicht vollauf erfüllen: Eine nicht mitbestimmte Gesellschaft, die kurz vor Erreichen einer mitbestimmungsrelevanten Schwelle steht, ist beim Scheitern der Mitbestimmungsverhandlungen auch nach einem grenzüberschreitenden Formwechsel nicht mitbestimmt, wenn der Zuzugsstaat kein Mitbestimmungsrecht vorsieht. Es fehlt ein Hebel, um ein Mindestmaß an unternehmerischer Mitbestimmung sicherzustellen, wenn sowohl der Wegzugsstaat als auch der Zuzugsstaat keine unternehmerische Mitbestimmung kennen bzw. die Schwellenwerte des Wegzugsstaates nicht erfüllt waren.1184 Im Ergebnis verhindert die Auffanglösung zwar zuverlässig eine „Flucht“ aus einer bestehenden Mitbestimmung, nicht aber eine „Flucht“ vor dem Hineinwachsen in die Mitbestimmungspflichtigkeit.1185 Unter diesen Vorzeichen ist die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer bei den Mitbestimmungsverhandlungen erheblich geschwächt.1186 Da die Gesellschaft sich in diesem Fall kaum auf ein verhandeltes Mitbestimmungsmodell einlassen wird, ist das Ergebnis der Verhandlungen vorgezeichnet, sodass diese sich in vielen Fällen als kostspielige Formalie erweisen dürften.1187 1182 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86l Rn. 11; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 589; kritisch zu dem – nunmehr abgeänderten – Kommissionsentwurf, nach dem die Arbeitnehmer gem. Art. 86l Abs. 4 lit. a Kom-E durch Nichtaufnahme oder Abbruch der Verhandlungen nicht das Mitbestimmungsrecht des Zuzugsstaats, sondern nur das Mitbestimmungsrecht des Wegzugsstaats zur Anwendung bringen konnten: J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 266. 1183 Seibt, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt (Hrsg.), Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, Kap. F Rn. 147b; Teichmann, NZG 2019, 241, 246. 1184 Mückl/Götte, BB 2018, 2036, 2040; Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 758; Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1267; ders., in: Bachmann/Mengel/ Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 403. 1185 Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 756; Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 399. 1186 Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 759; vgl. zu den Vorbildregelungen aus der SE-VO: Merkt, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 311, 322. 1187 Vgl. Mückl/Götte, BB 2018, 2036, 2041.
E. Schutz der Arbeitnehmer
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3. Verhandlungstatbestände Die Verhandlungspflicht wird ausgelöst, wenn eine der drei folgenden Fallgruppen einschlägig ist. In diesen Fällen sind Verhandlungen so lange zu führen, bis entweder eine Einigung gefunden wird, die Arbeitnehmer-Vertreter im besonderen Verhandlungsgremium die Verhandlungen nicht aufnehmen oder abbrechen oder die Verhandlungen mit Zeitablauf fruchtlosen enden (Art. 86l Abs. 2 GesR-RL). Den Verhandlungstatbeständen ist gemeinsam, dass die Gefahr einer Minderung der Mitbestimmungsrechte infolge des grenzüberschreitenden Formwechsels besteht. a) Materielle Mitbestimmungsreduzierung (Art. 86l Abs. 2 lit. a) GesR-RL) Art. 86l Abs. 2 lit. a) GesR-RL schreibt in Anknüpfung an die schon bestehenden Regelung für grenzüberschreitende Verschmelzungen1188 Verhandlungen zwischen Gesellschaft und Arbeitnehmern vor, wenn im Zuzugsstaat ein niedrigeres Mitbestimmungsniveau herrscht. Für den Vergleich ist eine quantitative und keine qualitative Betrachtungsweise maßgeblich, da nur diese klare und rechtssichere Ergebnisse liefert.1189 Maßgeblich kommt es auf die Erhaltung des Anteils an Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsorgan und nicht auf die absolute Anzahl der dort vertretenen Arbeitnehmerrepräsentanten an.1190 Unter der Berücksichtigung des gesetzgeberischen Zwecks ist es nicht entscheidend, ob in der formwechselnden Gesellschaft tatsächlich eine Mitbestimmung bestand („Ist-Zustand“). Es kommt allein darauf an, ob rechtlich eine Repräsentanz der Arbeitnehmer in dem Aufsichtsorgan vorgeschrieben war („Soll-Zustand“).1191 Entscheidend ist daher ein abstrakter Vergleich zwischen den Vorschriften zur unternehmerischen Mitbestimmung im Wegzugs- und Zuzugsstaat.
1188
Vgl. Art. 133 Abs. 2 lit. a GesR-RL a. F. Selent, NZG 2018, 1171, 1173; Suchan/Albrecht, WPg 2019, 1181, 1187; vgl. zur Art. 133 Abs. 2 lit. a) GesR-RL a. F.: Thüsing/Forst, in: Habersack/Drinhausen (Hrsg.), SERecht, Einleitung MgVG Rn. 19; zur Qualität der Arbeitnehmer-Mitbestimmung in einigen Mitgliedstaaten: Funke, Mitbestimmung in EU-Auslandsgesellschaften nach „Inspire Art“, S. 63 ff. 1190 Vgl. zu § 5 Nr. 3 MgVG: Thüsing/Forst, in: Habersack/Drinhausen (Hrsg.), SE-Recht, § 5 MgVG Rn. 15. 1191 Luy. NJW 2019, 1905, 1906 unter Berufung auf OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 27. 08. 2018 – 21 W 29/18, NZG 2018, 1254 ff. Dieses hatte für § 35 Abs. 1 SEBG entschieden, dass es im Hinblick auf das Mitbestimmungsniveau, das vor der Umwandlung in eine SE bestand, auf den „Soll-Zustand“ und nicht auf den „Ist-Zustand“ ankommt (m. w. N. zu dem diesbezüglichen Streitstand). Zustimmend: Mückl, BB 2018, 2868, 2871 f. 1189
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
b) Benachteiligung von ausländischen Arbeitnehmern (Art. 86l Abs. 2 lit. b) GesR-RL) Gem. Art. 86l Abs. 2 lit. b) GesR-RL wird die Verhandlungspflicht ausgelöst, wenn der Zuzugsstaats in ausländischen Betrieben beschäftigten Arbeitnehmern nicht entsprechende Mitbestimmungsrechte wie der Wegzugsstaat einräumt. Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Gleichberechtigung von in- und ausländischen Arbeitnehmern.1192 Nach deutschem Recht werden Arbeitnehmer je nach Belegenheit des Betriebs unterschiedlich behandelt. Für die Wahl des Aufsichtsrats sind nur die in inländischen Betrieben tätigen Arbeitnehmer – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit – aktiv und passiv wahlberechtigt.1193 Dies entspricht der Rechtslage in den meisten mitbestimmten Mitgliedstaaten.1194 Der EuGH hat dies im Jahr 2018 in dem medial vielfach rezipierten Urteil Erzberger/TUI trotz beträchtlicher in der Literatur vorgebrachten Bedenken1195 im Hinblick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) und das Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV) für unionsrechtskonform erklärt.1196 Unter dieses Vorzeichen ist dieser Verhandlungstatbestand erfüllt, sobald die Gesellschaft Arbeitnehmer im Ausland beschäftigt.1197 Er wird für Hereinformwechsel nach Deutschland erhebliche Praxisrelevanz entfalten.1198 Insoweit ist eine „faktische Umkehrung des Regel-Ausnahmeverhältnisses zwischen nationalem und europäischen Mitbestimmungsregime“ konstatiert worden.1199 Bei grenzüberschreitenden Hereinformwechseln kommt es zu der paradoxen Konsequenz, dass 1192 Vgl. zu Art. 5 Nr. 3 MgVG: Nagel, in: Nagel/Freis/Kleinsorge (Hrsg.), Arbeitnehmerbeteiligung nach europäischem Recht, § 5 MgVG Rn. 5. 1193 Henssler, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, 143, 144. 1194 European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 219, die auf Dänemark und Frankreich als Ausnahme dieses Grundsatzes hinweisen; Roest, ECFR 2019, 74, 92. 1195 Die Diskussion zusammenfassend: Hellgardt, in: Habersack/Behme/Eidenmüller/ Klöhn (Hrsg.), Deutsche Mitbestimmung unter europäischem Reformzwang, 24, 34 ff.; Krause, in: Habersack/Behme/Eidenmüller/Klöhn (Hrsg.), Deutsche Mitbestimmung unter europäischem Reformzwang, 46, 57 ff. 1196 EuGH, Urt. v. 18. 07. 2017, Erzberger/TUI, C-566/15, ECLI:EU:C:2017:562, Rn. 24 ff.; besprochen u. a. von Seifert, ZGR 2019, 702, 705 ff.; kritisch zu dieser Entscheidung: Habersack, NZG 2017, 1021, 1022 f.; Behme, AG 2018, 1, 7 ff. hegt jedoch aufgrund von Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung. 1197 Hoffmann, EuZW 2018, 785, 786; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094, 2103; vgl. auch Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 33 Rn. 42. 1198 Seibt, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt (Hrsg.), Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, Kap. F Rn. 147b; Wicke, DStR 2018, 2703, 2709; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/ Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 134. 1199 Selent, NZG 2018, 1171, 1174.
E. Schutz der Arbeitnehmer
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nicht die zu dem starken deutschen Mitbestimmungsrecht führende Grundregel Geltung beansprucht. Vorbehaltlich des Verhandlungsabbruchs durch die Arbeitnehmer-Seite würde häufig die regelmäßig schwächere Auffanglösung eingreifen.1200 In der Konsequenz könnten mitbestimmungsfreie ausländische Gesellschaften ihre Rechtsform in eine deutsche Gesellschaftsform wechseln, ohne der eigentlich einschlägigen unternehmerischen Mitbestimmung zu unterliegen. Ein Beispiel hierfür ist eine nicht mitbestimmungspflichtige niederländische Gesellschaft mit 600 Mitarbeitern, die trotz Erfüllung des Schwellenwerts nicht dem DrittelbG unterfallen würde. Diese Gefahr ist aber überwiegend theoretischer Natur, da die Arbeitnehmer das vorteilhafte Mitbestimmungsrecht des Zuzugsstaats zur Anwendung bringen können. Gleichwohl wäre es sowohl für die Gesellschaft als auch für die Arbeitnehmer zielführender, das höhere Mitbestimmungsniveau des Zuzugsstaats unmittelbar zu Anwendung zu bringen. Mit guten Gründen lässt sich auch vertreten, dass der Verhandlungstatbestand in dieser Konstellation im Wege einer primärrechtskonformen Auslegung nicht anwendbar ist, da er bei dem Formwechsel in ein höheres Mitbestimmungsniveau keinen legitimen Zweck verfolgt und die damit verbundenen Verhandlungsanstrengungen sich somit nicht rechtfertigen lassen.1201 c) Flexibler Schwellenwert (Art. 86l Abs. 2 S. 1 GesR-RL) Der Umstand, dass ein „Einfrieren“ des geltenden Mitbestimmungsrechts bei einem permissiveren Mitbestimmungsrecht des Zuzugsstaats nicht verhindert werden kann, ist der fehlenden Berücksichtigung von unternehmerischem Wachstum im Zuzugsstaat geschuldet.1202 Erhöht sich nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels die Arbeitnehmerzahl und würde nach diesen Maßstäben eine Mitbestimmungsschwelle im Wegzugsstaat eingreifen, so kann dieses Mitbestimmungsrecht im Zuzugsstaat unter Geltung der Auffanglösung nicht durchgesetzt werden. Es wird jedoch als unbillig empfunden, kurz vor Erreichen einer mitbestimmungsrelevanten Schwelle die Mitbestimmungsfreiheit durch Wahl eines insoweit permissiveren Gesellschaftsstatuts zu zementieren. Dasselbe gilt für eine kurzfristige Reduktion der Arbeitnehmeranzahl zum Zwecke einer Herabstufung des nach der Auffanglösung geltenden Mitbestimmungsniveaus.1203 1200
Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 33 Rn. 42; Hoffmann EuZW 2018, 785, 786. Schubert, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1202 Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1267; ders., ECFR 2019, 3, 11; ders., NZG 2019, 241, 246. 1203 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86l Rn. 10; Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 402; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1934; Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 294; Bungert/Becker, DB 2019, 1609, 1616; Suchan/Albrecht, WPg 2019, 1181, 1187; vgl. zu der identischen Regelung bei grenzüberschreitenden Spaltungen: J. Schmidt, DK 2018, 273, 281; dies., ECFR 2019, 222, 266; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden 1201
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
Um diesen Konstellationen den Boden zu entziehen, hat der Europäische Gesetzgeber mit einer innovativen Vorverlagerung und Flexibilisierung der Verhandlungsschwelle reagiert.1204 Im Unterschied zu der bisherigen Verhandlungspflicht bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen knüpft diese nicht mehr an einen starren Schwellenwert an.1205 Gem. Art. 86l Abs. 2 S. 1 GesR-RL findet die Verhandlungslösung zukünftig bereits Anwendung, wenn die Gesellschaft eine Anzahl von Arbeitnehmern beschäftigt, die vier Fünfteln des nationalen Schwellenwerts entsprechen1206 Dies kommt den Arbeitnehmer aus denjenigen Mitgliedstaaten, deren Schwellenwerte unter dem bisherigen starren Schwellenwert liegen, unmittelbar zugute.1207 Unter Berücksichtigung dieses Gesetzeszwecks ist das „Entsprechen“ der regelmäßigen Arbeitnehmerzahl mit dem Schwellenwert als Mindestniveau zu verstehen.1208 aa) Reichweite Fraglich ist, ob der Schwellenwert nur eingreift, wenn es um die erstmalige Auslösung von unternehmerischer Mitbestimmung geht, oder auch für einen weiteren nationalen Schwellenwert eingreift. Der Wortlaut von ErwG. 31, der von „dem“ nationalen Schwellenwert spricht, legt dies nahe. Dieses Argument verliert an Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 133; vgl. Oetker, in: Franzen/Gallner/Oetker (Hrsg.), Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, Art. 133 RL 2017/1132 Rn. 1, der den Zweck in dem Umgehungsschutz sieht. 1204 Zu dem legislativen Zweck: Hoffmann EuZW 2018, 785, 786; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 588; dies., ECFR 2019, 222, 266; Luy, NJW 2019, 1905, 1906; Kovács, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection in Restructuring, 159, 180; Teichmann, in: Bachmann/Mengel/ Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 402. 1205 Vgl. Art. 133 Abs. 2 GesR-R a. F., nach dem zum Schutz der bestehenden unternehmerischen Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen – unabhängig von nationalen, die Mitbestimmung auslösenden Schwellenwerten – lediglich ein für sämtliche Mitgliedstaaten geltender, fester Schwellenwert von 500 Arbeitnehmern verankert, sofern die Gesellschaft bereits mitbestimmungspflichtig ist 1206 Maßgeblich ist hierfür die durchschnittliche Arbeitnehmerzahl in den letzten sechs Monaten vor der Offenlegung des Plans. 1207 Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 33 Rn. 38; Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 514; ders., ZIP 2019, 2437, 2446; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 59. 1208 Hoffmann EuZW 2018, 785, 786; Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 861; Mückl/Götte, BB 2018, 2036, 2038; Pütz, AG 2020, 117, 123; Thomale, RdW 2020, 338, 340; Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 756; Schubert, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen); vgl. zur identischen Vorschrift für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Oetker, in: Franzen/Gallner/Oetker (Hrsg.), Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, Art. 133 RL 2017/1132 Rn. 19; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 133.
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Schlagkraft, wenn man berücksichtigt, dass manche Mitgliedstaaten nur eine mitbestimmungsrelevante Schwelle kennen. Bei einer Anwendung nur auf den die Mitbestimmung erstmalig auslösenden Schwellenwert hätte die Verhandlungslösung nur einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich.1209 Der Zweck der Vorschrift ist auch als bei dem bevorstehenden Erreichen einer weiteren mitbestimmungsrelevanten Schwelle einschlägig.1210 Für die Arbeitnehmer droht auch hier die Vorenthaltung von Mitbestimmung, die durch unternehmerisches Wachstum im Wegzugsstaat bestanden hätte. Im Ergebnis wird die Verhandlungspflicht auch dann ausgelöst, wenn mindestens vier Fünftel Prozent des für eine höhere nationales Mitbestimmungsniveaus notwendigen Schwellenwerts erreicht werden.1211 bb) Bewertung des flexiblen Schwellenwerts In Deutschland ist die Neuregelung des Schwellenwerts auf erhebliche Kritik gestoßen.1212 Unabhängig von ihrer rechtspolitischen Bewertung ist infrage gestellt worden, ob die Norm ihren Zweck erfüllen kann.1213 Maßgeblich ist hier, dass sie keinen Hebel zur Durchsetzung eines höheres Mitbestimmungsniveaus zur Verfügung stellt. In der Konsequenz kann der mitbestimmungsrechtliche status quo weiterhin aufrechterhalten werden. Im Anwendungsbereich der Vorschrift wird das Ergebnis der Verhandlungen im Schatten der Auffanglösung in vielen Fällen bereits vorgezeichnet sein.1214 Der mitbestimmungsrechtliche Gewinn durch die Vorverlagerung der Verhandlungsschwelle ist daher marginal. Er liegt lediglich in der 1209
Pütz, AG 2020, 117, 119. Schubert, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1211 So auch: Pütz, AG 2020, 117, 119; Schubert, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen); implizit auch: Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86l Rn. 10; Kraft/Noack, in: Hoffmann-Becking/ Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 546; Selent, NZG 2018, 1171, 1173; Mückl/Götte, BB 2018, 2036, 2038. 1212 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 514; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 4 Rn. 31; Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1270; Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 861; Noack/ Kraft, DB 2018,1577, 1581; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094, 2103; Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 134; Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 59; zustimmend hingegen: BR-Drs. 179/1/18, S. 10; in diese Richtung auch („akzeptabel“): Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 758; den legislativen Absichten zustimmend, jedoch die Umsetzung kritisierend: Guggemoos, in: Deinert/Heuschmid/Kittner/Ma. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Thomas Klebe zum 70. Geburtstag, 132, 135; Thannisch, AuR 2020, 310, 313. 1213 Schubert, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1214 Schubert, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1210
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
Möglichkeit, dass die Gesellschaft sich vor dem Zeit- und Kostenfaktor der Mitbestimmungsverhandlungen scheut und deshalb offen für eine Mitbestimmungsvereinbarung ist.1215 Die Mitbestimmungsverhandlungen können einfach umgangen werden, indem die Gesellschaft den grenzüberschreitenden Formwechsel vor Erreichen Verhandlungsschwelle durchführt.1216 Die Vorverlagerung des Schwellenwerts vermag Fluchtbewegungen im Hinblick auf die unternehmerische Mitbestimmung daher zwar zu erschweren, nicht aber zu unterbinden. Umgekehrt stellen die Verhandlungen einen erheblichen Zeit- und Kostenaufwand für die Gesellschaft dar,1217 der unterschiedslos auch Gesellschaften trifft, die keine missbilligenswerten Zwecke verfolgen.1218 Ist der mitgliedstaatliche Schwellenwert gering, trifft dies vor allem kleine und mittlere- Unternehmen.1219 Die sachliche Rechtfertigung für die Vorverlagerung der Verhandlungspflicht ist ausgesprochen dünn: Zwar kann hierfür argumentiert werden, dass die hiervon betroffenen Gesellschaften den Schwellenwert in nächster Zeit erreichen werden und hieraus eine Art „Anwartschaftsrecht auf Mitbestimmung“1220 erwächst.1221 Dies kommt aber einer Missbrauchsvermutung gleich. Bereits die Prämisse des baldigen Erreichens eines Mitbestimmungsschwelle geht fehl, da die Arbeitsmarktentwicklungen nur bedingt vorhersehbar sind1222 und ein unternehmerisches Wachstum daher nicht per se vermutet werden kann.1223 Tritt im Zuzugsstaat ein Wachstum in der Belegschaft ein, spricht dies nicht zwingend für einen Missbrauch, sondern kann auch auf die mit dem grenzüberschreitenden Formwechsel einhergehenden Wohlfahrtssteigerungen zurückgeführt werden. Es mutet seltsam an, dass Gesellschaften, die ohne einen grenzüberschreitenden Formwechsel mitbestimmungsfrei blieben, Verhandlungen über eine zukünftige Arbeitnehmerbeteiligung durchführen müssen.1224 Auf diese Weise wird der Schwellenwert „durch die Hintertür“ abgesenkt.1225 1215 Vgl. Schubert, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1216 Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 758; dem folgend: Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 33 Rn. 38. 1217 Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1266; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 134. 1218 European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 218; Habersack, ZHR 182 (2018), 495, 502 spricht von einem „erheblichen Formalaufwand“. 1219 Selent, NZG 2018, 1171, 1177. 1220 Junker, EuZA 2019, 141 f., der ein solches explizit ablehnt. 1221 Habersack, ZHR 182 (2018), 495, 502, der diese Regelung nichtsdestotrotz ablehnt. 1222 Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 135. 1223 Junker, EuZA 2019, 142. 1224 So auch: Habersack, ZHR 182 (2018), 495, 501. 1225 Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 4 Rn. 31; Junker, EuZA 2019, 141, 142.
E. Schutz der Arbeitnehmer
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Zusammengefasst vermag die Modifizierung der Verhandlungslösung weder rechtspolitisch zu überzeugen, noch kann sie eine Umgehung der unternehmerischen Mitbestimmung effektiv verhindern. 4. Bewertung der Verhandlungs- und Auffanglösung Es ist zweifelhaft, ob die Verhandlungs- und Auffanglösung mit dem Anspruch des Europäischen Gesetzgebers, den Gesellschaften eine wenig zeit- und kostenintensive Umwandlungsmöglichkeit bereitzustellen, im Einklang steht. Im Ausgangspunkt ist – auch unter Berücksichtigung der bisherigen Bewährung der Verhandlungslösung – in der Praxis von SE-Gründungen davon auszugehen, dass regelmäßig weder die Gesellschaft noch die Arbeitnehmer ein höheres als das zwingend notwendige bzw. ein unter dem Mindestbestand liegendes Mitbestimmungsniveau akzeptieren werden.1226 Besonders aussichtslos erscheinen die Verhandlungen, wenn sowohl die Grundregel als auch die Auffanglösung zur Mitbestimmungsfreiheit führen.1227 Diesen wenig vielversprechenden Erfolgsaussichten stehen erhöhte Transaktionskosten durch das mitunter langwierige Verhandlungsverfahren gegenüber.1228 Dieses Schutzkonzept wird sich aus diesem Grund in vielen Fällen als gleichsam teures wie „stumpfes Schwert“1229 erweisen.1230 Die Gratwanderung zwischen dem Ausgleich des Gesellschaftsinteresses an einem effizienten Verfahren und dem Arbeitnehmerinteresse an einer Beibehaltung der unternehmerischen Mitbestimmung gelingt dem Europäischen Gesetzgeber damit nicht lückenlos.
1226 Vgl. Habersack, ZHR 182 (2018), 495, 502; vgl. Bungert/Becker, DB 2019, 1609, 1616; vgl. zu der Verhandlungspflicht bei der SE-Gründung: Teichmann, in: Habersack/Behme/Eidenmüller/Klöhn (Hrsg.), Deutsche Mitbestimmung unter europäischem Reformzwang, 135, 142 f.; vgl. auch Deutscher Gewerkschaftsbund, Stellungnahme zum Company Law Package, S. 6. 1227 Habersack, ZHR 182 (2018), 495, 502; Bungert/Becker, DB 2019, 1609, 1616; Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094, 2103; Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 861; Suchan/Albrecht, WPg 2019, 1181, 1187; vgl. Teichmann, ECFR 2019, 3, 11; vgl. J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 267; vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund, Stellungnahme zum CLP, S. 6. 1228 Habersack, ZHR 182 (2018), 495, 502; Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 294; Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 861; vgl. Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2446; Noack/Kraft, DB 2018, 1577, 1581 sprechen insoweit von einer „Überregulierung“. 1229 J. Schmidt, BB 2020, Heft 3/2020, I („Die Erste Seite“). 1230 Vgl. Mückl/Götte, BB 2018, 2036, 2041.
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IV. De lege ferenda An der lex lata sind zwei Monita anzubringen. Zum einen muss die Gesellschaft in verschiedenen Fällen Effizienzeinbußen erleiden, obwohl die Verhandlungen faktisch eine bloßen Formalie darstellen. Zum anderen werden mitbestimmungsmodifizierende Gestaltungen nicht vollumfänglich verhindert werden. 1. Möglichkeit zum unmittelbaren Übergang zur Auffanglösung Im Unterschied zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen1231 kann die Gesellschaft bei grenzüberschreitenden Formwechseln und grenzüberschreitenden Spaltungen nicht unmittelbar die Auffanglösung zur Anwendung bringen.1232 Diese Inkohärenz ist in der Literatur auf berechtigte Kritik gestoßen.1233 Hintergrund der unterschiedlichen Behandlung von den Umwandlungsarten ist (wohl), dass die Kommission die grenzüberschreitende Verschmelzung als die für die Mitbestimmung ungefährlichste Umwandlungsform ansieht.1234 Während das Europäische Parlament eine Streichung der Vorschrift für grenzüberschreitende Verschmelzungen forderte,1235 wird zum Teil die nicht gelungene Erstreckung dieser Regelung auf grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen bedauert.1236 Letztere Stimmen verdienen Zustimmung, da zwischen den Umwandlungsformen keine Unterschiede
1231
Art. 133 Abs. 4 lit. a GesR-RL. Kritisch zu dieser Inkohärenz: J. Schmidt, DK 2018, 281; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1934; Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 404; Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 760 f.; die fehlende Möglichkeit der Gesellschaft, unmittelbar zur Auffanglösung überzugehen ebenfalls bedauernd: Mückl/Götte, BB 2018, 2036, 2041. 1233 Oetker, in: Franzen/Gallner/Oetker (Hrsg.), Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, Art. 1 RL 2017/1132 Rn. 10; Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 516; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1934; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 364; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2446; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 588; dies., ECFR 2019, 222, 267; Schubert, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen): Wicke, DStR 2018, 2703, 2709; Brandi, BB 2018, 2626, 2632; Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1266; ders., in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 404; Suchan/Albrecht, WPg 2019, 1181, 1187 f.; Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 761; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: HoffmannBecking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 134. 1234 Commission Staff Working Document, Impact Assessment SWD (2018) 141 final, S. 60; zweifelnd hierzu: J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 265. 1235 Vgl. Änderungsantrag 235 des Parlaments, PE625.524v03 – 00, S. 175; so auch: Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 364. 1236 Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1934; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 588; dies., ECFR 2019, 222, 267 f. 1232
E. Schutz der Arbeitnehmer
243
bestehen, die diese Ungleichbehandlung rechtfertigen können.1237 Insoweit wird sogar teilweise ein Verstoß gegen Art. 20 GRC konstatiert.1238 Angesichts der häufig erfolglosen Verhandlungen erscheint es unstimmig, dass das Mitbestimmungsrecht des Wegzugsstaats nur durch fruchtlosen Ablauf der Verhandlungen zur Anwendung gebracht werden kann. Der direkte Übergang zur Auffanglösung kann der Gesellschaft Zeit und Kosten sparen,1239 ohne dass sich das Ergebnis der Mitbestimmung nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels verändert. Nach dem verabschiedeten Konzept ist zu befürchten, dass grenzüberschreitende Verschmelzungen nicht nur für ihren originären Einsatzbereich, sondern auch zur Substitution eines grenzüberschreitenden Formwechsels mit dem Vorteil eines schlankeren Verfahrens eingesetzt werden.1240 Durch die Möglichkeit eines unmittelbaren Übergangs zur Auffanglösung würde den Arbeitnehmern ihr Wahlrecht genommen, welches Mitbestimmungsrecht nach dem grenzüberschreitenden Formwechsel anwendbar ist. Dies würde zur Mitbestimmungsumgehung einladen, wenn der Wegzugsstaat ein höheres Mitbestimmungsniveau als der Zuzugsstaat verlangt. Um ein Optieren für eine Mitbestimmungsfreiheit durch die Gesellschaft zu verhindern,1241 ist für die unmittelbare Anwendung der Auffanglösung bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen Voraussetzung, dass zumindest eine der sich verschmelzenden Gesellschaft mitbestimmt ist (Art. 133 Abs. 4 lit. a) GesR-RL). Es liegt in der Natur der Sache, dass eine entsprechende Regelung bei grenzüberschreitenden Formwechseln nicht exakt gleichlaufend möglich ist. De lege ferenda ist für eine angepasste Regel zu votieren. Das direkte Optieren für die Auffanglösung soll nur möglich sein, wenn die Gesellschaft im Wegzugsstaat bereits mitbestimmt ist. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Verhandlungen zuungunsten der Arbeitnehmer nicht eröffnet werden.1242 Anschließend ist ein abstrakter Mitbestimmungsvergleich entscheidend. Ist das Mitbestimmungsniveau im 1237 Schubert, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1238 Schubert, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1239 Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 364; J. Schmidt, DK 2018, 273, 281; dies., ECFR 2019, 222, 267; Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 761; Bungert/Becker, DB 2019, 1609, 1616; Suchan/Albrecht, WPg 2019, 1181, 1187. 1240 Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1266; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1934; J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 265; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2446; Bungert/Becker, DB 2019, 1609, 1616; Suchan/ Albrecht, WPg 2019, 1181, 1187: Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 761. 1241 Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 409. 1242 Vgl. Oetker, in: Franzen/Gallner/Oetker (Hrsg.), Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, Art. 133 RL 2017/1132 Rn. 54.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
Zuzugsstaat höher als im Wegzugsstaat, ist ein direkter Übergang zur Auffanglösung nicht möglich. Nur wenn der mitbestimmungsrechtliche status quo der unternehmerischen Mitbestimmung im Wegzugsstaat höher ist, erscheint ein direkter Übergang zur Auffanglösung durch die Gesellschaft angemessen. Alternativ ist zu erwägen, dass ein direkter Übergangs zur Auffanglösung einer Zustimmung der Arbeitnehmer bedarf, da diesen die Möglichkeit des Abschlusses einer Mitbestimmungsvereinbarung genommen würde.1243 In diesem Fall könnte man den Arbeitnehmern eine angemessene Frist zur Entscheidung über die Geltung des Mitbestimmungsrecht des Zuzugsstaats oder der Auffanglösung setzen. Auf diese Weise würden die Interessen der Gesellschaft an einem effizienten Verfahren und die Interessen der Arbeitnehmer an einer adäquaten unternehmerischen Mitbestimmung in ein angemessenes Verhältnis zueinander gebracht. 2. Niedriger Schwellenwert bei Herausformwechsel Zur Verhinderung des Umgehung einer bevorstehenden Mitbestimmung ist gefordert worden, im Falle eines Herausformwechsels eine niedrigere Mitbestimmungsschwelle anzuwenden.1244 Beispielhaft wird eine Absenkung ein Schwellenwert von 240 Arbeitnehmern statt den grundsätzlich erforderlichen 300 Arbeitnehmern bei einem Wegzug vorgebracht.1245 Auf diese Weise würde der Schwellenwert „durch die Hintertür“, exklusiv für Gesellschaften, die die Möglichkeit grenzüberschreitender Mobilität in Anspruch nehmen, abgesenkt. Es ist aber uneinsichtig, wieso eine niedrigere Mitbestimmungsschwelle nur für solche Gesellschaften gelten soll.1246 Dieser Umstand wäre erheblichen primärrechtlichen Bedenken ausgesetzt, da eine Verhandlungspflicht gegenüber einer direkten Anknüpfung an das Mitbestimmungsrecht des Wegzugsstaats das mildere Mittel darstellt.1247 Auch würden grenzüberschreitende gegenüber nationalen Sachverhalten benachteiligt. Im Übrigen handelt es sich um eine reine Missbrauchsvermutung, da es keine Gewähr für ein unternehmerisches Wachstum nach Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels gibt. Im Ergebnis verdient dieser Vorschlag keine Zustimmung.
1243 Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1266. 1244 Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 758 f.; wohl auch: Guggemoos, in: Deinert/Heuschmid/Kittner/Ma. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Thomas Klebe zum 70. Geburtstag, 132, 135. 1245 Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 759. 1246 Vgl. zur ähnlichen Frage, ob (nur) für Gesellschaften, die grenzüberschreitende Umwandlungen durchführen, ein genuin europäisches Mitbestimmungsmodell zur Anwendung gelangen sollte: Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 406. 1247 Teichmann, ZIP 2016, 899, 904; ders., NZG 2019, 241, 247.
E. Schutz der Arbeitnehmer
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3. Ergänzung einer Verhandlungspflicht beim nachträglichen Erreichen einer mitbestimmungsrelevanten Schwelle a) Vorschlag aus der Literatur Grundsätzlich ist die in vielen Fällen fortbestehende Mitbestimmungsfreiheit hinzunehmen, da ein grenzüberschreitender Formwechsel den Arbeitnehmern im Hinblick auf ihre Mitbestimmungsrechte nicht zum Vorteil gereichen darf.1248 Dieser Grundsatz stößt an seine Grenzen, wenn im Zuzugsstaat in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels ein für den Wegzugsstaat mitbestimmungsrelevanten Schwellenwert erreicht wird, dieser im Zuzugsstaat aber keine- oder eine geringere unternehmerische Mitbestimmung auslöst. In diesen Fällen spricht vieles für eine zu missbilligende Umgehung der unternehmerische Mitbestimmung, der mit den tradierten Mitteln von Verhandlungs- und Auffanglösung nicht wirksam begegnet werden kann. Im Kern geht es um die Frage, ob man auch ein etwaiges „Anwartschaftsrecht auf zukünftige Mitbestimmung“ als geschützt ansieht.1249 In diesem Zusammenhang wird eine Ausweitung der Auffanglösung bei der Umsetzung der Mobilitäts-RL propagiert. Konkret wird vorgeschlagen, dass das Mitbestimmungsrecht des Wegzugsstaats weiter Anwendung findet,1250 bzw. eine Verhandlungspflicht ausgelöst wird,1251 wenn die Gesellschaft in einem bestimmten Zeitraum nach Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels eine mitbestimmungsrelevante Schwelle des Wegzugsstaats erreicht. b) Stellungnahme Angesichts der exponierten Stellung Deutschlands in der europäischen Mitbestimmungslandschaft besteht ein großer Anreiz zur Umgehung dieser Vorschriften im Wege eines grenzüberschreitenden Formwechsels. Durch die vorgeschlagene Regelung wäre ein „Flucht“ vor einer bevorstehender Mitbestimmung weitgehend
1248 Vgl. European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 217 („no escape, but no extension“). 1249 Für die GesR-RL verneinend: Kraft/Noack, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 547. 1250 BR-Drs. 179/18, S. 10; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 364; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2446; dies ebenfalls erwägend: Wicke, DStR 2018, 2703, 2709; für den ähnlichen Fall eines nachträglichen Wachstums der SE eine Möglichkeit des gleichzeitigen Wachstums der Mitbestimmung fordernd: Sick, BB 2020, Heft 46/2020, I („Die Erste Seite“). 1251 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 514; Teichmann, NZG 2019, 241, 247; ders., ECFR 2019, 3, 12; Luy, NJW 2019, 1905, 1906; Deutscher Gewerkschaftsbund, Stellungnahme zum Company Law Package, S. 6; Thannisch, AuR 2020, 310, 313; vgl. PE625.524v03 – 00, S. 33, 58, 123, 280; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 59.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
der Boden entzogen.1252 Jedoch würde man sich mit dieser Norm in einen gewissen Widerspruch zu der in „Polbud“1253 anerkannten Zulässigkeit der freien Rechtswahl und der restriktiven Missbrauchsannahme setzen.1254 Den Gesellschaften würde im Ergebnis unterstellt, dass sie ihre Rechtsform allein aus Zwecken der Mitbestimmungsvermeidung wählen.1255 Im Ergebnis würde durch diese Norm eine Art Anwartschaft der Arbeitnehmer auf unternehmerische Mitbestimmung statuiert.1256 Für die Gesellschaften hat dieser Vorschlag den Preis, nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels über eine ihrem neuen Gesellschaftsstatut möglicherweise fremden Mitbestimmung verhandeln zu müssen.1257 Umgekehrt sind die – je nach konkreter Ausgestaltung einer solchen Regelung – positiven Effekte für die Gesellschaftsmobilität in die Abwägung miteinzustellen. Schreibt man Verhandlungen nach Erreichen eines Schwellenwerts des Wegzugsstaats im Zuzugsstaat vor könnte die Gesellschaften von den vorgelagerten Verhandlungspflichten befreit werden.1258 Für sie wäre ein solches Modell damit mit einem Gewinn an Verfahrenseffizienz verbunden. c) Konkrete Ausgestaltung einer nachgelagerten Verhandlungspflicht aa) Vorschlag Im Vergleich zu der verabschiedeten Fassung der Mobilitäts-RL erscheint folgendes Modell besser geeignet, die gegenläufigen Interessen von Gesellschaft und Arbeitnehmern angemessen auszutarieren: Ist das Mitbestimmungsniveau im Zuzugsstaat höher als im Wegzugsstaat, kommt das Mitbestimmungsrecht des Zuzugsstaats unmittelbar zur Anwendung. Vorangegangene Verhandlungen sind nicht erforderlich, da insoweit kein Fall der „Flucht“ aus der Mitbestimmung in Frage stünde. Die Position der Arbeitnehmer wird hierdurch kaum tangiert, da die Verhandlungen in den meisten Fällen ergebnislos verlaufen. Im Fall eines niedrigeren Mitbestimmungsniveaus im Zuzugsstaat bleibt der status quo der unternehmerischen Mitbestimmung ohne Durchführung von wenig erfolgsversprechenden Mitbestim1252
Winner, in: Brameshuber/Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 758. EuGH, Urt. v. 25. 10. 2017, Polbud, C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, Rn. 64. 1254 Vgl. Junker, EuZA 2019, 141, 142. 1255 Heinze, ZGR 1999, 54, 69 ging vor geraumer Zeit sogar davon aus, dass Sitzverlegungen allein aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht erfolgen; kritisch zu der These, dass eine SE-Gründung durch grenzüberschreitende Verschmelzung allein aus mitbestimmungsrechtlichen Gründen durchgeführt wird: A. Krieger, in: Löwisch, Festschrift für Fritz Rittner zum 70. Geburtstag, 303, 316. 1256 Vgl. Junker, EuZA 2019, 141, 142. 1257 Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1267. 1258 Vgl. zu den entsprechenden Überlegungen der „Informal Company Law Experts Group“ (ICLEG): Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1267. 1253
E. Schutz der Arbeitnehmer
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mungsverhandlungen aufrechterhalten. Alternativ kann ein (schnell wahrzunehmendes) Wahlrecht der Arbeitnehmer etabliert werden, das aber regelmäßig zu diesen Ergebnissen kommen wird. Die maßgebliche Innovation läge in der durch die Überschreitung einer mitbestimmungsrelevanten Schwelle des Wegzugsstaates innerhalb einen gewissen Zeitraum nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels ausgelösten nachgelagerten Verhandlungspflicht. Zur Ausgestaltung dieses Modells kann mit graduellen Unterschieden auf die Verhandlungs- und Mitbestimmungslösung rekurriert werden. Beim Scheitern der Verhandlungen fungiert das durch die Erhöhung der Arbeitnehmerzahl nun hypothetisch im Wegzugsstaats bestehende Mitbestimmungsniveau als Auffanglösung.1259 Um eine verhältnismäßige Regelung zu schaffen, ist unternehmerisches Wachstum nur innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach Durchführung der Strukturmaßnahme zu berücksichtigen. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen bietet sich eine Orientierung an der vierjährigen Bestandsschutzklausel des Art. 86l Abs. 7 GesR-RL an. Nach Ablauf dieses Zeitraums kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass durch die grenzüberschreitende Umwandlung das nationale Mitbestimmungsrecht des Wegzugsstaats umgangen werden sollte, sondern (primär) sonstige ökonomische oder gesellschaftsrechtliche Motive ausschlagegebend waren. bb) Vorzüge dieses Modells Die Vorzüge dieses Modells sind augenscheinlich: Sämtliche noch nicht mitbestimmte Gesellschaften würden anfangs von der Bürde langer und wenig aussichtsreicher Mitbestimmungsverhandlungen befreit.1260 Gesellschaften, bei denen nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels keine mitbestimmungsrelevante Erweiterung der Belegschaft eintritt, müssen auch nicht nachträglich über eine Mitbestimmung verhandeln. Auf diese Weise werden Gesellschaften, die mit dem grenzüberschreitenden Formwechsel keine Mitbestimmungsvermeidungsstrategie verfolgen, sondern zufällig in der Nähe einer mitbestimmungsrelevanten Schwelle operieren, zuverlässig von den Verhandlungspflichten befreit.1261 Schließlich wäre die mit erheblichen Rechtsunsicherheiten behaftete Missbrauchskontrolle im Hinblick auf die Umgehung der unternehmerischen Mitbestimmung obsolet. Gleichzeitig würde ein Einfrieren von Mitbestimmungsfreiheit deutlich erschwert.1262 Diese Regelung würde somit passgenau und entsprechend der legislativen Intention ausschließlich Gesellschaften mit rechtlich zu missbilligenden 1259 Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 407. 1260 Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 407. 1261 Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1267. 1262 Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 407.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
Umgehungsstrategien treffen. Für die für Arbeitnehmer käme es zu keinen Rechtseinbußen, da vorgelagerte Verhandlungen im Regelfall nur die Mitbestimmungsfreiheit zementieren.1263 Im Vergleich zu den Regelungen der GesR-RL würden die Arbeitnehmer davon profitieren, dass einer Perpetuierung der Mitbestimmungsfreiheit der Riegel vorgeschoben würde. Um die zur Vermeidung von Ausweichgestaltungen gebotene Kohärenz herzustellen, wäre es essentiell, diese Regelung auf sämtliche grenzüberschreitende Umwandlungen auszuweiten. cc) Verweis auf Mitbestimmungsrecht des Zuzugsstaats Unabhängig von der Zulässigkeit einer solchen Regelung ist fraglich, wie es rechtstechnisch möglich wäre, diese allein auf solche Gesellschaften, die in einem zu definierenden Zeitraum eine grenzüberschreitende Umwandlung durchgeführt haben, anwendbar wäre. Der Unionsgesetzgeber könnte den Zuzugsstaat verpflichten, neue Verhandlungen für den Fall der nachträglichen Überschreitung einer mitbestimmungsrelevanten Schwelle des Wegzugsstaates vorzuschreiben. Rechtspolitisch wäre dieses Modell dem Einwand ausgesetzt, dass das ausländische Mitbestimmungsrecht im Zuzugsstaat einen Fremdkörper bilden würde.1264 Dem ist zu entgegnen, dass dieses Ergebnis auch durch die Verhandlung- und Auffanglösung eintreten kann. Es macht keinen Unterschied, ob das Mitbestimmungsrecht des Wegzugsstaat bereits mit Wirksamwerden der grenzüberschreitenden Umwandlung oder erst nachträglich im Zuzugsstaat Geltung erlangt.1265 dd) Berechnung des Schwellenwerts Unstreitig ist, dass die Schwellenwerte des Wegzugsstaates für die Auslösung der nachgelagerten Verhandlungspflicht sein müssen.1266 Konsequenterweise muss sich die Berechnung unter Berücksichtigung ebenfalls nach der Methode des Wegzugsstaates richten. Hier ist die Besonderheit zu berücksichtigen, dass in den meisten Mitgliedstaaten – wie in Deutschland –1267 im Einklang mit Art. 86l Abs. 5 GesR-RL im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer nicht zur Berechnung der Schellenwerte herangezogen werden. In diesen Fällen würde die vorgeschlagene Regelung über ihr Ziel hinausschießen, wenn sie nicht danach differenziert, in welchem Land das Unternehmen wächst. Würde eine deutschen Gesellschaft ohne einen grenzüber1263 Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 407. 1264 Auf dieses Argument weist Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1267 hin, ohne es sich selbst zu eigen zu machen. 1265 Teichmann, NZG 2019, 241, 247. 1266 Vgl. Teichmann, NZG 2019, 241, 247 („wenn die Belegschaft im Wegzugsstaat die dort geltenden mitbestimmungsrelevanten Schwellen überschreitet“). 1267 Hierzu unter: Kap. 2, C, III, 4, b, bb (S. 94).
E. Schutz der Arbeitnehmer
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schreitenden Formwechsel neue Arbeitnehmer im Zuzugsstaat anstellen, so würde dies in keinem Fall zu einer Ausweitung der unternehmerischen Mitbestimmung der deutschen Gesellschaft führen. Unter dieser Prämisse liegt eine Umgehung der Mitbestimmung im Regelfall nicht vor, wenn es zu einem Unternehmenswachstum im Zuzugsstaat oder einem dritten Staat kommt, da im Wegzugsstaat auch ohne einen grenzüberschreitenden Formwechsel keine unternehmerische Mitbestimmung „droht“. Könnte ein unternehmerisches Wachstum im Zuzugsstaat eine Anknüpfung an das deutsche Mitbestimmungsrecht auslösen, würden Gesellschaften, die die Möglichkeit grenzüberschreitender Mobilität in Anspruch genommen haben, ohne sachlichen Grund gegenüber den Gesellschaften des Wegzugsstaats benachteiligt. Anders ist der Fall gelagert, in dem nach Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels neue Arbeitnehmer im Wegzugsstaat angestellt werden und hierdurch ein mitbestimmungsrelevante Schwelle dieses Mitgliedstaats überschritten wird. In diesem Fall wäre es ohne die Umwandlung zu einer Errichtung bzw. Ausweitung der unternehmerischen Mitbestimmung gekommen. Für diesen Fall würde eine nachträgliche Verhandlungspflicht die Umgehung der unternehmerischen Mitbestimmung zuverlässig verhindern. Differenziert der Wegzugsstaat nicht nach dem Arbeitsort der Arbeitnehmer ist irrelevant, an welchem Standort die Belegschaft wächst. ee) Nachgelagerte Verhandlungspflicht in Deutschland im Wege der überschießenden Umsetzung? Angesichts des hiesigen Plädoyers für ein nachgelagertes Verhandlungsmodell ist eine entsprechende Umsetzung Deutschlands zu erwägen. In Betracht kommt angesichts der sekundärrechtlichen Vorgaben allerdings nur, die nachträglichen Verhandlungspflichten zusätzlich zu den vorgelagerten Verhandlungstatbeständen aufzuerlegen. Bei einer überschießenden Umsetzung würde das Argument der Verfahrenseffizienz daher nicht gelten. Für die Zulässigkeit einer solchen Umsetzung wird vorgebracht, dass sie der Mitbestimmungsvermeidung zur praktischen Wirksamkeit verhilft.1268 Eine solche Regelung stünde aber in einem gewissen Widerspruch zu dem Ziel der Mobilitäts-RL, Rechtssicherheit zu schaffen.1269 In praktischer Hinsicht verliert Deutschland mit Wirksamwerden eines grenzüberschreitenden Formwechsels seine Regelungshoheit über die Gesellschaft und kann dieser nicht erneute Verhandlungen aufzwingen. Die Befugnis zur Statuierung einer 1268 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 514; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2446; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 59; zweifelnd aber: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 136. 1269 Vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 136.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
nachträglichen Verhandlungspflicht kommt nur bei einem Hereinformwechsel zu. In diesem Fall wird das deutsche Mitbestimmungsniveau aber regelmäßig über dem des Wegzugsstaats liegen. Selbst bei einer unterstellten Wirksamkeit einer solchen Regelung ist fraglich, ob durch einen legislativen Alleingang Deutschlands nicht weitere Umgehungskonstellationen provoziert würden, indem Gesellschaften sich aufgrund dessen für einen anderen Zielstaat entscheiden. Eine solche Regelung kann praxiswirksam nur auf europäischer Ebene geschaffen werden. Dies ist dringend anzumahnen.
V. Perpetuierungsklausel (Art. 86l Abs. 7 GesR-RL) Nach dem bisher Gesagten ist die unternehmerische Mitbestimmung nur für die durch den grenzüberschreitenden Formwechsel gewählte Rechtsform gesichert. Der Gesellschaft stünde es offen, sich im Wege einer anschließenden innerstaatlichen Umwandlung der unternehmerischen Mitbestimmung zu entledigen.1270 Um dies zu verhindern gelten Art. 86l Abs. 7 GesR-RL für in den nächsten vier Jahren folgenden innerstaatlichen oder grenzüberschreitenden Umwandlungen mutatis mutandis die oben erläuterten Regelungen (Perpetuierungsklausel),1271 womit der Schutz der Arbeitnehmer erheblich gestärkt wird.1272 Legislatives Vorbild der Perpetuierungsklausel ist Art. 133 Abs. 7 GesR-RL a. F.1273 Dieser erfasste nur nachfolgende innerstaatliche Verschmelzungen und lud daher zu einer Mitbestimmungsumgehung mittels nationaler Formwechsel oder Spaltungen ein. § 43 S. 2 SEBG vermutet damit korrespondierend einen strafbewehrten1274 Missbrauch, wenn innerhalb eines Jahres nach SE-Gründung strukturelle Änderungen stattfinden, durch die Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden. Nur durch die Ausweitung der Perpetuierungsklausel auf sämtliche innerstaatliche Umwandlungen ist sichergestellt, dass die unternehmerische Mitbestimmung nicht nur nachfolgende inner1270 J. Schmidt, DK 2018, 229, 244; Kraft, BB 2019, 1864, 1868; Winner, in: Brameshuber/ Friedrich (Hrsg.), Festschrift für Franz Marhold, 753, 761; Titze, NZA 2021, 752, 756; vgl. zu § 30 MgVG Habersack, in: Habersack/Henssler (Hrsg.), Mitbestimmungsrecht, § 30 MgVG Rn. 2. 1271 J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 589; dies., ECFR 2019, 222, 264; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1934; vgl. zur inhaltsgleichen Vorschrift des Art. 133 Abs. 7 GesR-RL a. F.: Bayer/ J. Schmidt, BB 2018, 2562, 2568. 1272 Dies begrüßend: Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 518; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 365; J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 264; einen Bestandsschutz von mindestens zehn Jahren hingegen fordernd: Deutscher Gewerkschaftsbund, Stellungnahme zum Company Law Package, S. 7; für einen Bestandsschutz von mindestens fünf Jahren: Guggemoos, in: Deinert/Heuschmid/Kittner/Ma. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Thomas Klebe zum 70. Geburtstag, 132, 136. 1273 Umgesetzt in § 30 MgVG. 1274 Gem. § 45 Abs. 1 Nr. 2 wird ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
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staatliche Umwandlung abgestreift wird.1275 Durch die Erstreckung auf sämtliche Umwandlungsformen wird die gebotene Kohärenz erzielt.
VI. Mitgliedstaatenoption: Begrenzung der Auffanglösung auf Drittelparität (Art. 86l Abs. 4 lit. b) GesR-RL) Art. 86l Abs. 4 lit. b) GesR-RL eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den Arbeitnehmeranteil im Verwaltungsrat auf eine Drittelparität zu begrenzen.1276 Hiervon betroffen sind allein monistisch strukturierte Gesellschaften.1277 Es handelt sich um den einzigen Fall im Anwendungsbereich der Mobilitäts-RL, in dem eine quantitative Mitbestimmungsminderung eintreten kann. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass ein grenzüberschreitender Formwechsel einer dualistisch geprägten Gesellschaft in eine monistische Gesellschaftsform zu einem erheblichem Zuwachs an Kompetenzen der Arbeitnehmer-Vertreter führen würde.1278 Eine Mitbestimmung unter proportionaler Beibehaltung der Aufsichtsratsbesetzung würde somit zu einer qualitativen Ausweitung der unternehmerischen Mitbestimmung führen. Aufgrund dessen würde die nachträgliche Wahl einer monistisch geprägten Rechtsform für viele Gesellschaften ohne Begrenzung auf Drittelparität unattraktiv erscheinen.1279 An dieser Regelung wird kritisiert, dass es neue Umgehungskonstellationen ermöglichen und Mitbestimmungsverhandlung aushebeln würde.1280 Erhebliche praktische Anreize zu einer „Flucht“ aus der Mitbestimmung“ werden durch diese
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Kraft/Noack, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 545; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2437, 2447; vgl. zur identischen Regelung bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Butterstein, EuZW 2018, 838, 844. 1276 Kritisch zu dieser Vorschrift: BR-Drs. 179/18, S. 10; Deutscher Gewerkschaftsbund, Stellungnahme zum CLP, S. 7; Guggemoos, in: Deinert/Heuschmid/Kittner/Ma. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Thomas Klebe zum 70. Geburtstag, 132, 135 f., der freilich die Beschränkung dieser Mitgliedstaatenoption auf monistisch strukturiere Gesellschaften übersieht. 1277 Vgl. zur identischen Vorschrift für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Oetker, in: Franzen/Gallner/Oetker (Hrsg.), Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, Art. 133 RL 2017/1132 Rn. 68; Habersack, ZHR 171 (2007), 613, 626; Teichmann, DK 2007, 89, 92; unklar: Deutscher Gewerkschaftsbund, Stellungnahme zum Company Law Package, S. 6. 1278 Teichmann, DK 2007, 89, 92, ders., BB 2004, 53, 57; Henssler, ZHR 173 (2009), 222, 246; vgl. Reichert/Brandes, ZGR 2003, 767, 789 f.; Kisker, RdA 2006, 206, 210; vgl. Nagel, NZG 2006, 97, 98; vgl. zur SE-Gründung: Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SERecht, Art. 43 SE-VO Rn. 67; Henssler, in: Söllner (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 333, 338; Schulte-Wrede, Die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SPE, S. 372 f.; implizit auch Lutter, ZGR 2000, 1, 17 („Die Mitbestimmung im Verwaltungsrat (board) wäre ein aliud)“. 1279 Vgl. zur Gründung einer monistischen SE: Teichmann, in: Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, SE-Recht, Art. 43 SE-VO Rn. 68; vgl. Kisker, RdA 2006, 206, 210. 1280 Deutscher Gewerkschaftsbund, Stellungnahme zum Company Law Package, S. 7.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
Vorschrift aber nicht gesetzt.1281 Dies gilt umso mehr, wenn man den Blick nicht auf Deutschland verengt, da in vielen Fällen ursprünglich wenn überhaupt eine Drittelparität bestanden hat. Es handelt sich um einen Kompromiss, der in Anbetracht des deutschen Sonderwegs für die unternehmerische Mitbestimmung aus deutscher Perspektive sehr gut verhandelt erscheint.1282 Es ist daher im Ergebnis richtig, den funktionalen Unterschieden zwischen dualistisch verfassten- und monistisch organisierten Gesellschaften Rechnung zu tragen.1283 Gleichwohl ist diese Diskussion für Deutschland als Zuzugsstaat ohne Praxisrelevanz, da sämtliche Kapitalgesellschaftsformen dualistisch geprägt sind.1284 Aufgrund dessen ist davon auszugehen, dass Deutschland von dieser Mitgliedstaatenoption keinen Gebrauch machen wird.1285
F. Verbot missbräuchlicher Verhaltensweisen Eine zentrale Neuerung im europäischen Umwandlungsrecht stellt die Schaffung einer obligatorischen Missbrauchskontrolle dar. Art. 86m Abs. 9 GesR-RL erstreckt das obligatorische Prüfungsprogramm des Wegzugsstaat auf die Frage, ob der grenzüberschreitende Formwechsel „missbräuchlichen oder betrügerischen“ Zwecken dient, die eine Umgehung oder einen Entzug von Unionsrecht oder mitgliedstaatlichem Recht begünstigen.1286 Wird ein solcher Fall von dem Handelsregister angenommen, hat dies zwingend die Versagung der begehrten Vorabbescheinigung und damit1287 die fehlende Eintragungsfähigkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels zur Folge.1288 Obwohl trotz des Fehlens einer positivrechtlichen1289 Miss-
1281 Vgl. zur entsprechenden Vorschrift für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Wiesner, DB 2005, 91, 93. 1282 Vgl. zur entsprechenden Vorschrift für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Wiesner, DB 2005, 91, 93. 1283 Im Jahr 2011 de lege ferenda für die nunmehr erlassene Vorschrift: Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2011, 98, 99. 1284 Die SE kann zwar auch monistisch geprägt sein (Wahlfreiheit zwischen dualistischem und monistischem System), ist jedoch kein tauglicher Zielrechtsträger eines grenzüberschreitenden Formwechsels. Hierzu unter: Kap. 3, C, II, 2, b, bb (S. 115 f.). 1285 So auch: Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 517; Pütz, AG 2020, 117, 120; vgl. Teichmann, DK 2007, 89, 93; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Stelmaszczyk, DK 2021, 48, 59. 1286 Entsprechende Vorschriften bestehen auch für grenzüberschreitende Verschmelzungen (Art. 127 Abs. 8, 9 GesR-RL) und Spaltungen (Art. 160m Abs. 8, 9 GesR-RL), vgl. zur Missbrauchskontrolle im deutschen Umwandlungsrecht: Mennemann, Die Auswirkung von Umwandlungen auf die Verantwortlichkeit von Vorstand und Geschäftsführung, S. 258 ff.; Grunewald, in: Crezelius (Hrsg), Festschrift für Volker Röhricht, 129 ff. 1287 Art. 86o Abs. 5 GesR-RL. 1288 Art. 86m Abs. 8 GesR-RL.
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brauchsausnahme keine missbräuchlichen Gestaltungen von grenzüberschreitenden Verschmelzungen bekannt geworden sind,1290 war es ein zentrales Anliegen des Europäischen Gesetzgebers, Missbräuche von grenzüberschreitenden Umwandlungen durch entsprechende sekundärrechtliche Regelungen zu verhindern.1291 Das Ausmaß der Gefahr missbräuchlicher grenzüberschreitender Formwechsel kann nicht eindeutig bestimmt werden, sodass es bislang an einem empirischen Nachweis für eine ernstzunehmende Missbrauchsgefahr durch grenzüberschreitende Formwechsel mangelt. Ziel der Missbrauchsausnahme ist es ausweislich des Kommissionsentwurfs, dem drohenden Vorwurf, durch die nunmehr rechtssicher durchführbaren Möglichkeiten grenzüberschreitender Mobilität missbräuchlichen Gestaltungen Vorschub zu leisten, entgegenzutreten.1292 Die Missbrauchskontrolle ist als Korrektiv für die umfassende Rechtswahlfreiheit konzipiert.1293 Sie wird den Umsetzungsgesetzgeber und Rechtsanwender angesichts ihrer fehlenden Begriffsschärfe und den engen primärrechtlichen Vorgaben zu der Annahme eines Missbrauchs der Grundfreiheiten vor große Herausforderungen stellen.
I. Fraus legis vs. Missbrauch der Niederlassungsfreiheit Bei einem potentiellen Missbrauch durch gezielte Rechtsformwahl sind die Ebenen des Missbrauchs des Kollisionsrechts durch gezielte Rechtsformwahl und des Missbrauchs der Niederlassungsfreiheit voneinander abzuschichten.1294 Auf kollisionsrechtlicher Ebene existiert das Abwehrinstrument der fraus legis, das eine bewusste und rechtsmissbräuchliche Veränderung eines Anknüpfungsmoments für unbeachtlich erklärt.1295 Dieses Rechtsinstitut kann in Anbetracht der liberalen EuGH-Rechtsprechung auf die gezielte Rechtswahl innerhalb der Europäischen Union nicht angewendet werden.1296 Methodisch ist das ungeschriebene Institut des 1289 Die Befugnis zur Verhinderung von missbräuchlichen grenzüberschreitenden Verschmelzungen bestand gleichwohl auf Grundlage des allgemeinen Missbrauchsvorbehalts. Hierzu unter: Kap. 4, F, II (S. 254 f.). 1290 Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 288; Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 123. 1291 ErwG. 35 Mobilitäts-RL; COM (2018) 241 final, S. 1, 2, 4, 5, 9. 1292 COM (2018) 241 final, S. 2. 1293 COM (2018) 241 final, S. 9. 1294 Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung, S. 284; vgl. Klinke, ZGR 2002, 163, 170. 1295 v. Hein, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Einleitung zum IPR Rn. 303; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 3 Rn. 92; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, S. 476 ff.; v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 6 Rn. 122 ff.; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht I, § 7 Rn. 128 ff. 1296 Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung, S. 283 ff.; v. Halen, Das Gesellschaftsstatut nach der Centros-Entscheidung des EuGH, S. 116; Weller/Benz/
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fraus legis im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit unionrechtskonform auszulegen.1297 Aus demselben Grund muss auch eine Versagung der Anwendung des ausländischen Rechts im Wege des ordre public1298 Vorbehalts ausscheiden.1299 Hinzu tritt, dass der Telos dieses Rechtsinstituts, die als unerträglich empfundene Disproportionalität zwischen dem angewendeten Recht und heimischem Recht,1300 im Fall einer gezielten Rechtsformwahl nicht greift, da diese bereits die vorgelagerte Ebene der Ermittlung des maßgeblichen Rechts betrifft.
