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German Pages 106 [112] Year 1908
KORPORATION DER KAUFMANNSCHAFT VON BERLIN
DIE
HANDELSHOCHSCHULE BERLIN BERICHT ÜBER DAS ERSTE STUDIENJAHR OKTOBER 1906/7
ERSTATTET VON DEM R E K T O R DER
HANDELSHOCHSCHULE
PROFESSOR Dr. JASTROW
PREIS M. 2.—
BERLIN W DRUCK UND VERLAG VON GEORG REIMER 1908
KORPORATION DER KAUFMANNSCHAFT VON BERLIN
Gewerbliche Einzelvorträge Gehalten in der Aula der Handelshochschule Berlin Herausgegeben von den
Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin
Erste
Reihe
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1908
Vorwort. Der
Lelirplan
der
,,Handelswissenschaften"
Handelshochschule neben
Berlin
der allgemeinen
sieht
unter
Handelsbetriebs-
lehre auch Vorlesungen über die „Betriebslehre einzelner Handelszweige" vor. jede
wichtige
Hierbei ist daran gedacht, im Laufe der Zeit für Branche
eine Vorlesung
Überblick über Entwicklung,
einzurichten,
die
Stand und Geschäftsbetrieb
einen inner-
halb des Erwerbszweiges gewährt; und zwar sollte weder die technische,
noch die volkswirtschaftliche, sondern gerade die privat-
wirtschaftlich-geschäftliche Seite der kaufmännischen und industriellen Tätigkeit die Hauptsache bilden. Die
Ausführung
dieses
Planes
bietet
keiten; als Personen, die solche Vorlesungen
insofern
Schwierig-
zu übernehmen
ge-
eignet und bereit sind, unter Theoretikern wie unter Praktikern schwer wicklung
zu finden sind.
Wenn
des Geschäftslebens
in
auch
die
seinen
Theoretiker einzelnen
die Ent-
Zweigen
mit
Interesse verfolgen, so heftet sich bei ihnen dasselbe doch überwiegend entweder an die volkswirtschaftliche nische Seite,
oder an die tech-
ohne daß die Literatur dem gelehrten Fachmanne
genügende Handhaben böte, um gerade in die geschäftlichen Eigenheiten der einzelnen Branchen einzudringen, solcher Vorlesungen
zu bilden hätten.
die den Gegenstand
Die Praktiker
die diese geschäftliche Seite vollständig überblicken, seltenen Ausnahmefällen geneigt,
hingegen,
sind nur in
sie zum Gegenstande 1*
größerer
4
Vorwort.
zusammenhängender Darlegungen zu machen. in den bisherigen Vorlesungsverzeichnissen
So kam es,
daß
der Handelshochschule
die Rubrik für „einzelne Handelszweige" den angestrebten Ausbau ncc-h
nicht
gefunden hat.
Es
sind bisher
überwiegend
solche
Branchen vertreten, die, wie das Bankwesen oder das Exportgeschäft, viel
z u ' umfassend
sind,
als
daß
sie mit der Benennung
als
„einzelner Handelszweig" richtig bezeichnet wären, oder solche, denen die besondere Berücksichtigung
aus anderen Gründen
und unter
anderen Gesichtspunkten eingeräumt wurde, wie der Kolonialhandel, das Versicherungsgeschäft, der Eisenbahnverkehr u. a. m. Da andererseits in der kaufmännischen Bevölkerung Berlins ein
Bedürfnis
namentlich der
nach
auch
Handelshochschule
fortdauernd
derartiger
Belehrung
vorhanden
aus den Kreisen von Kaufleuten, als
Hospitanten
und Hörer
solche Wünsche geäußert wurden,
ist,
und
die sich an beteiligten,
so haben
wir
—
ohne jene Absichten für den Lehrplan der Handelshochschule aufzugeben — uns
entschlossen,
ihnen auf andere Art
entgegenzu-
kommen, indem wir zunächst einen Zyklus „gewerblicher Einzelvorträge" begründeten, in denen jedem Gewerbe lediglich ein einmaliger Vortrag gewidmet sein sollte. Praxis für
Die Aussicht, Männer der
solche einmaligen Vorträge zu gewinnen, war größer,
als wenn ihnen eine zusammenhängende Vorlesungsreihe zugemutet würde. Unsere Hoffnung hat uns in dieser Beziehung nicht getäuscht. Von den fünf Vorträgen, die hier als erste Reihe zusammengefaßt erscheinen, sind drei von Mitgliedern unserer Korporation gehalten, während ein fernerer Vortrag eine dem Geschäftsleben gewidmete Einrichtung der Korporation betrifft, die durch ihren Leiter vertreten ist.
Für den Vortrag,
der die Sammlung eröffnet,
ist es
uns gelungen, einen Redner zu gewinnen, der das theoretische wie das praktische Gebiet seines Industriezweiges in gleich anerkannter Weise beherrscht.
5
Vorwort.
Keiner
der
hier
wiedergegebenen
seinen Gegenstand zu erschöpfen. will vielmehr ihre Leser
Vorträge
beabsichtigte,
Die vorliegende Veröffentlichung
zu weiteren Studien anregen.
Weitere
literarische Hilfsmittel sind in der den Korporationsmitgliedern und den Studierenden allgemein zugänglichen Bibliothek der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin enthalten und in ihrem im Druck erschienenen „Katalog" verzeichnet. Bücher
U m eine Auswahl geeigneter
für erste Studien zu erleichtern,
sind im Anhang
einige
Literaturnachweise beigefügt. Wir verfehlen nicht,
allen, die uns durch ihre Mitwirkung
die Ausführung dieses ersten Versuches ermöglicht haben, unseren ganz besonderen Dank Berlin,
auszusprechen.
im Januar 1908.
Die Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin. Kaempf.
Weigert.
Inhalt. Seite
I. D i e E n t w i c k l u n g d e r e l e k t r i s c h e n I n d u s t r i e .
Vortrag des
Herrn Geheimen Regierungsrat Professor Dr. A r o n II. D i e E i n r i c h t u n g e n
an
der B e r l i n e r Börse.
9 Vortrag des
Herrn Kommerzienrat M. R i c h t e r
23
III. G e s c h i c h t e und T e c h n i k d e r T e x t i l i n d u s t r i e .
Vortrag des
Herrn Stadtrat Dr. W e i g e r t
t5
IV. E n t w i c k l u n g und A r t e n d e r E x p o r t g e s c h ä f t e .
Vortrag des
Herrn H e r m a n n H e c h t V. D a s
Verkehrsbureau
s c h a f t von Berlin.
65 der
Korporation
der
Kaufmann-
Vortrag des Herrn Bureaudirektor
Hoff-
mann VI. Anhang:
79 Literaturnachweise.
Bibliothekar
der
Korporation
—
Von
Herrn Dr.
der Kaufmannschaft
Reiche,
von
Berlin
(Elektrische Industrie. — Berliner Börse. — Textilindustrie. — Exportgeschäfte. — Eisenbahnverkehr.)
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I.
Die Entwicklung der elektrischen Industrie. Vortrag des Herrn
Geheimen Keoierunosrats Professors D r . O O
Aron.
Man kann drei Gebiete der Elektrizität unterscheiden. Das erste und älteste ist das der Reibungs-Elektrizität, weil ursprünglich dabei die Elektrizität durch Reibung von Glas undHarz erzeugt wurde. Wissenschaftlich ist dieses Gebiet überaus interessant, auch hat es einen großen Einfluß auf den Menschen ausgeübt, weil er dadurch ein Verständnis von dem Wesen des Gewitters erlangt hat und sich gleichsam den Blitz des Zeus zu eigen gemacht hat. Aber praktisch hat diese Art der Elektrizität bis heute keine Anwendung gefunden, und zwar deshalb nicht, weil sie zu heftig ist und sich nicht beherrschen läßt; ihr Bahnen anzuweisen, ist überaus schwer, da sie die Tendenz hat, infolge ihrer hohen Spannung nach jedem sich gelegentlich bietenden Punkte abzuspringen, wodurch ihre praktische Anwendung unmöglich wird. In der Praxis kann man nur das, was sich fügt, verwerten. Was nicht vorgeschriebene Bahnen geht, ist technisch unbrauchbar. Die zweite Art der Elektrizität ist die galvanische, welche Galvani im Jahre 1789 mit Hilfe seiner Froschschenkelversuche gefunden hat, allerdings in der Meinung, es handele sich um tierische Elektrizität. Erst das Genie Voltas hat daraus den Galvanisinus geschaffen. Die galvanischen Elemente geben eine kleine aber stetige Kraft von geringer Spannung, die den Leitungswegen, die man ihr anweist, vollkommen folgt. Ihre Gefügigkeit hat sie zu einem gewaltigen Hilfsmittel für die Menschheit gemacht. Sie ist die Quelle der Schwachstromtechnik, also der Telegraphie, sowohl der Fern- als der Haustelegraphie geworden, die dann zur Telephonie führte. In diesen galvanischen Elementen wirkt die chemische Kraft; Verbrauch und Leistung ist gering, aber hinreichend für die Schwachstromtechnik. Wir haben jedoch heute vor, uns wesentlich mit der Starkstromtechnik zu beschäftigen, und dafür reichen die galvanischen Elemente nicht aus, sie sind zu teuer und zu umständlich, und alle Versuche, galvanische Elemente für Starkstromtechnik zu verwerten, sind bis
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Die Entwicklung der elektrischen Industrie.
jetzt gescheitert. Freilich hat man früher auch elektrisches Bogenlicht mit galvanischen Elementen gemacht, aber nur in den Vorlesungen oder für besondere Schaustellungen, und ich erinnere mich aus meiner Assistentenzeit, daß der Tag, wo ich für die Vorlesung elektrisches Licht vorzubereiten hatte, ein schwerer und sorgenvoller war, da man 50 Bunsenelemente zusammensetzen mußte und es unvermeidlich war, einen Teil der Dämpfe der salpetrigen Säuren dabei zu schlucken, worunter man einige Tage zu leiden hatte. Aber dafür konnten auch die Zuhörer eine elektrische Bogenlampe in der Vorlesung sehen, und das war damals eine große Sache. Wie ist das jetzt darin anders geworden! — Dahin zu gelangen bedurfte es jedoch einer dritten Elektrizitätsquelle, welche im Jahre 1832 von Faraday entdeckt worden ist und zur Starkstromtechnik führte. Von jedem Magneten gehen magnetische Kraftlinien aus, welche den Raum durchsetzen und jenen Äther, der alles durchdringt, zu ihrem Medium haben. Einen solchen von magnetischen Kraftlinien durchsetzten Raum nennen wir ein magnetisches Feld. Zwischen zwei starken Gegenpolen, also starken Nord- und Südpolen, treten 5 bis 10 000 Kraftlinien und mehr pro Quadratzentimeter durch den Raum, und Faraday hat gezeigt, daß, wenn man mit einem Leiter für Elektrizität, also z. B. einem Kupferdraht, die Kraftlinien eines solchen Feldes durchschneidet, in dem Leiter elektromotorische Kräfte während seiner Bewegung induziert werden, welche ähnliche Ströme erzeugen können, wie galvanische Elemente. Aber hierfür brauchen wir keine lästigen Flüssigkeiten, keine Salze und keine Säuren, sondern wir brauchen nur Kraft zur Bewegung der Leiter im magnetischen Feld. Da nun im Griechischen D y n a m i s Kraft heißt, so nennt man Maschinen, die darauf beruhen, dynamo-elektrische Maschinen. Rund zweihundert Millionen Kraftlinien muß man aber in einer Sekunde schneiden, um die Kraft eines einzigen Bunsenelementes, ca. 2 Volt, zu bekommen. Das scheint viel und kaum glaublich, aber die Hilfsmittel, die man dafür hat, sind auch dementsprechend. Man bewegt nicht gerade einen Leiter, sondern eine ganze Spule mit sehr vielen Drähten, und man hat auch nicht nur 1 qcm, durch den 10 000 Kraftlinien gehen, sondern viele Quadratzentimeter, z. B. 200 qcm oder mehr, und man schneidet auch nicht in der Sekunde einmal das Feld, sondern die Leiter rotieren schnell und schneiden vielleicht zehnmal das Feld in der Sekunde. So haben wir eine große Menge
Die Entwicklung der elektrischen Industrie.
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von Faktoren, die zusammen ein großes Produkt geben, und es ist nicht schwer, Spannungen von 100 bis 1000 Volt zu bekommen und noch mehr. In obigem Beispiel, wenn ca. 1000 cm Draht auf einer Spule aufgewickelt sind, bekommen wir 10000 X 200 x 1000 x 10 Kraftlinien, die in der Sekunde geschnitten werden, das sind also 20 000 Millionen Kraftlinien, die in einer Sekunde geschnitten werden, rund die Spannung von 100 Bunsenelementen oder 200 Volt; und eine Maschine, die das leistet, kann immer noch klein sein. W i e ich sagte, hat Faraday schon im Jahre 1832 das Prinzip der Magnetoinduktion entdeckt, doch hat es noch lange gedauert, bis eine brauchbare Maschine damit gebaut wurde. Zur praktischen Ausbildung der dynamo-elektrischen Maschine war noch ein langer Weg, denn zuerst hat man mit permanenten Magneten, das sind Stahlmagnete, gearbeitet, und Stahlmagnete sind weder kräftig noch dauerhaft, wenigstens waren sie es früher nicht; heute kann man auch gute Stahlmagnete machen. Deshalb waren die Maschinen in der ersten Zeit keineswegs gute Apparate, und die Maschine, welche die Alliance Elektrotechnique in Paris in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts baute, um elektrisches Licht für Leuchttürme zu machen, war schlecht und teuer und wurde bald unbrauchbar. Es bedurfte noch bedeutender Arbeit, um dem Ziele nahezukommen. Den nächst der Entdeckung von Faraday wichtigsten Schritt für den Bau der Dynamomaschinen tat Werner Siemens, und zwar im Jahre 1867, wo er den dynamo-elektrischen Zündapparat konstruierte, der unserer Armee viele Jahre ausgezeichnete Dienste geleistet hat. In diesem Apparat hat Siemens zuerst das Prinzip der magnetischen Selbsterregung angewendet, ohne das jetzt keine Dynamomaschine gebaut wird. In jedem Eisen ist nämlich von Natur etwas Magnetismus. Diese Spur von Magnetismus, Rückstand genannt, benutzte Siemens, um etwas Strom damit zu erzeugen. Diesen Strom leitete er aber wieder um dasselbe Eisen zurück und verstärkte dessen Magnetismus. Der stärkere Strom erzeugte einen stärkeren Magneten, der. stärkere Magnet einen stärkeren Strom, und so steigerte sich die Wirkung, so daß in 2 Sekunden ein vollständig gesättigter Magnet von großer Stärke vorhanden war. So hat Siemens einen Magneten gleichsam aus sich selbst erzeugt. Man kann diese Entdeckung füglich das Prinzip der
Die Entwicklung der elektrischen Industrie.
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magnetischen Selbsterregung nennen, ohne welches heute keine Dynamomaschine gebaut wird.
Aber noch eines weiteren Schrittes bedurfte
es, um brauchbare Starkstrommaschinen herzustellen.
Diesen tat
Gramme in Paris im Jahre 1873, als er den nach ihm benannten Ringanker herstellte. Der Gramme sehe Ring in Verbindung mit dem Siemensschen Prinzip war die Grundlage einer technisch brauchbaren Maschine. Seitdem sehen wir eine stetig fortschreitende Entwicklung, die uns auf den heutigen Standpunkt brachte. Beschleunigt wurde der Fortschritt durch einen Umstand, der an sich mit Starkstromtechnik nichts zu tun h a t ; es war dies die Erfindung des Telephons im Jahre 1876, denn das Telephon gehört der Schwachstromtechnik an; findung ein überaus mächtiger.
dennoch war der Einfluß dieser E r Wenn es möglich war, wovon sich
die Welt bald überzeugte, auf elektrischem Wege mit einem kleinen Apparat meilenweit möglich sein ?
zu sprechen, was sollte
elektrisch nun nicht
Man glaubte, es müsse mit Hilfe der Elektrizität alles
gelingen, und der Glaube macht auch in der Technik stark. So kam Erfindung auf Erfindung, und eine mächtige Entwicklung der elektrischen Industrie folgte. Als die elektrische Maschine schon eine gewisse Vollkommenheit erreicht hatte, war doch die Teilung des elektrischen Lichtes nicht möglich.
Für jede Lampe eine Maschine war damals die Losung. Die
elektrischen Bogenlampen, welches ja die einzigen elektrischen Lampen waren, die man damals kannte, hatten einen komplizierten Mechanismus, und man konnte zwei Lampen nicht mit einer Maschine betreiben; die Lampen störten sich gegenseitig.
Auf der Internationalen Aus-
stellung in Paris im Jahre 1878 führte der Russe Jablochkoff zum ersten Male elektrisches Licht vor, wo eine Maschine 8 Lampen speiste. Diese Lampen waren eigentümlicher Art, man nennt sie Kerzen.
Jablochkoffsehe
Sie hatten keinen Mechanismus, sondern brannten herunter
wie die Kerzen.
Zwei 20 cm lange Kohlenstäbe standen dicht neben-
einander in ca. 1 cm Entfernung, zwischen ihnen war Kaolin, weiße Tonerde, oben an den Spitzen war etwas leitendes Papier.
Sowie nun
Spannung hineinkam, flammte das Papier auf, es bildete sich ein Lichtbogen, die Kohlen brannten langsam herunter, während das Kaolin unter der Hitze verdunstete. Zwei Stunden brannte eine solche Kerze, dann mußte sie gegen eine neue ausgewechselt werden, was später auch automatisch geschah.
Die erste Anlage dieser Art haben wir in
Die Entwicklung der elektrischen Industrie.
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Berlin in der Leipziger Straße im Laden von Michaelis zu sehen bekommen, und ganz Berlin strömte herbei, um einen Laden elektrisch beleuchtet zu sehen. Aber so genial die Erfindung ist, so konnte sie sich doch nicht halten, denn sie war zu teuer in der Anwendung und funktionierte durchaus nicht sicher. Ging eine Kerze einmal unglücklicherweise aus, so ging sie nicht wieder von selbst an. Die wirkliche Teilung des elektrischen Bogenlichtes gelang erst mittelst der Difierentiallampen, die von iie/wer-Alteneck bei der Firma Siemens & Halske konstruiert wurde. Mit diesen Lampen wurde zuerst im Jahre 1882 die Leipziger Straße erleuchtet, und diese Beleuchtung mit Bogenlicht in der Leipziger Straße, wenn sie auch manche Wandlung durchgemacht hat, ist seitdem geblieben. So ist in der Tat die Leipziger Straße die erste Straße in der Welt, die seitdem dauernd mit elektrischem Licht beleuchtet wurde, denn auch die Jablochkoffsehen Kerzen auf dem Opcrnplatz in Paris sind beseitigt worden und mußten zeitweise Gaslampen weichen. Erst viel später ist wieder elektrisches Licht in Anwendung gekommen. So bedeutungsvoll die Teilung des Bogenlichtes unzweifelhaft ist, so war es doch klar, daß dasselbe für Zimmerbeleuchtung zu groß war. Um die Teilung ins Kleine vorzunehmen, bedurfte es anderer Wege, und diesen anderen Weg hat Edison eingeschlagen. Es ist die Glühlampe, welche Edison im Jahre 1879 erfand, die er erst aus einem Papierstreifchen herstellte, das er unter Luftabschluß bei sehr hoher Temperatur glühte. Ein solches Papierstreifchen kann nun nicht verbrennen, weil die Luft fehlt, aber es verwandelt sich dann in Kohle, die gut leitet, und diese Kohle schloß er in eine luftleere Birne ein und brachte sie im luftleeren Raum zum Glühen. Das ist die Grundlage unseres jetzigen elektrischen Glühlichtes geworden. Mit 115 solcher Lampen beleuchtete Edison im Jahre 1879 den Dampfer „Columbia" und zeigte damit die Möglichkeit einer Teilung des elektrischen Lichtes bis ins Kleinste. Es war dies eine wundervolle Leistung von Edison, woran sich weitere Erfindungen von ihm anschlössen, welche im hohen Grade seine Schaffenskraft bekundeten. Er ist der Schöpfer der elektrischen GlühlampenBeleuchtung geworden. Von den Kohlen aus Papier ging er allerdings bald ab, weil die Lampen nicht lange hielten; er wandte Bambusfaser an; auch wurden die Lampen von anderen, insbesondere von Swan in England verbessert, so daß sie bald praktisch brauchbar wurden.
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Die Entwicklung der elektrischen Industrie.
In Berlin wurde von einem Konsortium unter Leitung von Rathenau, um den Berlinern eine Vorstellung von diesem Lichte zu geben, zuerst die Wilhelmstraße mit elektrischem Glühlicht erleuchtet, doch sollte das keine dauernde Einrichtung sein, sondern bezweckte nur, dem Publikum eine Vorstellung von dem zu geben, was elektrisches Glühlicht ist, und diesen Zweck erfüllte diese Einrichtung auch vollkommen. Von dem Konsortium wurde später die Deutsche Edisongesellscliaft gegründet, welche jetzt den Namen der Allgemeinen ElektrizitätsGesellschaft führt. Im selben Jahre gründete Edison in New York die erste elektrische Zentrale, gewiß eine Leistung ersten Grades, denn er mußte eigentlich dafür alles neu erfinden; die Lampen habe ich bereits besprochen, aber auch die Maschinen, die Leitungen, die Anschlüsse, die Sicherungen, die Fassungen usw. Ein gewaltiger Wagemut gehörte dazu, aber auch eine gewaltige Tatkraft stand dem gegenüber. Sicher wäre es nicht ohne den Langmut der zuerst angeschlossenen Lichtkonsumenten gegangen. Dieser Langmut war damals in reichem Maße in New York vorhanden. Leider kann sich nicht jeder Erfinder einer solchen Rücksichtnahme seitens des Publikums erfreuen. Aber ohne diese Rücksichtnahme sind eigentlich Erfindungen kaum möglich, es sei denn, daß der Erfinder unter den Trümmern seines Neubaues begraben wird, was ja leider manchmal der Fall ist. In Berlin wurde die erste Zentrale in der Markgrafenstraße von der Edisongeseilschaft im Jahre 1884 erbaut. Am 31. Dezember 1885 waren 5000 Lampen angeschlossen, natürlich ging es auch hier nicht ohne Schwierigkeiten ab, ganz überwunden wurden sie erst im Laufe der Zeit, und zwar in dem Grade, daß am 1. April 1906 in Groß-Berlin, Charlottenburg, Wilmersdorf und Schöneberg 1062000 Glühlampen angeschlossen waren und 27700 Bogenlampen, und an Motoren 73500 PS. In ganz Deutschland waren um dieselbe Zeit 1338 Z e n t r a l e n i n Betrieb mit 8238000 Glühlampen, 154000 Bogenlampen und an Motoren 377000 PS. Hierin sind Einzelanlagen nicht eingeschlossen, deren Leistung sogar das Sechsfache der Zentralen betragen soll 2 ). Auch wurde das Licht immer besser und billiger. So kostete im Anfang in Berlin die Glühlampe erst 6 M., dann 5 M., während man sie jetzt für 60 Pf. kauft; und dabei brennen Statistik der Elektrizitätswerke in Deutschland. Elektrotechnische Zeitschrift 1907. 2 ) Elektrizität und Gas von G. Dettmar. Elektrotechnische Zeitschrift 1907.
Die Entwicklung der elektrischen Industrie.
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die Lampen jetzt doppelt so lange wie früher. Auch der Stromverbrauch der Lampen ist auf die Hälfte herabgegangen und ebenfalls der Preis für die elektrische Energie. Eine Kilowattstunde, die früher 80 Pf. kostete, kostet jetzt nur 40 Pf., so daß aus diesen verschiedenen Gründen die Glühlampenstunde, die anfänglich 8 Pf. kostete, jetzt nur noch 2 Pf. kostet. Aber in unserer Zeit gibt es für die Erfinder keine Rast. Einer treibt den anderen. Man bewundert ihn und sucht ihn zu übertreffen. Kaum war das elektrische Licht aufgekommen, da trat Auer mit seinem Gasglühlicht auf. Das Gaslicht, welches ohne Auer vom elektrischen unzweifelhaft wohl ganz vom Markte verdrängt worden wäre, bekam dadurch neues Leben. Der Auerstrumpf gibt für weniger Geld mehr Licht, als elektrisches Glühlicht, und nur die Feinheit des elektrischen Lichtes und die Bequemlichkeit bei seinem Gebrauche waren imstande, ihm die Bahn trotz der Konkurrenz zu eröffnen. Aber auch dem Elektriker ließ es keine Ruhe, daß sein Licht so viel teuerer ist als das Gaslicht; unentwegt w a r er bemüht, die Glühlampen zu verbessern, fast schien es unmöglich, aber gerade die Neuzeit zeigte neue Wege. Der Metallfadenlampe gehört die Zukunft, und gerade die Allergesellschaft ist es, die jetzt a n f ä n g t solche in den Handel zu bringen. Dieselben geben für denselben Preis beinahe dreim.il so viel Licht als die bisherigen Glühlampen, und wenn hier, wie überall, der Anfang eine weitere Vervollkommnung vorbereitet, steht dem elektrischen Glühlicht eine gewaltige Zukunft bevor. Billig und gut wird m a n von ihm sagen können, und das sind zwei Faktoren, welche ihm die Bahn in jedes Haus öffnen werden. Von den etwa 1 Million Pferdestärken, die in den Zentralen Deutschlands jetzt tätig sein müssen, um elektrische Energie zu erzeugen, werden 600000 für Licht und etwa 400000 für K r a f t abgegeben, während die Einzelanlagen mehr für Kraft als für Licht dienen. Diese K r a f t wird in allen möglichen Stärken geliefert; bei 100 Pferdestärken f ü r große Anlagen und bei 1/100 Pferdestärke für kleine Ventilatoren. Auch vom wirtschaftlichen Standpunkt ist es bedeutsam, daß dem kleinen Mann die Möglichkeit gegeben ist, seinen Betrieb mit mechanischen Kräften auszurüsten und so besser mit den Großindustriellen konkurrieren zu können, da bisher nur die Konzentrierung der Arbeitsstellen es ermöglichte, die Arbeitsmaschine mit maschineller K r a f t zu betreiben. J e t z t steht sogar die maschinelle K r a f t der Hausindustrie Gewerbliche Einzelvortrüge.
