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German Pages 246 [243] Year 2014
Jan Steinhöfel Risikokontrolle in der Mikrofinanzierung
Sozialtheorie
2014-04-16 10-47-41 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03c5364055858366|(S.
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Jan Steinhöfel (Dr. phil.) evaluiert interdisziplinäre Studienmodule an der Hochschule Coburg.
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Jan Steinhöfel
Risikokontrolle in der Mikrofinanzierung Eine Analyse des wechselseitigen Bürgens
2014-04-16 10-47-41 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 03c5364055858366|(S.
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Inhalt
Einleitung: Welche Rolle spielt der Gläubiger beim wechselseitigen Bürgen einer Gruppe von Schuldnern? | 7
Kapitel I: Zur Form finanzieller Exklusion | 15
1. Forschungsstand | 16 2. Exklusion aus Zahlungsversprechen | 19 3. Mechanismen finanzieller Exklusion | 23 4. Gesellschaftlicher Gefahrenbereich | 39
Kapitel II: Finanzielle Exklusion als inkludierende Exklusion | 41
1. Formaler und informaler Finanzmarkt | 41 2. Persönliches Netzwerk | 43 3. Lokaler Geldverleiher | 45 4. Kredit- und Sparzirkel | 49 5. Fazit | 61
Kapitel III: Forschungsfrage: Wie kontrolliert wechselseitiges Bürgen die Risiken der Kleinkreditvergabe? | 63
1. Forschungsstand und Forschungslücke | 65 2. Forschungsfrage | 76
Kapitel IV: Feldforschung: Planung und Durchführung empirischer Beobachtungen | 79
1. Fallauswahl | 80 2. Elemente ethnographischen Beobachtens | 81 3. Datenkorpus | 90 4. Analysemethode | 91
Kapitel V: Selektionen des wechselseitigen Bürgens | 95
1. Selbstselektion der Kreditgruppe | 96 2. Selektionen zweiter Ordnung der Interaktion mit dem Loan Officer | 114 3. Fazit | 131
Kapitel VI: Soziale Kontrolle des wechselseitigen Bürgens | 135
1. Soziale Kontrolle der Gruppeninteraktion | 136 2. Soziale Kontrolle zweiter Ordnung der Interaktion mit dem Loan Officer | 151 3. Fazit | 170
Kapitel VII: Der Risikofall des wechselseitigen Bürgens | 173
1. Scheitern der Kontrolle der Gruppe | 173 2. Scheitern der Kontrolle zweiter Ordnung der Interaktion mit dem Loan Officer | 179
Kapitel VIII: Interaktion des Loan Officer mit einzelnen Zahlungssäumigen | 185
1. Restrukturieren und Sanktionieren | 185 2. Attributionen des Zahlungsausfalls | 196 3. Inklusion von Dritten in die Interaktion | 209
Kapitel IX: Zusammenfassung und weiterführende Forschungsfragen | 227 Sachregister | 233
Literatur | 235
Einleitung: Welche Rolle spielt der Gläubiger beim wechselseitigen Bürgen einer Gruppe von Schuldnern?
Im selben Zuge, wie in den letzten Jahrzehnten die Grenzen des globalen Finanzmarktes mehr und mehr sichtbar wurden, konnte sich weltweit ein Instrument der Mikrofinanzierung bewähren, das auch noch dort die Vergabe von Krediten ermöglicht, wo kommerzielle Banken bereits Kreditgeschäfte meiden: das wechselseitige Bürgens einer Gruppe von Schuldnern. Kann ein Gruppenmitglied seinen Kredit nicht zurückzahlen, sieht dieses Instrument vor, dass die Gruppe für sein Zahlungsversäumnis einspringt. Der Großteil der Erfolgsgeschichte der Mikrofinanzierung, die seit den 1970er Jahren einsetzte, ist mit dem Instrument des wechselseitigen Bürgens verbunden. Im öffentlichen Diskurs ist wechselseitiges Bürgen (eher bekannt unter dem Namen Kreditgruppe) zwar vor allem mit der Grameen Bank in Bangladesch und ihrem Gründer und Friedensnobelpreisträger Mohammed Yunus verbunden. Doch werden Kleinkredite unter Bedingung des wechselseitigen Bürgens nicht nur in verschiedensten Entwicklungsregionen Südamerikas, Afrikas und Asiens, sondern mittlerweile auch in den industrialisierten Regionen der Weltgesellschaft vergeben. Kurzum, wechselseitiges Bürgen ist ein globales Phänomen. Ihrer Grenzstellung entsprechend ist die Mikrofinanzierung für ihre „double bottom line“ (Drew, 2004) beziehungsweise ihre „two masters“ bekannt (Lewis: 2008: 56; Rippey, 2007: 102): neben der Frage der finanziellen Rentabilität (sustainability) steht auch immer die Frage der sozialen Mission im Raum, also wie es etwa möglich ist, Kleinkredite an ein möglichst armes Klientel zu verge-
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ben (outreach) und dass diese Kredite möglichst effektiv Armut bekämpfen (impact) (z.B. Rahman, 2004). Wie schaffen es Mikrofinanzinstitute (MFIs) durch die vertragliche Vorgabe des wechselseitigen Bürgens Kredite auch noch dort zu vergeben, wo die herkömmliche Kreditvergabe versagt? Eine einfache Erklärung, wie durch wechselseitiges Bürgen das Risiko des Ausfalls des Kleinkredits kontrolliert wird, liegt in der Annahme, dass die anderen Mitglieder der Gruppe für das zahlungssäumige Mitglied bedingungslos einsprängen. Die Mikrofinanzbank als Gläubiger übertrüge somit das Risiko des Kreditausfalls auf die Gruppe der Schuldner, in der es durch eine Mehrzahl erfolgreicher Investitionen der anderen Kleinkreditnehmer aufgefangen werden könne. Doch wieso sollte die Gruppe den Nutzen ihrer Anstrengungen zu Gunsten eines ihrer Mitglieder opfern? Insbesondere wirtschaftswissenschaftliche Studien verweisen daher auf die Sanktionskraft der Gruppe im Kontext eines Kosten/Nutzen-Kalküls: sie führen das Problem der Risikokontrolle auf die Frage eng, welche individuellen Kosten die Sanktionen für den potentiellen Abweichler ausmachen müssten, damit ausnutzenden Verhalten für ihn unattraktiv wird, ohne dass die Kosten der Ausübung der Sanktionen für die Gruppe deren Nutzen übersteigen (z.B. Armendàriz de Aghion, Morduch, 2005). Sozialwissenschaftliche Studien betonen eher die Solidarität der Gruppe, die einerseits bewirkt, dass alle Gruppenmitglieder sich an die Norm halten, sich möglichst anzustrengen, und die andererseits sicherstellt, dass Mitglieder mit Zahlungsproblemen von der Gruppe unterstützt werden. Diesen beiden unterschiedlichen Auslegungen der Kreditgruppe als Sanktionspotential und als Ressource von Solidarität entsprechend, zeichnet sich der öffentliche Diskurs zur Kleinkreditvergabe durch eine Kontroverse zwischen ihrem Erhoffen als ein Allheilmittel der Armutsbekämpfung und ihrer Kritik etwa als neoliberales Instrumentarium der Ausweitung der Finanzmärkte aus (in jüngster Zeit mit starker Tendenz zum Letzteren) (Weber, 2004; Robin, 2003; Dichter, Harper, 2007). Doch wieso sollte die Gruppe den Nutzen ihrer Anstrengungen zu Gunsten eines ihrer Mitglieder opfern, indem sie sich entweder solidarisch zeigt oder aber sanktionierend durchgreift, was beides Kosten verursacht? In gewisser Weise gibt hierzu das Konzept des Sozialkapitals eine Antwort, das sowohl in explizit ökonomisch als auch in generell sozialwissenschaftlich argumentierenden Studien Anwendung findet und den doppelten Bezug des wechselseitigen Bürgens sowohl auf Inklusion als auch auf Risikoverarbeitung auf einen Nenner bringt: es verweist darauf, dass soziale Strukturen, wie etwa Reziprozitäten, die das soziale Leben der Gruppenmitglieder untereinander kennzeichnen, wechselseitiges Bürgen nahe legen und damit das Risiko des Zahlungsausfalls beschrän-
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ken. Es lenkt dadurch den Blick jedoch vor allem auf die regionale und lokale Sozialstruktur der Gesellschaft, in deren Rahmen die Kleinkredite vergeben werden, und weniger auf die Kreditgruppe selbst. Zu der Frage, wie durch wechselseitiges Bürgen die Vergabe von Krediten ermöglicht wird, insbesondere wie die gesellschaftliche Kohärenz für die Kreditgruppen nutzbar wird und wie Sanktionen und Solidarität in der Gruppe zum Zuge kommen, führte ich ethnographische Feldforschungen in einem westafrikanischen Land durch. Die wichtigste und überraschendste Erfahrung dieses Aufenthalts war, zu sehen, welch großen Unterschied die Rolle des Kreditbetreuers (im folgenden Loan Officer) beim wechselseitigen Bürgen ausmacht. Der Loan Officer als Gläubiger gerät bei Betrachtungen des wechselseitigen Bürgens schnell aus dem Blick, wenn man die Bezeichnung „wechselseitiges Bürgen“ wörtlich nimmt, und nur die Bürgschaftsbeziehungen zwischen den Schuldnern unter die Lupe nimmt. Hält man sich selbst im Feld des wechselseitigen Bürgens auf, ist es schwer zu übersehen, mit welchen Herausforderungen die Loan Officer konfrontiert werden und durch welche Maßnahmen sie immer wieder gewährleisten, dass das wechselseitige Bürgen als Instrument der Kleinkreditvergabe funktioniert. Nicht zuletzt haben die Loan Officer selber dafür gesorgt, dass ich ihnen genügend Aufmerksamkeit schenkte: So ein Loan Officer: “It is like you are interested much […] on the clients. You don’t care about us, the officers, what we are going through our constraints. Or what your research is basically on the clients? We as officer, we also have challenges or you are not interested in that?” Sobald die Rolle des Loan Officer in den Blick gerät, wird ersichtlich, dass für die Gruppenmitglieder wechselseitiges Bürgen alles andere als selbstverständlich ist, auch wenn ihre Beziehungen untereinander in anderen Kontexten solch ein Handeln nahelegen mögen. Genauer legt die Berücksichtigung der Rolle des Loan Officer vor allem zwei zentrale Fragen der Risikokontrolle durch wechselseitiges Bürgens offen: Erstens stellt sich die Frage, wie mit dem Risiko umgegangen wird, dass Gruppenkredite dort vergeben werden, wo nur eine geringe gesellschaftliche Kohärenz vorliegt, sodass die Gruppe keine ausreichenden Kontrollmechanismen ausbildet. Und zweitens stellt sich die Frage, wie mit dem Risiko umgegangen wird, dass die Kreditgruppe mit dem Zahlungssäumigen gemeinsame Sache macht und zusammen mit ihm Reißaus nimmt, gerade wenn sich die Mitglieder persönlich gut bekannt sind. Offensichtlich kann der Gläubiger nicht einfach die Risiken seiner Kreditvergabe auf die Gruppe übertragen, auch und gerade wenn er dabei berücksichtigt, dass die Mitglieder in einer loka-
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len Sozialstruktur mit einer ausgeprägten Reziprozitätsnorm integriert sind. Andererseits wird er diese beiden Risiken nicht einfach so hinnehmen. Welche Rolle spielt also der Gläubiger beim wechselseitigen Bürgen einer Gruppe von Schuldnern? Der übliche Begriff des Sozialkapitals, zumindest wie er in der Literatur zur Kleinkreditvergabe Anwendung findet, hat eine zu starke ontische Fundierung auf bestehende Sozialstruktur, um den Loan Officer in die Frage der Risikokontrolle mit einbeziehen zu können. Zwar ist es möglich, zwischen externem Sozialkapital der Gesellschaft und internem beziehungsweise informativem Sozialkapital der Kreditgruppe zu unterscheiden (van Tassel (1999), Ghatak (1999), Wydick, 1999, Cassar et. al. 2007: 87), und diesen beiden Formen horizontalen Sozialkapitals das vertikale Sozialkapital in der Beziehung zum Loan Officer gegenüberzustellen (Ito, 2003: 324f). Wie diese verschiedenen Formen von Sozialkapital aufeinander Bezug nehmen, wie also etwa sich die Gruppe durch die Maßnahmen des Loan Officer an der Produktion von Sozialkapital beteiligt, geben diese Begriffe allerdings keine Erklärung. Genau dieser Herausforderung stellt sich jedoch der Gegenstand. Dazu exemplarisch ein Loan Officer: “Yeah, the group collateral is there, that should be the bench mark for us. But they’ve, that’s why I was telling you if you are not careful they [die Gruppenmitglieder, JS] will swerve you. Before you realize he’s beaten you to the bush. They calculate, they are very clever, if you think that they are illiterates or… They are very, very clever.” Das Funktionieren des wechselseitigen Bürgens als Instrument der Kleinkreditvergabe kann also nicht allein auf die Gruppe und erst recht nicht auf die lokale Sozialstruktur reduziert werden. Der Loan Officer ist ebenso gefragt, und zwar darin, die Gruppe sowohl mit als auch gegen die lokale Sozialstruktur am Laufen zu halten, ihrem Zerfall in einzelne Schuldner entgegen zu wirken und damit Zahlungsausfälle zu vermeiden, um als Gläubiger den Schaden selbst nicht tragen zu müssen. Andersherum wird vor dem Hintergrund der Maßnahmen des Loan Officer auch erst die Risikokontrolle der Kreditgruppe gegenüber der lokalen Sozialstruktur sichtbar. Eine Leitdifferenz dieser Studie zum wechselseitigen Bürgen liegt deswegen darin, zwischen der lokalen Sozialstruktur, der Gruppeninteraktion und den Maßnahmen des Loan Officer zu unterscheiden. Ausgehend von dieser Differenzierung stellt sich die Frage, wie diese Ebenen aufeinander Bezug nehmen: Welchen Unterschied macht die lokale Sozialstruktur für die Bereitschaft der Grup-
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penmitglieder, füreinander zu bürgen? Und inwiefern gewährleisten die Maßnahmen des Loan Officer, dass die Erwartung des wechselseitigen Bürgens unter den Gruppenmitgliedern vor dem Hintergrund einer bestimmten Sozialstruktur aufrechterhalten wird? Eine Soziologie des wechselseitigen Bürgens könnte zu diesen Fragen Antworten liefern. Soziologische Analysen zum wechselseitigen Bürgens sind zwar bisher die Ausnahme geblieben und nicht sehr umfassend (Anthony, 2000; Lont, Hospes, 2004). Doch konnten sie zum einen noch am ehesten darauf hinweisen, dass wechselseitiges Bürgen weder ausschließlich einem reinen Kosten-NutzenKalkül noch ausschließlich einem rein solidarischem Ansatz folgt. Und zum anderen haben sie einen Blick dafür, dass eine Kontrolle von Risiken nicht nur einer Kontrollebene zuzurechnen ist, sondern hier mehrere Ebenen im Spiel sind. Eine soziologische Perspektive ist deswegen vielversprechend, weil sie im Stande ist, gegenüber der Differenziertheit von finanzieller Risikokontrolle und normativer Inklusionsorientierung des wechselseitigen Bürgens Distanz zu bewahren, indem sie beobachtet, wie durch die Erwartung des wechselseitiges Bürgens diese Differenz überhaupt etabliert wird. Zudem kann die Soziologie dem Gegenstand des wechselseitigen Bürgens deswegen so gut gerecht werden, weil sie mit unterschiedlichen Kontexten und Perspektiven des Handelns und Erlebens rechnet, die durch das wechselseitige Bürgen beim Zusammenleben der Gruppenmitglieder im Dorf, beim Treffen der Kreditgruppe und bei der Interaktion mit dem Loan Officer zum Tragen kommen. Vor allem greift die vorliegende Studie auf die soziologische Systemtheorie zurück, insbesondere um für unterschiedliche Kontexte, die Ereignishaftigkeit des Gegenstands und Perspektiven zweiter Ordnung aufmerksam zu sein, auf die soziologische Netzwerktheorie, insbesondere um die Beziehungen der Gruppenmitglieder in und außerhalb der Gruppe zu erfassen, und allgemein auf die soziologische Formentheorie, um Unterscheidungen und Relationen aller Art in den Blick nehmen zu können. Die Ausführungen zur Frage, wie wechselseitiges Bürgen die Risiken der Kleinkreditvergabe kontrolliert, erfolgt nach folgenden Schritten: Zunächst untersuchen wir in Kapitel I anhand des Begriffs der finanziellen Exklusion, wie es überhaupt dazu kommt, dass Kleinkredite nicht von Banken auf dem formalen Finanzmarkt vergeben werden, insbesondere wieso ihre Risiken nicht eingeschätzt und verarbeitet werden können und es daraufhin zum Ausschluss bestimmter Personengruppen von Kreditbeziehungen kommt. Wir werden sehen, dass finanzielle Exklusion nicht nur ein Produkt der zunehmenden Dynamisierung des Finanzmarktes und der Programme der Bankenorganisationen, insbesondere computergestützter Techniken des credit-scoring und von Produktstan-
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dardisierungen, sind, sondern als Kontextvariable ebenso die gesellschaftliche Integration der Kreditnehmer zu berücksichtigen ist. Wie es trotz finanzieller Exklusion möglich ist, Zugang zu Krediten zu bekommen, zeigt ein Blick auf den sogenannten informellen Finanzmarkt in Kapitel II. Für drei Hauptformen von informellen Kreditbeziehungen (persönliches Netzwerke, Kredit- und Sparzirkel und Geldverleiher) analysieren wir deren Techniken der Risikokontrolle. Mit der Klärung der Form finanzieller Exklusion und Formen finanzieller Re-Inklusion ist ein Rahmen für die Untersuchung der Kleinkreditvergabe durch wechselseitiges Bürgen geschaffen. Wir fragen uns nun, auf welch spezifische Weise die Risiken bei der Kleinkreditvergabe durch wechselseitiges Bürgen der Schuldner kontrolliert werden. Der skizzierte Forschungsstand zur Kleinkreditvergabe durch wechselseitiges Bürgen in Kapitel III zeigt, dass die lokale Sozialstruktur, die Kreditgruppe und, nur in Ansätzen, die Rolle des Loan Officer vornehmlich als einzelne Komponenten betrachtet werden - ganz so, als handele es sich hierbei entsprechend der Unterscheidung von persönlichen Netzwerken, Kredit- und Sparzirkel und Geldverleihern, um völlig unterschiedliche Formen der Kreditbeziehung. Wir berücksichtigen für unsere Frage nach der Risikokontrolle durch wechselseitiges Bürgen deswegen insbesondere, wie durch die Maßnahmen des Loan Officer, die Gruppeninteraktionen einerseits in Bezug auf sich selbst und andererseits in Blick auf die lokale Sozialstruktur kontrolliert werden. Kapitel IV erläutert knapp, wie während eines ethnographischen Feldaufenthalts bei vier Mikrofinanzinstitutionen in einem westafrikanischen Land empirische Daten zum wechselseitigen Bürgen gewonnen wurden.1 In Kapitel V wird sodann unter Verwendung des empirischen Materials analysiert, wie die Selektionen von Kleinkrediten unter Bedingung des wechselseitigen Bürgens zu Stande kommen: Wie bildet sich eine Kreditgruppe, deren Mitglieder das Bürgschaftsrisiko zu tragen haben und dessen Loan Officer das Risiko trägt, dass solch eine Gruppenbürgschaft abgelehnt wird. Wie die eingegangenen Risiken des wechselseitigen Bürgens nach der Auszahlung der Kleinkredite kontrolliert werden, zeigt Kapitel VI. Einerseits stellt sich hier die Frage, wie auf Ebene der Interaktion der Gruppe mit dem Risiko von Zahlungsausfällen und damit mit Bürgschaftsfällen umgegangen wird. Wie verhindert etwa die Gruppe, dass ihre Erwartungsgrundlage des wechselseitigen Bürgen ausgenutzt wird, ohne sie vollständig aufgegeben zu müssen? Wie ent1
Sämtlich dargestelltes Datenmaterial ist anonymisiert. Für die vier Mikrofinanzinstitutionen wurde jeweils die Abkürzungen ABC, DEF, GHI und JKL verwendet. Personennamen und Ortsnamen wurden durch fiktive Namen ersetzt. Die Landeswährung wurde unter Rundung in EUR umgerechnet.
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scheidet sie, ob sie ausgenutzt wird oder ob eines ihrer Mitglieder Unterstützung braucht, und welche kollektiven Handlungsmöglichkeiten ergeben sich aus dieser Entscheidung? Und andererseits stellt sich die Frage, wie auf Ebene der Interaktion mit dem Loan Officer mit dem Risiko umgegangen wird, dass die Gruppe nicht funktioniert, weil sie entweder gegen den Loan Officer aufbegehrt oder keine ausreichende Kontrollkraft entwickelt. Welche Maßnahmen versprechen hier ein geeignetes Gegensteuern? Dass die Mehrebenenstruktur des wechselseitigen Bürgens das Risiko von Zahlungsausfällen nicht eliminiert, sondern selbst riskant ist und tatsächlich auch zusammenbrechen kann, skizziert Kapitel VII. Kapitel VIII zeigt, welche Möglichkeiten noch bleiben, Zahlungsausfälle zu vermeiden, nachdem das Instrument des wechselseitigen Bürgens versagt. Wie kann die Erwartung aufrechterhalten werden, dass der Kredit zurückgezahlt wird, wenn nur noch Mittel der Interaktion zwischen Loan Officer und dem einzelnen Zahlungssäumigen zur Verfügung stehen? Schreckt der Gläubiger dann noch davor zurück, notfalls in das persönliche Umfeld des Schuldners einzugreifen? Zum Abschluss bietet Kapitel IX eine Zusammenfassung und einige anschließende Fragen für weitere Forschungen. Ohne die Unterstützung einer Vielzahl von KollegInnen wäre diese Studie im Rahmen meiner Promotion nicht möglich gewesen. An erster Stelle möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Stephan Wolff und Herrn Prof. Dr. Wolfgang Schröer für die konstruktive Begleitung meiner Arbeit bedanken. Ohne ihre unermüdliche Überzeugungsarbeit, mir den Sinn eigener Feldforschungen begreiflich zu machen, wäre diese Studie nicht zu ihren Ergebnissen gekommen. Mein Dank gilt zudem den KollegiatInnen des DFG-Graduiertenkollegs Transnationale Soziale Unterstützung, Dr. Stefan Köngeter, Dr. Elke Kaufmann, Andreas Herz, Johanna Krawietz, Katharina Mangold, Nadin Tettschlag und Andreas Steinert, mit denen ich unzählige Diskussionen führte und oft mit Kickerspielen und Beisammensitzen die Arbeitspausen verbrachte. Bei allen TeilnehmerInnen der standortübergreifenden Workshops des Graduiertenkollegs möchte ich mich ebenfalls für Diskussionen und Anregungen bedanken. Für Ermunterungen und offene Ohren nicht nur in der Sache selbst bedanke ich mich bei Diana Delelis und Torsten Bergt. Ganz besonderen Dank schuldige ich den vielen Loan Officern und den unzähligen Gruppenmitgliedern, die mir mit großem Enthusiasmus und bemerkenswerter Ausdauer über ihre Arbeit erzählten.
Kapitel I: Zur Form finanzieller Exklusion
Für eine erste Annäherung an das Thema der Kleinkreditvergabe unter Bedingung des wechselseitigen Bürgens eignet sich die Beobachtung, dass Kleinkredite typischerweise nicht von Banken vergeben werden, die im hochgradig ausdifferenzierten Weltfinanzmarkt integriert sind und dort nach dem Prinzip der Profitabilität operieren2. Auch das Klientel von Kleinkrediten ist typischerweise eines, das keinen Zugang zum formalen Finanzmarkt und seinen Banken hat. Kleinkreditvergabe, wiewohl es sich unbestreitbar um ein finanzielles Phänomen handelt, findet abseits vom Zentrum des profitablen Finanzmarktgeschehens statt. Diese Beobachtung, dass die Kleinkreditnehmer und Mikrofinanzinstitutionen (MFI) keinen, oder zumindest nur einen sehr stark beschränkten Zugang zum formalen Finanzmarkt haben, ist freilich nur eine neben anderen Möglichkeiten für einen konzeptionellen Zugang zur Kleinkreditvergabe. Man könnte die Kleinkreditvergabe in einem ersten Schritt auch etwa hinsichtlich ihrer geringen Kreditsummen, ihrer regionalen Ausprägung oder eventuell ihres geschichtlichen Erscheinens über ihren Vergleich zur formalen Kreditvergabe markieren. Denn es handelt sich bekanntlich um Kredite mit geringen Summen, die vornehmlich in sogenannten unterentwickelten Weltregionen vergeben werden und eventuell einen evolutionären Schritt in der Ausdifferenzierung formaler Finanzmärkte ausmachen. Wir entscheiden uns an dieser Stelle dafür, von der Sozialdimension auszugehen, also von der Frage nach der Teilnahme und Nicht-Teilnahme von Personen an finanziellen Transaktionen. Der Grund für diese Entscheidung liegt darin, dass wir damit einer klaren Unterscheidung folgen können – entweder Teilnahme oder Nicht-Teilnahme –, während Kreditsummen in der Sachdimension, re-
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Ausnahmen, wie der Börsengang der mexikanischen MFI Banco Compartamos (vgl. Lewis, 2008: 56) bestätigen die Regel.
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gionale Ausprägungen in der Raumdimension und evolutionäre Errungenschaften in der Zeitdimension der Kleinkreditvergabe mit Unbestimmtheiten einhergehen. Ein weiterer Grund wäre, dass die Kleinkreditvergabe immer wieder in den Kontext von Entwicklungshilfe gestellt wird, die sich zwar nicht ausschließlich für finanzielle, sondern generell für gesellschaftliche Teilnahmechancen verantwortlich fühlt, zu denen dann aber auch finanzielle dazugehören. Auch die Entwicklungshilfe als ein Kontext der Kleinkreditvergabe kennzeichnet sich durch das Schema von Teilnahme und Nicht-Teilnahme. Wir beginnen also mit der Analyse der Kleinkreditvergabe, indem wir nach dem Ausschluss ihrer Teilnehmer im Unterschied zum Einschluss vom formalen Finanzmarkt und nach dessen Bedingungen, Ausprägungen, und Folgen fragen. Der Sinn dieser ersten Fragestellung liegt nicht nur darin, die Kleinkreditvergabe unter diesem Gesichtspunkt des Ausschlusses vom formalen Finanzmarkt besser verstehen zu können. Er liegt vor allem darin, Raum für weitere Fragestellungen zu schaffen, so etwa für die Frage, wie die Kleinkreditvergabe dennoch eine Teilnahme an finanziellen Transaktionen ermöglicht – nun aber auf ihre Weise.
1. F ORSCHUNGSSTAND Der Ausschluss von Personen vom formalen Finanzmarkt wird bereits seit einigen Jahren unter dem Begriff der finanziellen Exklusion diskutiert (z.B. Financial Services Authority, 2000; Leyshon, Thrift, 1996; Carbó, Gardner, Molyneux, 2009). Unter Bezugnahme auf diesen Begriff wurden eine ganze Reihe wichtiger Erkenntnisse zum Phänomen des Ausschlusses vom Finanzmarkt zusammengetragen und beschrieben. Zu diesen Erkenntnissen gehören allen voran die Paradoxie, dass finanzielle Exklusion sowohl einhergeht mit dem Trend hin zu einer finanziellen Super-Inklusion finanziell besser gestellter Personengruppen (Leyshon, Thrift, 1996: 1151; Financial Services Authority, 2000: 11ff; Dymski, 2009: 216f) als auch mit dem Trend hin zu einer inkludierenden Überschuldung finanziell schlechter Gestellter (Gloukoviezoff, 2007). Diese Trends werden meist mit einer zunehmenden Dynamisierung des Finanzmarktes und ihrer Folge von Standardisierungen insbesondere im Kreditgeschäft in Zusammenhang gebracht (Nieri, Laura, 2007: 121ff; Gloukoviezoff, 2007: 237f). Ein weiterer, für das Verständnis finanzieller Exklusion relevanter Aspekt liegt darin, dass finanzielle Exklusion eine relationale Dimension des allgemeineren Phänomens sozialer Exklusion ausmacht (Financial Services Authority, 2000: 7). Ein räumlicher Fokus, für den nur teilweise explizit der Begriff finanzielle Exklusion verwendet wird (Carbó, Gardner, Molyneux, 2009: 145ff) und der vor allem von Ethnolo-
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gen gesetzt wurde (z.B. Geertz, 1962), richtet sich auf etablierte Formen informeller Finanzierungsmöglichkeiten in unterentwickelten Regionen der Weltgesellschaft. Eine, wenn nicht sogar die zentrale Frage zur finanziellen Exklusion ist aber bisher in der Literatur immer nur am Rande behandelt worden. Es wurde nicht geklärt, welche grundlegende Form die Exklusion aus der Finanzwelt überhaupt annimmt: wie die Finanzwelt und daraufhin dann Ausschluss zu verstehen ist. Die Finanzwelt wird meist durch Aufzählung verschiedener Finanzdienstleistungen beschrieben (z.B. Rogaly, 1999: 3)3, ohne dass deutlich wird, was die Einheit dieser Dienstleistungen ausmacht. Und Erklärungen zur Exklusion beschränken sich meist auf Verwendung anderer, unklarer Wörter wie „Ausgrenzung“ (Dymski, 2009), „lack“ (Financial Services Authority, 2000: 7) oder „inability“ (Carbó, Gardner, Molyneux, 2009: 4) ohne dadurch ein höheres Analyseniveau zu gewinnen. Mit Rückgriff auf diese diffusen Beschreibungen bleibt nicht nur die Begrifflichkeit der Exklusion allgemein im Ungefähren. Mit ihnen kann dann auch nicht der Verdacht vollständig ausgeräumt werden, dass die Wurzel der Exklusion in erster Linie in ungenügenden Anstrengungen, Unfähigkeiten oder gar schlechten Absichten bestimmter Akteure (z.B. von Kapitalisten) beziehungsweise in latenten Strukturen, in denen sie eingebettet sind, liegt. Solch eine implizite Suggestion und Beurteilung von Akteuren und Strukturen kann nur sehr schwierig an Erkenntnissen anschließen, die die Bedingungen finanzieller Exklusion in den operativen Dynamiken des Finanzmarktes und im Unterschied dazu in anderen gesellschaftlichen Bereichen, wie etwa Bildung oder Familie, sehen. Vielleicht um diesen Schwierigkeiten zu entgehen, werden eindeutige Definitionen typischerweise vermieden beziehungsweise ein analytisches Verständnis der grundlegenden Form finanzieller Exklusion einfach vorausgesetzt. So kann man zwar zügig zu Fragen nach der Ursachen und Folgen, nach der quantitativen Verteilung und nach den Möglichkeiten politischer Maßnahmen zur Bekämpfung finanzieller Exklusion übergehen (so z.B. bei Kempson, Whyley, 1999). Die Entwicklung eines grundlegenden Verständnisses finanzieller Exklusion, das sich sowohl auf die Dynamiken der Finanzwelt als auch auf andere gesellschaftliche Kontexte (Bildung, Familie, etc.) bezieht, bleibt dadurch aber versperrt. Gerade weil sich Exklusionen auf Personen beziehen, muss in ihre Erklärung die Frage nach der Operation als etwas Drittes, das den Ein- und Ausschluss von Menschen vollzieht, einbezogen werden. Ein bloßer Verweis auf Personen führt 3
Rogaly (1999: 3) definiert: “Financial exclusion refers to exclusion from particular sources of credit and other financial services (including insurance, bill-payment services, and accessible and appropriate deposit accounts).”
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letztendlich zu der sinnlosen Tautologie beziehungsweise Paradoxie, dass man die inkludierten für die Lage der exkludierten Personen (oder diese selbst) verantwortlich macht, welche sich damit aber gleichzeitig selbst von einer möglichen sozialen Beziehung mit diesen Exkludierten ausschließen. Ein Ausschluss sowie Einschluss von Menschen findet aber immer nur dann statt, wenn er sich auf irgendein operatives Material bezieht, wie beispielswiese wirtschaftliches Eigentum, politische Macht, Erziehung, oder eben in unserem Fall auf finanzielle Spielräume. Natürlich können Menschen auch von persönlichen Beziehungen zu bestimmten anderen Menschen ausgeschlossen werden. Aber auch dann wäre es zu einfach, nur auf die beteiligten und nicht beteiligten Personen, auf ihre Schuld, ihre Opfer oder ihre Motive, zu blicken, und das Dritte, das die persönliche Beziehung ausmacht, wie Solidarität, Intimität, Freundschaft oder auch Ausnutzung, Konflikt und Feindschaft außer Acht zu lassen. Es ist gerade der Vorteil des Begriffs der Exklusion, dass er die Frage nach der Operation, die die Exklusion vollzieht, stärker aufdrängt als verwandte Konzepte von Armut, Benachteiligung oder Ungleichheit. Denn er geht von einer vollständigen Kappung der Möglichkeit der Teilnahme am ausgewiesenen sozialen Geschehen aus. Dadurch geraten sozusagen von außen sowohl die operative Dynamik dieses spezifischen sozialen Geschehens, wie etwa der Finanzwelt, als auch im Unterschied dazu jene anderer sozialer Geschehnisse, wie etwa Erziehung oder Familie, besser in den Blick gerät. Dagegen gehen die genannten verwandten Konzepte vom Verbleib rudimentärer sozialer Verbindungen aus, auf die hin dann der naheliegende Verdacht struktureller Ausbeutung und einseitige personenbezogene Schuldzuweisung leicht aufkommen können. In der bisherigen Literatur wird das Analysepotential des Begriffs finanzieller Exklusion also noch nicht voll ausgeschöpft. Der Begriff Exklusion bleibt ungenau, weil nicht geklärt wird, wie die Exklusion operativ vollzogen wird. Das liegt nicht zuletzt daran, dass auf ein Konzept der Operation der Finanzwelt verzichtet wird und stattdessen verschiedene Finanzdienstleistungen aufgezählt werden. Damit wird dann auch der Bezug der finanziellen Exklusion zu anderen Exklusionslagen der Gesellschaft undeutlich. Dennoch schwingt in der Literatur zur finanziellen Exklusion implizit der Verweis auf das operative Dritte der Finanzwelt mit, etwa wenn von der Dynamik des Finanzmarktes die Rede ist (Dymski, 2009), oder wenn im Unterschied dazu der Bezug zu anderen Dimensionen und damit andere Operationen der Exklusion betont werden. Im Folgenden wollen wir deswegen zunächst versuchen, uns ein Verständnis über die grundlegende Operation des Finanzmarktes zu erarbeiten und in Bezug darauf dann ein Konzept der Exklusion anzulegen, das mit einem operativen (im Gegensatz zu einem akteursbezogenen und strukturellen) Theorieansatz verein-
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bar ist. An diese Vorstellung der grundlegenden Form finanzieller Exklusion können dann Fragestellungen konsistent anschließen, zu denen die bisherige Literatur bereits die oben genannten Erkenntnisansätze liefern konnte.
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Z AHLUNGSVERSPRECHEN
Welche Operation macht also die Finanzwelt aus? Wir gehen im Anschluss an Dirk Baecker (1991: 47ff; 1992: 110ff) von Zahlungsversprechen als grundlegende finanzielle Operation aus. Die Operation des Zahlungsversprechens zeichnet sich durch mehrere Unterscheidungen aus. Zunächst einmal findet die Operation des Zahlungsversprechens wie jede Operation immer in einem System im Unterschied zu seiner Umwelt statt. Genauer handelt es sich dabei um autopoietische Systeme, weil sie in der Lage sind, sich selbst zu reproduzieren (z.B. Maturana, 1981). Das System produziert Operationen und durch die geschlossene Verkettung von Operationen reproduziert sich das System. Dieses autopoietische Operieren des Systems geschieht trotz seiner Geschlossenheit nicht ohne Außenkontakt, sondern unter kognitiver Öffnung zu seiner Umwelt, in denen andere Systeme operieren, für die dasselbe gilt und für die unser Ausgangssystem als Teil ihrer Umwelten fungiert. Autopoietische Systeme reproduzieren ihre Operationen deswegen immer unter Bedingung der Co-Produktion anderer Systeme in ihren Umwelten (Fuchs, 1999: 136ff). Im Falle autopoietischer Systeme macht die Frage nach Teilnahmemöglichkeiten nicht uneingeschränkt Sinn, weil unter diesem sehr allgemeinen Systemtyp neben psychischen und sozialen Systemen auch lebende Systeme fallen, denen nicht ohne weiteres Bewusstsein und soziales Verhalten zugeschrieben werden kann. Tiere sind immer schon aus der Gesellschaft ausgeschlossen, deswegen kommt man auch nicht auf Idee, sie als Ausgeschlossene zu bezeichnen. In einer zweiten Unterscheidung werden Zahlungsversprechen immer in sozialen Systemen und damit immer im allumfassenden Sozialsystem der Gesellschaft und nicht außerhalb in ihrer Umwelt gegeben. Deswegen nehmen sie auch den gesellschaftlichen Operationsmodus der Kommunikation an. Zahlungsversprechen sind nicht in den menschlichen Körpern oder deren Psychen verankert, sondern stellen in erster Linie kommunikative Ereignisse dar. Kommunikation als grundlegende Form aller gesellschaftlichen Ereignisse kann nach Luhmann (1987: 194ff) als Akt begriffen werden, bei der eine Information mitgeteilt und verstanden wird. Jede punktuelle Verständigung (und auch Nicht-Verständigung) gibt dabei Anlass dafür, weitere Informationen durch Mitteilungen zu generieren und damit auf Anschlussverständigungen zu drängen, für die dasselbe
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gilt. Die Operation der Kommunikation passiert immer in einem Reproduktionszusammenhang weiterer Kommunikation, also in einem autopoietischen sozialen Systems, wobei das Gesellschaftssystem sämtliche Kommunikationen aller sozialen Systeme einschließt. Als primäre Umwelt für Kommunikationssysteme fungieren psychische Systeme. Ohne Bewusstsein keine Kommunikation (und andersherum). Die autopoietische Reproduktion von Kommunikation findet daher primär unter Bedingung der Co-Produktion psychischer Systeme statt. So sind auch Zahlungsversprechen als bestimmte Form von Kommunikation auf das gleichzeitige Stattfinden von Bewusstseinsakten angewiesen. Erst mit dieser Einschränkung autopoietischer Systeme auf soziale Systeme unter bedingter Co-Produktion psychischer Systeme macht die Frage Sinn, ob Teilnahme möglich ist oder nicht. Denn nun ergeben sich unterschiedliche Teilnahmemöglichkeiten von Individuen an Kommunikation. Im Gegensatz zum Tier verfügen Individuen zusätzlich zu ihren lebenden Körpern über Bewusstsein, wodurch ihnen innerhalb der Kommunikation die Möglichkeit sozialen Verhaltens und damit soziale Adressabilität (Fuchs, 1997) unterstellt werden kann. Entsprechend wird dann sichtbar, ob ihnen Teilnahmemöglichkeiten an der Gesellschaft verwehrt bleiben oder nicht. Ein mittlerweile bewährtes soziologisches Konzept für die Analyse von Möglichkeiten und Barrieren der Teilnahme an sozialen Systemen stellt die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion dar (z.B. Luhmann, 2008; Stichweh, 2009a). Das begriffliche Verständnis der Unterscheidung von Inklusion und Exklusion ergibt sich vor allem dadurch, dass sie sich auf Kommunikation als Grundoperation sozialer Systeme im Unterschied zu Bewusstseinsakten als Grundoperation psychischer Systeme bezieht. Denn als Exklusion aus sozialen Systemen kann verstanden werden, dass ein bewusstseinsfähiges Individuum oder eine Gruppe keine soziale Berücksichtigung in der Operation der Kommunikation findet (Luhmann, 1998: 620; Stichweh, 2000: 86). Mit dem oben angeführten Kommunikationsbegriff der Differenzierung von Information, Mitteilung und Verstehen heißt dies, dass mögliche Informationen, die sich auf dieses Individuum beziehen, nicht als Mitteilung verstanden werden. Das Individuum wird weder als handlungsfähige Person für Mitteilungen noch als eine erlebensfähige Person für Informationen wahrgenommen, sondern ist für die Kommunikation entweder gar nicht existent oder nur als Körper4 oder Objekt relevant.5 4
Die soziale Wahrnehmung eines Invidiuums als bloßer Körper heißt, dass man ihm nur noch Informationen in Bezug auf sein Leben abgewinnt, dem man zwar Essen gibt, aber nicht viel anders, als man es Tieren gibt.
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Die Form von Inklusion und Exklusion problematisiert damit nicht die Teilhabe und Nichtteilhabe des Menschen an der Gesellschaft im Sinne einer Vorfindbarkeit des
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Insoweit verständlich ist, dass Zahlungsversprechen nur in Form der Kommunikation stattfinden können, ist auch klar, dass nicht jede Kommunikation der Gesellschaft ein Zahlungsversprechen darstellt. Zahlungsversprechen sind eine besondere Form der Kommunikation. In einer dritten Unterscheidung können sie deswegen zunächst als Zahlung als spezifische Operation des Wirtschaftssystems der Gesellschaft bezeichnet werden. Zahlungen ereignen sich immer dann, wenn die dreiselektive Differenz von Information, Mitteilung und Verstehen der Kommunikation sich über das Geldsymbol auf Preise einerseits und Leistungen (zur Bedürfnisbefriedigung oder zur Produktion) andererseits bezieht (vgl. Luhmann, 1994: 246ff). So kommt eine Zahlung immer genau dann zu Stande, wenn man sich darüber informiert, welche möglichen Leistungen zu welchen möglichen Preisen (und umgekehrt) in Frage kommen, dies als Mitteilung interpretiert und sich darüber verständigt, indem für eine bestimmte Leistung ein bestimmter Preis durch Übertragung eines entsprechenden Geldbetrag von einem Käufer an einen Verkäufer gezahlt wird. Wie alle kommunikativen Operationen reproduzieren sich auch Zahlungen als Wirtschaftssystem selbst, indem ihr Vollzug weitere Zahlungen ermöglicht und andere ausschließt. Diese Autopoiesis der Wirtschaft geschieht, neben der bedingten Co-Produktion psychischer Systeme wie bei allen sozialen Systemen, unter Bedingung der Co-Produktion anderer gesellschaftlicher Teilsystemen, wie etwa Erziehung, Recht, Politik oder Religion. Ohne ausgebildete Arbeiter, Angestellte und Manager, ohne Rechtssicherheit in Sachen Eigentum und Vertragswesen und ohne politische Regulierungen kann eine Wirtschaft nur schwer überleben. Wenn Exklusion heißt, dass Verhalten von Individuen nicht als informative Mitteilung verstanden wird und deswegen keine soziale Berücksichtigung findet, geht es bei Exklusion aus der Wirtschaft um einen Sonderfall dieses allgemeinen Falls. Als wirtschaftliche Exklusion kann allgemein verstanden werden, dass ein Individuum nicht an Zahlungen teilnehmen kann, weil in Bezug auf dieses Individuum keine Informationen über Leistungen und Preise mitgeteilt werden können – entweder weil die Preise zu hoch sind oder die Leistungen keine Bedürfnisse ansprechen. Das exkludierte Individuum erscheint dann als zahlungsunfähig oder als arbeitsunfähig.
Menschen in der Gesellschaft; sie verneint solch eine Unterscheidung im Sinne des Ganzen / Teil-Schemas von Individuum und Gesellschaft. Vielmehr liegt ihre Voraussetzung darin, dass sich der Mensch außerhalb der Gesellschaft befindet, und sie organisiert daraufhin die dadurch ermöglichte und dafür notwendige Interpenetration zwischen Mensch, insbesondere dessen Bewusstsein, und Kommunikation (Luhmann, 1987: 298).
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Im Unterschied zu anderen Zahlungen zeichnet sich die Zahlung des Versprechens von Zahlungen dann viertens dadurch aus, dass sie Zahlungen explizit durch Erzeugung von Zeitdifferenzen ermöglichen (vgl. Baecker, 1991: 51f, insb. Fn.74; Baecker, 1988: 281f). Wer sich Geld leiht, dem fehlt es zum jetzigen Zeitpunkt, und von dem wird erwartet, dass er es zu irgendeinem späteren Zeitpunkt wieder zurückzahlt. Und wer Geld verleiht oder finanziell investiert, der braucht oder verwendet es zum jetzigen Zeitpunkt nicht für eigene Bedürfnisse oder die eigene Produktion, erwartet aber einen Rückfluss in der Zukunft. Die wirtschaftliche Leistung des Zahlungsversprechens besteht darin, dass sie Zahlungen gerade zu solchen Zeitpunkten ermöglicht, an denen sie ansonsten gar nicht stattfinden würden (sei es aufgrund fehlendem Geld, sei es aufgrund fehlender Bedürfnisse) indem sie Zeitunterschiede einbaut, in denen temporär sowohl Zahlungsunfähigkeit durch Zahlungsfähigkeit als auch Zahlungsfähigkeit durch Zahlungsunfähigkeit ersetzt werden. Diese Leistung temporärer Zahlungen hat aber auch ihren Preis, der die Form des Zinses als Anteil des Betrags der ermöglichten Zahlung annimmt. Wegen ihres Zeitbezugs sieht Baecker (1988: 282; 1991: 288ff; 1992: 112) den Gesichtspunkt des Risikos als Kernelement der Operation des Zahlungsversprechens. Weil Zahlungsversprechen Zahlungen durch Zeitdifferenzen, temporär, also nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft ermöglichen, beinhalten sie die Erwartung künftiger (Rück-)Zahlungen an. Und weil Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern auch enttäuscht werden können, sind die Anreize von Zahlungsversprechen immer mit Risiken verbunden. Das Eingehen von Risiken ist unvermeidbar für Zahlungsversprechen, weil man nicht sicher wissen kann, ob das Zahlungsversprechen gehalten wird, auch wenn man es erwartet. Es geht bei Zahlungsversprechen also nicht darum, Risiken zu vermeiden, sondern diese zu suchen, um erst daraufhin zu unterscheiden, welche Risiken man bereit ist einzugehen und welche man besser scheut. Um sich über unterschiedliche Risiken im Gegensatz zum Trugschluss sicherer Erwartungserfüllungen im Klaren zu werden, kommen Zahlungsversprechen in der Regel nur unter der Bedingung von Informationen zu Standen, die über Möglichkeiten der Erfüllung und der Enttäuschung des Zahlungsversprechens Auskunft geben. Mit dem Begriff des Zahlungsversprechens haben wir uns nun ein Verständnis über die grundlegende Operation des Finanzmarktes angeeignet. Es handelt sich um eine Operation eines autopoietischen Systems, eingrenzend um eine Kommunikation als Operation innerhalb des Gesellschaftssystems, weiter eingrenzend um eine Zahlung als Operation innerhalb des Wirtschaftssystems, bei der es abschließend um Zeitdifferenzen und damit um Risiken geht. Wie kann man sich nun einen Ausschluss von Zahlungsversprechen verständlich machen?
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Unter Anwendung des Exklusionsbegriffs auf die Operation des Zahlungsversprechens soll unter finanzieller Exklusion nun verstanden werden, dass ein Individuum von der Kommunikation von Zahlungsversprechen keine Berücksichtigung findet. Das Individuum fungiert nicht als Adresse für das Eingehen von Risiken von Zahlungsversprechen, weil in Bezug auf dieses Individuum nicht die entsprechende Information über den Anreiz und das Risiko beobachtet werden kann, die eine Mitteilung und damit ein Verstehen dieser Anreize und Risiken in der Form eines Zahlungsversprechens veranlassen würde. Wenn es keine oder negative Hinweise dafür gibt, ob jemand sein Zahlungsversprechen einhalten werden wird oder nicht, oder wenn jemand anderes zuverlässiger erscheint, wird man demjenigen auch keines abnehmen oder den anderen bevorzugen. Um diese finanzielle Form von Exklusion zu analysieren, kann man sich nun fragen, wie es dazu kommt, dass in Bezug auf bestimmte Adressen keine Informationen über Risiken (und Anreize) des Eingehens von Zahlungsversprechen beobachtet werden können.
3. M ECHANISMEN FINANZIELLER E XKLUSION 3.1 Exklusion durch den Finanzmarkt Eine Exklusion aus Zahlungsversprechen kann nicht uneingeschränkt der Form des Zahlungsversprechens selbst zugerechnet werden. Man könnte hierzu zwar entgegnen, dass ein Zahlungsversprechen für sich genommen immer schon auf bestimmte Personen fokussieren muss und damit gleichzeitig andere Personen ausschließt. Einen Kredit oder eine Einlage kann man nur einer Person geben und nicht einer anderen. Doch prinzipiell könnten für alle Personen entsprechende Zahlungsversprechen zu Stande kommen, indem deren bloße Zahl sich der Zahl potentieller Geber und Nehmer anpasst. Auch in Hinblick auf die Informationsgewinnung über Risiken in Bezug auf bestimmte Personen muss es von der bloßen Form des Zahlungsversprechens her nicht unbedingt zu deren Ausschluss kommen. Denn eine komplexe Informationsgewinnung durch Überprüfung unzähliger Kriterien und Eventualitäten könnte prinzipiell gewährleisten, dass mit jeder Person ein daraufhin angelegtes Zahlungsversprechen in Bezug auf Höhe und Laufzeit einzugehen ist. Schließlich zwingt auch nicht die inhärente Zeitdifferenz des Zahlungsversprechens unbedingt zu einem Ausschluss bestimmter Adressen. Durch bestimmte Techniken des monitoring (Beobachtung der Investition) und des enforcement (Maßnahme zur Rückzahlung) könnte in Bezug auf das Zeitproblem ebenso ein Einschluss gewährleistet werden.
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Bei Zahlungsversprechen handelt es sich, wie bei jeder Operation, aber nicht um isolierte Einheiten ohne Bezug zu ihrer Umwelt. Für ihre Reproduktion beziehen sie sich zwar aufeinander, dabei sind sie aber mindestens genauso auf ihre Umwelt angewiesen, die ihnen Anlässe und Ressourcen zur Verfügung stellen kann, um ihre jeweiligen Einheiten konstituieren zu können. Die Analyse finanzieller Exklusion als Exklusion aus Zahlungsversprechen muss deswegen immer auch den Außenbereich der Form des Zahlungsversprechens mitberücksichtigen. Die Umwelt von Zahlungsversprechen kann in eine interne und eine externe Umwelt unterschieden werden. Zur externen Umwelt von Zahlungsversprechen gehören sämtliche Operationen anderer sozialer Systeme, die nicht als Zahlungsversprechen fungieren, also etwa Zahlungen der sogenannten RealWirtschaft oder Operationen anderer gesellschaftlicher Funktionssysteme (Politik, Recht, Religion, Erziehung), und psychischer Systeme. Die interne Umwelt von Zahlungsversprechen resultiert dagegen aus internen Differenzierungen von Zahlungsversprechen und etabliert damit den Markt von Zahlungsversprechen, also den Finanzmarkt. Dirk Baecker (1988: 281ff) schlägt zur Beschreibung dieser internen Differenzen eine Differentialmatrix vor, wonach Zahlungsversprechen einerseits danach unterschieden werden, hinsichtlich welcher Anreize im Vergleich zu ihren Risiken des Brechens ihrer Versprechen sie zustande kommen. Und sie können andererseits danach unterschieden werden, hinsichtlich welcher Informationen und welcher Erwartungen zu diesen Anreizen und Risiken sie zustande kommen. Diese beiden kombinierbaren Differenzierungen von Zahlungsversprechen ergeben sich nach Baecker dadurch, dass in Bezug auf verschieden mögliche Teilnehmer verschieden mögliche Beobachtungen von Zahlungsversprechen in der Zeit beobachtet werden, also durch Beobachtungen zweiter Ordnung, die diese Differenzen ziehen. Der Finanzmarkt als interne Differenzierung von Zahlungsversprechen etabliert sich also dadurch, dass mögliche Beobachtungen von Zahlungsversprechen im Hinblick auf ihre Risiken und Anreize und im Hinblick auf ihrer Informationen und Erwartungen beobachtet werden: Geht man davon aus, dass eine Information in der Kommunikation immer als Selektion gewonnen wird, um über ihre Differenz zum Nichtgewählten überhaupt Neuigkeitswert zu erlangen, wird ersichtlich, dass die Information neben Anreizen auch mit Risiken einhergeht. Diese Risiken kommen gerade bei der Kommunikation von Zahlungsversprechen zum Tragen, weil sich hier die Selektion der Information trotz ihrer Ereignishaftigkeit explizit auf die Zeit bis zum vereinbarten Zahltag des Versprechens bezieht, in der noch viel anderes passieren kann. Das Risiko der Informationsgewinnung bezieht sich also einerseits auf den Zeitpunkt vor dem Zahlungsversprechen, in der eine riskante Selektion von
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Informationen in Bezug auf eine unbestimmte Menge möglicher informativer Unterschieden zu treffen ist. Und andererseits bezieht sich dieses Risiko auf die Zeit nach der Entscheidung des Zahlungsversprechen, in der die Informationsgenerierung risikoreich bis zum vereinbarten Zahltag weiter läuft. So geben zwar Informationen Auskunft über das Zahlungsversprechen, woraufhin Erwartungen über die Einhaltbarkeit des Versprechens gebildet werden können, an denen man sich bei der Frage orientiert, ob man das Versprechen annimmt oder nicht. Doch dabei besteht das inhärente Risiko, dass sich die Erwartung des Zahlungsversprechens wegen der Selektion und der Vergänglichkeit des Informationswerts nicht erfüllt. In der Ökonomie ist das Risiko der Informationsgewinnung vor allem als moral hazard bekannt: Vor dem Zahlungsversprechen kann der Geldnehmer durch täuschende Handlungsweisen die Informationsgewinnung in seinem Sinne manipulieren, und/oder der Geldgeber durch unterlassende Handlungsweisen des Prüfens die Informationsgewinnung untergraben, sodass es zu einem Versprechen kommt, dessen Einhalten sehr unwahrscheinlich ist. Und nach dem Zahlungsversprechen kann der Geldnehmer entgegen der zuvor vorherrschenden Informationslage in seinen Handlungsanstrengungen nachlassen, und/oder der Geldgeber für die Durchsetzung des Versprechens zu wenig tun, sodass spätestens am vereinbarten Zahltag eine aktuellere (und brisantere) Informationslage über die Nicht-Einhaltbarkeit des Versprechens vorliegt. Über die Einschränkung der Relationierbarkeit dieser beiden Differenzen der Beobachtungen zweiter Ordnung (Risiko/Anreiz und Information/Erwartung), die den Finanzmarkt ausmachen, kann es nun zu Exklusionen auf dem Finanzmarkt kommen. Adressen, auf deren Bezug hin keine Anreize von Risiken durch entsprechende Informationen unterschieden werden können, die zu Bildung von Erwartungen führen, werden demnach vom Finanzmarkt ausgeschlossen (vgl. dazu und für das folgende Stiglitz, Weiss: 1981): Exklusion aus Zahlungsversprechen in Bezug auf das Risiko des morale hazard kommt dadurch zu Stande, dass in Bezug auf bestimmte Adressen keine Informationen vor und nach dem Zahlungsversprechen über deren Einhaltbarkeit gewonnen werden können, beziehungsweise davor überwiegend solche Informationen gewonnen wurden, die auf eine Nichteinhaltbarkeit hinweisen. Der Anreiz des Zinses des Zahlungsversprechens rechtfertigt dann nicht sein hohes Risiko. Es kommt infolgedessen zum Ausschluss dieser Adressen aus Zahlungsversprechen. Die Crux liegt dabei darin, dass solch eine Verweigerung eines Zahlungsversprechens auch nicht durch Versuche der Gegensteuerung ausgeschlossen werden kann, weil sie Folgeprobleme mit sich bringen, die eine Ablehnung eines
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Versprechens wiederum nahelegen. So besteht zwar die Möglichkeit, wegen des hohen Risikos einen höheren Anreiz für das Zahlungsversprechen in Form eines höheren Zinssatzes zu verlangen. Durch höhere Zinseinnahmen könnten entweder die Kosten für aufwendigeres Beobachten vor und nach dem Versprechen und für daraufhin angelegte Handlungen des enforcement gedeckt werden. Oder es könnten durch die Zinseinnahmen die Kosten für fehlgeschlagenes Beobachten nach dem Versprechen gedeckt werden, indem die eingenommenen Zinszahlungen gehaltener Zahlungsversprechen die Verluste gebrochener Zahlungsversprechen ausgleichen. Doch eine Erhöhung des Zinses, um das Risiko des moral hazard handhabbar zu machen, führt teuflischer Weise zum Risiko des adverse selection (Stiglitz, Weiss, 1981; vgl. in Bezug auf Mikrofinanzierung auch Ghatak, Guinnane, 1999: 220f). Hohe Zinsen können nur bezahlt werden, wenn der Geber des Zahlungsversprechens (also der Schuldner) bereit ist, ein Projekt mit hohen Ertragschancen mit aber entsprechend hohem Risiko einzugehen, während für ertragsärmere aber weniger riskantere Projekte die Anreize für teure Zahlungsversprechen fehlen. Der Versuch, Risiken des moral hazard von Zahlungsversprechen über deren Zinserhöhungen (Preissteigerungen) zu handhaben, führt demnach zu einer Falschauswahl in Bezug auf riskantere Zahlungsversprechen. Solch eine Falschauswahl kann dann vermieden werden, indem der Zins unterhalb jenes theoretischen Zinsniveaus festgelegt wird, der Angebot und Nachfrage auf dem Markt räumen würde. Damit werden jedoch Möglichkeiten von Zahlungsversprechen nicht nur in Bezug auf bestimmte Projekte, sondern auch in Bezug auf mögliche Teilnehmer rationiert (credit rationing), die damit von Zahlungsversprechen ausgeschlossen werden. Und selbst wenn das Risiko des adverse selection nicht akut ist und stattdessen von der Erwartung hoher Investition ausgegangen werden kann, kann ein erhöhter Zins nicht nur das Risiko des moral hazard kompensieren, sondern es zugleich auch erhöhen. Denn wenn für ein Zahlungsversprechen in Form höherer Zinsen mehr gezahlt werden muss, dann ist die Möglichkeit naheliegender, dass zwar ein Versprechen gegeben, aber nicht gehalten wird. Daraufhin dem Risiko des moral hazard wiederum durch einen niedrigen Zins zu begegnen, gefährdet nicht nur ein zumindest rentables Einschätzen des Risiko des moral hazard, sondern erhöht auch die Wahrscheinlichkeit des Risikos von Fehlinvestitionen (rubbish). Denn billiges Geld verleitet zu unbedachten Investitionen in Projekte, deren Produkte nicht auf ausreichende Nachfrage stoßen. Für die Entwicklungsfinanzierung ist dies spätestens seit Adams’, Douglas’ und van Pischkes Buch „Undermining Rural Development Through Cheap Credit“ (1984) aufgedeckt worden.
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Zu Exklusionen vom Finanzmarkt, als interne Umwelt von Zahlungsversprechen, kommt es also dadurch, dass im Zuge des Beobachtens zweiter Ordnung nicht mit allen möglichen Teilnehmern Zahlungsversprechen eingegangen werden können, die adäquate Anreize bei eingehbaren Risiken verheißen. Diese Undifferenzierbarkeit von Anreizen und Risiken betrifft dabei sowohl die Informationsgewinnung als auch die Erwartungsbildung von Zahlungsversprechen: In Bezug auf die Informationsgewinnung können keine Anreize adäquater Zinssätze zu eingehbaren Risiken des morale hazard differenziert werden. Und in Bezug auf die Erwartungsbildung können keine Anreize adäquater Investitionen zu eingehbaren Risiken von Fehlinvestitionen (u.a. durch adverse selection) unterschieden werden. Die Bedingungen dieser Undifferenzierbarkeiten liegen in den beschriebenen zirkulären, sich nicht nur stützenden, sondern sich auch ausschließenden Relationen bei der Differenzierung von Anreizen und Risiken in Bezug auf Informationen und Erwartungen. Die Beobachtung zweiter Ordnung des Finanzmarktes scheint also einen blinden Fleck zu haben, auf dem Anreize und Risiken undifferenziert bleiben, und daraufhin Zahlungsversprechen nicht zu Stande kommen. Dieser blinde Fleck des Finanzmarktes kann in der Sachdimension von Zahlungsversprechen den Ausschluss bestimmter Projekte und in der Zeitdimension den Ausschluss bestimmter Zeitpunkte und -strukturen markieren. Schließlich kann er auch in der Sozialdimension den Ausschluss von Adressen aus Zahlungsversprechen markieren. Daran anschließend ergibt sich ein weiterer Analyseschritt der Exklusion auf dem Finanzmarkt, wenn man die finanzielle Exklusion in Bezug auf die verschiedenen Teilnehmer als Adressaten des Finanzmarkts unterscheidet. Als eine wichtige Unterscheidung von Finanzmarktteilnehmern fungiert dabei die Unterscheidung von Banken und ihren Kunden, wie Unternehmen (Kapitalgesellschaften und Produktionsunternehmen), nicht-profit orientierte Organisationen, öffentliche und private Haushalte, sowie andere Banken. Nach Baecker (1991) nehmen Banken eine gesonderte Teilnehmerrolle im Finanzmarkt ein, weil für sie das Entscheiden über das Annehmen und Abgeben von Zahlungsversprechen die grundlegende Operation ausmacht. Erst durch ihr Entscheiden kann sich erst ein Finanzmarkt bilden, weil erst durch sie das Beobachten zweiter Ordnung von Zahlungsversprechen ermöglicht wird. Nicht nur, dass die Banken andere Banken und ihre Kunden beobachten, wie diese beobachten, und danach ihre Entscheidungen ausrichten, auch ihre Kunden können nun die Entscheidungen der Bank beobachten, und danach ihrerseits ihre Präferenzen ausrichten. Während also für Banken Zahlungsversprechen zum operativen Geschäft gehören, stellen sie für ihre Kunden Zahlungsversprechen zwar eine strukturelle
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Bedingung dar, nicht aber ihren Operationsmodus. Unternehmen stellen Produkte her, wofür sie zwar aus Investitionszwecken auch Kredite nachfragen, ohne dass dies aber ihr Selbstzweck wäre. Staaten treffen und führen politische Entscheidungen aus, die Zahlungsversprechen betreffen können aber nicht unbedingt müssen und nach Möglichkeit nicht immer sollten6. Und auch für das private Haushalten dient das Eingehen von Zahlungsversprechen als Strukturbedingung, aber nicht als grundlegender Operationsmodus. Exklusionen aus Zahlungsversprechen können dann entweder dahingehend analysiert werden, wie Banken keinen Zugang zu Einlagen finden bzw. ihre Einlagen in einem run auf die Bank abgezogen werden (Vergabe von Zahlungsversprechen) und sie dadurch auch keine Kredite mehr vergeben können (Annahme von Zahlungsversprechen). Und sie können aus der Perspektive der Kunden von Banken analysiert werden, das heißt wie Unternehmen, Staaten oder Privatpersonen die Möglichkeit der Kreditaufnahme oder des Sparens versperrt bleibt. Schließlich könnte auch danach gefragt werden, wie Banken als Kunden von anderen Banken vom Interbankengeschäft ausgeschlossen werden. Für die weitere Analyse finanzieller Exklusion werden wir uns auf Banken und Privatpersonen als Teilnehmer beschränken, wobei der Ausschluss von Staaten und Unternehmen vom Finanzmarkt grundsätzlich natürlich ebenso bedeutsam ist für das Phänomen finanzieller Exklusion. 3.2 Kopplung finanzieller Exklusion mit anderen Exklusionen Bisher wurde finanzielle Exklusion nur über die Dynamik des Finanzmarktes selbst erklärt, indem auf die positive Rückkopplung zwischen Anreiz des Zinssatzes (Preis) und Risiken der Zahlungsversprechen verwiesen wurde. Neben der internen Umwelt von Zahlungsversprechen muss aber auch ihre externe Umwelt zur Erklärung ihrer Exklusion herangezogen werden. Der Ausschluss von Individuen aus Zahlungsversprechen hängt nämlich auch davon ab, wie diese Individuen in der Gesamtgesellschaft integriert sind. Wer keine Arbeit hat und keinen Schulabschluss wird weniger bis keine Chancen haben, einen Kredit zu bekommen, als jemand, der studiert hat und gut verdient. Deswegen ist es erforderlich, nicht nur die Eigendynamik des Finanzmarktes zu beleuchten, sondern auch, wie die Inklusion und Exklusion aus dem Finanzmarkt mit In- und Exklusionen aus anderen gesellschaftlichen Funktionssysteme gekoppelt ist. Die Teilnahme an riskanten Zahlungsversprechen ist nicht nur Selbstzweck. Ihr Sinn bezieht sich genauso auf Teilnahmemöglichkeiten an Wirtschaft, Bildung, 6
Dies sieht man daran, dass Staaten, die sich vermehrt mit der Aufnahme von Krediten und den Begleichen von Schulden beschäftigen müssen, in politische Krisen geraten.
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Recht, Politik, Religion, Familie und andere Funktionssysteme. Einen Kredit nimmt man nicht nur einfach so auf, und man spart nicht nur zum Spaß, sondern mit dem Sinn, in sein Unternehmen zu investieren, das Studium der Kinder zu finanzieren, Gerichts- und Anwaltskosten zu bewältigen, religiöse Feste (Initiationen und Beerdigungen) und Pilgerfahrten sich leisten zu können, oder der Familie ein Haus zu bauen und mit ihr in den Urlaub zu fahren. Financialisation of social relations (Servet, 2004) stellt ein Begriff dar, der auf die strukturelle Kopplung des Finanzmarktes mit anderen sozialen Systemen anspielt. Er bezeichnet die Ermöglichung sowie die Beschränkung sozialer Beziehungen durch finanzielle Dienstleistungen. Mit diesen sozialen Beziehungen sind jedoch hauptsächlich persönliche und wohlfahrtsstaatliche Beziehungen gemeint. In umfassenderer Weise kann von einer Finanzialisation der gesamten Gesellschaft gesprochen werden, um damit auch die strukturelle Kopplung des Finanzmarkts mit den aufgezählten gesellschaftlichen Funktionssystemen (Wirtschaft, Bildung, Recht, Religion, etc.) in den Blick zu bekommen, die einen erheblichen Teil des sozialen Lebens in der gegenwärtigen Gesellschaft ausmachen. Aufgrund dieser Finanzialisierung der Gesellschaft bringt die Exklusion aus Zahlungsversprechen Konsequenzen für das gesamte soziale Leben eines Individuums mit sich. Die strukturelle Kopplung von Zahlungsversprechen mit den Operationen anderer sozialer Systeme ist nicht nur auf wechselseitige Ermöglichung hin gepolt, sondern führt auch eine negative Seite mit sich, auf der Zahlungsversprechen ausgeschlossen werden, wenn sie keine Kopplung mit anderen Systemen zu Stande bringen. In Bezug auf Inklusion und Exklusion bedeutet dies, dass nicht nur die Inklusionen verschiedener Systeme miteinander gekoppelt sind, sondern auch deren entsprechenden Exklusionen (vgl. allgemein dazu Luhmann, 1998: 630). Stichweh (2005: 50f, 2009: 367) spricht deswegen einerseits von einer Mehrdimensionalität bzw. einer Unterbrechung der Exklusionslagen, um deren Trennung zu verdeutlichen, und andererseits von einer Relationierung bzw. einer Interdependenz der Exklusionslagen, um trotz Trennung auf deren Kopplung aufmerksam zu machen. Um auf die Prozesshaftigkeit dieser negativen Kopplung zu verweisen, sprechen Fuchs und Schneider (1995: 210) von einem spill-over beziehungsweise von einem Amplifikationseffekt einer bestimmten Exklusion auf andere Exklusionen. Auf die spezifische Relationierung finanzieller Exklusion mit anderen Exklusionslagen weist explizit die britische Financial Services Authority in ihrem Bericht zur Lage finanzieller Exklusion im eigenen Land hin: Finanzielle Exklusion “[...] forms an important component of a much wider social exclusion. The people who lack access to financial services are frequently also excluded in other
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ways, and financial exclusion often reinforces other aspects of social exclusion” (2000: 7). Auch Rogaly (1999: 3f) verweist auf das Bedingungsverhältnis zwischen finanziellen und anderen Formen des Ausschlusses. Gloukoviezoff (2007: 220ff) geht sogar so weit, diese Exklusionsbeziehungen als zentralen Aspekt in die Begriffsdefinition der finanziellen Exklusion aufzunehmen7. Dabei wird jedoch finanzielle Exklusion, ähnlich wie bei der Relationierung verschiedener Inklusionen mit finanzieller Inklusion unter dem Begriff der Finanialisierung, bloß in Relation mit wirtschaftlichen (Einkommen und Arbeit) sowie persönlichen (Familie und Freunde) und höchstens noch politischen Ausschlüssen gebracht. Die Anwendung des Konzepts der funktionalen Differenzierung sensibilisiert für weitere Relationen. Wer nicht als kreditfähig eingeschätzt wird oder wem keine institutionelle Möglichkeit zum Sparen geboten wird, für den wird es auch schwierig, an den genannten Episoden der gesellschaftlichen Funktionssysteme teilzunehmen, wie Unternehmensinvestitionen (Wirtschaft), Studium (Bildung), Gerichtsverhandlung (Recht), Urlaub, Hausbau, Feiern (Familie, Freunde), religiöse Feste (Religion), ärztliche Behandlung (Gesundheit) etc. Und auch in die andere Richtung wirken diese Relationen: wer etwa kein Einkommen (Wirtschaft) hat und keinen Schulabschluss (Bildung), für denjenigen wird sich auch der Zugang zu Zahlungsversprechen schwierig gestalten. Entsprechend des Fokus auf strukturelle Kopplung von In- und Exklusionen kann finanzielle Exklusion nicht als Ausgangspunkt des Prozesses der Exklusion verstanden werden, so wie auch nach Stichweh (2009b: 367f) gesellschaftliche Inklusion und Exklusion nicht auf ein bestimmtes Funktionssysteme zurückzuführen ist. Vielmehr ist finanzielle Exklusion als ein Glied einer ganzen Verkettung von Exklusionen zu verstehen, die sich wechselseitig bedingen und verstärken, aber auch bremsen können (ebd., ders., 2005: 6). Demnach fungiert finanzielle Exklusion als Produkt und Produzent dieser Wechselwirkung der Exklusion zugleich. Dass finanzielle Exklusion in einem heterarchischen Netzwerk anderer Exklusionen eingebunden ist, lässt sich am Beispiel der Scheidung verdeutlichen. Man könnte meinen, dass gerade der Fall familiärer Scheidung ein besonders hohes Risiko finanzieller Exklusion in sich birgt, weil Scheidungen Risiken anderer Exklusionen mit sich bringen, die sich untereinander und mit dem Risiko finanzieller Exklusion auch noch wechselseitig verstärken können. Eine Scheidung ist 7
“In our opinion, financial exclusion can be defined as the process whereby people encounter such access and/or use difficulties in their financial practices that they can no longer lead a normal social life in the society in which they belong. Financial exclusion therefore is only definable in relation to the social consequences of the difficulties that it entails.” (Gloukoviezoff, 2007: 220)
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nicht nur mit hohen Kosten ihrer rechtlichen Durchführung verbunden. Sie kann auch schwerlösbare Fragen der Hypothekenschuld aufwerfen, führt in der Regel zu Einkommensverlust und oft zu formaler Arbeitslosigkeit des alleinerziehenden Elternteils, das eventuell auch einen geringen Bildungsstand beziehungsweise nun zeitlich und finanziell geringere Möglichkeit der Weiterbildung hat, und kann gar zu einer belastenden Situation bei der Beantragung und den Bedingungen sozialer Hilfe führen. Dabei schließt Scheidung nicht nur Familie als Unterstützungsressource aus, sondern kann Familie dauerhaft zu einer emotionalen Belastung werden lassen, indem sie zu anhaltenden Konflikten mit den Kindern als auch zum ehemaligen Partner über Kindersorge und gemeinsames Eigentum führen kann, die im Detail nicht rechtlich zu regeln sind. Wer kann in solch einer Situation noch einen kühlen Kopf für finanzielle Fragen bewahren? - vor allem wenn die Bank diese Fragen schon längst nach ihren Kriterien entschieden hat! Doch Scheidung muss nicht unbedingt als Ausgangspunkt dieser Kettenreaktion fungieren, sondern kann auch deren Folge sein. So werden Trennungen von Partnerschaften etwa bei Arbeitslosigkeit, Überschuldung, Alkoholkrankheit oder großen Bildungsunterschieden der Partner wahrscheinlicher. Aufgrund der Relationierung unterschiedlicher Exklusionen und auch Inklusionen muss von einer Mehrzahl verschiedener Anlässe für finanzielle Inklusion einerseits und verschiedener Risiken für finanzielle Exklusionen andererseits ausgegangen werden, wenn man sich fragt, wie finanzielle Teilnahmechancen mit denen anderer gesellschaftlicher Bereiche zusammenhängen (vgl. dazu ausgehend von Teilnahme an Wirtschaft Bohn, 2009: 12f). Im Wirtschaftssystem etwa fungieren unternehmerische Investitionen sowie Luxusbedürfnisse und geregeltes Einkommen als Anlässe für die Inklusion in den Finanzmarkt, während Konkurs des Unternehmens und Arbeitslosigkeit Risiken einer finanziellen Exklusion ausmachen. Im Erziehungssystem stellt beispielsweise, im Unterschied zum Studium und Studienabschluss als Anlass für finanzielle Inklusion, ein Studienabbruch (oder ein Studienabschluss mit geringen Möglichkeiten der Vermittlung in den Arbeitsmarkt) ein Risiko einer finanziellen Exklusion dar. Im Rechtssystem fungieren Rechtstreitigkeiten (Anklagen und das angeklagt werden) sowohl als Anlässe für finanzielle Inklusionen wegen der Gerichts- und Anwaltskosten als auch als Risiken der finanziellen Exklusion, weil sie zu Geld- oder Haftstrafen führen können. Neben den religiösen Anlässen zur Teilnahme an Kreditgeschäften oder Spareinlagen durch Pilgerfahrten und Initiationen gehört das Risiko der Überschuldung und der finanziellen Ausbeutung durch Sekten. Anlässe finanzieller Inklusion kann auch das Familienleben geben, wenn es um Hausbau bzw. Wohnungskauf, Kinderkriegen oder Ur-
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Urlaub geht, wobei das Risiko einer finanziellen Exklusion wiederum durch Überschuldung sowie durch Scheidung der Familienpartner gegeben ist. Bei dieser Identifizierung von Anlässen zur Inklusion und von Risiken der Exklusion bei der Kopplung von Zahlungsversprechen mit den verschiedenen Funktionssystemen fallen Regelmäßigkeiten auf. Die von den Funktionssystemen jeweils ausgehenden Risiken, von Zahlungsversprechen exkludiert zu werden, ergeben sich aus fehlender Handlungsfähigkeit in diesen Funktionssystemen. Systemtheoretisch formuliert ergeben sich diese Risiken finanzieller Exklusion aus der Struktur der Adressierung der negativen Reflexionswerte (anstatt der positiven Anschlusswerte) der operativen Codierungen dieser Funktionssysteme. Das Operieren der Funktionssysteme geschieht jeweils anhand einer spezifischen binären Codierung eines positiven Wertes, der Anschlussoperation ermöglicht, und eines negativen Wertes, der Reflexionen des Operierens ermöglicht (wie beispielsweise der Code Zahlen / Nicht-Zahlen des Wirtschaftssystems) (Luhmann, 1994: 243f). Die beiden Werte einer jeden binären Codierung können jeweils auf die teilnehmenden Individuen in diesen Funktionssystemen adressiert werden: als zahlungsfähig / zahlungsunfähig in der Wirtschaft, als Recht-haben / Unrecht-haben im Rechtssystem, als Vermittelbarkeit / Nichtvermittelbarkeit im Erziehungssystem, etc. Handelt es sich nun bei solch einer Adressierung eines negativen Code-Wertes eines Funktionssystems auf ein Individuum nicht nur um ein operatives Ereignis, sondern um ein Strukturmoment, steigt das Risiko der Exklusion dieses Individuums auch aus Zahlungsversprechen: in der Wirtschaft steckt das Risiko finanzieller Exklusion in der strukturellen Adressierung des Reflexionswerts der Zahlungsunfähigkeit des Individuums etwa im Falle von Arbeitslosigkeit oder Konkurs, im Rechtssystem im eigenen Unrecht im Falle des Verlieren eines Rechtsstreits, in der Familie in sich auflösenden intimen Beziehungen, im Erziehungssystem in der Nicht-Vermittelbarkeit (im Unterschied zur Vermittelbarkeit) in weiterführende (Hoch)-Schulen oder in Arbeit. Die von den Funktionssystemen jeweils ausgehenden Anlässe zur Inklusion in Zahlungsversprechen ergeben sich dagegen aus der Frage der Adressierbarkeit des Anschluss- oder des Reflexionswertes des Codes auf die teilnehmenden Individuen. Der jeweilige finanzielle Anlass besteht gerade darin, dass in den jeweiligen Funktionssystemen keine eindeutige Zurechnung der beiden Werte des Codes auf die Teilnehmer vorgenommen werden kann, solch eine eindeutige Zurechnung jedoch über die strukturelle Kopplung mit Zahlungsversprechen ermöglicht wird. In der Wirtschaft können etwa die Fragen, wer durch Investition seine Zahlungsfähigkeit erhöht und wer nicht, und wer durch Konsum seine Zahlungsfähigkeit in Zahlungsunfähigkeit eintauscht und wer nicht, nur durch den
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Vollzug entsprechender wirtschaftlicher Kalküle entschieden werden, die Anlass für Kreditaufnahme und Sparen geben können. Die Frage, wer Recht und wer Unrecht hat, kann nur in einem Rechtsstreit entschieden werden, der dann als Anlass für das Aufnehmen eines Kredits oder das Zurückgreifen auf Erspartes zur Bewältigung von Anwalts- und Gerichtskosten fungieren kann. Oder die Frage, wer auf eine (Hoch-)Schule weitervermittelt wird und wer nicht, hängt von den Zeugnissen ab, die vorliegen oder erwartet werden, und die dann ausschlaggebend dafür sein können, dass über Kreditaufnahme oder Sparen das Anstreben dieses weiteren Abschlusses ermöglicht wird. Aus dem Grund, dass diese Anlässe zur finanziellen Inklusion in der Ermöglichung der Entscheidbarkeit der Frage liegen, ob der negative oder der positive Code-Wert eines Funktionssystems an das Individuum adressiert werden kann, gehen sie gleichzeitig auch immer mit Risiken zur finanziellen Exklusion einher. Denn eine Adressierung des Negativwertes des Codes auf das Individuum ist damit nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr als Möglichkeit mit eingeschlossen mit Folgen für die Bedingung finanzieller Inklusion. Wenn beispielsweise das Studium durch einen Kredit finanziert wird, hat ein Abbruch des Studiums nicht nur Folgen für die eigene Karriere, sondern auch für die eigene finanzielle Situation. Das Risiko einer finanziellen Exklusion erhöht sich dabei in dem Maße, wie die Inklusionen in den jeweiligen Funktionssystemen völlig indifferent gegenüber den Bedingungen der Inklusion und Exklusion in Zahlungsversprechen zu Stande kommen. Wer laufend weitere Kredite für Konsum aufnimmt, mag bald seine Kreditfähigkeit und Sparfähigkeit verlieren. Dasselbe gilt für ständiges Eingehen neuer oder Weiterführung alter Rechtsstreitigkeiten aufgrund hoher Gerichtsund Anwaltskosten; für eigentlich nicht finanzierbaren Hausbau der Familie; oder für eine fortwährende Finanzierung eines nicht zu Ende gehen wollendes Studium. Werden die Adressierungen positiver Code-Werte der jeweiligen Funktionssysteme (Zahlungsfähigkeit, Rechtsfähigkeit, Familienfähigkeit, bildungsmäßige Vermittelbarkeit, etc.) über die Kopplung mit positiven Code-Werten von Zahlungsversprechen (Kredit- und Sparfähigkeit) ermöglicht, ohne die Möglichkeit deren negativen Seite zu reflektieren, steigt das Risiko einer tatsächlichen Unfähigkeit der Kreditaufnahme und des Sparens. Zu solchen totalen Indifferenzen von Inklusionen in Funktionssystemen gegenüber finanzielle Inklusion und Exklusion kann es auch dann kommen, wenn die verschiedenen Inklusionen gar nicht gefährdet sind, und es nur um eine bessere Inklusionsbedingung im Vergleich zu anderen geht. Besonders bristant sind solche totalen Indifferenzen jedoch, wenn sie sich aus gefährdeten Inklusionen ergeben, die sich durch ihre strukturelle Kopplung mit finanzieller Inklusion noch
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gerade vor einem Umkippen in Exklusionen halten können. Die verschiedenen Inklusionen können dann zwar noch in der Gegenwart vollzogen werden. Dies geschieht aber auf Kosten der Nicht-Abschätzbarkeit der Inklusionschancen in der Zukunft. Denn die strukturelle Kopplung der verschiedenen Inklusionen mit finanzieller Inklusion ist in diesem Fall hoch labil und anfällig für Zufälle negativer Ereignisse, die nicht verarbeitet werden können, sondern einen Prozess der Exklusion in Gang setzen (vgl. Gloukoviezoff, 2007: 232). Wenn es nicht mehr darum geht, durch Zahlungsversprechen Luxusgüter zu konsumieren, sondern darum, Einkommensengpässe auszugleichen, um seine Grundbedürfnisse befriedigen zu können. Wenn es nicht mehr darum geht, sich Familienurlaube, ein schönes Heim und Zeit mit seinen Kindern zu leisten, sondern nur darum, sich zumindest eine regendichte Hütte zu finanzieren. Wenn es nicht mehr darum geht, eine gute Hochschulausbildung zu finanzieren, sondern nur darum, das Schuldgeld für die einfache Dorfschule aufzubringen. Oder wenn es nicht mehr darum geht, in teuren Rechtsstreitigkeiten seine Rechte einzuklagen, sondern darum, überhaupt als rechtsfähiger Bürger wahrgenommen zu werden; wenn es also allgemein formuliert nicht mehr darum geht, durch Zahlungsversprechen sich strukturell bessere Inklusionsbedingungen in anderen Funktionssystemen zu ermöglichen, sondern nur noch darum, seine prekären Inklusionen vor drohender Exklusion zu stabilisieren, dann ist das Risiko hoch, dass durch ein zufälliges Ereignis eine einzelne drohende in eine tatsächliche Exklusion überführt wird, die in einem Prozess der Ansteckung und der wechselseitigen Verstärkung zu weiteren Exklusionen führt bis hin zum Zusammenbruch der labilen strukturellen Kopplung der verschiedenen Inklusionen. Solche zufälligen, aber nicht mehr unwahrscheinlichen negativen Ereignisse können beispielsweise ein körperlicher Unfall, Unfall der eigenen Verkaufsgüter, Diebstahl, Ehekrach- und Trennung aus einer Lappalie heraus, etc. sein. Der Sack Tomaten fällt aus Versehen vom Lieferwagen, die nächsten Tage kann folglich auf dem Markt nichts verkauft werden, am Abend gibt es fast nichts zum Essen, der Ehemann rastet aus, vertrinkt aus Frust die letzten Taler, das Schulgeld kann nicht mehr gezahlt werden, und der lokale Geldverleiher wird vorsichtig, weil er von alldem schon längst erfahren hat, während der Wucherer seine Chance wittert. 3.3 Entscheidungsprogramme der Banken Finanzielle Inklusion und Exklusion sind also mit anderen funktionsspezifschen Inklusionen und Exklusionen gekoppelt. Doch wie kommt diese Kopplung eigentlich genau zu Stande? Wie kommt es dazu, dass etwa jemand ohne Einkommen, ohne Schulabschluss, aber mit vielen Kindern keinen Zugang zu Kre-
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diten bekommt? Es ist ja nicht der Arbeitgeber, die Schule oder gar die Familie, die Kredite vergibt.8 Auch wenn sich Frage auf die gesellschaftliche Umwelt des Finanzmarktes bezieht, ist die Antwort dann doch wiederum bei der Bank und in der Dynamik des Finanzmarktes zu suchen. Die Kopplung finanzieller mit anderen Inklusionen und Exklusionen hängt nämlich von der Strukturierung von Zahlungsversprechen ab, also davon, in Hinblick welcher Erwartungen Zahlungsversprechen gegeben und angenommen werden. Diese Strukturierung differenziert sich nach der internen Strukturierung von Zahlungsversprechen und nach der externen Bezugsstruktur von Zahlungsversprechen. Einmal geht es um Produktstandardisierungen und einmal um credit-scoring als den zwei in der Literatur meist genannten Mechanismen finanzieller Exklusion von Privatpersonen (z.B. Gloukoviezoff, 2007: 231ff). Schauen wir uns also jeweils an, wie beide Aspekte zu finanzieller Exklusion führen. Die interne Struktur des Zahlungsversprechens ergibt sich durch Bestimmung der Zahlungssumme (Kredithöhe) und der Laufzeit sowie unter Bezugnahme auf diese beiden Aspekte durch Bestimmung der Raten des Kredits. Bei der Beobachtung von Risiken und Anreizen muss diese Struktur des in Frage stehenden Zahlungsversprechens in Rechnung gestellt werden. Hohe Kreditsummen mit kurzen Laufzeiten bei entsprechend eng getakteten und hohen Raten entsprechen beispielsweise nicht den Bedürfnissen der Mehrzahl der Privatkunden. Dass es über eine nicht bedarfsgerechte Struktur von Krediten zu Exklusionen kommt, ist Resultat der Dynamik des Finanzmarktes. Das Beobachten zweiter Ordnung auf dem Finanzmarkt führt einerseits zu sich ständig ändernden Bedingungen in der Annahme und Vergabe von Zahlungsversprechen. Andererseits übt es gleichzeitig einen Anpassungs-, Konkurrenz- und Nachahmungsdruck auf die Banken aus, die nicht zuletzt die Struktur von Krediten betreffen. Die Folge ist eine strukturelle Einschränkung von Krediten (Produktstandardisierung) in Bezug auf Summen, Laufzeiten und Ratenstrukturen, die ein Angebot an eine individuell spezifische Nachfrage ausschließt (vgl. ebd.). Dies gilt aufgrund zu hoher per-unit-costs (Stückkosten) insbesondere für den Bedarf von Krediten mit geringen Höhen. Standardisierungstendenzen im Bankgeschäft betreffen nicht nur die genannten Formalia des Kreditprodukts, die dann nicht mehr den wirtschaftlichen Be8
Genau dies kann aber der Fall sein in unterentwickelten Regionen, wo der Zugang zu Krediten stark beschränkt ist. Andere Institutionen als die Bank, wie der Arbeitgeber oder Personen aus dem familiären Umfeld, können dann nach eigenen Regeln Kredite vergeben und auch nach eigenen Regeln wieder zurückfordern, z.B. durch Androhung der Kündigung der Beschäftigung oder durch Verlust familiärer Reziprozität.
