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German Pages XIII, 193 [197] Year 2020
Thomas Lange
Hybrider Wohlfahrtskorporatismus Eine Analyse zur Veränderbarkeit des Pflegesystems und der Wohlfahrtsverbände
Hybrider Wohlfahrtskorporatismus
Thomas Lange
Hybrider Wohlfahrtskor poratismus Eine Analyse zur Veränderbarkeit des Pflegesystems und der Wohlfahrtsverbände
Thomas Lange Heidelberg, Deutschland Zugleich Dissertation Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 2020 mit dem Titel „Konservierte Institutionen? Eine Analyse zu den Grenzen der Veränderbarkeit im Pflegesystem und in den Wohlfahrtsverbänden“.
ISBN 978-3-658-30753-0 ISBN 978-3-658-30754-7 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-30754-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Stefanie Eggert Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Paul – Max – Patricia
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 Erkenntnisinteresse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2.1 Institutionelle Hybridität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2.2 Organisationale Hybridität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.3 Wechselwirkung zwischen Organisationen und Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3 Vorgehensweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2 Veränderbarkeit von Institutionen: Ausarbeitung einer Theorie. . . . . 19 1 Theorierahmen: Akteurszentrierter Institutionalismus. . . . . . . . . . . . . 19 2 Theorien: Pfadabhängigkeit, Hybridität und Korporatismus . . . . . . . . 23 2.1 Theorie zur Pfadabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.2 Theorie zur Hybridität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.3 Korporatismus und Pluralismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.4 Typologie zu den Beziehungen zwischen Staat und Verbänden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3 Erklärungsansätze für hybride Institutionen: Pflegesektor. . . . . . . . . . 39 3.1 Gestaltung von Institutionen in der Sozialpolitik aus Sicht von Pfadabhängigkeit und -wechsel. . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3.2 Die Hybridisierung von Institutionen im Pflegesektor. . . . . . . . . 42 3.3 Pfadwechsel, Pfadabhängigkeit und Hybridisierung: Hypothesenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
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Inhaltsverzeichnis
3 Veränderbarkeit von Organisationen: Ausarbeitung einer Theorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1 Sicherheit und Unsicherheit in der Umwelt von Organisationen. . . . . 51 2 Pfadabhängigkeit und -wechsel von Organisationen . . . . . . . . . . . . . . 56 2.1 Isomorphismus, Polymorphismus und Entkopplung. . . . . . . . . . 56 2.2 Pfadabhängigkeit bei Organisationen durch Isomorphismus: Hypothesenbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2.3 Pfadwechsel durch Entkopplung und Polymorphismus: Hypothesenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.4 Forschungsstand: Isomorph und polymorph geprägter Wandel der Wohlfahrtsverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3 Erklärungsansätze für hybride Organisationen: Wohlfahrtsverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.1 Ausgangspunkt: Hybride Organisationen im Neo-Institutionalismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.2 Organisationale Hybridität im Akteurszentrierten Institutionalismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.3 Gleichartige Steuerungsprinzipien bei Institutionen und Organisationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3.4 Hybridisierung von Sicherheit und Unsicherheit der Umwelt: Hypothesenbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.5 Forschungsstand: Die Hybridisierung von Wohlfahrtsverbänden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4 Abschließende Bemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 4 Veränderbarkeit der Institutionen des Pflegesektors: Empirie . . . . . . 89 1 Die Institutionen des Pflegesektors und ihr Wandel. . . . . . . . . . . . . . . 89 1.1 Ausgangspunkt für die Gestaltung des Pflegesektors: Wohlfahrtsökonomische Überlegungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1.2 Die institutionelle Veränderung des Pflegesektors nach Einführung der Pflegeversicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1.3 Korporatistische Strukturen im Pflegesektor: Privilegien und „vom Status zum Kontrakt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2 Analyse der veränderten Institutionen im Pflegesektor . . . . . . . . . . . . 108 2.1 Hybride Staat-Verbände-Beziehungen: Kooperation, Konfrontation und Komplementarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2.2 Korporatismus als virtuelle Struktur im Pflegesektor . . . . . . . . . 117 2.3 Relational und Quasi-Market-Governance zwischen Pfadabhängigkeit und Pfadwechsel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Inhaltsverzeichnis
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2.4 Beantwortung der ersten Forschungsfrage und Überprüfung der Hypothesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3 Abschließende Bemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 5 Veränderbarkeit der Organisationen im Pflegesektor: Empirie . . . . . 127 1 Die Organisationen im Pflegesektor und ihr Wandel . . . . . . . . . . . . . . 127 1.1 Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und ihre Einrichtungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1.2 Traditionelle Stakeholderstruktur zwischen Einfluss- und Mitgliedschaftslogik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1.3 Verbetrieblichung und der Verfall der Mitgliedschaftslogik . . . . 143 2 Analyse der Wohlfahrtsverbände im veränderten Pflegesektor . . . . . . 151 2.1 Selective Coupling als neue Strategie der Wohlfahrtsverbände. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2.2 Entwicklung des konfrontativen Korporatismus im wohlfahrtspluralistischen Pflegesektor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2.3 Beantwortung der zweiten Forschungsfrage und Überprüfung der Hypothesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2.4 Beantwortung der dritten Forschungsfrage: Akteurszentriertheit und Pfadabhängigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . 170 6 Abschließende Bemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 2.1 Varianten sektoraler Regelungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . 20 Abbildung 2.2 Bereichs- und Steuerungshybridisierung . . . . . . . . . . . . . . 33 Abbildung 2.3 Typologie zu Staat-Verbände-Beziehungen . . . . . . . . . . . . 38 Abbildung 2.4 Staat als Netzwerk mit öffentlichen und privaten Akteuren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Abbildung 2.5 Erweiterte Typologie zu Staat-Verbände-Beziehungen . . . 48 Abbildung 3.1 Umweltzustände anhand von Dynamik und Komplexität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Abbildung 3.2 Umweltzustände im Iso- und Polymorphismus . . . . . . . . . 65 Abbildung 3.3 Abgrenzung der Kontextsteuerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Abbildung 3.4 Hybridisierung von Umweltzuständen. . . . . . . . . . . . . . . . 82 Abbildung 4.1 Das sozialrechtliche Dreieck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Abbildung 4.2 Auf den Pflegesektor angewandte Typologie zu StaatVerbände-Beziehungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Abbildung 5.1 Organisationsstruktur der Freien Wohlfahrtspflege . . . . . . 130 Abbildung 5.2 Interne und externe Anspruchsgruppen der Wohlfahrtsverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Abbildung 5.3 Hybridisierung von Umweltzuständen im Pflegesektor. . . 159 Abbildung 5.4 Auf den Pflegesektor angewandte Typologie zu Staat-Verbände-Beziehungen, erweitert um die organisationale Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
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Tabellenverzeichnis
Tabelle 4.1 Zentrale Prinzipien vor und nach Einführung der Pflegeversicherung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
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Einleitung
1 Problemstellung Die Einführung der Pflegeversicherung stellt Mitte der Neunzigerjahre einen fundamentalen Einschnitt in der Entwicklung des deutschen Pflegesektors dar. Begleitet wurde die Einführung der Pflegeversicherung von einer umfassenden institutionellen Veränderung des gesamten Pflegesystems. Grund der Reformierung war das Bestreben des Gesetzgebers klaffende Defizite für Pflegebedürftige und Kommunen zu beseitigen. Die Pflegeversicherung stellt ein Versicherungssystem auf Basis des Solidarprinzips dar. Mit ihr sollten entstehende Kosten für Pflegebedürftige zumindest teilweise abgefedert werden. Auch die Kommunen, die als Träger der Sozialämter für nicht mehr zahlungsfähige Pflegebedürftige einspringen mussten, konnten eine Entlastung erwarten. Zu den institutionellen Veränderungen im Pflegesystem gehörten darüber hinaus die Auflösung von Marktzutrittsbarrieren zugunsten neuer Anbieter sowie die Einführung eines Quasi-Marktes, der für Wettbewerb unter den Leistungsanbietern sorgen sollte. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, die bislang vor allem im stationären Pflegesektor ein Oligopol innehatten, gerieten unter Druck. Sie wurden nun einem neuen, vielmehr von Marktgesetzen getriebenen institutionellen Umfeld ausgesetzt. Gleichzeitig verloren die Wohlfahrtsverbände ihren Status, den ihnen die Politik im alten Pflegesystem angedeihen ließ. Bis zur Reform standen die Wohlfahrtsverbände im Pflegesektor in einer engen Partnerschaft zum Staat, waren in politische Entscheidungen eingebunden und erhielten eine besondere
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Lange, Hybrider Wohlfahrtskorporatismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30754-7_1
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1 Einleitung
arktstellung. Von diesem Korporatismusgebilde, in dem die Pflege politisch und M wirtschaftlich gestaltet wurde, schien sich die Politik abzuwenden. Mit der Reformierung des Pflegesystems schienen die Weichen gestellt zu sein – nicht nur für das System selber. Denn durch die Ausrichtung auf Marktgesetze und durch ihren eigenen Statusverlust sind Wohlfahrtsverbände bis heute von tiefgreifenden Umstellungsfragen getrieben. Nach fast fünfundzwanzig Jahren seit den Reformeinschnitten stellt sich die Frage, wie sich der Wandel im Pflegesystem bis heute äußert und mit welchen Mitteln die Wohlfahrtsverbände auf die Veränderungen inzwischen reagiert haben? Zentral für diese Frage wird dabei eine widersprüchliche Beobachtung: Bis heute werden immer wieder Zustände hergestellt, die das aktuelle – mittlerweile fast fünfundzwanzig Jahre alte – Pflegesystem teilweise an sein Vorgängermodell erinnern lassen. Dies betrifft insbesondere die S taat-Verbände-Beziehungen, in denen Wohlfahrtsverbände und Staat immer noch miteinander in einem korporatistischen Netzwerk verwoben zu sein scheinen. Ein altes korporatistisches Netz, das sich mit der Reform grundsätzlich hätte auflösen sollen, prägt anscheinend bis heute das Pflegesystem mit. Stellen sich bis heute korporatistische Netzwerke immer wieder ein, so dürften sie nicht nur im aktuellen Pflegesystem für alte Muster sorgen, sondern auch in den Wohlfahrtsverbänden selber altbewährte Strukturen und Prozesse aufleben lassen. Wie sich dieses Phänomen auf das Pflegesystem und die Verbände auswirkt, wird im Rahmen dieser Arbeit untersucht.
2 Erkenntnisinteresse Das zentrale Erkenntnisinteresse dieser Arbeit fokussiert deshalb auf die Frage, wie und in welchem Ausmaß Wandel von einer unvorhersehbaren Beständigkeit begleitet wird und mit welcher Wirkung dadurch zu rechnen ist? Zur Untersuchung des Erkenntnisinteresses werden verschiedene theoretische Ansätze miteinander verknüpft. Durch ihre Kombination soll ein möglichst guter analytischer Zugang geschaffen werden. Diese Ansätze werden danach ausgewählt, inwieweit sie zueinander besonders anschlussfähig sind. Zum zentralen analytischen Instrument wird in dieser Arbeit der Begriff der Hybridität. Hybridität bezieht sich auf Mischformen, die im Aufbau und in der Steuerung des Pflegesektors und den Wohlfahrtsverbänden mit den Jahren emporgekommen sind.
2 Erkenntnisinteresse
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Für einen geeigneten analytischen Zugriff zur Hybridität werden die theoretischen Ansätze zur Pfadabhängigkeit und zum Pfadwechsel (vgl. u. a. Arthur 1984, Mahoney 2000 und Lütz 2006) genutzt: Im Rahmen dieser Arbeit ist Hybridität als Mischform zu verstehen, die sich aus Elementen, die mit einem Pfadwechsel etabliert worden sind und Elementen, die pfadabhängig sind und aufgrund der Pfadabhängigkeit fortbestehen, zusammensetzt. Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit wird entlang von drei Forschungsfragen skizziert. Die Forschungsfragen beziehen sich mit dem Pflegesektor auf die institutionelle Ebene (Forschungsfrage 1), mit den Wohlfahrtsverbänden auf die Organisationsebene (Forschungsfrage 2) sowie auf die Wechselwirkung zwischen diesen beiden Ebenen (Forschungsfrage 3).
2.1 Institutionelle Hybridität Die Arbeit widmet sich zum einen dem Phänomen der Hybridität von Institutionen. Unter Institutionen wird im Allgemeinen ein Regime aus Regeln bzw. Rechten aber auch fest etablierte netzwerkartige Strukturen verstanden, die den Aufbau und die Steuerung des Umfeldes festlegen, in dem sich Organisationen bewegen. Auf der Ebene der Institutionen wird folgende Forschungsfrage verfolgt: Forschungsfrage_1: Inwieweit unterliegen trotz eines im Großen und Ganzen vollzogenen institutionellen Pfadwechsels im Pflegesektor manche institutionellen Elemente einer Pfadabhängigkeit und bleiben deshalb bestehen? Wie kennzeichnet das Nebeneinander von Pfadwechsel und Pfadabhängigkeit das institutionelle Design und die Steuerung des Pflegesektors?
Bei der Auswertung der bestehenden Forschungsliteratur ergibt sich ein auffälliges Bild hinsichtlich des Aufbaus und der Steuerung des Pflegesystems und anderer Sektoren der Sozialpolitik. Insbesondere die Befunde zu der Wirkung von Staat-Verbände-Beziehungen sind sehr widersprüchlich. Grundsätzlich sind zwei extreme Positionen in der Beurteilung, wie Staat-Verbände-Beziehungen in der Gesamtinstitution wirken, auszumachen. Während das eine Lager eine dominierende Wirkung von Staat-Verbände-Beziehungen hervorhebt, identifiziert das andere Lager einen Verfall eben dieser Staat-Verbände-Beziehungen und ihrer Wirkung. Will man beide Lager berücksichtigen, so muss man davon ausgehen, dass es zwei Zustände von Staat-Verbände-Beziehungen gibt.
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1 Einleitung
inmal Staat-Verbände-Beziehungen, in denen Wohlfahrtsverbände deutE lich an Privilegien eingebüßt haben und wie viele neue Anbieter in einem Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis zum Staat stehen. Die einst bedeutungsvollen S taat-Verbände-Beziehungen sind dabei hinter den neu eingeführten Teilinstitutionen, wie einem Markt für Leistungsanbieter und dem ihm innewohnenden Wettbewerb, zurückgetreten. Diesem Befund entgegenstehend scheinen Wohlfahrtsverbände aus der Sicht des anderen Lagers nach wie vor in einem engen Austausch mit der Politik zu stehen, sich sehr zielgerichtet organisieren zu können und zumindest phasenweise ihren alten Status zurückerlangen zu können. Die nach wie vor bestehende Verquickung von Wohlfahrtsverbänden und Staat erscheint damit in einer unvorhersehbaren Beständigkeit, vor allem deshalb, weil der Reform der Sozialsektoren und mithin des Pflegesektors die Idee innewohnte, die Dominanz dieser Staat-Verbände-Beziehung deutlich abzubauen. Wenn alte, dominante Staat-Verbände-Beziehungen das reformierte Institutionengefüge mitprägen, dann bestehen Institutionenhybride, in denen neue institutionelle Elemente mit alten institutionellen beständigen Elementen nebeneinanderstehen und sich vermischen. Eine Analyse des Pflegesektors kann Ergebnisse zu diesem institutionellen Hybrid liefern. Der Gesetzgeber hat wie oben umrissen mit der Reformierung des Pflegesektors Mitte der Neunzigerjahre einen institutionellen Pfadwechsel vollziehen wollen, weil das bisherige System insbesondere für Pflegebedürftige und Kommunen große Schwächen aufwies: Pflegebedürftige sollten nicht mehr zu Sozialhilfeempfängern werden, wenn sie ihre Pflege nicht dauerhaft aus dem eigenen Einkommen oder Vermögen zu stemmen in der Lage waren. Im gleichen Atemzug sollten die Kommunen von dem finanziellen Druck, der ihnen durch Sozialhilfe für Pflegebedürftige entstand, befreit werden. Da Kommunen die Träger der Sozialämter sind, entlud sich auf ihnen die Finanzlast von Pflegebedürftigen, die ihre Pflege nicht alleine stemmen konnten. Die Pflegeversicherung sollte diesem Problem zu großen Teilen Herr werden. Darüber hinaus legte der Gesetzgeber im Rahmen der institutionellen Umstellung den Schwerpunkt auf mehr Wettbewerb zwischen Leistungsanbietern. Anstatt den Zugang von Pflegemärkten zu beschränken und den Pflegemarkt den Wohlfahrtsverbänden zu überlassen, setzte der Gesetzgeber vermehrt auf Wettbewerb zwischen Leistungsanbietern. Die institutionelle Umstellung und die Absicht des Staates einer zunehmenden Marktöffnung findet seinen Ausgangspunkt im Wandel des Subsidiaritätsprinzips. Im alten Pflegesystem hat das Subsidiaritätsprinzip den Rahmen für enge Verflechtungen zwischen Staat und den Wohlfahrtsverbänden gebildet und war Grundlage für eine Vorrangstellung der Wohlfahrtsverbände in der Leistungserbringung und für ihren besonderen Status im politischen System.
2 Erkenntnisinteresse
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Jene engen Staat-Verbände-Beziehungen, im Rahmen derer Staat und Wohlfahrtsverbände den Pflegesektor zentral steuerten, sollten durch die Reform des Pflegesektors ihre Bedeutung verlieren. Nicht nur der Staat und die Wohlfahrtsverbände sollten den Pflegesektor dominieren. Vielmehr sind viele Akteure -Bürger, Pflegekassen, privat-gewerbliche Anbieter, Wohlfahrtsverbände – in die politische Gestaltung und die Leistungsbereitstellung eingebunden und von einer pluralistischen Anbieterlandschaft begleitet worden, was letztlich als Wohlfahrtspluralismus zusammengefasst wird. Wohlfahrtsverbände sind zu einem von vielen Akteuren geworden. Im Großen und Ganzen sind im Pflegesektor deutliche Züge eines institutionellen Pfadwechsels auszumachen. Und dennoch zeigen sich fast fünfundzwanzig Jahre nach der Reform Muster, dass alte Institutionelle Elemente diese deutlichen Reformeinschnitte überdauert haben. Insbesondere die Staat-Verbände-Beziehungen, die vor der Einführung der Pflegeversicherung als festes, stabiles Netzwerk im Pflegesystem verankert waren, treten nach wie vor als ein machtvolles Netzwerk zu Tage. Denn zum einen finden sich im Pflegesektor fest institutionalisierte Konsensfindungsarenen wie die Pflegesatzkommissionen oder auch die Pflegekonferenzen, in denen sich die beteiligten Akteure annähern sollen. Zum anderen lassen sich Kartellabsprachen der Wohlfahrtsverbände sowie ihr nach wie vor bestehender privilegierter Zugang zur Politik nachweisen. Möglich wird dies durch die Fähigkeit der Wohlfahrtsverbände, sich auf Länder- und Bundesebene geschlossen zu organisieren und zu positionieren. Für die Beantwortung der ersten Forschungsfrage wird das Zusammenspiel von pfadabhängigen und pfadwechselnden Institutionen als hybrider Institutionenrahmen herausgearbeitet.
2.2 Organisationale Hybridität Auch zeichnet sich ein Wandel bei Organisationen ab, die seit Jahrzehnten im Pflegesektor tätig sind. In erster Linie sind dies die Wohlfahrtsverbände, die hier im Fokus der Analyse stehen. Dabei werden die Wohlfahrtsverbände entlang der zweiten Fragestellung dieser Arbeit untersucht: Forschungsfrage_2: Inwieweit ist die Entwicklung von Wohlfahrtsverbänden pfadwechsel- und/oder pfadbeständigkeitsgetrieben und inwieweit hängt es von institutionellen Faktoren oder Faktoren innerhalb der Organisation ab, wie der Wandel der Wohlfahrtsverbände verläuft?
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1 Einleitung
Für die Analyse bietet sich die Entwicklung eines theoretischen Zugangs zu einer organisationalen Pfadabhängigkeit bzw. einem Pfadwechsel an. In der Theorie zur Entwicklung von Organisationen hat sich die Sichtweise des Isomorphismus (vgl. DiMaggio/Powell 1983) bewährt: Organisationen übernehmen häufig das Gebaren und die Methoden der Organisationen, die als erfolgreich gelten. In der Folge kommt es in einer Branche zu einer Gleichförmigkeit von Organisationen durch Nachahmung. Dem theoretischen Ansatz zur Isomorphie kann jedoch ein theoretischer Ansatz zur Vielförmigkeit, die Polymorphie, entgegengesetzt werden – Organisationen können sich demnach individuell-innovativ und damit unterschiedlich entwickeln, es kommt zu einer heterogenen Organisationstypenlandschaft. Aus der Perspektive von Pfadabhängigkeit und Pfadwechsel lassen sich diese beiden Theorien folgendermaßen übersetzen: Organisationen verändern die Ideen und Modelle nicht, auf denen ihr Handeln basiert, sondern sie orientieren sich am Bewährten. Diese isomorphe Entwicklung, die entsteht, weil sich Organisationen an bewährten Modellen orientieren, stellt letztlich eine organisationale Pfadabhängigkeit dar. Hingegen kann es Umstände geben, die dazu führen, dass Organisationen sich polymorph, d. h. individuell-innovativ weiterentwickeln und damit bestehende Pfade zu verlassen in der Lage sind. Eine organisationale Vielfalt ist dann die Folge. Betrachtet man beide Ansätze aus der Institutionenperspektive, so wird deutlich, dass die Pfadwechselfähigkeit von Organisationen bestimmt wird von den Institutionen, in die sie eingebettet sind (vgl. Duncan 1972). Maßgebend ist die Sicherheit bzw. die Unsicherheit einer Institution, in der eine Organisation eingebettet ist, so die theoretische Erkenntnis: Dynamische und komplexe Institutionen sind für Organisationen mit Unsicherheit behaftet und schwer einschätzbar – der Versuch, sich darin neu zu erfinden, könnte zu einem Scheitern führen, weshalb Organisationen eher bewährte Praktiken kopieren. Institutionen, die weniger dynamisch und komplex sind und von denen schließlich Sicherheit ausgeht, führen hingegen dazu, dass Organisationen experimentieren (wollen). Diese theoretische Erkenntnis ist für die Frage, wie sich Wohlfahrtsverbände im reformierten Pflegesektor weiterentwickeln (können), von Bedeutung: Sind sie in der Lage, sich in dem neuen komplexen institutionellen Umfeld neu auszurichten und inwieweit sind sie gezwungen, Modelle zu übernehmen anstatt sich neu zu erfinden? Ein Hybriditätsansatz kann helfen, Aufschluss für eben diese komplexe Frage zu geben: Organisationale Hybridität äußert sich – so die hier entwickelte Theorie – derart, dass Organisationen meist in Institutionen eingebettet sind, von denen Sicherheit wie auch Unsicherheit ausgehen. In den unsicheren Bereichen übernehmen Organisationen bewährte Modelle und gleichen sich an – in sicheren Bereichen entwickeln sie eigene Praktiken. Damit
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stehen eine nachahmende (isomorphe) wie auch eine innovativ-individuelle (polymorphe) Entwicklung nebeneinander. Eine Analyse der Wohlfahrtsverbände im Pflegesektor kann Ergebnisse zu den Kennzeichen von organisationaler Hybridität liefern, wobei eine Stakeholder-Perspektive als analytischer Zugang gewählt wird. Anspruchs gruppen oder auch Stakeholder können Umwelten näherungsweise beschreiben, da sie Sicherheit oder Unsicherheit der Umwelten über ihre Ansprüche in die Wohlfahrtsverbände hineintragen. Eine Stakeholder-Perspektive kann schließlich Aufschluss geben über die isomorphe und polymorphe Entwicklung der Wohlfahrtsverbände im Pflegesystem. Als externe Anspruchsgruppen von Wohlfahrtsverbänden lassen sich der Staat, die Kirche sowie die Leistungsempfänger/ Kunden identifizieren. In den Wohlfahrtsverbänden selber finden sich etwa Mitarbeiter und Ehrenamtliche als interne Anspruchsgruppen. Im alten System des Pflegesektors waren Wohlfahrtsverbände in der Lage, in Spannung stehende Interessen von externen und internen Stakeholdern, größtenteils auszugleichen oder Spannungen standzuhalten, da ihnen durch ihre Einbindung in das korporatistische System genug Macht und Einfluss zur Verfügung standen. Die Wohlfahrtsverbände stellten machtvolle und ihrerseits einflussreiche Akteure in der Gestaltung der Sozialpolitik dar, wodurch sie das System entsprechend mitauszurichten in der Lage gewesen sind. Eben jenes stabile Gleichgewicht hat sich in den Wohlfahrtsverbänden durch die institutionellen Umwälzungen im Pflegesystem aufgelöst. Es zeigt sich, dass infolge von Anpassungsstrategien, die Wohlfahrtsverbände durch die Reform im Pflegesektor vorangetrieben haben, manche internen Stakeholder geschwächt wurden, wohingegen der Einfluss externer Stakeholder gleichgeblieben ist oder sich sogar verstärkt hat. Die Balance der Stakeholderstruktur aus dem alten System scheint einer Schieflage derart gewichen zu sein, als die Einflüsse aus der Umwelt die Wohlfahrtsverbände nun zu durchdringen und nur auf einen sehr geschwächten Gegendruck der internen Stakeholder zu treffen drohen. Damit werden die Wohlfahrtsverbände gedrängt sein, eine Strategie zu entwickeln, um ihre Stakeholder gewogen zu halten. Dies wird Gegenstand der Ausarbeitung sein.
2.3 Wechselwirkung zwischen Organisationen und Institutionen Entlang der oben skizzierten Analyse wird eine weitere Forschungsfrage verfolgt, die mögliche wechselwirkende Beziehungen zwischen Institutionen und
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1 Einleitung
Organisationen aufgreifen und auf Basis zweier Großtheorien einordnen wird. Grundsätzlich folgen die oben genannten Organisationstheorien der Annahme, dass Organisationen auf die Wirkungen der Institutionen, die sie umgeben, nur reagieren können: Sie entwickeln sich als Reaktion gleichförmig oder individuell. Diese Annahme gibt einen Grundgedanken des Neo-Institutionalismus wieder, der von einer Determinierung der Organisationsentwicklung durch die die Organisationen umgebenden Institutionen ausgeht. Der hier entwickelte theoretische Ansatz zu Organisationen geht einen Schritt weiter und nimmt an, dass Institutionen zwar Organisationen prägen können; jedoch sind Organisationen ebenfalls in der Lage, Einfluss auf das institutionelle Gesamtbild zu nehmen. Dieser Ansatz enthält damit Merkmale eines Akteurszentrierten Institutionalismus (vgl. Scharpf/Mayntz 1995), dem zufolge Organisationen und Institutionen sich wechselseitig beeinflussen. Institutionen und Organisationen stehen diesem Ansatz zufolge in ihrer Wirkungsmacht gleichwertig nebeneinander. Damit ist der Akteurszentrierte Institutionalismus geeignet, um die Wechselwirkungen zwischen Institutionenebene und Organisationsebene zu analysieren. Dieser Wechselwirkung soll mit folgender Forschungsfrage nachgegangen werden: Forschungsfrage_3: Inwieweit sind die Entwicklungen von Wohlfahrtsverbänden und dem Pflegesektor getrieben von ihrem wechselseitigen Einfluss aufeinander?
Die Ergebnisse aus der Beantwortung der ersten und zweiten Forschungsfrage werden als Grundlage für die Beantwortung der dritten Fragestellung dienen, inwieweit die Wohlfahrtsverbände das bestehende korporatistische System auch ursächlich erklären können. Die dritte Forschungsfrage greift eine neue Perspektive auf, wurde doch bislang gefragt, inwieweit Wohlfahrtsverbände auf institutionelle Veränderungen reagieren.
3 Vorgehensweise Die Arbeit gliedert sich in vier Teile. Kapitel 2 und Kapitel 3 stellen den theoretischen Teil dieser Arbeit dar und widmen sich der Veränderbarkeit von Institutionen und Organisationen. Entlang der hier erarbeiteten Theorien werden Hypothesen zur Veränderbarkeit von Institutionen (Kapitel 2) und zur Veränderbarkeit von Organisationen (Kapitel 3) aufgestellt. Die Hypothesen werden im daran anschließenden empirischen Teil anhand der institutionellen Veränderungen
3 Vorgehensweise
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im Altenpflegesektor (Kapitel 4) und der organisationalen Veränderungen der Wohlfahrtsverbände (Kapitel 5) überprüft. Der Einleitung folgt eine grundlegende Darstellung des Akteurszentrierten Institutionalismus in Abschnitt 2.1, der in dieser Arbeit den theoretischen Rahmen darstellt. Der Akteurszentrierte Institutionalismus stellt aus mehreren Gründen einen geeigneten analytischen Rahmen dar. Zum einen ist dieser Ansatz darauf ausgerichtet, staatsnahe Bereiche wie den Altenpflegesektor samt seiner Steuerungsmechanismen zu analysieren. Zum anderen unterstellt der Akteurszentrierte Institutionalismus ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Strukturen und Akteuren. Er nimmt damit einen Wechselwirkungszusammenhang zwischen der institutionellen Ebene (Pflegesektor) und der organisationalen Ebene (Wohlfahrtsverbände) in den Blick. Im Gegensatz zum Neo-Institutionalismus nimmt der Akteurszentrierte Institutionalismus damit keine determinierende Wirkung von Strukturen auf Akteure an, sondern geht von einem wechselseitigen Einfluss aus. Genau dieses Ziel verfolgt die gesamte Arbeit, in dem zum einen die Strukturen in den Blick genommen werden, d. h. die Institutionen wie den Korporatismus. Zum anderen will die Arbeit die Wohlfahrtsverbände als Akteure in den Blick nehmen und dahingehend untersuchen, wie sie auf einen strukturellen Wandel reagieren und ggf. Institutionen beeinflussen. Im Rahmen dieser Arbeit sollen unter dem Institutionenbegriff feste Strukturen wie Markt, öffentlicher Verwaltungsapparat (Staat) oder auch fest institutionalisierte Beziehungsmuster zwischen Staat und Verbänden (Korporatismus) verstanden werden. Organisationen hingegen sind die handelnden Akteure, wobei hiermit primär die Wohlfahrtsverbände gemeint sind. Primär sollen der Institutionenbegriff und der Organisationsbegriff verwendet werden. Nur in entsprechenden Theoriedarstellungen, in denen die (Wechsel-) Wirkungen von Institutionen und Organisationen verallgemeinert werden, soll ausdrücklich von Akteur und Struktur die Rede sein1. Die spätere empirische Institutionenanalyse soll auf Grundlage von zwei theoretischen Ansätzen erfolgen. Neben dem Ansatz zur Pfadabhängigkeit bzw. zum Pfadwechsel wird die Hybridisierungstheorie als Ansatz gewählt (Abschnitt 2.2.1 und 2.2.2). Mit dieser Theoriewahl lassen sich drei voneinander abweichende Sichtweisen, die Aussagen über die Veränderbarkeit von Institutionen und darüber hinaus über Beziehungen zwischen Staat und Ver-
1Vgl.
hierzu Akteurszentrierter Institutionalismus oder auch die Theorien in Kapitel 3.
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bänden treffen, ableiten. Zum einen, dass sich Institutionen im Wohlfahrtsbereich Altenpflege als sehr stabil herausstellen und damit die Beziehungen zwischen Staat und den großen Wohlfahrtsverbänden im Kern nicht verändert haben (institutionelle Pfadabhängigkeit). Die alternative Sichtweise lautet, dass die Institutionen im Bereich Altenpflege auch im Kern fundamentalen Veränderungen unterliegen, was sich erheblich auf die Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden ausgewirkt hat (Pfadwechsel). Schlussendlich soll eine Theorie zur Hybridisierung entwickelt werden, die davon ausgeht, dass weder eine von Pfadabhängigkeit geprägte institutionelle Stabilität, noch eine grundsätzlich veränderte Gesamtinstitution gegeben ist. Vielmehr kennzeichnen Pfadwechsel und Pfadabhängigkeit die verschiedenen Bereiche wie Staat, Markt oder Korporatismus gemeinsam, was schließlich auch verschiedene Steuerungsmechanismen hervorgebracht hat. D. h. es ist zu einer Vermischung von Institutionen aus beständigen, also pfadabhängigen Institutionen sowie transformierten (pfadwechselnden) Institutionen gekommen, was als Hybridisierung verstanden werden soll. Um die drei Ansätze zueinander in Beziehung setzen und vergleichen zu können, soll eine Typologie verwendet werden, die unterschiedliche Beziehungsmuster zwischen dem Staat und Verbänden herleiten kann. Ausgangspunkt ist eine Kritik an den theoretischen Ansätzen zum Korporatismus. Da sie nur erfassen können, inwieweit eine Einbindung von Verbänden bzw. gesellschaftlichen Interessen in die Gestaltung politiknaher Sektoren vorliegt, greifen sie für eine Untersuchung der Beziehungen von Staat und Wohlfahrtsverbänden wohl zu kurz. Eine leistungsfähige Alternative zur Korporatismustheorie bietet Najam (2000), der in seinem Ansatz mit Hilfe einer Typologisierung Staat-Verbände-Beziehungen nach den Zuständen Kooperation, Konfrontation, Komplementarität und Ko-optation unterscheidet (Abschnitt 2.2.3 und 2.2.4). Nach dem eine Zusammenfassung zu den unterschiedlichen Sichtweisen zum Institutionenwandel der bestehenden Forschungsliteratur erfolgt, sollen schließlich mit Hilfe der Typologie von Najam (2000) Hypothesen für jede der hier verfolgten theoretischen Sichtweisen gebildet werden (Abschnitt 2.3). Die Hypothesen fokussieren darauf zu untersuchen, inwieweit sich eine institutionelle Veränderung im Wohlfahrtsbereich der Altenpflege vollzogen hat und inwieweit sich dadurch die Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden verändert haben. Sie dienen als Grundlage für den späteren empirischen Teil, in welchem die Hypothesen schließlich überprüft werden sollen (vgl. Kapitel 4). Kapitel 3 nimmt die Einflussfaktoren für die Veränderung von Organisationen in den Blick. Nach der Einordnung und Analyse bestehender Theorien zum
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Organisationswandel soll in diesem Kapitel schließlich eine Hybriditätstheorie für die Veränderbarkeit von Organisationen entwickelt werden. Diese organisationale Hybriditätstheorie baut auf einem ähnlichen Argumentationsmuster wie die institutionelle Hybriditätstheorie auf, nämlich dass Organisationen ähnlich wie Institutionen eine Mischform sind, die von unveränderlichen wie auch veränderbaren Organisationsteilen gekennzeichnet werden. Dabei sind als Ausgangspunkt für organisationale Veränderungen die Umwelt und ihre Beschaffenheit zentral. In Abschnitt 3.1 werden Überlegungen getroffen, welche Zustände eine Umwelt annehmen kann, wobei sich insbesondere die Frage stellt, inwieweit eine sichere oder eine unsichere Umwelt maßgebend dafür sein kann, wie sich Organisationen entwickeln bzw. auf Veränderungen ihrer Umwelt reagieren (müssen). Dabei ergibt sich (Un-)sicherheit danach, wie dynamisch und komplex Umwelten für Organisationen sind. Mithilfe eines Modells zur Bestimmung von (Un-)Sicherheit soll eine Grundlage geschaffen werden, um die in Abschnitt 3.2 und 3.3 entwickelten grundlegenden Ansätze zur Entwicklung von Organisationen anhand des Kriteriums Umwelt(un-)sicherheit vergleichen und analysieren zu können. Abschnitt 3.2 stellt zunächst Überlegungen dazu an, wie sich Organisationen nach neo-institutionalistischen Theorien entwickeln oder verändern können. Die Ansätze zur Pfadabhängigkeit und zum Pfadwechsel sind nicht nur zur Analyse von Institutionen, sondern auch für die Betrachtung der organisationalen Entwicklungsmöglichkeiten von Bedeutung. In Abschnitt 3.2 soll mit der Isomorphismus-Theorie von DiMaggio/Powell (1983) ein zentraler Ansatz der Organisationstheorie vorgestellt und schrittweise dargelegt werden, dass isomorphe Anpassungsprozesse, d. h. in Gleichförmigkeit mündende organisationale Entwicklungen, in erster Linie dann entstehen, wenn von einer Umwelt eher Unsicherheit für Organisationen ausgeht. In der Folge orientieren sich Organisationen an den Praktiken und Modellen jener Organisationen, die als erfolgreich gelten, um ihr Überleben zu sichern. Im Gegensatz dazu ist ein Polymorphismus dann gegeben, wenn von der Organisationsumwelt Sicherheit ausgeht. Organisationen versuchen dann sich individuell zu entwickeln, was zu polymorphen also vielförmigen Organisationsmodellen führt. Die Folge ist eine heterogene Organisationslandschaft. Damit wird eine eigene Theorie entwickelt: Der Isomorphismus lässt sich einer organisationalen Pfadabhängigkeit zuordnen, weil Organisationen einem bestehenden und bewährten Organisationsmodell folgen und nicht mithilfe individueller und innovativer Modelle neue organisationale Pfade einschlagen. Ein organisationaler Pfadwechsel ist hingegen dem Polymorphismus gleichzusetzen, weil sich Organisationen genügend Sicherheit aus der Umwelt gegen-
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übersehen und deshalb schließlich das Risiko eingehen, innovative Modelle zu entwickeln und bestehende organisationale Pfade zu verlassen, anstatt sich an bewährten Modellen erfolgreicher Organisationen zu orientieren. Daneben besteht für Organisationen ggf. die Möglichkeit, sich von ihrer Umwelt zu entkoppeln, was ebenso für einen organisationalen Pfadwechsel von Bedeutung ist. Aus den Ansätzen des Iso- und Polymorphismus werden schließlich Hypothesen für die Wohlfahrtsverbände im Bereich Altenpflege entwickelt. Mit einem Blick auf den Forschungsstand, der einen Überblick zu isomorphen und polymorphen Organisationsmustern im Altenpflegesektor geben soll, schließt Abschnitt 3.2. Dem neo-institutionalistisch orientierten Isomorphismus wie dem Polymorphismus wird in Abschnitt 3.3 ein Hybriditätsansatz zur organisationalen Entwicklung gegenübergestellt, der grundsätzlich der Idee des Akteurszentrierten Institutionalismus folgt. Während im Iso- und Polymorphismus-Ansatz Organisationen grundsätzlich von ihrer Umwelt geprägt werden, ist der Hybridisierungsansatz insofern akteurszentriert, weil Organisationen die sie umgebenden Institutionen zu beeinflussen in der Lage sind. Dabei geht der Hybridisierungsansatz jedoch weiter, in dem unterstellt wird, dass große Organisationen wie Wohlfahrtsverbände grundsätzlich Netzcharakter haben und aus zahlreichen Einzelakteuren bestehen. Dabei wird diesen Einzelakteuren (bspw. Pflegeeinrichtungen) eine gewisse Handlungsfähigkeit zugesprochen, womit die Großorganisationen zu einem „polyzentrisch“ handelnden Akteursnetzwerk werden. Mithin wird die Umwelt im Hybriditätsansatz nicht ausschließlich als sicher oder unsicher begriffen, sondern als Umwelt, in der für Organisationen Sicherheit und Unsicherheit gleichzeitig existieren können. Aus der Warte von Wohlfahrtsverbänden ist die Umwelt Altenpflege im Bereich Korporatismus sicher, da dort Wohlfahrtsverbände seit Jahrzehnten etabliert sind. Der im Altenpflegesektor etablierte Quasi-Markt hingegen stellt für Wohlfahrtsverbände ursprünglich eine unsichere Struktur dar. Daraus ergibt sich für die Entwicklung von Wohlfahrtsverbänden, dass sie individuell auf die für sie sicheren und unsicheren Umwelten reagieren und unterschiedliche Antworten finden müssen. Als polyzentrisch handelndes Netzwerk sind sie auch dazu imstande: Während Einzelorganisationen des Netzwerkes in unsicheren Umweltbereichen nach den Gesetzmäßigkeiten des Isomorphismus reagieren und Organisationsmodelle kopieren, entwickeln sie gleichzeitig in sicheren Umweltbereichen dem Polymorphismus entsprechend eigene Modelle. Dies macht den Kern des organisationalen Hybriditätsansatzes aus. Kapitel 4 und 5 stellen den empirischen Teil dieser Arbeit dar. Im Rahmen des empirischen Teils werden die in Kapitel 2 und 3 entwickelten Hypothesen
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schließlich überprüft. Kapitel 4 nimmt dabei zunächst die Veränderbarkeit von Institutionen am Beispiel des Altenpflegesektors in den Blick, wobei untersucht wird, wie sich unter den neuen Bedingungen des Altenpflegesektors nach Einführung der Pflegeversicherung die Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden charakterisieren lassen. Dafür sollen die in Kapitel 2 aufgestellten Hypothesen mithilfe des dort entwickelten theoretischen Instrumentariums am Beispiel des Pflegesektors überprüft und schließlich die erste Forschungsfrage beantwortet werden. Dabei steht die Frage im Zentrum, inwieweit durch die institutionellen Veränderungen mit Einführung der Pflegeversicherung alte zentrale Institutionen des vorhergehenden Pflegesystems tatsächlich ersetzt worden sind oder alte Institutionen nach wie vor bestehen und das institutionelle Bild wie auch die Steuerung des Pflegesektors weiterhin mitprägen? Hat sich im Institutionengefüge des Pflegesektors hauptsächlich ein institutioneller Pfadwechsel vollziehen können oder unterliegen trotz eines erkennbaren institutionellen Wandels gewisse Strukturen einer Pfadabhängigkeit, die nicht ohne weiteres beseitigt werden können, auch wenn dies beabsichtigt ist? Diese Fragen betreffen insbesondere die Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden, die bis zur Reformierung dem institutionellen Bild des Pflegesektors ihren Stempel aufgedrückt haben: Staat und Wohlfahrtsverbände haben gemeinsam die Pflegepolitik gestaltet und die Pflegeleistungen fast exklusiv bereitgestellt. Ein festes dominierendes korporatistisches Miteinander hat damit alle Institutionen des Pflegesektors bis zur Einführung der Pflegeversicherung geprägt. Dieses korporatistische Miteinander scheint trotz eines neuen Leitbildes mit Wettbewerbselementen oder erhöhter Einbindung neuer Akteure immer noch das institutionelle Bild des reformierten Pflegesektors zumindest phasenweise zu bestimmen. In Abschnitt 4.1.1 werden zunächst Überlegungen entlang der Frage diskutiert, welche Gründe aus wohlfahrtsökonomischer Sicht für staatliche Eingriffe in den Pflegesektor sprechen können. Danach wird ein Bild des reformierten Pflegesektors nach Einführung der Pflegeversicherung derart gegeben, indem zunächst der Reformhintergrund, der institutionelle Rahmen wie auch die Grundsätze, denen der Pflegesektor folgt, auch in Abgrenzung zum alten Pflegesektor dargestellt werden (Abschnitt 4.1.2). Welche Wirkungen die institutionellen Neuheiten im Pflegesektor auf die Wohlfahrtsverbände entfaltet haben können, wird in Abschnitt 4.1.3 diskutiert, wobei eine von Status und Privilegien dominierte Stellung der Wohlfahrtsverbände einer Situation gewichen ist, die zugespitzt mit dem Grundsatz „Vom-Status-zum Kontrakt“ zusammengefasst werden kann: Wettbewerb, begleitet von einer gewissen Vertragskultur, ist bedeutender geworden und
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Pflegekassen, die auf Wirtschaftlichkeit setzen, sind als machtvolle Kostenträger und Verhandlungsakteure emporgekommen. Auch wenn sich Wohlfahrtsverbände aufgrund der für sie doch neuartigen Situation neu ausrichten müssen, fallen trotzdem institutionelle Muster auf, die den Grundsätzen des Korporatismus folgen. Dazu gehören nicht nur die fest im SGB XI verankerten Konsensfindungsmechanismen, sondern auch informelle Beziehungen zwischen Wohlfahrtsverbänden und dem Staat, die unter Umständen eine große Wirkung entfalten können. Dieses insgesamt komplizierte und hybride Bild gibt Anlass zum Zweifel, dass der Grundsatz vom „Status zum Kontrakt“ stets die dominierende Leitidee im Pflegesektor ist. In Abschnitt 4.2.1 werden die gewonnenen Ergebnisse aus der Warte der Typologie zu Staat-Verbände-Beziehungen (Najam 2000) betrachtet. Die zuvor in Kapitel 2 vorgestellte Typologie soll die komplexen institutionellen Veränderungen im Pflegesektor, die mithin zu einer Verkomplizierung der Beziehungen zwischen dem deutschen Staat und den Wohlfahrtsverbänden geführt haben, systematisch einstufen. Es können mithilfe von Najams Typologie Gesetzmäßigkeiten hervorgehoben werden, die Aufschluss darüber geben, welche Staat-Verbände-Beziehungen sich unter den neuen und komplexen institutionellen Bedingungen des Pflegesektors ergeben haben. Dabei soll die Typologie von Najam um die Perspektive des Wohlfahrtspluralismus erweitert werden, da dieser Ansatz auf die Besonderheiten zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden im Rahmen von vielfältigen Beziehungen zwischen Akteuren einzugehen in der Lage ist. Diese vielfältigen Beziehungen betreffen dabei das Miteinander von Staat, Bürgern, neuen Organisationen, Institutionen und Handlungsrationalitäten. Insgesamt betrachtet kommt es in dem neuen institutionellen Umfeld des Pflegesektors zu einer Bewegung zwischen kooperativen, komplementären und konfrontativen Staat-Verbände-Beziehungen. Jedoch lässt sich aus der Warte der Typologie keine Erklärung dafür finden, warum es zu eben dieser Bewegung in den Staat-Verbände-Beziehungen kommt. Um das Wechselspiel zwischen diesen Zuständen im Rahmen hybrider Staat-Verbände-Beziehungen zu erklären, soll in Abschnitt 4.2.2 ein Ansatz zur Virtualität entwickelt werden, wobei dieser Ansatz auf Institutionen fokussiert, die der Möglichkeit nach vorhanden, aber nicht immer aktiv sind. Virtualität wird dabei zu einer grundlegenden erklärenden Variable für die Frage, wie es trotz der dominierenden Leitidee „vom Status zum Kontrakt“ immer wieder zu einem Durchbruch alter korporatistischer Muster kommt: Offenbar sind Wohlfahrtsverbände in der Lage, bestimmte Beziehungen und Netzwerke, die der Möglichkeit nach bestehen, aufleben zu lassen und dann wieder aufzulösen. Es scheint damit ein virtueller Korporatismus zu bestehen, wobei er nicht andauernd das
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institutionelle Bild der Staat-Verbände-Beziehungen bzw. des Pflegesektors zu dominieren scheint. Es zeigt sich, dass virtuelle Institutionen ein Netzwerk darstellen, was grundsätzlich besteht und immer wieder von Organisationen (Wohlfahrtsverbänden) erzeugt werden kann. Virtueller Korporatismus kann damit als akteurszentriertes Netzwerk aufgefasst werden. Mithilfe von Najams Typologie, ihrer Erweiterung um den Ansatz des Wohlfahrtspluralismus‘ sowie der Ansatz zur Virtualität sollen anhand der gewonnenen Ergebnisse die Hypothesen aus Kapitel 2 aufgegriffen und überprüft werden. Inwieweit lässt sich ein hybrides Bild der Staat-Verbände-Beziehungen ableiten, welches einerseits aus spannungsgeladenen Staat-Verbände-Beziehungen besteht und andererseits korporatistische Muster das Bild der Staat-Verbände-Beziehungen nach wie vor prägen? In Kapitel 5 wird ein Blick in die Wohlfahrtsverbände geworfen. Mit dem in Kapitel 3 entwickelten analytischen Instrumentarium sollen die Wohlfahrtsverbände darauf überprüft werden, mit welchen Anpassungen und Strategien sie auf die Veränderungen der sie umgebenden Institutionen reagiert haben. Am Ende dieser Analyse steht die Überprüfung der in Kapitel 3 aufgestellten Hypothesen und die Beantwortung der zweiten Forschungsfrage. Durch die Betrachtung ihrer organisationalen Grundstrukturen und ihrer inneren Vorgänge bleiben die Wohlfahrtsverbände in der weiteren Betrachtung nicht länger eine Blackbox. Damit lassen sich auch mögliche Hinweise für die Frage finden, inwieweit sie die Institutionen im Pflegesektor mitgeprägt und damit gestaltenden Charakter im Sinne des akteurszentrierten Institutionalismus haben. Zunächst wird das System der Freien Wohlfahrtspflege samt seiner sechs Wohlfahrtsverbände knapp dargestellt (Abschnitt 5.1.1). Danach werden die Besonderheiten der Wohlfahrtsverbände umrissen, die sich in erster Linie dadurch ausdrücken, dass Wohlfahrtsverbände umgeben sind und beeinflusst werden von verschiedenen Anspruchsgruppen, die voneinander abweichende Interessen haben. Die Frage, inwieweit durch die Anspruchsgruppen Spannungen innerhalb der Wohlfahrtsverbände hervorgerufen werden, soll zunächst für das alte System des Pflegesektors beantwortet werden (Abschnitt 5.1.2). Ein Vergleich verspricht einen Erkenntnisgewinn, da eine Darstellung und ein Verständnis für die Zustände im alten System als Ausgangspunkt dienen, um die Veränderungen im neuen System zu verstehen. In Abschnitt 5.1.3 werden die Veränderungen innerhalb der Wohlfahrtsverbände unter den Bedingungen des neuen Pflegesystems betrachtet. Die den Verbänden angehörenden Betriebe haben unter den neuen institutionellen Bedingungen, die unter dem Begriff „vom Status zum Kontrakt“ bereits zusammengefasst worden sind, betriebswirtschaftliche Elemente übernommen, darunter Instrumente zur Kostenrechnung und zum Controlling oder
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Instrumente aus dem strategischen Management. Es wird gezeigt, dass es mit Veränderungen im betriebswirtschaftlichen Bereich zu Verschiebungen innerhalb der Anspruchsgruppenstruktur gekommen ist, sodass sich das Gleichgewicht, das unter den Bedingungen des alten Pflegesektors Bestand hatte, aufgelöst hat. Zu Verschiebungen innerhalb der Anspruchsgruppenstruktur ist es vor allem deshalb gekommen, weil verbandsinterne Anspruchsgruppen gegenüber externen Anspruchsgruppen im Zuge der betriebswirtschaftlich getriebenen Modernisierung erheblich an Macht eingebüßt haben – vor allem Arbeitnehmer und ehrenamtlich Beschäftigte sind hier zu nennen. Wie Wohlfahrtsverbände auf die Verschiebungen der Stakeholderstruktur reagiert haben, soll Abschnitt 5.2.1 erörtern. Deutlich wird nämlich, dass ein neues Vorgehen im Umgang mit den Anspruchsgruppen nötig geworden ist. Insbesondere verbandsexternen Stakeholdern muss nun mit einer anderen Strategie begegnet werden, nachdem die internen Stakeholder quasi weggebrochen sind. Schnittmengen in den Interessen dieser sehr gegensätzlichen Anspruchsgruppen zu finden, wird dabei zum Ausgangspunkt der neuen Strategie, die unter dem Begriff Selective Coupling (vgl. Pache/Santos 2013) zusammengefasst wird. Es stellt sich auch heraus, dass Wohlfahrtsverbände durch ein isomorphes und zeitgleich polymorphes Vorgehen die Interessen der Anspruchsgruppen zu befriedigen suchen. Dies wird kennzeichnend für ihren hybriden Charakter. Insgesamt stellt sich heraus, dass Wohlfahrtsverbände isomorph handeln, als sie betriebswirtschaftliche Modelle kopieren, die sich bewährt haben. Hingegen handeln sie polymorph, als sie in der Funktion als Interessenverband und Sozialanwalt individuell handeln und sich entwickeln können. Auch auf institutioneller Ebene werden Erklärungen zur Entwicklung von spannungsgeladenen Staat-Verbände-Beziehungen möglich. Sie werden vor allem erkennbar und erklärbar, weil Wohlfahrtsverbände in diesem Kapitel keine Blackbox mehr darstellen. Die hier identifizierten Staat-VerbändeBeziehungen sind vor allem konfrontativer Natur: Wohlfahrtsverbände folgen nunmehr intensiver der Rolle als Sozialanwalt und nehmen darin in der Regel eine Gegenposition zum Staat ein. Diese neuartige konfrontative Haltung gegenüber dem Staat wird vor allem deshalb möglich, da Wohlfahrtsverbände nicht mehr in enge S taat-Verbände-Beziehungen eingehegt sind. In der Folge können sie ihre Funktion als Sozialanwalt nunmehr authentisch ausfüllen. Dass sie mit ihrer neuartigen Interessenpolitik das Pflegesystem stabilisieren können, wird in Abschnitt 5.2.2 diskutiert. Die gewonnenen Ergebnisse werden in Form der Hypothesenprüfung zusammengefasst. Mithin wird eine Antwort auf die zweite Forschungsfrage gegeben. Abschließend erfolgt eine Einbindung aller relevanten Befunde für die
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Beantwortung der dritten Forschungsfrage (Abschnitt 5.2.3 und Abschnitt 5.2.4). Dass Ergebnisse vorliegen, die auf Wirkungszusammenhänge nach dem Muster des Akteurszentrierten Institutionalismus hinweisen, zeigt die Entstehung des konfrontativen Korporatismus, der primär akteursgetrieben ist. Mit einem Rückblick und einer Vorschau in Kapitel 6 schließt diese Arbeit.
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Veränderbarkeit von Institutionen: Ausarbeitung einer Theorie
1 Theorierahmen: Akteurszentrierter Institutionalismus Mit dem Akteurszentrierten Institutionalismus nach Scharpf/Mayntz 1995 ist ein Ansatz entwickelt worden, mit dem staatsnahe Sektoren auf ihre Steuerung sowie ihre Selbstorganisation und den damit verbundenen Problemen untersucht werden sollen (vgl. Scharpf/Mayntz 1995 (b): 39 und 46). Als staatsnahe Sektoren werden dabei „[…] gesellschaftliche Funktionsbereiche [bezeichnet], die nicht zum Kernbestand der hoheitlichen Staatsfunktionen gehören, für die der Staat aber dennoch ein Maß an Verantwortung übernommen hat […]“ (Scharpf/Mayntz 1995 (a): 13 f.). Damit platzieren die Autoren diesen Begriff zwischen direkter Leistungserbringung durch den Staat und der bloßen staatlichen Gewährleistung für das Funktionieren dieser Sektoren (ebd.: 14). Zu staatsnahen Sektoren gehören u. a. der Gesundheitssektor wie auch der Pflegesektor.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Lange, Hybrider Wohlfahrtskorporatismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30754-7_2
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2 Veränderbarkeit von Institutionen: Ausarbeitung einer Theorie
Abbildung 2.1 Varianten sektoraler Regelungsstrukturen. (Quelle: Scharpf/Mayntz 1995 (a): 25)
Der Akteurszentrierte Institutionalismus fokussiert auf das Handeln von Akteuren vor dem Hintergrund der sie umgebenden institutionellen Rahmenbedingungen und Regelungsstrukturen (vgl. Scharpf 2000). In diesem Zusammenhang unterteilt eine Typologie (Abbildung 2.1) von Scharpf/Mayntz (1995) relevante Regelungsstrukturen für die Untersuchung staatsnaher Sektoren, die sowohl durch den Staat und die Gesellschaft wie auch durch den Markt geprägt sein können (vgl. Scharpf/Mayntz 1995 (a): 13 f.). Nach dieser Typologie können staatsnahe Sektoren in vier Bereiche eingeteilt werden, die als gegenseitige Alternativen zu verstehen sind. Abgrenzungskriterien sind die staatliche sowie die gesellschaftliche Handlungsfähigkeit, die jeweils hoch oder niedrig sein können. Etwa ergeben sich korporatistische Strukturen dann, wenn sowohl die staatliche als auch die gesellschaftliche Handlungsfähigkeit hoch sind. Eine hohe gesellschaftliche Handlungsfähigkeit wäre in diesem Zusammenhang so zu interpretieren, dass sich gesellschaftliche Interessen bündeln können und sich durch entsprechende Verbände vertreten lassen. Eine hohe staatliche Handlungsfähigkeit wäre etwa dann gegeben, wenn sich Macht zu einem großen Teil auf staatliche Institutionen konzentriert. Korporatismus ist in diesem Zusammenhang durch gleichzeitiges Vorliegen von staatlicher wie auch gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit gegeben, wobei weiterhin ein „abgestimmtes Zusammenwirken“ von Staat und Verbänden in diesem Sektor vorliegt (vgl. Mayntz/Scharpf 1995 (a): 24 f.).
1 Theorierahmen: Akteurszentrierter Institutionalismus
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Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen sind die Sektoren des Wohlfahrtsstaates bis zum Zeitpunkt struktureller Einschnitte in den Neunzigerjahren am ehesten dem in der Typologie dargestellten Korporatismus zuzuordnen. Staatliche Institutionen wie auch die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege waren in die Gestaltung des Wohlfahrtsstaates dauerhaft eingebunden (vgl. Backhaus-Maul/Olk 1996). Marktstrukturen und Wettbewerbselemente sind eher nicht zu finden gewesen. Aus Sicht der Typologie nach Mayntz/Scharpf (1995) (a) ist somit eine sehr hohe staatliche Handlungsfähigkeit und aufgrund der kontinuierlichen Einbindung der Wohlfahrtsverbände auch eine hohe gesellschaftliche Handlungsfähigkeit gegeben gewesen. Der Akteurszentrierte Institutionalismus bietet sich als Analyserahmen an, weil er Strukturen einerseits und das Handeln von Akteuren andererseits berücksichtigt. Sowohl Strukturen als auch Akteure können als abhängige und somit als zu erklärende Variable wie auch als unabhängige, also als erklärende Variable betrachtet werden (vgl. Scharpf/Mayntz 1995: 45). Hinsichtlich ihrer Wirkung und Gestaltbarkeit nehmen die Autoren bei Strukturen und Akteuren folgende Differenzierung vor: Strukturen bestimmen grundsätzlich nicht das Verhalten von Akteuren vollständig, sondern sie prägen das Verhalten nur teilweise mit, in dem sie Akteurshandeln ermöglichen oder beschränken können (Scharpf/Mayntz 1995 (b): 43). Damit steht der Akteurszentrierte Institutionalismus nicht in der Tradition des Neo-Institutionalismus, der grundsätzlich von einer determinierenden Wirkung von Strukturen auf Akteure ausgeht (Scharpf/Mayntz 1995 (b): 43). Neben der Annahme, dass Strukturen keinen determinierenden Einfluss auf Akteure haben, geht der Akteurszentrierte Institutionalismus von einer wechselwirkenden Beziehung zwischen Strukturen und Akteuren aus: Strukturen beeinflussen somit nicht nur Akteurshandeln, sondern Akteure können umgekehrt Strukturen gestalten und damit letztlich verändern (vgl. Scharpf/Mayntz 1995 (b): 45). Im Rahmen dieser Arbeit sollen mit dem Institutionenbegriff feste Strukturen wie Markt, öffentlicher Verwaltungsapparat (Staat), damit verbundene rechtliche Grundlagen (bspw. SGB XI) oder auch fest institutionalisierte Beziehungsmuster zwischen Staat und Verbänden (Korporatismus) verstanden werden (vgl. Abbildung 2.1). Institutionen und Strukturen werden somit synonym verwendet. Der Akteursbegriff hingegen bezieht sich auf Organisationen als handelnde. Die gleichwertige Berücksichtigung von Strukturen wie Akteuren hinsichtlich ihrer theoretischen Bedeutung macht den Akteurszentrierten Institutionalismus für die hier verfolgte Untersuchung wertvoll. Strukturen (der ‚institutionelle Kontext‘) lassen sich dabei als eine erklärende Variable betrachten, die auf Organisationen wirken. Vor dem Hintergrund dieser Akteur-Struktur-Wechselwirkung ist eine der relevanten Fragen dieser Arbeit,
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2 Veränderbarkeit von Institutionen: Ausarbeitung einer Theorie
wie institutionelle Faktoren des Wohlfahrtssektors auf das Verhalten und die Organisation von Wohlfahrtsverbänden wirken. Umgekehrt ist die Frage von Belang, inwieweit Organisationen die Institutionen, die sie umgeben, gestalten und verändern. Der Akteurszentrierte Institutionalismus bietet somit auch für die Einordnung von Wohlfahrtsverbänden nicht nur als zu erklärende, sondern auch als erklärende Variable einen geeigneten analytischen Rahmen. Da der Akteurszentrierte Institutionalismus einen Ansatz darstellt, mithilfe dessen die Steuerung sowie die Selbstorganisation von ‚staatsnahen‘ Sektoren analysiert werden sollen, ist mithin die Frage von Belang, wie diese Steuerung erfolgen soll? Genauer wird nach den Mechanismen bzw. Koordinationsmechanismen gefragt, die diese Steuerung ausfüllen. Da der Steuerungsbegriff oftmals verschiedenen Definitionen folgt, soll im Rahmen dieser Arbeit insbesondere der Governance-Begriff von Renate Mayntz (b) (2005) aufgegriffen werden. Jedoch soll nicht explizit der Governance-Begriff, sondern der Steuerungsbegriff verwendet werden1. In der Definition von Renate Mayntz (b) (2005) wird Steuerung mit „Regelungsstrukturen und ihre Wirkung auf das Handeln der ihr unterworfenen Akteure“ zusammengefasst (Mayntz 2005 (b): 45). Somit erfasst dieser Steuerungsbegriff die Wirkung von Institutionen auf das Verhalten von Akteuren, kann also als institutionenzentriert oder als „institutionelle Steuerung“ verstanden werden (Mayntz 2005 (b): 41). Der Steuerungsbegriff bezieht sich in dieser Arbeit ebenso auf die Steuerung durch Organisationen. Unter Steuerung ist damit grundsätzlich zu verstehen, wie stark jeweils Institutionen und Organisationen in die Koordination eines Sektors eingebunden sind bzw. welche Bedeutung ihnen jeweils zukommt2. Zentral im Steuerungsansatz und mithin in der Analyse der Institutionen in den Sozialsektoren ist die Frage, welche (Koordinations-)Mechanismen Sektoren kennzeichnen. Benz/Dose (2007) bezeichnen diverse Koordinationsmechanismen wie Wettbewerb, Hierarchie und Netzwerke als Steuerungsformen3, die
1Die
Verwendung des Begriffes Governance würde gleichzeitig seine differenzierte Klärung voraussetzen, auf die im Rahmen dieser Arbeit verzichtet werden soll. Der hier verwendete Steuerungsbegriff wird sich dennoch vereinzelt am Governance-Begriff orientieren. Eine umfangreiche Klärung des Governance-Begriffes bieten etwa Benz/Dose (Hrsg.) 2007. 2Der Steuerungsbegriff wird in Abschnitt 3.3.2 mithin in Beziehung gesetzt zur Wechselwirkung von Organisationen und Institutionen. 3Benz/Dose 2007 verwenden Governance als zentralen Begriff. Der Governancebegriff wird hier, wie erläutert, durch den Steuerungsbegriff ersetzt.
