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German Pages 177
JÖRG ALTHAMMER
Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung der Arbeitnehmer
Volkswirtschaftliche Schriften Begründet von Prof. Dr. Dr. h. c. J. Broermann t
Heft 435
Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung der Arbeitnehmer Eine Analyse des vermögenspolitischen Konzepts des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Von
Jörg Althammer
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
AIthammer, Jörg: Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung der Arbeitnehmer : eine Analyse des vermögenspolitischen Konzepts des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung / von Jörg AIthammer. Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Volkswirtschaftliche Schriften; H. 435) Zugl.: Augsburg, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-07915-9 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0505-9372 ISBN 3-428-07915-9
Meinen Söhnen Sebastian und Alexander
Inhaltsverzeichnis
Einleitung. . . .. .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Erstes Kapitel Die Einordnung der Einkommens- und Vermögenspolitik in die stabilitäts- und verteilungspolitische Gesamtkonzeption des Sachverständigenrates A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts des Sachverständigenrates............................. .................................. ...................... ..... Die vom Sachverständigenrat von 1964 bis 1974 vertretene stabilitätspolitische Konzeption ............... ........................ ......... ........... ..... 1. Konzeptionelle Grundlagen.................................................... 2. Die Aufgaben staatlicher Wirtschaftspolitik................................. a) Das Konzept der außenwirtschaftlichen Absicherung ................. b) Das Konzept der potentialorientierten Kreditpolitik ........ ...... ..... c) Die ftnanzpolitische Konzeption ........................ ..... ... .......... 3. Die Rolle der Einkommenspolitik im stabilitätspolitischen Konzept des Sachverständigenrates ...................................................... a) Das Konzept kostenniveauneutraler Lohnpolitik ........ . . .. . . . . . . . . . . . aa) Grundzüge der lohnpolitischen Konzeption ........................ bb) Die Berücksichtigung weiterer Kostenkomponenten . . . . . . . . . . . . . . ce) Der Inflationsausgleich ...................................... ...... .... dd) Die statistische Operationalisierung .................... .......... ... b) Probleme........................ .............................................. 4. Empirische Evidenz ............................................................. ll. Die vom Sachverständigenrat seit 1975 vertretene Konzeption ............... 1. Konzeptionelle Grundlagen.....................................................
I.
21 21 21 23 23 24 26 28 28 28 31 32 33 34 37 42 42
Inhaltsverzeichnis
8
2. Die Aufgaben staatlicher Wirtschaftspolitik................................. a) Das Konzept der potentialorientierten Geldmengensteuerung . . . . . . . . b) Die wachstumspolitische Ausrichtung der Finanzpolitik...... ........ 3. Das lohn- und beschäftigungspolitische Konzept... ........... ....... ...... a) Das Konzept einer zurückhaltenden Lohnpolitik ....................... b) Das Konzept produktivitätsorientierter Lohnpolitik ................... 4. Empirische Evidenz ............................................................. a) Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Jahre 1974 bis 1983 in der Diagnose des Sachverständigenrates ........................... b) Die wirtschaftliche Entwicklung nach 1983.............................
44 44 45 47 47 50 54
B. Das verteilungspolitische Konzept des Sachverständigenrates .....................
60
Verteilungspolitische Implikationen des wenbewerbspolitischen Leitbilds des Sachverständigenrates .. .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
ll. Die Determinanten der kurzfristigen Einkommensverteilung im Konzept des Sachverständigenrates ..........................................................
63
ill. Die Determinanten der langfristigen Verteilung von Einkommen und Vermögen im Konzept des Sachverständigenrates ..............................
71
IV. Empirische Evidenz.................................................................. 1. Die Einkommensverteilung .. .. .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vermögensverteilung.......................................................
73 73 79
Notwendigkeit, Ziele und Instrumente der Vermögenspolitik im Konzept des Sachverständigenrates.......................................................... ...........
83
Notwendigkeit und Ziele vermögenspolitischer Maßnahmen..................
83
ll. Instrumente der Vermögenspolitik im Konzept des Sachverständigenrates . 1. Die Sparforderung ............................................................... 2. Der Investivlohn .................... ........... ........................ .......... 3. Die Gewinnbeteiligung.......................................................... a) Anforderungen an eine stabilitätskonforme Ausgestaltung der Gewinnbeteiligung ..........................................................
84 84 85 87
b) Spezifische Zielsetzungen der Ertragsbeteiligung . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .
91
I.
c.
I.
55 58
88
Inhaltsverzeichnis
9
Zweites Kilpitel Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung der Arbeitnehmer: ModeUexposition und kritische Würdigung A. Grundzüge des Modells einer Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung.......
93
B. Konstitutive Elemente des Gewinnbeteiligungsmodells im Jahresgutachten 1972 .........................................................................................
95
I. Mittelautbringung, Gewinnermittlung und Bestimmung der Partizipationsanteile . .. . . . . .. .. .. .. .. .. .. . . . . . ... . . . .. . .. .. . . . .. .. . . . . . .. .. . .. .. . .. .. . . . . . . . ..
95
11. Haftungsanforderung und Konstruktion des Fondssystems .................... 100 m. Mittelverwendung und Kreis der Begünstigten .................................. 101 C. Modifikationen des Ertragsbeteiligungsmodells im Jahresgutachten 1975 ....... 102 I. Der geänderte Stellenwert einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer ...... 102
11. ModifIkation einzelner Modellelemente.. ......................................... 103 D. Aktuelle Entwicklungen im vermögenspolitischen Konzept des Sachverständigenrates .......................................................................... 106 E. Schätzung der Einkommensumverteilungseffekte ...................................
107
Drittes Kapitel Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen einer Gewinnbeteiligung im Konzept des Sachverständigenrates A. Beschäftigungseffekte ertragsabhängiger Entlohnungsformen im Konzept des Sachverständigenrates. .................................................................... 112 I.
Angebotsseitige Wirkungen einer Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer.... 112 1. Darstellung der angebotspolitischen Effekte. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Kritische Würdigung der Ergebnisse ......................................... 116
11. Nachfrageseitige Wirkungen ........................................................ 1. Wirkungen auf die Konsumgüternachfrage .................................. 2. Wirkungen auf die Investitionsnachfrage.. ................................... a) Der Stellenwert der Investitionen im stabilitäts- und wachstumspolitischen Konzept des Sachverständigenrates.................. ....... b) Die Wirkungen einer Ertragsbeteiligung auf die Investitionstätigkeit ....................................................................... c) Investitionen, Rendite und Risiko: Empirische Evidenz ..............
118 118 122 122 124 127
10
Inhaltsverzeichnis
B. Einkommenspolitische Effekte einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer...... 128 I. Die Wirkungen auf die funktionelle Einkommensverteilung................... 128
11. Die Wirkungen auf die sozioökonomische Einkommensverteilung ........... 133
Viertes Kapitel Die Wirkungen einer Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer
auf die Verteilung der Vermögensbestände
A. Grundzüge einer neoklassischen Theorie der Vermögensverteilung auf sozioökonomische Gruppen .................................................................... 139 B. Die Wirkungen einer KapitaIbeteiligung der Arbeitnehmer auf die sozioökonomische Verteilung des Vermögens .............................................. 143 I. Die Wirkungen einer Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer auf Niveau und Verteilungsstruktur des Vermögens .......................................... 143
11. Verteilungspolitische Implikationen alternativer Hypothesen des Sparverhaltens . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Die Keynesianischen Konsumhypothesen . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . 146
2. Die Normaleinkommenshypothesen ........................................... 148 a) Die Permanente Einkommenshypothese ................................. 149 b) Die Lebenszyklushypothese ............................................... 150 3. Der Einfluß des Vermögens auf das Sparverhalten ......................... 151 4. Die staatlichen Maßnahmen zur Förderung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand .................................................. 152
ill. Die Ersparnisbildung der sozioökonomischen Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland 1970 bis 1988............................................... 153 C. Schätzung der Vermögensverteilungseffekte ........................................... 157
Zusammenfassung............................................................................ 162 Literaturverzeichnis . . . .. .. . . . .. . . . . . . . . . . . . .. .. .. .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . 166
Tabellenverzeichnis Tabelle 1:
Indikatoren zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Jahre 1964 - 1973.... ...................... ............... ... .......... ........
37
Tabelle 2:
Löhne, Preise und Produktivität 1960 - 1974............... .......
39
Tabelle 3:
Schätzung des Einflusses der Wachstumsrate der Lohnstückkosten auf die Inflationsrate .......................................... ,
41
Tabelle 4:
Löhne, Preise und Produktivität 1975 - 1990 .... .......... ........
56
Tabelle 5:
Indikatoren zur Risikosituation des Unternehmenssektors .......
59
Tabelle 6:
Schätzgleichung des Zusammenhangs zwischen expansiver Lohnpolitik, Preisniveaustabilität und Beschäftigung.............
79
Tabelle 7:
Die Entwicklung des Geldvermögens und seine Verteilung nach der sozialen Stellung der Bezugsperson in den Jahren 1973, 1978, 1983 und 1988................ .......... ....... ...... ....
81
Tabelle 8:
Alternative Bezugsgrößen einer Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer. . . .. .. .. .. .. .... . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .
96
Tabelle 9:
Einkommenspolitische Effekte einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer. .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Tabelle 10:
Die Determinanten der Investitionsnachfrage in der Bundesrepublik Deutschland ................................................... 129
Tabelle 11:
Nachfragedeterminierte Brutto- und Nettogewinnquote bei alternativen Annahmen über die marginale Sparquote der Arbeitnehmer............................................................ 136
Tabelle 12:
Schätzung schichtspezifischer Konsumfunktionen............ ..... 156
Tabelle 13:
Die Entwicklung der Kapitalanteile sowie der Vermögensverteilung bei einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer....... 159
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:
Die Entwicklung der Reallohnposition der Arbeitnehmer 1963 bis 1986..................................................................
34
Abbildung 2:
Die Entwicklung der Gewinn-Erlös-Relation, der realen Ausrüstungsinvestitionen und der Erwerbstätigen in den Jahren 1970 bis 1991 ..................................................
57
Abbildung 3:
Güterangebot, Beschäftigung und Reallohn im Rahmen der modifizierten Grenzproduktivitätstheorie . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .
65
Abbildung 4:
Gütermarktgleichgewicht und Einkommensverteilung im Rahmen der modifIZierten Grenzproduktivitätstheorie . . . . . . .. . . .
69
Abbildung 5:
Einkommensverteilung und Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland 1960 - 1989..... ........... ....... ... .........
76
Abbildung 6:
Preisniveaueffekte einer expansiven Nominallohnpolitik ........
78
Abbildung 7:
Beschäftigungseffekte einer expansiven Nominallohnpolitik . . . .
78
Abbildung 8:
Die Verteilung des Nettogeldvermögens privater Haushalte Ende 1973, 1978 und 1983 . ....... .......... ................... ......
82
Abbildung 9:
Indifferenzkurven eines risikoaversen Investors bei einer Gewinn- und Risikobeteiligung der Arbeitnehmer................
90
Abbildung 10:
Arbeitnehmer-Ertragsanteile bei alternativ definiertem Verteilungsschlüssel ...... ....... ............................... .......
99
Abbildung 11:
Preis- Mengenkombination am Arbeitsmarkt bei Variation der aggregierten Nachfrage...... ........... .... ........... ..... ........ ... 115
Abbildung 12:
Wirkungen einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer auf die aggregierte Konsumgüternachfrage.................................. 121
Abbildung 13:
Bestimmungsgründe der Investitionstätigkeit ............... . . . . . . . 130
Abbildung 14:
Gütermarktgleichgewicht und funktionale Einkommensverteilung bei einer Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer ...... 132
Abbildung 15:
Die Sparquoten der sozialen Gruppen............................... 155
Verzeichnis der verwendeten Symbole
c CA CK DTK DW G GK K k L LSTK P qj
-2
R r S
v
w y
Y
YA z
Faktor Arbeit Arbeitsangebot Arbeitsnachfrage privater Konsum marginale Konsumneigung marginale Konsumneigung der Arbeitnehmerhaushalte marginale Konsumneigung der Selbständigenhaushalte Durchschnittskosten Durbin-Watson Teststatistik volkswirtschaftliche Gewinnsumme Grenzkosten Kapitalstock Kapitalintensität (Kl A) Lohnsumme Lohnstückkosten Preisniveau Produktivität des Faktors i korrigiertes Bestimmtheitsmaß Zinssatz Ersparnis marginale Sparquote marginale Sparquote der Arbeitnehmer aus Arbeitseinkommen marginale Sparquote der Arbeitnehmer aus Vermögenseinkommen marginale Sparquote der Selbständigen Standardfehler der Regression Zeitindex KapitalkoeffIZient (KlY) Nominallohnsatz Produktionsmenge Durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen Durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen der Arbeitnehmerhaushalte Vermögensanteil der Selbständigen am Gesamtvermögen
14
Symbolverzeichnis
0
partielle Ableitung Preiselastizität der Nachfrage Gewinnquote (GIY) Lohnquote (L/Y) Ertragsbeteiligungsparameter Substitutionselastizität Risikoaversion Reallohnsatz (w/P) ökonomischer Gewinn Sicherheitsäquivalent Funktionaloperator
lly,p y
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ro TI
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F(.)
Abkürzungsverzeichnis Abb. Abs. Anm. Aufl.
Abbildung Absatz Anmerkung Artikel Auflage
Bd(e). Bt-Drs.
Band (Bände) Bundestagsdrucksache
dass. ders. d. h. dies. Diss. DIW
dasselbe derselbe das heißt dieselbe Dissertation Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
f. ff. FN FS
folgende mehrere folgende Seiten (bzw. Jahre) Fußnote Fachserie
HdWW Hrsg. hg. HIbWGP
Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften Herausgeber herausgegeben Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik
i. d. F. i. e. S.
IITE
in der Fassung im engeren Sinn insbesondere im weiteren Sinn Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik Jahresgutachten Journal of Institutional and Theoretical Economics
Kap.
Kapitel
Art.
insbes.
i. w. S.
IbNöSt Jg.
16
Abkürzungsverzeichnis
Mio. Mrd.
Million(en) Milliarde(n)
NF Nr.
Neue Folge Nummer
o. a. o. J.
oben angeführt ohne Jahr ohne Ort
s.
Stat.BA Stat.Jb
siehe Seite Statistisches Bundesamt Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland
Tab. Tz.
Tabelle Textziffer
vH WiSt WiSta
vom Hundert Wirtschaftswissenschaftliches Studium Wirtschaft und Statistik
z. B.
zum Beispiel zum Teil
o. O.
S.
z. T.
Einleitung Wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand stehen seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland mit wechselnder Intensität in der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion. Bereits von den geistigen Schöpfern des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft wurde dem Ziel einer breiten Streuung des Vermögensbestandes erhebliche Bedeutung für den sozialethisehen Gehalt marktwirtschaftlicher Systeme zugesprochen 1. Der Beitrag individuellen Vermögens zur "Sicherung und systematische(n) Erweiterung der gegenwärtigen Handlungsspielräume der Menschen "2, also in Bezug auf die materiale Freiheit und die Sicherheit des Einzelnen sowie zur Herstellung gleicher ökonomischer Ausgangsbedingungen und Entwicklungschancen macht eine breite Streuung des Vermögensbesitzes in einer Wirtschaftsverfassung, die die Ziele individueller Freiheit und sozialer Gerechtigkeit verfolgt, unabdingbar. Trotz des hohen gesellschaftspolitischen Stellenwerts einer breiten Streuung des Vermögens weist das private Sach- und Geldvermögen in den alten Bundesländern weiterhin eine starke Ungleichverteilung auf, die vielfach als ungerecht erachtet wird, da die starken Disparitäten insbesondere der Produktivvermögen nicht zuletzt das Resultat ungleicher Startbedingungen sowie wirtschaftspolitischer Maßnahmen zur Wachstumsförderung sind. Erneute Aktualität wächst dieser Thematik durch die deutsche Vereinigung und den notwendigen wirtschaftlichen Wiederaufbau der neuen Bundesländer zu. Hier stellt sich - ähnlich wie in der Wiederaufbauphase in der Bundesrepublik Deutschland - das Problem, daß eine primär am Wachstumsziel orientierte Wirtschaftspolitik
Vgl. A. Müller-Armack, Das gesellschaftspolitische Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft, in: Evangelische Verantwortung (Beilage), Heft 12 (1962); zitiert nach dem Wiederabdruck in: ders. (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik. Studien und Konzepte zur Sozialen Marktwirtschaft und zur Europäischen Integration, 2. Aufl., BernlStuttgart 1976, S. 293 ff.; ders., Die zweite Phase der Sozialen Marktwirtschaft. Ihre Ergänzung durch das Leitbild einer neuen Gesellschaftspolitik, in: ders. (Hrsg.), Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft. Frühschriften und weiterführende Konzepte, BernlStuttgart 1974, S. 129 ff.; W. Röpke, Civitas Humana. Grundfragen der Gesellschafts- und Wirtschaftsreform, 3. Aufl., ErienbachlZürich 1949, S. 279 ff. sowie insbesondere O. v. Nell-Breuning, Gesellschaftspolitische Bedeutung breiter Vermögensstreuung, in: ders. (Hrsg.), Aktuelle Fragen der Gesellschaftspolitik, Köln 1970, S. 61 ff. und ders., Eigenturnsbildung in Arbeitnehmerhand, 2. Aufl., Paderbom 1955. 2 E. Boettcher u. a., Vermögenspolitik im sozialen Rechtsstaat, lübingen 1985, S. 37. 2 A1thammer
18
eine erhebliche begünstigt3.
Einleitung
Konzentration
insbesondere
des
Produktivvermögens
Die staatliche Wirtschaftspolitik versucht mit verschiedenen Maßnahmen, das Sparverhalten v. a. unterer Einkommensschichten anzuregen und in diesen Prozeß der Vermögensbildung einzugreifen. Die Beurteilung der Leistungen der seit 1952 in der Bundesrepublik systematisch betriebenen Vermögenspolitik fällt allerdings nicht eindeutig aus: Zwar ist der durchschnittliche Vermögensbestand aller privaten Haushalte nicht zuletzt aufgrund dieser Maßnahmen mittlerweile beträchtlich angestiegen, es ist jedoch festzustellen, daß sich die erhebliche personelle Ungleichverteilung des gesamten Nettogeldvermögens in den letzten 20 Jahren tendeziell eher verstärkt hat4. Die hier zu konstatierende geringe verteilungspolitische Effizienz staatlicher Vermögenspolitik resultiert insbesondere aus der Tatsache, daß die vermögenspolitischen Maßnahmen bislang vornehmlich an der Sparwilligkeit, also der intertemporalen Präferenzordnung der Wirtschaftssubjekte, ansetzten, dagegen die Sparfähigkeit, d. h. die Budgetrestriktion der Haushalte, als limitierenden Faktor vermögenspolitischer Maßnahmen weitgehend vernachlässigten. Entsprechend den Ergebnissen der Theorie der Vermögenspolitik stellt die Förderung der Sparfähigkeit unterer Einkommensgruppen jedoch die notwendige Voraussetzung einer zieladäquaten und wirtschaftssystemkonformen Vermögensverteilungspolitik dar. Entsprechende Vorschläge liegen im Rahmen der Diskussion um alternative lohnpolitische Konzeptionen in Form von Investivlohn- oder Ertragsbeteiligungsmodellen vor und werden auf einzelwirtschaftlicher Basis bereits in der Praxis eingesetzt. Nachhaltige vermögensWilfried Höhnen, im Deutschen Gewerkschaftsbund für vermögenspolitische Fragen zuständig, bemerkt hierzu: "Hier spielt sich ein unsichtbarer und unkontrollierbarer Umverteilungsvorgang ab, dessen Dimensionen heute noch niemand kennt, der aber vielleicht einmal Anlaß bieten wird, in Analogie zum westdeutschen Wiederaufbau von einem neuen "sozialen Skandal" zu sprechen." W. Höhnen, Vermögensverteilung - die verpaßten Chancen. Lehren aus einem sozialen Skandal, in: R. Hickel (Hrsg.), Umverteilen: Schritte zur sozialen und wirtschaftlichen Einheit Deutschlands, Köln 1993, S. 185. Vgl. zum gleichen Problemkreis R. Neubäumer, Die Verteilungswirkungen des Aufbaus in den neuen Bundesländern, in: Wirtschaftsdienst, 71. Jg (1991), S. 239 ff. sowie H. Lampert, Gesamtwirtschaftliche Grundlagen der Vermögensbildung und der Vermögenspolitik, in: Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland / Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Beteiligung am Produktiveigentum, Hannover / Berlin 1993. 4 Zum empirischen Befund vgl. M. Euler, Geldvermögen und Schulden privater Haushalte Ende 1988, in: WiSta, Heft 11 (1990), S. 798 ff.; R. Hornung-Draus, Das Vermögen der privaten Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland: Bestand, Entwicklung und Verteilung, in: Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 206/1 (1989), S. 18 ff. sowie M. Euler, Geldvermögen privater Haushalte Ende 1983, in: WiSta, Heft 5 (1985). Zu den Verteilungswirkungen von steuer- und prämienbegünstigten Vermögensbildungsmaßnahmen vgl. K. Gress / H.-J. Stubig, Die Inanspruchnahme ausgewählter Transfers zur Förderung der Vermögensbildung durch verschiedene sozioökonomische Gruppen, in: R. Hauser / B. Engel (Hrsg.), Soziale Sicherung und Einkommensverteilung, Frankfurt 1985, S. 255 ff.
Einleitung
19
politische Effekte lassen sich hieraus jedoch nur gewinnen, sofern entsprechende Regelungen auf breiter Basis ihren Niederschlag in Tarifverträgen fmden; eine entsprechende Umsetzung scheiterte bislang jedoch an den divergierenden Zielsetzungen der Tarifvertragsparteien. 5 Neben den originär vermögensverteilungspolitischen Zielen einer Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer werden ertragsabhängige Entlohnungsformen in jüngster Zeit verstärkt unter stabiIitätspolitischen Aspekten diskutiert. In diesem Zusammenhang wird eine reine Nominallohnpolitik zunehmend als untaugliches Instrument angesehen, die erheblichen strukturellen Anpassungsprobleme, die sich vor allem der ostdeutschen Wirtschaft, aber auch den alten Bundesländern verstärkt seit Mitte der 70er Jahre am Arbeitsmarkt stellen, in stabilitätskonformer Weise zu bewältigen. Auch aus dieser Perspektive werden zunehmend alternative lohnpolitische Konzeptionen eingefordert, um auf einzelwirtschaftliche Besonderheiten sowie auf abrupte gesamtwirtschaftliche Änderungen flexibel reagieren zu können. 6 Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, das wirtschaftspolitisch wohl renommierteste Beratergremium der Bundesrepublik Deutschland, hat bereits frühzeitig auf die verteilungsund stabilitätspolitische Notwendigkeit' einer Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand hingewiesen und hierzu ein eigenständiges Konzept einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer vorgelegt. Diese Idee einer Ergänzung der traditionellen Nominallohnpolitik durch eine Ertragsbeteiligung - die trotz mangelnder Resonanz im wirtschaftspolitischen Bereich seit nunmehr 20 Jahren vom Sachverständigenrat vertreten wird7 - ist Gegenstand dieser Untersuchung.
Dabei geht es weiterhin im wesentlichen um die konkrete AusgestaIrung des vermögenspolitischen Instrumentariums; während die Arbeitgeberseite die Vorteile vermögenspolitischer Maßnahmen v. a. aus einzelbetrieblichen Überlegungen ableitet und überbetrieblichen Modellen weitgehend ablehnend gegenübersteht, sehen die Gewerkschaften in überbetrieblichen Fondskonstruktionen die einzige Möglichkeit, die Arbeitnehmer von Ertrags- und Kapitalrisiken zu entlasten und gleichzeitig die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer bzw. ihrer Vertreter in den Unternehmen zu stärken; zu den zentralen vermögenspolitischen Zielsetzungen des Arbeitgeberverbandes und des Deutschen Gewerkschaftsbundes vgl. R. Hornung-Draus, Vermögenspolitik in der sozialen Marktwirtschaft - Anmerkungen zur Zweiten Stufe aus Arbeitgebersicht, in: Der langfristige Kredit; Heft 22/23 (1986), S. 704 ff. sowie W. Höhnen, Vermögenspolitik und Arbeitnehmerinteressen - Anmerkungen zur Zweiten Stufe aus Sicht des DGB, in: Der langfristige Kredit, Heft 22/23 (1986), S. 707 ff. 6 Vgl. O. Sievert, Für Investivlöhne. Plädoyer für ein vernachlässigtes Konzept, Bad Homburg 1992. 7 Vgl. H. Albaeh, Erfahrungen im Sachverständigenrat, in: B. Gahlen u. a. (Hrsg.), Winschaftswachstum, Strukturwandel und dynamischer Wettbewerb. Ernst Helmstädter zum 65. Geburtstag, Berlin u. a. 1989, S. 413.
20
Einleitung
Im Rahmen dieser Arbeit werden im wesentlichen zwei Zielsetzungen verfolgt: Erstens soll untersucht werden, inwiefern die Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer in die Gesamtkonzeption des Sachverständigenrates integriert ist. Dies geschieht, um zu überprüfen, ob das vorn Sachverständigenrat verfolgte Zielsystem konsistent formuliert ist und zwischen dem Zielsystem und den verteilungspolitischen Instrumenten keine unbeabsichtigten Abhängigkeiten bestehen. Zweitens wird versucht, die vermögenspolitische Effizienz einer Ertragsbeteiligung unter den vorn Sachverständigenrat gesetzten Prämissen abzuleiten. Die Beurteilung der verteilungspolitischen Effekte aus vermögenspolitischer Sicht stellt dabei die zentrale Zielsetzung der Arbeit dar. Die Arbeit ist folgendermaßen konzipiert: Das zweite Kapitel ist der stabilitäts- und verteilungspolitischen Konzeption des Sachverständigenrates gewidmet, wobei das Augenmerk hauptsächlich auf der lohnpolitischen Konzeption des Sachverständigenrates sowie ihren verteilungspolitischen Implikationen liegt. Aufgrund der langjährigen Beratertätigkeit des Sachverständigenrates sowie den geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist es dabei nicht möglich, auf der Grundlage eines abgeschlossenen und durchgängig verwendeten Konzepts zu argumentieren; vielmehr unterliegt auch die wirtschaftspolitische Beratertätigkeit des Rates dem Wandel der ökonomischen Problemstellung sowie der vorherrschenden theoretischen Paradigmen. Infolgedessen werden die konzeptionellen Grundlagen lediglich in groben Züge skizziert, um Notwendigkeit und Zielsetzung der Ertragsbeteiligung im stabilitäts- und verteilungspolitischen Konzept des Sachverständigenrates abzuleiten. In Kapitel drei werden die zentralen Elemente des Ertragsbeteiligungsmodells des Sachverständigenrates dargestellt und einer kritischen Analyse unterzogen. Im Anschluß hieran erfolgt die Wirkungsanalyse dieses Instruments aus stabilitäts- und verteilungspolitischer Perspektive. Kapitel vier ist dabei den kurzfristig zu erwartenden Effekten auf Beschäftigung und Einkornrnensverteilung gewidmet; mit der Frage nach den langfristigen vermögenspolitischen Effekten einer Gewinnbeteiligung befaßt sich das fünfte Kapitel. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse erfolgt im abschließenden sechsten Kapitel der Arbeit.
Erstes Kapitel
Die Einordnung der Einkommens- und Vermögenspolitik in die stabilitäts- und verteilungspolitische Gesamtkonzeption des Sachverständigenrats Um die Vermögenspolitik in die Gesamtkonzeption des Sachverständigenrates einzuordnen sowie Notwendigkeit, Zielsetzungen und Funktionsbedingungen einer langfristig wirksamen Vermögenspolitik in diesem Rahmen zu erarbeiten, ist zunächst die stabilitäts- und verteilungspolitische Konzeption des Sachverständigenrates in ihren Grundzügen darzustellen. Den Schwerpunkt bildet dabei das lohnpolitische Konzept des Rates, da sich aus der hier postulierten umverteilungspolitischen Inefftzienz der Nominallohnpolitik die Notwendigkeit vermögensbildender Maßnahmen in Arbeitnehmerhand unmittelbar ergibt, sofern verteilungspolitische Zielsetzungen erreicht werden sollen. Die stabilitätspolitische Grundkonzeption des Rates liefert darüberhinaus jene wirtschaftspolitischen Restriktionen, die die Vermögenspolitik zu beachten hat, um eine Gefährdung der Ziele Preisniveaustabilität sowie wirtschaftliches Wachstum bei der Einführung vermögenspolitischer Maßnahmen auszuschließen. A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts des Sachverständigenrats I. Die vom Sachverständigenrat von 1964 bis 1974 vertretene stabilitätspolitische Konzeption
1. Konzeptionelle Grundlagen In der ersten Phase seiner gutachterlichen Tätigkeit ist die wirtschaftspolitische Konzeption des Sachverständigenrates weitgehend durch eine keynesianisch orientierte Problembeschreibung sowie den hieraus resultierenden makroökonomischen Feinsteuerungsoptimismus beeinflußti. In diesem Zeit1 Vgl. H.-P. Spahn, Die Stabilitätspolitik des Sachverständigenrates: zur Abhängigkeit ökonom. Paradigmenwechsel von wirtschaftspolit. Handl~ngsimperativen, Frankfurt/Main 1979,
22
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
raum besteht nach Ansicht des Rates das zentrale stabilitätspolitische Problem in der Notwendigkeit, die Ansprüche der Wirtschaftssubjekte bei dezentraler, marktwirtschaftlicher Koordinierung des Wirtschaftsprozesses ex ante an die als gegeben unterstellten Produktionsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft anzupassen. Im Falle eines Koordinationsversagens führt eine Überforderung der Kapazitäten zu Inflation, eine Unterauslastung der Produktionsmöglichkeiten hingegen zu Arbeitslosigkeit. Dabei geht der Sachverständigenrat von der Prämisse aus, daß die Abstimmung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage auf die vorhandenen Produktionskapazitäten nicht notwendigerweise autonom über den Wettbewerbsmechanismus erfolgt, da insbesondere der Staat sowie die Tarifvertragsparteien Träger wirtschaftspolitischer Macht sind, die die gesetzten wirtschaftspolitischen Ziele durch ihr Verhalten verletzen können2 , und da ferner eine nachträgliche Zurechnung der ökonomischen Lasten auf einzelne Verursacher nicht möglich ist. Bereits in seinen ersten Gutachten erarbeitet der Rat eine stabilitätspolitische Grundkonzeption, die im Kern eine mittelfristige, am Wachstum des Produktionspotentials orientierte Stabilitätspolitik unter Einbindung aller wirtschaftspolitisch relevanten Gruppen - also Tarifvertragsparteien, Zentralnotenbank und fiskalpolitischer Instanzen - zur Realisierung des gesetzlich normierten Zielsystems beinhaltet3 . Eine Stabilitätspolitik, die nicht auf der Koordination der Einzelinteressen aller am Wirtschaftsprozeß beteiligten Entscheidungsträger beruht, ist nach Ansicht des Rates aufgrund der engen Interdependenz von Geld-, Güter- und Arbeitsmärkten bereits im Ansatz verfehlt; die Abstimmung ökonomischer Verhaltensweisen der wirtschaftspolitischen Akteure stellt demzufolge eine der Hauptaufgaben der Stabilisierungspolitik dar4. Der staatlichen Wirtschaftspolitik kommt dabei eine stabilitätspolitische Vorreiterrolle dergestalt S. 45 ff.; H. G. Fabritius, Konjunkturtheoretische Vorstellungen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Eine Analyse der bis einschließlich 1972 veröffentlichten Gutachten, Berlin 1975, passim, insbes. S. 66-80; sowie R. Faust, Sachverständigenrat zwischen Keynesianismus und Monetarismus. Zur Konzeption der Sachverständigengutachten seit 1964, FrankfurtlMain 1979, S. 10 ff. 2 Die vom Sachverständigenrat postulierte Instabilität des privaten Sektors ist somit auf die Existenz marktmächtiger Gruppen zurückzuführen; vgl. auch A. Schmid, Die Strategie des Sachverständigenrats zur Vermeidung von Wachstumszyklen. Einige Bemerkungen zu ihrer beschränkten Rationalität, in: B. Gahlen (Hrsg.), Wachstumszyklen und Einkommensveneilung, Tübingen 1974, S. 178. 3 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1964/65, Tz. 236 ff. sowie O. Sievert, Die wirtschaftspolitische Beratung in der Bundesrepublik Deutschland, in: H. K. Schneider (Hrsg.), Grundsatzprobleme wirtschaftspolitischer Beratung. Das Beispiel der Stabilisierungspolitik, Berlin 1968, S.57. 4 Vgl. O. Sievert, Die wirtschaftspolitische Beratung in der Bundesrepublik Deutschland, S.42.
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
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zu, durch ihren Mitteleinsatz Vertrauen in eine stetige wirtschaftliche Entwicklung zu begründen und somit die Voraussetzungen für eine freiwillig stabilitätskonforme Zurückhaltung insbesondere der Tarifvertragsparteien zu schaffen. Die Aufgabe eines wissenschaftlichen Beratergremiums besteht darin, die Einsicht der staatlichen Instanzen sowie Tarifvertragsparteien in ökonomische Gesetzmäßigkeiten zu erhöhen5 , durch eine Prognose der zu erwartenden wirtschaftlichen Entwicklung das Risiko kollektiver Erwartungsfehler zu minimieren6 sowie durch geeignete Vorgaben den wirtschaftspolitischen Trägem Hilfestellung für ihre Urteilsbildung zu leisten. 2. Die Aufgaben staatlicher Wirtschaftspolitik
a) Das Konzept der außenwirtschaftlichen Absicherung Grundvoraussetzung einer erfolgreichen binnenwirtschaftlichen Stabilitätspolitik stellt nach Ansicht des Sachverständigenrates die Realisierung außenwirtschaftlichen Gleichgewichts - und in diesem Zusammenhang insbesondere eine ausgeglichene Leistungsbilanz - dar. Auf die stabilitätspolitischen Gefahren, die sich aus dem hohen Ausmaß der internationalen Verflechtung der bundesdeutschen Wirtschaft sowie aus der Vernachlässigung des Ziels der Preisniveaustabilität führender Industrienationen bei fixen Wechselkursen und freier Konvertibilität der Währung ergeben, geht der Rat bereits in seinem ersten Gutachten intensiv ein7 . Bei der Diagnose außenwirtschaftlich bedingter inflationärer Prozesse stützt sich der Sachverständigenrat auf das "Gesetz des internationalen Preiszusammenhangs ", wonach sich die im Ausland vorhandenen Preiserhöhungstendenzen zunächst auf die exportorientierten Branchen übertragen; diese Tendenz äußert sich in der Zahlungsbilanz durch eine Aktivierung der Leistungsbilanz. Die hiermit verbundenen Devisenzuströme bewirken eine Erhöhung der umlaufenden Geldmenge und induzieren somit die monetäre Alimentierung des Inflationsprozesses8 . "Ähnlich dem Schlichter im Tarifstreit hat die politische Ökonomie eine Chance im gesellschaftspolitischen Prozeß: die Konflikteinsparung durch Aufklärung über marktwirtschaftliche Sachzwänge." H. Giersch, Diskussionsbeitrag, in: H. Anuit (Hrsg.), Lohnpolitik und Einkommensverteilung, Berlin 1969, S. 786. 6 Vgl. O. Sieven, Die Steuerbarkeit der Konjunktur durch den Staat, in: C. C. v. Weizsäcker (Hrsg.), Staat und Wirtschaft, Berlin 1978, S. 809. 7 Vgl. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1964/65, Tz. 1-4 sowie Kapitel 9. Zur theoretischen Fundierung vgl. F. A. Lutz / E. Sohmen, Wie kann sich ein Land der importierten Inflation entziehen? in: Sachverständigenrat, Jg. 1964/65, Mainz/Stuttgan 1965 (diese gutachterliche Stellungnahme ist nur in der Buchveröffentlichung des ersten Jahresgutachtens als Anhang abgedruckt) . 8 Die Analyse des Sachverständigenrats umfaßt somit neben der Theorie des internationalen Preiszusammenhangs auch den Liquiditätseffekt von Zahlungsbilanzüberschüssen als Erklä-
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1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
Eine wirksame Absicherung binnenwirtschaftlicher Stabilitätspolitik kann langfristig ausschließlich durch eine den Marktverhältnissen entsprechende Korrektur der Wechselkurse erfolgen; zentralbankpolitische Maßnahmen zur Neutralisierung außenwirtschaftlich bedingter inflationärer Impulse können allenfalls temporär wirken und die notwendige Anpassung des Wechselkurses verzögern, nicht jedoch autheben9 . Konsequenterweise plädiert der Rat deshalb bereits zu Beginn seiner gutachterlichen Tätigkeit für die Einführung eines Systems flexibler Wechselkurse als Grundvoraussetzung einer stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik. Der Rat unterstellt dabei effiziente Devisenmärkte, die den nominalen Wechselkurs mittelfristig an die Kaufkraftparitäten angleichen lO ; die Möglichkeit destabilisierender Effekte flexibler Wechselkurse - die insbesondere im erhöhten internationalen Transaktionsrisiko durch spekulativ bedingte, "überschießende" Wechselkursschwankungen sowie einer hieraus resultierenden Gefährdung des internationalen Handels gesehen werden ll - stuft der Rat unter Verweis auf die Existenz stabilisierender Spekulation und der Möglichkeit der Kurssicherung durch Termingeschäfte eher gering ein. 12 Die Flexibilisierung des Wechselkurses stellt demnach eine Grundvoraussetzung für die Möglichkeit des Inlandes dar, sich dem Inflationsimport zu entziehen und eröffnet der Zentralnotenbank den erforderlichen Autonomiegrad, um eine eigenständige, an gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen orientierte Geld- und Kreditpolitik zu betreiben. Ist diese Voraussetzung hingegen nicht erfüllt, so bieten auch das stabilitätsgerechte Verhalten staatlicher Instanzen sowie der Tarifvertragsparteien keine hinreichende Gewähr für eine stabile Entwicklung des Wirtschaftsprozesses. b) Das Konzept der potentialorientierten Kreditpolitik Die geld- und kreditpolitischen Ausführungen des Sachverständigenrates stützen sich in dieser ersten Phase seiner gutachterlichen Tätigkeit auf die Liquiditätshypothese monetärer Prozesse 13 und basieren folglich auf einer rungsmoment des Inflationsimports, wobei letzterem jedoch allenfalls kurzfristige Effekte auf das inländische Preisniveau zugesprochen werden. 9 Eine ausführliche Stellungnahme des Sachverständigenrates zu diesem Problembereich fmdet sich in Sachverständigenrat, Jg. 1967/68, Tz. 410 - 463, insbes. Tz. 456 ff. 10 Vgl. G. Fels, Der internationale Preiszusarnmenhang. Eine Studie über den Inflationsimport in der Bundesrepublik, Köln u. a. 1969, der im wesentlichen die Position des Sachverständigenrates wiedergibt. 11 Eine umfassende Darstellung der Stabilisierungswirkungen fester vs. flexibler Wechselkurse fmdet sich in H.-J. Jarchow / P. Rühmann, Monetäre Außenwirtschaft. 11. Internationale Währungspolitik, 2. Aufl., Göttingen 1989, S. 198 ff. 12 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1964/65, Tz. 239 sowie ders., Jg. 1969/70, Tz. 250 ff. 13 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1970/71, Tz. 359 ff.; sowie W. M. Fautz, Die geld- und kreditpolitischen Vorstellungen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Bd. 26 (1975), S. 138 ff. und J.
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
25
keynesianisch orientierten kredittheoretischen Sicht des Transmissionsmechanismus. Das zur Verfügung stehende monetäre Zahlungsvolumen setzt sich hierbei zusammen aus der Geldmenge , die neben dem Geldangebot der Zentralnotenbank in hohem Maße von der Geldkapitalhaltung des privaten Sektors sowie Variationen der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes abhängt und demnach ein hohes Maß an endogener Elastizität aufweist l4 , sowie dem Kreditvolumen des Geschäftsbankensystems, das insbesondere durch den Liquiditätsgrad des Bankensystems determiniert ist. Die Transmission monetärer Impulse auf den realen Sektor erfolgt dabei vornehmlich über die zinsreagiblen Investitionsausgaben. Aufgabe einer auf Verstetigung des Wirtschaftsprozesses gerichteten Geld- und Kreditpolitik besteht demnach in der liquiditätspolitischen Versorgung des Geschäftsbankensystems, die eine am Wachstum des Produktionspotentials orientierte Ausweitung des Kreditvolumens und demzufolge die monetäre Alimentierung eines gleichgewichtigen Wachstumsprozesses erlaubt l5 ; der Rat bezeichnet eine entsprechende Politik als potentialorientierte Kreditpolitik l6 . Die Problematik bei der Umsetzung dieses Konzepts besteht in den eingeschränkten Möglichkeiten der Zentralnotenbank, das verfügbare Geld- und Kreditvolumen hinreichend genau zu steuern und zu begrenzen, da die umlaufende Geldmenge durch Variationen der privaten Liquiditätsneigung sowie der Umlaufgeschwindigkeit beelnflußt ist und das Bankensystem bei Existenz freier Liquiditätsreserven sowie der Möglichkeit, bei festen Wechselkursen und freier Konvertibilität der Währung sich Kreditschöpfungsspielräume im Ausland zu verschaffen, stets die Pätzold, Stabilisierungspolitik, 4. Aufl., Bem 1991, S. 88 ff. Zur Kritik vgl. K. Brunner / M. J. M. Neumann, Analyse monetärer Hypothesen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, in: Kyklos, Bd. 24 (1971); sowie M. J. M. Neumann, Theoretisch wenig fundiert, empirisch nicht belegt. Die geldtheoretischen Leitvorstellungen, in: R. Molitor (Hrsg.), Zehn Jahre Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Eine kritische Bestandsaufnahme, Frankfurt/M. 1973. 14 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1970171, Tz. 360. 15 Vgl. auch C. Köhler, Geldwirtschaft, Bd. 111, Berlin 1983, S. 105 ff. 16 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1970171, Tz. 359-369. Als empirische Kennziffer für die Richtung und die Stärke zentralbankpolitischer Maßnahmen sowie als Zwischenzielindikator zieht der Sachverständigenrat seit dem Jahresgutachten 1971 das rechnerische Kreditmaximum heran. Eine kritische Analyse dieses Indikators fmdet sich bei H. G. Fabritius, Konjunkturtheoretische Vorstellungen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Eine Analyse der bis einschließlich 1972 veröffentlichten Gutachten, Berlin 1975, S. 52 ff.
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1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
Möglichkeit besitzt, das vorhandene Kreditvolumen weitgehend autonom festzusetzen; das Bankensystem weist demnach eine hohe Elastizität auf, die prozeßpolitische Maßnahmen der Zentralnotenbank insbesondere in Phasen konjuktureller Überhitzung erheblich verzögert bzw. gänzlich verhindert l7 . Das umlaufende Zahlungsvolumen ist demnach zu weiten Teilen endogen durch das Verhalten der privaten Wirtschaftssubjekte determiniert und insofern nachfrageabhängig; die Zentralnotenbank ist infolgedessen nur begrenzt in der Lage, inflatorische Prozesse, die auf realwirtschaftliche Faktoren zurückzuführen sind, durch den Einsatz restriktiver kreditpolitischer Maßnahmen zu vermeiden. Die Verantwortung für das Inflationsproblem ist somit nicht einem Träger der Wirtschaftspolitik zuzurechnen l8 , so daß die Realisierung des Ziels der Preisniveaustabilität ein abgestimmtes Verhalten aller am Wirtschaftsprozeß beteiligten marktrnächtigen Gruppen erfordert. c) Die flnanzpolitische Konzeption Um unter den getroffenen Annahmen über die monetären Rahmenbedingungen eine Überlastung des Produktionspotentials auch binnenwirtschaftlich zu vermeiden, sind die Ansprüche des Staates sowie der Tarifvertragsparteien auf das gesamtwirtschaftliche Produktionspotential abzustimmen. Für den Staatssektor stellt sich hier die Aufgabe jenen Anteil am Sozialprodukt festzulegen, der für die Bereitstellung jener Güter als notwendig erachtet wird, deren Versorgung durch den Markt nicht optimal gewährleistet wird (Allokationsfunktion), sowie bei konjunkturellen Schwankungen die Gesamtwirtschaft durch Variation der Einnahmen- und/oder Ausgabenseite des Budgets auf den langfristigen Expansionspfad zurückzuführen (Stabilisierungsfunktion) 19 .