2
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Die Entwicklung der elektrischen Industrie.
zur Verfügung, und es ist möglich, daß dadurch die Hausindustrie, die an diesem Mangel untergehen mußte, wieder auflebt. Die elektrischen Maschinen haben auch ihre Bedeutung gewonnen für den Eisenbahnbetrieb; die Straßenbahnen, die Untergrundbahn sind dafür ein Zeugnis. Was aber angestrebt wird, das ist, auch den elektrischen Betrieb für die Vollbahnen einzuführen. Hier eröffnet sich ein gewaltiges Arbeitsfeld für die Elektrotechnik, das erst im Entstehen begriffen ist. Die Studiengesellschaft für elektrische Bahnen hat auf der Strecke Marienfelde—Zossen bewiesen, daß man Geschwindigkeiten bis 200 km in der Stunde erreichen kann, während die bisherigen Schnellzüge mit 60—90 km Geschwindigkeit fahren. Nun, bis zu 200 km die Stunde wird man wohl in der Geschwindigkeit nicht gehen, 120 km dürften jedoch auch praktisch durchführbar sein. Aber auch für den Vollbahnbetrieb sind in jüngster Zeit große Fortschritte gemacht. Noch auf der Strecke Marienfelde—Zossen bedurfte man zum Antrieb der Schnellbahn Dreiphasenstrom, also drei Leitungen; das ist eine ungeheure Schwierigkeit für die Praxis, besonders bei Kreuzungen und Weichen. In der neuesten Zeit werden für Fernbahnen bereits Maschinen eingestellt, die wie unsere Straßenbahnen nur einer Oberleitung bedürfen. Dadurch wird das Schnellbahnproblem viel einfacher zu lösen sein, und schon manche Bahn in dieser Art ist jetzt erfolgreich mit nur einer Leitung in Betrieb, die mit Wechselstromhochspannung arbeitet. Und nun kommen wir zu einem weiteren Fortschritt, der sich vor unseren Augen vollzieht; das sind die Überlandzentralen, die Fortleitung der Elektrizität auf gewaltige Entfernungen. Während wir in der Stadt wie Berlin mit 2 X 220 Volt Spannung auskommen, ist das auf große Entfernungen nicht mehr möglich, das Leitungsmaterial würde zu teuer werden, man muß viel größere Spannungen anwenden. Dem steht aber wieder entgegen, daß man mit höheren Spannungen nicht in die Häuser gehen kann, weil dieselben zu gefährlich sind. Übrigens wendet auch unsere Nachbarstadt Charlottenburg Wechselstrom an. Es wird Dreiphasenstrom in Chailottenburg von 3000 Volt erzeugt und dieser Strom umgewandelt in einzelnen Häuschen, wo Transformatoren stehen, in Dreiphasenstrom von 120 Volt, womit man schon vollkommen in die Häuser gehen kann. Nun, 3000 Volt ist zwar schon eine schöne Spannung, mit der man nicht mehr unvorsichtig umgehen darf,
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Die Entwicklung der elektrischen Industrie.
dennoch sind heute 30000 Volt und mehr schon im Gebrauch, und das ist von der höchsten Bedeutung für die Ausbeutung der Wasserkräfte. Die Wasserkräfte sind nicht nur eine Quelle des Nutzens, sie bilden seit undenklichen Zeiten eine Sorge der Menschheit wegen der Zerstörungskraft, die ihnen innewohnt. Die Mengen, die sich auf den Gebirgen plötzlich niederschlagen, finden oft keinen hinreichenden Abfluß und gehen zerstörend über die Gebiete menschlicher Kultur. Es ist ein wunderbarer Gedanke, diese Gewässer in großen Reservoirs aufzuspeichern, sie dadurch gefahrlos zu machen, und zugleich nutzbringend zu verwenden, indem man nachher das in den Reservoirs aufgespeicherte Wasser zum Betrieb von elektrischen Anlagen benutzt. Solche Einrichtungen heißen Talsperren. Es werden jetzt viele in Deutschland, besonders in Schlesien, im Rheinland und in Westfalen gebaut. Hier will ich nur von einer sprechen, einer großen, die augenblicklich schon im Betrieb ist, es ist die Urftalsperre in der Eifel, in der Nähe von Aachen, von wo etwa 10000 PS. fortgeleitet werden können als elektrische Energie über drei Leitungen mit 34000 Volt Spannung, um dann später im Landkreis Aachen und benachbarten Kreisen in Niederspannung verwandelt in die Häuser geleitet zu werden. Die Fassungskraft des Staubeckens beträgt 4 5 | Millionen Kubikmeter, die Länge der Sperrmauer 228 m, die Höhe 58 m, die Kosten der Anlagen 4000000 Mark. Wunderbar ist das Maschinenhaus und die SelbstverständSchalttafel einer solchen Hochspannungszentrale. lich kann sich einem Apparat von solch hoher Spannung niemand ohne Lebensgefahr nähern. Daher ist die Einrichtung getroffen, daß solche Hochspannungsapparate in einem abgeschlossenen Räume sind, wo niemand hineinkommt. Was da im Innern dieses Raumes zu bewegen ist, muß von außen bewegt werden und geschieht elektrisch durch einen Druck auf einen Knopf, wodurch sich innen eine kleine elektrische Maschine betätigt, die die gewünschte Arbeit leistet, insbesondere die Apparate nach Wunsch ein- und ausschaltet. Wie ein Mysterium kommt einem ein solcher Raum vor, in dem sich so gewaltige Kräfte abspielen, und in den niemand ohne Lebensgefahr hineingehen darf. Auch die Technik hat ihre Poesie! Es sind auch schon Kraftübertragungen für größere Entfernungen mit höheren Spannungen gemacht, als die genannte im Urftal. So ist z. B. eine vom Niagarafall nach Torento auf eine Entfernung 2*
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Die Entwicklung der elektrischen Industrie.
von 120 km (16 deutsche Meilen) ausgeführt, wo durch Drehstrom mit 60000 Volt 24000 PS. übertragen werden. In der letzten Zeit hat sich unter Mitwirkung deutscher Werke, insbesondere der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft, eine englische Gesellschaft „The Victoria Fall Power Company" gegründet, um Kraft im Goldminendistrikt von Transvaal zu verteilen. Sie beabsichtigt von den Victoriafällen am Zambesi nach dem Rand bei Johannisburg Kraft auf eine Entfernung von 600 englischen Meilen, also etwa 120 deutsche Meilen zu verteilen. Wir wollen hoffen, daß es gelingen wird, auch ökonomisch die Kraft zu übertragen, denn die Anlage wird wegen der großen Leitung sehr teuer, so daß Zweifel an der Rentabilität einer solchen Anlage möglich sind. Wenn es aber gelingen sollte, so wäre es sicher eine Meisterleistung. Auch die Schweizer Regierung beabsichtigt die Wasserkräfte in der Schweiz für den Betrieb ihrer Bahnen auszubeuten. Die Jahresniederschläge betragen in den Schweizer Tälern 100—120 cm, auf den höheren Punkten 150—200 cm, im Mittel der ganzen Schweiz 125 cm. Das macht für die Schweiz, auf eine Quadratfläche von etwa 41000 qkm, etwa 52 Milliarden Kubikmeter pro J a h r oder rund 1600 cbm pro Sekunde Rechnet man 10% auf Verdunstung, so bleiben rund 15 cbm Wasser pro Sekunde, das zu den Flüssen läuft. Man schätzt die Wasserkräfte, die dadurch praktisch zur Verfügung stehen, auf etwa 750000 PS. Davon sind bis jetzt etwa 250000 im Betrieb, so daß noch etwa 500000 PS. auszunutzen sind, welche die Schweiz für Bahnbetriebe verwenden will. Ein Versuch soll demnächst auf verschiedenen Strecken gemacht werden, insbesondere auch auf der Strecke von Zürich nach Zug, also einer internationalen Linie. Auch in anderen Ländern, z. B. Schweden, werden Versuche gemacht, Bahnen mit Wasserkräften zu betreiben. Wir gingen von der Reibungselektrizität aus und erklärten sie wegen ihrer hohen Spannung, die sich nicht bezähmen läßt, für technisch unbrauchbar, und nun sind, wir auf anderem Wege, wie Sie sehen, doch zu hohen Spannungen gekommen, Spannungen von 60000 Volt, die schon der Reibungselektrizität nahe stehen, und bemeistem dieselben; das ist der Erfolg der stetigen Arbeit, die in unerwarteter
Ausnutzung der Wasserkräfte der Schweiz von Herrn Professor Zschokke. Verhandlungen des deutschen Vereins der Gas- und Wasserfachmänner Zürich 1903, Seite 114.
Die Entwicklang der elektrischen Industrie.
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Weise von einer neuen Seite einem Ziele nahe kommt, das anfänglich unerreichbar schien. Fragen wir nach der Zukunft der elektrischen Industrie im allgemeinen, so können wir mit Rücksicht auf das, was ich gesagt habe, in bezug auf drei Punkte noch Großes erwarten: Hinsichtlich des elektrischen Lichtes durch die Metallfadenlampe, hinsichtlich der elektrischen Kraftübertragung auf große Entfernungen durch die Uberlandzentralen und schließlich für den Vollbahnbetrieb durch die Einphasenmotore, also drei Gebiete von einem gewaltigen Umfang, sodaß an einen Stillstand der Elektrotechnik, so viel auch schon getan ist, für die nächsten Jahrzehnte nicht zu denken ist, denn dazu ist das Gebiet zu groß und zu gewaltig.
IL
Die Einrichtungen an der Berliner Börse. Vortrag des Herrn K o m m e r z i e l l rat M .
Kiehter.
Messen und Märkte, oder, wie ich chronologisch richtiger sagen muß, Märkte und Messen waren die ersten Einrichtungen, welche der Handel zur Erreichung seiner Ziele schuf, die ersten Einrichtungen, auf denen Angebot und Nachfrage, deren Befriedigung das Wesen des Handels bildet, zum Ausgleich gelangen konnten. Derartige Einrichtungen treffen wir bereits in der allerfrühesten Periode der wirtschaftlichen Entwicklung, also im Altertum. Sie haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten; ich erinnere nur an die Jahrmärkte bei uns, an die noch heute bedeutungsvolle Messe in Nischninowgorod. Diesen beiden, Messen und Märkten ist gemeinsam, daß die zu handelnde Ware in natura vorgezeigt und besichtigt wird, und die Ablieferung nur in den besichtigten und geprüften Stücken erfolgen kann. Zur Blütezeit der Messen ging man dazu über, nicht mehr die Ware selbst vorzustellen, sondern nur Proben vorzuweisen. Aber diese Vervollkommnung bildete nur einen Übergang zu einer noch höheren Stufe des Handels: zu einem Handel, beiweichem auch die Vorweisung einer Probe überflüssig wurde, zu einem Handel, bei welchem allein die Benennung der Ware genügte, um die Eigenschaften derselben festzustellen, so daß man bei einem solchen Handel nicht mehr ein vorher besichtigtes Stück, sondern nach Zahl, Maß oder Gewicht jedes Quantum handeln konnte. Derartige Waren hießen vertretbare oder fungible Waren. Es gehören dazu die Getreidearten, deren Qualitäten natürlich dann festzustellen sind, Spiritus mit einem bestimmten Gehalt, Metalle, vor allen Dingen aber Wertpapiere. Die Einrichtungen, an denen derartige Geschäfte abgeschlossen wurden, erhielten den Namen „Börse". Woher der Name „Börse" stammt, ist strittig. Die einen leiten ihn von dem lateinischen Wort „borsa" ab, die anderen behaupten, er rühre her von der Brügger Patrizierfamilie van der Beurse, vor derem Hause derartige Versammlungen stattfanden, besonders weil angeblich der
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Die Einrichtungen an der Berliner Börse.
Name „Börse" von Brügge aus sich über das übrige Europa verbreitet habe. Die erste internationale Weltbörse entstand zu Antwerpen. Sie wurde nach einigen Menschenaltern abgelöst von der weit bedeutenderen Börse in Amsterdam. Diese beiden Börsen, wie überhaupt die Börsen des Mittelalters, waren im wesentlichen Warenbörsen, doch wurden an ihnen auch Wechselbriefe und Wertpapiere umgesetzt. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurden in Amsterdam bereits etwa ein halbes Hundert Wertpapiere gehandelt, und es wurde auch darüber ein Kurszettel herausgegeben. Im letzten Jahrhundert ist nun eine vollständige Trennung der Warenbörsen von den Geld- oder Effektenbörsen eingetreten, wobei die letzteren das Übergewicht gewannen. Wenn man heute von der Börse in London, Paris, New York spricht, so meint man stets die Fondsbörse des betreffenden Platzes. Die Ursache dafür liegt darin, daß im Laufe der Zeit ganz fabelhafte Summen von Wertpapieren geschaffen worden sind. Nicht nur die Staatsanleihen sind zu enormen Summen angewachsen, nein, alle Teile des Nationalvermögens zivilisierter Völker sind zu Wertpapieren verkörpert worden, und namentlich in den letzten 50, 60 Jahren hat die Schgaffun solcher Werte einen ganz ungeheuren Umfang angenommen. Ein Blick in den Kurszettel genügt, um uns zu zeigen, daß die Fabrikunternehmungen aller Industrien, der chemischen, der Metallindustrie, der Zementindustrie, der elektrischen Industrie, daß ferner die Transportunternehmungen zu Wasser und zu Lande, also Eisenbahn- und Schifffahrtsunternehmungen, die Bergwerke, die Bankgeschäfte als Banken, daß alle diese und noch viele andere Erwerbszweige in Form von Aktien uns an der Börse entgegentreten. Der Kredit der Städte, der Provinzen und anderer Gemeinschaften ist mobilisiert, und sogar die Hypotheken erscheinen an der Börse als Pfandbriefe der Hypothekenbanken ; um nur eine einzige Zahl zu nennen : von dieser Effektengattung existieren allein in Deutschland über fünf Milliarden Mark. Wir sehen also, daß heutzutage fast alle Kreise des Erwerbslebens ein mittelbares oder unmittelbares Interesse an der Effektenbörse, an der Fondsbörse haben. Je kraftvoller und leistungsfähiger die Börse ist, desto besser ist es natürlich für die Allgemeinheit. Unsere
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Berliner Börse ist bekanntlich durch die Börsengesetzgebung aus dem Jahre 1896 in ihrer Leistungsfähigkeit sehr geschwächt. Auch unsere Berliner Börse ist aus einer Warenbörse hervorgegangen. Bereits um das J a h r 1700 fanden in Berlin Börsenversammlungen, zuerst am Mühlendamm, dann an der Stechbahn statt, die „Morgensprachen" genannt wurden. Die Berliner Kaufleute wollten auch gern eine Börse haben, wie bereits andere deutsche Plätze, und im Jahre 1738 bewilligte dann Friedrich Wilhelm I. der Kaufmannschaft, daß die „Grotte" in einem Hause am Lustgarten der Kaufmannschaft als Börsenraum überwiesen wurde. In dem betreffenden Erlaß „resolviert er in Gnaden", daß dieser Raum, die Grotte, zu einer Börse aptiert werde, und bewilligt dazu 500 Taler. An dieser Stelle haben lange Zeit die Börsenversammlungen stattgefunden. Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Gebäude baufällig. Die Berliner Kaufmannschaft baute es aus eigenen Mitteln um, und im Jahre 1805 fand die Einweihung der neuen Räume statt, Bei dieser Gelegenheit gab die Regierung die ersten Börsenreglements, die auch einen Kurszettel vorsahen. Ein Kurszettel aus jener Zeit, vom 9. August 1805, enthält 25 Notierungen, 8 für Wechsel, 6 f ü r Geldsorten und 11 für Wertpapiere, meistens Pfandbriefe. Darunter befanden sich keine preußischen Staatsanleihen. Der Grund dafür ist der, daß bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Anleihen persönliche Schulden des Landesherrn waren. Die erste preußische Staatsanleihe, das heißt eine Anleihe, bei welcher die Steuerkraft der Bürger mit verpfändet wurde neben der persönlichen Bürgschaft des Landesherrn, wurde im Jahre 1792 im damaligen Auslande, in Frankfurt a. M., bei dem Bankhause Willmer & Metzker abgeschlossen. Die erste preußische Staatsschuld, welche in dem amtlichen Kurszettel der Berliner Börse Aufnahme fand, waren 5 Millionen Taler Tresorscheine. Dieselben sollten vollwertig sein. Sie wurden allerdings zu sehr unglücklicher Zeit ausgegeben, im Jahre 1806, also kurz vor dem Ausbruch des unglücklichen Krieges mit Napoleon. Sie standen nach der Schlacht bei Jena im Berliner Kurszettel leider nur 27 % , am 2. Januar 1813 44 °/o; nach dem Pariser Frieden 1817 hoben sie sich wieder auf 99 J. Das Gebäude am Lustgarten diente zu Börsenversammlungen bis zum Jahre 1860. Kurz vorher hatte die Korporation der Kaufmannschaft von Berlin größere Terrains erworben, auf denen die
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jetzigen Börsengebäude stehen, und im Jahre 1863 fand die Einweihung der jetzigen Räume der Fondsbörse in Gegenwart des Königs Wilhelm statt. Das Gebäude wurde errichtet lediglich aus Mitteln der Kaufmannschaft ohne Staatsmittel. Die Berliner Börse ist also das Eigentum und die Einrichtung der Berliner Kaufmannschaft. Früher stand der Korporation der Kaufmannschaft, resp. ihrem Vorstande, den Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin auch die Börsenleitung zu. Zunächst wurden hierfür einige Älteste deputiert. Als aber zur Blütezeit der Börse die Kräfte dieser Herren nicht ausreichten, wurden aus den Kreisen der Börsenbesucher Personen gewählt, sogenannte Sachverständige, die im Verein mit den Ältesten das Börsenkommissariat bildeten, welches die Leitung der Börse ausübte. Heute ist auf Grund der Börsengesetzgebung die Börsenleitung dem Börsenvorstande übertragen; die Ältesten der Kaufmannschaft sind an der Leitung nur noch insofern beteiligt, als in der Börsenordnung festgesetzt ist, daß eine bestimmte Zahl von Mitgliedern des Börsenvorstandes auch Mitglieder des Ältestenkollegiums sein müssen. Die Aufsicht über die Berliner Börse, welche früher ebenfalls der Korporation der Kaufmannschaft zustand, ist jetzt übergegangen auf die neu entstandene Berliner Handelskammer. Der Börsenvorstand besteht auf Grund der jetzt gültigen Börsenordnung im ganzen aus 36 Personen und zerfällt in den Börsenvorstand der Fondsbörse und in den Börsenvorstand der Produktenbörse. Der Börsenvorstand der Fondsbörse besteht aus 20 Mitgliedern. Davon werden 5 Mitglieder aus den Kreisen der Mitglieder der Handelskammer von dieser ernannt, 15 Mitglieder werden gewählt von den Börsenbesuchern; davon müssen sein : 4 Älteste, während 11 ohne diese Beschränkung gewählt werden können. Der Vorstand der Produktenbörse zählt 16 Mitglieder, davon müssen sein: 4 Mitglieder der Handelskammer, und 12 werden von Börsenbesuchern gewählt. Darunter müssen sich 2 Älteste, 2 Börser.besucher, welche das Müllereigewerbe betreiben, befinden und 8 können ohne jede Beschränkung gewählt werden. Zu diesen 16 Personen treten sowohl bei der Produktenbörse wie auch beim Gesamtbörsenvorstand, der aus den beiden Abteilungen
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gebildet wird, für Angelegenheiten, welche den Handel mit landwirtschaftlichen Produkten betreffen, weitere 5 Mitglieder hinzu, Vertreter der Landwirtschaft und der landwirtschaftlichen Nebenprodukte. Die Aufgaben, welche der Gesamtvorstand auf Grund von Gesetz und Ordnung zu erfüllen hat, sind zusammengestellt in der Geschäftsordnung des Gesamtbörsenvorstandes und sind, soweit sie nicht den beiden Abteilungen übertragen sind, folgende: Der Gesamtbörsenvorstand handhabt die Ordnung in den Börsenräumen und erläßt mit Genehmigung der Handelskammer Bestimmungen über die äußere Regelung des Geschäftsverkehrs. Dazu gehört also die Festsetzung der Börsenzeit. Die Börse findet jetzt statt von 12 bis 3, Sonnabends von 12 bis 2 Uhr. Der Börsenvorstand kann aus eigener Machtvollkommenheit einzelne Börsenversammlungcn ausfallen lassen z. B. aus Veranlassung eines nationalen Festtages oder eines Wahltages. Er könnte auch die Börsenzeit überhaupt verlegen, ist aber da an gewisse Vorschriften gebunden, z. B. er muß es 14 Tage vorher bekanntmachen und braucht dazu außerdem die Genehmigung der Handelskammer. Die zweite Aufgabe i s t : Er hat die Befolgung der in Bezug auf die Börse erlassenen Gesetze und Verwaltungsvorschriften zu überwachen. Drittens: Er beschließt über die Zulassung zum Börsenbesuche und über den Ausschluß von demselben. Viertens: Er übt die Disziplinargewalt an der Börse aus. Für die Erledigung oder Vorbereitung dieser letzten beiden Aufgaben wählt der Börsenvorstand alljährlich eine Kommission von 7 Mitgliedern. Falls bei Anträgen auf Zulassung zum Börsenbcsuch Einstimmigkeit nicht zu erzielen ist, findet die Entscheidung im Plenum des Börsenvorstandes statt. In Disziplinarsachen fungiert die Kommission als Untersuchungskommission. Den Sitzungen der letzteren hat als juristischer Beirat ein Syndikus der Handelskammer beizuwohnen. Die Börsenordnung gibt natürlich Vorschriften, die bei einer Zulassung zum Besuch der Börse zu befolgen sind. Wir unterscheiden zweierlei Börsenbesucher, solche, welche eine Börsenkarte bekommen, und solche, welche eine Eintrittskarte bekommen. Eine Börsenkarte erhalten diejenigen, welche selbständig Geschäfte an der Börse be-
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treiben wollen und eigentlich auch sollen. Eingetragenen Kaufleuten kann diese Karte nicht versagt werden. Daraus geht hervor, daß unsere Berliner Börse für Kaufleute einen offenen Zutritt hat und nicht etwa ein Klub ist, wie die Londoner Börse. In Disziplinarsachen werden von der Kommission nach vorangegangener Voruntersuchung dem Plenum des Börsenvorstandes Anträge für eine Bestrafung unterbreitet. Es kann sich hierbei handeln um Beleidigung eines Börsenbesuchers, Anstiftung von Unfug und dergleichen. In solchen Fällen ist der Börsenvorstand berechtigt, den Börsenbesucher mit einer Ausweisung von drei Tagen bis höchstens ein J a h r zu bestrafen, er kann ihm einen Verweis erteilen, oder ihn unter Umständen mit einer Geldstrafe belegen. Ein Ausschluß vom Börsenbesuch findet statt, wenn Jemand seine Verpflichtungen nicht erfüllt hat. Die folgende Aufgabe i s t : Der Börsenvorstand wählt alljährlich aus seiner Mitte eine Kommission von 5 Mitgliedern, welche berufen ist, diejenigen Streitigkeiten in Börsenangelegenheiten, die von Börsenbesuchern freiwillig oder auf Grund der Börsengeschäftsbedingungen an ihn gebracht werden, durch Vergleich, oder, falls ein solcher nicht zu erzielen ist, durch schiedsrichterlichen Ausspruch zu schlichten, also eine schiedsrichterliche Kommission. Schließlich hat der Börsenvorstand auch noch ein Vorschlagrecht für die Wahl von Mitgliedern des Börsenausschusses. Der Börsenausschuß ist ein Organ, welches die Berliner Börse nicht allein betrifft, sondern sämtliche deutschen Börsen. Er ist geschaffen worden, um sich gutachtlich zu äußern in allen Angelegenheiten, die dem Bundesrat nach der Börsengesetzgebung zur Erledigung überwiesen sind. Die Aufgaben, welche dem Börsenvorstand der Produktenbörse angewiesen sind, sind folgende: Dem Börsenvorstand der Produktenbörse liegt die Leitung der Produktenbörse nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ob, er h a t die Befolgung der in Bezug auf die Produktenbörse erlassenen Gesetzes- und Verwaltungsvorschriften zu überwachen, er entscheidet über die Zulassung von Waren zum Börsenterminhandel, er besorgt die amtliche Festsetzung der Börsenpreise und deren Veröffentlichung, und er setzt die Börsengeschäftsordnung, Börsenverkehrsbedingungen für den Börsenhandel in Produkten fest. Ferner entscheidet er durch eine im Börsenhaus tagende Kommis'sion von drei Mitgliedern, die sogenannte Drei-
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männerkommission, über Rechtsstreitigkeiten, welche aus den abgeschlossenen Geschäften entstehen. Die gleichen Vorschriften finden wir auch bei der Aufzählung derjenigen Aufgaben, welche dem Börsen vorstand, Abteilung Fondsbörse, zustehen. Bei dieser Abteilung wollen wir aber des näheren darauf eingehen, wie die Erfüllung der diesem Börsenvorstande gestellten Aufgaben erfolgt. Als erste Aufgabe finden wir in der Geschäftsordnung dieser Abteilung aufgeführt: er besorgt durch eine allmonatlich zu wählende Kommission die amtliche Notierung der Fondsbörsenkurse und deren Veröffentlichung. Also die Feststellung der Kurse erfolgt durch eine Kommission des Börsenvorstandes. Jeder Kurs f e s t s t e l l u n g geht im allgemeinen eine E r m i 11 1 u n g des Kurses vorauf. Für die Ermittlung der Kurse und für die Vermittlung des Handels in den an der Berliner Börse zum Handel zugelassenen Wertpapieren ist eine Reihe von Kursmaklern angestellt, zur Zeit 81, also etwa 80. Diese etwa 80 Kursmakler zerfallen in etwa 40 Gruppen, da jede Gruppe gewöhnlich aus zwei Maklern besteht. Jeder Gruppe wird eine Anzahl von Wertpapieren zur Vermittlung des Handels zugeteilt. Im ganzen kommen etwa 2400 Wertpapiere in Betracht. Die Anzahl davon, welche einer Gruppe überwiesen wird, ist sehr verschieden. Die eine Gruppe hat nur 10—20, eine andere hat vielleicht 150 und mehr Wertpapiere zugeteilt erhalten. Die Verteilung, welche durch die Maklerkammer erfolgt, hat zwei Gesichtspunkte zu berücksichtigen: einmal muß das Interesse des Börsenverkehrs gewahrt werden, derart, daß an der richtigen Stelle der richtige Mann steht, und zweitens muß das pekuniäre Interesse der Makler beachtet werden ; einer Gruppe dürfen nicht sämtliche Papiere überwiesen werden, in denen ein lebhafter Umsatz stattfindet und nicht einer anderen Gruppe nur Papiere, in denen selten Geschäfte stattfinden. Für die ihnen so zugewiesenen Papiere haben die Makler auch die Kursermittlung vorzunehmen. Punkt 1J, Uhr, Sonnabends punkt 1 Uhr beginnt dieselbe, und sie vollzieht sich öffentlich in Art einer Auktion. Bevor wir dies an einem Beispiel näher betrachten, möchte ich erwähnen, daß mit wenigen Ausnahmen die Kurse nach Prozenten notiert werden, und zwar nicht nur an der Berliner Börse, sondern an allen deutschen Börsen. Ferner ist zu erwähnen, daß niemals bei einem Papier allein der Kurs, die Zahl, steht, sondern immer befindet
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sich dabei noch eine Bemerkung, entweder G oder B oder bez. Steht G dabei, so bedeutet dies „Geld", das will sagen, daß zu diesem Kurse nur Käufer am Markt waren, aber keine Verkäufer. Befindet sich ein B = Brief bei der Kursnotiz, so heißt das umgekehrt, daß zu diesem Preise nur Verkäufer an der Börse waren, ohne daß Abnehmer vorhanden waren. Steht „bez." dabei = bezahlt, so will dies sagen, daß an dem betreffenden Tage alle zur Börse gelangten Verkaufsund Kaufaufträge erledigt worden sind. Natürlich vollzieht sich der Verkehr nicht in der Weise, daß nur gesucht oder nur angeboten wird oder daß alles glatt zum Abschluß kommt, sondern es kommen Variationen vor. Z. B. zu einem bestimmten Kurs wird ein Teil der vorliegenden Aufträge ausgeführt, es bleibt aber noch immer Ware bei diesem Kurse gesucht, dann notiert man dementsprechend „bez. u. G." und umgekehrt, wenn Ware angeboten bleibt „bez. u. B" ; werden nur ganz geringe Kleinigkeiten im Verhältnis zu der Nachfrage oder zum Angebot gehandelt, dann lautet die Notiz: „etwas bez. und G" oder „etwas bez. und B". Wie schon erwähnt, findet die Ermittlung der Kurse öffentlich statt. Die Makler stellen sich an die Schranke, und zu der festgesetzten Zeit versammeln sich bei jeder Gruppe Vertreter der Bankgeschäfte und Börsenhändler, um der Kursermittlung beizuwohnen und eventuell einzugreifen. Einer von den Maklern hat die Führung. Um ein Beispiel durchzumachen, nehmen wir an, es handelt sich um die Kursermittlung von 3 | prozentigen Konsols. Also der führende Makler sagt: 3 | % Konsols, d. h. für seinen Kollegen und die umstehenden Börsenbesucher, jetzt soll der Kurs der 31 % Konsols ermittelt werden. Hierbei wird nun stets, entweder laut oder stillschweigend, vom letzten Kurs ausgegangen. Heute notieren die 3J % Konsols 94. Nehmen wir an, morgen soll die Notierung für die Konsols ermittelt werden, so würden die Makler in ihre Bücher sehen und feststellen, wie sie sich zu dem heutigen Kurs von 94 verhalten müssen. Der eine Makler sagt vielleicht, wie das bei Konsols heute sehr wahrscheinlich ist, Konsols sind zu 94 bei mir Brief, d. h. angeboten, der andere Makler erklärt vielleicht: bei mir auch, dann bleibt nichts weiter übrig, als mit dem Kurs herunterzugehen und die Feststellung mit 93.90 zu versuchen. Da braucht der eine Makler vielleicht 20000 M., von den herumstehenden Vertretern der Bankgeschäfte ruft der eine: dazu brauche ich 50000, ein anderer 20000, die werden ihnen gegeben.