2 Theorien: Pfadabhängigkeit, Hybridität und Korporatismus
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„[…] helfen, Handlungskoordination aus der Wechselwirkung von Strukturen und Interaktionen zu erklären“, wobei „[…] [d]ies unter den Bedingungen des Marktes anders ab[läuft] als […] in Netzwerken, hierarchischen Ordnungen oder Gemeinschaften“ (Benz/Dose 2007: 256). Bezogen auf die Typologie von Scharpf/Mayntz (1995) (a) (Abbildung 2.1) werden die Bereiche Staat, Markt und Korporatismus von je einer Steuerungsform gekennzeichnet. Wettbewerb wird dabei unter anderem der Institution Markt, Verhandlungen etwa der Institution Korporatismus und Hierarchie der Institution Staat zugeordnet (vgl. Benz/Dose 2007). Die Reinformen der Steuerung erfahren von Benz/Dose (2007) eine Erweiterung. Sie öffnen den Steuerungsansatz für die Frage, wie eine Mischung von verschiedenen Steuerungsformen erfolgen kann. Mit dem Begriff Steuerungsregimes4 wird das Phänomen der Mischung aufgegriffen und mit den Worten beschrieben, dass „[…] Gesellschaften in komplexen Arrangements regiert [werden], die viele Akteure aus unterschiedlichen institutionellen Kontexten […] in unterschiedlicher Weise zusammenbringen“ und „kollektiv verbindliche Regeln und Entscheidungen […] nicht mehr vom Staat durchgesetzt werden und […] gesellschaftlicher Wohlstand nicht mehr durch den Markt erzeugt wird“ (Benz/Dose 2007: 264). Damit greift der Begriff Steuerungsregime eine irgendwie geartete Vermischung verschiedener Institutionen einschließlich ihrer Koordinationsmechanismen auf. Der Akteurszentrierte Institutionalismus soll im Folgenden auf der Institutionenebene um weitere theoretische Ansätze ergänzt werden.
2 Theorien: Pfadabhängigkeit, Hybridität und Korporatismus 2.1 Theorie zur Pfadabhängigkeit Grundsätzlich betonen Pfadabhängigkeitstheorien die Beständigkeit bzw. Stabilität von Institutionen. Als Kernaussage dieser Theorien kann festgehalten werden, dass Institutionen, die sich einmal etabliert haben, sich nicht oder kaum auflösen, verändern oder ersetzen lassen. Erstmaligen Entscheidungen für einen Pfad wird
4Benz/Dose
2007 sprechen von Governance-Regime. Durch die Eingrenzung auf den Steuerungsbegriff in dieser Arbeit erfolgt auch eine Umwidmung von Governance-Regime in Steuerungsregime.
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2 Veränderbarkeit von Institutionen: Ausarbeitung einer Theorie
in der Argumentation dieser Theorien das größte Gewicht beigemessen, weil ein Umschwenken auf eine alternative Institution mit hohen Wechselkosten verbunden ist, wodurch institutionelle Alternativen mit der Zeit immer unbedeutender werden (vgl. Lütz 2006: 9). Neben soziologischen und politikwissenschaftlichen Erklärungsversuchen zur Beständigkeit und zur Entwicklung von Institutionen gibt es institutionenökonomische Ansätze, in denen unterschiedliche Positionen zu Wandelmöglichkeiten und zum Beharrungsvermögen von Institutionen vertreten werden. Die Neue Institutionenökonomik, zu deren Vertretern neben Douglass North auch Elinor Ostrom zählen, analysiert Institutionen, die den Tausch von Gütern bzw. Dienstleistungen bestimmen. Institutionen stellen dabei formelle wie informelle Regeln dar. Der homo oeconomicus bildet mithin in den institutionenökonomischen Ansätzen das Menschenbild als Grundlage für die handelnden Individuen. Sie werden demnach als rationale, eigeninteressierte und nach der persönlichen Nutzenmaximierung strebende Individuen angenommen. Institutionen werden vom homo oeconomicus gebildet und auch wieder aufgelöst, womit in der Institutionenökonomik die Bildung und Auflösung von Institutionen vom Individuum her erklärt werden können (Jöst/Fischer 2013: 110 f.). Als Ausgangspunkt für die Erklärung, warum Individuen in dieser ökonomischen Teildisziplin Institutionen erschaffen, bedient sich die Institutionenökonomik der Annahme der bounded rationality, nach welcher der homo oeconomicus nur über eine begrenzte Rationalität verfügt. Bounded rationality ergibt sich etwa aus unvollständigen Informationen, die einem Individuum sowohl über das zukünftige (ökonomische) Verhalten von anderen Individuen vorliegen und die ein Individuum über sich selbst hat (vgl. Simon 1959). Institutionen, also allgemein geltende und anerkannte Regeln, werden damit zu einem Medium, welches das Verhalten von Menschen in feste Bahnen lenken soll und berechenbarer macht, sodass Individuen „[…] rationale Erwartungen über das Verhalten ihrer Mitmenschen ausbilden“ können (Jöst/ Fischer 2013: 111). Der Wandel von Institutionen ist aufbauend auf diesen Annahmen möglich – Hemmnisse und Blockaden, die auf das Phänomen einer institutionellen Pfadabhängigkeit hindeuten, werden in dieser Sichtweise vernachlässigt. Vielmehr kann eine Veränderung von Institutionen durch Individuen aktiv vorangetrieben werden. Die Veränderungsbereitschaft für die Reformierung von Institutionen folgt dabei einem einfachen ökonomischen Kalkül: Institutionen werden dann umgestaltet oder neu erschaffen, wenn die Differenz aus Erwartungsnutzen und erwarteten Kosten für die Veränderung oder Schaffung höher ist als der Nutzen der bisher bestehenden Institution (Jöst/Fischer 2013: 112).
2 Theorien: Pfadabhängigkeit, Hybridität und Korporatismus
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Warum Institutionen in diesem ökonomischen Modell aktiv gestaltbar und einfach veränderbar sind, liegt in erster Linie in den exogen gegebenen Präferenzen begründet. Dadurch werden Individuen und Institutionen, die sie gestalten können, klar voneinander abgegrenzt: „Regeln für sich betrachtet mögen als prinzipiell leicht veränderbar erscheinen, sofern man annimmt, dass sie Instrumente rationaler Akteure sind, deren Interessen und Rationalität außerhalb dieser Regeln stehen“ (Jöst/Fischer 2013: 113). Und in dieser klaren Abgrenzung von Institutionen und den Menschen, die sie gestalten können, mag mithin eine Schwierigkeit liegen. Denn entlang dieser Argumentation werden Institutionen vollständig veränderbar und es wird das Problem ignoriert, dass in der Realität Institutionen „[…] sich häufig jedem gestaltenden Kalkül widersetzen, so dass sie, wenn überhaupt, nur sehr langfristig verändert werden können“ (Jöst/Fischer 2013: 112). Wird dieses Repertoire an Erklärungen als institutionenökonomische Grundlage verwendet, stößt man bei den in dieser Arbeit verfolgten Fragen, warum Institutionen trotz eines bestehenden Veränderungswillens der gestaltenden Individuen teilweise kaum oder gar nicht veränderbar sind, an Grenzen. Eine alternative Perspektive der Institutionenökonomik greift das Problem beharrlicher Institutionen auf und benennt eindeutige Herausforderungen des Pfadwechsels. Diese alternative Sichtweise weicht von der Annahme getrennter Präferenzen der Individuen einerseits und Institutionen andererseits ab und eröffnet damit die Möglichkeiten, eine Reformresistenz zu erklären: Individuen und Institutionen sind miteinander derart verwoben, dass sie sich nicht trennen lassen und in einer zeitgleichen Wechselwirkung stehen. Damit verfestigen und gerinnen Institutionen, weil sie nicht nur von Menschen gestaltet werden, sondern diese Institutionen zeitgleich Gewohnheiten und Haltungen von Menschen – zumindest für eine gewisse Dauer – konservieren oder sogar verändern können: „[I]nstitutions shape individuals at the same time as individuals shape institutions“ (Kingston/Caballero 2009: 174). Abweichend von der einseitigen Wirkung von gestaltenden Individuen auf Institutionen im obigen Ansatz heben Hodgson 2004 und 2007 folgende Wirkungslogik hervor: Institutionen wirken auf Gewohnheiten und Präferenzen der Individuen derart, dass diese Präferenzen und Gewohnheiten sich in der Gesellschaft ausbreiten und verfestigen, wodurch sich die Institutionen ebenfalls weiter stabilisieren. Institutionen stärken und verbreiten somit jene Präferenzen, die bei ihrer Entstehung maßgebend waren (vgl. Hodgson 2007, Hodgson 2004 wie auch Kingston/Caballero 2009). Entlang dieser Argumentation zeigt sich, dass Institutionen sich somit nicht primär planbar verändern lassen. Ihre Entwicklung erinnert vielmehr an einen evolutionsgleichen Prozess, der sich jenseits der gesellschaftlichen bzw. mensch-
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2 Veränderbarkeit von Institutionen: Ausarbeitung einer Theorie
lichen Steuerungsmöglichkeiten vollzieht und für ihre extreme Beständigkeit sorgen kann (vgl. Kingston/Caballero 2009)5. Damit wird von den getroffenen Annahmen abgewichen, dass Individuen und deren Präferenzen von den Institutionen getrennt sind. Schließlich kommt in diesem Blickwinkel Institutionen ein ganz anderer gesellschaftlicher Wert zu als Institutionen, deren Veränderung als unkompliziert angenommen wird. Wenn sie schwer veränderbar sind, kann von Institutionen eine ambivalente gesellschaftliche Wirkung ausgehen. Einerseits können Institutionen für eine gewisse Stabilität bestehender Regeln sorgen, weil Werte und Interessen überliefert werden. Andererseits können sie sich als „hartnäckige Hindernisse für die menschliche Entwicklung“ herausstellen, weil sie Formen darstellen „[…] in denen Interessen und Verhaltensmuster geronnen sind, Formen, die aus der Vergangenheit kommen und demgemäß in der Gegenwart einfach da sind – zunächst unabhängig davon, ob dies den gegenwärtig Lebenden passt oder nicht“ (Jöst/Fischer 2013: 114). Insgesamt steht die Institutionenökonomik den Fragen, inwieweit Institutionen planbar verändert werden können, recht ambivalent gegenüber. Die theoretischen Argumente reichen von einem vollständigen Ignorieren einer institutionellen Pfadabhängigkeit bis hin zur Überzeugung, dass Institutionen einer Entwicklung gleich einer Evolution folgen und eine menschliche Eingriffsmöglichkeit nicht besteht (vgl. Jöst/Fischer 2013 sowie Kingston/Caballero 2009). Ökonomische, soziologische wie auch politikwissenschaftliche Ansätze überschneiden sich teilweise in ihrer Argumentation, wie es zu einer Pfadabhängigkeit von Institutionen kommt. Arthur (1994) als ein Vertreter der Pfadabhängigkeitstheorie argumentiert etwa ökonomisch, indem er Gründungskosten einer Institution eine erhebliche Bedeutung beimisst, sodass ein Institutionenwechsel zu teuer wäre und es somit bei einer institutionellen Beständigkeit bleibt. Vielmehr fokussieren die an einer Institution beteiligten Akteure darauf, die Anfangsinvestition allmählich wieder einzubringen (vgl. Arthur 1994). Zentrales Argument sind dabei Selbstverstärkungsmechanismen, welche den ursprünglich eingeschlagenen Pfad immer wieder verstärken und mithin für increasing returns sorgen: Durch jene increasing returns amortisieren Akteure ihre G ründungs-/Initiierungskosten. Zu den Selbstverstärkungs-
5„Here,
we use the term ‘evolutionary’ primarily to refer to processes which satisfy the core Darwinian evolutionary principles of variation (a source of mutations), selection (survival of ‘successful’ traits), and inheritance (a process by which the successful traits are replicated)“ (Kingston/Caballero 2009: 160).
2 Theorien: Pfadabhängigkeit, Hybridität und Korporatismus
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mechanismen6, die increasing returns erzeugen, gehören etwa Lerneffekte, die sich derart äußern, dass es Akteure mit der Zeit besser verstehen, Institutionen zu nutzen. Neben adaptiver Erwartung, nach der die Beteiligten eine Institution in der Erwartung unterstützen, dass dies auch alle anderen Akteure verfolgen, zählen schließlich Koordinationseffekte zu den Selbstverstärkungsmechanismen. Soziologische und politikwissenschaftliche Vertreter zur Pfadabhängigkeit wie Paul Pierson (2000) und James Mahoney (2000) greifen die increasing returns als zentrales Charakteristikum für Pfadbeständigkeit auf ebenso wie die damit verbundenen Selbstverstärkungsprozesse. Ebenso berücksichtigt insbesondere Mahoney (2000) das bereits von Arthur (1984) formulierte KostenNutzen-Kalkül als Grundlage für institutionelle Kontinuität (vgl. Mahoney 2000: 517). In Abgrenzung zu Arthur baut Mahoney seine Argumentation zur Pfadabhängigkeit weiter aus und formuliert neben Nutzenkalkülen weitere Möglichkeiten für die Stabilität von Institutionen. Interessant als Möglichkeit ist dabei insbesondere das institutionenerhaltende Streben von machtvollen gesellschaftlichen Gruppen, solange eine Institution ihrem Machterhalt dient (ebd.). Aber auch rein funktionelle Gründe bestehen insofern, dass die Beständigkeit von Institutionen unterstützt wird, weil sie sich bewährt haben (vgl. Mahoney 2000: 517 sowie Beyer 2006: 23). Trotz der oben beschriebenen stabilitätsfördernden Gründe für bestehende Institutionen ignorieren Pfadabhängigkeitstheorien nicht, dass sich Institutionen unter bestimmten Voraussetzungen verändern können. Das Argument, dass machtvolle Akteure die Stabilität von Institutionen forcieren, die ihren Machterhalt fördern, kann mithin andere Konturen annehmen: Eine institutionelle Veränderung kann eintreten, wenn das Interesse von machtvollen Gruppen für bisherige Strukturen entfällt und sie einer Veränderung nicht entgegenwirken wollen oder ein Wandel ihre Position stärkt (vgl. Lütz 2006: 15 sowie Mahoney 2000: 517). Dagegen geht Douglas North (1990) in der institutionenökonomischen Variante zur Pfadabhängigkeit von einem weniger extremen Impuls für einen Pfadwechsel aus und setzt hingegen auf eine stetige Veränderung von Institutionen. Dieser stetige Wandel bewegt sich jedoch in den Grenzen des einmal eingeschlagenen Pfades (vgl. Lütz 2006: 10), wie dies oben als evolutionsgleiche Entwicklung beschrieben wird.
6Eine gute Darstellung des Zusammenhanges zwischen Gründungskosten, increasing returns und den zugehörigen Selbstverstärkungsmechanismen liefern Lütz (2006), S. 9 sowie Beyer (2006) und Grohs (2010), S. 134.
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2 Veränderbarkeit von Institutionen: Ausarbeitung einer Theorie
Zusammenfassend betrachten die Ansätze zur Pfadabhängigkeit bzw. Pfadwechsel die beiden entgegengesetzten Entwicklungsmöglichkeiten Beständigkeit und Wandel. Die verschiedenen Ansätze unterscheiden sich dahingehend, dass in ihren Erklärungen entweder Faktoren für die Beständigkeit oder jene für die Veränderbarkeit dominieren. Pfadabhängigkeit und Pfadwechsel werden in den meisten Ansätzen zu alternativen Entwicklungsszenarien von Institutionen. Die Gründe für beständige Institutionen sind dabei vielfältig. Institutionen können durch einen aktiven Willen gesellschaftlicher Gruppen beständig sein (vgl. Mahoney 2000), sie können aber auch unveränderlich sein und die Gewohnheiten von Menschen verfestigen (vgl. Hodgson 2004, 2007). Die Ansätze bieten sich deshalb als passender theoretischer Zugang zur Betrachtung auch von Wohlfahrtssektoren an. Denn die Beständigkeit bestehender Institutionen in diesen Sektoren und ihr Wandel werden in der Literatur als zwei mögliche Entwicklungspfade diskutiert. Insbesondere auf der Frage, inwieweit die traditionell intensiven Beziehungen zwischen Wohlfahrtsverbänden und Staat beständig sind oder anderen Institutionen haben weichen müssen, liegt der Fokus bei der Analyse des Pflegesektors (vgl. insbesondere Bode 2004 oder Grohs 2010 und Grohs 2014). Sind somit die ursprünglich eingeschlagenen institutionellen Pfade zu stabil und dominierend, um von einem grundlegenden Pfadwechsel sprechen zu können oder kann ein Pfadwechsel im Pflegesektor identifiziert werden? Der im Folgenden vorgestellte Hybriditätsansatz bietet sich als anschlussfähiger und erweiternder Ansatz an, weil er Beständigkeit und Wandel von Institutionen nicht als Entwicklungspfade gegenüberstellt, die sich – wie im Ansatz zur Pfadabhängigkeit – gegenseitig ausschließen. Vielmehr kann zusammenfassend festgehalten werden, dass Beständigkeit und Wandel von Institutionen nebeneinanderstehen oder sich gar verbinden können, in dem sie Teil einer Hybridisierung sind.
2.2 Theorie zur Hybridität Unter dem theoretischen Ansatz zur Hybridität wird im Allgemeinen eine Vermischung von verschiedenen Elementen beschrieben, die vormals voneinander getrennt und darüber hinaus oftmals zueinander widersprüchlich sind (Grohs 2014: 1427). Dazu zählen etwa Mischformen zwischen den beiden Institutionen Markt und Staat, wie sie Williamson (1991) diskutiert. Daneben wird Hybridität nicht nur bei Institutionen beschrieben, sondern auch bei Organisationen. In der Forschung zur Analyse von Wohlfahrtssektoren wird mit Konzepten, die auf eine Vermischung verschiedener Institutionen eingehen, gearbeitet. Dazu
2 Theorien: Pfadabhängigkeit, Hybridität und Korporatismus
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zählen Konzepte wie der Wohlfahrtsmix oder der Wohlfahrtspluralismus7 (vgl. Evers 1990 und Evers/Olk 1996). Die Ansätze zum Wohlfahrtsmix etwa gehen entsprechend der Begriffsgebung dieses theoretischen Ansatzes von der Grundannahme aus, dass neben dem Staat der Markt und die Gemeinschaft zur Wohlfahrtsproduktion entsprechend eines Mixes beitragen (Theobald 2012: 63). Neben der Frage, welche Institutionen zur Wohlfahrtsproduktion beitragen, berücksichtigen die Ansätze zum Wohlfahrtsmix den Dritten Sektor und betrachten ihn als Mischform der Institutionen Markt, Staat und Gemeinschaft. Der Hybriditätsansatz hat somit in der Forschung zum Dritten Sektor einen sichtbaren Stellenwert, auch wenn der Hybriditätsbegriff dort nicht ausdrücklich verwendet wird: Evers (1990) fasst den Dritten Sektor und mithin den Non-Profit-Sektor als einen Bereich auf, in dem die Institutionen Markt, Staat und Gesellschaft zusammenlaufen und einen ‚intermediären‘ Bereich bilden. In diesem Zusammenhang wird der Non-Profit-Sektor von Evers als Bereich definiert, der unterschiedliche soziale Trägerformen hervorbringt, die jeweils in unterschiedlichem Ausmaß von diesen drei Institutionen beeinflusst werden (Evers 1990: 194). Evers (1990) stellt diesen intermediären Bereich als Wohlfahrtsdreieck dar, „[…] um den eigentümlichen Zwischenstatus der Sphäre freiwilliger nicht-profitorientierter Organisationen im Spannungsfeld zwischen Markt, Staat und Haushalten […] hervorzuheben“ (Evers/Olk 1996: 16). Somit bezieht sich dieser Ansatz zum Wohlfahrtsmix verstärkt auf Non-Profits8, die sich aufgrund der Einflüsse ihres Umfeldes als Mischform hervortun und sich damit als hybride Organisationen auszeichnen. Damit kann der Ansatz von Evers als institutionenzentriert in dem Sinne eingestuft werden, dass Institutionen die Beschaffenheit von Organisationen determinieren. Vor diesem Hintergrund sind die Annahmen zur Wirkung von Institutionen und Organisationen anders gelagert als jene im Akteurszentrierten Institutionalismus, der keine determinierende Wirkung von Institutionen auf Organisationen verfolgt, sondern die Wechselwirkung zwischen Institutionen und Organisationen betont.
7Auf
den Begriff Wohlfahrtsmix bzw. Wohlfahrtspluralismus geht Abschnitt 4.2.1 ein. Begriff Non-Profit-Organisation beschreibt im Allgemeinen eine nicht-gewinnorientierte Organisation, zu der auch gemeinnützige Organisationen wie die Wohlfahrtsverbände zählen. Zu den Gründen, warum Organisationen nicht gewinnorientiert handeln, gibt es in der Literatur zahlreiche Ansätze (vgl. Badelt/Meyer/Simsa 2013). Im Rahmen dieser Arbeit wird der Non-Profit-Begriff entsprechend der Idee von Evers (1990) und Evers/Olk (1996) verwendet.
8Der
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2 Veränderbarkeit von Institutionen: Ausarbeitung einer Theorie
Zentrales Merkmal des Ansatzes zum Wohlfahrtsmix ist, zum einen eine gemischte Wohlfahrtsproduktion zu analysieren, an der verschiedene Institutionen beteiligt sind. Zum anderen erfasst dieser Ansatz die Beschaffenheit des Dritten Sektors insofern, als er aus den drei Bereichen Staat, Markt und Gemeinschaft entsteht und die Merkmale dieser Bereiche unterschiedlich stark – quasi in Form hybrider Organisationen – in sich vereint (vgl. Evers/Olk 1996). Damit greift der Wohlfahrtsmix indirekt auch das Verhältnis von Staat und dem Dritten Sektor auf, in dem der Dritte Sektor als Ergebnis seines institutionellen Umfeldes hervorgeht. Auffällig bei Evers‘ Ansatz ist jedoch, dass bei der Darstellung des Dritten-Sektors als intermediärer Bereich letztlich Staat-Verbände-Beziehungen nicht ausdrücklich berücksichtigt sind. Dies mag daran liegen, dass der Ansatz des Wohlfahrtsmixes einen wesentlich größeren Bereich als den Non-ProfitSektor abbildet und somit auch zivilgesellschaftliche Gruppen umfasst, die in keiner institutionalisierten Beziehung zum Staat stehen, wie es lange Zeit zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden der Fall war. Der Non-Profit-Sektor bildet anders formuliert nur einen Teil des Dritten Sektors im Verständnis von Evers ab. Dennoch ist die Berücksichtigung korporatistischer Strukturen insbesondere bei der Betrachtung der Aktivität von Wohlfahrtsverbänden wichtig, da Wohlfahrtsverbände traditionell einen hohen Einfluss genießen und zu einem wesentlichen Teil die Wohlfahrtsproduktion dauerhaft mitbestimmen (vgl. Grzeszick 2010: 30) bzw. mitbestimmt haben. Betrachtet man verschiedene Bereiche der Wohlfahrtspflege wie die Altenpflege, so sind bei der Ausgestaltung politischer Vorgaben Staat-Verbände-Beziehungen unerlässlich9. Auch wenn der Wohlfahrtsmixansatz Staat-Verbände nicht berücksichtigt, ist er hilfreich, wenn es darum geht, die Pluralität von Teilinstitutionen, Steuerungsinstrumenten und Akteuren zu erfassen. Darüber hinaus stellen sich beim Ansatz zur Hybridität im Allgemeinen Kritikpunkte heraus. Unausgeführt bleibt etwa, was Hybridität über den Ansatz von Williamson (1991), der Mischformen zwischen Markt und Staat diskutiert, hinaus auszeichnet. Vor diesem Hintergrund wäre Hybridität ein Phänomen, welches in zahlreichen Bereichen zu finden ist und somit keine Besonderheiten aufweist: „Empirically speaking, it appears far easier to find arrangements that are hybrid or ‚fuzzy‘ arrangements than those approximating idealtypical notions“ (Brandsen et al. 2005: 750; vgl. auch
9Der Ansatz zum Wohlfahrtspluralismus wird in Kapitel 4 um die Staat-VerbändeBeziehungen-Typologie von Najam (2000) erweitert, um auch korporatistische Strukturen zu erfassen.
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Skelcher/Smith 2015: 43510). Neben dem Kritikpunkt, dass Hybridität ein gängiges Phänomen und keine Ausnahme sei, bleibt bei den bestehenden Ansätzen ungeklärt, wie Hybridität beschaffen ist. Mit anderen Worten besteht kein modellhafter Ansatz zur Funktionsweise von Hybridität. Dabei ist von besonderem Interesse nicht nur die Instrumente und Bereiche zu benennen, die bei der Steuerung von staatsnahen Sektoren zum Tragen kommen, sondern beschreiben und erklären zu können, wie die einzelnen Instrumente ineinandergreifen und sich miteinander vermischen. Hybriditätsansätze verfolgen die Annahme, dass Hybridität ein umfassendes Charakteristikum in den Wohlfahrtssektoren überhaupt darstellt. Ein Beispiel, das auch im Rahmen dieser Arbeit von Bedeutung ist, ist der Quasi-Markt, in dem Marktprinzipien einerseits und hierarchische, staatliche Steuerung andererseits zusammenlaufen. Darüber hinaus wird in dem hier vorgestellten Hybriditätsansatz zwischen der Institutionenebene und der Organisationsebene differenziert. Institutionelle Hybridität zielt in erster Linie auf die Vermischung zwischen den verschiedenen Institutionen Staat, Markt und Korporatismus samt ihrer Koordinationsmechanismen ab. Organisationshybridität hingegen umfasst das Verhalten von Organisationen derart, dass sie mit einer Hybridisierung ihres organisationalen Aufbaus etwa auf institutionellen Wandel reagieren (Smith 2014: 1498). Sie nehmen Charakteristika der Umwelt auf, auch Widersprüche und Spannungen, die etwa dadurch entstehen, dass unterschiedliche Logiken in dieser Umwelt gleichzeitig bestehen. Organisationen werden mit dem Aufnehmen widersprüchlicher Umweltlogiken selbst spannungsgeladen und widersprüchlich, wie es sich bei Organisationen, die mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen11 konfrontiert sind, äußert. Etwa als gemeinnützige Organisation tätig zu sein und Interessen von sozial Benachteiligten zu vertreten, kann in Widerspruch damit stehen, umsatz- und kostengetrieben zu handeln, wie es seit geraumer Zeit Wohlfahrtsverbänden nachgesagt wird (vgl. Kapitel 5). Im Rahmen dieses Ansatzes sollen verschiedene Hybridisierungsentwicklungen analytisch voneinander getrennt werden. In Anlehnung an Grohs (2014) soll im Folgenden eine Differenzierung zwischen Institutionenhybridität einerseits und Organisationshybridität andererseits erfolgen. Darüber hinaus soll auf die Hybridität im Aufbau und in der Steuerung eingegangen werden.
10„If
hybridity is everything except market and hierarchy, and these two concepts themselves are the limiting cases of a continuum, then the conclusion is that the majority of empirical case will de facto be hybrids“ (Hervorhebung im Original). 11Auf Anspruchsgruppen bzw. Stakeholder geht Kapitel 5 ausführlich ein.
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2 Veränderbarkeit von Institutionen: Ausarbeitung einer Theorie
Die Institutionenhybridität fokussiert auf die Vermischung von Institutionen. Dazu zählen etwa Mischformen zwischen den Institutionen Markt und Staat. Damit verbunden ist eine Steuerungshybridität, d. h. eine Vermischung von Steuerungsmechanismen, nach denen in den jeweiligen Sektoren Abläufe geregelt sind. Dazu gehören etwa die Hierarchie (Staat), Wettbewerb (Markt) und Verhandlungen (Korporatismus) und die damit verbundenen konkreten Instrumente, mit denen die Steuerungsmechanismen ausgestaltet sind (Regulierungsinstrumente, Zielvereinbarungen/Kontraktualisierung, Verhandlungen) (vgl. Grohs 2014: 1428). Die Institutionenhybridität ist im Rahmen dieser Arbeit von einem institutionellen Umbau gekennzeichnet, d. h. ehemals voneinander getrennte Bereiche vermischen sich miteinander und sind somit als alleinstehende Institutionen nicht mehr zu identifizieren. Trotz der Hybridisierung bestehen aber wesentliche Funktionsweisen der ehemals voneinander getrennten Bereiche fort. In Erweiterung zu Grohs (2014) gehen aus der Vermischung von Institutionen neue Steuerungsarten hervor, die sich der Steuerungsmechanismen der einzelnen Bereiche bedienen und somit als Steuerungshybrid verstanden werden können. An dieser Stelle soll die Typologie von Scharpf/Mayntz (1995) (a) (Abbildung 2.1) aufgegriffen werden, in der alternative Bereiche voneinander abgegrenzt werden, je nachdem wie hoch die gesellschaftliche und staatliche Handlungsfähigkeit sind. Anknüpfend an diese Typologie kann im Hybriditätsansatz der Idee einer hohen oder niedrigen Handlungsfähigkeit nicht mehr gefolgt werden. Die Idee der Typologie verändert sich im Ansatz zur Hybridität in der Weise, dass staatsnahe Sektoren nicht mehr in vier Bereiche abgegrenzt werden, die als gegenseitige Alternativen zu verstehen sind. Vielmehr werden sie der oben formulierten Institutionenhybridität entsprechend vermischt und gehen somit ineinander über. An die Stelle der gesellschaftlichen bzw. staatlichen Handlungsfähigkeit treten im Zuge dieser Institutionenhybridisierung neue Steuerungsmechanismen, die diese hybridisierten Bereiche nun umfassen. Entsprechend ist, je nach Sektor, zu untersuchen, um welche Steuerungsmechanismen es sich dabei handelt. Es ist somit festzuhalten, dass mit einer Auflösung von vormals strikt getrennten Bereichen (Staat, Korporatismus, Markt und Gemeinschaft) bereichsübergreifende Steuerungsmechanismen entstehen, die diese hybridisierten neuen Institutionen prägen. Die staatliche wie auch die gesellschaftliche Handlungsfähigkeit werden durch diese Steuerungsarten ersetzt, die hier zunächst als „staatlich-gesellschaftlich“ und „staatlich-marktlich“ bezeichnet werden sollen. Aus Steuerungssicht lässt sich die Hybridisierung der Bereiche und das damit verbundene Hervorbringen neuer Steuerungsarten als die zuvor umrissenen Steuerungsregimes bezeichnen, im Rahmen derer „[…] Gesellschaften in komplexen Arrangements regiert [werden], die viele Akteure aus unterschied-
2 Theorien: Pfadabhängigkeit, Hybridität und Korporatismus
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lichen institutionellen Kontexten […] in unterschiedlicher Weise zusammenbringen“ (Benz/Dose 2007: 264). Eine an den Hybriditätsansatz ausgerichtete Erweiterung der Typologie nach Scharpf/Mayntz (1995) (a) findet sich im Folgenden in Abbildung 2.2, welche die eben getroffenen Aussagen abbildet. In Abgrenzung zur institutionellen Hybridität umfasst Organisationshybridität das Verhalten von Organisationen derart, dass sie mit einer Hybridisierung ihres organisationalen Aufbaus auf institutionellen Wandel reagieren (Smith 2014: 1498). Dabei stehen Organisationen auch in Verbindung zu der hybriden Institution, die sie umgibt, wobei folgende Frage in der Beziehung von Akteuren und Strukturen von hoher Relevanz ist: „[Was] erlaubt [es] Organisationen […], unterschiedlichen, widersprüchlichen Umweltanforderungen gerecht zu werden, um damit dem Organisationsbestand zu sichern“ (Becker-Ritterspach/Becker-Ritterspach 2006: 102). Der Organisationalen Hybridität soll im nächsten Kapitel 3 nachgegangen werden. Inwieweit eine Hybridisierung der Institutionen Staat, Markt und Gemeinschaft sich auf die Wohlfahrtsverbände und ihre Beziehungen zum Staat auswirkt, soll in den folgenden Kapiteln diskutiert werden.
Abbildung 2.2 Bereichs- und Steuerungshybridisierung. (Quelle: Scharpf/Mayntz 1995 (a): 25; wesentlich modifiziert)
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2 Veränderbarkeit von Institutionen: Ausarbeitung einer Theorie
Für den Begriff der Hybridisierung soll im Rahmen dieser Arbeit ein über die bisherigen Überlegungen hinausgehendes Verständnis entwickelt werden, indem die Überlegungen zur Pfadabhängigkeit wie zum Pfadwechsel einbezogen werden. Im hier entwickelten Verständnis kommt es viel weniger zu einer beabsichtigten Vermischung, wie sie sich etwa mit dem Quasi-Markt als Hybrid aus freiem Markt und staatlichen Institutionen darstellt. Die Besonderheit einer hybriden Institution ist, dass pfadabhängige Teilinstitutionen und Teilinstitutionen, die einem Pfadwechsel unterliegen, zugleich bestehen und für die Hybridisierung, also die Vermischung des Systems sorgen. Ein Teil des reformierten Systems wie der Pflegesektor wäre das Ergebnis einer beabsichtigten Veränderung (Pfadwechsel). Ein anderer Teil der Institution wäre das Ergebnis einer unabsehbaren Beständigkeit von Institutionen (Pfadabhängigkeit), die sich erst einmal nicht auflösen lässt. Ein Teil einer reformierten Institution wäre damit ungewollt historisch verbunden, was einen Grundgedanken von Hodgson 2004 und 2007 aufgreift (vgl. auch Kingston/Caballero 2009). Das Bestehen der pfadabhängigen Teilinstitutionen wäre dann entsprechend institutionsökonomischer Argumentationen damit begründbar, dass Individuen keine Eingriffsmöglichkeiten auf diese Teilinstitutionen hätten und die Institutionen sich nach evolutionsgleichen Gesetzen weiterentwickeln oder sich ggf. auflösen (vgl. Jöst/ Fischer 2013)12. Im Folgenden soll auf die Beziehungen zwischen Staat und Drittem Sektor eingegangen und eine Grundlage entwickelt werden, um den Pfadabhängigkeitsansatz und den Hybriditätsansatz systematisch miteinander verbinden zu können. Somit soll der Ansatz, der im Folgenden entwickelt wird, die hier vorgestellte Perspektive um den Bereich der Staat-Verbände-Beziehungen erweitern. Zuvor soll eine kurze Darstellung des Korporatismus und des Pluralismus als gängige Ausprägungen von Staat-Verbände-Beziehungen gegeben werden.
2.3 Korporatismus und Pluralismus Korporatistische Strukturen kennzeichnen sich dadurch, dass eine nationale politische Kultur machtvolle Großverbände hervorgebracht hat, die in einem kooperativen Austausch mit der Politik nach dem Motto stehen, eine konsensorientierte Politik auf zentraler Ebene zu gestalten und Konflikte zwischen den
12Dieser
Punkt wird in Abschnitt 2.2.1 diskutiert.
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unterschiedlichen Interessenparteien zu minimieren (Newton/van Deth 2006: 274). Als Korporatismus versteht man mithin die systematische Eingliederung der Verbände durch die Politik in gemeinsame Politikentscheidungen und in das politische System. Verbände tragen damit politische Entscheidungen mit (vgl. Liebig 2005: 148 f. oder auch Schmidt 2004: 389). Ursprünglich bezieht sich der Korporatismus auf die vertiefte und vor allem konsensfindungsorientierte Zusammenarbeit zwischen der Politik und Interessenverbänden. Beispielhaft hervorzuheben ist etwa hier die Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung, den Arbeitgeberverbänden auf der einen und den Arbeitnehmerverbänden auf der anderen Seite, wodurch gemeinsam tragfähige Lösungen etwa in der Arbeitsmarktpolitik ausgehandelt werden sollen – das Bündnis für Arbeit kann dafür als Beispiel genannt werden. Dieses Miteinander der drei Akteure wird auch zusammengefasst mit dem Begriff des Tripartismus (vgl. Sebaldt/Straßner 2004: 44). Oftmals sind die Strukturen in korporatistischen Systemen derart von einer Vermachtung von Verbänden gekennzeichnet, dass sie sehr einflussreich Politik mitzugestalten in der Lage sind (Sebaldt/Straßner 2004: 43). Auch wenn Begriffe wie vermachtete oder elitäre Strukturen oder auch Elitenkartell mit dem Korporatismusbegriff in Beziehung gebracht werden, so hat sich in korporatistischen Systemen eine derartige enge und konsensorientierte Zusammenarbeit in der Sozialpolitik wie auch in der Wirtschaftspolitik als erfolgreich erwiesen (vgl. Schmidt 2004: 389). Dass Verbände in das politische System sehr stark eingebunden (inkorporiert) sind, zeigt sich daran, dass sie nicht nur die Interessen der Mitglieder gegenüber dem Staat vertreten, sondern auch politische Entscheidungen gegenüber den Mitgliedern zu vermitteln suchen (Schmidt 2004: 389). Die Interessenarbeit der Verbände spielt sich damit zwischen den Interessen der Verbandsmitglieder und dem Einfluss der Politik ab.13 Auf der anderen Seite wird in korporatistischen Institutionen befürchtet, dass Partikularinteressen, die von machtvollen Interessenverbänden vermittelt werden, sich besonders deutlich in politischen Entscheidungen auswirken (vgl. Schmidt 2004: 389).
13Mit
dem Vertreten der Mitgliederinteressen gegenüber dem Staat und dem Vermitteln politischer Entscheidungen gegenüber Mitgliedern können schließlich auch Spannungen innerhalb von Verbänden ausgelöst werden, die die Verbände teilweise zu neutralisieren suchen (vgl. Streeck 1987). Darauf geht im Fall der Wohlfahrtsverbände Abschnitt 5.1.2 ein.
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2 Veränderbarkeit von Institutionen: Ausarbeitung einer Theorie
Schließlich gestalten im Korporatismus Interessenverbände nicht nur die Politik, sondern sie übernehmen auch Aufgaben des Staates (Sebaldt/Straßner 2004: 44). Diese Form des Korporatismus, in dem Regierungspolitik und Verbände ein Tandem bilden und politische Inhalte gemeinsam gestalten, erinnert an das lange währende Miteinander von Staat und Wohlfahrtsverbänden etwa in der Pflegepolitik vor Einführung der Pflegeversicherung (vgl. Abschnitt 4.1.3). Den Gegenpol zu korporatistischen Strukturen bilden pluralistische Strukturen. In pluralistischen Systemen finden sich eine Vielzahl von verschiedenen Interessen, die letztlich durch die Existenz zahlreicher Interessenverbände im politischen System zum Ausdruck gebracht werden (Ebert 2010: 27). Diese Verbände stehen mithin im Wettbewerb miteinander; das Verbändesystem selbst ist nicht in sich abgeschlossen oder vermachtet, sondern auch offen für weitere Interessenvereinigungen, was auch bedeutet, dass Interessen grundsätzlich immer organisierbar sind (vgl. Ebert 2010: 30). Darüber hinaus bestehen im Gegensatz zum Korporatismus keine festen elitären Machtstrukturen im Verbändesystem. Vielmehr tendieren in der pluralistischen Sichtweise die Verbände dazu Koalitionen mit anderen Verbänden zu bilden, um ihre Chancen einer Einflussnahme zu erhöhen (Newton/van Deth 2006: 176). Macht und Einfluss liegen dann eher verstreut vor (Kooiman 2003: 71).
2.4 Typologie zu den Beziehungen zwischen Staat und Verbänden Eine von Adil Najam (2000) entwickelte Typologie soll helfen, für die oben entwickelten theoretischen Ansätze eine möglichst differenzierte Hypothesenbildung hinsichtlich der Staat-Verbände-Beziehungen ableiten zu können. Dabei kann Najams Ansatz eine Alternative zu den in der Forschung dominierenden Konzepten Korporatismus und Pluralismus, die sich bei der Darstellung von Beziehungen zwischen Staat und Verbänden nicht immer als leistungsfähig erweisen, bieten. Die Analysen zu korporatistischen Strukturen treffen hauptsächlich die Unterscheidung, inwieweit Verbände ,inkorporiert‘, d. h. in die politische Entscheidungsfindung einbezogen werden und damit an ihrer Ausgestaltung dauerhaft aktiv beteiligt sind (vgl. Backhaus-Maul/Olk 1996: 580). In pluralistischen Systemen fehlen in Abgrenzung zum Korporatismus machtvolle Verbände, die Interessen bündeln und artikulieren – Interessen liegen in diesen Systemen eher verstreut vor (Kooiman 2003: 71). Somit erfasst die Sichtweise des Korporatismus lediglich Kooperation als zentrales Merkmal
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bei S taat-Verbände-Beziehungen, wobei es in pluralistischen Systemen zu einem kooperativen Miteinander erst gar nicht kommt. Diese eindimensionale Abstufung zwischen Kooperation oder fehlender Einbindung scheint für die Analyse von Staat und Non-Profits14 bzw. Verbänden unzureichend zu sein, vor allem deswegen, weil diese Beziehungen mittlerweile sehr vielschichtig sind, ebenso wie die Gründe dafür (Najam 2000: 380 f. und Phillips/Smith 2012: 1 f.). So wird beobachtet, dass Verbände verstärkt von staatlicher Seite in die Sozialpolitik eingebunden werden (Najam 2000: 381), vor allem aufgrund der Erkenntnis des öffentlichen Sektors, er könne die Bereitstellung öffentlicher Leistungen15 nicht mehr alleine leisten (Phillips/Smith 2012: 1 f). Daneben ist denkbar, dass Verbände mehrere Ziele gleichzeitig verfolgen, wobei mit hoher Wahrscheinlichkeit auch abweichende Ziele zwischen Staat und Verbänden vorliegen können. Najam (2000) fasst die Beziehungen mit ihren unterschiedlichen Ausprägungen derart zusammen, als er in Staat-Dritte-Sektor-Beziehungen grundsätzlich Spannungen annimmt: „[T]he goals, interests, priorities, resources, and other policy paraphernalia of the NGOs and the government collide – sometimes in harmony, sometimes in discord“ (Najam 2000: 379). Najams Feststellung mag mithin für die großen Wohlfahrtsverbände zutreffen, die seit der Reform des Pflegesektors Mitte der Neunzigerjahre offenbar eine komplexere Beziehung zum Staat zu haben scheinen als lange Zeit zuvor. Somit kann eine von Najam (2000) entwickelte Typologie dabei helfen, die offensichtlichen Schwächen der Konzepte Korporatismus und Pluralismus zu überwinden. Denn die eindimensionale Abgrenzung zwischen Korporatismus und Pluralismus wird durch eine Ausweitung auf vier Konzepte weiter differenziert. Damit bietet dieser Ansatz eine alternative Sichtweise, mit welcher das Verständnis von Staat-Verbände-Beziehungen nicht nur auf korporatistische Zusammenarbeit oder pluralistisches Nebeneinander begrenzt wird, sondern einen Blick auf komplexere Beziehungen, die zwischen Staat und Verbänden bestehen, ermöglicht. Seinem Konzept weist Najam insofern eine hohe Offenheit zu, dass die Typologie auf Verbände unabhängig ihrer Größe und Typs anwendbar ist (Najam 2000:
14Najam (2000) verwendet im Rahmen seines Modells den N on-Profit-Begriff. Da Wohlfahrtsverbände aufgrund ihres Gemeinnützigkeitsstatus ebenfalls als Non-Profits betrachtet werden, werden im Folgenden die Begriffe Verbände und Wohlfahrtsverbände verwendet. 15Wohlfahrtsverbände sind im Gegensatz zum idealtypischen Interessenverband auch in der Leistungserstellung aktiv. Eine ausführliche Darstellung dazu findet sich in Kapitel 5.
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378). Damit fallen auch die frei-gemeinnützigen Wohlfahrtsverbände unter diesen theoretischen Ansatz. Grundsätzlich bestimmen nach der Typologie von Najam (2000) zwei Instrumente die Beziehungen zwischen Staat und Verbänden. Zusammen mit dem Staat sind Verbände Teil eines Politikprozesses, der von beiden Seiten gestaltet wird und in dem beide Seiten miteinander interagieren (Najam 2000: 379). Verbände wie auch staatliche Institutionen artikulieren dabei jeweilige Ziele, die je nach Politikfeld eher deckungsgleich sind oder voneinander abweichen. Um ihre Ziele zu erreichen, verfolgen beide Seiten jeweils individuelle Strategien, die wie die Ziele gleichgerichtet sind oder voneinander abweichen können (Najam 2000: 383) (Abbildung 2.3).
Abbildung 2.3 Typologie zu Staat-Verbände-Beziehungen. (Quelle: Najam 2000: 383)
Je nach Ausrichtung der Ziele und der dafür verwendeten Strategien ergeben sich vier Szenarien, welche die Staat-Dritte-Sektor-Beziehungen prägen können. Von Kooperation geprägte Beziehungen entstehen, wenn sowohl Ziele als auch Strategien in etwa deckungsgleich sind. Dabei weist Kooperation in Najams Verständnis Parallelen zu korporatistischen Strukturen auf. Denn Verbänden wird in traditionellen Staat-Verbände-Beziehungen eine Einbindung an der Politik garantiert, mit dem Ziel für alle Seiten akzeptable Kompromisse in einem Aushandlungsprozess zu erreichen und damit gesellschaftlichen Konflikten vorzubeugen (vgl. Sebaldt/Straßner 2004: 41). Somit wird Kooperation in der Idee des Korporatismus ursprünglich vorausgesetzt. Mithin sind die verfolgten Strategien in Form von Verhandlungen zwischen dem Staatsapparat und den Verbänden übereinstimmend. Im Unterschied zum Zustand Kooperation ist eine komplementäre Staat-Verbände-Beziehung dann gegeben, wenn die verfolgten Ziele überein stimmen, aber die damit verfolgten Strategien voneinander abweichen. Dieser Zustand lässt sich in eine Staat-Verbände-Beziehung übersetzen, in der Staat und Verbände in der Leistungserstellung derart zusammenarbeiten, als dass beide
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unterschiedliche Leistungen anbieten, die sich ergänzen (Najam 2000: 387). Oftmals werden Leistungen vom Staat an unterschiedliche Anbieter delegiert, was sich auch in der deutschen Sozialpolitik beobachten lässt. Weichen neben den angewandten Strategien auch die Ziele ab, stehen Staat und Verbände in einem konfrontativen Verhältnis. Konfrontation äußert sich derart, dass Verbände einen Politikinhalt vertreten und im politischen System vorantreiben, der ohne sie nicht verfolgt würde. Darüber hinaus gehen Verbände in eine Gegenposition zur staatlichen Politik und bauen ggf. eine Widerstandshaltung auf (vgl. Najam 1996, zitiert durch Najam 2000: 386). Daneben besteht in der Typologie von Najam (2000) ein Zustand zwischen der öffentlichen Verwaltung und Verbänden, die als Ko-optierung bezeichnet wird. Der Zustand, in dem zwar die Strategien zwischen Staat und Verbänden deckungsgleich sind, aber die Ziele divergieren, ist in erster Linie in Entwicklungsländern beobachtbar und wird als Übergangssituation verstanden (Najam 2000: 388). Für die Ko-optierung kennzeichnend ist, dass Staat und Verbände wechselseitig die Ziele des anderen zu ändern beabsichtigen, um ihre eigenen Ziele zügiger zu erreichen (Najam 2000: 389 sowie Anheier 2014: 434). Welche Partei dabei in der Lage ist, die andere Seite für eigene Zwecke zu instrumentalisieren, macht Najam von der Machtverteilung abhängig (ebd.). Vertreter des Pfadwechsels argumentieren, dass traditionelle Staat-Verbände-Beziehungen von Reformen im Wohlfahrtsbereich aufgelöst und ersetzt worden sind, während Vertreter der Pfadabhängigkeit die Stabilität des traditionellen Systems, insbesondere die Staat-Verbände-Beziehungen betonen. Die in der bestehenden Literatur diskutierten Argumente zur Beständigkeit sowie zur Auflösung der traditionellen Strukturen, insbesondere des traditionellen Korporatismus, sollen im Folgenden durch die Gegenüberstellung der Ansätze erörtert werden.
3 Erklärungsansätze für hybride Institutionen: Pflegesektor 3.1 Gestaltung von Institutionen in der Sozialpolitik aus Sicht von Pfadabhängigkeit und -wechsel Institutionelle Einschnitte werden in der Literatur hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden unterschiedlich gedeutet. Für den Altenpflegesektor liegen institutionelle Einschnitte vor, die sich Mitte der Neunzigerjahre vollzogen haben. Voraus gingen
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2 Veränderbarkeit von Institutionen: Ausarbeitung einer Theorie
eränderungsabsichten der Politik beim staatlichen Verwaltungsapparat, wobei V die Reformen dort in der Literatur unter dem Phänomen New Public Management oder Neues Steuerungsmodell zusammengefasst werden. Die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung hat sich nach betriebswirtschaftlichen Effektivitätsund Effizienzkriterien vollzogen und umfasste mithin ein verstärktes Delegieren von öffentlichen Aufgaben an private Unternehmen (vgl. Grohs 2010 und Grohs 2014). Zu den Reformschritten des Wohlfahrtsbereiches Altenpflege gehörte zum einen die Öffnung des Leistungsanbietermarktes für privat-gewerbliche Leistungsanbieter, wodurch der Wettbewerb belebt werden sollte. Auch wurde in dieser Zeit das Kostendeckungsprinzip von einem System mit Fallpauschalen abgelöst16. Mithin ist 1994 die Pflegeversicherung eingeführt worden, wodurch es zu einer Trennung von Konsum und Zahlung auf der Nachfrageseite gekommen ist. Mit diesen Schritten sind die Hauptbestandteile eines Quasi-Marktes in der Altenpflege institutionalisiert worden (vgl. Grohs 2014: 1433). Diese Veränderungen im Altenpflegesektor legen Überlegungen nahe, inwieweit sie Staat-Verbände-Beziehungen verändert haben, wobei sich in der wissenschaftlichen Literatur zwei Hauptargumente herausgebildet haben. Sie lassen sich unterteilen in einerseits die Sichtweise, die einen fundamentalen Wandel von Staat-Verbände-Beziehungen bis hin zur ihrer Auflösung (Post-Korporatismus) vertritt und andererseits die Position, dass trotz tiefer Einschnitte im institutionellen Aufbau der Altenpflege und im Verwaltungsapparat die wesentlichen Merkmale korporatistischer Strukturen weiterhin bestehen. Wenn sich ein Wandel der korporatistischen Strukturen durchgesetzt haben sollte, wären Wohlfahrtsverbände möglicherweise mit einer Abkehr ihres Einflusses in die Politik zur Altenpflege konfrontiert. Staat-Verbände-Beziehungen in Deutschland sind traditionell ein wesentliches Strukturelement bei der Gestaltung politischer Inhalte. Spitzenverbände werden grundsätzlich in politische Entscheidungen in unterschiedlichen Politikbereichen wie der Gesundheits- und Sozialpolitik dauerhaft mit einbezogen (vgl. Grzeszick 2010). Hervorzuheben ist dabei, dass der Wohlfahrtskorporatismus durch eine eher kleine Teilnehmerzahl gekennzeichnet ist, wobei traditionell die großen Wohlfahrtsverbände zusammen mit staatlichen Vertretern in Verhandlungen um
16Einen
zusammenfassenden Überblick zu den institutionellen Neuerungen des Altenpflegesektors gibt Grohs 2014 (insb. S. 1433). Eine ausführliche Darstellung zum Aufbau des Altenpflegesektors und seiner Reformen soll nicht hier, sondern in Kapitel 4 erfolgen.
3 Erklärungsansätze für hybride Institutionen: Pflegesektor
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die Ausgestaltung der Wohlfahrtspolitik – u.a. Altenpflege und Jungend – stehen (vgl. Grohs 2010 und Backhaus-Maul/Olk 1996: 580 f.)17. Trotz der tiefgreifenden Reformen im Wohlfahrtssektor zeichnen sich korporatistische Strukturen entsprechend dem Ansatz zur Pfadabhängigkeit durch Beständigkeit aus. Dies gilt etwa für Staat-Verbände-Beziehungen auf kommunaler Ebene, auf der ‚verhandlungsdemokratische‘ Strukturen, in welche Wohlfahrtsverbände und die kommunale Verwaltung bspw. in der Kinderund Jugendhilfe eingebunden sind, dominieren (vgl. Grohs 2010: 13 f., vgl. Heinze/Strünck 2000). In jenen korporatistischen Arrangements im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe verstärkt die Kontraktualisierung – also abgeschlossene Leistungsverträge zwischen öffentlicher Verwaltung und Leistungsanbietern – bestehende korporatistische Strukturen, weil vertragliche Leistungsvereinbarungen mehrjährige Laufzeiten mit sich bringen, wohingegen die Zuwendungsfinanzierung an eine jährliche Verabschiedung des Haushaltes geknüpft ist (vgl. Grohs 2010: 15). Zudem gehen Vertreter der Stabilität der Wohlfahrtsinstitutionen davon aus, dass die Kontraktualisierung zu einem neuen Netzwerk zwischen den Wohlfahrtsverbänden und öffentlichen Institutionen und darüber hinaus zwischen den neu hinzugekommenen privat-gewerblichen Anbietern beiträgt: „[V]ielmehr entwickelt sich – auch durch das Kontraktmanagement – ein neues Beziehungsgeflecht zwischen privaten, öffentlichen und wohlfahrtlichen Trägern“ (Heinze 2009: 77). Insofern sprechen die Befunde aus dem Bereich der Kinderund Jugendhilfe und die daraus abgeleiteten Interpretationen für eine Stabilität traditioneller Strukturen in der Sozialpolitik. Jedoch relativiert Heinze (2009) die kartellartige Struktur der Staat-Verbände-Beziehungen und fasst die öffentliche Ausschreibung und die damit verbundenen Wettbewerbselemente mit der Formel vom ‚Status zum Kontrakt‘ zusammen (Heinze 2009: 77). Die großen Wohlfahrtsverbände beziehen aus den traditionellen und offenbar auch stabilen Beziehungen zum Staat keine außerordentlichen Vorteile mehr. Im Gegensatz zu Grohs (2010) und auch radikaler als Heinze (2009) argumentieren Bode/Brandsen (2014), dass die traditionellen Staat-Verbände-Beziehungen ‚aufgebrochen‘ worden sind, indem sie u.a. durch Vertreter der privat-gewerblichen Anbieter, die in die Märkte zur Freien Wohlfahrtspflege eingetreten waren, erweitert worden sind (vgl. Bode/ Brandsen 2014: 1063). Bode (2004) leitet aus diesem Abbau der kartellartigen Strukturen mithin eine Auflösung der politischen Verquickung von Wohlfahrtsverbänden und Sozialstaat ab (Bode 2004: 61). Vielmehr „[werden] die
17Vgl.
Kapitel 4.
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Beziehungen zwischen öffentlichen Sozialverwaltungen und frei-gemeinnützigen Organisationen als Vertragsbeziehungen (outcontracting) gestaltet […]“ (Backhaus-Maul/Olk 1996: 587). Bode (2004) identifiziert insbesondere für die kommunale und regionale Ebene einen entgegengesetzten Trend der von Grohs (2010) hervorgehobenen kommunalen verhandlungsdemokratischen Strukturen: Verhandlungen mit dem Kennzeichen der Konsensorientierung zwischen Kommunen und Wohlfahrtsverbänden nehmen immer mehr ab (vgl. Bode 2004: 60 f.). Damit weisen diese Autoren auf einen Pfadwechsel in der Wohlfahrtspolitik hin, der von Wettbewerb auf dem Quasi-Markt begleitet wird: „Altenpflege heute [unterliegt] mehr denn je den Gesetzen von Angebot und Nachfrage sowie einer Vorstellungswelt, in der Kunden-, Konsum- und Konkurrenzkalküle Platz greifen“ (Bode 2006 (b): 194). Korporatistische Strukturen sind mithin vergleichsweise unbedeutend geworden. Dabei sind traditionelle korporatistische Strukturen und die ihnen innewohnenden typischen Verhandlungen in dieser Sicht größtenteils den Prinzipien der Kontraktualisierung gewichen: Staat-Verbände-Beziehungen dominieren nun öffentliche Leistungsverträge, in welche der Staat die Rolle des Auftraggebers und die Verbände die des Auftragnehmers einnehmen (Grzeszick 2010: 40).
3.2 Die Hybridisierung von Institutionen im Pflegesektor Der in dieser Arbeit verfolgte Hybridisierungsansatz kommt argumentativ-theoretisch zu einer dritten – und von den Ansätzen zum Pfadwechsel und Pfadabhängigkeit abweichenden – Argumentation. Zentral ist, dass zwei Steuerungsprinzipien entstanden sind, die in einer hybriden Institution bestehend aus Quasi-Markt und Staat-Verbände-Netzwerk ein Steuerungsregime bilden: die Relational Governance zum einen und die Quasi-Market-Governance zum anderen. Relational Governance18 bezieht sich dabei auf ein Arrangement, in dem sich die Verbände an der Ausgestaltung der einzelnen Politikinhalte im Rahmen
18Der
Relational Governance-Begriff wird u. a. von Rhodes 2000 verwendet (vgl. auch Philips/Smith (Hrsg.) 2012). Dieser feststehende Begriff soll im Rahmen dieser Arbeit nicht verändert werden wie auch die Bezeichnung der Quasi-Market-Governance (vgl. Brandsen 2004). Gemeint ist damit trotzdem der Steuerungsbegriff.
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der Staat-Verbände-Beziehungen weiterhin beteiligen, jedoch unter veränderten Rahmenbedingungen, die als ‚Pluralisierung der Politikgestaltung‘ zusammengefasst werden können (vgl. Phillips/Smith 2012 und insbesondere Rhodes 2000: 54). Dabei lässt sich eine wesentliche Änderung beim Aufbau des Staates identifizieren, die sich dadurch ausdrückt, dass sich eine Umstellung von einer zentralisierten Hierarchie zu einem Netzwerk vollzogen hat, in dem „[…] die kollektive Handlungsfähigkeit dezentral auf mehrere öffentliche und private Kollektivakteure […] im „Netz“ verteilt [wird]“ (Teubner 1999: 13). Dieses dezentrale Netzwerk zeichnet aus, dass neben dem staatlichen Verwaltungsapparat verstärkt auch private Organisationen in die politische Gestaltung der staatsnahen Sektoren eingebunden werden, wie es mit der Begriffsgebung von Rhodes (2000) „pluralization of policy making“ erfasst wird. Rhodes (2000) beschreibt diese ‚Pluralisierung der Politikgestaltung‘ ähnlich wie Teubner (1999): „[M]arketization fragment[s] service delivery systems by drawing in actors and organizations from the public, private, and voluntary sectors“ (Rhodes 2000: 54). Damit trägt der Staat seiner Einsicht Rechnung, die Bereitstellung öffentlicher Leistungen zunehmend nicht mehr alleine stemmen zu können (Phillips/Smith 2012: 1 f.) und als Reaktion private Organisationen sowohl in der politischen Gestaltung des Sektors als auch in der Leistungsbereitstellung verstärkt einbindet. Teubner (1999) formuliert dies so: „Innerhalb des Netzwerk-Staates lässt sich eine neue politische Gewaltenteilung zwischen Regierungsverwaltungen und privaten sektorellen Organisationen ausmachen“ (Teubner 1999: 13). Dabei wird gerade die Funktion dieser dezentralen Netzwerke gegenüber den Institutionen Markt und Staat aufgewertet (Phillips/Smith 2012: 4). Somit ist nach dieser Sichtweise die Ausgestaltung des Wohlfahrtsbereiches zusätzlich durch private Akteure gekennzeichnet, wobei dies letztlich neben den bereits etablierten gemeinnützigen Wohlfahrtsverbänden nun auch die Spitzenverbände der privat-gewerblichen Anbieter als Teil des pluralistisch geprägten Politiknetzwerkes sind. Diese die staatliche Verwaltung als auch private Organisationen einschließende Gewaltenteilung lässt sich – um im Sprachgebrauch des Governance-Ansatzes zu bleiben – als Relational Governance ausdrücken, welche die gesellschaftliche Handlungsfähigkeit nach Scharpf/Mayntz (a) (2005) ersetzt (Abbildung 2.4). Zentral und ‚neu‘ ist somit der Netzwerkcharakter der Steuerung. Relational Governance kennzeichnet sich nicht mehr durch das Ausüben von Macht, sondern ist von wechselseitigen Beziehungen und von Verhandlungen geprägt (Phillips/Smith 2012: 4).