17 Vgl. hierzu insbes. Sachverständigenrat, Jg. 1966/67, Tz. 234; ders., Jg. 1969/70, Tz. 130 ff.; ders. Jg. 1970/71, Tz. 114 ff. sowie: A. Oberhauser, Liquiditätstheorie des Geldes als Gegenkonzept zum Monetarismus, in: J. Badura / O. Issing (Hrsg.), Geldtheorie, StuttgartlNew York 1979, S. 63 ff. 18 "Der Sachverständigenrat hält es ... für verfehlt, die Ursachen der schleichenden Geldentwertung in Teilbereichen der Volkswirtschaft oder bei einzelnen Gruppen zu suchen. Bei hinreichend langfristiger Betrachtung, wie sie dem Problem schleichender Inflation angemessen ist, kann kaum mehr jemand objektiv sagen, durch welches Tun oder Unterlassen die Spirale des Geldwertschwundes in Gang gesetzt wurde und wer am meisten dazu beiträgt, daß sie in Gang bleibt." Sachverständigenrat, Jg. 66/67, Tz. 203. 19 Die dritte Funktion staatlicher Budgetpolitik - die Distributionsfunktion - bleibt hier unerwähnt, da sie nicht Gegenstand der fiskalischen Konzeption des Sachverständigenrats ist; zu den
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
27
Die fiskalpolitische Konzeption des konjunkturneutralen Haushalts, die der Sachverständigenrat seit dem Jahresgutachten 1968/69 in geschlossener Form vertritt20 , umfaßt beide Aspekte staatlicher Budgetpolitik. Bei der Festlegung des staatlichen Anteils am Sozialprodukt - der Staatsquote - steht dem Gesetzgeber in gewissen Grenzen ein diskretionärer Entscheidungsspielraum offen, da Entscheidungen über Höhe sowie Finanzierung des Staats anteils politische Entscheidungen darstellen, die die privaten Wirtschaftssubjekte als gesetzte Plandaten in ihr Entscheidungskalkül einbeziehen21 . Als allokativ optimal gilt jene "... Inanspruchnahme des Produktionspotentials durch staatliche Ausgaben, wie es die gesetzgebenden Organe für die Situation der Vollbeschäftigung festlegen ... "22. Ist die Entscheidung über den optimalen Staatsanteil gefällt, so sollen die Staatsausgaben im Konzept des konjunkturneutralen Haushalts entsprechend dem Zuwachs des Produktionspotentials ansteigen; dem Konzept kommt somit eine mittelfristige Ziel- und Orientierungsfunktion zu. Im Rahmen dieser mittelfristig angelegten Verstetigungsstrategie ist der Staat zu antizyklischem Verhalten insbesondere durch Variationen auf der Einnahmeseite des Budgets aufgefordert, wobei die Messung des konjunkturellen Impulses der Staatstätigkeit durch einen Vergleich der tatsächlichen Haushaltspolitik mit jenem Haushalt erfolgt, der konjunktumeutral gewesen wäre (Maßstabfunktion des konjunkturneutralen Haushalts).23 Das potentialorientierte Wachstum der Staatsausgaben sowie die konjunkturdämpfenden Maßnahmen einer antizyklischen Einnahmepolitik gewährleisten eine stetige und stabilitätskonforme Inanspruchnahme des Produktionspotentials durch den Staat. Darüberhinaus bilden sie eine notwendige Voraussetzung für ein ebenfalls stabilitätsorientiertes Verhalten der privaten Wirtschaftssubjekte, da die mittelfristige Ausrichtung der Staatstätigkeit vom priAufgaben der fiskalpolitischen Instanzen vgl. R. A. Musgrave / P. B. Musgrave / L. Kullmer, Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis, Bd. 1,3. Aufl., Tübingen 1984, S. 6-17. 20 Zur Entwicklung des konjunkturneutralen Haushalts vgl. H. Timm, Der konjunktumeutrale öffentliche Haushalt, in: H. Haller u. a. (Hrsg.), Theorie und Praxis des finanzpolitischen Interventionismus, Tübingen 1970, S. 385 ff.; M. Feldsieper, Der konjunkturneutrale Haushalt als neuer Maßstab zur Beurteilung der konjunkturellen Wirkungen öffentlicher Haushalte. Bemerkungen zur Konzeption des Sachverständigenrats, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Bd. 21 (1970), S. 400 ff. sowie K.-P. Fox, Noch einmal: Zum Konzept des konjunkturneutralen öffentlichen Haushalts, in: Finanzarchiv N. F., Bd. 31 (1972/73), S. 18 ff. 21 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1970/71, Tz. 323. 22 Sachverständigenrat, Jg. 1967/68, Tz. 184. 23 "Die Ausgabenseite eines öffentlichen Haushalts ist ... konjunkturneutral, wenn die Ausgaben prozentual so stark zunehmen, wie das Sozialprodukt wächst ... Die Einnalunenseite der öffentlichen Haushalte ist ... konjunkturneutral, wenn bei unverändertem Steuersystem zu erwarten ist, daß die Steuereinnahmen - bei einem Zuwachs des Sozialprodukts entsprechend dem Wachstum des Produktionspotentials - mit der gleichen Rate zunehmen wie das Sozialprodukt." Sachverständigenrat, Jg. 1969/70, Tz. 113.
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1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
vaten Sektor antizipiert werden kann, und inflationäre Tendenzen durch unerwartete Ansprüche des Staates ausgeschlossen sind; zusätzlich verringert sich das Einkommens- und Beschäftigungsrisiko bei wirksamer antizyklischer Fiskalpolitik, wodurch die Rahmenbedingungen für stabilitätspolitisches Verhalten insbesondere der Tarifvertragsparteien gesetzt sind.
3. Die Rolle der Einkommenspolitik im stabilitätspolitischen Konzept des Sachverständigenrates Sind die notwendigen Voraussetzungen für eine Politik der Geldwertstabilität - außenwirtschaftliehe Absicherung, potentialorientierte Liquiditätsversorgung und stabilitätsorientiertes Verhalten der öffentlichen Haushalte - seitens der staatlichen Wirtschaftspolitik erfüllt, so hängt die Realisierung des Ziels der Vollbeschäftigung bei Preisniveaustabilität letztlich vom stabilitätsgerechten Verhalten der Sozialpartner ab; die einkommenspolitischen Vorschläge des Sachverständigenrats schließen somit seine stabilitätspolitische Gesamtkonzeption. Da den einkommenspolitischen Empfehlungen des Rates· - und hier insbesondere seiner lohnpolitischen Konzeption - erhebliche Bedeutung für die Frage nach Notwendigkeit und Zielen vermögenspolitischer Maßnahmen zukommt, sollen ihre theoretische Grundlage sowie der Beitrag der Einkommenspolitik zur Realisierung der stabilitätspolitischen Ziele an dieser Stelle eingehender untersucht werden. a) Das Konzept kostenniveauneutraler Lohnpolitik
aa) Grundzüge der lohnpolitischen Konzeption Die einkommenspolitische Zielsetzung des Rates besteht wiederum darin, die Ansprüche marktmächtiger Parteien - hier der Sozialpartner - optimal auf das gegebene Produktionspotential abzustimmen. Nach Ansicht des Sachverständigenrats ist dies dann der Fall, wenn - ausgehend von einer Situation ökonomischen Gleichgewichts - das gesamtwirtschaftliche Kostenniveau konstant bleibt: "Bei gegebenen Weubewerbsbedingungen spielt sich im monetären Gleichgewicht ein bestimmtes Verhältnis zwischen Preisen und Kosten und damit auch zwischen Preis- und Kostenniveau ein. Das Problem der Geldwertstabilität bei Vollbeschäftigung ist daher identisch mit dem der Stabilisierung des volkswirtschaftlichen Kostenniveaus. ,,24
Die hier gesetzten Nebenbedingungen - monetäres Gleichgewicht und gegebene Wettbewerbsbedingungen - implizieren dabei außenwirtschaftliehe 24
Sachverständigenrat, Jg. 1964/65, Tz. 248 a).
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
29
Absicherung und stabilitätskonformes Verhalten der öffentlichen Haushalte einerseits sowie einen als konstant unterstellten gesamtwirtschaftlichen Monopolgrad andererseits. Jene Nominallohnsteigerung, die zur Stabilisierung des gesamtwirtschaftlichen Kostenniveaus führt, bezeichnet der Rat als kostenniveauneutral. Folgt man der Argumentation des Rates, daß Preisniveaustabilität ein konstantes durchschnittliches Kostenniveau erfordert, so läßt sich die Bedingungsgleichung des Preisniveaus schreiben als25 (1.1) P = DTK(l + g), wobei g einem den Wettbewerbsbedingungen entsprechenden Gewinnaufschlag26 auf die durchschnittlichen Gesamtkosten DTK entspricht. Die 25 Die formale Ableitung stützt sich weitgehend auf A. E. Oft, Zur Konzeption der Sachverständigen, in: Der Volkswirt, 21. Jg. (1967), S. 2529-2531 sowie H. Bartmann, Verteilungstheorie, München 1981, S. 336 ff.; vgl. zu den gewonnenen Ergebnissen auch N. Güssregen, Kostenniveauneutrale Lohnpolitik und ihre verteilungspolitischen Implikationen, Frankfurt/M. 1974; M. Wansleben, Der Produktivitätszuwachs als Maßstab für eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik. Wiederaufnahme der Diskussion um Lohnleitlinien, Baden-Baden 1986, S. 48 ff. sowie B. Gahlen / E. Leiffert, Die Vorschläge des Sachverständigenrates zur Einkommenspolitik, in: B. Gahlen (Hrsg.), Wachstumszyklus und Einkommensverteilung, Tübingen 1974, S. 79 ff. 26 Die lohnpolitische Konzeption des Sachverständigenrates wird in der Literatur überwiegend auf der Grundlage einer Preisaufschlagskalkulation (full cost principle), also monopolgradtheoretisch, analysiert; vgl. A. E. Oft, Zur Konzeption der Sachverständigen, in: Der Volkswirt, 21. Jg. (1967), S. 2529 ff; M. Wansleben, Der Produktivitätszuwachs als Maßstab für eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik. Wideraufnahme der Diskussion um Lohnleitlinien, Baden-Baden 1986 sowie insbesondere N. Güssregen, Kostenniveauneutrale Lohnpolitik und ihre verteilungspolitischen Implikationen, FrankfurtlM. 1974. Die Annahme eines gesamtwirtschaftlichen Aufschlagssatzes über die Durchschnitttskosten ist jedoch auch mit der margina1istischen Preisbildung im Monopolfall vereinbar, sofern der markup als absoluter Betrag auf die variablen Durchschnittskosten erfolgt. Umformung von (1.1) ergibt den Gewinnaufschlag als Quotient aus Preis minus Durchschnittskosten zu Preis, wobei im Fall konstanter Skalenerträge die variablen Durchschnittskosten gleich den Grenzkosten (GK), und diese im Gewinnmaximum gleich den Grenzerlösen (GE) sind:
g=
P - DTK
=--=-P - GK
P - GE
DTK GK GE Bezeichnet 1]y P die Eigenpreiselastizität der Nachfrage, so berechnet sich die Gewinnspanne weiter zu: '
p-{-~J
g= p(t_;JP Y,P
1]
Y,P
-
I
Unterstellt man schließlich einen isoelastischen Verlauf der konjekturalen Preis-Absatz-Funktion, so generiert das monopolistische Preisbildungsverhalten ebenfalls einen konstanten Aufschlagsatz auf die Durchschnittskosten; das lohnpolitische Konzept des Sachverständigenrates ist
30
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
gesamtwirtschaftlichen Durchschnittskosten setzen sich dabei zusammen aus den spezifischen 1.ohn- und Kapitalkosten: (1.2) mit
w
A r K Y
wA+rK DTK=---
y
durchschnittlicher Lohnsatz Arbeitsmenge Kapitalkosten Kapitalstock Produktionsmenge
Die Kapitalkosten rumfassen Zinskosten sowie Abschreibungen. Bezeichnet man ferner die durchschnittliche Arbeitsproduktivität ( : ) mit qA und den Kapitalkoefftzienten ( : ) mit v, so läßt sich (I. 2) umformen in:
w
DTK = - + r· v. qA Bei konstantem Aufschlagssatz g - der sich annahmegemäß aus dem konstanten Monopolgrad ableitet - sowie der Abwesenheit aller übrigen Inflationsursachen, entsprechen die Veränderungen des Preisniveaus jenen der durchschnittlichen Gesamtkosten27 : (1.3)
(1.4)
ap
aDTK
P
DTK
demnach einer marginalanalytischen Interpretation durchaus zugänglich und nicht "rein angebotsorientiert" , sondern schließt die Nachfrageseite durch die Berücksichtigung einer PreisAbsatzfunktion explizit mit ein. Vgl. auch U. v. Sunrum, der zur Interpretation kostenniveauneutraler Lohnpolitik auf der Grundlage der Preisaufschlagshypothese bemerkt: "... eine solche Annahme erscheint jedoch unrealistisch, widerspricht sie doch in eklatanter Weise den Aussagen der rnikroökonomischen Theorie über gewinnorientiertes Unternehmerverhalten. Entgegen einer vielfach geäußerten Vermutung dürfte diese Annahme daher kaum dem Konzept U. v. Sunrum, LohnleitIinien und des Sachverständigenrates zugrundeliegen. " VerteilungsspieIraum, in: WiSt, Heft 7 (1982), S. 324. Zum Zusammenhang zwischen Preisaufschlagskalkulation und Marginalanalyse vgl. A. E. Ott, Grundzüge der Preistheorie, 3. Auf!. Göttingen 1986, S. 250 ff. 27 Sofern die variablen Durchschnittskosten lediglich Lohnkosten umfassen, stellt (1.4) die modifizierte Phillips-Relation dar; vgl. E. - M. Claasen, Grundlagen der makroökonomischen Theorie, München 1980, S. 284.
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
31
Die Entwicklung des allgemeinen Preisniveaus ist damit abhängig von der Entwicklung der spezifischen Lohn- und Kapitalkosten; die Forderung nach
,
Preisniveaustabilität (ßP ~ 0) impliziert demnach (1.5)
bzw: (1.6)
ßDTK=(aw _ ßqA)~+(ar +av).rv=o; w qA qA r v ( aw _ aqA)~=_(ar +av).rv. w . qA qA r v
Konstanz des durchschnittlichen Kostenniveaus und somit Konstanz des Preisniveaus setzt also voraus, daß sich Änderungen der spezifischen Lohnbzw. Kapitalkosten gerade kompensieren. Steigen die Kapitalkosten, so verringert sich der Spielraum für kostenniveauneutrale Lohnerhöhungen; sinken die spezifischen Kapitalkosten, so können die Nominallohnerhöhungen in entsprechendem Ausmaß über dem Zuwachs der Durchschnittsproduktivität liegen, ohne das gesamtwirtschaftliche Kostenniveau anzuheben. Für den Spezialfall konstanter Kapitalkosten gilt für den Lohnerhöhungsspielraum: (1.7)
W qA
d. h., daß sich die Nominallöhne entsprechend der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität entwickeln; die kostenniveauneutrale Lohnleitlinie erweist sich somit im Kern als produktivitätsorientiert.
bb) Die Berücksichtigung weiterer Kostenkomponenten Neben den spezifischen Lohn- und Kapitalkosten berücksichtigt der Sachverständigenrat weitere Kostenkomponenten, die die Höhe des verteilungsfahigen Spielraums und damit das Ausmaß einer stabilitätsgerechten Nominallohnänderung beeinflussen. Zu den vom Rat explizit berücksichtigten Kostenkomponenten zählen insbesondere -
der Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung, der unter Kostenaspekten unmittelbar den Lohnkosten zuzurechnen ist28 ,
-
Änderungen der terms of trade29 , da im Fall einer Verschlechterung des Güteraustauschverhältnisses mit dem Ausland ein Teil des Produktivitäts-
Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1964/65, Tz. 248 c). Hierbei werden die Importe vollständig als importierte Vorleistungen und damit als Kostengüter aufgefaßt; vgl. H. Giersch, Probleme stabilisierungskonformer Einkornrnenspolitik, 28
29
32
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
zuwachses an das Ausland abgetreten wird und nicht mehr für inländische Lohnerhöhungen zur Verfügung steht30 , die Nettobelastung der Unternehmen durch indirekte Steuern abzüglich gewährter Subventionen sowie schließlich der "Lohnsummeneffekt des Strukturwandels". 31 Für diese Kostenkomponenten gilt wiederum, daß einer stabilitätskonformen Nominallohnpolitik die Aufgabe zukommt, Variationen dieser Größen gerade zu kompensieren32 .
ce) Der Inflationsausgleich Im Rahmen der Lohnleitliniendiskussion ist des weiteren umstritten, ob sich die entsprechende Leitlinie auf Nominal- oder Reallöhne bezieht, d. h. inwiefern Preissteigerungsraten bei stabilisierungskonformer Lohnpolitik33 zu berücksichtigen sind: "Man mache den Test und frage bei einer Diskussion über den Produktivitätslohn, ob der Nominal- oder der Reallohn an die Arbeitsproduktivität angepaßt werden soll. Man wird alles andere als eine
Kyklos, 20. Jg. (1967), S. 150. Zur Berücksichtigung der tenns of trade im Rahmen der kostenniveauneutralen Lohnpolitik vgl. E. - M. Lipp, Neues Umfeld für die Lohnpolitik, in: H. Tomann (Hrsg.), Wirtschaftspolitische Antworten auf die Stagnation. Essays zu Ehren von Bernhard Filusch, Berlin 1986, S. 103 ff., U. v. Suntum, Lohnleitlinien und Verteilungsspielraum, in: WiSt, Heft 7 (1982), S. 322 f., sowie A. Konrad, Der Tenns-of-TradeEffekt in lohnpolitischen Kennziffern, in: Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 188 (1973-1975), S. 224 ff. 30 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 64/65, Tz. 248 b); sowie H. Giersch, Probleme stabil isierungskonfonner Lohnpolitik, S. 150-153. 31 "Da die Löhne und Gehälter in einzelnen Wirtschaftsbereichen unterschiedlich sind, kann die Änderung der Beschäftigtenstruktur darauf hinauslilUfen, daß von dem Einkommenserhöhungsspielraum, den der gesamtwirtschaftliche Produktivitätsfortschritt schafft, ein Teil schon durch 'Wanderung' der Arbeitskräfte in Bereiche mit höheren Löhnen und Gehältern vorweg beansprucht wird, also für allgemeine Lohn- und Gehaltserhöhungen nicht mehr verfügbar ist. Das gleiche gilt, wenn sich die Beschäftigtenstruktur in Richtung auf eine stärkere Besetzung der höheren Leistungsklassen ändert." Sachverständigenrat, Jg. 1965/66, Tz. 222. 32 Vgl. U. v. Suntum, Lohnleitlinien und Verteilungsspielraum, in: WiSt, Heft 7 (1982), S. 320 - 324. 33 Die Berücksichtigung ökonomischer Ungleichgewichtszustände macht eine Differenzierung zwischen stabilitätskonfonner und stabilisierungskonfonner Lohnpolitik notwendig. "Stabilitätskonfonne Lohnpolitik ist darauf gerichtet, eine bereits erreichte Stabilität für die Zukunft lohnpolitisch zu sichern. Bei der stabilisierungskonfonnen Lohnpolitik geht es darum, jene Lohnentwicklung zu bestimmen, die zusammen mit komplementären Stabilisierungsbemühungen in den anderen Bereichen - Budgetpolitik, Zinspolitik, Zahlungsbilanz- und Wechselkurspolitik am schnellsten zu monetärem und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht hinfuhrt." H. Giersch, Lohnpolitik und Geldwertstabilität"S. 7.
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
33
eindeutige Antwort erhalten. Diejenigen, die für die nominelle Anpassung plädieren, denken wohl in erster Linie an die Stabilisierung des Preisniveaus, die anderen räumen verteilungspolitischen Zielen Priorität ein ... "34. In diesem Zusammenhang vertritt der Rat zunächst die Meinung, daß in der Phase der Stabilisierung des Wirtschaftsprozesses - also der langsamen Reduktion der Inflation auf ein stabilitätskonformes Maß - unvermeidbare Preissteigerungsraten35 auf den kostenniveauneutralen Lohnerhöhungsspielraum aufzuschlagen sind36 . Diese Berücksichtigung von Preissteigerungsraten gilt dabei allerdings ausschließlich für die Übergangsphase von einer built-in-injlation zu monetärem Gleichgewicht; keinesfalls soll hier - in Anlehnung an die sog. MeinholdFormel im Rahmen der produktivitätsorientierten Lohnpolitik - "ein Grundsatz aufgestellt werden, nachdem nun jede erwartete Erhöhung des Preisniveaus Anlaß für eine entsprechende Modiftkation produktivitätsorientierter Lohnleitlinien geben müßte "37. Im Rahmen seiner angebotspolitischen Neuorientierung fordert der Rat in späteren Gutachten hingegen eine strenge Nominallohnorientierung der Tarifpolitik: "Die lohnpolitische Vorwegnahme von Preissteigerungen, die für unvermeidlich gehalten werden, obwohl erst diese Vorwegnahme die Kostensteigerungen schafft, die dann durch Preissteigerungen eingeholt werden müssen, sollte aufhören. "38
dd) Die statistische Operationalisierung Als empirische Kennziffer seiner lohnpolitischen Konzeption verwendet der Rat seit dem Jahresgutachten 197239 die Reallohnposition (vgl. Abbildung 1). Die Ermittlung der Reallohnposition stellt eine nominale Verteilungsrechnung in den Größen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dar. Die Änderung der Reallohnposition ergibt sich dabei aus der Änderung des realen Vertei34 G. Bombach, Statistische Produktivitätsmaße und Lohnpolitik, in: Allgemeines Statistisches Archiv, Bd. 51 (1%7); wiederabgedruckt in: S. Bomer / H. Riese (Hrsg.), Zwischen Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik. Ausgewählte Beiträge von Gottfried Bombach, Berlin u.a. 1991, S. 2% f. 35 Hierzu zählt fusbesondere jenes Maß an Geldentwertung, das die privaten Wirtschaftssubjekte bereits in ihren Plänen antizipiert haben sowie inflationäre Tendenzen, die auf außenwirtschaftliche Einflüsse zurückzuführen sind; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1967/68, Tz. 316 sowie H. Giersch, Lohnpolitik und Geldwertstabilität, S. 17. Ausnahmen stellen jene Preisniveauerhöhungen dar, die durch. Erhöhungen staatlich administrierter Preise bzw. indirekter Steuern hervorgerufen werden; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1966/67, Tz. 304 ff. 36 Die Berücksichtigung erwarteter Preissteigerungsraten im kostenniveauneutralen Lohnerhöhungsspielraum impliziert Abwesenheit von Geldillusion und modifIZiert (1.4) entsprechend der Friedman-Phelps-Interpretation der Phillipskurve. 37 Sachverständigenrat, Jg. 1966/67, Tz. 303. 38 Sachverständigenrat, Jg. 1977/78, Tz. 391. 39 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1972/73, Tz. 448 ff. Der Begriff der Reallohnposition sowie seine Berechnungsweise fmden sich jedoch bereits im Jahresgutachten 1970; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1970/71, S. 21, Tab. 3.
3 Althammer
34
1. Kapitel: Die Einordnung der Vennögenspolitik
lungsspielraums, berechnet als die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts je Erwerbstätigen (durchschnittliche Arbeitsproduktivität), bereinigt um Änderungen der Terms-of-Trade sowie der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich zusätzlicher Sozialaufwendungen der Arbeitgeber, abzüglich den Wachstumsraten der realen Bruttolohn- und Gehaltssumme sowie des Preisindexes für die Lebenshaltung. vH
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-2
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Abbildung1: Die Entwicklung der Reallohnpositiona) der Arbeitnehmer 1963 bis 1986 a) Ohne Zinskosten Quelle: Sachverstlndigennn. Jg. 1986/87. S. 60. Tabelle S.
Die Berücksichtigung der Kapitalkosten erfolgt unter Verweis auf die Probleme der statistischen Erhebung erst im Jahresgutachten 1981 (zuvor wurde auf den Ausweis der Kapitalkosten verzichtet und damit implizit ein konstanter Anteil der Kapitalkosten an den Gesamtkosten unterstellt)40. In den Jahresgutachten 1984/85 bis 1986/87 wurde der Zinskosteneffekt wiederum getrennt von den übrigen Kostenbestandteilen ausgewiesen; seit dem Jahresgutachten 1987/88 wird dieser Indikator nicht mehr berechnet. b) Probleme Die Entwicklung der kostenniveauneutralen Lohnpolitik als stabilisierungskonforme Lohnleitlinie stellt nach Ansicht des Sachverständigenrats nicht nur
40
Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 70171, S. 21, FN L
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
35
eine theoretische Synthese der in der Diskussion um die produktivitätsorientierte Lohnpolitik vorgebrachten Argumente dar4 1, sondern beansprucht darüberhinaus, einen Indikator für die durch das ökonomische Gesetz determinierte Verteilung abzugeben; "unabhängig von der Lohnpolitik steigen die Reallöhne auf längere Sicht so, wie es das ökonomische Gesetz erfordert und wie die Theorie der kostenniveau-neutralen Lohnpolitik es als Norm für die Nominallöhne beschreibt, falls sich das Verhältnis zwischen Preis- und Kostenniveau (das heisst der Monopolgrad) nicht ändert. "42 Damit ist diese Lohnleitlinie allerdings - neben erheblichen Schwierigkeiten der statistischen Erfassung - mit erheblichen Problemen für die praktische Tarifpolitik verbunden. Denn sofern bei der Berechnung des stabilitätskonformen Lohnerhöhungsspielraums der Staatsanteil, die Ansprüche des Auslands an das Sozialprodukt sowie die Kapitalverzinsung herausgerechnet werden, erweist sich die Lohnpolitik als "Residualfaktor der Wirtschaftspolitik"43. Darüberhinaus impliziert jede Festlegung einer gesamtwirtschaftlichen Lohnleitlinie Starrheit der Lohnpolitik in dem Sinne, daß autonome Zielsetzungen der Arbeitnehmervertretungen insbesondere auf verteilungspolitischem Gebiet nicht mehr verfolgt werden können; die kostenniveauneutrale Lohnleitlinie sieht sich damit den gleichen Einwänden ausgesetzt, die v. NellBreuning der produktivitätsorientierten Lohnpolitik entgegenhielt: "Im praktischen Ergebnis bedeutet die Theorie der produktivitätsorientierten Lohnpolitik den Verzicht auf Lohnpolitik überhaupt; bei Lichte betrachtet, ist sie nichts anderes als eine Indexformel, die an die Stelle aktiver Politik einen Automatismus setzt. "44 Die Verteilungsneutralität der lohnpolitischen Konzeption des Sachverständigenrates läßt sich unmittelbar der Bestimmungsgleichung des kostenniveauneutralen Lohnerhöhungsspielraums entnehmen; faßt man (1.1) und (1.2) zusammen, so ergibt sich für den Anteil der Gewinne am Sozialprodukt:
Vgl. H. Giersch, Probleme stabilisierungskonformer Lohnpolitik, S. 148. Vgl. ebenda, S. 156. 43 "Die Anwendung der kostenniveauneutralen Lohnpolitik ordnet der Lohnquote den Charakter der gesamtwirtschaftlichen Residualvariablen zu, deren Ausprägung das erwünschte Systemgleichgewicht bei Vorgabe aller anderen Größen garantiert", N. Güssregen, Kostenniveauneutrale Lohnpolitik und ihre verteilungspolitischen Implikationen, FrankfurtlM. 1974, S. 78. Vgl. ebenfalls J. Klaus, Lohnpolitik und gesamtwirtschaftliche Zielsetzungen, in: H. Arndt (Hrsg.), Lohnpolitik und Einkommensverteilung, S. 102 ff. Klaus kritisiert am Konzept des Sachverständigenrates insbesondere, daß hier die Lohnpolitik "gegenüber anderen Kostenmargen eine Lückenbüßerrolle einnehmen soll"; ebenda, S. 105. Im gleichen Sinne äußern sich Gahlen und LeijJert; vgl. B. Gahlen / E. LeijJert, Die Vorschläge des Sachverständigenrats zur Einkommenspolitik, in: B. Gahlen (Hrsg.), Wachstumszykien und Einkommensverteilung, S. 79 ff. 44 O. 11. Nell-Breuning, Lohnpolitik in gesamtwirtschaftlicher Verantwortung, in: ders. (Hrsg.), Aktuelle Fragen der Gesellschaftspolitik, Köln 1970, S. 38. 41
42
36
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
(1.8)
mit ffi,p Reallohn, realer Zinssatz qA' qK = Produktivität des Faktors Arbeit und Kapital. Die Anwendung der kostenniveauneutralen Lohnpolitik als Leitlinie, die darauf abzielt, den Klammerausdruck konstant zu halten, stabilisiert demnach die gerade vorliegende Gewinnquote45 . Akzeptiert man hingegen das Bestreben der Gewerkschaften, eine Änderung der Einkommensverteilung zugunsten ihrer Mitglieder aktiv zu beeinflussen46 - wie dies im Jahresgutachten 1972 ausdrücklich geschieht47 -, so sind alternative Formen der Einkommensumverteilung außerhalb der Nominallohnpolitik zu entwickeln, um die verteilungspolitischen Zielsetzungen in stabilitätskonformer Weise umzusetzen. Der Sachverständigenrat plädiert in diesem Zusammenhang für eine Ergänzung der traditionellen, tendenziell stabilitätsgefährdenden und verteilungspolitisch unwirksamen Nominallohnpolitik um vermögenspolitische Maßnahmen, die zu einer Entschärfung des Verteilungskonfliktes beitragen und eine langfristig erfolgreiche Umverteilung von Einkommen und Vermögen ermöglichen; als Instrument schlägt der Rat sein Konzept einer "Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung der Arbeitnehmer" vor.
45 Der Klammerausdruck gibt die Summe aus Lohn- und Zinsquote an. "Gelingt es durch Anwendung der kostenniveauneutralen Lohnpolitik das Preisniveau bei Vollbeschäftigung zu stabilisieren, dann läßt sich das weniger als Lohnpolitik im herkömmlichen Sinne bezeichnen... , sondern vielmehr als eine Art von Garantieeinkommenspolitik für die Unternehmerschaft als Ganzes, da es ihr ex ante ermöglicht wird, den geplanten Monopolgrad auch tatsächlich zu erreichen bzw. aufrechtzuerhalten"; N. Güssregen, S. 63 f. 46 Die Notwendigkeit einer verteilungspolitisch orientierten Nominallohnpolitik bringt besonders deutlich G. Bombach zum Ausdruck: "Wenn den Arbeitnehmern ... keine Chance gelassen wird, bei der Aufteilung des Sozialprodukts auf die Hauptverwendungsarten ein Wort mitzusprechen, dann sind Nominallohnforderungen das einzige und letzte Mittel, einen Warnschuß abzugeben. . .. Die die Preisstabilität gefährdenden Lohnforderungen sind es dann, die die unpopulären oder unbequemen Maßnahmen erzwingen. Und insofern eben ist die Aussage, daß die Nominallohnpolitik ein untaugliches Instrument der Verteilungspolitik sei, einfach falsch." G. Bombach, Möglichkeiten und Grenzen einer Verteilungspolitik, in: H. Amdt (Hrsg.), Lohnpolitik und Einkommensverteilung, Berlin 1969, S. 822 f. Zu den gewerkschaftlichen Zielsetzungen im Rahmen der Lohn- und Einkommenspolitik vgl. H. Ehrenberg, Gewerkschaftliche Einkommenspolitik in der Sozialen Marktwirtschaft, in: F. Lenz / C. Föhl / C. Köhler (Hrsg.), Beiträge zur Wirtschafts- und Gesellschaftsgestaltung. Festschrift für Bruno Gleitze zum 65. Geburtstag am 4. August 1968, Berlin 1968, S. 333 ff. sowie H. Markmann, Wirtschaftliche Bestimmungsgründe der Lohnbildung aus Sicht der Gewerkschaften, in: H. Amdt (Hrsg.), Lohnpolitik und Einkommensverteilung, Berlin 1969, S. 756 Cf. 47 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1971/72, Tz. 440 und Tz. 490.
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
37
4. Empirische Evidenz Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist in der ersten Periode der Ratstätigkeit durch vergleichsweise hohe Wachstumsraten des Produktionspotentials und einen - nur durch die Rezession der Jahre 1966/67 kurzzeitig unterbrochenen - hohen Beschäftigungsgrad bei anhaltender Tendenz zur Geldentwertung gekennzeichnet. Somit ist für diese Periode der wirtschaftlichen Entwicklung - trotz der kurzzeitig rezessiven Phase (die Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts belief sich im Jahr 1967 auf -0,1 %, die Arbeitslosenquote stieg kurzfristig auf 2,1 %) - ein im intertemporalen Vergleich hoher Erreichungsgrad der im Sachverständigenratsgesetz normierten Ziele zu konstatieren (vgl. Tabelle 1).
Tabelle 1
Indikatoren zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Jahre 1964-1973 Mittelwert der Jahre 1964-1973 Wirtschaftswachstuma)
4,0
Preisniveaustabilitätb)
3,5
VOllbeschäftigungc)
1,0
Außenwirtschaftliches Gleichgewichtd)
2,2
a) Jährliche Wachstumsrate des Produktionspotentials die Lebenshaltung aller privaten Haushalte (1985 d) Außenbeitrag in vH des Bruttosozialprodukts
=
b) Wachstumsrate des Preisindex für 1(0) c) Arbeitslosenquote in vH
Quelle:Sachverständigemat, div. Jahresgutachten.
Dennoch läßt sich diese Periode bei genauerer Betrachtung - legt man das statistische Bild der vom Sachverständigenrat verwendeten Indikatoren und Zielwerte zugrunde - prinzipiell in zwei Phasen einteilen: die Phase stabilitätskonformer Lohnpolitik und schleichender Geldentwertung der Jahre 1964 bis 1968 einerseits sowie die Phase hoher Nominallohnsteigerungen bei akzelerierender Inflation in den Jahren 1969 bis 1973 andererseits. Die Periode bis 1968 ist dabei von weitgehend stabilitätsgerechtem Verhalten der inländischen Wirtschaftsakteure - und hier insbesondere der Tarifver-
38
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
tragsparteien - gekennzeichnet; so stiegen die Lohnstückkosten jahresdurchschnittlich um 2,6%, und der Anstieg der Verbraucherpreise verlief mit jahresdurchschnittlich 2,5% vergleichsweise moderat. Die Verantwortung für den Geldwertschwund lag nach Ansicht des Rates vor allem in der mangelnden außenwirtschaftlichen Absicherung binnenwirtschaftlicher Stabilisierungspolitik, da sich ein Land bei festen Wechselkursen und freier Konvertibilität der Währung langfristig nicht gegen internationale Preisniveauerhöhungen abschirmen kann; tatsächlich weist der Verlauf der Preissteigerungsraten der Bundesrepublik Deutschland und der wichtigsten Industrienationen bis zur Freigabe der Wechselkurse im Jahr 1973 eine relativ gleichgerichtete Entwicklung auf. Der unmittelbar nach 1967 einsetzende, nachhaltige wirtschaftliche Aufschwung, die durch eine zurückhaltende Lohnpolitik wesentlich mitbedingte Expansion der Gewinne sowie veränderte Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt änderten das stabilitätspolitische Bild sowie die Diagnose seitens des Sachverständigenrats grundlegend. Während die Tariflöhne in den Krisenjahren noch unter dem Produktivitätszuwachs lagen und demnach den realen Verteilungsspielraum nicht vollständig ausschöpften (die Reallohnposition sank in den Jahren 1967 und 1968 um insgesamt 3,4%), erhöhte sich das gesamtwirtschaftliche Kostenniveau im Zuge der drastischen Nominallohnsteigerungen der Jahre 1969 bis 1974 spürbar (vgl. Tabelle 2, S. 39). Trotz dieser deutlichen Erhöhung der spezifischen Lohnkosten blieb der Beschäftigungsgrad bis 1973 nahezu unverändert, da die Unternehmen die Lohnkostenerhöhungen weitgehend durch Preiserhöhungen kompensieren konnten48 . Bedingt durch diesen Kostendruck sowie die verstärkte Inanspruchnahme des Produktionspotentials durch den Staat stieg der Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte von 1969 bis 1974 um jahresdurchschnittlich 4,7% und lag damit weit über den vom Sachverständigenrat verfolgten Zielwerten. Als Ursache für diese stabilitätsgefährdende Lohnentwicklung diagnostiziert der Rat den zwischen den Tarifvertragsparteien ausgetragenen Konflikt um die Einkommensverteilung; der "mit Marktmacht ausgetragene Verteilungskampf"49 gerät nun zum "Kernproblem der Stabilität "50. Begründet wird die zunehmende Verhärtung der Auseinandersetzung sowie der daraus resultierende Geldwertschwund durch folgende Faktoren:
48 Dies schließt jedoch nicht aus, daß diese Nominallohnsteigerungen einen mittelfristigen Beschäftigungsrückgang induzierten, da die relative Verteuerung des Faktors Arbeit Substitutionsprozesse in Gang setzte, die in den Folgejahren beschäftigungswirksam wurden. 49 Sachverständigenrat, Jg. lrn2173, Tz. 471. 50 Ebenda.
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
-
39
Die in den Rezessionsjahren betriebene stabilitätsorientierte Tariflohnpolitik durch maßvolle Lohnsteigerungsraten und längerfristige VertragslaufTabelle 2
Löhne, Preise und Produktivität 1960 - 1974 Durchschnittliche jährliche Veränderung in vH 1963 bis 1968
1969 bis 1974
Nominallohna)
7,2
9,3
Produktivitätb )
4,5
2,5
Lohnstückkostenc)
2,6
7,1
Verbraucherpreised)
2,5
4,7
Reallohne)
4,7
4,6
a) Bruttolohn- und Gehaltssumme je beschäftigten Arbeitnehmer (Inländerkonzept) b) Bruttoinlandsprodukt in Preisen von 1985 je Erwerbstätigen (Inlandskonzept) c) Lohnkostenje Produkteinheit berechnet als: Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit je beschäftigten Arbeitnehmer (Inlandskonzept) Bruttoinlandsprodukt in Pr eisen von 1985 je Erwerbstätigen ( Inlandskonzept) d) Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte (1985 = 1(0) e) Bruttolohn- und Gehaltssumme je beschäftigten Arbeitnehmer (Inländerkonzept) deflationiert mit dem Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte (1985 = 1(0).
Quelle: Sachverständigenrat, Jg. 1990/91, S. 90 und 355; eigene Berechnungen.
zeiten verursachte einen außerordentlich hohen Rückstand der Lohnentwicklung im wirtschaftlichen Erholungsprozeß und veränderte die Einkommensverteilung zuungunsten der Arbeitnehmer. Bedingt durch den ab 1968 wiederum einsetzenden Arbeitskräftemangel entwickelten sich die Effektivlöhne ungleich dynamischer als die Tariflöhne, was zu einer erheblich verstärkten Lohndrift führte; gemessen an den gewerkschaftlichen Zielsetzungen hat sich somit eine stabilitätsorientierte Nominallohnpolitik als zielinkonform erwiesen. -
Darüberhinaus führte die zunehmend am Ziel der Vollbeschäftigung orientierte Wirtschaftspolitik zu einer Änderung des Kräfteverhältnisses am Arbeitsmarkt sowie zu einer relativen Vernachlässigung des Ziels der Geldwertstabilität. Eine staatliche Wirtschaftspolitik, die auch bei stabilitätsinkonformem Verhalten der Tarifvertragsparteien Vollbeschäftigung garantiert, gibt das Prinzip der Gleichrangigkeit der im Sachverständigen-
40
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
rats gesetz normierten Ziele auf; da eine die Grenzen der Kostenniveauneutralität übersteigende Nominallohnpolitik kurzfristig nur dann beschäftigungsneutral erfolgen kann, sofern die Überwälzung der Kostensteigerungen in die Preise möglich ist51 , wird somit seitens der staatlichen Wirtschaftspolitik das Ziel der Preisniveaustabilität dem Vollbeschäftigungsziel untergeordnet. Schließlich führen die übersteigerten Ansprüche der Privaten und des Staates an das Produktionspotential sowie die hieraus resultierende dauerhafte Inflation zur Antizipation zukünftiger Inflationsraten in den einzelwirtschaftlichen Plänen und somit zur "Inflationsgewöhnung"; ein Abbau dieser Inflationsmentalität und damit eine Rückführung der Inflationsrate wird zudem erschwert, da aufgrund des stabilitätsinkonformen Verhaltens mehrerer Guppen die Verantwortung für den Geldwertschwund auf einzelne Träger ex post nicht mehr zurechenbar ist. Eine empirische Schätzung des Zusammenhangs zwischen der Wachstumsrate der Lohnstückkosten und der Inflationsrate ergibt einen statistisch hochsigniftkanten Parameterwert der unverzögerten Wachstumsrate der Lohnstückkosten sowie einen statistisch ebenfalls signiftkanten Wert der um ein Jahr verzögerten Größe; eine einprozentige Erhöhung des Wachstums der Lohnstückkosten führt demnach zu einer Zunahme der Inflationsrate um ca. 0,6%52 (vgl. Tabelle 3, S. 41). Der Verteilungskampf - also die Überforderung des realen Verteilungsspielraums durch nominale Einkommensforderungen - in Verbindung mit einer Wirtschaftspolitik, die den originären Sanktionsmechanismus des Marktes außer Kraft setzt, stellt demnach das zentrale Grundproblem der Stabilisierungspolitik in den Jahren bis 1974 dar; sofern es nicht gelingt, die 51 Unter den vom Rat gesetzten Prämissen bleiben Variationen der Grenzkosten nur dann neutral bezüglich Output und Beschäftigung, sofern sie durch Änderungen der PreisAbsatzfunktion vollständig kompensiert werden. Eine staatliche Vollbeschäftigungsgarantie stellt danach "fiir die Unternehmer eine Überwälzungsgarantie" dar; H. Giersch, Diskussionsbeitrag, S. 786. Daß trotz monetärer Alimentierung durch expansive Norninallohnsteigerungen mittelfristig dennoch BeschäftigungslÜckgänge induziert werden können, wurde bereits oben angemerkt; vgl. FN 48. 52 Die Parameterwerte sind dalÜberhinaus auch im Zeitablauf relativ stabil; so errechnet Rahmeyer in seiner Untersuchung fiir den Zeitraum 1953 bis 1978 einen kumulierten Einfluß der Wachstumsrate der Lohnstiickkosten auf die lnflationsrate in Höhe von 0,72%, fiir die Periode 1959 bis 1978 von 0,63% und fiir die Periode von 1968 bis 1978 von 0,67%. Kalmbach errechnet fiir den Zeitraum 1960 bis 1987 fiir die unverzögert exogene Variable einen Wert von 0,54; vgl. F. Rahmeyer, Sektorale Preisentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland 1951 1977. Eine theoretische und empirisch Analyse, Tübingen 1983, S. 82; P. Kalmbach, Lohnleitlinien, Preisniveaustabilität und Beschäftigung, WZB discussion papers, Berlin 1989, S. 14. Vgl. zu diesem Zusammenhang auch Sachverständigenrat, 19. 1993/94, Abb. 21, S. 125.
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
41
divergierenden verteilungspolitischen Zielsetzungen der Tarifparteien in marktkonformer und stabilitätssichernder Weise kompatibel zu machen, sind unter den gegebenen monetären Rahmenbedingungen inflationäre Phasen als Reflex verteilungskonfliktbedingter Kostenniveauerhöhungen unvermeidbar: "Ohne ein wirksames Gegengewicht des Staates führen die Verteilungsstrategien der Gruppen dazu, daß die Geldentwertung im Trend anhält oder sich gar beschleunigt. .. 53
Tabelle 3
Schätzung des Einflusses der Wachstumsrate der Lohnstückkosten auf die Inflationsrate Zeitraum 1960 - 1974 Aln P
= 1,33
+ 0,513 Aln LSTK
+ 0,126 Aln LST~_l
(4,105)
(9,354)
(2,314)
-2
Prüfmaße: R = 0,92; SER = 0,56; DW = 1,87 Eigene Berechnungen. Es bedeuten: Ll.ln LSTK
= Wachstumsrate -2
der Lohnstückkosten,
Ll.ln P = Wachstumsrate des Lebenshaltungspreisindex, R = korrigiertes Bestimmheitsmaß; SER = Standardfehler der Regression, DW = Durbin-Watson-KoeffIzient; t-Werte in Klammem. Quelle: Sachverständigenrat, Jg. 1992/93, Tab. 32* und Tab. 83*.
53
Sachverständigenrat, Jg. 1972173, Tz. 496.
42
1. Kapitel: Die Einordnung der Vennögenspolitik 11. Die vom Sacbverständigenrat seit 1975 vertretene Konzeption
Das stabilitätspolitische Bild war seit Ausbruch der ersten massiven Rezession im Jahre 1974 von zunehmendem stabilitätspolitischen Handlungsbedarf bei gleichzeitig abnehmender Politikeffektivität gekennzeichnet. Die an den Wachstumseinbruch von 1974 anschließende stagflationäre Phase sowie die sich abzeichnende Verlangsamung im Trend des Wachstums des Produktionspotentials machten einen Paradigmenwechsel in der stabilitätspolitischen Konzeption des Sachverständigenrats nötig. Bestand die stabilitätspolitische Aufgabe in der ersten Phase der Ratstätigkeit darin, die Ansprüche der sozioökonomischen Gruppen auf ein als gegeben unterstelltes Produktionspotential optimal abzustimmen, so stellt nun die Entwicklung dieses Produktionspotentials selbst ein zentrales wirtschaftspolitisches Problem dar; das angebotsorientierte wirtschaftspolitische Konzept des Sachverständigenrates ist damit ein "Werben für die Verdrängung von Konjunkturpolitik durch Wachstumspolitik" 54 .
1. Konzeptionelle Grundlagen Die neuere, verstärkt wachstumspolitisch orientierte Konzeption des Rates ist durch drei wesentliche Elemente gekennzeichnet: Die zentrale Zielsetzung der Wirtschaftspolitik, endogene Wachstumskräfte zu stimulieren, setzt an der einzelwirtschaftlichen Entscheidung über Faktorangebot und -einsatz an, d. h. es erfolgt eine konsequente mikroökonomische Fundierung der Wachstumspolitik55 . Der Angebotspolitik, vom Rat verstanden als "... Inbegriff aller Aktionen, die abzielen auf die Vergrößerung der Menge an dauerhaft rentablen Produktionsmöglichkeiten"56, fällt dabei die Aufgabe zu, durch eine Verbesserung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen Leistungsanreize zu setzen und Raum für die freie Entfaltung privatwirtschaftlicher Aktivität zu schaffen. Zentrales Aktionsfeld ist dabei die privatwirtschaftliche Investitions-
S4 O. Sieven. Die angebotsorientierte Winschaftspolitik des Sachverständigenrates. Das Konzept für die achtziger Jahre? in : O. Vogel (Hrsg.). Wirtschaftspolitik der achtziger Jahre. Leitbilder und Strategien. Köln 1982. S. 55. ss Vgl. M. Heise / J. Ragnitz. Zur theoretischen Fundierung winschaftswissenschaftlicher Politikberatung. in: H.-P. SpaJm (Hrsg.). Winschaftspolitische Strategien. Probleme ökonomischer Stabilität und Entwicklung in Industrieländern und der Europäischen Gemeinschaft. Regensburg 1990. S6 O. Sieven. Die angebotsorientierteWinschaftspolitik des Sachverständigenrates. Das Konzept für die achtziger Jahre? in: O. Vogel (Hrsg.). Winschaftspolitik der achtziger Jahre. Leitbilder und Strategien. Köln 1982. S. 53.
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
43
tätigkeit57 , die die Schaffung eines vollbeschäftigungskonformen Kapitalstocks sicherstellen soll58. Der Beitrag der staatlichen Wirtschaftspolitik zur Förderung privater Investitionsdynamik liegt insbesondere in der Vorgabe eines verläßlichen Ordnungsrahmens zur Stabilisierung der Erwartungen einzelwirtschaftlicher Entscheidungsträger im Sinne eines stetigen und voraussehbaren Politikgebarens; die mittelfristige Ausrichtung der Wirtschaftspolitik fungiert somit nicht nur als Orientierungsgröße, sondern bekommt unmittelbaren Zielcharakter wirtschaftspolitischen HandeIns: Aufgabe des Staates ist es, " ... durch mehr Konstanz der Wirtschaftspolitik und Zurückhaltung bei Eingriffen in den Markt Risiken [zu] senken"59. Schließlich beruht das angebotspolitische Konzept des Rates auf einer eindeutigen Zuweisung stabilitätspolitischer Aufgabenverteilung auf einzelne wirtschaftspolitische Träger60 ; der Zentralnotenbank kommt dabei primär die Verantwortung für das Ziel der Preisniveaustabilität, den Tarifvertragsparteien die Verantwortung für das Beschäftigungsziel zu. Voraussetzung für diese Rollenverteilung ist die Annahme, daß diese Ziele zumindest mittelfristig - unabhängig voneinander sind.