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dürfnissen von Teilen der Kundschaft entsprechen. Auch die Beratung über das Produkt durch die Bank unterliegt ihnen (vgl. ebd.): Ernsthafte individuelle Beratung wird zunehmend nur noch bei solchen Klienten durchgeführt, mit denen sich profitable Geschäfte machen lassen. In Bezug auf den Klienten wird diese fehlende Beratung als fehlende Bildung beobachtbar und ist unter dem Begriff der financial illiteracy bekannt (vgl. z.B. Froud et. al, 2007). Unzureichende Bildung, die Komplexität von Finanzprodukten verstehen und über sie entscheiden zu können, kann dann entweder zu einer finanziellen Selbstexklusion der Klienten führen oder zu einer fatalen Inklusion durch Überschuldung. Neben der Struktur des Kredits selbst führt die externe Bezugsstruktur des Kredits zu Einschränkungen, die zu Exklusionen führen. Kredite sind nicht nur intern strukturiert, sondern beziehen sich zudem auf Strukturen ihrer Umwelt, allen voran auf wirtschaftliche, aber etwa auch auf rechtliche oder bildungsmäßige Strukturen. In Regionen, in denen etwa Eigentumsrechte nur schwer durchzusetzen sind, werden Banken nur mit großer Vorsicht Kredite vergeben. Für die Frage nach der finanziellen Exklusion von Privatpersonen spielt diese externe Bezugsstruktur insofern eine große Rolle, als dass Kredite in hohem Maße repersonalisieren (vgl. Bohn, 2009: 23). Denn die Rückzahlung geht von der Person aus, die die Auszahlung als Kredit erhalten hat, sodass es nicht nur darum geht, die Bestimmung der Rückzahlung in der Sachdimension zeitlich bis zum vereinbarten Termin stabil zu halten, sondern auch die Identitäten der beteiligten Personen in der Sozialdimension. Zusammengenommen geht es um die Rückzahlungsfähigkeit einer bestimmten Person. Für die Beobachtung der nachfragenden Person hinsichtlich ihrer Rückzahlungsfähigkeit (also Kreditfähigkeit) macht es einen entscheidenden Unterschied aus, ob und wie diese Person als Individuum in anderen gesellschaftlichen Systemen (z.B. Wirtschaft, Bildung, Familie) teilnimmt. Die Einschätzung der Kreditfähigkeit des Individuums über ihre gesellschaftlichen In- und Exklusionsstruktur geschieht jedoch nicht etwa nach Maßgabe dessen, wie sich das Individuum selbst in die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft integriert fühlt. Sie geschieht auch nicht aus einem Interesse der sozialen Intervention. Sondern die Beobachtung der gesellschaftlichen In- und Exklusionsstruktur der Individuen geschieht aus dem Interesse der Bank, die Anreize und Risiken ihrer Zahlungsversprechen zu beobachten. Es geht also um ganz eigensinnige Belange der Bank. So geschieht diese Beobachtung auch anhand bankinterner Regeln. Ein etabliertes Instrument der Bank für die Beobachtung der gesellschaftlichen In- und Exklusionsstruktur ihrer möglichen Klienten stellt das Instrument des credit-scoring dar (vgl. Kamp, Weichert, 2005: insb. 51ff). Credit-scoring operiert mit statistischen Kalkülen, die neben der Kreditgeschichte und Ver-
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tragsdaten auch über ausgewählte Differenzen der In- und Exklusionsstruktur ihrer potentiellen Kunden hinsichtlich verschiedener gesellschaftlicher Teilsysteme eine generalisierte mehrwertige Differenzierung von Kreditfähigkeit (Unterschiede im Scoring) errechnen. Die Informationsgewinnung des credit-scoring bezieht sich also nicht auf ein vermeintliches tatsächliches Wissen der spezifischen gesellschaftlichen Integration eines jeden Kunden, sondern auf die Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Kreditfähigkeit der möglichen Kunden der Bank, wozu auf ausgewählte Unterschiede in der gesellschaftlichen Integration der Kunden als Individuen Bezug genommen wird. Ganz im Sinne von Bateson geht es darum, Informationen zu gewinnen, also Differenzen, die Differenzen ausmachen: Über die verschiedenen In- und Exklusionsstrukturen der Individuen werden Unterschiede zum Informieren über Unterschiede in der Kreditfähigkeit gewonnen. Sie beziehen sich vor allem auf die gesellschaftlichen Teilsysteme Wirtschaft (Unterschiede im Einkommen und Eigentum), Erziehungssystem (Unterschiede im Bildungsabschluss) und Familie (Unterschiede beim Familienstand). Zudem werden neben der gesellschaftlichen Teilnahmestruktur auch Informationen über zeitliche (Alter), kulturelle und körperbezogene (Geschlecht; ggf. Krankheit, Behinderung) Unterschiede der Individuen gewonnen. Die Funktion von credit-scoring liegt damit in der bankinternen Berechnung der strukturellen Kopplung ungleicher Inklusionsmöglichkeiten und Exklusionen in den gesellschaftlichen Teilsystemen mit denen in Zahlungsversprechen. Eine genauere Analyse dieser Funktion bedarf weiterer empirischer Daten zu dem ihr zu Grunde liegenden statistischen Kalkül, um Aussagen über die informative Gewichtung spezifischer In- und Exklusionen und ihren spezifischen Relationen treffen zu können. Ein mögliches Rechenergebnis dieser Funktion wäre beispielsweise, dass einem Individuum mit begünstigter Inklusion in Wirtschaft (hohes Einkommen und Eigentumswohnung), in Bildung (Hochschulabschluss), in Politik (deutsche Staatsbürgerschaft) und mit Exklusion aus einer eigenen Familie (ledig), die männlich und mittleren Alters ist, eine Inkludierbarkeit in Zahlungsversprechen zugeschrieben wird, während einem Individuum ohne geregeltes Einkommen, ohne Schulabschluss, mit türkischer Herkunft, das zwei Kinder allein erzieht, sehr jung und weiblich ist, nicht als Kunde in Frage kommt und damit finanziell exkludiert wird. Das Instrument des credit-scoring ermöglicht aber nicht nur Richtwerte für die Entscheidung der Annahme oder Ablehnung von Zahlungsversprechen mit Folge von Inklusion oder Exklusion. Sondern es ermöglicht daneben auch Richtwerte für die Entscheidung der Annahmen unterschiedlicher Zahlungsversprechen mit Folge von Ungleichheiten finanzieller Inklusion (vgl. Kamp, Weichert, 2005: 49). Anders ausgedrückt ermöglicht credit-scoring nicht nur eine
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Differenzierung der Klienten im Schema entweder/oder, sondern auch eine interne Differenzierung ihrer Klienten in unterschiedliche Klasse, mit denen unterschiedliche Zahlungsversprechen eingegangen werden. Im Gegensatz zu den Exkludierten haben zwar alle unterschiedlichen Klassen Zugang zu Zahlungsversprechen. Klienten der Klasse A kommen aber beispielsweisen in den Vorteil eines größeren Zinsanreizes und einer besseren Strukturierung (hinsichtlich Höhe, Laufzeit, Raten) von Zahlungsversprechen als Klienten der Klasse B, und Klasse B ist wiederum besser gestellt als Klasse C. Dass unterschiedliche Ergebnisse des credit-scoring von Kundenklassen mit unterschiedlichen Kreditstrukturen kombiniert werden, zeigt, dass die Beschränkungen der Kundschaft über credit-scoring und über die Kreditstruktur miteinander in Beziehung stehen. Durch ihre jeweiligen Beschränkungen der möglichen Kundschaft bedingt sowohl die interne Struktur des Kredits als auch die Kopplung des Kredits mit der externen Struktur der Umwelt durch creditscoring finanzielle Exklusion. Im ersten Fall geht es um Beschränkungen über Kredithöhe, der Laufzeit und der Ratenstruktur, die nicht den Bedürfnissen aller Kunden entsprechen. Im zweiten Fall geht es um Beschränkungen über die gesellschaftliche In- und Exklusionsstruktur der Kundschaft als Individuen durch credit-scoring, die nicht allen potentiellen Kunden Kreditfähigkeit zurechnen. Im ersten Fall geht der Blick über die interne Struktur des Kredits auch nach außen auf die extern gelagerte Bedürfnisstruktur der Kunden. Im zweiten Fall geht der Blick über die extern gelagerte Inklusionsstruktur auch nach innen auf das interne Instrument des credit-scorings der Bank. Damit haben beide Beschränkungen der potentiellen Kundschaft Bezugspunkte sowohl innerhalb als auch außerhalb des Kredits, sowohl auf die Entscheidung der Bank als auch auf die individuelle Lebenssituation der Kunden. Und wenn man bedenkt, dass einerseits die Bedürfnisstruktur der Kundschaft immer auch von seiner In- und Exklusionsstruktur in andere Teilsysteme abhängt, und dass andererseits das Kalkül des credit-scoring immer auch unter Bezugnahme auf die Kreditstruktur programmiert wird, sieht man, dass trotz der Unterscheidbarkeit beider Beschränkungsformen sie aufeinander Bezug nehmen: Höhe, Laufzeit und Raten als Strukturkomponenten des Kredits werden in Abstimmung mit der Einschätzung der Kreditfähigkeit durch credit-scoring festgelegt, und das credit-scoring bezieht sich wiederum auf die Kreditstruktur. Die wechselseitige Bezugnahme beider Beschränkungen der Kundschaft wird folglich nicht nur an ihrer CoProduktion von finanzieller Exklusion sichtbar. Man erkennt sie auch an der bereits genannten internen Differenzierung der inkludierten Kundschaft in ungleiche Klassen. Denn über credit-scoring werden unterschiedliche Klassen von Kunden nach Maßgabe unterschiedlich günstiger Kreditstrukturen differenziert.
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Exklusionen aus Zahlungsversprechen sind sowohl auf Exklusionen aus den gesellschaftlichen Funktionssystemen als auch auf die Dynamiken des Finanzmarktes zurückführbar. Bankinterne Entscheidungsprogramme, wie Kreditstruktur und credit-scoring, fungieren dabei als Formen der Kopplung dieser beiden Variablen: Sie relationieren die gesellschaftliche Integration potentieller Kunden mit den Anforderungen, die sich aus dem Konkurrenz-, Nachahmungs- und Anpassungsdruck des Finanzmarktes ergeben. Die Verweigerung von Krediten an bestimmte Personengruppen ist damit je für sich weder einem Irrsinn des Finanzmarktes noch einer unsolidarischen Gesamtgesellschaft noch einem gierigen Bankmanagement zuzurechnen. Vielmehr ist sie das Ergebnis einer Vernetzung dieser drei Ebenen – eine These, die die Problematik dieses Phänomens nicht verharmlost, sondern ihr durch Verweis auf ihre Komplexität Nachdruck verleiht.
4. G ESELLSCHAFTLICHER G EFAHRENBEREICH Was macht das soziale Leben solcher Individuen aus, die von riskanten Zahlungsversprechen ausgeschlossen werden und damit ebenso Zugangsschwierigkeiten zu anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen haben? Weil sie von Möglichkeit riskanten finanziellen Handelns ausgeschlossen leben sie in Gefahr. Eine begriffliche Unterscheidung von Risiko und Gefahr findet sich bei Niklas Luhmann (1996: 41): Unter Risiko kann demnach verstanden werden, dass von eigenen Entscheidungsmöglichkeiten ausgegangen werden kann, die für negative Ereignisse verantwortlich gemacht werden können. Im Falle von Gefahr werden hingegen negative Ereignisse auf die Umwelt anstatt auf eigenes Entscheiden zugerechnet. Finanziell Exkludierte sind demnach in einem gesellschaftlichen Gefahrenbereich eingeschlossen, in dem ihnen keine oder zumindest sehr stark beschränkte Entscheidungsmöglichkeiten riskanten Handelns zukommen. Entsprechend erleben solche Individuen sich ihrer sozialen und natürlichen Umwelt ausgeliefert, indem negative Ereignisse in den verschiedenen Funktionssystemen (z.B. ertragloses Arbeiten wegen Trockenheit oder einem schlechten Marktumfeld, Krankheit, Enteignungen, Hausschäden durch Flut oder Sturm, etc.) als Gefahren wahrgenommen werden, weil sie nicht durch eigenes finanzielles Entscheiden verarbeitet werden können. Denn neben anderen Spielräumen fehlt es auch an eigenen finanziellen Spielräumen für eine Wasserpumpe, Medikamente, Rechtsbeistand, Hausreparaturen, etc. Der Zugang zu Kredit- und Sparmöglichkeiten ist für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben eine nahezu universelle strukturelle Bedingung. So wird
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gerade bei prekären Teilnahmechancen in anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen, etwa bei prekären Einkommensbedingungen, schlechten hygienischen Verhältnissen oder eingeschränkten Bürgerrechten, der Bedarf an finanzieller Teilnahme offensichtlich und notwendig. Es hat den Anschein eines Dilemmas, dass für diejenigen, die Kredite und Spareinlagen am ehesten bräuchten, diese am schwierigsten zugänglich sind. Im Gefahrenbereich, wo der Bedarf an eigener Risikoproduktion und -verarbeitung am größten ist, sind die Möglichkeiten dafür am wenigsten vorhanden. Für das Leben im gesellschaftlichen Gefahrenbereich gibt es nach Rutherford (1999, 264f) zumindest drei Alternativen zur Teilnahme an Zahlungsversprechen mit Banken, um mit akuten Bedürfnissen bzw. Notlagen umzugehen: Man kann auf eine Befriedigung verzichten und leidet unter der Krankheit. Oder man ermöglicht eine Befriedigung zu Ungunsten der Befriedigung eines anderen Bedürfnisses und verkauft Eigentum oder spart sich das Schulgeld, um sich Medikamente leisten zu können. Oder aber man lässt sich auf Zahlungsversprechen im informalen Finanzmarkt ein und leiht sich Geld von Nachbarn oder Geldverleihern, um sein Eigentum behalten und trotzdem sich die Medikamente kaufen zu können. Aufgrund der Optionen, die diese letzte genannte Alternative bietet, ist es nicht verwunderlich, dass alternative Finanzierungsmöglichkeiten des informalen Marktes weltweit verbreitet und hochgradig divers sind (vgl. ebd: 265). Schauen wir uns also die Möglichkeiten an, die der informale Finanzmarkt eröffnet, und fragen uns, um welche Art der finanziellen Teilnahmemöglichkeit es sich hierbei handelt.
Kapitel II: Finanzielle Exklusion als inkludierende Exklusion
1. F ORMALER UND INFORMALER F INANZMARKT Bisher mochte es so scheinen, als ob finanzielle Exklusion heißt, von jeglichen Kredit- und Sparmöglichkeiten ausgeschlossen zu sein. Dieser Ausschluss wurde jedoch nur für den formalen Finanzmarkt beschrieben, auf dem Banken als formale Organisationen handeln. Demgegenüber gibt es die Alternative des informalen Finanzmarktes (vgl. z.B. Schrader, 1997: 22ff). Hier geht es ebenso um Zahlungsversprechen, doch ohne Ausbildung gesonderter Organisationen. Zahlungsversprechen ergeben sich hier als Momente und Komponenten anderer Kontexte, wie etwa Nachbarschaft, Freundschaft, Familie, Verwandtschaft, Arbeits- und Geschäftsbeziehungen oder Dorfgruppen. Auch bei Geldverleihern oder Kredit- und Sparzirkel, deren primärer Sinn im Geben und Annehmen von Zahlungsversprechen liegt, beruhen die finanziellen Entscheidungen noch stark auf persönlichen oder tradierten Beziehungen im lokalen Raum des Dorfes oder des Stadtteils, und weniger auf ausdifferenzierte Organisationsstrukturen. Andere Vorschläge, den formalen vom informalen Finanzmarkt zu unterscheiden, beziehen sich nicht auf Bankenorganisationen, sondern auf das Vorhandensein von Staat und Recht als Kontrollinstanzen (Kropp, 1998, zit. nach Schrader, 1997: 22) und damit auf Umweltbedingungen von Zahlungsversprechen. Sie vernachlässigen dadurch Unterschiede in der internen Struktur von Zahlungsversprechen. Oder sie nennen zwar als gemeinsamen Gesichtspunkt des formalen und informalen Finanzmarkts die Durchsetzbarkeit der Erfüllung des Zahlungsversprechens als dessen inhärentes Problem. Zur Unterscheidung verweisen sie dann jeweils wiederum auf externe Möglichkeit von Sanktionen: Für den formalen Finanzmarkt wird das Recht und für den informalen Finanzmarkt illegale und soziale Maßnahmen als Sanktionen angeführt (Krahnen/Schmidt, 1994). Die Verfügbarkeit interner Risikoinstrumente formaler Bankenorganisati-
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onen als Unterscheidungskriterium wird dagegen außen vorgelassen. Eine interessante andere Erklärung der Unterscheidung formaler/informaler Finanzmarkt besteht in der räumlichen Differenzierung von global access/no global access bzw. only local access (vgl. Schrader, 1997: 23). Der formale Finanzbereich zeichnet sich demnach durch eine globale Ausdehnung aus, während der informale Bereich sich immer lokal oder regional beschränkt, dabei zwar von den Dynamiken des globalen Finanzmarktes beeinflusst werden kann, aber nicht mit anderen lokalen informalen Finanzmärkten in Beziehung steht. Ohne diesen räumlichen Bezug und die Relevanz der Frage der Einklagbarkeit zu verneinen, verweisen wir auf die Wichtigkeit von Organisationen als Strukturmerkmal des formalen Finanzmarktes, allen voran auf Banken, für die das Entscheiden über Zahlungsversprechen anhand eigener Programme zum Tagesgeschäft gehört. Der informale Finanzmarkt unterscheidet sich entsprechend vom formalen dadurch, dass er ohne Bankenorganisationen auskommt. Dadurch gewinnt man folgende weitere Analyseschritte: Den informalen Finanzmarkts kann man nun einerseits hinsichtlich des Fehlens beziehungsweise hinsichtlich rudimentärer Ausprägungen von Organisationsprogrammen für Zahlungsversprechen analysieren (wie fachkundiges Personal, Buchführung, Risikoinstrumente, etc.). Und andererseits kann durch den Organisationsbezug der informale Finanzmarkt ebenso hinsichtlich einer unzureichenden Durchsetzung funktionaler Differenzierung (z.B. Recht, Politik, Bildung) als unzureichende Umweltbedingungen für Bankenorganisationen erklärt werden. Ohne das Vorliegen von einklagbarem Recht, einer stabile politischen Lage oder eines funktionierendes Bildungssystem wird es auch für eine Bankenorganisation schwierig, sich am Laufen zu halten. Unzureichende Organisationsbildung als interne Strukturierung von Zahlungsversprechen und unzureichende funktionale Differenzierung als deren Umweltbedingung als Mängel des informalen Finanzmarktes darzustellen, reicht aber für die Analyse des informellen Finanzmarktes nicht aus. Zusätzlich muss ebenso danach gefragt werden, welche internen und externen Strukturmuster von Zahlungsversprechen sich stattdessen auf dem informalen Finanzmarkt bewähren. Trotz des Verzichts auf Organisation finden auf dem informalen Finanzmarkt Zahlungsversprechen statt. Finanzielle Exklusion von Banken bedeutet demnach keineswegs ein finanzieller Totalausschluss. Es bleibt die Möglichkeit der Inklusion in informelle Zahlungsversprechen. Zur begrifflichen Fassung solch eines Phänomens, dass die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion innerhalb und unter Präferenz von Inklusion gezogen wird, spricht Stichweh in Anlehnung an Dumont (1980) von einer hierarchischen Opposition (2009: 37). Mit diesem Begriff kann gleichermaßen gefasst werden, dass auch Exklusion eine Form der In-
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klusion ermöglicht (inkludierende Exklusion), die der anderen Inklusionsform entgegensteht (Opposition), als auch dass diese Form der inkludierten Exklusion gesellschaftlich als abweichend gegenüber der normativ präferierten Form der Inklusion angesehen wird (Hierarchie). Im Falle der Finanzwelt heißt dies, dass der formale Finanzmarkt den präferierten Inklusionsbereich darstellt, während der informale Finanzmarkt als inkludierende Exklusion begriffen werden kann. Dabei bieten sowohl der formale als auch der informale Finanzmarkt Möglichkeiten der Teilnahme an Zahlungsversprechen. Teilnehmer des informalen Finanzmarktes haben jedoch aus den beschriebenen Gründen keinen Zugang zum formalen Finanzmarkt, während Teilnehmer des formalen zwar ebenso Zugang zum informalen Finanzmarkt hätten, ihn jedoch wegen seiner Abweichung vom Organisationsprinzip meiden – oder gerade aufsuchen, etwa um schwarze Gelder zu waschen oder Steuern zu sparen. Wenn man nun die diversen Formen inkludierender Exklusion des informellen Finanzmarktes genauer betrachtet und sie anhand der aufgestellten Thesen zum informellen Finanzmarkt miteinander vergleich, dann fällt folgendes auf: Der Organisationsgrad ihrer jeweiligen internen Struktur und die Durchsetzung funktionaler Differenzierung als ihre jeweilige Umweltbedingung nehmen in Grenznähe zum formalen Finanzmarkt zu, während die Anforderung an persönliche und tradierte Beziehungen (sogenanntes soziales Kapital) abnehmen. Schauen wir uns die bekanntesten Formen inkludierender Exklusion genauer an, und fragen uns, welche Bedingungen der Teilnahme sie stellen.
2. P ERSÖNLICHES N ETZWERK Eine der rudimentärsten Formen des Zugangs zu Zahlungsversprechen im Falle der Exklusion durch Banken stellt das persönliche Netzwerk aus Familienmitgliedern, Verwandten, Freunden und Nachbarn dar. Innerhalb solcher Beziehungen kann etwa das Leihen von Geld als Reziprozitätsleistung fungieren, die sich durch geringe Zinsen und Verzicht auf Kollateral auszeichnet (vgl. allgemein z.B. Bastelaer van, 2000: 5; vgl. für ein indonesisches Beispiel Lont, 2006: 133f). Durch das Abstellen auf persönliche Reziprozität sind diese finanziellen Leistungen autonom von Anforderungen des Organisierens und von der gesellschaftlichen Umwelt, funktionieren also etwa auch im Falle von Staatsversagen und fehlendem Recht (etwa in Slums). Ihre Bedingung liegt entsprechend des Reziprozitätskriteriums vielmehr darin, dass man sich persönlich kennt und eine künftige Gegenleistung erwarten kann. Zahlungsversprechen in persönlichen Netzwerken verdoppeln dabei das Reziprozitätskriterium insofern, als dass sie
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neben der reziproken Erwartung einer Gegenleistung von sich aus bereits die Rückzahlung als eine Form der Gegenleistung vorsehen. Andersherum fungiert jede Reziprozitätsleistung immer schon insofern als „funktionales Äquivalent für Kredit“ (Luhmann, 1998: 652), als dass eine Leistung unter Erwartung einer Gegenleistung in der Zukunft erbracht wird. In dieser Strukturparallelität von Reziprozitätserwartung und Zahlungsversprechen mag die entscheidende Bedingung dafür liegen, dass Zahlungsversprechen in persönlichen Netzwerken leicht Eingang finden können. Das Risiko, dass das Zahlungsversprechen nicht eingehalten wird, kann dadurch sowohl durch Informationen über die persönlichen Situation eingeschätzt werden als auch durch die Erwartbarkeit der grundlegenden persönlichen Reziprozität beschränkt werden. Wegen ihres starken Personenbezugs sind finanzielle Reziprozitätsleistungen an face-to-face Interaktion und damit lokal gebunden. Ausgehend von ihrer lokalen Gebundenheit können sich solche persönlichen Netzwerke aber auch durch Migration überregional beziehungsweise transnational ausdehnen (z.B. Pries, 1996). Typischerweise bezieht sich die Reziprozitätsleistung des Zahlungsversprechens dann auf größere Zeiträume und nimmt höhere Beträge an. Die Familie und Verwandtschaft finanziert etwa die Ausbildung und Reise oder die Flucht und das Anfangsstadium für ein erwartbar besseres Leben in einer anderen Region mit der Erwartung, eines Tages financial remittances (Rücküberweisungen) der Gesendeten zu erhalten (vgl. z.B. Carrete, Casper, 2011). Der eindeutige Bezug der Reziprozitätserwartung auf dieselbe Person bleibt dabei trotz fehlender lokal gebundener face-to-face Interaktion erhalten. Schließlich vergisst man nicht, wen man losgeschickt hat. Zudem kann die Reziprozitätserwartung an diese Person durch Besuche und lokal unabhängige Kommunikationsmedien (Briefe, Telefonieren, Skypen, Emailen) immer wieder erinnert werden und höchstens durch Erwartungen an die Nachkommen (aber nicht an neukennengelernte Bekannte) dieser Person ersetzt werden. Als Intermediäre für reziproke Finanzleistungen, die diesen Bezug transnationaler persönlicher Netzwerke auf regionale Inklusionsbereiche gewährleisten, fungieren dann Organisationen (z.B. Finanzdienstleister wie Western Union) und funktionale Differenzierung in diesen Inklusionsbereichen (funktionierende Wirtschaft, Bildungssystem, etc.). Ob lokal oder transnational, entscheidend ist, dass die Zahlungsversprechen in persönlichen Netzwerken sehr eng gekoppelt sind an Informationen und Erwartungen hinsichtlich der ganzen Person. Bedingungen der Inklusion zu solchen Zahlungsversprechen liegen folglich in der persönlichen Bekanntschaft, die sich vor allem aus dem lokalen Aufenthalt (Nachbarschaft, Freunde) oder aus der Familienzugehörigkeit heraus ergibt, und in ihrer dadurch fundierten Zuver-
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lässigkeit der Erwartung einer Gegenleistung. Exklusion erfolgt entsprechend bei persönlicher Isolation und Verweigerung oder Nichterfüllbarkeit von Reziprozität.
3. L OKALER G ELDVERLEIHER Eine schon voraussetzungsvollere Struktur von Zahlungsversprechen, an die formal Exkludierte teilnehmen können, stellt der lokale Geldverleiher dar (vgl. Schrader, 1997: 27ff). Im Gegensatz zum persönlichen Netzwerk, das auf Reziprozität unter mehreren möglichen Personen basiert, erfüllt der Geldverleiher innerhalb eines bestimmten Gebietes eine bestimmte Rolle, die nur er ausübt und keine andere Person. Diese Rolle besteht darin, dass in Bezug auf seine Person sich die Erwartung des Geldverleihens verfestigt hat, ohne dass man ihm selbst Geld leihen muss. Es handelt sich demnach im Gegensatz zu den symmetrischen Netzwerkbeziehungen um eine asymmetrische Beziehung. Dabei bezieht sich diese Rollenasymmetrie typisch nicht nur auf den finanziellen Kontext, sondern etwa auch auf Macht und Eigentum als weitere Kontexte. Der Geldverleiher beschreibt typischerweise (aber nicht zwingend) nur eine Rolle unter anderen in einer polykontexturalen Patron/Klient-Beziehung, in der unterschiedliche asymmetrische Erwartungen verschiedener Kontexte gebündelt und dadurch jeweils verfestigt werden (vgl. Bastelaer van, 2000: 4f). In solchen Patron/KlientBeziehungen kann dann das Risiko, dass das Zahlungsversprechen nicht eingehalten wird, durch die Kopplung mit anderen Kontexten verarbeitet werden, wodurch gleichzeitig die Asymmetrien in diesen anderen Kontexten stabil gehalten werden: In Bezug auf die lokalen, polykontexturalen Beziehung des Geldverleihers zu seinen Kunden wird es einerseits möglich, Informationen über die finanziellen Risiken des einzelnen Kunden als auch über sein lokales Umfeld zu gewinnen. Und andererseits können dadurch die finanziellen Risiken durch Erwartungen beschränkt werden, die in diesen anderen Kontexten vorherrschen, etwa durch Machtverhältnisse und durch ökonomische Abhängigkeiten des Zugangs zu Rohmaterialien und der Abnahme hergestellter Produkte. Andersherum stabilisiert die Kreditbeziehung die anderen Kontexte der Patron/KlientBeziehung: Das lokale Monopol des Geldverleihers lässt den Klienten einerseits keine andere Alternative, als das Geld zurückzuzahlen, wollen sie weiter Zugang zu Krediten haben. Und andererseits erlaubt es, hohe Zinsen zu fordern (vgl. Stiglitz, 1990: 351f). Beide Aspekte des Monopols, hohe Zinsen und fehlende Alternativen, führen aufgrund von Rückzahlungsproblemen typischerweise zu Überschuldung und bedingen dadurch ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Geldverleiher als Patron und Klient, das für die Stabilisierung anderer Kontexte
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ihrer Beziehung genutzt werden kann. Als funktionale Äquivalente für die vollständige Rückzahlung des Kredits können die Abgabe hergestellter Produkte (ohne oder mit nur minimaler Geldzahlung) oder politischer Gehorsam dienen. Ein Beispiel hierfür sind die von Yunus (2003: 43ff) beobachten Abhängigkeiten der Stuhlflechterinnen von Geldverleihern in Bangladesch. Der Zugang zu Flechtmaterial und die Abnahme fertiger Körbe werden von den Geldverleihern kontrolliert, nicht zuletzt in preislicher Hinsicht. In Zusammenhang mit fehlenden Kreditalternativen können Wucherzinsen verlangt werden, die zu Überschuldung und zum Zwang führen, weitere Kredite aufzunehmen und sich weiter auf die Korbproduktion einzulassen zu müssen.9 Im Extremfall kann die Kreditbeziehung dann nicht mehr von der Handelsbeziehung unterschieden werden. Bei der Frage nach Bedingungen der Inklusion und Exklusion in Bezug auf Zahlungsversprechen mit Geldverleihern muss zunächst folgendes festgestellt werden: Patron/Klienten-Beziehungen können nicht nur einseitig als alternative Form der Inklusion im Falle der Exklusion vom formalen Finanzmarkt angesehen werden. Denn durch die Etablierung eines Abhängigkeitsverhältnisses tragen sie selbst zu einer Exklusion ihrer Klientel nicht nur von Banken, sondern auch von anderen gesellschaftlichen Kontexten bei. Stichweh (2009b: 38ff) spricht in allgemeiner Weise deswegen von exkludierender Inklusion (im Unterschied zu inkludierenden Exklusionen) um diesen Sachverhalt, dass Institutionen auch selbst den Ausschluss vom großen Rest der Gesellschaft forcieren können anstatt dass sie nur positiv als eine Art Alternativstruktur fungieren, begrifflich festzuhalten. Die Bedingung der exkludierenden Inklusion durch eine Patron/KlientelBeziehung liegt demnach vor allem darin, mögliche gesellschaftliche Alternativen auszuschließen, um die Teilnahme am eigenen Abhängigkeitsverhältnis, und dazu gehört auch der Kreditaspekt, erzwingen zu können. Die Frage der Teilnahme ist also auch hier entscheidend eine Frage der Einbindung in die Gesellschaft, jedoch im negativen Sinne: Das Klientel hat keinen Kontakt zu Verwandten oder Freunde in anderen Dörfern, verfügt über keine Fähigkeiten und Geschäftsbeziehungen für eine alternative wirtschaftliche Produktion und hat keine Möglichkeit, Machtansprüche zu artikulieren, sich zu bilden oder Recht in Anspruch zu nehmen. Auch der Kontakt untereinander und somit das Potential für ein selbstorganisiertes Aufbegehren gegen den Patron sind gering. Andersherum sind solche Personen aus Patron/Klientel-Beziehungen ausgenommen, für die die Frage nach ihrer gesellschaftlichen Einbindung positiv ausfällt. Die Frage der 9
Die Beobachtung dieses Abhängigkeitsverhältnis und das Anliegen sie zu beseitigen, gaben Yunus den Anlass, selbst Kredite als Alternativen zu vergeben und später die bekannte Grameen Bank als eine der ersten Mikrofinanz-Institute zu gründen.
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Inklusion in Patron/Klientel-Beziehungen ist zusammengefasst weniger eine Frage der Einschätzung der finanziellen Risiken, als vielmehr eine Frage nach der totalen Kontrollierbarkeit sämtlicher gesellschaftlicher Handlungsmöglichkeiten der Person. Nicht immer muss der Geldverleiher als eine Rolle unter anderen innerhalb einer Klient-/Patron-Beziehung fungieren. Inwieweit er sich als eigenständige Rolle relativ unabhängig von anderen Rollenfunktionen etabliert, hängt von den lokalen Bedingungen ab. Auf jeden Fall geht solch eine Rollenausdifferenzierung einher mit geringerem sozialen Status, insbesondere weniger Macht und einer eingeschränkteren ökonomischen Situation. Dafür ergeben sich aber weitere Optionen innerhalb seiner Spezialisierung, etwa im Angebot nicht nur von Krediten (Annahme von Zahlungsversprechen) sondern auch von Spareinlagen (Abgabe von Zahlungsversprechen). Je nachdem ob sich die Spezialisierung eher auf Kreditvergabe oder eher auf Spareinlagen bezieht, wird die finanzielle Rolle dann entweder als moneylender oder als deposit collector identifiziert (vgl. Rutherford, 1999). Dabei gibt es auch Mischformen, bei denen die Kreditvergabe von Spareinlagen abhängig gemacht wird, wobei im Falle einer Vielzahl von Kreditzirkeln, die Unterscheidung zunehmend verschwimmt, ob es sich bei den Zahlungen an den Geldverleiher um Rückzahlungen eines Kredits oder um die Einzahlung einer Spareinlage handelt (vgl. ebd.). Im Falle einer derart ausdifferenzierten Rolle des Geldverleihers können die finanziellen Risiken zwar nicht mehr durch ein mehr oder weniger erzwungenes Abhängigkeitsverhältnis eliminiert werden. Der Umgang mit dem Risiko des Kreditausfalls hängt dann mehr davon ab, wie der Geldverleiher die Integration des Kunden in die lokale Sozialstruktur einschätzt anstatt sie zu kontrollieren, um daraus Rückschlüsse über seine Kreditwürdigkeit zu gewinnen. Dazu muss er zu einem bestimmten Maße selbst am lokalen sozialen Leben teilnehmen oder zumindest den Kontakt zu Informanden in der lokalen Umgebung suchen (Guinnane, 2001: 374). Die Kopplung von Zahlungsversprechen mit anderen gesellschaftlichen Kontexten erlangt entsprechend mehr Freiheitsgrade im Vergleich zu deren relativer Festigkeit bei Patron/Klienten-Beziehungen. Neben der Einschätzung der Kreditwürdigkeit durch Beobachtung der gesellschaftlichen Integration können die Risiken zudem über die persönliche Kreditgeschichte eingeschätzt werden. Schließlich erlaubt das Angebot von Spareinlagen nicht nur einen größeren finanziellen Spielraum für den Geldverleiher, sondern auch die Möglichkeit, die Kreditvergabe an Spareinlagen zu knüpfen. Erst wenn der Kunde zeigen kann, dass er im Stande ist, eine bestimmte Summe zu sparen, wird ihm eine Kreditauszahl gewährt.
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Der Umgang mit finanziellen Risiken wird bei einer ausdifferenzierten Rolle des Geldverleihers insgesamt stärker internalisiert: Einerseits werden die finanziellen Risiken zu einem gewissen Maße durch eine Strukturierung der Zahlungsversprechen selbst (Konditionierung der Kreditvergabe durch Kreditgeschichte oder durch Spareinlagen) verarbeitet. Und andererseits erlaubt die Rollenausdifferenzierung, die Kreditwürdigkeit des Klienten von seiner gesellschaftlichen Integration zu unterscheiden, um seine Kreditwürdigkeit dann vor diesem Hintergrund einschätzen zu können anstatt seine gesellschaftliche Integration kontrollieren zu müssen. In Zusammenhang mit dem weiter vorherrschenden lokalen Monopol können Zahlungsversprechen selbst im Falle akuter Risiken dann in doppelter Hinsicht durchgesetzt werden: durch soziale Sanktionen, indem das soziale Ansehen im Falle der Zahlungsunfähigkeit in der lokalen Gesellschaft beschädigt wird; und durch finanzielle Sanktionen, indem mit der Verweigerung eines Folgekredite gedroht wird. Der Umgang mit dem finanziellen Risiko durch eine ausdifferenzierte Rolle des Geldverleihers wird jedoch nicht vollständig intern vollzogen. Die Begrenztheit der Internalisierung liegt darin, dass sich die interne Risikoverarbeitung jeweils auf den einzelnen Klienten bezieht ohne Generalisierung der Kundenbasis wie bei formalen Bankenorganisationen. Und sie liegt darin, dass die Risikoverarbeitung sowohl bei der Informationsgewinnung durch Teilnahme des Geldverleihers am sozialen Leben als auch bei der Durchsetzung der Erwartung des Zahlungsversprechens durch soziale Sanktionen noch stark von extern gelagerten anderen gesellschaftlichen Kontexten abhängig bleibt. Eine entscheidende Bedingung der Inklusion in Zahlungsversprechen mit ausdifferenzierten Geldverleihern ist deswegen die Teilnahme am sozialen Leben, in der der Geldverleiher arbeitet. Wer nicht in dieser Gegend lebt, wird auch keinen Kredit beim lokalen Geldverleiher bekommen, auch wenn man gut in einer anderen Gegend integriert ist und finanziell gut gestellt ist. Denn woher soll der Geldverleiher dies wissen? Wegen seines räumlich beschränken Operierens kennt der Geldverleiher das soziale Leben des Betreffenden in der anderen Gegend nicht, kann also auch nicht seine finanzielle Situation einschätzen und ihn auch nicht sozial sanktionieren im Falle von Zahlungsschwierigkeiten.
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4. K REDIT -
UND
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S PARZIRKEL
Das persönliche Netzwerk ermöglicht reziproke Zahlungsversprechen auf einer horizontalen Ebene unter Gleichgestellten, weil der Geber auch der Nehmer und zugleich auch der Nachbar oder ein Freund sein kann. Demgegenüber ist sowohl bei einem Patron/Klient-Beziehung als auch bei einer ausdifferenzierten Rolle des Geldverleihers die finanzielle Beziehung wegen der asymmetrischen Rollenverteilung vertikal ausgerichtet. Nur einer verleiht das Geld, und dieser tritt in der Rolle eines Patrons gleichzeitig auch handlungsführend in anderen Kontexten in Erscheinung. Eine weitere Form finanzieller Inklusion des informalen Finanzmarktes stellen Kredit- und Sparzirkel dar (vgl. z.B. Geertz, 1962; Armendàriz de Aghion, Morduch, 2005: 59ff). Zahlungsversprechen werden hier ähnlich wie beim persönlichen Netzwerk unter gleichgestellten Teilnehmern reziprok gegeben, also auch auf einer horizontalen Ebene. Diese Ebene hebt sich aber vom persönlichen Netzwerk der lokalen Gesellschaftsstruktur ab, indem sie sich in Bezug auf Zahlungsversprechen ausdifferenziert. Ihre Struktur von Zahlungsversprechen, ihre Form der Risikoverarbeitung sowie ihre Bedingung der Teilnahme unterscheiden sich folglich auf spezifische Weise von allen anderen Formen des informalen Finanzmarktes. Kredit- und Sparzirkel sind je nach Region und Sprache unter verschiedensten Namen bekannt. Die geläufigsten Bezeichnungen in der Literatur sind Rotating Savings and Credit Associations (ROSCAs) (z.B. Geertz, 1962) und Financial Self-help Organizations (FHO) (z.B. Lont, 2006: 128). Nicht nur ihre Bezeichnung, auch ihre Strukturen variieren (Geertz, 1962). Unter Bezug auf diese Variationen lassen sich gemeinsame Gesichtspunkte herausarbeiten, die im Umkehrschluss ihre strukturelle Variationsbreite erkennbar werden lassen. Als eine Hauptkomponente von Kredit- und Sparzirkeln fungiert ein kollektiver Verteilungsschlüssel, nach dem in bestimmten Zeitintervallen solange jeweils alle Teilnehmer bestimmte Zahlungen an einen bestimmten Teilnehmer tätigen, bis jeder Teilnehmer in den Genuss einer solchen Ausschüttung gekommen ist. Die jeweiligen Zahlungen erfolgen unter der Bedingung, dass man sich gegenseitig verspricht, künftig zu zahlen, auch wenn man bereits in den Genuss der Ausschüttung gekommen ist oder erst später in diesen Genuss kommen wird. Auch hierbei handelt es sich also um Zahlungsversprechen. Je nach Perspektive geht es dabei mehr um Kreditaufnahme oder mehr um Sparen. In Bezug auf denjenigen, der die Ausschüttung zu einem frühen Zeitpunkt erhält und sich im Weiteren an den Ausschüttungen für die anderen Teilnehmer zu beteiligen hat, überwiegt die Erwartung der Abgabe eines Zahlungsversprechens, also die Kreditvergabe. In Bezug auf denjenigen, der solch ein
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Zahlungsversprechen annimmt, also zunächst zahlt und erst zu einem späteren Zeitpunkt die Ausschüttung erhält, überwiegt die Erwartung des Sparens. Bei Kredit- und Sparzirkel gehen also immer beide Formen von Zahlungsversprechen Hand in Hand. Unterschieden können Kredit und Spareinlage nur in Bezug auf den Zeitpunkt der Ausschüttung für einen bestimmten Teilnehmer, sodass aus Sicht eines Teilnehmers, der in der Mitte der Verteilung berücksichtigt wird, es sich sowohl um Kreditaufnahme als auch um Sparen handelt. Entsprechend liegt der Anreiz zur Teilnahme an Kredit- und Sparzirkeln hinsichtlich des Kreditaspekts im early pot motive (Armendàriz de Aghion, Morduch, 2005: 61f) und hinsichtlich des Sparaspekts im commitment to savings (ebd.: 66f) und im household conflict motive (ebd.: 61f), indem durch die externe Vorgaben des Verteilungsschlüssels die Schwierigkeiten des selbstständigen Sparens wegen der naheliegenden Alternative des sofortigen Konsumierens und in Zusammenhang damit mit Konflikten zwischen den Ehepartnern bewältigt werden können. Eine zweite Hauptkomponente von Kredit- und Sparzirkeln besteht darin, dass die Teilnehmer eines Zirkels auch gleichzeitig derselben lokalen Gesellschaft (Dorf, Stadtteil) zugehören. Wer Bewohner der lokalen Gesellschaft ist, dem steht prinzipiell die Möglichkeit offen, auch Teilnehmer eines Zirkels zu sein. In sozialer Hinsicht als Frage nach der Teilnahmemöglichkeit ist der Verteilungsschlüssel also relativ fest mit der lokalen Sozialstruktur gekoppelt. Solch eine feste Kopplung in sozialer Hinsicht heißt aber nicht, dass es in der lokalen Gesellschaft nur einen Kredit- und Sparzirkel geben muss, etwa in dem Sinne, dass alle Bewohner auch Teilnehmer dieses Zirkels sind. Es kann auch mehrere Zirkel geben. Dabei hängt die Anzahl nicht nur von der Einwohnerzahl des Dorfes oder des Stadtteils ab, sodass sich etwa neue Zirkel nur bilden, wenn sich die Einwohnerzahl des Dorfes aus sich selbst heraus oder durch Migration erhöht. Die Anzahl der Zirkel ist insofern unabhängig von der Einwohnerzahl, als dass sich Zirkel typischerweise in Bezug auf bestimmte Komponenten der lokalen Sozialstrukturen heraus bilden. Neue Zirkel entstehen entsprechend auch und gerade dann, wenn sich neue Strukturen in der lokalen Gesellschaft bilden. Beispiele lokaler Sozialstrukturen, auf die sich Zirkel beziehen können, sind Raumstrukturen (nachbarschaftliche Zirkel) (vgl. Geertz, 1962: 245f), Personenmerkmale (geschlechts- und generationenspezifische Zirkel) (vgl. ebd.: 250), gesellschaftliche Strukturen wie Schicht (Zirkel von höhergestellten ClubMitgliedern oder Zirkel des städtischen Proletariats) (vgl. ebd.: 248) und Funktionskontexte (branchenspezifische Zirkel von Bauern oder Händlern in der Wirtschaft (vgl. z.B. in Indonesien Lont, 2006: 128) oder parteispezifische Zirkel in der Politik (vgl. Geertz, 1962: 248), und Lebensumstände (z.B. Zirkel zur Finanzierung von Beerdigungen). Die verschiedenen Kategorien müssen sich in Bezug
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auf einen einzelnen Zirkel nicht wechselseitig ausschließen, sondern können sich auch verschachteln oder quer zu einander stehen. So kann es einerseits sein, dass man entsprechend seiner mehrfachen Inklusion hinsichtlich verschiedener Sozialstrukturkomponenten auch an mehreren Zirkeln teilnimmt. Denn als Bauer ist man auch Mann, wohl aber nicht Händler. Es kann aber auch sein, dass man dadurch mit hoch exklusiven Teilnahmebedingungen für Zirkel konfrontiert wird. Denn als wohlhabender Händler ist man auch Club-Mitglied, wohl aber nicht Proletarier. Die Inklusion in solche Sozialstrukturen verschafft dabei nicht unbedingt die bloße Möglichkeit der Inklusion in einen entsprechenden Zirkel. Es kann auch sein, dass eine Teilnahme am Zirkel regelrecht erwartet wird und zur Bedingung für die Teilnahme in der lokalen Gesellschaft gemacht wird, sodass es zu einer Ungleichheitsstellung in der lokalen Gesellschaft käme, wenn die Teilnahme am Zirkel verweigert wird (Lont, 2005: 135ff). Entsprechend fest ist der Zirkel an die jeweilige gesellschaftliche Bezugsstruktur gekoppelt. Eine Folge dieser festen Kopplung des Zirkels mit seiner Umwelt besteht darin, dass die Teilnehmer eines Zirkels typisch dieselben bleiben. Solange man im Dorf lebt, und dies meist über viele lange Jahre oder gar für ein ganzes Leben, bleibt man auch im Zirkel aktiv. Typischerweise herrscht deshalb, wenn überhaupt, nur eine sehr geringe Fluktuation der Teilnehmer und im Übrigen auch keine Fluktuation der Zirkel. Wie alle Formen von Zahlungsversprechen, sind auch Kredit- und Sparzirkel mit Risiken verbunden. Wie wird mit dem Risiko umgegangen, dass der Verteilungsschlüssel zusammenbricht, sobald die ersten Teilnehmer in den Genuss der Ausschüttung gekommen sind und sich nicht mehr an den weiteren Ausschüttungen beteiligen wollen? Wie kann gewährleistet werden, dass auch noch der Letzte bei der Verteilung berücksichtigt wird? Bei der Suche nach Antworten gerät die Kopplung des Verteilungsschlüssels mit der lokalen Sozialstruktur über feste Zuordnung der Teilnehmer in den Blick. Wie die Risiken der Zahlungsversprechen in Verteilungszirkeln durch feste Teilnehmerzuordnung gehandhabt werden, kann sowohl in Bezug auf die Verteilung selbst als auch in Bezug auf die Teilnahme in den lokalen Sozialstrukturen analysiert werden, wobei im Sinne der Kopplung jeweils das eine mit dem anderen in Beziehung steht. Angesichts dessen, dass sich die Teilnehmer des Zirkels auch als Bewohner derselben lokalen Gesellschaft kennen, werden die finanzielle Risiken dadurch gehandhabt, dass mit dem Bezug auf das soziale Leben im lokalen Umfeld sowohl die finanziellen Erwartungen an die Teilnehmer stabilisiert als auch finanzielle Informationen über Risiken der Teilnehmer gewonnen werden können. Aber nicht nur über den externen Bezug auf die lokale Sozialstruktur, sondern
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auch über den internen Bezug auf die Verteilung selbst, werden Risiken in Zirkeln verarbeitet. Zunächst ist jedoch wichtig anzumerken, dass durch die zeitgleiche Einsammlung und Ausschüttung festgelegter Gelder für den Zirkel keine organisatorischen Risiken entstehen, wie das Risiko der Geldaufbewahrung (Armendàriz de Aghion, Morduch, 2005: 59), der Liquidität, des sogenannten Runs auf Einlagen, von Zinsänderungen, etc., mit denen Banken typischerweise konfrontiert werden. Im Zirkel werden nicht wie in Banken zu unterschiedlichen Zeiten über unterschiedliche Kredite und unterschiedliche Spareinlagen für unterschiedliche Teilnehmer entschieden. Der Kredit- und der Sparaspekt des Zirkels werden immer zum selben Zeitpunkt in Bezug auf dieselben Teilnehmer aktualisiert. Folglich bedarf es auch keiner ausgeklügelten Synchronisation und keinen komplexen Entscheidungsprozessen einer Organisation, womit entsprechende Risiken entfallen. Die Gleichzeitigkeit von Einsammlung und Ausschüttung des Zirkels erfolgt aber unter der Bedingung der zeitlichen Reihung der Ausschüttungen für die jeweiligen Teilnehmer und damit unter dem Risiko, dass die Letzten von den Ersten der Reihung im Stich gelassen werden könnten. Der Ausgangspunkt, wie nun über die Verteilungsstruktur selbst dieses Risiko behandelt werden kann, liegt ebenfalls in der Besonderheit des Zirkels, dass seine Teilnehmer derselben lokalen Sozialstruktur integriert sind. Denn für die Verteilung des Zirkels bedeutet dies, dass es sich bei der Verteilung entsprechend des Lebens in der lokalen Gesellschaft nicht nur um eine einmalige Episode handelt, sondern um Wiederholungen, im Extrem um eine Endlosschleife von Verteilungen (Geertz, 1962: 248f) ohne Ende und Anfang. Man bildet einen Zirkel, seit je man zusammen im Dorf gelebt hat. Insofern gibt es auch niemanden, der in der Verteilung als erstes oder als letztes zum Zuge kommt. Damit beschränkt sich das Risiko des moral hazard, denn man kann nun nicht mehr eindeutig kalkulieren, ob man einen eigenen Nutzen daraus zieht, dass man sich nach eigener Ausschüttung nicht mehr an den Ausschüttungen der anderen Teilnehmer beteiligt, oder ob man sich dadurch nicht selbst um den Genuss einer baldigen Ausschüttung bringt. Eine Zurechnung unterschiedlicher Risiken auf bestimmte Teilnehmer kann bei endlosen Verteilungen nicht mehr eindeutig vorgenommen werden, weil mit der Unendlichkeit eindeutige Unterschiede in der Reihenfolge verloren gehen. In Bezug auf den einzelnen Teilnehmer wird das Risiko damit zwar undurchsichtig. Doch gerade dadurch kann sich die allgemeine Erwartung etablieren, dass der Verteilungsschlüssel funktioniert. Wenn sich alle unsicher sind, ob derjenige, der moral hazard begeht, alle anderen Teilnehmer schädigt oder ob er sich damit nicht selbst schädigt, verliert moral hazard als Handlungsoption an Attraktivität als auch als Erlebensmöglichkeit an
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Abschreckung. Und auch wenn innerhalb solch einer Endlosschleife Verteilungsrunden unterschiedenen werden, besteht zumindest nach abgeschlossener Runde die Möglichkeit, die Reihenfolge der Verteilung zu ändern, sodass ein Anreiz entsteht, den Erwartungen der Verteilung zu entsprechen (de Aghion, Morduch, 2005: 64f). Im Zuge der Aneinanderreihung von Verteilungen entsteht zudem eine finanzielle Geschichte, die Informationen und Erwartungen über die Kredit- und Sparfähigkeiten eines jeden Teilnehmers generiert. Bei Zahlungsunfähigkeit eines Teilnehmers kann er von der weiteren Verteilung ausgeschlossen werden und nach Möglichkeit seine kommende Ausschüttung für seine ausstehenden Verbindlichkeiten verwendet werden. Das Risiko, dass es zu Zahlungsunfähigkeiten kommt, ist aber schon deswegen recht unwahrscheinlich, weil es wegen der festen Teilnehmerzuordnung keine Alternativen gibt, an anderen Zirkeln teilzunehmen. Die Möglichkeit der Teilnahme an einem bestimmten Zirkel ergibt sich ja aus der Teilnahme an der betreffenden lokalen Gesellschaft (Dorf, Stadtteil, etc.) und ihren bestimmten Strukturen, in denen man mehr oder weniger fest integriert ist. Eine Marktfrau kann nicht ohne weiteres an einem Zirkel der Bauern teilnehmen, wenn sie aus ihrem Zirkel wegen schlechter Zahlungsmoral ausgeschlossen wird. Deswegen wird sie versuchen, ihre Zahlungsversprechen ihres Zirkels nicht zu brechen. Ähnlich wie bei beim Geldverleiher bzw. bei Patron/Klienten-Beziehung führt auch hier die Abhängigkeit von einer bestimmen Finanzierungsmöglichkeit, in diesem Fall vom Kredit- und Sparzirkel, dazu, dass den Erwartungen des Zahlungsversprechens entsprochen wird. Der Zirkel trägt sich auch über seine Alternativlosigkeit, die aus der gesellschaftlichen Zuordnung seiner Teilnehmer resultiert. Insofern die Teilnahme an Kredit- und Sparzirkeln unter Maßgabe der Zugehörigkeit zu einer lokalen Gesellschaft und ihren Strukturen erfolgt, werden die finanziellen Risiken solcher Zirkel, ähnlich wie beim persönlichen Netzwerk und dem Geldverleiher, immer auch in Bezug auf die Teilnahmebedingungen in dieser lokalen Gesellschaft gehandhabt. Man kennt sich nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern zudem und (meistens) sogar vor allem in Hinsicht auf das soziale Leben etwa in der Nachbarschaft oder auf dem Markt. Diverse Sozialstrukturen, wie Reziprozitäten, sozialer Status und Clans bündeln oder strukturieren unterschiedliche Kontexte des sozialen Lebens, wie Nachbarschaft, Bekanntschaft und Freundschaft sowie funktionale Kontexte, wie u.a. Wirtschaft, Politik, Religion und Familie. Die Erwartungen, die an Reziprozität, sozialem Status und Clanmitgliedschaft gebunden sind, beziehen sich zu einem bestimmten Grade dann auch auf den finanziellen Kontext des Kredit- und Sparzirkels (Geertz,
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1962). Das Geben und Nehmen von Zahlungsversprechen und die Erwartung seines Haltens im Zirkel werden durch die Erwartungen der lokalen Sozialstruktur enggeführt. Was im Zirkel geschieht, geschieht immer auch in der lokalen Gesellschaft. Was in der lokalen Gesellschaft allgemein als Erwartung gilt, gilt deswegen immer auch im Zirkel. Die Erwartungen in der lokalen Sozialstruktur beinhalten oder stützen zumindest die Erwartung, dass die Zahlungsversprechen des Verteilungsschlüssels eingehalten werden. Das wird daran ersichtlich, dass das Brechen des Zahlungsversprechens nicht nur finanzielle Folgen hat, sondern gleichzeitig Konsequenzen für das soziale Leben in der lokalen Gesellschaft mit sich bringt, sei es in Bezug auf die Reziprozitätsbeziehung, den sozialen Status oder die Stellung im Clan. “The costs of default include social mechanisms that extend beyond the domain of the ROSCA [Rotating Savings and Credit Association, JS] into community-wide sanctions such as peer pressure and social ostracism, which affect every aspect of that individual’s social and economic life” (Bastelaer van, 2000: 3). Im Extremfall kann ein Zahlungsausfall in einem Zirkel zur Exklusion des Zahlungsaussäumigen nicht nur aus der Zirkel, sondern auch aus lokalen Gesellschaft führen (z.B. Lonte, 2005: 135ff). Das implizite Wissen um diese Kopplung von lokaler Sozialstruktur und Verteilungsschlüssel induziert die Erwartbarkeit, seiner sozialen Verpflichtungen gerecht zu werden und das Zahlungsversprechen einzulösen, also die Kopplung zu reproduzieren. Die Erwartungen der lokalen Sozialstruktur stützen aber nicht bedingungslos die Erwartungen im Zirkel, dass die Zahlungsversprechen eingehalten werden. Unter bestimmten Umständen können sie sogar den Erwartungen der Zahlungsversprechen zu wider laufen. Reziprozitätsbeziehungen, sozialer Status und Clan- oder Schichtzugehörigkeit außerhalb des Zirkels können Anforderungen stellen, die nicht vereinbar sind mit dem Verteilungsschlüssel, und zwar in finanzieller als auch in anderen Hinsichten. Das Geld, das etwa Nahestehenden geliehen wird, kann für die nächste Verteilung des Zirkels fehlen. Oder man nimmt zwar zusammen an einem Zirkel teil, schließt sich aber aufgrund unterschiedlicher Kastenzugehörigkeit wechselseitig von sozialen Institutionen wie Beerdigungen, Hochzeiten, etc. aus (vgl. Southwold-Llewellyn, 2005: 181). Die Risikoverarbeitung von Zirkeln gelingt deswegen nicht allein über eine strukturelle Kopplung mit der lokalen Gesellschaft und ihren verschiedenen Erwartungslagen. Ihr Gelingen hängt auch davon ab, dass sich der Zirkel von der lokalen Gesellschaft in manchen Hinsichten entkoppelt. Southwold-Llewellyn (ebd.) spricht in ihrer Fallstudie eines Zirkel in Sri-Lanka deswegen von der Anforderung des disembeddedment des Zirkels von seiner lokalen Umwelt und stellt dem von ihr genannten public domain (öffentlichen Bereich), zu der die Erwartungen der lokalen Gesellschaft gehören, den private domain (privaten Bereich), in der
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die Teilnahme am Zirkel fällt und der vor der Öffentlichkeit geheim zu halten ist, gegenüber. Bei der Suche nach Formen, die solch eine Entkopplung des Zirkels von den Erwartungen der lokalen Sozialstruktur gewährleisten, kommen die finanzielle Informationsgewinnung und die finanzielle Verteilungsstruktur des Zirkels in den Blick, die neben der Entkopplung gleichzeitig auch die Kopplung sicherstellten, indem sie auf ihre Weise Bezüge zur Struktur der lokalen Gesellschaft herstellen. Durch die Kopplung mit der lokalen Gesellschaft gewinnt der Verteilungsschlüssel über die dort vorliegenden Strukturen nicht nur an strukturelle Stabilität. Die lokale Gesellschaft bietet über ihre diversen Kontexte, ähnlich wie für die finanziellen Formen des persönlichen Netzwerkes und des Geldverleihers, auch Bezugspunkte für die Gewinnung finanzieller Informationen über das Risiko des Zahlungsversprechens. Das geschieht dadurch, dass einem Ereignis eines anderen Kontextes auch Relevanz in finanzieller Hinsicht zugeschrieben wird, was zu einer Neugestaltung der finanziellen Erwartungen des Zirkels führen kann. Wenn man schon immer wusste, dass es um die Lage des Nachbarn und sein persönliches Umfeld finanziell nie besonders gut stand, und man nun mitbekommt, dass er krank geworden ist und deshalb längere Zeit nicht arbeiten kann, kann der Verteilungsschlüssel daraufhin abgestimmt werden: beispielsweise indem der Kranke für eine Verteilungsrunde aussetzt oder indem ihm Zahlungsaufschub gewährt wird. Die fortlaufende Beobachtbarkeit seiner Situation erlaubt es, die Erwartungen an seine künftige Zahlungsfähigkeit ständig neu zu überprüfen und gegebenenfalls nach zu steuern, etwa indem er vollständig aus dem Zirkel ausgeschlossen wird oder wieder in dessen normalem Ablauf integriert wird. In dem Maße, wie der Kredit- und Sparzirkel sich von den Erwartungsstrukturen der lokalen Gesellschaft abkoppelt, kann sie also einerseits durch externe Bezugnahme auf diese Strukturen der lokalen Gesellschaft eigenständig Informationen über die Risiken gewinnen und daraufhin eigene finanzielle Erwartungsstrukturen aufbauen. Dabei wird solch eine Abkopplung durch einen Prozess des positiven Feedbacks wahrscheinlich, indem die eigenen Erwartungsstrukturen wiederum die eigene Informationsgewinnung ausdifferenzieren, welche die Abkopplung und Externalisierung der Strukturen der lokalen Gesellschaft weiter verstärkt. Die externen Strukturen der lokalen Gesellschaft stabilisieren die Erwartungen der Einhaltung der Zahlungsversprechen der Kredit- und Sparzirkel, wozu ebenso die Verteilungsstruktur der Zirkel durch ihre Endlosigkeit und ihre Alternativlosigkeit zur Verarbeitung ihrer finanziellen Risiken selbst mit beiträgt. Im
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beschränkten Maße kann der Kredit- und Sparzirkel auch eigene finanzielle Informationen gewinnen, indem sie sich von der Struktur der lokalen Gesellschaft abkoppelt und gleichzeitig in Bezug sowohl auf diese externe Struktur als auch auf die eigene Geschichte Hinweise zur künftigen Zahlungsfähigkeit ihrer Teilnehmer sammelt, nach denen sie dann ihren Verteilungsschlüssel ausrichten kann. All dies geschieht unter der Bedingung, dass die Teilnehmer der Zirkel sich nicht nur in finanzieller Hinsicht kennen, sondern gleichzeitig als Nachbarn, Verwandte, Freunde, Bekannte, etc. in der lokalen Gesellschaft mit ihren verschiedenen Kontexten. Ein weiterer Aspekt der Risikoverarbeitung der Kredit- und Sparzirkel liegt in einer zweiten Möglichkeit ihrer Abkopplung von der lokalen Sozialstruktur. Neben ihrer beschränkten Möglichkeit, eigenständig finanzielle Informationen über die Kredit- und Sparfähigkeit ihrer Teilnehmer zu gewinnen, kann der Zirkel auch eigene Strukturen dadurch gewinnen, dass sie sich auf die Teilnehmer sowohl als Kollektiv als auch als individuelle Personen bezieht. Dadurch entstehen Bedingungen der Solidarität, die auf ihre Weise die Erwartung einer regelgerechten Verteilung der Ausschüttungen beinhalten. Gerade wenn externe Strukturen der lokalen Gesellschaft und interne Strukturen des finanziellen Verteilungsschlüssels alleine nicht sicherstellen können, dass sich alle Teilnehmer an jeder Ausschüttung beteiligen, sondern es hochriskant bleibt, dass sich Teilnehmer nach Erhalt ihrer Ausschüttung nicht mehr an anderen Ausschüttungen beteiligen, können sich intern zusätzlich solidarische Strukturen bilden (vgl. Lont, 2006: 135)10. Die gemeinsame erfolgreiche Bewältigung des Risikos der Teilnehmer führt zur Bildung einer sozialen Identität der Gruppe und ihrer Mitglieder, die zu ihrer Selbstbestätigung wiederum eine erfolgreiche Bewältigung der riskanten Verteilung nahelegt. Wenn das Risiko der Verteilung darin liegt, dass sich nicht alle regelgerecht an der Verteilung beteiligen, dann kann der Erfolg der Risikobewältigung sowohl jedem einzelnen Teilnehmer als auch allen Teilnehmern zusammengenommen zugerechnet werden. Durch Wiederholen dieser Zurechnungen kondensiert eine soziale Identität der Gruppe und mit ihr die verschiedenen Identitäten der Gruppenmitgliedern. Im Hinblick auf die hohen finanziellen Risiken entsteht das Gefühl einer Solidargemeinschaft und Teil dieser Solidargemeinschaft zu sein, in der man sich aufeinander verlassen kann. Und der Bestätigungsdrang dieser sozialen Identitäten bewirkt andersherum wiederum, dass jeder einzelne und alle zusammen sich regelmäßig an der Verteilung beteiligen. 10 Zur Unterscheidung der Sozialstruktur der lokalen Gesellscahft von der Solidaritätsstruktur der Zirkel selbst spricht Lont (ebd.) von Sozialkapital außerhalb und innerhalb eines Zirkels.