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Aber der erste Makler bleibt dabei, ich habe zu verkaufen, 93.90 ist bei mir Brief. Nun wird auf 93.80 heruntergegangen. Da ertönen, wie wir annehmen wollen, von einer Reihe von Vertretern der Banken Rufe wie : dazu brauche ich noch 70000, ein anderer verlangt 60000 M., noch ein anderer will 100000 M. haben. Der Makler erklärt, ja soviel habe ich nicht, ich werde Ihnen 15000, Ihnen 10000, Ihnen 20000 geben. In einem solchen Falle würde also die Notiz morgen werden müssen „93,80 bez. G". Ähnlich, wie hier vorgeführt, vollziehen sich die sämtlichen Kursermittlungen. Große Differenzen gegen den zuletzt notierten Kurs dürfen, ohne daß sie dem Börsenpublikum bekannt werden, dabei nicht vorkommen. Wenn die Differenz gegen den letzten Kurs bei inländischen festverzinslichen Papieren nach oben oder unten 1%, oder bei Aktien, die bis 100 stehen, 3%, oder bei Aktien, die bis 200 stehen, 5%, oder bei Aktien, die über 200 stehen, 8% oder mehr beträgt, so darf dann der Kurs bei dem ersten Versuche nicht festgestellt werden. In solchen Fällen muß zunächst an einer Tafel dem Börsenpublikum angezeigt werden: hier gehen große Veränderungen nach oben oder nach unten vor, was durch Plus- und Minuszeichen angedeutet wird. Erst nach einigen Minuten darf dann die Kursermittlung von neuem stattfinden und zu einem Resultat führen. Um 2 Uhr sollen die Makler mit der Ermittlung der Kurse fertig sein. Da, wie erwähnt, 2400 Kotierungen täglich zu machen sind u n d 40 Gruppen existieren, so würden in 30 Minuten 60 Notierungen zu machen sein, d. h. also, für jede Notierung ist durchschnittlich eine halbe Minute Zeit. Dies sind aber nur die Einheitskurse, welche der Berliner Börse eigentümlich sind. Außer diesen Einheitskursen gibt es noch andere Kurse, und zwar für zwei Arten von Papieren, 1. für solche, bei welchen ein Börsentermingeschäft erlaubt ist, das sind Bankaktien, Transportunternehmungen ; in diesen findet ein Zeitgeschäft per Ultimo statt und 2. für solche, in welchen ein Börsentermingeschäft nicht erlaubt ist, Bergwerks-, Fabrikunternehmungen. Die letzteren werden in runder Summe p e r K a s s e während der ganzen Börsenzeit gehandelt, gewöhnlich in Posten von 15000 Mark und vielfachem davon. Auch diese Kurse haben natürlich die Kursmakler anzusagen. Sobald eine Gruppe fertig ist, begibt sich einer der Makler zur Ansage in das Kurszimmer, und die hier anwesende Kommission Gewerbliche Einzelvorträge.
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des Börsenvorstandes läßt die so ermittelten Kurse gelten, insoweit nicht von Interessenten Einspruch erhoben wird und insoweit die Kursermittlung unter Beobachtung der dafür gegebenen Vorschriften stattgefunden hat. Streitigkeiten, welche natürlich sehr leicht in dem Getriebe vorkommen, werden gewöhnlich schon vorher bei der Ermittlung an der Schranke erledigt. Da wird einer der Kommissare gerufen. Ein häufiger Streitpunkt ist der, ob die Kursermittlung bereits beendet war oder nicht. Dann muß natürlich der Börsenkommissar die Entscheidung treffen, eventuell den Kurs noch einmal machen lassen. Aber auch aus anderen Gründen, deren Aufzählung hier zu weit führen würde, hat der Börsenvorstand häufiger Veranlassung einzugreifen und aus eigener Machtvollkommenheit den Kurs festzustellen. Für die Entgegennahme der Ansage der Kurse sitzen in dem Kurszimmer sechs Sekretäre, unter welche der amtliche Kurszettel geteilt ist. Sobald einer der Sekretäre seinen Bogen mit sämtlichen Kursnotizen ausgefüllt hat, setzt sowohl er wie einer der Börsenkommissare seinen Namen darunter, und mit diesen Unterschriften steht die amtliche Kursfestsetzung fest. Inzwischen ist es aber auch in dem Keller unter dem Kurszimmer lebendig gewesen. Hier stehen zwei Schnellpressen von je zwei Platten, und an jeder Platte sitzen zwei Setzer. Der ansagende Kursmakler läßt, wenn er das Kurszimmer betritt, zunächst einen Zettel, auf dem die von ihm ermittelten Kurse notiert sind, durch einen Schacht nach dem Keller fliegen. Dieser Zettel wird von einem Setzer in Empfang genommen und nach diesen Angaben beginnt sofort das Setzen der Kurse. Wenn nun alle Protokolle — das Blatt, welches der Sekretär schreibt, heißt ein Kursprotokoll — fertig sind, muß einer der Sekretäre hinuntergehen, um dem Drucker die amtlich festgestellten Kurse anzusagen. Dann findet er bereits den Satz fertig vor, und es handelt sich nur noch darum, die eingetretenen Änderungen zu berücksichtigen. Um 3 Uhr soll das Lesen des Kurszettels beendet sein. Dann beginnt der Druck. Um 3J Uhr gelangen schon die ersten Kurszettel zur Ausgabe. Der Druck wird fortgesetzt. Um 4 Uhr ist alles erledigt. Die Zeitungen haben sich inzwischen Abzüge von den Kursprotokollen von der Börse holen lassen und sind dadurch in den Stand gesetzt, bereits in ihren Abendausgaben der Bevölkerung zu melden.
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welche Kurse an dem betreffenden Tage an der Berliner Börse festgesetzt worden sind. Weitere Aufgaben des Börsenvorstandes, Abteilung Fondsbörse, sind folgende: Er beschließt über die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenterminhandel. Diese Vorschriften sind festgesetzt in der Börsenordnung § 31 und geben den Beweis dafür, daß die Gesetzgeber ein Zeitgeschäft für besonders gefährlich gehalten haben. Es heißt d a : Anträge auf Zulassung von Wertpapieren zum Börsenterminhandel sind mindestens 14 Tage vor der Beschlußfassung durch Aushang an der Börse und Veröffentlichung in der Presse bekannt zu geben. Sollen Wertpapiere eines Unternehmens zum Börsenterminhandel zugelassen werden, so ist vor der Zulassung der Vorstand des Unternehmens, um dessen Wertpapiere es sich handelt, über den Antrag zu hören. Die ergehenden Beschlüsse sind dem Minister für Handel und Gewerbe mitzuteilen. Offenbar stand man also auf dem Standpunkt, daß das Zeitgeschäft nicht lediglich nur eine vervollkommnete Form des Handels ist, sondern nahm an, daß das Risiko eines Zeitgeschäftes größer sein müsse als das eines Kassageschäftes. Eine fernere Aufgabe des Börsenvorstandes, Abteilung Fondsbörse, ist: Er hat Streitigkeiten aus Geschäften an der Fondsbörse zu entscheiden. Hierzu dient wieder eine Dreimännerkommission, die wir schon bei der Produktenbörse kennengelernt haben. Die Dreimännerkommission entscheidet nach freiem Ermessen. Ihre Zuständigkeit ist begründet, wenn die Wertpapiere, über welche Streit herrscht, an der hiesigen Börse zum Handel zugelassen sind. Die Dreimännerkommission muß angerufen werden in denjenigen Streitfällen, welche ihr nach den jeweilig geltenden Bedingungen für die Geschäfte an der Berliner Fondsbörse zugewiesen sind. Wir werden an einer anderen Stelle hören, welche Fälle in Frage kommen. Schließlich ist dem Börsenvorstand, Fondsbörse, auch noch zugewiesen, die Fondsbörsengeschäfts- und Fondsbörsenverkehrsbedingungen festzustellen. Diese Bedingungen für die Geschäfte an der Berliner Börse werden von Zeit zu Zeit revidiert; zuletzt sind sie zusammengestellt worden im April 1905. Diese Geschäftsbedingungen geben natürlich über alle Möglichkeiten, die beim Verkehr von Wertpapieren eintreten können, Auskunft. Es ist darin festgestellt, wie ein Geschäft zu erfüllen ist, das per Kassa abgeschlossen ist; der Verkäufer muß dem Käufer die Ware ins Haus 3*
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liefern. Es ist darin festgestellt, wie sich die nicht säumige Partei zu verhalten hat, wenn jemand bei einem Kassageschäft oder aber bei einem Zeitgeschäft in Verzug gerät. Einzelne dieser Geschäftsbedingungen kennen zu lernen, ist aber für ein Verständnis der späteren Ausführungen notwendig, z. B. § 4. Darin ist festgesetzt, daß die Kontrahenten berechtigt sind, die Lieferung oder die Abnahme von verschlossenen Wertpapieren an eine andere Firma für Rechnung des Betreffenden zu überweisen. Eine andere Bestimmung, die wir kennen lernen müssen, befindet sich in § 7. Sie lautet folgendermaßen: Streitigkeiten aus einein Geschäfte, welche die Lieferbarkeit der Werte oder die Auslegung oder Anwendung der gegenwärtigen Bedingungen und bestehenden Usancen betreffen, werden von der Dreimännerkommission — die vorher erwähnt wurde — endgültig und unter Ausschluß jeden Rechtsmittels mündlich entschieden. Die Kommission ist berechtigt, ihre Entscheidung abzugeben, auch wenn einer Partei in dem Verfahren das rechtliche Gehör nicht gewährt war. Einwendungen, welche die Lieferbarkeit der Werte betreffen, müssen bei dieser Kommission innerhalb der nächsten zwei Börsentage — am Ultimo ist es etwas länger — angebracht werden, widrigenfalls die gelieferten Werte als genehmigt gelten. Das ist eine der wichtigsten Einrichtungen. Die Wertpapiere sind häufig beschädigt z. B. an Nummern oder Kupons, und es fragt sich, ob dieses Papier noch umlaufsfähig ist oder nicht, da muß eine schnelle Entscheidung getroffen werden, denn der Verkehr kann nicht der Möglichkeit ausgesetzt werden, daß im ordentlichen Gerichtsverfahren wegen solcher Mängel geklagt werde. Hier ist also festgesetzt, daß über die Lieferbarkeit der Wertpapiere diese Kommission, die Dreimännerkommission, welche im Börsengebäude tagen muß, stets endgültig entscheidet. In allen übrigen Streitigkeiten ist neben dem ordentlichen Gericht nach Wahl des Gläubigers die schiedsrichterliche Kommission des Börsenvorstandes von Berlin zuständig, die ebenfalls schon früher genannt wurde. Ferner ist wichtig aus diesem Paragraph 7 : die Klage muß innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten nach Fälligkeit des streitigen Anspruchs eingereicht sein, widrigenfalls das Klagerecht aus dem betreffenden Geschäft erloschen ist. Es treffen also für die an der Berliner Börse abgeschlossenen Geschäfte nicht die im B. G. B.
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vorgesehenen langen Fristen zu — ich betone dies, weil die Bestimmung charakteristisch ist für das Verlangen des Verkehrs nach einer schnellen Entscheidung aller Streitigkeiten. § 9 bestimmt: strittige Geschäfte sind sofort durch Zwangsregulierung zu erledigen. Das heißt, wenn Streit darüber entsteht, ob ein Geschäft abgeschlossen ist oder nicht, so sind die Parteien verpflichtet, sofort zur Zwangsregulierung zu schreiten, damit das streitige Interesse in einer bestimmten Summe feststeht. Dann mögen sich die Parteien bei der schiedsrichterlichen Kommission verklagen und feststellen lassen, wer nach den Umständen wohl recht hat. Hierdurch ist das Börsenpublikum vor der Gefahr geschützt, daß vielleicht nach Jahr und Tag noch jemand eine Lieferung, meinetwegen von 15000 Laura usw., zu einem bestimmten Kurse reklamieren oder im Klagewege verlangen könnte. Dann ist noch wichtig § 18 der Bedingungen, der folgendermaßen lautet: Sind die Kontrahenten eines Zeitgeschäfts Mitglieder des Liquidationsvereins für Zeitgeschäfte an der Berliner Fondsbörse und betrifft das Geschäft solche Werte, welche durch diesen Verein skontriert werden, so hat die Regulierung des Geschäfts durch Skontrierung, und zwar gemäß der einschlägigen Bestimmungen, des Liquidationsvereins zu erfolgen. Die anderen Bestimmungen interessieren uns weniger. Früher hatte die Börsenleitung, das wäre also jetzt der Börsenvorstand, auch die Zulassung von Wertpapieren zum Handel an der Berliner Börse auszusprechen. Die neue Börsengesetzgebung hat für die Erledigung dieser Aufgabe ein selbständiges Organ geschaffen: die Zulassungsstelle. Die Zulassungsstelle besteht aus 22 Mitgliedern — davon müssen 5 Mitglieder der Handelskammer, 6 Mitglieder des Ältesten-Kollegiums sein, für 11 besteht keine Beschränkung — und aus 8 Stellvertretern. Bei der Beratung und Beschlußfassung über die Zulassung eines Wertpapieres zum Börsenhandel sind diejenigen Mitglieder ausgeschlossen, welche an der Einführung dieses Wertpapieres beteiligt sind. Für diese und sonst behinderte Mitglieder werden die Stellvertreter berufen. Als beteiligt gelten auch z. B. Aufsichtsräte einer Bank, welche die Zulassung eines Wertpapieres beantragt. Ein solcher Antrag auf Zulassung zum Handel von Wertpapieren an der Börse muß schriftlich gestellt werden. Sobald der Antrag eingeht, wird er im Reichsanzeiger und in zwei inländischen
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Die Einrichtungen an der Berliner Börse.
Zeitungen veröffentlicht.
Zwischen dieser Veröffentlichung und dem
Zulassungsbeschluß muß eine F r i s t von mindestens drei Kalendertagen liegen.
Durch diese Bestimmung soll dem
außenstehenden
Publikum Gelegenheit geboten werden, bei der Zulassungsstelle etwaige Bedenken gegen die Zulassung eines Wertpapieres anzubringen.
Falls
es sich nun nicht um deutsche Reichs- oder Staatsanleihen handelte oder eine Befreiung vom Prospektzwang bewilligt ist, sind dem Antrage beizufügen: 50 Exemplare eines Prospektes und die erforderlichen Nachweise und Urkunden, welche in der
Bekanntmachung
des Reichskanzlers vom Dezember 1896 angeordnet worden
sind.
Die Versendung des Prospektes erfolgt an alle Mitglieder, an die, ordentlichen Mitglieder und an die Stellvertreter.
F ü r die B e r a t u n g
wird ein Referent ernannt, der zu prüfen hat, ob alle notwendigen Urkunden vorgelegt sind.
Bei der Beratung sind die Bestimmungen
zu beachten, welche im § 9 der Geschäftsordnung der Zulassungsstelle aus der Börsenordnung und aus dem Börsengesetz zusammengestellt sind.
E s heißt d a : Nachdem die Veröffentlichung verfügt
ist, tritt die Zulassungsstelle alsbald in die Prüfung darüber ein, ol> der Prospekt die in der Bekanntmachung des Reichskanzlers
und
in den von der Zulassungsstelle etwa veröffentlichten Bestimmungen vorgesehenen Angaben enthält.
Ergeben sich Anstände in betreff
der Vollständigkeit oder Deutlichkeit der Angaben, so fordert den Antragsteller zu deren Beseitigung auf. bestimmt
ferner
nach
sonstigen
Angaben
sonstigen
Urkunden
in
Maßgabe den
Prospekt
beizubringen
steller der Aufforderung
des
Die
Börsengesetzes,
aufzunehmen,
sind.
sie
Zulassungsstelle
Kommt
welche
oder
welche
der
Antrag-
nicht nach, so wird der Antrag zurückge-
wiesen. Ist
ein
solcher
Antrag
zwei
deutschen
nach
der Veröffentlichung
Börse nach tritt nach
erfolgen. der
genehmigt,
Zeitungen Die
so muß
veröffentlicht kann dann
Einführung
muß
letzten Veröffentlichung,
der Prospekt in
werden.
die
Drei
Einführung
an
Tage der
aber erfolgen einen Monat
und
der
Zulassungsbeschluß
überhaupt außer Kraft, wenn nicht innerhalb dreier Monate der
Prospektveröffentlichung
die Einführung
an der
Börse
erfolgt ist. Die
Zulassungsstelle
wöchentlich
zwei
hat
Sitzungen
ein ab
großes und
ist
Arbeitsfeld. dann
Sie
hält
ungefähr
eine
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Stunde beschäftigt. Im Jahre 1906 sind von ihr 254 Wertpapiere mit einem Nominalkapital von 3916 Millionen Mark zugelassen worden. Die Zulassungsstelle nimmt eine exponierte Stellung ein, und bekannt ist, daß man in einer solchen es nicht jedem Menschen recht machen kann. Die einen behaupten nun, die Zulassungsstelle wäre zu rigoros, die anderen sagen wieder, sie sei nicht streng genug. E s scheint demnach, daß sie sich unter Beobachtung der zurzeit gültigen Vorschriften auf der rechten Linie befindet. Nicht unerwähnt mag bei dieser Gelegenheit folgendes sein. Es hat sich gezeigt, daß nicht nur die Zahl der zum Börsenhandel zugelassenen Papiere sich vermehrt, sondern daß auch die Zahl derjenigen Wertpapiere, welche zum Handel an der Börse n i c h t zugelassen sind, kolossal gewachsen ist. In einem Kursblatt aus Mannheim werden 1543 Notierungen derartiger Wertpapiere gemacht. Bei einer weiteren Ausdehnung solcher Verhältnisse können leicht unliebsame Zustände entstehen. Einmal wären sie nachteilig für das anlagesuchende Publikum, weil Wertpapiere, für die ein Börsenhandel nicht stattfinden kann, schwierig zu verwerten sind, und ferner ist das weitere Umsichgreifen des schon heute vorhandenen irrtümlichen Glaubens zu befürchten, daß man beim Ankauf eines Papieres, welches die Zulassungsstelle passiert hat, nicht erst zu prüfen braucht, ob es gut ist oder nicht, Die Zulassungsstelle prüft niemals die Bonität der Wertpapiere, deren Zulassung beantragt wird. Sie ist außerstande, darüber ein Urteil abzugeben, ob die vorher erzielten und publizierten Dividenden und Erträgnisse andauern werden und dergleichen mehr, sondern sie kann nur dafür sorgen — und das tut sie —, daß alle f ü r die Beurteilung des Wertpapieres wichtigen Angaben in einem Prospekt enthalten sind. Diese bisher berührten Einrichtungen sind diejenigen, welche wir bereits kannten vor Erlaß der Börsengesetzgebung. Die Börsengesetzgebung hat aber noch zwei neue Organe geschafTen, nämlich den Staatskommissar und das Ehrengericht. Das Staatskommissariat wurde eingerichtet, um eine dauernde und unmittelbare Fühlung zwischen der Landesregierung und den einzelnen Börsen zu sichern. Nach § 2 des Börsengesetzes h a t der Staatskommissar eine doppelte Aufgabe. E r soll einmal die Börse überwachen, und dann ist ihm die Aufgabe gestellt, über Mängel in
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betreff des Börsenverkehrs und über die Mittel zu ihrer Abstellung Bericht zu erstatten. Die Handelswelt hat die Staatskommissare nicht gern gesehen und ihre Einsetzung bekämpft. Von vornherein möchte ich erwähnen und betonen, daß die Regierung mit der Wahl des ersten Staatskommissars an der Berliner Börse einen sehr glücklichen Griff getan hat. Er hat es verstanden, die Schwierigkeiten, welche aus der Abneigung der Handelswelt gegen Staatskommissare vorhanden waren, elegant zu überwinden. Ob ein Staatskommissar für die Börse nützlich oder schädlich ist, wird wohl immer von der Persönlichkeit abhängen. Wenn man annimmt, daß ein Staatskommissar, namentlich wenn er sieht, mit welcher Gewissenhaftigkeit die Selbstverwaltungsorgane der Kaufmannschaft die bestehenden Gesetze und Verordnungen befolgen, sich im Laufe der Zeit zu einem Anwalt und Vertreter der Börseninteressen gegenüber der Regierung herausbilden sollte, so wäre das sehr nützlich. Allerdings würde dies im Gegensatz sein zu denjenigen Ansichten, welche der Schaffung der Staatskommissare überhaupt zugrunde liegen. Andererseits kann sich leicht das Gegenteil zeigen. Jede Verordnung im Verkehrsleben, und mag es die beste sein, wird nicht ohne nebensächliche Nachteile, oder mitunter nicht ohne die Möglichkeit eines Mißbrauches denkbar sein. Wenn nun der Staatskommissar der zweiten ihm gestellten Aufgabe, nämlich über „die Mittel zur Abstellung von Mängeln zu berichten", seine besondere Aufmerksamkeit schenkt, so kann es leicht kommen, daß er sich der Idee hingibt, die Nützlichkeit der Vorschriften für den Börsenverkehr besser zu verstehen, als die Sachverständigen. Aber im praktischen Leben, im Verkehrsleben ist nicht alles brauchbar und richtig, was logisch zutreffend erscheint, oder was sich sogar rechnungsmäßig beweisen läßt. Viele von uns werden in der Schule berechnet haben, welchen Wert gegenwärtig ein Pfennig hätte, der zur Zeit von Christi Geburt zu 4 % Zins auf Zins angelegt worden wäre. Das Resultat ergibt bekanntlich eine Summe, von welcher auch nicht der tausendste Teil heute in barem Gelde auf der Erde vorhanden ist, aber einen praktischen Wert hat das Resultat nicht. Oder ein anderes Beispiel: Man kann auf einen Quadratmeter neun Personen stellen, namentlich wenn man die entsprechende Zahl Kinder dabei berücksichtigt. Würde man nun die gesamte Bevölkerung der Erde, das sind unge-
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fähr 1500 Millionen Menschen derartig zusammenstellen, so würde ungefähr die Oberfläche des Bodensees dazu genügen, und nähme man nun an, daß diese Menschen auf einer Eisdecke stehen, die einbricht, so würde der Wasserspiegel des Bodensees sich nicht mehr heben als vielleicht um § bis 1 Meter. Wenn Sie diese Rechnung nachprüfen, so werden Sie finden, daß sie richtig ist. Aber praktischen Wert hat sie gar nicht. Nicht immer sind nun die Unmöglichkeiten, auf denen ein logischer Schluß oder ein richtiges Rechenexempel sich aufbaut, so klar ersichtlich, wie bei diesen beiden Beispielen, namentlich nicht im Verkehrsleben. Theoretisch z. B. ist das Börsenregister, welches die Börsengesetzgebung geschaffen hat, und welches viel zur Entvölkerung der Berliner Börse beigetragen hat — es hat die potenten Händler vertrieben — ganz gut. Aber die Wirklichkeit zeigt, daß die Voraussetzung, auf der dieses günstige theoretische Resultat beruht, nicht zutrifft. Das am Börsenverkehr interessierte Publikum läßt sich eben nicht eintragen, gerade so, wie sich die Menschen nicht auf dem Bodensee zusammenstellen lassen — und damit fällt der ganze Bau zusammen. Dem Vernehmen nach soll auch die in Aussicht stehende Börsenreform das Register wieder beibehalten, weil die ausschlaggebenden Parteien nach wie vor an dem Glauben festhalten, daß ein theoretisch richtiger Gedanke auch im Verkehrsleben richtig sein müsse. Aber nirgends mehr wie hier gilt das WTort: Grau teurer Freund ist alle Theorie und grün des Lebens goldener Baum. Es ist daher zu wünschen, daß, wenn Staatskommissare der Regierung Vorschläge zur Beseitigung von Mängeln machen, dann mit Vorsicht herangetreten wird. Ein zweites Organ, das neu geschaffen ist, und welches ich bereits genannt habe, ist das Ehrengericht. Es ist nicht zu verkennen, daß das Ehrengericht eine gute Wirkung gehabt hat. Durch dasselbe war es vielfach möglich, unsaubere Elemente von der Börse fernzuhalten. Aber es hat sich auch gezeigt, daß in schweren, vielleicht in den allerschwersten Fällen es versagte. Bei der bei uns geltenden Gewerbefreiheit kann sich bekanntlich jeder Bankier nennen. Häufiger haben sich nun Leute, die mit der Börse gar nichts zu tun hatten, aber Bankgeschäfte betrieben und sich Bankier nannten, Verfehlungen gegen die kaufmännische Ehre durch Ausbeutung des Publikums zuschulden kommen lassen. Eine Anzeige ging auch bei dem Börsen-
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vorstand ein, aber man konnte diese Schuldigen nicht vor das Ehrengericht ziehen, weil demselben nach dem Börsengesetz nur Börsenbesucher unterstehen. Es wäre wirklich zu erwägen, ob diesem Unfug nicht dadurch zu Leibe gegangen werden könnte, daß angeordnet würde: wer sich Bankier nennt, oder Bankgeschäfte betreibt, untersteht dem nächsten Ehrengericht. Dabei bliebe unsere Gewerbefreiheit ganz unangetastet. Damit wären diejenigen Einrichtungen, welche auf Grund von Gesetz und Börsenordnung an der Börse vorhanden sind, erledigt. Zu erwähnen ist aber noch eine Einrichtung, der Liquidationsverein, eine Einrichtung, die nicht auf Gesetz und Ordnung beruht, sondern freiwillig von Börsenbesuchern geschaffen wurde und die ungemein wichtig für die Abwicklung von Zeitgeschäften an der Börse ist. Nehmen wir an, daß eine Firma — nennen wir sie der Einfachheit wegen Berliner Bank — in einem Monat 300000 Mark Diskonto Kommanditanteile per Ultimo kauft, und zwar in 20 Posten ;i 15000 Mark, und daß die Berliner Bank auch wieder 300000 Mark Diskonto Ivommandit wiederum in 20 Posten ä 15000 Mark verkauft, so winde, wenn gar keine Vorschriften für die Abwicklung von Zeitgeschäften existierten, die Berliner Bank genötigt sein, am Ultimo des Monats zunächst von 20 Verkäufern je 15000 Mark Kommandit abzunehmen, die Papiere auf die Ordnungsmäßigkeit zu prüfen, das ganze Kaufgeld auszulegen ; dann erst wäre sie imstande, ihre Verpflichtung gegen i h r e Käufer zu erfüllen. Wir haben vorhin aus den Bedingungen für die Berliner Börse kennen gelernt, daß Überweisungen erlaubt sind. Folglich wird die Berliner Bank jedenfalls ihren Verkäufern sagen: „ich nehme die Kommanditanteile nicht selbst ab", und sie wird jedem der 20 Verkäufer je einen der 20 Käufer als Abnehmer überweisen. Es würde sich nur fragen: zu welchem Kurs soll diese Lieferung erfolgen? Der Verkäufer wird natürlich gern zu seinem Kurs liefern wollen, damit die Angelegenheit für ihn erledigt ist, und der Käufer möchte wieder zu seinem Kurs die Papiere abnehmen. In der Tat wird keiner von beiden bevorzugt, sondern, wie wir auch aus den Bedingungen kennen gelernt h a b e n : Die Lieferung m u ß erfolgen zu dem vom Börsenvorstand festgesetzten Liquidationsoder Lieferungskurse. Wie notwendig diese Bestimmung ist, geht daraus hervor, daß natürlich sehr häufig ein Fall eintreten kann, in welchem weitere
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Überweisungen erfolgen. Wenn die Berliner Bank an den ersten Verkäufer herantritt und sagt, liefere den Posten dem oder dem Käufer, so sagt dieser Verkäufer, ich liefere den Posten auch nicht, ich bekomme ihn wieder von dem oder dem. Wendet man sich an diesen, so gibt dieser auch wieder eine andere Überweisungsaufgabe. Es erhellt daraus, daß die Erledigung eines Überweisungsgeschäftcs ein ungeheuer umständliches Verfahren sein kann. U m dieses Geschäft nun auf das einfachste zu erledigen, hat sich dieser Liquidationsverein gebildet. Ihm gehören diejenigen Firmen an, welche vielfach Zeitgeschäfte betreiben. Der Verein gibt für jedes Papier allmonatlich einen Bogen aus. Auf diesem Bogen stehen die Namen aller derjenigen Firmen, welche zu dem Verein gehören und nun muß jeder auf diesem Bogen bei dem Namen verzeichnen, welchen Betrag des betreffenden Wertpapieres er von der Firma abzunehmen oder zu empfangen hat. Der Bogen muß zwei Tage vor Ultimo eingereicht werden. Alle diese x\ngaben addiert der Liquidationsverein, und wenn kein Fehler vorgefallen ist, haben sich natürlich bei jedem Wertpapier so viele Käufer wie Verkäufer gemeldet, also so viele Lieferanten, wie Abnehmer vorhanden sein sollen. Derjenige, der abzunehmen hat, muß noch einen kleinen Zettel ausfertigen, auf dem z. B. steht — um bei dem Beispiel zu bleiben — : mit diesem Schein sind 15000 Kommandit an uns zu liefern". Die Differenzen, welche sich nun zwischen dem Liquidationskurs und dem gehandelten Kurs ergeben, werden einen Tag nach dem Ultimo in bar zwischen den Kontrahenten ausgeglichen. Diese hohe Technik der Abwicklung des Börsenzeitgeschäftes ist in gewisser Beziehung für die Börse verhängnisvoll geworden, weil das Wesen der Abwicklung nicht erkannt worden ist. Dem Börsenverkehr Fernstehende, auch Richter in hohen Stellungen glaubten nämlich, aus dieser Abwicklung zu ersehen, daß hier gar keine Kaufgeschäfte vorliegen, weil nur eine Differenz bezahlt wird, denn man sähe ja ganz deutlich, daß der Käufer den Kaufpreis der Ware überhaupt nicht bezahlt, vielmehr sich mit der Differenz begnügt, welche zwischen dem Kaufkurs und dem Liquidationskurs liegt. Die Kenntnis des Wesens dieser Abwicklungstechnik hat sich im Laufe der Zeit, in den letzten 10 Jahren, allerdings gebessert. Aber ich glaube, daß es auch heute noch Kreise gibt, welche nicht wissen, daß der Abschluß von Differenzgeschäften an der Börse einfach eine Unmög-
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lichkeit ist, und daß man an der Börse nur Kaufgeschäfte oder Verkaufsgeschäfte abschließen kann. Wer kauft, muß den vollen Kaufpreis zahlen. Er kann das allerdings dadurch vollziehen, daß er überweist, wie wir das kennen gelernt haben, aber er muß immer den vollen Preis zahlen. Wer diese Verpflichtung nicht erfüllt, also den vollen Kaufpreis nicht zahlt, wird von der Börse einfach verwiesen, gerade so wie derjenige, der verkauft und die verkaufte Ware dem Käufer nicht liefert. Dieser Liquidationsverein war natürlich früher umfangreicher als jetzt. Im Jahre 1896 skontrierte er, d. h. verzeichnete er, 61 Sorten verschiedener Wertpapiere; jetzt sind es nur noch 36. Es liegt dies hauptsächlich daran, daß das Zeitgeschäft in Bergwerken und Fabrikunternehmungen verboten worden ist. Aber auch seine Mitgliederzahl hat sich sehr verringert. Sie betrug im Jahre 1896 457, jetzt 304. Zum Teil liegt dies wohl an der Konzentration im Bankgeschäft, teils aber und am allerwesentlichsten an dem Rückgang des Börsengeschäfts infolge der Börsengesetzgebung. Hoffen wir, daß die in Aussicht stehende Börsengesetzreform eine gründliche sein möge, dann wird sich der Verkehr an der Börse nach und nach auch wieder heben — sehr schnell wird das nicht gehen, denn was in zehn Jahren zerstört worden ist, kann nicht sofort wieder aufgebaut werden —, und es wird dann die Börse auch wieder in den Stand gesetzt werden, die wichtigen Aufgaben, welche ihr im modernen wirtschaftlichen Leben zufallen, kraftvoll zu erfüllen zum Nutzen und Vorteil aller Erwerbskreise des Vaterlandes.