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Mit der Veränderung hin zu dieser Pluralisierung der Politikgestaltung haben sich in der Logik der Hybridisierungstheorie korporatistische Strukturen derart verändert, dass sie in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr zu identifizieren sind. Trotzdem sind ihre ursprünglichen wesentlichen Funktionsweisen erhalten geblieben. Dazu gehört auch die enge Verbindung zwischen Wohlfahrtsverbänden und Staat, die trotz pluralisierter Strukturen in Form neuer Anbieter auf einer informellen Ebene Bestand hat. Neu hingegen ist, dass der Korporatismus Teil eines Steuerungsregimes geworden ist und somit integraler Bestandteil einer übergreifenden Institution, wodurch die Grenzen zu allen anderen Institutionen verschwimmen. Dennoch ist die Relational Governance nur ein Teil des Steuerungsregimes, das durch einen zweiten Steuerungsmechanismus gekennzeichnet ist: Die Relational Governance wird begleitet von einer Quasi-Market-Governance (vgl. Brandsen 2004), die typische Merkmale von Wettbewerb in sich trägt. In der Struktur des Quasi-Marktes zeigt sich mithin die oben formulierte pluralisierte Politikgestaltung: privat-gewerbliche Leistungsanbieter haben nun freien Marktzugang und treten mit gemeinnützigen Leistungsanbietern in einen Wettbewerb um Kunden (Leistungsempfänger). Die staatliche Verwaltung auf der anderen Seite bestimmt die Leistungsbeziehungen mit Anbietern und Leistungsempfängern, etwa die zu erbringende Qualität oder auch die Vergütung (vgl. Backhaus-Maul/Olk 1996: 587 f.)19. Neben der oben beschriebenen korporatistischen und netzwerkgeprägten Struktur sind gleichzeitig Wettbewerbselemente zwischen den gleichen Akteuren hinzugekommen. Somit bestehen weder eine alleinstehende Relational Governance, repräsentiert durch pluralisierte Staat-Verbände-Beziehungen mit einer informellen Einbindung von machtvollen Wohlfahrtsverbänden, noch ausschließlich eine Quasi-Market-Governance, repräsentiert durch Wettbewerbselemente. Vielmehr bestehen in diesem Ansatz beide Governance-Mechanismen gleichzeitig, was gerade die hybride Struktur des Wohlfahrtssektors kennzeichnet. Diese Hybridität lässt sich mit einer abgewandelten Form der Typologie von Scharpf/Mayntz (1995) (a) abbilden, die nicht mehr als Typologie mit alternativen Zuständen verstanden werden kann, sondern als Bild, in dem alle Zustände quasi hybridisiert zugleich koexistieren. Somit vermischen sich Staat, Markt, Korporatismus und Gemeinschaft zu einer einzigen Institution. Gesellschaftliche wie auch staatliche Handlungsfähigkeit wandeln sich zu einer Relational Governance einerseits und einer Quasi-Market-Governance andererseits (vgl. Abbildung 2.4).
19Eine
Darstellung des Quasi-Marktes erfolgt in Abschnitt 4.1.2.
3 Erklärungsansätze für hybride Institutionen: Pflegesektor
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Abbildung 2.4 Staat als Netzwerk mit öffentlichen und privaten Akteuren. (Quelle: Scharpf/Mayntz 1995 (a): 25; wesentlich modifiziert)
Insgesamt ist in der Sichtweise des Hybridisierungsansatzes eine wesentlich andere Ausrichtung der Typologie von Scharpf/Mayntz (1995) (a) nötig. Genau genommen handelt es sich unter den hier aufgestellten Thesen einer hybriden Struktur nicht mehr um eine Typologie, in welcher sich vier unterschiedliche idealtypische Zustände danach ergeben, wie ausgeprägt die staatliche und gesellschaftliche Handlungsfähigkeit eines staatsnahen Bereiches sind. Vielmehr lautet die These, dass alle vier Zustände integrale Bestandteile einer hybriden Institution sind, die sich nicht mehr strikt auseinanderhalten lassen, sondern fließend ineinander übergehen. Dies zeigt sich an der Vermischung von Staat und Korporatismus hin zu einem dezentralen Netzwerk einerseits und der Vermischung von Staat und Markt zu einem Quasi-Markt andererseits. Charakteristisch ist, dass mit der Hybridisierung teilweise eine Auflösung traditioneller Institutionen einhergeht. Daran anknüpfend sind im Rahmen dieser hybriden Struktur weitere Überlegungen zur staatlichen und gesellschaftlichen Handlungsfähigkeit nötig. Da im Hybridisierungsansatz alle vier Bereiche integrale Bestandteile der Freien Wohlfahrtspflege sind, haben sich mithin die Kategorien der gesellschaftlichen sowie der staatlichen Handlungsfähigkeit geändert.
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Mithin greift der Ansatz zur Hybridität das Konzept von Steuerungsregimes auf, die mit den Worten zusammengefasst werden können, dass „[…] Gesellschaften in komplexen Arrangements regiert [werden], die viele Akteure aus unterschiedlichen institutionellen Kontexten […] in unterschiedlicher Weise zusammenbringen“ und „kollektiv verbindliche Regeln und Entscheidungen […] nicht mehr vom Staat durchgesetzt werden und […] gesellschaftlicher Wohlstand nicht mehr durch den Markt erzeugt wird“ (Benz/Dose 2007: 264). Die mit der Relational Governance einhergehende Kooperation zwischen Staat und den Wohlfahrtsverbänden einerseits und die Komplementarität zwischen Staat und Leistungsanbietern im Quasi-Markt (vgl. Abbildung 2.4) andererseits sollen im Folgenden mit Hilfe von Najams Ansatz erörtert werden. Zudem sollen mit den hier erzielten Ergebnissen die Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden weiter ausgearbeitet werden.
3.3 Pfadwechsel, Pfadabhängigkeit und Hybridisierung: Hypothesenbildung Wie spiegeln sich die oben erörterten Punkte zu einem möglichen Wandel, zur Kontinuität oder zur Hybridisierung in den Beziehungen zwischen Wohlfahrtsverbänden und Staat wider? Aus den erörterten Punkten sollen mithilfe von Najams Modell entsprechend Hypothesen abgeleitet werden, die es im weiteren Verlauf der Arbeit zu prüfen gilt. Aus der Warte der Pfadabhängigkeit bestehen die traditionellen Staat-Verbände-Beziehungen – der Idee der institutionellen Beständigkeit folgend – weiter fort. Trotz der Einführung von Leistungsverträgen und einem Wettbewerb mit privat-gewerblichen Anbietern hat der traditionelle Korporatismus nicht nennenswert an Bedeutung verloren. Staat und Wohlfahrtsverbände stehen nach wie vor in einer relativen intensiven kooperativen Beziehung. Ausgedrückt in der Typologie von Najam (2000) sind die Ziele des deutschen Wohlfahrtsstaates und die der frei-gemeinnützigen Spitzenverbände deckungsgleich geblieben. Auch wenn es durch die Einführung von Wettbewerb im Pflegesektor zwischen Pflegekassen und Leistungsanbietern Verschiebungen in der traditionellen Mittelwahl gibt, so betont die Sicht zur Pfadabhängigkeit die Stabilität des Korporatismus und das damit verbundene Verhandlungspotential. Die Mittel haben sich mit dieser stabilen Struktur mithin kaum verändert. Im Ergebnis trotzen die bestehenden Beziehungen den Umwälzungen im Wohlfahrtsstaat und sind weiterhin zentrales Element der Staat-Dritte-Sektor-Struktur. Zusammenfassend lässt sich aus dem Pfadabhängigkeitsansatz folgende These ableiten:
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H_1 Pfadabhängigkeitsthese: Staat-Verbände-Beziehungen in der Altenpflege kennzeichnen sich durch kartellartige Strukturen, die sich in den letzten Jahren trotz tiefgreifender Reformen nicht aufgelöst haben. Die Beziehungen zwischen staatlichen Institutionen und den Wohlfahrtsverbänden sind unverändert von Kooperation geprägt. Die Wohlfahrtsverbände stehen unverändert in einer privilegierten Position zum Staat.
Folgt man der Logik der Typologie von Najam (2000), so hat sich in der Sichtweise des Pfadwechsels hingegen das Verhältnis von Staat und Wohlfahrtsverbänden von der Kooperation hin zur Komplementarität gewandelt: Die Ziele von Staat und Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege sind identisch geblieben, jedoch haben sich die Mittel zur Zielerreichung verändert. Die Verschiebung der Mittel bei gleichbleibenden Zielen entspricht einer neuen Rolle des Wohlfahrtsstaates, wonach der Staat die Daseinsvorsorge weiterhin fokussiert und dafür garantiert, jedoch den Umfang seiner bereitgestellten Leistung mindert und an private Akteure abgibt. Dabei übernehmen neben freigemeinnützigen Verbänden auch gewerbliche Anbieter vermehrt Aufgaben des Staates, die von ihm im Rahmen von Verträgen vergeben werden. Daran gekoppelt ist ein klassisches Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis zwischen Staat und diversen Leistungsanbietern (vgl. Grzeszick 2010: 40), wonach sich die Situation für die gemeinnützigen Wohlfahrtsverbände entsprechend der von Heinze (2009) gewählten Formulierung „vom Status zum Kontrakt“ verändert (Heinze 2009: 77). Damit geht ein massiver Bedeutungsverlust korporatistischer Strukturen hin zu einem post-korporatistischen Zustand einher. Die ehemals privilegierten Wohlfahrtsverbände müssen sich nun im Wettbewerb gegen privat-gewerbliche Anbieter behaupten. Die aus der Sicht zum Pfadwechsel abgeleitete These lautet deshalb: H_2 Pfadwechselthese: Der Wohlfahrtssektor einschließlich der Altenpflege hat sich hin zum Post-Korporatismus gewandelt. Die privilegierte Position der Wohlfahrtsverbände zum Staat hat sich aufgelöst und ist durch Wettbewerb mit gewerblichen Leistungsanbietern ersetzt worden.
Entlang des Hybridisierungsansatzes gestaltet sich eine Einordnung der Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden nicht als eindeutig. Bleibt man in der Logik der Typologie, werden die Beziehungen zwischen Staat und Verbänden nicht dauerhaft in einem einzigen Zustand verharren, sondern sich mit anderen Zuständen mischen. Somit sind aus Hybridisierungssicht die Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden von einem Nebeneinander von Kooperation, Komplementarität und ggf. auch Konfrontation gekennzeichnet. Folgt man der Typologie von Najam (2000), so kommt man zum Ergebnis, dass sowohl korporatistische Elemente wie auch Komplementarität
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2 Veränderbarkeit von Institutionen: Ausarbeitung einer Theorie
und Konfrontation nebeneinander bestehen und den Pflegesektor kennzeichnen. Dabei umfasst Kooperation stabile Staat-Verbände-Beziehungen im ‚Netzwerk Staat‘ (vgl. Teubner 1999), wozu auch der traditionelle Korporatismus zählt. Der von Najams (2000) Typologie bezeichnete Zustand Kooperation ist dabei vom Steuerungsmechanismus Relational Governance geprägt, der noch zu großen Teilen korporatistische Strukturen widerspiegelt. Relational Governance besteht damit überwiegend aus Steuerungselementen aus Zeiten vor der Reformierung. Relational Governance ist damit eine überwiegend an die Pfadabhängigkeit gebundene Steuerung. In einem Nebeneinander mit dem Kooperationszustand besteht mit den eingeführten Leistungsbeziehungen zwischen Staat, Wohlfahrtsverbänden und privat-gewerblichen Anbietern im Rahmen des Quasi-Markt-Wettbewerbs gleichzeitig ein komplementäres Verhältnis zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden, in dem staatliche Aufgaben vermehrt an mehrere Leistungserbringer übergehen. Darüber hinaus kommt mit der gleichnamigen Quasi-Market-Governance ein weiterer Steuerungsmechanismus zum Tragen, der neben der Relational Governance koexistiert. Die Quasi-Market-Governance ist eine neue Steuerungsform, die infolge der Pflegereform entstanden ist. Sie unterliegt den Gesetzmäßigkeiten des Pfadwechsels – eine Einführung von Marktmechanismen im Pflegesektor konnte wie geplant umgesetzt werden. Genau dieses Nebeneinander dieser beiden Steuerungsmechanismen kennzeichnet die hybride Struktur des Pflegesektors. Es sind mehrere Bereiche involviert wie Staat, Marktelemente, Korporatismuselemente und damit verbunden eine Steuerungshybridität. Daraus ergibt sich eine hybride Beziehung zwischen Staat und der Freien Wohlfahrtspflege. Entsprechend müsste in dieser Logik die Typologie um einen Hybriditätszustand erweitert werden (Abbildung 2.5).
Abbildung 2.5 Erweiterte Typologie zu Staat-Verbände-Beziehungen. (Quelle: Najam 2000: 383, modifiziert)
3 Erklärungsansätze für hybride Institutionen: Pflegesektor
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Mit dieser entwickelten Perspektive kann folgende These formuliert werden: H_3 Hybriditätsthese: H_3_a: Den Altenpflegesektor prägen nun mehrere Teilinstitutionen mit Marktelementen einerseits und Staat-Verbände-Beziehungen andererseits, die zu einer hybriden Gesamtinstitution führen. Mithin prägt den Pflegesektor nun ein neues Steuerungsregime, das Relational Governance und Quasi-Market-Governance vereint. Hybridität kennzeichnet sich auf institutioneller wie auch auf Steuerungsebene durch Elemente, die neuartig sind, also einem Pfadwechsel unterliegen, als auch Elementen, die sich als ungewollt beständig erwiesen haben, weil sie einer Pfadabhängigkeit unterliegen. H_3_b: Die Hybridität, die pfadabhängigkeits- als auch pfadwechselgetrieben ist, kennzeichnet nun auch die Staat-Verbände-Beziehungen. Staat-Verbände-Beziehungen im Pflegesektor verbleiben damit weder in ihrer ursprünglichen Struktur noch wandeln sie sich in der Art, dass sie sich auflösen. Korporatistische Strukturen sind vielmehr Teil einer größeren hybriden Struktur geworden. Die Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden sind nach wie vor geprägt von einer beständigen Kooperation, wie auch von einer neuartigen Komplementarität und auch Konfrontation, weshalb sich diese Beziehungsstruktur als hybrid bezeichnen lässt.
Die hier entwickelten Hypothesen sollen in Kapitel 4 anhand des Altenpflegesektors überprüft werden.
3
Veränderbarkeit von Organisationen: Ausarbeitung einer Theorie
1 Sicherheit und Unsicherheit in der Umwelt von Organisationen Aus Sicht des Neo-Institutionalismus betreffen Beständigkeit oder Wandel nicht nur Institutionen, sondern sie stellen auch für Organisationen zentrale Entwicklungskategorien dar (vgl. Pierson 2000: 255 und 258 f.). Damit bilden Pfadabhängigkeit und Pfadwechsel zwei alternative Entwicklungsrichtungen, die Organisationen im Neo-Institutionalismus einschlagen können. Da im Neo-Institutionalismus Akteure als ein zu erklärendes Phänomen betrachtet werden und Strukturen hingegen die erklärende Variable darstellen, wird auch eine auf Pfadabhängigkeit – oder wechsel beruhende Entwicklung von Organisationen durch die Institutionen – genauer institutionalisierte Regeln – bestimmt. Aus dieser Warte sind das Verhalten und insbesondere ein Wandel von Organisationen an die Institutionen geknüpft, die sie umgeben. In diesem Kapitel 3 stellt sich die Frage, auf welche Art und Weise Institutionen Organisationen beeinflussen und damit Pfadabhängigkeit oder -wechsel einer Organisation bestimmen? Wird Organisationsverhalten und -wandel zu erklären versucht, rückt in der Literatur der Umweltbegriff (environment) in den Fokus1. Ohne den Umweltbegriff zunächst eindeutig einzugrenzen, „[…] richtet die n eo-institutionalistische Organisationstheorie ihr Augenmerk […] auf die kulturelle oder institutionelle
1Vgl.
hierzu DiMaggio/Powell (1983) sowie Meyer/Rowan (1977) aus neoinstitutionalistischer Sicht und darüber hinaus auch Wiesenthal (1990), Beyer (2006) und Minkoff (2002).
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Lange, Hybrider Wohlfahrtskorporatismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30754-7_3
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3 Veränderbarkeit von Organisationen: Ausarbeitung einer Theorie
Umwelt“ (Walgenbach/Meyer 2008: 12). Somit sind es „institutionelle Rahmenbedingungen“, aber auch der „kulturelle Rahmen“, der einen Teil der Umwelt darstellt: „Die […] Umwelt ist es, die dazu führt, dass Geschäftsleute Gewinne anstreben, Staatsbeamte ihr Budget zu erhöhen versuchen und Wissenschaftler/ innen bemüht sind, zu publizieren“ (Walgenbach/Meyer 2008: 49). Damit sehen sich Organisationen nicht nur mit institutionellen Rahmenbedingungen wie dem Recht konfrontiert, sondern mit kulturell begründeten Regeln und Erwartungen, die ihnen allgemein aus der Umwelt, aber auch direkt von Anspruchsgruppen entgegengebracht werden (ebd.: 49, vgl. auch DiMaggio/Powell 1983: 150). Damit kann die Umwelt als erweiterte Institution verstanden werden. Da sich der Umweltbegriff in der neo-institutionalistischen Organisationstheorie bewährt hat, soll er in dieser Arbeit als eigener Begriff verwendet werden, auch wenn er vom Institutionenbegriff nicht grundsätzlich abweicht. In dieser neoinstitutionalistischen Sichtweise gelten Organisationen als in ihre Umwelt stark eingebunden, wobei sie mit verschiedenen Erwartungen und Ansprüchen sowie Druck aus der Umwelt konfrontiert werden, worauf Organisationen wiederum individuell reagieren müssen (vgl. Becker-Ritterspach/Becker-Ritterspach 2006). Grundsätzlich reagieren Organisationen in dieser Sichtweise mit einem sensiblen Anpassungsverhalten und neigen dazu, sich ihrer Umwelt anzugleichen: „[…] [O] rganizations operating in more complex and fragmented systems […] [are] more likely to develop more complex and elaborated internal administrative structures […]“ (Scott 2014: 197). Da aus der Warte des Neo-Institutionalismus Organisationen sehr stark in ihre Umwelt eingebunden sind und von ihr geformt werden, sind sie auch mit den Besonderheiten ihrer Umwelt konfrontiert (Scott 2014: 196). Eine Umwelt kann etwa pluralistisch in der Weise geprägt sein, dass sie aus zahlreichen Elementen besteht, die darüber hinaus zueinander inkompatibel sind (Meyer/ Rowan 1977: 356). Gerade die aus der Umwelt entgegengebrachten Erwartungen oder Ansprüche, aber auch der Aufbau der Umwelt können Formen annehmen, die sich durch Spannungen und Widersprüche kennzeichnen, die ebenso auf Organisationen einwirken und von ihnen aufgenommen werden müssen. Insbesondere die Tatsache, dass sie im Neo-Institutionalismus auf die Unterstützung aus ihrer Umwelt angewiesen sind, sorgt bei Organisationen dafür, dass sie bestrebt sind, ggf. unvereinbare Umweltelemente aufzunehmen2: „As a result,
2Organisationen
streben in dieser Sichtweise danach, „Legitimität“ aus ihrer Umwelt zu erhalten, weshalb sie eine bestimmte Anpassung an ihre Umwelt verfolgen. Legitimität wird im Neo-Institutionalismus zu einer zentralen Kategorie für die Erklärung von Organisationsverhalten.
1 Sicherheit und Unsicherheit …
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organizations in search of external support and stability incorporate all sorts of incompatible structural elements“ (Meyer/Rowan 1977: 356). Neo-institutionalistische Ansätze richten bei der Betrachtung der Umweltwirkung auf Organisationen insbesondere ihren Blick auf die Unsicherheit, die einer Organisation aus ihrer Umwelt erwächst. Je nachdem, wie ausgeprägt Unsicherheit auf sie wirkt, schlagen Organisationen wiederum unterschiedliche Entwicklungspfade ein. (Un-)sicherheit wird damit zu einer zentralen Erklärungsgröße für die Frage, ob und wie Organisationen imstande sind, sich zu verändern. Aufbauend auf der Pfadabhängigkeitstheorie stellt sich damit die Frage, inwieweit sich Organisationen bei Umwelt(un-)sicherheit eher durch Beständigkeit kennzeichnen oder ob sie imstande und willens sind einen Pfadwechsel bspw. ihrer bis dahin etablierten Praktiken vornehmen zu können? Bei Unsicherheit handelt es sich um einen offenen Begriff, der je nach Disziplin eine andere Ausrichtung und Bedeutung erfährt (vgl. Apelt/Senge 2015: 6 ff.). Grundsätzlich orientiert sich dieses Konzept im Rahmen dieser Arbeit am NeoInstitutionalismus, aus dessen Sicht für Organisationen Unsicherheit dann gegeben ist, wenn innerhalb der institutionellen Rahmenbedingungen institutionalisierte Erwartungen nicht eindeutig festgelegt worden sind (Walgenbach/Meyer 2008: 49 sowie 52). Umgekehrt bedeutet dies, dass klar definierte Institutionen letztlich Unsicherheit reduzieren (vgl. Apelt/Senge 2015: 8). Die Unsicherheit von Unternehmen wird – insbesondere in der Organisationssoziologie – durch mehrere Faktoren bestimmt. Zum einen kann sich Unsicherheit derart herausstellten, da Organisationen oftmals die Informationen darüber fehlen, welche Umweltfaktoren tatsächlich ihr Überleben sichern können (vgl. Apelt/Senge 2015: 8). Darüber hinaus steigt für eine Organisation die Abhängigkeit von ihrer Umwelt, wenn sie ihre Ziele nicht eindeutig formuliert hat oder Ziele zueinander in Konflikt stehen: „[…] [O]rganizations with ambiguous or disputed goals are likely to be highly dependent upon appearances for legitimacy“ (DiMaggio/Powell 1983: 155). Diese Uneindeutigkeit (ambiguity) von organisationalen Zielen korrespondiert somit mit der Umweltunsicherheit, denn fehlt ein eindeutig formuliertes Ziel innerhalb einer Organisation, so steigt damit auch die Unsicherheit der Organisation gegenüber ihrer Umwelt (vgl. Hambrick et al. 2005: 318 f.). Da eine Umwelt nicht per se einen unsicheren Zustand für Organisationen einnimmt, sondern auch eine hohe Sicherheit aufweisen kann, ist eine Abgrenzung nötig, um bestimmen zu können, unter welchen Umständen von einer sicheren Umwelt ausgegangen werden kann und wann von einer Umwelt Unsicherheit ausgeht.
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3 Veränderbarkeit von Organisationen: Ausarbeitung einer Theorie
Für eine Abgrenzung von Sicherheit und Unsicherheit einer Umwelt bietet sich eine von Duncan (1972) entwickelte Typologie an, nach welcher zwei Variablen für die (Un-) Sicherheit einer Umwelt maßgebend sind (vgl. Abbildung 3.1). Neben der Komplexität (vgl. etwa auch Scott 2014: 196 f., Jones/Bouncken 2008: 134 ff.) gehört Dynamik zu einem wesentlichen unsicherheitsbestimmenden Faktor (vgl. Duncan 1972). Je nachdem wie der Grad von Komplexität und Dynamik jeweils ausfallen, lassen sich vier Umweltszenarien bestimmen, wobei bei gleichsam geringer Komplexität und Dynamik eine Umwelt mit hoher Sicherheit entsteht und eine sowohl hohe Dynamik wie auch hohe Komplexität eine hohe Unsicherheit mit sich bringen. Abstufungen lassen sich für eine Umwelt mit hoher Dynamik und geringer Komplexität (Mittlere bis hohe Unsicherheit) sowie eine für eine geringe Dynamik und hohe Komplexität (Geringe bis mittlere Unsicherheit) ausmachen.
Abbildung 3.1 Umweltzustände anhand von Dynamik und Komplexität. (Quelle: Duncan 1972)
Komplexität bezieht sich darauf, „[…] wie vielfältig und stark […] Kräfte aus der Umwelt miteinander verbunden sind und wie sie auf eine Organisation einwirken“ (Jones/Bouncken 2008: 145, vgl. auch Emery/Trist 1965). Komplexer und mithin unsicherer wird eine Umwelt für Organisationen dann, je stärker sich die Kräfte in der Umwelt voneinander unterscheiden und die Umwelt damit zunehmend schwieriger einzuschätzen ist (vgl. Jones/Bouncken 2008: 145). Zu
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diesen Kräften zählen bspw. Erwartungen oder Anforderungen von Anspruchsgruppen bzw. Stakeholdern3 an eine Organisation, wobei sich die Erwartungen von verschiedenen Gruppen voneinander deutlich unterscheiden können (vgl. Anheier 2014: 286 sowie Duncan 1972). Ist das Bild der Umwelt von unterschiedlichen Erwartungen der Anspruchsgruppen gekennzeichnet und stehen die Erwartungen oftmals in Konflikt zueinander, so wird die Umwelt als komplex eingestuft. Organisationen müssen dann diese heterogene Erwartungslandschaft bedienen bzw. in ihren Aufbau aufnehmen. Die Dynamik einer Umwelt wird von der Frage bestimmt, inwieweit Umweltveränderungen eher häufig und darüber hinaus vorhersagbar eintreten, wobei eine schnelle, häufige und damit schwer vorhersagbare Veränderung einer Umwelt als hoch-dynamisch verstanden wird. Eine davon gegenläufige Veränderbarkeit mit langsamen, seltenen und vorhersehbaren Veränderungen zeugt von einer geringen Umweltdynamik (vgl. Anheier 2014: 286, Bouncken/Jones 2008: 146 f. sowie Duncan 1972). Da aus der Warte des Neo-Institutionalismus der (Un-)sicherheit der Umwelt eine zentrale Bedeutung zukommt, sind Überlegungen darüber anzustellen, inwieweit ein Wandel von Organisationen überhaupt erfolgen kann oder muss und wie sich die Art und Weise eines organisationalen Wandels kennzeichnet. Folgende Fragen deuten an, dass es sich bei dem Wandel von Organisationen um ein vielschichtiges Phänomen handelt: Können oder wollen sich Organisationen eher bei einer gegebenen sicheren oder unsicheren Umwelt wandeln und bestehen darüber hinaus Unterschiede darin, wie sich Organisationen unter (Un-)Sicherheit ändern? Haben Organisationen freie Gestaltungs- und Veränderungsmöglichkeiten oder folgen sie fest vorgegebenen Pfaden? Welche Rolle spielt dabei die Eindeutig-/Mehrdeutigkeit von organisationalen Zielen (ambiguity)? Um diese Fragen einstufen und beantworten zu können, werden in Abschnitt 3.2 die beiden entgegengesetzten Perspektiven zur Pfadabhängigkeit sowie zum Pfadwechsel gegenübergestellt und auf den Wandel von Organisationen angewandt. Pfadabhängigkeit bzw. -wechsel werden dabei von wesentlichen Hauptansätzen aus der Organisationstheorie repräsentiert – den Isomorphie-Ansatz, den Polymorphismus sowie der Idee zur Entkopplung. Darüber hinaus soll vor dem Hintergrund des in dieser Arbeit gewählten theoretischen Rahmens Akteurszentrierter Institutionalismus der Frage nachgegangen werden, inwieweit Organisationen nicht nur auf ihre Umweltunsicherheit in der Lage sind zu reagieren, sondern die institutionellen Elemente der
3Auf
den Begriff Stakeholder wird in Kapitel 5 eingegangen.
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Umwelt auch zu gestalten in der Lage sind. Denn es besteht auch ein Bewusstsein dafür, dass „[…] organizations are not always passive recipients of environmental influence, they may also have enough power to manipulate and control their environments“ (Aldrich 1979: 144). Dieser Wechselwirkung von Institutionen und Organisationen widmet sich der Hybriditätsansatz in Abschnitt 3.3. Die oben vorgestellte Typologie von Duncan (1972) soll für alle drei Ansätze helfen, aus der Warte der Umweltunsicherheit jeweils Hypothesen zum Wandel von Wohlfahrtsverbänden im Bereich der Altenpflege abzuleiten.
2 Pfadabhängigkeit und -wechsel von Organisationen 2.1 Isomorphismus, Polymorphismus und Entkopplung Eine zentrale Theorie zum Wandel von Organisationen, der umweltgetrieben ist, stellt der Isomorphismus dar. Zentral für die Hauptvertreter DiMaggio/ Powell (1983) ist im Isomorphie-Ansatz die Frage, warum sich Organisationen angleichen (DiMaggio/Powell 1983: 147). Der Isomorphie-Ansatz behandelt die Gesetzmäßigkeit, dass sich unter bestimmten Bedingungen Organisationen in einem Sektor im organisationalen Aufbau und in den Managementpraktiken einander annähern und damit letztlich ähnlich werden (vgl. Walgenbach/Meyer 2008: 33). Allgemein betrachtet bezieht sich Isomorphie auf einen Prozess, dem alle Akteure unter denselben Umweltbedingungen unterliegen: “[…] [I]somorphism is a constraining process that forces one unit in a population to resemble other units that face the same set of environmental conditions” (DiMaggio/Powell 1983: 149). Diese bis zur Gleichförmigkeit von Organisationen verlaufende Entwicklung hat letztlich eine homogene Organisationslandschaft zur Folge. Der Idee des Neo-Institutionalismus entsprechend bestimmen im Isomorphie-Ansatz institutionelle Faktoren wie externe Anforderungen und Erwartungen die Entwicklung von Organisationen (vgl. Walgenbach/Meyer 2008: 49 f.). Dabei wird das organisationale Feld zur maßgebenden Größe. Ein organisationales Feld, umfasst dabei „[…] eine Gruppe von Organisationen, die in ein gemeinsames Sinnsystem eingebunden ist und durch aufeinander bezogene Handlungen und gemeinsame Regulationsmechanismen erkennbar wird“ (Walgenbach/Meyer 2008: 33), wobei das organisationale Feld alles
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umfasst, „[w]as einen Einfluss auf die Struktur, das Verhalten und das Überleben einer betrachteten Organisation [hat], etwa auch Behörden und Ämter […]“ (Walgenbach/Meyer 2008: 34; vgl. auch DiMaggio/Powell 1983: 148). Dem organisationalen Feld kommt damit institutioneller bzw. Umweltcharakter zu. Der Aufbau und die Praktiken von Organisationen werden letztlich durch die Anforderungen oder Erwartungen, die ihnen aus diesen organisationalen Feldern entgegengebracht werden, bestimmt. Entscheidend für die Wirkung von organisationalen Feldern auf Organisationen ist dabei, dass Organisationen bestrebt sind, den Anforderungen aus dem organisationalen Feld gerecht zu werden und weniger bestrebt sind, sich primär an Gesetzen des Wettbewerbs zu orientieren. Somit richten sich Organisationen derart aus, dass sie eine möglichst große Unterstützung aus ihrer Umwelt erhalten – sie legitimieren damit ihr Bestehen: „In organisationalen Feldern institutionalisieren sich im Laufe der Zeit bestimmte Formen und Praktiken, die Legitimitätsgeltung erhalten. Sie werden aus diesem Grunde übernommen und nicht deshalb, weil sie effizient sind“ (Türk 1997: 139; ähnlich auch Becker-Ritterspach/Becker-Ritterspach 2006: 104). Somit passen sich Organisationen derart an ihre Umwelt an, dass sie jene Praktiken und Formen aufnehmen, die ihnen eine größtmögliche Berechtigung für ihr Dasein verschaffen. Legitimität wird damit im Isomorphie-Ansatz nach DiMaggio/Powell (1983) handlungsleitend für Organisationen, nicht wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Dabei ist im Isomorphie-Ansatz zentral, dass das Umfeld von Organisationen von der Leistungsfähigkeit und Effizienz der legitimitätsstiftenden Praktiken und Strukturen überzeugt ist. Gerade aufgrund dieser Überzeugungen des Umfeldes werden diese Praktiken von Organisationen übernommen (vgl. Walgenbach/ Meyer 2008: 25). Ein von Isomorphie getriebener Wandel von Organisationen wird damit zu einem Prozess, „[…] that make[s] organizations more similar without necessarily making them more efficient“ (DiMaggio/Powell 1983: 147). In diesem Zusammenhang können etwa Innovationen zwar auch übernommen werden, wenn sie die Effizienz von Organisationen steigern. Haben Innovationen jedoch eine bestimmte Schwelle bei ihrer Ausbreitung erreicht, so werden sie auch von weiteren Organisationen übernommen, wobei Legitimitätserwägungen für Innovationskopien der kopierenden Organisationen maßgeblich werden, nicht die Leistungsfähigkeit von Innovationen selbst (Becker-Ritterspach/BeckerRitterspach 2006: 108 f.). Die in diesem Ansatz vertretene Argumentation, dass Organisationen Regeln und Praktiken des sie umgebenden organisationalen Feldes mit dem Ziel übernehmen, Legitimität – also eine Existenzberechtigung – zu erhalten, hat eine
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Verbreitung und damit letztlich eine Homogenität gewisser Organisationsformen und Organisationspraktiken zur Folge, was den Kern der Isomorphie-Theorie ausmacht. DiMaggio/Powell (1983) unterteilen den Isomorphismus in drei Varianten. Die Isomorphie durch (politischen) Zwang folgt aus Institutionen aus der Umwelt, denen gegenüber für Organisationen eine irgendwie geartete Abhängigkeit besteht (vgl. DiMaggio/Powell 1983: 150). Grundsätzlich bestimmen bei der auf Zwang basierenden Isomorphie formelle und informelle Vorgaben bzw. „Regelungen“ oder Erwartungen die Angleichung von Organisationen, wobei etwa von Gesetzen zum einen oder auch von einer marktdominierenden Organisation – wie Zulieferer- Zwänge für Organisationen ausgehen können (vgl. Becker-Ritterspach/Becker-Ritterspach 2006: 109 und Walgenbach/Meyer 2008: 35 f.). Darüber hinaus kann eine Angleichung von Organisationen durch die Isomorphie auf Basis eines normativen Drucks entstehen, wobei der normative Druck sich zu einem großen Teil auf die „[…] Bemühungen einer Berufsgruppe, die Rahmenbedingungen und die Inhalte ihrer Arbeit zu definieren […]“ konzentriert (Walgenbach/Meyer 2008: 38). Nach dem mimetischen Isomorphismus als dritte Größe erfolgt eine Angleichung von Organisationen derart, dass sich Organisationen aneinander orientieren und nachahmen. Der mimetische Isomorphismus greift gerade dann, wenn sich Organisationen einer unsicheren Umwelt ausgesetzt sehen. In diesem Zusammenhang werden auch oftmals uneindeutige Organisationsziele offenbar: „Je uneindeutiger die Ziele der Organisation selbst sind und umso größer die Unsicherheit ist, die von der Umwelt der Organisation ausgeht, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Strukturen und Prozesse nach dem Vorbild anderer Organisationen gestaltet werden“ (Walgenbach/Meyer 2008: 36).
Der mimetische Isomorphismus greift damit den Zusammenhang zwischen Unsicherheit, die von der organisationalen Umwelt ausgeht und dem Anpassungsverhalten von Organisationen direkt auf, was gerade für den hier verfolgten Problemgegenstand von Bedeutung ist. Mit dieser eindimensional gehaltenen Gesetzmäßigkeit, dass unter bestimmten Bedingungen ein Wandel von Organisationen derart erfolgt, dass sie in Aufbau und Praktiken einander angleichen, setzt sich der Isomorphie-Ansatz der Frage aus, warum ein Wandel lediglich in Richtung organisationaler Gleichförmigkeit verlaufen soll? Dem Isomorphismus wird vor allem Kritik in der Frage entgegengebracht, warum alleine der Versuch einer Organisation sich – entsprechend der mimetischen Isomorphie – erfolgreichen Organisationen
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anzugleichen, letztlich zu einer tatsächlich umgesetzten Angleichung führen muss? Führt mit anderen Worten die zu Beginn beabsichtigte Imitation einer anderen etablierten Organisationsform am Ende tatsächlich zu einer gelungenen Imitation? B ecker-Ritterspach/Becker-Ritterspach (2006) weisen darauf hin, dass eine beabsichtigte Imitation in ihrem Verlauf auch Innovationen bei der Organisationsentwicklung anstoßen kann, was zu abweichenden organisationalen Entwicklungen und mithin zu einer Polymorphie – also zu einer Vielförmigkeit von Organisatione – führen kann (Becker-Ritterspach/Becker-Ritterspach 2006: 112). Daran knüpfen auch empirische Befunde an, mit welchen einer Isomorphie Zweifel entgegengebracht werden. So beobachten Hambrick et al. (2005), dass zwischen 1980 und 2000 „[…] in contradiction to this […] hypothesis, many industries became more heterogeneous, not more homogeneous, in their profiles […]“ (Hambrick et al. 2005: 307). Diese alternative Theorieposition des Polymorphismus wird ferner durch den Entkopplungsansatz ergänzt. Im Entkopplungsansatz präsentieren Meyer/Rowan (1977) eine weitere Möglichkeit von Organisationen, auf Umwelterwartungen zu reagieren. In ihrem Forschungsansatz teilen Meyer/Rowan (1977) die Idee der Isomorphie und folgen grundsätzlich der Argumentation, dass Organisationen Erwartungen und Überzeugungen sowie organisationale Strukturen aufnehmen, um sich Legitimität und damit einen Zugang zu Ressourcen zu verschaffen (vgl. Meyer/Rowan 1977: 346 und 349). Jedoch zeigt sich, dass unter gewissen Bedingungen diese Erwartungen lediglich „symbolisch“ (Neumann 2005: 108) aufgenommen werden und vielmehr die „Entkopplung“ zum dominierenden Prinzip für Organisationen werden kann. Ausgangspunkt für die Entkopplungsthese ist die von Meyer/Rowan (1977) aufgestellte Annahme, dass eine Umwelt grundsätzlich mit Widersprüchen behaftet ist und damit auch widersprüchlich auf Organisationen wirken kann. Durch diese widersprüchliche Umwelt können organisationale Spannungen erwachsen. Zum einen können auf Organisationen verschiedene und widersprüchliche Erwartungen aus der Umwelt einwirken, womit sich die Frage stellt, wie Organisationen mit diesen Widersprüchen gleichzeitig umgehen, um letztlich Legitimität zu erhalten. Zum anderen sieht sich eine Organisation mit der Herausforderung konfrontiert, dass sie trotz ihres Bestrebens Legitimitätsanforderungen aus der Umwelt zu erfüllen auch „[…] aufgabenbedingten Anforderungen und […] Effizienzerfordernissen […] genügen muss […]“, die zu den Legitimitätsanforderungen in Konflikt stehen (Walgenbach/Meyer 2008: 28 sowie Meyer/Rowan 1977: 356 f.). Um diese Spannungen abzufangen, können sich Organisationen von den widersprüchlichen Umwelterwartungen entkoppeln,
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d. h. trennen. Mit Entkopplung fassen Meyer/Rowan (1977) das Vorgehen von Organisationen zusammen, Legitimitätsanforderungen aus der Umwelt scheinbar gerecht zu werden. Jedoch entkoppeln sie Organisationsstrukturen und Praktiken tatsächlich von den externen Anforderungen. Damit gewinnt der Isomorphismus an symbolischem Charakter, weil gegenüber der Umwelt eine scheinbare organisationale Anpassung vorgenommen wird (vgl. Neumann 2005: 105). Eine tatsächliche Angleichung zwischen Organisationen findet nicht statt, sondern sie bleibt bei jeder Organisation grundsätzlich individuell. Neben der Entkopplung führen Meyer/Rowan (1977) vier weitere Lösungsmöglichkeiten ins Feld, die sie jedoch insgesamt als unbefriedigende Lösungen bewerten. Dazu zählt, die Anforderungen und Umwelterwartungen zurückzuweisen oder alternativ dieser strikt zu folgen. Darüber hinaus böte sich die Möglichkeit die Unvereinbarkeiten aus der Umwelt und der Organisation offen einzugestehen oder Reformen anzukündigen (vgl. Meyer/Rowan 1977: 356). Warum Organisationen in der Lage sind, sich von ihrer Umwelt zu entkoppeln und ihren Aufbau sowie ihre Praktiken auch nach anderen Kriterien als jenen aus der Umwelt auszurichten, liegt mithin in der klaren Zielformulierung von Organisationen begründet. Im Entkopplungsansatz von Meyer/Rowan (1977) gehen Organisationen sicher mit den Erwartungen aus ihrer Umwelt um, was primär darin begründet liegt, dass die verfolgten organisatorischen Ziele eindeutig festgelegt sind (vgl. Walgenbach/Meyer 2008: 36). Im Folgenden soll auf den Zusammenhang zwischen Unsicherheiten aus der institutionellen Umwelt und dem Streben von Organisationen ihre Legitimität zu wahren, eingegangen werden. Besonderes Augenmerk gilt der Frage, inwieweit sich Organisationen nach Gesetzen der Pfadabhängigkeit oder des Pfadwechsel verändern, wenn sie mit Umwelt(un-)sicherheit konfrontiert sind? Die drei hier vorgestellten Theorien sollen dazu dienen, einen Zusammenhang zwischen Unsicherheit und organisationaler Pfadabhängigkeit und Möglichkeiten zum Pfadwechsel von Organisationen zu formulieren.
2.2 Pfadabhängigkeit bei Organisationen durch Isomorphismus: Hypothesenbildung Grundsätzlich ist Umweltunsicherheit eine Haupttriebfeder für Isomorphie, insbesondere der mimetischen Isomorphie. Wenn Organisationen mit Unsicherheit aus ihrer Umwelt konfrontiert sind, neigen sie dazu, andere Organisationen zu imitieren:
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„Uncertainty is also a powerful force that encourages imitation. When […] goals are ambiguous, or when the environment creates […] uncertainty, organizations model themselves on other organizations“ (DiMaggio/Powell 1983: 151).
Es ist somit zum einen die Unsicherheit, die direkt von der Umwelt ausgeht und Isomorphie begünstigt. Zum anderen stellen DiMaggio/Powell (1983) uneindeutige organisationale Ziele (ambiguity) heraus, die die Unsicherheit und mithin das Imitieren anderer Organisationsformen vorantreiben. Sind organisationale Ziele uneindeutig, orientieren sich Organisationen umso mehr an legitimierten Praktiken, weil diese als erfolgreich gelten. „[…] [O]rganizations with ambiguous or disputed goals are likely to be highly dependent upon appearances for legitimacy“ (DiMaggio/Powell 1983: 155). Wenn Organisationen dazu neigen, sich in einer unsicheren Umwelt gewissen Organisationsformen anzunähern, ist mithin die Frage zu stellen, in welchem Zustand Organisationen verharren, nachdem sie sich angenähert haben? Entwickeln sich Organisationen weiter, sobald sie alle gleichförmig sind und die Isomorphie abgeschlossen ist? In der Literatur zur Isomorphie wird davon ausgegangen, dass der Isomorphie eine Beständigkeit im organisationalen Aufbau und in den Praktiken folgt. Ist also eine homogene Organisationslandschaft entstanden, so zeichnet sie sich durch Beständigkeit aus. Auch wenn DiMaggio/ Powell (1983) primär auf den Wandel, den Organisationen vorantreiben wollen, hinweisen, machen sie gleichzeitig auf ein Paradox aufmerksam, dass der Versuch eines Wandels von Organisationen letztlich in einer Pfadabhängigkeit mündet: „[A]ctors make their organizations increasingly similar as they try to change them“ (DiMaggio/Powell 1983: 147). Gerade dieser Zustand, in dem sich Organisationen angeglichen haben und sich letztlich ähnlich sind, zeichnet sich als stabiler Zustand aus. Während Organisationen zu Beginn ihre Ziele ändern und neue Managementpraktiken einführen können, ändern sich schließlich ihre Gestaltungsmöglichkeiten im Isomorphie-Ansatz derart, dass „[…] in the long run […] an environment contraints their ability to change further in later years“ (DiMaggio/Powell 1983: 149). Es stellt sich ein Zustand mit homogener Organisationslandschaft ein, in welchem eine Organisation von diesem Zustand nicht mehr abzuweichen in der Lage ist – Pfadabhängigkeit ist entstanden. Beyer (2006) und Wiesenthal (1990) heben diesen Zusammenhang, dass Isomorphie in organisationale Pfadabhängigkeit mündet, nochmals detaillierter hervor. Für Beyer (2006) geht einer von Isomorphie geprägten Pfadabhängigkeit ein institutioneller Wandel voraus:
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3 Veränderbarkeit von Organisationen: Ausarbeitung einer Theorie „Institutioneller Wandel vollzieht sich […] durch einen […] angestoßenen Wechsel in der Leitvorstellung. Die daran anschließenden Diffusionsprozesse münden letztlich in eine neue Phase mit hoher Kontinuität […]“ (Beyer 2006: 27).
Damit ist gerade die Phase, die aus dieser hohen Kontinuität besteht, ein vorläufiger Endzustand, in dem sich Organisationen, nachdem sie sich einander angeglichen haben, befinden. Beyer (2006) bezeichnet dabei etablierte organisationale Formen und Praktiken als „Leitvorstellung“, welche Organisationen der Gesetzmäßigkeit der Isomorphie folgend für sich dann übernehmen, wenn Unsicherheit gegeben ist: „Es ist die hohe Unsicherheit […] die eine an den Leitvorstellungen orientierte Konformität begünstigt“ (Beyer 2006: 27, Hervorh. im Original). Diese Beständigkeit ist auch für Wiesenthal (1990) die Folge eines Isomorphieprozesses. Dabei liegt das Handlungsmuster von Organisationen, etablierte Organisationen zu imitieren, Wiesenthal (1990) zufolge insbesondere darin begründet, dass wegen der Unsicherheit der Institutionen Organisationen auf Einflüsse ihrer Umwelt nur reagieren können. Sie sind unter Unsicherheit jedoch nicht in der Lage die Institutionen zu verändern. So stellt Wiesenthal (1990) heraus, „[…] dass Organisationen unter Bedingungen hoher Umweltunsicherheit unfähig werden, komplexe Handlungsprogramme i. S. der intentionalen Einflussnahme auf Umweltzustände zu verwirklichen“ (Wiesenthal 1990: 2). Führt man diese Argumentation fort, so endet die organisationale Entwicklung nach dem Isomorphieprozess, da die Entwicklung von Organisationen von außen vorgegeben ist und sie nicht über Gestaltungspotential verfügen. Nach dem sie sich angenähert haben, verharren Organisationen schließlich in einem fortwährenden Zustand. Dabei nehmen Organisationen letztlich mit der Imitation erfolgreicher Organisationen auch in Kauf, dass die Leitvorstellungen von erfolgreichen Organisationen, denen sie folgen, für sie nicht unbedingt optimal sind (Beyer 2006: 27). Überträgt man die obenstehende Argumentation, dass sich Organisationen insbesondere unter Umweltunsicherheit einander annähern, auf die Typologie von Duncan (1972), so ist Isomorphie dann gegeben, wenn grundsätzlich eine hohe Dynamik der Umwelt und darüber hinaus eine hohe Komplexität der Umwelt vorliegen (vgl. Abbildung 3.2). Eine organisationale Pfadabhängigkeit wäre dann gegeben, wenn die Umwelt eine hoch dynamische und komplexe Struktur annimmt und damit Unsicherheit von ihr ausgeht. Übertragen auf den Sektor der Altenpflege ergeben sich Hinweise, wie sich nach den Gesetzmäßigkeiten der Isomorphie für Verbände der Freien Wohlfahrtspflege eine organisationale Pfadabhängigkeit hat ergeben können. Im organisationalen
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Feld Altenpflege hat sich zunächst ein institutioneller Wandel eingestellt, dem ein Annäherungsprozess der Organisationen folgte. Dieser Annäherungsprozess mündete in einer homogenen Organisationslandschaft, in der sich Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege, gewerbliche Unternehmen, wie auch Sozialunternehmen als Organisationen ähnlich geworden sind. Dieser von organisationaler Gleichartigkeit geprägte Zustand hält nunmehr an, unterliegt also der Pfadabhängigkeit. Folgende Hypothese vertiefen diese Aussagen auf Basis des Isomorphismus weiter: Pfadabhängigkeitsthese H_1: H_1_a: Der Bereich der Altenpflege hat sich infolge seiner Reformierung zu einem Sektor entwickelt, der von den Organisationen als unsicher eingeschätzt wird. Zum einen sind seine institutionellen Bestandteile dynamischer geworden. Zum anderen sind die Institutionen der Altenpflege komplexer geworden. Wettbewerb, eine neue Vergütungsstruktur und eine Vielzahl von Anbietern kennzeichnen diese Dynamik und Komplexität und machen den Bereich der Altenpflege unberechenbar. Die Bedeutung des Korporatismus ist verloren gegangen. Damit ist für die „Leitvorstellung“, der Organisationen folgen, nicht mehr ein korporatistisches Verständnis sondern eine Wettbewerbsvorstellung maßgebend geworden. H_1_b: Unter diesen Bedingungen einer hoch dynamischen und komplexen Umwelt und dem Wandel der Leitvorstellung hat die Bedeutung von Wettbewerb und betriebswirtschaftlichen Methoden zugenommen. Wohlfahrtsverbände nähern sich damit jenen Organisationen an, in denen sich diese Methoden verfestigt haben. Die Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege bzw. deren Einrichtungen sind somit den neuen in den Altenpflegesektor eingetretenen Unternehmen –vor allem gewerblichen Unternehmen- zunehmend ähnlicher geworden. H_1_c: Unter den Gesetzmäßigkeiten der mimetischen Isomorphie hat sich mithin eine organisationale Pfadabhängigkeit herausgebildet, die mit einer homogenen Organisationslandschaft einhergeht.
2.3 Pfadwechsel durch Entkopplung und Polymorphismus: Hypothesenbildung Dass sich Organisationen unter gewissen Bedingungen einander annähern und schließlich gleichförmig werden, bringt dem Isomorphie-Ansatz, wie dargelegt, Kritik entgegen. Denn eine beabsichtigte Imitation könnte in ihrem Verlauf auch Innovationen bei der Organisationsentwicklung anstoßen, was zu abweichenden organisationalen Entwicklungen und mithin zu einer Polymorphie führen kann (vgl. Becker-Ritterspach/Becker-Ritterspach 2006: 112).
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Jedoch ist diesem Kritikpunkt entgegenzuhalten, dass eine Organisation, die ihre Umwelt als unsicher wahrnimmt, eher darauf fokussiert sein wird, etablierte Organisationsformen erfolgreich zu imitieren. Zumindest muss eine Organisation zwischen risikobehafteter Innovation und Imitation abwägen, da „[d]ie Abweichung von der Leitvorstellung einerseits mit einem hohen Risiko verbunden ist, das sich aber andererseits auszahlen kann, wenn die Akteure trotz der hohen Unsicherheit eine für sie bessere Lösung finden“ (Beyer 2006: 35). Aus dem Blickwinkel einer unsicheren Umwelt ist es plausibel, wenn Organisationen eine konsequente Imitation verfolgen und sich dem Risiko der Innovation nicht aussetzen, da auch eine zu einer erfolgreichen Innovation entgegensetzte Entwicklung eintreten kann und Organisationen scheitern können. Mit diesen Überlegungen ist schließlich die Frage zu stellen, unter welchen Umständen isomorphe und unter welchen Voraussetzungen polymorphe Entwicklungen in einer Organisationslandschaft dominieren? Folgt man der Argumentation, dass organisationale Pfadabhängigkeit durch bestehende Unsicherheiten der Umwelt sehr begünstigt wird, so lässt sich umgekehrt formulieren, dass organisationale Pfadabhängigkeit nicht gegeben ist, wenn Organisationen ihre Umwelt als von Sicherheit geprägt wahrnehmen. Ist Unsicherheit für eine Organisation nicht gegeben, so entfallen auch die Voraussetzungen für den mimetischen Isomorphismus, also die Bestrebungen eines Unternehmens, die in einem Sektor etablierten Unternehmen konsequent zu imitieren. Organisationen werden vielmehr nach individueller Veränderung streben, wenn im allgemeinen Sicherheit gegeben ist. Das Bestreben von Organisationen, einem individuellen Entwicklungspfad zu folgen und damit von einer beständigen „Leitvorstellung“ (Beyer 2006: 35) abzuweichen, liegt auch in der teils fehlenden Passung dieser „Leitvorstellung“ begründet, da sie nicht für alle Akteure gleichermaßen optimal ist (vgl. Beyer 2006: 35). Das Streben nach einer individuellen, von einem dominierenden Leitbild abweichenden Entwicklung ist für Beyer (2006) mithin der Grund dafür, warum sich Pfadabhängigkeit und Pfadwechsel nicht wechselseitig ausschließen, sondern sich vielmehr ergänzen. Einer Phase von Kontinuität folgt generell ein Pfadwechsel, wobei „[d]ie Orientierung an bestehenden Leitvorstellungen […] aus Gründen der Unsicherheitsreduktion […] ebenfalls nicht vor fundamentalem Wandel gefeit [ist]“ (Beyer 2006: 35). Insofern kann die von Becker-Ritterspach/Becker-Ritterspach (2006) formulierte Kritik am Isomorphismus relativiert werden, weil sich Isomorphismus und Polymorphismus anhand der Kriterien Umwelt-Unsicherheit und -Sicherheit systematisch voneinander abgrenzen lassen und beide Gesetzmäßigkeiten je nach Grad der Unsicherheit auftreten können.
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Mithilfe von Duncans Modell (1972) lässt sich festhalten, dass organisationale Pfade insbesondere bei bestehender Umweltunsicherheit beständig sind, da dann Organisationen der Gesetzmäßigkeit des mimetischen Isomorphismus folgend etablierte Organisationen imitieren. Damit entsteht unter Umwelt-Unsicherheit eine dem Isomorphismus entsprechend homogene Organisationslandschaft. Hingegen neigen Organisationen dazu, dann individuellen Entwicklungspfaden zu folgen, wenn sie ihre Umwelt als sicher wahrnehmen, was in der Folge zu einer heterogenen Organisationslandschaft – einem Polymorphismus – führt (vgl. Abbildung 3.2).
Abbildung 3.2 Umweltzustände im Iso- und Polymorphismus. (Quelle: Duncan 1972, modifiziert)
Auch der Ansatz von Meyer/Rowan (1977) lässt sich eher dem Pfadwechsel zuordnen. Wenn widersprüchliche Erwartungen aus der Umwelt vorliegen, würden sich Organisationen der Entkopplungsthese von Meyer/Rowan (1977) zufolge diesen Erwartungen teilweise oder ganz entziehen, in dem sie vorgeben einer Umweltanforderung gerecht zu werden, jedoch interne Abläufe nicht daran anpassen, sondern beibehalten. „In der Folge obliegt den Organisationen […] die kontinuierliche Aufrechterhaltung einer Illusion, da ansonsten das Legitimitätsgebäude nicht gewahrt werden kann“ (Neumann 2005: 104). Bei dieser von
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Meyer/Rowan (1977) bezeichneten Entkopplung entziehen sich Organisationen dann von Umwelterwartungen, weil Anforderungen aus der Umwelt kollidieren oder weil ihnen organisationsinterne Anforderungen entgegenstehen und sie mit der Entkopplung eine Lösung anstreben, ihre Legitimität zu sichern. „Organisationen können […] lediglich ankündigen, die an sie herangetragenen Erwartungen zu realisieren. Tatsächlich findet aber eine Realisierung der externen Erwartungen nicht statt“ (Neumann 2005: 104). Diese Strategie, sich zu entkoppeln deutet an, dass Organisationen auch die Möglichkeit und Sicherheit dazu haben müssen: Eine Organisation kann eine Entkopplung nur nutzen, wenn sie sich ihrer organisationalen Ziele sicher ist und damit keine Uneindeutigkeiten (ambiguity) bestehen. Dann haben Organisationen die Möglichkeit, individuellen Entwicklungspfaden zu folgen und sich von den dazu in Konflikt stehenden Umwelteinflüssen zu trennen. Mit der Entkopplungsstrategie behalten es sich Organisationen folglich vor, unabhängig von Umwelterwartungen individuelle Entwicklungspfade einzuschlagen – damit ist ein organisationaler Pfadwechsel als Option gegeben. Stuft man Meyer/Rowans (1977) Entkopplungsthese in Duncans (1972) Typologie ein, so wäre vor allem eine Entkopplung in jenen Szenarien möglich, in denen die Umwelt von einer hohen Komplexität geprägt ist. Da Komplexität die Umweltwidersprüche abbildet, beschreibt sie gleichzeitig die Bedingungen, die zur Entkopplung führen. Überträgt man auch diese theoretischen Überlegungen zum organisationalen Pfadwechsel auf die Unternehmen der Altenpflege, so ist auf Basis der hier entwickelten Argumentation folgende Hypothese ableitbar: Pfadwechselthese_H_2: H_2_a: Trotz seiner Reformen wird der Bereich der Altenpflege von den Wohlfahrtsverbänden eher als sicher eingestuft. Zwar haben sich in der Umwelt der Wohlfahrtsverbände einschneidende Veränderungen ergeben, jedoch sind für sie auch zentrale institutionelle Pfeiler bestehen geblieben. Damit ist zuvorderst die Beständigkeit korporatistischer Beziehungen gemeint, die trotz tiefgreifender Veränderungen des Sektors, nach wie vor eine dominierende Konstante darstellen. Der Sektor der Altenpflege ist aufgrund seiner korporatistischen Strukturen einerseits und der neuen Wettbewerbsstruktur andererseits ein Bereich, der insgesamt komplexer geworden ist. H_2_b: Weil mit den Reformen widersprüchliche Anforderungen an sie gestellt werden, reagieren Wohlfahrtsverbände auf die Veränderung und Reformen im Altenpflegesektor mit einer Entkopplung. Dies zeigt sich bspw. darin, dass sie trotz neuer Wettbewerbselemente ihre traditionellen Aufgaben und Werte verfolgen müssen. Die Wohlfahrtsverbände entkoppeln sich von den neuen Umweltanforderungen derart, dass sie alte Praktiken und Strukturen beibehalten und gleichzeitig einen Veränderungswillen nur nach außen hin vortäuschen. Bestimmend für die Praktiken der Wohlfahrtsverbände sind dabei ihre traditionellen Ziele.
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H_2_c: Zum anderen gibt es neue Unternehmen im Altenpflegesektor, die ein von eher innovativen Ideen getriebenes Verhalten kennzeichnet. Vor allem neu in den Markt eingetretene Organisationen nehmen neuartige Unternehmensformen an und sind innovativ, wie es sich durch Social Entrepreneurs zeigt. H_2_d: Damit entsteht eine heterogene Organisationslandschaft im Bereich der Altenpflege. Neben den Spitzenverbänden der Wohlfahrtspflege entwickeln sich weitere verschiedene Unternehmensformen, die sich in ihrem Aufbau und ihren Strukturen voneinander unterscheiden. Gewerbliche Anbieter komplettieren das Bild einer heterogenen Organisationslandschaft.