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Situationen, in denen solche Zurechnungen auf eine Solidargemeinschaft vollzogen werden können, gewährleisten vor allem die regelmäßigen Treffen der Teilnehmer des Zirkels dar (vgl. Lont, 2006: 135f), also Gelegenheiten, an denen sowohl die Individualität der Teilnehmer als auch ihr gemeinschaftliches Interesse durch persönliche Anwesenheit unverkennbar wird. In besonderer Weise kann die Solidarität des Zirkels durch ein Festessen am Ende einer jeden erfolgreich beendeten Verteilung bestätigt und bekräftigt werden (Geertz, 1962: 262). Die Solidaritätsstruktur des Zirkels resultiert aus den Erfolgen der Zahlungsversprechen, die wiederum nicht zuletzt wegen der Erwartung an Solidarität gehalten werden. Abweichendes Verhalten, etwa durch moral hazard als unsolidarisches Handeln, kann im Umkehrschluss Sanktionen zu Folge haben, die nicht finanzieller Art sind und auch nicht allein das Leben in der lokalen Gesellschaft betreffen. Solche Sanktionen spiegeln die negative Seite der Solidarität wider, wie Ansehensverlust oder sogar Missachtung in der Gruppe selbst (van Bastelaer, 2000: 3f). In der Form des Gruppendruckes können solche Sanktionen auch latent wirken und das Risiko des Zahlungsausfalls schon im Vorhinein beschränken. Wie die interne Struktur der finanziellen Verteilung steht auch diese interne Struktur der Solidarität des Zirkels mit der externen lokalen Sozialstruktur in Korrespondenz. Bei einem geringen Ausdifferenzierungsgrad des Zirkels, wenn also die Erwartungen der lokalen Sozialstruktur nahezu zusammenfallen mit den Erwartungen des Zirkels, können interne Solidarität und externe Erwartungen an Reziprozität oder sozialem Status in der lokalen Gesellschaft noch kaum voneinander unterschieden werden. Im Extremfall spielt die finanzielle Verteilung gar nicht die primäre Rolle, sondern dient nur als Kontext für den Erhalt der Gruppenidentität samt ihrer individuellen Mitglieder. Erst bei relativ stark ausdifferenzierten Zirkeln, die sich von den Strukturen der lokalen Gesellschaft abkoppeln, bilden sich unter diesen neuen Anforderungen intern eigene Solidaritätsstrukturen heraus. Und erst dann werden auch die Bezüge zwischen der externen lokalen Sozialstruktur und den internen Solidaritätsstrukturen deutlich. So kann die interne Solidaritätsstruktur positiv auf die Sozialstruktur rückwirken, indem sie sie bestätigt und bekräftigt. Sie kann aber auch negativ zurückwirken, und zwar etwa dadurch, dass die Normen der Solidarität des Zirkels die Normen der lokalen Gesellschaft in Frage stellen (vgl. Lont, 2006: 135ff). Am Fehlen eines echten Marktzinses wird wohl am eindrücklichsten, dass ein Kredit- und Sparzirkel nur im sehr beschränkten Maße finanzielle Anreize und Risiken produzieren. Letztendlich liegt dies an dem geringen Grad der Ausdifferenzierung einer eigenständigen Organisation. Der interne Verteilungsschlüssel kann zwar eine Endlosschleife der Verteilung gewährleisten, sodass
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zeitliche Unterschiede in der Reihenfolge nur geringfügig zum Tragen kommen und damit das Risiko des moral hazard beschränkt wird. Andererseits ermöglicht der Verteilungsschlüssel aber genau dadurch auch nur im geringen Maße riskantes Entscheiden, weil er nach festen und einfachen Regeln zu Beitragssummen und Verteilungszeitpunkten und ohne Zinsanreiz funktioniert. Neben einem rigiden Verteilungsschlüssel hat der geringe Organisationsgrad des Zirkels auch eine relativ feste Kopplung mit den externen Strukturen der lokalen Gesellschaft zur Folge, wodurch ebenfalls Risiken nicht nur durch deren Sanktionierungskraft verarbeitet werden können, sondern auch bereits im Vorhinein gemieden werden. Auch die externen Strukturen der lokalen Gesellschaft führen also dazu, dass der Zirkel nicht mit zu hohen Risiken überfordert wird. Die beschränkte Risikoverarbeitung sowohl durch den rigiden Verteilungsschlüssel als auch durch die relativ feste Kopplung mit externen Strukturen kann unter dem Gesichtspunkt des geringen Organisationsgrads des Zirkels zusammengeführt werden. Dies wird vor allem daran deutlich, dass die spezielle Beobachtung der Kredit- und Sparfähigkeit der Teilnehmer durch den Zirkel in Bezug auf die Frage nach der gesellschaftlichen Inklusionslage der Teilnehmer organisatorisch unerschlossen bleibt. Beispielsweise verfügt ein Zirkel nicht über organisatorisches Verfahren, mit dem sie explizit die wirtschaftliche Situation oder den Bildungsstand ihrer Teilnehmer abfragt, um daraus deren Finanzfähigkeit zur Teilnahme an der Verteilung abzuleiten. Der geringe Organisationsgrad des Kredit- und Sparzirkels versperrt offensichtlich den Blick auf die Risiken der Teilnehmer in der gesellschaftlichen Umwelt des Zirkels anstatt ihn zu schärfen. Diese organisatorische Unerschlossenheit der Beobachtung der Risiken der Teilnehmer ergibt sich aber nicht nur aus der rigiden Form des Verteilungsschlüssels des Zirkels. Sie hat genauso mit dessen Umweltbedingungen zu tun (vgl. Southwold-Llewellyn, 2004: 190). In Regionen, in denen Kredit- und Sparzirkel vorkommen, werden gesellschaftliche Inklusionen und Exklusionen vor allem über tradierte und relativ stabile Strukturen geregelt. Für einen Zirkel ist es dann unsinnig, vermeintlich verschiedene In- und Exklusionslagen potentieller Teilnehmer zu beobachten, um daraus auf deren Kredit- und Sparfähigkeit zu schließen, weil sie relativ stabil und damit bereits erwartbar sind.11 Man ist Kleinbauer und wird auch immer Kleinbauer sein, also in seiner Armut gefangen bleiben, hat aber auch immer berechtigte Hoffnung auf mehr oder weniger gute Ernte. Auch etwa die Frage nach dem ihr angemessenen Bildungsgrad ihrer 11 Auch in Regionen mit funktionaler Differenzierung als Primärstrukturen können Kredit- und Sparzirkel vorkommen, dann aber typischerweise in Bezug auf Sekundärstrukturen, wie Migrantennetzwerke, anstatt in Bezug auf die Primärstruktur selbst (Portes, 1993: 1332f)
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Teilnehmer stellt sich für den Zirkel meist nicht, weil die lokale Sozialstruktur, aus der sich der Zirkel heraus bildet, bereits vorgibt, ob man Analphabet ist oder über eine Hochschulausbildung verfügt. Im Gegensatz dazu werden in Regionen, in denen primär funktionale Differenzierung vorherrscht, Inklusionen und Exklusionen der Individuen jeweils über Funktionssysteme (Wirtschaft, Bildung, Recht, Politik, etc.) und über deren strukturellen Kopplungen geregelt. Dadurch ergeben sich für die Individuen relativ unterschiedliche und instabile In- und Exklusionslagen, deren Beobachtung zur Einschätzung ihrer Kredit- und Sparfähigkeit die Ausdifferenzierung einer formalen Bankenorganisation und spezieller Instrumente, wie etwa credit-scoring, erforderlich macht, wie wir oben bereits gesehen haben.12 Der geringe Organisationsgrad des Zirkels und das nur rudimentäre Durchgreifen funktionaler Differenzierung gegenüber der relativen Dominanz tradierter Sozialstrukturen als Umweltbedingung des Zirkels gehen also Hand in Hand. Beide Aspekte führen gleichermaßen zu einem rigiden Verteilungsschlüssel als auch zu eingeschränkter Beobachtung der Finanzfähigkeit der Teilnehmer, also zu einer beschränkten Differenzierung und Verarbeitung von Risiken, wobei die externe lokale Gesellschaftsstruktur und die interne Solidaritätsstruktur diese Differenzierung von Risiken genauso parasitär ermöglicht wie sie sie beschränkt. Stärker ausdifferenzierte Zirkel zeichnen sich dann dadurch aus, dass sie die finanziellen Risiken weiter differenzieren, was wiederum sowohl am höheren Organisationsgrad als auch an der Erschließung der Beobachtung der Umweltbedingungen ablesbar ist. Dies geschieht meist über eine gesonderte Rolle, die für die Administration und das Monitoring (Beobachtung) des Zirkels zuständig ist. Solch eine Sonderstellung kann beispielsweise dem Gründer einer Zirkel zukommen, der finanzielle Mittel braucht und weitere Teilnehmer nicht nur unter dem Kriterium der persönlichen Bekanntheit, sondern auch unter dem Kriterium der Finanzfähigkeit auswählt. Eine andere Möglichkeit der Rollenfestlegung besteht darin, dass die Teilnehmer unter sich jemanden als eine Art Sekretär bestimmen, der über die Einhaltung der Verteilung wacht, dabei über finanzielle und organisatorische Fähigkeiten als auch über soziales Ansehen verfügen sollte. Noch stärker ausdifferenzierte Zirkel haben einen eigenständigen Verwalter, der selbst nicht an der Verteilung teilnimmt und entsprechend gesondert vergütet wird, wenn die Motivierung zur Ausübung seines Amtes nicht über vermehrtes 12 Die komplexe Beobachtung der Kreditfähigkeit von Bankkunden durch das Instrument des credit-scorings der Bank führt aber ebenso einen blinden Fleck mit, der sich beispielsweise räumlich als Markierung ganzer Stadteile als kreditunfähig darstellt (bekannt als red-lining), wodurch die Kreditfähigkeit des Einzelnen undifferenziert und extrem verdichtet beurteilt wird.
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Ansehen erfolgt (vgl. Geertz, 1962: 253f). Den höchsten Ausdifferenzierungsgrad erlangen solche Zirkel, bei denen sowohl die Administration in unterschiedliche Stellen mit unterschiedlichen Aufgaben (z.B. Vorsitzender, Geldzähler, Geldeinsammler, etc.) als auch die Teilnehmer in Subgruppen differenziert sind, wobei die Teilnehmerzahl entsprechend hoch sein muss. Dies ist zum Beispiel bei Zirkeln des Stammes der Ibo in Nigeria der Fall13 (vgl. ebd.: 256f). Solch komplexere Zirkel müssen dann auch mit neuartigen Problemen zu Recht kommen, wie das Problem des Kostenaufwandes oder den Interessenkonflikten zwischen Administratoren und einfachen Teilnehmern (vgl. ebd.: 258). Bei diesen Formen und Graden der Ausdifferenzierung von Kredit- und Sparzirkeln geht es nicht nur um eine weitere Differenzierung finanzieller Risiken durch Differenzierung bloßer Teilnehmer von Verwaltungsmitgliedern, wodurch Risiken besser verwaltet und beobachtet werden können. Sondern es geht auch um die Mitberücksichtigung der tradierten Sozialstruktur, indem etwa die Solidarität unter den Teilnehmern und das soziale Ansehen der Verwalter gestärkt werden. So schreibt Clifford Geertz: „The rotating credit association as an intermediate institution reflects, then, two contrary forces. There is a movement toward an increased segregation of economic activities from non-economic ones, a freeing of them from traditional constraints; while at the same time, there is a directly contradictory attempt to maintain the dominance of the traditional values over those developing economic activities, to defend the integrity of the less differentiated pattern. It is these contrary forces that the association is able, at least in many cases, to balance in such a way that severe disturbances of social equilibrium are avoided, even in a situation of fairly rapid social change. It permits, in the favorable case, a coordinated pattern of change in which the extension of commercial behavior, the relaxation of traditional constraints in economic matters, and the development of a specific commercial ethic can go hand in hand, thus avoiding either a suffocation of new forms of economic activity by non-economic values, or an undermining of non-economic values by the sudden intrusion of morally unregulated market forces” (Geertz, 1962: 261f).
13 Der Verweis auf Ethnie zeigt die bleibende Verhaftung an tradierten Gesellschaftsstrukturen an.
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5. F AZIT Zahlungsversprechen kommen nicht ausschließlich in der organisierten Form der Bank im Rahmen des formalen Finanzmarktes vor. Sie können auch in informaler Form vorkommen, wie Zahlungsversprechen innerhalb des persönlichen Netzwerks, in Patron/Klient-Beziehungen, mit Geldverleihern oder in einem Kredit- und Sparzirkel. Finanzielle Exklusion vom formalen Finanzmarkt bezieht sich damit ausschließlich auf Banken, ohne Möglichkeiten inkludierender Exklusion informaler Zahlungsversprechen auszuschließen. Finanzielle Exklusion als Ausschluss von Zahlungsversprechen mit Banken ist dabei nicht bloß Resultat einer einfachen Diskriminierungsleistung der Bank, wodurch etwa Teile der Gesellschaft in unteren Schichten gehalten werden. Ihre Bedingungen sind komplexer. Sie resultiert zwar aus bestimmten internen Programmierungen der Bank, wie Produktstandardisierung und credit-scoring, die eine Selektion, Generalisierung und Sortierung von Kunden nach deren finanziellen Möglichkeiten vornimmt. Beide Entscheidungsprogramme hängen aber ebenso mit Bedingungen zusammen, die außerhalb der Bank vorherrschen. Zu diesen Umweltbedingungen zählen einerseits die Dynamiken des Finanzmarktes innerhalb der Finanzwelt, die Nachahmungseffekte und Wettbewerbsdruck für die Banken mit sich bringen. Andererseits sind Produktstandardisierung und credit-scoring Reaktionen der Bank auf die Verschiedenheit und Dynamik der gesellschaftlichen Integration ihrer potentiellen Kunden, die zwar außerhalb der Finanzwelt vollzogen wird, aber hohe Relevanz für die Einschätzung der finanziellen Situation der Kunden hat. Die Relevanz der gesellschaftlichen Integration für die potentielle Inklusion in Bankgeschäfte resultiert aus dem hohen Personalisierungsgrad sowie der Bedeutsamkeit der Zeitstruktur von Zahlungsversprechen. Weil es immer um Zahlungen geht, die der Geber des Zahlungsversprechens momentan nicht tätigen kann, sie aber zu einem künftigen Zeitpunkt zu zahlen bereit ist, rückt die Person und ihre individuelle Situation stärker in den Fokus als etwa in der sogenannten Realwirtschaft. Einkommen, Bildungsstand, Familienstand oder auch Alter und Geschlecht sind deswegen Informationen, nach denen beim credit-scoring die Kreditfähigkeit in Bezug auf ein standardisiertes Produktsegment intern nach eigenen Kalkülen errechnet wird. Wer mit schlechten Teilnahmebedingungen in anderen Funktionskontexten konfrontiert (z.B. in Wirtschaft, Erziehung, Familie) oder gar von ihnen exkludiert wird, für den wird auch eine Exklusion aus Zahlungsversprechen wahrscheinlicher. Bei Formen inkludierender Exklusionen von Zahlungsversprechen jenseits des formalen Finanzmarktes nehmen der Organisationsgrad und die Durchsetzung funktionaler Differenzierung als gesellschaftliches Strukturprinzip in der
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Umwelt dieser Formen zunehmend ab. Zahlungsversprechen in persönlichen Netzwerken aus Familienangehörigen, Verwandten, Freunden und Bekannten können gänzlich ohne Organisation und auch noch unter Bedingung archaischer Strukturen vorkommen. Zahlungsversprechen mit Geldverleihern sind meist in Patron/Klientel-Beziehungen eingebettet und bedürfen wegen deren Asymmetrie, auch hinsichtlich des Verhältnisses einer Mehrzahl von Klienten zu einem Patron, einer Steuerung und ergeben sich vermutlich vorzugsweisen in primär stratifizierten Gesellschaftsstrukturen. Kredit- und Sparzirkel wiederum zeichnen sich zumindest durch einen internen Verteilungsschlüssel (und gegebenenfalls durch eine rudimentäre Verwaltung) aus und können sich, neben anderen Strukturen, auch auf Strukturen gesellschaftlicher Funktionskontexte, wie Märkte oder politische Gruppierungen beziehen.
Kapitel III: Forschungsfrage: Wie kontrolliert wechselseitiges Bürgen die Risiken der Kleinkreditvergabe?
Ausgangspunkt unserer Studie war die Annahme, dass Kleinkredite typischerweise nicht von Banken auf dem formalen Finanzmarkt vergeben werden. Dies gab den Anlass, den Ausschlussbereich des formalen Finanzmarkts unter dem Begriff der finanziellen Exklusion analytisch zu fassen: Finanzielle Exklusion soll als Ausschluss von Zahlungsversprechen begriffen werden und kommt durch eine unzureichende Differenzierung von Risiken in Bezug auf bestimmte Personen zu Stande. Die fehlende Beobachtung von Risiken bestimmter Adressen ist einerseits Resultat des Finanzmarktes und andererseits der gesellschaftlichen Integration dieser Adressen. Und credit-scoring und Produktstandardisierung sind jene Entscheidungsprogramme der Banken, die diese beiden Gesichtspunkte, den Finanzmarkt und die Gesellschaft, miteinander relationieren, wodurch die Exklusion von Personen aus Zahlungsversprechen vollzogen wird. Im Anschluss daran haben wir eine Vorstellung davon entwickelt, wie sich in diesem finanziellen Exklusionsbereich informale Formen der Inklusion in Zahlungsversprechen bilden. Persönliche Netzwerke, Patron/Klientel-Beziehungen und Kredit- und Sparzirkel ermöglichen informale Zahlungsversprechen, indem sie sich auf je spezifische Weise und mit unterschiedlichem Grad an die persönlichen und moralischen Bedingungen der Interaktion und der gesellschaftlichen Struktur, in der sie vorkommen, koppeln. Wie steht es nun mit der Mikrofinanzierung unter Bedingung des wechselseitigen Bürgens? Wie kontrolliert wechselseitiges Bürgen die Risiken der Zahlungsversprechen mit solchen Personen, die vom Finanzmarkt ausgeschlossen werden? Mikrofinanzierung differenziert eine eigene Organisationsform aus, die sogenannte Mikrofinanzinstitution (MFIs). Insofern mag sie an Banken erinnern,
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was die Frage der Risikokontrolle auf bankinterne Instrumente lenkt. Andererseits kommt Mikrofinanzierung vorzüglich in solchen Regionen der Weltgesellschaft vor, in denen funktionale Differenzierung (Wirtschaft, Recht, Bildung, Politik, etc.) nur eingeschränkt funktioniert und stattdessen unter anderem persönliche Beziehungen eine ausgeprägte Rolle für das gesellschaftliche Leben spielen, also insbesondere in den sogenannten Ländern des Südens. Insofern mag sie an persönliche Netzwerke erinnern, was wiederum die Frage der Risikokontrolle auf die Reziprozitätsstruktur dieser Netzwerke lenkt. Mikrofinanzierung ist aber auch bekannt für ihre Kreditgruppen, in der Mitglieder füreinander bürgen, die sich persönlich kennen. Insofern mag sie an Kredit- und Sparzirkel erinnern. Demnach müsste für die Frage der Risikokontrolle die Verteilungserwartungen dieser Kreditgruppen untersucht werden. Schließlich rückten in den letzten Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung die hohen Zinssätze und die harschen Praktiken des Geldeintreibens der Kreditbetreuer gegenüber den Schuldnern in den Blickpunkt (z.B. Lewis, 2008). Insofern mag Mikrofinanzierung an eine Patron/Klient-Beziehung erinnern, was eine Suche nach der Risikokontrolle durch die Abhängigkeiten dieser Beziehung nahelegt. Alle beschriebenen informellen Formen von Zahlungsversprechen, persönliches Netzwerk, Kredit- und Sparzirkel und Geldverleiher (bzw. Patron/KlientVerhältnis), aber auch die formale Form der Bank scheinen in eigentümlicher Weise beim wechselseitigen Bürgen der Mikrofinanzierung gebündelt wieder aufzutauchen. Kann Mikrofinanzierung damit als Summe all dieser Formen beschrieben werden? Besteht die Form der Risikokontrolle ihrer Zahlungsversprechen aus einer Zusammensetzung der Reziprozitäten des Netzwerkes, den Verteilungserwartungen eines Kredit- und Sparzirkels, dem Gunst- und Abhängigkeitsverhältnis zu einem Geldverleiher und den credit-scoring-Instrumenten einer Bank? Wäre es so, hätten wir an dieser Stelle unsere Frage nach der Risikokontrolle in der Mikrofinanzierung bereits beantwortet. Schauen wir uns an, was der Forschungsstand zur Mikrofinanzierung dazu sagt. Wir werden sehen, dass in der bisherigen Forschung die genannten Strukturkomponenten und Aspekte der Risikokontrolle durch wechselseitiges Bürgens der Mikrofinanzierung weitestgehend isoliert voneinander betrachtet werden und deren Relationierung nur ansatzweise berücksichtigt werden.
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1. F ORSCHUNGSSTAND
UND
F ORSCHUNGSLÜCKE
1.1 Zur Organisation der Mikrofinanzinstitution Auf den ersten Blick mag auffallen, dass bei Mikrofinanzierung formale Organisationen, die sogenannten Mikrofinanzinstitute (MFIs), am Werke sind. Insofern kann man Mikrofinanzierung vor allem als eine Art von Bank denken, deren Risikokontrolle speziell auf eine arme Kundschaft ausgerichtet ist. So beobachten beispielsweise Cull, Demirgüc-Kunt und Morduch in ihrer quantitativen Studie (2005) eine Auswahl von MFIs hinsichtlich des jeweiligen Verhältnisses von Profitabilität und Erreichbarkeit von Armen, wobei sie dann zum Ergebnis kommen, dass die entscheidende Variable für dieses Verhältnis in der Wahl des lending designs liegt: wechselseitiges Bürgen innerhalb einer Kreditgruppe steigert die Erreichbarkeit der Armen, der Individualkredit ermöglicht ein profitables Operieren der Bank. Unsere Frage, wie genau die Kreditrisiken insbesondere beim wechselseitigen Bürgen kontrolliert werden, wird dadurch nicht beantwortet. Wir können nur festhalten, dass ohne die Form der Organisation offensichtlich keine Kleinkredite vergeben werden können. Einfache finanzmathematische Modelle gehen davon aus, dass wechselseitiges Bürgen die Risiken kontrollieren kann, und zwar ohne dass es zu Entscheidungsdilemmata zwischen kollektivem und individuellem Handeln kommt. Weil angenommen wird, dass die Mitglieder untereinander das Einhalten ihrer Zahlungsversprechen bedingungslos durchsetzen können und zusammen über die Verwendung ihrer Kredite entscheiden, muss die gemeinsam zu tragende Bürgschaft dann nur hoch genug sein, damit hohe Risiken vermieden werden (Morduch, 1999: 1582). Solche eine Modellierung ist nicht nur erklärungsbedürftig im Kontext der Vergabe explizit kleiner Kredite. Sie lässt auch die Frage offen, wie es zu einer Präferenz der kollektiven gegenüber der individuellen Handlungsoption und wie es zum Risiko des individuellen Handelns kommt. 1.2 Zur regionalen Sozialstruktur des wechselseitigen Bürgens Ein Großteil der Literatur zur Mikrofinanzierung erklärt das Funktionieren des wechselseitigen Bürgens in Regionen, in denen alle anderen Risikoinstrumente scheitern und deswegen ein Kreditmangel vorherrscht, mit der spezifischen Sozialstruktur in diesen Regionen. Der Kreditmangel kommt demnach in diesen Regionen nicht durch zu geringe Investitionsmöglichkeiten und fehlendes Unternehmertum zu Stande. Es liegt nicht an fehlenden Anreizen, dass der Zugang zu Krediten sehr stark beschränkt ist. Vielmehr resultiert der Kreditmangel aus
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der Schwierigkeit des Gläubigers, die Risiken von Kleinkrediten, die in solchen Regionen nachgefragt werden, kostensparend einzuschätzen (siehe dazu Kap. I.3.). Dem Gläubiger fehlt es im Gegensatz zum Schuldner an ausreichenden Informationen (information asymmetries), um akzeptable von zu hohen Risiken unterscheiden zu können. Denn die Generierung von Informationen ist mit zu hohen Kosten im Verhältnis zu den geringen Kreditsummen verbunden (high per-unit-costs). Der Kostenaufwand der Informationsgewinnung zur Einschätzung der Kreditrisiken rentiert sich also nicht angesichts der Nachfrage von Kleinkrediten. Die Nachfrage nach Kleinkrediten resultiert dabei sowohl aus dem alltäglich prekären Leben in diesen Regionen, das sich durch ständige Einkommens- oder Ernteengpässe kennzeichnet, als auch aus lebenszyklischem Bedürfnissen, etwa für Hausbau, Schulgeld und Festlichkeiten, die es entgegen allen Schwierigkeiten des Lebens in diesen Regionen gilt, aufrecht zu erhalten.14 Auch wenn hohe Investitionsanreize für diese Kleinkredite erwartet werden dürfen und entsprechende Zinsen verlangt werden könnten, lohnt sich solch eine Kleinkreditvergabe nicht. Denn mit steigenden Zinsen steigt wiederum das Risiko der adverse selection, der Falschauswahl hochriskanter Projekte mit höheren Ertragschancen zum Ausgleich der hohen Zinsen. Neben einem Kreditmangel zeichnen sich diese Regionen allgemein durch ein hohes Maß an Sozialkapital aus, das das Einhalten des wechselseitigen Bürgens und damit eine erfolgreiche Kreditvergabe sicherstellen kann. Unter Sozialkapital wird unter Bezug auf Coleman u.a. (2008) in diesem Kontext verstanden, dass gesellschaftliche Reziprozitäten zwischen den Gruppenmitgliedern, die sich etwa als Nachbarn, Dorfbewohner oder Mitglieder anderer Gruppen kennen, gewährleisten, dass auch das Prinzip des wechselseitigen Bürgens innerhalb der Gruppe funktioniert. Denn wenn man sich schon in anderen Kontexten gegensei14 Andersherum könnte man argumentieren, dass die Bildung von großen Organisation mit Bedarf größerer Kreditsummen schwierig ist angesichts der prekären Ausdifferenzierung von organisationalen Mitgliedschaftsrollen entgegen der hohen Relevanz von Stammes- und Ethnienzugehörigkeit sowie angesichts des geringen Ausdifferenzierungsgrades von Wissenschaft, Bildung und Rechtssicherheit in diesen Regionen. Durch Einkommen verhelfen solche Organisationen umgekehrt ihren Mitgliedern, aus prekären Lebensverhältnissen zu entkommen, die mitverantwortlich für die Nachfrage nach Kleinkrediten sind. Die Vergabe von Großkrediten für Projekte der öffentlichen Verwaltung, wie man es ab den 1930er Jahren versucht hatte, scheint auch keine Alternative zu sein. Neben dem Problem fehlender Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Verwaltung, besteht die Gefahr, so die Erfahrung, dass die Gelder für die persönlichen Verpflichtungen innerhalb des eigenen Stammes der betrauten Beamten zweckentfremdet werden.
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tig hilft, dann ist es auch wahrscheinlich, dass man sich wechselseitig bei der Rückzahlung der Kredite unterstützt. In Zusammenhang mit gesellschaftlichem Sozialkapital in Form von Reziprozitäten können Kreditrisiken durch wechselseitiges Bürgen also kontrolliert werden, wodurch dem Mangel an Kreditmöglichkeiten in diesen gesellschaftlichen Regionen Abhilfe geschafft wird. Wechselseitiges Bürgen der Schuldner, so das gängige Argument, kann die nicht beobachtbaren Kreditrisiken in bestimmten Regionen minimieren, und gesellschaftliches Sozialkapital dieser Regionen in Form von Reziprozitäten gewährleisten ein sicheres Funktionieren dieses Prinzips. Die Unterscheidung von Regionen, in denen wechselseitiges Bürgen erfolgreich durchgeführt wird, dient demnach als entscheidende Erklärung für dessen Funktionieren in diesen Regionen. Eine rein tautologische Erklärung wird dabei dadurch umgegangen, indem einerseits auf den Kreditmangel als Problem und andererseits auf vorhandenes Sozialkapital als Problemlösung innerhalb dieser Regionen verwiesen wird. Beispielsweise erklären Schreiner und Morduch (2001) die Tatsache, dass wechselseitiges Bürgen als Risikoinstrument sich in den USA weitaus weniger stark durchsetzen konnte als in Entwicklungsländern unter anderem damit, dass der Mangel an Kleinkrediten hier gar nicht so groß ist. Denn die Nachfrage nach Kleinkrediten von Kleinstunternehmen ist angesichts deren geringen Marktchancen gegenüber der übermächtigen Konkurrenz durch Großunternehmen nicht sehr hoch im Vergleich zu Entwicklungsländern (ebd.: 8). Und andererseits führen sie an, dass die amerikanische Gesellschaft individualistischer ist und dadurch weniger Sozialkapital vorzuweisen hat als Entwicklungsregionen, wodurch das Einhalten des wechselseitigen Bürgens sich als schwierig erweist (ebd.: 14f). Weitere Studien verweisen darauf, dass auf dem Land im Gegensatz zur Stadt ein höherer Kreditmangel herrscht, gleichzeitig aber ein höheres Sozialkapital vorliegt und deswegen das wechselseitige Bürgen hier besser funktioniert. Dass wechselseitiges Bürgen bei der Kleinkreditvergabe durch das Vorliegen von gesellschaftlichem Sozialkapital besonders gut funktioniert, erscheint nach alldem plausibel. Doch kann man daran zweifeln, ob der ausschließliche Verweis auf diese regionalspezifische Differenz von Reziprozität und Kreditmangel für eine Erklärung der Frage ausreicht, wie es kommt, dass die Gruppenmitglieder sich bereit erklären, füreinander einzustehen und die Gruppenkredite zurückzahlen. Denn die gesellschaftlichen Reziprozitäten können nicht nur die Kreditrisiken durch wechselseitiges Bürgen unter Bedingung stellen. Sie führen gleichzeitig zu dem Risiko der collusion, dass die Gruppenmitglieder sich absprechen, zusammen das Geld nehmen und abhauen (vgl. Armendàriz de Aghion, Morduch, 2005: 111f). Demnach ist es alles andere als sicher ausge-
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macht, dass je stärker die Reziprozitäten sich ausprägen, desto eher auch das wechselseitige Bürgen funktioniert. Reziprozitäten sind alles andere als eine Garantie für das wechselseitige Bürgen. Denn je stärker sie sind, legen sie nicht einfach nur umso mehr wechselseitiges Bürgen nahe, sondern im ähnlichen Maße bietet sich ebenso umso mehr die andere Option an, nämlich gemeinsame Sache zu machen und zusammen gar nichts zurückzuzahlen. Reziprozitäten reproduzieren also auch das Problem nicht kontrollierbarer Risiken und damit Kreditmangel, anstatt nur als dessen Problemlösung zu fungieren. Umgekehrt kann aber auch Kreditmangel in Bezug auf wechselseitiges Bürgen nicht bloß als Problem angesehen werden, sondern ebenso als eine Chance. Denn bei fehlenden Kreditalternativen wird die Option einer collusion unattraktiv, weil die Kreditgruppe sich dadurch ihren künftigen Kreditzugang selbst verbauen würde. Wer gewährt schon einer Gruppe ein zweites Mal Kredite, wenn sie sich beim ersten Mal mit den Geldern einfach aus dem Staub gemacht hat? Während Reziprozitäten selbst Risiken mitführen, kann man mit Hirschmann (1970) andersherum formulieren, dass ein Mangel an Kreditalternativen die exitOption der Gruppe (collusion) unattraktiv werden lässt, weil die Gruppe sich dadurch selbst ihrer einzigen Kreditmöglichkeit berauben würde. Reicht es dann weiterhin aus, wechselseitiges Bürgen über die sich in bestimmten Regionen ausgeprägte Differenz von Reziprozitäten und Kreditmangel zu erklären? Immerhin kann man sagen, dass wechselseitiges Bürgen über gesellschaftliche Reziprozitäten Risiken entschärfen und damit Kreditvergabe ermöglichen kann, und dass das Risiko, dass sich durch diese Reziprozitäten in der Form der collusion reproduziert, durch fehlende exit-Optionen des Kreditzugangs sich abermals entschärfen lässt. Kann also wechselseitiges Bürgen allein dadurch sichergestellt werden, dass die Gruppenmitglieder sich durch gesellschaftliche Strukturen füreinander verpflichtet fühlen und es keine anderen Kreditangebote gibt? Dies bleibt fraglich, denn kommt es unter diesen Strukturbedingungen tatsächlich zu einem bedingungslosen wechselseitigen Bürgen, wenn ein Gruppenmitglied nicht zahlen kann? Vielleicht hat das Mitglied sich ja auch nur nicht ausreichend angestrengt, und zwar nicht trotz der vorherrschenden gesellschaftlichen Reziprozitäten, sondern gerade weil es davon ausgehen kann, dass die anderen Gruppenmitglieder sowieso einspringen werden. Darin liegt das Risiko des free-riding des wechselseitigen Bürgens (vgl. Portes, Sensenbrenner, 1993: 1339). Gerade vor dem Hintergrund eines Kreditmangels, mag die Möglichkeit solch eines Ausnutzens des wechselseitigen Bürgens durch ein einzelnes Mitglied in der Gruppeninteraktion besonders ins Auge gefasst werden.
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1.3 Zur Gruppeninteraktion des wechselseitigen Bürgens So bleibt zu fragen, welche Rolle eigentlich die Interaktion unter den Gruppenmitgliedern beim wechselseitigen Bürgen spielt. In der Literatur gibt es viele Hinweise dafür, welchen Unterschied dieser Interaktion für die Kontrolle des Risikos des free-riding spielt. Giné et. al. (2006) etwa berücksichtigen in ihren durchgeführten „Microfinance Games“ in Peru die Ausprägung der persönlichen Beziehungen in experimentellen Kreditgruppen für die Frage nach den Risikoverhältnissen. Als wichtiges Ergebnis ergab sich, dass im Falle der Selbstauswahl der Mitglieder zu einer Gruppe, die primär nach persönlichen Kriterien abläuft, die Risikobereitschaft der einzelnen Gruppenmitglieder sehr niedrig ist (worin die Autoren dann eine Beschränkung der intendierten Armutsbekämpfung sehen). Karlan (2007) sieht in seiner quantitativen Studie zum wechselseitigen Bürgen nicht nur, dass bereits bestehende persönliche Beziehungen („social connections“) zwischen den Mitgliedern sich positiv auf die Risikoverarbeitung in Kreditgruppen in Peru auswirken, sondern unter anderem auch, dass sich die moralischen Bedingungen innerhalb der Gruppe bei erfolgreicher Risikoverarbeitung in ihrem weiteren Verlauf steigern: Das Risiko des Zahlungsausfalls solcher Mitglieder, die bei vergangenen Zahlungsausfällen von der Gruppe unterstützt wurden, wird geringer. Zu diesem Ergebnis kommen auch Cassar et. al. (2007) in ihrer quantitativen Studie über Kreditgruppen in Armenien und Südafrika. Zu dem Ergebnis, dass die soziale Kohäsion der Kreditgruppe zu mindestens als Erwartungen eine geringere Rolle bei der Risikoverarbeitung spielen, kommt Wydick (1999) in seiner quantitativen Studie zu Mikrofinanzierung in Guatemala. Stattdessen stellt er die Wichtigkeit der Beobachtbarkeit der Handlungen der Gruppenmitglieder durch Kreditgruppen heraus, die dadurch als „juries“ (ebd.: 474) fungieren, indem sie entscheiden, ob Zahlungsausfälle auf harte Umstände („hardship“) oder auf eigenes Handeln zurückzuführen sind, und entsprechend anschließend, ob dem Zahlungssäumigen ausgeholfen oder ob er aus der Gruppe ausgeschlossen wird (siehe dazu auch Karlan, 2007: 79). Solch einen differenzierten internen Umgang der Gruppe mit individuellen Zahlungsausfällen beobachtet Wydick vor allem unter städtischen Umweltbedingungen und weniger auf dem Land, wo das Handeln der Mitglieder unmittelbar durch Gruppendruck und weniger distanziert durch Beobachtungen gesteuert wird. Eine ganze Reihe von Studien untersucht unter dem Begriff des informational social capital, wie durch die persönliche Bekanntschaft der Gruppenmitglieder innerhalb der Gruppeninteraktion Informationen über die Risiken gewonnen werden können (van Tassel (1999), Ghatak (1999), Wydick, 1999, Cassar et. al.
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2007: 87)15. Mit diesem Ansatz wird die Relevanz der lokalen Sozialstruktur gegenüber der Relevanz der Gruppeninteraktion für das Funktionieren des wechselseitigen Bürgen nicht in Konkurrenz gesetzt. Vielmehr kann über den Begriff der Information gezeigt werden, wie die persönlichen Bekanntschaften außerhalb der Gruppe innerhalb der Gruppe zur Einschätzung finanzieller Risiken genutzt werden können. Auch anhand von finanzmathematischen Modellen, die realistischer angelegt sind als die oben genannten, wird versucht, die Interaktionen der Gruppenmitglieder zu modellieren (z.B. Chatterjee, Sarang, 2004). Solche Modelle nehmen an, dass wechselseitiges Bürgen nur dadurch Risiken bewältigen kann, indem es beim screening, monitoring und enforcement persönliche und moralische Bedingungen forciert, wodurch immer wieder Entscheidungsdilemmata zwischen dem einzelnen Mitglied und der Gruppe gelöst werden müssen. Die moralischen Bedingungen, die in solchen Kreditgruppen herrschen, gehen meist als soziale Kosten in solche Modelle ein, wie etwa die Kosten und Folgen persönlicher Sanktionen. Dadurch kann errechnet werden, bei welcher Kostenbewertung dieser moralischen Bedingungen das einzelne Mitglied Risiken meidet, ohne dass die finanziellen Anreize für die anderen Mitglieder verloren gehen, wann der Einsatz solcher Kosten sich nicht lohnt und wann die Risiken für alle anderen sogar gesteigert werden. Solche Modelle analysieren also die Kontrolle finanzieller Risiken durch die Möglichkeit negativer moralischer Zurechnungen innerhalb der Gruppe, indem sie auch letzteres als ökonomischen Sachverhalt in der Form sozialer Kosten konzeptualisieren, um sie innerhalb eines finanzmathematischen Modells in Relation mit finanziellen Risiken setzten zu können. Eine positive Bewertung der moralischen Bedingungen in der Kreditgruppe findet in solchen ökonomischen Variablenmodellen dagegen keinen Eingang, obwohl sie etwa in der Form von Solidarität einen positiven Wert in Kreditgruppen annehmen können. Das liegt wohl daran, dass Solidarität selbst ökonomisch nicht positiv, etwa in der Form von Nutzen gefasst werden kann, weil es dann auf die Paradoxie hinausliefe, die moralischen Bedingungen als Kosten und Nutzen zugleich fassen zu müssen, wenn die Frage nach ihrer Wirkung auf den Risikoumgang nicht untergehen soll.16 Damit zusammenhängend und grundlegender stellt sich die Frage, ob die moralischen Bedingungen in den Gruppeninteraktionen, ob negativ oder positiv, überhaupt in ökonomischer Form vollständig verstanden werden können, oder 15 Vgl. zum allgemeinen Bezug auf Information als Form sozialen Kapitals Colemann (1988: 104). 16 Eine andere Möglichkeit, moralische Bedingungen positiv zu berücksichtigen, stellt die Form der Kostensenkung dar.
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ob sie nicht auch einen Eigenwert haben, dessen Verständnis auch und gerade in Bezug auf seine Wirkung auf den Umgang mit Risiken wichtig ist. Denn werden moralische Eigenwerte, wie Solidarität, nicht berücksichtigt, können etwa Steigerungsverhältnisse (positives Feedback) zwischen moralischen Bedingungen in den Gruppeninteraktionen und erfolgreichem Risikoumgang nicht rekonstruiert werden, wie beispielsweise, dass Risiken durch Solidaritätsnormen verarbeitet werden, die wiederum durch diese erfolgreiche Risikobewältigung gestärkt werden; oder dass aufgrund geringer Solidarität hohe Risiken eingegangen werden, die nicht zu einer Stärkung, sondern zu einer weiteren Schwächung von Solidarität führen. Kreditgruppen können dann nur statisch, aber nicht dynamisch beschrieben werden. In mehreren Hinsichten bleibt also in der Literatur zum wechselseitigen Bürgen die Explikation der Risikokontrolle durch die Gruppeninteraktionen unzureichend. Es bleibt unspezifiziert, unter welchen Gesichtspunkt die persönliche Sanktionskraft innerhalb der Gruppe zu Stande kommt, welcher Ressource sie sich bedienen und ob sie nicht mit ihrer gegenteiligen Ausprägung, etwa Solidarität, einhergeht. Und es bleibt unzureichend geklärt, inwiefern die Gruppeninteraktion sich auf die Spezifitäten der Sozialstruktur (Kreditmangel und Reziprozitäten) bezieht, gerade weil sie sich von ihr abgrenzt. 1.4 Zur Interaktion mit dem Loan Officer Eine Analyse der Gruppeninteraktionen könnte erklären helfen, wie das Risiko des free-riding beim wechselseitigen Bürgen kontrolliert wird. Wäre damit die Risikokontrolle beim wechselseitigen Bürgen geklärt? Bliebe man bei der Analyse hier stehen, würde man so tun als ob Kreditgruppen ähnlich wie die beschriebene finanzielle Form der Kredit- und Sparzirkel keine organisationale Anbindung hätten und isoliert von ihrer MFI vorkämen. Doch kann man die Funktionsweise des wechselseitigen Bürgens tatsächlich unabhängig von der Rolle der Organisation der MFI mit ihrer Stelle des Loan Officer erklären, der die primäre Kontaktstelle der Kreditgruppe zur MFI darstellt? Was sagt also die bisherige Literatur zur Rolle der Stelle des Loan Officer? In finanzmathematischen Modellen taucht die Position der MFI bloß als Festlegung des Vertrag des wechselseitigen Bürgens unter den Gruppenmitgliedern auf, ohne zu problematisieren, dass dadurch neue Risiken des free-riding einzelner Mitglieder oder der collusion der ganzen Gruppe entstehen. Auch quantitative Studien zur Kreditgruppe berücksichtigen die Rolle der MFIs nicht explizit. Allenfalls finden sie Erwähnung in Empfehlungen, wie etwa bei Wydick, der empfiehlt, das Funktionieren der Kreditgruppen als „juries“ durch ent-
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sprechende Schulungen der MFI zu fördern (1999: 474f). Es bliebe dann zu fragen, wie solche Schulungen genau ablaufen und ob die Rolle des Loan Officer vielleicht nicht noch in anderen Hinsichten für das Funktionieren des wechselseitigen Bürgens mitentscheidend wäre? Die Relevanz dieser Frage ergibt sich zumindest angesichts vereinzelter ethnographischer und literaturbasierter Studien, die die Kreditgruppe nicht isoliert, sondern immer auch unter dem Gesichtspunkt ihrer Anbindung an die Organisation der MFI betrachten. So verweist etwa Lont (2004) in ihrer Fallstudie zur gescheiterten Anbindung einer Kredit- und Sparzirkel als Kreditgruppe an eine MFI auf Java einerseits darauf, dass persönliche Sanktionen, die in Kreditgruppen verstärkt durch höhere Kredite zum Zuge kommen, nicht mit der javanischen Kultur des Vermeidens persönlicher Bloßstellungen (Scham vor der Scham) vereinbar sind. Und andererseits sieht sie einen Faktor des Scheiterns darin, dass der Gruppendruck des Einhaltens von Zahlungsversprechen der Mitglieder teilweise nun über den Loan Officer als Dritten abgeleitet werden kann, indem Zahlungsausfälle auch ihm zugerechnet werden können und nicht ausschließlich innerhalb der Gruppe verarbeitet werden müssen (insb. ebd., 2004: 208ff).17 Auch Woolcock (1999) untersucht Kreditgruppen durch die Analyse von gescheiterten Fällen (in Irland des 19. Jahrhunderts, Bangladesch und Indien), wobei er explizit danach fragt, wie Mikrofinanzierung funktioniert und grenzt sich dabei von Warum-Fragen ab, die sich auf statistische Kategorien beziehen. Als entscheidend für das Funktionieren der Kreditgruppen stellt er dann die Wichtigkeit von „institutional junctures“ heraus als Beziehungen nicht nur zwischen den Gruppenmitgliedern untereinander, sondern auch zwischen den Gruppenmitgliedern und dem Loan Officer, welche sich allesamt gegenüber Umweltbe-
17 Wörtlich schreibt Lont (2004: 210): “The social configuration of an ASCRA (javanesische Form eines Kredit- und Sparzirkels) changes fundamentally when it is linked to an outside agency. Simultaneously, the jointly held moral ideas regarding repayment and responsibility change as well. In fully local ASCRA, the individual members borrow money from all other members and borrowers have a direct moral responsibility to the others to repay. In the case of an outside linkage, the other members are only hurt indirectly. This way it becomes easier for defaulters to portray their loans as an individual affair and to downplay their debt as a personal misunderstanding between them and the bank. It gives them space to divert criticism. Shame is considerably less when the debt is with an outside bank than when it is to other neighbors. Along the same lines, the members of Manunggal consider the bad debts of others to be none of their business as long as they themselves have paid.”
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dingungen (wie z.B. lokales soziales Umfeld, Naturkatastrophen) zu behaupten haben.18 Ito (2003) verweist ebenfalls auf die Wichtigkeit der Rolle des Loan Officer, indem sie vertikales Sozialkapital zwischen Gruppenmitgliedern und Loan Officer von dem horizontalen Sozialkapital in der Kreditgruppe unterscheidet (ebd.: 324f). Genauer beschreibt sie dieses vertikale Sozialkapital als eine Patron/Klient-Beziehung, innerhalb der Gruppendruck unter den Klienten über die Sanktionsmöglichkeit des Loan Officer, weitere Kreditgesuche abzulehnen, erzeugt werden kann (insb.: 328f). Mit dem Begriff des contingental renewal verweist auch van Bastellar (2000: 11) auf die Relevanz der Entscheidung des Loan Officer, der Gruppe einen Folgekredit zu gewähren oder nicht und genau dadurch die Gruppe zu veranlassen, ihre gesamten Kredite fristgerecht zurückzuzahlen. Diese Studien verdeutlichen, dass wechselseitiges Bürgen in der Kreditgruppe nicht bedingungslos funktioniert, sondern unmittelbar von der Organisation der MFI mit ihrer formalen Stelle des Loan Officer abhängt, von der das Zahlungsversprechen mit den Gruppenmitgliedern eingegangen wird. Ohne Berücksichtigung des Handelns des Loan Officer bleiben insbesondere die Fragen offen, wie Zahlungsversprechen unter Bedingung des wechselseitigen Bürgens mit den Gruppenmitglieder überhaupt zu Stande kommen, und wie mit dessen Folgerisiken, wie free-riding und collusion, umgegangen werden kann. Es ist naheliegend, in der Rolle des Loan Officer eine unmittelbare Bedingung für das Funktionieren der Kreditgruppen hinsichtlich dieser Fragen zu sehen. Für die Entwicklung eines Verständnisses, wie durch wechselseitiges Bürgen die Risiken der Zahlungsversprechen mit solchen Personen verarbeitet werden können, die von kommerziellen Banken ausgeschlossen werden, muss also die Rolle des Loan Officer mit eingeschlossen werden.19 Als theoretisches Konzept ist auch hierfür der Begriff des Sozialkapitals im Angebot und zwar in der Form des vertikalen im Unterschied zu horizontalem Sozialkapital zur Berücksichtigung der asymmetrischen Relation zwischen Loan Officer und Gruppenmitgliedern (vgl. 18 Beispielsweise erklärt Woolcock (ebd.: 24ff) die Krise einer Zweigstelle der Grameen-Bank in Rangpur (Bangladesch) nicht bloß durch die dort oft vorkommenden katastrophalen Überschwemmungen, sondern dadurch, dass es zu unkontrollierbaren Konflikten in der „institutional juncture“ zwischen Kreditgruppe und Loan Officer gekommen ist, beim Versuch des Loan Officer, solidarisches Handeln in der Gruppe vor dem Hintergrund der Naturkatastrophe zu stimulieren. 19 Im Übrigen ist auch für den formalen Finanzmarkt bekannt, welchen Unterschied persönliche Beziehungen zwischen Kreditbetreuer und potentiellen Schuldnern bei der Frage der Kreditvergabe ausmachen können (vgl. Uzzi, 1999; Uzzi, Lancaster, 2003).
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nochmals Ito, 2003: 328f). Damit wird jedoch wiederum die Beachtung möglicher Steigerungs- und Einschränkungsverhältnisse zwischen Risiko und möglichen moralischen Bedingungen schwierig. Und nicht zuletzt bleibt die Frage ungeklärt, wie sich horizontales und vertikales Sozialkapital wechselseitig bedingen, also wie etwa die Interaktion mit dem Loan Officer auf die Interaktion unter den Gruppenmitglieder rückwirken, und wie dies wiederum die Entscheidungen an der Stelle des Loan Officer beeinflusst. 1.5 Fazit Das Fazit zum Forschungsstand zur Risikokontrolle der Mikrofinanzierung durch wechselseitiges Bürgen fällt folgendermaßen aus: Zu Recht drehen sich die meisten Studien um die Rolle der persönlichen Beziehungen der Gruppenmitglieder untereinander. Empirische Forschungen konnten wichtige Zusammenhänge zwischen diesen persönlichen Beziehungen und den Umgang mit Risiken aufzeigen, wofür hauptsächlich der Begriff des Sozialkapitals Verwendung findet. Ohne diesen Begriff selbst gänzlich in Frage stellen zu wollen, bedürfte er zu mindestens für den Gegenstand des wechselseitigen Bürgens einer präziseren Fassung in Richtung auf die Problematisierung der Kopplung von persönlichen Beziehungen und Risikokontrolle. Denn die Verwendung des Begriffs des Sozialkapitals in der Literatur zum wechselseitigen Bürgen fokussiert zu stark auf den Zusammenhang von persönlichen Beziehungen und Risikoverhalten und weniger auf deren Trennung, wodurch gerade die Analyse deren Zusammenhänge schwierig wird, wie beispielsweise über persönliche Beziehungen vermitteltes Steigern, Vermeiden oder Abbauen von Risikoverhalten. Zudem wird das Verhältnis zwischen Kreditgruppe und Loan Officer in den bisherigen Forschungen unzureichend beleuchtet. Dieses Verhältnis ist deswegen wichtig, weil der Loan Officer nun mal in die Kreditbeziehung mit eingeschlossen ist. Die Bedingung der Möglichkeit des wechselseitigen Bürgens wird durch ihn gestellt und als Gläubiger entscheidet er letztendlich über die Annahme des Zahlungsversprechens der Kreditgruppe. Das Verhältnis der Kreditgruppe zum Loan Officer stellt damit eine wichtige Komponente der Risikokontrolle durch wechselseitiges Bürgen dar, was sowohl die Auswahl der Risiken als auch den weiteren Umgang mit ihnen anbelangt. Insgesamt ist auffällig, dass die bisherige Forschung den Gegenstand des wechselseitigen Bürgens tendenziell in unterschiedliche Teile zergliedert, wie lokale Sozialstruktur, Kreditgruppe, Rolle des Loan Officer und Organisation der MFI, so als ob es sich hierbei um getrennte Phänomene, wie persönliche Netzwerke, Kredit- und Sparzirkel, Geldverleiher und Bankenorganisationen handelt,
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und zwar ohne deren Verhältnisse untereinander zu explizieren. Durchaus ist die Differenzierung nach lokaler Sozialstruktur, Kreditgruppe, Stelle des Loan Officer und Organisation der MFI empirisch nachvollziehbar. Sie ist deswegen nicht nur als reines analytisches Ergebnis zu verstehen. Doch ebenso ist es offensichtlich, dass diese Strukturkomponenten in irgendeiner Weise für die Risikokontrolle miteinander verknüpft sein müssen. Die Relation zwischen Kreditgruppe und der Stelle des Loan Officer haben wir genannt. Weitere Relationen ergeben sich dadurch, dass von der Stelle des Loan Officer aus die lokale Sozialstruktur als Kontextvariable der Kreditgruppe beobachtet wird. Am ehesten wird in der Literatur noch das Verhältnis zwischen lokaler Sozialstruktur und Kreditgruppe berücksichtigt, etwa bei Fragen nach der Auswirkung von sozialem Kapital der lokalen Sozialstruktur auf das Funktionieren der Kreditgruppe. Doch auch hier bleiben die angebotenen Erklärungen unpräzise, beispielsweise, wie bereits oben angeführt, wenn es darum geht zu erfassen, wie innerhalb der Kreditgruppe durch das wechselseitige Bürgen eigene Normen und Sanktionsmöglichkeiten entstehen, die wiederum Rückwirkungen auf die gesellschaftliche Strukturen haben können. Man kann also zwar verschiedene Strukturaspekte der Mikrofinanzierung (lokale Sozialstruktur, Kreditgruppe, Stelle des Loan Officer, Organisation der MFI) unterscheiden, sie aber nicht gänzlich isoliert voneinander betrachten, etwa im Sinne der beschriebenen unterschiedlichen Formen von Zahlungsversprechen, wie persönliche Netzwerke, Kredit- und Sparzirkel, Geldverleiher oder Bankenorganisationen, um sie dann einfach zu einem großen Ganzen zusammenzusetzten. Vielmehr müssen die jeweiligen Relationen dieser Aspekte zueinander berücksichtigt werden. Denn durch ihre Relationierung erlangen die verschiedenen Strukturaspekte der Mikrofinanzierung erst ihre eigene Qualität. Ein Kredit- und Sparzirkel funktioniert unter ganz anderen Bedingungen als eine Kreditgruppe, die von einem Loan Officer betreut wird, der Angestellter einer MFI ist (siehe nochmals Lont, 2004). Es mag auch empirische Gründe dafür geben, dass die Kreditgruppe und die persönlichen Beziehungen der Mitglieder am stärksten im Fokus bisheriger Forschung des wechselseitigen Bürgens standen, und dass erst jüngere Studien auf die Rolle des Loan Officer aufmerksam machen. Eine Rolle mag spielen, dass in den Anfängen der Mikrofinanzierung bis in die achtziger Jahre hinein die Kreditgruppen fast von selbst funktionierten ohne großes Zutun der Loan Officer. Es ist anzunehmen, dass die Norm der Vermeidung des Risikofalls in den Kreditgruppen nur geringer Gegenbeobachtung ausgesetzt war angesichts des noch jungen Alters dieses Konzepts und dem noch stärkeren Vorherrschen tradierter Gesellschaftsstrukturen, die solche Normen stützten. Hinzu kamen fehlende
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Kreditalternativen, die sich erst später durch Ausdifferenzierung eines Marktes für Kleinkredite ergeben. Mit zunehmenden Alter des Konzept des wechselseitigen Bürgens, weiterer gesellschaftlicher Entwicklung und zunehmender Ausdifferenzierung eines Mikrofinanzmarkt, der alternative Kreditzugänge bietet, fielen dann unmittelbare Bedingungen weg, die das bisherige einwandfreie Funktionieren des wechselseitigen Bürgens sicherstellten, sodass die Rolle des Loan Officer wichtiger wurde und sie nun erst von der Forschung entsprechende Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte.
2. F ORSCHUNGSFRAGE Unsere Forschungsfrage nach der Risikokontrolle durch wechselseitiges Bürgen kann durch Sichtung des Forschungsstandes also nicht vollständig zufriedenstellend beantwortet werden. Jedoch können wir sie nun dahingehend präzisieren, als dass wir insbesondere danach fragen, welche Funktionsstelle die Ebene der Interaktionen zum Loan Officer neben der Ebene der regionalen Sozialstruktur und der Ebene der Gruppeninteraktionen für die Risikokontrolle einnimmt, und wie diese Ebenen aufeinander Bezug nehmen. Die nun folgenden Ausführungen zur Beantwortung dieser Frage sollen durch die Unterscheidung von vier verschiedenen Zeitstellen des wechselseitigen Bürgens gegliedert werden: 1.) die Zeit vor der Entscheidung des wechselseitiges Bürgens, in der die Selektionen der Gruppenkredite sich vollziehen; 2.) die Zeit nach dieser Entscheidung, in der die vollzogenen Selektionen des wechselseitigen Bürgens zu kontrollieren sind; 3.) die Zeit des akuten Risikofalls des Scheiterns des wechselseitigen Bürgens; und 4.) die Zeit nach dem Scheitern des wechselseitigen Bürgens, in der nach Umgangsformen mit dem drohenden Ausfall des Einzelkredits gesucht wird. Im Einzelnen ergeben sich daraus folgende Fragen: Zu 1.) Selektionen des wechselseitigen Bürgens: In einem ersten Schritt soll danach gefragt werden, wie die Selektionen des wechselseitigen Bürgens zu Stande kommen, wie also bestimmte Zahlungsversprechen zwischen bestimmten Mitgliedern einer Gruppe und dem Loan Officer angenommen werden. Zum einen geht es hierbei um die Frage, wie eine Kreditgruppe gebildet wird, deren Mitglieder untereinander annehmen dürfen, dass die Zahlungsversprechen gehalten werden, gerade weil sie im Falle individueller Zahlungsschwierigkeiten füreinander zu bürgen haben. Und zum anderen geht es um die Frage, wie eine Kreditgruppe gebildet wird, von der auch der Loan Officer annehmen darf, dass, wenn schon ein einzelnes Mitglied zahlungsunfähig wird, wenigstens die ande-
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ren Mitglieder für dieses einspringen. Insbesondere ex ante der Auszahlung des Kredits ergibt sich nämlich das Risiko des moral hazard, also der wissentlichen Angabe falscher Informationen in Bezug auf Kreditwürdigkeit sowohl für die Gruppenmitglieder untereinander als auch in Bezug auf den Loan Officer. Welche Rolle spielen für den Umgang mit diesem Risiko die Informationen und Erwartungen persönlicher Bekanntschaften unter den potentiellen Gruppenmitgliedern bei der Gruppenbildung, die sich insbesondere aus ortsgebundenen persönlichen Netzwerken ergeben? Und inwiefern nutzt der Loan Officer seine besondere Beobachtungsposition als Außenstehender für die Bildung der Gruppe? Zu 2.) Kontrolle durch wechselseitiges Bürgen: In einem zweiten Schritt soll danach gefragt werden, wie nach der Kleinkreditauszahlung durch die Erwartung des wechselseitigen Bürgens das Risiko des Brechens des Zahlungsversprechen kontrolliert wird. Denn insbesondere ex post der Auszahlung tritt das Risiko des moral hazard in der Form auf, dass mit dem erhaltenen Geld sorglos umgegangen wird. Wie kann zum einen etwa die Gruppe das Risiko des free-riding einzelner Gruppenmitglieder auf ihre Kosten kontrollieren? Zum anderen besteht das Risiko des moral hazard in der Interaktion des Loan Officer mit der Gruppe und zwar in dem Sinne, dass die Gruppe zu wenig Handlungsdruck aufbaut und keine Beobachtungen anstellt, um free-riding zu unterbinden. Im Extremfall tritt dann der Risikofall der collusion in dem Sinne ein, dass die Mitglieder als Gruppe sich gegen den Loan Officer verbünden. Die Gruppe nimmt dann das Geld und haut ab, ohne dass man sich gegenseitig verpfeift. Wie wird dieses Risiko der collusion in der Interaktion zum Loan Officer kontrolliert? Bei der Frage der Kontrolle des wechselseitigen Bürgens vor dem Hintergrund des Risikos des moral hazard müssen also wiederum die Gruppeninteraktion von der Interaktion mit dem Loan Officer unterschieden werden. Zu 3.) Risikofall des wechselseitigen Bürgens: In einem dritten Schritt sollen schließlich die Risikofälle des Scheiterns des wechselseitigen Bürgens näher untersucht werden. Sie treten dann ein, wenn die Gruppe das wechselseitige Bürgen beim Eintreten des individuellen Risikofalls, die Zahlungsunfähigkeit eines Mitglieds, verweigert. Die Gruppe bricht auseinander. Wiederum stellt sich hier die Frage, welche Rolle der Loan Officer beim Scheitern des wechselseitigen Bürgens spielt. Zu 4.) Möglichkeiten der Interaktion mit dem individuellen Schuldner: Die vierte und letzte Frage lautet, wie nach dem Scheitern des wechselseitigen Bürgens durch bloße Interaktion des Loan Officer mit dem Zahlungssäumigen der drohende Zahlungsausfall bearbeitet wird. Wie kann es noch zur Rückzahlung kommen, wenn nur noch die Form der Interaktion des Gläubigers mit dem
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Schuldner als Mittel der Intervention übrig bleibt – ohne Eingreifen der Gruppe, aber auch ohne Inkassogesellschaft und ein funktionierendes Insolvenzrecht?
Kapitel IV: Feldforschung: Planung und Durchführung empirischer Beobachtungen
Als Methode zur Datengewinnung zur Beantwortung der Forschungsfrage nach der Risikokontrolle durch das wechselseitige Bürgen wurde eine fokussierte Ethnographie gewählt. Eine Ethnographie wurde deswegen als geeignet befunden, weil sich der Forscher mit ihr durch teilnehmende Beobachtung und ethnographische Interviews verschiedenster Teilnehmer der ganzen Komplexität der Abläufe des wechselseitigen Bürgens aussetzt, während andere qualitative Methoden durch ihre Auswahl bestimmter Beobachtungsschemata (allen voran von festgelegten Interviewpartnern und Interviewleitfäden) ihre Sicht auf verschiedene Perspektiven und sachliche Aspekte des Gegenstandes im Vornherein einschränken. Im Gegensatz zu einer konventionellen Ethnographie zeichnet sich eine fokussierte Ethnographie durch eine stringentere Rahmung der empirischen Beobachtungen aus, und zwar in allen Sinndimensionen (vgl. Knoblauch, 2001: insb. 129): Die Dauer des Feldaufenthalts beschränkt sich auf einige Wochen oder wenige Monate; der sachliche Fokus beschränkt sich auf einen in diesem Zeitrahmen erfassbaren Aspekt des Gegenstandes und entsprechend liegt der Fokus auf dem Handeln und Erleben ausgewählter Teilnehmer des Gegenstandes. Für die vorliegende Studie wurden diese methodischen Vorgaben dahingehend umgesetzt, dass über eine begrenzte Dauer von knapp vier Monaten ausschließlich die Kleinkreditvergabe unter Bedingung des wechselseitigen Bürgens beobachtet wurde, und hier auch nur die Gruppe der Schuldner und die Loan Officer als Teilnehmer eingeschlossen wurden, während höhere Hierarchiestellen und Programmebenen der MFI unberücksichtigt blieben. Hinzu kommt, dass bei einer fokussierten Ethnographie aufgrund ihrer stringenteren Rahmung weit aus mehr mit technischen Hilfsmitteln gearbeitet wird als bei einer konventionellen
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Ethnographie (vgl. ebd.). Dies gilt insbesondere für die Verwendung von Aufzeichnungsgeräten bei ethnographischen Gesprächen mit Feldteilnehmern, die auch in der vorliegenden Studie überwiegend zum Einsatz kamen.
1. F ALLAUSWAHL Aus mehreren Gründen fiel die Wahl der Region, in der die fokussierte Ethnographie durchgeführt wurde, auf ein westafrikanisches Land. Erstens hat die Entwicklung des Mikrofinanzsektors in diesem Land ein mittleres Niveau erreicht, etwa im Vergleich zu Bangladesch, wo Mikrofinanzierung sehr weit verbreitet ist, oder im Vergleich etwa zu anderen afrikanischen Ländern, in denen Mikrofinanzierung noch in den Anfängen steckt. Strukturelle Herausforderungen der Mikrofinanzierung, insbesondere des wechselseitigen Bürgens, sollten deswegen in diesem Land besonders ausgeprägt sein. Zweitens wurde Mikrofinanzierung in einem afrikanischen Land bisher noch nicht qualitativ erforscht, wohingegen bereits einige ethnographische Studien aus Südostasien, etwa zur Grameen Bank in Bangladesch, vorliegen (z.B. Karim, 2008). Schließlich konnte ich bereits während eines früheren Aufenthalts bei einer MFI in diesem westafrikanischen Land einige praktische Erfahrungen sammeln, wodurch mein Feldzugang erheblich erleichtert wurde. Es wurden vier MFIs ausgewählt, über die und in denen die fokussierte Ethnographie durchgeführt wurde. Deren Auswahl erfolgte aus einer Liste von MFIs der Mikrofinanz-Plattform www.mixmarket.org, die in der Mikrofinanz-Branche allgemein als konkurrenzlose Datenbank für Mikrofinanzierung weltweit gilt, und zwar anhand folgender Kriterien: der Verwendung des Instruments des wechselseitigen Bürgens, das den Forschungsgegenstand darstellt; eines möglichst langen Bestehens und einer möglichst großen Anzahl an Klienten des wechselseitigen Bürgens, um eine gewisse institutionelle Bewährung voraussetzen zu können; möglichst geringe Kredithöhen, um den Fokus nahe am Grenzbereich zur finanziellen Exklusion zu setzen; und der Pflege einer Partnerschaft mit einer Spendenorganisationen in Deutschland, um den Gegenstand zum einen im Kontext organisierter Hilfe und zum anderen im Kontext eines globalen Netzwerkes verorten zu können. All diese Kriterien standen nicht in Konkurrenz zu einander, sodass keine Präferenzen gesetzt werden mussten. Vielmehr kennzeichnen sie dieselben Fälle, woraus erste rahmengebende Konturen des wechselseitigen Bürgens angenommen werden können: Mikrofinanzierung anhand des Instrumentes des wechselseitigen Bürgens scheint einen Grenzbereich des Finanzmarktes auszumachen, indem sie sowohl bewährte Organisationen aus-
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prägt als auch transnationale Netzwerkbildung im Kontext der Hilfe veranlasst. In einem Teilbereich dieses Netzwerks soll der Frage nachgegangen werden, wie durch das wechselseitige Bürgen auf lokaler Ebene durch die Gruppeninteraktion und der Rolle des Loan Officer Kreditvergabe ermöglicht wird. Der Blick ist damit zwar auf die vermeintlich lokalen Geschehnisse der Mikrofinanzierung gelenkt, verneint dadurch aber nicht ihre weltgesellschaftliche Ausprägung. Denn alles vermeintlich ausschließlich Lokales geschieht gleichzeitig als globales Ereignis, indem es mit anderen lokalen Ereignissen, wie etwa Spendenveranstaltungen in Deutschland, an anderen Stellen der Weltgesellschaft verknüpft ist. In den jeweils ersten Tagen im head office einer jeden MFI erfolgte eine weitere Auswahl bestimmter Zweigstellen, in denen die Ethnographie durchgeführt wurde. Diese Auswahl orientierte sich an einem möglichst hohen Kontrast der Sozialstruktur der Operationsgebiete der Zweigstellen. So wurden Zweigstellen sowohl im Süden als auch im Norden des Landes aufgesucht, der im Gegensatz zum Süden muslimisch geprägt ist, in dem Landwirtschaft dominiert und in dem der Bildungsgrad allgemein sehr gering ist. Zudem wurde versucht sowohl Zweigstellen mit eher ländlichen als auch solche mit eher urbanen Operationsgebieten zu besuchen.
2. E LEMENTE
ETHNOGRAPHISCHEN
B EOBACHTENS
Wie jede Methode spezifiziert auch die Methode der fokussierten Ethnographie die wissenschaftlichen Bedingungen, nach denen der Gegenstand wissenschaftlich beobachtet wird. Sie fungiert also als ein wissenschaftliches Beobachtungsprogramm. Einige wichtige Elemente dieses Beobachtungsprogramms sollen im Folgenden erläutert und anhand eigener Erfahrung exemplarisch dargestellt werden. Die ethnographischen Beobachtungen folgen keinem strikten vorab fest gelegten Plan, sondern orientieren sich an den Besonderheiten des Gegenstandes und seinen spezifischen Situationen. Weil die Besonderheiten des Gegenstandes noch unbekannt sind, ansonsten müsste nicht beobachtet werden, ist der Prozess des ethnographischen Beobachtens besser als ein Driften denn als eine planmäßige Zielverfolgung zu verstehen. Solch ein Driften heißt nicht, dass gänzlich ohne Leitdifferenzen beobachtet wird und auch nicht ausschließlich, dass die Leitdifferenzen nur eine grobe Rahmung für konkretes Beobachten darstellen. Es heißt vielmehr und vor allem, dass die Leitdifferenzen sich selbst im Prozess des Beobachtens ergeben und bewähren müssen und im Falle abweichender Beobachtungen anzupassen sind. Das Konzept des Driftens geht demnach von kei-
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nem Widerspruch zwischen der Offenheit des Beobachtens gegenüber dem Gegenstand und der Geschlossenheit des Beobachtens aus, die letztendlich darin liegt, wissenschaftliche Erkenntnisgewinne zu generieren und nicht selbst den Gegenstand zu verändern. Vielmehr geht sie von einem Steigerungsverhältnis aus in dem Sinne, dass die Offenheit des Beobachtens sich erst aus generierten Erkenntnisgewinnen ergibt (vgl. dazu allgemein Luhmann, 1987: 64). Als Leitdifferenzen des ethnographischen Beobachtens des wechselseitigen Bürgens der Mikrofinanzierung fungierten zunächst die Entscheidungen der Kreditvergabe, die Gruppeninteraktion sowie die Unterscheidung von einerseits finanziellen und andererseits persönlichen und moralischen Aspekten bei der Kreditvergabe. Die Forschungsfrage nach der Risikokontrolle bei der Kleinkreditvergabe wurde also ursprünglich dahingehend spezifiziert, wie durch das Instrument des wechselseitigen Bürgens innerhalb der Gruppe finanzielle mit moralischen Aspekten gekoppelt werden. Durch das Driften des ethnographischen Beobachtens wurde sodann der Fokus erstens von der Situation vor dem Entscheiden auf die Situation nach dem Entscheiden, insbesondere auf das Scheitern des wechselseitigen Bürgens, und zweitens auf die Unterscheidung der Gruppeninteraktion von der Interaktion mit dem Loan Officer gelenkt. Dagegen bestätigte sich in differenzierten Beobachtungen die Leitdifferenz von finanziellen und moralischen Aspekten beim wechselseitigen Bürgen. Folglich strukturieren sich die Erkenntnisgewinne nach der Ebenenunterscheidung von Gruppeninteraktion und Interaktion mit dem Loan Officer und nach den Unterscheidungen von Selektion, sozialer Kontrolle und Scheitern des wechselseitigen Bürgens und interaktiven Umgangsformen mit gescheiterten Fällen. Die ethnographischen Beobachtungen wurden durch eine Beobachterrolle durchgeführt, die sich in Bezug auf den Gegenstand durch Unbestimmtheit auszeichnete und sich erst durch Bezug auf wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn einer genaueren Bestimmung unterzog. Die Unbestimmtheit der Rolle in Bezug auf den Gegenstand zeichnete sich dadurch aus, dass nicht genau festgelegt war, an welchen Arbeitsaufgaben innerhalb der MFI ich als Ethnograph teilnahm und mit welchen organisationalen Stellen ich kommunizierte. Im Unterschied dazu zeichneten sich die formalen Stellen der MFI (wie bei jeder Organisation), allen voran die Stelle des Loan Officer, durch genaue Bestimmungen ihrer Entscheidungsprogramme, ihrer Kommunikationswege und ihres Personals aus. Die Unbestimmtheit meiner ethnographischen Beobachterrolle war jedoch nicht grenzenlos, sondern unterlag ebenso Beschränkungen, die durch den Gegenstand formal bestimmt wurden, und zwar in zeitlicher Hinsicht durch Befristung der Rolle, in sozialer Hinsicht durch Versicherung der Nichtweitergabe von Informationen an Dritte und auch in sachlicher Hinsicht durch Nichtstörung der ge-
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wohnten Entscheidungsprogramme. Die bestimmte Ausformung meiner Rolle blieb mir selbst als Forscher überlassen und erfolgte nach Maßgabe meines Forschungsinteresses. Im Sinne ihrer bestimmten Unbestimmtheit bei ihrer gleichzeitigen Bestimmbarkeit kann diese ethnographische Beobachterrolle als eine kontingente Teilnehmerrolle mit der Funktion der Generierung bestimmter Formen wissenschaftlicher Daten begriffen werden: Kontingent war meine Rolle insofern, als ihre Definition in Bezug auf den Gegenstand unbestimmt blieb und genau dadurch bestimmte Formen des wissenschaftlichen Beobachtens ermöglichte. Die Unbestimmtheit der ethnographischen Beobachterrolle ging dabei nicht den wissenschaftlichen Beobachtungsformen voraus und erschöpfte sich nicht nach einiger Zeit, etwa in dem Sinne, dass anfänglich meine Rolle unbestimmt war und sich erst durch das wissenschaftliche Beobachten immer schärfer definierte. Vielmehr regenerierte sie sich fortwährend durch die Durchführung bestimmter Beobachtungen. So ermöglichte meine Beobachterrolle beispielsweise die Teilnahme an Rückzahlungsprozessen, die anfänglich aufgrund von Unwissenheit gar nicht vorgesehen war. Diese bestimmte Beobachtung von Rückzahlungen reproduzierte die Kontingenz meiner Rolle, etwa dadurch, dass sie die wissenschaftliche Anschlussfrage nahelegte, wie mit akuten Zahlungsversäumnissen umgegangen wird, und entsprechend die praktische Frage erzeugte, ob und wie ich an den entsprechenden Umgangsformen mit Zahlungsversäumnissen beobachtend teilnehmen kann. Entsprechend des beschriebenen Programms des Driftens (anstatt des Planens) des Beobachtens verweist auch meine kontingente Beobachtungsrolle auf die Offenheit hinsichtlich des Gegenstands der Mikrofinanzierung. Die Frage, welche Abläufe ich beobachtete, ließ meine Rolle unbestimmt und wurde lediglich durch bestimmte vorangegangene Beobachtungen enggeführt, die sich bereits ihrerseits aus der kontingenten Rolle ergaben. Eine weitere wichtige Komponente des ethnographischen Beobachtens stellt die Berücksichtigung einer Mehrzahl von Beobachtungsperspektiven innerhalb des Gegenstandes selbst dar. Ein Leitaspekt qualitativer Forschung besteht bereits darin, die Beobachtungen des Gegenstandes von denen des Forschers zu unterscheiden, was bei der Analyse der erhobenen Daten von zentraler Bedeutung ist, aber auch schon bei ihrer Erhebung wichtig ist. Im Anschluss daran liegt eine wichtige Einsicht darin, dass der Gegenstand sich nicht nur durch eine einheitliche Beobachtungsperspektive konstituiert, sondern eine Vielzahlung unterschiedlicher Perspektiven differenziert. Die verschiedenen Abläufe einer Organisation können zwar auf eine einheitliche Beobachtungsperspektive zurückgeführt werden, beispielsweise können alle Entscheidungen einer Bankenorganisationen
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auf die Abgabe und Annahme von Zahlungsversprechen zurückgerechnet werden. Doch bedingt solch eine einheitliche Operationsweise einer Organisation gerade die interne Differenzierung etwa von unterschiedlichen Abteilungen, von Querstrukturen und von Hierarchieebenen, von denen jeweils unterschiedliche Beobachtungsweisen angestellt werden können. Für die ethnographischen Beobachtungen des wechselseitigen Bürgens der Mikrofinanzierung war es entscheidend, zwischen der regionalen Sozialstruktur, der Perspektive der Gruppeninteraktion und der Perspektive der formalen Stelle des Loan Officer zu unterscheiden. So wurde in Bezug auf je denselben Sachverhalt sowohl die Gruppeninteraktionen als auch die Interaktionen, an denen die formale Stelle des Loan Officer teilnimmt, beobachtet. Beispielsweise wurden zur Gewinnung von Daten über die Auswahl der Gruppenmitglieder nicht nur die Gruppeninteraktionen selbst beobachtet, sondern auch die Interaktionen mit dem Loan Officer. Erst recht wurde die Auswahl der Gruppenmitglieder nicht ausschließlich auf die regionale Sozialstruktur zurückgeführt. Durch diese differenzierte Betrachtungsweise wurde etwa ersichtlich, wie der Selbstbildungsprozess der Gruppe sowie die Interventionen durch den Loan Officer zwei unterschiedliche Ebenen bei der Auswahl der Gruppenmitglieder ausmachen, die trotz ihres identischen Sachbezugs unterschiedliche Beobachtungsperspektiven darstellen, die sich aufeinander beziehen und gerade dadurch erfolgreiche Selektionen ermöglichen. Auch wenn sich die ethnographischen Beobachtungen durch Driften in Bezug auf eine kontingente Beobachterrolle auszeichneten, geschah dies innerhalb eines bestimmten Rahmens, der durch die Forschungsfrage definiert wurde: der Umgang mit Risiken bei der Vergabe von Kleinkrediten unter der Bedingung des wechselseitigen Bürgens einer bestimmten Anzahl von Schuldnern innerhalb einer sogenannten Kreditgruppe. Die ethnographischen Beobachtungen wurden an drei verschiedenen Zeitstellen des wechselseitigen Bürgens gemacht: erstens vor der Entscheidung zum wechselseitigen Bürgen, zweitens nach der Entscheidung und drittens zum Zeitpunkt des Scheiterns des wechselseitigen Bürgens.20 Die Kombination dieser Zeitstellen des wechselseitigen Bürgens mit der Unterscheidung der Gruppeninteraktion von der Interaktion mit dem Loan Officer ergibt eine Matrix mit sechs unterschiedlichen Beobachtungsfoki (vgl. zu solch einer Beobachtungsmatrix allgemein Spradley, 1980: 80ff), die bis auf das Scheitern des wechselseitigen 20 Die vierte Zeitstelle, die Interaktion des Loan Officer mit einzelnen Zahlunsgsäumigen, die in dieser Studie behandelt wird, wurde von den MFIs nicht als eine offizielle Programmkomponente bezeichnet und wird deswegen an dieser Stelle nicht aufgezählt.