III.
Geschichte und Technik der Textilindustrie. Vortrag des Herrn Stadtrat Dr. W e i g e r t .
Unter den für das Leben notwendigen Bedürfnissen spielt die Kleidung eine hervorragende Rolle. Angesehene Statistiker haben berechnet, daß je nach den höheren oder geringeren Einkommen die Ausgaben in den Familienbudgets f ü r Nahrung 64 bis 90 % , für Kleidung 14 bis 20 %, für Wohnung 5 bis 18 % betragen. Selbstverständlich sind für die auf die Kleidung verwendeten Ausgaben der Stand der Kultur und die klimatischen Verhältnisse besonders maßgebend. Es ist bekannt, daß das Bedürfnis, den Körper zu bedecken, bereits in den Uranfängen des Menschengeschlechts auftrat. Die mosaische Schöpfungsgeschichte läßt das erste Mcnschenpaar nach dem Sündenfall entdecken, daß es nackend sei und nach dem Feigenblatt greifen, um seine Blöße zu bedecken. Die Unbilden der "Witterung machten es zur Notwendigkeit, sich eine schützende Hülle zu schaffen, nnd die großen Blätter der tropischen Bäume, die Felle der getöteten Tiere dienten diesem Bedürfnisse. Bald ging man einen Schritt weiter. Man lernte die Rippen der getrockneten Blätter, den Bast der Pflanzen zu Flechtwerken zu vereinigen und zum Lendenschurz und zur Hülle zu verwenden. Damit war der Uranfang der Webekunst gegeben. Man versteht unter Weben die Verschlingung zweier rechtwinklig zueinander befindlichen Fadensysteme, von denen das eine Kette oder Aufzug, das andere Schuß oder Einschlag genannt wird. Die Kette befindet sich in ihrer Längsrichtung vor dem Webenden, der Schuß wird rechtwinklig mit ihr verbunden. Die Kunst des Webens ist uralt; bei den Indern soll das Wort für Weben älter sein, als das für Pflügen. Die Erfindung der Weberei wird den Ägyptern, dem Volke, bei dem man den Ursprung aller menschlichen Erkenn nis zu suchen pflegte, zugeschrieben. Vorbedingung für das AVeben ist das Vorhandensein von durch den Spinnprozeß erzeugten Fäden, aus denen Kette und Schuß des Gewebes bestehen.
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Über die technischen Hilfsmittel des Spinnens und Webens finden wir in den Schriften des Altertums nur geringe und unklare Mitteilungen; wir sind vorzugsweise auf das, was uns bildlich überliefert wird, angewiesen. Trotzdem ist es aus dem so Überkommenen möglich, sich eine Vorstellung zu machen, wie in grauer Vorzeit ein Gewerbe ausgeübt wurde, das heute zu den bedeutendsten Industriezweigen gehört. Es ergibt'sich, daß im fernsten Altertum die technischen Apparate ziemlich dieselben gewesen sind, die noch vor wenigen Jahrhunderten in Gebrauch waren, und daß mit denselben Stoffe erzeugt wurden von staunenswerter Feinheit und Schönheit. Besonders gilt ersteres für den Spinnprozeß. Schon früh wurden Wolle, Baumwolle, Flachs und Hanf versponnen. Es geschah, indem der zu verspinnende Faserstoff auf einen Stab, die K u n k e l oder den R o c k e n , gebracht wurde. Von diesem wird die Faser mit der linken Hand gefaßt, genetzt und zum Faden ausgezogen, während ihn die rechte mit der S p i n d e l aufnimmt und ihm seine Drehung gibt. Die Spindel ist ein rundes, nach beiden Seiten spitz verlaufendes Stäbchen von etwa 30 cm Länge, das unten durch den Spinnwirtel beschwert wird. Der Faden wird an der oberen Spitze der Spindel befestigt, die Spinnerin läßt ihn, beschwert durch die Spindel, zwischen Daumen und Zeigefinger herabhängen, nachdem sie der Spindel eine drehende Bewegung gegeben hat, durch die auch der Faden seine Drehung erhält. Je länger der Faden wird, desto weiter muß die Spinnerin die rechte Hand vom Rocken entfernen und kann, so lange die Rotation dauert, immer noch mit der linken fortfahren, die Fasern aus dem Rocken zum Faden zusammenzuziehen. Nachdem die Rotation der Spindel dem Faden die Drehung gegeben hat, nimmt die Spinnerin die drehende Spindel und wickelt den Faden auf ihr auf. Er wird mit einem Stiche auf der Spindel festgemacht, und die drei Operationen des Ausziehens, Drehens und Aufwickeins des Fadens wiederholen sich. Je nachdem mehr oder weniger Faserstoff vom Rocken abgezogen wird, je nachdem die Spindel in schnellere oder langsamere Drehung versetzt wird, wird stärkeres oder feineres, schärfer oder loser gezwirntes Garn erzeugt. Auf diese Weise spinnend, erscheinen die Schicksalsgöttinnen der Griechen, so war es im Mittelalter zu der Zeit, da Berta spann, so wird noch heute vielfach auf dem Lande in Italien und Griechen-
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land gesponnen. Erst um das J a h r 1530 erfand Johann Jürgens aus Wattenbühl, einem Dorfe in der Nähe von Braunschweig, das noch jetzt in der Handspinnerei übliche S p i n n r a d mit der F l ü g e l s p i n d e l , das die Arbeit des Spinnens erheblich erleichterte und beschleunigte und das Ihnen wohl aus den Spinnstuben unserer ländlichen Gegenden bekannt ist. Nicht weniger einfach vollzog sich die Operation des Webens. E s ist aber interessant zu beobachten, wie klimatische und soziale Verhältnisse eine verschiedene Gestalt des Webegeräts hervorgebracht haben. Im Orient (Ägypten und Indien) scheint die älteste Form des Webstuhls im Prinzip dem jetzt allgemein üblichen geglichen zu haben, der dadurch charakterisiert ist, daß die Kette eine h o r i z o n t a l e Lage hat. Zwischen je zwei im Freien in den Boden getriebenen Pflöcken waren auf Stäben oder Walzen die Kettfäden aufgespannt. Die Spaltung derselben, zur Bildung des Faches, geschah durch einen dazwischen gesteckten Stab. Dadurch wurden die Kettfäden in zwei Teile geteilt, deren einer über, der andere unter dem Stabe lag; durch Schnüre wurden letztere Fäden abwechselnd nach oben gezogen und der auf ein Stäbchen abgewickelte Schußfaden durch das Fach der Kette gezogen. Mittels eines hölzernen Spatels wurde er zusammengeschlagen. Die Arbeit des Webens geschah durch Hann er, die am Boden hockten. Die Witterung gestattete die Arbeit im Freien. Als die Kultur des Orients in Europa eindrang, insbesondere die Griechen sie aufnahmen und ausbildeten, war dieser Webapparat nicht übertragbar. Das Klima gestattete nicht das Weben im Freien, und die Wohnungen boten keinen Platz zur Unterbringung des Geräts auf dem Boden, da die Entfernung der Pflöcke, zwischen denen die Kette gespannt war, um die Bildung des Fachs zu ermöglichen, ziemlich groß sein mußte. Man half sich dadurch, daß man den Rahmen einfach aufstellte und der Kette anstatt eine horizontale eine senkrechte Stellung gab. So bestand der alte griechische Webstuhl aus einem Rahmen in s e n k r e c h t e r Stellung, in dem oben auf einem Stabe die Kette aufgewickelt und an ihrem unteren Teile durch Gewichte gespannt war. Der Schuß, auf einem hölzernen Stäbchen aufgewickelt, wurde zwischen die Kettfäden eingetragen und mit einem Kamme fest angeschlagen. Bei den späteren, besser konstruierten Webstühlen befindet sich ein die Stelle unserer Lade verGewerbliche Einzelvorträge.
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tretender Rahmen aus Rohr, der dazu dient, die Fäden der Kette zu trennen und den Schuß anzuschlagen. Ein Stab, der zwischen die Kettfäden gesteckt wurde, diente zur Bildung des Faches; an Schnüren wurde der hintere Teil der Kettfäden abwechselnd nach vorn gezogen. Das Arbeiten an diesem Webstuhle war nicht angenehm; die Weberin mußte, indem sie den Schußfaden durch die Fäden der Kette schlang, von einem Ende des Gewebes zum anderen und zurück gehen. Daher konnte Pindar nicht mit Unrecht von der Jungfrau Cyrene sagen: „Limmer liebte sie des Gewebes ewig wiederkehrende Wege". Dieser Webestuhl mit senkrecht stehender Kette war in alter Zeit in ganz Europa im Gebrauch. Wie in Griechenland und Italien an ihm gewebt wurde, so fanden sich in den Pfahlbauten der Schweiz Reste, die auf seine Verwendung sehließen lassen, war er im hohen europäischen Norden das übliche Webegerät. Die senkrechte Stellung der Kette war bei den Römern eine so gewöhnliche, daß sie „stanien" die „stehende" genannt wurde. Wann der Übergang zu der jetzt allgemein gebräuchlichen Gestalt des Webstuhls mit horizontaler Kette — wie sie in grauester Vorzeit bei Ägyptern und Indern üblich war — eintrat, seit wann die Teilung der Kettfäden in Litzen, die sich in dem sog. Geschirr befinden, die Hebung und Senkung der Schäfte desselben durch Tritte, die Webelade, Anwendung fand, wann man lernte, den Fäden der Kette eine solche Unabhängigkeit in der Bewegung zu geben, daß sie, wie es zur Herstellung reichgemusterter Stoffe notwendig ist, sich einzeln in größter Mannigfaltigkeit heben, über alle diese wichtigen technischen Fragen erfahren wir aus der uns erhaltenen Literatur des Altertums und Mittelalters nichts. WTir lesen nur von den kostbaren, kunstreich gewebten Stoffen der alten Kulturländer, wir bewundern die erhaltenen bilderreichen Gewebe des Mittelalters und können, da uns die späte Erfindung der heute üblichen Vorrichtungen am Musterwebstuhl bekannt ist, uns eine Vorstellung von der hohen Geschicklichkeit der alten Spinner und Weber machen, die mit den einfachsten Geräten derartige Leistungen vollbracht haben. Die Einrichtungen am Webstuhl für gemusterte Waren, die heute die Arbeit des Webers erleichtern, sind sehr jungen Datums. Der S c h n e l l s c h ü t z e n , durch den das Webschiffchen, das bisher mit der einen Hand des Webers durch die Kette geworfen und
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mit der anderen Hand aufgefangen und zurückgesandt werden mußte, auf mechanischem Wege hin und her geschleudert wird und so einerseits die Weboperation bedeutend beschleunigt, andererseits gestattet, daß die breitesten Stoffe von einer Person gewebt werden, während bisher, sobald die ausgebreiteten Arme des Webers die Breite des Stoffes nicht umspannen konnten, zwei Weber zu dessen Anfertigung erforderlich waren, ist erst im Jahre 1738 durch John Kay aus Burry in England erfunden worden. 1760 erfand der Sohn des Genannten, Robert Kay, die W e c h s e 11 a d e , durch die der Weber in den Stand gesetzt wird, mehrere Schußfarben nach Belieben anzuwenden, ohne das Webschiffchen bei jeder anderen Farbe neu einlegen und fortnehmen zu müssen. Vor allem aber ist die epochemachende Erfindung von C a r l M a r i a J a c q u a r d zu erwähnen, durch welche die Musterweberei vollständig umgestaltet wurde. Die Herstellung gemusterter Waren bildete, infolge des schwerfälligen Apparats, durch den das Dessin erzeugt wurde, fiir den Arbeiter eine Quelle der unerträglichsten Anstrengung. Zur Bildung des Musters ist es erforderlich, den einzelnen Kettfäden eine solche Unabhängigkeit in der Bewegung zu geben, daß sie sich einzeln in größter Verschiedenheit heben und senken können. Zu diesem Zwecke wurden die Kettfäden einzeln an Schnüren aufgehängt, die über Rollen an der Rückseite des Webstuhls herunterhingen. Zwischen ihnen wurde durch Querschnüre das Muster eingclesen, und ein hinter, häufig unter dem Stuhle hockendes Kind oder Weib mußte bei jedem Schußwechsel des Webers durch Anziehen der Schnüre die an ihnen befestigten Kettfäden in die Höhe ziehen. Die Beschäftigung dieser Musterzieher war eine höchst an-, strengende und ungesunde, die Arbeit des Webers selbst sehr langsam und unregelmäßig. D e m Genie Jacquards gelang es, eine Maschine zu konstruieren, die das Heben der Kettfäden selbständig bewirkte und die kompliziertesten Muster ohne Hilfe eines speziell dabei beschäftigten Arbeiters herstellte. Die J a c q u a r d - M a s c h i n e erzeugte einen vollständigen Umschwung in der Fabrikation der gemusterten Stoffe, sie verbesserte die gesundheitlichen Verhältnisse der dabei beschäftigten Arbeiter, verbilligte in ansehnlichem Maße die Herstellungskosten und ermöglichte die Verwendung von gemusterten Waren auch den minderbegüterten Klassen. Es verdient erwähnt 4*
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zu werden, daß der Kaiser Napoleon durch ein aus Berlin vom 27. Oktober 1806 datiertes Dekret den Rat der Stadt Lyon zum Ankaufe der Erfindung Jacquards gegen Zahlung einer lebenslänglichen Rente an denselben von 3000 Franks, die später noch auf 1800 Franks herabgesetzt wurde, ermächtigte. Als Jacquard, zufrieden mit dieser kärglichen Abfindung, nur noch um eine Prämie von 50 Franks für jeden nach seinem Prinzip in Gang gesetzten Webstuhl bat, bewilligte Napoleon dieselbe und soll gesagt haben: „Das ist doch noch einer, der mit wenigem zufrieden ist." Waren somit die primitiven Webgeräte in verschiedenen Beziehungen erheblich vervollkommnet worden und die Weber in die Lage gesetzt, bessere Zeuge in kürzerer Zeit zu liefern, so zeigte sich, daß die Unzulänglichkeit des Spinngeräts nicht imstande war, den erhöhten Bedürfnissen des vervollkommneten Webstuhls zu genügen. Es wurde zur Notwendigkeit, nun auch die Technik des Spinnrads zu verbessern, was bald in glänzender Weise gelöst wurde. John Wyatt in Birmingham war es, der zuerst den Gedanken faßte, das bisher durch die Hand erfolgte Ausziehen und Strecken des Spinnstoffes auf mechanischem Wege durch Walzen geschehen zu lassen, und er wurde dadurch der Erfinder eines Prinzips, das heute fast allen Spinnmaschinen zugrunde liegt. Er verwendete mehrere Walzenpaare, die sich mit verschiedener Geschwindigkeit drehen, so daß das zweite Walzenpaar drei-, vier- oder fünfmal schneller als das erste umläuft, wodurch der Faden, der durch das erste Paar hindurchgeht und dann von dem zweiten aufgenommen wird, drei-, vier- oder fünfmal länger und feiner aus demselben hervorgeht. Dieser Faden wird dann zu einer Spindel geführt, die sich in rotierender Bewegung befindet, wodurch er den nötigen Draht erhält, und auf Haspeln oder Rollen aufgewickelt. Durch Verlängerung der Walzen und Vervielfältigung der Spindeln, die alle durch dieselbe Kraft bewegt werden, können viele Fäden zu gleicher Zeit gesponnen werden, wodurch sowohl eine ansehnlich größere Schnelligkeit des Spinnens als auch eine größere Gleichmäßigkeit des Fadens erzeugt wird. Diese epochemachende Erfindung wurde von W y a t t 1738 gemacht, aber erst durch R i c h a r d A r k w r i g h t wurde dieselbe um 1769 verbessert und für die Praxis geeignet gemacht, so daß er als der eigentliche Erfinder der Spinnmaschine gilt. Seine Maschine erhielt, weil sie durch Wasserkraft betrieben wurde, den Namen W a t e r -
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m a s c h i n e und ist noch heute im Prinzip in der Baumwollspinnerei in Gebrauch. Erwähnt sei noch ein anderes System, das besonders zur Herstellung von Garnen mit schwacher Drehung verwendet wurde. Es ist die von J a m e s H a r g r e a v e s 1767 erfundene und von S a m u e l C r o m p t o n verbesserte M u l e J e n n y , bei der das ausgezogene Vorgespinst zwischen zwei fest aufeinander passende Stäbe geklemmt wird, dann durch in rotierende Bewegung gesetzte Spindeln den nötigen Draht erhält und durch Heranbewegen der Klemmen an dieselben aufgewickelt wird. So war der Spinnerei ein mächtiger Impuls gegeben, und als im Jahre 1785 die Wattsche Dampfmaschine die erste Baumwollspinnerei in Bewegung setzte, war durch die Erfindungen wenigei Jahrzehnte der Übergang von der bescheidenen, unvollkommenen Handspinnerei zur gewaltigen mechanischen Großindustrie vollzogen. Hatten aber, wie wir gesehen haben, die Verbesserungen des Webstuhls die Anregungen zur Vervollkommnung des Spinnprozesses gegeben, so erzeugte diese, insbesondere die Verwendung der mechanischen Kraft bei ihm, wieder die Notwendigkeit, den auf den neuen Maschinen hergestellten größeren Garnmengen auf besser konstruierten und schneller arbeitenden Webstühlen genügende Verwendung zu geben. Der Gedanke, auch den Webstuhl mechanisch zu bewegen, fing an, die Geister zu beschäftigen. Zwar galt es hier nicht, wie beim Spinnprozeß, der Hand nur zwei Arbeiten: die des Ausziehens und Zwirnens des Fadens, abzulernen, sondern die fünf Operationen des Webens, nämlich: die Bewegung der Lade, die Bewegung des Webeschützens und der Tritte, das Abwickeln der Kette vom Kettbaum und das Aufrollen der fertigen Ware auf den Zeugbaum, mechanisch auszuführen. Aber auch die Lösung dieses schwierigen Problems ließ nicht lange auf sich warten. Im Jahre 1784 konstruierte ein Doktor der Theologie E d m u n d C a r t w r i g h t in der Nähe von Kent in England den ersten mechanischen Webstuhl, der zwar noch höchst unvollkommen war, aber bald mit Vorteil praktisch angewendet werden konnte. Seine Erfindung wurde durch Horrocks in Stockport, Robert Miller in Glasgow, Thomas Johnson in Bredbury und andere bedeutend vervollkommnet und die zur Vorbereitung des Webeprozesses dienenden Operationen, das
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Scheren der Kette, das Schichten und Aufbringen derselben auf den Kettbaum, entsprechend verbessert. Zahllose Verbesserungen an Spinn- und Webmaschinen reihten sich an diese immer noch unvollkommenen Erzeugnisse mechanischer Genies. Nachdem die Grundgedanken sich als praktisch verwendbar erwiesen hatten, folgte ihre Anpassung an die verschiedenen Spinnstoffe und Gewebegattungen. Nachdem englische Erfinder die Wege gezeigt, beteiligten sich die Techniker aller Kulturländer an der weiteren Ausgestaltung ihrer Ideen.