57 Alle Formen der Investitionen - auch Rationalisierungsinvestitionen - sind im Rahmen der angebotspolitischen Position des Sachverständigenrates als bescltäftigungsfördernd einzustufen; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1976/17, Tz. 298 ff. Zur Kritik vgl. J. Kromphardt, Investitionen und Beschäftigung. Eine Kritik an den diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigenrats, in: Finanzarchiv N. F., Bd. 36 (1977/18), S. 294 ff.; vgl. aber auch H. Flassbeck / W. Friedmann, Investitionen und Bescltäftigung. Anmerkungen zu der Kritik von Jürgen Kromphardt an den diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigenrates, in: Finanzarchiv , N. F., Bd. 37 (1979), S. 107 ff. 58 Eine Steigerung der Investitionstätigkeit kann in zweifacher Weise auf das Beschäftigungsniveau einwirken: zum einen resultiert hieraus unter der Annahme kapitalgebundenen technischen Fortschritts eine Erhöhung der totalen Faktorproduktivität, zum anderen wirkt sich ein verstärkter Kapitaleinsatz - sofern man eine gesamtwirtschaftliche Produktionsfunktion mit klassischen Eigenschaften voraussetzt - erhöhend auf die Arbeitsproduktivität aus; vgl. P. J. J. Welfens, Theorie und Praxis angebotsorientierter Stabilitätspolitik, Baden-Baden 1985, S. 32. 59 Sachverständigenrat, Jg. 1981/82, Tz. 300, Einfügung durch den Verf.; bereits die Formulierung läßt eine deutliche Parallele zum ordoliberalen Konzept erkennen. 60 Zur Rollenverteilung vgl. O. Sieven, Die Steuerbarkeit der Konjunktur durch den Staat, in: C. C. v. Weizsäcker (Hrsg.), Staat und Wirtschaft, Berlin 1978, S. 838 f. sowie E.-M. Lipp I J. Pfister, Zur stabilitätspolitischen Konzeption des Sachverständigenrates, in: Sozialwissenschaftliche Informationen für Unterricht und Studium, Heft 1 (1984), S. 17 ff.
44
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
2. Die Aufgaben staatlicher Wirtschaftspolitik a) Das Konzept der potentialorientierten Geldmengensteuerung Der Wechsel im monetären Konzept des Sachverständigenrats von einer kreditpolitischen Steuerung der Bankenliquidität zur monetaristischen Geldmengenpolitik stellt den Beginn der Neuorientierung im stabilitätspolitischen Konzept des Rates dar61 . Fiel der Zentralnotenbank ursprünglich im Zuge der Steuerung der Bankenliquidität und damit der Kreditvergabemöglichkeiten des Geschäftsbankensystems unmittelbare Verantwortung für die Investitionstätigkeit und Beschäftigung zu, so konzentriert sich der Verantwortungsbereich der Geldpolitik nun mittelfristig ausschließlich auf die Aufrechterhaltung der Preisniveaustabilität. Einem stabilen Geldwert kommt dabei die dominierende Rolle im stabilitätspolitischen Konzept zu, da die Wiederherstellung von Preisniveaustabilität die zentrale Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit marktwirtschaftlicher Systeme und damit zur Vermeidung von Stabilisierungskrisen sowie den hiermit verbundenen Wachstums- und Beschäftigungseinbrüchen darstellt62 . Schließlich trägt der Primat der Preisniveaustabilität zur Abschwächung des Verteilungskonflikts bei, da bei Preisniveaustabilität ein zentrales Element der Unsicherheit über den zukünftigen Verteilungsspielraum entfallt und die Ansprüche gegen das zukünftige Sozialprodukt mit einem höheren Grad an Sicherheit festgesetzt werden, und da die stabilisierungspolitischen Lasten verteilungskonfliktbedingten Fehlverhaltens einzelner marktrnächtiger Gruppen bei einer auf Geldwertstabilität bedachten Politik dem jeweiligen Verursacher direkt zugerechnet werden und stabilitätsinkonformes Verhalten somit weniger wahrscheinlich wird63 . Preisniveaustabilität nimmt demzufolge eine Sonderstellung im stabilitätspolitischen Zielsystem des Sachverständigenrates ein: "Stabilität des Geldwerts ist ... kein Ziel mehr, sondern eine Spielregel. "64
61 Die Übernahme monetaristischer Positionen in der Geldpolitik vollzog sich dabei nicht abrupt, sondern wurde mehrere Iahre innerhalb des Rates diskutiert; eine ausführliche Beschäftigung des Sachverständigenrates mit den monetaristischen Thesen fmdet sich im Iahresgutachten lrn2173, Tz. 394 ff., in dem bereits die Ratsmehrheit der monetaristischen Sichtweise zuneigt. Spätestens seit dem Iahresgutachten 1rn4175 stellt die Steuerung der Zentralbankgeldmenge einen integralen Bestandteil der stabilitätspolitischen Konzeption des Rates dar; vgl. Sachverständigenrat, Ig. lrn2173, Tz. 395 sowie ders., IG. lrn4175, Tz. 374 ff. 62 Vgl. Sachverständigemat, Ig. lrn4175, Tz. 364. 63 Vgl. Sachverständigenrat, Ig. lrn4175, Tz. 364 und 373. 64 Sachverständigemat, Ig. lrn4175, Tz. 372.
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
45
Das Instrument einer dem Ziel der Preisniveaustabilität verpflichteten Geldpolitik stellt hierbei eine am Wachstum des Produktionspotentials orientierte Steuerung der Zentralbankgeldmenge dar; der Sachverständigenrat verläßt sotnit die keynesianische Argumentation zur Wirkung monetärer Impulse und legt nun seinen geldpolitischen Ausführungen einen neoquantitätstheoretischen Transtnissionsmechanismus zugrunde65 . Die notwendige Voraussetzung für die EffIzienz des geldpolitischen Instrumentariums - die außenwirtschaftliche Absicherung binnenwirtschaftlicher Stabilitätspolitik durch flexible Wechselkurse - war durch die Ablösung des Systems von Bretton-Woods und die vollständige Freigabe der Wechselkurse im Jahre 1973 erfüllt, so daß nun die Geldversorgung der Wirtschaft mittelfristig durch die Zentralnotenbank exogen determiniert ist. Die Geldnachfrage wird als im Trend stabil unterstellt; demnach können zwar kurzfristig inflationäre Impulse durch Variationen der Kassenhaltung fmanziert werden66 , längerfristige inflationäre Prozesse bedürfen hingegen der monetären Alimentierung durch die Zentralnotenbank; die Verantwortung für einen dauerhaften und anhaltenden Geldwertschwund liegt demnach eindeutig bei der Bundesbank. Orientierungsgröße für die optimale Geldversorgung der Wirtschaft stellt wiederum das gesamtwirtschaftliche Produktionspotential dar, wobei eine Ausweitung der Geldmenge entsprechend dem Potentialwachstum als konjunkturneutrale Geldpolitik zu werten ist. b) Die wachstumspolitische Ausrichtung der Finanzpolitik Im Rahmen der angebotstheoretischen Neuformulierung des stabilitätspolitischen Konzepts kommt der Finanzpolitik neben der bereits erörterten allokativen und konjunkturstabilisierenden Funktion erhebliche Bedeutung für die Entwicklung des Angebotspotentials zu. Der Beitrag der öffentlichen Haushalte zur Stimulierung endogener Wachstumskräfte umfaßt dabei im wesentlichen zwei Komponenten: die Rückführung des Volumens der Staatstätigkeit auf die "eigentlichen Bereiche des Staates", d. h. auf die Versorgung mit öffentlichen Gütern und Dienstleistungen einerseits, sowie den Abbau all jener fiskalpolitischen Maßnahmen, die die Flexibilität und Leistungsbereitschaft privater Wirtschaftssubjekte hemmen und somit die Grundlage für mehr Investition und Beschäftigung beschränken. Die wachstumspolitische Proble65 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1'174/75, Tz. 375; das Konzept der potentialorientierten Geldpolitik entspricht damit der Friedman-Regel mit der Ausnahme, daß hier die vorn Sachverständigenrat berechnete Zentralbankgeldrnenge als Zwischenzielindikator fungiert. Zur theoretischen Interpretation der Neuorientierung im geldpolitischen Konzept des Sachverständigenrats vgl. D. Schneider, Monetäre Konzepte der Verstetigungspolitik. Grundlagen und Ansatzpunkte des Sachverständigenrates, Baden-Baden 1981, S. 47 ff. 66 Vgl. G. Maier-Rigaud, Der Zins, das Potential und der Aufschwung. Zur geldpolitischen Konzeption des Sachverständigenrates, in: Wirtschaftsdienst, Heft 1 (1983), S. 45 ff.
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1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
matik einer unstetigen und stark ausgeweiteten Staatstätigkeit besteht dabei in der Destabilisierung der Erwartungen sowie einer steigenden Grenzsteuerbelastung der privaten Wirtschaftssubjekte bzw. einer verstärkten Inanspruchnahme des Kapitalmarkts bei kreditftnanzierten öffentlichen Ausgaben. Diese Effekte führen tendenziell zu einer Verdrängung privater Wirtschaftssubjekte durch den Staat, so daß insbesondere die langfristigen Beschäftigungseffekte einer expansiven Staatstätigkeit unbestimmt sind67 • Dementsprechend fordert der Rat die Verstetigung des öffentlichen Ausgabeverhaltens sowie den Abbau struktureller Budgetdeftzite ein, um über eine Entlastung des Kapitalmarkts die inländischen Kreditzinsen zu reduzieren und private Investitionen zu stimulieren. Eng verbunden mit dem Ziel, die individuelle Leistungsbereitschaft zu fördern, ist die Forderung des Sachverständigemates nach einer Senkung bzw. Umstrukturierung der staatlichen Steuereinnahmen. Die Reduktion der marginalen Abgabenbelastung von Privatpersonen und Unternehmen erhöht die Bereitschaft zur unternehmerischer Tätigkeit und vermehrt somit das private Angebot an Gütern und Dienstleistungen. Unmittelbar beschäftigungspolitische Effekte erwartet der Rat von der steuerlichen Entlastung gewerblicher Investitionen68 ; gefordert wird hier insbesondere die Beteiligung des Staates am Investitionsrisiko, die durch einen verbesserten intertemporalen Verlustausgleich sowie die Substitution von ertragsunabhängigen Unternehmenssteuern durch ertragsabhängige Abgabeformen erfolgen soll. Die Rückführung des strukturellen Deftzits bei konstantem bzw. ebenfalls sinkendem Steuervolumen erfordert eine gleichgerichtete Rückführung des Ausgabevolumens der öffentlichen Hand, mithin ein Sinken der Staatsquote. Einsparungspotentiale sieht der Sachverständigemat wiederum in jenen Bereichen staatlicher Ausgaben, die die Flexibilität des Marktsystems herabsetzen; so insbesondere im Bereich der sektoralen Strukturpolitjk69 sowie im Transfersystem. Die aktive Rolle der Finanzpolitik im Wachstumsprozeß konzentriert sich somit auf die globale Förderung privater Innovationsdynamik und Investitionstätigkeit, um den Umfang an dauerhaft rentablen Produktionsmöglichkeiten nachhaltig zu erhöhen. 67 Während sich in den Gutachten zur Frage nach der Verdrängung privater Investitionen durch kreditfmanzierte öffentliche Ausgaben (crowding-out) nur vereinzelte Aussagen fmden (vgl. z. B. Sachverständigenrat, Jg. 1978179, Tz. 304 ff. und Jg. 1990/91, Tz. 355), gehört die Forderung nach einer Reduktion der marginalen Abgabenbelastung sowie ertragsunabhängiger Unternehmenssteuern zu den fmanzpolitischen Grundelementen angebotsorientierter Wirtschaftspolitik; vgl. G. H. Milbradt, Steuer- und Finanzpolitik, in: O. Vogel (Hrsg.), Wirtschaftspolitik der achtziger Jahre. Leitbilder und Strategien, Köln 1982, S. 123 ff. 68 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1981182, Tz. 387 ff. sowie ders., Jg. 1984/85, Tz. 462 ff. 69 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1984/85, Tz. 438 ff. Zur Strukturpolitik vgl. insbesondere Jg. 1991192, Tz. 504 ff.
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
47
3. Das lohn- und beschäjtigungspolitische Konzept a) Das Konzept einer zurückhaltenden Lohnpolitik Unter dem Eindruck zweier massiver und dauerhafter Beschäftigungseinbrüche in den Jahren 1975 und 1981 sowie angesichts der zentralen wirtschaftsund sozialpolitischen Problematik lang anhaltender Arbeitslosigkeit kommt der Analyse der Ursachen des Beschäftigungsrückgangs sowie der Möglichkeiten einer wirtschaftspolitischen Beeinflussung des Beschäftigungsniveaus eine besondere Rolle zu. Im Zuge der Neuorientierung der Rollenverteilung fällt nun die primäre Verantwortung für lang anhaltende Arbeitslosigkeit den Tarifvertragsparteien zu, die im Rahmen der Tarifautonomie den Preis des Faktors Arbeit festlegen. Diese Rollenzuweisung schließt zwar eine "konstruktive Rolle des Staates "70 bei der Bewältigung des Beschäftigungsproblems nicht aus, beschränkt die staatliche Einflußnahme jedoch auf jene Formen der Arbeitslosigkeit, die "ihre Ursachen nicht in einem stabilitätswidrigen Verhalten der Privaten ... haben "71. Daß der Lohnpolitik nunmehr unmittelbar beschäftigungspolitische Relevanz zugeschrieben wird, ist insbesondere auf das geänderte monetäre Konzept des Sachverständigenrats zurückzuführen; da die Zentralnotenbank den Geldangebotsprozeß mit dem Ziel der Preisniveaustabilisierung kontrolliert, wird einer expansiven Nominallohnerhöhung bei erfolgreicher Potentialorientierung des Geldangebots die monetäre Alimentierung versagt, so daß Reallohnsteigerungen, die über den Produktivitätszuwachs hinausgehen, entsprechende negative Mengeneffekte auslösen72 • Für die hier unterstellte inverse Relation zwischen Reallohnniveau und Beschäftigung können mehrere Ursachen ausschlaggebend sein73 : Bei kurzfristiger Betrachtung gründet sie sich auf die Annahme einer gesamtwirtschaftlich substitutionalen Produktionsfunktion bei gegebenem Kapitalstock. Die Unternehmen sind dabei unter neoklassischen Annahmen bestrebt, das Grenzprodukt der Arbeit dem Reallohn anzugleichen. Steigt nun der Reallohnsatz über das markträumende Niveau, so ist das höhere Grenzprodukt nur durch eine Kapitalintensivierung - bei gegebenem Kapitalstock also durch einen Beschäftigungsabbau - erzielbar; Giersch spricht in diesem Zusammenhang von "klassischer Arbeitslosigkeit ersten Grades "74. Ein weiteVgl. Sachverständigenrat, Jg. 1981182, T~. 343. Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1974175, T~. 369. 72 Ganz in diesem Sinn interpretiert der Rat den Produktions- und Beschäftigungseinbruch des Jahres 1974 als Stabilisierungskrise, die 1975 durch die weltweite Rezession zwar verschärft, nicht jedoch ausgelöst wurde; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1975176, Tz. 314. 73 Vgl. P. Kalmbach, Lohnhöhe und Beschäftigung: Ein Evergreen der wirtschaftspolitischen Debatte, in: Wirtschaftsdienst, Heft 7 (1985), S. 370 ff. 74 H. Giersch, Arbeit, Lohn und Produktivität, in: Weltwirtschaftliches Archiv, Band 119 (1983), S. 1 ff. 70
71
48
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
rer, vorn Sachverständigenrat mittlerweile stark akzentuierter Effekt expansiver Lohnerhöhungen liegt in der Reduktion der Kapitalrentabilität und dem hieraus resultierenden Rückgang der Investitionstätigkeit. Um die Arbeitsproduktivität an den gestiegenen Reallohn anzugleichen, wäre hingegen ein moderner Kapitalstock und mithin eine erhöhte Investitionstätigkeit gefordert; überhöhte Lohnsätze führen somit längerfristig zu "Kapitalmangel-Arbeitslosigkeit" ,75 zu einer "klassischen Arbeitslosigkeit zweiten Grades "76. Schließlich führen überhöhte Lohnsätze zu verstärktem Einsatz arbeitssparenden technischen Fortschritts, der zu einer dauerhaften Verhärtung des Beschäftigungsproblems beiträgt: "Das Ergebnis ist technologische Arbeitslosigkeit, eine klassische Arbeitslosigkeit dritten Grades. "77 Mittels des kausalen Zusammenhangs zwischen Lohnhöhe und Beschäftigung verfügen die Tarifvertragsparteien auch über das geeignete Instrument zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung, da Beschäftigungsprobleme stets durch eine zurückhaltende Lohnpolitik78 zu lösen sind: "es gibt jeweils ein Lohnniveau, bei dem keine Angebotsprobleme, die aus anderen Gründen bestehen mögen, so stark zu Buche schlagen, daß Vollbeschäftigung unmöglich würde. "79 Die beschäftigungspolitischen Wirkungen einer zurückhaltenden Nominallohnpolitik setzen jedoch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene, d. h. unter Berücksichtigung von Kreislautbeziehungen, eine entsprechend preiselastische aggregierte Nachfrage voraus. 80 Denn sofern ein sinkendes Nominallohn-
75 Zur These der Kapitalmangelarbeitslosigkeit vgl. G. Bombach, Kapitalmarkt und Beschäftigung, in: S. Bomer / H. Riese (Hrsg.), Zwischen Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik. Ausgewählte Beiträge von Gottfried Bombach, Berlin u. a. 1991; sowie O. Vogel, Das Phänomen "Investitionslücke" - angebotstheoretisch betrachtet, in: W. Ehrlicher / D. B. Simmen (Hrsg.), Der volkswirtschaftliche Sparprozeß. Beihefte zu Kredit und Kapital, Heft 9 (1985), S. 115 ff. 76 H. Giersch, Arbeit, Lohn und Produktivität, in: Weltwirtschaftliches Archiv, Band 119 (1983), S. 10. 77 Ebenda. 78 "Kostenniveauneutrale beziehungsweise beschäftigungsneutrale Lohnpolitik treiben heißt die Lohndaten im vorhinein so setzen, daß es nicht vermehrter Preissteigerungen oder aber - bei einer auf Geldwertstabilität bedachten Notenbank - einer Verminderung der Produktion und Beschäftigung bedarf, um die Reallöhne passend zu den Marktbedingungen zu machen. Zurückhaltende Lohnpolitik heißt, hinter solchen neutralen Lohnsteigerungen zurückzubleiben, um mehr Produktion und Beschäftigung rentabel werden zu lassen." Sachverständigenrat, Jg. 1984/85, Tz. 304. 79 Sachverständigenrat, J g. 1977/18, Tz. 288. 80 Diese Annahme wird von keynesianisch orientierten Kritikern der Sachverständigenratskonzeption bestritten. Zur kreislauftheoretischen Kritik an der angebotsorientierten Stabilitätspolitik des Sachverständigenrates vgl. A. Schmid, Einige Anmerkungen zum Zusammenhang von Lohnpoitik und Beschäftigung, in: Konjunkturpolitik, Heft 12 (1978), S. 170 Cf.; E. Kowalski, Deus Pigovianus ex Ökonomachina? oder: Gleicher Rang für die Nachfrage. Zum Jahresgutachten 1977/18 des Sachverständigenrates, in: Konjunkturpolitik, Heft 1 (1978), S. 1 ff.
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
49
niveau gleichgerichtete Preisniveausenkungen nach sich zieht81 , das Reallohnniveau folglich konstant bleibt, sind aufgrund der fehlenden Nachfrage keine realwirtschaftlichen Effekte mit einer Kostensenkung verbunden. Die Preisniveauelastizität der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage - vom Rat zunächst unter direktem Rekurs auf das Say' sche Theorem82 bzw. anband eines "erweiterten Pigou-Effekts"83 begründet - wird mittlerweile durch die Existenz internationalen Wettbewerbs und die aus Kostensenkungen resultierende verbesserte internationale Wettbewerbsposition84 begründet. Daruberhinaus konstatiert der Sachverständigenrat einen zunehmenden Freisetzungsbedarf am Arbeitsmarkt aufgrund marktwidriger Lohnstrukturen. Theoretischer Hintergrund ist dabei wiederum die neoklassische Grenzproduktivitätstheorie, wobei regionale, sektorale und qualiflkatorische Heterogenitäten des Faktors Arbeit explizit berücksichtigt werden. Vollbeschäftigung auf allen Teilmärkten ist dann gegeben, sofern sich die Einkommensdifferentiale den entsprechenden Produktivitätsunterschieden angleichen. Aufgabe der Lohnpolitik ist es somit, eine marktgerechte, d. h. den Produktivitätsdifferentialen entsprechende Lohnstruktur85 herzustellen, um die bestehende Strukturkomponente der Arbeitslosigkeit abzubauen86 . Der stets vorhandene Bedarf an strukturellem Wandel vollzieht sich dann nicht über Freisetzungsprozesse am Arbeitsmarkt, sondern erfolgt - hinreichende Mobilität der Arbeitnehmer vorausgesetzt - über die Indikationsfunktion der Löhne; das Ziel einer differenzierten Lohnstruktur ist es, "die Signale des Marktes rechtzeitig auch für
81 Entsprechend der ursprünglichen Fonnulierung kostenniveauneutraler Lohnpolitik wäre zu vennuten, daß ein Rückgang bzw. Minderanstieg des Lohnniveaus zu gleichgerichteten Preiseffekten führt. 82 "Die dauerhaften Impulse für wirtschaftliche Tätigkeit müssen ... VQn der einzeiwirtschaftlichen Basis ausgehen, von der Jlnternehmerischen Nutzung rentabel erscheinender Produktionschancen. Dabei wird Arbeit nachgefragt und Einkommen geschaffen, woraus dann Nachfrage nach Gütern entsteht. Im Zusammenspiel der Vielen schafft so das Angebot seine Nachfrage." Sachverständigenrat, Jg. 1977178, Tz. 241. 83 "Soweit der Preisanstieg wegen Lohnzurückhaltung geringer ausfällt, entstehen jedoch durch den damit verbundenen Realwerteffekt mehr Kaufkraft, die von der Nachfrageseite her dazu beiträgt, daß die verbesserten Produktionsmöglichkeiten auch genutzt werden." Sachverständigenrat, Jg. 1977178, Tz. 300. Vgl. ebenfalls O. Sievert, Position des Sachverständigenrates, in: DIW, Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Heft 1 (1980), S. 19. 84 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1984/85, Tz. 304 ff. 85 Um die hierfür nötige Lohnflexibilität herzustellen, fordert der Rat eine betriebsnähere Tarifpolitik, die z. B. im Zuge von Tariföffnungsklauseln auf die Besonderheiten einzelner Unternehmen differenziert eingeht; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1988/89, Tz. 345 ff. 86 Relativ gering stuft der Rat hingegen die Möglichkeiten ein, durch qualiftkationsbedingte Lohndifferenzierung den Anteil unqualifIZierter Erwerbsloser abzubauen; hier wird insbesondere für Höherqualifizierung durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen plädiert; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1988/89, Tz. 339. 4Althammer
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
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den einzelnen Arbeitnehmer erkennbar zu machen und so einen sozial verträglichen sowie zeitlich gestreckten Beschäftigungsabbau zu ermöglichen. "87 Schließlich erhält die kostenniveauneutrale Lohnpolitik im Konzept des Sachverständigenrates einen neuen Stellenwert. So weist der Rat wiederholt darauf hin, daß es keine Methode gibt, den marktgerechten Lohnsatz ex ante hinreichend genau zu bestimmen; es ist vielmehr die Aufgabe des Marktes, den vollbeschäftigungskonformen Reallohnsatz - der selbst Ergebnis des Marktprozesses ist - zu bestimmen: "Wir gehen ... davon aus, daß das Lohnniveau, das zu einem hohen Beschäftigungsstand paßt, nicht mit wissenschaftlichen Methoden ermittelt, sondern nur am Markt herausgefunden werden kann. "88
Eine am Ziel der Vollbeschäftigung orientierte Lohnpolitik ist demnach allenfalls in der Lage, unter Berücksichtigung der zu erwartenden wirtschaftlichen Entwicklung Tariflohnsteigerungen festzusetzen, die Spielraum für Reallohnsenkungen lassen. Dementsprechend gibt das vom Sachverständigenrat erarbeitete tarifpolitische Konzept - entgegen der ursprünglichen Intention keine Grundlage für die Festlegung zukünftiger Lohnsteigerungsraten im Sinne einer Lohnleitlinie, sondern dient lediglich als statistischer Ausweis des Effekts vergangener Nominallohnvariationen89 . b) Das Konzept produktivitätsorientierter Lohnpolitik Mit dem Jahresgutachten 1985/86 läßt sich eine signifIkante ModifIkation im tarifpolitischen Konzept des Sachverständigenrats feststellen90 . Das bislang verfolgte Konzept kostenniveauneutraler Lohnpolitik wurde fallengelassen; statt dessen vertritt der Rat nun eine streng produktivitätsorientierte Lohnpolitik, die als Lohnleitlinie die mittelfristige Konstanz der Lohnstückkosten fordert. Der zugrundeliegende Zusammenhang kann durch folgende Identitätsgleichung wiedergegeben werden91 : (I. 9)
w
w·A
qA Y Wächst der nominale Lohnsatz (w) entsprechend der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität (qA) , so bleiben die Lohnstückkosten, also die LohnSachverständigenrat, Jg. 1988/89, Tz. 390. Sachverständigenrat, Jg. 1979/80, Tz. 337. 89 Vgl. M. Wansleben, Der Produktivitätszuwachs als Maßstab für eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik. Wiederaufnahme der Diskussion um Lohnleitlinien, Baden-Baden 1986, S. 52 f. 90 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1985/86, Tz. 192 ff. 91 Vgl. M. Wansleben, Der Produktivitätszuwachs als Maßstab für eine beschäftigungsorienrierte Lohnpolitik. Wiederaufnahme der Diskussion um Lohnleitlinien, Baden-Baden 1986, S. 38. 87 88
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
51
kosten je Produkteinkeit, konstant. Bei der statistischen Operationalisierung seiner neuen Lohnleitlinie verwendet der Sachverständigenrat das reale Bruttoinlandsprodukt im Nenner, d. h. er fordert weiterhin eine Nominallohnorientierung im Rahmen seiner Lohnleitlinie. Konstanz der Lohnstückkosten ist in diesem Fall nur gewährleistet, sofern in die Tariflohnsteigerungen keine Berücksichtigung erwarteter Preissteigerungsraten einfließt; Voraussetzung für die neue lohnpolitische Leitlinie des Sachverständigenrats ist damit wiederum Stabilität des Preisniveaus. Im Fall monetären Ungleichgewichts befürwortet der Rat zwar eine Anrechnung von Preissteigerungsraten, die jedoch unterhalb der erwarteten Inflationsrate liegen sollen92 . Der empirische Ausweis kostenniveauneutraler Lohnpolitik - die Reallohnposition - wird im Jahresgutachten 1987/88 mit der Begründung fallengelassen, ihre Interpretation als Maßgröße stabilitätskonformer Lohnpolitik sei "zunehmend schwieriger und weniger ergiebig"93 geworden und die derzeitige Situation der Wirtschaft sei "eine ganz andere als in den sechziger Jahren, in denen das Instrument der Reallohnposition entwickelt worden ist"94. Anstelle der Reallohnposition - die sowohl stabilitäts- als auch verteilungspolitischen Aussagegehalt besitzt - tritt nun die Gewinn-Erlös-Relation als stabilitätspolitische und damit auch beschäftigungspolitisch relevante Kennziffer einerseits sowie die Arbeitseinkommensquote als statistischer Ausweis der funktionalen Einkommensverteilung andererseits. Die Gewinn-Erlös-Relation stellt eine gesamtwirtschaftliche Umsatzrendite dar95 und gibt Auskunft über die Ertragslage der Unternehmen. Die gesamtwirtschaftliche Gewinnsumme ist dabei produktionstechnisch als Überschuß der Erlöse über die Kosten definiert: (I. 10)
G == P . Y - w . A - r . K - PIMP • J - T,
wobei w die Lohnkosten zuzüglich der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung sowie eines kalkulatorischen Unternehmerlohns, r die Kapitalkosten (Zinskosten inklusive Abschreibungen) auf das Anlage-, Vorrats- und Geldvermögen der Unternehmen, PImp·J die nominalen ausländischen Vorleistungen und T die nominale Nettobelastung der Unternehmen durch den Staat Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1989/90, Tz. 354. Sachverständigenrat, Jg. 1987/88, Tz. 169. 94 Ebenda. 95 Streng genommen gibt die Gewinn-Erlös-Relation lediglich den Anteil der Gewinne am Produktionsertrag wieder und stellt damit keine Rentabilitätskennziffer im engeren Sinn dar. Bei konstantem KapitalkoeffIzient entwickeln sich die Gewinn-Erlös-Relation und Gesamtkapitalrendite jedoch gleichgerichtet, da gilt: 92
93
Gewinn Gewinn Erlös Kapitalrendite = - - = - - - - . Kapital Erlös Kapital Dementsprechend verläuft die im Jahresgutachten 1990/91 vom Sachverständigenrat ausgewiesene gesamtwirtschaftliche Kapitalrendite im wesentlichen identisch zur Gewinn-ErlösRelation; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1990/91, Tab. 25, S. 90.
52
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
angibt96 . Die Bedeutung der Relation von realen Faktorkosten zu den entsprechenden Faktorproduktivitäten wird deutlich, wenn man - entsprechend der Vorgehensweise des Rates - die Gewinngleichung durch die Erlöse p.y dividiert97 ; man erhält dann für die Gewinn-Erlös-Relation (bzw. den realen Stückgewinn): (I. 11)
wobei
(0
P
7t IMP
'Y == 1- - - - - - - - ' t , qA qK qJ
'Y = Gewinn-Erlös-Relation (realer Stückgewinn) p, 7t lmp = Reallohn, Realzins bzw. reale Stückkosten für importierte Vorleistungen qA' qK' ~ = Produktivitäten der eingesetzten Faktoren (Arbeit, Kapital, Vorleistungen) 't = reale Nettoabgaben pro Stück. (0,
Eine Erhöhung der Gewinn-Erlös-Relation und damit eine Steigerung von Investitionstätigkeit und Beschäftigung läßt sich folglich entweder über einen Rückgang der realen Faktorkosten, über eine Erhöhung der partiellen Faktorproduktivitäten oder durch eine Verringerung der steuerlichen Belastung der Unternehmen realisieren. Da in der neueren stabilitätspolitischen Konzeption des Sachverständigenrats die herrschende Arbeitslosigkeit wesentlich durch eine verminderte Gewinn-Erlös-Relation und die hieraus resultierende nachlassende Investitionsneigung verursacht ist98 , kann die Lohnpolitik nur einen bedingten Beitrag zum Abbau der herrschenden Arbeitslosigkeit leisten: "Der Preis für Arbeit ... würde die Nachfrage nach Arbeit allein nur bestimmen, wenn es die Notwendigkeit des Investierens nicht gäbe. "99 Darüberhinaus setzt eine Ausweitung der Investitionstätigkeit im Zuge einer Nominallohnreduktion bei substitutionaler Produktionsfunktion voraus, daß die Produktionsausweitung im Zuge der Kostensenkung hoch genug ausfallt, um den Substitutionseffekt, der aus dem geänderten Faktorpreisverhältnis resultiert, Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1990/91, Anhang VI, S. 310 f. Vgl. hierzu insbesondere J. Roth, Kriterien für eine beschäftigungsgerechte Lohnpolitik, in: Die Weltwirtschaft, Heft 1 (1983), S. 36 ff. 98 Zu einer ähnliche Diagnose vgl. Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.), Gewinn, Investitionen und Beschäftigung. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft vom 26/27 Juni 1987. 99 Sachverständigenrat, Jg. 1984/85, Tz. 292. Auch die theoretische Möglichkeit, Variationen der Kosten für Kapital und ausländische Vorleistungen durch entgegengesetzte Änderungen der spezifischen Lohnkosten zu kompensieren, scheidet allein aufgrund der Tatsache aus, daß die Lohnkosten nach den Berechnungen des Sachverständigenrats im Durchschnitt ca. 36% der Gesamtkostenbelastung ausmachen; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1990/91, S. 90, Tab. 25. 96
97
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
53
zu kompensieren HJO . Der Sachverständigenrat erachtet damit die Befürchtung als gering, daß zusätzliche Selbstfmanzierungsspielräume nicht zu Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen führen, sondern von den Unternehmen zu verstärkten Rationalisierungsanstrengungen verwendet würden. Eine weitere, mittlerweile vom Sachverständigenrat stark akzentuierte negative Angebotsdeterminante stellt in diesem Zusammenhang das "originäre Problem der Unsicherheit"101 dar, das sich in gestiegenen Investitionsrisiken niederschlägt: "Der Sachverständigenrat hat bei allem beharrlichen Drängen auf eine zurückhaltende Lohnpolitik deren beschäftigungspolitische Möglichkeiten nie für hinreichend gehalten, alle gesamtwirtschaftlichen Koordinierungsprobleme abzufangen. Er hat die Probleme der Unsicherheit beim Investieren, das Problem eines ausreichenden Angebots an privater Risikobereitschaft, den Bedarf an staatlicher Förderung solcher Bereitschaft ... mit ins Zentrum seines angebotspolitischen Konzepts gerückt. ,,102
Für die Annahme gestiegener Investitionsrisiken werden folgende Gründe angeführt 103: So verursachten insbesondere die in den Jahren 1973 bis 1982 betriebenen, diskretionären wirtschaftspolitischen Eingriffe des Staates nicht antizipierte Preis- und Mengeneffekte, die das Markt- und Inflationsrisiko erhöhte und den Abschluß längerfristiger Verträge erschwerte. Desweiteren führt die gestiegene außenwirtschaftliche Verflechtung der deutschen Wirtschaft zu einer zunehmenden Abhängigkeit von außenwirt schaftlichen Einflüssen; zu denken ist hierbei insbesondere an stark schwankende Preise für ausländische Vorleistungen - und hier v. a. importierter Rohstoffe - sowie an erratische Schwankungen der nominalen Wechselkurse, die auch längerfristig von den entsprechenden Kaufkraftparitäten abweichen und in zunehmendem Maß von schwer zu prognostizierenden internationalen Kapitalströmen bestimmt werden. Schließlich wird angeführt, daß das Arbeits- und Sozialrecht in zunehmendem Maß Risiken von Arbeitnehmern und Sozialversicherungsträgern auf die Unternehmen verlagert. Genannt werden in diesem Zusammenhang
100 Graphisch muß die zusätzliche Kapitalnacbfrage infolge der Rechtsverschiebung der Isoquante hoch genug ausfallen, um die Mindemacbfrage nach Kapital aufgrund des geänderten Faktorpreisverhältnisses zu übertreffen. \01 Sachverständigenrat, Ig. 1984/85, Tz. 292. 102 Sachverständigenrat, Ig. 1984/85, Tz. 295. \03 Vgl. R. Weichert, Probleme des Risikokapitalmarktes in der Bundesrepublik. Ursachen, Auswirkungen, Lösungsmöglichkeiten, Tübingen 1987, 48 ff.
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1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
insbesondere die Ausweitung des Kündigungsschutzes, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie insbesondere die Verpflichtung zu Leistungen im Rahmen des Sozialplans bei Verlagerung oder Stillegung von Unternehmen oder Betriebsteilen. Der neuen Gewichtung des Investitionsrisikos entsprechend modifIZiert der Sachverständigenrat seine Anforderungen an eine beschäftigungsorientierte Nominallohnpolitik; neben der Herstellung eines vollbeschäftigungskonformen Lohnniveaus sowie marktgerechter Lohnstrukturen tritt nun die Forderung, durch den Abschluß mehrjähriger Tarifverträge die Lohnstückkosten mittelfristig konstant zu halten und somit die Investitionen von jenen Risiken zu entlasten, die aus einer unstetigen Entwicklung der Lohnkosten resultieren l()4 • Eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmensgewinn kann in diesem Zusammenhang einen mehrfachen Beitrag zur Erhöhung der Investitionsneigung liefern: Zum einen stellt eine ertragsabhängige Entlohnung des Faktors Arbeit eine unmittelbare Beteiligung der Arbeitnehmer am Risiko der Unternehmen dar, entlastet mithin die Investoren von einem Teil des leistungswirtschaftlichen Risikos. Die investive Anlage der Ertragsanteile in Produktivvermögen erhöht darüberhinaus die Eigenkapitalbasis der Unternehmen und stärkt somit ihre Bereitschaft zu Investitionen in riskanten Objekten. Schließlich erlaubt eine direkte Beteiligung der Arbeitnehmer am erwirtschafteten Ertrag der Unternehmen den Abschluß längerfristiger Tarifverträge, da in diesem Fall die Entgelte der Arbeitnehmer unmittelbar an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung gekoppelt sind und damit das Risiko negativer Verteilungswirkungen im Fall nicht-antizipierter Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen minimiert wird.
4. Empirische Evidenz Die betrachtete Periode seit 1974 läßt sich in zwei Phasen unterteilen, die sich hinsichtlich der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie der verfolgten Wirtschaftspolitik signiftkant unterscheiden: Die erste Phase von 1974 bis 1983 ist durch zwei nachhaltige Rezessionen, starke Schwankungen des Preisniveaus sowie einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosenquote gekennzeichnet. Die staatliche Wirtschaftspolitik - und hier insbesondere die Finanzpolitik - reagierte auf diese Situation mit dem
104 Vgl. Sachverständigenrat, Ig. 1987/88, Tz. 356 ff. sowie ders., Ig. 1989/90, Tz. 348 ff. Die Forderung nach einer mittelfristigen Orientierung der Norninallohnpolitik fmdet sich bereits in den ersten Iahresgutachten, wird hier jedoch mit den Problemen begründet, die die Prognose der zukünftigen Entwicklung der Arbeitsproduktivität zur Ermittlung des kostenniveauneutralen Lohnerhöhungsspielraums darstellt; vgl. Sachverständigenrat, Ig. 1966/67, Tz. 327 ff.
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
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massiven Einsatz der im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz genannten Instrumente im Sinne expansiver Nachfragepolitik. Die zweite Phase ab 1983 ist vor allem durch die Übernahme der angebotspolitischen Wirtschaftspolitik durch die Bundesregierung gekennzeichnet. Die wirtschaftspolitische Entwicklung nach 1983 kann demzufolge als empirischer Test der stabilitätspolitischen Konzeption des Sachverständigenrates herangezogen werden. a) Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Jahre 1974 bis 1983 in der Diagnose des Sachverständigenrates Die Übernahme einer mengenorientierten Geldpolitik durch die Deutsche Bundesbank sowie die Wechselkursfreigabe im Jahre 1973 schafften die notwendigen Voraussetzungen, mittels restriktiver geldpolitischer Maßnahmen die hohen und weiterhin akzelerierenden Inflationsraten der Jahre 1970 bis 1973 auf ein dem Ziel der Preisniveaustabilität entsprechendes Maß zu reduzieren. Diese - von der Finanzpolitik unterstützte - restriktive Politik in Verbindung mit einer aufwertungsbedingten und durch den abrupten Anstieg des Ölpreises verschärften Verschlechterung der terms of trade verengten den realwirtschaftlichen Verteilungsspielraum und forderten von der Tarifpolitik ein hohes Maß an Anpassungsbereitschaft. Da sich die Tariflohnpolitik jedoch hinsichtlich der geänderten Rahmenbedingungen relativ unbeweglich zeigte und weiterhin deutlich über den Produktivitätsfortschritt hinausgehende Lohnsteigerungsraten vereinbart wurden 105 , reduzierten sich die Rendite gewerblicher Investitionen und damit Investitionsneigung und Beschäftigung; so fiel die Gewinn-Erlös-Relation lO6 in den Jahren 1973 bis 1975 um ca. 3 Prozentpunkte auf 3,8 %, während im gleichen die realen Ausrüstungsinvestitionen um 11 % und die Zahl der Erwerbstätigen um 3,9% zuruckgingen 107 (vgl. Abbildung 2, S. 57). Die Rezession der Jahre 1974/75 stellt sich somit aus
lOS Die Bruttolohn- und -gehaltssumme je Arbeitnehmer stieg im Jahre 1974 um 10,4%, der Zuwachs der Produktivität belief sich im gleichen Jahr hingegen auf 2,1 %; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1984/85, Tab. 18, S. 100. 106 Der Berechnungsmodus der Gewinn-Erlös-Relation wurde seit dem erstmaligen Ausweis dieser Kennziffer im Jahresgutachten 1987/88 mehrfach geändert; so werden ab 1989 als Kosten für Vorleistungen nur noch die ausländischen Vorleistungen erfaßt, seit 1992 umfaßt der KapitaIstock der Unternehmen nur das Anlage- und Vorratsvermögen, nicht mehr hingegen das Geldvermögen des Unternehmenssektors. Die o. a. Zahlenangaben beziehen sich auf die Berechnungsmethodik des Jahresgutachtens 1992/93. 107 Die Investitionsquote, hier defIniert als Anteil der Anlageinvestitionen am Bruttosozialprodukt in Preisen von 1985, sank in diesem Zeitraum auf ca. 20,5%, die Arbeitslosenquote stieg auf 4,6% an; Quelle: Sachverständigenrat, Jg. 1991/92, S. 296 und 324 f.
56
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
Tabelle 4
Löhne, Preise und Produktivität 1975 - 1990 Durchschnittliche jährliche Veränderung in vHa) 1975 bis 1982
1983 bis 1990
5,8 1,8
3,3
Produktivitätc) Lohnstückkostend)
4,2
1,5
Verbraucherpreisec)
4,7
1,8
1,1
1,5
Nominallohnb)
Reallohn
1,9
a) Ab 1989 vorläufige Ergebnisse. b) Bruttolohn- und Oehaltssurnme je beschäftigten Arbeitnehmer (Inländerkonzept). c) Bruttoinlandsprodukt in Preisen von 1985 je Erwerbstätigen (Inlandskonzept). d) Lohnkosten je Produkteinheit berechnet als: Bruttoeinkommen aus unselbstllndiger Arbeit je beschäftigten Arbeitnehmer ( Inlandskonzept) Bruttoinlandsprodukt in Pr eisen von 1985 je Erwerbstätigen (Inlandskonzept) e) Preisindex für die Lebenshalrung aller privaten Haushalte (1985= 100). f) Bruttolohn- und Oehaltssurnme je beschäftigten Arbeitnehmer (Inländerkonzept) deflationiert mit dem Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte (1985=100).
Quelle: Sachverständigenrat, JO 1990/91, S. 90 und S. 355; eigene Berechnungen.
Sicht des Sachverständigenrates als massive Stabilisierungskrise dar, die im wesentlichen aus dem Konflik zwischen expansiver Nominallohnpolitik und stabilitätsorientierter Geldpolitik resultiert. In den Folgejahren zeigte sich die Tariflohnpolitik wesentlich arbeitsmarktreagibIer; so lagen sowohl die Zuwachsraten des Nominallohnes als auch der Lohnstückkosten der Jahre 1975 bis 1979 im Jahresdurchschnitt deutlich unter den Vergleichswerten der Vorperiode 1970 bis 1974 (vgl. Tabelle 2, S. 39 und Tabelle 4). Die auf den Beschäftigungseinbruch folgende ökonomische Entwicklung, die durch den Einsatz expansiver nachfragepolitischer Mittel in Verbindung mit einer zurückhaltenden Lohnpolitik gekennzeichnet war, spricht für den vom Sachverständigenrat unterstellten Zusammenhang zwischen Untemehmensrendite, Investitionsneigung und Beschäftigung; so stieg die GewinnErlös-Relation in den Jahren 1975 bis 1979 um 3 Prozentpunkte, die Aus
57
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
10
Gew inn-Erlös-Relation
1970
1975
1910
198:5
1990
Abbildung 2: Die Entwicklung der Gewinn-Erlös-Relation, der realen Ausrüstungsinvestitionen und der Erwerbstätigen in den Jahren 1970 bis 1991 Quellen: Sachverständigenrat, Ig. 1992/93, S. 78, S. 296 und S. 315; eigene Berechnungen.
58
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
rustungsinvestitionen erhöhten sich um kumuliert 30 % und die Zahl der Beschäftigten nahm um ca. 0,6 Mio. Erwerbspersonen zu (vgl. Abbildung 2, S.57). Der begrenzte Wirkungsgrad einer vornehmlich nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik zeigte sich jedoch deutlich, als die staatliche Wirtschaftspolitik unter dem Eindruck hoher Preissteigerungsraten sowie steigender Budgetdeftzite der öffentlichen Haushalte wiederum zur Konsolidierung gezwungen wurde (Stop-and-Go-Politik). Verschärft wurde dieser nicht antizipierte Kurswechsel durch eine rohstoffpreisbedingte, massive Verteuerung ausländischer Vorleistungen sowie eine Adaption vergangener Inflationsraten in Nominallöhnen und Zinsen, so daß sich die Rentabilität der Unternehmen erneut reduzierte und sich die Arbeitslosenquote in der Folgezeit auf 8,8% im Jahr 1983 erhöhte. b) Die wirtschaftliche Entwicklung nach 1983 Mit dem Regierungswechsel nach der Bundestagswahl vom 6. März 1983 erfolgte die Übernahme angebotstheoretischer Ursachenanalyse und Politikempfehlungen in die staatliche Wirtschaftspolitik 108 . Die in den Folgejahren von der Zentralnotenbank betriebene verstärkt potentialorientierte Geldmengenpolitik sowie die anfangs energisch verfolgte Konsolidierung der Staatsfmanzen führte zu stabilitätspolitischen Erfolgen staatlicher Wirtschaftspolitik, die der Sachverständigenrat als "beeindruckend" charakterisierte 109: So kann das Ziel der Preisniveaustabilität für die Jahre 1984 bis 1989 mit einer Erhöhung des Preisindex von jahresdurchschnittlich 1,4% als erreicht gelten, und die Rückführung der Staatstätigkeit erlaubte einen fast vollständigen Abbau des strukturellen Deftzits öffentlicher Haushalte. Unterstützt wurde die staatliche Wirtschaftspolitik durch geänderte außenwirtschaftliche Rahmenbedingungen sowie eine unter dem Eindruck hoher Arbeitslosenquoten zurückhaltende Nominallohnpolitik llO . Insbesondere die maßvollen Lohnabschlüsse bei deutlich ansteigender Arbeitsproduktivität sowie die verbilligten ausländischen Vorleistungen ließen die Renditen des Unternehmenssektors wieder deutlich ansteigen (vgl. Abbildung 2, S. 57); im Gegensatz zu den Vorjahren führte 108 Vgl. insbesondere Deutsche Bundesregierung, Jahreswirtschaftsbericht 1984 der Bundesregierung, Bonn 1984. 109 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1984/85, Tz. 285. 110 Die Zuwachsraten der nominalen Bruttolohn- und -gehalts summe je Beschäftigten und Monat lagen 1983 bis 1989 mit jahresdurchsclmittlich 2,9% wiederum deutlich unter den Vergleichswerten der Vorperiode (1975 bis 1982: 5,9%); deflationiert mit dem Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte (= Reallohnentwicklung aus Arbeitnehmersicht) zeigt sich hingegen ein leichter Anstieg der Realeinkommen von 1,16% (1975 bis 1983) auf 1,24% (1983 bis 1989). Quellen: Statistisches Bundesamt, FS 18 (1988), S. 9; Sachverständigenrat, Jg. 1990/91, S. 421; eigene Berechnungen.