II. Primärrechtlicher Hintergrund des Missbrauchs der Niederlassungsfreiheit Hiervon zu unterscheiden ist der Missbrauch der Grundfreiheiten. Die Europäischen Verträge enthalten für die Inanspruchnahme der Grundfreiheiten keinen positivrechtlichen Missbrauchsvorbehalt. Aus dem Primärrecht lässt sich jedoch ein entsprechendes ungeschriebenes, vom EuGH in den Rang eines allgemeinen Rechtsgrundsatz1301 erhobenes Missbrauchsverbot ableiten,1302 das in einigen Bereichen1303 bereits sekundärrechtlich ausgeformt worden ist. Es ist allgemein anerkannt, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen bis hin zur Untersagung gegen missbräuchliche Umwandlungen ergreifen können.1304 Eine primärrechtliche Pflicht zur Thomale, ZEuP 2017, 250, 270; Paefgen, DB 2003, 487, 488; ähnlich („größte Zurückhaltung am Platz“): v. Hein, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Einleitung zum IPR Rn. 305; in diese Richtung auch: Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 3 Rn. 93 f.; a. A.: aber noch Ulmer, JZ 54 (1999), 662, 665. 1297 Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung, S. 283 f. 1298 Vgl. Art. 6 EGBGB. Zur Abgrenzung von fraus legis und ordre public: Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, S. 494. 1299 Paefgen, DB 2003, 487, 489. 1300 Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, S. 494; Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 244; v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, § 6 Rn. 141. 1301 Ausführlich zur Bedeutung der Allgemeinen Rechtsgrundsätze im Europäischen Gesellschaftsrecht: Schön, in: Grundmann/Haar/Merkt, Festschrift für Klaus Hopt zum 70. Geburtstag, 1343 ff. 1302 EuGH, Urt. v. 26. 02. 2019, N Luxembourg 1, Verbundene Rechtssachen C-115/16, C118/16, C-119/16 und C-229/16, ECLI:EU:C:2019:134, Rn. 96; Klinke, ZGR 2002, 163, 186; Sørensen, in: Birkmose/Neville/Sørensen (Hrsg.), Abuse of Companies, S. 259, 260; Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 909; ders., EuZW 2019, 637, 638; J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 237. 1303 Vgl. beispielsweise der in § 43 SEBG umgesetzte Art. 11 SE-Beteiligungs-RL (Richtlinie 2001/86/EG des Rates v. 08. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. 2001, L 294/22 ff.), der die Mitgliedstaaten verpflichtet, zu verhindern, dass eine SE dazu genutzt wird, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. 1304 EuGH, Urt. v. 07. 02. 1979, Knoors, C-115/78, EU:C:2005:446, Rn 25 f.; EuGH, Urt. v. 12. 05. 1998, Kefalas, C-367/96, ECLI:EU:C:1998:222, Rn. 20 f.; EuGH, Urt. v. 09. 03. 1999,
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Verhinderung von Missbräuchen besteht hingegen nicht. Die Mitgliedstaaten de lege lata berechtigt, aber nicht verpflichtet,1305 missbräuchliche grenzüberschreitende Formwechsel zu unterbinden.1306 Hierbei bereitet die konkrete Rechtsanwendung erhebliche Schwierigkeiten. Der EuGH hat bislang weder klare Grundsätze noch eine handhabbare Definition für das Vorliegen eines Missbrauchs herausgearbeitet, sondern sich bis auf die Schaffung von wenigen allgemeinen Direktiven stets auf die Prüfung des Einzelfalls beschränkt. Der allgemeine Missbrauchsvorbehalt lässt daher – auch in Ermangelung einer Konkretisierung durch den Europäischen Gesetzgeber –1307 klare Konturen vermissen.1308 1. Grundsatz Nach der Rechtsprechung des EuGH erfordert die Annahme eines Missbrauchs des Unionsrechts das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Elements.1309 In objektiver Hinsicht muss eine Gesamtwürdigung der Umstände ergeben, dass das Ziel einer Regelung nicht erreicht werden kann, obwohl ihre Voraussetzungen formal eingehalten werden,1310 oder dass eine Regelung nach ihrer Zielsetzung anwendbar Centros, C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, Rn. 24; EuGH, Urt. v. 23. 03. 2000, Diamantis, C373/97, ECLI:EU:C:2000:150, Rn. 33; EuGH, Urt. v. 30. 09. 2003, Inspire Art, C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512, Rn. 136; EuGH, Urt. v. 12. 09. 2006, Cadbury Schweppes, ECLI:EU:C:2006:544, Rn. 51; ausführlich zum Missbrauch im Europäischen Recht: Schön, in: Wank (Hrsg.), Festschrift für Herbert Wiedemann zum 70. Geburtstag, 1271 ff.; Fleischer, JZ 58 (2003), 865 ff.; Sørensen, in: Birkmose/Neville/Sørensen (Hrsg.), Abuse of Companies, S. 259, 260 ff. 1305 So aber Schön, EuZW 2019, 637, 638, der auch ohne spezielle Missbrauchsvorschriften für eine unionsrechtliche Pflicht zur Missbrauchsbekämpfung plädiert. 1306 Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1930; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 576; M. Förster, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1307 Vgl. v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht I, § 7 Rn. 131: „Mit keinem Begriff muß der Jurist so vorsichtig sein wie mit jenem des Mißbrauchs, denn dessen genaue Definition wird nie gelingen können.“. 1308 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 454; Schollmeyer, ZGR 2018, 186, 195 f.; W.-H. Roth, in: Dauner-Lieb et. al. (Hrsg.), Festschrift für Barbara Grunewald zum 70. Geburtstag, 935, 957; M. Förster, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1309 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2000, Emsland-Stärke, C-110/99, ECLI:EU:C:2000:695, Rn. 52 f.; EuGH, Urt. v. 12. 09. 2006, Cadbury Schweppes, C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, Rn. 64; EuGH, Urt. v. 26. 02. 2019, N Luxembourg 1, Verbundene Rechtssachen C-115/16, C118/16, C-119/16 und C-229/16, ECLI:EU:C:2019:134, Rn. 124; EuGH, Urt. v. 26. 02. 2019, T Danmark, Verbundene Rechtssachen C-116/16 und C-117/16, ECLI:EU:C:2019:135, Rn. 97; hierzu: Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 906. 1310 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2000, Emsland-Stärke, C-110/99, ECLI:EU:C:2000:695, Rn. 52; EuGH, Urt. v. 26. 2. 2019, T Danmark, Verbundene Rechtssachen C-116/16 und C-117/16, ECLI:EU:C:2019:135, Rn. 97; EuGH, Urt. v. 26. 02. 2019, N Luxembourg 1, Verbundene Rechtssachen C-115/16, C-118/16, C-119/16 und C-229/16, ECLI:EU:C:2019:134, Rn. 124.
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wäre, es aber – in Bezug auf die hier gegenständliche Untersuchung – infolge eines grenzüberschreitenden Formwechsels nicht ist.1311 Dies kann der Fall sein, wenn eine inländische Gesellschaft sich in das EU-Ausland begibt, um sich den in seinem Inkorporationsstaat bestehenden nationalen Bestimmungen zu entziehen („Normenflucht“)1312, oder um in den Genuss von Vorteilen zu kommen, die ihm im von diesem nicht gewährt worden wären („Normenerschleichung“)1313.1314 Als Fälle der „Normenflucht“ kommen die Umgehung sämtlicher Vorschriften des Unionsrechts sowie der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in Betracht.1315 In subjektiver Hinsicht muss die Absicht, einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehener Vorteil durch willkürliche Schaffung der entsprechenden Voraussetzungen zu erlangen, nachgewiesen werden.1316 Im Kern geht es daher um Konstellationen, in denen die Betroffenen sich einen dem Zweck des Gemeinschaftsrechts zuwiderlaufenden Vorteil verschaffen wollen.1317 Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist im Einzelfall zu ermitteln. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es in einem einheitlichen Binnenmarkt gerade zulässig ist, ein bestehendes mitgliedstaatliches Regelungsgefälle auszunutzen.1318 1311
Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 906 f. 1312 Fleischer, JZ 58 (2003), 865, 869; die Entziehung von Normen kann dabei rechtlich oder faktisch erfolgen. Während ersteres den Regelfall bildet, ist die Erhöhung von Rechtsverfolgungskosten für Gläubiger ein Beispiel für den faktischen Normenentzug (Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 900, der diesbezüglich „Firmenbestattungen“ als Beispiel nennt. Zum Missbrauch durch „Firmenbestattungen“ unter). Wenn in Fällen der „Normenflucht“ eine alsbaldige Rückkehr in das Herkunftsland beabsichtigt wird, ist von „U-Turn-Konstruktionen“ die Rede (Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 135; Kjellgren, EBLR 11 (2000), 179, 183; Schön, in: Wank (Hrsg.), Festschrift für Herbert Wiedemann zum 70. Geburtstag, 1271, 1286; ders., in: Kirchhof/Dürrschmidt: Festschrift für Wolfram Reiss zum 65. Geburtstag, 571, 585; ders., in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 901; Ein Beispiel hierfür stellt der Fall „Knoors“ (EuGH, Urt. v. 07. 02. 1979, Knoors, C-115/78, ECLI:EU:C:1979:31) dar, in dem ein niederländischer Staatsbürger versuchte, in Belgien berufliche Qualifikationen für die Rückkehr in die Niederlande zu erwerben, da er die niederländischen Anforderungen nicht erfüllte. Hierzu: Baudenbacher, Vom gemeineuropäischen zum europäischen Rechtsmissbrauchsverbot, S. 172 f. 1313 Fleischer, JZ 58 (2003), 865, 869. 1314 Schön, in: Wank (Hrsg.), Festschrift für Herbert Wiedemann zum 70. Geburtstag, 1271, 1275; Fleischer, JZ 58 (2003), 865, 869. 1315 Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 906. 1316 EuGH, Urt. v. 14. 12. 2000, Emsland-Stärke, C-110/99, ECLI:EU:C:2000:695, Rn. 53; EuGH, Urt. v. 26. 02. 2019, T Danmark, Verbundene Rechtssachen C-116/16 und C-117/16, ECLI:EU:C:2019:135, Rn. 97; EuGH, Urt. v. 26. 02. 2019, N Luxembourg 1, Verbundene Rechtssachen C-115/16, C-118/16, C-119/16 und C-229/16, ECLI:EU:C:2019:134, Rn. 124. 1317 Eidenmüller, JZ 59 (2004), 24, 26; vgl. auch ders., in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 3 Rn. 96; Kraft/Noack, in: HoffmannBecking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 550. 1318 Behrens, IPRax 1999, 323, 326.
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2. Anwendung auf den grenzüberschreitenden Formwechsel Unstreitig ist im Hinblick auf den Missbrauch von grenzüberschreitenden Formwechseln die Legitimität der freien Wahl der Gesellschaftsrechtsordnung und der Sitzsaufspaltung.1319 Eine fehlende Marktpräsenz im Registerstaat begründet für sich noch keinen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit.1320 Für die Annahme eines Missbrauchs müssen im Einzelfall weitere Umstände hinzutreten.1321 Im Hinblick auf isolierte grenzüberschreitende Formwechsel hat der EuGH ein generelles Liquidationserfordernis im Wegzugsstaat als unzulässige, weil einer allgemeinen Missbrauchsvermutung gleichkommende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit qualifiziert.1322 Einen Missbrauchs hat der EuGH an Fällen „rein künstlicher Gestaltungen, jeder wirtschaftlichen Realität barer Gestaltungen zu dem Zweck der Umgehung nationaler Steuervorschriften“ exemplifiziert.1323 Selbst, wenn im Einzelfall ein Missbrauch anzunehmen ist, muss die Reaktion auf den Missbrauch als geeignetes und mildestes Mittel gerechtfertigt werden können, da ein Missbrauch nicht bereits die Niederlassungsfreiheit entfallen lässt,1324 sondern einen Rechtfertigungsgrund darstellt.1325 Nach dieser Rechtsprechung kann ein Missbrauch nur
1319 Schön, in: Kirchhof/Dürrschmidt (Hrsg.), Festschrift für Wolfram Reiss zum 65. Geburtstag, 571, 581; Deck, NZG 2021, 629, 633. 1320 EuGH, Urt. v. 10. 07. 1986, Segers, EECLI:EU:C:1986:308, Rn. 16; EuGH, Urt. v. 09. 03. 1999, Centros, C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, Rn. 29; EuGH, Urt. v. 30. 09. 2003, Inspire Art, C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512, Rn. 139; Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447, 504. 1321 M. Förster, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1322 EuGH, Urt. v. 25. 10. 2017, Polbud, C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, Rn. 64. 1323 EuGH, Urt. v. 12. 09. 2006, Cadbury Schweppes, ECLI:EU:C:2006:544, Rn. 51, 55, 68. 1324 So aber: Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 434; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 173; Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 64; Braun, Die Wegzugsfreiheit als Teil der Niederlassungsfreiheit, S. 153 f.; G. H. Roth, ZIP 2012, 1744, 1744. Würde ein Missbrauch bereits die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit entfallen lassen, bedürfte es keiner Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls, Schön, EuZW 2019, 637, 642. 1325 Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbH-Großkommentar, Einleitung B Rn. 15; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 3 Rn. 74; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 132; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 34 f.; Jestädt, Das Niederlassungsfreiheit und Gesellschaftskollisionsrecht, S. 267 f.; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 93; Hayden, Grenzüberschreitender Formwechsel, Identitätswahrende Sitzverlegung von Kapital- und Personengesellschaften sowie Privatstiftungen, S. 50 f.; Behrens, IPRax 1999, 323, 326; Behme, ZHR 182 (2018), 32, 57 f.; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481, 1486 f.; Drygala, EuZW 2013, 569, 570.
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unter ausgesprochen restriktiven Voraussetzungen angenommen werden.1326 Die maßgeblichen Gründe hierfür sind überzeugend. Bei einer zu weiten Auslegung bestünde die Gefahr, dass die Mitgliedstaaten sich unter Berufung auf die Missbrauchausnahme ihren unionsrechtlichen Pflichten entziehen und damit die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts in Frage stellen.1327
III. Genese der Norm In den vergangenen Jahren ist der Europäische Gesetzgeber zunehmend dazu übergegangen, den allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsvorbehalt in Rechtsform zu gießen. In diese Entwicklung reiht sich nun auch die Missbrauchskontrolle für grenzüberschreitende Formwechsel ein. Die genaue Ausgestaltung der Missbrauchskontrolle gehörte angesichts der kollidierenden Interessen einer effektiven Missbrauchsprüfung und eines effizienten Verfahrens sowie der unterschiedlichen Vorstellungen von missbräuchlichen Verhaltensweisen zu den streitigsten Themen im Gesetzgebungsverfahren.1328 Nach dem Kommissionsentwurf war Kern der Überprüfung, ob es sich bei dem angestrebten grenzüberschreitenden Formwechsel „um eine künstliche Gestaltung1329 mit dem Ziel handelt, unrechtmäßige Steuervorteile zu erlangen oder die Rechte der Stakeholder unrechtmäßig zu beschneiden“.1330 Der Begriff der „künstlichen Gestaltung“ ist der Judikatur des EuGH entlehnt.1331 Um der prüfenden Behörde eine fundierte Beurteilung über das Vorliegen einer „künstlichen Gestaltung“ zu ermöglichen, sollte der unabhängige Sachverständige die für diese Prüfung in einem Katalog1332 aufgezählten, relevanten 1326 So auch: Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 188; v. Halen, Das Gesellschaftsstatut nach der Centros-Entscheidung des EuGH, S. 92 ff.; Schön, in: Wank (Hrsg.), Festschrift für Herbert Wiedemann zum 70. Geburtstag, 1271, 1281; Sandrock, BB 1999, 1337, 1343; Alexandropoulou, in: Alexandropoulou (Hrsg.), Modernisation of European Company Law, 11, 22. 1327 Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 178 f. 1328 Den Verlauf des Gesetzgebungverfahrens ausführlich darstellend: Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 71 f.; Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 892 ff.; M. Förster, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1329 Im Englischen: „artificial arrangement“. 1330 Vgl. Art. 86c Abs. 3 Kom-E. 1331 EuGH, Urt. v. 12. 12. 2002, Lankhorst-Hohorst, C-234/00, ECLI:EU:C:2002:749, Rn. 37; EuGH, Urt. v. 12. 09. 2006, Cadbury Schweppes, C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, Rn. 51. In der Rechtssache „Cadbury Schweppes“, der der Versuch einer Steuerumgehung mittels ausländischen Tochtergesellschaften zugrunde lag, nahm der EuGH eine „künstliche Gestaltung“ an (Rn. 68). 1332 Art. 86g Abs. 3 lit. b Kom-E. Als Mindestangaben für die Berichterstattung an die Prüfungsbehörde wurden „die Merkmale der Niederlassung im Zuzugsmitgliedstaat, insbesondere der Zweck, die Branche, die Investition, der Nettoumsatz und der Gewinn oder Verlust, die Zahl der Arbeitnehmer, die Gliederung der Bilanz, der Steuersitz, die Vermögenswerte und
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Tatsachen ermitteln.1333 Der Prüfungsumfang sollte nicht nur gesellschaftsrechtliche Umgehungskonstellationen erfassen, sondern bezog auch weitere Rechtsgebiete wie beispielsweise das Steuerrecht mit ein. Mit diesem Vorschlag hatte die Kommission die Vorgaben des EuGH ausdrücklich anerkannt,1334 auch der umfangreichen Sachverständigenbericht in einem gewissen Widerspruch hierzu steht.1335 Im Unterschied hierzu stellte sich das Europäische Parlament in Teilen explizit gegen das Missbrauchsverständnis des EuGH und propagierte eine deutliche Ausweitung des Missbrauchsverständnisses. Im Kern wurde versucht, isolierte grenzüberschreitende Formwechsel der Missbrauchsklausel zu unterstellen.1336 Damit wurde die Frage nach der Zulässigkeit eines genuine-link-Erfordernisses zum Zuzugsstaat aufgeworfen.1337 Der Rat besann sich auf die primärrechtlichen Vorgaben zurück1338 und konnte sich schließlich gegen das Parlament durchsetzen.1339 Die verabschiedete Fassung ist stark dem Kommissionsentwurf angenähert. Trotz verschiedener Vorschläge zur Ausweitung der Missbrauchskontrolle ist diese materiell unangetastet geblieben. Der Begriff der „künstlichen Gestaltung“ wurde durch „missbräuchliche oder betrügerische Zwecke“ ersetzt.1340 Die im Kommissionsentwurf enthaltenen Angaben zum ihre Belegenheit, der gewöhnliche Arbeitsort der Arbeitnehmer und besonderer Arbeitnehmergruppen, der Ort, an dem die Sozialabgaben zu entrichten sind, sowie die Geschäftsrisiken, die die umgewandelte Gesellschaft im Zuzugsmitgliedstaat und im Wegzugsmitgliedstaat trägt“ festgelegt. 1333 Art. 86g Abs. 3 lit. b Kom-E. 1334 COM (2018) 241 final, S. 3, 24. 1335 Vgl. Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 894. 1336 Vgl. bspw. Änderungsantrag 3: „Darüber hinaus ist es besonders wichtig, zusätzliche Elemente wie das Vorhandensein von Kriterien der wirtschaftlichen Substanz zu berücksichtigen, damit diese Grundfreiheit nicht für Betrugszwecke missbraucht wird“, EP, Bericht über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (COM (2018)0241 – C8 – 0167/2018 – 2018/0114(COD)) v. 9. 1. 2019, PE625.524v03 – 00, S. 8. 1337 Hierzu unter: Kap. 4, F, VII (S. 273 ff.). 1338 Vgl. insbesondere Rat der Europäischen Union, 2018/0114(COD), S. 2: „The jurisprudence Polbud from October 2017 reaffirmed the absolute nature of the freedom of establishment and confirmed the limited scope of possible derogations on the grounds of public order.“; ausführlich zur Position des Europäischen Rates: Schön, in: Hoffmann-Becking/ Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 896; kurz: Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 72. 1339 Siehe insbesondere Rat der Europäischen Union, 2018/0114(COD), S. 4: „However, the European Parliament could in the end subscribe to the Council’s view that the freedom of movement could be jeopardized by non-proportionate restrictions, if these hindered or discouraged not only fraudulent, but also legitimate operations.“ Im Ergebnis auch für einen Gleichlauf von EuGH-Rechtsprechung und der sekundärrechtlichen Missbrauchsausnahme: J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 577. 1340 Vgl. Art. 86m Abs. 8 GesR-RL.
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Prüfungsumfang sind in die Erwägungsgründe verschoben worden1341 und der unabhängige Sachverständige ermittelt diese „Sachverhaltselemente“ nicht obligatorisch. Er kann aber gem. Art. 86m Abs. 12 GesR-RL fakultativ zu Rate gezogen werden.
IV. Verabschiedete Fassung Die verabschiedete Fassung sieht eine obligatorische zweistufige Missbrauchskontrolle vor.1342 Untersuchungsgegenstand ist die Frage, ob der grenzüberschreitende Formwechsel „zu missbräuchlichen, betrügerischen oder kriminellen Zwecken“1343 genutzt wird. Damit wird das subjektive Element des Missbrauchs der Niederlassungsfreiheit betont.1344 Ist ein Missbrauch festgestellt, darf die zuständige Behörde gem. Art. 86m Abs. 8 GesR-RL keine Vorabbescheinigung ausstellen, sodass der grenzüberschreitende Formwechsel nicht wirksam werden kann. In diesen Fällen besteht im Unterschied zur geltenden Rechtslage kein mitgliedstaatliches Ermessen. Auch eine niederschwellige Sanktion aus Gründen der Verhältnismäßigkeit wie beispielsweise allein die Versagung des missbräuchlichen Vorteils ist nicht vorgesehen. 1. Erste Stufe: Summarische Prüfung Die Grundlage für die obligatorische Missbrauchsprüfung bilden die nach Art. 86m Abs. 2 GesR-RL einzureichenden Unterlagen. Im Umkehrschluss zu Art. 86m Abs. 9 GesR-RL wird in einem ersten Schritt lediglich eine summarische Missbrauchsprüfung vorgenommen. Hat die Prüfungsbehörde nach Durchsicht dieser Unterlagen keine ernsthaften Zweifel, dass der grenzüberschreitende Formwechsel missbräuchlich ist, ist die Vorabbescheinigung gem. Art. 86m Abs. 7 lit. a GesR-RL zu erteilen. Der häufigste Anwendungsfall hierfür dürfte bei einer simultanen Verwaltungssitzverlegung vorliegen, da eine wirtschaftliche Tätigkeit im Zuzugsstaat als Indiz gegen eine Missbräuchlichkeit gewertet werden kann.1345 1341
ErwG. 36 Mobilitäts-RL. A. A. unter Verkennung von Art. 86m Abs. 9 GesR-RL: M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 229. 1343 Art. 86m Abs. 8 GesR-RL. 1344 Für ein subjektives Element: Schön, in: Wank (Hrsg.), Festschrift für Herbert Wiedemann zum 70. Geburtstag, 1271, 1284; Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 3 Rn. 96; Noack/Kraft, DB 2018, 1577, 1580; Kraft/Noack, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 550; in diese Richtung auch: Teichmann, NZG 2019, 241, 248; dagegen: European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 204 (Fn. 35). 1345 ErwG. 36 UAbs. 2 Mobilitäts-RL. Für Gesellschaften kann es sich daher anbieten, im Sinne der Verfahrensbeschleunigung eine wirtschaftliche Tätigkeit im Zuzugsstaat auszuüben, 1342
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Damit ist die Missbrauchsprüfung bei grenzüberschreitenden Formwechseln in Sitztheorie-Staaten sowie solchen Staaten, die sachrechtlich auf einen inländischen Verwaltungssitz insistieren, ohne grundlegende Bedeutung. Gleichwohl begründet ein Verwaltungssitz im Zuzugsstaat keine unwiderlegliche Vermutung gegen einen Missbrauch.1346 2. Zweite Stufe: Vertiefte Prüfung bei ernsthaften Bedenken (Art. 86m Abs. 9 GesR-RL) Wenn sich auf der ersten Stufe „ernste Bedenken“ an der Unbedenklichkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels herauskristallisieren, folgt gem. Art. 86m Abs. 9 GesR-RL eine vertiefte Missbrauchsprüfung auf Grundlage sämtlicher „relevanten Tatsachen und Umstände“.1347 ErwG. 36 Mobilitäts-RL zählt in Anlehnung an die ursprünglich vorgesehenen Unterlagen des unabhängigen Sachverständigen die Faktoren auf, die in die Abwägung einzustellen sind. Diese sollen gem. Art. 86m Abs. 9 GesR-RL nicht isoliert betrachtet werden, sondern das Für und Wider eines Missbrauchs muss im Einzelfall abgewogen werden. Ein einziges Kriterium wie beispielweise der Steuersitz oder ein niedriges Mitbestimmungsniveau im Zuzugsstaat darf nicht für die Annahme eines Missbrauchs entscheidend sein. Die Mobilitäts-RL erkennt damit die vom EuGH vorgegebene Einzelfallprüfung an. In tatsächlicher Hinsicht kann diese Prüfung zu einer erheblichen Verzögerung des Formwechselverfahrens führen.1348
V. Auslegung der Missbrauchsklausel 1. Allgemeine Direktiven Bevor auf die am häufigsten diskutierten Fälle eines Missbrauchs eingegangen wird, müssen die allgemeinen Auslegungsgrundsätze für den Missbrauchsbegriff herausgearbeitet werden. Da eine Präzisierung des Missbrauchsbegriffs nur unter Zugrundelegung der gesetzgeberischen Intention und der befürchteten Missbrauchsrisiken erfolgen kann, kommt den die Vorabbescheinigung erläuternden ErwG. 33 – 43 Mobilitäts-RL hohe Bedeutung zu. Diese haben zwar keinen Normcharakter, können aber als Hilfsmittel zur Auslegung zu Rate gezogen wer-
auch wenn eine solche eigentlich nicht durch den grenzüberschreitenden Formwechsel intendiert ist, Luy, BWNotZ 2020, 11, 15. 1346 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86m Rn. 24; Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 896; Kraft, BB 2019, 1864, 1867. 1347 Art. 86m Abs. 9 GesR-RL. 1348 Vgl. Art. 86m Abs. 10, 11 GesR-RL.
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den.1349 Als missbräuchlich sind nach der beispielhaften Aufzählung der ErwG. Die Umgehung der Rechte der Arbeitnehmer, die Umgehung von Sozialversicherungszahlungen und Steuerpflichten sowie kriminelle Zwecke einzuordnen.1350 Darüber hinaus betont ErwG. 35 Mobilitäts-RL, dass gegen „Scheingesellschaften“ und „Strohfirmen“ vorgegangen werden müsse. Die Erwähnung solcher Gesellschaften deutet auf einen ausgeprägten Anwendungsbereich der Missbrauchskontrolle hin. Sie steht prima facie in einem Widerspruch zu der Zulässigkeit einer freien Rechtsformwahl und der restriktiven Annahme von Missbräuchen durch den EuGH. Welche konkreten Konstellationen die Mobilitäts-RL als rechtsmissbräuchlich ansieht, bleibt unklar. Die Auslegung der Missbrauchsausnahme wird dadurch erschwert, dass diesbezüglich in den Erwägungsgründen keine Erläuterungen enthalten sind. Die fehlende Begriffsschärfe ist misslich, da Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit vorhersehbar sein müssen.1351 ErwG. 40 S. 3 des Kommissionsentwurfs hatte noch in erfreulicher Weise klargestellt, dass die Missbrauchsausnahme eng auszulegen ist.1352 Für eine restriktive Auslegung des Missbrauchsbegriffs spricht maßgeblich die größtmögliche Sanktion der Verhinderung des angestrebten grenzüberschreitenden Formwechsels.1353 Diese kann nur ultima ratio sein,1354 da die Untersagung des grenzüberschreitenden Formwechsels sich als mobilitätshemmende Maßnahme im Einzelfall als geeignet und erforderlich erweisen muss.1355 Für eine enge Annahme von Missbräuchen streitet auch die Möglichkeit, das Ergebnis eines isolierten grenzüberschreitenden Formwechsels durch eine mit dem grenzüberschreitenden Formwechsel einhergehende Verlegung des Verwaltungssitzes in den Zuzugsstaat und eine anschließende rechtsformwahrende Rückverlegung des Verwaltungssitzes herbeizuführen.1356 Wenn eine Verle-
1349 Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 2 Rn. 111 ff.; Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 410. 1350 ErwG. 35 Mobilitäts-RL; vgl. auch COM (2018) 241 final, S. 5, 14, 40. 1351 W.-H. Roth, in: Söllner (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 709, 719. 1352 COM (2018) 241 final, S. 48. 1353 Noack/Kraft, DB 2018, 1577, 1580; vgl. Teichmann, NZG 2019, 241, 248; für eine restriktive Auslegung ebenfalls ErwG. 7 Kom-E. 1354 Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 910; ders., in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 1039, 1059; J. Schmidt, ZEuP 2020, 561, 577; Paefgen, WM 2018, 981, 984; Bungert/Becker, DB 2019, 1609, 1613; ähnlich („Ausnahmefall“): Teichmann, NZG 2019, 241, 248 sowie Noack/Kraft, DB 2018, 1577, 1580 („unter engen Voraussetzungen“); vgl. („Ausnahmecharakter“) zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 122. 1355 EuGH, Urt. v. 09. 03. 1999, Centros, C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, Rn. 35, 37 f.; EuGH, Urt. v. 30. 09. 2003, Inspire Art, C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512, Rn. 133 ff.; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2017, Polbud, C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, Rn. 52, 56 ff. 1356 Vgl. Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2056.
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gung des Verwaltungssitzes als rein tatsächlicher Vorgang1357 unionsrechtlich stets unbedenklich ist, muss das im Regelfall angesichts der wirtschaftlichen Ergebnisgleichheit auch für isolierte grenzüberschreitende Formwechsel gelten.1358 Würde man diese Vorgehensweisen rechtlich unterschiedlich beurteilen, würde Umgehungskonstellationen Vorschub geleistet. Es wäre daher unstimmig, in Fällen einer isolierten Verwaltungssitzverlegung die speziellen Vorschriften ausreichen zu lassen,1359 im Falle eines isolierten grenzüberschreitenden Formwechsels aber restriktiver vorzugehen. Schließlich würde eine extensive Auslegung des Missbrauchsbegriffs einer Missbrauchsvermutung und damit einer Umkehrung der Rechtfertigungslast nahekommen. Nicht die Gesellschaft muss sich für die in Anspruch genommene Umwandlungsmaßnahme rechtfertigen, sondern das Handelsregister muss ihr im Einzelfall einen Missbrauch der angestrebten Strukturmaßnahme sowie die Verhältnismäßigkeit ihrer Versagung nachweisen. 2. Potentielle Missbrauchsfälle Bevor der Missbrauchsbegriffs genauer ausgeformt werden kann, sind die am häufigsten genannten Fälle eines potentiellen Missbrauchs der Niederlassungsfreiheit zu erörtern. a) Isolierter grenzüberschreitender Formwechsel Im Mittelpunkt der Debatte steht seit jeher die Frage nach der Missbräuchlichkeit von isolierten grenzüberschreitenden Formwechseln. Obwohl diese Form der Umstrukturierung den status quo in den meisten Rechtsgebieten aufrechterhält,1360 wird sie seit jeher argwöhnisch betrachtet.1361 Dies mutet seltsam an, da sich viele der auf 1357 Heinze, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 97; W.-H. Roth, in: Söllner (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 709, 712; Behme, ZHR 182 (2018), 32, 38; Hügel, ZGR 1999, 71, 75; vgl. Kieninger, in: Leible/Reichert/ Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 52 Rn. 1. Freilich gilt dies nur, sofern – wie im europäischen Raum – die Gründungstheorie zur Anwendung kommt. Unter Anwendung der Sitztheorie zeitigt die Verlegung des Verwaltungssitzes Rechtsfolgen (Statutenwechsel). 1358 Vgl. Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 303. 1359 Zu den gläubigerschützenden Vorschriften: Weller, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 497, 514. 1360 Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 898 f.; Garciamartín/Gandía, ECFR 2019, 15, 38. 1361 Vgl. nur das immer wieder vorgetragene mobilitätsskeptische, von Gerd Kegel und Klaus Schurig geprägte Verdikt: „Wenn Sitz und Satzung auseinander gehen, ist meistens etwas faul.“, Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, S. 574; dem folgend: Kindler, ZHR 179 (2015), 330, 369; ders., NZG 2018, 1; ähnlich auch im Hinblick auf das Centros-Urteil: Kegel, EWS 1999, Heft 8, I („Die erste Seite“): „Das Natürliche und Anständige ist die Anknüpfung an den Verwaltungssitz (…) Wohin kommen wir, wenn bei uns jeder Klempner, Malermeister oder
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die Gesellschaft anwendbaren Regelungen nur durch Verlegung des Verwaltungssitzes ändern und mithin bei einer isolierten Satzungssitzverlegung nicht ausgelöst werden.1362 Aus der dargestellten Möglichkeit, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit im Zuzugsstaat als Indiz gegen einen Missbrauch gewertet werden kann,1363 darf nicht e contrario geschlossen werden, dass eine fehlende wirtschaftliche Tätigkeit im Zuzugsstaat das Vorliegen einer missbräuchlichen Gestaltung indiziert.1364 Eine solche Auslegung käme einer unzulässigen generellen Missbrauchsvermutung für isolierte grenzüberschreitende Formwechsel gleich. Sie stünde damit im Widerspruch zu der höchstrichterlich anerkannten Zulässigkeit dieser Gestaltungsform. Die Mitgliedstaaten haben die gezielte Wahl des Gesellschaftsrechts zu akzeptieren, ohne dass die formwechselnde Gesellschaft sich hierfür rechtfertigen müsste.1365 Es wäre widersprüchlich, isolierte grenzüberschreitende Formwechsel sekundärrechtlich ausdrücklich zu erlauben, ihnen aber im gleichen Atemzug eine erhöhte Rechtfertigungslast aufzuerlegen. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass die Missbrauchskontrolle für diese Spielart des grenzüberschreitenden Formwechsels zumindest faktisch einen gewissen Rechtfertigungslast erzeugt.1366 Für die Annahme eines Missbrauchs müssen weitere konkrete Anhaltspunkte zu dem Auseinanderfallen von Satzungs- und Verwaltungssitz hinzutreten. Dachdecker als private company englischen Rechts oder gar nach dem Gesellschaftsrecht von Bophutatswana agieren darf? (…) Zwar verlieren Antike und Christentum an Boden, aber Gemeinverträglichkeit muss erhalten bleiben, sonst gibt ein Staat oder eine Staatengemeinschaft sich auf. Daher keine weiche Welle, sondern Schutz der Bürger“. Es gehe „um eine Begünstigung von Schlitzohren, die dem Recht den Vogel zeigen“. 1362 Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 905. 1363 ErwG. 36 UAbs. 2 Mobilitäts-RL. 1364 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 464; Ego, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, Band 7, Europäische Niederlassungsfreiheit, Rn. 91; M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 232; Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 904; Luy, NJW 2019, 1905, 1907; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1930; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 577; Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 73; Kraft, BB 2019, 1864, 1867; Verbrugh, ECL 16 (2019), 4, 5; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 123; für eine Indizierung eines Missbrauchs bei fehlender wesentlicher wirtschaftlichen Tätigkeit im Zuzugsstaat: Teichmann, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 395, 411; de lege ferenda eine sekundärrechtlich normierte Vermutung für einen Missbrauch, wenn im Zuzugsstaat keine Hauptniederlassung begründet werden soll aber: Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 04. 07. 2018, S. 32. 1365 Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 134; Schön, in: HoffmannBecking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 904; Kraft/Noack, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 551; Ringe, in: Feria/ Vogenauer (Hrsg.): Prohibition of abuse of law: a new general principle of EU law, 107, 113. 1366 Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 897: „EU-rechtswidriger bias zu Lasten von isolierten Sitzverlegungen“.
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b) Missbrauch durch Steuerhinterziehung und Steuervermeidung? Verbreitet wird vor den Gefahren einer Umgehung von Steuerpflichten durch grenzüberschreitende Formwechsel gewarnt.1367 Die steuerlichen Auswirkungen eines grenzüberschreitenden Formwechsels sind aufgrund der fehlenden Vermögensübertragung gering.1368 Zur Auslösung von körperschaftssteuerlichen Implikationen müssen sowohl der Satzungssitz als auch der Ort der Geschäftsleitung in den Zuzugsstaat verlegt werden.1369 Aus diesem Grund erscheint es auf den ersten Blick fragwürdig, die Aufrechterhaltung des status quo als missbräuchlich zu qualifizieren.1370 Besondere Berücksichtigung verdient in diesem Zusammenhang, dass die Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen mittelbar auch schutzwürdigen Drittinteressen zugutekommen kann, indem sie beispielsweise dem Erhalt von Arbeitsplätzen dient. Der Schutz der Interessen der öffentlichen Hand kann somit nicht isoliert von den zumindest mittelbaren betroffenen Drittinteressen betrachtet werden. Generell ist zweifelhaft, ob den Missbrauchsrisiken gesellschaftsrechtlich begegnet werden sollte, oder nicht mildere Mittel auf Ebene des jeweiligen Sachrechts – im vorliegenden Fall des Steuerrechts – bestehen.1371 Für letzteres sind die 1367 Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 823; ders., NZG 2018, 1, 2; allgemein zum Rechtmissbrauch im europäischen Steuerrecht: Schön, in: Kirchhof/Dürrschmidt (Hrsg.), Festschrift für Wolfram Reiss zum 65. Geburtstag, 571 ff.; ders., EuZW 2020, 637 ff.; ders., EuZW 2020, 685 ff. 1368 Für grenzüberschreitende Umstrukturierungen mit Vermögensübertragung gilt die steuerliche Fusionsrichtlinie, Richtlinie 2009/133/EG des Rates v. 19. Oktober 2009 u¨ ber das gemeinsame Steuersystem fu¨ r Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie fu¨ r die Verlegung des Sitzes einer Europa¨ ischen Gesellschaft oder einer Europa¨ ischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat, ABl. 2009, L 310/34 ff. 1369 Hierzu unter: Kap. 2, A, IV, 1, a (S. 44 f.). 1370 Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 905 konstatiert insoweit: „Offensichtlich war der politische Prozess in Brüssel und Straßburg nicht von einem durchgehend klaren Verständnis der Sachfragen durchdrungen“. 1371 M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 230 f.; Bungert, in: HoffmannBecking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 123; Drygala, EuZW 2013, 569, 574; European Company Law Experts (European Company Law Experts), ECFR 2019, 196, 204; Teichmann, NZG 2019, 241, 248; Schollmeyer, NZG 2018, 977, 978; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1930; J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 240; dies., ZEuP 2020, 565, 576; dies. Schmidt, ECL 16 (2019), 13, 15; IDW, Stellungnahme v. 27. 08. 2018, S. 2; vgl. Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 909; vgl. Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 281, der in seiner Kritik an der fehlenden Partizipation rechtsformwahrender Verwaltungssitzverlegungen am Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit darauf hinweist, dass ein insolvenzrechtliches „forum shopping“ auf Ebene des europäischen Insolvenzrechts zu bekämpfen ist.
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Stakeholder-Schutzvorschriften der Mobilitäts-RL das beste Beispiel. Materiellrechtliche Lösung haben den Vorzug der der Rechtssicherheit und können angesichts ihres im Vergleich zu der vagen Missbrauchsausnahme klaren Prüfungsauftrags das Formwechselverfahren beschleunigen. Das Handelsregister würde nicht mit komplizierten Missbrauchsprüfungen überfrachtet, da die Überprüfung den zuständigen, mit der erforderlichen Fachkompetenz ausgestatteten Behörden, obläge. Hiermit korrespondierend hat der EuGH die Missbräuchlichkeit von steuerrechtlichen Gestaltungen nie unter der Prämisse der Unwirksamkeit der gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen geprüft.1372 Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit muss bei öffentlich-rechtliche Pflichten betreffen Fragestellungen nicht zwingend präventiv vorgegangen werden. In diesen Fällen kommt auch eine ex post Besteuerung in Betracht. Ein Beispiel hierfür ist Art. 6 Anti-Steuervermeidungsrichtlinie1373, nach der die Mitgliedstaaten Gestaltungen, durch die ein dem Zweck des Steuerrechts widerstrebender Vorteil erlangt werden soll, bei der Berechnung der Körperschaftssteuerschuld unberücksichtigt bleibt. Im Ergebnis sollte die Missbrauchsklausel sich auf gesellschaftsrechtliche Fragestellungen beschränken. Im Übrigen kann auf Ebene des jeweiligen Sachrechts passgenau reagiert werden. c) Umgehung von Stakeholder-Rechten Als dritter Hauptanwendungsfall der Missbrauchsklausel wird die Umgehung von Stakeholder-Schutzvorschriften diskutiert.1374 In den Gesetzgebungsmaterialien wird in diesem Zusammenhang ein besonderer Fokus auf die politisch brisante Umgehung der unternehmerischen Mitbestimmung gelegt.1375 Die Stakeholder-Interessen werden bereits mit weitgehenden Schutzvorschriften adressiert. Vor diesem Hintergrund fragt sich, welchen Anwendungsbereich die Missbrauchskontrolle in diesem Kontext noch haben kann. Gegen einen Missbrauch im Anwendungsbereich der Schutzvorschriften spricht, dass die Gesellschaft gerade alle sekundärrechtlichen Regeln einhält.1376 Es wäre paradox, einen grenzüberschreitenden Formwechsel trotz Einhaltung der stakeholderschützenden Vorschriften nicht zulassen. Exemplarisch 1372 Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 888. 1373 Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates v. 12. 07. 2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts, ABl. 2016, L 193/1 ff. 1374 Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 823; Kindler, NZG 2018, 1, 2. 1375 Vgl. ErwG. 36 Abs. 2 GesR-RL; dieser besonderen Sorge wurde auch durch Verweis auf die Missbrauchsklausel des Art. 11 SE-Beteiligungs-RL in Art. 86l Abs. 3 lit. f GesR-RL Rechnung getragen. 1376 So auch: Noack/Kraft, DB 2018, 1577, 1580; Kraft/Noack, in: Hoffmann-Becking/ Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 551; im Ergebnis auch: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 203; M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 210.
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zeigt sich dies an einem grenzüberschreitenden Formwechsel, der kurz vor Erreichen der die Verhandlungspflicht auslösenden Schwelle durchgeführt wird. Die hierauf gestützte Annahme eines Missbrauchs muss ausscheiden,1377 da dies faktisch zu einer Absenkung des Schwellenwerts „durch die Hintertür“ führen würde.1378 Der Sekundärrechtsgeber hat auf solche Konstellationen mit der Einführung der vier Fünftel Schwelle reagiert und hiermit eine abschließende Regelung getroffen. Gleichzeitig würde das essentielle Ziel der Schaffung von Rechtssicherheit durch das „Damoklesschwert“ des Missbrauchsvorwurfs bei Einhaltung sämtlicher Voraussetzung verfehlt. Gesellschaften könnten sich nicht mehr auf die normierten Voraussetzungen verlassen, wenn trotz Erfüllung der Schutzvorschriften eine Versagung des grenzüberschreitenden Formwechsels mit dem Schutz der bereits mit diesen Vorschriften verfolgten Belangen begründet wird. Mitgliedstaaten bekämen die Möglichkeiten, über das Einfallstor der Missbrauchskontrolle ungerechtfertigte Mobilitätsbeschränkungen zu statuieren. Werden die konkreten Schutzanliegen durch die Mobilitäts-RL bereits geschützt, kommt ein Missbrauch nicht in Betracht.1379 Dasselbe gilt, wenn die Anliegen durch weitere, spezielle sekundärrechtlichen Vorschriften geschützt werden.1380 Missbräuche kommen im Ergebnis im Wesentlichen nur in sekundärrechtlich nicht determinierten Bereichen in Betracht.1381 Angesichts der in den letzten Jahren immer weiter vertieften wirtschaftlichen Integration und Fokussierung auf die Schaffung gemeinsamer Mindeststandards sowie der umfangreichen Stakeholder-Schutzvorschriften ist nur ein sehr enger Korridor von Fällen denkbar, in denen Missbräuche zulasten von Gesellschaftern, Gläubigern und Arbeitnehmern
1377 So auch: Habersack, ZHR 182 (2018), 495, 502; Junker, EuZA 2019, 141, 142; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1930; Noack/Kraft, DB 2018, 1577, 1580; Suchan/Albrecht, WPg 2019, 1181, 1186; Thomale, RdW 2020, 338, 340 f.; in diese Richtung auch: Luy, NJW 2019, 1905, 1907; Kraft/Noack, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 550 f.; vgl. Behme, ZHR 182 (2018), 32, 58; ebenso im Hinblick auf § 43 SEBG, wenn die Rechtsform der SE zum Zwecke des Einfrierens des Mitbestimmungsniveaus kurz vor Erreichen einer mitbestimmungsrelevanten Schwelle genutzt wird: Henssler, in: Habersack/Henssler (Hrsg.), Mitbestimmungsrecht, § 43 SEBG Rn. 8; in die andere Richtung gehend, wenn die Gesellschaft darüber hinaus im Zuzugsstaat keine Niederlassung hat und die Verhandlungen mit den Arbeitnehmern erfolglos scheitern lässt: Teichmann, in: Grundmann/Merkt/Mülbert (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 80. Geburtstag, 1255, 1271. 1378 So auch: Noack/Kraft, DB 2018, 1577, 1580; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1930. 1379 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86m Rn. 23; Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 907 f.; Garciamartín/Gandía, ECFR 2019, 15, 37 f.; in Bezug auf die Umgehung der unternehmerischen Mitbestimmung: Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1930; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: HoffmannBecking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 123. 1380 Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 908 unter Verweis auf die Verhältnismäßigkeit. 1381 Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 908.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
möglich sind.1382 Offensichtlich ist ein Missbrauch gegeben, wenn die Gesellschaft bereits eine Mitbestimmungsschwelle erreicht hat und die Zahl der Arbeitnehmer bewusst falsch angibt, um der Perpetuierung des Mitbestimmungsniveaus zu entgehen.1383 Unter diesen Umständen besteht die Herausforderung für die Registergerichte nicht in der rechtlichen Wertung des Sachverhalts, sondern vielmehr in der Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts.1384 Zweifelhaft ist die Konstellation eines kurzfristigen Absenkens der Arbeitnehmerzahl unter eine mitbestimmungsrelevante Schwelle, um die Rechtsfolgen der Auffanglösung abzumildern. In solchen Fällen wird die Auffanglösung konterkariert, sodass im Ergebnis ein Missbrauch durchaus angenommen werden kann.1385 Ein kurzfristiges Absenken der Arbeitnehmerzahl wird aber bereits durch das Abstellen auf die durchschnittliche1386 Anzahl der Arbeitnehmer in den letzten sechs Monaten weitgehend verhindert, sodass die Gefahr nicht allzu hoch sein dürfte. 3. Bewertung Die Missbrauchsklausel respektiert die unionsrechtlich gebotene Einzelfallbetrachtung und Legitimität1387 isolierter grenzüberschreitender Formwechsel. Ihre zwingende Durchführung erhöht die Schlagkraft des allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsvorbehalts.1388 Möglicherweise entfaltet die Missbrauchskontrolle auch generalpräventive Wirkung.1389 Angesichts der erforderlichen restriktiven Ausle1382 M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 230; Sørensen, in: Birkmose/ Neville/Sørensen (Hrsg.), Abuse of Companies, S. 259, 284; European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 204; vgl. J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 240; Garciamartín/Gandía, ECFR 2019, 15, 37 f.; vgl. zur Missbrauchskontrolle bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 123; in Bezug auf den Missbrauch zulasten der unternehmerischen Mitbestimmung: Kraft/ Noack, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 550; offenlassend: Luy, NJW 2019, 1905, 1907; vgl. zum engen Anwendungsbereich des allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsvorbehalts: Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 34 f.; ders., ZHR 182 (2018), 32, 58; Paefgen, WM 2018, 981, 984; Mucha/Oplustil, ECFR 2018, 270, 300. 1383 So auch: Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1930; ablehnend für den Fall des Fehlens des subjektiven Elements, aber offenlassen bei Vorliegen eines entsprechenden Täuschungswillens: Kraft/Noack, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 551. 1384 Schön, in: Wank (Hrsg.), Festschrift für Herbert Wiedemann zum 70. Geburtstag, 1271, 1278; Fleischer, JZ 58 (2003), 865, 870. 1385 Vgl. zu § 43 SEBG: Henssler, in: Habersack/Henssler (Hrsg.), Mitbestimmungsrecht, § 43 SEBG Rn. 11. 1386 Art. 86l Abs. 2 GesR-RL. 1387 So ausdrücklich COM (2018) 241 final, S. 3, 24. 1388 Sørensen, in: Birkmose/Neville/Sørensen (Hrsg.), Abuse of Companies, S. 259, 282. 1389 Vgl. Sørensen, in: Birkmose/Neville/Sørensen (Hrsg.), Abuse of Companies, S. 259, 284.
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gung werden Missbräuche nur sehr vereinzelt angenommen werden können.1390 Dem begrenzten Anwendungsbereich der Missbrauchskontrolle stehen erhebliche Einbußen der Verfahrenseffizienz und eine Steigerung der Transaktionskosten gegenüber.1391 Die vorgesehene dreimonatige Missbrauchskontrolle kann durch die vertiefte Missbrauchsprüfung um bis zu drei Monate verlängert werden1392 und auch eine Überschreitung dieser Frist erfordert lediglich die Darlegung der Gründe hierfür.1393 Nachdrücklich ist auch die mit der fehlenden Begriffsschärfe einhergehende Rechtsunsicherheit zu bedauern, auch wenn es in der Natur der Sache liegt, dass den vielfältigen Missbrauchsrisiken nur durch eine Generalklausel Rechnung getragen werden kann1394. Dass im Wesentlichen den nationalen Behörden und Gerichten1395 die Auslegung überantwortet wird, ist in mehrerlei Hinsicht bedauerlich: Im Sinne des effet utile1396 müssen nationale Auslegungsspielräume grundsätzlich geringgehalten werden.1397 Aufgrund des nebulösen Anwendungsbereichs der Missbrauchsausnahme besteht die Gefahr, dass dieser Begriff von den einzelnen Mitgliedstaaten und sogar innerhalb der Mitgliedstaaten von den einzelnen Registergerichte unterschiedlich ausgelegt wird und dadurch das Ziel der Schaffung von Rechtssicherheit konterkariert wird.1398 Die fehlende Konturierung des Missbrauchsbegriffs birgt darüber hinaus die nicht zu unterschätzende Gefahr, dass 1390 Schollmeyer, NZG 2018, 977, 977 f. beschreibt die Missbrauchskontrolle daher mit der aus Michael Endes entnommen Werk „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ entnommenen Figur „Herr Tur Tur“ plastisch als „Scheinriesen“; Zwar bezog sich diese Aussage auf die im Kommissionsentwurf enthaltene Figur der „künstlichen Gestaltung“. Der Gedanke lässt sich aber auch auf die endgültige Missbrauchskontrolle erweitern. 1391 Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86m Rn. 22; Teichmann, NZG 2019, 241, 248; Bungert/Becker, DB 2018, 1609, 1616 f.; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1931; J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 238 f.; dies., ECL 16 (2019), 13, 15; Luy, NJW 2019, 1905, 1907; Brandi, BB 2018, 2626, 2633; vgl. Fuentes Naharro, in: Kovács/ Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection, 13, 30 f. 1392 Art. 86m Abs. 10 GesR-RL 1393 Art. 86m Abs. 11 GesR-RL. 1394 M. Förster, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1395 M. Förster, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen) sieht eine planvolle Delegation an die Gerichte, wobei unklar bleibt, ob die nationalen Gerichte oder der EuGH gemeint sind. 1396 Zu diesem Auslegungsprinzip, nach dem Europäischem Recht zur praktischen Wirksamkeit zu verhelfen ist: W.-H. Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 13 Rn. 28 ff.; Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 2 Rn. 127 ff. 1397 Schön, in: Kirchhof/Dürrschmidt (Hrsg.), Festschrift für Wolfram Reiss zum 65. Geburtstag, 571, 576; Bayer/J. Schmidt, BB 2018, 2562, 2571. 1398 Schollmeyer, NZG 2018, 977, 978; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 577; dies., ECFR 2019, 222, 238; dies., ECL 16 (2019), 13, 15; Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 910; Bungert, in: Hoffmann-Becking/ Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 123 f.; Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 147 f.; Albrecht/Suchan, WPg 2019, 1181, 1187.
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Mitgliedstaaten außerrechtliche Wertungen einfließen lassen, die in einer juristischen Betrachtung keinen Raum haben dürfen1399 und mittels einer extensiven Auslegung des Missbrauchs unliebsame grenzüberschreitende Formwechsel verhindern.1400 Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Mitgliedstaaten Missbräuche häufig vorschnell angenommen haben und vom EuGH ausgebremst werden mussten.1401 Bis zu einer Konkretisierung des Missbrauchsbegriffs durch den EuGH drohen lange Rechtsstreitigkeiten. Die Verlängerung des Formwechselverfahrens ist umso misslicher, als dass die hiermit verbundenen Bürden unterschiedslos sämtliche Gesellschaften treffen, obwohl Missbrauchsfälle die absolute Ausnahme sind.1402 Mit einem in Betracht kommenden, auf einer fehlerhafte Umsetzung gestützten Amtshaftungsanspruch gegen den Mitgliedstaat aufgrund ist der Gesellschaft auch nur bedingt geholfen.1403 Umgekehrt besteht ohne eine Präzisierung des Missbrauchsbegriffs die Gefahr, dass missbräuchliche Formwechsel genehmigt werden und damit trotz der Missbräuchlichkeit Bestandsschutz eintritt.1404 Im Ergebnis ist es dem Europäischen Gesetzgeber daher nicht gelungen, die Missbrauchskontrolle so zu konzipieren, dass Missbräuche wirksam verhindert werden, gleichzeitig aber nicht die Rechtssicherheit und Verfahrenseffizienz darunter leidet.1405
1399
Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 04. 07. 2018, S. 30. Petanidis, Die grenzüberschreitende Umstrukturierung von Gesellschaften, S. 467; J. Schmidt, DK 2018, 273, 276; dies., ZEuP 2020, 565, 577; dies., ECFR 2019, 222, 238; Bayer/J. Schmidt, BB 2018, 2562, 2571; vgl. European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 203; Fuentes Naharro, in: Kovács/Winner (Hrsg.), Stakeholder Protection, 13, 31; vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Spaltungen: Bungert, in: Hoffmann-Becking/ Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 123; vgl. Vossius, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht, Umwandlungsrecht aktuell v. 01. 02. 2019. 1401 Petanidis, Die grenzüberschreitende Umstrukturierung von Gesellschaften, S. 467; J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 238; dies., DK 2018, 273, 276. Beispiele für die nicht primärrechtswidrige Annahme von Missbräuchen durch die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die grenzüberschreitende Mobilität sind: EuGH, Urt. v. 10. 7. 1986, Segers, C-79/85, ECLI:EU:C: 1986:308, Rn. 19; EuGH, Urt. v. 09. 03. 1999, Centros, C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, Rn. 30; EuGH, Urt. v. 30. 09. 2003, Inspire Art, C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512, Rn. 142; EuGH, Urt. v. 12. 09. 2006, Cadbury Schweppes, C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544, Rn. 38; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2017, Polbud, C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, Rn. 62, 64. 1402 Teichmann, NZG 2019, 241, 248. 1403 In Betracht kommt ein „europarechtlicher Staatshaftungsanspruch“, der auf richterlicher Rechtsfortbildung beruht. Grundlegend hierzu ist folgende Entscheidung: EuGH, Urt. v. 19. 13. 1991, Francovich, C-1991/428, ECLI:EU:C:1991:428, Rn. 28 ff. Hierzu statt aller: Wiedmann, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Europäisches Zivilrecht, Teil 2 Rn. 104 ff. 1404 Zur fehlenden Möglichkeit, einen Missbrauch nachträglich zu sanktionieren: Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 897. 1405 So auch: Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 72. 1400
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VI. Ausgestaltung der Missbrauchskontrolle in Deutschland 1. Rechtssicherheit durch Ausformung des Missbrauchsbegriffs? Gem. Art. 86m GesR-RL obliegt die genaue Ausgestaltung der Missbrauchskontrolle den Mitgliedsstaaten. Hierfür muss der Umsetzungsgesetzgeber den Handelsregistern einen hinreichend klaren Prüfungsauftrag an die Hand geben. Der Vorzug einer nationalen Begriffsausformung liegt darin, dass sie den Prüfungsbehörden die Prüfung erleichtert und auf diese Weise zumindest innerstaatlich eine einheitliche Auslegung sichergestellt wird. Gleichwohl vermag auch eine Präzisierung durch den Umsetzungsgesetzgeber nicht umfängliche Rechtssicherheit zu verschaffen.1406 Die Missbrauchsklausel ist als EU-Rechtsakt unionsrechtlich autonom auszulegen.1407 Infolgedessen obliegt seine letztverbindliche Auslegung und Konkretisierung allein dem EuGH.1408 Kommt ein nationales Gericht zu der Entscheidung, dass ein Missbrauch vorliegt und der angestrebte grenzüberschreitende Formwechsel mithin versagt werden muss, ist es berechtigt, den EuGH um Vorabentscheidung hinsichtlich der Vereinbarkeit der nationalen Norm mit der Niederlassungsfreiheit zu ersuchen.1409 Je nachdem, wie restriktiv die Mitgliedstaaten die Missbrauchsklausel handhaben werden, kann dies zu einer Vielzahl von Vorlagen führen1410. Insofern ist der Weg zum EuGH vorgezeichnet. Bis dieser sich zur Zulässigkeit dieser Kriterien äußert, ist ein grenzüberschreitender Formwechsel mit einem gewissen Maß an Rechtssicherheit behaftet.1411 2. Herausforderungen einer nationalstaatlichen Begriffsausformung Die maßgebliche Schwierigkeit bei der Umsetzung der im deutschen Umwandlungsrecht bisher unbekannten Missbrauchskontrolle ist das Fehlen einer genauen Definition der erlaubten und verbotenen Verhaltensweisen.1412 Zwar ist zur Be1406
Hushahn, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018, 171, 185. Vgl. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19 EUV Rn. 13; vgl. Schollmeyer, ZGR 2018, 186, 195. 1408 Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 2 Rn. 80. 1409 Letztinstanzliche Gerichte sind nicht nur zur Vorlage berechtigt, sondern gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV dazu verpflichtet. 1410 Petanidis, Die grenzüberschreitende Umstrukturierung von Gesellschaften, S. 466 erwartet „eine Vielzahl von am EuGH anhängigen Verfahren“. 1411 Hushahn, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018, 171, 185. 1412 Kritisch zur Unbestimmtheit der Missbrauchsklausel: M. Schmidt, Grenzüberschreitender Formwechsel, S. 230; J. Schmidt, ZEuP 2020, 565, 577; Sørensen, in: Birkmose/Neville/ Sørensen (Hrsg.), Abuse of Companies, S. 259, 284; Kraft/Noack, in: Hoffmann-Becking/ Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 539, 548; Heckschen, GWR 2020, 87, 92 („gänzlich konturlos“); vgl. zur identischen Vorschrift bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen: M. Noack, AG 2019, 665, 670; im Hinblick auf die ebenso unbestimmte Missbrauchsklausel („künstliche Gestaltung“) im Kommissionsentwurf: Limmer/ Knaier, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 6 Rn. 282; 1407
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griffsbestimmung eine Orientierung an der EuGH-Rechtsprechung möglich. Diese ist jedoch nicht hinreichend ausdifferenziert, um eine rechtssichere Handhabung des Missbrauchsbegriffs zu gewährleisten. Die Mitgliedstaaten stehen damit vor dem Dilemma, dass sie durch eine zu enge Auslegung des Missbrauchsbegriffs ihr sekundärrechtliche Pflicht zur Verhinderung von Missbräuchen verletzen würde und umgekehrt durch eine zu extensive Auslegung des Missbrauchsbegriffs ihre Pflicht zur effektiven Ermöglichung grenzüberschreitender Formwechsel verletzen würden. Die Formulierung von Regelbeispielen durch nationale Gesetzgeber wird daher stets „mit heißer Nadel“ gestrickt sein. Zusätzlich erschwert die vom EuGH vorgegebene Einzelfallabhängigkeit das Formulieren allgemeiner Grundsätze. Wünschenswert wäre die katalogartige Schaffung von Regelbeispielen sowie das Operieren mit positiven und negativen Tatbestandsvoraussetzungen.1413 Um eine möglichst einheitliche Handhabung des Missbrauchsbegriffs zu gewährleisten wäre es wünschenswert, wenn die Mitgliedstaaten sich bei der Auslegung des Missbrauchsbegriffs absprechen.1414 3. Vermutung gegen Missbrauch bei wirtschaftlicher Tätigkeit im Zuzugsstaat Zur Konkretisierung der Missbrauchsklausel ist vorgeschlagen worden, in Anlehnung an ErwG. 36 Abs. 2 S. 2 Mobilitäts-RL das Bestehen einer Zweigniederlassung im Zuzugsstaat als unwiderlegbare Vermutung gegen einen Missbrauch zu konzipieren. Diese solle durch eine widerlegbare Vermutung bei Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Zuzugsstaat, die den Anforderungen an eine Zweigniederlassung genügt, flankiert werden.1415 Dieses Postulat geht ersichtlich von der Prämisse aus, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit im Zuzugsstaat einem Missbrauch entgegensteht. Es sind jedoch Konstellationen denkbar, in denen trotz einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Zuzugsstaat missbräuchliche Gestaltungen in Betracht kommen. Dies gilt umso mehr, als dass an eine Zweigniederlassung keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Mit der immer weiter fortschreitenden Digitalisierung nimmt die Bedeutung einer Zweigniederlassung oder sonstigen festen Verbindungen zum Zuzugsstaat ohnehin abnimmt.1416 Eine unwiderlegliche Vermutung bei Bestehen einer Zweigniederlassung würde daher über das Ziel hinausschießen. Das bedeutende Interesse an einem effizienten Verfahren spricht dafür, Schollmeyer, NZG 2018, 977 f.; BR Drs. 179/1/18, S. 5; Hushahn, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018, 171, 184 f.; Knaier, GmbHR 2018, 607, 618; Brandi, BB 2018, 2626, 2633; J. Schmidt, ECL 16 (2019), 13, 15. 1413 Vgl. Limmer/Knaier, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 6 Rn. 289; Heckschen, GWR 2020, 87, 92. 1414 Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 74. 1415 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 463; ders., GmbHR 2020, 61, 73; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 361 f.; für eine Berücksichtigung einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Zuzugsstaat auch: Heckschen, GWR 2020, 87, 92. 1416 Schollmeyer, ZGR 2018, 186, 200.
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dass bei Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Zuzugsstaat, die den Anforderungen an eine Zweigniederlassung genügt, eine widerlegliche Vermutung gegen die Missbräuchlichkeit streitet. Damit hätte die Missbrauchsprüfung bei grenzüberschreitenden Formwechseln in Mitgliedstaaten, die der Sitztheorie folgen oder sachrechtlich einen innerstaatlichen Verwaltungssitz verlangen, kaum eine Bedeutung hätte. In diesen Fällen wäre die Missbrauchsvermutung regelmäßig auf der ersten Stufe beendet.
VII. Rechtspolitisches Desiderat: Unionsrechtliches Erfordernis eines genuine link zum Zuzugsstaat? 1. Vorschlag aus der Literatur Die allgemeine Missbrauchskontrolle geht einigen Autoren nicht weit genug. Es ist vorgeschlagen worden, die Missbrauchsprüfung durch ein unionsrechtliches Erfordernis eines realwirtschaftlichen Bezugs zum Zuzugsstaat zu ersetzen respektive um ein solches Erfordernis zu ergänzen.1417 Die Forderungen gehen nur vereinzelt so weit, dass entsprechend Art. 7 S. 1 SE-VO für ein Junktim zwischen Satzungs- und Verwaltungssitz plädiert wird,1418 sondern konzentrieren sich auf niedersachwelligere Anforderungen an die wirtschaftliche Tätigkeit im Zuzugsstaat. 2. Stellungnahme Das sekundärrechtliche Erfordernis eines genuine link zum Zuzugsstaat hätte im Unterschied zur konturlosen Missbrauchskontrolle den Vorzug, dass ein klar handhabbares Kriterium für die Missbrauchskontrolle bestünde.1419 Von den Befürwortern einer solchen Vorgabe wird weiter angeführt, dass durch einen obligatorischen genuine link zum Zuzugsstaat eine präventive Missbrauchskontrolle weitgehend obsolet würde und dadurch das Formwechselverfahren beschleunigt 1417
BR-Drs. 179/18, S. 5; Hushahn, in: VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018, 171, 185; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 361; Stelmaszczyk, EuZW 2017, 890, 894; Bundesnotarkammer, Stellungnahme v. 18. 06. 2018, S. 14 f.; in diese Richtung auch: Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 04. 07. 2018, S. 31 f.; Wicke, DStR 2018, 2703, 2704; vgl. Fähndrich, Missbrauch einer grenzüberschreitenden Verschmelzung von Gesellschaften zur Flucht aus deutscher Mitbestimmung, S. 240, der eine grenzüberschreitende Verschmelzung als missbräuchlich ansieht, wenn sie wirtschaftlich nicht gerechtfertigt werden kann; gegen das Erfordernis eines genuine link: Bayer/J. Schmidt, ZIP 2017, 2225, 2233; Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 148; Behme, ZHR 182 (2018), 32, 61; Schön, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 1039, 1056. 1418 Deutscher Gewerkschaftsbund, Stellungnahme zum Company Law Package, S. 10; für eine IPR-Verordnung auf Grundlage der Sitztheorie: Kindler, NZG 2018, 1, 5; für eine Primärrechtswidrigkeit von Art. 7 SE-VO: Ringe, Die Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 98. 1419 BR-Drs. 179/18, S. 5; Wicke, DStR 2018, 2703, 2704.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
würde.1420 Dies gilt jedoch nur unter der Prämisse, dass ein genuine-link-Erfordernis als Substitut der verabschiedeten Missbrauchskontrolle geeignet ist, Missbrauchsrisiken abschließend zu begegnen. Ist dies nicht der Fall, wäre weiterhin eine präventive Missbrauchskontrolle notwendig, womit der Gewinn an Effizienz vernachlässigbar wäre. In diesem Zusammenhang ist in Erinnerung zu rufen, dass viele Rechtsfolgen erst durch die Verlagerung von Wirtschaftstätigkeiten in den Zuzugsstaat ausgelöst werden. Hiermit korrespondierend muss bei einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Zuzugsstaat die Annahme eines Missbrauchs im Einzelfall möglich sein.1421 Dieses Ergebnis wird durch § 43 SEBG gestützt, der trotz der bei der SE geltenden Sitzeinheitsgebots eine speziellen Missbrauchsvorbehalt statuiert. Im Ergebnis kann die Voraussetzung eines genuine link zum Zuzugsstaat eine Missbrauchskontrolle nicht wirkungsvoll ersetzen. Ob eine widerlegliche Vermutung gegen einen Missbrauch einen spürbarer Gewinn an Verfahrenseffizienz bringen würde, ist vor dem Hintergrund, dass die Prüfungsbehörde eine wirtschaftliche Tätigkeit im Zuzugsstaat als Indiz gegen das Vorliegen eines Missbrauchs werten kann. Hiermit wird auch ein nicht zu unterschätzender praktischer Anreiz für eine wirtschaftliche Tätigkeit im Zuzugsstaat geschaffen. 3. Vereinbarkeit eines genuine-link-Erfordernisses mit der Niederlassungsfreiheit Die rechtspolitische Diskussion ist obsolet, wenn ein genuine-link-Erfordernis primärrechtlich unzulässig wäre. In dieser Hinsicht ist zu konstatieren, dass ein solches ersichtlich auf einem antiquierten Verständnis der Niederlassungsfreiheit beruht. Im Kern entzündet sich erneut die Frage nach der Legitimität der Aufspaltung von Satzungs- und Verwaltungssitz. Angesichts des durch den EuGH verbrieften Zulässigkeit isolierter grenzüberschreitender Formwechsel ist sehr zweifelhaft, ob der Europäische Gesetzgeber auf sekundärrechtlichem Wege ein genuine-link-Erfordernis statuieren könnte. Das unionsrechtliche Erfordernis einer gleichzeitigen Verlegung des Verwaltungssitzes ist zum Teil als „klar primärrechtswidrig“1422 deklariert worden.