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Bürgens auch vom Gegenstand differenziert und anhand native codes selbst bezeichnet werden (vgl. Tabelle 1). Tabelle 1: Beobachtungsfoki des wechselseitigen Bürgens anhand native codes Zeitstelle Ebene Gruppeninteraktion Interaktion mit Loan Officer
Vorher
Nachher
Scheitern
group-building
groupmeetings repayment
group collapse recovery (task force)
training (orientation) assessment
Vor der Entscheidung des wechselseitigen Bürgens wurde auf Ebene der Gruppeninteraktion der Prozess der Gruppenbildung (sogenanntes group-building) und auf der Ebene der Interaktion mit dem Loan Officer Schulungen der Gruppe (sogenannte trainings) und Krediteinschätzungen der einzelnen potentiellen Mitglieder (sogenannte assessments) durch den Loan Officer beobachtet. Und nach der Entscheidung des wechselseitigen Bürgens wurde auf Ebene der Gruppeninteraktion versucht, insbesondere sogenannte group-meetings und auf Ebene der Interaktion mit dem Loan Officer die Rückzahlungen (sogenannte repayments) zu beobachten. Ein weiterer Beobachtungsfokus stellte das Scheitern des wechselseitigen Bürgens dar, das sich letztendlich durch das Auflösen der Gruppeninteraktion (group collapse) kennzeichnete und ein Strapazieren der Ebene der Interaktion mit dem Loan Officer nach sich zog. Diese strapazierten Interaktionen wurden bei sogenannten recoveries beziehungsweise task forces beobachtet. Die ethnographischen Beobachtungen wurden durch zwei unterschiedliche Methoden durchgeführt: teilnehmende Beobachtung und ethnographische Gespräche. Die teilnehmende Beobachtung des Ethnographen unterscheidet sich von der einfachen Teilnahme am Gegenstand durch ihren doppelten Sinnbezug: neben gegenstandsbezogener Teilnahme liegt ihr Sinn darin, Informationen für wissenschaftliche Erkenntnisgewinne zu generieren, sodass der teilnehmende Beobachter zugleich in die Geschehnisse eingeschlossen als auch aus ihnen ausgeschlossen ist (Spradley, 1980: 53ff; Lüders 2003: 386). Der Grad der Teilnahme am Gegenstand kann dabei von Nichtteilnahme über passive, moderate, aktive bis hin zur vollständigen Teilnahme unterschiedlich stark ausgeprägt sein (Spradely, 1980: 58ff). Die durchgeführten teilnehmenden Beobachtungen gingen nicht über eine moderate Teilnahme hinaus. Sie bestand hauptsächlich darin, am Arbeitsprogramm der Loan Officer passiv teilzunehmen, also an den Schulungen (trai-
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nings), den Krediteinschätzungen (assessments), am Einsammeln der Rückzahlungen (repayments) und am Eintreiben überfälliger Kredite (recovery). Ihr moderat aktiver Teil beschränkte sich darauf, einige Male beim Ausfüllen von Formularen und beim Zählen der Rückzahlungen behilflich zu sein. Explizit inkludiert wurde ich als regulärer Teilnehmer von Seiten des Gegenstandes mehrmals beim Eintreiben überfälliger Kredite, ohne dass solch ein Einschluss von mir intendiert war. Dabei kam mir die Rolle eines Auditors oder eines Spenders der entsprechenden MFI zu, deren Sinn darin lag, in Anwesenheit der Zahlungssäumigen positiven Einfluss auf die überfällige Rückzahlung zu nehmen. Die Wirkung dieser Rollenausübung wurde paradoxerweise dadurch erzielt, dass ich nur als Beobachter auftrat, ohne selbst beziehungsweise nur das nötigste zu sprechen, dem über seine zugeschriebene westliche Herkunft mit all ihren Attributen wohl eine gewisse Autorität zugeteilt wurde. Explizit exkludiert wurde ich als teilnehmender Beobachter durch den Gegenstand nur in einem einzigen Fall und zwar von der Jahreshauptversammlung einer MFI, an der ich zunächst anwesend war, bald darauf aber von der Stelle des head of operations ausgeschlossen wurde. Der Anlass dieser Exklusion lag vermutlich im reflexiven Moment dieses Ereignisses, der darin bestand, über Entwicklungen und Strategien der Organisation des vorangegangenen und des kommenden Jahres zu diskutieren, und dabei wohl die formale Mitgliedschaft als Teilnahmebedingung mit einbezog. Als Instrumente der teilnehmenden Beobachtung dienten ein Notizbuch, ein Forschungstagebuch und einige Male eine Assistenzkraft. Das Notizbuch diente zur zeitnahen stichpunktartigen Aufzeichnung der Beobachtungen zu deren späteren Ausformulierung beim Schreiben des Forschungstagebuchs. Notiert wurde je nach Gelegenheit und unter Berücksichtigung der Situation teils simultan mit den Beobachtungen, teils etwas zeitverzögert und unbeobachtet nach der beobachteten Situation. Welche Rückkopplungen das ethnographische Beobachten, insbesondere das Notieren, auf die beobachteten Situationen veranlasste, ist schwer einzuschätzen. Einerseits überraschte das geringe direkte Feedback, das meine Anwesenheit und mein Notieren auslöste, andererseits ist das initiierte aber aus Sicht des Ethnographen unbeobachtbare Feedback nicht zu unterschätzen. Im Anschluss an die unmittelbaren teilnehmenden Beobachtungen und ihren Notizen wurden die Erlebnisse in die Form eines Fließtextes, des Forschungstagebuches, gebracht, was aus forschungspraktischen Gründen meist am Abend eines Arbeitstages geschah. Das Forschungstagebuch ermöglichte eine Doppelung der Verschriftlichung, indem eine linke Spalte für die Verschriftlichung von Erlebnissen verwendet wurde, die dem Gegenstand zugerechnet wurden, und ei-
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ne rechte Spalte die Verschriftlichung solcher Erlebnisse ermöglichte, die man sich selbst als Person, wie etwa eigene Verwunderungen, Meinungen oder Befindlichkeiten, oder sich selbst als Forscher zurechnete, wie erste analytische Annahmen. Eine Forschungsassistenz, die mich bei einigen teilnehmenden Beobachtungen begleitete, übersetzte für mich die gesprochene Lokalsprache in Englisch, wobei es sich hierbei nicht um eine eins-zu-eins Übersetzung handelte, sondern meist um sinngemäße Zusammenfassungen. Trotz dieser Übersetzungshilfe lag in der Unkenntnis der lokalen Sprachen die größte Beschränkung der teilnehmenden Beobachtung. Die MitarbeiterInnen der MFIs sprachen untereinander hauptsächlich Lokalsprache und die Gruppenmitglieder untereinander sowieso. Neben Nachfragen auf Englisch und eben der Übersetzungshilfe blieb mir nichts anderes übrig, als mich auf nonverbale Kommunikation und auf Artefakte zu konzentrieren. Doch auch der Fokus auf Mimik, Gestik und andere körperbezogene (stehen, laufen, sitzen, etc.) sowie akustikbezogene (Lautstärke, Tonfall) Verhaltensweisen blieb schwierig, weil es für mich meist nicht eindeutig blieb, ob sie auf die Spezifizität des Gegenstandes oder auf kulturelle Muster zurückgeführt werden können. Beispielsweise konnte ich beim Eintreiben ausstehender Gelder in einem Fall beobachten, wie nach laustarken Forderungen des Geldes der Loan Officer seine Telefonnummer auf die weiße Hauswand des zahlungssäumigen Gruppenmitglieds schrieb. Die Frage, ob diese Handlung nun als eine weitere Form der Herabwürdigung zu verstehen ist oder als übliche Alternative zu Papier und Stift, die in dieser Gegend Mangelware sind, zumal auf der Hauswand andere Nummern zu erkennen waren, blieb für mich offen. Neben teilnehmender Beobachtung fand die Methode der ethnographischen Gesprächsführung Anwendung. Im Gegensatz zu formalen Interviews werden die Themen ethnographischer Gespräche im Kontext der zu erforschenden Geschehnisse und aus dem Verlauf des Gesprächs selbst heraus gewählt und nicht anhand vorstrukturierter Fragen vorab festgelegt (vgl. hierzu Schlehe, 2003: insb. 73). Entsprechend können ethnographische Gespräche von der Länge stark variieren. Auch Zeitpunkt und Gesprächspartner der Gespräche werden nicht vorab festgelegt, sondern ergeben sich erst aus den Gelegenheiten, die sich durch das teilnehmende Beobachten ergeben, in denen sie eingebettet sind (ebd: 72). Unzählige solcher ethnographischen Gespräche ergaben sich während meiner teilnehmenden Beobachtungen und wurden vermittels eines recht unscheinbaren Aufnahmegerätes unter Zustimmung des Gesprächspartners aufgezeichnet. Gelegenheiten zu solchen Gesprächen variierten mit den Gesprächspartnern (Loan Officer oder Gruppenmitglied) und mit der MFI. Gelegenheit zu Gesprächen mit
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Loan Officern gab es insbesondere auf ihren zum Teil stundenlangen Fahrten zu den Kreditgruppen. Während bei einer MFI diese Fahrten per eigenem Auto samt Fahrer gemacht wurden, sodass sich dadurch Gesprächsgelegenheiten ergaben, fanden diese Fahrten bei anderen MFIs mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Motorrad statt, während denen das Führen von Gesprächen nicht möglich war. So beschränkten sich Gesprächsgelegenheiten in diesen Fällen auf Fußmärsche zum Ort des Treffens mit der Gruppe, auf Pausen in der Interaktion mit der Gruppe und auf Arbeitspausen im Büro. Als thematischer Anlass dieser Gespräche fungierte meist ein eben gemeinsam erlebtes Ereignis oder eine ganze Situation. Aus der Erläuterung dieses Vorfalls ergab sich dann meistens ein Übergang zu anderen Beispielen und/oder zu anderen Themen. Die Gespräche waren also sehr stark an den spezifischen Geschehnissen des Gegenstandes gebunden, erlangten aber eine eigene Dynamik und eigene Generalisierungen, sofern der Sprung zu allgemeinen Aussagen oder anderen Themen genommen wurde. Bemerkenswert waren allgemein die ausnahmslos hohe Gesprächsbereitschaft aller Loan Officer und ihr Enthusiasmus, den sie beim Erzählen über ihre Arbeit zeigten. Selbst der schlechteste Gesprächsführer würde durch sie an Daten gelangen. Gespräche mit Gruppenmitgliedern wurden meist im Kontext ihrer Interaktion mit dem Loan Officer geführt. Der Grund dafür liegt darin, dass die Gruppenmitglieder als Kunden der MFI nur über die MFI zu kontaktieren sind. Selbst der Versuch, Gruppenmitglieder auf einem Markt ausfindig zu machen, von dem mir der Loan Officer mitgeteilt hatte, dass viele der Händlerinnen Mitglied einer Gruppe seien, scheiterte. Eine Mitgliedschaft wurde von den Angesprochenen stets verneint, und eine Händlerin erklärte, dass niemand jemandem Fremden Auskunft über seine Kreditbeziehungen geben würde. Um Einflussnahmen auf die Gespräche mit den Gruppenmitgliedern durch die Anwesenheit des Loan Officer möglichst zu vermeiden, wurde versucht, sie abseits von den Geschehnissen zu führen. In einigen Fällen wurden mir vom Loan Officer die Kontaktadressen von einigen Gruppenmitgliedern gegeben, die einfach zu erreichen waren, sodass ich sie eigenständig aufsuchen konnte. Allgemein gestalteten sich die Gespräche mit den Gruppenmitgliedern schwierig. Ihre Antworten vielen oftmals sehr einsilbig aus. Neben meiner Fremdheit, ihrer Schüchternheit, meinen ungeschickten Fragen, ihren Unverständnis für Fragestellungen stellte, so mein Eindruck, vor allem der Mangel an Sprachkenntnissen die größte Hürde für ein flüssiges Gespräch dar. Je besser die Gruppenmitglieder Englisch sprachen, desto müheloser verlief das Gespräch. Aufgrund dieser Sprachprobleme habe ich unterschiedliche Möglichkeiten der Übersetzung ausprobiert. Einige Male war der Loan Officer beim Übersetzen
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behilflich, womit aber das Problem der möglichen Einflussnahme eingefangen wurde. Andere Male habe ich es mit einer von mir engagierten Übersetzerin versucht. Eine erste Übersetzerin hat die Reden der Gruppenmitglieder zusammengefasst und meine Frage zu stark abgewandelt. Eine zweite Übersetzerin hat sehr gut gearbeitet, wobei es dann herausfordernd war, in den verschiedenen Regionen, in denen ich Zweigstellen der MFIs besuchte, jeweils neue gute Übersetzungshilfen zu finden. Herausfordernd bei den Gesprächen mit Gruppenmitgliedern war zudem, Dritte von ihnen fern zu halten. Oft waren andere Personen, andere Mitglieder sowie Nichtmitglieder (Freunde, Bekannte, Verwandte, Kinder) anwesend, die sich plötzlich in das Gespräch einmischten, wodurch sich Störungen und Einflussnahmen ergaben. Die Option, die Not zur Tugend zu machen, indem Gruppendiskussionen mit den Gruppenmitgliedern geführt wurden, wurde zwar teilweise genutzt, aber nicht auf methodisch kontrollierter Weise, weil sich das Problem der Grenzziehung der Teilnehmer dadurch nicht vollständig löste, sondern sich reproduzierte, indem weitere Personen versuchten, an ihr teilzunehmen, während eigentliche Teilnehmer sich wiederum ihr entzogen. Teilnehmende Beobachtung und ethnographische Gesprächsführung können zwar als verschiedene Methoden der Ethnographie unterschieden werden. Andererseits bedingten sie sich wechselseitig: Die teilnehmenden Beobachtungen gaben Anstöße und Gelegenheiten und machten das Erzählte verständlich. Und aus den Gesprächen gaben sich immer wieder neue Anreize und Gelegenheiten für teilnehmende Beobachtungen, etwa indem der Loan Officer vom Eintreiben ausstehender Kredite erzählte, woran ich dann versuchte selbst teilzunehmen.
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3. D ATENKORPUS Die folgende Tabelle gibt einen groben Überblick über den Datenkorpus, der durch die fokussierte Ethnographie generiert wurde: Tabelle 2: Datenkorpus der fokussierten Ethnographie Beobachtungsfoki anhand native code group-building
Anzahl der teilnehmenden Beobachtung 1
group-meetings
6
Training Assessment Repayment
8 1 mehr als 8
Recovery
mehr als 8
Anzahl der ethnographischen Gespräche etliche mit Gruppenmitgliedern, einige mit Loan Officern einige mit Gruppenmitgliedern und mit Loan Officern einige mit Loan Officern etliche mit Loan Officern einige mit Gruppenmitgliedern und mit Loan Officern etliche mit Loan Officern
Es ist nicht ganz einfach die genaue Anzahl der teilnehmenden Beobachtungen und der ethnographischen Gespräche zu bestimmen. Denn nicht immer konnten die teilnehmenden Beobachtungen als Episoden über ihre volle Dauer durchgeführt werden, und der Grad der Tiefe und Ausführlichkeit der ethnographischen Gespräche variierte stark. Folglich sollen die Angaben nur eine grobe Vorstellung über den Datenumfang vermitteln. Von Bedeutung dabei ist insbesondere, dass zur Gruppenbildung (group-buildung) und zur Einschätzung der Kreditwürdigkeit durch den Loan Officer (assessment) jeweils nur eine teilnehmende Beobachtung durchgeführt werden konnte. Im Fall der Gruppenbildung liegt der Grund dafür in ihrer eigenen Natur: als durch die Mitglieder selbstgesteuerter informeller Prozess gestaltete sich eine teilnehmende Beobachtung aufgrund fehlender formeller Termine, Probleme der Einflussnahme und fehlender Sprachkenntnissen sehr schwierig. Hinzu kam, dass neue Kreditgruppen relativ selten gegründet werden, sie dafür aber durch die Vergabe von Anschlusskrediten recht langlebig sind. Aus diesem letzten Grund konnte auch ein sogenanntes Assessment nur einmal teilnehmend beobachtet werden.
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4. ANALYSEMETHODE Die Analyse des Datenmaterials erfolgt anhand der funktionalen Methode, wie sie Niklas Luhmann (1987: 83ff) formuliert hat. Kernpunkt der funktionalen Methode ist die Prämisse, Erkenntnisse über den zu untersuchenden Gegenstand dadurch zu gewinnen, dass er als funktionale Problemlösung eines Problems verstanden wird, für das sich auch andere Problemlösungen finden lassen. Der Vergleich verschiedener funktionaler Problemlösungen in Bezug auf denselben Problemgesichtspunkt stellt die entscheidende Methode neuer Erkenntnisse dar. Über diesen Vergleich stellt die funktionale Methode auf Differenzen ab anstatt auf Substanzen, Identitäten oder Einheiten. Der Gegenstand ist nicht die Wirkung einer kosmischen Ursache, das Mittel eines normativen Zwecks oder die Ausführung einer göttlichen Bestimmung. Er fungiert vielmehr als eine Konstruktion, die sich an der fortlaufenden Abarbeitung eines sich selbst gestellten funktionalen Problems, auf das hin sich andere kontingente Lösungen konstruieren lassen, zu bewähren hat. So ist die funktionale Methode eine konstruktive Erkenntnismethode, die in ihrer letzten Konsequenz auch auf sich selbst angewandt werden kann, indem sie sich selbst als eine funktionale Problemlösung unter anderen reflektiert. Auch wenn die funktionale Methode üblicherweise nicht zum herkömmlichen Methodenkanon empirischer Forschung dazugezählt wird – vermutlich aus dem unverständlichen Grund, dass sie sich theoretisch und nicht forschungspraktisch fundiert – finden sich ihre Grundannahmen auch in praktisch fundierten Methoden wieder. So fragt beispielsweise auch die grounded theory von Glaser und Straus (1998) nach dem Wie anstatt dem Warum von Ereignissen, also nach deren Herstellungsprozessen anstatt nach ihrer ontischen Fundierung. Auch ist das Abstellen auf das Beobachten und Rekonstruieren von Differenzen der ethnographischen Forschung alles andere als unbekannt (vgl. Wolcott, 1999: 132). Auf sich reproduzierende Differenzen abzustellen heißt insbesondere, nicht der Versuchung nachzugeben, dem Gegenstand Zwecke zu unterstellen. Denn wenn vor ab Zwecke unterstellt werden, bei der Mikrofinanzierung etwa die Unterstellung der Hilfe von finanziell Ausgeschlossenen, und die Teilnehmer des Gegentandes als Akteure gesehen werden, liegt es nahe, dass Abweichungen des Zwecks in den Blick geraten, und diese als Verfehlungen einem Akteur als Aufhänger des Zwecks, etwa der Organisation der MFI und ihren Loan Officern, zuzuschreiben. Durch Zweckunterstellung könnte beispielsweise die Analyse der herabwürdigenden Praktiken des Eintreibens ausstehender Kredite leicht durch normative Voreinstellungen geführt werden, zumal die Schuldner sich nicht nur bereits in
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prekären Lagen befinden, sondern durch die Kreditvergabe erst in diese Lage gebracht wurden. Diese Gefahr eines normativen Blickes ist umso größer, als dass als Kontext des Gegenstandes der abstrakte Sachverhalt des Geldes, noch mehr: des Kredits, fungiert, der immer schon Kühle und soziale Verfremdung suggeriert. Eine normative Analyse könnte dann Mikrofinanzierung als kalte Exklusionsmaschinerie für die eigene Profitmaximierung, als nun auch unmittelbare (anstatt bisher bloß mittelbare) Ausweitung des Raubtierkapitalismus in bisher von ihm übergangene Winkel unterentwickelter Regionen unserer Weltgesellschaft zu begreifen (vgl. als Analyse, die in diese Richtung gehen: Weber, 2004; Montgomery, 1996). Zudem könnte die Verfehlung des unterstellten Zwecks der MFI nicht nur als unabsichtliche Verfehlung, sondern als Strategie zur Ausbeutung ihrer Schuldner als unterlegene Akteure gesehen werden. Der eigentliche Zweck wäre dann gar nicht mehr der offizielle Zweck, sondern wäre versteckt in der Latenz der ganzen Mikrofinanzierung und formulierte womöglich die Etablierung einer kapitalistischen Ausbeutungsmaschinerie. Diese Denkschemata von Zweck, Akteuren (als Träger des Zwecks), Zweckverfehlung, Latenz des Zwecks, Machtasymmetrie zwischen den Akteuren, die vor allem normativ-strukturellen Ansätzen gemein sind, soll in der folgenden Analyse vermieden werden (was aber nicht heißen soll, Beobachtungen von Herabwürdigungen und Exklusionen außer Acht zu lassen). Anstatt von außen (oder von einem vermeintlich übergeordneten Kontext der Gesellschaft) nicht hinterfragbare Einheiten wie Zwecke und Akteure in eine vorausgesetzte Welt einzuführen, versucht die hier gewählte Analyse sich reproduzierende Differenzen und deren Beziehungen herauszuarbeiten, die dem Gegenstand selbst innewohnen und ihn fortlaufend konstruieren. Beispiele solcher Differenzen des wechselseitigen Bürgens sind die Unterscheidung der Interaktionen der Gruppenmitglieder von der Interaktion mit dem Loan Officer oder die Unterscheidung von solidarischen und herabwürdigenden Handlungen und Erlebensweisen. Demnach ist es zu kurz gegriffen, dem Loan Officer nur herabwürdigendes und ausnutzendes Verhalten gegenüber den hilflosen Gruppenmitgliedern unterstellen zu wollen. Vielmehr wird, wie wir sehen werden, unter den Gruppenmitgliedern selbst sowohl solidarisch als auch herabwürdigend interagiert, und wird dem Loan Officer auch solidarisches Handeln zugerechnet. Durch dieses Herausarbeiten von Differenzen wird im Sinne der funktionalen Methode eine inkongruente Perspektive auf den Gegenstand eingenommen. Inkongruente Perspektive heißt, dass nicht die Handlungsweisen und Erlebnisse, die Aussagen und Themen des Gegenstandes naiv in die Theoretisierung einszu-eins übernommen werden. Vielmehr wird versucht, die Kontingenzen des
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Gegenstandes auszuloten und die Funktionsweise ihrer eigenen Reproduzierbarkeit zu entschlüsseln, die dem Gegenstand selbst nicht zugänglich sind (vgl. dazu Luhmann, 1987: 88f). Und es sind gerade die Differenzen des Gegenstandes, die zwar von ihm nicht vollständig reflektiert werden können, die aber sein kontingentes Operieren fern ab von eindeutigen Zwecken und Normen ermöglichen. Die Entwicklung einer inkongruenten Perspektive führt dadurch nicht zu einer vom Gegenstand völlig entkoppelten Perspektive, sondern paradoxerweise zur Möglichkeit der Rekonstruktion der Perspektive des Gegenstandes. Das methodische Vorgehen bei der Berücksichtigung einer Mehrzahl an beobachtenden Fällen bei der Analyse orientierte sich an der Methode der grounded theory nach Glaser und Strauss (1998, vgl. auch Strauss, Corbin, 1996). Demnach erfolgt die Auswahl der Fälle, die für die Analyse herangezogen werden, nach dem Kriterium der Abweichung von ersten theoretischen Annahmen (theoretical sampling), die aus vorangegangenen Fallanalysen resultierten, um die Kontingenz des Gegenstandes zu ergründen: für die Analyse werden solche Fälle herangezogen, die von den bisherigen berücksichtigen Fällen abweichen, um aus diesen unterschiedlichen Ausprägungen des Gegenstandes Aussagen über ihn generieren zu können. Entsprechend des Kriteriums der Abweichung als eine Unterscheidung liegt ein weiterer Aspekt dieser Methode im Vergleichen der verschiedenen Fälle: Nur durch das Vergleichen können Abweichungen bzw. Unterscheidungen als solche erkannt werden. Sättigungswerte der Fallauswahl ergeben sich dann durch die ausbleibende Entdeckung von Unterscheidungen. Eine zentrale Herausforderung, die von Glaser und Strauss aber nur ansatzweise angesprochen werden, liegt darin, relevante von weniger relevanten Unterscheidungen zu unterscheiden. Denn jeder Fall ist für sich genommen einzigartig und unterscheidet sich deswegen von allen anderen Fällen. Folglich gilt es, gegenstandsspezifische Gesichtspunkte herauszuarbeiten, nach denen Abweichungen von Indifferenzen unterschieden werden können. Erst durch solch ein Unterscheiden kann die Kontingenz des Gegenstandes ausgelotet werden, weil nur dann mögliche Fallausprägungen des Gegenstandes unmöglichen gegenüber gestellt werden können. Durch die Suche und Verfolgung der Abweichungen bzw. Unterscheidungen stieß die theoretische Fallauswahl beispielsweise neben verschiedenen Fällen herabwürdigender Sanktionen auf solidarische Verhaltensweisen als Reaktionen auf Zahlungsausfälle. Diese Unterscheidung von Herabwürdigung und Solidarität des Gegenstandes wurde unter dem gemeinsamen Gesichtspunkt einer moralischen Risikokontrolle ausgemacht – im Unterschied etwa zum computergestützten credit-scoring, zur Ausdifferenzierung spezieller Institutionen der Erfassung von Kreditwürdigkeit, wie es in Deutschland etwa die SCHUFA darstellt,
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oder zur Anwendbarkeit des Insolvenzrechts, das eine rechtlich gestützte Abwicklung von Zahlungsunfähigkeiten ermöglicht. In der Unterscheidung von Herabwürdigungen und Solidarität wird demnach eine Leitdifferenz des Gegenstands gesehen, während andere differenzziehende Abweichungen, wie unterschiedliche Formen von Herabwürdigungen, männliche und weibliche Loan Officer und Gruppenmitglieder oder die Verwendung unterschiedlicher Transportmittel, wenn nicht gänzlich als irrelevant, so doch zumindest als weitere Binnendifferenzierungen des Gegenstandes betrachtet wurden. Die Darstellung der Erkenntnisse, die über die funktionale Methode gewonnen werden, erfolgt anhand theoretischer Begriffe. Es reicht nicht, die Ereignisse, Prozesse und Strukturen des Gegenstandes verdichtet zu beschreiben. Geertz (1983: 34ff) verweist gerade darauf, dass solch eine Reduzierung der Komplexität des Gegenstandes nur durch die gleichzeitige Entwicklung eines entsprechenden Begriffsapparates gelingt, um sich vom Gegenstand selbst abgrenzen zu können und nicht an seiner Reproduktion selbst mitzuwirken. Anhand der Darstellung von beispielhaften Auszügen des empirischen Materials, auf der hin die theoretische Aufarbeitung anhand von Begriffen erfolgt, versucht der nachfolgende Text einen theoretischen Ansatz zum wechselseitigen Bürgen in der Kleinkreditvergabe zu entwickeln, der empirisch fundiert und nachvollziehbar ist.
Kapitel V: Selektionen des wechselseitigen Bürgens
Für die Kleinkreditvergabe unter Bedingung des wechselseitigen Bürgens bedarf es zum einen einer Selektion von Zahlungsversprechen mit solchen Schuldnern, denen das Versprechen abgenommen werden kann, nicht nur ihren, sondern auch Teile des Kredits von Gruppenmitgliedern zurückzuzahlen, falls diese zahlungsunfähig werden. Zum anderen bedarf es einer Kontrolle des Risikos der Zahlungsversprechen, dass die Schuldner ihre Versprechen nicht einhalten. Wie eingehbare Risiken ausgewählt und wie sie anschließend kontrolliert werden sind also zwei unterscheidbare Fragestellungen in Bezug auf das Risikoproblem des wechselseitigen Bürgens. Trotz dieser Unterscheidbarkeit müssen auch die Selektionen in Bezug auf die Frage der Kontrollierbarkeit ihrer Folgen getroffen werden, sowie die anschließende Kontrolle der Risiken sich auf deren Auswahl zu beziehen hat. Die hintereinander folgende Abhandlung von Selektion und Kontrolle der Risiken durch wechselseitiges Bürgen ist deswegen auch hinsichtlich ihrer wechselseitigen Bezüge zu lesen. Dass ein Zahlungsversprechen einer Gruppe von Schuldnern unter der Bedingung ihres wechselseitigen Bürgens zu Stande kommt, ist nicht selbstverständlich. Vor der Entscheidung der Annahme dieses Zahlungsversprechens muss vielmehr anhand entsprechender Informationen die Erwartung gebildet werden, dass durch wechselseitiges Bürgen auch das Zahlungsversprechen eingehalten wird. Denn nur dann wird die Entscheidung zur Annahme des Versprechens positiv ausfallen. Wir fragen uns deswegen zunächst, wie es zu den Selektionen des wechselseitigen Bürgens kommt: Wie wird die Gruppe der Schuldner ausgewählt? Und welche Rolle spielen dabei sowohl die lokal-gesellschaftlichen Ausprägungen von Reziprozitäten und Kreditmangel als auch die Interaktion mit der Stelle des Loan Officer?
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1. S ELBSTSELEKTION
DER
K REDITGRUPPE
Die Einführung des wechselseitigen Bürgens hängt, wie wir gesehen haben (Kapitel III. 1.2) von regionalen und lokalen Gesellschaftsstrukturen ab, insbesondere von Kreditmangel und Reziprozitäten: Gesellschaftlich vorliegende Erwartung an Reziprozität und vorherrschender Kreditmangel legen nahe, dass die Kleinkredite der Gruppe zurückgezahlt werden, wenn schon nicht aus Gründen der Reziprozität unter den Mitgliedern, so doch zumindest aus dem Grund, sich den Kreditzugang in der Zukunft nicht zu verbauen. Doch der Verweis auf solche gesellschaftlichen Strukturen reicht längst nicht aus, um die Selektionen des wechselseitigen Bürgens zu erklären. Denn mit der Bildung der Gruppe wird das Risiko des free-riding virulent, dass also einzelne Mitglieder sich auf Kosten der Gruppe einen Kreditzugang beschaffen, obwohl sie selbst kaum in der Lage sind, aus eigenen Anstrengungen heraus, den Kredit zurückzuzahlen. Dies wirft die Frage für die Gruppe auf, wie sie angesichts dieses Risikos der Ausnutzung ihre Mitglieder auswählt. In Abgrenzung zu den gesellschaftlichen Strukturen muss sich also eine Kreditgruppe bilden, deren Mitglieder sich nicht nur bereit erklären, füreinander zu bürgen, sondern auch wechselseitig voneinander annehmen, nicht ausgenutzt zu werden. Unter Kreditgruppe soll im Folgenden weder ein vorgegebener Zusammenschluss einer bestimmten Anzahl von Schuldnern, noch ein eigenständiges Interaktionssystem verstanden werden. Im Anschluss an Kieserling (vgl. 1999, 223) soll die Kreditgruppe vielmehr als ein Interaktionszusammenhang begriffen werden. Demzufolge handelt es sich bei Kreditgruppen zum einen um Interaktionen als Kommunikationen unter anwesenden Gruppenmitgliedern. Von einer Kreditgruppe ist also genau dann auszugehen, wenn ihre Mitglieder in Anwesenheit zueinander miteinander kommunizieren, und nicht oder nicht nur, wenn etwa der Loan Officer auf einer Liste eine bestimmte Anzahl von Schuldner zu einer Gruppe zusammenfasst. Zum anderen zeichnet sich die Kreditgruppe als Interaktionszusammenhang durch eine spezifische Erwartungshaltung aus. Diese Erwartung bezieht sich auf die Möglichkeit des wechselseitigen Bürgens im Falle von Zahlungsschwierigkeiten eines ihrer Mitglieder. Die Interaktionen unter den Gruppenmitgliedern als Schuldner drehen sich entsprechend dieser Erwartung primär um die Frage der Einhaltbarkeit ihrer Zahlungsversprechen vor dem Hintergrund der Möglichkeit, dass diese Zahlungsversprechen gebrochen werden und die Frage des wechselseitigen Bürgens akut wird. Wie bereits angemerkt wurde, liegt eine wichtige Strukturbedingung der Kreditgruppe darin, dass sie im Kontext von Erwartungen stattfindet, welche die lokale Gesellschaftsstruktur einerseits und die Interaktion der Gruppe mit dem
S ELEKTIONEN
DES WECHSELSEITIGEN
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Loan Officer andererseits kennzeichnen. Die Gruppeninteraktion ist zwar von der lokalen Sozialstruktur und der Interaktion mit dem Loan Officer unterscheidbar, gleichzeitig bezieht sie sich jedoch auf diese beiden Ebenen. Es ist bekannt, dass sich Kreditgruppen weitgehend selbst bilden, was in der Literatur mit Begriffen wie self-selection (z.B. Bastelaer van, 2008: 8) oder peer selection (Simtowe, Zeller, Phiri, 2006) bezeichnet wird. Dabei werden zwei unterschiedliche Gesichtspunkte identifiziert, nach denen der Prozess der Selbstselektion abläuft. Zum einem läuft die Selbstselektion der Mitglieder zu einer Gruppe hinsichtlich des Gesichtspunktes finanzieller Risiken ab, was unter dem Begriff des assortative matching gefasst wird (z.B. Stiglitz, 1990: 362; Ghatak, Guinnane, 1999: 200). Damit ist gemeint, dass sich Personen zu einer Gruppe zusammenfinden, die sich wechselseitig ähnliche Risikobereitschaften und Risikotragfähigkeiten unterstellen. Die Beobachtbarkeit von Risiken unter den Mitgliedern gewährleisten dabei die persönlichen Beziehungen, die die Personen untereinander pflegen. Dadurch kann das Problem der information asymmetries zwischen Schuldner und Gläubiger und das daraus folgende Risiko des adverse selection hochriskanter Schuldner bewältigt werden: Die Informationen, die dem Gläubiger fehlen und ihn dazu veranlassen, einen Kredit zu verweigern, werden beim assortative matching unter den Schuldnern durch Bezug auf ihre persönliche Beziehungen gewonnen. Diese Informationsgewinnung schließt das Risiko des adverse selection aus, das dann entsteht, wenn versucht wird, Informationsmangel über Risiken durch einen hohen Zinssatz wettzumachen, wodurch jedoch wiederum nur hochriskante Schuldner angelockt werden. Persönliche Beziehungen bieten beim assortative matching also Gelegenheiten zur Beobachtung von Risiken in Bereichen, für die der formale Finanzmarkt blind ist. Zum anderen konnte empirisch gezeigt werden, dass solche persönlichen Beziehungen selbst einen Gesichtspunkt bei der Selbstselektion darstellen können (Giné et. al., 2006: 24f). Die Selbstselektion läuft demnach auch unter dem Aspekt ab, wen man gut kennt, was dazu führt, dass die ausgewählten Gruppenmitglieder sehr vorsichtig handeln, um die Bekanntschaft nicht aufs Spiel zu setzen. Theoretisch sowie empirisch bleiben dabei zweierlei Fragen offen: Zum einen wird bei der Beschreibung der Selbstselektion der Gruppe auf Zweierbeziehungen abgestellt. Sowohl in Bezug auf Risiken als auch in Bezug auf persönliche Bekanntschaft wird argumentiert, dass bei der Selbstselektion ähnliche Attribute zweier Personen in die Gruppe Eingang finden. Demnach dient Selbstselektion als eine Art Transportmechanismus, um Ressourcen, die außerhalb der Gruppe liegen, aber wichtig für das Funktionieren der Gruppe sind, innerhalb der Gruppe unterzubringen. Doch worin läge dann die Besonderheit der Selbstselektion der Gruppe, wenn sie innerhalb der Gruppe doch nur gleiche Bedingungen
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wie außerhalb von ihr schafft? Eine Erklärung der Besonderheit der Selbstselektion könnte die Berücksichtigung der Rolle Dritter (und Vierter und Fünfter usw.), die ebenso an dieser Gruppe teilnehmen könnten, liefern. Sobald die Perspektive Dritter ins Spiel kommt, kann nicht einfach argumentiert werden, dass (zwei) Personen, die gut miteinander bekannt sind und ähnliche Risikoniveaus haben, in die Gruppe Eingang finden. Vielmehr wird nun erklärungsbedürftig, wie die Beziehung und das wechselseitige Einschätzen zweier Personen vor dem Hintergrund der Berücksichtigung Dritter, die möglicherweise ebenso an der Gruppe teilnehmen, abläuft. Diese Frage schließt an Fragestellungen der Netzwerkforschungen an, die davon ausgehen, dass “all dyadic relations in the light of the dyadic partners’ additional relations with other network members” (Hall, Wellmann 1985: 29) zu verstehen sind. Dadurch erhält man einen Zugang zu der Frage nach den Bedingungen der Teilnahme an der Gruppe als ein Zusammenhang von Interaktionen zwischen einer Mehrzahl von Personen beziehungsweise als ein Cluster von Beziehungen, sodass man nicht an der Erklärung des Zusammenfindens zweier Personen stehen bleiben muss. Und zum anderen blieb in der bisherigen Forschung im Ungefähren, inwiefern die beiden unterschiedlichen Gesichtspunkte, finanzielles Risiko und persönliche Bekanntschaft, beim Prozess der Selbstselektion der Schuldner zugleich berücksichtigt werden, wie sie miteinander gekoppelt werden. Persönliche Bekanntschaften ermöglichen für die Gruppenbildung die Gewinnung von Informationen über finanzielle Risiken möglicher Mitglieder. Sie können aber nach der Kreditentscheidung auch zu einer strukturellen Einschränkung der Risikobereitschaft führen (Giné et. al., 2006: 24f). Damit stellen sich die Fragen, inwieweit bei der Selbstselektion der Gruppe persönliche Beziehungen nicht selbst Informationswert haben, und daran anschließend, wie die beiden Selektionsschemata persönliche Bekanntschaft und finanzielles Risiko miteinander gekoppelt werden. 1.1 Persönliche Bekanntschaft und Kreditwürdigkeit als Schemata der Selbstselektion Die Frage, wie sich die Selbstselektion der Gruppe vollzieht, sollte die Frage nach der Berücksichtigung Dritter miteinschließen. Demnach müssen wir die wechselseitige Selektion zweier Personen von der Selbstselektion einer Mehrzahl von Personen zu einer Gruppe zunächst unterscheiden, um daraufhin analysieren zu können, wie sich die Selbstselektion dieser Mehrzahl durch Beobachtung von Zweierbeziehungen vollzieht. Denn nur so kommen wir über die einfache Aussage hinaus, dass durch Selbstselektion lokal ausgeprägte Reziprozitäten
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in die Gruppe übernommen werden. Lassen wir die Gruppenmitglieder dazu erzählen: Übersetzung der Aussage eines Gruppenmitglieds: “There was this lady who heard about Mikrofinanzinstitution DEF so she went to a friend’s house, […] a friend that she has an interest or believe in her that if she joins the group she can pay the money and the person also agreed. And that person herself also went to another person. She also can trust and told her, so she also join. So this woman went to a friend’s house and the friend also went to a friend’s house and the friend also went to a friend’s house, that’s how they got the group. So they believe in themselves that everyone can pay the amount she has to pay or she has requested to pay.” Und ein anderes Gruppenmitglied: “When you heard about Mikrofinanzinstitution DEF, I’m your friend, you come and tell me, too, I will go and tell another one. Another will too tell. Then we make a group. // I: Ok, whom did you ask, who told you? // My friend […]. // I: What kind of people? // They are all selling, my friends, they are all selling.” Nach diesen Beobachtungen laufen die Selbstselektionen der Kreditgruppe über eine Art Schneeballverfahren ab, bei dem jeweils eine Person eine weitere Person zur Teilnahme anfragt. Dabei ist erstens davon auszugehen, dass es sich hierbei nicht um eine einseitige Selektion einer Person durch eine andere Person handelt, sondern um eine wechselseitige Selektion im Sinne einer sozialen Situation doppelter Kontingenz (Luhmann, 1987: 148ff). Die Anfrage bedingt sich danach nicht (nur) aus den Überlegungen der anfragenden Person, sondern ergibt sich aus den sich wechselseitig stützenden Erwartungen, nämlich dass Bezugspunkt der Erwartungen der anfragenden Person immer auch die Erwartungen der potentiell anzufragenden Person ist, die sich wiederum auf die Erwartungen der anfragenden Person beziehen. Und zweitens ist, wie wir noch ausführlich sehen werden, davon auszugehen, dass das Schneeballverfahren unter Bezug auf Dritte abläuft, die bereits ausgewählt wurden oder noch ausgewählt werden können. Die Selektion dieses Verfahrens orientiert sich dabei, wie aus der Literatur zur Gruppenbildung schon bekannt ist, an zwei unterschiedlichen Schemata: persönliche Beziehungen und Kreditwürdigkeit. Einerseits fragt man diejenige zur Teilnahme an, mit der man befreundet ist, was gleichzeitig heißt, Personen nicht zu fragen, mit denen man weniger gut oder gar nicht persönlich bekannt ist.
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So ein Gruppenmitglied auf die Frage nach ihrer Gruppenbildung: “[O]k in this community we have different people here so maybe if someone is closer to you that you can tell her. […] I cannot inform any other person than someone you hear, that’s why. // I: What does it mean to be close? // […] I can inform my church member because my church member is closer to you as a sister, you understand it, yes. So I can’t go outside and inform any other person than someone who is closer to me.” Die Selbstselektion der Gruppe läuft demnach nach dem Schema befreundet / nicht befreundet beziehungsweise bekannt / unbekannt ab, wobei die positive Seite dieses Schemas Teilnahme und die negative Seite Nicht-Teilnahme nahelegt. Dies führt dazu, dass solche Personen ausgeschlossen werden, die mit niemandem in der Gruppe befreundet sind beziehungsweise die nur sehr lose Bekanntschaften zu Gruppenmitgliedern pflegen. Andersherum werden nur solche eingeschlossen, die in guter Beziehung mit mindestens einem weiteren Gruppenmitglied stehen. Zudem ist anzunehmen, dass die Selektion nach Freundschaft neben ihrer Ausgrenzung von Unbekannten zu einer Auswahl eines homogenen Clusters von Freundschaften führt, d.h. von Personen, die alle untereinander ähnlich gute persönliche Beziehungen pflegen. Wenn Person B von ihrer befreundeten Person A angesprochen wird und wiederum ihre befreundete Person C fragt, dann mag es zwar Unterschiede zwischen der Freundschaft von Person A und C und der Freundschaft von Person A mit B oder C geben. Die Wahrscheinlichkeit ist dann aber sehr groß, dass auch Person A und C eine starke persönliche Beziehung zueinander pflegen, weil sie über Person B die Gelegenheit haben können, miteinander in Kontakt zu kommen (Granovetter, 1973: 1362f). Schon während der jeweiligen Auswahl weiterer Gruppenmitglieder hinsichtlich ihrer jeweiligen Freundschaftsbeziehungen zu einem bereits ausgewählten Mitglied muss ein Verweis auf die künftige Gruppe mitlaufen. Anders könnte nicht erklärt werden, wie es kommt, dass die jeweils Ausgewählte im Sinne des Schneeballverfahrens selbst eine dritte Person zur Teilnahme anfragt. Das jeweilige Informieren über die Möglichkeit der Teilnahme an der Gruppe bedingt sich von der Mitteilung, dass weitere Personen über die Möglichkeit einer Teilnahme informiert werden können. Ansonsten würde die Gruppenbildung ja bereits nach der zweiten gewonnen Person versanden. Deswegen kommt das Schnellballverfahren selbst nicht ohne ein Verständnis für Gruppenbildung aus, das bei jedem einzelnen Akt der Selektion weiterer Mitglieder mitläuft. Zudem zeichnet sich der Prozess der Selbstselektion mutmaßlich durch eine Beobachtung von Unterschieden in den Freundschaftsbeziehungen aus, wodurch die Gruppenselektion eigene Freiheitsgrade gewinnt. Wenn die Personen A und
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B gut befreundet sind und bereits ausgewählt sind, dann mag die Tragfähigkeit der Freundschaften der Personen B und C für eine gemeinsame Gruppenteilnahme auch in Bezug auf die Freundschaft von Person C zu Person A eingeschätzt werden. Wenn man weiß, dass man zusammen eine Gruppe bildet, liegt es auch nahe mitzudenken, ob derjenige, den man zum Mitmachen fragt, auch mit den anderen Gruppenmitgliedern gut auskommen wird. Solch eine Beobachtung zweiter Ordnung kann sich nicht nur rückwirkend auf die bereits etablierte Schneeballkette, sondern auch auf das Ende der Verkettung beziehen. Denn es liegt ebenso nahe, bei der Auswahl zu bedenken, ob derjenige, den man eigentlich zum Mitmachen fragen möchte, nicht wiederum jemanden zum Mitmachen fragen könnte, den man selbst nicht fragen würde. Das Selektionsschema der Freundschaft kann bei der Gruppenbildung also auch reflexiv auf bereits ausgewählte oder mögliche Dritte angewandt werden, wodurch die Selektion im Stande wird, sich selbst zu steuern. Die Selektion einer Person kommt dann nicht einfach nur über ihre Freundschaft mit einer anderen Person zu Stande, die bereits Mitglied der Kreditgruppe ist. Vielmehr wird die Selektion der Person auch dadurch konditioniert, wie deren Beziehungen zu Dritten eingeschätzt werden, die bereits Mitglied der Gruppe sind oder über weitere Verkettung noch Mitglied werden können. Durch diese Möglichkeit der Selbststeuerung der Gruppenbildung wird es nicht dem Zufall überlassen, dass das Maß persönlicher Beziehungen innerhalb der Kreditgruppe größer und vor allem homogener ist als jenes außerhalb der Kreditgruppe. Neben dem Schema der Freundschaft kann auch Kreditwürdigkeit als Schema die Selektion der Gruppe führen, indem ihr positiver Wert Teilnahme bedingt und ihr negativer Wert Teilnahme ausschließt. So ein Gruppenmitglied von Mikrofinanzinstitution DEF auf die Frage nach der Bildung ihrer Gruppe: “[…] I know them that why I informed them and I’m interested in them. I trust them that’s why I informed them // I: What do you mean to trust them? // To trust means, someone, ok as you can see I can’t go out and inform somebody who will default. We have someone that if you give him or her money, to pay you back will be difficult for that person, so I have to look for someone who will pay the money back, that will not bring any problem to the group, you see // I: How do you know? // I know because in the community, we are not in a big community, so we know each other and the character.” Man fragt nur denjenigen, von dem man annimmt, dass er das Zahlungsversprechen einhalten wird. Vermutlich beruht auch hier die Auswahl auf Wechselsei-
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tigkeit, worauf der Begriff des assortative matching, wie bereits oben erwähnt, verweist: es wird nicht nur eine kreditwürdige Person zur Teilnahme gefragt, sondern die kreditwürdige Person wählt ebenso unter dem Gesichtspunkt ihrer eigenen Kreditwürdigkeit und die der anderen, ob sie einer Teilnahme zustimmt oder nicht. Durch die Anwendung dieses Schemas wird jedoch nicht nur die Kreditwürdigkeit des gefragten, potentiellen Mitglieds und des fragenden, bereits bestimmten Mitglieds eingeschätzt. Vielmehr bezieht sich die Krediteinschätzung zudem auf die bereits ausgewählten Mitglieder: man sucht jemanden “that will not bring any problem to the group” und der Gefragte wird seinerseits vermeiden, an einer Kreditgruppe teilzunehmen, von der er weiß, dass einige schon feststehende Mitglieder gar keine Arbeit haben. Andersherum mag auch das Risiko beobachtet werden, dass eine Person, die man als kreditwürdig einschätzt und zur Teilnahme fragt, selbst kreditunwürdige Personen zur Teilnahme anfragt. So wird man vermeiden, jemanden zu fragen, wenn dieser wiederum seinen mittellosen und trinkenden Freund fragen könnte. Diese Beobachtungen ermöglicht den Vergleich von Kreditwürdigkeiten möglicher Teilnehmer über einfache Zweierbeziehungen hinaus auf Dritte, Vierte und Fünfte außerhalb und innerhalb der Gruppe und verweist damit auf eine Clusterung ähnlicher Niveaus von Kreditwürdigkeiten (bzw. auf die Kreditgruppe) unter Abgrenzung von anderen Niveaus außerhalb des Clusters. Auch hinsichtlich des Schemas der Kreditwürdigkeit können also Beobachtungen zweiter Ordnungen angestellt werden, nämlich in dem Sinne, dass bei der Einschätzung von Kreditwürdigkeit mitbeobachtet, wie Dritte beobachten. Solch eine Anwendung des Schemas der Kreditwürdigkeit bei der Selbstselektion der Gruppe wird aber erst unter Kopplung mit dem Schema der Bekanntschaft möglich. Bekanntschaft fungiert nicht (nur) als Erwartungsgrundlage zur Einhaltung des Zahlungsversprechens, also zu Beschränkung des Risikos des Kreditausfalls. Vielmehr dient Bekanntschaft als Bezugspunkt für die Gewinnung solcher Informationen, die eine Einschätzung der Kreditwürdigkeit der bekannten Person ermöglichen – “I have to look for someone who will pay the money back. […] I know because… in the community… we are not in a big community so we know each other and the character.” Selbst von einem Bekannten geht man nicht einfach blind davon aus, dass er kreditwürdig ist, sondern man beobachtet seine finanzielle Situation. Dabei mögen gerade die persönlichen Kenntnisse helfen, die man über ihn hat, etwa ob er arbeitet, viele Kinder zu versorgen hat oder wohlhabende Verwandte hat. In Bezug auf diese persönlichen Attribute können Informationen über die finanziellen Möglichkeiten dieser Person gewonnen und ihre Kreditwürdigkeit eingeschätzt werden. Fällt diese Einschätzung negativ aus, mag es durchaus zu Entscheidungskonflikten kommen,
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die Person um eine Teilnahme zu fragen oder nicht, gerade wenn es sich bei der persönlichen Beziehung zusätzlich um Freundschaft handelt. Die Frage, inwieweit Freundschaft (im Gegensatz zu Bekanntschaft) eine Einschätzung der Kreditwürdigkeit blockiert oder ermöglicht, muss aus empirischer Sicht unbeantwortet bleiben. Zumindest theoretisch wäre die Möglichkeit denkbar, trotz Freundschaft die Person aus der Gruppenbildung auszuschließen. Solch eine finanzielle Informationsgewinnung, die sich an Bekanntschaft koppelt, macht nur Sinn, wenn mehrere Personen miteinander verglichen werden können. Eben dies setzt die Berücksichtigung Dritter (und Vierter und Fünfter und aller anderen möglichen Gruppenmitglieder) voraus, die man gut kennt und deswegen im Stande ist finanziell einzuschätzen. Diese Risikobeobachtung muss, wie bereits gesagt, nicht nur in eine Richtung des Schneeballverfahrens vorgenommen werden, dass also nur im Hinblick möglicher weiterer Teilnehmer, mit denen man bekannt ist, solch eine finanzielle Einschätzung gemacht wird. Auch die zur Teilnahme gefragte Person mag eine Teilnahme von sich aus ablehnen, weil sie die schlechte finanzielle Lage der schon ausgewählten Mitglieder kennt. Solch eine Selbstexklusion kann zudem dadurch zu Stande kommen, dass die gefragte Person ihre eigene finanzielle Lage selbst schlecht einschätzt und weiß, dass sie nicht durch Absage aber durch Zusage wegen ihrer wahrscheinlichen Rückzahlungsprobleme die Bekanntschaft bzw. ggf. Freundschaft unnötig aufs Spiel setzt. Folge dieser Kopplung von Bekanntschaft und Kreditwürdigkeit ist, dass Mitglieder nicht deswegen in die Gruppe kommen, weil sie entweder mit den anderen Mitgliedern bekannt sind oder weil sie kreditwürdig sind. Vielmehr werden sie nun deswegen aufgenommen, weil sie sowohl bekannt als auch als kreditwürdig eingeschätzt wurden. Bekanntschaft und Kreditwürdigkeit stehen bei der Selbstselektion zueinander in einem sowohl/als-auch (anstatt in einem entweder/oder) Verhältnis. Kreditwürdigkeit ist dabei nicht über Erwartungen fest an Bekanntschaft gekoppelt. Vielmehr nimmt deren Verhältnis hier die Form einer losen Kopplung an, indem die Frage der Kreditwürdigkeit durch Rekurs auf Bekanntschaft überhaupt erst gestellt werden kann. Erst durch diesen Rekurs können finanzielle Informationen gewonnen werden, aus denen Einschätzungen zur Kreditwürdigkeit gebildet werden. Die Frage der Kreditwürdigkeit nicht bekannter Personen verbleibt hingegen unbeobachtet. Auch wenn persönliche Beziehungen also die entscheidende Rolle spielen, schließt dies nicht aus sondern gerade ein, dass Sachkontexte bei der Gruppenbildung relevant werden, wie uns die Gruppenmitglieder mitteilen:
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Ein Gruppenmitglied: “Ok, we know each other. Some of us we are on the same place and others are also from some places and we get together.” Ähnlich eine anderes Gruppenmitglied: “We are all at one place and we heard about the loan facility which we thought would go a long way to help us. So we gathered ourselves and grouped ourselves and we went to the institution for orientation.” Und ein drittes Gruppenmitglied: “We are not one family but we are neighbours. We are staying together at one place. That is how we are but not all of them... but some of them we know each other... but some of them we don’t know each other so far as we come here. ” Anders ein viertes Gruppenmitglied: “I know them long time and I’m attending church with some of them […]. So when a friend of mine tells me, then I also tell my church members: ‘Something is going on here, so if you like’, so when I discuss with them, they say ‘Oh, it’s fine, Rose I will come’, I say ‘Ok, if you like’ […].” Und ein fünftes: “We got to know each other, like some of us, we are friends and then some us too church members. We attend the same church so that’s how we got to know each other, yeah!” Und ein letztes Gruppenmitglied: “[…] A friend of me […] who is an assembly member, he told me that, he had meet people [of] Mikrofinanzinstitution DEF somewhere. So he discussed with me as I’m a business man. I also informed some of my trade members or business members and they also showed interest so we also called them. That is how get ourselves together.“ Demnach scheint es, dass die Gruppenbildung nicht trotz ihres Bezugs auf persönliche Beziehungen in bestimmten Kontexten abläuft, sondern diese Kontexte gerade die Anlässe für diese persönliche Beziehungen geben. So werden Gruppen unter Nachbarinnen gebildet, unter Kirchenmitgliedern oder im Kontext wirtschaftlicher Geschäfte. Man wird sich nicht unbekannt sein, wenn man Mitglied derselben Kirchengemeinde ist, und falls man nicht gerade ein skeptisches Verhältnis zueinander pflegt, ist es auch nicht abwegig den anderen zu fragen, an einer Kreditgruppe teilzunehmen. Wo der Kontext selbst (z.B. Kirchengemein-
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de) gerade den Kreditkontext ausschließt, können die Individuen und deren persönlichen Beziehungen zueinander, die durch diesen Kontext veranlasst werden und ihn strukturieren, ihn für die Gruppenbildung des wechselseitigen Bürgens ausnutzen. Die Kirchengemeinde mag sich als Kontext deswegen eignen, weil sie einerseits durch den Religionsbezug und andererseits durch ihre regelmäßigen Treffen beim Gottesdienst persönliches Vertrauen unter den Mitgliedern schafft, auf das die Selbstselektion der Gruppe rekurrieren kann. Dass Nachbarschaft und wirtschaftlicher Handel als Kontexte für Gruppenbildung fungieren, liegt vermutlich daran, dass sie neben ihrer Veranlassung von persönlichen Beziehungen den Bedarf und das Risiko des Kredits besonders plausibilisieren können: Unter Nachbarn etablieren sich persönliche Beziehungen nicht allein durch die räumlich bedingte Interaktionswahrscheinlichkeit, die als Infrastruktur für die Selbstselektion der Kreditgruppen genutzt werden können, sondern nicht zuletzt auch dadurch, dass der Bedarf an Kredit, der in vielerlei Hinsichten des persönlichen Lebens gegeben ist (z.B. für Schulgeld, Beerdigung, Hausbau, Kleinstinvestitionen), unter Nachbarn gut nachvollzogen werden kann. Zudem kann aber über Nachbarschaft die Kreditwürdigkeit zumindest erahnt werden, also finanzielle Information für die Selbstselektion der Kreditgruppe gewonnen werden, gerade wenn durch finanzielles Aushelfen bereits entsprechende Erfahrungen gemacht wurden. Und im Kontext des Wirtschaftens kann sich die Gruppenbildung auf Geschäftsbeziehungen oder auf Beziehungen zwischen nachbarschaftlichen Marktständen berufen. Neben der Frage des Kreditbedarfs für Investitionen sollte vor allem die Frage des finanziellen Risikos bei der Gruppenbildung in diesem Kontext besonders gut eingeschätzt werden können. Die Selbstselektion der Gruppe kann die persönlichen Beziehungen, die in den genannten Kontexten vorherrschen, parasitär ausnutzen, insbesondere dann, wenn durch sie zudem Informationen zum Kreditbedarf und zur Kreditwürdigkeiten gewonnen werden können. Durch die Selbstselektion innerhalb eines Kontextes wird auch die Wahrscheinlichkeit weiter erhöht, dass ein Mitglied nicht nur eine persönliche Beziehung zu einem anderen Mitgliedern hat, sondern auch zu einem Dritten, Vierten und Fünften, die ebenso in diesem Kontext agieren. Anfragen richten sich denn auch oft nicht mehr nur an eine Person, sondern schon an eine ganze Gruppe – “I tell my church members“ oder “I also informed some of my trade members“. Kontexte erhöhen also die Wahrscheinlichkeit der Berücksichtigung Dritter bei der Gruppenbildung und gewährleisten dadurch ein hohes Maß an Homogenität in der Gruppe. Kontexte fungieren somit als Grenzwert für die Selbstselektion der Gruppe. Denn das gemeinsame Engagement im Kontext (der Kirchengemeinde, des Wohnraums, des Marktes) kann
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auch noch dort einen Hintergrund für kollektives Erleben gewährleisten und dadurch Cluster persönlicher Beziehungen veranlassen, wo es sonst an einem fehlen sollte. 1.2 Formen der Selbstselektion Die Selbstselektion der Gruppe durch das Schneeballverfahren baut präferierend auf persönliche Beziehungen, die durch Kontexte, wie Religion, Wirtschaft oder nachbarschaftliches Wohnen, gerahmt werden. Die Gruppenbildung wird begünstigt, indem solche Kontexte Cluster von Beziehungen bedingen, an denen sich der Auswahlprozess der Gruppenbildung orientiert kann. Im Extremfall kann die Selbstselektion der Gruppe sich auf Cluster beziehen, die sich selbst durch Reflexivität auszeichnen und sich in dem Sinne bereits als Gruppe verstehen. Die Gruppenbildung richtet sich dann an der Grenze bereits bestehender Gruppen aus, ohne dass ein Schneeballverfahren in Gang gesetzt werden muss: Dazu ein Gruppenmitglied direkt auf die Frage, wie sich die Kreditgruppe gebildet hat: “Ok, we formed our group […]. [W]e are in town here and we know each other […] and […] we have an old group […]. That group is just, our community we have a group. In the farming season we even go to people’s farm and help and every ending of the month we have some contribution about, let me say 0.25 EUR, […] and if any help comes, anybody has a problem, we just go in.” Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch: “Ein Loan Officer erzählt über eine Kreditgruppe, dass sie aus lauter Männern bestünde, die jeweils electronic services (für Kühlschränke, TVs, etc.) anböten. Die Gruppe habe bereits als association dieser Berufsgruppe bestanden, von den 30 Mitgliedern würden 14 die Kreditgruppe bilden.“ Demnach muss die Selbstselektion nicht einem Schneeballverfahren folgen, bei dem nacheinander Mitglieder unter Bezug auf diverse persönlicher Beziehungen unter Berücksichtigung Dritter ausgewählt werden. Die Berücksichtigung bereits ausgewählter oder potentieller Mitglieder wird dadurch gewährleistet, dass sogleich eine ganze Gruppe ausgewählt wird, die ihre eigene Grenze bereits selbst mitreflektiert. Vor allem für Indien ist solch eine Selbstselektion etablierter Gruppen (insbesondere von Kredit- und Sparzirkeln) bekannt (vgl. z.B. Seibel, 2006: 54). Nach welchem Schema und unter welchen strukturellen Herausforderungen dies
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geschieht, wurde bisher allerdings noch wenig herausgearbeitet. Begriffe wie „linkage banking“ (ebd.) verdecken eher die Probleme als sie zu beleuchten, indem sie nur die Rolle von NGOs ansprechen, die solch eine Verlinkung vorantreiben, ohne die Prozesse der Selbstorganisation der Kreditgruppen selbst zu berücksichtigen. Mutmaßlich wählt sich solch eine Gruppe selbst als Kreditgruppe entweder durch eine Mehrheitsentscheidung oder durch die Entscheidung eines Gruppenführers aus, wofür gerade dann auch die Ansichten der einzelnen Mitglieder mit zu berücksichtigen sind. Und selbst wenn jeder für sich selbst entscheidet, fällt solch eine Entscheidung bestimmt nicht ohne Bezug auf eine bereits vorliegende Gruppenidentität. Denn jeder weiß, dass die anderen Mitglieder der Gruppe, die man kennt, sich ebenso für eine Teilnahme an der Kreditgruppe entscheiden können, und dafür wiederum das eigene Entscheiden berücksichtigen. In unseren Beispielen handelt es sich zum einen um einen Arbeits- und Kreditzirkel und zum anderen um eine Art Berufsgenossenschaft. Die Selbstselektionen dieser Gruppen als Kreditgruppen mögen im ersten Fall durch Bezug auf die bewährten Erwartungen der Arbeits- bzw. Zahlungs-Rotation und im zweiten Fall durch Bezug auf gemeinsame berufliche Interessen wahrscheinlich geworden sein. Doch unsere Beispiele zeigen auch, dass die Selbstselektion nicht unbedingt die gesamte vorhandene Gruppe miteinbezieht, sondern unter ihren Mitgliedern weiter aussortiert. Wie vollzieht sich solch eine Selbstselektion innerhalb einer bereits vorhandenen Gruppe? Dazu wieder das Gruppenmitglied von eben: “[S]o we look at them. Even some of the businessmen are still there that I can… may be we are doubting them so we didn’t select […]. So those that we selected the group knows that they are faithful to, instead of not to spoil the name of the group but they are faithful to the group that how we come about selecting them. I think that’s all.” Die Bildung von Kreditgruppen innerhalb bestehender Gruppen laufen bei diesem Beispiel weniger nach dem Schema persönlicher Bekanntschaft oder Freundschaft ab, denn dies gibt ja die bestehende Gruppe bereits vor, sondern vorwiegend nach dem Schema der Kreditwürdigkeit. Vor allem die Geschäftsleute der Gruppe, denen man trauen kann, werden ausgewählt, um Schaden von der Kreditgruppe fernzuhalten. Und es ist wiederum naheliegend anzunehmen, dass die Informationen zur Kreditwürdigkeit über die starken persönlichen Beziehungen gewonnen werden können, die sich aus der bereits etablierten Gruppe ergeben und diese ausmachen. Allein der Bezug auf bereits etablierte Gruppen
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gewährleistet schon ein hohes Maß an persönlicher Homogenität in der Kreditgruppe, und eine weiter einschränkende Selektion in Bezug auf Kreditwürdigkeit ein eingehbares und homogenes Maß an finanziellem Risiko. Ein noch höherer Grad dessen, was bei der Gruppenbildung vorausgesetzt werden kann, wird erreicht, wenn es sich bei der bereits etablierten Gruppe um eine ehemalige Kreditgruppe handelt: So erzählt ein Mitglied über die Gruppenbildung: “Okay, previously we got assistance from some certain bank but later how they treat us we didn't like so we stop with them. So even when we heard of this very Mikrofinanzinstitution DEF association, […] we went to our first bank which assisted us and asked of our performance and we had credit over there. So our major aim to form this association to get assistance from either government or any financial association.” In solch einem Fall der Gruppenbildung bedarf es weder einer Anwendung des Schemas persönlicher Bekanntschaft noch darauf bezogen einer Anwendung des Schemas der Kreditwürdigkeit, weil die Gruppe sich nach diesen Gesichtspunkten für die Nachfrage anderer Kleinkredite bereits gebildet hat. Allein ein unbefriedigter Kreditbedarf und allenfalls eine wiederholte Selbstbestätigung der eigenen Kreditfähigkeit stellen dann noch die Bedingungen für die Formierung der nun neuen Kreditgruppe dar. Gruppenbildung, bei der es immer um die Frage der Teilnahme von Personen als Mitglieder an einer Gruppeninteraktion geht, kann wie beim Schneeballverfahren mehr von den Mitgliedern oder wie bei der Selbstselektion etablierter Gruppen mehr von der Gruppe selbst ausgehen, wobei im ersten Fall immer auch die Perspektive dritter Mitglieder und damit die Gruppe und im zweiten Fall immer auch die Perspektive einzelnen Mitglieder zu berücksichtigen sind. Jenseits dieser beiden Optionen besteht die Möglichkeit einer hierarchischen Form der Gruppenbildung: So erzählt ein Gruppengründer: “You see, I got to this woman […]: ‘I want people to form some group so if only you can help’, she says ‘Oh, okay I will join’. The same thing if I go to anybody, the same thing ‘Oh yeah!’” Und ein anderer: “So, I went from house to house and know those who are willing to do the work and can pay the money interest. So I select some people.”
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In diesem Fall erfolgt die Aufnahme eines neuen Mitglieds nicht dezentral dadurch, dass jedes neu aufgenommene Mitglied wiederum selbst direkt an der Aufnahme des nächsten Mitglieds und als Dritter auch an der Aufnahme jedes weiteren Mitglieds teilnimmt. Und sie erfolgt auch nicht dadurch, dass sie sich an der Grenze einer bereits etablierten Gruppe orientiert. Vielmehr erfolgt die Auswahl bestimmter von potentiellen Mitgliedern lediglich durch eine Person, dessen Mitgliedschaft schon feststeht. Dabei mögen wiederum persönliche Beziehungen erwartungsleitend sein, etwa solche in der Nachbarschaft – “I went from house to house”. Und bezogen auf die persönlichen Beziehungen kann wie bei den anderen Formen auch bei der hierarchischen Form der Selbstselektion das Schema der Kreditwürdigkeit zum Zuge kommen: Dazu der erstgenannte Gruppengründer von eben: “There so many people around this place but I choose because not all can pay the money, only if you know this woman. When you […] collect money she will refuse to repay, I’ll never go to her. I have to find the one who can pay. […] // I: How would you know that these people can pay // […] Because of […], you are from this town and I’m from this town. I know your movement and you know my movement. I know your hard work and you know my hard work, I know your laziness and you know my laziness. Once I know that you are laziness I will never bring you to my group. This how I stand before I choose them.” Und der zweitgenannte Gruppengründer: “[…] [S]ome people are here, they are not interested, I just throw them away; I just told them that I can’t work with them […] because if they came and get the money, I don’t know what kind of work they are going to use the money to. Maybe if now they are coming to have the money and have some job, but it is not so, how we get the money? […] I go around look at everybody’s work, so that if we give the money to you, you can use the money to work. So I will go one by one to their stations, where they work, so I will see everybody’s work before I accept that people, yes.” Insbesondere die Beobachtung seiner Arbeit, die Art dieser Tätigkeit und die Motivation des potentiellen Mitglieds, liefern demnach die Informationen zur Einschätzung der Kreditwürdigkeit. Solche Beobachtungen werden durch wechselseitiges Wahrnehmen, Interagieren und Pflegen von persönlichen Beziehungen, was sich aus der räumlichen Nähe des Wohnens und Arbeitens bedingt, er-
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möglicht. Entweder hat man es selber beobachtet, hat es von anderen gehört, oder man geht notfalls an den Ort des Geschehens, um die Frage der Kreditwürdigkeit für sich beantworten zu können. Bezeichnend für die hierarchische Form der Selbstselektion im Gegensatz zu den anderen Formen ist, dass die persönliche Beziehung und die dadurch ermöglichte Einschätzung der Kreditwürdigkeit zum jeweiligen potentiellen Mitglied sich dyadisch auslegt, ohne dass dritte potentielle Mitglieder mitberücksichtigt werden. Es mag durchaus sein, dass durch hierarchische Selbstselektion ebenfalls ein hohes Maß an persönlicher und finanzieller Homogenität in der Gruppe gewährleistet wird, vor allem dann, wenn der Gruppenbildner zu vielen Personen Beziehungen pflegt und gegebenenfalls durch andere Tätigkeiten (z.B. als community leader) bereits eine Beobachterrolle in der Nachbarschaft einnimmt. Dadurch können sich Gelegenheiten ergeben, die persönlichen Beziehungen und gegebenenfalls die finanziellen Möglichkeiten der Einwohner der Nachbarschaft einschätzen zu können. Andererseits besteht jedoch das Risiko einer Falschauswahl angesichts der fehlenden Reflexion durch die anderen auszuwählenden Teilnehmer, die eine dritte Position in der Einschätzung von Freundschaften und Risiken einnehmen könnten. Insbesondere liegt das Risiko darin, dass der Gruppenbildner seine Freunde fragt, ohne dabei zu berücksichtigen (oder dies zu können), inwiefern sie untereinander bekannt und vertraut sind. Selbst wenn man etwa erfährt, dass auch der eigene Widersacher zu einer Teilnahme gefragt wurde, wird eine Ablehnung schwierig, weil sie die eigene persönliche Beziehung zum Gruppenbildner gefährden würde. Vor dem Hintergrund der eigenen Beziehung zum Gruppenbildner beschränkt sich also auch die Möglichkeit der Selbstexklusion zur Meidung Dritter in der Gruppe. Im Falle der Beobachtung von Kreditwürdigkeit besteht das Risiko des moral hazard hier in dem Sinne, dass der Gruppenbildner nicht nur ihm als kreditwürdig erscheinende Personen fragt, sondern auf deren Kosten auch kreditunwürdige, die ihm aber persönlich besonders nahestehen. Wenn sich nicht alle Kandidaten persönlich vertraut sind und deswegen nicht wechselseitig ihre Kreditwürdigkeit einschätzen können, oder auch wenn sie sich teilweise untereinander als kreditunwürdig einschätzen und sich deswegen scheuen, besteht anschließend das Risiko des adverse selection: Denn dann kommt es nur zu keiner Selbstexklusion, also zu Zusagen, von solchen Kandidat, die im hohen Maße risikobereit sind, weil nur für sie ein finanzieller Anreiz besteht, das Risiko des wechselseitigen Bürgens einzugehen. Eine hierarchische Form der Gruppenbildung geht im Gegensatz zum Schneeballverfahren also mit zusätzlichen Risiken einher. Sie ergeben sich so-
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wohl aus der Heterogenität der persönlichen Beziehungen unter den potentiellen Mitgliedern und in Zusammenhang damit aus deren möglichen Kreditunwürdigkeit. Beides wird dann wahrscheinlich, wenn die potentiellen Teilnehmer und ihre Beziehungen nur durch den Gruppenbildner, aber nicht untereinander durch sich selbst als ein Drittes beobachtet werden können. Nicht zuletzt besteht das Risiko, dass der Gruppenbildner seine (doppelte) Rolle ausnutzt, indem er als kreditwürdig eingeschätzte Personen anfragt, die aufgrund seiner Stellung in der Nachbarschaft eine Teilnahme nur schwer ablehnen können, obwohl sie seine eigene Kreditwürdigkeit nicht einschätzen können oder sie eigentlich als unzureichend einstufen. 1.3 Fazit Über ihre Selbstselektion gewinnt die Kreditgruppe Freiheitsgrade gegenüber der lokalen und regionalen Ausprägung und Heterogenität reziproker Beziehungen und unterschiedlicher Niveaus an Kreditwürdigkeiten. Deswegen reicht es nicht, das Bewähren der Selbstselektion der Kreditgruppe beim Einführen des wechselseitigen Bürgens allein über lokal gebundenes Sozialkapital zu erklären, indem darauf verwiesen wird, dass durch Selbstselektion vorliegendes Sozialkapital einfach in die Gruppe übernommen werden kann. Dass durch eine eigenständige Gruppenbildung gesellschaftliches Sozialkapital für wechselseitiges Bürgen ausgenutzt wird steht außer Frage. Für eine genaue Analyse, wie dies geschieht, müssen jedoch die regionalen und lokalen Reziprozitäten und die Selbstselektion der Kreditgruppe zunächst voneinander unterschieden werden, um daraufhin deren Relationierungen, ihre Kopplungen und Entkopplungen, beleuchten zu können. Wir konnten sehen, dass die Selbstselektion der Gruppe eine eigene Beobachtungsweise darstellt, welche die Auswahl von Mitgliedern zu einer Gruppe organisiert. Gruppenbildung heißt demnach nicht, dass Ausschnitte persönlicher Beziehungen im Dorf oder im Stadtteil in die Gruppe übertragen werden. Sozialkapital wird nicht wie Obst von Bäumen gepflückt. Und unter ihr kann auch nicht nur verstanden werden, dass zwei Personen sich im Sinne des assortative matching wechselseitig in Bezug auf ihre Kreditwürdigkeit auswählen. Vielmehr werden bei der Selbstselektion immer auch Dritte, Vierte, Fünfte, usw. als potentielle Mitglieder, gegebenenfalls sogar die gesamte Gruppe als Cluster im Unterschied zum regionalen und lokalen Netzwerk von Beziehungen berücksichtigt. Dadurch ergeben sich in Bezug auf bestimmte Schemata, wie persönliche Bekanntschaft oder Kreditwürdigkeit, die bei der Selbstselektion zum Zuge kommen, Vergleichs- und Auswahlmöglichkeiten unter potentiellen Mitgliedern. Da-
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rin liegt die exklusive Beobachtungsweise der Gruppenbildung, nach der entschieden werden kann, wer in die Gruppe inkludiert wird und wer nicht. Die Berücksichtigung Dritter in Bezug auf das Schema persönliche Bekanntschaften und Freundschaften liegt in der Beobachtung dessen, wie es um die Beziehung eines potentiellen Mitglieds zu den bereits ausgewählten Mitgliedern steht beziehungsweise welche Mitglieder potentiell durch die Auswahl eines Mitglieds hinzukommen könnten. Kreditwürdigkeit kann dabei durch die Bekanntschaft oder Freundschaft erwartet werden, ohne genauer eruiert werden zu müssen. Sie kann aber auch selbst als Schema angewandt werden und die Selbstselektion steuern. Persönliche Beziehungen spielen dann nicht unbedingt eine geringere Rolle. Anstatt als Erwartung fungieren sie bei der Selbstselektion nun jedoch als Kopplung zur Gewinnung finanzieller Informationen. Auch hier kommt wieder eine Vergleichbarkeit verschiedener potentieller Mitglieder durch Berücksichtigung Dritter zum Zuge, diesmal in Bezug auf Kreditwürdigkeiten. Durch die Kombination der Verwendung spezifischer Selektionsschemata als Beobachtungen der zu bildenden Gruppe können sich der Grad der Homogenität der persönlichen Beziehungen und der Grad der Homogenität der Kreditwürdigkeit innerhalb der Gruppe von denen außerhalb der Gruppe abheben. Die Selbstselektion der Gruppe läuft im Sinne eines Schneeballverfahrens entweder mehr über die einzelnen Mitglieder, wobei von hier aus auch auf die Gruppe reflektiert wird. Oder sie vollzieht sich bei einer Auswahl einer bereits etablierten Gruppe mehr im Hinblick auf die ganze Gruppe, wobei von dort aus auch die Ansichten ihrer einzelnen Mitglieder berücksichtigt werden wird. Eine dritte Form der Selbstselektion stellt die hierarchische Auswahl dar, die insbesondere das Risiko in sich birgt, dass die Perspektive Dritter unberücksichtigt bleibt. Während Schneeballverfahren sich vornehmlich auf solche persönliche Beziehungen beziehen, die durch Kontexte strukturiert werden, bezieht sich eine Vollauswahl der Kreditgruppe auf bereits etablierte Gruppen, wie beispielsweise informelle Kredit- und Sparzirkel. Eine hierarchische Selbstselektion kann demgegenüber durch Leistungsrollen im Dorf oder im Stadtteil begünstigt werden, wie beispielsweise die politische Rolle des community leader. Die Form der Selbstselektion der Gruppe korrespondiert also jeweils mit einer spezifischen Strukturform außerhalb der Gruppe, auf der sie sich für die Anstellung ihrer eigenen Beobachtungen bezieht. Auch wenn unterschiedliche Formen der Selbstselektion beobachtbar sind, schließt dies nicht Zwischenformen aus, beispielsweise, dass das Schneeballverfahren oder die Vollauswahl eine hierarchische Komponente beinhalten, oder
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dass Abschnitte des Schneeballverfahrens durch die Selbstselektion einer ganzen (Sub)Gruppe ausgewählt werden. Bei allem, was wir bisher beobachten konnten, wählt die Gruppe durch ihre eigene Beobachtungweise ihre Mitglieder selbst aus. Wirklich gänzlich selbst? Hat nicht die Auswahl von Mitgliedern ein Anfang und ein Ende, sodass man sich fragen muss, wie die Gruppenbildung dann dazu kommt, mit der Auswahl zu beginnen und auch mit ihr wieder aufzuhören? Fragen wir dazu zunächst die Gruppen selbst: Auf die Frage, wie sie von der Kleinkreditvergabe gehört hätten, antwortet ein Gruppenmitglied: “[…] Some people are at our place, they collect money from Mikrofinanzinstitution ABC and then they tell us how Mikrofinanzinstitution ABC is. That is why we also come here too.” Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch: Eine andere Klientin erzählt, dass andere Dorfbewohner auf ihre improvements aufmerksam geworden seien und daraufhin auch eine Gruppe gebildet hätten. Und aus der Übersetzung der Antwort auf die Frage nach der Gruppenbildung: “They saw the way the other groups were improving so one of them went to their houses […] to inform them that ehmm she has heard that some Mikrofinanzinstitution DEF Officer are helping some group here ‘So if you are interested you can join me so that we can also go for the loan’. So the person told her that, ‘Oh I’m interested so I can go with you’ and the two of them also went to another house to inform another person, that’s how they got the group. So they went to the houses, from house to house to inform you, if you are interested you just join the group, if you are not interested you just sit back.” Demnach kann es durchaus dazu kommen, dass die Kreditgruppe sich gänzlich selbst bildet, ohne externe Anweisungen zu erhalten. Die erforderliche Information zur Gruppenbildung wird in solchen Fällen von bereits gebildeten anderen Kreditgruppen mitgeteilt oder durch Beobachtung anderer Kreditgruppen gewonnen. Anfang und Ende der Gruppenbildung können dadurch zwar nicht allein durch die Kreditgruppe, aber immerhin durch andere Kreditgruppen geregelt werden. Doch man könnte sich weiter fragen, aus welchem Anlass diese anderen Kreditgruppen wiederum gebildet hat. Finanzielle Exklusion als negativen Anlass einerseits sowie regional und lokal ausgeprägte Reziprozitäten andererseits haben wir bereits als Strukturbedingungen für das wechselseitige Bürgen ausge-
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macht. Doch wer vergibt eigentlich der Kreditgruppe Kleinkredite unter Erwartung des wechselseitigen Bürgens? Wer ist der Gläubiger? Dass die Selbstselektion der Gruppe nach dem Schema persönlicher Bekanntschaft selbstständig abläuft, könnte man sich gerade noch vorstellen. Spätestens aber im Hinblick auf das Schema der Kreditwürdigkeit der Gruppenbildung stellt sich die Frage, wer die Kredite für die Gruppe zur Verfügung stellt. Der Gläubiger selbst wird nicht als Mitglied in die Schuldnergruppe aufgenommen. Doch vielleicht kann er gerade dadurch den Anlass zur Gruppenbildung geben. Gehen wir also der Frage nach, welche Rolle er bei der Bildung der Gruppe spielt.