59
A. Grundzüge des stabilitätspolitischen Konzepts
dieser Zuwachs der Rentabilität allerdings zu einer unterproportionalen Erhöhung der Investitionsneigung, so daß auch der Beschäftigungszuwachs, insbesondere jedoch der Abbau der Arbeitslosigkeit, zunächst hinter den Erwartungen des Rates zurückblieb 111 . Als Ursache für diese Entwicklung macht der Rat gestiegene Investitionsrisiken bei verminderter risikotragender Basis in den Unternehmen aus; tatsächlich weisen die Standardabweichungen der Gewinn-Erlös-Relation als Indikator des Investitionsrisikos sowie die Ausstattung der Unternehmen mit Eigenkapital als Ausweis der risikotragenden Basis eine gegenläufige, das Investitionsklima tendenziell verschlechternde Entwicklung auf (vgl. Tabelle 5).
Tabelle 5
Indikatoren zur Risikosituation des Unternehmenssektors Zeitraum
Gewinn-Erlös-Relation Mittelwert
1975 bis 1982 1983 bis 1990
2,37 2,88
Standardabweichung 1,45 1,84
Eigenkapitalquote in vH 21 18
Quellen: Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Nr. 11 (1991); Sachverständigenrat, J g. 1990/91, S. 90.
111
Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1988/89, Tz. 220 ff.
60
1. Kapitel: Die Einordnung der Vennögenspolitik
B. Das verteilungspolitische Konzept des Sachverständigenrates Das "Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" i. d. F. vom 8. Juni 1967 verpflichtet den Rat dazu, die Bildung und die Verteilung von Einkommen und Vermögen in die Untersuchung miteinzubeziehen112 ; obgleich dem verteilungspolitischen Aspekt im Zielkatalog des Sachverständigenratsgesetzes damit eine eher untergeordnete Bedeutung zukommt, hat sich der Rat im Rahmen seiner gutachterlichen Tätigkeit ausführlich mit verteilungspolitischen bzw. verteilungspolitisch relevanten Fragestellungen beschäftigt. Dies ist zum einen darin begründet, daß jede Aussage zu stabilitätspolitisch relevanten Kausalzusammenhängen gleichzeitig Annahmen über Form und Struktur auf Arbeits- und Gütermärkten voraussetzt und somit unmittelbar verteilungspolitische Relevanz besitzt, und andererseits der Verteilungskonflikt vom Sachverständigenrat als stabilitätspolitisches Problem erkannt wurde, das zur Lösung eine Analyse der marktwirtschaftlichen Verteilungszusammenhänge einerseits sowie die Erarbeitung möglicher Konfliktlösungsstrategien andererseits erfordert. Obgleich der Rat seine verteilungstheoretischen Grundlagen nicht explizit ausführt, ist es möglich, seinen verteilungstheoretischen Standpunkt aus den stabilitäts- und beschäftigungspolitischen Aussagen abzuleiten. Da die Analyse der verteilungsrelevanten Hypothesen eng mit den unterstellten Konstellationen auf Güter- und Faktormärkten zusammenhängt, ist zunächst auf das vom Sachverständigenrat verfolgte Wettbewerbskonzept sowie dessen verteilungspolitische Implikationen einzugehen; anschließend werden die vom Rat unterstellten Verteilungszusammenhänge in kurz- und langfristiger Perspektive dargestellt und auf ihre Implikationen hinsichtlich der Einkommens- und Vermögensverteilung untersucht. I. Verteilungspolitische Implikationen des wettbewerbspolitischen Leitbilds des Sachverständigenrates
Wettbewerb ist nach Ansicht des Rates "... eine tragende Säule unserer marktwirtschaftlichen Ordnung" 113. Ihm kommt wirtschaftspolitisch sowohl Ziel- als auch Instrumentalfunktion zu, wobei zum Zielkatalog neben den ökonomischen Funktionen optimaler Faktorallokation und größtmöglicher Anpassungsflexibilität des Angebots 114 auch die meta-ökonomischen Ziel112 Vgl. Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom 14. August 1963 i. d. F. v. 8. Juni 1967, BGBI. I, S. 582. 113 Sachverständigenrat, Jg. 1971172, Tz. 377. 114 Zu den ökonomischen Zielfunktionen des Wettbewerbs vgl. 1. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht. Eine Einführung, 3. Aufl., Stuttgart-New York 1990, S. 30 ff. sowie die dort angegebene Literatur.
B. Das verteilungspolitische Konzept des Sachverständigenrates
61
setzungen der Herstellung und Aufrechterhaltung individueller Entschließungs- und Handlungsfreiheit sowie leistungsgerechter Einkommensverteilung zählen 115 . Als wettbewerbspolitisches Leitbild dient dem Rat zunächst das theoretische Konstrukt vollkommener Konkurrenz, wobei jedoch der idealtypische Charakter dieses Modells im Sinne einer wirtschaftspolitisch nicht vollständig realisierbaren first-best -Lösung deutlich hervorgehoben wird 116 . Darüberhinaus wird ein Konflikt insbesondere mit dem Wachstumsziel konstatiert, diesem wirtschaftlichen Ziel jedoch keine Priorität vor gesellschaftspolitischen Zielsetzungen eingeräumt117. Seit dem Jahresgutachten 1984/85 dient dem Rat das Konzept des dynamischen Wettbewerbs als wettbewerbspolitisches Leitbild118 . Der Wettbewerbs-
prozeß wird hier - unter dem Eindruck der Schumpeter'schen Thesen dynamischen Unternehmertums - als eine stete Abfolge von Innovations- und Imitationsphasen charakterisiert, die durch die Aussicht des Produzenten auf Realisierung eines ökonomischen Gewinns in Gang gesetzt wird. Gewinne entstehen dabei aus der temporären Monopolstellung bzw. einem technologischen Vorsprung des Anbieters, die dieser aufgrund zeitlicher Verzögerungen des Diffusionsprozesses innehat; Marktunvollkommenheiten sind somit Voraussetzung und Folge einer dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung. Aufgabe staatlicher Wettbewerbspolitik ist es, dafür Sorge zu tragen, daß sich diese Vorsprungsgewinne nicht zu dauerhaften, statischen Monopolstellungen verfestigen, sondern durch einen wirksamen Diffusionswettbewerb abgebaut werden; die Offenhaltung der Märkte und somit die Existenz von tatsächlichem und potentiellem Wettbewerb sichert die Erfüllung allokations- und verteilungspolitischer Zielsetzungen.
Vgl. insbes. Sachverständigenrat, Jg. 1971/72, Tz. 378 und Tz. 404. Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1972/73, Tz. 467 ff. 117 "Es wäre ... fatal, Einbußen an Wahlfreiheit und an Verteilungsgerechtigkeit nur als Schönheitsfehler einer auf Wachstum gerichteten Wettbewerbspolitik anzusehen. Man würde verkennen, daß es dabei um konkurrierende gesellschaftspolitische Ansprüche geht, deren Vernachlässigung die Grundlagen der marktwirtschaftlichen Ordnung erschüttern könnte." Sachverständigenrat, Jg. 1971/72, Tz. 404. 118 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1984/85, Tz. 314 ff.; zum Leitbild des dynamischen Wettbewerbs vgl. ebenfalls Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft, Gutachten vom 5.16. Dezember 1986. Thema: Wettbewerbspolitik, in: Bundesministerium für Wirtschaft (Hrsg.), Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft. Sammelband der Gutachten von 1973 bis 1986, Göningen 1987, S. 1359 ff. sowie E. Helmstädter, Neue Ansätze des dynamischen Wettbewerbs aus der Sicht des Sachverständigenrates, in: Neuorientierung des Wettbewerbsschutzes, FIW-Schriftenreihe Heft 120, Köln 1986, S. 22 ff., ders., Was ist dynamischer Wettbewerb?, in: C.A. Andreae / J. Kirchhof! / G. Pfeiffer (Hrsg.), Wettbewerb als Herausforderung und Chance, Festschrift für Wemer Benisch, Köln 1989, S. 17 ff., ders., Ein makroökonomisches Rahmenmodell der evolutorischen Ökonomik, in: K. Dopter u. a. (Hrsg.), Studien zur Evolutorischen Ökonomik I, Berlin 1990, S. 163 ff. 115
116
62
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
Ökonomische Gewinne - hier verstanden als Überschuß des Erlöses über alle ökonomisch relevanten Kosten (inklusive einer Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals) - sind im wettbewerbspolitischen Konzept des dynamischen Wettbewerbs keine ökonomisch funktionslose Größe, sondern erfüllen zentrale allokations- und wachstumspolitische Funktionen. Erscheinungsformen dieses dynamischen Gewinns sind 119 der dynamische Marktlagengewinn oder sog. windfall-profit. Diese nichtantizipierten, temporären Differentialeinkommen resultieren aus exogenen Änderungen der Nachfrage bei endlicher Anpassungsgeschwindigkeit des Angebots; die Existenz von windfall-profits führt zum Neueintritt zusätzlicher Anbieter auf diesem Markt und löst damit eine Tendenz zur Beseitigung der Marktlagengewinne aus. Die zweite Form dynamischer Gewinneinkommen ist der Pioniergewinn, der sich bei Produktinnovationen aus zeitlich befristeten MonopolsteIlungen, bei Prozeßinnovationen aus ebenfalls temporären Kostendifferentialen bei der Produktion ergibt. Beide Innovationspotentiale sind ursächlich für das Ausmaß wirtschaftlichen Wachstums, so daß eine Umverteilung dieser Gewinne mit entsprechenden wachstumspolitischen Einbußen verbunden wäre. Die verteilungspolitische Problematik ergibt sich aus der Tatsache, daß die Produktionsfaktoren bei Existenz dynamischer Gewinne unter ihrem Grenzwertprodukt entlohnt werden, die Gewinneinkommen hingegen als Residualgröße unter den gegebenen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen ausschließlich den Eigentümern der Produktionsmittel, d. h. den Eigenkapitalgebern, zukommen. Die einseitige Zurechnung des Unternehmensgewinns auf die Kapitaleigentümer - die zumeist damit begründet wird, daß die Eigenkapitalgeber auch das unternehmerische Verlustrisiko zu tragen haben - ist ökonomisch jedoch nicht haltbar, da auch die Arbeitnehmer im Prozeß dynamischen Wettbewerbs als Risikoträger anzusehen sind, die im Verlustfall Einkommens- und Vermögensrisiken in Form von entgangenen Arbeitsentgelten sowie - im Fall des Arbeitsplatzverlustes - das Risiko der
119 Vgl. E. Preiser, Multiplikatorprozeß und dynamischer Unternehmergewinn, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 167 (1955), S. 89 ff.; wiederabgedruckt in: E. Preiser (Hg.), Bildung und Verteilung des Volkseinkommens. Gesammelte Aufsätze zur Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, 2. Aufl., Göttingen 1961, S. 124 ff. Zu den verteilungspolitischen Implikationen alternativer Erscheinungsformen des ökonomischen Gewinns vgl. u. Schillert, Gewinne als Quelle der Vermögenspolitik? Die Belastbarkeit der Unternehmensgewinne durch vermögenspolitische Maßnahmen, Beriin 1976, S. 182 ff.
B. Das verteilungspolitische Konzept des Sachverständigenrates
63
Abwertung spezifischen Humankapitals zu tragen haben 120 . Die einseItIge Zurechnung des erwirtschafteten Unternehmens gewinns auf das Eigenkapital widerspricht somit dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit.
n. Die Determinanten der kurzfristigen Einkommensverteilung im Konzept des Sacbverständigenrates
Obgleich der Sachverständigenrat seine verteilungstheoretischen Grundlagen nicht explizit erörtert, ist es möglich, aus den stabilitäts- sowie insbesondere den wettbewerbspolitischen Überlegungen des Rates unmittelbar verteilungspolitische Konsequenzen abzuleiten. So folgt aus dem wettbewerbspolitischen Leitbild des dynamischen Wettbewerbs sowie der hieraus resultierenden kurzfristigen MonopolsteIlung des Pionierunternehmens auf dem Absatzmarkt, daß sich der Anbieter auf dem Gütermarkt einer negativ geneigten konjekturalen Preis - Absatzfunktion gegenübersieht, wodurch unter den üblichen Annahmen gewinnmaximierenden Verhaltens seitens des Unternehmens der Güterpreis die Grenzkosten übersteigt; die Differenz zwischen Preis und Grenzkosten bezogen auf den Preis - der Lernersehe Monopolgrad dient in diesem Fall als Indikator für die Marktrnacht des Monopolisten und ist durch die Preiselastizität der Nachfrage bestimmt. Die Monopolisierung der Gütermärkte bedeutet für die hier eingesetzten Faktoren eine Entlohnung unterhalb des jeweiligen Wertgrenzproduktes, wobei die Reduktion des Faktorentgelts umso größer ausfällt, je preisinelastischer die Nachfrage reagiert, d. h. je größer der Monopolgrad ausfällt. Hieraus resultiert schließlich die Existenz eines Marktformengewinns, wobei der Gewinnanteil am Erlös der Unternehmung bzw. der Branche im Rahmen der modifIzierten Grenzproduktivitätstheorie durch die Form des Gütermarktes gegeben ist l21 :
120 Vgl. H. Lampen, Lehrbuch der Sozialpolitik, 2. Auft., Beriin u.a. 1991, S. 382 f. sowie ders. / J. Englberger / U. Schüle, Ordnungs- und prozeßpolitische Probleme der Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Beriin 1991, S. 33 f. 121 Vgl. H. Bartmann, Veneilungstheorie, München 1981, S. 120 ff. Die Berücksichtigung ökonomischer Macht im Ralunen der Grenzproduktivitätstheorie geht insbesondere auf M. Kalecki zurück; vgl. M. Kalecki, The Distribution of the National Income, in: Readings in the Theory of Income Distribution. Selected for the American Economic Association by W. Fellner and B. F. Haley, London 1961, S. 197-220. Vgl. ebenfalls E. Preiser, Erkenntniswert und Grenzen der Grenzproduktivitätstheorie, in: Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 89. Jg. (1953), S. 25 ff.; wiederabgedruckt in: ders. (Hrsg.), Bildung und Verteilung des Volkseinkommens. Gesammelte Aufsätze zur Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, 2. Auft., Göttingen 1961, S. 265 ff. sowie U. Gruber, Monopolgrad und Einkommensverteilung, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 176 (1964), S. 492 ff.
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
64
(1.12)
'Y =
G=l_[OY. A.(1+_1)+ OY. K.(1+_1)]. oA oK Y
Y
Y
T)y,p
T)y,p
mit
'Y = Gewinnquote Preiselastizität der Nachfrage T)y,p OY A OY K = Produktionselastizität der Faktoren Arbeit resp. .-.-.oA y' oK Y Kapital.
Der Lohnsatz und entsprechend der Anteil der Löhne am Erlös ist folglich nicht rein produktionstechnisch determiniert, sondern wird ebenfalls durch die Form auf den Gütermärkten beeinflußt; aus der Entlohnung entsprechend dem Grenzerlösprodukt der Arbeit folgt, daß die Lohnquote nicht nur ökonomischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist - d. h. der Produktionselastizität des Faktors Arbeit entspricht -, sondern zusätzlich von Machtfaktoren abhängt und mit zunehmender Machtposition der Anbieter auf den Gütermärkten abnimmt l22 :
A= ~ =(1 + _1_). OY .
(1.13)
Y
T)y,p
oA
A. Y
Aus der Monopolisierung des Gütermarktes ergibt sich ein dem Grenzerlösprodukt der Arbeit entsprechendes Beschäftigungsniveau sowie eine aggregierte Angebotsfunktion, die die gesamtwirtschaftlichen Grenzkosten in Höhe des durchschnittlichen Monopolgrades übersteigt. Hält man im Rahmen einer kurzfristigen Analyse Kapitalstock und technisches Wissen konstant, d. h. vernachlässigt man den Kapazitätseffekt der Investitionen, so resultieren hieraus die in Abb. 3 eingezeichneten Verläufe für Beschäftigungsnachfrage und aggregiertes Angebot 123 . Aufgrund der produktionstechnischen Beziehung, die bei zunehmender Beschäftigung einen abnehmenden Grenzertrag des eingesetzten Faktors impliziert, variiert die effektive Beschäftigungsmenge mit dem Reallohnsatz; bezeichnet A die Beschäftigungsmenge bei Vollbeschäftigung, so resultiert
*
bei dem Reallohnsatz
(%Y
klassische Arbeitslosigkeit in Höhe von A - A· ,
die durch Reallohnsenkung auf das markträumende Niveau
(%). bzw. - bei
Vgl. B. Kü[p, Verreilungstheorie, 2. Aufl., Stuttgart 1981, S. 70 ff. Vgl. A. Schmid, Einige Anmerkungen zum Zusammenhang von Lohnpolitik und Beschäftigung, in: Ko~unkturpolitik, Heft 12 (1978), S. 170 ff. 122
123
B. Das verteilungspolitische Konzept des Sachverständigenrates
65
dynamischer Betrachtung durch einen Lohnanstieg unterhalb des Produktivitätsfortschritts gemäß der neoklassischen Sichtweise des Sachverständigenrates abgebaut werden kann. Die Grenzkostenfunktion steigt bei zunehmender Auslastung des gegebenen Kapitalbestandes an und verläuft bei Vollauslastung des Arbeitskräftepotentials in Y* vertikal. Das gesamtwirtschaftliche Preisniveau ergibt sich dabei durch einen den gesamtwirtschaftlichen Wettbewerbsvehältnissen entsprechenden Aufschlag auf die Grenzkosten 124, so daß die Angebotsfunktion stets oberhalb der Grenzkostenkurve zu liegen kommt. (w/P)
p
\
\
\
\ (w/p1
\
\R' \
If A
A"
A
/'
/
J
GK
Y'
Y
Abb. 3: Güterangebot, Beschäftigung und Reallohn im Rahmen der modifIzierten Grenzproduktivitätstheorie
Exkurs: Die Bedeutung der Produktionsfunktion für die Einkommensverteilung Die verteilungspolitischen Implikationen der Produktionsbeziehungen hängen insbesondere vom numerischen Wen der Substitutionselastizität zwischen den betrachteten Faktoren Arbeit und Kapital ab. Die Substitutionselastizität CI gibt den Grad der produktionstechnischen Schwierigkeiten bei der Änderung des Faktorkombination an und ist definien als Quotient aus der relativen Veränderung des Faktoreinsatzverhältnisses und der relativen Veränderung des realen
In diesem Zusammenhang wird eine isoelastische Preis-Absatz-Funktion unterstellt Das monopolistische Preissetzungsverhalten der repräsentativen Unternehmung generien dann einen Produktpreis, der die Grenzkosten stets um einen konstanten Zuschlagssatz entsprechend dem Lernerschen Monopolgrad übersteigt. 124
(TJ y
p
= const.).
S A1t1wnmer
66
1. Kapitel: Die Einordnung der Vennögenspolitik
B{"K/A) FaktorpreisverhäItnisses: cr..
B(fIr) ;
wobei
"K/A
die Kapitalintensität und wir das reale
wir FaktorpreisverhäItnis angibt. Im Rahmen der kurzfristigen Analyse wird im folgenden eine CES-
)"K-
Produktionsfunktion unterstellt: Y = [ aA -P + (I - a
P
T 1/P
mit a = Verteilungsparameter p = Substitutionsparameter Sie weist eine Substitutionselastizität von cr = - - - auf und urnfaßt damit die lineare
I+p
Produktionsfunktion für p = -1 bzw. (J ~ -00, die Cobb-Douglas-Funktion für p = 0 bzw. cr = -I sowie die limitationale Leontief-Funktion für p ~ CX) bzw. cr ~ 0 als Spezialfälle. Die Anteile der Faktorentgelte am Volkseinkommen ergeben sich bei Entlohnung nach dem Grenzprodukt aus der jeweiligen Produktionselastizität, d. h. für die Lohnquote:
A.
BY A
=- - =
BA Y
(1- a) ("K)-P
die
Lohnquote
ändert
sich
bei
Variation
der
1+--- -
A
a
BA.
Ausbringungsmenge gemäß -
BA
p_(I_-_a_)"K- p AP-I =
---"a'------:S:
o.
Im Fall der Cobb-Douglas-Produktionsfunktion führt p = 0 zur Proportionalität von Grenz- und Durchschninsproduktivität; die funktionale Einkommensverteilung ist dann stets konstant. Im allgemeinen Fall erfolgt die Variation der Kapitalintensität jedoch nicht verteilungsneutral; Änderungen der Ausbringungsmenge sind dann negativ mit der Lohnquote korreliert.
Obgleich die bislang abgeleitete verteilungstheoretische Konzeption ausschließlich die Angebotsseite umfaßt, sollen bereits an dieser Stelle die zentralen verteilungspolitischen Implikationen der vom Sachverständigenrat erarbeiteten Lohnleitlinie kurz skizziert werden: Da der Reallohn unter den getroffenen Annahmen dem Grenzerlösprodukt der Arbeit entspricht, folgt für Lohnerhöhungen gemäß der Steigerung der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität aus (1.13) unmittelbar die Konstanz der Lohnquote und damit der funktionalen Einkommensverteilung; eine erfolgreiche Umsetzung kostenniveauneutraler bzw. produktivitätsorientierter Lohnpolitik stabilisiert demnach die gerade
B. Das verteilungspolitische Konzept des Sachverständigenrates
67
vorliegende Einkommensverteilung und erweist sich somit als verteilungsneutral125 . Bleiben die Lohnsteigerungsraten hingegen hinter dem Zuwachs
der Arbeitsproduktivität mit dem Ziel zurück, einen bestehenden Angebotsüberschuß am Arbeitsmarkt mittels vollbeschäftigungskonformer Lohnpolitik abzubauen, so hängen die verteilungspolitischen Effekte dieser stabilisierungskonformen Lohnpolitik vom numerischen Wert der Substitutionselastizität zwischen den Faktoren Arbeit und Kapital ab: Für den Grenzfall cr = _1 126 erfolgt der Abbau der Arbeitslosigkeit verteilungsneutral; ist der numerische Absolutwert der Substitutionselastizität hingegen kleiner eins, so verringert sich bei stabilisierungskonformer Lohnpolitik auch die Lohnquote. Lohnquote und Beschäftigung sind dann zumindest kurzfristig negativ korreliert. Bei der Formulierung der Nachfrageseite - der innerhalb der angebotspolitischen Konzeption des Sachverständigenrats bei kurzfristiger Betrachtung erhebliche stabilitäts- und verteilungspolitische Relevanz zukommt 127 - ist zunächst festzuhalten, daß der Rat weitgehende Freiheit des privaten Sektors von Geldillusion unterstellt 128 , so daß sich die marginale Konsum- bzw. Sparquote der privaten Haushalte am jeweiligen Realeinkommen orientiert 129 . Differenziert man im Rahmen einer funktionalen Verteilungsanalyse zwischen den Beziehern kontraktbestimmter Einkommensarten (Löhnen) einerseits sowie den Beziehern von Residualeinkommen (Gewinnen) andererseits und unterstellt eine einkommens spezifische partielle Sparquote Kaldor ' scher Provenienz l30 , so erweist sich die volkswirtschaftliche Gesamtersparnis neben 125 Zur Verteilungsneutralität der lohnpolitischen Konzepte des Sachverständigenrates vgl. insbesondere E. Helmstädter, Lohnfortschreibung, Einkommensverteilung und Arbeitslosigkeit. Eine Antwort an van Suntum, in: List-Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik Bd. 15, (1989), S. 325 ff.; vgl. auch Sachverständigenrat, Jg. 1986/87, Tz. 298. 126 Vgl. W. Krelle, Produktionstheorie, Tübingen 1969, S. 104 ff. Auf die Bedeutung der Produktionsbeziehungen für verteilungs- und stabilitätspolitisch Fragestellungen verweisen P. J. J. Welfens, Theorie und Praxis angebotsorientierter Stabilitätspoitik, Baden-Baden 1985, S. 93 ff. sowie H. Bartmann , Verteilungstheorie, München 1981, S. 123 ff. 127 Die kreislauftheoretische Kritik an den Ausführungen des Sachverständigenrats vernachlässigt häufig die Fristenproblematik wirtschaftspolitischer Aussagen; da der Rat sein angebotsorientiertes Konzept als mittelfristige Verstetigungsstrategie verstanden wissen will, schließen seine angebotsorientierten Therapievorschläge kurzfristige, durch Kreislaufzusammenhänge induzierte Störungen nicht aus; vgl. W. Krelle, 20 Jahre Sachverständigenrat: War es der Mühe wert?, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 140. Jg. (1984) sowie O. Sievert, Position des Sachverständigenrates, in: DIW Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Heft 1 (1980), S. 18. 128 Vgl. O. Sievert, Position des Sachverständigenrates, in: DIW Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Heft 1 (1980), S. 18 ff. 129 Vgl. insbesondere Sachverständigenrat, Jg. 1977/78, Tz. 293. 130 Für die Gesamtersparnis gilt unter diesen Annahmen:
S = S A L + SK G ; 0 < S A < SK < I, bzw: S = SK - (SK - S A)A. Dabei bedeuten: L = Lohneinkommen, G = Gewinn, S = Gesamtersparnis, sA' sK = partielle Sparquote aus Lohn- bzw. Gewinneinkommen, A. = Lohnquote. Vgl. N. Kaldor, Alternative
68
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
der Höhe des realen Volkseinkommens und des Realzinses von der Einkommensverteilung abhängig: Bei zunehmendem Anteil der Lohneinkommen am Sozialprodukt verringert sich die Gesamtersparnis et vice versa. Ein ebenfalls inverser Zusammenhang besteht zwischen Lohnquote und privater Investitionstätigkeit; die Gewinn-Erlös-Relation, vom Sachverständigenrat als zentrale Determinante autonomer privater Investitionen herangezogen, stellt eine produktionstechnisch bestimmte Deftnition der gesamtwirtschaftlichen Gewinnquote dar und begründet die unterstellte negative Korrelation zwischen Lohnquote l3l und Investitionen mit dem Rentabilitätsargument. Die Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt (lS-Relation) lautet demnach in allgemeiner Form: 8s aI - < 0, - < O. A A Die Gleichgewichtsbedingung für den Geldmarkt erfolgt in enger Anlehnung an das keynesianische Grundmodell; die Geldnachfrage erweist sich entsprechend der Liquiditätspräferenztheorie 132 als einkommens- und zinsabhängig, das Geldangebot stellt eine exogene, politische Größe dar (1.14)
(1.15)
s(A,r)· Y = I(A,r);
M
- = L(Y,r).
P Die gesamtwirtschaftliche Gütemachfrage ist durch das simultane Gleichgewicht auf Güter- und Geldmarkt bestimmt; sie weist im Preis-Mengendiagramm die bekannte negative Steigung auf und hängt im Modell des Sachverständigenrats zumindest partiell auch von der bestehenden Einkommensverteilung ab.
Mittels der gewonnenen Ergebnisse über die Determinanten der gesamtwirtschaftlichen Angebots- und Nachfragegrößen lassen sich nun die zentralen verteilungspolitischen Implikationen der Sachverständigenratskonzeption im Rahmen eines einfachen Verteilungsmodells ableiten133 (vgl. Abbildung 4, S.69). Theories of Distribution, in: Review of Economic Srudies, Vol. xxm (1955/56), wiederabgedruckt in: N. Kaldor (Hrsg.), Essays on Value and Distribution, London 1960, S. 209 ff.; vgl. auch H. Bartmann, Verteilungstheorie, München 1981, S. 135. 131 Die Lohnquote ist dabei identisch mit dem Quotienten aus spezifischen Lohnkosten und Preis; vgl. H. J. Ramser, Verteilungstheorie, Berlin u. a. 1987, S. 186. 132 Auf die Bedeutung der Liquiditätspräferenztheorie für die kurzfristige Problemdiagnose im angebotspolitischen Konzept des Sachverständigenrats verweist auch O. Sievert, Position des Sachverständigenrats, in: DIW, Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Heft 1 (1980), S.22. 133 Vgl. H. J. Ramser, Verteilungstheorie, Berlin u. a. 1987, S. 184 ff. sowie ders, Die Lohnquote im rnakroökonomischen Modell, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Heft 98 (1978), S. 63-94.
B. Das verteilungspolitische Konzept des Sachverständigenrates
69
Der erste Quadrant der Abbildung 4 bestimmt das Gütermarktgleichgewicht durch den Ausgleich von Angebot und Nachfrage im aggregierten Preis-Mengendiagramm. Der Verlauf der gesamtwirtschaftlichen Angebotsfunktion basiert wiederum auf der modifizierten Grenzproduktivitätstheorie und leitet sich aus den Grenzkosten sowie dem durchschnittlichen Monopolgrad ab. Die Exposition der aggregierten Nachfragefunktion entspricht dem keynesianischen Standardmodell bei normal geneigter IS- und LM-Kurve.
y
I
---------------y. -----
p.
p
Abb. 4: Gütennarktgleichgewicht und Einkommensverteilung im Rahmen der modifIzierten Grenzproduktivitätstheorie
Im zweiten Quadranten ist die Lohnquote im Verhältnis zur Höhe des realen Sozialprodukts abgetragen. Der inverse Zusammenhang zwischen beiden Größen setzt eine Substitutionselastizität kleiner eins zwischen den Faktoren Arbeit und Kapital voraus und impliziert einen kurzfristigen tradeoff zwischen beschäftigungs- und verteilungspolitischen Zielsetzungen der Arbeitnehmer 134 . Darüberhinaus folgt aus der Formulierung der Angebotsseite, daß die Lohnquote nicht der Produktionselastizität des Faktors Arbeit 134 Der Sachverständigenrat geht zumindest in der kurzen Frist von einem inversen Verhältnis zwischen Lohnquote und Beschäftigung aus, so daß eine entsprechende Formulierung der Produktionsbeziehungen angemessen erscheint; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1CJ72173, Tz. 449; Jg. 1CJ73174, Tz. 337; Jg. 1CJ75176, Tz. 131; Jg. 1989/90, Tz. 350 sowie insbesondere 10. 1991/92, Tz. 385.
70
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
entspricht; die Annahme eines positiven Monopolgrades auf den Gütermärkten reduziert die Lohnquote und begründet die Existenz temporärer Marktformengewinne. Der Sachverständigenrat verweist in seinen Gutachten verschiedentlich auf die wachstums- und beschäftigungspolitischen Effekte dynamischen Wettbewerbs sowie den damit verbundenen Unternehmensgewinn 135 , erkennt in der Entlohnung des Faktors Arbeit unterhalb des entsprechenden Wertgrenzprodukts jedoch auch ein verteilungspolitisches Problem: "Daß die Gewinne allein denen zufließen, die das Eigenkapital bereitstellen, gilt bei den Beziehern von kontraktbestimmten Einkommen, insbesondere den Lohnempfängern, als weniger erfreulich und als erträglich nur deshalb, weil die durch Gewinne hervorgelockten Investitionen Beschäftigung bringen. "136
Der verteilungspolitisch motivierte Versuch der Arbeitnehmervertretungen, die Gewinne mittels einer expansiven Nominallohnerhöhung zu reduzieren und damit den Lohnanteil an den Gesamterlösen zu erhöhen, führt unter den vom Sachverständigenrat gesetzten Annahmen zu Variationen der gesamtwirtschaftlichen Angebots- und Nachfragegrößen, die unmittelbare Auswirkungen auf Preise, Produktion und Beschäftigung zeitigen und somit für die stabilitätspolitische Konzeption des Rates relevant sind. Eine Anhebung des Reallohnsatzes über den Zuwachs des Produktivitätsfortschritts führt unmittelbar zu einer proportionalen Erhöhung der Grenzkosten der Unternehmen, die unter den Annahmen monopolistischer Preispolitik bei konstanter PreisAbsatz-Funktion zu einer Reduktion der Gewinne, der Produktion und damit der nachgefragten Beschäftigungsmenge sowie zu einer Erhöhung des Preisniveaus führt. Die Verteilungssituation hat sich dann infolge der Reduktion der Gewinnmargen zwar zugunsten der Lohnenipfänger verändert, die Erhöhung der Lohnquote ist jedoch mit inflationären Tendenzen sowie einem Beschäftigungsrückgang verbunden. Eine vollbeschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik könnte in dieser Situation zwar durch den Einsatz expansiver geld- und fiskalpolitischer Maßnahmen den Beschäftigungsabbau zumindest kurzfristig verhindern, würde dann jedoch aufgrund der eintretenden inflationären Effekte die ursprüngliche Erhöhung der Lohnquote wiederum rückgängig machen: "Forcierte Lohnsteigerungen, die nur zu höheren Preissteigerungen führen, erreichen die Umverteilung nicht, verstärken aber den Geldwertschwund. Forcierte Lohnsteigerungen, die nicht in die Preise überwälzt werden können, bewirken zwar die Umverteilung, senken aber die Investitionen und das Beschäftigungswachstum. Die wahrscheinlichste Entwicklung ist, 135 136
Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1984/85, Tz. 336. Sachverständigenrat, Jg. lrr76177, Tz. 361.
B. Das verteilungspolitische Konzept des Sachverständigenrates
71
daß zwar letztlich eine Einkommensumverteilung zulasten der Gewinne gelingt, daß dies aber von Preissteigerungen und rückläufigem Beschäftigungswachstum begleitet ist. Umverteilungsziele lassen sich mit den Mitteln der Tarifpolitik schwerlich ohne Nachteile für die Arbeitnehmer selbst erreichen. ,,137
Kurzfristig gilt somit, daß durch expansive Nominallohnsteigerungen bei vollbeschäftigungsorientierter Wirtschaftspolitik durch die eintretenden Preissteigerungen kein Verteilungserfolg zu erzielen ist; der Verteilungskampf entlädt sich somit in einem cost-push induzierten inflationären Impuls. Verhält sich die staatliche Wirtschaftspolitik - und hier insbesondere die Geldpolitik hingegen stabilitätskonform und versagt der Nominallohnpolitik die monetäre Alimentierung, so ist die Erhöhung der Lohnquote stets mit einem Rückgang der Beschäftigung verbunden und verletzt folglich originäre Ziele der Arbeitnehmervertretungen; der durch Marktmacht ausgetragene Verteilungskonflikt erweist sich somit unter den vom Sachverständigenrat gesetzten Prämissen als "funktionslos " 138.
m. Die Determinanten der langfristigen Verteilung von Einkommen und Vermögen im Konzept des Sachverständigenrates Spielen in der kurzfristigen verteilungstheoretischen Analyse des Sachverständigenrates neben produktionstechnischen Bedingungen auch Machtfaktoren sowie kreislauftheoretische Zusammenhänge eine entscheidende Rolle, so dominiert bei längerfristiger Betrachtung der Verteilungsprozesse der neoklassische Verteilungsmechanismus : "Auf mittlere Sicht richtet sich die Verteilung der Einkommen nach der Knappheit der Produktionsfaktoren. Wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, so passen sich die Lohnsätze doch der relativen Knappheit des Faktors Arbeit an. ,,139
Dem wettbewerbspolitischen Leitbild des Sachverständigenrats entsprechend trägt die Offenhaltung der Märkte durch staatliche Wettbewerbspolitik sowie ein effIzienter Imitationswettbewerb l40 zum Abschmelzen der Pioniergewinne einzelner Unternehmen bei und verhindert somit das Entstehen statischer Marktformengewinne. Für die eingesetzten Produktionsfaktoren bedeutet dies, daß sich ihre Entlohnung und damit die Einkommensverteilung langfristig an das entsprechende Wertgrenzprodukt angleicht; das Produktionsergebnis wird entsprechend der neoklassischen Theorie durch die FaktorentSachverständigenrat, Jg. 1991192, Tz. 385. Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1972173, Tz. 438. Sachverständigenrat, Jg. 1972173, Tz. 490. 140 Unter Umständen ist hier die Existem potentiellen Wettbewerbs ausreichend, der gemäß dem Komept der contestable markets das Ausnützen von Marktmacht verhindert. \37 138 139
72
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
lohnung vollständig ausgeschöpft (Adding-up-Theorem)141. Eine Erhöhung der Lohnquote über die durch das "ökonomische Gesetz" vorgegebene Höhe wäre dann nur zu Lasten des Faktors Kapital möglich, wobei der Sachverständigenrat die langfristigen verteilungspolitischen Erfolgschancen expansiver Nominallohnpolitik unter Verweis auf die relative Konstanz der bereinigten Lohnquote gering einstuft 142 (vgl. auch Abbildung 5, S. 76): "Wird die Arbeitsleistung ... höher entlohnt, als es ihrer Knappheit entspricht, so ergeben sich vom Markt her Reaktionen: die Leistung, die durch das Residualeinkommen entgolten wird, das Übernehmen von Risiko, wird nicht mehr in ausreichendem Maße angeboten. Ist dieser Punkt erreicht, so sind weitere Verteilungserfolge im Rahmen der Marktwirtschaft nur noch zu erzielen, wenn die Knappheitsrelation dadurch geändert wird, daß die Bezieher von Kontrakteinkommen einen Teil der Leistungen übernehmen, die zum Bezug von Residualeinkommen berechtigt" 143. Um die relative Verteilungssituation einzelner sozioökonomischer Gruppen
zu analysieren, ist bei langfristiger Betrachtung sowie unter der Annahme
positiver partieller Sparquoten der Gruppen neben den Bestimmungsgründen der funktionalen Einkommensverteilung insbesondere die Verteilung der Vermögensbestände und die hieraus resultierende Querverteilung zu untersuchen. Wie die langfristige Verteilungstheorie zeigt, hängt die Querverteilung zwischen den betrachteten sozioökonomischen Gruppen insbesondere von den Annahmen über die partiellen Sparquoten ab l44 ; differenziert man vereinfachend zwischen den sozioökonomischen Gruppen der "Arbeitnehmer" einerseits sowie der "Selbständigen" andererseits, wobei erstere Lohn- sowie Kapitaleinkünfte, letztere hingegen ausschließlich Kapitaleinkommen bezie141 Zu den Prämissen der neoklassischen Grenzproduktivitätstheorie vgl. G. Blümle, Theorie der Einkommensverteilung, Berlin u. a. 1975, S. 111 f. und S. 124. 142 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1988/89, Tz. 335. Die langfristige Konstanz der Lohnquote setzt dabei jedoch eine ex-ante Substitutionselastizität der Faktoren Arbeit und Kapital von -1 voraus, so daß Änderungen der relativen Preise durch Variationen der Einsatzmengen gerade kompensiert werden. In seinen frühen Gutachten ging der Sachverständigenrat hingegen offenbar von einer langfristigen Substitutionselastizität kleiner -1 aus; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1967/68, Tz. 252 und Tz. 255 sowie E. Leiffert, Eine Analyse der einkommenspolitischen Vorstellungen des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Diss. Augsburg, 1974, S. 115 f. 143 Sachverständigenrat, Jg. 1975/76, Tz. 283. 144 Vgl. L. L. Pasinetti, Rate of Profit and Income Distribution in Relation to the Rate of Econornic Growth, in: Review of Econornic Studies, Vol. 29 (1962), S. 267 ff.; P. A. Samuelson / F. Modigliani, The Pasinetti Paradox in Neoclassical and More General Models, in: Review of Econornic Studies, Vol. 33 (1966), S. 269 ff.; W. J. Mückl, Gleichgewichtswachstum, Einkommens- und Vermögensverteilung. Beiträge zur postkeynesianischen und neoklassischen Theorie, Tübingen 1978; H. Bartmann, Verteilungstheorie, München 1981, S. 278 ff.; H. Ramser, Verteilungstheorie, Berlin u. a. 1987, S. 154 ff.; W. J. Mückl, Sparverhalten und Vermögensverteilung, in: WiSt, Heft 1 (1987), S. 15 ff.
B. Das verteilungspolitische Konzept des Sachverständigenrates
73
hen, und folgt der gängigen Argumentation und postuliert eine deutlich höhere marginale Sparquote der Selbständigenhaushalte l45 , so resultiert hieraus eine langfristig stabile Verteilung der Vermögensbestände und -zuwächse zwischen den Gruppen 146 , die Auswirkung auf die sozioökonomische Einkommensverteilung hat. Obgleich die funktionale Einkommensverteilung unter den vom Sachverständigenrat getroffenen Annahmen langfristig ausschließlich produktionstechnischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist, ermöglicht die Existenz von Querverteilung es dennoch, die personelle Einkommensverteilung entsprechend gesellschaftlichen Zielvorstellungen zu beeinflussen; Ansatzpunkt einer langfristig erfolgreichen Verteilungspolitik ist hierbei jedoch ausschließlich die Vermögenspolitik. IV. Empirische Evidenz
1. Die Einkommensverteilung Seine verteilungspolitischen Ausführungen versucht der Sachverständigenrat unter Verweis auf die empirische Entwicklung zu untermauern. Obgleich die von ihm entwickelte Reallohnposition unmittelbar verteilungspolitischen Aussagegehalt besitzt l47 , stützt sich der Rat bei der Analyse der funktionalen Einkommensverteilung insbesondere auf die um Änderungen in der Erwerbsstruktur bereinigte Lohnquote bzw. - in seinen jüngeren Gutachten auf eine ModifIkation der bereinigten Lohnquote, die sog. Arbeits-
einkommensquote .
145 Diese Anahme wird durch einschlägige empirische Untersuchungen gestützt, vgl. o. Verf., Entwicklung des Realeinkommens begünstigte Spartätigkeit 1986, in: DIW, Wochenbericht, 54. Jg. (1987), S. 522. 146 Ohne explizite Annahmen über die relative Höhe der partiellen Sparquoten resultieren bekanntlich zwei mögliche langfristige Gleichgewichtsverteilungen: Einerseits das sog. "Ein-Klassen-Gleichgewicht", demzufolge sich das Gesamtvermögen letztlich in den Händen der Gruppe der Arbeitnehmer befmdet (dualer Fall), sowie andererseits die oben beschriebene Situation einer stabilen Vermögensverteilung zwischen den betrachteten Gruppen (Pasinetti-Fall). Da der dualen Lösung keine verteilungspolitische Relevanz zukommt, konzentrieren sich die Ausführungen ausschließlich auf den Pasinetti-Fall der Vermögensverteilung. 147 Die Berechnung der Reallohnposition unterscheidet sich nur geringfügig von der der Arbeitseinkommensquote. Die Orientierung der Nominallohnsteigerungen an Änderungen der Reallohnposition zielt demzufolge auf eine Stabilisierung der Arbeitseinkommensquote bzw. der bereinigten Lohnquote ab; vgl. E. HelmstädJer, Lohnfortschreibung, Einkommensverteilung und Arbeitslosigkeit. Antwort an van Suntum, in: List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik, Bd. 15 (1989), S. 325 ff. sowie Sachverständigemat, Jg. 1987/88, Anhang IV, Methodische Erläuterungen, S. 211 ff.
74
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
Die Arbeitseinkommensquote ist formal definiert als Anteil der gesamtwirtschaftlichen Arbeitseinkommen am Volkseinkommen 148 : (1.16) mit AEQ = L= A= E= Y=
Arbeitseinkommensquote Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer Anzahl der Erwerbstätigen Volkseinkommen.
Das gesamtwirtschaftliche Arbeitseinkommen ist dabei definiert als die Summe aus Bruttoeinkommen für unselbständige Arbeit und einem kalkulatorischen Unternehmerlohn der Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen. Dabei wird unterstellt, daß jeder Selbständige bzw. mithelfende Familienangehörige das durchschnittliche Arbeitseinkommen eines beschäftigten Arbeitnehmers erhält 149 . Das Residuum von Volkseinkommen und Arbeitseinkommen differenziert der Rat in die Vermögenseinkommen der privaten Haushalte einerseits sowie die "übrigen Einkommen" bzw. die Gewinnquote andererseits; die hier ausgewiesenen Gewinneinkommen umfassen damit neben den Einkommen aus Unternehmertätigkeit abzüglich des kalkulatorischen Unternehmerlohns sowie der Einkommen der privaten Haushalte aus Wohnungsvermietung auch die Vermögenseinkommen des Staates nach Abzug der Zinsen auf öffentliche Schulden, wobei letztere seit 1973 einen negativen Wert aufweisen. Die Entwicklung der statistischen Einkommensquoten weist im Zeitablauf signift.kante Merkmale auf, die Aussagen über zentrale verteilungspolitische Problemstellungen ermöglichen. So ist zunächst die relative Konstanz der Arbeitseinkommen am Gesamteinkommen festzustellen; die bereinigte Lohnquote resp. die Arbeitseinkommensquote weisen in den Jahren 1960 bis 1981 im Trend einen leichten Anstieg auf, nehmen hingegen seit 1982 signifikant ab und erreichen in 1990 mit 58% resp. 75,2% ein deutlich geringeres Niveau
148 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1991192, Anhang V, Methodische Erläuterungen, S. 270 f. sowie U. 11. Suntum, Neue Konzepte des Sachverständigenrates, in: Wirtschaftsdienst, Heft 2 (1988), S. 105 ff. 149 Vgl. Sachverstärtdigenrat, Jg. 1987/88, Schaubild 30, S. 113; die Annahme eines identischen Durchschnittseinkommens von Arbeitnehmern und Selbständigen läßt sich natürlich kritisieren, da letztere im Durchschnitt ein höheres Qualifikationsniveau sowie längere Arbeitszeiten aufweisen.