2.4 Forschungsstand: Isomorph und polymorph geprägter Wandel der Wohlfahrtsverbände Der oben entwickelte Theorieansatz zur Isomorphie und damit das Vorliegen einer unsicheren Umwelt finden in empirischen Studien entsprechende Belege. Aus der Warte des Isomorphismus ergibt sich im Altenpflegesektor für alle Anbieter und insbesondere für die Wohlfahrtsverbände eine Umweltunsicherheit primär aus den tiefgehenden Veränderungen, die etwa von der Einführung von Wettbewerbselementen geprägt sind. Um in den Termini dieses Ansatzes zu bleiben, formiert sich das organisationale Feld Altenpflegesektor neu, woraus sich eine gewisse Neuorientierung für alle im Altenpflegesektor aktiven Organisationen ergibt (Strünck 2000: 200). Strünck (2000) entwickelt eine differenzierte Perspektive auf Veränderungen, die von Isomorphie getrieben sind. Zum einen beobachtet er auf Spitzenverbandsebene Adaptionsprozesse von etablierten Praktiken oder Strukturen „[…] die zunächst einmal in legitimatorischer Absicht die Modernisierungsfähigkeit des Verbandes dokumentieren sollen […] und die Anforderungen aus Sicht der Träger nicht unbedingt treffen muss […]“ (Strünck 2000: 192). Managementpraktiken werden bei Wohlfahrtsverbänden entsprechend des Isomorphie-Ansatzes deshalb übernommen, weil sie legitimitätsstiftend sind und nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verbessern. Die Verbreitung von Managementansätzen erfolgt darüber hinaus nach Einschätzung von Strünck (2000) auch durch die Hausbank der Wohlfahrtsverbände, nicht zuletzt deswegen, weil zunehmend gewerbliche Anbieter zu den Kunden der Bank für Sozialwirtschaft zählen und „[…] bei der Beratung auch Erfahrungen und Konzepte zwischen gemeinnützigen und privat-gewerblichen Trägern diffundieren“ (Strünck 2000: 190). Trotz der Adaptionsprozesse, die er bei den Wohlfahrtsverbänden beobachtet, geht aus den Untersuchungen von Strünck (2000) hervor, dass die Wirkungsrichtung
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von Isomorphie-Prozessen nicht immer eindeutig ist. Orientieren sich Wohlfahrtsverbände an privat-gewerblichen Anbietern, weil sie ihre Managementpraktiken auf die Wettbewerbskriterien im Pflegesektor grundsätzlich besser abgestimmt haben? Oder orientieren sich auch gewerbliche Unternehmen an Wohlfahrtsverbänden, weil sie sich trotz Veränderungen in dem Sektor routiniert bewegen? So lassen sich zwei Beispiele hervorheben, die dokumentieren, dass privat-gewerbliche Anbieter Praktiken von Wohlfahrtsverbänden aufgreifen. Dazu zählt etwa, dass sich privatgewerbliche Anbieter an den Praktiken der Wohlfahrtsverbände, sich im Rahmen von S taat-Verbände-Beziehungen möglichst optimal zu organisieren, orientieren (vgl. Strünck 2000: 195)4. Darüber hinaus haben konfessionelle Wohlfahrtsverbände Unternehmensberatungen geschaffen bzw. ausgegründet, die einerseits die Dienste des Gesamtverbandes beraten. Andererseits gehören auch privat-gewerbliche Anbieter im Pflegesektor zu den Klienten dieser Unternehmensberatungen (vgl. Strünck 2000: 196), wodurch Praktiken und Managementbilder von Wohlfahrtsverbänden in privat-gewerbliche Anbieter hineingetragen werden können. Heinze/Strünck (1996) heben zudem einen Aspekt hervor, der Züge der Isomorphie durch politischen Zwang in sich trägt: Dabei folgen Heinze/Strünck (1996) der Grundthese von Heinze/Olk (1981), die besagt, dass sich Wohlfahrtsverbände grundsätzlich öffentlichen Verwaltungen annähern. Daraus entwickeln Heinze/Strünck (1996) eine Folgethese für die Reformen des Verwaltungssektors und halten fest: „Wenn sich die Verwaltungen modernisieren, müssen dies auch die Verbände tun, um die Kompatibilität ihrer Organisationsstrukturen zu erhalten“ (Heinze/Strünck 1996: 312). Damit würden Wohlfahrtsverbände ihre Legitimität wahren, in dem sie der Staatsverwaltung fortwährend ähnlich bleiben. Da in die Staatsverwaltung zunehmend betriebswirtschaftliche Elemente hineingetragen werden (New Public Management), so müssten dieser These entsprechend ebenso betriebswirtschaftliche Kriterien zunehmend in Wohlfahrtsverbänden vorzufinden sein (vgl. Jöst 2018: 46). Neben diesen Befunden zum Isomorphismus finden sich ebenso Studienergebnisse, die eine heterogene Organisationslandschaft in der Altenpflege identifizieren. Dabei ist in der hier entwickelten theoretischen Perspektive zum Polymorphismus bzw. zur Entkoppelung zentral, dass für das Emporkommen
4Inwieweit Verbände der privat-gewerblichen Anbieter die Interessenarbeit der Wohlfahrtsverbände erfolgreich imitieren, wird in Kapitel 5 diskutiert.
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neuer Organisationsformen ein Mindestmaß an Sicherheit der OrganisationsUmwelt gegeben sein muss. Zwar haben sich in der Umwelt der Wohlfahrtsverbände einschneidende Veränderungen ergeben, jedoch sind für die Wohlfahrtsverbände auch zentrale institutionelle Pfeiler bestehen geblieben. Damit ist zuvorderst die Beständigkeit korporatistischer Beziehungen gemeint, die Heinze/Schneiders/Grohs (2011) für bedeutsam erachten (vgl. Heinze/ Schneiders/Grohs 2011: 95). Mit der Einführung von Wettbewerb sind bestehende korporatistische Elemente für Wohlfahrtsverbände weiterhin sicherheitsstiftend. Dieser Beständigkeit des Korporatismus, die letztlich strukturelle Pfadabhängigkeit wiedergibt, ist es dann schließlich zuzuschreiben, dass die Umwelt von Wohlfahrtsverbänden trotz gewisser fundamentaler Änderungen als sicher eingestuft wird. Vor diesem Hintergrund sind Wohlfahrtsverbände anders als im Ansatz zum Isomorphismus nicht gedrängt, die Praktiken von privat-gewerblichen Organisationen zu imitieren. In einer eher sicheren Umwelt, die zwar an Komplexität zunimmt, haben Wohlfahrtsverbände die Wahl sich sofort zu verändern oder bewährte Strukturen oder Praktiken beizubehalten. Dies entspricht der Beobachtung von Heinze/Schneiders (2013), deren Befund zufolge sich ein gemischtes Bild davon ergibt, inwieweit Wohlfahrtsverbände Innovationen anstoßen oder auf dem bestehenden Aufbau verharren. Dabei betonen Heinze/Schneiders (2013) einerseits „[d]as Beharrungsvermögen vieler Verbandsakteure, die einer Umstrukturierung reserviert gegenüberstehen […]“, andererseits lassen sie nicht unerwähnt, „[…] dass gerade auch von etablierten Akteuren in Wohlfahrtsverbänden Innovationen angestoßen werden […]“ (Heinze/Schneiders 2013: 14). Auch wenn die Umweltunsicherheit seit den Veränderungen im Altenpflegesektor sich nicht beträchtlich erhöht hat, so nehmen Schneiders (2010) zufolge Widersprüche aus der Umwelt für Wohlfahrtsverbände zu. Die Wohlfahrtsverbände nehmen in der Sozialpolitik traditionell verschiedene Aufgaben wahr und sind mit diversen Ansprüchen aus der Umwelt konfrontiert, die sich oftmals unvereinbar gegenüberstehen. Schneiders (2010) führt dazu exemplarisch an: „Dieser […] Konflikt ist durch die Neuorientierung der Pflegepolitik mit […] der Aufhebung des Kostendeckungsprinzips und weiterer marktlicher Steuerungselemente deutlich verschärft worden […] da nicht mehr jede vom Wohlfahrtsverband im Sinne des Klienten als notwendig erachtete Dienstleistung mit den Kostenträgern abgerechnet werden kann“ (Schneiders 2010: 233).
Vor dem Hintergrund, dass ihre Funktion als „Interessenvertreter der sozial Benachteiligten“ mit anderen Funktionen zunehmend kollidiert, wählen Wohl-
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fahrtsverbände Schneiders (2010) zufolge mittlerweile eine Entkopplungsstrategie im Sinne von Meyer/Rowan (1977) derart, dass sie sich formal widersprüchlichen Umweltanforderungen etwa in Form von Ausgründungen anpassen, ihre traditionellen Praktiken jedoch beibehalten (vgl. Schneiders 2010: 233 f.). Neben Wohlfahrtsverbänden und gewerblichen Anbietern werden in jüngeren Studien Organisationen eines neuen Types, die im Altenpflegesektor aktiv sind, aufgegriffen. Unter dem Begriff Social Entrepreneur werden dabei Organisationen gefasst, die einerseits in Tätigkeitsbereichen aktiv sind, die sich an Hilfsbedürftige richten. Andererseits sind Social Entrepreneurs auch unternehmerisch ausgerichtet, d. h. sie agieren gewinnorientiert und verfügen über eine gewisse Innovationskraft (Grohs/Heinze/Schneiders 2013: 91). Gerade die Mischung von gemeinnütziger Orientierung, Gewinnorientierung und das Verfolgen neuer unternehmerischer Praktiken stellt das Alleinstellungsmerkmal der Social Entrepreneurs dar. Auch die Rechtsform kann zwischen Stiftung, Verein oder etwa Einzelunternehmer variieren (vgl. ebd. 91). Zu den im Sektor der Altenpflege gehörenden prominenten Beispiele zählen die CBT GmbH sowie die Stiftung Liebenau (vgl. Grohs/Heinze/Schneiders 2013, Grohs 2014, Schneiders 2010 sowie Schmitz/Scheuerle 2012 oder auch Strünck 2000). Zusammenfassend betrachtet vermitteln diese Studien das Bild einer heterogenen Organisationslandschaft im Altenpflegesektor. Darin bewegen sich sowohl jene Wohlfahrtsverbände, die mit Beharrungsvermögen ihre traditionellen Praktiken und Leitbilder weiterhin verfolgen und bei zunehmend unvereinbaren Umweltanforderungen eine Entkopplungsstrategie fahren, um hinreichend Legitimität aus der Umwelt zu erhalten. Darüber hinaus hat sich im Altenpflegesektor in jüngster Vergangenheit eine weitere Organisationsform hervorgetan, die als Social Entrepreneurs bezeichnet wird und neben Wohlfahrtsverbänden und den privat-gewerblichen Anbietern eine dritte Unternehmensgruppe darstellt.
3 Erklärungsansätze für hybride Organisationen: Wohlfahrtsverbände 3.1 Ausgangspunkt: Hybride Organisationen im Neo Institutionalismus Eine weitere Entwicklungsmöglichkeit von Organisationen stellt die Hybridisierung dar. Analog zur Institutionenhybridität bezieht sich die Organisationshybridität auf die Vermischung von verschiedenen Eigenschaften oder Elementen innerhalb einer
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Organisation. Dabei stellt die Hybridisierung eine Möglichkeit von Organisationen dar, um auf Veränderungen ihres institutionellen Umfeldes zu reagieren (vgl. Smith 2014: 1498). Einige Analysen von hybriden Organisationen beziehen sich insbesondere auf den Dritten Sektor. Evers (1990) fasst den Dritten Sektor und mithin den Non-Profit-Sektor in der Art auf, dass die Institutionen Markt, Staat und Gesellschaft zusammenlaufen und einen ‚intermediären‘ Bereich bilden. In diesem Zusammenhang wird der Non-Profit-Sektor von Evers als Bereich definiert, der unterschiedliche soziale Trägerformen hervorbringt, die jeweils in unterschiedlichem Ausmaß von diesen drei Institutionen beeinflusst werden (Evers 1990: 194). Evers (1990) stellt diesen intermediären Bereich als Wohlfahrtsdreieck dar, „[…] um den eigentümlichen Zwischenstatus der Sphäre freiwilliger nicht-profitorientierter Organisationen im Spannungsfeld zwischen Markt, Staat und Haushalten […] hervorzuheben“ (Evers/Olk 1996: 16). Somit bezieht sich dieser Ansatz zum Wohlfahrtsmix verstärkt auf Non-Profits, die sich aufgrund der Einflüsse ihres Umfeldes als Mischform hervortun und sich damit als hybride Organisationen auszeichnen. Der Ansatz zum Wohlfahrtsmix bietet damit für die institutionelle wie auch für die organisationale Hybriditätstheorie passende Anknüpfungspunkte5. Ergänzend dazu beziehen sich Brandsen et al. (2005) bei der Hybridisierung von Organisationen auch auf den Dritten Sektor und stellen einen etwas weiteren Zusammenhang zwischen Institutionen und der Reaktion von Organisationen auf. Für Brandsen et al. (2005) sind es nicht die konkreten Merkmale des Dritten Sektors, an die sich Non-Profits anpassen. Vielmehr stehen der Dritte Sektor bzw. die Organisationen des Dritten Sektors unter einer andauernden Veränderung. Mithin ist eine Abgrenzung zu anderen Sektoren wie Staat und Markt kaum möglich, weshalb der Dritte Sektor grundsätzlich einen hybriden Charakter hat: „One may have to accept that hybridity and change are permanent features of the organizations and arragements involved. They could be classified not with reference to the structural characteristics of abstract domains but on the basis of how they cope with conditions of hybridity and change“ (Brandsen et al. 2005: 749).
Die Hybridität von Organisationen bildet somit keinen Zustand oder einen Aufbau von Organisationen ab, sondern bezieht sich vielmehr darauf, dass sich Organisationen in einer ständigen Entwicklung befinden. Diese Perspektive von
5Vgl. Abschnitt
2.2.2.
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Brandsen et al. (2005) weist eine große Ähnlichkeit zu Evers (1990) Feststellung von Organisationen des Dritten Sektors auf, die er nicht als „[…] fixe Organisation, sondern eher als instabile und mobile Entwicklungszusammenhänge […]“ betrachtet (Evers 1990: 199). Ohne direkten Bezug auf den Dritten Sektor zu nehmen, bedient sich Minkoff (2002), um organisationale Hybridität zu erklären, dem Konzept der Legitimität. Danach werden Organisationen deshalb hybride, damit sie genügend Legitimität aus allen Bereichen ihrer Umwelt erhalten, wobei sich diese Umweltbereiche in einem Spannungsverhältnis zueinander befinden – die Umwelt befindet sich mithin in einem hybriden Zustand: „Hybrid organizations are subject to contradictory pressures from multiple institutional sectors as they try to establish at least a minimum level of legitimacy within each one. Organizational actors must also manage conflicts between dominant members of the community, and such conflicts are endemic to unstable environments“ (Minkoff 2002: 384).
Mit dieser Argumentation erinnert Minkoffs (2002) Ansatz an den Entkopplungsansatz von Meyer/Rowan (1977), nach dem Organisationen ebenfalls auf widersprüchliche Ansprüche aus ihrer Umwelt reagieren müssen. Das Streben nach Legitimität erfolgt bei Minkoff jedoch nicht über eine Entkopplungsstrategie sondern über eine Hybridisierung. Wie insbesondere bei Minkoff (2002) erkennbar, folgen die meisten Theorien zur organisationalen Hybridität einer neo-institutionalistischen Wirkungsweise. Organisationen werden von Institutionen in deterministischer Weise derart geprägt, dass sie unterschiedliche und ko-existierende Umwelteinflüsse aufnehmen und darauf mit einem komplexen Anpassungsprozess nach folgender Logik entsprechend reagieren: Da die Umwelt aus unterschiedlichen und zueinander widersprüchlichen Bereichen besteht und damit hybride ist, müssen auch Organisationen hybride werden, um den Ansprüchen der jeweiligen Bereiche gerecht zu werden. Diese Ansätze betrachten damit den Zusammenhang, dass Organisationen immer dann hybride sind, wenn es auch ihre Umwelt ist, womit der Aufbau von Organisationen immer dem Aufbau der sie umgebenden Institutionen folgt. Mit dem neo-institutionalistischen Problemzugriff ignorieren diese Ansätze zur organisationalen Hybridität jedoch die Frage, ob und wie eine Organisation auf die sie umgebenden Strukturen auch Einfluss ausüben und gestalterisch einwirken kann. Der Neo-Institutionalismus beantwortet eine akteurszentrierte
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estaltungsmöglichkeit von vornherein mit „Nein“, da Akteure von den sie G umgebenden Strukturen determiniert werden. Ein dem neo-institutionalistischen Verständnis gegenläufiger Ansatz ist jener zum institutional entrepreneurship, der gerade die Gestaltungsmacht von Unternehmen betont und deshalb von den oben stehenden Ansätzen deutlich abrückt: Lawrence/Suddaby (2006) entwickeln mit dem institutional entrepreneurship einen Ansatz, der die Wirkungsrichtung von Akteuren (Organisationen)6 auf Strukturen (Institutionen) in den Mittelpunkt rückt und damit einen Gegenpol zur neo-institutionalistischen Sicht bildet. Den in diesem Ansatz gleichnamigen institutional entrepreneur verstehen Lawrence/Suddaby (2006) als Unternehmung oder Organisation, die über nötiges Potential verfügt, Institutionen aktiv zu gestalten (vgl. Lawrence/Suddaby 2006). Jedoch bringen Lawrence/ Suddaby (2006) Zweifel entgegen, dass einzelne Akteure Institutionen zu verändern imstande sind. Sie verweisen vielmehr darauf, dass „[…] the creation of new institutions requires institutional work on the part of a wide range of actors, both those with the resources and skills to act as entrepreneurs and those whose role is supportive or facilitative of the entrepreneur’s endeavours“ (Lawrence/ Suddaby 2006: 217). Anstelle auf einzelne Akteure und ihre Gestaltungsmacht zu fokussieren, betonen Lawrence/Suddaby (2006) ein Miteinander verschiedener Akteure mit unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten, um Institutionen zu verändern. In diesem Miteinander, dem institutional work, werden zwei unterschiedliche Typen von Akteuren mit unterschiedlicher Gestaltungsqualität hervorgehoben: Neben jenen Akteuren, die mit Gestaltungsmacht ausgestattet sind, nehmen weitere Akteure eher eine unterstützende oder zuarbeitende Funktion bei der Veränderung von Institutionen ein. Neben einer Veränderung sind Akteure nach diesem Ansatz in der Lage, Institutionen aufzulösen und auch neu zu gründen: „[I]nstitutional work [as] purposive action of […] organizations aimed at creating, maintaining and disrupting institutions“ (Lawrence/Suddaby 2006: 215). Dieses institutional work lässt sich –um im Wortlaut des Akteurszentrierten Institutionalismus zu bleiben- als akteurszentriert bezeichnen: Akteure agieren miteinander und sind in diesem Miteinander imstande Institutionen zu gestalten.
6Da
die Beziehungen zwischen Organisationen und Institutionen in den folgenden Theorien auf einer höheren Abstraktionsebene beschrieben werden, soll mithin der Strukturbegriff für Institutionen wie auch der Akteursbegriff für Organisationen genutzt werden (vgl. auch Kapitel 1).
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Aus dieser Warte stellt sich für den hier untersuchten Problemgegenstand die Frage, ob die großen traditionellen Wohlfahrtsverbände die Qualität eines institutional entrepreneurs einnehmen können und ob sie grundsätzlich Strukturen zu gestalten in der Lage sind?
3.2 Organisationale Hybridität im Akteurszentrierten Institutionalismus Die Idee des institutional entrepreneurship-Ansatzes, dass ein Miteinander von verschiedenen Akteuren maßgebend ist, um Strukturen zu verändern, stellt in der Theorienwelt einen Gegenpol zum Neo-Institutionalismus dar. Denn der institutional entrepreneur ist mit einer gestalterischen Fähigkeit ausgestattet, über die eine Organisation nach dem Neo-Institutionalismus nicht verfügt. Zwischen diesen beiden Polen lässt sich der Akteurszentrierte Institutionalismus einreihen, der die Wirkung von Akteuren wie Strukturen gleichermaßen betont. Vergleicht man die drei Ansätze aus steuerungstheoretischer Sicht, so lässt sich zugespitzt festhalten, dass im Neo-Institutionalismus Akteure von Strukturen gesteuert werden, während sich Akteure im institutional e ntrepreneurship-Ansatz selbst steuern und Strukturen beeinflussen. Der Akteurszentrierte Institutionalismus fordert eine Steuerung, die Akteure und Strukturen gleichwertig einbindet, d. h. weder die Steuerung durch Akteure noch jene durch die Strukturen überwiegt. Berücksichtigt man die Beziehungen zwischen Akteuren und Strukturen für die Beschreibung der Steuerung eines Sektors, so geht der Steuerungsbegriff darauf ein, wie stark jeweils Strukturen und Akteure in die Koordination eines Sektors eingebunden sind bzw. welche Bedeutung ihnen jeweils zukommt. Mithin kann Steuerung so verstanden werden zu klären, inwieweit Strukturen Akteure steuern und verändern können oder inwieweit auch eine entgegengesetzte Steuerungsrichtung besteht. Für eine Abgrenzung dieser Ansätze aus steuerungstheoretischer Sicht bietet sich die Typologie von Naujoks (1994) an. Steuerungstypen werden von Naujoks (1994) in einer Typologie nach der jeweiligen Bedeutung von Akteuren und Strukturen voneinander abgegrenzt, wobei sich die Abgrenzung danach ergibt, welches Gestaltungspotential Akteure haben und welche Wirkungsstärke Strukturen beigemessen wird.
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Abbildung 3.3 Abgrenzung der Kontextsteuerung. (Quelle: Naujoks 1994: 115; modifiziert)
Die von Naujoks (1994) in der Typologie eingestuften Steuerungstypen gehen zu großen Teilen auf Teubner/Willke (1984) zurück. Als eine der in Abbildung 3.3 dargestellten Steuerungskategorien stellen Teubner/Willke (1984) die Selbststeuerung vor, die grundsätzlich die Bedeutung von unabhängigen Akteuren betont und ihnen Gestaltungsfähigkeit unterstellt. Das Charakteristikum der Selbststeuerung liegt somit darin, dass Akteure, die grundsätzlich autonom sind, zur „[…] Formulierung kontextueller Parameter […]“ in der Lage sind (Teubner/ Willke 1984: 13), also Akteure in der Lage sind, die sie umgebende Strukturen – die kontextuellen Parameter – zu beeinflussen oder gar zu ändern. Entsprechend der Typologie in Abbildung 3.3 wird in der Selbststeuerung die Bedeutung von Akteuren in den Mittelpunkt gerückt. Damit entspricht die Selbststeuerung dem Ansatz des institutional entrepreneur von Lawrence/Suddaby (2006), der sich ebenso der Idee von Akteuren mit hohem Gestaltungspotential bedient. Hingegen hebt die Fremdsteuerung die Bedeutung von Strukturen hervor, welche die Eigenständigkeit von Akteuren stark einschränkt – Strukturen können die Akteure, die sie umgeben, steuern. Dieses Bild entspricht der im Neo-Institutionalismus hervorgehobenen Wirkungsweise, welche die dominierende Wirkung der Strukturen hervorhebt und damit Strukturen Akteurshandeln zu determinieren in der Lage sind. Das Konzept der Kontextsteuerung trägt der Tatsache Rechnung, dass „[…] Gesellschaften […] in […] gleichgeordnete, selbstreferentielle und eigendynamische Teilsysteme gegliedert [sind], die eine zentrale politische Steuerung immer weniger zulassen“ (Teubner/Willke 1984: 4). Grund dafür ist, dass sich
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gesellschaftliche Systeme aufgrund ihrer zunehmenden Komplexität nicht mehr hierarchisch steuern lassen, sondern einer „dezentralen Makrosteuerung“ bedürfen (vgl. Teubner/Willke 1984). Diese Feststellung stellt die Ausgangslage für die Kontextsteuerung dar, in der es „[…] darum [geht], eine […] Kombination von autonomer Selbstorganisation und gesellschaftlich verbindlicher Kontextvorgabe“ abzubilden (Teubner/Willke 1984: 13). Dabei lassen sich autonome Selbstorganisation mit Akteuren und deren Wirkung gleichsetzen, während die gesellschaftliche Kontextvorgabe der Strukturen gleichkommt. Teubner/Willke (1984) deuten somit bereits an, dass im Modell der Kontextsteuerung Akteuren samt ihrer Selbstorganisation sowie Strukturen in Form der Kontextvorgabe eine gleichwertige Bedeutung zukommt. „Es kommt […] darauf an, den Impetus und die Intelligenz dezentraler autonomer Selbststeuerung einzubringen und auszunutzen für die Formulierung kontextueller Parameter. Und es kommt im Gegenzug in gleicher Weise darauf an, die Rahmensteuerung durch vorgegebene Kontexte […] als Strukturvorgaben für Organisationsformen [zu betreiben]“ (Teubner/Willke 1984: 14).
Grundsätzlich lässt sich deshalb das Konzept der Kontextsteuerung als eine akteurszentriert-institutionalistische Steuerung bezeichnen. Im Akteurszentrierten Institutionalismus wird zwar – wie im Neo-Institutionalismus – Institutionen ein großer Einfluss beigemessen, darüber hinaus erhält Akteurshandeln jedoch eine gleichwertige Bedeutung, was letztlich der Idee der Kontextsteuerung entspricht. Dies fassen Teubner/Willke (1984) mit den Worten zusammen: „Es geht nicht um ein Entweder/Oder, nicht um […] mehr zentrale Steuerung oder mehr Autonomie. Es geht uns vielmehr darum, eine der […] Problemlage angemessene Kombination von autonomer Selbstorganisation und gesellschaftlich verbindlicher Kontextvorgabe zu suchen […] wobei die Art der Verschränkung der Steuerungsdimensionen [entscheidend] ist“ (Teubner/Willke 1984: 13).
Damit ist auch von Bedeutung, wie autonome Selbstorganisation – der Akteur – auf der einen Seite und gesellschaftliche Kontextvorgabe – die Struktur – auf der anderen Seite verbunden sind: Die „Verschränkung der Steuerungsdimensionen“, also das Ineinandergreifen von Akteur und Struktur, steht im Fokus der Kontextsteuerung. Dass für die Kontextsteuerung Akteure angemessen in der Gestaltung von Strukturen berücksichtigt werden und dass sich Kontextsteuerung durch ein
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Ineinandergreifen von Akteur (Selbstorganisation) und Struktur (Kontextvorgabe) auszeichnet, erinnert an ein Netzwerk, das sowohl Akteure und Strukturen umfasst. In diesem Netzwerk kann die von Teubner/Willke (1984) genannte „dezentrale Makrosteuerung“ erfolgen, weil eine hierarchische Steuerung von komplexen Gesellschaftssystemen nicht möglich ist: „In this structural context, policy networks present themselves as a solution to co-ordination problems typical of modern societys“ (Börzel 1998: 260).
Börzel (1998) greift die Feststellung von Teubner/Willke (1984) auf, dass Gesellschaftssysteme schwierig hierarchisch zu steuern seien. Sie führt dazu näher aus, dass „[…] in an increasingly complex and dynamic environment, where hierarchical co-ordination is rendered difficult if not impossible […], increasingly governance becomes only feasible within policy networks, providing a framework for the efficient horizontal co-ordination of the interests and actions of public and private corporate actors“ (Börzel 1998: 261 f.).
Netzwerke sind damit ein Koordinationselement, um den Abläufen in einem komplexen Gesellschaftsbereich Herr zu werden. Aus Struktursicht erinnert die Aussage von Börzel (1998) an die im vorigen Kapitel 2 diskutierte Relational Governance, in der gerade das horizontale und dezentrale netzwerkartige Beziehungsgeflecht von Akteuren in Bereichen wie dem Altenpflegesektor beschrieben wird. Mayntz (1993) hebt mithin den Strukturcharakter hervor, den netzwerkartige Beziehungen einnehmen, in dem sie festhält, dass Netzwerke eine tatsächliche Veränderung des Aufbaus politischer Institutionen, also der Struktur, darstellen (vgl. Mayntz 1993: 5). Netzwerke nehmen somit letztlich institutionellen Charakter in der Form ein, „[dass] die Gesamtheit der in einem Netzwerk wirkenden Akteure, deren Interessen und Strategien zu Zwängen und Strukturen führen, denen der einzelne Akteur gegenübersteht, denen er sich i.d.R. nicht entziehen kann“ (Schubert 1995: 235). Somit verfestigt sich das Handeln einzelner Akteure in der Art, dass daraus feste Strukturen erwachsen. Gleichzeitig werden Akteure ein wichtiger Teil von Strukturen, in denen sie sich bewegen. Korporatistische Strukturen etwa können als Netzwerk betrachtet werden, das sich im Zeitablauf verfestigt und somit Strukturcharakter erhalten hat.
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3.3 Gleichartige Steuerungsprinzipien bei Institutionen und Organisationen Das Bild von Teubner/Willke (1984), dass sich gesellschaftliche Systeme aufgrund ihrer zunehmenden Komplexität nicht mehr hierarchisch steuern lassen, sondern einer „dezentralen Makrosteuerung“ bedürfen, führt Wiesenthal (1990) auf organisationaler Ebene weiter, in dem er „[…] eine Vorstellung von Organisationen [präsentiert], die erst aufgrund eines gewissen Maßes an Desintegration und Polyzentrizität statt durch Geschlossenheit und Zentralisierung strategiefähig werden“ (Wiesenthal 1990: 51). Eine dezentrale Steuerung bzw. eine Kontextsteuerung ist somit nicht nur Gegenstand von Strukturen, sondern auch von Akteuren. Und gerade Akteure lassen sich als „polyzentrische“ Netzwerke begreifen, da sie wiederum aus mehreren kleineren Einzelakteuren bestehen, die zueinander in Beziehung stehen. Das Bild, dass sich ein Akteur wiederum aus mehreren einzelnen Akteuren zusammensetzt und sich als polyzentrisches Netzwerk steuert, entspricht dem Konzept des Kollektiven Akteurs. Der Kollektive Akteur kann als ein Kollektivgebilde verstanden werden, das aus mehreren einzelnen Akteuren besteht, die gemeinsame Interessen bzw. Ziele verfolgen und diesen Zielen entsprechend eine gemeinsame Handlungsorientierung haben (vgl. Schmidt 2004: 362). Diese einzelnen Akteure „[…] handeln für das Kollektiv [wobei] diese Handlungen von der Umwelt dem Kollektiv zugeschrieben werden“ (Werle 2000: 77). Erst dadurch, dass Handlungen Einzelner dem kollektiven Akteur zugeordnet werden, erhält dieser kollektive Akteur einen Akteurscharakter (ebd.: 78). Gerade die großen Verbände der Wohlfahrtspflege setzen sich aus mehreren Einzelakteuren zusammen, die auf die Steuerung des Gesamtverbandes Einfluss nehmen. Und gerade die Anordnung der Einzelorganisationen wie Einrichtungen oder Verbände könnte polyzentrische Züge aufweisen, die zu einer dezentralen Steuerung des Netzwerkes Gesamtverband führt. Dass es sich sowohl bei Institutionen als auch bei Organisationen um Netzwerke handelt, kann Hinweise darauf geben, wie eine von Teubner/Willke (1984) angedeutete „Verschränkung der Steuerungsdimensionen“ aussehen kann. Teubner/Willke (1984) meinen mit einer Verschränkung die Verbindung von autonomer Selbstorganisation – d. h. Organisationen – und gesellschaftlich verbindlicher Kontextvorgabe – d. h. Institutionen – (vgl. Teubner/Willke 1984: 13). Anders formuliert geht es um das Ineinandergreifen von Organisationen und Institutionen im Rahmen von Netzwerken. Die Vorstellung, dass sich Organisationen und Institutionen verschränken, also miteinander verbunden sind, erweist sich anschlussfähig an Wiesenthals (1990) Vorstellung einer Organisation,
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die Merkmale wie „[…] Desintegration und Polyzentrizität statt Geschlossenheit und Zentralisierung […]“ kennzeichnet (Wiesenthal 1990: 51). Die Desintegration von Einzelakteuren innerhalb eines kollektiven Akteurs deutet an, dass kollektive Akteure gegenüber ihrer Außenwelt nicht durchgängig geschlossen, sondern offen sind. Einzelakteure können mit Einzelakteuren in ihrer Umwelt ebenso interagieren wie mit Einzelakteuren innerhalb des kollektiven Akteurs. Damit würden nach außen hin offene Kollektivakteure fließend in das gesamte Netzwerk übergehen. Aus dieser Sicht wären Akteure und Struktur eng miteinander verwoben. Übernimmt man diese Vorstellung, dass Organisationen und Institutionen innerhalb eines gemeinsamen Netzwerkes eng miteinander verbunden sind, so gehen auch die Steuerungsprinzipien fließend zwischen Institutionen und Organisationen ineinander über. Betrachtet man sich die im vorigen Kapitel 2 diskutierten Steuerungsprinzipien, so haben sich dabei zwei Governance-Prinzipien in der Struktur des Wohlfahrtssektors herausgebildet, die sich entsprechend der hier entwickelten Sichtweise gemeinsam in Struktur und Akteuren manifestiert haben müssten. Die Relational Governance zum einen hat sich im Altenpflegesektor mit der „Pluralisierung der Politikgestaltung“ (Rhodes 2000) vollzogen, im Rahmen derer Rhodes (2000) und Teubner (1999) die Herausbildung eines dezentralen Netzwerkes identifizieren, in dem private Akteure in die politische Gestaltung und in die Leistungsbereitstellung intensiv eingebunden werden. Führt man sich die hier verfolgte Hypothese vor Augen, dass Struktur und Akteure eng verwobene Elemente eines gemeinsamen Gebildes – eines Netzwerkes – geworden sind, so würden sich mit der strukturellen Veränderung hin zu einem dezentralen Netzwerk auch Dezentralisierungsformen innerhalb der Akteure ergeben. Was Teubner (1999) primär für die Institutionen formuliert, gilt damit ebenso für Organisationen. Somit hat sich eine Relational Governance innerhalb der Wohlfahrtsverbände als kollektive Akteure herausgebildet, die sich durch einen dezentralen Aufbau und nicht etwa durch eine hierarchische Anordnung mit Führungsspitze charakterisieren. Somit sind Wohlfahrtsverbände als kollektive Akteure zu verstehen, die sich aus mehreren einzelnen, dezentral angeordneten Organisationen, die miteinander netzwerkförmig verwoben sind, zusammensetzen und auf welche die Handlungsfähigkeit des Spitzenverbandes verteilt wird. Diese Einzelverbände -oder Einrichtungen gestalten dabei in einem dezentralen Netzwerk den Gesamtverband. Die Relational Governance prägt damit die Steuerung zwischen den Organisationen als auch innerhalb der Organisationen. Entsprechend hat sich auch neben der Relational Governance die
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uasi-Market-Governance in den Wohlfahrtsverbänden verankert, weshalb sich Q die Verbände auch wettbewerbsorientiert ausrichten und betriebswirtschaftliche Elemente aufnehmen müssten. Folgt man dieser Argumentation, dass Verbände der Wohlfahrtspflege kollektive Akteure mit einem dezentralen Netzwerk sind, ist davon auszugehen, dass sich einzelne Verbände und Einrichtungen im Rahmen der Kontextsteuerung innerhalb eines großen Wohlfahrtsverbandes auch zu einem gewissen Maß verselbständigen und vom Gesamtverband haben lösen können.
3.4 Hybridisierung von Sicherheit und Unsicherheit der Umwelt: Hypothesenbildung Mit dieser theoretischen Argumentation, dass es sich bei Wohlfahrtsverbänden um kollektive Akteure bestehend aus Einzelakteuren handelt, die wiederum netzwerkförmig angeordnet sind und dezentral nach den Prinzipien ihrer Umwelt agieren, steht noch die Überlegung aus, wie sie dabei mit einer sicheren und unsicheren Umwelt umgehen? Mithin sind die Gesetzmäßigkeiten, wie eine Wechselwirkung zwischen einer (un-)sicheren Umwelt und der in ihr befindlichen Organisationen charakterisiert ist, von Bedeutung. Nach Minkoff (2002) sind Organisationen zeitgleich mehreren Umweltzuständen ausgesetzt und müssen für diese unterschiedlichen Umwelten passende Antworten finden (vgl. Minkoff 2002: 384). Folgt man dieser Argumentation mit Duncans (1972) Modell, dann existieren im Hybriditätsansatz gleichzeitig mehrere Umwelten, die für Organisationen sowohl sicher als auch unsicher sind. Organisationen sehen sich somit zeitgleich Sicherheit und Unsicherheit ausgesetzt. Welche Umwelten liegen im Altenpflegesektor vor, die für Wohlfahrtsverbände eine (un-)sichere Umwelt darstellen? Für die Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege sind Staat-Verbände-Beziehungen mit der dort geltenden Relational Governance ein Bereich, den sie lange Zeit geprägt haben und den sie traditionell dominieren. Auch wenn sich Staat-Verbände-Beziehungen durch die Reform des Pflegesektors teilweise aufgelöst haben (vgl. vorhergehendes Kapitel 2), stellt der Korporatismus eine Umwelt mit geringer Unsicherheit dar. Hingegen ist der Quasi-Markt, der im Vergleich zu den Staat-Verbände-Beziehungen ein verhältnismäßig neues institutionelles Element im Sektor der Altenpflege darstellt, für Wohlfahrtsverbände zum Zeitpunkt der Einführung eine Umwelt mit hoher Unsicherheit gewesen. Denn mit der Einführung des Quasi-Marktes ist neben der Relational Governance eine Quasi-Market-Governance eingeführt
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worden, wodurch der Altenpflegesektor zusätzlich von Wettbewerbselementen geprägt ist. Vor der Einführung eines Quasi-Marktes und der Öffnung des Altenpflegesektors für gewerbliche Unternehmen sind die Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege nicht mit Wettbewerb konfrontiert gewesen, weshalb Wettbewerbselemente für Wohlfahrtsverbände zunächst neuartig und – aus der Warte von Duncans Modell – von Komplexität und Dynamik geprägt gewesen sind. Damit ist der Quasi-Markt bei seiner Einführung eine von hoher Unsicherheit geprägte Umwelt für Wohlfahrtsverbände gewesen. In Abgrenzung dazu ist für die in den Altenpflegesektor neu eingetretenen gewerblichen Unternehmen das Auftreten von Unsicherheit in den Bereichen Staat-Verbände-Beziehungen und Quasi-Markt anders gelagert. Für privat-gewerbliche Anbieter ist der Umgang mit Wettbewerb routiniert, wohingegen korporatistische Beziehungen einen neuartigen, komplexen Bereich darstellen. Damit ist der Quasi-Markt für privat-gewerbliche Anbieter eine Umwelt mit geringer Unsicherheit und entgegengesetzt dazu Staat-VerbändeBeziehungen lange Zeit ein von hoher Unsicherheit gekennzeichnetes Feld gewesen. Welche organisationalen Entwicklungsmuster lassen sich für Wohlfahrtsverbände und die privat-gewerblichen Anbieter für die beiden Bereiche ableiten? Legt man die in der Theorie zur Pfadabhängigkeit erarbeitete Argumentation zugrunde, dass Organisationen in Umwelten mit Unsicherheit den Gesetzmäßigkeiten des Isomorphismus folgen, wohingegen sich Polymorphismus-Entwicklungen in sicheren Umwelten abzeichnen, dann ergibt sich folgendes Bild. Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege imitieren – dem Isomorphismus entsprechend – im unsicheren Umfeld Quasi-Markt Praktiken und Managementformen von privat-gewerblichen Anbietern, die in der Regel in einem Wettbewerbsumfeld etabliert sind. Auch wenn vom Quasi-Markt nach fünfundzwanzig Jahren keine hohe Unsicherheit mehr ausgehen dürfte, so verhalten sich die Wohlfahrtsverbände weiterhin nach den Gesetzmäßigkeiten des Isomorphismus, nach dem einer organisationalen Anpassung eine hohe Beständigkeit folgt. Damit wirkt die ursprüngliche Unsicherheit des Quasi-Marktes über die organisationale Pfadabhängigkeit in den Verbänden bis heute nach. Umgekehrt suchen privat-gewerbliche Anbieter in Staat-Verbände-Beziehungen die Verbände der Wohlfahrtspflege zu imitieren, da sie dort keinen vergleichbaren Erfahrungshorizont haben. Den Gesetzmäßigkeiten des Isomorphismus folgen damit sowohl Wohlfahrtsverbände wie auch p rivat-gewerbliche Anbieter in den für sie ursprünglich unsicheren Bereichen. Darüber hinaus sind beide Organisationstypen in jenen Bereichen innovativ und risikobewusst, die für sie traditionell
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sicher sind. Somit stellen sich im Quasi-Markt für privat-gewerbliche Anbieter polymorphe Züge ein, während für Wohlfahrtsverbände in Staat-VerbändeBeziehungen die Muster der Polymorphie gelten (vgl. Abbildung 3.4).
Abbildung 3.4 Hybridisierung von Umweltzuständen. (Quelle: Duncan 1972; modifiziert)
In diesem Hybridisierungsansatz schließen sich letztlich sichere und unsichere Umwelten nicht aus, sondern sie bestehen vielmehr nebeneinander. Damit können auch Polymorphie und Isomorphie zeitgleich innerhalb von kollektiven Akteuren auftreten. Die beiden organisationalen Entwicklungsmuster des Iso- bzw. Polymorphismus, die grundsätzlich in Widerspruch stehen, treten deshalb nebeneinander auf, weil Einzelakteure innerhalb eines kollektiven Akteurs, die je einer anderen Umweltunsicherheit ausgesetzt sind, sich isomorphen (bei Unsicherheit) oder polymorphen (bei Sicherheit) Gesetzmäßigkeiten entsprechend verändern. Wiesenthal (1990) zufolge sind diese zeitgleichen – widersprüchlichen – Veränderungsmuster nötig, um eine organisationale Fehlanpassung zu vermeiden (vgl. Wiesenthal 1990: 54). Dabei soll das Risiko einer Fehlanpassung gerade auch durch einen dezentralen und fragmentierten Aufbau einer Organisation begrenzt werden, wobei einzelne
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„Untereinheiten“ des kollektiven Akteurs möglichst autonom agieren sollen: „Indem sich mehrere selbständige Untereinheiten gleichzeitig auf “ihre” je besonderen Umweltsegmente einlassen, entsteht ein fluktuierendes Prozessmuster“ (Wiesenthal 1990: 51). Dabei sind die jeweiligen Untereinheiten innerhalb des polyzentrischen Organisationsnetzwerkes autonom und können somit individuelle Entwicklungspfade nehmen. Damit lässt sich der kollektive Akteur Organisation als polyzentrisches Netzwerk mit mehreren Einzelakteuren fassen, die je nachdem, ob sie mit Umweltsicherheit oder- unsicherheit konfrontiert sind, unterschiedlich handeln. Aufgrund der vielseitigen Umwelt mit sicheren und unsicheren Bereichen stellt sich schließlich die Frage, inwieweit Institutionen durch Organisationen gestaltet werden können? Die gestalterischen Möglichkeiten der Verbände sind in unsicheren Umwelten beschränkt, weil die Umwelt für sie verhältnismäßig neu und komplex ist. Eine Anpassung nach den Gesetzmäßigkeiten des Isomorphismus und eine damit verbundene organisationale Pfadabhängigkeit sind die Folge – Wohlfahrtsverbände verbleiben nach ihrer Anpassung auf dem eingeschlagenen Pfad. In sicheren Umweltbereichen hingegen können die Untereinheiten eines Wohlfahrtsverbandes ihr Gestaltungspotential entfalten – sie können innovativ agieren. Dabei können manche Akteure des Gesamtverbandes die Qualität eines institutional entrepreneurs einnehmen und damit ihre Umwelt gestalten. Das Netzwerk mit allen Einzelakteuren innerhalb des gesamten Wohlfahrtsverbandes und auch zwischen den Wohlfahrtsverbänden nimmt in einer sicheren Umwelt die Qualität eines institutional work an, in welchem es entsprechend der Idee von Lawrence/Suddaby (2006) Organisationen mit Gestaltungsmacht und zuarbeitende Organisationen gibt, die in einem Miteinander die sie umgebende Institutionen verändern können. Zusammenfassend bestehen bei gegebener Sicherheit Institutionen, die entsprechend dem Akteurszentrierten Institutionalismus durch Organisationen veränderbar sind. Mit dem akteurszentriert-institutionalistischen Hybriditätsansatz lassen sich für den Aufbau von Wohlfahrtsverbänden folgende Hypothesen formulieren: Hybridisierungsthese_H_3: H_3_a: Der Altenpflegesektor stellt nach seiner Reformierung für Wohlfahrtsverbände eine Umwelt dar, die sowohl von Unsicherheit als auch von Sicherheit gekennzeichnet ist. Dabei sind gerade die Einzelakteure wie Betriebe oder Verbände innerhalb eines großen Wohlfahrtsverbandes unterschiedlichen Umweltunsicherheiten ausgesetzt. Eine Umwelt mit Sicherheit stellen die Staat-Verbände-Beziehungen dar, wohingegen der recht neuartige Quasi-Markt für Wohlfahrtsverbände eine unsichere Umwelt ist.
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3 Veränderbarkeit von Organisationen: Ausarbeitung einer Theorie H_3_b: Unter diesen Bedingungen, dass im Altenpflegesektor für Wohlfahrtsverbände sowohl sichere als auch unsichere Umwelten gleichzeitig bestehen, folgen die Untereinheiten innerhalb des Gesamtverbandes gleichzeitig sowohl isomorphen als polymorphen Gesetzmäßigkeiten. Die Teilorganisationen des kollektiven Akteurs Wohlfahrtsverband unterliegen der Isomorphie in jenen institutionellen Teilbereichen, von denen mit der Reform Unsicherheit ausging. In Bereichen mit geringer Unsicherheit folgen sie den Gesetzmäßigkeiten des Polymorphismus. Somit besteht innerhalb der Wohlfahrtsverbände bei Unsicherheit eine organisationale Pfadabhängigkeit sowie bei Sicherheit ein organisationaler Pfadwechsel fort. Auch wenn von Institutionen nach fünfundzwanzig Jahren seit der Reform inzwischen keine Unsicherheit mehr ausgeht, so besteht für Wohlfahrtsverbände die ursprünglich eingeschlagene Anpassung nach dem Muster des Isomorphismus weiterhin fort, weil der Anpassung eine organisationale Pfadabhängigkeit folgt. Pfadabhängigkeit und –wechsel bestehen gleichzeitig, da im „polyzentrischen“ Netzwerk Wohlfahrtsverband die Untereinheiten autonom handeln und auf ihre jeweilige individuelle Umwelt reagieren können. H_3_c: Das Gestaltungspotential von Wohlfahrtsverbänden ist maßgebend in sicheren Umweltbereichen gegeben. Dort können sie innovativ und gestalterisch tätig sein und damit ihre Umwelt beeinflussen. Sie haben die Qualität eines institutional entrepreneurs inne. In unsicheren Umwelten verfügen Wohlfahrtsverbände hingegen über kein Gestaltungspotential, sondern folgen dem Isomorphismus entsprechend den Vorgaben aus der Umwelt und passen sich ihr an.
Im Folgenden werden Forschungsergebnisse dargelegt, die Hinweise für den hier erarbeiteten Hybridisierungsansatz geben können.
3.5 Forschungsstand: Die Hybridisierung von Wohlfahrtsverbänden In der neo-institutionalistischen Variante zum Hybriditätsansatz folgt eine Hybridisierung von Organisationen aus einer Umwelt mit in Widerspruch stehenden Ansprüchen. Grohs 2014 identifiziert in diesem Zusammenhang als wesentliche Ursache für Hybridisierungsstrategien, welche die Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege verfolgen, ko-existierende unterschiedliche Anspruchshaltungen aus der Umwelt: „[W]elfare associations follow a strategy to maintain their hybridity (or multiple self) as mission-based actors, advocates, service providers, and catalysts of civic engagement by means of internal differentiation […]“ (Grohs 2014: 1440). Wohlfahrtsverbände richten sich Grohs zufolge mithilfe einer Hybridisierungsstrategie in viele Richtungen aus, um gleichzeitig unterschiedlichen und möglicherweise widersprüchlichen Ansprüchen von (gesellschaftlichen) Gruppen gerecht zu werden. Dieser Befund von Grohs
3 Erklärungsansätze für hybride Organisationen: Wohlfahrtsverbände
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(2014) erinnert damit sehr an Minkoffs (2002) Argument, dass Organisationen den Ansprüchen aus jedem Umweltbereich gerecht zu werden suchen, um aus jedem dieser Bereiche genügend Legitimität für den Fortbestand zu erhalten (vgl. Minkoff 2002: 384). Letztlich kommt dieser Befund der Sichtweise des Neo-Institutionalismus am nächsten, da von Grohs (2014) eine Hybridisierung der Wohlfahrtsverbände aus einer (hybriden) Umwelt mit in Widerspruch stehenden Ansprüchen abgeleitet wird. Darüber hinaus finden sich empirische Befunde dazu, dass es sich bei Wohlfahrtsverbänden um Netzwerke handelt, die nach außen hin offen sind. Bei der Betrachtung des Forschungsstandes lassen sich Vernetzungen in zwei Arten zusammenfassen, die die Entwicklung von Wohlfahrtsverbänden ausmachen. Zum einen eine politische oder gesellschaftliche Vernetzung, zum anderen eine wirtschaftliche Vernetzung. Auch gibt es Hinweise, dass es sich bei den großen Wohlfahrtsverbänden um kollektive Akteure handelt, die auf Basis einer akteurszentrierten Relational Governance gelenkt werden. Bode (2004) identifiziert beim Caritas-Wohlfahrtsverband ein „lose gekoppeltes und strukturell heterogenes Netzwerk“ (Bode 2004: 140), wobei die Caritas den Charakter eines kollektiven Akteurs aufweist und „[…] ein Netzwerk aus Non-Profit-Organisationen mit institutionellem Charakter“ darstellt (Bode 2002 (a): 587). Bode illustriert den Netzwerkcharakter Caritas beispielhaft anhand der ambulanten Altenpflege. Im „Netzwerk Altenhilfe“ verknüpft die Caritas auf kommunaler Ebene diverse Hilfsdienste und Schulungen für pflegende Angehörige mit ambulanter Pflege (Bode 2002 (a): 592). Generell konstatiert Bode insbesondere auf lokaler Ebene bei der Caritas Bestrebungen, „[…] bestehende Pflegeeinrichtungen operativ zu vernetzen sowie stärker mit angrenzenden Versorgungsangeboten zu verzahnen […]“, wobei sich Sozialstationen nicht nur mit Fachberatungen, Hospizvereinen und Pflegeüberleitungen katholischer Krankenhäuser vernetzen, sondern auch „[…] der Zusammenschluss mit nicht-kirchlichen Vertretern“ beobachtet wird (Bode 2002 (a): 592). Diese Beobachtung von Bode (2002), dass bei der Caritas Vernetzungsbestrebungen über die Konfession bzw. Organisationsgrenzen hinaus festzustellen sind, entspricht insgesamt einem Trend von Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege, den Becker (2000) ausmacht. „[H]errschte im Verhältnis zwischen den Verbänden und den gewerblichen Anbietern der Wettbewerb vor, so wird auch hier Vernetzung zur Selbstverständlichkeit werden“, wobei Becher „[…] wirtschaftlich sichernde[] Vernetzungen, die in beiderseitigem Interesse liegen und von denen jeder Partner aus seiner Sicht einen Zugewinn an Stärke erzielen kann“ hervorhebt (Becher 2000: 285).
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3 Veränderbarkeit von Organisationen: Ausarbeitung einer Theorie
Dieser Netzwerkorientierung liegt eine Doppel-Strategie zugrunde, die sowohl einer Beständigkeit unterliegt, aber auch ein Abweichen von bisherigen Prinzipien dokumentiert: Einerseits identifiziert Bode (2002) (a) eine Marktanpassungsstrategie, die einen Organisationswandel vorantreibt. Andererseits hält Bode fest, dass „[j]enseits solcher ‚Marktstrategien‘ gleichzeitig zu beobachten [ist], wie Akteure der Caritas ihre angestammte Position zu verteidigen suchen“ (Bode 2002 (a): 592). Zentral dabei ist, dass mit regionalen Verhandlungskartellen die gemeinnützigen Akteure einem wechselseitigen Unterbietungskampf, welchen Kostenträger forcieren, entgegenwirken wollen (ebd. 592). Dies zeigt die Verwobenheit von Akteur und Struktur in der Wohlfahrtspflege und konkret im Altenpflegesektor. Zwar gehen Wettbewerbs- und Kostendruck von den Institutionen Quasi-Markt auf die Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege aus, gleichzeitig sind die Wohlfahrtsverbände Teil dieses institutionellen Netzwerkes, welches sie durch die Bildung von Verhandlungskartellen und zusätzlichen Vernetzungen mit anderen Organisationen erweitern, mitgestalten und damit verändern.
4 Abschließende Bemerkungen In diesem und im vorhergehenden Kapitel sind die Theorien zur Pfadabhängigkeit, zum Pfadwechsel und zur Hybridität sowohl auf Strukturebene als auch auf Akteursebene diskutiert worden. Abschließend sind noch Bemerkungen zu machen, in welcher Beziehung Entwicklungen auf Struktur- wie auch auf Akteursebene zueinanderstehen: Geht eine Pfadabhängigkeit auf Strukturebene mit einer Pfadabhängigkeit auf Akteursebene einher? In Abschnitt 2.2.2 zeigt sich, dass Hybridität sowohl bei Institutionen als auch bei Organisationen zu finden ist, wobei die Besonderheit dieses Ansatzes ist, dass – abstrakt formuliert – Akteure und Strukturen fließend ineinander übergehen. Hybridität drückt sich damit in Akteuren (Organisationen) und Strukturen (Institutionen) gleichermaßen aus. Mit den zuvor entwickelten Theorieaussagen zur organisationalen Pfadabhängigkeit bzw. dem Pfadwechsel hingegen zeigen sich gegensätzliche Zusammenhänge zwischen Umwelt und Organisation. Setzt man diese und die Ergebnisse aus Kapitel 2 zueinander in Beziehung, dann ergeben sich – zunächst auf theoretischer Ebene – folgende Schlussfolgerungen. Nach der institutionellen Pfadabhängigkeitstheorie sind in der Altenpflege trotz Reformen und Veränderungen eher strukturelle Elemente wie der Korporatismus grundsätzlich erhalten geblieben (vgl. vorheriges Kapitel 2). In
4 Abschließende Bemerkungen
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der Folge sind Organisationen wie die Wohlfahrtsverbände eher zur Entkopplung bereit und Innovationen bringen Social Entrepreneurs hervor (vgl. dieses Kapitel). Eine institutionelle Pfadabhängigkeit geht mit einem organisationalen Pfadwechsel einher. Nach der institutionellen Pfadwechseltheorie haben sich im Altenpflegesektor hingegen Strukturmerkmale wie der Korporatismus grundlegend verändert. In der Folge orientieren sich Organisationen grundsätzlich aneinander und nähern sich im Altenpflegesektor an, was letztlich eine organisationale Pfadabhängigkeit begründet. Ein institutioneller Pfadwechsel geht mit einer organisationalen Pfadabhängigkeit einher. Damit zeigt sich in diesen neo-institutionalistischen Theorien zur Pfadabhängigkeit eine Gegensätzlichkeit: Organisationen reagieren bei unbeständigen Institutionen ihrerseits mit Beständigkeit wohingegen stabile Institutionen eine Veränderung bei Organisationen bewirken. Diese Gegensätzlichkeit zwischen beiden Ebenen soll in Abschnitt 5.2.4 vor dem Hintergrund der erzielten Ergebnisse im Pflegesektor aufgegriffen und überprüft werden.
4
Veränderbarkeit der Institutionen des Pflegesektors: Empirie
1 Die Institutionen des Pflegesektors und ihr Wandel 1.1 Ausgangspunkt für die Gestaltung des Pflegesektors: Wohlfahrtsökonomische Überlegungen Wohlfahrtsökonomische Überlegungen bilden einen theoretischen Ausgangspunkt für die Frage, welche Gründe für einen staatlichen Eingriff in manche Märkte wie etwa den Gesundheitssektor sprechen. Ausgangspunkt für die Überlegungen bildet die theoretische Perspektive, dass in der Modellwelt der Wohlfahrtsökonomik unter bestimmten Bedingungen dezentrale Entscheidungen der Marktteilnehmer zu einem optimalen Marktergebnis führen: Handeln Individuen auf dem Markt rational und egoistisch, so folgt aus den jeweiligen rationalen Entscheidungen (Optimierungskalkülen) der Marktteilnehmer ein effizientes Marktergebnis. D. h. ein optimales Marktgleichgewicht ist dann gegeben, wenn keiner der Marktteilnehmer durch Umverteilung von Gütern bessergestellt werden kann, ohne dass ein anderes Individuum auf dem Markt schlechter gestellt wird; die Pareto-Optimalität – ein Kriterium zur theoretischen Beschreibung von ökonomischer Effizienz – ist dann erfüllt. Allerdings führen jene dezentralen Entscheidungen der Marktteilnehmer nur unter bestimmten Bedingungen zu einem effizienten Marktergebnis. Sind diese Bedingungen nicht gegeben, kommt es zu einem Marktergebnis, das volkswirtschaftlich nicht wünschenswert ist, da Effizienz nicht gegeben ist. Das normative Kriterium der Pareto-Optimalität wäre dann nicht erfüllt. Etwa darf keine Marktmacht gegeben sein oder auch alle Marktteilnehmer verfügen über vollständige © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Lange, Hybrider Wohlfahrtskorporatismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30754-7_4
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4 Veränderbarkeit der Institutionen des Pflegesektors : Empirie
Informationen, sodass es nicht zu einer asymmetrischen Informationsverteilung kommt (vgl. Breyer et al 2013). Sind diese und andere Bedingungen nicht erfüllt, kommt es zu einer Lenkung der Güter auf dem Markt mit einem ineffizienten Ergebnis. Eine Form von Marktversagen, das im Gesundheitswesen und auch im Pflegesektor beispielhaft angeführt werden kann, ist die angebotsinduzierte Nachfrage. Die angebotsinduzierte Nachfrage ist eine Marktversagensform auf Grundlage asymmetrisch verteilter Informationen. In diesem Fall bestehen ungleich verteilte Informationen zwischen den Marktteilnehmer derart, dass die Anbieterseite gegenüber der Nachfrageseite einen Informationsvorsprung hat und diesen ausnutzt. Der Informationsvorsprung des Anbieters entsteht dabei vor allem bei komplexen Gütern, deren Nutzen der Nachfrager im Vorfeld oftmals nicht beurteilen kann: Ein Arzt etwa bringt den Patienten dazu eine alternative Behandlung zu wählen, nicht unbedingt weil sie eine bessere Heilung verspricht, sondern dem Behandelnden höhere Einnahmen ermöglicht. Dadurch kommt es zu einer zusätzlichen Nachfrage, die vom Anbieter absichtlich hervorgerufen wird. Die Gewinnabsicht des Anbieters ist dabei ein Anreiz für jenes opportunistische Verhalten, eine Leistung deswegen anzubieten, weil sie mehr Einnahmen (Herwig/Jöst 2011: 191) jedoch für den Patienten nicht unbedingt zusätzlichen Nutzen verspricht. Sie führt jedoch zu höheren Kosten für den Patienten oder die Solidargemeinschaft, wenn es sich um eine Kassenleistung handelt. Das Setzen entsprechender staatlicher Rahmenbedingungen kann jedoch ein Marktversagen wie das der angebotsinduzierten Nachfrage eindämmen. Zu staatlichen Rahmenbedingungen gegen asymmetrische Informationen gehören etwa entsprechende Qualitätskontrollen oder auch gesetzliche Regelungen zu Qualitätsstandards (ebd: 191). Darüber hinaus gibt es effiziente Marktgleichgewichte, die von der Gesellschaft als unerwünscht betrachtet werden. Denn effiziente Marktgleichgewichte sind nicht an eine un-/gerechte Verteilung von Gütern gekoppelt. Es können Marktgleichgewichte existieren, die im Verständnis mancher als ungerecht empfunden werden. Dabei hängt die Verteilung von Gütern im Markt von der Anfangsausstattung der Haushalte ab – ungleich verteilte Anfangsausstattungen bei den Haushalten, also bestehende hohe und niedrige Einkommen, führen bei effizientem Marktmechanismus zu einer entsprechenden ungleichen Güterverteilung (Jöst/Herwig 2011: 191). Ein als ungerecht beurteiltes Marktergebnis kann dann über die Intervention des Staates behoben werden. Um eine staatliche Intervention zu rechtfertigen, würden schließlich Gerechtigkeitskriterien ins Feld geführt, die in etwa mit folgenden Worten umrissen werden können:
1 Die Institutionen des Pflegesektors und ihr Wandel
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„Unterschiede in der finanziellen Leistungsfähigkeit sollen keine Rolle beim Zugang zu Gesundheitsleistungen spielen. Deshalb ist die Zahlungsfähigkeit oder sogar die Zahlungsbereitschaft einer Person als Zugangskriterium auszuschließen“ (Breyer et al 2013: 222).
Diese Aussage trifft in erster Linie für die Gestaltung des deutschen Gesundheitssystem zu, in der Krankenversicherungen als Pflichtversicherung gestaltet sind, womit jeder Haushalt Zugang zu Gesundheitsleistungen (Kassenleistungen) bekommt. Die Einkommen der Haushalte spielen für den Zugang zu Kassenleistungen keine Rolle. Ein Staat, der darauf fokussiert, Rahmenbedingungen für einen funktionie renden Wettbewerb zu schaffen, folgt einem funktionalen Sozialstaatsverständnis. Einem Gegenmodell folgt das institutionelle Sozialstaatsverständnis, das etwa auf Bedarfsplanung setzt, d. h. die Versorgungsmenge wird etwa im Gesundheitssektor oder auch im Pflegesektor in regelmäßigen Abständen vom Staat geplant und bestimmt (vgl. Schulz-Nieswandt 2005 oder auch Jöst/Herwig 2011). Beide Modelle finden sich im deutschen Pflegesektor wieder, wobei sich auch am Beispiel des aktuellen Pflegesektors exemplarisch zeigen lässt, dass sich mit seiner Reform der funktionale Sozialstaat verbreiten und zum Nachfolgemodell des institutionellen Sozialstaats werden sollte. Zum funktionalen Sozialstaatsbegriff ähnlich gelagerte Definitionen finden sich etwa im „aktivierenden Sozialstaat“ oder auch im „Gewährleistungsstaat“ wieder, die im weiteren Verlauf der Arbeit verwendet und erläutert werden.