2. S ELEKTIONEN ZWEITER O RDNUNG DER I NTERAKTION MIT DEM L OAN O FFICER 2.1 Ablehnung der Selektion der Gruppenmitglieder Bis jetzt macht es den Anschein, als ob die Gruppe sich selbst bildet. Wie steht dazu der Loan Officer, der als Gläubiger vom Geschäft mit Krediten lebt? Versucht er, an der Auswahl der Gruppenmitglieder selbst direkt teilzunehmen, um das Risiko kontrollieren zu können, dass die Gruppe zahlungssäumig wird? Immerhin ist er ja darauf angewiesen, dieses Risiko zu kontrollieren, um sein Geschäft weiter betreiben zu können. Befragen wir ihn also dazu: So ein Loan Officer: “The group guarantee means that, you self select yourself to become a group and we give you a loan without collateral. What that means is if you are not able to pay, the rest of the group members will contribute little bits to pay for you.” Und ein anderer: “How they should be formed... yes... yes for them to do very well, we don’t form the group. They form the group themselves, you see... for example when... let’s say... in the... in the case where you go to a new community and then they come, you orient them but when they are forming their own groups we allow them to form their own groups because each one knows where she or he will fit better so we allow them to form their own groups, yes.” Die Selbstselektion der Kreditgruppe bleibt aus der Perspektive der Loan Officer demnach nicht unbeobachtet. Und sie wird zudem nicht als etwas Nebensächliches, unvermeidlich Informelles oder gar als etwas zu Vermeidendes, das durch
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unmittelbares eigenes Handeln zu ersetzen wäre, angesehen. Vielmehr wird eine eigene Durchführung der Gruppenbildung abgelehnt und die Beobachtungsweise der Kreditgruppe bei ihrer Bildung als entscheidend für das Funktionieren des wechselseitigen Bürgens beobachtet. Die organisationale Stelle des Loan Officer beobachtet, dass die Gruppenbildung besser nach ihren eigenen Beobachtungen abläuft. Wie kommt die Stelle darauf, und kann sie den Nutzen dieser Beobachtungen weiter ausbauen? 2.2. Selektion des Operationsgebiets Die Selbstselektion der Kreditgruppe zeichnet sich dadurch aus, dass sie persönliche Beziehungen der lokalen gesellschaftlichen Struktur und in Bezug darauf die Kreditwürdigkeiten beobachtet und in Bezug darauf ihre Mitglieder auswählt. Dieser Rekurs der Selbstselektion der Gruppe auf regional und lokal ausgeprägte Reziprozitäten steht wiederum selbst unter einer Beobachtung, nämlich der Beobachtung der Stelle des Loan Officer. Aus der Perspektive des Loan Officer stellt sich die Frage, wie sich eine Kreditgruppe in einer Region oder einer Lokalität bilden kann, ohne dass der Loan Officer selbst Mitglied der Gruppe oder unbedingt Bewohner dieser Gegend sein muss. Durch den Loan Officer wird nicht die Beobachtung der Selbstselektion der Gruppe ersetzt, sondern durch eine weitere Perspektive ergänzt. Seine spezifische Beobachtungsweise stellt in Rechnung, wie durch die Selbstselektion der Gruppe die regionale und lokale Sozialstruktur beobachtet wird. In diesem Sinne handelt es sich um eine Beobachtung zweiter Ordnung des Verhältnisses von Kreditgruppe und Sozialstruktur. Und insofern durch Beobachtungen zweiter Ordnung die Selektionen der Kreditgruppe ermöglicht und beschränkt werden können, handelt es um Selektionen zweiter Ordnung. Die Funktion der Beobachtungen zweiter Ordnung durch die Stelle des Loan Officer liegt darin, die Selektion der Kontingenz der Selbstselektion der Gruppe als deren Auswahlbereich mitzusteuern. Dazu gehört mindestens, die Voraussetzungen der Selbstselektion der Gruppe und damit ihre Kontingenz zu beobachten und entsprechend operativ zu intervenieren, anstatt sie als gegeben hinzunehmen. Schauen wir uns diese Selektionen zweiter Ordnung durch den Loan Officer genauer an: einerseits in Bezug auf das Operationsgebiet der Mikrofinanzinstitution, in dem die Gruppenbildung stattfindet, und andererseits in Bezug auf die Gruppenbildung selbst. Fragen wir zuerst, wie Seitens der Stelle des Loan
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Officer21 das Operationsgebiet der Gruppenkreditvergabe im Hinblick auf die Möglichkeit der Selbstselektion der Kreditgruppe ausgewählt wird. So ein Officer: “Mostly in urban areas we seem to be having problems with PAR. Portfolio at Risk. […] [I]t seems as a result of that urban influence where clients will want to be individual than belong to a group. We are not very sure. Gradually we have to do a research into that to see whether its driving force has to do with income or urban, we are not sure. But the group in urban areas is not working except in the urban slum areas. Urban slum, where incomes are very low, even like Großstadt CBA-[Name Stadtviertel] here; most of the people in Großstadt CBA happen to be migrants who have migrated from the North and they do menial jobs, carrying. So there, the group system works but when you go to the suburbs of Großstadt CBA, Großstadt FED, the group is not very strong […].” Aus Perspektive des Loan Officer ist eine urbane Sozialstruktur mit ihrem höheren Individualisierungsgrad ein ungeeigneter Kontext für wechselseitiges Bürgen, weil in ihr die Bildung einer Gruppenidentität schwierig wird, – “clients will want to be individual than belong to a group”. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ländliche Gebiete für Gruppenbildung als geeigneter eingeschätzt werden, wohl wegen der hier stärkeren Ausprägung von Reziprozitäten. Der Loan Officer beobachtet die lokale Sozialstruktur hinsichtlich eines Operationsgebietes der Selbstselektion der Gruppe aber nicht nur im Schema Reziprozitäten / Individualisierung, sondern auch in Bezug auf das Fehlen von Kreditalternativen: Ein Loan Officer Supervisor: “[…] [B]ut within Großstadt FED we have a lot that’s why with the Großstadt FED clients as I was telling you they are very reluctant compared to the remote areas because they know [in the remote areas] we have about only one or two organisations serving them so [if] they don’t pay well and they lose out they are doomed but in Großstadt FED they know when you don’t give them they are needed elsewhere then they will go and spoil the place and then they move to another place. So it’s more the competition is very great. It’s greatest in Großstadt FED […].
21 Das hier nachfolgende empirische Material entspringt nicht nur den Aussagen von Loan Officern, sondern auch von höheren Hierarchiestellen der MFI, durch die vornehmlich die Entscheidungen zur Selektion von regionalen und lokalen Sozialstrukturen als Operationsgebiete für das wechselseitige Bürgen getroffen werden.
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[…] [T]he competition is very intense in the cities compared to the remote areas, yes.” Wiederum wird städtische im Gegensatz zu ländlicher Sozialstruktur als ungeeignet für die Gruppenbildung angesehen, nun aber aufgrund der hier gegebenen Kreditalternativen. Kreditalternativen laden ein zum shopping around im Sinne Parsons. Die Möglichkeit des Zugangs zu Krediten an anderen Stellen lässt Zahlungsausfälle wahrscheinlich werden, weil die Verweigerung von Folgekrediten als Sanktionierung solcher Zahlunsgausfälle dadurch hinfällig wird. Genau dieses Problem wird von der Stelle des Loan Officer aus beobachtet und bei der Selektion des Operationsgebietes des wechselseitigen Bürgens berücksichtigt. Dennoch werden deswegen ländliche Gebiete, in denen sich Reziprozitäten stärker ausprägen und weniger Kreditalternativen vorliegen (“so they don’t pay well and they lose out they are doomed”) nicht uneingeschränkt gegenüber städtischen Gebieten präferiert: Auszug aus dem Forschungstagebuch: „Wir durchfahren einige kleine Dörfer mit Häuschen aus Lehm und Palmwedel als Dach. In solchen Dörfern könne man keine Mikrofinanzierung machen, denn sie haben keinen (festen) Markt, so Christian [Loan Officer, JS] auf meine Nachfrage hin. Nur in solchen communities, wo es Geschäfte und ein Markt gäbe würde Mikrofinanzinstitution JKL arbeiten.“ Und ein Area Manager: “[…] [W]e have segmented the market, divided the market and we determine those who are our target group because each institution has its own focus. And our focus is on micro-clients, so we target them and they are basically located in the communities, yeah, and in some of the villages that we have gone. So if you want to reach a new area we have situation where sometimes they come to us that: ‘We have heard about your program and we want you to help us’. Then the supervisor with the Branch Manager will visit the place or sometimes we reach out to them that we heard this place is a viable vibrant place, very market place that we have a lot of people converging there, so we will go there […].´ Während also nach den Beobachtungen durch den Loan Officer zwar ländliche Gebiete wegen fehlenden Kreditalternativen und stärkerer Ausprägung von Reziprozitäten zu einem höheren Anreiz des wechselseitigen Bürgens führen, bedarf es nach ihnen aber auch ein Mindestmaß an ökonomischer Struktur, “a viable vibrant place, very market place”. Offensichtlich beachtet die MFI bei all
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ihrer Präferenz für ländliche Gebiete den Bedarf an Investitionsgelegenheiten für die Gruppe der Kreditnehmer, um das Funktionieren des wechselseitigen Bürgens zu gewährleisten. Damit liegt die Annahme nahe, dass die MFI für das wechselseitige Bürgen weder städtische noch ländliche Sozialstruktur präferiert, sondern Gegenden präferiert werden, die eine Zwischenposition markieren. Dies kann, muss aber nicht mit räumlichen Verortungen zwischen Stadt und Land zusammenfallen. Denn auch städtische Slums (siehe oben: “the group in urban areas is not working except in the urban slum areas”) und vermutlich wirtschaftliche Knotenpunkte auf dem Land eignen sich aus Sicht der MFI mit ihrer Stelle des Loan Officer für die Einführung des wechselseitigen Bürgens. Der Fokus der Beobachtung zweiter Ordnung durch die Stelle des Loan Officer liegt also vor dem Hintergrund der Selbstselektion der Kreditgruppe auf der lokalen Sozialstruktur zur Selektion des Operationsgebietes. Dadurch kann man zwar nicht mit Sicherheit ausschließen, dass es nicht zum Risikofall des Scheiterns des wechselseitigen Bürgen kommt. Die Gruppenbildung wird dadurch aber nicht dem Zufall überlassen, und es können sich Erfahrungswerte für die Frage ausbilden, in Bezug auf welche Sozialstruktur sich die Selbstselektion der Gruppe bewährt: Dazu ein Loan Officer: “The same thing, the market based [group, JS], […] you all come from your various homes, you meet in the market to sell. That’s where you spend most of your day. So if that place, too, you buy people’s things and you don’t pay it will be clear people will be coming to you, attacking you insulting you and then they will see. So definitely if they are forming the group and you want to be part of them they will say ‘no’, you understand, so the church based, too, they know because […] that’s where you spend most of your time and so you tend to be known better. So it only helps in the group coming out very well because they know each other very well. That’s why we don’t encourage this A from here, B from here and then they come together no, because from there if you have a secret the one here will not know that this one coming from Großstadt FED [Name Stadtviertel], he has a very negative character; the one in the market will not know, yes. But if you are in the same community, the same market, same church he will know, he will know.” Demnach ist es nicht allein auf die Kreditgruppen selber zurückzuführen, dass sie sich vornehmlich in den Kontexten von Nachbarschaft, Kirchengemeinde und Markt bilden, wie wir oben gesehen haben. Diese Kontextualisierungen der Gruppenbildung ergeben sich mindestens genauso aus Erfahrungswerten, die
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sich aus der Beobachtung der Selbstselektion durch die Stelle des Loan Officer ergeben. So kann durch die Stelle des Loan Officer beispielsweise eine Selbstselektion im Kontext des Marktes, der Kirchengemeinde oder der Nachbarschaft veranlasst werden, weil und insoweit sie davon ausgehen kann, dass in diesen Kontexten persönliche Bekanntschaften und damit Reziprozitäten besonders stark ausgeprägt sind. Dabei geht es nicht um die Kontexte selbst, also nicht um den Gottesdienst, das wirtschaftliche Handeln oder die Nachbarschaft. Sondern es geht darum, wie sie für das wechselseitige Bürgen einer Gruppe von Schuldnern ausgenutzt werden können. Allen diesen Kontexten ist gemein, dass sie durch ihre räumliche bzw. organisatorische Bindung regelmäßig Interaktionen ihrer Teilnehmer veranlassen, sodass man sich persönlich kennt und einzuschätzen lernt – eben auch in finanzieller Hinsicht, was für die Gruppenbildung ausgenutzt wird. 2.3 Schulungen der Gruppe Verlässt sich der Loan Officer tatsächlich allein darauf, dass durch eine entsprechende Auswahl der lokalen Sozialstruktur als Operationsgebiet die Selbstselektion der Kreditgruppe nach den Schemata persönlicher Bekanntschaft und der Kreditwürdigkeit ablaufen, um das Funktionieren des wechselseitigen Bürgens zu gewährleisten? Zwar stellt die Auswahl des Operationsgebietes durch den Loan Officer im Hinblick auf die Gruppenbildung eine wichtige Bedingung für das Funktionieren des wechselseitigen Bürgens dar. Doch bedient sich der Loan Officer daneben noch eines weiteren Instrumentes, um die Risiken des wechselseitigen Bürgens kontrollieren zu können. Dieses Instrument sind Maßnahmen, sogenannten trainings oder orientations, durch welche die potentielle Gruppe zu ihrer Selbstselektion unter Berücksichtigung des wechselseitigen Bürgens geschult wird. Fragen wir die Loan Officer, welche Aspekte hierbei eine Rolle spielen: So ein Loan Officer: “When we [die Gruppe, JS] orient them we tell them to learn to be friends though they may not be friend when they formed the group, but they trusted each other enough to come together to form a group to ask for a loan. And when they initially come, when they form those groups, we call those groups Trust Banks […]. So we tell them to try as much as possible to be friends: Learn each other’s family members, know their husbands, their children, their family members, what they do for a living. When you know all these things and there is a problem, it wouldn’t be too difficult to share and pay the money because you know who the person
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is. […] So you would know that this person is like this, ‘If I pay this money she will come back and pay me in full’. […] [T]he group will only work effectively when they are friends. They should just talk to each other, if the person tells you this is where I sell my goods and the sales these days are not good, advise him or her to take the goods somewhere there will be because if you don’t advise him or her that way and they default you will be held liable.” Ein anderer Loan Officer: “We train them to love each other, to trust each other, to communicate […], because a collapse to the group is a collapse to the business, because if the group fails they will not be able to obtain the loans.” Inhaltliche Übersetzung eines Auszugs einer in lokaler Stammessprache aufgenommenen Erziehungsmaßnahme: “The loans officer again tells them [der Gruppe] that the relationship between them can only foster based on these two key words: trust and truthfulness. He cautions them that it will be in their own interest to be truthful because it is for that reason that the institution will continue to help them. He tells them that, they should help him for him to help them and not try to make his job difficult because when it comes to a point of him chasing them here and there it would auger well.” Demnach ist die Freundschaft beziehungsweise die persönliche Bekanntschaft der Gruppe der Schuldner weder allein auf die lokale Gesellschaftsstruktur noch allein oder in Bezug auf ersteres auf die Selbstselektion der Gruppe zurückzuführen. Auch die erzieherischen Maßnahmen des Loan Officer tragen dazu bei, dass sich die Mitglieder untereinander persönlich gut kennen – “we tell them to learn to be friends”. So wie durch den Loan Officer bei der Auswahl eines Operationsgebiets die regionale Sozialstruktur im Hinblick auf die Selbstselektion der Gruppe beobachtet wird, so wird auch die Selbstselektion der Gruppe selbst eingeschätzt und entsprechend darauf mit erzieherischen Maßnahmen reagiert. Es wird nicht die lokale Sozialstruktur erzogen, sondern die Gruppe, auch wenn man weiß, dass die lokale Sozialstruktur einen Unterschied für die Gruppenbildung ausmacht. Die gelehrte Freundschaft, soweit so etwas möglich ist, stellt wiederum keinen Selbstzweck für die Kreditgruppe dar. Ihr Sinn liegt vor allem darin, als Bezugsstruktur zur Gewinnung finanzieller Informationen zur Einschätzung der Kreditwürdigkeit zu fungieren – “it wouldn’t be too difficult to share and pay the money because you know who the person is”. So wie durch den Loan Officer die Selbstselektion der Gruppe im Hinblick auf die regionale
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Gesellschaftsstruktur reflektiert wird, so reflektiert er auch seine erzieherischen Maßnahmen im Unterschied zur Selbstselektion der Gruppe: “[…] we tell them to learn to be friends though they may not be friend when they formed the group but they trusted each other enough to come together to form a group to ask for a loan.“ Durch den Loan Officer wird beobachtet, wie die Gruppe sich nach dem Schema persönlicher Bekanntschaft bildet, um daran mit der Erziehung zu Freundschaft unter den Gruppenmitgliedern anzuschließen. Die erzieherischen Maßnahmen ignorieren oder ersetzen damit nicht die Selbstselektion der Gruppe. Sie erweitern auch nicht deren Grenze. Vielmehr setzen diese Erziehungsmaßnahmen die Selbstselektion voraus und beobachten deren Grenze, um in Bezug darauf ihre Interventionsleistung anzubringen. Zu der Frage, wie die Maßnahmen durchgeführt werden, welche Didaktik etwa verwendet wird und welche Dynamiken bei ihrer Anwendung zum Tragen kommen, fehlt es an empirischem Material. Mein Eindruck hierzu ist, dass diese Maßnahmen mehr in Form eines Vortrags mit direkten Anweisungen erfolgen (“we tell them to learn to be friends”) und weniger in Form rahmengebender Methoden, wie beispielsweise Gruppenübungen zum wechselseitigen Vertrauensgewinn oder Kennenlernspiele, wie man sie von Maßnahmen des TeamBuildings in der Organisationsberatung kennt. Erziehungsmaßnahmen setzen in der Regel eine Exklusion jener voraus, die bestimmte Voraussetzungen dafür nicht mitbringen. Im Falle der Erziehung der Kreditgruppe könnte angenommen werden, dass die Voraussetzungen in einem bestimmten Maß an persönlicher Bekanntschaft und Vertrautheit zwischen den Mitgliedern liegt. Das hieße, dass im Falle der Beobachtung zu schwacher persönlicher Beziehungen durch den Loan Officer, die Kreditgruppe nicht zu Stande kommt, oder Teile der Gruppe ausgeschlossen werden. Dass es tatsächlich dazu kommen kann, konnte empirisch nicht beobachtet werden. Jedoch konnte der umgekehrte Fall beobachtet werden, nämlich dass im Falle der Beobachtung von Verwandtschaft zwischen Mitgliedern, die in der Regel mit einer starken persönlichen Beziehung einhergeht, Exklusionsregeln Anwendung finden: So ein Loan Officer: “Friends can be in one group, but relatives cannot be in group. // I: Why? // One typical example is when even a husband and a wife or two brothers or two sisters, in case they have a funeral, a member of their family is down, sometimes they have to close their shop and get involved with the funeral, sometimes about two weeks they have not even entered their shop to open and then even sell. And then how can they pay the loan? They would really burden the rest of them left. Because they have to share and pay and then later when they pay, they take their money so it be-
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comes a burden. It’s only one person in the group and the person has a problem the rest of them, eight or nine people of sharing 10 EUR or 8 EUR the burden be lesser. So that is why we don’t encourage family members to be in one group.” Und ein Gruppenmitglied erzählt: “Okay, they made us to understand that even if you have a brother or a wife or a husband, they don’t want you to join or go to one group. That is what they told us.” Die selbstgewählte Gruppe steht durch den Loan Officer auch hinsichtlich der Frage unter Beobachtung, ob Mitglieder miteinander verwandt sind, worauf sie gegebenenfalls wieder aus der Gruppe exkludiert werden. In diesem Fall sind es gerade die zu starken Reziprozitäten, von denen man zwar einerseits ausgehen könnte, dass sie wechselseitiges Bürgen gewährleisten, die aber andererseits ein erhebliches Risiko für das wechselseitige Bürgen darstellen. Dabei scheint es weniger um die womöglich starke Reziprozitätsbeziehung zwischen diesen beiden verwandten Mitgliedern selbst zu gehen, als vielmehr um jene zu ihren Familienangehörigen als Dritte. Denn dadurch steigert sich für das wechselseitige Bürgen das Risiko, dass durch den Tod und die Beerdigung eines dieser Familienangehörige Opportunitätskosten (wie die Schließung des Geschäfts) sogleich für beide dieser verwandten Mitglieder anfallen, was nur schwer durch wechselseitiges Bürgen der anderen Mitglieder aufgefangen werden kann. Um dieses Risiko auszuschließen, werden verwandtschaftliche Beziehungen innerhalb der Gruppe nicht gestattet, indem das eine oder andere verwandte Mitglied aus der Gruppe ausgeschlossen wird.22 Die Schulungsmaßnahmen durch den Loan Officer haben zudem nicht nur Freundschaft (unter Ausschluss von Verwandtschaft) und in Bezug darauf finanzielle Fragen zum Thema. Sie können sich auch direkt auf die Einschätzung der Kreditwürdigkeit der Mitglieder durch die Gruppe beziehen: So ein Gruppenmitglied: “They leave everything into our own hands […]. They are not here, so they can’t just wake and say that ‘Ten groups or twenty groups I will give you loan, so come for this money, go and work with it. One person should select, I mean the correct people who can work with the money. You know that there are some people if you give them hun22 Zu der Anschlussfrage, ob der Loan Officer entscheidet, wer gehen muss, oder ob die Verwandten untereinander dies ausmachen, konnte keine Beobachtung gemacht werden. Auf jeden Fall kommt es zu der Entscheidung, dass einer von beiden ausgeschlossen werden muss, erst durch die Beobachtung des Loan Officer.
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dreds of EURs cannot work with it. They will squander the money. They leave everything to our hands that each group should appoint a leader and being a leader you have to see to it that the group that you are in is a good group, if you know that there are some people who cannot work with the money, just tell them and they will drive them out from the group but if you don’t tell them and they are in the group and there is any default you being the leader, is going to held responsible as well as the group, too.” Und ein anderes Gruppenmitglied: “[…] [W]e are in town here and […] we know each other. […] [W]e have an old group and we are many in the group. But when it comes to this one, we say that we have to select some people because like our number [of our old group, JS] is even more than forty in the group. But when they hear the teaching they see to it that some of them cannot do business with Mikrofinanzinstitution GHI because of payment and other this thing, so that we, the group went to Mikrofinanzinstitution GHI and said that we have heard these people are coming to help us. Let’s look among our group and see which people can receive this help. Then we go and sit down together and then it’s there that we say if anybody is in need he should raise his hands. And that’s how we came out with the group and we selected the people and we see that the businessmen are with us and we also see that if they come in with the this thing, it can be helpful to them and even to the group as a whole. That is how we came out with the group.” Beide Beispiele zeigen ausführlich, dass die Anwendung des Schemas der Kreditwürdigkeit bei der Selbstselektion der Kreditgruppe erst durch erzieherische Maßnahmen durch den Loan Officer veranlasst wird – “one person should select […] the correct people who can work with the money” oder “when they hear the teaching they see that some of them cannot do business”. Während veranlasst wird, dass die Gruppe selbst kreditunwürdige Mitglieder identifiziert, muss deren Exklusion nicht unbedingt durch die Gruppe selbst, sondern kann in der Interaktion mit dem Loan Officer durchgeführt werden – “if you know that there are some people who cannot work with the money, just tell them and they will drive them out from the group”. Ein weiterer nicht unwichtiger Aspekt der Gruppenbildung durch den Loan Officer besteht darin, die Gruppe darin anzuweisen, ein set an formalen Rollen unter ihren Mitgliedern zu vergeben. Allen voran weist der Loan Officer die Gruppe dazu an, einen Gruppenleiter (group leader) zu wählen. Je nach MFI kommt noch ein Kassenwart (treasurer) und ein Schriftführer (secretary) oder
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sogar ein Organisator (organizer) dazu. Diese Rollenzuweisung ist als Versuch zu verstehen, in der Gruppe einen formalen Strukturaufbau zu initiieren, der die Interaktionen unter den Mitgliedern kanalisiert. Die wenigen Beobachtungen, die ich zu diesen Rollenzuweisungen machen konnte, lassen darauf schließen, dass es bei der Wahl in der Gruppe weniger in sachlicher Hinsicht auf eine qualifizierte Eignung für die Rolle ankam, sondern vielmehr in sozialer Hinsicht um die Bereitschaft und Fähigkeit, den Zusammenhalt der Gruppe zu fördern. 2.4 Einschätzung der individuellen Kreditwürdigkeit Die Maßnahmen des Loan Officer veranlassen die Gruppe dazu, ihre Mitglieder und deren Beziehungen anhand bestimmter Schemata, wie Freundschaft und Kreditwürdigkeit, zu beobachten und auszuwählen. Neben diesen Maßnahmen, die sich auf die Gruppe beziehen, werden durch den Loan Officer auch die Mitglieder als Einzelpersonen in Hinblick auf ihre Teilnahmefähigkeit am wechselseitigen Bürgen überprüft und eingeschätzt, was als assessment oder verification bezeichnet wird. Auf welchen Beobachtungen beruhen diese Einschätzungen der individuellen Teilnahmefähigkeit? So erzählt ein Loan Officer: “So for instance I get down here, you tell me your business is called […] maybe ‘Martin and Co’ […]. Then I get here and I see maybe Tina-Company so I will find out from Tina, I’m looking for Mr. Martin, I’m told he is the owner of ‘Martin and Co’, do you know him?’, so ‘Oh yeah, I know him his shop is just here’. And sometimes even on the application form the person’s picture is on it. So he sees it and says "Oh yeah, […] that is his picture, he is the one, his shop is here", then you are even getting information from other people that truly ‘Martin and Co’ is here and that Martin is the owner. […] You get information from anybody since it’s a community […].” Und ein anderer Loan Officer: “At the day that we are going to assess them [die Gruppenmitglieder, JS], we don’t tell them. […]. So we go to their workplace and we enquire about what they do. Even though, we can sometimes see the job, but we don’t go there straight. We just ask other people around and see if the person is the real person who is coming to collect the loan or impersonating somebody. […] They use other people’s job to come and collect the loan, so you just enquire from the other people in the community to see if he is the right person who is coming to collect the loan. // I: And what kind of other people in the community? // Sometimes, we usually
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use the children // I: Children? // Yeah...you know that children they usually tell the truth. They will tell you that ‘Yes, this woman that is what she does, but if you ask the elders, they usually tell us lies. So we use the children. We ask […] like our local dialect, we ask her ‘Oh, do you know this woman in showing the person’; ‘Yes I know her’; ‘What does she sell?’ ‘Oh she sells this and this and that.’ So they tell us lies, so we rely mainly on kids.” Demnach beziehen sich überprüfende Beobachtungen des einzelnen Mitglieds vornehmlich auf die Frage nach der Eigentümerschaft des angegebenen Geschäfts. Ist das potentielle Gruppenmitglied tatsächlich der Eigentümer des Geschäfts, wie es behauptet? Ihre Informationen gewinnen diese Überprüfung durch die Interaktionen des Loan Officer mit Personen in räumlicher Nähe zum Wohnort oder zum Geschäft des Mitglieds. Das Risiko des moral hazard, dass das Mitglied falsche Informationen gegeben hat, wird dadurch einer Kontrolle unterzogen. Und das daran anschließende Risiko des moral hazard zweiter Ordnung, dass wiederum der befragte Nachbar falsche Auskunft gibt, stellt der Loan Officer in Rechnung, indem Kinder befragt werden, von denen nicht davon auszugehen ist, dass sie in dieser Weise strategisch handeln. Doch man ist nicht unbedingt auf Dritte angewiesen, um die Angaben des Mitglieds zu überprüfen. Eine andere Möglichkeit der Überprüfung besteht darin, das Mitglied zu seinem angegebenen Geschäft selbst detailliert zu befragen: So ein Loan Officer: “[…] [O]nce too, a woman took me to […] a very big shop, they sell rice sugar in this 5kg, 25kg, 50kg. So I asked the woman, ‘This bag of rice, what is it, 10, 15 or 20 kilos?’. She said ‘Oh this is 50 kilos’, meanwhile it was just 5 kilo rice and I said ‘Oh are you sure? How many years have you been doing this business?’ She said: ‘Oh four years’; I said: ‘And you don’t know that this is just 5 kilos and that it is not 50 kilos?’ and I said ‘Why do you lie to me? This shop doesn’t belong to you then.’ All of a sudden she stood straight and I knew I had hit her at the weaker side. The shop was not for her, so I didn’t give her the loan and even when I asked of the price of the item she couldn’t give me the price.” In diesem Falle findet die Überprüfung nicht in der Sozialdimension, indem Dritte gefragt werden, sondern in der Sachdimension statt, indem geschäftliche Informationen (z.B. zu Produkten oder Preisen) abgefragt werden, über die bereits bewährtes Wissen besteht. Ein Abgleich der gewonnen Informationen mit
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dem bestehenden Wissen Seitens des Loan Officer gibt Aufschluss darüber, ob das Risiko des moral hazard akut ist oder nicht. Neben der Überprüfung der Geschäftseigentümerschaft wird die Kreditwürdigkeit des Geschäfts des Mitglieds eingeschätzt. Dies geschieht anhand einer Analyse des cash-flow. Informationen zur Kreditwürdigkeiten werden dabei aus der Differenz von Einnahmen und Ausgaben gezogen: So ein Loan Officer: “The assessment of clients... ehmm... you are going into the profitability of the client, how much the client is able to sell a day or within the week, how much profit the client is making, how much purchase does the client make in a week and at the end of the month, how much profit is the client getting. How much does the client owe, expenditure and ‘bla bla bla’. […] // I: Ok, so how do you know what is the profitability of the client? // We do a cash flow analysis, cash outflow. // I: So you ask the clients // Yes: ‘How much do you take to the market when you are going to purchase’. ‘Oh, maybe I go every week or two weeks or every month. Maybe I take ehhh... 100 EUR, fine, from the market to the place, transportation, you and then the goods.’ And then you are getting some amount on expenditure.” Kreditwürdigkeit wird nach dieser Aussage in der Regel vom Loan Officer als gegeben angesehen, wenn im Zeitraum einer bestimmten Ratenzahlung die Differenz von Einnahmen und Ausgaben nicht den Betrag der Ratenzahlung unterschreitet. Dass Variablen beachtet werden, die zu einer Veränderung entweder auf Seiten der Einnahmen oder auf Seiten der Ausgaben und damit zu einer Veränderung der Differenz von Einnahmen und Ausgaben führen und daher Risiken darstellen, wie etwa die Geburt eines Kindes oder Marktschwankungen, konnte empirisch nicht erfasst werden. Lediglich die Frage der Jahreszeit (insbesondere anstehender Trockenzeiten) kann Beachtung finden. Eine weitere Überprüfung der cash-flow-Analyse geschieht durch Beobachtungen weiterer Stellen in der MFI als Dritte, wie die Stelle des Loan Officer Supervisors oder das CreditKomitee. Eine Möglichkeit, das Risiko des moral hazard bei der cash-flow-Analyse zu bewältigen, besteht darin, die relevanten Informationen allein durch mündliche Interaktion mit dem Mitglied zu gewinnen: So ein Loan Officer auf die Frage, wie er den Angaben des Gruppenmitglieds Glauben schenken könnte: “[T]he loans officer ought to be fast, ok, and deduce. You don’t start with, the person speaks and then you write, it’s
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a sort of conversation. ‘So you sell flour, how much is one flour?’ - ‘Now flour is being sold at 30 EUR per bag’. ‘So how much are you able to purchase when you go to the market?’ Because you are not putting pen on paper the person will give you the fair or the truth. But the moment the person sees that you are putting them on paper, […] the person will in turn inflate the amount but in a form of conversation […] you get the actual amount, the vivid amount.” Durch eine unmittelbare schriftliche Dokumentation der mitgeteilten Informationen in Anwesenheit des potentiellen Gruppenmitglieds wird das Risiko des moral hazard wahrscheinlicher. Die schriftliche Dokumentation erleichtert das Verstehen der mitgeteilten Information in Hinblick auf die Einschätzung der Kreditwürdigkeit, also in Hinblick auf die anschließende Frage nach Annahme oder Ablehnung der Kreditanfrage. Genau daran ist ja der Loan Officer eigentlich interessiert. Er ist jedoch weniger daran interessiert, dass auch das befragte potentielle Mitglied eine Ahnung dieser Informationsprozessierung bekommt und sie entsprechend zu seinen Gunsten für seine Mitteilung berücksichtigt. Durch schriftliche Dokumentation durchschaut das potentielle Gruppenmitglied leichter das Prozedere der Einschätzung der Kreditwürdigkeit, was zum moral hazard in Form der Angabe falscher Informationen reizt. Selbst wenn das Prozedere nicht wirklich verstanden wird, lässt die formale Verschriftlichung die Relevanz der Informationen und damit die Möglichkeit der Mitteilung anderer, insbesondere günstiger, wenn auch falscher Informationen in den Vordergrund rücken. Doch dieses Risiko reflektiert wiederum der Loan Officer und entscheidet sich daher für ein informelles Gespräch zur Informationsgewinnung. In einem informellen Gespräch wird die Möglichkeit des moral hazard unwahrscheinlicher, weil die mögliche negative Konsequenz der mitgeteilten Informationen, die Kreditverweigerung, dem potentiellen Mitglied nicht unmittelbar ersichtlich ist. Neben der Informationsgewinnung für eine cash-flow-Analyse des Geschäfts werden durch die Interaktion des einzelnen potentiellen Mitglieds mit dem Loan Officer auch Informationen zu dessen Person gewonnen. Gerade dadurch, dass sie sich nicht unmittelbar auf wirtschaftliche Aspekte des Geschäfts beziehen, tragen sie zur Einschätzung der Kreditwürdigkeit mit bei. Ein Loan Officer: “And even we have so many things that we take into consideration before we give you the loan, because maybe if you are not mentally sound, we won’t give you the loan. Like […] you know, at times we consider your age if you are about fifty years and above we won’t give you the loan. […] And we see certain physical features within you we won’t
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give you the loan. At times we consider your moral attitude, like the way you talk when you come to the office, the way you comport yourself. We look at all those things. If like you are someone who is like a drunkard, we won’t give you a loan or a smoker we won’t give you the loan.” So können etwa zu hohes Alter oder Krankheit zu einer negativen Risikobewertung und damit zur Exklusion des Mitglieds führen. Auch das moralische Verhalten der Person wird beobachtet und für die Entscheidungsfindung berücksichtigt, ob das Risiko des moral hazard eingegangen werden kann oder nicht. Zu der Frage, wie die unterschiedlichen Informationen zum Geschäft und seinen Investitionsmöglichkeiten, zur Marktlage, zur Person und ihren moralischen Verhaltensweisen gewichtet und miteinander in Bezug gesetzt werden, um eine Kreditentscheidung zu fällen, liegt kein empirisches Material vor. Nach dem, was ich darüber am Rande mit bekommen habe, orientiert sich dieser Prozess nicht unbedingt einer stringenten Logik, sondern beinhaltet auch pragmatische und intuitive Komponenten. Dass die Einschätzung potentieller Mitglieder durch die Selbstselektion der Gruppe durch die Einschätzung des Loan Officer ergänzt wird, um die Frage der Kreditwürdigkeit des potentiellen Mitglieds ausreichend beantworten zu können, wird nicht nur aus der Perspektive des Loan Officer ersichtlich. Die Gruppe kann auch selbst zu der Einsicht kommen, dass ihre Mittel, die Kreditwürdigkeit ihrer potentiellen Mitglieder zu beobachten, nicht ausreichen, und sie sich deswegen zusätzlich auf die Beobachtung des Loan Officer zu verlassen hat: So erzählt ein Mitglied: “Ehh! You see that is why you can’t determine that […] your friend or trader can pay or not pay unless he finishs filling the form. The form will determine, maybe he will say something here and getting to the bottom of the form, he said another thing so we will be thinking that after reading through the information that the person gave, we will be able to see that this person is creditworthy or not credit worthy if we give him the money or goods, whether he can pay or cannot pay. But after the money is given or before the money is given, the Mikrofinanzinstitution DEF people visit your place to find out whether the product you mentioned that you are selling, whether it is true or not. So you pause and before the money is given, they will receive all the information or the application and then visits your place. You will give your location, where you are selling and all that, even your house. We will locate you and find out whether it is true that what you said, what you really said is on the paper before the money is being given to you.”
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Nach dieser Aussage stellen die überprüfenden und einschätzenden Beobachtungen durch den Loan Officer keine negativen Einschränkungen für die eigenständige Gruppenbildung dar, etwa in dem Sinne, dass sie als Torpedierung der eigenen Beobachtungen angesehen werden. Vielmehr reflektiert in diesem Fall die Gruppe ihre eigene Blindheit – “you can’t determine that your friend or trader can pay or not pay” – und schätzt den Wert des Beobachtens durch den Loan Officer als Dritten. Die Gruppe sieht sich nicht in Opposition zur Beobachtungsweise des Loan Officer, auch nicht als gänzlich andersartig, sondern als Ergänzung der Beobachtungsweise des Loan Officer – “we [und damit ist sowohl die Gruppe als auch der Loan Officer gemeint] will locate you and find out whether it is true that what you said.” Zwar werden bei der Überprüfung und Einschätzung der Kreditfähigkeit des einzelnen Mitglieds durch den Loan Officer die anderen Mitglieder und damit die Gruppe außen vor gelassen. Andererseits wird dabei aber insofern auch die ganze Gruppe in den Fokus genommen, als dass die individuelle Kreditfähigkeit von einer einheitlichen Kreditstruktur aller Gruppenmitglieder abhängt. Zinssatz, Zeitrahmen sowie der Rahmen der Kredithöhe und mit alldem die Raten des Kredits werden für alle Gruppenmitglieder einheitlich bestimmt. Denn nur bei einer einheitlichen Kreditstruktur innerhalb der Gruppe kann wechselseitiges Bürgen erwartet werden: Bei stark divergierenden Ratenzahlungen wird es schwierig, dass Mitglieder mit niedrigeren Raten für den Ausfall einer hohen Rate bürgen. Selbst wenn das Bürgen an sich in finanzieller Hinsicht nicht gefährdet wäre, kann es daran scheitern, dass die Gruppe nicht einsehen möchte, dass sie für jemanden bürgen soll, dem bessere Kreditkonditionen zugestanden wurden als dem meisten anderen der Gruppe. Die Beobachtung der Kreditwürdigkeit des einzelnen Mitglieds und die Festlegung einer einheitlichen Kreditstruktur der Gruppe durch den Loan Officer bedingen sich also wechselseitig: Kreditwürdigkeit des Einzelnen kann nur vor dem Hintergrund einer bestimmten Kreditstruktur (Zeitrahmen, Kredithöhe, Zins) eingeschätzt werden. Und eine weitestgehend einheitliche Kreditstruktur ist Bedingung dafür, dass das Risiko des wechselseitigen Bürgens eingegangen werden kann, also die Kreditwürdigkeit des Einzelnen überhaupt hergestellt werden kann. Durch die Beobachtungen zweiter Ordnung der Stelle des Loan Officer werden diese beiden Hinsichten, die individuelle Kreditwürdigkeit der potentiellen Mitglieder und die einheitliche Kreditstruktur der Gruppe, berücksichtigt und aufeinander abgestimmt.
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2.5 Pflichtsparen Durch die Interaktion mit dem Loan Officer in Form von Schulungen werden einerseits die potentiellen Mitglieder dazu geschult werden, dass sie sich nach bestimmten Schemata (Freundschaft und Kreditwürdigkeit) selbst zu einer Gruppe auswählen. Andererseits werden die einzelnen Mitglieder auch durch Interaktion mit dem Loan Officer selbst eingeschätzt, und zwar unter Bezug auf eine einheitliche Kreditstruktur der Gruppe der Schuldner. Man könnte von einer losen Kopplung der jeweiligen Beobachtungen von Mitgliedern einerseits und der Gruppe andererseits durch die Interaktion mit dem Loan Officer sprechen. Neben solch einer losen Kopplung werden durch den Loan Officer die Einzelkredite auch fest zu einer Kreditgruppe gekoppelt, wodurch das wechselseitige Bürgen vorweg genommen wird. Dies geschieht durch sogenannte pre-savings oder compulsory savings. Dazu ein Loan Officer: “Microfinance loan has no collateral, so the presaving is maybe a very small form of collateral that the person is putting behind as a condition before taking the loan. […] The pre-saving, for the start is 20% of the the loan amount that you would take.” Und ein weiterer Loan Officer: “And it’s compulsory for all the members. So let’s say you are taking 250 EUR, you pay 15% of that 250 EUR into the group account or three equal instalments of the weekly payments is all equal to 15%. And then after one loan cycle, you get the money.” Pflichtsparen festgelegter Mindestbeträge dient demnach als Bedingung für die Teilnahme des einzelnen Mitglieds an der Kreditgruppe. Einerseits wird durch erfolgreiches Pflichtsparen einmal mehr die Kreditwürdigkeit eines jeden potentiellen Mitglieds überprüft. Denn wer schon ohne Kreditinvestition die Fähigkeit zu finanziellen Transaktionen (Verzicht auf gegenwärtige Zahlungsfähigkeit zu Gunsten künftiger) nachweisen kann, der ist dazu höchstwahrscheinlich auch mit Kreditinvestition im Stande. Gleichzeitig dient dieses Pflichtsparen als partielle Sicherstellung des wechselseitigen Bürgens. Denn im Falle eines Zahlungsverzugs eines Mitglieds ist es dem Loan Officer möglich, diesen durch die Pflichtersparnisse der Gruppe auszugleichen. Das Bürgen kommt in diesem Fall also nicht dann zu Stande, wenn ein Zahlungsverzug bereits vorliegt, sondern in vorgezogener Form bereits in der Gegenwart als Bedingung dafür, dass überhaupt ein Kredit und damit möglicherweise auch ein Zahlungsverzug zu Stande kommen. Die Zeitstruktur des wechselseitigen Bürgens wird durch Pflichtsparen
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umgekehrt, sodass zumindest für den verpflichteten Sparbetrag kein Risiko mehr besteht, dass das wechselseitige Bürgen nicht funktioniert, sondern sicher von dessen Funktionieren ausgegangen werden kann. Dass Pflichtsparen nicht ohne das Eingehen eines neuen Risikos für den größeren ungedeckten Teil der Kreditsumme auskommt, werden wir später noch sehen.
3. F AZIT Die Selektionen der Schuldner, die als Mitglieder einer Gruppe wechselseitig füreinander bürgen, ergeben sich weder allein aus der regionalen Sozialstruktur noch ausschließlich aus der Kreditgruppe. Auch kann sie nicht bloß auf die Maßnahmen der organisationalen Stelle des Loan Officer zurückgeführt werden. Vielmehr resultieren die Selektionen des wechselseitigen Bürgens durch die Vernetzung all dieser drei Stellen, der regionalen und lokalen Sozialstruktur, der Gruppe und des Loan Officer, indem sie sich aufeinander beziehen und aufeinander aufbauen. Zunächst kann man zwar sehen, dass wechselseitiges Bürgen vor allem in solchen Regionen der Weltgesellschaft vorkommt, in denen im Gegensatz zu anderen Regionen einerseits sich Reziprozitäten ausprägen und andererseits Kreditmangel vorherrscht. macht sich die Selbstselektion der Kreditgruppe zu Nutze, indem ihr Selektionsschema sich auf diese ortsgebundenen Reziprozitäten zwischen Freunden und Bekannten bezieht und die relative, finanzielle Alternativlosigkeit eine Mitgliedschaft nahelegt: Die Auswahl eines jeden Mitglieds durch die Gruppe orientiert sich an persönlicher Bekanntschaft und bedingt sich aus dem Anreiz, an einer Kreditbeziehung teilnehmen zu können, auch wenn dies nur unter Bedingung des wechselseitigen Bürgens zu haben ist. Dabei mag es nicht allein darauf ankommen, inwieweit das potentielle Mitglied für ein bereits ausgewähltes Mitglied bekannt ist oder nicht. Es kann bei der Auswahl auch darauf ankommen, inwieweit die betreffende Person mit Dritten, Vierten, Fünften, die bereits ausgewählt wurden oder auch noch könnten, befreundet ist oder nicht. Dadurch werden ganze Cluster von Beziehungen beobachtet und für die Gruppenbildung ausgenutzt. Die Kreditwürdigkeit der potentiellen Mitglieder muss in solch einem Selektionsprozess nicht unbedingt explizit hinterfragt werden, sondern kann im Kontext der Bekanntschaft blind vorausgesetzt werden. Durch persönliche Bekanntschaft besteht aber die Möglichkeit informativer Rückschlüsse auf die finanzielle Situation der betreffenden Person, um sie in die Entscheidung der Aufnahme von Mitgliedern mit einzubeziehen. Auch solch eine finanzielle Informationsgewin-
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nung der Selbstselektion der Gruppe kann Dritte mit einbeziehen, um die Kreditwürdigkeiten verschiedener potentiellen und ausgewählten Mitgliedern miteinander vergleichen und dadurch einschätzen zu können, wodurch ein relativ einheitliches Niveau an Kreditwürdigkeit innerhalb der Gruppe geschafft wird. Mit der beobachtenden Bezugnahme der Selbstselektion der Kreditgruppe auf die Sozialstruktur ist die Einführung des wechselseitigen Bürgens jedoch noch nicht abschließend geklärt. Denn auch die MFI als Gläubiger mit ihrer Stelle des Loan Officer hält für die Frage der Einführung des wechselseitigen Bürgens eine wichtige Position inne. Wegen des Risikos der Falschauswahl der Mitglieder wird zwar von der Stelle des Loan Officer ein eigenes Entscheiden über die Gruppenzusammensetzung selbst abgelehnt. Der Loan Officer nimmt auch nicht selbst an der Selbstselektion oder am sozialen Leben einer bestimmten Gegend teil. Aber gerade durch seine Distanzierung von der Selektion der Mitglieder und vom gesellschaftlichen Leben der Mitglieder vermag er beides in Bezug aufeinander auf einer Ebene zweiter Ordnung zu beobachten und entsprechende Entscheidungen treffen. Durch den Loan Officer wird einerseits die lokale Gesellschaftsstruktur für die Wahl eines Operationsgebietes in Bezug darauf beobachtet, inwiefern sie sich für die beobachtende Selbstselektion der Gruppe eignet. So werden ländliche Gebiete mit stark ausgeprägten Reziprozitätsstrukturen ohne Kreditalternativen aber mit einem Mindestmaß an ökonomischer Aktivität als Operationsgebiete des wechselseitigen Bürgens präferiert, weil man die Erfahrung gemacht hat, dass sie besonders günstige Rahmenbedingungen für die Bildung stabiler und homogener Gruppen darstellen. Und andererseits steht in den Beobachtungen durch den Loan Officer, nachdem die Entscheidung für eine lokale Gesellschaftsstruktur getroffen wurde, die Selbstbildung der Gruppe vor dem Hintergrund der lokalen Struktur im Vordergrund. Dies geschieht durch Schulungen, in denen den potentiellen Mitgliedern einer Gruppe, die gleichzeitig in der lokalen Struktur integriert sind, das wechselseitige Bürgen und die Wichtigkeit der Selbstselektion unter den Gesichtspunkten der Freundschaft und der Kreditwürdigkeit gelehrt wird. Durch ihre (Selbst-)Distanzierung von der Selbstselektion der Gruppe und der lokalen Gesellschaftsstruktur erlangt die Stelle des Loan Officer erst die Möglichkeit, beides in Bezug aufeinander zu beobachten und entsprechende Entscheidungen zur Auswahl des Operationsgebietes oder zur Schulung der Gruppe zu treffen. Neben diesen Entscheidungen, die das Verhältnis der Gruppenbildung zur regionalen Struktur betreffen, werden durch den Loan Officer Entscheidungen getroffen, die sich auf das Binnenverhältnis der Gruppe beziehen: Durch die Stelle des Loan Officer wird über die Kreditwürdigkeit der Gruppenmitglieder jeweils einzeln in Abhängigkeit von Bestimmungen von Spezifika der Gruppe
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(insbesondere der Kreditstruktur) entschieden: Der Loan Officer interagiert einerseits mit dem potentiellen Mitglied zur Frage des cash-flows seines Geschäfts, wodurch Informationen zu dessen Kreditwürdigkeit gewonnen werden. Das Risiko des moral hazard dieser Informationen wird dabei zum einen durch Interaktion des Loan Officer mit dritten Personen in räumlicher Nähe des Wohnortes oder des Geschäfts des betreffenden Mitglieds und zum anderen durch die Auslegung eines informellen Gesprächs ohne schriftliche Dokumentation, die zu riskanten Gegenbeobachten einladen würde, kontrolliert. Die Einschätzung der individuellen Kreditfähigkeit hängt dabei in dem Maße von der Gruppe ab, wie die Kreditstruktur weniger unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des einzelnen Schuldners als vielmehr unter Berücksichtigung der Beziehung des Loan Officer als Gläubiger zur ganzen Gruppe der Schuldner festgelegt wird: Zinssatz, Zeitrahmen der Raten und zu einem gewissen Grade auch die Höhe der Kredite werden für die Gruppe einheitlich bestimmt, ohne auf die Diversität der einzelnen Mitglieder einzugehen. Denn nur durch eine einheitliche Kreditstruktur aller Schuldner lassen sich die per-unitcosts (und damit das Risiko des adverse selection) für den Gläubiger in Grenzen halten. So wie die Kreditwürdigkeit des Einzelnen nur vor dem Hintergrund einer für alle Gruppenmitglieder annähernd einheitlichen Kreditstruktur eingeschätzt werden kann, ist andersherum eine weitestgehend einheitliche Kreditstruktur Bedingung dafür, dass das Risiko des wechselseitigen Bürgens eingegangen wird. Schließlich ermöglicht die Stelle des Loan Officer das wechselseitige Bürgen, indem sie es vor der Auszahlung der Kredite unter Bedingung des Pflichtsparens als eine Art Teildurchführung setzt. Indem durch den Loan Officer die Auszahlung der Kredite an die Bedingung der Einzahlung einer Pflichtspareinlage auf ein Gruppenkonto geknüpft werden, kann im Falle des späteren Zahlungsverzugs eines Mitglieds das wechselseitige Bürgen direkt über das Gruppenkonto vollzogen werden, auf das der Loan Officer Zugriff hat. Die Selektionen des wechselseitigen Bürgens geschehen also unter Vernetzung verschiedener Stellen, nämlich der regionalen Sozialstruktur, der Selbstselektion der Gruppe und der Stelle des Loan Officer. Sind die Kredite an die Gruppenmitglieder ausgezahlt sind, werden alle eingegangenen Anstrengungen und angestellten Annahmen, ob die Kreditgruppe im Stande ist ihre Kredite zurückzuzahlen, auch wenn sie für ein zahlungssäumiges Mitglied zu bürgen hat, der Realität ausgesetzt. Schauen wir uns an, welche Formen der Kontrolle durch wechselseitiges Bürgen sich nach seiner Einführung bilden.
Kapitel VI: Soziale Kontrolle des wechselseitigen Bürgens
Nun sind die Kleinkredite an die Gruppe ausgezahlt.23 Ab jetzt besteht bis zum Rückzahlungstermin das Risiko, dass trotz der einschätzenden Beobachtungen der Selektionen des wechselseitigen Bürgens es zu Zahlungsausfällen kommt und damit der Fall des wechselseitigen Bürgens akut wird. Nach der Frage, wie bei der Gruppenbildung zu riskante Zahlungsversprechen ausgeschlossen werden, stellt sich nun die Frage, wie nach der Entscheidung der Zahlungsversprechen die ausgewählten Risiken kontrolliert werden? Unter sozialer Kontrolle soll hier verstanden werden, wie angesichts einer komplexen Welt durch eine laufende Abstimmung von Erwartungen mit den tatsächlichen Ereignissen der Welt es möglich bleibt, Zusammenhänge zwischen den einzelnen Kommunikationen eines sozialen Systems zu gewährleisten (vgl. Baecker, 2005: 27). Solch ein Kontrollbegriff bezieht sich auf die Arbeit an der Aufrechterhaltung der Beziehung zwischen komplexer Welt, den Erwartungen und den Ereignissen eines sozialen Systems in Hinblick auf die Reproduktion des Systems. In unserem Fall handelt es sich um die Welt der Kleinkreditvergabe des wechselseitigen Bürgens, um die Kommunikation von Zahlungsversprechen unter Bedingung des wechselseitigen Bürgens, um die Erwartung des Einhaltens dieser Zahlungsversprechen und Ereignissen, die die Frage des Einhaltens der Zahlungsversprechen unter neue Vorzeichen setzten (wie z.B. ein Unfall oder Flucht des Schuldners, Diebstahl seiner Waren oder eine verspätete Ratenzahlung). 23 Die Auszahlung der Kredite selbst, so meine Beobachtungen bei zwei MFIs, vollzieht sich wiederum auf zwei Ebenen. Der Loan Officer zahlt die jeweiligen Kredite an den gewählten Gruppenleiter (group leader), der die Kredite weiter an die jeweiligen Mitglieder auszahlt. Darin liegt eine entscheidene Voraussetzung für die anschließende Herausbildung der Kontrollebene der Gruppe im Unterschied zur Kontrollebene in der Interaktion zum Loan Officer. Denn die Auszahl der Kredite an den Gruppenleiter als Repräsentant der Gruppe initiiert den Aufbau der Erwartung, dass die Gruppe auch wieder den Kredit zurückzuzahlen hat, selbst und gerade wenn es zu Zahlungsschwierigkeiten eines einezelnen Mitglieds kommt, es also unter Umständen tatsächlich zum wechselseitigen Bürgen kommt.
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Die Frage nach der Kontrolle der Risiken von Zahlungsversprechen durch wechselseitiges Bürgen reformuliert also die Frage, wie es angesichts nicht gänzlich durchschaubarer Verhältnisse durch wechselseitiges Bürgen möglich wird, Zahlungsversprechen anzunehmen, sodass im Anschluss weitere Zahlungsversprechen zu Stande kommen können (d.h. weitere Kleinkredite vergeben werden können). Wir werden sehen, dass diese Kontrolle des wechselseitigen Bürgens primär über eine normative Erwartungshaltung läuft, die Ereignisse, die von der Erwartung der Rückzahlung abweichen, als Abweichungen markiert und über die Anschlussdifferenz von Solidarität und Sanktionen zu verarbeiten versteht.
1. S OZIALE K ONTROLLE
DER
G RUPPENINTERAKTION
Die soziale Kontrolle der Risiken des wechselseitigen Bürgens findet, wie bereits deren Selektionen, sowohl auf der Ebene der Gruppeninteraktion als auch auf der Ebene der Interaktion der Gruppe mit dem Loan Officer statt. Nachdem sich die Gruppe gebildet hat und die Kleinkredite ausgezahlt wurden, zeichnet sich die Gruppe durch Interaktionen unter den Mitgliedern als tatsächliche Schuldner aus, die sich bereit erklärt haben, füreinander zu bürgen. Es handelt sich bei diesen Gruppeninteraktionen um Kommunikationen unter den anwesenden Mitgliedern über die Einhaltbarkeit ihrer Zahlungsversprechen vor dem Hintergrund der Möglichkeit des wechselseitigen Bürgens. Zuweilen oder vermeintlich sogar vordergründig mag man sich bei Gruppentreffen über andere Themen unterhalten, etwa über Neuigkeiten im Dorf, das Familienleben oder andere Themen, an denen sich alle Mitglieder der Gruppe beteiligen können und die sich deswegen für die Gruppeninteraktion eignen. Dies ist nicht zuletzt deswegen unwahrscheinlich, weil sich die Selektion der Gruppe im Schema persönlicher Bekanntschaft und Freundschaft vollzogen hat. Das grundlegende Bezugsproblem der Gruppe ist jedoch die Frage, wie die sich persönlich gut bekannten Mitglieder untereinander interagieren vor dem Hintergrund der Möglichkeit, dass Mitglieder zahlungsunfähig werden und die Gruppe für diese zu bürgen hat. Diese Frage ist eine Frage der sozialen Kontrolle der Gruppeninteraktion. Denn die Gruppeninteraktion würde zum Erliegen kommen, wenn sie nicht laufend Antworten dafür findet, wie mit Vorfällen umzugehen ist, die die Möglichkeit eines Zahlungsausfalles und damit den Bürgschaftsfall wahrscheinlicher oder auch unwahrscheinlicher werden lässt.
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1.1 Risiko des free-riding Das Risiko, das es auf Ebene der Gruppeninteraktion zu kontrollieren gilt, ist in erster Linie die Möglichkeit des free-riding (vgl. Portes, Sensenbrenner, 1993: 1339). Es besteht darin, dass die Erwartbarkeit des wechselseitigen Bürgens in der Gruppe von einem Mitglied ausgenutzt wird. Weil man weiß, dass im Falle eigener Zahlungsschwierigkeiten die anderen Gruppenmitglieder einem aushelfen, strengt man sich weniger an oder konsumiert anstatt zu investieren. Wechselseitiges Bürgen reduziert oder beseitigt also nicht das grundlegende und nicht aufzulösende Risiko der Kreditvergabe, dass die Kreditentscheidung (Zustandekommen eines Zahlungsversprechens) immer auch mit der negativen Folge eines Kreditausfalls (Nichteinhalt eines Zahlungsversprechens) einhergeht. Wechselseitiges Bürgen ist vielmehr auf Ebene der Gruppeninteraktion an der Produktion dieses grundlegenden Risikos beteiligt: zum einem, weil es für die Schuldner erst die Abgabe eines Zahlungsversprechen ermöglicht; und zum anderen, weil es das grundlegende Risiko der Kreditvergabe dahingehend spezifiziert, dass ein Schuldner das Bürgen der anderen Schuldner zu seinem eigenen Gunsten mit einkalkuliert. Wie geht die Gruppe mit diesem Risiko des free-riding um, wo sie doch damit rechnen wird, ob als berechtigte oder als unberechtigte Unterstellung, dass nicht alle Mitglieder sich gleichermaßen anstrengen? 1.2 Moralische Norm in der Gruppeninteraktion Auf Ebene der Gruppeninteraktion ergibt sich die entscheidende Auslösung für die soziale Kontrolle des Risikos des free-riding aus der Gruppeninteraktion selbst. Sie liegt in der möglichen persönlichen Betroffenheit, der die anderen Gruppenmitglieder ausgesetzt sind, wenn sie füreinander die Bürgschaft übernehmen: Ein Gruppenmitglied: “If you say that I should go and guarantee for her I won’t go because if I guarantee and you give the money to the person, she won’t pay. If she doesn’t pay it means I will put myself in trouble so I won’t collect it for you.” Und ein Mitglied einer anderen Gruppe: “The fact is, there are instructions backing the loan that you’ve been collecting and we’ve all agreed to it no matter how the thing is, whether you get it or not, we don’t want to disgrace our… our… our or we don’t want to spoil the image of the group. So
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if you are able to do that, which means that instead of you to improve, you will let the group to go down and we don’t want such thing to happen.” Die Betroffenheit der Gruppe besteht demnach darin, dass die Erwartungen, die sich bei der Selbstselektion der Gruppe gebildet haben, enttäuscht werden. Sie bezieht sich sowohl auf die enttäuschte Erwartung der Kreditwürdigkeit als auch auf die enttäuschte Erwartung an das persönliche Vertrauen in das zahlungssäumige Mitglied. Denn der Bürgschaftsfall macht die Investitionserwartungen der Gruppenmitglieder zunichte – “if she doesn’t pay it means I will put myself in trouble so I won’t collect it for you”. Und gleichzeitig kann der Bürgschaftsfall innerhalb der Gruppe als Ausnutzung des persönlichen Vertrauens und nach außen hin als Schädigung ihres Rufes verstanden werden, – “we don’t want to spoil the image of the group”. Im Sinne des Interaktionsgeschehens der Gruppe ergibt sich die persönliche Betroffenheit der Gruppe nicht allein aus dem Verhalten des Mitglieds, dass es nicht im Stande ist zu zahlen beziehungsweise berechnend handelt. Sie hängt auch von dem erwartungsgerechten Verhalten der anderen Mitglieder ab, von ihren ehrlichen und strebsamen Arbeitshandlungen, die durch das Zahlungsversäumnis konterkariert werden. Erst im Lichte ihrer eigenen Anstrengungen kommt die persönliche Betroffenheit der Gruppe von dem Versäumnis eines ihrer Mitglieder richtig zum Tragen. Neben dem sachlichen Aspekt des wirtschaftlichen Schadens und dem sozialen Aspekt des Vertrauensbruchs kann die persönliche Betroffenheit der Gruppe auch im Aspekt des Zeitverlusts liegen, wenn die Gruppe auf die Zahlungen eines Mitglieds zu warten haben: Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch: „Ein group leader sitzt zu erst auf einer der Holzbänke und wartet auf zwei Mitglieder, die noch nicht gezahlt haben. Ein anderes Mitglied ist bei ihr. Wenig später steht sie irgendwo in der Halle herum, schließlich begibt sie sich an den Eingang und steht dort angelehnt mit dem anderen Mitglied und wartet. Ich geselle mich zu den beiden. […] Sie sei ‘annoyed’, denn zwei Mitglieder seien noch nicht gekommen. Ein Anruf per mobile bei der ersten ergibt, dass diese krank sei, sie würde nun aber jemanden schicken, um ihr Geld vorbeizubringen, dies erklärt mir die leaderin. Sie ist trotzdem noch ärgerlich, denn diese Frau hätte ihr vorher und von sich aus Bescheid sagen können. Dann wird das fehlende Mitglied angerufen – ohne Erfolg: ‘She even doesn’t pick up the phone.’ […] Die andere Frau meint: ‘It’ll be fine’, denn das Haus des kranken Mitglieds sei recht weit weg. Bald darauf kommt eine Abgesandte, um das Geld vorbei zu bringen. Das Geld wird angenommen, ge-
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zählt und sortiert. Nun wird nur noch auf ein Mitglied gewartet; es würde in einem anderen Dorf wohnen, so die group leaderin. Es dauert recht lange, vielleicht 45min., bis schließlich auch dieses Mitglied kommt […].“ Der Zeitverlust kann zum einen mit wirtschaftlichem Schaden und mit persönlichem Vertrauensverlust einhergehen, denn schließlich kann in dieser Zeit nur schwer gearbeitet werden und können Zweifel bezüglich der persönlichen Zuverlässigkeit für die Gruppe aufkommen. Er mag aber auch zu persönlichen Einschränkungen der Gruppenmitglieder in anderen Kontexten führen, beispielsweise bei der Kinderbetreuung. Aufgrund der Zustimmung zum wechselseitigen Bürgen muss die Gruppe mit dem Risiko leben, dass sie von einem Zahlungsverzug eines ihrer Mitglieder betroffen wird – sei es, dass der Ruf der Gruppe darunter leidet, sie die ausstehende Zahlung zu übernehmen hat oder sie Zeit verliert. An dieser Betroffenheit der Gruppe ist ablesbar, dass der tatsächliche Fall des Bürgens keinesfalls den Erwartungen der Gruppeninteraktionen entspricht. In der Gruppe herrscht vielmehr die Erwartung, dass jeder seine Raten selber zahlt mit der Folge, dass ein Geradestehen der Gruppe für eines ihrer Mitglieder zu Enttäuschungen führt. Deswegen ist in Bezug auf die Gruppe nicht die Frage zu stellen, wie nach der Kreditauszahlung das Risiko des einzelnen Kredits aufgefangen wird, um sie daraufhin mit dem wechselseitigen Bürgen zu beantworten. Die Frage lautet vielmehr, wie die Gruppe für das Risiko ihrer Betroffenheit, das durch das wechselseitige Bürgen erst entsteht, einen kontrollierten Umgang findet. Eine theoretische Möglichkeit der Kontrolle des Risikos der Betroffenheit bestünde darin, dass die Gruppe die Bürgschaft verneint. In der Regel entzieht sich die Gruppe aber nicht dem Übel des Bürgens, indem sie sich etwa auflöst. Die Gruppe ergibt sich andererseits aber auch nicht einfach bedingungslos diesem Übel. Vielmehr liegt der Sinn der Gruppe darin, eine Kontrolle für ihr Risiko des wechselseitigen Bürgens herauszubilden. An der Möglichkeit des wechselseitigen Bürgens hält die Gruppe trotz ihres Schadens fest, wodurch sich gerade dadurch Formen des Umgangs mit diesem Risiko ergeben: So beispielsweise ein Gruppenmitglied: “But once a while we all gather here so that we talk about what to do and manage and pay our debt. […] [W]e used to collect the money and buy our things, sell small, small, small. You organize and know how you […] keep small, small, some coins and then some small, small savings so that within the end of the month or the date, you can get the money so that you can pay back, so that your fellow friends too will get. If you don’t pay can others get? Other cannot get, so
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you must pay. // I: So has it happened that somebody was not able to pay // Oh no, our group no, we pay always. If it’s time we must pay.” In diesem Beispiel sieht die Gruppe gar keine Alternative zum Rückzahlen unter Verweis darauf, dass die anderen Mitglieder gar nicht bürgen könnten. Daran wird deutlich, dass die Gruppe Zahlungsversäumnisse nicht nur als Enttäuschungen auffasst, weil sie von ihnen negativ betroffen ist. Zahlungsversäumnisse werden insbesondere als solche Enttäuschungen betrachtet, die von einer Norm des Zahlens abweichen. Wechselseitiges Bürgen veranlasst demnach innerhalb der Gruppeninteraktion die Bildung einer Norm des Rückzahlens, wenn man mit Luhmann (1987: 437) Norm als eine Erwartungshaltung versteht, die sich auch dann aufrecht erhält, wenn sie enttäuscht wird: Das Risiko der Betroffenheit der Gruppe wird nicht gemieden, sondern selbst dann weiter eingegangen, wenn das Risiko tatsächlich eingetreten ist. Durch die Norm, dass trotz seines Risikos am wechselseitigen Bürgen festgehalten wird, können tatsächlich eingetretene Risikofälle (Zahlungsversäumnisse) als Abweichungen und nicht eingetretene Risikofälle (Rückzahlungen) als normkonformes Handeln aufgefasst werden. Das Vorherrschen einer Norm wird auch daran deutlich, dass Zahlungsversäumnisse innerhalb der Gruppe nicht einfach hingenommen werden, sondern Konflikte auslösen: Inhaltliche Übersetzung einer Gruppeninteraktion auf lokaler Stammessprache am Rückzahlungstag: “Some of the clients are complaining about the attitude of one particular client that she always pays her money late. They continue to discuss about the group and how some of the members don’t pay the money on time. They are making calculations to gather all the money before the loan officer comes but there seems to a little confusion with the calculation which they are trying to sort out.” Zahlungsversäumnisse führen bei diesem Beispiel zu Diskussionen bis hin zu Konflikten (confusion) unter den Gruppenmitgliedern. Und man kann sich gut vorstellen, dass in diese Konflikte nicht zuletzt auch das zahlungssäumige Mitglied miteinbezogen wird. Worauf begründet sich diese Norm des Rückzahlens, also der Vermeidung des Risikofalls des wechselseitigen Bürgens? Hinweise für eine Antwort auf diese Frage geben die bereits angeführten Beispiele: “we don’t want to disgrace our […], we don’t want to spoil the image of the group” erklärt ein Gruppenmitglied in Bezug auf Zahlungsversäumnisse; und ein Gruppenmitglied, das verantwortlich für das Einsammeln in der Gruppe ist, „sei ‘annoyed’, denn zwei Mitglieder
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seien noch nicht gekommen“. Dies deutet darauf hin, dass sich die Norm des Rückzahlens auf moralischen Zurechnungen begründet. Zahlungsversäumnisse schädigen das Selbstbild der Gruppe und machen die Gruppenmitglieder persönlich betroffen. Entsprechend versteht die Gruppe das Handeln des Zahlungssäumigen als eine Missachtung ihrer Norm. Die moralische Begründung der Norm der Gruppeninteraktion kommt insbesondere vor dem Hintergrund der Selektionen des wechselseitigen Bürgens unter dem Gesichtspunkt guter persönlicher Bekanntschaft und Freundschaft zum Tragen. Ein Zahlungsversäumnis bewirkt schon unter Unbekannten, die füreinander bürgen, persönliche Betroffenheit und veranlasst damit eine Normbildung. Wenn es sich dann noch um gute Bekannte oder gar Freunde handelt, wird ein Zahlungsversäumnis besonders persönlichen enttäuschen. Die Funktion dieser Differenzierung von Konformität und Abweichung anhand moralischer Zurechnungen innerhalb der Gruppeninteraktion liegt darin, dass sie eine relative Erwartungssicherheit dafür etabliert, dass trotz gegenwärtiger Risikofälle am wechselseitigen Bürgen festgehalten wird (vgl. dazu allgemein auch Coleman, 1987). Wechselseitiges Bürgen muss nun nicht gleich selbst in Frage gestellt werden, wenn das Risiko der Betroffenheit akut wird. Anstatt die Gruppenbürgschaft aufzugeben, wird ein Umgang mit Zahlungsversäumnissen darin gefunden, dass sie als Abweichungen gehandhabt werden. Die Frage der Kontrolle des Risikos der Betroffenheit wird dadurch auf die Frage enggeführt, wie Zahlungsversäumnissen als Abweichungen zu kontrollieren sind. Die Frage, inwieweit die durch Anweisung des Loan Officer gewählten Rollen in der Gruppe (group leader, secretary, treasurer) zur Normierung der Gruppeninteraktionen beitragen, muss offen gelassen werden. Zum einen erzählten mir Loan Officer, dass ein starker group leader sehr wichtig sei, damit die Gruppenmitglieder ihre Kredite zurückzahlen. Andererseits konnte ich immer wieder beobachten, wie die Rollen in ihrer sachlichen Hinsicht nur ansatzweise ausgeübt wurden oder die Gruppe schlichtweg nicht wusste, wer welche Rolle innehat. Dies mag an unzureichender Qualifikation liegen, etwa wenn die Schriftführerin Analphabetin, oder an fehlender Motivation aufgrund fehlender Vergütung (Lont, Hotze, 2004: 205f). Vermutlich liegt tatsächlich die Wichtigkeit der Rollen weniger in ihrer sachlichen Funktion als vielmehr darin, einen Blick für normkonformes und normabweichendes Gruppenverhalten zu haben.
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1.3 Sanktionieren und Solidarisieren als Modi sozialer Kontrolle der Gruppe Je nachdem, wie durch die Gruppeninteraktion über den Risikofall als Abweichung disponiert wird, wird im Anschluss unterschiedlich darauf reagiert. Fühlen sich die Gruppenmitglieder vom zahlungssäumigen Mitglied ausgenutzt, indem sie moral hazard unterstellen, kommen Sanktionen zum Zuge. Wird hingegen der Grund des Zahlungsversäumnisses in der schwierigen Lage des Mitglieds gesehen, handelt die Gruppe solidarisch. Die Unterscheidung von Sanktionierung und Solidarisierung stellt eine Option für die Gruppe dar, wie sie mit eingetretenen Risikofällen verfährt, ohne ihr wechselseitiges Bürgen in Frage stellen zu müssen. Durch ihr Inaussichtstellen anschließender Handlungsmöglichkeiten – entweder zu sanktionieren oder sich zu solidarisieren – wirkt diese Unterscheidung stabilisierend auf die Norm des wechselseitigen Bürgens. Wenn mit negativen Konsequenzen zu rechnen ist, wird man es sich gut überlegen, selbst ein Zahlungsversäumnis zu riskieren, und wird man eher dazu bereit sein, das Risiko eines Bürgschaftsfalls einzugehen. Gleichzeitig stellt die Solidarität der Gruppe in Aussicht, dass man unkontrollierbare Umweltereignisse, die zu eigener Zahlungsunfähigkeit führen, nicht gänzlich selbst zu verantworten hat. Schauen wir uns zunächst an, wie durch die Gruppeninteraktionen Sanktionen erfolgen: Ein Gruppenmitglied: “When they are default, I go round […] personally. I harass them; I am a bit troublesome so I will trouble you. So you come and pay // I: So how do you do it? // I make noise. I will come to your house, I will not smile. […] Today, the two of you [interviewer and Loan Officer, JS] were with me, […] so that is why when I went I was cool, you see she [the defaulter, JS] was laughing. I will not give chance, when I come I will tell you that ‘Why didn’t you come and pay the money?’ And you go like you don’t have the money, ‘You don’t have the money, so what? […] You should have found money to come and pay, and why didn’t you come and pay? You expected me to sit in the sun there, sit under the tree and wait for ages then you come and pay. I will not go cool on you, so when you do that a lot of people don’t like that’.” Dieses Beispiel zeigt, wie Sanktionen die Form von persönlichen Herabwürdigungen annehmen. Die persönliche Betroffenheit der Gruppe, die durch den Zahlungsverzug ausgelöst wird, fungiert bereits selbst als Form der Herabwürdigung, soweit sie rekursiv als Anschuldigung mitgeteilt und als solche verstanden wird – “You expected me to sit in the sun there, sit under the tree and wait for
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ages”. Die Herabwürdigung kommt dadurch ohne externe Verweise auf persönliche Merkmale, wie beispielsweise schlechte Kleidung, oder andere Verhaltensweisen des zahlungssäumigen Mitglieds aus. Sie ergibt sich vielmehr aus der Anschuldigung, die persönliche Betroffenheit der Gruppe absichtlich in Kauf genommen zu haben und dadurch selbst herabwürdigend gehandelt zu haben. Die Herabwürdigung resultiert also einerseits aus sich selbst heraus, indem sie sich auf eine vorangegangene Herabwürdigung bezieht. Andererseits wird sie im Kontext des Zahlungsverzugs veranlasst, der die persönliche Betroffenheit der Gruppe und daraufhin die Anschuldigung des Zahlungssäumigen auslöst, also die Herabwürdigung als Erleben (der Gruppe) und als Handeln (des Zahlungssäumigen) differenziert. Durch ihren Bezug auf den Zahlungsverzug erhält die Herabwürdigung also ihren Sinn: “I harass them; I am a bit troublesome so I will trouble you. So you come and pay”. Im Gegensatz zu einer rein externen Begründung der Herabwürdigung wird es durch ihren Selbstbezug im Kontext des Zahlungsverzugs schwierig, sie anders zu entschärfen, als die ausstehende Summe zurückzuzahlen. Darin liegt die große Sanktionskraft der Herabwürdigung, tatsächlich das Zahlungsversprechen einzulösen, aber gleichzeitig auch das Risiko, wie wir noch sehen werden, dass weitere Versuche anschließen, die Herabwürdigung durch Anführung externer Gründe des Zahlungsverzugs zu entkräften. Eine weitere Entfaltung der Herabwürdigung ergibt sich daraus, dass Dritte miteinbezogen werden. Dabei ist es zum einen möglich, dass die ganze Gruppe und nicht nur eines ihrer Mitglieder das zahlungssäumige Mitglied aufsucht. So erzählt ein Gruppenmitglied: “They will come to your house. Seventeen people will come to your house // I: Seventeen? // Yes we all will come to you. So when you see us plenty, your heart will beat or you will feel shy, is that not so? You will fell shy! So when you feel shy then you have to bring the money.” Angesichts einer Mehrzahl von Personen erhält die Zahlungsforderung und Androhung von Herabwürdigungen offenbar an Überzeugungskraft. Zum anderen ist es möglich, Personen außerhalb der Gruppe miteinzubeziehen: Ein anderes Gruppenmitglied: “Like the lady that we went to the house, I will go there, I will stand this hot afternoon and shout like that people will hear so she doesn’t like that so she will come and pay cool. So that’s how I do it. I will just come and disturb you till you come and pay.”
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Durch räumliche Nähe und erhöhte Lautstärke wird es wahrscheinlich, dass auch die Nachbarschaft die Herabwürdigung mitbekommt. Damit sich die Herabwürdigung weiter entfaltet, reicht es aber nicht aus, dass allein weitere Personen von der Herabwürdigung erfahren, sondern dieses Mitbekommen durch Dritte muss dem zahlungssäumigen Mitglied wiederum selbst deutlich werden. Die gesteigerte Sanktionierung liegt darin, dass die Person ihr Zahlungsversäumnis als rufschädigend erlebt, und zwar sowohl innerhalb der Gruppe als auch in der Öffentlichkeit. Eine weitere Steigerung des Sanktionierens stellt der Ausschluss aus der Gruppe dar. Ein Gruppenmitglied über ihre geschrumpfte Gruppe: “[…] [W]e could see that in fact it [Zahlungsversäumnisse, JS] will disturb us. It will not help us to move on, so we ourselves decided that these people [Zahlungssäumige, JS] they are not very active, they are not good enough, so we have to let them stand elsewhere so that we can move on. So now we are left with nine people instead of twenty five.” Die Sanktion bezieht sich in diesem Beispiel nicht mehr allein auf die Frage, ob das zahlungssäumige Mitglied in ihrer ganzen Persönlichkeit herabgewürdigt wird oder nicht. Nun kommt auch der finanzielle Aspekt zum Tragen, ob das zahlungssäumige Mitglied an weiteren Zahlungsversprechen teilnehmen darf oder nicht (vgl. allgemein zu Ausschluss und Herabwürdigung als zwei Optionen des Sanktionierens, Schuhmann, 1986: 26ff). Wie beim moralischen Sanktionieren mögen auch hierbei Dritte eine Rolle spielen, indem durch öffentliche Beobachtung dieses Ausschlusses die finanzielle Reputation leidet. Finanzielle Sanktionierung lässt sich nicht strikt von moralischen Sanktionierungen trennen. Denn der finanzielle Ausschluss aus der Gruppe bedeutet gleichzeitig einen Ausschluss aus der Solidaritätsstruktur der Gruppe, der als Herabwürdigung verstanden werden kann. Auch wenn sich die Sanktionen zunächst und vor allem auf den Risikofall des free-riding der Gruppe beziehen, bleiben sie außerhalb der Gruppeninteraktion nicht ohne Wirkung: Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch: „Auf dem Weg zurück zu Kleinstadt cba-Centre erzählt mir Christina so einiges, was ich aber leider nicht aufnehme. Ich frage sie über das Verhältnis zwischen den Mitgliedern der farmers-group und den herausgenommenen defaulters. Christina: ‘They would say hello to each other, because they live close together, talk, but not as close as before.’”