1420
Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 04. 07. 2018, S. 31. Laut Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 147 würde eine Sitzeinheit Missbräuche per se verhindern. 1422 Bayer/J. Schmidt, ZIP 2017, 2225, 2233; dies., BB 2018, 2562, 2570; J. Schmidt, DK 2018, 273, 282; in diese Richtung auch: Paefgen, WM 2018, 981, 984; an der Primärrechtskonformität eines genuine link Erfordernisses zweifelnd: Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 148; gegen eine Vereinbarkeit einer sekundärrechtlich vorgegebenen Sitzeinheit von Satzungs- und Verwaltungssitz: Behme, ZHR 182 (2018), 32, 61; zum fehlenden zwingenden Gleichlauf von EuGH Rechtsprechung (in diesem Fall: Zulässigkeit isolierter grenzüberschreitender Formwechsel) und Sekundärrechtsgesetzgebung (in diesem Fall: genuine link oder Erfordernis einer gleichzeitigen Verwaltungssitzverlegung): Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 156. 1421
F. Verbot missbräuchlicher Verhaltensweisen
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a) Statuierung durch die Mitgliedstaaten Ausgangspunkt ist der unbestrittene Befund, dass ein durch den Wegzugsstaat statuiertes Erfordernis einer für einen grenzüberschreitenden Formwechsel konstitutiven Verwaltungssitzverlegung unzulässig ist.1423 Der EuGH gesteht es den Mitgliedstaaten hingegen ausdrücklich zu, sachrechtliche Voraussetzungen für das Bestehen seiner nationalen Gesellschaften zu statuieren.1424 Aufgrund dessen ist es ihnen unbenommen, kollisionsrechtlich durch Geltung der Sitztheorie oder sachrechtlich einen inländischen Verwaltungssitz zu verlangen. Isolierte grenzüberschreitende Formwechsel können somit in primärrechtlich nicht zu beanstandender Weise durch den Zuzugsstaat unterbunden werden. b) Statuierung durch den Europäischen Gesetzgeber Vorliegend steht jedoch die Zulässigkeit eines durch den Europäischen Gesetzgeber angeordneten realwirtschaftlicher Bezug zum Zuzugsstaat in Frage. aa) Bindung an die Grundfreiheiten Dies wirft die Frage nach der Bindung des Unionsgesetzebers an die Niederlassungsfreiheit auf.1425 Im Grundsatz besteht Einigkeit, dass auch die Unionsorgane an die Grundfreiheiten gebunden sind.1426 Kommission, Rat und Parlament haben daher die Auslegung der Niederlassungsfreiheit durch den EuGH hinzunehmen. An 1423
Vgl. EuGH, Urt. v. 16. 12. 2008, Cartesio, C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723, Rn. 112. EuGH, Urt. v. 27. 09. 1988, Daily Mail, C-81/87, ECLI:EU:C:1988:456, Rn. 19 1425 Zur Bindung des Sekundärrechtsgebers an die Grundfreiheiten: Forsthoff, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 45 AEUV Rn. 131 ff.; Schön, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 1039 ff.; Teichmann, in: Müller-Graff/Schmahl/Skouris (Hrsg.): Festschrift für Dieter H. Scheuing, 735, 744 ff.; Leible, ZGR 2004, 531, 539 ff.; Rosenfeld/Würdemann, EuR 2016, 453 ff.; für eine nur mittelbare Bindung des Unionsgesetzgebers an die Grundfreiheiten: König/ Bormann, NZG 2012, 1241, 1243; Stelmaszczyk, EuZW 2017, 890, 894; gegen eine Bindung des Unionsgesetzgebers an die Grundfreiheiten: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 77 f. 1426 EuGH, Urt. v. 09. 08.1994, C-51/93, Meyhui, ECLI:EU:C:1994:312, Rn. 11; EuGH, Urt. v. 13. 09. 2001, C-169/99, Schwarzkopf, ECLI:EU:C:2001:439, Rn. 37; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 45 AEUV Rn. 131; Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 37; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 34 AEUV Rn. 37; Remien, in: Schulze/Janssen/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, § 14 En. 20; Leible/Domröse, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 8 Rn. 10; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 154; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 82; Leible, ZGR 2004, 531, 540 m. w. N.; für den Unionsgesetzgeber: Teichmann, in: Müller-Graff/Schmahl/ Skouris (Hrsg.): Festschrift für Dieter H. Scheuing, 735, 745; ders., ZGR 2011, 639, 655; implizit auch: Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 290 (Fn. 236). 1424
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
die Maßnahmen des Sekundärrechtsgebers ist aber ein mit größeren Entscheidungsspielräumen ausgestatteter Maßstab anzulegen als bei der Beurteilung mitgliedstaatlicher Maßnahmen.1427 Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die Rechtsangleichung einen Wert für sich bildet und nur der europäische Gesetzgeber die gegenläufigen Interessen austarieren kann.1428 Darüber hinaus sind Sekundärrechtsakte regelmäßig in Hinblick auf die Essenz der Niederlassungsfreiheit neutral ausgestaltet oder fördern ihn sogar.1429 bb) Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit Für die Vereinbarkeit eines genuine-link-Erfordernisses wird Art. 50 AEUV ins Feld geführt, der dem Europäischen Gesetzgeber die Kompetenz zur Ausgestaltung der Niederlassungsfreiheit überantwortet.1430 Zwar hat der EuGH mehrfach angedeutet, dass er die Harmonisierung der Anknüpfungskriterien für die Existenz von Gesellschaften für möglich hält.1431 Im vorliegenden Fall steht aber nicht die Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts in Frage, sondern es würde eine objektive Zugangsbeschränkung aufgestellt. Durch eine genuine-link-Erfordernis würde faktisch eine Missbrauchsvermutung isolierter grenzüberschreitender Formwechsel statuiert. Da die Zulässigkeit der anfänglichen und nachträglichen Rechtsformwahl ein maßgebliches Element des Binnenmarktes ist,1432 würde damit der Kern des Gewährleistungsgehalts der Niederlassungsfreiheit angetastet.1433 Im Unterschied zum Regelfall harmonisierender Vorschriften würde der Markzugang
1427
Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 45 AEUV Rn. 133, 135 f.; Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 34 AEUV Rn. 37; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 78 f.; Schön, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 1039, 1042; Leible, ZGR 2004, 531, 543; Teichmann, ZGR 2011, 639, 656 ff.; Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 148; W.-H. Roth, in: Dauner-Lieb et. al. (Hrsg.), Festschrift für Barbara Grunewald zum 70. Geburtstag, 935, 959. 1428 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 79; Schön, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 1039, 1050 f., 1059 ff. 1429 Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S.155; ders., ZGR 2011, 639, 657. 1430 König/Bormann, NZG 2012, 1241, 1243; Stelmaszczyk, EuZW 2017, 890, 894; Bundesnotarkammer, Stellungnahme v. 18. 06. 2018, S. 16. 1431 „In Ermangelung einer gemeinschaftsrechtlichen Definition von Gesellschaften, denen die Niederlassungsfreiheit zugutekommt“: EuGH, Urt. v. 16. 12. 2008, Cartesio, C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723, Rn. 109; ähnlich: EuGH, Urt. v. 12. 07. 2012, VALE, C-378/10, ECLI: EU:C:2012:440, Rn. 28; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2017, Polbud, C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, Rn. 34. 1432 So auch: Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 148. 1433 Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 148 beschreibt die Missbrauchskontrolle daher für den Fall, dass ein genuine link zum Zuzugsstaat erforderlich wäre, zutreffend in plastischer Form als „Trojanisches Pferd“.
G. Zusammenfassung in Thesenform
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nicht erleichtert, sondern erschwert. Ein unionsrechtliches genuine-link-Erfordernis wäre daher primärrechtlich unzulässig.1434 cc) Fazit Im Kern geht es bei der Frage nach einem genuine link zum Zuzugsstaat weniger um den mittlerweile geklärten Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit, sondern um die rechtspolitische Entscheidung, ob eine fehlende Marktpräsenz im Zuzugsstaat hinzunehmen ist. Ein für grenzüberschreitende Formwechsel konstitutiver realwirtschaftlicher Bezugs zum Zuzugsstaat würde schließlich auch die Kohärenz zu der anerkannten Gründung ohne realwirtschaftlichen Bezug zum Gründungsstaat1435 missen lassen. Seine Wirksamkeit ist vor dem Hintergrund, dass die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz nach Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels wieder frei relokalisieren könnte, sehr zweifelhaft.1436 Wenn überhaupt müsste eine generell einzuhaltende tatsächliche Verbundenheit zu dem Registerstaat postuliert werden. Hierdurch wären aber die Grenzen zwischen Kollisions- und Sachrecht verwässert.1437 Aus diesen Gründen ist im Ergebnis die Voraussetzung eines genuinelink-Erfordernisses sowohl aus rechtlichen als auch aus rechtspolitischen Erwägungen zurückzuweisen.
G. Zusammenfassung in Thesenform 1. Die Stakeholder-Schutzvorschriften bilden das notwendige Korrektiv für die durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel hervorgerufene Gefährdungslage für Gesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer. Ihr Zweck liegt in der Kompensation der auf die grenzüberschreitende Mobilität zurückzuführende Risiko von Einbußen an bestehenden Rechtspositionen. Sie dienen hingegen nicht der Schaffung einheitlicher Mindeststandards, etwa im Hinblick auf die unternehmerische Mitbestimmung. 2. Entsprechend dem Anliegen des Europäischen Gesetzgebers, Rechtssicherheit zu schaffen, wirken die Stakeholder-Schutzvorschriften in weiten Teilen vollharmonisierend. Die Annahme einer Mindestharmonisierung würde die Wechsel1434 So auch: COM (2018) 241 final, S. 24; Schön, in: Bachmann/Mengel/Krolop (Hrsg.), Festschrift für Christine Windbichler zum 70. Geburtstag, 1039, 1056; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2017, 2225, 2233; Bayer/J. Schmidt, BB 2018, 2562, 2570; J. Schmidt, DK 2018, 273, 282; in diese Richtung auch: Paefgen, WM 2018, 981, 984; wohl auch: Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 148; a. A.: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 331, der auch eine sekundärrechtliche Sitzkopplung für zulässig erachtet. 1435 EuGH, Urt. v. 09. 03. 1999, Centros, C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, Rn. 27. 1436 Vgl. Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2056. 1437 Schön, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 879, 892, 895
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
wirkungen zwischen den verschiedenen Stakeholder-Interessen außer Acht lassen. Nur wenn und soweit konkrete Schutzanliegen mit der Mobilitäts-RL nicht adressiert worden sind, kommt ein über die speziellen Schutzvorschriften hinausgehender Schutz in Betracht. Dies betrifft namentlich den Sonderrechtsschutz. 3. Die Schutzvorschriften lassen sich in zwei Arten kategorisieren. Zum einen wird Schutz durch Information gewährleistet. Zum anderen sind für Gesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer materiellrechtliche Absicherungen vorgesehen. 4. Der Schutz durch Information wird durch den Plan, den Bericht sowie den Sachverständigenbericht bewerkstelligt. Hierin erschöpft sich das Schutzbedürfnis der Stakeholder aber noch nicht. Ungleich größere Bedeutung kommt dem materiellen Stakeholder-Schutz zu. 5. Der materielle Schutz der Gesellschafter wird durch erhöhte Anforderungen an den Formwechselbeschluss sowie ein Austrittsrecht gegen Barabfindung gewährleistet. a) Nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen können rechtswidrige Beschlüsse angefochten werden. Im Sinne des Bestandsschutzes sieht die Mobilitäts-RL einen umfassenden Anfechtungsausschluss vor, der – entsprechend der Rechtslage bei innerstaatlichen Formwechseln – kompensatorische Streitigkeiten in das Spruchverfahren verlagert. Bei einem zu hoch bemessenen Barabfindungsangebot ist der Anfechtungsausschluss nicht anwendbar. b) Das Austrittsrecht gegen Barabfindung schützt die dissentierenden Gesellschafter. Deutschland sollte für die Anspruchsberechtigung anstelle einer dokumentierten Ablehnung des Formwechselbeschlusses einen Widerspruch zur Niederschrift verlangen. Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist im Einklang mit den Wertungen der §§ 207 Abs. 2, 29 Abs. 2 UmwG behutsam auszudehnen. c) In rechtsdogmatischer Hinsicht vollzieht sich das rechtsgeschäftlich zu qualifizierende Austrittsrecht gegen Barabfindung durch Angebot und Annahme. Besondere Schwierigkeiten wirft das bislang unbekannte Institut der Austrittserklärung auf. Die Austrittserklärung dient der Konkretisierung des bevorstehenden Liquiditätsabflusses und ist nicht als Annahme des Barabfindungsangebots einzuordnen. Sie ist als gesetzliche Wirksamkeitsvoraussetzung für die gesonderte Annahme des Barabfindungsangebots zu qualifizieren und entfaltet keine Bindungswirkung für die Annahme des Barabfindungsangebots. d) Der Barabfindungsanspruch kann im Spruchverfahren durchgesetzt werden. In diesem Zusammenhang sollte Deutschland eine erga-omnes-Wirkung der Entscheidung anordnen. Die Möglichkeit einer reformatio in peius ist abzulehnen.
G. Zusammenfassung in Thesenform
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6. Der materielle Schutz der Gläubiger beinhaltet die Perpetuierung des Gerichtsstands im Wegzugsstaat sowie einen Anspruch auf Sicherheitsleistung. a) Der besondere Gerichtsstand im Wegzugsstaat tritt neben etwaige weitere besonderen Gerichtsstände. Zweifelhaft ist das Verhältnis zu ausschließlichen EuGVVO-Gerichtsständen. Eine parallele Anwendbarkeit solcher Gerichtsstände ist unter Berücksichtigung der mit dem besonderen Gerichtsstand intendierten Zwecke vorzugswürdig. b) Der Anspruch auf Sicherheitsleistung ist als vorgelagerter Gläubigerschutz konzipiert. In der Konsequenz können Gläubiger den grenzüberschreitenden Formwechsel mit einem Antrag auf Gewährung angemessener Sicherheiten blockieren. Voraussetzung für den Anspruchs auf Sicherheitengewährung ist die Glaubhaftmachung einer Erfüllungsgefährdung infolge des grenzüberschreitenden Formwechsels. c) Das Angebot einer Sicherheit ist nicht im Plan enthalten, sondern gesondert durch die Gesellschaft zu unterbreiten. d) Für den Fall, dass Sicherheiten gewährt worden sind, der grenzüberschreitende Formwechsel aber scheitert, sollte Deutschland einen speziellen Rückgewähranspruch vorsehen, um eine ungerechtfertigte Sicherheitengewährung zu vermeiden. Die Gesellschaft kann sich privatautonom durch Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung bei Sicherheitengwährung behelfen. In diesem Fall wird die Sicherheit ohne Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels nicht gewährt. e) Von der Mitgliedstaatenoption, eine Solvenzerklärung vorzusehen, sollte Deutschland keinen Gebrauch machen. 7. Zum Schutz der unternehmerischen Mitbestimmung orientiert sich die Mobilitäts-RL weitgehend an der aus der SE-VO und CBMD bekannten Verhandlungsund Auffanglösung. a) Besondere Bedeutung kommt dem neuen Verhandlungstatbestand zu, der die Schwelle für Verhandlungen auf den Zeitpunkt, in dem die Gesellschaft vier Fünftel eines nationalen Schwellenwerts erfüllt, vorverlagert. Dieses Konzept vermag seinen Zweck nicht wirksam zu erfüllen. b) Da die Rechtsfolge eines Scheiterns der Verhandlungen (Fortbestehen des geltenden Mitbestimmungsrechts) deren Ergebnis vorzeichnet, entpuppen sich die Mitbestimmungsverhandlungen häufig als bloße Formalie. c) De lege ferenda ist eine nachträgliche Verhandlungspflicht vorzugswürdig. Diese Lösung trifft passgenau die Gesellschaften, die in Erwartung einer baldigen Überschreitung einer mitbestimmungsrelevanten Schwelle ihre Mitbestimmungsfreiheit perpetuieren, und entlastet die übrigen Gesellschafen zuverlässig von der Bürde vorgelagerter Verhandlungen.
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Kap. 4: Stakeholderschutz nach der Mobilitäts-RL
8. Grosso modo gelingt es dem Europäischen Gesetzgeber, die gegenläufigen Gesellschafts- und Stakeholder-Interessen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen. 9. Die neue Missbrauchsklausel stellt den Rechtsanwender in Anbetracht ihrer Unbestimmtheit vor Schwierigkeiten. a) Der Missbrauchsbegriff ist unionsrechtlich determiniert. Ein Missbrauch der Niederlassungsfreiheit kann nur unter restriktiven Voraussetzungen angenommen werden. b) Kein Fall des Missbrauchs ist ein isolierter grenzüberschreitender Formwechsel. Auch eine Umgehung von Rechtspositionen der Stakeholder kommt angesichts der speziell auf diese zugeschnittenen Schutzinstrumente nur in Ausnahmefällen in Betracht.
Kapitel 5
Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften Nachdem die sekundärrechtlich determinierte Rechtslage für grenzüberschreitende Formwechsel zwischen zwei mitgliedstaatlichen Kapitalgesellschaftsformen beleuchtet worden ist, richtet sich der Blick auf die weder vom Anwendungsbereich der Mobilitäts-RL erfassten noch deutschrechtlich kodifizierten grenzüberschreitenden Formwechsel von Personengesellschaften. Die grenzüberschreitende Mobilität von Personengesellschaften fristet in Praxis und Literatur seit jeher ein Schattendasein.1438 Die Charakteristik der Personengesellschaft als das vernachlässigte Stiefkind des Internationalen Gesellschaftsrechts verwundert prima facie. Aus deutscher Perspektive dürfte insbesondere für grenzüberschreitende Formwechsel von kapitalistisch strukturierten Kapitalgesellschaft & Co. KG1439 ein großes praktisches Bedürfnis bestehen,1440 da auch diese zunehmend grenzüberschreitend tätig 1438 Grundlegend zu den Möglichkeiten grenzüberschreitender Mobilität von Personengesellschaften: Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 389 ff.; ders., ZGR 2017, 312 ff.; Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 483 ff.; Saenger, in: Birk (Hrsg.), Festschrift zum zehnjährigen Bestehen von P+P Pöllath + Partners, 295, 300 ff.; jüngst auch monographisch: Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 97 ff.; Ludwig, Internationales Gesellschaftsrecht der deutschen typengemischten Personengesellschaften, S. 201 ff. (zur rechtsformwahrenden Verwaltungssitzverlegung); kurze Zusammenfassungen bei: Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 142 ff.; Knaier, in; Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung Teil 6 Rn. 358 ff.; Eberhard, in: Ulrich/Kahle (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Personengesellschaften, § 28 Rn. 1 ff.; Henssler, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 105 HGB Rn. 193 ff.; Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, S. 455 ff.; W.-H. Roth, ZGR 2014 168, 201 ff.; mit Bezügen zum Steuerrecht: Schnittker/Benecke, FR 2010, 565 ff.; zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Personengesellschaften, bei der sich viele Fragen in paralleler Form stellen: Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, passim. 1439 Ausführlich zur Zulässigkeit einer gleichzeitigen Typen- und Statutenvermischung: Teichmann, ZGR 2014, 220, 223 ff.; monographisch zum Internationalen Gesellschaftsrecht bei grenzüberschreitender Typenmischung: Ludwig, Internationales Gesellschaftsrecht der deutschen typengemischten Personengesellschaften, passim. 1440 Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 223; allgemein für das Bedürfnis nach grenzüberschreitender Mobilität von Personengesellschaften: Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 149; ders., Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 389; Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 476.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
werden.1441 Das Verlangen nach grenzüberschreitender Mobilität belegen Fälle, in denen ein Statutenwechsel – wohl zur Substitution eines mit Rechtsunsicherheiten behafteten grenzüberschreiten Formwechsels – mittels einer rechtssicher durchführbaren grenzüberschreitenden Anwachsung herbeigeführt worden sind.1442 Gleichwohl dürfte dieses Bedürfnis angesichts des das Personengesellschaftsrecht tragenden Grundsatzes der Dispositivität der gesetzlichen Regelungen1443 im Vergleich zu den vielen zwingenden Vorschriften unterliegenden Kapitalgesellschaften weniger stark ausgeprägt sein.1444 Das ausländische Gesellschaftsrecht wird in Anbetracht des im Innenverhältnis bestehenden großen Gestaltungsspielraums kaum attraktiver erscheinen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn nur der Vertragssitz isoliert verlegt wird. Hierdurch wird aber Bedürfnis nach auf anderen Gründen beruhender grenzüberschreitender Mobilität nicht angetastet. Zwar streben die vielen kleinen Personengesellschaften nicht in derselben Intensität wie Kapitalgesellschaften nach einer EU-weiten Geschäftsaktivität.1445 Zu berücksichtigen ist aber auch, dass – beispielsweise aufgrund der unterschiedlichen Besteuerung von Kapital-1446 und Personengesellschaften1447 ein Bedürfnis nach einer (grenzüberschreitenden) Um1441 Rehm, in: Wassermeyer/Richter/Schnittker (Hrsg.), Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rn. 1.1. 1442 Hoger/Lieder, ZHR 180 (2016), 613, 618 nennen insoweit beispielsweise den durch grenzüberschreitende Anwachsung bewerkstelligten Wechsel der Rechtsform der Anwaltssozietät Clifford Chance von einer PartG mbB in eine LLP britischer Provenienz. Ende 2020 hat Clifford Chance in Ansehung der infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU drohenden Umqualifizierung in eine deutsche Personengesellschaft („Wechselbalgtheorie“) ihre Rechtsform wieder in eine PartG mbB gewechselt; weitere praktische Beispiele für grenzüberschreitende Anwachsungen bei Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 3 Rn. 20. 1443 Zur Dispositivität des deutschen Personengesellschaftsrechts: Gummert, in: Gummert (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Personengesellschaftsrecht § 11 Rn. 7; Schäfer, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, § 738 BGB Rn. 134; vgl. auch die Kommentierung zu der Dispositivität der einzelnen Regelungen, z. B. Drescher, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Hrsg.), HGB, § 118 HGB Rn. 32 ff. zur Dispositivität von § 118 HGB. 1444 So im Ergebnis auch: Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 223. 1445 Merkt, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 311, 323. 1446 Bei Kapitalgesellschaften ist die Gesellschaft Steuersubjekt, das der Körperschaftssteuer unterliegt, § 1 KStG. Im Falle der Ausschüttung an die Anteilseigner unterliegt diese der Einkommens- oder Körperschaftssteuer der Anteilseigner, § 20 Abs. 1 EStG. Zu den legislativen Bestrebungen, für Personengesellschaften ein Wahlrecht zugunsten einer Besteuerung mittels Körperschaftssteuer zu schaffen: Cordes/Kraft, FR 2021, 401 ff.; Bochmann/Bron, NZG 2021, 613 ff. 1447 Personengesellschaften sind nicht selbst körperschaftssteuerpflichtig. Nach dem sog. Transparenzprinzip werden die von der Personengesellschaft erzielten Einkünfte den Gesellschaftern zugerechnet und von diesen versteuert, Kahle, in: Ulrich/Kahle (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Personengesellschaften, § 7 Rn. 1 f; Hügel, ZGR 1999, 71, 72; vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel von Personengesellschaften ändert
Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
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strukturierung einer Kapital- in eine Personengesellschaft oder umgekehrt bestehen kann.1448 Dass auch Personengesellschaften uneingeschränkt an dem durch die Niederlassungsfreiheit vermittelten Schutz partizipieren1449 und daher ihre Rechtsform grenzüberschreitend innerhalb der Europäischen Union identitätswahrend wechseln können,1450 ist unbestritten.1451 Dies gilt unabhängig davon, ob sich der grenzüberschreitende Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen vollzieht, oder ob eine Personengesellschaft ihre Rechtsform grenzüberschreitend in eine Kapitalgesellschaft oder vice versa wechselt. Sämtliche dieser voneinander zu unterscheidenden Konstellationen1452 sind Kinder einer Familie. Für die gleichwohl nur geringe praktische Bedeutung von grenzüberschreitenden Formwechseln dürften drei Gründe ausschlaggebend sein. Zum einen besteht wie de lege lata für den grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen zwei Kapitalgesellschaftsformen in Ermangelung von harmonisierten Vorschriften und nationalen Regelungen keine Klarheit über das anzuwendende Verfahren.1453 Schützenhilfe können insoweit nur der Sekundärrechtsgeber sowie – mit reduziertem Nutzen –1454 die nationalen Gesetzgeber leisten. Zum anderen ist die deutschrechtliche Aussich daher grundsätzlich nichts an der Besteuerung der Personengesellschaft, Hügel, ZGR 1999, 71, 72. 1448 Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 27. 1449 Vgl. EuGH, Urt. v. 12. 07. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, Rn. 46, wo allgemein von „Gesellschaften“ die Rede ist; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 54 AEUV Rn. 6; Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 54 AEUG Rn. 4; Ludwigs, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EUWirtschaftsrechts, E. I. Rn. 75; Kalss/Klampfl, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EUWirtschaftsrechts, E. III. Rn. 139; Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 139; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 24 Rn. 841; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 14; Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 479; Paefgen, in: Grunewald/Koch/ Tielmann (Hrsg.), Festschrift für Eberhard Vetter zum 70. Geburtstag, 527, 531 f.; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1926; J. Schmidt, ECL 2019, 13, 17; dies., ECFR 2019, 222, 230; Wicke, DStR 2018, 2642, 2643; Brandi, BB 2018, 2626, 2630; Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 302; Frazzani/Angelici/Hoffmann/Medici/Sciaudone, PE 608.833, S. 30; W.-H. Roth, ZGR 2014, 168, 184; Wachter, DB 2020, 2281, 2284. 1450 Der EuGH differenziert nicht nach der Verbandsform, sondern stellt grenzüberschreitende Formwechsel unabhängig hiervon dem Schutz der Niederlassungsfreiheit: EuGH, Urt. v. 16. 12. 2008, Cartesio, C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 Rn. 111 ff.; EuGH, Urt. v. 25. 10. 2017, Polbud, C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, Rn. 33. 1451 Schall, in: Heidel/Schall (Hrsg.), HGB, Anhang Internationales Personengesellschaftsrecht, Rn. 93; W.-H. Roth, ZGR 2014, 168, 211, 213; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 406 f.; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 231; W.-H. Roth, ZGR 2014 168, 203 ff. 1452 Hierzu unter: Kap. 5, A, II (S. 295). 1453 Hierzu unter: Kap. 5, A, V (S. 313). 1454 Hierzu unter: Kap. 5, B, I, 3, b) ee) (S. 344 f.).
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
gangslage für solche Umwandlungen im Hinblick auf das Kollisionsrecht deutlich umstrittener als im Kapitalgesellschaftsrecht. Die sachrechtliche Sitzbestimmung im Personengesellschaftsrecht war lange strittig, wobei die herrschende Meinung für eine mobilitätshemmende Betrachtungsweise votierte, indem sie die privatautonome Wahl eines rechtlich maßgeblichen Vertragssitzes nicht gestattete.1455 Erst im Rahmen der jüngst verabschiedeten und mit Wirkung zum 01. 01. 2024 in Kraft tretenden Reform zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG)1456 wird diese Frage endgültig durch den Gesetzgeber geklärt. Im Folgenden soll zu Beginn die geltende Rechtslage für grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften beleuchtet werden (A.). Daran schließt sich eine Untersuchung an, ob eine Normierung von Regelungen für solche Umwandlungen rechtspolitisch geboten ist (B.). Zuletzt wird unter Berücksichtigung der personengesellschaftsrechtlichen Besonderheiten analysiert, ob respektive inwieweit die in der Mobilitäts-RL für Kapitalgesellschaften entwickelten Vorschriften hierauf übertragen werden können und welche Anpassungen für eine Implementierung dieser Umwandlungsmöglichkeiten in die Mobilitäts-RL bzw. im Wege der überschießenden Umsetzung in das UmwG erforderlich sind (C).
1455
Hierzu unter: Kap. 5, A, I, 1 (S. 285 ff.). Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10. August 2021, BGBl. I, S. 3436; davor: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, veröffentlicht am 17. 03. 2021; BT-Drs. 19/27635; abrufbar unter: https: //dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/276/1927635.pdf; vor Weiterleitung an den Bundesrat: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, veröffentlicht am 22. 01. 2021; BR-Drs. 58/21; abrufbar unter: https: //www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Personengesellschafts recht.pdf?__blob=publicationFile&v=3; zuletzt abgerufen am 15. 02. 2022 (im Folgenden: RegE); vorausgegangen war: Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, veröffentlicht am 19. 11. 2020; abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetz gebungsverfahren/Dokumente/RefE_Personengesellschaftsrecht.pdf;jsessionid=65D173 C0E999F58BBF392F91F35EDDA7.1_cid324?__blob=publicationFile&v=1; zuletzt abgerufen am 15. 02. 2022 (im Folgenden: RefE); vgl. zuvor bereits Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Mauracher Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, veröffentlicht am 20. 04. 2020 (im Folgenden: MauracherE); abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/PM/042020_Entwurf_Mopeg. pdf;jsessionid=188511831A7864092F8DFFF1E7DDD2F6.1_cid334?__blob=publicationFi le&v=3; zuletzt abgerufen am 15. 02. 2022. 1456
A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata 285
A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata I. Zulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften 1. Sachrechtliche Sitzbestimmung bei Personengesellschaften und Auswirkungen auf die Gesellschaftsmobilität Gem. § 106 Abs. 1 HGB (für die KG i. V. m. § 161 Abs. 2 HGB) sind Personenhandelsgesellschaften bei dem Gericht, in dessen Bezirk sie ihren Sitz haben, unter Angabe des Sitzes1457 zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden.1458 Bis zum Inkrafttreten des MoPeG gehört die sachrechtliche Bestimmung des Sitzes von Personengesellschaften zu den umstrittensten Fragen des Gesellschaftsrechts.1459 Insoweit bestand in Ermangelung eines personengesellschaftsrechtlichen Äquivalents zu § 4a GmbHG, § 5 AktG Uneinigkeit, ob sachrechtlich zwingend ein inländischer Verwaltungssitz erforderlich ist,1460 oder ob Personengesellschaften
1457
§ 106 Abs. 2 Nr. 2 HGB; für die KG i. V. m. § 161 Abs. 2 HGB. Für die zukünftige Rechtslage nach Inkrafttreten des MoPeG können (nicht: müssen) sich gem. § 707 Abs. 1 BGB-MoPeG auch GbR bei dem Gericht, in dessen Bezirk sie ihren Sitz haben, zur Eintragung in das neu zu schaffende Gesellschaftsregister anmelden. Zu diesem ausführlich: Herrler, in: Teichmann/Fleischer (Hrsg.), Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, 39 ff. Für die Eintragung in das Gesellschaftsregister werden verschiedene Anreize wie beispielsweise über die angesprochene freie Sitzwahl hinaus die exklusiv eingetragenen Personengesellschaften zugesprochene Umwandlungsfähigkeit oder die Fähigkeit, in das Grundbuch eingetragen zu werden, statuiert. Hierzu: Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, S3, S12 f.; ganz allgemein zum Sitz der GbR de lege lata und de lege ferenda: Paefgen, in: v. Erffa/Lehleiter/Prigge (Hrsg.), Festschrift für Lutz Aderhold, 305 ff. 1459 Ausführlich zum Streitstand: Koch, in: Staub (Begr.), HGB, § 13 HGB Rn. 44 f.; Ludwig, Internationales Gesellschaftsrecht der deutschen typengemischten Personengesellschaften, S. 138 ff.; Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 475 ff.; Koch, ZHR 173 (2009), 101 ff.; Paefgen, in: Grunewald/Koch/Tielmann (Hrsg.), Festschrift für Eberhard Vetter zum 70. Geburtstag, 527, 532 ff.; Stiegler, ZGR 2017, 312, 315 ff. 1460 Für das sachrechtliche Erfordernis eines inländischen Verwaltungssitzes: KG Berlin, Beschl. v. 16. 04. 2012 – 25 W 39/12, BeckRS 2012, 11476; OLG Schleswig, Beschl. v. 14. 11. 2011 – 2 W 48/11, GmbHR 2012, 800, 802; Langhein, in: K. Schmidt (Hrsg.), Münchener Kommentar HGB, § 106 HGB Rn. 28; Klimke, in: Häublein/Hoffmann-Theinert (Hrsg.), BeckOnline-Kommentar HGB, § 106 HGB Rn. 7; Born, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Hrsg.), HGB, § 106 HGB Rn. 14; Krafka, in: Krafka (Hrsg.), Registerrecht, Rn. 607; Emmerich, in: Heymann (Begr.), HGB, § 106 HGB Rn. 13; Steitz, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 106 HGB Rn. 13; Knaier, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 6 Rn. 363; Jungherr, Sitzverlegung einer offenen Handelsgesellschaft nach England, S. 51; Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1588; Melchior, GmbHR 2013, 853, 856; M. Noack, NZG 2020, 581, 583; Schnittker/Benecke, FR 2010, 565, 567. 1458
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
einen vom Verwaltungssitz abweichenden rechtlich maßgeblichen Vertragssitz frei wählen können.1461 Die Sitzbestimmung ist von entscheidender Bedeutung für die Beantwortung, mit welchen Rechtsfolgen (statutenwahrend bzw. statutenwechselnd) eine deutsche Personengesellschaft ihren Sitz in das EU-Ausland verlegen kann. Beharrt man auf die sachrechtliche Notwendigkeit eines im Inland belegenen Verwaltungssitzes, kann dieser nur in Deutschland belegen sein, da es anderenfalls an einem zuständigen deutschen Registergericht mangelt.1462 Auch die Eintragung eines ausländischen Verwaltungssitzes in das deutsche Handelsregister ist im Umkehrschluss zu §§ 13d ff. HGB nicht möglich.1463 Infolgedessen wäre für einen Hereinformwechsel stets die Verlegung des Verwaltungssitzes nach Deutschland erforderlich.1464 Spiegelverkehrt würde ein Herausformwechsel stets die Verlegung des Verwaltungssitzes in das Ausland voraussetzen.1465 Die Sitzverlegung in das Ausland würde aus 1461
Für die Möglichkeit, im Gesellschaftsvertrag einen vom Verwaltungssitz abweichenden Sitz zu bestimmen: Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB § 106 HGB Rn. 23; M. Roth, in: Baumbach/ Hopt (Hrsg.), HGB, § 106 HGB Rn. 8; Schäfer, in: Staub (Begr.), HGB, § 106 HGB Rn. 19; ders., in: Habersack/Schäfer (Hrsg.), Das Recht der OHG, § 106 HGB Rn. 19; Heidel, in: Heidel/Schall (Hrsg.), HGB, § 106 HGB Rn. 6; Sanders, in: Henssler (Hrsg.), Beck-OnlineGroßkommentar HGB, § 106 HGB Rn. 26; Trautrims, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 182 f., 232; Schaper, Selektion und Kombination von Gesellschaftsformen im institutionellen Wettbewerb, S. 131; Petanidis, Die grenzüberschreitende Umstrukturierung von Gesellschaften, S. 323; Paefgen, in: Grunewald/Koch/Tielmann (Hrsg.), Festschrift für Eberhard Vetter zum 70. Geburtstag, 527, 533; ders., in: v. Erffa/Lehleiter/Prigge (Hrsg.), Festschrift für Lutz Aderhold, 305, 310); Koch, ZHR 173 (2009), 101 ff.; W.-H. Roth, ZGR 2014, 168, 197 f.; Verse, ZEuP 2013, 458, 468; Fingerhuth/Rumpf, IPRax 2008, 90, 93 f.; Nentwig, GmbHR 2015, 1145, 1146: Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545, 548; de lege ferenda für Ermöglichung eines statutarischen Sitzes für Personengesellschaften Ege/Klett, DStR 2012, 2442, 2247; Stiegler, ZGR 2017, 312, 324. 1462 Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 520; Kieninger, in: Leible/Reichert/ Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 52 Rn. 25; Walden, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 125 f.; Ludwig, Internationales Gesellschaftsrecht der deutschen typengemischten Personengesellschaften, S. 177 f.; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 113; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 391; Koch, ZHR 173 (2009), 101, 114; ders., ZGR 2017, 312, 328; Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 485. 1463 OLG Zweibrücken, Beschl. v. 27. 06. 1990 0 3 W 43/90, NJW 1990, 3092; Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 520; Kieninger, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 52 Rn. 25; Trautrims, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 231; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 113; Lieder/ Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 485 f., 495 f.; Stiegler, ZGR 2017, 312, 328. 1464 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 290; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 403; ders., ZGR 2017, 312, 339. 1465 Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 399 f.; ders., ZGR 2017, 312, 333.
A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata 287
deutschrechtlicher Perspektive zur zwangsweisen Auflösung der Gesellschaft führen,1466 was in Anbetracht der ohne einen entsprechenden Willen möglichen Verwaltungssitzverlegung1467 sowie im besonderen Maße für Kapitalgesellschaften & Co. KG folgenschwer ist. Im Unterschied hierzu ermöglicht die zutreffende Gegenauffassung zur Sitzbestimmung eingetragenen Personengesellschaften auf sachrechtlicher Ebene eine Sitzaufspaltung und damit auch einen grenzüberschreitenden Formwechsel ohne simultaner Relokalisierung des Verwaltungssitzes.1468 Diese Ansicht erweist sich nicht nur diesbezüglich, sondern auch im Hinblick auf rechtsformwahrende Verwaltungssitzverlegungen1469 als mobilitätsfreundlicher.1470 Dieser Streitstand wird im Zuge des jüngst verabschiedeten MoPeG in erfreulicher Weise zugunsten der bislang im Vordringen befindlichen Auffassung entschieden.1471 Unstreitig ist in Zukunft gem. § 706 S. 2 BGB-MoPeG (exklusiv) für eingetragene Personengesellschaften der von den Gesellschaftern gewählte Vertragssitz sachrechtlich maßgeblich.1472 Dieser muss wie für Kapitalgesellschaften aus Gründen der effektiven Durchsetzbarkeit des Gesellschaftsrechts zwingend in Deutschland lokalisiert sein.1473 An den Verwaltungssitz werden bei Wahl eines Vertragssitzes keine sachrechtlichen Rechtswirkungen geknüpft.1474 Im Ergebnis 1466 Liebscher, in: Reichert, GmbH & Co. KG, § 15 Rn. 29; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 115 f.; Ludwig, Internationales Gesellschaftsrecht der deutschen typengemischten Personengesellschaften, S. 220 f. 1467 Rehm, in: Wassermeyer/Richter/Schnittker (Hrsg.), Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rn. 1.13; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 277. 1468 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 476 f. 1469 Hierzu ausführlich: Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 486 ff., 495; unter der Prämisse der sachrechtlichen Notwendigkeit eines inländischen Verwaltungssitzes: Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 109 ff., 131 ff.; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 389 ff.; ders., ZGR 2017, 312, 325 ff.; allein im Hinblick auf das Kollisionsrecht: Walden, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 190 ff.; W.-H. Roth, ZGR 2014, 168, 201 ff. 1470 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 481; im Ergebnis auch die Gründungstheorie als mobilitätsfreundlich charakterisierend: Wyckaert/Jenne, in: Geens/Hopt (Hrsg.), Corporate Mobility, 287, 292. 1471 Hierzu: Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 481 f.; Heckschen/Nolting, BB 2020, 2256, 2257; Fleischer, BB 2021, 386, 388. 1472 Sanders, in: Henssler (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar HGB, § 106 HGB Rn. 26.1; Zwirlein-Forschner, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen); Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 481 f. 1473 Sanders, in: Henssler (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar HGB, § 106 HGB Rn. 26.1; Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 481; Fleischer, BB 2021, 386, 388. 1474 Vgl. §§ 707 Abs. 1 i. V. m. § 706 BGB-MoPeG (für die eGbR); §§ 106 Abs. 1, 105 Abs. 3 HGB-MoPeG i. V. m. § 706 BGB-MoPeG (für die OHG); §§ 106 Abs. 1, 105 Abs. 3, 161 Abs. 2 HGB-MoPeG i. V. m. § 706 BGB-MoPeG (für die KG).
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
wird auf sachrechtlicher Ebene eine Aufspaltung von Vertrags- und Verwaltungssitz zugelassen, die beispielsweise durch einen isolierten grenzüberschreitenden Formwechsel herbeigeführt werden kann. Für nicht eingetragene Personengesellschaften und für den Fall, dass kein Vertragssitz gewählt worden ist, kommt es in Ansehung der fehlenden Publizität gem. § 706 S. 1 BGB-MoPeG auf den Verwaltungssitz an. 2. Kollisionsrecht der Personengesellschaften und Auswirkungen auf die Gesellschaftsmobilität Besondere Bedeutung kommt weiterhin der Bestimmung des Kollisionsrechts der Personengesellschaften zu. Voraussetzung eines grenzüberschreitenden Formwechsels unter Beteiligung einer Personengesellschaft ist wie bei dem grenzüberschreitenden Formwechsel von Kapitalgesellschaften, dass der kollisionsrechtliche Anknüpfungspunkt zum Wegzugsstaat verloren geht und infolgedessen das Merkmal zur Verbundenheit zur Rechtsordnung des Zuzugsstaats erfüllt wird.1475 Für das Gelingen einer solchen Umwandlung kommt es somit nicht nur auf das deutsche Kollisionsrecht, sondern auch auf das Kollisionsrecht der anderen an dem grenzüberschreitenden Formwechsel beteiligten Rechtsordnung an.1476 Aus dem Zusammenspiel der beiden Kollisionsrechte ergibt sich, ob eine Sitzverlegung rechtsformwahrend oder rechtsformwechselnd wirkt. Über das Anknüpfungsmoment von Personengesellschaften zur deutschen Rechtsordnung besteht beträchtliche Unsicherheit, die sich – anders als im Kapitalgesellschaftsrecht – nicht auf die Frage des Kollisionsrechts in Wegzugsfällen beschränkt. Entscheidend ist erneut, ob die Sitz- oder die Gründungstheorie Anwendung findet. Hiernach richtet sich, ob es für einen grenzüberschreitenden Formwechsel der Verlegung des Verwaltungssitzes bedarf, oder ob die Verlegung des Vertragssitzes ausreichend ist. Nur wenn letzteres zutrifft, ist eine nachträgliche Spaltung von Vertrags- und Verwaltungssitz im Wege eines isolierten grenzüberschreitenden Formwechsels möglich.
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Vgl. Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 10 ff. 1476 Grundlegend zu dem Zusammenspiel der beteiligten Kollisionsrechte bei rechtformwahrenden und rechtsformwechselnden Sitzverlegungen: Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 10 ff.; Walden, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 190, 199; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 109 ff., 131 ff.; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 389 ff.; ders., ZGR 2017, 312, 325 ff.
A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata 289
a) Deutschrechtliche Grundlagen und Determinierung des Kollisionsrechts durch die Niederlassungsfreiheit Wie bereits im kapitalgesellschaftsrechtlichen Kontext dargelegt,1477 folgt das deutsche autonome Kollisionsrecht rechtsformunabhängig der Sitztheorie.1478 Für die Determinierung des Kollisionsrechts durch die Niederlassungsfreiheit kann auf die obigen1479 Ausführungen im kapitalgesellschaftsrechtlichen Kontext verwiesen werden. Zwar betrafen diese Urteile stets Kapitalgesellschaften, doch lassen sich die dargestellten Grundsätze ohne weiteres auf Personengesellschaften übertragen, da der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit nicht zwischen Kapital- und Personengesellschaften differenziert und letztere daher in unvermindertem Umfang an dem durch die Niederlassungsfreiheit vermittelten Schutz partizipieren.1480 aa) Kollisionsrechtliche Implikationen durch das MoMiG (1) Streitstand Der Streit entzündet sich an der Frage, ob die einen ausländischen Verwaltungssitz zulassenden Neufassungen der § 4a GmbHG, § 5 AktG durch das MoMiG eine generelle Abkehr von der Sitztheorie beinhalten oder nur für Kapitalgesellschaften kollisionsrechtliche Auswirkungen zeitigen.1481 Ungeachtet der Paralleldiskussion im Kapitalgesellschaftsrecht1482 votiert die herrschende Meinung für Personengesellschaften im Grundsatz weiterhin für die Fortgeltung der Sitztheo-
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Hierzu unter: Kap. 2, A, V, 1, b (S. 50). So auch explizit für Personengesellschaften: Schall, in: Heidel/Schall (Hrsg.), HGB, Anhang zu § 177a HGB, Rn. 66; ders., in: Heidel/Schall (Hrsg.), HGB, Anhang Internationales Personengesellschaftsrecht, Rn. 88; Rauscher, Internationales Privatrecht, Rn. 660; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 40; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 390; ders., ZGR 2017, 312, 325; W.-H. Roth, ZGR 2014, 168, 185; Teichmann, ZGR 2014, 220; 229; Herrmanns, MittBayNot 2016, 297, 304. 1479 Hierzu unter: Kap. 2, A, V, 1, b (S. 50 ff.). 1480 Vgl. EuGH, Urt. v. 12. 07. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, Rn. 46, wo allgemein von „Gesellschaften“ die Rede ist; Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 139; W.-H. Roth, ZGR 2014, 168, 184; Wachter, DB 2020, 2281, 2284. Stiegler, in: Jung/ Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 117; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 24 Rn. 841; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 14; Hoger/ Lieder, ZHR 180 (2016), 613, 621 f.; Paefgen, in: Grunewald/Koch/Tielmann (Hrsg.), Festschrift für Eberhard Vetter zum 70. Geburtstag, 527, 531 f.; ders., in: v. Erffa/Lehleiter/Prigge (Hrsg.), Festschrift für Lutz Aderhold, 305, 311; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1926; J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 230; Wicke, DStR 2018, 2642, 2643. Die Cartesio-Entscheidung betraf sogar ausdrücklich eine Personengesellschaft in Form einer Kommanditgesellschaft ungarischen Rechts. 1481 Ausführlich zum Streitstand: Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 497 ff. 1482 Hierzu unter: Kap. 2, A, V, 1, c (S. 53 ff.). 1478
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
rie,1483 wendet diese unter Berücksichtigung der primärrechtlichen Implikationen1484 innerhalb der Europäischen Union und des EWR aber nur auf Wegzugsfälle an.1485 Diese Ansicht führt zu einer doppelten1486 Spaltung des Kollisionsrechts: Einerseits ist zwischen Wegzugs- und Zuzugsfällen zu unterscheiden. Andererseits muss zwischen Kapital- und Personengesellschaften differenziert werden.1487 Die im Vordringen befindliche Auffassung wendet auch für Personengesellschaften – jedenfalls innerhalb der Europäischen Union –1488 vollumfänglich die Gründungstheorie an.1489 Die Meinungen unterscheiden sich folglich in der kollisionsrechtlichen Behandlung des Wegzugs von Personengesellschaften, während für Zuzugsfälle Einigkeit herrscht.
1483 Schall, in: Heidel/Schall (Hrsg.), HGB, Anhang zu § 177a HGB, Rn. 66; ders., in: Heidel/Schall (Hrsg.), HGB, Anhang Internationales Personengesellschaftsrecht, Rn: 88; Henssler, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 105 HGB Rn. 196; v. Thunen, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar Zivilrecht, Internationales Personengesellschaftsrecht Rn. 103; Liebscher, in: Reichert, GmbH & Co. KG, § 15 Rn. 18; H. Fischer, in: Heidel (Hrsg.), Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 5 AktG Rn. 4; Ludwig, Internationales Gesellschaftsrecht der deutschen typengemischten Personengesellschaften, S. 114 ff.; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 40; W.-H. Roth, ZGR 2014, 168, 185; Teichmann, ZGR 2014, 220; 229; Stiegler, ZGR 2017, 312, 325. 1484 Hierzu unter: Kap. 2, A, V, 1, b (S. 50 ff.). 1485 Vgl. zur auch für Personengesellschaften allgemein anerkannten Geltung der Gründungstheorie für Zuzugsfälle aus den Reihen der Anhänger der Sitztheorie nur: W.-H. Roth, ZGR 2014, 168, 184; Stiegler, ZGR 2017, 312, 333. 1486 Weitet man den Blick über den Tellerrand der EU aus, so sind weitere Spaltungen des Kollisionsrechts zu konstatieren. Zu differenzieren ist weiterhin zwischen dem Kollisionsrecht im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit, dem Kollisionsrecht im Hinblick auf Drittstaaten sowie dem staatsvertraglich determinierten Kollisionsrecht. Hierzu: Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 581; Hübner, ZGR 2018, 149, 165 ff.; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 935. 1487 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 480. 1488 Zum Teil wird auch eine Geltung der Gründungstheorie in Bezug auf Drittstaaten postuliert, beispielsweise: Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 140. Hierauf kommt es hier aber angesichts der räumlichen Beschränkung der Arbeit auf die Europäische Union nicht an. 1489 Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 139 f.; Paefgen, in: Westermann/ Wertenbruch (Hrsg.), Handbuch Personengesellschaften, § 60 Rn. 4896; M. Roth, in: Baumbach/Hopt (Hrsg.), HGB, Einleitung vor § 105 HGB Rn. 29; Wertenbruch, in: Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn (Hrsg.) HGB, § 105 HGB Rn. 375; Henssler, in: Henssler/Strohn GesR, § 105 HGB Rn. 197; Thorn, in: Palandt (eh. Hrsg.), BGB, Art. 3 EGBGB Rn. 5; Anhang zu Art. 12 EGBGB Rn. 5; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 33; wohl auch: Langhein, in: K. Schmidt (Hrsg.), Münchener Kommentar HGB, § 106 HGB Rn. 30; Hoger/Lieder, ZHR 180 (2016), 613, 620 ff.; Wachter, DB 2020, 2281, 2285; Paefgen, in: Grunewald/Koch/Tielmann (Hrsg.), Festschrift für Eberhard Vetter zum 70. Geburtstag, 527, 535; Fedke, ZIP 2019, 799, 802; Mülsch/Nohlen, ZIP 2008, 1358, 1361; de lege ferenda für Anwendung der Gründungstheorie auf Personengesellschaften: Verse, ZEuP 2013, 458, 468.
A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata 291
(2) Stellungnahme Für einen Übergang zur Gründungstheorie spricht, dass sich dem MoMiG ein allgemeiner Rechtsgedanke zur Abwendung der durch Anwendung der Sitztheorie bedingten „Einmauerung“ deutscher Gesellschaften entnehmen lässt.1490 Dieser Befund wird durch die Einfügung des Erfordernisses der Angabe einer inländischen Geschäftsanschrift (§ 106 Abs. 2 Nr. 2 HGB) bestätigt.1491 Diese spricht für eine rechtsformunabhängige und uneingeschränkte Geltung der Gründungstheorie auch in Bezug auf Drittstaaten.1492 Insoweit verläuft die Diskussion gleichförmig zu dem Diskurs im Kapitalgesellschaftsrecht. Bei Personengesellschaften verdient zusätzlich Berücksichtigung, dass sich der Verwaltungssitz mitunter nur schwer feststellen lässt und unbeabsichtigten sowie kurzfristigen Wandlungen unterliegen kann.1493 während ein Vertragssitz eindeutig feststellbar ist und eine entsprechende Anknüpfung mit einem Gewinn an Rechtssicherheit verbunden ist. In Bezug auf das Kollisionsrecht der Europäischen Union ist zu bedenken, dass für die unterschiedliche kollisionsrechtliche Behandlung von Kapital- und Personengesellschaften kein tragfähiger Grund erkennbar ist.1494 Durch eine Anknüpfung an die Gründungstheorie wird Kohärenz zu der nunmehr unstreitig möglichen sachrechtlichen Wahl eines vom Verwaltungssitz abweichenden Vertragssitzes und ein Gleichlauf zu dem für Kapitalgesellschaften geltenden Kollisionsrecht hergestellt. Zugleich wird eine doppelte Spaltung des Kollisionsrechts, die eine Differenzierung zwischen Wegzugs- und Zuzugsfällen sowie zwischen Kapitalund Personengesellschaften propagiert, vermieden. In rechtspolitischer Hinsicht erweist sich die Gründungstheorie als mobilitätsfreundlich. Damit fördert sie nicht nur den Wettbewerb der Gesellschaftsrechts1490 Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 139; Hoger/Lieder, ZHR 180 (2016), 613, 622. 1491 Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 139. 1492 Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 107 HGB Rn. 7; § 105 HGB Rn. 140; § 106 HGB Rn. 24. 1493 Ludwig, Internationales Gesellschaftsrecht der deutschen typengemischten Personengesellschaften, S. 47; Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, S. 153; Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 477; Eyles, Das Niederlassungsrecht der Kapitalgesellschaften in der Europäischen Gemeinschaft, S. 310 („Betriebsunfall“); vgl. nur das Beispiel des potentiell einen Statutenwechsel auslösenden Umzugs eines Gesellschafters von Deutschland auf seinen Altersruhesitz nach Mallorca bei Rehm, in: Wassermeyer/Richter/Schnittker (Hrsg.), Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rn. 1.13; ähnlich: Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 277. Spinnt man dieses Beispiel weiter und denkt anstelle einer Wohnsitzverlegung ins Ausland etwa an eine längere gemeinsame Kreuzfahrt der Gesellschafter, wird augenscheinlich, wie zufällig die Ergebnisse der Sitztheorie ausfallen können; ebenfalls Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Verwaltungssitzes konstatierend: Zimmer, in: Schneider/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Marcus Lutter zum 70. Geburtstag, 231, 236 f. Treffend daher: Grothe, Die „ausländische Kapitalgesellschaft & Co.“, S. 110 (Verwaltungssitzbestimmung als „Achillesferse“ der Sitztheorie“). 1494 Hoger/Lieder, ZHR 180 (2016), 613, 622; Fedke, ZIP 2019, 799, 802.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
ordnungen,1495 sondern auch die Wettbewerbs- und Exportfähigkeit deutscher Personengesellschaften.1496 Spätestens mit Zulassung der rechtsformwahrenden Sitzverlegung innerhalb der Europäischen Union kann die Sitztheorie ihrem Anspruch, inländische Interessen umfassend zu schützen, nicht mehr gerecht werden und hat daher in diesem Rahmen ihren Wert als wissenschaftliches Dogma zu großen Teilen eingebüßt.1497 bb) MoPeG und Internationales Gesellschaftsrecht Neue Brisanz erhält die Diskussion durch die mit dem MoPeG geschaffene Möglichkeit der Wahl eines Vertragssitzes für registrierte Personengesellschaften, da ein solcher unter Geltung der Gründungstheorie als Anknüpfungsmoment in Betracht kommt.1498 (1) Streitstand Folgt man der hier vertretenen Auffassung zu dem durch das MoMiG bewerkstelligten Übergang zur Gründungstheorie nicht, ist zu erwägen, ob der im Zuge der MoPeG-Reform reformierte § 706 BGB-MoPeG über die bereits erläuterten sachrechtlichen Auswirkungen hinaus auch im Hinblick auf das Kollisionsrecht einen Paradigmenwechsel hin zur Gründungstheorie herbeiführt.1499 Diese Fragestellung weist unverkennbare Ähnlichkeiten zu der Diskussion um einen kollisionsrechtlichen Gehalt von § 4a GmbHG, § 5 AktG auf.1500 Der Wortlaut von § 706 BGBMoPeG ist unergiebig. Die Formulierung schließt weder eine Interpretation als schlichte Definitionsnorm des Vertrags- und Verwaltungssitzes noch eine kollisionsrechtliche Lesart aus.1501 Insoweit ist es nicht überraschend, dass zum Teil für eine kollisionsrechtliche Interpretation von § 706 BGB-MoPeG plädiert wird.1502 Ein anderer, überwiegender Teil der Literatur1503 lehnt einen solchen ab. 1495
Vgl. Generalanwalt La Pergola, Schlussanträge v. 16. 07.1998, Centros, C-212/97, ECLI:EU:C:1998:380, Rn. 20 (Solange eine Harmonisierung fehlt, muß letztlich der Wettbewerb zwischen den normativen Systemen („competition among rules“) unbehindert zum Zug kommen, selbst im Recht der Handelsgesellschaften (Hervorhebung durch Verf.). 1496 Fedke, ZIP 2019, 799, 802. 1497 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 492. 1498 Hierfür plädieren: Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 490 ff. 1499 Ausführlich zum Streitstand: Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 488 ff. 1500 Hierzu unter: Kap. 2, A, V, 1, c (S. 53 ff.). 1501 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 490. 1502 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 490 ff.; dies., NotBZ 2021, 401, 405 f.; Hoffmann/ Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 66 ff. 1503 Heckschen, NZG 2020, 761, 764 hält die kollisionsrechtlichen Folgen des § 706 BGBMoPeG für „unklar“; Heckschen/Nolting, BB 2020, 2256, 2257 sowie dies., BB 2021, 2946, 2947 lehnen einen kollisionsrechtlichen Gehalt von § 706 BGB-MoPeG ab; ebenso NazariKhanachayi, WM 2020, 2056, 2058 f. sowie M. Noack, BB 2021, 643, 645; vgl. noch Schall, ZIP 2020, 1443, 1448: § 706 BGB-MoPeG legt die Sitztheorie als Grundsatz fest.
A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata 293
(2) Stellungnahme Bereits die auf den Vertragssitz bezogene Formulierung „im Inland“ deutet auf einen kollisionsrechtlichen Gehalt von § 706 BGB-MoPeG hin.1504 Hintergrund der vorgeschlagenen kollisionsrechtlichen Interpretation im Wege einer normativen Auslegung ist die bei einer ausschließlich materiellrechtlichen Auslegung zum Vorschein kommende Diskrepanz zwischen gesetzgeberischer Intention und legislativer Wirklichkeit.1505 In diesem Zusammenhang muss ein Bogen zu der rechtsformwahrenden Verwaltungssitzverlegung von Personengesellschaften geschlagen werden.1506 Maßgeblicher Regelungszweck des § 706 BGB-MoPeG ist es ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien, eingetragenen Personengesellschaften eine rechtssichere Geschäftstätigkeit im Ausland unter Beibehaltung der vertrauten deutschen Rechtsform zu ermöglichen.1507 Würde für Wegzugsfälle weiterhin die Sitztheorie zur Anwendung kommen, könnte dieses Reglungsziel nicht vollumfänglich erreicht werden.1508 Eine rechtsformwahrende Verlegung des Verwaltungssitzes in das Ausland wäre für Personengesellschaften zukünftig weiterhin nur möglich, wenn der Zuzugsstaat der Gründungstheorie folgt, da nur in diesem Fall über den Verlust des Anknüpfungspunkts zur deutschen Rechtsordnung hinweggeholfen wird.1509 Dies folgt daraus, dass die deutsche Sitztheorie als Gesamtnormverweisung konzipiert ist und Deutschland die aus der Anwendung der Gründungstheorie folgende Rückverweisung (renvoi1510 au premier degré) gem. Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB annimmt.1511 Folgt der Zuzugsstaat der Sitztheorie, würde eine 1504
So bzgl. der Neufassung der § 4a GmbHG, § 5 AktG: Hoffmann, ZIP 2007, 1181, 1184. Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 490 f. 1506 Allgemein zur Frage nach er rechtsformwahrenden Verwaltungssitzverlegung von Personengesellschaften innerhalb der Europäischen Union: Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 109 ff.; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 389 ff.; ders., ZGR 2017, 312, 325 ff.; Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 483 ff., 494 ff.; allein im Hinblick auf den rechtsformwahrenden Wegzug: Saenger, in: Birk (Hrsg.), Festschrift zum zehnjährigen Bestehen von P+P Pöllath + Partners, 295, 300 ff. 1507 RegE, S. 142 ff.; RefE, S. 141 f.; MauracherE, S. 71; vgl. auch Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Zusammenfassende Informationen zu dem Gesetzesentwurf der Expertenkommission zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, S. 3. 1508 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 491. 1509 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 485. 1510 Zum Begriff des renvoi: Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, S. 389 f.; Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 163. 1511 Eberhard, in: Ulrich/Kahle (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Personengesellschaften § 28 Rn. 35; Walden, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 191; v. Halen, Das Gesellschaftsstatut nach der Centros-Entscheidung des EuGH, S. 171 f.; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 112; M. Frank, Grenzüberschreitende Verlagerung von Wirtschaftsgütern durch Sitzverlegung von Personengesellschaften, S. 40; W.-H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 973, 979; ders., ICLQ 2003, 177, 184; Koch, ZHR 173 (2009), 101, 114; Stiegler, ZGR 2017, 312, 327; Saenger, in: Birk (Hrsg.), Festschrift zum zehnjährigen Bestehen von P+P Pöllath + Partners, 295, 304 f. 1505
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
Verlegung des Verwaltungssitzes wie bisher zu einer Auflösung der wegzugswilligen Personengesellschaft führen.1512 Ist der Wegzugsstaat ein Drittstaat, wäre ein ausländischer Verwaltungssitz weiterhin nur möglich, wenn dieser der Gründungstheorie anhängt.1513 Dieses Zwischenergebnis steht im erkennbaren Widerspruch zu dem erklärten Willen des Gesetzgebers.1514 Die Hypothese eines Übergangs zur Gründungstheorie gewinnt ihre entscheidende Überzeugungskraft daraus, dass nur so das gesetzgeberische Ziel der Beendigung einer „Einmauerung“ deutscher Gesellschaften im vollen Umfang erreicht werden kann.1515 Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber sich mit einer partiellen Erreichung dieses Ziels genügen wollte. Nur diese Sichtweise gewährleistet eine Gleichstellung im Wettbewerb von deutschen Gesellschaften mit den Gesellschaften aus Ländern, die der Gründungstheorie anhängen.1516 Sie stellt zusätzlich Kongruenz zwischen Sach- und Kollisionsrecht her. Nur ein durch § 706 BGB-MoPeG bewirkter Übergang zur Gründungstheorie führt auch zu einer Angleichung der Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Mobilität an die entsprechenden Möglichkeiten für Kapitalgesellschaften.1517 Aus diesen Gründen ist für den hier befürworteten Übergang zur Gründungstheorie nicht zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Drittstaaten zu differenzieren.1518 Auf diese Weise wird eine Atomisierung des Kollisionsrechts vermieden.1519 b) Fazit und Folgen für die Zulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften Grenzüberschreitende Formwechsel vollziehen sich durch Verlegung des kollisionsrechtlich maßgeblichen Vertragssitzes. Sie können isoliert durchgeführt werden, wenn der Zuzugsstaat kollisionsrechtlich an einen inländischen Vertragssitz anknüpft.1520 Wendet der Zuzugsstaat die Sitztheorie an, bedarf der Wechsel in eine Rechtsform dieses Mitgliedstaats eines dort lokalisierten Verwaltungssitzes. Ein grenzüberschreitender Formwechsel ist in diesen Fällen nur durch kumulierte Verlegung des Vertrags- und Verwaltungssitzes durchführbar. Zwar erfüllt die Gesellschaft bereits durch die Verlegung des Verwaltungssitzes in den Zuzugsstaat dessen kollisionsrechtliches Anknüpfungsmoment. Wird aber nicht gleichzeitig der inlän1512
Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 484 f.; 489. Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 489. 1514 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 490 f. 1515 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 491. 1516 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 491. 1517 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 492; ; Hoffmann/Horn, RabelsZ 86 (2022), 65, 68. 1518 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 491 1519 Ansonsten müsste im Kollisionsrecht differenziert werden zwischen: Wegzug (stets Sitztheorie), Zuzug (in Bezug auf Drittstaatengesellschaften Sitztheorie; in Bezug auf EUausländische Gesellschaften und Gesellschaften aus Staaten mit völkerrechtlichem Abkommen Gründungstheorie) sowie zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften. 1520 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 498. 1513
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dische Vertragssitz aufgegeben, würde zusätzlich zum Anknüpfungsmoment der Rechtsordnung des Zuzugsstaats weiterhin auch der Anknüpfungspunkt an die deutsche Rechtsordnung erfüllt sein. Um eine missliche Statutenduplizierung zu vermeiden, gebietet die Niederlassungsfreiheit die Anerkennung der Gesellschaft als solche des Zuzugsstaats. Mithin muss für einen grenzüberschreitenden Formwechsel in einen Sitztheorie-Staat nicht nur die Verbundenheit zur Rechtsordnung des Zuzugsstaats hergestellt werden, sondern auch das deutsche Anknüpfungsmoment abgestreift werden. In diesen Fällen ist ein isolierter grenzüberschreitender Formwechsel mithin nicht möglich.