Aus Rocken und Spindel, aus dem rahmenförmigen Webegerät der grauen Vorzeit haben wir die Spinn- und Webmaschinen, die kunstvollsten mechanischen Erzeugnisse der modernen Technik sich entwickeln gesehen; werfen wir jetzt einen Blick auf die Waren, die mit ihnen hergestellt wurden. Wie alle gewerbliche Tätigkeit in ihren Anfängen, war auch Spinnen und Weben eine häusliche Beschäftigung. Sie galt als besonders wohlanständig und fiel, während im Orient der Mann am Webstuhl arbeitete, im alten Griechenland dem weiblichen Geschlechte zu. Göttinnen und Fürstinnen übten sie. Spinnen und Weben galten als Symbole der weiblichen Würde. Oben im Söller des Hauses, dem Frauengemache, saßen die Hausfrauen im Kreise ihrer Familie und Dienerinnen und drehten die Spindel, kämmten die Wolle und webten die Gewänder. Nicht anders war es in Rom bis in die späten Zeiten des Kaisertums, wo im Atrium die Hausfrauen diese Beschäftigung mit ihren Mägden übten, und nicht nur in den niederen Ständen, sondern bis in die höchsten Kreise hinauf. Der Kaiser Augustus, der schlichte bürgerliche Gesinnung gern zur Schau trug, legte keine anderen Kleider als die von seiner Frau und seinen nächsten Angehörigen gefertigten an. Die bitteren Klagen, die im Anfang unserer Zeitrechnung lebende Schriftsteller über die Verderbtheit der Frauen ausstoßen, die so üppig und träge seien, daß sie sich nicht einmal mehr um das Spinnen und Weben im Hause kümmerten, zeigen, daß dies nach wie vor, wenn auch vielfach in Abnahme gekommen, zu den Pflichten der Hausfrau gerechnet wurde. Schon sehr früh muß neben dem Streben, nützliche, zum Schutze gegen Wärme und Kälte dienende Bekleidungsstücke herzustellen,
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auch der Wunsch, dieselben zu schmücken, aufgetreten sein. Die Pracht der Farben, welche die Tier- und Pflanzenwelt zeigte, führte dahin, auch die Stoffe, die den menschlichen Körper bedecken, mit Farben und Zeichnungen zu versehen. Diese Kunst stellte bei der Einfachheit des Webapparates an die Geschicklichkeit und Ausdauer des Arbeiters die größten Anforderungen. Wenn uns auch aus grauer Vorzeit kaum Reste von Geweben erhalten sind, so müssen wir doch aus den Beschreibungen, die uns die Schriftsteller von kunstvollen Stoffen geben, schließen, daß das Kunstgewerbe auf dem Gebiete der Weberei schon früher auf hoher Stufe stand. In der Heiligen Schrift, im Homer finden sich zahlreiche Stellen, die beweisen, daß damals schon die Verwendung farbigen und zeichnerischen Schmucks mit Vollendung geübt wurde. Wie auf anderen Gebieten, ist auch auf dem der Musterweberei die Kultur des Orients anregend und befruchtend für Europa gewesen. Während aber der europäische Geist in Kunst und Gewerbe die Anregungen des Orients selbständig verarbeitete und umbildete, besonders aus Griechenland eine geläuterte Kunst befruchtend über Europa sich verbreitete, sind in der Musterweberei orientalische Motive einfach übernommen worden; sie drücken den europäischen Produkten ihren Stempel auf und haben sich vielfach bis heute in den Erzeugnissen unserer Weberei erhalten. Vor allem waren es Ägypten, Indien, Assyrien, deren kunstvolle Gewebe im Altertum nach Europa kamen und dort nachgebildet wurden. Die Stoffe, aus denen im Altertum die Gewebe gefertigt wurden, waren dieselben, die auch wir dazu verwenden : Wolle, Flachs, Baumwolle und Seide, abgesehen von untergeordneten Materialien. Zunächst wurden selbstverständlich d i e Fasern versponnen, die das Land bot, bis der Handel den Bezug fremder Spinnstoffe vermittelte. So waren für Europa die Haupttracht wollene Stoffe, die Leinenmanufaktur stand in Ägypten in besonderer Blüte, während Baumwolle charakteristisch für Indien ist und die Seide im Osten Asiens heimisch war. Bei der Bedeutung der Verwendung wollener Waren für die europäischen Völker des Altertums richtete man das Augenmerk auf rationelle Schafzucht, und waren besonders Italien und Kleinasien dadurch berühmt. Schon früh vermittelte der Handel den Bezug fremder Spinnstoffe, daneben jedoch besonders den von gewebten Waren, die Spezialitäten ferner Länder bildeten. Die weit-
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umfassenden Beziehungen des römischen Reiches machten Rom zu einem Hauptstapelplatz für die Erzeugnisse der ihm unterworfenen Länder, unter ihnen nahmen Gewebe eine hervorragende Stelle ein. So sehen wir dort die kostbaren Leinenstoffe Ägyptens, die feinen baumwollenen Waren aus Indien, golddurchwirkte und goldgestickte Zeuge aus Babylon, durchsichtige Seidengewebe aus dem Lande der Serer und ähnliche, die einen Umschwung in der Kleidung und in der Ausübung der Weberei herbeiführten. Die Moralisten eiferten gegen den Kleiderluxus, der in erschreckendem Maße um sich griff, und die alte Einfachheit der Sitten zerstörte, und zahlreiche Verbote gegen ihn wurden erlassen, deren Übertretung mit den härtesten Strafen bedroht war. Das Weben selbst aber wurde mehr und mehr eine gewerbliche Tätigkeit, die größere Geschicklichkeit erforderte, als im Haushalt erlangt werden konnte. Erwähnt sei, daß die Tätigkeit des Schneiders und Kleiderkünstlers im Altertum unbekannt war. Die Stoffe wurden, wie sie vom Webstuhle kamen oder nachdem sie durch Walken oder Pressen ihre Vollendung erhalten hatten, zur Bekleidung verwendet und erhielten ihre Fasson auf dem Körper durch Gürtel, Spangen, Heftel und dergl. Besondere Bedeutung für die Entwicklung der europäischen Textilindustrie und für die Versorgung der europäischen Märkte mit orientalischen Textilerzeugnissen erhielt zu Beginn des Mittelalters Byzanz. Mit dem Verfalle des weströmischen Reiches wurde es der Hauptstapelplatz des Landes. An der Grenze Asiens gelegen, hatte es Handelsbeziehungen mit den fernsten östlichen Ländern dieses Erdteils und vermittelte deren Schätze dem westlichen Europa. Bekannt ist, daß Mönche unter der Regierung des Kaisers Justinian im Jahre 555 die Eier der Seidenraupe und den Maulbeerbaum nach Europa gebracht haben sollen, und damit die Seidenindustrie in unserem Erdteil einführten. Vorbilder für die Musterung waren die orientalischen Stoffe, deren Motive, phantastische Tiergestalten und Pflanzenformen, übernommen wurden. Die orientalischen Gewebe und die Kunst ihrer Herstellung wurden vornehmlich von den Arabern den westlichen Ländern vermittelt. Auf ihren kühnen Eroberungszügen unterwarfen sie sich Persien, Syrien, Ägypten, Hauptkulturländer des Altertums, und drangen bis nach Spanien vor, die Fahne des Propheten aufpflanzend, aber gleichzeitig überall dem Handel
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und Gewerbe die wertvollste Förderung zuteil werden lassend. Bekannt ist die große Seidenmanufaktur, die sie in Palermo begründeten, deren kostbare Erzeugnisse als die schönsten ihrer Zeit galten und von denen Reste uns erhalten sind. Auch in Spanien führten die Sarazenen nach Eroberung des Landes die Kunstweberei ihrer Heimat ein und entwickelten sie zu hoher Stufe. "Während die Länder des Mittelmeers den Eroberungszügen der Araber ihren gewerblichen Fortschritt verdankten, vermittelte die Beziehungen Westeuropas zum Orient bis zum 12. Jahrhundert Byzanz, und zwar einerseits auf dem Seewege, wo Venedig und Marseille besonders als Importhäfen in Betracht kamen, andererseits auf der Donaustraße bis ins Innere Deutschlands. Besonders Regensburg blühte damals auf. Jahrhundertelang ziehen die Kaufleute Deutschlands über die Alpen nach Venedig, wo sie in einem eigenen Hause (fondaco tedesco) Waren austauschten. Die Hauptstraße ging über den Brenner nach Augsburg, Nürnberg, Mainz, Köln bis nach Antwerpen, Gent und Brügge. Vorzugsweise an dieser Straße finden wir das Emporblühen der deutschen Kunstindustrie. Von Produkten der Textilindustrie waren es die kostbaren orientalischen, byzantinischen und italienischen Seidenstoffe, sowie Baumwollengcwebe, die eingeführt wurden, während deutsche Wollen- und Leinengewebe schon früh zur Ausfuhr gelangten. Auch in Deutschland war bis ins Mittelalter hinein Spinnen und Weben eine häusliche Beschäftigung. Besonders die Spindel blieb für das weibliche Geschlecht eine geziemende Tätigkeit; wir sehen königliche Frauen und Mädchen emsig mit ihr beschäftigt und erfahren, wie Karl der Große die weiblichen Mitglieder seiner Familie und seines Hofstaates eifrig dazu antrieb. Mit dem 10. Jahrhundert jedoch, wo die Städte sich konsolidierten und die ländliche Bevölkerung zum Schutze und zu gewinnbringender Beschäftigung massenhaft in dieselben strömte, wird das Spinnen, besonders aber das Weben, mehr und mehr eine gewerbliche Beschäftigung. Die Spinnerei blieb vorzugsweise eine Tätigkeit der ländlichen Bevölkerung, die den selbstgezogenen Flachs teils als Berufsarbeit, teils als Nebenbeschäftigung in den Zeiten, die die Landwirtschaft frei ließ, verspann, auch die Wolle, welche die Herde ihr lieferte, zu Gespinsten verarbeitete. Die Weberei jedoch, vornehmlich der Hauptzweig der deutschen Textilindustrie, die Wollen-
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Geschichte und Technik der Textilindustrie.
und Tuchweberei, entwickelte sich früh als städtisches Gewerbe, wozu ihre Abhängigkeit von verschiedenen Hilfsgewerben, den Färbern und Walkern, beitrug. Unter den Zünften, zu denen sich die Gewerbe zusammenschlössen, gehörten die der Weber und Tuchmacher zu den bedeutendsten und angesehensten. Sie standen den Gilden der Kaufleute im Range am nächsten und repräsentierten, wo diese keine Vereinigung hatten, die erste Zunft. An den meisten Orten mußten ihre Mitglieder von altfreier Herkunft sein, sie bildete eine soziale Mittelklasse, die im Bewußtsein ihres Reichtums sich über die gewöhnlichen Handwerker erhob und den Patriziern ebenbürtig fühlte. Trotzig gegen Übergriffe der Fürsten und eifrig auf die Aufrechterhaltung ihrer Privilegien bedacht, bildeten sie die mächtigsten Säulen der Bürgerschaft. Die Geschichtc hat uns die denkwürdigen Kämpfe der Flanderer unter Führung des Tuchmachers Peter König von Brügge gegen Philipp IV. von Frankreich im Anfange des 14. Jahrhunderts überliefert, die mit dem Siege der Flanderer endeten. Bereits im Jahre 1114 gab es in Worms eine Tuchmacherzunft, und aus dem Jahre 1149 besitzen wir als älteste Urkunde über die Errichtung einer Zunft die der WTeber zu Köln. Während wir so die Wollenweber zeitig in Ansehen und Ehren erblicken, blieb der Makel, der früher der gewerblichen Beschäftigung anhaftete, noch auf manchen Handwerkern ruhen. E s waren dies entweder solche, deren Betrieb besonders Gelegenheit zu Veruntreuungen gab, oder Gewerbe, die vorzugsweise auf dem Lande geübt wurden. Zu diesen anrüchigen Handwerkern gehörten bis in späte Zeit die Müller, Gerber und Leineweber. Aber auch letzteres Gewerbe gewann bald an Bedeutung, ich brauche nur an das Haus der Fugger in Augsburg zu erinnern. Überhaupt sehen wir im Mittelalter die deutsche Wollen- und Leinenwebereien, begründet auf der Güte der heimischen Rohstoffe in hoher Blüte und ihre Erzeugnisse bildeten wichtige Ausfuhrartikel nach den verschiedensten Ländern. Ihre technischc Vervollkommnung dürfte die deutsche Wollweberei aus dem benachbarten Flandern erhalten haben, wohin die Wollmanufaktur im 10. Jahrhundert aus Italien verpflanzt worden war und bald große Bedeutung erlangte. Zu ihrer Hebung wurden jährliche Märkte in Brügge veranstaltet, das der Hauptmarkt für ganz Europa wurde, und wohin im 12. Jahrhundert Kaufleute aus
Geschichte und Technik der Textilindustrie.
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17 Königreichen gekommen sein sollen. Daneben war Gent von großer Bedeutung. In einem im 12. Jahrhundert entstandenen Gedichte heißt e s : „Und würde alles Tuch von Gent auch flugs zu lauter Perg a m e n t " — was beweist, daß die dortige Fabrikation fast sprichwörtlich gewesen ist. Auch Louvain und Arras waren berühmt durch ihre Tuche. Die im 14. Jahrhundert in Flandern ausbrechenden Unruhen, die Bürgerkriege und Kämpfe mit Frankreich, brachten die blühende Industrie aber zum Sinken, bis am Ende des Mittelalters die spanische Herrschaft ihr den Todesstoß versetzte. Flandrische Weber waren die Begründer der Tuehfabrikation in anderen Ländern, so besonders in England, wohin sie von König Eduard II. gerufen wurden. Dort war die Schafzucht seit ältester Zeit in Blüte, und rohe Wolle wurde weithin exportiert. Aber erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts lassen sich Webereien von Wollwaren nachweisen. Die erste geschichtlich bekannte Werkstatt feiner Tuche ist 1296 in London von einer Gesellschaft von Großhändlern, die sich Aventurcrs nannten und selbständigen Handel mit dem Auslände trieben, angelegt worden. Der flandrische Einfluß machte sich in Deutschland in dem benachbarten Friesland geltend, dessen Tuche schon zur Zeit der fränkischen Könige berühmt waren. Friesische Mäntel wurden den obersten Hofbeamten als Ehrengeschenke verliehen und waren so geschätzt, daß sie sich unter den Gaben befanden, die Karl der Große an den Kalifen Harun al Raschid als Dank für dessen Geschenke sandte. Von dem Nordwesten Deutschlands zog sich die Wollindustrie nach Berlin und Brandenburg, wo Magdeburg, Quedlinburg, Stendal und Salzwedel Hauptsitze waren, nach dem Rhein, vornehmlich nach Köln, nach Mittel- und Süddeutschland, wo Ulm und Regensburg besonders bekannt waren. In der Seidenindustrie waren im Mittelalter besonders Italien und Frankreich von Bedeutung. Erwähnt wurde bereits die Einführung dieser Industrie durch die Sarazenen in Sizilien. Dort blühte die Herstellung prächtig gemusterter Seidenstoffe unter der erfolgreichen Herrschaft der Normannen und Hohenstaufen. Sie wurde aber später durch Pisa und Lucca überflügelt, wo neben Venedig, Genua und Florenz im 14. und 15. Jahrhundert umfangreiche Seidenindustrie betrieben wurde. Venezianische und Florentiner Brokatstoffe, Genueser Sammete kennen wir aus erhaltenen Stücken, die
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Geschichte und Technik der Textilindustrie.
die Zierden unserer Kunstgewerbemuseen bilden.
Das Rohmaterial
lieferte ein gut organisierter Handel und eine blühende Hausindustrie, in fast allen Dörfern Italiens wurde die Seidenraupe gepflegt. Das Land, das heute in der Seidenindustrie an der Spitze steht, Frankreich, übte dieselbe bereits im frühen Mittelalter.
1268 soll der
erste Maulbeerbaum nach Frankreich gelangt sein, und schon im 14. Jahrhundert
bestanden
in
Marseille,
St. Etienne Seidenmanufakturen.
Montpellier,
Tours
und
Italienische Arbeiter vermittelten
die Kenntnis der Technik und Musterung, und von Seiten der französischen Könige wurde die neue Industrie nach jeder Richtung begünstigt.
Besonders Heinrich IV. widmete ihr und der Seidenzucht
sein Interesse.
Bald trat Lyon an die Spitze der Seidenweberei.
Die
Weber erhielten große Privilegien, und in der Mitte des 16. J a h r hunderts beschäftigte Lyon bereits etwa 3 0 0 0 0 Seidenweber.
Diese
blühende Industrie erlitt einen schweren Schlag durch die religiösen Verfolgungen.
Die 1685 erfolgte Aufhebung des Edikts von Nantes
trieb die betriebsamen
Hugenotten
zu Tausenden
die gastliche Aufnahme in Deutschland fanden.
außer
Landes,
Ihnen vcrdiinkt die
deutsche Seidenindustrie ihr Entstehen und ihre erste Blüte.
In
Stuttgart, Ulm, Mainz, Hanau, Elberfeld, Krefeld, Berlin und anderen Orten gründeten die französischen Emigranten Seidenmanufakturen, unterstützt
durch prunkliebende
Höfe;
auch die Einführung
der
Seidenzucht suchte man nach Kräften zu fördern, und aus den damals gebildeten Anfängen hat sich besonders die niederrheinische Seidenindustrie mit dem Hauptsitze Krefeld zu ihrer heutigen Bedeutung entwickelt.
Im
vorstehenden haben wir einen kurzen Überblick über die
Entwicklung und Ausbreitung der Hauptzweige der Textilindustrie bis zu der Zeit gegeben, wo, wie wir gesehen haben, die mechanische Kraft die "Werkzeuge des Spinnens und Webens zu komplizierten, exakt und schnell arbeitenden Maschinen umwandelte, deren Einführung eine vollständige Umwälzung in der Herstellungsweise und im Geschäftsbetriebe zur Folge hatte. Die
Aufsaugung
der
handwerksmäßigen
Betriebe
durch
fabrikmäßigen, die dieser durch die Großindustrie geschah
die
selbst-
verständlich nicht gleichmäßig, sondern vollzog sich einerseits mit
Geschichte und Technik der Textilindustrie.
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Rücksicht auf die bestehenden Gepflogenheiten desBetriebes, andererseits je nachdem die maschinelle Kraft sich besonders f ü r die Industrie eignete. Besonders trat dies zutage in der Baumwollenindustrie. Baumwolle war bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts teuer und die aus ihr gefertigten Stoffe dienten den wohlhabenden Klassen. E r s t die Verwendung amerikanischer Baumwolle brachte eine vollständige Preisumwälzung dieser Waren, die dem Massenkonsum zu dienen begannen und eine tiefgreifende Veränderung in der Konsumtion bewirkten. Dazu kam, daß die neuen Spinn- und Webmaschinen, erstere ausschließlich, letztere vorzugsweise, für die Verarbeitung der Baumwolle konstruiert waren, und so sehen wir ein bisher vorzugsweise dem Luxus dienendes Rohmaterial, „King cotton", seinen Siegeslauf durch die Welt nehmen. Hier brauchte es nicht einer gewaltsamen Zerstörung bestehender gewerblicher Gewohnheiten, sondern eine neue Industrie trat gleich als Großindustrie in die Erscheinung. Die Hauptproduktionsländer der Baumwolle sind die Vereinigten Staaten von Amerika, Ostindien und Ägypten. Die früheste Einfuhr amerikanischer Baumwolle nach England fällt allem Anscheine nach in das J a h r 1747. Von der Zunahme der Baumwollproduktion in den Vereinigten Staaten, welche zugleich einen Maßstab für das Anwachsen der Baumwollindustrie in Europa gewährt, geben folgende Zahlen einen Begriff. Es betrug die Menge der ausgeführten Baumwolle im J a h r e : 1791: 858 dz 1860: 4 755000 dz 1800: 80690 „ 1880: 8 200000 „ 1820: 566500 „ 1900: 13900000 „ 1840 : 2 405000 „ 1905: 19400000 „ Dazu kommt die in gewaltigem Maße gewachsene Verwendung von Baumwolle im eigenen Lande, die gegenwärtig etwa 11 Millionen Doppelzentner beträgt. Großbritannien verbrauchte an Baumwolle im J a h r e : 1700: 9 0 0 0 dz 1860 : 5173000 dz 1800 : 254000 „ 1900: 14600000 „ 1840: 1987000 „ 1905: 17 200000 „ Der Eigenverbrauch Deutschlands betrug: 1836: 76000 dz 1850: 171000 „ 1906 : 3 700000 „
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Geschichte und Technik der Textilindustrie.
Das machte 1836 pro Kopf der Bevölkerung 0,25 kg, dagegen 1906: 6,25 kg, also 25 mal mehr als vor 70 Jahren. Die Zahl der Baumwollspindeln beträgt: in Großbritannien 51000000 „ Deutschland 9 730000 „ Frankreich 6120000 „ Rußland und Polen 7 400000 „ den Vereinigten Staaten 25500000 Die Gesamtzahl der Spindeln der Erde beläuft sich auf 122580000, die Zahl der Webestühle wird auf 2 300000 geschätzt. Anders war es in der Wollindustrie. Zwar war die von Hargreavcs und Crompton erfundene Mule Jenny zum Verspinnen kurzer, krauser, für die Tuchindustrie verwendeter Wollen nicht ungeeignet, aber wirklich praktische Streichgarn-Spinnmaschinen wurden erst im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts gebaut. Koch später gelang es, vollkommene Maschinen für das Kämmen und Feinspinnen von Kammwollen zu konstruieren. Hier war auch der handwerksmäßige und fabrikmäßige Betrieb in den mitteleuropäischen Staaten seit Jahrhunderten eingebürgert und blühend. Der maschinelle Betrieb fand nur langsam Eingang, und wenn auch heute der Übergang von der Handspinnerei zur Maschinenspinnerei sich vollständig vollzogen hat, behauptet der Handwebstuhl besonders in der Tuchweberei doch noch vielfach neben dem mechanischen seinen Platz. Durchgreifender war die Umwälzung in der Kammgarnindustrie, in der der mechanische Großbetrieb so gut wie vollständig eingeführt ist. Noch langsamer vollzog sich der Prozeß der Industrialisierung in der Leinenindustrie. Abgesehen davon, daß hier noch mehr wie in der Wollenindustrie der Hausbetrieb besonders in ländlichen Gegenden eingebürgert und aus wirtschaftlichen wie sozialen Verhältnissen geboten war, h a t sich die Maschinenspinnerei erst spät und n u r langsam entwickelt, und sie ist infolge der Beschaffenheit der Flachsfaser auch heute noch vielfach nicht imstande, so feine Garne zu erzeugen, wie auf dem Wege der Handspinnerei erreichbar ist. Auch Vorurteile aus der Zeit unserer Voreltern sind noch geltend,
Geschichtc und Technik der Textilindustrie.
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die den aus Handgespinst und durch Handweberei erzeugten Waren Vorzüge gegenüber den auf maschinellem Wege hergestellten zusprechen. So ist in dieser Industrie, wenn auch die mechanische Großindustrie sich mehr und mehr ausdehnt, doch der Hand- und Kleinbetrieb immer noch in größerem Umfange vorhanden. Dagegen h a t sich der jüngste unter den Rohstoffen der Textilindustrie, die Jute, die erst seit 1850 in Europa verwendet wird, sofort und vollständig als mechanische Großindustrie entwickelt. In der Seidenweberei fangt der mechanische Webstuhl erst seit einigen Jahrzehnten an, mehr und mehr Eingang zu gewinnen. So sehen wir die Textilindustrie, die früher, wenigstens für die Herstellung der Massenartikel, vorzugsweise auf die heimischen Rohstoffe angewiesen war und daher als Sitz mit Vorliebe die Gegenden wählte, in denen dieselben produziert wurden, heute unabhängig davon die Spinnmaterialien der ganzen Welt verarbeitend: Baumwolle aus Amerika, Indien und Ägypten, AVoile aus Argentinien, Afrika und Australien, J u t e aus Indien, Seide aus China und Japan — sie alle stellen unsere ausgebreiteten Handelsbeziehungen zur Verfügung, dem Fleiß und der Intelligenz der Industriellen freies Spiel gewährend. — Deutschland hat es verstanden, sich auf diesem Gebiete eine führende Stellung zu erwerben. Nicht nur in der von alters her heimischen Woll- und Leinenindustrie, sondern ebenso in den Kindern des letzten Jahrhunderts der Baumwoll- und Seidenindustrie. Unser Export an Erzeugnissen der Textilindustrie geht in alle Länder der Erde und ist in stetem Wachsen begriffen. Er betrug im Jahre 1905 1120 415 000 Mark und steht an der Spitze unserer exportierenden Industrien. Die Zahl der in der Textilindustrie in Deutschland beschäftigten Arbeiter betrug nach der letzten Gewerbezählung im Jahre 1895: 993 257; die in wenigen Tagen stattfindende Berufszählung wird eine erhebliche Zunahme in den inzwischen verflossenen 12 Jahren aufweisen. Aber wir stehen nicht am Ende der Entwicklung. Weiter sinnt der menschliche Geist, Spinnmaschinen und Webstuhl zu immer schneller und exakter arbeitenden Maschinen zu machen, Menschenkraft zu sparen und die frei werdenden Hände zu anderer produk-
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G e s c h i c h t e und Technik der Textilindustrie.
tiver Tätigkeit zu verwenden, die Waren zu verbilligen und den größeren Konsum von Textil- und anderen Erzeugnissen zu ermöglichen. Neue Rohmaterialien werden gefunden und künstlich hergestellt. Möge in dem begonnenen Jahrhundert Deutschland seine Stellung auf dem Weltmarkt, die es sich sowohl in technischer Beziehung als auch durch die geschmackvolle Ausführung seiner Textilerzeugnisse erworben hat, sich erhalten und weiter vergrößern.
IV. Entwicklung und Arten der Exportgeschäfte. Vortrag des Herrn Hermann
Gewerbliche
Einzelvortrüge.
Hecht.
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Vor einiger Zeit trat man von seiten der Handelshochschule mit dem Ersuchen an mich heran, einige Themen aus der Praxis des Exporthandels hier vor Ihnen zu erörtern. Ich trug Bedenken, ob ich einer solchen Aufforderung stattgeben durfte; und erst nach einigem Zögern entschloß ich mich zu der Zusage, einen P r o b e vortrag zu halten. Ich mußte zuerst mit mir selbst darüber ins reine kommen, ob das, was ich als praktischer Kaufmann mitteilen würde, Anspruch auf das Interesse von außerhalb der Exportpraxis stehenden Personen erheben könnte. Daß ich demjenigen, der in dieser Praxis drinnensteht, keine neuen Gesichtspunkte zu bieten vermöchte, war mir ohne weiteres klar. Neulich fragte mich ein Herr, dem ich einiges Urteil zutrauen darf: „Wie kommt es, daß Exportgeschäfte überhaupt noch existieren? Es gibt doch jetzt so viele Adressen- und Bezugsquellennachweise, so viele Nachschlagewerke für alle möglichen Fabrikationszweige usw., daß es eigentlich kaum begreiflich ist, wie der Exporteur noch s;ein Leben fristen kann." Die Zweifelsfrage dieses Herrn lege ich meinen nachfolgenden Erörterungen zugrunde; ich werde trachten, Ihnen zu zeigen, daß die Zweifel an der Existenzberechtigung und Existenznotwendigkeit des Exporthandels grundlos sind, daß ohne den Exporthandel und ohne einen Stand, der speziell den Exporthandel sich zum Lebensberuf macht, ein Export vielfach unmöglich wäre. Ich werde trachten, Ihnen zu zeigen, was die Quintessenz des Geschäftes des reinen Exporteurs (im Gegensatz zum exportierenden Fabrikanten) darstellt, und was sein Lebenselement ist. Wir haben scharf z w e i A r t e n von Exportgeschäften zu unterscheiden; e r s t e n s diejenigen, deren Hauptbetätigung im V e r k a u f von Waren liegt, und z w e i t e n s diejenigen, deren Hauptbetätigung im E i n k a u f von Waren liegt. Zu der ersten Kategorie gehören die Exportgeschäfte, die ihre Reisenden mit Musterkollektionen in die Welt hinaussenden, um auf 5*
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Entwicklung und Arten der Exportgeschäfte.
Grund dieses sorgfältig ausgewählten Materials in fernen Ländern Aufträge zu suchen. Zu der anderen Kategorie zählen die Exportgeschäfte, die als Vertrauensstelle überseeisch angesiedelter Kaufleute in deren Auftrage h i e r den Einkauf von Waren zu bewerkstelligen haben. Dieser Gruppe kann man (gewissermaßen als Spezialgattung) diejenigen Geschäfte angliedern, die nicht als Beauftragte überseeischer Firmen fungieren, sondern insofern auf eigene Rechnung Geschäfte machen, als sie Teilhaber der überseeischen Geschäfte sind und in dieser Eigenschaft die Warenankäufe hier durchführen. Es ist aber nicht allein die voneinander abweichende Art der Betätigung, die Veranlassung gibt, die verschiedenen Kategorien der Exportgeschäfte getrennt zu behandeln; Anlaß dazu ist auch die verschiedene Stellung, welche sie der inländischen Industrie gegenüber einnehmen. Der Kaufmann, der hier die Ware (auf e i g e n e Rechnung) einzukaufen hat, die sein Reisender drüben verkaufen soll, trachtet in erster Linie danach, diese Ware zu dem denkbar günstigsten Preise zu beschaffen; er hat wohl ein Interesse daran, die Ware so zu liefern, daß er vor Reklamationen gesichert ist; jedoch hat er an dem Erfolge, den sein Abnehmer drüben mit der Ware erzielt, kein besonderes Interesse. F ü r ihn ist das Geschäft erledigt, wenn er die Ware „draußen" hat. Wesentlich anders liegen die Dinge bei demjenigen Exporteur, der für f r e m d e Rechnung, im Auftrage eines anderen und als dessen Vertrauensperson Ware einzukaufen hat. Dieser Exporteur hat nicht allein ein Interesse daran, die zu beschaffende Ware so billig wie möglich einzukaufen, sondern er hat auch ein Interesse daran, alles aufzubieten, um den Auftraggeber zufrieden zu stellen, weil der Weiterbestand der ganzen Verbindung, die unter Umständen einen wichtigen Bestandteil seines Geschäfts bildet, davon abhängt. Es handelt sich also nicht allein darum, eine möglichst niedrige Preisstellung zu erzielen, sondern in gleichem Maße darum, eine in jeder Weise einwandfreie Ware aus der besten Quelle zu beziehen, mit einem Worte, alles zu tun, um eine durchaus befriedigende E r ledigung des ihm erteilten Auftrages herbeizuführen, weil man eben hofft, eine dauernde Verbindung mit dem zu versorgenden überseeischen Hause aufrecht erhalten zu können. Während für die erste
Entwicklung und Arten der Exportgeschäfte.
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Kategorie das Geschäft oft nur eine e i n m a l i g e B e r ü h r u n g mit dem Abnehmer bedingt, nur zu e i n e r Transaktion führt, wird hier der Nachdruck auf die K o n t i n u i t ä t der Beziehungen gelegt, auf die V e r t r a u e n s s t e l l u n g . Wieder anders ist die Position derjenigen Exporteure, die für ihre e i g e n e n überseeischen Geschäfte tätig sind. Es gibt in Berlin und ganz besonders in Hamburg eine große Zahl von Kaufleuten, die früher über See lebten und nun in der Heimat in aller Beschaulichkeit die Arbeit leisten, die mit der Warcnbeschaffung für ihre eigenen überseeischen, kleinen oder mittleren Geschäfte verknüpft ist. Diese Leute haben selbstverständlich ein Interesse daran, billig und zugleich gut und zuverlässig einzukaufen, sie wurzeln jedoch mit ihren Einkäufen nicht derart im deutschen Boden, wie dies namentlich bei der zweitgenannten Kategorie von Exporteuren der Fall ist, welche für ausländische Waren nicht in dem Grade leistungsfähig sind wie für inländische; sie haben die Konkurrenz des ausländischen Kommissionärs zu überwinden, und dieser ist für die Ware seines Landes in fast allen Fällen leistungsfähiger, als es der deutsche Kommissionär sein könnte. Der für seine eigene überseeische Firma tätige Exporteur hat in jedem einzelnen Falle nur zu vergleichen, ob der Artikel, welcher ihm von seinem überseeischen Geschäfte bestellt wird, vorteilhafter in diesem oder jenem Lande erstanden werden kann, und wird seine Dispositionen ganz nach diesem Gesichtspunkte treffen. Auf diese Weise muß an den ersten beiden Kategorien (namentlich aber an der zweiten) die inländische Industrie in ganz anderer Weise Interesse nehmen, als an der dritten, der Kategorie der für die eigenen Auslandgeschäfte handelnden Exporteure. Ich will mich jedoch nicht mit all diesen und anderen Arten von Exportgeschäften beschäftigen, sondern lediglich mit den zwei erstgenannten, die sich in der Hauptsache mit dem Export der Produkte der deutschen Klein- und Mittelindustrie befassen und in großer Anzahl besonders in Berlin und Hamburg existieren. Das Geschäft derjenigen Exporteure, die ihre Reisenden ins Ausland senden, bewegt sich scheinbar in ziemlich einfachen Bahnen. Sie stellen ihre Muster zusammen, lassen diese dann drüben vorlegen, nehmen die aufgenommenen Aufträge entgegen und versenden die Ware.