B. Das verteilungspolitische Konzept des Sachverständigenrates
75
als zu Beginn der 60er Jahre 150 . Ein langfristiger Zusammenhang zwischen Beschäftigungsgrad und funktionaler Verteilung läßt sich dabei nicht feststellen; so lag die Arbeitseinkommensquote im Jahr 1981 mit 81,5% auf dem gleichen Niveau wie 1970, die Zahl der Arbeitslosen hat sich in diesem Zeitraum hingegen mehr als verachtfach (vgl. auch Abbildung 5, S. 76). Hinsichtlich der konjunkturellen Reagibilität der funktionalen Einkommensquoten zeigt sich, daß der Anteil der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen stets in rezessiven Phasen am höchsten ist. So weist die Arbeitseinkommensquote ihr relatives Maximum mit 84,9% im Jahre 1975 sowie 84,1% im Jahre 1981 auf; bei der kausalen Interpretation dieses Sachverhalts ist auf die Existenz eines ausgeprägten Löhn-Lags sowie verzögerter Anpassungen des Beschäftigungsniveaus an geänderte Ertragslagen zu verweisen, so daß sich abrupte Variationen des Verteilungsspielraums zunächst in Variationen der Residualeinkommen niederschlagen I51 . Um eine kausale ex-post-Interpretation des Verlaufs der Arbeitseinkommensquote zu ermöglichen, weist der Sachverständigenrat sieben Faktoren aus, die auf die Arbeitseinkommensquote im Zeitablauf einwirken. Änderungen der Arbeitseinkommensquote werden dabei verursacht durch Änderungen der Bruttolohn- und Gehaltssumme (VI)' der Beiträge der Arbeitgeber zur Sozialversicherung, die den Löhnen zugerechnet werden (Sozialbeitragseffekt, v2), der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität (Produktivitätseffekt, v3)' der Austauschrelation mit dem Ausland (terms-of-trade-Effekt, v4), des Preisniveaus (Preiseffekt, v5)' der Abschreibungen (v~ sowie der indirekten Steuern und Subventionen (v7). Aus den Änderungsraten dieser Faktoren (vom Rat als Effekte bezeichnet) ergibt sich die Änderungsrate der Arbeitseinkommensquote zum Zeitpunkt t (vt ) gemäß (1.17)
ISO Quelle: Sachverständigenrat, Jg. 1990/91, Tab. 22 sowie eigene Berechnungen. Diese Zahlenangaben beruhen auf den statistischen Werten vor der siebten Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung durch das Statistische Bundesamt im Friihjahr 1991; die Ergebnisse der Arbeitsstättenzählung sowie der Volks- und Berufszählung des Jahres 1987 ergeben in diesem Zusammenhang zwar ein etwas höheres Niveau der Arbeitseinkommensquote seit 1970, tangieren die qualitativen Aussagen hingegen nicht; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1991/92, Tz. 126 ff. 151 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1992/93, Tz. 128 sowie JG. 1991/92, Tz. 127.
76
1. Kapitel: Die Einordnung der Vennögenspolitik Entwicklung der funktionalen Einkommensverteilung Anteil arn Volkseinkommen in vH
100
Übrige Einkommen
90
Ve
80
i-----,
Arbeitseinkommensquote
70 60
j
50 40
Bereinigte Lohnquote
30 20 10
o 1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
Arbeitseinkommensquote und Arbeitslosenquote
in vH
in vH
100 95
85 80 75 70 65 60 55
H
Arbeitseinkommensquote
90
6 5
~
4 3
2 1
50 - --t-t--t 1960
I
I
I
1965
I
I
I
+-+-+-+
1970
I
I
I
1975
I
,
I
-+-
I
1980
I
I
I
I
I
I
I
1985
I
I
0
1990
Abbildung 5: Einkommensverteilung und Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland 1960 - 1990 Quellen: Sachverstllndigenrat, Jg. 1992/93, S. 296 sowie Jg. 1991/92, S. 92.
B. Das verteilungspolitische Konzept des Sachverständigenrates
77
Eine Analyse dieser Effekte läßt Aussagen über die stabilitäts- und verteilungspolitischen Wirkungen expansiver Nominallohnerhöhungen zu. Faßt man den Zuwachs der Produktivität, Änderungen der terms-of-trade sowie Änderungen der Abschreibungen und der effektiven Steuerbelastung zusammen und stellt dem die Änderungsrate des Lohn- und des Sozialbeitragsfaktors gegenüber, so erhält man Aufschluß darüber, inwiefern sich die Lohnpolitik an der Entwicklung des realen Verteilungsspielraums orientiert (vgl. Abbildung 6, S. 78). Es zeigt sich, daß eine Erhöhung der Nominallöhne über den realwirtschaftlichen Verteilungsspielraum hinaus unmittelbar gleichgerichtete Preiseffekte hervorruft, die den angestrebten Verteilungserfolg zum Großteil kompensieren. Die Wirkungen expansiver Nominallohnerhöhungen auf die Beschäftigung lassen sich ebenfalls aus (1.15) ableiten, sofern für den Effekt v3 anstelle der Bruttoerwerbstätigenproduktivität die Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts gesetzt wird; es läßt sich nun ermitteln, ob die Wachstumsrate des Nominallohns je beschäftigtem Arbeitnehmer über den Zuwachs des bereinigten Sozialprodukts mit entsprechenden Beschäftigungseinbußen verbunden ist. 152 Die Entwicklung der Differenz von Nominallohnzuwachs und der Wachstumsrate des nominalen Sozialprodukts sowie der Wachstumsrate der Erwerbstätigen sind in Abbildung 7 wiedergegeben. Eine ökonometrische Schätzung dieses Zusammenhangs zeigt, daß eine expansive Nominallohnpolitik einen statistisch signifikanten, zeitlich jedoch verzögerten Effekt auf die Beschäftigung aufweist; während eine einprozentige Lohnerhöhung über den Zuwachs des Sozialprodukts in der gleichen Periode zu einem Rückgang der Beschäftigung in Höhe von 0,33% führt, ergibt sich nach drei Jahren ein kumulierter Arbeitsplatzeffekt von relativ genau einem Prozent (vgl. Tabelle 6, S. 79). Reduktionen der Gewinnmargen, die insbesondere in den Jahren 1970 bis 1975 sowie 1979 bis 1982 zu verzeichnen sind, werden demnach durch einen quantitativ entsprechenden Abbau der Beschäftigung kompensiert, so daß sich eine starke empirische Evidenz für die vom Sachverständigenrat postulierte begrenzte verteilungspolitische Wirksamkeit einer expansiven Nominallohnpolitik ergibt l53 .
152 Vgl. ebenfalls die empirische Untersuchung von H. Lehmen!, Lohnzuriickhaltung, Arbeitszeitverkürzung und Beschäftigung. Eine empirische Untersuchung für die Bundesrepublik Deutschland 1973-1990, in: Die Weltwirtschaft, Heft 2 (1991), S. 72 ff. sowie ders., Bedingungen für einen kräftigen Beschäftigungsanstieg in der Bundesrepublik Deutschland - Zur Tarifpolitik der kommenden Jahre, in: Die Weltwirtschaft, Heft 3 (1993), S. 302 ff. 153 Zum gleichlautenden Ergebnis kommen H. Lampert / J. Engtberger / U. Schüte, Ordnungs- und prozeßpolitische Probleme der Arbeitsmarktpolitik, S. 170 und Tab. 3, S. 171.
78
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
vH 12 10
1 0
·2
1--
19BO
Expamivcr Impull l )
1991 -
-
Prd,niYelll
Abb. 6: Preisniveaueffekte expansiver Nominallohnpolitik
,
.H
-I -2
-3
Abb. 7: Beschäftigungseffekte expansiver Nominallohnpolitik a) Verhältnis zwischen Lohnzuwachs je Beschäftigten und Wachstumsrate des realen Volkseinkommens b) Verhältnis zwischen Lohnzuwachsje Beschäftigten und Wachstumsrate des nominellen Volkseinkommens
Quelle: Sachverständigenrat, Arbeitstabelle zur Berechnung der Arbeitseinkommensquote (unveröffentlicht); eigene Berechnungen
B. Das verteilungspolitische Konzept des Sachverständigenrates
79
Tabelle 6
Schätzgleichung des Zusammenhangs zwischen expansiver Lohnpolitik, Preisniveaustabilität und Beschäftigung Zeitraum: 1970 - 1991 MnP = 1,62 (7,9) -2
Prüfmaße: R
+ 0,47 AlnX + 0,14 M~_1 (9,6)
= 0,92; DW =
(3,1)
1,6; SER
= 0,57.
A1nE = 0,4 -0,33 MnX -0,43 AlnXt-l -0,15 AlnXt-2 -0,11 AlnXt-3 -1,1 D82 (2,3) (-6,4) (-8,2) (-2,7) (-2,1) (-4,9) -2
Prüfmaße: R
= 0,95; DW = 2,56; SER = 0,37.
Eigene Berechnungen. Quelle: vgl. Abb. 6 u. 7. Es bedeuten MnP = Wachstumsrate des Preisniveaus, MnE = Zuwachsrate Erwerbstätige, MnX = expansiver Norninallohnimpuls, -2
D82 = Dummyvariable für die Jahre 1982 - 1991, R korrigiertes Bestimmheitsmaß, DW = Durbin-Watson-KoefflZient, SER = Standardfehler der Regression; t-Werte in Klammem.
2. Die Vermögensverteilung Die empirische Erfassung der Vermögensverteilung gilt aufgrund der methodischen Probleme bei der Begriffsbestimmung 1S4 sowie der eingeschränkten Verfügbarkeit öffentlicher Statistiken als problematisch; Aussagen über die Verteilung des Vermögens sowie deren Bestimmungsgründe sind demnach nur tendenziell möglich. Den weitaus interessantesten Überblick über die sozioökonomische Vermögensverteilung liefert die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe l55 , die seit 1969 in regelmäßigen Abständen vom Statistischen Bundesamt durchgeführt wird; die Entwicklung der Verteilung des 154 Eine weite DefInition des Vermögensbegriffs umfaßt neben materiellen Wertobjekten auch immaterielle Werte, wie beispielsweise dlls individuelle Humankapital. Strittig ist darüberhinaus, ob die Ansprüche gegen das System sozillier Sicherung der individuellen Vermögensposition zuzurechnen sind; vgl. G. Opitz, Vermögen - terminologische Überlegungen zu einem komplexen Sachverhalt, in: H.-G. Krüsselberg (Hrsg.), Vermögen in ordnungstheoretischer und ordnungspolitischer Sicht, Köln 1980. 155 Eine weitere Quelle vermögensbezogener Daten stellt die Vermögensteuerstatistik dar. Da diese Statistik jedoch nur jene Haushalte umfaßt. die zur Vermögensteuer veranlagt werden, können hieraus keine für die Gesamtgesellschaft repräsentativen Ergebnisse gewonnen werden; vgl. auch R. Hornung-Draus, Das Vermögen der privaten Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland: Bestand, Entwicklung und Verteilung, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Vol. 206/1 (1989), S. 18 ff.
80
1. Kapitel: Die Einordnung der Vennögenspolitik
Geldvermögens 156 nach sozialen Gruppen und Personen zeigen Tabelle 7 und Abbildung 8. Diese Zahlen belegen, daß sich der durchschnittliche Vermögensbestand aller sozioökonomischen Gruppen in den Jahren 1973 bis 1988 zwar deutlich erhöht hat, die Disparitäten zwischen den sozialen Gruppen trotz erheblicher staatlicher Förderung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand 157 jedoch unvermindert groß sind. So stieg der durchschnittliche Bestand des Nettogeidvermögens aller Haushalte im betrachteten Zeitraum zwar um ca. 80 % auf mittlerweile 21 856 DM an, das durchschnittliche Vermögen eines Selbständigenhaushalts beläuft sich jedoch weiterhin auf das 1,7-fache (1973: 1,6-fache) des Nettogeldvermögens eines Angestelltenhaushaltes bzw. auf das 2,6-fache (1973: 2,5-fache) dessen eines Arbeiterhaushalts. Diese Differenzierungstendenz zeigt sich auch an der verteilungspolitisch letzlich relevanten personellen Vermögensverteilung. Ein Vergleich der Lorenzkurven des Nettogeldvermögens der Jahre 1973 bis 1983 zeigt eine zunehmende Differenzierung der Vermögensverteilung auf hohem Niveau der Disparität. Die bisherigen Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftspolitik zur gleichmäßigeren Verteilung der Vermögensbestände müssen damit aus verteilungspolitischer Perspektive kritisch beurteilt werden. Die begrenzte verteilungspolitische EffIzienz einer steuer- bzw. prämienbegünstigten Vermögensbildungspolitik ergibt sich aus der Tatsache, daß diese Form der Förderung ein gewisses Maß an bereits vorhandener Sparfähigkeit voraussetzt, so daß insbesondere Bezieher unterer Einkommensgruppen nicht in der Lage sind, an diesen Fördermaßnahmen zu partizipieren. 158 Anband einer empirischen Untersuchung über die Inanspruchnahme der Förderung im Rahmen des dritten Vermögensbildungsgesetzes kommen Gress und Stubig 159 zu dem Ergebnis, daß insbesondere die Bezieher mittlerer Einkommen zum Kreis der Begünstigten zählen, so daß die bisherige Form der Vemögensbildungspolitik ungeeignet ist, die weiterhin starke personelle Ungleichverteilung des Vermögens abzubauen. Des weiteren ist strittig, ob die staatliche Förderung der Ersparnisbildung tatsächlich eine langfristige Erhöhung der Spartätigkeit 156 Guthaben auf Sparkonten, Bausparguthaben und Wertpapierbestände (zum Tageskurs) abzüglich der Kreditverpflichnmgen (ohne Hypotheken, Baudarlehen u. ä.). Quelle: M. Euler, Geldvermögen privater Haushalte am Jahresende 1983, in: WiSta, Heft 5 (1985), S. 408 ff. 157 So wurden in der Zeit von 1950 bis 1988 ca. 170 Mrd. DM an Steuermindereinnahmen sowie ca. 75 Mrd. DM an Prämienausgaben für die staatliche Förderung der Vermögensbildung investiert, vgl. H. Lampert, Lehrbuch der Sozialpolitik, 2. Aufl., Berlin u.a . 1991, S. 402. 158 Vgl. auch R. Vaubel, Sozialpolitik für mündige Bürger: Optionen für eine Reform, BadenBaden 1990, S. 77 ff. 159 Vgl. K. Gress / H.-J. Stubig, Die Inanspruchnahme ausgewählter Transfers zur Förderung der Vermögensbildung durch verschiedene sozioökonomische Gruppen, in: R. Hauser / B. Engel (Hrsg.), Soziale Sicherung und Einkommensverteilung. Empirische Analysen für die Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1985, S. 256 ff.
B. Das verteilungspolitische Konzept des Sachverständigenrates
81
induziert; neben reinen Substitutionsprozessen ist hier vor allem auf Entsparprozesse nach der festgelegten Sperrfrist zu verweisen. 160 Nach der einschlägigen Untersuchung von Mierheim und Wicke 161 für das Jahr 1973 lag die Wiederanlagequote prämienbegünstigter Sparanlagen nach Ablauf der Sperrfrist mit durchschnittlich 67 % zwar relativ hoch; allerdings ist die Wiederanlagequote vom Vermögensstatus abhängig. So ergibt sich, daß die Haushalte der unteren Vermögensgruppen ihre Sparguthaben zu ca. 40% wieder anlegen, während die Wiederanlagequote der oberen Vermögensgruppen ca. 70% beträgt. Auch dieses Ergebnis ist ein Indiz für die Sparfähigkeit als eine entscheidende Determinante der Vermögensbildung. Tabelle 7
Die Entwicklung des Geldvermögens und seine Verteilung nach der sozialen Stellung der Bezugsperson Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchstichprobe
Gegenstand der Nachweisung
Nettogeldvennögen (ohne sonstiges Geldvennögen) 1973
1978 DM
in%zu 1973
1983 DM
1988
in%zu 1978
DM in % zu 1983
Haushalte insgesamt
12253
17574 + 43,4
19941 + 13,5
21856
+ 9,6
Landwirt
16214
22358 + 37,9
28132 + 25,8
41948
+ 49,1
Selbständiger
22984
36597 + 59,2
36189
- 1,1
37959
+ 4,9
Beamter
16599
21921 + 32,1
25115 + 14,6
26525
+ 5,6
Angestellter
14573
20383 + 39,9
20641
21933
+ 6,3
+ 1,3
Arbeiter
9084
13 164 + 44,9
14829 + 12,7
14663
-1,1
Nichterwerbstätiger
10210
14969 + 46,6
18812 + 25,7
22842
+21,4
Quellen: M. Euler, WiSta, Heft 5 (1985), S. 408; Stat. Bundesamt, Fachserie 15, Heft 2; eigene Berechnungen.
160 Vgl. W. Albers, Förderung der Vennögensbildung, in: W. Ehrlicher / D. B. Simmert (Hrsg.), Der volkswirtschaftliche Sparprozeß, Berlin 1985, S. 513 ff. Für die Vennutung eines Vennögensverzehrs nach Ablauf der Sperrfristen sprechen auch die empirischen Ergebnisse von K. M. Maier, Der Sparprozeß in der Bundesrepublik Deutschland. Eine empirische Analyse des Sparverhaltens der privaten Haushalte seit 1950, FrankfurtlM. 1983, S. 326 ff. 161 Vgl. H. Mierheim / L. Wicke, Die personelle Vennögensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1978, S. 177. 6 A1t1wnmer
82
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
" des Hf!lIogeldvermörms
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Abbildung 8: Die Verteilung des Nettogeldvermögensl) privater Haushalte2) Ende 1973, 1978 und 1983 Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichproben I) 2)
Sparguthaben, Bausparguthaben, Wenpapierbesl1nde und sonstiges Geldvermögen Ohne Haushalte von Ausllndem sowie ohne Haushalte mit einem monatlichen Haushaltsnettocinkommen von 2S 000 DM und mehr und ohne Personen in Anstalten und Gcmcinschaftsunterkünftcn
Quelle: M, Euler, Geldvermögen privater Haushalte, in: WiSta, Heft 5 (1985)
c.
Notwendigkeit, Ziele und Instrumente der Vermögenspolitik
83
c. Notwendigkeit, Ziele und Instrumente der Vermögenspolitik im Konzept des Sachverständigenrates
I. Notwendigkeit und Ziele vennögenspolitischer Maßnahmen
Der Verteilung des Vermögens kommt in marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaftssystemen eine zentrale gesellschaftspolitische Bedeutung zu162. Diese Bedeutung erwächst einerseits aus der Tatsache, daß der Substanzwert des Vermögens sowie die Vermögenserträge die materiale Freiheit und die Sicherheit des Einzelnen erhöhen; der Vermögensbesitz eröffnet und bewahrt somit individuelle Entfaltungsmöglichkeiten und Freiheitsspielräume in der Gesellschaft. Daruberhinaus beinhaltet eine ungleiche Verteilung der Vermögen die Ungleichverteilung materialer Startchancen und widerspricht somit dem Prinzip sozialer Gerechtigkeit. In einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die sich neben der Realisierung formaler Freiheitsrechte auch die Verwirklichung der Ziele materialer Freiheit und sozialer Gerechtigkeit zur Aufgabe gesetzt hat, besitzt die Politik einer breiten interpersonellen Vermögensstreuung somit einen eigenständigen Stellenwert, den der Sachverständigenrat ausdrücklich unterstreicht l63 . Neben diesen originären Zielen der Vermögenspolitik untersucht der Sachverständigenrat vermögenspolitische Maßnahmen vorwiegend hinsichtlich ihrer Eignung zur Realisierung stabilitätspolitischer Zielsetzungen; der Verteilungspolitik kommt demnach im Konzept des Rates neben seiner Zielfunktion insbesondere eine stabilitätspolitische Instrumentalfunktion zu. Im Vordergrund steht hierbei die Möglichkeit, den Anteil der Arbeitnehmereinkommen am Volkseinkommen durch vermögensbildende Maßnahmen zu erhöhen, um die verteilungspolitischen Zielsetzungen der Arbeitnehmervertretungen in stabilitätskonformer Weise umzusetzen und den Verteilungskonflikt damit zu entschärfen. Da eine Einkommensumverteilung durch expansive Nominallohnpolitik unter den vom Rat gesetzten Prämissen verteilungspolitisch wirkungslos bleibt und mit stabilitätspolitischen Risiken verbunden ist, eine Festschreibung der gerade vorliegenden Einkommensverteilung hingegen weder mit autonomen Verteilungszielen gesellschaftlicher Gruppen noch mit dem Ziel sozialer Gerechtigkeit vereinbar ist, deckt die Möglichkeit zur Einkommensumverteilung durch vermögenspolitische Maßnahmen einen zentralen Teilbereich innerhalb der Sachverständigenratskonzeption ab. Die verteilungspolitische Zielsetzung des Rates beschränkt sich jedoch nicht auf die Beeinflussung funktioneller Einkommensgrößen, sondern zielt vielmehr auf 162 Eine ausführliche Diskussion der gesellschaftspolitischen Bedeutung des Vennögens fmdet sich bei H. Lampen, Lehrbuch der Sozialpolitik, 2. Aufl., Berlin u. a. 1991, S. 376 ff. 163 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1968/69, Tz. 302 sowie ders., Jg. 1972173, Tz. 446.
84
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
eine gleichmäßigere Streuung der Vermögensbestände und damit auf die verteilungspolitisch letztlich relevante - personelle Einkommensverteilung ab l64 . Ergibt sich die im Rahmen der Vermögenspolitik angestrebte Erhöhung der Querverteilung der Einkommen, so hat dies darüberhinaus zur Folge, daß die verteilungspolitische Bedeutung der funktionalen Einkommensverteilung für den Einzelnen abnimmt und der hieraus resultierende Konflikt zusätzlich an Schärfe verliert: "Dieser mittelfristig angelegte Konflikt könnte gemildert werden, wenn die funktionelle Verteilung der Einkommen, auf die es unter stabilitätspolitischen Gesichtspunkten ankommt, ihre Bedeutung für die verteilungspolitischen Zielsetzungen verlieren würde. Die strategische Größe für die Verteilungspolitik scheint daher die Vermögensbildung der Arbeitnehmer zu sein. "165
ß. Instrumente der Vermögenspolitik im Konzept des Sachverständigenrats
Der Sachverständigenrat hat im Rahmen seiner gutachterlichen Tätigkeit die Alternativen einer verstärkten Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen untersucht und deutliche Empfehlungen für eine effiziente sowie wachstums- und stabilitätskonforme Vermögensbildungspolitik abgegeben. Zur Diskussion stehen hier insbesondere Maßnahmen zu Erhöhung der Sparwilligkeit mittels Steuerbegünstigung bzw. Prämienvergabe (Sparförderung) einerseits sowie Maßnahmen zur Erhöhung der Sparfähigkeit der begünstigten Personengruppen (Politik des Investivlohns bzw. der Gewinnbeteiligung).
1. Die Sparförderung Die Sparförderung durch Steuervergünstigung bzw. Prämienvergabe kann als das klassische Instrument staatlicher Vermögenspolitik in der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet werden; bereits unmittelbar zu Beginn der Wiederaufbauphase wurde die private Ersparnis im Rahmen des § lOe EStG steuerlich begünstigt. Aufgrund der negativen verteilungspolitischen Wirkungen einer Förderung der Spartätigkeit durch steuerliche Vergünstigung l66 plädiert der Sachverständigenrat zwar zunächst für die Einführung von Einkommenshöchstgrenzen167 als Mindestanforderung einer verteilungsorientierten Sparförderung, beurteilt aber die verteilungspolitische Effizienz einer Vgl. Sachverständigenrat, Jg. lrn2173, Tz. 441, 511 und 516. Sachverständigenrat, Jg. lrn2173, Tz. 496. 166 Zur vermögenspolitischen Problematik der Sparförderung durch SteuervergüDStigung vgl. auch Sachverständigenrat, Jg. lrn2173, Tz. 499. 167 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1968/69, Tz. 303. 164 165
C. Notwendigkeit, Ziele und Instrumente der Vermögenspolitik
85
Vermögensbildung durch Förderung der Spameigung aufgrund der unterschiedlichen Sparfähigkeit der Haushalte sowie der möglichen Mitnahme~ effekte eher zurückhaltend l68 . Eine Erhöhung der verteilungspolitischen Effizienz vermögenspolitischer Maßnahmen verspricht sich der Rat durch die Erhöhung der individuellen Sparfähigkeit mittels einer Umverteilung der Primäreinkommen; als Instrumente stehen hierfür der Abschluß von Investivlohn- bzw. Gewinnbeteiligungsregelungen zur Verfügung.
2. Der Investivlohn 169 Mit den verteilungs- und stabilitätspolitischen Wirkungen investiver Lohnabschlüsse hat sich der Sachverständigenrat bereits frühzeitig beschäftigtl70; im Mittelpunkt der Untersuchung stand hierbei die Frage, inwiefern bei Einführung investiver Lohnabschlüsse mit Überwälzungsprozessen zu rechnen ist und welche Wirkungen hiervon auf die Investitionsneigung der Unternehmen zu erwarten sind. Aus Sicht der Unternehmen stellen Lohnerhöhungen - auch wenn sie als Kapital im Unternehmen verbleiben - Kostenbestandteile dar, die unmittelbar in die Grenzkostenkalkulation eingehen. Die hieraus resultierenden Preis- Mengeneffekte und damit auch die Verteilungswirkungen sind dabei abhängig vom Umfang der Mehrersparnis der Arbeitnehmer, die aus der Investivlohnvereinbarung resultieren. Bei konstanter Preis-Absatz-Funktion kommt es in Folge der Erhöhung der spezifischen Lohnkosten zu einer Reduktion der Ausbringungsmenge sowie zu einer Erhöhung des Güterpreises in Abhängigkeit von der Preiselastizität der Nachfrage. Bei vollständiger Esparnis der zusätzlichen Lohnanteile wäre somit die Erhöhung der Lohnquote mit einem Rückgang von Produktion und Beschäftigung verbunden. Eine partielle Kompensation dieser Belastungen ist im Rahmen der kostenniveauneutralen Lohnpolitik allenfalls über eine Reduktion der spezifischen Kapitalkosten denkbar; in diesem Zusammenhang werden zwei mögliche Effekte diskutiert: 171 Da die Investivlohnanteile ein zusätzliches Kapitalangebot darstellen, sind zum einen entsprechende Preisreaktionen am Kapitalmarkt Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1968/69, Tz. 303 f. sowie Jg. 1980/81, Tz. 338 ff. Zur Ausgestaltung und Zielen von Investivlohnvereinbarungen vgl. A. Oberhauser, Die wirtschaftlichen Auswirkungen und Grenzen des Investivlohns, Paderbom 1959. 170 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1966/67, Tz. 314 ff.; zu den Wirkungen investiver Lohnzuschläge im Rahmen der Sachverständigenratskonzeption vgl. A. E. Ott, Fragen einer stabilitätskonformen Einkommenspolitik. Gutachtliche Stellungnahme im Auftrage des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Tübingen 1970 (unveröffentlicht). 171 Vgl. A. E. Ott, Fragen einer stabilitätskonformen Einkommenspolitik. Ergänzungen zu der gutachtlichen Stellungnahme im Auftrage des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Tübingen 1970 (unveröffentlicht), S. 12 ff. 168 169
86
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
zu erwarten; hierdurch sinkt c. p. der Kapitalkostensatz. Desweiteren wird die Möglichkeit angesprochen, mittels technischen Fortschritts den Kapitalkoeffizienten zu senken; um die durchschnittlichen variablen Kosten konstant zu halten, müßte der Kapitalkoeffizient dabei umso stärker sinken, je höher das Verhältnis zwischen Lohn- und Kapitalkosten ist, je höher der Investivlohn ausfällt und je niedriger die Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität liegt. Der kreislauftheoretischen Argumentation, derzufolge bei dauerhafter Ersparnis der zusätzlichen Lohnbestandteile lediglich eine Verlagerung der Investitionsfmanzierung von den Unternehmen auf die Arbeitnehmer bei konstanter Investitionsneigung erfolgt, attestiert der Rat "verteilungspolitischen Optimismus" 172. Tatsächlich setzt diese Ansicht die Existenz von funktionslosen Gewinnbestandteilen in dem Sinne voraus, daß diese Gewinnbestandteile abgeschöpft werden können, ohne die Investitionstätigkeit zu berühren 173. Diese Möglichkeit ist jedoch bei hinreichend wirksamen Wettbewerb nicht gegeben; die Abschöpfung funktionsloser Gewinne ist damit - auch aus verteilungspolitischen Erwägungen heraus - Aufgabe der Wettbewerbspolitik. Der grenzproduktivitätstheoretische Ansatz des Sachverständigenrates läßt den Investivlohn als Mittel der Verteilungspolitik somit untauglich erscheinen: "Daß man erwarten dürfe, marktwidrige, wenn auch gesparte Lohnerhöhungen hätten bloß zur Folge, daß unternehmerische Gewinne durch Arbeitnehmererspamisse ersetzt werden, begegnet allerdings begründeter Skepsis. Die skeptische Auffassung bezweifelt, daß man, ohne daß es zu Überwälzungsprozessen kommt, tarifvertraglieh etwas aufteilen kann, was als Unternehmensgewinn unabdingbare Funktionen erfüllt. ... Nur um den Preis einer Rezession also könnten die Reallöhne um den Betrag, der vermögenswirksam angelegt ist, zusätzlich steigen, jedenfalls auf kurze Sicht ... 174
Sofern die investiven Lohnanteile nicht oder nicht vollständig gespart werden 175 , verschiebt sich die Preis- Absatzfunktion der Unternehmen nach oben, so daß zumindest eine partielle Überwälzung der vermögenspolitischen Lasten auf den Verbraucher erfolgt. In diesem Fall wären zwar die beschäftigungspolitischen Risiken des Investivlohns geringer einzustufen, die konsumtive Sachverständigenrat, Jg. 1966/67, Tz. 316. Zu den Funktionsbedingungen investiver Lohnzuschläge vgl. A. Oberhauser, Der Investivlohn als Mittel der Verteilungspolitik, in: H. Arndt (Hrsg.), Lohnpolitik und Einkonunensverteilung, Berlin 1969, S. 273 ff. 174 Sachverständigenrat, Jg. 1966/67, TZ. 317. 175 Dabei geht es um die Frage, inwiefern investive Lohnzuschläge tatsächlich die Arbeitnehmerersparnis erhöht. Langfristig könnte der geplante Ersparniseffekt rückgängig gemacht werden, sofern die Arbeitnehmer nach Ablauf der Sperrfristen die freiwerdenden Beträge nicht reinvestieren, sondern konsumtiven Zwecken zuführen. Eine ku17/ristige Beeinträchtigung der zusätzlichen Ersparnisbildung ist dann gegeben, wenn die freiwillige Ersparnisbildung durch den Abschluß einer tarifvertraglichen Vermögensbildung verdrängt wird. 172
173
C. Notwendigkeit, Ziele und Instrumente der Vermögenspolitik
87
Verwendung des zusätzlichen Lohnanteils würde jedoch das vermögensverteilungspolitische Ziel des Investivlohns gefährden.
3. Die Gewinnbeteiligung Die nach Ansicht des Sachverständigenrates erfolgversprechende Möglichkeit zur Erhöhung der individuellen Sparfahigkeit stellt die Beteiligung der Arbeitnehmer am erwirtschafteten Unternehmensgewinn dar: "Die Größe, an der eine Umverteilung allein ansetzen kann, ist der Gewinn. "176 Da der ökonomische Gewinn im Modell des Sachverständigenrats jedoch eine essentielle Funktion für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung innehat, kommt der marktkonformen Ausgestaltung des Gewinnbeteiligungsmodells erhebliche Bedeutung zu. Daß die Einführung einer Gewinnbeteiligung bei konstantem Lohnsatz kurzfristig - also unter Vernachlässigung des Kapazitätseffekts der Investitionen - ausschließlich Einkomensverteilungseffekte zeitigt, den optimalen Produktionsplan und damit die Entscheidung über Faktoreinsatzmengen, Produktion und Preise hingegen unberührt läßt, ist verschiedentlich nachgewiesen worden177 . Strittig sind jedoch die Auswirkungen dieses Instruments auf die Investitionstätigkeit der Unternehmen und damit auf Wachstum und Beschäftigung. Sofern die Investitionen in Sachkapital primär nach ihrer (Netto-) Rentabilität beurteilt und anhand der Rentabilität alternativer Anlageformen bewertet werden, wirkt sich eine Gewinnbeteiligung stets negativ auf die Investitionsneigung aus; da der Sachverständigenrat dieses klassische Investitionsmotiv seiner Argumentation zugrundelegt, sind entsprechende ModifIkationen der einfachen Gewinnbeteiligungsregelung zur Vermeidung negativer Wachstums- und Beschäftigungswirkungen notwendig.
Sachverständigenrat, Jg. 1972/73, Tz. 503. Eine Beteiligung der Arbeitnehmer am ökonomischen Gewinn ist aus Sicht der Unternehmung wirkungsgleich einer reinen Gewinnsteuer. Formal ergibt sich das Maximierungsproblem einer Unternehmung ohne Gewinnbeteiligung gemäß 176
177
max{ F(K, A) - wA - rK} K,A
mit den üblichen Marginalbedingungen FA(K,A) = w und FK(K,A) = r. Bei einer Beteiligung der Arbeitnehmer am ökonomischen Gewinn mit dem Anteil e würde das Maximierungsproblem der repräsentativen Unternehmung nun lauten: max{(I-e)(F(K,A)- wA - rK)} K,A
die entsprechenden Marginalbedingungen sowie die Faktoreinsatzmengen ändern sich hierdurch nicht. Vgl. W, Krelle u. a., Überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer. Mit einer Untersuchung über die Vermögensstruktur in der Bundesrepublik Deutschland, Band I, Tübingen 1968, S. 53 f. sowie (ausführlicher) H.-I. Krauter, Die betriebliche Gewinn- und Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer. Eine kreislauf- und nutzentheoretische Analyse, Spardorf 1985, S. 101 ff.
88
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
a) Anforderungen an eine stabilitätskonforme Ausgestaltung der Gewinnbeteiligung Eine stabilitätskonforme Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer sollte nach dem Konzept des Sachverständigenrates so ausgestaltet werden, daß sich der (erwartete) Ertragswert der Investitionen aus Sicht der Kapitaleigner bei Einführung des Gewinnbeteiligungsmodells nicht ändert. Der Ertragswert einer Investition unter Risiko ist dabei gegeben durch den Barwert der periodisierten Gewinne, abdiskontiert mit dem risikoadäquaten Kalkulationszins l78 . Die Entscheidungssituation des repräsentativen Investors läßt sich mittels der Ergebnisse der Portfoliotheorie verdeutlichen. Rationales Verhalten unter Risiko entsprechend dem Erwartungswert-Varianz-Kriterium impliziert die Maximierung des Sicherheitsäquivalents 179 (1.18)
mit
e=J.1--S '" 2 2
e = Sicherheitsäquivalent einer risikobehafteten Auszahlung J.1
= Erwartungswert des risikobehafteten Endvermögens
'" = Risikoaversion des Investors
s2 = Varianz des risikobehafteten Endvermögens.
Für einen risikoaversen Investor resultieren hieraus die in Abbildung 9, Seite 90 eingezeichneten Indifferenzkurven zwischen erwartetem Ertrag und Varianz einer risikobehafteten Anlage. Die Steigung der Indifferenzkurve, d. h. das Substitutionsverhältnis zwischer Ertrag und Risiko, ist durch die individuelle Risikoaversion des Anlegers bestimmt. Unter diesen Bedingungen ergibt sich die optimale Anlage in risikobehafteten Titeln aus dem Quotienten von Risikoprämie - d. h. der Differenz zwischen der erwarteten Rendite der riskanten Anlage und dem risikolosen Zinssatz - und der Varianz der Anlage, gewichtet mit der individuellen Risikoaversion des Investors l80 :
178 Zur Investitionsentscheidung unter Risiko vgl. D. Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung, 6., vollständig neu bearbeitete Aufl., Wiesbaden 1990, S. 79 ff. sowie H. Schneeweiss, Entscheidungskriterien bei Risiko, Berlin u. a. 1967. 179 Eine nutzentheoretische Herleitung dieses Ansatzes sowie seine Anwendung auf Probleme der Investitionsentscheidung unter Risiko findet sich bei T. E. Copeland I J. F. Weston, Financial Theory and Corporate Policy, 3rd Ed., Massachusetts 1988, S. 96 ff. Zu den entscheidungstheoretischen Grundlagen vgl. G. Bamberg I G. Coenenberg, Betriebswirtschaftliehe Entscheidungslehre, 4. Aufl., München 1985, S. 82 ff. IBO Die Herleitung dieses Ergebnisses ergibt sich folgendermaßen: Aus der Anlage eines Gesamtbetrages A in x risikobehaftete und (A-x) sichere Investitionsprojekte resultiert der das Gesamtvermögen V = (A-x) (1+i) + x (l+r), mit i = Verzinsung der risikolosen Anlage, r = Verzinsung des risikobehafteten Vermögens. Eingesetzt in (1.18) ergibt sich das Sicherheitsäqui-
C. Notwendigkeit. Ziele und Instrumente der Vermögenspolitik
(1.19)
X
*
89
Il- i
=--2 '
'l's mit 'l' = Risikoaversion des Investors S2 = Varianz der risikobehafteten Anlage = risikoloser Zinssatz.
Aus (1.19) wird ersichtlich, daß das ursprüngliche Nutzenniveau der Kapitalanleger und damit das optimale Investitionsprogramm der Unternehmen durch die Einführung einer Ertragsbeteiligungsregel nur dann nicht tangiert wird, wenn mit der Reduktion der Risikoprämie im Zähler auch eine entsprechende Verringerung der Investitionsrisiken, d. h. eine äquivalente Kompensation im Nenner des Quotienten erfolgt (Bewegung von Punkt A nach C in Abb. 9). Bei einer Beteiligung der Arbeitnehmer am Ertrag des Unternehmens ergibt sich der optimale Anlagebetrag in risikobehafteten Titeln gemäß (1.20) mit 'l' A,K 8
Risikoaversion der Arbeitnehmer resp. Kapitaleigner Ertragsbeteiligungsparameter Varianz der risikobehafteten Anlage.
s2
Wie die Theorie optimaler Beteiligungsverträge 181 zeigt, bestimmt sich der Gewinnanteil der Arbeitnehmer nach ihrer relativen Risikotoleranz, d. h. entsprechend der Bereitschaft der Arbeitnehmer, Investitionsrisiken zu übernehmen: 8 * = _....;'l',-,K",--_ 'l'A +'l'K wobei 8* den otimalen Ertragsbeteiligungsparameter angibt. (1.21) repräsentiert die effIziente Risikoteilung zwischen Arbeitnehmern und (1.21)
valent
e
= A(1 + i)+ x(ll r
-
i)-
.!x2s~ • wobei Il den Erwartungswert und S2 die Varianz der 2
Rendite des risikobehafteten Anlageobjekts angibt. Differenzieren dieser Funktion nach x ergibt das Volumen des optimalen Risikokapitals; vgl. K. Spremonn, Finanzierung, 2. Aufl., München 1986, S. 224 f. 181 Vgl. H. Hax, Capital Shortage in German Firms, in: JITE, Vol. 146 (1990), S. 120 ff.; W. Neuss / P. Nippel, Investitionsvolumen und Risikoallokation, in: Kredit und Kapital, 24. Jg. (1991), S. 85 ff.
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
90
Kapitaleignern: der Anteil der Arbeitnehmer am Unternehmensgewinn entspricht im Fall eines optimalen Beteiligungskontrakts ihrem Anteil an Risikoübernahme. Aus (1.21) wird ebenfalls deutlich, daß unter Umständen kein zulässiger Beteiligungsvertrag existiert, so daß eine Ertragsbeteiligung vollständig unterbleibt. Aus Sicht der Kapitaleigner ist dies der Fall, sofern man risikoneutrales Verhalten unterstellt ('I'K = 0); in diesem Fall ist die Voraussetzung für eine allokationsneutrale Gewinnbeteiligung nicht gegeben. Auch aus Sicht der Arbeitnehmer kann ein Verzicht auf eine risikoadäquate Beteiligung am Unternehmen sinnvoll sein; dies ist dann der Fall, sofern die Risikoaversion des Arbeitnehmers so hoch ist, daß der Ertragswert der Investition zu einem niedrigeren Nutzenniveau führt, als die sichere Anlage.
Ertrag
C
-------- B
Risiko Abbildung 9: Indifferenzlrurven eines risikoaversen Investors bei einer Gewinn- und Risikobeteiligung der Arbeimehmer
Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen lassen sich folgende Implikationen für eine stabilitätskonforme Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer ableiten: Der Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer muß die Übernahme von Haftungsrisiken gegenüberstehen, die den erwarteten Gewinnrückgang aus
C. Notwendigkeit, Ziele und Instrumente der Vennögenspolitik
91
Sicht der Kapitaleigner gerade kompensiert. 182 Daß eine Beteiligung der Arbeitnehmer am erwirtschafteten Gewinn auch eine Beteiligung an den Invetitionsrisiken erfordert, ist der zentrale Gedanke des vermögenspolitischen Konzepts des Sachverständigenrats. Dazu muß die Höhe des den Arbeitnehmern zustehenden Gewinnanteils bereits bei Abschluß der Gewinnbeteiligungsvereinbarung festgelegt werden. Damit wendet sich der Rat gegen Überlegungen, die Gewinnbeteiligung im Rahmen einer formalen Zweiteilung der Tarifvertragsverhandlungen einzuführen183 ; Ziel dieser Pläne ist es zunächst, die Rate der Tariflohnsteigerung ex ante auf der Grundlage vorsichtiger Schätzungen der Produktivität festzusetzen. Sofern der realisierte Erlös den prognostizierten Wert übersteigt, sind die Arbeitnehmer am erwirtschafteten Gewinn zu beteiligen; der Beteiligungssatz ist dabei Gegenstand von tariflichen Nachverhandlungen. Die stabilitätspolitischen Effekte dieser Form der Gewinnbeteiligung werden vom Rat kritisch beurteilt, da der erwarteten Gewinnschmälerung keine Übernahme von Haftungsrisiken durch die Arbeitnehmer gegenübersteht: "Selbst wenn im zweigeteilten System mit den Tariflohnverhandlungen keine Umverteilungsabsichten verbunden sein sollten und die Tariflohnentwicklung damit besser vorhersehbar geworden ist, bleibt Unsicherheit bestehen; sie wird lediglich auf die Höhe der nachträglich auszuhandelnden Gewinnbeteiligung verlagert. "184 Der Abschluß einer Gewinnbeteiligungsregel wird gem (1.19) umso wahrscheinlicher, je höher die Risikotoleranz der Arbeitnehmer ist. Eine Diversiftkation der Ertragsrisiken seitens der Arbeitnehmer wird damit zu einer notwendigen Funktionsbedingung einer Gewinnbeteiligungsregel. b) Speziftsche Zielsetzungen der Ertragsbeteiligung 185 Mit der Einführung einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer verfolgt der Sachverständigenrat einen umfassenden Katalog verteilungs-, stabilitäts- und wachstumspolitischer Ziele. Das primäre verteilungspolitische Ziel stellt die V gl. Sachverständigenrat, Jg. 1CJ72173, Tz. 509. Eine entsprechende "Zweiteilung" der Tarifverhandlungen wurde offensichtlich Mitte der 70er Jahre im Bundeswirtschaftsministerium diskutiert, vgl. Sachverständigenrat, Jg. lCJ76177. Tz. 366. Zur Kritik vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1CJ76177, Tz. 369; ders., Jg. 1982/83, Tz. 233 sowie H. Cox, Plädoyer für eine verteilungswirksame und stabilitätsorientierte Lohnpolitik, in: Wirtschaftsdienst, Heft 5 (lCJ77), S. 262 ff. 184 Sachverständigenrat, Jg. 1CJ76177, Tz. 369. 185 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. lCJ76177, Tz. 372 ff.; Jg. 1982/83, Tz. 231f. 182 183
92
1. Kapitel: Die Einordnung der Vermögenspolitik
Erhöhung der individuellen Sparfähigkeit und eine verstärkte Vennögensbildung der Arbeitnehmerhaushalte dar; die daraus resultierende Querverteilung wirkt sich dabei ebenfalls egalisierend auf die sozioökonomische Einkommensverteilung aus. Eine Koppelung der Entlohnung des Faktors Arbeit an die Ertragslage des Unternehmens verringert darüberhinaus das Risiko nicht antizipierter Verteilungsänderungen bei exogenen Änderungen der Ertragssituation. Diese Stabilisierung der funktionalen Einkommensverteilung reduziert ebenfalls das Risiko stabilitätsgefährdender Verteilungskonflikte. Darüberhinaus erwartet sich der Rat eine flexiblere Anpassung der Arbeitnehmerentgelte an die wirtschaftliche Entwicklung; diese Quasi-Lohnflexibilität soll den Prozeß der marktgerechten Lohnfmdung erleichtern. Zusätzlich begünstigt eine weitgehend automatIsIerte, flexible Anpassung der Arbeitnehmereinkommen an das Produktionsergebnis den Abschluß längerfristiger Tarifverträge, ohne den Arbeitnehmern unzumutbare Einkommensrisiken zu übertragen. Da sich die Ertragskomponente flexibel an die individuellen Gegebenheiten der jeweiligen Unternehmen anpaßt, resultiert hieraus eine nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit differenzierte Struktur der Arbeitnehmerentgelte, die dazu beitragen kann, die Strukturkomponente der bestehenden Arbeitslosigkeit zu verringern. Schließlich erwartet der Rat vom Abschluß ertragsabhängiger Lohnfonnen wachstumspolitische Effekte: So beabsichtigt eine Gewinnbeteiligung auf betrieblicher Ebene ein erhöhtes Maß an Motivation und Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer, die sich in einer Steigerung der Arbeitsproduktivität niederschlagen. Aus Sicht des Unternehmen erhöht die investive Anlage der Ertragsanteile die Eigenkapitalquote und erleichtert damit die Investition in risikobehaftete Anlageobjekte.
Zweites Kapitel
Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung der Arbeitnehmer: Modellexposition und kritische Würdigung Auf der Grundlage seiner stabilitäts- und verteilungspolitischen Überlegungen entwickelt der Sachverständigenrat im Jahresgutachten 1972/73 sein im Jahr 1975 in wesentlichen Teilen überarbeitetes Modell einer Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung der Arbeitnehmer (GBbbH). Der zentrale Gedanke dieses überbetrieblichen Beteiligungskonzepts ist es, die stabilitätsund wachstumspolitischen Gefahren einer Ertragsbeteiligung durch eine entsprechende Beteiligung der Arbeitnehmer am Investitionsrisiko zu vermeiden. Die notwendige Risikobeteiligung erfolgt dadurch, daß die Arbeitnehmer auf einen festgesetzten Teil ihres flxierten Kontraktlohns verzichten und diesen Einkommensanteil unter Gewinnvorbehalt stellen. Von dieser Modellkonstruktion erwartet sich der Rat eine stabilitätskonforme Umsetzung verteilungspolitischer Ziele. Die konkreten Ausgestaltungsmerkmale dieses Modells werden im folgenden dargestellt und auf ihre inhaltliche Konsistenz sowie die Möglichkeiten zur Erreichung der gesetzten Ziele hin überprüft.