II. Betroffenheit der Stakeholder Für die Ermittlung der de lege lata auf grenzüberschreitenden Formwechsel von Personengesellschaften anwendbaren Regelungen, ist es eingangs erforderlich, die hierdurch ausgelöste Betroffenheit der Stakeholder zu erläutern. Nur wenn eine Betroffenheit der Stakeholder durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel festgestellt worden ist, bestehen Rechtfertigungsgründe für die Niederlassungsfreiheit beschränkende bzw. den grenzüberschreitenden Formwechsel erschwerende Vorschriften. Da in bedeutsamen Maße ein Gleichlauf zu der oben erläuterten Stakeholderbetroffenheit bei grenzüberschreitenden Formwechseln von Kapitalgesellschaften1521 besteht, fokussieren sich die nachfolgenden Ausführungen auf die Abweichungen von diesen Grundsätzen. In dieser Hinsicht kommt es angesichts der Strukturverschiedenheit von Kapital- und Personengesellschaften maßgeblich darauf an, welchem gesellschaftsrechtlichen Grundtypus Ausgangs- und Zielrechtsträger systematisch zuzuordnen sind. Folglich muss danach unterschieden werden, ob eine Personengesellschaft ihr Rechtskleid in eine Kapitalgesellschaft wechselt, ob der umgekehrte Fall in Rede steht, oder ob Ausgangs- und Zielrechtsträger jeweils als Personengesellschaft zu qualifizieren sind. 1. Grenzüberschreitender Formwechsel von einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft Zunächst sind die Fälle eines grenzüberschreitenden Formwechsels einer deutschen Personengesellschaft in eine ausländische Kapitalgesellschaft und umgekehrt in den Blick zu nehmen.
1521
Hierzu unter: Kap. 2, C (S. 73 ff.).
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
a) Betroffenheit der Gesellschafter aa) Kein Schutzbedürfnis unter Geltung des Einstimmigkeitsprinzips Für den grenzüberschreitenden Formwechsel von Kapitalgesellschaften ist herausgearbeitet worden, dass die für den grenzüberschreitenden Formwechsel stimmenden Gesellschafter keines materiellen Schutzes bedürfen, sondern ihr Schutzbedürfnis sich in Informationspflichten erschöpft.1522 Im deutschen Personengesellschaftsrecht gilt gem. § 709 Abs. 1 BGB, § 119 Abs. 1 HGB im Unterschied zu dem auf Flexibilität angelegten Kapitalgesellschaftsrecht1523 grundsätzlich das Einstimmigkeitsprinzip.1524 § 217 S. 1 UmwG formt diese Maxime für den innerdeutschen Formwechsel von Personengesellschaften spezialgesetzlich aus. Unter Prämisse eines einstimmigen Formwechselbeschlusses droht den Gesellschaftern daher nicht die Gefahr, dass ein grenzüberschreitender Formwechsel gegen ihren Willen durchgeführt wird, sodass es keiner speziellen Vorschriften zum Schutz der mitgliedschaftlichen Rechte bedürfte.1525 Jeder Gesellschafter hat mit dem durch das Einstimmigkeitsprinzip vermittelten Vetorecht ein wirkungsvolles und abschließendes Schutzinstrument gegen ungewollte Rechtseinbußen zur Hand. bb) Schutzbedürfnis bei gesellschaftsvertraglich vereinbarter Mehrheitsklausel? Das Einstimmigkeitsprinzip ist den Gesellschaftern im Interesse der Handlungsfähigkeit der Gesellschaft zur Disposition gestellt (§ 119 Abs. 2 HGB),1526 wovon insbesondere in Publikumsgesellschaften rege Gebrauch gemacht wird.1527 Insoweit kann der Gesellschaftsvertrag eine Mehrheitsentscheidung für einen
1522
Hierzu unter: Kap. 4, C, I, 3 (S. 148 f.). Hier gilt im Grundsatz das Mehrheitsprinzip, vgl. § 133 Abs. 1 AktG sowie § 47 Abs. 1 GmbHG; hierzu: Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei grenzüberschreitender Verschmelzung von Aktiengesellschaften, S. 29. 1524 Hierzu: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 453 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, S. 300 ff. 1525 V. Thunen, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar Zivilrecht, Internationales Personengesellschaftsrecht Rn. 128; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 24 Rn. 841; so auch für den Formwechsel einer OHG in eine englische partnership: Jungherr, Sitzverlegung einer offenen Handelsgesellschaft nach England, S. 126; vgl. für den innerstaatlichen Formwechsel: Böttcher, Gesellschafter- und Gläubigerschutz beim Formwechsel aus der Personen- in die Kapitalgesellschaft, S. 109; vgl. Kalss, ZGR 2003, 593, 596; vgl. für die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften: Barz, in: Flume/Raisch/Steindorff (Hrsg.): Festschrift für Kurt Ballerstedt zum 70. Geburtstag, 143, 150. 1526 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 453 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, § 4 I 3, S. 300 ff. 1527 Vgl. aber zu den Grenzen des Mehrheitsprinzips: Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 119 HGB Rn. 43 ff. 1523
A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata 297
grenzüberschreitenden Formwechsel genügen lassen.1528 Dies stellt § 217 S. 2 UmwG für den Formwechselbeschluss bei innerstaatlichen Formwechseln von Personenhandelsgesellschaften explizit klar.1529 Wurde gesellschaftsvertraglich ein Mehrheitsentscheidung vorgesehen, ist die Minderheit wie beim grenzüberschreitenden Formwechsel von Kapitalgesellschaften der Gefahr einer ungewollt durchgeführten Strukturmaßnahme mit negativen Folgen für die Mitgliedschaft ausgesetzt. Hieraus erwächst ein Schutzbedürfnis für die Minderheit.1530 Dieses entfällt nicht, weil ein Mehrheitserfordernis einer einstimmig beschlossenen Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag bedarf,1531 und somit durch die Gesamtheit der Gesellschafter legitimiert ist.1532 Eine andere Sichtweist würde sich gegen die Wertungen des UmwG positionieren. Dieses räumt der überstimmten Minderheit auch bei gesellschaftsvertraglich vorgesehenen Mehrheitsentscheidungen ein Barabfindungsrecht ein.1533 Dieser Befund wird durch allgemeine Grundsätze gestützt. Es ist unstreitig, dass Mehrheitsklauseln in ihrer Reichweite nicht sachlich unbegrenzt sind.1534 Der BGH qualifiziert das Austrittsrecht aus wichtigem Grund, als welches das umwandlungsrechtliche Austrittsrecht gegen Barabfindung einzuordnen ist,1535 als zwingendes und unverzichtbares Mitgliedschaftsrecht.1536 Ebenso wenig entfällt das Schutzbedürfnis im Einklang mit den Wertungen des UmwG durch die Möglichkeit, die Gesellschaftsanteile zu veräußern oder aus der Gesellschaft auszutreten1537 und gem. § 738 Abs. 1 S. 2 BGB den Wert der Mitgliedschaft durch den im Gegenzug zu der bei den übrigen Gesellschaftern eintretenden Anteilsanwachsung (§ 738 Abs. 1 S. 1 BGB) erhaltenen gesetzlichen Ausgleichsanspruch zu liquidie-
1528 Vgl. für die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften: Barz, in: Flume/Raisch/Steindorff (Hrsg.): Festschrift für Kurt Ballerstedt zum 70. Geburtstag, 143, 150. 1529 Jedoch wird auch für innerstaatliche Formwechsel ein Quorum von mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen für den Formwechselbeschluss vorausgesetzt, § 217 S. 3 UmwG. 1530 So auch für die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften: Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 108. 1531 Zu diesem Erfordernis: Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 222. 1532 In die andere Richtung aber: Jungherr, Sitzverlegung einer offenen Handelsgesellschaft nach England, S. 128, der die Minderheit in diesem Fall als „nicht besonders schutzbedürftig“ ansieht; differenzierend: Lenz, Gesellschafter- und Gläubigerschutz bei dem Formwechsel einer OHG in eine GmbH, S. 131. 1533 Vgl. § 207 UmwG, der auch im Falle einer gem. § 217 S. 2 UmwG vorgesehenen Mehrheitsentscheidung bei einer Personengesellschaft als Ausgangsrechtsträger anwendbar ist. 1534 Zu der Diskussion: Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 119 HGB Rn. 43 ff. 1535 Vgl. zu § 29 UmwG: Kalss, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 29 UmwG Rn. 20. 1536 BGH, Urt. v. 16. 12. 1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 369 im kapitalgesellschaftsrechtlichen Kontext. 1537 Vgl. § 723 Abs. 1 S. 1 BGB, § 132 HGB.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
ren.1538 Zum einen kann der Gesellschaftsvertrag abweichende Vereinbarungen hinsichtlich der Abfindung bei Kündigung der Mitgliedschaft treffen1539 und sich damit nachteilig gegenüber dem Austrittsrecht gegen Barabfindung erweisen. Zum anderen kann das Ausscheiden gegen Anwachsung im Einzelfall durch Kündigungsbeschränkungen ausscheiden.1540 Im Falle einer Veräußerung der Gesellschaftsanteile bestehen angesichts der herabgesetzten Verkehrsfähigkeit von Personengesellschaftsanteilen praktische Hindernisse bei der Veräußerung.1541 Auch bei der Minderheit von Kapitalgesellschaften wird eine Schutzbedürftigkeit nicht unter dem Gesichtspunkt der häufig ohne weiteres bestehenden Möglichkeit der Veräußerung der Anteile am Markt versagt. In gleicher Weise bedürfen die dissentierenden Gesellschafter einer Personengesellschaft eines Schutzes durch ein Austrittsrecht gegen Barabfindung. Nur unter sehr restriktiven Voraussetzungen kann im Einzelfall ein Austrittsrecht gegen Barabfindung wegen einer auf die Legitimation eines Formwechselbeschlusses durch die Mehrheitsklausel gestützten Treuwidrigkeit ausgeschlossen sein.1542 cc) Spezifika bei einer Personengesellschaft als Ausgangsrechtsträger Dieses Schutzbedürfnis ist nicht mit den für grenzüberschreitende Formwechseln zwischen zwei Kapitalgesellschaftsrechtsformen dargestellten Grundsätzen identisch. Bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft sind die Gesellschafter in einem ungleich stärkeren Maße betroffen, da nicht nur eine neue Rechtsordnung, sondern hinzukommend ein neuer Verbandsformtypus ihre Rechte umgestalten kann. Hier kommen die allgemeinen Unterschiede zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften sowie die Motive für die Wahl einer entsprechenden Gesellschaftsform in vollem Umfang zum Tragen.1543 Diese treten zu den im kapitalgesellschaftsrechtlichen Kontext genannten Risiken hinzu. In erster Linie werden die persönlich haftenden Gesellschafter durch die Wahl einer Kapitalgesellschaftsform von ihrer persönlichen Gesellschafterhaftung befreit, 1538 Vgl. zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Personengesellschaften: Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 109 f. 1539 Schäfer, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, § 738 BGB Rn. 32; zur eingeschränkten Abdingbarkeit von § 738 Abs. 1 S. 2 BGB, die einem vollständigen Ausschluss des Barabfindungsanspruchs entgegensteht: Hoger/Lieder, ZHR 180 (2016), 613, 649 f. 1540 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 407. 1541 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 407. 1542 Tendenziell etwas weitergehend: Lenz, Gesellschafter- und Gläubigerschutz bei dem Formwechsel einer OHG in eine GmbH, S. 131. Als Beispiel wird ein Formwechsel einer OHG in eine personalistische, der bisherigen Rechtsform weitgehenden ähnelnde, GmbH angeführt. 1543 Allgemein zu den Motiven eines (innerdeutschen) Formwechsels einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft: Böttcher, Gesellschafter- und Gläubigerschutz beim Formwechsel aus der Personen- in die Kapitalgesellschaft, S. 20 ff.
A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata 299
solange diese nicht durch umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente aufrechterhalten wird.1544 Positiv wirkt sich für die Gesellschafter außerdem aus, dass die Fungibilität ihrer Anteile bei Kapitalgesellschaften deutlich erhöht wird. Im Gegenzug muss das Gesellschaftskapital durch die Gesellschafter für die Gründung der Kapitalgesellschaft im Zuzugsstaat aufgebracht werden. Gleichzeitig sind die Mitgliedschaftsrechte in Kapitalgesellschaften deutlich schwächer ausgeprägt. Der Einfluss des einzelnen Gesellschafters schwindet aufgrund des Wechsels von der Selbstorganschaft zur Fremdorganschaft erheblich. Auch Informationsrechte bestehen im Kapitalgesellschaftsrecht in einem deutlich geringeren Ausmaß. Die Gesellschafter müssten daher im Vergleich zum grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen zwei Kapitalgesellschaften ungleich höhere qualitative Einbußen in ihrer Mitgliedschaft hinnehmen. Hierfür werden sie mit den das Kapitalgesellschaftsrecht durchziehenden Minderheitenrechten entschädigt.1545 In der Summe sind die Auswirkungen auf die Mitgliedschaft verglichen mit den Auswirkungen eines grenzüberschreitenden Formwechsels zwischen zwei Kapitalgesellschaften oder zwischen zwei Personengesellschaften einschneidender.1546 b) Betroffenheit der Gläubiger Die für den grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften dargelegte1547 Gefahr der erschwerten Forderungsgeltendmachung im Zuzugsstaat besteht unabhängig davon, welchem Verbandsformtypus Ausgangs- und Zielrechtsträger zuzuordnen sind. Wechselt eine Personengesellschaft ihre Rechtsform grenzüberschreitend in eine Kapitalgesellschaft oder umgekehrt, treten neue Risiken für die Gläubiger hinzu. Dies betrifft – entsprechend der Betroffenheit der Gesellschafter – im Wesentlichen die Änderung der Haftungsverfassung. Durch den Wechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft kommt es für die Gläubiger zum Verlust der persönlich haftenden Gesellschafter und damit einhergehend zu einer Verringerung des Haftungssubstrats.1548 In dieser Hinsicht stehen sich die Interessen von Gesellschaftern und Gläubigern diametral entgegen.1549 An die Stelle der persönlichen Gesellschafterhaftung tritt das Gesellschaftskapital, für dessen Erhaltung – je nach Zielrechtsform und Gesellschaftsstatut – unterschiedlich strenge Vorgaben gelten. Aus der Perspektive der Gläubiger ist es positiv zu bewerten, dass bei1544
Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 189. 1545 Vgl. Saenger, in: Birk (Hrsg.), Festschrift zum zehnjährigen Bestehen von P+P Pöllath + Partners, 295, 303. 1546 So auch für die grenzüberschreitende Verschmelzung: Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 64, 90. 1547 Hierzu unter: Kap. 2, C, II, 2, b (S. 84 f.). 1548 Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S. 15; Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 31 f.; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 178. 1549 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 178.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
spielsweise Gewinnentnahmen nicht mehr unbegrenzt möglich sind. Ob sich der Wechsel der Haftungsverfassung als aliud oder als minus erweist, kann abstrakt nicht beantwortet werden, sondern entscheidet sich erst im Einzelfall. Eine generelle Gleichachtung von persönlicher Gesellschafterhaftung und Kapitalbindung verbietet sich.1550 c) Betroffenheit der Arbeitnehmer Für den grenzüberschreitenden Formwechsel von einer Kapital- in eine Personengesellschaft sind im Vergleich zu einem grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen zwei Kapitalgesellschaften große Divergenzen betreffend die unternehmerische Mitbestimmung zu verzeichnen. aa) Mitbestimmungsfreiheit von Personengesellschaften Im Unterschied zur rechtsformunabhängig konzipierten betrieblichen Mitbestimmung unterfallen Personengesellschaften nicht der unternehmerische Mitbestimmung.1551 Dies wird damit begründet, dass eine unternehmerische Mitbestimmung in einem Widerspruch zur personalistischen Gesellschaftsstruktur und der verschuldensunabhängigen unbeschränkten Gesellschafterhaftung für unternehmerische Entscheidungen steht.1552 Als das BVerfG sich mit der Verfassungswidrigkeit der deutschen Mitbestimmung befasste, wurden die bestehenden Regelungen im Hinblick auf Art. 14 GG mit der Begründung verfassungskonform erklärt, dass Kapitalanlegern regemäßig keine persönliche Haftung droht und diese regelmäßig auch nicht an unternehmerischen Entscheidungen beteiligt sind.1553 Beide Punkte sind im Personengesellschaftsrecht grundverschieden geregelt, sodass dieses Judikat die Verfassungswidrigkeit von unternehmerischer Mitbestimmung in Personengesellschaften indiziert.
1550 Petersen, Gläubigerschutz im Umwandlungsrecht, S. 35 ff. aus der Perspektive, ob persönliche Haftung die Kapitalbindung ersetzen kann und ob dementsprechend ein Anspruch auf Sicherheitsleistung besteht. 1551 Vgl. nur die Anwendungsbereiche des MitbestG (§ 1 Abs. 1 MitbestG) sowie des DrittelbG (§ 1 Abs. 1 DrittelbG). 1552 Habersack, in: Habersack/Henssler (Hrsg.), Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rn. 32; Schiffers, in: Ulrich/Kahle (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Personengesellschaften, § 1 Rn. 67; Henssler, RdA 2005, 330, 332; Zimmer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 371, 386. 1553 BVerfG, Urt. v. 01. 03. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 348.
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bb) Sonderfall: Mittelbare Mitbestimmung bei Kapitalgesellschaft & Co. KG Eine vorsichtige Ausnahme vom Grundsatz der Mitbestimmungsfreiheit von Personengesellschaften bildet § 4 MitbestG, nach dem unter bestimmten Voraussetzungen die Arbeitnehmer der KG für die Berechnung des für das MitbestG relevanten Schwellenwerts bei der Komplementär-Gesellschaft mitgezählt werden. Voraussetzung ist gem. § 4 Abs. 1 MitbestG, dass die Mehrheit der Kommanditisten synchron die Mehrheit der Komplementär-Gesellschaft abbildet und letztere keinen eigenen Geschäftsbetrieb mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern unterhält. Hierdurch wird eine hinreichende Einheit zwischen KG und der KomplementärGesellschaft nachgewiesen.1554 Auch wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, findet eine unmittelbare Mitbestimmung der KG nicht statt. Rechtsfolge ist eine mittelbaren Mitbestimmung, welche durch die Mitbestimmung der Komplementär-Kapitalgesellschaft, die gem. §§ 161 Abs. 2, 114 HGB die Geschäfte der KG führt, vermittelt wird.1555 Diese Ausnahme entspringt der funktionellen Annäherung der Kapitalgesellschaft & Co. KG zu Kapitalgesellschaften.1556 Das Argument der Unvereinbarkeit der persönlichen Haftung mit der unternehmerischen Mitbestimmung greift hier nur im eingeschränkten Maße, da im Regelfall keine natürliche Person als Komplementärin fungiert. Die Zurechnung von KG-Mitarbeitern ist praktisch bedeutsam, da die Komplementär-Kapitalgesellschaften regelmäßig keine eigenen Arbeitnehmer beschäftigen1557 und ohne Zurechnung keine Mitbestimmung gegeben wäre. Das DrittelbG kennt eine solche Zurechnung der Arbeitnehmerzahlen nicht,1558 sodass die praktischen Hürden für eine mittelbare Mitbestimmung hoch sind. cc) Vollkommene Mitbestimmungsfreiheit: Ausländische Kapitalgesellschaft & Co. KG Wie dargelegt unterfallen nur deutsche Kapitalgesellschaften dem Mitbestimmungsgesetz. Eine Mitbestimmung findet nicht – auch nicht mittelbar – statt, wenn die Komplementär-Gesellschaft einer ausländischen Rechtsordnung entstammt. 1554 Winter/Marx/De Decker, NZA 2016, 334, 334; Olbertz/Sturm, GmbHR 2014, 1254, 1255 sprechen von einer „Mehrheitsidentität“. 1555 Annuß, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, § 4 MitbestG Rn. 2; Weidmann, Die Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes in Fällen mit Auslandsbezug, S. 143. 1556 Habersack, in: Habersack/Henssler (Hrsg.), Mitbestimmungsrecht, § 4 MitbestG Rn. 1; Annuß, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, § 4 MitbestG Rn. 1. 1557 Winter/Marx/De Decker, NZA 2016, 334, 336; Frese, BB 2018, 2612, 2613. 1558 Siehe aber die Pläne der neuen Bundesregierung in der 20. Legislaturperiode, bestehend aus SPD, BÜNDNIS 90/DIE Grünen sowie FDP, die sich in ihrem Koalitionsvertrag (Ziffer 2364 – 2366) auf eine Arbeitnehmerzurechnung im DrittelbG nach dem Vorbild des MitbestG verständigt haben; abrufbar unter: https://www.wiwo.de/downloads/27830022/8/koalitionsver trag-2021-2025.pdf , S. 72 (zuletzt abgerufen am: 15. 02. 2022; zu den mitbestimmungsrechtlichen Bestrebungen der neuen Bundesregierung: Mohamed, ZIP 2022, 305 ff.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
Dieses Modell ist in der Praxis gängig.1559 Ein prominentes Beispiel hierfür ist die in der Entsorgungs- und Recyclingsbranche tätige, als plc & Co. KG firmierende Alba Group.1560 Praxisrelevant ist auch eine mitbestimmungsfreie SE & Co. KG.1561 dd) Folgen für den grenzüberschreitenden Formwechsel Da Personengesellschaften nicht mitbestimmt sind, droht den Arbeitnehmern der formwechselnden Gesellschaft im Unterschied zu grenzüberschreitenden Formwechseln von Kapitalgesellschaften kein auf diese Umwandlung zurückzuführender Mitbestimmungsverlust, solange nicht der Sonderfall einer Kapitalgesellschaft & Co. KG in Frage steht. Für die Arbeitnehmer kann es bei einem Wechsel in eine ausländische Kapitalgesellschaft grundsätzlich nur zu einem Mehr an unternehmerischer Mitbestimmung kommen. 2. Grenzüberschreitender Formwechsel von einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft Für den Fall eines grenzüberschreitenden Formwechsels einer ausländischen Kapitalgesellschaft in eine deutsche Personengesellschaft gilt im Wesentliche das soeben Gesagte in spiegelverkehrter Hinsicht. a) Betroffenheit der Gesellschafter In dieser Konstellation tritt insbesondere die Gefahr einer persönlichen Haftung hinzu. Aufgrund der nun drohenden persönlichen Inanspruchnahme sind die Gesellschafter in einem ungleich höheren Maß der Gefahr einer Klage an einem unbekannten Gerichtsstand ausgesetzt. Gleichwohl lässt sich diese Gefahr durch die Wahl einer KG und das Hinzutreten einer Komplementär-Kapitalgesellschaft nivellieren. Eine weitere Schwierigkeit stellt die im Vergleich zu einer Kapitalgesellschaft deutlich herabgesetzte Fungibilität von Anteilen an Personengesellschaften dar.1562 Die Gesellschafter können sich nach Wirksamwerden des grenz1559 Hans-Böckler-Stiftung, Mitbestimmungsreport Nr. 8, Februar 2015, S. 1 unter Berufung auf die nicht öffentlich zugängliche Rechtstatsachenforschung der Universität unter Leitung von Bayer. 1560 Kritisch zu dieser Gesellschaftsgestaltung: Hans-Böckler-Stiftung, Mitbestimmungsförderung Report Nr. 8 vom Februar 2015, S. 8; weitere Beispiele für Auslandsgesellschaften & Co. KG finden sich bei Olbertz/Sturm, GmbHR 2014, 1254, 1256. 1561 Hierzu ausführlich: Sigle, in: Erle/Goette/Kleindiek, Festschrift für Peter Hommelhoff zum 70. Geburtstag, 1275, 1278, 1123, 1123 ff.; Reichert/Ott, in: Bergmann/Kiem/Mülbert/ Verse/Wittig (Hrsg.), 10 Jahre SE, 154, 174 ff.; Winter/Marx/De Decker, NZA 2016, 334, 335 ff. 1562 Vgl. für die grenzüberschreitende Verschmelzung: Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 109.
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überschreitenden Formwechsels mithin nicht ohne weiteres durch Anteilsveräußerung den (nicht gewollten) Veränderungen in ihren Rechtspositionen entziehen. b) Betroffenheit der Gläubiger Im Fall eines grenzüberschreitenden Formwechsels einer Kapital- in eine Personengesellschaft wird zwar das Haftungssubstrat durch die hinzugewonnene persönliche Gesellschafterhaftung erweitert. Die Gläubiger verlieren aber im Gegenzug den durch die Kapitalerhaltungsvorschriften vermittelten Schutz.1563 Durch den Wegfall der Kapitalbindung kann dem Rechtsträger Vermögen entzogen- und damit das Haftungssubstrat verringert werden.1564 Darüber hinaus stehen die Gesellschaftsgläubiger nun mit den privaten Gläubigern der Gesellschafter in Konkurrenz, wodurch das Insolvenzrisiko der Gesellschafter erhöht wird.1565 Möglicherweise können die Gesellschafter nach der Zielrechtsordnung – anders als im deutschen Recht –1566 auch nicht unmittelbar in Anspruch genommen werden, sondern nur nach dem vorausgegangen und erfolglosen Versuch einer Inanspruchnahme der Gesellschaft.1567 c) Betroffenheit der Arbeitnehmer Angesichts der Mitbestimmungsfreiheit von Personengesellschaften kann sich ein grenzüberschreitender Formwechsel von einer Kapital- in eine Personengesellschaft nur als nachteilig erweisen. Es droht der kompensationslose Verlust der bestehenden unternehmerischen Mitbestimmung. 3. Grenzüberschreitender Formwechsel von einer Personengesellschaft in eine Personengesellschaft Die möglichen Beeinträchtigungen von Stakeholdern infolge eines grenzüberschreitenden Formwechsels sind bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen am geringsten. Schutzvorschriften 1563 Vgl. Weller, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 497, 514. 1564 Vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, S. 141. 1565 Vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Hoger, Kontinuität beim Formwechsel nach dem UmwG und der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SE, S.14 f. 1566 K. Schmidt, in: K. Schmidt (Hrsg.), Münchener Kommentar HGB, § 128 HGB Rn. 20; M. Roth, in: Baumbach/Hopt (Hrsg.), HGB, § 128 HGB Rn. 1; Hillmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Hrsg.), HGB, § 128 HGB Rn. 18; Hoffmann/Bartlitz, in: Heymann (Begr.), HGB, § 128 HGB Rn. 1; Steitz, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 128 HGB Rn. 16; Boesche, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 128 HGB Rn. 6. 1567 Vgl. für die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften: Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 107.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
bestehen für innerstaatliche Formwechsel zwischen Personengesellschaftsformen nicht, sondern etwaige Einbußen in ihren Rechtspositionen werden vom Gesetzgeber kompensationslos hingenommen. Dies lässt bereits die herabgesetzte Schutzbedürftigkeit für diese spezielle Form von grenzüberschreitenden Formwechseln erahnen. Die Gesellschafter sehen sich einem neuen Gesellschaftsstatut ausgesetzt. Unter Geltung des Mehrheitsprinzips besteht die Gefahr eines permissiv ausgestalteten Gesellschaftsrechts im Wegzugsstaat. Für die Gläubiger ist nur die Gefahr einer erschwerten Forderungsdurchsetzung nach einer ausländischen Rechtsordnung. Das Risiko einer herabgesetzten Haftungsverfassung im Zuzugsstaat besteht bei grenzüberschreitenden Formwechseln zwischen zwei Personengesellschaftsformen nur in einem eingeschränkten Maße.1568 Hier ist vornehmlich auf Gefahr einer nur sekundär möglichen Inanspruchnahme der Gesellschafter im Zuzugsstaat gegenüber einer primären Haftung im Wegzugsstaat hinzuweisen.1569 Die unternehmerische Mitbestimmung kann – solange nicht der Sonderfall einer Kapitalgesellschaft & Co. KG in Frage steht – ausgeblendet werden, da sie weder Ausgangsnoch Zielrechtsform erfasst.
III. Exkurs: Innerstaatlicher Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen Zur Klärung der durch das Unionsrecht gesetzten Grenzen ist relevant, wie sich ein innerstaatlicher Formwechsel von Personengesellschaften vollzieht, da hierdurch angesichts des Äquivalenzgrundsatzes mittelbar das für grenzübrschreitende Formwechsel anzuwendende Recht determiniert wird. Auch im nationalen Recht ist entscheidend, ob der Formwechsel von einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft oder umgekehrt vollzogen wird, oder ob als Ausgangs- und Zielrechtsträger jeweils eine Personengesellschaft fungiert. Wechselt eine Personengesellschaft ihre Rechtsform innerstaatlich in eine Kapitalgesellschaft, kommen die für rechtsgeschäftliche Formwechsel geltenden §§ 190 ff., 214 ff. UmwG zur Anwendung. Für den entgegengesetzten Fall des Formwechsels einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft sind die §§ 190 ff., 228 ff. UmwG maßgeblich. Diese sehen ein mitunter schwerfälliges förmliches Verfahren vor, das insbesondere dem Schutz der von dem Formwechsel betroffenen Stakeholder dient.1570 Konträr hierzu vollzieht sich der innerstaatliche Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen ohne förmliches Verfahren außerhalb der §§ 190 ff. UmwG.1571 Für diesen Fall 1568
Walden, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 97. Walden, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 97. 1570 Vgl. hierzu beispielsweise die gläubigerschützende Norm des § 224 Abs. 1 UmwG. 1571 Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 145a; Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2019, 591 ff.; Böttcher, Gesellschafter- und Gläubigerschutz beim Formwechsel aus der Personen- in die Kapitalgesellschaft, S. 25 f.; ausführlich zu den Möglichkeiten eines grenzüberschreitenden Formwechsels außerhalb des Umwandlungsgesetzes: Hoger, in: Lutter 1569
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kommen die allgemeinen personengesellschaftsrechtlichen Regelungen für Strukturmaßnahmen zur Anwendung.1572 Dies ist Ausfluss des Rechtsformzwangs (numerus clausus der Rechtsformen)1573.1574 Bei diesen Fällen handelt es sich nicht um einen rechtsgeschäftlichen, sondern um einen gesetzlichen Formwechsel, der auch ohne den Willen der Gesellschafter ipso iure eintritt.1575 Die umwandlungsrechtlichen Regelungen finden gem. § 190 Abs. 2 UmwG keine analoge Anwendung.1576 Besondere Berücksichtigung verdient in dieser Hinsicht auch das Äquivalenzprinzip. Im Hinblick hierauf kann es keinen Unterschied machen, ob es sich um einen Formwechsel nach dem UmwG oder außerhalb des UmwG handelt, da nicht eine formale Betrachtung, sondern die Funktionsäquivalenz maßgeblich sein muss. Dies bedeutet, dass auch grenzüberschreitende Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaften zugelassen werden müssen, wenn entsprechende Formwechsel innerstaatlich ohne formales Umwandlungsverfahren zulässig sind. Eine andere Sichtweise würde Personengesellschaften unangemessen nur aufgrund dessen benachteiligen, weil für sie kein Bedürfnis nach einem förmlichen Umwandlungsverfahren besteht. Nur aus dem grenzüberschreitenden Bezug resultierende Besonderheiten, etwa im Hinblick auf die Risiken für die schutzwürdigen StakeholderBelange, vermögen ein Abweichen von den deutschrechtlichen Grundsätzen zu rechtfertigen. In der Folge setzt das Unionsrecht für Verfahrensvorschriften für grenzüberschreitende Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen enge Grenzen.
(Begr.), UmwG, § 190 UmwG Rn. 12 ff.; zu den Änderungen durch die bevorstehende Reform des Personengesellschaftsrechts: Heckschen, in: Rieger/Vossius/Widmann (Hrsg.): Festschrift für Dieter Mayer zum 65. Geburtstag, 15, 30; zur Substitution eines Formwechsels zwischen zwei Personengesellschaftsrechtsformen kann man, wenn man Wert auf die Anwendung der § 190 ff. UmwG legt, als Zwischenschritt einen Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft tätigen, Heckschen, in: Rieger/Vossius/Widmann (Hrsg.): Festschrift für Dieter Mayer zum 65. Geburtstag, 15, 18. 1572 Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, S. 544. 1573 Statt aller zum numerus clausus der Rechtsformen: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 96 ff. 1574 Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 7, 145a; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 103 f.; vgl. zum Rechtsformwechsel durch Sitzverlegung als Ausfluss des Rechtsformzwangs: Walden, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 189. 1575 Ein Beispiel hierfür ist die GbR, die mit Aufnahme eines Handelsgewerbes ipso iure zur OHG wird (§ 105 Abs. 1 HGB). 1576 Drinhausen/Keinath, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 190 UmwG Rn. 14; in diesem Zusammenhang ist auch das umwandlungsrechtliche Analogieverbot gem. § 1 Abs. 2 UmwG in Erinnerung zu rufen.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
IV. Taugliche Ausgangs- und Zielrechtsträger beim grenzüberschreitenden Formwechsel Fraglich ist, welche (deutschen und EU-ausländischen) Personengesellschaftsformen die durch das Primärrecht gewährleisteten Formwechselfreit in Anspruch nehmen können. Für die Frage nach den tauglichen Ausgangs- und Zielrechtsträgern bei grenzüberschreitenden Formwechseln von Personengesellschaften ist erneut zwischen Heraus- und Hereinformwechseln zu unterschieden. Gem. § 191 UmwG kommen nur deutsche Gesellschaftsformen als taugliche Ausgangs- und Zielrechtsträger für gewillkürte innerstaatliche Formwechsel nach dem UmwG in Betracht. Dass dieses Ergebnis unstreitig mit den Vorgaben der Niederlassungsfreiheit kollidieren würde und es mithin einer unionsrechtskonformen Auslegung bedarf, ist bereits verdeutlicht worden.1577 Für die Frage nach dem Umfang der Beteiligungsfähigkeit von Personengesellschaften an grenzüberschreitenden Formwechseln entzündet sich die Frage, ob grenzüberschreitende Formwechsel generell durch die Niederlassungsfreiheit geschützt sind, oder als Ausfluss des Äquivalenzprinzips nur, soweit ein vergleichbarer Formwechsel innerstaatlich möglich ist.1578 Diesbezüglich ist in Erinnerung zu rufen, dass Personenhandelsgesellschaften Ausgangs- und Zielrechtsträger eines innerstaatlichen Formwechsels in eine Kapitalgesellschaft und vice versa sein können (§ 191 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, 2 Nr. 2 Alt. 1 UmwG), die GbR jedoch nur als Zielrechtsträger eines Formwechsels einer Kapitalgesellschaft fungieren kann (§ 191 Abs. 2 Nr. 1 UmwG).1579 Für den ipso iure eintretenden Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen kommen in Ermangelung einer den Anwendungsbereich begrenzenden Norm sämtliche Personengesellschaften als Ausgangs- und Zielrechtsträger in Betracht. Bei der Übertragung dieser Grundsätze auf den grenzüberschreitenden Kontext sind einige Besonderheiten zu berücksichtigen. Weitet man den Blick auf den primärrechtlichen Hintergrund aus, steht erneut der Charakters der Niederlassungsfreiheit als umfassendes Beschränkungsverbot in Frage. 1. Taugliche Rechtsträger beim Herausformwechsel Da grundsätzlich jede (Außen-)Gesellschaft dem Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit unterfällt, ist jede Verbandsform tauglicher Ausgangsrechtsträger eines grenzüberschreitenden Formwechsels.1580 Der EuGH hat den Schutz grenzüber1577
Siehe hierzu Fn. 46. Hierzu unter: Kap. 2, B, III (S. 66 ff.). 1579 Letzteres ändert sich mit Wirkung zum 01. 01. 2024 im Zuge des MoPeG. Zukünftig kann die eingetragene BGB-Gesellschaft Ausgangs- und Zielrechtsträger eines innerstaatlichen Formwechsels sein. Nicht eingetragene Personengesellschaften werden zukünftig jedoch nicht mehr an den Umwandlungsmöglichkeiten nach dem UmwG partizipieren können. 1580 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 233; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der 1578
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schreitender Formwechsel durch die Niederlassungsfreiheit nicht nur für den Fall, dass ein entsprechender innerstaatlicher Formwechsel möglich ist, beschränkt.1581 In der Konsequenz sind sämtliche der Niederlassungsfreiheit unterfallende Gesellschaftsformen taugliche Ausgangsrechtsträger eines grenzüberschreitenden Formwechsels.1582 Der Wegzugsstaat kann nicht letztverbindlich über die Zulässigkeit der konkreten Formwechselkonstellation entscheiden. Ob der grenzüberschreitende Formwechsel in die begehrte Rechtsform durchgeführt werden kann, hängt allein vom Recht des Zuzugsstaats ab.1583 a) Begrenzung auf in § 191 Abs. 2 UmwG genannte Rechtsträger? Vereinzelt wird dafür plädiert, Herausformwechsel nur dann zuzulassen, wenn die Zielrechtsform einer der in § 191 Abs. 2 UmwG enumerativ aufgezählten Zielrechtsträgern funktional entspricht.1584 Zum Teil wird unter Verweis auf § 191 Abs. 1 Nr. 1 UmwG ein grenzüberschreitender Herausformwechsel einer GbR in eine ausländische Rechtsform für unzulässig erachtet, da diese innerstaatlich kein tauglicher Ausgangsrechtsträger für einen Formwechsel nach den §§ 190 ff. UmwG ist.1585 Begründet wird dies damit, dass anderenfalls die Gefahr bestünde, dass den berechtigten Stakeholder-Interessen nicht Rechnung getragen werden könne.1586 EU, S. 242; W.-H. Roth, in: Krieger/Lutter/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Michael Hoffmann-Becking zum 70. Geburtstag, 965, 976. 1581 Ausführlich hierzu: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 130 ff.; siehe auch unter: Kap. 2, B (S. 66 ff.). 1582 Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 54, III Rn. 12; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 233; W.-H. Roth, ZGR 2014 168, 212; Ege/Klett, DStR 2012, 2442, 2444; unklar: Wöhlert/Degen, GWR 2012, 432, 433. 1583 Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn. 43; Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 54 Rn. 12; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 234; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 242; hierzu sogleich. 1584 Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 788 („funktionell gleichwertige EUAuslandsgesellschaft“); Krafka, in: Krafka (Hrsg.), Registerrecht Rn. 1211b; Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, S. 140. 1585 Paefgen, in: Westermann/Wertenbruch (Hrsg.), Handbuch Personengesellschaften, § 60 Rn. 4985; Stiegler, ZGR 2017, 312, 335; Teichmann/Knaier, GmbHR 2017, 1314, 1322 (Fn. 91); Wachter, DB 2020, 2281, 2290; Lechner, Das Schicksal der europäischen Personengesellschaften im Zeitalter der Niederlassungsfreiheit, S. 85 f.; Knaier/Pfleger, GmbHR 2017, 859, 863; Wöhlert/Degen, GWR 2012, 432, 433; a. A.: Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn. 41; Limmer/ Knaier, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 6 Rn. 279; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 233 f.; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 242. 1586 Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, S. 140.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
b) Stellungnahme Diese Ansicht verdient keinen Beifall. Sie beruht (wohl) auf dem Gedanken, dass Deutschland den identitätswahrenden rechtsformwechselnden Wegzug nicht zulassen müsse, wenn ein vergleichbarer innerstaatlich Formwechsel nicht möglich ist und reduziert damit den Gehalt der Niederlassungsfreiheit in Verkennung ihres Charakters als umfassendes Beschränkungsverbot unzulässigerweise auf ein Diskriminierungsverbot. Im Hinblick auf die lex lata zu grenzüberschreitenden Herausformwechsel lässt diese Lösung außer Betracht, dass die GbR für innerstaatliche Formwechsel in eine anderweitige Personengesellschaftsform taugliche Ausgangsrechtsträgerin ist. Auch innerstaatlich ipso iure eintretende Formwechsel determinieren die zulässigen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit. Es würde gegen das Äquivalenzprinzip verstoßen, der GbR nicht zumindest einen durch die Artt. 49, 54 AEUV geschützten grenzüberschreitenden Formwechsel in eine ausländische Personengesellschaft zu gestatten.1587 Selbst unter der Prämisse, dass die Niederlassungsfreiheit nur grenzüberschreitende Formwechsel, die auch innerstaatlich zulässig sind, schützt, müsste Deutschland solche Umwandlungen als Ausfluss des Diskriminierungsverbots zulassen, solange die Zielrechtsform eine deutsche Personengesellschaftsform ist, deren Rechtsform eine GbR auch innerstaatlich im Wege eines (gesetzlichen) Formwechsels annehmen kann.1588 Im Übrigen genießen sämtliche (Außen)Gesellschaften die durch die Niederlassungsfreiheit verbürgte „Formwechselfreiheit“, sodass für grenzüberschreitende Formwechsel innerhalb der Europäischen Union nicht auf § 191 Abs. 1 UmwG rekurriert werden kann.1589 Eine Beschränkung des unionsrechtlichen Anwendungsbereichs muss sich am Beschränkungsverbot messen lassen. Die pauschale Begrenzung der Tauglichkeit, Ausgangsrechtsträger eines grenzüberschreitenden Formwechsels auf deutschen Gesellschaften funktionsäquivalente Gesellschaften, lässt die Möglichkeit, zur Gewährleistung der damit intendierten Zwecke, stakeholderschützende Vorschriften zur Anwendung zu bringen, außer Betracht. Mithin ist das pauschale Wegzugserfordernis einer Funktionsäquivalenz zu § 191 Abs. 2 UmwG mangels Erforderlichkeit nicht zu rechtfertigen.1590 Ausreichend ist im Anwendungsbereich 1587 Schall, ZIP 2020, 1443, 1449; im Ergebnis wohl auch: v. Thunen, in: Gsell/Krüger/ Lorenz/Reymann (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar Zivilrecht, Internationales Personengesellschaftsrecht Rn. 129. 1588 A. A.: Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 224, der auch in diesem Fall einen grenzüberschreitenden Formwechsel nicht zulässt. 1589 So auch: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 233 f.; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 242; in diese Richtung auch: W.-H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 973, 992 f. (keine gesetzlich vorgesehen Umwandlungsmöglichkeit als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit). 1590 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 235; im Ergebnis auch: Behme, in: Lieder/ Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn. 41.
A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata 309
der Niederlassungsfreiheit, dass der Zuzugsstaat den Formwechsel zulässt und die diesbezüglichen Voraussetzungen erfüllt werden.1591 Selbst wenn man mit der Gegenauffassung in manchen Konstellationen grenzüberschreitende Formwechsel als unzulässig qualifiziert, bliebe es Deutschland unbenommen, auch solche zuzulassen. Veritable Gründe, hiervon keinen Gebrauch zu machen, sind nicht ersichtlich. Auch bei wirtschaftlicher Betrachtung vermag diese Sichtweise nicht überzeugen: Der hier für zulässig erachtete „direkte“ Weg in die Zielrechtsform ließe sich ohne weiteres durch einen „Kettenformwechsel“1592 in eine funktionell gleichwertige Gesellschaftsform mit anschließendem innerstaatlichen Formwechsel substituieren. Für die hierdurch verursachte Erhöhung der Transaktionskosten bestehen keine sachlichen Gründe. 2. Taugliche Rechtsträger beim Hereinformwechsel Es versteht sich von selbst, dass bei einem Hereinformwechsel nach Deutschland nur die deutschen Rechtsformen als Zielrechtsträger in Betracht kommen.1593 § 191 Abs. 2 Nr. 1, 2 Alt. 1 UmwG zählt insoweit sämtliche Personengesellschaften auf.1594 Klärungsbedürftig ist jedoch, welche ausländischen Gesellschaftsformen in diesem Fall als Ausgangsrechtsträger fungieren können. a) Streitstand Welche Rechtsträger als Ausgangsrechtsträger für einen Hineinformwechsel nach Deutschland in Betracht kommen, richtet sich entsprechend den vorangegangenen Ausführungen grundsätzlich nach dem Recht des Wegzugsstaates.1595 Hier drängt sich die Frage auf, ob Deutschland als Zuzugsstaat sämtlichen ausländischen Ausgangsrechtsträgern Eintritt in die deutsche Rechtsordnung gewähren muss. Es herrscht Uneinigkeit darüber, ob Deutschland jedem niederlassungsfreiheitsberechtigten Rechtsträger den Wechsel des Rechtskleids in ein deutsches „Rechtskleid“ 1591 Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 242. 1592 Hierzu unter: Kap. 5, B, I, 2, b (S. 335 f.). 1593 Paefgen, in: Westermann/Wertenbruch (Hrsg.), Handbuch Personengesellschaften, § 60 Rn. 4985; Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn. 89; Krafka, in: Krafka (Hrsg.), Registerrecht Rn. 1211e; vgl. Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2059 sowie Teichmann/Knaier, GmbHR 2017, 1314, 1322. 1594 Auf die Frage, ob auch Formwechsel außerhalb des UmwG herangezogen werden müssen, kommt es an dieser Stelle noch nicht an. 1595 Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn. 85; Schall, ZfPW 2016, 407, 428 (Fn. 94), der anschließend zutreffend darauf hinweist, dass Europarecht den Kreis der formwechselfähigen Rechtsträger determiniert, sofern das Recht des Wegzugsstaates noch keine Vorschriften für grenzüberschreitende Formwechsel bereithält.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
gewähren muss,1596 oder ob insoweit nur Gesellschaften, die einer in § 191 Abs. 1 UmwG genannten Rechtsform entsprechen, erfasst sind.1597 Für den grenzüberschreitenden Formwechsel von Personengesellschaften ist diese Frage von großer Relevanz, da das UmwG nur Formwechsel von Personen- in Kapitalgesellschaften und umgekehrt vorsieht. Nach dieser Ansicht sind die tauglichen ausländischen Ausgangs- und Zielrechtsträger im Wege der Substitution1598 des § 191 UmwG zu ermitteln.1599 Mithin muss die innerstaatlich formwechselfähige Rechtsform durch das Äquivalent der beteiligten EU-ausländischen Rechtsordnung ersetzt werden.1600 Zum Teil wird unter Verweis auf § 191 Abs. 1 Nr. 1 UmwG ein grenzüberschreitender Formwechsel eines ausländischen Äquivalents1601 zur GbR in eine deutsche Personengesellschaft für unzulässig gehalten, da diese innerstaatlich kein tauglicher Ausgangsrechtsträger für einen Formwechsel nach den §§ 190 ff. UmwG sei.1602 Ob nicht auch die Möglichkeit innerstaatlicher Formwechsel zwischen zwei Perso-
1596 Hierfür: W.-H. Roth, in: Krieger/Lutter/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Michael Hoffmann-Becking zum 70. Geburtstag, 965, 987; Verse, ZEuP 2013, 458, 492 (Fn. 177). 1597 Für letzteres: Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 787; Behme, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 39 Rn. 86; Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 54 Rn. 13; Paefgen, in: Westermann/Wertenbruch (Hrsg.), Handbuch Personengesellschaften, § 60 Rn. 4985; Krafka, in: Krafka (Hrsg.), Registerrecht Rn. 1211e; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 274; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 224; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 764; v. Hein/Brunk, IPRax 2018, 46, 49 (Fn. 38); Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2052; Kindler, EuZW 2013, 888, 890; Jaensch, EWS 2012, 353, 358; Krebs, GWR 2014, 144, 145; wohl auch („soweit diese im Umfang ihrer Rechtsfähigkeit nach mit den in § 191 Abs. 1 UmwG genannten Rechtsformen vergleichbar ist“): Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530, 534. 1598 Zum Begriff des IPR-rechtlichen Instruments der Substitution: v. Hein, in: Säcker/ Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Einleitung zum IPR Rn. 247 ff.; Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 231 ff. 1599 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 274; Zwirlein, ZGR 2017, 114, 122 f.; Schall, ZfPW 2016, 407, 429; Kindler, EuZW 2012, 888, 890. 1600 Kindler, EuZW 2012, 888, 890; mit Beispielen Zwirlein, ZGR 2017, 114, 127; vgl. Schall, ZfPW 2016, 407, 429; Wöhlert/Degen, GWR 2012, 432, 433. 1601 Ein Beispiel hierfür ist die französische Société civile. 1602 Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 224; die GbR als Zielrechtsform ablehnend: Limmer/Knaier, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 6 Rn. 281; Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2053; Wachter, DB 2020, 2281, 2290; a. A.: Schall, in: Heidel/Schall (Hrsg.), HGB, Anhang Internationales Personengesellschaftsrecht, Rn. 91; v. Thunen, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar Zivilrecht, Internationales Personengesellschaftsrecht Rn. 129 f.; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 405 f.
A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata 311
nengesellschaften Berücksichtigung finden muss, wird nahezu immer ausgeklammert.1603 Die Idee der Begrenzung auf ausländische Äquivalente zu deutschen Ausgangsrechtsträgern fußt auf dem Gedanken, dass Deutschland nur solche Formwechsel grenzüberschreitend zulassen müsse, die auch innerstaatlich möglich sind.1604 Entscheidend sind ferner die Sorgen, dass den Besonderheiten der dem deutschen Recht unbekannten Rechtsform nicht adäquat Rechnung getragen werden könne.1605 b) Stellungnahme In konsequenter Fortführung der Interpretation der Niederlassungsfreiheit als umfassendes Beschränkungsverbot müssen – vorbehaltlich einer Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls – auch grenzüberschreitende Formwechsel ermöglicht werden, die innerstaatlich nicht vom UmwG erfasst sind. Deutschland ist es als Zuzugsstaat angesichts der verbandsformunabhängigen Geltung der Niederlassungsfreiheit verwehrt, den Hereinformwechsel nur für solche Gesellschaften zu ermöglichen, die äquivalent zu einem nach deutschem Recht tauglichen Ausgangsrechtsträger sind.1606 Für den in Streit stehenden Fall eines grenzüberschreitenden Formwechsels zwischen zwei Personengesellschaften gilt dies auch dann, wenn man Artt. 49, 54 AEUV lediglich als Diskriminierungsverbot versteht. Aufgrund des Äquivalenzgrundsatzes müssen nicht nur die Ausgangsrechtsträger für innerstaatliche Formwechsel nach dem UmwG substituiert werden, sondern auch diejenigen von innerstaatlichen Formwechseln außerhalb des Umwandlungsgesetzes.1607 Die Zulässigkeit von innerstaatlichen Formwechseln nach allgemeinem Personengesellschaftsrecht determiniert damit auch den Kreis der tauglichen Ausgangsrechtsträger eines grenzüberschreitenden Formwechsels nach Deutschland hinein.
1603 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 275 f. stellt jedoch zutreffend knapp fest, dass der Äquivalenzgrundsatz angesichts der Möglichkeit innerstaatlicher Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaften auch die Zulassung von Hereinformwechseln ausländischer Personengesellschaften in eine deutsche Personengesellschaft gebietet. 1604 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 275. 1605 Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2052. 1606 W.-H. Roth, in: Krieger/Lutter/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Michael HoffmannBecking zum 70. Geburtstag, 965, 987; Verse, ZEuP 2013, 458, 492 (Fn. 177); Schall, ZfPW 2016, 407, 429; a. A.: Jaensch, EWS 2012, 353, 358 m. w. N. 1607 So wohl auch: v. Thunen, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), Beck-OnlineGroßkommentar Zivilrecht, Internationales Personengesellschaftsrecht Rn. 129.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
c) Änderungen durch das MoPeG aa) Registrierte Gesellschaften Die Ansicht, dass ein grenzüberschreitender Formwechsel eines ausländischen Äquivalents zur GbR in eine deutsche Personengesellschaft unzulässig sei, ist jedenfalls für die Zukunft durch das MoPeG überholt. Dieses enthält zwar keine Vorschriften über das auf grenzüberschreitende Formwechsel anwendbare Recht, determiniert dieses aber gleichwohl zumindest mittelbar. § 3 Abs. 1 Nr. 1 UmwGMoPeG nimmt die eGbR in den Kreis der verschmelzungsfähigen Gesellschaften auf. Über die Verweisung des § 191 Abs. 1 Nr. 1 UmwG-MoPeG ist die eGbR damit künftig taugliche Ausgangsrechtsträgerin eines innerstaatlichen Formwechsels.1608 Dies wird mit der durch das Gesellschaftsregister bewerkstelligten Registerpublizität begründet.1609 Ergänzend kann die eGbR nach Inkrafttreten des MoPeG gem. § 191 Abs. 2 Nr. 1 UmwG-MoPeG auch als Zielrechtsträger eines Formwechsels fungieren. Mit dieser Neuordnung des UmwG wird dem maßgeblichen Argument der Gegenauffassung, namentlich die fehlenden Fähigkeit der GbR, bei einem innerstaatlichen Formwechsel als Ausgangsrechtsträger zu fungieren, der Boden entzogen. Zukünftig spricht mithin nichts mehr dagegen, dem ausländischen Pendant einer eGbR einen grenzüberschreitenden Hereinformwechsel nach Deutschland zu ermöglichen. Der Streitstand reduziert sich damit auf die Frage nach der Beteiligungsfähigkeit im Fall eines grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen. bb) Nicht registrierte Gesellschaften Verfehlt wäre es anzunehmen, dass in Zukunft aufgrund von § 191 Abs. 2 Nr. 1 UmwG-MoPeG auch grenzüberschreitende Formwechsel einer nicht registrierten ausländischen GbR in eine deutsche Kapitalgesellschaft zugelassen werden müssen. Zwar sind zukünftig innerstaatlich Formwechsel zwischen einer eGbR und einer Kapitalgesellschaft zulässig. Insoweit besteht die Besonderheit der Registerpublizität dieser Rechtsform, die ihre volle Umwandlungsfähigkeit rechtfertigt. Nicht registrierte GbR kommen nach der neuen Rechtslage nicht als Zielrechtsträger eines innerstaatlichen Formwechsels einer Kapitalgesellschaft in Betracht.1610 Maßgeblich hierfür ist die mangelnde Registerpublizität. Dieses Argument greift auch unter grenzüberschreitendem Bezug. Der versagte Formwechselvorgang kann durch die mit der fehlenden Registerpublizität einhergehenden Schwierigkeiten gerechtfertigt werden.
1608 1609 1610
Dies begrüßend: Heckschen, NZG 2020, 761, 767. MauracherE, S. 190; RefE, S. 309. § 191 Abs. 2 Nr. 1 UmwG-MoPeG.
A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata 313
3. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass Deutschland als Wegzugsstaat den identitätswahrenden statutenwechselnden Wegzug sämtlicher in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fallenden registrierter Gesellschaften zulassen muss. Auch im Falle eines Hineinformwechsels wäre eine Beschränkung der Gestattung dieser Strukturmaßnahme nur für die in § 191 Abs. 1 UmwG genannten Rechtsträger nicht mit dem Charakter der Niederlassungsfreiheit als umfassendes Beschränkungsverbot zu vereinbaren. Ob diese im Einzelfall unter Berufung auf zwingende Allgemeinwohlinteressen versagt werden können, steht auf einem anderen Blatt Papier geschrieben. Für nicht registrierte Gesellschaften kann die Versagung der Umwandlung auf die fehlende Registerpublizität gestützt werden.
V. Anzuwendendes Regelungsregime Die unstreitige Zulässigkeit eines grenzüberschreitenden Formwechsels von Personengesellschaften führt nicht dazu, dass in der Praxis effektiv hierauf zurückgegriffen werden kann. Dies liegt darin begründet, dass für grenzüberschreitende Formwechsel in Deutschland keine Verfahrensvorschriften normiert sind und daher erhebliche Rechtsunsicherheit über die Durchführung einer solchen Umwandlung bestehen. Weder die Rechtsprechung noch die Literatur konnten hier bislang Licht ins Dunkle bringen. Für das anzuwendende Regelungsregime bei grenzüberschreitenden Formwechseln von Personengesellschaften ist danach zu differenzieren, ob der grenzüberschreitende Formwechsel von einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft oder umgekehrt vollzogen wird, oder ob eine Personengesellschaft grenzüberschreitend ihr Rechtsform in eine Personengesellschaftsform mitgliedstaatlicher Provenienz wechselt. Diese Differenzierung ist dem unterschiedlichen Grad der (potentiellen) Betroffenheit der Stakeholder in den genannten Fällen sowie einer mittelbaren Determinierung der Rechtslage durch Unionsrecht, hauptsächlich durch den Äquivalenzgrundsatz, geschuldet. 1. Grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft und vice versa a) Herrschende Meinung Die herrschende Meinung wendet für grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften die Regelungen für innerstaatliche Formwechsel von Personengesellschaften (§§ 190 ff., 214 ff. UmwG) ungeachtet der Ausgangs- und Zielrechtsformen im Wege einer Gesamtanalogie1611 an.1612 Vereinzelt wird in An1611
Zum Begriff: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 383 ff.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
betracht des grenzüberschreitenden Charakters für eine zusätzliche1613 Anwendung der §§ 122a ff. UmwG oder eine zusätzliche Anwendung von Art. 8 SE-VO, §§ 12 – 14 SE-AG1614 plädiert. b) Stellungnahme Die Autoren dürften mit diesem Vorschlag in den meisten Fällen primär den grenzüberschreitenden Wechsel von einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft und umgekehrt in den Blick genommen haben.1615 Für diese Fälle ist bei einem Wegzug aus Deutschland die analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG sowie – abhängig von der konkreten Konstellation – kumulativ der §§ 214 ff. UmwG bzw. §§ 228 ff. UmwG überzeugend. Hier ist kein Grund dafür ersichtlich, grenzüberschreitende Formwechsel gegenüber innerstaatlichen Formwechseln zu privilegieren. Nur die entsprechende Anwendung des UmwG stellt sicher, dass die aus der Strukturverschiedenheit von Kapital- und Personengesellschaften resultierenden Besonderheiten sowie die Stakeholder-Interessen angemessen berücksichtigt werden. Es wird sich jedoch zeigen, dass angesichts der Wesensverschiedenheit von Kapital- und Personengesellschaften eine vollumfängliche analoge Anwendung der Normen nicht angezeigt ist, sondern den schutzwürdigen Stakeholder-Interessens bereits durch ein schlankes Formwechselverfahren gebührend Rechnung getragen wird. Dies gilt aber entsprechend den kollisionsrechtlichen Wertungen der Vereinigungstheorie nur für den Herausformwechsel. Bei einem rechtsformwechselnden Zuzug nach Deutschland muss aus deutscher Perspektive der dem Wegzugsstaat obliegende Schutz der
1612 V. Thunen, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar Zivilrecht, Internationales Personengesellschaftsrecht Rn. 127; Schall, in: Heidel/Schall (Hrsg.), HGB, Anhang Internationales Personengesellschaftsrecht, Rn. 92; Knaier, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 6 Rn. 358 ff; Paefgen, in: Westermann/ Wertenbruch (Hrsg.), Handbuch Personengesellschaften, § 60 Rn. 4990; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 275 f.; Schädler, Die grenzüberschreitende Realsitzverlegung und sonstige grenzüberschreitende Restrukturierungsformen von Handelsgesellschaften im Verhältnis von Deutschland nach Spanien, S. 167 ff. (für den Herausformwechsel); Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 151 f.; ders., Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 408; ders., ZGR 2017, 312, 336, 344 wobei unklar bleibt, ob sich die Ausführungen nur auf einen grenzüberschreitenden Formwechsel von Personen- in Kapitalgesellschaften beziehen, oder auch auf einen grenzüberschreitenden Formwechsel einer Personengesellschaft in eine ausländische Personengesellschaftsform und umgekehrt; wohl auch: Ludwig, Internationales Gesellschaftsrecht der deutschen typengemischten Personengesellschaften, S. 226. 1613 Trautrims, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 188. 1614 Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 230 ff. Stiegler, ZGR 2017, 312, 337 f. erwägt über die analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG hinaus eine Orientierung an Art. 8 SE-VO, lehnt diese aber im Ergebnis ab. 1615 Explizit für diesen Fall für einen analogen Rekurs auf das UmwG: Schnittker/Benecke, FR 2010, 565, 571.