1.2 Die institutionelle Veränderung des Pflegesektors nach Einführung der Pflegeversicherung Die Reformierung des Pflegesektors mit der Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 knüpfte an der Einsicht an, dass die Finanzierung der Pflegeleistungen mittlerweile zu großen Schwierigkeiten derart geführt hatte, dass zum einen die Sozialhilfeträger, die bis dahin hauptsächlich für die Sozialhilfezahlungen für Pflegebedürftige aufgekommen sind, entlastet werden sollten (vgl. Müller 2015: 26 sowie Backhaus-Maul/Olk 1994: 128): Vor der Einführung der Pflegeversicherung übernahmen die Sozialämter (Sozialhilfeträger), die in kommunaler Hand sind, die Finanzierung der Pflegeleistungen dann, wenn ein Pflegebedürftiger die Kosten für die Leistungen nicht mehr selbst mit seinem
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4 Veränderbarkeit der Institutionen des Pflegesektors: Empirie
Einkommen oder seinem Vermögen stemmen konnte. Insgesamt sind im letzten Jahr vor Einführung der Pflegeversicherung rund ein Drittel aller Sozialhilfeausgaben in die Hilfe zur Pflege geflossen – dieser hohe Anteil deutet bereits an, dass ein Großteil aller Pflegebedürftigen ihre Pflegebedürftigkeit letztlich nicht aus eigenen Mitteln zu stemmen in der Lage war: Etwa zwei Drittel der stationär Pflegebedürftigen waren auf Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) angewiesen (vgl. Roth/Rothgang 2001: 292). Dabei sollte die Sozialhilfe jedoch „[…] lediglich als letztes Netz der sozialen Sicherung dienen […]“ (Stoy 2015: 176 sowie Roth/Rothgang 2001: 292). Diese beiden Umstände, dass sich zum einen eine enorme finanzielle Last auf den Sozialhilfeträgern und damit den Kommunen entlud und zum anderen Menschen trotz lebenslanger Erwerbstätigkeit im Falle ihrer Pflegebedürftigkeit oftmals zu Sozialhilfeempfängern geworden sind, wurden damit zu zentralen Problemen des alten Pflegesystems (vgl. Roth/Rothgang 2001). Mit der Einführung einer Pflegeversicherung sollten diese zentralen Probleme zumindest teilweise abgefedert werden – mit Beitragszahlungen der Versicherten ist eine finanzielle Entlastung der Kommunen beabsichtigt gewesen (vgl. Backhaus-Maul/Olk 1994: 128). Darüber hinaus ist mit der Pflegeversicherung das Solidarprinzip im Pflegesystem verankert worden, nach dem mit den Beitragszahlungen aller Versicherten die Leistungen für alle Pflegebedürftigen – zumindest teilweise – finanziert werden (vgl. Hämel 2012: 129). Die Pflegeversicherung stellt neben der Kranken-, Arbeitslosen-, Rentenund Unfallversicherung nun die „fünfte Säulen“ im Sozialversicherungssystem dar. Bei der Pflegeversicherung handelt es sich um eine lohnbezogene Pflichtversicherung und sie basiert auf dem Umlageverfahren (vgl. Hämel 2012: 129). Rechtliche Grundlage rund um die Versorgung von Pflegebedürftigen stellt das Pflegeversicherungsgesetz (PflegeVG) dar, das zum 01.01.1995 in Form des Sozialgesetzbuchs XI (SGB XI) in Kraft getreten ist. Der Gesetzgeber folgt mit der Reformierung des Pflegesektors dem Grundsatz, dass es sich mit der Versorgung von Pflegebedürftigen um eine gemeinschaftliche Aufgabe handelt, in der die Pflegeversicherung eine unterstützende Funktion einnimmt (vgl. u. a. Wolf 2011: 252). Grundsätzlich sieht das Sozialgesetz damit nicht vor, dass der Pflegebedarf ausschließlich von der Pflegeversicherung abgedeckt wird. Es handelt sich vielmehr um eine „Teilkasko-Versicherung“ (Strünck 2000: 62) oder eine „nicht bedarfsdeckende Grundsicherung“ (vgl. Gerlinger/Röber 2012): Neben den Leistungen der Pflegeversicherung soll die
1 Die Institutionen des Pflegesektors und ihr Wandel
93
Pflege auch mit dem eigenen Einkommen bzw. dem Vermögen abgedeckt werden. Zusätzlich kommen Beiträge der Angehörigen bzw. Zahlungen durch die Sozialhilfeträger in Betracht, wenn Einkommen und Vermögen des Pflegebedürftigen und seiner Angehörigen nicht ausreichen. Leistungen aus der Pflegeversicherung werden grundsätzlich allen Pflegebedürftigen gewährt (vgl. Meyer 2003: 72). Der Umfang der Leistungen aus der Pflegeversicherung orientiert sich an dem Ausmaß der Pflegebedürftigkeit, wobei die Leistungen unabhängig von der Höhe des Einkommens und des Vermögens gewährt werden (vgl. Hämel 2012). Die Einstufung erfolgt seit dem Jahr 2017 je nach Ausmaß der Pflegebedürftigkeit entlang von fünf Pflegegraden1. Grundsätzlich ist die Versorgung von Pflegebedürftigen an die Schwere der Pflege gekoppelt und in Form der häuslichen und der teil- bzw. vollstationären Pflege möglich. Jedoch relativiert der Gesetzgeber diese Auswahl, in dem er die ambulante der vollstationären Pflege vorzieht2. Der Gesetzgeber zielt insbesondere darauf ab, „[…] Pflegebedürftige so lange wie möglich in ihrer häuslichen Umgebung zu belassen“ (Stoy 2015: 147) und das soziale Umfeld an der Versorgung des Pflegebedürftigen zu beteiligen. Angehörige sollen neben den Pflegeeinrichtungen, den staatlichen Akteuren – Länder und Kommunen – sowie den Kostenträgern – Pflegekassen – aktiv eingebunden werden (vgl. Stoy 2015: 147)3.
1Vor
dem Wechsel hin zur Einstufung nach fünf Pflegegraden erfolgte die Einstufung der Pflegebedürftigkeit in Pflegestufen (Pflegestufe I–III). Die Umstellung soll in erster Linie Demenzkranken insofern Gute kommen. Sie erhalten damit ähnlich hohe Leistungen wie körperlich eingeschränkte Pflegebedürftige (vgl. www.pflege.de). 2Vgl. § 3 SGB XI. 3So hält § 8 SGB XI fest, dass Pflegeeinrichtungen, Länder, Kommunen und Pflegekassen sowie der Medizinische Dienst „die […] Pflege und Betreuung durch hauptberufliche und ehrenamtliche Pflegekräfte sowie durch Angehörige, Nachbarn und Selbsthilfegruppen [unterstützen] und […] so auf eine neue Kultur des Helfens und der mitmenschlichen Zuwendung hin[wirken]“ soll (§ 8 SGB XI, Abs. 2, Hervorhebung T.L.; vgl. auch Wolf 2011).
94
4 Veränderbarkeit der Institutionen des Pflegesektors: Empirie
Tabelle 4.1 Zentrale Prinzipien vor und nach Einführung der Pflegeversicherung. (Quelle: Pabst 2002: 88, modifiziert) BSHG
SGB XI
Sicherungsform
Fürsorge
Versicherung
Finanzierung
Steuern
Beiträge: fester Beitragssatz (3,05 %*)
Organisation
Örtliche/überörtliche Sozialhilfeträger
Pflegekassen
Leistungsberechtigte
Universell bei Pflegebedürftigkeit und finanzieller Bedürftigkeit
Versicherte bei Pflegebedürftigkeit
Anbieterstruktur
Subsidiarität
Markt Planung und Förderung durch Länder
Vergütungen
Selbstkostendeckung retrospektiv
„Leistungsgerecht“ prospektiv
Preise
Getrennte Verhandlungen mit Wohlfahrtsverbänden und mit privat-gewerblichen Anbietern
Werden verhandelt „Pflegesatzverhandlungen“
Qualitätssicherung
Heimaufsicht
Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDK)
*Bei Kinderlosen steigt der Beitragssatz um weitere 0,25 Prozentpunkte (Stand 01.01.2019)
Die Einführung der Pflegeversicherung ist von erheblichen Änderungen im institutionellen Aufbau des Pflegesektors begleitet worden, die deutlich werden, wenn man sie den institutionellen Besonderheiten des alten Systems in ihren Grundzügen gegenüberstellt (vgl. Tabelle 4.1). Im alten System des Pflegesektors prägt insbesondere das Miteinander zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden das Geschehen. Die Wohlfahrtsverbände genießen in diesem System generell einen besonderen Status und sind derart eng in die staatlichen Aufgaben eingebunden, „[…] als sie nicht nur Dienstleistungserbringer sind, sondern auch die Dienstleistungsbedarfe der Klienten definieren“ (Schneiders 2010: 91). Sie sind damit nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Akteure (vgl. Lange 2001: 53). Der besondere Status der Wohlfahrtsverbände wird durch erschwerte Marktzutrittsbedingungen für potentielle Wettbewerber untermauert: Eine Marktöffnung und mithin ein Wettbewerb zwischen Leistungsanbietern konnten im alten Pflegesystem dahingehend eingeschränkt werden, als „Pflegeeinrichtungen […] früher nach
1 Die Institutionen des Pflegesektors und ihr Wandel
95
einer Bedarfsprüfung zugelassen [wurden] – oder eben auch nicht“ (Skuban 2000: 70). Auch wenn es privat-gewerbliche Anbieter bereits im alten Pflegesystem gab (Strünck 2000: 82), so waren aufgrund dieser Marktbeschränkungen die Pflegebedürftigen im alten System bei der Auswahl eines für sie passenden Anbieters eher eingeschränkt. Neben einer exklusiven Einbindung der Wohlfahrtsverbände in die politische Gestaltung des Pflegesektors zeigt sich eine Privilegierung der Wohlfahrtsverbände von Seiten der Politik auch daran, dass in Pflegesatzverhandlungen die öffentlichen Kostenträger mit Wohlfahrtsverbänden Pflegesätze vereinbart haben, die höher ausfielen als die gesondert abgeschlossenen Vereinbarungen mit privat-gewerblichen Anbietern (Lange 2001: 52). Hinsichtlich der Bezahlung der erbrachten Leistungen hat das Kostenerstattungsprinzip (Retrospektive Vergütung) das alte Pflegesystem geprägt. Kosten, die den Pflegeeinrichtungen entstanden sind, konnten beim Kostenträger geltend gemacht werden und wurden schließlich rückwirkend erstattet (vgl. Müller 2015: 37 sowie Liebig 2005: 205). Ferner besteht zwischen den Kommunen, die im alten Pflegesystem die Kostenträger darstellen, und den Pflegebedürftigen, wenn sie Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen, keine direkte Beziehung (vgl. Schneiders 2010: 91). Dieses Beziehungsgeflecht hat sich mit Einführung der Pflegeversicherung deutlich verändert. Wie Leistungen erbracht werden, wie sie vergütet werden und welche Akteure in die Erstellung und Vergütung eingebunden sind, gestaltet sich im neuen Pflegesektor wie auch in anderen Sozialsektoren am Modell des sozialrechtlichen Dreiecks. Abweichend vom ehemaligen Aufbau des Pflegesektors sind in diesen Leistungsaustausch alle Beteiligten eingebunden: Der Leistungserbringer, der Leistungsberechtigte (Leistungsempfänger) sowie der Leistungsträger (Kostenträger) (Abbildung 4.1). Im Pflegesektor stellt der Pflegebedürftige den Leistungsberechtigten dar: Er hat bei Erfüllen bestimmter Voraussetzungen nach dem SGB XI grundsätzlich Anspruch auf Pflegeleistungen4. Der Kostenträger ist nicht mehr die Kommune, sondern die Pflegeversicherung (Pflegekassen), die ggf. durch die Sozialhilfe ergänzt wird (vgl. Bahle 2007: 234 sowie Meyer 2003: 71 f.). Zu den Leistungserbringern gehören neben den Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände nun vermehrt privat-gewerbliche Anbieter.
4Vgl.
§ 28 SGB XI.
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4 Veränderbarkeit der Institutionen des Pflegesektors: Empirie
Abbildung 4.1 Das sozialrechtliche Dreieck. (Quelle: Cremer et al 2013: 120, modifiziert)
Insbesondere durch die institutionelle Gestaltung rund um die Beziehungen zwischen den Pflegekassen als Kostenträger und den Pflegeeinrichtungen als Leistungserbringer werden die institutionellen Änderungen im Pflegesektor deutlich. Die Beziehungen kennzeichnen sich derart, dass der Kostenträger im Rahmen des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses mit den Pflegeeinrichtungen, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, Versorgungsverträge abschließt. Zentral dabei ist, dass nun alle Pflegeeinrichtungen Anspruch auf den Abschluss eines solchen Versorgungsvertrages haben (Skuban 2000: 69). Dies ist deshalb von großer Bedeutung, da der Versorgungsvertrag „[…] gewissermaßen die Eintrittskarte in den „Pflegemarkt“ “ darstellt (Skuban 2000: 69): Eine Pflegeeinrichtung kann im sozialrechtlichen Dreieck erst dann eine Leistung anbieten und dafür grundsätzlich eine Vergütung aus der Pflegeversicherung erhalten, wenn derartige (öffentlich-rechtliche) Verträge mit der Pflegekasse bestehen. Schließlich ist dafür noch ein (privatrechtlicher) Vertrag zwischen dem Pflegebedürftigen und der Pflegeeinrichtung nötig, in dem die Pflegeleistung vereinbart wird (Cremer et al 2013: 117 ff.). Im Gegensatz zum alten Pflegesystem kann im reformierten Pflegesektor jeder Anbieter bedarfsunabhängig Pflegeleistungen erbringen, soweit er bestimmte Voraussetzungen erfüllt (Skuban 2000: 70). Diese institutionelle Ausgestaltung hin zu einer „bedarfsunabhängige[n] Zulassung neue Anbieter“ (Lange 2001: 54) zeigt, dass der Wettbewerb im Pflegesektor mit
1 Die Institutionen des Pflegesektors und ihr Wandel
97
einem „[…] pluralen Angebot an Leistungen und gleichen Markteintrittschancen für alle Leistungsanbieter“ schließlich einen Platz bekommt (Rückert 1999: 333). Im Vergleich zum alten Pflegesystem erhöht sich die Anbieterzahl aufgrund des nun vereinfachten Marktzutritts. Für die Pflegebedürftigen soll sich damit die Möglichkeit ergeben, zwischen mehreren Leistungsanbietern auszuwählen (vgl. Cremer et al 2013: 123): „Die Pflegeversicherung überträgt den NutzerInnen die Aufgabe, sich geeignete Angebote auf dem Pflegemarkt auszuwählen, durch die Ausübung der „Kundenmacht“ sollen sich bedarfs- und bedürfnisgerechte Heimangebote entfalten können“ (Hämel 2012:132). Auch die Vergütungsform hat sich grundlegend dahingehend verändert, als sie nun Wirtschaftlichkeitsüberlegungen wie etwa Kostensenkungen in den Blick nimmt (vgl. Bahle 2007: 234). Mit der Einführung der Pflegeversicherung erfolgt die Bezahlung der erbrachten Leistungen durch den Kostenträger nicht mehr nach dem Kostenerstattungsprinzip. Vielmehr werden im Rahmen der Verhandlungen vorher Leistungssätze festgelegt (Prospektive Vergütung): Anbieterunabhängig wird nun für eine vereinbarte Leistung ein fester Betrag bezahlt (Bahle 2007: 234). Erstattungen für sämtliche Aufwendungen wie nach dem Kostenerstattungsprinzip erfolgen nicht mehr (vgl. Lange 2001: 52). Dass Leistungsanbieter im Pflegesektor neuen institutionellen Bedingungen ausgesetzt sind, zeigt sich neben den erleichterten Bedingungen des Marktzutritts für neue Anbieter und der veränderten Vergütungsform mithin an eingeführten Qualitätsstandards, die den Wettbewerb zwischen den Leistungsanbietern prägen sollen (vgl. Heinze/Strünck 1996: 302). „Bei Kostenübernahme durch den Staat und/oder die Versicherungen soll vornehmlich die Qualität der Leistungen den Ausschlag geben, wer zum Zuge kommt und wer nicht. Die Wohlfahrtsverbände und ihre Einrichtungen würden dann behandelt wie andere Private und sie müssten sich nun am Markt bewähren“ (Nokielski/ Pankoke 1996: 150).
Es zeigt sich, dass dem Wettbewerb in der institutionellen Gestaltung mittlerweile eine unübersehbare Bedeutung beigemessen wird. Auch wenn im Vergleich zum alten Pflegesystem nun Wettbewerbselemente beabsichtigt und ein Markt eingeführt worden ist, in dem Leistungsanbieter im Wettbewerb um Pflegebedürftige stehen, so wird jedoch auch im Pflegesektor nach Einführung der Pflegeversicherung dem Wettbewerb keine bedingungslos dominierende Funktion beigemessen, wie dies in idealtypischen freien Märkten zu finden ist. Und auch in der institutionellen Gestaltung überhaupt handelt es sich nicht um einen
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idealtypischen Markt. Vielmehr folgt der Pflegesektor mit seiner wettbewerblichen Ausrichtung der Idee einer Institution, die als Quasi-Markt bezeichnet wird. Auch wenn Wettbewerbselemente ihren Platz bekommen, so handelt es sich bei Quasi-Märkten meist um einen Markt für soziale Dienstleistungen mit „[m]arktuntypischen Strukturen […] insbesondere auch auf der Nachfrageseite […]“ (Geest 2009: 138). Leistungsempfänger und Kostenträger fallen in der Regel auseinander, stellen also abweichend von einem Nachfrager zwei unterschiedliche Akteure dar. Dies gilt mithin für die Nachfrageseite im Markt des Pflegesektors, die nicht dem idealtypischen Aufbau eines Marktes folgt, da Leistungsempfänger (Pflegebedürftige) und Kostenträger (Pflegekassen) personell ebenfalls auseinanderfallen (Meyer 2003: 73). Auch „[i]nsgesamt werden die Tauschbeziehungen weder auf der Angebots- noch auf der Nachfrageseite uneingeschränkt durch privatautonome Entscheidungen gesteuert“ (Geest 2009: 138). Wie sich oben zeigt, gibt es im Pflegesektor keine Preisbildung, die der Logik der Preisbildung auf einem idealtypischen Markt folgt, auf dem Nachfrager, die für die erhaltene Leistung selbst zahlen auf Anbieter treffen, die in der Gestaltung ihres Produktes frei sind (Meyer 2003: 73). Vielmehr entstehen im Pflegesektor und auf Quasi-Märkten im allgemeinen Preise „[…] im Rahmen vorgeschalteter Institutionen durch Aushandlungsprozesse zwischen Akteuren aus Politik, Sozialversicherungen und Verwaltung unter Einbeziehung der Leistungsanbieter“ (Geest 2009: 138). Mit anderen Worten werden Preise verhandelt. Im Altenpflegesektor betrifft diese Regelung insbesondere die Versorgungsverträge, in denen Umfang, Qualität und Entgelt, wie oben beschrieben, ausgehandelt werden. Im Folgenden soll das hier dargestellte institutionelle Bild des reformierten Pflegesektors dahingehend betrachtet werden, wie sich die institutionellen Umstellungen auf die einstigen den Pflegesektor dominierenden Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden ausgewirkt haben.
1.3 Korporatistische Strukturen im Pflegesektor: Privilegien und „vom Status zum Kontrakt“ Der Wandel im institutionellen Aufbau des Pflegesektors wirft mithin die Frage auf, inwieweit Veränderungen des Sozialstaates gleichsam Veränderungen in den Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden mit sich bringen? Zentral ist, dass sich die freigemeinnützigen Anbieter nun einem neuen institutionellen Umfeld gegenübersehen, das der Staat insofern anders ausgerichtet hat, als „[…] die Abstimmung der aus staatlicher und/oder korporatistischer Lenkung freigesetzten Leistungsströme und Leistungsanbieter über die „invisible hand“
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(Smith) marktähnlicher Verteilungsstrukturen erfolgt“ (Nokielski/Pankoke 1996: 150). Ein auf einer engen Einbindung der Wohlfahrtsverbände ausgerichtetes korporatistisches Institutionengefüge ist damit einem „sozialwirtschaftlich definierten Markt“ (Manderscheid 2006: 57) gewichen, in dem der Staat einen Wettbewerb um Kunden anstrebt. Die institutionelle Umstellung des Pflegesektors und mithin die Absicht des Staates einer zunehmenden Marktöffnung für zusätzliche privat-gewerbliche Anbieter findet insbesondere beim Wandel des Subsidiaritätsprinzips seinen Ausgangspunkt, da es ursprünglich den Rahmen für die engen Verflechtungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden gebildet hat (Liebig 2005: 182). Das Subsidiaritätsprinzip stellt einen Grundsatz zur Aufgabenaufteilung zwischen Staat und Gesellschaft im Allgemeinen und insbesondere in der Sozialwirtschaft zwischen öffentlichen und frei-gemeinnützigen und mittlerweile privaten Trägern dar und kann wie folgt aufgefasst werden: „Was der Einzelne, die Familie oder Gruppen und Körperschaften aus eigener Kraft tun können, darf weder von einer übergeordneten Instanz noch vom Staat an sich gezogen werden“ (BAGFW 2017, vgl. auch Liebig 2005: 174).
Grundsätzlich klärt das Subsidiaritätsprinzip die Beziehung zwischen eben diesen über- und untergeordneten Instanzen: Zum einen schützt das Prinzip die untergeordnete Instanz vor Eingriffen von oben – gleichzeitig hat die untergeordnete Einheit einen Anspruch auf Hilfe, sollte sie aus eigenen Mitteln bzw. eigener Kraft ihre Aufgaben nicht zu erfüllen in der Lage sein (Lange 2001: 19). In der deutschen Sozialpolitik stellt das Subsidiaritätsprinzip die Grundlage für besondere Staat-Verbände-Beziehungen derart dar, als Wohlfahrtsverbänden traditionell eine Vorrangstellung in der Leistungserbringung und ein besonderer Status im politischen System zukommt, der ihnen bereits in der Weimarer Republik zuerkannt worden ist (vgl. Liebig 2005: 164 f.). Gerade durch das traditionelle Subsidiaritätsprinzip haben in den Staat-Verbände-Beziehungen Wohlfahrtsverbände ihren besonderen Status erhalten und sollten in die politische Gestaltung der Sozialpolitik eingebunden werden (vgl. Strünck 2000: 54). Dass das Subsidiaritätsprinzip derart prägend für die enge Verbundenheit von Staat und Wohlfahrtsverbänden gewesen ist, wurde durch eine entsprechende Rechtsprechung5 zur Rolle der Wohlfahrtsverbände in der Sozialpolitik begünstigt. Das
5vgl.
dazu Liebig (2005): 180 ff. sowie Boeßenecker/Vilain (2011): 30f..
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Subsidiaritätsprinzip brachte damit für „[…] die freie Wohlfahrtspflege über Jahrzehnte hinweg einen weitreichenden Bestandsschutz […]“ mit sich (Bode 2004: 36) und hat in der Sozialpolitik für exklusive Privilegien derart gesorgt, als sie sich etwa bei der politischen Mitgestaltung durch die Wohlfahrtsverbände zeigen (vgl. Backhaus-Maul/Olk 1994: 129 sowie Liebig 2005: 165 f.). Die enge Einbindung der Wohlfahrtsverbände zeigt sich darüber hinaus bei der Finanzierung. Zum einen stellt der Staat einen zentralen Auftraggeber für die Wohlfahrtsverbände dar, wodurch er zu einer zentralen Erlösquelle wird (Meyer 1999: 50 ff.). Zum anderen sind Wohlfahrtsverbänden lange Zeit öffentliche (Förder-)Mittel zugeflossen, wobei öffentliche Subventionen ca. 11 Prozent der Einnahmen ausgemacht haben (vgl. Monopolkommission 1998: 330). Diese Fördermittel sind zwar ohne Rechtsanspruch vergeben worden, jedoch hatte sich „[…] zwischen Wohlfahrtsverbänden und staatlichen Kostenträgern ein politisches Vertrauensverhältnis entwickelt, auf dessen Grundlage sich die Wohlfahrtsverbände auf die dauerhafte öffentliche Finanzierung trotz der nur jährlichen Vergabe verlassen konnten“ (Lange 2001: 56; vgl. auch Backhaus-Maul 1996). Insgesamt ist das durch das traditionelle Subsidiaritätsprinzip geprägte enge Miteinander die Grundlage für „[…] einen komplexen Kooperationszusammenhang, in dem beide Beteiligtengruppen voneinander abhängig sind und stabile Austauschbeziehungen pflegen“ (Liebig 2005: 183). Im Gegenzug dafür, dass Wohlfahrtsverbände an der Gestaltung der Sozialpolitik intensiv eingebunden worden sind, hat „[…] der Sozialstaat die infrastrukturellen, personellen und sozialstrukturellen Ressourcen sowie den bereichsspezifischen Sachverstand der Wohlfahrtsverbände für die Realisierung sozialpolitischer Ziele und Programme instrumentalisiert […]“ (Backhaus-Maul/Olk 1994: 111, zitiert nach Liebig 2005: 183). Betrachtet man sich zusammenfassend die Staat-Verbände-Beziehungen im Pflegesektor bis zur Mitte der Neunzigerjahre, so geht aus dieser Sicht das traditionelle Subsidiaritätsprinzip Hand in Hand mit einer eng verzahnten Zusammenarbeit zwischen Staat und den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege. Mit Einführung der Pflegeversicherung und aufgrund der Umbrüche im Sozialsektor überhaupt hat sich dieses institutionelle Bild gewandelt – „[…] die traditionelle Subsidiarität [ist] unter Veränderungsdruck geraten […]“ (Becher 2017: V). Eine Veränderung des Subsidiaritätsprinzips äußert sich im Pflegesektor derart, dass es mittlerweile zwischen privat-gewerblichen und freigemeinnützigen Versorgern in der ambulanten und stationären Pflege nicht mehr unterscheidet (Meyer 1999: 120; vgl. auch Backhaus-Maul/Olk 1994: 128). Ein Vorrang wird nun sowohl den Freigemeinnützigen wie auch den privaten Anbietern gegenüber den öffentlichen Anbietern eingeräumt, womit das Subsidiaritätsprinzip nicht mehr auf „[…] einer exklusiven Zusammenarbeit zwischen
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etablierten Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege und dem Staat“ basiert (Backhaus-Maul/Olk 1994: 128). Diese Veränderung des Subsidiaritätsprinzips stellt den Ausgangspunkt für einen Verlust des Status‘ der Wohlfahrtsverbände dar. Anstelle einer exklusiven Einbindung der Wohlfahrtsverbände soll vielmehr die Verantwortung auf möglichst vielen Schultern derart verteilt werden, dass es ein „[…] allgemeines Zusammenarbeitsgebot zwischen Ländern, Kommunen, Pflegeeinrichtungen und Pflegekassen sowie dem medizinischen Dienst (§ 8 Gemeinsame Verantwortung [SGB XI])“ gibt (Lange 2001: 53). Insgesamt verändert sich das Bild der Wohlfahrtsverbände hin zu Dienstleistungsanbietern und weg von ihrer Rolle als politische Akteure (vgl. Lange 2001: 53 f.). Neben dem Verlust der politischen Bedeutung und dem Einfluss ins Geschehen sehen Wohlfahrtsverbände auch dahingehend ihre Privilegien gefährdet, als sie nun -wie im zuvor beschrieben- mit Wettbewerbsbedingungen konfrontiert werden. Dass man sich mit der Gestaltung des neuen Pflegesektors nicht mehr darauf beschränkt, die Wohlfahrtsverbände zu privilegieren, sondern sie dem von einer gewissen Vertragskultur begleiteten Wettbewerb aussetzt, fassen Heinze (2000, 2009) sowie Strünck (2000) mit dem Grundsatz „vom Status zum Kontrakt“ zusammen. Die Wohlfahrtsverbände sind nun damit konfrontiert, dass die Bedeutung des Status‘, der „[…] sich an der sozialen Position eines Akteurs innerhalb einer sozialen Beziehung orientiert [und] […] demzufolge nicht verhandelbar [ist] […]“ hinter die Bedeutung des verhandelbaren Kontraktes „als freiwillige Vereinbarung zwischen Akteuren“ zurücktritt (Heinze 2000: 37). Insbesondere im Pflegesektor nimmt dieser Grundsatz einen großen Raum ein. Neben der Tatsache, dass privat-gewerblichen Leistungsanbietern nach dem Subsidiaritätsprinzip ein gleicher Rang eingeräumt wird, „[…] bekommt das Instrument des Vertrages eine neue Qualität. Anders als bei Pflegesatzverhandlungen der Vergangenheit sind nun die Pflegekassen die dominanten Verhandlungspartner der Wohlfahrtsverbände und privat-gewerblicher Anbieter“ (Strünck 2000: 55). Dass eine Pflegeeinrichtung gesetzliche Leistungen – also Leistungen, die von der Sozialversicherung getragen werden – überhaupt anbieten kann, setzt den Abschluss eines Versorgungsvertrages voraus6. „Die Kategorie des Kontrakts bezieht sich […] [damit letztlich] auf Kollektivverträge […]“ (Strünck 2000: 54), wobei einzelne Vertragsbestandteile in Pflegesatzverhandlungen auf Landesebene genau ausgehandelt werden (vgl. Backhaus-Maul/Olk 1994: 129).
6Vgl.
hierzu § 72 SGB XI/ PflegeVG.
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Der Grundsatz „vom Status zum Kontrakt“ setzt sich im Abbau von Marktzutrittsbarrieren für privat-gewerbliche Leistungsanbieter fort, aber auch in der Vergütungsform, die sich vom Kostenerstattungsprinzip (retrospektive Vergütung) hin zur prospektiven Vergütung verändert hat (vgl. Liebig 2005: 189). Die Abschaffung des Kostenerstattungsprinzips birgt für die Wohlfahrtsverbände eine besondere Brisanz, da sie vor Einführung der Pflegeversicherung die erbrachten Pflegeleistungen im Nachhinein bei den Kostenträgern abrechnen konnten und darauf ihr wirtschaftliches Verhalten basierte (vgl. Liebig 2005: 189). Damit „[durchzog] das Selbstkostendeckungsprinzip […] die gesamte Finanzierungspraxis der Wohlfahrtsverbände über Jahrzehnte […] und [ermöglichte] für die Organisationen -gerade aus heutiger Sicht- eine relativ privilegierte und „bequeme“ Form der Dienstleistungsproduktion […]“ (Heinze 2009: 77). Eine Umstellung auf die prospektive Vergütung, mit der sich die Entgelte für die erbrachte Pflegeleistung nicht mehr an den entstehenden Kosten eines individuellen Falles orientieren, sondern vielmehr eine „Pauschale“ darstellen, setzt ein Verhalten an ökonomischen bzw. betriebswirtschaftlichen Kriterien voraus (vgl. Backhaus-Maul/Olk 1994: 129). Dies zwingt die Wohlfahrtsverbände in eine von betriebswirtschaftlichen Kriterien geprägte Pflege7. Diese Entwicklungen im Institutionengebilde des Pflegesektors haben erheblichen Einfluss auf die Staat-Verbände-Beziehungen. Betrachtet man sich die Staat-Verbände-Beziehungen im Pflegesektor bis zur Mitte der Neunzigerjahre, so geht aus dieser Sicht das traditionelle Subsidiaritätsprinzip Hand in Hand mit einer eng verzahnten Zusammenarbeit zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden, die schließlich in der Weimarer Republik deutlich emporgekommen ist. So hat sich in dieser Zeit bereits eine Struktur entwickelt, „[…] die das System der Wohlfahrtspflege in Deutschland bis heute kennzeichnet, in dem öffentliche und private Wohlfahrtspflege zu einem verbundenen Gesamtkomplex zusammengefügt wurde[]“ (Liebig 2005: 165). Gerade durch das traditionelle Subsidiaritätsprinzip haben in den Staat-Verbände-Beziehungen - wie erläutert Wohlfahrtsverbände einen besonderen Status erhalten und waren in die politische Gestaltung der Sozialpolitik eingebunden (vgl. Strünck 2000: 54). Dass das Subsidiaritätsprinzip derart prägend für die enge Verbundenheit von Staat und Wohlfahrtsverbänden war, wurde durch eine entsprechende Rechtsprechung8 zur Rolle
7Jedoch
birgt die prospektive Vergütung die Chance, bei effizient erbrachten Leistungen Überschüsse zu erzielen. Dies war bei einer Kostenerstattung im Rahmen der retrospektiven Vergütung nicht möglich. 8vgl. dazu Liebig (2005): 180 ff. sowie Boeßenecker/Vilain (2011): 30 f..
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der Wohlfahrtsverbände gefördert: „Hier zeichnet sich der ideale legitimatorische „Nährboden“ für Arrangements nach korporatistischem Muster ab. Dieser Nährboden bezog sich hinsichtlich vieler Sozialgesetze bzw. sozialstaatlicher Aufgabenkomplexe insbesondere auf die politischen bzw. verwaltungsinternen Planungsprozesse […]“ (Liebig 2005: 182). Damit stellt die Veränderung des traditionellen Subsidiaritätsprinzips den Ausgangspunkt für Veränderungen in den eng verzahnten Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden dar: Mit dem Wandel hin zum „vom Status zum Kontrakt“-Grundsatz bzw. die Öffnung des Subsidiaritätsprinzips für privat-gewerbliche Anbieter ist diese enge Vernetzung von Seiten des Staates infrage gestellt worden (vgl. Backhaus-Maul 2002). Stellt man diese enge Verzahnung von Wohlfahrtsstaat und Wohlfahrtsverbänden im ehemaligen korporatistischen System dem Grundsatz „vom Status zum Kontrakt“ gegenüber, so scheint eine neuartige institutionelle Umwelt auf die Wohlfahrtsverbände zu wirken. Trotz der oben erörterten tiefgreifenden institutionellen Veränderungen im Pflegesektor, wie sie sich etwa am Subsidiaritätsprinzip oder auch anhand der Einführung diverser Wettbewerbselemente zeigen, hält der Wohlfahrtsstaat in der Sozialpolitik wie auch in der Pflegepolitik immer noch an korporatistischen Strukturen fest und setzt auf deren Verankerung im Sozialrecht. Der Staat versammelt in der Sozialpolitik „[…] als Moderator die gesellschaftlichen Gruppen an Runden Tischen zwecks Kompromisssuche […] [und fördert] das Fortbestehen korporativer Strukturen geradezu […]“ (Dahme/Wohlfahrt 2015: 139). Dabei kommt der Korporatismus im SGB XI an verschiedenen Stellen zum Vorschein (vgl. dazu auch Dahme/Wohlfahrt 2015: 136). Korporatistische Elemente sind im Pflegesektor etwa derart verankert, dass in gemeinsamen Pflegesatzkommissionen Vergütungen zur stationären und ambulanten Pflege landesweit ausgehandelt werden können (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2015: 136). Gerade jene institutionalisierten Verhandlungsforen wie die Pflegesatzkommissionen sind dafür vorgesehen, Interessendivergenzen, die grundsätzlich zwischen den Pflegekassen als Kostenträger und den Leistungserbringern bestehen, beizulegen (Strünck 2000: 197 f.). Die Pflegesatzkommissionen, die von den Verhandlungspartnern gebildet werden, können schließlich stellvertretend Pflegesätze vereinbaren9. Dafür steht eigens eine Schiedsstelle zur Verfügung, sollten die
9Vgl.
hierzu § 86 SGB XI.
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Verhandlungen in der Kommission festgefahren sein (vgl. Rosendahl 1999: 277 f. wie auch Roth 1997: 430). Ferner sieht das SGB XI die Bildung von Ausschüssen auf Bundes- wie auch auf Landesebene vor, um eine weitere Entwicklung des PflegeVG voranzutreiben (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2015: 136). Darüber hinaus können auf Länderebene Rahmenverträge und Bundesempfehlungen erarbeitet werden, wobei die relevanten Parteien an den Aushandlungen beteiligt sind10 (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2015: 136). Mithin sind als Konsensfindungsarena die Pflegekonferenzen zu nennen, die auf regionaler Ebene stattfinden und denen neben Vertretern u.a. von Pflegeeinrichtungen, von Pflegekassen und des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen (MDK) auch Vertreter der Pflegebedürftigen bzw. deren Angehörigen angehören11. Die Pflegekonferenzen werden ins Leben gerufen, um auf kooperativer Basis alle relevanten Gruppen an Fragen rund um die alltägliche Pflege wie etwa zur Qualitätssicherung zu beteiligen und an deren Weiterentwicklung mitzuarbeiten12. All diese Regelungen dokumentieren die Konsensfindungsorientierung im Pflegesektor, die vom Gesetzgeber im Sozialgesetz verankert worden ist. Korporatistische Strukturen sind damit eine Grundlage in den Bestimmungen der Sozialgesetze geworden (Monopolkommission 1998: 330). Dass im Pflegesektor Konsensfindungsarenen institutionalisiert worden sind, liegt auch daran, dass die Positionen der Verhandlungspartner grundsätzlich weit auseinanderliegen. Dies betrifft insbesondere die Positionen von Pflegekassen als Kostenträger auf der einen Seite und die Positionen der Wohlfahrtsverbände wie auch der privat-gewerblichen Leistungsanbieter auf der anderen Seite. Pflegekassen, bei denen der Sicherstellungsauftrag, also die Sicherung der Pflege insgesamt liegt13 (vgl. Klie 2005: 2), sind für die gemeinnützigen Wohlfahrtsverbände wie auch für privat-gewerbliche Anbieter eine zentrale Institution – sie sind Verhandlungspartner der Leistungserbringer in den Verhandlungen zu Versorgungsverträgen und Vergütungsvereinbarungen. Brisant dabei ist die Machtfülle der Kostenträger, die unter anderem dadurch entsteht, dass die durch die Pflegekassen gezahlten Vergütungen einen erheblichen Anteil der gesamten Einnahmen der Leistungserbringer ausmachen, weshalb die Leistungserbringer auf
10Vgl.
dazu § 75 SGB XI. etwa § 4 Abs. 2 Landesgesetz zur Sicherstellung und Weiterentwicklung der pflegerischen Angebotsstruktur (LPflegeASG) des Landes Rheinland-Pfalz. 12Vgl. hierzu etwa die Themenliste der Pflegekonferenzen Speyer (www.speyer.de). 13Vgl. hierzu § 69 SGB XI. 11Vgl.
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einen Vertragsabschluss angewiesen sind und dabei „[…] der Sozialleistungsträger den Vertragsinhalt diktieren [könnte]“ (Cremer et al 2013: 118). Dass jedoch der Befund, Pflegekassen dominierten in den Verhandlungen die Verhandlungspartner (vgl. etwa Heinze 2009: 77 f.), nur eine Facette der Machtbeziehungen in den Verhandlungen darstellt, lässt sich anhand zweier Gegenbeispiele veranschaulichen. So lässt sich für den Diözesancaritasverband in Nordrhein-Westfalen eine große Gestaltungsmacht bei der Bestimmung der regionalen Vergütungssätze identifizieren: „Der Diözesancaritasverband […] kann beispielsweise in den Kollektivverhandlungen mit den Kostenträgern (den Pflegekassen) versuchen, die regionalen „Preise“ zu steuern. In den auf Landesebene nach Einführung der Pflegeversicherung durchgeführten Verhandlungen übernahm die Caritas in der Tat die Federführung“ (Bode 2002 (b): 16).
Darüber hinaus stößt der Druck, den die Pflegeversicherung auf Wohlfahrtsverbände ausüben kann, schnell an seine Grenzen, weil beim Versuch „[…] Kostendruck auf die Gemeinnützigen aus[zu]üben […] sofort die Politiker auf der Matte [stehen]“, weshalb die ausgehandelten Vergütungen letztlich als generell zu hoch angesehen werden (vgl. IDW 2004: 30 f). Ungeachtet dessen, ob die Pflegekassen oder die Vertreter der Wohlfahrtsverbände die Verhandlungen dominieren, kennzeichnen sich mit Gründung der Pflegekassen die Staat-Verbände-Beziehungen nicht mehr nur durch Kooperation: „Die Verhandlungen über Rahmen- und Vergütungsverträge […] zeigen, dass die lange Zeit prägende Konvergenz der Interessenlagen einer Interessendivergenz der verhandelnden Akteure weicht“ (Heinze 2009: 77). Die Pflegekassen folgen u. a. dem Ziel, die Wirtschaftlichkeit der Pflegeleistungen zu kontrollieren sowie über Kostennachweise wie auch Leistungsnachweise die Leistungen der Pflegeeinrichtungen zu überprüfen – damit haben die Pflegekassen Maßnahmen zur „Kostendisziplinierung“ gegenüber den Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände zur Verfügung (Heinze 2000: 38, vgl. auch Strünck 2000). Diesen Kostendruck sind Wohlfahrtsverbände auch aufgrund des für sie lange Zeit geltenden Kostenerstattungsprinzips nicht gewohnt gewesen. Neben diesen vom Staat institutionalisierten korporatistischen Elementen haben sich bei den Wohlfahrtsverbänden Möglichkeiten, sich zu organisieren derart herausgebildet, als sie erheblichen Einfluss in der Politik geltend zu machen in der Lage sind und darüber hinaus wettbewerbsverzerrende Absprachen treffen können. Ihre Stärke im Rahmen der korporatistischen Strukturen liegt nach wie vor auch in ihren Möglichkeiten, sich in Verhandlungen geschlossen zu
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positionieren. Dabei schließen sich die Wohlfahrtsverbände auf Länderebene wie auch auf Bundesebene zu Dachverbänden zusammen (vgl. Moos/Klug 2009: 41 f. oder auch Meyer 1999: 113 f.). Dies dokumentiert ein erhebliches Organisationspotential. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) ist dabei besonders hervorzuheben. Ein Pendant zur BAGFW findet sich auf Länderebene mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAGFW). Der Zusammenschluss zu eben diesen Dachverbänden kann ein einheitliches Auftreten der Wohlfahrtsverbände vereinfachen, da die Verbände in den Dachverbänden unterschiedliche Interessen und ggf. abweichende Zielsetzungen abzubauen und anzugleichen in der Lage sind (Monopolkommission 1998: 331). Mithin können Wohlfahrtsverbände mit einer einheitlichen Position gegenüber den Pflegekassen auftreten und ihre Verhandlungsposition etwa bei Vergütungsverhandlungen stärken. Zudem können sich die Wohlfahrtsverbände in zahlreichen „[…] Fachausschüssen der BAGFW abstimmen und gemeinsame Strategien festlegen“ und auch insgesamt haben sie den Anspruch, über die BAGFW an der Gesetzgebung mitzuwirken (Meyer 1999: 114). Trotz ihrer Zugehörigkeit zur BAGFW bleiben die Wohlfahrtsverbände weiterhin selbständig (Meyer 1999: 114). Neben dem geschlossenen Auftreten gegenüber staatlichen Akteuren ist insbesondere die Möglichkeit in diesem Verbandsumfeld verschiedene Absprachen „am Markt vorbei“ zu treffen und damit Wettbewerbsvorteile erzielen zu können hervorzuheben (Meyer 1999: 114, vgl. auch Grohs 2010: 119). Meyer (1999) sieht in den Sozialsektoren die Möglichkeit eines „privat initiierten Kartells“ durch die Wohlfahrtsverbände gegeben. Ein Kartell stellt dabei ein netzwerkartiges Gebilde dar, in dem das Verhalten der Kartellmitglieder in Wettbewerbsfragen so koordiniert werden soll, dass der Wettbewerb zum Nutzen der Kartellmitglieder beeinträchtigt wird. Dafür stimmen sich die Kartellmitglieder – in der Regel zueinander in Konkurrenz stehende Unternehmen, die wirtschaftlich und rechtlich selbständig sind – informell bzw. geheim ab (Cremer et al 2013: 133). Eben jene Absprachen weist Meyer (1999) für die Wohlfahrtsverbände bei verschiedenen Aktivitäten im Sozialsektor nach. Einrichtungsträger koordinieren sich etwa im Rahmen der gegenseitigen Zuweisung von Klienten oder auch hinsichtlich Absprachen bei bevorzugten Einzugs- und Versorgungsgebieten (vgl. Meyer 1999: 117). Mithin wird der Bank für Sozialwirtschaft „[…] bei der Finanzierung von Sozialimmobilien eine Koordinations- und Konkurrenzschutzfunktion […]“ zugesprochen (vgl. Monopolkommission 1998: 335). Darüber hinaus verfügen die Wohlfahrtsverbände über erhebliche Einflussmöglichkeiten auf die Politik. Dabei handelt es sich weniger um fest im SGB
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XI verankerte institutionelle Elemente als um informelle Beziehungen. Dass Beziehungen zwischen den Wohlfahrtsverbänden und der Politik bestehen, dokumentieren immer noch bestehende „[…] Kooperationspotentiale am Beispiel der Spitzenverbände hinsichtlich der Bündelung von Einfluss auf den politischen Entscheidungsebenen […] [wobei] [e]ine wesentliche Ressource der […] Verbände […] immer noch ihr privilegierter Zugang zu politischen Entscheidungsprozessen dar[stellt]“ (Grohs 2017: 33). Dazu gehört etwa der Zugang der Wohlfahrtsverbände zu diversen Gremien der Politik (IDW 2004: 29 f.). Dass die Wohlfahrtsverbände ein privilegiertes Verhältnis zum Staat pflegen, zeigt beispielhaft ein Rahmenvertrag zur Sicherung der sozialen Dienste, der zwischen der Stadt Düsseldorf und den Wohlfahrtsverbänden in Düsseldorf geschlossen worden ist. Danach gewährt die Stadt Düsseldorf den Wohlfahrtsverbänden einen Zuschuss u.a. zur Altenhilfeplanung, weil die Stadt wie auch die Wohlfahrtsverbände davon ausgehen, „[…] dass selbstbestimmte Hilfe für Bürgerinnen und Bürger am besten nach den Grundsätzen des bedingten Vorrangs der Freien Wohlfahrtspflege auf gemeinnütziger Grundlage gewährleistet werden kann“ (Liebig 2005: 228). Es ist davon auszugehen, dass Wohlfahrtsverbände bei derartigen Kooperationen von bestehenden langjährigen informellen Beziehungen profitieren. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden mit der Reformierung des Pflegesektors eine andere Form angenommen haben. Ein komplexerer institutioneller Aufbau des Pflegesektors scheint auch die Staat-Verbände-Beziehungen zu verkomplizieren. Korporatismus scheint nicht mehr die dominierende Steuerungslogik zu sein, sondern durch weitere Logiken ergänzt oder gar vereinzelt verdrängt worden zu sein. Eine Veränderung des Subsidiaritätsprinzips, mit dem der Status von Wohlfahrtsverbänden bislang institutionalisiert worden ist, hat sich derart gewandelt, dass frei-gemeinnützige Anbieter nun „[…] ihre einstige Vorrangstellung mit „privaten Trägern“ […] teilen müssen […]“ (Strünck 2000: 54 f.), während sie zuvor exklusiv eine alleinige Vorrangstellung innehatten. Die enge Verquickung von Staat und Wohlfahrtsverbänden, in der es ein enges gemeinsames Miteinander gibt und die Wohlfahrtsverbände mithin die Leistung (in der stationären Pflege) zu großen Teilen erbracht haben, ist einer Situation gewichen, in der Wohlfahrtsverbände nun mit privat-gewerblichen Anbietern um Pflegebedürftige konkurrieren. Der Wettbewerb der Leistungsanbieter wird insofern verschärft, als „[…] das Instrument des Vertrages eine neue Qualität“ einnimmt (Strünck 2000: 55). In Verhandlungen um Versorgungsverträge sollen nun Leistungen und Entgelte bestimmt werden, wobei nun deutliche Interessenunterschiede die Verhandlungen zwischen Leistungsanbietern und Pflegekassen
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prägen. Wohlfahrtsverbände sind letztlich mit einem deutlichen Bedeutungsverlust im reformierten Pflegesektor konfrontiert. Demgegenüber wird deutlich, dass „[e]ine vollständige Abkehr von dem traditionellen Verhandlungssystem […] aber nicht zu erkennen [ist]“ (Rosendahl 1999: 278). Institutionelle Elemente wie etwa die Einrichtung einer Schiedsstelle in der Pflegesatzkommission, die klar auf Kooperation und Konsens zielen, bestehen nach wie vor. Über diese institutionell verankerten Mechanismen hinaus scheint es institutionelle Überreste zu geben, durch welche Wohlfahrtsverbände auch zu altem Status zurückfinden können. Auch wenn dies nicht im Sozialrecht verankert ist, so müssen immer noch informelle Strukturen bestehen, mit denen Wohlfahrtsverbände neben der Rolle als Leistungserbringer auch auf das politisch-institutionelle Geschehen Einfluss nehmen können und zum Staat nach wie vor ein enges Verhältnis pflegen, wie es dem traditionellen Korporatismus im Pflegesektor entspricht. Die bisherigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass die S taat-VerbändeBeziehungen insgesamt widersprüchliche Züge aufweisen: Dem neuen Subsidiaritätsprinzip und jenen Elementen, die durch den Grundsatz „vom Status zum Kontrakt“ zusammengefasst werden, stehen feste und informelle korporatistische Strukturen gegenüber. In diesem Zusammenhang und mit den hier erzielten Ergebnissen sollen mithilfe des Modells von Najam (2000) Staat-Verbände-Beziehungen danach bestimmt werden, inwieweit sie von Kooperation, Konfrontation, Komplementarität oder auch Ko-optation geprägt sind. Die in Kapitel 2 aufgestellten Hypothesen gehen von einer Hybridisierung von S taat-Verbände-Beziehungen derart aus, als sie gleichzeitig durch Kooperation, Komplementarität und Konfrontation gekennzeichnet sind.
2 Analyse der veränderten Institutionen im Pflegesektor 2.1 Hybride Staat-Verbände-Beziehungen: Kooperation, Konfrontation und Komplementarität Ungeachtet dessen, dass der Pflegesektor durch vielfältige S taat-VerbändeBeziehungen gekennzeichnet zu sein scheint, so betont Najam (2000) grundsätzlich, dass die Beziehungen von Staat und Verbänden inzwischen von Spannungen geprägt sind, da sie zunehmend in die staatlichen Tätigkeiten eingebunden werden: „[…] [P]artly because of governments‘ newfound desire to engage them – governments and NGOs are colliding in the policy stream far
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more often than before – sometimes by intent, sometimes by default“ (Najam 2000: 379). Folgt man der Logik des Modells, dann hängt die Beschaffenheit von Staat-Verbände-Beziehungen schließlich davon ab, welche Positionen Verbände und Staat in den jeweiligen Politikinhalten einnehmen, wie sie diese artikulieren und letztlich umsetzen, wobei jene Positionen durch politische Ziele wie auch Strategien zum Erreichen dieser Ziele zum Ausdruck kommen (vgl. Najam 2000). Wie in Kapitel 2 herausgearbeitet, stellen sich in Najams Typologie unterschiedliche Staat-Verbände-Beziehungen (Kooperation, Komplementarität, Konfrontation und Ko-optation) nach der Gesetzmäßigkeit ein, inwieweit Ziele und Strategien von Staat und Verbänden voneinander abweichen oder übereinstimmen. Während sich etwa Kooperation danach einstellt, dass sowohl Ziele als auch Strategien von Staat und Verbänden übereinstimmen, liegt Konfrontation dann vor, wenn jene Ziele und Strategien voneinander abweichen. Komplementarität stellt sich bei übereinstimmenden Zielen, aber abweichenden Strategien ein. Das im vorhergehenden Kapitel herausgearbeitete vielschichtige und teils widersprüchliche Bild zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden unter den veränderten Bedingungen des Pflegesektors lässt sich dabei aus Sicht der Najam-Typologie mit der Frage übersetzen: Inwieweit prägen immer noch gemeinsame Ziele/Strategien die Staat-Verbände-Beziehungen oder inwieweit kennzeichnen auch eher abweichende Ziele/Strategien von Sozialstaat und Wohlfahrtsverbänden das Bild des Pflegesektors? Für die Beantwortung dieser Frage und zur Überprüfung der in Kapitel 2 aufgestellten Hypothesen können insbesondere die Ansätze des Wohlfahrtspluralismus einen Orientierungsrahmen geben, da diese Ansätze letztlich Fragen zu den Zielen und Strategien von Staat wie auch von Wohlfahrtsverbänden und ihrem Miteinander im Rahmen der institutionellen Gestaltung der Sozialsektoren aufgreifen. Dabei soll hier der Wohlfahrtspluralismus oder auch Wohlfahrtsmix als Perspektive und analytische Kategorie verstanden werden, mit der man die „[…] Beziehungen zwischen verschiedenen Anbietern, Organisationen, Bereichen ebenso wie unterschiedliche Ressourcen und Handlungsrationalitäten […]“ fokussiert (Weber 2001: 14, vgl. auch Evers/Olk 1996). Damit eignet sich der Wohlfahrtspluralismus als Ansatz, weil er die Beziehungen von Staat und Wohlfahrtsverbänden, die sich im komplexen institutionellen Umfeld des Pflegesektors neu ausgerichtet haben, aufgreifen und beschreiben kann. Ziele und Strategien im Rahmen des StaatVerbände-Beziehungen sollen schließlich so in die Najam-Typologie eingeordnet werden: Zu diesem komplexen Bild, das der Wohlfahrtspluralismus von den Beziehungen zwischen Organisationen aber auch zwischen Institutionen sowie der damit verbundenen Steuerung zeichnet, kommt es, weil es im allgemeinen
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„[…] zu einer Pluralisierung und Fragmentierung der Anbieterlandschaft im sozialpolitischen Bereich […]“, gekommen ist, mit der die „[…] herkömmlichen „geschlossenen“ Systeme[] mit einer öffentlichen Dominanz und einer relativ eng begrenzten Anzahl von nicht öffentlichen Anbietern bzw. Trägern […]“ ersetzt worden sind (Evers/Olk 1996: 32 f.). Dieser Entwicklungstrend ist mithin im Pflegesektor zu beobachten, da dort im Sozialstaat das Miteinander von Wohlfahrtsverbänden und den staatlichen Institutionen derart auf neue Beine gestellt wird, als viele Akteure – Bürger, Pflegekasse, privat-gewerbliche Anbieter, Wohlfahrtsverbände – in die politische Gestaltung und die Leistungsbereitstellung eingebunden werden und nicht mehr nur Wohlfahrtsverbände in einer engen Partnerschaft zum Staat stehen: Der Wohlfahrtspluralismus greift dabei gerade das Modell des aktivierenden Staates auf, in dem der Staat Gewährleistungsverantwortung etwa bei der Bereitstellung bestimmter Güter übernimmt und dafür Rahmenbedingungen schafft und moderierend tätig ist – gleichzeitig zieht sich der Staat aus der Funktion des Produzenten zunehmend zurück (Evers/Olk 1996: 40, vgl. auch Lamping et al 2002: 24 f.). Das Modell des aktivierenden Staates setzt dabei insbesondere auf ein gezieltes Miteinander und eine Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft, wobei der Fokus sich auf einer Ausrichtung am Bürger orientiert und ihn aktiv einbinden will (Wolf 2011: 218). Eine kooperative Abstimmung der Akteure wird mithin als zentral für das Funktionieren angesehen: „[A]ufgrund der Komplexität und Interdependenzen [ist] die Lösung einer Reihe von Problemfeldern nur durch Kooperation möglich […], da weder der Staat noch der private Sektor als alleiniger Akteur zu einer sinnvollen Problemlösung kommen würde“ (Wohlfahrt 2000: 74).
Im Pflegesektor wird die Idee des aktivierenden Staates derart aufgegriffen, als das SGB XI gerade darauf ausgerichtet ist, die Familien und das soziale Umfeld in die Pflege der Angehörigen aktiv einzubinden und eben jene Angehörigenpflege zu fördern. Der Pflegeversicherung kommt dabei, wie oben dargestellt, nur eine unterstützende Funktion zu. Neben der Einbindung setzt die Pflegepolitik im Gegenzug auf die Unterstützung der Angehörigen durch die Pflegeeinrichtungen, Länder, Kommunen und Pflegekassen sowie durch den Medizinischen Dienst derart, dass „die […] Pflege und Betreuung durch hauptberufliche und ehrenamtliche Pflegekräfte sowie durch Angehörige, Nachbarn und Selbsthilfegruppen [unterstützt] und […] so auf eine neue Kultur des Helfens und der mitmenschlichen Zuwendung hin[wirkt]“ (§ 8 SGB XI, Abs. 2, Hervorhebung T.L., vgl. auch Wolf 2011: 253).
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Für die Betrachtung der Beziehungen zwischen Staat, Anbietern, Bürgern/ Leistungsempfängern stellen wohlfahrtspluralistische Ansätze die Frage, welche Steuerungsinstrumente im aktivierenden Staat zur Geltung kommen, die die Lücke, die das Tandem Staat und Wohlfahrtsverbände hinterlässt, füllen: „Hatte man es bislang in der Sozialpolitik mit verschiedenen historisch gewachsenen Konstellationen der Zusammenarbeit von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu tun, die […] bis hin zu einer korporatistischen Verflechtung von Staat und einer begrenzten Anzahl großer Sozialverbände reichten […], so ist es nun der Anspruch neuer Steuerungs- und Planungskonzepte, auf eine geplante und geregelte Aufgabenteilung hinzuwirken“ (Evers/Olk 1996: 36).
Diese neu geregelte Aufgabenteilung wird dabei begleitet von er einer „[…] Pluralisierung und Fragmentierung der Anbieterlandschaft im sozialpolitischen Bereich […]“, wobei im aktivierenden Sozialstaat diesen nun vergleichsweise vielfältigen Organisationen des „Dritten Sektors“ eine aktive und produktive Rolle zukommt (vgl. Evers/Olk 1996: 40). Dabei sind sie nicht nur Leistungsanbieter, sondern nehmen traditionell auch eine sozialpolitische Rolle, wie die Artikulierung vielfältiger Interessen (vgl. Evers/Olk 1996: 32 und Evers 1995: 116), wahr. Im Hinblick auf die Wohlfahrtsverbände stellt sich die Frage, inwieweit ihnen in diesem neuen Umfeld eine völlig neue Rolle zukommt, die möglicherweise mit den Zielen des Staates kollidiert. Betrachtet man sich die traditionelle Funktion von Wohlfahrtsverbänden im Verhältnis zum Staat, so nehmen Wohlfahrtsverbände zum einen in der Gesellschaft eine sozialanwaltschaftliche Rolle derart wahr, indem sie „[…] Sprachrohr benachteiligter und unterrepräsentierter Gruppen […]“ sind (Liebig 2005: 207). Zum anderen sind Wohlfahrtsverbände auch als eine Art Interessenverband tätig. Im Unterschied zu einem Interessenverband besteht die Rolle von Wohlfahrtsverbänden jedoch nicht nur darin „[…] die Interessen von sozialökonomischen Gruppierungen bzw. ihrer Mitglieder zu aggregieren, selektieren und gegenüber politischen Entscheidungsgremien zu vertreten, sondern darin, insbesondere durch die ihnen angeschlossenen Dienste und Einrichtungen soziale Dienstleistungen für bestimmte Klientelgruppen bereitzustellen“ (Backhaus-Maul/Olk 1994: 110; vgl. auch Liebig 2005: 206). Diese beiden grundlegenden Funktionen von Wohlfahrtsverbänden haben unter den Pluralisierungstendenzen im aktivierenden Sozialstaat kaum an Bedeutung verloren – im Gegenteil: Es scheint sich der Trend abzuzeichnen, dass die Wohlfahrtsverbände mit einer größeren Distanzierung zum Staat zumindest die Rolle als Sozialanwalt verstärkt haben und sie unabhängiger wahrzunehmen
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in der Lage sind: So waren die Wohlfahrtsverbände unter den Bedingungen einer engen Verbundenheit zum Staat lange Zeit „[…] wenig geneigt, aktiv und konfliktorisch die Interessen benachteiligter Bevölkerungsgruppen öffentlich zu artikulieren“ (Backhaus-Maul/Olk 1996: 589). Dieser Trend scheint sich allmählich umzukehren. „Sowohl der Paritätische Wohlfahrtsverband als auch die Caritas haben [etwa] das Thema „Armut“ aufgegriffen und sozialpolitisch skandalisiert“ (Backhaus-Maul/Olk 1996: 589). Ihre gesellschaftspolitischen Positionen im aktivierenden Staat haben die Wohlfahrtsverbände letztlich schärfen können. Dies ist auch im Hinblick auf eine „Pluralisierung der Anbieterlandschaft“ wichtig, da Wohlfahrtsverbände auch aufgrund ihrer Machtfülle im Rahmen der BAGFW im Unterschied zu Organisationen, Initiativen wie auch den relativ schwach organisierten privat-gewerblichen Anbietern die Möglichkeiten haben, Interessen auf Bundesebene zu artikulieren. Alle anderen Akteure werden ihre Interessen, wenn überhaupt, nur auf regionaler Ebene zur Geltung bringen können (vgl. Backhaus-Maul/Olk 1996: 589 f.). Dieses Argument wird in Abschnitt 5.2.2 aus der Perspektive der Wohlfahrtsverbände nochmals aufgegriffen und ausführlich erörtert. Die sozialpolitische Rolle, die sich mit der Abkehr zum aktivierenden Staat für die Wohlfahrtsverbände ergeben hat, weicht nicht grundsätzlich von ihrem traditionellen Weg ab und ist vielmehr ausgebaut und erweitert worden. Unterm Strich lassen sich aus der Warte des Wohlfahrtspluralismus die Ziele des aktivierenden Staates einerseits und die der Wohlfahrtsverbände andererseits in einen sinnvollen Zusammenhang stellen, da sich die Funktionen beider ergänzen und im Rahmen des Wohlfahrtsmix‘ aufeinander abgestimmt sind. Hinsichtlich der Strategien beider Akteure ist festzuhalten: Die „Pluralisierung der Anbieterlandschaft“ wie auch eine zunehmende Aufgabenteilung ist aus der Warte des Wohlfahrtspluralismus mit einem zunehmenden Ineinandergreifen der verschiedenen Institutionen von Staat, Markt und Gemeinschaft zu „[…] synergetischen „mixes“ von unterschiedlichen Ressourcen und Handlungsrationalitäten […]“ verbunden (Evers/Olk 1996: 29). Dabei werden „[…] die Grenzen zwischen den einzelnen Sektoren der Wohlfahrtsproduktion durchlässiger und in der Folge die Interaktionen zwischen ihnen intensiver […]“ (Evers/Olk 1996: 28). Gerade die Strategie, dass der aktivierende Staat im Rahmen der angestrebten Aufgabenteilung auf die Einbindung mehrerer Institutionen und Akteure setzt und von der korporatistischen Verflechtung mit wenigen großen Verbänden Abstand nimmt, wird von einer gewissen Vertragskultur in den Sozialsektoren begleitet (vgl. Evers/Olk 1996: 36, vgl. auch Lamping 2002: 24). Im Wohlfahrtsmix des Pflegesektors entfaltet insbesondere der Grundsatz „vom Status
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zum Kontrakt“ erhebliche Wirkung auf die Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden wie auch auf die Beziehungen mit anderen Leistungserbringern: Die ehemalige Sozialpolitik, die die Wohlfahrtsverbände in einer besonderen Weise eingebunden und privilegiert hat (Status), ist einer Politik mit einer vertragsbasierten Beziehung zu den Wohlfahrtsverbänden gewichen (Kontrakt). Diese Strategie eines aktivierenden Staates, im Pflegesektor zunehmend auf den „ Vom-Status-zum-Kontrakt“-Grundsatz zu setzen, wird von der Strategie der Wohlfahrtsverbände abweichen: Richtet man den Blick auf die Wohlfahrtsverbände, so scheinen ihre Strategien nach wie vor derart ausgerichtet zu sein, dass sie damit ihren langjährigen Status wahren können. Denn das Statusstreben der Wohlfahrtsverbände ist vor dem Hintergrund ihrer Rolle als Sozialanwalt wie auch als Interessenverband sehr plausibel, da die Wohlfahrtsverbände in diesen Rollen ihren Einfluss auf die Politik hochhalten wollen und müssen. Die Strategien des aktivierenden Staates und der Wohlfahrtsverbände stimmen damit letztlich nicht überein. Damit werden sich aus der Warte der Typologie bei in etwa deckungsgleichen Zielen und unterschiedlichen Strategien komplementäre S taat-VerbändeBeziehungen einstellen.