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Die persönlichen Beziehungen der Gruppenmitglieder außerhalb der Gruppeninteraktion, die Kennzeichen der vorherrschenden lokalen Sozialstruktur sind, werden in diesem Beispiel durch Sanktionen in Mitleidenschaft gezogen. Nach der Exklusion aus der Gruppe ist die Beziehung zu den Gruppenmitgliedern “not as close as before”. Als Infrastruktur solch eines negativen Feedbacks der Gruppendynamik auf die gesellschaftliche Nahumwelt fungiert die strukturelle Kopplung der Gruppeninteraktion mit den lokalen Reziprozitäten. In dem Maße wie die Gruppeninteraktionen sich für ihren eigenen Strukturaufbau auf durch Reziprozitäten geprägte persönliche Beziehungen beziehen, können Strukturentwicklungen der Gruppe auf die Reziprozitäten wieder zurückwirken. Offensichtlich sind die Konditionierungen der strukturellen Kopplung nicht nur in die eine Richtung hin ausgerichtet, dass die lokalen Reziprozitäten zur Kohärenz der Gruppe mit beitragen. Sie wirken auch in die andere Richtung, sodass negative strukturelle Änderungen der Gruppe Effekte auf die lokale Sozialstruktur haben. In der Literatur ist dieses Phänomen des negativen Feedbacks vor allem als Zerstörung von gesellschaftlichem Sozialkapital beziehungsweise von sozialer Kohäsion bekannt (Smets, 2004: 219, Batemann, 2007: 218f), wobei jedoch diese Zerstörung einseitig dem eigennützig kalkulierenden Individuum zugerechnet wird ohne Bezug auf die Gruppeninteraktion, die solche individuelle Handlungsweisen erst ermöglicht. Neben der Option, Zahlungsversäumnisse negativ mit Herabwürdigungen oder gar Gruppenausschluss zu begegnen, besteht für die Gruppe die Möglichkeit, sich dem Zahlungsversäumigen gegenüber solidarisch zu zeigen. Dazu ein Gruppenmitglied: “Sometimes when we meet we say ‘Oh, I don’t feel for my this thing… my work is not going on so if I know how I’m doing my own and it builds up or it functions, yes… I will tell you, ‘Oh, when you take this route your work will be fine. When you sell too, you will use some small money. You keep it at the bank. You keep small money at the bank. You can do it daily or monthly or two weeks time or week time. When you get the money then you put it at the bank so that next time then you have feedback for yourself’. So when I give you this advice and you are not having it, you too, you will think of it […]. Then you take the route.” Und ein Mitglied einer anderen Gruppe: “I said our group when we say we are unity we give each other love we give each other smiling face.”
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Die Solidarität der Gruppe zeigt sich in diesem Beispiel in der Form von persönlichen Ermutigungen und sachdienlichem Rat, wie die schwierige finanzielle Lage zu bewältigen ist. Man unterstützt sich in der Frage, wie die Kredite am besten investiert werden, wie Rücklagen gebildet werden oder wie am besten Geschäfte zu machen sind. Die Solidarität kann aber auch so weit reichen, dass die ausstehende Zahlung von der Gruppe oder eines ihrer Mitglieder übernommen wird. So ein Gruppenmitglied: “[I]f the person couldn’t pay the money, if the money is 10 EUR, you will pay 1 EUR, I will pay 1 EUR, somebody will pay 1 EUR, mhmm, then we pay it. […] [W]hen we pay it for her, she will give it back to us.” Und aus einer anderen Gruppe: “Well, it happened once, when a member were not able to pay, we contributed and pay for on her behalf, so on another, following week the person paid to us. Yeah! ” Wie wir hier sehen können, schließt die moralische Norm des Rückzahlens innerhalb der Gruppeninteraktion, deren Bildung durch das wechselseitige Bürgen veranlasst wird, den tatsächlichen Fall des Bürgens selber nicht aus. Neben der Möglichkeit des Sanktionierens und Formen des Solidarisierens stellt er jedoch nur eine Option des Umgangs mit drohenden Zahlungsausfällen dar. Und selbst dieser Fall eines tatsächlichen Bürgens geschieht nicht bedingungslos, sondern wiederum unter Abgabe eines Versprechens, die versäumte Zahlung nachzuholen. Wie der Modus des Sanktionierens verfügt auch der Modus des Solidarisierens über zwei Möglichkeiten: entweder geht die Gruppe durch Zuspruch und Ermutigungen auf das zahlungssäumige Mitglied als Person und ihre schwierige Situation ein, oder sie bewältigt die finanziell prekäre Situation des Zahlungssäumigen durch vorgeschobene Zahlungen, die sie jedoch zurückerwartet. Und auch hier gilt, dass die vorgeschobene Zahlung der Gruppe nicht nur als Alternative zu den persönlichen Ermutigungen zu sehen ist, sondern diese miteinschließt, indem sie als Akt der Solidarität verstanden wird. Durch die Differenzierung von Sanktionen und Solidarität werden Normabweichungen des wechselseitigen Bürgens in der Gruppeninteraktion kontrolliert. Ausgelöst durch die persönliche Betroffenheit der Gruppe stellen sie Handlungsoptionen dar, wie an akute Zahlungsausfälle angeschlossen wird. Vor allem liegt ihr Strukturgewinn darin, dass bereits vor dem möglichen Risikofall, also trotz der noch offenen Frage nach der Rückzahlung, erwartbar ist, dass es weiter
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gehen wird. Sie strukturiert insofern diese Frage, als dass sie ihre beiden Optionen unter Bedingung stellt. Sie stellt die Solidarität der Gruppe in Aussicht, falls die Kreditrate nicht zurückgezahlt wird. Gleichzeitig beschränkt sie jedoch die Möglichkeit der Nichtrückzahlung, indem sie mit Sanktionen droht. Doch wie wird entschieden, welche der beiden Optionen gewählt wird? Dazu ein Loan Officer stellvertretend für die Gruppe: “They [die Gruppe, JS] have talked to her [Zahlungssäumige]. They said they came here but she was, you know, saying stuff like she doesn’t have the money and stuff but they don’t believe her. They too suspect that she has given the money to somebody. You see, because the first one [installment, JS] she couldn’t pay and this, the one in red had to pay for her […]. And this is the second instalment so young girl like this, ‘What have you done with the money? Even those who are grown up are working with the money to pay and you a young girl like this you haven’t paid.’ That means she has done something else with the money that is what we hate. ‘We don’t want that because we gave the money to you for you to work with, not to somebody. So if you give the money to somebody you provoke us, we get very angry’. // I: Right, so why would the group not pay for her this time? // Yeah, because you know, […] it’s quite early and also you are around, you are supposed to work with the money, you are around // What, you are around, you said? // It’s like the woman is around, she is working.” Nach diesen Erzählungen macht die Gruppe die Zahlungssäumige selbst für den Zahlungsverzug verantwortlich. Die Erklärung der Zahlungssäumigen, dass sie kein Geld habe, nimmt ihr die Gruppe nicht ab. Stattdessen verdächtigt die Gruppe sie, das Geld jemand anderes gegeben zu haben. Als Anhaltspunkte für diese Einschätzung dient die Tatsache, dass sie bereits die anderen zwei Raten nach Auszahlung des Kredits nicht gezahlt hatte, obwohl sie arbeitet (‘the woman is around, she is working’). Das Zahlungsversäumnis wird also auf das Verhalten des Mitglieds zugerechnet und damit ihm free-riding als bestimmte Form des moral hazard als betrügerische oder zumindest leichtsinnige Folgehandlungen nach der Kreditausgabe unterstellt. Dieses Ausnutzen der ehrlichen und strebsamen Arbeitshandlungen der Gruppe durch ihr Geradestehen erzeugt Betroffenheit bei der Gruppe und gibt ihr Anlass für Sanktionen (‘you provoke us, we get very angry’). Man darf annehmen, dass es auch den umgekehrten Fall gibt, dass also die Gruppe die Gründe für das Zahlungsversäumnis in schwierigen persönlichen Erlebnissen beziehungsweise in der Situation des Mitglieds sieht. In diesem Fall
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wird der Zahlungssäumige als unschuldig erklärt, wodurch es wohl eher zum wechselseitigen Bürgen als solidarisches Gruppenverhalten kommt. Akute Risikofälle können durch die Gruppeninteraktion also entweder auf die Handlung des Mitglieds oder auf dessen schwierige Situation zugerechnet werden. Aufgrund dieser Attributionsmöglichkeiten bezeichnet Wydick (1999: 474) Kreditgruppen als „juries“, die entscheiden, ob Zahlungsausfälle auf harte Umstände („hardship“) oder auf eigenes Handeln zurückzuführen sind. Auch Karlan (2007: 79) verweist auf die Unterscheidungsfähigkeit der Gruppe, ob es sich bei einem Zahlungsversäumnis um, ein „true negative shock“ oder um „mere reneging“ handelt. In dieser Fähigkeit besteht die eigene Beobachtungsweise der Gruppe, das peer monitoring (Stiglitz: 1990), das auch noch dort Informationen generiert, wo der formale Finanzmarkt längst an seine Grenzen gestoßen ist. Als Anhaltspunkte für dieses Beobachten der Gruppe mögen dabei die fortdauernden persönlichen Beziehungen der Gruppenmitglieder dienen, über die Informationen gewonnen werden können, ob die Zahlungssäumige etwa arbeitsfähig ist oder krank geworden ist, um daraufhin dann entsprechend zu reagieren. Sanktionieren als auch Solidarisieren fungieren als unterschiedliche Modi der Gruppeninteraktion für die Kontrolle von Zahlungsversäumnissen. Indem sie auf je unterschiedliche Weise diese Funktion erfüllen, ermöglichen sie, dass die Erwartung des wechselseitigen Bürgens trotz und wegen des Zahlungsversäumnisses aufrechterhalten wird. Sanktionierung und Solidarisierung stabilisieren damit die Norm des wechselseitigen Bürgens. Sanktionierung stabilisiert die Norm des wechselseitigen Bürgens, indem sie solche Abweichungen durch ihre Belegung mit negativen Konsequenzen verarbeitet, die sich erst aus normkonformem Handeln ergeben, wie etwa ausnutzendes free-riding: Einerseits wirken Sanktionen abschreckend auf free-riding. Soweit sie diese Wirkung haben, ermutigen sie die anderen Mitglieder zu normkonformen Handeln, weil diese annehmen dürfen, das ausnutzendes Verhalten bestraft wird. Normkonformes Handeln setzt andererseits wieder den Anreiz zum free-ridings frei, sich also von der funktionierenden Gruppe tragen zu lassen ohne selbst dafür einen Beitrag zu leisten. Die Ermutigung zum konformen Handeln durch Sanktionierung von free-riding reproduziert also gleichermaßen den Anreiz zum free-riding. Insofern Sanktionierung damit als Anreiz für beide Seiten der Norm des wechselseitigen Bürgens fungiert, also für ehrliches und strebsames Arbeiten als normkonformes Handeln einerseits und für free-riding als abweichendes Handeln andererseits, trägt sie zur Stabilisierung der Norm mit bei. Solidarisierung stabilisiert die Gruppennorm des Rückzahlens, indem sie solche Abweichungen durch Rückbindung auf die Norm verarbeitet, die sich außer-
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halb der Norm ergeben, wie etwa unverschuldete Ereignisse. Einerseits ermutigt Solidarität normkonformes Handeln, weil man davon ausgeht, dass andere auch konform handeln und nicht beabsichtigte Zahlungsschwierigkeiten nicht bestraft, sondern ganz im Gegenteil von der Gruppe getragen werden. Andererseits kann aus dieser Annahme heraus auch konformes Handeln beschränkt werden: zum einen, weil man nicht vollständig bereit ist, sich für Angelegenheiten und Handlungen anderer, die man selbst nicht kontrollieren kann, solidarisch zu zeigen; und zum anderen, weil es, absichtlich oder unabsichtlich, zu sorglosem Handeln verleitet. Die Gruppe fängt einen ja schon auf. Sowohl Sanktionierung als auch Solidarisierung verhindern damit nicht Abweichungen zu Gunsten konformen Handelns. Sie ermöglichen vielmehr über ihre je unterschiedliche Form des Umgangs mit Abweichungen, dass man sich trotz deren Risiken auf konformes Handeln einlässt, wodurch Abweichungen erst ermöglicht werden. Im Falle des Sanktionierens werden diese Abweichungen innerhalb der Norm, und im Falle des Solidarisierens außerhalb der Norm ausgemacht. Insofern Sanktionierung als auch Solidarisierung Anlässe sowohl für konformes als auch für abweichendes Handeln geben, fungieren sie als Stabilisatoren für die Norm des wechselseitigen Bürgens. Sowie Sanktionieren und Solidarisieren unterschiedliche Umgangsformen mit Abweichungen darstellen, so beziehen sie sich andererseits aufeinander. Das Risiko des free-riding der Solidarität wird durch Sanktionen verarbeitet. Und das Risiko, dass im Falle von Zahlungsschwierigkeiten trotz eigener Anstrengungen sogleich Sanktionen erfolgen, wird durch die Möglichkeit der Solidarität kontrolliert. So zeigt sich die Gruppe weder bedingungslos solidarisch – ansonsten würde ausnutzendem Handeln (free-riding) Tür und Tor geöffnet, woraufhin sich gar keiner mehr konform verhält und die Gruppe zusammenbricht. Noch ist die Gruppe auf ein bedingungsloses Sanktionieren ausgerichtet – ansonsten blieben externe Ereignisse, für die der Zahlungssäumige nicht verantwortlich gemacht werden kann, unberücksichtigt. Vielmehr liegt der Strukturgewinn der Gruppeninteraktion durch das wechselseitige Bürgen darin, dass unter persönlicher Betroffenheit der Gruppe das Zahlungsversäumnis entweder auf die Situation (externes Ereignis) oder auf die Person (free-riding) zugerechnet werden kann, um entsprechend mit Solidarisierung oder mit Sanktionen anzuschließen, wodurch die Norm des wechselseitigen Bürgens stabilisiert wird. Mit diesen Beobachtungen der normativen Kraft der Gruppeninteraktion zur Frage des Einhaltens des Zahlungsversprechens wird deutlich, dass der bloße Verweis auf die lokale Sozialstruktur das Funktionieren des wechselseitigen Bürgens nicht ausreichend erklärt. Vor dem Hintergrund mangelnder Kreditalternativen werden externe Reziprozitäten nicht einfach bloß in die Gruppeninter-
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aktionen übernommen. Vielmehr kommt es darauf an, wie (!) diese externen Reziprozitäten innerhalb der Gruppe beobachtet und berücksichtigt werden. Als Gesichtspunkt der internen Berücksichtigung externer Reziprozitäten fungiert die Bedingung, dass der Zahlungsausfall eines Gruppenmitglieds persönliche Betroffenheit bei den anderen Mitgliedern auslöst. Die anderen Mitglieder müssen bei Zahlungsausfall entweder als Bürgen einspringen oder aber ihre künftige Inklusion in alternativlose Zahlungsversprechen aufs Spiel setzten. In beiden Fällen sind sie also selbst durch den Zahlungsausfall eines Mitglieds persönlich betroffen. Diese Möglichkeit der persönlichen Betroffenheit durch Zahlungsausfälle fungiert als Kondensationspunkt für die Bildung der Erwartung, solch eine Betroffenheit zu vermeiden, indem die Zahlungsversprechen eingehalten werden. Und gleichzeitig fungiert die persönliche Betroffenheit als Ressource zur Sanktionierung des Normbruchs. Die Norm der Gruppeninteraktion bezieht sich einerseits zwar auch noch auf externe Reziprozitäten, indem sowohl ein Zahlungsausfall als auch die Verweigerung des Bürgens als Verletzung von Reziprozitätserwartungen verstanden werden kann. Doch andererseits arbeitet die Norm des Einhaltens von Zahlungsversprechen mit einem eigenen Kontrollschema zur Klärung der Fragen, welche Ereignisse als Bestätigung oder als Abweichung der Norm beobachtet werden und welche operativen Folgen sie haben. Beispielsweise kann ein Zahlungsausfall als absichtliche Normabweichung beobachtet werden, indem es auf zu riskantes Handeln des Mitglieds selbst zugerechnet wird, worauf mit Sanktionen operativ angeschlossen wird. Oder aber der Zahlungsausfall kann auf die prekäre Situation des Mitglieds zugerechnet werden, was solidarisches Handeln der Gruppe zur Folge hat. Diese Option der Auslegung der Norm verweist auf die interne Struktur der Gruppeninteraktionen, auf ihre eigene Beobachtungsweise und eigenen Handlungs- und Erlebensmöglichkeiten. In dem Maße, wie die soziale Kontrolle der Gruppennorm sich auf die externen Reziprozitäten bezieht, beutet sie diese parasitär für ihren Zweck der Einhaltung der Zahlungsversprechen aus. In dem Maße, wie sie ein eigenes Beobachtungsschemas entwickelt, koppelt sie sich von ihnen ab. Gerade auf dem Land funktionieren Kreditgruppen gut, weil hier stark ausgeprägte Reziprozitätsstrukturen mit dem Fehlen von Kreditalternativen zusammenfallen, während in der Stadt die soziale Kohärenz geringer und die Finanzierungsmöglichkeiten vielfältiger sind. Die Gruppennorm wird in ländlichen Gebieten dann einerseits durch die wechselseitigen persönlichen Verpflichtungen gestützt. Gleichzeitig beschränken mangelnde Kreditalternativen das Risiko der collusion, das mit solchen Reziprozitäten einhergeht, indem sie den Schaden der anderen Gruppen-
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mitgliedern verstärken, also den Gesichtspunkt der persönlichen Betroffenheit in der Gruppeninteraktion schärfen.
2. S OZIALE K ONTROLLE ZWEITER O RDNUNG DER I NTERAKTION MIT DEM L OAN O FFICER Wir hatten im vorangegangenen Hauptkapitel bereits gesehen, welche Rolle der Loan Officer vor der Entscheidung zum wechselseitigen Bürgen spielt. Zwar lehnt er eine direkte Bestimmung der Selektion der Gruppenmitglieder ab und überlässt sie der Gruppe selbst. Andererseits ermöglicht ihm gerade diese distanzierte Haltung die Selbstselektion der Gruppe anzustoßen und durch Schulungsmaßnahmen zu rahmen. Wie steht es nun um die Rolle des Loan Officer beim wechselseitigen Bürgen nach der Kleinkreditauszahlung? Soeben haben wir gesehen, wie durch die Interaktionen unter den Gruppenmitgliedern anhand der Modi des Sanktionierens und des Solidarisierens mögliche Zahlungsversäumnisse als Normabweichungen kontrolliert werden. Lässt sich damit das Risiko des moral hazard nach der Kleinkreditvergabe allein durch die Gruppeninteraktionen der Schuldner, d.h. ohne Zutun des Loan Officer als Gläubiger kontrollieren? Oder spielt er wiederum eine ähnlich distanzierte, aber rahmengebende Rolle wie vor der Kreditentscheidung? 2.1 Ablehnung der Kontrolle von Individualkrediten Zunächst fällt auf, dass der Loan Officer sich aus der unmittelbaren Kontrolle des Risikos des moral hazard heraushält und sie der Gruppeninteraktion überlässt. Dies wird daran deutlich, dass eine Annahme von Einzelraten abgelehnt wird und in der Regel nur die Summe aller Einzelraten der Gruppe angenommen wird: Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch: „Am Nachmittag begleite ich Urti auf eine repayment. Es geht in die community vom Vormittag. Doch die Gruppe ist nicht an ihrem Treffpunkt in einem oberen Stockwerk eines großen Betongebäudes. Wir treffen ein Mitglied vor dem Haus, einige andere kommen bald hinzu. Es wird kurz geredet, ohne dass es zu einer Rückzahlung kommt. Dann geht es für Urti und mich wieder zurück zur Zweigstelle. Urti klärt mich auf: aufgrund des Regens seien einige Mitglieder nicht gekommen, und er würde keine Teilzahlungen annehmen, sondern nur die gesamte Gruppenrate, deswegen würde er an einem anderen Tag noch einmal
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wieder kommen. Die Gruppe bestünde aus lauter Männern, die jeweils electronic services (für Kühlschränke, TVs, etc.) anböten. Die Gruppe habe bereits als association dieser Berufsgruppe bestanden.“ Und ein weiterer Ausschnitt: „Auch das Geld der nächsten Gruppe nimmt Christian [Loan Officer] nicht an. Denn das Geld eines Mitglieds, es ist ein Mann, fehlt. Die Mitglieder könnten ihn nicht auffinden. Möglicherweise sei er weggerannt (ran away). Schon beim letzten Mal hätte er 15 EUR zu wenig gezahlt. Er würde das Geld der Gruppe nicht annehmen, damit diese Druck (pressure) auf den Mann ausübt. Doch die Gruppe selbst würde für den Mann nicht zahlen, die ‚group-guarantee is not working’.“ Rückzahlungen einzelner Kreditraten oder von Teil-Zahlungen der gesamten Gruppenrate werden also vom Loan Officer abgelehnt. Diese Distanzierung des Loan Officer geht aber nicht zu Lasten der sozialen Kontrolle durch die Gruppe. Im Gegenteil, sowie nämlich der Loan Officer die Kontrolle von Einzelkrediten ablehnt, so wird die Interaktion der Gruppe zur Kontrolle der Einzelkredite veranlasst. Denn im Falle eines Zahlungsverzug eines Mitglieds droht nun die gesamte Gruppe zahlungssäumig zu werden und nicht allein das Mitglied. Damit wird die ganze Gruppe vom Zahlungsverzug eines Einzelnen betroffen, indem, wie wir oben gesehen haben, ihr Ruf geschädigt wird, sie Ausgleichszahlungen tätigen muss und/oder einen Zeitverlust erleidet. Das eigentliche Risiko des Loan Officer als Gläubiger, dass es zu einzelnen Zahlungsausfällen kommt, wird auf die Gruppe der Schuldner als Bürgen übertragen. Und in diesem Risiko der Betroffenheit sieht die Gruppeninteraktion einen Anlass, wie wir oben gesehen haben, Zahlungsversäumnisse einzelner Mitglieder als Abweichungen durch Sanktionen oder Solidarisierungen zu kontrollieren. Indem der Loan Officer also die Kontrolle der Risiken von Einzelkredite ablehnt, veranlasst er die Gruppe gerade dazu, sich ob ihres Risikos der Betroffenheit selbst zu kontrollieren. Die soziale Kontrolle der Gruppe erfolgt also nicht allein aus sich selbst heraus, sondern bedingt sich aus der Position des Loan Officer als eines Dritten, der die Gesamtrückzahlung annimmt und Einzelkredite ablehnt. Ähnlich wie bei der Veranlassung der Selbstselektion der Gruppe durch den Loan Officer resultiert auch diese Veranlassung der Kontrolle durch die Gruppe nicht aus einem Zufall heraus oder wird als positiver Nebeneffekt gebilligt. Vielmehr scheint die Ablehnung der Kontrolle der ausgezahlten Einzelkredite explizit aus dem Kalkül heraus zu erfolgen, dass sie durch die Gruppe besser kontrolliert werden können – „Er würde das Geld der Gruppe nicht annehmen, damit diese Druck (pressure) auf den Mann ausübt“. Durch die Stelle des Loan
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Officer wird also der Mechanismus der Gruppenkontrolle auf einer Ebene zweiter Ordnung beobachtet mit entsprechenden Dispositionen darüber, wie dieser initiiert und weiter ausgebaut werden könnte. Zur Beobachtung und Veranlassung der sozialen Kontrolle der Gruppe durch den Loan Officer scheint aber auch dazuzugehören, die riskante Kehrseite der Initiierung dieses Mechanismus mitzuberücksichtigen: Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch zu einer Rückzahlung: „Dann treffen wir [der Loan Officer und ich] zwei Gruppenmitglieder irgendwo am Straßenrand. Wir bleiben auf dem Motorrad. Es kommt zu einer kurzen Diskussion. Thomas klärt mich anschließend [in einem aufgenommenen Gespräch, JS] auf“: ‘What I’m saying is that the group leader, currently, is somewhere that’s why I had to give him a call. He is at a village […]. When I asked those other members of the group they told me that the money had been delivered through the group leader and the group leader has all the money but two days passed. I came and asked the group leader why the group has not been able to pay, he told me that one person has not been able to pay. And these people have actually attested to the fact that the person has not brought his money yet but they came to an agreement that, one person said that he will volunteer and pay for that money so that when the person comes, he can then what: retrieve the money from him. Now the guy who said he will volunteer the money and pay is around but the other guy too who has the rest of the money is not around. And now the truth of the whole matter is it’s becoming dicey because the other group leader is making me to start doubting him whether he has not tempered with the money. ‘You told me that the money is not up, so sit down and the group will see how they pay. Somebody has volunteered to pay for the one who is not around and here is this case you are going round. You can’t sit down and you can’t sit with the group and you are still insisting that one person has not paid? Meanwhile somebody is ready to pay for that money and you can’t give the rest of the money?’ So he is making me to doubt whether the whole money that was paid to him is actually there […].’ So geht die Ablehnung von Teil-Zahlungen der Gruppe durch den Loan Officer auch mit einem Risiko einher. Es besteht darin, dass die abgelehnte Teil-Zahlung im Sinne des moral hazard leichtsinnig aufbewahrt wird, man sich mit ihr aus dem Staub macht oder sie trotz aller Vorsichtsmaßnahmen entwendet wird, sodass sie zu einem späteren Zeitpunkt ausfällt. In dem Beispiel wird zum anderen das Risiko des Zusammenbruchs der Gruppe in dem Sinne deutlich, dass die
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Rückzahlung der gesamten Gruppenrate ausbleibt. All diese Risiken werden aus der Perspektive des Loan Officer beobachtet. Von der Position des Loan Officer aus wird also nicht nur beobachtet, dass durch Ablehnung von Teil-Zahlungen innerhalb der Gruppe eine soziale Kontrolle der Risiken der Einzelkredite initiiert wird, sondern auch, dass diese Kontrollfunktion mit dem Risiko einhergeht, dass die gesamte Rate ausfällt. Wie wird angesichts dieses Risikos dann entschieden, die Teil-Zahlung gegebenenfalls doch anzunehmen? Dazu ein Leiter einer Zweigstelle: “There are instances, you leave the money with the client and he is using it to also advance his business because the thing is lying there, he tell you that the people have not paid so I am waiting for the money to catch up before I bring it and he will be trading with it. That is also one side of the story, some of them you go the next time and they will tell you: ‘I put the money into my room and it got missing.’ And it has even increased your risk so it’s just like I haven’t any got a straight jacket answer in that situation. It should be this. Sometimes, you apply this it works and sometimes it will work up to a certain extent, it doesn’t work anymore. […] // I: Can you state some example when you decide to take the money and when you decide to leave it with one client? // Where we decide to leave the money is, let’s say the group has taken money and that is their first repayment so from day one if you start encouraging part payment, it creates a problem. So if it is first, second, third then you can leave the money with them to put extra pressure. But if they are about to end the cycle, about the 10th, 11th, 12th repayment, so it’s just like you are trying to talk to them and then get your money […] // I: So you won’t leave it then? // No that one I won’t leave it because the risk of leaving it is greater than taking it.” Demzufolge gilt es abzuwägen, ob das Ausfallrisiko der abgelehnten TeilRückzahlung der Gruppe nicht das Ausfallrisiko der säumigen Einzelrate wegen fehlendem “extra pressure” der Gruppe übersteigt. Die Abwägung orientiert sich dabei an der Anzahl bereits bezahlter Raten: Zu Beginn der Ratenzahlungen werden keine Teil-Zahlungen angenommen, für die letzten Ratenzahlungen jedoch schon. Dies überrascht, weil doch der Anreiz zum moral hazard zu Beginn der Ratenzahlungen höher ist als am Ende, wo man bereits den Großteil des Kredits zurückgezahlt hat und sich durch moral hazard die Möglichkeit eines Anschlusskredits verbaut. Das Kalkül für diese Abwägung mag mutmaßlich darin liegen, dass zu Beginn der Ratenzahlungen (unmittelbar nach der Entscheidung zum wechselseitigen Bürgen) noch eher Einfluss auf die soziale Kontrolle
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der Gruppe genommen werden kann als am Ende. Dies ist aber nicht die einzige Möglichkeit, sich die Frage der Annahme oder Ablehnung von Teil-Zahlungen zu beantworten: So ein Loan Officer: “We don’t take part payment, we take full payments. And the part payment, if you see any part payment as I earlier on mentioned to you some groups just see the need to be paying it weekly to byweekly but at the end of the month […] we should all sum up to what the monthly installment is. That is the basic logic there […].” Eine andere Form des Umgangs mit Teil-Zahlungen der Gruppe besteht demnach darin, sie an inoffiziellen Ratenterminen zuzulassen und sie an offiziellen Terminen abzulehnen. Der Vorteil dieses Vorgehens liegt darin, dass das Risiko des moral hazard in Bezug auf die ansonsten abgelehnte Teil-Zahlung an wöchentlichen Terminen vermieden und sogleich die Rückzahlungsfähigkeit des einzelnen Kredits flexibler gestaltet werden kann, ohne die Gruppenkontrolle gänzlich aufzugeben, indem etwa an monatlichen Terminen die Gesamtzahlung der Gruppe vollständig zu erfolgen hat. Festzuhalten ist, dass die Rolle des Loan Officer sich von einer unmittelbaren Teilnahme an der Gruppeninteraktion und damit von der sozialen Kontrolle der Einzelkredite distanziert, indem Teil-Zahlungen der Gruppe abgelehnt werden, die eine Forderung und Kontrolle einzelner Rückzahlungen nach sich ziehen würden. Durch diese Distanzierung wird die soziale Selbstkontrolle der Gruppe jedoch nicht geschwächt, sondern vielmehr veranlasst und gestützt, weil es nun die Gruppe ist, die von einzelnen Zahlungsverzügen betroffen wird. Gleichzeitig kann von der Position des Loan Officer aus das einhergehende Ausfallrisiko der Teilzahlung reflektiert und abgewogen werden, ob nicht zumindest etwa an abwechselnden oder an den letzten Ratenterminen Teil-Zahlungen angenommen werden sollten. Das Handeln des Loan Officer fungiert also als Anlass für die soziale Kontrolle der Gruppe. Bleibt es bei dieser basalen Veranlassung oder kann sich die soziale Kontrolle durch die Gruppe durch eine ausdifferenzierte Rollenausübung des Loan Officer noch weiter ausformen? Beobachten wir dazu weiter die Interaktionen des Loan Officer mit der Gruppe. 2.2 Risiko der collusion Die Ablehnung des Loan Officer, die Einzelkredite selbst zu kontrollieren, veranlasst zwar eine Risikokontrolle innerhalb der Gruppeninteraktion. Andererseits
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ist dadurch nicht vollständig sichergestellt, dass die Kredite zurückgezahlt werden. Gerade vom Standpunkt des Loan Officer kann die womöglich unzureichende Selbstkontrolle der Gruppe als Risiko der collusion beobachtet werden (vgl. Armendàriz de Aghion, Morduch, 2005: 111f). Das Risiko der collusion liegt in der Nachlässigkeit oder gar in der geheimen Absprache der Gruppenmitglieder untereinander gegenüber dem Loan Officer. Angesichts der Anstrengungen sinnvoller Investitionen und des Risikos eines Bürgschaftsfalls liegt es für die Gruppenmitglieder nicht fern, sich untereinander abzusprechen, den Kredit nicht zurückzuzahlen, ohne voneinander Solidarität oder Sanktionen erwarten zu müssen (vgl. allgemein Heckathorn, 1990). Die Interaktion der Gruppe reflektiert in diesem Moment ihre eigene Norm des Rückzahlens und deren moralische Begründung durch die persönliche Betroffenheit vom Nicht-Zurückzahlen angesichts der externen Vorgabe des wechselseitigen Bürgens. In Bezug auf die lokale Sozialstruktur wird das Risiko der collusion insbesondere akut angesichts einer zu schwachen oder zu starken lokalen Reziprozitätsstruktur und angesichts von Kreditalternativen durch andere Mikrofinanzinstitutionen. Wie geht der Loan Officer mit diesem Risiko um? Andererseits könnte man auch fragen, wer eigentlich als Gläubiger an der Produktion dieser Risiken mitbeteiligt ist. Beide Fragen führen uns jedenfalls zur Stelle des Loan Officer, der für die Kreditgruppe als primäre Kontaktadresse der Mikrofinanzinstitution fungiert. 2.3 Moralische Meta-Norm in der Interaktion mit dem Loan Officer Indem der Loan Officer die Risikokontrolle der Gruppe selbst überlässt, handelt er sich also das Risiko der collusion ein. Fragen wir uns nun, wie dieses Risiko aus der Position des Loan Officer kontrolliert wird? Sicherlich wird der Loan Officer es nicht dem Zufall überlassen, dass die normative Kontrolle der Gruppe funktioniert. Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch: „An den Rückzahlungsorten ist immer ein bisschen etwas los, Klientinnen sitzen zusammen herum oder stehen und erzählen, dabei öfters Gelächter, manche schweigen auch. Ist der Rückzahlungsort im Hof eines Wohngebäudes laufen noch Hausangehörige, v.a. Kinder, herum. Bei Gelegenheit frage ich Gabriella [Loan Officer], über was dabei immer so alles geredet wird. Über Neugeburten, Todesfälle, Krankheiten, das Wetter, das Bestehen und Nichtbestehen von Schulprüfungen, etc., antwortet Gabriella. Wahrscheinlich kann man es ganz gut mit Klatsch zusammenfassen. […] Als loan officer müsse man da-
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bei immer Mitgefühl, Anteilnahme zeigen (‘show sympathy’). Einer Klientin hätte sie etwa, wie üblich, Eier geschenkt, als deren Kind bei der Geburt gestorben ist. Einer anderen, deren Kind gesund zur Welt kam, hätte sie Seife geschenkt. So hätte sie sich auch um die Klientinnen, die wir heute ganz zu anfangs getroffen haben, die geschlagen wurde, entsprechend gekümmert. Dies sei alles wichtig ‘to build up trust’, ‘to make them repay’. Manchmal helfe dies alles nichts, sie würden nicht zahlen. ‘To be nice to the clients’, wurde ihnen auch in der Loan Officer-Schulung beigebracht. Man solle aber keine Geschenke von den Klientinnen annehmen. Zu Weihnachten hätte sie aber einmal von einer Gruppe ein großes Bündel Kochbananen bekommen, und sie wäre angefleht worden, dies Geschenk entgegen ihren Vorgaben anzunehmen. […] Einigen Gruppen würde sie auch etwas zu Weihnachten schenken, in einem Fall hätte sie alle Wünsche erfüllt, die die Klientin vorher genannt hatten. Eine Sardinenbüchse für die eine, etwas anderes für die andere, etc. Da wären alle ‘impressed’ gewesen. Das Leben auf dem Dorf sei nicht einfach, da wäre eine Sardinenbüchse etwas Besonderes.“ Ein Gruppenmitglied über ihren Loan Officer: “[…] [T]he reaction they show us when we always go they always appreciate good they speak good to us they give us smiling face they never give us ugly before they call us and advise us so many things.” Diese Beispiele zeigen, dass und wie sich die Interaktion der Gruppe und ihrer Mitglieder mit dem Loan Officer durch Wertschätzungen auszeichnet: Der Loan Officer zeigt immer eine freundliche Mine und nimmt Anteil an den persönlichen Umständen der Gruppenmitglieder, wie Schulprüfungen ihrer Kinder, Krankheiten, Konflikte oder Neugeburten. Zu bestimmten Anlässen, wie etwa zu Todesfällen und Weihnachten, wird der persönlichen Anteilnahme durch Geschenke sogar ein besonderer Ausdruck verliehen. Die Gruppenmitglieder werden dadurch nicht nur als Kunden einer finanziellen Dienstleistung angesprochen, sondern als zu achtende ganze Persönlichkeiten. Entsprechend herausfordernd ist es, die asymmetrische Rollendifferenzierung zwischen Gläubiger und Schuldner in den Hintergrund zu rücken: Dazu ein Loan Officer: “[…] [A]nd if you are able to go closer to the client, you will not make the client feel inferior […] you see, most at times I go for group meetings without using my tie. You see I go there as normal person, I don’t go there as a professional I go there like lay man for them
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to know that I’m of their standard, you see. At times they don’t come for group meeting because they will say that ‘Mhmm, I’m a fish monge, my shirt smells’, why should I come and sit in the midst of somebody who is wearing suit’, you understand […]. And one thing too I do that is helping is monitoring, […] I don’t go there only on group meeting days. I go there on another unusual day then I go and find out how they are faring. They see that ‘Mhmm, this particular person is part of us, he doesn’t think of only money but he thinks about our welfare. He thinks about how we are fairing.’ […] Default, it depends on the officer, how you relate with the clients. You see, some will say that ‘Mhmm, I’m paying because of this man; I’m paying because this man is lovely; I’m paying because this man cares about us; I’m paying because maybe we don’t want him to have a problem with us.’ But if you do yourself in such a way that ‘Mhmm, I’m an officer, a loan officer and I’m not going to go to the ground with client, I’m not going to speak the language they speak, you see. Some officers go to the field, they will speak English throughout. I’m very good at English but when I go to the field, all my language is local. […] I will make sure that everything is in the local language for them to understand everything clearly so that at the end of the day they will not come and tell me that you didn’t say such a thing here. So as Officer at where I work, at least everybody is doing his or her best to treat a client fairly to make sure that no client is treated badly or make them inferior but at the end of the day they all come together as a group, you see. Without the client I’m useless.” Um die persönlichen Wertschätzungen der Gruppe plausibel zu machen, gehört zumindest nach dieser Schilderung dazu, Kennzeichen der strukturellen Asymmetrie zwischen Gläubiger und Schuldner möglichst weit abzuschwächen: So trägt man im Kontakt mit den Gruppenmitgliedern Alltagskleidung anstatt professionelle Kleidung (Anzug und Schlips) und redet in lokaler Sprache anstatt in Englisch. Auch besucht man die Gruppenmitglieder nicht nur zu den formal vereinbarten Rückzahlungsterminen, sondern stattet ihnen hin und wieder auch einen, im Sinne eines monitoring, informellen Besuch ab. Der Sinn dieser Wertschätzungen liegt nicht im Aufbau und in der Pflege persönlicher Beziehungen, zumindest nicht für sich genommen. Vor allem liegt er darin, die Zahlungsbereitschaft wahrscheinlicher werden zu lassen, also das Risiko des moral hazard zu kontrollieren – “It depends on […] how you relate with the clients. You see, some will say that ‘Mhmm, I’m paying because this man cares about us; I’m paying because maybe we don’t want him to have a problem with us.” Dass die Interaktionen der Gruppenmitglieder mit dem Loan
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Officer sich durch moralische Normen auszeichnen, lässt sich auch daran ablesen, wie Anfänge von Interaktionsepisoden markiert werden, wie also Begrüßungen ablaufen: Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch im Kontext des Besuch einer Kreditgruppe: „Wir betreten einen kleinen Hof eines kleinen Betongebäudes, in dem bereits Stühle und Bänke zu einem Kreis aufgebaut sind. Einige clients sitzen, andere stehen als wir den Hof betreten. Robert nennt als Begrüßung den Namen der Gruppe (habe ich vergessen), und bekommt als eine mehr oder weniger im Chor gesprochene Antwort auf lokaler Stammessprache, die so viel wie ‚Zu zweit schafft man mehr’ heißen soll. […]. Bald darauf beginnt das Treffen mit einem Gebet.“ Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch zu einem Gruppentreffen: „Mit einem Mal sind mehrere Klientinnen im Pavillon, vielleicht um die zehn, sie sitzen auf den Holzbänken, den Stühlen oder stehen. Dave [Loan Officer] begrüßt sie ganz offensichtlich auf Stammessprache. Das Wort ‘Mikrofinanzinstitution ABC’ fällt aus dem Mund einer Klientin, und andere sagen etwas durcheinander; ‘It’s all about you’. Dann Gerede. Dave übersetzt für mich, dass sie sagen würden, dass ‘All have benefited from Mikrofinanzinstitution ABC’. Auf Nachfrage erzählt er mir auch, was ‘It’s all about you’ meinen würde: ‘Ok, what it means is that, it’s all about the welfare of the client, […] that is why Mikrofinanzinstitution ABC is around so we are interested in their welfare to establish. So Mikrofinanzinstitution ABC is all about the clients […]. They just respond, it becomes like a salutation. So ‘Mikrofinanzinstitution ABC’ and they respond ‘It’s all about you’, […]. // I: Salutation, when do you use it? // When anybody... when we are around. And anybody comes in, instead of saying good morning, good afternoon or good evening then he will rather say Mikrofinanzinstitution ABC then the rest or the others will respond, ‘It’s all about you.’” Die Begrüßung zwischen Loan Officer und der Gruppe nimmt demnach eine ganz eigene Form an, die sich von gewöhnlichen Begrüßungen wie etwa „‘Good morning’“ abgrenzt. Die Begrüßung „‘Mikrofinanzinstitution ABC – It’s all about you’“ verweist darauf, dass sich die Arbeit des Loan Officer auf die Gruppenmitglieder als Menschen beziehen und nicht etwa auf Profitmaximierung. Die Gruppenmitglieder werden in ihrer Ganzheit relevant und erfahren damit als ganze Personen Achtung. Gerade weil solche Begrüßungen für sich genommen tautologisch sind – worin liegt schließlich genau die Wertschätzung solch eines
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Spruches? – liegt ihr Sinn darin, als Anfänge der wertschätzenden Interaktion zu fungieren, indem sie als verdichtete Formen von Wertschätzungen weitere erwartbar werden lassen. Damit führen sie das Risiko mit, als bloße Phrasen entlarvt zu werden, wenn sie sich auf keine konkreten wertschätzenden Handlungen rückbeziehen können. In Ausnahmefällen können Wertschätzungen in der Interaktion mit dem Loan Officer in noch verdichteter Form ausgedrückt werden: Ein Loan Officer über die Arbeit eines Kollegen: “Sometimes, occasionally, last Easter, Richard [loan officer] had a party for his clients […]: He went there with crates of coke and a few pastries and they were all having fun. So they build confidence in you ‘Oh as for Richard if I don’t pay, it wouldn’t be good, Richard is good’ so they will bring the money. It doesn’t always work for all of them but there are some few people it works for them.” In diesem Fall werden die Wertschätzungen sogar zelebriert. Der Loan Officer spendiert der Gruppe eine besondere Beköstigung und man feiert zusammen. Wiederum liegt der Sinn nicht in erster Linie oder zumindest nicht allein in der Bestätigung von Freundschaften, sondern mindestens genauso darin, dass der Risikofall des Zahlungsausfalls unwahrscheinlich wird. Doch wie wird eigentlich in der Interaktion plausibel gemacht, dass und inwiefern dieses wertschätzende Verhältnis zwischen Loan Officer und Gruppe etwas mit ihrem Kreditverhältnis zu tun hat? Schließlich könnte man ja gerade aus der persönlichen Beziehung mit dem Loan Officer heraus zu dem Schluss kommen, den Kredit nicht zurückzahlen zu müssen. Dazu ein Gruppenmitglied über seinen Loan Officer: “Madame Maria, she too is very, very sociable, she is very good but one thing I know from her is she too she is genuine. She will tell you the truth that ‘This money is not for me, I too I am working with somebody and if I play with this business maybe I can be sacked at anytime so please be very careful and be faithful to me so that we can move together and enjoy from the group’.” Demnach werden in der Interaktion mit dem Loan Officer Wertschätzungen dadurch in Bezug mit dem Kreditverhältnis gesetzt, dass auf die persönliche Betroffenheit von Zahlungsausfällen verwiesen wird. Um diese persönliche Betroffenheit evident zu machen, muss der Loan Officer ausschließen, dass er selbst persönlich von der Rückzahlung profitiert, indem er auf seine institutionelle Ein-
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bindung verweist – “‘This money is not for me, I too I am working with somebody’”. Die Anstrengungen der Gruppe können folglich dem Loan Officer nicht persönlich etwa als indirekte Ausnutzung negativ zugerechnet werden, sodass es in dieser Hinsicht auch keinen Anlass gibt, die Rückzahlung zu verweigern. Stattdessen wird andersherum der Zahlungsverzug der Gruppe als missachtendes Verhalten dargestellt, indem auf seine möglichen persönlichen Konsequenzen für den Loan Officer verwiesen wird, wie etwa die Gefährdung seiner Anstellung – “maybe I can be sacked at anytime so please be very careful and be faithful to me”. Der Verweis auf seine mögliche Kündigung lenkt den Blick ab von seiner formalen Mitgliedschaft als Loan Officer hin zu seiner individuellen Persönlichkeit, die mit der drohenden Folge eines Arbeitsplatzverlusts selbst zurechtkommen muss. Das Verweisen auf persönliche Betroffenheit des Loan Officer durch den Risikofall des Zahlungsausfalls fungiert demnach als Schnittstelle zwischen Wertschätzungen und Kreditverhältnis: Einerseits wird eine Entkopplung beider Aspekte sichergestellt, indem der Loan Officer ein finanzielles Interesse persönlich verneint; und andererseits wird eine Kopplung beider Aspekte gewährleistet, indem auf die persönlichen negativen Folgen eines Zahlungsausfall verwiesen wird. Nun kann man sich nicht mehr ohne weiteres wechselseitig Wertschätzungen entgegen bringen, ohne das Kreditverhältnis zu berücksichtigen, d.h. also für die Gruppe, nicht grundlos in Zahlungsverzug zu geraten, und für den Loan Officer, bei seinen Zahlungsaufforderungen der Gruppe deutlich zu machen, dass das Geld nicht für ihn persönlich bestimmt ist. Angesichts der Funktion der Kommunikation persönlicher Betroffenheit als Schnittstelle zwischen Wertschätzungen und Kreditverhältnis ist es auch nicht verwunderlich, dass Zahlungsschwierigkeiten negative Konsequenzen in persönlicher Hinsicht haben: So ein Gruppenmitglied über den Loan Officer: “Okay, in fact he [loan officer] is very kind to us. Whenever he comes here he tries to pay us a visit, ask us how our business is faring. You see, sometime, time to time, you see, he comes to us, interacts, asking one or two things about our business how it is yeah moving. And they are very kind to us. They are two [loan officer]. […] As for them, we don’t have problem with them. Yeah! But as for collecting of the money, they don’t joke with it, as for that they don’t joke with that at all. As for the collection of the money, when they come and you are not paying then they become furious. For that one [laughter] as for that one, they have to make sure everybody has paid, yes. As for that one, I can tell you. Yeah!”
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Das persönlich wertschätzende Verhältnis zwischen Loan Officer und Gruppenmitgliedern hängt nach diesem Beispiel von der Frage ab, ob die Rückzahlungen fristgerecht erfolgen oder nicht. Zahlungsschwierigkeiten wirken sich negativ auf die persönliche Beziehung zum Loan Officer aus. Solange man zahlt, schätzt man sich, sonst hört der Spaß auf. Anhand von Wertschätzungen einerseits und persönlicher Enttäuschung andererseits kann nicht nur abgelesen werden, wie es um die erwartete Rückzahlung steht, d.h. ob sie droht auszufallen oder nicht. Sie fungieren vor allem als normative Begründung für die Erwartung der Rückzahlung: Während eine persönliche Enttäuschung über einen Zahlungsverzug diesen unmissverständlich als abweichendes Verhalten darstellt, begründen Wertschätzungen die Erwartbarkeit von fristgerechten Rückzahlungen als normkonformes Verhalten. Wenn man sieht, welche Betroffenheit ein Zahlungsversäumnis auslöst, weiß man, dass man entgegen der Norm gehandelt hat; während Wertschätzungen, die bis zu materiellen Belohnungen (Geschenke) gehen können, normkonformes Verhalten bestätigen und erwartbar werden lassen. Auch wenn solche moralischen Erwartungen als normative Fundierung für Rückzahlungen fungieren, heißt dies nicht, dass dadurch Zahlungsausfälle vollständig ausgeschlossen werden. Sie helfen aber zumindest, sie als Abweichungen darzustellen. Indem etwa Wertschätzung auch dahingehend verstanden werden können, dass nicht unter allen Umständen das Zahlungsversprechen eingehalten werden muss, können sie ebenso Anlass zu abweichendem Verhalten geben. Doch wie kommen eigentlich diese moralischen Zurechnungsmöglichkeiten, also wertschätzendes und missachtendes Verhalten, in der Interaktion zu Stande? Einerseits werden sie wiederum selber durch die Zahlungsversprechen ausgelöst: die persönliche Betroffenheit resultiert aus dem Brechen eines Zahlungsversprechens und das Einhalten von Zahlungsversprechen kann umgekehrt als Wertschätzung verstanden werden. Andererseits ergeben sich die moralischen Bedingungen durch Selbstbezüglichkeit, indem sich ihre beiden Formen der Ausprägung wechselseitig bedingen: So kann die persönliche Betroffenheit des Loan Officer von Zahlungsverzügen erst dadurch in der Interaktion richtig zum Ausdruck kommen, dass eigentlich fristgerechtes Rückzahlen als wertschätzendes Verhalten erwartet wurde. Ohne diesen Kontext der persönlichen Beziehung bliebe die persönliche Betroffenheit nur bloßes Abstraktum. Dass die Evidenz persönlicher Betroffenheit des Loan Officer von wertschätzender Interaktion abhängt, ist gut daran zu erkennen, dass im Falle des Wechsels der Loan Officer abweichendes Verhalten überhand nehmen kann:
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Dazu ein Loan Officer: “I had a small accident; I got burnt, so I was in the house for about three months and a different officer took over for the short period. It wasn’t one constant officer, it was ehmm... whoever was free for that Friday [Rückzahlungstag, JS], he would come to the community, and then clients are like ehmm... if they are used to this officer and she is not there, they wouldn’t come, so they were not coming […]. So when I got better after three months and I came to the office, there were so much of them in delinquent.” Ist der Loan Officer der Gruppe persönlich unbekannt, spielt seine persönliche Betroffenheit von Zahlungsverzügen offensichtlich keine Rolle. Sie mag zwar für ihn selbst vorliegen, aber in der Interaktion zur Gruppe erlangt sie keine Plausibilität. Zahlungsverzüge können folglich nicht mehr als abweichendes Verhalten bezeichnet werden, sodass es keinen Grund mehr gibt, wieso sie nicht zur Regel werden sollten. Sowie also persönliche Enttäuschungen von Wertschätzungen abhängen, so mag andersherum das Bemühen, persönliche Betroffenheit durch fristgerechte Rückzahlungen zu vermeiden, als persönliche Wertschätzung verstanden werden. Neben dieser paradoxen Selbstbezüglichkeit der Moral in der Interaktion, dass sich ihre negative und positive Ausformung wechselseitig bedingen, reproduziert sich die moralische Interaktion auch durch Tautologien in dem Sinne, dass erfolgte Wertschätzungen weitere Wertschätzungen und Betroffenheit weitere Betroffenheit zur Folge haben. Folge dieser Selbstbezüglichkeit der Moral ist, dass nicht nur Wertschätzungen fristgerechte Zahlungen als normkonformes Verhalten und persönliche Betroffenheit Zahlungsverzüge als abweichendes Verhalten begründen, sondern dass beide Seiten dieses moralischen Codes beide Seiten der Norm fundieren. So kann etwa ein Zahlungsverzug der Gruppe als missachtendes Verhalten gegenüber der Person des Loan Officer verstanden werden, weil gerade in Erwartung von Freundschaft dies eine persönliche Missachtung seiner Person insbesondere im Hinblick auf eine drohende Kündigung darstellt. Die moralische Norm in der Interaktion mit dem Loan Officer kontrolliert das Risiko, das durch die moralische Norm innerhalb der Gruppeninteraktion mitproduziert wird, aber nicht selbst kontrolliert werden kann: das Ausnutzen des Loan Officer bzw. den Zusammenbruch der der Gruppennorm. Wie kann das Verhältnis der Gruppennorm zur Norm in der Interaktion mit dem Loan Officer gefasst werden? Dazu ein Loan Officer: “[…] [A]t times too if you want to reduce default you may have to make your group meetings lovely. You don’t have the in-
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tention that you are going for only money but during the repayment meetings make it lovely. Or one day I remember I sent a health personnel to one of my group meetings to go and teach them menopause […]. Menopause is one of the diseases that affect our old women, those in their forties […]. So I took one health personnel to the group meetings to discuss some of these issues and you see that they were very motivated. And you see, they will know that when they come for group meeting definitely they are going to get something beneficial after paying, you understand. So all the time they will be willing to come for group meeting and surely if the person comes for group meeting there is no way they are going to default. So our group meetings need to be lovely […].“ An diesem Beispiel wird deutlich, wie die Gruppeninteraktion bei sogenannten group meetings durch die Interaktion mit dem Loan Officer normativ gerahmt wird. Bei den Gruppentreffen fordert der Loan Officer nicht nur die Rückzahlung, sondern ebenso die Gruppe wird wertgeschätzt, indem auch andere Aspekte des persönlichen Lebens berücksichtigt werden, wie in diesem Fall gesundheitliche Themen. Zudem können bei diesen Gruppentreffen normativ aufgeladene Begrüßungen, die der Loan Officer vorschlägt, von der Gruppe übernommen werden (siehe dazu oben). Und auch bei initiierten Feiern (siehe ebenfalls oben) werden nicht nur die persönliche Beziehung des Loan Officer zur Gruppe, sondern auch die persönlichen Beziehungen unter den Mitgliedern als Gruppe gestärkt. Durch diese Maßnahmen des Loan Officer, wie Initiierung und Gestaltung von Gruppentreffen, Organisation kleiner Feiern, Einführung kollektiver Begrüßungsformeln, wird die Gruppennorm stabilisiert. Neben Wertschätzungen durch den Loan Officer mag auch die Kommunikation seiner persönlichen Betroffenheit von Zahlungsverzügen den Zusammenhalt der Gruppe stärken. Gerade vor dem Hintergrund der Wertschätzungen, die der Loan Officer der Gruppe entgegenbringt, mag es innerhalb der Gruppe Betroffenheit erzeugen, wenn ein Mitglied diese Wertschätzungen nicht durch fristgerechte Zahlungen entsprechend würdigt. Um das Verhältnis der Norm der Interaktion mit dem Loan Officer zur Gruppennorm theoretisch präziser zu fassen, wollen wir im Sinne von Axelrod (1986) für erstere von einer Meta-Norm beziehungsweise von einer Norm zweiter Ordnung gegenüber der Gruppennorm sprechen (vgl. auch Heckathorn, 1990: 378). Diese Meta-Norm zeichnet sich nicht dadurch aus, dass sie wie die Gruppennorm konformes und abweichendes Verhalten der einzelnen Gruppenmitglieder erfasst. Sie kopiert nicht einfach die Norm erster Ordnung der Gruppen-
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interaktion. Sie bezieht sich auch nicht nur auf die abweichenden Fälle innerhalb der Gruppe, etwa indem der Loan Officer Zahlungsversäumnissen einzelner Gruppenmitglieder nachgeht. Vielmehr bezieht sich die Meta-Norm in der Interaktion mit dem Loan Officer darauf, dass die Gruppennorm funktioniert und nicht zusammenbricht. Dies heißt, dass sie einerseits solche Gruppeninteraktionen als normkonformes Gruppenverhalten bezeichnet, die dazu beitragen, dass das Verhalten ihrer Mitglieder im Schema von Konformität und Abweichung beobachtet wird. Der Loan Officer erwartet, dass die Gruppe von ihren Mitglieder erwartet, dass sie ihre Kredite zurückzahlen. Und andererseits bezeichnet sie solche Gruppeninteraktionen, die jenseits der Gruppennorm liegen, die also etwa Zahlungsversäumnisse einzelner Mitglieder nicht mehr als Abweichungen auffassen, als abweichendes Gruppenverhalten. So versteht der Loan Officer solches Gruppenverhalten ihm gegenüber als missachtend, das sich indifferent gegenüber der Frage der Rückzahlungen ihrer Mitglieder zeigt. Die Norm zweiter Ordnung in der Interaktion mit dem Loan Officer etabliert also einen doppelten Bezug auf die Norm erster Ordnung der Gruppe: Sie gibt einerseits der Gruppe den Anlass, selbst zwischen normkonformem und abweichendem Verhalten durch eine eigene moralische Norm zu unterscheiden. Und sie kontrolliert andererseits solche Risiken, die jenseits der Gruppennorm liegen, wie etwa das Risiko des Gruppenzusammenbruchs. Abweichendes Verhalten einzelner Gruppenmitglieder wird durch die Meta-Norm damit selbst nicht erfasst. Sie bezieht sich nur auf das Jenseits der Norm erster Ordnung und gibt Anlass für die Ausbildung ihres Diesseits. Doch wie wird gewährleistet, dass sich die Meta-Norm fortwährend auf die Gruppennorm bezieht? Schließlich könnten die Maßnahmen des Loan Officer die Gruppe ja auch völlig kalt lassen, oder sie gar dazu verleiten, sich nur noch auf den Loan Officer zu verlassen, ohne eine eigene Norm zur Kontrolle ihrer Mitglieder auszubilden. Dazu erzählt ein Loan Officer: “Now, group meetings that take place without the loan officer the group leaders are expected to lead in that group meetings. […] So sometimes the officer you go and just sit down and observe what is happening so you don’t talk.” Diesem Beispiel zufolge wird der Bezug der Norm zweiter Ordnung auf die Norm erster Ordnung dadurch sichergesellt, dass die Gruppennorm von der Ebene der Meta-Norm aus beobachtet wird: Der Loan Officer kann die Kontrollfähigkeit der Gruppe und ihr Risiko des Zusammenbruchs beobachten ohne unbedingt selbst in die Gruppeninteraktion direkt einzugreifen – “you go and just sit down and observe what is happening”. Es handelt sich um Beobachtungen der
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Beobachtungen der Gruppeninteraktionen, also um Beobachtungen zweiter Ordnung. Sie generieren Informationen über die Gruppe zur Beantwortung der Frage, wie durch Interaktion mit der Gruppe eine normative Rahmung für sie zu etablieren ist und wie diese Rahmung immer wieder zu nachjustieren ist. So wird je nachdem, wie die normative Kontrollfähigkeit der Gruppe eingeschätzt wird, über entsprechend normative Interaktion mit der Gruppe versucht, die Gruppennorm zu stabilisieren. Der Loan Officer mag beispielsweise den Eindruck bekommen, dass die Gruppe zu zersplittern droht oder anfängt, sich gegen ihn zu verschwören und kann daraufhin versuchen, durch eine kleine Feier, durch Ansprache anderer Aspekte des persönlichen Lebens der Mitglieder oder durch stärkere Empathiebekundungen den Gruppenzusammenhalt wieder herzustellen, also die Gruppennorm als Norm erster Ordnung zu restabilisieren. Die Paradoxie, die den intervenierenden Handlungen des Loan Officer dabei alles abverlangt, liegt darin, dass mit Steigerung der normativen Erwartungshaltung der Gruppe keineswegs das Risiko ihres Zusammenbruchs sinkt. Je stärker innerhalb der Gruppeninteraktion ein Augenmerk auf konformes und abweichendes Verhalten gelegt wird, desto größer wird das Risiko, dass die Gruppe zusammenbricht beziehungsweise sich gegen den Loan Officer verschwört. Die Stabilisierungsleistung der Interaktion mit dem Loan Officer liegt deswegen darin, durch Beobachtungen zweiter Ordnung immer beides im Blick zu haben, sowohl die Kontrollfähigkeit der Gruppe als auch deren Risiko des Zusammenbruchs. Dass die Interaktion mit dem Loan Officer für die Gruppeninteraktion als intervenierende Variable fungiert, heißt, dass die Normen erster und zweiter Ordnung in einem losen anstatt in einem festen Verhältnis zueinander stehen. Im Extremfall kann es sogar dazu kommen, dass Teile der Gruppe gar nicht ihren Loan Officer kennen: So ein Gruppenmitglied auf die Frage, wer ihr Loan Officer sei: “Martha [die selbst Gruppenmitglied ist, wie der Interviewer bereits weiß] is my loan officer […]. // I: I mean the loan officer from the company. // From the company… I forgot her name. // I: You forgot her name? // Yeah, yeah, yeah [Laughter] […] // I: […] And do you sometimes see your loans officer? // Ok, I haven’t seen him. Anytime I go I go to Martha. I haven’t seen the loan officer.” In diesem extremen Fall ist das Verhältnis beider Normebenen derart lose, dass von einigen Teilen der ersten Ebene keine Rückschlüsse auf die andere Ebene gezogen werden: das gefragte Gruppenmitglied kennt offensichtlich ihren Loan
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Officer gar nicht persönlich, steht dafür aber in Kontakt mit einem anderen Gruppenmitglied, dass wohl die Rückzahlungen entgegennimmt und an dem Loan Officer weiterleitet. Dieses lose Kopplungsverhältnis zwischen Gruppennorm und Meta-Norm unter Einbezug des Loan Officer bedeutet auch, dass es sich bei diesem Verhältnis nicht um eine hierarchische Abstufung handelt, sondern um ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis. Die Gruppennorm hängt nicht einseitig von den normativen Erwartungshaltungen in der Interaktion mit dem Loan Officer ab. Auch die normative Interaktion mit dem Loan Officer kann nur solange funktionieren, wie durch Normen die Gruppeninteraktion sich erfolgreich kontrolliert. 2.4 Sanktionieren und Solidarisieren als Modi sozialer Kontrolle zweiter Ordnung Wir haben gesehen, dass und wie die Meta-Norm in der Interaktion mit dem Loan Officer dazu beiträgt, dass sich die Norm des fristgerechten Rückzahlens innerhalb der Gruppeninteraktion stabilisiert. Gibt es noch weiterführende Optionen auf der Ebene des Loan Officer, um Gruppenzusammenbrüche als abweichende Fälle von der Meta-Norm zu kontrollieren? Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch [Situation am Rückzahlungstreffpunkt unter Anwesenheit des Loan Officer und der Gruppe]: „Bald taucht Marthilde auf, eine noch relativ junge Klientin, mit der Martin [Loan Officer] sogleich in eine Diskussion kommt. Sie habe von den dreizehn installments nur acht bezahlt (und hier auch immer nur 15 anstatt 16 EUR), fünf stünden also noch aus, so erklärt mir Martin. Morgen wird sie sie zahlen, wenn nicht, würde er das Geld von den Spareinlagen der Gruppe nehmen. Anschließend kommt es zu einer etwas lauteren Diskussion zwischen Martin und einigen anderen Klientinnen. Entschieden und laut höre ich Martin ‘no’ sagen, sonst verstehe ich nichts. Anschließend klärt er mich auf: die Klientinnen wollten so schnell wie möglich den nächsten Kredit erhalten; das ginge aber nicht, weil es noch einen defaulter (Mathilde) vom vergangen Kreditzirkel gäbe.“ An diesem Beispiel wird deutlich, welche Konsequenzen eine unzureichende Gruppenkontrolle von Zahlungsversäumnisse nach sich zieht: der Loan Officer verweigert der Gruppe einen Folgekredit beziehungsweise bedient sich der Spareinlagen der Gruppe, um das Zahlungsversäumnis auszugleichen. Dieses Vorge-
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hen des Loan Officer stellt ein Sanktionieren des abweichenden Gruppenverhaltens dar und setzt für die Gruppe den Anreiz, die Rückzahlungen ihrer Mitglieder – durch eigenes Sanktionieren oder Solidarisieren – selber besser zu kontrollieren. Doch Sanktionieren auf der Ebene der Interaktion mit dem Loan Officer scheint nicht die einzige Option zu sein, um die Kontrolle der Gruppe zu stabilisieren: Dazu ein Loan Officer: “[…] [S]ometimes the members too are afraid to remove the person // I: Oh why this? //. Yes, they are afraid that witchcraft… you will go and juju them. We call it ‘duabo’ the person will use juju to kill them […]. So they are afraid to remove the person so they will come and tell you the officer. So after doing my investigation to know that it’s true then I will tell you the client because I am not afraid of the juju. Then I will tell you that I have removed you from the group because you’ve been disturbing me, not the group. That is it. That ends it. So I will say that I am removing you not the members but if the members even are ready to accept you then I dissolve the whole group.” In diesem Fall sanktioniert der Loan Officer nicht die unzureichende Kontrolle innerhalb der Gruppe, sondern unterstützt die Gruppe dabei, das zahlungssäumige Mitglied aus der Gruppe auszuschließen. Ausschlaggebend für dieses Unterstützen ist vermutlich die Tatsache, dass die unzureichende Kontrollfähigkeit der Gruppe nicht ihrem eigenen Unvermögen zugerechnet wird, sondern der lokalen Sozialstruktur, in diesem Beispiel der ausgeprägte Glaube an Magie (witchcraft), die das zahlungssäumige Mitglied gegen die Gruppe einzusetzen droht, sollte sie von ihr ausgeschlossen werden. Sanktionen und Solidarität kommen also nicht nur in der Gruppeninteraktion zum Zuge, sondern auch in der Interaktion mit dem Loan Officer, um Abweichungen von der Norm des wechselseitigen Bürgens zu kontrollieren: Eine unvollständige Rückzahlung der Gruppe wird dadurch sanktioniert, dass ihr ein Folgekredit verwehrt wird. Und ein solidarischer Umgang mit der Abweichung besteht darin, dass die Gruppe bei der Suche nach Zahlungsmöglichkeiten unterstützt wird. Die Frage der Bewilligung eines Folgekredits ist damit Bestandteil der Kontrolle des Risikos des gegenwärtigen Kreditausfalls. Van Bastellar (2000: 11) bezeichnet diesen Sachverhalt, dass die Risikokontrolle zweiter Ordnung eines (gegenwärtigen) Kredits durch die Interaktion mit dem Loan Officer darin liegt, das Zustandekommen eines (künftigen) Kredits an die Gruppe kontingent zu setzten, mit dem Begriff des contingental renewal. Diese Form der Risikokon-
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trolle bezieht sich auf die Zeitdimension. Unterschiedliche Kreditzirkel (sogenannte loan cycle) werden in zeitlicher Reihenfolge voneinander unterschieden und hinsichtlich ihrer Möglichkeit zueinander in ein Bedingungsverhältnis gesetzt. Nur wenn die Kreditgruppe ihren Kredit zurückzahlt, erhält sie vom Loan Officer einen Folgekredit. Entsprechend werden die Gruppenmitglieder untereinander dafür sorgen, dass sie jeweils ihre Kredite zurückzahlen. Die beiden Modi der Interaktion mit dem Loan Officer ersetzen nicht die entsprechenden Modi der Gruppeninteraktion. Sie setzen aber die nötigen Anreize zur Ansteuerung dieser Modi: Die mögliche Sanktionierung der Gruppe durch Verweigerung von Folgekrediten stellt für sie ein Risiko dar, das Anlass zur Stabilisierung der eigenen Norm und deren Abweichungskontrolle gibt. Und die Möglichkeit, die Gruppe bei ihrer Abweichungskontrolle zu unterstützen, sichert gegen den Fall ab, dass die Gruppe trotz Anstrengungen Abweichler nicht verhindern kann und deswegen gänzlich aufgibt. Die beiden Modi der Abweichungskontrolle in der Interaktion mit dem Loan Officer beziehen sich also selbst nicht auf das Zahlungsversäumnis eines Gruppenmitglieds, sondern auf die Abweichungskontrolle der Gruppe. Demnach handelt es sich um eine soziale Kontrolle zweiter Ordnung, um einen Fall von second order cybernetics (vgl. von Foerster, 1995): Die Interaktion mit dem Loan Officer kontrolliert die Kontrolle der Gruppeninteraktion. Allerdings sind die beiden Kontrollebenen nicht fest miteinander gekoppelt. Sanktionierung der Gruppe durch den Loan Officer muss nicht unbedingt zu einer Sanktionierung des Zahlungssäumigen führen. Und Solidarisierung des Loan Officer mit der Gruppe heißt nicht gleich, dass die Gruppe ebenso solidarisch mit ihrem abweichenden Mitglied umgeht – das empirische Beispiel hat uns ja gezeigt, wie der Loan Officer die Gruppe beim Ausschluss eines ihrer Mitglieder unterstützt. Die Interaktion mit dem Loan Officer als zweite Kontrollebene gibt lediglich die Anreize für die Kontrolle auf der Ebene der Gruppe, ohne ihr aber eine bestimmte Umgangsform mit abweichenden Verhalten ihrer Mitglieder vorzuschreiben. So wird etwa durch die Ablehnung von Folgekrediten erst die Frage für die Gruppe akut (anstatt dass sie beantwortet wird), ob sie selbst mit Sanktionen operieren oder aber Verständnis für die schwierige Situation des Zahlungssäumigen aufbringen soll. Das Verhältnis der Gruppeninteraktion zur Interaktion mit dem Loan Officer kann entsprechend besser als ein loses Kopplungsverhältnis beschrieben werden: Was auf der einen Ebene passiert, bestimmt nicht sogleich die Geschehnisse auf der anderen Ebene, fungiert aber hier als Reiz für das Optieren, daraufhin entweder mit Sanktionen oder mit Solidarität anzuschließen.
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Das lose Verhältnis beider Kontrollebenen zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass die Kontrolle erster Ordnung der Gruppe durch die Kontrolle zweiter Ordnung des Loan Officer konditioniert wird. Die Konditionierung läuft nicht nur in diese eine Richtung, sondern auch in die andere. Die Interaktion der Gruppenmitglieder zum Loan Officer hängt unmittelbar davon ab, dass die Gruppenmitglieder auch untereinander interagieren. Zwar mag die Rolle des Loan Officer besonders in den Vordergrund rücken, wenn die Abweichungskontrolle durch die Gruppeninteraktion nicht einwandfrei funktioniert. Denn dann kommt es zu Normabweichungen in der Interaktion mit dem Loan Officer, woraufhin Sanktionen oder Solidarität zum Tragen kommt. Doch der Loan Officer kann die Kontrolle der Gruppe nicht übernehmen. Der Sinn seiner Rolle besteht gerade dadurch, sie zu veranlassen und zu stützen. Ohne Gruppeninteraktion kann sich deswegen auch nicht die Interaktion mit dem Loan Officer reproduzieren.
3. F AZIT Kleinkreditvergabe unter Vorgabe des wechselseitigen Bürgens funktioniert auf komplexe Weise. Nicht nur vor der Entscheidung zum wechselseitigen Bürgen differenzieren sich zwei Ebenen des Beobachtens, nämlich die Ebene der Selbstselektion der Gruppe und die Ebene des Überprüfens und Schulens der Gruppe durch den Loan Officer. Denn das Risiko des Zahlungsausfalls, das einen Bürgschaftsfall zur Folge hat, ist durch die Entscheidung nicht gebannt, sondern wird durch sie erst in die Welt gesetzt: zum einen kann es zum free-riding kommen, dass sich ein Gruppenmitglied mit Erhalt des Kredits weniger anstrengt und auf Kosten der Gruppe lebt. Und zum anderen kann es zur collusion kommen, dass sich die Gruppe gegen den Loan Officer verschwört oder sie zusammenbricht. Wie wir sehen konnten, wird auch nach der Kreditentscheidung zur Kontrolle dieser beiden Risikoformen sowohl die Ebene der Gruppe als auch die Ebene des Loan Officer relevant: Auf beiden Ebenen kommt es in Bezug auf ihr jeweils spezifisches Risiko zu Normbildungen, die sich aus persönlicher Betroffenheit ergeben: Das Risiko des free-riding stellt ein Bürgschaftsrisiko für die Gruppeninteraktion dar, wird durch die persönliche Betroffenheit der Gruppenmitglieder als abweichendes Verhalten markiert und durch die Anschlussunterscheidung von Sanktionieren oder Solidarisieren unter Kontrolle gebracht. Und die Möglichkeit der collusion stellt ein Risiko für die Interaktion mit dem Loan Officer dar und wird ebenso über persönliche Betroffenheit als abweichendes Verhalten markiert und durch das Disponieren über Sanktionen, wie das Verweigern eines
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Folgekredits, und Solidarität, wie Anteilnahme an persönliche Belange der Gruppenmitglieder, kontrolliert. Beide dieser Formen des Risikos des morale hazard erzeugen persönliche Betroffenheit, die einen moralisch normativen Umgang und Beschränkung mit den Risiken begründet. Die Betroffenheit resultiert dabei aus der Paradoxie, dass man sich zwar für die Gruppenmitgliedschaft beziehungsweise aus Perspektive des Loan Officer für die MFI-Organisationsmitgliedschaft und damit auch für die entsprechenden Risiken selbst entschieden hat, die Entscheidung zur Teilnahme sich aber mehr oder weniger alternativlos darstellt vor dem gesellschaftlich regionalen beziehungsweise lokalen Hintergrund des Kreditmangels beziehungsweise der schlechten Arbeitsmarktchancen. Das Zahlungsversäumnis stellt damit einen Risikofall dar in dem Sinne, dass es auf das eigene Entscheiden zurückführbar ist, und gleichzeitig eine Gefahr in dem Sinne, dass die vermeintlich eigene Entscheidung eigentlich alternativlos zustande kam24. Sowohl die Gruppeninteraktion als auch die Interaktion mit dem Loan Officer finden einen Umgang mit dem Risiko darin, dass sie es über die persönliche Betroffenheit normativ kontrollieren: Anhand des Gesichtspunkts der persönlichen Betroffenheit kann der Zahlungsverzug entweder auf ein Handeln in Bezug auf das wechselseitige Bürgen selbst zugerechnet werden und mit Sanktionen vergolten werden. Oder es wird auf ein Erleben einer schwierigen Situation zugerechnet, dann wird ihm mit Solidarität begegnet. Beide Formen sozialer Kontrolle funktionieren nicht unabhängig voneinander, sondern sind im Sinne ihrer Ebenenunterscheidung lose miteinander gekoppelt. Die Norm in der Interaktion mit dem Loan Officer fungiert als soziale Kontrolle zweiter Ordnung in Bezug auf die soziale Kontrolle erster Ordnung der Gruppeninteraktion. Sie bezieht sich auf den nicht markierbaren Bereich der Gruppeninteraktion, in dem das Verhalten der Gruppenmitglieder weder als konform noch als abweichend bezeichnet werden kann, sondern sich die Gruppe auflöst beziehungsweise gegen den Loan Officer opponiert. Solch ein Gruppenverhalten wird durch die Norm zweiter Ordnung als Abweichung markiert, wodurch gleichermaßen die Abweichungskontrolle der Gruppe stabilisiert wird.