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Entwicklung und Arten der Exportgeschäfte.
Ganz so glatt verläuft allerdings die Sache in praxi nicht. E s gehört zunächst eine außerordentlich gründliche Kenntnis der Bedürfnisse des Landes dazu, um eine Kollektion, die in einem fernen Gebiete wirklich „ziehen" soll, zusammenzustellen und so einen Erfolg herbeizuführen. Im allgemeinen kann man nur dann dieser Aufgabe vollkommen gerecht werden, wenn man sich längere Zeit im Lande selbst aufgehalten hat oder im Lande hat reisen lassen und so im Verkehr mit den Leuten, an die man die "Ware absetzen will, alle Einzelheiten genau kennen gelernt hat. Die Hauptaufgabe jedoch bleibt die prompte Hereinbringung des Geldes für die verkaufte Ware. E s liegt j a auf der Hand, welch weitgehende Vollmachten man derjenigen Persönlichkeit einräumen muß, die man mit der Aufgabe betraut, Ware in überseeischen Gebieten zu vertreiben, die Kundschaft zu wählen und die Bedingungen, unter denen die Geschäfte im einzelnen abgeschlossen werden sollen, zu normieren. Wenn insbesondere eine Firma neue Länder in den Kreis ihrer geschäftlichen Betätigung einbeziehen will, so kann sie sicli nicht immer Zeit nehmen, die Qualität derjenigen Firmen genau zu ermitteln, von welchen sie Aufträge erhält; sie muß sich vielmehr zum großen Teil auf denjenigen verlassen, der die Aufträge aufnimmt. E s ist daher in vielen Fällen erforderlich, in überseeischen Gebieten neben den Reisenden sich noch der Beihilfe anderer Personen zu bedienen, die mit den Verhältnissen vertraut sind, über die Kundschaft eine gewisse Kontrolle üben und Sorge tragen, daß die eingeleiteten Transaktionen auch in ordnungsmäßiger Weise durchgeführt werden, daß vor allem das Geld hereinkommt. Aus diesen Niederlassungen, die zur Ausübung der erforderlichen Kontrolle an den überseeischen Plätzen gegründet werden, können sich nun alle möglichen Arten Beziehungen entwickeln. Wenn z. B. eine solche Niederlassung eine gewisse Selbständigkeit erlangt hat, wird sie unter Umständen zu dem europäischen Hause, für welches sie bis dahin in der vorher angedeuteten Weise tätig war, in ein ganz neues Verhältnis treten. Das überseeische Haus wird sich vielleicht selbständig machen und das Mutterhaus lediglich für die Beschaffung der abzusetzenden Waren benutzen. Dieser Gang der Dinge führt uns zu der zweiten von mir erwähnten Kategorie von Exportgeschäften. Setzen wir also den Fall, daß die von einem deutschen Exporteur mit der Kontrolle
Entwicklung und Arten der Exportgeschäfte.
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der Kundschaft betraute Stelle in irgend einem überseeischen Gebiet sich auf eigene F ü ß e stellt, — was tut dann die betreffende Firma? Dann wird das Haus, welches früher der Vertrauensmann des deutschen Hauses für seine Kundschaft in — sagen wir — Argentinien war, das deutsche Haus zu seinem Vertrauensmann für Deutschland wählen. Und hier nehme ich nun Veranlassung zur Beantwortung der von mir am Eingang meiner Darlegungen zitierten Frage, wie es denn überhaupt möglich sei, daß der Exporteur noch existieren könne. Bei der angesichts der großen Entfernungen oft recht langen Zeit, die ein Gedankenaustausch mit Deutschland erfordert, ist es gar nicht möglich, daß eine überseeische Firma von irgendwelcher Bedeutung mit jeder einzelnen Fabrik, von der sie Waren zu beziehen wünscht, einen direkten Verkehr pflegt. Es ist vielmehr notwendig, daß die überseeische Firma in dem Lande, aus dem sie ihre Waren bezieht, ein Haus hat, dem sie unumschränktes Vertrauen schenken, dem sie alle Wünsche und Sorgen unterbreiten kann und von dem es die feste Überzeugung hat, daß es alle ihm übertragenen fremden Angelegenheiten mit genau der gleichen Sorgfalt behandelt, als wären es seine eigenen. Hieraus folgt, daß sich für diese zweite Kategorie der Exportgeschäfte, die ich am besten Exportkommissionsgeschäfte glaube nennen zu sollen, ein außerordentlich großes Feld der Tätigkeit eröffnet. Gleichviel wie weit sich der direkte Export einer Industriefirma ausdehnt: der Überseer wird nie umhin können, in dem Lande, in welchem er hauptsächlich seinen Bedarf an Waren deckt, eine Vertrauensstelle zu haben, die alle Verhandlungen für ihn führt und all das für ihn tut, was für eine sorgfältige Erledigung seiner Angelegenheiten erforderlich ist. Selbst wenn der in Übersee angesiedelte Kaufmann häufig nach Europa kommt und persönlich Geschäfte einleitet, so müßte er, wenn er die Exportkommissionsfirma umgehen wollte, eine vollkommen neue Geschäftsorganisation schaffen, um sicher zu sein, daß all das, was er eingeleitet, besprochen und beordert hat, auch hinterher wirklich ordnungsgemäß erledigt wird. Von großer Wichtigkeit ist für ihn ferner die Vertretung in Deutschland durch eine Exportkommissionsfirma auch zu dem Zweck, um die Bestellungen bei den Fabrikanten unterzubringen und
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Entwicklung und Arten der Exportgeschäfte.
jeweils die der Marktlage entsprechenden günstigsten Preise zu erlangen. Denn bei direkter Zusendung der Aufträge an die Fabrikanten ist der Besteller in bezug auf die Preisnotierungen ganz der Willkür der Fabrikanten anheimgegeben. Welche Bedeutung eine Vertretung an einem deutschen Platze für solche überseeische Firmen hat, die mit jeder Post Hunderte von Aufträgen und Korrespondenzen senden, ist ohne weiteres klar. Der eine Fabrikant kann vielleicht nicht rechtzeitig liefern. In diesem Falle muß ein anderer gesucht werden, bei dem man auf eine rechtzeitige Lieferung rechnen kann. Dann kommt die Ablieferung der Ware an die Hafenspediteure. Die Fakturen müssen kontrolliert werden; es ist darüber zu wachen, ob die Deklarationen der Waren richtig vorgenommen sind. Hierauf muß besondere Sorgfalt verwendet werden, um zu verhüten, daß die in dem fremden Lande eintreffenden Waren wegen unrichtiger Angaben mit Zollstrafen belegt werden. Die im Hafen anlangenden Waren müssen in bester Weise zusammengefaßt und so verschifft werden, daß die Beförderung mit möglichst geringen Kosten vor sich geht. Ich denke hierbei nicht allein an die Frachtsätze selbst, sondern auch daran, daß der betreffende Hafenspediteur dazu verhalten werden muß, soviel Güter wie möglich auf einem Konnossement zusammenzufassen, um die erheblichen Unkosten zu vermeiden, die dadurch entstehen, daß eine Reihe von Konnossementen für gleichzeitig zur Verschiffung gelangende Waren ausgefertigt werden muß. Daneben sind die Verhandlungen wegen der Frachten selbst zu führen, wobei es hinwieder wichtig ist, günstige Sätze dadurch zu erlangen, daß man möglichst große Quanten von Gütern anzubieten hat. In vielen Fällen handelt es sich auch darum zu entscheiden, ob die Verschiffung per Dampfer oder per Segler vorgenommen werden soll, ein Moment, das für Waren, bei denen die Fracht eine erhebliche Rolle spielt, von großer Bedeutung ist. Schließlich und nicht zum geringsten fällt die Frage ins Gewicht: „Was geschieht, wenn die Waren, welche die einzelnen Fabrikanten liefern, nicht zur Zufriedenheit des überseeischen Kunden ausfallen?" Dann kommen die Reklamationen, und wenn der betreffende Empfänger seinen Wohnsitz in einem fernen Lande hat, der Fabrikant jedoch hier, so ist es gewöhnlich mit großen Schwierigkeiten verknüpft, auf Grund einer Korrespondenz — der Briefwechsel nimmt
Entwicklung und Arten der Exportgeschäfte.
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j a oft Monate in Anspruch — die Sache zu regeln. Der hier ansässige Exporteur dagegen hat es leicht, mit dem Fabrikanten zu verkehren. E r kann ihm gegenüber auch einen viel größeren Einfluß geltend machen und den Fabrikanten vielleicht bestimmen, zu einer freundschaftlichen Regelung die Hand zu bieten. Ich glaube, schon diese Darlegungen genügen, um Ihnen zu zeigen, wie nötig der in überseeischen Gebieten angesiedelte Kaufmann hier einen Vertrauensmann braucht. J e größer und vielseitiger die Geschäfte des überseeischen Kaufmanns sind, um so wichtiger ist eine solche europäische Vertrauensstelle für ihn. Man findet häufig die Ansicht vertreten, daß ein überseeischer Käufer, der große Quantitäten Ware zu bestellen hat, leicht mit den Fabrikanten direkt unterhandeln könne. Jeder Kenner der Verhältnisse wird Ihnen sagen, daß gerade in solchen Fällen eine möglichst vollkommene Vertretung hier von allergrößter Bedeutung ist. Dies ist die Lichtseite des Exportkommissionsgeschäfts. Es sind aber auch Kehrseiten vorhanden: die vielen Risiken, bekannte und unbekannte, die mit der geschilderten Tätigkeit des Exportkommissionärs verbunden sind, vor allem die Gewährung von Krediten an den überseeischen Kaufmann, die Übernahme des Delkredere gegenüber dem Lieferanten. Die Kredite, die der Exporteur zu geben hat, sind in vielen Fällen sehr bedeutend und lassen sich häufig nicht so begrenzen, wie man dies gerne möchte. Es liegt das in der Art des Verhältnisses zwischen dem Überseer und seinem europäischen Kommissionär. Die Möglichkeit, hohe Kredite zu gewähren, ist dem Exportkommissionär dadurch gegeben, daß die Bankinstitute in liberaler Weise die von ihm auf seine überseeischen Freunde ausgestellten Tratten zu diskontieren pflegen. Das will sagen, daß, wenn der Exporteur einen Frachtbrief über eine nach Übersee expedierte Sendung dem Bankhause mit angeheftetem Wechsel einliefert —welch letzterer selbstverständlich auf im voraus mit dem überseeischen Kunden vereinbarten Bedingungen beruhen muß —, das betreffende Bankinstitut den Betrag des Wechsels ganz oder teilweise dem Exporteur zur Verfügung stellt. Diesem wird durch diese Diskontierung selbst bei längerem Ziel, das er seinem Abnehmer gewährt, die Möglichkeit ge-
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Entwicklung und Arten der Exportgeschäfte.
geben, auf Grund der Verschiffungsdokumente hier bereits Geld zu erlangen. Aber diese angenehme Möglichkeit gibt auf der anderen Seite auch zu großen Bedenken Anlaß; denn während der Exporteur sonst nur mit seinen eigenen Mitteln im Risiko ist, ist er es jetzt mit Mitteln, die über seine eigenen hinausgehen. Wenn dann der überseeische Kunde durch irgendwelche unvorhergesehene Umstände, sei es durch Krisen im Lande, sei es durch andere Umstände, die sich im voraus nicht überblicken ließen, in Schwierigkeiten gerät, so kommen die von der Bank diskontierten Wechsel an den Aussteller zurück, und der Exporteur gerät gerade dann, wenn es ihm am schwersten fällt, die zur Einlösung erforderlichen Mittel herbeizuschaffen, in eine recht kritische Lage; denn gleichzeitig mit den Schwierigkeiten, mit denen sein überseeischer Freund zu kämpfen hat, pflegen sich dann auch für ihn direkt eine Reihe störender Momente geltend zu machen. Ein vorsichtiger Exporteur wird sich darum wohl hüten, die ihm gebotenen „Möglichkeiten", die Versendungen zu diskontieren, über ein gewisses Maß hinaus in Anspruch zu nehmen. Das Risiko der Kreditgabe, das sich dem Außerhalbstehenden zuerst aufdrängt, ist jedoch bei weitem nicht das einzige; vielmehr kommen noch verschiedene andere ebenso gefährlicher Natur in Betracht. Als ein solches ist besonders der Ilmstand anzusehen, daß es in Fällen, in denen der überseeische Käufer mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat, häufig zu einer Störung der ganzen Verbindung kommt und sich dann oft große Warenmengen in Auftrag befinden, für welche der Exportkommissionäx haftbar ist. Nur selten gelingt es, die Fabrikanten zu veranlassen, den Exportkommissionär von der Abnahme der einmal bestellten Ware zu entbinden, und so befindet er sich oft im Besitz von Waren, für die er nur eine geringe Absatzmöglichkeit hat, weil sie für einen ganz bestimmten Markt und aus ganz bestimmten Verhältnissen heraus bestellt worden sind. Ein weiteres erhebliches Risiko schließt der Transport der Ware in sich. Im allgemeinen glaubt man, daß eine weitgehende Transportversicherung, die j a in der Tat einen wichtigen Faktor in der Organisation eines jeden Exportgeschäfts bildet, Deckung für all die Risiken biete, die der Exporteur beim Versand der Ware hat. Dies ist aber nur teilweise der F a l l ; denn es gibt keine Police, die gegen jeden
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Schaden versichert. So ist z. B . das Verderben von Waren in vielen Fällen nicht in die Versicherung eingeschlossen, wie überhaupt die Schadensmöglichkeiten so vielfältiger Natur sind, daß man sie schon deshalb nicht alle berücksichtigen kann, weil man sie nicht alle vorauszusehen vermag. Ich will hier nur einige wenige Beispiele anführen, die das eben Gesagte illustrieren. Eine Sendung Säcke, die für das Innere Südafrikas bestimmt war, ward gekauft und gelangte von K a l k u t t a aus zum Versand nach einem südafrikanischen Hafen. Der Lieferant der Säcke hatte die Sendung c. i. f. südafrikanischen Hafen vorzunehmen, d. h. einschl. F r a c h t und Versicherung, und die damit im Zusammenhange stellenden Kosten zu tragen. Die Säcke langten im südafrikanischen Hafen an, von wo aus sie in das Innere weitergeschickt wurden. Dieser Transport per Eisenbahn war in gehöriger Weise versichert. Man sollte nun meinen, daß hiermit das Transportrisiko erschöpft gewesen sei. Die Säcke langten aber durch und durch mit Seewasser getränkt a m Bestimmungsorte an. Die erste Versicherung konnte nicht in Anspruch genommen werden, weil die Säcke in gutem Zustande vom Dampfer abgeliefert waren; die f ü r den Eisenbahntransport ins Innere genommene Versicherung konnte auch nicht herangezogen werden, weil der Schaden nachweislich durch S e e w a s s e r verursacht, worden war. Bei näherer Prüfung der Angelegenheit stellte es sich dann heraus, daß die Säcke bei Entlöschung im südafrikanischen Hafen so gelagert worden waren, daß ein hoher Seegang die a m Ufer lagernden Säcke durchfeuchtet und so den Schaden verursacht hatte. E s war also übersehen worden, das Zwischenrisiko zu decken, das in die der Zeit zwischen der Landung der Ware und deren Weiterversand per Eisenbahn fiel, und der Schaden mußte durch den Exporteur getragen werden. Ein anderer Fall ist der folgende: Bei der Verfrachtung einer Maschine wird diese, wenn sie aus mehreren Kolli besteht, nicht als ein Ganzes versichert, sondern jedes Kollo für sich, so daß bei Verlust oder Beschädigung auch nur das davon betroffene Kollo zu ersetzen ist, nicht aber der Wert der ganzen Maschine. E s wurde nun ein großes Schwungrad gesprengt, wie dies der großen Dimension wegen für die Verfrachtung erforderlich, d. h. das Schwungrad wurde, wie dies beim Guß von vornherein vorgesehen
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war, in zwei große Teile zersprengt, die an der Bruchstelle genau ineinander paßten, lim später bei Errichtung der Maschine ohne weiteres durch Verschraubung ineinander gefügt zu werden. Nun fügte es sich, daß die eine Hälfte des großen Schwungrades bei der Verladung zerbrach. Eine Bruchversicherung war zwar vorhanden, und somit hatte man das Recht, Ersatz zu beanspruchen, es ergab sich aber, daß man übersehen hatte, in der Police ausdrücklich hervorzuheben, daß die beiden Teile des Schwungrades ein einheitliches Ganzes bildeten, und daß jeder Teil für sich nicht zu benutzen war. Die Versicherungsgesellschaft war formell ganz im Recht, als sie sich auf den Standpunkt stellte, daß die Versicherung für jedes Kollo extra vorgenommen sei, und daß sie daher nur für den zerbrochenen Teil aufzukommen habe, obwohl die andere Hälfte des Schwungrades natürlich ebenfalls unbenutzbar geworden war. Der Verlust fiel dem Exporteur zur Last. Diese wenigen Beispiele dürften bereits zeigen, wie groß und vielartig die Risiken sind, die für den Exporteur nur unter dem Gesichtswinkel der Verfrachtung in Betracht kommen, die außerdem noch vergrößert werden durch die Möglichkeit von Reklamationen infolge von Fehlern, die im Bureau des Exporteurs gemacht wurden. Angesichts der kleinen Kommission fallen solche Fehler, die bei der Kompliziertheit des Geschäfts nicht zu vermeiden sind, eventuell so schwer ins Gewicht, daß der daraus resultierende Nachteil nicht im Verhältnis zum Nutzen steht. Erschwert wird die Tätigkeit des Exportkommissionärs auch durch das an sich natürliche Bestreben der Industrie, die Exportgeschäfte selbst in die Hand zu nehmen und sich selbständig überseeisch zu betätigen. E s ist ein ganz begreiflicher Vorgang, daß eine Industrie, die sich stark genug fühlt, um selbst in fernen Ländern zu. wirken, diesen Weg betritt. Eine Fabrik, die weitgehend für den Export eingerichtet ist, kann nicht unter allen Umständen darauf warten, daß sie gelegentlich Aufträge durch Vermittlung des Exporthandels erhält. Vielmehr ist sie in vielen Fällen darauf angewiesen, sich einen regelmäßigen Absatz in den Ländern zu schaffen, für deren Bedarf sie organisiert ist. Hierbei nimmt die Industrie keine Rücksicht darauf, ob es der Exporthandel war, welcher der betreffenden Industrie ursprünglich die Wege wies, j a diese erst gewissermaßen für das, was sie nun für den
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Export leistet, erzogen hat. Die Industrie geht rücksichtslos ihre eigenen Wege. Solche sich direkt überseeisch betätigende Industrielle müssen, um zu einer richtigen Kalkulation zu gelangen, in Betracht ziehen, welche Kosten ihnen ein derartiger direkter Export verursacht, und um wieviel größer die Risiken sind, die sie dabei übernehmen. Sie müssen vor allem den Inland-Exporteur im Preise begünstigen, so daß auch dessen Tätigkeit dem direkt exportierenden Fabrikanten für seine Fabrikate erhalten wird. E s liegt dies aus dem Grunde auch im Interesse des direkt exportierenden Fabrikanten, weil er mit seinem direkten Export immerhin nur ein begrenztes Gebiet decken kann, und es für ihn von der größten Bedeutung ist, sich die Mitwirkung des Exporthandels für diejenigen weitreichenden Gebiete zu sichern, die er nicht direkt bedient. Die Entwicklung des Exports mancher Industrien hat es mit sich gebracht, daß eigene Organisationen in überseeischen Ländern geschaffen wurden. Hierher gehören z. B. eine Anzahl bedeutender Firmen der elektrischen Industrie und besonders auch der Maschinenbranche. Aber gerade dieser Umstand zeigt, daß, wenn eine bestehende Zwischenstelle aus irgendeinem Grunde nicht benutzt werden kann, eine neue Zwischenstelle geschaffen werden muß, um die überseeischen Geschäfte in sachgemäßer Weise abzuwickeln. Gar häufig werden daher solche Geschäftsstellen von den direkt exportierenden Fabrikanten den überseeisch etablierten Exporthandelsfirmen angegliedert, so daß der ausgeschaltete Exporthandel auf diese Art wieder eingeschaltet wird. Die Bedeutung, die der Exporthandel der ersten Kategorie — des Export-Reise- und Engros-Geschäfts — besitzt, ist durch die wenigen Worte, die ich ihm eingangs widmen konnte, nicht genügend gekennzeichnet. Denn der sogenannte Export-Engroshandel im Gegensatz zum Export-Kommissionshandel ist eigentlich derjenige, der in fernen Ländern die Pionierarbeit für die Ausdehnung des deutschen Exports geleistet hat und auch weiter zu leisten haben wird. Nicht in allen Teilen der Welt ist die Organisation des Handels bereits so weit vorgeschritten, daß die Möglichkeit gegeben ist, sich an Exportkommissionäxe zu halten. Vielmehr muß in den neu zu erschließenden Ländern zunächst eine Pionierarbeit geleistet werden, die der deutsche ExportEngroshändler, welcher seine Reisetätigkeit über die ganze Welt aus-
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dehnt, leistet. Gerade diese Aufgabe, die sich für lange Zeit nicht erschöpfen wird, ist der Faktor, der unseren Export frisch und lebenskräftig erhält, immer neue Absatzgebiete erschließt und damit gleichzeitig auch für die Industrie von der denkbar größten Bedeutung ist. Daher ist es von äußerster Wichtigkeit, diesen Export-Engroshandel, von dem das Gedeihen einer sehr bedeutenden Zahl deutscher Betriebe der Klein- und Mittelindustrie abhängt, in tatkräftiger Weise zu unterstützen, und es ist erfreulich, feststellen zu können, wie gerade in letzter Zeit das Verständnis dafür zuzunehmen beginnt, welche Dienste der Exporthandel seither geleistet hat, und wie wichtig es ist, ihn für seine zukünftige Betätigung leistungsfähig zu erhalten.
Y. Das Verkehrsbureau der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin. Vortrag des Herrn
Bureaudirektor H o f f man 11.
Die Fassung der Einladungskarte für das heutige Zusammentreffen könnte leicht den Glauben aufkommen lassen, als handele es sich lediglich um eine örtliche Inaugenscheinnahme unseres Verkehrsburcaus. Das lag nicht im Plane. Die Absicht, welche bei der Einladung leitend war, ging dahin, Ihnen einen kurzen Überblick zu geben über die Gründe für die Einrichtung dieses Geschäftsbureaus, seine Ziele und Aufgaben, die Art der Abwicklung seiner praktischen Tätigkeit, sowie die Vorteile, welche die Herren Ältesten der Kaufmannschaft aus dieser Einrichtung für Berlins Handel und Industrie sich versprachen und, wie die nunmehr 20 jährige Wirksamkeit des Bureaus gezeigt, auch erreicht haben. Aus diesen Gründen stelle ich anhcim, von einem Besuche der Bäume dieses im Nordflügel des Börsengebäudes untergebrachten Verkehrsbureaus, welche bei der stattlichen Anzahl der heute Erschienenen uns j a auch nicht entfernt zu fassen vermöchten, vor der Hand gefälligst abzusehen und mir dafür die Ehre Ihrer Gesellschaft in diesem Räume für kurze Zeit zuteil werden zu lassen. Die Initiative zur Einrichtung dieses unseres Verkehrsbureaus ist seinerzeit ebenso wie bei Einrichtung des Auskunftsbureaus der Deutschen Reichs- und der Preußischen Staatseisenbahnverwaltung auf Bahnhof Alexanderplatz indirekt von keinem anderen ausgegangen, als dem vormaligen Minister der öffentlichen Arbeiten — bzw. wie er kurz bezeichnet wurde Eisenbahnminister — Maybach, demselben der gemeinhin als der Vater der Verstaatlichung der Privateisenbahnen Preußens und in indirekter Folge hiervon auch eines Teils derjenigen anderer deutscher Bundesstaaten bezeichnet wird. Man hat seinerzeit viel darüber gestritten, ob diese Verstaatlichung oder — vielleicht besser ausgedrückt — diese Überführung der Privatbahnen in Staatsbesitz und Staatsverwaltung unserem deutschen Wirtschaftsleben nachhaltig Vorteile bringen werde, und ob es nicht besser wäre, das freie Spiel der Kräfte, wie es sich bei dem Nebeneinanderbestehen von Staats- und von Privatbahnwirtschaft mit Gewerbliche
Einzolvortriige.