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Stakeholder unterstellt werden. In diesen Fällen gelangen die §§ 190 ff. UmwG nur fragmentarisch zur Anwendung. 2. Grenzüberschreitender Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen Eine unterschiedliche Betrachtung ist bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen angezeigt. Der grenzüberschreitende Formwechsel einer deutschen Personengesellschaft in eine ausländische Personengesellschaft und vice versa findet in Rechtsprechung und Literatur bislang nur wenig Beachtung. Bis zum jüngsten Beschluss des OLG Oldenburg1616 musste man Stellungnahmen hierzu angesichts der geringen Praxisrelevanz mit der Lupe suchen.1617 Unbestritten ist lediglich, dass das Fehlen von dies betreffenden Vorschriften in Ansehung der Niederlassungsfreiheit nicht zu einer Versagung von solchen Umwandlungen führen darf.1618 Die quaestio famosa in diesem Kontext fragt daher nach dem auf grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften anzuwendenden Regelungsregime. Angesichts der des sich ohne formelles Formwechselverfahren vollziehenden innerdeutschen Formwechsels, ist entscheidend, ob dies auch im grenzüberschreitenden Kontext gelten muss. a) Herrschende Meinung Die in der Literatur vorherrschende Meinung hält auch für einen grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen eine analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG für geboten.1619 Auf diese Weise wird ein verbandsformunabhängiges System für sämtliche grenzüberschreitende Formwechsel mit einer Personengesellschaft als Ausgangs- oder Zielrechtsträger ge1616
Hierzu unter: Kap. 5, A, V, 2, c (S. 317 ff.). Hierzu explizit: Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 145a; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 224; Ludwig, Internationales Gesellschaftsrecht der deutschen typengemischten Personengesellschaften, S. 223 ff.; Stiegler, ZGR 2017, 312, 342 f. 1618 Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 399 f.; ders., ZGR 2017, 312, 342 f.; ders., NZG 2020, 979, 980. 1619 So ausdrücklich für diesen Fall: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 276; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 225; Stiegler, NZG 2020, 979, 981; Krafcyzk/ Liebig, GmbHR 2020, 1284, 1288; implizit auch: Wachter, DB 2020, 2281, 2288; Ludwig, Internationales Gesellschaftsrecht der deutschen typengemischten Personengesellschaften, S. 226 erwägt darüber hinaus auch noch eine partielle analoge Anwendung der §§ 122a ff. UmwG sowie von Art. 8 SE-VO und §§ 12 ff. SEAG; für den Fall eines Herausformwechsels einer deutschen Personengesellschaft in eine spanische Personengesellschaft: Schädler, Die grenzüberschreitende Realsitzverlegung und sonstige grenzüberschreitende Restrukturierungsformen von Handelsgesellschaften im Verhältnis von Deutschland nach Spanien, S. 168; sehr zurückhaltend: W.-H. Roth, ZGR 2014 168, 210 f. 1617
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
schaffen. Nur vereinzelt wird die Übertragbarkeit der ipso iure eintretenden innerdeutschen Formwechsel zwischen Personengesellschaften auf den grenzüberschreitenden Kontext explizit angesprochen1620 und abgelehnt.1621 Begründet wird diese Sichtweise mit der erhöhten Rechtssicherheit eines formellen Umwandlungsverfahrens1622 sowie mit dem durch die Anwendung der §§ 190 ff. UmwG gewährleisteten Schutz der Stakeholder.1623 b) Gegenauffassung Nach der Gegenauffassung vollziehen sich grenzüberschreitende Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen ipso iure und damit außerhalb des UmwG sowie ohne formelles Umwandlungsverfahren.1624 In der Begründung unterscheiden sich die Vertreter dieser Auffassung stellenweise. Während zum Teil auf kollisionsrechtliche Grundsätze rekurriert wird,1625 wird an anderer Stelle1626 auf die Parallelen zum innerstaatlichen Formwechsel von Personengesellschaften hingewiesen. Der Hereinformwechsel einer ausländischen Personengesellschaft in eine deutsche Personengesellschaft würde danach aus deutscher Perspektive in verfahrensrechtlicher Hinsicht lediglich eine entsprechende Vereinbarung der Gesellschafter, die erkennbare Unterwerfung unter die Rechtsordnung des Zuzugsstaats, die Erfüllung der unkompliziert einzuhaltenden deutschen Gründungsvoraussetzungen
1620 Im Ergebnis offenlassend: v. Thunen, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), BeckOnline-Großkommentar Zivilrecht, Internationales Personengesellschaftsrecht Rn. 130. 1621 Ludwig, Internationales Gesellschaftsrecht der deutschen typengemischten Personengesellschaften, S. 224; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 225. 1622 Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 225. 1623 Stiegler, NZG 2020, 979, 981. 1624 OLG Oldenburg, Beschl. v. 30. 06. 2020 – 12 W 23/20, BeckRS 2020, 14441 (für den Hereinformwechsel); Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 145a; Walden, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 203; Trautrims, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 188 (nur für den Hereinformwechsel und beim Herausformwechsel umgekehrt für die analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG); Schnittker/Benecke, FR 2010, 565, 570; wohl auch: Süß, in: Herrler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 12 Rn. 117; Jungherr, Sitzverlegung einer offenen Handelsgesellschaft nach England, S. 185 ff.; in diese Richtung auch für den Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaften durch Verwaltungssitzverlegung auf Grundlage der Sitztheorie: W.-H- Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 648 f.; ders., ZGR 2014 168, 201 f. 1625 Süß, in: Herrler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 12 Rn. 117. 1626 Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 145a.
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(z. B. inländischer Vertragssitz1627, Betrieb eines Handelsgewerbes für die OHG und KG) sowie die notwendigen Handelsregistereintragungen1628 voraussetzen.1629 Hinzu kämen etwaige Verfahrensvorschriften des Wegzugsstaats, beispielsweise im Hinblick auf den Stakeholder-Schutz. Spiegelbildlich hierzu müsste eine hinfortziehende deutsche Personengesellschaften im Wesentlichen nur die ausländischen Vorschriften zur Errichtung einer deutschen Personengesellschaft erfüllen. In kollisionsrechtlicher Hinsicht bedarf es in beiden Fällen eines Abstreifens der Verbundenheit zum Inkorporationsstaat sowie einer Erfüllung des kollisionsrechtlichen Anknüpfungspunkts des Zuzugsstaats. Je nach Positionierung im Grundsatzstreit zum geltenden deutschen Kollisionsrecht der Personengesellschaften und abhängig von dem Kollisionsrecht des Zuzugsstaats muss danach entweder der Vertragssitz oder der Verwaltungssitz in den Zuzugsstaat verlegt werden. Eine reine Vertragssitzverlegung und damit eine reine Gesellschaftervereinbarung ist für einen grenzüberschreitenden Formwechsel nur hinreichend, wenn beide Staaten der Gründungstheorie folgen und der Zuzugsstaat sachrechtlich an einen inländischen Vertragssitz anknüpft.1630 c) Entscheidung des OLG Oldenburg für den Hereinformwechsel Jüngst hat sich das OLG Oldenburg zu einem grenzüberschreitenden Hereinformwechsel einer Personengesellschaft nach Deutschland positioniert und einen solchen für zulässig erachtet.1631 Dem Beschluss lag ein grenzüberschreitenden Hereinformwechsel einer dem Recht des der Sitztheorie folgenden Großherzogtums Luxemburg unterstehender Personengesellschaft (Société commandite simple [S. C. S.])1632 in eine deutsche KG unter Hinzutreten einer deutschen KomplementärGmbH zugrunde. Es handelt sich – soweit ersichtlich – um die erste Entscheidung eines deutschen Gerichts zu der Zulässigkeit und dem Verfahren eines grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen. Ihre Bedeutung ist daher von erheblichem Gewicht. An ihr zeigt sich exemplarisch, wie die 1627 Dies gilt jedenfalls nach Inkrafttreten des MoPeG. Folgt man der herrschend vertretenen Auffassung zur lex lata ist sachrechtlich ein inländischer Verwaltungssitz erforderlich, sodass bereits auf dieser Ebene eine Verwaltungssitzverlegung vonnöten ist. 1628 Stets notwendig ist gem. § 107 Abs. 1 HGB die Anmeldung des Sitzes. Darüber hinaus wäre beispielsweise eine (konstitutiv wirkende) Handelsregistereintragung für einen grenzüberschreitenden Formwechsel in eine OHG oder KG notwendig, wenn die formwechselnde Gesellschaft kein Handelsgewerbe in Deutschland betreibt. 1629 Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 145; Trautrims, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 188. 1630 Vgl. hierzu unter: Kap. 4, A, I, 2 (S. 294 f.). 1631 OLG Oldenburg, Beschl. v. 30. 06. 2020 – 12 W 23/20, BeckRS 2020, 14441; besprochen von Stiegler, NZG 2020, 979, 979 ff.; Wachter, DB 2020, 2281, 2283 ff.; Knaier, DNotZ 2021, 153; Zusammenfassung bei Heckschen, GWR 2020, 449, 452; Entscheidungsanmerkung bei Schiller, GWR 2020, 343. 1632 Diese Rechtsform entspricht einer deutschen KG.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
Rechtsprechung in die von den europäischen und deutschen Gesetzgebern integrationsfeindlich, sträflich vernachlässigten Lücken vordringen muss. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Gesellschafter der luxemburgischen S.C.S. hatten beschlossen, ihren Sitz1633 nach Deutschland zu verlegen und ihre Rechtsform identitätswahrend in eine deutsche KG zu wechseln. Im Wegzugsstaat Luxemburg waren alle Wegzugsvoraussetzungen erfüllt. Das im Zuzugsstaat als Handelsregister zuständige Amtsgericht Aurich hatte die Eintragung des grenzüberschreitenden Formwechsels in das Handelsregister in Ermangelung einer gesetzlichen Regelung verweigert.1634 Das Amtsgericht Aurich monierte das Fehlen einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage und sah es als unmöglich an, die unterschiedliche Registerführung in den beiden am grenzüberschreitenden Formwechsel beteiligten Ländern miteinander zu vereinbaren.1635 Nach Anfechtung des Beschlusses durch die Gesellschaft judizierte das Registergericht OLG Oldenburg im Einklang mit der allgemein vertretenen Auffassung hinsichtlich des „Ob“ eines grenzüberschreitenden Formwechsels zwischen zwei Personengesellschaftsformen, dass solche aus deutscher Perspektive grenzüberschreitend innerhalb des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit möglich sein müssen.1636 Das Ergebnis wird argumentativ darauf gestützt, dass Gesellschaften aus Drittstaaten bei Verlegung des Verwaltungssitzes aufgrund der vom OLG Oldenburg angenommenen Geltung der Sitztheorie ebenfalls identitätswahrend in eine deutsche Personengesellschaft umqualifiziert werden („Wechselbalgtheorie“) und ein solcher grenzüberschreitender Formwechsel daher auch für EU-ausländische Gesellschaften möglich sein muss, um eine Ungleichbehandlung zwischen Drittstaatensachverhalten und EU-Sachverhalten zu verhindern.1637 Ob die Sitzverlegung identitätswahrend wirkt, richte sich nach dem Sachrecht des Wegzugsstaates (Luxemburg).1638 Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen ging das OLG Oldenburg im Wege des Freibeweisverfahrens gem. § 26 FamFG aufgrund einer von der formwechselnden Gesellschaft vorgelegten notariellen Bescheinigung aus.1639 Im Hinblick auf das „Wie“ eines grenzüberschreitenden Formwechsels vollzieht sich ein Hereinformwechsel nach Auffassung des OLG Oldenburg ohne nähere Begründung entsprechend den innerstaatlichen Formwechseln von Personengesellschaften nicht in 1633
Da es sich um eine kumulierte Verwaltungs- und Vertragssitzverlegung handelte, konnte die (noch) streitige Frage nach der sachrechtlichen Sitzbestimmung bei Personengesellschaften vom OLG Oldenburg offengelassen werden, Wachter, DB 2020, 2281, 2283 f. 1634 AG Aurich, Beschl. v. 15. 10. 2019 – 13 AR 128/19 (der unveröffentlichte Beschluss liegt dem Verf. vor). 1635 AG Aurich, Beschl. v. 15. 10. 2019 – 13 AR 128/19. 1636 OLG Oldenburg, Beschl. v. 30. 06. 2020 – 12 W 23/20, BeckRS 2020, 14441, Rn. 9. 1637 OLG Oldenburg, Beschl. v. 30. 06. 2020 – 12 W 23/20, BeckRS 2020, 14441, Rn. 9. 1638 OLG Oldenburg, Beschl. v. 30. 06. 2020 – 12 W 23/20, BeckRS 2020, 14441, Rn. 12. 1639 OLG Oldenburg, Beschl. v. 30. 06. 2020 – 12 W 23/20, BeckRS 2020, 14441, Rn. 13.
A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata 319
analoger Anwendung der §§ 190 ff. UmwG, sondern ohne formelles Umwandlungsverfahren nach den allgemeinen Regelungen des HGB.1640 Mit anderen Worten führt nach dieser Ansicht bereits der Wegzugsbeschluss zu einer Metamorphose der Gesellschaft. Die angesprochen Bedenken werden der fehlenden Pflicht zur Führung einer Gesellschafterliste in Luxemburg wurden unter Verweis auf die entsprechende Rechtslage bei (nicht eingetragenen) GbR und OHG verworfen.1641 Die Brisanz dieser Entscheidung liegt nicht in ihrem mit der bisherigen allgemeinen Auffassung korrespondierenden Ergebnis,1642 sondern in der Positionierung zu der Frage nach den hierauf anzuwendenden Vorschriften.1643 d) Entscheidung des Österreichischen Obersten Gerichtshofs Bereits im Jahr 2014 hatte bereits der österreichische OGH ebenfalls über einen Hineinformwechsel einer italienischen Personengesellschaft in eine österreichische Personengesellschaft zu befinden.1644 Es handelte sich um einen rechtsformkongruenten grenzüberschreitenden Formwechsel einer italienischen societá in accomandita semplice (D. S. A. S.)1645 in eine österreichische KG. Die formwechselnde Gesellschaft beschäftigte keine Arbeitnehmer und bekam von dem Unternehmensregister Neapel bescheinigt, dass die Gläubigerinteressen angemessen geschützt seien und dem grenzüberschreitenden Formwechsel keine rechtlich zwingenden Gründe entgegenstünden. Das LG Salzburg lehnte die Eintragung der Gesellschaft in Ermangelung von Vorschriften über grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften ab und verlangte eine Neuerrichtung der Gesellschaft.1646 Im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit argumentierte das Gericht, dass Personengesellschaften im österreichischen Umwandlungsrecht keine tauglichen Ausgangsrechtsträger seien und stellte damit für den Schutz solcher Vorgänge durch die Niederlassungsfreiheit allein auf das Äquivalenzprinzip ab. Das OLG Linz bestätigte
1640
OLG Oldenburg, Beschl. v. 30. 06. 2020 – 12 W 23/20, BeckRS 2020, 14441, Rn. 8. OLG Oldenburg, Beschl. v. 30. 06. 2020 – 12 W 23/20, BeckRS 2020, 14441, Rn. 15. 1642 Insoweit dem Beschluss im Ergebnis zustimmend: Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 145a; Stiegler, NZG 2020, 979, 981; Wachter, DB 2020, 2281, 2283; Knaier, DNotZ 2021, 153; wohl auch: Schiller, GWR 2020, 343. 1643 Dem Ergebnis, nicht aber der Begründung zustimmend: Stiegler, NZG 2020, 979, 981; Wachter, DB 2020, 2281, 2287 ff.; Knaier, DNotZ 2021, 153, 155; Fuchs, EWiR 2020, 679, 680. 1644 OGH Wien Beschl. v. 10. 04. 2014 – 6 Ob 224/13d, BeckRS 2016, 80393; EWiR 2015, 107 f. m. Anm. Stiegler; Volltext abrufbar unter: https://rdb.manz.at/document/ris.just.JJT_2014 0410_OGH0002_0060OB00224_13D0000_000; zuletzt abgerufen am 15. 02. 2022; hierzu: Stingl, Gesamtrechtsnachfolge im Gesellschaftsrecht, S. 130 ff.; Varro/Würrer, RdW 2014, 553, 554 ff. 1645 Vergleichbar einer deutschen KG; zu dieser Rechtsform: Agstner, in: Fleischer (Hrsg.), Personengesellschaften im Rechtsvergleich, § 5 Rn. 20 ff. 1646 LG Salzburg, Beschl. v. 27. 08. 2013, GZ 24 Fr 5075/13d-2. 1641
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
diese Entscheidung.1647 Auch die Revision beim OGH Österreich blieb erfolglos. Maßgeblich für die Unzulässigkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels war, dass die Gesellschaft die österreichischen Errichtungsvoraussetzungen, insbesondere einen inländischen Verwaltungssitz, nicht erfüllte.1648 Die schutzwürdigen Interessen von Gesellschaftern, Gläubigern und Arbeitnehmern wurden vom OGH ebenso wenig wie eine mögliche analoge Anwendung der nationalen Umwandlungsvorschriften angesprochen. Auch die personengesellschaftsrechtlichen Besonderheiten haben keine Berücksichtigung gefunden. Es ist nicht erkennbar, dass der OGH den angestrebten formlosen grenzüberschreitenden Formwechsel im Falle der Erfüllung der Errichtungsvoraussetzungen versagt hätte. Aufgrund dessen taugt die Entscheidung nur wenig, um die anzuwendenden Verfahrensschritte für einen grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen zu extrahieren. e) Stellungnahme zum Hereinformwechsel aa) Allgemeine Positionierung Dem OLG Oldenburg und der Mindermeinung ist im Ergebnis für den Fall eines Hereinformwechsels unter Berücksichtigung des Äquivalenzprinzips zuzustimmen.1649 Die herrschende Meinung konzentriert sich mit ihrer Fokussierung auf die §§ 190 ff., 214 ff. UmwG vornehmlich auf die Fälle eines grenzüberschreitenden Formwechsels zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften und lässt in Missachtung des Äquivalenzprinzips die Möglichkeit von kraft Gesetzes eintretenden Formwechseln zwischen zwei Personengesellschaftsformen außer Betracht. Die Gegenauffassung besticht vor allem durch Verfahrenseffizienz und Kostengünstigkeit. Gleichzeitig vermittelt sie für die Beteiligten ein hohes Maß an Rechtssicherheit, sofern die Eintragung im Zuzugsstaat konstitutiv wirkt. Soweit die Entscheidung des OLG Oldenburg für den Hereinformwechsel kritisiert wird, bleibt unklar, welche Verfahrensschritte diese Stimmen genau zur Anwendung bringen wollen.1650 Ungewiss ist, ob in Ermangelung einer verbindlich auszustellenden Vorabbescheinigung gefordert wird, dass auch das deutsche Handelsregister die Einhaltung sämtlicher Verfahrensschritte analog §§ 190 ff. UmwG prüft. Möglich erscheint auch, dass sich die Kritik sich angesichts der nicht auf 1647
OLG Linz, Beschl. v. 21. 10. 2013, GZ 6 R 156/13y-5. OGH Wien Beschl. v. 10. 04. 2014 – 6 Ob 224/13d, Rn. 7.1 ff. 1649 Vgl. bereits: Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 145a; kritisch zu diesem Beschluss hingegen Stiegler, NZG 2020, 979, 981, der auch für den Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen die §§ 190 ff. UmwG analog anwenden möchte; ebenso: Fuchs, EWiR 2020, 679, 680; ebenfalls einen grenzüberschreitenden Formwechsel ohne formelles Umwandlungsverfahren ablehnend: Wachter, DB 2020, 2281, 2287. 1650 Ausdrücklich hierzu positioniert sich – soweit ersichtlich – nur Zwirlein-Forschner, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen), die ohne nähere Begründung für eine analoge Anwendung der §§ 191 Abs. 2 Nr. 2, 228 UmwG plädiert. 1648
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grenzüberschreitende Hereinformwechsel beschränkenden Aussagen des OLG Oldenburg auf den umgekehrten Fall eines Herausformwechsels einer deutschen Personengesellschaft in eine ausländische Personengesellschaft bezieht. Einiges deutet hierauf hin.1651 Ersteres liefe nicht nur auf eine primärrechtlich bedenkliche doppelte Prüfung sowie eine Verdopplung der Verfahrensvorgaben hinaus, sondern würde auch die Vorgaben der anerkannten Vereinigungstheorie missachten, welche das Prüfungsprogramm des Zuzugsstaats im Wesentlichen auf die Begutachtung der Gründungsvoraussetzungen beschränkt.1652 In vielen Fällen könnte die analoge Anwendung der deutschrechtlichen Normen ihren Zweck auch nicht mehr erfüllen. Beispielsweise macht die (erneute) Erstellung eines Plans und eines Berichts nach der bereits im Wegzugsstaat getätigten Beschlussfassung keinen Sinn mehr, da der hiermit intendierte Schutz durch Information nicht mehr verwirklicht werden kann.1653 Im Übrigen wäre beispielsweise ein notariell beurkundeter Umwandlungsbeschluss1654 bei Formwechseln zwischen zwei Personengesellschaften ein Fremdkörper im deutschen Recht. Soweit vorgebracht wird, dass der von der Mindermeinung propagierte grenzüberschreitende Formwechsel nach den allgemeinen HGB-Vorschriften den Schutz der Stakeholder außer Betracht lässt,1655 ist zu entgegnen, dass der Schutz der berechtigten Interessen von Gesellschaftern, Gläubigern und Arbeitnehmern kollisionsrechtlich dem Wegzugsstaats – in dem vom OLG Oldenburg entschiedenen Fall mithin Luxemburg – obliegt. Stellt dieser ein Dokument aus, dass die Erfüllung der Erfordernisse des Wegzugsstaates bestätigt, ist diesem nach dem Diktum des EuGH „gebührend Rechnung zu tragen“.1656 Die Grundsätze der Äquivalenz- und Effektivität stehen einer inhaltlichen Überprüfung dieser Unterlagen in der Regel1657 entgegen.1658 Dasselbe gilt für die Missachtung dieser Unterlagen.1659 Aufgrund der in Luxemburg erteilten notariellen Bescheinigung, die die Einhaltung der luxemburgischen Formwechselvoraussetzungen bestätigte, konnte der Stakeholder-Schutz 1651
Vgl. Knaier, DNotZ 2021, 153, 157, der beigibt, dass ein formelles Umwandlungsverfahren im Wegzugsstaat durchgeführt worden ist. 1652 Vgl. für Kapitalgesellschaften die nunmehr explizite Regelung in Art. 86o Abs. 1 UAbs. 2 GesR-RL. 1653 Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 340 f. 1654 Vgl. § 193 Abs. 3 S. 1 UmwG. 1655 Wachter, DB 2020, 2281, 2288; vgl. Luy, BWNotZ 2020, 11, 13, der im kapitalgesellschaftsrechtlichen Kontext grenzüberschreitende Umwandlungen ohne drittschützende Verfahrensvorschriften als solche in „Wildwest-Manier“ klassifiziert. 1656 EuGH, Urt. v. 12. 7. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 Rn. 61. 1657 Auf die Zulässigkeit im Ausnahmefall hinweisend: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 288; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481, 1490; Verse, ZEuP 2013, 459, 490. 1658 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 288; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481, 1490; Verse, ZEuP 2013, 490; Seibold, ZIP 2017, 456, 459. 1659 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 287; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481, 1489 f.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
als gewahrt angesehen werden.1660 Im Unterschied zu der gesetzlich geregelten1661 Hereinverschmelzung auf eine deutsche Personengesellschaft bestehen angesichts des rein gesellschaftsinternen Charakters des grenzüberschreitenden Formwechsels auch keine Gesellschafter oder Gläubiger einer deutschen Gesellschaft, die eines Schutzes durch den Zuzugsstaat bedürften.1662 Die Wahrung der den Zuzugsstaat betreffenden schutzwürdigen Belangen der Neugläubiger wird durch die inländische Geschäftsanschrift gewährleistet. Knaier weist angesichts der in concreto von luxemburgischer Seite ausgestellten Bescheinigung sowie der von sämtlichen vertretungsberechtigten Gesellschaftern vorgenommenen Anmeldung zur Eintragung in das deutsche Handelsregister zurecht darauf hin, dass die von deutscher Seite zu statuierenden Vorgaben erreicht wären.1663 Im Einklang damit wird hinsichtlich der bis zur Umsetzung der Mobilitäts-RL geltenden Rechtslage für grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften für eine unterschiedliche Behandlung von Herein- und Herausformwechseln plädiert1664 und nur in letzteren Fällen eine umfassende analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG für geboten erachtet.1665 Diese Auffassung trägt der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie Rechnung, auch wenn dies dazu führt, dass grenzüberschreitende Formwechsel nach Deutschland hinein ermöglicht werden, die aufgrund strengerer Vorschriften aus Deutschland heraus nicht möglich wären.1666 Auch im Übrigen überzeugt die Ansicht des OLG Oldenburg. Im Vergleich zu grenzüberschreitenden Formwechseln in eine Kapitalgesellschaft bedarf es angesichts der Ähnlichkeit der Entstehungstatbestände von Personengesellschaften in Europa1667 keiner aufwendigen Errichtungsprüfung durch den Zuzugsstaat. In der Regel werden hier –vergleichbar mit der Errichtung einer OHG – nur ein Gesell1660
Rn. 13. 1661
Vgl. OLG Oldenburg, Beschl. v. 30. 06. 2020 – 12 W 23/20, BeckRS 2020, 14441,
§ 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG. Zur herabgesetzten Schutzbedürftigkeit solcher Stakeholder aufgrund des Fortbestehens „ihrer“ Gesellschaft: Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 73. 1663 Knaier, DNotZ 2021, 153, 157. 1664 Zur Behandlung von Hereinformwechseln: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 271 ff.; Verse, ZEuP 2013, 458, 491; differenzierend: Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 340 ff.; für Personengesellschaften: Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 236 ff. 1665 Dagegen auch bei Hereinformwechseln eine eingehende analoge Anwendung des Umwandlungsrechts propagierend: OLG Nürnberg, Beschl. v. 13. 2. 2012 – 12 W 2361/11, NZG 2012, 468, 471; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481, 1488; Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2056 f. 1666 Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 237. 1667 Schall, in: Heidel/Schall (Hrsg.), HGB, Anhang Internationales Personengesellschaftsrecht, Rn. 74. 1662
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schaftsvertrag sowie eine Eintragung im Register des Zuzugsstaats vonnöten sein. Man mag sich zwar mit der Prüfung etwaiger ausländischer Verfahrensschritte oder der partiellen Anwendung der für innerstaatliche Formwechsel vorgesehenen Regelungen behelfen, sofern der Wegzugsstaat eine Prüfung unterlässt oder die Belange der Stakeholder außer Betracht lässt. Eine solche Konstellation stand hier nicht in Frage. Eine generelle analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG würde die bereits vorgenommenen Verfahrensschritte im Ausland in Frage stellen und damit die Umwandlungsmaßnahme erschweren. Sie könnte auch den Unterschieden von Kapital- und Personengesellschaften nicht vollumfänglich Rechnung tragen können, da diese Normen nicht für den Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen konzipiert sind, sondern Formwechsel im Blick haben, bei denen eine Kapitalgesellschaft als Ausgangs- oder Zielrechtsträger fungiert. Jedenfalls eine pauschale Anwendung der §§ 190 ff. UmwG kann aus diesen Gründen überzeugen, sondern es bedürfte einer sorgfältigen Auswahl der anzuwendenden Normen. Gegen den Vollzug eines grenzüberschreitenden Formwechsels zwischen Personengesellschaften nach den allgemeinen Vorschriften des Handelsrechts wird zuletzt vorgebracht, dass ein Verfahren außerhalb des UmwG mit einem erheblichen Maß an Rechtsunsicherheit verbunden sei und diese Auffassung damit für Personengesellschaften im Vergleich zu einer analogen Anwendung der §§ 190 ff. UmwG nachteilig sei.1668 Dies lässt jedoch außer Betracht, dass auch über die analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG keine Klarheit besteht und diese somit keinen Gewinn an Rechtssicherheit, aber einen Verlust an Verfahrenseffizienz bringen würde. Ein Rekurs auf die §§ 190 ff. UmwG würde damit grenzüberschreitende Formwechsel unzulässig gegenüber ihren innerstaatlichen Pendants diskriminieren. bb) Rekurs auf die „Wechselbalgtheorie“? Nicht vollends zu überzeugen vermag die Argumentation des OLG Oldenburg,1669 soweit die Grundsätze der für Drittstaaten-Kapitalgesellschaften, die ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegen, entwickelten „Wechselbalgtheorie“ unbesehen auf Personengesellschaften übertragen werden.1670 Der Rekurs auf die „Wechselbalgtheorie“ wurde im Wesentlichen mit einer ansonsten drohenden Un-
1668 Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 225. 1669 Auf Basis der hier vertretenen Gründungstheorie stellt sich diese Frage nicht, da unter diese kein Statutenwechsel ipso iure eingetreten wäre. 1670 Ebenfalls ablehnend: Stiegler, NZG 2020, 979, 981; Wachter, DB 2020, 2281, 2284 f.; Schall, in: Heidel/Schall (Hrsg.), HGB, Anhang Internationales Personengesellschaftsrecht, Rn. 91 tauft einen durch die „Wechselbalgtheorie“ bedingten grenzüberschreitenden Formwechsel als „wilden Formwechsel“.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
gleichbehandlung von mitgliedstaatlichen Gesellschaften mit Drittstaaten-Gesellschaften begründet.1671 Dieser Begründung dürfte vor dem Hintergrund der anerkannten Geltung der „Wechselbalgtheorie“ für hinzuziehende Drittstaaten-Personengesellschaften1672 ein argumentum a minore ad maius zugrunde liegen: Wenn schon (nicht niederlassungsberechtigte) Drittstaatengesellschaften durch Verwaltungssitzverlegung nach Deutschland einen (identitätswahrenden) Statutenwechsel erfahren, dann müsse das erst recht für niederlassungsberechtigte Gesellschaften gelten.1673 Darüber hinaus dürfte ein weiterer Erst-Recht-Schluss bemüht worden sein: Wenn schon ausländische Kapitalgesellschaften bei einer (Verwaltungs-)Sitzverlegung in eine deutsche Personengesellschaft umqualifiziert werden, dann müsse das a fortiori für die Verwaltungssitzverlegung einer Personengesellschaft gelten.1674 Auch ein dritter Erst-Recht-Schluss könnte eine Rolle gespielt haben: Wenn ein grenzüberschreitender Formwechsel ipso iure möglich ist, dann muss ein solcher erst Recht – wie in dem vom OLG Oldenburg entschiedenen Fall – gewillkürt möglich sein. Die Umqualifizierung einer ausländischen Personengesellschaft in eine deutsche Personengesellschaft auf Grundlage der Geltung der Sitztheorie im Wegzugs1675 ist weitgehend anerkannt, wenn man für Deutschland die Sitztheorie für maßgeblich erachtet.1676 Jedoch können weder die Gleichsetzung mit einem grenzüberschreitenden Formwechsel noch der Rekurs auf Drittstaatensachverhalte verfangen. Zwar ist die Interessenslage mit einer Verwaltungssitzverlegung einer Drittstaatengesellschaft nach Deutschland insoweit vergleichbar, als dass in beiden Fällen die deutsche Rechtsordnung angesichts der fehlenden Anerkennung der ausländischen Gesellschaft als solche vor dem Dilemma steht, die hinzuziehende Gesellschaft 1671
OLG Oldenburg, Beschl. v. 30. 06. 2020 – 12 W 23/20, BeckRS 2020, 14441, Rn. 9; in diese Richtung auch: V. Thunen, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), Beck-OnlineGroßkommentar Zivilrecht, Internationales Personengesellschaftsrecht Rn. 130. 1672 Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 393; ders., ZGR 2017, 312, 330; W.-H. Roth, ZGR 2014 168, 201 f. 1673 Dies bringt v. Thunen, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), Beck-OnlineGroßkommentar Zivilrecht, Internationales Personengesellschaftsrecht Rn. 129 f. vor, lässt aber im Ergebnis offen, ob sich ein grenzüberschreitender Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen formlos oder nach den §§ 190 ff. UmwG vollzieht. 1674 Für einen solchen Erst-recht-Schluss: Walden, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 201. 1675 Gilt im Wegzugsstaat die Gründungstheorie, besteht sie trotz Verwaltungssitzverlegung nach dessen Recht fort, sodass Deutschland diese innerhalb der EU als solche anerkennen muss und die Verwaltungssitzverlegung damit rechtsformwahrend wirkt: Knaier, in: Limmer (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 6 Rn. 364. 1676 Schall, in: Heidel/Schall (Hrsg.), HGB, Anhang Internationales Personengesellschaftsrecht, Rn. 75, 91; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 393; Ludwig, Internationales Gesellschaftsrecht der deutschen typengemischten Personengesellschaften, S. 223 ff.; W.-H. Roth, ZGR 2014, 168, 201 f.; zu primärrechtlichen Bedenken hinsichtlich dieser Umqualifizierung: Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 393 ff.
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entweder als rechtlich inexistent1677 oder eben – so die „Wechselbalgtheorie“ – als deutsche Personengesellschaft zu behandeln. Es gibt aber bereits keine Pflicht zur Gleichbehandlung von Drittstaatensachverhalten und solchen, die sich innerhalb der EU abspielen. Fraglich ist zudem, ob im vorliegenden Fall ein grenzüberschreitender Formwechsel in eine KG unter Beibehaltung der luxemburgischen Komplementär-Kapitalgesellschaft im Wege einer Umqualifizierung möglich war. Dies hängt von dem OLG Oldenburg nicht angesprochenen Umstand ab, ob die Komplementärin ebenfalls ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt hat oder nicht. Wäre – wovon auszugehen ist –1678 ersteres der Fall, müsste es sich um eine (deutsche) Personengesellschaft & Co. KG handeln. Im umgekehrten Fall einer Sitzverlegung der KG ohne Sitzverlegung der Komplementärin drängt sich angesichts der unzulässigen Eintragung eines ausländischen sachrechtlichen Sitzes unweigerlich die Frage nach der Lokalisierung desselben nach dem grenzüberschreitenden Formwechsel auf. Jedenfalls lässt sich mit diesem Modell nur schwer der vom OLG Oldenburg angenommene Eintritt der deutschen GmbH als Komplementärin zum Zeitpunkt des grenzüberschreitenden Formwechsels der Personengesellschaft erklären. Darüber hinaus wäre der Statutenwechsel – wenn auch mit einer OHG als Zielrechtsform – bereits mit der Verlegung des Verwaltungssitzes vollzogen gewesen und es hätte für den Statutenwechsel keiner Eintragung mehr bedurft. Dies steht auch im Widerspruch zu dem hinsichtlich der Eintragung im Handelsregister aufschiebend bedingt gefassten Formwechselbeschlusses, da dieser auf einen kraft Gesetzes eintretenden Formwechsel keinen Einfluss hat. Im Übrigen verbietet sich eine Gleichsetzung von identitätswahrendem Statutenwechsel und grenzüberschreitendem Formwechsel, auch wenn die Rechtsfolge 1677 Dies entsprach der vor der durch den BGH etablierten „Wechselbalgtheorie“ herrschenden Meinung: OLG München, Urt. v. 31. 10. 1994 – 26 U 2596/94, NJW-RR 1995, 703, 704. 1678 Besteht der alleinige Gesellschaftszweck der Komplementär-Gesellschaft darin, als Komplementärin die Geschäfte der luxemburgischen KG zu führen, führt eine Herausverlegung des Verwaltungssitzes der Komplementär-Gesellschaft zu einer koinzidenten Verlegung des Verwaltungssitzes der KG, Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 486 m. w. N. Für den hier in Frage stehenden umgekehrten Fall dürfte es im Umkehrschluss wenig Erklärungen geben, wieso die KG ihren Verwaltungssitz relokalisiert hat, die luxemburgische KomplementärGesellschaft ihren Verwaltungssitz aber weiterhin in Luxemburg hat. Die vom OLG Oldenburg angesprochenen Indizien (geringe Kapitalbeteiligung der Komplementär-Gesellschaft sowie ihre alleinige Komplementärstellung) deuten jedenfalls darauf hin, dass der Sitz der KG und ihrer einzigen Komplementärin identisch sind, weswegen letztere ihren Verwaltungssitz nicht ohne Verwaltungssitzverlegung ihrer Komplementärin verlegen könnte. Bei einer gleichlaufenden Sitzbestimmung von KG und ihrer Komplementärin verbietet sich daher bei Annahme eines ipso iure eintretenden Formwechsels eine isolierte Betrachtung der KG. Zur gewöhnlichen Kongruenz von Sitz der KG und ihrer alleinigen Komplementärin: Schall, in: Heidel/ Schall (Hrsg.), HGB, Anhang Internationales Personengesellschaftsrecht, Rn. 103; Ludwig, Internationales Gesellschaftsrecht der deutschen typengemischten Personengesellschaften, S. 292 m. w. N.; Teichmann, ZGR 2014, 220, 229; Mülsch/Nohlen, ZIP 2008, 1358, 1359.
326
Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
(Statutenwechsel) sich – je nach Kollisionsrecht der beteiligten Rechtsordnungen –1679 deckt.1680 Wenn diese Vorgänge nicht gleichzusetzen sind, kann nicht im Wege eines Erst-Recht-Schlusses von dem einen1681 auf das andere1682 geschlossen werden. Während ersterer regelmäßig kraft Gesetzes und ohne Willen der Gesellschafter stattfindet,1683 vollzieht sich ein grenzüberschreitender Formwechsel gewillkürt1684 und wird nicht bereits ipso iure wirksam. Aufgrund dessen führt die statutenwechselnde Verwaltungssitzverlegung zu Rechtsunsicherheit und bedingt häufig ein „juristisches Doppelleben“1685 der Gesellschaft, bis diese im Wegzugsstaat gelöscht ist.1686 Damit der Statutenwechsel identitätswahrend wirkt, bedarf es zusätzlich einer Überleitungsnorm.1687 Ein kollisionsrechtlicher Statutenwechsel muss daher stets durch materielle Regelungen flankiert werden. Die „Wechselbalgtheorie“ ist ohnehin nur eine für die Verwaltungssitzverlegung von Drittstaaten-Kapitalgesellschaften nach Deutschland entwickelte Behelfslösung, die eine Reihe schwieriger Rechtsfragen aufwirft.1688 Nur bei einem identitätswahrenden Statutenwechsel, nicht aber bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel darf der Zuzugsstaat das Abstreifen der inländischen Gesellschaftsform mit Auflösung und Liquidation sanktionieren.1689 Zwar können auch innerdeutsche Formwechsel zwischen Personengesellschaften kraft Gesetzes eintreten. Hier greifen aber die der „Wechselbalgtheorie“ zugrundeliegenden Schutzzweck-
1679 Bei einer identitätswahrenden Statutenverlegung kann es im Gegensatz zum grenzüberschreitenden Formwechsel zu einer Statutenverdopplung kommen. Dies ist der Fall, wenn der Wegzugsstaat der Gründungstheorie anhängt und der Zuzugsstaat der Sitztheorie folgt. So auch für den vom OLG Oldenburg entschiedenen Fall: Stiegler, NZG 2020, 979, 981. 1680 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 219 ff.; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 404; vgl. auch Stiegler, NZG 2020, 979, 981; zur Inhaltsgleichheit zwischen „Statutenwechsel“ und „grenzüberschreitendem Formwechsel“: Thölke, in: Leible/ Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 1 Rn. 129. 1681 Vulgo: Zulässigkeit der statutenwechselnden Verwaltungssitzverlegung aus einem Drittstaat. 1682 Vulgo: Zulässigkeit eines formlosen grenzüberschreitenden Formwechsels von Personengesellschaften innerhalb der EU. 1683 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 220 f. 1684 Bippus, Personengesellschaften und Strukturänderungen, S. 693. 1685 Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338, 341. 1686 Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338, 341. 1687 Thölke, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 1 Rn 129. 1688 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 212; zu den durch die „Wechselbalgtheorie“ aufgeworfenen praktischen Schwierigkeiten: Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338, 341. 1689 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 220.
A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata 327
erwägungen zugunsten der Gläubiger nur sehr eingeschränkt, da die Haftungsverfassung hiervon weitgehend unberührt bleibt. Das gesellschaftsrechtlich identische Ergebnis dieser Vorgänge (deutsche Personengesellschaft) und die damit verbundene Zulässigkeit „wilder“ grenzüberschreitender Formwechsel auf Grundlage der Sitztheorie belegt einmal mehr die Notwendigkeit einer Harmonisierung des Kollisionsrechts auf Grundlage der Gründungstheorie.1690 Zu beachten ist zuletzt, dass die „Wechselbalgtheorie“ nicht allein zur Begründung eines grenzüberschreitenden Formwechsels herangezogen werden kann. Im vorliegenden Fall bestand die Besonderheit, dass sowohl Wegzugsstaat als auch im Zuzugsstaat1691 die Sitztheorie gilt. In diesem Fall kommt es ohne weiteres zu einem Statutenwechsel. Komplizierter wäre es, wenn im Wegzugsstaat die Gründungstheorie Anwendung fände. Angesichts der europarechtlich gebotenen Geltung der Gründungstheorie für Zuzugsfälle ist hier eine Verwaltungssitzverlegung sowohl rechtsformwahrend als auch rechtsformwechselnd denkbar. Insoweit kommt es – entsprechend der Rechtslage für Kapitalgesellschaften – auf die entsprechende Absicht der Gesellschaft an. Mithin würde in diesem Fall eine Begründung allein über die „Wechselbalgtheorie“ an ihre Grenzen stoßen. cc) Praktische Folgen Zu klären ist lediglich, ob der grenzüberschreitende Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen ipso iure eintritt oder ob es einer konstitutiven Eintragung bedarf. In dem vom OLG Oldenburg entschiedenen Fall stellte sich diese Frage nicht, da die Gesellschafter den Wegzugsbeschluss unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung in das deutsche Handelsregister fassten.1692 Für eine ipso iure eintretende Rechtsformänderung spricht der Vergleich zum innerstaatlichen Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen. Im Hinblick auf grenzüberschreitende Formwechsel muss das Spezifikum berücksichtigt werden, dass Deutschland Beschränkungen zum Schutz der potentiellen Neugläubiger erlassen darf. Diese sind nur durch eine Eintragung der neuen Rechtsform in das Handelsregister informiert. Nur so wird auch eine Prüfung der Errichtungsvoraussetzungen ermöglicht, auch wenn diese bei Personengesellschaften von untergeordneter Bedeutung ist. Hiermit kann die mit der konstitutiv wirkenden Eintragung ins Handelsregister einhergehende (angesichts der dennoch formlosen Verfahrens nur geringe) Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt werden. Ohnehin dürfte die damit vermittelte Rechtssicherheit auch im Interesse der formwechselnden 1690
Hierzu unter: Kap. 6, D (S. 376 ff.). Für den Zuzugsstaat (Deutschland) ist das jedoch streitig und nach hier vertretener Auffassung zu bestreiten; hierzu unter: Kap. 5, A, I, 2 (S. 288 ff.). Jedoch ist das OLG Oldenburg von der Geltung der Sitztheorie ausgegangen. 1692 OLG Oldenburg, Beschl. v. 30. 06. 2020 – 12 W 23/20, BeckRS 2020, 14441, Rn. 11. 1691
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
Gesellschaft liegen. Diese kann kein Interesse daran haben, einem Interimszeitraum, in dem sie nicht weiß, welche Rechtsform sie tatsächlich führt, ausgesetzt zu sein. dd) Auswirkungen des MoPeG: Analoge Anwendung der Vorschriften zum Statutenwechsel? Für die Rechtslage nach Inkrafttreten des MoPeG ist zu erwägen, bei Hereinformwechseln einer registrierten ausländischen Personengesellschaft in eine registrierte deutsche Personengesellschaft eine Durchführung des neu durch das MoPeG zu schaffenden Statuswechselverfahrens1693 zu fordern.1694 Das Statuswechselverfahren ist zukünftig für eingetragene Gesellschaften bei einem Wechsel zwischen dem Gesellschafts- und Handelsregister obligatorisch. Die Einführung des Statutenwechsels trägt dem durch die Schaffung des Gesellschaftsregister erzeugte Bedürfnis, Wechsel zwischen den verschiedenen Registern nachzuvollziehen, Rechnung.1695 Auf diese Weise können missliche Doppeleintragungen vermieden werden.1696 Das Statuswechselverfahren besteht – in Ähnlichkeit zu den §§ 190 ff. UmwG –aus einer Anmeldung beim Ausgangsregister1697 das die Eintragungsvoraussetzungen prüft und bei positivem Ergebnis einen Statutenwechsel einträgt1698. Anschließend trägt das Zielregister die Gesellschaft bei Vorliegen der Voraussetzungen des Statuswechselverfahrens gem. § 707c Abs. 3 S. 1 BGB-MoPeG in das neue Register ein und setzt das Ausgangsregister hiervon gem. § 707c Abs. 4 S. 2 BGB-MoPeG in Kenntnis.1699 In Abhängigkeit von den tatsächlichen Gegebenheiten entfaltet der Statuswechsel deklaratorische oder konstitutive Wirkung.1700 Diese Vorschriften erscheinen auch für das registerrechtliche Nachvollziehen eines grenzüberschreitenden Formwechseln zwischen zwei eingetragenen Personengesellschaftsformen cum grano solis angemessen. Im grenzüberschreitenden Kontext besteht ohnehin ein Bedürfnis nach Verfahrenskoordinierung, sodass durch die analoge Anwendung dieser Regelungen keine erheblichen Belastungen und zudem auch keine im innerstaatlichen Kontext nicht bestehenden Belastungen sta1693
Vgl. § 707c BGB-MoPeG, §§ 106 Abs. 3 – 5, 107 Abs. 2, 3 HGB-MoPeG. Zum neuen Statuswechsel nach dem MoPeG: Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 34a ff.; K. Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 32 f.; M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569 ff. 1695 Begründung Regierungsentwurf, BT-Drs. 19/27635, S. 136. 1696 Begründung Regierungsentwurf, BT-Drs. 19/27635, S. 137. 1697 § 707c Abs. 1 BGB-MoPeG, § 106 Abs. 3 HGB-MoPeG. 1698 § 707c Abs. 2 S. 1 BGB-MoPeG. 1699 Ausführlich zum Verfahren eines Statuswechsels: M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569, 572 ff. 1700 Deklaratorische Wirkung entfaltet die Eintragung beispielsweise, wenn eine eGbR bereits ein Handelsgewerbe betreibt und damit bereits materiell zu einer OHG erstarkt ist, während der Statutenwechsel konstitutiv wirkt, wenn die eGbR kleingewerblich tätig ist und daher materiell gem. § 105 Abs. 2 S. 1 HGB erst durch Eintragung im Handelsregister zur OHG wird, Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 34b; M. Noack/Göbel, GmbHR 2021, 569, 572. 1694
A. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege lata 329
tuiert würden. Darüber ist eine (nahezu) zeitliche Parallelität zwischen Löschung im Ausgangsregister und Eintragung im Zuzugsregister auch im Interesse der formwechselnden Gesellschaft, um unschöne Doppeleintragungen sowie ein zeitweises registerrechtliches „Verschwinden“ der Gesellschaft zu vermeiden. In der Sache ergeben sich keine signifikanten Abweichung zu der sekundärrechtlich vorgegebenen Verfahrenskoordination bei grenzüberschreitenden Formwechseln von Kapitalgesellschaften.1701 Im Ergebnis ist nach Inkrafttreten des MoPeG eine analoge Anwendung der neuen Regelungen über das Statuswechselverfahren für grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen zwei eingetragenen Personengesellschaftsformen angezeigt. Die Kommunikation zwischen den Registern funktioniert – wie für grenzüberschreitende Formwechseln von Kapitalgesellschaften –1702 über das Business Register Interconnection System (BRIS). f) Stellungnahme zum Herausformwechsel Unklar ist, ob diese Grundsätze auch für den nicht vom OLG Oldenburg entschiedenen Fall eines grenzüberschreitenden Herausformwechsels deutscher Personengesellschaften in eine ausländische Personengesellschaftsform gelten. Die Lektüre des Beschlusses des OLG Oldenburg entpuppt sich für die deutlich relevantere Frage des anzuwendenden Verfahrens bei einem Herausformwechsels einer Personengesellschaft als wenig aufschlussreich. Auch im Übrigen gibt es für diesen Fall (noch) keine einschlägige Rechtsprechung. aa) Allgemeine Positionierung Ausgangspunkt der Überlegung einer abweichenden Beurteilung im Vergleich zum Hereinformwechsel ist, dass Deutschland (nur) im Falle des Herausformwechsels kollisionsrechtlich zum Schutz der berechtigten Stakeholder-Interessen berufen ist. Für die geltende Rechtslage bei grenzüberschreitenden Herausformwechseln von Kapitalgesellschaften wird herrschend eine analoge Anwendung der stakeholderschützenden Vorschriften propagiert.1703 Fraglich ist daher, ob schutzwürdige Interessen einem grenzüberschreitenden Formwechsel ohne formellen Voraussetzungen entgegenstehen respektive mobilitätsbeschränkende Maßnahmen rechtfertigen können. Hier verdient besondere Berücksichtigung, dass auch innerstaatlich für Formwechsel zwischen Personengesellschaften keine Vorschriften zum Schutz der Stakeholder existieren. Um grenzüberschreitende Formwechsel nicht gegenüber innerdeutschen Formwechseln zu benachteiligen (Äquivalenzprinzip), müssen die Gefahren für diese Gruppen spezifisch aus dem grenzüberschreitenden 1701
Vgl. Art. 86p Abs. 2, 3 GesR-RL. Art. 86p Abs. 3 GesR-RL. 1703 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 236 ff.; Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 252 ff. 1702
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
Kontext erwachsen.1704 Solche Gefahren betreffen vornehmlich die potentiell erschwerte Forderungsdurchsetzung im Zuzugsstaat (Altgläubiger) sowie die mit der Änderung des Gesellschaftsstatuts potentiell erschwerte Wahrnehmung von Gesellschafterrechten (Minderheitsgesellschafter). Insoweit gebietet die Niederlassungsfreiheit entsprechende nationale Schutzvorschriften nicht,1705 eröffnet solchen aber die Möglichkeit der Rechtfertigung. Beim Herausformwechsel ist im Hinblick auf die Gläubiger- und Gesellschafterinteressen für eine vorsichtige analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG zu plädieren. In Anbetracht der nicht aus dem Umwandlungsrecht entspringenden Schutzinstrumente besteht nur in einem sehr engen Maße Raum für die analoge Anwendung des UmwG. Diese Vorschriften sind nicht hinreichend passgenau, da sie nicht auf Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen zugeschnitten sind. Dies belegt – so viel sei vorweggenommen – die Notwendigkeit der Schaffung von entsprechenden Vorschriften. Ausreichend ist nach geltender Rechtslage daher ein schlankesres Formwechselverfahren. bb) Anzuwendende Vorschriften Für die konkrete Ausgestaltung der anzuwendenden Normen erscheint einstweilen eine analoge Anwendung von Art. 8 Abs. 16 SE-VO angezeigt, um eine Perpetuierung des Gerichtsstands im Wegzugsstaats zu erreichen. Dieser verliert seine Relevanz, soweit die Gesellschafter weiterhin im Wegzugsstaat wohnen und dort verklagt werden können. Gleichzeitig sollte eine Nachhaftung der ausscheidenden Gesellschafter analog §§ 128, 160 HGB statuiert werden.1706 Darüber ist die Anordnung einer Nachhaftung entsprechend § 224 UmwG für den Fall, dass die Gesellschafter nach dem neuen Gesellschaftsstatut den Gläubigern die Einrede der Vorausklage entgegenhalten können, überzeugend. Für die Fälle, in denen die Gesellschafter nach dem neuen Gesellschaftsstatut den Gläubigern – im Unterschied zum alten Recht – die Einrede der Vorausklage entgegenhalten können, bedarf es keiner Nachhaftung. Diese Fälle lassen sich über den Anspruch auf Barabfindung auffangen. Für die dissentierenden Gesellschafter erscheint ein Austrittsrecht gegen Barabfindung angemessen, wenn gesellschaftsvertraglich die Möglichkeit eines Formwechselbeschlusses durch Mehrheitsentscheidung vorgesehen ist. Diese Mehrheitsklauseln müssen zudem durch die Stimmrechtsquoren des UmwG modifiziert werden. Zu nennen sind insbesondere den für den Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft geltenden § 217 Abs. 1 S. 3 UmwG nach dem die 1704 So auch für grenzüberschreitende Verschmelzungen: Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 91. 1705 In diese Richtung im Hinblick auf den Gläubigerschutz: Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 1. Entsprechende Verpflichtungen können sich aber aus dem Verfassungsrecht ergeben, vgl. im Hinblick auf den Gläubigerschutz unter Verweis auf Art. 14 GG: Petersen, Gläubigerschutz im Umwandlungsrecht, S. 4. 1706 So zur grenzüberschreitenden Anwachsung: Hoger/Lieder, ZHR 180 (2016), 613, 647 f.
B. Grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften de lege ferenda 331
Mehrheit mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen betragen muss. Eine einstimmige Entscheidung, wie sie für den Formwechsel einer Kapital- in eine Personengesellschaft vonnöten ist (§ 233 Abs. 1 UmwG), erscheint nicht angezeigt, da im Falle eines grenzüberschreitenden Formwechsels zwischen zwei Personengesellschaftsformen nicht die Gefahr einer erstmaligen persönlichen Gesellschafterhaftung droht. 3. Fazit zur lex lata Für sämtliche hier diskutierten Fälle besteht in Ermangelung positivrechtlicher Vorgaben keine Klarheit über das anzuwendende Verfahren. Nach hier vertretener Auffassung muss sorgfältig zwischen Heraus- und Hereinformwechsel sowie nach Art von Ausgangs- und Zielrechtsform unterschieden werden. Die Regelungsabstinenz kann für grenzüberschreitende Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft und vice versa durch die analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG überwunden werden. Im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Formwechsel von Personengesellschaften ist für den Herausformwechsel ebenfalls eine – wenn auch nicht umfassende – analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG angezeigt. Im Hinblick auf Hereinformwechsel ist Deutschland nicht zum Stakeholder-Schutz berufen und muss diese bei Vorliegen entsprechender Bescheinigungen des Wegzugsstaats zulassen. Das Fehlen von Verfahrensvorschriften sowie die dargestellte Uneinigkeit über das anzuwendende Verfahren bedingt für die betroffenen Gesellschaften ein beträchtliches Maß an Rechtsunsicherheit. Ein grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften ist daher de lege lata zwar möglich; die geltende Rechtslage mit ihrer stiefmütterlichen Behandlung dieses Themenkomplexes und den dadurch evozierten praktischen Schwierigkeiten wird den praktischen Bedürfnissen der Gesellschaften nicht gerecht. Dies gilt in gleichem Maße für die Stakeholder, die sich der Absicherung ihrer schutzwürdigen Interessen nicht sicher sein können.
B. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften de lege ferenda: Überschießende Umsetzung der Mobilitäts-RL auf Personengesellschaften? Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften zwar in der Theorie möglich sind, in der Praxis jedoch analog zur geltenden Rechtslage bei Kapitalgesellschaften nur sehr schwer zu überwindende Hindernisse bestehen. Insoweit verwundert es auf den ersten Blick, dass der Europäische Gesetzgeber die Mobilitäts-RL auf Kapitalgesellschaften begrenzt hat. Auf den zweiten Blick ist dies aber angesichts der regelmäßigen Be-
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
schränkung der Harmonisierungsbestrebungen auf Kapitalgesellschaften wenig überraschend.1707 In der Literatur wird weit verbreitet und mit Nachdruck gefordert, den Anwendungsbereich der Mobilitäts-RL im Wege einer überschießenden Umsetzung auf Personengesellschaften zu erstrecken.1708 Dieser Vorschlag zielt nicht auf eine kollisionsrechtliche Lösung ab, sondern insistiert auf eine materiellrechtliche Auflösung der Mobilitätshemmnisse. Ziel dieses Kapitels ist, hierzu Stellung zu nehmen und die Regelungen der Mobilitäts-RL auf ihre Übertragbarkeit auf grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften zu überprüfen.
I. Rechtspolitische Diskussion: Überschießende Umsetzung auf Kapitalgesellschaften 1. Grundlagen einer überschießenden Umsetzung Bei einer überschießenden Richtlinienumsetzung bezieht der nationale Gesetzgeber solche Sachverhalte in das nationale Umsetzungsgesetz ein, die von der Richtlinie nicht erfasst werden.1709 Voraussetzung ist, dass die ergänzten Maßnahmen, die mit der Richtlinie verfolgten Ziele fördern.1710 Die Gestaltungsspielräume für die Mitgliedsstaaten hängen maßgeblich davon ab, ob die Richtlinie eine Mindest- oder Vollharmonisierung bezweckt. Das im Hinblick auf eine überschießende Umsetzung betroffene Ziel der Mobilitäts-RL ist die Förderung der Binnenmarktmobilität durch Schaffung eines einheitlichen, Rechtssicherheit vermittelnden Rechtsrahmens. Vor dem Hintergrund, dass auch grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften dem Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit unterfallen und die fehlende Erstreckung auf diese Gesellschaftsform allein mit prakti1707
Fleischer, in: Fleischer (Hrsg.), Personengesellschaften im Rechtsvergleich, § 1 Rn. 4. Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 302; Lieder/Bialluch, NJW 2019, 805, 810; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 302; dies., ZIP 2019, 353, 354; Wicke, DStR 2018, 2642, 2643; Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 04. 07. 2018, S. 28; J. Schmidt, EuZW 2019, 801, 802; dies., DK 2018, 283, 285; dies., EuZW 2019, 801, 802; Brandi, BB 2018, 2626, 2630; Stiegler, NZG 2020, 979, 980; Wachter, DB 2020, 2281, 2285; Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 504; Engelhardt/Klaaßen-Kaiser, Beilage zu DB 51 – 52/2019, 31, 32; zurückhaltend: Luy, NJW 2019, 1905, 1909. 1709 Gebauer, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Europäisches Zivilrecht, Teil 3 Rn. 41 f.; Habersack, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, Band 1, Einleitung C. Rn. 94; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und. Kapitalmarktrecht, § 3 Rn. 63; Habersack/Mayer, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 14 Rn. 1; jüngst im Zusammenhang mit der überschießenden Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie: Habersack, ZHR 186 (2022), 1, 2. 1710 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 288 AEUV Rn. 131. 1708
B. Grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften de lege ferenda 333
schen Schwierigkeiten begründet wird,1711 kann der mindestharmonisierende Charakter der Mobilitäts-RL im Hinblick auf die erfassten Gesellschaftsformen nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Der Beschränkung des Anwendungsbereichs liegt keine bewusste Entscheidung gegen den grenzüberschreitenden Formwechsel auf Personengesellschaften zugrunde. Der Umsetzungsgesetzgeber würde sich mit einer überschießenden Umsetzung auch nicht in Widerspruch zu dem System oder der Teleologie der GesR-RL setzen. Demzufolge entfaltet der Anwendungsbereich der Mobilitäts-RL keine Sperrwirkung. Aufgrund dessen wäre eine überschießende Umsetzung des Anwendungsbereichs der Mobilitäts-RL auf Personengesellschaften europarechtlich nicht zu beanstanden. 2. Grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften ohne überschießende Umsetzung Um die Zweckmäßigkeit einer überschießenden Umsetzung auf Personengesellschaften beurteilen zu können, ist es in einem ersten Schritt erforderlich, sich die Folgen einer unveränderten Übernahme des Anwendungsbereichs der Mobilitäts-RL für die grenzüberschreitende Bewegungsfreiheit von Personengesellschaften vor Augen zu führen. a) Abstinenz von Verfahrensvorschriften als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit Grenzüberschreitende Formwechsel wären für Personengesellschaften in diesem Fall auch künftig allein auf Grundlage des europäischen Primärrechts möglich und somit auf unabsehbare Zeit mangels ausdrücklicher materiellrechtlicher Grundlage mit einem erheblichen Maß an Rechtsunsicherheit behaftet.1712 Dieser, die grenzüberschreitende Mobilität paralysierende, Zustand kann ohne weiteres als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit qualifiziert werden,1713 da der Weg eines grenzüberschreitenden Formwechsels Personengesellschaften weiterhin faktisch versperrt bliebe. Die sich hieraus ergebenden Implikationen sind hingegen unklar. Der Europäischen Gesetzgeber ist an das Gebot der primärrechtskonformen Ausgestaltung des Sekundärrechts gebunden.1714 Die Frage nach der Primärrechtskonformität des Anwendungsbereichs der Mobilitäts-RL und daran anschließend des Anwen1711
Hierzu unter: Kap. 5, B, I, 3, a (S. 339 f.). Bader/Börner/Kühnle, in: Kindler/Lieder (Hrsg.), Corporate Law, Art. 86a Rn. 5. 1713 So auch vor Inkrafttreten der Mobilitäts-RL für die Regelungsabstinenz hinsichtlich grenzüberschreitender Formwechsel von Kapitalgesellschaften: W.-H. Roth, in: Krieger/Lutter/ K. Schmidt, Festschrift für Michael Hoffmann-Becking zum 70. Geburtstag, 965, 979; Verse, ZEuP 2013, 458, 480, 495; Teichmann, DB 2012, 2085, 2091; offenlassend: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 333 f. 1714 Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 24 Rn. 23. 1712
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
dungsbereichs der noch zu entwickelnden nationalen Vorschriften zum grenzüberschreitenden Formwechsel stellt sich nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Konflikts zwischen den primärrechtlichen Vorgaben und den anhaltenden Hürden für grenzüberschreitende Mobilität von Personengesellschaften, sondern auch unter dem Aspekt der Gleichbehandlung von Kapital- und Personengesellschaften. Die Außerachtlassung von Personengesellschaften vom Anwendungsbereich der Mobilitäts-RL ist als ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot qualifiziert worden.1715 Die Niederlassungsfreiheit enthält ein gegenüber dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV vorrangigen spezielles Diskriminierungsverbot,1716 das die Gleichbehandlung von inländischen und EU-ausländischen Gesellschaften anordnet.1717 Bei einer weiten Auslegung dieses Diskriminierungsverbots könnte man an dem Anwendungsbereich der Mobilitäts-RL bzw. den entsprechenden nationalen Umsetzungsvorschriften die Ungleichbehandlung von inländischen Kapital- mit ausländischen Personengesellschaften zum Vorwurf machen. Diese kann indessen bereits im Ansatz nicht verfangen, da die rechtlichen Unsicherheiten nationale und EU-ausländische Gesellschaften unterschiedslos betreffen. Was die durch den Europäischen Gesetzgeber vorgenommene Begrenzung der Harmonisierungsbestrebungen auf Kapitalgesellschaften angeht, verlangt die Niederlassungsfreiheit keine strikt formale Gleichbehandlung sämtlicher Verbandsformen.1718 Es ist vielmehr geboten, den Besonderheiten der Gesellschaftsformen Rechnung zu tragen, sodass ungleiches nicht gleich behandelt werden muss. Mithin verstößt die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Mobilitäts-RL auf Kapitalgesellschaften nicht gegen das in der Niederlassungsfreiheit enthaltene Diskriminierungsverbot. Gleichwohl bleibt festzustellen, dass die lex lata in einem Widerspruch zu der EuGH-Rechtsprechung steht, die die Differenzierung zwischen Kapital- und Personengesellschaften nicht kennt und auch für letztere die tatsächliche Möglichkeit der Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel postuliert. Zu weit gehen daher die Stimmen, die eine an die Mitgliedstaaten adressierte primärrechtliche Pflicht zur Normierung von Verfahrensvorschriften für grenzüberschreitende Formwechsel propagieren.1719 Als normativer Anknüpfungspunkt 1715 Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 20. 06. 2017, S. 28; implizit auch: Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 286. 1716 EuGH, Urt. vom 11. 03. 2010, Attanasio Group, C/384/08, ECLI:EU:C:2010:133, Rn. 137; Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 18 AEUV Rn. 14; Epiney, in: Callies/ Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 18 AEUV Rn. 3 ff. 1717 Vgl. EuGH, Urt. vom 5. 11. 2002, Überseering, C/208/00, ECLI:EU:C:2002:632, Rn. 78 ff.; Tiedje, in: v. der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 49 AEUV Rn. 73; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 41 f.; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, Rn. 4.30. 1718 Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht Rn. 14. 1719 Vgl. Wasmeier, Grenzüberschreitende Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften durch Sitzverlegung und formwechselnde Umwandlung, S. 144; W.-H. Roth, in: Krieger/ Lutter/K. Schmidt, Festschrift für Michael Hoffmann-Becking zum 70. Geburtstag, 965, 979; Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398, 1401; Teichmann, DB 2012, 2085, 2091.
B. Grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften de lege ferenda 335
wird Art. 4 Abs. 3 EUV genannt.1720 Dieser verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Kooperation im horizontalen und vertikalen Verhältnis und kann sogar konkrete Handlungspflichten begründen.1721 Zwar spricht für eine Pflicht zur Positivierung grenzüberschreitender Formwechsel, dass in Ermangelung von sekundärrechtlichen Regelungen nur so grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften effektiv ermöglicht werden. Die Ableitung konkreter Rechtssetzungspflichten aus den allgemeinen Loyalitätspflichten des Art. 4 Abs. 3 EUV schießt aber über das Ziel hinaus. Auf die konkreten (potentiellen) Rechtssetzungspflichten bezogen, kommt hinzu, dass der Europäische Gesetzgeber selbst auf eine Einbeziehung von Personengesellschaften in den Anwendungsbereich der Mobilitäts-RL verzichtet hat. Es wäre widersprüchlich, den Mitgliedstaaten bei einem Verzicht auf eine überschießende Umsetzung ein illoyales Verhalten gegenüber Organen der Europäischen Union vorzuwerfen. Dies gilt umso mehr, als dass die Schaffung von Regelungen für grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften nach Deutschland hinein bzw. aus Deutschland heraus noch keine Rechtsunsicherheit zu schaffen vermag, da in vielen Fällen weiterhin Unklarheit über die anzuwendenden Vorschriften der anderen Rechtsordnung sowie das Zusammenwirken der Register bestünde.1722 Als Ausfluss dessen ist eine unveränderte Übernahme des Anwendungsbereichs der Mobilitäts-RL in nationales Recht unionsrechtlich nicht zu monieren. b) Möglichkeit eines „Kettenformwechsels“ Mittelbar profitieren auch Personengesellschaften von der Mobilitäts-RL, indem ihnen zukünftig die Möglichkeit eines „Kettenformwechsels“1723 offenstehen wird. Hierbei wandelt sich eine deutsche Personengesellschaft in einem ersten Schritt innerstaatlich in eine Kapitalgesellschaft um. Sodann erfolgt ein grenzüberschreitender Formwechsel in eine ausländische Kapitalgesellschaft unter Zuhilfenahme des durch die Mobilitäts-RL harmonisierten Rechtsrahmens. Falls die Zielrechtsform eine ausländische Personengesellschaft ist, folgt im letzten Schritt nach dem Recht des Zuzugsstaats ein innerstaatlicher Formwechsel in die gewünschte Rechtsform.1724 Realisierbar ist auch der spiegelverkehrte Fall eines „Kettenformwechsels“ nach Deutschland hinein. Die Aneinanderreihung mehrerer Formwechsel ist unstreitig zulässig, führt allerdings zu einer sachlich nicht zu rechtfertigen Verdopplung bzw. Verdreifachung 1720 W.-H. Roth, in: Krieger/Lutter/K. Schmidt, Festschrift für Michael Hoffmann-Becking zum 70. Geburtstag, 965, 979; Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398, 1401. 1721 Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 31 ff. 1722 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 334; Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 288. 1723 Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 286; ders., GmbH-StB 2018, 317, 318. 1724 Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 286; vgl. Varro/Würrer, RdW 2014, 553 zum zwischengeschalteten Einsatz einer SE.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
der Transaktionskosten, sodass umwandlungswilligen Personengesellschaften hiermit nur bedingt geholfen ist. Dies gilt umso mehr, als dass Personengesellschaften bereits heute funktional vergleichbar zu dem „Kettenformwechsel“ unter Zuhilfenahme eines Zweischritts von innerstaatlichem Formwechsel und grenzüberschreitender Anwachsung das Ergebnis eines grenzüberschreitenden Formwechsels erreichen können.1725 c) Analoge Anwendung der (zukünftigen) nationalen Vorschriften für grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften Fraglich ist, ob diese Befunde für Personengesellschaften durch die Umsetzung der Mobilitäts-RL unangetastet bleiben, oder die anstehende Umsetzung der Mobilitäts-RL für Kapitalgesellschaften sachrechtliche Implikationen für den grenzüberschreitenden Formwechsel von Personengesellschaften hervorruft. Für den Fall eines grenzüberschreitenden Formwechsels, in dem eine Personengesellschaft als Ausgangs- oder Zielrechtsträger fungiert, ist eine analoge Anwendung der noch zu schaffenden nationalen Regelungen über grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften zu erwägen.1726 Dabei kommt nur eine analoge Anwendung der für Kapitalgesellschaften umgesetzten Regelungen, nicht jedoch der Richtlinie selbst1727 in Betracht.1728 Diese Diskussion verläuft parallel zu der – inzwischen durch das 4. UmwGÄndG1729 für den Hereinformwechsel erledigten – Diskussion um die analoge Anwendung der § 122a ff. UmwG auf grenzüberschreitende Verschmelzungen von Personengesellschaften.1730 Eine solche analoge Anwendung kann sich auf sämtliche Vorschriften für grenzüberschreitende Formwechsel (Gesamtanalogie) oder nur einen Teil hiervon beziehen. Voraussetzungen für die analoge Anwendung einer Norm sind eine planwidrige Regelungslücke sowie eine vergleichbare rechtliche Interessenslage.1731 Eine Regelungslücke für den grenzüberschreitenden 1725
Vgl. Hoger/Lieder, ZHR 180 (2016), 613, 616. Dies erwägend: Schulte, GmbHR 2020, 139, 146; Diese Möglichkeit hat aber auch Nachteile im Vergleich zu einem grenzüberschreitenden Formwechsel. So kann beispielsweise der Nachweis des Rechtsübergangs auf den Alleingesellschafter der vormaligen Gesellschaft schwer nachzuweisen sein, da dieser in Ermangelung einer Eintragung in das Register nicht mit der erforderlichen Rechtssicherheit erkennbar ist; hierzu: Lieder/Bialluch, NJW 2017, 209, 214. Heckschen, GWR 2020, 449, 453. 1727 Die Voraussetzungen einer ausnahmsweisen unmittelbaren Anwendung der Richtlinie (hierzu: Langenbucher, in: Langenbucher (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 1 Rn. 61 ff. sind in Ermangelung eines Umsetzungsdefizits nicht erfüllt. 1728 Unpräzise von einer „analogen Anwendung der Art. 86 a ff. der Richtlinie“ sprechend dagegen Schulte, GmbHR 2020, 139, 144. 1729 Viertes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes (4. UmwGÄndG) v. 19. 12. 2018, BGBl I, S. 2694 f. 1730 Zu dieser Diskussion beispielsweise Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 767 m. w. N. 1731 Grundlegend zur Analogiebildung: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 381 ff.; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 102, 106 ff. 1726
B. Grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften de lege ferenda 337
Formwechsel von Personengesellschaften bestünde fraglos. Bezüglich der Planwidrigkeit ist nicht auf den Willen des Unionsgesetzgebers abzustellen, sondern auf den Umsetzungsgesetzgeber, da eine analoge Anwendung der zukünftigen deutschrechtlichen Regelungen und nicht solcher der Mobilitäts-RL streitgegenständlich ist. aa) Gesamtanalogie Den Gesetzgebungsmaterialien zur Mobilitäts-RL lässt sich nicht entnehmen, dass grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften nicht möglich sein sollen.1732 Gegen die Möglichkeit einer Gesamtanalogie spricht aber, dass eine Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Personengesellschaften in der Literatur kontrovers diskutiert wird.1733 Es ist demzufolge davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit Umsetzung der Mobilitäts-RL zumindest implizit Stellung zu dieser Thematik nehmen wird. Ist dies der Fall, handelt es sich bei der Ausklammerung von Personengesellschaften von der Rechtsschaffung um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers. Diese fehlende Planwidrigkeit der Regelungslücke steht einer umfassenden analogen Anwendung der Regelungen für grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften auf Personengesellschaften entgegen.1734 Damit korrespondierend wird die analoge Anwendung der §§ 122a ff. UmwG auf grenzüberschreitende Verschmelzungen von Personengesellschaften abgelehnt.1735 In der Sache erscheint eine generelle analoge Anwendung des neu zu schaffenden Regelungsregimes für grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften ohnehin nicht angezeigt, da diese die personengesellschaftsrechtlichen Besonderheiten nicht berücksichtigen.1736 bb) Einzelfallanalogie Als Mittelweg ist im Rahmen einer europarechtskonformen richterlichen Rechtsfortbildung eine neben die bislang praktizierte analoge Anwendbarkeit der §§ 190 ff. UmwG tretende partielle analoge Anwendbarkeit der neuen Regelungen 1732
So auch: Schulte, GmbHR 2020, 139, 144. Vgl. hierzu die Nachweise in Fn. 1708. 1734 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 503 f.; Zwirlein-Forschner, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen); im Ergebnis auch Wachter, DB 2020, 2281, 2285; vgl. zur identischen Diskussion zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen von Personengesellschaften: Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 767. 1735 Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 111; jedenfalls gegen eine umfassende analoge Anwendung: Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 767; a. A.: Bungert/Schneider, in: Hutter/Baums (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Michael Gruson, 37, 40 f. 1736 Vgl. zur identischen Diskussion zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen von Personengesellschaften: Schall, in: Heidel/Schall (Hrsg.), HGB, Anhang Internationales Personengesellschaftsrecht, Rn. 90; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 767. 1733
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
über grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften denkbar.1737 Für eine Analogiebildung kommen konkret diejenigen Vorschriften infrage, die den Besonderheiten des grenzüberschreitenden Formwechsels Rechnung tragen, nicht aber die auf Kapitalgesellschaften zugeschnittenen Vorschriften.1738 Dies wäre für jede einzelne Norm gesondert zu ermitteln. Eine partielle analoge Anwendbarkeit der neuen Regelungen könnte die grenzüberschreitenden Charakteristika berücksichtigen und grenzüberschreitende Formwechsel für Personengesellschaften im Sinne des effet utile möglicherweise spürbar erleichtern.1739 Durch die kumulierte Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften für grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften wäre sichergestellt, dass es nicht durch die Anwendung von auf Kapitalgesellschaften zugeschnittenen Normen auf Personengesellschaften zu Friktionen kommt. Für diesen Vorschlag streitet, dass der bislang praktizierte Rekurs auf allein die §§ 190 ff. UmwG grenzüberschreitende Formwechsel vielfach praktisch unmöglich macht und den Vorgaben des EuGH zur effektiven Ermöglichung solcher Umwandlungen nicht gerecht wird. In der Konsequenz kann die vorgeschlagene Analogiebildung als Aufhebung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit begriffen werden.1740 Methodologisch wäre diese Lösung in Ermangelung einer planwidrigen Regelungslücke dem Vorwurf der Umgehung der Analogievoraussetzungen ausgesetzt. Diese Entgegnung wird indessen durch die nur partielle entsprechende Anwendung der Normen weitgehend nivelliert.1741 In rechtspraktischer Hinsicht wäre angesichts der bekannten hitzigen Diskussion um die analoge Anwendbarkeit der §§ 190 ff. UmwG auf grenzüberschreitende Formwechsel nicht gewährleistet, dass sämtliche Register diese Lösung bevorzugen. Es erscheint überwiegend wahrscheinlich, dass sich keine einheitliche Auffassung herauskristallisieren würde, ob und wenn ja, welche konkreten Normen der Spezialregelungen für grenzüberschreitender Formwechsel von Kapitalgesellschaften analog angewandt werden können und sollen. Das Gelingen eines grenzüberschreitenden Formwechsels wäre folglich – wie bisher auch – von der Rechtsauffassung des zuständigen Registers abhängig. Auch das Zusammenwirken mit dem ausländischen Register wäre weiterhin ungeklärt. 1737 In diese Richtung scheinbar Winter, in: Schmitt/Hörtnagl (Hrsg.), UmwG/UmwStG, § 191 UmwG Rn. 41. 1738 Vgl. zur analogen Anwendbarkeit der Regelungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen auf Personengesellschaften Simon/Rubner, DK 2006, 835, 842 f. 1739 Vgl. Hoffmann, in: Leible/Reichert/Brandes (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 6, § 53 Rn. 118 zur analogen Anwendung der auf Kapitalgesellschaften begrenzten Regelungen über grenzüberschreitende Verschmelzungen auf Personengesellschaften. 1740 Vor Inkrafttreten der Mobilitäts-RL ist das gänzliche Fehlen von (innerstaatlichen) Rechtsvorschriften für grenzüberschreitende Formwechsel als eine unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit qualifiziert worden. Hierzu unter: Kap. 5, B, I, 2, a (S. 333 ff.). 1741 Vgl. zur identischen Diskussion zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen von Personengesellschaften: Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 767.
B. Grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften de lege ferenda 339
Zusammenfassend betrachtet stellen Einzelanalogien keine Lösung dar, die dem Bedürfnis von Personengesellschaften nach Rechtssicherheit Rechnung trägt und grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften effektiv ermöglicht. Die partielle analoge Anwendbarkeit der zukünftigen Regelungen für grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften stellt nur eine Hilfskonstruktion für den Fall, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie nicht überschießend auf Personengesellschaften erstreckt wird, dar und verspricht keine signifikante Verbesserung der rechtspraktischen Schwierigkeiten. 3. Stellungnahme zur überschießenden Umsetzung Dieser Befund legt eine überschießende Umsetzung der Mobilitäts-RL auf Personengesellschaften nahe. Diese gilt es im Folgenden zu erörtern. a) Hintergrund der Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Kapitalgesellschaften An europäischen Harmonisierungsbestrebungen partizipieren vornehmlich Kapitalgesellschaften, zuweilen nur Aktiengesellschaften1742.1743 Personengesellschaften werden im Sekundärrecht nur punktuell erfasst.1744 Die Beschränkung des Anwendungsbereichs von Richtlinien auf Kapitalgesellschaften wird seit jeher maßgeblich mit drei Argumenten gerechtfertigt. Zum einen besäßen nur Kapitalgesellschaften in sämtlichen Mitgliedsstaaten Rechtspersönlichkeit und nur die Regelungen für Kapitalgesellschaften seien in einem ausreichenden Maße harmonisiert.1745 Für die mitgliedstaatlichen Regelungen im Personengesellschaftsrecht wird eine größere Diversität ausgemacht.1746 Zum anderen wird vorgebracht, dass für 1742
Zu den Gründen hierfür: Krause, EuZW 2003, 747, 749. Hierzu: Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 208 f.; Kalss/ Klampfl, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, E. III. Rn. 11, 17; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 1 Rn. 14; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gemeinschaftsrecht, S. 208 f. 1744 Stiegler, ZGR 2017, 312, 326 f.; Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 41 spricht insoweit von einem „Gesellschaftsrecht der zwei Geschwindigkeiten“. 1745 Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, S. 340; v. Bismarck, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften in Europa, S. 218; Di Marco, ZGR 1999, 3, 7.; zur fehlenden Harmonisierung des Personengesellschaftsrechts: Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 14; Merkt, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 311, 323 f. („nahezu weißer Flecken“); Blaurock, ZEuP 1998, 460, 472 ff.; Kalss, EuZW 2015, 252, 253; kritisch auch: Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 290. 1746 Kalss/Klampfl, in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, E. III. Rn. 14; v. Bismarck, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften in Europa, S. 217 f.; Kalss, EuZW 2015, 252, 253. 1743
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
Kapitalgesellschaft im Vergleich zu Personengesellschaften ein ungleich größeres Bedürfnis nach grenzüberschreitender Mobilität bestehe,1747 da Personengesellschaften deutlich seltener und mit geringeren Transaktionsvolumina grenzüberschreitend tätig seien.1748 Zuletzt wird zwischen den mitgliedstaatlichen Kapitalgesellschaften eine Typengleichheit der mitgliedstaatlichen Kapitalgesellschaften konstatiert, während die Regelungen für Personengesellschaften heterogen seien.1749 Im Einklang mit dieser Sichtweise wurde die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Mobilitäts-RL auf Kapitalgesellschaften damit begründet, dass eine Mehrheit von ca. 80 % der europäischen Gesellschaften Kapitalgesellschaften seien.1750 Offenbar sah die Kommission kein ebenso starkes Bedürfnis von Personengesellschaften nach einer Harmonisierung des Umwandlungsrechts. Dies wird durch den Verweis auf die mehrheitliche Nutzung grenzüberschreitender Verschmelzung von Kapitalgesellschaften bestätigt.1751Außerdem würden die Vorschriften des Europäischen Gesellschafts- und Bilanzrechts nur für Kapitalgesellschaften gelten, was zu Inkohärenzen führen könne.1752 b) Eigene Auffassung Die Begrenzung des Anwendungsbereichs auf Kapitalgesellschaften überzeugt nicht und ist in der Literatur zurecht auf erheblichen Widerstand gestoßen.1753 Dies 1747
Neye, ZGR 1999, 13, 14. Vgl. Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 32 Rn. 40; v. Bismarck, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften in Europa, S. 218. 1749 v. Bismarck, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften in Europa, S. 218; Priester, ZGR 1999, 36, 37; Wiesner, EuZW 1998, 619, 621. 1750 Vgl. COM (2018) 241 final, S. 1, 22; vgl. Commission Staff Working Document, Impact Assessment SWD (2018) 141 final, S. 5. 1751 COM (2018) 241 final, S. 22 unter Berufung auf Commission Staff Working Document, Impact Assessment SWD (2018) 141 final, S. 54. 1752 COM (2018) 241 final, S. 22; Commission Staff Working Document, Impact Assessment SWD (2018) 141 final, S. 54. 1753 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 176; Habersack, ZHR 2018, 495, 503; Lieder/Bialluch, NJW 2019, 805, 809 f.; Brandi, BB 2018, 2626, 2630; Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 286; Bernard, D.A.O.R. 2018 – 3, n8127, 5, 12; Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 354 f.; Stelmaszczyk, ZIP 2020, 61, 62 f.; Bayer/J. Schmidt, BB 2018, 2562, 2572; dies., BB 2019, 1922, 1926; Butterstein, EuZW 2018, 838, 841 f.; J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 230; dies., DK 2018, 273, 285; dies., ECL 2019, 13, 13; dies., ZEuP 2020, 565, 566; dies., in: García/Fernández Amor/Górriz López (Hrsg.), Regulación de la actividad económia en el ámbito internacional y libertad de establecimiento, 5, 12; dies., EuZW 2019, 801, 802; dies., BB 3/2020, I („Die Erste Seite“); Heckschen, GWR 2020, 87, 92; ders., GWR 2020, 449, 453; ders./Nolting, BB 2020, 2256, 2264; Mörsdorf, 2019, 141, 143; Stiegler, NZG 2020, 979, 980; Bungert/Becker, DB 2019, 1609, 1609; Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094, 2104; Luy, NJW 2019, 1905, 1909; Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 04. 07. 2018, S. 28; Paefgen, WM 2018, 1029, 1036; Wachter, GmbH-StB 2018, 317, 332; Engelhardt/Klaaßen-Kaiser, 1748
B. Grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften de lege ferenda 341
gilt in dreierlei Hinsicht. Erstens besteht auch für Personengesellschaften ein praktisches Bedürfnis nach rechtssicher durchführbarer grenzüberschreitender Mobilität. Zweitens stärkt Rechtssicherheit den Stakeholder-Schutz. Schließlich sind drittens keine einleuchtenden Gründe für die Differenzierung zwischen Kapitalund Personengesellschaften ersichtlich. aa) Praktisches Bedürfnis nach grenzüberschreitender Mobilität Kleine und mittlere Unternehmen nehmen in Europa eine herausragende Stellung ein.1754 In Deutschland ist die Mehrheit der kleinen und mittleren Unternehmen als Personengesellschaften – beispielsweise als GmbH & Co. KG – organisiert.1755 Im Jahr 2019 waren nach Daten des Statistischen Bundesamtes 439.374 Personengesellschaften umsatzsteuerpflichtig (Voranmeldung).1756 Im Vergleich dazu gingen 607.364 Voranmeldungen auf Kapitalgesellschaften zurück.1757 Große Unternehmen sind hingegen in der Regel1758 als Kapitalgesellschaften organisiert. Von der Beschränkung des Anwendungsbereichs ist damit in Deutschland insbesondere der Mittelstand betroffen.1759 Hiermit korrespondierend sind Personengesellschaften in weiteren mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen von besonderer Bedeutung, auch wenn der für Deutschland getroffene Befund nicht unbesehen auf die gesamte Eu-
Beilage zu DB 51 – 52/2019, 31, 32; Wicke, DStR 2018, 2642, 2643; Kraft, BB 2019, 1864, 1865; Suchan/Albrecht, WPg 2019, 1181, 1183; IDW, Stellungnahme v. 27. 08. 2018, S. 1 f.; Schall, ZIP 2020, 1443, 1449; Frazzani/Angelici/Hoffmann/Medici/Sciaudone, PE 608.833, S. 30; de Raet/v. Rummel, DAS 2/2020, 3, 5; wohl auch: Petanidis, Die grenzüberschreitende Umstrukturierung von Gesellschaften, S. 466; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 302; Hopt, in: Handelsblatt v. 20. 11. 2018 (Nr. 224), S. 10; Heckschen/Strnad, Notar 2019, 406; Kraft, BB 2019, 1864, 1865; Wachter, DB 2020, 2281, 2285. 1754 Ebke, ZVglRWiss 104 (2005), 1, 3. 1755 Vgl. v. Bismarck, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften in Europa, S. 217; Wachter, GmbH-StB 2018, 283, 286. 1756 Statistisches Bundesamt, Umsatzsteuerstatistik (Voranmeldungen); Steuerpflichtige und deren Lieferungen und Leistungen nach der Rechtsform; abrufbar unter: https://www.desta tis.de/DE/Themen/Staat/Steuern/Umsatzsteuer/Tabellen/voranmeldungen-rechtsformen.html; zuletzt abgerufen am 15. 02. 2022. 1757 Statistisches Bundesamt, Umsatzsteuerstatistik (Voranmeldungen); Steuerpflichtige und deren Lieferungen und Leistungen nach der Rechtsform; abrufbar unter: https://www.desta tis.de/DE/Themen/Staat/Steuern/Umsatzsteuer/Tabellen/voranmeldungen-rechtsformen.html; zuletzt abgerufen am 15. 02. 2022. 1758 Ein Beispiel für eine großes Unternehmen in der Rechtsform einer Personengesellschaft ist Tengelmann, das als KG firmiert. 1759 Vgl. Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 389; vgl. Wachter, GmbH-StB 2018, 317, 332; vgl. v. Bismarck, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften in Europa, S. 217.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
ropäische Union übertragen werden kann.1760 Verbandsformunabhängig verallgemeinern lassen sich auch die Motive für grenzüberschreitende Formwechsel. Wie für Kapitalgesellschaften besteht für Personengesellschaften ein dringendes praktisches Bedürfnis nach einem rechtssicheren Umwandlungsverfahren.1761 Zwar kann durchaus bezweifelt werden, ob für Personengesellschaften in demselben Maße wie für Kapitalgesellschaften ein Bedürfnis nach grenzüberschreitender Mobilität besteht.1762 Dies lässt das bestehende Bedürfnis von Personengesellschaften aber nicht entfallen. Die Tatsache, dass grenzüberschreitende Verschmelzungen fast ausschließlich von Kapitalgesellschaften genutzt werden, spricht nicht zwangsläufig gegen ein entsprechendes Bedürfnis für Personengesellschaften.1763 Dass der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften derzeit faktisch keine Praxisrelevanz entfaltet, kann e contrario darauf zurückgeführt werden, dass nur für Kapitalgesellschaften ein sicherer Rechtsrahmen hierfür zur Verfügung steht.1764 Vieles spricht dafür, dass Personengesellschaften in Ermangelung von harmonisierten Vorschriften rechtssichere Anwachsungsmodelle gegenüber der mit Rechtsunsicherheit behafteten grenzüberschreitenden Verschmelzung bevorzugen, da hierdurch weitestgehend äquivalente Ergebnisse ohne Transaktionsrisiken erzielt werden können.1765 bb) Stärkung des Stakeholderschutzes Ein praktisches Bedürfnis nach Rechtssicherheit ergibt sich nicht nur aus Perspektive der betroffenen Gesellschaften, sondern auch aus Perspektive der Stakeholder. Diese würden von einer Erstreckung des Anwendungsbereichs profitieren, da ihre schutzwürdigen Interessens nunmehr rechtlich abgesichert wären.1766 Im Unterschied hierzu werden sie bei grenzüberschreitenden Anwachsungen nicht ge1760
Ein kurzer Überblick über die Anzahl an Personengesellschaften in ausgewählten europäischen Rechtsordnungen findet sich bei Fleischer/Cools, ZGR 2019, 463, 465 m. w. N. zu den Datenerhebungen. 1761 Stiegler, in: Jungs/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 10 Rn. 149; ders., Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 389; ders., ZGR 2017, 312, 313, 325; J. Schmidt, DK 2018, 273, 285; dies., ECFR 2019, 222, 230; Koch, ZHR 173 (2009), 101, 116; Brandi, BB 2018, 2626, 2630. 1762 Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 32 Rn. 40 f.; v. Bismarck, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften in Europa, S. 218; Merkt, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 311, 323. 1763 In diese Richtung aber: Stiegler, in: Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 32 Rn. 40; Kalss, EuZW 2015, 252, 253. 1764 So auch: J. Schmidt, ECFR 2019, 222, 230; Mörsdorf, EuZW 2019, 141, 143. 1765 Deutscher Notarverein, Stellungnahme v. 04. 07. 2018, S. 13. 1766 Vgl. Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 110.
B. Grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften de lege ferenda 343
schützt, da diesbezüglich eine analoge Anwendung der umwandlungsrechtlichen Schutzinstrumente abgelehnt wird.1767 cc) Besonderheiten des Personengesellschaftsrechts als Differenzierungskriterium? Die Möglichkeit einer überschießenden Umsetzung des Anwendungsbereichs der Mobilitäts-RL kann nicht unter Berufung auf die hiermit verbundenen Schwierigkeiten negiert werden. Die Kommission legitimiert den beschränkten Anwendungsbereich der Mobilitäts-RL unter anderem damit, dass eine Einbeziehung von Personengesellschaften in Anbetracht ihres geringen Harmonisierungsgrades Komplikationen hervorrufen könnte.1768 Das verdient keine Zustimmung. Zwar darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass eine überschießende Umsetzung aufgrund der Strukturverschiedenheit von Kapital- und Personengesellschaften zur Vermeidung legislativer Friktionen rechtstechnische Anpassungen erfordert. Bei grenzüberschreitenden Formwechseln geht es aber primär um die Verfahrensabstimmung. Eine Angleichung des Personengesellschaftsrechts in den Mitgliedstaaten entsprechend der Angleichung im Kapitalgesellschaftsrechts ist daher nicht zwingend notwendig für eine Harmonisierung grenzüberschreitender Formwechsel bzw. als minus hierzu für eine überschießende Umsetzung. Dies gilt umso mehr, als dass das Personengesellschafsrecht vom Grundsatz der Dispositivität durchdrungen ist. Welche konkreten rechtlichen Komplikationen die Kommission befürchtet, bleibt diffus. Die Heterogenität von den mitgliedstaatlichen Personengesellschaftsformen vermag möglicherweise partielle Einschränkungen, nicht aber eine gänzliche Außerachtlassung von Personengesellschaften bei grenzüberschreitenden Umwandlungen zu rechtfertigen. dd) Wirksamkeit einer überschießenden Umsetzung Gleichwohl kann nicht geleugnet werden, dass eine überschießende Umsetzung in Deutschland allein noch keine für jeden Fall vollumfänglich rechtssichere Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Formwechsels von Personengesellschaften zu schaffen vermag. Ausgangspunkt ist insoweit, dass entsprechend den kollisionsrechtlichen Vorgaben nur der Herausformwechsel deutscher Personengesellschaften umfassend geregelt werden kann. Angesichts der erforderlichen Koordinierung von zwei Rechtsordnungen und Registern würde der Erfolg einer überschießenden Umsetzung entscheidend davon abhängen, ob weitere Mitgliedstaaten diesem Modell folgen. Erstrecken diese den Anwendungsbereich nicht auf Personengesellschaften, bestünde selbst bei einer überschießenden Umsetzung in Deutschland weiterhin Unklarheit über die anzuwendenden Verfahrensvorschriften der anderen an dem grenzüberschreitenden Formwechsel beteiligten Rechtsordnung 1767 1768
Hoger/Lieder, ZHR 180 (2016), 613, 635 f. m. w. N. COM (2018) 241 final, S. 22.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
und das Zusammenwirken der Behörden.1769 Es ist beispielsweise denkbar, dass der Zuzugsstaat eine von einem deutschen Registergericht ausgestellte Vorabbescheinigung nicht als verbindlich akzeptiert. Weiterführend kann nicht ausgeschlossen werden, dass die nationalen Regelungen zum grenzüberschreitenden Formwechsel von Personengesellschaften sich widersprechen. Es steht zu befürchten, dass dies in vielen Fällen trotz überschießender Umsetzung zu einem zusätzlichen Kosten- und Zeitaufwand führt oder die ausländischen Behörden die national eröffneten Umwandlungsmöglichkeiten faktisch blockieren.1770 Ein grenzüberschreitender Formwechsel einer deutschen Personengesellschaft als Ausgangs- oder Zielrechtsträger wird nur reibungslos vonstatten gehen, wenn die andere Rechtsordnung entweder kooperiert oder äquivalente Regelungen verabschiedet. In diesem Zusammenhang ist nicht zu erwarten, dass eine Vielzahl von Mitgliedsstaaten den Anwendungsbereich auch auf Personengesellschaften ausdehnen wird, da die Praxisrelevanz von Personengesellschaften in Deutschland ungleich höher ist.1771 Einen Anhaltspunkt für die bevorstehende Umsetzung bietet die Umsetzung der CBMD. Diese wurde bis zum Jahr 2013 nur in acht Mitgliedstaaten überschießend umgesetzt.1772 Von den zwei zentralen Problemen der fehlenden Harmonisierung des grenzüberschreitenden Formwechsels von Personengesellschaften – namentlich der Unsicherheit über die anzuwendenden Verfahrensvorschriften sowie das unklare Zusammenwirken der nationalen Register – wären beide nur zu Hälfte gelöst. Vor diesem Hintergrund vermag eine überschießende Richtlinienumsetzung die Symptome ihrer fehlenden Harmonisierung nicht umfassend zu beheben, sondern nur zu lindern. Im Vergleich zum Königsweg einer Vereinheitlichung des Umwandlungsrechts für Personengesellschaften erweist sich die nationale Erstreckung des Anwendungsbereichs nur als zweitbeste Lösung. ee) Bewertung Dies lässt die Notwendigkeit eines Einbezugs von Personengesellschaften in das neue Regelungsregime für grenzüberschreitende Formwechsel aber nicht entfallen. Die der fehlenden Rechtssicherheit geschuldete praktische Undurchführbarkeit grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften trotz ihrer primärrechtlichen Gewährleistungsfreiheit ist ein nur schwer hinzunehmender Anachronismus, den es alsbald zu beheben gilt.1773 Auf diesem Weg würde Klarheit über 1769 Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 354; Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 63; Wicke, DStR 2012, 1756, 1759; Suchan/Albrecht, WPg 2019, 1181, 1183. 1770 Vgl. Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 302; Stelmaszczyk, GmbHR 2020, 61, 63. 1771 So auch: Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 45 f. unter zusätzlichem Verweis auf die ähnliche Praxisbedeutung von Personengesellschaften in Österreich. 1772 Bech-Bruun/Lexidale, S. 99 f. (Main-Findings, S. 78 f.). 1773 Vgl. Zimmer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 371, 382.
B. Grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften de lege ferenda 345
das anzuwendende deutsche Recht geschaffen und damit eine breite Schneise in das juristische Dickicht von grenzüberschreitenden Formwechseln von Personengesellschaften geschlagen.1774 Im besten Fall folgen weitere Mitgliedstaaten und perspektivisch sogar die EU diesem Vorbild.1775 Das Ergebnis wäre eine „Harmonisierung von unten“.1776 Im ersten Fall wären wenigstens grenzüberschreitende Formwechsel zwischen diesen Staaten reibungslos durchführbar. In ähnlicher Weise wären angesichts der primärrechtlichen Kooperationspflicht des Zuzugsstaats auch Herausformwechsel ohne große Komplikationen möglich. Auf diese Weise würde eine überschießende Umsetzung die Handhabung von grenzüberschreitenden Formwechseln mit einer Personengesellschaft als Ausgangs- oder Zielrechtsträger erheblich erleichtern1777 und einem Gleichlauf mit der für Kapitalgesellschaften geltenden Rechtslage herbeiführen. Zwar stellt eine überschießende Umsetzung kein Äquivalent zu einem entsprechenden Ausbau der GesR-RL dar. Dass durch eine überschießende Umsetzung in tatsächlicher Hinsicht keine Gleichberechtigung mit den Kapitalgesellschaften geschaffen wird, kann dem deutschen Gesetzgeber aber schwerlich angelastet werden, da die Defizite im ausländischen Recht respektive in der fehlenden Harmonisierung liegen, für die ihm keine Regelungskompetenz zukommt. Schließlich überzeugt dieser Vorschlag auch in systematischer Hinsicht. Da der Gesellschaftsbegriff i. S. d. Art. 54 Abs. 2 AEUV nicht auf Kapitalgesellschaften begrenzt ist, sondern jede Organisationsform, die einen Erwerbszweck verfolgt, erfasst,1778 ist es folgerichtig, Kongruenz zwischen dem Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit und dem Anwendungsbereich des Umsetzungsgesetzes zu schaffen. Der Gesetzgeber ist daher aufgerufen, das terra incognita des grenzüberschreitenden Formwechsels von Personengesellschaften im Wege einer überschießenden Umsetzung der Mobilitäts-RL auszufüllen. Ob er diese Chance nutzen wird, ist allerdings stark zu bezweifeln. Im Zuge des MoPeG wurden – entgegen einer Empfehlung des 71. Deutschen Juristentags aus dem Jahr 2016 –1779 grenzüberschreitende Verschmelzungen nicht generell für Personenhandelsgesellschaften geöffnet, sondern der Gesetzgeber beließ es bei der Möglichkeit, dass diese als Ausgangsrechtsträger einer grenzüberschreitenden Verschmelzung fungieren können. Ein Paradigmenwechsel ist bedauerlicherweise nicht absehbar.
1774 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 394; Wicke, DStR 2018, 2642, 2643; vgl. zu entsprechenden Forderungen für die Harmonisierung grenzüberschreitender Formwechsel von Kapitalgesellschaften: Thümmel, Gestaltungsfreiheit beim Formwechsel, S. 288; die Vorbildwirkung, der weitere Mitgliedstaaten folgen, bezweifelt in diesem Kontext aber: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 334. 1775 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 394. 1776 Vgl. zu diesem Begriff: Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht Rn. 23. 1777 Kraft, BB 2019, 1864, 1865. 1778 Hierzu unter: Kap. 2, B, I (S. 62). 1779 Beschluss 26 des 71. Deutschen Juristentags, in: Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentags, Band II/2, 2017, S. O223.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
II. Umfang der überschießenden Umsetzung: Begrenzung auf Hereinformwechsel und registrierte Gesellschaften? Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der überschießenden Umsetzung bestehen offene Fragen, die vor allem ihre Reichweite betreffen. Neben einer umfassenden Normierung von Heraus- und Hereinformwechseln ist in Anlehnung an das 4. UmwGÄndG auch eine auf Hereinformwechsel begrenzte Regelung denkbar. 1. Begrenzung auf Hereinformwechsel: Vorbild 4. UmwGÄndG? Die CBMD war von Beginn an auf Kapitalgesellschaften beschränkt. Eine Erstreckung des Anwendungsbereichs auf Personengesellschaften hatte Deutschland ursprünglich verpasst. Angesichts des zu diesem Zeitpunkt bevorstehenden und in der Zwischenzeit vollzogenen Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU wurde das Umwandlungsgesetz zum 01. 01. 2019 um Vorschriften über die Hineinverschmelzung auf Personenhandelsgesellschaften mit in der Regel nicht mehr als 500 Arbeitnehmern1780 ergänzt. Rechtstechnisch wurde dies durch die Erweiterung des Kreises der verschmelzungsfähigen Zielrechtsformen bewerkstelligt.1781 Konträr hierzu ist eine grenzüberschreitende Herausverschmelzung aus Deutschland heraus für Personengesellschaften weiterhin gesetzlich nicht vorgesehen. Hintergrund dieser Differenzierung ist, dass britischen Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland eine Umwandlung in eine deutsche Gesellschaftsform ermöglicht werden sollte, um sie vor einer Umqualifizierung in eine deutsche Personengesellschaft („Wechselbalgtheorie“) zu bewahren.1782 Darüber hinaus begründete der Bundestag die weiterhin fehlende Fähigkeit deutscher Personengesellschaften, übertragender Rechtsträger bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zu sein, mit dem Fehler einer harmonisierten Grundlage.1783 Nach diesem Vorbild ist es einer Überlegung wert, Personengesellschaften nur Zielrechtsträger, nicht aber Ausgangsrechtsträger eines grenzüberschreitenden Formwechsels zu konzipieren.1784 Es besteht nicht nur ein praktisches Bedürfnis nach Hereinformwechseln, sondern auch nach Herausformwechseln. Für beide Konstellationen ist die identische Schwierigkeit der Verfahrenskoordination mit dem an1780 Durch diese Beschränkung soll verhindert werden, dass die Ausgangsgesellschaft statt auf eine mitbestimmungspflichtige GmbH auf eine mitbestimmungsfreie GmbhG& Co. KG verschmolzen wird, um die Arbeitnehmermitbestimmung zu umgehen, hierzu: Gesetzesentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes, BR-Drs. 505/18, S. 6. 1781 Vgl. § 122 b Abs. 1 Nr. 2 UmwG. 1782 BT-Drs. 19/6466 S. 1; Klett, in: Habersack/Wicke (Hrsg.), Beck-Online-Großkommentar UmwG, § 122b UmwG Rn. 19.1; Marsch-Barner/Wilk, in: Kallmeyer (Hrsg.), UmwG, § 122b UmwG Rn. 9; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 300, 302. 1783 BT-Drs. 19/6466 S. 3 f. 1784 Luy, NJW 2019, 1905, 1909.
B. Grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften de lege ferenda 347
deren an dem grenzüberschreitenden Formwechsel beteiligten Mitgliedstaat auszumachen. Von der normativen Verankerung der Herausformwechsels würden deutsche Personengesellschaften in einem höheren Maße profitieren, da im Falle eines Hereinformwechsels ohnehin unionsrechtliche Anerkennungspflichten- sowie ein geringeres Prüfungsprogramm des Registers bestehen und daher weniger Streit über die Zulässigkeit und das Verfahren entbrennen würde. Ohne eine Regelung des Herausformwechsels wären Personengesellschaften auch künftig darauf verwiesen, im Wege eines „Trial-and-Error Verfahrens“1785 das anzuwendende Verfahren zu ermitteln. Für diese faktische Verkürzung des Schutzbereiches der Niederlassungsfreiheit sind keine tragfähigen Gründe ersichtlich. Zwar verursacht die Normierung von Herausformwechseln einen ungleich höheren Umsetzungsaufwand, was auf die Vorgaben der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie zurückzuführen ist. Dieser lässt sich indes ohne große Schwierigkeiten in den Griff bekommen.1786 2. Begrenzung auf registrierte Gesellschaften? Gem. § 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG wird die Fähigkeit, als Zielrechtsträger bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen zu fungieren, nicht an die Voraussetzung der Registereintragung geknüpft. Für die zukünftige Rechtslage wird im Hinblick hierauf eine Kehrtwende vorgeschlagen.1787 Eine für grenzüberschreitende Mobilität notwendige Registereintragung wäre dem Einwand, dass auch nicht registrierte Gesellschaften am Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit teilhaben, ausgesetzt.1788 Die Tatsache, dass innerstaatliche Formwechsel sich zwischen zwei Personengesellschaftsformen außerhalb des Registers vollziehen, könnte Bedenken im Hinblick auf das Äquivalenzprinzip hervorrufen. Zu diesem Punkt muss beachtet werden, dass nach der MoPeG-Reform im Interesse der Rechtssicherheit nur noch eingetragene Gesellschaften von Umwandlungen nach dem UmwG Gebrauch machen können.1789 Eine Übertragung dieses Konzepts auf grenzüberschreitende Formwechsel erscheint angesichts der mit nur geringem Zeit- und Kostenaufwand verbundene Möglichkeit zur Registrierung zu1785 So Teichmann, DB 2012, 2085, 2091 für die für Kapitalgesellschaften noch nicht harmonisierte Rechtslage. 1786 Hierzu sogleich unter: Kap. 5, C (S. 348 ff.). 1787 A. A.: Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 303. 1788 Vgl. Kieninger, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 581, 593. 1789 Nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 Nr. 1 UmwG-MoPeG wird die eGbR nun in den Kreis der verschmelzungsfähigen Gesellschaften aufgenommen. Über die Verweisung des § 191 Abs. 1 Nr. 1 UmwG-MoPeG wird die eGbR damit taugliche Ausgangsrechtsträgerin eines innerstaatlichen Formwechsels sein. Darüber hinaus kann die eGbR gem. § 191 Abs. 2 Nr. 1 UmwGMoPeG auch als Zielrechtsträger eines Formwechsels fungieren. Nicht eingetragene BGBGesellschaften kommen in Ermangelung jedweder Publizitätswirkungen zukünftig nicht mehr als Zielrechtsträger in Betracht, vgl. § 191 Abs. 2 Nr. 1 UmwG-MoPeG.
348
Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
mutbar.1790 Insofern würde das in dem MoPeG an verschiedenen Stellen enthaltene Konzept von „Zuckerbrot und Peitsche“1791 konsequent fortgeführt. Nur dieser Vorschlag vermag Rechtssicherheit hinsichtlich des Wirksamwerdens grenzüberschreitender Formwechsel zu gewährleisten.1792 Dritte haben ein legitimes Interesse an einer nach außen hin sichtbaren Manifestation der Rechtswahl.1793 Die durch die Eintragung über die Rechtsform informierten Neugläubiger müssen nicht gesondert geschützt werden. Ihr Schutz wird hinreichend durch die inländische- bzw. in der EU befindliche Geschäftsanschrift sichergestellt.1794 Gegenläufig würde die fehlende Registerpublizität Probleme aufwerfen, da das Abstreifen des alten- und die Erfüllung des neuen Anknüpfungsmoments nicht kundgetan werden muss. Ohne eine vorherige Löschung im Register des Wegzugsstaat besteht die Gefahr, dass es für die Gesellschaft zumindest zeitweise zu einer misslichen Statutenverdopplung kommt. Gleichzeitig kann mit der Beschränkung auf registrierte Gesellschaften die Rechtmäßigkeitskontrolle mit der registerrechtlichen Kontrolle verknüpft werden.1795 Für nicht registrierte Gesellschaften ist eine registerrechtliche Kontrolle nur schwierig möglich.1796 Auf diese Weise wäre ein Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels, ohne dass die schutzwürdigen Drittinteressen Berücksichtigung erfahren haben, durch Unterlassen einer Eintragung sichergestellt.1797 Schließlich dürfte für die wenigsten nicht eingetragenen Gesellschaften unter Berücksichtigung ihrer kleingewerblichen Tätigkeit ein Bedürfnis nach grenzüberschreitender Mobilität bestehen.1798 Die exklusive Teilhabe von registrierten Gesellschaften an den zu entwickelnden Vorschriften für grenzüberschreitenden Formwechsel erscheint damit als ausgewogener Kompromiss zwischen den Gesellschaftsinteressen und den berechtigten Drittinteressen.
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Vgl. Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 494. Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft, S3, S12. 1792 Vgl. Kieninger, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 581, 594. 1793 Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 298. 1794 Vgl. Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 480. 1795 Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 303. 1796 Hierzu: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 255 ff. (für den Herausformwechsel), 294 f. (für den Hereinformwechsel). 1797 Kieninger, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 581, 594 weist hierauf hin, präferiert aber eine Lösung über eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung. 1798 Eine Ausnahme bilden die Freiberufler. Diesen steht mit dem MoPeG aber auch der Weg in eine eingetragene Handelsgesellschaft offen, vgl. § 107 Abs. 1 S. 2 HGB-MoPeG sowie die diesbezügliche Begründung des RegE, BT-Drs. 19/27635, S. 223 f. 1791
C. Übertragbarkeit der durch die Mobilitäts-RL harmonisierten Vorschriften?
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C. Übertragbarkeit der durch die Mobilitäts-RL harmonisierten Vorschriften auf Personengesellschaften? Wenn wie vorliegend für eine überschießende Umsetzung der Mobilitäts-RL auf Personengesellschaften plädiert wird, drängt sich unweigerlich die Frage auf, wie eine solche rechtsarchitektonisch ausgestaltet werden könnte. Diese bislang vernachlässigten Problematik soll in diesem Abschnitt nachgegangen werden. Der deutsche Umsetzungsgesetzgeber ist bei der Implementierung von grenzüberschreitenden Formwechseln unter Beteiligung von Personengesellschaften nicht an die in der Mobilitäts-RL enthaltenen Vorgaben gebunden, sondern hat bei der Umsetzung weitgehend freie Hand. Die Umsetzungsspielräume Deutschlands werden nur durch die primärrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität eingeschränkt. Um eine möglichst weitgehende Rechtsangleichung zu schaffen, sollte sich der Umsetzungsgesetzgeber – soweit dies möglich ist – an den Vorgaben der GesR-RL orientieren. Zwar kann ein gewisser funktionaler Zuschnitt der GesRRL auf Kapitalgesellschaften nicht geleugnet werden.1799 Dies gilt beispielsweise im Hinblick auf den Abschnitt zur unternehmerischen Mitbestimmung. In vielerlei Hinsicht rühren die Vorschriften hingegen aus der grenzüberschreitenden Natur der Umwandlung und sind daher rechtsformübergreifend verallgemeinerbar.1800 Nach hier vertretenen Auffassung können die Regeln der Mobilitäts-RL cum grano solis für grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften mit dem Ziel eines konvergenten Systems fruchtbar gemacht werden.1801 Nachfolgend wird dargestellt, wo für den grenzüberschreitenden Formwechsel von Personengesellschaften Anleihen an dem für Kapitalgesellschaften harmonisierten Rahmen genommen werden können und in welchen Punkten Abweichungen hiervon geboten sind. Aufgrund der kollisionsrechtlichen Vorgaben hängen die aus deutschrechtlicher Perspektive anwendbaren Verfahrensvorschriften maßgeblich davon ab, ob es sich um einen Herein- oder Herausformwechsel handelt.
I. Formwechselverfahren bei Hereinformwechseln Das 4. UmwGÄndG hat gezeigt, dass die Erstreckung von Hereinverschmelzungen auf deutsche Personenhandelsgesellschaften keine großen rechtstechnischen Herausforderungen bereithält. Die identische überschießende Umsetzung der Mobilitäts-RL für grenzüberschreitende Hereinformwechsel ist in gleicher Weise ohne 1799 Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 400; ders., ZGR 2017, 312, 336 f.; Bernard, D.A.O.R. 2018 – 3, n8127, 5, 12; ähnlich („ganze Reihe von Sonderproblemen“ bei Erweiterung auf Personengesellschaften): Lutter/ Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 22 Rn. 15. 1800 Vgl. zur grenzüberschreitenden Verschmelzung: Bungert/Schneider, in: Hutter/Baums (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Michael Gruson, 37, 40 f. 1801 Vgl. bereits: Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 504.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
große Mühen möglich. Dies liegt darin begründet, dass es in diesem Fall keiner Anwendung von Stakeholder-Schutzvorschriften bedarf und das deutsche Handelsregister das „letzte Wort“ über das Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels hat. Geht aus einem von einer ausländischen Behörde ausgestellten Dokument die Rechtmäßigkeit der Umwandlung hervor, hat das Register nur noch die Gründungsvoraussetzungen der Zielrechtsform zu prüfen.1802 Sollte der Wegzugsstaat in Ermangelung harmonisierter Vorschriften nicht die nach deutschrechtlichem Verständnis erforderlichen Wegzugsvoraussetzungen erfüllen, ist das deutsche Handelsregister angehalten, dies zu akzeptieren und nicht auf die entsprechende Anwendung der deutschen Vorschriften zu insistieren.
II. Formwechselverfahren bei Herausformwechseln Nach dem Gesagten erweist sich die Normierung von Herausformwechseln als die legislativ anspruchsvollere Aufgabe. 1. Herausformwechsel einer deutschen Personengesellschaft in eine ausländische Personengesellschaft Virulent wird diese Frage im Speziellen für den grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaften, welche die derzeit mit den meisten Rechtsunsicherheiten behaftete Formwechselvariante darstellt. Klärungsbedürftig ist, ob man sich mit einer unveränderten Übertragung des Prüfungsprogramms der Mobilitäts-RL auf diese Umwandungsform nicht zu dem oben getroffenen Ergebnis eines de lege lata reduzierten Formwechselverfahrens, das auch auf europarechtliche Grundsätze gestützt wird,1803 in Widerspruch stellt. Mit noch größerer Schärfe stellt sich diese Frage, wenn man für einen grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen vollständig außerhalb des Umwandlungsgesetzes plädiert. Zu berücksichtigen ist indessen, dass eine überschießende Umsetzung die für die praktische Durchführbarkeit unerlässliche Rechtssicherheit für die betroffenen Gesellschaft vermittelt und sich damit als gewinnbringend für die Gesellschaftsmobilität erweist. Auch ein konvergentes System für sämtliche grenzüberschreitende Formwechselkonstellationen bietet einen Wert für sich. Nach hiesiger Auffassung können und sollen für die Kodifikation grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften in eine andere mitgliedstaatliche Personengesellschaftsform 1802
So auch: Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 236 ff.; zu den formellen und materiellen Voraussetzungen eines grenzüberschreitenden Formwechsels in eine deutsche Kapitalgesellschaft: Stiegler, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach deutschem und europäischem Recht, S. 345 ff. 1803 Hierzu unter: Kap. 5, A, V, 2, f (S. 329).
C. Übertragbarkeit der durch die Mobilitäts-RL harmonisierten Vorschriften?
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die Vorgaben der Mobilitäts-RL im Grundsatz übernommen werden. Es wird sich jedoch zeigen, dass unter Geltung des Einstimmigkeitsgrundsatzes häufig ein schlankeres Verfahren ausreichend ist, da dieser sämtliche rein gesellschafterschützenden Verfahrensschritte entbehrlich macht. Auf diese Weise können die mit einem einheitlichen und rechtssicheren System verbundenen Vorteile mit dem Gesellschaftsinteresse an einem möglichst effizienten Umwandlungsverfahren in Einklang gebracht werden. a) Plan Die Übertragung der nach der Mobilitäts-RL in den Plan aufzunehmenden Angaben wirft wenig Schwierigkeiten auf. Da der Plan nicht auf Kapitalgesellschaften zugeschnitten ist, können seine Vorgaben auch für Personengesellschaften fruchtbar gemacht werden können. Bei einem Formwechsel von Personengesellschaften ist die Besonderheit zu berücksichtigen, dass der Formwechselbeschluss im Regelfall eine einstimme Entscheidung erfordert. Die Entbehrlichkeit eines Barabfindungsangebots im Falle eines Einstimmigkeitserfordernisses ist für den innerdeutschen Formwechsel anerkannt1804 und sollte auf den grenzüberschreitenden Kontext übertragen werden. Angesichts der Mitbestimmungsfreiheit von Personengesellschaften bedarf es außerdem keiner Erläuterung des grenzüberschreitenden Formwechsels auf die unternehmerische Mitbestimmung. Allgemein gesprochen ist das Bedürfnis nach Information angesichts der starken aus der Mitgliedschaft erwachsenden Informationspflichten bei Personengesellschaften als Ausgangsrechtsträger herabgesetzt. b) Bericht Der Bericht ist bei den hier in den Blick genommenen grenzüberschreitenden Formwechseln von untergeordneter Relevanz. Ist gesellschaftsvertraglich nicht eine Mehrheitsklausel vereinbart, werden die Gesellschafter regelmäßig auf den für sie vorgesehenen Bericht(-sabschnitt) verzichten. Aus Zwecken der Verfahrensvereinfachung sollte im Übrigen § 215 UmwG zur Anwendung gelangen. Danach ist ein Formwechselbericht bei innerstaatlichen Formwechseln mit Personenhandelsgesellschaften als Ausgangsrechtsträger nicht erforderlich, wenn alle Gesellschafter der formwechselnden Gesellschaft zur Geschäftsführung berechtigt sind. Der deutsche Gesetzgeber hat für einen Formwechselbericht kein Bedürfnis gesehen, wenn sämtliche Gesellschafter die Möglichkeit haben, an dem Formwechsel mitzuwirken und sich bereits aufgrund ihrer Geschäftsführungsbefugnis über den
1804 Hoger, in: Lutter (Begr.), UmwG, § 194 UmwG Rn. 21; Bärwaldt, in: Semler/Stengel/ Leonard (Hrsg.), UmwG, § 194 UmwG Rn. 29; Drinhausen/Keinath, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 194 UmwG Rn. 11; Meister/Klöcker/Berger, in: Kallmeyer (Hrsg.), UmwG, § 194 UmwG Rn. 45.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
Formwechsel und seine Auswirkungen informieren können.1805 Dieser Regelungsgedanke greift auch im grenzüberschreitenden Kontext.1806 c) Sachverständigenbericht Angesichts seiner rein gesellschafterschützenden Funktion sollte der Bericht des unabhängigen Sachverständigen nicht nur im Falle eines Verzichts (Art. 86f Abs. 3 UAbs. 1 GesR-RL) entbehrlich sein, sondern auch, für den Fall, dass der Wegzugsbeschluss einstimmig getroffen werden muss. Art. 86f Abs. 3 UAbs. 2 GesR-RL wird angesichts der Unzulässigkeit einer „Einpersonen-Personengesellschaft“ keine Relevanz entfalten. d) Formwechselbeschluss Im Hinblick auf den Formwechselbeschluss sind nur geringe Anpassungen erforderlich. Für die hier gegenständlichen grenzüberschreitenden Formwechsel sollte grundsätzlich nach allgemeinen Grundsätzen am Einstimmigkeitserfordernis festgehalten werden, da eine Mehrheitsentscheidung einen personengesellschaftsrechtlichen Fremdkörper darstellen würde und die Formwechselrisiken im grenzüberschreitenden Kontext nicht geringer als bei innerstaatlichen Formwechseln zu bewerten sind.1807 Sieht der Gesellschaftsvertrag eine Mehrheitsklausel vor, muss nach dem Vorbild des Art. 86h Abs. 3 GesR-RL und im Einklang mit § 217 Abs. 1 UmwG rechtsformunabhängig ein Quorum von drei Vierteln gelten. e) Rechtmäßigkeits- und Missbrauchskontrolle Hieran schließt sich die Rechtmäßigkeits- und Missbrauchsprüfung an. Zwar gibt es eine solche bei innerstaatlichen Formwechseln nicht. Da grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften nicht unionsrechtlich determiniert sind, ist Deutschland zu einer Missbrauchskontrolle berechtigt, aber nicht verpflichtet.1808 Im grenzüberschreitenden Kontext ist die Missbrauchsgefahr deutlich stärker ausgeprägter und sollte daher für diesen Fall angewendet werden. Auch wenn die Vorabbescheinigung vom Zuzugsstaat nicht akzeptiert werden muss, sollte das Handelsregister eine solche ausstellen, da der Zuzugsstaat primärrechtlich zur Berücksichtigung von Dokumenten aus dem Wegzugsstaat verpflichtet ist. 1805 Vgl. zu dem für grenzüberschreitende Verschmelzungen inhaltsgleichen § 41 UmwG: BT-Drs. 12/6699, S. 98. 1806 A. A. zur lex lata, jedoch unter Verweis auf die gläubigerschützenden Aspekte des Plans, die nach der Mobilitäts-RL nicht greifen: Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 247 f. 1807 A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 211 f. 1808 So auch die lex lata für grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften.
C. Übertragbarkeit der durch die Mobilitäts-RL harmonisierten Vorschriften?
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2. Herausformwechsel einer deutschen Personengesellschaft in eine ausländische Kapitalgesellschaft Auch bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel einer deutschen Personengesellschaft in eine ausländische Kapitalgesellschaft können diese Grundsätze übernommen werden. Angesichts der auch in diesem Fall bestehenden Eigenschaft der Personengesellschaft als Ausgangsrechtsträger, kann auf obige Maßstäbe rekurriert werden. Zu plädieren ist für eine grundsätzliche Anwendung des Formwechselverfahrens der Mobilitäts-RL unter Berücksichtigung der Besonderheiten der §§ 214 ff. UmwG. 3. Herausformwechsel einer deutschen Kapitalgesellschaft in eine ausländische Personengesellschaft Bei einer Kapitalgesellschaft als Ausgangsrechtsträger kann das Verfahren der Mobilitäts-RL grosso modo übernommen werden. Auch hier vollzieht sich das Formwechselverfahren außerhalb des Anwendungsbereichs der Mobilitäts-RL, auch wenn Kapitalgesellschaften nach deren Vorgaben an sich taugliche Ausgangsrechtsträger sind. Das sekundärrechtliche Normgefüge ist auch für grenzüberschreitende Herausformwechsel in eine Personengesellschaften grundsätzlich passend. Dies gilt namentlich für den Plan sowie die Berichte. Nur im Detail sind legislative Anpassungen erforderlich, die durch kumulative Anwendung der nationalen Vorschriften für diese inhomogenen Formwechsel (§§ 228 ff. UmwG) behoben werden können. Hier ist die erforderliche einstimmige Beschlussfassung (§ 233 Abs. 1 UmwG) anzuführen, die angesichts des Übergangs von einer auf das Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung zu einer persönlichen Gesellschafterhaftung auch im grenzüberschreitenden Kontext angemessen erscheint.
III. Schutz der Gesellschafter Unter Geltung des Mehrheitsprinzips sind dissentierenden Gesellschafter bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel von Personengesellschaften schutzwürdig. Das in der Mobilitäts-RL enthaltene Konzept zum ihrer Rechtspositionen bedarf behutsamer Anpassungen, um den Besonderheiten des Personengesellschaftsrechts gerecht zu werden. 1. Personengesellschaft als Zielrechtsträger Nach dem in der Mobilitäts-RL enthaltenen Konzept des Austrittsrechts gegen Barabfindung erwirbt die Gesellschaft die Anteile des austretenden Gesellschafters gegen Barabfindung. Während das Kapitalgesellschaftsrecht den Erwerb eigener Aktien (§ 71 AktG) bzw. den Erwerb eigener Anteile (§ 33 GmbHG) kennt, ist dies
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im Personengesellschaftsrecht nicht möglich.1809 Ist die Zielrechtsform eines grenzüberschreitenden Formwechsels eine Personengesellschaft, scheidet ein Erwerb der Anteile des ausscheidenden Gesellschafters durch die formwechselnde Gesellschaft daher aus. Bei innerstaatlichen Formwechseln sieht § 207 Abs. 1 S. 2 UmwG für einen Formwechsel von einer Kapital- in eine Personengesellschaft vor, dass die Barabfindung für den Fall anzubieten ist, dass der Anteilsinhaber sein Ausscheiden aus dem Rechtsträger erklärt. Nach Erklärung des Austritts wächst den übrigen Gesellschaftern der Anteil des ausgetretenen Gesellschafters an.1810 Diese Vorgehensweise ist auch für den grenzüberschreitenden Formwechsel in eine Personengesellschaft stimmig. 2. Kapitalgesellschaft als Zielrechtsträger Ist die Zielrechtsform eine Kapitalgesellschaft ist obiges Konzept ebenso auf einen grenzüberschreitenden Formwechsel mit einer Personengesellschaft als Ausgangsrechtsträger übertragbar. Wählt eine Personengesellschaft im Wege des grenzüberschreitenden Formwechsels eine Kapitalgesellschaftsform, wird der Gesellschafter vorerst Anteilsinhaber an der neuen Rechtsform und scheidet sodann aus dieser gegen eine angemessene Barabfindung aus.1811
IV. Schutz der Gläubiger 1. Anspruch auf Sicherheitsleistung Die Erstreckung des Anspruchs auf Sicherheitsleistung auf Gläubiger einer formwechselnden Personengesellschaft evoziert keine Schwierigkeiten. Ein solcher Anspruch ist für sämtliche denkbaren Konstellationen eines grenzüberschreitenden Formwechsels mit einer deutschen Personengesellschaft als Ausgangs- oder Zielrechtsträger angemessen. Er wird durch die potentielle Erschwerung der Forderungsdurchsetzung sowie durch die Verringerung des Haftungssubstrats bei einem inkongruenten grenzüberschreitenden Formwechsel einer Personen- in eine Kapi1809 K. Schmidt, in: K. Schmidt (Hrsg.), Münchener Kommentar HGB, § 105 Rn. 92 f.; Schäfer, in: Krüger (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, § 705 BGB Rn. 80.; M. Roth, in: Baumbach/Hopt (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 30; Wertenbruch, in: Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 16; Henssler, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 105 HGB Rn. 61; vgl. für die zukünftige Rechtslage nun ausdrücklich: § 711 Abs. 1 S. 2 BGB-MoPeG. 1810 Winter, in: Schmitt/Hörtnagl (Hrsg.), UmwG/UmwStG, § 207 UmwG Rn. 8; Kalss, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 207 UmwG Rn. 13; Meister/Klöcker/Berger, in: Kallmeyer (Hrsg.), UmwG, § 207 UmwG Rn. 41. 1811 Vgl. zur grenzüberschreitenden Verschmelzung: Teichmann, ZGR 2003, 367, 377; vgl. zum innerstaatlichen Formwechsel: Simons, in: Habersack/Wicke (Hrsg.), Beck-OnlineGroßkommentar UmwG, § 207 UmwG Rn. 45.
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talgesellschaft- sowie im umgekehrten Fall durch den Verlust der Kapitalerhaltungsvorschriften gerechtfertigt wird. Eine Forderungsgefährdung geltend zu machen, wird in diesen Fällen tendenziell leichter fallen als bei einem homogenen Formwechsel zwischen zwei Kapitalgesellschaftsformen. 2. Umwandlungsrechtliche Nachhaftung Angesichts der Beschränkung auf grenzüberschreitende Formwechsel zwischen zwei Kapitalgesellschaftsformen liegt es in der Natur der Sache, dass die MobilitätsRL keine Nachhaftung für den Fall einer Entpflichtung von der persönlichen Gesellschafterhaftung vorsieht. Ebenso bedarf es einer solchen Vorschrift bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen nicht. Im Hinblick auf den hiesigen Untersuchungsgegenstand entfällt die persönliche Gesellschafterhaftung, wenn die Zielrechtsform eine ausländische Kapitalgesellschaft ist, oder wenn die Rechtsform einer KG angenommen wird, soweit die Gesellschafter eine Kommanditistenstellung einnehmen.1812 Für diese Fälle sollte in Anlehnung an § 224 UmwG eine umwandlungsrechtliche Nachhaftung angeordnet werden, um die Gläubiger vor einer Verringerung des Haftungssubstrats zu bewahren.1813
V. Schutz der unternehmerischen Mitbestimmung Hinsichtlich der Arbeitnehmermitbestimmung ergeben sich angesichts der prinzipiellen Mitbestimmungsfreiheit von Personengesellschaften große Divergenzen zu den für Kapitalgesellschaften geltenden Regelungen. Angesichts der mitbestimmungsrechtlichen Unterschiede von Kapital- und Personengesellschaften bei der unternehmerischen Mitbestimmung stellt die Frage nach dem Schicksal der unternehmerischen Mitbestimmung die zentrale Herausforderung bei einer überschießenden Umsetzung der Mobilitäts-RL auf Personengesellschaften dar.1814 Diesbezüglich ist erneut danach zu differenzieren, welche Rechtsform Ausgangsund welche Rechtsform Zielrechtsträgerin ist sowie danach zu unterscheiden, ob es sich aus deutscher Perspektive um einen Herein- oder Herausformwechsel handelt.