A. Grundzüge des Modells einer Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung
Ausgangspunkt der Überlegungen des Sachverständigenrats stellt die Tatsache dar, daß unter der gesetzten Wirtschaftsverfassung allein die Eigenkapitalgeber auf die feste Kontrahierung ihrer Einkommensansprüche verzichten und aus diesem Verzicht auf Einkommenssicherheit ihren alleinigen Anspruch auf die erwirtschaftete Risikoprämie (den ökonomischen Gewinn) ableiten. Verteilungspolitisch läßt sich diese Tatsache nutzen, sofern auch die Arbeitnehmer bereit sind, einen Teil ihres Kontrakteinkommens unter Gewinnvorbehalt zu stellen; entsprechend dem Ausmaß der Risikoübernahme leitet sich dann auch für sie ein auf dieser Basis ökonomisch begründeter Anspruch auf den Gewinn ab. Nach Ansicht des Rates ist damit die Entscheidungssituation des Arbeitnehmers prinzipiell vergleichbar mit der eines Kapitalgebers 1: Der 1
Sachverständigenrat, Jg. 1975/76, Tz. 370.
94
2. Kapitel: Modellexposition und kritische Würdigung
Arbeitnehmer kann innerhalb des Modells wählen, das Entgelt für seine Arbeitskraft - also für sein Humankapital - fest zu kontrahieren, oder einen Teil dem Ertragsrisiko auszusetzen und somit an der Risikoprämie zu partizipieren2 ; letzteres erhöht das erwartete Einkommen und damit die Sparfähigkeit des Arbeitnehmers. Als Haftungspotential der Arbeitnehmer dient dabei ihr Humankapital, da die Arbeitnehmer das Risiko eingehen, bei schlechter Ertragsentwicklung einen Teil ihrer Arbeitskraft unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Das Gewinnbeteiligungsmodell des Sachverständigenrates unterscheidet sich damit von anderen in der wirtschaftspolitischen Diskussion stehenden Modellen dadurch, daß die Arbeitnehmer tarifvertraglich auf einen Teil ihres festgelegten Nominallohnsatzes zugunsten einer proportionalen Beteiligung am Unternehmensgewinn verzichten, d. h., daß sie einen Teil des fixierten Nominallohns durch Residualeinkommen substituieren. 3 Dem Problem der Kumulation von Einkommens- und Beschäftigungsrisiken bei den Arbeitnehmern versucht der Rat durch die Errichtung eines überbetrieblichen Fonds Rechnung zu tragen. Ebenfalls im Gegensatz zu den bislang diskutierten überbetrieblichen Ertragsbeteiligungsmodellen hat der Fonds im Modell des Sachverständigenrates ausschließlich die Aufgabe, das einzelwirtschaftliche Einkommensrisiko der Arbeitnehmer zu diversifizieren und die zufließenden Mittel nach einem bestimmten Schlüssel auf den begünstigten Personenkreis zu verteilen; der Rat spricht in diesem Zusammenhang von einem "Aufbringungs-" bzw. "Versicherungsfonds "4. Die vom Sachverständigenrat ebenfalls vorgesehene investive Verwendung der Ertragsanteile ist hingegen auf einzelwirtschaftlicher Basis, d. h. im Rahmen der individuellen Vermögensbildung, vorzunehmen. Durch die strikte Trennung zwischen Aufbringungs- und Verwendungs seite der Fondsmittel versucht der Sachverständigenrat, dem Interesse der Arbeitnehmer nach Diversifikation der Einkommensrisiken nachzukommen, und gleichzeitig den vermögenspolitischen Zielen individueller Dispositions- und Verfügungs freiheit über die Vermögensanteile sowie der Verhinderung einer Kumulation wirtschaftlicher Macht zu entsprechen.
2 Zu den portfoliotheoretischen Grundlagen dieses Modells vgl. ausführlich H. Tomann, Risikoübertragung als Mittel der Vermögenspolitik. Entscheidungsprobleme und gesamtwirtschaftliche Wirkungen, Köln u. a. 1975,28 ff. 3 Die meisten der im wirtschaftspolitischen Bereich diskutierten Ertragsbeteiligungsmodelle sehen eine ab einer bestimmten Unternehmensgröße einsetzende, progressive Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmensertrag vor, die zusätzlich zum tarifvertraglich vereinbarten Lohnsatz zu leisten ist und meist als Beteiligungen an ein zentral oder dezentral organisiertes Fondssystem abzuführen sind.
B. Konstitutive Elemente des Modells
95
B. Konstitutive Elemente des GewinnbeteiligungsmodeUs im Jahresgutachten 19725 I. Mittelautbringung, Gewinnermittlung und Bestimmung der Partizipationsanteile
Das Beteiligungsmodell des Sachverständigenrates sieht vor, daß die Arbeitnehmer einmalig auf die Kontrahierung eines Teils der kostenniveauneutralen Lohnerhöhung6 verzichten, und als Kompensation für ihre zurückhaltende Nominallohnpolitik einen Anspruch auf den erwirtschafteten Gewinn der Unternehmung erhalten. Bei durchschnittlicher Ertragsentwicklung - d. h. sofern eine positive Risikoprämie erwirtschaftet wurde - ist es dann möglich, die Arbeitnehmer aus dem erhöhten Gewinn zusätzlich zu den eingesetzten Lohnanteilen mit einer entsprechenden Risikoprämie zu entlohnen. Die Einführung der Ertragsbeteiligung verlangt von den Arbeitnehmern somit nicht notwendigerweise einen Einkommensverzicht, sondern zunächst einen Verzicht auf Einkommenssicherheit. Die Lohnsteigerungen beziehen sich nach Abschluß der Beteiligungsregel auf die verminderte Kontraktlohnbasis, so daß die Arbeitnehmer folglich in jeder Periode einen Teil ihrer Nominallohnsumme unter Gewinnvorbehalt stellen. Ob allerdings dieser Verzicht auf Einkommenssicherheit auch mit einem tatsächlichen Einkommensverzicht verbunden ist, läßt sich erst ex post, also nach Feststellung des erwirtschafteten Gewinns, zuverlässig beurteilen. Prinzipiell gilt, daß bei Existenz einer positiven Risikoprämie auch das Gesamteinkommen der Arbeitnehmerhaushalte über dem entsprechenden Kontrakteinkommen liegt. Als Bezugsgröße der Ertragsbeteiligung stellt der Rat zwei Alternativen zur Diskussion7 : Zum einen den sog. "Normalgewinn" , der sich aus dem um einen kalkulatorischen Unternehmerlohn, eine kalkulatorische Eigenkapital-
4
Vgl. H. Albaeh, Erfahrungen im Sachverständigenrat, in: B. Gahlen / B. Meyer / J.
Schumann (Hrsg.), Wirtschaftswachstum, Strukturwandel und dynamischer Wettbewerb. Ernst
Helmstädter zum 65. Geburtstag, Berlin u. a. 1989. 5 Vgl. Sachverständigenrat, Ig. 1972/73, Tz. 501 ff. 6 Der Rat druckt sich an der entsprechenden Stelle des Jahresgutachtens 1972 mißverständlich aus, indern er als Bezugsgröße jene Lohnsteigerungsrate heranzieht, die " ...durch Tarifverhandlungen zustande käme". Würdigt man das Gewinnbeteiligungsmodell im Rahmen der Gesamtkonzeption des Rates, so kann es sich hierbei jedoch nur um den kostenniveauneutralen Lohnerhöhungsspielraum handeln. Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1972/73, Tz. 507. 7 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1972/73, Tz. 508; H. Tomann, Risikoübertragung als Mittel der Vennögenspolitik. Entscheidungsprobleme und gesamtwirtschaftliche Wirkungen, Köln 1975, S. 55 f.; O. Hühler, Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung der Arbeitnehmer. Zwei Vorschläge des Sachverständigenrates, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaften, Heft 2 (1977), S. 196 ff.
96
2. Kapitel: Modellexposition und kritische Würdigung
verzinsung8 sowie den eingesetzten Lobnanteil der Arbeitnehmer bereinigten Bilanzgewinn errechnet (vgl. Tabelle 8). Der Normalgewinn stellt damit den ökonomischen Gewinn, d. h. die Risikoprämie des Investors, dar. Alternativ hierzu stellt der Rat die Summe aus Risikoprämie und eingesetztem Lohnanteil als Bezugsgröße für eine Ertragsbeteiligung zur Diskussion; diese Größe bezeichnet der Rat als "gesamtes Residualeinkommen"9. Tabelle 8
Alternative Bezugsgrößen einer Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer Bilanzgewinn - kalkulatorischer Unternehmerlohn - Mindestverzinsung von Eigen- und Fremdkapital
gesamtes Residualeinkommen
- eingesetzter Lobnanteil der Arbeitnehmer
Normalgewinn Des weiteren geht der Rat davon aus, daß die Verteilung der Residualeinkommen Gegenstand der Tarifverhandlungen ist: "Man darf sich freilich nicht der Illusion hingeben, daß vom Sachverständigenrat oder sonst irgend einer Institution objektiv festgestellt werden könnte, wieviel Haftung seitens der Arbeitnehmer einer bestimmten Gewinnminderung der Kapitaleigner aus deren Sicht entspräche. Wie hoch die Beteiligung am Gewinn sein könnte, wie der Gewinn zu ermitteln wäre, wie hoch der Prozentsatz der Löhne zu sein hätte, dessen Wert in die Haftung einbezogen werden soll, das alles sind Fragen, die nur zum Teil durch Rahmengesetze geregelt werden könnten, in der Hauptsache aber
8 Der Sachverständigenrat spricht an der entsprechenden Stelle von einer Bereinigung um eine "gewisse Mindestverzinsung des Eigen- und Fremdkapitals", Sachverständigenrat, ]g. 1972173, Tz. 508. Da die Zinsaufwendungen für Fremdkapital bereits in die betriebliche Erfolgsrechnung eingehen und den ausgewiesenen ]ahresabschluß schmälern, stellt die Berücksichtigung der Fremdkapitalkosten bei der Berechnung des Normalgewinns eine Doppelzählung dieser Kostenkomponente dar; vg!. B. Molitor, Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung. Zum vermögenspolitischen Konzept des Sachverständigenrates, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 19. Jg (1974), S. 95, FN 8. 9 Diese Bezeichnung ist jedoch irreführend, da hier die Opportunitätskosten des Eigenkapitals - die kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung - sowie der kalkulatorische Unternehmerlohn nicht mehr enthalten sind.
B. Konstitutive Elemente des Modells
97
zwischen den Tarifpartnern in Ergänzung zu den Tarifabschlüssen, eventuell aber auf einer anderen Ebene, ausgehandelt werden müßten. " 10
Zur Illustration seiner Überlegungen schlägt der Rat einen eigenständigen Berechnungsmodus zur Bestimmung der Partizipationsanteile vor. ll Die Verteilung des ökonomischen Gewinns auf Arbeitnehmer und Kapitaleigner erfolgt dabei entsprechend der jeweiligen Risikoübernahme, vom Rat als "Haftungssummen" bezeichnet. Die Haftungssumme der Kapitaleigner entspricht dabei dem Eigenkapital der Unternehmung, die ArbeitnehmerHaftungssumme errechnet sich aus dem Produkt von eingesetzter Lohnsumme und durchschnittlicher Verweildauer der Arbeitnehmer im Betrieb. Hier unterlaufen dem Rat jedoch zwei gravierende methodische Fehler 12: Zum einen ist die Dauer der betrieblichen Zugehörigkeit eines Arbeitnehmers im Rahmen eines überbetrieblichen Ertragsbeteiligungsmodells irrelevant, da sich die Arbeitnehmer nicht durch Abwanderung in andere Unternehmen der Ertragsbeteiligungsregelung entziehen können 13 • Des weiteren ist die Kumulation der eingesetzten Faktorentgelte zur gewinnberechtigten Haftungssumme unzulässig, da die Anteilseigner ihre Kapitalanteile ebenfalls jährlich unter Gewinnvorbehalt stellen. Das Konzept der "ArbeitnehmerHaftungssumme " stellt letztlich eine - willkürliche - Erhöhung des Anteils der Arbeitnehmer am Unternehmensgewinn dar 14 . Diese Zusammenhänge sollen anband eines vom Rat entwickelten, ftktiven Rechenbeispiels verdeutlicht werden. In diesem Beispiel wird unterstellt, daß anstelle einer kostenniveauneutralen Tariflohnerhöhung von 9 vH lediglich 5 vH als vertraglich ftxiertes Lohneinkommen vereinbart werden, die restlichen 4 vH hingegen unter Gewinnvorbehalt gestellt werden. Geht man von einer Lohnsumme in Höhe von 500 Mrd. DM aus, so erhöht sich dieser Betrag somit nicht um 45 Mrd DM, sondern lediglich um 25 Mrd. DM; die ArbeitSachverständigenrat, Ig. IfJ72/73, Tz. 509. Vgl. Sachverständigenrat, Ig. 1fJ72/73 , Tz. 507 ff.; zur Interpretation vgl. H. Tomonn, Risikoübertragung als Mittel der Vermögenspolitik. Entscheidungsprobleme und gesamtwirtschaftliche Wirkungen, Köln u. a. IfJ75, 28 ff. sowie H. J. Barth, Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung, in: Der Arbeitgeber, Heft 8 (lfJ73), S. 352 ff. 12 Vgl. B. Gahlen / E. LeijJert, Die Vorschläge des Sachverständigenrats zur Einkommenspolitik, in: B. Gahlen / H. Hesse (Hrsg.), Wachstumszylden und Einkommensverteilung, Tübingen IfJ74, S. 110 f.; H. Tomonn, Risikoübertragung als Mittel der Vermögenspolitik. Entscheidungsprobleme und gesamtwirtschaftliche Wirkungen, S. 52 ff. 13 Vgl. H. Tomonn, Risikoübertragung als Mittel der Vermögenspolitik. Entscheidungsprobleme und gesamtwirtschaftliche Wirkungen, Köln u. a. IfJ75, S. 55. 14 Tomonn begründet den höheren Gewinnanteil der Arbeitnehmer mit dem höheren Risiko, ~s dem Arbeitnehmer bei einer Gewinnbeteiligung im Vergleich zum Beteiligungssparen zukommt. Aber auch wenn man der Gewinnbeteiligung ein höheres Risiko als einer Kapitalbeteiligung zuspricht, ergibt sich hieraus kein Anspruch auf einen höheren Gewinnanteil, da die Arbeitnehmeranteile aus Sicht der Unternehmung qualitativ mit Eigenkapitaleinlagen gleichzusetzen sind, die mit der marktiiblichen Risikoprämie zu entlohnen sind. 10 11
7A1thammer
98
2. Kapitel: Modellexposition und kritische Würdigung
nehmer setzen also 20 Mrd. DM unter Gewinnvorbehalt, erhalten dafür jedoch einen Anspruch auf Residualeinkommen. Da sich die folgenden Lohnsteigerungsraten auf eine verminderte Lohnsumme beziehen - 525 Mrd. DM statt 545 Mrd. DM -, setzen die Arbeitnehmer nach Abschluß der Ertragsbeteiligungsregelung stets einen bestimmten Prozentsatz des sonst möglichen Kontraktlohns unter Gewinnvorbehalt. Des weiteren geht der Sachverständigenrat von einem "Normalgewinn" in Höhe von 30 Mrd. DM aus; das "gesamte Residualeinkommen " beläuft sich demnach auf 50 Mrd. DM ("Normalgewinn" zuzüglich der eingesetzten Lohnsumme der Arbeitnehmer). Schließlich unterstellt der Rat eine gesamtwirtschaftliche Eigenkapitalsumme in Höhe von 500 Mrd. DM sowie eine durchschnittliche betriebliche Verweildauer der Arbeitnehmer von fünf Jahren, so daß sich für den "Normalgewinn" ein Verteilungsschlüssel von 5:1 errechnet. Vergleicht man in diesem Beispiel die Höhe des jeweiligen Gewinnanteils der Arbeitnehmer bei Variation des Gesamtgewinns, so zeigt sich eine deutlich höhere Elastizität des Arbeitnehmeranteils bei Variationen des Gewinns, sofern das "gesamte Residualeinkommen" als Bezugsgröße zugrundegelegt wird (vgl. Abbildung 10). Die Intention des Rates ist es offensichtlich, die Möglichkeit alternativer Rendite/Risikokombinationen aufzuzeigen, die eine Ausgestaltung des Beteiligungsmodells entsprechend der jeweiligen Präferenzordnung der Vertragsparteien ermöglicht. Da bei durchschnittlicher Gewinnentwicklung beide Modellvarianten zur gleichen Einkommenssumme der Arbeitnehmer führen, betrachtet der Rat beide Verteilungsmodalitäten als äquivalent; eine Annahme, die sich bei expliziter Analyse des Einkommensrisikos der Arbeitnehmer jedoch nicht aufrechterhalten läßt. Der ökonomische Gewinn (II) in einer Volkswirtschaft beträgt nach Abzug aller relevanten Kosten II = F(K,A) - wA - rK. Setzen die Arbeitnehmer einen Teil t des Lohns unter Gewinnvorbehalt, so erhöht sich der Gesamtgewinn auf II GB = F(K,A) - (1- t)wA - rK. Der durchschnittliche Arbeitnehmeranteil am Residualeinkommen setzt sich bei Beteiligung am Normalgewinn aus dem eingesetzten Lohnanteil sowie einem bestimmten Anteil eNG am ökonomischen Gewinn zusammen: (11.1)
Bei einer Beteiligung am gesamten Residualeinkommen erhalten die Arbeitnehmer einen höheren Anteil eRES an der Gewinngröße II GB : (11.2)
99
B. Konstitutive Elemente des Modells NormalJCWiDa
20
Abbildung 10: Arbeitnehmer-Ertragsanteile bei alternativ definiertem Verteilungsschlüssel
Wendet man das Sicherheitsäquivalent auf die entsprechenden Gewinnanteile an, so ergeben sich als Sicherheitsäquivalente für den Arbeitnehmeranteil am Normalgewinn (eNG) resp. am gesamten Residualeinkommen (e RES ): 2 = tA + E [ eNG·TI] -"'A - eNG VAR(TI)
(11.3)
eNG
(11.4)
e RES
2
= E[e
. TI ] - '" A e 2 VAR(TI). RES GB 2 RES Nun kann gezeigt werden, daß die Indifferenz des Rates beiden Verteilungsmodalitäten gegenüber implizit risikoneutrales Verhalten der Arbeitnehmer unterstellt; setzt man = 0, so setzt die Indifferenz zwischen beiden Verteilungsschlüsseln lediglich die Äquivalenz der erwarteten Einzahlungsströme voraus, mithin
"'K
(11.5) tA + E[ eNGTI] = E[ eREsTI GB ] ; diese Bedingung ist im Beispiel des Rates erfüllt 15 . Gibt man hingegen die unrealistische Annahme risikoneutralen Verhaltens seitens der Arbeitnehmer auf, so zeigt sich, daß stets der Norma1gewinn als Bemessungsgrundlage seitens der Arbeitnehmer vorgezogen wird, da hier bei gleichem Erwartungswert
IS
Im Beispiel des Rates ergibt sich fiir den erwarteten Anteil der Arbeitnehmer am Residu-
aleinkommen: tA + E[ 9 NG
n] = 20 + 0,16.30 = E[9 nOB ] = 0,5·50 = 25. REs
100
2. Kapitel: Modellexposition und kritische Würdigung
des Einkommens (im Beispiel des Rates 25 Mrd. DM) ein geringerer Risikoanteil auf den Arbeitnehmer entfällt l6 . 11. Haftungsanforderung und Konstruktion des Fondssystems
Mit seinem Ertragsbeteiligungsmodell unternimmt der Sachverständigenrat den Versuch, die Vermögensbildung breiter Bevölkerungsschichten durch Erhöhung der Sparfähigkeit der Arbeitnehmerhaushalte zu fördern; der Rat stützt sich hierbei auf die Erkenntnis der Theorie der Vermögenspolitik, wonach eine Vermögensumverteilung durch Förderung des Sparens aus gegebenem Einkommen allenfalls in unvertretbar langen Zeiträumen Erfolge zeitigen kann. 17 Da die Arbeitnehmer im Modell des Rates die Erhöhung ihres Einkommens durch die Übernahme von Einkommensrisiken erreichen sollen, die Fähigkeit zur Übernahme entsprechender Risiken, d. h. die Haftungsfähigkeit, jedoch ebenfalls als eine Funktion des Einkommens und Vermögens aufzufassen ist, ist zu fragen, inwiefern die Arbeitnehmer die mit einer Ertragsbeteiligung verbundenen Einkommensrisiken reduzieren können. 18 Aus diesem Grund fordert der Sachverständigenrat die Einschaltung eines überbetrieblichen Fonds 19, der die erwirtschafteten Arbeitnehmeranteile zusammenführt und entsprechend einem bestimmten Verteilungsschlüssel an die begünstigten Personengruppen ausschüttet20 . Mit der Zwischenschaltung dieses überbetrieblichen Fonds sind zwei Effekte verbunden: Zum einen ist es dem Arbeitnehmer möglich, das unternehmensspezifische Ertragsrisiko zu diversifIzieren. Starke Schwankungen einzelwirtschaftlicher Erträge können so ausgeglichen werden und es verbessert sich somit die Risikosituation aller Arbeitnehmer. Des weiteren werden Arbeitnehmer ertragsschwacher Unternehmen an den Gewinnen ertragsstarker Unternehmen beteiligt; es kommt zu einem Transfer der Residualeinkommen, was letztlich einem Solidarausgleich innerhalb des Fonds gleichkommt. Dabei ist dem Rat jedoch bewußt, daß das Ziel der Risikominimierung - d.h. die Nivellierung der Ertragsanteile - in 16 Dies gilt, solange die Haftungssurnme der Arbeitneluner geringer als das Eigenkapital der Untemelunen ist. 17 Vgl. E. Preiser, Wirtschaftspolitik heute. Grundprobleme der Marktwirtschaft, 2. Aufl., München 1969, S. 188 ff. 18 Eine unmittelbare Beschränkung der Arbeitnelunerhaftung ergibt sich im Modell des Sachverständigenrates bereits aus dem Konzept der Arbeitneluner-Haftungssumme; da die Arbeitneluner nur einen Teil ihres Kontrakteinkommens unter Gewinnvorbehalt stellen, jedoch mit einem Vielfachen dieses Einkommensanteils am Gewinn der Untemelunung beteiligt werden, ist die Haftungsanforderung bereits auf einen Bruchteil der gewinnberechtigten Haftungssumme beschränkt. 19 Die Notwendigkeit zur Errichtung eines überbetrieblichen Fonds zur Risikostreuung im Bereich der Vermögenspolitik wurde vom Sachverständigenrat bereits im Iahresgutachten 1968/69 begründet; vgl. Sachverständigenrat, Ig. 1968/69, Tz. 292. 20 Vgl. Sachverständigenrat, Ig. 1972173, Tz. 510.
B. Konstitutive Elemente des Modells
101
Konflikt mit dem wachstumspolitischen Ziel einer Steigerung der Arbeitsproduktivität steht. Er schlägt deshalb vor, im Auszahlungsmodus auch den erwirtschafteten Gewinn des Unternehmens zu berücksichtigen: "Die unternehmensindividuelle Gewinnkomponente dürfte '" nicht zu sehr außer acht gelassen werden, ... damit die Arbeitnehmer ein Interesse daran haben, daß ihr Unternehmen Gewinne erzielt. "21
m. Mittelverwendung und Kreis der Begünstigten Die Errichtung und Konstruktion eines überbetrieblichen Fonds ist zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, aber auch zwischen den politischen Parteien heftig umstritten22 • Bei der konkreten Ausgestaltung seines Fondsmodells versucht der Sachverständigenrat deshalb, einen Ausgleich zwischen den divergierenden Interessen herzustellen. Der einzurichtende Fonds ist hier ausschließlich als Clearingstelle konzipiert, um unterschiedliche Risiken zu poolen; hiermit wird der von den Gewerkschaften eingeforderten RisikodiversifIkation Rechnung getragen. Die zugeflossenen Mittel sind direkt an den begünstigten Personenkreis23 entsprechend der unter Gewinnvorbehalt gestellten Lohnsumme auszuschütten; es ist dem Fonds damit untersagt, eine eigenständige Anlagepolitik durchzuführen24 • Hier folgt der Sachverständigenrat der Argumentation der Arbeitgeber, wonach einem "Anlagefonds " langfristig eine wirtschaftspolitisch bedenkliche Machtposition zufallen würde. Die Vermögensbildung soll demnach auf individueller Ebene erfolgen. Hier sieht der Rat zunächst vor, daß der Arbeitnehmeranteilam Normalgewinn, also das additive Residualeinkommen, zur Vermögensbildung herangezogen wird. Da in diesem Fall das verfügbare Einkommen der Arbeitnehmer bei durchschnittlicher Ertragsentwicklung dem Einkommen bei reiner Nominallohnpolitik entspricht, wäre damit der Forderung nach einem "Sparen ohne
Vgl. ebenda. Vgl. die Zusammenstellung der unterschiedlichen vennögenspolitischen Ansätze in G. Halbach, Materialien zur Vennögensbildung in Arbeitnehmerhand. Thesen, Pläne, Gesetze. Vierte Folge: 1973 bis 1977, Bonn 1977. 23 Neben den Arbeitnehmern könnte der Personenkreis nach Ansicht des Rates auch Beschäftigte im öffentlichen Dienst umfassen, vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1972173, Tz. 510. 24 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1972173, Tz. 512. 21
22
102
2. Kapitel: Modellexposition und kritische Würdigung
Konsumverzicht" entsprochen. Um die gesetzten vermögenspolitischen Ziele schneller zu erreichen, schlägt der Rat alternativ dazu vor, das gesamte Residualeinkommen, also den Gewinnanteil sowie den eingesetzten Lohnanteil, zur Vermögensbildung heranzuziehen. In jedem Fall hält der Sachverständigenrat die gesetzliche oder tarifvertragliche Einführung bestimmter Sperrfristen für notwendig.
C. Modif'Ikationen des ErtragsbeteiligungsmodeUs im Jahresgutachten 197515 Das Modell einer Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung der Arbeitnehmer wurde in der Literatur überwiegend kritisch aufgenommen26 ; kritisiert wurden insbesondere die Berechnung des verteilungsfähigen Gewinns, die Verteilungsmodalitäten sowie die Haftungsbeschränkungen der Arbeitnehmer. Der Sachverständigenrat sah sich deshalb veranlaßt, bestimmte Modalitäten seines Ertragsbeteiligungskonzepts zu überarbeiten; die ModifIkationen betreffen insbesondere die Berechnung von Bemessungsgrundlage und Verteilungsschlüssel, die Haftungsanforderungen der Arbeitnehmer sowie die Konstruktion des Fondssystems. An der grundsätzlichen Vorgehensweise, die Arbeitnehmer durch Übernahme unternehmerischer Risiken an den Gewinnen und an der Vermögensbildung zu beteiligen, wird jedoch festgehalten. I. Der geänderte SteUenwert einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer
Die Änderungen der wirtschaftlichen Lage sowie die tiefgreifenden Änderungen im stabilitätspolitischen Konzept des Sachverständigenrates wirkten sich unmittelbar auf die Zielsetzungen und die Ausgestaltungsmerkmale des Ertragsbeteiligungskonzepts aus. Standen ursprünglich die einkommenspolitischen Wirkungen einer Substitution von Kontrakt- durch Residualeinkommen als Instrument zur Inflationsbekämpfung im Vordergrund, so rucken nun die
Vgl. Sachverständigenrat, Jg. I1J75176, Tz. 370 ff. sowie Jg. I1J76177, Tz. 361 ff. Vgl. O. Habler, Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung der Arbeitnehmer. Zwei Vorschläge des Sachverständigenrates, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaften, Heft 2 (11J77), S. 196 ff.; B. Molitor, Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung. Zum vermögenspolitischen Konzept des Sachverständigenrats, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 19. Jg. (11J74); H. Allekotte, Ökonomische Fata Morgana, in: Wirtschaftswoche, Nr. 27 vom 29. 06. I1J73. Eine grundlegende Kritik des vermögenspolitischen Ansatzes des Sachverständigenrats fIndet sich bei B. Gahlen / E. Leiffert, Die Vorschläge des Sachverständigenrats zur Einkommenspolitik, in: B. Gahlen (Hrsg.) , Wachstumszyklen und Einkommensverteilung, Tiibingen I1J74, sowie bei 1h. Delapina, Gewinnbeteiligung und Einkommensverteilung. Kritik des vermögenspolitischen Konzepts des deutschen Sachverständigenrates, in: Wirtschaft und Gesellschaft, Vol. 7 (1981), S. 329 ff. 2S 26
C. Modifikationen des Modells
103
beschäftigungspolitischen Effekte einer ertragsabhängigen Entlohnungsform in den Vordergrund: "Stabilitätspolitisch ist von Bedeutung, daß diese Übernahme von Einkommensrisiko das Risiko des Arbeitsplatzverlustes vennindert; Beschäftigungsrisiko wird in Einkommensrisiko umgewandelt ... 27
Die verstärkt beschäftigungspolitische Orientierung des Ertragsbeteiligungsmodells wirkt sich insbesondere auf die Konstruktion des Fondssystems sowie auf die Haftungsanforderungen der Arbeitnehmer aus; Überlegungen zur Diversiftkation der Einkommensrisiken aus Sicht der Arbeitnehmer treten dabei tendenziell hinter allokationstheoretische Überlegungen zurück. 11. Modif"Ikation einzelner ModeUkomponenten
Maßgebliche Bezugsgröße für die Gewinnbeteiligung ist nun nicht mehr der ökonomische Gewinn, sondern der steuerpflichtige Bilanzgewinn, bei Personengesellschaften und Unternehmen von Einzelkaufleuten um einen kalkulatorischen Unternehmerlohn bereinigt. Der Vorteil dieser Bezugsgröße ist, daß sie aus der Steuerbilanz unmittelbar entnommen werden kann und damit keiner Schätzung bedarf. Die Bezugsgröße besteht also aus dem ökonomischen Gewinn, der Eigenkapitalverzinsung sowie dem eingesetzten Lohnanteil der Arbeitnehmer (der kalkulatorischen "Verzinsung des haftenden "Arbeitsvermögens" der Arbeitnehmer"28 im Modell des Sachverständigenrates). Hoel und Moene sowie Wadhwani zeigen jedoch, daß eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Bilanzgewinn auch unter neoklassischen Annahmen die Faktorallokation tangiert. 29 Das Maximierungskalkül der Unternehmung lautet in diesem Fall: (11.6)
mit wr FK r
max [F(K,A) - wfA - rK] K,A
e[ F(K,A) - wfA - rFK],
ftxer Basislohnsatz = Fremdkapital = Zinskosten für Fremd- und Eigenkapital.
Sachverständigenrat, Jg. 1975/76, Tz. 370. Sachverständigenrat, Jg. 1975/76, Tz. 372. 29 Vgl. M. Hoel / K. O. Moene, Profit Sharing, Unions and Investments, in: Scandinavian Journal, ofEconomics, Vol. 90 (1988), S. 493 Cf.; S. B. Wadhwani, Profit-Sharing and Meade's Discriminating Labour-Capital Partnerships: A Review Article, in: Oxford Economic Papers, Vol. 39 (1987), S. 421 ff. 27
28
104
2. Kapitel: Modellexposition und kritische Würdigung
Die Maximierungsbedingung lautet für den Faktor Arbeit wiederum (1-8FKQ) FA (K,A) =;f; für den Faktor Kapital jedoch FK(K,A) = ( ) r, 1-8 wobei FKQ die Fremdkapitalquote angibt. Da der Term (1-8FKQ)/(1-8) > 1 ist, sieht sich die repräsentative Unternehmung durch die Einführung einer Gewinnbeteiligung gestiegenen Kapitalkosten gegenüber; sie wird demnach die Kapitalnachfrage einschränken. Daruberhinaus liefert die Ertragsbeteiligung einen Anreiz, die Fremdkapitalquote zu erhöhen, da sich dadurch die Kapitalkosten senken lassen; auch dieser Effekt steht in Widerspruch zu den wachstumspolitischen Zielen des Sachverständigenrates. Die Höhe des Ertragsbeteiligungssatzes ist in diesem Fall auch unter neoklassischen Annahmen nicht irrelevant: eine allokationsneutrale Ausgestaltung erfordert einen Ertragsbeteiligungssatz, der den Kapitalkosteneffekt gerade kompensiert. 30 Der Sachverständigenrat verzichtet in diesem Modell ebenfalls darauf, einen Berechnungsmodus für die gewinnberechtigte Lohnsumme der Arbeitnehmer anzugeben; der Verteilungsschlüssel ist damit Gegenstand der Tarifverhandlungen: "... der Prozentsatz der Lohnsumme, der gewinnberechtigt sein soll, (ist) Verhandlungsgegenstand ... und in seiner Höhe von einem anderen Verhandlungsgegenstand, nämlich der Höhe des einmaligen Verzichts auf einen Teil der Lohnsteigerung abhängig, die ohne Einführung der Gewinnbeteiligung marktgerecht gewesen wäre. "31 In einer exemplarischen Modellrechnung setzt der Rat hier einen Kapitalisierungsfaktor von zehn auf die unter Gewinnvorbehalt gesetzte Lohnsumme an32 . Bezüglich der Haftungsanforderungen an die Arbeitnehmer sieht das Konzept eine erhebliche ModifIkation vor: Verluste des Unternehmens werden nun im gleichen Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufgeteilt wie anfallende Gewinne. Die Haftungsbeschränkung der Arbeitnehmer besteht somit lediglich darin, daß Verlustanteile von den Arbeitnehmern nicht direkt auszugleichen sind, sondern mit zukünftigen Gewinnanteilen verrechnet werden. Der Haftungsunterschied zwischen Eigenkapital und den Arbeitnehmeranteilen beschränkt sich damit auf die Tatsache, daß das gesamte Haftungspotential der Arbeitnehmer nicht in einer Periode in Anspruch genommen werden kann. 30
Der allokationsneutrale Gewinnbeteiligungsparameter lautet:
9-
t
- [F(K,A)-AW'A-''''
31
J
-.=----=---~
wobei t den unter Gewinnvorbehalt gesetzten Lohnantcil der Arbeitnehmer angibt. Sachverständigenrat, Jg. IfTl6177, Tz. 374.
C. Modifikationen des Modells
105
Als haftende Basis der Kapitaleigner wird die Höhe des Eigenkapitals, mindestens jedoch das Achtfache des auf die Kapitaleigner entfallenden durchschnittlichen Gewinns der letzten fünf Jahre angesetzt. Der Ansatz des kapitalisierten Durchschnittsgewinns als Untergrenze des Haftungspotentials der Kapitaleigner ist dabei als Approximation des Marktwerts der Unternehmung anzusehen und soll eine Unterbewertung jener Kapitaleinlagen verhindern, die in Unternehmen mit hohen stillen Reserven getätigt werden. Der ausgewiesene Gewinn ist dabei um die Einlage der Arbeitnehmer zu bereinigen, um die Haftungssumme der Kapitaleigner nach Einführung der Ertragsbeteiligung nicht zu überzeichnen33 . Des weiteren rückt der Rat von der Idee eines zentralisierten, gesamtwirtschaftlichen Aufbringungsfonds ab; die Gewinnanteile der Arbeitnehmer sind nun vom Betrieb je zur Hälfte unmittelbar an den Arbeitnehmer auszuschütten sowie an einen entsprechenden Branchenfonds abzuführen, wobei sich der Gewinnanteil des Arbeitnehmers nach dem individuellen Anteil an der gewinnberechtigten Lohnsumme richtet34 . Diese verstärkt betrieblich orientierte Ertragsbeteiligung erhöht das Gesamtrisiko der Arbeitnehmer, da einerseits keine vollständige DiversifIkation des Risikos erfolgt und somit der individuelle Gewinnanspruch größeren Schwankungen unterworfen ist, und andererseits Einkommens- und Beschäftigungsrisiken beim einzelnen Arbeitnehmer kumuliert werden. Diese ModifIkation des Fondssystems erklärt sich unmittelbar durch das geänderte beschäftigungspolitische Konzept des Sachverständigenrates: Die hier gewählte Form eines nach Branchen gegliederten Fondssystems vermeidet die mit einem gesamtwirtschaftlichen Autbringungsfonds verbundene Tendenz zur Nivellierung der intersektoralen Struktur der Arbeitnehmerentgelte und fördert damit die Mobilitätsbereitschaft der Arbeitnehmer aus strukturschwachen Branchen in ertragsstarke Wirtschaftszweige;
Vgl. Sachverständigenrat, Jg. IfJ75176, Tab. 31, S. 151. Dieser Aspekt wurde bei der Kritik des Ertragsbeteilgungsmodells durch Hübler nicht berücksichtigt; vgl. O. Hübler, Gewinnbeteiligung bei begrenzter Haftung der Arbeitnehmer. Zwei Vorschläge des Sachverständigenrates, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaften, Heft 2 (1fJ77), S. 211; vgl. aber auch Sachverständigenrat, Jg. IfJ75176, Tz. 371 b). 32 33
106
2. Kapitel: Modellexposition und kritische Würdigung
damit unterstützt diese Fondskonstruktion die Indikationsfunktion der Arbeitnehmereinkommen und leistet einen verstärkten Beitrag zur Reduktion struktureller Arbeitslosigkeit35 .
D. Aktuelle Entwicklungen im vermögenspolitischen Konzept des Sachverständigenrates Der Sachverständigenrat hat im Laufe seiner gutachterlichen Tätigkeit verschiedentlich auf sein Modell einer Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer verwiesen. 36 Insbesondere hinsichtlich der Tarifpolitik in den neuen Bundesländern, die sich in besonderem Maße mit den Problemen eines schwer zu prognostizierenden wirtschaftlichen Umfelds sowie einer zwischen stabilitätsund verteilungspolitischen Zielsetzungen stehenden Lohnpolitik konfrontiert sieht, stellt der Rat einen weiteren einkommenspolitischen Vorschlag in den Raum: "Denkbar wäre auch eine Kombination niedriger allgemeiner Tariflohnsteigerungen mit der Vereinbarung eines gewinnabhängigen Lohnzuschlags. Die Tarifvertragsparteien könnten den Unternehmen ihres Bereichs anbieten, zwischen zwei Alternativen zu wählen: einer höheren Tariflohnsteigerungsrate ohne Gewinnzuschlag und einer niedrigeren Tariflohnsteigerungsrate mit einem auf betrieblicher Ebene auszuhandelnden ertragsabhängigen Lohnzuschlag. -37
Die hier bereits andeutungsweise erkennbare, verstärkt betriebliche Ausgestaltung des Ertragsbeteiligungskonzepts wird im folgenden Jahresgutachten noch deutlicher herausgearbeitet: "Die Ausgestaltung der Beteiligung, ob am Gewinn ausgerichtet oder als Investivlohn, können die Tarifvertragsparteien selbst finden. Folgendes ist dabei jedoch zu beachten. Zum einen kann Lohnzurückhaltung in Verbindung mit Gewinn- oder Vermögensbeteiligung zwar die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß Arbeitsplätze erhalten werden. Dies läßt sich aber nicht mit Sicherheit erreichen. Beteiligungsformen können deshalb nicht mit einer formalen Arbeitsplatzgarantie verbunden sein. Zum anderen folgt aus der Sondersituation Ostdeutschlands mit unterschiedlicher Leistungskraft in den einzelnen Betrieben, daß Beteiligungen nicht gesamtwirtschaftlich und auch nicht branchenmäßig zu organisieren, sondern auf das einzelne
Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1975/76, Tz. 370. Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1978/79, Tz. 401; Jg. 1979/80, Tz. 345; Jg. 1981182, Tz. 338; Jg. 1982/83, Tz. 231 bis Tz. 234; Jg. 1988/89, Tz. 347; Jg. 1989/90, Tz. 355 ff.; Jg. 1990191, Tz. 421 und 431; Jg. 1991/92, Tz. 386; Jg. 1992/93, Tz. 404. 37 Sachverständigenrat, Jg. 1991192, Tz. 379. 35
36
E. Schätzung der Einkommensumverteilungseffekte
107
Unternehmen oder sogar Teile eines Unternehmens zu beziehen sind. Fondslösungen sind deshalb problematisch. -38
Die Begründung für die ablehnende Haltung des Rates überbetrieblichen Modellen gegenüber ist jedoch im Fall der Ertragsbeteiligung nicht stichhaltig, da sich in diesem Fall die Anteile der Arbeitnehmer und damit die Kostenbelastung der Unternehmen flexibel an die jeweilige Ertragslage anpassen. Darüberhinaus ist gerade im Fall der neuen Bundesländer die Diversifikation einzelwirtschaftlicher Risiken für die Akzeptanz einer ertragsabhängigen Entlohnung des Faktors Arbeit von besonderer Bedeutung, da hier der Ertragswert der Unternehmen und damit der Gewinnanteil der Arbeitnehmer mit einem sehr hohen Maß an Ungewißheit behaftet sind.
E. Schätzung der Einkommensumverteilungseffekte An dieser Stelle ist es von Interesse, sich einen Eindruck von den zur Diskussion stehenden gesamtwirtschaftlichen Größenordnungen sowie von den tendenziellen Einkommenswirkungen der hier referierten Modellalternativen zu verschaffen. Die Berechnungen basieren auf den Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Der gesamtwirtschaftliche Gewinn wird dabei entsprechend der Vorgehensweise des Sachverständigenrates bei der Berechnung der Gewinn-Erlös-Relation ermittelt, d. h. es werden vom Produktionsergebnis (Bruttoinlandsprodukt zuzüglich ausländischen Vorleistungen) die Kosten für die Faktoren Arbeit, Kapital sowie für ausländische Vorleistungen abgezogen und um staatliche Aktivitäten (indirekte Steuern zuzüglich Subventionen) bereinigt. Die Kapitalkosten ergeben sich dabei aus dem Produkt von (um kurzfristige Schwankungen bereinigter) Umlaufrendite und der Summe aus Anlage-, Vorrats- und Geldvermögen der Unternehmen39 ; eine kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung ist damit bereits berücksichtigt, so daß der hier ausgewiesene Gewinn dem ökonomischen Gewinnbegriff weitgehend entspricht. Um den entsprechenden Jahresüberschuß abzuschätzen, werden zu dieser Gewinngröße die kalkulatorischen Eigenkapitalkosten addiert, hier berechnet als Produkt aus Gesamtkapital der Unternehmen, durchschnittlicher Eigenkapitalquote und Fremdkapitalzins. Die Ergebnisse sind in Tabelle 9, Seite 110, Spalte 2 und 3 wiedergegeben.
38 Sachverständigenrat, Jg. 1992/93, Tz. 404. Diese Aussagen beziehen sich allerdings sowohl auf Ertragsbeteiligungen als auch auf die mittlerweile wieder verstärkt diskutierten investivlöhne als Instrumente der Lohn- und Vermögenspolitik. 39 Im Jahresgutachten 1992/93 weist der Sachverständigenrat den Vermögensbestand der Unternehmen ohne Geldvermögen aus; aus Konsistenzgründen wird hier jedoch weiterhin das gesamte Geldvermögen dem betriebsnotwendigen Vermögen zugerechnet.
108
2. Kapitel: Modellexposition und kritische Würdigung
Der Anteil der Arbeitnehmer wird dabei - trotz der o. a. methodischen Bedenken - entsprechend der Vorgehensweise des Rates ermittelt. Bezüglich des Konzepts des Jahres 1972 ergibt sich die Haftungssumme der Arbeitnehmer aus der mit dem Faktor fünf kapitalisierten, unter Gewinnvorbehalt gestellten Lohnsumme (hier 4% der Bruttolohn- und Gehaltssumme des Jahres 1972); das Eigenkapital wurde durch Multiplikation des in der Gewinn-Erlös-Relation ausgewiesenen Gesamtkapitals sowie der durchschnittlichen Eigenkapitalquote ermittelt. Der Ertragsanteil der Arbeitnehmer resultiert aus der Aufteilung des ökonomischen Gewinns im Verhältnis der Arbeitnehmer-Haftungssumme zu eingesetztem Eigenkapital. Im Rahmen des Konzepts des Jahres 1975 ergibt sich die ArbeitnehmerHaftungssumme aus der mit dem Faktor 10 multiplizierten eingesetzten Lohnsumme (hier 2% der Bruttolobn- und Gehaltssumme des Jahres 1975), Die Beteiligung der Arbeitnehmer erfolgt nun am Jahresüberschuß, der durch Addition der geschätzten Eigenkapitalkosten zum Gewinn ermittelt wird. Folgende Ergebnisse sind festzuhalten: Da mit Ausnahme der Rezessionsjahre 1981 und 1982 in allen betrachteten Jahren eine positive Risikoprämie erwirtschaftet wurde40 , liegt in beiden Modellvarianten ein positiver Umverteilungseffekt zugunsten der Arbeitnehmer vor. Der Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen erhöht sich nach Einführung der Ertragsbeteiligung von durchschnittlich 82,77% um ca. einen Prozentpunkt. Sowohl das nominale als auch das reale Arbeitnehmereinkommen entwikkelt sich nach Einführung einer Gewinnbeteiligungsregel unstetiger als die entsprechende Bruttolohn- und Gehaltssumme. 41 Der einkommenspolitische Effekt einer Gewinnbeteiligung ist folglich mit einem höheren Maß an Einkommensrisiko verbunden. Im Gegensatz zur Einkommensentwicklung stabilisiert die Koppelung der Arbeitsentgelte an die Entwicklung der Erlöse die "Arbeitseinkommensquote ", also den Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen. Dies läßt 40 Die Risikoprämie je eingesetzter Kapitaleinheit - die Eigenkapitalrendite - ist allerdings bis 1982 rückläufig und erreichte erst im Jahr 1987 die Werte der frühen 70er Jahre. Die Zahlenangaben beziehen sich wiederum auf die Daten vor der siebten Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen; neueren Berechnungen zufolge wäre im Rezessionsjahr 1982 die gesamtwirtschaftliche Risikoprämie negativ ausgefallen; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1991/92, Schaubild 15, S. 93. 41 Der VariationskoeffIzient beträgt für die Bruttolohn- und Gehaltssumme 22,24% (nominal) bzw. 9,75% (real), für das Arbeitnehmereinkommen entsprechend der Ertragsbeteiligungsregel 1972 22,79% (nominal) resp. 10,4% (real) sowie 22,74% (nominal) bzw. 10,34% (real) entsprechend der Beteiligungsregel 1975.