Abbildung 4.2 Auf den Pflegesektor angewandte Typologie zu Staat-VerbändeBeziehungen. (Quelle: Najam 2000: 383, modifiziert)
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Und tatsächlich lässt sich das oben dargestellte institutionelle Bild des Pflegesektors in diese Staat-Verbände-Kategorie einordnen: Komplementäre Staat-Verbände-Beziehungen zeichnen sich im allgemeinen dadurch aus, dass „[…] NGOs […] move in to fill a function that might otherwise be expected of government but that government is unable or unwilling to perform“ (Najam 2000: 387 f.). Somit heben komplementäre Beziehungen eine Aufgabenteilung zwischen Staat einerseits und Verbänden aber auch anderen Organisationen andererseits hervor. Im aktivierenden Staat haben die komplementären Beziehungen ihren Ausgangspunkt im neuen Subsidiaritätsprinzip, das privatgewerblichen und freigemeinnützigen Anbietern gleichermaßen eine Vorrangstellung vor öffentlichen Anbietern einräumt. Die Funktion, die der aktivierende Staat innehat, garantiert lediglich Zugang, Versorgung und Qualität (vgl. u. a. Manderscheid 2006 sowie Lamping et al 2002) – er delegiert die Erstellung der Leistung an Wohlfahrtsverbände wie auch an privat-gewerbliche Anbieter, wobei sich zugespitzt zusammenfassen lässt: „Die öffentlichen Träger machen sich die Leistungs- und Personalkapazität der freien Träger zunutze; die freien Träger sind auf die finanzielle Unterstützung durch Bund, Länder und Gemeinden sowie vor allem der Sozialversicherungssysteme angewiesen“ (Liebig 2005: 169 f.). Ein Privileg, alleiniger Anbieter von Pflegeleistungen zu sein, besteht für Wohlfahrtsverbände formell nicht mehr. Darüber hinaus deutet sich an, dass neben den abweichenden Strategien auch die Zielsetzungen zwischen Politik und Wohlfahrtsverbänden gegenläufig sind: Wohlfahrtsverbände nehmen eine authentische Rolle als Sozialanwalt ein und stellen sich gegen die staatliche Sozialpolitik (vgl. Olk 1995), wobei diese Gegenläufigkeit Züge von konfrontativen S taat-Verbände-Beziehungen einnimmt. Eine genaue Darstellung von Ursachen und Ausmaß der neuen Ziele der Wohlfahrtsverbände als Sozialanwalt kann letztlich nur ein Blick in die Wohlfahrtsverbände vermitteln. Dies kann eine Institutionenperspektive nicht leisten. Kapitel 5 soll die konfrontativen Beziehungen weiter aufgreifen. Zusammenfassend betrachtet werden Komplementäre S taat-VerbändeBeziehungen schließlich ein großer Teil in einem Miteinander „[…] zwischen öffentlichen und freien Trägern […] als komplexer Gesamtverbund […], in dem sich aus vielfältigen Verflechtungen, Abhängigkeiten und konkurrierenden Zuständigkeiten ein differenziertes, insgesamt stabiles, aber schwer überschaubares System herausgebildet hat, das genuin öffentliche Aufgaben in einem spezifischen […] „Wohlfahrtsmix“ bearbeitet“ (Liebig 2005: 169).
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Liebig (2005) gibt mit dieser Zusammenfassung auch einen Hinweis darauf, dass im Rahmen dieses „komplexen Gesamtverbundes“ nach wie vor korporatistische Elemente die „vielfältigen Verflechtungen“ kennzeichnen und zusammen mit den zum „Vom-Status-zum-Kontrakt“-Grundsatz gehörenden Steuerungselementen Teil eines Wohlfahrtsmix‘ sind. Denn neben den komplementären Staat-Verbände-Beziehungen, die mithin konfrontative Elemente beinhalten, prägen Konsensfindungsarenen, die im SGB XI verankert worden sind, den Pflegesektor. Neben der Pflegesatzkommission, die eine schlichtende Wirkung bei festgefahrenen Pflegesatzverhandlungen einnimmt, besteht etwa auf Landesebene die Möglichkeit das Pflegegesetz weiter auszugestalten und daran die relevanten Akteure zu beteiligen. Somit basieren die Institutionen des Pflegesektors und mithin ihre Weiterentwicklung auf der Kooperation verschiedener Akteure. Im Hinblick auf die Bedeutung der Wohlfahrtsverbände im gegenwärtigen korporatistischen System muss relativiert werden, dass anders als im alten Pflegesektor in diesen Verhandlungsarenen alle Beteiligten, d. h. Vertreter der Pflegekassen, der Wohlfahrtsverbände wie auch der privat-gewerblichen Anbieter eingebunden werden. Damit wird in den aktuellen korporatistischen Strukturen deutlich, dass den Wohlfahrtsverbänden längst nicht mehr der Status zugestanden wird, den sie einst hatten. Es lässt sich festhalten: Den Wohlfahrtsmix im Pflegesektor prägt nicht nur der „Vom-Status-zum-Kontrakt“-Grundsatz, sondern es sind mithin korporatistische Elemente eingefügt worden. Auch abseits dieser institutionalisierten Konsensfindungsstrukturen wird deutlich, dass sich trotz deutlicher Interessendivergenzen zwischen staatlichen Kostenträgern und freigemeinnützigen Leistungsanbietern alte Muster bewährt haben und Wohlfahrtsstaat und Wohlfahrtsverbände nach wie vor eng verbunden sind. Nicht nur, dass die Spitzenverbände auf die Gesetzgebung Einfluss haben (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2015: 135 f., vgl. auch Grohs 2017), sondern vor allem die aktive Nutzung und das aktive Vorantreiben bestehender Beziehungen in die Politik zeichnen ein Bild, das aktive Beziehungsmuster von Wohlfahrtsverbänden und Staat des ehemaligen Pflegesektors erkennen lässt. Im Vergleich dazu stehen privat-gewerblichen Anbietern diese Möglichkeiten nicht zur Verfügung. Weder sind die Verbände der privat-gewerblichen Anbieter in der Form der BAFGW und der LAGFW organisiert (vgl. Strünck 2000) und können sich derart abstimmen, noch haben sie einen gewachsenen Zugang zu politischen Entscheidungsgremien. Privat-gewerbliche Anbieter haben damit grundsätzlich nur die Option, der Strategie des deutschen Wohlfahrtsstaates „vom Status zum Kontrakt“ zu folgen.
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Somit scheint eine Steuerungslogik „vom Status zum Kontrakt“ auch durchbrochen werden zu können. Vielmehr ist es der „Wohlfahrtsmix“, der mehrere Handlungslogiken bzw. Grundsätze wie Wettbewerb und korporatistische Strukturen miteinander vereint und letztlich komplementäre wie auch kooperative Staat-Verbände-Beziehungen Teil eines Ganzen werden. Übertragen auf die Typologie von Najam müssen mit gleichzeitig bestehenden komplementären wie auch kooperativen Staat-Verbände-Beziehungen sowohl voneinander abweichende wie auch übereinstimmende Strategien zwischen dem aktivierenden Staat und den Wohlfahrtsverbänden bestehen. „Where the prefered means are also similar, complementarity will blossom into cooperation“ (Najam 2000: 387). Für kooperative Staat-Verbände-Beziehungen müssen in dem Modell die verfolgten Strategien schließlich übereinstimmen, d. h. für den Pflegesektor streben Staat und Wohlfahrtsverbände dann gleichsam eine privilegierte Position der Verbände an, wie es dem alten Muster der Staat-Verbände-Beziehungen vor Einführung der Pflegeversicherung entspricht. In kooperativen Staat-Verbände-Beziehungen müsste dann eine neue Strategie, nämlich die einer Statusorientierung, den „Vom-Status-zum-Kontrakt“-Zustand ablösen, überdecken oder gleichwertig neben ihm stehen. Auch wenn Vertragsbeziehungen mit den Pflegekassen von Bestand sind und die Beziehungen zwischen deutschem Staat und Wohlfahrtsverbänden und allen anderen Leistungserbringern dominieren, so scheint gleichzeitig Kooperation nach traditionellem korporatistischem Muster die Pflegepolitik – zumindest phasenweise- mitzuprägen. Najams Typologie vermag ein systematisches Bild davon zu geben, dass komplexe institutionelle Bedingungen des Pflegesektors mithin zu einer Bewegung zwischen drei Zuständen von Staat-Verbände-Beziehungen führen, die hier als Komplementarität, Kooperation und teilweise Konfrontation bezeichnet werden. Zu der Bewegung kommt es, wenn die Strategien von Staat und Wohlfahrtsverbänden sowohl voneinander abweichen als sich auch überschneiden. Offenbar können die Wohlfahrtsverbände im Pflegesektor die staatliche sozialpolitische Strategie entschärfen und – zumindest zeitweise – ihren Status zurückerlangen. Jedoch bleibt aus der Typologie ungeklärt, auf welcher institutionellen Grundlage sich dies vollzieht, damit sowohl komplementäre wie auch kooperative Staat-Verbände-Beziehungen nebeneinander bestehen können. Aus der Perspektive von Najams Typologie lässt sich formulieren: Wie kommt es von abweichenden Strategien „vom Status zum Kontrakt“ – „Statusorientierung“ zu einer übereinstimmenden Strategie „statusorientierte Einbindung der Wohlfahrtsverbände“? Welcher Prozess vollzieht sich institutionell und in der Steuerung des Pflegesektors?
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2.2 Korporatismus als virtuelle Struktur im Pflegesektor Die Beobachtung, dass komplementäre und konfrontative S taat-VerbändeBeziehungen von kooperativen Staat-Verbände-Beziehungen abgelöst oder zumindest begleitet werden können, gibt Hinweise auf das Bestehen einer institutionellen Hybridität und mithin einer Steuerungshybridität im Pflegesektor. Institutionelle Hybridität zielt eben genau darauf ab, dass zueinander in Widerspruch stehende Teilinstitutionen gleichzeitig bestehen und jeweils Teil des anderen werden. Dabei stellt sich die Frage, in welchem institutionellen Zustand sich korporatistische Strukturen in jenen Situationen befinden, wenn komplementäre Staat-Verbände-Beziehungen dominieren? Korporatistische Strukturen müssten grundsätzlich trotzdem fortbestehen, auch wenn sie gerade nicht aktiv sind oder von ihrer Wirkung her nicht erkennbar sind. Auf den Pflegesektor bezogen bedeutet dies, dass Institutionen oder institutionelle Kräfte, die mit der Reformierung des Pflegesektors an Dominanz verloren haben, grundsätzlich immer noch der Möglichkeit nach vorhanden sind. Und offenbar können sie von Organisationen, d. h. den Wohlfahrtsverbänden – vorübergehend oder andauernd – genutzt werden. Derartige Institutionen, die „der Kraft nach vorhanden sind“, auch wenn sie zunächst „nicht beobachtbar“ (Ortmann 2000: 30) sind, können als virtuell bezeichnet werden. Das Konzept der Virtualität, das bislang in erster Linie im Bereich der Organisationen ausgearbeitet worden ist, bietet sich dabei als analytischer Zugang an, um Besonderheiten mehrerer bestehender widersprüchlicher Teilinstitutionen zu veranschaulichen. Den theoretischen Ausgangspunkt für Virtualität bilden in erster Linie die Vorstellungen von Ortmann (2000), der den Begriff der Virtualität nicht in einem modernen, sondern vielmehr in seinem ursprünglichen Sinn versteht. Virtualität kann im Allgemeinen mit den Worten „der Kraft nach vorhanden“ oder auch „so gut wie“ zusammengefasst werden (vgl. Littmann/Jansen 2000: 34). Für die Virtualität ist charakteristisch14, dass Institutionen „der Möglichkeit nach“ (S. 24) zur Verfügung stehen „[…] und […] sich nach erfolgreicher Beendigung des Projektes wieder auf [lösen]“ (Blecker 1999: 32). Es besteht damit grundsätzlich ein Zugriff auf latent bestehende Institutionen, wobei sie oftmals im Rahmen von „ad-hoc gebildete[n],
14Der
Idee, dass Virtualität von Organisationen bzw. organisationalen Netzwerken in der Regel auch Informationstechnik-/ IT-basiert ist, soll hier nicht gefolgt werden. Virtualität ist vielmehr im ursprünglichen Sinne gemeint und nicht I T-bezogen.
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temporäre[n] Projekt[en]“ oder auch als „für eine bestimmte Aufgabe gebildete[s] Netz“ entstehen (Ortmann 2000: 32); umgekehrt können diese Institutionen auch wieder aufgelöst werden. Mit anderen Worten können diese wie auch immer gearteten Institutionen, die latent bestehen, grundsätzlich erzeugt und auch wieder aufgelöst werden, wobei der Ad-hoc-Charakter dieser Institutionen zentral ist. Hervorzuheben ist dabei, dass virtuelle Institutionen bei Bedarf spontan aus einem Pool von Institutionen genutzt werden können und andere Teile des Pools weiterhin ungenutzt bleiben (vgl. Ortmann 2000: 31 f.). Virtuelle Institutionen, die für eine bestimmte Aufgabe genutzt werden, entspringen damit einem „[…] nie komplett in Anspruch genommenen Set an Regeln und Ressourcen […]“, sondern stellen „[…] nur ein knapper bemessenes und situtationsspezifisch definierbares Subset […]“ dar (Ortmann 2000: 36). Virtualität bezieht sich dabei letztlich auf eine bestimmte Art von Institutionen, nämlich jene, die sich als Netzwerk begreifen lassen: Manche Netzwerke sind aus der Sicht dieses Ansatzes nicht dauerhaft aktiv, sondern können bei Bedarf „aktiviert“ und derart genutzt werden, wobei es sich um „[…] Poolnetzwerke [handelt], in denen Partnerschaften teilweise ruhen, aber jederzeit nach Bedarf, in situ, für spezifische Projekte aktualisiert und […] zusammengefügt werden (können), eben ein […] Projektnetzwerk, d. h. einem temporären, für eine bestimmte Aufgabe gebildeten Netz“ (Ortmann 2000: 32).
In diesem Pool an Netzwerken ruhen somit vereinzelt Netzwerke, andere hingegen werden für eine bestimmte Aufgabe oder ein bestimmtes Projekt genutzt. Damit lässt sich der Ansatz zur Virtualität als Netzwerkansatz verstehen, der ein analytisches Instrument dafür liefert, dass sich bestimmte Netzwerke erzeugen und wieder auflösen lassen. Bezieht man die Überlegungen auf kooperative Staat-Verbände-Beziehungen in Najams Typologie, dann lässt sich Korporatismus als virtuelle Institution bzw. als virtuelles Netzwerk begreifen, in der „[…] latent vorhandene Beziehungen […] aktivier[t] und verknüpf[t] [werden und] sich nach erfolgreicher Beendigung des Projektes wieder auf[lösen]“ (Blecker 1999: 32). Grundsätzlich kennzeichnet diese neuartigen korporatistischen Strukturen gerade ihr Ad-hoc-Charakter (vgl. Ortmann 2000) – virtuelle Netzwerke werden gegründet, um ggf. festgefahrene Verhandlungen zu vereinfachen und Interessendivergenzen (vgl. Strünck 2000: 197 f.) möglichst aufzulösen. Etwa finden sich Ad-Hoc-Teams auf Länderebene in Form von Pflegesatzkommissionen zusammen. In jener Verhandlungsarena
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treffen Vertreter etwa von Pflegekassen und den Verbänden aufeinander, um dort im Auftrag der Konfliktakteure Pflegesätze zu vereinbaren. Neben den korporatistischen Elementen, die gesetzlich verankert sind und die ad-hoc von den Verhandlungsparteien genutzt werden können, sind insbesondere die informellen Netzwerke zu nennen, die sich ebenso durch ihren Ad-hoc-Charakter kennzeichnen, d. h. spontan gebildet werden können und die sich „[…] nach erfolgreicher Beendigung des Projektes wieder auf[lösen]“ (Blecker 1999: 32). Insbesondere die durch Wohlfahrtsverbände „privat initiierten Kartelle“ (vgl. Meyer 1999) fasst der Ansatz als virtuelle Institution, d. h. als Netzwerk auf, in dem „[…] Absprachen außerhalb gesetzlich definierter Mitwirkungsrechte […]“ ermöglicht werden (Cremer 2013 et al: 134 f). Die sechs Wohlfahrtsverbände schließen sich zur Bundes- und Landesarbeitsgemeinschaft zusammen, was als „Institutionalisierung einer Kartellorganisation in Form der Spitzenverbände“ zu verstehen ist (Meyer 1999: 116). Gerade die „Institutionalisierung einer Kartellorganisation“, wie sie durch die BAGFW möglich ist, samt der bestehenden Potentiale sich abzustimmen und gegenüber den anderen Parteien mit einer Stimme zu sprechen, zeigt den Ad-hoc-Charakter dieser virtuellen korporatistischen Institutionen. Auch neben diesen „privat initiierten Kartellen“ haben Wohlfahrtsverbände nach wie vor einen großen Einfluss auf politische Entscheidungen, wobei auch dafür virtuelle Netzwerke eine Haupttriebfeder zu sein scheinen. Auch fünfundzwanzig Jahre nach Einführung der Pflegeversicherung und den institutionellen Umwälzungen im Sektor der Altenpflege bestehen immer noch besondere Beziehungen zu politischen Institutionen, die für die Wohlfahrtsverbände Vorteile mit sich bringen: Es ist naheliegend, dass Wohlfahrtsverbände dafür auf informelle Netzwerke, die der Möglichkeit nach bestehen, zurückgreifen und aktivieren. Vernetzungen kommen somit auch hier zum Tragen: Vertreter der Wohlfahrtsverbände sind in politischen Gremien zu finden – im Gegenzug sitzt „[…] der AOK Chef auch im Verwaltungsrat der Diakonie […]“ (IDW 2004: 30). Letztlich führen virtuelle Netzwerke, d. h. bei Bedarf nutzbare Beziehungsmuster zwischen Politik und Wohlfahrtsverbänden, zu vorteilhaften Ergebnissen für die Wohlfahrtsverbände, wie sich bspw. am Rahmenvertrag zur Sicherung der sozialen Dienste zwischen der Stadt Düsseldorf und den Wohlfahrtsverbänden zeigt. Was unterscheidet den virtuellen Korporatismus in diesem Zusammenhang grundsätzlich vom traditionellen Korporatismus? Während der traditionelle Korporatismus eine feste Institution im Sinne des Neo-Institutionalismus
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darstellt, folgt der virtuelle Korporatismus zu großen Teilen einer akteurszentrierten Logik, da er aus den Akteuren heraus entsteht. Vergleicht man in diesem Zusammenhang die Möglichkeiten von privat-gewerblichen Anbietern ein Netzwerk ad-hoc zu bilden, so haben die Wohlfahrtsverbände einen Wettbewerbsvorteil, da sie auf bewährte Beziehungsmuster zurückgreifen können. Die Möglichkeit durch jene bewährte Beziehungsmuster politische Entscheidungen mitzubestimmen und auch für Wettbewerbsverzerrungen zum eigenen Vorteil sorgen zu können, geben den Wohlfahrtsverbänden die Qualität eines institutional entrepreneuers: Wohlfahrtsverbände verfügen über genügend Potential, um die sie umgebenden Strukturen zu gestalten15. Nicht nur in den Staat-Verbände-Beziehungen, sondern ebenso auf dem Quasi-Markt sind freigemeinnützige Einrichtungen imstande Ad-hoc-Netzwerke hervorzubringen und eine „verbandsübergreifende Kooperation“ voranzutreiben (Wohlfahrt o. J.(a): 82). So wird beobachtet, dass es zu „ […] verbandsübergreifenden „joint ventures“ [kommt], in denen man auf der Basis von Gesellschaftsverträgen zusammen mit anderen selbständigen Akteuren gemeinsame Projekte der unterschiedlichsten Art realisiert, um sich so Wettbewerbsvorteile zu sichern […]“ (Dahme et al. 2005: 129). Auch wenn sich verbandsübergreifende Kooperationen noch in einem Frühstadium befinden und nur vereinzelt nachgewiesen werden können (vgl. Wohlfahrt o. J. (a): 82), so sind sie für einzelne Sektoren, in denen ähnlich wie im Pflegesektor Wettbewerbselemente eingeführt worden sind, nachweisbar.16 In den Sozialsektoren überhaupt werden diese „[…] Strategien verbandsübergreifender Kooperationen entwickelt, um durch institutionelle Kooperation und Netzwerkorganisation die Folgen des Wettbewerbs aufzufangen oder auszugleichen“ (Wohlfahrt o. J. (a): 82). Diese Beobachtungen können mithin das Verständnis für einen Quasi-Markt erweitern: Ein Quasi Markt kennzeichnet sich zwar durch Wettbewerbselemente, zum anderen existieren aber auch Kooperationselemente, die durch akteurszentrierte Netzwerke hervorgerufen werden. Dabei stehen Wettbewerb und Kooperation in einer engen Wechselwirkung, weil „[…] der Wettbewerb und der damit zusammenhängende und daraus folgende Effizienzbias für konkurrierende Organisationen […] fast immer notwendige Bedingung für
15Auf
die Interessenverbände der privat-gewerblichen Anbieter wird in Abschnitt 5.2.2 eingegangen. 16Etwa im Bereich der Kinder- und Jungendhilfe (vgl. Wohlfahrt o. J.(a): 82).
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das Eintreten in Kooperation [ist]“ (Wohlfahrt o. J. (a): 82). Damit scheint eine „Inszenierung von Kooperation und Vernetzung […] neben der Inszenierung von Wettbewerb eine weitere aktuelle Modernisierungsstrategie darzustellen […]“ (Dahme/Wohlfahrt 2000: 11).
2.3 Relational und Quasi-Market-Governance zwischen Pfadabhängigkeit und Pfadwechsel Vor dem Hintergrund der erzielten Ergebnisse zeigt sich, dass Vernetzungen zwischen Organisationen im Pflegesektor, die sowohl formeller wie auch informeller Art sein können, von Bedeutung sind. Bereits die Perspektive des Wohlfahrtspluralismus macht deutlich, dass Beziehungen, also Netzwerke zwischen Organisationen, für die Steuerung des Pflegesektors zentral sind. Überträgt man dies auf die Steuerungssicht, so handelt es sich bei dem meist dezentralen Interagieren von mehreren, unterschiedlichen Akteuren um eine Relational Governance, also eine netzwerkbasierte Steuerung. Die Relational Governance im Pflegesektor zeichnet sich schließlich zum einen durch Netzwerke aus, die über Verhandlungssysteme beabsichtigt institutionalisiert worden und auf Konsensbildung ausgerichtet sind (vgl. etwa Pflegesatzkommission). Zum anderen gehören auch informelle Vernetzungen, die über Jahre gewachsen sind, zur Relational Governance und kennzeichnen ebenso die Steuerung des Pflegesektors. Sowohl die formelle wie auch die informelle Vernetzung machen dabei deutlich, dass sich die Relational Governance im Pflegesektor durch eine Polyzentrizität17 auszeichnet: Die Steuerung des Sektors erfolgt nicht mehr derart zentral von oben, dass sich ausschließlich Staat und Wohlfahrtsverbände bei der Leistungserbringung und bei politischen Entscheidungen abstimmen. Vielmehr ist die Polyzentrizität mit dem aktivierenden Staat derart umgesetzt worden, dass sich viele Akteure schließlich auch im Pflegesektor über Netzwerke abstimmen wie es etwa im § 8 SGB XI gefordert wird (vgl. Dahme 2000: 58). Wohlfahrtsverbände werden in einem solchen institutionellen Umfeld zu einem Akteur von vielen, der teilweise an Bedeutung verloren, sich jedoch bestimmte Fähigkeiten, wie bspw. Institutionen zu gestalten, bewahrt hat.
17vgl.
Kapitel 3
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Die auf Netzwerken basierende Steuerung setzt sich darüber hinaus auf dem Quasi-Markt fort. Zum einen kennzeichnet sich eine Q uasi-Market-Governance durch verschiedene Wettbewerbselemente. Zum anderen bestehen aber auch Kooperationselemente, die durch akteurszentrierte Netzwerke hervorgerufen werden. Dabei stehen Wettbewerb und Kooperation im Rahmen der Quasi-Market-Governance in einer engen Wechselwirkung, weil „[…] der Wettbewerb und der damit zusammenhängende und daraus folgende Effizienzbias für konkurrierende Organisationen […] fast immer notwendige Bedingung für das Eintreten in Kooperation [ist]“ (Wohlfahrt o. J. (a): 82). Dies zeigt, dass die Relational Governance mithin Teil der Steuerung des Quasi-Marktes ist, der grundsätzlich von der gleichnamigen Quasi-Market-Governance gekennzeichnet ist: Kooperative Netzwerke können für Marktteilnehmer und Wettbewerber von Nutzen sein. Insgesamt ist das im Pflegesektor vorzufindende Steuerungsregime eine Mischung aus „Vom-Status-zum-Kontrakt“-Elementen wie Wettbewerb, die eher die Quasi-Market-Governance prägen und zum anderen die auf Konsensbildung und Verhandlungssysteme ausgerichtete Relational Governance. Es handelt sich um einen Steuerungshybrid.
2.4 Beantwortung der ersten Forschungsfrage und Überprüfung der Hypothesen Im Hinblick auf die Frage, inwieweit sich Institutionen schließlich grundlegend verändern und sich alte Institutionen abschaffen lassen, lässt sich zusammenfassen, dass im Pflegesektor zwar auf der einen Seite ein institutioneller Pfadwechsel stattgefunden hat, jedoch auf der anderen Seite gleichzeitig eine institutionelle Pfadabhängigkeit besteht. Dass ein institutioneller Pfadwechsel stattgefunden hat, dokumentieren neu eingeführte institutionelle Elemente und Prinzipien, die sich zu großen Teilen unter dem Grundsatz „vom Status zum Kontrakt“ zusammenfassen lassen und auch durch die im vorherigen Kapitel beschriebenen Muster des Wohlfahrtspluralismus veranschaulicht worden sind. Daneben dokumentiert die Beständigkeit insbesondere alter Netzwerkstrukturen eine institutionelle Pfadabhängigkeit: Korporatistische Netzwerke nach traditionellem Muster bestehen weiterhin und können durch Wohlfahrtsverbände erzeugt werden. Auffällig ist, dass auf der einen Seite die neuen institutionellen Elemente (Pfadwechsel) grundsätzlich institutionalistischen Gesetzmäßigkeiten unterliegen
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und damit Organisationen bzw. Organisationshandlungen determinieren. Auf der anderen Seite zeichnet die latent verfügbaren, pfadabhängigen Strukturen aus, dass sie von Organisationen erzeugt und gesteuert werden können. Hervorzuheben ist dabei, dass es sich bei virtuellen Institutionen um pfadabhängige, netzwerkartige Institutionen handelt, die sich von Wohlfahrtsverbänden steuern lassen und damit akteurszentrierten Charakter haben. Gerade aufgrund dieser Charakteristika lassen sich diese Institutionen nicht mit einer Reformierung des Pflegesektors beseitigen. Aus der Perspektive des Neo-Institutionalismus wie auch des Akteurszentrierten Institutionalismus betrachtet stehen pfadabhängige Institutionen wie auch Institutionen des Pfadwechsels derart in Wechselwirkung, dass sich daraus Muster des Akteurszentrierten Institutionalismus erkennen lassen: Einerseits determinieren neue oder reformierte Institutionen die Organisationen, andererseits können Organisationen ihre institutionelle Umgebung erkennbar mitgestalten, da sie beständige Institutionen nutzen können. Die Koexistenz von pfadbeständigen und pfadwechselhaften Institutionen sind Kennzeichen der institutionellen Hybridität im Pflegesektor. Gerade der Befund, dass neben den Institutionen des Pfadwechsels auch pfadabhängige Teilinstitutionen bestehen, kann eine Bewegung zwischen beiden bestehenden Staat-Verbände-Beziehungen erklären. Auch wenn die Strategie des deutschen Wohlfahrtsstaates „vom Status zum Kontrakt“ dominiert und die komplementären Beziehungen prägt (Pfadwechsel), so ist auch er in die traditionellen Netzwerke eingebunden, womit auch für die staatliche Seite die Pfadabhängigkeit von korporatistischen Institutionen deutlich wird (vgl. Abbildung 4.2). Dass Staat und Wohlfahrtsverbände abseits des Grundsatzes „vom Status zum Kontrakt“ kontinuierlich miteinander agieren und übereinstimmende Ziele haben, ist letztlich der Pfadabhängigkeit von Institutionen zuzuschreiben. Dieses zusammenfassende Bild soll um die Prüfung der beiden Hypothesen in Kapitel 2 aufgestellten H_3_a und H_3_b vervollständigt werden: Die entwickelte Hypothese, dass der Quasi-Markt wie auch der Korporatismus zwei ineinandergreifende Teile einer hybriden Gesamtinstitution sind, kann anhand der Ergebnisse des Pflegesektors bestätigt werden. Die Steuerung des Pflegesektors kennzeichnet ein Steuerungsregime, das aus einer Relational Governance wie auch einer Quasi-Market-Governance besteht. Hybridität kennzeichnet sich auf institutioneller wie auf Steuerungsebene zum einen durch pfadabhängige Elemente in Form korporatistischer Strukturen und der damit verbundenen Relational Governance. Mit dem Quasi-Markt und der ihm innewohnenden Quasi-Market-Governance, haben sich Elemente des Pfadwechsels im Pflegesektor etabliert (H_3_a).
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4 Veränderbarkeit der Institutionen des Pflegesektors: Empirie
Die Hypothese, dass der Korporatismus weiterhin besteht, jedoch eine andere Form angenommen hat, zeigt sich anhand der Staat-Verbände-Beziehungen im Pflegesektor. Die Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden haben insofern eine hybride Struktur, als sie kooperativ, komplementär sowie konfrontativ sein können (H_3_b). Im Rahmen dieser hybriden Beziehungsstruktur hat sich der ehemalige Korporatismus zu einem virtuellen Korporatismus verändert, den auszeichnet, dass er zu großen Teilen entstehen und wieder zerfallen kann. Allerdings bleibt aus der institutionellen Perspektive offen, wodurch sich konfrontative Staat-Verbände-Beziehungen auszeichnen und wie genau sie entstehen. Weitere Ergebnisse und Hinweise ergeben sich aus der Organisationsperspektive in Kapitel 5. Aus Institutionenperspektive ist es zentral festzuhalten, dass die Wohlfahrtsverbände im Pflegesektor maßgeblich am Erscheinungsbild des Korporatismus beteiligt sind. Sie sind in der Lage, die Staat-Verbände-Beziehungen von der Komplementarität in Richtung Kooperation zu lenken, in dem sie latent bestehende informelle Strukturen zu erzeugen und zu nutzen in der Lage sind. Damit tragen sie zum äußeren Erscheinungsbild des Korporatismus bei. Auch wenn das institutionelle Bild des neuen Pflegesektors die Wohlfahrtsverbände prägt, so ist ebenso eine Gestaltung nach dem Muster des Akteurszentrierten Institutionalismus beobachtbar. Diese Argumentationskette liefert damit eine Erklärung, dass der Zerfall und die Erzeugung korporatistischer Strukturen sich durch den Einfluss von Organisationen ergeben.
3 Abschließende Bemerkungen Das Ergebnis, dass es sich im Pflegesektor um ein Steuerungsregime handelt, welches zueinander in Widerspruch stehende Teilinstitutionen beinhaltet, kann möglicherweise eine Erklärung für die in Widerspruch stehenden Forschungsergebnisse sein. Wie in Abschnitt 2.2.1 umrissen, zeichnen die Forschungsergebnisse in den Sozialsektoren teilweise unterschiedliche Bilder von korporatistischen Strukturen, die von einem dominanten Korporatismus bis hin zu einem nicht mehr existenten Korporatismus reichen. Vor dem Hintergrund der hier erzielten Ergebnisse scheinen die Forschungsergebnisse nicht unbedingt widersprüchlich zu ein. Vielmehr beleuchten sie unterschiedliche Zustände korporatistischer Strukturen. Somit kann einerseits ein Korporatismus entstehen, der durch diverse Konsensfindungsmöglichkeiten im Sozialgesetz verankert ist, aber letztlich im Schatten des „Vom-Status-zum-Kontrakt“-Grundsatzes steht. Damit liegt eher ein schwach ausgeprägter Korporatismus vor. Dem
3 Abschließende Bemerkungen
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steht ein Korporatismus gegenüber, der durch seine Virtualität an die institutionelle Fülle des traditionellen Korporatismus heranreicht: Zusätzliche korporatistische Netzwerke können von Wohlfahrtsverbänden erzeugt werden, die schließlich Institutionen und die Steuerung des Pflegesektors mitprägen. Durch seine Virtualitätsmerkmale kann es schließlich zu einer unterschiedlichen Beurteilung des Korporatismus kommen. Abschließend sei erwähnt, dass zwei Typen von Staat-Verbände-Beziehungen sich aus der institutionellen Perspektive nachzeichnen und erklären lassen. Dass offenbar auch konfrontative Staat-Verbände-Beziehungen bestehen, die an eine veränderte Rolle der Wohlfahrtsverbände als Sozialanwalt gebunden sind, lässt sich aus der institutionellen Perspektive hingegen nicht genau verdeutlichen. Wie konfrontative Staat-Verbände-Beziehungen genau emporkommen, soll aus der Organisationsperspektive im folgenden Kapitel 5 genauer untersucht werden.
5
Veränderbarkeit der Organisationen im Pflegesektor: Empirie
1 Die Organisationen im Pflegesektor und ihr Wandel 1.1 Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und ihre Einrichtungen Die Freie Wohlfahrtspflege wird von wenigen großen Verbänden geprägt, die in der Regel als Wohlfahrtsverbände oder auch Verbände der Freien Wohlfahrtspflege bezeichnet werden (vgl. Merchel 2003: 66 sowie Moos/Klug 2009: 41). Es handelt sich dabei mit dem Deutschen Caritasverband, dem Diakonischen Werk, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, der Arbeiterwohlfahrt, dem Deutschen Rot Kreuz und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland insgesamt um sechs Wohlfahrtsverbände. Sowohl bei der begrifflichen Abgrenzung von Wohlfahrtsverbänden bzw. Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege als auch bei der Frage, inwieweit Freie Wohlfahrtspflege ausschließlich für die sechs Wohlfahrtsverbände steht, entsteht kein abgeschlossenes, klares Bild (vgl. Merchel 2003: 66 ff. oder auch Boeßenecker/Vilain 2013: 32). Auch eine einheitliche Definition der Wohlfahrtsverbände stellt sich als schwierig dar, da trotz verbandsübergreifender Gemeinsamkeiten auch Unterschiede zwischen den Verbänden ausgemacht werden können. Sicher ist, dass es bei den Wohlfahrtsverbänden sich um Organisationen mit einem gemeinnützigen Status handelt und im weiteren Sinne Non-Profit-Organisationen darstellen: Sie eint ihre solidaritätsstiftende Funktion in der Gesellschaft derart, als sie „[…] die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Lange, Hybrider Wohlfahrtskorporatismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30754-7_5
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5 Veränderbarkeit der Organisationen im Pflegesektor: Empirie
zu steigern und daraus folgend einen sozialen Ausgleich zu schaffen“ versuchen (Moos/Klug 2009: 44). In diesem Zusammenhang ist die Herausbildung der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland mit der Entwicklung Deutschlands eng verbunden – eine späte Formierung zu einem Nationalstaat und eine unentwickelte staatliche Sozialpolitik führten u.a. zu zahlreichen Initiativen, die jene zu dieser Zeit unentwickelten Funktionen des Staates ausgleichen sollten. Darin mündete schließlich die Entstehung der Wohlfahrtsverbände (vgl. Boeßenecker/ Vilain 2013: 33 f.). Die sechs Verbände der Freien Wohlfahrtspflege zeichnet traditionell die Besonderheit aus, dass sie neben ihrer Funktion als Leistungserbringer auch die Rolle als Interessenvertreter innehaben. Diese Doppelfunktion der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege spiegelt sich in einer komplexen Organisationsstruktur wider (vgl. Abbildung 5.1). Grundsätzlich haben die Verbände einen föderalen Aufbau, wobei sich der Aufbau an jenem der öffentlichen Verwaltung orientiert (vgl. Grohs 2017). Mithin ist der Aufbau der kirchlichen Wohlfahrtsverbände in der Regel gekennzeichnet von einer föderalen Struktur, wobei sich etwa der Aufbau der Caritas auch am Aufbau der Amtskirche orientiert (vgl. Bode 2002 (b): 6). Die BAGFW stellt gewissermaßen die Spitze der gesamten (Organisations-) Struktur dar – in ihr sind alle sechs Verbände der Freien Wohlfahrtsverbände zusammengeschlossen (vgl. Moos/Klug 2009: 41 f. oder auch Meyer 1999: 113 f.). Die BAGFW entstand ursprünglich aus der „Deutschen Liga der Freien Wohlfahrtsverbände“, die im Jahr 1923 gegründet wurde, um das Miteinander der Wohlfahrtsverbände besser zu koordinieren (Moos/Klug 2009: 43). Auch auf Länderebene schließen sich die Wohlfahrtsverbände zu einer Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAGFW) zusammen. Der Zusammenschluss zur BAGFW und zur LAGFW kann wie in Abschnitt 4.1.3 dargestellt ein einheitliches Auftreten der Wohlfahrtsverbände vereinfachen – Ziele und Interessen können dort aufeinander abgestimmt werden, um letztlich ein geschlossenes Bild etwa in Vergütungsverhandlungen gegenüber Kostenträgern zu demonstrieren (vgl. Meyer 1999: 114). Aber auch die Interessen verschiedenster (gesellschaftlicher) Gruppen lassen sich zentral über die BAGFW vermitteln. So kann die BAGFW als Sprachrohr dienen, damit Wohlfahrtsverbände sich bei gesellschaftlichen Problemlagen Gehör verschaffen, die für ihr Klientel zentral sind. Auf Länderebene finden sich darüber hinaus noch Landesverbände oder im Fall der Caritas Diözesanverbände. Sie sollen die Interessen von verschiedenen Trägern innerhalb eines Bistums vertreten
1 Die Organisationen im Pflegesektor und ihr Wandel
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(vgl. Bode 2002 sowie Moos/Klug 2009). Darunter finden sich auf dezentraler Ebene Orts- und Kreisverbände, wobei die Ortsverbände selbständige organisierte Träger darstellen und ihre Aufgaben mit der nächst höheren Ebene zum Bezirksverband oder etwa auch dem Diözesanverband koordinieren (Moos/ Klug 2009: 42). Schließlich sind in den meisten Fällen auf Bundes-, Landesund Kreisebene Arbeitskreise und Fachausschüsse zu finden (Schröder 2017: 52 sowie Manderscheid 2006). Während die Funktion als Interessenvertreter oder Vertreter bestimmter gesellschaftlicher Bereiche sich durch die oben genannten Verbände auf Bundes-, Landes- und Kreisebene kennzeichnet, erbringen die Dienste bzw. Einrichtungen die von den Wohlfahrtsverbänden angebotenen Leistungen. Neben der Altenhilfe gehören Kinder- und Jugendhilfe, Behindertenhilfe, Familienhilfe wie auch die Krankenhausversorgung zu den Tätigkeitsbereichen der Wohlfahrtsverbände, wobei die Altenhilfe zu den größten Aufgabenbereichen gehört (vgl. Schneiders 2010: 196 f. sowie Ottnad et al 2000: 25). Entsprechend stellen jene Dienste und Einrichtungen etwa Pflegedienste, Krankenhäuser oder Kindergärten dar. Insgesamt kennzeichnet ein vielseitiges Angebot die Arbeit der Wohlfahrtsverbände, weshalb sie wegen dieser Ausrichtung als „Gemischtwarenladen“ bezeichnet werden (vgl. etwa Richter 2002: 160). Die Träger der Einrichtungen haben größtenteils die Rechtsform des Vereins oder der gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung; diese Träger schließen sich auf freiwilliger Basis in Verbänden zusammen, wobei die Verbände auf allen föderalen Ebenen selbständig sind (Ottnad et al 2000: 20). Somit sind alle Organisationen innerhalb dieses netzartigen Gebildes „lose“ miteinander verbunden und die Organisationen agieren zu einem großen Teil eigenständig (vgl. Liebig 2009: 209 f.). Jener freiwillige Zusammenschluss zu einem Netz äußert sich auch darin, dass eine „hierarchische Durchgriffskompetenz“ bzw. eine Weisungsbefugnis innerhalb des Gesamtverbandes von oben nach unten kaum besteht (Liebig 2009: 209 sowie Ottnad et al 2000: 20). Dies zeigt, dass der Zusammenschluss von einer Vielzahl von kleinen Organisationen zu einem Verband einen netzartigen Charakter hat, der die Frage nahelegt, wie der Erhalt dieses Netzes gewährleistet werden kann. Trotz der rechtlichen Selbstständigkeit der einzelnen Einrichtungen scheint es Faktoren zu geben, die dazu führen, dass das Gesamtgebilde Wohlfahrtsverband mit seinen zahlreichen Einrichtungen und Diensten traditionell zusammengehalten wird. Zum einen kommt den Verbänden im Rahmen dieses
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5 Veränderbarkeit der Organisationen im Pflegesektor: Empirie
Abbildung 5.1 Organisationsstruktur der Freien Wohlfahrtspflege. (Quelle: Ottnad et al 2000: 19)
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Zusammenschlusses die Aufgabe zu, die Einrichtungen und Dienste materiell zu unterstützen bzw. deren Interessen zu vertreten. So etwa bei Entgeltverhandlungen oder der Beschaffung von Zuwendungen für die Einrichtungen (Bode 2002 (b): 7). Zum anderen soll eine gemeinsame Basis von Werten und Idealen angestrebt werden, um alle Einrichtungen bzw. Mitglieder in die Wohlfahrtsverbände zu integrieren (vgl. Backhaus-Maul/Olk 1994: 110 f.). Trotz vieler Gemeinsamkeiten zeichnen sich die Wohlfahrtsverbände allein schon wegen ihres weltanschaulichen oder kirchlichen Hintergrundes durch ein jeweils ganz eigenes Profil aus. Der Deutsche Caritasverband (DCV) und das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (DW der EKD) stellen etwa die Wohlfahrtsverbände mit einem kirchlichen bzw. christlichen Hintergrund dar. Bevor er im Jahr 1921 in die katholische Kirche in Deutschland (organisatorisch) integriert wurde, war der Deutsche Caritasverband gegenüber der katholischen Kirche eigenständig (Schmid/Mansour 2007: 249). Der Deutsche Caritasverband stellt den größten der sechs Wohlfahrtsverbände dar und ist mithin Hauptarbeitgeber im Sozialbereich. Neben Leistungsentgelten machen kirchliche Zuwendungen wie auch öffentliche Zuschüsse den Hauptteil seiner Einnahmen aus, die Schätzungen zufolge im zweistelligen Milliardenbereich rangieren (Schmid/Mansour 2007: 249). Die Organisationsstrukturen des Deutschen Caritasverbandes sind in den Aufbau der katholischen Kirche integriert. Auf Landesebene finden sich 27 Diözesanverbände, die die Interessen von verschiedenen Trägern innerhalb eines Bistums vertreten (vgl. Bode 2002 sowie Moos/Klug 2009 und Schmid/Mansour 2007: 249). Darunter finden sich auf dezentraler Ebene Orts- und Kreisverbände1, wobei die Ortsverbände selbständige organisierte Träger darstellen und ihre Aufgaben mit der nächst höheren Ebene zum Bezirksverband oder etwa auch dem Diözesanverband koordinieren (Moos/Klug 2009: 42). Der Dachverband sieht sich neben der Koordination der Caritas-Arbeit sowie der Aus- und Weiterbildung vor allem der Interessenvertretung und der Öffentlichkeitsarbeit verpflichtet (Schmid/Mansour 2007: 249). Daneben wurden Fachverbände gegründet, die den Austausch innerhalb der Caritas verbessern sollen. Das DW der EKD ist ein Zusammenschluss der beiden Hilfsorganisationen Innere Mission und Hilfswerk der Evangelischen Kirche, die beide traditionell
1Im
Fall Caritas gibt es ca. 540 Orts- und Kreisverbände (vgl. Bode 2002 (b) sowie Moos/ Klug 2009).
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5 Veränderbarkeit der Organisationen im Pflegesektor: Empirie
Soziale Arbeit durch den evangelisch christlichen Glauben begründet haben (Schmid/Mansour 2007: 250 sowie Merchel 2003: 100). Im Aufbau ähnelt das DW der EKD dem DCV: Dem Bundesverband des Diakonischen Werkes gehören 24 Diakonische Werke der Landeskirchen an. Darunter finden sich Landesverbände des DW, die wie beim DCV für die Vertretung der Interessen und für einheitliche Positionen der Einrichtungen nach außen sorgen (vgl. Merchel 2003: 106). In ihren Tätigkeiten ist das DW der EKD sehr breit aufgestellt, so dass sämtliche Bereiche der Wohlfahrtspflege abgedeckt werden (vgl. Moos/Klug 2009: 55 sowie Grohs 2010: 52). Auch wenn das DW der EKD und der DCV aufgrund ihres jeweilig religiösen Hintergrundes große Ähnlichkeiten zu haben scheinen, so gibt es auch deutliche Unterschiede zwischen beiden Wohlfahrtsverbänden. So ist etwa der Caritasverband in das Umfeld der katholischen Kirche deutlich mehr eingebunden als das Diakonische Werk in das Umfeld der evangelischen Kirche (Schmid/Mansour 2007: 250 f.). Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) wurde im Jahr 1946 als eine mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und der Arbeiterbewegung in der Weltanschauung engverbundene Organisation gegründet, nachdem sie seit 1933 verboten wurde. Da die AWO als Hauptausschuss der SPD 1919 gegründet worden ist, war sie mithin Teil der SPD. Damit ist das Leitbild der AWO sozialdemokratisch geprägt worden. Seit der Neugründung nach Kriegsende betrachtet sich die AWO jedoch als parteipolitisch neutral (vgl. Moos/Klug 2009: 50). Ähnlich dem Schema von Abbildung 5.1 ist der föderale Aufbau der AWO von einem Bundesverband, Landes- und Bezirksverbänden wie auch Kreis- und Ortsvereinen gekennzeichnet (Schmid/Mansour 2007: 252). Zum Tätigkeitsprofil gehören die Alten- und Behindertenhilfe, die Kinder- und Jugendhilfe sowie die Unterstützung alter und sozial schwacher Menschen. Mithin betont die AWO ihren sozialpolitischen Einfluss in der BRD (vgl. Moos/Klug 2009: 51). Auch wenn das Schema in Abbildung 5.1 die Gemeinsamkeiten im Aufbau der Wohlfahrtsverbände hervorheben soll, so kann es auch bei der Mitglieder- und Organisationsstruktur jener Verbände zu teils deutlichen Abweichungen kommen (vgl. Schneiders 2010: 196). Deutlich wird dies beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, der eigene Dienste bzw. Einrichtungen nur in vergleichsweise geringem Ausmaß unterhält und stattdessen eine Dachorganisation von ca. zehntausend Mitgliederorganisationen darstellt. Die Besonderheit des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes liegt in seiner Neutralität hinsichtlich seiner Weltanschauung. Er stellt letztlich ein Sammelbecken für parteipolitisch und konfessionell neutrale Organisationen dar und wird damit zu einem Interessenvertreter und einem
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wirtschaftlich unterstützenden Verband einer vergleichsweise heterogenen Mitgliederbasis (vgl. Schmid/Mansour 2007: 251 sowie Grohs 2010: 52). Den Gesamtverband bilden 15 Landesverbände, denen die Mitgliederorganisationen angehören (vgl. Ottnad et al. 2000: 20 f.). Ebenso wie der Paritätische Wohlfahrtsverband ist das Deutsche Rote Kreuz (DRK) weltanschaulich neutral. Trotz seiner großen Bekanntheit stellt das DRK im Vergleich zu den oben genannten Verbänden einen eher kleineren Akteur in der Freien Wohlfahrtspflege dar (Schmid/Mansour 2007: 253). Besonders für das DRK ist seine Funktion als „nationale Hilfsgesellschaft“, in der es auch auf internationalem Terrain tätig ist (vgl. Merchel 2003: 111 sowie Grohs 2010: 53). Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) stellt den kleinsten Verband der Freien Wohlfahrtspflege dar. Die ZWST unterstützt die soziale Arbeit in jüdischen Gemeinden. Mithin zählen die Aus- und Fortbildung sowie Erholungsmaßnahmen zur Arbeit wie auch die Integration von jüdischen Zuwanderern (BAGFW 2012: 50). Sowohl als Arbeitgeber wie auch als Anbieter von Dienstleistungen dominieren die Wohlfahrtsverbände nach wie vor die Sozial- und Gesundheitssektoren in Deutschland (vgl. Boeßenecker/Villain 2013). So stellt die Freie Wohlfahrtspflege mit knapp 1,7 Millionen Beschäftigten (BAGFW 2012: 10) einen der größten Wirtschaftssektoren in Deutschland dar. Hervorzuheben ist, dass mit etwa drei Viertel der sozialen Dienstleistungen ein überwiegender Teil von den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege angeboten wird (Heinze/ Schneiders 2013: 6). Die Freie Wohlfahrtspflege finanziert sich zum größten Teil aus Leistungsentgelten wie auch aus öffentlichen und kirchlichen Zuwendungen. Dabei stellen mit mehr als zwei Drittel der Einnahmen Leistungsentgelte mit Abstand die größte Einnahmequelle dar. Die zweitgrößte Einnahmequelle stellen die öffentlichen Zuwendungen dar, gefolgt von kirchlichen Zuwendungen, die zusammen ca. 20 Prozent ausmachen. Ein eher kleinerer Teil der Einnahmen entfällt mit drei Prozent auf Spenden und Beiträge (IDW 2004: 29). Öffnet man die Black-Box Wohlfahrtsverbände, so fällt auf, dass sich ihre Funktion nicht nur auf die eines Verbandes beschränkt, dessen Aufgabe das Eintreten für homogene Interessen ist. Vielmehr sieht sich ein Wohlfahrtsverband als Vertreter verschiedener Ansprüche und Interessen – Wohlfahrtsverbände werden damit zu einem Verband mit einem heterogenen Interessenumfeld im Hintergrund (Dahme et al 2005: 88 f). Besonders macht die Wohlfahrtsverbände, dass sie auch gleichzeitig als Dienstleister aktiv sind, womit sie über einen herkömmlichen Interessenverband hinaus unternehmerischen Charakter bekommen.
134
5 Veränderbarkeit der Organisationen im Pflegesektor: Empirie
1.2 Traditionelle Stakeholderstruktur zwischen Einfluss- und Mitgliedschaftslogik Das heterogene Interessenumfeld im Hintergrund eines Wohlfahrtsverbandes entsteht durch die teils deutlich voneinander abweichenden Ziele seiner Anspruchsgruppen. Das unterscheidet Wohlfahrtsverbände, die nicht nur für die Interessen einer Gruppe eintreten, grundsätzlich von vielen anderen Interessenverbänden bzw. Organisationen. So reicht die Funktion von Wohlfahrtsverbänden im Allgemeinen über die Rolle eines gemeinen Interessenverbandes hinaus, der sich – wie bspw. der Automobilverband – grundsätzlich auf die Vertretung der Interessen seiner Mitglieder spezialisiert hat und damit sein Bestehen legitimiert. Auch im Vergleich zu gewinnorientierten Unternehmen, in denen es vorwiegend um Fragen zu den wirtschaftlichen Bedingungen geht, ist die Anspruchsgruppenlandschaft bei Wohlfahrtsverbänden von vielfältigeren Interessen geprägt. Das Beziehungsgeflecht zwischen Wohlfahrtsverbänden und ihren Anspruchsgruppen hingegen ist nicht nur gekennzeichnet von Werten zur Finanz- und Wirtschaftssituation oder den homogenen Interessen einer einzigen Gruppe; sie werden von einem vielfältigeren Themenfeld bestimmt, so etwa auch von Themen, die sozial benachteiligte Gesellschaftsgruppen betreffen oder kirchliche Werte, die das Handeln von konfessionellen Wohlfahrtsverbände mitbestimmen. Neben diesen Funktionen sind Wohlfahrtsverbände gleichzeitig als Dienstleister aktiv, womit sie über einen herkömmlichen Interessenverband hinaus unternehmerischen Charakter bekommen und dadurch auch mit Interessen ihrer Kunden, etwa den Pflegebedürftigen, konfrontiert werden. Insgesamt zeigt sich eine sehr durchmischte und heterogene Interessenstruktur, welche die Wirkung von Anspruchsgruppen auf Wohlfahrtsverbände kennzeichnet. Die Besonderheit von Wohlfahrtsverbänden mehrere und teils deutlich voneinander abweichende Interessen zu bedienen, findet aus theoretischer Perspektive ihren Ursprung in ihrer Intermediarität: Dieser Theorie folgend befindet sich der Dritte Sektor und die in ihm gemeinnützig tätigen Organisationen in einer Mittlerposition zwischen den Institutionen Staat, Markt und Gesellschaft. Danach würden sich Wohlfahrtsverbände grundsätzlich sowohl in einem Markt-, in einem Staats- wie auch einem gesellschaftlichen Geschehen wiederfinden und Interessen und Einflüsse dieser drei Institutionen aufgreifen. Mithin befinden sie sich durch die teils gegensätzlichen Institutionen in einem Spannungsfeld (vgl. Evers 1990 sowie Evers/Olk 1996)2: Nach dieser Theorie wären Wohlfahrtsverbände aufgrund ihrer intermediären Stellung zu multiplen Organisationen geworden, die mehrere Ansprüche, nämlich jene aus Staat, Markt und Gesellschaft zu bedienen
2Eine
ausführlichere Erläuterung findet sich in Abschnitt 2.2.2.
1 Die Organisationen im Pflegesektor und ihr Wandel
135
suchen. Das Muster, dass Wohlfahrtsverbände eine intermediäre Organisation sind, die sich im Spannungsfeld zwischen drei teils gegensätzlichen Institutionen befinden, ist mit einer heterogenen S takeholder-Landschaft verbunden. Für NonProfit-Organisationen im Allgemeinen stellt sich gegenüber dieser besonderen Anspruchsgruppenstruktur die Frage, inwieweit die bestehenden Konflikte zwischen Interessengruppen zumindest teilweise in Einklang gebracht werden können (vgl. Simsa 2002)? Diese Frage kann mithin auf die Wohlfahrtsverbände übertragen werden. Folgt man der Argumentation von Evers (1990) sowie Evers/Olk (1996), scheinen Wohlfahrtsverbände grundsätzlich derart auf die in Widerspruch stehenden Interessen zu reagieren, als sie jene Interessen zu bedienen suchen. Dadurch haben Wohlfahrtsverbände es sich traditionell angeeignet, sich gleichzeitig in verschiedene Richtungen zu bewegen: Wohlfahrtsverbände vertreten eine Vielzahl von Interessen und erhalten damit selbst eine multiple Zielausrichtung und einen multiplen Charakter (vgl. Evers 1990). Richtet man den Blick auf jene Anspruchsgruppen im Umfeld der Wohlfahrtsverbände, so finden sich zentrale Hinweise, wie es zu einer derartigen vielfältigen, multifunktionalen Ausrichtung der Wohlfahrtsverbände kommt, da die Multifunktionalität von Wohlfahrtsverbänden mit ihrer Anspruchsgruppen-Struktur eng verbunden ist. Gerade der Begriff der „multiple-stakeholder-organisation“ (vgl. Herman/Renz 1997 sowie Simsa 2002) stellt einen treffenden Ausgangsbegriff dar, um zu klären, mit welchen gesellschaftlichen Gruppen oder auch organisationsinternen Anspruchsgruppen, die im Folgenden als Stakeholder bezeichnet werden, Wohlfahrtsverbände in Beziehung stehen. Mit der Umschreibung jener Multifunktionalität schwingt schließlich der Umstand mit, dass eine oftmals zeitgleiche Wahrnehmung von mehreren Aufgaben zu Spannungen und Widersprüchen innerhalb der Wohlfahrtsverbände führt. Unter Stakeholdern oder Anspruchsgruppen werden grundsätzlich Personengruppen verstanden, die von den Handlungen von Organisationen gegenwärtig oder künftig betroffen sind. Die Stakeholder können interne Personengruppen wie Mitarbeiter oder externe Personengruppen wie Kunden umfassen. Stakeholder kennzeichnen sich dadurch, ihre Interessen gegenüber Organisationen geltend zu machen, etwa weil sie über ein entsprechendes Druckpotential verfügen. Organisationen sind in der Stakeholder-Perspektive dazu angehalten, die Interessen der Stakeholder in ihren Handlungen zu berücksichtigen, weil Stakeholder teilweise das Bestehen von Organisationen legitimieren (vgl. Thommen 2009). Eine derartige offene Definition soll für ein Grundverständnis, dass es sich bei Stakeholdern um Akteure handelt, die Einfluss auf eine Organisation ausüben wollen, ausreichen. Wie die Akteure ihren Einfluss ausüben (können), wird Gegenstand der weiteren Darstellung. Ein Überblick über die Stakeholder von Wohlfahrtsverbänden vermittelt folgendes Bild. Wie dargestellt, reicht die
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Funktion von Wohlfahrtsverbänden über die Rolle eines gemeinen Interessenverbandes hinaus. Auch Wohlfahrtsverbände stellen Interessenvertreter ihrer Mitglieder dar, die sich in erster Linie aus den Betrieben und Einrichtungen bzw. den Verbänden auf lokaler Ebene zusammensetzen. Traditionell wie gegenwärtig vertreten die Spitzen- wie Landesverbände die Interessen der Mitgliedseinrichtungen etwa in Entgelt-Verhandlungen und betreiben eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit. Auch sorgt der Verband für eine finanzielle Unterstützung der Mitgliedereinrichtungen (Bode 2002 (b): 7). Wie oben bereits anklingt, nehmen Wohlfahrtsverbände neben ihrer Rolle als Interessenverband die Funktion eines Sozialanwaltes ein, mit dem sie soziale Missstände in die Öffentlichkeit tragen und insbesondere auf die Bedürfnisse und Ansprüche sozial Benachteiligter eingehen (vgl. Manderscheid 2006 sowie Dahme et al 2005). Als Sozialanwalt folgen Wohlfahrtsverbände mehreren Zielen, von denen mit „Deprivation und Interessenvertretung“ und mit „Strukturentwicklung und sozialer Zusammenhalt“ im Rahmen dieser Arbeit zwei zentrale Ziele hervorgehoben werden sollen (Nagel 2015: 114, vgl. auch Ottnad et al 2000: 78 sowie 68–73). Im Rahmen des ersten Ziels stellt die sozialanwaltliche Funktion eine Reaktion auf eine Deprivationslage dar. Wohlfahrtsverbände setzen sich für Gruppen ein, die sich etwa durch Armut am Rand der Gesellschaft befinden und sich durch Unmündigkeit kennzeichnen. Zur Aufgabe als Sozialanwalt gehört (in der Idealvorstellung) die Interessenvertretung sowie die „[…] abstrakte Herstellung eines öffentlichen Bewusstseins für die Problemlagen der bedürftigen Klienten“ (Nagel 2015: 114). Wohlfahrtsverbände agieren damit als Sprachrohr jener sozial Benachteiligten. Darüber hinaus wollen sie an der Strukturentwicklung mitwirken, in der sie die Sozialpolitik des Staates begleiten und kritisieren wollen (vgl. Nagel 2015: 115)3. Gesellschaftlich benachteiligte Gruppen und die Gesellschaft als Ganzes werden damit zu einer Anspruchsgruppe der Wohlfahrtsverbände. Die Funktion als Interessenverband lässt sich bei Wohlfahrtsverbänden damit grundsätzlich zweiteilen: Verbände der Freien Wohlfahrtspflege vertreten die Interessen ihrer zugehörigen Einrichtungen bzw. Betriebe. Darüber hinaus kennzeichnet sie insbesondere, dass sie Ansichten und Probleme bestimmter gesellschaftlicher Schichten, in erster Linie sozial Benachteiligter, gesellschaftlich zu thematisieren suchen. Neben der Rolle als Interessenverband sind Wohlfahrtsverbände gleichzeitig als Dienstleister aktiv, womit sie über einen herkömmlichen Interessenverband
3Diese beiden Funktionen als Sozialanwalt zeigen sich beim Thema Armut, wie in diesem Kapitel 5 noch dargestellt wird.