1812
A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 194. Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 505; de lege lata für eine analoge Anwendung von § 224 UmwG bei einem Herausformwechsel einer deutschen Personengesellschaft: A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 193 f.; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 252. 1814 Heckschen/Nolting, BB 2020, 2256, 2264. 1813
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
1. Grenzüberschreitender Formwechsel von einer Kapital- in eine Personengesellschaft Für die unternehmerische Mitbestimmung ist die Annahme einer Personengesellschaftsrechtsform durch eine Kapitalgesellschaft die bedeutsamste Konstellation. a) Deutsche Kapitalgesellschaft als Ausgangsrechtsform und ausländische Personengesellschaft als Zielrechtsform Wechselt eine deutsche Kapitalgesellschaft ihre Rechtsform in eine ausländische Personengesellschaft, kommt es zu einem vollständigen Verlust einer bestehenden Mitbestimmung. Für diesen Fall des Herausformwechsels ist Deutschland als Wegzugsstaat kollisionsrechtlich zum Schutz der ArbeitnehmerInteressen berufen. Diese Form der Umstrukturierung kann angesichts der gesellschaftsrechtlich durch die personengesellschaftsrechtlichen Spezifika begründeten obligatorischen Mitbestimmungsfreiheit der Zielrechtsform nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.1815 De lege ferenda ist die Schaffung von arbeitnehmerschützenden Vorschriften für grenzüberschreitende Herausformwechsel einer Überlegung wert. Hier gilt es zu beachten, dass es auch bei innerstaatlichen Formwechseln in eine Personengesellschaft zu einem Verlust einer etwaigen unternehmerischen Mitbestimmung kommt und der mitbestimmte Aufsichtsrat mit Wirksamwerden des Formwechsels ohne Durchführung eines Statusverfahrens erlischt.1816 In Anbetracht der identischen Interessenslage bei innerstaatlichen- und grenzüberschreitenden Formwechsel wäre eine Normierung von Arbeitnehmerschutzvorschriften dem Einwand des Verstoßes gegen das Äquivalenzprinzip ausgesetzt. Es sind im Hinblick auf die mitbestimmungsrechtlichen Folgen grenzüberschreitende Formwechsel keine Eigenheiten im Vergleich zu innerstaatlichen Formwechseln ersichtlich, die eine unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen vermögen. In praktischer Hinsicht wäre die Aufrechterhaltung des status quo der unternehmerischen Mitbestimmung ohne eine Harmonisierung des Rechtsrahmens kaum umzusetzen. Im Rahmen einer überschießenden Umsetzung würde das Modell aus Verhandlungs- und Auffanglösung ohne Mitwirkung des Zuzugsstaates nicht funktionieren, da die Aufrechterhaltung der unternehmerischen Mitbestimmung nur postventiv sichergestellt werden kann und es daher auf ein Zusam1815 Die fehlende Rechtsmissbräuchlichkeit ergibt sich auch daraus, dass auch durch einen innerstaatlichen Formwechsel in eine deutsche Personengesellschaft Mitbestimmungsfreiheit erlangt würde. 1816 Seibt, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt (Hrsg.), Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, Kap. F Rn. 77; Lakenberg, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 57 Rn. 171; Im Unterschied hierzu sieht § 325 UmwG eine übergangsweise Beibehaltung der Mitbestimmung vor, wenn eine Ausgliederung oder Abspaltung zu einem Verlust der Mitbestimmung führt.
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menwirken der beiden an dem grenzüberschreitenden Formwechsel beteiligten Rechtsordnungen ankommt.1817 Der deutsche Gesetzgeber könnte lediglich die Durchführung von Mitbestimmungs-Verhandlungen anordnen, ohne die Auffanglösung durchsetzen zu können. Eine Durchsetzung derselben durch den Zuzugsstaat ist nur sehr schwer vorstellbar, wenn man sich vor Augen führt, dass viele Mitgliedstaaten das hohe Mitbestimmungsniveaus Deutschland ablehnen und darüber hinaus gegebenenfalls auch Anpassungen in ihrem nationalen Personengesellschaftsrecht vornehmen müssten. Da sich eine solche Regelung als Totgeburt erweisen würde, sollte sollte der deutsche Gesetzgeber im Ergebnis bei einem Herausformwechsel einer deutschen Kapitalgesellschaft in eine ausländische Personengesellschaft keine Verfahrenserschwernisse zum Schutze der unternehmerischen Mitbestimmung erlassen. Um die bestehende Mitbestimmung bei einer Kapitalgesellschaft im Zuzugsstaat auch nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels durchsetzen zu können, müsste auf allgemeine Regelungen wie beispielsweise eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung1818 oder eine Erstreckung des Mitbestimmungsgesetzes auf ausländische Gesellschaften1819 rekurriert werden. Dies sind Vorhaben, die – unabhängig von ihrer rechtspolitischen Bewertung, ihrer Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit und ihren rechtspraktischen Herausforderungen – den Rahmen der Umsetzung der Mobilitäts-RL sprengen würden. b) Ausländische Kapitalgesellschaft als Ausgangsrechtsform und deutsche Personengesellschaft als Zielrechtsform Analog zu dem vorgestellten Fall eines grenzüberschreitenden Formwechsels einer deutschen Kapitalgesellschaft in eine ausländische Personengesellschaft, droht im entgegengesetzten Fall eines grenzüberschreitenden Hereinformwechsels einer ausländischen Kapitalgesellschaft in eine deutsche Personengesellschaft gleichermaßen ein Verlust der unternehmerischen Mitbestimmung. Da die Gesellschaft nach Durchführung der Strukturmaßnahme im Zuzugsstaat Deutschland keiner Mitbestimmung unterliegt, wirkt der grenzüberschreitende Formwechsel entweder mitbestimmungsneutral (wenn die Gesellschaft mitbestimmungsfrei war) oder bedingt einen Verlust von bestehenden Mitbestimmungsrechten. Im Gegensatz zum Fall eines Herausformwechsels einer deutschen Kapitalgesellschaft in eine ausländische Personengesellschaft könnte Deutschland hier die Mitbestimmung in der Gesellschaft perpetuieren. In diesem Fall wäre allerdings die primärrechtliche Zulässigkeit einer mitbestimmungserhaltenden Norm sehr fraglich. Kollisionsrechtlich obliegt nicht Deutschland in seiner Funktion als 1817
Vgl. zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen: Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 233. 1818 Statt aller hierzu: Weller, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, Einleitung Rn. 475 ff. m. w. N. 1819 Nachweise zu dieser Diskussion finden sich in den Fn. 454, 455.
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Zuzugsstaat, sondern dem Wegzugsstaat der Arbeitnehmerschutz. Auch in diesem Fall würde der grenzüberschreitende Formwechsel gegenüber dem innerstaatlichen Formwechsel diskriminiert, obwohl in beiden Fällen ein Verlust der Mitbestimmung droht. Nicht zuletzt würde sich eine Verhandlungslösung als milderes Mittel als die direkte Anknüpfung an den mitbestimmungsrechtlichen status quo ante erweisen.1820 Ein Festhalten an der unternehmerischen Mitbestimmung würde schließlich einen systematischen Konflikt zu dem Grundsatz der Mitbestimmungsfreiheit von Personengesellschaftsrecht erzeugen. Angesichts der qualitativen Stärke einer Mitbestimmung auf Geschäftsführerebene müsste möglicherweise ein unbekanntes Kontrollorgan installiert werden. Der Gesetzgeber sollte aus diesen Gründen an seiner Grundentscheidung der Mitbestimmungsfreiheit von Personengesellschaften nicht rütteln. 2. Grenzüberschreitender Formwechsel von einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft Der Fall eines grenzüberschreitenden Formwechsels einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft ist im Hinblick auf die Mitbestimmung ebenfalls wenigen Bedenken ausgesetzt. a) Deutsche Personengesellschaft als Ausgangsrechtsform und ausländische Kapitalgesellschaft als Zielrechtsform Wechselt eine deutsche Personengesellschaft ihre Rechtsform in eine ausländische Kapitalgesellschaft, so kann sich angesichts der Mitbestimmungsfreiheit der Ausgangsrechtsform der status quo der Mitbestimmung grundsätzlich nicht verschlechtern. Der grenzüberschreitende Formwechsel erfolgt daher mitbestimmungsneutral oder es kommt – wenn im Zuzugsstaat eine mitbestimmungsrelevante Schwelle überschritten wird – zu einem Mitbestimmungszuwachs. Infolgedessen besteht kein Bedürfnis für die Normierung von Arbeitnehmer-Schutzvorschriften. Eine Ausnahme bildet der Sonderfall des Herausformwechsels einer mitbestimmten Kapitalgesellschaft & Co KG, der an späterer Stelle gesondert erörtert wird. 1821
1820
Vgl. zur grenzüberschreitenden Verschmelzung: Bungert/Schneider, in: Hutter/Baums (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Michael Gruson, 37, 49. 1821 Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 228 ff. untersucht daher im Hinblick auf den Schutz der unternehmerischen Mitbestimmung bei Personenhandelsgesellschaften nur die grenzüberschreitende Herausverschmelzung mit der GmbH & Co. KG als Ausgangsrechtsträgerin.
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b) Ausländische Personengesellschaft als Ausgangsrechtsform und deutsche Kapitalgesellschaft als Zielrechtsform Für den umgekehrten Fall eines grenzüberschreitenden Formwechsels einer ausländischen Personengesellschaft in eine deutsche Kapitalgesellschaft droht ebenfalls keine Umgehung der unternehmerischen Mitbestimmung, da es nur zu einer Erhaltung des status quo oder zu einem Mitbestimmungszuwachs kommen kann. Deshalb ist auch in diesem Fall auf Schutzmechanismen zu verzichten. 3. Grenzüberschreitender Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen Der grenzüberschreitende Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen wirft keine mitbestimmungsrechtlichen Schwierigkeiten auf. Da beide Gesellschaften nicht mitbestimmt sind, stellt sich die Frage nach einer Mitbestimmungserhaltung nicht. Aufgrund dessen besteht bei einer überschießenden Umsetzung kein legislativer Anpassungsbedarf. 4. Sonderfall: Beteiligung einer Kapitalgesellschaft & Co. KG Wechselt eine Kapitalgesellschaft & Co. KG ihr Rechtskleid, ergeben sich angesichts der Hinzurechnung von KG-Arbeitnehmern zu der Komplementär-Gesellschaft ungleich größere Herausforderungen im Hinblick auf die unternehmerische Mitbestimmung. Ist von einem grenzüberschreitenden Formwechsel einer Kapitalgesellschaft & Co. KG die Rede, muss zwischen einem grenzüberschreitenden Formwechsel der für sich nicht mitbestimmten KG und einem solchen der mitbestimmten Komplementär-GmbH unterschieden werden. In Frage steht damit zum einen das Schicksal einer bestehenden unternehmerischen Mitbestimmung einer KG, die entweder unter Aufrechterhaltung oder Wechsel ihrer Komplementärin ihre Rechtsform ändert. Letzteres ist mit dem Identitätsgrundsatz vereinbar.1822 Zum anderen sind die Fälle eines grenzüberschreitenden Formwechsels der Komplementär-Gesellschaft in den Blick zu nehmen, da durch die Rechtsformbezogenheit der Mitbestimmungsgesetze eine Arbeitnehmerzurechnung bei einer ausländischen Komplementär-Gesellschaft nicht möglich ist. a) Herausformwechsel einer mittelbar mitbestimmten KG Bei einem Herausformwechsel einer KG in eine ausländische Personengesellschaft kommt es ausnahmsweise zu einem (mittelbaren) Verlust der Mitbe1822 Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 142 f.; vgl. auch den oben dargestellten Sachverhalt von OLG Oldenburg, Beschl. v. 30. 06. 2020 – 12 W 23/20, BeckRS 2020, 14441, der eine solche Konstellation zum Gegenstand hatte.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
stimmung, wenn eine deutsche Kapitalgesellschaft Komplementärin der KG ist und nur aufgrund der Zurechnung des § 4 Abs. 1 MitbestG mitbestimmt ist. Im Unterschied hierzu geht bei einem innerstaatlichen Formwechsel einer KG in eine OHG die unternehmerische Mitbestimmung nicht verloren, da in diesem Fall § 4 MitbestG analog anzuwenden ist.1823 Wechselt die KG ihre Rechtsform in eine entsprechende ausländische Gesellschaftsform und bleibt die deutsche Kapitalgesellschaft als Komplementärin erhalten, ist fraglich, ob die Arbeitnehmer der ausländischen KG der Komplementär-GmbH weiterhin zugerechnet werden können. Zwar ist der Wortlaut („Kommanditgesellschaft“) einer weiten Auslegung zugänglich.1824 Eine solche Zurechnung ausländischer KG-Arbeitnehmer zu der deutschen Komplementär-Gesellschaft widerspräche aber der Systematik des MitbestG, das sich stets auf inländische Gesellschaften beschränkt.1825 Infolgedessen würde die deutsche Komplementärin ihre auf die Hinzurechnung der KGArbeitnehmer zurückzuführende unternehmerische Mitbestimmung durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel der KG verlieren, solange sie nicht selbst 500 oder mehr Arbeitnehmer beschäftigt. Die bestehende Mitbestimmung geht ebenfalls verloren, wenn die GmbH im Zuge des grenzüberschreitenden Formwechsels aus der KG austritt und der grenzüberschreitende Formwechsel unter Eintritt eines neuen Komplementärs ausländischer Rechtsform vollzogen wird. Ein grenzüberschreitender Formwechsel einer KG führt mittelbar stets zum Erlöschen der Mitbestimmung in der Komplementär-Kapitalgesellschaft. Aus diesem Grund ist für diese Konstellation die Übernahme des bekannten Modells aus „Verhandlungs- und Auffanglösung“ zu erwägen. Für einen Schutz der unternehmerischen Mitbestimmung beim Herausformwechsel einer Kapitalgesellschaft & Co. KG spricht die strukturelle Annäherung der Kapitalgesellschaft & Co. KG an Kapitalgesellschaften. Der Umstand, dass sich Kapitalgesellschaft & Co. KG insbesondere in Form der GmbH & Co. KG außerordentlicher Beliebtheit erfreut, und durchaus von großen Unternehmen genutzt wird1826 spricht für das Bestehen einer jedenfalls abstrakt hohen Gefahr einer Mitbestimmungsumgehung. Die Interessenslage ist vergleichbar zu dem grenzüberschreitenden Formwechsel einer mitbestimmten Kapitalgesellschaft. In der Folge wird de lege ferenda für die Anwendung der Verhandlungs- und Auffanglösung für grenzüberschreitende Verschmelzungen einer GmbH & Co. KG auf eine ausländische Rechtsform plä-
1823 Annuß, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar AktG, § 4 MitbestG Rn. 3; Oetker, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar Arbeitsrecht, § 4 MitbestG, Rn. 1, jeweils m. w. N. zur a. A. 1824 Bungert/Schneider, in: Hutter/Baums (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Michael Gruson, 37, 50. 1825 So auch: Bungert/Schneider, in: Hutter/Baums (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Michael Gruson, 37, 50 f. 1826 Beispielsweise firmiert die Edeka-Gruppe als AG & Co. KG.
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diert.1827 Die Verhandlungs- und Auffanglösung würde beim grenzüberschreitenden Herausformwechsel einer mittelbar mitbestimmten KG dazu führen, dass die Mitbestimmung in der deutschen Komplementär-Kapitalgesellschaft erhalten bliebe, auch wenn es angesichts der ausländischen Rechtsform nicht mehr zu einer originären Arbeitnehmerzurechnung käme. Indessen bedürfte die Verhandlungslösung im Hinblick auf die Mitbestimmungsfreiheit der personengesellschaftsrechtlichen Zielrechtsform Anpassungen. Ist das Ergebnis des Anwendung des Mitbestimmungsrecht des Zuzugsstaats die Mitbestimmungsfreiheit, ist das ergebnislose Scheitern der Verhandlungen unter den Vorzeichen der Auffanglösung bereits vorgezeichnet.1828 In der Konsequenz wäre eine unmittelbare Anwendung des mitbestimmungsrechtlichen status quo im Zuzugsstaat effizienter. Eine solche Lösung würde angesichts der Anknüpfung der Mitbestimmung an die Komplementär-Gesellschaft weder in gesellschaftsrechtliche Grundprinzipien eingreifen1829 noch stünde sie im Widerspruch zum Äquivalenzgrundsatz. De lege ferenda erscheint eine solche Lösung auf europäischer Ebene stimmig. Im Rahmen einer überschießenden Umsetzung ist eine rein deutsche Verhandlungs- und Auffanglösung hingegen ohne Mitwirkung des Zuzugsstaates praktisch nicht durchsetzbar und angesichts der äußerst geringen praktischen Bedeutung1830 auch nicht durch ein entsprechendes praktisches Bedürfnis zu rechtfertigen. Um eine solche Totgeburt zu vermeiden und neuen Rechtsunsicherheiten vorzubeugen, sollte Deutschland im Sinne der Gesellschaftsmobilität keine entsprechenden Voraussetzungen formulieren. b) Herausformwechsel der mitbestimmten Komplementär-Gesellschaft Wechselt die nur kraft Zurechnung der KG-Arbeitnehmer mitbestimmte Komplementär-Gesellschaft ihre Rechtsform, findet die Verhandlungs- und Auffanglösung bereits nach der Mobilitäts-RL Anwendung. Hier gilt es zu verhindern, dass es angesichts der nach Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Formwechsels nicht mehr möglichen Arbeitnehmerzurechnung nach § 4 Abs. 1 MitbestG zu einem Verlust der unternehmerischen Mitbestimmung kommt. Durch die Anwendung des Verhandlungstatbestands des Art. 86l Abs. 2 lit. a GesR-RL wird dies zuverlässig verhindert. Um Umgehungsgestaltungen zur Mitbestimmungsumgehung durch Wahl einer ausländischen Kapitalgesellschaft & Co. KG den Boden zu entziehen, muss für die Berechnung des die Verhandlungspflicht auslösenden Schwellenwerts 1827 Audretsch, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften, S. 243 f.; eine analoge Anwendung des MgVG für den Fall einer Verschmelzung einer ausländischen Kapitalgesellschaft auf eine Personengesellschaft ablehnend: Bungert/Schneider, in: Hutter/Baums (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Michael Gruson, 37, 49 f. 1828 Hierzu unter: Kap. 4, E, III, 4 (S. 241). 1829 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sollte daher gemacht werden, wenn Zielrechtsform eine Personengesellschaft ohne Beteiligung einer Kapitalgesellschaft ist. 1830 Habersack, in: Habersack/Henssler (Hrsg.), MitbestR, § 4 MitbestG Rn. 4.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
sowie zur Bestimmung der Auffanglösung die Arbeitnehmerzahl unter Einberechnung der KG-Arbeitnehmer maßgeblich sein. c) Hereinformwechsel in eine KG Bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel einer ausländischen Personengesellschaft in eine deutsche KG bleibt es für sich genommen bei der bestehenden Mitbestimmungsfreiheit. Zu einem Mitbestimmungszuwachs kommt es, wenn die Rechtsform der GmbH & Co. KG gewählt wird und die Gesellschaften zusammen mindestens 2000 Arbeitnehmer beschäftigen (§ 4 Abs. 1 MitbestG). Eine Umgehung der unternehmerischen Mitbestimmung droht somit nicht. In diesem Zusammenhang ist die Besonderheit zu berücksichtigen, dass Personenhandelsgesellschaften seit Inkrafttreten des 4. UmwGÄndG taugliche Zielrechtsträger einer grenzüberschreitenden Verschmelzung sind (§ 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG). In diesem Zuge wurde auf die Schaffung von Vorschriften zum Schutze der unternehmerischen Mitbestimmung in der übertragenden Gesellschaft verzichtet. Gem. § 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG können im Gegenzug nur Personenhandelsgesellschaften mit in der Regel nicht mehr als 500 Arbeitnehmern als Zielrechtsträger fungieren. Der Gesetzgeber verfolgte mit der – nach Kritik des Deutsche Gewerkschaftsbund1831 am Referentenentwurf im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens aufgenommenen Beschränkung der Arbeitnehmerzahl – expressis verbis das Ziel, zu verhindern, dass statt der Rechtsform einer mitbestimmungspflichtigen Kapitalgesellschaft die mitbestimmungsfreie GmbH & Co. KG gewählt wird.1832 Hintergrund ist, dass Kapitalgesellschaften bereits ab 500 Arbeitnehmern mitbestimmt sind, während dies für die Kapitalgesellschaft & Co. KG in Ermangelung einer zu § 4 Abs. 1 MitbestG äquivalenten Norm im DrittelbG erst ab 2000 Arbeitnehmern gilt. Bei grenzüberschreitenden Formwechseln besteht dieselbe Situation, die den Gesetzgeber zu einer entsprechenden Regelung veranlassen könnte. Die im Rahmen des 4. UmwGÄndG gefundene Lösung ist hingegen nicht über alle Zweifel erhaben. Die Regelung schießt über ihr Ziel hinaus, soweit sie auch Gesellschaften mit mindestens 2000 Arbeitnehmern die Verschmelzung auf eine Kapitalgesellschaft & Co. KG versagt, da es in diesem Fall gem. § 4 Abs. 1 MitbestG zu einer Zurechnung der Arbeitnehmer kommt und eine Umgehung der unternehmerischen Mitbestimmung daher angenommen werden kann.1833 Auch 1831 Vgl. § 1 Nr. 4. 2. des Referentenentwurfs; abrufbar unter: https://www.bmjv.de/Shared Docs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Umwandlungsgesetz.pdf;jsessionid=58E293 558EA5F8F85CD7FA3FB53D0B99.2_cid289?__blob=publicationFile&v=1, S. 3; zuletzt abgerufen am 15. 02. 2022. 1832 BT-Drs. 19/5463, S. 10; hierzu: Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 146a; Lieder/Bialluch, NJW 2019, 805, 806; kritisch zu dieser Begrenzung: Hoffmann, NZG 2019, 1208, 1212. 1833 Hoffmann, NZG 2019, 1208, 1212.
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ihre Vereinbarkeit mit dem Primärrecht ist im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit zweifelhaft.1834 Mit guten Gründen lässt sich daran zweifeln, ob vorherige Verhandlungen gegenüber einer kompletten Versagung eines Hereinformwechsels nicht das mildere Mittel wären, zumal das gewünschte Ergebnis im Wege eines „Kettenformwechsels“ erreicht werden könnte. Folgerichtig wäre bei einer überschießenden Umsetzung der Mobilitäts-RL das legislative Vorbild des § 122b Abs. 1 Nr. 2 UmwG dergestalt zu korrigieren, dass nicht nur Personengesellschaften mit zwischen 0 und 499 Arbeitnehmern, sondern auch solche mit über 2000 Arbeitnehmern taugliche Zielrechtsträger sind. Auf diese Weise würde ein grenzüberschreitender Formwechsel einer ausländischen Kapitalgesellschaft mit über 2000 Arbeitnehmern in eine deutsche Kapitalgesellschaft & Co. KG ermöglicht. Fraglich ist allein, wie mit denjenigen Gesellschaften umzugehen ist, die zwischen 500 und 1999 Arbeitnehmern beschäftigten. Eine generelle Versagung eines grenzüberschreitenden ausländischer Personengesellschaften in die KG stünde im Widerspruch zu dem Schutz solcher Umwandlungen durch die Niederlassungsfreiheit. Unstimmig erscheint, wieso eine grenzüberschreitende Verschmelzung auf eine KG ohne Kapitalgesellschaft-Komplementärin versagt wird, obwohl insoweit eine Umgehung der Drittelbeteiligung nicht in Rede steht. Solche Vorgänge sind ohne weiteres zulässig, da die Interessenslage sich insoweit nicht von innerstaatlichen Formwechseln unterscheidet. Schwieriger ist die Beurteilung jedoch im Falle einer KG, die eine Mitbestimmung ihrer Komplementär-Gesellschaft vermittelt. Entsprechend dem dargestellten Fall eines Herausformwechsels muss auch im Falle eines grenzüberschreitenden Hereinformwechsels danach unterschieden werden, ob die KG oder ihre Komplementär-Gesellschaft ihre Rechtsform ändert. Ist ersteres der Fall, erscheint spiegelverkehrt zu dem dargestellten Fall eines Herausformwechsels die Anwendung der Verhandlungs- und Auffanglösung respektive im Sinne der Verfahrenseffizienz ein direkter Übergang zur Auffanglösung angemessen. Wechselt die Komplementär-Gesellschaft ihre Rechtsform, richtet sich das Schicksal der unternehmerischen Mitbestimmung nach dem Verfahren der Mobilitäts-RL. Deutschland sollte im Ergebnis ungeachtet von der Arbeitnehmeranzahl der formwechselnden Gesellschaft Personengesellschaften als taugliche Zielrechtsträger in das UmwG aufnehmen.
1834 Hoffmann, NZG 2019, 1208, 1215 qualifiziert die Beschränkung auf Personenhandelsgesellschaften mit in der Regel weniger als 500 Arbeitnehmern als primärrechtswidrig.
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Kap. 5: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften
D. Zusammenfassung in Thesenform 1. Grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften partizipieren uneingeschränkt am Schutz durch die Niederlassungsfreiheit. 2. Sie sind – entsprechend der geltenden Rechtslage für Kapitalgesellschaften –in Ermangelung eines normativen Fundaments mit erheblicher Rechtsunsicherheit behaftet. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die kollisionsrechtlichen Grundlagen als auch hinsichtlich der anzuwendenden Verfahrensvorschriften. a) Durch das MoPeG wird klargestellt, dass registrierte Gesellschaften zukünftig in Parallele zu § 5 AktG, § 4a GmbHG einen vom Verwaltungssitz abweichenden, rechtlich maßgeblichen Vertragssitz wählen können. b) Kollisionsrechtlich bewirkt das MoPeG eine Trendwende hin zur Gründungstheorie. Im Ergebnis sind die sach- und kollisionsrechtlichen Grundlagen für registrierte Personengesellschaften gleichlaufend zu der Rechtslage im Kapitalgesellschaftsrecht. 3. Sämtliche einen Erwerbszweck verfolgenden Personengesellschaften sind taugliche Ausgangs- und Zielrechtsträger eines grenzüberschreitenden Formwechsels. Dies gilt unabhängig davon, ob sie bei entsprechenden innerstaatlichen Formwechseln als solche fungieren können. 4. Die Betroffenheit der Stakeholder ist weitgehend gleichlaufend zu der Betroffenheit der Stakeholder bei grenzüberschreitenden Formwechseln zwischen zwei Kapitalgesellschaftsformen. Aus den personengesellschaftsrechtlichen Besonderheiten resultieren zum Teil unterschiedliche Gefährdungslagen. Gesellschafter sind nur unter Geltung des Mehrheitsprinzips schutzwürdig. Für Gläubiger tritt die Gefahr des Verlusts eines persönlich haftenden Gesellschafters hinzu. Besondere Schwierigkeiten werden im Sonderfall der Kapitalgesellschaft &Co. KG im Hinblick auf die unternehmerische Mitbestimmung hervorgerufen. 5. Für das anzuwendende Normenregime ist danach zu differenzieren, ob es sich um einen grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen einer Personen- und einer Kapitalgesellschaftsform handelt, oder ob eine Personengesellschaft ihr „Rechtskleid“ grenzüberschreitend in eine andere Personengesellschaftsform wechselt. Gleichzeitig muss nach den kollisionsrechtlichen Vorgaben der Vereinigungstheorie danach unterschieden werden, ob es sich um einen Herausformwechsel oder um einen Hereinformwechsel handelt. a) Für grenzüberschreitende Formwechsel von einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft und umgekehrt ist in Wegzugskonstellationen die analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG sowie – abhängig von der konkreten Konstellation – kumulativ der §§ 214 ff. UmwG bzw. §§ 228 ff. UmwG vorzugswürdig. In Zuzugskonstellationen wird der Stakeholder-Schutz
D. Zusammenfassung in Thesenform
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durch den Wegzugsstaat gewährleistet, sodass im Wesentlichen nur die Gründungsvoraussetzungen überprüft werden können. b) Für grenzüberschreitende Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen ist in Wegzugskonstellationen eine vorsichtige analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG zu bevorzugen. Für Hereinformwechsel gilt, dass eine vollumfängliche analoge Anwendung dieser Vorschriften nicht möglich ist. 6.
Die Ausklammerung von Personengesellschaften vom Anwendungsbereich der Mobilitäts-RL kann nicht überzeugen und geht sowohl zulasten der Gesellschaftsmobilität als auch zulasten der Stakeholder.
7.
Eine umfassende analoge Anwendung der die Mobilitäts-RL umsetzenden Vorschriften scheidet in Ermangelung einer planwidrigen Regelungslücke aus. Eine partielle Anwendung der auf den grenzüberschreitenden Kontext zugeschnittenen Vorschriften ist hingegen möglich.
8.
Der Gesetzgeber ist aufgerufen, die Mobilitäts-RL überschießend auf Personengesellschaften umzusetzen. Diese sollte auf registrierte Gesellschaften beschränkt werden.
9.
Die Vorschriften der Mobilitäts-RL als Blaupause sind cum grano solis auf grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften übertragbar.
10. Im Hinblick auf den Stakeholderschutz sind die personengesellschaftsrechtlichen Besonderheiten zu berücksichtigen. a) Bei Personengesellschaften als Ausgangsrechtsträger verliert der Schutz durch Information unter Geltung des Einstimmigkeitsgrundsatzes an Bedeutung. b) Im Hinblick auf den Gläubigerschutz muss in Anlehnung an § 224 UmwG eine umwandlungsrechtliche Nachhaftung statuiert werden. c) Die unternehmerische Mitbestimmung bei Kapitalgesellschaften & Co. KG ist eine offene Flanke. Ein bestehendes Mitbestimmungsniveau lässt sich durch eine überschießende Umsetzung allein nicht aufrechterhalten, sondern es bedarf des Zusammenwirkens des Zuzugsstaats. Im Zuge einer Harmonisierung grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften kommt im Sonderfall des Herausformwechsels einer mittelbar mitbestimmten Kapitalgesellschaften & Co. KG eine Übertragung der Verhandlungs- und Auffanglösung in Betracht.
Kapitel 6
Quo vadis Europäisches Gesellschaftsrecht: Rechtspolitische Desiderata Zum Abschluss der Arbeit wird ein Blick auf die auch nach Umsetzung der Mobilitäts-RL weiter fortbestehenden, mobilitätshemmenden Defizite im Europäischen Gesellschaftsrecht und im Internationalen Privatrecht geworfen. Daran anschließend werden mögliche Lösungsansätze aufgezeigt.
A. Ausbau der GesR-RL Betreffend die materielle-rechtliche Ebene ist im Speziellen ist die GesR-RL in den Blick zu nehmen. Auch wenn diese durch die Mobilitäts-RL erheblich ausgeweitet worden ist, muss der erreichte Harmonisierungsgrad immer noch als zu gering bestandet werden.
I. Erstreckung auf Personengesellschaften Dies betrifft zum einen den sachlich nur sehr schwer zu rechtfertigenden, auf Kapitalgesellschaften beschränkten Anwendungsbereich für sämtliche grenzüberschreitende Umwandlungen. Diese Sollbruchstelle im Europäischen Umwandlungsrecht ist dringend und alsbald durch einen Ausbau der GesR-RL zu einer umfassenden und verbandsformübergreifenden Richtlinie für die Gesellschaftsmobilität beseitigt zu beseitigen.1835 Für die Notwendigkeit einer Erstreckung des Anwendungsbereichs der GesR-RL auch auf solche Umwandlungen, sowohl aus Gesellschaftsperspektive als auch aus der Warte der Stakeholder, kann auf die obigen Ausführungen zu einer etwaigen überschießenden Umsetzung verwiesen werden.1836 Insbesondere steht auch die Heterogenität der personengesellschaftsrechtlichen
1835
Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 111; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 771; Zwirlein-Forschner, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1836 Hierzu unter: Kap. 5, B (S. 331 ff.).
A. Ausbau der GesR-RL
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Rechtsformen in Europa einer Harmonisierung nicht entgegen.1837 Zumindest für registrierte Gesellschaften sind die legislativen Anpassungen mit vertretbarem Aufwand behebbar. Auch in der Sache ist eine Beschränkung der grenzüberschreitenden Bewegungsfreiheit auf registrierte Gesellschaften mit Blick auf die Publizität vertretbar,1838 auch wenn hierdurch ein nicht zu leugnender Widerspruch zu dem Primärrecht, das auch nicht registrierte Außengesellschaften dem Schutz der Niederlassungsfreiheit unterstellt, hervorgerufen wird. Dass der Europäische Gesetzgeber eine Erstreckung der GesR-RL auf Personengesellschaften bedauerlicherweise nicht im Sinn zu haben scheint, wird durch die in Art. 4 Mobilitäts-RL vorgesehene Evaluation deutlich, die sich nicht auf eine Neubewertung des auf Kapitalgesellschaften begrenzten Anwendungsbereich erstreckt.
II. Erstreckung auf Spaltungen zur Aufnahme Auch im Hinblick auf den Anwendungsbereich für grenzüberschreitende Spaltungen stellt sich der durch die Mobilitäts-RL erreichte Harmonisierungsgrad als nicht ausreichend heraus, da diese nur solche zur Neugründung harmonisiert.1839 Ausgeklammert werden damit Spaltungen zur Aufnahme.1840 Spaltungen auf Mutter-, Tochter- oder Enkelgesellschaften werden auch zukünftig nicht auf einem legislativen Fundament rechtssicher durchführbar sein.1841 Insoweit verbleibt eine offene Baustelle. Der Europäische Gesetzgeber führt hierfür eine bei Spaltungen zur Aufnahme erhöhte Komplexität sowie eine potentiell erhöhte Beeinträchtigung der
1837
Vgl. Kallmeyer, AG 1998, 88, 89, nach dem die Harmonisierung der grenzüberschreitenden Gesellschaftsmobilität von Kapitalgesellschaften keine Angleichung der nationalen Gesellschaftsrechte verlange. 1838 Vgl. hierzu unter: Kap. 5, B, II, 2 (S. 347 f.). 1839 Kritisch zu diesem begrenzten Anwendungsbereich: Behrens/Hoffmann, in: Habersack/ Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 294; Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 400; ders., DK 2021, 1, 4; ders., GmbHR 2020, 61, 64; Heckschen/Stelmaszczyk, BB 2020, 1734, 1742; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1926; dies., BB 2018, 2562, 2570; J. Schmidt, DK 2018, 273, 275; dies., ECFR 2019, 222, 234; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 355; Teichmann, NZG 2019, 241, 243; Wachter, GmbH-StB 2018, 317, 329; European Company Law Experts, ECFR 2019, 196, 201; Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 111; ders./Becker, DB 2019, 1609; Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094, 2095; G. Förster, in: Herzig/G. Förster/Schnitger/Levedag (Hrsg.): Besteuerung im Wandel: Festschrift für Wolfgang Kessler zum 65. Geburtstag, 415, 418; Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, NZG 2018, 857, 865 f.; Thomale, RdW 2020, 424, 426; Bernard, D.A.O.R., 2018 – 3, n127, 5, 12. 1840 Diese sind in Form einer Aufspaltung und Abspaltung zur Neugründung möglich. 1841 G. Förster, in: Herzig/G. Förster/Schnitger/Levedag (Hrsg.): Besteuerung im Wandel: Festschrift für Wolfgang Kessler zum 65. Geburtstag, 415, 418.
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Kap. 6: Quo vadis Europäisches Gesellschaftsrecht: Rechtspolitische Desiderata
Stakeholder und eine erhöhte Missbrauchsgefahr an.1842 Das erste Argument verläuft parallel zur Diskussion um den auf Kapitalgesellschaften beschränkten Anwendungsbereich. Hier wie dort kann es nicht verfangen. Wie für grenzüberschreitende Umwandlungen im personengesellschaftsrechtlichen Kontext, ist auch für Spaltungen zur Aufnahme in Erinnerung zu rufen, dass ihr Schutz primärrechtlich durch die Niederlassungsfreiheit verbürgt ist.1843 Auch das – in seiner Absolutheit zu bezweifelnde –1844 Verdikt der erhöhten Komplexität kann eine Aussparung dieser Umwandlungen vom Anwendungsbereich der GesR-RL nicht rechtfertigen. Selbst wenn ein erhöhtes Missbrauchsrisiko bei grenzüberschreitenden Spaltungen zur Neugründung substantiiert dargelegt werden könnte,1845 wäre eine Kapitulation hiervor durch eine faktische Verhinderung solcher Umwandlungen durch Nichtbeseitigung der Rechtsunsicherheit der falsche Weg. Vielmehr müssten entsprechende legislative Maßnahmen zur Unterbindung solcher Verhaltensweisen ergriffen werden,1846 wie dies mit der sekundärrechtlich verankerten Missbrauchsausnahme bereits geschehen ist. Dass eine grenzüberschreitende Spaltung zur Aufnahme als attraktive Gestaltungsoption1847 weiter entweder nur über den mit Rechtsunsicherheiten behafteten Weg auf Grundlage des Primärrechts beschritten werden kann, oder durch verschiedene Gestaltungsvarianten substituiert werden muss,1848 ist unbefriedigend.1849 Einstweilen muss der Gesetzgeber eine überschießende Umsetzung erwägen,1850 deren Behandlung den hiesigen Rahmen sprengen würde. 1842
ErwG. 8 S. 2 Mobilitäts-RL. Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 294; Bungert/Wansleben, DB 2018, 2094, 2095; Stelmaszczyk, DK 2021, 1, 4. 1844 Leydecker, Gläubigerschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, S. 176; Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 400; ders., DK 2021, 1, 4; Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 111; J. Schmidt, DK 2018, 273, 275; Zwirlein-Forschner, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1845 Dies ausdrücklich bezweifelnd und umgekehrt tendenziell von einer geringeren Missbrauchsanfälligkeit gegenüber Spaltungen zur Neugründung ausgehend: Heckschen/ Stelmaszczyk, BB 2020, 1734, 1742; ebenfalls zweifelnd: Zwirlein-Forschner, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1846 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 400; ders., DK 2021, 1, 4; J. Schmidt, DK 2018, 273, 275. 1847 J. Schmidt, DK 2018, 273, 275; Stelmaszczyk, DK 2021, 1, 4. 1848 Beispielsweise durch eine innerstaatliche Spaltung der Ursprungsgesellschaft mit anschließender grenzüberschreitender Verschmelzung einer der Nachfolgegesellschaften auf die Zielgesellschaft oder via grenzüberschreitendem Formwechsel der Ursprungsgesellschaft und anschließender nationaler Spaltung zur Aufnahme der Gesellschaft im Zuzugsstaat, G. Förster, DStR 2020, 865, 872; ders., in: Herzig/G. Förster/Schnitger/Levedag (Hrsg.): Besteuerung im Wandel: Festschrift für Wolfgang Kessler zum 65. Geburtstag, 415, 418; Heckschen/Stelmaszczyk, BB 2020, 1734, 1735; Knapp Obe, in: Alexandropoulou (Hrsg.), Modernisation of European Company Law, 65, 67; Zwirlein-Forschner, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1849 Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 294. 1843
B. Schaffung sachrechtlicher Grundlagen mit Drittstaaten-Bezug
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B. Schaffung sachrechtlicher Grundlagen für grenzüberschreitende Formwechsel mit Drittstaaten-Bezug Zu diesem Anlass soll der Blick über den Tellerrand der europäischen Union ausgeweitet werden. Grenzüberschreitender Formwechsel in einen Drittstaat und spiegelverkehrt stellen weitgehendes terra incognita dar.
I. Gesellschaftsrechtliche Unzulässigkeit von grenzüberschreitenden Formwechseln mit Drittstaaten-Bezug Zwar stehen die § 5 AktG, § 4a GmbHG (für Kapitalgesellschaften) bzw. § 706 BGB (für Personengesellschaften) sachrechtlich einem in einem Drittstaat lokalisierten Verwaltungssitz nicht entgegen. Dasselbe gilt für das Kollisionsrecht, da die für Drittstaatensachverhalte herrschend angewendete Sitztheorie einem Statutenwechsel nicht entgegensteht. Jedoch mangelt es an einer sachrechtlichen Grundlage für grenzüberschreitende Formwechsel. Das Umwandlungsgesetz findet aufgrund seiner Beschränkung auf inländische Rechtsträger (§ 1 Abs. 1 UmwG) keine Anwendung.1851 Dieser betrifft zwar auch grenzüberschreitende Formwechsel innerhalb der EU. Insoweit erzwingt hingegen die Niederlassungsfreiheit die Anwendung auf EU-ausländische Rechtsträger im Wege einer europarechtskonformen Auslegung.1852 Für DrittstaatenKonstellationen existiert keine höherrangige Verpflichtung zur Ermöglichung grenzüberschreitender Mobilität. In Ermangelung einer sachrechtlichen Regelung ist eine grenzüberschreitender Formwechsel in Drittstaaten und vice versa gesellschaftsrechtlich nicht möglich.1853 Dies ist nicht im Sinne eines ausdrücklichen 1850 Stelmaszczyk, in: Wachter (Hrsg.), Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, § 14 Rn. 400; ders., DK 2021, 1, 4; ders., GmbHR 2020, 61, 64; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 355; Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1935; Bungert, in: Hoffmann-Becking/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Gerd Krieger zum 70. Geburtstag, 109, 111; Bungert/Becker, DB 2019, 1609, 1617; G. Förster, DStR 2020, 865, 876; ders., in: Herzig/G. Förster/Schnitger/ Levedag (Hrsg.): Besteuerung im Wandel: Festschrift für Wolfgang Kessler zum 65. Geburtstag, 415, 429; zurückhaltend im Hinblick auf die Aussichten auf eine solche überschießende Umsetzung aber: Luy, NJW 2019, 1905, 1909; Schollmeyer, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1851 Göthel, in: Göthel (Hrsg.), Grenzüberschreitende M&A-Transaktionen, § 29 Rn. 34; Zwirlein-Forschner, in: ZGR-Sonderband zur Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt (im Erscheinen). 1852 Siehe hierzu die Nachweise in Fn. 46. 1853 Lieder, in: Lieder/Wilk/Ghassemi-Tabar (Hrsg.), Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Band 8, § 5 Rn. 22; Süß, in Herrler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 12 Rn. 30 f.; Decker, in: Henssler/Strohn (Hrsg.), Gesellschaftsrecht, § 1 UmwG Rn. 18; Loose, Grenzüberschreitender Formwechsel von Kapitalgesellschaften, S. 178; G. Förster, DStR 2020, 865, 876; so auch für grenzüberschreitende Verschmelzungen:
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Kap. 6: Quo vadis Europäisches Gesellschaftsrecht: Rechtspolitische Desiderata
Verbots internationaler Umwandlungen zu verstehen, sondern die Unzulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel ist ausschließlich Ausfluss einer Regelungsabstinenz.1854 Dies zugrunde gelegt, ist folgendes zu konstatieren: Bei Sitzverlegungen mit Drittstaatenbezug ist allein das Kollisionsrecht maßgeblich. Eine Verlegung des Satzungssitzes aus Deutschland hinaus führt unter Geltung allgemeiner Grundsätze unausweichlich zu einer Auflösung der Gesellschaft.1855 Die Verlegung des Verwaltungssitzes aus Deutschland hinaus führt, wenn es nicht zu einem renvoi auf deutsches Recht kommt, zwingend zu einer Auflösung und Liquidation der Gesellschaft.1856 Für den umgekehrten Fall einer Hereinverlegung des Verwaltungssitzes mangelt es an einer Norm, welche die Identitätswahrung der hinzuziehenden Gesellschaft als solche anordnet. Die zugezogene Gesellschaft wird in Anwendung der „Wechselbalgtheorie“ als deutsche Personengesellschaft behandelt.
II. Notwendigkeit der Schaffung von sachrechtlicher Grundlagen für grenzüberschreitende Formwechsel mit Drittstaaten-Bezug Durchschlagende rechtspolitische Gründe für eine unterschiedliche Behandlung zu EU-Sachverhalten sind kaum ersichtlich und die daher erforderliche Substitution eines grenzüberschreitenden Formwechsels durch verschiedene Gestaltungsvarianten ist bei wirtschaftlicher Betrachtung bedauerlich. Die bevorstehende Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie sollte vom Umsetzungsgesetzgeber zum Anlass genommen werden, sachrechtlichen Vorgaben für eine identitätswahrende Sitzverlegung zu schaffen. Das Regime der Mobilitäts-RL scheint cum grano solis auch für grenzüberschreitende Formwechsel mit Drittstaaten-Bezug passend. Die potentiellen Beeinträchtigungen der Arbeitnehmer durch einen rechtsformwechselnden Wegzug sind ähnlich; für die Gesellschafter und Gläubiger kann sich ein grenzüberschreitender Formwechsel in einen Drittsaat in Ermangelung harmonisierter Regelungen, etwa zum Kapitalschutz oder im Hinblick auf Gerichtszuständigkeiten, einschneidender auswirken. Infolgedessen würde den Ansprüchen auf angemessene Barabfindung (Minderheitsgesellschafter) sowie auf Sicherheitsleistung (Gläubiger) tendenziell höhere Bedeutung zukommen, aber nicht die Notwendigkeit nach neuen Schutzinstrumenten begründen. Wenn nicht eine Ausweitung der die Mobilitäts-RL umsetzenden Regelungen auf Drittstaatenkonstellationen beschlossen wird, genügt einstweilen die Streichung des Zusatzes „mit Sitz im Inland“ in § 1 UmwG, da hierdurch der Weg für die Anwendung der §§ 190 ff. UmwG eröffnet würde. Die Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 699; implizit auch: Stengel, in: Semler/Stengel/Leonard (Hrsg.), UmwG, § 1 UmwG Rn. 25. 1854 Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl (Hrsg.), UmwG/UmwStG, § 1 UmwG Rn. 24. 1855 Wernicke/Friedl, in: Brodersen (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Umwandlungen international, Teil 1 Rn. 156. 1856 Knobbe-Keuk ZHR 154 (1990), 325 (350).
C. Harmonisierung rechtsformwahrender Verwaltungssitzverlegungen?
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Diskussion könnte dann nahezu parallel zu der lex lata für EU/ERW-Sachverhalte verlaufen. Allerdings wäre ein Gelingen eines solchen Vorgangs auch dann nicht uneingeschränkt möglich, sondern von dem Sachrecht des anderen an der Umwandlung beteiligten Drittstaats abhängig. Eine identitätswahrende Sitzverlegung wäre nur in und von solchen Staaten möglich, die ebenfalls sachrechtlich keine Einwände gegen grenzüberschreitende Formwechsel erheben. Dieser Umstand kann aber dem insoweit nicht regelungsbefugten deutschen Gesetzgeber aber kaum angelastet werden und hindert damit nicht die Schaffung entsprechender deutschrechtlicher Vorgaben.
C. Harmonisierung rechtsformwahrender Verwaltungssitzverlegungen? Rechtsformwahrende Verwaltungssitzverlegungen als Gegenstück zu grenzüberschreitenden Formwechseln sind besonders reizvoll, da sie sich rein tatsächlich, mithin ohne zeit- und kostenintensives Umwandlungsverfahren, vollzogen werden können.1857 Für sie besteht etwa ein Bedürfnis, wenn eine Gesellschaft aus Reputationsgründen ihre vertraute deutsche Rechtsform beibehalten möchte.1858 Auch im Hinblick auf diese Form der Sitzverlegung besteht legislativer Nachholbedarf. Hindernisse für rechtsformwahrende Verwaltungssitzverlegungen sind primär auf Ebene des Kollisionsrechts ausfindig zu machen, da der EuGH sachrechtlichen Wegzugsbeschränkungen bereits einen Riegel in Form einer strengen Rechtfertigungsbedürftigkeit vorgeschoben hat.1859
I. Ausgangspunkt: Unterschiedliche Behandlung von Wegzugs- und Zuzugsfällen Auf kollisionsrechtlicher Ebene ist die Gemengelage diffiziler. Angesichts der weitreichenden Anerkennungspflichten der Mitgliedstaaten betreffen die Schwierigkeiten ausschließlich die Wegzugsperspektive. Der rechtsformwahrende Wegzug
1857 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 278. 1858 Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 297; Kieninger, ZEuP 2004, 685, 704; im Ergebnis auch: Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 277. 1859 Vgl. EuGH, Urt. v. 29. 11. 2011, National Grid Indus, C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785, Rn. 52 ff. Hierzu: Weller, in: Jung/Lamprecht/Blasek/Basedow (Hrsg.), Festschrift für Uwe Blaurock zum 70. Geburtstag, 497, 519 f.
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Kap. 6: Quo vadis Europäisches Gesellschaftsrecht: Rechtspolitische Desiderata
von Gesellschaften ist nach der „Geschöpftheorie“1860 kein von der Niederlassungsfreiheit geschützter Vorgang, sondern seine Zulässigkeit ist dem Recht des Wegzugsstaates zu entnehmen.1861 Sitztheorie-Staaten bleibt es unbenommen, Gesellschaften, die ihren Verwaltungssitz in das EU-Ausland verlegen, durch Auflösung zu „erschlagen“1862.1863
II. Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung 1. Keine weitergehenden Interessensbeeinträchtigungen beim rechtsformwahrenden Wegzug als beim rechtsformwahrenden Zuzug Die sachliche Rechtfertigung für diese Rechtsfolge1864 ist dünn. Schließlich unterliegt die Gesellschaft weiterhin den Vorschriften des Inkorporationsstaats, weswegen einer Umgehung von dessen Vorschriften nicht das Wort geredet werden kann.1865 Im spiegelverkehrten Fall eines rechtsformwahrenden Zuzugs muss der 1860
Zu dieser unter: Kap. 2, A, V, 1, b (S. 51). EuGH, Urt. v. 27. 09. 1988, Daily Mail, C-81/87, ECLI:EU:C:1988:456, Rn. 24; EuGH, Urt. v. 05. 11. 2002, Überseering, C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632, Rn. 70; EuGH, Urt. v. 16. 12. 2008, Cartesio, C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723, Rn. 124; EuGH, Urt. v. 29. 11. 2011, National Grid Indus, C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785, Rn. 27; EuGH, Urt. v. 12. 07. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, Rn. 29; Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 825; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der EU, Art. 54 AEUV Rn. 50; Altmeppen, in: Altmeppen (Hrsg.), GmbHG, § 4a GmbHG Rn. 16; Solveen, in: Hölters (Hrsg.), AktG, § 5 AktG Rn. 5; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 100; ders., NZG 2012, 936, 937; Schön, ZGR 2013, 333, 355; Zimmer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 371, 383; Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 617; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 742; Bollacher, RIW 2009, 150, 153; Ratka/ Rauter, wbl 2009, 62, 65; a. A.: Lieder, in: Oetker (Hrsg.), HGB, § 105 HGB Rn. 144; Eidenmüller, JZ 59 (2004), 24, 29; ders., ZIP 2002, 2233, 2243; v. Halen, WM 2003, 571, 574 f. 1862 Vgl. die Wortwahl für den umgekehrten Fall einer Hereinverlegung des Verwaltungssitzes: Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325. 1863 Hübner, in: Gehrlein/Born/Simon (Hrsg.), GmbHG, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 82; Lutter, BB 2003, 7, 10; Schön, ZGR 2013, 333, 355; Kieninger, in: Müller-Graff/ Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, 57, 60; Hellwig, in: Graph von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Recht im Wettbewerb, 154, 155; kritisch hierzu: W.H. Roth, in: Dauner-Lieb et. al. (Hrsg.), Festschrift für Barbara Grunewald zum 70. Geburtstag, 935, 946. 1864 Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 610, 615 verweist – auch zusammenfassend für die Ansicht … auf ein „anderes wirtschaftliches, rechtliches, kulturelles und politisches Umfeld“. Im Kern geht es wohl auch um die erschwerte Durchsetzung deutschen Gesellschaftsrechts im Ausland. 1865 Jestädt, Das Niederlassungsfreiheit und Gesellschaftskollisionsrecht, S. 42; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 279; in diese Richtung auch: Eidenmüller, JZ 59 (2004), 24, 29; ders., ZIP 2002, 2233, 2243; 1861
C. Harmonisierung rechtsformwahrender Verwaltungssitzverlegungen?
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Wegzugsstaat diesen hinnehmen. Weitergehende Interessensbeeinträchtigungen des Staates beim rechtsformwahrenden Wegzug als beim rechtsformwahrenden Zuzug sind nicht ersichtlich.1866 Hier gilt es zu berücksichtigen, dass die Rechtsfolge der Auflösung beim Wegzug des Verwaltungssitzes die Interessen der Gesellschafter bedeutend tangiert.1867 Zu nennen ist beispielsweise die einschneidende Folge einer persönlichen Haftung bei Umqualifizierung in eine Personengesellschaftsform des Zuzugsstaats.1868 Die Sitztheorie findet ihre innere Rechtfertigung daher nur für den Fall eines Eindringens fremder Gesellschaften im Wege des rechtsformwahrenden Verwaltungssitzzuzugs, nicht aber für den rechtsformwahrenden Wegzug des Verwaltungssitzes inländischer Gesellschaften. Erst recht sind Drittinteressen bei einem rechtsformwahrenden Wegzug deutlich weniger berührt als beim rechtsformwechselnden Wegzug.1869 Dies ist unter Berücksichtigung ihres Anliegens insoweit widersprüchlich, als dass die Sitztheorie bei einer Herausverlegung des Verwaltungssitzes gerade einen Statutenwechsel herbeiführt.1870 2. Auflösung im Wegzugsstaat dient nicht ausländischen Stakeholder-Interessen Auch die Interessen der im Zuzugsstaat belegenen Stakeholder können nicht vorgebracht werden, da die Sitztheorie sich in Wegzugsfällen sonst zum Hüter der Interessen des Zuzugsstaats aufschwingen würde, zu deren Schutz sie aber nicht berufen ist und auf welchen der Zuzugsstaat auch nicht angewiesen ist. Denn dieser wendet entweder ohnehin die Gründungstheorie an oder ist unter Geltung der Sitztheorie innerhalb des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit zur Anerkennung fremder Gesellschaften verpflichtet. Gleichzeitig wirken WegzugsbeW.-H. Roth, in: Lutter/Fleischer (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 379, 393; Kieninger, ZEuP 2004, 685, 694. 1866 Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 298; Eyles, Das Niederlassungsrecht der Kapitalgesellschaften in der Europäischen Gemeinschaft, S. 333, der dies freilich als unproblematisch ansieht; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 121; ders., in: Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 973, 987; in diese Richtung auch: Kieninger, ZEuP 2004, 685, 694; vgl. im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Interessen bei der Auslandsgründung und beim Herausformwechsel: Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 279; vgl. W.-H. Roth, in: Lutter/Fleischer (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 379, 394; a. A.: Wis´niewski/ Opalski, EBOR 2019, 595, 612 f., die auf Minderheitsgesellschafter- und Gläubigerbelange verweisen. 1867 Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 615. 1868 Zwar resultiert diese Folge nicht allein aus der Anwendung der Sitztheorie des Wegzugsstaats, sondern auch des Kollisionsrecht des Zuzugsstaats. Erstere ist aber conditio sine qua non für diese Folge. 1869 Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545, 547. 1870 Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 50.
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schränkungen aufgrund ihrer Absolutheit stärker als Zuzugsbeschränkungen, da letztere für jeden Mitgliedstaat gesondert ermittelt werden müssen.1871 Im Ergebnis wird in diesen Fällen die Zuzugsfreiheit der Gesellschaft negiert, da diese bei einer unproblematisch möglichen Versagung des Wegzugs wertlos ist.1872 Es ist daher wenig konsequent, für die Verbundenheit zur eigenen Rechtsordnung auf einen inländischen Verwaltungssitz zu insistieren.1873 Selbst wenn beim rechtsformwahrenden Wegzug stärkere Interessensbeeinträchtigungen vorlägen, wäre es stimmiger, nicht von vornherein den Schutz durch die Niederlassungsfreiheit zu verneinen und damit sämtliche Wegzugsbeschränkungen primärrechtlich zu immunisieren, sondern diesen Interessensbeeinträchtigungen auf Rechtfertigungsebene zur Geltung zu verhelfen.1874 Ein rechtsformwahrender Wegzug trägt dem Kontinuitätsinteresse1875 der Gesellschaft, ihrer Gesellschafter und potentiell beeinträchtigten Dritten Rechnung. Zur Untermauerung dieser Position wird vielfach eine Parallele zur Warenverkehrsfreiheit bemüht. Auch dort können die Mitgliedstaat „ihren“ Produzenten Modalitäten vorschreiben. Ihnen ist es aber verwehrt, den Export mit der Begründung, dass sie bereits die Produktion hätte verbieten können, zu verhindern.1876 Aufgrund dessen erscheint die augenblicklich angenommene Rechtsfolge der Auflösung nur schwer zu begründen.1877 Dies gilt auch, weil das Operieren mittels einer Zweigniederlassung im Zuzugsstaat als „Surrogat einer Verwaltungssitzverlegung“ möglich ist.1878
1871
Zimmer, BB 2003, 1, 3; Ringe, EBLR 2005, 621, 632. W.-H. Roth, in: Lutter/Fleischer (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 379, 385; Ebke, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, 101, 106; besonders drastisch („Es ist nämlich gleichgültig, ob jemand von vorne oder von hinten erschossen wird“): Koppensteiner, in: Waldburger/Sester/ Peter/Baer (Hrsg.): Festschrift für Peter Nobel zum 70. Geburtstag, 235, 243; vgl. auch vgl. Lutter, BB 2003, 7, 9. 1873 Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 298; Behrens, IPRax 2003, 193, 205. 1874 W.-H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 973, 987; ders., IPRax 2003, 117, 121; in diese Richtung auch ders., FS Hoffmann-Becking, 2013, 965, 974; ders., in: Lutter/Fleischer (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 379, 392; Zimmer, BB 2003, 1, 3; vgl. auch Eidenmüller, JZ 59 (2004), 24, 29. 1875 W.-H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 973, 975, 994. 1876 W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 121; ders., in: Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 973, 987; kritisch zu dieser Parallele aber in einem jüngeren Beitrag: W.-H. Roth, in: Dauner-Lieb et. al. (Hrsg.), Festschrift für Barbara Grunewald zum 70. Geburtstag, 935, 946 f. 1877 W.-H. Roth, in: Lutter/Fleischer (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 379, 392 ff. 1878 v. Halen, Das Gesellschaftsstatut nach der Centros-Entscheidung des EuGH, S. 131 f. 1872
C. Harmonisierung rechtsformwahrender Verwaltungssitzverlegungen?
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3. Rechtsformwahrende Verwaltungssitzverlegung als letztes Puzzleteil für einen ungehinderten Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen Aus Perspektive des Wegzugsstaats ist die durch Beendigung der „Einmauerung“1879 gesteigerte „Exportfähigkeit“1880 seiner Rechtsformen zu begrüßen. Anderenfalls ist angesichts der unionsrechtlich gewährleisteten Zuzugsfreiheit nach Deutschland ein eklatanter Wettbewerbsnachteil für deutsche Gesellschaften zu konstatieren.1881 Darüber hinaus: Bereits de lege lata sind Fälle möglich, in denen eine deutsche Gesellschaft kollisionsrechtlich1882 trotz Geltung der Sitztheorie ihren Verwaltungssitz im Ausland lokalisieren kann. Hierzu kommt es, wenn der Zuzugsstaat der Gründungstheorie anhängt.1883 Dies ergibt sich daraus, dass die deutsche Sitztheorie als Gesamtnormverweisung konzipiert ist und Deutschland die aus der Anwendung der Gründungstheorie folgende Rückverweisung (renvoi au premier degré) des Zuzugsstaats gem. Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB annimmt.1884 An diesem Beispiel wird klar, zu welchen willkürlich erscheinenden, da vom Kollisionsrecht des Zuzugsstaats abhängenden, die lex lata bei grenzüberschreitenden Verwaltungssitzverlegungen führt. Die Sitztheorie hat damit auch erheblich an Schlagkraft eingebüßt.1885 Die Versagung eines unionsrechtlichen Schutzes des rechtsformwahrenden Wegzugs stellt daher zusammengefasst eine „offene Flanke“1886 der
1879
Lutter, BB 2003, 7, 10. Schön, ZHR 160 (1996), 221, 234. 1881 Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung, S. 80; Zimmer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 371, 383; ders., NJW 2003, 3585, 3592. 1882 Ob es auf sachrechtlicher Ebene nicht nichtsdestotrotz zu einer Auflösung kommt, war lange umstritten, vgl. Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 629. Diese Auffassung kann mittlerweile aber nicht mehr aufrechterhalten werden, Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 830 ff. m. w. N. 1883 Walden, Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 191; Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 828; Koch, ZHR 173 (2009), 101, 113 f.; W.-H. Roth, FS HoffmannBecking, 2013, 965, 979; Heckschen/Nolting, BB 2020, 2256, 2257; Kieninger, ZEuP 2004, 685, 695. 1884 Eberhard, in: Ulrich/Kahle (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Personengesellschaften § 28 Rn. 35; v. Halen, Das Gesellschaftsstatut nach der Centros-Entscheidung des EuGH, S. 171 f.; Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 112; M. Frank, Grenzüberschreitende Verlagerung von Wirtschaftsgütern durch Sitzverlegung von Personengesellschaften, S. 40; W.-H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 973, 979; ders., ICLQ 2003, 177, 184; Koch, ZHR 173 (2009), 101, 114; Stiegler, ZGR 2017, 312, 327; Saenger, in: Birk (Hrsg.), Festschrift zum zehnjährigen Bestehen von P+P Pöllath + Partners, 295, 304 f. 1885 Balthasar, RIW 2009, 221, 224. 1886 W.-H. Roth, in: Lutter/Fleischer (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 379, 385. 1880
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grenzüberschreitenden Mobilität dar und steht damit auch in einem gewissen Widerspruch zum Ziel eines ungehinderten Binnenmarktes.1887
III. Ergebnis Im Ergebnis sollte die wenig stichhaltige1888 und einen einheitlichen Lebenssachverhalt aufspaltende Differenzierung zwischen Wegzugs- und Zuzugsfällen aufgegeben werden.1889 Wieso grenzüberschreitende Formwechsel in beide Richtungen zugelassen werden müssen, nicht aber rechtsformwahrende Verwaltungssitzverlegungen ist wenig einsichtig.1890 Um diesen Zustand zu verbessern muss den Mitgliedstaaten auf Ebene des Kollisionsrechts ihre Definitionsautonomie in Abkehr von der Doktrin der „Geschöpftheorie“ genommen werden.1891 Dies geschieht am besten durch eine universelle und verbandsformübergreifende Harmonisierung der Gründungstheorie.1892 Gleichzeitig wären in Mitgliedstaaten, die weiterhin sachrechtlich auf einen Verwaltungssitz insistieren, sachrechtliche Anpassungen nach dem legislativen Vorbild der § 5 AktG, § 4a GmbHG, § 706 BGB-MoPeG vonnöten.1893
D. Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts Mit der Behandlung von rechtsformwahrenden Verwaltungssitzverlegungen ist die Frage nach der Vereinheitlichung des Gesellschaftskollisionsrechts ausgeworfen. Die Mobilitäts-RL hält nur materiellrechtliche Lösungen für grenzüberschreitende Formwechsel und hat damit die Chance, Kollisions- und Sachrecht gleichzeitig zu harmonisieren, verpasst. Den Mitgliedstaaten steht es – in den Grenzen der EuGH Judikatur – auch zukünftig frei, das Kriterium für die Verbundenheit mit der eigenen Rechtsordnung zu definieren und somit die Anwendung ihres Gesellschaftsstatuts 1887
Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 770; Bollacher, RIW 2009, 150, 153. Vgl. Generalanwalt Ruiz-Jarabo, Schlussanträge v. 4. 12. 2001, Überseering, C-208/00, ECLI:EU:C:2001:655, Rn. 37, der diese Differenzierung für „künstlich“ hält; vgl. Kern, Überseering – Rechtsangleichung und gegenseitige Anerkennung, S. 161; Ringe, EBLR 2005, 621, 640; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 121; Behrens, IPRax 2003, 193, 205; v. Halen, WM 2003, 571, 574; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 743; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3592; Mörsdorf, EuZW 2009, 97, 99; a. A.: Wis´niewski/Opalski, EBOR 2019, 595, 612. 1889 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 283; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 770. 1890 Vgl. W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 121. 1891 Vgl. Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 296. 1892 Dazu sogleich unter: Kap. 6, D, II (S. 379 ff). 1893 Vgl. nur die alten Fassungen von § 5 Abs. 2 AktG, § 4a Abs. 2 GmbHG. Hierzu: Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 86 ff. 1888
D. Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts
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von einer Ansiedlung des Verwaltungssitzes abhängig zu machen. Die Voraussetzungen grenzüberschreitender Formwechsel sind damit weiterhin stets von den beteiligten nationalen Kollisionsrechten abhängig.1894 Schon lange wird der kollisionsrechtliche status quo zutreffend als Mobilitätshindernis identifiziert1895 und die Vereinheitlichung des Gesellschaftskollisionsrechts1896 oder als minus hierzu die Kodifikation des Deutschen Internationalen Gesellschaftsrechts1897 gefordert. Demgemäß verwundert die Kritik an dem Fehlen kollisionsrechtlicher Lösungen in der Mobilitäts-RL nicht.1898 Im Folgenden ist daher zu beleuchten, inwiefern eine Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts die grenzüberschreitende Mobilität verbessern könnte.