E. Schätzung der Einkommensumverteilungseffekte
109
sich an den jeweiligen relativen Extremwerten der Arbeitseinkommensquote vedeutlichen: Nahm der Anteil der Arbeitseinkommen ohne Gewinnbeteiligung in den expansiven Jahren 1972 bis 1975 um ca. 3,4 Prozentpunkte zu, so liegt der entsprechende Anstieg bei einer Ertragsbeteiligungsregelung mit ca. 2,2 Prozentpunkten deutlich darunter; während die Arbeitseinkommensquote im Jahr 1975 noch zunimmt, ist der entsprechende Arbeitnehmeranteil bei Ertragsbeteiligung bereits rückläufig. Ähnliche stabilisierende Effekte lassen sich für die rezessive Phase der Jahre 1981/82 und für die Phase wirtschaftlicher Erholung ab 1985 feststellen.
(2)
43,2 38,2 20,1 9,8 26,5 32,0 47,9 55,2 25,3 -0,1 -13,7 14,7 23,6 35,7 65,1 71,9 96,0 95,8 96,5 81,9
(1)
IfJ72 IfJ73
1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991
IfJ75 IfJ76 IfJ77 IfJ78 IfJ79
1974
Gewinn
Jahr
59,6 66,3 82,7 91,9 64,3 42,7 28,4 57,9 68,9 82,3 113,4 121,1 146,2 148,5 156,0 145,6
(3)
288,6 323,7 350,1 356,6 383,7 413,7 440,3 476,7 518,2 540,7 553,0 558,6 578,7 600,4 630,6 655,1 683,2 718,9 780,5 852,5
(4)
5fJ7,2
583,7 590,6 600,4 631,2 654,5 673,8 690,0 729,5 770,1
515,3 540,4 546,1 525,2 542,0 563,6 583,9 607,3 625,8 614,4
(5)
real
summe
überschuß
nominal
Bruttolohn-und Gehalts-
Jahres-
82,74 83,53 86,04 86,17 84,15 84,48 83,28 83,23 85,84 86,83 86,96 84,38 82,92 82,36 81,28 81,63 80,30 78,94 78,37 79,39
(6) 298,8 333,1 355,1 359,0 390,4 421,7 452,5 491,2 525,2 540,7 553,0 562,9 585,4 610,0 647,5 673,4 707,5 743,3 805,2 874,7
(7)
5fJ7,2
588,1 597,3 610,1 648,2 672,7 697,7 713,4 752,5 790,2
533,6 556,2 554,0 528,7 551,4 574,6 600,1 625,8 634,3 614,4
(8)
real
81,fJ7
80,52 79,84 80,63
84,61 85,07 86,80 86,51 85,03 85,47 84,67 84,75 86,54 86,83 86,96 84,75 83,48 83,14 82,56 82,95
(9)
vH
nominal
vH
Arbeitnehmerquote
einkommen
Arbeitnehmer-
Ertragsbeteiligungsmodell 1fJ72
quote
nehmer-
Arbeit-
391,0 422,7 452,7 491,5 525,6 542,1 550,3 564,5 587,1 611,4 648,9 673,4 706,6 742,2 806,3 874,4
(10)
nominal
552,2 575,8 600,4 626,1 634,8 616,1 594,3 589,9 599,1 611,4 649,6 672,8 696,8 712,2 753,5 789,9
(11)
real
einkommen
Arbeinehmer-
86,70 84,90 83,62 83,25 82,66 82,95 81,91 80,44 79,91 80,62
86,fJ7
85,11 85,59 84,70 84,78 86,58
(12)
vH
quote
Arbeitnehmer-
Ertragsbeteiligungsmodell 1fJ7 5
Einkommenspolitische Effekte einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer
Tabelle 9
CI
Jil
=
ciQ"
~
...=:Q.
'"
g.
e:
...11'1"
Q.
§
ö"
'"="
~
~ n
~
[
~
!'l
(5
Drittes Kapitel
Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen einer Gewinnbeteiligung im Konzept des Sachverständigenrates Obgleich der Sachverständigenrat im Zuge der Neuformulierung seines stabilitätspolitischen Konzepts bereits im Jahresgutachten 1975/76 neben den verteilungspolitischen Wirkungen einer Gewinnbeteiligung explizit auf die positiven Beschäftigungswirkungen ertragsabhängiger Entlohnungsformen verweist 1, blieb die Vermögenspolitik: als Instrument einer aktiven Stabilisierungspolitik: in der Literatur lange Zeit weitgehend unbeachtet2 . Eine intensive Diskussion der makroökonomischen Stabilisierungseigenschaften ertragsabhängiger Entlohnungsformen erfolgte erst im Rahmen der von M. L. Weitzman ausgelösten Kontroverse3 ; aufgrund des weitgehend identischen Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1m5176, Tz. 370; O. Sievert / H. Tomann, Allocational Aspects of Profit-Sharing, in: H. Sauermann / R. Richter (Hrsg.), Profit-sharing: a symposium, Tübingen 1m7, S. 19 ff., sowie H. Tomann, Risikoübertragung als Mittel der Vermögenspolitik: Entscheidungsprobleme und gesamtwirtschaftliche Wirkungen, Köln 1m5, der sich auf den Seiten 95 ff. mit den Stabilisierungswirkungen des vorn Sachverständigenrat erarbeiteten Ertragsbeteiligungskonzepts beschäftigt. 2 Aus stabilitätspolitischer Perspektive wurden vermögenspolitische Maßnahmen insbesondere als Instrument zur Vermeidung von verteilungskonfliktbedingten Stabilisierungskrisen angesehen. Eine aktive Stabilisierungspolitik wurde allenfalls im Rahmen einer antizyklisch agierenden staatlichen Sparförderung diskutiert; vgl, R. Kurz / L. Rall, Probleme einer konjunktur- und vermögenspolitisch optimalen Sparquote, Gutachten im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft, Tübingen 1980. 3 Ausgangspunkt der Diskussion waren die einschlägigen Publikationen Weitzmans: Some Macroeconomic Irnplications of Alternative Compensation Systems, in: Tbe Economic Journal, Vol. 93 (1983), S. 763 ff., Tbe Simple Macroeconomics of Profit Sharing, in: Tbe American Economic Review, Vol. 75, No. 5 (1985), S. 937 ff., Steady State Unemployment under Profit Sharing, in: Tbe Economic Journal, Vol m (1987), S. 86 ff. sowie die eher populärwissenschaftliche Monographie Tbe Share Economy. Conquering Stagflation, Carnbridge 1984; deutsch: Das Beteiligungsmodell. VoUbeschäftigung durch flexible Löhne, aus dem Amerikanischen von G. v. Rabenau, Frankfurt 1987. Die hieran anschließende Diskussion ist mittlerweile unüberschaubar; vgl. zusammenfassend F. Cugno / M. Ferrero, Share Systems and Unemployment. A Tbeoretical Analysis, HoundrniUs 1991 sowie Chr. Schares, Gewinn- und Kapitalbeteiligung von Arbeitnehmern - Ein Überblick über neuere Forschungsergebnisse, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 42. Jg. (1993), Heft 2, S. 179-215 sowie die dort angegebene Literatur.
112
3. Kapitel: Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen
Analyserahmens ist diese Diskussion für die beschäftigungspolitischen Wirkungen einer gewinnabhängigen Entlohnungsform im Rahmen der Sachverständigenratskonzeption von unmittelbarer Relevanz.
A. BeschäftigungsetTekte ertragsabhängiger Entlohnungsformen im Konzept des Sachverständigenrates I. Angebotsseitige Wirkungen einer Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer
1. Darstellung der angebotspolitischen Effekte Die beschäftigungspolitischen Effekte einer ertragsbezogenen Entlohnung des Faktors Arbeit lassen sich anschaulich am Grundrnodell des neoklassischen Arbeitsmarktes zeigen. Unterstellt man die Marktform monopolistischer Konkurrenz auf dem Gütermarkt, so resultiert aus dem gewinnmaximierenden Verhalten des repräsentativen Unternehmens eine Entlohnung des Faktors Arbeit unterhalb seines Wertgrenzprodukts; für die Faktornachfrage ergibt sich unter Berücksichtigung der Amoroso-Robinson-Relation: (III.I)
8V ~ 1+-I] BA - P
--
T]y,p'
wobei
8Y 8A T]y,p
physisches Grenzprodukt des Faktors Arbeit Preiselastizität der Nachfrage.
Die Vollbeschäftigungsbedingung erfordert einen Nominallohnsatz, bei dem das Grenzerlösprodukt, also das Produkt aus Grenzerlös und physischem Grenzprodukt, das Faktorangebot vollständig ausschöpft. Akzeptiert man ein zu hohes Reallohnniveau als adäquate Problembeschreibung auf dem Arbeitsmarkt, so tendiert eine zurückhaltende Nominallohnpolitik unter den gesetzten neoklassischen Prämissen stets zur Vollbeschäftigung.4 Unterstellt man weiterhin eine kurzfristig asymmetrische Reaktion des Nominallohnsatzes auf Variationen des Grenzerlöses, so führt eine nicht antiztipierte Reduktion der 4 Voraussetzung ist wiederum eine preisniveauelastische gesamtwirtschaftliche Gütemachfrage, da im Fall keynesianischer Arbeitslosigkeit der Mengeneffekt eines Rückgangs der Faktorgrenzausgabe von einer betragsmäßig identischen Reduktion des Grenzerlöses vollständig kompensiert wird; der Erlöszuwachs eines zusätzlich eingestellten Arbeitnehmers wäre in diesem Fall gleich Null.
A. Beschäftigungseffekte ertragsabhängiger Entlohnungsformen
113
Gütemachfrage ZU kombinierten Preis- Mengenvariationen, die unfreiwillige Arbeitslosigkeit generiert. Bei ertragsabhängiger Entlohnung des Faktors Arbeit zerfällt nun das Arbeitseinkommen Einkommen in eine fIxierte Basislohnkomponente w r sowie einen Anteil am Ertrag des Unternehmens, so daß sich die Gesamtkompensation der Arbeitnehmer in einer Beteiligungsökonomie (WOB) folgendermaßen zusammensetzt: (111.2)
WOB
-
= wr +9
[P(y). Y(A)-;rA].
A Langfristig, d. h. bei variablem Ertragsanteil 9 und flexibler Basislohn-
summe wr, muß die Gesamtkompensation des Faktors Arbeit den Opportunitätskosten dieses Faktors entsprechen; Ertragsbeteiligungssystem und traditionelle Lohnökonomie generieren damit ebenfalls identische Allokationen:
"All compensation systems have the same long run equilibra. "5 Durch die partielle Substitution des fIxierten Nominallohnes durch Gewinneinkommen verringert sich der kontraktbestimmte Entlohnungssatz auf wr; das Maximierungskalkill der repräsentativen Unternehmung lautet nun unter Berücksichtigung der Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer: (111.3) mit wr
9
=
P(Y) Y(A) =
Fixe Basislohnkomponente Ertragsbeteiligungsparameter Preis-Absatzfunktion
Im Gewinnmaximum gilt somit: (1II.4)
ay = ;r aA P
[1+_1], Tly,p
Hieraus wird ersichtlich, daß die repräsentative Unternehmung ihre Beschäftigungsentscheidung anband der verringerten Basislohnkomponente w r ausrichtet; die Arbeitsnachfrage ist dabei insbesondere unabhängig vom Er5 M. L. WeitvTUln, Some MacroecollOmic Implications of Alternative Compensation Systems, in: The Economic Journal, Vol. 93 (1983), S. 773 (Hervorhebung im Orig.). 8 A1tbammer
114
3. Kapitel: Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen
tragsbeteiligungsparameter S, so daß die Reduktion des tarifvertraglich fiXierten Nominallohnsatzes vollständig beschäftigungswirksam wird. Bei hinreichend geringer Basislohnkomponente besteht dann ein Nachfrageüberschuß
-.-
auf dem Arbeitsmarkt (A -S in Abbildung 11 b, Seite 115)6:
HIn the lo.ng run, share firms equilibrate at po.sitive excess demand fo.r labo.ur while wage firms equilibrate at zero. excess demand fo.r labo.ur. '07 Neben der Möglichkeit des Abbaus lohnniveaubedingter Arbeitslosigkeit erweist sich ein ertragsabhängiges Entlohnungssystem aufgrund seines inhärenten Stabilisierungsautomatismus herkömmlichen Festlohnsystemen überlegen: Eine nicht-antizipierte Änderung der Nachfrage nach Arbeit, die sich graphisch in einer Verschiebung der Preis-Absatz-Funktion und der Grenzerlösfunktion ausdrückt, führt im Fixlohnsystem aufgrund des fehlenden Preismechanismus am Arbeitsmarkt nur zu geringen Preisvariationen und schlägt sich insbesondere in einer Änderung des Beschäftigungsgrades nieder (Reduktion der Beschäftigung von A * auf A' bei Variation des Preisniveaus von P auf P' in Abbildung 11 a). Bei einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer ist die Gesamtentlohnung des Faktors Arbeit, also kontraktbestimmter Basislohnsatz zuzüglich des eingesetzten Lohnanteils der Arbeitnehmer, eine Funktion des Gewinns und damit auch kurzfristig - d. h. bei gegebener Fixlohnkomponente Wf und gegebenem Ertragsbeteiligungsparameter S - in Höhe des Ertragsanteils flexibel. Nicht-antizipierte Änderungen des Grenzerlöses des Faktors Arbeit schlagen sich in diesem Fall nicht mehr in Mengenvariationen am Arbeitsmarkt nieder, sondern es erfolgt ein Abbau der Überschußnachfrage am Arbeitsmarkt sowie ein Absinken der Güterpreise und des Ertragsanteils der Arbeitnehmer bei konstanter Produktions- und Beschäftigungsmenge; der Beschäftigungsgrad stabilisiert sich demnach aufgrund einer quasi-flexiblen Entlohnung des Faktors Arbeit. Der hier postulierte inhärente Stabilisierungsautomatismus ist auch das zentrale Ergebnis der Weitzman'schen Analyse ertragsabhängiger Entlohnungsformen:
A share system maintains Jull employment while reacting to. small disturbances . A wage system respo.nds to. deftatio.nary sho.cks Uy creating unemployment in the short run. "8
6 Diese Darstellung wurde übernommen von K. W. Rothschild, Is there a Weitzman miracle? in: Journal of Post-Keynesian Economies, Vol. 9 (1986), S. 200. 7 Ebenda, S. 774.
A. Beschäftigungseffekte ertragsabhängiger Entlohnungsfonnen
115
a) Bei inflexiblen Nominallöhnen OK
W,P
p.
P' W· ~------~~--~
Y,A
b) Bei einer ertragsabhängigen Entlohnung der Arbeitnehmer W,P
OK
p.
P'
Wfr-------------+ Y,A
Abbildung 11: Preis- Mengenkombination am Arbeitsmarkt bei Variation der aggregierten Nachfrage
M. L. Weitvnan, Some Macroeconomic Implications of Alternative Compensation Systems, in: The Economic Journal, Vol. 93 (1983), S. 775 (Hervorhebung im Orig.).
116
3. Kapitel: Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen
Im Rahmen der Weitzman'schen Analyse beruhen die beschäftigungspolitischen Effekte auf dem neoklassischen Preismechanismus am Arbeitsmarkt, der über den Ertragsbeteiligungsparameter wirksam wird: "What he (Weitzman, Anm. d. Verf.) in fact does is to introduce the required wage flexibility by the back door."9 Zusätzliche Beschäftigungseffekte können sich ergeben, sofern mit der Einführung einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer die durchschnittliche Arbeitsproduktivität steigt. Produktivitätssteigernde Effekte gewinnabhängiger Entlohnungsformen werden in der Literatur überwiegend auf einzelwirtschaftlicher Ebene im Zuge einer erhöhten IdentifIkation der Arbeitnehmer mit ihrem Betrieb sowie verstärkten Anreizmomenten der Arbeitnehmer zugeschrieben, deren Einkommen nun unmittelbar vom wirtschaftlichen Ertrag des arbeitgebenden Unternehmens abhängt 10. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive führt die investive Anlage der Ertragsanteile - unter Beibehaltung des optimalen Investitionsplans durch die bisherigen Kapitaleigner - zu einem höheren Kapitalstock, wodurch unter Zugrundelegen einer neoklassischen makroökonomischen Produktionsfunktion auch die Produktivität des Faktors Arbeit ansteigtll. Beschäftigungsfördernde Effekte zeitigt ein verstärkter Kapitaleinsatz durch die Erhöhung der Grenzproduktivität der Arbeit, die - bei konstantem Faktorpreisverhältnis - eine höhere Produktionsmenge und dadurch eine höhere Einsatzmenge aller Faktoren ermöglicht.
2. Kritische Würdigung der Ergebnisse Gegen die hier abgeleiteten angebotspolitischen Wirkungen einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer sind verschiedene Einwände vorgebracht worden, die die Realisierungschancen sowie die postulierte Allokationsneutralität dieses Instruments in Frage stellenl2 . Aus evolutionstheoretischer Sicht stellt 9 K. W. Rothschild, Is there a Weitzman miracle?, in: Journal of Post-Keynesian Economies, Vol. 9 (1986), S. 207. 10 Eine Zusammenfassung der Ziele betrieblicher Vermögensbildung fmdet sich bei R. Luig, Vermögenspolitik in der Wettbewerbswinschaft, Tübingen 1980, S. 23 f.; vgl. hierzu auch S. Estrin u. a., Profit-sharing and employee share ownership, in: Economic Policy (1987), S. 13 ff. Eine empirische Schätzung der einzelwirtschaftlichen Produktivitätseffekte ertragsabhängiger Entlohnungsformen für Westdeutschland fmdet sich bei J. Gable / N. Wilson, Profit Sharing and Productivity: Some further Evidence, in: The Economic Journal, Vol. 100 (1990), S. 550 ff. 11 Die Annahme einer neoldassischen Produktionsfunktion implizien eine stetige und zweimal differenzierbare Funktion mit positiven ersten sowie negativen zweiten Ableitungen. Darüberhinaus existieren positive Kreuzableitungen, d. h. F K A(K,A) < 0, so daß mit steigender Einsatzmenge eines Faktors die Grenzproduktivität des anderen Faktors zunimmt. Die bislang unterstellten Funktionen vom CES- bzw. Cobb-Douglas-Typ weisen diese Eigenschaften auf; vgl. W. Krelle, Produktionstheorie, Tübingen 1969, S. 142 ff. 12 Im Rahmen der mikroökonomischen Partialanalyse sind die Wirkungen einer Gewinnbeteiligung äquivalent einer reinen Gewinnsteuer und damit stets allokationsneutra1; vgl. N. Andel,
A. Beschäftigungseffekte ertragsabhängiger Entlohnungsformen
117
eine Beteiligung der Arbeitnehmer am ökonomischen Gewinn eine Besteuerung des Schumpeterianischen Unternehmers dar 13 • Sofern der ökonomische Gewinn eines Unternehmens bzw. das Gewinngefälle einer Branche nicht als bloßes Residuum interpretiert wird l4 , sondern - entsprechend des vom Sachverständigenrat vertretenen Leitbilds dynamischen Wettbewerbs - als zentrale Determinante innovatorischer und diffundierender Prozesse in einer Ökonomie, kann die Einführung einer Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer langfristig mit Wachstums- und Beschäftigungseinbußen verbunden sein. Durch die Abschöpfung eines Teils der Differentialrenditen sinkt der Absolutwert des Stückgewinns je Ausbringungseinheit einerseits sowie das Gewinngefalle zwischen den Produzenten auf einem Markt andererseits, da von einer Ertragsbeteiligung ausschließlich die intramarginalen Anbieter in Abhängigkeit von ihrer Kostenstruktur betroffen sind Akzeptiert man den Ansatz, wonach das Niveau und die Struktur des ökonomischen Gewinns die gesamtwirtschaftlichen Investitionen sowie Wachstum und Beschäftigung determinieren l5 , so wäre eine reine Beteiligung der Arbeitnehmer am Differentialgewinn mit entsprechenden Wachstums- und Beschäftigungseinbußen verbunden.
Finanzwissenschaft, 2. vöUig überarbeitete und erweiterte Auflage, Tübingen 1990, S. 149 ff. Die hier referierten kritischen Einwände gehen deshalb über den bisherigen Analyserahmen hinaus; eine Zusammenfassung alternativer Kritikpunkte am Weitzman-Plan fIndet sich bei O. Hübler, Beschäftigungseffekte durch Gewinnbeteiligung? in: Konjunkturpolitik, Heft 5/6 (1988), S. 295 ff. sowie H. Sieben, Kündigungsschutz und Sozialplanpflicht - Optimale Allokation von Risiken oder Ursache der Arbeitslosigkeit?, in: H. Scherf (Hrsg.), Beschäftigungsprobleme hochentwickelter Volkswirtschaften, Berlin 1989, S. 281 ff. 13 Zu dieser Argumentation vgl. insbesondere H. G. Grubei, Capitalism needs Risk-, not ProfIt-Sharing, in: Kyklos, Vol. 40 (1987), S. 163 ff. 14 Eine weitere ModifIkation der Ergebnisse ist auf der Angebotsseite zu erwarten, sofern sich die Unternehmen bei ihren Preisentscheidungen nicht anband ihrer Grenzfunktionen orientieren, sondern sich entsprechend dem full-cost-principle an einem angemessenen, als branchenüblich geltenden Ertrag ausrichten. In diesem Fall unterschreitet die Nettoertragsrate des eingesetzten Kapitals bei Einführung einer Gewinnbeteiligung das angestrebte Zielniveau der Unternehmung; sie wird dann bestrebt sein, die vermögenspolitischen Lasten auf die Preise zu überwälzen bzw.- bei preisniveauinelastischer Güternachfrage - eine Kompensation der Belastung durch niedrigere Tariflohnsteigerungen vorzunehmen (Rückwälzung). Die damit verbundene Reduktion des realen Kostenniveaus der Unternehmung stellt den ursprünglichen strukturelle Monopolgrad wieder her. Infolgedessen erweisen sich Ertragsbeteiligungsmodelle im Rahmen einer monopolgradtheoretischen Analyse verteilungspolitisch als weitgehend wirkungslos; vgl. H. -J. Krauter, Die betriebliche Gewinn- und Kapitalbeteiligung der.Arbeitnehmer. Eine kreislauf- und nutzentheoretische Analyse, Spardorf 1985, S. 135 ff. IS Vgl. insbesondere Sachverständigenrat, Jg. 1984/85, Tz. 159 ff sowie die Position von E. Helmstädter in Sachverständigenrat, Jg. 1983/84, Tz. 357 bis 364; und ders., Ein makroökonomisches Rahmenmodell der Evolutorischen Ökonomik, in: U. Witt (Hrsg.), Studien zur Evolutorischen Ökonomik I, Berlin 1990, S. 163 ff.; G. Erdmann, Elemente einer evolutorischen Innovationstheorie, Tübingen 1993. Eine Kritik dieses Ansatzes fIndet sich bei F. Schohl / D. Ipsen, Wachstum und Differenzierung: Eine kritische Analyse der Helrnstädter-Thesen, in: Konjunkturpolitik, 36. Jg. (1990), S. 3 ff.
118
3. Kapitel: Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen
Dieser Effekt wird verstärkt, sofern davon auszugehen ist, daß in expandierenden Branchen hohe Ertragsbeteiligungssätze leichter zu realisieren sind als eine entsprechende Reduktion der Ertragsanteile in schrumpfenden Wirtschaftszweigen. Diese Asymmetrie hinsichtlich des Beteiligungssatzes wäre gleichbedeutend mit einer progressiven Ertragsbeteiligung, deren Allokationsneutralität selbst unter neoklassischen Annahmen nicht gewährleistet ist. 16 Der dynamische Wettbewerb als wirtschaftspolitisches Leitbild macht damit die Ergänzung der Ertragsbeteiligung um eine entsprechende Beteiligung der Arbeitnehmer am unternehmerischen Risiko notwendig. 17 11. Nachfrageseitige Wirkungen
Neben den Funktionsrestriktionen einer Ertragsbeteiligung auf der Angebotsseite sind aus stabilitätspolitischer Perspektive insbesondere die Wirkungen dieses Instruments auf die aggregierte Nachfrage zu überprüfen. Denn mit einer gleichbleibenden Güternachfrage, bislang implizit in der als konstant unterstellten Preis-Absatz-Funktion unterstellt, ist allenfalls im Rahmen einer Ertragsbeteiligung auf einzelwirtschaftlicher Basis zu rechnen. Wird die Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer jedoch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene realisiert, wie dies sowohl vom Sachverständigenrat als auch von Weitzman intendiert ist, so ist mit Variationen der aggregierten Nachfrage zu rechnen. Die Effekte gewinnabhängiger Entlohnungsformen auf den privaten Verbrauch sowie auf die private Investitionstätigkeit sind dabei entscheidend von der Ausgestaltung des Ertragsbeteiligungsmodells sowie von der Formulierung der unterstellten Konsum- und Investitionsfunktion abhängig 18 .
1. Wirkungen auf die Konsumgüternachfrage Unterstellt man hinsichtlich des privaten Konsumverhaltens eine keynesianisch formulierte Konsumfunktion unter Verwendung einer nach sozialen
16 Vgl. w. Krelle u. Q., Überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer, Band I, Tübingen 1968, S. 53 ff. 17 Zu dieser Argumentation vgl. E. Helmstädter, Die vennögenspolitische Verteilung des Differentialgewinns, in: H. Albach / E. Helmstädter / R. He1l1l (Hrsg.), Quantitative Wirtschaftsforschung. Wilhelm Krelle zum 60. Geburtstag, Tübingen 1977, S. 269 ff.; im Rahmen der Weitzman-Kontroverse vgl. H. G. Grubei, Capitalism Needs Risk-, not Profit-Sharing, In: Kyklos, Vol. 40 (1987), S. 163 ff. 18 Zur nachfrageorientierten Kritik an ertragsabhängigen Endohnhnungsfonnen vgl. W. Scherf, Der Weitzman-Plan: Vollbeschäftigung durch flexible Löhne? in: Wirtschaftsdienst, Heft 1 (1988), S. 41 ff.; sowie D. Heier, Der Ersatz fester Löhne durch flexible Gewinnbeteiligungslöhne - ein beschäftigungspolitisch problematisches und sozialpolitisch untaugliches Instrument zur Wiedererlangung der Vollbeschäftigung, in: Sozialer Fortschritt, Heft 4 (1988), S. 78 ff.
A. Beschäftigungseffekte ertragsabhängiger Entlohnungsformen
119
Schichten differenzierten marginalen Konsumneigung 19, so sind bei einer Beteiligung der Arbeitnehmer am Gewinn nun im allgemeinen Fall drei marginale Sparquoten zu unterscheiden: 20 1. Die Sparquote der Selbständigenhaushalte (SK)' die weiterhin ausschließlich Kapitaleinkommen beziehen; 2. die Sparquote der Arbeitnehmerhaushalte aus Lohneinkommen (sA) sowie 3. die Sparquote der Arbeitnehmerhaushalte aus Kapitaleinkommen (SAK)' die sie durch ihre Akkumulationstätigkeit erzielen. Hierbei lassen sich zwei in der verteilungstheoretischen Literatur diskutierte Spezialfci.1le unterscheiden: Die einkommensspezifische Sparfunktion kaldorianischer Provenienz einerseits sowie die von L. L. Pasinetti propagierte schichtspezifische Sparfunktion andererseits. Entsprechend der ersten Variante differenzieren die Wirtschaftssubjekte unabhängig von ihrer sozialen Stellung ihre Sparentscheidung hinsichtlich der Einkommensart; typischerweise wird dabei angenommen, daß dem Kapitaleinkommen eine höhere marginale Sparquote zugeordnet wird als dem Arbeitseinkommen, so daß sich gemäß obiger Notation folgende Relation des Sparverhaltens ergibt: o < sA < SAK = SK < 1. Gemäß den Annahmen von L. L. Pasinetti belegen die sozialen Gruppen ihr gesamtes Einkommen - also Arbeits- und Vermögenseinkommen - mit einer schichtspezifischen marginalen Sparquote. Wiederum wird dabei angenommen, daß die Konsumquote der Arbeitnehmer höher ausfällt als jene der Selbständigen, so daß sich nun folgendes Verhältnis der Sparquoten ergibt: o < SA = SAK < sK· Die ursprünglich kaldorianisch formulierte Konsumfunktion (111.5)
C = [CA Ä+CKY]Y
ändert sich nach Einführung einer Ertragsbeteiligung in
19 Die Annahme einer schichtspezifischen Sparfunktion geht auf L. L. Pasinetti zurück und resultiert letztlich aus der bereits bei Keynes anzutreffenden Annahme einer mit zunehmendem Einkommen abnehmenden marginalen Konsurnquote. Im Rahmen der bisherigen Analyse, die verteilungspolitische Maßnahmen sowie die langfristigen Effekte der Vermögensbildung aus Arbeitnehmerersparnissen unberücksichtigt ließ, sind die Konsumfunktionen nach Kaldor und Pasinetti äquivalent. 20 Diese Fallunterscheidung sowie die folgende Interpretation der verteilungstheoretischen Konsumhypothesen geht zurück auf A. C. Chiang, A Simple Generalization of the Kaldor-Pasinetti Theory of Profit Rate and Income Distribution, in: Economica, Vol. 40 (1973), S. 311 ff.
120
(III.6)
3. Kapitel: Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen
C = [CAA. + e(C AK - CK)Y + CKY]V;
wobei CA = marginale Konsumquote der Arbeitnehmer aus Arbeitseinkommen CAK = marginale Konsumquote der Arbeitnehmer aus Gewinneinkommen cK = marginale Konsumquote der Gewinneinkommensbezieher e = Ertragsbeteiligungssatz Gewinnquote Y A. = Lohnquote. V = Sozialprodukt. Die Wirkungen einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer auf die aggregierte Konsumgüternachfrage lassen sich aus (III.6) unmittelbar ablesen. Sofern die Ertragsanteile vollständig gespart werden, die marginale Konsumneigung der Arbeitnehmer aus Gewinneinkommen CAK mithin gleich Null ist, führt die Gewinnbeteiligung kurzfristig zu einem Nachfrageausfall in Höhe des Produkts aus marginaler Konsumquote der Gewinneinkommensbezieher und Gewinnsumme der Arbeitnehmer. Da dieser Nachfrageausfall aus einer Reduktion der aggregierten marginalen Konsumquote resultiert, drückt sich dies in einer Drehung der aggregierten Konsumfunktion sowie - bei unverändertem Investitionsvolumen - in einer entsprechenden Drehung der IS-Funktion aus (vgl. Abbildung 12). Im Fall einer vollständig konsumtiven Verwendung der Ertragsanteile, die sich im Rahmen einer investiven Gewinnbeteiligung aus einer Verdrängung freiwilliger Ersparnis in Höhe des Ertragsanteils ergeben kann, erfolgt eine Zunahme der aggregierten marginalen Konsumneigung und damit eine Erhöhung der privaten Konsumnachfrage2 1; graphisch resultiert eine entsprechende Drehung der aggregierten Konsumfunktion sowie der IS-Relation nach oben (vgl. Abbildung 12). Der expansive Nachfrageimpuls fallt entsprechend moderater aus, sofern eine schichtspezifische Konsumfunktion im Sinne Pasinettis unterstellt wird; die Ausweitung der Konsumgüternachfrage beträgt in diesem Fall (CA - cK)eG. Unter Verwendung einer einkommensspezifischen Konsumfunktion Kaldor' scher Provenienz wird das bisherige Konsumniveau gerade aufrecht erhalten, da der Nachfrageausfall der bisherigen Gewinneinkommensbezieher
21 Bei vollständiger konsumtiver Verwendung der Ertragsanteile (c AK = 1) ändert sich die gesamtwirtschaftliche Konsumnachfrage um den Betrag (1~)9G, die aggregierte marginale Konsumquote erhöht sich damit um (l-cK )9(1-A.).
A. Beschäftigungseffekte ertragsabhängiger Entlohnungsfonnen
121
in diesem speziellen Fall gerade durch eine Verbrauchsausweitung der Arbeitnehmerhaushalte kompensiert wird. Bei zinselastischem Geldangebot resultieren aus den Einkommenseffekten einer Ertragsbeteiligung Variationen der aggregierten Nachfrage, wobei sich expansive Effekte im Vollbeschäftigungsfall in reinen Preisniveaueffekten niederschlagen. Ein leichter Rückgang der aggregierten Nachfrage, der aus einer vollständigen Ersparnis der Ertragsanteüe durch die Arbeitnehmer resultiert, wird durch den inhärenten Stabilisierungsautomatismus ertragsabhängiger Entlohnungsformen kompensiert; die Verschiebung der Nachfragefunktion verläuft dann im erweiterten preisniveauinelastischen Bereich des
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Abbildung 12: Wirkungen einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer auf die aggregierte Konsumgüternachfrage
122
3. Kapitel: Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen
aggregierten Angebots (vgl. Abbildung 12).22 Werden hingegen die gesamten Residualeinkommen der Arbeitnehmer, also Gewinnanteil zuzüglich eingesetztem Lohnanteil - gespart, so ist nicht auszuschließen, daß der Ausfall an aggregierter Nachfrage groß genug ist, um die Nachfragefunktion in den preisniveauelastischen Bereich des aggregierten Angebots zu verschieben. 23 In diesem Fall werden die Stabilisierungswirkungen der Ertragsbeteiligung durch die induzierten Mengeneffekte überkompensiert.
2. Wirkungen auf die Investitionsnachjrage a) Der Stellenwert der Investitionen im stabilitäts- und wachstumspolitischen Konzept des Sachverständigenrates Die private Investitionstätigkeit nimmt eine zentrale Rolle im stabilitätspolitischen Konzept des Sachverständigenrates ein24 , indem sie kurzfristig über den Einkommenseffekt, langfristig im Zuge des Kapazitätseffektes Wirkungen auf die Höhe des Sozialprodukts und die Beschäftigung zeitigt25. Die 22 Diesen Fall hat offensichtlich Weitvnan im Sinn, der schreibt: "Die Arbeitnehmer, die sich für einen Beteiligungsplan entschieden haben, müssen möglicherweise lernen, regelmäßig Ersparnisse abzuzweigen ... Ein unglüclcseliges Vermächtnis der Keynesianischen Theorie ist unsere Sorge, daß zu hohe Ersparnisse eine Lohnwirtschaft anfaIliger machen für Arbeitslosigkeit und Stagnation. Die automatische Vollbeschäftigung befreit das System von einem derartigen stagnatiOIustischen Pessimismus in Bezug auf hohe Sparraten und schafft genau die Art Umwelt, in der die Kapitalakkumulation sich auf natürliche Weise in beschleunigter Form entwickeln kann." M. L. Weitvnan, Das Beteiligungsmodell, S. 174. Auch der Sachverständigenrat stuft die konjunkturpolitischen Gefahren einer investiven Ertragsbetciligung eher gering ein: "Die Befürchtung, dabei würde womöglich zu viel gespart, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Sie sollte jedoch auch nicht zu ernst genommen werden.· Sachverständigenrat, Jg. Im2173, Tz. 513. 23 Derselbe Effekt stellt sich ein, sofern sich die freiwillige Ersparnis aus Lohneinkommen im Zuge der Ertragsbeteiligung erhöht; vgl. M. Shapiro, Capital and Saving in a Share Economy, in: Journal of Comparative Econornics, Vol. 10 (1986), S. 444 ff.; W. Scherf, Der WeitzmanPlan: Vollbeschäftigung durch flexible Löhne?, in: Wirtschaftsdienst, Heft 1 (1988), S. 41 ff.; D. Heier, Der Ersatz fester Löhne durch flexible Gewinnbeteiligungslöhne - ein beschäftigungspolitisch problematisches und sozialpolitisch untaugliches Instrument zur Wiedererlangung der Vollbeschäftigung, in: Sozialer Fortschritt, Heft 4 (1988), S. 78 ff. 24 Vgl. hierzu insbesondere Sachverständigenrat, Jg. Im6177, Tz. 298 ff. unter dem konzeptionellen Titel ·Zeit zum Investieren". 25 Die wachstumspolitische Bedeutung der Investitionen geht bereits aus dem Ein-FaktorenAnsatz des Rates zur Berechnung des Produktionspotentials hervor, die im Jahresgutachten 1968/69 erstmals vorgestellt und seither konzeptionell beibehalten wurde. Das Produktionspotential wird hier berechnet als. Produkt aus Kapitalstock und geschätzter potentieller Kapitalproduktivität; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1968/69, Anhang IV sowie M. Heise, Das volkswirtschaftliche Produktionspotential. Berechnungsmethoden und Aussagewert, in: WiSt, Heft 11 (1991), S. 553 ff. 26 Der Rat wendet sich damit gegen Befürchtungen, eine verstärkte Investitionstätigkeit könnte den bestehenden Mangel an Arbeitsplätzen zusätzlich verschärfen; vgl. Sachverständigenrat, Jg. Im7, Tz. 298 ff. sowie O. Sievert, Position des Sachverständigenrates, in: DIW,
A. Beschäftigungseffekte ertragsabhängiger Entlohnungsfonnen
123
Ursache lang anhaltender Arbeitslosigkeit ist für den Sachverständigenrat stets ein Mangel an privater Investitionstätigkeit in Folge "unzureichender rentabler Produktionsmöglichkeiten " . Beschäftigungsfördernde Effekte sieht der Sachverständigenrat dabei nicht nur bei Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen, sondern auch bei Rationalisierungsinvestitionen, sofern der Rationalisierungsdruck aus einem geänderten Faktorpreisverhältnis in Folge von nichtkostenniveauneutralen Lohnerhöhungen resultiert26 • Der Einsatz von Rationalisierungsinvestitionen erlaubt in diesem Fall die Aufrechterhaltung der ursprünglichen Produktionsmenge und verhindert einen Teil der durch den Produktionsrückgang erforderlichen Freisetzungen am Arbeitsmarkt. Im Rahmen seines angebotstheoretischen Ansatzes differenziert der Rat zwischen autonomen und induzierten Investitionen27 . Autonome Investitionen sind dabei zu verstehen als jene Investitionen, die "die Produktionstechnik und die Güterversorgung ... auf ein neues Niveau heben "28 und damit auf innovatorische Prozesse zurückzuführen sind; als induziert gelten Investitionen, sofern sie "auch oder vorwiegend in Abhängigkeit vom Auslastungsgrad der Kapazitäten getätigt werden. "29 Hierzu zählt der Rat jene Investitionen, die im Zuge des Imitationswettbewerbs erfolgen - also letztlich in Folge innovatorischer Prozesse entstehen - sowie Investitionen, die "von einem autonomen Nachfragestoß ausgelöst werden"30, mithin auf dem Akzeleratorprinzip beruhen. Die Einführung einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer wird in der Literatur überwiegend als investitionshemmend interpretiert31 , so daß zu prü-
Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Heft 1 (1980), S. 21. Eine kritische Analyse der theoretischen Konzeption fIndet sich bei J. Kromphardt, Investitionen und Beschäftigung. Eine Kritik an den diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigenrates, in: Finanzarchiv N. F., Bd. 36 (1977178), S. 294 ff. Vgl. ebenfalls H. Flassbeck / W. Friedmann, Investitionen und Beschäftigung. Anmerkungen zu der Kritik von Jürgen Kromphardt an den diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigenrates, in: Finanzarchiv N. F., Bd. 37 (1979), S. 107 ff. 27 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1978179, Tz. 273ff. sowie ders., Jg. 1979/80, Tz. 271 ff. 28 Sachverständigenrat, Jg. 1978179, Tz. 273. 29 Sachverständigenrat, Jg. 1978179, Tz. 274. 30 Sachverständigenrat, Jg. 1978179, Tz. 276. 31 Für die vermögenspolitische Literatur vgl. exemplarisch W. Krelle u.a., Überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer. Mit einer Untersuchung über die Vermögensstruktur der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, Tübingen 1968, S. 56 ff. sowie 480 ff., der aus diesem Grund kompensierende investitionsfördernde Maßnahmen des Staates verlangt; ähnliche Ergebnisse im Rahmen der Weitvnan-Diskussion finden sich bei M. Shapiro, Capital and Saving in a Share Economy, in: Journal ofComparative Economics, Vol. 10 (1986), S. 444 ff., M. Hoel / K. O. Moene, ProfIt Sharing, Unions and Investments, in: Scandinavian Journal of Economies, Vol. 90 (1988), S. 493 ff. sowie E. Fehr, Vollbeschäftigung durch Gewinnbeteiligung? Kritische Anmerkungen zum Weitzman-Plan, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 206/3 (1989), S. 225 ff.
124
3. Kapitel: Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen
fen ist, inwiefern die Konstruktion des Gewinnbeteiligungsmodells durch den Sachverständigenrat negative Effekte auf die private Investitionstätigkeit verhindert. b) Die Wirkungen einer Ertragsbeteiligung auf die Investitionstätigkeit Der Rat legt seinen wirtschaftspolitischen Überlegungen mehrere partielle Ansätze zur Erklärung der privaten Investitionsaktivität zugrunde32 . Als wesentliche Determinanten hebt der Sachverständigenrat den (erwarteten) Gewinn33 , das Investitionsrisiko, die Finanzstruktur der Unternehmen sowie den Grad der Kapazitätsauslastung hervor. Für den Einfluß der realisierten Gewinne auf das Investitionsvolumen werden in der Literatur zwei Begründungen angeführt: Zum einen kann unter der Annahme adaptiver Erwartungsbildung die Höhe gegenwärtiger und vergangener Gewinne als Maß für erwartete Gewinne betrachtet werden, die die Rentabilität des eingesetzten Kapitals und damit die Investitionsbereitschaft erhöhen (Rentabilitätshypothese). Des weiteren erhöhen steigende Gewinne die Liquidität, d. h. den Selbstfmanzierungsspielraum und damit die Investitionsfähigkeit der Unternehmen (Liquiditätshypothese). Der Rat stützt seine Hypothese der Gewinnabhängigkeit der Investitionen auf beide Erklärungsansätze, wobei der Entwicklung der Rentabilität die ausschlaggebende Bedeutung für die Erklärung autonomer Investitionstätigkeit zukommt34 . Eine Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer erweist sich aus dieser Perspektive stets als investitionshemmend.
32 Die neoklassische Investitionstheorie in Form der Jorgenson-Investitionsfunktion interpretien Investitionen als Anpassungen eines optimalen Kapitalstocks an geändene winschaftliche Rahmenbedingungen. Die restriktiven Annahmen insbesondere hinsichtlich der im Optirnierungskalkül unterstellten stationären Umweltbedingungen würde eine Einbeziehung in das angebotspolitische Konzept des Rates problematisch machen. Die Betonung des Rentabilitätsarguments im investitionstheoretischen Konzept deutet darauf hin, daß der Sachverständigenrat den Investitionsprozeß hingegen als ungleichgewichtigen Anpassungsvorgang auffaßt; vgl. insbes. E. Malinvaud, Profitability and unemployment, Cambridge 1980. Zur Abgrenzung alternativer investitionstheoretischer Ansätze vgl. W. Krelle, An. "Investitionsfunktionen" , in: HdWW, S. 275 ff. Eine empirische Überprüfung dieser konkurrierenden Ansätze fmdet sich bei B. Heise, Makroökonomische Investitionsfunktionen. Eine empirische Untersuchung für die Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 1987. 33 Das Theorem der Gewinnabhängigkeit der Investitionen fmdet sich durchgängig in den Gutachten des Rates; vgl. H. G. Fabritius, Konjunkturtheoretische Vorstellungen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwinschaftIichen Entwicklung. Eine Analyse der bis einschließlich 1972 veröffentlichen Gutachten, Berlin 1975, S. 112 sowie F. Holzheu / B. Lepping, Risiko-, Gewinn- und Finanzstrukturentwicklung in der Bundesrepublik: Anmerkungen zu den Diagnosen des Sachverständigenrats, in: Finanzarchiv N. F., Bd. 39 (1981), S. 85 ff. 34 Beschränkungen des Selbstfinanzierungsspielraums sind nach Ansicht des Rates v. a. für risikoreiche Investitionen von Bedeutung; vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1990/91, Tz. 130.
A. Beschäftigungseffekte ertragsabhängiger Entlohnungsformen
125
Mit der Berücksichtigung des Risikos als negative Investitionsdeterminante verläßt der Sachverständigenrat die neoklassische Investitionstheorie und trägt den Erkenntnissen der liquiditätstheoretisch orientierten Portfoliotheorie Rechnung. Dabei werden risikoaverse Investoren unterstellt, die ihr Investitionsprogramm am Verhältnis zwischen Risikoprämie - also der Differenz zwischen erwartetem Ertrag des Projekts und dem Ertrag einer risikolosen Anlage - und der Höhe des eingegangenen Investitionsrisikos ausrichten35 . Eine allokationsneutrale Ertragsbeteiligungsregelung, wie sie der Sachverständigenrat anstrebt, zielt darauf ab, diesen Quotienten - in der Literatur auch als "Preis des Risikos" bezeichnet - konstant zu halten, also den Rückgang der Risikoprämie durch eine entsprechende Reduktion des Investitionsrisikos gerade zu kompensieren. Eng mit dem Problem der Risikoabhängigkeit der Investitionen ist die Frage nach der Bedeutung der Kapitalstruktur der Unternehmen für das Investitionsverhalten verbunden. Entsprechend der Theorie der Eigenkapitallücke36 führt der Sachverständigenrat die unzureichende Investitionsdynamik auf eine mangelnde Eigenkapitalausstattung der Unternehmen zurück, die ein Engagement in risikobehafteten Bereichen zunehmend erschwert. Die Relevanz der Kapitalstruktur für die unternehmerische Entscheidung - von den Kritikern u. a. unter Verweis auf das Modigliani-Miller-Theorem bestritten37 - begründet der Rat mit Unvollkommenheiten des Kapitalmarkts 38 , die insbesondere aus unsicheren Ertragserwartungen des Investitionsprojekts und
3S Die makroökonomische Portfoliotheorie geht im wesentlichen zurück auf J. Tobin, Liquidity Preference as Behaviour towards Risk, in: Review of Economic Studies, Vol. 25 (1957/58), S. 65 Cf. 36 Vgl. zur Theorie der Eigenkapitallücke insbes. H. Albaeh, Kapitalausstattung und Entwicklung der Wirtschaft, in: M. Bierich / R. Schmidt (Hrsg.), Finanzierung deutscher Unternehmen heute. Diagnose und Vorschläge zur Verbesserung der Kapitalsrruktur, Stuttgart 1984, S. 1 Cf.; sowie H. Albach / D. Hunsdiek / L. Kokalj, Finanzierung mit Risikokapital, Stuttgart 1986. Zur These des Eigenkapita1mangels vgl. Sachverständigenrat. Jg. 1984/85, Tz. 142 Cf. sowie W. Stützel, Die Eigenkapitalknappheit in der Wirtschaft, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 36 Jg. (1983), S. 1087-1094 und H. Albaeh, Kapitalausstattung und Entwicklung der Wirtschaft, in: M. Bierich / R. Schmidt (Hrsg.), Finanzierung deutscher Unternehmen heute, Stuttgart 1984. 37 Modigliani und Miller leiten unter der Annahme vollkommener Kapitalmärkte bei sicheren Erwartungen die Irrelevanz der Kapitalsrruktur für die Gesamtkapitalkosten sowie den Gesamtwert der Unternehmung ab; vgl. F. Modigliani / M. H. Miller, The Cost of Capital, Corporation Finance and the Theory of Investment, in: The American Economic Review, Vol. 48 (1958), S. 261. Zur hieran anknüpfenden Kritik am theoretischen Konzept der Eigenkapitallücke vgl. insbes. H. Tomann / H. Flassbeck, Unternehmensfmanzierung im Srrukturwandel, in: DIW, Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Heft 1 (1990), S. 28 Cf.; N. Irseh, Erträge, Eigenkapitalausstattung und Investitionsneigung. Thesen und empirische Belege, in: Konjunkturpolitik, 31. Jg, Heft 6 (1985), S. 319 Cf.; P. Bojinger, War die EigenkapitalIücke der deutschen Wirtschaft nur ein Scheinproblem?, in: Wirtschaftsdienst, Heft 5 (1990), S. 264 Cf. sowie die dort angegebene Literatur. 38 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1984/85, Tz. 142 und Tz. 151.