24 Vgl. für diese begriffliche Unterscheidung von Risiko und Gefahr Luhmann (1996: 41).
Kapitel VII: Der Risikofall des wechselseitigen Bürgens
1. S CHEITERN
DER
K ONTROLLE
DER
G RUPPE
Durch die moralisch begründeten Normen in der Interaktion der Gruppenmitglieder als Ebene erster Ordnung und in der Interaktion der Gruppe mit dem Loan Officer als Ebene zweiter Ordnung wird beim wechselseitigen Bürgen das Risiko des Kreditausfalls kontrolliert. Ist damit das Risiko des Kreditausfalls vollständig gebannt? Oder stellt diese Form der Risikoverarbeitung nicht selbst ein Risiko dar in dem Sinne, dass sie möglicherweise selbst scheitern kann? Überprüfen wir zunächst die Möglichkeit des Scheiterns der Normbildung auf der Ebene der Gruppeninteraktion. Dazu fällt zunächst und vor allem auf, dass keineswegs regelmäßig Interaktionen unter den Gruppenmitgliedern stattfinden müssen, welche die sogenannten Gruppentreffen (group meetings) ausmachen: Zusammenfassung aus dem Forschungstagebuch: „Alle meine drei Versuche, an einem Gruppentreffen ohne Loan Officer teilzunehmen scheiterten. Zwei dieser Gruppentreffen fielen angeblich aufgrund einer Geburt beziehungsweise einer Hochzeit aus, wie mir später jeweils von einem Mitglied erzählt wurde. Ein anderes Treffen fand ganz offensichtlich nur aufgrund meiner eigenen Teilnahme statt. Erst als ich am Treffpunkt eintraf, wurden von meiner Kontaktperson die anderen Gruppenmitglieder geholt, und das dann stattfindende Treffen drehte sich um meine Person und Forschung und nicht um Themen der Gruppe.“ Und ein Loan Officer über Gruppentreffen: “What I was saying is that the group members are suppose to meet especially when a member is not able to make up a payment, they are suppose to meet and find out how to help
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such a person but they do not meet. They even suppose to meet and the leaders are supposed to tell the members what is going on within the group. They are in short, they are supposed to meet often but they don’t.” Dass die Gruppenmitglieder sich treffen und sich austauschen scheint demnach nicht immer zur Regel zu gehören. Soziale Kontrolle auf Ebene der Gruppe kann aber nur innerhalb von Interaktionen stattfinden. Über die Frage, was als normkonformes und was als abweichendes Verhalten gilt, mag man sich zwar schon bei der Gruppenbildung und in den Schulungen durch den Loan Officer bereits verständigt haben. Doch die Norm kann sich nicht aufrechterhalten ohne fortwährende Interaktionen der Mitglieder, in denen sie immer wieder bestätigt oder sogar ausgebaut wird. Die Norm stellt also nicht eine übergeordnete und vorab festgelegte Rahmung für das Interagieren der Gruppenmitglieder dar. Sie fungiert vielmehr als deren Struktur, die aber erst durch die Interaktion gebildet und bestätigt werden muss. Denn wie sonst ist es möglich, dass abweichende und konforme Verhaltensweisen, welche die Norm ausmachen, beobachtet werden? Wie kann ohne Gruppeninteraktion persönliche Betroffenheit kommuniziert werden, die als moralischer Auslöser für die soziale Kontrolle der Norm fungiert? Ein Ausbleiben von Interaktionen unter den Gruppenmitgliedern zieht demnach ein Ausbleiben der normativen Haltung gegenüber Zahlungsverzügen nach sich. Einzelne Mitglieder einer Gruppe mögen sich zwar als Nachbarn, als Geschäftspartner oder als Mitglieder derselben Kirche treffen, wobei dann auch hier die Kredite zum Thema werden können: So erzählt ein Loan Officer von Mikrofinanzinstitution ABC über die Gruppeninteraktionen: “They meet each other. They live close by or they trade close by so mostly they meet themselves one-on-one, what he is doing but not purposely for Mikrofinanzinstitution ABC. So maybe ones in a while, a passing comment ‘We are paying on Wednesday’, ’Oh, yes, yes, yes, I’ll bring my money’, that’s all.” Diese “one-on-one”-Interaktionen sind für die Normierung der Gruppeninteraktion nicht zu unterschätzen, weil durch sie Abweichungen beobachtet werden können, die der Gruppe ansonsten verborgen blieben. Doch sofern es nur bei dieser dyadischen Interaktion bleibt, und es nicht zu Gruppeninteraktionen kommt, kann sie auch nicht für die Gruppeninteraktion ausgenutzt werden, in der die Perspektive dritter, vierter und fünfter Mitglieder mit beobachtet wird. Zudem kann bei fehlender oder gering ausgeprägter Gruppeninteraktion die in dyadischen Interaktionen herrschende normative Erwartungshaltung nicht durch die
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Gruppennorm kontrolliert werden. Das Risiko besteht, dass die Norm in der dyadischen Interaktion von der der Gruppe unkontrolliert abweicht. Beispielsweise könnte die besonders starke Freundschaft zweier Mitglieder dazu führen, dass hier mit einem Zahlungsverzug nachsichtiger im Vergleich zu einer Gruppeninteraktion umgegangen wird, in der ein geringeres Niveau an Freundschaft herrscht. Diese fehlende soziale Kontrolle durch die Gruppe mag sogar von einzelnen Freundschaften explizit ausgenutzt werden oder zumindest wechselseitig sorgloses Handeln stimulieren. Selbst wenn in dyadischen Beziehungen eine ähnliche Norm wie in vermeintlichen Gruppe herrschen sollte, dürfte ihre Kontrollkraft doch nicht so stark sein wie innerhalb einer Gruppe, in der sie von anderen Mitgliedern bestätigt und damit verstärkt werden kann. Wie kommt es zu diesem Ausbleiben von Gruppeninteraktionen? Eine Bedingung dafür mag etwa in ihnen selbst liegen: im hohen Zeitaufwand. Gruppentreffen, sofern sie jede oder jede zweite Woche stattfinden, nehmen Zeit in Anspruch und stehen dadurch in Konkurrenz zu anderen Kontexten, wie Kinderbetreuung oder Geschäftsbetrieb, in welche die Gruppenmitglieder als Elternteil oder als Geschäftsbetreiber teilnehmen. Diese Erfahrung des hohen Zeitaufwands von Gruppentreffen wurden zumindest bei sogenannten grameenreplicators gemacht, also Mikrofinanzinstitutionen, die das erfolgreiche Kleinkredit-Konzept der bekannten Grameen Bank in Bangladesch kopieren (Harper, 2007: 42f). Dies sei einer der Gründe dafür, wieso einige MFIs vom wechselseitigen Bürgen einer Kreditgruppe abrücken hin zur Vergabe von Individualkrediten oder versuchen, die Gruppentreffen kürzer zu gestalten (ebd.: 45). Das Scheitern der sozialen Kontrolle durch die Gruppe ergibt sich also zum einen aus der unzulänglichen Unterscheidungsfähigkeit von konformen und abweichenden Verhalten der Gruppeninteraktion beziehungsweise daraus, dass es erst gar nicht zu solchen Gruppeninteraktionen kommt. Selbst wenn die Gruppennorm mehr oder weniger aufrechterhalten wird, kann die soziale Kontrolle der Gruppe am Sanktionieren oder Solidarisieren scheitern, also an der Unterscheidung, die an die Primärunterscheidung von Konformität und Abweichung anschließt: Dazu erzählt ein Loan Officer: “[…] The group guarantee is when members within the group are held liable in case a member defaults. Why it is collapsing is that [Silence 5 secs] sometimes when a defaulted client has his or her money paid by the group she fails to give the group back the money they paid. […] So if it happens twice or three times within the group, then the group members would conclude that if they continue paying for defaulted clients within the group, they will not get their money back. It’s one
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reason why it is collapsing. The second reason is that, it’s normally not quite easy to pay. The client themselves sometimes find it difficult paying their own money so if someone defaults within the group and the group would have to pay their own plus the defaulted client’s money, it becomes quite difficult for them that is why the guarantee system is collapsing.” Das solidarische füreinander Einstehen im Falle von Zahlungsschwierigkeiten funktioniert offensichtlich nicht immer in der Gruppe. Als Erklärung werden hierfür zwei Aspekte angeführt, nämlich dass der Zahlungssäumige der Gruppe ihre ausgelegte Zahlung nicht zurückzahlt, und dass die Gruppe selbst nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt. Beide Aspekte können auf den gemeinsamen Nenner gebracht werden, dass es innerhalb der Gruppe an solidarischen Ressourcen in finanzieller Hinsicht mangelt. Die Finanzkraft der Gruppe reicht nicht aus, um Zahlungsausfälle einzelner Mitglieder zu kompensieren; erst recht nicht, wenn das betreffende Mitglied auf Dauer zahlungsunfähig ist. Zudem spielen hierbei wahrscheinlich auch ein Mangel an moralischer Betroffenheit eine Rolle: nämlich dass die Gruppe selbst bei ausreichender Finanzkraft nicht bereit ist, für das zahlungssäumige Mitglied einzustehen, weil sie die schwierige persönliche Lage des Zahlungssäumigen kalt lässt; und andersherum, dass das zahlungssäumige Mitglied die Solidarität der Gruppe durch eigene Anstrengungen nicht ausreichend honoriert. So wie es an Solidarität in der Gruppeninteraktion fehlen kann, so kann es andererseits auch an Sanktionierungskraft mangeln: Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch zu einem Gespräch zwischen dem Loan Officer und der Gruppe: „[…] Irgendwann darauf wird über den ehemaligen secretary der Gruppe geredet, der der Gruppe noch 50 EUR vom letzten loan circle schulde. Die Mitglieder berichten, dass er erzählt habe, dass er zur Zweigstelle gefahren sei und Christina dann angerufen habe, um sie dort zu treffen, aber Christina hätte nicht angenommen. Außerdem hätten sie (die Gruppenmitglieder) keine Lust mehr, ihn aufzusuchen und nach dem Geld zu fragen, denn er gibt laufend excuses: no harvest, und auf seiner Farm könnten sie auch keine Ernte sehen. Christina solle deswegen selber zu ihm gehen. Christina erwidert, dass der secretary gelogen hätte, dass er die Zweigstelle besucht hätte. Und sie wird auch nicht alleine zum secretary hingegen, sondern vielmehr die savings der Gruppe einbehalten. Aber dies würde sie selbst betreffen (to affect), erwidert ein Gruppenmitglied. Ja, die einzige Alternative wäre es, den secreatry vor das Gericht zu bringen. Sie würden nur noch einmal den secretary besuchen, wenn die anderen ehemaligen Mitglieder mitkämen, so die Mitglie-
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der. Später erzählt mir Christina, dass einige Familienangehörige des secretary bereits schlecht über die verbliebenen Mitglieder reden würde, weil sie ständig nach der Rückzahlung fragen.“ Demnach kommen sanktionierende Herabwürdigungen von Zahlungssäumigen durch die Gruppe nicht zu Stande, wenn ihnen selbst mit schlechtem Nachreden begegnet wird. Solch negatives Feedback ergibt sich einerseits aus der Gruppeninteraktion selbst, speist sich aber andererseits auch aus den externen Beziehungen der Gruppe: nämlich aus Beziehungen mit Personen (in diesem Fall mit Familienangehörigen), die selbst nicht Mitglieder der Gruppe sind, und die die Sanktionskraft der Gruppe dadurch begrenzen können, indem sie ihr gleichermaßen mit Sanktionen begegnet werden. Die Sanktionierung der Gruppe trägt also paradoxerweise zu ihrer eigenen Begrenzung bei, indem sie ganz ähnliche Sanktionen auslöst, die aber der Umwelt zugerechnet werden können, wodurch eine offene Paradoxie vermieden wird. Die Frage, ob die interne Sanktionskraft der Gruppe zu schwach oder die externe Sanktionskraft durch Beziehungen außerhalb der Gruppe zu bedrohlich ist, bleibt demnach müßig. Anstatt eines entweder-oder-Schemas scheinen Wechselwirkungen im Spiel zu sein: persönliche Beziehungen mögen durch die Selbstselektion der Gruppe zu einem hohen Maß an sozialer Kontrolle mit entsprechender Sanktionskraft führen, können aber gleichzeitig über die Außenbeziehungen der Gruppenmitglieder die soziale Kontrolle beschränken. Zum anderen ist es möglich, dass gerade ein hohes Niveau an sozialer Kontrolle im Sinne des negativen Feedbacks entsprechende Gegensanktionen auslösen. Neben diesem Mangel an moralischer Sanktionskraft kann auch ein Ausschluss aus der Gruppe an finanzieller Sanktionskraft verlieren, wenn alternative Kreditmöglichkeiten gegeben sind. Dies ist insbesondere der Fall, wenn mehrere Mikrofinanzinstitute Kleinkredite anbieten: So erzählt ein Loan Officer: “It worked in the past because then microfinance wasn’t very popular. Now many institutions, many financial institutions within the country are operating microfinance. Loans are all over the country, so if I am in this group today and fail to make payment as a defaulted client, the next time I would not pay. Perhaps I would even leave the group and go for my own somewhere else or I would go for another loan with a different group where I wouldn’t have to pay for the defaulted client. It’s happening all over. Loans are very common these days. Nobody would have to sweat for a loan.”
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Alternative Kreditangebote begrenzen demnach sowohl auf Seiten des Zahlungssäumigen als auch auf Seiten der bürgenden Gruppenmitglieder Sanktionen. Wenn der Zahlungssäumige alternativ mit einem Kreditverhältnis mit Dritten rechnen darf, stellt ein Ausschluss aus Folgekrediten eine verminderte Sanktion dar. Und die Gruppenmitglieder sehen sich nicht zum Bürgen und damit auch weniger stark zum Sanktionieren veranlasst, wenn sie sich alternativ einer anderen Gruppe anschließen können, in der das Prinzip des wechselseitigen Bürgens nicht gilt beziehungsweise in der es zu wenigeren Zahlungsversäumnissen kommt. Dass der Ausschluss aus der Gruppe nicht völlig seine Sanktionierungskraft verliert (in diese Richtung kann man die Aussage “Perhaps [!] I would even leave […]” interpretieren), liegt an den Transaktionskosten beim Wechsel des Kreditverhältnisses. Dennoch laden alternative Kreditmöglichkeiten ein zum shopping around und sabotieren die loyality-Option (Hirschmann, 1981), auf welche die soziale Kontrolle aufbaut. Sowohl in moralischer als auch in finanzieller Hinsicht kann es also an Sanktionskraft mangeln. Beide Mängel können nicht nur entweder der Gruppe selbst oder der lokalen Sozialstruktur zugerechnet werden. Vielmehr hängen sie davon ab, welche Relevanz der lokalen Sozialstruktur innerhalb der Gruppeninteraktion zugesprochen wird. Der Mangel an moralischer Sanktionskraft ergibt sich aus den persönlichen Beziehungen zu Personen außerhalb der Gruppe; der Mangel an finanzieller Sanktionskraft aus alternativen Kreditangeboten, die zwar auch außerhalb der Gruppe liegen, aber dieselbe oder eine ähnliche Form wie diese aufweisen. Fehlende Solidarität und fehlende Sanktionskraft führen zu einem Kontrollverlust von Zahlungsversäumnissen als abweichendes Verhalten innerhalb der Gruppeninteraktion. Beide Formen der Kontrolle mögen auch unabhängig voneinander durch ihren jeweiligen Bezug auf die lokale Sozialstruktur zusammenbrechen. Doch können auch Wechselwirkungen zwischen ihnen wirken. Wenn die Option zum Sanktionieren von abweichendem Verhalten nicht mehr besteht, kann darunter auch die Solidarität leiden, weil dann ausnutzendes Verhalten, das die Solidarität untergräbt, ohne Folgen bleibt. Und andersherum laufen vor dem Hintergrund fehlender Solidarität innerhalb der Gruppe auch Sanktionen ins Leere, weil sie vom Zahlungssäumigen nicht akzeptiert und von den anderen Gruppenmitgliedern aufgrund fehlender Anreize nicht mehr durchgeführt werden. Wieso sollte man jemand für ein vermeintlich ausnutzendes Verhalten bestrafen, wenn die Gruppe für niemanden mehr eine Ressource darstellt, die ausgenutzt werden könnte?
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2. S CHEITERN DER K ONTROLLE ZWEITER O RDNUNG DER I NTERAKTION MIT DEM L OAN O FFICER Ein Verlust der Kontrolle von Zahlungsversäumnissen auf Ebene der Gruppeninteraktionen mag durch verstärkte Kontrolle zweiter Ordnung in der Interaktion mit dem Loan Officer zum Teil aufgefangen werden können. Doch die MetaNorm kann schon deswegen nicht den Kontrollverlust auf der Ebene der Gruppeninteraktion ohne weiteres auffangen, weil sie sich nicht losgelöst von ihr ausbildet, sondern im gewissen Maße von ihr abhängig ist. Finden etwa keine Gruppeninteraktionen in der Form sogenannter Gruppentreffen statt, kann auch keine Interaktion der Gruppe zum Loan Officer stattfinden, in der sich die moralische Meta-Norm bildet. Und selbst wenn Gruppeninteraktionen stattfinden, bedeutet dies nicht unbedingt gleichzeitig, dass ständig Interaktion mit dem Loan Officer stattfindet:
So ein Loan Officer: “Funeral, wedding, engagement, naming ceremony, some of them invest so much there than their businesses, though we try giving them training but after the training you are not there. You cannot be there twenty four hours a day, so the decision is in their hands.” Demnach ist es unmöglich, dass die Gruppeninteraktionen einer vollständigen Kontrolle durch den Loan Officer unterzogen werden. Gerade als Außenstehender ist es dem Loan Officer nicht möglich, ständig die Gruppe zu kontrollieren – “you cannot be there twenty four hours a day”. Es fehlt an Zeit, manchmal mehr, manchmal weniger, mit der Gruppe zu interagieren. Entsprechend fehlt es dann an Gelegenheiten und an einer Erwartungshaltung, Wertschätzungen zu kommunizieren und die persönliche Betroffenheit des Loan Officer von Zahlungsversäumnissen zu plausibilisieren. Dies hat nicht nur Folgen für die Stabilität der Norm in der Interaktion mit dem Loan Officer als solche, sondern auch für ihre Funktionsweise als Meta-Norm und damit auch für die Stabilität der Gruppennorm: So derselbe Loan Officer auf die Frage nach Rückzahlungsproblemen: “At times, they will encounter some challenges, instead of them approaching you for a direction they will wait until things get out of hand. Before they will get back to you, by that time, there wouldn’t be any help or any assistance from your end. It’s one of the options, other it’s attitude and character.”
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Denn die Interaktion der Gruppe zum Loan Officer kommt dann nur im Falle des drohenden Scheiterns der Gruppennorm zu Stande, ohne dass sie vorher als Art Prävention die Gruppennorm hätte stabilisieren können. Dann kann es aber schon zu spät sein. Denn die Meta-Norm vermag Ereignisse, die durch die Gruppennorm nicht kontrolliert werden, auch nur dann auf einer Ebene zweiter Ordnung als Abweichungen zu kontrollieren, wenn sie andererseits in der Lage ist, die Kontrollfunktion der Gruppe als konformes Verhalten zu stabilisieren. Dies hängt mit der moralischen Begründung der Meta-Norm zusammen: Persönliche Betroffenheit markiert abweichendes Gruppenverhalten nur im Lichte der Wertschätzung von normkonformen Gruppenverhalten. Wenn keine Wertschätzungen in der Interaktion mit dem Loan Officer kommuniziert werden, dann wird auch persönliche Betroffenheit implausibel. Sobald innerhalb der Interaktion mit dem Loan Officer also nur noch Zahlungsversäumnisse der Gruppe als Abweichungen thematisiert werden, ohne dass es andererseits auch zu normkonformen Verhalten kommt beziehungsweise dieses als solches markiert wird, bricht nicht nur die Meta-Norm zusammen, sondern mit ihr wahrscheinlich auch die Gruppennorm. Ein Scheitern der sozialen Kontrolle zweiter Ordnung zeigt sich nicht nur daran, dass nicht mehr zwischen abweichendem und konformem Verhalten innerhalb der Interaktion mit dem Loan Officer aufgrund fehlender moralischer Zurechnungen unterschieden werden kann. Der Kontrollverlust zeigt sich auch daran, dass Sanktionierung und Solidarisierung auf dieser zweiten Ebene keinen Unterschied mehr ausmachen: So ein Erklärungsversuch eines Loan Officer zum Scheiterns des wechselseitigen Bürgens: “[…] [W]hen a defaulted client fails to make payment to the group they have paid for her amount, the institution, Mikrofinanzinstitution ABC, normally does not do anything to help the members after they have paid for a defaulted client. […] We do not help them to get their monies back. For instance, if this whole area is one community and there are ten groups and then about five individuals from different groups have failed to make payments and the group members shared to make the payments and then after a while they have not been able to take the money from the client, Mikrofinanzinstitution ABC would have to help the group by arresting the defaulted client so that she will be able to pay the money back to the group. They are not helping them in this direction so it’s becoming difficult for members to share and pay for a defaulted client”
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Demnach verhält sich der Loan Officer unsolidarisch gegenüber der Gruppe, indem er ihr die Hilfe versagt, vollzogene Bürgschaftszahlungen der Gruppe wieder einzutreiben. Durch die Versagung solidarischen Handelns von Seiten des Loan Officer fehlt es an Anreizen für die Selbstkontrolle der Gruppe. Dies führt rückwirkend dazu, dass auch die Gruppe dem Loan Officer Solidarität verweigert. Und das unsolidarische Handeln der Gruppe gegenüber dem Loan Officer kann wiederum unsolidarisches Handeln des Loan Officer veranlassen. Damit besteht das Risiko, dass die Verweigerung von Solidarität auf der zweiten Ebene der Interaktion mit dem Loan Officer über die erste Ebene der Gruppeninteraktion positiv verstärkt wird. Neben dem Versagen der Solidarität kann auch die Sanktionskraft in der Interaktion mit dem Loan Officer an Kraft verlieren und zu einem Scheitern des wechselseitigen Bürgens führen: Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch zur Interaktion des Loan Officer mit der Gruppe: „Irgendwann kommt Marthilde, diejenige Klientin, die auch schon gestern beim Treffen war und die einige Raten des eigentlich gestern abgeschlossenen Kreditzirkels nicht zahlen konnte. Martin und sie sitzen nebeneinander auf einer Holzbank und reden, diskutieren – auf Lokalsprache. Es geht zunächst um die eigentliche Anzahl nicht bezahlter Raten, wie ich meine herauszuhören (einige Wörter, v.a. Zahlen werden auf Englisch gesagt). Dann erklärt Martin ihr einiges, und zwar wie die Zinsen zu Stande kämen, so übersetzt mir die eine Klientin, der der Laden gehört. Nach einiger Zeit wird Martin deutlicher in seiner Wortwahl, er spricht laut und meist auf Englisch. Er fordert Elizabeth zum Zahlen auf oder mit der Gruppe zu verhandeln: ‘… because it’s the group’s money which will be delayed’. Später wird für mich aus einem Nebengespräch mit der Klientin vom Anfang klar, der nächste Kredit nicht ausgezahlt werden, solange Marthilde ihre Raten nicht begleicht. Martin: ‘So go and negotiate with them’.‘We want our money now’. ‘You can’t plead with me, go now and plead with the group’. ‘If the group is satisfied, I am also satisfied.’ Und nachdem Marthilde immer noch nicht antwortet: ‘Silence will not solve the problem’. ‘It is between you and the group members.’ Die Gruppenmitglieder, von denen einige hinzugekommen sind, schweigen; sie sitzen auf den beiden Holzbänken unter dem Unterstand. Mittlerweile steht die defaulterin ein paar Meter entfernt vor der Holzbank, am Rande des Unterstands, schaut auf den Boden, presst die Lippen zusammen, wackelt mit dem Körper. Einmal macht sie eine Bettelbewegung mit den Händen in Richtung Martin (der noch sitzt), aber nur kurz. […] Nach seinen Aufforderungen an Marthilde geht Martin mit Pete weg, um ihm eine in der Nähe sich befin-
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dende Bank zu zeigen, denn nächste Woche sei er selbst nicht da, dann müsse Pete die Rückzahlung selbst einsammeln, erklärt er mir kurz vor dem Gehen. Vor seinem Weggehen fordert Martin noch die Gruppe zum Diskutieren auf, ‚discuss’ spricht er zu den Klientinnen auf der Bank. Während Martin und Pete weg sind, stellt sich die defaulterin ein paar Schritte weiter weg direkt an den Straßenrand. Dort telefoniert sie einmal kurz, singt etwas vor sich hin und wackelt weiter mit ihrem Körper. In der Tat wird in der Gruppe geredet, während Martin fort ist, doch es geht um die Anfrage einer nichtanwesenden Klientin, für eine Reise sich ihr pre-savings auszahlen zu lassen, so erklärt mir die Klientin vom Anfang […].“ In diesem Beispiel lässt sich die Auflösung der Gruppennorm weder durch eine Meta-Norm noch durch Sanktionieren der Gruppe durch Verweigerung von Anschlusskrediten verhindert. Es findet gar keine Interaktion des Loan Officer mehr mit der Gruppe als Einheit statt. Stattdessen kommt es zu einer Zweiteilung der Interaktion: einerseits interagiert der Loan Officer mit dem zahlungssäumigen Mitglied und andererseits mit den anderen Gruppenmitgliedern. Entsprechend kommt die Interaktion unter den Gruppenmitgliedern, insbesondere zum zahlungssäumigen Mitglied, zum Erliegen. In beiden Interaktionen wird durch Befehle versucht, eine normative Gruppennorm zu re-etablieren. So wird in der Interaktion zur Zahlungssäumigen auf die Gruppeninteraktion verwiesen – „‘You can’t plead with me, go now and plead with the group’“; „‘It is between you and the group members’“. – und in der Interaktion zu den anderen Gruppenmitgliedern – „‘Discuss’“. Doch ohne Erfolg: die Zahlungssäumige stellt sich abseits und die anderen Mitglieder schweigen oder reden über etwas anderes. Und selbst die Sanktionierung der Gruppe durch Verweigerung beziehungsweise Verspätung eines Anschlusskredits – „‘…because it’s the group’s money which will be delayed’“ – bleibt ohne Wirkung. Solch ein Scheitern der sozialen Kontrolle von Zahlungsversäumnissen kann sowohl auf ein Scheitern auf der Ebene der Gruppeninteraktion als auch auf ein Scheitern auf der zweiten Ebene der Interaktion mit dem Loan Officer zugerechnet werden. Wir sehen hier, dass free-riding und collusion als zu kontrollierende Risiken in Bezug auf die beiden Kontrollebenen unterscheidbar sind, sie beide jedoch gleichzeitig Formen des allgemeinen Risikos des wechselseitigen Bürgens sind und sich aufeinander beziehen: Wird das Risiko des free-riding für die Gruppe unkontrollierbar, wird kein Mitglied mehr bereit sein, für ein anderes zu bürgen. Aus Perspektive des Loan Officer wird dies dann als akutes Risiko der collusion sichtbar. Sowie beide Kontrollebenen sich in ihrem Funktionieren wechselseitig bedingen, so bedingen sie sich aber ebenso wechselseitig in ihrem
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Scheitern. Denn die Kontrolle zweiter Ordnung funktioniert auch nur soweit, wie die Kontrolle erster Ordnung der Gruppe funktioniert. Nicht zuletzt sind beide Kontrollebenen darauf angewiesen, dass sie auf der Ebene der lokalen Sozialstruktur nicht durch Kreditalternativen und der Möglichkeit externer Herabwürdigungen Dritter außer Kraft gesetzt werden. Wie steht es mit der Pflichtspareinlage der Gruppe? Kann ein Scheitern des wechselseitigen Bürgens wenigstens durch Anzapfen der gemeinsamen Ersparnisse begegnet werden? Dazu ein Loan Officer: “Yeah, the group collateral is there, that should be the bench mark for us. That’s why I was telling you if you are not careful they will swerve you. Before you realize he’s beaten you to the bush. They calculate. They are very clever. If you think that they are illiterates or…. They are very, very clever […]. It’s typical like the one, the lady we went to this afternoon, typically, she has one installment to pay but she is claiming the rest… the one who is owing about three installments, until she pays… She realize or she knows the savings here or her compulsory savings will be used to defray the debt so in that case she too is not paying and it’s accumulating onto the default so in a nut shell all the group members are in default, you get it. So the group system or the group guarantee, indirectly have some disadvantage and some weaknesses. […] [F]or that one nobody, you cannot tell, nobody can picture, you cannot, you can do everything or all the work that needs to be done, that’s human nature, that’s human nature, for that one nobody can predict. After me getting back the money, then I will also advise myself maybe as to what to do, whether to advise again or for them to come individual, so that when you are individual and there’s debt then I will deal with you individually. So these are some of the challenges we are facing.” Pflichtsparen stellt demnach alles andere als ein sicheres Instrument der Risikokontrolle dar, obwohl der Loan Officer über die Einlagen verfügt und im Falle des Zahlungsausfalls sie anzapfen kann, d.h. also das wechselseitige Bürgen selber durchsetzen kann. Das Risiko des Pflichtsparens besteht nämlich darin, dass die Gruppe oder einzelne Mitglieder diese präventive Form des wechselseitigen Bürgens antizipieren und daraufhin selbst nicht zahlen. Genau dazu kommt es im angeführten Beispiel: Ein Gruppenmitglied verweigert ihre Ratenzahlung angesichts des drohenden Abzugs von Spareinlagen zum Ausgleich des Zahlungsausfalls eines anderen Mitglieds.
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Muss der Kleinkredit aufgegeben werden, wenn wechselseitiges Bürgen zu scheitern droht? Der Loan Officer deutet an, dass möglicherweise individuelle Formen der Risikokontrolle zum Zuge kommen, wenn wechselseitiges Bürgen versagt – “so that when you are individual and there’s debt then I will deal with you individually.”
Kapitel VIII: Interaktion des Loan Officer mit einzelnen Zahlungssäumigen
Eine Folge des Scheiterns des wechselseitigen Bürgens ist, dass die Gruppe keine primäre Zurechnungsadresse mehr für die Forderung der Rückzahlung darstellt. Stattdessen spielt für die anschließende Risikokontrolle die Interaktion des Loan Officer mit dem zahlungsunfähigen Schuldner die entscheidende Rolle. Schauen wir uns also an, inwieweit diese Interaktion es schafft, den akuten Risikofall des Zahlungsausfalls doch noch zu kontrollieren.
1. R ESTRUKTURIEREN
UND
S ANKTIONIEREN
Die empirischen Beobachtungen legen zwei verschiedene Formen des Umgangs mit dem akuten Risiko des Zahlungsausfalls in der Interaktion des Loan Officer mit dem zahlungssäumigen Mitglied nahe: Sanktionierung und eine Restrukturierung des Kleinkredits entsprechend der finanziellen Situation des Zahlungssäumigen. Die erste Form versucht das Risiko dadurch zu bannen, indem sie die Erwartung der fristgerechten Rückzahlung trotz gegenteiliger Signale dadurch in Erfüllung bringt, dass mögliche Sanktionen eine schnellstmögliche Zahlung in die Wege leiten. Und die zweite Form findet ihre Risikokontrolle darin, dass sich die Erwartung der Rückzahlung an die eingeschränkten Zahlungsmöglichkeiten der Klientin entsprechend anpasst, um auf ihre Weise die Rückzahlung wieder erwartbar werden zu lassen: Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch zu einer Interaktion zwischen einem Loan Officer (LO) und einem Zahlungssäumigen (Z): „Loan Officer: Hättest du 20p pro Monat gezahlt, wäre deine Schuld beglichen. […] Hast du dem secretary das Geld bezahlt? Zahlungssäumiger: Nein. LO: Deine Schulden sind 114 EUR.
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Z is pleading that he has no money. LO: You should have paid during group-meeting, but you didn’t come. This man [verweist auf zweiten Mann] is doing voluntary work, because you are not paying. Z: I will pay, I just need time. LO [laut]: You should pay now, so that we do not waste our time, we have to go to another community. ‘I don’t want any problem’ [sehr laut]. ‘I don’t want any problem’ [sehr laut]. ‘And I know that these people gave you the messages’ [verweist auf secretary und zweiten Mann]. Z: I need some time. LO: You had ‘two years’ ‘two years’. ‘Today is judgement day’. It doesn’t matter what you say. ‘What did you do about it?’ ‘I followed you’. ‘I chased you several times, I didn’t meet you.’ Z: I don’t doubt what you are saying, but I don’t have money. LO [laut]: You work, you have money. Bring the money. ‘Just excuses’. ‘I will collect everything from you.’ Z: If I had money, I would bring it to you. Kurzes Schweigen LO [laut]: We are waiting. ‘You don’t respect authority!’ Z: Give me two weeks to pay; then I pay. LO: Shall I disgrace you? I will do it. Z [leiser sprechend: Do you want that I get sucked from work? LO [sehr laut werdend]: Get inside and bring something out. Frau von Z: I will come to office this evening and pay. Somebody is owing us 20 EUR, which I will collect. […] LO [zu Z]: You also have to pay the interests. Z: tries to reply… LO [sehr laut]: I don’t listen to you, you have to listen to me. You owe me, don’t give me stories, give me money. L: ‘Madame’. LO [laut]: Do you think we come to listen to your pleadings. ‘It’s not a gift, it’s a loan’. If it was a gift, I wouldn’t give it to you, but to my family. Mittlerweile sind Christina und der client vor dem Vorbau. The client tries to speak with the secretary, aber Christina geht zwischen die beiden: ‘No,no […]’. LO [laut]: I can disgrace you. ‘Go and bring it! Enter!’ Fast. LO [laut]: I have looked into your records. You’re records are very bad. You’re records are very bad’. ‘The secretay has done its best’. Now I col-
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lect my money. Shall I take you to the office, so that my manager can speak to you? Don’t make me angry!“ In diesem Beispiel wird der Modus des Sanktionierens deutlich sichtbar. Die basale Form der Sanktionierung geschieht durch persönliche Herabwürdigungen des Zahlungssäumigen in der Interaktion mit dem Loan Officer, die in ähnlicher Weise in den Gruppeninteraktionen beziehungsweise in der Interaktion des Loan Officer mit der Gruppe stattfanden – ‘Shall I disgrace you? I will do it’ – ‘You’re records are very bad’ – ‘Don’t make me angry!’. Entsprechend besteht ihre Funktion wiederum darin, das Zahlungsversäumnis moralisch als Abweichung zu markieren, um die Erwartung der Rückzahlung durchzusetzen. Die andere Umgangsform mit dem Zahlungsversäumnis bezieht sich dagegen auf die positive Seite des Moralschemas: Dazu ein Loan Officer: “[A]nd then sometimes the client do not have the money to give. They do not, sometimes it’s not intentional that they fail to make payments, sometimes genuinely. // I: So how do you know? // […]. I don’t know how, but it’s, I think it’s just sometime your instincts, your mind will just tell you that. You just see the condition of the client and you know that the money is not there to give. […] But you just give them pieces of advice, […]: ‘Give me your own terms to which you would want to pay the money’. Because definitely if I have to go for repayment today. […] But then you go and […] you convince them small. […] ‘When can you make the payment? How many months, how many months do you want me to spread, how many days, how many weeks?’.” Und ein anderer Loan Officer: “When I help them, what we do is that, as an officer, it depends, you study the situation at the group. We study the situation at the ground. You see that we have some people, they find it difficult even to get three square meal a day. If such a person have a problem you have to come out with your own strategy, go to the person, talk to the person in a humble way. You could talk to the person, them you make the payment flexible for the person to pay […].” Wiederum wird zwar der Zahlungsverzug als abweichendes Verhalten markiert, diesmal jedoch unter Achtung der Situation des Zahlungssäumigen. Sie besteht darin, dass die Erwartung der Rückzahlung an seine Situation angepasst wird – ‘Give me your own terms to which you would want to pay the money’ – unter entsprechender Anerkennung des Zahlungssäumigen als Person – “[...] you […]
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go to the person, talk to the person in a humble way”. Der Kleinkredit wird somit restrukturiert. Dabei ist aber nicht damit zu rechnen, dass diese Restrukturierung allein aus solidarischen Gründen passiert, sondern ihr Sinn mindestens genauso, wenn nicht primär, in der Rückführung des Kredits liegt. Diese Unterscheidung von Sanktionierung des Zahlungsversäumnis und Restrukturierung des Kredits stellen ein Beispiel für die Modalisierung von Erwartungsenttäuschungen dar, wie sie Luhmann (1987: 437f) herausgearbeitet hat. Erwartungen können nach ihm danach unterschieden werden, wie mit ihnen im Falle der Enttäuschung umgegangen wird. Wird an der Erwartung trotz gegenteiliger Signale festgehalten, handelt es sich um einen normativen Erwartungsstil. Genau dies geschieht im Modus des Sanktionierens des Zahlungsausfalls. Wird hingegen die Erwartung entsprechend ihrer Enttäuschung umgestellt, handelt es sich um einen kognitiven Erwartungsstil. Dies wiederum ist der Fall beim Modus der Kreditrestrukturierung. Denn die enttäuschte Erwartung der Rückzahlung wird nun nicht mehr mit Mitteln des Herabwürdigens aufrechterhalten, sondern an die finanzielle Situation des Kreditnehmers angepasst. Schauen wir uns diese beiden Formen des individuellen Umgangs mit dem akuten Rückzahlungsproblem genauer an. Wie funktionieren jeweils beide Modi? Unter welcher Bedingungen wird der sanktionierende und unter welcher Bedingung der solidarisch anpassende Modi angesteuert? Und können Steigerungen beider Formen ausgemacht werden? 1.1 Sozialdimension: Kooperatives Verhandeln versus Befehlen Bemerkenswert ist, dass in vielen Fällen der Loan Officer und die Zahlungssäumige weder einen Konflikt austragen, noch in ihren Sichtweisen über die Rückzahlung übereinstimmen. Vielmehr wird diskutiert und verhandelt darüber, woher die Zahlungsprobleme rühren und vor allem wie nun weiter verfahren werden soll. Die Positionen sind dabei eindeutig verteilt: der Loan Officer legt nahe, den Kleinkredit zurückzuzahlen, wenn nicht sofort, so doch zumindest in naher Zukunft, während die Zahlungssäumige unter Anführung von Gründen darauf verweist, dass sie nicht zahlen kann, und gegebenenfalls dass auch keine schnelle Besserung ihrer finanziellen Lage in Sicht ist: Zusammenfassungen aus dem Forschungstagebuch: „Nach einem langen Hin und Her zwischen dem Loan Officer und der Imbiss-Besitzerin über die ausstehende Zahlung, entgegnet diese endlich: ‘Don’t you see that I surprised you yesterday’ Und der Schneider erklärt demselben Loan Officer, dass er wegen Stromausfall nicht nähen konnte und einige seiner Kunden selbst
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noch nicht gezahlt hätten. Auch beim häuslichen Besuch einer Marktfrau durch den Loan Officer und den Zweigstellen-Manager wird lange über die ausstehenden Gelder diskutiert, wobei die Klientin auf die schlechte Marktlage verweist.“ Die Sozialdimension des Umgangs mit dem Zahlungsversäumnis kennzeichnet sich demnach weder durch eine Präferenz für Dissens noch eine für Konsens, sondern drückt sich in der Form der Diskussion und der Verhandlung aus. Dadurch wird das akute Rückzahlungsproblem sozial in eine offene Situation gebracht, die es erlaubt, die Erwartung der Rückzahlung je nach Diskussionsergebnis und Verhandlungsstand situativ an die momentane Lage der Zahlungsschwierigkeit anzupassen ohne dabei die Rückzahlung gänzlich aufgeben zu müssen. Der Loan Officer muss so nicht entgegen aller Erklärungen der Zahlungssäumigen auf die Zahlung bestehen, die er bei aller Anstrengung diesmal wahrscheinlich sowieso nicht bekommen würde, sondern kann den Besuch durch eine geordnete Gegenüberstellung der Positionen über die Bühne bringen. Dieses Vorgehen ermöglicht es, auf die dargestellte finanzielle Situation der Klientin einzugehen, sich ihr also anzupassen, ohne gleichzeitig die Zahlungsforderung gänzlich hinten anzustellen. Im Sinne des Aushandelns scheint es zwar möglich, dass die zahlungssäumige Klientin einen anderen Standpunkt als der Loan Officer einnimmt, wie mit der Frage des Rückzahlens umgegangen wird. Dass bei jedem Besuch ohne zählbares Ergebnis endlos diskutiert wird, das heißt ohne relevante Teilzahlung oder Aussicht auf eine Zahlung, scheint dabei aber ausgeschlossen zu sein: So ein Loan Officer: “Some [Zahlungssäumige, JS] are just amicable, some comprise, some of them they cooperate. If the cooperation is mutual, it’s no big deal, we take our money and if they are trying not to be cooperative, we apply the necessary force either by force or we take the Police people to them and they pay.” In der Sozialdimension findet die Restrukturierung des Kredits demnach ihre Beschränkung darin, dass, trotz der Möglichkeit des Aushandelns, Kooperationsbereitschaft in der Ermöglichung der Rückzahlung erwartet wird und sturem Beharren auf Zahlungsunfähigkeit Grenzen gesetzt wird. Der Loan Officer kann nicht bedingungslos in seinem Einfordern der Rückzahlung der Position der Zahlungssäumigen nachgeben, die auf ihre Zahlungsunfähigkeit verweist. Die Bereitschaft zum Zahlen muss erkennbar bleiben und auch zu Zählbarem führen.
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Verhandeln unter Bedingung des Kooperierens heißt, sich dem Rückzahlungsproblem anzupassen. Doch nicht immer geht der Loan Officer auf die Position der Klientin ein und lässt sich in Diskussionen verwickeln: Zusammenfassungen aus dem Forschungstagebuch: „Mit den Worten ‘You work, you have money. Bring the money.’ Und wenig später ‘We are waiting. ‘You don’t respect authority!’ schreit die Loan Offerin einen zahlungssäumigen Ananasbauern an, der wenn nur leise antwortet. Ganz ähnlich wird eine kleinlaute zahlungssäumige Händlerin von einem Recovery Officer angeschrien und zum Zahlen aufgefordert. Und auch beim Besuch eines zahlungssäumigen Bootsbauers entsteht eine konfliktartige Situation, weil der Zahlungssäumige der Zahlungsforderung nicht nachkommt und gar Widerrede leistet. In einem extremen Fall kommt es gar zu angedeuteten Handgreiflichkeiten zwischen der Loan Officerin und einem zahlungssäumigen Fischer, von wechselseitigem Anschreien ganz zu schweigen.“ Offensichtlich gibt es bei der Behandlung von Zahlungsschwierigkeiten in der Sozialdimension zum kooperativen Verhandeln eine andere Seite, die sich durch Befehlen und Konfliktaustragung auszeichnet. Die prekäre Erwartung der Rückzahlung wird hier nicht in Richtung der Position der Klientin angepasst. Stattdessen wird versucht, die Erwartung durchzusetzen, indem gegenläufige Signale durch die Form des Befehls entgegnet werden. Die empirischen Beobachtungen legen zudem nahe, dass als strukturgebende Differenzen des Befehls vor allem eine hohe Lautstärke im Unterschied zum Schweigen oder kleinlauten Erklärungen sowie ein Wechsel zur englischen Sprache im Unterschied zur jeweiligen vorherrschenden Stammessprache der Klientinnen fungieren (siehe hierzu und im Folgenden das eingangs gestellte Beispiel zum Modus des Sanktionierens). In dem Maße, wie der Befehl in Frage gestellt wird, kommt es sodann zum Konflikt. Er verlagert sich dabei von einer asymmetrischen hin zu einer symmetrischen Struktur in dem Maße, wie der Befehl nicht bloß durch Nicht-Zahlen und Schweigen oder kleinlauter Erklärungen, sondern durch lautstarke Gegenreden begegnet wird. Entsprechend verliert der Zahlungsbefehl seine Kraft, die Erwartung der Rückzahlung durchzusetzen, und macht nunmehr deutlich, dass es neben seiner Aufforderung zum Zahlen, die andere Seite des Nicht-Zahlens gibt. Die Funktion des Befehls besteht darin, die Zahlungserwartung durchzusetzen; die Funktion des Konflikts hingegen darin, dass das Kreditverhältnis trotz der Enttäuschung der Erwartung in irgendeiner Weise weiterzuführen. In der Sozialdimension kann also die Erwartung der Rückzahlung entweder durch kooperatives Verhandeln an die Zahlungsschwierigkeiten angepasst wer-
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den. Oder es kann durch Befehlen versucht werden, sie durchzusetzen, was bei Verweigerung zum Konflikt führt. Der erste Fall beschreibt die Formung des Modus der Anpassung in der Sozialdimension, der zweite Fall die entsprechend gegensätzliche Formung des Modus des Sanktionierens. 1.2 Sachdimension: Teil-Zahlungen versus vollständige Zahlungen Sachlicher Bezug des Umgangs mit dem Rückzahlungsproblem, der in sozialer Hinsicht zwischen kooperativem Verhandeln und Befehlen optieren kann, ist dabei immer die ausstehende Zahlung oder genauer mit den Worten von Baecker (1991), die Frage der Einlösung des erbrachten Zahlungsversprechens. Die Auszahlung des Kredits geschah, das ist das Kennzeichen des Kredits, unter dem Versprechen, zu einem bestimmten Termin die Zahlung zurückzuzahlen. Der Termin ist nun verstrichen, die Frage der Einlösung des Zahlungsversprechens steht deswegen umso dringlicher im Raum. ‘You bring something’, so die Forderungen an den Schneider, stellt deswegen die folgerichtige Handlungsweise dar. Doch gerade das Verhandeln sowie das Befehlen der Zahlung zeigen an, dass die eigentlich ausstehende Zahlung unwahrscheinlicher und ihre andere Seite der Nicht-Zahlung wahrscheinlicher geworden ist. In sachlicher Hinsicht steht also die Rückzahlung im Mittelpunkt, sie drückt sich aber insofern in einer unsicheren Form aus, als dass sie die Möglichkeit ihres Nichtzustandekommens zugleich mitführt. Im Restrukturierungsmodus spezifiziert sich dieser Sachbezug auf die Rückzahlung dadurch, dass nicht ihre Gesamtsumme verhandelt wird sondern Teilbeträge: Zusammenfassungen aus dem Forschungstagebuch: „Ein Klient zahlt etwa beim Besuch des Loan Officer 8,50 EUR der noch ausstehenden Summe von 126,50 EUR. Auch ein Loan Officer wird nach einem Frage-Antwort Gespräch mit einer Klientin für das Erste mit einer Teilzahlung zufriedengestellt.“ Durch das Zahlen von Teilbeträgen kann die prekäre Erwartung der Rückzahlung auch in sachlicher Hinsicht, also an die Zahlungsfähigkeit des Schuldners, angepasst werden, indem die angeführte unmögliche Zahlung der vollen Summe in die mögliche Zahlung kleinerer Teilbeträge transformiert wird. Im Extremfall können die Teil-Zahlungen so gering ausfallen, dass deren Sinn wegen der geringen Zahlungshöhe bei großem Redeaufwands nur darin zu liegen scheint, dem Besuch seinen Sinn nicht vorzuenthalten.
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Zusammenfassungen aus dem Forschungstagebuch: „So gibt eine Klientin, die zusammen mit ihrer Kreditgruppe Benzin vertreibt und selbst eine bessere Imbissstube betreibt, nach langer Unterredung mit zwei Officern schließlich 5 EUR anstatt die geforderten 10 EUR, wo die ausstehende Gesamtschuld der Gruppe 3000 EUR beträgt.“ Die Funktion solch vermeintlicher Teilzahlungen bezieht sich dann nicht primär auf die Rückzahlung des gefährdeten Kredits, indem sie etwa die gesamte Rückzahlung durch Zerteilung erwartbar werden lässt. Stattdessen scheint ihre Funktion paradoxerweise darin zu liegen, die Nicht-Zahlung zeitweise zu ermöglichen, ohne aber schon von einem Kreditausfall ausgehen zu müssen. Die Frage nach Rückzahlung oder Kreditausfall kann dadurch solange in der Schwebe gehalten werden bis etwa das Voranschreiten der Zeit mehr und mehr nach einer eindeutigen Antwort verlangt. Den sachlichen Grenzfall des Restrukturierungsmodus stellen dann zumindest temporäre Nicht-Zahlungen dar. Der Bezug auf Zahlung zeigt sich hier von seiner negativen Seite, ohne dass dadurch unbedingt die Beziehung zwischen Loan Officer und Klientin abbrechen muss. Auch wenn nicht gezahlt wird, finden Besuche weiterhin statt, an denen über die Rückzahlung, ob ernsthaft oder nicht bleibt dahingestellt, diskutiert wird. So ergeht es einem Loan Officer, der zunächst den Schneider, dann den Apotheker und schließlich die ImbissVerkäuferin besucht, ohne auch nur einen Cent von ihnen einzusammeln. Genau wie Verhandeln nicht unbeschränkt dazu beiträgt, dass sich das Zahlungsproblem an die finanzielle Situation der Klientin anpasst, funktionieren auch geringe Teil-Zahlungen oder Nicht-Zahlungen nicht unbegrenzt. Zusammenfassungen aus dem Forschungstagebuch: „Auf die entgegengehaltenen paar zerknüllten Scheine einer zahlungssäumigen Kleinhändlerin geht der Recovery Officer gar nicht erst ein. Er sieht die ganze Summe in Gefahr und droht ihr deswegen sie zur Zweigstelle mitzunehmen. Und die Loan Officerin begnügt sich bei ihrer Visite eines bereits seit zwei Jahren zahlungssäumigen Ananasbauern nicht mit einer Teilzahlung von 7 EUR, auch nicht mit weiteren 2 EUR, sondern gibt erst Ruhe, als der Klient auch noch die letzen fehlenden 10 p der ausstehenden Gesamtsumme von 9,10 EUR herausrückt, die sie mit harschen Worten und Drohungen letztendlich im Stande ist vollständig einzutreiben.“
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Es ist anzunehmen, dass Teil-Zahlungen als dritte Positionen zwischen Rückzahlung und Nicht-Rückzahlung in dem Maße, wie sie durch ihre geringe (im zweiten genannten Fall wohl eher, wie sie durch ihre große) Höhe relativ zur ausstehenden Summe ausschließlich die genannte Platzhalterfunktion des NichtZahlens ausüben, auf Ablehnung stoßen. Denn ein ausschließliches Abstellen auf dieses Platzhalten würde dessen Funktion sabotieren. Die Frage der Rückzahlbarkeit würde dann nicht mehr in der Schwebe gehalten, bis die Position der Zahlung wahrscheinlicher wird, sondern negativ beantwortet, was zum Ausfall des Kredits führen würde. Und wenn schon solche Teilzahlungen nicht immer angenommen werden, dann ist es auch nicht verwunderlich, dass ebenso NichtZahlungen nicht immer akzeptiert werden. Zusammenfassungen aus dem Forschungstagebuch: „Alle Ananasbauern etwa, die beim heutigen Besuch der Loan Officerin von Mikrofinanzinstitution DEF nicht zahlen können, bekommen dies zu spüren. Ihnen wird kein weiterer Aufschub gewährt; die Loan Officerin fordert von ihnen mit lauten Worten das fehlende Geld, staucht sie zusammen, wenn sie mit Erklärungen kommen, und droht ihnen, sie zur Zweigstelle mitzunehmen.“ Während Teil-Zahlungen bis hin zu temporären Nicht-Zahlungen also den Modus der Restrukturierung in der Sachdimension auszeichnen, stoßen sie im sanktionierenden Modus auf Ablehnung. Hier wird die Erwartung, dass die gesamte ausstehende Kreditsumme zurückgezahlt wird, aufrechterhalten. Insofern die Forderung der Gesamtsumme im Raum steht, ohne dass ihr nachgekommen wird, oszilliert die Situation dann zwischen Zahlen und Nicht-Zahlen des Gesamtkredits ohne Möglichkeit einer Teilzahlung als dritte Position. Die Rückzahlung wird gefordert, obwohl und weil sie nicht erfolgt, und umgekehrt. 1.3 Zeitdimension: Entfristung versus Zeitknappheit Die Frage der Rückzahlung enthält immer schon ein Zeitproblem, weil man im Voraus trotz aller Bemühungen, die Risiken adäquat einzuschätzen, nicht sicher sagen kann, ob die Rückzahlung zum vereinbarten Termin auch stattfindet oder nicht. Bei Überschreitung des Zahlungstermins könnte man dann meinen, dass nun ein erhöhter Handlungsdruck in der Gegenwart entsteht, die Gelder endlich einzutreiben. Solch ein Stress kommt, wie wir gleich sehen werden, in vielen Fällen beim Umgang mit akuten Zahlungsschwierigkeiten vor. Im Gegensatz dazu ist aber ebenso bemerkenswert, wie in vielen anderen beobachteten Fällen der ursprüngliche Zahlungstermin nahezu bedeutungslos wird und sich eine davon
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sich abgrenzende eigene Zeitstruktur herausbildet, die sich durch immer wieder neues Aushandeln weiterer und Verschieben alter Zahlungstermine kennzeichnet. Zusammenfassungen aus dem Forschungstagebuch: „Schon seit einem Jahr steht die Zahlung des Schneiders aus, und auch heute entgegnet er der Forderung des Loan Offier, dass er erst wieder nächsten Dienstag etwas zahlen könne, wenn einige seiner Kunden ihn selbst bezahlt hätten. Und die Imbiss-Besitzerin verweigert nicht nur eine heutige, sondern auch eine zukunftsnahe Zahlung mit der Begründung, erst gestern etwas gezahlt zu haben. Mit den Worten ‚Another day has come’ beginnt der Loan Officer das Verhandlungsgespräch gegenüber dem Secretary der Kreditgruppe des auch selbst anwesenden zahlungssäumigen Müllers, indessen Verlauf eine Rückzahlung bis nächster Woche vereinbart wird. Die Kreditgruppe der Ananasbauern sind bereits zwei Jahre in Zahlungsverzug, und wurden seitdem jeden Freitag individuell von einem Loan Officerin mit Hilfe des Secretaries der Gruppe aufgesucht und zum Zahlen aufgefordert. Und eine weitere Zahlungssäumige einigt sich mit dem Loan Officer auf Dienstag als nächsten Zahlungstermin, nachdem sie nun endlich eine Abnehmerin ihrer selbst hergestellten Maisklöße gefunden hat, deren erste Zahlung sie tags zuvor am Montag erwartet.“ In all diesen Fällen und in vielen anderen wird deutlich, dass die ursprüngliche Zeitstruktur des Kredits, also seine Ratenstruktur sowie der endgültige Fälligkeitstermin, keine starke erwartungsbildende Kraft mehr auf den jetzigen Umgang mit dem Rückzahlungsproblem ausübt. Natürlich bedingen sich auch die jetzigen Besuche dadurch, dass zu den eigentlich formal vereinbarten Terminen nicht gezahlt wurde. Doch üben diese formal versäumten Termine weniger einen expliziten Handlungsdruck aus als die Tatsache, dass überhaupt eine Zahlung aussteht und, vielleicht noch mehr, dass diese ausstehende Zahlung nicht ohne weiteres stattfinden kann. Das zunächst akute Rückzahlungsproblem entwindet sich seiner ursprünglichen formalen Zeitstruktur und passt sich zeitlich seiner dadurch chronisch werdenden Lage an. So wird die Rückzahlung immer wieder aufs Neue gefordert, darüber verhandelt, ob Teilzahlungen beim heutigen Besuch möglich sind oder nicht, gegebenenfalls eine zeitgewinnende AlibiTeilzahlung getätigt, und eruiert, zu welchen Terminen in der Zukunft weitere Zahlungen erwartbar sind und zu welchen nicht. Diese Kombination einer relativen strukturellen Irrelevanz der Vergangenheit mit einer Gegenwart, in der je nach Verhandlungsergebnis es zu einer Teilzahlung oder zu einer Verschiebung
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der Teilzahlung in die Zukunft kommt, beschreibt eine nahezu zeitlose Struktur. Doch auch in der Zeitdimension gibt es zum Restrukturierungsmodus eine andere Seite: Zusammenfassungen aus dem Forschungstagebuch: „‘I will pay, I just need time.’, erwidert der zahlungssäumige Ananasbauer auf die Zahlungsforderung. ‚You should pay now, so that we do not waste our time, we have to go to another community’. Und bald darauf: ‘You had’ “two years, two years. Today is judgement day”, schreit die Loan Officerin ihn an, und will ihn schließlich mit zur Zweigstelle mitnehmen. Und ein Recovery Officer stellt einer zahlungssäumigen Händlerin klar, dass er solange bleiben würde, bis sie zahle. Letzte Woche habe er ihr bereits Aufschub gegeben, jetzt wolle er sein Geld, ansonsten würde er sie mit zur Zweigstelle nehmen.“ Scheinbar kann es ebenso dazu kommen, dass die unrühmliche Kreditgeschichte mit Folgen für das gegenwärtige und weitere Vorgehen erinnert wird: auf die Versäumnisse in der Vergangenheit wird dann Bezug genommen und eine weitere Verschiebung der Rückzahlung auf die Zukunft abgelehnt. Stattdessen soll die Zahlung, wie ursprünglich gedacht, jetzt, in der Gegenwart, erfolgen. Damit wird die Erwartung einer noch fristgemäßen Zahlung trotz aller gegenläufigen Signale bis auf weiteres wieder hergestellt, anstatt sich der schwierigen finanziellen Lage anzupassen. In dem punktuellen kooperativen Aushandeln von Teilrückzahlungen bis hin zu Nicht-Zahlungen kann eine Form des Umgangs mit dem überfälligen Kredit gesehen werden, die sich durch Anpassung der Erwartung der Rückzahlung an die finanzielle Lage der Klientin kennzeichnet. Die Zahlungsversäumnisse strapazieren die formale Struktur des Kredits: die Erwartung fristgerechter Ratenzahlungen wird enttäuscht. Eine Möglichkeit mit dem Zahlungsversäumnis umzugehen, besteht dann darin, die strapazierte Erwartung einer fristgerechten Rückzahlung den Zahlungsschwierigkeiten anzugleichen, indem über mögliche Teil-Zahlungen situativ verhandelt wird. Die Erwartung darüber, ob, wie viel und wann als nächstes gezahlt wird, regelt nun nicht mehr über einen längeren Zeitraum eine schriftlich fixierte Vereinbarung (Vertrag), sondern erschließt sich erst in der situativen Verhandlung. Dieser Modus der Anpassung drückt sich, wie beschrieben, in den verschiedenen Sinndimensionen unterschiedlich aus: In der Sozialdimension fungieren Diskussion und kooperatives Verhandlung als Formen zur Änderung der Rückzahlungserwartung. Man streitet nicht über die Frage der Zahlungsfähigkeit oder Zahlungsunfähigkeit, es herrscht aber auch
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kein Konsens darüber, sondern man diskutiert. Entsprechend wird es dann in der Sachdimension möglich, dass es zu Teil-Zahlung oder gar zu Nicht-Zahlungen kommt. Teilzahlungen können sich dabei entweder bei relevanter Höhe mehr auf Zahlung oder mehr auf Nicht-Zahlung beziehen, wenn ihre Höhe so gering ist, dass sie eher als Stellvertretung für das Abarbeiten des Kredits denn als dieses selbst fungieren. Die Verhandlungen über die Möglichkeit einer Teilzahlung und ihrer Höhe schreiben dabei natürlich über mehrere Besuche der Zahlungssäumigen hinweg Geschichte, die ihrerseits Ablauf und Ergebnis eines sonst völlig offenen Besuchs bestimmbar werden lässt. Doch im Gegensatz zur formal-rigiden Ratenstruktur fristgerecht bedienter Kredite, zeichnet sich diese Umgangsform mit überfälligen Krediten in der Zeitdimension eher durch eine punktuelle und damit variabel gehaltene Struktur aus. Auch dieses zeitlich Punktuelle der Aushandlungen erlaubt es auf die momentane Zahlungsfähigkeit der Klientin einzugehen und an ihr die Erwartungen der Rückzahlung anzupassen. Nach einer genau gegenläufigen Orientierung läuft der Modus der Sanktionierung ab. Er findet seinen Umgang mit dem Zahlungsversäumnis dadurch, dass er die strapazierte Erwartung der Rückzahlung trotz gegenläufiger Signale der Zahlungsschwierigkeit aufrechterhält oder wiederherstellt. In der Sozialdimension geschieht dies durch Befehle, die darauf ausgestellt sind, Erklärungen der Zahlungsunfähigkeit abzuwürgen und die Rückzahlung zu forcieren. In sachlicher Hinsicht wird die ursprüngliche Erwartung dadurch wieder stark gemacht, dass es um die überfällige Gesamtsumme anstatt um Teilbeträge geht. Und zeitlich kennzeichnet sich der sanktionierende Modus dadurch aus, dass der Fälligkeitstermin und die Versäumnisse in der Vergangenheit relevant werden, um eine Zahlung in der Gegenwart nahe zu legen, während Verschiebungen in die Zukunft ausgeschlossen werden.
2. ATTRIBUTIONEN
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Es gibt also zwei unterschiedliche Modi für den Umgang mit Zahlungsversäumnissen in der Interaktion des Loan Officer mit dem Zahlungssäumigen. Wie wird nun entschieden welcher dieser beiden Modi zum Zuge kommt? Wie kommt es dazu, dass kooperatives Verhalten unterstellt, Teil-Zahlungen angenommen und Terminverschiebungen akzeptiert werden? Und wann macht es mehr Sinn, die Gesamtsumme durch lautstarkes Befehlen unverzüglich zu fordern? Zu dieser Frage tritt die Unterscheidung der Ursachenerklärung des Zahlungsversäumnisses in den empirischen Beobachtungen auffällig in Erscheinung. Je nach dem, worin die Gründe für die Zahlungsunfähigkeit gesehen werden,
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scheint auch der Umgang mit dem Zahlungsproblem zu wechseln: Im Restrukturierungsmodus überwiegt die Zurechnung des Versäumnisses auf externe Ursachen, im Sanktionsmodus die Zurechnung auf interne Ursachen. Der Strom ist ausgefallen, ich konnte nicht nähen In den Verhandlungen über Teilzahlungen und neue Termine wird vor allem die Zahlungsunfähigkeit extern attribuiert, was heißt, das Zahlungsproblem auf Gegebenheiten in der Umwelt zuzurechnen: Zusammenfassungen aus dem Forschungstagebuch: „Die schwierige Marktlage oder die schlechte technische Infrastruktur (Stromausfall beim Schneider) werden in den Verhandlungen als Gründe für die Zahlungsschwierigkeit angeführt, nicht etwa eigene Misswirtschaft oder absichtliches Fremdverwenden des Kredits.“ „In einem anderen Fall verweist eine Klientin, die einen besseren Imbiss an einem Fluss betreibt, in einer Diskussion darauf, dass seit einem Fährunfall ihr die Kunden fernblieben, weil sie nun die Überquerung des Flusses scheuen.“ In dem Maße, wie diesen Attributionen in den Diskussionen und Verhandlungen Gültigkeit attestiert wird, scheinen sie als wichtige Komponente für den angepassten Umgang mit dem akuten Rückzahlungsproblem zu fungieren. Denn sie erlauben es, zu den Zahlungsforderungen eine Gegenposition oder besser gesagt eine Ablenkposition aufzubauen, die die in den Raum gestellte Erwartung der Zahlung mit nicht beeinflussbaren Fakten in der Umwelt konfrontiert. Ich konnte nicht nähen, denn der Strom ist ausgefallen – wenn der Loan Officer darauf anspringt, muss er seine Zahlungsforderung zurückstellen, wenn er ihr nicht in anderer Form Nachdruck verleihen möchte. Gleichzeitig schließen diese externen Zurechnungen aber auch nicht unbedingt die Möglichkeit aus, dass sich die Lage ändert, dass man bald wieder störungsfrei Arbeiten kann, dass sich der Markt bald erholt, dass das Fährunglück in Vergessenheit gerät oder Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden. Diese Kombination der Umweltablenkung von Zahlungsforderungen mit der Möglichkeit einer künftigen Besserung der Umweltlage von Attributionen legt es nahe, die Erwartung der Rückzahlung zumindest in der gegenwärtigen Situation aufzugeben, gerade weil sie für Besuche in der Zukunft nicht aufgegeben werden muss. Damit sind externe Attributionen in der Lage, die Bedingungen der Anpassung in den verschiedenen Sinndimensionen auf einen einfachen Nenner hin zu bündeln. Sie verweisen auf den Sachverhalt
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der Zahlungsunfähigkeit (etwa wegen Stromausfall), regen zur Diskussion an (weil es schwierig ist, das Problem des Stromausfalls zu ignorieren) und schließen die Möglichkeit einer Zahlung zu einem anderen Termin nicht aus sondern mit ein (wenn der Strom wieder läuft). Eine genauere Analyse der Attributionen der Zahlungsunfähigkeit sollte prüfen, welcher Typ von Umweltereignis sich besonders hinsichtlich dieser Kombination von Umweltverweis und Umweltänderung bewährt (und welcher Aspekt eventuell eine wichtigere Rolle spielt). Eine naheliegende Vermutung dazu wäre, dass zugerechnete Umweltereignisse, von denen ausgegangen werden kann, dass sie einerseits erst kürzlich und überraschend aufgetreten sind und andererseits keine langfristige Wirkung haben oder schnell zu verarbeiten sind, die besten Chancen haben, die Zahlungserwartung auf Zahlungsunfähigkeit hin anzupassen. Denn sie können am ehesten Fremdverschulden ausschließen ohne unbedingt gleichzeitig Zahlungsschwierigkeiten auch in der Zukunft annehmen zu müssen. You owe me, don’t give me stories, give me money Doch nicht immer werden externen Ursachenerklärungen Glaubwürdigkeit geschenkt oder Relevanz zugesprochen. Stattdessen können die Klientinnen auch selbst für die Zahlungsprobleme verantwortlich gemacht werden, was Folgen für den Umgang mit Zahlungsversäumnis hat. Zusammenfassungen aus dem Forschungstagebuch: „Viele Klientinnen würden den ‘bad market’ als Grund für ihre Zahlungsunfähigkeit nennen, so ein Loan Officer am Rande eines Besuchs einer zahlungssäumigen Klientin, bei dem es zu harscheren Worten und zu einer größeren Teilzahlung kommt. Am Ende eines Kreditzirkels würden dieselben dann von einer ‘good season’ sprechen, wohl weil es dann um die Beantragung eines Folgekredits ginge. Beim Besuch eines Ananasbauern akzeptiert die Loan Officerin keinerlei Erklärungen mehr. ‘You owe me, don’t give me stories, give me money’ begegnet sie einem Zahlungssäumigen.“ Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch: „Ein weiterer Zahlungssäumiger, den wir antreffen, hat seinen Arm in einem Verband. Kaum dass Christina und der Zahlungssäumige das Reden anfangen, sagt Christina scharf: ‘Your hand is not an excuse’ ‘because you haven’t paid anything’. Zahlungssäumiger: ‘I have no money’. Christina: ‘Everyday you give me excuses. Give me the money and let us go. Otherwise I take you to the Office’. Nur kurze Diskussion, dann schon geht der Zahlungssäumige mit.“
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Während einerseits also externe Ursachenerklärungen eine Anpassung der Zahlungserwartung bedingen, weil sie die Aufmerksamkeit auf nichtänderbare Umweltfaktoren lenken und dadurch zur Diskussion und zu Verschiebungen von Zahlungen anregen, können solche Erklärungen andererseits offensichtlich auch dekonstruiert werden – ‘You owe me, don’t give me stories, give me money’. Sie werden dann als bloße Entschuldigungen (‘Your hand is not an excuse’) und Geschichten (stories) abgetan und von Befehlen sofortiger Zahlungen verdrängt. Entsprechend wird das Zahlungsversäumnis tendenziell über den Modus des Sanktionierens behandelt. Dass die Unterscheidung von Selbst- und Fremdverschulden strukturgebend für die Umgangsform mit dem Zahlungsversäumnis ist, geht auch aus Gesprächen mit einem Recovery Officer hervor: “So when we come to conclusion and we have the relevant answers we know how we are going to deal with that client. For instance, if the client has invested the money but […] people are not coming to buy, then you know that it’s not a deliberate attempt that the money is stacked up in goods. But if he gets things running he can come and pay. So with that client, even though you talk to him or her, you exercise patience a lot, but when you realize that for one client he didn’t use the money to invest into the business, but rather he used it for household activities and other things then you have to be very wild, […] put much pressure for the person to get you the money. So those are the steps in handling, so we handle the clients individually because we don’t have standard process or procedure in handling all clients but depending on the situation available […].” Ist die Annahme evident, dass der Schuldner den Kredit investiert hat, und nicht zahlen kann, weil die Nachfrage gering ist, bleibt man geduldig. Denn dann ist nicht von einem absichtlichen Versäumnis auszugehen. Hat man jedoch den Eindruck, dass das Geld für Konsum verwendet wurde, wird man wild und fordert die Rückzahlung vehement ein. Oh officer, I didnʼt get all, so this is what I had Die Frage der Zurechnung scheint also erheblich für die Entscheidung zum Restrukturieren oder Sanktionieren zu dienen. Doch wie, so fragen wir weiter, kommt es dann zu einer internen oder externen Zurechnung? Wann wird den Erklärungen Glauben geschenkt und wann nicht?
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Eine erste Teilantwort auf diese Frage nach den Bedingungen der Art der Zurechnung lässt sich finden, wenn man die internen Wechselbedingungen des Anpassungsmodus betrachtet. Unsere Annahme war, dass externes Attribuieren deswegen als wichtige Strukturkomponente für den Anpassungsmodus fungiert, weil sie dessen Bedingungen in den verschiedenen Sinndimensionen auf einen einfachen Nenner hin bündeln. Sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit dafür, dass Teilzahlungen und neue Termine ausgehandelt werden, indem sie auf Umweltfakten der Zahlungsunfähigkeit verweisen. Gleichzeitig scheinen sich aber die Glaubwürdigkeit und Gültigkeit externer Ursachenerklärungen erst durch kooperatives Verhalten, Teilzahlungen und Termineinhaltungen zu bedingen, wie die folgende Erklärung eines Loan Officer nahelegt: “So genuinely if somebody has a problem, the person will even confide in you before the group… the day is due […] and the person intentionally doesn’t want to pay, the person will not come for group meeting. […] The meeting day you hear that the person has travelled. It means that he or she doesn’t want to pay, that is why she has travelled. But genuinely, if the client is not having the money she will come to the group meeting and tell the loan officer that, ‘Officer, because of this problem or because trading wasn’t well this week I couldn’t get all’, you understand. The client will not come and say that ‘I didn’t get the money’. Maybe she is supposed to pay 10 EUR she will tell me ‘Oh officer, I didn’t get all, so this is what I had’, then I will tell the group members that at least she has had something to add, but intentionally if the person wants to default, the person will not come for meeting, you understand.” Demnach scheint die Plausibilität von Fremdverschulden wiederum davon abzuhängen, ob man durch Anwesenheit am Zahlungsort zum festgelegten Termin und Erklärung der eigenen Lage Kooperationsverhalten zeigt oder nicht. Zudem kann die eigene Glaubwürdigkeit durch eine Teilzahlung untermauert werden (‘Oh officer, I didn’t get all, so this is what I had’). Dagegen wird das Verhalten der Zahlungssäumigen als unkooprativ verstanden, wenn sie abwesend bleibt und den Zahlungstermin selbst ohne eine Teilzahlung verstreichen lässt. Wäre es nicht ihre Absicht, nicht zu zahlen, hätte sie keinen Grund dem Treffen fern zu bleiben, sondern würde vielmehr beim Treffen das Problem mit dem Loan Officer besprechen, dies scheint zumindest die Attributionslogik des Loan Officer zu sein. Das externe Attribuieren einerseits und die verschiedenen Sinnformen, das Kooperieren, das Teilzahlen und die Einhaltung verschobener Termine anderer-
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seits scheinen sich demnach wechselseitig zu bedingen. Entsprechend liegt die Annahme nahe, dass die Zurechnung auf Selbstverschulden und damit der Sanktionsmodus wahrscheinlich wird, wenn an vereinbarten Terminen noch nicht einmal Teilzahlungen stattfinden. Die Unterscheidung von externen oder internen Ursachen geht also nicht den Umgangsformen mit dem Zahlungsproblem voraus, sondern hängt immer auch selbst von ihnen ab und kann deswegen als konstruktive Zuschreibung beobachtet werden. Darin, in diesen internen Wechselwirkungen zwischen Sinnformen und Zuschreibung, kann die Selbstbedingtheit der beiden Modi gesehen werden. The months June, July is a lean season, business is not booming, you need not to bother them much Freilich kann sich die Form des Umgangs mit dem Zahlungsversäumnis nicht gänzlich selbst bedingen. Dies hieße ja, dass die Behandlung des Zahlungsproblems nach Gutdünken geschähe. Die empirischen Beobachtungen verweisen denn auch darauf, dass neben der Selbstbedingtheit auch externe Bedingungen für die die Restrukturierung der Rückzahlung eine Rolle spielen. Dazu ein Loan Officer: “[T]he month June, July is a lean season […]. Trading is not all that well, you understand, so genuinely at the time the client will complain and you have to know that business is not booming, you need not to bother them much.” Ähnlich ein Gruppenmitglied: “Some of the months too it is not good. From June, July, August, September […] things are hard // I: Why? // Oh, that time is the rain season, then the business is not fine from November, December, January, then Christmas time things go smoothly.” Hier wird die scheinbar allseits bekannte Saisonabhängigkeit des Handels als externe Bedingung dafür angeführt, ob der Zahlungssäumigen Glaubwürdigkeit unterstellt wird oder nicht. Ebenso verweist ein anderer Loan Officer auf die allgemeine Saisonabhängigkeit verschiedener Kleinstunternehmungen, die in der Regel an Kleinkredite nachfragen, und wie dann nur noch Hoffen und Beten hilft, um mit den daraus resultierenden Rückzahlungsproblemen umzugehen: “In microfinance, we don’t involve monthly workers. Most of them are this traders, fishermen, market women and fish mongers and some few farmers among them. So it’s just among these people and since their work is sea-
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sonal, when they don’t buy, when they don’t sell, they find it very difficult to pay, yeah! But we are praying and hoping as we go to them all the time […].” Nach diesen empirischen Beobachtungen scheint die Art der Ursachenerklärungen nicht nur aus den Modi selbst zu resultieren, sondern auch von Umweltbedingungen abzuhängen, auf die sie sich beziehen. Laut den Erzählungen spielt dabei die Unterscheidung des Jahres hinsichtlich Regen- und Nachregenzeit eine entscheidende Rolle. Die Regenzeit wird gemeinhin als eine Zeit anerkannt zu sein, in der die Geschäfte unabhängig von eigener Tüchtigkeit schlecht laufen, weil beobachtet werden kann, wie potentielle Kunden vermehrt zu Hause bleiben und die Produktion eingeschränkt wird. Diese Kausalattribution mag dabei deswegen eine so hohe Überzeugungskraft haben, weil Dauerregen als angeführte Wurzel allen Übels, vor allem im Kontrast zur Trockenzeit, nur schlecht bestritten werden kann. Weiter erhält sie ihre Plausibilität vermutlich durch ihren Kontrast zur Erfahrbarkeit einer florierenden Wirtschaft in der Zeit danach, die in der Vorweihnachtszeit in steigendem Konsum mündet. Und nicht zuletzt mag der Unterscheidung der Regenzeit deswegen solch eine hohe Relevanz im Umgang mit dem Zahlungsversprechen zugesprochen werden, weil sie nahezu das gesamte soziale Leben beeinflusst. Auch der Loan Officer selbst wird bei seinen Ausfahrten nass und bleibt wohl in seiner freien Zeit lieber zu Hause als sich dem Regen auszusetzen. Man mag dann eher Verständnis für die Probleme anderer aufbringen, wenn man von deren Ursachen selbst betroffen ist. Kontrastierbarkeit der Ursache und der Wirkung sowie allgemein gesellschaftliche und eigene Betroffenheit tragen also vermutlich dazu bei, dass sich die Kausalattribution, dass Regenzeit unverschuldete Zahlungsschwierigkeiten erzeugt, gegenüber anderen möglichen Erklärungen durchsetzen kann. Die Umweltunterscheidung von Regenzeit und Nachregenzeit fungiert somit als entscheidende externe Aufhängung für die Frage, ob das Rückzahlungsproblem als selbst- oder fremdverschuldet angesehen wird und daran anschließend, ob man in den Forderungen an die Zahlungssäumige nachgibt oder versucht, sie durchzusetzen. Neben diesen recht generellen Anhaltspunkt der Jahreszeit für den Umgang mit dem Zahlungsproblems gibt es aber auch empirische Hinweise für spezifisch individuelle Anhaltspunkte. So antwortet ein Loan Officer auf die Frage, wie mit Rückzahlungsproblemen umgegangen wird, folgendermaßen: “Task force, task force and then sometimes the client do not have the money to give. They do not, sometimes it’s not intentional that they fail to make payments, sometimes genuinely. //
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Genuinely? // Genuinely, they do not have the money to give. // I: So how do you know? // [silence 3secs]. I don’t know how, I think it’s just sometime your instincts, your mind will just tell you that. You just see the condition of the client and you know that the money is not there to give. But you just go on convincing, persuading and all that, but deep down you know that it’s not there. But you just give them pieces of advice, just hold on, crade a little and: ‘Give me your own terms to which you would want to pay the money’. Because definitely if I have to go for repayment today I want to take my money. But then you go and the client doesn’t have the money to give, persuade them small, […] ‘When can you make the payment? How many months, how many months do you want me to spread, how many days, how many weeks?’ So that if you owing to the time of 100 EUR, tell him 100 EUR, ‘Please allow me to give you 5 EUR each week’. Sometimes they can come out with something like that and then knowing the condition of the client you can agree. So each week you go and take 5 EUR, 5 EUR, 5 EUR and then the default amount is paid at the end of the day.” Und ein auf Provision arbeitender Debt Collector erzählt dazu: “Several of those cases, you see that they have nothing, no hope elsewhere but we try to pursue them frequently and see if we can get some token out of your money. Some of them, you see them, as soon as you see them, you realize that no this people nothing they can ehh have, nothing to offer. Some of them, as soon as they took the loan from the bank, accident some of them, you know problems. Some of them they were defrauded, stealing cases. You see them and maybe their health conditions too are not too good, so you give them some grace time and you go round, round, round. One day we will go back to them. That is how we do it.” Demnach scheint auch die beobachtbare individuelle Lage der Zahlungssäumigen einen Unterschied für die Kausalzurechnung des Zahlungsversäumnisses auszumachen. Krankheit und Diebstahl werden dabei typischerweise als Markierungen für unverschuldete Problemlagen akzeptiert, was die Gewährleistung einer “grace time” zur Folge hat. Andere Markierungen unverschuldeter Zahlungsunfähigkeit bleiben dagegen diffus, ihre Unterscheidung kann nicht reflektiert sondern nur intuitiv gezogen werden kann. Sie wüsste nicht wieso, aber “deep down” sei ihr die schwierige Situation bewusst, so die Loan Officerin, und auch hier liegt eine Problemlösung darin, die Zahlungsforderungen aufzuweichen.
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Externe Ursachenerklärungen hängen neben ihrer internen Bedingtheit von Kooperationsbereitschaft, Teilzahlungen und Einhaltung verschobener Termine, also auch von negativen Bedingungen in der Umwelt ab, die sich grob nach generellen (Regenzeit) und individuell spezifischen Unterscheidungen (Krankheit, Diebstahl) sortieren lassen. Dagegen geben die empirischen Beobachtungen kein Indiz dafür, dass andersherum die Zurechnung auf Selbstverschulden von entsprechend besonders günstigen Umweltbedingungen abhängt. Das ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Kredite unter positiver Einschätzung der Faktoren der Rückzahlbarkeit vergeben wurden (vgl. dazu Kapitel V, 2.4). Im Falle von Rückzahlungsproblemen muss man sich dann auf negative Änderungen dieser Faktoren beziehen, wenn die Zahlungserwartung der Problemlage angepasst werden soll. Zur Durchsetzung der ursprünglichen Erwartung werden mögliche vorgetragene Negativfaktoren zu verneint, anstatt unbedingt sich auf verbesserte Bedingungen, wie etwa besonders gutes Wetter oder Gesundheit, berufen zu müssen. Die Annahme von Selbstverschulden heißt ja gerade, dass Fremdbedingungen ausgeschlossen werden. Dieses Verneinen von negativen Umweltbedingungen geschieht, wie angesprochen, dadurch, dass entsprechende Erklärungen einfach als stories und bloße Entschuldigungen abgetan werden. In diesem Fall wird ihnen Nicht-Faktizität unterstellt, und den alleinigen Grund ihres Anführens darin gesehen, die Rückzahlung weiter hinauszuzögern. Die als unabwendbar erklärte Nicht-Rückzahlung wird so in eine mögliche oder gar notwendige Rückzahlung transformiert. Verstärkt und plausibilisiert wird solch eine Negation externer Ursachenerklärungen dadurch, dass diesen Erklärungen andere Möglichkeiten der Rückzahlung gegenüber gestellt werden: Zusammenfassung aus dem Forschungstagebuch: „Der Loan Officer erklärt zwar, dass die Zahlungssäumige bestohlen wurde, fügt aber hinzu, dass sie sich aber besonders hätte anstrengen können, um ihren Verlust zu kompensieren; sie sei deswegen ein ‘special case’.“ Damit verweist der Loan Officer auf Zahlungsmöglichkeiten, die sich durch größere Anstrengungen des Schuldners ergeben. Was genau hier mit größeren Anstrengungen gemeint ist, bleibt unklar; zu denken wäre an härteres Arbeiten, Einsparungen an anderer Stelle oder um Hilfegesuche bei Verwandten und Freunden. Eine andere Möglichkeit, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu verneinen, besteht darin, auf andere Einnahmequellen des Schuldners zu verweisen.