G
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ihrer je eigene Wege verfolgenden Tarifpolitik herausgebildet hatte, weiter fortbestehen zu lassen. Man mag auch heute noch darüber denken, wie man will, es ist nicht meine Aufgabe, mich nach dieser Richtung in einer Kritik zu ergehen und die Vorteile bzw. Nachteile dieser Verstaatlichung an der Hand der inzwischen gewonnenen Erfahrungen zu beleuchten; das eine steht wohl aber unanfechtbar fest: hätte jene Verstaatlichung sich nicht vollzogen, so würden wir uns einer solchen Einheitlichkeit auf dem Gebiete des Deutschen Eisenbahnverkehrs- und Tarifwesens, wie wir sie heute besitzen, kaum erfreuen. Es war nun in den Kreisen der Eisenbahnverwaltung wiederholt als mißlich empfunden worden, daß die von den Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin auf dem Gebiete des Eisenbahnverkehrs- und Tarifwesens an zuständiger Stelle eingebrachten Anträge oft nicht so begründet und insbesondere nicht so mit ziffermäßigem Tarifmaterial unterstützt waren, um sofort bzw. ohne weiteres in eine Prüfung eintreten zu können, ob und inwieweit der betreifenden Anregung Folge gegeben werden kann; nicht selten erwiesen sich auch dergleichen Anregungen als durch die Verhältnisse inzwischen überholt. Zurückzuführen war diese Unzulänglichkeit nicht auf Mangel an Gründlichkeit bei der Ausarbeitung der betreffenden Eingaben, sondern lediglich darauf, daß es den Ältesten an einer umfassenden und ständig auf dem laufenden erhaltenen Eisenbahntarifbibliothek fehlte, mit Hilfe welcher die Notwendigkeit der, beantragten Änderungen bzw. Ergänzungen sich umfassender darlegen ließ. Aus diesen Gründen wurde gelegentlich einer Ausschußsitzung des Bezirkseisenbahnrats zu Berlin, welche speziell die von den Ältesten betriebene Umgestaltung der sogenannten Berliner Ringbahntarife zum Gegenstand hatte, den Ältesten empfohlen, zu erwägen, wie diesem wiederholt zutage getretenen Mangel zu begegnen wäre. Es würde sich — so wurde eisenbahnseitig ausgeführt — empfehlen, dem Syndikus der Korporation eine auf dem Gebiete der Eisenbahntarifpolitik geschulte Kraft zur Unterstützung beizugeben, außerdem aber im Börsengebäude eine besondere Geschäftsabteilung einzurichten, der man die Aufgaben zuweisen könnte, das gesamte Material an Eisenbahntarifen, Verkehrsvorschriften, Fahrplänen usw., soweit es von deutschen Eisenbahnen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, zu sammeln, zu sichten und im
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Interesse des Berliner Handels und der Berliner Industrie jeweils nutzbringend zu verwerten. Da die Preußische Staatseisenbahnverwaltung sich von vornherein bereit erklärte, diesen Plan ihrerseits durch Entsendung geeigneter Beamtenkräfte für die Zeit der Einrichtung zu fördern, und da sie ferner die Zusage gab, das benötigte Material an Tarifen, soweit es preußischerseits herausgegeben wird, ständig und unentgeltlich zu überweisen, so traten die Ältesten ihrerseits der Anregung näher und richteten nach eingehender Prüfung der einschlägigen Verhältnisse und nach weiteren Verhandlungen mit der Staatseisenbahnverwaltung eine solche Geschäftsabteilung am 1. Dezember 1887 unter der Firma „ V e r k e h r s b u r e a u der K o r p o r a t i o n der K a u f m a n n s c h a f t von Berlin" im hiesigen Börsengebäude ein. Die Aufgaben dieses Bureaus sollten neben seinen sonstigen Obliegenheiten u. a. folgende sein : E s sollte a) Anregungen und Wünsche auf dem Gebiete des Eisenbahnverkehrs- und Tarifwesens aus dem Kreise zunächst der Mitglieder der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin und sodann auch sonstiger Handelsinteressenten und Industriellen entgegennehmen, prüfen und zur eventuellen Erörterung und Beschlußfassung im Ältestenkollegium vorbereiten, b) aus eigenem Antrieb mit Anregungen da hervortreten, wo sich im lebendigen Verkehr mit diesen Interessenten und bei der praktischen Handhabung der Tarife . und Verkehrsvorschriften Ergänzungen bzw. Änderungen auf diesem Gebiete als erwünscht zagten, c) alle das Ältestenkollegium passierenden Angelegenheiten aus ebn erwähnten Gebieten, also sowohl die vom Kollegium ausgehenden, vie die an dasselbe von Behörden, Handelsvorständen und Privaten herantretenden Anträge usw. sachgemäß bearbeiten und d) Handeltreibenden wie Industriellen aus dem Bezirke der Korporation der Kaufmannschaft und soweit möglich auch solchen aißerhalb dieses Bezirks in Eisenbahnverkehrs- und Tariffragen, s» insbesondere über Frachtsätze aus den in- wie ausländischen Eisenbihn-, Lokal-, direkten und Verbandstarifen, über tarifmäßig günstigere Umkartierungen, die Bestimmungen der Eisenbahnverkehrs6*
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Ordnung, die allgemeinen Tarifvorschriften nebst Güterklassifikatioii, die besonderen Tarifvorschriften der einzelnen Verbände, das internationale Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr, Fahrpläne usw. mündlich wie schriftlich Auskunft erteilen, in Reklamationsfällen wegen Frachtüberhebung, wegen Vergütung für Verlust oder Beschädigung von Transportgegenständen, bei Lieferfristüberschreitungen usw. die Interessenten mit Rat und Tat unterstützen, zu dem Behufe auch die Angemessenheit der Ansätze auf Wunsch prüfen. Soweit das vorliegende Material eine Zweifel ausschließende Auskunft nicht ermöglicht, sollte das Bureau solche im Wege direkten Schriftwechsels mit den in Frage kommenden in- wie ausländischen Ressortstellen vermitteln. Im Laufe der Zeit sind diese Aufgaben, dem praktischen Bedürfnisse des Verkehrs folgend, erweitert worden nach der Richtung, daß die vorbeschriebene Wirksamkeit sich auch zu erstrecken hat auf e) das Gebiet der Post-, Telegraphen-, See- und Flußschiffahrtstarife, f ) das Gebiet der Zoll- und Steuerangelegenheiten, namentlich der Zolltarife Deutschlands und der auswärtigen Staaten, überhaupt sämtliche die Zoll- und Steuerabfertigung betreffenden Vorschriften, g) die Handelsverträge Deutschlands, die konsularische Vertretung Deutschlands und der auswärtigen Staaten, den Absatz deutscher Erzeugnisse im Auslande, den Eingang inländischer Erzeugnisse, Einfuhrverbote, die Bestimmungen über Ursprungszeugnisse sowie die Erfordernisse, welche im Auslande reisende deutsche Kaufleute hinsichtlich ihrer Legitimation zu erfüllen haben, usw. Zur Erfüllung dieser Aufgaben sind dem Verkehrsbureau u. a. überwiesen außer einer schon zurzeit weit über 900 Bände umfassenden, fortgesetzt ergänzten und berichtigten Eisenbahntarifbibliothek und den einschlägigen postalischen Bestimmungen die Zolltarife Deutschlands und aller derjenigen Länder, mit denen ein Güteraustausch besteht, sowie die auf diese Tarife bezüglichen Kommentare, Regulative, Verordnungs- und Amtsblätter, ferner Werke aus dem Gebiete der Handelsstatistik; dieselben werden durch Berichtigung und Hinweis auf Nachträge und von den höchstinstanzlichen Stellen ergangene Entscheidungen, Erläuterungen usw. auf dem Laufenden erhalten.
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Die Zunahme der Geschäfte brachte es mit sich, daß das Personal des Bureaus fortgesetzt vermehrt werden mußte; zurzeit wirken in demselben vier aus dem Preußischen Staatseisenbahn- bzw. dem Zollverwaltungsdienste übernommene, dort berufsmäßig vorgebildete Sekretäre (drei verkehrstechnische und ein zoll- und steuertechnischer), zwei Assistenten und die erforderliche Zahl von Hilfskräften. Der Schwerpunkt der Tätigkeit des Verkehrsbureaus liegt auf dem Gebiete des Eisenbahnverkehrs- und Tarifwesens und damit der Eisenbahntarifpolitik; demnächst kommt das Gebiet der Zollund Steuertarife und der oben unter g) erwähnten Angelegenheiten. Die übrigen Gebiete seiner Wirksamkeit treten im Vergleich zu diesen zurück, einmal weil hier, wie z. B. rücksichtlich des Post- und Telegraphenverkehrs, anderweit seitens der Reichsverwaltung durch Einrichtung von Auskunftstellen in ausgiebigem Maße Vorsorge getroffen, das andere Mal weil, wie hinsichtlich der See- und Flußschiffahrtstarife, die Tariflage keine stetige ist, vielmehr von Angebot und Nachfrage, Schiffsraum, Wasserstand usw. abhängt und aus diesem Grunde in vielen Fällen direkte Fühlungnahme mit den in Frage kommenden Reedereien sich empfiehlt. Bei der großen Bedeutung des Eisenbahnverkehrs und dem Einflüsse seiner Tarifpolitik — besonders auf dem Gebiete der sogenannten Ausnahmetarife und namentlich im internationalen Verkehr — auf unser gesamtes Wirtschaftsleben dürfte es nicht unangebracht sein, wenn ich mich über die Entstehung unserer Eisenbahntarife, und zwar speziell der besonders wichtigen Gütertarife, ihren Ausbau im Laufe der Jahre und ihre derzeitige Gestaltung etwas näher verbreite. Die ersten Eisenbahntarife waren beim Mangel jedweder Erfahrung nach dieser Richtung außerordentlich einfach gehalten, sie lehnten sich im großen und ganzen an die Tarife der Frachtfuhrleute an; war und ist ja doch auch der ganze Eisenbahnbetrieb im Grunde nichts weiter als ein großes Fuhrwerksunternehmen. So berechnete beispielsweise die im Jahre 1838 eröffnete Berlin-Potsdamer Eisenbahn die Fracht unter Zugrundelegung des aufgelieferten Gewichts lediglich nach einem mit der Zahl der Zentner fallenden Tarife. So einfach er schien, so schwierig war aber seine praktische Anwendung. In den Gütertarifen der später eröffneten, in Berlin mündenden Eisenbahnen (der Berlin-Anhalter, der Niederschlesisch-Märkischen, der
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Berlin-Stettiner, der Berlin-Hamburger Eisenbahn) finden sich schon mehr oder weniger Ansätze zur Klassenbildung; man unterschied schon zwischen Eilgut und gewöhnlichem Frachtgut und schied das letztere wieder in mehrere Abteilungen, zum Teil auch weder je nach der Gewichtsmenge, in der Auflieferung erfolgte. Die neu entstehenden Bahnen machten sich die Erfahrungen der älteren zunutze. Die Verschiedenartigkeit der Tarifierung auf den einzelnen Linien und die damit verbundene Schwierigkeit direkter Abfertigung der Gütersendungen über mehrere Bahnen hinaus zu festen, jedermann leicht zugänglichen Tarifsätzen führte nach und nach zur Ausbildung bestimmter Tarifsysteme bzw. Tarifverbände. Das heute für ganz Deutschland bestehende Tarifsystem ist ein sogenanntes gemischtes, hervorgegangen teils aus dem natürlichen oder Wagenraumsystem (auch elsaß-lothringisches System genannt) und aus dem sogenannten Wertklassifikationssystem. Das früher in einem Teile Deutschlands, und zwar hauptsächlich in Südwcstdeutschland (Elsaß-Lothringen, Baden, Pfalz, Saarbrückerbahn, Hessische Ludwigsbahn, Main-Neckarbahn) herrschend gewesene natürliche bzw. Wagenraumsystem ging von der Annahme aus, daß bei der Festsetzung der Bahnfracht lediglich die von der Bahnverwaltung dem Transport gewährte Dienstleistung und die durch den Transport bedingten Kosten den Ausschlag geben könnten. Das über den größeren Teil Deutschlands verbreitet gewesene Wertklassifikationssystem dagegen nahm bei der Festsetzung der Fracht den Verkaufswert der Güter bzw. deren Beschaffenheit zur Grundlage. Der wesentlichste Unterschied in den Grundsätzen beider Systeme war hiernach der, der Raumtarif kennzeichnete sich als ein gemeinwirtschaftlicher, der Wertklassifikationstarif als ein privatwirtschaftlicher. Das Wagenraumsystem unterschied nach Eilgut, nach Stückgut, einer "Wagenladungsklasse A 1 für Güter im Gewichte von 100 Zentner (halber Wagen) und einer Wagenladungsklasse A 2 für Güter im Gewichte von 200 Zentner (ganzer Wagen), und zwar beide Male bei Beförderung in g e d e c k t e n Wagen, ferner zwei ähnlichen Wagenladungsklassen B 1 (100 Zentner) und B 2 (200 Zentner) bei Beförderung in offenen Wagen. Dazu trat ein Spezialtarif (200 Zentner) für bestimmt bezeichnete, besonders die im Artikel 45 der Reichsverfassung aufgeführten Rohprodukte. Wie hieraus hervorgeht,
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wurden beim Wagenraumtarife — abgesehen von den wenigen im Spezialtarif untergebrachten Güterarten — alle Güter grundsätzlich gleich behandelt, also nach gleichem Maßstabe zur Deckung der Selbstkosten herangezogen. Die Bahnverwaltung sagte sich, wenn mir eine Kiste im Gewichte von 5 Zentnern zur Beförderung übergeben wird, so habe ich eben eine Transportlast in diesem Gewichte zu bewältigen, was die Kiste enthält, ob Silberwaren, ob Getreide, ob Eier, ob Roheisen, ob Erde, ob Kohle und dergl., ist auf meine Leistung von keinerlei Einfluß, ich kann nur entscheiden nach der Mühewaltung, die mir ein Transport verursacht, ob ich ihn also selbst verlade u n d befördere, und zwar hier wieder mit sclmellfahrenden oder gewöhnlichen Güterzügen (Eilgut, Einzelfrachtgut), oder ob ich ihn lediglich, und zwar wagenladungsweise, befördere, die Verund Entladung also dem Verfrachter überlasse, und weiter ob ich liierfür Wagen mit kleinerem oder größerem Fassungsraum bzw. gedeckte oder offene Wagen für die Beförderung beistelle. So einfach der Tarif aussah und so bequem er für die Verfrachter wie für die anwendende Eisenbahnabfertigungsstelle zu handhaben war, so groß waren doch seine Schattenseiten; er hatte, da er eben in jeder seiner Abteilungen mit Durchschnittsfrachtziffern rechnete, für hochwertige Güter eine in keinem Verhältnisse zu diesem Werte stehende niedrige Bemessung des Beförderungspreises zur Folge, während er umgekehrt geringwertige Massenartikel und Rohprodukte derart mit Fracht belastete, daß ihr Absatz bzw. ihr Bezug auf weite Strecken geradezu ausgeschlossen wurde; j a diese Artikel wurden bis zu gewissem Grade direkt verfrachtungsunfähig. Das Wertklassifikationssystem trug in dieser Hinsicht dein Verkehrsbedürfnisse bzw. der Eigenart des Gutes weit mehr Rechnung, es paßte den Beförderungspreis dem Wert des Gutes bzw. seiner Beschaffenheit an und gab damit die Möglichkeit, geringwertige Produkte selbst auf weite Entfernungen zu versenden. Freilich waren auch im Gebiete des Wertklassifikationssysteins die Verhältnisse nichts weniger als ideal, und zwar hauptsächlich deshalb, weil jede Bahnverwaltung mehr oder weniger ihre eigenen Wege ging. Jede berücksichtigte in erster Reihe die Verkehrsbedürfnisse ihres Betriebsnetzes, und so war die Anzahl der Frachtklassen, in welche man die einzelnen Artikel verwies, die Gültigkeit gewisser Klassen nur für Stückgut oder nur für Wagenladungen und hier auch
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wieder die Zentnerziffer, bei welcher eine „Wagenladung" begann, eine außerordentlich vielseitige und von Bahn zu Bahn voneinander abweichende. Während die eine Bahn fünf bis sechs Klassen in ihrem Tarife verzeichnete, besaß eine andere bis zu zehn Klassen und noch mehr, während eine Bahn die in dem Klassifikationsverzeichnis nicht aufgeführten Frachtartikel in eine sogenannte Normalklasse verwies, hatte eine andere deren mehrere in ihrer Anwendung an gewisse Vorbedingungen gebundene eingeführt usw. Nicht einmal die preußischen Staats- bzw. unter Staatsverwaltung stehenden Eisenbahnen, deren es freilich damals nur wenige gab, hatten eine gleiche Güterklassifikation. Außerordentlich hemmend war diese Verschiedenheit für die Einführung direkter, über mehrere Eisenbahnen hinaus lautender Tarife, welche im Interesse der Beschleunigung des Transports, der sichereren Frachtkalkulation, der Verbilligung und der Entlastung der Übergangsstationen sich nach und nach immer mehr als erwünscht erwies. Hätten damals nicht die deutschen Spediteure, welche sich, soweit die von ihnen hauptsächlich mitbedienten Verkehrsgebiete in Betracht kamen, zum großen Teil umfangreicheres Tarifmaterial hielten, vermittelnd und fördernd eingegriffen — und es kann dies nach meinen eigenen Erfahrungen aus jener Zeit gar nicht anerkennend genug hervorgehoben werden —, so wären die Unzuträglichkeiten noch weit größer gewesen. Im Laufe der Jahre hatte nun aber dieses Nebeneinanderbestehen der verschiedenen Tarifs37steme, verbunden mit den innerhalb der Gebiete derselben vorhandenen Abweichungen von Bahn zu Bahn, immer mehr zu einer solchen Buntscheckigkeit und geradezu zu einem solchen Tarifwirrwarr geführt, daß Anfang der 70er Jahre die deutsche Reichsregierung im Hinblick auf Artikel 45 der Reichsverfassung, welcher u. a. bestimmt, das Reich werde dahin wirken, daß die möglichste Gleichmäßigkeit und Herabsetzung der Tarife erzielt werde, sich veranlaßt sah, in eine Prüfung einzutreten, wie hier Wandel zu schaffen sei. Nach längeren Verhandlungen in einer im Februar 1875 vom Reiche zu diesem Zweck eingesetzten sogenannten Tarifenquetekommission, innerhalb welcher man u. a. auch Vertretern der einzelnen Wirtschaftszweige, der Landwirtschaft, des Handels und der Industrie, welche sozusagen am eigenen Leibe die bisherige Tarifmisere sattsam erfahren hatten, Gelegenheit zur Äußerung ihrer
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Wünsche gegeben hatte, und nach weiteren Beratungen der Staatsbahnen wie der Privatbahnen zunächst je untereinander und sodann gemeinsam, einigte man sich in einer am 12. und 13. Februar 1877 vom Preußischen Handelsministerium einberufenen Generalkonferenz aller deutschen Bahnen unter Zustimmung des Bundesrats zur Annahme des in seinen Grundzügen noch jetzt bestehenden sogenannten Reformtarifsystems. Dasselbe ist niedergelegt in dem ,.Deutschen
Eisenbahngütertarif
(Teil I ) . "
Dieser im Laufe der Zeit nur weiter ausgestaltete Reformtarif war nach folgendem Schema gebildet: Eilgut (in Einzelgut und in Wagenladungen), Stückgut, Allgemeine Wagenladungsklasse A 1 bei Verladung von mindestens 5000 kg, Allgemeine Wagenladungsklasse B bei Verladung von mindestens 1 0 0 0 0 kg, Klasse A 2 für Güter der Spezialtarife bei Verladung von 5000 kg, Spezialtarif I bei Wagenladungen von mindestens 1 0 0 0 0 kg, Spezialtarif I I „ ,, „ „ 1 0 0 0 0 kg, Spezialtarif I I I „ „ „ „ 10000 kg. In die allgemeinen Wagenladungsklassen gehören die in der Klassifikation der Spezialtarife nicht namentlich verzeichneten Güter, während die Spezialtarife I, I I und I I I die weniger wertvollen Güter enthalten, und zwar stufenweise abfallend, so daß Spezialtarif I im wesentlichen Fabrikate, Spezialtarif I I hauptsächlich Halbfabrikate und Spezialtarif I I I besonders geringwertige Rohprodukte und Massengüter umfaßt. Daneben hatte man bei dieser Einreihung auch das spezifische Gewicht der einzelnen Artikel berücksichtigt, um gegenüber der Vorschrift, daß bei Wagenladungen mindestens 5000 bzw. 10000 kg für jeden verwendeten Wagen in Rechnung zu stellen sind, auch bei Gütern, die im Verhältnis zu ihrem Gewichte einen ungewöhnlich großen Laderaum in Anspruch nehmen, eine Frachtverteuerung möglichst hintanzuhalten. Aus diesem Grunde wurde eine Reihe von Frachtartikeln — die sogenannten sperrigen — in eine niedrigere als die ihrem Wert entsprechende Frachtklasse versetzt, so z. B . Federn, Wolle in den Spezialtarif I, Hopfen in den Spezialtarif I I , Borken (Rinde), Heu, Stroh, Watte in den Spezialtarif I I I .
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Nach diesen Klassifikationsvorschriften gehörten u. a. a) in die allgemeine Wagenladungsklasse A 1 bezw. B: Bier, Branntwein, Eier, Öle, Spiritus und Sprit, Tabak, Tabakfabrikate, Butter, Leder, Manufakturwaren, Obst, Sammelgutsendungen usw. b) in den Spezialtarif I : Baumwolle, Blei, gewisse Eisen- und Stahlwaren, Getreide, Heringe, Malz, Mühlenfabrikate, Mineralwasser, Ölfarben, Reis," Rohzucker, Samen und Sämereien, Stärke, Zink usw. c) in den Spezialtarif II: Asphalt, gewisse Zementwaren, Zement, gebrannter Kalk, Halbfabrikate von Eisen und Stahl, gebrechter Flachs, Hohlglaswaren. Bauund Nutzholz, Melasse, Schmirgel, bearbeitete Steine, Tonwaren usw. d) in den Spezialtarif I I I : Stein- und Braunkohlen, Düngemittel, Roheisen, Erde, Erdfarben, Erze, Salze, Schiefer, Steine (rohe und gebrannte) Torf, Werg usw. Es hatte dieser Reformtarif hiernach übernommen: 1. vom Raumsystem (natürlichen System) die einheitliche Eilgut- bzw. Stückgutklasse, die allgemeine Wagenladungsklasse sowie den Grundsatz der Frachtberechnung für Wagenladungen unter Annahme eines Mindestgewichts von 5000 bzw. 10000 kg für jeden Wagen; 2. vom Wertklassifikationssystem die drei Spezialtarife. Mit der Einführung dieses einheitlichen, ein Kompromiß zwischen den bisherigen Tarifsystemen darstellenden Reformtarifs war eine gesicherte Grundlage für eine gedeihliche Fortentwicklung gewonnen, die seitdem zum Nutzen des allgemeinen Verkehrs auch stetig vor sich gegangen ist. Zum Zwecke solcher weiteren Fortbildung hatte man regierungsseitig eine „ständige Tarifkommission" eingesetzt, bestehend aus Vertretern der deutschen Staats- wie Privatbahnen. Beigegeben wurde dieser Kommission ein „Ausschuß der Verkehrsinteressenten" in den man je vier (jetzt fünf) Vertreter der Landwirtschaft, des Handels und der Industrie, und zwar auf Vorschlag des Deutschen Landwirtschaftsrats bzw. des Deutschen Handelstages berief; hierzu trat noch ein Mitglied der Königlich Bayerischen Regierung in Ausführung des Bayern durch die Reichsverfassung für das Gebiet der Eisenbahnen zugestandenen Reservatrechts. Diese Zusammen-
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setzung bot eine Gewähr dafür, daß die Beratungen der Tarifkommission in steter Fühlung mit den Anforderungen des Verkehrs und mit Männern des praktischen Lebens vor sich gehen. Die Beschlüsse dieser beiden zunächst gemeinsam tagenden Körperschaften sind in der Hauptsache nur vorberatender Natur, sie unterliegen vor ihrer Durchführung der Genehmigung der jährlich einmal (meist im Dezember) zusammentretenden „Generalkonferenz der deutschen Eisenbahnverwaltungen". Das Stimmrecht in letzterer richtet sich nach der Bahnlänge, welche jede Verwaltung vertritt, dergestalt, daß bis zu 50 km eine Stimme, auf mehr als 50—150 km zwei Stimmen, auf mehr als 150—300 km drei Stimmen, auf mehr als 300—500 km vier Stimmen und auf jede weiteren 200 km Bahnlänge je eine Stimme mehr entfallen. Auch hier werden aber die Beschlüsse nur dann bindend, wenn ihnen nicht binnen vier "Wochen von einer Anzahl Verwaltungen widersprochen wird, die zusammen mehr als 1 s sämtlicher Stimmen führen. Der Vorsitz in der ständigen Tarifkommission ist seit vielen Jahren der Königlichen Eisenbahndirektion zu Berlin übertragen, die Generalkonferenzen der deutschen Eisenbahnverwaltungen werden durch den Preußischen Herrn Minister der öffentlichen Arbeiten berufen. Hervorzuheben sind von den tarifkommissionsseitig im Laufe der Jahre auf dem Gebiete des Reformtarifsystems beschlossenen und von der Generalkonferenz genehmigten Verkehrserleichterungen bzw. Verbesserungen u. a. folgende : 1. die Einführung eines Spezialtarifs für bestimmte Stückgüter — vornehmlich für Gegenstände der Landwirtschaft und Montanindustrie, 2. die Herabsetzung der Fracht für halbe Wagenladungen (5000 kg) von Gütern des Spezialtarifs I I I von den Sätzen der Klasse A 2 auf die Sätze des Spezialtarifs II — einer 30 Proz. Ermäßigung gleichkommend —, 3. die Einführung eines Spezialtarifs für bestimmte Eilgüter (leicht verderbliche Güter wie Brot, Butter, lebende Fische, bestimmte frische Gemüse, Milch, frische Beeren usw., welche eine schleunige Beförderung erheischen, dabei aber hohe Fracht nicht vertragen). Im großen und ganzen kann man sagen, daß die Fortbildung der Güterklassifikation sich in einer stark fallenden Richtung bewegt, d. h. es ist bisher fast durchweg nur Versetzung von höheren in niedrigere Klassen (Deklassifizierung) eingetreten, und so hat sich
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denn zumeist auf Kosten der allgemeinen Wagenladungsklassen — denen bekanntlich alle nicht in den drei Spezialtarifen aufgeführten Artikel angehören — die Artikelzahl der billigeren Spezialtarife seit Einführung des Reformtarifsystems verdoppelt und die Artikelzahl des Spezialtarifs III etwa vervierfacht. Es bedeutete solche Versetzung bei Verweisung a) aus der allgemeinen Wagenladungsklasse in den Spezialtarif I eine Ermäßigung von 25 %, b) aus der allgemeinen Wagenladungsklasse in den Spezialtarif II eine Ermäßigung von 42 %, c) aus der allgemeinen Wagenladungsklasse in den Spezialtarif III eine Ermäßigung von 57—63 %, d) aus dem Spezialtarif I in den Spezialtarif II eine Ermäßigung von 22 %, e) aus dem Spezialtarif I in den Spezialtarif III eine Ermäßigung von 42—51 %, f) aus dem Spezialtarif II in den Spezialtarif III eine Ermäßigung von 26—37 %. Mit der Einführung des Reformtarifsystems war für ganz Deutschland eine f o r m e l l e E i n h e i t auf dem Gebiete seiner Eisenbahngiitertarife, d. h. eine Einheitlichkeit des Tarifschemas bzw. der Güterklassifikation sowie der allgemeinen Tarifvorschriften, erreicht. Über die Höhe der F r a c h t s ä t z e , d. h. der m a t e r i e 11 e n E i n h e i t für die Zentnermeile (wie es früher hieß), bzw. für das Tonnenkilometer (wie es jetzt heißt), enthielt der Reformtarif keine Bestimmungen, diese festzusetzen war nach einem Bundesratsbeschlusse den einzelnen Landesregierungen vorbehalten. Aber auch hier setzten die Bestrebungen zur Gewinnung einer Einheitlichkeit nach Einführung des Reformtarifsystems lebhaft ein, wenngleich es auch nur langsam vorwärts ging. Sehr zu Hilfe kam gerade auch hier die Verstaatlichung der preußischen Privatbahnen. Es war nur natürlich und lag in den Verhältnissen der einzelnen Bahnen, wenn die ihnen regierungsseitig konzedierten Maximalfrachteinheiten mehr oder weniger voneinander abwichen, denn bei der Festsetzung derselben mußte man, um mit Vorteil zu wirtschaften, das Anlagekapital sowie die Betriebskosten zur Grundlage nehmen; und daß hier z. B. auf Strecken in gebirgiger Gegend oder mit sonstigen Betriebsschwierigkeiten anders zu rechnen war als auf Strecken, welche
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ebenes Terrain durchziehen und leichten Betrieb aufweisen, bedarf keiner weiteren Ausführung, befördert man doch je nach den Neigungs- und Krümmungsverhältnissen usw. auf gewissen Strecken in einem Güterzuge bis zu 150, auf anderen dagegen höchstens nur bis zu 50 Wagenachsen. Indes die Vereinigung großer Betriebskomplexe in einer Hand, wie sie die Verstaatlichung ermöglichte, in Verbindung mit. dem lebhaften Willen, zu einer Verständigung zu kommen, verminderte auch auf diesem materiellen Gebiete nach und nach die vielen Verschiedenheiten, und so sind denn die Frachteinheiten wenigstens in den Klassen des Reformsystems auf sämtlichen deutschen Staatseisenbahnen jetzt die gleichen. Jeder Frachtsatz besteht aus zwei Teilen: der Beförderungsgebühr (Traktionsgebühr) und der Abfertigungsgebühr (Expeditionsgebühr). Die erstere stellt dar die Vergütung für die eigentliche Beförderung bzw. das Rollen des Gutes von der Aufgabe- bis zur Bestimmungsstation, die letztere Gebühr soll die Kosten decken für die Mühewaltung, welcher sich die Eisenbahn vor und nach der eigentlichen Beförderung am Versand- bzw. am Bestimmungsorte zu unterziehen h a t ; es gehört hierhex die Annahme, die Verwiegung, die Verladung, die Einstellung des Wagens in den Zug, die Behandlung des Frachtbriefs (Tarifierung, Kartierung, Dekartierung, Verrechnung), die Umrangierung, Entladung, Ausgabe usw. Die Beförderungsgebühr ist, wie hiernach ersichtlich, abhängig vom Gewichte, der Klassifikation und der vom Transporte zu überwindenden Entfernung, die Abfertigungsgebühr dagegen nur von der Klassifikation und dem Gewichte. Es stellen sich die Einheiten der Beförderungs- wie der Abfertigungsgebühr in den regelrechten Klassen des Reformtarifs zurzeit wie folgt: a) Streckensätze (Beförderungsgebühren) für die Tonne und
das
Kilometer: 1. Für Stückgut der allgemeinen Stückgutklasse : bei Entfernungen bis 50 km „ „ von 51 bis 201 „ 301 „ 401. „ mehr als
11 Pf. 200 km Anstoß von 10 „ q 300 ,, ,, . . . . f ,, 400 ,, ,, . . . . 8 ,, 500 7 500 „ 1)
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Das Verkehrsbureau der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin.