126
3. Kapitel: Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen
Insolvenzrisiken resultieren. Diese Kapitalmarktimperfektionen erfordern eine entsprechende Absicherung des leistungswirtschaftlichen Risikos auf der Finanzierungsseite, so daß ein Mangel an Eigenkapital die Investitionstätigkeit, insbesondere die Fähigkeit zu risikoreichen Investitionen beschränken kann: "Investitionen mit erhöhten Risiken erfordern eine Finanzierung mit risikobereitem Kapital" 39. Eine Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer leistet einen Beitrag zur Verringerung der Eigenkapitallücke, sofern die Anlage der Ertragsanteile in risikotragendem Produktivkapital erfolgt40; durch das zusätzliche Angebot an Risikokapital läßt sich ein investitionsfördernder Effekt einer investiven Gewinnbeteiligung ableiten. Dem Grad der Kapazitätsauslastung kommt im analytischen Konzept des Sachverständigenrates eine relativ untergeordnete Bedeutung zu, da wachstumspolitisch die gewinnabhängigen autonomen Investitionen die zentrale Rolle einnehmen und zudem die induzierten Investitionen nur partiell auf Expansionen der aggregierten Konsumgüternachfrage zurückzuführen sind. Im Rahmen der Diagnose sowie insbesondere bei der Prognose spielen hingegen nachfrageorientierte, auf dem Akzeleratorprinzip beruhende Überlegungen eine gewichtige Rolle41 . Es wurde bereits oben gezeigt, daß die nachfragetheoretischen Wirkungen einer Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer von der Ausgestaltung des Ertragsbeteiligungsmodells sowie der unterstellten Konsumhypothese abhängen; die entsprechenden Effekte auf die Investitionsnachfrage sind damit ebenfalls indeterminiert.
39 Sachverständigenrat, Jg. 1979/80, Tz. 351. Vgl. auch die Textziffem 355 ff., in denen sich der Sachverständigenrat mit den in der Literatur angeführten Konzepten zur optimalen Kapitalstruktur (sog. "goldene" Finanzierungsregel, Schumpeter-Theorie und Modigliani-Miller-Theorem) auseinandersetzt. 40 Die verstärkte staatliche Förderung der Vermögensbildung in Produktivkapital im Rahmen des zweiten Vermögensbeteiligungsgesetzes (§ 19 a EStG i. V. m. 5. Vermögensbildungsgesetz) muß - neben den gesellschafts- und verteilungspolitischen Zielsetzungen - auch unter diesem Aspekt gesehen werden. 41 Vgl. Sachverständigenrat, Jg. 1990/91, Tz. 130. Tichy stellt in diesem Zusammenhang fest, die Prognosen des Sachverständigenrates seien "(fast) ausschließlich nachfrageorientiert, die Empfehlungen... (fast) ausschließlich angebotsorientiert"; G. Tichy, Die Praxis der Konjunkturprognose des Sachverständigenrates. 1. Koreferat, in: IFO-Studien, Heft 2/3 (1990), S. 124. Die Bedeutung des Akzelerators filr die Erklärung des Investitionsverhaltens geht auch aus Äußerungen des Generalsekretärs des Sachverständigenrates Heise hervor, wonach die vom Sachverständigenrat verwendete Investitionsfunktion " ... als wichtigste Regressoren eine Renditevariable, eine Sozialproduktsvariable und eine verzögert endogene Variable enthält"; M. Heise, Verfahren und Probleme der Konjunkturvorhersage - dargestellt am Beispiel der Sachverständigenratsprognosen, in: G. Nakhaeizadeh / K.-H. Vollmer (Hrsg.), Anwendungsaspekte von Prognoseverfahren, Heidelberg 1991, S. 27.
A. Beschäftigungseffekte ertragsabhängiger Entlohnungsformen
127
c) Investitionen, Rendite und Risiko: Empirische Evidenz Die zu erwartenden Effekte einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer auf das Investitionsverhalten lassen sich somit erst nach einer quantitativen Abschätzung der vom Sachverständigenrat angeführten Einflußgrößen beurteilen. Dabei wurde eine Investitionsfunktion unterstellt, bei der die Wachstumsrate der Bruttoanlageinvestitionen als Funktion der Änderungen der GewinnErlös-Relation als angebotstheoretischem Indikator sowie des Bruttosozialprodukts als nachfragetheoretischer Größe formuliert wurde (vgl. auch Abbildung 13). Zur Berücksichtigung der zeitlichen Anpassungsprozesse wurde zusätzlich eine verzögert endogene Variable aufgenommen. Ein Problem stellt die Berücksichtigung des Investitionsrisikos dar, denn obwohl der Sachverständigenrat dem Risiko als negative Angebotsdeterminante einen hohen Stellenwert im analytischen Konzept einräumt, weist er keinen Indikator zur empirischen Erfassung des Investitionsrisikos aus42 . Ein mittelbarer Zusammenhang zwischen Risiko und Investitionstätigkeit besteht hingegen über die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen, die entsprechend der Theorie der Eigenkapitallücke die Investitionsmöglichkeiten in riskante Objekte limitiert. Als Indikator für die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen wird die Relation von Eigenmitteln zu Bilanzsumme herangezogen43 (vertikale Eigenkapitalquote). Der außergewöhnlich starke Rückgang der Anlageinvestitionen im Jahr 1984 wurde durch eine entsprechende Dummy-Variable korrigiert. Die Ergebnisse der aLS-Schätzung sind in Tabelle 10 wiedergegeben. Statistisch ergibt sich folgender Befund: Die Änderungsrate der Gewinn-Erlös-Relation weist einen statistisch signiflkanten Einfluß auf das Wachstum der realen Ausrüstungsinvestitionen auf; eine Reduktion der Gewinn-Erlös-Relation um einen Prozentpunkt führt dabei zu einer Verringerung der Wachstumsrate der realen Ausrüstungsinvestitionen um ca. zwei Prozent44.
42 "Die Art des SR [Sachverständigenrates, Anm. d. Verf.], ... legt vielmehr die Vermutung nahe, der SR habe aus dem beobachteten Investitionsverhalten auf die Existenz von Risiken riickgeschlossen." F. Hotmeu / B. Lepping, Risiko-, Gewinn- und Finanzstrukturentwicklung in der Bundesrepublik: Anmerkungen zu den Diagnosen des Sachverständigemats, in: Finanzarchiv N. F., Bd. 39 (1981), S. 81. Durch eine solche Vorgehensweise wäre das Modell des Sachverständigenrates jedoch überdeterminiert und damit empirisch nicht mehr faisifIzierbar. 43 Quelle: Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Heft 11, lfd. Jg. 44 P. Bojinger errechnet fiir den Zeitraum 1965 bis 1987 einen KoeffIZienten von 0,027, allerdings ergibt sich bei ihm ein etwas geringerer t-Wert von 1,9. Demgegenüber weist G. Tichy fiir die Änderungsraten von realen Investitionen und Gewinn-Erlös-Relation im Zeitraum 1961 bis 1987 einen RegressionskoeffIZienten von 0,17 bei einem korrigierten Bestimmheitsmaß von 0,08 aus; vgl. G. Tichy, Die Praxis der Konjunkturprognose des Sachverständigenrates. 1. Koreferat,
128
3. Kapitel: Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen
Der Einfluß der Änderung der Eigenkapitalquote auf die Wachstumsrate der Investitionen erweist sich als nicht signifikant, der Koeffizient geht darüberhinaus in die falsche Richtung. Obwohl damit der vom Sac~ver ständigenrat unterstellte Zusammenhang zwischen Rendite und Risiko natürlich noch nicht als widerlegt gelten kann, ist zu bezweifeln, daß eine investive Anlage der Ertragsanteile investitionsfördernde Effekte zeitigt, die Vermögenspolitik mithin aus stabilitätspolitischen Erwägungen als Instrument zur Risikokapitalbildung herangezogen werden sollte. Hinsichtlich der Eigenkapitalquote gilt offensichtlich, -. .. that low equity ratios are ... the result of a deliberate choice ... In the large number of cases ... , equity ratios are the result of market operations ... -45 Die Entwicklung des Sozialprodukts erweist sich sowohl hinsichtlich des Schätzkoefflzienten als auch in Bezug auf die statistische Signifikanz als dominierende Größe. Die weitgehende Vernachlässigung nachfragetheoretischer Aspekte zugunsten einseitig angebotsorientierter Politikempfehlungen durch den Sachverständigenrat ist nach diesen Ergebnissen zu kritisieren. Für die zu erwartenden Effekte einer investiven Ertragsbeteiligung ist folglich die Verwendungsseite relevant; bei einem starken Nachfrageausfall ist ein Rückgang der Investitionen nicht auszuschließen.
B. Einkommenspolitische Effekte einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer I. Die Wirkungen auf die funktioneUe Einkommensverteilung
Die Wirkungen einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer auf die funktionelle Einkommensverteilung lassen sich weitgehend aus den verteilungspoliti'sehen Implikationen des stabilitätspolitischen Grundmodells ableiten. Die Lage der produktionstechnisch bestimmten Verteilungsfunktion (Quadrant 11 der Abbildung 4, S. 69) ändert sich im Zuge der Einführung einer Gewinnbeteiligung nur, sofern hieraus produktivitätssteigernde Effekte resultieren, d. h. sofern die Produktionselastizität der Arbeit entsprechend beeinflußt wird; die produktionstechnisch defmierte Lohnquote steigt in diesem Fall an. 46 Die
in: IFO-Studien, Heft 2/3 (1990), S. 122; P. Bojinger, War die Eigenkapitallücke der deutschen Wirtschaft nur ein Scheinproblem? , in: Wirtschaftsdienst, Heft 5 (1990), S. 270, Tab. 1. 4S H. Hax, Debt and Investment Policy in German Firms, in: JITE, Vol. 146 (1990), S. 106 ff. 46 Neoklassisch argumentierende Autoren sehen die Umverteilungswirkungen einer Ertragsbeteiligung ausschließlich in den Produktivitätseffekten: "There are no easy ways to expropriate
B. Einkommenspolitische Effekte einer Ertragsbeteiligung
129
Tabelle 10
Die Determinanten der Investitionsnachfrage in der Bundesrepublik Deutschland
Zeitraum 1965 bis 1991
LllilI =0,023 l\GER + 1,22 MnBSP -O,OIl\EKQ (2,4) (2,98) (-0,01) -2
Prüfmaße: R
+0,26 LllilI 1-1 -0,ID84 (1,73)
(-2,44)
= 0,55; SER = 0,049.
Eigene Berechnungen. Quellen: Sachverständigenrat, Jg. 1992/93, S. 78, S. 305, 315; Deutsche I
Bundesbank
(Hrsg.),
= Ausrüsttmgsinvestitionen
Monatsberichte,
(in Preisen von
div.
1985),
Jahrgänge. GER
Es
bedeuten:
= Gewinn-Erlös-Relation,
BSP = Bruttosozialprodukt (real in Preisen von 1985); EKQ = vertikale Eigenkapitaiquote, -2
D84 = Dummy-Variable für das Jahr 1984; R = korrigiertes SER = Standardfehler der Regression, t-Werte in Klammem.
Bestimmheitsmaß,
verteilungspolitischen Implikationen der ökonomischen Machtfaktoren, die sich im durchschnittlichen Monopolgrad auf dem Gütermarkt niederschlagen, werden durch die Ertragsbeteiligung hingegen nicht tangiert47 .
capitalists' property to the workers' benefit... Only if profit-sharing happens to motivate workers to greater productivity is there a ... source for workers' new property." P A. Samuelson, Thoughts on Profit-Sharing, in: H. Sauermann / R. Richter (Hrsg.), Profit-Sharing: a symposium, Tübingen 1977, S. 17. 47 Dies folgt aus der Formulierung der Machtverhältnisse bei der Bestimmung der Einkommensquoten, die ausschließlich die Wirkungen eines Angebotsmonopols am Gütermarkt umfaßt. Würde darüberhinaus eine monopsonistische Form auf den Arbeitsmärkten unterstellt, so änderte sich die produktionstechnische Bestimmung der Lohnquote zu I 1---
A.=
Tty.P
I 1+--
ay A
-
- , wobei EA w die Angebotselastizität des Faktors Arbeit angibt. .
aA Y
EA •w
In diesem Fall ist die Argumentation Preisers relevant, wonach der Produktionsmittelbesitz in Arbeitnehmerhand die Angebotselastizität des Faktors Arbeit vergrößen. Langfristig wäre damit die Lohnquote über Änderungen der Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt beeinflußbar. 9 A1thammer
130
3. Kapitel: Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen 15
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-15 - - - Au.rO.l•••• i.llve.tilioIlCII (Ii.t.c Sbl.) - - - 8ruuolozi.lprodukt (rccbtc SII:&I.)
Abbildung 13: Bestimmungsgründe der Investitionstätigkeit
Wachstumsrate der Ausriistungsinvestitionen im Vergleich zur Änderungsrate der Gewinn-Erlös-Relation, der Eigenkapitalquote sowie zur Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts
Quellen: Sachverständigenrat, Jg. 1992/93, S. 78, S. 304 f., S. 314 f.; Deutsche Bundesbank, Jahresabschlüsse der Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland 1965-1981 sowie Monatsberichte, lfd. Jg.
B. Einkommenspolitische Effekte einer Ertragsbeteiligung
131
Die erhöhte Flexibilität der Arbeitnehmerentgelte führt zu einem erweiterten preisniveauinelastischer Verlauf der Angebotsfunktion auf dem Gütermarkt, wobei verteilungspolitisch zwei Effekte zu unterscheiden sind: Fällt die Einführung dieser Beteiligungsform in eine Phase der Vollbeschäftigung, so erfolgt diese Verschiebung der aggregierten Angebotsfunktion unter Beibehaltung der ursprünglichen Preis-Mengenkombination am Gütermarkt verteilungsneutral. Im Unterbeschäftigungsfall ist mit der Einführung einer Ertragsbeteiligung ein Abbau lohnniveaubedingter Arbeitslosigkeit verbunden, wobei die induzierte Produktionsausweitung in Abhängigkeit von der Preisniveauelastizität der aggregierten Nachfrage erfolgt. Aufgrund des unterstellten Verlaufs der Produktionselastizität des Faktors Arbeit ist mit der Ausweitung der Produktion eine Reduktion der Lohnquote verbunden. Die verteilungspolitischen Wirkungen einer Modiftkation der Nachfrageseite sind ebenfalls von der gesamtwirtschaftlichen Situation abhängig. 48 Bei vollständig investiver Verwendung der zugeflossenen Mittel reduziert sich die gesamtwirtschaftliche Konsumnachfrage entsprechend der marginalen Konsumquote der bisherigen Gewinneinkommensbezieher. Die Effekte der Verschiebung der aggregierten Nachfragefunktion zum Ursprung sind dabei abhängig vom Ausmaß des Ausfalls an effektiver Nachfrage; sind die Wirkungen auf die aggregierte Konsumgüternachfrage gering, d. h. bewegt sich die Nachfragefunktion im erweiterten preisniveauinelastischen Bereich des aggregierten Angebots, so erfolgt der Nachfrageruckgang wiederum verteilungsneutral (Verschiebung der aggregierten Nachfrage von yoD auf y1D in Abbildung 14, Seite 132). Ursache hierfür ist die Flexibilität der Arbeitnehmereinkommen, die die nachfrageinduzierte Preisniveaureduktion durch gleichgerichtete Einkommenssenkungen kompensiert; die Lohnquote bleibt damit konstant. Sollte hingegen der Nachfrageausfall die aggregierte Nachfragefunktion in den preisniveauelastischen Bereich des Angebots verschieben (Bewegung von yoD auf Yl in Abbildung 14), so fmdet ein Umverteilungsprozeß zugunsten der Lohneinkommensbezieher statt. Die Reduktion des Preisniveaus ist bei Erreichen des ftxen Basislohnsatzes mit einer Erhöhung des Reallohnes bei entsprechendem Rückgang der Arbeitsnachfrage verbunden, wobei aufgrund der als kleiner eins unterstellten Substitutionselastizität zwischen den Faktoren Arbeit und Kapital dieser Rückgang von Produktion und Beschäftigung mit einer Erhöhung der Lohnquote verbunden ist. Dieser Verteilungseffekt läßt sich auch als kaldorianischer Prozeß interpretieren, wobei Sozialprodukt und 48 Im folgenden wird von einer aus Sicht der bisherigen Kapitaleigner allokationsneutra1en Gewinn- und Risikobeteiligung ausgegangen, die das optimale Investitionsprogarnrn nicht tangiert. Eine Reduktion der Investitionsstätigkeit im Zuge einer Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer würde die darzustellenden Nachfrageeffekte zusätzlich verschärfen.
132
3. Kapitel: Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen
Beschäftigung als endogene Variable analysiert werden49 . Die Reduktion des Preisniveaus geht bei fIxen Löhnen vollständig zulasten der Gewinne, wodurch sich der Anteil der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen erhöht. y
I
p
Abbildung 14: Gütermartktgleichgewicht und funktionale Einkommensverteilung bei einer Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer
Dieser, in der verteilungstheoretischen Literatur als "Spareffekt" einer investiven Gewinnbeteiligung bekannte Mechanismus50 ist bei einer substitutionalen Produktionsbeziehung allerdings mit einem Rückgang der Beschäftigung verbunden. Analoge Schlußfolgerungen gelten, sofern die Ertragsanteile nicht oder nicht vollständig gespart werden; die Ausweitung der aggregierten Nachfrage führt im Unterbeschäftigungsbereich zu einer Beschäftigungsausweitung sowie zu einem Rückgang der Lohnquote, im Vollbeschäftigungsbereich hingegen ausschließlich zu Preisniveaueffekten. Die Wirkung einer Ertragsbeteiligung auf die funktionale Einkommensverteilung ist damit von der konjunkturellen Situation sowie von der Verwendung der Mittel durch den begünstigten Personenkreis abhängig. Während nachfrageinduzierte inflationäre Prozesse aufgrund der nach oben flexiblen Nomi-
49 Kaldor selbst geht bekanntlich von einem gegebenen Sozialprodukt bei Vollbeschäftigung aus, so daß Mengenreaktionen unberücksichtigt bleiben. Eine kreislauftheoretische Analyse der Einkommensverteilung bei variabler Produktionsmenge findet sich hingegen bei E. Preiser, MuItiplikatorprozeß und dynamischer Untemehmergewinn, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 167 (1955), S. 89 ff. so Vgl. U. Schillert, Gewinne als Quelle der Vermögenspolitik? Die Belastbarkeit der Unternehmensgewinne durch vermögenspolitische Maßnahmen, Berlin 1976, S. 59.
B. Einkommenspolitische Effekte einer Ertragsbeteiligung
133
nallöhne verteilungsneutral erfolgen, gilt aufgrund der unterstellten Produktionsfunktion weiterhin, daß eine Erhöhung der Lohnquote stets mit Beschäftigungseinbußen verbunden ist, sofern diese nicht aus einer Erhöhung der Arbeitsproduktivität resultiert.
n. Die Wirkungen auf die sozioökonomische Einkommensverteilung Die funktionale Verteilungsanalyse beschreibt die verteilungspolitischen Wirkungen einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer nicht vollständig; Ziel dieses Instruments ist es ja gerade, die Einkommenssituation der Arbeitnehmerhaushalte vom Preis des Faktors Arbeit loszulösen, d. h. ein möglichst hohes Maß an Querverteilung51 herzustellen. Eine umfassende Würdigung der kurzfristigen Verteilungswirkungen ist somit erst unter Berücksichtigung der Effekte auf die Sekundärverteilung möglich. Um die Wirkungen dieses Instruments auf die sozioökonomische Verteilung transparent zu machen, werden die verteilungstheoretisch relevanten Angebots- und Nachfragefaktoren gesondert analysiert52 . Die "nachfrage-bestimmten" Faktoren der Einkommensverteilung - also Investitionen sowie durchschnittliche Konsumneigung der Arbeitnehmer- und Selbständigenhaushalte werden durch die bekannte Kaldor-Formel der Verteilung abgebildet; die nachfragebestimmte Verteilungsfunktion vor Einführung einer Ertragsbeteiligung lautet: I
(III.7)
N
YBrutto
G
= y =
--s
Y
A
SK -SA
Hebt man die von Kaldor unterstellte VollbeschäftigungS3nn3hme auf, so bildet die hier abgeleitete Beziehung zwischen den Nachfragefaktoren und der Einkommensverteilung im Unterbeschäftigungsfall eine inverse Relation zwischen Gewinnquote und Sozialprodukt ab. Der Verlauf dieser Funktion ist 51 "Eine Querverteilung des Einkommens liegt vor, wenn eine eindeutige Klassifizierung der Einkommensbezieher nach Einkommensarten nicht möglich ist, weil es Personen gibt, die dem Produktionsprozeß gleichzeitig mehr als eine Faktorart zur Verfügung stellen bzw. mehr als eine ökonomische Funktion ausüben und daher gleichzeitig mehr als eine Einkommensart beziehen. " A. Stobbe, Untersuchungen zur makroökonomischen Theorie der Einkommensverteilung, lübingen 1962, S. 35. 52 Vgl. zur Vorgehensweise H. J. Ramser, Die Lohnquote im makroökonomischen Modell, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Bd. 98 (1978), S. 69 f. sowie insbes. B. Külp, Verteilungstheorie, 2. Autl., S. 55 ff. Eine Diskussion der Wirkungen investiver Ertragsbeteiligungsmodelle im Rahmen dieses Ansatzes fmdet sich bei B. Külp, Der Einfluß der Vermögensbildung auf die Einkommensverteilung, in: W. Ehrlicher / B. Simmert (Hrsg.), Der volkswirtschaftliche Sparprozeß, Beihefte zu Kredit und Kapital, Heft 9, Berlin 1985, S. 317 ff., sowie (ausführlicher) bei H.-J. Krauter, Die betriebliche Gewinn- und Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer. Eine kreislauf- und nutzentheoretische Analyse, Spardorf 1985, S. 160 ff.
134
3. Kapitel: Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen
dabei durch die unterstellten Annahmen bezüglich der unterschiedlichen Höhe der partiellen Konsumquoten von 1.ohn- und Gewinnempfängem determiniert, die eine bei steigender Gewinnquote abnehmende Nachfrage darstellt53 . Im Vollbeschäftigungsfall, d. h. bei flexiblem Nominallohnsatz, besitzen die Nachfrageaggregate hingegen keinen Einfluß auf die Einkommensverteilung54 ; sozioökonomische wie funktionelle Einkommensverteilung sind hier ausschließlich durch die "Angebotsfaktoren" Produktionstechnik und Marktmacht sowie durch die Vermögensverteilung determiniert. Eine Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer modifIziert die weiterhin schichtspezifIsch formulierte aggregierte Sparfunktion in: (III.8)
wobei sK = sAK = SA S =
S = SAL+ sAKSG +sK(I-S)G, Sparquote der Gewinneinkommensbezieher Sparquote der Arbeitnehmer aus Gewinneinkommen Sparquote der Arbeitnehmer aus Lohneinkommen Beteiligungsparameter .
Die nachfragebestimmte Netto-Gewinnquote, also der Anteil der bisherigen Gewinneinkommensbezieher am Volkseinkommen, lautet in diesem allgemeinen Fall55 :
53
Bei kaldorianischer Formulierung der Sparquote ergibt sich als Bestimmungsgleichung für
das Sozialprodukt gemäß Y =
I
. Im Unterbeschäftigungsbereich besteht damit Y eine lineare Beziehung zwischen realem Sozialprodukt und Gewinnquote, deren Steigung durch die relative Differenz der partiellen Sparquoten determinien ist; vgl. H. J. Ramser, Veneilungstheorie, a.a.O., S. 196. 54 Vgl. B. Külp, Veneilungstheorie, 2. Aufl., a.a.O., S. 59. 55 Die linke Seite entspricht in dieser Formulierung einem allgemeinen postkeynesianischen Modell der funktionalen Einkommensveneilung, vgl. E. Forster, Umveneilungsmultiplikatoren. Zur Interpretation der postkeynesianischen Veneilungstheorie, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 133. Band ( 1977), S. 98 ff. SA
+
(
SK - SA
)
B. Einkommenspolitische Effekte einer Ertragsbeteiligung
I
(III.9)
--s y A
N
YNetto=
SK - SA ,
wobei
+8
(
s AK -
''Spar~ffekt''
)-8 SK SK I
I Y
--s
A
( SA + 8 s AK -
sK
135
)
' ' - -_ _ _. , . . - -_ _ _- '
''Belastwigseffekt''
Nachfrageseitig bestimmter Anteil der Selbständigen am Volkseinkommen nach Umverteilung Schichtspezifische Sparquoten der Gewinnbezieher sowie der Arbeitnehmer aus Arbeits- und Gewinneinkommen I1Y = Investitionsquote 8 = Ertragsbeteiligungsparameter .
N
YNetto
-
Ein Vergleich von (III.9) mit der ursprünglichen Kaldor-Formel (III.7) zeigt, daß sich der nachfrageseitig bestimmte Anteil der Selbständigenhaushalte am Gesamteinkommen durch die Einführung eines Ertragsbeteiligungssystems reduziert, wobei zwei Effekte zu unterscheiden sind: Zum einen verändert die Ersparnisbildung der Arbeitnehmerhaushalte die Bruttogewinnquote; dieser sog. "Spareffekt" einer investiven Gewinnbeteiligung drückt sich im ersten Summanden der rechten Seite von (111.9) aus. Der "Spareffekt" fällt c. p. bei gegebenem Ertragsanteil 8 umso höher aus, je höher die marginale Sparquote der Arbeitnehmer aus den Gewinneinkommen ist, und erreicht bei einer vollständig investiven Verwendung der Mittel (SAK = 1) sein Maximum. Er verringert sich, sofern die begünstigten Arbeitnehmer bei Barausschüttung der Ertragsanteile einen Teil der Mittel konsumtiven Zwecken zuführen bzw. als Reaktion auf die Einführung einer investiven Gewinnbeteiligung ihre freiwillige Ersparnis reduzieren. Im Kaldor-Fall kompensieren sich die Ersparniseffekte, wogegen im Pasinetti-Fall bzw. bei vollständiger Verdrängung der zusätzlichen Ersparnis der "Spareffekt" negativ wird, so daß sich die nachfragetheoretisch bestimmte Bruttogewinnquote im Zuge einer Ertragsbeteiligung erhöht. Dieses Ergebnis bildet natürlich die Grundlage für die Forderung nach einer gesetzlich oder tarifvertraglich normierten, investiven Anlage der Ertragsanteile. Wie die Überlegungen zum Konsumverhalten der begünstigten Personengruppen gezeigt haben, besteht bei nennenswerter freiwilliger Ersparnisbildung der Arbeitnehmer aus Lohneinkommen die Möglichkeit, die administrierte Ersparnis durch eine Reduktion freiwilliger Vermögensbildung zu verdrängen. Hält man diese Reaktion in den Verhaltensweisen für realistisch, so werden begleitende vermögenspolitische Maßnahmen zur Förderung der Spameigung nötig.
136
3. Kapitel: Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen
Die Nettogewinnquote ergibt sich aus der Differenz zwischen Bruttogewinnquote und dem Gewinnanteil der Arbeitnehmer. Dieser "Belastungseffekt" einer investiven Gewinnbeteiligung (zweiter Summand der rechten Seite von (III.9) reduziert den Einkommensanteil der bisherigen Gewinneinkommensbezieher, wobei der verteilungspolitische Nettoeffekt wiederum von der Verwendungsentscheidung der Arbeitnehmerhaushalte abhängt. Während bei vollständig konsumtiver Verwendung der Ertragsanteile der Belastungseffekt nicht ausreicht, um den negativen Spareffekt auszugleichen, bleibt im Fall der schichtspezifischen Sparfunktion das ursprüngliche Verteilungser~ebnis erhalten. Eine Einkommensumverteilung zugunsten der Arbeitnehmer gelingt aus nachfragetheoretischer Sicht nur, sofern die kurzfristige marginale Sparquote der Arbeitnehmer aus Kapitaleinkommen diejenige aus Arbeitseinkommen übertrifft. Ein Zahlenbeispiel soll diese Zusammenhänge verdeutlichen; unterstellt man eine kurzfristige marginale Sparquote der Arbeitnehmer aus Lohneinkommen von 0,2, sowie 0,44 für den korrespondierenden Wert der Selbständigenhaushalte, und nimmt des weiteren eine Investitionsquote von 25 % an, so ergibt sich für die Brutto-Gewinnquote ein Wert von N
Y
Brutto
=
0,25-0,2 0,44 - 0,2
= 0,21.
Die korrespondierenden Werte sind für die
Brutto- und Nettogewinnquote bei einem Ertragsbeteiligungsparameter von sowie alternativen Annahmen über SAK in der Tabelle 11 wiedergegeben.
e = 0,1
Tabelle 11
Nachfragedetenninierte Brutto- und Nettogewinnquote bei alternativen Annahmen über die marginale Sparquote der Arbeitnehmer Gewinnquote (in vH) Brutto Netto SAK SAK SAK sAK
=0 = sA = SK =1
26 23 21 17
23 21 19 15
Die Funktionalisierung der nachfragetheoretischen Verteilungsrelation läßt indes noch keine Aussage über endgültige Verteilungswirkung einer Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer zu. Eine abschließende Aussage läßt sich erst treffen, sofern zusätzlich die Produktionsbeziehungen als verteilungsrelevante
B. Einkommenspolitische Effekte einer Ertragsbeteiligung
137
Größe berücksichtigt werden56 . Die neoklassische Bestimmungsgleichung für die Gewinnquote lautet wie bisher: (III.9)
yA
Brutto
1 J8Y A+(1 __ =1_[(1 __ 1 )8Y K] 8A Y TI 8K Y T1y,p
und für die Lohnquote gilt: (III.lO)
Ä.
=
(1-
y,p
_l_J T1y,p
8Y A.
8A Y
Die Beteiligung der Arbeitnehmer am ökonomischen Gewinn, hier repräsentiert durch den gesamtwirtschaftlichen Monopolgrad, reduziert unter neoklassischen Annahmen die Bruttogewinnquote exakt um den Betrag der Arbeitnehmerbeteiligung. Aus· angebotspolitischer Perspektive stellt die Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer damit ein Instrument dar, das es erlaubt, den Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen eindeutig zu erhöhen. Im Vollbeschäftigungsfall ist dabei die Verwendung der Ertragsanteile für die kurzfristigen Verteilungseffekte irrelevant. Die funktionale Einkommensverteilung wird in diesem Fall ausschließlich durch die Produktionselastizität des Faktors Arbeit sowie durch die Marktmacht der Unternehmen auf den Absatzmärkten bestimmt; die kurzfristige Allokationsneutralität einer Gewinnbeteiligung stellt sicher, daß der optimale Produktionsplan und damit die ursprüngliche Faktoreinsatzmenge aufrecht erhalten wird. Stabilitätspolitisch ist die Verwendungsentscheidung hingegen von Bedeutung: Bei weitgehend konsumtiver Verwendung der Ertragsanteile induziert der Anstieg der marginalen Konsumquote bei Vollauslastung des Arbeitskräftepotentials einen nachfragebedingten inflationären Impuls. Dieser Preisniveaueffekt ist unter den gesetzten Prämissen für die Einkommensverteilung irrelevant, da der Nominallohnsatz annahmegemäß nach oben vollständig flexibel reagiert; unterstellt man hingegen einen nach beiden Seiten starren Nominallohn, so wäre mit der Abwertung des Realwerts des Lohnsatzes auch eine verteilungs56 Die Lohnquotengleichung in (m.lO) entspricht der Funktion im dem zweiten Quadranten der Abbildung 4, S. 69. Die neoldassische Gewinnquotenfunktion weist dabei in Abhängigkeit vom numerischen Wen der Preiselastizität der Nachfrage einen steigenden Verlauf im y-Y-Diagramm auf; der Schnittpunkt zwischen kaldorianischer und neoldassischer Veneilungsfunktion gibt dann das durch Angebots- und Nachfragefaktoren simultan bestimmte Veneilungsgleichgewicht an. Vgl. B. Külp, Veneilungstheorie, 2. Aufl., Stuttgan 1981, S. 100 ff. sowie E. Knnppe / L. Funk, Die Theorie der Einkommensquoten als Teil der allgemeinen Winschaftstheorie, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, 44. Jg. (1993), S. 171-202. Zur Ableitung eines gesamtwinschaftlichen Monopolgrades aus dem einzelwinschaftlichen Optimierungskalkül bei unvollkommener Konkurrenz vgl. N. G. Manldew, Imperfect Competition and the Keynesian Cross, in: Economic Letters, Vol. 26 (1988), S. 7-14.
138
3. Kapitel: Die stabilitäts- und einkommenspolitischen Wirkungen
politische Schlechterstellung der Arbeitnehmer verbunden. Aus vermögenspolitischer Perspektive erweist sich die überwiegend konsumtive Verwendung der Ertragsanteile in zweifacher Hinsicht als zielinadäquat: Zum einen wäre das originäre vermögenspolitische Ziel, die Arbeitnehmer durch eine gestiegene Sparfähigkeit zu einer zusätzlicher Vermögensbildung zu verhelfen, durch die Reaktion der freiwilligen Ersparnis verfehlt. Darüberhinaus wertet ein nicht antizipierter inflationärer Impuls den Realwert festverzinslicher Wertpapiere ab; berücksichtigt man, daß die Arbeitnehmer risikoarme, liquiditätsnahe Anlagen bevorzugt nachfragen, so wird deutlich, daß von diesem Preisniveaueffekt insbesondere der begünstigte Personenkreis betroffen ist.
Viertes Kapitel
Die Wirkungen einer Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer auf die Verteilung der Vermögensbestände Die vermögenspolitischen Zielsetzungen einer investiven Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer erschöpfen sich jedoch nicht in der Realisierung stabilitätsund einkommenspolitischer Ziele, sondern intendieren insbesondere eine verstärkte Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital der Unternehmen. Daruberhinaus lassen sich die langfristigen verteilungs- und beschäftigungspolitischen Implikationen einer Beteiligung der Arbeitnehmer am Ertrag der Unternehmen nur beurteilen, sofern die langfristigen Anpassungsprozesse des Faktors Kapital in die Analyse einbezogen werden. Die Voraussetzungen und Erfolgsbedingungen eines wirtschaftspolitischen Eingriffs in die Verteilung des Vermögenszuwachses sollen im folgenden erarbeitet werden; Argumentationsbasis bildet dabei die neoklassische Wachstums- und Verteilungstheorie 1.
A. Grundzüge einer neoklassisehen Theorie der Vennögensverteilung auf sozioökonomische Gruppen Das aggregierte neoklassische Grundmodell zur Erklärung der Vermögensverteilung auf sozioökonomische Gruppen ist durch folgende Annahmen gekennzeichnet2 :
I Das grundlegende Modell fIndet sich in der einschlägigen Arbeit von J. E. Stiglitz, Distribution of Income and Wealth among Individuals, in: Econometrica, Vol. 37 (1969), S. 382 ff; deutsch: Eine Theorie der personellen Einkommens- und Vermögensverteilung, in: E. Schlicht, Einführung in die Verteilungstheorie, Reinbeck 1976, S. 255 ff. Die Bedeutung eines schichtspezifIschen Aldrumulationsverhaltens für die langfristigen Verteilungsprozesse diskutiert L. L. Pasinetti, Rate of ProfIt and Income Distribution in Relation to the Rate of Economic Growth, in: Review of Economic Studies, Vol. 29 (1962), S. 267 ff. Die Integration einer schichtspezifIschen Sparquote in ein neoklassisches Wachstumsmodell fIndet sich bei P. A. Samuelson / F. Modigliani, The Pasinetti Paradox in Neoclassical and More General Models, in: Review of Economic Studies, Vol. 33 (1966), S. 269 ff. 2 Vgl. H.-J. Ramser, Verteilungstheorie, Berlin 1987, S. 67 f.
140
4. Kapitel: Die Wirkungen auf die Vermögensverteilung
Die Produktionstechnologie ist neoklassischer Natur und linear-homogen in den Faktoren Arbeit und Kapital; im folgenden wird dabei eine Produktionsfunktion vom Cobb-Douglas-Typ ohne Berücksichtigung technischen Fortschritts unterstellt3. (IV.I)
Y = Ka A I- a .
Aufgrund der Homogenitätsannahme läßt sich (IV. 1) auch in intensiver Form als Pro-Kopf-Einkommen schreiben: (IV.2) wobei Y das Pro-Kopf-Einkommen (Y/A) und k die Kapitalintensität (K/A) bzw. das Durchschnittsvermögen angibt. Die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital werden unelastisch auf kompetitiven Märkten angeboten; die Faktoren sind vollbeschäftigt und ihre Faktorpreise entsprechen ihren jeweiligen Grenzproduktivitäten: (IV.3) Die Quoten der funktionellen Einkommensverteilung sind damit gleich den entsprechenden Produktionselastizitäten. Die Wachstumsrate des Arbeitskräftepotentials wird exogen vorgegeben; sie entspricht bei konstantem technischen Wissen4 der "natürlichen" Wachstumsrate der Volkswirtschaft. Das Wachstum des Produktionsfaktors Kapital wird endogen durch das Akkumulationsverhalten der sozialen Gruppen erklärt. Dabei wird unter-
3 Die Annahme einer Cobb-Douglas-Produktionsfunktion erfüllt - im Gegensatz zur bislang verwendeten CES-Funktion - die INADA-Bedingungen und stellt damit Existenz und Eindeutigkeit einer gleichgewichtigen KapitaIintensität sicher; vgl. H. Y. Wan, Economic Growth, New York u. a. 1971, S. 37 ff. 4 Bei Berücksichtigung harrod-neutralen technischen Fortschritts wäre der Faktor Arbeit in EffIzienzeinheiten zu messen; die Ergebnisse ändern sich hierdurch jedoch nicht; vgl. W. Krelle, Wachstum und Vermögensverteilung bei Ergebnisbeteiligung der Arbeitnehmer, in: H. Enke u. Q. (Hrsg.), Struktur und Dynamik der Wirtschaft. Beiträge zum 60. Geburtstag von Kar! Brandt, Freiburg i. Br. 1983, S. 225 ff.
A. Grundzüge einer neoklassischen Theorie der Vermögensverteilung
141
stellt, daß die Kapitalanteile unabhängig von der Eigentumsverteilung die gleiche Kapitalrendite aufweisen5 . Unterstellt man zunächst die Ersparnisbildung als lineare Funktion des Einkommens6 , so resultiert hieraus der aus der neoklassischen Wachstumstheorie bekannte Entwicklungspfad des Durchschnittsvermögens • • Bk k=ska-nk;wobeik=-, Ot sowie das Pro-Kopf-Einkommen im langfristigen Gleichgewicht (steadystate) (IV.4)
(IV.5)
.=(s- )a/I-a ,
y
n
mit y* = Pro-Kopf-Einkommen n Wachstumsrate des Arbeitskräftepotentials s = marginale Sparquote. Berücksichtigt man, daß die Produktionselastizitäten der Faktoren sowie die Wachstumsrate des Arbeitskräftepotentials exogene Variable sind, so erweist sich. die Sparquote, also das Kapitalangebot der privaten Haushalte, als zentrale Größe für den ökonomischen Entwicklungprozeß einer Volkswirtschaft. Die alternativen Hypothesen zum Akkumulationsverhalten der sozialen Gruppen beinhalten demzufolge erhebliche Implikationen für die hieraus resultierende Verteilung der Vermögensbestände sowie die EffIzienz vermögenspolitischer Maßnahmen; berücksichtigt man, daß die Kapitalbildung der jeweiligen Gruppe gleich der entsprechenden Ersparnis ist, so gilt für das schichtspeziftsche Akkumulationsverhalten der Arbeitnehmer- resp. Selbständigenhaushalte7 :
5 Zur Kritik an dieser Annahme vgl. insbesondere G. Bombach, Spekulationen über die Entwicklung der Einkommens- und Vennögensverteilung auf sehr lange Sicht, in: E. Schneider (Hrsg.), Wirtschaftskreislaufund Wirtschaftswachstum. earl Föh! zum 65. Geburtstag, Tiibingen 1966. 6 Diese Annahme ennöglicht es, zunächst die Entwicklung der aggregierten Größen ohne Berücksichtigung der Vennögensverteilung zu analysieren; vgl. H.-I. Ramser, Verteilungstheorie, S. 66 ff. 7 Vgl. hierzu W. I. Mückl, Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer in einem neoklassischen Wachstumsmodell, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 186 (1CJ72/72), S. 106 ff.; ders., Sparverhalten und Vennögensverteilung, in: WiSt, Heft 1 (1987), S. 15 ff. sowie U. Schlieper, Kapitalbildung und volkswirtschaftlicher Entwicklungsprozeß, in: W. Ehrlicher / D. B. Simmert (Hrsg.), Der volkswirtschaftliche Sparprozeß, Berlin 1985, S. 53 ff.
142
4. Kapitel: Die Wirkungen auf die Vermögensverteilung
(IV.6) (IV.7) mit SA' SK SA SAK SK KA,KK
= Gesamtersparnis
der Arbeitnehmer- resp. Selbständigenhaushalte marginale Sparquote der Arbeitnehmer aus Arbeitseinkommen = marginale Sparquote der Arbeitnehmer aus Kapitaleinkommen = marginale Sparquote der Selbständigen Änderungsrate des Kapitalstocks der Arbeitnehmer- resp. = Selbständigenhaushalte .
Bezeichnet man ferner den Vermögensanteil der Selbständigenhaushalte am Gesamtkapital KK/K mit z, so erfolgt die zeitliche Entwicklung des gesamten Kapitalstocks gemäß
(IV.8)
" y 1\ K = sKrz+ SA (1- a)-+ sAKr(l- a), mit K
K
K
==-. K
Im langfristigen Gleichgewicht (steady state) ergibt sich für den Anteil der bisherigen Gewinneinkommensbezieher am Kapitalstock (z*)
(IV.9) Man erkennt, daß der Anteil der Arbeitnehmer am Gesamtkapital langfristig gegen eins tendiert, sofern die Sparquote der Arbeitnehmer einen bestimmten Wert nicht unterschreitet8 ; im Kaldor-Fall ist die Realisierung des "Ein-Klassen-Gleichgewichts" durch die Annahme einer einkommensspezifischen Sparfunktion gesichert, bei Zugrundelegen einer schichtspezifischen Sparfunktion des Pasinetti-Typs sind hingegen beide Endverteilungen in Abhängigkeit von der relativen Differenz der marginalen Sparquoten von
8
(1-
Der Vennögensanteil der Selbständigen ist im allgemeinen Fall größer Null, sofern U)SA
+ uSA!( ~
uS K
gilt.
B. Die Wirkungen auf die sozioökonomische Vermögensverteilung
143
Arbeitnehmern und Kapitaleignern möglich. 9 Das Gesamteinkommen der Arbeitnehmerhaushalte setzt sich nun aus Arbeits- und Gewinneinkommen zusammen. Für das durchschnittliche Einkommen der Arbeitnehmerhaushalte ergibt sich: (IV. 10) Das Gesamteinkommen der Arbeitnehmer ist demnach nicht allein durch produktionstechnische Faktoren determiniert, sondern hängt darüberhinaus von der Vermögensverteilung, mithin von der Erspamisbildung der sozialen Gruppen, ab. B. Die Wirkungen einer Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer auf die sozioökonomische Verteilung des Vermögens Die neoklassische Theorie der Vermögensverteilung stellt die zentrale Bedeutung des Sparverhaltens der sozialen Gruppen für das Niveau und die Verteilungsstruktur des Vermögens heraus. Aufgrund der erheblichen Bedeutung, die der Erspamisbildung für die Bildung und Verteilung des Vermögens und damit für den langfristigen Erfolg vermögenspolitischer Maßnahmen zukommt, werden im folgenden die aggregierten theoretischen Ansätze zur Erklärung des Sparverhaltens dahingehend überprüft, inwiefern diese Ansätze einen Beitrag zur Erklärung der zunächst ad hoc gesetzten Annahme eines schicht- resp. einkommensspezifischen Sparverhaltens liefern und welche Implikationen sich hieraus für das Akkumulationsverhalten der sozialen Gruppen und das Wachstum des gesamtwirtschaftlichen Kapitalstocks ergeben. I. Die Wirkungen einer Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer auf Niveau und Verteilungsstruktur des Vermögens
Anband der vorstehenden Überlegungen werden nun die Effekte einer Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital der Unternehmen auf die Verteilung der Vermögensbestände unter Verwendung alternativer Sparhypothesen analysiert. Die Einführung einer invcstivcn Gewinnbeteiligung modifiziert das in (IV.6) resp. (IV. 7) abgebildete schichtspezifische Akkumulationsverhalten der sozialen Gruppen: (IV. 11)
SA = KA = SAL+sAK(rKA + SKK)'
(IV. 12)
SK =I