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Zusammenfassung aus dem Forschungstagebuch: „Bei ihrem Besuch der Ananasbauern erklärt mir Christina in einem kurzen Nebengespräch, dass die Bauern hier Ernteeinbußen hatten, aber dass sie auch andere Geschäfte am Laufen hätten, und so zahlungsfähig seien. Einige hätten ‘genuine problems’, aber nicht hier. Auf dem Weg zum nächsten Zahlungssäumigen erzählt Christina über diesen: seine ‘actions are deliberately’, er sei recht schwierig, er erzähle immer nur stories, dass er kein Essen hätte, etc.; er hätte aber eine Mühle und verdiene neben dem Fischen damit Geld.“ Betreiben anderer Geschäfte (hier: Mühlenbetrieb und Fischen) wird also als spezifischer Möglichkeitsbereich gesehen, um die Zahlungsfähigkeit zu regenerieren. Dass Zahlungsversäumnisse auch durch Kollateral ausgeglichen werden können, berichtet ein Schuldner: “In the initial stages they [die Loan Officer, JS] asked us to bring collateral and we obliged so we pay the money so that they will not take over our properties. They threaten us that they would sell the properties if we should default and these are the only properties that we have.” Genau in dieser Hinsicht wird auch ein zahlungssäumiger Ananasbauer vom Loan Officer mit lauter Stimme bedroht: Zusammenfassung aus dem Forschungstagebuch: “‘If I had a lorry, I would have taken your pigs along’. Die anschließende Drohung, ihn zur Zweigstelle mitzunehmen, wenn er nicht zahlt, wird dann doch nicht durchgeführt. Ihm wird aber mit scharfer Stimme befohlen, ein Schwein, wenn nötig auch zwei zu verkaufen.“ Schließlich besteht die Möglichkeit, auf Einsparungen hinsichtlich anderer Bedürfnisse zu verweisen: Zusammenfassung aus dem Forschungstagebuch: “‘You ate, you wash yourself, so you have money’. Und weiter: ‘When your child is ill, you bring it to the hospital. So you have money. Give it to me. […] You are not serious’.” Allgemein größere Anstrengungen (insbesondere vermutlich hinsichtlich Arbeit), Einnahmen aus anderen Geschäften, Kollateral und Bedürfnisverzicht werden also als Möglichkeiten in Betracht gezogen, um trotz schlechter Um-
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weltbedingungen die Rückzahlung zu gewährleisten. Auch wenn die Ernte schlecht war, hätte man ja immer noch die Einnahmen der Getreidemühle, ein Schwein verkaufen können, sich einfach mehr anstrengen können oder eben den Gürtel noch enger schnallen können, um den Kredit zurückzuzahlen. Die erklärten Umweltursachen für die Nicht-Rückzahlbarkeit werden negiert, indem sie nicht nur als stories abgetan werden, sondern indem ihnen zudem andere Möglichkeiten der Zahlungsgenerierung entgegengesetzt werden. Bedingung dieses Verweises auf die ausnutzbare Kontingenz der Zahlungsgenerierung ist, dass auf Möglichkeiten verwiesen wird, die nicht durch die angeführten Umweltbedingungen betroffen sind. Um etwa das Argument von Krankheit zu entkräften, ist die Forderung des Verkaufs von Eigentum geeigneter als die des härteren Arbeitens. Mit diesem Verweisen auf Eigentum und Arbeit, Geschäftsprofite und Bedürfnisse wird die Sachdimension für die mögliche Zahlungsfähigkeit angesprochen. Denn hierbei geht es immer um Gegenstandsaspekte des Wirtschaftens, auf deren Kontingenzen für die Gewährleistung der Zahlungsfähigkeit verwiesen wird: Eigentum kann verkauft und Arbeit härter verrichtet werden, Profit kann auch mit anderen Geschäften erzielt und auf andere Bedürfnisse verzichtet werden. Dagegen wird, wie wir später noch sehen werden, die Kontingenz der Sozialdimension, also wer der Zahlungssäumigen finanziell aushelfen könnte, erst im Falle der Durchführung von Sanktionen relevant. Jedoch spielen Möglichkeiten, die sich aus der Zeitdimension heraus ergeben, für die Verneinung externer Zurechnungen und damit für die Aufrechterhaltung der Zahlungserwartung eine wichtige Rolle. So schreit ein Loan Officer einen Zahlungssäumigen an [Ausschnitte aus dem Forschungstagebuch]: „You had ‘two years’ ‘two years’. ‘Today is judgement day’. It doesn’t matter what you say. ‘What did you do about it?’ ‘I followed you’. ‘I chased you several times, I didn’t meet you’.” Die Zeit kann trotz schwieriger Umweltbedingungen Spielraum bieten, um seine Zahlungsfähigkeit zu regenerieren. Man kann sie nutzen, um auf unvorhergesehene Umweltereignisse adäquat zu reagieren, indem man fortan härter arbeitet, sich in anderen Geschäften engagiert oder sparsamer lebt. Die Möglichkeiten der Zahlungsgenerierung in zeitlicher Hinsicht und die in sachlicher Hinsicht bedingen sich damit wechselseitig. Nicht zuletzt ermöglicht die Zeit es auch, schwierige Umweltbedingungen durchzustehen und auf bessere Zeiten zu warten, in denen das Wirtschaften besser läuft. Entsprechend kann sie im Umgang mit Zahlungsversäumnissen als Argument dafür herangezogen werden – natürlich unter
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der Voraussetzung, dass sie auch vergangen ist –, dass die Rückzahlung durchaus erwartbar ist und dass die Ursachenerklärungen nur stories sind. Wie kommt es eigentlich dazu, dass der Loan Officer dem Schuldner seine Begründungen nicht abnimmt oder sie durch das Anführen von anderen Möglichkeiten der Zahlungsregeneration entkräftet, d.h. also ihm Selbstverschulden unterstellt? Die Frage drängt sich gerade deswegen auf, weil dieses Nichtakzeptieren externer Gründe, wie oben angemerkt, ohne die Annahme besonders günstiger Umweltbedingungen auskommt. Dass dem Zahlungssäumigen Selbstverschulden unterstellt werden kann, liegt an der Selbstreferenz des Kredits. Kredite sind Zahlungsversprechen (vgl. Kapitel I, 2.). Die Frage, ob das Versprechen durch Rückzahlung des Kredits eingehalten werden kann oder nicht, verweist auf das sich selbstgestellte Problem von Zahlungsversprechen. Zahlungsversprechen kommen nicht ohnehin, ihr Nichtzustandekommen als Möglichkeit mit in Betracht zu ziehen. Gerade in diesem zu kalkulierendem Risiko der Einhaltung des Zahlungsversprechens liegt ihr eigentümlicher Sinn. Die Einhaltung des Versprechens bzw. die Verarbeitung des Risikos gilt dabei jedoch als Präferenzwert, wobei die Nichteinhaltung nie ausgeschlossen werden kann und deswegen immer mit zu reflektiert ist. Dieser Aspekt der Selbstreferenz des Kredits, das selbstgestellte Problem der Einhaltbarkeit beziehungsweise des Risikos des Zahlungsversprechens, führt nun dazu, dass Fremdverschulden bei der Klärung des Zahlungsversäumnisses ausgeschlossen werden, dagegen aber Selbstverschulden unterstellt werden kann. Man hätte ursprünglich erst gar kein Geld verliehen, wenn es nicht erwartbar gewesen wäre, dass es nicht auch zurückgezahlt werden könnte, was dann eben auch bedeutet, auf die Erfüllung dieser Erwartung trotz gegenteiliger Signale nun bestehen zu können. Insofern sichert die Selbstreferenz des Kredits gegen mögliche Umweltzurechnungen der Nichteinhaltung des Zahlungsversprechens ab, indem sie daran erinnert, dass das Zahlungsversprechen trotz oder gerade wegen des Risikos ihres Nichtzustandekommens eingegangen wurde. Gleichzeitig verweist die Selbstreferenz des Kredits auf die selbst geschaffenen Möglichkeiten der Einhaltung des Versprechens, also auf die Zahlungsregenerierung. Denn wem für einen bestimmten Zeitraum Geld geliehen wird, der verfügt über die Möglichkeit zu investieren, um nach Ablauf der Kreditzeit das Geld zurückzuzahlen – vor allem wenn die Risiken entsprechend kalkuliert wurden. Diese Selbstbedingtheit von Zahlungsversprechen forciert, dass Möglichkeiten der Zahlungsregenerierungen sich nicht nur nach der Kreditauszahlung ergeben, sondern im Falle des Zahlungsversäumnisses auch dort beobachtbar werden, wo vorher keine gesehen wurden. Neben der Sachdimension (härteres Arbeiten, Eigentumsverkauf, Profite anderer Geschäfte, Bedürfnisverzicht) kann für das Verweisen
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auf Möglichkeiten der Zahlungsregeneration auch die überschrittene Zeit herangezogen werden. Die Selbstreferenz des Kredits wird dabei umso sichtbarer, je stärker die angeführten Möglichkeiten der Zahlbarkeit andere Vorkommnisse in der Umwelt beschränken. So können im Extremfall Zahlungsmöglichkeiten angesprochen werden, die die Existenz der Klientinnen selbst bedrohen: „You eat und wash yourself, so you have money, give me your money”. Die Frage des Umgangs mit Zahlungsversäumnissen scheint also entscheidend von der Einschätzung abzuhängen, wie es zu den Zahlungsschwierigkeiten gekommen ist. Werden die Schwierigkeiten auf Ursachen in der Umwelt zugerechnet, was Fremdverschulden impliziert, wird eine Anpassung der Zahlungsforderungen an diese Bedingungen wahrscheinlich. Wird hingegen solch eine externe Attribution abgelehnt, was Selbstverschulden impliziert, wird tendenziell versucht, die Zahlungsforderung durchzusetzen. Ob der externen Ursachenerklärung Glauben geschenkt wird oder nicht, hängt wiederum von verschiedenen Bedingungen ab. Als Umweltbedingungen für eine externe Attribution lassen sich generell die Regenzeit und individuell spezifisch Krankheit und Diebstahl beobachten. Daneben scheint es aber auch interne Bedingungen für die Plausibilität von Fremdverschulden zu geben, die in der Interaktion des Loan Officer mit dem Zahlungssäumigen selbst zu finden sind, wie Kooperationsbereitschaft, Teilzahlungen und die Einhaltung verschobener Termine als jeweilige Positionen in den verschiedenen Sinndimensionen des Anpassungsmodus. Dagegen setzt sich die Annahme von Selbstverschulden durch, wenn erklärtes Fremdverschulden entweder selbst als bloße story und durch das Entgegensetzen von anderen Möglichkeiten der Zahlungsregeneration negiert wird. Dabei scheinen besonders günstige Umweltbedingungen, die eine Rückzahlung wahrscheinlicher werden ließen, keine Rolle zu spielen. Die Bedingung für das Attribuieren auf Selbstverschulden mag vielmehr in der Selbstreferenz des Kredits liegen. Wird ein Kredit vergeben, wird zunächst auch mit dessen Rückzahlung gerechnet, ganz unabhängig von möglichen Gründen der Zahlungsunfähigkeit. Die Annahme von Selbstverschulden führt also tendenziell zu einem sanktionierenden, und die Annahme von Fremdverschulden zu einem sich anpassenden Risikoumgang. Ganz unabhängig von dieser Ursachenerklärung liegt aber der Fokus immer auf der Rückzahlung des Kredits, der droht auszufallen. In der Konditionierung der Rückzahlung liegt der gemeinsame Sinn beider Formen des akuten Risikoumgangs, selbst der Todesfall der Klientin lässt hier keine Ausnahme zu. Die Attribution der Zahlungsschwierigkeit dient lediglich zur Ent-
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scheidung der Frage, über welchen Modus dieses Problem bearbeitet werden soll.25
3. I NKLUSION VON D RITTEN
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Das Anführen und Einschätzen von Gründen für die Schwierigkeiten der Rückzahlung des Kredits kann also Handlungsorientierungen in solchen Situationen bieten, in denen mit einer Rückzahlung vergeblich gerechnet wird. Denn es gibt nun die Option, die Zahlungserwartung an die finanzielle Lage der Klientin anzupassen, oder, falls den Gründen nicht Glauben geschenkt wird, sie durch Androhen von Sanktionen durchzusetzen. Ein weiterer Gesichtspunkt des Umgangs mit dem Zahlungsversäumnis, der sich ebenfalls nach dieser Unterscheidung der Modi von Anpassung und Sanktionierung richtet, bezieht sich auf die Inklusion von Dritten. In die Interaktion des Loan Officer mit der Zahlungssäumigen werden im Zuge der Erörterung der Frage, ob, wann und wie viel denn gezahlt werden kann, weitere Personen mit einbezogen. Wie die empirischen Beobachtungen nahelegen, kann je nach dem, wie mit dem Zahlungsversäumnis umgegangen wird, diese Inklusion Dritter auf Seiten des Loan Officer oder auf Seiten der Zahlungssäumigen geschehen. 3.1 Inklusion weiterer Schuldner Somebody is owing us 20 EUR, which I will collect Auf Seiten der Zahlungssäumigen werden in die Interaktion Dritte als weitere Schuldner eingeführt:
25 Damit wird deutlich, dass auch in der Kleinkreditvergabe (zumindest in unsererm Fall), wie im formalen Bankensektor, das Problem der Risikoverarbeitung unter keinen Umständen unterlaufen wird. Es scheint keine Entschuldigungen zu geben, die es rechtfertigen, andere Prioritäten als das Risikoproblem zu setzten, eben auch nicht vermeintliche Prioritäten, die auf Menschlichkeit und damit einer allgemeinen Moralvorstellung folgen. Auch und gerade wenn die Vermutung zutreffen sollte, dass bei der Kleinkreditvergabe ebenso der Fokus auf Inklusion ansonsten finanziell Exkludierter eine entscheidende Rolle spielt, scheint das Befolgen dieses wirtschaftlichen Rationals eine inhärente Bedingung des Funktionierens der Kleinkreditvergabe zu sein.
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Zusammenfassung aus dem Forschungstagebuch: „Der zahlungssäumige Schneider erklärt dem fordernden Loan Officer, dass einige seiner Kunden selbst noch nicht gezahlt hätten. Ohne Erfolg schickt der zahlungssäumige Bootsbauer angesichts der Forderungen des Loan Officer und einiger Recovery Officer seinen Lehrling zum künftigen Käufer eines seiner Boote, um ihn um eine Vorauszahlung zu bitten. Und die Frau eines zahlungssäumigen Ananasbauern erklärt der Loan Officerin, dass ihnen jemand noch 20 EUR schulden würde, und schlägt vor, es zu holen und es dann abends bei der Zweigstelle vorbeizubringen: ‘I will come to office this evening and pay. Somebody is owing us 20 EUR, which I will collect.’“ In diesen Beispielen, und weitere ließen sich nennen, zeigt sich, dass die Erwartung der Rückzahlung, die in der Situation nicht erfüllt werden kann, mit einer Erwartung einer Zahlung eines Dritten (eigene Kunden, informelle Schuldner) begegnet wird. Wie beim externen Zurechnen des Zahlungsverzugs scheint auch hierbei die Funktion darin zu liegen, die Erwartung der Rückzahlung zumindest in der Situation aufgeben und an die erklärte finanzielle Situation der Klientin anpassen zu können. Denn man kann annehmen, dass die Klientin, sobald sie ihr selbst verliehenes Geld erhält, wieder zahlungsfähig ist. So muss die Rückzahlungsforderung nicht für immer, sondern lediglich für den heutigen Besuch aufgegeben werden und kann zu einem neuen Termin neu aufgebaut werden, was das situative Nachgeben erleichtert. Dabei fällt in den empirischen Beobachtungen auf, dass auf den schuldigen Dritten bloß lapidar verwiesen wird. Er selbst tritt nicht in Erscheinung, und die eigentlich nicht irrelevante Frage, zu welchem Termin er nun zahlt und damit die zahlungssäumige Klientin wiederum mit Zahlungsfähigkeit ausstattet, wird auch nicht eruiert. Die finanzielle Lage des genannten Dritten, so könnte man meinen, spielt eine Rolle in der Einschätzung der finanziellen Lage der Klientin, doch das Gegenteil ist der Fall. Der Sinn dieses Nichthinterfragens der Zahlungsfähigkeit des Dritten liegt vermutlich darin, die Unsicherheit der strapazierten Erwartungslage der Rückzahlung aufzufangen ohne dabei neue zu erzeugen. Ein Eruieren, ob und zu welchem Zeitpunkt der Dritte zahlungsfähig ist, würde das Problem, wie nun mit der strapazierten Erwartung der Rückzahlung umgegangen werden soll, nicht verringern, sondern nur auf den Dritten hin verschieben. Das Nichthinterfragen schützt dagegen die Erwartung, dass der Dritte die Klientin mit Zahlungsfähigkeit ausstattet, vor erneuter Unsicherheit, und damit auch die Erwartung, dass die Klientin zu einem absehbaren anderen Termin ihre Schuld beim Loan Officer begleicht. Das Verweisen auf einen schuldigen Dritten, mit anderen Worten, öffnet
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die Kontingenz der gegenwärtigen Rückzahlungsforderung in Bezug auf die Möglichkeit einer Terminverschiebung. Und das Nichthinterfragen der Zahlungsfähigkeit des Dritten beschränkt diese Kontingenz, indem durch ihn die Zahlungsfähigkeit der Klientin zu diesem Termin auch erwartbar wird.26 Damit vollzieht sich hier die Anpassung der Rückzahlung unter Ausnutzung von Kontingenzen in der Sozial- (der Dritte) und Zeitdimension (Terminverschiebung), wohingegen in sachlicher Hinsicht (die Zahlung) die Erwartung nicht angepasst werden muss. Die gegenwärtige Nicht-Rückzahlung wird durch den Verweis auf den Dritten in die Möglichkeit einer Rückzahlung zu einem künftigen Termin transformiert, was die Akzeptanz der Nicht-Rückzahlung in der Gegenwart selbst wahrscheinlicher werden lässt, eine Anpassung der Erwartungslage also nahelegt. Mit alldem fungiert der schuldige Dritte als ein Sündenbock und Heilsbringers zugleich. Er wird nicht in die Wüste gejagt, sondern trägt seine Schuld bereits fern ab mit sich herum, und die nichthinterfragte Erwartung seines Kommens ermöglicht es, in der Situation mit der ausstehenden Rückzahlung umgehen zu können, indem ihre Forderung auf einen anderen Termin verschoben wird. Verweisen auf dritte Schuldner dient dazu, die eigene Schuldlosigkeit zu betonen, indem auf andere Personen als externe Ursache für das Zahlungsversäumnis verwiesen wird. Wie andere Formen externer Zurechnung des Zahlungsversäumnisses können damit Gründe dafür geliefert werden, dass heute nicht gezahlt werden kann, und gleichzeitig bei geschickter Auslegung Ausblicke geben, dass bei einem künftigen Termin gezahlt werden kann. Die Situation, in der die Erwartung der Rückzahlung strapaziert wird, erhält dadurch Orientierungspunkte für das weitere Vorgehen. Es wäre völlig unklar, wie es weiter gehen soll, wenn es einfach bloß hieße, der Schneider kann nicht zurückzahlen. Indem aber auf den Stromausfall verwiesen wird und darauf, dass eigene Kunden demnächst noch zahlen werden, können eher Verhandlungen angeregt, die momentane Zahlungsunfähigkeit akzeptiert und die Rückzahlungserwartung auf einen neuen Zahlungstermin hin angepasst werden.
26 Diese Kontingenz lässt dann auch Spielraum für die Deutung, ob es sich bei dem angeführten schuldigen Dritten um ein nicht zu hinterfragendes Symbol der Zahlungsunfähigkeit der Klientin handelt, oder ob tatsächlich ein dritter Schuldner ihre Zahlungsfähigkeit wiederherstellen kann.
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3.2 Inklusion weiterer Gläubiger I donʼt listen to you, you have to listen to me Sowie jedoch bei Leibe nicht immer die Loan Officer den Geschichten über die Unschuld der Zahlungssäumigen Glauben schenken, so beruhigt es die Loan Officer auch nicht immer, dass angebliche dritte Schuldner bald ihre eigenen Schuldner mit Zahlungsfähigkeit ausstatten: Zusammenfassung aus dem Forschungstagebuch: „Nachdem der Lehrling des zahlungssäumigen Bootsbauers ohne Geld vom künftigen Käufer eines Bootes wiederkommt, kommt es zu einer größeren Diskussion über die Rückzahlung zwischen dem Loan Officer und dem Bootsbauer, bei der am Ende der Loan Officer in aufrechter Pose auf einem noch unfertigen Boot steht und in der Bootsbauer u.a. sich darüber beschwert, wie er in der Öffentlichkeit bloßgestellt wird.“ Zusammenfassung aus dem Forschungstagebuch: „Auf den Vorschlag der Frau des zahlungssäumigen Ananasbauern, 20 EUR eines eigenen Schuldners am Abend bei der Zweigstelle vorbeizubringen, wird gar nicht eingegangen. Stattdessen wird auf die auch zu zahlenden Zinsen verwiesen und eine versuchte Antwort des Zahlungssäumigen mit lauten Worten übergangen: ‘I don’t listen to you, you have to listen to me. You owe me, don’t give me stories, give me money.’ Bald darauf wird er mit zur Zweigstelle genommen.“ Offensichtlich können auch Versuche, schuldige Dritte einzuführen, um die Erwartung der Rückzahlung an die Aussicht der Schuldbegleichung eines Dritten anzupassen, wenn nicht explizit negiert, so doch zumindest übergangen werden. In diesem Fall ist die Tendenz auszumachen, die Erwartung der Rückzahlung mit Hilfe von Herabwürdigungen als Sanktionen, wie hier das Bloßstellen in der Öffentlichkeit oder die Mitnahme zur Zweigstelle, durchzusetzen. Der Modus des Sanktionierens, durch Befehle und herabwürdigende Drohungen die ausstehenden Gelder sofort einzutreiben, lässt sich scheinbar nicht darauf ein, das Problem in Bezug auf nichtanwesende weitere Schuldner erst einmal ruhen zu lassen, indem Zahlungsaufschub gewährt wird.
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You know me, sometimes you pretend not to know me Doch das persönliche Verhältnis des Schuldners zum Loan Officer kann im Falle von Herabwürdigungen und entsprechenden Drohungen auch am Zahlungsversäumnis zerbrechen anstatt den drohenden Kreditausfall zu stoppen. Denn die harschen und ausfallenden Zahlungsforderungen des Loan Officer in der hoch persönlichen Interaktion mit der Zahlungssäumigen können immer im Kontrast zum ehedem freundschaftlichen Umgang gesehen werden. Dieser Kontrast in der persönlichen Umgangsform kann zwar wie oben ausgeführt (siehe Kapitel VI, 2) gerade die Konditionierung der Rückzahlung durch herabwürdigende Handlungsweisen des Loan Officer verstärken. Die Rückzahlung wird wahrscheinlicher, weil eine Nicht-Rückzahlung das harmonische Verhältnis nachhaltig stören würde, und die Zahlungssäumige dafür verantwortlich gemacht werden kann, aber nicht verantwortlich gemacht werden möchte. Doch können diese Herabwürdigungen ebenso als schlechte persönliche Eigenschaft des Loan Officer gedeutet werden, anstatt als eine Aufkündigung des reziproken Verhältnisses durch die Zahlungssäumige. Nicht nur das Verhalten der Zahlungssäumigen (ihr Nichtzahlen), sondern auch das Verhalten des Loan Officer (seine Herabwürdigungen), kann als Enttäuschung der persönlichen Beziehung verstanden werden. Der Loan Officer kann dann als falscher Freund entlarvt werden, den man vielleicht gerade deswegen jetzt erst recht nichts geben möchte. In diesem Fall konditionieren die Herabwürdigungen nicht die Rückzahlung, sondern verstärken sogar die Nicht-Rückzahlung. Zusammenfassung aus dem Forschungstagebuch: „Lautstark fordert die Loan Officerin einen zahlungssäumigen Bauern der Kreditgruppe im Fischerdorf zum Verkauf seiner Schweine auf. ‘Don’t make them angry’, warnt der Secretary der Kreditgruppe daraufhin die Loan Offcerin, die er bei ihrem Besuch der verschiedenen Zahlungssäumigen seiner Gruppe im Fischerdorf begleitet.“ Zusammenfassung aus dem Forschungstagebuch: „Ein weiterer zahlungssäumiger Bauer erwidert den scharfen Worten des Loan Officer: ‘You know me, sometimes you pretend not to know me’, wo er ihr zuvor versuchte zu erklären, dass seine Frau demnächst mit Geld von ihrem Essensstand zurückkommen würde.“ Zusammenfassung aus dem Forschungstagebuch: „Und infolge der Zahlungsaufforderung des chairmanns der Kreditgruppe, einem Fischer,
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kommt es gar schlagartig zu einem lauten Streit mit angedeuteten Handgreiflichkeiten. Er ist nur kurz, dann zieht die Loan Officerin erfolglos von dannen.“ Der Grad, wonach auch das Verhalten des Loan Officer als persönlich enttäuschend verstanden werden kann, mag variieren. Es kann sich dabei etwa bloß um Warnungen Dritter handeln (‘Don’t make them angry’), um Verwunderungen immerhin des Zahlungssäumigen selber (‘You know me, sometimes you pretend not to know me’), oder gar um Konflikte, die bis hin zu angedeuteten Handgreiflichkeiten ausgetragen werden. Letztendlich geht es aber immer darum, dass die persönliche Enttäuschung über das Zahlungsversäumnis nicht unbedingt einseitig der Zahlungssäumigen zugeschrieben kann. Das persönliche Verhältnis fungiert, mit anderen Worten, als negatives Feedback auf das Zahlungsversäumnis zur Einstellung des Sollwertes der Rückzahlung, wenn das Zahlungsversäumnis und sein Umgang damit als persönliche Enttäuschung gedeutet wird, was der Zahlungssäumige lieber vermeiden wird und sich deswegen kooperativ zur Bewältigung des Zahlungsversäumnis verhält. Das persönliche Verhältnis kann aber ebenso als positives Feedback auf das Zahlungsversäumnisses fungieren, wenn in Bezug auf das Zahlungsversäumnis das Verhalten des Loan Officer als herabwürdigend und deswegen als persönlich enttäuschend gedeutet wird und entsprechend mit unkooperativem Verhalten in Bezug auf die Rückzahlung vergolten wird.27 In diesem Fall kommt es zu einer Enttäuschungsenttäuschung in der persönlichen Beziehung (bzw. zu negativer doppelten Kontingenz), bei der die Herabwürdigungen durch den Loan Officer sich aus den unkooperativen Verhalten der Zahlungssäumigen ergeben, die genau dadurch verstärkt werden. Damit ist zunächst geklärt, dass das Feedback des persönlichen Verhältnisses auf den Umgang mit dem Zahlungsverzug prinzipiell zwei Seiten haben kann. Welche Art von Feedback unter welchen Bedingungen sich durchsetzt, bleibt aber damit ungeklärt. Denn es bleibt vorerst offen, wann die persönliche Enttäuschung über das Zahlungsversäumnis bei dem Schuldner kooperatives Verhalten und wann sie unkooperatives Verhalten auslöst, weil der Loan Officer ihr mit Herabwürdigungen begegnet, die sich wiederum aus dem unkooperativen Verhalten ergeben. In der Möglichkeit, dass die persönliche Beziehung des Schuldners zum Loan Officer zerbricht ohne den drohenden Kreditausfall zu stoppen, liegt demnach das Risiko der (in welchen Maße auch immer strategischen) Anwendung persön27 vgl. für die Unterscheidung von positivem und negativem Feedback Maruyama (1963).
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licher Achtung und Missachtung in Bezug auf die Rückzahlung. Die Verarbeitung finanzieller Risiken durch die Moral persönlicher Beziehungen scheint es nicht ohne das Risiko der Moral zu geben, dass moralische Festlegungen, wie das Herabwürdigungen von Zahlungssäumigen, sich im sozialen Geschehen als nicht durchsetzbar erweisen. Die persönliche Beziehung zum Loan Officer birgt also selbst ein Risiko in sich. Kann mit diesem moralischen Risiko – als unvermeidliche Folge der moralischen Verarbeitung finanzieller Risiken – ein weiterer Umgang gefunden werden? So any time the loan officer goes he is used to the people, so because of that for the two of us, we are recovery, we are new here Eine Antwort auf diese Frage nach dem Umgang mit dem Risiko des Bruchs der persönlichen Beziehung und damit letztendlich mit dem Risiko des Kreditausfalls scheint darin zu liegen, wie sogenannte Recovery Officer in diesen Umgang mit einbezogen werden. Interessanterweise wird damit im Umgang mit dem Zahlungsversäumnis im Modus der Anpassung nicht nur auf weitere Schuldner als Dritte verwiesen werden, dessen Inklusion im Modus herabwürdigender Sanktionieren jedoch übergangen wird. Sondern mit den Recovery Officern können im Modus herabwürdigender Sanktionen ebenso weitere Dritte inkludiert werden – nun aber als weitere Gläubiger auf Seiten des Loan Officer. Jetzt fungiert der Dritte nicht mehr als Ausweis des Schuldners dafür, um auf seine unverschuldete Situation aufmerksam zu machen und daraufhin die Rückzahlung zu verschieben und zu stückeln. Sondern er dient nun vielmehr dazu, auf Seiten des Gläubigers die Rückzahlung zu forcieren. Der Dritte wechselt die Seiten: Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch: „Gabriella, die Loan Officerin, redet zuerst auf die Frau ein, sie spricht auf Stammessprache, sie redet nicht laut, klingt aber harsch. Schon bald übernimmt Dave, der Recovery Officer, das Wort. Die Rede ist recht kurz. Gabriella dreht sich um, steht nun mit dem Rücken zur Frau, verschränkt ihre Arme. Die junge Frau sagt nur wenig, bleibt dabei zurückhaltend in ihrer Stimme.“ Bei Gelegenheit erklärt Dave der Recovery Officer seine allgemeine Arbeit wie folgt: “Basically what I do is I assist the loan officer in going to their communities […] to their clients so as to recover any arrears that is pending. So that is generally my work. So I work with the loan Officer in locating the clients and try to recover our loans.”
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Mit den Recovery Officern (im Gegensatz zu den Loan Officern) sehen ausnahmslos alle besuchten MFIs eigenes Personal als mögliche Dritte für die problematische Kreditbeziehung vor. Ihr Einsatz steht immer dann bevor, wenn der Kredit droht auszufallen. Wenn man bedenkt, dass der Kredit nach wie vor den sachlichen Bezug ausmacht, und dies gerade durch den Zeitverzug in forcierter Weise, macht die Inklusion des Recovery Officer vor allem in der Sozialdimension einen Unterschied aus. Denn mit ihr wird das Risiko, dass die persönliche Beziehung zum Loan Officer am drohenden Kreditausfall zerbricht, ohne den Kreditausfall zu bannen, durch eine dritte Perspektive der Rückzahlbarkeit aufgefangen. Die Paradoxie dieser Funktion liegt darin, dass durch die Inklusion des Recovery Officer die Rückzahlung wahrscheinlicher wird, obwohl beziehungsweise gerade weil er als Unbekannter wahrgenommen werden kann28. So erzählt etwa ein Recovery Officer, der sich mit einem Loan Officer und einem anderen Recovery Officer im Geländewagen auf der Fahrt zu einer community mit vielen Zahlungssäumigen befindet: “He is a field officer29, so any time he goes he is used to the people, so because of that for the two of us we are recovery, we are new here.” Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch: „Wenn dies [die Zahlungsaufforderung des Loan Officer, JS] nicht klappt, würde ein anderer officer (‘different faces’) hinzugezogen, weil der angestammte credit officer eventuell bereits ein zu persönliches Verhältnis zur zahlungssäumigen Klientin hat (Loan Officer wird ‘too familiar’ mit dem Zahlungssäumigen).“ Die Pointe bei der Inklusion des Recovery Officer liegt damit darin, dass er einerseits in Bezug auf das persönliche Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger (“he is used to the people”) zunächst als unbekannter Dritter auftaucht (“we are new here”), aber gleichzeitig in Bezug auf das Kreditverhältnis sich auf die Seite des Gläubigers stellt (“we are recovery”). Die Paradoxie, dass die Rückzahlung trotz und wegen der Unbekanntheit des Dritten wahrscheinlicher wird, erhält also ihren Sinn dadurch, dass sich die Unbekanntheit des Recovery Officer auf die gesamte Persönlichkeit bezieht, während aber andererseits der
28 Genauso kann man sich fragen, wieso man gerade den Zahlungsforderungen einer unbekannten Inkassogesellschaft nachkommen soll, wenn man schon nicht gewillt ist, seinem eigentlichen Gläubiger zu zahlen. 29 Bei Mikrofinanzinstitution JKL heißen die Kreditbetreuer nicht Loan Officer sondern Field Officer.
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Recovery Officer als Personal der MFI, die ihre verliehene Gelder zurückfordert, als bekannt vorausgesetzt werden darf. Der Dritte, anders ausgedrückt, ist nur Dritter hinsichtlich der persönlichen nicht aber hinsichtlich der finanziellen Beziehung. Diese Unbekanntheit der Persönlichkeit des Recovery Officer als Dritter bei gleichzeitiger Bekanntheit seiner Rolle als Gläubiger ermöglicht, dass die Kopplung des Rückzahlungsproblems (das akute Risiko) mit der persönlichen Beziehung neu gesetzt werden kann. Dabei steht einerseits die Ausprägung der persönlichen Beziehung zum Recovery Officer in guter sowie schlechter Hinsicht prinzipiell offen. Andererseits kann diese persönliche Beziehung zum Recovery Officer aber immer in Bezug zum Loan Officer gesehen werden, eben weil der Recovery Officer als Gläubiger auf Seiten des Loan Officer steht, und damit die persönliche Beziehung zum Loan Officer nicht ignoriert oder vergessen werden kann. Welche Formen der Inklusion des Recovery Officer in Bezug auf die persönliche Beziehung zum Loan Officer können dann beobachtet werden? Theoretisch könnte der Recovery Officer, in Relation auf die persönliche Enttäuschung zum Loan Officer, als good cop erscheinen, falls in Bezug auf ihn die schwierige finanzielle Situation bedacht wird, in der sich die Zahlungssäumige befindet. Er könnte aber auch als bad cop erlebt werden, falls mit ihm sich die persönliche Beziehung zum Loan Officer wieder zum Positiven wendet, in Bezug auf ihn aber auf das Selbstverschulden der Zahlungssäumigen durch entsprechende Herabwürdigungen verwiesen wird. Schließlich wäre es möglich, dass die Inklusion des Recovery Officer in persönlicher Hinsicht in der Form des buddy geschieht, indem das Erleben seines Auftretens die Herabwürdigungen des Loan Officer stützt. Mit anderen Worten können die möglichen moralischen Zuweisungen der persönlichen Beziehung sich als Differenz von persönlicher Achtung und Missachtung bezüglich der unterscheidbaren Personen des Recovery Officer und des Loan Officer ausprägen (good/bad cop) oder bezüglich der Unterstützung der Person des Loan Officer durch die des Recovery Officer die Seite missachtender Herabwürdigungen annehmen (buddy). Genau dadurch wird es möglich, dass das oben konstatierte Risiko des Zerbrechens der persönlichen Interaktion mit dem Loan Officer beim Umgang mit dem Zahlungsversäumnis aufgefangen werden kann. Unter der Inklusion des Recovery Officer gewinnt die persönliche Beziehung neue Freiheitsgrade, und dies ohne dass die Rückzahlungsforderung aufgegeben werden muss, sondern vielmehr dass sie erneut unter die Bedingung moralischer Zurechnungen gestellt werden kann. Durch die Inklusion des Recovery Officer kommt es zu einer Regeneration der Möglichkeiten moralischer Zurechnungen, die das akute finanzielle Risiko des Kreditausfalls neu bearbeiten kön-
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nen, anstatt dass sie zusammen mit dem Eintreten des Kreditausfalls eliminiert werden. Jetzt ist es nicht mehr möglich, beim Umgang mit dem Rückzahlungsproblem auf eine erwartete oder enttäuschte persönliche Beziehung zu verweisen, weil auf der einen Seite eine fremde Person hinzugekommen ist, mit der eine persönliche Beziehung noch nicht ausgetestet werden konnte. Bei der Einführung nur eines weiteren Gläubigers muss es aber nicht bleiben. Bei einer sogenannten Task Force kann es dazu kommen, dass durch eine Mehrzahl von Recovery Officern versucht wird, die ausstehenden Gelder einzutreiben: Ausschnitt aus dem Forschungstagebuch zur Durchführung einer sogenannten Task Force: „Dann geht es weiter an den Fluss zu einem Bootsbauer. Mit dem Jeep fahren wir direkt vor den großen Unterstand, unter dem mehrere Männer an zwei Fischerbooten werkeln. Der Besitzer ist zahlungssäumig. Alle Mikrofinanzinstitution JKL-Mitarbeiter und ich steigen aus und begeben uns ungeordnet unter den Stand. Es kommt zu einer losen Begrüßung zwischen dem field officer und dem Bootsbauer, die recovery officer stehen unbeteiligt an einem noch unfertigen Boot. Es wird nicht viel geredet. Der Bootsbauer werkelt irgendwann an seinem Boot weiter. Ein Mitarbeiter erklärt mir, dass er einen seiner Lehrlinge zum Käufer des Bootes geschickt hätte, um von ihm Geld im Voraus zu holen. […] Andere Leute in der Nähe schauen bzw. hören zu, andere gehen ihrer Arbeit nach (Bootstreichen, Hobeln, etc.). Wir warten einige Zeit, dann kommt es zu einer größeren Diskussion zwischen dem field officer und dem Bootsbauer, bei der am Ende der field officer in aufrechter Pose erhöht auf dem noch unfertigen Boot steht; der Bootsbauer nicht weit entfernt neben dem Boot.“ Durch eine Mehrzahl von Recovery Officern bei einer sogenannten Task Force werden herabwürdigenden Sanktionen Nachdruck verliehen. Dies liegt daran, dass die Herabwürdigungen sowohl auf Seiten des Herabwürdigenden als auch auf Seiten des Herabgewürdigten sich auf die ganze Persönlichkeit beziehen, sodass durch einen quantitativen Unterschied an Personen sie in ihrer Evidenz und Stärke gesteigert werden. Im angeführten Beispiel ergreift der Loan Officer die Handlungsalternative, indem er das Geld fordert und sich schließlich auf das Boot stellt, während die Recovery Officer sich im Hintergrund halten. Damit ist aber längst nicht gesagt, dass die Recovery Officer eine weniger bedeutsame Rolle spielen als der Loan Officer. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass der Loan Officer nur deswegen wagt, sich auf diese Art und Weise dem Zahlungssäumigen gegenüberzustellen, weil er seine Kollegen hinter sich weiß. Innerhalb
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einer sogenannten Task Force mögen also unterschiedliche Rollen ausgeübt werden, was aber ein kollektives Auftreten gegenüber dem Zahlungssäumigen voraussetzt. Wiewohl mehrere Recovery Officer als Personen unterschieden werden können, treten sie gemeinsam als derselbe institutionelle Gläubiger auf. In dieser Paradoxie, dass ein und derselbe institutionelle Gläubiger des Kredits gegenüber dem Schuldner sich in eine Mehrzahl von Personen aufspaltet, liegt die gewonnene Anschlusssituation im Umgang mit dem Zahlungsversäumnis. Die Paradoxie blockiert aber nicht den weiteren Handlungsverlauf, indem der Schuldner nun erst recht nicht mehr zurückzahlen kann, etwa weil er nicht mehr weiß, wem er den Kredit zurückzuzahlen hat, oder gar weil er entsprechend der Mehrzahl an Recovery Officern den Kredit nun mehrfach zurückzahlen muss. Vielmehr bleibt der institutionelle Gläubiger eindeutig, während aber die sanktionierende Heranwürdigung durch die Mehrzahl an Personen gesteigert werden kann und dadurch die Frage der Rückzahlung erneut und vor allem in verschärfter Weise gestellt werden kann. Solch eine Steigerung der sanktionierenden Herabwürdigungen kann bis zu dem Punkt gehen, an dem die Konsequenzen der Sanktionen nicht mehr abgeschätzt werden können und sie deswegen auf Seiten des Zahlungssäumigen Angst erzeugen, wenn sie nicht zu einer Konfliktverschärfung führen: Dazu explizit ein Recovery Officer: “And the people are also in such a way that if we are convey, I mean if we are in a group like that, they have that scare in them and that they pay us. When we go in a group, they pay more than how I go individual. That’s why when it is time for recovery, all of us go. [Laughter]” Einzige Option, um dieser Angst zu entgehen, scheint dann zu sein, der Zahlungsforderung Folge zu leisten. 3.3 Inklusion der lokalen Öffentlichkeit Dritte können aber nicht nur auf Seiten des zahlungssäumigen Schuldners oder auf Seiten des Gläubigers in die Interaktion inkludiert werden. Eine weitere Möglichkeit der Teilnahme Dritter besteht darin, eine Beobachterrolle einzunehmen: Inhaltliche Zusammenfassung eines aufgenommenen Gesprächs während einer sogenannten Task Force bei einem Zahlungssäumigen, die von dessen
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Arbeitskollegen und einigen Passanten beobachtet wird: “[…] a little confusion ensues between the Officer and the client. The client tells them not to harass him for the money because he has run into difficulties and that it is normal for everybody to experience difficulties in one way or the other. The Officer tell him that that is not the way to talk to them because he owes them some money and he has refused to pay but the client seems angry and doesn’t even want to accept the fact that he owes them because he feels the Officer are disgracing him in public.” Demnach erzeugt die Sanktionierung des Zahlungsversäumnisses eine Öffentlichkeit in dem Sinne, dass vermeintlich unbeteiligte Dritte qua ihrer räumlichen Nähe die Geschehnisse miterleben und dadurch einen Beobachterstatus einnehmen. Deren bloßes Erleben heißt aber nicht, dass sie keine Rückwirkungen auf den Umgang mit dem Zahlungsversäumnis haben. In dem Maße wie den öffentlichen Beobachtungen unterstellt wird, dass sie in den herabwürdigenden Sanktionen eine Beschädigung des sozialen Status des Zahlungssäumigen innerhalb seines persönlichen Netzwerks sehen, hat sie auch eine Wirkung auf die Frage der Rückzahlung – “he fells the officer are disgracing him in public”. Die Wirkung liegt in einer weiteren Steigerung der Sanktionierung, die sich paradoxerweise aus der Neutralität des öffentlichen Publikums speist: Das öffentliche Publikum beobachtet, ohne selbst einzuschreiten, was jedoch mindestens nicht als Ablehnung der Sanktionierung verstanden werden kann, wenn nicht gar als Zustimmung ganz nach dem Motto, wer schweigt, stimmt zu. Zudem mag es durch die öffentliche Beobachtbarkeit der Zahlungsschwierigkeiten nicht nur zu einer Schädigung des persönlichen Ansehens kommen, sondern ebenso um den Verlust von Kreditwürdigkeit des Zahlungssäumigen in seinem persönlichen Netzwerk. Und selbst wenn die Sanktionierungen im Augenblick ihres Geschehens kein sonderliches öffentliches Aufsehen erzeugen, so ergibt sich doch die Möglichkeit der anschließenden Diffusion und eventuell sogar der Verschärfung der Schädigungen innerhalb des lokalen Netzwerks. Die öffentliche Beobachtung der Herabwürdigungen kann also gerade deswegen zur Steigerung der Herabwürdigungen beitragen, weil sie selbst nicht an der Kreditbeziehung teilnimmt. So ist der Öffentlichkeit wohl auch weniger daran gelegen, dass die Rückzahlung durchgesetzt wird, als vielmehr brisante Neuigkeiten zu erfahren, die Stoff für Klatsch liefern. Und gerade persönliche Herabwürdigungen und Zahlungsschwierigkeiten mögen für die öffentliche Produktion von Klatsch geeignete Themen darstellen. Von Seiten des Gläubigers mag diese Einsicht, dass durch öffentliche Beobachtung die Sanktionen verstärkt werden, reflektiert und explizit ausgenutzt
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werden, indem er versucht, die Herabwürdigungen öffentlichkeitswirksam zu inszenieren. Der Zahlungssäumige mag zwar eine ganz andere Sicht auf die Dinge haben, gerade wegen der Öffentlichkeit – “[…] but the client seems angry and doesn’t even want to accept the fact that he owes them because he feels the Officer are disgracing him in public.” Doch es bleibt die Frage, ob die öffentlichen Beobachtungen nicht ihre eigene Realität erzeugen, die auf die Handlungsoptionen des Zahlungssäumigen zurückwirkt, unabhängig von seiner eigenen Perspektive. Besondere öffentliche Aufmerksamkeit scheint das Einsetzen eines Polizisten beim Eintreiben der Gelder zu erregen: So ein Loan Officer auf die Frage, was er macht, wenn der Schuldner nicht zahlt: “Oh when I go sometimes I do threaten them that I am now tired of going there every day. So if they don’t bring the money next time I am going there I will go with the police. […] // I: Would the policeman just come along // Yes, […] they don’t want to be harassed with the police, because they don’t want dignity to be reduced so when you send a policeman to the house the neighbors would just come and gather and eager to hear what the person has done. So sometimes when you do that you embarrass them and they are compelled to come and pay the money, so that next time you don’t go with a policeman.” Anstelle eines Recovery Officer wird in diesem Beispiel der Loan Officer von einem Polizisten begleitet, wodurch die Funktion des öffentlichen Herabwürdigens ebenso erfüllt wird. Das Erscheinen des Polizisten beim Zahlungssäumigen erzeugt öffentliches Interesse, insbesondere bei den Nachbarn. Zur Vermeidung einer öffentlichen Bloßstellung (“dignity to be reduced”) wird der Zahlungssäumige dazu genötigt, die ausstehende Zahlung zu begleichen – unter welchen persönlichen Umständen auch immer. 3.4 Inklusion der Familie des Schuldners Bei der Beteiligung eines oder einer ganzen Mehrzahl von Recovery Officern und der Erzeugung von öffentlichem Aufsehen muss es aber nicht bleiben bei dem Versuch, dem Zahlungsausfall entgegenzuwirken. Eine weitere und zugleich letzte Möglichkeit des herabwürdigenden Sanktionierens besteht darin, dem Zahlungssäumigen mit Gefängnis oder einer Mitnahme zur Zweigstelle zu drohen, wodurch das persönliche Umfeld des Zahlungssäumigen in die Rückzahlungsfrage miteinbezogen wird:
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Aus dem Forschungstagebuch: [Zur Situation: Ich begleite des Recovery Officer zur Mutter der Zahlungssäumigen, während der Fahrer (driver), der uns zur Zahlungssäumigen gebracht hat, sie bei ihrem Versuch begleitet, Gelder von Freunden auszuleihen] „Auf einer einfachen Holzbank vor dem Häuschen sitzen zwei Frauen, eine davon ist die Mutter der defaulterin, Kinder laufen umeinander. Dave hält eine strenge Rede, wie er mir später erzählt darüber, dass er ihre Tochter mit zum Office nehmen würde und sie dann ins prison kommen würde, bis sie alle Raten beglichen hätte. Diese Rede hätte den Sinn ‘to put fear in them’. Bald darauf kommt die defaulerin mit dem driver. Dave wird lauter, er würde ‘creating a scene’, so er später. Die defaulerin geht nach einiger Zeit ganz langsam, irgendwie schlendernd einige Schritte weg; es macht den Eindruck, als wolle sie non-verbal auf die Rede von Dave antworten (ohne aber die Absicht zu haben, ganz wegzugehen). Sofort fängt Dave an, sie laut anzuschreien, was er schreit, kann ich nicht verstehen, aber es handelt sich um eine Wiederholung eines Befehls. Die defaulerin bleibt stehen, es wird weiter diskutiert, wobei Dave ganz offensichtlich die Richtung bestimmt. Bald gehen wir, d.h. Driver, ich, der driver und die defaulterin weg. Dave und ich vorneweg, dann der driver und ganz zum Schluss die defaulerin; alle anderen bleiben beim Häuschen. Ob sie jetzt mit zum Office mitkommt, frage ich Dave. Ja, dass hätte er ihr gesagt, vielleicht würden wir sie aber doch nicht mitnehmen, tatsächlich würde so etwas nur selten vorkommen. Es ginge vor allem darum, der defaulterin und ihren Angehörigen Angst einzujagen. Bald sind wir am Auto, mit dem wir gekommen sind. Dort wartet schon Gabriella [Loan Officer]. […] Es wird erregt diskutiert. Die Mutter und auch der hoch gewachsene Bruder (etwa knapp 20) der defaulerin sind mit Mal auch am Auto, einige andere Personen stehen herum. Plötzlich heißt es von Dave: ‚ins Auto’. Ich solle schon einmal vorne einsteigen. Die Hintertür des Autos wird auf der Seite aufgemacht, wo die defaulerin steht. ‚Ins Auto’, ‚ins Auto’ schreit Dave zur defaulterin, fasst sie ganz leicht mit der Hand an die Schulter und weist sie zum Einsteigen an. Ihr Bruder steht in ihrer Nähe, der, etwas gebeugt stehend, legt immer wieder seine Handflächen ineinander und spricht, dabei sich wiederholend Dave an. Ganz offensichtlich eine Geste des Anflehens und Bettelns, seine Schwester nicht mitzunehmen. Auch drückt er ihr zu ihren paar Scheinen einige Münzen hinzu. […] Gabriella steigt nun auch ins Auto. ‘Let her go into the car’, ruft Gabriella zu Dave, während die defaulterin am Kofferraum lehnt, um sie herum die anderen Personen. Nun kann ich auch beobachten, wie die Mutter die Bettelbewegungen zu Dave macht. […] Die Diskussion geht daraufhin noch kurz wei-
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ter, dann steigt Dave und auch der driver ins Auto. Die defaulterin bleibt draußen, steht so lange wir noch nicht fahren am offenen Fenster von Gabriella‘s Sitz, ich höre nur mehrmals das Wort ‚Danke‘ auf Lokalsprache und ‘Gabriella’. Und bald darauf fahren wir von dannen. Wir sind nur einen Steinwurf weggerollt, da wird im Auto gekichert. Wir hätten sie gar nicht mitnehmen wollen, sondern wollten ihr nur eine Szene machen (‘creating a scene’), so die Erklärung für das Kichern. Die Mutter würde am Montag ins Office kommen, um die Schulden zu begleichen.“ Dieses Beispiel zeigt, wie sich die Sanktionierung des Zahlungsverzugs steigert. Nachdem eine strenge Rede des Recovery Officer und eine darauffolgende öffentliche Herabwürdigung der Zahlungssäumigen erfolglos bleiben, wird ihr damit gedroht, sie mit zur Zweigstelle (Office) zu nehmen. In diesem Zusammenhang wird eine Zahlungsbereitschaft von den Familienangehörigen (Mutter und Bruder) der Zahlungssäumigen erwartet. Doch wieso denn gerade von den Familienangehörigen, die weder einen Kredit aufgenommen noch sich für eine Bürgschaft verpflichtet haben? Ganz offensichtlich hat es mit ihrer Familienangehörigkeit zur Zahlungssäumigen zu tun. Eine bloße Familienangehörigkeit für die Erwartbarkeit ihrer Zahlungsbereitschaft scheint jedoch nicht auszureichen, denn dann hätte die Familie den Zahlungsverzug bereits in seinem Entstehen verhindern können. Vielmehr scheint, als müsste die Zahlungserwartung an die Familienangehörigen erst noch gebildet werden, anstatt dass sie bereits vorliegt. Solch eine Zahlungsbereitschaft der Familie wird dadurch erreicht, dass der Zahlungssäumigen mit einer Mitnahme zur Zweigstelle gedroht wird, d.h. also mit einer Form der Exklusion. Das akute Risiko des Kreditausfalls, das eigentlich die Interaktion des Gläubigers mit dem Schuldner kennzeichnet, überträgt sich dadurch auf die Familie des Schuldners. Wenn nun die Rückzahlung nicht zu Stande kommt, dann hat nicht nur der Gläubiger ein Problem, sondern dann droht auch eine Familie zu zerbrechen! Die Erwartung der Risikoverarbeitung steht kurz davor, sich nicht zu erfüllen. Ein letzter Ausweg scheint darin zu liegen, die alles andere als sichere Rückzahlungserwartung mit den Erwartungen der Familienbeziehungen des Schuldners zu verknüpfen. Der Risikoparasit springt über auf den Wirt der Familie. Wie könnte die Erwartungslage in der Familie beschrieben werden, die nun mit diesem Risiko konfrontiert wird? In Familien geht es um die gesamte Persönlichkeit ihrer Mitglieder, um Intimität, um die vielfältigen Hinsichten der Lebensführungen ihrer Mitglieder (was auch Verschwiegenheiten (Latenzen) mit einschließt). Geht man von dieser Situation in Familien aus, dann beinhaltet de-
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ren Erwartungslage etwa auch den Austausch über persönliche Zahlungsprobleme30 und damit auch einen kontrollierten Umgang mit Zahlungsproblemen. Werden Zahlungsprobleme in der Familie kommuniziert, etabliert sich auch die Möglichkeit des Helfens, diese Probleme gemeinsam zu bewältigen31. Die Erwartung besteht also darin, dass die Reziprozitätsbeziehungen in der Familie ein finanzielles Aushelfen zur Folge haben. Durch die Androhung der Exklusion werden die Familienangehörigen vor die Entscheidung gestellt, ob sie ihrem zahlungssäumigen Familienmitglied aushelfen oder nicht. Die Familie muss mit den Konsequenzen ihrer gewählten Alternative leben, die aufgrund ihrer Entscheidung dann auch auf sie zugerechnet werden kann. Die Exklusion des zahlungssäumigen Familienmitglieds ergäbe sich dann etwa nicht aus einer externen Umweltlage, sondern aus der internen Disposition der Familie. Dass die Familie diesem Risikoparasiten fast schutzlos ausgesetzt ist, zeigt sich paradoxerweise an der nahezu voll ausgeprägten Alternativlosigkeit der Entscheidung. Denn entscheidet sich die Familie für das NichtHelfen, wird das Familienmitglied exkludiert, was den familiären Zusammenhalt der Familie existentiell bedroht (erstens, weil durch die Exklusion faktisch familiäre Beziehung des zahlungssäumigen Familienmitglieds zum Rest der Familie unterbrochen wird, und zweitens, weil im Nicht-Aushelfen eine Reziprozitätsverweigerung vorliegt, die entsprechend vom zahlungssäumigen Familienmitglied vergolten werden kann). Wenn man bedenkt, dass Entscheidungen immer schon Paradoxie geladen sind, weil sie die Wahl der Alternative durch die Nichtwahl der Alternative (die dann eine andere sein muss) ermöglicht, dann handelt es sich bei dieser Entscheidung der Familie um eine nahezu offene Paradoxie: die Alternative des Aushelfens / Nichtaushelfens stellt sich der Familie und gleichzeitig nicht, weil die Option für ihre negative Seite weitere Entscheidungen der Familie (also ihre Existenz) bedrohen würde, sodass das Aushelfen sich für die Familie als Notwendigkeit anstatt als Option darstellt. So stellt also eine letzte Möglichkeit des sanktionierenden Umgangs mit dem drohenden Kreditausfalls dar, über Exklusionsandrohung des Zahlungssäumigen 30 Solch ein Austausch kann auch in der Latenz verharren, wenn man sich nicht traut, über seine ausstehenden Schulden zu sprechen, weil man eben genau weiß, dass das nicht nur Reden über Schulden zur Folge hat, sondern man dann auch fast zwangsläufig seine eigene Person als Mensch ins Spiel bringt, und dies im Kontext eines unangenehmen Themas. 31 Auch diese Erwartung der Erwartung der Unterstützung kann die Kommunikation in der Familie über Zahlungsprobleme hemmen (anstatt sie fördern), weil der Verschuldete weiß, dass die Familie nur schwer die Hilfe verneinen kann und er sie nicht in diese Bredouille des Zahlens bringen möchte.
I NTERAKTION
DES
L OAN O FFICER
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seine familiären Beziehungen ausnutzen. Doch was geschieht, wenn der Zahlungssäumige keine Familie hat? Dazu ein Loan Officer: “And at times too when you study the situation, you know that that person is in a position to pay or that person has a relative around and the relative is may be in a position to pay that amount. Then you can seek the assistance of police officer. We go and search for that person. You know African tradition, when something happens to one member in the family, it happens to all the other members so if they get to know that their brother or their sister in the family has been arrested then since they want to avoid the disgrace attached to the family, the family members will rush very fast and come and pay for their family members. […] So it depends, you have to study the situation but we have others, they don’t have anybody. Even if you go and arrest the person nobody will come to the police station. // I: So what do you do then? […] // So that is why I’m saying that you have to study. If you know that when you arrest the person and you may not get anybody to come to pay for the person then you have to use diplomatic way, go and talk to the person, sit down with the person and come out with your own flexible payment policies so that the person can pay it gradually. But if you get to know that if this woman, if you get to arrest her, the family members will come then you go with the police. You study the situation whether to go by this strategy or that strategy.” Die Exklusionsandrohung hat demnach keinen Selbstzweck und verliert folglich an Kraft, wenn sie sich ausschließlich auf den Zahlungssäumigen bezieht. Vielmehr erhält sie ihren Sinn erst dadurch, dass sie sich auf die familiären Beziehungen des Zahlungssäumigen bezieht, wodurch weitere Zahlungsmöglichkeiten generiert werden. Fehlt es an diesen familiären Beziehungen, verliert auch die Exklusionsandrohung ihren Sinn. Anstatt zu sanktionieren wird in diesem Fall der Modus der Anpassung als Umgangsform für das Zahlungsversäumnis gewählt – “when you arrest the person and you may not get anybody to come to pay for the person then you have to use diplomatic way”. Zur Aufgabe eines Loan Officer gehört deswegen nicht nur, die Beziehungen unter den Gruppenmitgliedern zu beobachten, sondern im Falle des Zahlungsverzugs auch die familiären Beziehungen eines jeden einzelnen Mitglieds. Je nachdem, wie diese Beobachtungen ausfallen, kommen entweder Sanktionierungen oder Kreditanpassungen zum Zuge.
Kapitel IX: Zusammenfassung und weiterführende Forschungsfragen
Es sollte deutlich geworden sein, dass wechselseitiges Bürgen bei der Kleinkreditvergabe nicht als ein Sicherheitsnetz für akute Risikofälle zu begreifen ist. Sein Funktionieren ist selbst erklärungsbedürftig. Es kann weder auf die lokale Sozialstruktur als Kontextvariable reduziert werden. Noch reicht es aus, wechselseitiges Bürgen durch die Solidarität der Gruppe zu erklären, und es daraufhin etwa als ein Allheilmittel der Armutsbekämpfung zu preisen. Schließlich ist es ebenso unzureichend, den Fokus zu sehr auf die institutionellen Praktiken der Loan Officer zu lenken, und in ihnen etwa eine besonders ausgefeilte Form neoliberaler Ausbeutung zu sehen. Ziel der Studie war es deswegen, das komplexe Funktionieren des wechselseitigen Bürgens darzustellen. Lokale Sozialstruktur, Gruppeninteraktion und Interaktion mit dem Loan Officer stellen unterschiedliche, aber miteinander vernetzte Ebenen des wechselseitigen Bürgens dar. Risiken der Kleinkreditvergabe werden beim wechselseitigen Bürgen durch lose Kopplungen dieser Ebenen kontrolliert, und zwar auf je spezifische Weise vor und nach der Auszahlung der Kleinkredite. Die Selektionen vor der Kreditauszahlung werden einerseits von der Gruppe im Schema persönlicher Bekanntschaft und im Schema der Kreditwürdigkeit selber durchgeführt. Andererseits trägt die Stelle des Loan Officer auf einer Ebene zweiter Ordnung ihrerseits durch Auswahl eines geeigneten Operationsgebiets und durch Schulungen der Gruppe dazu bei, dass hochriskante Zahlungsversprechen ausgeschlossen und persönliche Bekanntschaften bei der Gruppenbildung eingeschlossen werden. Nach der Kreditvergabe bilden sich innerhalb der Gruppe moralisch begründete Normen aus, anhand derer Bürgschaftsfälle als Abweichungen bezeichnet und sowohl durch Herabwürdigungen als auch durch solidarisches Unterstützen kontrolliert werden. Ebenso kommt es
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in der Interaktion mit dem Loan Officer zur moralischen Normbildung, die als Meta-Norm das Funktionieren der Gruppe gewährleistet. Durch beide dieser Ebenen werden die Risiken des wechselseitigen Bürgens durch moralisch begründete Normen kontrolliert. Die moralische Begründung ergibt sich jeweils daraus, dass die Gruppe mit den negativen Folgen riskanter Handlungen einzelner Gruppenmitglieder respektive der Loan Officer mit den negativen Folgen riskanten Gruppenverhaltens zu leben hat, ohne dass die Gruppe respektive der Loan Officer diese Folgen jeweils direkt beeinflussen könnte. Wenn man vom riskanten Handeln anderer gefährdet wird, bleibt zumindest der kommunikative Verweis auf die eigene persönliche Betroffenheit im Schema der Moral, um ein Einlenken zu bewirken. Wechselseitiges Bürgen ermöglicht also die Vergabe von Kleinkrediten, indem es eigenes Risikoverhalten in ein Verhältnis mit der Gefährdung anderer setzt. Der Umweg der Risikokontrolle über die Gefährdung anderer setzt moralische Zurechnungen frei, die einen normativen Umgang mit Risiken begründen. Dies zeigt an, dass die Kleinkreditvergabe unter Bedingung des wechselseitigen Bürgens eine Grenzstellung des formalen Finanzmarktes einnimmt. Sie besetzt jene Stelle, wo Risiken gerade nicht mehr kommerziell eingeschätzt und verarbeitet werden können, und ein Gefahrenbereich beginnt, in dem es keine Anhaltspunkte mehr für eigene Kredit- und Investitionsentscheidungen gibt. Im Falle des Zusammenbruchs der Mehrebenenstruktur des wechselseitigen Bürgens bleibt zudem die Möglichkeit, durch Interaktion des Loan Officer mit dem einzelnen Schuldner den überfälligen Kleinkredit als Einzelkredit zu restrukturieren oder seinen Verzug durch Herabwürdigungen zu sanktionieren. Der Rahmen dieser Interaktion erlaubt es immerhin noch, für weitere Bearbeitungen des Zahlungsausfalls Dritte miteinzubeziehen, und zwar sowohl auf Seiten des Gläubigers (Recovery Officer) als auch auf Seiten des Schuldners (eigene Schuldner) sowie in dritter Position die lokale Öffentlichkeit. Schließlich bleibt als Letztoption die Exklusionsandrohung des Zahlungssäumigen zur Zahlungsverpflichtung seiner Familie. Abschließend wollen wir für anschließende Forschungen einige Perspektiven skizzieren und Prämissen verdeutlichen, die sich aus dieser Studie ergeben: Die Ergebnisse dieser Studie beziehen sich auf Feldforschungen in einem westafrikanischen Land. Bei Analysen anderer empirischer Fallausprägungen des wechselseitigen Bürgens kann nun gefragt werden, inwieweit die in dieser Studie analysierte vernetzte Ebenendifferenzierung von lokaler Sozialstruktur, Gruppeninteraktion und Interaktion mit dem Loan Officer zum Tragen kommt und welche fallspezifische Ausprägung sie annimmt. Das Funktionieren des wechselseitigen Bürgens etwa im Kontext eines Slums einer südamerikanischen Großstadt oder
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einer kleinbäuerlichen Gegenden in China sollte nicht auf die dort lokalen Sozialstrukturen reduziert werden. Auch sollten nicht die spezifischen Gruppenstrukturen und die dort gängigen institutionellen Praktiken des Loan Officer nur isoliert voneinander analysiert werden. Vielmehr müssen auch ihre Relationierungen herausgearbeitet werden, beispielsweise wie (!) die Slumstruktur in den Praktiken des Loan Officer institutionell Berücksichtigung finden. Von der Analyse mehrerer Fallausprägungen des wechselseitigen Bürgens ausgehend, lohnt sich dann der Versuch, Gesichtspunkte mit fallübergreifender Relevanz herauszuarbeiten. Dadurch würde man eine Antwort auf die Frage nach allgemeingültigen Aspekten des wechselseitigen Bürgens bei der Kleinkreditvergabe bekommen. Eine weitere Forschungsperspektive zum wechselseitigen Bürgen besteht darin, nach weiteren Ebenen der Selektion und der Kontrolle zu fragen. Die institutionelle Stelle des Loan Officer fungiert sicherlich nicht als eine letzte Ebene. Einerseits bedarf es der Analyse, inwieweit innerhalb der Organisation der Mikrofinanzinstitution (MFI) weitere Ebenen eine Rolle spielen, d.h. insbesondere zu fragen, welchen Beitrag die Hierarchie der MFI zum Gelingen des wechselseitigen Bürgens leistet. Einige Loan Officer erzählten mir beispielsweise, welchen Druck sie von ihrem Loan Officer Supervisor bekämen, ihr portfolio at risk (PAR) möglichst klein zu halten und sie deswegen geringe Zahlungsausfälle durch ihr eigenes Geld ausgleichen würden, eine Praxis, die auch für die Grameen Bank in Bangladesch bekannt ist (Ito, 2003: 327). In einer Zweigstelle erzählte man mir davon, dass einige Loan Officer wegen zu hoher Zahlungsausfälle Abmahnung (warning letters) bekommen hätten. Vor dem Hintergrund schlechter Arbeitsmarktbedingungen in Entwicklungsregionen, mag solch ein Androhen von Kündigungen besonders wirksam sein. Gegenüber diesen Sanktionen konnte ich beobachten, wie durch gemeinsame Morgenrituale aller Mitarbeiter einer Zweigstelle, in denen gesungen, gebetet und außerplanmäßige Tagesarbeiten besprochen wurden, ein hohes Maß an Gemeinschaftsgefühl erzeugt wird. In einer Mikrofinanzinstitution wurde sogar monatlich ein come together für alle Loan Officer einer Zweigstelle organisiert, bei denen kleine Häppchen und Getränke spendiert wurden und der jeweils erfolgreichste Loan Officer der gesamten MFI mit einer Auszeichnung bedacht wurde. Wiederum in einer anderen MFI wurden Anreize für die Loan Officer durch Provisionen gesetzt. All dies sind empirische Hinweise darauf, dass auch die Stelle des Loan Officer innerorganisatorisch einer Kontrollebene unterliegt, auf der sowohl mit Sanktionen als auch mit einer bestimmten Form von Solidarität operiert wird. Für die Grameen Bank haben bereits Papa et. al. (2006) das Verhältnis zwischen Management und Loan Officern als ein solches Kontrollsystem skizziert, das eine Selbstkontrolle
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der Gruppe der Loan Officer im Hinblick auf deren Arbeitsleistung motiviert. Bei der Suche nach weiteren Kontrollebenen dieser Art, die innerhalb und/oder außerhalb der MFI wirken, würde man vermutlich auf die Ebenendifferenzierung von Zweigstellenleitung und Topmanagement und von Topmanagement und externen Mittelgebern stoßen. Neben der Beleuchtung innerorganisatorischer Kontrollebenen stellt sich die Frage, welche Selektions- und Kontrollfunktion externe Geldgeber ausüben. Solche Geldgeber können beispielsweise reine Spendenorganisationen, aber auch ethische Investmentfirmen oder sogar kommerzielle Banken sein. Je nachdem um welche Art von Geldgebern es sich handelt, werden sie entweder eher auf den solidarischen Aspekt (Armutsbekämpfung) oder auf den finanziellen Aspekt (Rentabilität) des wechselseitigen Bürgens Wert legen, wobei wir nun wissen, dass bei der lokalen Durchführung beide Aspekte nicht in Opposition zu einander stehen, sondern aufeinander Bezug nehmen. Zudem ist aber die Funktion des Herabwürdigens für die Risikokontrolle mit zu berücksichtigen. Neben der vollständigen Analyse der Strukturebenen des wechselseitigen Bürgens der Kleinkreditvergabe stellt sich die Frage, welchen Stellenwert wechselseitiges Bürgen bei der Ausdifferenzierung von Finanzmärkten hat. Beispielsweise wird die von Raiffeisen und Schulz-Delitzsch initiierte deutschlandweite Bewegung der Darlehenskassenvereine im 19. Jahrhundert als Ausgangspunkt für die Einbindung aller Bevölkerungsgruppen in Bankgeschäfte in Deutschland gesehen (vgl. z.B. Seibel, 2005). Für die derzeitig boomende Mikrofinanzierung in den sogenannten Entwicklungsregionen wird entsprechend unter dem Begriff der mission drift eine zunehmende Kommerzialisierung der Kleinkreditvergabe unter Abschaffung des Instruments des wechselseitigen Bürgens diskutiert (Cull, Demirgüc-Kunt, Morduch, 2005; Rahman, 2004: 39), wobei es aber auch Stimmen gibt (Mersland, 2010), die für solch eine generelle Drift keine empirische Grundlage sehen. Wenn nicht für Mikrofinanzierung als Ganzes, so scheint zumindest für bestimmte Mikrofinanzinstitute eine mission drift evident zu sein, beispielsweise für die MFI Prodem in Bolivien, die sich 1992 in die Anteilseigentümerschaft Banco Sol umgewandelt hat, für Banco Compartamos in Mexico (ebd.: 28), für die Grameen Bank und für Bangladesh Rehabilitation Assistance Committee (BRAC) in Bangladesh, auch wenn letztere beiden in ihren Selbstdarstellungen noch eine soziale Mission hervorheben (Rahman, 2004: 39). Nach Harpers Einschätzung (2007) stellt wechselseitiges Bürgen einen evolutionären Zwischenschritt hin zu einer Ausweitung des formalen Bankgeschäftes dar. In den Einschränkungen des wechselseitigen Bürgens, wie eine einheitliche Kreditstruktur der Schuldner und zeitintensive Gruppentreffen, sieht Harper die Gründe für die Schwierigkeit, Kleinkreditvergabe durch
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wechselseitiges Bürgen auf Dauer zustellen: „Perhaps group-based microfinance systems are actually nurturing within themselves the seeds of their own destruction“ (ebd.: 44). Diese Studie konnte zumindest aufzeigen, dass wechselseitiges Bürgen alles andere als voraussetzungslos funktioniert und ebenso scheitern kann. Für eine Einschätzung, inwieweit dabei das Scheitern von der Tendenz nach zur Regel wird und die Vorrausetzung für die Einführung differenzierterer individueller Kreditprodukte für dieselbe Personengruppe schafft, fehlt jedoch eine Datengrundlage. Weitere Forschungen könnten hier ansetzen und fragen, ob und gegebenenfalls wie solch ein evolutionärer Zwischenschritt des wechselseitigen Bürgens hin zu individueller Kreditvergabe vollzogen wird und inwieweit er mit einer Ausweitung des formalen Finanzmarktes einhergeht. Schließlich besteht eine Forschungsperspektive darin, wechselseitiges Bürgen mit ähnlichen Strukturen in anderen Kontexten zu vergleichen. Vor allem in der Krankenbehandlung ist ebenso eine Ebenendifferenzierung von Gruppeninteraktion und professioneller Betreuung unter dem Stichwort von Selbsthilfegruppen stark ausgeprägt. Strukturmerkmale, die das wechselseitige Bürgen auszeichnen, finden sich in eigentümlicher Form auch hier wieder: Solche Selbsthilfegruppen richten sich an psychische und körperliche Belange von Personen, die von formalen Behandlungsstrukturen unberücksichtigt bleiben, sei es, weil es an Ressourcen oder an dem nötigen Verständnis für die persönliche Lage des Kranken mangelt. Ein regelmäßiger Austausch unter den Betroffenen selbst kann Abhilfe schaffen, wobei Professionelle einer Institution, entsprechend den Loan Officern beim wechselseitigen Bürgen, den Rahmen für diesen Austausch schaffen (vgl. Werner, 2006a: 32; 37f). Auf der Ebene der Gruppeninteraktion, ähnlich der Interaktion unter den Schuldnern einer Kreditgruppe, liegt die Herausforderung darin, dass sich die Mitglieder der Gruppendynamik unterordnen; insbesondere, dass sich eine mehr oder weniger homogene Gruppe zusammenfindet, in denen die Gruppenmitglieder über eine ähnliche Wissensbasis verfügen und alle Mitglieder gleichermaßen von der Gruppe profitieren können (ebd.: 29ff). Und ähnlich wie beim wechselseitigen Bürgen in Bezug auf finanzielle Inklusion, sind Selbsthilfegruppen im Kontext der Krankenbehandlung typischerweise ebenso nicht in der Lage, alle Personengruppen mit einzuschließen. Es ist die Rede von einer „Mittelschichtüberpräsentation“ (Werner, 2006b: 41) innerhalb von Selbsthilfegruppen als ungleicher Einschluss oder sogar Ausschluss von Randgruppen wie Obdachlose und körperlich Behinderte (Nickel, 2006: 15f). Diese Andeutungen weisen darauf hin, dass sich vergleichende Analysen des wechselseitigen Bürgens mit ähnlichen Strukturen anderer Kontexte lohnen könnten, um allgemeingültige theoretische Konzepte über diese Art von gruppenbezogenen Inklusionsmaßnahmen über unterschiedliche Kontexte hin-
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weg entwickeln zu können. Weitere Kandidaten solcher Inklusionsmaßnahmen in anderen Funktionskontexten mögen zum Beispiel Jugendgruppierungen sowohl politischer Parteien im Politiksystem als auch von Kirchen im Religionssystem darstellen. Entsprechend dieser theoretischen Perspektive des Vergleichs unterschiedlicher Kontexte findet sich interessanterweise auch auf Ebene der Praxis das Plädoyer, die Struktur der Kleinkreditvergabe als Infrastruktur für andere Formen der Intervention, insbesondere im Bereich von Gesundheit und Bildung, zu nutzen, um der Multidimensionalität der Armut gerecht zu werden (vgl. Imran, Sulaiman, Saleque, 2007).
Sachregister
Assortative matching 198 Attribution 148, 196ff Bank 27, 35, 42, 61 Bekanntschaft, persönliche 233, 100, 102 Beobachtung zweiter Ordnung 24f, 101, 115, 166 Collusion 67f, insb. 156, 182 Contingental Renewal 73, 168 Credit-Scoring 35, insb. 36f Drohung 223 Dynamic Incentive s. Contingenal Renewal Ethnographie 79, 81 Exit-Option 68 Exklusion, s. Inklusion / Exklusion Fallauswahl 80 Familie 177, 223f Feedback, negatives/positives 71, 145, 177, 214ff Finanzialisierung 29 Finanzielle Exklusion 16, 23 Finanzmarkt, -formaler 24ff, 41 Finanzmarkt, -informaler 41f Free-Riding insb. 68 u. 137, 148, 182 Funktionale Differenzierung 30, 30, 59
Geldverleiher insb. 45ff, 64 Grameen Bank 7, 175, 229 Group Leader 123, 141 Gruppe, Gruppeninteraktion s. Kreditgruppe Gruppenbildung 97ff, 119 Gruppenleiter s. Group Leader Herabwürdigung 142f, 177, 187, 212ff Hierarchie 108 Inklusion/Exklusion 20, 29, 42 Interaktion mit dem Loan Officer 9, 71ff, 114ff, 151ff, 179ff, 185ff Interaktionszusammenhang 96 Kredit s. Zahlungsversprechen Kredit- und Sparzirkel 49ff, 64, 72 Kreditbetreuer s. Loan Officer Kreditgruppe 69, insb. 96, 136 Kredithöhe 65, 67, 117 Kreditmangel 65, 67, 117 Kreditrate 35, 38, 126, 126, 129, 154, 194 Kreditwürdigkeit 47, 101ff, 107, 111, 124 Loan Cycle 47, 169, 198 Loan Officer s. Interaktion mit dem Loan Officer
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Magie 168 Methode, funktionale 91 Mission Drift 230 Mikrofinanzinstitution (MFI) 65, 71, 80, 229 Monitoring 70, 148, 158, 234 Moral 141, 158, 228, s. auch Hera -würdigung Netzwerk 43ff, 111, 220 Norm/Abweichung 140, 159ff, 164ff, 188 Norm zweiter Ordnung 164, 179 Öffentlichkeit 55, 144, 220f Operationsgebiet 116ff Pflichtsparen 130 Remittances 44 Reziprozitäten 43, 66ff, 145, 150 Risiko 22, 24, 39, 97, 125, 156, 137, 173ff, 185 Risiko/Gefahr 39, 171, 228 Sanktionierung 41, 48, 57, 70, insb. 142, insb. 168, 187, 212, 220, 221 Schneeballverfahren 99, 106 Schulung 72, 85, 119ff Selbstselektion der Gruppe 97ff Selektion 96 Selektion zweiter Ordnung 115 Shopping Around 117, 178 Solidarität 56ff, 70f, 142f, 168, 176, 181 Soziale Kontrolle 135, 171 Soziale Kontrolle zweiter Ordnung 151ff, 169, 180 Sozialkapital 10, 66f, 73, 111 Stadt/Land 67, 116ff Wechselseitiges Bürgen 7ff, 65ff, 95, 136f, 227 Western Union 44 Zahlungsversprechen insb. 19ff, 23, 28, 35, 41f, 95
Zinsen 22, 25, 43, 45, 57, 129
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