2. für den Spezialtarif für bestimmte Stückgüter 8 Pf. (bei Entfernungen über 726 km kommen die Sätze der allgemeinen Stückgutklasse zur Berechnung), 3. für die Wagenladungsklasse A I 6,7 „ 5» j» n ^ j» 5- >i ii i» A. 2 5,0 ,, 6. für den Spezialtarif I 4,5 „ 7. » „ II 3,5 ,, 51 8. „ „ „ III: bei Entfernungen bis 100 km 2,6 „ „ „ von mehr als 100 km 2,2 „ 9. für Eilstückgut der doppelte Satz der allgemeinen Stückgutklasse, 10. für Eilgut in Wagenladungen der doppelte Satz der allgemeinen Wagenladungsklassen A I bzw. B. w b) Abfertigungsgebühren für 100 k g : 1. Für Stückgut, den Spezialtarif für bestimmte Stückgüter und die Wagenladungsklasse A I : bis 10 km 10 Pf. von 11 bis 20 km 11 „ „ 21 „ 30 „ 12 „ „ 31 „ 40 „ 13 „ „ 41 „ 50 „ 14 „ 15 „ „ 51 „ 60 „ „ 61 „ 70 16 „ „ 71 „ 80 „ 17 „ „ 81 „ 90 „ 18 „ „ 91 „ 1 0 0 „ 19 „ über 100 km 20 „ 2. Für die Wagenladungsklasse B : bis 10 km 8 Pf. von 11 bis 20 km 9 „ „ 21 „ 30 „ 10 „ „ 31 „ 40 „ 11 „ über 40 km 12 „ 3. Für die Wagenladungsklasse A 2 und die Spezialtarife I, II und I I I : bis 50 km 6 Pf. von 51 bis 100 km 9 „ über 100 km 12 „
D a s Verkehrslmreau der Korporation der Kaufmannschaft von Rellin.
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4. Für Eilstückgut sowie für Eilgut in Wagenladungen die doppelten Sätze der Stückgut- bzw. Wagenladungsklasse A I und B. Trotz der Tarifreform konnte und kann man auch noch jetzt Ausnahmetarife nicht umgehen, solche mußten vielmehr zur Vermeidung von Härten bzw. zur Schonung bestehender, zum Teil alt eingelebter Verhältnisse aus älteren Tarifen übernommen oder da neu eingeführt werden, wo wichtige Interessen des Reichs, oder einzelner Bundesstaaten eine Abweichung von der regelrechten Tarifbildung angezeigt erscheinen ließen. Einzelne solcher Ausnahmetarife gelten für das ganze Reich, einzelne für größere Bezirke, z. B. der Ausnahmetarif für Holz des Spezialtarifs II, für Stückgut zur überseeischen Ausfuhr, für geringwertige Massenartikel (Düngemittel, Kali, Kartoffeln, Rüben, Kohlen und Koks), für Wegebaumaterialien usw. Zum Unterschiede von den regelrechten Tarifen, für deren Gestaltung jede Eisenbahnverwaltung für ihren Verwaltungsbezirk freie Hand hat, unterliegt die Einführung von Ausnahmetarifen stets der Genehmigung durch die Landesregierung (in Preußen das Ministerium der öffentlichen Arbeiten). Diese Genehmigung ist nach der bestehenden Praxis nur dann in Aussicht zu nehmen, wenn entweder eine Benachteiligung inländischer wirtschaftlicher Interessen überhaupt nicht zu besorgen ist, oder doch überwiegende Interessen anderer Zweige der inländischen Volkswirtschaft für die beantragte Ermäßigung der Tarife sprechen. In letzterer Beziehung können insbesondere in Frage kommen die Interessen des deutschen Seehandels oder der inländischen Konsumtion, der eigenen Ausfuhr oder — namentlich, wenn es sich um die Konkurrenz gegen fremdländische Verkehrsstraßen handelt — auch die eigenen Interessen der deutschen Eisenbahnen. Die Prüfung, welche Interessen jeweils überwiegen, erfolgt behördlicherseits mit großer Peinlichkeit, in wichtigeren Fällen werden, bevor man die Genehmigung versagt bzw. erteilt, die von der erbetenen Tarifmaßregel berührten Bezirkseisenbahnrätc und der Landeseisenbahnrat zur gutachtlichen Äußerung aufgefordert. Als Beispiele mögen hier folgende angeführt werden: a) Die Preußischen Staatseisenbahnen haben für die Mitbedienung des Getreideverkehrs von Rußland nach überseeischen Ländern (Schweden, Norwegen, Dänemark, England usw.) zur Ermäßigung ihrer Frachten bzw. Frachtanteile auf den Strecken von den Grenz-
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Stationen Eydtkuhnen, Prostken, Mlawa, Alexandrowo nach den Häfen Königsberg, Pillau, Memel, Danzig und Neufahrwasser sich entschlossen, sie befördern damit das russische Getreide auf diesen Strecken zu niedrigeren Frachteinheitssätzen für das Tonnenkilometer, als solche das gleichartige deutsche Produkt zu zahlen hat. Der Einwand, daß damit eine Begünstigung des Auslandes gegenüber dem Inlande und sohin eine Schädigung des letzteren erfolgt, träfe nickt zu, denn es handelt sich hier nicht um eine direkte Unterstützung der russischen Ausfuhr über die angegebenen Wege, sondern lediglich darum, einen Teil der sehr beträchtlichen russischen Getreideausfuhr nach jenen Ländern, die ihren Weg dorthin ohne jegliches Zutun der preußischen Staatseisenbahnen nehmen kann und tatsächlich auch nimmt — nämlich über Riga, Reval und Libau — für die preußischen Eisenbahnlinien und damit auch für die Seehäfen Danzig und Königsberg und die mit diesen verknüpften Handels- und Reedereiinteressen zu gewinnen. Daß diese Heranziehung nicht ohne tarifarische Opfer zu erreichen ist, liegt auf der Hand, denn die Kombination der russischen, staffeiförmig abgestuften Eisenbahntarife bis Libau, Riga, Reval mit den von dort zur Verfügung stehenden Seefrachten ergibt für einen großen Teil der Verkehrsrelationen eine billigere Gesamtfracht als die Frachtstellung über Danzig bzw. Königsberg, unter Anrechnung regelrechter preußischer Eisenbahnfrachten. Die Verwaltungen der an letzterem Wege beteiligten Bahnstrecken müssen somit, wollen sie eine annähernd gleiche Parallelfracht erreichen und damit konkurrenzfähig bleiben, in eine Kürzung ihrer sonst üblichen Sätze willigen. Der Einfachheit halber hat man bei Neuregelung dieser Tarife einen Unterschied in der tarifarischen Behandlung nicht mehr gemacht und die russische Tarifstaffel bis zu den preußischen Hafenplätzen Königsberg und Memel in derselben "Weise durchgerechnet, wie nach den russischen Häfen. Zwischen Danzig und Königsberg ist dann ein fester Frachtunterschied von 6 Kopeken für 100 kg eingehalten. Auf Entfernungen von 700 km, welche das russische Getreide hier im Durchschnitt zu durchlaufen hat, beträgt der preußische Staatsbahnanteil für die Strecke Eydtkuhnen—Königsberg 0,44 M. für 100 kg, was nach Abzug einer halben Abfertigungsgebühr von 0,06 M. einem Einheitssatze von etwa 2,5 Pf. für das Tonnenkilometer — gegenüber der aus dem Lokalsatze Eydtkuhnen—Königsberg entfallenden Einheit von 4 Pf. für das Tonnenkilometer—entspricht.
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b) Ähnlich liegen die Verhältnisse im Verkehr von Ungarn nach England usw. Hier sind z. B. für Getreide von Budapest nach Hamburg (mit der Bedingung zur Ausfuhr über See gegen Kontrolle) ermäßigte Frachtsätze eingeführt, welche beispielsweise gegen den Satz Budapest—Hamburg loco einen Unterschied von 115 II. (468 gegen 353) für den Wagen von 10 000 kg aufweisen. Auch hier ist lediglich die Konkurrenz anderer Wege (Fiume—Gibraltar, Tetschen-—Laube elbwärts usw.) für die Gewährung der Frachtermäßigung bestimmend gewesen, keineswegs handelt es sich um eine preußischerseits etwa gut geheißene oder etwa gar unterstützte tarifarische Bevorzugung des ungarischen Produkts vor dem einheimischen deutschen. c) Fiir Mineralöle, Petroleum, Naphtha sind im Verkehr von den deutschen Nordseehäfen sowie von Lübeck, Stettin und Swinemünde nach dem südwestlichen Deutschland, nach Bayern, nach der Schweiz, nach Österreich-Ungarn und umgekehrt direkte Ausnahmetarifsätze eingeführt, aus welchen für die Preußischen Staatsbahnen Einheitssätze von 4 Pf. bis herunter zu 2,2 Pf. für das Tonnenkilometer entfallen (gegenüber 6 Pf. aus den regelrechten Sätzen der allgemeinen Wagenladungsklasse B). Diese Ausnahmetarife sind nach dem Wettbewerb der niederländischen, belgischen und französischen Häfen und der Rheinschiffahrt geregelt, für den Verkehr mit ÖsterreichUngarn auch durch den Wettbewerb der adriatischen Häfen und der Elbschiffahrt beeinflußt. d) Andere Ausnahmetarife sind zur Erleichterung der deutschen Ausfuhr sowie für Sendungen, die seewärts zollinländischen Verbrauchsplätzen zugeführt werden, eingerichtet, so z. B . für Stärke, Dextrin, Stärkezucker, Traubenzucker. Ein solches Satz stellt sich z. B . für Breslau—Hamburg auf 1,20 M. für 100 kg, weist somit einen Einheitssatz auf von 1,7 Pf. für das Tonnenkilometer gegenüber dem regelrechten Einheitssatze von 4,5 Pf., zu welchem diese Fabrikate sonst befördert werden. e) Zur Unterstützung der inländischen Landwirtschaft ist ein Ausnahmetarif für bestimmte Düngemittel und Rohmaterialien der Kunstdüngerfabrikation eingeführt, durch welchen für die betreffenden Düngemittel die Frachtsätze des Spezialtarifs I I I (2,2 Pf. für das Tonnenkilometer) bzw. (bei Fünftonnen-Sendungen) des Spezialtarifs I I und der für einzelne Düngemittel bestehenden Ausnahmetarife— zum Teil unter bestimmten Kontrollbedingungen—um 2 0 % ermä ßigt wurden. Gewerbliche
Eiiizelvortrüffe.
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i) Zur Erleichterung des Wettbewerbs gegen das ausländische Roheisen sind für den Verkehr von Hochofenwerken nach Berlin soAvie nach Stationen in der Nähe der Elbe und der Ems, in Mecklenburg und Holstein, soweit ein erheblicher Verbrauch von englischem Roheisen nachgewiesen ist, auch nach Niederschlesien und dem Königreich Sachsen Ausnahmesätze eingeführt mit Einheitssätzen von 1,5 Pf. bis herab auf die Sätze des sogenannten Rohstofftarifs. Der regelrechte Einheitssatz des sonst hier in Frage kommenden Spezialtarifs III beträgt bekanntlich (bei Entfernungen über 100 km) 2,2 Pf. für das Tonnenkilometer. Solcher Ausnahmetarife könnte ich noch eine außerordentlich große Zahl aufführen. Welche Bedeutung diese Ausnahmetarife autzuweisen haben, erhellt schon allein aus der Tatsache, daß im Bereiche der PreußischHessischen Staatseisenbahnen im Jahre 1905, dem letzten, für welches die Betriebsergebnisse vorliegen, zu den regelrechten Tarifklasscn befördert wurden 103 806 227 Tonnen, dagegen zu den Sätzen der Ausnahmetarife 161 656 595 Tonnen. Die letzteren übersteigen also die ersteren um etwa 60 %. Dieses Gebiet der Ausnahmetarife mit dem sogenannten Umkartierungsverkehr bildet ein ganz besonders ersprießliches Feld der Tätigkeit unseres Verkehrsbureaus. Da die Ausnahmetarife, von einigen wenigen abgesehen, zumeist nur für gewisse Gebiete bzw. für gewisse Verkehrsverbindungen eingeführt sind, so gilt es, von Fall zu Fall zu prüfen, eb und inwieweit diese Tarife in Verbindung mit anschließenden regelrechten Frachten bzw. anderweiten Ausnahmetarifen für sonstige Verkehrsverbindungen mit Vorteil verwendet werden können. Ganz vorzugsweise hat man dieser Prüfung nachzugehen im Verkehre mit dem Auslande, für welchen — zum Unterschiede von dem der Eisenbahnverkehrsordnung unterstehenden inneren deutschen Verkehre — gemäß Artikel 6 des internationalen Übereinkommens über den Eisenbahnfrachtverkehr der Versender den einzuhaltenden Transportweg bzw. die Art und Weise der Abfertigung im Frachtbriefe angeben kann bzw. soll. Unter „Umkartierung" versteht man Verkehrs- bzw. tariftechnisch die Abfertigung des Gutes von der Versandstation zunächst nach
Diis Yerkehisbureau der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin.
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einem Unterwegsplatze (unter Umständen mehreren solcher) und von dort erst nach der Bestimmungsstation. Es wird solche Umkartierung vorgenommen in folgenden beiden Fällen: a) einmal da, wo d i r e k t e T a r i f e nicht bestehen und in Verbindung damit eine direkte Abfertigung von der Versand- bis zur Bestimmungsstation nicht möglich ist, b) ein anderes Mal da, wo die Abfertigung zu dem direkten Satze eine höhere Fracht ergibt, als die Summe der Frachten von der Versand- bis zur einer Unterwegsstation und von dort nach der Bestimmungsstation. Folgende Beispiele aus der großen Zahl der in der Praxis unseres Verkehrsbureaus vorgekommenen Fälle mögen dies erläutern. Zu a) Es soll die Fracht ermittelt werden für 10 000 kg Eisenund Stahldraht, in Ringen und Bündeln verpackt von E b o r s w a l d e n a c h W i e n. Direkte Sätze bestehen nicht, es muß also mit Umkartierung operiert werden. Nun betrügt die Fracht für 100 kg Eberswal'.le—Rummelsburg Rummelsburg—Wien
0,27 M. 3,27 „ zus. . . . 3,54 M.
dagegen Eberswalde—Tetschen Tetschen—Wien
1,48 M. 1,77 „ zus. . . . 3,25 M.
Die Kartierung über Tetschen stellt sich den "Wagen billiger.
also um 29 M. für
b) Es soll die Fracht ermittelt werden für einen Transport von 1 0 0 0 0 k g Blei in Blöcken von B e r l i n n a c h W i e n . Hier bestehen direkte Sätze, und zwar beträgt derjenige Berlin— Wien (Verbandsspezialtarif I des Ostdeutsch-österreichisch-ungarischen Verbandes) 3,27 M. für 100 kg, demgegenüber stellt sich billiger die Umkartierung in Bodenbach um 26 M. für den Wagen, nämlich:
100
D a s Verkehrsbui eau der Korporation der K a u f m a n n s c h a f t von Herlin.
Berlin—Bodenbach Bodenbach—Wien . . . i
1,24 M. 1,77 „ zus. . . . 3,01 M.
c) Es soll die Fracht ermittelt werden für 10 000 kg Getreide von I l l o w o n a c h B a m b e r g . Die direkte Fracht stellt sich auf 4,21 M. für 100 kg, demgegenüber stellt sich billiger die Umkartierung in Tempelhof (obwohl dieser Weg um 34 km weiter ist als der direkte Weg über Posen—Guben—Halle) um 26 M. für den Wagen, nämlich: Illowo—Tempelhof Tempelhof—Bamberg
1,97 M. 1,98 ,, zus. . . . 3,95 M.
d) Es soll ermittelt werden die Fracht für 10 000 kg Gewehre von C ü s t r i n - N e u s t a d t n a c h H a m b u r g zur Ausfuhr. Die direkte Fracht stellt sich auf 1,78 M. für 100 kg, demgegenüber stellt sich billiger die Umkartierung in Lichtenberg— Friedrichsfelde um 43 M. für den Wagen, nämlich: Cüstrin-N.—Lichtenberg-Fr. . Lichtenberg-Fr.—Hamburg tr
0,39 M. 0,96 ,, zus. . . . 1,35 M.
e) Es soll ermittelt werden die Fracht für 10 000 kg Schiffsbaueisen von L i e g n i t z n a c h S t r a l s u n d . Die direkte Fracht stellt sich auf 2,15 M. für 100 kg, demgegenüber stellt sich billiger die Umkartierung in Mallmitz um 81 M. für den Wagen, nämlich: Liegnitz—Mallmitz Mallmitz—Stralsund
0,37 M. 0,97 „ zus. . . . 1,34 M.
f) Es soll ermittelt werden die Fracht für 10000 kg Eisenkonstruktionsteile zu Schiffsbauzwecken von E h r a n g n a c h R o g ä t z . Die direkte Fracht stellt sich auf 2,28 M. für 100 kg,
D a s Verkehrsbureau der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin.
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demgegenüber stellt sich billiger die Umkartierung in Trier um 139 M. für den "Wagen, nämlich: Ehrang—1Trier Trier—Rogätz
0,08 M. 0,81 „ zus. . . . 0,89 M.
g) Es soll ermittelt werden die Fracht für 10000 kg Kupferdraht von B e r l i n n a c h B u k a r e s t . Die direkte Fracht stellt sich auf 698 cts. für 100 kg, dagegen beträgt die Fracht Berlin—Braila (Levanteverkehr)
323 cts.
Braila—Bukarest
237
„
zus. . . . 560 cts. letzterenfalls also billiger 138 Frcs. für den Wagen. Ferner bietet aber Kartierung über Regensburg—Giurgiu eine noch günstigere Beförderungsmöglichkeit, nämlich: Berlin—Regensburg (Donauumschlagsverkehr) 140 cts. Regensburg—Giurgiu 215 „ Giurgiu—Bukarest 163.4 „ zus. . . . 518.4 cts. somit gegen die direkte Abfertigung im rumänisch—deutschen Verbände billiger um 180 Frcs. für den Wagen. Aufgabe unseres Verkehrsbureaus ist es nun nicht allein, die Verfrachter auf solche billigere Abfertigungsart aufmerksam zu machen, sondern hieraus da, wo erhebliche Verkehrsmengen in Frage kommen, die Nutzanwendung dergestalt zu ziehen, daß die zuständigen Eisenbahnverwaltungen durch Vermittlung der Herren Ältesten der Kaufmannschaft angegangen werden, den billigeren Umkartierungsmöglichkeiten im direkten Tarife Rechnung zu tragen. Die Außerachtlassung solcher Möglichkeiten bei der Tariffestsetzung führt naturgemäß u. a. auch zu Ungleichheiten insofern, als diejenigen Verfrachter, welche die Vorteile solcher Umkartierung jeweils kennen und die Sendungen dementsprechend aufgeben bzw. die Mehrfracht nach Ausführung des Transports reklamieren, denjenigen Inter-
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essenten gegenüber, welche ihren Berechnungen die direkten Frachtsätze zugrunde legen und auf die Richtigkeit der letzteren bauen, einen mit den Bestimmungen des § 7 der Eisenbahnverkehrsordnung nicht zu vereinbarenden Yorsprung erlangen. Die Ungleichheiten wirken, soweit es sich speziell um den inneren deutschen Verkehr handelt, um so härter, weil die Zusatzbestimmung XIII zu § 51 der Eisenbahnverkehrsordnung dem Frachtaufgeber die Möglichkeit nimmt, durch eine bezügliche Frachtbriefvorschrift sich die für ihn finanziell vorteilhafteste Abfertigungsweise von vornherein zu sichern. Nachträgliche Reklamationen sind aber bekanntlich für beide Teile, die Eisenbahnverwaltung wie den Verfrachter, lästig ; für den letzteren liegt an sich auch kein Grund vor, dasjenige, wozu die Eisenbahnverkehrsordnung in ihrem § 51 die Eisenbahn von vornherein verpflichtet, nämlich Beförderung des Gutes auf demjenigen Wege, welcher nach den Tarifen den billigsten Frachtsatz und die günstigsten Transportbedingungen darbietet, erst noch nachher, nachdem der Transport sich längst abgewickelt hat, im Wege des Schriftwechsels zu erbitten. Mit diesen Ausführungen habe ich die Tätigkeit unseres Verkehrsbureaus, soweit sie speziell auf dem Gebiete des Eisenbahnverkehrs- und Tarifwesens liegt, kurz zu schildern versucht. Hinzufügen möchte ich nur noch, daß die Zahl der mündlich wie schriftlich erteilten Auskünfte an Interessenten sich stetig vermehrt und beispielsweise für das Jahr 1906 insgesamt etwas über 11000 betragen hat. Ich danke Ihnen verbindlichst für die Aufmerksamkeit und die Geduld, die Sie diesen an sich trockenen Ausführungen haben zuteil werden lassen, indem ich gleichzeitig die Bitte anfüge, von den Einrichtungen unseres Bureaus, soweit es der einzelne jeweils als in seinem Interesse liegend erachtet, recht ausgiebig Gebrauch zu machen. Sie würden damit den Intentionen, welche für die Herren Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin bei dieser Einrichtung leitend waren, nur entsprechen.
VI. Anhang.
Literaturnachweise. Von
Herrn Dr. Reiche, Bibliothekar d e r K o r p o r a t i o n d e r K a u f m a n n s c h a f t von B e r l i n .
Die hier gegebenen Literaturnachweise enthalten Bücher, die für das erste Studium geeignet sind. Umfangreichere Verzeichnisse sind in dem „Katalog der Bibliothek der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin" (Berlin, Verlag von Georg Reimer) und in den fortlaufend dazu erscheinenden Nachträgen („Korrespondenz der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin") enthalten.
I. Elektrizitätsindustrie. G r a e t z , L., Die Elektrizität und ihre Anwendungen. 8. Auflage. Stuttgart 1900. W i l k e , A., Die Elektrizität, ihre Erzeugung und ihre Anwendung in Industrie und Gewerbe. 4. Auflage. Leipzig 1899. H a s s e , H., Die Allgemeine Elektrizitilts-Gesellschaft und ihre wirtschaftliche Bedeutung. Heidelberg 1902. K r e l l e r , E., Die Entwicklung der deutschen elektrotechnischen Industrie. Leipzig 1903. F a s o l t , F., Die sieben größten deutschen Elektrizitätsgesellschaften. Dresden 1904.
II. Berliner Börse. S a l i n g s Börsen-Papiere. 1. (allgemeiner) Teil. Die Börse und die Börsengeschäfte. 10. Auflage, bearbeitet von A. S c h ü t z e . Berlin 1905. S c h n e i d e r , A., u. D a h l h e i m , L., Usancen der Berliner Fondsbörse. 13. Auflage. Berlin 1906.
III. Textilindustrie. S c h a m s , J., Ausführliches Handbuch der Weberei. 3. Auflage. Mit Atlas. Leipzig 1900. O e l s n e r , G. H., Die deutsche Webschule. 8. Auflage. Altona 1902. Gewerbliche Einzelvorträge.
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Literaturnachweise.
S c h a n i s , J., Die Kalkulation der Webwaren. Leipzig 1905. H e i d e n , M., Handwörterbuch der Textilkunde aller Zeiten und Völker. Stuttgart 1904. W e i s s , A., Textiltechnik und Textilhandel. Leipzig u. Wien 1906. R e i s e r , N., Handbuch der Weberei, zum Gebrauch an Webschulen. 2. Auflage. Leipzig 1906/07. 2 Bde.
IV. Exportgeschäfte. B i e d e r m a n n , H., Der Überseehandel, Organisation, Betrieb und Rechnungswesen des überseeischen Export- u. Importgeschäftes. Unter Mitwirkung von J . Fr. S c h ä r . Gr. Lichterfelde-Ost 1906. K u n d t , Dr. W T alter, Zukunft des Überseehandels. Berlin 1904. Franz Siemroth. S t e r n , Rob., Exporttechnik. Leipzig 1907. Der deutsche G r o ß k a u f m a n n . Herausgegeben auf Veranlassung des Deutschen Verbandes für das kaufm. Unterrichtswesen. Leipzig und Berlin 1905. T e e t z m a n n , W., Export und Import in Theorie und Praxis. Leipzig 1902.
V. Das Verkehrsbureau der Korporation der Kaulmannschaft. U l r i c h , F., Das Eisenbahntarifwesen. Berlin und Leipzig. 1896. Derselbe, Staffeltarife und Wasserstraßen. Berlin 1894. C a u e r , W., Betrieb und Verkehr der Preußischen Staatseisenbahnen. 2 Bde. Berlin 1897, 1903. Deutscher Eisenbahn - Gütertarif, herausgegeben von den deutschen Eisenbahnverwaltungen. T. 1. Abt. A u. B. E g e r , G., Die Eisenbahn-Verkehrsordnung vom 23. X. 1899. Berlin. G e r s t n e r , Tli., Das internationale Übereinkommen über den EisenbahnFrachtverkehr, Berlin. Gütertarife der Preußischen Staatseisenbahnen, vier Gruppen (Selbstverlag der Preußischen Staatseisenbahnen). Alphabetischer Eisenbahn-Frachtentarif für Berlin, bearbeitet im Auftrage der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin von deren Verkehrsbureau Berlin. Selbtverlag der Ältesten der Kaufmannschaft. 1907.
VERLAG VON GEORG REIMER BERLIN W . 35. Jährlich erscheint:
BERLINER JAHRBUCH FÜR HANDEL UND INDUSTRIE B E R I C H T
DER ÄLTESTEN DER KAUFMANNSCHAFT VON BERLIN Bisher erschienen: J a h r g a n g 1 9 0 3 , 1 9 0 4 , 1 9 0 5 ,
1906
J e d e r J a h r g a n g besteht aus 2 Bänden
— Preis des Jahrgangs M. 10.— GEDRÄNGTE
INHALTSANGABE
BAND I.
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— 1 906.
Erster Teil.
Die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung. I. Der Charakter des deutschen Wirtschaftsjahres 190G II Auswärtige Politik III. I-He wirtschaftliche Entwicklung in Berlin und dem Korporationsbezirk
(unter Berücksichtigung der allgemein-deutschen Entwicklung). IV Die wirtschaftliche Entwicklung im Auslande.
Zweiter Teil. Gesetzgebung und Verwaltung. Wirksamkeit
der
Ältesten
der K a u f m a n n s c h a f t von
I. Innere Angelegenheiten der Korporation II. Gesetzgebung und Verwaltung im allgemeinen. III Privatrecht und Rechtspflege. IV. Steuern und Verbrauchsabgaben. V. Gewerbeordnung und Verwandtes VI Gesetzgebung gegen Verfälschung VII. Patent-, Muster- und Markenschutz.
VIII. IX. X. XI XII. XIII. XIV. XV.
Berlin.
Ausstellungen. Maße und Gewichte. Geldwesen. Börsenwesen. Kaufmännisches Bildungswesen. Verschiedenes. Verkehrswesen Zoll- und Handelspolitik.
Der dritte Teil, „Beigaben", bringt alljährlich eine vollständige Kurstabelle sämtlicher wichtigen a n der Berliner Börse gebändelten S t a a t s - und Kommunalanleihen, Industriepapiere usw., einen Überblick über die erfolgten Änderungen in Lisenbahntarifen sowie in Zolltarifen des In- und Auslandes und endlich eine vollständige kalendarisch geordnete wirtschaftliche und politische Chronik des J a h r e s .
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Industrie
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Handelshochschule Berlin. V o r l e s u n g e n und Ü b u n g e n . Preis 30 Pf., mit Porto 35 Pf.
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von dem Rektor der Handelshochschule
D r . J. J & s t r o w Professor der Staatswisaenschaften.
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VERLAG VON GEORG REIMER BERLIN W. 35.