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137
hinaus unternehmerischen Charakter erhalten. Leistungsempfänger lassen sich als Kunden und letztlich als Anspruchsgruppen von Wohlfahrtsverbänden begreifen – sie nehmen eine angebotene Leistung in Anspruch. Die Funktion von Kunden im Pflegesektor weicht jedoch von dem Einfluss von Kunden auf idealtypischen, d. h. weniger regulierten Märkten, ab. Es muss relativiert werden, dass die Funktion als Kunde insbesondere aufgrund der QuasiMarkt-Struktur in der Pflege begrenzt wird, da etwa Leistungsempfänger (Pflegebedürftige) und Kostenträger (Pflegekassen) personell auseinanderfallen. Nachfrager zahlen nicht selbst voll für die erhaltene Leistung. Es gibt mithin im Pflegesektor keine Preisbildung, die der Logik der Preisbildung auf einem idealtypischen Markt folgt – Preise werden vielmehr verhandelt4. Insbesondere durch den gestiegenen Wettbewerb mit neuen Anbietern im Pflegemarkt hat sich die Kundenfunktion von Leistungsempfängern jedoch im neuen Pflegesystem weiterentwickelt. Darüber hinaus ist die Stakeholder-Struktur von konfessionellen Wohlfahrtsverbänden von besonderen Beziehungen, nämlich jenen zur Kirche gekennzeichnet. Konfessionelle Wohlfahrtsverbände stellen ursprünglich Ausgründungen der christlichen Kirchen dar, um kirchliche Aufgaben außerhalb der Kirche aktiv zu erbringen, weshalb auch die Auffassung besteht, dass konfessionelle Wohlfahrtsverbände selber traditionell als integraler Bestandteil der christlichen Kirche gesehen werden können (vgl. Möhring-Hesse im Interview mit Schröder 2017: 143). Jedoch gelten jene konfessionellen Wohlfahrtsverbände wie die Caritas nicht als Organ der katholischen Kirche. Vielmehr gilt die Caritas derart als verlängerter Arm der katholischen Kirche, als sie ihren „weltlichen Fürsorgeauftrag“ ausführt (Bode 2002 (b): 7). Darüber hinaus lassen sich zum einen Arbeitnehmer und zum anderen Ehrenamtliche als Stakeholder begreifen. Arbeitnehmer streben grundsätzlich gute Arbeitsbedingungen zu einem vertretbaren Lohn sowie die Sicherung der Beschäftigung an (vgl. Heinze/Schneiders 2013: 9). Das Ehrenamt hat die Wohlfahrtsverbände traditionell in der Definition und der Weiterentwicklung der eigenen Werte geprägt und nimmt traditionell eine sehr große Rolle ein: Zum einen finden sich viele ehrenamtliche Vorstände in den Vereinen der Wohlfahrtsverbände, zum anderen machen Ehrenamtliche einen erheblichen Teil aller Beschäftigten in den Wohlfahrtsverbänden aus. Mithin kann davon ausgegangen werden, dass die Werte und Ideale, dich sich in
4Eine Darstellung der Funktionsweise des Marktes im Pflegesektor findet sich in Abschnitt 4.1.2.
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Wohlfahrtsverbänden verbreitet haben, auch ihren Ursprung bei den Ehrenamtlich tätigen haben (vgl. Merchel 2003). Zumindest im alten Pflegesystem stellt der Staat einen weiteren Stakeholder dar. Wenn man die Beziehungen aus der Perspektive des Korporatismus betrachtet, kommt es in dem engen Gleichschritt zwischen Wohlfahrtsverbänden und Politik zu festen Erwartungen und Ansprüchen, die durch die enge Einbindung der Wohlfahrtsverbände in das politische System entstanden sind. Dies wird im Folgenden erörtert (Abbildung 5.2).
Abbildung 5.2 Interne und externe Anspruchsgruppen der Wohlfahrtsverbände. (Quelle: Heinze/Schneiders 2013: 9; wesentlich modifiziert)
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In Bezug auf die zuvor diskutierte Stakeholder-Struktur von Wohlfahrtsverbänden lassen sich die Anspruchsgruppen derart unterteilen, als sich Stakeholder zum einen außerhalb der Wohlfahrtsverbände identifizieren lassen. Dazu gehören die Anforderungen der Kunden bzw. Pflegebedürftigen, der Einfluss und die Erwartungen der Politik und die Vorstellungen der Kirche. All diese Anspruchsgruppen wirken mit ihren Ansprüchen von außen auf die Wohlfahrtsverbände ein – sie können somit als organisationsexterne Stakeholder verstanden werden. Zum anderen zählen die Arbeitnehmer/Angestellten wie auch die ehrenamtlich Tätigen und die Mitglieder, also die Einrichtungen und Verbände, der Wohlfahrtsverbände zum internen Adressatenkreis der Wohlfahrtsverbände. Gesellschaftliche Gruppen gehören zum internen Adressatenkreis, weil sie durch ihren gesellschaftlichen Status, etwa ihre oben angeführte Deprivationslage, quasi automatisch zu Mitgliedern werden, die von den Wohlfahrtsverbänden als Sozialanwalt auf zentraler Ebene vertreten werden. Bis zu den Umwälzungen im Pflegesektor in der Mitte der Neunzigerjahre stellt sich die Frage, inwieweit Wohlfahrtsverbände als intermediäre Organisation in einem Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen externer Stakeholder und den Ansprüchen interner Stakeholder standen (vgl. Grohs 2010)? Ein Vergleich verspricht einen Erkenntnisgewinn, da eine Darstellung und ein Verständnis für jene Zustände im alten Pflegesystem als Ausgangspunkt dienen, um die Veränderungen im neuen System zu verstehen. Grundsätzlich folgen Interessenverbände dem Ziel, interne und externe Interessen in Einklang zu bringen. Dieses Ziel kann mithin auf die Wohlfahrtsverbände als Interessenverbände übertragen werden, weshalb sich mithin der Ansatz zur Einfluss- und Mitgliedschaftslogik von Streeck (1987) als theoretischer Zugang anbietet, um die Gesetzmäßigkeiten der Interessenarbeit der Wohlfahrtsverbände im alten Pflegesystem hervorzuheben (vgl. Backhaus-Maul/Olk 1996). Streecks Ansatz beschreibt die Gesetzmäßigkeit, dass Interessen aus der institutionellen Umwelt wie auch interne Ansprüche nach ganz unterschiedlichen Logiken auf Verbände einwirken, in den Verbänden aufeinandertreffen und dort in einem Spannungsverhältnis stehen. Die Einflusslogik beschreibt dabei, wie die Ansprüche und Interessen der externen Stakeholder von den Wohlfahrtsverbänden berücksichtigt werden, um sich einen Zugang zu Ressourcen vor allem im politischen System zu wahren. Nach der Mitgliedschaftslogik müssen Wohlfahrtsverbände auf die Vorstellungen und Forderungen ihrer Mitglieder eingehen, um sie gewogen zu halten und ihr eigenes Bestehen zu legitimieren. Die Ansprüche, die jeweils der Einfluss- wie auch Mitgliedschaftslogik folgen, treten dabei letztlich im Verband in eine spannungsgeladene Beziehung (vgl. Backhaus-Maul/Olk 1996: 582). Verbände müssen Streecks Ansatz zufolge nun versuchen, die Spannungen zwischen den Ansprüchen
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der externen wie auch der internen Stakeholder möglichst abzubauen und in Einklang zu bringen (vgl. Backhaus-Maul/Olk 1996: 582 sowie Streeck 1987). Aus dieser Perspektive hätten Wohlfahrtsverbände angehalten sein müssen, Spannungen zwischen internen und externen Ansprüchen auszutarieren. Nach dem Verständnis dieses Ansatzes hätten im alten System Wohlfahrtsverbände grundsätzlich den externen Druck aus der Umwelt mit dem Druck der internen Anspruchsgruppen in ein Gleichgewicht bringen müssen, auch wenn im Vergleich zu den klassischen Interessenverbänden eine Vielzahl von externen und internen Interessen bestanden: „So müssen Wohlfahrtsverbände sowohl die partikularistische Vorstellung ihrer Mitgliederbasis von einem differenzierten, qualitativ hochwertigen Leistungsangebot berücksichtigen, als auch dem universalistischen sozialstaatlichen Gütekriterium einer flächendeckenden, standardisierten und preiswerten Grundversorgung Rechnung tragen“ (Backhaus-Maul/Olk 1996: 582).
Überträgt man den Ansatz zur Einfluss- und Mitgliedschaftslogik auf die Wohlfahrtsverbände und ihre Anspruchsgruppen im alten Pflegesystem, so werden jedoch zwei Muster deutlich, die zeigen, dass die Wohlfahrtsverbände mit Spannungen durch interne und externe Interessen anders umgegangen sind, als dies nach Streecks Ansatz zu erwarten wäre. Die Wohlfahrtsverbände waren nicht gedrängt, Spannungen zwischen den Ansprüchen aus der institutionellen Umwelt und den Interessen der internen Anspruchsgruppen grundsätzlich auszugleichen. Es entsteht vielmehr das Bild, dass im alten System die Anforderungen der Anspruchsgruppen sich zueinander in einer stabilen Balance befunden haben und jenes stabile Gleichgewicht bestehende mögliche Restspannungen überlagert hat. Legt man die Überlegungen über das alte Pflegesystem aus Kapitel 4 zugrunde (vgl. Abschnitt 4.1.3), so konkretisiert sich dieses Bild: Offenbar waren die Staat-Verbände-Beziehungen ein dominantes institutionelles Element, sodass die Spannungsmuster zwischen Mitgliedschafts- und Einflusslogik nicht im Sinne von Streecks Ansatz griffen. Die Einhegung der Wohlfahrtsverbände in das alte korporatistische System waren maßgebend dafür, dass sich die Interessen im alten Pflegesystem letztlich nur bedingt in einem spannungsgeladenen Zustand befunden haben. Damit war eine umfangreiche staatliche Förderung in Form von Zuschüssen verbunden (vgl. Klug 1997: 42), die sich letztlich positiv auf die Mitglieder, insbesondere auf die Einrichtungen ausgewirkt hat. Eine derartige Einbindung in den Staatsapparat und die damit verbundene „Ressourcensicherung“ (Grohs 2010: 116) wurden im alten Pflegesystem zudem begleitet von Markteintrittsbarrieren für potentielle Konkurrenten (vgl. Kapitel 4). Insgesamt waren
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die Ansprüche der Einrichtungen in ein spannungsfreies institutionelles Umfeld eingebettet: In den wesentlichen Bereichen waren die Institutionen des Pflegesektors so beschaffen, dass die Ansprüche der Einrichtungen und des Staatsapparates keine Spannungen hervorriefen. Auch die weiteren Anspruchsgruppen, die der Mitgliedschaftslogik unterliegen, waren in einer stabilen und komfortablen Situation. Ein ökonomischer Druck auf die Angestellten kann allein wegen des fehlenden Wettbewerbs und der Kostenerstattung durch die Kostenträger im alten Pflegesystem eher als gering eingestuft werden (vgl. Kapitel 4). Mithin waren die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Arbeitskräfte an jene des damaligen Tarifes des öffentlichen Dienstes (damals Bundesangestelltentarif (BAT)) angelehnt (vgl. Dahme et al 2012: 17 f., vgl. auch Strünck 2000: 191 f.). Insgesamt konnten die Wohlfahrtsverbände als Arbeitgeber den Interessen der Angestellten nach guten Arbeitsbedingungen, einem angemessenen Lohnniveau und auch Beschäftigungssicherung nachkommen (vgl. Heinze/Schneiders 2013: 9). Auch hier waren die Einbettung in enge Staat-Verbände-Beziehungen und in ein vor Wettbewerbsprinzipien geschütztes System zentral dafür, dass die Arbeitnehmer auch in der Pflege zum Staat nicht in Konflikt standen. In dem zweiten Muster zeigt sich, dass zwar auch Spannungen nach dem Ansatz von Einfluss- und Mitgliedschaftslogik hätten bestehen können, dass jedoch Wohlfahrtsverbände durch ihre Einhegung in das korporatistische System letztlich dafür sorgen konnten, bestehende Spannungen zwischen externen und internen Anspruchsgruppen grundsätzlich bestehen zu lassen. Auch bei diesem zweiten Muster scheinen ehemalige dominante Staat-Verbände-Beziehungen die Gesetzmäßigkeiten des Streeck’schen Ansatzes zu überlagern. Den von Streeck (1987) beschriebenen spannungsgeladenen Zustand, der durch das Zusammentreffen von externen und internen Anspruchsgruppen entsteht, schienen die Wohlfahrtsverbände lange Zeit nicht ausgleichen zu müssen, sondern bestehende Spannungen unter Umständen in ihrem Zustand zu belassen. Beispielhaft zeigt sich dies an der Rolle der Wohlfahrtsverbände als Sozialanwalt. Aufgrund ihrer Einbettung in das korporatistische System und „[…] nicht zuletzt wegen der engen politischen Verbindungen zwischen der christlich-liberalen Bundesregierung und den Spitzenvertretern der Freien Wohlfahrtspflege waren die Wohlfahrtsverbände wenig geneigt, aktiv und konfliktorisch die Interessen benachteiligter Bevölkerungsgruppen öffentlich zu artikulieren“ (Olk 1995: 115). Das galt ebenso für pflegenahe Themen: Das Agieren als Sozialanwalt insbesondere im Rahmen der Armutsdebatte bot etwa große Schnittmengen zum Thema Pflege und war für die dortigen Aktivitäten von Bedeutung. Im alten
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Pflegesystem, in dem es keine Pflegeversicherung gegeben hat, mussten Pflegebedürftige zunächst aus eigenen Mitteln vollständig Pflegeleistungen stemmen, wodurch rund 60 Prozent aller Pflegebedürftigen schließlich auf Sozialhilfe angewiesen waren. Sie waren damit mit Armut durch Pflegebedürftigkeit konfrontiert (vgl. Kapitel 4). Insbesondere im stationären Pflegesektor war dadurch das Armutsrisiko recht hoch (vgl. Barkholdt/Naegele 1995). Die Brisanz dieses Themas wurde jedoch von den Wohlfahrtsverbänden nach den Umwälzungen im Pflegesektor vorangetrieben. Der in Streecks Ansatz beschriebene Ausgleich von internen und externen Interessen war für Wohlfahrtsverbände im alten Pflegesystem gegenüber sozial Benachteiligten nicht zwingend nötig bzw. nicht möglich. Eher schienen sie eine ernstzunehmende Rolle als Sozialanwalt zu vernachlässigen. Wohlfahrtsverbände waren im alten System Teil des Staates gewesen und waren damit nicht in der Lage die Interessen von sozial Benachteiligten und zugleich die des Staates zu vertreten. Sie wurden damit nicht vermittelnd tätig, sondern ein „[…] Puffer zwischen Druck der Betroffenen und staatlicher Administration“ (Klug 1997: 42). Als Reaktion dazu sind vermehrt Selbsthilfeverbände emporgekommen, an die sich sozial Benachteiligte wandten und die eine Alternative zu den Wohlfahrtsverbänden in der Rolle als Sozialanwalt darstellten (Klug 1997: 43). Dies zeigt, dass Wohlfahrtsverbände den Druck sozial benachteiligter Gruppen im alten System ins Leere haben laufen lassen, weil sie ein fester Teil eines statusträchtigen Netzwerks mit dem Staat waren. Staat-Verbände-Beziehungen dominierten sämtliche Funktionen der Wohlfahrtsverbände. Damit kam es im alten System nicht zu der Gesetzmäßigkeit, die – entsprechend der Einflusslogik Streecks – auf Verbände grundsätzlich ausgeht. Daraus ergibt sich folgender Schluss: Die Besonderheit von „multiple-stakeholder-organisationen“ liegt im Allgemeinen gerade darin in Widerspruch zueinanderstehende Ansprüche und Interessen bedienen zu können. Zwar wird deutlich, dass Wohlfahrtsverbände im alten System des Pflegesektors eine „multiple-stakeholder-organisation“ dargestellt haben, weil sie grundsätzlich von mehreren Anspruchsgruppen mit teils divergierenden Interessen umgeben waren. Jedoch zeigt die Betrachtung mithilfe von Streecks Ansatz, dass die multiple Ausrichtung der Wohlfahrtsverbände beim Wahrnehmen und dem Ausgleichen gegensätzlicher Ansprüche nicht unbedingt gegeben gewesen ist. Im Gegenteil: Dass es sich um multiple Organisationen handelt, die sich vielfältig ausrichten und widersprüchliche Interessen zu integrieren suchen, muss für Wohlfahrtsverbände im alten Pflegesystem deutlich relativiert werden. Eine Ausrichtung der Wohlfahrtsverbände im alten System erfolgte vielmehr an den Interessen des Staates und seiner Förderung. Den Spannungen, wie sie nach den
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Gesetzmäßigkeiten von Mitgliedschafts- und Einflusslogik gegeben waren, waren durchsetzt von den dominierenden Staat-Verbände-Beziehungen und der damit verbundenen quasi-staatlichen Rolle der Wohlfahrtsverbände. Forderungen und Ansprüche, die im Widerspruch zu den Interessen des Staates lagen, liefen ins Leere, weil Wohlfahrtsverbände einen Teil der staatlichen Aktivität darstellten. Exemplarisch veranschaulicht dies das Verhalten der Wohlfahrtsverbände als Sozialanwalt – die Rolle als Vertreter benachteiligter Bevölkerungsgruppen stand im Schatten der politischen Haltung gegenüber diesen Gruppen. Zudem waren auch Interessen verschiedener Stakeholder aufgrund der Einhegung in die engen Staat-Verbände-Beziehungen von Widersprüchen befreit. Im Folgenden stellt sich die Frage, wie externe und interne Anspruchsgruppen sich durch die Reform im Pflegesektor verändert haben und inwieweit Streecks Beschreibung von Mitgliedschafts- und Einflusslogik zur Beschreibung der Stakeholder-Widersprüche an Erklärungskraft für den neuen Pflegesektor gewonnen hat oder als geeigneter Ansatz verworfen werden muss. Es zeigt sich, dass Beziehungen zu sämtlichen Stakeholdern vom institutionellen Wandel hin zum „Vom-Status-zum-Kontrakt“ durchzogen sind und sich durch eine „Verbetriebswirtschaftlichung“ der Wohlfahrtsverbände äußert.
1.3 Verbetrieblichung und der Verfall der Mitgliedschaftslogik Die Reform des Pflegesektors sowie der Sozialsektoren im Allgemeinen haben seit Mitte der Neunzigerjahre umfassende betriebswirtschaftliche Anpassungen in den Wohlfahrtsverbände zur Folge. Die nun ökonomische Ausrichtung der Institutionen des Pflegesektors, wie es im Abschnitt 4.1.3 unter dem Prinzip „vom Status zum Kontrakt“ zusammengefasst wird, ruft als Reaktion zahlreiche betriebswirtschaftliche Elemente auf den Plan, mit Hilfe derer die Wohlfahrtsverbände ihren Aufbau und ihren Ablauf auszurichten suchen (vgl. Dahme et al 2005: 95). Jene Maßnahmen, mit denen die Wohlfahrtsverbände auf die Ökonomisierung des Pflegesektors reagieren, werden unter dem Begriff Verbetrieblichung zusammengefasst. „Hierbei geht es primär darum, aus weltanschaulich und sozialpolitisch begründeten gemeinnützigen Organisationen sozialwirtschaftliche Leistungserbringer zu formen, deren zentrale Aufgabe die Erbringung von professionellen Dienstleistungen ist, die unter Effektivitäts- und Effizienzkriterien darstellbar und kontrollierbar sind“ (Dahme et al 2005: 93, vgl. auch Arnold/Maelicke 1998).
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Die betriebswirtschaftlichen Anpassungsprozesse betreffen nahezu alle Organisationsbereiche der Wohlfahrtsverbände. Ausgangspunkt für betriebswirtschaftlich geprägte Veränderungsprozesse der Verbände ist der steigende Kostendruck (vgl. Dahme et al 2005: 102). Nach dem Wegfall des Kostendeckungsprinzips (vgl. Kapitel 4) und durch die Umstellung hin zur prospektiven Vergütung sind die Einrichtungen der Verbände angehalten gewesen, Leistungen insgesamt effizienter zu erbringen (Dahme et al 2005: 102). Darüber hinaus setzen bestimmte Regelungen im SGB XI ein kostenorientiertes und controlling-basiertes Handeln voraus (vgl. Strünck 2000: 117)5. Das interne Rechnungswesen wurde mit betriebswirtschaftlichen gängigen Instrumenten ausgestaltet, die bis heute die organisationalen Veränderungsprozesse in den Wohlfahrtsverbänden prägen. Mithilfe von Kostenrechnung und vor allem mithilfe der Einführung eines Controllings sollen Finanzbewegungen in den Einrichtungen wie Pflegeheimen überwacht werden und danach die Steuerung der Einrichtungen angepasst werden. Dass eine Überwachung der Finanzvorgänge in den Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände zentral ist, zeigen die Personalkosten, die im Pflegesektor entstehen. Denn 68 Prozent der anfallenden Kosten eines typischen Pflegeheimes entfallen auf das Pflegepersonal (Augurzky et al 2008: 40; vgl. auch Müller 2015: 140). Neben der Einführung von Kosten- und Controllinginstrumenten gehören Konzentrations- und Fusionsprozesse sowie Vernetzungen zu den zentralen Merkmalen, die die Veränderungen von Wohlfahrtsverbänden im Wettbewerbsumfeld des Pflegesektors ausmachen. Altenheime und Krankenhäuser etwa schließen sich zu größeren Betrieben zusammen, wobei die Betriebe teilweise überkonfessionell zusammengeschlossen werden (vgl. Dahme et al 2005: 93 sowie Schröder 2017: 53). Beispielhaft im pflegenahen Umfeld sind die Zusammenschlüsse von katholischen und evangelischen Krankenhäusern zu nennen, womit etwa gemeinsame Angebote verschiedener Einrichtungen weiterentwickelt werden und kostengünstigere Angebote entstehen sollen (vgl. Dahme et al 2005: 95 f. sowie Schröder 2017: 53). Bei der Caritas lässt sich in der Stadt Essen darüber hinaus ein Zusammenschluss zur „Pflegedienste gGmbH von Caritas und katholischen Kliniken“ beobachten. Mit dieser Art von Zusammenschlüssen sollen ganze Versorgungsketten zwischen Diensten und Krankenhäusern geschaffen werden, von denen ambulante Pflegedienste einen Teil darstellen. Von der Koordinierung verschiedener Gesundheitseinrichtungen samt
5Dazu
gehört etwa die Wirtschaftlichkeitsprüfung (§ 79 SGB XI).
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entstehender Synergieeffekte versprechen sich die Anbieter einen großen Marktanteil (vgl. Bode 2004: 147). Auch zählen Grundsätze des strategischen Managements nun immer mehr zum betriebswirtschaftlichen Repertoire innerhalb der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege. Aufgrund der institutionellen Veränderungen im Pflegesektor gehört es nun zur Organisationsführung der Verbände dazu, Risiken und Chancen des Umfeldes, in dem sie sich bewegen, wahrzunehmen und zu bewerten, auf lange Sicht vorausschauend zu handeln oder auch Entscheidungen bei größerer Unsicherheit zu treffen (Becher 2000: 268, vgl. auch Dahme et al 2005: 94 f.). Grundsätzlich kommen Empfehlungen dahingehend in Betracht, eigene Kernkompetenzen deutlich herauszuarbeiten, d. h. Wohlfahrtsverbände sind dazu angehalten, ihre Angebotspalette in den Blick zu nehmen und einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Das Herausbilden von Kernkompetenzen kann jedoch zu dem traditionellen Charakteristikum der Wohlfahrtsverbände, als Gemischtwarenladen tätig zu sein, in Widerspruch stehen (vgl. Dahme et al 2005: 96). In der Folge müssten sich die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege von einem breiten Angebot entfernen. Im Tätigkeitsfeld Pflege zeichnet sich auch ein Abbau des Versorgungsangebotes an vereinzelten Stellen ab. So haben viele Sozialstationen der Ruhrcaritas sogenannte Familienpflegeleistungen, d. h. eine Unterstützung beim Ausfall der Haushaltshilfe in der Familie, aus ihrem Angebot gestrichen. Grund dafür sind gestrichene Mittel aus der Landesförderung für solche Leistungen und im Fall der Ruhrcaritas fehlende Kirchensteuerzuschüsse (Bode 2004: 145). Jedoch kann dieser Auffassung bzw. diesem Trend entgegengehalten werden, dass die Wettbewerbsfähigkeit gerade deshalb steigt, wenn die Leistungen „aus einer Hand“ angeboten werden: „Das Erfolgspotential eines Verbandes, der im Pflegebereich präsent ist, liegt in dem gezielten Zusammenführen und Ergänzen von bereits vorhandenen Angeboten im offenen, ambulanten, teilstationären und stationären Bereich“ (Becher 2000: 270). Zu den markanten Kennzeichen, welche die organisationalen Veränderungen bei den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege ausmachen, gehören darüber hinaus Ausgliederungen in neu gegründete Betriebe mit privatrechtlicher Rechtsform einer gGmbH6. Sie stellen eine zentrale Reaktion der Wohlfahrtsverbände auf die Reformen im Pflegesektor und in den Sozialsektoren überhaupt dar (Dahme et al 2005: 99). Ausgliederungen umfassen im Wesentlichen die Verlagerung der Geschäftsführung und die Verlagerung von Teilen des
6Gemeinnützige
Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
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Betriebsvermögens auf rechtlich selbständige Einheiten außerhalb der Verbandsstrukturen (vgl. Dahme et al 2005: 99 sowie Schröder 2017). Grundsätzlich bringen Ausgründungen eine größere Verselbständigung der neu gegründeten GmbH-Einrichtungen mit sich (Schröder 2017: 55); sie werden oftmals von den Kreis- und Spitzenverbänden vorangetrieben (Strünck 2000: 191). Insgesamt hat sich im Aufbau der Wohlfahrtsverbände eine Holding-Struktur ergeben, indem einer Dezentralisierungsstrategie gefolgt wird. Im Rahmen dieser Struktur sollen die Arbeitsbereiche über die Gründung von gemeinnützigen Gesellschaften eine hohe Selbständigkeit erhalten. Die Funktionen des Verbandes beziehen sich im Rahmen der holdingartigen Struktur auf Dienstleistungsfunktionen gegenüber den Einrichtungen und Diensten, indem er sie berät, forscht und die Öffentlichkeitsarbeit vorantreibt (vgl. Abschnitt 5.1.2). Mit der Gründung neuer Gesellschaften wird gleichzeitig das Haftungsrisiko des Gesamtverbandes auf diese Gesellschaften verlagert. Der Verband haftet im Falle der Insolvenz der GmbH nicht, die Insolvenz bleibt auf die Betriebe beschränkt (vgl. Richter 2002: 162 f. sowie Strünck 2000: 191). Mit den Ausgliederungen sollen auch die professionellen Bereiche von der ideellen Verbandsarbeit getrennt werden. Dies betrifft letztlich die Führungsebene, da auch hier eine Aufteilung zwischen kaufmännischer bzw. betriebswirtschaftlich agierender Leitung und einer Leitung aus Theologen bestehend zu finden ist (vgl. Boeßenecker im Interview mit Schröder 2017: 172). Die Ausgliederungen haben zur Folge, dass der (ehrenamtliche) Vorstand vom operativen Geschäft und den damit verbundenen zahlreichen betriebswirtschaftlichen Entscheidungen losgelöst werden soll, womit er gleichzeitig auf die ideellen Fragen der Tätigkeiten des Verbandes fokussieren kann. Das operative Geschäft hingegen übernimmt nicht mehr der Vorstand des Vereins, sondern die Geschäftsführung des in die GmbH-Rechtsform ausgegliederten Betriebes, die mit der Ausgliederung mehr Freiräume erhalten soll (vgl. Dahme et al 2005: 99; Strünck 2000: 191). Insbesondere für viele Mitarbeitenden wirken sich die Ausgliederungen innerhalb der Wohlfahrtsverbände gravierend aus. Oftmals stellen die marktfähigen Dienstleistungen wie etwa die Pflege beschäftigungs-/arbeitsintensive Bereiche dar, sodass letztlich die Angestellten wie Pflegekräfte in den marktfähigen Bereichen bei den Einrichtungen mit GmbH-Rechtsform tätig sind. Zentral dabei ist, dass sich für die Arbeitnehmer die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern drohen: So hat sich der im Jahr 2003 gegründete AWO-Arbeitgeberverband, einem Zusammenschluss zahlreicher Verbände und GmbHs der AWO, zum Ziel erklärt, Lohntarife jenseits der bisherigen Tarifstruktur des Öffentlichen Dienstes einzuführen. Deutlich wird diese Zielsetzung auch durch zerfallende
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Arbeitnehmerrechte und die daraus entstehenden Folgen wie Lohndumping und Leiharbeit (vgl. AWO 2009, Jüster 2015: 490 sowie Schröder 2017: 54 ff.). Einen größeren Gestaltungsspielraum gibt es mit den Ausgliederungen nun auch bei der Bezahlung der Angestellten. Grundsätzlich erfolgte die Bezahlung der Angestellten bei den Einrichtungen der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege vor den Organisationsreformen lange Zeit auf Basis öffentlicher Tarifverträge bzw. des daran angelehnten Kirchentarifvertrags. Mit den Ausgliederungen wurde eine davon abweichende Bezahlung der Mitarbeiter, die in einer gegründeten GmbH angestellt sind, möglich. Damit dienen jene Ausgründungen auch dem Zweck, Arbeitsbedingungen flexibler zu gestalten und die Arbeitskosten zu senken. Auch Leiharbeit und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse gehören dabei zum Repertoire der Personalpolitik (vgl. Dahme et al 2012, vgl. auch Strünck 2000: 191 f.). Darüber hinaus ist festzuhalten, dass rund zwei Drittel der Neueinstellungen in den sozialen Diensten befristeter Art sind (vgl. Heinze/ Schneiders 2013: 6). Darüber hinaus sind Pflegekräfte nach den organisationalen Anpassungsprozessen mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Auf der einen Seite sind die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen, die es zu versorgen gilt, zentral. Auf der anderen Seite sind Pflegekräfte dazu angehalten, ihre erbrachten Pflegeleistungen entlang ökonomischer Kriterien zu erbringen, d. h. die Dauer der Pflegeeinsätze möglichst zu minimieren oder Pflegeleistungen lediglich dann zu erbringen, wenn sie mit dem Kostenträger (Pflegekassen) abgerechnet werden können. Pflegekräfte stehen damit in einem Spannungsfeld zwischen pflegewissenschaftlichen Grundsätzen, die auf eine an den Bedürfnissen orientierte Versorgung der Pflegebedürftigen abzielen, und ökonomischen Kriterien, nach denen eine verlustträchtige Pflegepraxis möglichst zu vermeiden ist, um die wirtschaftliche Situation der Einrichtungen nicht zu gefährden (Herwig/Jöst 2011: 196 f.; vgl. auch Heinze/Schneiders 2013: 10). Auch in der Rolle des Ehrenamtes ist es infolge der Verbetrieblichung in den Wohlfahrtsverbänden zu Verschiebungen gekommen. Grundsätzlich bringt die ehrenamtliche Tätigkeit aus betriebswirtschaftlicher Sicht einen wirtschaftlichen Wert hervor, weil durch Ehrenamt auch Dienstleistungen produziert werden. Neben dem wirtschaftlichen Wert werden durch ehrenamtliche Tätigkeiten Ideale vermittelt, die auf Werten wie Solidarität und helfender Gesellschaft basieren (vgl. Merchel 2003: 137). Unabhängig von den Umwälzungen im Pflegesektor und innerhalb der Wohlfahrtsverbände zeichnet sich auf gesellschaftlicher Ebene ein Strukturwandel des Ehrenamtes ab. Das Ehrenamt weicht einem neuen Verständnis von Ehrenamt, das in der Literatur durch Begriffe wie „Individualisierung“ und
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„Selbstverwirklichungsmotive“ oder auch „politischem Veränderungswillen“ und „persönlicher Betroffenheit“ zusammengefasst wird und „[…] keine unbegrenzte Verpflichtung mehr [verträgt], wie es gerade die Wohlfahrtsverbände klassisch vorgesehen haben“ (Heinze/Schneiders 2013: 10; vgl. auch Wohlfahrt o. J. (b): 7). Es zeichnet sich damit eine grundlegende Veränderung der ehrenamtlichen Arbeit ab, die sich derart niederschlägt, dass sie sich weg bewegt von den traditionellen verbandlichen Organisationen hin zu neuartigen Trägern und Organisationsformen: Oftmals beziehen sich nun ehrenamtliche Tätigkeiten auf projektbezogene Arbeit; sie erscheinen unter anderem in Form von Selbsthilfegruppen – selbstorganisierte, freiwillige Tätigkeiten ergeben sich damit auch aus einem individuellen Leidensdruck der freiwillig Tätigen (Merchel 2003: 139). In diesem Zusammenhang zeigt auch die begriffliche Veränderung, dass das traditionelle Ehrenamt vom „freiwilligen Engagement“ abgelöst zu werden scheint (Merchel 2003: 139). Von dem Wandel auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ist mithin das Ehrenamt der Wohlfahrtsverbände betroffen. Die Verbände können dieses neuartige freiwillige Engagement nicht binden, vor allem deshalb, weil es inzwischen projektbezogen und befristet ist und damit nicht mehr in das von Dauerhaftigkeit geprägte Profil von Ehrenamt der Wohlfahrtsverbände zu passen scheint (vgl. Wohlfahrt o. J. (b):7). Neben diesem gesamtgesellschaftlichen Trend wird ein Abschwächen ehrenamtlicher Tätigkeiten direkt den Wohlfahrtsverbänden zugeschrieben: Der Zerfall des Ehrenamtes findet seinen Ausgangspunkt in der Kritik, dass Wohlfahrtsverbände ehrenamtliche Tätigkeit nicht mehr an sich binden können, weil Kriterien zur ökonomischen Leistungsfähigkeit die Aktivitäten in der Basis – d. h. in den Einrichtungen – verdrängen und das Ehrenamt in den Wohlfahrtsverbänden insgesamt an Bedeutung verliert. „[D]er Zwang, sich auf die Refinanzierung der Kosten zu konzentrieren, [hat] dazu geführt, dass Ehrenamtliche aus dem Blick geraten sind“ (Wohlfahrt o. J. (b): 7). Ökonomische Rahmenbedingungen und mithin die Professionalisierung führen dazu, dass „[…] es für freiwillig Engagierte immer schwieriger [wird], sich in ökonomisch effizienten und leistungsorientierten Strukturen zu bewegen und ihre – manchmal bis häufig – sperrige und nicht ausschließlich effizienzfocussierte Identität einzubringen“ (Wohlfahrt o. J. (b): 7). Beispielhaft dafür sind die Organisationsziele zu nennen, da ehrenamtlich Tätigen insbesondere auf der Ebene von Vereinsvorständen bislang die Möglichkeit eröffnet wurde, an den Zielen und dem Selbstverständnis der Organisation mitzuwirken (Richter 2002: 154). Diese Organisationsgestaltung droht nun zu schwinden, weil die Kriterien des Sozialmarktes an Geltung gewinnen – ehrenamtlich Tätige scheinen an Gewicht verloren zu haben. Insgesamt drohen die Konflikte zwischen den neuen Anforderungen und dem traditionellen Ehrenamt sich als unauflösbar darzustellen und das Ehrenamt durch die neue Logik vom
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„Status zum Kontrakt“ zumindest teilweise verdrängt zu werden (vgl. Wohlfahrt o. J. (b): 8 sowie Merchel 2003: 139 f. und Richter 2002: 154). Auch im Altenpflegesektor kann eine abfallende Bedeutung des Ehrenamtes nachgewiesen werden (vgl. Richter 2002: 92). Auch wenn in der Ruhrcaritas im Bereich der Pflege sich immer noch ehrenamtliches Potential aktivieren lässt, so konstatiert der Verband selber fehlenden Nachwuchs im Ehrenamt. Trotz dieses Trends tragen ehrenamtlich Tätige aktuell nicht unmaßgeblich zum Leistungsangebot der Ruhrcaritas bei – etwa 300 Helfergruppen stellen Betreuungsleistungen bereit und sorgen darüber hinaus durch Spendensammlungen für jährliche Einnahmen von etwa 500.000 Euro (Bode 2004: 146). Auch im weiteren Feld der Pflege werden etwa vom Caritasverband in Bochum und deutschlandweit etwa 35 Einrichtungen unterhalten, in denen auf Basis ehrenamtlicher Tätigkeit demente Senioren betreut werden (vgl. Bode 2004: 146). Zu erwähnen bleibt schließlich, dass auch die Beziehungen zwischen Verband und Mitgliedseinrichtungen in Bewegung gekommen sind. Die Betriebe und Einrichtungen sind direkt mit den betriebswirtschaftlichen Umstellungen konfrontiert; sie erhalten nach wie vor Unterstützung von verbandlicher Seite, etwa in den Entgeltverhandlungen. Die Inhalte, denen der Verband mit seiner Politik folgt, konzentriert sich unverändert auf Beratung, Verhandlungsvertretung, ggf. Marketing usw. Neu dabei ist, dass die Betriebe von machtvollen Verhandlungspartnern in den Entgeltverhandlungen vertreten werden müssen, da die Verhandlungsführung vor allem durch die Pflegekassen schwieriger geworden ist. Damit scheint die Verbandsarbeit bzw. die Interessenvertretung eine hohe Bedeutung zu haben. Jedoch zeigt sich auch, dass die Betriebe und Einrichtungen auch selbständiger werden und sich von dem Verband abkoppeln können, da „[…] die Tendenz in den pflegefinanzierten Einrichtungen, sich unabhängiger vom Verband zu organisieren und die Interessenvertretung (Lobbying) in die eigene Hand zu nehmen, sich in immer stärkeren Maße durchzusetzen“ (Dahme et al 2005: 103). Insgesamt ist das letzte Wort in den Beziehungen zwischen Verband und den Einrichtungen nicht gesprochen: Einer notwendigen Unterstützung in den Verhandlungen mit den Pflegekassen steht der Trend gegenüber, sich von der Verbandsarbeit ein Stück weit zu distanzieren. Führt man die Betrachtungen der in diesem Kapitel dargestellten Veränderungen aus der Stakeholder-Perspektive fort, so zeigt sich, dass infolge der Anpassungsstrategien der Wohlfahrtsverbände in erster Linie die Angestellten deutlich an Einfluss eingebüßt haben. Arbeitnehmerrechte und Arbeitsbedingungen der Angestellten haben sich durch die Abkehr vom Tarif des öffentlichen Dienstes deutlich verschlechtert. Es kommt über abgeschmolzene Arbeitnehmerrechte, befristete Anstellungen und schlechtere Bezahlung zum Ausdruck, dass ohne Koppelung an die Tarife des öffentlichen Dienstes
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Arbeitnehmer nun wenig Druckpotential gegenüber ihrem Arbeitgeber aufbauen können. Als ebenfalls gravierend stellt sich der Einflussverlust der ehrenamtlich Tätigen dar, womit sich das Ehrenamt inzwischen in einer anfälligen Position befindet: Während ihre Arbeit nach wie vor einen Mehrwert generiert, scheint die Bedeutung der Ideale, die Ehrenamtliche verkörpern, zu sinken. Ehrenamtliche und Arbeitnehmer, die bis zu der Reformierung des Pflegesektors die Mitgliederinteressen in den Wohlfahrtsverbänden zu großen Teilen mitgeprägt haben, können nun eine kaum noch nennenswerte Rolle einnehmen. In den Beziehungen zwischen Einrichtungen und Verbänden ergibt sich ein ambivalentes Bild, was von einer notwendigen Unterstützung in Entgeltverhandlungen bis hin zu Verselbständigungsversuchen der Mitgliedseinrichtungen reicht. Festzuhalten bleibt schließlich, dass unabhängig von der Entwicklung der externen Stakeholder, die im Folgenden diskutiert wird, der Wegfall der Kräfte in den Wohlfahrtsverbänden ein Vakuum hinterlassen hat. Das stabile Gleichgewicht von internen und externen Stakeholdern, das im alten Pflegesystem vom Staat dominiert wurde, hat sich zunächst durch die institutionellen Umwälzungen und dann mit den organisationalen Anpassungen aufgelöst. Und auch die Gesetzmäßigkeiten, die in Streecks Ansatz beschrieben werden, können sich nicht in der neuen Situation nach den institutionellen Umwälzungen entfalten. Die Kräfte, denen die Mitgliedschaftslogik unterliegt, sind mit einem deutlichen Machtverlust konfrontiert: Die Balance, die sich in den Verbänden im vormaligen Pflegesystem eingestellt hat, scheint einer extremen Schieflage derart gewichen zu sein, als die Einflüsse aus der Umwelt die Wohlfahrtsverbände nun zu durchdringen und auf kein Gegengewicht zu treffen drohen. Der Strategie, dass Kräfte nach der Einflusslogik mit Kräften der Mitgliedschaftslogik im Sinne von Streecks Ansatz austariert werden sollten, können Wohlfahrtsverbände auch nicht nach den Umwälzungen im Pflegesektor folgen, da die Kräfte der internen Stakeholder weggebrochen sind. Damit können die Faktoren nach der Mitgliedschaftslogik nicht zur Geltung kommen. Zusammenfassend betrachtet hat sich das alte Gleichgewicht aufgelöst, weil sich zum einen die Rahmenbedingungen im Pflegesektor verändert haben. Zum anderen haben sich auch die korporatistischen Strukturen verändert: Wohlfahrtsverbände befinden sich bei politischen Entscheidungen nicht mehr in einer dauerhaften Einbindung. Die korporatistischen Strukturen, die das Gleichgewicht von internen und externen Stakeholdern fixiert haben, bestehen nicht mehr. Darüber hinaus ist ein Spannungsausgleich zwischen internen und externen Anspruchsgruppen nicht herzustellen, weil infolge der betriebswirtschaftlichen Anpassungsprozesse die internen Anspruchsgruppen deutlich an Einflussmöglichkeiten verloren haben.
2 Analyse der Wohlfahrtsverbände im veränderten Pflegesektor
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2 Analyse der Wohlfahrtsverbände im veränderten Pflegesektor 2.1 Selective Coupling als neue Strategie der Wohlfahrtsverbände Umwelteinflüsse drohen im reformierten Pflegesektor durch das Wegbrechen der vormaligen internen Gegenkräfte nun auf ein Vakuum zu stoßen. Auf den zweiten Blick jedoch zeichnen sich offenbar Entwicklungen hin zu einer neuartigen Strategie ab, mit der Wohlfahrtsverbände ohne die internen Kräfte Ansprüche der externen Stakeholder auszutarieren in der Lage sind. Unter den neuen Bedingungen geschwächter interner Stakeholder und veränderter Staat-Verbände-Beziehungen treten externe Stakeholder nun mit den Wohlfahrtsverbänden in eine neue Beziehung. Deutlich wird dies in den Beziehungen der externen Anspruchsgruppen, die als Umwelten der Wohlfahrtsverbände, die zueinander in Beziehung stehen, verstanden werden können. Aus den Umwelten werden – wie in Kapitel 3 theoretisch entwickelt – kulturelle Werte, Regeln und Erwartungen an die Wohlfahrtsverbände herangetragen. Kunden und Gesellschaft stehen in der Freien Wohlfahrtspflege mehr denn je in einer spannungsreichen Beziehung: In beiden Umwelten sind die Wohlfahrtsverbände traditionell tätig und nehmen sowohl die Rolle als Sozialanwalt benachteiligter Gruppen wie auch die Funktion wirtschaftlich handelnder Dienstleister ein. Diese Doppelfunktion führt zu den Fragen, inwieweit jene Spannungen in ein Gleichgewicht gebracht werden können? Unter den Bedingungen des neuen Pflegesystems trägt die Gruppe der Leistungsempfänger die ökonomischen Prinzipien an die Wohlfahrtsverbände heran, wie sie im vorigen Kapitel unter dem Prinzip vom „Status zum Kontrakt“ zusammengefasst werden. Dazu gehören zum einen Wettbewerbsprinzipien mit neuen Marktteilnehmern oder auch die Notwendigkeit unter den neuen Bedingungen einer prospektiven Vergütung wirtschaftlicher handeln zu müssen. Diesen neuartigen Umweltbedingungen steht die Rolle als Sozialanwalt gegenüber, der Wohlfahrtsverbände auch weiterhin folgen wollen. Unter den veränderten institutionellen Bedingungen des reformierten Pflegesektors haben Wohlfahrtsverbände auch die Rolle als Sozialanwalt neu ausgerichtet. Sie stehen dem politischen Handeln des Staates in Fragen zur Sozialpolitik nun deutlich konträrer gegenüber, wohingegen sie im alten Pflegesystem in sozialpolitischen Fragen im Gleichschritt gegangen sind (vgl. Olk 1995).
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Grundsätzlich wird die Rolle der Wohlfahrtsverbände als Dienstleister im Wettbewerb um Kunden mit ihrer traditionellen Rolle als Sozialanwalt als unvereinbar oder zumindest spannungsgeladen bezeichnet (vgl. Heinze/Schneiders 2013: 8). Denn als Marktakteure, die im Wettbewerb um Kunden betriebswirtschaftliche Instrumente einführen und schließlich wirtschaftlichen Prinzipien folgen müssen, werden Wohlfahrtsverbände als Vertreter der Bedürftigen als unglaubwürdig erachtet. Sie stoßen als Interessenvertreter betriebswirtschaftlich an ihre Grenzen, „[…] da nicht mehr jede vom Wohlfahrtsverband im Sinne der Klient/innen als notwendig erachtete Dienstleistung mit den Kostenträgern abgerechnet werden kann“ (Heinze/Schneiders 2013: 8). Obgleich die Doppelfunktion als widersprüchlich und umstritten gilt, so zeigt sich, dass sie das Bild der Wohlfahrtsverbände auch in Zukunft prägen soll (Manderscheid 2006: 46 sowie Dahme et al 2005: 89). Als Grundlage des anwaltlichen Handelns scheint der Caritas traditionell der „Erhalt des Grundprinzips des sozialen Ausgleichs“ nahezuliegen (Manderscheid 2006: 58) – ein Widerspruch gleichzeitig einer ökonomischen Logik folgen zu müssen, wird von der Caritas in Kauf genommen. So zeigt sich beim Thema Armut in Deutschland sogar, dass Wohlfahrtsverbände die Doppelfunktion als Sozialanwalt und als Dienstleister gleichzeitig auszufüllen suchen. Die Armutsdebatte gehört in Deutschland zu den zentralen Themen, die die Wohlfahrtsverbände in ihrer Rolle als Sozialanwalt inzwischen fest integriert haben. Ungefähr 16 Prozent der deutschen Bevölkerung sind von Armut betroffen (vgl. Nationale Armutskonferenz 2018: 9). Inzwischen greifen alle Wohlfahrtsverbände dieses gesellschaftlich brisante Thema auf und dienen diesem großen Bevölkerungsteil als Sprachrohr. In ihrer Rolle als Sozialanwalt können sie jene Themen im politischen System systematisch artikulieren (vgl. Gabriel 2007: 47). So arbeiten die Wohlfahrtsverbände in der Nationalen Armutskonferenz in der Bundesrepublik Deutschland (NAK) zusammen (vgl. Olk 1995: 115) und veröffentlichen Stellungnahmen zur gegenwärtigen Armutspolitik. Traditionell fühlt sich etwa die Caritas dem Armutsthema verpflichtet, sodass dieses Thema einen wesentlichen Teil des Leitbildes dieses konfessionellen Wohlfahrtsverbandes ausmacht (vgl. Schröder 2017: 63). Mit diversen Veröffentlichungen nehmen sie zur Armutsproblematik Stellung (vgl. Ottnad et al. 2000: 76 f.). Hervorzuheben ist dabei, dass Wohlfahrtsverbände seit den Umwälzungen in den Sozialsektoren in der Regel eine konfrontative Position gegenüber der Sozialpolitik des Staates einnehmen. Während vormals die Freie Wohlfahrtspflege in sozialpolitische Entscheidungen systematisch eingebunden worden ist
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und sich der staatlichen Politik im Zweifel untergeordnet hat, hat sich inzwischen eine andere politische Strategie herausgebildet, mit der Wohlfahrtsverbände sich derart auf die Seite ihrer Klientel stellen, dass sie in der Regel scharfe Kritik an der Sozialpolitik der Bundesregierung äußern (vgl. Olk 1995, vgl. NAKSchattenberichte 2012, 2015 und 2018). Auch machen Wohlfahrtsverbände regelmäßig auf Missstände im Pflegesystem und auch in der Pflegepolitik aufmerksam, so etwa der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, der den Pflegebeirat kritisiert, wenn dieser für das Pflegesystem „[…] aus falscher Rücksicht auf Regierung und Arbeitgeber weder Kosten beziffern, noch Notstände aufzeigen würde“ (BibliomedPflege 2013). Dass sie nicht mehr systematisch in ein immerwährendes korporatistisches Geflecht eingebunden sind, scheinen Wohlfahrtsverbände für sich genutzt und eine konfrontative Haltung zur Sozialpolitik des Staates aufgebaut zu haben. Mit dieser konfrontativen Haltung, in der Sozialpolitik zu polarisieren, scheint es Wohlfahrtsverbänden zu gelingen, sich öffentlichkeitswirksam auf die Seite der von ihnen benachteiligten Gruppen zu stellen. Diese strategische Neuausrichtung bietet letztlich (auch) eine Grundlage dafür, Spannungen zu anderen Umwelten, insbesondere der Kundenumwelt abzubauen: Auch wenn es sich um in Spannung stehende Logiken handelt, auf der einen Seite unterstützend benachteiligten Gruppen beizustehen und andererseits effizient zu handeln bzw. Leistungen nach ihrer Abrechenbarkeit bereit zu stellen, so haben sich im Rahmen der Neuausrichtung Schnittmengen in den beiden Bereichen der Doppelfunktion gebildet: Es finden sich Hinweise, dass Wohlfahrtsverbände Widersprüche aus gegensätzlichen Umwelten unter den neuen institutionellen Bedingungen eher zu vereinen suchen. Zum einen scheinen Wohlfahrtsverbände die Probleme von sozial benachteiligten Gruppen teilweise sehr pointiert zum Ausdruck zu bringen. Denn es liegt der Eindruck nahe, dass Wohlfahrtsverbände mit dieser Gegenhaltung gegenüber der staatlichen Sozialpolitik auch ein Gegengewicht zu ihrer neuartigen Rolle als wirtschaftlich handelndes und umsatzgetriebenes Unternehmen aufzubauen suchen. Zum anderen versuchen sie ihre Rolle als glaubwürdiger Sozialanwalt für Arme zu untermauern, indem sie mithin Leistungen für Arme bereitstellen und damit ihre Expertise ausweisen (vgl. Gabriel 2007: 48). Gerade mit diesem Vorgehen rechtfertigen Wohlfahrtsverbände ihre Ausrichtung, zeitgleich in sich widersprechenden Umwelten tätig zu sein. Damit scheint es den Wohlfahrtsverbänden zu gelingen, eine Brücke zwischen den zueinander widersprüchlichen und konfliktträchtigen Rollen zu schlagen. Die Rolle als Sozialanwalt weist darüber hinaus seit langer Zeit große Schnittmengen zum Thema Pflege auf und ist für die dortigen Aktivitäten von
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Bedeutung. Vor diesem Hintergrund betreffen die Handlungen der Wohlfahrtsverbände als Sozialanwälte in der NAK traditionell einen großen Teil aller Pflegebedürftigen: Im alten Pflegesystem, in dem es keine Pflegeversicherung gegeben hat, mussten Pflegebedürftige zunächst aus eigenen Mitteln vollständig Pflegeleistungen stemmen, wodurch rund 60 Prozent aller Pflegebedürftigen schließlich auf Sozialhilfe angewiesen waren und sie damit mit Armut durch Pflegebedürftigkeit konfrontiert worden sind (vgl. Kapitel 4). Insbesondere im stationären Pflegesektor war dadurch das Armutsrisiko recht hoch (vgl. Barkholdt/Naegele 1995). Auch im aktuellen Pflegesystem sind Pflegebedürftige grundsätzlich nicht vor Armut gefeit, weil mit der Pflegeversicherung Pflegeleistungen bei weitem nicht in vollem Umfang versichert sind. Damit ist der Pflegesektor mit dem Thema Armut traditionell verbunden. Die oben dargestellte wechselseitige Integration widersprüchlicher Funktionen ist damit auch im Hinblick auf die Aktivitäten im Pflegesektor von Bedeutung. Auch über ihre konfliktträchtige Doppelfunktion hinaus zeigt sich, dass für Wohlfahrtsverbände die Strategie handlungsleitend geworden ist, widerstreitende Interessen oder Umweltlogiken aufeinander abzustimmen und sie möglichst zu integrieren. Durch das zeitgleiche Handeln in mehreren Umwelten werden Wohlfahrtsverbände zu einer „[…] spannungsreiche[n] Intermediarität. Zu ihrer Aufgabe gehört eine Vielfalt von in sich keineswegs widerspruchsfreien Aufgaben- und Funktionsbezügen. […] [D]ie Zielperspektive [kann] nicht darin bestehen, das Spannungsfeld nach einer Seite hin aufzulösen. Es wird vielmehr darum gehen, jeweils neu eine produktive Synthese unterschiedlicher Anforderungen zu realisieren“ (Gabriel 2007: 55).
Jene Verbandsstrategie, die Gabriel (2007) insbesondere für die Caritas identifiziert hat, lässt sich mithin auf alle Wohlfahrtsverbände übertragen, weil Wohlfahrtsverbände grundsätzlich eine ähnliche Vielfalt von unterschiedlichen Anforderungen kennzeichnet. Richtet man den Blick insbesondere auf die Wohlfahrtsverbände mit einem kirchlichen Hintergrund, so sind die Caritas wie auch die Diakonie mit der Anspruchsgruppe Kirche konfrontiert. Auch die kirchliche Umwelt steht seit den Umwälzungen im Pflegesektor in einem spannungsgeladenen Verhältnis zur Kundenumwelt. Grundsätzlich kann die Sichtweise vertreten werden, dass konfessionelle Wohlfahrtsverbände ursprünglich Ausgründungen der christlichen Kirchen darstellen, um kirchliche Aufgaben außerhalb der Kirche aktiv zu erbringen. Kirche und die konfessionellen Wohlfahrtsverbände selber sehen sich, wie bereits kurz
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erörtert, damit traditionell als integraler Bestandteil der christlichen Kirche (vgl. Möhring-Hesse im Interview mit Schröder 2017: 143)7. Betrachtet man sich die konfessionellen Wohlfahrtsverbände als einen verlängerten Arm der Kirche in die Sozialsektoren, so muss die Kirche darum bangen, inwieweit ihr weltlicher Fürsorgeauftrag (vgl. Bode (b) 2002) in der Arbeit der Wohlfahrtsverbände gegenüber Interessen anderer Anspruchsgruppen zurücktritt. Insgesamt wird das Verhältnis zwischen kirchlichem Auftrag und den neuen Marktanforderungen in den Sozialsektoren auch als spannungsreich betrachtet: „[D]ie Spannungen zwischen kirchlichem Auftrag, Konkurrenzdruck, weithin säkular geprägtem Personal und Marktanforderungen [sind] erheblich gewachsen“ (Gabriel im Interview mit Schröder 2017: 119). Ein grundsätzliches Spannungsverhältnis zwischen kirchlichen und wirtschaftlichen Interessen wird etwa bei der Frage offensichtlich, inwieweit Fusionen insbesondere innerhalb der kirchlichen Wohlfahrtsverbände der „Pastoral-Logik“ entgegenstehen, nach welcher die Präsenz der Kirche flächendeckend gesichert bleiben soll: „Die Caritas sucht durch Fusionen Größenvorteile und Synergien zu erreichen, das Bistum will Gemeindenähe waren“ (Manderscheid 2006: 48). Dabei sieht man sich in der aktuellen Diskussion der Einsicht gegenüber, dass nun die „Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Ökonomie und Theologie auf die Tagesordnung kommen“ muss (Gabriel im Interview mit Schröder 2017: 121 f.), wobei auch grundsätzlich darüber gestritten wird, inwieweit zwischen den Grundsätzen der Kirche und den etwa im Pflegesektor 1994 eingeführten Marktelementen Unvereinbarkeiten bestehen und inwieweit sich diese zumindest teilweise neutralisieren lassen. Bei Betrachtung der Caritas als einen der beiden konfessionellen Wohlfahrtsverbände lassen sich in der Diskussion zwischen kirchlichen Werten und ökonomischen Grundsätzen mithin unterschiedliche, in einem Spannungsverhältnis stehende Standpunkte identifizieren: Während Lehner (2006) betont, dem Druck aufgrund der neueren Wettbewerbsbedingungen betriebswirtschaftlich handeln zu müssen, entgegenzusteuern (Lehner 2006: 94), hebt Lehmann die Chance hervor,
7Relativierend muss jedoch festgehalten werden, dass das Verhältnis von Wohlfahrtsverbänden und Kirche grundsätzlich nicht nur von Offenheit gegenüber der Kirche gekennzeichnet ist. So sahen sich Wohlfahrtsverbände in ihren Wandelbestrebungen lange Zeit einem Sperren der Kirche gegenüber, was zu Spannungen und Konflikten führte: „So sichern die Verbände ihre Domänen eben nicht nur nach außen, d.h. gegenüber dem Staat, anderen Verbänden, privaten Anbietern usw., sondern gleichsam auch nach innen gegenüber Kirchengemeinden und anderen kirchennahen Gruppen […]“ (Nokielski/Pankoke 1996: 154 f.).
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die sich aus der gemeinsamen Schnittmenge von Caritasmission und Wettbewerbsbedingungen ergibt: „Der immer stärker auf Wettbewerb ausgerichtete Markt der sozialen Dienstleistungen in Europa ist für den missionarischen Charakter der Caritas eine Herausforderung – aber auch eine Chance. Die kirchliche Caritas wird den Wettbewerb produktiv aufnehmen und zum Wohle der Menschen nutzen, sich also durch den Wettbewerb herausfordern lassen“ (Lehmann 2006: 38).
Lehmann (2006) unterstreicht damit die Schnittmengen von wettbewerbsgetriebenen Leitbildern und den Besonderheiten eines konfessionell geprägten Wohlfahrtsverbandes, da gerade die Besonderheiten von kirchlichen Organisationen für Lehmann (2006) einen Wettbewerbsvorteil darstellen (vgl. Lehmann 2006: 38). Folgt man dieser Position, so scheint es möglich zu sein mithilfe des Wettbewerbs das kirchliche Profil der Caritas sogar stärken zu können. Insgesamt zeichnen sich Tendenzen ab, dass bei Stakeholdern mit betriebswirtschaftlichen Ansprüchen und beim Stakeholder Kirche gemeinsame Interessensschnittmengen auszumachen sind, die durch die Wohlfahrtsverbände zusammengebracht werden können. Auch wenn die Lösungsstrategien nicht in den Wohlfahrtsverbänden abschließend angekommen zu sein scheinen, so zeigt die Diskussion, dass zumindest eine Entwicklung hin zu einem solchen Handeln in Gang gekommen ist. Neben der Herausforderung von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, die Wertebasis mit den Grundsätzen der Ökonomie abzustimmen, wird die Kirche durch die gesellschaftlichen Pluralisierungstendenzen auf die Probe gestellt und mit der Frage konfrontiert, wie die Antwort einer christlichen Kirche auf eine religiöse Pluralisierung aussehen kann. Denn neben einer gesellschaftlichen Pluralisierung finden sich Pluralisierungstendenzen derart im religiösen Bereich, als sie zu einer „individualisierten Religiösität ihrer Mitglieder“ (Gabriel 2014: 55) führt und Fragen hinsichtlich einer neuen Ausrichtung der Kirchen aufkommen lassen: „Die Auflösung der weltanschaulich geprägten Großgruppenmilieus hat gewissermaßen die vororganisatorischen Quellen der Organisationen austrocknen lassen und ihre Organisationsfähigkeit neuen Bedingungen unterworfen“ (Gabriel 2014: 53).