I. Unvereinheitlichtes Kollisionsrecht als Mobilitätshindernis Wie bereits im Verlaufe der Arbeit angeklungen, erweist sich der status quo im Kollisionsrecht in dreierlei Hinsicht als ausgesprochen unbefriedigend: Zum einen betrifft dies die mobilitätsfeindliche Stoßrichtung der Sitztheorie,1899 auch wenn diese durch die liberale EuGH-Judikatur deutlich an Schlagkraft verloren hat. Sie erweist sich weiterhin als Schranke für isolierte grenzüberschreitende Formwechsel. Dies gilt sowohl für den Fall eines Herein- als auch eines Herausformwechsels, sobald nur einer der beiden beteiligten Mitgliedstaaten kollisions1894
Kiem, ZHR 180 (2016), 289, 301. A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 3; Leible, in: Altmeppen/Fitz/Honsell (Hrsg.), Festschrift für Günther H. Roth zum 70. Geburtstag, 447. 1896 J. Schmidt, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt (Hrsg.), § 4a GmbHG Rn. 27; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 112; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 4 Rn. 33; J. Schmidt, ZVglRWiss 117 (2017), 313, 338; Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 610 ff.; dies., IPRax 2017, 200, 202; Paefgen, WM 2018, 1029, 1040; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481, 1492; dies., ZHR 173 (2009), 735, 771. 1897 Hornberger, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, Verschmelzungen und Formwechsel von Personengesellschaften innerhalb der EU, S. 259; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 935; Eidenmüller, JZ 57 (2003), 526, 528; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 772; Lieder/ Kliebisch, BB 2009, 338, 343; Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545, 550; vgl. Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1588. 1898 Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1922, 1935; P. Jung, GPR 2018, 157, 157. 1899 Jestädt, Das Niederlassungsfreiheit und Gesellschaftskollisionsrecht, S. 41 f.; Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, S. 154; Bechtel, Umzug von Kapitalgesellschaften unter der Sitztheorie, S. 5, 13 ff.; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 329, 334 ff.; Hübner, ZGR 2018, 149, 166; Ego, IWRZ 2019, 243; vgl. zu den mobilitätsfeindlichen Ergebnissen der Sitztheorie: Kainer, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Binnenmarkt- und Wirtschaftsordnungsrecht, § 4 Rn. 16; nur auf Grundlage der Gründungstheorie ist daher ungehinderte Gesellschaftsmobilität möglich, vgl. Habersack, ZHR 182 (2018), 495, 498. Die Mobilitätsfeindlichkeit der Sitztheorie zwar anerkennend, aber verteidigend: Grothe, Die „ausländische Kapitalgesellschaft & Co.“, S. 111 f. 1895
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Kap. 6: Quo vadis Europäisches Gesellschaftsrecht: Rechtspolitische Desiderata
rechtlich auf einen inländischen Verwaltungssitz insistiert. Ebenso macht das Festhalten an der Sitztheorie den grenzüberschreitenden rechtsformwahrenden Wegzug unmöglich. Um ungehinderte Gesellschaftsmobilität zu gewährleisten, müssen die kollisionsrechtlichen Mauern eingerissen werden.1900 Zum anderen erweist sich auch der bestehende, der Rechtssicherheit abträgliche Flickenteppich von nicht aufeinander abgestimmten nationalen Kollisionsregeln als Hemmschuh für grenzüberschreitende Mobilität. Dies betrifft namentlich missliche Statutenverdopplungen sowie „hinkende Rechtsverhältnisse“, welche zwar durch die aus der Niederlassungsfreiheit abgeleitete Anerkennungspflichten ausgemerzt werden. Gleichwohl markieren sie eine Schwäche eines unvereinheitlichten Kollisionsrechts, da die Sitztheorie in Bezug auf Drittstaaten nach herrschender Meinung weiterhin Geltung beansprucht.1901 Zuletzt wird die Anwendung der Sitztheorie durch mitunter bestehende Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Verwaltungssitzes, im Speziellen bei Personengesellschaften, erschwert.1902 Schließlich hinaus zeichnet sich das gegenwärtige Kollisionsrecht im negativen Sinne durch ein hohes Maß an Streitlust, Unterschiedlichkeit und Unübersichtlichkeit aus.1903 Exemplarisch hierfür lässt sich die mehrfache Spaltung des deutschen Kollisionsrechts anführen.1904 Dieser Zustand steht unter der Prämisse, dass Internationales Privatrecht den gemeinsamen Binnenmarkt fördern kann,1905 in einem gewissen Widerspruch zu einer immer weiter fortschreitenden Binnenmarktintegration.1906 Im Ergebnis kann grenzüberschreitende Mobilität nicht alleine durch eine „Sitzverlegungsrichtlinie“ gewährleistet werden, sondern es bedarf angesichts der Wechselwirkungen zwischen dem eng miteinander verwobenen Kollisions- und Sachrecht zusätzlich einer Vereinheitlichung des Kollisionsrechts als Komplementärstück zum materiellen Recht.1907 Mit der (materiellrechtlichen) Harmonisierung grenzüberschreitender Umwandlungen wurden mittlerweile auch – die möglicher1900
Kieninger, IPRax 2017, 200, 203. Hierzu unter: Kap. 2, A, V, 1, c (S. 57). 1902 Ebke, in: Hoffmann-Becking (Hrsg.), Festschrift für Hans-Jürgen Hellwig, 117, 139; Hübner, ZGR 2018, 149, 176. 1903 Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 4 Rn. 33; Zimmer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 371; ders., RabelsZ 67 (2003), 298 f.; Weller, IPRax 2017, 167, 177; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 935; Paefgen, WM 2018, 1029, 1040. 1904 Zu unterscheiden ist nach herrschender Meinung zwischen Drittstaaten- und EU/EWRKonstellationen sowie zwischen dem Kollisionsrecht der Kapital- und Personengesellschaften. Innerhalb der EU/EWR-Konstellationen ist zudem zwischen Wegzug- und Zuzugskonstellationen zu unterscheiden. 1905 W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 637. 1906 Zimmer, RabelsZ 2003, 298 f. 1907 Commission Staff Working Document, Impact Assessment SWD (2018) 141 final, S. 75. 1901
D. Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts
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weise notwendigen – Vorarbeiten geleistet. Es ist zu erwarten, dass diese nun, wenn auch nur sanften, Reformdruck abzielend auf die Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts ausüben.
II. Regelungsvorschlag:Vorzugswürdigkeit der Gründungstheorie In der Sache ist es schon längst überfällig, den „Kampf“1908 zwischen Sitz- und Gründungstheorie auf Basis der Gründungstheorie als allseitige Kollisionsnorm zu entscheiden.1909 Hierfür empfiehlt sich zur Gewährleistung eines gleichartigen Kollisionsrechts das Instrument einer Verordnung.1910 Für die Harmonisierung des Kollisionsrechts auf Grundlage der Gründungstheorie sprechen gewichtige Gründe. Für die de lege lata vorgenommene Unterscheidung zwischen Wegzugs- und Zuzugskonstellationen kein tragfähiger sachlicher Grund ersichtlich.1911 Im Unterschied zur Kodifizierung des Kollisionsrechts auf dem Fundament der Sitztheorie würde hierdurch die Gesellschaftsmobilität von ihren Fesseln befreien, indem sie insbesondere eine umfassende anfängliche und nachträgliche Rechtswahlfreiheit bereitstellt.1912 Dies würde auch den rechtspolitisch zu begrüßenden Wettbewerb der Gesellschaftsrechte stärken.1913 Auch der Schutz der berechtigten Interessen kann unter Geltung der Gründungstheorie gewährleistet werden,1914 womit der Sitztheorie ihr Nährboden entzogen wird. 1908
Ebke, in: Hoffmann-Becking (Hrsg.), Festschrift für Hans-Jürgen Hellwig, 117, 130. Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 112; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2017, 2225, 2234; Kieninger, ZEuP 2018, 309, 317; Kieninger, ZEuP 2004, 685, 703; Paefgen, WM 2018, 1029, 1040; Hübner, ZGR 2018, 149, 176; für das deutsche Internationale Gesellschaftsrecht: Eidenmüller, JZ 57 (2003), 526, 528; Leible/ Hoffmann, RIW 2002, 925, 935 f.; zurückhaltend aber: Ebke, in: Hoffmann-Becking (Hrsg.), Festschrift für Hans-Jürgen Hellwig, 117, 136 ff.; zurückhaltend sowie mit Einschränkungen für Briefkastengesellschaften: W.-H. Roth, in: Dauner-Lieb et. al. (Hrsg.), Festschrift für Barbara Grunewald zum 70. Geburtstag, 935, 958 f.; Blaurock, ZEuP 1998, 460, 482; Balthasar, RIW 2009, 221, 225; a. A.: Schurig, in: Hilbig-Lugani/Jakob/Mäsch/Reuß/Schmid (Hrsg.): Festschrift für Dagmar Coester-Waltjen zum 70. Geburtstag, 745, 751 ff.; für eine Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts auf Grundlage der Sitztheorie dagegen: Kindler, ZHR 179 (2015), 330, 377 f., 383 f.; ders., NZG 2018, 1, 5. 1910 Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 112; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 4 Rn. 33; Sonnenberger/Bauer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 3, 16; W.-H. Roth, in: Dauner-Lieb et. al. (Hrsg.), Festschrift für Barbara Grunewald zum 70. Geburtstag, 935, 941; Kieninger, ZEuP 2004, 685, 703; dies., IPRax 2017, 200, 203; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2017, 2225, 2234; dies., ZHR 173 (2009), 735, 771; J. Schmidt, ZVglRWiss 116 (2017), 313, 338. 1911 Großerichter, DStR 2003, 159, 167 f. 1912 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2017, 2225, 2234. 1913 Eidenmüller, JZ 57 (2003), 526, 528. 1914 Behrens, IPRax 2003, 193, 206; zweifelnd aber: Ebke, in: Hoffmann-Becking (Hrsg.), Festschrift für Hans-Jürgen Hellwig, 117, 138 sowie ders., JZ 58 (2003), 927, 930; zu den 1909
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Kap. 6: Quo vadis Europäisches Gesellschaftsrecht: Rechtspolitische Desiderata
Umgekehrt gibt es auch eine Reihe gewichtiger Gründe, wieso die Sitztheorie nicht zu favorisieren ist. Zwar können die mit ihr verfolgten Schutzinteressen nicht negiert werden. Bedenken drängen sich aber insbesondere betreffend die Erforderlichkeit einer Verwaltungssitzanknüpfung auf.1915 Es ist zu bezweifeln, ob diesen Interessen nicht auf andere, die Niederlassungsfreiheit weniger beeinträchtigende Weise Rechnung getragen werden kann. Dies betrifft insbesondere materiellrechtliche Vorgaben für grenzüberschreitende Transaktionen. Paradebeispiel hierfür sind die durch die Mobilitäts-RL eingeführten Schutzvorschriften für grenzüberschreitende Umwandlungen. Diese federn nicht nur die Folgen einer uneingeschränkten privatautonomen Rechtswahl ein, sondern belegen, dass auch die Sitztheorie Drittinteressen nicht ohne flankierende materiellrechtliche Vorschriften adäquat abzusichern vermag. Die der Sitztheorie zugrundeliegende Prämisse, dass die geschützten Personenkreise typischerweise in dem Staat, in dem der Verwaltungssitz lokalisiert ist, verliert mit der zunehmenden Globalisierung an Bedeutung.1916 Konstellationen, in denen Drittinteressen nur durch eine Verwaltungssitzanknüpfung Rechnung getragen werden kann, sind nicht erkennbar. Durch eine sekundärrechtliche Verankerung der Sitztheorie würden rechtsformwahrende Verwaltungssitzverlegungen unmöglich gemacht, sodass vom Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nur noch wenig übrigbliebe. Ohnehin dürfte angesichts der liberalen Rechtsprechung des EuGH, die in Sitztheorie-Staaten eine weitreichende Trendwende hin zur Gründungstheorie herbeigeführt hat, kein Weg zurück zu einer rigorosen Anwendung der Sitztheorie führen.1917 Angesichts dieser europarechtlichen Einwirkungen auf das Kollisionsrechts ist unabhängig von der rechtspolitischen Diskussion zweifelhaft, ob eine Vereinheitlichung der Sitztheorie mit der Niederlassungsfreiheit zu vereinbaren wäre.1918 Unter Geltung der weitreichenden Anerkennungspflichten vermag die Sitztheorie ihre bezweckten Schutzinteressen aber nicht umfassend durchzusetzen,1919 sodass sie in der EU ohnehin keine scharfe Waffe mehr ist. Unter dieser Prämisse kann sie auch ihre generalpräventive Wirkung1920 nicht mehr entfalten. In Anlehnung an Großfelds Feststellung, dass die Sitztheorie (nur noch) „eine Theorie auf Zeit“1921 sei, ist daher zu konstatieren: Die Möglichkeiten des Schutzes von Drittinteressen auf Basis der Gründungstheorie sogleich unter: Kap. 6, III, 3 (S. 383 ff.). 1915 W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623, 649. 1916 Behrens, RabelsZ 52 (1988), 498, 513. 1917 Zimmer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 371, 374 f.; ders., ZHR 168 (2004), 355, 362. 1918 Vgl. Paefgen, WM 2018, 1029, 1040. 1919 Hübner, ZGR 2018, 149, 168. 1920 Weller, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, Einleitung Rn. 325; Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 43; ders./ Beckmann, ZVglRWiss 91 (1992), 351, 362; Grothe, Die „ausländische Kapitalgesellschaft & Co.“, S. 109. 1921 Großfeld, in: Staudinger (Begr.), Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 124.
D. Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts
381
Sitztheorie ist durch die europäische Rechtsentwicklungen überholt worden; die Zeit für einen Paradigmenwechsel hin zur Gründungstheorie ist längst gekommen. Daher sollte alsbald gelten: Sitztheorie – requiescat in pace.1922
III. Ausgestaltung des vereinheitlichten Gesellschaftskollisionsrechts 1. Reichweite: Erstreckung auf Drittstaatengesellschaften Eine umfassende, universelle und verbandsformübergreifende Vereinheitlichung des Kollisionsrechts würde einen beträchtlichen Gewinn an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit mit sich bringen, nicht zuletzt weil der EuGH die kollisionsrechtlichen Implikationen der Niederlassungsfreiheit noch nicht vollkommen ausgeleuchtet hat.1923 Hiernach besteht ein erhebliches praktisches Bedürfnis, da es kaum im Sinne der mobilitätswilligen Rechtssubjekte sein kann, sich bei grenzüberschreitendem Tätigwerden stets über (mindestens) zwei nationale Kollisionsrechte informieren zu müssen, wodurch insbesondere der juristisch nicht affine Rechtsteilnehmer vor große Schwierigkeiten gestellt wird.1924 Im Sinne der Kohärenz sollte auch auf Drittstaaten-Gesellschaften die Gründungstheorie zur Anwendung gebracht werden.1925 Hierdurch würden nicht nur neue Rechtsunsicherheiten,1926 sondern insbesondere auch missliche Statutenverdopplungen zuverlässig vermieden.1927 Ohnehin ist zweifelhaft, ob eine unterschiedliche Behandlung von EU-ausländischen und Drittstaatengesellschaften wertungsgerecht ist. Besonders plastisch wird dies, wenn man sich die Ungleichbehandlung von 1922
Vgl. Sandrock, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, 33, der bereits 2004 konstatierte: „Die Sitztheorie ist tot. Dies ist gewiß“. 1923 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 284; Zimmer, ZHR 168 (2004), 355, 362; ders., in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 371 f.; Hübner, ZGR 2018, 149, 166; Eidenmüller, JZ 57 (2003), 526, 528; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 935. 1924 Zimmer, ZHR 168 (2004), 355, 362. 1925 Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2244; Kieninger, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, 57, 71 ff.; zurückhaltend: Großerichter, DStR 2003, 159, 168; Ebke, JZ 58 (2003), 927, 929; a. A.: Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung, S. 73 ff.; Rauscher, Internationales Privatrecht, Rn. 639; Kindler, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 389 ff.; Schurig, in: Hilbig-Lugani/Jakob/Mäsch/Reuß/Schmid (Hrsg.): Festschrift für Dagmar Coester-Waltjen zum 70. Geburtstag, 745, 751; ders., in: Krüger (Hrsg.), Liber amicorum Gerhard Kegel, 199, 214; Weller, IPRax 2017, 167, 177. 1926 Kieninger, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, 57, 71. 1927 Vgl. Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 500.
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Kap. 6: Quo vadis Europäisches Gesellschaftsrecht: Rechtspolitische Desiderata
Gesellschaften aus Drittstaaten mit Anerkennungsabkommen wie dem deutschamerikanischen Freundschaftsvertrag von 19541928 und Gesellschaften aus sonstigen Drittstaaten vergegenwärtigt. Für die kollisionsrechtliche Besserbehandlung solcher Gesellschaften ist kein tragfähiger Grund erkennbar.1929 Das Ergebnis wäre ein rechtssicheres und in sich stimmiges und widerspruchsfreies loi uniforme. Die allgemeingültige Gründungsanknüpfung wäre daher die legislative Festschreibung und Fortentwicklung des judikativen Siegesszugs der Gründungstheorie zu einem geschlossenen System.1930 2. Anknüpfungsmoment Als Anknüpfungspunkt ist der Satzungssitz für Kapitalgesellschaften1931 sowie der Vertragssitz für Personengesellschaft zu favorisieren.1932 Ein Statutenwechsel könnte daher unkompliziert durch Verlegung des Satzungs- bzw. Vertragssitzes erreicht werden, ohne dass es einer Verwaltungssitzverlegung bedarf. Dieses Anknüpfungsmoment zeichnet sich dadurch aus, dass sie ein hohes Maß an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit vermittelt.1933 Eine nicht wandelbare Anknüpfung an den ursprünglichen Inkorporationsort würde grenzüberschreitende Mobilität in Form von grenzüberschreitenden Formwechseln unmöglich machen und damit gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen.1934 Denkbar ist aus Gründen der Publizität und Rechtssicherheit auch die Anknüpfung an den Ort der Registereintragung,1935 woraus aber Schwierigkeiten im Hinblick auf nicht registrierte Gesellschaften resultieren.1936 Große Unterschiede in der Sache ergeben sich angesichts des regelmäßigen
1928 Gem. Art. XXV Abs. 5 S. 2 dieses Vertrags gelten nach dem Recht eines Vertragsteils errichteten Gesellschaften von dem anderen Vertragsteil anerkannt werden. 1929 Sonnenberger/Bauer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 3, 18; Balthasar, RIW 2009, 221, 224; kritisch aber: Schurig, in: Hilbig-Lugani/Jakob/Mäsch/Reuß/Schmid (Hrsg.): Festschrift für Dagmar Coester-Waltjen zum 70. Geburtstag, 745, 749 f. 1930 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2017, 2225, 2234. 1931 Zimmer, RabelsZ 2003, 298, 311. 1932 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 499. 1933 Zimmer, RabelsZ 2003, 298, 311; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2017, 2225, 2234. 1934 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 163 f.; Mörsdorf, EuZW 2009, 97, 100. 1935 Trautrims, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften, S. 148 f.; Sonnenberger/ Bauer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 3, 7, 21; Zimmer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 371, 375 f.; Kindler, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 389, 391. 1936 Sonnenberger/Bauer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 3, 22.
D. Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts
383
Gleichlaufs dieser Anknüpfungspunkte nicht.1937 In Ermangelung eines Satzungsoder Vertragssitzes könnte nachrangig auf das Recht, nach dem sich die Gesellschaft organisiert hat, abgestellt werden.1938 Auf einer weiteren Stufe subsidiär kommt eine Anknüpfung an den Verwaltungssitz in Betracht.1939 Das Ergebnis wäre eine klar nachzuvollziehende „Anknüpfungsleiter“1940. 3. Schutz von Drittinteressen Weitgehende Einigkeit dürfte dahingehend bestehen, dass eine uneingeschränkte Sitzwahlmöglichkeit und ungehinderte Gesellschaftsmobilität Partikularinteressen berühren, weswegen die „reine“ Gründungstheorie zum Schutze dieser Interessen unterfüttert werden muss.1941 Die immer wieder gegen die Gründungstheorie erhobenen Einwände, dass sie berechtigte Interessen nicht zu schützen vermag, sind unzutreffend. Auch bei einem solchen Kollisionsrecht können die schutzwürdigen Interessen durch Einschränkungen der Gründungstheorie angemessen durchgesetzt werden und damit ein Ausgleich zur reinen Anknüpfung an den Satzungssitz geschaffen werden.1942 a) Flankierung durch materielles Sekundärrecht Zum einen kann die durch die Gründungstheorie entfesselte Gesellschaftsmobilität – wie dies durch die Mobilitäts-RL geschehen ist – durch materiellrechtliche Normen flankiert werden. Die gegen die Gründungstheorie ins Felde geführten Bedenken verlieren mit der zunehmenden Erlass von Sekundärrechtsakten, gleich ob sie die Abfederung der Folgen der gesellschaftsrechtlichen Bewegungsfreiheit betreffen oder das mitgliedstaatliche Regelungsgefälle verringern, an Bedeutung.1943 Ob die Sitztheorie schutzwürdige Interessen besser als eine durch Sonderanknüpfungen und materiellrechtliche Normen unterfütterte Gründungstheorie schützen kann, ist zweifelhaft. 1937 Zimmer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 371, 375. 1938 Zimmer, ZHR 168 (2004), 355, 363. 1939 Zimmer, ZHR 168 (2004), 355, 363. 1940 Eine solche liegt vor, wenn neben der Hauptanknüpfung noch weitere, subsidiäre Anknüpfungsmomente bestehen, v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht I, § 7 Rn. 95; Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 143. 1941 Vgl. nur Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 63 m. w. N.; Zimmer, in: Schneider/Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Marcus Lutter zum 70. Geburtstag, 231, 232. 1942 Sonnenberger/Bauer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 3, 18; Hübner, ZGR 2018, 149, 168; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 773. 1943 Lieder/Hilser, ZHR 185 (2021), 471, 501.
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Kap. 6: Quo vadis Europäisches Gesellschaftsrecht: Rechtspolitische Desiderata
b) Nationales Sachrecht Als weiterer Mittelweg entpuppt sich das nationale Sachrecht.1944 Die Formulierung der Anforderungen an die Gründung von Gesellschaften sowie ihre Ausgestaltung fällt in die Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten, sodass diese nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu messen sind.1945 Insbesondere sind die Mitgliedstaaten berechtigt, einen inländischen Verwaltungssitz als sachrechtlichen Anknüpfungspunkt für die nationale Rechtsordnung festzulegen.1946 Macht der Zuzugsstaat hiervon Gebrauch, kann ein Statutenwechsel – wenn der Verwaltungssitz nicht ohnehin schon im Zuzugsstaat belegen ist – nur durch eine gleichzeitige Verlegung von Satzungs- und Verwaltungssitz vollzogen werden, da nur dann die Gründungsvoraussetzungen im Zuzugsstaat erfüllt sind. Auch eine rechtsformwahrende Herausverlegung des Verwaltungssitzes ist unter der Prämisse eines sachrechtlich zwingend im Inland belegenen Verwaltungssitzes im Wegzugsstaat nicht möglich.1947 Mithin kann auf diese Weise die Anwendung der Gründungstheorie durch den Zuzugsstaat faktisch ausgehebelt werden. Diese Lösung geht somit zulasten der Kohärenz zwischen materiellem Recht und Kollisionsrecht und würde eine weiter offene Wunde darstellen. Anreize für ein solches Sachrecht dürften allerdings nur wenig bestehen, da sie nicht nur den Import fremder Gesellschaften erschwert, sondern auch den Export der eigenen Gesellschaften. c) Sonderanknüpfungen Zum anderen stellt die Anreicherung der Gründungstheorie durch das Einfalltor von Sonderanknüpfungen eine Kompromisslinie dar, die beide Theorien miteinander verknüpfen und versöhnen kann.1948 Sonderanknüpfungen sind Anknüpfungen bestimmter Normen an den Verwaltungssitz in Durchbrechung des einheitlichen Gesellschaftsstatuts zum Schutze der Partikularinteressen der inländischen Stakeholder.1949 Der Vorteil von sekundärrechtlichen Sonderanknüpfungen liegt darin, dass sie im Vergleich zu den am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu messenden na1944 Vgl. die Empfehlung der Studie Gerner-Beuerle/Mucciarelli/Schuster/Siems, Study on the Law Applicable to Companies, Final Report, Juni 2016, S. 292; dem folgend: Hübner, ZGR 2018, 149, 166. 1945 Vgl. EuGH, Urt. v. 12. 07. 2012, VALE, C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, Rn. 31, 51 f.; W.-H. Roth, in: Krieger/Lutter/K. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Michael Hoffmann-Becking zum 70. Geburtstag, 965, 983; ders., ZGR 2014, 168, 211; Schön, ZGR 2013, 333, 343; Verse, ZEuP 2013, 458, 488 f. 1946 Vgl. EuGH, Urt. v. 25. 10. 2017, Polbud, C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, Rn. 43. 1947 So die Rechtslage in Deutschland vor Inkrafttreten des MoMiG. Zu dieser deskriptiv: Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1582. 1948 Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn 63, 67; Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338, 342. 1949 Statt aller ausführlich zum Hintergrund und der Zulässigkeit von Sonderanknüpfungen: Weller, in: Fleischer/Goette (Hrsg.), Münchener Kommentar GmbHG, Einleitung Rn. 444 ff.
D. Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts
385
tionalen Sonderanknüpfungen1950 einem laxeren Rechtfertigungsmaßstab unterworfen sind.1951 Auf diese Weise könnte der „gordische Knoten“ zwischen der inländischen Schutzinteressen dienenden Sitztheorie und der auf Privatautonomie und Internationalität abzielenden Gründungstheorie durchschlagen werden. Allgemein gesprochen ist bei der Normierung von Sonderanknüpfungen Zurückhaltung geboten, um die Grundentscheidung für die Gründungstheorie nicht durch die Hintertür wieder bis zur Unkenntlichkeit aufzuweichen.1952 Im Hinblick auf grenzüberschreitende Gesellschaftsmobilität kommen Sonderanknüpfungen insbesondere für den Gläubiger- und Mitbestimmungsschutz in Betracht. Angesichts der weitgehenden materiellen Schutzvorschriften sollte Sonderanknüpfungen in dieser Hinsicht aber der Boden entzogen sein. Auf sämtliche Facetten der in Betracht kommenden Sonderanknüpfungen einzugehen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Dies gilt insbesondere für nicht gesellschaftsrechtliche Sonderanknüpfungen, die ohnehin von einer Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts nicht tangiert wären wie beispielsweise das Deliktsstatut.1953
IV. Durchführung der Harmonisierung Dem hiesigen Vorschlag entsprechende Regelungsvorschläge liegen bereits auf dem Tisch. Im Jahr 2016 hatte die Groupe europe´en de droit international prive´ (GEDIP) einen Vorschlag zur Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts unterbreitet.1954 Dieser plädierte für eine universelle Geltung der Gründungstheorie1955 und knüpfte nur subsidiär1956 an den Verwaltungssitz an. Mit den Artt. 81 Abs. 2 Buchst. c, 114, 115 AEUV und ggf. auch Art. 352 AEUV stehen hierzu passende Ermächtigungsgrundlagen bereit.1957 Es versteht sich von selbst, dass das 1950 Spahlinger, in: Spahlinger/Wegen (Hrsg.), Internationales Gesellschaftsrecht in der Praxis, Rn. 218; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2242. 1951 Kainer, in: Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Binnenmarkt- und Wirtschaftsordnungsrecht, § 4 Rn. 105. 1952 Vgl. Ebke, in: Hoffmann-Becking (Hrsg.), Festschrift für Hans-Jürgen Hellwig, 117, 138. 1953 Vgl. Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 68; Kieninger, in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, 57, 64 f. Allgemein zu gläubigerschützenden Sonderanknüpfungen: Balthasar, RIW 2009, 221, 225 f. 1954 Groupe europe´en de droit international prive´ (GEDIP), Vorschlag v. 16 – 18. 09. 2016: Draft rules on the law applicable to companies and other bodies, abgedruckt, in: ZEuP 2017, 500 ff.; hierzu ausführlich: Hübner, ZGR 2018, 149, 170 ff. 1955 Vgl. Art. 3 des Vorschlags. 1956 Vgl. Art. 4 des Vorschlags. 1957 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 273; Kindler, in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 101, 108 hält allein Art. 115, 352 AEUV für eine taugliche Ermächtigungsgrundlage; vgl. zu den Art. 65 Buchst. b,
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Kap. 6: Quo vadis Europäisches Gesellschaftsrecht: Rechtspolitische Desiderata
Kollisionsrecht im Hinblick auf Drittstaaten nicht durch die Europäische Union harmonisiert werden kann.1958 Hier muss man sich mit bi- oder noch besser multinationalen Abkommen behelfen.
V. Alternative: Kodifizierung des deutschen Internationalen Gesellschaftsrechts Eine europäische Lösung ist einer rein deutschen Lösung vorzuziehen, da nur hiermit die angestrebte Rechtssicherheit vollumfänglich erreicht werden kann.1959 Alternativ sollten die Arbeiten an einer Kodifikation des Deutschen Internationalen Gesellschaftsrechts wieder aufgenommen werden, allein schon um die durch das MoMiG und jüngst durch das MoPeG evozierten Streitigkeiten in Bezug auf das Kollisionsrechts der Personengesellschaften1960 einer verbindlichen Klärung zuzuführen. Bereits im Jahr 2008 war ein Anlauf zur Kodifizierung des Internationalen Privatrechts der Gesellschaften auf Basis der Gründungstheorie, auch im Hinblick auf Drittstaaten-Sachverhalte, unternommen worden.1961 Im besten Fall würde eine solche Lösung Vorbildwirkung für weitere Mitgliedstaaten entfalten.1962 Auf der anderen Seite besteht hier stets die Gefahr der Primärrechtswidrigkeit von Sonderanknüpfungen.1963
95 EGV, den Vorgängervorschriften der Art. 81, 114 AEUV: Sonnenberger/Bauer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 1, 16; Zimmer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 201, 202. 1958 Hübner, Kollisionsrechtliche Behandlung von Gesellschaften aus „nicht-privilegierten“ Drittstaaten, S. 315 f.; ders., ZGR 2018, 149, 180. 1959 So im Ergebnis auch: Sonnenberger/Bauer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 3, 17. 1960 Hierzu unter: Kap. 5, A, I, 2, a, bb (S. 292 ff.). 1961 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zu einem Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen v. 07. 01. 2008; abrufbar unter: https://rsw.beck.de/docs/librariesprovider5/rsw-doku mente/Referentenentwurf-IGR; hierzu: Wagner/Timm, IPRax 2008, 81 ff. 1962 Sonnenberger/Bauer, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 3, 17; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 773 f. 1963 Behrens/Hoffmann, in: Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.), GmbHG Großkommentar, Einleitung B Rn. 77.
E. Zusammenfassung in Thesenform
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E. Zusammenfassung in Thesenform 1. Durch die Mobilitäts-RL konnten wesentliche Mobilitätshemmnisse beseitigt werden. Nichtsdestotrotz sind sowohl auf Ebene des Europäischen Gesellschaftsrechts als auch auf Ebene des Internationalen Privatrechts fortbestehende Mobilitätsschranken zu beanstanden. 2. Der Europäische Gesetzgeber ist aufgerufen, den Harmonisierungsgrad der GesR-RL zu erhöhen. Personengesellschaften sowie Spaltungen zur Aufnahme müssen dringend in den Anwendungsbereich der GesR-RL einbezogen werden. 3. Eine Vereinheitlichung des Gesellschaftskollisionsrechts auf Grundlage der mit Sonderanknüpfungen angereicherten Gründungstheorie ist dringend geboten. Hierdurch würden isolierte grenzüberschreitende Formwechsel sowie rechtformwahrende Verwaltungssitzverlegungen als ihr Komplementärstück umfassend ermöglicht, ohne dass die Gesellschaftsinteressen zulasten der schutzwürdigen Stakeholder-Belange hypertrophiert werden.
Kapitel 7
Schlussbetrachtung und Zusammenfassung des wesentlichen Ertrags in Thesenform A. Schlussbetrachtung und Ausblick I. Schlussbetrachtung Die bis zur Umsetzung der Mobilitäts-RL durch ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit gekennzeichnete Rechtslage wird den praktischen Bedürfnissen nach einem Tätigwerden im Binnenmarkt nicht gerecht und vermag die berechtigten Stakeholder-Interessen nicht zu schützen. Die Mobilitäts-RL stellt daher das wohl wichtigste und ehrgeizigste Vorhaben auf dem Bereich des Europäischen Gesellschaftsrechts in den letzten Jahren dar. Die Europäische Union schafft mit der Harmonisierung grenzüberschreitender Formwechsel ein weitgehendes level playing field1964, auf dem sich die Gesellschaften rechtssicher und mit deutlich gesenkten Transaktionskosten bewegen können. Vieles spricht dafür, dass der grenzüberschreitende Formwechsel durch die neu geschaffene Rechtssicherheit seine rechtstechnischen Vorzüge gegenüber grenzüberschreitenden Verschmelzungen nun auch in der Praxis ausspielen und sich damit zum basso ostinato der grenzüberschreitenden Gesellschaftsmobilität entwickeln wird. Auch die von einem grenzüberschreitenden Formwechsel betroffenen Gesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer profitieren von der Harmonisierung. Die Mobilitäts-RL hält verschiedene Schutzinstrumente zu ihren Gunsten bereit und löst das Spannungsverhältnis zwischen den Interessen der Gesellschaft an einem effizienten Umwandlungsverfahren und den Stakeholder-Interessen angemessen auf. Gleichwohl wären im Einzelnen effizientere Lösungsmöglichkeiten bei ähnlicher Effektivität zu bevorzugen gewesen. Namentlich betrifft dies einen nachgelagerten Gläubigerschutz1965 sowie eine Anpassung der Verhandlungs- und Auffanglösung durch ein System der nachträglichen Verhandlungspflicht1966. Als besondere Herausforderung für den Umsetzungsgesetzgeber bzw. die Register wird sich die Handhabung der wenig konturierten Missbrauchsklausel erweisen. 1964
Hierunter versteht man gleiche Wettbewerbsbedingungen für Gesellschaften, H. Fischer, in: Heidel (Hrsg.), Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 5 AktG Rn. 1; Solveen, in: Hölters (Hrsg.), AktG, § 5 AktG Rn. 7; Schön, ZHR 160 (1996), 221, 232; vgl. BT-Drs. 16/6140, S. 29. 1965 Hierzu unter: Kap. 4, D, VII (S. 227 f.). 1966 Hierzu unter: Kap. 4, E, IV (S. 242 ff.).
A. Schlussbetrachtung und Ausblick
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Ein großer Wermutstropfen bleibt die fehlende Harmonisierung von grenzüberschreitenden Formwechseln von Personengesellschaften. Der Europäische Gesetzgeber ist ohne schlagenden Grund auf halbem Weg stehen geblieben ist. Dies ist besonders misslich, da hier über das geltende Recht in Praxis und Literatur große Unsicherheit herrscht und ohne einen klaren Rechtsrahmen nur mit erheblichen Mühen auf diese Form der Umstrukturierung rekurriert werden kann. Auch eine überschießende Umsetzung vermag diese Symptome nicht zu beheben, sondern nur zu lindern. Dieser Zustand kann nur ein dringend durch den Europäischen Gesetzgeber zu überwindendes Provisorium darstellen. Zu bedauern ist zuletzt, dass im Zuge der Mobilitäts-RL die längst überfällige Vereinheitlichung des Gesellschaftskollisionsrechts auf Grundlage der Gründungstheorie nicht in Angriff genommen worden ist. Grenzüberschreitende Formwechsel sind als Ausfluss dessen in unbefriedigender Weise weiterhin vom erfolgreichen Zusammenspiel der Kollisionsrechte von Wegzugs- und Zuzugsstaats abhängig.
II. Harmonisierung grenzüberschreitender Formwechsel als Startschuss für einen ungehinderten „Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen“? Mit der Harmonisierung grenzüberschreitender Umwandlungen wird die Diskussion altbekannte Diskussion um den „Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen“ neu an Fahrt gewinnen. Das vielfach durch die zukünftig – mit geringen, dem Kollisionsrecht zuzuschreibenden Ausnahmen – unkompliziert mögliche Gesellschaftsmobilität, insbesondere durch isolierte grenzüberschreitende Formwechsel,1967 befürchtete „race to the bottom“1968 der mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechte in Parallele zu dem vielzitierten „Delaware-Effekt“1969 ist kaum zu erwarten. Zwar wird durch die Behebung des tatsächlichen Mobilitätshindernisses „Rechtsunsicherheit“ die Gesellschaftsmobilität erstmals nahezu in ihrer gesamten Bandbreite entfacht. Damit explodiert die Anzahl an potentiellen Nachfragen nach grenzüberschreitender Mobilität.1970 Ob auf diese Weise ein (horizontaler)1971 1967 Auf den Wettbewerbsdruck durch das Polbud-Urteil hinweisend: Bernard, D.A.O.R. 2018 – 3, n8127, 5, 10. 1968 Ein „race to the bottom“ des Gesellschaftsrechts befürchtend: BGH, Urt. v. 30. 03. 2000 – VII ZR 370/98, ZIP 2000, 967, 968; A. Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, S. 64 f.; in diese Richtung auch: G. H. Roth, Vorgaben der Niederlassungsfreiheit für das Kapitalgesellschaftsrecht, S. 33; Blaurock, ZEuP 1998, 460, 462 f.; Krause, in: Deinert/Heuschmid/Ma. Schmidt (Hrsg.), Festschrift für Thomas Klebe zum 70. Geburtstag, 248, 250; gegenteilig: Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 1 Rn. 17; vgl. auch EuGH, Urt. v. 09. 03. 1999, Centros, C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126, Rn. 27. 1969 Dazu beispielsweise: Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 332 ff.; Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545, 549 ff. 1970 Vgl. Kieninger, ZEuP 2018, 309, 316.
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Kap. 7: Schlussbetrachtung und Zusammenfassung in Thesenform
Wettbewerb der Rechtsordnungen entfesselt wird, bleibt zu bezweifeln. Auf Anbieter-Seite bestehen für die Gesetzgeber wenig Anreize, Gesellschaften in ihre Rechtsordnung einzuladen, weil es innerhalb der EU keine für die Inkorporation fälligen sowie für die Konzession wiederkehrenden incorporation und franchise fees nach US-amerikanischem Vorbild gibt.1972 Ausschlaggebend für das nationalstaatliche Interesse an der Wahl bzw. Aufrechterhaltung eigener Rechtsformen dürfte neben den wohl zu vernachlässigenden mittelbaren Wohlfahrtseffekten1973 vielmehr der Schutz von Drittinteressen sein.1974 Exemplarisch ist dies im Hinblick auf die unternehmerische Mitbestimmung der Fall: Angesichts der Mitbestimmungsfreiheit ausländischer Gesellschaften hat Deutschland ein Interesse daran, dass mit deutschen Rechtsformen operiert wird. Der Wettbewerb der Rechtsordnungen innerhalb der Europäischen Union lässt sich damit als „defensiv“1975 klassifizieren.1976 Bestes Beispiel für das Funktionieren dieses defensiven Wettbewerbs ist die Einführung der UG (haftungsbeschränkt) als Reaktion auf den Boom britischer Limiteds mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland.1977 1971
„Horizontaler“ Wettbewerb meint den Wettbewerb zwischen den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, während der „vertikale“ Wettbewerb den Wettbewerb zwischen den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und der Europäischen Union, die zunehmend mit supranationalen Rechtsformen den „Markt“ betritt, beschreibt, Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276, 283; Eidenmüller, JZ 64 (2009), 641, 652. 1972 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 291; Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276, 292 f.; Eidenmüller, in: Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 581, 584; ders., JZ 64 (2009), 641, 643; Ringe, ECFR 2013, 230, 244; monetäre Anreize bestehen daher nur mittelbar, etwa in Form eines erhöhten Steueraufkommens durch Steigerung der Wirtschaftsleistung durch einen erhöhten Bedarf nach Rechtsberatung, Eidenmüller, JZ 64 (2009), 641, 643; ders., ZIP 2002, 2233, 2237; ders., in: Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 581, 584; sehr zurückhaltend aber: Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, S. 190; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 292; für eine Übernahme des US-amerikanischen franchise-fees-Modells: Eidenmüller, in: Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 581, 589. 1973 Ringe, ECFR 2013, 230, 244, der beispielhaft die Verhütung von Nachteilen für die heimische Rechtsindustrie nennt. 1974 Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 294. 1975 Dies meint den Fokus auf die Verhinderung der Abwanderung inländischer Gesellschaften während im „offensiven“ Wettbewerb aktiv versucht wird, fremde Gesellschaften anzulocken, Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276, 293. 1976 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 7 Rn. 10; Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276, 293 ff.; Ringe, ECFR 2013, 230, 244. 1977 Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 26; Jung/Stiegler, in: Jung/ Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa, § 18 Rn. 16; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, S. 293; Eidenmüller, JZ 64 (2009), 641, 645; Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276, 299 f.; Ringe, ECFR 2013, 230, 257 ff. zeichnet jedoch ein differenziertes Bild hinsichtlich der Ursachen für den Rückgang „deutscher“ Limiteds infolge des MoMiG und führt hierfür u. a. empirische Daten aus Öster-
B. Zusammenfassung des wesentlichen Ertrags in Thesenform
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Ein Absenken der Schutzstandards infolge der Harmonisierung grenzüberschreitender Umwandlungen droht kaum: Zum einen verhindern die Schutzvorschriften zugunsten der Minderheit, der Gläubiger und der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen ein rücksichtloses Ausnutzen der mitgliedstaatlichen Regelungsgefälle. Hiermit wurde das scharfe Schwert eines reinen Wettbewerbs abgestumpft. Dasselbe gilt für die Bereiche, die bereits einer Harmonisierung zugeführt worden sind und wo mithin kein Regelungsgefälle ausgenutzt werden kann.1978 Zum anderen beugen auch kollisionsrechtliche Sonderanknüpfungen einem Marktversagen zulasten schutzwürdiger Drittinteressen vor.1979
B. Zusammenfassung des wesentlichen Ertrags in Thesenform 1.
Ein grenzüberschreitender Formwechsel ist ein gesellschaftsrechtlicher Vorgang, durch den eine Gesellschaft ihre Rechtsform identitätswahrend in eine neue Rechtsform wechselt, die einem unterschiedlichen Gesellschaftsstatut entspringt. Diese Strukturmaßnahme gewährleistet die einer Gesellschaftsgründung funktional vergleichbare Möglichkeit einer nachträglichen Rechtsformwahl. Kollisionsrechtlich kommt das Recht der beiden beteiligten Staaten sukzessive zur Anwendung (kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie).
2.
Für das Gelingen grenzüberschreitender Formwechsel müssen sowohl die Kollisions- als auch die Sachrechte beider beteiligten Mitgliedstaaten in ihrem Zusammenspiel die Umwandlung zulassen. Deutschland legt durch die sachrechtliche Gestattung einer Sitzaufspaltung (§ 5 AktG, § 4a GmbHG, § 706 BGB-MoPeG) sowie durch die umfassende kollisionsrechtliche Anknüpfung an den Satzungs- bzw. Vertragssitz (Gründungstheorie) mobilitätswilligen Gesellschaften keine Steine in den Weg.
3.
Grenzüberschreitende Gesellschaftsmobilität ist eine tragende Säule des Europäischen Binnenmarktes und entspricht einem dringenden praktischen Bedürfnis. Grenzüberschreitende Formwechsel sind sowohl aus Wegzugs- als auch aus Zuzugsperspektive durch die Niederlassungsfreiheit geschützt. Dies gilt gleichermaßen für grenzüberschreitende Formwechsel unter simultaner Verwaltungssitzverlegung wie für isolierte grenzüberschreitende Formwechsel (Polbud). Ihr Schutz wird durch ein umfassendes Beschränkungsverbot sowie die unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität rechtlich abgesichert.
reich an, wo der „Limited-Boom“ auch ohne Schaffung eines Äquivalents zu der UG (haftungsbeschränkt) abgeebbt ist. 1978 Vgl. Zimmer, in: Bitter/Lutter/Priester/Schön/Ulmer (Hrsg.), Festschrift für Karsten Schmidt zum 70. Geburtstag, 1789, 1800. 1979 Vgl. Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 361 ff.
392
Kap. 7: Schlussbetrachtung und Zusammenfassung in Thesenform
4.
Die Schranken dieser „Formwechselfreiheit“ finden sich in den zwingenden Gründen des Allgemeinwohls. Hier sind insbesondere die schutzwürdigen Interessen von Gesellschaftern, Gläubigern und Arbeitnehmern anzuführen. Deren Rechtspositionen können durch den Statutenwechsel in verschiedener Hinsicht tangiert werden, ohne dass sie sich effektiv hiergegen zur Wehr setzen können.
5.
Grenzüberschreitende Formwechsel sind de lege lata in Ermangelung von Verfahrensvorschriften aus Gesellschaftsperspektive mit einem erheblichen Maß an Rechtsunsicherheit behaftet. Sie können daher nur unter enger Abstimmung mit den beteiligten Registern durchgeführt werden. Dieser Befund steht in einem gewissen Widerspruch zu der liberalen EuGH-Judikatur sowie dem Effektivitätsprinzip. In der Konsequenz muss sich die Praxis mit der Substitution grenzüberschreitender Formwechsel durch rechtssichere Alternativlösungen wie grenzüberschreitende Verschmelzungen, grenzüberschreitende Anwachsungen oder asset deals behelfen.
6.
Auch aus der Warte der Stakeholder ist die geltende Rechtslage unbefriedigend. Dies lässt sich an der Schutzlosigkeit der Gläubiger exemplifizieren, wenn der Wegzugsstaat einen ex post Schutz vorsieht, während der Zuzugsstaat für einen ex ante Schutz optiert.
7.
Aus diesen Gründen bezweckt der Europäische Gesetzgeber mit der MobilitätsRL, grenzüberschreitende Mobilität (exklusiv) für Kapitalgesellschaften in einem effizienten Rahmen zu ermöglich. Hiermit bricht ein neues Kapitel im europäischen Umwandlungsrecht an. Durch die Schaffung von Rechtssicherheit wird die grenzüberschreitende Gesellschaftsmobilität zukünftig prosperieren.
8.
Die neuen Vorschriften nehmen große Anleihen an der SE-VO und der CBMD. Das Umwandlungsverfahren findet entsprechend den Wertungen der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie größtenteils im Wegzugsstaat statt. Die Verfahren in Wegzugs- und Zuzugsstaat sind durch eine bindende Vorabbescheinigung verknüpft, ohne die der grenzüberschreitende Formwechsel nicht wirksam werden kann.
9.
Die Stakeholder-Schutzvorschriften markieren das notwendige Korrektiv entfesselter Gesellschaftsmobilität und bilden das Herzstück des harmonisierten Rechtsrahmens. Sie sind stets in formelle und materielle Schutzvorschriften getrennt. Ihre Wirkung ist vollharmonisierend. Nur wenn und soweit konkrete Schutzanliegen nicht in den speziellen Schutzvorschriften adressiert worden sind, kommt ein darüberhinausgehender mitgliedstaatlicher Spielraum in Betracht. Dies betrifft namentlich den Sonderrechtsschutz.
10. Die Gesellschafter werden durch qualifizierte Anforderungen an den Formwechselbeschluss sowie ein Austrittsrecht gegen Barabfindung geschützt. Im Gegenzug sichert ein Anfechtungsausschluss im Sinne der Verfahrenseffizienz die Auslagerung von kompensatorischen Streitigkeiten in das Spruchverfahren.
B. Zusammenfassung des wesentlichen Ertrags in Thesenform
393
a) Das Austrittsrecht gegen Barabfindung schützt die dissentierenden Gesellschafter. In Anbetracht seiner nationalen Tradition sollte Deutschland den Widerspruch zur Niederschrift anstelle einer dokumentierten Ablehnung des Formwechselbeschlusses für die Anspruchsberechtigung verlangen. Der Kreis der Anspruchsberechtigten sollte entsprechend den Wertungen der §§ 207 Abs. 2, 29 Abs. 2 UmwG behutsam ausgedehnt werden. b) Im europäischen und deutschen Recht ist das Institut der Austrittserklärung bislang unbekannt. Die Austrittserklärung dient der Konkretisierung des bevorstehenden Liquiditätsabflusses und stellt nicht die Annahme des Barabfindungsangebots dar. Sie ist rechtsdogmatisch als gesetzliche Wirksamkeitsvoraussetzung für die gesonderte Annahme des Barabfindungsangebots einzuordnen und entfaltet keine Bindungswirkung für die Annahme des Barabfindungsangebots. c) Der Barabfindungsanspruch kann im Spruchverfahren durchgesetzt werden. In diesem Zusammenhang sollte Deutschland eine erga-omnes-Wirkung der Entscheidung anordnen. Eine reformatio in peius ist entsprechend den gesetzgeberischen Wertungen bei nationalen Barabfindungsansprüchen abzulehnen. 11. Der Schutz der Gläubiger beinhaltet im Wesentlichen die Perpetuierung des Gerichtsstands im Wegzugsstaat sowie einen Anspruch auf Sicherheitsleistung. a) Der besondere Gerichtsstand im Wegzugsstaat tritt neben etwaige weitere besonderen Gerichtsstände. Zweifelhaft ist das Verhältnis zu ausschließlichen EuGVVO-Gerichtsständen. Nach hiesiger Auffassung ist eine parallele Anwendbarkeit zu befürworten. b) Der Anspruch auf Sicherheitsleistung ist als vorgelagerter Gläubigerschutz konzipiert. In der Konsequenz können Gläubiger den grenzüberschreitenden Formwechsel mit einem Antrag auf Gewährung angemessener Sicherheiten blockieren. De lege ferenda ist für einen nachgelagerten Gläubigerschutz zu plädieren. c) Für den Fall, dass vorgelagert Sicherheiten gewährt worden sind, der grenzüberschreitende Formwechsel aber nicht wirksam wird, sollte Deutschland einen speziellen Rückgewähranspruch vorsehen. Die Gesellschaft kann sich privatautonom durch Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung behelfen, um die Wirksamkeit der Sicherheitenbestellung von der Wirksamkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels abhängig zu machen. d) Von der Mitgliedstaatenoption, eine Solvenzerklärung vorzuschreiben, sollte Deutschland keinen Gebrauch machen. 12. Zum Schutz der unternehmerischen Mitbestimmung orientiert sich die Mobilitäts-RL in weiten Teilen an der aus der SE-VO und CBMD bekannten Verhandlungs- und Auffanglösung.
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Kap. 7: Schlussbetrachtung und Zusammenfassung in Thesenform
a) Besondere Bedeutung kommt dem neuen Verhandlungstatbestand zu, der die Schwelle für Verhandlungen auf den Zeitpunkt, in dem die Gesellschaft vier Fünftel eines nationalen Schwellenwerts erfüllt, vorverlagert. b) Da die Rechtsfolge eines Scheiterns der Verhandlungen (Fortbestehen des geltenden Mitbestimmungsrechts) deren Ergebnis vorzeichnet, entpuppen sich die Mitbestimmungsverhandlungen häufig als bloße Formalie. Daher ist de lege ferenda eine nachträgliche Verhandlungspflicht vorzugswürdig. Diese Lösung trifft passgenau die Gesellschaften, die in Erwartung einer baldigen Überschreitung einer mitbestimmungsrelevanten Schwelle ihre Mitbestimmungsfreiheit perpetuieren, und entlastet die übrigen Gesellschafen zuverlässig von der Bürde vorgelagerter Verhandlungen. 13. Im Ergebnis gelingt es dem Europäischen Gesetzgeber, die gegenläufigen Interessen von Gesellschaften und Stakeholdern in praktische Konkordanz zu bringen. Nur in einzelnen Punkten hätte das Spannungsverhältnis besser aufgelöst werden können. Dies betrifft vor allem die Vorzugswürdigkeit eines nachgelagerten Gläubigerschutzes sowie einer nachträglichen Verhandlungslösung hinsichtlich der unternehmerischen Mitbestimmung. 14. Die neue Missbrauchsklausel stellt den Rechtsanwender in Anbetracht ihrer Unbestimmtheit vor Schwierigkeiten. Es ist sicherzustellen, dass das Pendel in der Missbrauchsprüfung durch die mitgliedstaatlichen Behörden nicht zu sehr zu sehr in Richtung Protektionismus ausschlägt. 15. Nachdrücklich zu bedauern ist die Ausklammerung grenzüberschreitender Formwechsel von Personengesellschaften aus dem Anwendungsbereich der Mobilitäts-RL. Der grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften ist damit nur Grundlage des Primärrechts möglich. Die sach- und kollisionsrechtlichen Grundlagen hierfür sind gleichlaufend mit denen im Kapitalgesellschaftsrecht. 16. Für das anzuwendende Normenregime ist danach zu differenzieren, ob es sich um einen grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen einer Personen- und einer Kapitalgesellschaftsform handelt, oder ob eine Personengesellschaft ihr „Rechtskleid“ grenzüberschreitend in eine andere Personengesellschaftsform wechselt. Gleichzeitig muss nach den kollisionsrechtlichen Vorgaben der Vereinigungstheorie danach unterschieden werden, ob es sich um einen Herausformwechsel oder um einen Hereinformwechsel handelt. a) Für grenzüberschreitende Formwechsel von einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft und umgekehrt ist in Wegzugskonstellationen für die analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG sowie – abhängig von der konkreten Konstellation – kumulativ der §§ 214 ff. UmwG bzw. §§ 228 ff. UmwG zu plädieren. In Zuzugskonstellationen wird der Stakeholder-Schutz durch den Wegzugsstaat gewährleistet, sodass im Wesentlichen nur die Gründungsvoraussetzungen überprüft werden können
B. Zusammenfassung des wesentlichen Ertrags in Thesenform
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b) Für grenzüberschreitende Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaftsformen ist in Wegzugskonstellationen eine vorsichtige analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG vorzugswürdig. Für Hereinformwechsel gilt, dass eine vollumfängliche analoge Anwendung dieser Vorschriften nicht möglich ist. 17. Eine umfassende analoge Anwendung der die Mobilitäts-RL umsetzenden Vorschriften scheidet in Ermangelung einer planwidrigen Regelungslücke aus. Eine partielle Anwendung der auf den grenzüberschreitenden Kontext zugeschnittenen Vorschriften ist hingegen möglich. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, die Mobilitäts-RL überschießend auf Personengesellschaften umzusetzen. Diese sollte aus praktischen Erwägungen auf registrierte Gesellschaften beschränkt werden. Die Vorschriften der Mobilitäts-RL sind cum grano solis auf grenzüberschreitende Formwechsel von Personengesellschaften übertragbar. 18. Durch die Mobilitäts-RL konnten zwar wesentliche Mobilitätshemmnisse beseitigt werden. Nichtsdestotrotz bestehen auf Ebene des Europäischen Gesellschaftsrechts und Internationalen Privatrechts Mobilitätsschranken fort. Personengesellschaften und Spaltungen zur Aufnahme müssen dringend in den Anwendungsbereich der GesR-RL einbezogen werden. 19. Eine Vereinheitlichung des Gesellschaftskollisionsrechts auf Grundlage der mit Sonderanknüpfungen angereicherten Gründungstheorie ist eine rechtspolitisches Forderungen ersten Ranges. Hierdurch würden isolierte grenzüberschreitende Formwechsel sowie rechtformwahrende Verwaltungssitzverlegungen als ihr Komplementärstück umfassend ermöglicht.
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Sachverzeichnis Abfindung (Anspruch der Gesellschafter auf angemessene) 155 ff. Allgemeinwohlinteresse (zwingendes) 72 f. Analogie – Analogieverbot (umwandlungsrechtliches) 305 – Einzelfallanalogie 337 ff. – Gesamtanalogie 336 f. Anerkennung (einer Gesellschaft) 51 f. Anfechtung (des Wegzugsbeschlusses) 150 ff. – Ausschluss 151 ff. Anknüpfungsmoment (kollisionsrechtliches) 48 ff., 288 ff., 382 f. Anwendungsbereich (der Mobilitätsrichtlinie) 111 ff. Arbeitnehmerschutz (umwandlunsgsrechtlicher) 228 ff., 355 ff. – Verhandlungs- und Auffanglösung 231 ff. – Nachgelagerter 246 ff. Äquivalenzgrundsatz 66, 304, 311 Austrittsrecht (eines Gesellschafters) 155 ff. – aus wichtigem Grund 297 – Austrittserklärung 168 ff. – prozessuale Durchsetzung 177 ff. – Voraussetzungen 157 ff. Barabfindung (Anspruch auf) 157 ff. Bare Zuzahlung (Anspruch auf) 188, 190 Binnenmarkt (europäischer) 62 f. Briefkastengesellschaft 46 Cartesio 50 Centros 192 Company Law Package Daily Mail
50
29, 104
Effektivitätsgrundsatz 66 Einheitstheorie (kollisionsrechtliche) 59 Einstimmigkeitsgrundsatz 296 Ermächtigungsgrundlage (unionsrechtliche) 137 Formwechsel (grenzüberschreitender) 34 ff. – Bericht 117 ff. – Herausformwechsel 42, 244, 286, 306 ff., 329 ff., 350 ff., 359 ff. – Hereinformwechsel 42, 309 ff., 320 ff., 346 – Isolierter 42, 46 f., 64 f., 263 f., 274 ff., 377 f., 389 – Kettenformwechsel 115, 309, 335 f. – Plan 117 – Rechtsformkongruenter 41, 69 – Verfahren 116 ff. – von Kapitalgesellschaften 103 ff. – von Personengesellschaften de lege ferenda 331 ff. – von Personengesellschaften de lege lata 285 ff. – Zielrechtsform 41, 115 f., 307 ff. Formwechsel – Innerstaatlicher von Personengesellschaften 304 f. – Fraus legis 253 f. Gebhard-Formel 72 Genuine-link-Erfordernis 273 ff. Gerichtsstand 46, 78, 84 f., 180 ff., 198 ff. Gerichtsstandsfiktion 198, 204 Gerichtsstandsperpetuierung 198 ff. Geschöpftheorie 51, 372, 376 Gesellschafterschutz (umwandlungsrechtlicher) 144 ff., 353 Gesellschaftsstatut – Einheitlichkeit 48
444
Sachverzeichnis
Gläubigerschutz (umwandlungsrechtlicher) 192 ff., 354 Gründungstheorie 49, 52 f., 55 ff., 96, 110, 290 ff., 379 ff. Identitätsgrundsatz 31, 36 f., 45 Information (Schutz durch) 141 ff. Inspire Art 192 – Harmonisierung 376 ff. – Kollisionsrecht 48 ff., 59 f., 95 ff., 110 f., 288 ff. Missbrauch (der Niederlassungsfreiheit) 253 ff. – Missbrauchskontrolle 252 ff. Mitbestimmung (der Arbeitnehmer) – Betriebliche 90 f. – Unternehmerische 91 ff., 230 ff., 300 ff., 355 ff. Mobilitätsrichtlinie 103 ff., 134 ff. MoMiG 53 MoPeG 284 ff., 292 ff., 312, 328 f., 347 f. Motive (grenzüberschreitender Mobilität) 42 ff. Nachhaftung (von Gesellschaftern, umwandlungsrechtliche) 355 National Grid Indus 50 Niederlassungsfreiheit – Beschränkung 63, 66 ff. – Beschränkungsverbot 66 ff., 306 ff. – Diskriminierungsverbot 66 ff., 114, 236, 308, 311, 334 – Formwechselfreiheit 66 ff., 308 – Gewährleistungsgehalt 61 ff. – Rechtfertigung (einer Beschränkung) 72 f. – Schranken (der Rechtswahlfreiheit) 72 f. Numerus clausus (der Rechtsformen) 305 Numerus clausus (des UmwG) 116 Ordre public
254
Polbud Quorum
64, 98, 104 145 ff.
Rechtsunsicherheit 105 ff. Rechtswahlfreiheit 65, 253, 379 – Reichweite 65 – Schranken 72 f. Satzungssitz 35, 39 – Anknüpfung 49 – Verlegung 40 f., 44, 46 Scheinauslandsgesellschaft s. Briefkastengesellschaft Schutzbedürftigkeit – Arbeitnehmer 87 ff., 300 ff., 303 f. – Gesellschafter 73 ff., 296 ff., 302, 303 f. – Gläubiger 79 ff., 194 f., 299 f., 303 ff. Sicherheitsleistung (Anspruch auf) 206 ff. Sitztheorie 49 ff., 53 ff., 289 ff., 292 ff., 369, 372 ff. Sitzverlegungsrichtlinie 103, 109, 378 s. auch Mobilitätsrichtlinie Sonderrechtsinhaber 183 ff. Spaltung (grenzüberschreitende) 38, 367 f. Spruchverfahren 145, 153, 155, 162, 170, 174, 177 ff. Squeeze out 74 f. Substitution (kollisionsrechtliche) 310 Überseering 192 Umwandlungsbeschluss 128 f. Vereinigungstheorie (kollisionsrechtliche) 59 ff., 111, 131 Verschmelzung (grenzüberschreitende) 38 Verwaltungssitzverlegung 371 ff. Wechselbalgtheorie 51, 58, 323 ff., 379 Wettbewerb (der Gesellschaftsrechtsordnungen) 375 f., 389 ff.