Die Kirchen haben darauf derart reagiert, dass sie nun versuchen wesentlich wandlungsfähiger zu werden und sowohl mit passenderen Organisationsstrukturen als auch in ihren (inhaltlichen) Programmen deutlich flexibler auf die Pluralisierung reagieren. Jedoch ist jener kirchliche Wandel an Grenzen
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derart gebunden, als die Kirchen sich in ihren Veränderungen nicht zu stark von den christlichen Werten entfernen können (vgl. Gabriel 2014: 49). Diese organisationalen Veränderungsprozesse der Kirchen dringen mithin auf die konfessionellen Wohlfahrtsverbände durch. Auch wenn Kirche wie Wohlfahrtsverbände an eine christliche Ursprungsidee gebunden sind, so sorgen jene gesellschaftlichen Veränderungen für einen offeneren Umgang mit zahlreichen Werten, der ihnen viel Flexibilität im Umgang mit diesen Werten abverlangt (vgl. Gabriel 2014). Auch abseits der Umwälzungen im Pflegesektor zeigt sich grundsätzlich der Trend, dass Wohlfahrtsverbände unterschiedliche, sich in Widerspruch befindende Logiken aus verschiedenen Umwelten in Balance bringen wollen. Aus der Erörterung oben ergeben sich Hinweise darauf, dass Wohlfahrtsverbände einer Strategie folgen, die sich mit der Abkehr der alten institutionellen Bedingungen eingestellt hat. Es hat sich ein Gleichgewicht eines neuen Typs eingestellt, mit der Wohlfahrtsverbände die spannungsgeladenen Interessen im Rahmen der neuen Stakeholder-Struktur wieder auszutarieren in der Lage sind. Dabei nehmen Wohlfahrtsverbände Einflüsse aus ihrer Umwelt auf, auch wenn jene Einflusslogiken zueinander in Widerspruch stehen bzw. unvereinbar sind. Es stellt sich heraus, dass sie Einflüsse trotz ihrer Widersprüche zueinander derart aufnehmen können, dass sie jene Elemente wechselseitig zu integrieren suchen (vgl. Pache/Santos 2013: 973). Dies scheint im nunmehr pluralistisch aufgebauten Pflegesektor eine passende Strategie darzustellen, mit der die vielfältigen Interessen austariert werden. Eben jenes Austarieren der pluralistischen Interessen aus unterschiedlichen Umwelten erinnert an eine Strategie, die Pache/ Santos (2013) als Selective Coupling bezeichnen. Selective Coupling kennzeichnet sich dadurch, unterschiedliche und in Widerspruch stehende Logiken aus den Umwelten miteinander zu kombinieren, indem Organisationen die Ansprüche teilweise erfüllen und teilweise unerfüllt lassen. Sie versuchen letztlich, jene Interessen der Stakeholder aus den jeweiligen Umwelten zu bedienen bzw. zu erfüllen, die in etwa kompatibel zueinander sind. Diese Strategie bringt auch mit sich, dass Organisationen letztlich nur partiell auf Interessen und Erwartungen eingehen können: Denn es können jene Interessen oder Ansprüche bedient werden, die zu anderen Interessen oder Ansprüchen in einem etwa deckungsgleichen Verhältnis stehen. Selective Coupling stellt damit eine Strategie dar, mit der Wohlfahrtsverbände eine kompatible Auswahl an Ansprüchen aus den jeweiligen Logiken erfüllen und andere Ansprüche hingegen nicht. Damit gehen Stakeholder bei Ansprüchen, die nicht bedient werden können, vereinzelt leer aus. Auch wenn manche Erwartungen nicht erfüllt werden, so liegt der Vorteil des Selective Coupling darin, als Wohlfahrtsverbände Stakeholder nicht täuschen müssen: Eine verdeckte Abtrennung von der Umwelt, wie sie im Rahmen einer Entkopplungsstrategie
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theoretisch in Betracht kommt, wird dabei nicht nötig (vgl. Kapitel 3). Mithilfe des Selective Coupling sind Wohlfahrtsverbände in der Lage ihre Stakeholder gewogen zu halten. Dass sich das Selective Coupling bewährt hat, zeigt sich wie oben dargestellt an mehreren Stellen, etwa beim Austarieren von kirchlichen und wirtschaftlichen Grundsätzen oder dem Verfolgen einer Doppelfunktion. Wohlfahrtsverbände suchen plausible Wege, die es erlauben, sich einerseits öffentlich gegen Armut zu stellen und andererseits Leistungen anbieten, die sich wirtschaftlich rechnen. Mithilfe der Stakeholder-Perspektive lassen sich die gewonnenen Ergebnisse anhand der in Kapitel 3 entwickelten Typologie von Duncan (1972) einordnen. Die Stakeholder der Wohlfahrtsverbände mit ihren teils deutlich voneinander abweichenden Ansprüchen repräsentieren letztlich unterschiedliche Umwelten, die auf Wohlfahrtsverbände wirken. Für den reformierten Pflegesektor sollen die beiden Stakeholder-Umwelten Kunden (Leistungsempfänger) und sozial Benachteiligte hervorgehoben werden, da sie mit den Institutionen Quasi-Markt und korporatistische Strukturen eng verbunden sind – von diesen Stakeholdern gehen im Sinne der Typologie von Duncan (1972) teils unterschiedlich starke Umweltunsicherheiten aus. In Verbindung mit dem Ansatz von Duncan (1972) können folgende Aussagen abgeleitet werden. In einer sicheren Umwelt können Wohlfahrtsverbände verschiedene Formen und Funktionen einnehmen, d. h. polymorph handeln. Diese polymorphen Entwicklungen ergeben sich in sicheren Umwelten, in denen Wohlfahrtsverbände in (alte) korporatistische Strukturen eingebunden sind und sie in der Lage sind, diese zu nutzen. Stakeholdern kann schließlich mit einer polymorphen Entwicklungsstrategie begegnet werden. Isomorphe Entwicklungen hingegen ergeben sich in unsicheren Umwelten (Abbildung 5.3). Insbesondere die Gesellschaft bzw. sozial Benachteiligte stellen einen Stakeholder dar, von dem letztlich eine geringe Unsicherheit im Sinne der Typologie von Duncan (1972) ausgeht. Die gesellschaftlichen Themen wie insbesondere die Armutsdebatte, die von Wohlfahrtsverbänden aufgegriffen werden, haben sich in ihrer Dynamik wie auch in ihrer Komplexität nicht wesentlich verändert. Verändert haben sich die Staat-Verbände-Beziehungen. Wohlfahrtsverbände haben im veränderten Korporatismus eine abgewandelte Rolle eingenommen – sie bilden mit dem Staat nicht nur ein Tandem, sondern sie nehmen auch eine gegensätzliche Position zur Politik ein. Auch wenn sich die Position gegenüber dem Staat mit der konfrontativen Haltung erweitert hat, so ist das Miteinander mit dem Staat trotzdem routiniert und sicher. Wohlfahrtsverbände haben sich in der sicheren Umwelt neu erfunden, indem sie eine konträre Rolle gegenüber dem Staat eingenommen haben. Dies zeigt die individuelle Weiterentwicklung der Wohlfahrtsverbände nach polymorphem Muster in einer sicheren Umwelt.
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Abbildung 5.3 Hybridisierung von Umweltzuständen im Pflegesektor. (Quelle: Duncan 1972; modifiziert)
Hingegen wurden mit dem Stakeholder Kunden Unsicherheiten, die vom Quasi-Markt zumindest bei seiner Einführung ausgegangen sind, in die Wohlfahrtsverbände getragen. Deutlich wird, dass Wohlfahrtsverbände darauf mit Anpassungsprozessen derart reagiert haben, als ihre Reformschritte von der Übernahme zahlreicher gängiger betriebswirtschaftlicher Elemente gekennzeichnet sind. Eine isomorphe Entwicklung zeichnet sich damit in der unsicheren Umgebungen Quasi-Markt ab. In einem Marktumfeld reagieren Wohlfahrtsverbände mit einer Anpassung nach isomorphem Muster. Nachrangig ist dabei, inwieweit noch heute Unsicherheit vom Quasi-Markt ausgeht. Sind Anpassungsprozesse nach den Gesetzen des Isomorphismus abgeschlossen, verharren die Organisationen in einem pfadabhängigen Zustand – die betriebswirtschaftlichen Praktiken der Wohlfahrtsverbände haben damit Bestand.
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Darüber hinaus wird deutlich, dass sich Wohlfahrtsverbände nicht nur entsprechend der Umweltsicherheit isomorph oder polymorph entwickeln. Über die in Kapitel 3 entwickelte Theorie hinausgehend stehen die beiden Entwicklungsrichtungen in Verbindung zueinander und können zur Beantwortung der Frage beitragen, warum die von den Wohlfahrtsverbänden verfolgte Doppelfunktion tragfähig ist. Dabei wird Selective Coupling zu einem Instrument, mit dem sich Wohlfahrtsverbände in den sicheren wie unsicheren Umwelten gleichzeitig steuern lassen: Polymorphe Handlungen können im Rahmen des Selective Coupling mit isomorphen Handlungen abgestimmt werden. Das Selective Coupling wird damit zum Bindeglied für die isomorphen und polymorphen Entwicklungsmuster der Verbände. Denn je nach Beschaffenheit der Umwelt, aus der die Forderungen der Stakeholder kommen, binden die Wohlfahrtsverbände eben jene Forderungen auf unterschiedliche Weise ein. Der Ansatz zum Selective Coupling zeigt mithin, dass Entwicklungsoptionen sogar aneinandergekoppelt sind. Denn eine betriebswirtschaftliche bzw. eine ökonomisch-effiziente Ausrichtung steht grundsätzlich in Spannung zu der Rolle als Sozialanwalt. Mit der Strategie des Selective Coupling können die Wohlfahrtsverbände die in Spannung stehenden Ansprüche aus den jeweiligen Umwelten derart ausgleichen, als sie über eine polymorphe und damit individuelle Weiterentwicklung sich in ihrer Rolle als Sozialanwalt an der betriebswirtschaftlichen Rolle in einem gewissen Maß ausrichten können. Umgekehrt befinden sich die Wohlfahrtsverbände im betriebswirtschaftlichen Bereich in einer festen Entwicklungsschiene, in der sie nur isomorph handeln können, weshalb sie ihre betriebswirtschaftlichen Elemente nicht an ihre Funktion als Sozialanwalt anpassen können. Damit verbleibt im Rahmen des Selective Coupling die polymorphe Entwicklung als Sozialanwalt, um Spannungen der Anspruchsgruppen zu reduzieren. Mit anderen Worten können Wohlfahrtsverbände die Rolle als Sozialanwalt recht flexibel gestalten. So führen Wohlfahrtsverbände die Umwelten, in denen sie tätig sind zusammen, indem sie die Umweltwidersprüche über das Selective Coupling aufzulösen versuchen. Diese Strategie gibt damit auch Hinweise für die Frage, warum Wohlfahrtsverbände ihre widersprüchliche Ausrichtung, die im Rahmen ihrer Doppelfunktion entsteht, zumindest teilweise aufzulösen in der Lage sind. Wohlfahrtsverbänden gelingt es vereinzelt, Widersprüche in jenen Themenbereichen aufzulösen, in denen sie als Sozialanwalt wie auch als Dienstleister tätig sind, in dem sie die Schnittmengen der Dienstleistungs- und Sozialanwaltsfunktion zu identifizieren suchen. Im Bereich der Armut scheint dies zu gelingen. In Bereichen, in denen Wohlfahrtsverbände nur als Sozialanwalt oder nur als
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Dienstleister tätig sind, ist ein Selective Coupling nicht möglich und Spannungen bleiben bestehen. Wohlfahrtsverbände stellen damit ein polyzentrisches Netzwerk mit mehreren Einzelakteuren (Verbände und Einrichtungen) dar, die je nachdem, ob sie mit Umweltsicherheit oder- unsicherheit konfrontiert sind, polymorph oder isomorph handeln. Durch das Selective Coupling lassen sich in diesem polyzentrischen Netzwerk die jeweiligen Untereinheiten zu einem gewissen Grad koordinieren. Ein Vergleich der Wohlfahrtsverbände im alten und im aktuellen Pflegesystem zeigt darüber hinaus, dass sie sich erst unter den neuen institutionellen Bedingungen zu einer „multi-stakeholder-organisation“ weiterentwickelt haben. Wohlfahrtsverbände waren bis zum institutionellen Wandel im Pflegesektor keine „multiple-stakeholder-organisation“ in dem Sinne, dass sie entsprechend ihrer Rolle als Intermediär zwischen widersprüchlichen Interessen vermittelten. Durch ihre enge Einbindung in die damaligen Staat-Verbände-Beziehungen schienen Wohlfahrtsverbände die Interessen aller anderen Stakeholdern jenen des Staates unterzuordnen. Da sie mit dem Abbau dominanter Staat-Verbände-Beziehungen sich vom Staat teilweise distanzierten, kam es gleichzeitig zu einer neuen Rangordnung der Anspruchsgruppen. Für Wohlfahrtsverbände gibt es unter den neuen Bedingungen keinen Grund mehr, sich unterzuordnen – sie haben sich vielmehr in die Richtung einer „multiple-stakeholder-organisation“ entwickelt. Wie sich zeigt, versuchen Wohlfahrtsverbände vielmehr mithilfe der Strategie des Selective Coupling Kompromisse der Anspruchsgruppen zu erreichen.
2.2 Entwicklung des konfrontativen Korporatismus im wohlfahrtspluralistischen Pflegesektor Die oben diskutierte neue Ausrichtung der Wohlfahrtsverbände in der Armutspolitik oder auch hinsichtlich der kritischen Haltung in der Pflegepolitik geben über die bisherigen Ergebnisse hinaus weitere Hinweise zur Beschaffenheit der Staat-Verbände-Beziehungen im Pflegesektor. Nach den Befunden bestehen inzwischen wesentlich ausgedehntere Staat-Verbände-Beziehungen. Im vorherigen Kapitel (Kapitel 4) hat sich gezeigt, dass Wohlfahrtsverbände und der Staat immer noch nach alten korporatistischen Strukturen kooperieren. Dieser kooperative Korporatismus zeichnet sich dadurch aus, dass der Gesetzgeber zum einen mit der Implementierung wohlfahrtspluralistischer Elemente zugleich Konsensfindungsarenen im Pflegesektor implementiert hat, um die unterschiedlichen Interessen
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(Pflegekassen, Verbände, Vertreter der Pflegebedürftigen) in Verhandlungen und Diskursen auf kooperativer Basis einzubinden. Darüber hinaus finden sich Elemente des virtuellen Korporatismus, wie sie etwa durch kartellartige Strukturen bzw. informelle Staat-Verbände-Beziehungen gekennzeichnet sind (vgl. Kapitel 4). Dieser kooperative Korporatismus jedoch stellt nicht die einzige Ausprägung von Staat-Verbände-Beziehungen im veränderten Pflegesystem dar. Richtet man den Blick nicht nur aus institutioneller Perspektive auf den Korporatismus, sondern betrachtet sich Staat-Verbände-Beziehungen aus der Warte der Wohlfahrtsverbände als Vertreter von Anspruchsgruppen und insbesondere als Sozialanwalt, so lässt sich eine Erweiterung der korporatistischen Beziehungen erkennen. Diese weitere Ausprägung hat sich in Kapitel 4 als Konfrontation angedeutet. Beispielhaft zeigt sich diese neue Rolle der Wohlfahrtsverbände in den Staat-Verbände-Beziehungen am Thema Armut: So gehört auf zentraler gesellschaftlicher Ebene etwa die Armutsdebatte in Deutschland zu den zentralen Themen, die die Wohlfahrtsverbände in ihrer Rolle als Sozialanwalt inzwischen fest integriert haben. Sie organisieren sich – wie dargestellt – im Rahmen der Nationalen Armutskonferenz, veröffentlichen (wissenschaftliche) Stellungnahmen, mit denen sie regelmäßig zur Armutspolitik kritisch Stellung beziehen (vgl. Olk 1995: 115). In ihrer Rolle als Sozialanwalt können sie jene Themen im politischen System systematisch artikulieren (vgl. Gabriel 2007: 47). Darüber hinaus nehmen Wohlfahrtsverbände auch zur Pflegepolitik kritisch Stellung. Die Rolle der Wohlfahrtsverbände hat sich damit teilweise hin zu einem Interessenverband gewandelt, der nun in Politikentscheidungen nicht mehr eingebunden wird, aber hingegen Druck auf die Politik auszuüben in der Lage ist. Damit sind die Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden nicht nur derart von einer Tandem-Beziehung geprägt, dass Sozialpolitikinhalte per Konsens vorangetrieben werden oder in alter Manier Absprachen getroffen werden. Vielmehr wird im gegenwärtigen, neuartigen korporatistischen System die Kooperation begleitet von einer Gegenläufigkeit der beiden Partner Staat und Wohlfahrtsverbände. Die neue Gegenläufigkeit in den sozialpolitischen Positionen wird gerade bestimmt durch eine neue Rolle der Wohlfahrtsverbände, die sie im neuartigen Korporatismus einnehmen. Insgesamt vermitteln die korporatistischen Strukturen ein wechselhaftes Bild, in dem nun neben einem Miteinander auch ein Gegeneinander von Staat und Wohlfahrtsverbänden bestehen kann, d. h. im gesamten Korporatismusspektrum können Staat und Verbände in die gleiche wie auch in eine entgegengesetzte Richtung laufen. Dies deutet sich in der Analyse entlang von Najams Typologie unter dem Begriff „konfrontative Staat-Verbände-Beziehungen“ in Kapitel 4 an.
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Abbildung 5.4 Auf den Pflegesektor angewandte Typologie zu Staat-VerbändeBeziehungen, erweitert um die organisationale Perspektive. (Quelle: Najam 2000: 383; modifiziert)
Durch die Stakeholder-Perspektive und mithin der herausgearbeiteten Rolle als Sozialanwalt sind weitere Erklärungen für die Entstehung konfrontativer Staat-Verbände-Beziehungen entstanden. Entlang der beiden Dimensionen wird die konfrontative Haltung der Wohlfahrtsverbände als Sozialanwalt auch entlang von Najams Typologie analytisch herleitbar (Abbildung 5.4): Wohlfahrtsverbände entwickeln gegenläufige sozialpolitische Ziele zum Staat – in der Armutsdebatte etwa kritisieren sie die Arbeit der Politik. Über den Weg einer konfrontativen Haltung positionieren sie sich exklusiv als Gegenakteur zum Staat, womit sie auch gesellschaftlich Geltung und schließlich Status erhalten. Bei der Frage, wie solche konfrontativen Staat-Verbände-Beziehungen auf das Pflegesystem überhaupt wirken, deutet sich ein eher kontraintuitiver Zusammenhang an: Auch wenn die Beziehungen konfrontativer Natur sind, so gibt es Hinweise darauf, dass gerade diese Reibungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden – zumindest im neuen Pflegesystem – eine systemstabilisierende Wirkung haben können. Auf die Frage, warum sich in den Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden auch konfrontative Positionen eingestellt haben, die systemstabilisierend sind, findet man eine Antwort darauf im System selbst.
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Denn der Wandel des Systems hin zum Wohlfahrtspluralismus hat mithin Gefahren einer Systeminstabilität mit sich gebracht. Ein Merkmal pluralistischer Systeme, dass es zahlreiche Akteure gibt, denen gegebenenfalls Größe und Macht fehlen, um Interessen zu vertreten, findet sich auch im reformierten, wohlfahrtspluralistischen Pflegesektor: Zahlreiche im Pflegesektor emporgekommene privatgewerbliche Unternehmen oder auch Social Entrepreneurs prägen die Anbieterseite des neuen wohlfahrtspluralistischen Systems und stehen nun neben den Wohlfahrtsverbänden, die vormals fast vollständig die Anbieterseite ausgefüllt haben. Auch wenn die vielfältigen Unternehmen die Anbieterseite belebt haben, so hat sich gleichzeitig herausgestellt, dass im Bereich der Interessenvertretung die neuen Anbieter sich nicht annähernd in der Qualität der Verbände der Wohlfahrtsverbände organisieren können. So bestehen zwar Interessenvertretungen insbesondere bei den privat-gewerblichen Anbietern, jedoch haben jene Interessenverbände nicht das Organisationspotential der BAGFW oder können sich nicht derart Gehör verschaffen wie etwa die Caritas. Verbände der privat-gewerblichen Anbieter haben eine weniger hohe Präsenz, da sie nicht in der Lage sind sich machtvoll auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu organisieren. Grundsätzlich stößt die Organisationsfähigkeit der Verbände privat-gewerblicher Anbieter und ihr einheitliches Auftreten schnell an Grenzen. So ist es im Pflegesektor zu „[…] Konflikten um Abschlüsse gekommen, [da] sich bei den privat-gewerblichen Verbänden starke Konkurrenzen zwischen den Verbänden abzeichnen, was bei den Wohlfahrtsverbänden weniger der Fall ist“ (Strünck 2000: 138). Generell scheinen widerstreitende Interessen der privat-gewerblichen Verbände Auslöser für eine ineffektive Interessenvertretung zu sein (vgl. Strünck 2000: 85). Dass die Verbände der privat-gewerblichen Anbieter Schwierigkeiten bei einem einheitlichen Auftreten haben, wird mithin dadurch gefördert, dass die Verbände keine einheitliche Weltanschauung bzw. politische Position teilen, weshalb die Verbandspolitik oftmals ihre Bedeutung hin zu Zweckkoalitionen verliert (vgl. Strünck 2000: 138). Diese Entwicklung der Verbände der privat-gewerblichen Anbieter zeigt, dass ein Kopieren der Wohlfahrtsverbände als erfolgreiche Interessenvertreter nach dem Muster des Isomorphismus bei diesen Verbänden nicht funktioniert hat. In der Art und Weise und dem Ausmaß, wie Interessen artikuliert werden können, haben sich durch die neuen Anbieter und ihre Interessenvertretungsmöglichkeiten im Pflegesektor inzwischen pluralistische Muster eingestellt (vgl. Strünck 2000). Gerade das Kennzeichen pluralistischer Systeme, dass eine wahrnehmbare Artikulation von Interessen nicht möglich ist, kann im Pflegesektor zu einer Fehl-
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funktion in vormals zentralen Bereichen und insgesamt zu einer Instabilität des gesamten Systems führen. Es besteht in pluralistischen Systemen die Gefahr, dass die Interessen bzw. Problemlagen von sozial benachteiligten Gruppen keinen hinreichend wahrnehmbaren öffentlichen Diskurs finden, in dem sie benannt werden. Dadurch dürften sie sich letztlich einen Weg suchen, das System zu unterminieren und zu schwächen. Insgesamt zeigt sich im wohlfahrtspluralistischen System, dass einer Pluralisierung des gesamten Systems im Sinne des Wohlfahrtsmixes eine Pluralisierung einer Interessenvertretung derart gefolgt ist, als sozialpolitische Interessen und Themen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene von den neuen Anbietern nur bedingt thematisiert werden können. Jenen Gefahren einer Fehlfunktion können Wohlfahrtsverbände entgegensteuern. Bei der Identifikation und Artikulierung von Problemfeldern einzelner Milieus oder im gesamtgesellschaftlichen Bereich bringen Wohlfahrtsverbände Erfahrungswerte, die sie über Jahrzehnte hinweg erworben haben, mit. Soziale Probleme zu identifizieren, stellt dabei traditionell eine zentrale Funktion der Freien Wohlfahrtspflege dar. Zum einen greifen Wohlfahrtsverbände Problemlagen auf, auf die sie über die Ortsvereine auf dezentraler Ebene, also „vor Ort“ stoßen. Zum anderen haben die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege die Kapazitäten, Ressourcen und die Größe, gesamtgesellschaftlich – also auf zentraler Ebene – brisante Themen zu erfassen, indem sie dazu über eigene Forschungsinstitute Berichte und Studien erstellen (vgl. Ottnad et al. 2000: 76 f.). Neben der Identifikation von gesellschaftlichen Problemen können Wohlfahrtsverbände durch ihre Organisationsmöglichkeiten über die LAGFW und über die BAGFW diese auch beleben. Relativierend muss festgehalten werden, dass abweichend vom Idealtypus Korporatismus ein Mitwirken an der Politik-Implementation zurückgegangen ist (vgl. Gabriel 2007: 48). Zusammenfassend hat sich neben dem kooperativen Korporatismus eine zweite Art von Korporatismus, ein konfrontativer Korporatismus, etabliert: Korporatistische Systeme zeichnen sich auch dadurch aus, dass es im Gegensatz zu pluralistischen Systemen machtvolle Interessenverbände gibt, deren Funktion es ist, ein Gegengewicht zur staatlichen Politik darzustellen und Interessenpolitik zu betrieben. Da pluralistische Strukturen letztlich dazu führen können, dass bestimmte – vorrangig gesellschaftliche – Themen und Interessen nicht mehr wahrnehmbar in einem öffentlichen Diskurs behandelt werden, noch machtvoll-organisiert vertreten werden können, werden korporatistische Strukturen in einem solchen System wieder bedeutsam. Korporatistische Strukturen werden zu einer die pluralistischen Strukturen begleitenden Erscheinung – sie stabilisieren das pluralistische System. Wohlfahrtsverbände sind durch ihre institutionalisierte Einbindung nun nicht mehr
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daran gebunden, dauerhaft mit der Politik zu kooperieren, sondern auch konfrontativ zu ihr in Stellung zu gehen, wenn es den Interessen der Stakeholder – hier den sozial Benachteiligten – entspricht. Die Funktion des konfrontativen Korporatismus ist wichtig, da er ein Gegengewicht zum Pluralismus darstellt bzw. eine stabilisierende Institution im wohlfahrtspluralistischen System ist. Daraus erwächst den Wohlfahrtsverbänden eine neue zentrale Rolle im Miteinander mit dem Staat bzw. der Politik: Mit dem Potential gesellschaftliche Probleme zu thematisieren, als Sprachrohr betroffener gesellschaftlicher Gruppen zu handeln und schließlich Forderungen an die Politik zu stellen (vgl. Ottnad et al. 2000: 77 sowie Gabriel 2007: 48), erhalten Wohlfahrtsverbände per se eine zentrale Rolle im politischen System. So kommt den Wohlfahrtsverbänden aufgrund ihrer sozialpolitischen Funktion, die sie exklusiv auszufüllen in der Lage sind, immer wieder eine Art „staatliche Hoheitlichkeit“ zu (vgl. Streeck 199: 244), weil außer den Wohlfahrtsverbänden nur der Staat selbst die Funktion als Sozialanwalt ausfüllen könnte. Dies ist jedoch unwahrscheinlich, da er mit seiner Entwicklung vom Leistungsstaat zum aktivierenden Staat zunehmend gesellschaftlichen bzw. Marktakteuren das Feld überlässt (vgl. Kapitel 4). Diese Art Hoheitlichkeit ist nun, da Wohlfahrtsverbände weit weniger in die politische Entscheidungsfindung einbezogen werden, eher auf eine informelle Natur beschränkt. Wohlfahrtsverbände können aufgrund ihrer oben beschriebenen Möglichkeiten als Großorganisation die Rolle als Sozialanwalt oder allgemeiner als Sprachrohr gesellschaftlicher Gruppen ausfüllen und letztlich so die Aufgaben des Staates unterstützen: „Der Sozialstaat selbst ist überfordert in der Hervorbringung und Wahrung seiner eigenen (kulturellen) Grundlagen. Er ist auf gesellschaftliche Kräfte angewiesen, die eine Kultur des Helfens und der Teilhabe praktizieren, propagieren und gesellschaftlich stützen“ (Gabriel 2007: 46). Damit bieten sich Wohlfahrtsverbände aufgrund dieser Möglichkeiten als ein Quango an, d. h. eine nichtstaatliche private Organisation, die letztlich staatsähnliche Aufgaben übernehmen, um so den Staat selbst zu entlasten (Newton/van Deth 2010: 229). Da pluralistische Strukturen letztlich dazu führen können, dass bestimmte -vorrangig gesellschaftliche- Themen und Interessen nicht mehr hinreichend wahrnehmbar in einem öffentlichen Diskurs behandelt werden, noch machtvoll-organisiert vertreten werden können, sind konfrontative korporatistische Strukturen in einem solchen System bedeutsam geworden. Damit dürfte der Staat eine konfrontative Haltung der Wohlfahrtsverbände gutheißen. Damit lassen sich die Staat-Verbände-Beziehungen nach dem Schema von Najam (2000) mit den Ergebnissen dieses Kapitels weiter interpretieren. Es zeigt sich, dass nach den Umwälzungen nicht nur Kooperation die korporatistischen
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Beziehungen prägt, sondern die neu entstandene Konfrontation zwischen Wohlfahrtsverbänden und Staat das Bild der neuen korporatistischen Beziehungen erweitert. Korporatismus ist in dem Zusammenhang vielfältiger geworden: Staat-Verbände-Beziehungen scheinen zwischen den Zuständen Konfrontation und Kooperation zu pendeln bzw. Kooperation und Konfrontation scheinen sich zeitgleich zu überlappen. Der konfrontative Zustand stellt dabei einen neuartigen Korporatismus dar: Wohlfahrtsverbände sind die einzigen Interessenverbände im wohlfahrtspluralistischen System der Sozialwirtschaft, die in der Lage sind Interessen zu artikulieren. Konfrontation drückt sich dadurch aus, dass machtvolle und artikulationsstarke Wohlfahrtsverbände im Rahmen von Pflegethemen oder pflegenahen Themen oftmals eine gegenläufige Rolle zum Staat einnehmen. Sowohl der kooperative Zustand als auch der konfrontative Zustand der Staat-Verbände-Beziehungen sind zugleich vorhanden und können nicht nur wechselweise, sondern auch zeitgleich auftreten: Wohlfahrtsverbände und Staat kooperieren in Pflegesatzkommissionen und zugleich kritisieren die Verbände die Pflegepolitik der Regierung. Korporatistische Strukturen beschränken sich damit nicht nur auf ein kooperatives Miteinander, sondern auch auf ein konfrontatives Gegeneinander – beide Zustande sind unabhängig und damit auch zeitgleich möglich. Durch alle anderen Anbieter bzw. deren Verbände scheint eine derartige Interessenvermittlung nicht möglich. In dieser konfrontativen Rolle werden die Wohlfahrtsverbände für das pluralistische System wichtig, da sie systemstabilisierend wirken: Die Interessen bzw. Problemlagen von sozialbenachteiligten Gruppen finden einen öffentlichen Diskurs, in dem sie zumindest – wenn auch teilweise zugespitzt – benannt werden. Dadurch werden sie letztlich weniger versucht sein, sich gegen das System zu stellen und es zu schwächen.
2.3 Beantwortung der zweiten Forschungsfrage und Überprüfung der Hypothesen Im Hinblick auf die zweite Forschungsfrage, inwieweit die Entwicklung von Wohlfahrtsverbänden pfadwechsel- und/oder pfadbeständigkeitsgetrieben ist und inwieweit ein Verbändewandel von institutionellen oder innerorganisationalen Faktoren abhängt, ergibt sich folgendes Bild: Es lässt sich entsprechend der Theorieentwicklung in Kapitel 3 einerseits eine pfadabhängigkeitsgetriebene Entwicklung beobachten, die sich im betrieblichen Bereich niederschlägt. Andererseits lässt sich eine Entwicklung beobachten, die individuell-innovative Züge in der Funktion als Interessenverband aufweist. Die
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Prüfung der in Kapitel 3 aufgestellten Hypothesen H_3 soll die zweite Fragestellung detaillierter beantworten: Der Altenpflegesektor stellt nach seiner Reformierung für Wohlfahrtsverbände eine Umwelt dar, die sowohl von Unsicherheit als auch von Sicherheit gekennzeichnet ist. Die Anspruchsgruppen aus der Gesellschaft stellen eine Annäherung an eine sichere Umwelt dar: Gesellschaftliche Schichten und soziale Milieus vertreten Wohlfahrtsverbände traditionell in ihrer Funktion als Sozialanwalt – auch wenn diese Funktion durch die intensive Einbindung der Verbände in das staatliche Handeln lange eine untergeordnete Rolle spielte, agieren Wohlfahrtsverbände als Sozialanwalt sicher in dem für sie bekannten gesellschaftlichen Umfeld. Im Rahmen der Staat-Verbände-Beziehungen vertreten die Wohlfahrtsverbände neben dem kooperativen Miteinander auch eine konträre Position zum Staat. Auch wenn sich dadurch die Beziehungen zum Staat verschoben haben, so bewegen sich die Wohlfahrtsverbände im Rahmen der neuen korporatistischen Institution weiterhin routiniert. Wohlfahrtsverbände sind darüber hinaus auch Umweltunsicherheiten ausgesetzt. Neben der sicheren Umwelt als Sozialanwalt in den Staat-Verbände-Beziehungen sind Wohlfahrtsverbände mit umfassenden Umwälzungen konfrontiert, die sich durch die Einführung unter anderem des Quasi-Marktes ergeben haben (H_3_a). Unter diesen Bedingungen, dass im Altenpflegesektor für Wohlfahrtsverbände sowohl sichere als auch unsichere Umwelten gleichzeitig bestehen, folgen die Einheiten innerhalb des Gesamtverbandes gleichzeitig sowohl isomorphen als polymorphen Gesetzmäßigkeiten. Die Organisationen des kollektiven Akteurs Wohlfahrtsverband unterliegen der Isomorphie in jenen Umwelten, die von Unsicherheit geprägt sind. Sie haben bewährte betriebswirtschaftliche Elemente übernommen, um auf den Wettbewerb im Quasi-Markt reagieren zu können. Mit der Übernahme betriebswirtschaftlicher Elemente wurde zwar ein neuer Pfad eingeschlagen – dieser besteht aber mit der Anpassung entsprechend den Gesetzmäßigkeiten des Isomorphismus nun beständig fort. Die Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände befinden sich in einer festen Entwicklungsschiene. Pfadabhängigkeit hat sich eingestellt. Auch wenn vom Quasi-Markt nach fünfundzwanzig Jahren keine Unsicherheit mehr ausgeht, so hat die Unsicherheit, die mit seiner Einführung gegeben war, den Wandel nach isomorphem Muster ausgelöst. In Bereichen mit geringer Unsicherheit folgen Wohlfahrtsverbände den Gesetzmäßigkeiten des Polymorphismus. Sie haben sich in der Rolle als Sozialanwalt neu erfunden, indem sie kritisch-distanziert auf die Sozialpolitik des Staates reagieren. Als Sozialanwalt scheint ein freier Pfadwechsel möglich zu sein. Jedoch ist ein polymorphes Verhalten und ein isomorphes Verhalten an die Funktion der Einzelorganisationen im Gesamtverband gekoppelt. Während das
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betriebswirtschaftliche Verhalten der Einrichtungen auf den Gesetzen des Isomorphismus basiert, agieren Verbände in ihrer Interessenpolitik polymorph. Die Einrichtungen haben aufgrund der anfänglich unsicheren Umwelt Quasi-Markt einen isomorphen Pfad eingeschlagen, wohingegen die Verbände polymorph agieren, weil sie in der sicheren Umwelt Korporatismus eingebettet sind (H_3_b). Das Gestaltungspotential von Wohlfahrtsverbänden ist maßgebend in sicheren Umweltbereichen gegeben. Sie können dort eher innovativ und gestalterisch tätig sein und damit ihre Umwelt beeinflussen. Sie haben teilweise die Qualität eines institutional entrepreneurs inne, da sie korporatistische Strukturen im Bereich einer konfrontativen Interessenpolitik hervorbringen. In unsicheren Umwelten verfügen Wohlfahrtsverbände hingegen über kein Gestaltungspotential, sondern folgen dem Isomorphismus entsprechend den Vorgaben aus der Quasi-Markt-Umwelt und passen sich ihr an (H_3_c). Darüber hinaus stehen die polymorphe und die isomorphe Entwicklung der Organisationen in einer Beziehung zueinander, die unter dem Begriff des Selective Coupling zusammengefasst wird. Die Strategie des Selective Coupling ist letztlich derart ausgestaltet, dass Wohlfahrtsverbände die Interessen der Anspruchsgruppen über eine polymorphe Entwicklung und eine isomorphe Entwicklung auszutarieren in der Lage ist. Dabei verfügen Wohlfahrtsverbände über Gestaltungsspielräume im Rahmen ihrer polymorphen Entwicklung, während ihre isomorphe Entwicklung statisch ist. Gleicht man die Ergebnisse mit Duncans Typologie ab, so hat sich über die aufgestellten Hypothesen hinaus herauskristallisiert, dass Wohlfahrtsverbände sich nicht nur entsprechend der Umweltsicherheit isomorph oder polymorph entwickeln, sondern dass diese beiden Entwicklungsmöglichkeiten aneinandergekoppelt sind. Zwar sind der betriebswirtschaftliche und der ideelle Bereich organisatorisch quasi voneinander getrennt, dennoch ist ihre jeweilige Entwicklung abhängig voneinander. Hinsichtlich der Stakeholder-Struktur bleibt festzuhalten, dass Wohlfahrtsverbände bis zum institutionellen Wandel im Pflegesektor keine „multiple-stakeholder-organisartion“ gewesen sind, weil sie nicht als Intermediär zwischen widersprüchlichen Interessen vermittelten. Sie waren intensiv mit dem Staatsapparat verquickt und dadurch zu einer quasi-staatlichen Organisation geworden. Durch ihre Einbindung schienen Wohlfahrtsverbände die Interessen aller anderen Stakeholdern jenen des Staates unterzuordnen. Unter den Bedingungen der dominanten Staat-Verbände-Beziehungen haben Wohlfahrtsverbände widersprüchliche Stakeholder-Interessen eher nicht auszutarieren versucht, sondern vernachlässigt. Erst mit dem institutionellen Wandel haben sich Wohlfahrtsverbände vielmehr in die Richtung einer „multiple-stakeholder-organisation“ entwickelt. Da sie mit dem Abbau dominanter Staat-Verbände-Beziehungen
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sich vom Staat teilweise distanzierten, kam es gleichzeitig zu einer neuen Rangordnung der Interessengruppen. Mithilfe der Strategie des Selective Coupling suchen Wohlfahrtsverbände Kompromisse der Anspruchsgruppen zu erreichen. Bzgl. der korporatistischen Strukturen kann abschließend festgehalten werden, dass Staat-Verbände-Beziehungen ambivalent geworden sind und einen vielförmigen Charakter bekommen haben: Der virtuelle kooperative Korporatismus wird von einem konfrontativen Korporatismus begleitet. Wohlfahrtsverbände nehmen in der Pflege und in pflegenahen Themen wie der Armutsdebatte eine kritische Position zur staatlichen Politik ein. Sie stellen dabei die einzigen Verbände dar, die gesellschaftliche Themen auffassen und publikmachen können. Sie verschaffen brisanten Themen Gehör und stabilisieren so das pluralistische System.
2.4 Beantwortung der dritten Forschungsfrage: Akteurszentriertheit und Pfadabhängigkeit Hebt man die gewonnenen Ergebnisse auf eine höhere Abstraktionsebene, ergeben sich erörterungswerte Diskussionspunkte für die Akteurszentriertheit der Wohlfahrtsverbände wie auch zu Fragen des institutionellen Pfadwechsels bzw. der Pfadabhängigkeit. Stuft man dieses Ergebnis in die gesamte Entwicklung des Pflegesektors ein, so zeigen sich auf analytischer Ebene Hinweise eines akteurszentrierten Musters: Wohlfahrtsverbände haben zwar im Zuge institutioneller Änderungen des alten korporatistischen Systems ihre institutionalisierte machtvolle Rolle verloren. Sie haben jedoch im veränderten Pflegesystem eine neue Rolle gefunden, in der sie Teile des Systems steuern können: Etwa als Sozialanwalt oder als Gegner der Sozial- und Pflegepolitik nehmen sie eine dominante und gestaltende Rolle ein. Wohlfahrtsverbände lassen sich damit als systemgestaltendes Element begreifen. Auch für den kooperativen Korporatismus scheint die gleiche Logik zu gelten: Aufgrund der Organisationsstärke der BAGFW sind die Wohlfahrtsverbände in die kooperative Zusammenarbeit mit dem Staat beispielsweise in politischen Gremien eingebunden. Im Ergebnis macht das gesamte Interessensystem der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege einen erheblichen Teil der konfrontativ-korporatistischen Strukturen aus – sie verkörpern dieses neuartige korporatistische System und steuern es. Sie gestalten das Gesamtsystem Pflegesektor derart, dass sie eine mögliche Instabilität teilweise neutralisieren können. Dabei zeichnen sich Muster ab, die in jene des institutional entrepreneur-Ansatzes fallen: Anstatt einzelne
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Akteure und ihre Gestaltungsmacht hervorzuheben, betonen Lawrence/Suddaby (2006) ein Miteinander verschiedener Akteure mit unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten, um Institutionen zu verändern. Durch das Miteinander der einzelnen Akteure wird ein institutional work, also eine Veränderung von Institutionen möglich. Der Interessenvermittlungsapparat rund um die BAGFW kann als ein solcher institutional entrepreneur (vgl. Abschnitt 4.2.2) betrachtet werden. Dass Wohlfahrtsverbänden die Qualität eines institutional entrepreneurs innewohnt, wodurch sie das Gesamtbild ihres institutionellen Umfeldes verändern können, ist für die Einordnung der hier vorgestellten Theorien von großem Wert: Es zeigt sich, dass es nicht nur eine Wirkung von der Institutionen- auf die Organisationsebene gibt. Organisationen werden nicht nur von den Institutionen im neo-institutionalistischen Sinne determiniert. Eine Verbindung zwischen polymorphem Handeln und korporatistischkonfrontativen Zuständen wird in diesem Zusammenhang plausibel. Auf organisationaler Ebene zeigt sich, wie politische Positionen der Wohlfahrtsverbände durch benachteiligte gesellschaftliche Gruppen zum Ausdruck kommen. Wohlfahrtsverbände haben in erster Linie in ihrer Rolle als Interessenverband Handlungsspielraum, da sie sich als Interessenverband polymorph und damit vergleichswiese flexibel entwickeln können. Sie können deshalb eine konfrontative Haltung gegenüber dem Staat einnehmen. Die Tatsache, dass Wohlfahrtsverbände versuchen, anhand einer Selective Coupling-Strategie die Ansprüche ihrer Stakeholder abzustimmen, zeigt, dass sie nur als betriebswirtschaftlich handelnde Organisation auf Institutionen reagieren, aber ihr Verhalten als Interessenverband oftmals akteursgetrieben ist. Auch das Entstehen des kooperativen Korporatismus kann aus den Wohlfahrtsverbänden heraus erklärt werden. Die Verbände sind in der Lage Netzwerke ad-hoc zu bilden, d. h. auf bewährte Beziehungsmuster zurückgreifen. Die Möglichkeit durch jene bewährte Beziehungsmuster politische Entscheidungen mitzubestimmen und auch für Wettbewerbsverzerrungen zum eigenen Vorteil sorgen zu können, zeigen den Handlungsspielraum der Wohlfahrtsverbände, mit dem sie auf Institutionen wirken. Insbesondere die hier beschriebene Beschaffenheit der Staat-Verbände-Beziehungen beantwortet die dritte Fragestellung, inwieweit die Entwicklungen von Wohlfahrtsverbänden und dem Pflegesektor durch ihren wechselseitigen Einfluss aufeinander entstehen. Neben der mehrfach beschriebenen Entwicklung, die den Gesetzen der Isomorphie unterliegen, verfügen Wohlfahrtsverbände auch über genügend gestalterische Möglichkeiten, um auf die sie umgebenden Institutionen Einfluss zu nehmen. Darüber hinaus gibt die Betrachtung des Verbandssystems der Wohlfahrtsverbände Hinweise darauf, dass der Aufbau der BAGFW und der LAGFW sich
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über Jahre hinweg entwickelt und die Reform u.a. im Pflegesektor überdauert hat. Aus der Perspektive der hier behandelten Theorien zur Pfadabhängigkeit lässt sich festhalten, dass der konfrontative Korporatismus einerseits als Resultat eines institutionellen Pfadwechsels, nämlich den Umwälzungen im Pflegesektor, hervorgegangen ist. Andererseits wird ein konfrontativer Korporatismus möglich, weil er letztlich hervorgerufen werden kann durch die Verbandsstrukturen der Wohlfahrtsverbände, die sich unter den Institutionen des alten Pflegesystems bzw. Sozialsystems entwickelt haben. Dort hat sich das BAGFW-Gebilde entwickelt, das eine Artikulation der Interessen und die Rolle als Sozialanwalt heute immer noch möglich macht. Eine derartige Artikulation benachteiligter Gruppen etwa in der Armutsdebatte werden letztlich möglich durch die Routinen und Abläufe, die sich über Jahre hinweg entwickelt haben. D. h. alte BAGFW-Strukturen haben sich als pfadabhängig erwiesen und machen den konfrontativen Korporatismus im neuen Pflegesystem erst möglich. Man kann sogar soweit gehen zu sagen, dass das BAGFW-Gebilde einen großen Teil der Staat-Verbände-Institutionen ausmacht. Das BAFGW-Gebilde zeigt, dass der Übergang von Akteuren zu Strukturen fließend sein kann, weil die BAGFW aufgrund ihrer Größe und ihrer strukturprägenden Gestalt nicht nur Akteur, sondern auch Struktur ist. Strukturen und Akteure können eng verwobene Elemente eines gemeinsamen Gebildes sein (vgl. Abschnitt 3.3.3). Zudem lassen sich hinsichtlich der Beziehungen zwischen pfadabhängigen und pfadwechselnden Strukturen Hinweise ableiten: Überträgt man die erzielten Ergebnisse auf die Theorie zur Pfadabhängigkeit, so fällt auf, dass Institutionen, die der Pfadabhängigkeit unterliegen und jene Institutionen, die mit einem Pfadwechsel eingeführt worden sind, koexistieren. Es bestehen somit Hinweise, dass das System pfadabhängige Institutionen dann aktiviert, wenn sie benötigt werden, um das Funktionieren des neuen Systems zu garantieren. Das vom Pfadwechsel neu entstandene System benötigt nicht andauernd, aber immer wieder pfadbeständige Institution für eine stabile Fortexistenz. Institutionen nehmen nach einem Pfadwechsel letztlich einen hybriden Zustand ein, der ein stabiles Gleichgewicht darstellt. Hybridität wird damit zur Bedingung für neue Systeme, um sie vor einer Fehlfunktion oder einem Zusammenbruch zu bewahren, wobei alte neue institutionelle Elemente stabilisieren. Abschließend soll noch die Verbindung von organisationaler und institutioneller Pfadabhängigkeit anhand der bestehenden Ergebnisse diskutiert werden. Dass, wie in Abschnitt 3.4 diskutiert, ein Zusammenhang zwischen institutioneller Pfadabhängigkeit und organisationaler Pfadabhängigkeit besteht, kann mit den hier erzielten Ergebnissen nicht überzeugend bestätigt werden. Dass Wohlfahrtsverbände mit einer Pfadabhängigkeit auf einen institutionellen
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Pfadwechsel reagieren, lässt sich einerseits veranschaulichen: Wohlfahrtsverbände müssen als Reaktion auf die emporgekommene Ökonomisierung bewährte (betriebswirtschaftliche) Modelle übernehmen, die sich in anderen Unternehmen und in anderen Branchen etabliert haben. Isomorphie gilt dabei als organisationale Pfadabhängigkeit, weil Organisationen nach dem Anpassungsprozess in einem dauerhaften Zustand verbleiben (vgl. Kapitel 3). Eine Strategie, im allgemeinen bewährte Modelle zu übernehmen, mussten sie sich bislang nicht aneignen, weil sie im alten Pflegesektor in Staat-Verbände-Beziehungen eingehegt waren, die eine solche Strategie nicht vorausgesetzt haben. Unabhängig von der erbrachten Qualität und ihrer Leistungsfähigkeit waren Wohlfahrtsverbände der per Gesetz privilegierte Leistungsanbieter. Im Hinblick auf die Entwicklung als Interessenvertreter ergeben sich andererseits keine eindeutigen Ergebnisse. Fraglich ist zum einen, inwieweit es in S taat-Verbände-Beziehungen zu einem Pfadwechsel gekommen ist oder ob Strukturen eher pfadabhängig sind. Zum einen entsteht der konfrontative Korporatismus aufgrund beständiger Strukturen in der Interessenvermittlung der Wohlfahrtsverbände und ist damit Folge unveränderter machtvoller BAGFWStrukturen. Zum anderen ist der konfrontative Korporatismus eine neuartige Art der Staat-Verbände-Beziehungen und eine Folge der Reform. Diesem ambivalenten Bild auf institutioneller Ebene steht hinsichtlich der Interessenvertretung auf organisationaler Ebene ein Pfadwechsel gegenüber. Während im alten System die Interessen der Anspruchsgruppen eher hinter den Interessen des Staates zurückstanden (Abschnitt 5.1.2), gehen Wohlfahrtsverbände im neuen System auf die Ansprüche der Stakeholder auf Basis des Selective Coupling eher gleichwertig ein (Abschnitt 5.2.1). Dass die Entwicklungen von Organisationen und Institutionen in einem gegenläufigen Verhältnis stehen, kann nicht eindeutig belegt werden.
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Abschließende Bemerkungen
Sind Reformen möglich oder handelt es sich bei Institutionen um derart komplexe Strukturen, dass trotz subjektiven Bemühens immer auch nicht intendierte Entwicklungen – unter Umständen sogar gegenläufige Entwicklungen – stattfinden? Die Arbeit zeigt, dass Institutionen wie auch Organisationen zu Hybriden werden, die aus unveränderlichen wie auch aus veränderten Elementen bestehen. Auf institutioneller Ebene zeigt die Arbeit in Erweiterung zu bestehenden Ansätzen, dass eine institutionelle Hybridität ein in Teilen unbeabsichtigtes Resultat eines beabsichtigten Veränderungsprozesses darstellt. Anders ausgedrückt vermischen sich institutionelle Teile, die einer Pfadabhängigkeit unterliegen, mit Teilinstitutionen, die neuartig aus einer Reform hervorgegangen sind. Von einem unbeabsichtigten Resultat ist deshalb die Rede, weil Teilinstitutionen beharrlich fortbestehen, obwohl sie mit einer Reform hätten aufgelöst werden müssen. Das Resultat einer institutionellen Reform ist somit nicht absehbar, weil sich Teile von Institutionen einer angestrebten Veränderung entgegen der Reformpläne erfolgreich widersetzen. Andere Teilinstitutionen hingegen erlauben einen Eingriff und können planbar gestaltet werden. Damit stellt der Hybriditätsansatz einen neuartigen Ansatz dar, da er argumentiert, dass institutionelle Pfadabhängigkeit und institutioneller Pfadwechsel sich nicht kategorisch ausschließen, sondern vielmehr koexistieren und gleichzeitig eine Institution kennzeichnen. Damit stellt der Hybriditätsansatz eine verbindende Perspektive der von Jöst/Fischer (2013) und Kingston/Caballero (2009) gegenübergestellten Ansätze dar. Neben einer Vermischung von Teilinstitutionen kommt es mithin zu einer Hybridisierung der Steuerungsmechanismen innerhalb der Institutionen. Jene Institutionen- und Steuerungshybride können in dieser Arbeit am Beispiel des deutschen Pflegesektors identifiziert werden.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. Lange, Hybrider Wohlfahrtskorporatismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30754-7_6
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6 Abschließende Bemerkungen
Die Staat-Verbände-Beziehungen, im Rahmen derer Staat und Wohlfahrtsverbände weiterhin eng miteinander verflochten sind, bieten ein prominentes Beispiel. Das Ergebnis, dass es sich hierbei um einen virtuellen Korporatismus handelt, kann mithilfe des Hybriditätsansatzes Hinweise geben, warum es in der Beurteilung über die Stärke korporatistischer Strukturen in der Literatur gegensätzliche Auffassungen gibt: Denn eine der zentralen Fragen der Debatte, ob der Korporatismus trotz der Reformen in den Sozialsektoren überlebt habe oder aufgelöst worden sei, konnte für den deutschen Pflegesektor beantwortet werden. Die Antwort beinhaltet auch hier wieder das gleichzeitige Bestehen pfadabhängiger wie auch pfadbeständiger Ströme und Institutionen. Auch wenn sich der Korporatismus teilweise aufgelöst und teilweise verändert hat, kommen auch Mechanismen des alten Pflegesystems zum Vorschein. Der Korporatismus unterlag mit der Pflegesektorreform einem Pfadwechsel, was sich insbesondere an der nun konfrontativen Haltung der Wohlfahrtsverbände gegenüber dem Staat zeigt. Gleichzeitig arbeiten Wohlfahrtsverbände nach korporatistischen Prinzipien immer noch eng mit dem Staat zusammen. Dies zeigt sich zum einen daran, dass im SGB XI eine Kooperation fest verankert worden ist, zum anderen auf informeller Ebene: Netzwerke im Rahmen traditioneller Staat-Verbände-Beziehungen haben Bestand und werden aktiv genutzt. Dass pfadabhängige institutionelle Elemente nicht unbedingt erkennbar existieren und bei Bedarf aktiviert werden können, werden mit dem Begriff der Virtualität zusammengefasst. Virtuell im ursprünglichen Sinne bedeutet dabei, dass etwas der Möglichkeit nach zur Verfügung steht, auch wenn es nur subtil erkennbar ist und sich zeitweise in einem aktiven Zustand befinden kann. Beständige, d. h. pfadabhängige korporatistische Institutionen sind virtuell geworden – sie stehen der Möglichkeit nach zur Verfügung und können zeitweise aktiviert werden. Das Beispiel zeigt, dass pfadabhängige Institutionen und neue Institutionen (Pfadwechsel) koexistieren können und sich derart vermischen, als Staat-Verbände-Beziehungen kooperativ als auch konfrontativ sein können. Es ergibt sich institutionell und in der Steuerung ein hybrides Bild. Auch für die organisationale Ebene wird in der vorliegenden Arbeit eine Theorie zur Hybridität entwickelt. Die organisationale Hybridität greift ähnlich wie die institutionelle Hybridität die Idee auf, dass Pfadabhängigkeit wie auch Veränderbarkeit und damit Pfadwechsel gleichzeitig Entwicklung kennzeichnen. Hinsichtlich einer theoriegeleiteten Analyse von Großorganisationen wie den Wohlfahrtsverbänden kann die hier ausformulierte Hybriditätstheorie einen Mehrwert generieren, weil sie Antworten darauf liefern kann, warum Wohlfahrtsverbände teilweise veränderungsfähig sind und in manchen Bereichen eher die Unfähigkeit eines notwendigen Wandels dokumentieren. Im Rahmen des
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herausgearbeiteten Hybriditätsansatzes werden die Theorien des Isomorphismus und des Polymorphismus in Beziehung gesetzt mit Annahmen über Umweltsicherheit. Dabei werden die Kennzeichen einer Pfadabhängigkeit beim Isomorphismus sowie die Merkmale der organisationalen Veränderbarkeit mit dem Polymorphismus hervorgehoben. Entlang der hier entwickelten Theorie ist es davon abhängig, ob die Einzelbereiche von Wohlfahrtsverbänden in für sie sicheren Bereichen agieren können oder sich in einer unsicheren Umwelt bewegen. So kommt es in unsicheren Umwelten zu einem isomorphen Verhalten, in dem Methoden und Praktiken erfolgreicher Organisationen bzw. Mitbewerber kopiert werden. Zu einem polymorphen – d. h. zu einem innovativen – Verhalten kommt es, wenn Wohlfahrtsverbände in sicheren Institutionen agieren. Als Resultat stellen Wohlfahrtsverbände hybride Organisationen dar, die sich isomorph wie auch polymorph entwickeln. Auch hier ist der Forschungsbeitrag, dass organisationale Hybridität ausformuliert wird, d. h. gezeigt werden kann, wie Hybridität entsteht und wie sie sich kennzeichnet. In Hinblick auf die Weiterführung bzw. Ausweitung der soeben zusammengefassten Gesetzmäßigkeiten wäre die Frage von weit reichendem Interesse, ob das Zusammenspiel aus Pfandabhängigkeit und Pfadwechsel auch innerhalb weiterer sozialpolitischer Sektoren eine Rolle spielt? Sollte dies der Fall sein, käme dem hier entwickelten Hybriditätsansatz durchaus hohe Erklärungskraft im Sinne einer allgemeingültigen Theorie zu. Interessant wäre beispielsweise die Prüfung des Hybriditätsansatzes anhand des Kinder- und Jugendhilfesektors, da dieser zwar ebenfalls durch zahlreiche Reformen geprägt, jedoch vom Grundsatz her anders, nämlich weitaus kommunaler strukturiert ist. Die Reformen in der Kinder- und Jugendhilfe zielten ebenso auf einen Abbau des intensiven und korporatistischen Miteinanders in diesem Bereich ab. Sie wurden begleitet von Modernisierungsmaßnahmen der öffentlichen Verwaltung und der Einführung eines Kontraktmanagements und der Etablierung von Leistungsvereinbarungen. Dennoch zeigen sich auch in der Kinder- und Jugendhilfe nach wie vor Muster einer intensiven Einbindung der Wohlfahrtsverbände (vgl. Grohs 2014 sowie Grohs 2010). Eine vergleichende Analyse dieses Sektors anhand des hier entwickelten theoretischen Instrumentariums könnte weitere aussagekräftige Befunde zur Pfadabhängigkeit oder zur Hybridität von sozialpolitischen Sektoren geben, zumal im Aufbau und der Steuerung des Bereiches der Kinderund Jugendhilfe deutliche Unterschiede zum Pflegesektor bestehen. So ist die kommunale Ebene in die Gestaltung der Kinder- und Jugendhilfe sehr stark eingebunden, während im Pflegesektor auch bzw. vor allem die Länderebene und auch die Bundesebene eingebunden sind (vgl. Grohs 2010: 15 f.). Eine Besonderheit der Kinder- und Jugendhilfe für die Prüfung pfadbeständiger Strukturen
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sind die ebenfalls reformierten staatlichen Institutionen auf kommunaler Ebene. Abseits der Sozialpolitik ist der Staatsapparat -insbesondere die öffentliche Verwaltung auf kommunaler Ebene- in den letzten beiden Jahrzehnten von recht tiefgreifenden Umwälzungen gekennzeichnet gewesen, die mit dem Begriff New Public Management oder auch dem Neuen Steuerungsmodell zusammengefasst werden. Grohs identifiziert in der Kinder- und Jugendhilfe trotz tiefgreifender Reformen „[…] geronnene Strukturen zwischen Verwaltung und Verbändelandschaft […] mit erstaunliche[r] Persistenz […]“ (Grohs 2010: 236) sowie eine auf halbem Weg stehengebliebene Modernisierung der Jugendämter (Grohs 2010: 237), deren Träger die Kommunen sind. Damit stellen sich andere institutionelle Voraussetzungen in der Kinder- und Jugendhilfe ein, die eine Analyse und darüber hinaus auch eine vergleichende Studie mit dem Pflegesektor lohnenswert erscheinen lassen. Haben sich die korporatistischen Strukturen auf kommunaler Ebene ebenso hin zu einem virtuellen Korporatismus gewandelt? Werden altbewährte korporatistische Strukturen begleitet von neuartigen, eher auf Konfrontation ausgerichtete korporatistische Strukturen oder zeichnet den kommunalen Korporatismus eine anders gelagerte Entwicklung aus? Können diese neuartigen konfrontativen Strukturen den Kinder- und Jugendhilfesektor ebenso wie den Pflegesektor stabilisieren oder inwieweit ergeben sich auf kommunaler Ebene andere Wirkungsrichtungen? Zeigt sich insgesamt somit eine Koexistenz pfadbeständiger und veränderbarer Strukturen? Kann die Entwicklung der Wohlfahrtsverbände und ihrer Stakeholder ebenso in diesem und anderen Sektoren nachgezeichnet werden? Abschließend stellt sich die Frage, inwieweit mit dem Wissen um reformresistente Institutionen sich Handlungsempfehlungen für die Reformierung ergeben können, vor allem vor dem Hintergrund, dass Reformziele unter Umständen nicht erreicht werden können, weil nicht absehbar ist, welche Teilinstitutionen reformierbar und welche nicht veränderbar sind? Mithilfe einer den Reformprozess begleitenden Evaluation, die etwa von wissenschaftlichen Instituten möglichst objektiv vorgenommen werden könnte, können während und nach der Reform Unregelmäßigkeiten identifiziert werden. Dadurch ließen sich Fehlentwicklungen rechtzeitig erkennen und Anpassungen vornehmen. Mithin ist in dieser Arbeit deutlich geworden, dass bestimmte nicht absehbare Entwicklungen sich positiv auf das Funktionieren eines Sektors auswirken können. Dies zeigt sich an den Wohlfahrtsverbänden als einflussreiche Interessenverbände, die mit einer konfrontativen Haltung gegenüber dem Staat in der Pflege- und Armutspolitik zur Stabilität der Sozialpolitik beitragen. Dass sich eine derartige Entwicklung abzeichnet, war nicht absehbar und könnte über Zwischenevaluationen in der Gestaltung der Sektoren berücksichtigt
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werden. Auch andere Entwicklungen, die möglicherwiese an unveränderliche Institutionen, also an Pfadabhängigkeit geknüpft sind, könnten in Kombination mit veränderbaren Institutionen eine nicht absehbare positive Wirkung entfalten. Evaluationen wären für das Identifizieren solcher Entwicklungen und das Ableiten möglicher Maßnahmen hilfreich, um positive Effekte zu institutionalisieren.
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